Die attische Mittlere Komödie: Ihre Stellung in der antiken Literaturkritik und Literaturgeschichte 3110121964, 9783110121964


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German Pages 405 [406] Year 1990

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Table of contents :
Frontmatter......Page 1
Vorwort......Page 7
Inhaltsverzeichnis......Page 9
I. Einleitung......Page 11
II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie“......Page 75
III. Zur Hinterlassenschaft der Mittleren Komödie selbst......Page 198
IV. Epilog: Die Mittlere Komödie – eine Epoche eigener Art?......Page 341
Appendix: Andere Zwei- und Dreiteilungen von Epochen in der Antike......Page 351
Literaturverzeichnis......Page 356
Indices......Page 361
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Die attische Mittlere Komödie: Ihre Stellung in der antiken Literaturkritik und Literaturgeschichte
 3110121964, 9783110121964

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Heinz-Günther Nesselrath Die attische Mittlere Komödie

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Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte Herausgegeben von Winfried Bühler, Peter Herrmann und Otto Zwierlein

Band 36

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1990

Die attische Mittlere Komödie Ihre Stellung in der antiken Literaturkritik und Literaturgeschichte

von Heinz-Günther Nesselrath

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1990

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt

CIP-Titelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Nesselrath, Heinz-Günther: Die attische Mittlere Komödie : ihre Stellung in der antiken Literaturkritik und Literaturgeschichte / von Heinz-Günther Nesselrath. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1990 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte ; Bd. 36) Zugl.: Köln, Univ., Habil.-Schr., 1987 ISBN 3-11-012196-4 NE: GT

© Copyright 1990 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin 30 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

RUDOLFO KASSEL COMOEDIAE GRAECAE OPTIMO INDAGATORI CONSERVATORI

INTERPRETI

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die revidierte und gestraffte Fassung einer Habilitationsschrift, die im Sommer 1987 der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln zur Begutachtung vorlag; neu hinzugekommen ist lediglich die kurze Appendix über Periodisierungsversuche in anderen Bereichen des antiken Geisteslebens, die den Zwei- und Dreiteilungen der Komödiengeschichte vergleichbar sind. Es wurde ferner versucht, die in den zweieinhalb Jahren seit dem Sommer 1987 erschienene, für das Thema dieser Arbeit einschlägige Literatur so weitgehend wie möglich zu berücksichtigen; für Vollständigkeit wage ich mich freilich nicht zu verbürgen. Schon hier sei auch darauf hingewiesen, daß wiederholt verwendete Literatur im folgenden so knapp wie möglich (in der Regel nur mit Verfassemamen, Erscheinungsjahr und Seitenzahl) zitiert ist; vollständige bibliographische Nachweise bietet das Literaturverzeichnis. Diese Arbeit hat in jeder Phase ihrer Entstehung in einzigartiger Weise davon profitiert, daß sie in ständigem engen Kontakt mit dem Gelehrten entstehen konnte, der führend an der umfassenden Neuedition der gesamten Hinterlassenschaft der griechischen Komödie beteiligt ist: Rudolf Kassel, dem ich für meinen bisherigen akademischen Werdegang weit mehr als jedem anderen verdanke. Es ist mir eine große Freude (und kann doch gleichzeitig nur ein geringes Symbol meiner Dankbarkeit sein), ihm diese Arbeit widmen zu können. Die Herausgeber der „Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte", Professor Bühler, Professor Zwierlein und Professor Herrmann, haben sich freundlich dazu bereit erklärt, diese Arbeit in ihre Reihe aufzunehmen; auch ihnen — sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, deren großzügiger Druckkostenzuschuß eine Veröffentlichung in diesem Rahmen ermöglichte — sei dafür ganz herzlich gedankt. Köln, im März 1990

H.-G. Nesselrath

Inhaltsverzeichnis Vorwort I. Einleitung 1. Die mittlere Komödie in der philologischen Forschung . . . 2. Die antiken und byzantinischen Bezeugungen der Mittleren Komödie II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie" . . . 1. Die Mittlere Komödie bei Athenaeus und Pollux a) Athenaeus b) Pollux 2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus ( T C ) a) Widersprüche zu aristotelischen Gedanken im TC . . . . b) Nacharistotelisches im TC c) Die Komödiendreiteilung am Ende des TC — zu ihrem Charakter und ihrer wahrscheinlichen Herkunft 3. Von Athen nach Alexandria a) Theophrast und die Komödiendreiteilung b) Zwischen Theophrast und den Alexandrinern: Der übrige Peripatos und die Komödie c) Komödienstudien in alexandrinischer Zeit α) Kallimachos ß) Eratosthenes y ) Aristophanes von Byzanz III. Zur Hinterlassenschaft der Mittleren Komödie selbst 1. Die Mythenparodien der Mittleren Komödie — Dramen eigener Art? a) Die Mythenparodie und ihr Anteil an der Bühnenproduktion in der attischen Komödiengeschichte b) Zur Art der Mythenparodie in der Zeit der Mittleren Komödie 2. Dithyrambos und Anapäst: Zu Sprache und Metrik der Mittleren Komödie a) Zur Rolle und Bedeutung der dithyrambischen Elemente in der Mese b) Metrik: der anapästische „Dimeter" in der Mittleren Komödie

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Inhaltsverzeichnis

3. Köche, Sklaven, Parasiten: zum Personal der Mittleren Komödie 280 a) Sklaven 283 b) Köche 297 c) Parasiten 309 d) Hetären, Hurenwirte und Soldaten 318 IV. Epilog: Die Mittlere Komödie — eine Epoche eigener Art? . . 331 Appendix: Andere Zwei- und Dreiteilungen von Epochen in der Antike 341 Literaturverzeichnis

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Indices 1. Index Locorum 2. Wichtige griechische Begriffe 3. Namen und Sachen

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I. Einleitung 1. Die Mittlere

Komödie in der philologischen

Forschung

„Tout est probleme au sujet de la Comedie Moyenne, jusqu'ä son existence meme." So prägnant hat Jacques Denis (1886, II 332) die Schwierigkeiten, die bei der Beschäftigung mit der attischen Mittleren Komödie auftauchen, umschrieben. Eine Übersicht über die Forschung zu diesem Thema zeigt, daß Denis' Feststellung immer noch uneingeschränkt zutrifft. Als Julius Caesar Scaliger im siebten Kapitel des ersten Buches seiner poetices libri (Lyon 1561) die „comoediae species" zu behandeln unternahm, stellte er die Einteilungen der griechischen Komödienepochen noch ganz nach den theoretischen Texten vor, die in mehreren Aristophanes-Handschriften den Stücken selbst vorausgeschickt waren und die auch die Aldina von 1498 dem Text des Komödiendichters vorangestellt hatte; oft ist noch gut erkennbar, was Scaliger dabei den beiden unter dem Namen des Platonios gehenden Traktaten Περί διαφορδς κ ω μ ω δ ι ώ ν und Περί διαφοράς χαρακτήρων (I und II Koster), den Proleg. V Koster, der großen Aristophanes-Vita (Ar.test. 1 K.-A.) und seiner Lektüre des Athenaeus und der Suda verdankt. 1 Der unterschiedliche Inhalt und Gehalt dieser Texte ist wesentlich dafür verantwortlich, daß Scaligers Darstellung der Komödienentwicklung bei allem Detailreichtum und manchen interessanten Bemerkungen insgesamt unausgeglichen, bisweilen sogar widersprüchlich wirkt: Er unterscheidet zunächst „tres Comoediae aetates" (p. 12) und stellt, nachdem er die innere Entwicklung und das Ende der Alten Komödie vorgeführt hat, auch die Mittlere Komödie als eine Epoche durchaus

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Die Hinweise auf die Ό δ υ σ σ ή ς des Kratinos und den Αίολοσίκων des Aristophanes verdankt Scaliger Platonios I Koster, ebenso die Anekdote um die Βάττται, doch ist bei ihm fälschlich Kratinos derjenige, der für dieses Stück mit dem Tod im Meer zu büßen hat (12). Die Ausführungen über die verschiedenen dichterischen ingenia stammen aus Platonios II Koster. Die Benutzung der Proleg. V Koster zeigt sich daran, daß Scaliger wie diese den Sannyrion, nicht Susarion als Archegeten der Komödienentwicklung nennt (12). Aus dem großen Aristophanes-Bios stammt die Notiz, daß der Κώκαλο; das Vorbild für die Komödien Menanders und Philemons geworden sei. Die ausdrückliche Zuordnung der Dichter Straton, Mnesimachos, Epikrates, Nikostratos und Sotades zur Mese ist bei Athenaeus und in der Suda belegt (vgl. u. S. 60 — 62), die des Alexis war aus Ath. VIII 336d zu erschließen (u. S. 58); daß Scaliger auch Philippides und Anaxilas als Dichter der Mittleren Komödie bezeichnet, muß aus anderen Quellen stammen.

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I. Einleitung

eigener Art heraus: „... mediae nomen ortum est ..., ... posteaquam novae Comoediae appellatio fuit instituta: inter quam et veterem illam quae intercederet μέση fuit nominata. Intercessit autem et tempore et forma, quando neque huius neque illius faciem repraesentaret. tempore quoque posterior fuit superiore et postrema prior" (p. 12). 2 Später aber bespricht er die Entstehung der Neuen aus der Alten Komödie so, als habe es keine Mese dazwischen gegeben: „Ortam ... ex antiqua novam satis apparet ex iis quae veteres memoriae prodidere. Aiunt enim Aristophanem scripsisse fabulam Cocalum, cuius filum fuit amussis et regula Menandro atque Philemoni ad novam Comoediam comminiscendam" (p. 13). 3 Diese Äußerung wurde später so verstanden, als habe Scaliger selbst eine Zweiteilung der attischen Komödienentwicklung vertreten; 4 es ist aber wohl eher so, daß er sich gar nicht explizit und endgültig zwischen einer Drei- und einer Zweiteilung unterscheidet, sondern beide einfach nebeneinander nach den ihm vorliegenden Quellen referiert. 5 Anders dagegen sieht es schon bei zwei Kritikern aus dem 17. Jh. aus. Daniel Heinsius 6 ignoriert in seiner kurzen Skizze der attischen Komödiengeschichte die Mittlere Komödie völlig, läßt die „licentia Antiquae" bis weit ins 4. Jh. hinabreichen und dann „metu ... Macedonicae potentiae" verschwinden 7 : „Cuius locum occupavit Nova. Cuius et formam nondum penitus vidisse absolutam, sed iam concepisse animo putatur Aristoteles" (p. XLIII). 1696 vertritt Ezechiel Spanheim 8 die These, die Mese habe 2

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Interpunktion von mir teilweise modernisiert (auch in den folgenden Texten aus dem 18. und frühen 19. Jh.). Dies nach der Aristophanes-Vita (test. 1,4 — 6.46 ff. K.-A.); unmittelbar zuvor hat Scaliger nach dem Vorbild der Proleg. V Koster die Unterschiede zwischen Alter und Neuer Komödie besprochen. Bei Fielitz (1866, 1) und du Meril (1869, II 9 1 ). Ähnlich hat Fielitz (2) auch Schweighaeusers Kommentar (VII 693) zu der bei Ath. XIV 662 f genannten Schrift Περί Ά ν τ ι φ ά ν ο υ ξ και περί τ ή ξ τταρσ τοις ν ε ω τ έ ρ ο υ κωμικοΐξ μ α τ τ ύ η ς des Dorotheos von Askalon als Votum gegen die Komödiendreiteilung verstehen wollen. Aber Schweighaeuser sagt lediglich, daß bei Dorotheos offenbar eine Zweiteilung der Komödie vorliegt, und bemüht sich sogar nachzuweisen, daß dies für die Einordnung des Antiphanes kein Präjudiz ist: „in verbis, de quibus quaerimus, ne diserte quidem accensetur Antiphanes τοϊζ νεωτέροΐζ κωμικοί?, possuntque illi νεώτεροι intelligi Antiphane posteriores." Aus diesen Worten könnte man eher schließen, daß Schweighaeuser die Dreiteilung sogar befürwortet und den Titel von Dorotheos' Schrift nicht als entscheidendes Gegenargument betrachtet. Unangefochten ist die Komödiendreiteilung bei J . Jonsius, De scriptoribus historiae philosophicae libri IV von 1659 (Buch I Kap. 5 und 6). In: A. Westerhof (ed.), Pubiii Terentii Afri Comoediae sex, Hagae 1726, I p. X L I I I - X L V . Heinsius' eigene Terenz-Ausgabe erschien 1618 in Amsterdam. „ut observant critici": damit dürfte am ehesten wieder Platonios gemeint sein (vgl. I p.5.59 —6,63 Koster). In: Sur les Ce'sars de Julien et en general sur les ouvrages satyriques des Anciens, hier zitiert nach: I. Casaubonus, De satyrica Graecorum poesi et Romanorum sattra libri II, ed. J. J. Rambach,

1. Die mittlere Komödie in der philologischen Forschung

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„rien eu de different de l'Ancienne Comedie que la supposition de noms faux, au lieu des veritables, ... en gardant du reste le meme charactere" (p. 347). Den ersten umfassenden Angriff gegen die Annahme einer Mittleren Komödie mit eigenem Epochencharakter trug dann im Frühling 1808 August Wilhelm Schlegel in seinen in Wien gehaltenen Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur vor, die im folgenden Jahr auch im Druck erschienen. 9 „Ob es eine mittlere Komödie als besondere Gattung gegeben", lautet im Inhaltsverzeichnis der erste Satz der Themenangabe zur dreizehnten Vorlesung; Schlegel beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein. Für ihn sind die Merkmale, die von den „alten Kritikern" und insbesondere von Platonios angegeben werden, auch schon in der Alten Komödie zur Genüge vorhanden (Einführung fiktiver Personen; Parodie früherer Literaturwerke); den Wegfall des Chores sieht Schlegel nicht als wirkliche Neuerung, sondern — bei der zunehmenden Konzentration der Dichter auf die Darstellung des Privatlebens — als völlig natürliche Entwicklung an (156). Wirklich neue Elemente sind laut Schlegel im Erscheinungsbild der Mese nicht vorhanden: „Da es bloß etwas Verneinendes war, was die neuere Komödie veranlaßte, nämlich die Aufhebung der politischen Freiheit der alten, so ist es leicht begreiflich, daß ein Mittelzustand des Schwankens und Suchens nach Ersatz stattgefunden haben wird, bis sich eine neuere Kunstform entwickelt und festgesetzt hatte" (157). Historisch könne man sogar „mehrere Arten der mittleren Komödie, mehrere Mittelgrade zwischen der alten und der neuen annehmen"; aber vom „Künstlerischen" her bilden diese „Mittelgrade" nur einen „Übergang", und der ist für Schlegel „keine Gattung" (157). 10 Mit Schlegel nimmt der lange und bis heute nicht abgeschlossene Streit um die Existenzberechtigung der mittleren Komödie seinen eigentlichen Anfang; es dauerte freilich noch einige Jahre, bis die so gelegte Saat des

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Halle 1774, 347. Spanheims Abhandlung war ursprünglich seiner französischen Übersetzung von Julians Caesares vorangestellt: Les Cesars de l'Empereur Julien, traduit du grec par feu Mr. le Baron de Spanheim, Amsterdam 1728 (zuvor Paris 1696). So Schlegel in seiner Vorrede zur Erstausgabe 1809. Die Vorlesungen werden hier zitiert nach: A. W. Schlegel, Kritische Schriften und Briefe V, hrsg. von E. Lohner, Stuttgart—Berlin—Köln—Mainz 1966. A. W. Schlegels Bruder Friedrich hat sich in seinen Schriften zur antiken Literatur nicht explizit zum Epochenproblem der attischen Komödie geäußert; in der Abhandlung Vom ästhetischen Werte der griechischen Komödie von 1794 (hier zitiert nach: Studien des klassischen Altertums. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. von E. Behler, 1. Bd., Paderborn—München—Wien—Zürich 1979, 19 — 33) hat er jedoch bei einigen kurzen Bemerkungen zum Komödienwandel die Mittlere Komödie bezeichnenderweise völlig ignoriert: „Nachdem die Griechische Komödie nicht mehr frei, die komische Kraft des Genies erloschen (...), nachdem ferner die dramatische Kunst, die Sprache der Poesie, der Philosophie und des geselligen Lebens, auch das gesellige Leben selbst den höchsten Grad der Ausbildung erreicht hatte; da entstand die neuere Griechische Komödie" (32).

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I. Einleitung

Zweifels in der philologischen Forschung aufging. In seiner 1828 erschienenen Dissertation De Aristopbanis Pluto stellt F. Ritter die Mese als eigene Epoche noch nicht in Frage; im Jahr zuvor hatte der bedeutendste Mann der griechischen Komödienforschung in dieser Zeit, August Meineke, in der zweiten Folge seiner Quaestiones Scenicae (Berlin, Joachimsthalsches Gymnasium 1827) der Mittleren Komödie eigene Epochenmerkmale zugebilligt (und tat dies auch in größerer Ausführlichkeit und Abrundung zwölf Jahre später in der Historia Critica der griechischen Komödiendichter, dem ersten Band seiner Editio maior der griechischen Komikerfragmente). Im Gefolge Meinekes unternahm es dann W. H. Grauert (1828), das Bild einer eigenständigen Mese-Epoche noch stärker zu konturieren und dabei vor allem die Mythenparodie und die komische Darstellung von Angehörigen bestimmter Berufe und fremder Städte oder Völker als typische Sujets dieser Komödie zu erweisen. Auf Grauerts und Meinekes Linie liegen auch die Arbeiten von Roeder (1831) und Stolle. 11 Dagegen entwickelte Gabriel Cobet in seinen Observationes criticae in Piatonis comici reliquias von 1840 in Auseinandersetzung mit Meineke eine eigenwilligere Sicht der Mittleren Komödie (vor allem S. 113 — 126): Auch Cobet war ein Vertreter der Komödiendreiteilung und hielt die alexandrinischen Philologen für ihre Begründer, aber er wollte den Beginn der Mittleren Komödie (wenigstens zum Teil) um 25 — 30 Jahre früher als Meineke ansetzen, 12 um — im Anschluß an die Dionysios-Thrax-Scholien, Proleg. IV Koster und Pseudo-Andronikos Περί τάξεως π ο ι η τ ώ ν — den Komödiendichter Piaton als den überragenden Vertreter der Mese herausstellen zu können. Konformer zu der damaligen (von Meineke bestimmten) communis opinio waren die Vorstellungen Theodor Bergks (1842 und

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Η. A. Stolle, De comoediae Graecae generibus commentatio, Berlin 1834 (erster Teil 1833 als Dissertation veröffentlicht). Stolle, ein Schüler Grauerts (vgl. den Hinweis in 51*), stellte in dessen Nachfolge die „argumenta ex mythologia desumpta tractataque ab aliis tragicis maxime epicisque poetis" und die „argumenta petita ex vita vulgari inventaque ab ipsis comicis" (eine recht amorphe Beschreibung) als für die Mese typisch heraus (50). Den Hauptunterschied zwischen Mese und Nea erblickte Stolle in einer „variorum elementorum [gemeint sind Spott gegen Zeitgenossen und Typen sowie mythische Parodie] mira quaedam cumulatio" (55), die er auch bei denjenigen Mese-Stücken annahm, die vom Titel her bereits Nea-Stoffe zu behandeln scheinen. Damit setzt Stolle den Unterschied zwischen Nea und Mese als Prämisse und schließt dann zurück auf Elemente dieses Unterschieds; eine petitio principii, der auch die anderen Meinekes Quaestiones scenicae folgenden Arbeiten über die Unterscheidung der einzelnen Komödienepochen nicht immer entgingen.

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Meineke hatte die Mese mit der 96. Olympiade (396/5 — 393/2 v.Chr.) beginnen lassen (1839, 271; vgl. u. S. 27). Cobets Position ist etwas schwankend: 54 datiert er den Beginn der Mese acht Jahre früher als Meineke in die 94. Olympiade (404/3 — 401/0); 116 betont er mehr die „argumenta" als die „aetas" und sieht die „Mese-Stücke" Piatons noch mit der Alten Komödie des Aristophanes und Eupolis konkurrieren.

1. Die mittlere Komödie in der philologischen Forschung

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1844).13 Elf Jahre später erschien als erster bedeutender französischer Beitrag zu dieser Thematik die umfängliche Arbeit von G. Guizot (1855) über Menander, die auch ausführlich zur Mittleren Komödie Stellung nahm (107 — 226) und entschieden auf ihrer Eigenständigkeit gegenüber Archaia und Nea beharrte. 14 Noch bevor aber Guizot seine Menanderstudie veröffentlichte, waren in Deutschland die Zweifel an der Komödiendreiteilung langsam, aber merklich gewachsen, und dies war unter anderem wohl eine verzögerte Nachwirkung der Stellungnahme Schlegels. Schon Grauert hatte sich veranlaßt gesehen, Schlegels gegensätzlichen Standpunkt — freilich ablehnend — zu zitieren (1828, 513 f.); auch Roeder (1831, 120) nahm zur Kenntnis, daß „nonnulli viri prudentes", zu denen er auch Schlegel gezählt haben dürfte, 15 der Mese den Epochencharakter bestritten. Bei anderen drangen die Zweifel tiefer: In seiner 1841 postum erschienenen Geschichte der griechischen Litteratur sah Karl Otfried Müller, auch wenn er der Mittleren Komödie ein „eigenes beschränktes Feld ... literarischer Parteiungen und Rivalitäten" (II 267) zubilligte, in ihr „mehr eine Uebergangsform als eine selbständige Gattung" und einen „Wegweiser" für die Nea (II 268). Ambivalenter ist die Haltung Gottfried Bernhardys: Zur Epochenproblematik der Mittleren Komödie zitiert er in dem 1845 in erster Auflage erschienenen zweiten Band seines Grundrisses der griechischen Literatur die Einwände Schlegels und K. O. Müllers gegen die Eigenständigkeit der Mese, versieht sie aber mit dem Hinweis, daß der Grund solcher Skepsis wesentlich im „Mangel fast aller Angaben über die Oekonomie der mittleren Komödie", d. h. im Fehlen fast jeglicher Hinweise auf den Handlungsablauf ihrer Stücke, begründet liege, und urteilt selbst: „Wiewohl nicht selbständig und poetisch genug hat sie doch darin einen bestimmten Charakter, daß sie mehr der alten als neuen Komödie geistesverwandt an einer Fülle positiven Stoffes sich belustigte und ... ohne strenges Maß und Gleichgewicht die ergötzlichen Situationen ausbeutete" (1003). Diese Kennzeichnung sieht wie ein Versuch aus, zwischen denen, die die Mese klar von Archaia und Nea trennen wollten, und denen, die eine solche Trennung ablehnten, zu vermitteln. 16 '3 Rezension von: K. O. Müller, Geschichte der griechischen Litteratur (1842, jetzt in: Kl. Philol. Sehr. II 355 — 391; darin 391 zur Komödiendreiteilung); Uber die Beschränkungen der Freiheit der älteren Komödie Athen (1844, jetzt in: Kl. Philol. Sehr. II 444 — 465). 14 Vgl. Guizot 107: „Nous avons la trois genres bien distinets: la comedie moyenne ellememe, qui fut une transition, fut une transition originale", 121 zur Wandlung ArchaiaMese: „Les auteurs et auditeurs, les sujets et l'inspiration, tout a change." 15 Leider ist gerade die Fußnote, die diese „prudentes" identifizieren sollte, offenbar ausgefallen. 16 E. Münk, Geschichte der griechischen Literatur für Gymnasien und höhere Bildungsanstalten I: Geschichte der griechischen Poesie, Berlin 1849, 362 war da eindeutiger: „... der sogenannten mittleren Komödie, die in der That keine neue Gattung war, sondern nur nach den Zeitumständen modificirt erscheint."

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I. Einleitung

In der 1859 erschienenen Neubearbeitung des zweiten Teils des Grundrisses bewegte sich Bernhardy ein Stück weiter auf die Zweifler am Epochencharakter der Mese zu. Zwar machte er jetzt einen größeren Unterschied zwischen der Dichtergeneration, die im Übergangsstadium zwischen Archaia und Mese stand, und den ihnen in der nächsten Generation folgenden (die er die „wahren Gründer und anerkannten Häupter der mittleren Komödie" nennt, 592), aber in seiner eigentlichen Stellungnahme zum Epochenproblem (wieder sind Schlegel und K. O. Müller zitiert) ist bemerkenswerterweise der Ausdruck „bestimmter Charakter" im Zusammenhang mit der Mittleren Komödie verschwunden. 17 Eindeutiger für K. O. Müllers Auffassung votierte Otto Ribbeck in seinem Vortrag Ueber die mittlere und neuere attische Komödie von 1857: Auch er betrachtete die Mese nur als „Uebergangsform" (7). Es waren also schon mehrfach ernste Bedenken gegen den Versuch, von einer eigenständigen mittleren Epoche in der attischen Komödienentwicklung zu sprechen, geäußert worden, als die 1866 veröffentlichte Bonner Dissertation De comoedia Atticorum bipartita von Wilhelm Fielitz schon mit ihrem Titel deutlich machte, daß ihr Autor eine Dreiteilung der attischen Komödie ablehnte. Fielitz wandte sich vor allem gegen Grauert, erklärte dabei aber mehr große Vorgänger zu seinen Verbündeten, als er hätte tun dürfen; 18 doch auch selbst mobilisierte er formidable Kräfte, um seine These, „totam illam comoediae in antiquam mediam novam divisionem ne ipsos quidem veteres novisse nisi post Hadrianum imperatorem" (2), zu untermauern; und seine Argumente bildeten fortan den Grundstock für alle weiteren Versuche, die Mese zu einer bloßen Übergangszeit zwischen Archaia und Nea zu erklären. Fielitz stellte zunächst (4 ff.) die Gemeinsamkeiten zwischen Mittlerer und Alter wie auch zwischen Mittlerer und Neuer Komödie heraus und betonte die grundsätzliche Kontinuität der attischen Komödienentwicklung; im zweiten Kapitel (15 ff.) stellte er richtig heraus, daß alle Texte, die eine Mittlere Komödie bezeugen, nicht über die Mitte des 2. Jhs n. Chr. zurückgehen, und suchte zu erweisen,

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„Wiewohl nicht schöpferisch und poetisch genug war sie doch darin mehr der alten als der neuen Komödie verwandt, daß sie frei von moralischen Zwecken ... schildert und an einer Fülle positiven Stoffes sich belustigt ..." In der dritten 1872 erschienenen Auflage des Teils II 2 des Grundrisses ändert sich Bernhardys Position nicht mehr merklich (dort 681 zur Stellung der Mese); die sechs Jahre zuvor erschienene Arbeit von Fielitz ist nicht mehr berücksichtigt, auch nicht in der 4. Auflage von 1880 (676 f.; postum erschienen). Vgl. o. Anm. 4. Meinekes Ausführungen „De mediae comoediae indole" (1839, 271 ff.) sah Fielitz als unentschieden in der Frage des Epochencharakters der Mese an; 22 Jahre später jedoch verwies Crusius (1888, 606) gerade auf diese Ausführungen als beste Widerlegung der von Fielitz und Kock propagierten Zweiteilung („in aureis illis de media et nova comoedia commentationibus").

1. Die mittlere Komödie in der philologischen Forschung

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daß auch die Quellen dieser Texte ganz jungen Datums seien. In der Tat hat sich bis heute kein Textzeuge für die Mittlere Komödie gefunden, der älter als Apuleius wäre; aber was die Quellen dieser Textzeugen angeht, wurde Fielitz schon bald widersprochen. 1 9 Danach (36 ff.) trug Fielitz die aus der Zeit vor Hadrian erhaltenen Äußerungen über attische Komödienepochen zusammen und suchte aus ihrem Schweigen über die Mese zu folgern, daß diese damals für die Literaturgeschichte eben noch nicht existierte — auch dieses argumentum e silentio wurde bald kritisiert. Fielitz' viertes Kapitel (43 ff.) über „testimonia ..., quae certissime ante Hadrianum non notam fuisse mediam comoediam evincant", ist sein schwächstes, denn hier findet sich kein einziger Beleg, der dem Anspruch des „certissime" wirklich gerecht würde. Dennoch bleibt an Fielitz' Arbeit die weite Umschau, die ihr Verfasser gehalten hat, bis heute bewundernswert; es ist kein Zeugnis hinzugekommen, das allein durch sein Auftauchen seine These entkräftet hätte. 20 Fielitz fand denn auch innerhalb kurzer Zeit vielfache Zustimmung; das erste mir bekanntgewordene positive Echo kam dabei aus Frankreich (vgl. u. S. 15). In Deutschland zollte Hermann Usener 1873 Fielitz'

" Am schwächsten ist in diesem Kapitel Fielitz' Beweisführung bei der von ihm angestrebten Spätdatierung von Schol. Ar. Plut. 515 und der Komödien-Prolegomena III Koster: Bei dem Scholion macht er gar keinen wirklichen Versuch, Alter und Herkunft näher zu bestimmen (20; vgl. dazu u. S. 242 Anm. 4); bei den Proleg. III will er (29 — 30) an manchen Auffälligkeiten im Text und den von anderen Quellen zum Teil abweichenden Zahlenangaben erweisen, daß dieser Traktat aus verschiedenen Quellen schöpfe und seine Nachrichten über die Mese unzuverlässig und später eingefügt seien. Aber die „Verwechslung" des Komikers Phrynichos mit dem Tragiker beruht lediglich auf dem Verlust fast des gesamten Lemmas zu diesem Komiker, und daß ein Stephanos neben Antiphanes als ά ξ ι ο λ ο γ ώ τ α τ ο 5 der Mese erscheint, ist ebenfalls ein Resultat von Textverderbnis (vgl. u. S. 48 Anm. 46 u. 50 Anm. 52). Die in Proleg. III angegebenen Zahlen gehören zu den zuverlässigsten der gesamten Komödienüberlieferung (vgl. u. S. 48 Anm. 44). Aus der Reihenfolge άρχαία, νέα, μέση in p.7,8 Koster auf spätere Interpolation der MeseAngaben in diesem Text zu schließen, grenzt an Willkür, denn später sind die Ausführungen über die Mese ja genau richtig zwischen Archaia und Nea eingeordnet; selbst wenn es sich um eine Interpolation handelte, hätte sie für uns einen unschätzbaren Wert, denn ihre Angaben über die Mese allgemein und über Antiphanes im besonderen sind in keiner anderen Überlieferung mehr enthalten (man vergleiche den Suda-Artikel zu Antiphanes) und müssen in ihrer Detailliertheit auf jemand zurückgehen, der noch unmittelbares Anschauungsmaterial und didaskalisch-bibliothekarische Statistiken über die Mese besaß (vgl. u. S.48, 175). 20 Von Satyros' Zeugnis ( V i t . Eur. 39 col. VII 17—20) über τ ά σ υ ν έ χ ο ν τ α τ ή ν ν ε ω τ έ ρ α ν κ ω μ ω δ ί α ν hätte Fielitz sich sicherlich bestätigt gefühlt; aber wenn ein Peripatetiker im Anschluß an Aristoteles von einer alten und einer ν ε ω τ έ ρ α Komödie spricht, entscheidet dies nichts über die Möglichkeit einer dreiteilenden Konzeption bei anderen Kritikern (vgl. auch Arrighetti 1964 zu dieser Stelle).

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I. Einleitung

Ergebnissen uneingeschränkten Beifall;21 im gleichen Jahr deklarierte die griechische Literaturgeschichte von R. Nicolai die Mese „nicht als neue Gattung, sondern als Uebergangsform von der alten zur neuen Komödie" (I 235), wenn sie ihr auch „in Stoff und Oekonomie, in Maß und Dialekt merkliche Abweichungen von der alten" zugestand (234). 1877 bestritt auch H. Th. Hasper der Mese den Epochencharakter und schloß sich dabei noch an Schlegel, aber auch an Fielitz an; auch wenn er mit der Entstehung der Epochenbezeichnung Mese zeitlich nicht so weit heruntergehen mochte wie jener, „illud tarnen iure contendas ... a veteribus grammaticis mediae comoediae memoriam omnino fuisse alienam" (12).22 Der größte Triumph für die von Fielitz vertretene These kam jedoch, als der neue Editor der Fragmente der attischen Komiker, Theodor Kock, sie in der Einleitung zu seinem 1884 erschienenen zweiten Band (der deshalb auch nicht Mediae ..., sondern Novae Comoediae Fragmenta, Pars I betitelt ist) geradezu kanonisierte: Analog zu der schon vorher erfolgten Zweiteilung der Alten Komödie (Susarion — Kratinos, Aristophanes, Eupolis) hätten Grammatiker der hadrianischen Zeit auch die Neue Komödie noch einmal unterteilt und ihren älteren Teil als „Mittlere Komödie" bezeichnet; eindeutige Unterschiede zwischen den so unterschiedenen beiden Teilen gebe es nicht; selbst zwischen Archaia und Nea betont Kock mehr die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede (11 f.). Auch in den Nachträgen des dritten Bandes von 1888 hielt Kock an dieser Auffassung fest (732), trotz Einwänden, die kurz zuvor Otto Crusius gegen die Zweiteilung geäußert hatte (vgl. u. S. 9). Bereits vor Crusius hatte auch Theodor Bergk, der bereits vierzig Jahre früher die Dreiteilung der attischen Komödie befürwortet hatte (vgl. o. S. 4 f.), in dem 1887 postum erschienenen vierten Band seiner griechischen Literaturgeschichte noch einmal ein eindeutiges Votum für die Beibehaltung der Mese abgegeben, deren Konzipierung er auf die Zeit der Alexandriner zurückführte, „denn hier übersah man zum ersten Male den gesammten Nachlaß der attischen Lustspieldichter und empfand das Bedürfniß, diese massenhafte literarische Produktion zu ordnen und zu

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RhM 28, 1873, 420 ( = Kl. Sehr. III 39) mit Anm. 52. Usener glaubte, der sogenannte Liber glossarum bewahre unter dem Stichwort comoedia ( = XXVII 3 p. 129 f. Koster) ältere Lehre als Diomedes, da er in den Worten prior ac vetus comoedia (p. 129,8 Koster) noch die ursprüngliche Zweiteilung enthalte. In Wahrheit zeigt das Lemma die gleiche Dreiteilung wie Diomedes, nur sind die drei Stufen undeutlicher voneinander abgesetzt (129,8 prior ac vetus comoedia ... ibid. postea ... 130,13 postea autem ...; vgl. u. S. 55). Auch das an weitere gebildete Kreise sich richtende Werk von J. Mähly (Geschichte der antiken Literatur, Leipzig 1880) sah in der Mese eine „bloße Uebergangsform" (256).

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classificiren" (14). 23 Im darauffolgenden Jahr postuliert dann auch Crusius ältere Quellen für die von Fielitz zusammengetragenen und von Kock akzeptierten nachhadrianischen Bezeugungen der Mittleren Komödie und war insgesamt der Meinung, „veteres illos auctores earn comoediam quae tempore antiquae propior esset mediam adpellare incepisse non convenientiae cuiusdam et aequabilitatis specie ductos, sed ipsa rei natura et indole" (1888, 607). Als Kock sich davon unbeeindruckt zeigte, ließ Crusius 1889 in seiner Rezension des dritten Bandes der Kockschen Edition 2 4 die Quellenfrage weitgehend beiseite, 25 konzentrierte sich mehr darauf, „ob die Dreiteilung durch die geschichtliche Entwickelung der Komödie, wie der griechischen Litteratur überhaupt, empfohlen oder diskreditiert wird" (184), und kam zu dem Ergebnis: „Gerade weil der Uebergang so unmerklich sich vollzieht, ist es kaum geraten, mit dem Terminus νέα, der für uns seinen Inhalt durch Terenz und Menander empfangt, so früh einzuschneiden" (184). Crusius war nun zwar auch bereit, die Mittlere Komödie als „Uebergangszeit, w o das Alte abzusterben begann und die neuen Keime noch nicht triebkräftig waren" (184), anzusehen, doch hätten sie „antike Litteraturhistoriker, denen ein ganz anderes Material zu Gebote stand als uns, sehr treffend mit dem Terminus μέση" benannt (185); und nur eine Dreiteilung der Komödie sei mit der allgemeinen Entwicklung

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Deutlich auch 122: „... hätten nicht schon die Alten, von richtigem Gefühl geleitet, drei Zeiträume in der Entwickelung der attischen Komödie unterschieden, so müßten wir diese Sonderung vornehmen." In 1443 führt Bergk es einleuchtend auf das rasch verschwundene Interesse an den Produktionen der Mittleren Komödie zurück, daß sie von Autoren wie Vellerns, Quintilian und Plutarch (Fielitz' Kronzeugen für die Zweiteilung) nicht berücksichtigt wurden. Anm. 44 weist zu Recht darauf hin, daß Athenaeus und Pollux die Dreiteilung „nirgends als eine Neuerung" bezeichnen, sondern sie offensichtlich als allgemein bekannt und fest etabliert voraussetzen. Daß daneben — vor allem bei Pollux — auch zusammenfassende Bemerkungen wie veos und νεώτερος Mese-Dichter mit einbegreifen können, erklärt Bergk damit, daß „alle diese Bezeichnungen ... der Natur der Sache nach elastisch" sind. Ob man freilich auch die Klassifizierung Philemons als mediae comoediae scriptor in Apul. Flor. 16 wie Bergk erklären kann (Apuleius nenne den Philemon so, „um ihn von jenen Spätlingen zu sondern", die noch in der Kaiserzeit Komödien produzierten), ist fraglich (hätte Apuleius auch den im gleichen Zusammenhang erscheinenden Menander als „mittleren" Komödiendichter bezeichnet? Vgl. auch u. S. 62); da hätte Apuleius wohl eher sogar „vetus" gesagt, wie Sueton Vit. Aug. 89 Bergk zufolge den Ausdruck benutzt.

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In: GGA 151, 1889, 1 6 3 - 1 8 5 ; zur Dreiteilung 183-185. Vgl. aber immerhin 1841, wo Crusius bei Fielitz die „Überschätzung der aristotelischen und frühperipatetischen Zeugnisse" als eine kardinale Schwäche herausstellt: Fielitz habe 65 den „maßgebenden Einfluß des Aristoteles" bei den Zeugnissen für die Zweiteilung hervorgehoben, nachdem er 37 darauf hingewiesen hatte, daß bei Aristoteles eine feste Terminologie noch völlig fehlt, also gegen eine Dreiteilung auch nicht ins Feld geführt werden kann.

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der damaligen griechischen Literatur und Kultur in Einklang zu bringen. 26 Die Komödiendreiteilung war für Crusius also kein Wert an sich, sondern die adäquateste Annäherung an die tatsächliche historische Entwicklung. Ebenfalls 1889 führte Friedrich Leo die Dreiteilung der Komödie auf einen peripatetischen Biographen zurück, dessen Anschauungen die Alexandriner dann übernommen hätten, 27 und Georg Kaibel 2 8 entwickelte in Auseinandersetzung mit Fielitz' Argumenten, an denen auch er die mangelhafte Behandlung der Quellenfrage herausstellte, 29 seine eigene These, daß die Dreiteilung der attischen Komödie auf die alexandrinische und ihre Zweiteilung auf die pergamenische Grammatikerschule zurückgehe. Der kühne Vorschlag ließ sich nicht halten; neun Jahre später zog Kaibel ihn selbst in seiner Abhandlung über die Prolegomena περί κωμωδίας (1898) zurück und ging dabei auch von dem Glauben an das hohe Alter der Dreiteilung wieder weitgehend ab: in allen Komödientraktaten liege eine ursprüngliche altperipatetische Zweiteilung vor, die erst später zu einem dreigeteilten Schema erweitert worden sei. 30 Wann und von wem diese Erweiterung vorgenommen worden sein könnte, läßt Kaibel offen; anscheinend aber hält er sie für spät. 31

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„... sicher ist es für diese Petiodisierung eine gewichtige Empfehlung, daß nur sie mit dem Gange der gesamten griechischen Litteratur und Kultur gleichen Schritt hält. Im vierten Jahrhundert ... gibt es in der Poesie nur ein Absterben und Nachleben; erst mit der Konsolidierung der hellenistischen Staatswesen beginnt eine neue Zeit" (185). Varro und die Satire, Hermes 24, 1889, 74 f. = Kl. Sehr. I 290 f. 1889, 57 — 66. Auf Kaibels Befürwortung der Dreiteilung ging danach auch Kock selbst noch kurz ein (in: RhM 45, 1890, 57), hielt an seiner Ablehnung der von Crusius 1888 geäußerten (und von Kaibel geteilten) Einwände gegen die Zweiteilung fest und berief sich neben Fielitz dafür auch auf Usener (vgl. o. Anm. 21). 1889, 57: Fielitz habe „den Fehler begangen, Zeugnisse von Grammatikern und Rhetoren für Urtheile ihrer eigenen Zeit zu halten und nicht zu bedenken, dass alle diese Zeugnisse auf ältere Grammatiker zurückgehen"; so könne ζ. B. die Identifizierung des MeseDichters Sotades bei Ath. VII 293a nicht von Athenaeus selbst stammen und Antiochos von Alexandria nicht erst in Hadrians Zeit geschrieben haben; vgl. 57 f. zu Platonios und Proleg. III Koster. Dagegen nimmt Kaibel aber noch wie Fielitz an, daß Pollux in seinem Onomastikon die Zuweisung μέση oder νέα „an Stelle bestimmter Namen eingesetzt habe, die in seinen Quellen zitiert waren" (60 2 ); wobei man sich allerdings fragen müßte, woher Pollux diese Zuordnung kannte (vgl. u. S. 79 ff.). „alle diese Darstellungen ... kennen eigentlich nur die α ρ χ α ί α und die μέση, die sie ... eigentlich die νέα oder die ν ε ω τ έ ρ α nennen mußten" (49); als „peripatetischen Gewährsmann" dieser Einteilung erwägt Kaibel Theophrast, Eratosthenes, Chamaileon oder auch den fast völlig unbekannten Eumelos (vgl. u. S. 165 Anm. 50) oder den Akademiker Krates. Aber alle diese Autoren müssen Menander gekannt und damit auch in ihre Periodisierung einbezogen haben; der einzige, der dies noch nicht konnte und daher nachweislich nur ein Zweierschema kennt, dürfte Aristoteles selbst gewesen sein. „das was ein älterer Gewährsmann über den Unterschied der alten und mittleren Komödie gesagt hatte," wurde laut Kaibel „mit einiger Gewaltsamkeit auf die Komödie des Menander übertragen" (48), und solche „Gewaltsamkeit" konnte wohl nur jemand

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Nicht nur Kaibel kamen bei δεύτερο« φροντίδες doch wieder Zweifel an den alten Quellen der Dreiteilung: Bereits 1877 hatte Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff gegen Fielitz' Thesen polemisiert32 — sieben Jahre, bevor sie von Kock zur offiziellen Lehre gemacht wurden —, zugleich aber schon — wie 37 Jahre zuvor Cobet (o. S. 4) — die dann später noch öfters von ihm wiederholte Außenseiterposition vertreten, daß der Komödiendichter Piaton der Hauptvertreter der Mese sei.33 Das war chronologisch kaum mit den allgemein verbreiteten Vorstellungen von der Mese in Einklang zu bringen, und so entwickelte Wilamowitz zwölf Jahre später in der ersten Auflage seiner Einleitung in die griechische Tragödie 34 die These, daß eine Mittlere Komödie mit dem Komiker Piaton in ihrem Zentrum (wie schon 1877 erblickte Wilamowitz in Hor.iW.II 3,11 dafür das älteste Zeugnis35), nicht zeitlich, sondern „begrifflich" aufgefaßt ge-

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anwenden, der Menanders Nea nicht mehr aus eigener Anschauung kannte. Aber Menanderlektüre konnte man in großem Umfang bis in die Spätantike treiben (vgl. die Papyrusfunde), und auch die spätantiken lateinischen Charakterisierungen der Nea bei Diomedes und Euanthius verraten erheblich mehr Nähe zu ihrem Gegenstand als die griechischen Dionysios-Thrax-Scholien, Proleg. IV Koster, Tzetzes oder der Tractatus Coislinianus. „Vielleicht ... werden diejenigen diesen außerattischen Aufenthalt [des Komödiendichters Piaton] als ... Bereicherung unseres Wissens annehmen, die noch nicht modern genug sind, die vielbezeugte Überlieferung, die Piaton als den sogenannten Erfinder der mittleren Komödie bezeichnet, mitsamt dieser ganzen mittleren Komödie als Erfindung von Grammatikern der hadrianischen, Piatons Erwähnung selbst noch späterer Zeit zum alten Eisen zu werfen" (1877, 31). Mit dem Ausdruck „vielbezeugte Uberlieferung" über Piaton „als den sogenannten Erfinder der mittleren Komödie" schießt Wilamowitz allerdings weit übers Ziel hinaus: Selbst wenn man wie er zu dieser Überlieferung auch Hör. Sat. II 3,11 zählt (vgl. u. Anm. 35), bleiben daneben nur die Dionysios-Thrax-Scholien und Proleg. IV Koster übrig (vgl. u. S. 35 f.); und keiner dieser Texte sagt, daß Piaton die Mittlere Komödie „erfunden" habe. Der Text, der Piaton am meisten herausstellt (Ps.-Andronikos, Περί τάξεως π ο ι η τ ώ ν , XXII Koster), ist eine späte Fälschung des Konstantin Palaeokappa (vgl. L. Cohn, Philol. Abh. M. Hertz dargebracht, Berlin 1888, 130-133). 1889, 13421 [im ND 13521]. Die Bemerkung über „die jetzt törichterweise vielfach verlassene Doktrin von drei Komödien" polemisiert gegen Kock, der im Jahr zuvor seine und Fielitz' Auffassungen noch einmal bekräftigt hatte (vgl. o. S. 8). Vgl. o. Anm. 33. Zu Hör. Sat. II 3,11 f. (quorsum pertinuit stipare Platona Menandro ? / Eupolin, Archilochum, comites educere tantos?) erklärte Wilamowitz schon 1877 (311): „Der Erfinder des Iambus und Vertreter der μέση νέα άρχαία begleiten den Satiriker". Die Deutung dieser Stelle auf den Komödiendichter ist alt: „alii duce Passowio Platona intellegunt poetam comicum ..., quibus assentitur Kießling" heißt es bei Orelli/Baiter/ Mewes (Q. Horatius Flaccus ... interpretatus ..., Berlin 4 1892) zur Stelle (ähnlich auch in der 3. Aufl. von 1852; noch nicht in der 2. von 1844), und gegen diese Auffassung hatte bereits Heindorf in seinem Horaz-Kommentar (Breslau 1815) polemisiert; auch Wieland hatte in seiner kommentierten Übersetzung der Horaz-Satiren bei Platona nur an den Philosophen gedacht. Gegen Wilamowitz' neuerliche Deutung auf den Komödiendichter erhob schon Susemihl (1891, I 4268e) Bedenken, und in der Neubearbeitung des Kießlingschen Kommentars sprach sich auch Heinze gegen diese (von Kießling selbst

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wesen sein müsse, „denn ihr Hauptvertreter ist Piaton und Alexis gehört ihr auch an; sie wird also zwischen 420 und 270, neben Aristophanes und nach Menander, geübt"; die chronologische Auffassung sei eine spätere „Umdeutung" und „verkehrt". Dies war freilich nicht Wilamowitz' letztes Wort zur Mittleren Komödie; wie bei keinem anderen Philologen läßt sich gerade bei ihm über ein halbes Jahrhundert hinweg (1877 — 1927, zwischen Wilamowitz 29. und 79. Lebensjahr) verfolgen, wie seine Gedanken zur Mese in fortlaufender Entwicklung begriffen sind und wie er geradezu damit ringt, dieses sich immer wieder dem sicheren Zugriff entziehende Etwas doch auf irgendeine Weise zu fassen zu bekommen. 36 Dieses eindrucksvolle Schauspiel rechtfertigt es, den bisherigen chronologischen Rahmen dieser Übersicht auf kurze Zeit zu verlassen und bei Wilamowitz zu bleiben, der nicht nur Schritt für Schritt von seiner begrifflichen Auffassung der Mese allmählich abgeht, sondern dem dabei auch die Dreiteilung immer problematischer wird. In den schon erwähnten Äußerungen von 1889 hatte Wilamowitz auch gegen die Leugnung der Mese durch Kock polemisiert (vgl. o. Anm. 34) und den Ursprung der Dreiteilung auf den akademischen Philosophen Krates von Athen 37 zurückgeführt. Vier Jahre später bekehrte er sich in einer Arbeit über den plautinischen Persa (1893) zu der Auffassung, die Alexandriner seien die Urheber der Dreiteilung gewesen; Wilamowitz hielt diese für die Erweiterung einer vorausgehenden peripatetischen Zweiteilung und postulierte, die Alexandriner hätten ein begrifflich zu verstehendes „genus comoediae medium" definiert. Der Zusatz „quamquam etiam tempore [Hervorhebung von mir] medios fere esse eos poetas qui genus coluerint inter Aristophanem et Menandrum medium consentaneum est" (272) zeigt nun aber, wie Wilamowitz von seiner bisherigen Ablehnung einer chronologischen Sicht der Mittleren Komödie erstmals einen Schritt abrückt. Ebenso wichtig in dieser Abhandlung ist, daß er gleich darauf neben der von ihm (noch) nicht angezweifelten Dreiteilung nun auch einen signifikanten Bruch in der Komödienentwicklung irgendwann zwischen 380 und 340 v. Chr. (und damit doch eine grundsätzliche Zweiteilung der attischen Komödie) annimmt: „quippe semel funditus innovata est comoedia Attica, tum cum chorus tollebatur, histriones phallos ponebant,

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vertretene, vgl. o.) Ansicht aus (jedenfalls in der 5. Auflage von 1921; noch nicht in der 3. von 1906). Wilamowitz hielt an seiner Auffassung sowohl 1899 (2262) als auch noch einmal sehr entschieden 1925 (771) fest. Den Hinweis auf die meisten dieser Stellen verdanke ich R. Kassel; zu Wilamowitz' Beschäftigung mit der antiken Komödie allgemein vgl. ebenfalls R. Kassel, Wilamowitζ über griechische und römische Komödie, ZPE 45, 1982, 271—300. Stützen kann sich eine solche Auffassung nur auf Diog. Laert. IV 23, wo dem Krates ein Werk περί κωμωδία? zugeschrieben wird.

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personasque et ornamenta sumebant vitae cottidianae magis convenientes" (272). Schließlich deutet Wilamowitz hier auch erstmals an, wie wenig greifbar ihm die ganze Mittlere Komödie im Grunde erscheint: „in comoedia Graeca, quae post Aristophanem fuit, umbras adhuc captamus" (274). Dieser Gedanke zeigt sich sechs Jahre später (1899) erheblich verstärkt: Jetzt „scheint" es Wilamowitz nur noch, „daß der Komiker Piaton für diese Übergangsform maßgebend war" (226); das Wort „Übergangsform" für eine Komödie, die Wilamowitz bisher als eigenes, zeitlich höchstens sekundär festzulegendes „genus" ansehen wollte, spricht ebenfalls für sich. Noch hält Wilamowitz daran fest, daß Horaz den Komiker Piaton als Hauptvertreter der Mese bezeuge; noch sind für ihn „immer ... die Gattungen an sich, nicht nur durch die Zeitfolge verschieden" (2262). Aber das unscheinbare „nicht nur" zeigt die weitere Aufwertung der chronologischen Sehweise in Wilamowitz' Denken, und die Mittlere Komödie als Ganzes ist für ihn nur noch ein „unfaßbarer Schemen" (ebd.). Im Jahr darauf sieht er die Mese als einen in hellenistischer Zeit konzipierten Notbehelf an: „Die verschiedenen Combinationen über die mittlere Komödie, die man auch ohne jedes Zeugnis in die hellenistische Grammatik schieben müsste, sind nichts als die unbehilflichen Versuche, die Tatsache zu erklären, dass man nur αρχαία und νέα liest, die doch nicht anschliessen und zwei Gattungen sind. Da will man zeitlich und formell die Brücke schlagen ..." (1900, 26°). „Zeitlich und formell": erstmals nennt Wilamowitz die chronologische Betrachtungsweise vor der „begrifflichen". In der fünf Jahre später erschienenen ersten Auflage seines Abrisses der griechischen Literaturgeschichte 38 ist die Mittlere Komödie „ein Name, der weder zeitlich noch begrifflich gefaßt mehr als einen relativen Inhalt hat" (126); auch in der dritten Auflage von 1912 hält Wilamowitz an diesem Urteil fest, sieht „die neue Komödie ... allmählich aus der alten umgebildet" (194) und betrachtet die Mese endgültig als ein von antiken Grammatikern (welcher Zeit, sagt er nicht mehr) erfundenes Einschiebsel. In zwei Äußerungen von 1925 und 1927 billigt Wilamowitz diesen Grammatikern immerhin zu, daß sie Indizien gefunden haben könnten, um „im Gegensatz zu den Peripatetikern" eine μέση von einer νέα zu unterscheiden, 39 erinnert an „die unpolitische Komödie des Pherekrates" und sogar noch immer an „Piaton, der ... nicht ohne Grund als Urheber der mittleren Komödie 3B

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Die griechische Literatur des Altertums, Berlin—Leipzig 1905, in: Die Kultur der Gegenwart, ed. P. Hinneberg, Teil I Abt. VIII, 1 - 2 3 6 . 1925, 165: „... der Typus der νέα, der den Grammatikern so besonders zu sein schien, daß sie ihn im Gegensatz zu den Peripatetikern von einer μέση unterschieden, von Philemon mit, vielleicht wesentlich durch ihn vor Menander geschaffen", eine Ansicht, die vielleicht auf Apuleius' Charakterisierung von Philemons Komödie (Flor. 16; vgl. u. S. 62) beruht.

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bezeichnet worden ist" (1927, 221). Nach dem Vordringen der chronologischen Sichtweise, bei der die Mese in Wilamowitz' Augen freilich den Rang einer der Archaia und der Nea ebenbürtigen Gattung verlor, nun also eine verhaltene Rückkehr zu einer mehr „begrifflichen" Betrachtung; als eigenständige Epoche aber hat Wilamowitz die Mittlere Komödie nicht wieder angesprochen. 40 Zu den Zeiten, als sich bei Wilamowitz die Zweifel an der Greifbarkeit der Mittleren Komödie und ihrem Epochencharakter erst zu bilden begannen, hatten auch andere deutsche Philologen, die an der Komödiendreiteilung festhielten, deren Ursprung in alexandrinischer Zeit angenommen: so Franz Susemihl, der im ersten Band seiner Geschichte der griechischen Litteratur in der Alexandriner^eit die Dreiteilung wahlweise auf Kallimachos oder auf Aristophanes von Byzanz zurückführte; 41 so einige Jahre später auch S. Mekler, der seine Aufmerksamkeit auf die Komödienprolegomena III Koster konzentrierte und sie entweder auf Aristophanes von Byzanz oder den etwas jüngeren Apollodor von Athen zurückgehen sah (1900, 46), und R. J. Th. Wagner, der die Klassifizierung κωμικός της μέσης κωμωδίας in den iWa-Artikeln Σώφιλος, Τιμόθεος, Ηνίοχος, Στράτων und Αύγέας (vgl. u. S. 60 ff.) über den Biographen Hesych von Milet auf die alexandrinischen Grammatiker zurückführen wollte (1905, 55). Nimmt man die noch zu erwähnende Arbeit des Italieners Cessi (vgl. u. S. 19) und des Franzosen Legrand (vgl. u. S. 16 f.) hinzu, dann erfreute sich die Rückführung der Dreiteilung auf die Alexandriner zu Beginn dieses Jahrhunderts einer breiten, wenn auch nicht ganz unangefochtenen (vgl. u.) Zustimmung; der junge Eduard Fraenkel bekannte sich in seiner Dissertation von 1912 ohne Umschweife zur Existenz der Mittleren Komödie (21), und mit Alfred Körte fand diese Auffassung auch Eingang in die Realenzyklopädie; es sei „nicht zu bezweifeln, daß die Dreiteilung der Komödie aus hellenistischer Zeit stammt". 42 Gleichwohl war die von Fielitz vertretene und von Kock gutgeheißene Gegenmeinung keineswegs völlig verstummt. In der mehr auf ein allge-

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Ausgenommen vielleicht in seinem Pindarbuch (Berlin 1922, 449°). 1891, I 426 8 8 : Susemihl schließt sich Kaibels These an, daß die Komödiendreiteilung alexandrinisch und die Zweiteilung pergamenisch sei (vgl. o. S. 10); er hat zwar Vorbehalte gegen Wilamowitz' Einbeziehung der Horaz-Stelle (vgl. o. Anm. 35), hält aber dessen Meinung, daß die Mese „begrifflich" aufzufassen sei, für „wenigstens sehr wahrscheinlich". 1921, Sp. 1257, 4 2 f . Körte stimmt daneben aber auch Kaibels Ansicht zu, daß alle Komödientraktate „von Platonios bis Tzetzes" auf eine „sehr alte Theorie" zurückgehen, „die Menanders Komödie noch nicht berücksichtigte ..., so daß die eigentliche νέα in den Traktaten nur oberflächlich angeflickt ist" (1258). Vgl. dazu aber o. Anm. 30. Ein Urteil, das alle Komödien-Prolegomena über einen Kamm schert, dürfte zumindest den Proleg. III Koster kaum gerecht werden (vgl. u. S. 45 ff.).

