Die Frau, ihre Stellung und Aufgabe in Haus und Welt [Reprint 2020 ed.] 9783112366448, 9783112366431


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German Pages 214 [216] Year 1877

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Die Lehrlingszeit
1. Die Nothwendigkeit eines Lebensplanes
2. Die Lehrzeit für den häuslichen Beruf
3. Die Lehrzeit für eine Erwerbsthätigkeit
Die Arbeitszeit
1. Allgemeines
2. Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses
3. Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt
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Die Frau, ihre Stellung und Aufgabe in Haus und Welt [Reprint 2020 ed.]
 9783112366448, 9783112366431

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Die

rau.

Ihre Stellung und Aufgabe in Haus und Welt.

Die Irau. Ihre Stellung und Aufgabe in

Haus und Welt.

Von

Mathilde Lammers.

..........

—... ......

Leipzig, Verlag von Veit & Comp.

1877.

Uebersetzungsrecht Vorbehalten.

Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.

Worwort. Es ist noch nicht allzu lange her, daß man von einer Frauenfrage redet.

Hunderte, Tausende von Geschlechtern

sind über unsre alte Erde gewandelt, zahllose Fragen von

allgemeinem Interesse sind zuerst von einzelnen Denkern oder von einzelnen Unzufriedenen aufgeworfen worden, dann in

immer weiteren Kreisen wiederholt, geprüft, erläutert und dann, sei es durch die langsame Arbeit der Jahrhunderte, sei es durch eine rasche That, durch die kühne Initiative des

Einzelnen oder durch die elementare Wirkung der Massen, zum Austrag gebracht worden, ehe man ernstlich daran gedacht hat, die Stellung der einen ganzen Hälfte der Menschheit, ihre Rechte und Pflichten gegenüber der an­

deren Hälfte einer allgemeineren, auf den Grund gehenden Betrachtung zu unterziehen, anstatt sie wie etwas thatsächlich

Gegebenes, für alle Zeiten Feststehendes ruhig hinzunehmen.

Niemand braucht sich zu wundern, daß dem so ist.

Hat

es doch -nicht viel weniger Zeit bedurft, ehe sich z. B.

Borwort.

VI

unter den civilisirten Völkern die Ueberzeugung Bahn ge­

brochen, daß nicht ein großer Theil der Menschheit dazu bestimmt sei, von dem anderen wie eine Waare oder ein

Stück Vieh gekauft, verkauft und verwendet zu werden.

Die Arbeit des Menschengeschlechtes rechnet nach Jahr­ tausenden und wählt ihre Aufgaben nicht immer in der Reihenfolge, die der Einzelne ihr vorzeichnen möchte. Und doch ist die Frauenfrage in gewissem Sinne nicht viel jünger als das Menschengeschlecht.

Sie hat viele

Phasen durchgemacht, obgleich ihr Name von heute datirt,

und sie mag vielleicht noch manchmal ihr Gesicht wechseln, ehe sie endgültig zu Grabe getragen wird.

Ihre letzte Lö­

sung aber wird im Grnnde nichts Anderes sein, als die

Verwirklichung des Programms, das die älteste Urkunde des Menschmgeschlechtes vor der Schöpfung des Weibes anfstellt: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehülfin machen, die mit ihn sei. (Genesis 2,18.) Die nächste, älteste und ursprünglichste Forin dieser von

Gott geordneten Gemeinschaft ist ohne Zweifel dir Ehe. Wäre sie überall itt der völligen Hoheit und Reinheit des Schöpfergedankens ausgeprägt, so gäbe es keine Frauen­

frage.

Die Ehe ist aber weder die einzig mögliche, noch

die einzige von Gott gewollte Form der Gehülfenschaft

des Weibes, wie manche Leute theoretisch und noch meh­ rere praktisch annehmen.

Es ist ein großer Irrthum zu

meinen, daß nur durch die Ehe dem Weibe die Pflicht

vn

Borwort.

auferlegt, oder sagen wir lieber das Recht gewährt werde, sich an der Aufgabe der Menschheit helfend zu betheiligen.

Nicht als Sklavin eines mit stärkerem Körperbau aus­

gerüsteten Herrn, wie im Alterthum und wie noch heute bei uneivilisirtm Völkern,

auch ilicht in völliger Unter-

schiedslosigkeit wie Mann neben Mann, wohl aber nach

Maßgabe seiner besonderen Naturanlagen und so gut wie

der Mann mit Aufgebot aller Kräfte, soll das Weib, ob

in der Ehe, ob außerhalb der Ehe, den ihm gebührenden Antheil an der Arbeit seiner Zeit und seines Volkes auf sich nehmen.

Denn nur durch Arbeit wird der Mensch

reif und selbständig, und zur Reife, d. h. zur vollkommenen Entfaltung aller ihm im Keime verliehenen Kräfte und zu

der daraus nothtvendig hervorgehenden Selbständigkeit ist

das Weib so gut berufen wie der Mann.

Wenn daher

auf den folgenden Blättern von Frauenrechten die Rede

sein wird, so werden sich diese Rechte alle in dem einen zusamnienfassen lassen: in dem Rechte der Frauen auf Ar­

beit, das auch ebenso gut die Verpflichtung der Frauen

zur Arbeit heißen könnte.

Die heutige Generation wird

für sich die Fraueufrage als gelöst ansehen dürfen, wenn es

bei uns

wieder dahin gekommen ist, daß jedes er­

wachsene Weib als eine Gehülfin des Mannes oder der Menschheit betrachtet werden darf.

Jetzt ist dies keineswegs der Fall.

Während in den

unteren socialen Schichten dem Weibe eiu wesentlicher und

Borwort.

vm

häufig der größere Theil der Erwerbsarbeit zufällt und damit also neben den Lasten des Hausstandes und der Mutterschaft eher ein Zuviel als ein Zuwenig von Arbeit,

schließt in den Reihen des Mittelstandes ein zählebiges, schier unbesiegliches Vorurtheil den Frauen und Mädchen

die Wege zu jeder mit Erwerb verbundenen Thätigkeit

mehr oder weniger ab, trotzdem ans dem Felde häuslicher Wirksamkeit anerkanntermaßen längst nicht mehr Raum ist

für das Contingent von Arbeitskräften, welches die ge­

bildeten Stände dazu stellen können. Daher die erschreckende Zahl beruftoser Frauen, die

sich von der Arbeit Anderer ernähren lassen.

vielen verkümmerten,

Daher jene

verkrüppelten Existenzen, die Nie­

mandem zur Freude und sich selbst zum größten Leide sich durchs Leben dahin schleppen.

Daher auf der einen Seite

unter mühsam erhaltenem Firniß äußerlicher Wohlhaben­

heit soviel verdeckter Mangel: auf der anderen soviel Suchen,

Jagen und Haschen nach Zerstreuung, nach Genuß, nach Putz und Tand und eitlen: Schimmer, um die unendliche Leere der Tage und der Gedanken auszufüllen.

Und daher

endlich als unheilvolles Schlußglied der Kette die immer

stärkere Erschwerung von Eheschließungen mit ihrem ganzen Gefolge von sittlichen und socialen Schäden.

Wem die Zukunft unseres Volkes und die Entwickelung

des Menschengeschlechtes am Herzen liegt, dem steht es nicht zu, diese Sache als eine unwichtige oder unbequeme bei

Vorwort.

Seite zu schieben.

ix

Von ihrer gedeihlichen Lösung wird in

nicht geringem Maße das Glück, der Wohlstand, die Tüchtig­ keit, die Sittlichkeit künftiger Geschlechter abhängen.

Diese Einsicht, daß Pflichten und Rechte, Befähigung und Stellung des weiblichen Geschlechtes nicht mehr wie

sonst auf Treu und Glauben hingenommen werden dürfen, sondern daß die Zeit gekommen ist, sie einer genauen Prü­

fung und Sichtung zu unterziehen, beginnt sich immer

mehr zu verbreiten.

Sie hat schon hie und da zu segens­

reichen Veranstaltungen geführt, hie und da einem hemmenden

Vorurtheil einen Stoß versetzt, hie und da eine wohl­ thätige Berbefferung angebahnt. thun.

Viel aber bleibt noch zu

In Anschauungen und Sitte ist das weibliche Ge­

schlecht conservativ, wie sehr es in anderer Weise dem Neuen huldigen mag.

Es giebt daher noch viele vorge­

faßte und ererbte Meinungen, die uns auf dem alten

Standpunkte festhalten möchten, zu bekämpfen.

Es gilt

die Erziehung des weiblichen Geschlechtes zu reformiren,

soweit sie der großen Aufgabe nicht gerecht wird, Gehül­

finnen der Menschheit heranzubilden.

Es gilt auf dem

Wege der Einzelthätigkeit und der Gesetzgebung Einrich­ tungen zu schaffen, die es ermöglichen, daß hinfort jedes

gesunde, arbeitsfähige Weib die Arbeit finde, die seinen Kräften und Fähigkeiten angemessen ist, und den Lohn

dafür genieße, den der Werth dieser Arbeit für die Ge­ sammtheit bedingt, ohne Rücksicht auf das Geschlecht des Ar-

Vorwort.

X

beiters.

Es gilt endlich dem Grundsätze sein Recht zu

verschaffen, daß jede Arbeit gelernt sein will, daß die Gehülfenschaft eine Lehrlingszeit voraussetzt, und daß es

thöricht ist, nur auf dem Wege der eigenen, dem Zufall

preisgegebenen Erfahrung sich Einsicht und Geschicklichkeit

erwerben zu wollen, ohne die Belehrung zu suchen, welche

in den Resultaten der Erfahrung und des Nachdenkens

Anderer aufgehäuft liegt.

Wenn die folgenden Blätter zu diesem Bau der Zeiten

ein oder das andere Sandkorn darreichen könnten, dann wäre der Zweck erfüllt, der mich bei ihrer Abfaffung leitete.

M. L.

Änhaltsveyeichniß. --------------

Borwort-----------------------------------------------------------------------

Seite

v

Die Lehrtingszeit

1. Die Nothwendigkeit eines Lebensplanes ...... 3 2. Die Lehrzeit für den häuslichenBeruf ..................................16 1. Wege und Ziele..............................................................16 2. Die Lehrmeister.............................................................. 32 3. Dauer und Ausdehnung...............................................37 3. Die Lehrzeit für eine Erwerbsthätigkeit................................44 1. Die Berufswahl............................................................... 44 2. Die Borbereitungszeit.....................................................52 3. Ein Wort zur Beruhigung...........................................60 Die Arbeitszeit.

1. Allgemeines ’..............................................................................67 2. Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses................................72 1. Die Tochter des Hauses.............................................. 72 2. Die Gattin . . . . .................................................... 84 3. Die Hausmutter.............................. 95 3. Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt...................................109 1. Der häusliche Beruf als Erwerbsthätigkeit ... 109 Die Haushälterin............................................................ 112 Die Lehrerin und Erzieherin........................................ 121 Die Alters- und Krankenpflegerin.............................. 157

1. Die Dothwen-igkeit eines Lebensplanes. Wenn man von der Lehrlings- oder Studienzeit des

Jünglings redet, so bezeichnet man damit einen Lebens­ abschnitt, über dessen chronologische Einordnung Niemand im Unklaren ist.

Die Lehrlingszeit folgt unmittelbar auf

die Schulzeit und schließt mit dem Eintritt ins Berufs­ leben ab.

Der Lehrling gilt als ein Unmündiger; nach

vollbrachter Lehrzeit wird der junge Mann als ein Mün­ diger angesehen. Auch darüber herrscht nicht die geringste

Unklarheit, welche Art der Vorbereitung der junge Mann für die einzelnen Berufsarten durchmachen muß oder soll. Es ist allgemein gültige, kaum je von einer Ausnahme durchbrochene Sitte, daß jeder Jüngling sich für einen

ganz bestimmten, mit Erwerb verbundenen und dadurch

aus dem Gebiete der Willkür herausgehobenen Beruf ent­ scheide, daß er die Vorbildung genieße, die Gesetz oder Herkommen für diesen Beruf vorschreiben, und daß er nach

vollendeter Lehrzeit in die

erwählte Laufbahn eintrete

und darinnen als Mann wirksam bleibe, bis die Kräfte

zur Arbeit nicht mehr ausreichen, allermeistens wohl bis

ans Lebensende.

Weder sehen wir,

wie häufig in Eng1*

4

Die Lehrlingszeit.

land, die Söhne vornehmer und reicher Häuser nach voll­

endeten Schulstudien auf die Wahl eines bestimmten Be­ rufes ganz verzichten, um ihr Leben mit Sport, Kunst-

genüffen, Reisen und kostspieligen Liebhabereien auszufüllen,

oder auch es in sehr löblicher Weise in den Dienst der

Oeffentlichkeit zu stellen; noch ist es hergebracht, wie im französischen Mittelstände, daß man mit Aufbietung aller

Arbeitskraft und aller Einschränkung in möglichst kurzer Zeit ein Kapital zusammenbringe, von dessen Zinsen man

dann als Rentier lebt, der Pariser zur Abwechselung in

der Provinz, der Provinziale wenn möglich in Paris,

beide mit dem einzigen Lebenszweck, sich so gut es geht zu amüsiren. Der deutsche Mann findet seinen Lebens­ inhalt in seiner Berufsarbeit, auch wenn ihm ausnahms­

weise diese Arbeit nicht von den Verhältnissen aufgenöthigt

wird, und wer könnte wünschen, daß es damit je anders würde? Durch ernste, harte Arbeit in Frieden und Krieg

ist unser Volk groß geworden, durch Arbeit wird es sich

auf seiner Höhe behaupten. Bon der Arbeit kann daher ein irgend namhafter Bruchtheil unseres Volkes nur zum dauernden Schaden für sich selbst und für die Gesammtheit ausgeschlossen bleiben. So gut wie die Schulpflicht alle Kinder umfaßt,

so sicher muß für alle Unmündigen nach der Schulzeit eine Lehrlingszeit eintreten, in der sie mündig werden, und nach

erlangter Mündigkeit eine Berufswirksamkeit.

Das Geschlecht kann dabei keinen Unterschied machen. Der

segensvolle Richterspruch: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brod essen! gilt für Mann und Weib; wer sich von ihm willkürlich frei macht, hat selbst den größten

Die Nothwendigkeit eines Lebensplanes. Schaden davon.

5

In der Theorie wird diese Erkenntniß

auch sehr wenig angefochten. leider wesentlich anders.

Die Praxis aber stellt sich

Man hat sich gewöhnt, in der

ersten und wichtigsten Form der Gehülfenschaft des Wei­ bes, in der Ehe, die einzig mögliche, in der Arbeit, die

es als Gattin und Mutter übernimmt, die einzige, zu der es verpflichtet oder berechtigt ist, zu sehen.

Man hat ge­

meint und meint es leider noch, weil in dieser Form die

Arbeit des Weibes nicht ein directes Lohnverhältniß vor­

aussetzt, und weil sie nicht des Ertrages wegen übernom­ men wird oder übernommen werden sollte, so sei jede Er­

werbsarbeit für das weibliche Geschlecht verwerflich und

erniedrigend, wenigstens für die Frauen des bürgerlichen

Mittelstandes und der höheren Stände. Man hat endlich aus der unbestreitbaren Wahrheit, daß einige der größten Eigenschaften des weiblichen Geschlechtes, die Muttertreue,

die weiche Sympathie des Herzens zum Beispiel, nicht schul­ mäßig erworben werden können, den verderblichen Schluß

gezogen, Frauenarbeit erfordere überhaupt keine besondere systematische Vorbildung: wenn nur die Gelegenheit zur

Arbeit und der gute Wille da sei, so komme die Tüchtig­

keit ganz von selbst. Trifft die ganze Schwere dieser irrigen Anschauungen

auch nur diejenigen Frauen, die nicht in der Ehe Beruf

und Lebensunterhalt finden, und deren Noth die Frauen­

frage vornehmlich hervorgerufen hat, so läßt es sich doch leicht nachweisen, wie von den üblen Nachwirkungen des letztgenannten dieser Irrthümer alle Frauen, von

den

verderblichen Folgen des zweiten eine Menge von verhei­

rateten Frauen und damit ihre Familien betroffen wer-

Die Lehrlingszeit.

6 den.

Wenn das Arbeiten für Geld den Frauen der ge­

bildeten Stände eine Schande ist, und wenn der häusliche

oder Naturberuf des Weibes keine ernstliche Vorbereitung

erfordert, so können allerdings die der Schule entwachsenen Mädchen nichts Besseres thun, als sich sobald wie möglich an den Mann zu bringen suchen und inzwischen ihr Leben

soviel wie möglich genießen.

Beides wird von der herr­

schenden Sitte gut geheißen, unter der Bedingung, daß die nöthige Form dabei beobachtet werde. auch in einer gewissen Wechselwirkung.

Beides steht

Denn nach dem

jetzigen Zuschnitt unserer socialen Verhältnisse sehen sich junge Männer und junge Mädchen der gebildeten Stände

bei der Arbeit fast gar nicht; soll also eine Annäherung gesucht werden, so ist sie lediglich im Reiche des Vergnü­

gens möglich:

auf Bällen und Gesellschaften, im Theater

und Concert, auf der Reise, im Bade oder in der Som­

merfrische.

Jemehr Gelegenheit zum Suchen, desto mehr

Chance des Gefundenwerdens.

Auch legen bekanntlich die

meisten Menschen mit dem Gesellschaftskleids eine Gesell-

schastsstimmung an: wer wäre nicht so liebenswürdig, wie es irgend in seiner Natur liegt, wenn man den Sorgen und Lasten des Alltagslebens einmal für ein paar Stun­

den den Abschied gegeben hat?

So zieht denn auch jede

Ball- und jede Badesaison ihre bestimmte Anzahl

von

Eheschließungen nach sich, und es würde vielen Leuten der großen Welt der Hauptreiz alles geselligen Treibens ab­

handen kommen, wenn vanity fair nicht zugleich auch marriage fair, der Eitelkeits-Markt nicht zugleich auch der

Heirats-Markt wäre. Mit der Hochzeit schließen alle Lustspiele; der Ernst

Die Nothwendigkeit eines Lebensplanes.

des Lebens geht damit aber erst an.

7

Das werden die

jungen Frauen, die von diesem finsteren Gesellen sich wäh­ rend ihrer Mädchenzeit nichts träumen ließen, dann ge­ wahr, wenn die Flitterwochen abgelaufen sind, und es

werden nun plötzlich eine ganze Reihe von sehr realen Anforderungen an ihre Zeit, ihre Kraft, ihre Geschicklich­

keit, ihre Einsicht gemacht.

Sie sollen die vielfachen An­

sprüche eines Mannes befriedigen, den sie vor der Hochzeit doch nur sehr oberflächlich kennen gelernt hatten. Sie sol­

len ein Haus regieren, Dienstboten anleiten und über­

wachen, Kinder Pflegen und erziehen, Einnahme und Aus­ gabe im Gleichgewicht halten und vieles Andere. Für das

Alles hat die Schmetterlingsperiode ihrer Mädchenjahre sie ohne Anweisung gelassen. Sie haben einen ungefähren Begriff von einigen häuslichen Verrichtungen, aber nie hat

man sie irgend eine häusliche Arbeit bis zu selbständiger Meisterschaft treiben lassen. Es gab ein sehr anmuthiges Bild, wenn sie einst den Säugling einer älteren Schwester

oder Freundin auf den Arm nahmen und liebkosten; aber was ein solches kleines Wesen an Wartung und Pflege bedarf, was ihm dient und nicht dient, das müssen sie jetzt an der Wiege des eigenen Kindes von A bis Z sich erst

von Anderen sagen lassen.

Ihr Lebelang sind sie es ge­

wohnt gewesen, bedient zu werden; aber was ein Dienst­

bote leisten kann und was nicht, wie man mit ihm um­

gehen muß, um ihm gerecht zu werden und sich gute Dienste zu sichern, darüber haben sie sich nie den Kopf zerbrochen. Sie haben vielleicht in ihrem kurzen Leben schon recht viel Geld gekostet: der Toilettenluxus ist groß, Reisen und andere Vergnügungen hat man nicht umsonst,

Die Lehrlingszeit.

8

und für allerlei Privatunterricht in schönen Künsten und eleganten Fertigkeiten ist auch nach der Schulzeit noch mancher Thaler ausgegeben; aber 'mit dm Preism der gewöhnlichen Lebmsbedürfnisse hat man sie nie behelligt, und noch weniger haben sie sich je darum gekümmert, wo­ her der Vater das Geld nahm, ihre Rechnungen zu be­

zahlen und ihre Börse zu füllen. So mag es wohl kommeti, daß, wie ältere vielerfahrene Frauen behaupten, fast keine Frau das erste Jahr ihrer Ehe zu Ende lebt, ohne

einmal gedacht zu haben: Ich hätte besser gethan, wäre ich ledig geblieben!

Wahrlich, ein sehr trauriges Bekenntniß,

auch wenn wir annehmen wollen, daß die Stimmung, die

es erzeugt hat, in der Mehrzähl der Fälle wieder vorüber­ geht, ohne Spurm zu hinterlassen.

Aber urplötzlich in

einen Kreis zwingender und dringender Pflichten gestellt

werden, ohne einer einzigen derselben voll gewachsm zu sein, das muß auch dem Muthigsten die Flügel lähmen. Und ebensowenig kann es dem jungen Hausstände, dem Ehemanne, den Kindern, dem Gesinde, den sonst von dem Hanse Abhängigen ersprießlich sein, wenn die Lenkerin des kleinen Fahrzeuges weder Steuermannskunst versteht, noch auch

nur Schiffsjungen- und Matrosenarbeit aus dem

Grunde kennt, ja überhaupt an keinerlei ernste Arbeit und Kraftanstrengung gewöhnt ist. Die Lehrlingszeit, die man vor der Ehe für überflüssig gehalten, oder mit der man

es wenigstens unverantwortlich leicht genommen hat, tritt dann nachher ein, wenn die Meisterschaft bereits erlangt

sein sollte, und der Haushalt, der Ehemann müssen das Lehrgeld zahlen, das mit Fug und Recht auf des Vaters

Rechnung gehört.

Die Nothwendigkeit eines Lebensplanes.

9

So ringen sich mit gutem Willen, mächtig unterstützt

durch die Liebe zu Mann und Kindern, dann doch noch

eine Menge Frauen zu häuslicher Tüchtigkeit durch, so

wenig ihre Erziehung darauf angelegt war, wenn auch immerhin ihr Wissen und Können ein blos empirisches

bleibt, ohne Zusammenhang und Begründung, ohne Er­ kenntniß der allgemeinen Gesetze, nach denen sich ihr Thun im Einzelnen regelt.

Diese häusliche Tüchtigkeit aber be­

schränkt sich streng auf das Erhalten und Verwalten, eine

Möglichkeit des Erwerbens giebt sie nicht. Wie nun, wenn nach Begründung des eigenen Hausstandes sich herausstellt,

daß der Mann nicht genug erwerben kann oder doch fak­ tisch nicht genug erwirbt? wenn mit den Heranwachsenden Kindern die Sorgen wachsen?

wenn

Unglücksfälle

den

Bermögensstand erschüttern, oder gar der Ernährer hin­

weggerafft wird? Dann rächt es sich bitter, daß man dem Gedanken an eine mit Erwerb verbundene Thätigkeit in der Erziehung des Mädchens keinen Raum geben wollte.

Noth, Mangel, drückende Abhängigkeit treten an die Stelle

behaglichen Wohlstandes oder doch leidlichen Auskommens; mit mühsamen, schlecht bezahlten Nadelarbeiten, mit der Aufnahme von Kostgängern, mit einem kleinen Handel, den

sie ohne Geschäftskenntniß führen zu können meint, sucht vielleicht die Frau einen Ausweg aus der Bedrängniß und

kann doch häufig trotz aller Anstrengung den Untergang

nicht fern halten.

Und selbst wenn ein solcher Nothstand nie einträte, so kann es doch nur ersprießlich wirken und ist höchst wünschenswerth, daß jede Frau sich einmal als Arbeiterin in

einem bestimmten Berufszweige ansehen gelernt habe. Eine

10

Die Lehrlingszeit.

Hausfrau gerade in glücklichen, wohlhabenden Verhältnis­ sen, soweit sie nicht unter dem Regiment ihres Mannes steht, ist thatsächlich mehr Selbstherrscher als irgend ein

Mann, der einen Beruf hat.

Der Beamte hat seiner

Dienstinstructioq und seinen Vorgesetzten zu gehorchen; der Geschäftsmann weiß sich von seinem Publikum und seinen Concurrenten abhängig.

Aber eine reiche Frau, die etwa

ihren Mann regiert — was doch mitunter vorkommt — oder eine Wittwe, die Herrin eines Vermögens ist: wen brauchen diese zu fragen?

nach wem brauchen sie sich zu

richten? Es wird ihnen heilsam ankommen, wenn sie- noch

aus ihrer Jugendzeit eindrücklich wissen, wie einem gehorchenden, abhängigen, arbeitenden Menschen zu Muthe ist;

sie werden vor unzeitiger Härte wie vor unbedachter Wohl­

So lange eine Frau einem Hauswesen vorsteht und ihre Kinder erzieht, hat sie

thätigkeit leichter bewahrt bleiben.

vielleicht vollauf zu thun, wenn sie es mit ihren Pflichten

Aber die Kinder werden groß und damit das Hauswesen wieder klein. Manche Frau von vierzig ernstlich meint.

bis fünfzig Jahren, deren Söhne selbständig, deren Töch­ ter verheiratet sind, sieht den Kreis ihrer häuslichen Pflich­ ten wieder so eng wie zu Anfang ihrer Ehe,.da sie mit

ihrem Manne allein war. Sie ist noch im Vollbesitz ihrer Kräfte, an Thätigkeit gewöhnt, durch langjährige Uebung und Erfahrung befähigt, viel zu leisten.

Ist es zu ver­

wundern, wenn sie da in ihrer Häuslichkeit nicht mehr Genüge findet, wenn eine gewisse Unruhe, ein Suchen und Haschen nach neuen Interessen über sie kommt, wenn Kin­

der und Schwiegerkinder, Nachbarn und Bekannte über

ihre Einmischung, ihr Mitregierenwollen klagen, und die

Die Nothwendigkeit eines Lebensplanes.

Hausgenossen über immer wachsende

Eigenheiten?

11 Wie

segensreich würde es für eine solche Frau sein, wenn sie

in irgend einer Form zu dem Berufe zurückgreifen könnte, den sie in ihren Mädchenjahren kennen und lieben gelernt

hat!

Welchen Nutzen könnte sie mit ihrer reifen Kraft

und Lebenserfahrung, mit ihren Mitteln und Verbindun­ gen der Gesammtheit leisten! Es rächt sich also in den meisten Fällen schwer genug, wenn dem Eintritt in die Ehe nicht eine voll ausgenutzte Lehrzeit vorhergeht. Ungleich trauriger stellt sich aber die Sache für die Tausende von Mädchen, die sich nicht ver­

heiraten.

Da die Sitte noch immer hartnäckig daran fest­

hält, daß die Frauen des Mittelstände? nur in der Ehe Gehülfinnen des Mannes, d. h. der Menschheit, sein sol­

len , so bleiben diese unfreiwilligen Cölibatärinnen in der Regel ohne Beruf und ohne Erwerb. Ohne diese beiden Dinge ist das Leben aber entweder unmöglich oder werth­

los. Und zwar weiß man kaum, welche von Beiden man mehr bedauern soll: diejenige, die durch die Arbeit Ande­

rer, durch die Zinsen des väterlichen Erbtheils, durch die Almosen mitleidiger Verwandter, durch die Wohlthaten

milder Stiftungen ihr Lebelang der Nothwendigkeit zu ar­

beiten überall enthoben bleibt, oder diejenige, die, ohne irgend eine nützliche und einträgliche Arbeit aus dem Grunde zu ver­

stehen, ihren Unterhalt selbst verdienen soll, aber doch nur ja auf standesgemäße Weise, und wenn sie dabei auch auf standesgemäße Weise langsam verkümmern und verhungern

muß.

Die Letztere wird allerlei Demüthigungen, Krän­

kungen, Entbehrungen über sich ergehen lassen müssen, die der Anderen

nicht in gleichem Maße zu Theil werden.

12

Die Lehrlingszeit.

aber sie wird doch schließlich ein wenig von dem Segen

einer zwingenden Arbeit spüren, und sei dieselbe noch so wenig geachtet, noch so weyig einträglich. Die Erstere, die

vor äußerer Noch Geschützte, wenn ihr die Einsicht tagt, daß ein Leben ohne Arbeit werthlos, ja ganz eigentlich

unerträglich ist, wird in sich selbst, in ihrer Umgebung und

in den Verhältnissen nicht geringen Schwierigkeiten begeg­ nen, sobald sie es versucht, sich eine regelmäßige Berufs­

thätigkeit zü schaffen.

Gewiß, es giebt allerlei Arbeit in

der Welt, die man als das besondere Gebiet dieser Un­ verheirateten oder auch kinderloser Frauen anzusehen pflegt:

Aushülfe und Pflege im Familien- und Bekanntenkreise, Werke der inneren Mission u. dgl.

Gewiß ist ein solches

Wirken, in dem rechten Geiste erfaßt und getrieben, ein

großer Segen, und man kann nur wünschen, daß von den zahlreichen unbeschäftigten Frauen, denen ihr Leben eine

Last ist, immer mehrere gerade auf diesem Gebiete ihre Lebensaufgabe suchen möchten. Gewiß endlich sind Frauen zu nennen wie Amalie Sieveking, Florence Nightingale

u. a., die in der erwähnten Stellung Wohlthäterinnen der Menschheit geworden sind, uno es mag ihrer noch mehr ungenannte geben.

Aber das wolle man sich doch nur

eingestehen, daß der heilsame Zwang zur Arbeit, der die­

sen Frauen fehlt, immer nur bei' wenigen Menschen durch

den Drang sich nützlich zu machen, völlig ersetzt wird. Wie wenige Männer würden wohl, wenn nicht Amtseid, Dienst­ pflicht oder die Nothwendigkeit für ihre Familie zu sorgen

sie triebe, ganz in demselben Maße wie sie jetzt thun, ihre Zeit und ihre Kräfte der Arbeit widmen — einer Arbeit,

die ihnen doch obendrein Vermögen, Ansehen und Einfluß

Die Nothwendigkeit eines Lebensplanes. bringt?

13

Und doch bewegt sich der Mann mit seiner Ar­

beit in geebneten Bahnen; er braucht, wenn er seine Lehr­ zeit genutzt hat, nicht erst ängstlich nach einer Gelegenheit

auszuschauen, wo er seine Kraft nützen kann, und über drei Monate wieder nach einer anderen.

Niemand wird

in Abrede stellen, daß die Verpflichtung zu Werken der Barmherzigkeit eine allgemein

sitzenden

bindende

ist,

menschliche, für alle Be­

keineswegs

für

unverheiratete

Frauen allein: in der That betheiligen sich Männer aller Stände in höchst verdienstlicher Weise an allen den Unter­

nehmungen, die man vielleicht am besten als philanthro­

pische bezeichnen kann. Aber wie viele sind denn unter diesen Männern, auch unter den Bemittelten, auch unter den Unverheirateten, die freiwillig als unbesoldetes Ehren­ amt eine solche Thätigkeit zu ihrer einzigen Lebensaufgabe

machen und alle ihre Kräfte dafür einsetzen? Was beson­ ders willenskräftigen, begeisterungs - und aufopserungs-

fähigen Menschen möglich ist, das darf doch unmöglich die Regel für eine zahlreiche Klasse von Individuen sein sol­

len, die neunundneunzigmal unter hundert dieser Klaffe nicht durch eigene freie Wahl angehören!

Wenn nicht in der Jugendzeit, nach dem Abschluß der Schule, eine nach­

haltige Gewöhnung an ernste, anstrengende, verantwort­

liche Arbeit gegeben ist, so wird selbst ein für das Ideale empfängliches, von der Werthlosigkeit eines unthätigen Le­

bens durchdrungenes weibliches Wesen in seinen Nerven,

in seiner zarten Gesundheit, in der Rücksicht auf die Mei­ nung seiner Verwandten und der Welt überhaupt, in der

Unselbständigkeit, zu der man es systematisch gewöhnt hat, Bundesgenossen mehr als genug für die eigene Bequem-

Die Lehrlingszeit.