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meines Publikum ausgerichteten Literaturgeschichte von E. Kroker (1895) figuriert die Mese nur als Verbindungsstück zwischen Archaia und Nea (373), und der erstmals in den Jahren 1898 — 1902 im Druck erschienenen Griechischen Kulturgeschichte von Jakob Burckhardt zufolge „hat sich die Mittlere Komödie von der neuern nur durch die häufigere Ständeund Literaturparodie und durch das Mythologische unterschieden". 43 Wichtiger für Fachkreise war die nicht ganz eindeutige Stellungnahme in der griechischen Literaturgeschichte Wilhelm von Christs, die in ihrer dritten Auflage von 1898 in dem Abschnitt über die „Mittlere und neue Komödie" die allmähliche, zäsurlose Entwicklung der Gattung betonte (308 — 317) und die Mese dabei nicht auf gleich eigenständiger Höhe wie die beiden anderen Komödienphasen sah: nach einer älteren Zweiteilung „nahmen spätere [zu erg.: Grammatiker] eine Übergangsstufe, die mittlere (μέση) Komödie, an" (309); Christ war zwar nicht bereit, mit Fielitz eine Bezeugung der Mese erst in nachhadrianischer Zeit anzusetzen, wollte sich aber auch nicht darauf festlegen, mit wie alten Quellen dieser Bezeugung man zu rechnen habe (309 3 ). In der erstmals von W. Schmid bearbeiteten 5. Auflage von 1908 ist diese Position im Wesentlichen beibehalten; in der sechsten von 1912 ist dann sogar Fielitz' Datierung des Antiochos von Alexandria (vgl. u. S. 75 f.) in hadrianische Zeit in die Darstellung eingedrungen. 44 (Bei der völligen Neubearbeitung des großen Werkes aber bezeichnete Schmid zu Beginn des Abschnitts über die Alte Komödie in Band I 4 [1946] in ausdrücklichem Anschluß an Körtes RE-Artikel die Komödiendreiteilung als „allgemein angenommen" [1].) In anderen Ländern reüssierten Fielitz' Thesen sogar mehr als im eigenen: In Frankreich hatte schon 1869 E. du Meril klar Stellung gegen die Annahme einer Mittleren Komödie als fest umrissener Epoche bezogen (II 9 f.); 45 wie Fielitz verwies er auf das Schweigen wichtiger antiker Autoren in dieser Frage, und wie Fielitz betonte er, daß es keine sicheren Unterscheidungskriterien gerade zwischen einer Mese und einer Nea gebe; zwischen Alter und Neuer Komödie gebe es nur eine „epoque transitoire" mit „bien des tätonnements" (10). Das hohe Alter der Dreiteilung stellte er allerdings nicht in Frage und berief sich dafür gerade auf die Schrift Περί τ ω ν έν τ η μέση κωμωδία κωμωδουμένων π ο ι η τ ώ ν des Antiochos von Alexandria, ohne diesen freilich genauer zu datieren. Noch deutlicher stimmte M. Croiset in der von ihm und seinem Bruder herausgebrachten 43

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Zitiert nach dem in Taschenbuchausgabe (München 1977) erschienenen Nachdruck der kritischen Ausgabe von 1 9 3 0 - 3 1 , Band III 262. 1912, 440 1 . Als Gewährsmann zitiert Schmid Steinhausen (1910) 49 — aber dort erklärt Steinhausen Fielitz' Datierung des Antiochos im Anschluß an Kaibel ausdrücklich für falsch. Wie bei Fielitz waren auch bei du Meril nicht alle der von ihm 9 1 für seine These zitierten Vorgänger ganz seiner Meinung, vgl. o. Anm. 4.

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griechischen Literaturgeschichte (1891, 2. Aufl. 1899) Fielitz zu: nicht nur feste Epochengrenzen wurden hier überhaupt abgelehnt („revolution du genre comique s'est faite d'une maniere continue, et les trois formes de la comedie sont loin d'etre separees par des differences aussi tranchees qu'on pourrait le croire au premier abord", 592) und die Dreiteilung in der Darstellung nur beibehalten, weil sie „commode" sei; Croiset akzeptierte auch ohne Einschränkung Fielitz' These, man habe erst zu Hadrians Zeiten eine „forme intermediaire" unter der Bezeichnung Mese abgetrennt (ebd.). 46 Einige Jahre zuvor hatte J. Denis allerdings in dem eingangs zitierten Werk gegen Fielitz Stellung bezogen 47 und betont, die Mittlere Komödie sei „bien une realite, et non le produit illusoire des raffinements de quelques grammairiens du second siecle de notre ere; ... s'il est assez difficile d'en definir la nature, eile est pourtant distincte aussi bien de la Nouvelle Comedie que de l'Ancienne" (332); nach einer vielseitigen Darlegung von Unterschieden zwischen den drei Epochen kommt er gleichwohl zu dem Schluß, die Mese scheine „avoir eu le grave defaut de n'etre qu'un art de transition ... Elle fut moins une forme de l'art qu'une pierre d'attente" (392), und es gelingt ihm nicht, sich Fielitz' und Kocks Argumenten gegen die Mese völlig zu widersetzen 48 ; das Schweigen der von Fielitz herangezogenen Gewährsleute über eine Mittlere Komödie (Velleius, Quintilian, Plutarch, Dorotheos von Askalon, Harpokration, Proleg. V Koster) besitzt für Denis zwar keinen exakt-wissenschaftlichen Wert, aber die Kumulation dieser Zeugnisse 49 führt ihn dann schließlich doch zu dem Zugeständnis, daß wohl erst hadrianische Grammatiker die Dreiteilung und die Mese in die Literaturgeschichte eingeführt hätten. 50 Auf dem Gebiet der Quellenkritik hatte Denis Fielitz also noch nicht viel entgegenzusetzen; anders Ph.-E. Legrand in seinem umfangreichen Werk über die Neue Komödie von 1910, der, gestützt auf die Ergebnisse von Bergk, Crusius und Kaibel, 51 nun auch in der Quellenfrage Fielitz zu 46

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Freilich bemerkt Croiset selbst: „Pour que les oeuvres de Menandre et ses contemporains aient pu constituer aux yeux de la critique un groupe vraiment distinct, il a fallu qu'une difference assez frappante s'y fit sentir" (601) — eine später auch von Wilamowitz geäußerte Meinung. Vgl. o. S. 1. Denis' Spezialarbeit über die Mittlere Komödie (Comedie mqyenne, Memoires de l'academie de Caen 1881) war mir nicht zugänglich. „J'admets comme eux qu'elle ne constitue pas une forme de l'art particuliere, et cependant je ne puis me rendre ä leurs conclusions" (392). „Tous ces textes, dont pas un n'a la moindre valeur scientifique, sont, pris ä un, d'une mediocre signification; mais reunis, je l'avoue sans difficulte, ils laissent l'impression, s'ils ne demontrent pas, que, d'Aristote ä Quintilien, on ne reconnut en effet que deux especes de comedies attiques" (396). „... il ne s'ensuit pas que les grammairiens du temps d'Adrien aient eu tort de reparer cet injuste oubli" der Mittleren Komödie (397). Legrand selbst verweist auf Kaibel, Crusius, Leo, Susemihl, Cessi (8 1 ' 2 ' 7 ' 8 ).

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begegnen wußte. Nicht nur mit Fielitz' These setzt Legrand sich auseinander, sondern auch mit Wilamowitz' Vorstellung von einer „begrifflich" zu fassenden Mese (vgl. o. S. 11 f.) und führt dagegen an, daß von allen uns erhaltenen theoretischen Texten über die Komödie nur der Tractatus Coislinianus die Mese rein ihrer Art und nicht der Zeit nach von den übrigen beiden Epochen absetze, die Antike mithin die drei Komödienepochen normalerweise jedenfalls zeitlich verstanden habe (5 — 7). Zu Fielitz bemerkt Legrand, er habe bei den Zeugnissen für die Zweiteilung das argumentum e silentio mißbraucht und bei den Zeugnissen für die Dreiteilung die Quellenlage falsch beurteilt (7 — 8); Antiochos von Alexandria habe nicht erst kurz vor Athenaeus geschrieben („ä l'epoque des Antonins, on ne faisait plus guere de travaux comme celui d'Antiochos", 8), sondern „pendant la belle periode de la philologie hellenistique" (ebd.), in der auch die Vorstellungen von der μέση κωμωδία und der Dreiteilung entstanden sein müßten. Legrand zeigt sich stark von Kaibels 1898 entstandenen Untersuchungen über die Komödien-Prolegomena beeinflußt, denn wie Kaibel nimmt er für alle diese Prolegomena eine gemeinsame Quelle aus der Zeit vor dem Aufblühen der Nea Menanders an, um zu erklären, warum in diesen Texten keine wirklichen Kriterien der Unterscheidung zwischen Mese und Nea zu finden sind (9 — 10); aber während Kaibel postuliert hatte, daß die Dreiteilung die späte Erweiterung einer ursprünglichen Zweiteilung sei, nimmt Legrand gerade den umgekehrten Vorgang an und leistet damit einen neuen wichtigen Beitrag zu der Diskussion um das Verhältnis von Zwei- und Dreiteilung in diesen Texten: „Cette combinaison [gemeint ist die Ausdehnung des aristotelischen Begriffspaars λοιδορία / αισχρολογία — ΰττόνοια vom Zweier- auf das Dreierschema], semble-t-il, n'est pas l'expression primitive de la theorie des trois periodes; eile presuppose la theorie en question, eile essaie de l'accorder avec d'autres theories plus anciennes" (10). In den uns erhaltenen Prolegomena-Texten wäre also die Komödiendreiteilung das Originäre und auf sie dann die ursprünglich nur an einer Zweiteilung entwickelte aristotelische Unterscheidung des offenen und des verhüllten Spotts mehr schlecht als recht übertragen worden (vgl. u. S. 44 f.). Im angelsächsischen Raum fand die Komödiendreiteilung schon damals nie einen engagierten Verfechter: Entweder akzeptierte man die Zweiteilung, ohne sich auf die Kontroverse weiter einzulassen — wie R. G. Moulton 1890 52 und Mary A. Grant 192453 —, oder man Schloß sich 52

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The Ancient Classical Drama, chap. X: Ancient Comedy in Transition, Oxford 1890, 347 — 373; vgl. 349 f.: „there seems to be no reason for supposing that it [die Mese] constituted a distinct species of drama: the term rather covers a continuous and gradual transition between two species, each of which has a marked individuality of its own." Ancient Rhetorical Theories of the Laughable: The Greek Rhetoricians and Cicero, Univ. of

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I. Einleitung

Fielitz an: implizit R. C. Flickinger 192654, der die Dreiteilung in hadrianische Zeit datierte, in seinen Nachträgen aber noch auf die Hinaufdatierung des Antiochos von Alexandria ins 1. Jh. v. Chr. durch Radermacher (vgl. u. S. 21) hinwies; explizit die in St. Andrews 1897 gedruckte Preisschrift The New Comedy von Α. Ρ. Oppe, die Fielitz' These expressis verbis gegen die Einwände von Crusius in Schutz nahm und dessen Hinweis auf Didymos als Quelle oder Vermittler der Unterscheidung Mese-Nea als „not convincing" (3) ansah. Oppe's eigenwillige, heute kaum noch bekannte Arbeit verdient es, einen Augenblick lang näher betrachtet zu werden: Schon im Vorwort legt der Autor Wert darauf, Mittlere und Neue Komödie „under one head" zusammenzufassen (3); die von den hadrianischen Grammatikern vorgenommene Abtrennung der Mese von der Nea sei lediglich „a careless distinction" (7). Die einzige Zeitspanne, der man vielleicht den Namen Mittlere Komödie geben könne, seien die fünfzehn Jahre zwischen 403 und 388, dem Ende der Dreißig Tyrannen und der Aufführung des zweiten P/utos: „Comedy did change character about 403. About that time political personages were burlesqued under fictitious names, and about 388 the chorus was dead or dying" (15 f.); „the Old Comedy was at its height till the end of the Peloponnesian war, ... the Middle lasted until the death of Plato and the production of the Plutus, and ... the New continued from this date (388) to the end of the century, and even after that" (17). Nach Co bet und Wilamowitz ist Ορρέ also der dritte im (nun schon ausgehenden) 19. Jh., der „the real Middle Comedy" (42) in die Schaffenszeit des Komödiendichters Piaton setzt; darin und auch in der mehrfachen Hervorhebung des αίνιγματώδες dieser Komödienform 55 ist Oppe deutlich von den Dionysios-Thrax-Scholien, Proleg. IV Koster und Tzetzes beeinflußt. Wisconsin Studies in Language and Literature 21, Madison 1924; vgl. 46 („the two phases of Greek comedy, the Old and the New"). Sieben Jahre früher betonte Prescott (1917) die „direct line of descent from the mythological plays of Epicharmus through occasional Athenian vagaries like the Odusses of Cratinus to the mythological travesty that dominated the comic stage of Athens in the later days of Aristophanes and in the time of Plato and his immediate successors" (411); ebenso sah er die „comedy of manners" sich in klarer Linie von der dorischen Farce und Epicharm über Krates und Pherekrates ins 4. Jh. hinein entwickeln (413, doch vgl. die Vorbehalte 412). Die Uberstrapazierung des ursprünglich an einer Komödienzweiteilung entwickelten Prinzips der sich wandelnden λοιδορία und ihre Ausdehnung auf eine dritte Periode beurteilte er ähnlich wie Kaibel (406 f.), Platonios' Darstellung als „blurred and inaccurate" (407). Zur Bewertung der Mese innerhalb der Komödienentwicklung aber sagt er nichts. 54 55

The Greek Theater and Its Drama, Chicago3 1926. „The older authorities called the poets who did not bring living people on the stage, but ridiculed them in a hidden way, the Middle Comedy" (17); „the parody of the old Comedy [die vor 388 scheint gemeint zu sein] contained allusions to men of the time under mythical names ..." (18); vgl. auch 16 und 20.

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Oppe's Umdatierung der „Mittleren Komödie" fand freilich keinen Nachfolger und ist gegen Einwände auch nicht gefeit: Ist es überhaupt sinnvoll, zwischen zwei Epochen von 70 oder sogar 100 Jahren eine dazwischenliegende von nur 15 anzunehmen? Ferner stellt seine Erklärung, wie es dann zur Verschiebung des Begriffs Mese auf die Zeit nach 388 gekommen sein soll, die Überlieferungsverhältnisse geradezu auf den Kopf: „Older authorities" hätten die Zeit des verdeckten Komödienspotts zwischen 403 und 388 „Mittlere Komödie" genannt; „this distinction not appearing evident to later grammarians, they transferred the name of Middle from the poets before 388 to those of the new school who lived before Chaeronea" (17). Aber diese „later grammarians" sind für uns wenigstens schon im 2. Jh. n. Chr. greifbar, während die sogenannten „older authorities" erst in den Dionysios-Thrax-Scholien erscheinen, deren Redigierung in ihrer heutigen Form kaum vor dem Ende der Antike anzusetzen ist. 56 Aus welchen Gründen die Urheber dieser Zeugnisse gerade den Komödiendichter Piaton zum Hauptvertreter einer Mittleren Komödie machten, ist heute nicht mehr erkennbar; aber daß er weder bei Athenaeus und Pollux noch bei früheren Autoren wie Plutarch und Dion Chrysostomos als Mese-Dichter figuriert (vgl. u. S. 35 Anm. 20), spricht für sich. Einer der wenigen im angelsächsischen Raum, die damals die „kontinentaleuropäische" Annahme und Chronologie der Komödiendreiteilung akzeptierten, scheint W. W. Baker gewesen zu sein, der in den drei Epochen eine je unterschiedliche Art literarischer Urteile in den Komödien feststellte. 57 In Italien gab es gleichzeitig auf der einen Seite die, die die Mese (wie A. Mancini 189658) nur als „prima fase" der Neuen Komödie verstanden oder den Begriff „commedia di mezzo" aus Gewohnheit und oft in Austauschbarkeit mit „commedia nuova" verwendeten (wie E. Romagnoli in Nel regno di Dioniso 59); auf der anderen Seite führt C. Cessi 1907 (74 ff.) die Komödiendreiteilung bis auf Kallimachos zurück. Widersprüch56

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Der sogenannte Melampus/Diomedes-Kommentar, der in den Dionysios-Thrax-Scholien den Überblick über die Komödienentwicklung enthält, wird als das Werk eines Byzantiners angesehen (vgl. u. S. 29 Anm. 2). Die Stelle Hör. Sat. II 3,11, die in Wilamowitz' Beurteilung des Komödiendichters Piaton eine so große Rolle spielte (vgl. o. S. 11), hat Ορρέ nicht zur Unterstützung seiner Argumentation herangezogen. De comicis Graecis litterarum iudicibus, HSCP 15, 1904, 1 2 1 - 2 4 0 ; 194 3 tritt Baker dafür ein, eine Mittlere Komödie von einer Alten und einer Neuern zu sondern: „Si iudicia certe comicorum de litteris facta consideras, magnopere confiteberis differre hoc medium genus comoediae et ab antiquiore et a posteriore"; vgl. auch 230—32. Sulla storia de IIa commedia greca, RFIC 24, 1896, 526 — 543; die Mese = „prima fase" der Nea sei „iniziata da Piatone" (542). Bologna1 1918 ( 2 1923). Romagnoli verwendet zwar gelegentlich den Begriff „commedia di mezzo" (211.260), hat aber kein Bedenken, den Dichter Eubulos zur „commedia nuova" zu rechnen (230).

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I. Einleitung

lieh behandelt D. di Tullio diese Frage (1915): zuerst gewährt er Fielitz' und Kocks Thesen über die späte Entstehung des Begriffs Mese breiten Raum (25 — 29), um die Dreiteilung dann doch in alexandrinischer Zeit, nämlich bereits in den Komödienstudien des Lykophron, zu finden (29), ohne allerdings den geringsten Beleg dafür zu bieten60 (vgl. auch u. S. 172). 1922 wartete dann Augusto Rostagni mit einer völlig anderen These auf, die einen Teil der italienischen Forschung bis heute bestimmte: Rostagni versuchte, die Unterteilung der Komödie in Alte, Mittlere und Neue auf den Aristotelesschüler Theophrast zurückzuführen — darüber wird noch zu sprechen sein (vgl. u. S. 162 ff.) —, und seinen Spuren folgten fast vierzig Jahre später auch noch Antonietta Dosi (1960) bei ihrem Versuch, Theophrasts Poetik zu rekonstruieren, und in noch jüngerer Zeit (1979) G. Cupaiuolo in seiner kommentierten Ausgabe des EuanthiusTraktats De fabula.61 Daneben aber wurden und werden auch ältere Ansichten weiterhin vertreten: Noch fast wie Fielitz war A. de Lorenzi (1946) der Meinung, „che gli antichi fino al periodo imperiale e forse fino al II secolo dell'era volgare, non riconoscevano questa forma intermedia" (28) und wollte nur eine „trasformazione graduale" (22) anerkennen.62 Auch A. Plebe (1952) hielt die Komödiendreiteilung für „tarda e controversa" (125); C. Oliva 63 und D. del Corno64 hielten ebenfalls eine „distinzione" zwischen Mese und Nea nicht für gerechtfertigt (Oliva 91 f.) oder akzeptierten die Bezeichnung Mese nur als „un espediente" für eine Übergangsform (del Corno 440 f.). Sehr zurückhaltend äußert sich L. E. Rossi (1971, 9260) zum Ursprung der Dreiteilung: sie ist für ihn „molto posteriore di Aristotele", aber er erwähnt sie im Zusammenhang mit den literarischen Klassifizierungsarbeiten der Alexandriner. Andere italienische Philologen waren bei der Datierung der Dreiteilung deutlicher, wollten aber diese selbst nicht unbedingt akzeptieren: So wandte sich D. Fedele (1938) gegen Fielitz' Spätansatz, der sich nur auf „documenti confutabilissimi" (27) stütze und zu sehr mit dem bloßen Schweigen vorhadrianischer Autoren 60

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„Licofrone ... tenne conto, nelle sue suddivisioni della commedia, della μέση κωμωδία" (29). Lykophron hat zwar die bemerkenswerte Anekdote, in der sich Antiphanes mit Alexander d. Gr. unterhält, überliefert (laut Ath.XIII 555a = fr. 13 Strecker), aber dies bedeutet ja noch nicht, daß Lykophron den Antiphanes als Dichter einer Mittleren Komödie verstanden hätte. Vgl. seine Einleitung: die Dreiteilung sei „con molta probabilita antica e verosimilmente teofrastea, come comprova ancora una volta la coincidenza fra Diomede e i tardi trattatisti bizantini" (46). Diesen Ausdruck wendet de Lorenzi zunächst nur auf die Entwicklung des persönlichpolitischen Spotts in der Komödie an, aber vgl. S. 31 zum Komödienwandel allgemein: „II vecchio sussisteva, il nuovo si affaciava sempre meno timidamente." La parodia e la critica letteraria nella commedia post-aristofanea, Dioniso 42, 1968, 25 — 92. Rezension von: L. F. Guillen, Aristoteles y la comedia media, Madrid 1977, in: RFIC 107, 1979, 440 f.

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operiere (28 f.), und datierte Antiochos von Alexandria in hellenistische Zeit; aber in der Mese selbst wollte er nicht mehr als eine Übergangsform sehen (28.30 f.). G. Arrighetti setzte in seiner kommentierten Ausgabe der Euripides-Vita des Satyros (1964, 119 f.) die Dreiteilung zumindest implizit in hellenistischer Zeit an: Satyros habe in 39 col.VII 17 ff. die μέση bewußt aus dem Spiel gelassen, um klarer den Einfluß des Euripides auf die Neue Komödie darstellen zu können. Noch 1981 aber hielt Patrizia Rossi Antiochos von Alexandria für einen „grammatico dell'etä di Adriano" 65 , sah die Komödiendreiteilung aber dennoch als möglicherweise „piu antica" an. Isolierte Elemente der Thesen von Fielitz leben also bis in die Gegenwart fort. Im mitteleuropäischen Raum wurden vor allem in den zwanziger und dreißiger Jahren noch einmal ausführliche Erörterungen zum Problem der Mittleren Komödie veröffentlicht, bevor das Thema dann mehr oder weniger beiseite geschoben wurde, weil sich keine neue Erkenntnis mehr einstellen wollte: Im gleichen Jahr, in dem Körtes RE-Artikel über Komödie erschien (1921), der sich noch einmal für die alexandrinische Herkunft der Dreiteilung aussprach (vgl. o. S. 14), publizierte L. Radermacher eine Abhandlung Zur Frage der μέση κωμωδία, in der er ähnlich wie seinerzeit Fielitz aus dem Schweigen des Dionys von Halikarnaß, Quintilian und Dion Chrysostomos Schloß, daß die Alexandriner die Mese noch nicht als besondere Komödienform gekannt hätten; den Antiochos von Alexandria wollte er „nicht vor das 1. Jh. vor Chr." (55) datieren. Radermacher versuchte auch, zu der von Wilamowitz propagierten mehr qualitativen Sicht der drei Komödienepochen zurückzukehren, Schloß dabei jedoch in genau umgekehrter Richtung wie dieser: „die historische Dreiteilung war die gegebene, aber sie ist einer Auslegung nach Gesichtspunkten der Qualität unter dem Einfluß der Rhetorik unterworfen worden" (55);66 dennoch sei die Zweiteilung der Komödie älter, und im Vergleich zu Archaia und Nea habe „der Begriff der μέση niemals echte Farbe bekommen" (ebd.). Im gleichen Jahr wollte A. Kolar sogar zeigen, 67 daß die Nea „eine organische Entwicklung und Fortsetzung der Αρχαία" (689) und selbst zwischen diesen beiden Epochen „nicht ein qualitativer, sondern hauptsächlich nur ein quantitativer Unterschied" vorhanden sei (690) — da konnte die Mese natürlich allenfalls „als das erste Entwicklungsstadium der Nea" übrigbleiben. Mit dieser extremen Betonung der Kontinuitäten in der Komödienentwicklung (ähnlich seinerzeit Kock, vgl. o. S. 8) schien die Zweiteilung also erneut Triumphe zu feiern; Eduard 65 66

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In: Sull'esordi di Piatone Comico, Homonoia 3, 1981, 882. 1921, 52 gibt Radermacher Beispiele für Einteilungen in der Rhetorik mit qualitativ angeordneten Reihenfolgen wie αρχαία νέα μέση. In: Der Zusammenhang der neuen Komödie mit der alten, PhW 41, 1921, 688 — 696.

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I. Einleitung

Fraenkel, der in seiner Dissertation die Mese deutlich von der Alten wie von der Neuen Komödie gesondert hatte (vgl. o. S. 14), vermied nun in Plautinisches im Plautus (1922) solche programmatischen Äußerungen, obschon er in diesem überragenden Werk nebenbei auch manche gute Beobachtung zu den Unterschieden zwischen Mese und Nea machte. 68 Kolar, der 1921 so dezidiert für Kontinuität und Zweiteilung der Komödienentwicklung Stellung genommen hatte, unternahm es zwei Jahre später, noch einmal alle Belege für Zwei- oder Dreiteilung der Komödie zu prüfen, und gelangte zu dem Ergebnis, daß die Quellen für die Bezeugung der Dreiteilung wenigstens bis 100 v.Chr. zurückreichten. 69 Damit braucht Kolar freilich nicht von seiner eigenen Ablehnung der Mese als eigenständiger Komödienepoche abgegangen zu sein (vgl. die o. S. 20 f. skizzierte Position Fedeles 15 Jahre später). Wieder positiver zur Mese dann Erich Burck 1933: er billigte ihr gegenüber der Archaia vieles Neue zu und betrachtete sie nicht so sehr als Übergang zur Nea, sondern vielmehr diese als vollendende Erbin der Mese. 70 . Den vorerst letzten bedeutenden eigenständigen Beitrag im deutschsprachigen Raum zur Diskussion über die Komödiendreiteilung leistete 1936 Fritz Wehrli in seinen Motivstudien griechischen Komödie. Wehrli stellt das Erscheinen Menanders als epochemachend heraus (12); erst als Menander da war, habe man die vorherige Entwicklung als eigene Stufe von der nunmehr erreichten absetzen können. Fielitz' Spätansatz dieser Differenzierung lehnt Wehrli ebenso ab wie Kaibels These (1898, 49 ff.), daß die Nea Menanders erst später an eine vorhandene Zweiteilung Alte — Neuere ( = Mittlere) Komödie angefügt worden sei, er will die Periodisierung in drei Epochen aber nicht den Alexandrinern, sondern dem Peripatos geben: „Für eine ... peripatetische Entstehung dieser Dreiteilung spricht ... der besondere Umstand, daß die durch sie gegebene Charakterisierung der Mese schon bei Aristoteles angebahnt scheint" (16 f., mit Verweis auf EN IV 14). Das ist nicht unbedingt zwingend: Nach Wehrlis eigenen Vorstellungen konnte die Erweiterung zur Dreiteilung erst erfol-

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1922, 384 weist Fraenkel auf die größere Rolle der Augenblickskomik in der Mese im Vergleich zur Nea hin (dazu auch u. S. 339; wichtig auch sein Hinweis, daß die Mese viel weniger als die Nea auf einen engen Stoffkreis beschränkt ist (380). Fraenkel warnt aber auch mit Recht davor, die Komödienentwicklung zwischen Aristophanes und Menander, „wo ein buntes Vielerlei durcheinanderwogte", zu sehr schematisieren zu wollen (3801). In: Staroveke deleni atticke komedte, Sbornik Filosoficke Fakulty ν Bratislave I 14, 1923. Das Ergebnis der Abhandlung ist im Text nach E. Wüst, Bursian 207, 1926, 97 resümiert, der bekannte, wegen „geringer Kenntnisse des Tschechischen" auf Einzelheiten nicht weiter eingehen zu können — so auch der Autor der vorliegenden Arbeit. In: Die Kunst Menanders und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Komödie, Neue Jbb. für Wiss. und Jugendbildung 9, 1933, 4 1 7 - 4 3 1 ; zur Mese 4 1 9 - 4 2 3 .

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gen, als Menander bereits eine historische Größe war, in frühalexandrinischer Zeit also; warum hätten Alexandriner nicht aristotelische Gedanken zur Beschreibung der Mese verwenden sollen, wenn sie sie als dem Gegenstand angemessen empfanden? Peripatetiker dagegen waren schon aus Pietätsgründen weit mehr der von ihrem Schulhaupt in nuce vorgenommenen Zweiteilung verpflichtet. Gerade in denjenigen KomödienProlegomena, die am stärksten aristotelisches Gedankengut aufweisen (vgl. u. S. 44 f.), klafft eine chronologische Lücke zwischen der Zeit des Aristophanes und der Menanders; dort bleibt also das Problem, das laut Wehrli erst zum Konzept der Dreiteilung führte, 71 ungelöst; in den Proleg. III dagegen, in denen am wenigsten aristotelische Kategorien zu finden sind, macht die Chronologie keine solchen Sprünge (vgl. u. S. 50). Die Proleg. III scheinen in Wehrlis Ansatz insgesamt zu wenig berücksichtigt zu sein. Wehrlis Rückführung der Mese auf den Peripatos fand kaum Nachfolger; wenn man einen Frühansatz der Dreiteilung akzeptierte, suchte man ihn in der Regel weiterhin in Alexandria: so A. Lesky in der 1. Auflage seiner griechischen Literaturgeschichte von 1957/58 (582) 72 und unverändert auch in der 2. (1963) und 3. Auflage (1971); so Rudolf Pfeiffer, der von der „gebräuchlichen hellenistischen Einteilung in drei Perioden (άρχαία, μέση, νέα)" spricht (1970, 295); ebenso fraglos akzeptieren M. Landfester (1979, 354) und H.-J. Newiger (1981, 187) den hellenistischen Ursprung der Gattungsbezeichnung Mese. Und dennoch sind auch jetzt die Zweifel noch nicht verstummt: In dem gleichen Band, in dem Landfester den Begriff Mese in der hellenistischen Poetik ansiedelt, nennt Th. Geizer ihn einen „Verlegenheitsbegriff jüngeren Datums: „In der Stiltheorie des Klassizismus werden die beiden Höhepunkte, die Trias der Alten (...) und die Neue des Menander, einander gegenübergestellt. Erst später wird aus literaturgeschichtlichem Bedürfnis das, was dazwischen liegt, als .Mittlere Komödie' bezeichnet". 73 Noch 1984 (in: MH 41, 244) nannte Geizer die Mese sogar ein „Gespenst", was an Wilamowitz' „unfaßbaren Schemen" erinnert (vgl. o. S. 13).

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„Die Unzulänglichkeit einer Theorie, welche die menandrische Komödie unmittelbar aus der aristophanischen hervorgehen läßt, war empfindlich genug, um bald den Versuch einer Korrektur zu veranlassen. Diese besteht im Einschieben einer mittleren Epoche

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582 9 implizite Ablehnung von Fielitz' These („verfehlter Versuch, diese Dreiteilung erst in hadrianische Zeit zu setzen"). In: Aristophanes (Das griech. Drama, ed. G. A. Seeck, Darmstadt 1979) 297 50 . Geizer beruft sich auf Wehrli (1936) 16 f., wo aber gerade die Dreiteilung bald nach dem Auftreten Menanders angesetzt wird, während Geizer den Klassizismus, der nur die Zweiteilung gekannt haben soll, nach Eratosthenes und Aristophanes von Byzanz ansetzt (vgl. 258 1 ), also wohl überhaupt nach der alexandrinischen Zeit.

..." (16).

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I. Einleitung

In der englischsprachigen Philologie verdeutlicht nichts so sehr wie Gilbert Norwood's scharf formulierte Stellungnahme von 1931 zur Frage der Komödienperiodisierung die Haltung, die der englische common sense während des letzten halben Jahrhunderts zu diesem Thema generell eingenommen hat: „The whole question is trivial ... The whole dispute is about labels and nothing but labels, The really important point is, how do works of various periods differ? not the names of the periods ... In the present state of our knowledge genuine criticism will allow us to speak of Old, Middle and New Comedy, or of Old and Later Comedy precisely as we please. In the present book the traditional three-fold division has been followed, mostly because readers prefer shorter sections to longer" (311). Norwood bezweifelte nicht, „that Cratinus, Antiphanes, and Menander represent different phases", 74 aber er betonte zugleich den allmählichen Übergang der Mese in die Nea (371) und hatte im übrigen von der Mittleren Komödie nur eine sehr geringe Meinung: sein Vergleich ihres Aussehens mit einer Wüste zwischen der abwechslungsreichen Landschaft der Archaia und der wohlgefügten Stadt der Nea erinnert an die Allegorien in Bunyan's The Pilgrim's Progress und ist eine der farbigsten und zugleich negativsten Charakterisierungen der Mese, die je geschrieben worden sind. 75 Norwoods dezidierte Stellungnahme fand in der englischen und amerikanischen Philologie zahlreiche Erben: Drei Jahre später nannte H. J. Rose die Mittlere Komödie „a somewhat dreary period whereof not much is known" 76 , und in seiner griechischen Literaturgeschichte von 1950 überging Μ. Hadas die Fragmente der Mese als „too slight for profitable discussion". 77 Seit der Mitte der 50er Jahre hat dann Sir Kenneth Dover die angelsächsische Beurteilung der Mittleren Komödie maßgeblich geprägt (1954, 9 6 - 1 2 9 = 1968, 133-158): Verbindlicher im Ton, in der Sache aber durchaus mit Norwood übereinstimmend sieht Dover die Mittlere Komödie nur dann als ein geeignetes Studienobjekt an, wenn durch die Sichtung ihrer Fragmente „the development of elements common to Old and New Comedy and the origins of elements characteristic of New Comedy" sichtbar gemacht werden können, denn: „as a positive category, ,Middle Comedy' is unsatisfactory", was Dover immerhin mit 74

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Vgl. auch 39: „In its spirit ..., the Middle C o m e d y stands unmistakably between the O l d and the N e w . " „Between the excitingly varied landscape o f O l d C o m e d y and the city of Menander stretches a desert: therein the sedulous t o p o g r a p h e r may remark t w o respectable eminences, and perhaps a l o w ridge in the middle distance, or a f e w nullahs, and the w a y f a r e r will greet w i t h delight one o r t w o oases w i t h a singing-bird or so; but the ever present f o r e g r o u n d of his journey is sand, tiresome, barren and trickling" (38). Handbook of Greek Literature, N e w Y o r k 1 9 3 4 , 2 4 2 . A History of Greek Literature, N e w Y o r k 1 9 5 0 , 1 0 9 .

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dem Zusatz versieht „for us, though not for the ancients"; Kocks auf Fielitz basierende Ignorierung der Mittleren Komödie „was historically wrong, but methodologically justified" (145) — wohl deshalb, weil uns von ihr so extrem wenig erhalten ist; aber gerade dies könnte ein Grund mehr sein, eher dem Urteil der Alten über die Mese zu folgen, weil sie soviel mehr über sie wissen konnten. 1972 hat Dover seine Meinung, die Bezeichnung Mittlere Komödie sei „not helpful to us", noch einmal bekräftigt, „because it lacks positive content, and the ... quotations available ... throw virtually no light on the plot-types and dramatic structure of that period". 78 Schon vorher pflegten englischsprachige Arbeiten die Epochenfrage allenfalls in ausweichender Form zu beantworten, wie 1954 Katherine Lever (167.180). In Τ. B. L. Webster's Studies in Later Greek Comedy (1952 und 1970) wird das Epochenproblem nirgends angeschnitten, obwohl das Buch sich zur Hälfte mit den Komödien des 4. Jhs (vor Menander) beschäftigt; W. G. Arnott tituliert einen Überblick über diese Zeit unverfänglich From Aristophanes to Menander79 und nennt sie „a transitional period which it has been convenient since Hellenistic times to call Middle Comedy" (66). Die Untersuchungen von G. M. Sifakis und R. Hunter zur Entwicklung des Komödienchores in dieser Zeit gehen auf die Epochenabgrenzung nicht ein. 80 Selbst in seinem Kommentar zu Eubulos (1983), einem der wichtigsten Dichter der Mittleren Komödie, weicht Hunter der Frage, ob es die Mese gegeben habe oder nicht und aus welcher Zeit ihr Name stamme, eher aus: er betrachtet „the concept of Middle Comedy as a genre which bridges the gap between Aristophanes and Menander" als „a useful tool of literary history, and to do away with it would be to obliterate the considerable progress which scholarship, both ancient and modern, has made in this area" (6); er will jedoch den Begriff Mese nur „in the fairly loose way" benutzen, „which is now normal to designate Attic comedies written in the fourth century before the death of Alexander" (ebd.); 81 bei der Frage nach der Begriffsentstehung weist Hunter den Ansatz von Fielitz zurück, er erörtert aber auch nur sehr zurückhaltend, ob bereits die Alexandriner den Terminus geprägt haben (42 und 185); hinter all den 78 79

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Greek Comedy, in: The Classical World, ed. by D. Daiches/A. Thorlby, London 1972, 194. In: Greece and Rome 19, 1972, 65 — 80. Edna Μ. Hooker, Changing Fashions in Ancient Drama I, Greece and Rome 7, I960, 36 — 53 geht ebensowenig näher auf die Epochenproblematik ein, spricht aber von einem „remarkable break" (49) beim Wandel ArchaiaMese und einem „great change" (51) beim Wandel Mese-Nea. Sifakis, Aristotle, E.N.IV 2. 1123a19-24 and the Comic Chorus in the Fourth Century, A J P 92, 1971, 4 1 0 - 4 3 2 ; Hunter (1979). Eine indirekte Begründung für diese Reserviertheit vielleicht auf S. 30: „The evidence from which an adequate account of Attic Comedy between the Plutus of Aristophanes and the Dyscolus of Menander could be written does not exist."

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I. Einleitung

Fakten und Gelehrten, die Hunter zu diesen Fragen zitiert, ist sein eigener Standpunkt kaum auszumachen. Zwei Jahre später sieht er in The New Comedy of Greece and Rome (1985) die Komödienentwicklung (wie schon Kock, Kolar, Norwood) als „a continually evolving tradition and not ... a series of discrete periods" (8). Noch prononcierter hatte zwölf Jahre zuvor Ε. Segal diesen Standpunkt vertreten. 82 Auch in der Cambridge History of Greek Literature von 1985 hat Ε. W. Handley die Tradition des Ausklammerns der Epochenproblematik fortgesetzt. 83 Allerdings stammt nun gerade der letzte und kühnste Versuch, mit dieser Problematik fertigzuwerden, ebenfalls aus dem englischen Sprachraum: 1984 hat R. Janko den Nachweis zu erbringen versucht, daß die Komödiendreiteilung ursprünglich bereits auf Aristoteles zurückgehe und mit der „Mittleren Komödie" dabei nicht die des 4. Jhs., sondern die des Aristophanes gemeint gewesen sei. 84 Gegen diese These stimmt von vornherein bedenklich, daß Aristophanes im Lateinischen zuerst bei dem spätantiken Grammatiker Diomedes und im Griechischen sogar erst in noch wesentlich späteren byzantinischen Zeugnissen als Vertreter einer „zweiten" Komödienphase auftaucht, und dies auch nie allein, sondern stets in Begleitung von Eupolis und Kratinos (vgl. u. S. 37. 40 f., 54; doch wird noch eine ausführliche Auseinandersetzung mit Janko's sehr umfassend angelegter Beweisführung notwendig sein (vgl. u. S. 102 ff.). Mit Janko's These sind dann in der Tat alle zwischen Aristoteles und dem 2. Jh. n. Chr. denkbaren Möglichkeiten, die Entstehung der Dreiteilung und des Begriffs Mittlere Komödie zu lokalisieren, durchgespielt: Aristoteles selbst (Janko), Theophrast (Rostagni u. a.), frühe Peripatetiker (Wehrli), die Alexandriner (Meineke, Bergk, Legrand, Körte u. a.), Antiochos von Alexandria spätestens um 100 v. Chr. (Kolar) oder nicht vor dem 1. Jh. v.Chr. (Radermacher), Grammatiker der hadrianischen Zeit (Fielitz, Kock). Innerhalb dieser Palette gibt es allenfalls gewisse Präferenzen für den einen oder anderen Ansatz, aber jedenfalls keine communis opinio. Alle diese sich über ein halbes Jahrtausend antiker Literaturgeschichte verteilenden Aufsätze müssen daher noch einmal geprüft werden.

82 83

84

In: The φύσις of Comedy, HSCP 77, 1973, 1 2 9 - 1 3 6 . Der die Mese betreffende Abschnitt ist auch hier bezeichnenderweise mit From Aristophanes to Menander überschrieben. Immerhin billigt Handley der Mese doch eine gewisse eigene Leistung zu: „Having said so much to bring out the continuity of comic tradition, we must also recognize that alongside their development of mythological comedy, the fourth-century dramatists were powerful innovators in the drama of everyday life, in the creation of comic fiction" (411). Das 1977 erschienene Buch von L. F. Guillen über Aristoteles y la comedia media (vgl. o. Anm. 64) behandelt nicht Aristoteles' Platz in der Entwicklung der Zwei- oder Dreiteilung der attischen Komödie, sondern versucht, aus seinen Äußerungen Schlüsse auf die Entwicklung der mit ihm gleichzeitigen Komödie zu ziehen.

1. Die mittlere Komödie in der philologischen Forschung

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Dazu sollen im ersten Hauptteil dieser Arbeit nach Art einer in der Mathematik üblichen „Intervallschachtelung", zunächst die am weitesten auseinanderliegenden Positionen, die von Fielitz und Janko, behandelt werden, danach die anderen. Man könnte fragen, ob es für uns überhaupt wichtig ist herauszufinden, wer als erster in der Antike von einer Mittleren Komödie sprach. Ja, es ist wichtig: Gerade weil so weite Strecken der Komödienentwicklung unserer eigenen Betrachtung durch riesige Materialverluste fast völlig entzogen sind, haben wir kaum eine andere Wahl, als uns weitgehend dem Urteil von antiken Kritikern anzuvertrauen; und ob hier erst nachhadrianische Spätlinge auf einmal von einer Mittleren Komödie zu reden begannen oder frühe Peripatetiker oder alexandrinische Philologen, die noch all das lesen konnten, was uns heute verloren ist, sollte unsere Bewertung dieser Epochenabgrenzung (mit ihren Implikationen für die Eigenarten der so voneinander geschiedenen Komödienformen) zumindest beeinflussen. Die bisherigen Stellungnahmen zur Mittleren Komödie sind freilich nicht nur darin uneins, wann der Begriff entstand, sondern auch darin, innerhalb welches Zeitraums eine solche Mittlere Komödie selbst anzusetzen wäre. Die Extremwerte liegen hier bei einer Kurzzeit von 15 (Oppe, vgl. o. S. 18 f. und einer Langzeit von 150 Jahren (Wilamowitz, vgl. o. S. 12); auch Cobets Identifizierung der Mese mit der Schaffenszeit Piatons (o. S. 4) und Janko's mit der des Aristophanes (ο. S. 26) gehören zu den ausgefalleneren Vorschlägen. Die übrigen bewegen sich zwischen 411 und 320 v. Chr., lassen aber auch noch eine ziemlich breite Streuung erkennen: Zumindest den Beginn vom Ende der Archaia wollten Bernhardy (o. S. 5), Bergk (o. S. 4), Denis (o. S. 16) und Moulton (o. S. 17) auf 411 oder die unmittelbar auf die Katastrophe der Sizilischen Expedition folgende Zeit setzen; Bernhardy und Bergk sahen den Verfallsprozeß der Alten Komödie dann nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges und der Gewaltherrschaft der Dreißig Tyrannen 403 weitgehend vollendet; bei Denis geht die Archaia erst zwischen 403 und 388, dem Jahr von Aristophanes' letzter eigener Aufführung, dem Tod entgegen (1886, 307; vgl. 353). 403 oder das Ende des peloponnesischen Krieges wird auch sonst oft als entscheidendes Eckdatum angesehen; 85 andere bevorzugen als glattere Angabe die Jahrhundertwende. 86 Meineke (o. S. 4) und manche in seinem Gefolge 87 ließen die Mese mit der 96. Olympiade (396/5 — 393/2 v.Chr.) beginnen

85 86

87

Vgl. Guizot (1855) 110, Nicolai (o. S. 8), Oppe (o. S. 18 f.), Wilamowitz (1927) 221. F. Bender, Geschichte der griechischen Litteratur, Leipzig 1886, 679; Croiset (o. S. 15 f., Christ (o. S. 15), Legrand (o. S. 16), Körte (o. S. 14), Lesky (o. S. 23), Landfester (o. S. 23), Hunter (1983) 6. G. H. Bode, Geschichte der hellenischen Dichtkunst III 2, Leipzig 1840, 393; Roeder (1831) 123.

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I. Einleitung

und begriffen damit Ekklesia^usen und Plutos in die junge Mittlere Komödie schon mit ein. Nächstes mögliches Datum ist das Ende von Aristophanes' eigener Aufführungspraxis, 388; 88 damit wären Ekklesia^usen und Plutos aus der Mese wieder ausgeklammert. Dover (o. S. 24) läßt den Zeitraum des Übergangs von der aristophanischen zur menandreischen Komödie 380 beginnen (und 320 enden). Der früheste Ansatz des Übergangs Mese-Nea ist 340 v. Chr. 89 Populärer vor allem im 19. Jh. war das Jahr der Schlacht von Chaironeia, 338; so endete die Mittlere Komödie zusammen mit der griechischen Polisfreiheit. 90 Weitere Vorschläge sind der Regierungsantritt Alexanders d. Gr. 336, 91 sein Todesjahr 323 92 und der Beginn von Menanders dramatischem Schaffen bald danach; 93 für das glattere Datum 330 entschieden sich Burckhardt (Griech. Kulturgesch. III 266) und Legrand (o. S. 16), für 320 Körte (o. S. 14), Burck (o. S. 22) und Dover (o. S. 24). Beim Übergang Archaia-Mese schwanken die Ansätze also insgesamt um 30 Jahre, beim Übergang Mese-Nea auch noch einmal um 20. Eine Entscheidung zwischen diesen Datierungen kann hier noch nicht getroffen werden, doch legt die Streuung der Vorschläge schon jetzt nahe, sowohl beim Anfang wie beim Ende der Mittleren Komödie, wenn sie sich denn als abgrenzbare Epoche erweisen sollte, mit Übergangs„streifen" von zwanzig bis dreißig Jahren zu rechnen. Wann diese Streifen genauer anzusetzen sind, kann erst nach der Betrachtung der Überreste der Mese selbst entschieden werden. Zuerst aber müssen jetzt die antiken und byzantinischen Texte etwas genauer vorgestellt werden, in denen von einer „Mittleren Komödie" die Rede ist. 2. Die antiken und byzantinischen

Bezeugungen der Mittleren

Komödie

Nicht erst seit Beginn der Neuzeit hat die philologische Forschung mit dem Begriff der Mittleren Komödie ihre Schwierigkeiten, sondern diese sind vielmehr fast noch eine Art Spiegelbild der widersprüchlichen Angaben, die bereits antike und byzantinische Texte zur Mese machen. Nach den hundertzwanzig Jahren, seit Fielitz seinen umfassenden Angriff gegen die Rückführung der Vorstellung von einer μέση κωμωδία auf Peripatos oder Alexandriner vortrug, hat seine Beobachtung, daß die uns 88 85 90

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Denis (o. S. 16), Ο ρ ρ έ (ο. S. 18), Burck (o. Anm. 70). Bender (vgl. o. Anm. 86). Meineke (1839) 271; Bernhardy II1 1000 (o. S. 5; ebenso in den späteren Auflagen); Bode (o. Anm. 87); Nicolai (o. S. 8) 234. Christ (o. S. 15); Croiset (o. S. 15 f.). Hunter (1983) 6. Scaliger (o. S. 1); Denis (1886) 353.

2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren Komödie

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erhaltenen Bezeugungen (was nicht heißt: die Quellen) des Begriffs „Mittlere Komödie" nicht über das 2. Jh. n.Chr. zurückreichen, immer noch Bestand; alle bislang gefundenen und veröffentlichten Papyri haben nichts daran geändert, daß Zenobios, Apuleius und Marc Aurel, vor allem aber Athenaeus und Pollux (vgl. u. S. 65 ff.) immer noch unsere ältesten Belegautoren für die Mese sind. Sie zitieren aus bestimmten Komödiendichtern, die sie dieser Epoche zuordnen, oder machen einzelne Bemerkungen über den Sprachgebrauch der Mese-Dichter allgemein. Theoretische Äußerungen, die die Mittlere Komödie in den Gang der attischen Komödienentwicklung insgesamt einordnen (wiederum sind die Texte selbst, nicht ihre möglichen Quellen gemeint), sind sogar noch jüngeren Datums: Die lateinischen gehören an das Ende der Antike, 1 für die griechischen, die bis auf die Äußerungen des Tzetzes anonym sind, 2 haben wir als chronologischen Anhaltspunkt zunächst nur das Alter der Codices, in denen sie stehen (Tractatus Coislinianus·. nicht vor dem 10. Jh.; Aristophanes-Prolegomena: nicht vor dem 11., in der Regel erst 14. Jh. und später). Natürlich stammt der Inhalt dieser Texte nicht erst aus dieser Zeit: Sie alle zeigen deutlich die Spuren einer oft sehr weit fortgeschrittenen Epitomierung; ihre Vorlagen dürften in spätantike oder frühbyzantinische Zeit gehören, teilweise sogar, wie der Vergleich mit den einigermaßen datierbaren lateinischen Texten des Diomedes und des Euanthius zeigt, zeitlich noch vor diesen anzusetzen sein. 3 Vielfach läßt sich an Inhalt und Art der Darstellung noch erkennen, daß diese Texte gemeinsamen Traditionen angehören, deren Gehalt sie in teilweise recht unterschiedlicher Ausformung und Ausführlichkeit bewahrt haben. Die folgende Übersicht über diese Texte ist so angelegt, daß diejenigen zuerst behandelt werden, die ihre Tradition am ausführlichsten wiederzugeben scheinen, danach die anderen Zeugen, die trotz größerer Kürze hier und da etwas bewahrt haben, was sich in ihren umfänglicheren Verwandten nicht findet; was zeigt, daß sie nicht einfach verkürzende Abschriften von diesen sind, sondern auch selbst auf die betreffende Tradition noch zurückgehen. Alle

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Diomedes: wahrscheinlich 2. Hälfte des 4. Jhs n.Chr.; Euanthius: 1. Hälfte des 4. Jhs n.Chr. (vgl. zuletzt Cupaiuolo 1979, 7 — 13). Der Grammatiker Melampus oder Diomedes, aus dessen ερμηνεία τ η ς τ έ χ ν η ς Δ ι ο ν υ σ ί ο υ τ ο ϋ Θρακός die Ausführungen über die Komödienentwicklung stammen ( G r G r I 3: Scholia in Dionysii Thracis Artem grammaticam p. 18,13 — 20,12 Hilgard = XVIIIa p. 70,1 — 72,52 Koster), ist zeitlich nicht näher bestimmbar, aber wohl doch erst ein Byzantiner. Als wichtige Zwischenquelle, über die hinaus er nicht spekulieren wollte, für die byzantinischen Prolegomena Περί κ ω μ ω δ ί α ς suchte Kaibel (1898, 17. 68) die Chrestomathie des Proklos zu erweisen; Diomedes (vgl. Goetz, RE V 1, 1903, Sp. 828) und Euanthius (vgl. Cupaiuolo 1979, 24 f. mit Anm. 33) sollen Sueton zum Vorgänger haben. Hier muß vieles offen bleiben.

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I. Einleitung

diese Texte, die v o n K o s t e r i m Faszikel I Α der g r o ß e n niederländischen E d i t i o n der A r i s t o p h a n e s - S c h o l i e n b e q u e m z u g ä n g l i c h g e m a c h t sind, werd e n v o n Kaibel u n d anderen als Z e u g e n einer m e h r o d e r m i n d e r einheitlichen Ü b e r l i e f e r u n g a n g e s e h e n (vgl. o. S. 10 A n m . 30); es e m p f i e h l t sich aber, sie v o n v o r n h e r e i n in w e n i g s t e n s z w e i G r u p p e n zu unterteilen: solche, die die K o m ö d i e n e n t w i c k l u n g primär politisch, u n d solche, die sie primär u n p o l i t i s c h , d. h. literarisch-ästhetisch, betrachten u n d erklären. 4 D e r u m f ä n g l i c h s t e Text der „politischen" R i c h t u n g , der n o c h in jüngster Zeit sehr unterschiedliche B e w e r t u n g e n erfahren hat, 5 ist der „ A u s z u g " (so ist Έκ τ ω ν in der Überschrift zu übersetzen) aus P l a t o n i o s ' Traktat Περί δ ι α φ ο ρ ά ς κ ω μ ω δ ι ώ ν . D i e damit bereits a n g e d e u t e t e E p i t o m i e r u n g erklärt, w a r u m in d i e s e m Text in seiner h e u t i g e n Gestalt s o v i e l e abrupte Ü b e r g ä n g e v o n e i n e m P u n k t z u m nächsten e r f o l g e n 6 u n d w a r u m die G l i e d e r u n g des Textes e i n i g e r m a ß e n seltsam anmutet: z w i s c h e n z w e i g r o ß e n Eckteilen, die bis auf eine E r w e i t e r u n g i m Schlußteil (p. 5,56 — 6,65 K o s t e r ) inhaltlich fast v ö l l i g das G l e i c h e s a g e n (p. 3,2 — 4,31 = p. 5,42 — 56; es g e h t u m d e n Wandel der A l t e n zur Mittleren K o m ö d i e ) , steht ein A b s c h n i t t über die in der Archaia übliche K o m ö d i e n p a r a b a s e , dessen A n w e s e n h e i t hier nicht recht e i n l e u c h t e t . 7 V o r der E p i t o m i e r u n g war 4

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Eine Sonderstellung nimmt der Tractatus Coislinianus ein, den auch Kaibel nicht wie die anderen Prolegomena auf die Chrestomathie des Proklos zurückgehen sah, sondern auf eine Poetik, die Proklos selbst und sogar schon die „Gewährsmänner des Pollux, des Diomedes, des Euanthius" benutzt hätten (1898, 68). Da der Tractatus die Komödienentwicklung aber ähnlich unpolitisch betrachtet wie die zweite o. im Text genannte Traktaten-Gruppe, soll er im Anschluß an sie aufgeführt werden (u. S. 56). Vgl. Bertan 1984 (eher negativ, vgl. 177 f.: „Platonio non era altri che un compilatore tardo dotato di buone fonti, ma incapace ormai di comprenderne fino il fondo il contenuto"); Perusino 1987 (eher positiv, vgl. 72 f.; aber die Behauptung, Platonios sei „l'unica fonte antica che si occupava dettagliatamente ... delle caratteristiche di quest'ultima [= della commedia di mezzo], berücksichtigt zu wenig die Proleg. III Koster). p. 3,19 — 4,20 Koster der Ubergang von der Furcht der Dichter zum Ausbleiben der Choregen, das völlig anders begründet wird; ähnlich abrupt der Ubergang von der Beschreibung der formalen Veränderungen in der Komödie zu der der inhaltlichen in p. 4,24 — 25 (ύπεξηρέθη της κωμωδίας τά χορικά μέλη και των υποθέσεων ό τύπος μετεβλήθη), denen zudem eine andere Begründung nachgeschoben wird; p. 4,29 — 31 wird eine Zusammenfassung der besprochenen Veränderungen angekündigt, aber dann werden nur noch einmal die formalen Änderungen herausgestellt, nicht die inhaltlichen. Im Abschnitt über die Parabase wird auch über ihren politischen Inhalt referiert (p. 4, 36 f.), was bei der ersten Begründung ihres Wegfalls (p. 4,20 — 22) übergangen worden war. Auch p. 5,54f. erfolgt ein ganz rascher Themenwechsel (μύθους ... διέσυρον ώς κακώς ρηθέντας και τάς παραβάσεις παρητήσαντο). Zu der Zusammenziehung von μέση und νέα vgl. u. S. 34). Sind die Erläuterungen zu Position und Aufbau der Parabase in der Alten Komödie (p. 4,32 — 39) als eine später hinzugesetzte Erklärung hier auszusondern? Der folgende Satz (τά μεν yap έχοντα τάς παραβάσεις κτλ.) schließt nahtlos an p. 4,30 f. an (... και πλείστα των παλαιών δραμάτων ούτε χορικά ούτε παραβάσεις έχοντα; Hinweis von R. Kassel). Könnte der Epitomator für einen solchen Einschub verantwortlich gewesen sein?