14

lichkeit finden, die sich gern einredet, daß die Pflege, die

man dem eignen Körper widmet, ein wenig Handarbeit, Lektüre und Musik und eine mehr oder minder große

Dosis Geselligkeit

eigentlich schon ein ganz respectables

Tagewerk sei.

Damit in zahllose verkümmerte Existenzen ein realer Inhalt gebracht, oder vielmehr damit die Möglichkeit solcher Existenzen aus der Welt geschafft werde, damit in der Ehe und außer der Ehe die Frau ihren Beruf voll und ganz

erfülle, die Gehülfin des Mannes zu sein: darum werde für das der Schule entwachsende Mädchen wie für den

Knaben ein bestimmter Lebensplan gemacht.

Dieser Lebens­

plan gründe sich auf die Ueberzeugung, daß das Weib, wie der Mann, zur Arbeit berufen ist, daß die Arbeits­ tüchtigkeit nicht durch Inspiration, sondern durch gründliche

und sorgfältige Vorbereitung erworben wird,

und daß

endlich, wie der Arbeiter, so auch die Arbeiterin ihres Lohnes werth ist.

Ein solcher Lebensplan hat allerdings mit einem an­

deren Factor zu rechnen als der, den man für einen Knaben entwirft.

So unheilvoll es ist, daß man jetzt, soweit von

bestimmter Voraussicht überhaupt die Rede sein kann, für

thatsächlich gewiß annimmt, was doch nur wünschenswerth und wahrscheinlich ist, nämlich die baldige Verheiratung

des Mädchens, so groß würde der Rechenfehler sein, wollte man von der Möglichkeit der Verheiratung ganz absehen. Die Ehe und der damit gegebene häusliche Beruf ist immerdar die erste, nächste und wünschenswertheste Form der Gehülfenschaft des Weibes; jedes Mädchen soll daher eine ausreichende Lehrzeit auf diesen Beruf durchmachen.

Die Nothwendigkeit eines Lebensplanes.

15

Weil aber kein menschliches Auge beim Eintritt des Mäd­ chens ins Leben vorhersehen kann, auch wenn die Chancen

dafür noch so groß erscheinen, ob sie zur Ehe berufen sein

werde oder nicht: so soll von vornherein ohne Weichlich­ keit und Feigheit der Möglichkeit, daß sie unverheiratet bleibe, zum mindesten ein Blick gegönnt, es sollen Vor­ kehrungen getroffen werden, daß sie auch für diesen Fall

einen nützlichen, für sie und Andere segensvollen Beruf finde, und zwar der Regel nach einen mit Erwerb ver­

bundenen, auf das Vorhandensein und die Anwendung ganz bestimmter Kräfte und Fertigkeiten begründeten Beruf,

der eben deshalb auch eine ganz bestimmte Lehrzeit voraus­ setzt.

Wir haben also zunächst die Vorbereitung auf den

häuslichen Beruf nach ihren Bedingungen und Zielen ins

Auge zu fassen, und dann die Vorbereitung auf andere für Frauen geeignete Berufsarten.

2. Die Lehrzeit für -en häuslichen Beruf. 1.

Wege und Ziele.

Unter dem häuslichen Berufe des Weihes verstehen

wir diejenige Wirksamkeit innerhalb der Sphäre des Hauses, die auf ein Familienverhältniß gegründet ist und das Lohn­

oder Erwerbsverhältniß im eigentlichen Sinne ausschließt.

Ob diejenige, die ein Hauswesen regiert oder demselben sonst ihre Kräfte widmet, das als Frau ihres Mannes, als Tochter ihres Vaters, als Schwester ihres Bruders

thut, darauf kommt hier nichts an.

Wesentlich anders

tritt dagegen dieser Beruf auf, wenn ihm die Grundlage der Familiengemeinschaft fehlt, und wenn er zugleich mit

Erwerb verbunden sein soll; als solcher wird er im zweiten

Theil dieser Betrachtungen Erwähnung finden. Was König Salomo von der häuslichen Tüchtigkeit des Weibes in seinen Sprüchwörtern preisend sagt, das hat noch immer seine Richtigkeit.

So unmittelbar den Kräften, An­

lagen, Neigungen der allermeisten Frauen entsprechend wie dieser, so der Gesundheit des Leibes und der Seele zu­ träglich, so nöthig für die Gesammtheit und so augenfällig segenstiftend für die Einzelnen ist kein anderer Beruf. Die

Die Lehrzeit für den häuslichen Berus: Wege und Ziele.

17

deutschen Frauen aber, das können wir mit Stolz behaupten, haben von Alters her den Ruf, tüchtige Hausfrauen zu sein.

Es muß also wohl in den Kindern unseres Volkes eine

besonders große Anlage zu den verschiedenartigen Han­

tierungen vorhanden sein, aus denen sich die Arbeit einer Hausfrau zusammensetzt, und zu den Tugenden, die sie vor allen Dingen schmücken müssen. — Die Aufgabe der

Vorbereitung wird dadurch wesentlich erleichtert. Diese Aufgabe ist, wie die jeder Lehrlingszeit, eine dreifache.

Der Lehrling soll durch Belehrung Einsicht,

durch Uebung Fertigkeit, durch sittliche Einwirkung be­ stimmte Tugenden erlangen.

Mit dem Zweiten fängt man

allermeist an und thut sehr recht daran.

Wie in der

intellectuellen Erziehung das Beispiel der Regel, die An­

schauung der Erkenntniß, in der sittlichen die Gewöhnung

der Einsicht vorangeht, so wird in der häuslichen Er­ ziehung der Grund gelegt werden müssen mit der Er­ werbung verschiedener Fertigkeiten, deren die häusliche Tüchtigkeit bekanntlich eine ziemlich lange Reihe voraussptzt.

Wann soll diese Erziehung beginnen? Jede einsich­ tige und erfahrene Mutter wird der Ansicht beipflichten, daß darin schon in der Kinderstube der Zlnfang gemacht

werden muß. Ist das Spiel mit der Puppe, das liebe alte Kinderspiel: Mutter und Kinder, schon ein rührendes Vor­ spiel des künftigen heiligen Mutterberufes, so soll und

kann auch schon das kleine fünf- und sechsjährige Mädchen diese und jene leichten häuslichen Dienstleistungen über­

nehmen, die, wenn das Ding recht angefangen wird, von ihm als eine Vergünstigung und Ehre angesehen werden und es unmerklich in den Bereich häuslichen Wirkens Lammers, Tie Frau.

2

Die Lehrzeit.

18 hineinziehen.

Desgleichen ist es nicht zu früh, schon in

diesen Jahren den Grund zu einigen der wichtigsten künf­ tigen Hausfrauentugenden zu legen: Gewöhnung an räum­ liche und zeitliche Ordnung, an Reinlichkeit, an Sorgsam­

keit wird desto sicherer erzielt, je weiter ihre Wurzeln in die Zeit des unreflectirten Thuns hinabreichen.

Schon in

dem kleinen Mädchen soll das Bewußtsein geweckt werden,

daß sie, soweit ihre Kräfte reichen, für das Wohlsein, das „Wohl ihr,

Behagen ihrer Umgebung verantwortlich ist.

wenn sie sich frühe gewöhnt", den Alten liebevolle Pflege, den Schwachen sorgliche Aufmerksamkeit, den Jungen warm­

herzige Theilnahme zu gewähren.

Biel wird in dieser

Hinsicht das Beispiel der Mutter wirken; doch ist es nicht

allmächtig, und es kommt vor, daß von Natur weniger

selbstlos angelegte Töchter einer besonders aufopfernden Mutter die hülfreiche, wache, dienende Liebe als ein Mono­

pol dieser ansehen.

Darnm darf es an einer absichtlichen,

bewußten Einwirkung nicht fehlen, wenn auch der Zwang soviel wie möglich vermieden werden mag. Eine wirklich planmäßige Einführung in den ganzen.

Umfang der Haushaltswirksamkeit kann natürlich erst statt­ finden, wenn die Schulbildung abgeschlossen ist. Sie be­

dingt jene dreifache Richtung erziehlicher Thätigkeit, deren oben gedacht worden ist, und hat also zunächst die Er­

werbung derjenigen Fertigkeiten als ihr Ziel anzusehen, die in mehr oder minder regelmäßiger Folge von den wechselnden Aufgaben des Haushaltens gefordert werden. Das Haushaltlernen, wie es heutzutage gäng und gebe

ist, ignorirt diese Fertigkeiten keineswegs; es ist eher ge­ neigt, in ihnen schon die ganze Erfüllung seines Pro-

Die Lehrzeit für den häuslichen Beruf: Wege und Ziele.

19

grammes zu sehen, ohne doch, nur nach der rein tech­ nischen Seite hin, seine Ziele hoch genug zu stecken.

Wie

viel oder wie wenig immer die künftige Hausfrau veran­

laßt sein wird, sich an der körperlichen Arbeit ihrer Wirth­ schaft zu betheiligen: sie muß jede Gattung dieser Arbeit

durchaus

zu beurtheilen und im Nothfall

vorzumachen

oder einen Dienstboten dazu anzuleiten verstehen; daher

bedarf sie in ihrer Lehrzeit einer gründlichen Einführung in alle die Thätigkeiten, aus denen sich das Getriebe des Haushaltes zusämmensetzt, und zwar zunächst der prak­

tischen Uebung bis zu einem gewissen Grade der Meister­ schaft. Sowie jeder General einmal Knöpfe putzen und

ein Gewehr laden gelernt hat, jeder Bankier eine RechnMg ausschreiben und ein Packet ordnungsgemäß ein­ schlagen, so muß jede Hausfrau die Handgriffe ihrer Pro­

fession

gründlich

dehnbarer Begriff.

studiren.

„Gründlich"

ist freilich ein

Vielleicht ist es besser die Ziele an-

zudeuten, die bis zu einem bestimmten Lebensalter ein Mädchen in häuslicher Tüchtigkeit erreicht haben muß, wenn ihre Lehrzeit richtig verwendet worden ist.

Diese

Ziele mögen nach örtlichen und Standesverhältniffen ein­ zelnen Modificationen

unterworfen sein:

darauf kommt

weniger an, als daß man sich überhaupt nur möglichst

abgegrenzte Ziele stecke und dieselben in einem bestimmten

Zeitraume zu erreichen suche. Ungenüge,

Denn ein großer Theil der

die das jetzige Haushaltlernen charakterisirt,

rührt eben daher, daß man gelegentliche Handreichungen an die Stelle systematischer Uebungen fetzt und immer noch

Zeit genug für ernstliches Angreifen in der Zukunft zu

haben meint.

Die Lehrzeit.

20

Werfen wir zuerst einen Blick in die Küche, von der das materielle-Leben des Hauses ja am unmittelbarsten

abhängt.. Offenbar wird die Erziehung einen Unterschied zu machen haben, je nachdem der Zögling dereinst an der

Spitze eines opulenten, vornehmen, oder eines kleinbürger­

lichen Haushaltes stehen soll. es

genügen,

Aber in der Regel.wird

wenn die Regentin eines Haushaltes im

Stande ist, ein gewöhnliches, tägliches Mittagessen, es be­

stehe aus vier Gängen oder aus einer einfachen Schüfsel,

ohne Beihülfe wohlzubereitet auf den Tisch zu bringen. Kann sie das, so wird ihre Gewandtheit auch für Aus-

nahmsfälle zureichen.

Kann sie das nicht, so ist sie ent­

weder hülflos in den Händen ihrer Köchin, oder ihre Familie wird schlecht ernährt werden. — Als Hauptregel

hat dabei zu gelten, daß man vom Einfachen zum Zu­ sammengesetzten schreite, daß zuerst eine ganze Reihe von

Hülfsverrichtungen bis zur 1 Fertigkeit geübt sein sollten, ehe man die Schülerin ein Gericht selbständig kochen läßt, und daß sie wiederum eine Reihe einzelner Gerichte oft genug selbständig, ohne Zugreifen oder Borschreiben

der Lehrmeisterin, gekocht haben muß, ehe man ihr die Bereitung des ganzen Mittagsmahles anverttaut. Diese Selbständigkeit ist aber ganz buchstäblich gemeint, soweit es sich um die Prüfung ihrer Kunst handelt: sie soll jeder Unterstützung entrathen können, und wäre es nur die des

Dienstmädchens, das nach dem Feuer sieht.

Man lasse

sich für die Wochen oder Monate, die dazu nöthig sind,, die Küchenhände nicht verdrießen, sie werden schon wieder fein und zart werden, wenn der künftige Lebensberuf keine

grobe Arbeit auferlegt — und wäre das nicht der Fall,

Die Lehrzeit für den häuslichen Berus: Wege und Ziele.

21

so ist eine rauhe, aber geschickte und fleißige Hand ehren­ voller, als eine sorgfältig gepflegte, die nichts Nützliches

schafft.

Von den Arbeiten, die das Reinhalten

von Haus,

Geräth und Wäsche erfordert, gilt im Wesentlichen das

Gleiche.

Wir wollen allerdings nicht so grausam sein, als

Ziel aufzustellen, daß die Lernende im Stande sei, ein ganzes Haus ohne Beihülfe zu reinigen, die ganze Wäsche

selbständig zu besorgen, oder vielmehr, daß sie das auf einmal durch die That beweise: dazu möchten leider die physischen Kräfte der heutigen Generation gebildeter Mäd­

chen schon nicht mehr ausreichen.

Aber jede einzelne Vor­

nahme, die eine Reinigung des Hauses, der Möbeln, des

Küchengeräthes, des Leinenzeuges, der Kleider nöthig macht, muß ihr völlig vertraut werden, so gut wie die Aufein­ anderfolge dieser Vornahmen, so daß sie virtuell, wenn auch nicht faktisch, darin nur von sich selber abhängt. So­

weit ihre Körperbeschaffenheit es zuläßt, suche man ihr zu schaffen, die von dem Gelingen einer

die Freude

ganz allein unternommenen und ausgeführten Arbeit un­

zertrennlich ist.

Muthet ihr die Reinigung eines großen

Zimmers zuviel zu, so möge Jte versuchen, ob sie nicht einmal eins der kleineren ohne Hülfe der Magd oder der

Scheuerfrau gründlich reinigen kann.

Möge sie einmal,

nachdem sie alle einzelnen Handgriffe geübt hat, eine kleine Wäsche allein waschen, blauen, stärken, aufhängen und legen,

und wäre es nur das, was sie in einer -Woche selbst ge­

braucht hat; möge sie ein andermal ein ähnliches Quantum plätten, und es sich zur Ehrensache machen, sich auch an die schwierigeren Sachen zu wagen, nachdem sie des Leich-

Die Lehrzeit.

22 ter eit Meister

geworden ist.

Wenn unsere Töchter erst

wieder aus Erfahrung wissen, wieviel Mühe und Arbeit

beispielsweise ihre Ball- und Sommerkleider mit den un­ zähligen Falten und Falbeln, Puffen und Schleifen der Wäscherin und Plätterin kosten, so wendet sich der Ge­ schmack vielleicht zu Niemandes Schaden wieder aufs Einfache.

Ebenso nothwendig wie die vorhergehenden Arbeiten sind die Nadelarbeiten des Haushaltes; sie verdienen also in der Lehrzeit die gleiche Berücksichtigung.

Hier ist in­

dessen, von Ausnahmen abgesehen, mehr vorgearbeitet als bei den übrigen Thätigkeiten, da der Schulunterricht in den meisten Theilen von Deutschland eine gründliche Anleitung zu Handarbeiten für die Mädchen bedingt und damit, na­

mentlich wo er nach der trefflichen Schallenfeldschen Methode

ertheilt wird, die beste Grundlage für die spätere Praxis giebt. Handarbeiten werden ja auch von allen jungen Mädchen

der höheren und mittleren Stände reichlich angefertigt, oft mehr als zuviel. Rur leider sind an der Tagesordnung die­ jenigen, die von Seiten der Ausführenden den geringste« Grad von Kunstfertigkeit und Geschicklichkeit verlangen: die

Woll- und Perlenstickereien, deren Muster der Zeichner ent­

wirft, deren Farben- und Stoffwahl größtentheils Monopol

der Ladeninhaberin ist, und bei denen sich die arbeitend^ Dame allerhäufigst mit dem bescheidenen Ruhme begnügt, die

Zwischenräume des von der bezahlten Stickerin fertig dar­

gestellten Dessins mit einem kinderleichten Stich auszuDas ist beschäftigter Müßiggang — reine Zeit­

fiitten.

vergeudung.

Unsre Haushaltsschülerin soll sich damit nur

unter der Bedingung überhaupt befassen, daß sie Zeit, Kunstsinn und Geschmack genug besitzt, um für etwa ein

Tie Lehrzeit für den häuslichen Beruf: Wege und Ziele.

23

Geschenk auch etwas Selbständiges nach Erfindung und Aus­

führung zu schaffen. Hausfrauen sind ja auch jetzt thatsächlich von dieser Art von Arbeiten und von der Verpflichtung, nur

Selbstgesticktes zu verschenken, losgesprochen; der Lehrplan für häusliches Wirken braucht sie also wenigstens nicht zu

berücksichtigen, wird sich aber desto mehr mit Nähen, Flicken und Stopfen zu beschäftigen haben. Bringt das Mädchen aus

der Schule schon soviel Kenntniß und Fertigkeit in diesen unentbehrlichen Dingen mit, wie die Schallenfeldsche Me­

thode sie anstrebt, so werden sie hauptsächlich praktisch fortzu­ üben sein; sonst kann man nichts Besseres thun als zunächst

diese Grundlage nachholen, also das Mädchen dahin bringen,

daß sie die gewöhnlichen Wäschegegenstände sowohl zuzu­

schneiden als auch zu nähen, zu zeichnen und auszubessern

versteht.

Eine Haushaltsschülerin sollte außerdem die Näh­

maschine vollkommen regieren lernen, soweit sie den ge­ wöhnlichen häuslichen Bedarf versorgt, und sollte, wenn sie irgend Talent zu Nadelarbeit und irgend Zeit dafür hat, einen Cursus im Schneidern und etwa in der An­

fertigung von Putzgegenständen durchmachen.

Ob es nicht

allzu altmodisch ist, in unserer Zeit des Dampfes und der Maschine ein Wort für den guten alten Strickstrumpf der

deutschen Frauen einzulegen? Oder ist es angezeigt, ihn

zu dem Spinnrad unserer Großmütter in die Rumpel­ kammer zu verweisen? Die wichtigsten technischen Fertigkeiten des Haushal­

tens sind damit erschöpft.

Je nach Zeit und Gelegenheit

kommt noch manches Andere dazu, das in seiner Art erlernenswerth, aber hier noch nicht berührt ist: im Gebiet

der Küche z. B. Einmachen, Backen, das Serviren eines

Die Lehrzeit.

24

Tisches, das Anordnen einer Gesellschaft.

Ein Landhans­

halt vollends bedingt noch eine ganze Reihe von haus­ fraulichen Thätigkeiten in Milchkammer und Hühnerhof,

im Gemüsegarten und . im Obstgarten, auf die wir nicht weiter eingehen wollen.

Nur das ist festzuhalten, daß

dem Wichtigen allemal der Vorzug vor dem Unwichtigen

gegeben werde, daß mit Ablauf der Lehrzeit in den meisten dieser Fertigkeiten eine Meisterschaft, soweit sie überhaupt ohne vieljährige Erfahrung möglich ist,- erreicht sein muß, und daß diese Lehrzeit nicht von vornherein auf das

Unbestimmte anzulegen ist und ihren Abschluß nicht durch

ein beliebiges äußeres Ereigniß oder durch einen Macht­

spruch des Schicksals findet. Wie schnell ein Mädchen zu der erwähnten Meister­ schaft gelangt, das kommt hauptsächlich auf ihre Begabung,

ihren guten Willen, die Anleitung, die ihr zu Theil wird, Da in der Praxis das zwanzigste Lebensjahr als der richtige Zeitpunkt der Verheiratung für ein Mädchen

an.

angesehen zu werden pflegt, so dürfte man auch aller-

höchstens bis dahin die eigentliche häusliche Lehrzeit er­ strecken, müßte aber von da ab, gleichviel ob die Verhei­ ratung eintritt oder nicht, die wirklich Tüchtiggewordene als einen selbständigen, verantwortlichen und eines Berufes bedürfenden Menschen ansehen.

Zu dem wirklichen Tüchtigwerden für den Haushalt gehört aber mehr als Fertigkeit in einer Reihe häuslicher

Verrichtungen.

Eine Dienstmagd

würde

hieran

genug

haben; eine Hausfrau soll regieren können, und das Re­

gieren will auch gelernt sein.

Es ist ein beklagenswerther,

nur allzu weit verbreiteter Irrthum, zu meinen, das lerne

Die Lehrzeit für den häuslichen Beruf: Wege und Ziele.

25

sich nur in der Praxis und so von selbst wie das Athem-

holen.

Es bedingt eine ganze Reihe von Kenntnissen und

verschiedene Gewohnheiten, die man allerdings bei gutem

Willen und guten Anlagen auf rein empirischem Wege

zuletzt auch erlangt, d. h. indem man tausendmal durch Schaden

und fünfzigmal durch eignes Nachdenken klug

wird, die man aber zum größten Theil ganz gewiß vor der

Uebernahme

eines Hausregimentes

erwerben

kann

und soll.

Das Regiment der Hausfrau umfaßt mit einem Worte die Verwendung aller Kräfte und Güter des Hauses, deren Kenntniß es also voraussetzt. Es hat zunächst seine finan­ zielle Seite, die von großer, weittragender Wichttgkeit ist.

Durch die Hände einer Hausfrau des mittleren Standes

gehen alljährlich Hunderte, Tausende von Thalern in fast lauter kleinen Posten: hier zwei Mark, da fünfundzwanzig

Pfennige, da auch einmal zwanzig Mark.

Ihr Geldbeutel

ruht keinen Tag und nicht viele Stunden des Tages, und wohl die meisten ihrer Ausgaben sind derart, daß sie nicht erst lange Ueberlegung und Berechnung in dem Augen­

blicke zulaffen, da sie gefordert werden. Wie leicht wird sie in dem Gewirr dieser tausend scheinbaren Zufälligkeiten mehr verbrauchen als nöthig ist; wie leicht mögen am

Ende des Jahres hundert Mark ausgegeben sein, von

denen das Haus keinen Vortheil gehabt hat! Der Haus­ frauen sind in unserm Vaterlande etwa acht Millionen: welche Summe des Nationalvermögens wird durch solche

Schwankungen in dem einzelnen Wirthschaftsbudget reprä-

sentirt! Für diese Seite des Hausfrauenberufes nun erscheint

26

Die Lehrzeit.

die jetzige Vorbereitung ganz außerordentlich dürftig. Kaum daß die theoretische Unterweisung je über zwei in ihrer Art nützliche, aber nichts weniger als erschöpfende Axiome hinausgeht, nämlich die: Eine Hausfrau darf nichts um­

kommen lassen, und man muß stets so billig wie möglich

einzukaufen suchen.

„Fordern wir doch, und mit gutem

Rechte," sagt Lorenz von Stein in seinem vortrefflichen

Bortrage: Die Frau auf dem Gebiete der National­ ökonomie, „daß kein Gewerbtreibender als gebildet für sei« Gewerbe angesehen werde, der nicht im Stande ist, eine Rechnung für seine Production aufzustellen; wer giebt

uns denn das Recht zu sagen, ein Mädchen sei gebildet für den Hausstand, wenn es nicht fähig ist, eine Haus­

standsrechnung z« machen? Oder haben Mütter und Väter vielleicht nie erfahren, wieviel sie werth ist?" Könnte« alle Mädchen des Mittelstandes einen vollständigen Cursus der Volkswirthschaft, soweit sie Haus- und Personalwitth-

schast ist, durchmachen, es wäre damit ihren Familien und

der Welt im Allgemeinen unvergleichlich viel mehr ge­

dient, als wenn man sie mit schlecht vergoltener Mühe abrichtet, ein paar englische und französische Phrase« zu plappern. Hoffentlich wird auch das nicht immer ein frommer Wunsch bleiben.

Einstweilen hat man sich mit

der Forderung zu begnügen, daß der Haushaltsschülerin die wichtigsten wirthschaftlichen Erscheinungen und Gesetze

erläutert und anschaulich gemacht werden.

Sie muß über

das Verhältniß von Einnahme und Ausgabe, über Er­

werb, Verbrauch und Capitalbildung, über Arbeit und

Lohn belehrt werden. Sie muß die Hauptarten der häus­ lichen Ausgaben, ihr Verhältniß zu einander, ihre durch-

Die Lehrzeit für den häuslichen Beruf: Wege und Ziele.

27

schnittliche Höhe bei einer gegebenen Summe des Ein­

kommens kennen lernen.

Sie muß unterwiesen werden,

wie man über den gesammten häuslichen Verbrauch Buch und Rechnung führt, wie man Voranschläge macht, eine

Rechnungsperiode abschließt, wie man sich beim Steigen und beim Fallen der Einnahmen wirthschaftlich zu ver­

halten hat.

So wie man den, der Buchhalten lernt, ein

fingirtes Geschäft eröffnen und durchführen läßt, so sollte

man sie das ganze Rechnungswesen eines fingirten Haus­ haltes durcharbeiten lassen und dabei die Uebung im Kopf­ rechnen, welche der Schulunterricht gegeben haben muß, fleißig forterhalten. Die Ueberführung aus der Theorie in- die Praxis

darf natürlich auch nicht fehlen.

Nirgends wird sie leichter

und ungezwungener zu bewerkstelligen sein, als im elter­ lichen Haushalt, wie ich mir denn überhaupt für diese.

Sache keine besseren Lehrmeister denken kann, als Vater und Mutter, wenn sie die nöthige Einsicht und den nöthigen

guten Willen haben.

Der Anfang der Praxis wird dann

sein, daß nach der erforderlichen vorhergegangenen Be­

lehrung die Mutter den einen oder anderen Zweig der

häuslichen Verwaltung ihrer jungen Gehülfin ganz abtrete, indem sie ihr nach Mittheilung der wichtigsten einschlägigen Grundsätze und Erfahrungsregeln die ganze Sache zu

freier Verfügung überantwortet, aber natürlich in bestimmten Es versteht sich, daß

Zwischenräumen Rechenschaft fordert.

man mit einem der mindest wesentlichen, am leichtesten zu übersehenden und selbständig zu verwaltenden Zweige den

Anfang mache. Ein Beispiel statt vieler.

Die Hausfrau ist vielleicht

Die Lehrzeit.

28

eine Blumenfreundin und gewahrt auch bei ihrer Tochter

Interesse für den Schmuck ihrer Fenster.

Zum Anfang

zeige sie derselben, was -bei Anschaffung und Pflege von

Zierpflanzen zu beachten ist, soviel sie immer selber davon versteht.

Kann sie ihr durch den Rath eines Gärtners,

durch eine Fachschrift mehr Einsicht verschaffen, desto besser.

Dann aber überweise sie ihr eines Tages förmlich die ganze Sache.

Sie stelle die Geldmittel, welche der Haus­

hallsanschlag für diesen Luxusartikel auswirft, der Tochter in längeren oder kürzeren Raten zur. Verfügung, desgleichen

alles vorhandene Material, und lasse sie nun selbständig

wirthschaften. Aber nach bestimmter Zeit fordere sie Rechen­ schaft. Sie freue sich erreichter Erfolge; sie schelte und tadle nicht wegen etwaiger Mißerfolge, aber sie snche mit der Lernenden die Gründe derselben auf, damit sie in Zu­

kunft vermieden werden.

Die Tochter müsse genau Buch

führen über die zur Verwendung gekommenen Summen;

sie werde sich bewußt, ob sie besser oder schlechter gewirthschaftet habe als ihre Vorgängerin; sie trage aber auch, und mit ihr der Haushalt, die Folgen etwaiger schlechter

Wirthschaft.

Die Mutter soll nicht schnell mit einer Extra­

summe bei der Hand sein, wenn die junge Gärtnerin ihren

Flor hat vertrocknen oder erfrieren lassen: das Wochen und Monate lang verwaiste Fenster wird eindringlicher Vorsicht und Standhaftigkeit predigen, als die schönste

mütterliche Standrede, der eine' Anweisung auf den nächsten Handelsgärtner den Rücken einschlägt.

Gerade damit die angehende Hausfrau ohne Schaden für das Ganze die Folgen ihrer Einrichtung deutlich vor

sich sehen und vollständig tragen könne, ist es natürlich

Die Lehrzeit für den häuslichen Berus: Wege und Ziele.

29

geboten, ihr zuerst eines der wenigst bedeutenden Rädchen im Wirthschaftsgetriebe zu eigener Lenkung anzuvertrauen und sie allmählich zu wichtigeren Vertrauensposten auf­

steigen zu lassen.

Was kann man aber von einer jungen

Hausfrau erwarten, deren erste Erfahrung im Geldaus­

geben von den unter mütterlicher Aegide und vielseitigem Rath

bewerkstelligten Anschaffungen zu ihrer Aussteuer

datirt, wozu die einzige Vorschule der entweder unter sehr starke oder auch unter gar keine Controls gestellte Ver­

brauch eines mehr oder minder reichlichen Taschengeldes zu sein pflegt?

Mit dem eigentlichen Rechnungswesen des Haushaltes hängt die Aufmerksamkeit auf die Erhaltung und Er­

neuerung des Hausstandes, der Vorräthe, Geräthschaften, kurz des in Naturalien bestehenden Vermögens, soweit es unter Obhut der Frau steht, zusammen. Auf diesem Ge­

biet ist meines Erachtens die weibliche Tüchtigkeit uner­ Die Erziehung hat aber Rücksicht

reicht und unbestritten.

darauf zu nehmen, einmal daß in der Haushaltsschülerin der sorgsame haushälterische Sinn geweckt und gepflegt werde, dem das Kleinste nicht zu klein für liebende Sorg­

falt erscheint, andrerseits daß sie mit den Naturgesetzen

vertraut werde, nach welchen sich die ihrer Herrschaft unter­

gebenen Dinge wandeln und beeinflussen.

Sie bedarf vor

Allem der Belehrung über Verbrauch und Verwendung von - Nahrungsmitteln.

Sie muß wissen, in welchem Ver­

hältnisse die Nährwerthe der verschiedenen Ernährungs­ stoffe zu einander und zu den Bedürfnissen des mensch­

lichen Körpers stehen; sie muß die gedeihlichste Verwendung derselben, die besten Aufbewahrungsmethoden, die häufigst

Die Lehrzeit.

30

vorkommenden Verfälschungen kennen lernen.

Noch ohe

sie das Scepter des eigenen Hauses in die Hand nimmt,

sollte sie durch die Praxis einsehen lernen, daß Chemie, Physik, Rechnen, diese Stiefkinder der heutigen Mädchen­

erziehung, doch recht nützliche, ja eigentlich ganz unent­

behrliche Rathgeber des häuslichen Wirkens sind.

Ebenso

wohl sollte sie wenigstens im Allgemeinen über Anschaffung und Verbrauch von Kleidung, Möbeln und Gerüchen orientirt sein.

Und hier wäre es wohl an der Zeit darauf zu

dringen, daß neben der Betonung des Nützlichkeitsprincips und der Pflege des Schönheitssinnes, die beide auf diesem Gebiete ihre Berechtigung haben, der fast abhanden ge­

kommene Sinn für Einfachheit unter unseren deutschen Mädchen wieder geweckt und gestärkt werde. Wer die heu­ tigen Damentoiletten und die Hauseinrichtungen des Mittelstandes mit unbefangenem Auge betrachtet, den schwindelt's.

Die Möglichkeit, in kurzer Zeit große Summen zu ver­ dienen, auf der einen Seite, die ungeheure Zahl unbeschäftigter Frauen, die ihre Zeit nicht besser als mit Putz und Tand .auszufüllen wissen, auf der anderen, haben uns vielfach auf die schiefe Ebene des ungemessenen und ge­

schmacklosen Luxus geführt. Eine gesteigerte Einsicht in die

tyahren Bedingungen häuslichen Glückes Und die gesell­ schaftliche Mündigsprechung der Frauen müssen uns wieder emporhelfen.

Die Erziehung der künftigen Hausfrauen

hat dazu ganz wesentlich beizutragen.

Sie ist damit aber noch keineswegs erschöpft.

Hat die

künftige Hausfrau in Bezug auf die Güter und das Ver­

mögen des Hauses ein weites Feld der Thätigkeit vor sich,

dem sie ohne Einsicht, Thatkraft und vielseitige Uebung

Die Lehrzeit für den häuslichen Berus: Wege und'Ziele.

31

nimmer gewachsen ist, so steigert sich ihre Aufgabe ganz außerordentlich dadurch, daß ein ganzer Verein mensch­ licher Wesen, eine ganze Familie zu einem sehr großen,

ja man kann sagen, zum allergrößten Theil mit seinem irdischen Wohl und Wehe dereinst von ihrem Walten ab­ hängen wird. Die Hausfrau ist der oberste Arzt und Gesundheitsrath, die oberste Krankenpflegerin ihres Hauses.

Der Lehrlingszeit, deren Aufgaben wir hier erörtern, würde also eine der wichtigsten mangeln, wollte man der Lernenden

die nöthige Belehrung über Das, was ihr dereinst für die Ihrigen in gesunden und kranken Tagen obliegen wird, vorenthalten.

Sie muß sowohl mit den Hauptregeln der

Gesundheitslehre in Bezug auf Nahrung, Wohnung, Klei­

dung und Lebensweise, als auch mit den Hauptvorschriften der Krankenpflege bekannt gemacht werden, und die prak­

tische Uebung, die sie in dieser etwa gewinnen mag, wird ihr später ganz gewiß zu Gute kommen.

Wie nützlich

würde es für die junge Mutter sein, wenn sie schon als

Mädchen einige Einsicht und Erfahrung von der Pflege

des Säuglings erlangt hätte, wenn sie das Heranwachsende Kind mit oder ohne Fröbel'sche Spielgaben angemessen zu beschäftigen, seine Anlagen zu entwickeln, die ersten, .die

wichtigsten Keime der Erziehung zu.legen verstände!

Der Forderungen sind viele, das ist wahr, und sie möchten leicht noch um einige vermehrt werden können.

Wird denn für das Alles Zeit sein? Die Zeit wird da sein, wenn dem als nothwendig Erkannten alles Ändere

nachgesetzt wird, und wenn die Mädchenjahre aushören, für die große Mehrzahl der Töchter gebildeter Stände

nichts Anderes

zu sein,

als eine Periode des reinen

Die'Lehrzeit.

32

Schmetterlingsdaseins.

Die schöne goldene Jugendzeit soll

ihnen dadurch nicht verkümmert, ihr unbefangener Frohsinn,

ihre entzückende Heiterkeit und. Frische ihnen nicht geraubt werden. Aber es ist Thorheit zu meinen, diese Blüten könnten nur auf dem Sumpfboden des Müßigganges und der Frei­

heit von jeder ernstlichen Anstrengung gedeihen. Im Gegen­ theil, man wird von schwachen Nerven, von Verstimmung,

von Bleichsucht, von Appetitlosigkeit, von allgemeiner Körper­ schwäche und dergleichen Freudenstörern weit weniger hören,

wenn auf der Tagesordnung unsrer Töchter ernste, nach­

haltige, auf nützliche Ziele gerichtete Arbeit wieder obenan steht. 2.

Die Lehrmeister.

Wo ist nun aber die Hochschule zu finden, auf der ein junges Mädchen

diese Lehrlingszeit

durchmachen

kann?

Wenn auch der bekannte Raumer'sche Grundsatz, daß die

Mutter der einzige Profeffor der Tochter sein soll, sehr vieler Einschränkung bedürftig erscheint, so ist er doch in Bezug auf die Vorbereitung für den häuslichen Beruf als

zutreffend änzuerkennen, denn dafür wird sich in der That schwerlich eine bessere Schule als das elterliche Haus finden

lassen.

Wenn Vater und Mutter beide am Leben sind

und beide ihren Platz in der menschlichen Gesellschaft, ihre häuslichen und außerhäuslichen Pflichten erfüllen, wie sich's gebührt; wenn sie neben der natürlichen Liebe zu ihrer Tochter Einsicht, intellektuelle und technische Bildung, sitt­

lichen Ernst genug haben, um als Lehrmeister der Haus­ haltungskunst auftreten zu können; wenn jüngere Ge­

schwister, wenn betagte Großeltern da sind, den Familien­

kreis vollständig zu gestalten; wenn das Haus zugleich

Die Lehrzeit für den häuslichen Beruf: Die Lehrmeister.

33

den Strömungen des öffentlichen Lebens zugänglich ist, für

nationale,

philanthropische,

religiöse

Bestrebungen,

für

Alles, was nach Oben zieht und vom Staube des Ir­ dischen reinigt, eine Stelle an seinem Herde frei hat: dann

sind in einer Weise, wie sie kein Institut und kein fremdes Haus darzustellen vermag, alle Bedingungen gegeben, unter welchen sich das Mädchen zu einer tüchtigen Hausfrau

heranbilden kann.

Die Eltern, die in der glücklichen Lage

sind, ein solches Haus das ihrige zu nennen, dürften um

der häuslichen Ausbildung ihrer Tochter willen auf ein

sogenanntes Pensionsjahr, werde dasselbe nun in einem

anderen Privathause oder in einem Institute zugebracht, ohne Schaden ganz verzichten können.

Es mag immerhin

um der größeren Vielseitigkeit willen ein vorübergehender

Aufenthalt in einem anderen Hause eingeschoben werden,

von dessen ganzer Atmosphäre die Eltern genug wissen, um die Haupteinslüsse beurtheilen zu können, die dort ihr Werk an ihrer Tochter unterstützen oder hemmen werden;

dann aber sollte dieser Aufenthalt seine bestimmte Stelle in dem ganzen Bildungsplane haben und nicht nur, wie so häufig geschieht, um ein wenig Abwechselung in das Leben des Mädchens zu bringen, gewählt, oder gar ohne

Weiteres als Entlastung von elterlichen Pflichten angesehen werden.

Wo indeß eine oder die andere der obengenannten

Voraussetzungen nicht zutrifft, da wird in der That das elterliche Hans sich nach Unterstützung bei der Heranbil­ dung seiner Tochter umzusehen haben.

Ob diese Unter­

stützung mit mehr Erfolg in einem Privathause oder in

einer Anstalt gewährt werden kann, darüber läßt sich im Lammers, Die Frau.

Z

Die Lehrzeit.

34

Allgemeinen gar nicht entscheiden.

Noch irgend welche be­

sonderen Fingerzeige für diese Wahl zu geben, dürfte über­

flüssig sein, wenn nur überhaupt ein bestimmter Bildungs­ plan für die Tochter entworfen und von ihrem Austritt

aus der Schule an in Kraft gesetzt wird.

Dann werden

eß die Eltern am besten selber beurtheilen können, was

sie ihrer Tochter an der nöthigen Vorbildung nicht im

eigenen Hause zu gewähren vermögen, und werden ihre nach ganz bestimmten Gesichtspunkten zu treffen

Wahl

haben.

Mögen sie dabei nur ganz so verfahren, wie sie

in Bezug auf einen Sohn thun würden, der des Vaters

Beruf

erwählt hat und dereinst in des Vaters Stelle

treten soll.

Der Landwirth schickt den zum Erben des

väterlichen Gutes bestimmten Sohn eine Zeitlang auf die landwirthschaftliche Akademie, oder er sucht ihn auf einer größeren Besitzung unterzubringen, wo ihm Gelegenheit geboten ist, den landwirthschaftliche» Betrieb aus dem Grunde kennen zu lernen. Der Kaufmann sucht dem

Sohne, der einst das väterliche Geschäft übernehmen soll, einen Posten in einem ausländischen, wenn es angeht über­ seeischen Geschäfte zu verschaffen: nicht auf's Gerathewohl,

auch nicht, weil auch die Söhne von X. und Z. in dem Geschäfte gearbeitet haben, auch nicht, damit der junge Mann sich nur überhaupt einmal den Wind um die Nase

wehen lasse, sondern damit er in bestimmter Zeit Be­ stimmtes lerne, was ihm zu seinem künftigen Berufe dien­ lich ist.

Das bedingt freilich einen innerlichen, wenn auch

Nicht äußerlich mit Nothwendigkeit Bruch mit der jetzigen Mode.

sehr hervortretenden

Wie es jetzt hergebracht

ist, so schickt man seine Tochter möglichst bald nach der

Die Lehrzeit für den häuslichen Beruf: Die Lehrmeister.

35

Konfirmation auf ein Jahr oder ein Halbjahr von Haus: entweder in ein Institut, das sich anheischig macht, in kurzer Zeit den unbeholfenen Backfisch in eine gewandte

Salondame zu verwandeln, und auf dessen Programm Musik, französische und englische Conversation, feine ge­

sellschaftliche Tournüre und einige transcendentale Wissen­ schaften obenan stehen, oder in ein bürgerliches Haus,

das, ohne auf den genannten Flitter ganz zu verzichten, zugleich Unterweisung in häuslichen Arbeiten bietet. Diese

Unterweisung mag immerhin soviel Frucht getragen haben, als man von der Kürze der dafür aufgeworfenen Zeit bei einem sechzehn- bis siebenzehnjährigen Mädchen er­

warten kann: man weiß sehr wohl, und Niemand stellt es in Abrede, daß eine aus der Pension Heimkehrende noch

längst keine fertige Hausfrau ist.

Aber man tröstet sich des angenehmen Glaubens, daß man mit diesem Pensions­ jahr die letzte Hauptpflicht für die Ausbildung seiner Tochter doch absolvirt habe, und daß alles Weitere sich nun von

selbst ergeben werde,

„wenn erst der Ernst des Lebens

an sie herantritt", und erreicht damit Bildungsresultate, auf die wir hier nicht wieder zurückzukommen brauchen. Die Eltern, welche ihrer Tochter die Demüthigung,

als Regentin eines Hauswesens ihre Lehrlingszeit nach­ holen zu müssen, ersparen, haben damit für das wahre

Wohl derselben tausendfach besser gesorgt, als wenn sie

nur darauf bedacht sind, ihrem Lieblinge das Leben wie ein Paradies zu zeigen, das nicht einmal soviel Arbeit

von ihm verlange, wie der Garten Eden vor dem Sünden­

fall von unseren Ureltern.

Die Jugend ist, wie der Früh­

ling, die Zeit der Saat: wie die Saat, wird dereinst die 3*

Die Lehrzeit.

36

Ernte sein.

Ihr Eltern könnt nicht wissen, welche An­

sprüche der Mann, der sich eure Tochter einst erwählt, an

ihre Geistesbildung, an ihre Talente, an ihre Arbeitskraft stellen, wie weit ihn die Liebe geneigt machen wird, ihre

Unvollkommenheiten zu übersehen oder zu tragen. das

könnt

ihr

wissen,

daß

auch

Aber

die leidenschaftlichste

Hinneigung des Bräutigams sich in der Ehe nur daun zu einer wahren, dauernden, das ganze Leben beglückenden und zusammenhaltenden Liebe umgestaltet, wenn der Mann.Achtung vor seiner Frau haben kann — nicht jene kühle gesellschaftliche Rücksichtnahme, die Jeder bean­ spruchen darf, der noch nicht polizeilich oder criminell be­

straft worden ist, sondern jene festgefügte Werthschätzung wirklicher Tüchtigkeit, die auch bei der Nähe des häus­

lichen Zusammenlebens nicht fadenscheinig wird. Wie soll der Mann diese Achtung vor seiner Frau gewinnen und bewahren, wenn er sieht, daß sie auf ihrem eigensten Ge­

biete, in ihrem Hauswesen, nicht tüchtig, einsichtig, geschickt und pflichttreu ist? Ihr Französischsprechen und ihr Clavierspiel werden ihn dafür nicht entschädigen, ihre Jugend­ frische und Schönheit nicht länger dagegen blind machen, als der erste Reiz der Neuheit dauert. Wenn sie von der Schulzeit bis zur Verlobung keine ernsteren Pflichten ge­ kannt hat, als sich so gut zu amüsiren und so Vortheilhaft

vor. der Welt zu erscheinen wie nur möglich, so tritt sie nicht allein mit Nothwendigkeit in Bezug auf ihre wich­

tigsten Aufgaben ungeschickt und unwissend in die Ehe: sie bringt auch eine ganz falsche Lebensanschauung und eine

Reihe der verderblichsten Gewohnheiten: Müßiggang, Ber-

gnügungs- und Putzsucht, Tändelei, wo nicht Schlimmeres

Die Lehrzeit s. d. Häusl. Beruf: Dauer und Ausdehnung.

37

mit, und wird in den Jahren, die man als die grund­

legenden und daher entscheidendsten für jede Ehe ansehen kann, in den drei ersten, soviel von sich abzüthun, an sich zu erziehen, zu lernen und zu erproben haben, daß sie

unmöglich mit klarem Blick und fester Hand die Grund­ lagen ihres künftigen Lebensglückes bauen kann.

3. Dauer und Ausdehnung. Eine Lehrzeit, wie sie ihren Hauptzügen nach im Vor­

stehenden zu zeichnen versucht ist, kann ohne Zweifel nicht in ein oder zwei Jahre zusammengedrängt werden. Es wäre auch wunderbar, wenn man sich für eine so große, vielfordernde und verantwortliche Aufgabe, wie die Lei­ tung eines eigenen Haushaltes ist, in einem Zeitraume

völlig geschickt machen könnte, in dem kein Schuster- und

kein Tischlerlehrling je erwartet, für sein Gewerbe auch nur im bescheidensten Maße auszulernen.

Eine andere

Frage ist die, ob alle Eltern der .gebildeten Stände die Mittel, die Möglichkeit und die Verpflichtung haben, jeder von ihren Töchtern eine in jeder Hinsicht zulängliche, zu

wirklicher Meisterschaft führende Vorbildung auf den häus­

lichen Beruf angedeihen zn lasten, auch wenn drei oder vier Jahre darauf hingehen sollten.

Was kann und soll durch eine Lehrzeit der oben be­ Das Mädchen soll da­

schriebenen Art erreicht werden?

durch befähigt werden, ihren Platz als Hausfrau vollkom­

men auszufüllen, einen Platz, den sie nach Gottes Fügung durch die Wahl eines Mannes angewiesen erhält oder in einzelnen Fällen als Stellvertreterin an des Vaters oder

des Bruders häuslichem Herde einzunehmen berufen wer-

Die Lehrzeit.

38 den mag.

Nie aber, das ist sehr wesentlich, genügt es an

ihrem und der Ihrigen Entschlüsse allein, ob sie diesen

Beruf finden wird, und ebenso wenig ist er im gewöhn­

lichen Sinne des Wortes mit Erwerb verbunden.

Wäre

das der Fall, d. h. hätte das Weib in Bezug auf die Ehe das aktive anstatt des passiven Wahlrechtes, und genügte die haushälterische Tüchtigkeit, ihr einen mit Erwerb ver­

bundenen Beruf zu sichern, auch wenn sie freiwillig auf die Ehe verzichtete, so wäre eine Frauenfrage wahrschein­

lich überall nicht, oder nicht in der heute bei uns einge­

schlagenen Richtung entstanden. Beruf und Lebensunterhalt in der für sie selbst und

für die menschliche Gesellschaft wünschenswerthesten Form findet das Weib in einer glücklichen Ehe; aber sie kann,

nach unseren Anschauungen wenigstens, nichts thun, um zur Ehe zu gelangen, und sie ist selbst in der Ehe längst nicht immer vor der Nothwendigkeit bewahrt, für ihren und der Ihrigen Unterhalt erwerben zu sollen.

Daraus

folgt, daß in unseren Tagen die Lehrzeit auf den häus­

lichen Beruf, so sehr sie obenan zu stehen und ernstlich genommen zu werden verdient, doch eigentlich nie die ein­ zige sein sollte, die vorsorgliche Eltern ihrer Tochter ge­ währen.

Sind sie im Besitz eines so großen, sicher ange­

legten Vermögens, daß nach menschlicher Voraussicht die Tochter auch unverheiratet bis an ihr Lebensende vor Mangel geschützt sein wird, so haben sie andrerseits auch

am meisten Aussicht auf einen Schwiegersohn, wie der Welt Lauf einmal ist, und thun daher recht daran, ihre Tochter

vorzugsweise für den Hausfrauenberuf auszurüsten. Aber sie mögen sich auch sagen, daß möglicherweise das Mädchen,

Die Lehrzeit f. d. Häusl. Beruf: Dauer und Ausdehnung.

39

weil durch keine Rücksicht auf Versorgung beeinflußt, einen

einsamen Lebensweg einem ungeliebten Bewerber vorziehen mag, und daß sie ihr ein trauriges Loos gründen, wenn sie ihr nicht von Jugend auf die Wege zu einer ernstlichen, anstrengenden, nützlichen Berufsarbeit, zu einer Gehülfen­ schaft des Menschen bahnen, auch wenn sie nicht die Ge­ hülfin eines Mannes werden sollte. Das Vorrecht des

Reichthums bestehe darin, daß er völlige Freiheit der Wahl gebe, nicht, daß er ein thatenloses, genußsüchtiges Hinleben ermögliche.

Hat ein reiches Mädchen besondere Neigung,

besonderes Talent für eine Kunst oder Wissenschaft, so

werde sie neben oder nach der häuslichen Lehrzeit so weit in die Grundzüge derselben eingeweiht, daß sie in reiferem

Alter, von ihren materiellen Mitteln unterstützt, auf eine

oder die andere Weise diesen Zweig der menschlichen Cul­ turarbeit zu fördern vermag.

Ist eine hervorragende An­

lage der Art, auf die sich später ein Lebensinhalt gründen mag, nicht vorhanden, so kann sie gar kein besseres Feld für ihre Wirksamkeit finden, als philanthropische Bestre­ bungen jedes Schlages.

So viele edle, hülfreiche barm­

herzige Schwestern mit und ohne Ordensgewand es giebt, so viele Thaten der Aufopferung, der Menschenliebe, des

reinsten Gottesdienstes an Armen, Kranken, Blöden, Ge­ fangenen, Hülfsbedürftigen zu verzeichnen stehen mögen:

nirgends ist mehr Raum für weibliche Arbeitskraft als

hier, und da die meisten Dienste auf diesem Gebiete des

materiellen Lohnes entbehren, so sind recht eigentlich Frauen aus reichen Familien, die im Hause keinen ausfüllenden Beruf gefunden haben, zu solcher Segensarbeit berufen. Die Vorbereitung auf den häuslichen Beruf, wenn sie

Die Lehrzeit.

40

ernstlich genommen wird, giebt zugleich in Bezug auf Ein­ sicht und Geschicklichkeit zum größten Theil die nöthige

'Schulung auch für die Werke der Barmherzigkeit.

Nur

muß man, wenn später ein Leben damit ausgefüllt werden soll, nicht versäumen, die Impulse zu solchen Werken in den Mädchenjahren zu wecken, die Gewöhnung an ein Wirken für Andere, die uqs nicht durch Bande des Blu­ tes und der Liebe verbunden sind, und die uns nichts,

vergelten können, früh anzuerziehen.

Es ist eine löbliche,

noch längst nicht allgemein genug in Deutschland verbrei­ tete Sitte, junge Mädchen an philanthropischen Vereinen

theilnehmen zu lassen.

Alle Eltern sollten sie Pflegen;

diejenigen aber, deren Töchter späterhin über ein Vermö­ gen zu gebieten haben und nicht durch den Drang der Umstände zu einer gemeinnützigen Thätigkeit verbunden

sein werden, sollten es sich besonders angelegen sein las­ sen, ihren Töchtern eine freiwillig übernommene Pflicht der Menschenliebe als völlig so bindend wie jede andere

und

ihren Besitz an Geld, Zeit und Kraft als einen

äußerst verantwortlichen hinzustelle», über dessen Verwen­ dung der höchste Richter dereinst Rechenschaft von ihnen

fordern wird. Wenn aber die Ehe zugleich als die einzige ausrei­

chende Versorgung

für das Mädchen betrachtet werden

müßte, so ist es thöricht und gewissenlos zugleich, sie für keinen anderen Beruf als den einer Hausfrau, die von ihrem Manne vollauf ernährt wird, vorzubereiten. Es giebt freilich Leute, welche sich die seit einem Menschenalter

pnd länger vollzogene Umgestaltung aller socialen- das häusliche Leben berührenden Verhältnisse so wenig klar

Die Lehrzeit f. d. Häusl. Berus: Dauer und Ausdehnung.

41

gemacht haben, daß sie behaupten, wenn ein Mädchen nur für den häuslichen Beruf tüchtig sei, so passe es ohne

Weiteres in alle anderen Lebenslagen hinein, und es könne ihm nie an Beruf und Erwerb mangeln.

Wer unsere

heutige Frauenwelt und unser sociales Leben jemals einer

eingehenden Betrachtung gewürdigt hat, der wird nicht so

urtheilen.

Eine ausreichende Vorbildung' für den häus­

lichen Beruf bedeutet ziemlich viel mehr, als man gewöhn­ lich für nöthig hält. Trotzdem befähigt sie zunächst nur zu einer häuslichen Wirksamkeit und keiner anderen.

Die

Haushaltsschülerin soll nutzbringend und sparsam verwal­

ten lernen;

damit lernt sie aber

noch

nicht erwerben.

Welche Erwerbsthätigkeiten auf häusliche Tüchtigkeit zu gründen sind, das läßt sich bald aufzählen und ebenso bald nachweisen, daß diese Erwerbsthätigkeiten in sehr vielen,

in den meisten Fällen für die Töchter gebildeter Stände keine ausreichende Versorgung gewähren.

Ein weibliches Wesen, das im Hanshalt wirklich tüchtig ist, kann entweder als verantwortliche Leiterin eines Haushaltes, oder als

Gehülfin einer solchen, oder als Arbeiterin mit Ausübung der einen oder anderen technischen Fertigkeit sein Brot ver­ dienen. Diejenige, die gegen Entgelt einen fremden Haus­

halt führen will, übernimmt damit ohne Zweifel einen

ebenso segensreichen als verantwortlichen Posten. Fast immer wird zugleich entweder die Erziehung mutterloser Kinder oder eine Alterspslege damit verbunden sein: also gehört eine gewisse Lebenserfahrung und Reife dazu, und ein Mädchen, das eben seinen Lehrcursus

absolvirt hat,

kann mit Fug eine solche Stellung nicht annehmen.

Nun,

so kann sie inzwischen doch als Gehülfin einer Hausfrau,

Die Lehrzeit.

42

als „Stütze" wirken, wie man zu sagen Pflegt: als Stütze, wie sie jetzt zu Hunderten und Tausenden sich ausbieten, in jeder Zeitung, in jedem Localblättchen, um Gotteswil­

len, um das Dach über ihrem Kopfe und das bischen

Essen und Trinken; unreif, ungeschult, unfähig, verwöhnt, alle Jahre oder auch alle Vierteljahr auf einer neuen Stelle: so sind sie die lebendigen Beweise dafür, daß un­

sere Mädchenerziehung der gründlichsten Reform bedarf. Wenn aber die Haushaltsschulung ihre Schuldigkeit gethan

hat und das Mädchen reif, selbständig, geschickt genug ist, wie sie doch mit zwanzig Jahren sein sollte, um einen

eigenen Haushalt führen zu können, so ist in einem ge­ wöhnlichen städtischen Haushalt, neben oder unter einer regierungsfähigen, rüstigen Hausfrau keine für beide Theile

wahrhaft befriedigende Stellung zu erwarten. vornehmen

Häusern

In großen

mit zahlreichem Dienstpersonal, in

Kost- und Wirthshäusern, in ländlichen Haushaltungen ist

eine solche Stellung möglich, ja nöthig. Dann aber pflegt der Helferin, ob sie nun Haushälterin, Wirthschafterin, Beschließerin oder wie immer heiße, der Rang eines obe­

ren Dienstboten, wie man in England sagt, angewiesen zu werden, und dafür halten sich Mädchen, die eine höhere

Töchterschule besucht haben, Französisch und Englisch „kön­ nen" und natürlich Clavier spielen, allermeist zu gut. Noch viel weniger können sie daran denken, mit Ausübung eines der im Haushalt vorkommenden Arbeitszweige ihren Le­ bensunterhalt zu erwerben. Wenn ein gebildetes Mädchen auch wirklich so gut kochen, waschen, plätten, reinmachen,

nähen, stopfen, flicken könnte, daß ihre Arbeit die Concurrenz mit derjenigen der Koch- und Waschfrauen, der Näh-

Die Lehrzeit f. d. Häusl. Beruf: Dauer und Ausdehnung.

43

terinnen rc. von Profession nicht zu scheuen brauchte, so

würde sie nicht allein vollständig Kaste verlieren, sondern auch nicht einmal annähernd soviel verdienen, wie sie mit

ihren Lebensgewohnheiten nothwendig braucht. Ein Vater also, der nicht die Möglichkeit voraussieht, seine Tochter bis an ihr Lebensende mit standesgemäßer

Versorgung auszustatten und ihr dennoch nur eine Lehr­ zeit auf den Berns einer Hausfrau bewilligt, ohne ihr den Eintritt in diesen Beruf und die lebenslängliche Versor­

gung darin irgendwie garantiren zu können, der handelt nicht viel weniger gewissenlos als der chinesische Vater, der eine ihm unbequeme neugeborene Tochter einfach aus­

setzt und ihrem Schicksale preisgicbt. Ja, jemehr er ihrer

goldenen Jugend alle Noth des Lebens, alle Mühsal, alle

Anstrengung fern zu halten sucht, desto schwerer wird sie, wenn die Jahre kommen, die uns nicht gefallen, ihre ver­

einsamte, schutzlose, nutzlose Lebensstellung empfinden. Für die weitaus größte Mehrzahl der Töchter unseres Vaterlandes ist erst dann richtig gesorgt, erst dann die

Jugendzeit wohl angewendet, wenn sie ihnen die Fähigkeit giebt, sich auf jeden Fall, ob in der Ehe, ob außer der Ehe durch eigene nützliche Arbeit zu erhalten und an der Culturaufgabe der Menschheit helfend zu betheiligen, und wenn zugleich die Ueberzeugung in ihnen geweckt wird, daß ein Leben ohne diese Gehülfenschaft immer, mit der­ selben nimmer ein verfehltes ist.

3. Die Lehrzeit für eine Erwerbsthätigkeit. 1. Die Berufswahl. Der Noth gehorchend, wenn auch nicht immer dem

eigenen Trieb, hat sich seit langer Zeit eine bedeutende, stetig wachsende Anzahl von Frauen nicht auf die Verwal­ tung des vom Manne Erworbenen beschränkt, sondern selbst

am Erwerben betheiligt.

In den unteren Ständen kann

Man es geradezu als die Ausnahme hinstellen, wenn Frauen und Töchter nicht für Geld arbeiten. Bei den

Frauen des Mittelstandes ist dagegen die Erwerbsthätigkeit

fast immer das Zeichen einer bereits vorhandenen oder für die Zukunft befürchteten Noth, selten ein freier Entschluß,

nie eine als selbstverständlich angesehene Sache. Die An­ sicht, daß für eine gebildete Frau eine Arbeit gegen Ent­ gelt etwas Außergewöhnliches, nur durch den Drang der Umstände zu Entschuldigendes sein kann, hängt aufs engste

mit der landläufigen Theorie von dem Lebensberufe der Frau überhaupt zusammen und kann daher auch nur im Zusammenhänge mit derselben geprüft, beziehungsweise be­

kämpft werden. Diese Theorie läßt sich in folgenden Sätzen zusammenfassen:

Die Lehrzeit für eine Erwerbsthätigkeit: Die Berufswahl.

45

Jedes Mädchen ist von Natur dazu bestimmt zu heiraten und findet auch dazu die nöthige Gelegenheit irgendwann zwischen dem sechzehnten und dem sechzigsten Lebensjahre. So lange die Tochter nicht verheiratet ist, liegt dem Vater

die unbedingte Ernährungspflicht für sie ob.

Einmal ver­

heiratet, ist sie durch ihren Ehemann rechtlich und that­

sächlich der Sorge für ihren Unterhalt bis an ihr Lebens­ ende enthoben. Das Mädchen soll ihren Entschluß, sich bei

günstiger Gelegenheit zu verheiraten, nicht öffentlich aus­

sprechen, aber noch weniger etwas sagen oder thun, was

den entgegengesetzten Entschluß verrathen würde. Am mei­ sten Aussicht, sich zu verheiraten, haben 1) reiche, 2) hübsche,

3) liebenswürdige Mädchen.

Jedes Mädchen hat daher

das größte Jnteresie daran, so reich, so hübsch, so liebens­ würdig wie möglich zu erscheinen. Man muß sein Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern den heiratsfähigen

Männern die Gelegenheit zum Sehen und Wählen geben. Alles, was eine Frau in ihrem Berufe zu leisten hat, das lernt sie am besten durch Erfahrung; eine besondere Vor­

bereitung ist dazu nicht nöthig. Diese Sätze nun, die laut ausgesprochen oder mehr unbewußt das Glaubensbekenntniß der großen Menge bil­

den, üben auf die Art und Weise, wie Töchter gebildeter Eltern einen außerhäuslichen Beruf ansehen, wählen und

ausüben, einen so mächtigen und bedenklichen Einfluß, weil merkwürdiger Verquickung Wahres und Falsches

sie in

enthalten. .

Gleich der erste Satz ist ein Beweis davon.

So we­

nig ein Verständiger leugnen wird, daß die Naturanlagen des Weibes es darauf Hinweisen, in der Ehe die höchste

Die Lehrzeit.

46

Potenzirung und Ausreifung seines Wesens zu erlangen

— so gut wie der Mann übrigens auch — so wenig ent­

spricht es dem heutigen Thatbestände, zu behaupten, daß jedem Mädchen die Gelegenheit zur Ehe überhaupt, ge­

schweige denn, daß jedem eine günstige, annehmbare Gele­ genheit geboten werde.

Was zweitens die zeitweilige Er­

nährungspflicht des Vaters und die lebenslängliche des

Ehemannes angeht, so mag in den Gesetzbüchern darüber

manches Erfreuliche stehen; aber nur ein taubstummer Blinder wird behaupten wollen, daß alle Väter ihre Töch­ ter und alle Ehemänner ihre Frauen ernähren' können oder faktisch ernähren.

Würde es sich gegenüber diesen beiden

Sätzen um einzelne verschwindende Ausnahmen drehen, so könnte man versucht sein, das Folgende sich selbst zu über­

lassen. Aber bei der stetig und ungeheuer anschwellenden Zahl der Frauen und Mädchen, die nicht mehr Beides, Beruf und Versorgung, in der Ehe finden, die also, wenn

sie nicht verhungern wollen, zu irgend einer Erwerbsthä­ tigkeit gezwungen werden, ist es geboten, darauf hinzu­ weisen , daß eine solche nur dann für das einzelne Weib,

das sie erwählt, und für die Gesammtheit wahrhaft er­

sprießlich sein kann, wenn sie unter denselben Bedingungen erwählt und ausgeführt wird, wie die eines für den Er­

werb arbeitenden Mannes, und ohne alle Rücksicht auf die

weiteren Sätze jener Theorie. Wer in einen Beruf eintreten will , hat sich vorher nach drei oder vier Dingen umzusehen, ohne deren Be­

trachtung er schwerlich weit kommen oder auch nur eine weise Wahl treffen könnte. Er muß nach der Vorbildung fragen, die dieser Beruf verlangt, nach den Leistungen, die

Die Lehrzeit für eine'Erwerbsthätigkeit: Die Berufswahl.

47

er fordert, nach dem Lohn, bett er bietet, und nach der

socialen Stellung, die er gewährt.

Von diesen

offenbar

ganz selbstverständlichen Vorfragen aber glaubt man ge­

trosten Muthes durchaus absehen zu dürfen, wenn es sich darum handelt, durch eine frei erwählte Berufsthätigkeit

ein Mädchen zur wirthschaftlichen Selbständigkeit zu füh­ ren.