2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren Komödie

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möglicherweise nicht nur dieser Exkurs besser vorbereitet und motiviert 8 und wurde die Anfügung der Schlußbetrachtung (über die Komödienmasken) besser verständlich, 9 sondern auch das Verhältnis der beiden Hauptteile zueinander erschien da vielleicht weniger tautologisch als heute. Selbst in der Epitome läßt sich eine verschiedene Blickrichtung in den beiden Teilen immerhin ansatzweise noch erkennen und sinnvoll zu dem ersten Satz des Traktats, seiner Themenangabe, in Beziehung setzen: der erste Hauptteil (p. 3,2 — 4,31) behandelt den Zusammenhang von Alter Komödie und attischer Demokratie und den Untergang bzw. Wandel beider Erscheinungen (der Themasatz nennt das έπισημήνασθαι τάς αιτίας, δι' άς ή ... άρχαία κωμωδία ΐδιόν τ ί ν α τ ύ π ο ν εχει), der zweite (p. 5,42 — 56) die Hauptmerkmale der μέση κωμωδία, die noch einmal scharf von denen der Archaia abgehoben werden (vgl. den zweiten Teil des Themasatzes: ή δε μέση κωμωδία διάφορος έστι προς τ α ύ τ η ν ) . Trotz dieser expliziten Hervorhebung der Verschiedenartigkeit zwischen Alter und Mittlerer Komödie führt Platonios nur je einen inhaltlichen und einen formalen Unterschied zwischen beiden Perioden an und begründet beide politisch: Aufgrund der Veränderung der politischen Lage — die Demokratie weicht einer tyrannischen Oligarchie — bringen die Dichter aus Furcht vor Repressalien statt ihrer früheren ungezügelten σκώμματα nur noch politisch harmlose literarische Parodien auf die Bühne; im Formalen wird der Wegfall der χορικά μέλη mit einer recht eigenartigen Darstellung des Verschwindens der die Chöre ausstattenden Choregen verknüpft (vgl. u.). Die politische Komponente dieses Wegfalls wird hier noch nicht recht klar, was eine Folge der Epitomierung sein könnte; in den Ausführungen über die Parabase ist dieser politische Bezugspunkt besser erhalten. 10 Die auf den ersten Blick durchaus plausibel erscheinenden Ausführungen des Platonios-Textes lassen bei genauerem Hinsehen doch Fragen 8

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Noch in der jetzigen Form des Textes fällt kurz zuvor das Stichwort π α ρ α β ά σ ε ι ς ; und nach den formalen Elementen der Parabase wird auch ihr politischer Gehalt innerhalb der Alten Komödie erläutert; dann erfolgt der Ubergang zur Betrachtung der — nach Platonios das Politische gerade meidenden — Mese. Vielleicht endete der ursprüngliche Text mit einem Ausblick auf die dritte Komödienepoche, in dem Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen Mese und Nea zur Sprache kamen. In jedem Fall hat die Epitomierung in diesem Abschnitt verwischt und vergröbert; die hier erwähnten Makedonen können ja nur für die Entwicklung der Nea in Anspruch genommen werden (vgl. u. S. 33). Vgl. o. Anm. 6. In p. 4,20 — 22 verschwinden die Choregen, weil die Athener einfach keine „Lust" (προθυμία) mehr gehabt haben sollen, welche zu wählen. In p. 4,36 f. aber weist Platonios auf den politischen Inhalt der Parabasenlieder hin und verknüpft die Existenz der Parabase ausdrücklich mit der Existenz der Demokratie in Athen (p. 4,39 — 5,40). Hiernach verschwand die Parabase unter der Oligarchie also, weil sie ein Kernstück demokratischer π α ρ ρ η σ ί α war.

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I. Einleitung

aufkommen: So anschaulich die Verschwisterung von Alter Komödie und radikaler Demokratie dargestellt ist, 11 die dann folgende Beschreibung des Umkippens der Verfassung in die Oligarchie (p. 3,13 — 16) bleibt bei allem Wortreichtum schwammig, so als habe der Autor für diesen Prozeß keine genauen Nachrichten und Daten gehabt; es wird nicht klar, ob er die Ereignisse von 411 oder von 4 0 4 / 3 v.Chr. meint, und seine als exemplarische Begründung des die Dichter befallenden φόβος gedachte Erzählung vom Schicksal des Eupolis paßt zu keinem der beiden Daten. Auch dieses Exemplum wird — verglichen mit dem, was später etwa Tzetzes davon zu berichten weiß (u. S. 40 f.) — bemerkenswert ungenau dargestellt: wir erfahren weder, wer der von Eupolis Beleidigte war, noch, daß vom Ausgang der Geschichte zwei verschiedene Versionen in Umlauf waren. 12 Platonios erwähnt auch nichts von einem Psephisma, durch das in anderen Texten der eigentliche Wandel in der Komödienform eingeleitet wird (vgl. u. S. 40. 42) und das schon Horaz {AP 283 f.) 13 kennt; allenfalls könnte man den Satz ού γ ά ρ ετι προθυμίαν είχον οί 'Αθηναίοι τους χορηγούς ... χειροτονεΐυ (ρ. 4,20 — 22 Koster) als verkappten Hinweis auf ein solches Psephisma interpretieren, was indes der Wortlaut kaum nahelegt. Wenn man nicht annehmen will, daß das Psephisma bei der Epitomierung verlorengegangen ist, bleibt nur der Schluß, daß Platonios in seinen Quellen darüber nichts hatte. 14

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Schon Kaibel (1898, 47') hat darauf hingewiesen, daß p. 3,10 f. sehr an die pseudoxenophontische 'Αθηναίων π ο λ ι τ ε ί α erinnert (vgl. auch Perusino 1987, 76). Kaibel (1898, 47) wollte gerade aus der Weglassung des Alkibiades bei Platonios schließen, „dass Eratosthenes Kritik vorausgegangen ist". Aber Eratosthenes' Einwände richteten sich gegen die ganze anekdotische Erzählung, in der schon zu Ciceros Zeiten (der seinerseits auf Duris von Samos verweist) der gewaltsame Tod des Eupolis auf Alkibiades zurückgeführt wurde; man konnte kaum den Alkibiades herauslassen und weiter von Eupolis' Ertränkung reden. Wenn Platonios also von dieser Ertränkung erzählt, hat er Eratosthenes' Einwand entweder nicht gekannt oder bewußt ignoriert. Vgl. zu der Episode auch u. S. 178 f. Brink (1971) ad loc. vermutet, daß Nachrichten über ein solches Psephisma auf frühe hellenistische Zeit zurückgehen. Die Nachrichten über ein Psephisma lassen sich auch weniger gut mit der Theorie von der kontinuierlichen Depravation der innenpolitischen Lage Athens und ihrer Auswirkung auf die Komödienfreiheit (nicht nur bei Platonios, sondern — vergröbert — auch beim Dionysios-Thrax-Kommentator und in den Proleg. I V ) als mit der Darstellung des Horaz und des Euanthius (vgl. u. S. 42) verbinden, wo das Psephisma die Reaktion auf Verfehlungen der Komödiendichter ist, die es mit ihrem politischen Spott übertrieben haben. Ohne Schuldzuweisung an eine der beiden Seiten stellt die große AristophanesVita (Ar. test. 1,47 — 50 Κ . - Α . ) den durch das Psephisma hervorgerufenen Wandel dar (vgl. allerdings 3 — 4: πικρότερόν τε και αϊσχρότερον Κρατίνου και Εϋττόλιδος βλασφημούντων ή εδει). Tzetzes ( X I a l p. 27,88 — 100 Koster) versucht, Psephisma und Theorie der politischen Depravation zu vereinigen, indem er den Alkibiades nicht nur den Eupolis malträtieren, sondern auch das Psephisma einbringen läßt.

2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren K o m ö d i e

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Für Platonios (wie für Horaz, Velleius Paterculus, Quintilian) ist die Trias Aristophanes, Kratinos, Eupolis der Inbegriff der Alten, mit der radikalen Demokratie verbundenen Komödie (p. 3,2 — 3 und 3,12); bemerkenswerterweise führt er dann aber ausgerechnet ein Stück des Aristophanes, den Αίολοσίκων, und ein Stück des Kratinos, die Όδυσσής, als Belege für den τύττος der Mittleren Komödie an (wohlgemerkt: nicht als Stücke der Mittleren Komödie selbst, jedenfalls noch nicht hier). Das bringt vor allem bei den Όδυσσής schon manche Schwierigkeit mit sich 15 und zeigt, daß Platonios keinen Komödiendichter und kein Stück mehr aus der Zeit zwischen Aristophanes und Menander kannte, das für ihn die Mittlere Komödie hätte repräsentieren können. Dieses Loch versuchte er dadurch zu schließen, daß er die beiden genannten Stücke an das Ende der Archaia datierte (p. 5,49 —51), 16 was nicht beim Αίολοσίκων, aber natürlich bei den Όδυσσής große Probleme verursacht; Platonios war offensichtlich auch mit der Chronologie des Kratinos nicht mehr vertraut. Auch die Bemerkungen über die Masken und die Verschiedenheit ihrer Gestaltung in den einzelnen Komödienepochen verraten große Ungenauigkeiten und Unsicherheiten des Autors in chronologischen Fragen: Seinem Erklärungsprinzip treu bleibend, leitet Platonios auch die Veränderung der Masken — von der karikierenden Nachbildung der Gesichter lebender Persönlichkeiten hin zu der Modellierung unindividueller komischer Fratzen (p. 5,56 — 6,65) — aus politischen Entwicklungen ab, diesmal aus den φόβοι, die die makedonische Herrschaft in Athen verbreitete. Seltsam ist dabei, daß der Text dieses Moment nicht nur für die Neue, sondern auch schon für die Mittlere Komödie ins Spiel bringt und die aufgrund der Makedonenfurcht „unpolitisch" gewordenen Masken der μέση κοα νέα κωμωδία (p. 5,59) zusammen den „politischen" Masken der άρχαία gegenüberstellt: Wieder gewinnt man den Eindruck, daß der

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Nimmt man an, daß Platonios mit den Ό δ υ σ σ ή ς wirklich nur den τύπος der Mittleren Komödie vorführen wollte, ist die Chronologie nicht so schwierig, denn „den τ ύ π ο ς der Mese haben" ist noch nicht gleichbedeutend mit „zur Mese gehören" (vgl. Ausdrücke wie Ησιόδειος χαρακτήρ u. ä. in den Homerscholien, Σοφόκλειος χαρακτήρ in der Hypothesis zum Rhesos, Schol. Eur. II 324,8 Schw.); allerdings versucht Platonios in p. 5,49 — 51 in der Tat, die Ό δ υ σ σ ή ς an das Ende der Archaia zu datieren; und auch seine Behauptung, die Ό δ υ σ σ ή ς gehörten zu den Stücken ohne χορικά μέλη, wird von den Fragmenten widerlegt (vgl. Bertan 1984, 173 — 175; Perusino 1987, 83 glaubt allerdings, daß der Chor der Όδυσσής nur in der Parodos eine wirkliche Rolle spielte).

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Bei den Ό δ υ σ σ ή ς wird diese Datierung zumindest impliziert: τ ο ι α ύ τ α δέ δράματα [Stücke mit Dichterparodien] και iv τ η παλαιά κωμωδία εστίν εύρεΐν, άπερ τελευταία έδιδάχθη λοιπόυ της ολιγαρχίας κρατυνθείσης. οϊ yoüv Ό δ υ σ σ ή ς Κρατίνου κτλ. (ρ. 5,49 — 51). K ö r t e (1921) 1258,30 — 32 sah in der seltsamen Plazierung der Ό δ υ σ σ ή ς einen „Verlegenheitsausweg des Grammatikers, der dies Stück nicht mit seiner Definition der άρχαία vereinigen konnte". Vgl. auch Perusino (1987, 80 f.), die hier keinen Versuch macht, Platonios zu verteidigen.

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I. Einleitung

Platonios-Auszug sich über den genaueren Zeitpunkt, von dem an Makedoniens Arm auch in die athenische Innenpolitik hineinreichte (im Grunde erst seit der Besatzung nach dem Lamischen Krieg 1 7 ), nicht im Klaren war. Hätte der Text in diesem Punkt nicht die Alte Komödie von der Mittleren und Neuen, sondern die Alte und Mittlere zusammen von der Neuen Komödie abgehoben, wäre dies weit eher verständlich. Im übrigen scheint in diesem letzten Abschnitt, nachdem zum ersten Mal der Begriff νέα κωμωδία überhaupt gefallen ist, das Augenmerk des Textes, ohne daß dies dem Leser mitgeteilt würde, ganz hinüber zur Neuen Komödie zu wandern; denn die Veränderung in den Masken, die p. 5,59 für Mittlere und Neue Komödie gemeinsam gelten soll, wird vier Zeilen später (p. 6,63 f.) nur an den Masken Menanders exemplifiziert. Auch noch in seiner jetzigen Form also durchläuft der Text die ganze Entwicklung der attischen Komödie von Aristophanes, Eupolis, Kratinos bis hin zu Menander; zwar galt das Hauptinteresse wohl auch der unepitomierten Vorlage dem Unterschied von Alter und Mittlerer Komödie (vgl. den Einleitungssatz), aber auch die Nea war — vielleicht in einer Art Ausblick — noch berücksichtigt, möglicherweise etwas differenzierter und weniger abrupt eingeführt, als dies heute aussieht; neben der Abruptheit des έν δέ τη μέση και νέα κωμωδία (ρ. 5,59) gibt es weitere sprachliche Anzeichen dafür, daß der Text in diesem Abschnitt erheblich gekürzt wurde. 18 Es bleibt festzuhalten, daß schon Platonios keinen eigenen Dichtervertreter der Mittleren Komödie mehr zu nennen weiß; zwischen Aristophanes, Kratinos, Eupolis einerseits und Menander andererseits klafft bereits bei ihm ein großes Loch, das man in anderen Komödientraktaten auf verschiedene Weise zu überbrücken versucht, was chronologisch aber meist nicht gelingt; in den betreffenden Traditionen war überall kein 17

18

Vorher kann man kaum von einer angsteinflößenden Präsenz Makedoniens in der athenischen Innenpolitik sprechen, wie etwa Demosthenes' Kranzrede und der Spott des Komödiendichters Timokles über die Harpalos-Affare (fr. 4 K.-A.) deutlich zeigen. Vgl. u. S. 167 Anm. 54. Körte (1921) 1213,1 — 3 sah an dieser Stelle „die νέα ... oberflächlich angeflickt", wohl deshalb, weil das Platonios-Exzerpt in seinem jetzigen Zustand sonst ausschließlich den Übergang von der Alten zur Mittleren Komödie behandelt. Aber die Nea ist bei Platonios doch ein fester Begriff, und die Bemerkung über die Beeinflussung der Maskengestaltung durch die Makedonenfurcht paßt im Grunde nur auf sie (vgl. o. im Text). Hier könnte also eher starke Exzerpierung für Verwirrung gesorgt haben. Vgl. auch p. 5,60 f. die ungeschickte Tautologie δεδοικότες τοΰζ Μακεδόνα; και τούς έπη ρτη μένους έξ εκείνων φόβους (waren die Ausdrücke im ursprünglichen Text vielleicht weiter voneinander getrennt, so daß es zu keiner Tautologie kam?), und p. 5,61 f. die seltsame Anknüpfung eines Finalsatzes (der sich nach Inhalt und Satzstruktur heute nur auf das Vorhergehende beziehen kann) mit ίνα δέ μή, womit ja nur ein völlig neues Satzgefüge eingeleitet werden kann; Koster verzeichnet in seinem Apparat statt δέ μή auch μή δέ und μηδέ (dies in Kaibels Text und so auch Perusino in ihrer 1989 erschienenen kommentierten Ausgabe der Platonios-Exzerpte) als abweichende Lesart bzw. Herstellungsversuch.

2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren Komödie

35

Dichter aus der Zeit zwischen 380 und 320 mehr bekannt. In den folgenden beiden Texten, die wie Platonios die Komödienentwicklung durch politische Veränderungen erklären, ist nun der Komödiendichter Piaton zum Archegeten der Mittleren Komödie avanciert; erstaunlich genug, denn Piatons Schaffenszeit deckt sich zeitlich fast genau mit der des Aristophanes, 19 und in anderen antiken und byzantinischen Zeugnissen gilt er daher als Dichter der Alten Komödie. 20 Auch vom Inhalt seiner Stücke her, soweit er noch erkennbar ist, besteht kaum ein Grund, ihn stärker von Aristophanes abzusetzen; er scheint mehr Märchen- und mythologische Komödien als dieser geschrieben zu haben,21 liebte aber genauso wie Aristophanes politischen Spott und war da gelegentlich noch direkter, da er einflußreiche Politiker geradezu zu Titelhelden mehrerer seiner Stücke machte (Πείσανδρος, Ύττέρβολος, Κλεοφών). Es bleibt also rätselhaft, was jemand dazu veranlaßt haben könnte, in Piaton nicht nur irgendeinen, sondern sogar den Hauptvertreter der Mittleren Komödie zu sehen. Die Proleg. III Koster freilich, ein Text, der sich mehr als alle anderen Komödienprolegomena durch detaillierte und anscheinend zuverlässige Angaben über Dichter aus allen drei Komödienepochen auszeichnet (vgl. u. S. 45 ff.), nennen Piaton weder unter den Dichtern der Alten noch der 19 20

21

Vgl. Körte (1950) 2539. Eindeutig als Dichter der Archaia bezeichnen ihn Plut. Quaest. conv. VII 8,3 p. 712A ( = Plat. test. 12 K.-A.), Diog. Laert. III 109 ( = test. 13 K.-A.), Sext. Emp. Math. II 35 ( = Plat. fr. 239 K.-A.), Sync. p. 174,24 Mossh. ( = fr. 145 K.-A.), Proleg. VIII p. 18 Koster ( = test. 3 K.-A.), die von Kroehnert edierten Canones Comicorum ( = test. 2 K.-A.) und eine in Ostia gefundene Statuenbasis aus dem 1. Jh. v.Chr. ( = test. 18 K.-A.). Mit Dichtern, die der Antike stets als Vertreter der Archaia galten, stellen ihn zusammen Dio Chrys. or. 16[33],9 Arn. ( = test 11 K.-A.), die Chronik des Eusebios (vgl. test. 5a —c K.-A.), Cyrill. Alex. c. Iul. I 13 ( = test. 6 K.-A.) und der Piaton behandelnde SudaArtikel ( π 1708 = test. 1 K.-A.). Bei Tzetzes (XIal p. 27,99 Koster = test. 14b K.-A.; XXIa p. 88,84 = test. 14a K.-A.) erscheint Piatons Name zwar in einer „zweiten" Komödienepoche, aber zusammen mit Aristophanes, Eupolis, Kratinos und anderen Dichtern der Archaia. In Hör. Sat. II 3,11 ( = test. *10 K.-A.), wo Wilamowitz ebenfalls den „Mese-Dichter" Piaton bezeugt sah, ist ziemlich sicher wohl der Philosoph gemeint (vgl. o. S. 11 Anm. 35). Im Photios-Lexikon (α 499 = Lex. Bachm. p. 48,28) werden Piaton (fr. 16 K.-A.) und dann die Mittlere und Neue Komödie als Ganzes als Fundorte für den Ausruf σίσΐ zitiert; offensichtlich gehört hier Piaton weder der Mittleren noch der Neuen Komödie an (vgl. auch u. Anm. 73). Noch eine Stelle bleibt übrig, an der es immerhin so aussieht, als sei Piaton doch zur Mittleren Komödie gerechnet: In Ath. IX 387a ist zunächst von Piatons Stück Περιαλγής die Rede (vgl. fr. 114 K.-A.); unmittelbar darauf heißt es: Μυησίμαχοζ δ' εν Φιλίττττω (εΤ$ δέ και ουτόζ εστί της μέση5 κωμωδίας ττοιητήξ) φησί' [fr. 9 Κ.-Α.] κτλ. Weist καί hier auf Piaton zurück und ordnet ihn damit der Mese zu? Man muß auch mit der Möglichkeit rechnen, daß das Zitatennest beim Exzerpieren verkürzt wurde (durch Athenaeus selbst oder eine Zwischenquelle) und daß vor Mnesimachos hier ursprünglich ein anderer, „wirklicher" Mese-Dichter stand. Vgl. auch u. S. 73. Körte (1950) 2540.

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I. Einleitung

Mittleren Komödie, obwohl er doch sicher wenigstens im Rang eines Phrynichos stand, der in Proleg. III unter den Dichtern der Archaia erscheint. Vielleicht ist dieses auffallige (weil völlige) Fehlen Piatons ein Zeichen dafür, daß man nicht recht wußte, wo er einzuordnen war. Man wird jedenfalls damit zu rechnen haben, daß die Proklamierung Piatons zum Hauptvertreter der Mittleren Komödie eine (aus welchen Gründen auch immer zustandegekommene) individuelle Entscheidung war, vielleicht desjenigen, dem wir innerhalb der Scholien zum Dionysios Thrax den sogenannten Kommentar des Melampus oder Diomedes zu verdanken haben. Dieser Text (XVIIIa Koster = Schol. Dion. Thr., GrGr I 3 p. 18,13 — 20,12 Hilgard) behandelt wie Platonios die Komödienentwicklung unter ausschließlich politischen Vorzeichen, geht dabei aber nach einem starren Schematismus vor, der mit der wirklichen politischen Geschichte Athens, von der der Platonios-Auszug wenigstens noch einige Kenntnisse hatte, keinerlei Berührungspunkte mehr besitzt. Der Autor ist (anders als Platonios) bemüht, die gesamte Komödienentwicklung gleichmäßig darzustellen: Den Ursprung der Komödie sieht er in nächtlichen Invektivgesängen der Bewohner des ländlischen Attika vor den städtischen Behausungen derjenigen, die ihnen Unrecht zugefügt hatten; der Staat habe den Nutzen dieses spontanen Brauchs erkannt und ihn mit der staatlichen Organisation der Komödienaufführungen zu seiner eigenen Sache gemacht. Als literarische, d. h. in Versen gefaßte, Form habe die Komödie mit Susarion begonnen; in ihrer ersten Phase (die der Text als π α λ α ι ά bezeichnet) sei sie ihren Anfangen getreu wirklich ein unbeschränktes Mittel öffentlicher Zurechtweisung gewesen. Ähnlich, aber wesentlich konkreter und historischer hatte auch Platonios die Essenz der Alten Komödie beschrieben; doch weder von seiner Unterscheidung Demos — Mächtige zu den Zeiten der radikalen Demokratie noch von deren Umschlag als Auslöser des Komödienwandels verlautet in dem DionysiosThrax-Kommentar ein Wort; er begnügt sich vielmehr damit, die Beschreibung dieses Wandels mit der blassen kulturpessimistischen Maxime άεί τ ά χερείονα νίκα einzuleiten und die unter diesem Blickwinkel zwangsläufige moralische Depravation der Regierenden Athens für die Beschränkung der Komödienfreiheit verantwortlich zu machen. Klarer als bei Platonios wird hier eine bestimmte staatliche Maßnahme als Auslöser des Komödienwandels angedeutet (p. 71,31 f. Koster = p. 19,17 — 19 Hilgard οί άρχοντες ... ήρξαντο κωλύειν τους κωμικούς τοΟ φανερώς ... και όνομαστι έλέγχειν τους άδικοΰντας); im übrigen aber bleiben die Ausführungen völlig schematisch: als einziges Merkmal der so initiierten zweiten Komödienphase (die der Text μέση nennt) wird das αϊνιγματωδώς έλέγχειν angegeben. Hier bleibt also das έλέγχειν, die Komödienkritik an bestehenden Zuständen, als solches erhalten, und nur seine Form ändert sich; bei Platonios dagegen gibt die Mese durch den Wechsel in den Sujets

2. Antike und byzantinische B e z e u g u n g e n der Mittleren K o m ö d i e

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und das Weglassen der Chorgesänge das έλέγχειν der Bürger nahezu völlig auf. Platonios und der Verfasser des Dionysios-Thrax-Kommentars reden also im Grunde von zwei recht verschiedenen Arten von Komödie, die sie beide als μέση bezeichnen. Macht man sich diesen Unterschied klar, läßt sich vielleicht eher verstehen, wie in dieser anderen Auffassung der Mese ein Dichter wie Piaton, der das politische έλέγχειν genauso betrieb wie seine zeitgenössischen Kollegen, der Inbegriff dieser Mittleren Komödie werden konnte; 2 2 es wird auch leichter verständlich, wieso in diesem Text Eupolis und Aristophanes mit einem Teil ihres Schaffens noch der παλαιά und mit dem anderen bereits der μέση angehören können, da παλαιά und μέση in dieser Sehweise durch ein (wenn auch modifiziertes) έλέγχειν miteinander verbunden sind; andernfalls könnte gerade Eupolis als einer der wichtigsten Exponenten der politischen Komödie unmöglich ein Teilhaber der Mese werden. 2 3 In Platonios' Darstellung war das nicht möglich, und so beendete bei ihm folgerichtig Eupolis' Tod die Phase der politischen Komödienkritik; durch den Begriff des (sich ändernden, aber nicht verschwindenden) έλέγχειν aber wird die in späteren Texten stattfindende gänzliche Verschiebung des Eupolis, Aristophanes und sogar des Kratinos in die zweite Komödienphase hier im Dionysios-Thrax-Kommentar vorbereitet. Auch beim Übergang von der μέση zur νέα ist der Autor seinem Schema treugeblieben: Da die moralische Depravation der Regierenden weiter fortgeschritten sei, hätten sie schließlich auch das αίνιγματωδώς έλέγχειν offiziell verboten, und Übriggeblieben sei nur der Spott επί δούλων ή ξένων. Auch in dieser dritten Phase also versucht der Autor den Komödienwandel noch mithilfe des έλέγχειν zu erfassen; aber dessen allein noch übriggebliebene Objekte, Sklaven und Fremde, 2 4 haben mit

22

E s bleibt allerdings die Schwierigkeit, daß die Stücke Piatons, in deren Titeln zeitgenössische Politiker direkt genannt sind (o. S. 35), u n m ö g l i c h einem α ί ν ι γ μ α τ ω δ ώ ς έ λ έ γ χ ε ι ν zugerechnet werden können. D o c h entstand diese Schwierigkeit f ü r den D i o n y s i o s T h r a x - K o m m e n t a r vielleicht gar nicht, weil er keine Stücktitel Piatons mehr kannte.

23

Vgl. Proleg. III p. 9 , 3 4 f . K o s t e r ( = E u p . test. 2 Κ . - Α . ) π ο λ ύ ... λ ο ί δ ο ρ ο ν και σκαιόν έττιφαίνει; Pers. 1,124 iratum Eupoliden ( = test. 24 K . - A . ) , u n d darin wird er nicht nur hier, sondern auch in der A r i s t o p h a n e s - V i t a (Ar. test. 1,3 — 4 K . - A . = E u p . test. 42 K . A . = Cratin. test. 25 K . - A . ) a u f g r u n d seiner heftigen β λ α σ φ η μ ί α mit K r a t i n o s zusammengebracht. Platonios d a g e g e n betont in Περί διαφοράς χ α ρ α κ τ ή ρ ω ν u m g e k e h r t gerade das χαρίεν des E u p o l i s g e g e n ü b e r d e m τπκρόν des K r a t i n o s (p. 6,8 ff. K o s t e r = E u p . test. 34 K . - A . ) .

24

Wie kam es zu der eigenartigen B e s c h r ä n k u n g des έ λ έ γ χ ε ι ν auf δ ο ϋ λ ο ι u n d ξένοι? Bei Piaton Legg. V I I 816e heißt es, niemand, der um den Besitz der ά ρ ε τ ή b e m ü h t sei, d ü r f e γ ε λ ο ί α veranstalten, sondern es sei n o t w e n d i g , δούλοι? ... τ ά τ ο ι α ύ τ α και ξένοι? έμμίσβοΐξ ττροστάττειν μιμεΐσθαι. In irgendeiner F o r m scheint dies der B e s c h r ä n k u n g des K o m ö dienspotts in der dritten E p o c h e oder νέα in mehreren K o m ö d i e n p r o l e g o m e n a und zuerst hier bei dem D i o n y s i o s - T h r a x - K o m m e n t a t o r zugrundezuliegen.

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I. Einleitung

dem ursprünglichen Komödien-ελεγχος, der eine moralisch-politische Besserungsmaßnahme sein sollte, nichts mehr zu tun; 25 das Prinzip des έλέγχειν wird damit nicht nur dem Inhalt der Nea, wie wir sie kennen, in keiner Weise gerecht, es führt sich auch selbst ad absurdum. Das Problem des chronologischen Anschlusses der νέα an die μέση, das schon bei Platonios auftauchte, hat auch der Verfasser des Dionysios-Thrax-Kommentars nicht gelöst, da er als Dichter der π α λ α ι ά neben Susarion und (zum Teil) Aristophanes und Eupolis vor allem Kratinos, als Dichter der μέση hauptsächlich Piaton, als Dichter der νέα schließlich Menander aufführt; zwischen Piaton und Menander ist die zeitliche Lücke kaum geringer als zwischen Aristophanes und Menander. Inhaltlich eng verwandt mit dem Dionysios-Thrax-Kommentar und lediglich in der Nomenklatur etwas abweichend sind die Komödienprolegomena IV Koster: Sie enthalten die gleiche Vorgeschichte der Komödie und das gleiche daran anschließende Drei-Phasen-Schema, das auch in sich durch das gleiche Prinzip gegliedert ist, nur spricht dieser Text von σ κ ώ π τ ε ι ν und κωμωδεΐν statt von ελέγχειν, außerdem von π ρ ώ τ η , δευτέρα und τρίτη κωμωδία statt von π α λ α ι ά , μέση und νέα. Susarion als Begründer der ersten Komödienphase und Kratinos als ihr Hauptvertreter sind unter den Tisch gefallen, statt dessen sind jetzt Aristophanes und Eupolis ohne Einschränkung die Vertreter dieser ersten Epoche, Piaton der der zweiten und Menander der der dritten; die Dichter-Übersicht des Dionysios-Thrax-Kommentars war differenzierter. Diejenigen, die durch ihre Verbote die Komödie zweimal einschränken, heißen in den Proleg. IV nicht mehr nur άρχοντες, sondern auch ένδοξοι und πλούσιοι; und die Objekte der dritten, am stärksten eingeschränkten Komödienform sind nicht ξένοι und δούλοι, sondern ξένοι und π τ ω χ ο ί . Das Erscheinen der πλούσιοι und π τ ω χ ο ί in diesem Text verrät eine gewisse Verschiebung der Betrachtungsweise (eine unwillkürliche Annäherung an byzantinische Verhältnisse, wo δούλοι weniger sichtbar waren als πτωχοί?), im übrigen aber bietet der Text nichts Neues, sondern durch seine Vereinfachungen nur noch eine weitere Entfernung von der einstigen historischen Realität. Im gleichen Traditionsrahmen wie die Dionysios-Thrax-Scholien und die Proleg. IV Koster bewegt sich auch die Darstellung der dreistufigen Komödienentwicklung, die im 12. Jh. Johannes Tzetzes in seinen ersten Prolegomena zu den Stücken des Aristophanes gegeben hat (XIal p. 26,68 — 27,105 Koster); allerdings gingen seine Quellen gelegentlich über das hinaus, was die beiden zuletzt behandelten Texte zu bieten haben, einmal sogar über das, was sich bei Platonios findet; so ist bei dem Byzantiner ein eigenartiges Konglomerat entstanden, in dem die Dichter 25

Vgl. Kaibel 1898, 48 („der unglückliche Apriorismus, dass die Komödie ein Spottgedicht geblieben sei bis ans Ende"); Prescott 1917, 406 f.; Legrand 1910, 10.

2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren K o m ö d i e

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den einzelnen Epochen erneut anders als in den Texten zuvor zugewiesen sind. Tzetzes' Darstellung der Komödiengeschichte zerfallt in zwei Teile, einen schematisch-theoretischen (p. 26,68 — 77) und einen „biographischen" (p. 26,78 — 27,105), in dem von den Dichtern die Rede ist, die für die drei Epochen maßgeblich waren. Die Teile sind nicht völlig miteinander harmonisiert, wie die je verschiedene Benennung der drei Komödienphasen zeigt: Im zweiten Abschnitt spricht Tzetzes wie die Proleg. IV von der πρώτη, δευτέρα und τρίτη κωμωδία, im ersten verwendet er eine MischNomenklatur, in der zum Teil die Terminologie des Dionysios-ThraxKommentators noch durchscheint: Die erste Komödienphase nennt Tzetzes auch hier πρώτη; 2 6 die zweite dagegen heißt zuerst μέση (Ζ. 69) und dann μέση και δευτέρα (Ζ. 70 f.), die dritte zunächst υστέρα (Ζ. 69), später τρίτη και υστέρα (Ζ. 74), aber nirgends νέα — eine Eigenwilligkeit des Tzetzes? Auch bei der Charakterisierung der einzelnen Epochen hat er möglicherweise eigene Ausdrücke verwendet; jedenfalls ist er der einzige, 27 der bei der zweiten Komödienphase nicht vom αίνιγματωδώς, sondern vom συμβολικώς (oder συμβολικωτέρως) σκώπτειν spricht. Die Darstellung dieser zweiten Phase ist gegenüber den beiden zuvor besprochenen Texten um eine Erläuterung der συμβολικά σκώμματα an einem Beispiel erweitert, das Aristophanes' Wespen (15 — 19) entnommen ist, einem für uns fraglos der Alten Komödie zuzurechnenden Stück; das deutet schon an, welcher Komödienepoche Tzetzes im biographischen Teil (p. 26,78 ff.) den Aristophanes zurechnen wird. Sonst aber stimmt er in der Sache, der starr-schematischen Einteilung der Komödienentwicklung nach Art und Weise des σκώπτειν, völlig mit dem Dionysios-Thrax-Kommentar und Proleg. IV Koster überein; in der Bezeichnung der Objekte des Spotts in der dritten Komödienphase (κατά δούλων και ξένων) geht Tzetzes zusammen mit den Dionysios-Thrax-Scholien, nicht mit Proleg. IV (ξένους και πτωχούς). 28 Erheblich stärker mit Erweiterungen durchsetzt (im Vergleich zu den beiden zuvor besprochenen Texten) ist der „biographische" Teil von Tzetzes' Abriß der Komödienentwicklung. Nicht immer erwecken diese Erweiterungen Vertrauen: Um die angeblichen Susarion-Verse, die schon in den Dionysios-Thrax-Scholien und auch bei Diomedes (vgl. u. S. 54) als das erste Vers-Zeugnis griechischer Komödie präsentiert werden, rankt 26

27

28

Er scheint dieses Wort wie einen festliegenden und allgemein bekannten Terminus zu verwenden (p. 26,68 της ... κωμωδίας της καλούμενης πρώτης). Abgesehen v o m zweiten Cramerschen Anonymus ( X I c Koster), der auf Tzetzes zurückgeht und daher hier nicht als unabhängiger Zeuge in Betracht kommt (vgl. u. S. 41). Im ersten Cramerschen Anonymus ( X l b Koster) sind die Gruppen, denen der Spott der Nea gegolten haben soll, aus Proleg. IV und den Dionysios-Thrax-Scholien miteinander kontaminiert: p. 40,35 ή ... νέα, ή έπϊ ξένων ή δούλων ή π τ ω χ ώ ν .

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I. Einleitung

sich bei Tzetzes die Geschichte vom armen Ehemann, den seine Frau verlassen hat und der dann beim öffentlichen Auftritt im Theater in den R u f κακόν γυναίκες ausbricht. 2 9 Die so beginnende erste Komödienphase währt bei Tzetzes μέχρις Εύττόλιδος (p. 27,88) und endet mit einer weiteren anekdotischen Erzählung, der von der Rache des Alkibiades an Eupolis für dessen Spott. Diese Geschichte hatte auch Platonios angeführt (vgl. o. S. 32), allerdings ohne Alkibiades zu nennen, und er kannte auch nur eine Version, die von Eupolis' Tod. In Tzetzes' Quellen dagegen war offenbar noch eine Reminiszenz an die Kritik des Eratosthenes an dieser Geschichte (vgl. u. S. 178 f.) zu finden; so präsentiert Tzetzes auch die Variante, derzufolge Eupolis damals nicht ums Leben kam und selbst zum Teil noch der zweiten Komödienepoche angehörte, wie man dies auch aus der Darstellung des Dionysios-Thrax-Kommentars erschließen kann. Bei Tzetzes ist allerdings nur noch Eupolis sowohl in der ersten als auch in der zweiten Komödienphase tätig; alle anderen Dichter der Archaia, Aristophanes, Pherekrates, Piaton, sogar Kratinos, der beim Dionysios-ThraxScholiasten der Hauptvertreter der Alten Komödie war (in Proleg. I V freilich gar nicht mehr auftauchte, was Tzetzes die Verschiebung erleichtert haben mag), gehören jetzt der δευτέρα κωμωδία an. Von den bisher behandelten Texten ist der des Tzetzes auch der einzige, der die Beschränkung der Komödienfreiheit explizit auf ein Psephisma, das Alkibiades initiiert habe, zurückführt. Wieviel von dieser Nachricht zu halten ist, ist eine andere Frage; 3 0 denn Tzetzes' Geschichte von der Maßregelung des Eupolis bleibt bei allem anekdotischen Drum und Dran so vage, daß nicht einmal recht klar wird, daß der Dichter sich in der Komödie Βάπται über Alkibiades lustig machte; 31 man könnte sogar meinen, Eupolis habe seinen Spott erst mitten auf der athenischen Flotte getrieben, die Alkibiades 25

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31

Susarion test. 8a K.-A. Auch bei Johannes Diaconus ( X l X a p. 76, 9—12 Koster = Susar. test. 7 K.-A.) sind die Verse in Zusammenhang mit der Frau gebracht, aber nicht weil sie ihn schnöde verlassen habe, sondern weil sie kurz vor den Dionysien gestorben sei. Vielleicht brachte erst Tzetzes selbst das Psephisma und Alkibiades zusammen; vgl. o. Anm. 14. Nur in der Alkibiades hier in den Mund gelegten wörtlichen Rede wird angedeutet, daß die Vergeltungsmaßnahme sich gegen die Βάπται richtete: βάτττε με συ θυμέλαΐζ, εγώ δέ σε κατακλύσω ΰδασιν άλμυρωτάτοις (ρ. 27,94 f. Koster). Schon Nauck wies darauf hin, daß dies wahrscheinlich aus einem Aristides-Scholion (III p. 444,22 — 29 Dindorf = X X b Koster = Eup. Bcnrr. test, iii K.-A.) stammt, wo Alkibiades in einem Distichon spricht: βάτττες μ' iv θυμέλησιν, εγώ δέ σε κύμασι ττόντου βατττίζωυ όλέσω νάμασι τηκροτάτοιζ. Auch in dem Aristides-Scholion ist der Name des Eupolis-Stücks selbst nicht angeführt; Tzetzes braucht ihn also gar nicht gekannt zu haben. Es ist aber auch möglich, daß er nicht auf das Stück verweist, weil er die Situation, in der Eupolis den Alkibiades beleidigte, ganz anders darstellt (nicht im Theater, sondern auf dem Meer bei der Flotte, vgl. o. im Text). Dann paßt in Alkibiades' Antwort freilich die Angabe θυμέλαις nicht.

2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren Komödie

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kommandierte, und dieser habe dann kurzerhand den Dichter dafür gehörig Meerwasser schlucken lassen. Woher stammt dieses von Tzetzes offenbar gern nacherzählte anekdotische Beiwerk? Der Hinweis auf das Psephisma fügt sich gut zu der peripatetischen Tradition, daß gesetzliche Einschränkung das Verschwinden der Alten Komödie bewirkte (vgl. Hör. AP 283 f.), und auch sonst sieht die Betonung des Biographischen in Tzetzes' Darstellung nach ursprünglich peripatetischen Quellen aus. Als Vertreter der dritten Komödienepoche kennt Tzetzes neben Menander auch Philemon, nicht jedoch Diphilos. Den zusätzlichen Namen könnte Tzetzes aus der gleichen Quelle wie der Aristophanes-Bios haben, der gleichfalls Menander und Philemon als einzige νέοι κωμικοί nennt und niemand sonst (Ar. test. 1,6. 46 K.-A.). In seinen στίχοι περί διαφοράς ποιητών hat Tzetzes fast das gleiche Bild von der Komödienentwicklung gezeichnet ( X X I a p. 87,78 — 88,87 Koster: πρώτη κωμωδία - Ικφανής ψόγος; μέση/δευτέρα — ψόγος κεκρυμμένος; ύστερα/τρίτη — ψόγος κεκρυμμένος nur noch κατά δούλων και ξένων και βαρβάρων), mit dem kleinen Unterschied, daß hier nun auch Eupolis ganz zur μέση/δευτέρα gerechnet ist. Die beiden Cramerschen Anonymi (Xlb und X I c Koster), die Kaibel (1898, 4) noch für Jugendschriften des Tzetzes selbst hielt und unter den Siglen Pa und Pb in seiner Edition der Komödienprolegomena erscheinen ließ, brauchen hier nicht näher betrachtet zu werden, da sie sich als Kompilationen ohne eigenen Quellenwert erwiesen haben: 32 Anonymus I (Xlb Koster) ist in seinem ersten Teil (p. 39,1—40,42) eine Verschmelzung der — ohnehin miteinander nah verwandten (vgl. o. S. 38) - Texte des Dionysios-Thrax-Kommentators (XVIIIa p. 70,1—72,49 Koster) und der Proleg. IV (p. 11,1 — 12,20 Koster), nebst einigen weiteren sich mit der Komödie befassenden Passagen aus den Dionysios-ThraxScholien (Definition der Komödie: X l b p. 4 0 , 4 3 - 4 1 , 4 4 = XVIIIb4 p. 74,2 — 4 Koster; Unterschied zwischen Tragödie und Komödie: X l b p. 41,44 — 47 = X V I I I b l p. 7 2 , 8 - 1 0 Koster) mit dem Schlußsatz aus Proleg. IV (Xlb p. 4 1 , 4 7 - 4 8 = IV p. 1 2 , 2 0 - 2 2 Koster). In seinem zweiten Teil hat der Anonymus nach der Überleitungsformel και πάλιν καθ' έτέραν διαίρεσιν dann Proleg. V ( X l b p. 4 1 , 4 9 - 6 6 i V p . 1 3 , 1 - 1 4 , 2 2 Koster) und Proleg. VI (Xlb p. 4 1 , 6 7 - 4 2 , 8 0 ^ VI p. 1 5 , 1 - 1 6 , 1 3 Koster) ausgeschrieben. Der zweite Cramersche Anonymus (XIc Koster) stoppelt lediglich Stücke aus den beiden Aristophanes-Prolegomena des Tzetzes selbst (XIal und X I a l l Koster) zusammen. Der letzte in der Reihe der die Komödienentwicklung „politisch" betrachtenden Texte ist der Traktat De fabula des Euanthius, der als wichtigstes Gliederungsmoment für die Epocheneinteilung der Komödie

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Vgl. Koster (1975) p. X X X I - X X X I V .

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I. Einleitung

ebenfalls einen zweimaligen staatlichen Eingriff in die Komödienfreiheit herausstellt (p. 124,55-57; p. 124,62-125,69 Koster). Wie bei dem Dionysios-Thrax-Kommentator und Proleg. IV wird der freie politische Komödienspott (p. 124,50 denominatio civium, de quibus libere describebatur ... 52 res gestae a civibus palam cum eorum saepe, qui gesserant, nomine decantabantur) zunächst als großer Nutzen für das Staatswesen dargestellt (p. 124,53 idque ipsum suo tempore moribus multum profuit civitatis, cum unus quisque caveret culpam, ne spectaculo ceteris exstitisset et domestico probro); bei der Begründung aber, weshalb diese Verspottung έπ' ονόματος durch die αρχαία κωμωδία (beide griechischen Begriffe fallen im Text: p. 124,48. 49) verboten worden sei, weicht Euanthius scharf von den Aussagen des Dionysios-ThraxKommentars und der Proleg. IV ab: nicht weil die Herrschenden und Reichen es nicht mehr ertrugen, ihre zunehmende moralische Depravation auf der Bühne gegeißelt zu sehen, sondern weil die Dichter die ihnen gewährte Freiheit mißbrauchten: cum poetae licentius abuti stilo et passim laedere ex libidine coepissent plures bonos, ne quisquam in alterum carmen infame componeret lata lege siluerunt (p. 124,55 — 57). Das entspricht genau dem, was schon Horaz in der Ars Poetica zum Ende der Alten Komödie bemerkt (282 — 284), und dürfte alte peripatetische Lehre wiedergeben. Einen ähnlich soliden Eindruck machen bei Euanthius die Begriffserklärungen zu κωμωδία (p. 123,14—16) und τ ρ α γ ω δ ί α (p. 122,4—10), die in allen wichtigen Punkten mit den entsprechenden Teilen der Proleg. III Koster übereinstimmen, einem der zuverlässigsten theoretischen Texte über die Komödie (vgl. u. S. 46 f.). Euanthius ist bei seiner Charakterisierung der Alten und der Neuen Komödie, die er auch mit ihren griechischen Termini (p. 124,48 άρχαία, vgl. p. 123,24 comoediae veteris·, p. 125,68 und 74 νέα) bezeichnet, meilenweit von dem dürren Schematismus der DionysiosThrax-Scholien und Proleg. IV entfernt und viel näher an dem aus den erhaltenen Stücken und Fragmenten noch zu gewinnenden Bild von diesen beiden Komödienepochen. Die Alte Komödie ist für ihn nach guter antiker Auffassung die des Eupolis, Kratinos, Aristophanes, die νέα κωμωδία verbindet er auf griechischer Seite mit dem Namen Menander; 33 Euanthius kennt keine Verschiebung der drei Archegeten der Alten Komödie in eine zweite Phase und ebensowenig eine mit dem Namen Susarion verbundene Anfangsphase der Komödie. Angesichts so vieler Hinweise auf gute und noch kaum entstellte Kenntnisse über die Alte und Neue Komödie nimmt es sich umso seltsamer aus, daß Euanthius der zwischen diesen beiden liegenden Epoche den — in diesem Zusammenhang höchst verwunderlichen — Namen „Satyra" 33

Euanthius' Ausblicke auf (tatsächlich oder vermeintlich) parallele Erscheinungen in der römischen Literatur (ζ. B. wird p. 125,74 f. neben Menander Terenz genannt) können hier auf sich beruhen bleiben.

2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren Komödie

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gibt (p. 124,58). Zwar fällt am Ende der Behandlung der „Satyra" auch der Name des römischen Satirendichters Lucilius (p. 125,65), doch spricht Euanthius ausdrücklich von einem genus comoediae (p. 124,62 f.), 34 und es gibt Anzeichen dafür, daß in „Satyra" doch ein entfernter Anklang an die Mittlere Komödie stecken könnte: Euanthius leitet den Begriff von den Satyrn ab (p. 124,59) und weist andere Etymologien zurück (p. 124,60 alii ... aliunde prave); mit den Satyrn aber geraten wir ins Satyrspiel, das auf der attischen Bühne im Anschluß an eine Tragödientrilogie geboten zu werden pflegte, bei den Griechen einfach σάτυροι hieß (vgl. die von Euanthius hergestellte Verbindung satyra — satyri) und stets eine Mythentravestie war. Kann es sein, daß sich hinter „Satyra" bei Euanthius noch ein Bezug auf die in der Mittleren Komödie häufige Travestierung des Mythos (vgl. u. S. 188 ff.) verbirgt? 35 Vielleicht hatte eine der griechischen Quellen des Euanthius diese Mythentravestie mit der des „tragischen" Satyrspiels verglichen, und Euanthius bietet uns davon einen bis zur Unkenntlichkeit verkürzten Reflex. Noch ein Hinweis darauf, daß „Satyra" hier wirklich als Komödienform verstanden wird, ist der Satz eiusmodi fuit, ut in ea quamvis duro et velut agresti ioco de vitiis civium, tarnen sine ullo proprii nominis titulo, carmen esset (p. 124,61 f.); das erinnert an das αίνιγματωδώς ελέγχει ν/σκώτττειν des Dionysios-Thrax-Kommentators bzw. der Proleg. IV,36 und so wie dort beschreibt auch Euanthius die Entwicklung, die zum Verschwinden seiner „Satyra" zugunsten der νέα κωμωδία führt: quod item genus comoediae multis o f f u i t poetis, cum in suspicionem potentibus civibus venissent illorum facta descripsisse in peius ac deformasse genus stilo carminis ... hoc igitur quod supra diximus malo coacti omittere satyram aliud genus carminis, νέαν κωμωδίαν ... repperere poetae ... (p. 124,62—125,69). Euanthius fügt noch eine kurze Skizze der Entwicklung der Rolle des Komödienchores an (p. 125,78 — 85), die trotz ihrer Knappheit der Darstellung des Platonios darin überlegen ist, daß Euanthius von einem paulatim atterere atque extenuare der Chorrolle spricht (vgl. p. 125,79), was von dem uns noch zugänglichen Material durchaus bestätigt wird, und 34

35

36

Im Scholion zu Pers. 1,123 wird der Begriff satirographus geradezu für den Komödiendichter gebraucht: dicit ... Aristophanem praegrandem (Ar. test. 63 K.-A.), quia nulius eum poeta satirographus antecedit. Kaibel (1898, 51 f.) versucht, die Gleichsetzung von Satyrspiel und mittlerer Komödie dadurch zu erklären, daß das Satyrspiel in manchen Quellen (ζ. B. Demetr. eloc. 169, Tzetzes π . διαφ. ττοιητ. XXIa p. 87,60 Koster) als Mittelding zwischen Tragödie und Komödie dargestellt wurde; vielleicht habe so auch jemand „das Satyrdrama ... für ein Mittelding zwischen der alten τ ρ υ γ ω δ ί α [als die Aristophanes seine Komödie ζ. B. Ach. 499 und 500 bezeichnet] und der neuen κ ω μ ω δ ί α gehalten" (51), wobei τ ρ υ γ ω δ ί α und τ ρ α γ ω δ ί α gleichgesetzt worden wären (vgl. u. Anm. 42). Vielleicht bietet der Tractatus Coislinianus eine parallele Sichtweise: die μέση als Mittelding zwischen γ ε λ ο ΐ ο ν und σεμνόυ. Vgl. zu „Satyra" auch Cupaiuolo (1979) 171 f. mit weiteren Literaturhinweisen. Vgl. Cupaiuolo (1979) 47 und die dort in Anm. 90 und 91 angegebene Literatur.

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I. Einleitung

den Chor nicht einfach mit dem Umschlag Archaia — Mese abrupt verschwinden läßt. 37 Trotz mancher Eigentümlichkeiten beschreibt Euanthius insgesamt die uns noch erkennbaren Vorgänge der Komödienentwicklung adäquater als alle hier bisher behandelten griechischen Texte. Freilich kennt auch er bereits keinen Dichter mehr aus der Zeit zwischen Aristophanes und Menander, und auch bei ihm beginnt die Vorstellung von der sukzessive eingeschränkten Komödienfreiheit, die an der Gattung nur den politischen Spott und sein schrittweises Verschwinden für wichtig nimmt und schließlich zu den Erklärungsskeletten der griechischen Prolegomena führt, erste Deformationen hervorzurufen. In den bis hierher betrachteten Texten unterliegt die Betrachtung der Komödienentwicklung Prinzipien, die bereits bei Aristoteles zu finden sind. Ganz allgemein ist die kausale Verknüpfung von literarischer und politischer Entwicklung eine charakteristisch aristotelische Sichtweise (vgl. u. S. 166); darüber hinaus aber hat Aristoteles auch wesentliche Einzelheiten der Darstellung der Komödienentwicklung, wie sie in den späten Prolegomena und bei Euanthius dargestellt wird, vorweggenommen: Die Uranfänge der Komödie, die sich in diesen Texten aus nächtlichen „Rügeliedern" herumziehender von den Städtern malträtierter Dorfbewohner entwickelt haben soll, finden sich in nuce schon in der aristotelischen Poetik (3 p. 1448a37f. ώς κωμωδούς ούκ άττό τοϋ κωμάζειν λεχθέντας άλλά ττ) κατά κώμας πλάνη άτιμαζομένους έκ του άστεως). 38 Auch der in diesen Texten als das hauptsächliche Unterscheidungsmerkmal der drei Komödienepochen hervortretende zweimal eingeschränkte (erst offene, dann verhüllte und schließlich nur noch bei δοΰλοι und ξένοι erlaubte) Komödien-yoyos oder -ελεγχος geht auf eine Feststellung des Aristoteles zurück: In EN IV 14 p. 1128a22 —24 unterscheidet Aristoteles παλαιαΐ κωμωδίαι mit der für sie charakteristischen αισχρολογία und καιναϊ κωμωδίαι mit ihrer verhüllten ύττόνοια; das entspricht dem άκωλύτως/ φανερώς bzw. αϊνιγματωδώς/κεκρυμμένως σκώπτειν/έλέγχειν/κωμωδεϊν der Komödien-Prolegomena, die aber darüber hinaus noch eine dritte Form des Komödien-ψόγος (nämlich επί δούλων και ξένων) anhängen, um das bei Aristoteles angedeutete Zweierschema auf ein Dreierschema übertragen zu können, das Aristoteles noch nicht kannte, weil er die Neue Komödie Menanders nicht mehr erlebte; allerdings wurde diese dritte 37

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Zur Entwicklung der Chorrolle beim „ultimo Aristofane" und darüber hinaus vgl. Perusino (1987) 64 ff., die allerdings glaubt, Platonios habe mit seinen Worten genau diese Reduktion des Chores, nicht sein völliges Verschwinden gemeint. Auch im Maskenabschnitt des Platonios könnten aristotelische Reminiszenzen vorliegen: p. 5,60 τ ά προσωπεία πρό$ τό γελοιότερου έδημιούργησαν — Poet. 4 p. 1448b37 ού ψόγου άλλά τό γελοίου δ ρ α μ α τ ο π ο ι ή σ ω und ρ. 6,65 έξεστραμμέυου τ ό στόμα — Poet. 5 p. 1449a36 τό γελοίου π ρ ό σ ω π ο υ αίσχρόυ τι και διεστραμμέυου (Hinweise von R. Kassel).

2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren Komödie

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Komödienepoche damit in ein Schema gepreßt, in das sie (nach allem, was wir von ihr kennen) überhaupt nicht paßte. Für den, der das tat, mußte die Komödiendreiteilung bereits eine unumstößliche Größe und Menander ein epochemachender Autor sein (Menander taucht ja auch in allen bisher besprochenen Texten als der Hauptvertreter der dritten Komödienepoche auf), er mußte auf der anderen Seite aber auch in deutlich peripatetischer Tradition stehen, sonst hätte er nicht so sehr auch dort an Gedanken des Aristoteles festgehalten, wo sie sich nicht mehr sinnvoll applizieren ließen; und drittens mußte er in einer bereits recht späten Zeit leben, als das ursprüngliche Mittelstück der dreiteiligen Entwicklung, die Komödie zwischen 380 und 320 v. Chr. schon in Vergessenheit geraten war. 39 Auf einen solchen Mann müssen die bisher besprochenen Texte wesentlich zurückgehen (Platonios und Euanthius dabei mit gewissen Abstrichen: auch sie kennen die Komödie zwischen Aristophanes und Menander nicht mehr, haben aber von den beiden anderen Perioden noch etwas differenziertere Kenntnisse als die übrigen Texte). Neben der Auffassung der Komödie als einer eminent politischen Erscheinung tritt in anderen Texten eine Tradition zutage, die die Komödie ganz anders, nämlich ausschließlich als Produkt des kulturell-künstlerischen Lebens der Menschen betrachtet. Der beste Zeuge für diese ästhetisch-literarhistorische Sichtweise sind die anonymen Komödienprolegomena III Koster; eine Sichtung ihres Inhalts zeigt, wie fundamental sie sich von den bisher betrachteten Komödiendarstellungen unterscheiden. Wie die Texte der anderen Tradition kennen auch die Proleg. III den Namen des Susarion als den des π ρ ώ τ ο ς εύρετής der Komödie; aber sie konstatieren dies nicht einfach, sondern stellen es vorsichtiger lediglich als die allgemein vertretene Ansicht hin (p. 7,1 Koster: εύρήσθαί φασιν), und sie bemerken weder etwas über Susarions erstes Auftreten (das vor allem bei Tzetzes breit anekdotisch ausgesponnen wird), noch zitieren sie seine 39

Vgl. Bergk (1887) 15, der betont, daß „die Dichter der mittleren Komödie sich mit dem augenblicklichen Erfolge begnügen mußten. Ihre Dramen verschwanden alsbald von der Bühne, ja sie fanden nicht einmal jenen gewählten Leserkreis wie die Stücke der Alten Komödie." Die dürre Schematisierung, in der die Komödiendreiteilung von den byzantinischen Prolegomena mehr schlecht als recht präsentiert wird, beweist weniger, daß diese Dreiteilung spät ist, als daß man nicht mehr weiß, wie man sie sinnvoll füllen soll, um jeden Preis aber an ihr (als kanonisch) festzuhalten bemüht ist; daß dabei in den meisten Traktaten zwischen Aristophanes (bzw. Piaton) und Menander eine große Lücke klafft und man zusätzlich zu den durch diese Dichter vertretenen zwei Epochen zu dem nebulösen Susarion greifen mußte, um einen εϋρετήξ der Komödie und schließlich sogar eine weitere ( = erste) Komödienepoche zu bekommen, um die Dreizahl vollzumachen, zeigt die Verlegenheit, in der sich die späten Verfasser dieser Traktate befanden: das Wenige, was sie von der attischen Komödienentwicklung noch wußten, hätte sie zu einer Zweiteilung veranlassen müssen; aber gerade diesen Schritt wagten sie nicht.