Da nach guter alter Sitte keine directen Schritte

dafür gethan werden können oder sollen, ihr einen Mann zu verschaffen, sondern die Gelegenheit abgewartet werden muß, so meint man sich auch der einleitenden Schritte für

eittfc Berufswahl möglichst lange entschlagen zu sollen. Der häusliche Beruf, so meint man,

wird durch den bloßen

Aufenthalt im Hause, der die Voraussetzung gelegentlicher

häuslicher Beschäftigung für sich hat, genügend vorbereitet und kann jederzeit, wenn es die Umstände fügen, angetre­ ten werden: für die Uebernahme jedes anderen Berufes

ist daher auch weiter nichts nöthig als guter Wille und höchstens scheinshalber eine beliebige Vorbereitung zulässig. Zum Heiraten ist es nie zu früh und nie zu spät: zu je­

dem anderen Berufe ist es daher immer noch früh genug. In der Ehe, in der Familie thut das Weib seine Arbeit

ohne unmittelbaren Zusammenhang mit materiellem Lohn, es arbeitet für den Mann und wird dafür von dem Manne

erhalten: also ist es ihm eigentlich unanständig für Lohn zu arbeiten und jedenfalls seiner unwürdig, darauf zu dringen, daß es nach Gebühr bezahlt werde, auch wo es für Fremde arbeitet. Endlich: nur in der Ehe oder doch in der Familie erfüllt das Weib seinen Beruf; daher ist

jede andere Thätigkeit, die es ergreifen mag, nur ein Pro­ visorium, wenigstens so lange es sich auf der Sonnenseite

Die Lehrzeit.

48

des fünfzigsten Lebensjahres befindet, und alle anderen Pflichten, die es übernehmen mag, müssen es sich daher gefallen lassen, den Ansprüchen, die Haus, Familie und

Gesellschaft an seine Zeit und Kraft stellen, gelegentlich nachgesetzt zu werden.

Und doch erwartet man neben allen diesen Einschrän­ kungen, wenn sich's gerade so trifft, d. h. wenn sich kein Freier zur rechten Zeit einfindet, daß ein Mädchen sich

selbst erhalte, auch wohl noch Andere unterstütze, daß sie in ihrem Berufe etwas Tüchtiges leiste, daß sie sich An­ sehen zu verschaffen wisse, daß sie Freude an ihrer Arbeit, Freude am Leben habe! Das heißt dem flügge werdenden Vogel systematisch eine Schwungfeder nach der- anderen

einknicken und dann erwarten, daß er rüstig davon fliege. Jeder erwachsene, vernünftige,

nicht geradezu invalide

Mensch bedarf einen Beruf, das heißt eine Lebensaufgabe, die nur mit gewiesener täglicher Arbeit, mit stets wieder­ holter, wirklicher Kraftanstrengung erreicht werden kann. Er ist darin um so glücklicher, je mehr diese Arbeit einestheils seinen Fähigkeiten und Neigungen angemessen, an-

derntheils für die Gesammtheit und ihn selbst erfolgreich ist: ja, wahres, dauerhaftes Lebensglück, Charakterentwick­

lung, wirkliche Ausreifung ist ohne einen solchen Beruf

nicht denkbar. Unbedingt kann das Weib keinen schöneren,

passenderen, zusagenderen Beruf finden, als in einer glück­

lichen Ehe; die Folge davon ist jedoch, daß es sich mit demselben Ernst, ebenso völlig einer anderen Lebensauf­ gabe widmen muß, wenn und so lange es nicht zu einer rechten Ehe berufen ist. Das bekannte Wort: Das Weib ist zu jeder Arbeit berechtigt, zu der es befähigt ist, findet

Die Lehrzeit für eine Erwerbsthätigkeit: Die Berufswahl.

49

wenig theoretischen Widerspruch mehr; aber seine Trag­

weite wird um mehr als die Hälfte eingeschränkt, wenn weibliche Arbeit außerhalb des Naturberufes immer nur

wie ein bischen Dilettanten werk angesehen wird, das man ohne vorherige Schulung, ohne Rücksicht auf Lohn und Erfolg treibt und jeden Augenblick geneigt ist, im Stiche

zu lassen, sobald etwas Anderes winkt. Wenn Eltern sich also überzeugt haben, daß es aus materiellen und sittlichen Gründen geboten ist, ihrer Toch­

ter zu einer Erwerbsthätigkeit zu verhelfen, so mögen sie

nun auch die Consequenzen einer solche» Ueberzeugung nicht scheuen.

Wie sie dabei zu verfahren haben und wie

nicht, das läßt sich beides mit einem Worte bezeichnen. Sie sollten es nicht so machen, wie es jetzt in der Mehr­

zahl der Fälle geschieht, und sie sollten sich gegen ihre Töchter ganz einfach so verhalten, wie sie gegen ihre Söhne

thun. Jetzt, wenn das junge Mädchen confirmirt ist, treibt sie im elterlichen Hause oder auch anderswo ein bischen Allerlei ohne Plan und Zusammenhang, am eifrigsten ge­

wöhnlich das, was ihr später am wenigsten zu nützen

pflegt: Musik und fremde Sprachen. Dann hören allmäh­

lich eine nach der anderen, die Privatstunden und damit das eigentliche Lernen auf, und die Zeit verstreicht unter verschiedenen, an sich mehr oder minder harmlosen Beschäf­

tigungen, denen das Gemeinsame innewohnt, daß sie wenig

Anstrengung der Leibes- und Geisteskräfte fordern, wenig oder gar keine Verantwortlichkeit bedingen, dem Amüsement einen möglichst breiten Raum anweisen und eigentlich nur

Vorstudien auf den Beruf einer reichen Frau bilden, so­

fern man sich nämlich diesen Beruf aller ernsteren Pflichten Lammers, Die Fran.

4

Die Lehrzeit.

50

entkleidet denkt. Tritt aber dann für den Vater die Noth­ wendigkeit, feiner Ernährungspflicht gegen die Tochter ent­ hoben zu werden, zu früh ein, d. h. eher als bis der reiche Schwiegersohn oder überhaupt ein Schwiegersohn

sich zur Uebernahme dieser Pflicht bereit erklärt hat, so

sucht man — nicht etwa zu ergründen, in welchen Beruf die

Anlagen

und Neigungen der Tochter hineinwejsen,

welche Vorbereitung für den betreffenden Beruf nöthig ist

welche Aussichten sie darin für ihr Fortkommen hat: das Alles sind Nebensachen! — man sucht zuerst eine Stelle für sie. Vielleicht kann der Vater noch soviel erschwingen,

um sie in Kleidung zu erhalten, dann verzichtet man am

liebsten ganz auf Gehalt, wahrscheinlich aus einem dunkeln Gefühl der Bescheidenheit, da in der ganzen Welt Gehalt

oder Lohn als Aequivalent von Leistungen und Vorbil­ dungskosten angesehen zu werden pflegt; um also von vorn­

herein anzudeuten, daß sich auf Leistungen Niemand gefaßt zu machen braucht. Fragt man: Was kann sie? wenn die

Zumuthung herantritt, einem jungen Mädchen ein Unter­ kommen zn verschaffen, das ihm des Vaters Dach nicht

ferner gewähren kann oder will, so wird die Antwort recht traurig ausfallen.

Sie kann — Kindern die Schularbei­

ten nachsehen : aber es ist sehr fraglich, ob sie den erzieh­

lichen Einfluß ausüben kann, ohne den diese scheinbar so

leichte Arbeit entweder ein bloßes Schattenspiel oder ein Synonym von verderblicher Trägheitsbegünstigung ist. Sie

kann — Anfänger im Clavierspiel oder auch in den Wis­ senschaften unterrichten; sie hat es freilich nie versucht und sich auch nie darum bekümmert, wie man das macht; aber

sie ist ja selbst einmal eine Anfängerin in diesen Dingen

Die Lehrzeit für eine Erwerbsthätigkeit: Die Berufswahl.

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gewesen und hat es vielleicht von der Anfängerin bis zur Stümperin gebracht. Sie kann — einer Dame Gesellschaft leisten, und das ist doch ohne Frage eine Leistung! und wenn die Dame vielleicht auf Reisen oder im Sommer ins Bad gehen und ihr dadurch möglichst viel Vergnügen und Abwechselung verschaffen möchte, desto besser!

Aber

krank muß die Dame nicht sein, denn sie will doch nicht

ihre schöne frische Jugend am Krankenbette vertrauern!

Und was kann sie weiter?

Sich nach der neuesten Mode

anziehen und frisiren, und ein bischen Blumen malen oder

Tapisserie sticken, und ein Bravourstück oder zwei ganz niedlich vortragen, und ein englisches oder französisches Sätzchen, das im Gespräch oder Lektüre verkommt, ver­

stehen pnd leidlich aussprechen — es muß aber nicht all­ zuschwer sein. Und alles Andere kann sie lernen, sie ist ja noch jung!

Ja fteilich, sie ist noch jung, darum ist es eben an

der Zeit, daß sie lerne! Sie muß etwas lernen, ehe sie etwas leisten kann.

Gemeinschaftlich mit der Tochter mögen

die Eltern berathen, zu welchem weiblicher Hand eignenden Berufe sie Lust und Anlage hat. Dann frage 'man bei Leuten, die in dem ins Auge gefaßten Berufe arbeiten

und

Bescheid

darin

wiffen, an,

welche Anforderungen

er an Geistes- und Körperkräfte stellt, welchen Lohn er

gewährt, welche Aussichten auf Fortkommen er bietet, welche Vorbildung er bedingt. Jede noch so einfache Thätigkeit hat ihre besondere Wissenschaft, und es ist thöricht, ein menschliches Wesen mitten in dem Getriebe der Civilisation

in einen Robinson zu verwandeln, indem man es veran­

laßt, sich die Handgriffe, die Kenntniffe, die es zu seiner 4*

Die Lehrzeit.

52

täglichen Arbeit bedarf, selbst zu erfinden oder gelegentlich von Anderen abzusehen, die vielleicht auch keine Meister

sind.

Nur die Arbeit befriedigt auf die Dauer, der man

sich gewachsen fühlt, nur der Arbeiter nimmt eine geachtete Stellung

ein,

der seine Arbeit versteht.

Einsichtsvolle

Eltern sollten ihre Töchter zu gut dafür halten, um sie in eine jener Aschenbrödelstellen mit wohlklingendem Namen

zu drängen, wo sie für mangelhafte Leistungen auf häus­ lichem Gebiet — die einzigen, die sie sich überhaupt zutrauen

können, — nichts weiter beanspruchen dürfen als Obdach und Kost, und daneben nur allzu häufig der Spielball von

Launen, der willkommene Blitzableiter für häusliche Ge­ witter sind: von der Herrschaft ohne Rücksicht behandelt,

denn mau kann sie jeden Tag durch zwanzig Andere ihres

Schlages ersetzen, von den Dienstboten über die Achsel angesehen, denn sie sind unerfahrener, ungeschickter, un­

brauchbarer als diese.

Es gilt vor der Wahl zu. be­

denken, daß nicht der Name der Arbeit, sondern die Art,

wie er sie ausführt, den Arbeiter ehrt und befriedigt. Eine geschickte und fleißige Nähterin ist mehr werth und

hat allen Grund sich glücklicher zu schätzen, als eine unwiffende, ungeschulte Lehrerin, und eine kenntnißreiche, me­

thodisch gebildete, gewissenhafte Lehrerin verdient und er­

wirbt auch mehr wirkliche Achtung, als etwa die Vor­ steherin eines öornehmen Hauses, die nur für ihr Vergnügen

lebt oder ihren Pflichten nicht gewachsen ist.

2. Die Borbereitmigszeit.

Wenn so mit reiflicher Ueberlegung eine Wahl getroffen ist, dann heißt es sich klar zu machen, daß wer den Zweck

Die Lehrzeit f. eine Erwerbsthätigkeit: Die Vorbereitungszeit.

will, auch die Mittel wollen muß.

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Ein Mädchen, das sich

auf einen ernsten verantwortlichen Beruf irgend welcher Art vorbereitet, kann nicht zugleich Haustöchterchen sein,

nur daran denken sollen, wie es seinen Eltern das Leben erheitert, oder in dem Maße das Vergnügen und die Ge­

selligkeit des Hauses theilen, wie es jene Schaaren un­ beschäftigter junger und älterer Mädchen thun, deren große

Lebensaufgabe es ist, auf einen Mann zu warten.

Es

klingt für viele zärtliche Väter und liebevolle Mütter hart:

aber während ihrer Lehrzeit, sowie später, wenn sie in einen Beruf eingetreten ist, sollte die Tochter im Hause

nicht anders gestellt sein, nicht anders angesehen werden als der Sohn in gleicher Lage.

Man verlangt im Hanse

von den Töchtern gebildeter Stände wenig ernstliche, an­ strengende Arbeit; man ist aber gewohnt, sie immer für allerlei

kleine Dienstleistungen, Besorgungen, Ausgänge zur Ver­ fügung zu haben: davon kann so wenig wie von einer

eigentlichen häuslichen Wirksamkeit die Rede sein, sofern dadurch im geringsten die Ausbildung für den künftigen

Beruf beeinträchtigt wird. Noch weniger sollte das Ver­ gnügen jemals die Pflichten des Lehrlings in den Hinter­

grund stellen dürfen: um der Bersäumniß und Lücke willen nicht, die dadurch in den regelmäßigen Gang des Lern­ fortschritts gebracht werden, und besonders deswegen nicht, damit in der Lernenden sich nicht die unheilvolle Ansicht

festsetze, auf strenge, exacte Pflichterfüllung komme nicht eben sehr viel an. Wird die Ausbildung für eine Er­ werbsthätigkeit außerhalb des elterlichen Hauses, etwa in einer Anstalt, gewonnen, und bedingt auch der Eintritt in

den Beruf eine Trennung vom Baterhause, so ist die Ge-

Die Lehrzeit.

54

fahr nach dieser Seite hin nicht so beständig vorhanden und tritt hauptsächlich nur ein, wenn es sich um den An­ fang der Ausbildung oder um Aufgabe und Wiederannahme

einer Stelle handelt.

halten

So wenig man es für rathsam

würde, den Sohn, der die Schule verlasse« hat,

erst ein paar Monate oder länger ein gemüthliches Bummel­

leben führen zu lassen, ehe man ihn in die Lehre oder

auf die Hochschule schickt, so wenig man ihn erst wochen­

lang bei diesem Better und bei jener Tante zu Gaste sendet, wenn er zufällig ohne Stelle ist, und darauf warte«

heißt, bis sich von ungefähr eine neue Bahn aufthun mag :

so wenig soll man die Heranwachsende Tochter erst an ein Leben des beschäftigten Müßigganges, des Beliebens und der gemüthlichen Schlenderei gewöhnen, wie sie es als

Schulkind kaum in den Ferien gekannt hat, und wie es auch sonst kein gesunder, arbeitsfähiger Mensch ohne Schaden

ertragen kann. Hier wird nun ein Einwand geltend gemacht werden, der nicht ohne Berechtigung ist und eine genauere Be­

leuchtung verdient.

Soll denn ein Mädchen, das für eine

Erwerbsthätigkeit ausgebildet wird, in völliger Unkenntniß

aller häuslichen Arbeit bleiben? Wir hoffen doch, daß

sie sich dereinst verheirate, wenn wir denn auch soweit mit unseren Illusionen gebrochen haben, um auf diese unver­

bürgte Hoffnung hin nicht ihren Lebensplan aufbauen zu wollen! Sollen wir sie zu einer perfekten Lehrerin, Kranken­ pflegerin, Handelsgehülfin, Gewerbtreibenden machen und auf den Naturberüf des Weibes gar keine Rücksicht nehmen?

— Das wäre gewiß verkehrt, da thatsächlich doch noch immer die Mehrzahl aller Mädchen, die das heiratsfähige

Die Lehrzeit f. eine Erwerbsthätigkeit: Die Borbereitungszeit.

55

Alter erreichen und durchleben, zur Ehe berufen werden,

-wie drohend auch der Procentsatz der unverheiratet blei­ benden von Jahr zu Jahr anschwellen mag.

Und doch

ist es gewiß, daß sowohl die gründliche Ausbildung für

den häuslichen Beruf, wie die für jeden anderen

eine

volle ganze Menschenkraft in Anspruch nimmt, daß also

an ein Nebeneinander mit Fug nicht zu denken ist.

Welche

darf denn der andern nachgesetzt werden? Das Problem, wie zwei so verschiedene Ansprüche in einer Jugendzeit

ausgeglichen werden können, ist indeß thatsächlich gerade in unserem Baterlande auf einem andern Felde bereits

gelöst, wird also auch hier lösbar sein.

Jeder deutsche

Jüngling, der Sohn des Ministers wie der des Tage­ löhners, muß neben seiner Berufsausbildung oder Berufs­

arbeit sich der allgemeinen Wehrpflicht unterziehen, um im

Nothfall zur Vertheidigung des Vaterlandes gerüstet zu

sein. Und zwar ist die Schulung, die man ihn in dieser Absicht durchmachen läßt, eine ganz ernstlich gemeinte: mit ein paar Handgriffen, mit ein wenig Soldatenspielen wird er nicht frei gelassen.

Ist das zu ermöglichen neben

den Ansprüchen, die seine in Aussicht genommene oder

bereits angetretene Laufbahn an ihn stellt, so wird auch für die zu einer Erwerbsthätigkeit bestimmte Jungfrau Zeit und Gelegenheit gefunden werden' können, ihr für die Möglichkeit der Verheiratung die unerläßliche Vor­

bildung auf den häuslichen Beruf zu gewähren.

Um so

mehr, da die Eventualität, daß sie sich verheirate, erstlich an sich gewisser und zweitens sowohl für sie selbst wie

für die Gesellschaft wünschenswerther ist, als für den Jüng­ ling die Eventualität, daß das Vaterland seines Armes bedarf.

Die Lehrzeit.

56

Die Organisation des Wehrpflichtsystems ist wie alles

Menschenwerk nicht in jeder Beziehung vollkommen, aber sie kann ohne Zweifel manche werthvolle Fingerzeige für den hier in Rede stehenden analogen Fall geben.

Nicht

den vierzehnjährigen Knaben, der die Schule verläßt, son­ dern den körperlich und geistig gereiften Jüngling von zwanzig Jahren beruft man zur Erfüllung seiner Dienst­

pflicht.

So sollte man auch nicht meinen, daß ein eben

confirmirtes Mädchen in Zeit von einem halben oder ganzen

Jahre eine irgend ausreichende Vorbildung auf den Haus­

frauenberuf erlangen könne.

In der Mehrzahl der Fälle

wird es richtiger sein, wenn dem Austritt aus der Schule

die Lehrzeit für den außerhäuslichen Beruf unmittelbar

folgt, und die Vorbereitung auf den häuslichen Beruf, wenn anders die Verhältnisse es gestatten, zwischen den Abschluß der ersten Lehrzeit und die Uebernahme eines Amtes oder Wirkungskreises geschoben wird. Freilich wird man dieser Vorbereitung auf einen blos möglichen, aber

nicht verbürgten Lebensweg nicht drei oder vier Jähre widmen können, wie sie denen anzurathen, die der Noth­ wendigkeit aller Erwerbsthätigkeit für ihr ganzes Leben enthobey sind, oder andrerseits denen, für die gerade der häusliche Beruf eine Erwerbsthätigkeit werden soll.

Man

wird also auch nicht darauf ausgehen können, aus dem Mädchen,

das sich bereits zu einer tüchtigen Lehrerin,

Kindergärtnerin,

Buchhalterin,

Handarbeiterin

u. s.

f.

herangebildet hat, nun noch — nicht für eine bestimmte Zukunftsaussicht, sondern für eine bloße Möglichkeit —

eine in jeder Beziehung ebenso perfecte Hausfrau zu machen, wie diejenige sein sollte, die weiter keinerlei Lebens-

Die Lehrzeit s. eine Erwerbsthätigkeit: Die Borbereitungszeit. ziel

verfolgt und keinerlei Tüchtigkeit

57

aufzuweisen hat.

Ebenso wenig werden die militärischen Leistungen des Ein­

jährig-Freiwilligen oder des Rekruten von drei Dienst­ jahren denen des Berufssoldaten völlig gleich sein können. Dem Vaterlande ist genug damit gethan, wenn nur im

Falle der Noth alle seine Söhne soviel vom Waffenhand­ werk verstehen, um ohne Hemmniß in einen militärischen

Organismus eingereiht werden zu können.

Und da glaube

ich nicht fehlzugehen, wenn ich annehme, daß der wichtigste Gewinn der ein- oder dreijährigen Dienstzeit nicht in der Erlernung des kriegerischen Exercitiums besteht, so unent­

behrlich dasselbe ist, sondern in der Gewöhnung an die soldatischen Tugenden der Subordination, der Pünktlich­

keit, Sauberkeit, Gewandtheit, Straffheit, Ausdauer. Gerade so müßte bei einem Mädchen, das nur auf Möglichkeiten

hin für den Hausfrauenberuf gerüstet sein sollte, der Haupt­ nachdruck auf die sittliche und intellectuelle Tüchtigkeit gelegt werden, nicht auf die technische.

Ihrem künftigen Hauswesen, wenn Gott sie dereinst an die Spitze eines solchen stellt, wird mehr damit genützt sein, wenn sie zur Ordnung, Reinlichkeit, Sparsamkeit, Gewissenhaftigkeit gewöhnt ist, wenn sie zu rechnen, zu

verwalten, «nzuordnen und zu beaufsichtigen versteht, als wenn sie in Ermangelung dieser Vorzüge noch so ausge­ zeichnet kocht, wäscht, plättet, rein macht und näht.

Es

ist möglich, daß sie dereinst zu der häuslichen Arbeit mehr

fremde Hände

verwendet als eine vollendete Hausfrau

alten Schlages; aber wer will das für einen Schaden er­

achten, wenn die nöthige Arbeit überhaupt nür geschieht, ohne das Budget des Haushaltes zu Ungünsten anderer

58

Die Lehrzeit.

Verwaltungszweige zu belasten? Ja, wenn sie selbst er­

werbsfähig ist, ob sie nun faktisch erwirbt oder ihre ganze Thätigkeit der Familie und dem Haushalte widmet, so

bedarf sie ungleich weniger jener ängstlich feilschenden Spar-' samkeit der Frauen, die nie einen directen Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit und materiellem Lohn gesehen haben.

Und ein solches Mädchen, wenn auch ganz arm, kann mit weit größerem Rechte und mit weit größerer Zuversicht eine Ehe mit einem gleichfalls auf seine Arbeit angewie­

senen Manne schließen, als eine, die sie vielleicht in häus­

licher Geschicklichkeit überragt, aber im Fall der Noth weder sich noch ihre Kinder zu ernähren vermöchte. Die Aufgabe, zu den obenerwähnten Tugenden anzu­ leiten, ist einerseits bei der häuslichen Erziehung des Mäd­

chens schon im Kindesalter ins Auge zu fassen; anderentheils sind diese Tugenden so echt weibliche, daß sie bei

keiner weiblichen Berufsthätigkeit, der bürgerlichen Sphäre wenigstens, fehlen dürfen.

Ein unordentliches, unreinliches,

verschwenderisches, leichtsinniges Weib mag daneben eine

große Schauspielerin oder eine graziöse Ballettänzerin sein können: wer eine solche zur Hausfrau begehrt, der finde sich mit ihr ab. In jeder amtlichen oder gewerblichen Thätigkeit, die man einem Mädchen als bürgerlichen Lebens­

beruf anrathen kann, wird ein großer Theil der Erfolge, die sie erzielt, des Segens, den sie stiftet, immer auf dem

Vorhandensein jener Tugenden beruhen. Hat sie eine gute Erziehung genossen und ihre erste Lehrzeit recht bmützt, so erübrigt also nur, ihr gewissermaßen die Theorie des

Hauswesens und der Kinderpflege beizubringen, die wirth-

schaftlichen Grundsätze, wonach auf häuslichem Gebiete Ein-

Die Lehrzeit f. eine Erwerbsthätigkeit: Die Borbereitungszeit.

59

nähme und Ausgabe, Krafterzeugung und Kraftverbrauch sich regeln müssen, die Elemente jener Wissenschaften, unter

deren Gesetzen das leibliche und seelische Leben des Menschen steht.

Dann ist die Zuversicht gerechtfertigt, daß sie ihren

Posten würdig und segensreich ansfüllen wird, wenn aus der Dienstbarkeit der Fremde der Ruf an sie ergeht, eines eignen häuslichen Herdes Priesterin zu werden. Mit doppeltem Eifer, das lehrt schon jetzt vielfältige

Erfahrung, wird sie während ihres Brautstandes sich in die Kunst des Haushaltens hineinarbeiten, mit doppeltem

Eifer und mit gereister Einsicht, mit geübten Kräften und Sinnen.

Es ist ein Irrthum zu meinen, die Ausbildung

für eine Erwerbsthätigkeit müsse nothwendig die Mädchen

häuslicher Thätigkeit abgeneigt oder für dieselbe untauglich machen. Benimmt sie doch nicht den Jünglingen die Lust oder die Fähigkeit einen häuslichen Herd zu gründen und hausväterliche Pflichten auf sich zu laden! Vielleicht, wenn erst die meisten unbemittelten Mädchen im Stande sind,

sich selbst ihr Brot zu verdienen, werden eine Reihe von Versorgungsehen weniger geschlossen werden. wird

Desto eher

ein junger Mann, der nicht über ein glänzendes

Einkommen verfügt, es wagen können, nur seine Neigung zu fragen, ohne Rücksicht auf die Kaffe seines zukünftigen

Schwiegervaters, wenn er eine Lebensgefährtin wählt, die an ernste Thätigkeit, an Haushalten mit bescheidenen Mit­

teln gewöhnt ist und den Luxus üppiger Toiletten, kost­ spieliger Vergnügungen und glänzender Hauseinrichtung nicht als ein nothwendiges Lebensbedürfniß, sondern als

eine Last ansieht, die kein Vernünftiger freiwillig über die Anforderungen seines Standes hinaus auf sich nimmt.

Die Lehrzeit.

60 3. Wie

lange

Ein Wort znr Beruhigung. die Lehrzeit

für

eine Erwerbsthätigkeit

dauern soll, wann sie anzutreten, wo und unter welchen

Bedingungen sie am besten zu absolviren ist, das richtet sich natürlich nach der Art des erwählten Wirkungskreises.

Allgemeine Vorschriften können dafür viel weniger nützen, als der Rath, sich vor der Berufswahl bei verständigen,

erfahrenen Leuten, die in dem betreffenden Arbeitsgebiet

zu Hause sind, sorgfältig nach allem Einschlägigen umzu­

hören und der wohlerwogenen Auskunft gemäß zu han­ deln.

Es bleibendem Mädchen unbenommen, sich dann

und wann mit Altersgen offen in fröhlichem Spiel zu tum­ meln, auch meinetwegen sich in einem goldenen Zukunfts­ traum einmal als geliebte Frau eines geliebten Mannes,

als Mutter holder Kinder zu schauen: ihr Lernen und

sich Borbilden, so gut wie nachher der angetretene Beruf werde so betrieben, als sei kein anderer Lebensweg für sie denkbar und wünschenswerth, als eine von Gott gewiesene

Arbeit, für die man Ihm Rechenschaft schuldet.. Ein Wort der Beruhigung dürfte hier vielleicht für

einige ängstliche Gemüther noch am Platze sein.

That­

sächlich, so denkt wohl Dieser und Jener, mag ein für eine Erwerbsthätigkeit vorgebildetes Mädchen darum nicht

weniger, sondern eher besser zu einer guten Ehe- und Hausfrau taugen: aber benimmt ihr nicht die Uebernahme eines außerhäuslichen Berufes sammt der offenkundig wer­

denden Vorbereitung dazu viel von der Chance, zur Lebens­

gefährtin eines Mannes gewählt zu werden? Hält man nicht in der Welt von vornherein jede Lehrerin, geschweige denn eine Schriftstellerin, für ein pedantisches, unprak-

Die Lehrzeit f. eine Erwerbsthätigkeit: Zur Beruhigung.

61

tisches, überspanntes Wesen, jede Andre, die mit der Ar­ beit ihrer Hände und nicht ihres Kopfes Brot verdient, für ungebildet und nicht gesellschaftsfähig? Wer die Welt

kennt, wird das Dasein dieser Vorurtheile nicht in Ab­ rede stellen, und wenn alle Männer, die heiraten wollen,

in allererster Linie immer ein Mädchen suchten, die nicht blos eine tüchtige Hausfrau werden kann, sondern ihre häusliche Tüchtigkeit und Geschicklichkeit neben aller noth­ wendigen gesellschaftlichen Bildung bereits durch die That

bewiesen hat, dann stände es allerdings noch ein gut Theil

schlimmer um die Möglichkeit der Eheschließungen, als es jetzt steht.

Aber hierin können wir der oben angeführten

Theorie über Frauenberuf und Frauenleben, die wir mehrfältig bekämpft haben, getrost beipflichten. Nach geschlossener

Ehe möchten vielleicht die meisten Männer am liebsten eine tüchtige Hausfrau und zugleich eine gebildete Frau haben; vorher fallen doch andre Dinge mehr in die Wagschale. Reichthum, Schönheit, Liebenswürdigkeit, letztere entweder

in der Form von besonders unmuthiger Weiblichkeit oder von Pikantem Mutterwitz: das sind auf dem Heiratsmarkt

die begehrtesten Waaren.

Sie haben den Vorzug, daß sie

leicht in die Augen fallen, während die hauswirthschaftliche Tüchtigkeit seiner Erkorenen von dem Bewerber mehr auf Treu und Glauben hingenommen werden muß, bis er Ge­ legenheit hat, sein eignes Wohl und Wehe zum größten

Theil in ihre Hand zu legen. Bon diesen vielbegehrten Artikeln wird nun freilich einer, und. zwar wahrscheinlich der am meisten verlangte, durch die bloße Thatsache, daß ein Mädchen sich für eine Erwerbsthätigkeit ausbildet und

eine solche betreibt, als nicht vorhanden hingestellt: der

Die Lehrzeit.

62 Reichthum.

So lange es eine unerhörte Sache ist, daß

gebildete Frauen,

die nicht durch die Noth gezwungen

werben, für Geld arbeiten, so lange wird kein Heiratscandidat, dem es in erster oder auch in zweiter Linie um

die Mitgift zu thun ist, in einer Krankenpflegerin, Er­ zieherin, Telegraphen- oder Apothekergehülfin eine passende

Partie für sich auch nur im entferntesten vermuthen.

Eigenthümerinnen Vorzüge

irgend

eines

ohne den Sockel

Die

der anderen erwähnten

einer wohlgefüllten Geldkiste

werden aber am Ende mit oder ohne Amt und Beruf gleich viele Aussicht haben, gesucht und gewählt zu werden,

abgesehen davon, ob die durch eine große Mitgift oder auch lediglich durch äußere Schönheit herbeigeführte Ver­

bindung viel oder wenig Aussicht auf eine glückliche Ehe

bietet.

Die ängstlichen Leute, denen das Sitzenbleiben ihrer Töchter ein um so größeres Schreckgespenst däucht, als sie durch

eine Berufsthätigkeit

derselben

das Zugeständniß

machen müssen, daß sie nicht reich sind, sollten daher auch

nicht allzu sorglich darauf bedacht sein, durch die Art dieser Wahl die üblen Folgen, die sie davon befürchten, zu neu-

tralisiren.

Wer ein mittelloses Mädchen zur Frau nehmen

möchte, obgleich sie als Arbeiterin in einem fremden Haus­

halt ihr Brot verdient, der wird nicht deshalb auf sie ver­ zichten, wenn sie auf einem der anderen jetzt geöffneten oder künftig zu öffnenden Wege Geld erwirbt. Der ver­ nünftige, vorurtheilsfreie Mann achtet Diejenige, die den Muth wirthschastlicher Selbständigkeit hat, und traut ihr

mit Recht, nachdem sie auf einem anderen Arbeitsgebiete

ihre Tüchtigkeit bewiesen hat, die Fähigkeit und den guten

Die Lehrzeit s. eine Erwerbsthätigkeit: Zur Beruhigung.

63

Willen zu, sich gegebenen Falls in den eigentlichsten Beruf

der Frau hineinzuleben. Wenn also nicht Neigung und Begabung ausschließlich dahin weisen, daß das Heranwach­ sende Mädchen auf dem häuslichen Arbeitsfelde ihren Er­

werb suche, so braucht die Rücksicht auf ihre Zukunft sie keineswegs dazu zu drängen.

Thatsächlich ist dies Feld

überfüllter als irgend ein anderes und daher die Be­ dingungen, unter denen es Arbeit gewährt, ungünstiger

als gerechtfertigt ist.

Ist aber trotz der Einschränkungen,

die sie auferlegen, kein besserer Rath da, d. h. ist kein an­

derer Berufszweig abzusehen, in dem das Mädchen etwas Ersprießliches leisten und auf ehrbare Weise sich erhalten

könnte, so muß man wenigstens die Lehrzeit gleich so an­ legen, daß das Resultat nicht sowohl für die von anderer Arbeitskraft mit ernährte, verwaltende Hausfrau, als für die zu einer mehr oder minder abhängigen Stellung be­

rufene, sich selbst erhaltende Dienende paßt. Jüngere Mäd­

chen werden in. solcher Stellung immer noch am besten

fahren, wenn sie möglichst vieler technischer Fertigkeiten,

die zur Hausarbeit gehören, wirklich Meisterinnen sind. Aelter und erfahrener mögen sie dann in einem fremden Hause die fehlende Hausfrau vertreten und Segen ernten. Aber dann gilt es, den thörichten Stolz fahren zu lasten, der auf der einen Seite nur die Beschäftigung mit häus­ lichen Dingen für wohlanständig hält und es auf der an­

deren Seite doch für eine Erniedrigung anfieht, eine solche Beschäftigung gründlich, mit wirklich erworbener Geschicklich­ keit und als Lebensberuf zu treiben.

Die Arbeitszeit.

Lammers, Die Frau.

1. Allgemeines. „Ich will ihm eine Gehülfin schaffen, die um ihn

sei!" sich

Sv läutet das alte Bibelwort, auf dessen Grund

alles Wirken des Weibes in dieser Welt aufbauen Um ihn, vor ihm

muß, wenn es von Bestand sein soll.

in helfender, dienender Liebe und Liebesgemeinschaft: wo könnte sich das besser, völliger, segensreicher erfüllen, als im Hause? Der Mann beherrscht die Welt, Gott hat ihn

zum Herrn über die Erde geschaffen, eben diese Herrschaft

ist ein Theil seiner Gottebenbildlichkeit.

Er beherrscht die

Welt des Gedankens und der That, die sichtbaren Dinge,

die ihn in tausendfältiger Verschiedenheit, in unerschöpflicher Fülle umgeben, er erkennt die Gesetze, denen diese Dinge

in ihren Wandlungen unterworfen sind, und lenkt sie da­ durch nach seinem Willen.

Er trennt und löst, er bindet

und combinirt, Neues entsteht aus

schaffenden Hand.

Altem unter seiner

Er ringt der Erde seines Lebens Nah­

rung ab, er bereichert sich mit ihrem Gut, er schmückt sein

Dasein mit ihrer Schönheit.

Mit der Arbeit von Jahr-

tausenden strebt er danach, wieder einen Garten Gottes

aus ihr zu gestalten, die Wüste in lachendes Gefild, die



Die Arbeitszeit.

68

Meere in fahrbare Straßen zu verwandeln, Urwälder und Hochgebirgseinöden schließen.

der Forschung und Nutzung zu er­

Die Welt ist nicht zu weit für ihn, um sie mit

seinen prüfenden Sinnen zu durchstreifen, mit seinen Plänen

zu umspannen, mit seiner Arbeit auszufüllen.

Kein Schnee­

gipfel ist so unnahbar, den er nicht erklömme, kein Fleckchen so unfruchtbar, dem er nicht etwas abzugewinnen wüßte.

Aber den besten Preis für alle seine Mühen findet er nur

an einem Orte der Welt.

Nur eine Stätte ist für ihn

da, wo er voll und ganz ausruhen, neue Kräfte sammeln,

sich auf sich selbst besinnen und des Erworbenen ganz ftoh werden kann: das ist das Haus! Im Hause liegen die Wurzeln seiner Kraft, im Hause findet er den süßesten

Lohn für seine Arbeit.

Im Hause gehören Mann und Weib am unlöslichsten Da leben sie für einander, indem sie mit

zu einander.

einander leben.

Auf der häuslichen Gemeinschaft bauen

fich Familie, Stamm, Volk, Staat auf, die großen ewigen

Ordnungen, die das Mmschengeschlecht gewaltig zusammen­ halten. Im Hause ist's auch von jeher am deutlichsten offenbar geworden, daß das Weib nichts'ist ohne den

Mann und der Mann nichts ohne das Weib.

Aber da

gerade, wo das Weib mit der Hingabe ihres ganzen We­

sens, mit völliger Selbstentäußerung dient, da wird sie

das eigentlich herrschende, tonangebende Element.

Muß

der Mann die Stätte gründen, auf der der häusliche Herd stehen soll, so vermag doch nur das Weib diese Stätte

wohnlich zu machen, ihr den Charakter des Heimwesens zu verleihen. Im Hause ist der Mann abhängiger vom Weibe, als das Weib vom Manne.

Ein Haus ohne Mann

Allgemeines.

69

ist unvollkommen: ein Haus ohne Frauen ist gar kein Haus, sondern eine Blockhütte, ein Karawanserai oder ein Schlaf­

quartier. Der Mann vermag zu erwerben, herbeizuschaffen, an­ zuordnen, aber ihm ist die Herrschaft über die kleinen Dinge des häuslichen Lebens nicht in die Hand gegeben.

Er sucht, wenn er ein rechter Mann ist, sein Thun und

seine Umgebung nach festen Regeln zu gestalten, aber er ist machtlos, wo es sich um die Ordnung des Hauses han­

delt.

Und doch ist ohne Ordnung kein wahres Wohlbe­

finden denkbar.

Nicht der Besitz dieses oder jenes kostbaren

Hausraths macht uns unser Heim behaglich, sondern der Friede, der darin herrscht, nicht nur in den Gemüthern, sondern in den Dingen, die uns uingeben, so daß sie sich

nicht stoßen und drängen und häufen, uns in die Hand

fallen, wenn wir ihrer nicht begehren, sich hartnäckig ver­ kriechen, wenn wir sie nöthig haben. Diese Ordnung im Raume, ebenso wie die in der Zeit und in den häuslichen Kräften vermag der Mann vielleicht für einmal mit einem

Machtspruch herzustellen, aber er vermag sie nicht im rich­ tigen Maße zu erhalten.

Entweder ist das Kleine seiner

kräftigen Hand zu klein, er läßt es gehen wie es geht, und kommt so in jenes Chaos hinein, das man so be­ zeichnend Junggesellenwirthschaft nennt, oder er fängt einen

erbitterten Kampf mit diesen kleinen Feinden an, zersplittert

seine Zeit über dem unausgesetzten Bemühen, hier den Tisch an seine Stelle zu rücken, dort die Bücher ordentlich aufzuschichten, da das Federmesser aus seiner Gemeinschaft

mit dem Aschenbecher zu befreien, und wird so zum Pe­ danten.

„Das ist kein rechtes Haus," sagt L. v. Stein

Die Arbeitszeit.

70

in der schon angeführten Schrift, „das der Ordnung zu

wenig oder zu viel hat.

Dies Maß aber zu finden, hat

die Natur dem Manne versagt.

Mögen Sie ein Haus

nehmen, welches Sie wollen, Sie werden stets an hundert kleinen Dingen erkennen, ob eine weibliche Hand in dem­

selben gewaltet hat.

Und dies stille Walten ist die erste

wahrhaft weibliche Aufgabe, jene unscheinbare Harmonie aller Dheile, die für Alles Ort und Zeit hat und nie er­ müdend Jedem still und doch mit richtigem Sinne seine Stelle zuweist.

Die freundliche Ordnung des Hauses ist

ohne die Frau unmöglich, und das, was die Frau den

Ihrigen hier bietet, kann weder der Reichthum noch der

Geschmack ersetzen.

Und so groß ist ihre Gewalt, daß auch

der unerfahrene Blick jenes Etwas bald herausßndet, ,das

nur für die erste halbe Stunde durch Eleganz und Lie­ benswürdigkeit verdeckt werden kann, oder aber unerträglich

wird, wo beide fehlen."

Ist sonach die erste, unveräußerlichste, nothwendigste Form der Gehülfenschaft des Weibes im Hause zu finden, so ergiebt sich eben daraus auch die Antwort auf die Frage,

wann und wie weit das Wirken der Frau aufs >HauS

beschränkt sein soll.

Sofern sie im Hause eine rechte Ge­

hülfin, sagen wir nicht des Mannes, sondern des Menschen

ist, sofern gehört sie ins Haus.

Das Haus sei ihr Ar­

beitsfeld, nicht aber der Ort, da man schläft, ißt und

trinkt, fich putzt und ausruht, um in den paar Hand­ reichungen, die man gelegentlich der Wirthschaft leistet, das

einzige Gegengewicht gegen die Wucht von Vergnügungen

zu suchen, die der höchste Daseinszweck manches Frauen­

lebens zu sein scheinen.

Die Frau, die nicht durch ihre

Allgemeines.

71

häusliche Wirksamkeit eine Gehülfin des Mannes oder des Menschen ist, die gehört nicht ins Haus, d. h. die lebt umsonst, wenn sie nicht außer dem Hause ihre Kräfte in irgmd einer Gott wohlgefälligen Art zu verwerthen weiß. Die häusliche Wirksamkeit der Frau hängt unlöslich mit der Familie zusammen. Wir betrachten daher im Folgenden das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses als Tochter, als Gattin, als Hausfrau und Mutter.

2. Vas Weib im Arbeitsgebiet des Haases. 1. Die Tochter des Hauses. Der häuslichen Wirksamkeit der Frau muß so gut wie

jeder anderen Wirksamkeit eine bestimmte Vorbildung zu Grunde

liegen,

werden soll.

wenn sie wahrhaft ersprießlich geführt

Es ist daher erforderlich, daß nach dem Aus­

tritt aus der Schule ein Mädchen, das für eine solche Wirksamkeit und keine andre bestimmt ist, in systematischer Weise sowohl in bestimmten häuslichen Vorrichtungen bis

zur Meisterschaft geübt, als mit dem ganzen Gange des

Hauswesens vertraut gemacht und zu gewiffen Tugenden

Diese Vorbildung ist nicht auf das Un­ gewisse anzulegen, sondern es ist nothwendig, sich «ach Ausdehnung und Zeit bestimmte Ziele zu stecken und diese

erzogen werde.

Ziele, soweit möglich, einzuhalten.

Mit dem zwanzigsten

Jahre durchschnittlich müßte diese Lehrzeit vollendet sein

können, die Arbeitszeit also beginnen. Wäre zufällig am Abschluß der Lehrzeit gleich ein geeigneter Bewerber da, der die Jungfrau zur Hausfrau machen wollte, so würde sie ohne Zwischenstufe am eignen Herde in Anwendung zu

bringen habm, was sie gelernt.

Andernfalls wäre nichts

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Tochter rc.

73

verkehrter, als mit dem Abschluß der Lehrzeit eine von

vornherein unabsehbare Pause des Wartens für sie ein­ treten zu lassen.

Jede Lehrzeit findet ihren richtigen Abschluß nur mit

der Uebernahme des Berufs, auf den sie vorbereitet. Kennt­ nisse und Geschicklichkeiten bleiben nur durch fortgesetzte

Anwendung frisch und entwickeln sich weiter.

Wollten wir

etwa die Jahre des beschäftigten Müßigganges, die Zeit­ vergeudung und Vergnügungsjagd, die jetzt allzu häufig für die Mädchen mit der Confirmation beginnen, nur um

so lange hinausschieben, bis sie sich zu fertigen Hausfrauen

ausgebildet haben, und sie dann mit dürren Worten oder in höflicher Verhüllung anweisen, sich aufs Warten zu

legen, bis es irgend einem Manne beliebt, das Zauberwort

zu sprechen, das aus einem schlafenden Dornröschen eine fleißige Spinnerin macht? Sie müßten ihre Lehrzeit schlecht

benutzt haben, wären sie noch bereit, sich solch müßiges

Warten gefallen zu lassen.

Der Keim mag schlummern,

die entwickelte Kraft verlangt sich zu regen.

Wie tveit ist also innerhalb der schützenden Mauern des Elternhauses oder in einem durch verwandtschaftliche

und freundschaftliche Beziehungen verbundenen Hause, was hier dasselbe bedeutet, Raum für die Arbeitskraft einer gereisten Jungfrau, die gegebenen Falls unbedenklich' die Leitung eines eignen Hauses auf sich nehmen dürfte? ' Vor fünfzig und hundert Jahren wäre diese Frage

wenigstens für die Mittelstände unseres Volkes durchaus überflüssig gewesen. Unsere Eltermütter setzten ihren Stolz darein, für die täglichen Bedürfnisse soviel nur möglich im Hause

selbst

zu sorgen.

Im Hause wurde gesponnen.

Die Arbeitszeit.

74

gewebt, genäht und gestickt, was Frau und Töchter, auch Manches, was Mann und Söhne trugen, was Tisch und

Bett bedeckte, dazu unendlicher Borrath an Linnen, Drell und Damast für künftigen Bedarf und zur Aussteuer der

Kinder. zu

Im Hause wurde Vieh gemästet und geschlachtet

monatelanger

Versorgung

der Tafel.

Seifensieden,

Lichteziehen, Bereiten von Obstwein und tausenderlei Süßigkeiten aus bett Erzeugnissen des eignen Gartens, Brod­ backen, Waschen und Plätten: Alles das geschah im Hause

und durch die Hausleute.

Dafür konnte es der Hände

nicht leicht zu viele geben.

Waren ihrer sechs erwachsene

Töchter da, so konnte eine rechte fleißige Hauswirthin sie alle fortwährend ernstlich beschäftigen, und wenn es sich

so traf, auch noch eine oder die andere unvermählt ge­ bliebene Muhme oder Base dazu. Dieses hauswirthschaftliche System ist nun durch die beiden großen Fortschrittshebel der neueren Zeit, durch

das Princip der Arbeitstheilung und durch die Einführung der Dampftraft, überall da über den Haufen geworfen,

wohin die Wirkungen dieser Gewalten reichen, also ziemlich in der ganzen civilisirten Welt bis in die entlegensten

Winkel hinein.

Der meisten Productionszweige, die sonst

dem Hause zugewiesen waren, hat sich die Industrie be­

mächtigt; Rohstoffe werden in städtischen Haushaltungen überhaupt nicht, mehr producirt, kaum je direct aus der Hand des ersten Producenten behufs eigener Berarbeitung erworben.

Man würde theurer und schlechter wirthschaf­

ten, wollte man an der alten Manier festhalten oder zu

derselben zurückkehren.

Selbst der Landhaushalt, obgleich

noch immer auf die Erzeugung von Rohstoffen angewie-

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Tochter rc.

75

fett, empfindet die durchschlagende Wirkung der Anwendung von Maschinenkraft, welche auf der einen Seite dem Ar­

beitsunternehmer und den Leitern der einzelnen Betriebs­ zweige mehr Berechnung, Ueberblick, technische und wissen­

schaftliche Kenntniffe abverlangt, auf der anderen die im­ mer noch nöthige Handreichung in eintöniges, mechanisches

Thun verwandelt und so für die bloße Anstelligkeit gebil­ deter, aber nicht technisch geschulter Arbeiter oder Arbeite­

rinnen keinen Raum läßt.

Diesen Veränderungen gegenüber hat sich die Stellung erwachsener Töchter im Hause wesentlich verschoben.

Die

Ansprüche an ihre Leistungen sind immer geringer gewor­ Die Arbeiten, welche ihnen früher zufielen, werden großentheils außer dem Hause verrichtet. Dieser Um­

den.

schwung hat sich aber so unmerklich vollzogen, daß man

nicht darauf gekommen ist, ihnen für jedes Arbeitsfeld, das sich schloß, ein neues zu öffnen, daß sich keine feste Sitte herausgebildet hat, die sie auf gewiesenen Bahnen ein rechtes, Zeit, Kräfte und Gedanken ausfüllendes nützliches Tagewerk ohne viel Suchen finden ließe. Die Töchter des gebildeten Mittelstandes beschäftigen

sich heutzutage mit einer Reihe an sich sehr harmloser, in

gewissem Sinne sogar berechtigter Dinge. Sie thun hie und da eine Handreichung im Haushalte. Sie fertigen endlose

Stickereien

zu Geschenken oder für die eigene Sie sind Mitglieder von Ge­

Wohnung und Kleidung.

sangvereinen und Lesekränzchen, nehmen auch noch eine

oder die andere Privatstunde und lesen abwechselnd einen englischen und einen französischen Roman, um nicht ganz

aus der Uebung zu kommen.

Das Clavier nimmt sie

Die Arbeitszeit.

76

täglich stundenlang in Anspruch, die Toilette länger, die

Geselligkeit in ihren verschiedenen Formen am längsten. 'Nur zwei Maßstäbe darf man nicht an ihr Tagewerk le­

gen.

Man darf erstens nicht fragen, welche dauernden

ideellen oder materiellen Werthe ihre Arbeit erzeugt, und

man darf zweitens nicht untersuchen, welche Lücke ihr Fort­ gehen, nicht in den Herzen der Ihrigen, aber inr Getriebe

des häuslichen Räderwerkes macht. Es vergeht kein Jahr, da sie nicht Wochen- oder monatelang das Haus verließen, sei es auf Besuch bei Bettern und Freunden, sei es, um

ihre zarte Gesundheit in Bädern und Sommerfrischen zu

stärken; aber kein Mitglied des Hauses wird dadurch mit Arbeit erheblich mehr belastet; höchstens haben Dienst­ mägde, Nähterinnen und Plätterinnen so lange etwas we­ niger zu thun. Noch weniger dürfte man den Grundsatz auf sie anwenden, daß Arbeiten und Essen einander gegenseitig bedingen sollen. Jeder erwachsene Mensch, der

nicht als ein unnützes

Glied der Gesellschaft angesehen

werden will, müßte doch allermindestens durch seine Arbeit soviel produciren, daß die Kosten seines Lebensunterhaltes dadurch ausgewogen würden: thäten nicht sehr viele Leute mehr als das, so würde die menschliche Gesellschaft bald

aus den Fugen gehen.

Nun wollen wir auch nur den

Minimalsatz festhalten, mit dem heutzutage ein Mensch, wie

man berechnet hat, in Deutschland nothdürftig erhalten werden

kann:

dreihundert Mark jährlich — wie viele

Haustöchterchen aus guter Familie mag es wohl geben,

deren wertherzeugende Arbeit jährlich auch nur ein Aequivalent für diese bescheidene Summe wäre? Man würde allerdings sehr unrecht thun, wollte man

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Tochter re.

77

sie und ohne Weiteres ihre Eltern für ihr unthätiges Le­ ben verantwortlich machen.

Sitte und Gewohnheit bilden

zwingende Mächte, denen sich der Einzelne zuerst nicht

ohne Unbequemlichkeit entzieht, selbst wenn sie sich überlebt haben und zu Unvernunft und Plage geworden sind. Aber

wenn sich das Mißbehagen, das jedem Mißverhältniß folgt,

je länger desto mehr geltend macht, dann ist es geboten zu untersuchen, auf welchen Wegen Abhülfe gefunden wer­ den kann, und diese Wege muthig und beharrlich einzu­

schlagen. In die häusliche Arbeit der Haushaltungen des Mit­

telstandes theilen sich in der Regel zwei Faktoren:

die

Hausfrau und die Magd. Jener liegt das Regiment, die Verwaltung der Geldmittel und Güter des Hauses, die Aufsicht über alle Arbeiten und Vorkommnisse ob, dieser die Ausführung der Arbeit. Jene soll, obzwar mit den Händen nicht müßig, doch vorzugsweise mit Kopf, Auge

und Herz thätig sein, diese vorzugsweise mit Hand und Fuß. Sehr viele Häuser laden außerdem einen Theil der

Hausarbeit auf außerhäusliche Arbeitskräfte ab, die täg­ lich, wöchentlich oder in längeren Perioden auf Stunden

und Tage, mehr oder weniger regelmäßig ins Haus kom­ men, um gegen Lohn und Kost diejenigen Verrichtungen

zu übernehmen, zu denen Zeit, Kraft und Geschicklichkeit der Hausarbeiterinnen nicht ausreichen.

Dahin gehören

Wasch- und Scheuerfrauen, Plätterinnen, Kinder niederer

Stände , die als Laufjungen und Laufmädchen fungiren, Kochfrauen, Nähterinnen verschiedener Art, Putzmacherin­

nen u. s. f. Diese Faktoren nehmen zu dem ganzen Organismus

Die Arbeitszeit.

78

nicht nur eine verschiedene Stellung ein, sondern sind auch von verschiedenem Werth, abgesehen von der individuellen Bortrefflichkeit, die sie auszeichnen mag.

Ohne Hausfrau

ist überhaupt kein geregeltes Hauswesen denkbar, ohne

Mggd kein irgend größerer Haushalt für gebildete Leute: ohne

die letzterwähnten Lohnarbeiterinnen können nicht

allein Haushaltungen beider Kategorien existiren, sondern sie stehen sich wahrscheinlich recht gut dabei.

Ist nun eine erwachsene, zu häuslicher Tüchtigkeit er­

zogene Tochter da, der im Hause ein Wirkungskreis ge­ schaffen werden soll, so ist einfach zu überlegen, für wel­ chen dieser drei Factoren sie eintreten kann. In dem beklagenswerthen Falle, daß die Hausmutter

den Ihrigen früh entriffen oder vor der Zeit arbeits- und

regierungsunfähig geworden ist, ergiebt es sich von selbst und ist die allgemein anerkannte Regel, daß die erwachsene

Tochter sie in allen Stücken vertrete. Dazu ist auch wei­ ter gar nichts zu sagen. Manche Heldinnen kindlicher und geschwisterlicher Liebe haben die heilige Flamme des väterliche« Herdes treulich zu hüten gewußt, haben mit rühmlicher Selbstverleugnung dem einsamen Bater die

traute Gefährtin, den unerwachsenen Geschwistern die sorg­ same .Pflegerin und Erzieherin ersetzt, und ihrer giebt es

noch alle Tage.

Ja, wir könnten nicht hoch denken von

einem Mädchen, das einen solchen Posten von sich ableh­ nen oder ihn aufgeben möchte, so schwer und mühevoll er

sein mag, es sei denn, um dem unwidersprechlichen Rufe

zu folgen, auf welchen hin ein Mensch Pater oder Mutter verlaffen darf. Wo aber die Mutter noch selber rüstig an der Spitze

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Tochter rc.

79

des Hauswesens steht, da liegt die Gefahr nahe, daß die frische Kraft der Tochter brach liegen bleibt.

Oder will

man, um sie hinlänglich anzuspannen und vielleicht aus

ökonomischen Rücksichten, ihr die Stelle der Magd anwei­

sen?

Wir haben allerdings verlangt, daß sie in ihrer

Lehrzeit alle, auch die sogenaunten groben und schmutzigen Arbeiten des Hauses aus eigener Erfahrung kennen lerne, aber doch wahrlich nicht, damit sie dergleichen tagaus tag-

ein mit Aufgebot aller Zeit und Kraft verrichte!

Wenn

auch keine einzige dieser Arbeiten an sich ihre Würde be­

einträchtigt, wenn es auch höchst traurig wäre, wollte sie

im Falle der Noth spröde und zimperlich zurücktreten vor dem, was ihre feineren Nerven übel berührt, so soll sie doch im eigenen Hause nicht als täglichen Beruf üben, was im fremden eine unerträgliche Erniedrigung, ein Auf­ geben ihrer gesellschaftlichen Stellung sein würde.

Wo

Sparsamkeitsrücksichten dagegen geltend gemacht werden sollten, da ist eben neunundneunzigmal unter hundert Fäl­

len der Platz der erwachsenen Tochter nicht im Hause, sondern da möge sie in irgend einer Berufsthätigkeit, die für ein gebildetes Mädchen paßt, so viel erwerben, daß

ihre Eltern, anstatt sie zu ernähren, dafür eine Magd oder Aufwärteri« halten können.

Neben einer rüstigen, selbst regierenden Mutter, die auch nicht geneigt sein kann, wie etwa in einem ausnahms­

weise großen Haushalt, wichtige Zweige ihres Regimentes

abzutreten, ist also für die Tochter der rechte Raum zu selbständiger Arbeit nur auf dem Gebiete, das sonst außer­ häuslichen Lohnarbeiterinnen anvertraut zu werden pflegt. Ja, hier wird ihre Wirksamkeit, wenn recht erfaßt und

Die Arbeitszeit.

80

ausgeführt, von keiner anderen Arbeitskraft zu erreichen sein.

Selten ist ein Haushalt so klein und wenig bean­

spruchend, daß Hausftau und Magd neben der laufenden

Arbeit alle die in größeren oder kleineren Zwischenräumen wiederkehrenden Extra-Arbeiten bewältigen könnten; selten auch sind auf der anderen Seite diese Extra-Arbeiten so

zahlreich und die häuslichen Mittel so reichlich, daß man eine zweite, dritte, vierte Magd dafür anstellen müßte

und könnte. Wäre der Haushalt so groß, so wird es der Hausftau wieder eine wesentliche Erleichterung sein, wenn sie den einen oder den anderen Verwaltungszweig, sei es die Aufsicht über die Wäsche, über die Borräthe, über den

Reinlichkeitsdienst, über die Küche, über die jüngeren Kin­ der, die Sorge für die Hausarmen oder was immer der Tochter wie einem verantwortlichen Minister ganz über­ lassen kann.

Ein kleinerer Haushalt wird sich besser da­

bei stehen, wenn zum wenigsten alle wichtigen Regierungs­

fäden in die Hand der Hausftau zusammenlaufen, wenn dagegen in der Person der Tochter eine geschickte, fleißige

und im Hause selbst wurzelnde Arbeiterin da ist, welche entbehrlich macht und

die Arbeit der Tagelöhnerinnen

damit nicht allein das Wirthschaftsbudget wesentlich ent­ lastet, sondern auch manche Uebelstände aus dem Wege räumt, die von der häufigen Verwendung solcher an'sich

noch so ehrenwerthen Arbeitsnomaden fast unzertrennlich

sind.

Indem sie sich einem oder einigen dieser Zweige

ganz widmet, wird sie in kurzer Zeit eine Geschicklichkeit, eine Gewandtheit, einen Urberblick darin erlangen, wie man sie von der mit grober Arbeit betrauten Magd nicht

erwarten kann, und wird andrerseits mehr fertig schaffen,

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Tochter rc.

81

als die von vielen Seiten in Anspruch genommene Haus­

frau vermag. • Wenn es dann die Verhältnisse irgend erlauben, so

sollte sie in diesem Posten allmählich zu immer größerer wirthschaftlicher Selbständigkeit heranreifen. In einem finanziell geregelten Hausstande kann es nicht allzuschwer

sein zu berechnen, wieviel durch ihre Thätigkeit an Ar­ beitslohn gespart wird, wieviel billiger man wirthschaftet,

seitdem sie außerhäusliche Gehülfinnen überflüssig gemacht hat.

Soviel zum mindesten gebührt ihr als frei verfüg­

barer Lohn für ihre Arbeit, mag sie dann auch gehalten

sein, von dieser Einnahme ihre persönlichen Bedürfnisse theilweise nach bestimmter Vereinbarung zu bestreiten. Es ist gewöhnlich, daß erwachsenen Töchtern, auch wenn sie

im Hause keine nennenswerthe Hülfe leisten, ein Nadel­ oder Garderobengeld ausgesetzt wird.

Aber selten ist es

nach meiner Erfahrung, daß sie an der Verwaltung dieses Garderobengeldes wirklich lernen eine Einnahme richtig zu verwalten.

Manche längst erwachsene Mädchen kaufen

sich noch nicht ein Paar Handschuhe oder eine Schürze ohne mütterliche Controle; andere werden hinwiederum

gar nicht beschränkt, geben aus, so lange sie Geld haben, lassen anschreiben, wenn Ebbe in der Kaffe ist, und basi-

ren ihre ganze Finanzkunst auf das tröstliche Princip, daß

der Vater immer hergiebt, sobald sie bitten. Und wo auch die väterliche Börse oder die väterliche Schwäche nicht ganz so weit reicht, da ist man von Seiten der El­ tern und Verwandten nur allzuoft bereit, durch große Geschenke an Geld oder Kleidungsstücken die Einschränkung

auf den Verbrauch des Garderobengeldes illusorisch zu Lammers, Die Frau.

ß

Die Arbeitszeit.

82

machen und in dem Mädchen die für alle spätere Zeit so verderbliche Ansicht groß zu ziehen, daß die Anschaffungen

für die Kleidung sich nach dem wirklichen oder vermeint­ lichen Bedürfniß, aber nicht nach der Einnahme zu richten

hätten. Gerade an diesen persönlichsten Ausgaben, an de­ nen eine Frau so viel sparen und so viel verschwenden

kann, sollte sie unter elterlicher Anleitung lernen, mit

einer bestimmten Summe wirklich auszureichen, ohne auf

Geschenke rechnen zu müssen, nnd ohne doch Nothwendiges zu entbehren.

Vermag sie es aber, von der ihr zugewie­

senen Einnahme einen Ueberschuß zu erzielen, so sollte ihr

derselbe auf der einen Seite die Freude gewähren, Dürf­

tigen aus eigenen Mitteln zu helfen, die, wie gering sie auch sein mögen, durch erfinderische Liebe vervielfältigt werden; auf der anderen Seite sollte sie damit unter des

Vaters Beirath praktisch erfahren, wie man ein Capital sammelt und zinstragend anlegt, eine Seite des geschäft­

lichen Lebens, in die allzuviele Frauen erst dann einge­

führt werden, wenn von ihrer Kenntniß dieser Dinge be­ reits das Wohl und Wehe eines ganzen Haushaltes ab­ hängt.

Segensreich für sie selbst und ihre Umgebung kann die häusliche Wirksamkeit einer erwachsenen Tochter sein,

segensreich in hohem Maße.

Keine Fremde wird wie sie

alle Interessen des Hauses und der Familie im Herzen tragen, alternde Eltern und betagte Hausgenossen pflegen, jüngeren Familiengliedern eine theilnehmende, hülfbereite Freundin sein.

„Ihr Leben ist immer ein ewiges Gehen

und Kommen, oder ein Heben und Tragen, Bereiten und Schaffen für Andere." Aber es sei zum Schluffe noch

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Tochter rc.

83

einmal darauf hingewiesen: nicht das bloße Vorhanden­

sein eines Elternhauses und erwachsener Töchter bedingt

schon eine richtige Stellung für sie.

In wohlhabenden

Familien die einzige Tochter, in kinderreichen die älteste, oder die, der am meisten Geschick und Lust zu häuslichem

Thun eignet, die sind offenbar zu Gehülfinnen der Eltern

und des Hauses berufen.

Haben ihrer drei oder vier

das Alter erreicht, wo der Mensch selbständig sein soll, da kann nur ganz ausnahmsweise Platz für sie Alle an

des Vaters Herde sein, nimmer unter den heutigen socia­ len Verhältnissen der Regel nach, und wüßten sie noch so viel herzuzählen von Beschäftigungen, die der Tage un­ endliche Länge ausfüllen helfen. Nur der Mensch, ob

Mann oder Weib, führt ein befriedigendes Dasein, der einen nützlichen Posten mit Aufgebot von Zeit, Kraft und

Gedanken redlich versieht und sich in gewissem Sinne we­ nigstens unentbehrlich, wenn auch nicht unersetzlich weiß.

Jetzt sieht man mit einer Art mitleidigen Achselzuckens den Vater an, der drei, vier und mehr erwachsene, hei­

ratsfähige, aber noch nicht zur Ehe begehrte Töchter hat; jetzt bewundert man im Stillen die Kühnheit des jungen Mannes, der es wagt,

um die erste von einer langen

Reihe Schwestern aus nicht hochbegütertem Hause anzu­

halten und sich damit möglicherweise eine nicht endende

Versorgung von Schwägerinnen aufzuladen.

Wie leicht

könnten die Eltern dieses Mitleid und diese Besorgniß

gleich gegenstandslos dadurch machen, daß sie ihre Töchter zu ihren Gehülfinnen oder in irgend einer Form zu Ge­ hülfinnen der Menschheit erziehen!

Die Arbeitszeit.

84

2.

Die Gattin.

Ehen werden im Himmel geschlossen,

deutsches Sprichwort,

das

sagt ein altes

manchmal sehr tröstlich und

manchmal sehr ironisch klingt.