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I. Einleitung

angeblichen Verse; hier zeigt sich eine kritische Grundhaltung, die all das fortgelassen zu haben scheint, was sich nicht verifizieren ließ. 40 Es folgt die Erklärung des Begriffs κωμωδία, die nicht wie der Dionysios-ThraxKommentator, Proleg. IV und Tzetzes von κώμη oder κώμα, sondern wie Euanthius ( X X V I p. 123,14—16 Koster, vgl. o. S. 42) von κώμη und κωμάζω ausgeht, und selbst der hier wie dort auftauchende Begriff κώμη ist in Proleg. III Kristallisationspunkt einer völlig anderen, nämlich völlig unpolitischen Urgeschichte der Komödie: Hier ziehen keine Dörfler vor die Häuser ihrer städtischen Peiniger, um ihrem Unmut Luft zu machen, sondern veranstalten Umzüge mit Gesangs- und anderen Darbietungen, als es noch gar keine Städte gibt (p. 7,2); die dieser ersten Erklärung gegenüberstehende zweite, von κωμάζω abgeleitete, zeichnet ein ähnlich friedlich-unpolitisches Bild festlichen Treibens einer noch frühen Zeit (p. 7,4f.: έπε! έν ταΐς όδοΐς έκώμαζον). Κώμη wie κωμάζω spielen bereits in den Erörterungen der aristotelischen Poetik zur Herkunft der Komödie eine Rolle (3 p. 1448a29 —38), sind dort aber in der Argumentation durchaus anders verwendet, 41 was zeigt, daß der Verfasser der Proleg. III zwar schon bei Aristoteles zu findendes Material benutzt, dieses aber eigenständig akzentuiert. Auch für den Begriff τ ρ υ γ φ δ ί α ( = Komödie) werden in Proleg. III zwei Erklärungen geboten (genauso in Schol. Ar. Ach. 499); sie stimmen mit Aussagen überein, die sich bei Euanthius innerhalb der Erklärung des Begriffs τραγωδία finden (p. 122,7 — 9), ohne 40

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„Nennenswerth ist wohl auch die reservierte Art, wie im Eingang Susarions und der Anfänge Erwähnung geschieht, ... verglichen mit der apodiktischen Sprache der Dionysscholien und der weiteren Spätlinge bis auf Tzetzes herab ..." (Mekler 1900, 42). Der Hinweis in Proleg. III p. 7,3 f. Koster μή κώμας καλεΐσθαι παρά 'Αθηναίοι;, άλλά δήμους ist geradezu ein Zitat aus Aristoteles' Poetik (3 p. 1448a35 —37 αύτοϊ [seil, oi Δωριείς] γάρ κώμας τάς περιοικίδας καλεΐν φασιν, 'Αθηναίους δέ δήμους), aber die beiden Texte setzen diese Beobachtung als Argument ganz verschieden ein: Bei Aristoteles ist sie einer der von Dorern angeführten Beweise für den Anspruch, nicht die Athener, sondern sie hätten Tragödie und Komödie erfunden; im Zuge dieser Beweisführung wird auch die (man muß sich wohl hinzudenken: von den Athenern behauptete) Herleitung der Komödie von κωμάζειν abgelehnt und als einzig richtige Etymologie die von κώμη ausgehende betont. In den Proleg. III dagegen ist von einer Kontroverse zwischen Athenern und Dorern nicht mehr die Rede (deshalb fehlt hier das in der Poetik ausgeführte andere sprachliche Argument mit dem dorischen δραν und dem attischen πράττειν), vielmehr ist hier von vornherein vorausgesetzt, daß die Komödie eine athenische Entwicklung ist (deshalb verlautet auch nichts über Susarions Herkunft, den einige Texte zu einem Megarer machen), und unter dieser Prämisse geht es dann um die Frage, ob man κωμωδία von κώμη oder von κωμάζειν herzuleiten habe. Dabei weisen die Befürworter des κωμάζειν darauf hin, daß κώμη kein attischer Ausdruck ist. Das hatten auch die Dorer bei Aristoteles gesagt, gleichzeitig aber von κωμάζειν nichts wissen wollen, ohne indes diese Ablehnung auch zu begründen; und vielleicht war es das Fehlen einer solchen Begründung (das die Ablehnung willkürlich erscheinen läßt), was den ursprünglichen Autor der Proleg. III dazu veranlaßte, von einem möglichen dorischen Ursprung der Komödie als nicht bewiesen völlig abzusehen.

2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren Komödie

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daß dort über τ ρ υ γ ω δ ί α eine sprachliche Brücke hergestellt würde. 42 Die doppelte Erklärung von τ ρ υ γ ω δ ί α in Proleg. III bietet mehr als das, was sich zu diesem Punkt im Dionysios-Thrax-Kommentar (p. 70,14—15; vgl. XVIIIb2 p. 7 3 , 1 2 - 1 3 Koster) und in Proleg. IV (p. 1 1 , 8 - 1 0 . 20) findet: dort heißt es lediglich, die die unrechttuenden Städter verspottenden Bauern hätten ihr Gesicht mit τρύξ beschmiert, um nicht erkannt und zur Rechenschaft gezogen zu werden; die Proleg. III erwähnen zum einen auch diese Verwendung der τρύξ, jedoch wieder mit unpolitischer Motivation (zum festlichen Mummenschanz; später übernahmen die Masken diese Funktion: p. 7 , 6 - 7 ; vgl. Schol. Dion. Thr. XVIIIb3 p. 74, 11 f. Koster); vorher aber wird die τρύξ noch anders, nämlich als Kampfpreis gedeutet (p. 7,5 f.: διά τ ό τοις εύδοκιμοΰσιν έττΐ τ ω Λ η ν α ί ω γλεύκος δίδοσθαι, όπερ έκάλουν τρύγα). 4 3 Nach diesen knappen, aber sachkundigen Vorbemerkungen folgt als Hauptteil eine Darstellung der „drei Wandlungen" der Komödie (p. 7,7 f. γεγόνασι δέ μεταβολαϊ κωμωδίας τρεις" και ή μεν άρχαία, ή δε νέα, ή δέ μέση), mit deren Ausführlichkeit und Materialreichtum sich keine anderen Prolegomena und verwandten Texte messen können. Auffallig ist vor

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Euanthius p. 122,4 — 10 Koster: „tragoedia" dicebatur vel coro τ ο υ τ ρ ά γ ο υ και της ώδής, hoc est ab hirco hoste vinearum et cantilena, ... vel quod hirco donabatur eins carminis poeta, vel quod uter eius musti plenus sollemne praemium cantatoribus fuerat, vel quod ora sua faecibus perlinebant scaenici ante usum personarum ...; faeces enim graece dicuntur τρύγες. et his quidem causis tragoediae nomen inventum est. Euanthius beginnt mit einer doppelten Etymologie der Tragödie von τράγος und φ δ ή und resümiert am Schluß, auf diese Weise sei die Bezeichnung „Tragödie" entstanden; dazwischen aber bringt er zwei Etymologien, die mit dem Begriff τρύγες weniger die Wortbildung τ ρ α γ ω δ ί α als die bei Euanthius gar nicht vorkommende τ ρ υ γ ω δ ί α erklären (immerhin versucht er in dem dritten Erklärungsversuch, mit uter eius noch eine Anknüpfung an den τράγος herzustellen). Nun wird auch in anderen Texten τ ρ α γ ω δ ί α mit τρύξ oder τρύγες erklärt (Et. magn. s. v. τ ρ α γ ω δ ί α = XVI 1 p. 6 8 , 1 - 3 Koster; Schol. Dion. Thrac. XVIIIb2 p. 73,12 f. = p. 306,28 f. Hilgard und p. 18,4 Hilgard, wo wenigstens ein Versuch gemacht wird, die Wandlung von τ ρ υ γ - zu τ ρ α γ - zu erklären; Johannes Diaconus X l X a p. 76,27 f. Koster — in p. 77,31—37 gehen dann jedoch τ ρ α γ ω δ ί α und τ ρ υ γ ω δ ί α heillos durcheinander; Tzetzes TT. διαφ. ποιητ. XXIa p. 90,120 Koster; vgl. Hör. AP 277); in wieder anderen Texten wird der Begriff τ ρ υ γ ω δ ί α als gemeinsame Vorstufe von τ ρ α γ ω δ ί α und κωμωδία eingeführt (Et. magn. s.v. τ ρ α γ ω δ ί α XVI 1 p. 68,7 — 9 Koster; Proleg. IV p. 12,19f. Koster; vgl. Tzetzes τγ. διαφ. ποιητ. XXIa p. 87,57 Koster). In den ältesten Belegen jedoch (Ar. Ach. 499. 500) jedoch steht τ ρ υ γ ω δ ί α nur als (wohl parodistisch gemeintes) Synonym für Komödie, und nur als solches verstehen es die Proleg. III und das aus guten Quellen schöpfende Dionysios-Thrax-Scholion XVIIIb3 p. 74,11 f. Koster = p. 475,19 f. Hilgard.

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Vgl. Et. magn. s. ν. τ ρ α γ ω δ ί α XVI 1 p. 68,2 — 3 und 9 Koster; Johannes Diaconus X l X a p. 76,27 f. und 30 Koster; Tzetzes tt. διαφ. ποιητ. XXIa p. 90,122 Koster; Tzetzes Proleg. Lycophr. XXIIb p. 112,22 und 113,32 f. Koster. An allen diesen Stellen ist die τρύξ jedoch der Kampfpreis sowohl für Komödie als auch für Tragödie (vgl. o. Anm. 42). Έπϊ τ ω Ληναίω in Proleg. III könnte direkt auf οϋπϊ Ληναίω ά γ ώ ν in Ar. Ach. 504 zurückgehen.

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I. Einleitung

allem die Vielfalt der Zahlenangaben, die alle einen zuverlässigen Eindruck machen: 4 4 Angabe der Zahl der Dichter der jeweiligen Epoche, ebenso der Gesamtzahl der Stücke dieser Epoche, der Stückzahlen der einzelnen Dichter sowie auch des Quantums der ihnen falschlich zugeschriebenen, ferner chronologische Angaben zum Auftreten der Dichter. Nicht alle die genannten Zahlenkategorien finden sich in jedem Abschnitt, was damit zusammenhängen mag, daß auch dieser Text als letzte Station eines uns unbekannten Überlieferungsprozesses offenbar Kürzungen oder mechanischen Textausfällen unterworfen war, die gegen Ende häufiger und umfangreicher werden (Zeichen eines ermüdenden oder in seinem Interesse erlahmenden Epitomators?) 4 5 und nicht nur die Zahlenangaben betroffen haben: Die Abschnitte über Archaia und Mese beginnen mit einer generellen Epochencharakterisierung, die bei der Nea fast völlig fehlt; bei den jeweils folgenden Einzelcharakteristiken der ττοιηταΐ άξιολογώτατοι jeder Epoche haben vor allem Mese und Nea Einbußen erlitten. 46 Aber auch so wird der Charakter dieses Textes noch genügend sichtbar: Die in ihm enthaltenen statistischen Angaben setzen eine umfassende Bestandsaufnahme der attischen Komödie voraus, wie sie nur in einem Archiv oder einer Bibliothek erfolgen konnte, wo die Stücke so vollständig wie möglich gesammelt waren, und da kommen eigentlich nur Alexandria oder Pergamon in Frage. 4 7 Die weitgehend „bibliothekarische" Betrachtungsweise der Proleg. III ist weder bei ihren Bemerkungen zu den Epochen insgesamt noch zu den einzelnen Dichtern auf den politischen Bezugsrahmen der Stücke und ihrer Verfasser eingegangen, und sie hat offensichtlich politische Ereignisse auch nicht als direkte oder indirekte Auslöser des Wandels der Komödienepochen angesehen, sondern (so muß man aus ihrer unterschiedlichen Kennzeichnung der Alten und der Mittleren Komödie schlie-

44 45

Vgl. Mekler (1900) 3 4 - 4 1 . Mekler (1900) 45 sieht in den Proleg. I I I ein „Collegienheft" und macht für die Ausfalle oder Auslassungen verantwortlich, daß bei der Anfertigung nach Diktat „der Nachschreibende ... ins Gedränge kam"; anders sei die Auslassung des Namens des Epicharm und die Plazierung eines Stephanos neben Antiphanes (der Schreibende habe dies aus dem folgenden 'Αντιφάνης ... Στεφάνου herausgehört) nicht gut zu erklären.

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I m Teil über die Archaia fehlt ebenfalls manches: der Name Epicharms (vgl. o. Anm. 45), fast das gesamte Phrynichos-Lemma und etwas aus den Bemerkungen über Aristophanes.

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Gewisse Hinweise auf die Datierung des Textes ergeben sich daraus, daß auch für die Nea bereits eine Zahl von 64 Dichtern genannt ist und von mehreren Archaia-Dichtern bereits Stücke (alle von Magnes) verloren waren; diese Angaben sind kaum vor der Mitte des 3. J h s v. Chr. denkbar und damit jünger als Kallimachos' Katalogisierung der alexandrinischen Bibliothek (vgl. dazu u. S. 172 ff.). Zu den umfassenden Beständen auch an Stücken der Mittleren Komödie in Alexandria und Pergamon vgl. Ath. V I I I 336d —e (wo jemand, der bereits mehr als achthundert Mese-Stücke gelesen haben wollte, in den dortigen Katalogen noch mehr zu finden hoffte).

2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren K o m ö d i e

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ßen) eine im Innern der Kunstform selbst enthaltene Eigendynamik zugrunde gelegt. Nicht einmal bei den „politischsten" Dichtem der Archaia, Kratinos und Eupolis, wird deren Engagement in den zeitgenössischen Fragen der attischen Polis so recht deutlich: Hätten wir von und über Kratinos nur das ihn betreffende Lemma in Proleg. III, kämen wir nicht auf den Gedanken, daß er in seinen Stücken ein scharfer politischer Satiriker war; erst bei Eupolis, dessen λοιδορία immerhin hervorgehoben wird, erfahren wir rückblickend, daß diese λοιδορία ein Erbe des Kratinos war (p. 9,34 f.). Auch bei Aristophanes weist nur die Angabe, er habe seine politischen Stücke durch Kallistratos aufführen lassen (p. 9,38 f.), darauf hin, daß er überhaupt politische Stücke schrieb. Dagegen gewährt der Text „unpolitischen" Dichtern wie Krates und Pherekrates, die bis auf kurze Erwähnungen des Pherekrates bei Tzetzes (p. 27,99 und p. 88,83 Koster, ferner p. 113,40 und 114,14) in allen anderen Prolegomena unter den Tisch gefallen sind, breiten Raum. Die Plazierung der Nicht-λοίδοροι Krates und Pherekrates 48 zwischen die λοίδοροι Kratinos und Eupolis zeigt auch, daß — viel mehr als in den anderen griechischen und lateinischen Äußerungen über die Komödie — für den ursprünglichen Verfasser der Proleg. III die Archaia nicht nur ein Tummelplatz für politischen Spott war, 49 sondern ein sehr viel bunteres und differenzierteres Bild bot; diese Erkenntnis, gewonnen aus dem Uberblick über das gesamte Komödienspektrum der Archaia, hat ihn offenbar auch dazu veranlaßt, nicht Politisches, sondern rein Inhaltliches, die υποθέσεις ούκ αληθείς und die παιδιά ευτράπελος, als die Hauptmerkmale der Alten Komödie darzustellen (p. 7,9—10), dazu generell ihren ποιητικός χαρακτήρ (er ergibt sich aus dem Vergleich mit der Mese: p. 9,42 u. 44), der besonders bei Kratinos hervorgehoben wird (p. 8,24: ποιητικώτατος). Ποιητικός scheint sich dabei vor allem auf den sprachlichen Stil zu beziehen, wie vor allem die Gesamtcharakteristik der Mese andeutet (p. 9,40 — 42) und wie (mit etwas anderen Begriffen) auch bei mehreren Dichtern im einzelnen herausgestellt wird (Epicharm ist γνωμικός, p. 8,16; Eupolis δυνατός τ η λέξει, p. 9,34; Aristophanes μακρω λογιώτατος [nach der Verbesserung von Bentley statt μακρολογώτατος], p. 9,36); daneben wird die Gabe dichterischer Erfindung betont (Epicharm ist εύρετικός, p. 8,16; bei Krates wird seine Darstellung Betrunkener auf der Bühne hervorgehoben, p. 8,27; Pherekrates ist π ρ ά γ μ α τ α ... είσηγούμενος καινά und εΰρετικός μύθων, p. 8,30 f.). Die allgemeine Bemerkung über die υποθέσεις ούκ άληθεΐς und

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p. 8,30f. Koster: (Φερεκράτης) ... έζήλωσε Κράτητα, και α υ τοΟ μέν λοιδορεΐν άττέστη, π ρ ά γ μ α τ α δέ εϊσηγούμενος καινά ηύδοκίμει γενόμενο? εύρετικός μύθων ( = Pherecr. test. 2a Κ.-Α.). Ähnlich Aristoteles über Krates in Poet. 5 p. 1449b7 —9 ( = Cratet. test. 5 Κ.Α.). Vgl. Prescott (1917) 409 f.

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I. Einleitung

die π α ι δ ι ά ευτράπελος (vgl. ο.) scheint generell auf phantastisch-witzige Einfälle der Dichter der Alten Komödie in ihren Stücken zu gehen, während das εΰρετικόν eines Epicharm, Krates, Pherekrates demgegenüber noch einmal eine besondere Art dramatischer Stoffe und Handlungsverläufe (unpolitisch-fiktive Sujets?) bezeichnen könnte. Auf die gleichen Kriterien, Sprache und Stoff/Inhalt, hat der Autor auch bei der Charakterisierung der Mese Gewicht gelegt: In der Sprache zieht er einen starken Trennungsstrich zwischen der συνήθης λαλιά und den λογικαί άρεταί der Dichter der Mittleren Komödie auf der einen Seite und dem ποιητικός χαρακτήρ oder ποιητικόν π λ ά σ μ α eines Kratinos, Eupolis, Aristophanes auf der anderen; aber zwischen dem εΰρετικόν eines Epicharm, Krates, Pherekrates und der Bemerkung über die Mese-Dichter in 9,44—10,45 (κατασχολοΰνται δέ πάντες περί τάς υποθέσεις) ließen sich vielleicht Verbindungen knüpfen. Dann würde der Text neben generellen Unterschieden zwischen Alter und Mittlerer Komödie auch die Fortentwicklung eines Teils der Archaia in der Mese andeuten, ein weiteres Indiz für eine recht differenzierte Betrachtung der Komödienentwicklung. Der Autor der Proleg. III ist auch der einzige unter seinesgleichen, der noch einen Dichter aus der Zeit zwischen Aristophanes und Menander zu nennen weiß: 50 Antiphanes, der sonst nur noch in zwei byzantinischen KomikerCanones (vgl. u. S. 58) und in der Suda als Mese-Dichter bezeichnet ist und über den die Proleg. III Angaben machen können, die nirgends sonst mehr zu finden sind. 51 Die Proleg. III kannten ursprünglich noch wenigstens einen weiteren Mese-Dichter, der wahrscheinlich ebenso ausführlich vorgestellt wurde wie Antiphanes, aber bereits sein Name ist von einem anderen, mit Sicherheit falschen, verdrängt worden, 52 und seine Einzeldarstellung ist völlig verschwunden. Im Abschnitt über die Neue Komödie sind (falls der Autor auch hier Einzelangaben zu allen Dichtern machen 50

Auch in den anderen Epochen setzen die Proleg. III, soweit dies noch überprüfbar ist, die Dichter chronologisch in die richtige Reihenfolge: Nach Epicharm zuerst den alten Magnes, dann Kratinos, Krates, Pherekrates, Phrynichos, Eupolis und schließlich Aristophanes, der wenige Jahre nach Eupolis mit Aufführungen begann; in der Nea steht der (in der Tat ein wenig ältere) Philemon v o r Menander und Diphilos. Vgl. auch Mekler (1900) 40 f. (40 1 macht Mekler darauf aufmerksam, daß die von den Proleg. III gegebene Dichter-Abfolge der Archaia mit der inschriftlichen Siegerliste I G II/III2 2325 = V C 1 col. 1,6 ff. Mette übereinstimmt).

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Es spricht ebenfalls für das iudicium des ursprünglichen Autors der Proleg. III, daß er nichts von dem in der Suda vermerkten, angeblich durch den Fall einer Birne verursachten Tod des Antiphanes berichtet. Der heute in p. 10,46 Koster neben Antiphanes stehende Stephanos ist längst als Korruptel erkannt (vgl. o. Anm. 45). Wahrscheinlich stand ursprünglich neben Antiphanes Alexis, dessen Name später (p. 10,58) so auftaucht, als sei er schon eingeführt (vgl. u. S. 58). Ähnlich werden nach ihrer ersten Einführung auch Kratinos (p. 8,26 f. und p. 9,34) und Krates (p. 8,30) noch einmal genannt.

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2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren Komödie

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wollte, die er vorher als άξιολογώτατοι aufgezählt hat) gleich drei Dichterlemmata dem Textschwund zum Opfer gefallen, und auch die Epochencharakterisierung der Nea fehlt (vgl. o. S. 48). Auch dies aber schmälert nicht den Eindruck, daß diese Prolegomena das wertvollste Zeugnis antiker Literarhistorie über die drei Komödienepochen sind, das wir noch besitzen.53 Nicht so umfangreich, in der Darstellung auch nicht recht abgerundet, aber in manchem doch wertvoll sind die Proleg. V Koster, die ähnlich wie die Proleg. III die Komödie und ihre Entwicklung primär nicht politisch sehen. Gleich der erste Satz konstatiert die Dreiteilung: της κωμωδίας τό μεν εστίν άρχαΐον, τό δε νέον, τό δέ μέσον. Aus der Schlußstellung des τό δέ μέσον und aus der Tatsache, daß im ganzen weiteren Text von einer mittleren Komödie keine Rede mehr ist, haben einige Kritiker geschlossen, diese drei Worte seien nachträglich eingefügt worden; 54 aber auch in Proleg. III, wo später ausführlich von der Mittleren Komödie die Rede ist, steht bei der ersten Nennung der drei Komödienepochen ή δέ μέση am Schluß. 55 Auch das weitere Schweigen der Proleg. V über die mittlere Komödie ist kein entscheidender Einwand; man könnte sogar fragen, warum jemand τό δέ μέσον nachträglich hätte einfügen sollen, wenn darüber nichts mehr folgte. In den anschließenden Abschnitten (p. 13,2—11 Koster: vergleichende Gegenüberstellung von παλαιά und νέα κωμωδία, wo die Hinzufügung der Mese die Klarheit der Skizze gefährdet hätte;50 p. 13,12 — 15,27: Entwicklung der Alten Komödie von den Anfängen bis zum aristophanischen Plutos) ergab sich keine zwingende Notwendigkeit, auf die Mese zu sprechen zu kommen; 57 daß der Autor aber bei der Gegenüberstellung der Alten und Neuen Komödie wenigstens implizit mit einer dazwischenliegenden Stufe rechnet, zeigen seine Angaben zur Chronologie: Die παλαιά datiert er επί των Πελοποννησιακών, die

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Vgl. die bei Mekler (1900) 44 zitierten positiven Urteile von Meineke und Wilamowitz; in neuerer Zeit auch Regenbogen (1950) 1457 (mit Verweis auf Kaibel, C G F I p. 6 Anm. II). Vgl. Meineke (1839) 539; Bergk (1887) 13 41 ; M. Consbruch, Festschrift Studemund, Straßburg 1889, 235; Kaibel (1898) 11 f. (zu der aus Proleg. V abgeleiteten Stelle im 1. Cramerschen Anonymus; 1889, 63 hatte er sich bei der Behandlung der Proleg. V noch gegen diese Tilgung ausgesprochen); Legrand (1910) 6. Was bisher nur Fielitz (vgl. o. S. 7 Anm. 19), sonst aber niemand dazu brachte, auch hier an eine Interpolation zu denken. Vgl. Koster ad loc.: „generis intermedii iuxta veteris et novi mentio facienda erat, licet in oppositionibus extremorum huius proprietatibus locus non esset." Auch nicht am Ende beim Plutos, w o νεωτέρα Mese und Nea zusammen meinen könnte (vgl. Dorotheos von Askalon, Περί Άντιφάνους και ττερί της παρά τοις νεωτέροις κωμικοΐξ ματτύηξ); im ersten Teil des Textes (p. 13,10 f.) ist χορών εστέρηται allerdings als Kennzeichen der Nea genannt.

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I. Einleitung

Neue Komödie επί 'Αλεξάνδρου; 58 die siebzig Jahre dazwischen bieten Raum genug für das p. 13,2 genannte μέσον. Auch die Gegensätze, die der Autor zwischen Alter und Neuer Komödie aufführt, sind mehrfach so charakterisiert, daß zwischen ihnen Raum für eine Zwischenstufe bleibt: Gebraucht die Alte Komödie eine exuberant-extravagante Sprache, die Neue dagegen die reine sogenannte νέα Άτθίς, so konnte dazwischen eine Stufe liegen, die weniger exuberant war und sich auf normales Attisch zu bewegte; zeigt die Alte πολυμετρία, die Neue dagegen fast nur noch den Iambus, so hat die Epoche dazwischen sicher noch mehrere Metren benutzt, da ein schlagartiger Wechsel von der Poly- zur Monometrie undenkbar ist; und war in der Alten Komödie der Chor unerläßlich, in der Neuen dagegen nicht, so läßt sich für die Zwischenzeit eine reduzierte, aber noch nicht völlig belanglose Rolle des Chores ansetzen. Den Proleg. V könnte auf diese Weise eine (implizite) Auffassung von der Mittleren Komödie eignen, in der μέση im wesentlichen μικτή bedeutet, ähnlich wie am Ende des Tractatus Coislinianus (vgl. u. S. 56). 5 9 Wie angedeutet, skizziert der zweite, längere Teil der Proleg. V die Entwicklung der Alten Komödie von ihren Anfangen bis zu ihrem Endstadium. Der Autor beginnt mit der These, και αυτή δε ή παλαιά εαυτής διαφέρει (ρ. 13,12), ein Gedanke, der in seinem Kern auf die aristotelische Poetik zurückgeht (5 p. 1449a38 —b9), dort aber durchaus anders gefaßt ist, 6 0 so daß man den Autor der Proleg. V nicht einfach als Aristoteliker bezeichnen kann. E r läßt die attische Komödie mit einem Sannyrion beginnen; der Name könnte eine Textkorruptel für Susarion sein; aber auch dann, d. h. auch wenn der Autor in diesem Detail mit den DionysiosThrax-Scholien, den Proleg. I V und Tzetzes übereinstimmte, ist seine Charakteristik dieser frühen Komödienform doch eine völlig andere als in jenen Texten, denn wie die Proleg. III kennt er keine politische Dimension dieser Urkomödie: τά πρόσωπα είσήγον ατάκτως, και μόνος ήν γέλως

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Legrand (1910) 9 wollte aus dieser Datierung der Nea schließen, daß der ursprüngliche Autor der Proleg. V Menander noch nicht gekannt haben könne, da dessen Wirken erst nach Alexanders Tod begann; doch darf man έτη 'Αλεξάνδρου sicher etwas weitläufiger verstehen. Vielleicht wurde der Text sogar erst in einer Zeit abgefaßt, wo chronologische Kenntnisse so verblaßt waren, daß man Alexander und Menander für synchron nahm.

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Vgl. Legrand (1910) 6 f. Aristoteles beschreibt mit großer Vorsicht und Zurückhaltung eine lange vorliterarische Phase der Komödie, deren Ubergang zu einer festen und v o m Staat organisierten Veranstaltungsform erst spät erfolgte. D e r Name eines Komödien-EupETps ist ihm völlig unbekannt, auch weiß er nichts von den Fortschritten in der Bühnentechnik und Handlungsführung, die die Proleg. V dem Kratinos zusprechen; für ihn verbinden sich die ersten einigermaßen durchstrukturierten Komödien mit dem Namen des Krates. Dies macht denn auch besonders mißtrauisch gegen die Darstellung der Proleg. V : daß sie soviel mehr und Genaueres zu wissen beanspruchen als der zeitlich den Anfängen der Komödie erheblich näherstehende Aristoteles.

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2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren Komödie

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τό κατασκευαζόμενον (p. 14,14 f.). Erst mit Kratinos kommt zu dem vorhandenen χαρίεν auch ein politisches ώφέλιμον in die Komödie; das Nebeneinander von delectare und prodesse, bei Horaz klassisch formuliert (.AP 333 f. 343), ist nirgends sonst so deutlich in einer Darstellung der Komödienentwicklung vorgeführt; es stammt aus hellenistischer Poetik. 61 Kratinos wird hier ferner als derjenige Dichter eingeführt, der als erster die Komödie in eine festere Form brachte und die Zahl der auf der Bühne agierenden Schauspieler — wie Sophokles bei der Tragödie 62 — auf drei festgesetzt haben soll (Cratin. test. 19 Κ.-Α.). Danach wird Aristophanes als der eingeführt, der die Alte Komödie vervollkommnet (p. 14,20 — 22 = Ar. test. 81,1—3 K.-A.) und schließlich mit dem Plutos ihre Grenzen transzendiert, da dieses Stück eine υττόθεσίξ cos αληθής und wie die νεωτέρα κωμωδία keine Chorpartien mehr gehabt habe; der Plutos bekommt hier also die Rolle, die bei Platonios mit den gleichen Charakteristika (andere ΰπόθεσις, Fehlen des Chors) der Αίολοσίκων und im Aristophanes-Bios der Κώκαλος hat (Ar. test. 1,4 — 6. 46 —51).63 Aber während Platonios und der Bios diese Veränderungen auf politische Eingriffe zurückführen, fehlt in Proleg. V bei der ganzen Darstellung des Aristophanes jeder Hinweis auf eine politische Dimension, was bei der Gleichartigkeit, mit der die drei Texte Aristophanes zum Prodromos einer anderen Komödienform machen (Platonios: μέση, Bios: νέα, Proleg. V: νεωτέρα) einen wichtigen Unterschied bedeutet. Auf spätantik-lateinischer Seite gehören die Ausführungen des Grammatikers Diomedes in die gleiche Tradition wie die Proleg. III und V: Wie sie kennt auch Diomedes die doppelte Ableitung des Begriffs κωμωδία von κώμη bzw. κωμάζω (XXIV 2 p. 119,26—120,35 Koster), und seine Urkomödie hat genauso harmlos-festliche Anfänge wie die der Proleg. III; wie in den Proleg. V wird die von Susarion begründete erste Komödien61 62

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Vgl. Brink (1971) zu Hör. AP 333 ff. Vgl. die Sophokles-Vita (test. 1,23 Radt). Diese Analogie und die Tatsache, daß Aristoteles Poet. 5 p. 1449b4 —5 (vgl. o. Anm. 60) ausdrücklich sagt Tis δέ π ρ ό σ ω π α άπέδωκεν ή προλόγους ή π λ ή θ η υ π ο κ ρ ι τ ώ ν και όσα τ ο ι α ύ τ α , ή γ ν ό η τ α ι , läßt sehr am Wahrheitsgehalt der Ausführungen der Proleg. V zweifeln und mit der Möglichkeit rechnen, daß hier eine Analogie zur Abfolge der drei großen Tragiker zu konstruieren versucht wird (Aischylos/Sophokles/Euripides — Sannyrion/Kratinos/Aristophanes). Vielleicht wurde die Parallelisierung des Kratinos mit dem Aischylos-Schüler Sophokles (vgl. Soph. test. 1,20 Radt) dadurch erleichtert, daß in anderer Uberlieferung dem Kratinos bewußte Nachahmung des Stiles des Aischylos nachgesagt wurde (Proleg. III p. 8,24 Koster: κατασκευάζων εις τόν Αισχύλου χαρακτήρα). Auch der Aristophanes-Bios hat einen Passus über den Plutos als Vorbild für die spätere Komödie (Ar. test. 1,51—54 K.-A.), aber der ist mitten in die Behandlung des Κώκαλοξ eingefügt (vgl. den folgenden Satz έν τ ο ύ τ ω δέ τ ώ δράματι συνέστησε τ ω πλήθει τ ο ν υΐόν Άραρότα, der sich nur auf den Κώκαλος beziehen kann) und daher unzweifelhaft eine Interpolation (vgl. K.-A. nach Hermann und Bergk).

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I. Einleitung

phase als noch recht simples unpolitisches Scherztreiben dargestellt (p. 120,46 — 121,47); es ist bezeichnend, daß Diomedes die gleichen angeblichen Susarion-Verse (nur etwas verkürzt), die in den Dionysios-ThraxScholien und bei Tzetzes den ersten Beleg für öffentlich-politische Komödieninvektive bilden, als Beispiel für den harmlosen Witz dieser ersten Epoche zitiert. Als weitere Komiker dieser Frühzeit nennt Diomedes einen „Mullus" (Myllus test. 2 Κ.-Α.) und den Magnes (test. 8 K.-A.), den bereits Aristoteles zu den ältesten attischen Komödiendichtern rechnet (Poet. 3 p. 1448a33 = test. 2 K.-A.). Mit diesen Namen bietet Diomedes mehr (allerdings Fragwürdiges) über die erste Zeit der Komödie als die Proleg. III und V; man gewinnt den Eindruck, als hätte Diomedes' Quelle 64 dieser ältesten Komödie mit Susarion, „Mullus", Magnes eine ähnliche Trias zuweisen wollen, wie man sie für die klassische Alte Komödie mit Eupolis, Kratinos, Aristophanes und (zumindest tendenziell herausgebildet) für die Neue mit Menander, Diphilos, Philemon konstituierte. Bei der Einordnung der Trias Aristophanes, Eupolis, Kratinos weicht Diomedes allerdings spürbar von den Proleg III (und V; aber dort sind nur Kratinos und Aristophanes genannt) ab, da er diese drei einer secunda aetas zuweist (p. 121,52). Hier hat aber vielleicht nur die Beobachtung der Proleg. V, daß και α υ τ ή ... ή π α λ α ι ά εαυτής διαφέρει, eine Erstarrung und Verfestigung erfahren: διαφέρει wurde zu einer Epochenscheide. Im übrigen entspricht die Charakterisierung der drei Dichter bei Diomedes (qui ... principum vitia sectati acerbissimas comoedias composuerunt, p. 121,52f.) weitgehend dem, was auch die beiden zuvor genannten griechischen Texte an ihnen herausstellen: In Proleg. III nehmen die λοίδοροι Kratinos und Eupolis sowie der Verfasser von πολιτικά! κωμωδίαι Aristophanes innerhalb der Archaia eine von anderen Dichtern merklich abgehobene Position ein, in Proleg. V ist Kratinos der politische Komödiendichter par excellence. Gegenüber der in Proleg. III dargestellten Dichtervielfalt der Archaia ist das Spektrum der secunda aetas bei Diomedes, die der Blütezeit der Archaia entspricht, ganz auf die politische Komödie reduziert, wie in den Texten der anderen Tradition (vgl. o. S. 30 ff.); und wie bei Tzetzes sind Aristophanes, Kratinos und Eupolis auch bei Diomedes ganz in eine zweite Komödienepoche „abgerutscht", doch beide scheinen auf verschiedenen Wegen zu dieser (oberflächlich gesehen) gleichartigen Umgruppie-

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E. Koett, De Diomedis artis poeticae fontibus, Diss. Jena 1904, 48 — 50 sucht als Autor des poetologischen Anhangs von Diomedes' Ars Grammatica den Remmius Palaemon zu erweisen; bei der Besprechung der Etymologien der Begriffe Tragödie und Komödie läßt Diomedes auch zweimal den Namen Varro fallen (p. 119,5 und 27 Koster).

2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren Komödie

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rung gelangt zu sein. 65 Daß diese Parallele in der Tat wohl nur oberflächlich ist, zeigt Diomedes' Charakterisierung der tertia aetas (p. 121,53) der Komödie, der des Menander, Diphilos und Philemon, qui omnem acerbitatem comoediae mitigaverunt atque argumenta multiplicia ... secuti sunt (p. 121,54f.) — kein Wort von Invektiven gegen Sklaven, arme Leute oder Fremde, in denen die Texte der anderen Traditionen den einzigen Inhalt dieser letzten Komödienepoche sehen. Diomedes' Dreiteilung der Komödie (eine erste primitive Stufe bloßen Scherztreibens; eine zweite, „politisierte" der offenen Invektive; eine dritte, in der die Invektive reduziert und eine geschlossene dramatische Form überhaupt erst erreicht oder vervollkommnet wurde) findet sich vereinfacht (die meisten Dichternamen sind weggelassen, 66 die Abfolge der einzelnen Komödienphasen ist nicht mehr als Dreiteilung gekennzeichnet) noch im sogenannten Liber Glossarum oder Glossarium Ansileubi (XXVII 3 Koster: p. 129,8 prior ac vetus comoedia ridicularis exstitit; postea civiles vel privatas adgressa materias ... delicta ... in scaenam proferebat ... postea autem omissa maledicendi libertate privatorum hominum vitam cum hilaritate imitabant ...), das gleichwohl besonders über die erste Form der Komödie mehr zu wissen vorgibt, als selbst die aristotelische Poetik mitteilen konnte. 67 65

In Tzetzes' Quellen gehörten Eupolis und Aristophanes noch teils der „ersten" Komödie mit ihrem φανερώς σκώτττειν und teils — nach dem Malheur des Eupolis — dem σ ί ν ι γ μ α τ ω δ ώ ζ σκώτττειυ der „zweiten" Epoche an (vgl. Schol. Dion. Thr. XVIIIa p. 71,40 f. Koster); im weiteren Überlieferungsprozeß wurde vereinfacht, und die beiden verloren diese ambivalente Position (vgl. o. S. 38 und 40). Bei Tzetzes ist der letzte Schritt dieser Entwicklung noch erkennbar: In seinen ersten Prosa-Prolegomena zu Aristophanes gehört Eupolis noch nicht ganz zur „zweiten" Periode, da sein offener Spott gegen Alkibiades den Wandel ja erst auslöst; aber in den στίχοι περί διαφοράς ποιητών ist Eupolis nun vollständig Mitglied der „zweiten" Periode (vgl. o. S. 41). Wie Eupolis und Aristophanes in eine „zweite" Epoche gerieten, ist also noch teilweise erkennbar; aber wie gelangte auch Kratinos bei Tzetzes dort hinein, da er doch von dem Dionysios-Thrax-Kommentar gerade als der Επίσημος der π α λ α ι ά , der „ersten" Komödienepoche, hervorgehoben wurde? Vielleicht deshalb, weil Tzetzes in anderer Uberlieferung die drei Namen Eupolis, Aristophanes, Kratinos so eng miteinander verbunden fand, daß er auch bei seiner „Umstufung" des Eupolis und Aristophanes diese Verbindung nicht lösen wollte. In den Proleg. IV könnte sich ein analoger Vorgang mit anderem Ergebnis vollzogen haben: Der in den Dionysios-Thrax-Scholien als επίσημος der π α λ α ι ά genannte Kratinos ist hier zwar verschwunden, aber seine Verbindung mit Aristophanes und Eupolis war vielleicht so stark, daß sie in der Vorlage der Proleg. IV diese beiden Namen ganz in die erste Epoche hinüber- (fast möchte man sagen: zurück-)zog. Bei Diomedes hingegen läßt sich die Ansiedelung von Eupolis, Aristophanes und Kratinos in der secunda aetas, wie o. im Text erläutert, wohl am besten damit erklären, daß die ursprünglich nur subsidiär vorgenommene Unterteilung der Alten Komödie, wie sie in Proleg. V belegt ist, hier zu einer vollständigen Epochenscheidung aufgewertet wurde.

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Übriggeblieben sind Susarion (in entstellter Form) und Magnes, was die Rückführung dieses Textes auf Diomedes sehr wahrscheinlich macht. Vgl. Kaibel (1898) 46 1 .

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Zuletzt muß hier noch ein kurzer Blick auf den Tract atus Coislinianus geworfen werden. E r hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt, und auf die jüngsten Thesen über seine Herkunft und Bedeutung ist noch ausführlich einzugehen (vgl. u. S. 102 ff.). Am Ende seiner in aphoristischer Kürze hingeworfenen Bemerkungen über die Komödie trägt dieser Text auch eine Dreiteilung der Gattung vor, die von allen bisher besprochenen Dreiteilungen abweicht, da sie als einzige expressis verbis die Mittlere Komödie als eine μικτή versteht 68 (implizit ließe sich eine solche Auffassung vielleicht auch aus den Proleg. V herauslesen, vgl. o. S. 52) und — ebenso singulär — zum Charakteristikum dieser Dreiteilung eine Entwicklung vom γελοΐον zum σεμνόν macht: 6 9 zwischen einer παλαιά, die noch πλεονάζουσα τ ω γελοίω, und einer νέα, die τ ο ϋ τ ο μεν [seil, τ ό γελοΐον] προιεμένη, πρός δε τ ό σεμνόν ρέπουσα ist, steht eine μέση, die άπ' άμφοΐν μεμιγμένη, also nicht mehr so voll des γελοΐον wie die Alte Komödie und noch nicht so aufs σεμνόν ausgerichtet wie die Neue ist. Diese Vorstellung von einer Entwicklungslinie γελοΐον — σεμνόν hat einen signifikanten Vorläufer in einer Bemerkung des Aristoteles zur {Poet. 4 p. 1449al9 —21); ob man einen solfrühen Tragödienenfwiddung chen Gedanken einfach auf die Komödie übertragen kann, erscheint schon hier fraglich (vgl. u. S. 147). Anders als alle bisher besprochenen Texte gibt der Tractatus Coislinianus auch keine Dichternamen zu den drei Epochen an. Außer den Proleg. III bietet somit keiner der theoretischen Texte über die Entwicklung der griechischen Komödie mehr wirkliche Kenntnisse über Dichter oder Stücke aus der Zeit zwischen dem Tod des Aristophanes und dem Auftreten Menanders; auch Platonios gelangt mit dem Αίολοσίκων nur noch an den Rand dieses großen zeitlichen Lochs. Den späten Schreibern der Prolegomena (und selbst wohl schon einem Diomedes; Euanthius' Fehler ist von anderer Art), die Menander nahtlos an Aristophanes (oder Piaton) anschlossen, war dieser zeitliche Sprung kaum mehr bewußt, denn dafür wußten sie nicht mehr genug über den realen Gang der attischen Komödienentwicklung; sie fanden die Lehre von der Dreiteilung der Komödie als feststehendes Dogma vor und mußten die dergestalt vorgegebenen Epochen mit ihren bescheidenen Kenntnissen über die attische Komödie und ihre Dichter irgendwie füllen. Nur die Proleg. III dürften daher mit ihrem Inhalt in irgendeiner Form über die Spätantike (die von einer zweiten attischen Komödienphase nur noch die Tatsache ihrer Existenz kannte) zurückreichen; wie weit, ist noch

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Vgl. Legrand (1910) 6. Vgl. allerdings die Aristophanes-Vita (Ar. test. 1,1—3 K . - A . ) : Άριστοφάντ^ ... ττρώτοξ δοκεΐ τ ή ν κωμωδίαν ίτι ττλανωμένην τ η αρχαία α γ ω γ ή εττί τ ό χρησιμώτερον και σεμνότερον μεταγαγεΐν κ τ λ .

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zu erörtern (vgl. u. S. 174 f.). Die früheste einigermaßen sicher datierbare Erwähnung des Begriffs „Mittlere Komödie" findet sich in der Sprichwörtersammlung des zu Hadrians Zeit wirkenden Grammatikers Zenobios; 70 bald darauf macht bereits ein lateinischer Autor, Apuleius, eigenartigerweise den Philemon zum mediae comoediae scriptor (Florid. 16 p. 24,7 Helm; vgl. u. S. 62); eine weitere etwa gleichzeitige Erwähnung der mittleren Komödie verdanken wir dem Kaiser Marc Aurel (Eis εαυτόν XI 6,5) in einer Betrachtung, die die drei Komödienepochen in Hinsicht auf ihren pädagogischen Nutzen miteinander vergleicht; dabei wird an der Archaia π α ι δ α γ ω γ ι κ ή π α ρ ρ η σ ί α und εΰθυρρημοσύνη gewürdigt, in der Mese und vor allem dann in der Nea hingegen sieht Marc Aurel eine allmählich zunehmende Tendenz επί την έκ μιμήσεως φιλοτεχνίαν, d. h. in seiner Sicht spinnt sich die Komödie immer mehr in die Vervollkommnung ihrer dramatischen Technik ein und verliert den Kontakt mit der realen Welt, damit aber auch ihren konkreten Zweck für die Erziehung des Menschen: ή όλη επιβολή της τοιαύτης ποιήσεως και δραματουργίας πρός τίνα π ο τ έ σκοπόν άπέβλεψεν; (XI 6,6). Diese Gedanken setzen eine Auffassung voraus, die die Alte Komödie bereits sehr auf die politischmoralische π α ρ ρ η σ ί α eines Kratinos, Eupolis, Aristophanes einschränkt und in den nachfolgenden Epochen eine Abwendung von dieser π α ρ ρ η σ ί α und eine (unpolitische) Konzentration auf dramatische φιλοτεχνία erkennt; dazu paßt durchaus die Beobachtung der Proleg. III, daß die Dichter der Mese (und, so darf man extrapolieren, noch stärker die der Nea) große Mühe auf die υποθέσεις ihrer Stücke wenden (p. 9,44—10,45). 71 Marc Aurel sieht in μέση und νέα gleichartige Entwicklungen am Werk, aber offensichtlich doch in so voneinander unterscheidbaren Stadien, daß er zwei verschiedene Termini, eben μέση und νέα, verwendet und nicht zusammenfassend von einer νεωτέρα oder υστέρα κ ω μ ω δ ί α spricht. Unter Marc Aurels Sohn und Nachfolger Commodus machte der Rhetorikprofessor Pollux beiläufig mehrere Bemerkungen in seinem Onomastikon über bestimmte Erscheinungen des Sprachgebrauchs in der Mittleren Komödie, ohne einzelne Dichter zu nennen (vgl. u. S. 79 ff.). Eine wichtige Einzelbeobachtung über eine gewisse „nach der Mittleren Komödie riechende" Art poetischer Diktion steht in einem Scholion zu Ar. Plut. 515, das sicherlich nicht erst aus spätantiker Zeit stammt (dazu u. S. 241 f.). Schließlich haben wir noch eine Reihe von Zeugnissen, in denen 70

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Zenob. Ath. I 42 = Eub. fr. 134 K.-A.: ή παροιμία τταρ' Εύβούλω τ ώ της μέσης κωμωδίας π ο ι η τ ή . Es muß offen bleiben, von wem Zenobios, der aus den Sprich wörtersammlungen des Didymos und des Lukillos von Tarrha schöpfte, diesen Beleg hat; die Wahrscheinlichkeit spricht eher für Didymos (so W. Bühler in einem Brief vom 10. 3. 83 an R. Kassel, der mir freundlicherweise Einsichtnahme gewährte). Der Begriff φιλοτεχνία dient in den Proleg. III speziell der Charakterisierung Epicharms (p. 8,16 Koster), der ebenfalls kein politischer Dichter war.

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bestimmte Dichter als Angehörige der Mittleren Komödie bezeichnet werden: Apuleius wurde bereits genannt (o. S. 57); ergiebiger ist Athenaeus, der seine Deipnosophistai am Ende des 2. Jhs schrieb (mehr dazu u. S. 65 ff.); zwei byzantinische Schriftstellerlisten („Canones") in Handschriften aus dem 10. bzw. 15. Jh. (Tabula Μ bzw. Tabula C 7 2 ) nennen als MeseDichter Antiphanes und Alexis; die meisten explizit zur Mittleren Komödie gerechneten Autoren finden sich jedoch in der um 1000 entstandenen Suda, weitaus spärlicher sind solche Belege in anderen Lexika der byzantinischen Zeit. 73 Stellt man die in allen diesen Zeugnissen explizit als μέσοι κωμικοί Genannten zusammen, kommt man zwar nicht auf die von den Proleg. III angegebenen 57, aber doch auf eine ganz stattliche Zahl: 74 1. Alexis: expliziter Beleg in den Canones Comicorum (vgl. o. Anm. 72), wo "Αλεξίζ Θούριος und Antiphanes die einzigen Vertreter der Mese sind. Eindeutig ist auch das Zeugnis des Athenaeus VIII 336d, wo der Deipnosophist Demokritos von seinen Schwierigkeiten, ein Stück des Alexis (den Άσωτοδιδάσκαλος, vgl. u. S. 69, Anm. 13) aufzutreiben, berichtet: πλείονα της μέσης καλούμενης κωμωδίας άναγνοϋς δράματα των οκτακοσίων ... ού ττεριέτυχον τω Άσωτοδιδασκάλω. In den Proleg. III scheint es Alexis gewesen zu sein, der unglücklicherweise gleich zweimal Fährnissen der Überlieferung zum Opfer fiel;75 daß er hier in der Tat ursprünglich genannt war, darauf könnte eine spätere kurze Erwähnung hindeuten, die so formuliert ist, als sei über Alexis bereits ausführlicher gesprochen worden (p. 10,57 f. Koster: Μένανδρος ... συνδιατρίψας δέ τά πολλά Άλέξιδι ύττό τούτου δοκεΐ παιδευθήναι). Alexis wird seltsamerweise aber auch an zwei Stellen genannt, wo von „alter Komödie" die Rede ist: in Vitruv. VI praef. 3 (poetae, qui antiquas comoedias graece scripserunt, ... ut Crates, Chionides, Aristophanes, maxime etiam cum his Alexis ...), und in Lukians

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Ediert von Kroehnert (1897) p. 6 und 12. Nur Eubulos, vgl. die Bezeugung der frr. 30. 39. 134 K.-A.; auch u. S. 60. Eine allgemeine Erwähnung der Mese noch im Photios-Lexikon (α 499 = Lex. Bachm. p. 48,28): αίαΐ ... εστί δέ πολύ παρά τοις της μέσης κωμωδίας και της νέας ττοιηταΐς. Der hier zuvor zitierte Plato Comicus (fr. 16 K.-A.) wird diesen Epochen nicht zugerechnet (vgl. o. Anm. 20). Nicht in diese Liste aufgenommen sind Dichter, die lediglich in den spätantiken oder byzantinischen Traktaten als Vertreter einer „mittleren" oder „zweiten" Komödie erscheinen, die nach unserem Verständnis die Alte ist, also Aristophanes, Eupolis, Kratinos, Pherekrates, Hermippos; zu Piaton vgl. o. S. 35 f. Sowohl bei der Aufzählung der άξιολογώτατοι der Mese (p. 10,46 Koster) als auch bei deren Einzelbehandlung, wo nur noch das Lemma zu Antiphanes erhalten geblieben ist; vgl. Koster ad loc. (p. 10,52 app.) und o. S. 50.

2. Antike und byzantinische Bezeugungen der Mittleren Komödie

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Pro lapsu 6 (πολύ δ' άν και έν τ η τραγωδία και εν άρχαία κωμωδία 7 6 εύροις ... το μεν y a p ..." ό δε "Αλεξις ...). O b die beiden Autoren hier freilich an „die" Alte Komödie als besondere Epoche dachten, ist sehr ungewiß. 77 Bei Gellius (II 23,1) erscheint Alexis in einer Dichterreihe, in der zuvor drei eindeutige Vertreter der Nea (Menander, Poseidipp, Apollodor) genannt sind. 2. Amphis: Poll. V I I 17 (άλείπτριαν είρήκασιν oi μέσοι κωμικοί ...· "Αμφιδος δέ και δραμα εστίν Άλείπτρια). Auch Pollux' Notiz in I 233 (ή δέ μέση κωμωδία τον μέν καρπόν συκάμινον ούδετέρως καλεί, τό δέ δένδρον άρρενικώς εκφέρεται) bezeugt in Verbindung mit Ath. epit. II 50f den Amphis als Mese-Dichter, denn den hier von Pollux ohne Dichternamen zitierten Belegvers ό συκάμινος συκάμιν, όρας, φορεί gibt die Athenaeus-Epitome dem Amphis (fr. 38,1 Kock; vgl. u. S. 101 Anm. 92). 3. Anaxandrides dürfen wir in Ath. X I 482c wenigstens indirekt als zur Mese gerechnet ansehen: Dort führt Athenaeus den Antiochos von Alexandria mit seinem Werk Περί των έν τ η μέση κωμωδία κωμωδουμένων ποιητών (dazu u. S. 75 f.) als Gewährsmann dafür an, daß der bei Ephipp. fr. 9 K.-A genannte Euripides nicht mit dem großen Tragiker identisch ist. Als weitere Belege für diesen „alter Euripides" nennt Athenaeus Anaxandrides fr. 32 Kock und Ephipp. fr. 16 K.-A.; auch diese Zitate haben wahrscheinlich bereits in Antiochos' Schrift beieinander gestanden, von wo Athenaeus sie (direkt oder über eine Zwischenquelle) bequem übernehmen konnte; trifft dies zu, war Anaxandrides einer der μέσοι κωμικοί, die Antiochos für seine Κωμωδοΰμενοι auswertete. 4. Antiphanes ist mehrfach explizit als Angehöriger der Mittleren Komödie bezeugt: Suda α 2735 (κωμικός της μέσης κωμωδίας), Proleg. III (p. 10,45 f. Koster: της μέν ouv μέσης κωμωδίας είσΐ ποιητα'ι νζ', ... τούτων δέ είσιν αξιολογότατοι 'Αντιφάνης και [Στέφανος]), Canones Comicorum Μ p. 6 und C p. 12 Kroehnert (κωμωδοποιοϊ ...

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Vielleicht sollte man statt mit den Recentiores und dem Editor Macleod έν τ η τραγωδία και ev a/e, wie Pollux im Lauf seiner Arbeit Vorlagen wechselte oder zumindest alte durch neue ergänzte. Die dabei zu entdeckenden Abweichungen können sehr verschiedener Art sein: Unterschiede im Wortbestand, verschiedene Verwendung desselben Zitats, verschiedene Worterklärungen im Zusammenhang mit dem Zitat und nicht zuletzt verschieden reiche Ausstattung des Zusammenhangs, in dem das Zitat sich findet. Aus solchen Abweichungen lassen sich zwar keine Rückschlüsse auf die Identität der Quellen, aber doch einige Einsichten in ihre Eigenart und ihren Charakter gewinnen, wie einige besonders interessante Fälle deutlich machen sollen: Poll. IV 1 8 3 - X 46: zweimal dasselbe Antiphanes-Zitat (fr. 208 Kock), aber mit einigen ganz erheblichen Abweichungen im Wortbestand; 83 und 83

Leider ist Bethes Apparat an den betreffenden Stellen etwas widersprüchlich: in IV 183 führt er zur zweiten Zeile des Zitats aus den Handschriften an (I p. 255,17 Bethe) εύλάμττρος Α εΰλαμττρις TT, im Apparat von X 46 dagegen heißt es zur selben zweiten Zeile (II p. 202,25 Bethe), in IV 183 stehe an dieser Stelle εΟλάμττροι?. Sicher ist das die Lesart, die aus den beiden Varianten von Α und Π (falls sie richtig angegeben sind) in IV 183 herzustellen ist; dann fragt sich allerdings, warum Bethe εύλάμττροι$ dort nicht auch in den Text gesetzt, sondern aus X 46 εύχάλκοις übernommen hat, was dem Leser zunächst eine nicht vorhandene Übereinstimmung beider Stellen suggeriert.