Es kennzeichnet die Volks­

anschauung, wie eine echte Ehe herbeigeführt werden soll. Nicht Menschenhand soll die ersten feinen Fäden schlingen,

die sich hernach zum unzerreißbaren Bande verknüpfen,

sondern das Walten Gottes führt die Herzen einander

zu, die für einander bestimmt sind. Mag von diesem heil­ samen Grundsatz in der Praxis noch so oft abgewichen

werden; mögen die Heiratsgesuche, von denen die Zeitungen wimmeln, noch so laut verkünden, daß bei einem großen Theile unseres Volkes die Eheschließung nichts mehr als

ein Geschäft ist, das man versucht so einträglich wie mög­ lich zu machen: in dem einzelnen Falle bemüht man sich doch noch immer die Fiction aufrecht zu erhalten, daß die Liebe die Stifterin des Bundes gewesen ist, und beweist eben damit, daß unser Volksleben ohne die solcher Fiction

zu Grunde liegende Sitte seinen Charakter verleugnen würde. Entgegen der Tradition der Jahrhunderte gönnt man ja heut­ zutage selbst auf den Königsthronen der Wahl der Herzen eine

Stimme, und auch der begüterte Bauernstand und die Is­

raeliten, die am längsten ander unbedingten Machtvollkommen­ heit der Eltern in diesem Punkte festgehalten haben, fangen an, der Selbstbestimmung der Kinder mehr Recht einzuräumen. Der neutrale Boden, auf dem sich die Herzen finden

können, ist der gesellige Verkehr im weitesten Umfange. Das deutsche Mädchen genießt nicht die schrankenlose Frei­ heit. der Engländerin oder Amerikanerin in der Wahl und

Ausdehnung seines Umganges; aber es wird auch nicht.

Das Weib im Arbeitsgebiet des HauseS: Die Gattin.

85

wie die Töchter romanischer Völker, bis zur Verheiratung

ängstlich in klösterlicher Beschränkung gehütet.

Unter den

Augen der Eltern darf es sich des Verkehrs mit Jugend­

genossen erfreuen, und zahlreich genug sind die Gelegen­ heiten, wo seine Vorzüge, soweit sie in der Erscheinung,

der Unterhaltungsgabe, den geselligen Talenten beruhen, zur Geltung kommen können.

Diese sociale Einrichtung,

daß in der Mehrzahl der Fälle die Bekanntschaften zwischen

.jungen Männern und Mädchen, die zur Heirat führen bei geselligen Vergnügungen angeknüpft und gepflegt werden, ist indeß nicht ohne bedenkliche Folgen geblieben.

Sie

hat, ob den Einzelnen bewußt oder unbewußt, den Ver­

gnügungen eine viel zu wichtige Stelle in dem Programme der Mädchenjahre eingeräumt.

Sie hat dahin geführt,

daß ein verwässerter Abklatsch der Salonbildung, die für

die höchsten Stände ihre volle Berechtigung hat, bis in

die kleinbürgerlichen Schichten unseres Volkes hinein an die Stelle einer griindlichen, wahrhaft nationalen Er­ ziehung der Töchter getreten ist.

Sie hat es endlich theil-

weise zu verschulden, wenn in einer großen Zahl von Ehen die Frau nach den Flitterwochen eine Art Kinder­ krankheit durchzumachen hat, die darin besteht, die Illu­

sionen, in deren bengalischem Lichte sie bis dahin das ganze Leben und namentlich die Ehe angesehen hat, aus­

zulöschen und sich an die mitunter recht graue und nüch­

terne Beleuchtung der Alltagswelt zu gewöhnen. weise, denn hier wirkt noch etwas Anderes

Theil­

ein, eine

andere sociale Einrichtung, die sich nur in Deutschland

und bei einigen unsrer nächsten Nachbarn germanischen Stammes findet.

Die Arbeitszeit.

86

Diese Einrichtung, diese echt deutsche Sitte ist der Brautstand in dem Verlaufe, den er in Deutschland regel­

recht und offiziell nimmt.

Die Poeten haben ihn schon

so häufig geschildert, daß es nicht nöthig erscheint, hier nochmals auszuführen, wie nach erklärter Genehmigung der Eltern

und Veröffentlichung des Verlöbniffes das

junge Paar den gefeierten Mittelpunkt einer langen Reihe

von Festlichkeiten bildet, wie ihm soweit möglich das Recht des Zusammenseins oder doch des Verkehrens mit ein­

ander eingeräumt wird, wie man ihm Gelegenheit gönnt, sich seiner gegenseitigen Gefühle durch Wort und That immer wieder zu versichern.

Gleiche gegenseitige Neigung

vorausgesetzt, ist es indeß nicht schwer zu erkennen, daß

den lauteren Honig dieser Tage ohne alle Beimischung die Braut doch noch mehr kostet als der Bräutigam.

Es

ist berechtigt, daß sie bis zu dem Augenblicke, da das bin­

dende Wort für das ganze Leben gesprochen wird, mehr Liebe empfängt als Liebe beweist, während sich das der Regel nach in der Ehe umkehrt. Sie ist der Gegenstand der erklärten ritterlichen Huldigungen Desjenigen, um den

sich alle ihre Gedanken ohne Scheu drehen dürfen, und

sie darf es täglich erfahren, was es heißt, dem Bestge­ liebten das erste Wesen auf der Welt, mit Leidenschaft

von ihm geliebt zu sein.

Dazu kömmt weiter als eine

ganz berechtigte, natürliche Folge, daß die Huldigungen

des Familien- und Freundeskreises auch weit mehr der Braut als dem Bräutigam gelten.

Dem Bräutigam ist

es nicht zu verdenken, wenn er die Besuche in höchster

Gala, die Glückwunschbriefe, die Festlichkeiten mit ihren Blumen und Gastereien, mit Musik und Versen für lästige

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Gattin.

87

Beigaben seines Glückes ansieht: die Braut schwimmt in

dem Allen wie in einem Meere von Wonne. Gewiß, diese schöne, poetische, aus dem Rahmen des Gewöhnlichen herausgerückte Zeit giebt einen Schatz unverwelklicher Erinnerungen für das ganze Leben.

Aber

wenn die Neigung, die zwei Herzen zusammengeführt hat, nicht ganz tief und wurzelecht ist, wenn nicht -eine über

alle kleinen und großen Irrungen hinwegtragende Ueber­ einstimmung der höchsten Lebensinteressen sich schon vor

der Ehe kundgethan hat, so wird es der Frau schwer werden, sich mit dem veränderten Gesicht abzüfinden, das

ihr das Leben und alle Dinge um sie her über kurz oder lang zu zeigen beginnen. Aus dem feurigen Liebhaber ist ein nüchterner, Ansprüche machender, seinen Willen

zur Geltung bringender Ehemann geworden.

Tägliche

und stündliche Pflichten, nicht immer nur leichter und an­

genehmer Art, wie sie es im väterlichen Hause gewohnt war, mancherlei Sorge und Noth für ihre Schultern,

denen man bis dahin jede schwerere Last sorglich erspart

hatte, und dazu nun noch das naturgemäße, aber ihr doch unendlich schmerzliche Erlöschen der zarten Huldigungen,

an denen sie die Liebe des Bräutigams zu ermessen ge­

wohnt war: da kann es kaum ausbleiben, daß sie glaubt

diese Liebe selber erloschen zu sehen.

Ist sie nicht stark

genug, diese Enttäuschung in sich zu verschließen, sucht sie durch Klagen, Thränen, Borwürfe wieder zu erobern, was doch unwiederbringlich verschwunden ist, anstatt durch häus­

liche Tüchtigkeit,

durch

ein gleichmäßiges,

freundliches

Wesen, durch stete Arbeit an sich selbst, vor allem durch

liebevolles Eingehen auf die Interessen ihres Mannes den

88

Die Arbeitszeit.

Keim der echten, von Achtung und Sympathie getragenen Liebe in ihm zu pflegen, der seiner ersten leidenschaft­

lichen Neigung zu Grunde gelegen haben muß, wenn sie überhaupt etwas werth war: so ist es nicht weit mehr

bis zur unglücklichen Ehe, wie groß auch einst das bräut­

liche Glück zu sein schien.

Je größer einst die Illusion,

desto bitterer nachher die Enttäuschung.

Auch der Mann wird von solcher Enttäuschung in Bezug auf sein eheliches Glück selten ganz verschont bleiben. Was er an der Braut bewunderte, was ihn mit Natur­ gewalt zu ihr hinzog, das verliert zum Theil in der Sicherheit des Besitzes seinen Reiz, zum Theil nehmen

es die reiferen Jahre fort.

Die enge Nähe des häus­

lichen Zusammenlebens offenbart ihm Charakterfehler an

seinem Weibe, von deren Dasein ihm im Brautstande

keine Ahnung gekommen war.

Ja,

gerade das, was

manches Mädchen so unwiderstehlich anziehend macht: die

kindliche Sorglosigkeit, die naive Frische und Unberührt­

heit, die Unbekanntheit mit der Welt und weltlichen Dingen,

das möchte er nun gern Plötzlich in reifes, ernstes Urtheil, in zuverlässige Festigkeit verwandelt sehen; er möchte sie in die Lebens- und Gedankenkreise einführen, in denen

er heimisch ist, und findet mit Unmuth, daß dazu bei ihr die Voraussetzungen fehlen.

Trotzdem sind bei dem Manne

die Enttäuschungen in dem Maße geringer, wie bei ihm

die Illusionen weniger lebhaft waren.

Ein wesentlicher

Theil seines Lebens, seine Berufsthätigkeit, wird durch die Ehe nicht berührt.

Er kennt im Allgemeinen die Welt

und weiß vorher, daß er sich durch die Heirat mancher

Freiheit begiebt, manche Sorge mehr auflädt.

Mit dem,

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Gattin.

89

was seine Frau durch Gewohnheit und Zeit an äußerem

Reiz für ihn verliert, hält das Abnehmen seiner Leiden­ schaft gleichen Schritt, und ihn verlangt je länger desto

weniger nach den heftigen Bewegungen der jung erwachten Neigung.

Wenn sein Weib ihm ihre Liebe durch treues

häusliches Walten und freundliches Entgegenkommen be­

weist, so wird er auf mehr demonstrative Kundgebungen gern verzichten und sich gern für einen ganz glücklichen

Ehemann halten. Es hat oft Verwunderung erregt, wenn gründliche Kenner des französischen Volkslebens behaupten, daß in

Frankreich trotz der lediglich geschäftsmäßigen, von keinem Zauber der Roinantik verklärten Eheschließungen die Zahl der unglücklichen Ehen keineswegs größer ist als bei uns.

Der Franzose hält es bekanntlich für eine einfache und

unverbrüchliche Elternpflicht, seine Kinder, ob Söhne, ob

Töchter, sobald sie das nöthige Alter erreicht haben, zu etabliren, d. h. ihnen ein Capital zur Gründung eines

eignen Hausstandes zu sammeln und sie dann passend zu verheiraten.

Passend

findet

er die Partie,

wenn im

Range, in den Vermögensverhältnissen, im Alter der beiden Heiratscandidaten kein allzu wesentlicher Unterschied be­ steht: alles Andere ist unwesentlich.

Sind die beidersei­

tigen Eltern einig, so werden die Kinder in Kenntniß gesetzt, und bei der Autorität, die ganz allgemein die Söhne den Eltern in dieser Frage einzuräumen gewohnt

sind, bei der klösterlichen Hut, in der man die Töchter bis zur Verheiratung hält, ist ein Widerspruch von Seiten

der Nächstbetheiligten höchst selten. Die Bekanntschaft vor der Ehe beschränkt sich dann darauf, daß für ein paar

Die Arbeitszeit.

90

Wochen der Bräutigam, wenn er nahe genug wohnt, all­ täglich einmal seiner Zukünftigen einen feierlichen Besuch macht, um ihr ein Bouquet oder einige Bonbons zu über­

reichen; dann wird der Contract geschlossen, und das junge Paar hat nun Zeit und Gelegenheit genug, sich kennen

zu lernen. Wir erschrecken mit Recht vor dieser auf der einen

Seite profanen, auf der andern leichtsinnigen Weise, zwei Menschen zu der engsten Lebensgemeinschaft zu führen, die überhaupt denkbar ist.

Wir sind geneigt, den offen­

kundigen Verfall des französischen Volkslebens auf diese Sitte zurückzuführen, obwohl ihm noch viele andre Ur­ sachen zu Grunde liegen, am meisten wohl das Sinken

des religiösen Lebens und die Stellung, die das fran­ zösische Volk zur Arbeit einnimmt. oben

Und doch besteht jene

erwähnte Behauptung zu Recht

wohl zu denken geben.

und könnte «ns

Bei aller Richtung auf das Ideale,

die uns erhalten bleiben möge, wird man leicht zugeben,

daß das Zusammenpaffen der beiderseitigen äußern Ber-

hältniffe bei einer Eheschließung keineswegs ein unwesent­ liches Moment ist, wenn es auch an sich noch kein Glück verbürgt. Die junge Französin aber, die nach unsern Begriffen, wenn wir es gerade heraus sagen sollen, ver­

schachert wird, bringt dreierlei mit, was ihre Convenienzehe wenigstens zu einer zufriedenen zu machen verspricht. Sie ist frei von den romantischen Illusionen, die ein Braut­

stand nach deutscher Sitte kaum verfehlen kann in einem

jungen Mädchen großzuziehen.

Sie ist gewöhnt worden

auf ihr Benehmen zu achten und die höfliche, verbindliche Form des Umganges auch in den intimen Beziehungen

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Gattin.

des häuslichen Lebens nicht zu vernachlässigen.

91

Und end­

lich betrachtet es im ganzen französischen Mittelstände die

Frau als ihre selbstverständliche Aufgabe, sich soweit es irgend gehen will, an der Arbeit ihres Mannes zu be­ theiligen. Hat er ein offnes Geschäft, so ist sie dame du Comptoir, lehrter,

verkauft oder führt die Bücher.

Ist er Ge­

so ersetzt sie ihm häufig den Famulus.

Ist er

Beamter, so betreibt sie nicht selten daneben einen Er­

werbszweig, um seine Einnahme zu vergrößern; ja sie darf in einzelnen Verwaltungszweigen sogar offiziell einen Theil seiner Amtsgeschäfte übernehmen. Niemand wird wünschen, daß diese französischen Vcr-

hältniffe mit ihren Grundlagen und Folgerungen ohne

Weiteres auf unser deutsches Volkswesen übertragen werden

möchten.

Aber es wäre gewiß als ein Glück zu erachten,

wenn die Sitte allmählich darauf hinwirkte, jene drei Heiratsqualificationen in einer dem deutschen Sinn und Geist angemessenen Form zum größeren Gemeingut unserer

Frauen zu machen.

Man laste dem Brautstande all seinen

poetischen Duft und Schimmer, aber man entkleide ihn ein wenig der Ostentation, die ihn jetzt zu begleiten pflegt, und sehe ihn vor Allem als die Zeit an, in der die Lie­ benden einander soviel eben möglich kennen lernen und

ihre Seelen in Uebereinstimmung bringen sollen für die hohe und ernste Aufgabe, die sie gemeinschaftlich auf sich zu nehmen gedenken.

Das Weib, das den heiligen

Bund geschloffen hat, meine nicht die Liebe des Gatten

bereits

in einer für alle Zeit gleich bleibenden Form

zu besitzen, sondern sei darauf bedacht, sie täglich aufs Neue durch die eigene tiefe, zarte, opferwillige, helfende

Die Arbeitszeit.

92

und dienende Liebe zu erringen.

Und sie betrachte es

endlich als ihre erste Pflicht und als ihr' schönstes Vor­

recht, die Lebensinteressen ihres Gatten zu den ihrigen zu machen.

An und für sich ist das weibliche Geschlecht zu dieser letzteren Pflicht ganz gewiß besonders befähigt.

Es ist

Frauenart, sich, um der Person willen für jede beliebige Sache zu interessiren.

Junge Frauen bringen gewiß aller-

meistens den besten Willen mit in die Ehe, an den In­ teressen ihres Mannes theilzunehmen.

Sie interessiren sich

ganz von selbst für alle seine persönlichen Beziehungen: für seine Vergangenheit, seine Familie, seine Freunde und

Bekannten.

Aber die heutige Erziehung der Mädchen ist

leider zu wenig darauf angelegt, ihnen auch das noth­ wendige Verständniß für die öffentlichen Angelegenheiten

zu vermitteln, an denen der Mann sich betheiligt.

Ihr

Blick hastet an den kleinen Zufälligkeiten des täglichen

Lebens, man hat nie versucht, ihn auf das Allgemeine zu

richten.

Von politischen, socialen, geschäftlichen Verhält­

nissen fehlen ihnen die elementarsten Begriffe.

Ihre Unter­ haltung hat sich um Familien- und häusliche Erlebnisse,

um allerlei gesellige oder künstlerische Genüsse, um Reisen

und Moden gedreht; ihre Lektüre waren ein paar Gedicht­ sammlungen mit Goldschnitt und mehr deutsches englische und französische Romane, als sie verdauen konnten.

Was

Wunder, wenn ihnen die Dinge, die den arbeitenden Mann

den Tag über in Anspruch nehmen: seine politischen und wirthschaftlichen Bestrebungen, seine wissenschaftlichen und

literarischen Arbeiten, seine Amts- und Geschäftsbeziehungen, ebenso unverständlich sind und darum ebenso unwichtig

Das Weib int Arbeitsgebiet des Hauses: Die Gattin.

93

erscheinen, wie ihm ihre Verhandlungen mit der Putz­

macherin oder dem Modewaarenhändler?

Wohlausgefüllte,

richtig

angewendete

Mädchenjahre

werden auch diesem Mangel vorbeugen, der Klippe, an

der schon soviel eheliches Glück gescheitert ist.

Wenn das

Mädchen schon einen Blick in das Arbeitsgetriebe des so­ cialen Lebens geworfen hat, schon auf irgend einem Felde

eine selbständige Arbeiterin geworden ist, ehe sie zur Ehe schreitet, so wird sie in das häusliche Leben den richtigen

Maßstab für die Vorkomnlnisse mitnehmen, die jeder Tag ihr, und die er ihrem Manne bringt.

Sie tvird sich leicht

in seine Angelegenheiten hineinfinden lernen und ihm in unzähligen Fällen

nicht

blos Vertraute

und einsichtige

Rathgeberin, sondern kräftig nnterstützende Gehülfin sein können.

Ohne seine vielleicht kurze Geduld mit Lappalien

zu ermüden, wird sie sich für alle die häuslichen Angelegen­ heiten, bei denen seine Kenntniß und Mitwirkung ersprießlich sein kann, Gehör bei ihm zu verschaffen wissen. In der Berufsthätigkeit, der sie sich vor der Verheiratung ge­

widmet hat — gleichviel welcher Art dieselbe war — an geschäftsmäßige Behandlung geschäftlicher Dinge, an Ver­

kehr mit fremden Menschen auch außerhalb des Salons, an ernste Zusammenfasiung ihrer Kräfte gewöhnt, ist sie der beste Bundesgenosse, den sich ihr Mann für den Kampf mit dem Leben wünschen kann: sie hat nicht nur das

höchste Interesse daran ihn glücklich zu wissen, nicht nur den besten Willen dazu ihn glücklich zu machen, sie wird auch am schnellsten lernen, wie sie ihm sein Haus behaglich,

seine Arbeit leicht, sein Ausruhen süß macht.

Eine solche Frau hat aber allerdings ein Recht darauf.

Die Arbeitszeit.

d4

nicht wie ein unmündiges Kind, sondern wie ein reifer und selbständiger Mensch behandelt zu werden.

Der Mann

ist ihr dasselbe volle Vertrauen schuldig, das er von ihr verlangen kann.

Es ist vielleicht unmöglich, daß ein Mensch

dem andern seine Seele, seine innersten und geheimsten

Gedanken so völlig offenbare, wie sie ihm selbst und Gott

bekannt sind; aber alles absichtliche Geheimhalten und Ver­ bergen ist in der engen Gemeinschaft der Ehe ein unheil­ voller Bann, der sich früher oder später rächt und schon

oft zum Untergange geführt hat. Selbst eine Schuld wird bekannt, verziehen nnd gebüßt leichter Heilung finden als

verschwiegen und bemäntelt.

Im gegenseitigen Tragen und

Dulden bedingt sich das Erstarken an einander und das Wachsthum nach oben, und gerade in der rückhaltlosen

Hingabe und Aufrichtigkeit, die sie fordert, in der gegen­ seitigen Ergänzung, die sie bietet,- gewährt die Ehe eine

Möglichkeit des vollen Ausreifens, wie sie sonst nicht zu

finden ist. Es erscheint überflüssig, noch eine Theorie

darüber

aufzustellen, wer in der Ehe der herrschende Theil sein

soll.

Jeder von den beiden Ehegatten hat an der gemein­

schaftlichen Arbeit seinen Antheil, den er bester versteht als der andere; darin kann es doch nur ersprießlich sein,

wenn

er

bei Meinungsverschiedenheiten

Stimme behält.

auch

die letzte

Und in den vielen Fällen, wo nicht so­

wohl Einsicht und Erfahrung von besonderen Lebensverhältniffen, als persönliches Behagen, Gewohnheit, Natur­

anlage u. dgl. maßgebend sind, da wird schließlich derjenige

von Beiden herrschen, der die stärkste Willenskraft von Natur hat, und das schönste geschriebene Gesetz wird wenig

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Hausmutter. dagegen ausrichten.

95

An und für sich erscheint es wür­

diger, natürlicher, heilsamer, wenn dieser stärkere Wille dem Manne eignet, und das Talent der Fügsamkeit der

Frau; aber im Grunde ist ein Haustyrann so wenig wie

ein Pantoffelheld der Typus eines richtigen Ehegatten, und eine glückliche Ehe nur bei annähernd gleichmäßiger

Verkeilung der Herrschaft denkbar. 3. Tie Hausmutter. Nachdem man angefangen hat, die Stellung der Frau

in der menschlichen Gesellschaft einer eingehenden Unter­ suchung und kritischen Beleuchtung zu unterziehen, ist es nur natürlich, daß diejenigen Arbeitsfelder, auf denen

weibliches Wirken nicht blos unersetzlich, sondern geradezu

allein berechtigt ist, die Berufsthätigkeiten des Weibes als Hausfrau und als Mutter, am ersten und nachhaltigsten

erforscht und in ihrer Bedeutung erfaßt worden sind. Es giebt nicht wenige Hausfrauen, die geneigt sind,

ihre Wirksamkeit als gering und unbedeutend anzusehen. Weil sich ihr Thun aus Kleinigkeiten zusammensetzt, so

erscheint es ihnen kleinlich.

Ueber den zahllosen Einzel­

heiten, die ihre Zeit, ihre Gedanken und Kräfte in An­ spruch nehmen, verlieren sie den leitenden Faden, der

diese Einzelheiten mit einander und der sie mit dem Gan­ zen verbindet. Frauen, die in der Ehe für Geist und Gemüth nicht die Nahrung gefunden haben, welche sie vielleicht mit Recht, vielleicht auch in jugendlicher Ueber-

schwänglichkeit erwarteten, gerathen leicht dahin, über die endlosen trivialen Sorgen und Mühen des Alltagslebens

zu seufzen, Lebensmuth und Frische «daran zu verlieren.

Die Arbeitszeit.

96

Es giebt andere Frauen — und auch ihrer sind nicht

wenige — die geneigt sind, den Werth ihrer häuslichen

Thätigkeit

zu überschätzen.

Solche insbesondere, deren

praktische Anstelligkeit ihnen die angenehmen Resultate ih­

res Thuns fort und fort greifbar vor Augen stellt, Solche, denen kein starkwilliger Ehemann das süße Gefühl der unbedingten Herrschaft über die Menschen und Dinge ih­

rer nächsten Umgebung einschränkt, über

vergessen

mitunter

dem Wirthschaften den Zweck des Wirthschaftens,

über , der Berechtigung des Mikrokosmos, den sie regieren,

die Berechtigung der übrigen Welt, in welche dieser Mi­

krokosmos eingefügt ist. Es ist daher gut, daß sich in neuerer Zeit die Bolkswirth-

schaft ihrer älteren Schwester, der Hauswirthschaft, ange­ nommen und ihr einen Platz neben sich eingeräumt hat.

Die Frau, die einen Haushalt führt, er mag groß oder klein sein, muß sich's bewußt werden, daß das Ganze, dem sie

vorgesetzt ist, nicht isolirt in der Welt dasteht, sondern durch ein unzerreißbares Gewebe von Wechselwirkungen an ein Bolksganzes geknüpft ist und mit diesem die Interessen

des Menschheitsganzen theilt.

Sie muß sich, ob daneben

von einem menschlichen Willen abhängig oder nicht, als Verwalterin Gottes fühlen, der das irdische Schicksal einer kleinen menschlichen Gemeinschaft zum großen Theil in

ihre Hand gelegt hat und Rechenschaft von ihrem Amte

fordern wird. Der Blick ins Weite und Freie wird sie vor der Eng- und Dumpfheit bewahren, zu der alles blos

mechanische Thun führt, der Blick nach oben vor Eigen­ willigkeit auf der einen, por Sorglosigkeit und Nachlässig­ keit auf der anderen Seite.

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Hausmutter.

97

Begreiflicherweise trägt nichts so sehr den Stempel der Individualität, die es geschaffen, als das Hauswesen.

Wohnung, Einrichtung, Lebensweise, Tagesordnung, Be­ dienung geben unfehlbar ein Bild von dem Charakter des Menschen oder Menschenpaares,

Selbstbestimmung gestaltet haben.

die sie sich nach freier

Darum ist jede Haus­

haltung individuell verschieden, bei uns Deutschen vielleicht noch um einen Grad mehr als bei anderen Culturvölkern.

Doch aber geht durch alle diese Verschiedenheit ein wun­

derbares Gesetz der Uebereinstimmung, ein Gesetz, wie es

die Statistik in tausend anderen auch scheinbar zufälligen,

der Willkür des Menschen preisgegebenen oder auch seinem Willen völlig eiltrückten Erscheinungen nachgewiesen hat. Es scheint zum Beispiel, als müsse es lediglich im Willen des Einzelnen liegen, wie er seine häusliche Tagesordnung eintheilt, wann er seine Mahlzeiten hält und dgl.

Leute,

die in eine andere Gegend oder ein anderes Land mit

abweichenden Sitten ziehen, haben schon oft versucht, die

heimatliche Gewohnheit hierin festzuhalten.. Je vernünfti­

ger sie sind, desto eher sehen sie gewöhnlich ein, daß sie ihre Unabhängigkeit in dieser Beziehung durch Opfer an Zeit, Geld und Unbequemlichkeiten aller Art viel zu theuer erkaufen würden.

Diese allgemeinen Gesetze nun zu er­

kennen, welche die Natur der Dinge auf der einen Seite, die Natur des Menschen, der sie verwendet, auf der an­

deren jedem Haushalte im Allgemeinen und dem ihrigen

insbesondere vorschreiben, ist die erste Obliegenheit der Hausfrau. Sie muß daher zunächst die Güter und Kräfte kennen,

zu deren Verwalterin sie bestellt ist. Lammers, Die Frau.

Wenn sie reif und 7

Die Arbeitszeit.

98

gehörig vorgebildet in die Ehe tritt, so kann es für den Mann keinen Bortvand geben, sie über seine Vermögens­

lage in einer Unkenntniß zu erhalten, die immer nur ver­ derblich wirkt.

Abgesehen davon, daß eine wirkliche ehe­

liche Lebensgemeinschaft da nicht besteht, wo ein großer

Theil der Lebensinteresien nicht getheilt wird, und wo absichtliche Geheinchaltung bei dem Manne einen schreien­

den Mangel an Vertrauen sei es zu der Einsicht, sei es zu dem guten Willen der Frau verräth: so wird durch

solches Bersteckenspielen

die Gewiffenhafte

nur unsicher

gemacht und die Gewissenlose wahrlich nicht gebessert. Der

Mann mag sich einrichten wie er will: der größte Theil seiner Reineinnahme wird fast ausnahmslos von den Aus­

gaben für den Haushalt verschlungen, d. h. die Frau be­

kommt ihn in die Hände; und wäre die Controls des Mannes noch so mißtrauisch, sie wird aus einer verschwen­

derischen Frau keine sorgsame Hauswirthin machen.

Hat

aber die Frau Einsicht und guten Willen, worin könnte

denn wohl ein größerer Sporn zu sorgfältiger Verwaltung für sie liegen, als darin, daß der Mann ihr völliges Ver­

trauen schenkt? Ein ordentlicher Mensch, der die Kinder­

jahre hinter sich hat, arbeitet ganz anders, wenn man ihm seine Verantwortlichkeit zeigt und ihm im Einzelnen Frei­

heit läßt, als wenn man ihn auf Schritt und Tritt gän­ geln will.

Und wer hätte denn mehr Interesse daran,

des Mannes Angelegenheiten verstehen zu lernen, seine Sorgen zu theilen, wer wird ihn treuer berathen, ihn mit Aufgebot aller Kräfte besser, thatkräftiger unterstütze« als seine Frau, deren Lebensglück mit dem (einigen steht und

fällt?

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Hausmutter.

99

Nur durch gemeinsame Berathung und Verabredung der Ehegatten kann also das Budget des Haushaltes fest­ gestellt werden.

Wie unentbehrlich eine solche Feststellung

ist, nach welchen Grundsätzen inan dabei verfährt, wie

man nach einem Budget wirthschaftet, wie man sich beim

Steigen und beim Sinken der Einnahmen verhält u. dgl., darüber giebt die Volkswirthschaft die beste Belehrung. So verschieden sich auch die Summe beziffern mag, welche der einzelnen Hausfrau an Geld und Geldeswerth

zur Verwaltung übergeben wird: der oberste Verwaltungs­ grundsatz ist in allen Haushaltungen derselbe, nämlich der,

daß die Hausfrau suchen muß, mit den gegebenen Mitteln

das größtmögliche Wohlsein für die Ihrigen zu erzielen. Dies Ziel durch eine endlose Reihe einzelner, an sich un­

bedeutender, scheinbar unzusammcnhängender Arbeiten und Handlungen zu erreichen, mag um so schwerer scheinen, je genauer man es ins Auge faßt. Annähernd zu er­ reichen vermag es jede Hausfrau, die von den drei haus­ hälterischen Cardinaltugenden: der Ordnung, der Reinlich­

Allerdings führen diese drei guten Dinge auf einem schmalen Mittelwege keit, der Sparsamkeit unterstützt wird.

zwischen zwei schiefen Ebenen hiw, und der Weg ist so schmal, daß wohl kaum jemals zwei Frauen oder auch sonst zwei Menschen in jedem einzelnen Falle mit ihren

Begriffen von Dem, was ordentlich, reinlich und sparsam zu heißen verdient, übereinstimmen mögen. Aber während in Abwesenheit dieser drei Tugenden der Haushalt in ein

wüstes Chaos ausartet, läßt sich ein kleines Uebermaß derselben schon tragen, und jede größere Ausschreitung, jedes Ausarten der Ordnung und Reinlichkeit in Pedanterie, 7*

Die Arbeitszeit.

100

der Sparsamkeit in Geiz wird da vermieden oder corri-

girt werden können, wo die Hausfrau des obersten Zweckes ihrer Haushaltführung eingedenk bleibt.

Und da Frauen gewöhnlich eher einer Person als einer Idee zu Liebe ihr Verhalten einrichten, so wird die Frau am leichtesten auf

dem richtigen Mittelwege bleiben, die ihren Mann recht lieb hat und ihre Haushaltung so zu leiten trachtet, daß

er dort immer wieder aufs Neue Kraft, Frische, Muth

für seine Berufsarbeit gewinnen kann.

.Von diesem Gesichtspunkte aus wird sie auch am leich­ testen die Regel für das in jedem Haushalt individuell

Verschiedene finden.

Wenn alle größeren Rücksichten ge­

wahrt sind, so wird das persönliche Behagen des Mannes den Ausschlag geben, das kann er verlangen, weil er das

Brot verdient.

Schön ist's, wenn er es nicht erst zu ver­

langen braucht, schöner, wenn auch in der Rücksichtnahme auf das Behagen zwischen Mann und Frau volle herzliche

Gegenseitigkeit besteht.

Aber die hülfreiche, dienende, auf­

opfernde, selbstverleugnende Liebe soll ihren Altar an jedem häuslichen Herde haben, und ihre erste Priesterin muß die Frau sein. Heil uns, daß es noch viele Frauen giebt, die, zu dieser schönsten und segensreichsten Mission

des Weibes berufen, mit Hingabe aller Kräfte für das Wohl der Ihrigen streben, sich selber vergessen und nur

in Anderen leben! Wenn so die selbstverleugnende Liebe dem Wirken der

Frau die Richtung vorschreibt, so gehören zu seiner prak­ tischen Grundlage als unentbehrliche Erfordernisse Fleiß und häusliche Geschicklichkeit.

Ohne die beiden ist an rechte

Ordnung, Reinlichkeit und Sparsamkeit nicht zu denken.

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Hausmutter.

101

Daß die Gewandtheit und Erfahrung im häuslichen Thun

nicht erst nach geschlossenem Ehebunde im eignen Haus­ halt erworben, sondern als werthvollster Theil der Mit­ gift von der Braut dem Manne schon zugebracht werden muß, davon ist schon die Rede gewesen. Der Fleiß ist von dem Begriffe der rechten Hausfrau geradezu unzer­ trennlich; die Trägheit steht ihr wie dem Soldaten die

Feigheit.

sein.

Seine Bethätigung kann freilich verschiedenartig

Die Haushaltungen der unteren Stände überhaupt,

die des Mittelstandes auf dem Lande und in kleineren

Städten gedeihen nur, wenn die Frau sich direct an der

eigentlichen Hausarbeit betheiligt, beziehungsweise mit mög­

lichst geringer Hülfe möglichst viele häusliche Arbeiten selbst verrichtet. Die großstädtischen Haushaltungen, denen alle Erleichterungen des heutigen Industrialismus zu Gute kommen, sind viel weniger auf das directe Schaffen, auf die körperliche Arbeit der Frau, als auf ihre sichere und

umsichtige Lenkung des Haushaltschiffleins angewiesen. Wo «ach Maßgabe der socialen Stellung Dienstboten gehalten werden muffen, da ist es dem Hauswesen viel ersprieß­

licher, wenn die Frau sie anzuleiten, ihnen ihre Arbeit richtig zuzumessen, sie für ihre Pflicht zu gewinnen, kurz

sie zu regieren versteht, als wenn sie sich das auflädt, was

Dienstbotenarbeit ist.

Selbst der Fleiß in Handarbeiten,

an sich die schönste Mitgabe — nicht blos für die Haus­ frau, sondern für die meisten weiblichen Wesen — hat

seine Grenze: sobald er die Hausfrau von der fortgesetzten Aufmerksamkeit auf das Getriebe des häuslichen Räder­ werkes abhält, können alle Erzeugnisse ihrer kunstfertigen

Nadel den daraus entstehenden Schaden nicht vergüten.

Die Arbeitszeit.

102

Unser häusliches Leben sucht vielfach nach neuen Formen:

was vor fünfzig und vor hundert Jahren unbedingt richtig war, das ist allein nicht mehr maßgebend. Unser Leben ist reichlicher, bequemer, schmuckvoller geworden, als das der nächstvorangegangenen Geschlechter, ob man das nun rühmen oder beklagen mag, und es wird schwerlich da

stehen bleiben, wo es jetzt steht.

Aber gerade, wenn die

ganze Zeitströmung die Richtung auf reichlicheren Lebens­ genuß genommen hat, eine Richtung, die nur allzu leicht in ein verderbliches Jagen und Haschen nach Luxus aus­ artet, dann ist es wichtig, daß möglichst viele Einzelne

unbeirrt das Ziel festhalten, das gute Neue mit dem be­ währten Alten zu verbinden, sich dankbar der Erleich­

terungen und Verbesserungen zu bedienen, die eine täglich fortschreitende Civilisation in unseren Bereich bringt, aber

Geist und Herz nicht an die Dinge dieser Welt gefangen zu geben.

Den Frauen, speziell den Hausfrauen fällt

An ihnen ist es, die Grenze zu ziehen, wo sich berechtigter Lebensgenuß von Ueppig­

dabei die wichtigste Rolle zu.

keit scheidet, an ihnen, dem Manne das Haus so lieb,

so wohnlich zu machen, daß die lärmenden Freuden der Außenwelt ihren Reiz für ihn verlieren, an ihnen, in beit Heranwachsenden Geschlechtern den Sinn für das Maß­

volle, Einfache, für geistige Interessen zu wecken. Die Ueberzeugung. von der Dringlichkeit dieser Ver­ pflichtung ist vielleicht den Frauen

des gebildeten und

wohlhabenden deutschen Mittelstandes noch nicht in dem

Maße aufgegangen, wie es zu wünschen wäre.

Ein Lob

der guten alten Zeit auf Kosten der neuen ist immer ein bedenklich Ding.

Aber es will fast scheinen, als hätte es

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Hausmutter.

103

weniger nervenschwache, kränkliche, leistungsunfähige Frauen gegeben, da die körperliche Hausarbeit noch eine beständige Mitwirkung der Hausfrau verlangte, und als seien Putzund Vergnügungssucht eben im Mittelstände während der

ersten Hälfte unseres Jahrhunderts nicht ganz so weit

verbreitet gewesen wie jetzt.

Die größere Muße, welche

den Hausfrauen in guten Verhältnissen durch die hochge­

steigerte Gewerbthätigkeit unsrer Zeit im Bunde mit zahl­ losen Erfindungen geschaffen ist, wird nur zu oft als ein Freibrief für ein müßiges Leben oder für übertriebene

Geselligkeit angesehen.

Wahrhaft ersprießlich wird sie da

benutzt, wo man sie als willkommene Gelegenheit zu eigner

Weiterbildung,

zu Werken

der

Menschenliebe

und zu

völligerer Hingabe an die Pflichten der Gattin und Mutter ansieht.

Dem Ehemanne und den Kindern sollte es in

erster Linie zu Gute kommen, wenn die Verhältnisse es der Frau gestatten, den größten Theil der körperlichen Arbeit des Haushaltes auf andere Schultern zu laden.

Welch schöneres Vorrecht könnte sich eine Mutter wünschen, als das, ihren Kindern zu leben?

Den Müttern unsrer Tage ist im Vergleich mit früheren Geschlechtern ihre hochwichtige Aufgabe vielfältig erleichtert. Kein sociales Vorurtheil hält sie davon ab, sich ihren Kindern ganz zu widmen.

An Gelegenheit, sich über Das

zu belehren, was den Kindern an Leib und Seele dienlich ist, fehlt es Denen nicht, die danach ausschauen. Wenige, wohl nur die Allerärmsten,

werden durch zwingendere

Pflichten abgehalten, zuerst ihrem Mutterberufe gerecht zu werden, und gerade Diesen kommen verschiedene segens­ reiche Veranstaltungen der Neuzeit zu Hülfe, die dem Kinde

Die Arbeitszeit.

104

wohl die Mutter nicht völlig ersetzen, aber es doch vor Schaden und Verwahrlosung behüten können.

Immer.neu sprudelt der Born warmer unerschöpflicher

Mutterliebe in den Herzen der glücklichen Frauen, .die ein

Kind ihr eigen nennen.

Zärtlichkeit, Hingabe, Verständniß,

Geduld, Treue schöpfen sie aus diesem unversieglichen Quell:

was ihnen kein Mensch anerziehen und was sie selber sich nicht erwerben könnten, damit hat der allgütige Vater über

Alles, was da Kinder heißet, sie reichlich ohne ihr Zuthun ausgerüstet.

Aber freilich, was sie selber sich erwerben

können, das hat er nicht dazu gethan: die Einsicht in das

Wesen einer vernunftgemäßen Pflege und Erziehung des Kindes, den sittlichen Ernst, der das erkannte Gute durch­ zusetzen weiß, die fortgesetzte Selbsterziehung, ohne die alles

erziehliche Thun der Nachhaltigkeit entbehrt. Wenn dm Müttern unsrer Zeit neben aller zärtlichen, hingebendm Liebe diese Dinge häufig fehlen, so liegt das daran, daß

in ihnen das Gefühl der ungeheuren Verantwortlichkeit ihrer Aufgabe nicht lebendig genug ist,, daß die Erziehung

der jungen Mädchen weit mehr die künftige Salondame als die künftige Mutter ins Auge gefaßt hat.

Wäre jede

Mutter sichs klar bewußt und immerdar eingedenk, welchen für das ganze Leben entscheidenden Einfluß ihr Wesm, ihr Beispiel, ihre Pflege, ihre Zucht, ihre Belehrung auf

ihre Kinder ausübt, wir würden nicht so häufig die Zärt­ lichkeit zur Verzärtelung, die Geduld zur Schwäche, die selbstlose Hingabe zur willenlosen Unterwürfigkeit führen

sehm. Wie manche junge Mutter, die nicht durch einen glück­ lichen Zufall schon an fremden Kindern Erfahrungen in

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Hausmutter.

105

der leiblichen Pflege des Säuglings gemacht hat und nicht etwa von einer ihr nahestehenden älteren Frau gut be­

rathen wird, sieht ihren Liebling sterben, nur weil sie

das zarte Leben vor feindlichen Gewalten nicht richtig zu schützen verstand! Es ist etwas Schreckliches um diese Kindersterblichkeit! Kaum ein Haus, das nicht einmal den Tod eines Kindes zu beklagen gehabt hätte, und gewiß wäre manches zarte Leben erhalten geblieben, auch manches

lebenslängliche Siechthum vermieden worden, hätten die, in deren Obhut die hülflose Kindheit gegeben war, zu aller ihrer Liebe und Aufopferung die nöthige Einsicht gehabt.

Wie viel auch noch immer die heutige Mädchen­

erziehung in dieser Hinsicht durch Unterlassung sündigen

mag: eine Mutter sollte nicht ruhen, bis sie sich mit dem Bau und den Functionen des menschlichen Körpers, mit

den Grundzügen der Gesundheitslehre in allem Wesent­ lichen vertraut gemacht hat, sei es durch ärztliche Berathung, sei es durch populär gehaltene einschlägige Schriften, an

denen kein Mangel ist.

Dann braucht sie nicht zu fürchten,

daß sie ihren Kindern unwissentlich statt des Brodes einen Stein, statt eines Fisches eine Schlange biete. Ist in Bezug auf die Pflege des Kindes die Mutter sozusagen allein verantwortlich, so theilt sie in Bezug auf die Erziehung diese Verantwortlichkeit allerdings mit meh­

reren Faktoren, so jedoch, daß ihr Einfluß von allen der maßgebendste, nachhaltigste, dauerndste zu sein pflegt. Vieles von diesem Einfluffe kommt ohne Zweifel auf Rechnung

des

geheimnißvollen,

seelisch-leiblichen

Zusammenhanges,

der besonders die ersten Lebensjahre des Kindes fast un­

löslich an die Mutter bindet, Vieles auf die wunderbare

Die Arbeitszeit.

106

Sympathie, mit der sie das Wesen ihres Kindes versteht und erfaßt, wie kein andrer Mensch vermag, Vieles auf

die unwandelbare Treue, mit der sie das Kind von seinem ersten Athemzuge an bis an das Ende ihres Lebens um­ faßt.

Wie sie diesen Einfluß anwendet, davon hängt ge­

wöhnlich mehr ab als von der Einwirkung aller übrigen Erziehungsfactoren.

Die Gewöhnungen, die wir auf der

Mutter Schoß empfangen, die Eindrücke, die sie uns ver­ mittelt, die Impulse, die sie in uns geweckt, überdauern alle

später kommenden.

Darum ist kein Irrthum unheilvoller

als der, die Lebensäußerungen des kleinen Kindes und

ihre Behandlung von Seiten der Mutter für unbedeutend

anzusehen, zu meinen, das Werk der Erziehung beginne erst in der Schulstube, wo die Strenge des Lehrers nach­ holen werde, was die allzu große Weichheit der Mutter

versäumt hat.

Der Mensch, der nicht in der Kinderstube

gehorchen, aufmerken, sich zusammennehmen, seinen Willen

unter das Gesetz beugen, verträglich sein, sich selbst ver­ leugnen, den Muth der Wahrheit haben gelernt hat, der lernt's später nimmer oder nur nach schweren,

harten

Kämpfen, die ihm die Zucht seiner Mutter hätte ersparen

können. Nicht minder wichtig als für die sittliche Seite der Er­

ziehung ist der Einfluß der Mutter für die intellectuelle. Sir Isaak Newton, einer der gelehrtesten Menschen, die je gelebt haben, behauptete am Schlüsse eines mehr als

achtzigjährigen Lebens, er habe in seinen ersten sechs Lebens­

jahren mehr gelernt als in allen den folgenden zusammen­

genommen.

Am Gehen- und Spröchenlernen der Kinder

haben alle Mütter das lebhafteste Interesse; sie sollten

Das Weib im Arbeitsgebiet des Hauses: Die Hausmutter.

107

bedenken, daß der werdende Mensch auch sehen, hören,

riechen, schmecken und fühlen lernen muß, auf die Ent­ wickelung der Sinnesorgane so gut achten wie auf die der

Sprach- und Gehwerkzeuge, und dafür sorgen, daß das

Kind klare, genaue Anschauungen gewinne, sich deutliche Vorstellungen mache, correcte Begriffe bilde.

Einen ge­

waltigen Bundesgenossen haben sie dabei an dem uner­ müdlichen Thätigkeitstriebe des Kindes. So lange das Kind beschäftigt ist, macht seine Leitung keine oder nur geringe Schwierigkeit.

Seine Beschäftigung so regeln, daß

sie durch ihre Richtung und Mannichfaltigkeit abwechselnd

die verschiedenen Anlagen und Kräfte des Kindes in An­ spruch nimmt, daß seine leibliche, seelische und geistige Ent­

wickelung dadurch gefördert werde, ist daher eine der Haupt­ aufgaben der Mutter,

Alter gegenüber.

besonders dem vorschülpflichtigen

Sie tvird zur Lösung derselben viele

wichtige Fingerzeige dem Fröbelsystem entnehmen können,

auch wenn sie es vorzieht, ihre Kleinen um sich zu be­ halten, anstatt sie einer Kindergärtnerin anzuvertrauen. Bücher wie das zweibändige Werk über den Kindergarten von Hermann Goldammer, welche die praktische An­ wendung der Fröbelschen Principien in faßlicher, nicht mit

dem stark infallibilistischen Beigeschmack vieler Kindergarten­ schriften versetzter Darstellung lehren, sollten jeder'Mutter

bekannt sein.

Der mütterliche Takt findet aus der Fülle

des Gebotenen leicht das wahrhaft Herzenswarme, Ein­

fache, der Kindesnatur Angemessene heraus und verwendet

es mit Geschicks

Den Müttern, die durch andere zwin­

gende und dringende Pflichten verhindert sind, sich ihren kleinen Kindern ganz zu widmen, gewährt ein verständig

108

Die Arbeitszeit.

.

geleiteter Kindergarten den besten Ersatz; auch ist der Um­ gang mit Altersgenoffen, den er bietet, namentlich für

Kinder, die ohne Geschwister aufwachsen, nicht gering an­ zuschlagen.

Immerhin wird eine rechte Mutter gern, so

lange sie irgend kann, die Leitung und Erziehung ihres

Kindes allein in der Hand behalten.

Die Zeit kommt

früh genug, für ihr Gefühl häufig zu früh, da unsre heu­

tigen Bildungsverhältnisse sie in die Nothwendigkeit ver­ setzen, anderen Erziehungsfactoren neben sich eine nahezu gleichberechtigte Stelle einzuräumen.

Wir können hier die Mutter nicht durch alle Phasen ihres heiligen Berufes hindurch begleiten.

Ihre Pflichten

gegen ihr Kind wechseln: der Geist, in dem-sie denselben gerecht wird, bleibt derselbe von der Wiege bis znm Grabe.

Niemand, auch der Vater nicht, verfolgt mit gleichem per­ Ihr

sönlichem Antheil die Laufbahn des Kindes wie sie.

Sorgen und Sinnen, ihre Liebe und ihr Gebet umgeben es noch, wenn Lebensführungen es längst von ihrer Seite gerissen haben: ja, selbst den verlorenen Sohn, die unwür­ dige Tochter giebt das rechte Mutterherz nie auf.

Häufig

bleibt das Verdienst der Mütter unbekannt, häufiger un­

belohnt.

Und doch, wenn ein wahrhaft großer Mann von

seinen Zeitgenossen und der Nachwelt den Zoll der Bewun­ derung einerntet, so fragt man nach seiner Mutter; es ist

nachgerade zu einem Glaubenssatz geworden, daß nur eine

irgendwie ausgezeichnete Frau einem großen Sohne das Leben geben konnte. In der Hand der deutschen Mütter sind die Geschicke unseres Volkes; möchten sie alle fich ihrer hohen

Aufgabe bewußt sein, ein kräftiges, pflichttreues, willensstarkes, herzenswarmes-und gottesfürchtiges Geschlecht heranzuziehen!

3. Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt. 1. Der häusliche Beruf als Erwerbsthätigkeit. Es ist eine faktisch und rechtlich überall anerkannte Folgerung, daß eine Fran, die im Gebiet des Hauses, als

Gattin, Hausfrau und Mutter einem Manne Gehülfin Die Arbeit, die sie allein auf diesem Gebiete zu leisten im Stande ist, macht

ist, von diesem Manne ernährt werde.

die Verpflichtung des Mannes, für den Erwerb zu sorgen, reichlich wett. Vermag allerdings der Mann lediglich durch Hand- oder mechanische Arbeit Geld zu verdienen, so wird, wie das in den unteren Ständen meistens der Fall ist,

sein Verdienst zum Unterhalten der Familie nicht aus­ reichen: die Frau muß also mit erwerben, nicht blos ver­ walten. Abgesehen von dem traurigen Nothbehelf der Fabrik­ arbeit, von welchem Frauen und Kinder möglichst befreit

sein sollten, greift in diesem Falle die Frau naturgemäß auf ihre häusliche Geschicklichkeit zurück und arbeitet mei­ stens als Tagelöhnerin für andere Haushaltungen.

Da diese Frauen fast ausnahmslos vor der Verheiratung schon

für ihren eignen Unterhalt gesorgt haben, als Dienstmägde

verschiedener Gattungen, als Nähterinnen, Plätterinnen

110

Die Arbeitszeit.

u. dgl., so ist es ihnen weder ungewohnt für Geld zu arbeiten, noch entbehren sie einer gewissen Vorbildung dafür: sie verstehen eine oder die andere Gattung häus­

licher Arbeit zum mindesten hinlänglich genug, um für

ihre Leistungen Lohn beanspruchen zu können. Bei den Frauen der mittleren und höheren Stände

stellt sich dagegen die Sache wesentlich anders. Jahr­ hundertelang von der Nothwendigkeit Geld zu ver­ dienen befreit, hat sich bei ihnen einerseits das stärkste

Vorurtheil gegen bezahlte Arbeit, soweit ein Mitglied ihrer Klasse in Betracht kommt, erzeugt, und es ist andrerseits bei ihrer Arbeitstüchtigkeit nie gefragt worden, ob sie außer dem Affectionswerth, den der Ehemann, der Vater, der

Bruder ihr beizulegen geneigt ist, auch noch einen wirk­ lichen Tauschwerth hat.

Es ist. klar, daß diese beiden

Dinge, dies Borurtheil und diese Sorglosigkeit, mit ein­ ander stehen und fallen. Vorurtheile sind schwer zu be­ kämpfen; indeß auch das zählebigste weicht endlich dem

Andrange der Noth.

Noch ist dasjenige, welches uns hier

beschäftigt, längst nicht aus allen Positionen geworfen, aber es ist ins Wanken gebracht.

Und während man ein­

zusehen beginnt, daß es in unsrer Zeit, wo die Aristo­ kratie der Geburt und des Geistes sich nicht scheut, ma­

teriellen Lohn für ihre Leistungen einzuziehen, auch für

das gebildete Weib nicht ehrenrührig sein kann, für Geld zu arbeiten, dämmert auch langsam die Erkenntniß auf,

daß nicht jede beliebige weibliche Thätigkeit in jedem be­ liebigen Grade der Vollendung genügend sei, einen Lebens­

unterhalt darauf zu gründen. Als gebildete Frauen und Mädchen, die kein Mann

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Berus rc.

111

ernähren wollte oder konnte, sich zuerst der Alternative gegenübergestellt sahen, für Bezahlung bei Fremden zu ar­

beiten-oder zu verhungern, da war es selbstverständlich,

daß sie ihre Kräfte allein auf dem Gebiete zu verwerthen trachteten, wo die Frauen das Monopol hatten.

Un­

zweifelhaft giebt es Arbeiten, die nur Frauen, wie andere, Daß dazwischen ein sehr breites neutrales Gebiet liegt, auf dem beide Geschlechter gleich

die nur Männern eignen.

arbeitsfähig und darum gleich arbeitsberechtigt sind, wenn auch jedes seine eigenthümlichen Vorzüge dabei geltend

machen kann, das übersah matt zuerst vollständig.

So

lange der arbeitsuchenden Frauen verhältnißmäßig wenige

waren, weil der Haushalt und was damit zusammenhing,

viel Arbeitskraft consumirte, und auch verhältnißmäßig mehr Ehen geschlossen wurden, störte das weiter nicht.

Allmählich aber wurde das Gebiet der Frauenarbeit der­ maßen überfüllt, theils weil der Andrang dazu immer größer wurde, theils weil es selber in Folge veränderter socialer Einrichtungen immer mehr zusammenschrumpste, daß man die Augen nothgedrungen über seine Grenzen

schweifen ließ und eine Berufsthätigkeit nach der andern entdeckte, die mehr oder weniger Monopol der Männer

gewesen sein mochte, aber von der Natur keineswegs un­ bestreitbar dazu bestimmt war. Auf diesem Gebiete bewegt sich zum größten Theil der Kampf, der mit dem Namm Frauenfrage bezeichnet wird.

erkennt

Die eine Partei

gar kein neutrales Arbeitsgebiet

an und sieht

daher in jeder neuen Berufsthätigkeit, die Frauen zu­ gänglich gemacht wird, ein Verlassm der weiblichen Bestimmung und zugleich eine Usurpation männlicher Rechte.

Die Arbeitszeit.

112

Eine andere, die glücklicherweise in Deutschland kaum ver­

treten ist, weiß überhaupt nichts von einem Arbeitsmonopol der Männer und verlangt, daß die Frauen uneingeschränkt

zu wissenschaftlicher, politischer und jeder anderen Wirksam­ keit zugelassen werden.

Der gesunde Fortschritt wird nie

verkennen dürfen, daß je ein Theil der großen Gesammtaufgabe der Menschheit nur einem der beiden Geschlechter

zugetheilt ist, daß aber selbst auf diesen abgesonderten Ge­

bieten eine beständige Wechselwirkung stattfindet, und daß auf sehr vielen Arbeitsfeldern Männer und Frauen neben einander ersprießlich wirken können und sollen.

Wir haben es hier zunächst mit denjenigen weiblichen Erwerbsthätigkeiten zu thun, die sich auf dem Gebiet der

Arbeit, das den Frauen als Monopol zugestanden ist, Es handelt sich dabei um eine Unterstützung oder Vertretung der Hausfrauen und Mütter: daher sind

bewegen.

die Arbeiten,

die hier, in Betracht kommen,

hauswirthschaftlicher Art,

andrerseits

betreffen

einerseits sie das

Gebiet der Kindererziehung und der Alters- und Kranken­ pflege. Die Haushälterin. Gebildete Frauen und Mäd­ chen, die ihre Kräfte gegen Bezahlung in einem fremden

Haushalte verwerthen, lasten sich in drei Klaffen theilen. Entweder sie vertreten die fehlende Hausfrau, oder sie

verwalten einen oder mehrere Zweige des Haushaltes neben der Hausfrau mehr oder minder selbständig, oder endlich sie leisten Handlangerdienste aller Art im Gebiete des Hauses.

Die Ersteren kann man Hausdamen nennen,

die Zweiten Wirthschafterinnen, eigentliche Haushälterinnen oder mit einem vielgehörten Titel Mamsellen, die Dritten

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf ic.

113

bieten ihre Dienste zur Stütze der Hausfrau an und mögen sich daher den Namen Stützen gefallen lassen. Die Stellung einer Hausdame ist der der Hausfrau

in allen Stücken bis auf eins analog.

Sie hat auch den

Haushalt in alleiniger Beschränkung durch den Hausherrn selbständig zu regieren, sie hat die Kinder, wenn solche vorhanden sind, zu pflegen und zu erziehen, sie ist dem Gesinde absolut vorgesetzt. Nur ist sie nicht die Gattin

des Hausherrn — wenn sie es auch manchmal später werden mag. Aus dem Fehlen dieses Momentes ergeben sich die eigenthümlichen Schwierigkeiten ihrer Stellung,

namentlich insofern ihre Autorität den Kindern und dem Gesinde gegenüber weniger unantastbar ist, als die der wirklichen Hausfrau, und daher weit stärkere Wurzeln in ihrer eignen Persönlichkeit haben muß,

Posten richtig ausfüllen soll.

wenn sie ihren

Mit ihrer Befähigung, einen

Haushalt zu leiten und Kinder zu erziehen, wird es daher

auch viel ernstlicher genommen, als mit der einer designirten Hausfrau.

Nicht dem hundertsten von allen Män­

nern, die zum ersten Mal eine Frau nehmen, fällt es ein, sich vorher im Einzelnen nach den hauswirthschaftlichen und pädagogischen Eigenschaften seiner Erwählten zu er­ kundigen; ja selbst die Wahl,'einer zweiten Frau, wenn

denn auch die Erfahrung schon einen deutlichen Fingerzeig gegeben hat, berücksichtigt diese Dinge selten in erster Linie. Sie ganz außer Acht lassen ist leichtsinnig; doch liegt ja eine gewisse Berechtigung in der Annahme, daß, wenn nur

das persönliche Verhältniß der Ehegatten ganz so ist, wie es sein soll, die Frau auch Alles aufbieten werde, ihren

übrigen daraus entfließenden Pflichten gerecht zu werden. Lammers, Die Frau. 8

114

Die Arbeitszeit.

Da man nun einer Fremden kein persönliches Motiv zn

gewissenhafter Berufsfiihrung zutrauen darf, so ist es-nicht mehr als natürlich, daß man die Bürgschaft dafür in ihren

Antecedentien sucht, d. h. einerseits den Beweis, daß sie

ihre Sache versteht, andrerseits den Nachweis, daß sie es mit ihren Pflichten ernstlich zu nehmen gewohnt ist.

Ein junges, unerfahrenes Mädchen ist demnach für ein solches Amt durchaus ungeeignet.

Man mag sie nach

unserm heutigen Zuschnitt für reif genug halten, die Herrin eines eignen Hauses zu werden; sie mag es auch gegebenen Falls übernehmen, einem verwittweten Verwandten, einem Vater, einem Bruder, die fehlende Hausfrau zu ersetzen:

in beiden Fällen wird sie von ihrem persönlichen Ver­

hältniß zum Hausherrn getragen und mag sich bei gutem

Willen in ihre Stellung hineinarbeiten.

Aber der fremde

Mann hat kein Interesse daran ihre schwankenden Schritte zu stützen; er verlangt die Leistungen einer selbständigen

Persönlichkeit, und wenn sie das nicht ist, sich nicht durch ihre Tüchtigkeit, ihre Charakterfestigkeit und Erfahrung

von vornherein in Respect zu setzen versteht, so hat sie den Hausgenossen, den Kindern und dem Gesinde gegenüber,

hinter denen noch eine kampfbereite Schaar weiblicher Ver­ wandten des Hauses zu stehen pflegt, gründlich verspielt. Für Frauen von genügender Lebensreife und Erfahrung öffnet sich dagegen gerade hier eine segensreiche und ver­

dienstliche Wirksamkeit.

Wie viel liegt nicht darin, mit

Treue und liebevoller Hingabe

an

verwaisten Kindern

Mutterstelle zu vertreten, einem einsamen Manne wieder eine trauliche Häuslichkeit zu schaffen! Der Anfang wird vielleicht mehr Schwierigkeiten bringen als jeder Anfang

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc. sprichwörtlich thut.

115

Aber wenn er einmal überwunden,

wenn die individuelle Besonderheit des Hauswesens er­ kundet und zur Gewohnheit geworden ist, wenn die Herzen

der Kinder gewonnen sind, wenn das Gesinde nicht mehr den Vorzug des

höheren Dienstalters und der besseren

Bekanntschaft mit der Weise des Hauses hat: welche, Ge­

legenheit dann, im schützenden Bann der Häuslichkeit fort­ gesetzt Segen zu verbreiten in jener gedeihlichen Mischung vpn Selbständigkeit und Abhängigkeit, die dem Wesen des

Weibes so förderlich ist; welcher Ersatz für jene Verein­

samung des Herzens, die den reiferen Jahren alleinstehender Frauen ihren düsteren Schatten giebt! Frauen, denen der Tod ihr häusliches und eheliches Glück zertrümmert hat, sollten mit Vorliebe einen solchen Wirkungskreis aufsuchen, auch wenn nicht durch die Noth zum Erwerben gezwungen; sie würden mehr wahre Befriedigung von ihrem Leben

haben, wenn sie es auf diese Weise in den Dienst ihrer Mitmenschen stellen, als wenn sie für sich allein oder viel­ leicht mit einem Kinde nach dem Tode des Mannes einen

kleinen Haushalt fortsetzen, der ihre Kräfte nicht absorbirt und kaum noch mit dem breiten Strome des öffentlichen Lebens in Verbindung steht.

Wesentlich verschieden ist die Stellung der Gehülfinnen

im Haushalt, wenn sie noch eine Hausfrau über sich haben. Das eigentliche Regiment muß natürlich dieser Vorbehalten

bleibm, wenn sie ihren Namen verdient; es kann sich dann also nur darum handeln, einen Theil ihrer übrigen Pflichten, namentlich solche, zu denen ihre Körperkraft oder ihre Ge­

schicklichkeit nicht ausreicht, auf stärkere Schultern abzu8*

116 laden.

Die Arbeitszeit.

Seitdem es für den Arbeitgeber im Allgemeinen

nicht mehr Sitte ist, seinen Gehülfen außer dem Lohn auch

Brot zu geben, kann davon in gewöhnlichen städtischen Haushaltungen nicht mehr die Rede sein, abgesehen von einer zeitweiligen oder andauernden Erkrankung der Haus­

frau, die eine wirkliche Stellvertretung nöthig macht. Ganz

anders stellt sich die Sache in den Haushaltungen, die

selbst als solche in irgend einer Weise für den Erwerb prodnciren, sei es wie auf dem Lande durch Erzeugung

von Rohprodukten, sei es durch Gewährung von Obdach und Kost an Fremde, wie in Gasthäusern und Pensionaten. Hier ist nicht allein der Fall denkbar, daß die Arbeits­

kraft der Hausfrau, nur vom eigentlichen Gesinde unter­ stützt, nicht ausreicht, er wird allermeistens wirklich ein­ treten.

Ja, in besonders ausgedehnten Wirthschaften, in

großen Gasthöfen z. B., genügt möglicherweise die Hülfe einer „Mamsell" nicht, man muß ihrer mehrere anstellen. Für die Hausfrau wie für die betreffende Gehülfin ist

es jedenfalls das Ersprießlichste, ja das allein Räthliche, wenn die Bertheilung der Arbeiten zwischen ihnen beiden eine möglichst von vornherein fest bestimmte ist.

Die Haus­

frau muß sich's genau überlegen, welche Zweige ihrer Haus­

haltung sie in Rücksicht auf das Ganze und auf ihre eigne Persönlichkeit am füglichsten abtreten kann; dann ergiebt es sich von selbst, welche ganz bestimmten Geschicklichkeiten sie von ihrer Gehülfin beanspruchen muß, und auf welche

sie ohne Schaden Verzicht leisten kann.

Die Oberaufsicht,

die Disposition über das ganze Räderwerk ist ihre unver­

äußerliche Pflicht; sie muß daher Einsicht vom Ganzen haben und von jedem einzelnen Arbeitszweige wenigstens

Tas Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

117

soviel verstehen, daß sie die Leistungen ihrer Untergebenen beurtheilen kann; aber dieselbe Vielseitigkeit darf sie nicht bei ihren Gehülfinnen voraussetzen und steht sich daher am besten, wenn sie diese für ein ganz bestimmtes Gebiet

anstellt und ihnen nach Maßgabe ihrer Tüchtigkeit eine verantwortliche Freiheit gestattet. Wir dürfen getrost an­ nehmen, daß diese Regel in den meisten großen Wirth­ schaften bereits befolgt wird. Der Untergebene, der sich seiner Leistungsfähigkeit

auf

einem

bestimmten Gebiete

bewußt ist, arbeitet gemeiniglich um so besser, je mehr er fühlt, daß man ihm vertraut, ihn aber auch beaufsichtigt und zu beurtheilen versteht. Geschicklichkeit und Erfahrung in möglichst vielen häus­

lichen Arbeiten, genügende Körperkraft und die Gewohn­ heit des rüstige« Schaffens sind die unerläßlichen Erforder­ nisse für diesen Berufszweig.