1. Die Mittlere Komödie bei Athenaeus und Pollux

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da an jeder der beiden Stellen die Handschriften ziemlich geschlossen gegen die andere Stelle zusammenstehen, lassen sich die Unterschiede kaum als Abschreibfehler in der Pollux-Uberlieferung erklären. Im Gegenteil: Auch die Tatsache, daß der Beleg in jeweils verschiedenem Zusammenhang verwendet wird (IV: εργαλεία ιατρών, Χ: λουτήρια), deutet darauf hin, daß Pollux die Verse in zwei verschiedenen Vorlagen fand und dann auch in der jeweils gefundenen Form zitierte. Poll. VII 59 —X 168: Hier ist der Wortlaut des zweimal zitierten Antiphanes-Verses (fr. 201 Kock) gleich, aber nicht nur die Titelangabe (vgl. o. S. 94), sondern auch der Zusammenhang verschieden (VII: έσθήτες, Χ: σκεύη), und während in VII 59 die σκελέαι als andere Bezeichnung für άναξυρίδες eingeführt werden, stehen beide Begriffe — als offenbar etwas Verschiedenes — in X 168 unverbunden nebeneinander (έκ δε σκευών και άναξυρίδες και σκελέαι και ττοδίδες και Γίερσικαί κτλ.). Poll. VII 132 —Χ 17: An beiden Stellen belegt Pollux mit dem gleichen Verweis auf den Ζευς κακούμενος des Komödiendichters Piaton (fr. 50 K.A.) das Wort σκευοφόριον (in X 17 zitiert er auch den entsprechenden Vers dazu) — aber erstaunlicherweise wird das Zitat zu zwei verschiedenen Erklärungen herangezogen: In VII 132 wird damit die normale Bedeutung von σκευοφόριον belegt (τό δέ ξύλον, εφ" ου τά σκεύη κατηρτημένα εφερον, σκευοφόριον ύττό Πλάτωνος έν Ali κακουμένω ώνόμασται), in Χ 17 dagegen wird für diese Bedeutung auf Aristophanes verwiesen (ότω δέ τά σκεύη έκομίζετο, σκευοφόριον μέν τουτ 'Αριστοφάνης [fr. 886 Κ.Α.] καλεί τό ξύλον), und die Platon-Stelle ist stattdessen Zeugnis für einen komisch-metaphorischen Gebrauch des Wortes (Πλάτων δέ έν Διι κακουμένω και τό τόξον έν παιδιά παρεικάζων έφη· es folgt der Vers, in dem σκευοφόριον in der Tat übertragen gebraucht ist). Die Abweichung erklärt sich am besten dadurch, daß den Vorlagen beider Pollux-Stellen der gleiche Inhalt zugrundeliegt, in der Vorlage von VII 132 aber bereits stark (und dadurch falsch) verkürzt, da dort sowohl der Aristophanes-Beleg als auch das Verszitat aus Piaton verschwunden sind, und damit fiel auch die Differenzierung zwischen der wörtlichen und einer übertragenen Bedeutung von σκευοφόριον unter den Tisch, und übrig blieben nur die Restbestände der einstigen lexikalischen Erörterung (das Lemma σκευοφόριον selbst, eine kurze Erklärung seiner normalen Bedeutung und der PlatonBeleg ohne Vers). Im 10. Buch hat Pollux dann offenbar auf eine ausführlichere, besser unterrichtete und damit wahrscheinlich auch ältere Quelle zurückgegriffen, aus der die Quelle von VII 132 möglicherweise ein verkürzter Auszug war. Poll. VII 1 8 1 - X 109: ein ähnlich gelagerter Fall. Beide Male geht es um die Erklärung des Wortes φρυγεύς, zu der auch jeweils dasselbe Versstück des Komikers Theopomp (fr. 54 K.-A.) herangezogen wird; aber während die frühere Stelle nur eine Worterklärung anbietet (άγγεΐον

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

δέ φ ενέφρυγον ό φρυγεύς· Θεόττομττος yoüv εν Σειρήσι κτλ.), bietet die spätere wahlweise noch eine zweite (τόν δέ φρυγέα και αυτόν ώς σκεύος μαγειρικών, είτε τό άγγεΤον εν φ εφρυγον, είτε τό φρύγετρον, εν Σειρήσι ό κωμικός Θεόπομττος υποδηλοΐ λέγων κτλ.). Auch in VII 181 ist kurz vor den oben zitierten Worten das φρύγετρον erwähnt, wird dort aber nicht mit φρυγεύς in Verbindung gebracht. Wiederum scheint sich uns in X 109 die ausführlichere und genauere Quelle zu präsentieren, die die verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten von φρυγεύς sorgsam aufführt, während die verkürzende Vorlage von VII 181 eine täuschend-eindeutige Begrifflichkeit vorspiegelt. Poll. VI 103 —X 115: Der Begriff der λύχνοι δίμυξοι 84 wird in beiden Fällen mit zwei Komikerzitaten belegt, von denen eines beide Male dasselbe ist (Metagenes fr. 13 K.-A.), allerdings mit nicht ganz gleichem Wortlaut (in VI 103 steht am Versende έμοϊ δοκεΐ, in Χ 115 ώς έ γ ώ δοκώ). Auffälliger aber ist, daß der zweite Zitatbeleg jeweils ein anderer ist (in VI 103 Philyllios fr. *25 K.-A., in X 115 Philonides fr. 3 K.-A.), Pollux jedoch an beiden Stellen so formuliert, als habe er jeweils nur diese zwei Belege gefunden (VI 103 λύχνου δέ διμύξου τ ω ν κωμωδών Φιλύλλιος μνημονεύει, και Μεταγένης κτλ.; Χ 115 λύχνοι δίμυξοι, Φιλωνίδου μέν ... είττόντος ..., Μεταγένους δέ κτλ.). Auch hier läßt sich die Abweichung durch verschiedene Quellen, die Pollux jeweils benutzte, erklären. Es könnte sein, daß diese Quellen einen gemeinsamen ausführlicheren Vorgänger hatten, worauf das umfangreiche Referat über Lampen bei Ath. XV 699d ff.85 hindeutet: Dort sind 700f-701a nicht nur Metagenes, Philyllios 86 und Philonides als Gewährsleute für den λύχνος δίμυξος genannt, sondern auch der Komiker Piaton (fr. 90 K.-A.). Die Vorlagen der beiden PolluxStellen haben beide den Metagenes, aber von Philonides und Philyllios nur jeweils einen offenbar aus ihrer Vorlage wiederum übernommen.87 84

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87

Die λ ύ χ ν ο ι δίμυξοι tauchen sogar noch ein weiteres Mal auf: Bereits II 72 werden sie mit ev τ η κοινή χρήσει belegt, von Komödienzitaten ist keine Rede — offenbar also noch einmal eine andere Vorlage (worauf auch der andere inhaltliche Zusammenhang hindeutet), aus der Pollux dies hat. Nicht auszuschließen ist freilich, daß Athenaeus (oder seine Vorlage) sein Material über Lampen nicht nur aus der lexikalischen Tradition bezog, aus der es Pollux (offensichtlich an beiden Stellen) hat, sondern noch v o n anderer Seite her bereicherte; denn was er hier über Lampen ausbreitet, ist soviel reichhaltiger und auch so sehr anders strukturiert als der zweite Pollux-Abschnitt (der andererseits dem Athenaeus einige wörtliche Zitate voraus hat), daß beide kaum aus der gleichen Vorlage geschöpft haben können. Der Name des Philyllios ist angesichts des hier sehr verstümmelten Athenaeus-Textes nur erschlossen, aber nicht unwahrscheinlich: vgl. Athenaeus III p. 554,9 Kaibel (dazu die Epitome p. 556,13) sowie p. 556,2 (wo δ ι μ ύ ξ ο υ ergänzt ist) und 18, wo zu λ ύ χ ν ο ς δίμυξος ein Stück Komikervers erhalten ist, das vielleicht dem Philyllios gehörte (fr. *25 K.-A.). Ein denkbares Schema der Überlieferungsverhältnisse an diesen Stellen:

1. Die Mittlere Komödie bei Athenaeus und Pollux

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In diesem Fall erwies sich die frühere Pollux-Stelle der späteren in der Zahl der Belege als ebenbürtig; dennoch zeigt sich darin, daß X 115 eine Stücktitelangabe und ein Verszitat mehr hat, doch wieder die größere Ausführlichkeit der dortigen Vorlage. Ein weiteres Stellenpaar (VI 103 — X 118) aus dem gleichen Sachzusammenhang (λύχνοι) bestätigt diesen Eindruck: Beide Male zitiert Pollux den Komiker Theopomp (fr. 8 K.-A.) als Beleg für den Begriff όβελισκολύχνιον, aber erst an der zweiten Stelle erfahren wir, in welchem Stück und mit welchem Wortlaut (zwei Verse werden wiedergegeben) dies geschah. Ob andererseits der bewertende Zusatz τ ό δέ όνομα υττομόχθηρον an der früheren Stelle noch aus der Vorlage stammt oder von Pollux selbst hinzugefügt wurde, muß offen bleiben. Stammt er aus der Vorlage, wäre er möglicherweise ein Hinweis auf ihr Alter: erst in den nachchristlichen Jahrhunderten legte ein strenger werdender Attizismus mehr und mehr Wert auf bestimmte Sprachnormen. Doch ist die zweite Möglichkeit (Beisteuerung des Werturteils durch Pollux selbst) genausogut möglich, jedenfalls auf den ersten Blick. 88 Quelle A λύχνοι δίμυξοι, belegt durch Zitate aus Metagenes, Philyllios, Philonides, Plato Com. ^ l \ Zwischenquelle a1 Zwiscbenquelk a2 Zrvischenquelle a3 nennt Metagenes nennt Metagenes, nennt möglicherweise Philyllios mit Zitat; mit Zitat, PhilylPhilonides, beide Piaton mit Zitat; bei Metagenes und Philios mit Zitat lonides keine Zitate mehr I 1 1 Pollux VI 103 Pollux X 115 Athenaeus X V 7 0 0 f - 7 0 1 a In der Tat macht Pollux seine Leser gar nicht so selten darauf aufmerksam, wenn ihm ein Wort nicht gefällt (vgl. folgende Auswahl aus den ersten beiden Büchern: I 7 βρέτας ... οϋκ εγωγε προσίεμαι, I 43 τ ό γ ά ρ τοι τριψημερεΐν ΕΪρηται μέν, ού μην έμοιγε αρέσκει, I 55 ό δέ ένδεκαέτης σκληρότερόν μοι φαίνεται, I 98 ό ττοδοχών, ή μάλλον κατ' έμέ ό ττοδηγών, I 150 τ ό ... τ ω ν άντιττολέμων όνομα σκληρόν εστίν, βέλτιον δ' άντπτολεμοΰντες, II 8 τ ό δέ νεογιλλόν 'Ισαίος μέν είρηκεν ..., εμοί δ' ούκ άρέσκει, II 17 τ ό γ ά ρ κοράσιον ... ευτελές, II 23 ... μοχθηρά δέ άμφω τ ά ονόματα, II 30 τήν γ ά ρ κοσύμβην ούκ αν ττροσοίμην, II 82 φαϋλον δ' ό Μενάνδρου ακουστής, II 109 Οττομόχθηρος δέ ό άθυρόγλωσσος π α ρ ' Εύριττίδη, II 148 ό γ ά ρ χειρουργός ευτελές, vgl. auch II 112 f.), und wenn man damit verschiedene Bemerkungen seiner Vorreden zusammenbringt, in denen er sich auf oi την ακριβή φωνήν εχοντες beruft (Praef. II), ferner darauf aufmerksam macht, daß er Begriffe κάν είδώς ... άλλ' ώς ούκ ετταινών ausgelassen habe (Praef. IV) und versichert, stets ακριβειών τινα ... εις βασάνου κρίσιν angewendet zu haben (Praef. VII; vgl. auch Praef. VI und V I I 59 a.E.: τ ά δέ τ ο ι α ύ τ α ονόματα μηνύειν με και μή κρίνειν νόμιζε) — aus all dem scheint sich tatsächlich zu ergeben, daß Pollux selbst durchgehend um eine Wertung des ihm vorliegenden Sprachmaterials bemüht war, die dem richtigen Gebrauch des Lesers zugutekommen sollte. Andererseits kommt es aber auch oft genug vor, daß Pollux bei wiederholter Nennung Begriffe an der einen Stelle kritisiert und an der anderen einfach schweigend zuläßt. Bereits Althaus (1874) 3 hat dafür Belege gesammelt: vgl. Pollux' Behandlung von αμείλικτος (V 139 —VI 125), άττανθρωττεύεσθαι (II 5 - V I I I 14), σ ι γ η λ ώ ς (VI 2 0 9 - V 147), εΰστομία (V 1 1 7 - I X

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

Aber nicht nur die beiden zuletzt behandelten Stellenpaare selbst, sondern ihr ganzer jeweiliger Zusammenhang kann zeigen, wie Pollux sich beim gleichen Thema (λύχνοι in VI 103 und X 115 — 119) jeweils verschiedener Vorlagen bedient hat, die aber der gleichen Tradition angehören und nur verschiedene Stufen dieser Tradition darstellen. Das wird deutlich an der jeweiligen Anordnung der Unterpunkte des Begriffsfeldes λύχνοι:

λύχνοι

VI 103

και λυχνία

καϊ λυχνοϋχος ό νϋν φαωός

X 115-119 λύχνοι λύχνοι δίμυξοι / (λύχνα, λυχνοκαϊα, λυχνοκαυστεΐν, /' λύχνων άφαί) / λυχνίον . . . ή καλουμένη λυχνία /' τό δέ Ιντιθέμενον τ ω λύχνω θρυαλλίς, / / έλλύχνιον, φλόμος / (116) ό δέ νϋν φανό; και λυχνούχος

, , . , , , , ' . / . - - και λαμπτήρ και λαμπας και λ α μ π τ Γη ρ - - - — / , , , , , . , , Γ._ / ' (117) ττανος μέντοι και φανός η λαμπάς και φαωοι και δάδες-innmec -c τ ' / - —/ ί . icnrt--νAnri iTrrrricc / / (κάμακες) λύχνου δέ διμύξου . . . ' /' θρυαλλίδες δέ τα έντιθέμενα και έλλύχνια και φλόμοι όβελισκολύχνιον (118) όβελισκολύχνιον (χαλκίον μακρόν) (λυχνίδιον) στίλβη δέ ήν τι άγγεϊον γήινον, (119) καϊ ή στιλβη λύχνου τι εϊδος ω ότντϊ λύχνου έχρώντο (belegt mit Plat. fr. 00 K.-A.) (belegt mit Ar. fr. 573 K.-A.)

Die Übersicht zeigt weitgehende Übereinstimmungen in Inhalt und Anordnung, aber auch einige Umstellungen und Überschüsse (diese vor allem in X 115 — 119); darüber hinaus sind in X 115 — 119 alle Begriffe in der Regel mit Zitaten wesentlich besser dokumentiert als in VI 103; dies 160), παράκρουσις (IX 1 3 3 - I V 50), δύτης (VII 1 3 7 - 1 97), ρύδην (VI 1 7 5 - V I 144), επιθυμητής (III 69 —V 165); die Stelle, wo Pollux das entsprechende Wort kritisiert, ist jeweils zuerst aufgeführt. Dabei zeigt sich, daß dies keineswegs immer die jeweils frühere Stelle im Werk ist, und damit ist auch die Erklärung, Pollux sei im Laufe seiner Sammeltätigkeit „liberaler" geworden und habe früher von ihm nicht gebilligte Wörter später akzeptiert, nicht möglich (eine solche Erklärung hätte für den im Text behandelten Fall, V I 103 — X 118, wäre er der einzige, gelten können). Da Pollux aber eben genauso gut früher von ihm gebilligte Wörter später nicht mehr haben will, drängt sich der Schluß auf, daß auch hier wieder Quellenverschiedenheit im Spiel ist. Man wird daraus nicht unbedingt ableiten können, daß Pollux überall da, wo er eine Wertung anbringt, nur eine Quelle abschreibt; daß man aber mit dieser Möglichkeit ständig zu rechnen hat, dürften die von Althaus angeführten Fälle lehren.

1. Die Mittlere Komödie bei Athenaeus und Pollux

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und die Überschüsse erklären die größere Länge des λύχνοι-Referats in Buch X . Sein Pendant in Buch V I kann aber nicht einfach die verkürzte Fassung der Vorlage von X 115 — 119 sein, da hier auch Überschüsse gegenüber Buch X auftreten. 89 Dennoch gehen beide Abschnitte wohl auf die gleiche lexikalische Tradition zurück, die in Pollux X weniger stark gekürzt erscheint als in Pollux VI. Pollux II 197 —IV 182: Das letzte Stellenpaar, das hier behandelt werden soll, führt endlich wieder zu unserer Ausgangsfrage zurück, welche Autoritäten und Traditionen hinter Pollux' Zitaten aus der Mittleren Komödie stehen. II 197 ist einer von den sieben Fällen, wo Pollux die Mese als Beleg für einen bestimmten Wortgebrauch zitiert: πτερνίδες έν τι) μέση κωμωδία καλούνται oi πυθμένες των ιατρικών λεκανίδων. In IV 182 wird der Begriff τττερνίς noch einmal erklärt, aber obwohl der Bedeutungsumfang des Wortes hier eher größer angegeben wird (τττερνίς = λεκάνης πυθμήν — in II 197 bezeichneten die πτερνίδες lediglich die πυθμένες των ιατρικών λεκανίδων), wird als Gewährsmann nur noch der eine Alexis (fr. 329 Kock) angeführt. Warum einmal die ganze Epoche und das andere Mal nur ein einziger Dichter aus ihr? Hätte Pollux wirklich den Dichter in II 197 durch die Epochenbezeichnung ersetzt (vgl. o. S. 79), hätte er es auch in IV 182 tun können. Viel näher liegt, was sich auch bei den zuvor behandelten Stellenpaaren als die sinnvollste Annahme erwies: Pollux benutzte hier wie dort in verschiedenen inhaltlichen Zusammenhängen (II 197 μέρη ποδός, IV 181 f. εργαλεία ιατρών) auch verschiedene Quellen; die in II benutzte gab die mittlere Komödie als „Pauschalbeleg" an (oder mehrere Dichter aus ihr mit Mese-Zuordnung, was Pollux dann einfach selbst unter „Mittlere Komödie" zusammenfaßte), während die in IV entweder schon selbst nur noch Alexis zitierte oder eine Reihe von Individualbelegen bot (ohne Epochenzuweisung), von denen Pollux nur den ersten übernahm (vgl. das Verfahren in Poll. I V 75 mit Ath. IV 175e, o. Anm. 72). Wie immer sich die Sache im einzelnen verhalten hat: 89

Man könnte an einen ähnlichen Vorgang, wie er in Anm. 87 skizziert ist, denken: Epitomatoren wählten aus ihrer Vorlage verschieden aus; dann bereitet aber immer noch die verschiedene Erläuterung der στίλβη Schwierigkeiten (άγγεΐον γήινον, φ άντϊ λύχνου έχρώντο — λύχνου τι εΤδο$). Vielleicht also ist die knappere Vorlage bei VI 103 doch eine Art Epitome der ausführlicheren von X 115 — 119, hat aber von anderer Seite gewisse Bereicherungen erfahren und bei der Integrierung dieses Materials auch gewisse Umstellungen vorgenommen. Bei der Erörterung der Frage, ob Pollux aus Pamphilos schöpfte, hat man bei bejahender Antwort bisher immer die Frage offengelassen, ob Pollux das Lexikon des Pamphilos direkt oder in einer Epitome (Diogenian oder Julius Vestinus) benutzte (vgl. Zarncke 1885, 73; Schömann 1876, 132; Stoientin 1875, 90 hält es für „non ... improbabile", daß das Lexikon des Pamphilos dem Pollux über die Vestinus-Epitome vermittelt wurde). Wie, wenn er vielleicht beides tat, nämlich in den früheren Büchern nur die Epitome auswertete, dann aber in X , weil er (gegen Phrynichos?) mehr Material brauchte, auf Pamphilos selbst zurückgriff?

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

Sehr wahrscheinlich war auch der Mese-Beleg in II 197 Bestandteil einer Quellentradition, die Pollux übernahm. Wie weit diese Tradition zurückging, läßt sich von der Stelle selbst her nicht sagen; doch kann wie in den Fällen, wo Zitate im 10. Buch auf eine frühere und reichhaltigere Stufe solcher Traditionen hindeuten, so auch hier ein Traditionsstrang vermutet werden, innerhalb dessen die dürre Bemerkung in II 197 schon recht spät anzusiedeln ist; auch bei den anderen Stellenpaaren zeigen ja die jeweils früheren Stellen eine stärkere Verkürzung als die späteren.90 Nach den vorangegangenen Erörterungen über den Wechsel von Pollux' Quellen und den damit einhergehenden Wechsel in der Art und Ausführlichkeit seiner Zitate kann ein bisher noch nicht hervorgehobenes Phänomen kein reiner Zufall mehr sein: Die pauschalen „Epochenbelege" im Onomastiken — nicht nur aus der Mittleren, sondern auch der Alten und der Neuen Komödie — hören in der einfachen und knappen Form, wie sie uns etwa in II 197 begegnete, nach dem 7. Buch (in dem sie immerhin dreizehnmal zu beobachten sind) mit einem Mal auf.91 Daneben gibt es im 4. und im 10. Buch (das sonst nur Individualbelege präsentiert) je eine Stelle, an der ein „Epochenbeleg" in ein wenig anderer, ausführlicherer, Form erscheint: In IV 175 werden ενιοι ... τ ω ν Άθήνησι κωμωδούντων τ ω ν νέων, οίον Φιλήμων έν Σικελικω (fr. 81 Κ.-Α.) και Ποσείδιττττος έν Γαλάτη (fr. 9 Κ.-Α.) als Beleg für den Ausdruck λίτρα angeführt; in X 12 werden zunächst oi νεώτεροι insgesamt als Gewährsleute dafür zitiert, daß eine bestimmte Gruppe häuslicher σκεύη als μαλακά bezeichnet werden konnte, dann werden einzelne dieser νεώτεροι namentlich und mit Verszitaten beispielhalber dargeboten (Menander und Philemon). Daß wir schon in IV 175 einen Beleg der gerade beschriebenen Art (Kombination von Epochenangabe und mehreren Einzelzitaten aus dieser Epoche) finden, ist vielleicht ein einmaliger Glücksfall — hier war eben Pollux' Vorlage einmal besonders ausführlich (im Vergleich zu den übrigen „Epochenbelegen" in den ersten sieben Büchern); die Stelle X 12 tritt 90

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Auffallig ist in diesem letzten Fall, daß wir nicht eine Doppelung aus einem früheren Buch und Buch X vor uns haben, sondern eine aus zwei Büchern, die beide relativ früh sind. Aber dies spricht nicht gegen den o. rekonstruierten Vorgang: Die Vorlage, die Pollux zu IV 182 benutzte, war nicht unbedingt ausführlicher als die zu II 197 (in der Tat sind beide Stellen in ihren Angaben ähnlich knapp), aber sie war jedenfalls eine andere und hat als solche das ihr vorliegende Material auch anders gekürzt: sie vereinfachte es nicht auf die Sammelangabe μέση κωμωδία, sondern reduzierte die Zahl der Einzelbelege; vielleicht war schon in ihr nur noch der Alexis übrig. Es ist vielleicht nur eine Koinzidenz, aber genau nach dem 7. Buch gibt es auch in der P o l l u n - Ü b e r l i e f e r u n g einen Bruch: die Bücher I —VII haben drei voneinander unabhängige Überlieferungsstränge, die Bücher VIII —X nur noch zwei (vgl. Bethe im 1. Band seiner Ausgabe, p. XVII).

1. Die Mittlere Komödie bei Athenaeus und Pollux

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innerhalb ihrer (ohnehin viel bessere Belege als die übrigen neun Polluxbücher bietenden) Umgebung nicht ganz so hervor, bildet aber auch im 10. Buch einen Einzelfall. Somit ergibt sich, was „Epochenbelege" bei Pollux angeht, folgendes Gesamtbild: Die bis einschließlich des 7. Buches zu findenden Verweise auf die Alte, Mittlere und Neue Komödie als Ganzes (mit der bemerkenswerten Variante in IV 175) zur Dokumentierung bestimmter sprachlicher Erscheinungen stellen eine bereits reichlich verkürzte Stufe in einer Belegtradition dar, von der wir in IV 175 und X 12 noch Beispiele eines früheren, ausführlicheren Stadiums greifen können. Auch bei den Zitaten aus der Mittleren Komödie läßt sich die Vermutung wagen, daß diese Belege einmal umfänglicher, d. h. mit jeweils mehreren Beispielen einzelner Dichter (für die dabei die Zuweisung an die Mese festgestanden haben und ausdrücklich vermerkt gewesen sein muß!) überliefert waren; wenn sie ähnlich ausführlich und gut dokumentiert waren wie viele im 10. Buch, dann sollte diese Tradition bis in hohe alexandrinische.Zeit zurückreichen. Leider hat uns Pollux nicht den Gefallen getan, auch nur einen aus einer Epochenzuweisung an die Mese und zugehörigen Einzelzitaten kombinierten Beleg zu präsentieren, so daß die hier vorgetragenen Überlegungen immer etwas unsicher bleiben müssen. Immerhin gibt es auch bei Pollux' Mese-Zitaten zwei Fälle, wo eine Verkürzung fast noch mit Händen zu greifen ist: Auf II 197 (im Vergleich mit IV 182: Mese — Alexis) wurde bereits hingewiesen (o. S. 99); und in I 233 wird höchst kurios der μέση κωμωδία als ganzer ein bestimmter Vers zugewiesen; 92 hier hat offenbar ungeschicktes Epitomieren von dem ursprünglichen Beleg die Epochenzuweisung und den Vers eines Komödiendichters, nicht aber seinen Namen, verschont. Viel weiter läßt sich beim derzeitigen Stand der Pollux-Quellenforschung und bei der uns überlieferten Textgestalt des Onomastikon selbst 93 92

93

Aus Vergleich mit Ath. epit. II 50f ergibt sich, daß der Vers dem Amphis gehört (fr. 38 Kock). Pollux' und Athenaeus' Vorlage an dieser Stelle kann kaum dieselbe gewesen sein: Die des Pollux war betont grammatikalisch ausgerichtet und hob das verschiedene grammatische Geschlecht von Baumart und zugehöriger Baumfrucht hervor; bei Athenaeus ist der Zusammenhang völlig anders (vgl. auch Poll. I 232 mit Ath. epit. II 50b). Vielleicht hat aber die Athenaeus-Epitome den Unterschied noch vergrößert, indem sie die (vielleicht auch bei Athenaeus ursprünglich vorhandene) Erörterung über die verschiedenen grammatischen Geschlechter einfach unter den Tisch fallen ließ (darauf könnte der rätselhafte Satz in II 50b = p. 115,5 — 7 Kaibel hindeuten, den Kaibel mit dem Hinweis auf Poll. I 232 richtig erläutert). Nach genereller Forschungsmeinung ist uns Pollux' Onomastikon nur noch in einer Epitome erhalten (nur H. Erbse äußert in seinem LdAW-Artikel „Pollux" Widerspruch, ohne ihn freilich zu begründen). Bethe (1895) 332 hat die Epitomierung aus einer Notiz, die sich in Codex Α zwischen dem Widmungsbrief und dem eigentlichen Beginn von Buch I findet (... oi δέ ye παλαιοί ο! ευρισκόμενοι ευ τοις πέντε βιβλίοις είσϊν οΰτοι' Θουκυδίδης, Πλάτων, 'Ισαίος, Όμηρος, Σοφοκλής, Ευριπίδης, Ισοκράτης' και ετεροι

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

kaum kommen; aber Fielitz' Hypothese von dem Pollux, der selbständig Epochenbezeichnungen anstelle der Dichternamen in seine Belege hineinmanipuliert, darf wohl als widerlegt gelten. Der Athener Sophistikprofessor von Commodus' Gnaden war vielmehr in einem solchen Ausmaß offenbar von seinen Quellen und ihrer jeweiligen Verläßlichkeit und Ausführlichkeit abhängig, daß ein junger Ursprung der bei ihm vorhandenen Belege aus der Mittleren Komödie fast undenkbar ist. Und wenn Pollux' Komödienkenntnisse (namentlich im 10. Buch) in letzter Instanz — mit wievielen Zwischenstufen, läßt sich nicht mehr sagen — auf Gelehrte wie Eratosthenes und Aristophanes von Byzanz zurückgehen (vgl. o. S. 84 und 87), dann mag auch die Präsenz der μέση κωμωδία bei Pollux an diesem illustren Stammbaum ihren Anteil haben.

2. Aristoteles, die Komödie und der Tract atus Coislinianus Bei den vorangehenden Erörterungen über die Quellen des Athenaeus und Pollux ist es sehr wahrscheinlich geworden, daß die Konzeption von einer „Mittleren" Komödie nicht erst kurz vor oder mit diesen kaiserzeitττολλοί, oOs έ γ ώ κατέλιττον διά τ ό συνσπτικόν και εύληπτότερον), herauslesen wollen: „A giebt also eine Epitome der ersten fünf Bücher", und er hat dies nicht nur auf die anderen maßgeblichen Hs.-Gruppen übertragen, die entweder ärmer oder nur geringfügig reicher in ihrem Textbestand seien als A (322 f.), sondern auch auf die zweite Hälfte des Onomastikon, obwohl er selbst „einen probabeln Grund, warum die Bemerkung nur für die Hälfte der Bücherzahl gemacht ist, nicht anzugeben" weiß (333). Man könnte sich auch fragen, warum sich diese Bemerkung nur in Α und nicht auch in den anderen Handschriften findet, die laut Bethe alle von dieser Epitome abhängen sollen (vgl. sein Stemma in Band I der Ausgabe, p. XV). Außerdem finden sich die Namen der in der Notiz angeführten Autoren wie auch von ετεροι πολλοί auch durchweg in Buch I —V. Wie also ist das κατέλιπου zu verstehen, auf das sich die Annahme der Epitomierung stützt? Könnte es nicht einfach nur auf die Notiz selber bezogen sein und der Satz dann sinngemäß lauten: „... und noch viele andere, die ich hier nicht aufgeführt habe wegen der besseren und leichteren Ubersicht"? Dann wäre jeder Hinweis auf eine Epitomierung verschwunden. Man könnte sich auch fragen, ob in einer Epitome der Wechsel in der Zitierweise, der sich zwischen den früheren Büchern und Buch X feststellen läßt, noch in dieser Deutlichkeit zu erkennen wäre. Eher noch als diese Vorbemerkung in Α könnten gewisse Text-Überschüsse in einem Pariser Codex (Par. 1630 fol. 921), die erstmals E. Miller publiziert hat (Revue archeol. n. s. 27, 1874, 260 ff., bequem zusammengestellt im 1. Band von Bethes Ausgabe p. XIV), daraufhindeuten, daß die von Bethe rekonstruierte Fassung nicht die ursprüngliche und vollständige ist. Aber von diesen Überschüssen erstreckt sich nur ein einziger (zu II 174) über mehrere Zeilen, von den übrigen vier ist keiner länger als fünf Wörter — alles in allem ein recht geringer Zuwachs, der über das Maß der teilweise recht starken Abweichung und Verkürzung, das die übrigen wichtigen Handschriften im Vergleich untereinander zeigen, kaum hinausgeht und damit ebenfalls kein endgültig entscheidendes Argument dafür sein kann, daß das, was wir von Pollux noch haben, nur eine Epitome ist.

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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liehen A u t o r e n a u f k a m , s o n d e r n z u s a m m e n mit d e m ü b r i g e n Material, das sie v e r w e r t e t e n , in hellenistische Zeit h i n a u f r e i c h t . D e r e x t r e m e Spätansatz der literarhistorischen E r f a s s u n g der M e s e ist s o m i t ziemlich sicher zur ü c k z u w e i s e n ; i h m steht aber auf der a n d e r e n Seite ein fast e b e n s o e x t r e m e r F r ü h a n s a t z g e g e n ü b e r , der als T a u f p a t e n einen d e r g r ö ß t e n G e i s t e r des A l t e r t u m s , n ä m l i c h A r i s t o t e l e s , in A n s p r u c h n i m m t u n d schon deshalb hier nicht u n b e h a n d e l t bleiben d ü r f t e . D i e zentrale Stütze dieser T h e s e ist der Tractatus Coislinianus (im F o l g e n d e n k u r z TC o d e r Traktat genannt), ein k u r z e r Text in einer byzantinischen H a n d s c h r i f t des 10. J h s , 1 v o n d e m m a n c h e Partien bis heute nicht b e f r i e d i g e n d v e r s t a n d e n u n d e r k l ä r t sind. Seit seiner E n t d e k k u n g und V e r ö f f e n t l i c h u n g i m letzten J a h r h u n d e r t 2 hat m a n ihn i m m e r w i e d e r in B e z u g z u r aristotelischen Poetik gesetzt; w i e e n g dieser B e z u g allerdings ist, d a r ü b e r g e h e n die M e i n u n g e n w e i t auseinander — v o n denen, die n u r i n d i r e k t e , ü b e r längere peripatetische L e h r t r a d i t i o n e n lauf e n d e B e z i e h u n g e n e r k e n n e n w o l l e n , bis zu d e n e n , die hier in der Tat ein E x z e r p t aus d e m v e r l o r e n e n z w e i t e n B u c h d e r aristotelischen Poetik erblicken. 3 D i e s e letztere T h e s e ist v o r k u r z e m m i t V e r v e v o n R i c h a r d J a n k o

1

2

3

Angaben zu Herkunft und Alter der Handschrift bei Koster (1975) p. 63 app. (p. II f. vorsichtiges Urteil über die Beziehungen zwischen dem Traktat und Aristoteles) und bei Janko (1984) 5. In: J. A. Cramer, Anecdota Graeca e Codd. Manuscriptis Bibliothecae Regia« Parisiensis I, Oxford 1839, 4 0 3 - 4 0 6 . Vgl. die Forschungsübersicht bei Janko (1984) 1—3. In vielem hat bereits Cooper (1922) Jankos Thesen vorweggenommen: Schon Cooper postuliert eine positive Einstellung des Aristoteles zu Aristophanes (18—41. 172. 259; vgl. Janko 66 f. 205 f., dagegen Halliweü 1985), und auch er möchte Aristophanes zum Vertreter einer ausgewogen-„mittleren" Komödie machen (24. 85, vgl. Janko 211. 249) und den Begriff der Mittleren Komödie auf Aristoteles zurückführen (26. 285). Aber während Cooper auch zu erklären versucht, wie der Begriff Mese von der Komödie des Aristophanes dann auf die zwischen Aristophanes und Menander übertragen worden sein soll, bleibt Janko eine solche Erklärung schuldig (vgl. u. S. 147). Noch einen anderen Vorgänger in der bedeutendsten seiner Thesen hat Janko nicht erwähnt: Auch R. Stark, Aristotelesstudien, Zetemata 8, München 2 1972, ist der Ansicht, „daß der Tractatus Coislinianus, in dem lediglich die Skizze des Inhalts einer nicht erhaltenen Abhandlung ττερ'ι κωμωδίας vorliegt, nichts enthält, was erst in nacharistotelischer Zeit entstanden wäre" (91); damit aber bleibt, wie bei Janko, als Vorlage des Traktats nur Aristoteles übrig. Bei der Komödien-Dreiteilung am Ende des TC hält Stark es für „evident, daß sie nicht die chronologische Folge ,alte, mittlere, neue Komödie' unseres literaturgeschichtlichen Schemas meint, sondern die Stilentwicklung, die von den Komikern des 5. Jahrhunderts bis zu den Komödien aristotelischer Zeit sich vollzogen hat" (92), und er will die bei dieser Dreiteilung skizzierte Entwicklung der Komödie von γελοΤον zum σεμνόν auf Aristoteles zurückführen, indem er die Stelle Rhet. III 3 p. 1406b6 —8 (είσίυ γ ά ρ και μεταφοραΐ άττρεττεΐς, αί μέν διά τ ό γελοΐον — ... — , αί δέ διά τό σεμνόν ά γ α ν και τραγικόν) vergleicht. Dort ist allerdings überhaupt nicht von einer Entwicklung des einen zum anderen die Rede; ferner ist mit dem σεμνόν im Traktat mit Sicherheit keine μεταφορά ά-πρεττή? gemeint. Ähnlich fraglich

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

(1984) verfochten worden. Janko hält jeden Teil des TC für reines aristotelisches Gut, damit auch den Schlußparagraphen, in dem drei verschiedene Komödienepochen 4 aufgeführt und charakterisiert werden; ist wirklich alles im TC von Aristoteles, so würde dieser auch zum „Erfinder" der Mittleren Komödie. Jankos Rückführung des ganzen TC auf Aristoteles erscheint schon auf den ersten Blick so kühn, daß kaum ein Rezensent sie bisher ohne

ist Starks Versuch, eine Übereinstimmung der Komödiendefinition des TC mit aristotelischen Lehren zu erweisen (vgl. u. S. 114 ff.): Dazu postuliert er eine komische Katharsis und will unter Katharsis die Reduzierung von πάθη auf ein Mittelmaß verstehen, aber die von ihm angeführten Stellen reichen nicht aus, um beide Gedanken wirklich als aristotelisch zu erweisen: 1) Bei dem Aristoteles-Zitat in Plut. περι άοργησίας 3 p. 454 C (Stark 90) ist unklar, wie weit sich sein Umfang erstreckt; selbst wenn der Satz και νή Δία xotpäs επιγενόμενης ά φ ν ω ... ίάνθη και διεχύθη πολλοίς ό θυμός noch dazu gehört, ist hier weder von einer dramatischen Katharsis die Rede noch von einer Beseitigung von Freude durch Freude, wie sie die Komödiendefinition des TC „lehrt". 2) In Rhet. II 3 p. 1380b2 —5 ist ebenfalls nur gesagt, daß Menschen πράοι sind, wenn sie sich έν παίδια, έν γ έ λ ω τ ι ..., όλως έν ηδονή μη υβριστική κτλ. befinden; auch hier steht nichts von einer kathartischen Erzeugung dieses Zustandes, und erneut geht es nicht um die Reinigung von Gleichem durch Gleiches. 3) Aus dem Satz des Jamblich (De myst. I I I ) εν τε κωμωδία και τ ρ α γ ω δ ί α άλλότρια πάθη θεωροϋντες ΐσταμεν τ ά οϊκεΤα πάθη και μετριώτερα άπεργαζόμεθα και άποκαθαίρομεν ohne weiteres auf reine aristotelische Lehre und auf die Vorstellung einer Katharsis sowohl in Komödie wie in Tragödie zu schließen, ist zumindest voreilig: Bei dieser Lehre muß man „auch mit peripatetischen Zwischengliedern rechnen" (so Stark selbst, 88); ferner bilden die Worte μετριώτερα άπεργαζόμεθα και άποκαθαίρομεν in sich einen Gegensatz (vgl. zu dem gleichen Problem im TC selbst u. S. 130 ff.); am ehesten aristotelisch wäre es, wenn wir dem Satzablauf folgend άποκαθαίρομεν auf τ ρ α γ ω δ ί α und μετριώτερα άπεργαζόμεθα auf κωμωδία beziehen könnten; aber damit fiele die komische Katharsis wieder unter den Tisch. Zudem ist hier — anders als im TC — nicht die Rede von einer Beseitigung bestimmter παθήματα durch eben diese selbst. Auf die enormen Schwierigkeiten der Komödiendefinition des TC (vgl. u. S. 114 ff.) geht Stark gar nicht ein. Würde man bei einem „aristotelischen" Exzerpt (und sei es über noch so viele Stationen tradiert) nicht auch erwarten, daß sich der Name des ursprünglichen Verfassers erhalten hätte, gerade bei einem so illustren Mann wie Aristoteles? 4

Cooper (1922) 285 deutet „alt", „neu" und „mittel" nicht als Bezeichnungen aufeinanderfolgender Ä/Vepochen, sondern als Charakterisierung bestimmter Arten von Komödien, die nebeneinander existieren konnten (vgl. Wilamowitz, o. S. 11 f.): „the Tractate does not say that the ,Middle' is intermediate in point of time, but that it is ,a mixture' of the other two". Bei „mittel" mag dies gehen, aber kann man „alt" und „neu" anders als chronologisch verstehen? Auch Coopers Versuch, alle drei „Typen" von Komödie bei Aristophanes nachzuweisen, mündet in eine verkappte zeitliche Abfolge ein, der man auch als Vertreter der herkömmlichen Epochendreiteilung der attischen Komödie zustimmen kann: Zwischen der „alten" Komödie Frosche und der „mittleren" Komödie Plutos liegen fast zwei Jahrzehnte, die in der Tat die Ubergangszeit zwischen der Archaia und der Mese nach allgemeiner herkömmlicher Auffassung darstellen (vgl. auch u. S. 334 f.); und vom Kokalos, der bei Aristophanes die „neue" Komödie repräsentieren soll (vgl. Ar. test. 1,5. 46 — 51 Κ.-Α.), sagt auch Cooper nur, er „foreshadowed" die Neue Komödie.

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weiteres akzeptieren wollte. 5 Und was die Komödiendreiteilung angeht, so ist im ganzen erhaltenen Oeuvre des Aristoteles sonst kein einziger Hinweis auf sie zu finden (vgl. u. S. 145); die Komödiendreiteilung am Ende des TC könnte daher auch nur dann als aristotelisch postuliert werden, wenn für alle übrigen Teile des Traktats ein aristotelischer Ursprung sicher nachgewiesen oder wenigstens wahrscheinlich gemacht werden kann. Nun haben aber bereits die in Anm. 5 genannten Rezensenten auf Stellen des TC hingewiesen, die sich offenbar mit uns bekannten aristotelischen Gedanken nicht vereinbaren lassen; hier muß noch einmal angesetzt werden. 6 5

W. G. Arnott (CR 35, 1985, 304—306) zeigt sich unentschieden, aber skeptisch; S. Halliwell (1985) hat sich dezidiert gegen Jankos These ausgesprochen und dazu eine Reihe beachtlicher Gründe vorgetragen. Auch T. G. Rosenmeyer (1985) ist insgesamt nicht überzeugt, akzeptiert aber den von Janko versuchten Nachweis, daß der Begriff „Mittlere Komödie" im Altertum auf Aristophanes angewendet wurde (vgl. u. S. 147). Gegen eine solche Applikation der Dreiteilung des TC, die die Neue Komödie Menanders völlig unberücksichtigt ließe, aber Gilula (1986), die bei einer insgesamt freundlichen Aufnahme des Buches ihre Abweichungen in wichtigen Punkten nicht verschweigt. Gegen Jankos argumentum ex silentio, Menander sei dem TC unbekannt, ferner Schenkeveld (1986) 215 f., der außerdem wichtige Beobachtungen zum nacharistotelischen Sprachgebrauch des TC vorträgt. L. Golden (AJP 107, 1986, 440—442) konzentriert sich bei seiner Ablehnung von Jankos These darauf, die Unvereinbarkeit der Komödiendefinition des TC mit aristotelischen Gedanken zu zeigen (vgl. u. S. 114 ff.). W. W. Fortenbaugh (1987) weist zunächst eine Reihe von Schwachstellen in der Edition des rekonstruierten Textes auf, den Janko als Epitome des zweiten Buches der aristotelischen Poetik erweisen will; es folgen Hinweise, die zeigen, daß Jankos Rückführung mancher Abschnitte des TC auf das zweite Poetikhuch oder Aristoteles überhaupt keineswegs zwingend und teilweise fragwürdig ist.

6

Janko ist zu seiner These vom aristotelischen Ursprung des TC zunächst in einer Art Ausschlußverfahren gelangt: Chronologisch rückwärts schreitend versucht er nachzuweisen, daß der Traktat weder ein Werk hellenistischer Gelehrter noch des Theophrast sein könne (44—52). Aber obwohl Janko dabei zweimal die Möglichkeit einer „mixed authorship" erwähnt („containing some Aristotle" — „including an unknown Peripatetic writer or writers"), wird diese im Folgenden kaum noch in Betracht gezogen, und die kompilatorischen Züge, die der Traktat aufzuweisen scheint (vgl. u. S. 144 f.), bleiben unberücksichtigt (sieht man den TC als ein Konglomerat verschiedener Meinungen an, würde zum Beispiel verständlicher, warum der Begriff der Komödie in ihm nicht ganz einheitlich zu sein scheint, und warum eine vor allem zur Alten Komödie stimmende Auffassung, daß ein komisches Drama im wesentlichen das σ κ ώ π τ ε ι ν und έλέγχειν der Menschen zur Aufgabe habe, neben Bemerkungen zur Komödiensprache steht, die die komischen Stücke als harmlose Alltagsdramen — die sie in der Nea geworden sind — charakterisieren). Oft verläßt sich Janko auch nur auf das argumentum ex silentio (etwa in der Form: was wir von verschiedenen Peripatetikern namentlich wissen, findet im TC keine Entsprechung, also kann er auf sie nicht zurückgehen); das ist gefahrlich, denn vieles an nacharistotelischer Gelehrsamkeit und Literaturtheorie kennen wir nur noch in spärlichen Resten; dabei blieb am ehesten noch Anekdotisches mit einem Autorennamen verbunden; Theoretisches dagegen wurde meist anonym in die Spätantike und darüber hinaus tradiert; das macht es auch beim TC sehr schwer, seine einzelnen Sätze auf einen bestimmten Urheber zurückzuführen.

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a) Widersprüche zu aristotelischen Gedanken im TC Eines der größten Hinternisse bei dem Versuch, den TC zum Exzerpt aus dem verlorenen Teil der aristotelischen Poetik zu erklären, findet sich gleich an seinem Anfang, bei der Einteilung der literarischen Genera. Janko hat sich mit dieser Einteilung intensiv beschäftigt (1984, 121 — 135), dabei aber offenbar ein grundsätzlicheres Problem nicht genügend ins Auge gefaßt: Dürfen wir eine solche, sozusagen ab ovo beginnende Gattungsgliederung am Beginn eines %weiten Buches überhaupt noch erwarten? 7 Aristoteles hat bereits die ersten drei Kapitel der uns erhaltenen Poetik darauf verwandt, uns seine Vorstellungen von den Gattungsstrukturen der Poesie darzulegen; warum sollte er das am Beginn des zweiten Buches noch einmal tun? Stimmt diese Gliederung mit der vom Anfang des ersten Buches überein, ist sie überflüssig; weicht sie jedoch ab, muß man sich fragen, ob es überhaupt vorstellbar ist, daß Aristoteles innerhalb desselben Werkes bei einem so wichtigen Punkt die eigene Meinung so auffallig modifizieren könnte. Gegen diese grundsätzlichen Bedenken hilft weder Jankos Hinweis auf die „shared aims" der beiden /W/>£bücher (121: „both are Poetics ... and both begin with poetry as a whole" — aber warum sollte Aristoteles in jedem Buch von vorn anfangen?) noch auch seine Vermutung, die Gattungseinteilung des TC sei eine umfängliche „recapitulation" (126) oder ein „resume of previous divisions" (125) des ersten /W/^buches; selbst wenn diese Einteilung in allem mit der jenes Buches übereinstimmte (was sie nicht tut, vgl. u.), müßte man doch fragen, welchen Zweck eine Zusammenfassung haben soll, die lediglich die ersten drei Kapitel eines vorangehenden Buches erfaßt. Auch Jankos Vergleich

7

Vgl. Gilula (1986) 268, Fortenbaugh (1987) 161. Schon Kaibel (1898) 65 macht indirekt auf das hier eingebettete Problem aufmerksam, wenn er vermutet, daß „das Original [des TC\ vielleicht eine Poetik überhaupt war. Das an die Spitze gestellte Schema könnte dafür sprechen"; in der Tat läßt sich dieses Schema wesentlich besser als generelle Einführung in eine poetologische Schrift verstehen (wie auch der Grammatiker Diomedes seine Übersicht über die Dichtkunst mit einer Einteilung der poetischen Genera beginnt: GrL I 482 f. Keil) denn als Fortsetzung einer Poetik, die grundsätzliche Einteilungsfragen natürlich am Beginn ihres ersten Buches behandelt. Auch Reich (1903) 248 ff. hat sich zur Gliederung der Literaturgattungen am Anfang des TC geäußert, aber widersprüchlich: Einerseits hält er es hier für „keine Frage, daß das Einteilungsschema der dramatischen Poesie und der Poesie überhaupt nicht einfach so in der Poetik gestanden hat, auch schwerlich in irgendeiner anderen Schrift des Aristoteles" (252); andererseits sieht er dennoch alle Elemente dieses Einteilungsschemas für „aristotelisch" an. Offenbar bedeutet „aristotelisch" bei Reich nicht, wie es natürlich wäre, „auf Aristoteles zurückgehend", sondern „in der aristotelischen Schule entwickelt", denn er nimmt an, daß „die einzelnen Einteilungen des Schemas ... irgendein zwischen ihm [d. h. dem anonymen Verfasser des TC\ und Aristoteles stehender Peripatetiker aufgestellt hat" (252). Hier wird der Terminologie und dem Verständnis des Lesers viel zugemutet.

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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dieser „ Z u s a m m e n f a s s u n g " m i t d e m A n f a n g des dritten Buches d e r aristotelischen Rhetorik schlägt nicht d u r c h ; 8 d e n n die Sätze d o r t g e b e n w i r k l i c h einen g e r a f f t e n Ü b e r b l i c k ü b e r d e n Inhalt der beiden v o r a n g e g a n g e n e n B ü c h e r — w a s der A n f a n g des TC g e g e n ü b e r der uns b e k a n n t e n Poetik des A r i s t o t e l e s mitnichten leistet. D a r ü b e r hinaus zeigt auch eine Reihe v o n Einzelheiten in diesem ersten A b s c h n i t t des Traktats W i d e r s p r ü c h e zu A r i s t o t e l e s u n d v o r allem zu seiner Poetik·. Ein schon f r ü h 9 als B e w e i s g e g e n eine H e r k u n f t des TC v o n A r i s t o t e l e s a n g e f ü h r t e s Indiz ist die K o n z e p t i o n einer τ τ ο ί η σ ί ξ α μ ί μ η τ ο ς : W e n n A r i s t o t e l e s am A n f a n g der e r h a l t e n e n Poetik mit aller n u r w ü n s c h e n s w e r t e n D e u t l i c h k e i t eine Poesie o h n e μ ί μ η σ ι ς a u s g e s c h l o s s e n hat, w i e k ö n n t e er dann am B e g i n n eines an diese Poetik anschließenden Teiles d e n n o c h eine „Poesie a u ß e r h a l b v o n μ ί η μ σ ι ς " gelten lassen? U m diesem E i n w a n d zu b e g e g n e n , p o s t u l i e r t J a n k o , π ο ί η σ ι ς μ ι μ η τ ι κ ή b e d e u t e hier soviel w i e „ p o e t r y par excellence" ( 1 2 3 ) o d e r „ p o e t r y p r o p e r " ( 1 2 3 . 1 2 4 ) ; 1 0 so habe A r i s t o t e l e s am B e g i n n der e r h a l t e n e n Poetik auch seinen 8

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Überdies ist dieser Einleitungspassus von Rhet. III in seiner Authentizität umstritten; Rabe (1890) 30 f. wollte ihn ganz athetieren, weil sich Aristoteles gleich in den folgenden Zeilen auffallig wiederholen würde. Vgl. auch den Hinweis von Fortenbaugh (1987) 161. Vgl. Bernays (1880) 140f. ( = 1853, 564 f.). Kaibel (1898) 65 ist ein wenig konzilianter („in diesem Sinne [von Prosa-Schriftstellerei] konnte auch Aristoteles von einer ποίησις άμίμητος reden, ob er es gethan hat, ist eine andere Frage" — man muß sich fragen, ob er es wirklich konnte, wenn man die klaren Aussagen von Poet. 1 berücksichtigt; ähnlich ablehnend auch schon O. Immisch (1902) 263 f. Schon Kayser (1906) 8 hatte, um mit der peripatetischen Lehre (besser gesagt: der aristotelischen) in Einklang zu bleiben, die ττοίησις μιμητική als ποίησις κατ' εξοχήν verstehen und der αμίμητος das Substantiv ττοίησις ganz absprechen wollen („Sed cum secundum Peripateticorum doctrinam ττοίησις άμίμητος omnino non possit numerari in ττοιήσεως speciebus, priore loco [d. h. bei der άμίμητος] artis poeticae species non invenitur" — aber was soll dann der Oberbegriff sein, den άμίμητος spezifiziert?). Damit würde ποίησις im TC freilich sowohl als γένος- wie als εΤδος-Begriff auftauchen (ττοίησις — ττοίησις μιμητική); doch vergleicht Kayser damit die terminologische Inkonsequenz in EN VI 8 p. 1141b23 —27, wo auch die ττολιτική sowohl als γένος wie als είδος erscheine; so sei auch diese Ungenauigkeit des TC gut peripatetisch (Kayser 8 f.). Janko argumentiert ähnlich (124 f.): Da der Begriff der ποίησις άμίμητος für ihn aristotelisch ist, führt ihn sein (offensichtlich von Poet. 1 beeinflußtes) Verständnis der ττοίησις μιμητική als „poetry proper" dazu, die gleiche γένος-είδος-Verwirrung wie Kayser im TC zu postulieren und sie mit der genannten Stelle EN VI 8 p. 1141b23—27 und mit EN V 10 p. 1135bl2 —18 (wo αμάρτημα ebenfalls als ein Teilgebiet seiner selbst erscheine) als gut aristotelisch zu erklären. Solche terminologischen Probleme entstehen im TC aber nur, wenn man dort die ττοίησις μιμητική als „eigentliche" und „wahre" Dichtung verstehen zu müssen glaubt, während die ποίησις άμίμητος dann offenbar eine mindere Form ist. Aber zu einer solchen unterschiedlichen Bewertung der beiden ΤΓθίησις-Zweige bietet der Wortlaut des TC selbst nicht den geringsten Anhaltspunkt; und ohne sie gibt es auch keine terminologischen Probleme mehr — dann zerfallt nämlich das γένος Dichtung völlig folgerichtig in die είδη „mimetische Dichtung" und „unmimetische Dichtung"; nur der Versuch, um jeden Preis Aristoteles in diese Stelle hineinlesen zu wollen, führt in Schwierigkeiten.

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

iro^ais-Begriff definiert (mit den Forderungen nach Versifikation und Mimesis), während er sonst ποίησις durchaus lockerer auch für bloße (d. h. nicht unbedingt mimetische) Versifikationen anwende. Dagegen aber ist zu sagen: Zum einen gibt es im Traktat selbst keinen Hinweis darauf, daß ττοίησις μιμητική hier „Dichtung im engeren, eigentlichen Sinne" bedeuten und die ποίησις αμίμητος dementsprechend abgewertet würde (das Ganze läuft auf eine petitio principii hinaus: man unterlegt der Stelle einen — vermeintlich oder tatsächlich — aristotelischen Sinn, weil man den ganzen Text für aristotelisch hält). Zum anderen kommt Jankos Postulat eines ungenauen Sprachgebrauchs durch Aristoteles an dieser Stelle in der Tat dem Zerhauen des Gordischen Knotens gleich, mit dem er selbst sein Vorgehen charakterisiert (132): Zwar gibt es genügend Fälle, wo Aristoteles auf eine stimmige Terminologie nicht sehr viel Wert gelegt zu haben scheint,11 aber wohl nur dort, wo auf eine solche Terminologie nicht viel ankam. So verschlägt es nichts, wenn er in der Politik, in der Rhetorik und in der Athenaion Politeia auch einmal vom „Dichter" Solon spricht; 12 wo ihm etwas darauf ankam — eben am Beginn der Poetik (1 11

Daß Aristoteles in seinem Sprachgebrauch oft hinter den Anforderungen absoluter Genauigkeit zurückbleibt, ist bekannt; „er ... vermeidet eine starre Systematik und eine bis ins letzte konsistente Terminologie. Seine sich sachlich teilweise überlagernden systematischen Zugriffe mit der dazugehörigen Terminologie haben Aspektcharakter" (H. Flashar, in: Grundriß der Geschichte der Philosophie der Antike, begründet von Fr. Ueberweg, völlig neubearbeitete Auflage, Band 3: Altere Akademie, Aristoteles, Peripatos, hrsg. v. H. Flashar, Basel —Stuttgart 1983, 425). Darunter gibt es freilich auch Widersprüche, die über bloße terminologische Unstimmigkeiten hinausgehen und bis heute noch nicht zufriedenstellend erklärt worden sind, etwa was das Verhältnis zwischen „Erster Philosophie" {Met. Ε 1) und „Ontologie" {Met. Γ 1) angeht (Flashar 376 f.). Einige dieser Widersprüche lösen sich auf, wenn man annimmt, daß Aristoteles sich an verschiedene Adressaten wendet (ζ. B. bei der Frage, ob der βίος πρακτικός oder der βίος θεωρητικός höher zu bewerten ist: vgl. EN X 6 —9 gegen EN II 2 p. 1103b26 — 30, und generell das Verhältnis zwischen EN und EE\ Flashar 341—343) oder daß er einen Gegenstand aus verschiedenen Perspektiven betrachtet (vgl. die Widersprüche in der Seelenvorstellung zwischen dem Eudemus und De Anima\ Flashar 411—413). Ferner spielt eine Rolle, ob ein bestimmter Gegenstand Neben- oder Hauptthema einer Schrift ist: So werden ethische Kategorien auch in der Rhetorik behandelt und dabei jeweils in einem Zweierschema erfaßt, aber als Hauptsache natürlich in den Ethiken und dort im Rahmen einer Dreiteilung; niemand wird diese Dreiteilung zugunsten der in der Rhetorik erscheinenden Zweiteilung verwerfen, weil der eigentliche Ort für ethische Themen eben die Ethiken sind (vgl. Flashar 366, auch 367). Ahnliches müssen wir daher auch bei Widersprüchen in poetologischen Fragen annehmen: Für sie ist die Poetik der maßgebliche Ort, und wenn in anderen Schriften das Etikett „Dichtung" weniger scharf umrissen verwandt wird, so bleiben die ausdrücklichen Bestimmungen der Poetik doch das maßgebende Zeugnis.

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So Janko 124, freilich ungenau: An keiner der von ihm angeführten Stellen nennt Aristoteles den Solon einen ποιητής, er spricht nur vom ποιεΐν {Pol. I 8 p. 1256b32f.; Rhet. I 15 p. 1375b33f.) und von ποίησις {Pol. IV 11 p. 1296al9f.; Ath. Pol. 12,1) bzw. ποιήματα {Ath. Pol. 5,3 und 6,4). Im übrigen sollte man auch nicht ohne weiteres, wie

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p. 1 4 4 7 b l 7 —20) —, da hat er den Empedokles rigoros aus der Reihe der Dichter ausgesondert und sich auch überall sonst in der Poetik davor gehütet, ihn als Dichter zu bezeichnen. 13 Soll man ferner annehmen, Aristoteles habe sich in Poet. 1 mit der eingehend begründeten Ausklammerung von didaktischer Poesie wie der des Empedokles in scharfen Gegensatz zu aller landläufigen Meinung gestellt, nur um dann am Beginn des zweiten Buches doch eine π ο ί η σ ι ς π α ι δ ε υ τ ι κ ή in sein Gattungsschema aufzunehmen? 14 Schließlich ist hier auch noch das Wort αμίμητος selbst problematisch: Es kommt zwar auch bei Aristoteles bereits einmal vor (Poet. 25 p. 1460b32), muß aber dort soviel wie „in fehlerhafter Mimesis" heißen. 15

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Janko es hier tut, Solon auf eine Stufe mit Empedokles stellen und ohne entsprechende Zeugnisse annehmen, Solon sei für Aristoteles „certainly unlikely to be mimetic": Ausdrücklich ausgeschlossen hat Aristoteles aus der Mimesis (und damit aus der Dichtung) Autoren nur, α ν ιατρικών ή φ υ σ ι κ ό ν τ ι διά τ ω ν μ έ τ ρ ω ν έκφέρωσιν (Poet. 1 ρ. 1447bl6 f.). Daß Dichtung in jambischen Trimetern und elegischen Distichen auf jeden Fall mimetisch sein kann, geht aus dem Satz ei Tis διά τ ρ ι μ έ τ ρ ω ν ή ελεγείων ... π ο ι ο ΐ τ ο τ ή ν μίμησιν (1447bll —13) hervor. Solon wird nirgends ausdrücklich aus der Dichtung ausgeschlossen, so daß Erwähnungen des „Dichters" Solon auch nicht gegen den strikten Wortgebrauch bei „Dichter" und „Dichtung" in der Poetik verwendet werden können. „Again, after denying Empedocles the title of poet, he cites him to illuminate details of the theory ( e . g . Poet. 21.1457b24)" (Janko 124). Aber Aristoteles vermeidet es, den Empedokles an dieser Stelle einen Dichter zu nennen, und die Materie, zu der er ihn hier als Beispiel heranzieht — Metaphern —, behandelt er auch in der Rhetorik (III 2 p. 1404b31 — 1405a5), es handelt sich hier also gar nicht um einen spezifischen Bestandteil der Dichtung (vgl. Rhet. III 2 p. 1404b34: πάντες γ ά ρ μεταφοραΐς δ ι α λ έ γ ο ν τ α ι ) . Zwar hat Aristoteles in seinem Dialog ττερϊ π ο ι η τ ώ ν auch den Empedokles behandelt, aber nicht wegen seiner versifizierten Naturlehre, sondern weil er και ά λ λ α π ο ι ή μ α τ α τ ή ν τε τ ο υ Ξέρξου δ ι ά β α σ ι ν και προοίμιον εις ' Α π ό λ λ ω ν α geschrieben hatte (fr. 70 Rose; vielleicht sind mit den ά λ λ α π ο ι ή μ α τ α u. a. auch die am Schluß des Fragments genannten τ ρ α γ ω δ ί α ι gemeint); in der Poetik dagegen geht es nur um Empedokles' didaktische Werke, und die schließt Aristoteles als unmimetisch klar aus der Dichtung aus. Vgl. Bernays (1880) 141 f. ( = 1853, 564f.). Zu der Unvereinbarkeit der von Janko für Poetik II beanspruchten Dichtungseinteilungen am Anfang des TC mit denen von Poetik I vgl. auch Schenkeveld (1986) 215. „of inferior imitation" L S J s. v.; vgl. J . Vahlen ad loc. ( A r i s t o t e l i s de arte poetica Uber, Leipzig 3 1885 p. 264; ders., Gesammelte philol. Schriften I 298): άμιμήτως weitgehend gleichbedeutend mit κακομιμήτως (das übrigens lange Zeit in den Editionen der Poetik an dieser Stelle im Text stand, aus einer jüngeren Handschrift übernommen); A. Gudeman ad loc. (Aristoteles περί ποιητικήζ, Berlin — Leipzig 1934): „Was άμιμήτωζ anbelangt, so bezeichnet das α privativum oft, auch in der Poetik, nicht den polaren Gegensatz zum Simplex, sondern nur eine Einschränkung oder eine Abschwächung des Grundbegriffs"; A. Rostagni ad loc. ( A r i s t o t e l e , Poetica, Torino 2 1945: „in modo inadeguato alla mimesi"; D. W. Lucas ad loc. (Aristotle, Poetics, Oxford 1968) sieht wie L S J eine „deficiency of the quality in question" ausgedrückt; ob άήθεΐξ in 1450a25 allerdings die rechte Parallele bietet, ist fraglich (vgl. Janko 230 f.).

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

Anderswo heißt es „unnachahmlich" (oft im Sinne von „unübertrefflich") 16 und manchmal auch „nicht nachgeahmt"17 — für ein Verbaladjektiv auf -τος völlig reguläre Bedeutungen. In der speziellen literaturtheoretischpoetologischen Bedeutung „nicht mimetisch, außerhalb der (poetischen) Mimesis stehend" ist mir bisher nur die Proklos-Stelle bekannt geworden, in der die platonische Dreiteilung der literarischen Genera erläutert wird. 18 Gelegentlich findet sich zwar auch bei Aristoteles die spezifisch platonische Vorstellung, die „nicht-mimetisch" mit „nicht-dramatisch" gleichsetzt;19 aber er benützt auch dafür nicht das Wort άμίμητος, und das Fehlen dieses Ausdrucks bei ihm spricht nicht für einen wirklich aristotelischen Ursprung der Stelle, an der es im TC erscheint. Auch noch andere Details der im TC gebotenen Gattungsgliederung lassen sich nicht mit der uns vertrauten aristotelischen Poetik in Einklang bringen: In ihr ist, wenn man sich die in ihrem 9. Kapitel entwickelte Trennung zwischen ιστορία und ττοίησις vor Augen hält, eine ιστορική ττοίησις, wie sie die Einteilung des TC vorstellt, fast genauso unmöglich auf Aristoteles zurückführbar wie eine ποίησις αμίμητος. 20 Und auch in dem anderen Hauptzweig der Gattungsübersicht des TC, der ποίησις μιμητική, gibt es Elemente und Anordnungen, die der Poetik widersprechen: Aristoteles nennt dort in Kapitel 1 (1447b24 —27) eine Gruppe von vier Gattungen, in denen eine μίμηση ρυθμω και μέλει και μέτρω stattfindet (diese drei sollen dabei auch der Gesamtheit der von Aristoteles p. 1447a22 — freilich ein wenig anders genannten — Mittel der Mimesis, ρυθμός, λόγος, άρμονία, entsprechen: 1447b24 —25 ττασι χρώνται τοις είρημένοις): es handelt sich um Dithyramben, musikalische Nomen, Tragödie und Komödie. Auch der TC nennt eine Vierergruppe, in der Tragödie und Komödie erscheinen, aber die beiden anderen Genera sind hier dramatische Mimen und Satyrspiele, und diese vier sind auch einem anderen Oberbegriff subsumiert, dem δραματικόν και πρακτικόν. Aristoteles führt den Gesichtspunkt des δραματικόν erst in Poet. 3 ein, wo er zwischen verschiedenen Arten und Weisen der Mimesis, zwischen άτταγγέλλειν einerVgl. etwa [Arist.] probt. XXIX 10 p. 951a6; Plut. Nie. 1,1; id. Lyc. 31,3; id. Pericl. 13,1; id. De fort. Alex. 2 p. 335A. 17 Plut. De adul. et am. 9 p. 53D; id. Alcib. 23,5. Nicht zufallig sind in dieser und der vorigen Anmerkung keine klassischen Autoren zitiert; wie die entsprechenden Indices erweisen, haben weder Herodot, Thukydides, Xenophon (selbst Polybios) noch Piaton oder Demosthenes, Aischines, Lysias, Isokrates das Wort άμίμητος benutzt. 18 Procl. In Plat. Remp. I p. 14 Kroll (τό δε άφηγηματικόν και άμίμητον). " Vgl. Poet. 24 p. 1460a7 —8 αύτόν γαρ δει τόν ττοιητήν ελάχιστα λέγειν" ού γάρ έστι κατά τ α ΰ τ α μιμητής; d. h. der Dichter ist eigentlich nur dann im höchsten Maße μιμητής, wenn er andere reden und handeln läßt, ohne selbst dazwischenzutreten. 20 Auf die Ιστορική ττοίησις im TC geht Janko mit einem einzigen Satz ein (127: „άμίμητος ττοίησις denotes prosy versification such as Choerilus for ιστορική ..."), und den Widerspruch zu Arist. Poet. 9 behandelt er nicht. 16

2. Aristoteles, die K o m ö d i e und der Tractatus Coislinianus (TC)

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seits und π ρ ά τ τ ε ι ν και ένεργεΐν bzw. δραν andererseits unterscheidet; in dieser zweiten G r u p p e führt er nur Tragödie und K o m ö d i e auf. I m TC ist die Differenzierung zwischen άτταγγελτικόν und δραματικόν και πρακτικόν zwar auch vorhanden und sicherlich aristotelisch-peripatetischer Provenienz, 2 1 aber sie beschränkt sich auf die eine Hälfte des recht starren Einteilungsschemas (vgl. u. S. 113), während sie in der aristotelischen Poetik als eines v o n drei gleichwertig nebeneinanderstehenden Einteilungskriterien (die in den ersten drei Kapiteln abgehandelt werden und zu Beginn in 1 4 4 7 a l 6 — 1 8 skizziert sind: διαφέρουσιν ... ή γ α ρ τ ω εν έτέροις μιμεΐσθαι ή τ ω 'έτερα ή τ ώ έτέρως) das gesamte F e l d der Poesie durchwaltet, die selbst d e m noch umfassenderen Bereich der Mimesis angehört. D e r nächste wichtige Unterschied: Warum nennt Aristoteles in Poet. 3 unter ττράττειν και ένεργεΐν/δραν nicht auch die anderen beiden im TC aufgeführten Gattungen? E r spricht an anderer Stelle durchaus v o n μίμοι, die aber können nicht mit den im TC genannten μίμοι identisch sein: In Poet. 1 p. 1447b9 —11 siedelt er die Prosa-Mimen des Sophron und Xenarchos unter denjenigen Gattungen an, die sich bei ihrer Mimesis ausschließlich des M e d i u m s des λόγος (ψιλός) bedienen, 2 2 und macht sie damit zu direkten Nachbarn der sokratischen D i a l o g e , trennt sie damit aber auch sehr weit von Tragödie und K o m ö d i e , welche die Mimesis ρυθμω και μέλει και μέτρω (1447b25, vgl. ο.) anstreben. J a n k o weist zwar nach, daß μίμοι als ττοήματα bezeichnet und S o p h r o n s S c h ö p f u n g e n sogar δράματα genannt wurden (135), 2 3 aber immer nur in nacharistotelischen

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Vgl. Janko 128 und 132, dem bei der Darlegung, die Subsumierung von άτταγγελτικόν und δραματικού και ττρακτικόν unter den Oberbegriff μιμητικών sei aristotelisch, zuzustimmen ist; das reicht aber nicht aus, um das ganze Gattungsschema als „resoundingly Aristotelian" (132) zu deklarieren. Gegen Kassels Oxoniensis möchte Janko (134) den Satz, in dem Aristoteles die ProsaMimen und die sokratischen Dialoge behandelt, nach der Textherstellung von Butcher lesen: ή δέ [εποποιία] μόνον τοΐξ λόγοίξ ψ ι λ ο ί ; ή (και ή O C T ) τοις μέτροις ... χρωμένη ... (άνώνυμος) (άνώνυμοι ohne Ergänzungsklammern O C T , da sich das Wort in der arabischen Überlieferung erhalten hat) τ υ γ χ ά ν < ε ι > ου σα (τυγχάνουσι O C T ) μέχρι τοϋ νυν. Vgl. jedoch Kassel (1981) 23 — 25: Butchers (und Jankos) Text faßt ψιλοί λόγοι und λόγοι μέτροις χρώμενοι zu einer Kunst zusammen, was nicht angeht (vgl. auch Kassels Übersetzung 23 f. „zwei Künste, deren eine sich auf die bloße Sprache beschränkt, die andere auf die gebundene Rede, wobei sie entweder die Versmaße miteinander mischt oder nur eines verwendet, sind bisher ohne Namen"); es geht vor allem auch deshalb nicht, weil bloße (mimetische) λόγοι noch keine Dichtung sind, (mimetische) λόγοι mit μέτρον (d. h. (Ρυθμός) dagegen sehr wohl (vgl. u. S. 113 f.). Ähnlich hat Aristoteles schon vorher zwischen der Tanzkunst, die sich nur des ρυθμός bedient, und der Auletik und Kitharistik, die zusätzlich zum φυθμός auch αρμονία verwenden, unterschieden. Selbst in Jankos Text aber bleibt der weite Abstand zwischen den μίμοι und den dramatischen Gattungen bei Aristoteles erhalten. Gegen das Schweigen bzw. das ausdrücklich in eine andere Richtung weisende Zeugnis des Aristoteles selbst will Reich (1903) 252—254 aus der Aufzählung der vier dramatischen

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere K o m ö d i e "

Zeugnissen. Aristoteles selber bringt also an der einzigen Stelle, wo er von μίμοι spricht, diese nicht mit Komödie und Tragödie, sondern mit sokratischen Dialogen in Verbindung, die eindeutig Lesestücke waren. Und die im TC als vierte Gattung des δραματικών genannten σάτυροι erwähnt er gar nicht, sondern spielt nur bei seiner Skizze der Tragödienentwicklung in etwas unklarer Weise auf ein σατυρικόν an (1449a20); offenbar sah er die σάτυροι nicht als eigenständige Gattung, sondern allenfalls als Relikt einer früheren Stufe der Tragödienentwicklung an. 24 Erst der spätere Peripatos hat sich mit dem Satyrspiel als eigener Gattung befaßt: vgl. Chamaileons Schrift Περι σατύρων (fr. 37a—c Wehrli). Der TC führt also unter δραματικών zwei Genera auf, die bei Aristoteles noch nicht genannt sind; umgekehrt finden musikalischer Nomos und Dithyrambos, die Aristoteles an die Seite von Tragödie und Komödie stellt, im TC keine Erwähnung mehr. Wahrscheinlich also haben wir es im Traktat mit einer jüngeren Gattungsklassifizierung als der aristotelischen zu tun; 2 5 und auffälligerweise nennt die Gliederung der literarischen Genera bei dem spätantiken Grammatiker Diomedes 2 6 genau dieselben vier Dramengattungen wie der TC und stimmt auch noch in anderen Einzelheiten mit ihm überein, 27 wenn auch die Großgliederung des Diomedes eindeutig eine andere ist. Gattungen im TC schließen, „daß nach aristotelischer Auffassung der Mimus eine der vier Hauptgattungen der dramatischen Poesie ist" (252). Aber dort, wo Aristoteles in Poet. 1 die Mimen des Sophron und Xenarch erwähnt, geschieht dies im Rahmen von Prosagattungen, die er zwar zur Mimesis, nicht aber zur Dichtkunst rechnet (vgl. u. S. 113 f.); ferner hat er nirgendwo, wo bei ihm vom Drama, von Tragödie und Komödie die Rede ist, im Zusammenhang damit auch den Mimus erwähnt. So ist die Rückbeziehung anders lautender Aussagen des TC auf Aristoteles fragwürdig. Rostagni (1955) 214 f. 2 will die Eingliederung des Mimus in die dramatischen Genera auf Theophrast zurückführen, „poiche di Teofrasto sembra essere la definizione del mimo, congiunta presso Diomede con quella degli altri generi". Zu den bei Diomedes angeführten Definitionen der vier dramatischen Gattungen vgl. u. S. 138 Anm. 85: Nur die erste Definition (die der Tragödie) wird explizit Theophrast zugeschrieben; bei den anderen ist der Schluß e silentio nicht ohne Risiko. 24

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Vgl. dazu zuletzt R. Seaford, Euripides Cyclops, with Introduction and Commentary, Oxford 1984, 11, der die Gleichsetzung des änigmatischen σατυρικόν an dieser Poe tiki telle mit dem uns bekannten Satyrspiel ablehnt; und dies bleibt die einzige Stelle, an der Aristoteles überhaupt auf etwas derartiges eingeht. Auch Piaton spricht Rep. III 394b —c neben Tragödie und Komödie zwar von den διθύραμβοι, aber weder von μίμοι noch von σάτυροι. X X I V 1, 14 f. Koster: poematos dramatict vel activi genera sunt quattuor, apud Graecos tragica, comica, satyrica, mimica. Der TC unterteilt die αμίμητος ττοίησίζ in ιστορική und παιδευτική, Diomedes das nicht-mimetische Genos έξηγητικόν (oder άτταγγελτικόν) in ιστορική, διδασκαλική ( = παιδευτική) und eine etwas unscharf bleibende ά γ γ ε λ τ ι κ ή (qua sententiae scribuntur, ut est Theognidis Uber, item cbrtae), vgl. Janko 132 („two of Diomedes' headings, historical and didactic, recall C's [des TC] division of non-mimetic poetry into historical and paedeu-

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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Die Gattungseinteilungen der aristotelischen Poetik und des TC können auch von ihrem ganzen Charakter her nicht als deckungsgleich angesehen werden: Poetik 1 — 3 gibt, wie bereits angedeutet (o. S. 111), nicht nur eine Klassifizierung der poetischen Genera, sondern deren gleich drei, je nach Kriterium: 1. nach den Mitteln der Mimesis (εν έτέροις: Kap. 1), 2. nach ihrem Gegenstand (ετερα: Kap. 2) und 3. nach ihrer Art und Weise (έτέρως: Kap. 3). Wollte man alle diese Kriterien in ein einheitliches Gefüge bringen, müßte man ein dreidimensionales, also räumliches Koordinatensystem mit drei Achsen konstruieren; erst in einem solchen ließe sich adäquat demonstrieren, worin nach den drei Kriterien die Gattungen sich gleichen und worin sie verschieden sind, und es könnten hier viele einzelne Elemente auf mannigfache Weise zueinander in Beziehung treten: Aristoteles verdeutlicht das glänzend daran, wie sich dabei Sophokles sowohl mit Homer als auch mit Aristophanes sinnvoll in Beziehung setzen läßt {Poet 3 p. 1448a25 —28). Demgegenüber nimmt sich das, was uns der TC bietet, wie die Reduktion eines dreidimensionalen Raumes auf eine zweidimensionale Fläche mit den entsprechenden Vergröberungen und Einbußen aus: Die Kriterien des cos und des ά der Mimesis kommen nur noch in Teilen der (auch ihrerseits auf die eine Hälfte der Dichtung beschränkten) ττοίησις μιμητική zur Anwendung (ώς bei der Unterscheidung zwischen άτταγγελτικόν und δραματικόν και ττρακτικόν, ά bei der nochmaligen Unterteilung der Dramengattungen); in diesem System ist es nicht mehr möglich, Epos und Komödie miteinander zu vergleichen (wie Aristoteles das ohne weiteres konnte), denn die Koordinate des cc existiert zwischen diesen beiden Gattungen im TC nicht mehr. Auf der anderen Seite umfaßt der Begriff ττοίησις in der Poetik erheblich weniger Gattungen als im Traktat·. Didaktische Poesie wird schon in Poet. 1 ausgeschlossen, weil sie keine Mimesis ist; und ebensowenig zählen

tic"). Diese weitgehende Übereinstimmung in der Zusammenstellung der Untergruppen, während die Oberbegriffe bei Diomedes und im TC völlig anders arrangiert sind, macht stutzig. Janko betont zu Recht (129 — 132), daß Diomedes hier platonisch und der TC zu einem guten Teil aristotelisch ist. Die Konvergenz in den Untergruppen könnte sich daraus erklären, daß ihre Zusammenstellung auch Genera berücksichtigt, die erst nach Piaton und Aristoteles in literaturtheoretischem Schrifttum (vor allem des Peripatos) berücksichtigt wurden und daher mit diesen Untergruppen nicht in den TC platonische, sondern umgekehrt bei Diomedes peripatetische Elemente eindrangen. Diomedes' Ausführungen sind nachweislich eine Zusammenstellung verschiedener Lehren (im Grundstock: der platonischen Dreiteilung der Gattungen in δραματικού, διηγηματικόν, μικτόν, und der aristotelischen Zweiteilung in άπαγγελτικόυ, δραματικόν): vgl. Dahlmann (1953) 6 7 - 7 1 ; E. Pöhlmann, Charakteristik des römischen Lehrgedichts, A N R W I 3 (1973), 830 f.; E.-R. Schwinge, Griechische Poesie und die Lehre von der Gattungstrinität, A & A 27, 1981, 144.

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II. Z u den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere K o m ö d i e "

Prosaschriften zur Dichtung, eben weil sie des Verses entbehren;28 in Poet. 9 stellt Aristoteles so auch die Geschichtsschreibung außerhalb der Dichtkunst und ihr sogar entgegen. Der TC aber führt sowohl didaktisches als auch historisches Schrifttum unter ττοίησις (αμίμητος) auf und verrät mit keinem Wort, daß er Prosa ausschließt; gerade weil er darauf verzichtet, mehrere Einteilungskriterien wie Aristoteles durchgehend anzuwenden (wir erhalten keinen Aufschluß darüber, ob die Gattungen der μιμητική vielleicht, nach Inhalt oder poetischen Mitteln, zu Gattungen der ττοίησις αμίμητος in Beziehung gesetzt werden können; und die Gattungen der ττ.άμίμητος scheinen auch untereinander nur ihrem Inhalt nach unterschieden zu sein, während die Frage der Darstellungsmittel unerörtert bleibt), kann er mehr Gattungen in seine Übersicht miteinbeziehen. Somit ist die Zusammenstellung der Genera im TC zwar starrer und flacher als in der aristotelischen Poetik, aber auch umfassender; man könnte meinen, jemand, dem die aristotelischen Einteilungskriterien durchaus vertraut waren, 29 habe darauf verzichten müssen, sie überall anzuwenden, weil er bestrebt war, in seiner Einteilung auch diejenigen Gattungen zu berücksichtigen, die Aristoteles herausgelassen hatte. Wer für diese zugleich ausweitende und reduzierende Schematisierung der aristotelischen Einteilung der Dichtung verantwortlich gewesen sein könnte, kann erst später gefragt werden (vgl. u. S. 138 ff.). Einer der eigenartigsten Bestandteile des TC ist seine Komödiendefinition (§3 bei Kaibel, Z. 9 — 12 bei Koster), ein Gebilde, das in vieler Hinsicht so sehr an die Definition der Tragödie in der aristotelischen Poetik erinnert, daß sich fast unweigerlich der Eindruck einstellt, hier habe jemand entweder sklavisch oder parodistisch den Aristoteles übergenau nachbilden wollen, und dieser Eindruck wurde in der Vergangenheit manchmal sehr drastisch formuliert. 30 28

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Zu dem Mißverständnis, daß auch Prosaschriften w i e die M i m e n des S o p h r o n und X e n a r c h oder die Dialoge der Sokratiker v o n Aristoteles in Poet. 1 zur Dichtung gerechnet w ü r d e n , weil sie mimetisch v e r f a h r e n , vgl. Kassel ( 1 9 8 1 ) 1 4 (Z. 2 1 — 2 5 ) und 2 3 f. (zu 14 Z. 21). In Poet. 4 nennt Aristoteles neben dem μ ι μ ε ΐ σ θ α ι noch eine weitere natürliche α ι τ ί α der D i c h t u n g , α ρ μ ο ν ί α und ρ υ θ μ ό ς ( 1 4 4 8 b 4 —5 und 2 0 — 2 4 ; Kassel 1 4 Z. 33 — 35 und dazu 25); die Prosa entbehrt dieser letzteren K o m p o n e n t e , also ist sie keine Dichtung, sondern „ n u r " Mimesis. Sie finden sich nämlich s o w o h l in Teilen dieser G l i e d e r u n g als auch noch an weiteren Stellen des TC, e t w a bei der Unterscheidung κ ω μ ω δ ί α — λ ο ι δ ο ρ ί α und der K o m ö d i e n dreiteilung nach den Graden des γ ε λ ο ΐ ο ν bzw. σ ε μ ν ό ν (vgl. u. S. 1 4 4 und 1 4 7 f.). Beides sieht J a n k o als unmittelbar aristotelisch an (204. 2 4 2 ff.); aber bei genauerer P r ü f u n g w i r d man eher v o n A n k l ä n g e n als v o n exakten Entsprechungen reden müssen. Bernays ( 1 8 8 0 ) 145: „Diese sein-sollende Definition der K o m ö d i e ist nichts als eine jämmerlich ungeschickte Travestie der aristotelischen v o n der Tragödie"; Kaibel (1898) 54 nennt sie eine „groteske Parodie auf die Aristotelische Tragödiendefinition"; A .

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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Im Rahmen seiner These muß Janko auch für diese Komödiendefinition den Stagiriten als Urheber postulieren, doch führt dies in große Probleme: Bereits im ersten Teil der Definition (κωμωδία εστί μίμησις πράξεως γελοίας [Bergk; -ου cod.] και άμοιρου μεγέθους τελείου [so die Handschrift und Kaibels Text; τελείας Koster]) ist nahezu jeder Begriff in seiner Auslegung umstritten,31 während ihr Pendant in der Poetik zumindest bis hierher keine Probleme in dieser Hinsicht bietet. Schwerer wiegt, daß in dem nächsten Teilstück (χωρίς εκάστου τ ω ν μορίων έν τοις είδεσι) gegenüber der Tragödiendefinition die Begriffe μορίον und είδος in ihrer Position vertauscht sind (in der Poetik heißt es χωρίς έκάστω των ειδών έν τοις μορίοις32). Zwar hat Janko (152 f.) auf den schwankenden terminologischen Gebrauch von είδος, μέρος und μόριον sogar innerhalb der Poetik hingewiesen; aber sollen wir wirklich annehmen, daß Aristoteles in eigener Person auf der einen Seite ängstlich genau die gesamte Struktur seiner Tragödiendefinition auf die Bestimmung der Komödie übertragen, auf der anderen Seite aber dann achtlos zwei Begriffe völlig vertauscht hat33 und dies gerade an zwei so zentralen, klar aufeinander zu beziehenden Stellen?

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Doering, Die Kunstlehre des Aristoteles, Jena 1876, 127 formt das schöne Oxymoron „die traurige Komödiendefinition des Cramerschen Anonymus". Κ. K. Smith (1928, 146 — 148) konstatiert in seiner sehr beachtenswerten Kritik an der Komödiendefinition des TC: „It is perverting the true Aristotle" (147). Auch Fuhrmann (1973) 65 spricht von einer „ungeschickten Nachbildung". Vgl. auch Schenkeveld (1986) 216. Vg'· Janko 151 ff., mit einer guten Doxographie der bisherigen Interpretationen von άμοιρου μεγέθους τελείου (154—156). Schon diese Vielfalt zeugt für die Obskurität der zu interpretierenden Phrase. Ήδυσμένω λ ό γ ω , das am Anfang dieses Teilsatzes in der Poetik steht und im TC fehlt, ist kaum zu entbehren, da man sonst nicht weiß, von was für είδη hier die Rede ist. Wahrscheinlich deshalb wollte Vahlen (und jetzt auch Janko) die zwei Wörter im TC ergänzen, doch gerät man damit in Gefahr, nicht den Text, sondern den Epitomator zu verbessern. Die Verschreibung von χωρίς έκάστω zu χωρίς έκαστου, die auch im Text der Poetik stattfand und dort erst durch Konjektur von Reiz beseitigt wurde, ließe sich im TC durch die Annahme erklären, daß der Epitomator ohne Nachdenken den schon korrupten Text der Tragödiendefinition aus der Poetik übernahm; allerdings ist diese Annahme nicht zwingend, weil eine solche Verschreibung hinter χωρίς immer sehr leicht entstehen konnte. Janko kann zwar nachweisen (152), daß μόριον sowohl einen quantitativen (vgl. die Tragödiendefinition) als auch einen qualitativen (vgl. Poet. 6 p. 1449b32 f.: μόριον τραγωδίας ό της όψεως κόσμος) Tragödienteil bei Aristoteles bezeichnen kann (obwohl in der Definition die είδη mit dem ήδυσμένος λόγος zusammenhängen, während der όψεως κόσμος über den λόγος natürlich hinausgeht, so daß auch hier μόριον und είδος nicht einfach austauschbar sind); daß aber auch die είδη sowohl quantitative wie qualitative Elemente bezeichnen können, belegt Janko nicht. Mit anderen Worten: An der Stelle der (qualitativen) είδη lassen sich in der Definition die μόρια vielleicht einsetzen, nicht aber an der Stelle der (quantitativen) μόρια die είδη.

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere K o m ö d i e "

Am Ende der Definition schließlich, wo auf den ersten Blick die Katharsisklausel der Tragödiendefinition ganz getreu nachgebildet scheint (δι' ηδονής και γέλωτος περαίνουσα την των τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν) gibt es Schwierigkeiten nicht nur in der Formulierung, sondern auch im Gedanken. Vom aristotelischen Standpunkt aus gesehen tun sich hier zwei Probleme auf: 1) των τοιούτων παθημάτων: damit werden an dieser Stelle ηδονή und γέλως als παθήματα oder πάθη angesehen, und daran nahm bereits Kayser 34 Anstoß, der darauf hinwies, daß Aristoteles in der Nikomachischen Ethik (II 4 p. 1105b21— 23) ηδονή nur als eine der beiden möglichen Folgeerscheinungen von πάθη bezeichnet (die andere ist λύπη). Janko hält dem entgegen, daß Aristoteles gleich im Anschluß an diesen Satz unter den παθητικαϊ δυνάμεις das λυπηθήναι (das zuvor als Folge von πάθη bezeichnet wurde) ohne Skrupel zwischen όργισθήναι und έλεήσαι (die beide zuvor als πάθη im eigentlichen Sinn aufgeführt waren) stellt. Haben wir es also wieder mit einer terminologischen Nonchalance zu tun, und konnte Aristoteles entsprechend auch im TC ηδονή und γέλως doch παθήματα nennen? Nein, denn man sollte παθητικαϊ δυνάμεις nicht ohne weiteres, wie Janko es tut, mit πάθη gleichsetzen, sondern zwischen ihnen, wie auch Aristoteles selbst (1105b21—24 λέγω δέ πάθη μεν ..." δυνάμεις δέ καθ' ας παθητικοί τούτων λεγόμεθα ...), differenzieren und παθητικαϊ δυνάμεις als Oberbegriff verstehen sowohl für die eigentlichen πάθη als auch für deren Folgeerscheinungen λύπη und ηδονή; τούτων in der angeführten Aristoteles-Stelle weist sowohl auf die πάθη wie auf ihre Folgeerscheinungen zurück. 35 Selbst wenn Janko mit seiner Identifizierung von πάθη und παθητικαϊ δυνάμεις recht behielte (was freilich Aristoteles' eigene Worte nicht zuzulassen scheinen), hätte er nur die ηδονή als mögliches Hindernis aus dem Weg geräumt. Was aber ist mit dem γέλως, der hier im TC ebenfalls als πάθημα klassifiziert wird? Ich habe bisher keine Stelle ausfindig machen können, an der Aristoteles

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Kayser (1906) 36; allerdings versuchte er die Formulierung δι' ηδονής και γέλωτος durch den Hinweis auf die Komödiendefinition in einem Dionysios-Thrax-Scholion ( X V I I I b 4 Koster) zu verteidigen; dort steht in der Tat τυττουμένη δι' ηδονής και γέλωτος; aber anders als im TC sind dort ηδονή und γελα>ς nicht gleichzeitig Mittel und zu vertreibende πάθη (vgl. u. S. 117 f.). Zu ηδονή und γέλως auch Schenkeveld (1986) 216. Die aristotelische Unterscheidung zwischen eigentlichen πάθη und παθητικαϊ δυνσμΕίς ist allerdings eine durchaus prekäre. Die Stoiker machten solche feinen Unterschiede nicht: Bereits Zenon rechnete λ ύ π η und ηδονή zu den vier π ρ ώ τ α πάθη {SVI·' I 51,34. 35; vgl. SVF III 92,16. 96,6. 97,42). Auch bei Epikur ist die ηδονή ein πάθος (vgl. fr. 260 und 410 Us.), freilich ein erstrebenswertes (bei Sext. Math. X 125 werden die ήδοναί und die άπάθειαι in Zusammenhang gebracht); schon vor Epikur rechneten auch die Kyrenaiker die ηδονή zu den πάθη (vgl. Sext. Math. VII 200), und selbst bei Theophrast taucht im Zusammenhang mit ήδονή das Wort πάθος auf (bei Plut. Quaest. conv. I 5,2 p. 623 A B = fr. 90 Wimmer über die drei άρχαί der μουσική).

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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das Lachen zu einem πάθος oder πάθημα erklärt 36 (an der obenerwähnten /LV-Stelle fehlt es denn auch); in den uns erhaltenen Schriften wird Lachen nur einmal als physiologisches Phänomen behandelt.37 2) In eine noch größere Schwierigkeit aber führt die Frage, ob überhaupt anzunehmen ist, daß Aristoteles die ήδονή im Zuschauer durch die Komödienbehandlung beseitigt wissen wollte. 38 Alle diesbezüglichen Äußerungen in der Poetik deuten gerade in die entgegengesetzte Richtung. Mehrfach heißt es, die Tragödie müsse eine ihr angemessene und spezifische οικεία ηδονή hervorbringen (14 p. 1453bl0 —13, vgl. 26 p. 1462bl3—14), Gleiches gilt vom Epos, und in Kap. 13 p. 1453a35 spricht Aristoteles sogar von einer ήδονή ... μάλλον της κωμωδίας οικεία (bei gutem oder gerechtem Ausgang einer Dramenhandlung); von einer Beseitigung der ηδονή kann keine Rede sein. Die Formulierung des TC, die Komödie sei δι' ηδονής και γέλωτος περαίνουσα τήν τ ω ν τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν, enthält also zumindest vom aristotelischen Standpunkt aus nicht zu lösende Widersprüche. Die in den Scholien zum Dionysios Thrax überlieferte Komödiendefinition (XVIIIb4 Koster), die deutlich peripatetischer Couleur ist, hat bei ihrer Erwähnung einer Komödien-Katharsis diesen Fehler des TC bemerkenswerterweise nicht begangen: εστι δε κωμωδία μίμησις πράξεως καθαρτική παθημάτων και τοΰ βίου συστατική, τυπουμένη δι' ηδονής και γέλωτος; das wird an Aristophanes und Menander exemplifiziert, was die Definition klar in nacharistotelische Zeit rückt. In ihr sind ήδονή und γέλως nur die Mittel, durch die die Katharsis vonstatten geht, und nicht auch die παθήματα, von denen der Zuschauer gereinigt werden soll. Janko selbst hat diese Definition als peripatetisch und sogar als vermutlich theophrasteisch angesehen (160, vgl. schon 51 mit Anm. 51); hier hätte 36

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Vgl. Smith (1928) 147: „Pleasure and laughter are not specific emotions like pity and fear"; Fuhrmann (1973) 65: „Aristoteles hätte es sich niemals einfallen lassen, das Vergnügen und das Lachen als ,Erregungszustände' (Pathemata) zu bezeichnen, von denen die Komödie den Zuschauer reinigen solle". Auch Cooper (1922) kann an dieser Stelle dem TC nicht folgen: „the most unlucky guess of the epitomator of the Tractate would seem to be that comedy ... aims at the purgation of pleasure ... if anything is certain about his [= Aristotle's] view of comedy, it is that the comic poet must aim at producing a definite pleasure" (70; Hervorhebung von mir). Vgl. Part. An. Ill 10 p. 6 7 3 a 3 - 1 2 . 2 7 - 2 8 . An anderen Stellen in antiker Literatur wird freilich auch der γέλως schon einmal als πάθος aufgefaßt, so in Jamblichs Protreptihos dort, wo die pythagoreische Regel (von Jamblich als σύμβολου bezeichnet) ά σ χ ε τ ω γ έ λ ω τ ι μή εχεσθαι erläutert wird (p. 121,9 — 25 Pistelli). Mehrmals fallt in dem Textstück der Begriff πάθος SO, daß er durchaus auf γέλως bezogen werden muß; und zur Deutung dieses pythagoreischen Satzes wird auch Außerpythagoreisches herangezogen, etwa die aristotelische Definition des Menschen als ζώου γελαστικόν. Von da ist es aber immer noch ein weiter Weg zu der Annahme, daß bereits Aristoteles den γέλως als πάθος wie ελεος und φόβος aufgefaßt habe. Vgl. dazu die gute Bemerkung Coopers (zitiert o. Anm. 36).

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

also ein Peripatetiker gerade die paradoxe Gleichsetzung von Mittel und Zweck (die Vertreibung von ηδονή und γέλως durch ηδονή und γέλως) sorgfaltig vermieden, die der vermeintliche Aristoteles im TC auf sein Haupt geladen haben soll. Spätestens hier läßt sich also ein nichtaristotelisches Element in der Komödiendefinition des TC dingfest machen, und damit muß die ganze Definition von jemand anderem als Aristoteles stammen; da sie aber andererseits die Diktion der aristotelischen Poetik so betont nachahmt, haben wir wohl in der Tat eine „jämmerlich ungeschickte Travestie der aristotelischen [Definition] von der Tragödie" vor uns (Bernays 1880, 145). Die Komödiendefinition des TC als aristotelisch anzusehen war ohnehin immer nur unter dem Postulat möglich, daß Aristoteles die Gattungen Komödie und Tragödie als völlig parallele Entwicklungen aufgefaßt habe; dieses Postulat liegt sowohl Coopers bis ins letzte Detail auf die Komödie umgeschriebener „aristotelischer" Poetik (1922) als auch Jankos Bemühungen um die Rekonstruktion von Poetik II zugrunde. Aber sah Aristoteles die beiden Gattungen wirklich so parallel? Beide haben für ihn nicht nur einen verschiedenen Ausgangspunkt {Poet. 4 p. 1449all f.: διθύραμβος — τά φαλλικά), sondern auch ein sehr unterschiedliches Entwicklungstempo und letztlich sogar verschiedene Zielpunkte: Die Tragödie hat Aristoteles zufolge ihre Entwicklung bereits (d. h. vor seiner Zeit) vollendet und ihre endgültige φύσις erreicht {Poet. 4 p. 1449al4—15), von der Komödie wird dergleichen nicht behauptet. Andererseits heißt es an einer späteren Stelle {Poet. 9 p. 1451bll —15), daß die Komödie in der Entwicklung zu einer nach Aristoteles' Vorstellungen idealen ττοίησις des καθόλου (und nicht mehr des καθ' εκαστον) zu seiner Zeit im Grunde weiter vorangeschritten sei als die Tragödie, welche fast ausnahmslos bei ihren mythischen Sujets verharrte; daß Aristoteles darin aber kein Zeichen der Unfertigkeit sah, beweist nicht nur der obenerwähnte Satz aus Poet. 4, sondern auch der Hinweis in Poet. 13 (1453al7 —22), daß im Laufe der literarhistorischen Entwicklung die Tragödiendichter ihre Themen zunächst aus allen möglichen Sagen bezogen, inzwischen aber gerade die vollkommensten (so darf κάλλισται hier verstanden werden) tragischen Stücke nur noch aus wenigen besonders geeigneten Mythenkomplexen schöpfen. Die Komödie hingegen hat, obwohl sie den Bereich des καθ' εκαστον weiter hinter sich gelassen hat als die Tragödie, ihren Weg hin zur Idealform noch nicht vollendet. Offensichtlich hat Aristoteles die beiden Dramengattungen trotz des benachbarten Platzes, den sie in zwei seiner drei Einteilungen der poetischen Mimesis einnehmen, doch in recht unterschiedlichem Lichte gesehen: Ihr Ursprung ist ein jeweils recht verschiedener, ihre Entwicklung verläuft ausgesprochen asynchron (die Komödie ist zugleich weiter und unreifer als die Tragödie), und auch das Ziel, dem beide entgegenstrebten oder noch -streben, ist offensichtlich verschieden. Kann man nach diesen

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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Differenzen noch glauben, daß Aristoteles „seine" Komödie in völliger Analogie zu „seiner" Tragödie definiert hat? Ist die Antwort auf diese Frage ein Nein, dann muß die verlorengegangene aristotelische Komödiendefinition um einiges anders ausgesehen haben als das, was uns der TC anbietet. Als einer der wertvollsten Teile des TC gilt seine Aufzählung der Elemente, aus denen der γέλως der Komödie entstehen kann. 39 Die philologische Forschung hat alle diese Elemente bereits ausführlich besprochen, erläutert und mit Beispielen illustriert 40 — nicht immer mit übereinstimmenden Ergebnissen. Immer noch ranken sich Kontroversen um die Auslegung einzelner von diesen Begriffen und um die richtige Zuweisung von Unterbegriffen; aber hier erscheint wichtiger, noch einmal ein Problem zu erörtern, dem Janko nicht seine volle Aufmerksamkeit gewidmet hat, nämlich der Frage, ob die Einteilung dieser Elemente des γέλως in άπό της λέξεως und άττό των πραγμάτων wirklich von Aristoteles stammt. Sie ist im antiken rhetorischen Schrifttum seit dem 1. Jh. v. Chr. gut belegt (vgl. u. S. 121) — nicht aber bei Aristoteles; vielmehr nennt Aristoteles an einer Stelle der Rhetorik (I 11 p. 1371b35 — 1372al) drei Bereiche von γελοία - και ανθρώπους και λόγους και εργα —, über die, wie er selbst sagt, ausführlicher in der Poetik (offenbar in dem uns verlorenen zweiten Buch, vgl. Poetik fr. II Kassel) gehandelt war. Lassen sich λέξις und πράγματα des TC mit den άνθρωποι και λόγοι και εργα der Rhetorik-Stelle zur Deckung bringen? Janko behandelt lediglich die mögliche Austauschbarkeit der Begriffe εργα und πράγματα (163) und beruft sich im übrigen auf die „great majority of scholars" (164), die die Darstellung der γελοία im TC als aristotelisch akzeptiert habe. Cooper 41 glaubte, die λόγοι mit der λέξις, die εργα mit den πράγματα und die άνθρωποι mit den ήθη κωμωδίας gleichsetzen zu können, die an einer etwas späteren Stelle des TC auftauchen, und Fuhrmann (1973, 68) hat sich dieser Meinung angeschlossen. "Εργα und πράγματα mag man für 39

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Schon Bernays (1880) 147 sah sich durch die umfangreiche Zusammenstellung der γελοία für die vorangegangenen und von ihm erbarmungslos gegeißelten Torheiten des TC mehr als entschädigt; Fuhrmann (1973) 67 nennt diese beiden Listen den „wichtigsten Bestandteil des Tractatus". Ausführlich über die hier unter den Rubriken άττό της λέξεως und άττό των πραγμάτων aufgeführten γελοία haben gehandelt: Bernays (1880) 1 6 8 - 1 8 3 ; Arndt (1904) 1 0 - 1 5 ; W. G. Rutherford, A Chapter in the History of Annotation, being Scholia Aristophanica III, London 1905, 4 3 7 - 4 5 5 ; Kayser (1906) 3 7 - 4 2 ; W. J . M. Starkie, The Acharnians of Aristophanes, London 1909, X X X V I I I — L X X 1 V („Aristotle on the laughter in Comedy"), Cooper (1922) 2 2 9 - 2 5 9 , Fuhrmann (1973) 6 7 - 7 0 und Janko 1 6 1 - 2 0 1 . Cooper (1922) 138. Vgl. dagegen schon Arndts Einspruch (1904, 4 1 ): „λέξις et πράγματα non eadem sunt atque λόγοι et εργα, praeterea divisio illa (άνθρωποι — λόγοι — εργα) non ad artem poeticam referenda, sed in ipsa materia quae tractatur posita est."

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

austauschbar halten; auch άνθρωποι und ήθη scheinen bei Aristoteles in einem recht engen Zusammenhang zu stehen (vgl. Poet. 6 p. 1450al6/20, wo der eine Begriff für den anderen zu stehen scheint); bei λέξις und λόγοι aber bleiben Zweifel, und was auf jeden Fall bedenklich stimmt, ist die doch recht weite Abtrennung des dritten dieser Punkte von den beiden anderen im TC\ Wenn es gleich an zwei Stellen in der aristotelischen Rhetorik heißt, die einzelnen Arten der γελοία würden zusammenhängend und grundsätzlich in der Poetik behandelt (so darf man wohl Riet. I 11 p. 1372al —2 διώρισται δέ περί γελοίων έν τοις περί ποιητικής und Rhet. III 18 ρ. 1419b5 —6 εΐρηται πόσα είδη γελοίων εστίν έν τοις περί ποιητικής verstehen), soll man da annehmen, Aristoteles habe dann doch nicht alle γελοία beisammen im zweiten Poetik buch behandelt, oder ein Epitomator habe einst Zusammengehöriges so stark auseinandergerissen? Überdies ist der Ort, an dem die ήθη κωμωδίας im TC behandelt sind (innerhalb der κωμωδίας ύλη 42 ) offenkundig nach dem 6. Kapitel der uns erhaltenen aristotelischen Poetik gearbeitet, wo die sechs μέρη τής τραγωδίας (6 p. 1450a9 —10: μϋθος και ήθη και λέξις και διάνοια και δψις και μελοποιία) behandelt werden, die auch alle hier im TC, mit leicht geänderter Reihenfolge, auf die Komödie appliziert erscheinen. Das Vorbild für die ήθη κωμωδίας im TC findet sich also nicht in einem Abschnitt, der für die Tragödie die Entsprechung zu einem γελοΐα-Kapitel in einer Komödienbehandlung darstellte (etwa λυπηρά), sondern in einer Erläuterung der qualitativen Bestandteile eines Dramas. Selbst wenn also die άνθρωποι, λόγοι, εργα der Rhetorik-Stelle als γελοία den Begriffen ήθη, λέξις, πράγματα im TC entsprechen, so ist in diesem doch zumindest nicht der aristotelische Zusammenhang gewahrt. Gegen die Hinzuziehung der ήθη im TC zu den γελοία spricht auch, daß das Wort γελοίος hier bei den ήθη gar nicht erscheint. Noch weitere Indizien sprechen gegen eine direkte Zurückführung der Zweiteilung der γελοία im TC auf Aristoteles: Einige Einzelpunkte der γελοία άπό της λέξεως (πρόσθεσις, άφαίρεσις, έξαλλαγή) kommen auch in Kapitel 22 der Poetik zur Sprache — aber nicht als Hervorbringer komischer Effekte, sondern als Elemente, die einen Text sogar würdiger (also das genaue Gegenteil von komisch) gestalten können: vgl. 1458a21 —23 σεμνή δέ και έξαλλάττουσα τό ίδιωτικόν ή τοις ξενικοΐς κεχρημένη [seil, λέξις]" ξενικόν δέ λέγω γλώτταν και μεταφοράν και έπέκτασιν και παν τό παρά τό κύριον (ähnlich Rhet. III 2 p. 1404b8 τό γάρ έξαλλάξαι ποιεί φαίνεσθαι σεμνοτέραν, seil, τήν λέξιν), ferner 1458a34—b3 ουκ έλάχιστον δέ μέρος συμβάλλεται εις τό ... τής λέξεως ... μη ίδιωτικόν αί επεκτάσεις και άποκοπαι και έξαλλαγαϊ των όνο42

Jankos Vorschlag (214), den hier kaum verständlichen Begriff Ολη in είδη zu ändern, hat viel für sich. Vgl. allerdings Schenkeveld (1986) 214.

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μάτων. 43 Erst danach läßt Aristoteles durchblicken, daß diese sprachlichen Mittel bei Verstoß gegen das πρέπον auch eine komische Wirkung erzielen können: 1458bl3 —15 και γαρ μεταφοραΐς και γλώτταις και τοις άλλοις εΐδεσι χρώμένος άττρεττώς καϊ επίτηδες έιτί τά γελοία τό αυτό άν άπεργάσαιτο. 4 4 Aristoteles zufolge kommt es also nicht auf die betreffenden Elemente als solche an (anders als im TC), sondern auf die Art und Weise, wie man sie einsetzt; damit sind sie für ihn aber wohl auch nicht die spezifischen είδη γελοίων gewesen, über die er, wenn die Verweise in der Rhetorik stimmen, in einem verlorenen Teil seiner Poetik gehandelt hat. Ein anderes Zeugnis, das sich der Behandlung der γελοία im TC an die Seite stellen läßt, führt ebenfalls nicht zu Aristoteles: Als Quintilian die Materie des ridiculum erörtert {Inst. VI 3), teilt er sie wie der TC in rebus ac verbis (VI 3,22) und gibt dabei zwei wichtige Hinweise: 1) Diese Einteilung sei eadem quae est omnis orationis, d. h. sie ist weniger in einer Poetik, die sich mit Gattungen wie Tragödie und Komödie beschäftigt, als in der Rhetorik beheimatet; in der Tat stammen die meisten unserer Belege für die Einteilung λέξις — ττράγματα/res — verba aus rhetorischen Lehrschriften. 45 Auch noch anderes im TC könnte aus rhetorischer Tradition stammen (vgl. u. S. 128 f.). 2) Haec tota disputatio a Graecis ττερι γελοίου inscribitur (ibid.) — eine spezielle Abhandlung περί γελοίου schrieb im Peripatos als erster aber nicht Aristoteles, sondern Theophrast. Im Folgenden gibt Quintilian zwar auch eine Dreiteilung des Gebrauches der ridicula, aber sie hat noch weniger mit der aristotelischen zu tun als die vorangehende Zweiteilung (VI 3,23 aut enim ex aliis risum petimus aut ex nobis aut ex rebus mediis). Fazit: Es spricht einiges gegen eine Herkunft der Zweiteilung der γελοία von Aristoteles. Auch wenn nicht wenige der im TC zusammengestellten γελοία schon bei Aristoteles nachgewiesen werden können oder

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M a n darf annehmen, daß ε ξ α λ λ α γ ή , εττέκτασίζ u n d άττοκοττή in der Poetik etwa d a s gleiche bedeuten wie ε ξ α λ λ α γ ή , ττρόσθεσις und άφαίρεσις im TC (vgl. J a n k o 177. 180); dann m u ß freilich der verschiedene Z u s a m m e n h a n g , in d e m der TC und Aristoteles diese B e g r i f f e verwenden, u m s o m e h r ins A u g e fallen.

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Vgl. A r n d t (1904) 7. J a n k o selbst (163) nennt B e l e g e f ü r diese Z w e i t e i l u n g der γ ε λ ο ί α in rhetorischer Literatur, die m ö g l i c h e r w e i s e a u f T h e o p h r a s t z u r ü c k g e h e n (vgl. die nächste A n m . ) . D a ß die Einteilung in λέξις und π ρ ά γ μ α τ α eine generell in rhetorischer T h e o r i e a n g e w e n d e t e war, belegen die v o n K a y s e r (1906) 37 g e s a m m e l t e n Stellen ( D i o n . Hal. Comp. verb. 1 p. 4,6 U . - R . ; De Thuc. 1 p. 325,6 U . - R . ; A u c t . ad. H e r e n n . I V 18). Vgl. auch R a b e (1890) 29. W. L . G r a n t , Cicero and the „Tractatus Coislinianus", A J P 69, 1948, 8 0 - 8 6 , der die v o n anderen postulierten U b e r e i n s t i m m u n g e n zwischen Ciceros E x k u r s über den Witz in De or. II und d e m TC sehr kritisch unter die L u p e n i m m t , stellt fest, „that such antitheses were part and parcel o f rhetoric and m u c h other ancient t h o u g h t as w e l l " (80, mit Beispielen).

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

bei ihm v o r g e f o r m t scheinen, 4 6 die Zusammenstellung insgesamt und ihre Gliederung ist ziemlich sicher nicht v o n Aristoteles. Als nächstes verursacht der Begriff εμφασις, mit dessen Hilfe der TC zwischen κ ω μ ω δ ί α und λ ο ι δ ο ρ ί α unterscheidet (§ 4 Kaibel = Z.31 f. Koster), Probleme. Den Versuch, ihn auf Aristoteles zurückzuführen, bezeichnet J a n k o selbst als „one straw in the wind" (203). "Εμφασις wird bei Aristoteles nicht in dem Sinn, wie der Traktat ihn fordert, verwendet, sondern nur in der Bedeutung „reflection" und „appearance, impression" (Janko 202). A b e r Janko sieht „a natural development f r o m .appearance, suggestion' to the sense ,innuendo' here [ = im TC]",47 und natürlich hat es eine solche Entwicklung gegeben, sonst w ü r d e der Begriff im TC nicht das bedeuten, was er offensichtlich bedeutet; 4 8 aber w u r d e diese Entwicklung (deren Anfangs- und Endpunkte keineswegs nahe beieinander liegen) bereits v o n Aristoteles vollzogen? Jankos Belege (202) f ü r ε μ φ α σ ι ς in der im TC vorliegenden Bedeutung sind sämtlich nacharistotelisch (vgl. u. S. 123 f.); so zieht er sich auf das zugehörige Verb, έ μ φ α ί ν ε σ θ α ι , zurück, welches Aristoteles als erster in der Bedeutung v o n „to be implied" verwendet habe. A b e r auch hier liegt der Fall nicht so eindeutig, wie J a n k o belegen zu können glaubt: 4 9 v o n diesen Belegen (das gleiche gilt v o n den noch zahlreicheren in Bonitz' Index Aristotelicus) muß lediglich

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Vgl. Arndt (1904) 5 - 7 und 1 0 - 1 2 ; Janko ad locc. Wobei übrigens das Wort „suggestion" sich in den zweiten Satz geradezu aus dem Nichts eingeschlichen hat; vorher hatte Janko Ιμφασίξ bei Aristoteles korrekter mit „reflection, appearance, impression" wiedergegeben. Auch Schenkeveld (1986) 215 lehnt das Argument der natürlichen Begriffsentwicklung von εμφασίζ bei Aristoteles ab, genauso wie Jankos Interpretation der Div.-Somn.-Stelle (vgl. u.). L. Golden, The Meaning of Emphasis in the Tractatus Coislinianus, Maia 38, 1986, 147—151 lehnt die allgemein (auch von Janko) akzeptierte Auffassung des Begriffs εμφασις im TC (versteckte Anspielung, „innuendo") ab und möchte ihn statt dessen als „narrative", „exposition" verstehen; damit unterscheide der Traktat bei der Gegenüberstellung von λοιδορία und κ ω μ ω δ ί α wie Aristoteles (Golden zitiert Poet. 4 p. 1448b34—38) zwischen einem primitiven Stadium des i f o y o s und einem entwickelten des dramatisch dargestellten γελοΐον; damit wäre dieser Gedanke des TC also aristotelisch, wenn auch anders, als Janko ihn interpretierte. Diesen Gedankengang hat aber inzwischen I. Rutherford {ΕΜΦΑΣΙΣ in Ancient Literary Criticism and Tractatus Coislinianus c. 7, Main 40, 1988, 125 — 129, besonders 127 f.) wohl schlagend widerlegt: Nicht einmal an der von Golden herangezogenen Polybiosstelle (VI 5,3) braucht Ιμφασις „narrative" zu bedeuten; und die an unserer Stelle im TC formulierte Antithese ist nur dann sinnvoll, wenn εμφασις „verhüllte Anspielung" („innuendo") bedeutet. Jankos Hinweis auf L S J ist ungenau: s. ν. Ι μ φ α ί ν ω II 3 steht nicht „to be implied", sondern „to be exemplified or implied in ...", was schon einen gewissen Unterschied macht.

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Met. Z i p . 1028a28 als „impliziert sein" verstanden werden 50 und deutet damit in seiner Tendenz auf den Begriff der εμφασις im TC hin; bei allen übrigen (namentlich bei dem auch von Janko angeführten Beleg aus der Rhetorik, II 21 p. 1394b20f.) ist die Bedeutung „zum Vorschein kommen, (mit) angegeben sein" völlig adäquat. Jankos eigentliches „straw in the wind" aber, die Verbindung von εμφασις und τά διαπεφορημένα και διεστραμμένα in Div. Somn. 2 p. 464bl2ff., läßt sich in Wahrheit kaum mit der εμφασις des TC in Verbindung bringen: In diesem abschließenden Passus einer kleinen Schrift über die Traumdeutung bemerkt Aristoteles, daß ein wirklicher Meister der mantischen κρίσις των ενυπνίων- in der Lage sein müsse, τάς ομοιότητας θεωρεΐν (464b7), und er erläutert diese Feststellung mit der Betrachtung von Spiegelbildern im Wasser: Eine εΰθυονειρία entspricht dem Erkennen eines Spiegelbildes bei völlig ruhiger Wasseroberfläche, und das kann jeder; ist das Wasser aber sehr stark bewegt, ούδέν όμοία γίνεται ή εμφασις και τά είδωλα τοις άληθινοϊς (464bl 1 —12), und τάς έμφάσεις κρίνειν kann dann nur ό δυνάμενος ταχύ διαισθάνεσθαι και συνοραν τά διαιτεφορημένα και διεστραμμένα των ειδώλων (464bl2 —14). Der Begriff taucht hier also in einem ganz konkreten Zusammenhang auf; er bedeutet nichts weiter als die „Erscheinung" des Spiegelbildes im Wasser und ist fast synonym mit τά είδωλα gebraucht; diese εϊδωλα aber sind hier entstellt und verzerrt, so daß man kaum sie selbst, geschweige denn eine „Andeutung" von etwas noch hinter ihnen Liegendem erkennen kann. Selbst aber, wenn es sie gäbe, wäre uns mit schwachen Vorandeutungen des εμφασις-Begriffs bei Aristoteles nicht gedient: Der TC spricht von der καλούμενη εμφασις und meint damit, wie auch Janko ausdrücklich anerkennt (203), eine allgemein bekannte und fest umrissene Vorstellung; die aber erhält der Begriff εμφασις erst in nacharistotelischer Zeit, und zwar im literaturtheoretisch-rhetorischen Schrifttum: 51 Quintilian beschreibt εμφασις als terminus technicus für ein bestimmtes rhetorisches Stilmittel; ebenso ist der Begriff bei Demetrius De elocutione und noch in spätem schulrhetorischem Schrifttum so gebraucht, wie es die 7"C-Stelle erfor-

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So verstehen auch Ross und schon Bonitz in ihren Metaphysik-Kommentaren die Stelle

(W. D. Ross, Aristotle's Metaphysics, with Introd. and Comm., Oxford 1924, Vol. II 160: „is ... implied"; H. Bonitz, Aristotelis Metaphysica, pars posterior, Bonn 1849, 295: „Εμ-

φαίνεται ή ουσία, i. e. φαίνεται ένυττάρχουσα ή ουσία, cf. a35 ανάγκη γάρ εν τ ω έκάστω λόγω τόν τήξ ουσίας ένυπάρχειν."; vgl. auch die im Bonitzschen Index angeführten Doppelungen έμφαίνεσθαι κα'ι ένυττάρχεσθαι bei Aristoteles). 51

Ein wichtiger Beleg für εμφασις genau im Sinne des Traktats steht in der Hypothesis des Dionysalexandros des Kratinos (test, i K.-A.), wahrscheinlich einem Produkt hellenistischer Literaturkritik: κωμωδεΐται δ' ev τ ω δράματι Περικλής μάλα πιθανώς δι' έμφάσεως κτλ.

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

dert.52 Wann hat sich diese Bedeutung entwickelt? In einem Passus des Demetrius (Eloc. 57) wird der Peripatetiker Praxiphanes (fr. 13 Wehrli) zitiert, und da findet sich εμφασις schon ungefähr in der auch im TC notwendigen Bedeutung in einem Satz verwendet, der noch zu dem Praxiphanes-Zitat dazuzugehören scheint. Damit würden wir bis an den Anfang des 3. Jhs v. Chr. zurückgelangen; Praxiphanes war ein Schüler Theophrasts, und Wehrli (ad loc.) hält es für denkbar, daß er an dieser Stelle eine theophrastische Lehrmeinung weitergibt. An der einzigen Stelle dagegen, an der Aristoteles inhaltlich der εμφασις-Vorstellung des TC nahekommt, spricht er nicht von εμφασις, sondern von υπόνοια (EN IV 14 p. 1128a22 —24). Eine Stelle aus einem Traktat Περί τρόπων (Rh. Gr. III 199,15 Sp.), der unter dem Namen des spätalexandrinischen Grammatikers Tryphon überliefert ist und vielleicht in der Tat ursprünglich auf diesen zurückgeht,53 zeigt die nahe Verwandtschaft der beiden Begriffe:54 εμφσσίς εστί λέξις δι' ΰπονοίας αυξάνουσα τό λεγόμενον.55 Daß auch Theophrast υπόνοια noch im aristotelischen Sinne verwendet, geht aus einem Referat über die rechte Art des σκώπτεσθαι bei Tisch hervor, das in den Quaestiones convivales des Plutarch steht, und in dem zweimal der Name des Theophrast (II 1,4 p. 631E; II 1,9 p. 633B) zu finden ist, von dem in diesen Erörterungen also einiges stammen könnte; Janko (210) denkt sogar konkret an Theophrasts Περί γελοίου. Zweimal taucht in diesen Ausführungen auch der Begriff υπόνοια in ganz ähnlicher Bedeutung wie in EN IV 14 auf (631E, 632B a. E.), an der zweiten Stelle dabei in unmittelbarer Nachbarschaft des Verbs εμφαίνειν, das hier in der Weise des rhetorischen Begriffs εμφασις gebraucht ist: τά yap οΰ προσόντα φαΰλα λέγοντες έμφαίνουσι τά προσόντα χρηστά, δει δ' ομολογουμένως και βεβαίως προσεΐναί τι χρηστόν ει δέ μή, τό λεγόμενον τουναντίον αμφισβητήσιμου εχει την ΰπόνοιαν. Etwas später erscheint εμφαίνω noch einmal in dieser Bedeutung: 7 p. 632E ποιεί δ5 εΰχαρι σκώμμα καί μέμψις έμφαίνουσα χάριν. Es ist nicht sicher zu erweisen, daß diese Stellen in 52

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Vgl. Quint. Inst. VIII 3 , 8 3 - 8 6 und I X 2 , 6 4 - 6 6 (vgl. Nr. 578 und 905f. bei H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, München 1960); Demetr. De eloc. 282. 2 8 5 - 2 8 9 . 291; Proleg. Syll. 2 1 1 , 1 9 - 2 3 Rabe. Vgl. dazu M. L. West, Tryphon De Tropis, CQ 15, 1965, 2 3 0 - 2 4 8 , besonders sein Stemma auf S. 235 (den hier gemeinten Traktat nennt West „Tryphon i"). Schon Bernays (1880) 150 sah in der aristotelischen ύττόνοια den Vorläufer des späteren εμφασις-Begriffs; nicht so Cooper (1922) 260, der beide Begriffe auseinanderhalten und εμφασις als eine „method of selection and overstress" verstehen will, was aber jedenfalls in den Satz des TC über λοιδορίσ und κωμωδία nicht hineinpaßt (denn dann müßte die εμφασις der κωμωδία das in der λοιδορία stattfindende άπαρσκυλύπτως διεξιέναι τά προσόντα κακά ja durch „overstress" noch übertreffen). Cooper hält sich denn auch noch die Möglichkeit offen, εμφασις als „andeutendes Darstellen" zu verstehen (ibid.). Ύττόνοια bleibt als fester Begriff in solchen Zusammenhängen bis in die Spätantike erhalten, vgl. Menander Rhetor 338,26 Sp., p. 16 Russell-Wilson.

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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irgendeiner Form auf Theophrast zurückgehen, denn zumindest in 632A hat Plutarch in eigener Person gesprochen (auch sonst ist immer damit zu rechnen, daß er seine Quellen umformuliert); aber zumindest die zweite der gerade zitierten Stellen erinnert mit ihrem Bezug auf das σκώμμα an dessen Definition in 631E, die ausdrücklich dem Theophrast gegeben ist. Theophrast hat also vielleicht έμφαίνειν schon im Sinne des späteren εμφασις-Begriffs verwendet, sonst aber wie Aristoteles noch von υπόνοια gesprochen; 56 εμφασις selbst hat mit größerer Wahrscheinlichkeit dann Theophrasts Schüler Praxiphanes gebraucht (vgl. o. S. 124). Einige Sätze später ist im TC (Z. 38 f. Koster) von drei ήθη κωμωδίας die Rede (τά τε βωμολόχα και τ ά ειρωνικά και τ ά τ ω ν άλαζόνων), die man verschiedentlich mit den gleichnamigen menschlichen Charaktereigenschaften identifizieren wollte, die zweimal in der Nikomachischen Ethik behandelt werden (II 7 p. 1108a9-30; IV 1 2 - 1 4 ) und zum Teil auch an einer bereits behandelten Stelle der Rhetorik auftauchen (III 18 p. 1419b2 —9), in der kurz von είδη τ ω ν γελοίων die Rede ist (vgl. o. S. 120);57 andere haben die drei ήθη lieber in Verbindung mit Theophrasts Charakterlehre bringen wollen. 58 Das ist von vornherein nicht unproblematisch, weil in Theophrasts Charakteren εΐρων und ά λ α ζ ώ ν nur zwei unter einer Fülle von anderen Charakteren sind und der βωμολόχος überhaupt nicht auftaucht. 59 Genauso kritisch aber ist die Auffassung, die ήθη des TC seien aristotelisch, zu prüfen. An keiner der genannten Stellen spricht Aristoteles von diesen Charaktereigenschaften wie von lächerlichen oder komischen ήθη. Auch in dem Rhetorik-Passus, wo es um είδη γελοίων geht, sagt er nicht, daß der εΐρων und der βωμολόχος komische Charaktere sind, sondern lediglich: ό μεν γ ά ρ αϋτοϋ ενεκα ποιεί τ ό γελοΐον, ό δε βωμολόχος ετέρου. In den im Satz zuvor genannten Abstrakta ειρωνεία und βωμολοχία hat Aristo56

57

58 59

Daß Theophrast die Sache auf jeden Fall kannte, die εμφασις bezeichnet, zeigt Demetr. De eloc. 222 = Theophr. π. λέξ. fr. VIII Schmidt, zuletzt behandelt von Innes (1985) 253 f. Bereits Bernays (1880) 158 — 163 hielt die drei ήθη κωμωδία; für aristotelisch und zog zum Erweis dessen die im Text genannten Stellen heran; dem Urheber des TC selbst traute er die Herausarbeitung der drei komischen Charaktere nicht zu — aber man kann ja auch noch an andere zwischen ihm und Aristoteles denken. Kaibel (1898) 58 f. sah in dem betreffenden Abschnitt nur eine „getreue Nachbildung des Aristoteles" (58); Cooper (1922) 58 f. hingegen führte wie Bernays die ήθη κωμωδία; des TC auf die beiden ENStellen zurück. Janko (216 f.) bezieht sich auf die gleichen Stellen und fügt noch E E III 7 p. 1233b39 ff. und III 2 p. 1230bl9 hinzu, die aber nichts entscheidend Neues beisteuern. Etwa Dosi (1960) 620; dagegen Janko 218. Richtig Janko 218: „The Characters are on a much larger scale"; vielleicht hätte er sogar sagen sollen „on a very different", denn als Komödienfiguren sind die theophrastischen Charaktere kaum gedacht.

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II. Z u den antiken Q u e l l e n des B e g r i f f s „Mittlere K o m ö d i e "

teles vielleicht είδη γελοίων gesehen (eine eindeutige Aussage dieser Art geht aus der Stelle nicht hervor) — aber der Begriff είδη ist nicht identisch mit fest ausgeprägten komischen Charaktertypen, die man als solche auf die Bühne bringen konnte. Welche Vorstellungen von bestimmten ήθη κωμωδίας konnte Aristoteles überhaupt haben? 60 Viele von ihnen waren in den Komödien seiner Zeit erst im Entstehen begriffen. 6 1 Eher noch weniger als in der Rhetorik stelle kann man von komischen Charakteren an den betreffenden Stellen der Nikomachischen Ethik sprechen: Von den drei ήθη des TC wird in der EN nur die βωμολοχία im Zusammenhang von παιδιά und γελοΐον eingeführt (EN II 7 p. 1108a 23—25; IV 14 p. 1128a4—7), die beiden anderen (ειρωνεία und άλαζονεία) sind unter dem Stichwort άλήθεια/ψεύδος erfaßt (ENll 7 p. 1108al9—22; IV 13 p. 1127al9 —23), und Aristoteles geht mit keinem Wort auf eine potentielle lächerliche Komponente in ihrem Wesen ein. E s gibt allerdings eine gewisse (von Aristoteles hier jedoch nicht weiter hervorgehobene) Affinität zwischen dem είρων und dem das γελοΐον in richtiger Weise und mit dem rechten Maß gebrauchenden ευτράπελος (vgl. u. S. 127). 62 Der Vergleich dieser Aristoteles-Stellen mit dem TC führt uns zum Kernproblem: Im Traktat werden drei Dinge unter den gemeinsamen Nenner der ήθη κωμωδίας gebracht, die sich bei Aristoteles nirgendwo vereinigt finden. In EN IV 13 werden der άλαζών und der εΐρων als fehlerhafte Extreme des rechten Verhaltens zur Wahrheit behandelt; der 60

D a ß B e g r i f f e wie άλαζονεία und ειρωνεία bei Aristoteles offensichtlich nicht feste Charaktertypen bezeichnen, sondern nur E i g e n s c h a f t e n mit einem g e w i s s e n Fluktuationsgrad, der sie gelegentlich s o g a r ineinander ü b e r g e h e n läßt, wird d u r c h EN I V 13 p. 1127b27 —29 belegt: D o r t heißt es, daß eine übertriebene είρωνεία auch schon wieder άλαζονικόν erscheinen kann.

61

E i n Beispiel d a f ü r bietet der noch w e n i g differenzierte G e b r a u c h v o n Begriffen wie κόλαξ u n d π α ρ ά σ ι τ ο ς a u f der komischen B ü h n e dieser Zeit: E r s t mit der N e a scheinen aus beiden feste und auch voneinander unterscheidbare Typen g e w o r d e n zu sein; vgl. Nesselrath (1985) 1 0 2 - 1 0 6 .

62

Beiden wird χάρις z u g e s p r o c h e n : EN I V 13 p. 1 1 2 7 b 2 2 f . ο! δ' είρωνες επί τ ο ε λ α τ τ ο ν λέγοντες χαριέστεροι μέν τ ά ή θ η φαίνονται, u n d 1127b29—31 οί δε μετρίως χρώμενοι τ ή είρωνεία και τ ά μ ή λ ί α ν έ μ π ο δ ώ ν και φανερά είρωνευόμενοι χαρίεντες φαίνονται, zu vergleichen mit I V 14 p. 1128a31—33 ό δ ή χαρίεις και ελευθέριος ο ύ τ ω ς εξει οίον νόμος ών έ α υ τ ω . τ ο ι ο ύ τ ο ς μέν ουν ό μέσος εστίν, είτ' επιδέξιος είτ' εΟτράπελος λ έ γ ε τ α ι . E i n e A n n ä h e r u n g der beiden ergibt sich ferner auch dadurch, daß der die ideale μεσάτης besitzende άληθευτικός, der als μέσος unter d e m A s p e k t der π α ι δ ι ά d e m ε υ τ ρ ά π ε λ ο ς entspricht, in seiner H a l t u n g zumindest gelegentlich d e m είρων recht n a h e k o m m t (vgl. 1127b7 —9 έπί δέ ε λ α τ τ ο ν μ ά λ λ ο ν τ ο ϋ άληθοϋς άποκλίνεΐ" έμμελέστερον γ ά ρ φαίνεται διά τ ό επαχθείς τάς ΰ π ε ρ β ο λ ά ς είναι) und daß a u f der anderen Seite die der ε υ τ ρ α π ε λ ί α n a h e k o m m e n d e n καιναϊ κ ω μ ω δ ί α ι (im G e g e n s a t z zu den π α λ α ι α ί ) mit d e m Mittel der verhüllten υ π ό ν ο ι α arbeiten (1128a22 —24). Wenn also der είρων d e m ε υ τ ρ ά π ε λ ο ς schon in der Nikomachischen Ethik s o n a h e k o m m t , begeht die (solche D i n g e o f t etwas vereinfachende) Rhetorik keinen großen Tort, wenn sie den είρων in III 18 gleich g a n z an die Stelle des ε υ τ ρ ά π ε λ ο ς setzt.

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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βωμολόχος wird in EN IV 14 charakterisiert, wo es um das rechte Verhältnis zum γελοΐον geht. Ähnlich eindeutig werden diese Charaktereigenschaften auch in der kurzen vorausschauenden Übersicht in EN II 7 p. 1108a9—30 voneinander getrennt: άλαζονεία und ειρωνεία erscheinen bereits hier als υπερβολή bzw. ελλειψις der περί τάληθές μεσότης, während der βωμολόχος die ύπερβολή-Form einer von zwei περί τό ήδύ μεσότητες ist, nämlich der έν παίδια (die andere dieser zwei μεσότητες kommt hier nicht näher in Betracht; sie wird ausführlicher in EN IV 12 behandelt). Zwischen den Bereichen περί τάληθές und περί τό ήδύ wird keine Verbindung hergestellt. Nun werden allerdings εΐρων und βωμολόχος in Rhet. III 18 doch miteinander in Beziehung gebracht, während sie in der Nikomachischen Ethik getrennt behandelt sind. Könnte Aristoteles also nicht auch in der Poetik eine solche Verbindung gezogen haben (zumal die Rhetorik an dieser Stelle auf die Poetik verweist) und damit seine Lehre doch mit den drei ήθη des TC in Einklang zu bringen sein? Wohl nicht, denn wir haben es hier mit einer begrifflichen Vereinfachung der Rhetorik gegenüber der Nikomachischen Ethik zu tun. Daß es dort Affinitäten zwischen εΐρων und ευτράπελος (dem aristotelischen Ideal im Verhältnis zum γελοΐον) gibt, wurde bereits angedeutet: 63 Der ευτράπελος ist stets χαρίεις, der εΐρων kann es zumindest sein; da darf man vermuten, daß der εΐρων der Rhetor/^stelle mit dem ευτράπελος der Nikomachischen Ethik nahezu identisch ist. Auch der das rechte Maß in bezug auf die αλήθεια einhaltende άληθευτικός hat ja eine leichte Tendenz zur ειρωνεία (ο. Anm. 62); und auch άληθευτικός und ευτράπελος entsprechen einander, weil sie die gleiche ideale Mittelposition haben; so schließt sich der Kreis: Der ideale μέσος des Aristoteles ist unter dem Aspekt der άλήθεια ein άληθευτικός, unter dem Aspekt der παιδιά ein ευτράπελος, der υπερβάλλων in bezug auf die αλήθεια ein άλαζών, in bezug auf die παιδιά ein βωμολόχος. Die aristotelische Ethik unterscheidet nicht zwischen bestimmten Charaktertjpen (wie später Theophrast), sondern zwischen verschiedenen Charaktereigenschaften (unter Umständen am gleichen Menschen), so daß der gleiche Mensch sowohl βωμολόχος als auch άλαζών sein kann, ja daß bei der Parallelität dieser beiden ύπερβολαί eine solche Verbindung sogar ziemlich 63

Vgl. die vorige Anm. Die „axis of self-respect", die Janko (217) zwischen etpcov und βωμολόχος zieht, um die Rhetorik-StcWt den Schemata der EN anzugleichen, stammt von ihm selbst und ist bei Aristoteles nicht zu finden; ebensowenig läßt sich einsehen, wieso „amusement of one-self" eine Ιλλειψι; und „amusement of others" eine υπερβολή sein sollte, wie es in Jankos Schema der Fall wäre. Man dürfte Aristoteles' Denken gerechter werden, wenn man annimmt, daß der εΐρων in Rhet. III 18 ein ungenauer Ersatz für den ευτράπελος ist und daß wir damit wieder die ideale Mitte mit dem einen Extrem verglichen finden, wie es in der EN mit ευτράπελος und βωμολόχος sowie mit den beispielhalber herangezogenen καιναί und τταλαιαϊ κωμωδίαι der Fall ist.

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II. Z u den antiken Q u e l l e n des B e g r i f f s „Mittlere K o m ö d i e "

naheliegt. D a m i t aber hätten wir einen weiteren wichtigen Unterschied z u m TC, denn dort sind β ω μ ο λ ό χ ο ι u n d αλαζόνες klar voneinander geschieden u n d sie und die είρωνες überdies n o c h zu festen T y p e n geronnen. Ferner: Sind diese drei T y p e n wirklich als Charaktere auf der komischen B ü h n e denkbar? B e i m ά λ α ζ ώ ν g i b t es in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten; jeder miles g l o r i o s u s ist ein ά λ α ζ ώ ν in Reinkultur. A b e r schon der β ω μ ο λ ό χ ο ς ist kein mehr s o leicht a b g r e n z b a r e r T y p u s ; s o w o h l S k l a v e n als auch Parasiten können die Z ü g e einer solchen „ l u s t i g e n F i g u r " haben; aber sie d e s w e g e n als T y p eines β ω μ ο λ ό χ ο ς zu bezeichnen, geht k a u m an. Vollends aber d ü r f t e der Versuch scheitern, sich einen εΐρων als typische F i g u r einer K o m ö d i e vorzustellen, denn eine solche, ihre Absichten u n d G e d a n k e n stets verschleiernde u n d sich ständig nach allen Seiten v o r s i c h t i g absichernde G e s t a l t ist nur in den seltensten Fällen dazu geeignet, beim Z u s c h a u e r eine heitere Reaktion auszulösen; eine F i g u r , die so sehr d a r a u f achtet, eigene Schwächen m ö g l i c h s t zu kaschieren, dürfte in einer D r a m e n g a t t u n g , deren wesentliches M e r k m a l ja g e r a d e die D e c o u v r i e r u n g solcher Schwächen ist, einfach fehl a m Platze sein. Sollte uns also ein solcher K e n n e r des D r a m a s wie Aristoteles eine s o schiefe u n d f r a g w ü r d i g e T y p o l o g i e entwickelt haben, wie sie uns in den ή θ η κωμωδίας des TC entgegentritt? Unter den sechs Teilen der ϋ λ η (oder ε ί δ η ? vgl. o. A n m . 42) κωμωδίας behandelt der TC auch die διάνοια u n d unterteilt sie in γ ν ώ μ η und ττίστις, die π ί σ τ ι ς ihrerseits wieder in f ü n f einzelne Arten. D i e s e f ü n f π ί σ τ ε ι ς entsprechen in Zahl u n d A r t g e n a u den π ί σ τ ε ι ς ά τ ε χ ν ο ι , die Aristoteles in Rhet. I 15 p. 1 3 7 5 a 2 4 - 2 5 a u f f ü h r t ; s c h o n B e r n a y s (1880, 1 5 4 - 6 ) nahm an dieser allzu engen Ü b e r e i n s t i m m u n g A n s t o ß und vermutete, der E p i t o m a t o r des TC habe diese π ί σ τ ε ι ς einfach mechanisch aus der Rhetorik ü b e r n o m m e n , zu der ihn ein Hinweis in der Poetik (19 p. 1456a34 —35) führen konnte. C o o p e r (1922, 269 — 281) versuchte d u r c h A p p l i k a t i o n aller f ü n f π ί σ τ ε ι ς a u f A r i s t o p h a n e s zu erweisen, daß sie sehr w o h l ihren Platz in einer theoretischen B e h a n d l u n g der K o m ö d i e gehabt hätten u n d daher o h n e weiteres im zweiten Poetik buch hätten zu finden sein können; v o r allem auf dieses A r g u m e n t hat sich zuletzt auch J a n k o berufen (219) u n d in der U b e r e i n s t i m m u n g mit der Rhetorik stelle einen Beweis für den aristotelischen U r s p r u n g des T C - P a s s u s gesehen. D a ß sich rhetorische π ί σ τ ε ι ς auch in den Rede-Duellen des Aristophanes finden lassen, ist jedoch kein B e w e i s dafür, daß sie auch in eine theoretische B e h a n d l u n g der K o m ö d i e hineingehören, weil sie spezifisch k o m ö d i e n h a f t e E l e m e n t e wären; sie sind es offensichtlich nicht, sonst hätte Aristoteles sie ja nicht in seiner Rhetorik behandelt. U n d m u ß nicht seine B e m e r k u n g τ ά μεν oOv περί τ η ν διάνοιαν εν τοις π ε ρ ί ρ η τ ο ρ ι κ ή ς κείσθω ( 1 4 5 6 a 3 4 — 3 5 ) als unmißverständlicher H i n w e i s gewertet werden, daß er

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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sie hier in der Poetik (und das gilt dann wohl auch für das zweite Buch) tatsächlich nicht behandeln will? Er begnügt sich in Kapitel 19 mit einigen allgemeinen Bemerkungen, nachdem er auch vorher in Kapitel 6 bei den Erläuterungen zur Begriffsbestimmung der Tragödie etwas zur διάνοια gesagt hat (1450a6 —7. b4— 7; übrigens taucht auch hier schon ein Hinweis auf die Rhetorik auf: τρίτον δέ ή διάνοια - ... όπερ επί τ ω ν λ ό γ ω ν της πολιτικής και ρητορικής έργον εστίν). Aber in diesem Passus des TC verbergen sich noch weitere Probleme — jedenfalls wenn man Aristoteles zu seinem Autor machen will: Auch Janko muß zugeben (219), daß nicht leicht einzusehen ist, warum der TC, wenn er schon πίστεις behandelt, dann nur auf die πίστεις άτεχνοι eingeht und kein Wort über die πίστεις εντεχνοι verliert. Man könnte hier einen Verlust durch Epitomierung in Erwägung ziehen, muß aber berücksichtigen, daß der TC sonst durchaus auf Vollständigkeit solcher katalogartiger Zusammenstellungen bedacht gewesen zu sein scheint (vgl. die Aufzählung der γελοία). Cooper (1922, 281) hat die Beschränkung des TC auf die πίστεις άτεχνοι damit verteidigen wollen, daß eben nur άτεχνοι und nicht εντεχνοι πίστεις für die Komödie charakteristisch seien; damit gerät man allerdings leicht in einen circulus vitiosus (etwa der Form: nur die άτεχνοι πίστεις sind für die Komödie von Belang, weil der TC nur sie nennt). Gehören die εντεχνοι πίστεις (vgl. Rhet. I 2 p. 1355b38ff.) nicht doch auch in eine solche theoretische Behandlung der Komödie hinein? Laut Rhet. I 2 p. 1356a2. 5 ff. dienen mehrere unter ihnen der Vermittlung des ήθος του λέγοντος (dieses ήθος ist laut 1356al3 sogar die κυριωτάτη πίστις); wenn auch dieses ήθος τοΰ λέγοντος in der Rhetorik etwas anderes ist als die in der Komödie darzustellenden ήθη, so gehören seine (εντεχνοι) πίστεις doch mindestens genauso sehr in eine theoretische Komödienbehandlung wie die άτεχνοι. Wenn aber im Grunde beide Gruppen nur in der Rhetorik und nicht in der Dramentheorie ihren Platz haben, dann liegt die Vermutung nahe, daß der Schöpfer des TC die άτεχνοι πίστεις tatsächlich aus der Rhetorik hierher verpflanzt hat. Dafür spricht auch, daß in der Poetik bei der Begriffsbestimmung der διάνοια (6 p. 1450a6 — 7) zwar wie im TC auch von γνώμη die Rede ist, aber statt der πίστεις dort ein άποδεικνύναι τι steht.64 Zwar entspricht in der Rhetorik in der Tat die πίστις der άπόδειξις (vgl. I 1 p. 1355a3 —4 ή δέ πίστις άπόδειξίς τις) und dort sind die πίστεις offensichtlich auch nur 64

Der Begriff ττίστις taucht in der uns erhaltenen Poetik nur ein einziges Mal auf, und nicht als Terminus technicus: 16 p. 1454b28f. είσί γ ά ρ ai μεν [seil, αναγνωρίσεις] πίστεως ενεκα άτεχυότεραι. Ob das enge Nebeneinander von π ί σ τ ι ς und άτεχνότερος an dieser Stelle den „Schöpfer" des TC wohl dazu bewogen hat, aus der aristotelischen Rhetorik gerade die άτεχνοι πίστεις in den Traktat hineinzubringen?

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

ein Teil der διάνοια; 6 5 aber diese Beziehungen werden in der Poetik nicht hergestellt: Die Poetik verzichtet auf eine weitere Zergliederung der διάνοια und verweist dafür wiederholt auf die Rhetorik (vgl. o. S. 128 f.); so kann eine solche Zergliederung im TC auch nur aus der Rhetorik stammen.

b) Nacharistotelisches im TC Eine ganze Reihe von Sätzen des TC hat sich mit Gedanken, die wir von Aristoteles kennen, nicht vereinbaren lassen; als nächstes sollen Teile des Traktats betrachtet werden, die man ziemlich sicher als nacharistotelisch erweisen kann. Schon die Einteilung der literarischen Gattungen am Anfang des Traktats weist offenbar solche Elemente auf (vgl. o. S. 106 ff.). Ein kardinaler Punkt in der Komödienbehandlung des TC ist sodann die Vorstellung von einer Katharsis, so wie die aristotelische Poetik eine solche zur Tragödie entwickelt. Der Traktat behandelt knapp sowohl eine Tragödien- als auch eine Komödien-Katharsis, aber in beiden Fällen läßt sich seine Aussage nicht ohne weiteres mit dem aristotelischen Katharsis-Begriff in Einklang bringen: Der erste Satz des TC über Katharsis in der Tragödie ist nicht viel mehr als eine nur in einem Punkt etwas verkürzte Paraphrase der Katharsis-Klausel in der aristotelischen Tragödiendefinition; 6 6 beiden zufolge beseitigt die Tragödie Gefühle von Furcht („und Mitleid" ist im TC weggefallen) durch Furcht und Mitleid. Diesem „beseitigen" (ύφαιρεΐν im TC61) steht aber im folgenden Satz des Traktats unvereinbar die Bemerkung gegenüber, daß die Tragödie συμμετρίαν ... εχειν του φόβου 65

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Vgl. Rhet. II 26 p. 1403a35 f., wo die διάνοια als Sammelbegriff für παραδείγματα, γνώμαι und ενθυμήματα gefaßt wird, und dazu I 1 p. 1354al3 —15, wo die ενθυμήματα das σώμα της πίστεως darstellen (vgl. auch I 1 p. 1355a4—7). Ύφαιρεΐ im Traktat entspricht περαίνουσα ... κάθαρσιν in der Poetik, τά φοβερά παθήματα entspricht των τοιούτων παθημάτων, und δΓ οίκτου και δέους entspricht δι' έλέου και φόβου. Wörtlich bedeutet ΰφαιρέω zunächst „innerlich, d. h. nicht im Öffentlichen, ergreifen" oder „etwas von unter etwas her wegziehen". Aber bereits in klassischer Zeit heißt es regelmäßig in leicht übertragener Anwendung „heimlich/unbemerkt etwas beseitigen" (vgl. L S J s. v. II 2) und wäre so auch für eine Paraphrase der aristotelischen KatharsisFormel ganz passend; der Zuschauer wird umso wirkungsvoller von seinen παθήματα befreit, je weniger er von diesem Vorgang selbst spürt. Ύφαιρεΐ in άφαιρεϊ zu ändern, wie Chr. Belger, De Aristotele etiam in arte poetica componenda Piatonis discipulo, Diss. Berlin 1872 in der vierten seiner Sententiae controversae vorschlägt, ist daher nicht nötig. In seiner 1987 erschienenen Übersetzung der Poetik und des TC (Aristotle, Poetics ..., Indianapolis/Cambridge) gibt Janko ΰφαιρέω mit „reduce" wieder, um die beiden hier aufgeführten Katharsis-Vorstellungen miteinander zu harmonisieren; doch scheint eine solche Bedeutung für ύφαιρέω nicht wirklich belegt zu sein. Jankos Übersetzung mißachtet auch das folgende και ότι, das auf eine Verkürzung hindeutet (vgl. Anm. 69).

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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wolle; wie soll man φοβηρά παθήματα ϋραιρεΐν und gleichzeitig eine συμμετρία (die stets als ein „ausgeglichenes Maß" von etwas, was jedenfalls vorhanden ist, verstanden wurde 68 ) του φόβου herstellen können? Nun ist auffällig, daß der συμμετρία-Satz mit einem και δτι eingeleitet ist, einem deutlichen Zeichen dafür, daß hier ein Epitomator in einem ursprünglich ausführlicheren Gedankengang gekürzt hat und abrupt zu einem neuen Punkt übergegangen ist. 69 Offenbar sind hier ursprünglich zwei verschiedene Katharsis-Vorstellungen nacheinander behandelt worden und wurden erst durch starke Verkürzung so widersprüchlich nebeneinander gestellt. Die erste dieser Katharsis-Auffassungen entspricht weitgehend der aristotelischen aus der Poetik (s. o.); bei der Lokalisierung der zweiten helfen die Erläuterungen weiter, die spätantike Neuplatoniker zur Dramenkritik Piatons gegeben haben: In diesem Zusammenhang erwähnen sie auch Vorstellungen von einem durch Katharsis oder katharsis-ähnliche Vorgänge herzustellenden Mittelmaß des menschlichen Gefühlslebens. 70 Der Platon-Kommentator Olympiodor unterscheidet sogar an mehreren Stellen mehrere Arten der Katharsis, und bei derjenigen Art, die er einmal als „aristotelisch", ein andermal als „peripatetisch oder auch stoisch" bezeichnet, ist vom Herstellen einer συμμετρία die Rede. 71 Janko wollte diese

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Cooper (1922) 76 versteht unter συμμετρία „.reduction to measure' from excess" und „due proportion" (262); vgl. auch 228: „the latent fear is to be aroused by tragedy, and so reduced to moderation"; vgl. Janko 144 f. Bernays (1880) 142 wollte συμμετρία in der Tragödie als „Ebenmaass der Furcht mit dem Mitleid" und in der Komödie als „Ebenmaass von γέλως zu τέρψις" (151) verstehen, aber der Traktat bringt bei der Behandlung der συμμετρία weder Mitleid noch τέρψις ins Spiel. Auf και δτι als Zeichen der Epitomierung weisen schon Bernays (1880) 141 und Kaibel (1898) 55 hin. Weitere Indizien sind: in der Aufzählung der dramatischen Genera stehen unvermittelt neben den Nominativen κωμωδία und τραγωδία die Akkusative μίμους und σατύρους (Koster hat hier in μίμοι und σάτυροι geändert und dadurch den Text zu sehr geglättet; für Kaibel dagegen sind diese Akkusative zu Recht „hominis indiligenter excerpentis vestigia"); die Komödiendefinition des TC, so auffallig um die Nachgestaltung der aristotelischen Tragödiendefinition bemüht, weist klaffende Lücken auf (vgl. o. Anm. 32; nicht nur ήδυσμένω λ ό γ ω , sondern auch das notwendige oü vor dem in δρώντων zu ändernden δρώντος ist ausgefallen); Zeichen der Epitomierung sind auch der besonders in der zweiten Hälfte des TC ausgeprägt asyndetische Stil mit teilweise sehr abrupten Übergängen. Vgl. Procl. In Plat. Remp. 1 p. 49. 50 Kroll; Jambl. De myst. I 11 (beide Stellen = fr. V Kassel im Anhang der aristotelischen Poetik)·, Olympiod. In Plat. Alcib. pr. 54,15 — 23 p. 36f. Westerink; ibid. 1 4 6 , 2 - 4 p. 94 Westerink. In Plat. Alcib. pr. 54,17—22: ... Περιπατητικός ήτοι Στωϊκός [seil, τρόπος της καθάρσεως]. και ό μέν Στωικός διά των εναντίων τ ά εναντία ίδτο ..., ίνα εκ της εις τό εναντίον περιφοράς τ ό σύμμετρον άναφανή; ibid. 146,2—4 τέταρτος [seil, τρόπος της καθάρσεως] ό 'Αριστοτελικός ό κακω τό κακόν ΐώμενος και τ η διαμάχη των εναντίων είς συμμετρίαν άγων.

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II. Z u den antiken Q u e l l e n des B e g r i f f s „Mittlere K o m ö d i e "

Art der Katharsis direkt auf Aristoteles zurückführen, 72 aber dann wäre die Gleichsetzung Περιπατητικός ήτοι Στωικός höchst verwunderlich, und wichtiger noch: die zur συμμετρία führende κάθαρσις διά των εναντίων ist doch geradezu das Gegenteil des „homöopathischen", Gleiches durch Gleiches verschwinden machenden, δι' έλέου και φόβου περαίνειν την των τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν in der aristotelischen Poetik. Möglicherweise ist Olympiodors Katharsis-Referat ungenau oder irrig in der Zuweisung der einzelnen Katharsis-Vorstellungen; 73 doch müssen wir uns mangels anderer Zeugnisse 74 zunächst einmal an seine Aussagen halten,

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j a n k o akzeptiert nicht die „purely medical interpretation" (141) der Katharsis d u r c h Bernays, sondern b e v o r z u g t im Anschluß an H . H o u s e {Aristotle's Poetics, L o n d o n 1956, 112 f.) eine Sichtweise, die in der Katharsis die H e r b e i f ü h r u n g einer emotionalen Balance im M e n s c h e n erblickt — eben die v o n den neuplatonischen K o m m e n t a t o r e n erläuterte σ υ μ μ ε τ ρ ί α ; aber diesen späten Texten z u f o l g e wird eine a u s g e g l i c h e n e S t i m m u n g s l a g e durch das Z u s a m m e n b r i n g e n v o n G e g e n s ä t z l i c h e m bewirkt, w ä h r e n d sich in der aristotelischen K a t h a r s i s - F o r m e l Gleiches mit G l e i c h e m b e k ä m p f t — dieser Widerspruch dürfte k a u m zu ü b e r w i n d e n sein. Selbst wenn m a n mit H o u s e und J a n k o d o c h eine σ υ μ μ ε τ ρ ί α auch in der aristotelischen Katharsis-Vorstellung finden sollte, bleibt noch der Widerspruch, der im TC zwischen einem ϋφαιρεΐν τ ά π α θ ή μ α τ α und einer συμμετρία τ ω ν π α θ η μ ά τ ω ν besteht; daß dabei die erste K a t h a r s i s - B e s t i m m u n g im Traktat, in der v o n „ B e s e i t i g e n " und nicht v o n σ υ μ μ ε τ ρ ί α die R e d e ist, eine recht g e n a u e Paraphrase der aristotelischen K l a u s e l ist (vgl. o. A n m . 66), scheint eher f ü r B e r n a y s ' Interpretation der aristotelischen Katharsis zu sprechen.

73

D i e E r l ä u t e r u n g des Π ε ρ ι π α τ η τ ι κ ό ς ή τ ο ι Σ τ ω ι κ ό ς τ ρ ό π ο ς τ η ς καθάρσεως bei O l y m p i o d . In Plat. Alcib. pr. 54,17—22 paßt, wie g e s a g t , in keiner Weise zu der aristotelischen Vorstellung einer „ h o m ö o p a t h i s c h e n " K a t h a r s i s , und es bleibt fraglich, o b der Peripatos in einem so wichtigen Punkt so weit v o n seinem B e g r ü n d e r a b g e w i c h e n wäre; es stimmt auch bedenklich, daß nach der E i n f ü h r u n g dieses τ ρ ό π ο ς als Π ε ρ ι π α τ η τ ι κ ό ς ή τ ο ι Σ τ ω ι κ ό ς er im F o l g e n d e n nur noch Σ τ ω ϊ κ ό ς heißt. A n der zweiten Stelle dieser Schrift, w o O l y m p i o d o r verschiedene Katharsis-Vorstellungen bespricht (145,12 ff.), heißt der gleiche τ ρ ό π ο ς nur 'Αριστοτελικός; seine E r l ä u t e r u n g ist ausführlicher, aber nicht ganz frei v o n Widersprüchen, denn während die W e n d u n g κακω τ ό κακόν ίώμενος die aristotelische h o m ö o p a t h i s c h e K a t h a r s i s ins Gedächtnis ruft, bildet das gleich f o l g e n d e και τ η δ ι α μ α χ ή τ ω ν εναντίων εις συμμετρίαν ά γ ω ν dazu g e r a d e w e g s d a s G e g e n t e i l . Vielleicht ist die δ ι α μ α χ ή τ ω ν εναντίων, die an der ersten Stelle als stoisch a n g e f ü h r t wird, tatsächlich die L e h r e der S t o a , und die in dieser A u f z ä h l u n g u r s p r ü n g l i c h daneben a n g e f ü h r t e peripatetische L e h r e g i n g irgendwann bei d e r T r a d i e r u n g verloren; umgekehrt stünden an der zweiten Textstelle zwar noch die L e h r e n beider Schulen (die eigentlich peripatetische wäre das aristotelisch klingende κακω τ ό κακόν ϊασθαι), w ä r e n d o r t aber fälschlich unter d e m Etikett 'Αριστοτελικός τ ρ ό π ο ς vereint. D a n n müßte m a n allerdings erhebliche Verwirrung in der Uberlieferung dieser L e h r e n v o r oder d u r c h O l y m p i o d o r annehmen, und dann wären seine A n g a b e n insgesamt nur noch mit großer Vorsicht zu benutzen.

74

D a s Stichwort σ υ μ μ ε τ ρ ί α taucht im Z u s a m m e n h a n g mit einer katharsis-ähnlichen Vorstellung bei Aristides Quintiiianus, De musica I 5 (p. 58,15 — 18 W i n n i n g t o n - I n g r a m ) auf, w o d a v o r g e w a r n t wird, τ ο υ ς ενθουσιασμούς εϊ μ ή τ υ γ χ ά ν ο ι ε ν συμμετρίας, οΰκ εις όρθόν π ρ ο β α ί ν ε ι ν , δεισιδαιμονίας τε και ά λ ο γ ο υ ς φόβους π ε ρ ι ά π τ ο ν τ α ς . J e a n n e Croissant, Aristote et les mysteres, L i e g e — Paris 1932, 119 hat „ d a n s cette r e m a r q u e une nouvelle idee aristotelicienne" finden wollen, „ q u i c o m p l e t e les declarations d u philosophe sur l'en-

2. Aristoteles, die K o m ö d i e und der Tractatus Coislinianus ( T C )

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in denen die Katharsis-Vorstellungen der aristotelisch-peripatetischen Schule mit denen der stoischen geradezu identifiziert werden, aber v o n der genuin aristotelischen gewaltig abweichen. Wer war im Peripatos für diese Abweichung verantwortlich? Wohl noch nicht Theophrast, wie eine weitere Olympiodor-Stelle in Verbindung mit der uns aus dem Grammatiker Diomedes bekannten theophrastischen Tragödien-Definition vermuten läßt. 75 Ein ähnlicher Widerspruch wie zwischen den beiden Feststellungen des Traktats zur Tragödiendefinition ergibt sich auch bei seiner Behandlung der Komödien-Katharsis, nur stehen die sich widersprechenden Aussagen hier weiter voneinander entfernt: Die pseudo-aristotelische Katharsis-Klausel (vgl. o. S. 116) in der Komödiendefinition des TC hat ebenfalls offensichtlich die vollständige Beseitigung der sogenannten „ π α θ ή μ α τ α " ηδονή und ysÄcos im Visier, da sie sich an den entsprechenden aristotelischen Ausdruck anlehnt. Dazu will aber an späterer Stelle (§ 6 Kaibel = Z. 34f. Koster) wiederum nicht die Bemerkung συμμετρία ... θέλει είναι ... τοΰ γελοίου εν ταΐς κωμωδίαις passen: Wie steht dieses γελοΐον zu der Beseitigung von ηδονή και γέλοος in der Definition? Für sich genommen könnte die Vorstellung einer συμμετρία τ ο ΰ γελοίου durchaus sinnvoll und auch aristotelisch sein; 7 6 aber zusammen mit dem Katharsis-Satz in der Komödiendefinition des TC ergeben sich unbehebbare Widersprüche.

t h o u s i a s m e " . E i n e n A n h a l t s p u n k t für diese V e r m u t u n g bieten die neben d e m ενθουσιασμός an dieser Stelle ebenfalls behandelten P h ä n o m e n e λύττη und η δ ο ν ή ; diese drei bilden bei T h e o p h r a s t (fr. 90 W i m m e r ) die άρχαί der μουσική. A b e r H . Koller, Die Mimesis in der Antike, D i s s . Bernenses I 5, B e r n 1954, 220 hat hier die A b h ä n g i g k e i t des Arist. Q u i n t , v o n einer aristotelischen Tradition bestritten und ihn vielmehr als B e w a h r e r alter pythagoreischer Lehren angesehen. D o r t , w o Croissant die Katharsis-Vorstellungen des Aristoteles und der Pythagoreer voneinander differenziert (a. O . 56), widersprechen ihr, w a s die pythagoreische L e h r e angeht, die A u s s a g e n des O l y m p i o d o r (vgl. die o. in A n m . 73 genannten Stellen), die sie nicht berücksichtigt zu haben scheint. D a s überschattet auch ihre Ansicht, daß Aristoteles' K a t h a r s i s ein „ e q u i l i b r e " ( = σ υ μ μ ε τ ρ ί α ) z u m Ziel habe. 75

O l y m p i o d . In Plat. Gorg. p. 172,10 — 14 Westerink οι 5έ θέλοντες εΐσφέρεσθαι τ η ν τ ρ α γ ω δ ί α ν α π ο λ ο γ ο ύ ν τ α ι , ό τ ι δει εΐσφέρεσθαι, π ρ ώ τ ο ν μέν έττειδή ή ρ ω ϊ κ ά π ρ ά γ μ α τ α μιμείται, ε π ε ι τ α ε π ε ι δ ή ούκ έα έν ή μ ΐ ν μένειν τ ά π ά θ η φ λ ε γ μ α ί ν ο ν τ α α λ λ ά π ρ ο κ α λ ε ί τ α ι α ύ τ ά και έκβάλλει. D e r Teilsatz ή ρ ω ϊ κ ά π ρ ά γ μ α τ α μ ι μ ε ί τ α ι erinnert an die a u s d r ü c k l i c h d e m T h e o p h r a s t zugeschriebene T r a g ö d i e n d e f i n i t i o n bei D i o m e d e s : τ ρ α γ ω δ ί α έ σ τ ί ν ηρωικής τ ύ χ η ς π ε ρ ί σ τ α σ ι ς . Wenn hier also hinter O l y m p i o d o r s Referat T h e o p h r a s t steht, dann vertrat auch er bei der K a t h a r s i s noch nicht die A u f f a s s u n g der σ υ μ μ ε τ ρ ί α , s o n d e r n die ältere aristotelische der v o l l k o m m e n e n A b r e a k t i o n der A f f e k t e ( π ρ ο κ α λ ε ί τ α ι α ύ τ ά και έκβάλλει), wie auch der erste Satz zur K a t h a r s i s im TC (ΰφαιρεΤ κ τ λ . ) .

76

E i n e σ υ μ μ ε τ ρ ί α τ ο ΰ γ ε λ ο ί ο υ (ohne Katharsis) ließe sich d u r c h a u s mit d e m vereinbaren, w a s Aristoteles in EN I V 14 über die taktvollen Scherze des ε υ τ ρ ά π ε λ ο ς und die subtilere K o m i k der καιναί κ ω μ ω δ ί α ι bemerkt.

134

II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere K o m ö d i e "

Der Begriff der εμφασις im TC ist im Peripatos frühestens seit Praxiphanes in dieser Bedeutung nachweisbar (vgl. o. S. 124 f.). Als nacharistotelisch stellen sich auch die Bemerkungen des Traktats zur Komödiensprache heraus: Von ihr heißt es zunächst, sie müsse κοινή και δημώδης sein (§ 8 Kaibel = Ζ.43 Koster). J a n k o versucht, diesen Satz auf Aristoteles' Betonung von „propriety of diction" und „appropiateness according to genre" zurückzuführen (221; vgl. Rhet. III 3 p. 1405b35ff. und Poet. 22 p. 1459a8ff.). Aber an den erwähnten Stellen spricht Aristoteles von Λέξις allgemein, und wenn er überhaupt bestimmte literarische Genera dabei im A u g e hat, so sind es an der Poetik-Stelle Dithyrambos, E p o s und Tragödie, wie aus den folgenden Sätzen hervorgeht, und an der Rhetorik.-Stelle natürlich Redner (Beispiele sind im Umfeld genannt); von der K o m ö d i e verlautet nichts. Im Gegenteil: Aristoteles erblickt gerade in der Verletzung einer „angemessenen" und „normalen" Redeweise einen Quell des K o mischen (vgl. Rhet. III 7 p. 1 4 0 8 a l 0 - 1 6 und Poet. 22 p. 1 4 5 8 M 1 - 1 5 ) ; er hebt gerade die άπρεπης χρήσις von Glossen, Metaphern und anderen sprachlichen Mitteln als den Weg hervor, eine Sache komisch darzustellen. Dabei hat Aristoteles wahrscheinlich an den extravaganten und die Alltagsdiktion oft genug bewußt auf den K o p f stellenden Gebrauch der Sprache in der Alten K o m ö d i e gedacht; der TC hingegen kann mit seiner λέξις κοινή και δημώδης nur eine K o m ö d i e im A u g e haben, die die alltägliche Umgangssprache im weitesten U m f a n g verwendete und widerspiegelte; das aber war erst seit nacharistophanischer Zeit zunehmend der Fall und dann vor allem in der N e a gang und gäbe. 7 7 Erneut bezieht sich der Traktat also offensichtlich auf eine spätere Phase der Komödienentwicklung als Aristoteles. Auch der sprachliche Ausdruck des TC an dieser Stelle unterstützt eine nacharistotelische Datierung des Gedankens: Für die Junktur κοινή και δημώδης hat J a n k o (222) nur späte Parallelen zur Hand. Von Pseudo-Longin und mehr noch von Jamblich ist es ein weiter Weg zurück zu Aristoteles; die Jamblich-Stelle, die J a n k o als Beleg für die Vertrautheit dieses Neuplatonikers mit dem verlorenen zweiten Poetikbuch anführt {De myst. 1 1 1 = Poet. fr. V Kassel), referiert eine KatharsisVorstellung, welche ziemlich sicher nacharistotelisch ist (vgl. o. S. 131 f.). Eher werden wir dagegen bei Theophrast fündig: Aus einer verlorenen Schrift von ihm zitiert ein später Aristoteles-Kommentator (Ammonius In Arist. de Interpr. p. 65,23 — 66,7 Busse, als Theophrast. fr. 65 von Wimmer nur unvollständig wiedergegeben) die Phrase τ ά κοινά και δεδημευμένα (seil, ονόματα); allerdings bezieht sie sich dort nicht auf K o m ö d i e . Der K o m ö d i e schreiben eine solche Alltagssprache explizit Cicero (Orator 67) und Horaz [Sat. I 4,45 — 48) zu. J a n k o (208; vgl. auch u. Anm. 92) möchte 77

Gelegentliche Tragödienparodie in der Diktion der Nea ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

135

diese Zeugnisse auf Theophrast zurückführen; mit dem Theophrast-Zitat bei Ammonius zusammengenommen ist dies in der Tat zu erwägen. Der zweite Satz über die λέξις κωμική im TC hat bisher allen Erklärern Schwierigkeiten bereitet, weil er in seiner überlieferten Form nicht zu verstehen ist. Auch Janko hat sich daher zu einer Textänderung entschlossen (223 f.); mit ihrer Hilfe will er allerdings den Text in völlig anderer Weise verstehen, als man es bisher versucht hat: Er ändert in dem Teilsatz δει τόν κωμωδοποιόν την πάτριον αύτοϋ (edd.: αύτοϋ cod.) γλώσσαν τοις ττροσώποις περιτιθέναι das überlieferte αύτοϋ nicht wie alle vor ihm in ein auf den Komödiendichter zurückverweisendes αύτοϋ, sondern in ein auf die ττρόσωττα vorausweisendes αύτών:78 der Komödiendichter müsse den (jeweiligen) Rollen ihre (jeweilige) väterlich angestammte Sprachform beilegen. Im zweiten Teil des Satzes, την δέ έπιχώριον (zu ergänzen: γλώσσαν δει τόν κωμωδοποιόν περιτιθέναι) αύτφ έκείνω bezieht Janko αύτώ έκείνω zurück auf den Komödiendichter79 und versteht: sich selbst müsse der Komödiendichter den lokalen Dialekt (d. h. den seiner Heimatstadt) beilegen. Bei dieser Interpretation bleibt mehreres bedenklich: Sicherlich sollen die Adjektive πάτριος und έτπχώριος in diesem Satz zwei verschiedene Sprachformen bezeichnen, deren sich der Komödiendichter je nachdem zu bedienen habe. Bei der von Janko vorgeschlagenen Verteilung der beiden Begriffe (πάτριος für alle Rollen und έπιχώριος für den Dichter selber) ergibt sich aber keine wirklich sinnvolle Differenzierung, denn ein attischer Komödiendichter wird mit den meisten seiner (ebenfalls attischen) Bühnenfiguren den Dialekt sicher gemeinsam haben — warum dann zwischen Dichter und Rollen unterscheiden? Umgekehrt können zwischen attischen und nichtattischen Figuren sprachliche Unterschiede natürlich wirkungsvoll auf der komischen Bühne eingesetzt werden — aber warum dann sämtliche Bühnenfiguren mit dem Begriff πάτριος über einen Kamm scheren? Die Zuordnung von πάτριος und έπιχώριος, wie sie alle Interpreten des TC vor Janko vertreten haben, ist wesentlich sinnvoller: Beide Begriffe sind auf die Bühnenfiguren zu beziehen; die mit dem Dichter stammverwandten attischen sprechen ihre und des Dichters πάτριος γλώσσα, und etwaige ξένοι erhalten ihre jeweilige έπιχώριος in den Mund gelegt. Auch die Grundbedeutungen von πάτριος und έπιχώριος und ihre Weiterentwicklung deuten in diese Richtung: Πάτριος heißt „väterlich,

78 79

Von Rosenmeyer (1985) 395 als „cogent and appealing" bezeichnet. Vgl. dazu Jankos Ausführungen über den „pseudo-reflexive use" von αύτός εκείνος in CQ 35, 1985, 22 — 24; nicht alle dort angeführten Stellen sind wirklich als Belege für diese eigenartige Erscheinung geeignet; mir ist nicht einsichtig, wieso in Lucian Nigr. 13 αύτόυ εκείνον ein εαυτόν vertreten soll. Andere Stellen (Plat. Phaed. 97d, Theaet. 171c) sind überzeugender.

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

vom Vater her, angestammt, heimatlich", womit der Betrachter oder Sprecher in der Regel seine eigene Heimat meint; έπιχώριος bedeutet „heimisch" nur in einer χώρα, auf die der Betrachter als Außenstehender blickt; diese χώρα kann schließlich geradezu im Gegensatz zu einer typisch griechischen polishaften πατρίς stehen. Έπιχώριος bedeutet also „lokal", aber anderswo lokal. Sitten, Gebräuche oder sonstige Erscheinungen, die irgendwo einheimisch und charakteristisch sind, sind έπιχώριος; ob dagegen ein Grieche seinen eigenen heimatlichen Dialekt als έπιχώριος und nicht vielmehr immer als πάτριος bezeichnet hätte, ist sehr fraglich. Bei dem von Janko hergestellten Sinn des TC-Satzes wäre aber gerade dies der Fall: Des Dichters eigene Sprache, der Grundstoff für seine Komödien, würde mit der Bezeichnung έπιχώριος geradezu deklassiert, dagegen die Ausdrucksweise selbst des barbarischsten und weit jenseits des Istros nomadisierenden Skythen mit dem Gütesiegel πάτριος gewürdigt! Im klassischen Sprachgebrauch scheinen πάτριος und έπιχώριος noch oft das Gleiche zu bezeichnen (auch hier wäre allerdings stets auf den jeweiligen Standpunkt des Sprechers zu achten); später aber bekommt έπιχώριος immer stärker die Bedeutung „lokal, in einer anderen Gegend heimisch", und in der Kaiserzeit heißt das Adverb έπιχωρίως geradezu „in lokalem Sprachgebrauch, in der dortigen Landessprache". 80 Auch hier im TC scheint begrifflich so zwischen πάτριος und έπιχώριος unterschieden zu werden, wie es die nachklassische Entwicklung beider Wörter mit sich brachte, und dies wäre schon für sich genommen ein Indiz dafür, daß Aristoteles diesen Satz so noch nicht geschrieben haben kann. 81 Aber auch Jankos Versuch, den von ihm hergestellten Satz 80

81

Schon bei klassischen Autoren betont ετπχώριος vor allem die Komponente einer bestimmten Örtlichkeit: Im Lexicon Herodoteum unterscheidet J. E. Powell an grundsätzlichen Bedeutungen von Ετπχώριος nur „local" (d. h. in der betreffenden Gegend heimisch und charakteristisch) von Gegenständen und „native" (d. h. in der betreffenden Gegend einheimisch, eingeboren) von Menschen. Auch bei Thukydides bedeutet έττιχώριος oft „in einer bestimmten (aus der Sicht des Autors anderen, fremden) Gegend heimisch"; dem scheint VI 30,2 zu widersprechen, wo auch die athenischen Landsleute des Thukydides als ετπχώριοι (im Gegensatz zu den in der Stadt anwesenden ξένοι, VI 31,1) bezeichnet werden, aber hier muß man damit rechnen, daß Thukydides auch „seine" Athener sehr detachiert betrachtet; sonst wendet er Ιτπχώριοξ auf nichtathenische Menschengruppen (IV 17,2 Spartaner, VII 30,2 Thraker), auf den Verkehr verschiedener solcher Gruppen miteinander (in der Bedeutung „jeweils eigen, heimisch"; I 20,1. V 18,9. 47,8. 105,4) oder zur Kennzeichnung bestimmter lokaler Sitten (I 126,6. VI 27,1) an (Stellen aus Betant, Lexicon Thucydideum). Auch bei Xenophon bedeutet έττιχώριοξ regelmäßig „in einer bestimmten Gegend, einem bestimmten Volk heimisch". Zu έττιχωρίωζ im kaiserzeitlichen Gebrauch vgl. Flav. Joseph. Bell. lud. V 151; Cass. Dio XXXVIII 13,2. XLIX 36,5. LVII 15,2. Diese Bedeutung würde auch sehr gut an unserer 7 C-Stelle passen. An der einzigen Stelle, an der έττιχώριο; in den erhaltenen Werken des Aristoteles laut Bonitz vorkommt (Janko 224 sagt, es erscheine „twice"; ich habe die andere Stelle nicht

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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„Der Komödiendichter muß sich selbst den lokalen Dialekt beilegen" auf die Komödienparabase zu beziehen, in der der Dichter (durch den Mund des Chores) selbst und in eigener Sprache spreche, stößt auf große Hindernisse: Angenommen, der Satz stammte wirklich von Aristoteles — sollte dieser dem Komödiendichter Vorschriften über einen Stückteil machen (δεΪΎον κωμωδοττοιόν κτλ.), der zu seiner Zeit längst verschwunden war? In der Poetik steht Aristoteles der Fortentwicklung der Komödie durchaus positiv gegenüber (vgl. 5 p. 1449b5 —9; 9 p. 1451bll—15); und schon im aristophanischen Plutos, einige Jahre vor Aristoteles' Geburt, gibt es nicht mehr die Spur einer Parabase. Selbst aber, wenn man hier noch an die Parabase denken dürfte, gab es doch zwischen ihr und den übrigen Stückteilen keine dialektalen Differenzen, da die Chöre in der Regel entweder attische Bürgergruppen waren (Acharner, Ritter, Mysten u. ä.) oder Wesen (Vögel, Wespen, Frösche), die ebenfalls natürlich attisch sprachen. Jankos Interpretation des Satzes ist somit kaum haltbar. Wenn man freilich zu der traditionellen Auffassung zurückkehrt, steht man nach wie vor einem verdorbenen Text gegenüber; aber hier zeigt der Vorschlag Vahlens (Opusc. Acad. II 567), der zwischen ττεριτιθέναι und τήν δέ έτπχώριον ... eine Lücke annimmt und dazwischen (ττλήν τω ξένω ού ταύτη ν άττοδιδόναι) ergänzt, zumindest die (von Koster und Janko leider ignorierte 82 ) Richtung, in der die Lösung wohl liegt. Da der TC erwiesenermaßen ein oft sehr stark und teilweise auch recht ungeschickt verkürztes Exzerpt ist (vgl. o. Anm. 69), ist mit einer Lücke wie der von Vahlen angenommen (oder auch mit einem mechanischen Ausfall 83 ) durchaus zu rechnen. Wenn wir also den Sinn des Satzes so verstehen wollen wie die Erklärer vor Janko, spricht vielleicht nicht sein Inhalt, wohl aber sein Sprachge-

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finden können), bedeutet es „heimisch"; zwei von Bonitz angeführte Fragmentbelege führen auf die Bedeutung „lokal", könnten aber späterer Sprachgebrauch der zitierenden Autoren sein; auch das Wort έτπχωριάζω bedeutet bei Aristoteles „heimisch sein". 223 spricht Janko nur von „further unsatisfactory conjectures" Vahlens, „affecting other parts of the entry", nachdem er dessen Auffassung von αύτώ έκείνω gebilligt hat. In CQ 35, 1985, 23 zitiert er Vahlens Ergänzungsvorschläge, nennt sie aber „very drastic and worse than the disease" (Vahlen selbst hatte freilich den einen, { τ ω δέ ξένοι άττοδιδόναι) τήν έτπχώριον ..., in der gleichen Abhandlung bereits zurückgezogen, weil dazu aus dem überlieferten Text das δέ vor έτπχώριον hätte gestrichen werden müssen). Andere Vorschläge aus neuerer Zeit: D. Holwerda (in Kosters Addenda et Corrigenda, p. 220): δει τόν κωμωδοττοιόν τήν ττάτριου αΟτοϋ γλώσσαν τοις ττροσώττοις ττεριτιθέναι, τήν δέ έτπχώριον αύτών έκκλΐναι, was nicht der Komödienpraxis entspricht, Fremde tatsächlich durchaus ihren eigenen Dialekt reden zu lassen; H. Erbse (Gnomon 50, 1978, 6) hält Kosters Einfügung von έγχωρίοις für verunglückt „in einem Satz, der mehrere Lösungsmöglichkeiten zuläßt", was leider nicht näher ausgeführt wird. Vahlen (a. O. 56 f.) rechnet bei seinem Herstellungsversuch mit einem saut du meme au meme.

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

brauch für einen nacharistotelischen Ursprung, denn zu der wahrscheinlich nachklassischen Verwendung von έπιχώριος kommt noch die von γ λ ώ σ σ α in diesem Satz hinzu: In der Poetik ist γ λ ώ σ σ α anders definiert als hier im TC gebraucht (21 p. 1457b3 —4: λέγω δέ κύριον μεν φ χρώνται έκαστοι, γ λ ώ τ τ α ν δέ φ ετεροι), Janko (224) glaubt aber, mit der Wendung κατά την άρχαίαν γ λ ώ τ τ α ν in Rhet. I 2 p. 1357bl0 Aristoteles wieder einmal schwankenden Sprachgebrauch nachweisen zu können. Aber sollten an der Rhetorik stelle nicht einfach die αρχαίοι eben einmal jene ετεροι sein, von denen Aristoteles in der Poetik spricht? Außerdem müßten wir erneut mit Janko annehmen, Aristoteles habe gegen eine expressis verbis im gleichen Werk zuvor festgelegte Definition in eklatanter Weise verstoßen. In jedem Fall ist es von αρχαία γ λ ώ τ τ α noch ein weiter Weg zu πάτριος γλώσσα; Stellen, wo γ λ ώ σ σ α wirklich genauso „Sprache, Dialekt" wie im TC heißt, begegnen uns in normalgriechischer Prosa84 erst erheblich später, etwa bei Demetrius, der De eloc. 177 tatsächlich von ή 'Αττική γ λ ώ σ σ α sprechen kann. Nach deutlichen Hinweisen auf nacharistotelische Elemente im TC wäre nunmehr zu fragen, ob sich vielleicht bestimmte Autoren für diese Elemente in Erwägung ziehen lassen. Da schon mehrfach der Name Theophrast fiel, sollen zunächst die Hinweise auf ihn noch einmal zusammenfassend und ergänzend geprüft werden. Einen ersten Hinweis auf Theophrast bieten vielleicht die vier Gattungen, die der TC unter dem Stichwort δραματικών και πρακτικών zu Beginn aufführt; die gleichen vier (Komödie, Tragödie, Mimus, Satyrspiel) sind auch bei Diomedes unter dem Stichwort δραματικόν και μιμητικών vereinigt, und von den Definitionen, die Diomedes jeder dieser Gattungen beigibt, wird die erste (die Tragödiendefinition) ausdrücklich dem Theophrast zugeschrieben. Gehen daher auch die übrigen drei auf ihn zurück?85 Letzte Sicherheit läßt sich hier nicht gewinnen, 86 und die bei Diomedes angeführte Komödiendefinition (κωμωδία εστίν ιδιωτικών π ρ α γ μ ά τ ω ν ακίνδυνος περιοχή) weicht in einigem von der in den Scholien zu Dionysios Thrax zitierten (XVIIIb4 Koster: έστι δέ κωμωδία μίμησις πράξεως καθαρτική παθημάτων και βίου συστατική, τυπουμένη δι' ηδονής και γέλωτος) ab, 87 welche mit den Gesichtspunkten Mimesis und Katharsis 84

85

86 87

Im Ionischen erscheint diese Bedeutung früher: vgl. Solon fr. 36,11 W. γ λ ώ σ σ α ν οϋκίτ' Ά τ τ ι κ ή ν I ΐένταζ, und Herodot (ζ. Β. II 137,5). Vielleicht drang sie von hier aus in die Koine ein. Diese Vermutung schon bei A. Reifferscheid, Suet. rei. 1860, 379; Janko 48 (mit Anm. 30) zitiert Reich (1903) 266, der auf Reifferscheid verweist. Vgl. S. Koster, Antike Epostbeorien, Palingenesia 5, Wiesbaden 1970, 85 f. Janko (51) sieht beide sich gegenseitig ergänzen; doch fragt sich, ob ιδιωτικών π ρ α γ μάτων ακίνδυνος περιοχή mit der Wendung τ ο ϋ βίου συστατική in der anderen nicht eher konkurriert als sie ergänzt.

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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dem Aristoteles, und damit vielleicht auch dem Theophrast (vgl. o. Anm. 75), deutlich nähersteht als die Definition bei Diomedes. Wenn aber nicht alle vier Definitionen bei Diomedes einigermaßen sicher auf Theophrast zurückzuführen sind, dann muß auch nicht die Zusammenstellung der vier zugehörigen Genera bei Diomedes und im TC von Theophrast stammen. Immerhin hat Theophrasts Schüler Chamaileon über drei dieser vier Genera (Tragödie, Komödie, Satyrspiel) in besonderen Abhandlungen geschrieben (vgl. o. S. 112), und Demetrius De elocutione, bei dem die Mimen Sophrons als δράματα bezeichnet werden und somit der Mimus als dramatisches Genos ebenfalls eine feste Größe ist, geht nach allgemeiner Ansicht 88 auf alte peripatetische Quellen zurück. Wir gelangen also mit der Gattungseinteilung, die der TC bietet, nicht sicher bis zu Theophrast zurück, aber doch wenigstens in eine Zeit nicht allzu lange nach ihm in der peripatetischen Schule. Wer hat nun aber im Peripatos gegen die eindeutigen Ausführungen des Schulgründers in Poetik 1 die (Wieder-)Einführung einer ποίησις αμίμητος vorgenommen? Wie Cie. Orator 67 und Hör. Sat. I 4,45 — 48 (vgl. o. S. 134) zeigen, war die Zugehörigkeit der Komödie zur Dichtung in hellenistischer Zeit zu einem Problem geworden, weil sie sich in ihrer Sprache so sehr dem normalen Alltagsverkehr angenähert hatte und nur noch ihr Versgebrauch ihre Zugehörigkeit zur Dichtung auswies 89 — eine Position, die deutlich hinter das zurückgeht, was Aristoteles in Poet. 1 und 4 ausgeführt hatte: neben dem Versgebrauch muß die Mimesis vorhanden sein, um ein Werk zur Dichtung zu machen. Mit dem Festhalten an άρμονία und ρυθμός als unterscheidendem Merkmal von Dichtung und (mimetischer) Nicht-Dichtung hatte Aristoteles — um mit Otto Immisch zu sprechen (1902, 256 Anm.) — einen „breiten Graben" zwischen Poesie und Prosa gezogen. Mit Theophrast, der unter dem Begriff λόγος προς τοϋς άκροωμένους Rhetorik und Dichtung zusammenfaßt und dem philosophischen λόγος προς τ ά π ρ ά γ μ α τ α gegenüberstellt (π. λέξ. fr. XXIV Schmidt = fr. 65 Wimmer = Ammon. In Aristot. de interpr., CAG IV 5 p. 65f. Busse)90 beginnt dieser Graben sich wieder merklich zu verengen; und an der erwähnten Cicero-Stelle werden Prosaiker wie Piaton und 88

89

90

Vgl. Martini, Demetrios (85), RE IV 2 (1901), 2839,60 ff.; W. Rhys Roberts, Demetrius on Style, Cambridge 1902, 50 — 55; G. Μ. A. Grube, A Greek Critic: Demetrius on Style, Phoenix Suppl. 4, Toronto 1961, 56. Etwas zurückhaltender in dieser Frage G. Kennedy, The Art of Persuasion in Greece, Princeton 1963, 287; vgl. jetzt auch Innes (1985) 264 6 mit weiteren Literaturangaben. Cie. Orat. 67: apud quos (seil, comicos poetas), nisi quod versiculi sunt, nihil est aliud cotidiant dissimile sermonis; Hör. Sat. I 4,46 — 48: (comoediae) acer spiritus ac vis/ nec verbis, nec rebus inest, nisi quod pede certoj d i f f e r t sermoni, sermo merus. Zur Interpretation dieser Stelle vgl. Immisch (1902) 255 f.; W. Kroll, RhM 62, 1907, 86 f.; Stroux (1912) 2; zuletzt Innes (1985) 254.

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere K o m ö d i e "

D e m o k r i t a u f g r u n d ihrer locutio, ihrer λέξις, sogar bereits eher für Dichter gehalten als die Komödienschreiber. Mit der E i n o r d n u n g Piatons hätte sich Aristoteles vielleicht einverstanden erklären können, 9 1 da bei ihm ja auch die Σωκρατικοί λ ό γ ο ι zur Mimesis gehören, aber Demokrit hätte bei ihm mit Sicherheit das Schicksal des v o n der π ο ί η σ ι ς ausgeschlossenen E m p e d o k l e s teilen müssen. G e g e n Aristoteles wird also an dieser CiceroStelle die Λέξις zum hauptsächlichen Kriterium für Dichter bzw. NichtDichter (während die Mimesis unter den Tisch fällt) — auch die K o m ö diendichter bleiben offenbar nur deshalb in der π ο ί η σ ι ς Inbegriffen, weil ihre λέξις a u f g r u n d des Metrons eben doch etwas Besonderes darstellt; und unter diesem Kriterium wird dann auch wieder eine π ο ί η σ ι ς άμίμητος möglich, die π ο ί η σ ι ς im G r u n d e nur wegen ihrer λέξις ist. Der CiceroPassus (und die ihm verwandte Horazstelle) ist wiederholt auf Theophrast zurückgeführt w o r d e n ; 9 2 könnte T h e o p h r a s t damit auch zum Wegbereiter der ττοίησις άμίμητος werden? Von den zwei verschiedenen Beschreibungen der tragischen Katharsis im TC (vgl. o. S. 130 f.) läßt sich keine sicher auf Theophrast zurückführen; doch w ü r d e die erste, in der v o n einer vollständigen Beseitigung der φοβερά π α θ ή μ α τ α die Rede ist, besser zu ihm passen (vgl. o. A n m . 75) als die zweite. D a s würde ferner bedeuten, daß diese zweite, die v o m TC im folgenden Satz referierte συμμετρία-Vorstellung mit einiger Sicherheit nicht theophrasteisch, sondern später ist. D i e darauf folgende K o m ö d i e n definition des TC, die ihren Anschluß an die Tragödienbestimmung der aristotelischen Poetik in fast schon peinlicher Weise zur Schau stellt, kann ebenfalls nicht v o n Theophrast sein, 9 3 wenn die Vermutung berechtigt ist, daß auf Theophrast entweder die Komödiendefinition bei Diomedes oder (wahrscheinlicher) die in dem Dionysios-Thrax-Scholion ( X V I I I b 4 Koster) zurückgeht (vgl. o. S. 138 f.). Auch die sich anschließende Einteilung der γ ε λ ο ί α in λέξις und π ρ ά γ μ α τ α , die bei Cicero {De or. II 239) und Quintilian {Inst. V I 3,22) gut bezeugt ist, läßt sich nicht ohne weiteres auf Theophrast zurückführen; die große Fülle der aufgeführten γ ε λ ο ί α würde allerdings 91 52

93

Vgl. fr. 73 Rose aus περί ποιητών. Vgl. Janko 114 55 , der sich auf A. Ardizzoni, ΠΟΙΗΜΑ, Bari 1953, 6 9 - 7 8 beruft; Heinze zu Hör. Sat. I 4,45 vergleicht den Passus Cie. Orat. 67, den Wilamowitz auf Theophrast zurückgeführt habe; Kroll zu Cie. Orat. 67 denkt ebenfalls an Theophrast. Jankos Behauptung, von der (möglicherweise auf Theophrast zurückgehenden) Ansicht, die λέξις sei das wichtigste Kriterium für Dichtung, finde sich „no hint" (114) im TC, ist vielleicht voreilig: Im TC wird die eine Hälfte der γελοία von der λέξις abgeleitet und die Komödiendiktion in offenbar nacharistotelischer Weise charakterisiert (vgl. o. S. 134 ff.). Die λέξι$ spielt also durchaus eine gewichtige Rolle im Traktat, und vielleicht wird erst durch ihre Aufwertung auch die Vorstellung einer ττοίησίξ αμίμητος möglich. Rostagni (1955) 222 f. schließt eine Herkunft dieser Definition von Aristoteles zwar aus („Aristotele non si sarebbe cosi banalmente ripetuto nel corso del suo trattato"), scheint ihre Ursprünge aber auf Theophrast zurückführen zu wollen (223).

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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nicht schlecht zu einer besonderen Schrift περί γελοίου passen, wie sie Theophrast verfaßte, während Aristoteles offenbar nur über Mittel poetischer λέξις allgemein handelte und lediglich in einer bestimmten Weise des Mißbrauchs dieser Elemente eine Quelle des Komischen erblickte (vgl. o. S. 134). Beim εμφασις-Begriff des TC kommen wir nur bis zu Theophrasts Schüler Praxiphanes einigermaßen sicher zurück (vgl. o. S. 124 f.). Theophrast hat sich mit der Unterscheidung zwischen offenem όνειδισμός und der subtilen Andeutung einer αμαρτία durch ein geschicktes σκώμμα befaßt (vgl. Plut. Quaest. conv. II 1) und kommt damit der Unterscheidung des TC zwischen offener λοιδορία und auf subtiler εμφασις beruhender κωμωδία zumindest nahe; Ähnliches bezeugt von Theophrast auch Demetrius De eloc., der am Ende eines längeren Vergleichs zwischen εΰχαρι und γελοΐον (§ 163 — 173) Theophrast über καλά ονόματα zitiert (173); in Demetr. De eloc. 222 scheint Theophrast die εμφασις geradezu zu definieren, ohne allerdings den Begriff zu nennen: Θεόφραστος φησιν, ότι ού π ά ν τ α επ' ακριβείας δει μακρηγορεΐν, άλλ' ενια καταλπτεΐν και τ ω ακροατή συνιέναι και λογίζεσθαι εξ αυτού κτλ. Das ist vom Standpunkt des Redners aus gesagt (bei Arist. Rhet. III 10 p. 1410b21 — 26 gibt es dazu ein gewisses Vorbild); die εμφασις wurde ja gerade in der Rhetorik zu einer festen Vorstellung und einem genau beschriebenen Mittel (vgl. o. S. 123). Auch die drei im TC genannten ήθη κωμωδίας wurden schon einmal auf Theophrast zurückgeführt. 94 Jankos Einwand, Theophrasts Charaktere seien anders geartet und der βωμολόχος finde in ihnen keine Entsprechung, ist aber nicht leicht von der Hand zu weisen; sicher hat Theophrast bei dieser Schrift nicht speziell oder auch gar nicht an die Komödie gedacht (der theophrastische εΐρων etwa ist auf der Bühne genauso schwer vorstellbar wie der aristotelische, vgl. o. S. 128). Auch der Versuch, in den drei ήθη des TC Oberbegriffe zu sehen, unter denen sich jeweils mehrere der theophrastischen Charaktere subsumieren ließen, 95 gelingt nur einigermaßen beim βωμολόχος, nicht aber beim εΐρων oder άλαζών, die auch bei Theophrast nur £V»^/charaktere sind. Die „Charakterologie" des Traktats läßt sich so kaum mit ihm in Verbindung bringen. Wieder deutlicher weisen auf Theophrast die Bemerkungen des Traktats über die κωμική λέξις hin: Vor allem die Junktur κοινή και δημώδης hat in der für Theophrast bezeugten Wendung τ ά κοινά και δεδημευμένα 54 55

Dosi (1960) 620. Vgl. Ribbeck (1857) 46 ff. Jankos Auffassung der drei ήθη im TC ist widersprüchlich: Zum einen vertritt er die Meinung, der Traktat gebe mit ihnen nur einzelne Beispiele und keine vollständige Übersicht (216; aber die Formulierung τ ά τε βωμολόχα καΐ τ ά ειρωνικά και τ ά τ ω ν αλαζόνων erweckt durchaus den Eindruck, abgeschlossen zu sein oder jedenfalls sein zu wollen), zum anderen versucht er, sie in ein Schema zu bringen (217); dann können sie aber nicht mehr willkürlich gewählte „examples" sein.

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere K o m ö d i e "

ein recht nahes Pendant (o. S. 134); u n d C i c e r o u n d H o r a z s c h ö p f e n , w e n n sie zwischen komischer D i k t i o n u n d A l l t a g s s p r a c h e fast keinen Unterschied m e h r sehen, ebenfalls aus d e m Peripatos u n d vielleicht aus T h e o phrast (o. S. 140 f.). D a s E r g e b n i s dieses Ü b e r b l i c k s : V o n den Teilen des TC, bei denen m a n eine geistige Patenschaft T h e o p h r a s t s v e r m u t e n k ö n n t e , bleiben d o c h nur recht w e n i g e , w o diese V e r m u t u n g zur Wahrscheinlichkeit w i r d . 9 6 Bei m a n c h e n Sätzen des Traktats wird m a n eher s o g a r an nachtheophrastische E n t w i c k l u n g e n zu denken haben: Bei der σ υ μ μ ε τ ρ ί α - V o r s t e l l u n g , bei der ττοίησις α μ ί μ η τ ο ς (wo T h e o p h r a s t aber vielleicht wichtige Voraussetzung e n schuf: o. S. 139 f.), den vier dramatischen G e n e r a , der εμφασις könnte ein späterer Peripatetiker als T h e o p h r a s t die Q u e l l e sein. A n anderen Stellen wieder greift der TC zwar deutlich a u f aristotelische Formulierung e n z u r ü c k , tut dies aber in einer so ungeschickten, fast schon tölpelhaften Weise, daß m a n auch hier k a u m an T h e o p h r a s t wird d e n k e n können: D i e K o m ö d i e n d e f i n i t i o n präsentiert sich z w a r aufdringlich a u f g e p u t z t in aristotelischem K l e i d , strotzt aber v o n Ungereimtheiten und Fehlern (vgl. o. S. 114 ff.); die ή θ η κ ω μ ω δ ί α ς sind, falls sie a u f Aristoteles z u r ü c k g e h e n , eine Z u s a m m e n s t e l l u n g , die nur aus einer K o m b i n a t i o n v o n Stellen aus Rhetorik u n d Nikomachischer Ethik (vgl. o. S. 125 ff.) g e w o n n e n w o r d e n sein kann u n d die die unterschiedlichen V o r a u s s e t z u n g e n u n d Intentionen dieser beiden Schriften außer acht läßt; auch die A u f z ä h l u n g der sechs E l e m e n t e der κωμωδίας Ολη, unter denen die ή θ η g e n a n n t sind, ist eine deutliche Anleihe an Poetik 6. U n d wie bei den ή θ η κ ω μ ω δ ί α ς Aristotelisches falsch o d e r wenigstens schief appliziert wird, ist auch der Satz des Traktats ü b e r die Verteilung u n d Präsenz der sechs E l e m e n t e der κωμωδίας Ολη in den einzelnen K o m ö d i e n in seiner überlieferten F o r m Unsinn. J a n k o s V e r b e s s e r u n g s v o r s c h l a g zu dieser Stelle richtet sich an einem Satz i m 6. K a p i t e l der Poetik aus, der ebenfalls bis heute nicht befriedigend verbesserte K o r r u p t e l e n enthält; 9 7 das Verfahren als solches ist proble96

Jankos Argumente ^egen eine Autorschaft Theophrasts (48 — 52) haben nicht immer sichere Fundamente: Wenn sich von vermeintlichen Lehrmeinungen Theophrasts, die diesem oft nur spekulativ zugewiesen wurden, nichts im Traktat findet, ist dies noch kein Beweis; umgekehrt könnte auch manches im TC von Theophrast sein, was uns unter seinem Namen nicht mehr bezeugt ist. Sicher gegen Theophrast dürften allerdings die Stellen sprechen, an denen Gedanken seines Lehrers zugleich plagiiert und verdreht erscheinen, ferner solche, wo Aristoteles widersprochen wird und wir aus anderen Indizien annehmen dürfen, daß Theophrast hier die Auffassungen seines Meisters teilte (vgl. etwa die Katharsis-Lehre).

97

1450al2—14: Janko (230) möchte die Obeloi um οϋκ ολίγοι αυτών weglassen und will dem damit sich einstellenden Widerspruch zu 1450a8 dadurch begegnen, daß er Aristoteles dort von „tragedy as a whole, i. e. considered as a genre" und hier von „individual members" dieses Genres sprechen sieht; aber auch dann wäre nach ανάγκη πάσης τήζ

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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matisch, und der Satz im TC wird auch durch Jankos Einfügung von ουκ vor όλίγαις nicht viel sinnvoller: Wenn etwa die διάνοια mit dem Inhalt von etwas Gesagtem eng verbunden (vgl. Poet. 6 p. 1450a6 — 7) und für die Darstellung von πράξεις im Drama unerläßlich ist (1449b38—1450a3), dann muß διάνοια doch in jedem Stück vorhanden sein und nicht nur εν όλίγαις; das gleiche gilt von der όψις (vgl. Poet. 6 p. 1449b31 — 33 und wohl auch die textlich problematische Stelle 1450al3—14; beim ήθος ist die Sachlage vielleicht etwas anders, vgl. 1450a23 — 31). Auch der Begriff ττίστις (als Teil der διάνοια) und die ihm subsumierten fünf πίστεις άτεχνοι wurden wohl nicht sehr glücklich aus der aristotelischen Rhetorik in den TC transplantiert (vgl. o. S. 128 f.). Und schließlich scheint die Aufzählung und Erläuterung der vier quantitativen Komöτραγωδίας μέρη είναι εξ der Satz τούτοις μεν ούυ ούκ ολίγοι α ύ τ ώ ν ώς είπεΐν κέχρηνται τοις είδεσιν zumindest belanglos und überflüssig. Der Satz zeigt noch andere Auffälligkeiten: Ein leicht einschränkendes ώς έπος είττεΐν findet sich bei Quantitätsangaben auch sonst, vgl. etwa Polyb. I 1,2 (Hinw. von R. Kassel): oü τίνες, ά λ λ ά πάντες ώς επος ειπείν άρχή και τέλει κέχρηνται τ ο ύ τ ω ; in Arist. Rhet. I 1 p. 1354al2 verzeichnen die Textzeugen y statt des im Text befindlichen ολίγον die Variante ούδεν ώς ειπείν; in der aristotelischen Ath. Pol. 49,4 ist der Satz συνδιοικεΐ δέ και ταΐς άλλαις τ ά πλεΐσθ' ώς επος ειπείν in seiner textlichen Einordnung fragwürdig (vgl. G. Kaibel, Stil und Text der ΠΟΛΙΤΕΙΑ ΑΘΗΝΑΙΩΝ des Aristoteles, Berlin 1893, 25 f.), aber in sich verständlich. An diesen Stellen wird ώς (επος) είπεΐν stets zur relativierenden Einschränkung von sehr umfassenden Mengenangaben gebraucht, was auf die vorliegende .Poi^stelle nicht zutrifft. Bywater ( A r i s t o t l e on the art of poetry, a revised text with ... commentary, Oxford 1909, 165), der hier wie Janko allein mit der Überlieferung durchzukommen versuchte, hat andere PoetiksteWzn verglichen, wo Aristoteles ebenfalls von einer zeitweisen Verwendung einer bestimmten Anzahl von είδη τραγωδίας spricht (6 p. 1450a25.36; 18 p. 1456a3); aber der Satz in 1450al2 —14 sagt ja nicht, daß manche Dichter „nicht alle είδη" verwenden, sondern daß nicht wenige „sozusagen" diese είδη (d. h. alle) verwenden; und das ist doch noch etwas anderes: In Bywaters Parallelen wäre zu ergänzen „..., aber die meisten Dichter verwenden alle", hier dagegen „andere aber verwenden sie (d. h. alle) nicht" — keine sehr sinnvolle Aussage, die die Zweifel an der Richtigkeit der Überlieferung verstärkt. Bywater hatte übrigens bei dem überlieferten Text doch Bedenken („The ώς επος είπεΐν should perhaps be transposed and inserted after π α ν in the next line"); er erwähnt eine eigene frühere Konjektur (ολίγου α ύ τ ώ ν ( ά π α ν τ ε ς ) , im Anschluß an Bursians ούκ ολίγοι α ύ τ ώ ν ( ά λ λ ά π ά ν τ ε ς ) ) , die den Sinn des Satzes in sich zwar verbessern, zu 1450a8 aber doch wieder eine überflüssige Doppelung darstellen würde. In der also nach wie vor problematischen Überlieferung könnte ώς ειπείν eher auf etwas anderes hindeuten: daß Aristoteles sich hier einer (vielleicht etwas kühneren?) Metapher bediente, um die Rolle und Bedeutung der sechs μέρη für die Tragödie anzuzeigen (ώς είπεΐν wäre dann die abschließende Zurückleitung in den normalen Stil), etwa: „diese είδη gebrauchen sie sozusagen als ... (vielleicht „Fundamente/Grundbausteine" o. ä.?) der Tragödie". In diesen Satz mit Hilfe des TC Licht bringen zu wollen, dazu aber den entsprechenden 7Y7-Satz erst noch durch Konjektur anzugleichen, wie Janko möchte, erscheint jedenfalls als ein sehr heikles Verfahren. Vielleicht hat schon der „Schöpfer" des TC diese PoetikStelle nicht mehr recht verstehen können und irgend etwas daraus zu machen versucht, was freilich nicht überzeugen kann.

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II. Z u den antiken Q u e l l e n des B e g r i f f s „Mittlere K o m ö d i e "

dienteile π ρ ό λ ο γ ο ς , χορικόν, έπεισόδιον, έξοδος en bloc (nur leicht adaptiert und g e k ü r z t ) d e m K a p i t e l 12 der Poetik e n t n o m m e n zu sein; nebenbei b e m e r k t ist es umstritten, o b dieses Kapitel wirklich ein genuiner Bestandteil der Poetik ist. I m TC wirkt es jedenfalls sehr b e f r e m d e n d , den B e g r i f f ε π ε ι σ ό δ ι ο ν g e n a u in der gleichen Weise auf die K o m ö d i e a n g e w e n d e t zu finden wie in Poet. 12 auf die T r a g ö d i e ; 9 8 u n d w ä h r e n d die έξοδος in Poet. 12 wie der π ρ ό λ ο γ ο ς sinnvollerweise w e d e r g a n z den Chor- n o c h den S p r e c h v e r s p a r t i e n zugerechnet wird, deklariert der Traktat die έξοδος einfach zur letzten Chorpartie — das ist nicht n u r eine w e n i g geschickte Ü b e r n a h m e im A u s d r u c k , s o n d e r n auch eine bedenkliche V e r g r ö b e r u n g im G e d a n k e n . N a c h allem, was bisher über die H e r k u n f t des Inhalts des TC in E r f a h r u n g zu bringen war, scheint es s o , als m ü ß t e der Versuch, diesen Text a u f einen einzigen A u t o r z u r ü c k z u f ü h r e n , a u f g e g e b e n werden. Wie hat m a n sich dann die A b f a s s u n g des Traktats vorzustellen? Vor allem die Stelle, w o er zwei verschiedene K a t h a r s i s - V o r s t e l l u n g e n nacheinander zitiert (§ 2 K a i b e l — Z . 7 f. K o s t e r ) , deutet d a r a u f hin, daß d e m E x z e r p t eine Schrift z u g r u n d e l a g , die L e h r m e i n u n g e n aus der peripatetischen Schule zur K o m ö d i e (aber nicht nur zu ihr) zusammenstellte u n d dabei gelegentlich auch voneinander abweichende A u f f a s s u n g e n z u m selben T h e m a zu Wort k o m m e n ließ. Vieles im Traktat ist n o c h aristotelisch, w e n n auch o f t in die B e g r i f f e einer späteren Zeit gekleidet, ζ. B. die P a r a p h r a s i e r u n g der aristotelischen K a t h a r s i s - K l a u s e l aus der T r a g ö d i e n definition der Poetik, die U n t e r s c h e i d u n g zwischen κ ω μ ω δ ί α und λ ο ι δ ο ρ ί α mit Hilfe des nacharistotelischen B e g r i f f s εμφασις, die Definition des σ κ ώ π τ ω ν (vgl. T h e o p h r a s t bei Plut. Quaest. conv. II 1,4 p. 6 3 1 E ) . D i e andere sprachliche E i n k l e i d u n g deutet a u f die indirekte Vermittlung solcher aristotelischer G e d a n k e n hin; daß dabei unter den Vermittlern wenigstens ein nicht ganz gewöhnlicher Stilist war, könnten die kühnen F o r m u l i e r u n g e n εχει δε μ η τ έ ρ α τ η ν λ ύ π η ν ü b e r die T r a g ö d i e u n d εχει δέ

98

D a ß der B e g r i f f έπεισόδιον als solcher schon früh auf die K o m ö d i e angewendet wurde, d a f ü r bieten bereits die K o m ö d i e n d i c h t e r selbst Belege: K r a t i n o s fr. 208,2 K . - A . (vgl. die A d n o t a t i o mit den Literaturangaben; auch hier ist der Text nicht ganz sicher) und M e t a g e n e s fr. 15,1 K . - A . K o c k wollte επεισοδίου hier wie in der T r a g ö d i e verstehen und führte dazu das Z e u g n i s des TC an; aber G . N o r w o o d („Episodes" in Old Comedy, C P 25, 1930, 217 — 223) hat d e m entgegengehalten, daß a u f beide Stellen wesentlich besser die B e g r i f f s e r k l ä r u n g v o n έπεισόδιον paßt, die das Lexicon Segueriamtm ( = Lex. B e k k . " p. 253,19; Ü b e r e i n s t i m m u n g e n mit anderer lexikographischer Literatur bei K . - A . zu Cratin. fr. 208,2) gibt: επεισόδιον κυρίως ... τ ό εν κ ω μ ω δ ί α έττιφερόμενον τ ω δράματι γ έ λ ω τ ο ξ χ ά ρ ι ν έξω τ ή ξ υποθέσεως. Wieder einmal d ü r f t e der TC durch platte Übertrag u n g einer in der aristotelischen Poetik auf die T r a g ö d i e angewandten Terminologie u n n ö t i g e Verwirrung gestiftet haben.

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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μητέρα τόν γέλωτα über die Komödie anzeigen. Wir können diese Bemerkungen heute kaum noch verstehen, weil sie ihres ursprünglichen Zusammenhangs fast völlig beraubt sind; 99 offenbar erschienen sie aber schon damals so prägnant und geschliffen formuliert, daß sie ihren Weg bis in das dürre Endstück der Tradition, den TC, fanden. Daneben geht eine Reihe von Stellen im Traktat über Aristoteles' literartheoretische Vorstellungen deutlich hinaus: die ττοίησις αμίμητος mit ihrer Abteilung ποίησις ιστορική; die Herstellung einer συμμετρία τοΟ φόβου bzw. του γελοίου durch Katharsis, wobei συμμετρία zwar an die μεσότης-Lehre in der aristotelischen Ethik anknüpfen könnte, in der aristotelischen Katharsis-Vorstellung aber keinen Raum hat; die Beobachtungen zur Komödiensprache. Bei manchen dieser Weiterentwicklungen kam der Name des Theophrast ins Spiel, dessen Lehren wohl auch einen Anteil am Material des TC haben; doch bleibt hier vieles unsicher. Erst spät schließlich dürften die Stellen des Traktats sein, an denen Aristoteles mehr zitiert als wirklich verständnisvoll verwertet wird. Wer derjenige war, der diese Einfügungen vornahm bzw. diese Stellen mit dem anderen peripatetischen Material in der mutmaßlichen Vorlage (oder einer der Vorlagen) kombinierte, läßt sich kaum noch ergründen. So bleibt an vielen Stellen die Frage nach der Herkunft von Aussagen des TC in einem weitgehenden Dunkel, wenn auch in einem noch wahrnehmbar peripatetisch gefärbten; man kann den Traktat vielleicht als Text mit mehreren peripatetischen „Schichten" begreifen. 100 Was bedeutet dieses Ergebnis nun für die Herkunft der Komödiendreiteilung am Ende des TC?

c) Die Komödiendreiteilung am Ende des TC — zu ihrem Charakter und ihrer wahrscheinlichen Herkunft In den uns bekannten Werken des Aristoteles ist von einer Dreiteilung der Komödie nicht die Rede; überall, wo er sich zur historischen Entwicklung der Komödie äußert, unterscheidet er maximal zwei Phasen: in Poetik 5 (p. 1449a38 —b9) zwischen einem weitgehend in Dunkel gehüllten

99

100

Stammen sie aus einmal ausführlicheren Passagen über Ursprung und Entwicklung der beiden Genera? Schon für A. Ph. MacMahon, On the second book of Aristotle's Poetics and the source of Theophrastus' definition of tragedy, HSCP 28, 1917, 27 ist der TC „manifestly of Peripatetic origin, and showing several different strata in its development to its present state"; vgl. auch Cooper (1922) 13.

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

Stadium der ιαμβική ιδέα101 und dem mit Krates einsetzenden des μύθους ττοιεΐν; in Poetik 9 (p. 1451bll —15) zwischen den älteren Komödien, die noch den μύθος περί το καθ" εκαστον haben, und den „moderneren" zeitgenössischen (Aristoteles spricht im Präsens), die τά καθόλου und τ ά εικότα darstellen; schließlich in EN IV 14 (p. 1128a22—24) zwischen den τιαλαιαί κωμωδίαι mit der für sie charakteristischen αισχρολογία 102 und den καιναί mit der zurückhaltenden υπόνοια. 103 101

102

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Wobei nicht sicher ist, ob Aristoteles dieses Stadium schon als κωμωδία bezeichnet hätte: Ihm fehlt der μϋθος, der die Seele eines Dramas ist (vgl. Poet. 6 p. 1450a22 — 39; in 1450a3 — 4 ist der μύθος die eigentliche μίμησις της πράξεως). Zwar nennt Aristoteles, als er den dorischen Anspruch, die dramatischen Genera „erfunden" zu haben, bespricht, auch die frühen attischen Komödiendichter Chionides und Magnes (1448a34), aber nur im chronologischen Vergleich mit dem noch älteren Epicharm. Αισχρολογία kann laut LSJ im Griechischen zwei durchaus verschiedene Bedeutungen haben: im wörtlichen Sinne „foul language" und im übertrageneren „abuse". In EN IV 14 benutzt Aristoteles das Wort allem Anschein nach in der ersten, wörtlicheren Bedeutung (Dirlmeier übersetzt in diesem Sinne „Aussprechen des Unanständigen"); darauf deuten hin: 1) die Antithese mit υπόνοια. Auch die „dezente Andeutung" (Dirlmeiers Übersetzung) kann ja ein persönlicher Angriff (also „abuse") sein, mit der Gegenüberstellung ist lediglich dessen gröbere oder feinere Form angedeutet (vgl. Theophrasts Definition des σκώμμα als eines παρεσχηματισμένος όνειδισμός, bei dem die υπόνοια des Hörers das Ihrige beisteuert, Plut. Quaest. conv. II 1,4 p. 631 E; ähnlich kommentiert Aspasios die vorliegende £7V-Stelle in CAG 19,1 p. 125,31 — 35 Heylbut mit ihrer Antithese αισχρολογία — υπόνοια: διαφέρει δ' ουδέν προς εύσχημοσύνην ή φανερώς αϊσχρολογεϊν ή μόνον έμφαίνειν). 2) Aristoteles' sonstiger Sprachgebrauch. In Pol. VII 17 p. 1336b4 wird αισχρολογία in Zusammenhang mit άνελευθερία und ευχερώς λέγειν ότιοϋν τ ω ν α ί σ χ ρ ώ ν gebracht (daraus zieht Aristoteles 1336b20f. die Konsequenz: τους δέ νεωτέρους οΰτ' ιάμβων ούτε κωμωδίας θεατάς θετέον); in Rhet. III 2 p. 1405bl0 bedeutet αίσχρολογεΐν ebenfalls „ungebührlich, schändlich reden" und nicht „jemand persönlich angreifen". 3) Der Sprachgebrauch maßgeblicher anderer Autoren des 4. Jhs v. Chr. Bei Xen. Resp. Lac. 5,6 wird αίσχρολογεΐν direkt neben παροινία und αίσχρουργία genannt, bezeichnet also wie diese Begriffe etwas Vulgär-Obszönes; und in Piatons Dichterkritik sind an einer Stelle ( R e p . III 395e) die bedenklichen Einflüsse von Komödiendarstellungen so gruppiert (κακηγοροϋντάς τε και κωμωδοΰντας άλλήλους και αϊσχρολογοϋντας), daß dem Bereich der spöttischen Invektive gegen Personen (κακηγορεΐν και κωμωδεΐν άλλήλους) der Bereich des obszönen Redegebrauchs (αίσχρολογεΐν) entgegengesetzt ist. Vgl. auch die Behandlung dieser Stellen bei K. Siems, Aischrologia: Das Sexuell-Häßliche im antiken Epigramm, Diss. Göttingen 1974, 9 f. und 134. Halliwell (1985) hat richtig daraufhingewiesen, daß Janko (244) die beiden an der ENStelle genannten Komödienarten in ein falsches Schema bringt: Sie sind nicht die Extreme („poles") einer Triade, deren Mitte („middle term") Aristoteles nur deswegen nicht nennt, weil sie den Gedanken verunklärt hätten, sondern sie entsprechen vielmehr den vorher behandelten Charaktereigenschaften des βωμολόχος und des ευτράπελος, die sie beispielhaft illustrieren sollen: Wie der βωμολόχος repräsentieren die alten Komödien ein Übermaß des γελοΐον, die „neuen" dagegen wie der ευτράπελος die rechte Mitte. Das andere Extrem, die ελλειψις des γελοΐον, ist nicht mehr mit einer Komödienart vergleichbar, denn dem entsprechenden Typ des άγροικος fehlt jeder Bezug zu Lachen und Witz. In der /57V-Stelle ist eine Komödiendreiteilung also nicht nur nicht vorhanden, sondern gar nicht denkbar; die έπΐ TÖ σεμνόν ρέπουσα νέα κωμωδία des TC findet hier nicht die geringste Entsprechung.

2. Aristoteles, die Komödie und der Tractatus Coislinianus (TC)

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Um diesen eindeutigen Fehlanzeigen einer Komödiendreiteilung bei Aristoteles begegnen zu können, hätte, wie gesagt, der TC sich in allen Punkten als aristotelisch erweisen müssen; da er aber an mehr als nur einer Stelle Gedanken des Aristoteles widerspricht, wird auch Jankos Postulat, die Dreiteilung der Komödie im TC sei aristotelisch, entsprechend unsicher. Janko versucht zwar, die Entwicklung vom γελοΐον zum σεμνόν, die der Traktat in seiner Komödiendreiteilung skizziert, als Analogie zu Aristoteles' Skizze von der historischen Entwicklung der Tragödie zu deuten (Poet. 4 p. 1449al9 —21); aber wir können einfach nicht sicher sein, ob Aristoteles die Entwicklung von Tragödie und Komödie so parallel sah (vgl. o. S. 118 f.). Vielleicht muß man sogar damit rechnen, daß der Schöpfer des TC wieder einmal einen Gedanken aus der Poetik, nämlich das „Ernst-Werden" der Tragödie aus komischen Anfängen (1449al9 —21: εκ μικρών μύθων και λέξεως γελοίας ... όψέ άττεσεμνύνθη), einfach der Komödie übergestülpt hat; denn wenn die Komik der menandreischen Komödie im Vergleich zur aristophanischen auch ungleich gedämpfter erscheint, so kann man doch nicht behaupten, sie sei τ ο ύ τ ο μεν (seil, το γελοΐον!) προιεμένη, ττρός δε τό σεμνόν ρέπουσα. Janko führt weiter aus (245 — 248), daß die von Aristoteles begründete Komödiendreiteilung, die den Aristophanes zum Hauptvertreter einer „Mittleren" Komödie machte, sich noch in einer Reihe später Komödienprolegomena und verwandter Texte niedergeschlagen habe (vgl. Ar. test. 82 — 84 Κ.-Α.), die ebenfalls den Aristophanes als Dichter einer zweiten Komödienphase bezeichneten. In diesen Texten tauchen die Dichter der uns bekannten Mittleren Komödie gar nicht mehr auf; sie seien — so Janko (248 f.) — von Aristoteles noch als „Neue Komödie" aufgefaßt worden; später, nach dem Erscheinen Menanders, sei dann der Begriff νέα κωμωδία endgültig auf diesen und die anderen Komödiendichter seiner und der folgenden Zeit übergegangen, „leaving the poets of Middle Comedy in limbo" (248). Aber diese Rekonstruktion hat mehrere schwache Punkte. Wäre die Entwicklung so verlaufen, wie Janko sie skizziert, dann fragt sich, wie die Dichter der uns bekannten Mese überhaupt jemals zu dieser Klassifizierung kommen konnten; laut Janko waren sie (bei Aristoteles und dann im Peripatos) entweder nur als „Neue" Komödie oder gar nicht mehr bekannt. Wieso aber kennen dann Autoren wie Athenaeus und Pollux dank ihren in hellenistische Zeit zurückreichenden Quellen (vgl. o. S. 65 ff.) diese Dichter ganz selbstverständlich als κωμικοί της μέσης κωμωδίας? Und warum haben wir keine früheren Belege für diese „aristotelische" Dreiteilung als den spätantiken Grammatiker Diomedes und die Komödienprolegomena aus noch späteren Jahrhunderten? Es wurde bereits versucht, diese Texte (samt ihrer Periodisierung der Komödienepochen) als späte Zeugen immer weiter ausgedünnter Traditionen zu erklären (o. S. 28 ff.). Hier seien noch einmal einige Indizien für den nacharistote-

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere K o m ö d i e "

lischen Ursprung dieser Einteilungen genannt: Wiederholt taucht in ihnen als Vertreter der „ersten" Komödienepoche Susarion auf. 1 0 4 Der aber ist Aristoteles noch gar nicht bekannt; 1 0 5 bei ihm sind die frühesten Komödiendichter neben dem Sizilier Epicharm Chionides und Magnes (Poet. 3 p. 1448a33f.). Der Schluß liegt nahe, daß Literaturhistoriker und Grammatiker einer späteren Zeit, die entweder selbst noch Peripatetiker waren oder unter peripatetischem Einfluß standen, über Aristoteles hinausgelangen wollten und seine knappen Ausführungen über eine Frühphase der ιαμβική ιδέα in der Komödie erweiterten, wobei sie auf der Suche nach einem πρώτος εύρετής den Susarion einführten; in einem Scholion zu Dionysios Thrax (XVIIIb3, Z.13f. Koster) ist Susarion sogar der Begründer des Iambos ( = Susar. test. 11 K.-A.). Der späte Schematismus dieser Texte zeigte sich ferner bereits an ihrer Betonung des in zwei Phasen eingeschränkten Komödien-ψόγος (vgl. o. S. 36 ff.). Gegen Jankos These (vom gemeinsamen aristotelischen Ursprung der Komödiendreiteilung im TC und in diesen späten Prolegomena) spricht auch, daß sich die Komödiendreiteilung des TC mit der der Prolegomena gar nicht so ohne weiteres in Einklang bringen läßt: Sie nennt keinerlei Dichternamen, und ihr Einteilungskriterium ist ein völlig anderes als der stufenweise eingeschränkte ψόγος. Eine Dreiteilung, die wie die im TC erst die beiden Extreme und danach das μέσον nennt, ist noch öfter in peripatetischem Gedankengut anzutreffen: Mehrfach sind in dieser Form bei Dionys von Halikarnaß die drei χαρακτήρες της λέξεως präsentiert; 106 einmal fällt dabei anläßlich der Frage, wer als erster Redner den μέσος χαρακτήρ entwickelt und verwendet habe, auch der Name des Theophrast, der in Thrasymachos von Kalchedon das erste große Beispiel eines ausgeglichen-mittleren Stilgebrauches erblickte. 107 Ebenso unterscheidet Dio-

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Bei Tzetzes ( X I a I 7 8 f f . und X X I a 8 0 f . Koster = Susar. test. 8 K.-A.) ist Susarion zugleich Begründer der Komödie und einer der Hauptvertreter ihrer ersten Phase (ebenso bei Diomedes X X I V 2 , 4 6 f f . Koster = Susar. test. 5 K.-A.), während Aristophanes dort der zweiten zugerechnet wird (Ar. test. 82 und 83 K.-A.); in anderen Prolegomena ist Susarion ebenfalls der Begründer der Komödie, wird aber noch nicht in die Dreiteilung einbezogen; da erscheint Aristophanes in der ersten Phase (Prol. III 1. 13 Koster = Susar. test. 3 K.-A., Ar. test. 4 K.-A.; Schol. Dion. Thr. X V I I I a l 9 . 4 0 f . Koster = Susar. test. 9 K.-A., Ar. test. 84 K.-A.). Wahrscheinlich lief die Entwicklung folgendermaßen: Susarion wurde irgendwann der dreigeteilten Komödienentwicklung vorangesetzt, dann in die erste Phase einbezogen, und Aristophanes rückte in die zweite Phase ein.

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In Schol. Dion. Thr. p. 306,9 f. Hilgard (GrGr I 3) = Susar. test. 12 K.-A. wird allerdings dem Aristoteles die Nachricht zugeschrieben, daß Susarion der Erfinder der Tragödie (sie) sei. Schon die Verbindung Susarion — Tragödie läßt diese Nachricht äußerst dubios erscheinen. De Demosthene 15, I p. 1 6 0 , 1 5 - 1 6 2 , 2 U.-R.; 33 p. 2 0 3 , 8 - 2 1 U.-R.; 34 p. 2 0 4 , 6 - 1 8 U.-R. De Demosthene 3, I p. 1 3 2 , 3 - 7 U.-R. ( = Theophr. ττ. λεξ. fr. IV Schmidt): τ ρ ί τ η λέξις ... ήν ή μικτή τε και σύνθετος έκ τούτων τών δυεΐν, ήν ό μεν πρώτος άρμοσάμενος και

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3. Von Athen nach Alexandria

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nys drei Arten der σύνθεση ονομάτων, eine α υ σ τ η ρ ά , eine γ λ α φ υ ρ ά und eine mittlere εύκρατος, 1 0 8 und läßt durchblicken, daß wohl auch hier Peripatetiker Pate gestanden haben. 1 0 9 Demetrius De eloc. 12—15 charakterisiert drei F o r m e n des Periodenbaus und hält wieder die mittlere, die weder alles periodisiert noch alles unverknüpft nebeneinander stellt, für die beste. 1 1 0 In manchen dieser Fälle ist die F o r m , in der das dritte Glied beschrieben wird, der Charakterisierung der μέση κωμωδία im TC vergleichbar: Demetrius {De eloc. 15) spricht v o n einem idealen μεμϊχθαι ... δι' αμφοτέρων, und den μέσος χ α ρ α κ τ ή ρ τ η ς λέξεως nennt D i o n y s einmal (I p. 132,3 — 4 U.-R., in dem Z u s a m m e n h a n g v o n T h e o p h r . ΤΓ. λέξ. fr. I V Schmidt) μικτή τ ε και σύνθετος έκ τ ο ύ τ ω ν τ ω ν δυεΐν (den vorher genannten anderen beiden χαρακτήρες) und ein weiteres Mal (I p. 161, 23) μεμιγμένος έξ αμφοτέρων τ ω ν χ α ρ α κ τ ή ρ ω ν . G e r a d e diese letzte F o r m u lierung erinnert sehr an die μέση κωμωδία im TC ( ά π άμφοΐν μεμιγμένη). D a s ist ein abschließender Hinweis darauf, w o der Verfasser des TC seine Vorlage oder sein Vorbild für die Komödiendreiteilung finden konnte: in rhetorischem Schrifttum mit peripatetischer Ausrichtung, was sich gut in den ganzen literaturtheoretischen Z u s a m m e n h a n g einordnet, in dem dieser änigmatische Text steht.

3. 1/on Athen nach

Alexandria

a) Theophrast und die Komödiendreiteilung I m letzten Kapitel ist mehrfach der N a m e T h e o p h r a s t s , des bedeutendsten der Schüler des Aristoteles, aufgetaucht. N a c h d e m es sich als höchst unwahrscheinlich herausgestellt hat, daß der Tractatus Coislinianus in seiner Gänze (und damit auch die Komödiendreiteilung an seinem Ende) auf Aristoteles zurückgeht, der Traktat aber manches v o n T h e o phrast zu enthalten scheint und ihm, wie Vergleiche zeigten, eine Dreiteilung der K o m ö d i e auch zuzutrauen wäre, muß nun der F r a g e nachgeganκαταστήσας eis τόν νΰν υπάρχοντα κόσμον είτε Θρασύμαχος ό Καλχηδόνιος ήν, ώς οίεται Θεόφραστος, είτε άλλος τις, οϋκ εχω λέγειν (vgl. allerdings Stroux 1912, 119 f.). Für Theophrast sind auch noch andere Dreiteilungen belegt (dreifache άντίθεσις: ττ. λέξ. fr. II Schmidt = Dion. Hal. Lys 14, I p. 24,2 ff. U.-R.; drei Dinge, aus denen τό μέγα και σεμνόν κα'ι ττεριττόν έν λέξει entsteht: π. λέξ. fr. V Schmidt = Dion. Hal. Isocr. 3, I p. 58,4 — 6 U.-R.; die drei Möglichkeiten des ψυχρόν: Demetr. De eloc. 114 — 117; die drei άρχαί der μουσική: fr. 90 Wimmer = Plut. Quaest. conv. I 5,2 p. 623 A), doch ohne besondere Hervorhebung eines μέσον. 108 m 110

Comp. verb. 21, II p. 9 4 , 2 2 - 9 5 , 1 7 U.-R. Comp. verb. 24, II p. 1 2 0 , 1 1 - 1 9 U.-R. Innes (1985) 262 hält hier eine Urheberschaft Theophrasts für möglich.

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II. Zu den antiken Quellen des Begriffs „Mittlere Komödie"

gen werden, ob sich andere, sicherere Indizien dafür finden lassen, daß die Konzeption einer Mittleren Komödie zwischen einer Alten und einer Neuen auf Theophrast zurückgeht. Der Tractatus Coislinianus selbst vermag auf diese Frage keine definitive Antwort zu geben, da er offenbar auch noch nachtheophrastische Gedanken enthält (vgl. o. S. 142 f.); auch wirkt die Komödiendreiteilung an seinem Ende so wenig aus unmittelbarer Kenntnis der Komödie entwickelt und so schematisch und nach anderen Mustern gearbeitet (vgl. o. S. 148 f.), daß es a priori schwerfällt, sie einem Mann zuzuweisen, der die Komödie Menanders aus so großer Nähe kannte, daß er der Antike sogar als Lehrer Menanders galt.1 Ungeachtet dieser Bedenken könnte aber natürlich eine in anderen Texten zu findende Komödiendreiteilung auf Theophrast zurückgehen; vor allem italienische Philologen haben zu erweisen versucht, daß hinter der Dreiteilung, die in einigen byzantinischen Prolegomena περί κωμωδίας und in spätantiken lateinischen Zeugen wie Diomedes und Euanthius begegnet, in letzter Instanz Vorstellungen Theophrasts stehen.2 Der erste, der Theophrast so zum „Begründer" der Mittleren Komödie machte, war Augusto Rostagni.3 Die Mehrzahl der von ihm angeführten Gründe ist freilich nicht zwingend; denn weder daß Theophrast aufgrund seiner Lebensdaten als erster die Möglichkeit hatte, die attische Komödie in drei Phasen aufzugliedern, noch daß er vielleicht ein gewisses Faible für Dreiteilungen hatte,4 noch daß er für die Antike der Lehrer Menanders war 1

2 3

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Vgl. Diog. Laert. V 36 (aus Pamphila, FHG III p. 522). Vielleicht allerdings spricht gerade diese Nähe zwischen Theophrast und Menander gegen eine Einbeziehung des Schülers in eine Periodisierung des Lehrers. Der letzte mir bekanntgewordene Vertreter dieser Auffassung ist Cupaiuolo (1979, 46). Rostagni (1955), vor allem die Seiten 188—233 („Teofrasto e l'evoluzione dei principi aristotelici nella storiografia letteraria"). Von vornherein stört es freilich das Vertrauen in Rostagnis Arbeit empfindlich, wenn man feststellen muß, wie falsch er die Position seiner Vorgänger gerade in der Frage Zwei- oder Dreiteilung der Komödie wiedergibt: 224 referiert er die (von Kaibel 1889, 57 ff. entwickelte) These: „la bipartizione sarebbe fondata su criteri di lingua ed apparterebbe alia scuola Pergamena; la tripartizione sarebbe fondata su criteri di contenuto e deriverebbe dalla scuola di Alessandria" und gibt in Anm. 1 als wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund: „L'idea era stata lanciata dal Fielitz, De atticor. comoed. bipartita, Bonn, 1866; raccolta dal Wilamowitz, Eurip. Herakl. I ['] p. 135,21; riconfermata, con piü particolari indagini, dal Kaibel". Fielitz hätte nicht im Traum daran gedacht, die Komödiendreiteilung zu alexandrinischen Ehren kommen zu lassen, Kaibel hat Fielitz nicht bestätigen, sondern widerlegen wollen, und Wilamowitz vertritt im Herakles-Kommentar weder Fielitz' noch Kaibels Meinung, sondern möchte die Dreiteilung der Komödie weit weg von Pergamon und Alexandria auf den Akademiker Krates von Athen zurückführen (vgl. o. S. 12). Ein Gedanke, den Rostagni (1955) 228 andeutet und den später Dosi (1960) betonte, den man aber auch nicht überbewerten sollte: Mit der Hervorhebung des μέσον, die immer leicht zu einer Dreiergliederung führt, steht Theophrast völlig in aristotelischer Tradition; daß er daneben ebensogut eine Zweiteilung vertreten kann, zeigt seine wichtige Differenzierung zwischen dem λόγο? προς τούς άκροατάς und dem λόγο? ττρόξ τ ά π ρ ά γ μ α τ α

3. Von Athen nach Alexandria

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und daß seine Schrift über Charaktere vielleicht in Z u s a m m e n h a n g mit den in der N e u e n K o m ö d i e dargestellten Charakterrollen gesehen werden kann 5 — all dies bedeutet nur, daß Theophrast der Erfinder der Dreiteilung sein kann, aber nicht, daß er es sein muß. Wichtiger ist ein anderes Argument Rostagnis: In mehreren antiken Zeugnissen finden sich die literarischen Genera E p o s , Tragödie und K o m ö d i e nach den Kategorien μύθος, ιστορία und π λ ά σ μ α differenziert, am klarsten in den Scholien zu Dionysios T h r a x 6 und bei Sextus Empiricus, w o bei der E r ö r t e r u n g dieser Materie der N a m e des Asklepiades v o n Myrlea, eines Grammatikers des

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(vgl. o. S. 139); und die Dreiteilung der rhetorischen Stilarten, die ihm in früherer Zeit häufig zugeschrieben wurde (vgl. auch Rostagni 1955, 228), wird ihm seit Stroux (1912) immer wieder mit gewichtigen Argumenten abgesprochen (vgl. zuletzt Innes 1985, 260-262). Rostagni (1955) 228. Vor einer zu starken Parallelisierung von Menanders Menschenzeichnung mit Theophrasts Charakteren warnt hingegen bereits Wilamowitz (1924) I 75 (vgl. R. Kassel, Z P E 45, 1983, 273 6 ); vgl. auch K . Gaiser, Menander und der Peripatos, A & A 13, 1967, 15 (mit Anm. 36). p. 173,3 f. Hilgard ( X V I I I b l , 8 Koster): ή μέν τ ρ α γ ω δ ί α Ιστορίαυ εχει καΐ ά π α γ γ ε λ ί α ν πράξεων γενομένων, ή δέ κωμωδία πλάσματα ττεριέχει βιωτικών π ρ α γ μ ά τ ω ν ; mit fast identischem Wortlaut auch p. 3 0 6 , 2 4 - 2 6 ( X V I I I b 2 Koster); p. 3 0 7 , 1 - 3 ; p. 475,24f. Dazu die generellen Ausführungen über μύθος, ιστορία und πλάσμα p. 449,4—14 Hilgard: π ο ι η τ ή ς δέ κεκόσμηται τοις τέσσαρσι τούτοις, μέτρω, μύθω, ιστορία και ποια λέξει - ... (6) εστί δέ μέτρον ... (9) ποιά δέ λέξις . . . ( 1 1 ) ιστορία δέ π ρ α γ μ ά τ ω ν γ ε γ ο ν ό τ ω ν ή όντων έν δυνατώ σαφής άπαγγελία" μΰθος δέ ξένων π ρ α γ μ ά τ ω ν άπηρχαιωμένων διήγησις, ή άδυνάτων π ρ α γ μ ά τ ω ν π α ρ ε ι σ α γ ω γ ή · πλάσμα τ ό δυνάμενον μέν γενέσθαι, μή γενόμενον δέ. In 449,5 ergänzt Hilgard nach dem Vorbild von 300,35 f. (ταΰτα χαρακτηρίζει π ο ι η τ ή ν κυρίως, μέτρον, μΰθος ήτοι πλάσμα,