Er ‘ist gegenwärtig nicht

eben überfüllt, mit welch günstigem Auge auch immer das

große Publikum die hauswirthschaftlichen Beschäftigungen des weiblichen Geschlechtes zu betrachten gewohnt ist. Und

zwar suchen wir den Grund der Erscheinung, daß tüchtige Haushälterinnen fast ebenso sehr gesucht sind wie tüchtige Köchinnen, nicht sowohl in dem Umstande, daß ihnen ver-

hältnißmäßig ein recht geringer Lohn für anstrengende

Arbeit zu Theil wird, als darin, daß man einerseits wirk­ liche Leistungsfähigkeit

von ihnen verlangt,

andrerseits

ihnen aber in der Regel eine Stellung bietet, die sie wenn

nicht mit den Dienstboten, doch auch keineswegs mit der

Herrschaft auf gleiches Niveau bringt.

Für ein jüngeres

Mädchen, das, ob auch leistungsfähig im Einzelnen, sich doch noch bereitwillig der Autorität der Hausfrau unter-

Die Arbeitszeit.

118

ordnen mag, ist es in der That nicht leicht, isolirt zwischen Herrschaft und Gesinde zu stehen, während eine ältere Arbeiterin lieber nach größerer Selbständigkeit sucht.

Die

Scheu vor angestrengter körperlicher Arbeit und die Un­

geneigtheit, in einer wirklichen Lehrzeit sich bestimmte Ge­ schicklichkeiten erst zu erwerben, haben jedenfalls auch einen

großen Antheil daran, daß brauchbare Wirthschafterinnen

im Ganzen ein begehrter Artikel sind. Desto mehr Angebot findet sich auf dem letzten Ge­ biete häuslicher Erwerbsthätigkeit, in der Gehülfenschaft,

die sich „zur Stütze der Hausfrau" anbietet.

Man thut

dieser Art die Zeit hinzubringen zuviel Ehre an, wenn

man sie einen Beruf nennt.

Alle anderen menschlichen

Berufsarten setzen eine bestimmte Borbildung, bestimmte Leistungen und einen entsprechenden Lohn voraus: von

dem Allen ist nicht die Rede, wenn ein junges „gebildetes"

Mädchen auf die Idee kommt, sich einer Hausfrau als Stütze anzubieten. Die Massenhaftigkeit dieses Angebots ist ein rechtes Zeichen der Zeit: der Nothstand, der die

Frauenfrage in Fluß gebracht hat, wird überall fühlbar,

und so greift die gedankenlose große Menge nach dem ersten besten Quacksalbermittel, das wie der Königstrank

oder die Revalenta ohne Weiteres für alle Fälle paßt. Ein wenig Nachdenken, ein wenig Umschau in der Welt

würde dahin führen, daß man den eignen individuellen Fall als ein Glied in einer großen Kette ansähe, und daß man sich sagte, es könne sich nicht um ein augenblick­ liches Palliativ, sondern nur um eine gründliche Kur han­ deln.

Nicht einzelne, Tausende von jungen Mädchen der

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

119

gebildeten Stände sind heute in der Lage, daß der nächste

männliche Verwandte, auf dessen Ernährungspflicht ihre Existenzmöglichkeit sich gründet, diese vermeintlich souveräne Pflicht nicht erfüllen kann.

Wollen sie nicht hungern oder

betteln, so sind sie also auf ihren eignen Erwerb ange­

wiesen.

Aber es ist bei ihrer Erziehung darauf nicht

Rücksicht genommen, auch wenn vorauszusehen war, daß

kein Vater, Bruder oder Schwager die Mittel und zu­ gleich den guten Willen haben würde, sie aus reiner Freude an ihrem Dasein oder aus Schicklichkeitsgefühl zu erhalten. Denn über kurz oder lang, so rechnet man, muß ja doch

der Ehemann kommen, der dann fürs ganze Leben die Sorge für ihren Unterhalt übernimmt.

Es gilt also nur

die paar Jahre zu überbrücken, die zwischen Confirmation

und Verheiratung verstreichen mögen. Wie diese Jahre hingehen, welche Vorschule sie für den Fall der Verhei­

ratung gewähren, was werden soll, wenn der mit Sicher­ heit erwartete Bewerber ausbleibt, oder wenn er nach

fünfzehn Jahren kommt, oder wenn dereinst im Ehestände alles Verwaltungstalent der Frau den Ruin des Hauses nicht aufhalten kann und sie auf eine oder die andere

Weise erwerben muß: darüber läßt man sich keine grauen Hüare wachsen; nein, man wendet auch nicht einmal einen

ernsten Gedanken daran, als wenn die bezeichneten Mög­ lichkeiten eigentlich nur in China und Australien zu Hause

wären und nicht von Jedem, der die Augen aufthun will, als

greifbare Wirklichkeiten alle Tage geschaut werden

könnten.

Ausnahmen zugegeben, so sucht die große Mehrzahl solcher „Stützen" im fremden Hause nur die Möglichkeit,

120

Die Arbeitszeit.

so fortzuleben, wie sie es daheim als Haustöchterchen ge­ wohnt waren.

Angestrengte Arbeit irgend welcher Art ist

aus dem Programm der MLdchenjahre von heute durchaus

gestrichen; für bestimmte häusliche Leistungen in der Küche, bei der Wäsche, am Nähtisch haben sie kaum die Anfangs­ gründe einer Vorbildung empfangen, und davon, wie man

mit Kindern erziehlich umgeht, wissen sie int besten Falle soviel wie ein glücklicher Instinkt ihnen sagt.

Man müßte

es ihnen als lobenswerthe Bescheidenheit anrechnen, daß sie angesichts dieser Leistungsunfähigkeit von vornherein

alle Ansprüche auf Lohn eifrig von sich abwehren, ihre Dienste blos *für Kost, Logis und gute Behandlung aus­

bieten, steckte dahinter nicht das alte hochmüthige Vorurtheil, daß es einem gebildeten weiblichen Wesen eine Schande

sei für Geld zu arbeiten. Wären die meisten Hausfrauen des heutigen gebildeten Mittelstandes praktisch und theo­

retisch voll ausreichend auf ihren Beruf vorgebildet, so würden diese durchschnittlich höchst wenig brauchbaren Ge­ hülfinnen kaum Stellen finden, also bald genug gezwungen sein, sich erst gehörig auf eine bestimmte Erwerbsarbeit

vorzubereiten und dann natürlich auch entsprechenden Lohn

verlangen lernen.

Ein gewöhnlicher bürgerlicher Haus­

halt, der nicht zugleich dem Erwerbe dient, sollte billig

von der Hausfrau mit alleiniger Unterstützung des Ge­ sindes geführt werden, ohne eine solche fremde Gehülfin,

die wohl den Anspruch erhebt, zur Familie gerechnet zu

werden, aber keineswegs von vornherein geneigt ist oder auch nur versprechen kann, sich ihrerseits wirklich mit den

Interessen der Familie zu identificiren. Hausfrau

Kann aber die

wegen außerordentlicher- Verhältnisse

wirklich

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

121

nicht allein fertig werden, so sollte sie doch nicht wie ein schwaches hülfsbedürftiges Wesen nach einer Stütze für

alle Fälle aussehen, die eben darum in den meisten Fällen keine ist,

sondern sollte ganz wie die Vorsteherin einer­

besonders großen, auf den Erwerb gerichteten Wirthschaft,

einzelne Zweige ihrer Thätigkeit in geschickte und erprobte Hände legen.

Sie und ihr Haushalt werden sich dabei

unverhältnißmäßig viel besser stehen,

trotz des wohlver­

dienten Lohnes, den sie einer wirklich arbeitstüchtigen Ge­ hülfin selbstverständlich zu zahlen hat.

In dem Drängen nach diesem Nothbehelf liegt ein unverkennbares Zeichen der Zeit; es dürfte keine gewagte Behauptung sein,

daß man den jeweiligen Stand der

ganzen Frauenbewegung in Deutschland nach der zu hoffenden allmählichen Abnahme der wahrhaft erschreckenden Zahl junger Mädchen beurtheilen könne, die sich um Gottes­

willen .den Mindestbietenden an den Hals werfen müssen,

weil man sie nicht gelehrt hat auf eignen Füßen zu stehen. Die Lehrerin und Erzieherin. — Das Lehren

der Mädchen durch Frauen ist eine so altehrwürdige Ein­

richtung, daß es unsrer Zeit aufbehalten gewesen ist, Mäd­ chenschulen ins Leben zu rufen, an denen nur Männer

unterrichten.

Schon die Klosterjungfrauen des Mittelalters

sahen es als eine ihrer Ordenspflichten an, Mägdlein zu unterweisen, und als durch die Reformation eine Menge Klöster geschlossen wurden, sorgte Luther dafür, daß den

Ursulinerinnen und anderen frommen Schwestern in dieser Arbeit Nachfolgerinnen unter „ehrsamen Frauenspersonen"

erwählt würden. Man braucht die Berechtigung der Frauen zum Lehr- und Erziehungsfache so wenig wie ihre Be-

122

Die Arbeitszeit.

fähigung dazu erst zu erweisen; nur um die Grenzen mag

es sich Händeln, die zwischen der Arbeit beä' Weibes und

der des Mannes auf diesem Gebiete zu ziehen sind. wichtige Werk der Pflege

Das

macht Niemand den Frauen

streitig; auf dem der Zucht werde« sie zum mindeste« als gleichberechtigt anerkannt; erst wo es sich um den Unter­ richt handelt, haben wir auf alle Fälle thatsächlich und in

mehrfacher Beziehung auch mit gutem Rechte das Ueber-

gewicht des Mannes zuzugestehen. Während also den Kinderpflegerinnen keinerlei männ­

liche Concurrenz erwächst und von Kindergärtnern nur einige vereinzelte Exemplare vorhanden sind, die mehr die theoretische als die praktische Seite ihres Berufs zu ver­

treten pflegen, finden wir Erzieher neben Erzieherinnen, Lehrer neben Lehrerinnen, der ersteren weniger, der letz­ teren in Deutschland jedenfalls mehr als Frauen der

gleichen Berufsart. Diese Bertheilnng der Arbeit beruht nicht blos auf dem Hergebrachten oder auf zufälligen so­ cialen Verhältnisien, sondern hat ihren letzten Grund in der Verschiedenartigkeit

der

männliche«

und weiblichen

Natur. Wie gleichgeartet immerhin die Anlagen der beiden großen Hälfte« der Menschheit bei ihrem Ursprünge ge­ wesen sein mögen: thatsächlich liegt jetzt das Uebergewicht

der Männer nicht nur in den physischen Kräften, sondern in dem Erkenntnißvermögen, wohingegen die durch das

Gefühl mehr beeinflußte Willensstärke individuell, aber

nicht nothwendig geschlechtsmäßig verschieden ist, und die Anbeqüemungsfähigkeit an das Kleine, Niedere, Unent­

wickelte, die unbegrenzte Aufopferungsfähigkeit, die Treue

im Kleinen mehr dm Fraum eignet.

Auch wo der mutter-

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

123

liche Instinkt nicht ins Spiel kommt, sind daher Franen

nnd Mädchen die berufenen Hüterinnen der ersten Kind­ heit, sind's von jeher gewesen und werden es immerdar

bleiben. Nur das ist eine neue, froh zu begrüßende Errungen­ schaft, daß Mädchen der gebildeten Stände anfangen, in

der Kinderpflege einen Beruf zu sehen, beit sie zu ihrer Lebensaufgabe machen können, und der daher, wie jeder

wirkliche Beruf, eine bestimmte Vorbildung und einen ma­

teriellen Lohn voraussetzt.

Es ist oft genug gerügt worden,

daß man zur Wartung und Pflege kleiner Kinder das

erste beste halberwachsene Mädchen aus dem Volke, dem man keinerlei Hausarbeit anvertrauen würde, für gut genug

hält.

Der Unfug, der von solchen Kindermädchen verübt

wird, ihr Leichtsinn, ihre Unachtsamkeit, ihre stumpfe Gleich­ gültigkeit oder empörende Rohheit sind fast sprichwörtlich

geworden, ohne daß ihre Zahl bis jetzt merklich abge­ nommen hätte.

Man hat eben keinen Ausweg gehabt,

wenn die Mutter nicht im Stande war, ganz ohne Hülfe

auszukommen, was wohl selten der Fall ist, oder wenn man nicht zu einer hochbesoldeten Wärterin oder Kinder­

frau greifen wollte, die möglicherweise ihr Fach versteht, aber auch keine Autorität über sich duldet und der Mutter also nothwendig ihre Kinder entfremdet.

Und man kann

sich nicht einmal darüber wundern, daß das Gros der

jetzigen Kindermägde eine so unzuverlässige, unheilstiftende

Schaar.ist, kann von der Einzelnen, wenn sie nicht be­ sonders gut erzogen, besonders charakterfest, besonders

kinderliebend ist, kaum etwas Besseres erwarten.

Man

bedenke nur einmal, was das heißen will für ein gesundes,

Die Arbeitszeit.

124

kräftiges Mädchen, das geistig und sittlich vielleicht ebenso unentwickelt wie körperlich entwickelt ist, wenn es täglich

stundenlang, den Augen der Herrschaft fern, mit den ihm anvertrauten Kleinen in einem Schwarm

gleichgestellter

Kameradinnen sich in öffentlichen Anlagen, auf Straßen

und Wällen umhertreiben muß.

Der Ueberschuß an körper­

licher Kraft findet in keiner anstrengenden Arbeit Ableitung; den fehlenden Gedankenstoff müssen Klatschereien oder Lieb­ schaften ersetzen, die Kinder sind zuletzt völlige Nebensache,

und wenn sie sich durch Art oder Unart Beachtung ver­ schaffen wollen, werden sie so drasttsch wie möglich zum Schweigen gebracht.

Wie mancher Charakterfehler, wie

manches körperliche Gebrechen auch mag auf diese Spa­ ziergangsstunden und auf den verderblichen Einfluß eines

Kindermädchens überhaupt zurückzuführen sein, einen Ein­ fluß, den liebevolle und besorgte Eltern in den Stunden,

da sie sich ihren Kindern widmen können, vergebens zu paralysiren trachten. Ein gebildetes, wohlerzogenes Mädchen dagegen, dessen

Pflichtgefühl entwickelt, das sich der hohen Verantwortlich­ keit eines solchen Postens bewußt ist, das zugleich die

nöthige theoretische Belehrung und praktische Vorübung dafür erhalten hat, und das Lust und Liebe zu seiner

Arbeit mitbringt, verdient das volle Vertrauen der Eltern

und kann reiche Befriedigung in dieser Wirksamkeit finden. Ein gesunder, kräftiger Körper, ein kinderfreundliches, hei­

teres Gemüth, Anstelligkeit und Gewandtheit sind uner­ läßliche Vorbedingungen für diesen Beruf. Hat ein?

Mittelschule oder höhere Töchterschule die Allgemeinbildung vermittelt, die vorausgesetzt werden muß, so

wird ein'

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf :c.

125

Cursus auf einem der bestehende» Seminaren für Kinder­ gärtnerinnen oder eine dem entsprechende Belehrung' über Kinderpflege und Erziehung nebst der Ergänzung etwa

fehlender Kenntnisse und Fertigkeiten in den Elementar­ fächern und der nöthigen mit vielfacher Uebung verbun­

denen Anleitung zur Beschäftigung kleiner Kinder die directe Borbildung gewähren, die nicht minder unentbehrlich

ist als jene Naturanlagen.

Eine Singstimme und musi­

kalisches Gehör, Handgeschicklichkeit aller Art, Zeichentalent,

einige Kenntniß häuslicher Arbeiten,

wenigstens solcher,

die sich auf die Kinderstube beziehen, sind wichtige Bundes­

genossen der Kinderpflegerin.

Findet sie ihren Wirkungs­

kreis in einem Hause des gebildeten Mittelstandes, so sollte

ihr soviel als möglich Antheil am Familienleben einge­ räumt werden; ihre Stellung ist nicht zwischen den Dienst­

boten.

Die Herrschaft wird sich um so besser dabei stehen,

je fester sie von vornherein den Pflichtenkreis der Kinder­ pflegerin abgrenzt, und je weniger sie über Das hinaus,

was wirklich zu dem Berufe gehört, von ihr verlangt;

die Kinderpflegerin um so besser, je weniger sie neben aller Treue in Bezug auf ihre eigentlichen Pflichten ängst­

lich abwägt, ob ihr Dies und Jenes zu thun zukommt oder nicht, und je mehr sie bereit ist, sich in die Familie, deren Liebstes ihr anvertraut ist, wirklich hineinzuleben.

Dieser Berufszweig ist bei uns für gebildete Mädchen verhältnißmäßig neu, und es haben sich daher noch wenig feste Normen für Leistungen und Anforderungen gebildet.

Er hat, wie jeder andere auch, seine idealere, und seine

irdischere, wenn man will niedere oder gröbere Seite, die nicht von einander zu trennen sind.

Für ihre Pfleglinge

Die Arbeitszeit.

126

darf einer Kinderpflegerin keine Arbeit zn niedrig oder zu gemein Vorkommen.

Eine vernünftige Mutter wird

schon dafür sorgen, daß ihr nicht ohne Noth mehr zuge-

muthet wird, als ein gesundes, kräftiges Mädchen leisten

kann, und wird auch bedenken, daß sie, besonders wenn

ihre Pfleglinge auch des Nachts unter ihrer Obhut sind, mindestens ein paar Stunden täglich Ablösung haben muß,

die möglichst aus dem Bereich der Willkür entrückt sein

sollte.

Was keine Mutter aushält: tagaus tagein das

ganze Jahr hindurch ihre Kleinen beständig um sich haben,

beaufsichtigen und beschäftigen, das kann eine Fremde noch weniger. Außer diesem Wirkungskreis in Familien, der auch

im Auslande gut vorgebildete deutsche Mädchen gern auf­ nimmt, bietet sich dann noch die Wirksamkeit an einem Kindergarten als Gehülfin oder Leiterin. Die Kinder­

gärten sind nicht die alleinigen Pflanzstätten alles Guten und Schönen in der heutigen Welt, so wenig wie die

Fröbellehre die alleinige Panacee für alle Schäden der

Menschheit ist; aber sie sind, richtig geleitet, sehr segens­ reiche Einrichtungen und leisten unzähligen Müttern, die

sich mit dem besten Willen nicht ganz ihren Kindern widmen

können, die wesentlichsten Dienste. Die Gehülfin eines Kindergartens, die täglich höchstens fünf Stunden und sehr viele Tage im Jahr gar nicht in Anspruch genommen ist,

kann natürlich nicht so viel erwerben wie die FamilienKinderpflegerin. Die Leiterin eines solchen muß ihr Fach

aus dem Grunde verstehen und sollte billig, wie jede Lei­ terin eines größeren Organismus, ein reiferes Lebensalter

und mannigfache Erfahrung mitbringen.

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

127

Ist die Kinderpflegerin gebildeten Standes ein Pro­ duct der Neuzeit, so gehört dagegen das Gebiet des Unter­

richts und der Erziehung den für den Erwerb arbeitenden

Frauen seit so lange und so unbestritten, daß es für ein unbemitteltes Mädchen von guter Herkunft bis vor nicht langer Zeit kaum anders ging: fand sich nicht früh genug

ein Mann, sie zu versorgen, so wurde sie Lehrerin oder Erzieherin.

Dieser Stand hat daher das sociale Vor-

urtheil auch am wenigsten gegen sich ; es gab und giebt

sogar immer einige Frauen, die Lehrerinnen geworden sind, obgleich sie ein ausreichendes Einkommen auch ohne eigne

Arbeit zu verzehren haben. Er ist in Folge dessen zahl­ reich genug vertreten, zu zahlreich, als daß bis jetzt noch ein richtiges Verhältniß zwischen Arbeit und Lohn auf­

kommen könnte.

Daß man einem weiblichen Wesen ohne Weiteres zu­ traut, es werde mit Kindern erziehlich umzugehen verstehen, das ist sehr schmeichelhaft und durchaus nicht ohne alle

Berechtigung.

Die weibliche Natur hat im Durchschnitt

gewiß nicht weniger, sondern mehr pädagogische Beanlagung

als die männliche, wenn wir auch ebenso wenig einen

weiblichen Pestalozzi, wie einen weiblichen Michelangelo oder Goethe aufzuführen haben. Die bahnbrechenden Ge­

nies sind hier wie überall Männer gewesen; unter den unbekannt«» Arbeitern, die mit Treue und liebevoller Hin­ gabe, , oft weniger von klarer Erkenntniß als von dem

feinen Takt des Herzens geleitet, die Ausführung im Ein­ zelnen übernahmen,

stehen Frauen neben Männern in

gleichem Werthe da.

Die Befähigung zu erziehlicher Wirk­

samkeit spricht ihnen auch Niemand ab; für den Unterricht

Die Arbeitszeit.

128

dagegen läßt. man ihre Thätigkeit nur beschränkt gelten. Man verwendet Lehrerinnen für Knaben und Mädchen

auf der Elementarstufe, für Mädchen allein mit geringer

fachlicher Einschränkung auf der Mittelstufe und mit sehr starker

fachlicher

Einschränkung

auf

der

Oberstufe



wenigstens soweit es sich um öffentliche Unterrichtsanstalten handelt, die mehr oder minder auf das Privatunterrichts­ wesen

maßgebend zurückwirken.

Warum der Mädchen­

unterricht diese Einschränkung erfährt, die man in der Privaterziehung allerdings nicht immer festgehalten hat — schon aus Noth nicht, weil man die erforderlichen männ­

lichen Lehrkräfte nicht, würde beschaffen können, ist nicht recht ersichtlich.

Der erste Grund, den man gegen die

Verwendung von Lehrerinnen zu wissenschaftlichem Unter­ richt — denn darum handelt es sich natürlich — geltend

macht, ist die oft behauptete geistige Inferiorität des Weibes überhaupt, eine Sache, die trotz der bekannten Gehirnmeffungen und ähnlicher physiologischer Beweise indessen noch nicht ganz unwiderleglich feststeht, und über die erst

endgültig

entschieden werden könnte,

wenn durch viele

Generationen hindurch auf das weibliche Geschlecht

die

Mühe und Kosten derselben geistigen Ausbildung verwandt

worden wären, wie seit Jahrhunderten auf das männliche.

Machte man damit jetzt den Anfang, so würde der zweite und zwar ein viel gewichtigerer Grund fortfallen: nämlich die mangelhafte Vorbildung der Lehrerinnen. Hätten die Lehrerinnen in demselben Maße wie die Lehrer Gelegen­

heit, ihre Geisteskräfte zu bilden und Kenntnisse zu sam­ meln, so würde der Durchschnitt auf beiden Seiten wahr­

scheinlich gleich hoch stehen, und darauf kommt es an,

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf re.

129

selbst wenn auch die besten Lehrer ihre besten Colleginnen noch um eines Hauptes Länge überragten.

Während aber der Knabe, der über das Amt eines hinaustrachtet, ein Gymnasium oder mindestens eine Realschule bis in die obersten Klaffen

Elementarlehrers

besuchen, danach einen vollständigen Seminarcursus oder wenn möglich ein mehrjähriges Universitätsstudium absolvire« muß, beschränkt sich die thatsächliche Vorbildung vie­

ler, sehr vieler Lehrerinnen darauf, daß sie bis zum fünf­ zehnten, höchstens sechzehnten Jahre eine Töchterschule be­

suchen oder auch von einer Gouvernante unterrichtet wer­ den und möglicherweise in einzelnen Fächern

etwas zweifelhaften Privatunterricht genießen.

nebenher Mit dem

so erworbenen Bildungsreichthum gehen sie frischweg ans Werk, manchmal, wenn die Noth drängt, sofort, manchmal

nach langem Zwischenraum, wenn die Jugend auf. die

Neige geht, und nichts Besseres mehr zu erwarten steht. Gelingt es ihnen noch, auf eine Zeit lang eine Stellung

im Auslande zu erlangen, wo sie die eine oder die an­ dere Fremdsprache erträglich lesen und sprechen lernen, so

unternehmen sie kühnlich jeden Unterricht, den ihnen ir­

gend Jemand anvertrauen will, es mag daraus werden,

was da wolle. Allerdings, seitdem fast jeder deutsche Staat die Er­

laubniß zum Unterrichten an Schulen von vorher abge­

legten Examina abhängig gemacht hat, ist diesem Unfug ein wenig gesteuert worden. Die Möglichkeiten, wenigstens eine seminaristische Vorbildung zu erlangen, mehren sich und werden mehr benutzt.

Die Examenordnungen selber

geben freilich der Regel nach noch sehr wenig Bürgschaft Lammers, Die Frau.

9

Die Arbeitszeit.

130

für die Befähigung der Candidatinnen, wiffenfchastlichen

Unterricht auf. oberen Stufen zu ertheilen; dazu ist ihre Handhabung an manchen Orten eine ungewöhnlich milde, und das große Publikum hält einstweilen an der Ansicht

fest, es könne sich dabei lediglich um den Nachweis gewis­ ser positiver Kenntnisse handeln, die jedes beliebige junge Mädchen aus bestimmten Lehrbüchern vielleicht unter Be­

rathung irgend eines Lehrers sich einzuprägen vermöge. Kurz, die alte, mehrfach erwähnte Theorie, daß wir Frauen

Alles, was wir überhaupt wissen und können, durch Jn-

spiration können, spielt auch hier eine sehr große Rolle, und während keine einzige der jetzt dem weiblichen Ge­

schlechte erschlossenen Berufsarten eine so langdauernde, gründliche und umfassende Vorbereitung bedarf wie der Lehrerinnenberuf, legt man sich davor noch immer mit der tröstlichen Ueberzeugung schlafen, daß mit dem Amte nicht allein der Verstand, sondern auch die Einsicht, das

richtige Urtheil, die Selbstzncht, die Gewöhnung an be­ stimmte Formen des Thuns und der Selbstdarstelluntz und

das

gesammte

nothwendige

Bildungsmaterial kommen

werde. Und zwar stützt sich diese falsche Praxis auf zwei feste

Säulen, die ihr, wie fast zu befürchten ist, noch ein ziem­ lich langes Leben verbürgen. Die eine ist das allmächtige Herkommen, dem das conservative Geschlecht der Frauen sich anf allen Gebieten mit einzigem Ausschluß der Mode

willig beugt.

Und die andere ist der Umstand, daß das

Mädchen, wenn es sich zur Lehrerin bestimmt, auch ohne gerade heiratssüchtig zu sein, doch nur in den seltensten Fällen ihr Lebelang Lehrerin zu bleiben denkt. Da Kei-

DaS Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

131

ner den Jüngling darum tadelt, der sich bei dem Antritt

seines Berufes an der Aussicht freut, über kurz oder lang seinen eignen Herd begründen zu können, so wollen wir die Jungfrau noch weniger tadeln, wenn sie als eine Fü­

gung des Himmels für sich erhofft, was ihr allein ein volles irdisches Glück schaffen kann. Aber für die künftige Lehrerin selber, ihre Wirksamkeit und ihre Schülerinnen

ist es doch das einzig Ersprießliche, wenn sie einer solchen ganz unbestimmten Hoffnung, so lange sie nicht Farbe und Gestalt gewonnen hat, keinerlei Einfluß auf ihr Thun

verstattet, sondern sich auf ihren Beruf vorbereitet und ihn führt, als wenn gar keine Männer in der Welt

wären. Der Beruf einer Lehrerin und Erzieherin ist in der That so schwer, verantwortlich und folgenreich, daß nicht

allein eine besonders vielseitige und gründliche Vorberei­

tung für denselben unerläßlich ist, sondern daß man auch einen guten Schritt zu weit geht, wenn man ohne Weite­

res jedes Mädchen von leidlichem Durchschnittsmaß geisti­

ger und körperlicher Gesundheit dazu für befähigt ansieht. Nicht Jede, die als Mutter vielleicht ihre Pflichten gut

erfüllen würde, ersetzt fremden Kindern gegenüber den Mangel des allmächtigen Naturgefühls durch eine entspre­

chende besondere Begabung.

Wo aber diese Begabung

fehlt, da wird im letzten Grunde der Wirksamkeit, die sie

voraussetzt, immer etwas Unbefriedigendes innewohnen, wie treu sie durchgeführt werden mag. Mehr als die meisten anderen nimmt dieser Beruf den ganzen Menschen in seinen Dienst; daher sind auch die Eigenschaften, die eine gedeihliche Wirksamkeit erhoffen lassen, sehr mannich-

9*

Die Arbeitszeit.

132

faltiger Art. Man könnte schwanken zu bestimmen, welcher der erste Platz einzuräumen sein möchte.

Sollte es nicht

die natürliche Neigung zu erziehlicher Thätigkeit sein, die Vorliebe, sich mit Kindern zu beschäftigen? Jedenfalls ist das

pädagogische Arbeitsfeld einerseits so durchgreifend

wichtig, andrerseits so mühevoll und dornenreich, daß man nur dringend wünschen kann, Keine möge es gegen ihre

ausgesprochene Neigung betreten.

An geistiger Begabung

soll zum mindesten die Lehrerin dem Durchschnitt ihrer

Schülerinnen nicht nachstehen. Besonders glänzend geistige Anlagen sind nicht zu. verachten, aber auch nicht als un­

Wünschenswerther als irgend ein

entbehrlich anzusehen.

hervorragendes Talent ist jedenfalls das harmonische Eben­

maß der Geisteskräfte, da die Phantasie nicht auf Kosten des Beistandes lebt, und das Gedächtniß nicht die Urtheils­ kraft

überwuchert.

Ein warmes, wohlwollendes Herz,

freundlich entgegenkommendes Wesen, fröhlicher Sinn wer­

den jetten blauen Himmel der Heiterkeit in der Kinderund Schulstube schaffen, unter dem Alles gedeiht, Gift ausgenommen. Eine ernste, sittliche Lebensauffassung, eine feste religiöse Ueberzeugung und vor Allem ein Leben mit Gott sind so sehr die Bedingungen jedes wahrhaft segens­

reichen Menschenwirkens, daß wir sie auch hier als selbst­ verständlich voraussetzen müssen. Neben der geistigen Ge­ sundheit aber dürfen wir die körperliche nicht außer Acht

lassen.

Wenn es sich

aus leicht erkennbaren

Gründen

empfiehlt, daß die Lehrerin ein ansprechendes, durch kein auffallendes Gebrechen entstelltes Aeußere habe, so ist doch noch wichtiger, daß ihre körperlichen Kräfte den Anstren,

gütigen ihres Berufes gewachsen seien.

Erziehung und

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Berus rc.

133

Unterricht vertragen keine Lücken. Die Schullehrerin vor­ züglich, die meistens täglich jedem Wetter ein paar Mal trotzbieten muß, darf kein allzuzart besaitetes, ätherisches

Wesen sein, das von jedem rauhen Lüftchen arbeitsunfähig gemacht wird.

Auch ist zu bedenken, daß, so sehr der

ganze Mensch beim Lehren und Erziehen in Anspruch ge­

nommen wird, doch das Hauptwerkzeug der Lehrerin die Kehle ist.

Gesund und dauerhaft müssen von Haus aus

ihre Sprachorgane sein, dann werden sie bei verständigem Gebrauch und sorgfältiger Schonung, die auch aus päda­ gogischen, insbesondere disciplinarischen Gründen sehr zu empfehlen ist, immer kräftiger und leistungsfähiger wer­ den, während im anderen Falle frühe Untüchtigkeit oder

gar früher Tod die gewaltsame Anstrengung strafen mag. Endlich muß die werdende Lehrerin sich vor Uebernahme ihres Amtes klar machen, daß ihr Großes anvertraut und darum auch Großes von ihr gefordert werden wird.

Sie darf nicht erwarten, neben ihren Berufspflichten ein Schmetterlingsleben zu führen, wie viele junge Mädchen

thun. Ihr wird gar wenig Zeit und Kraft für ihre Toi­ lette und neue Moden, für freundschaftliche Besuche und Kaffeegesellschaften, für Ball, Theater und Concert blei­ ben.

Das heißt, wenig Zeit im Vergleich mit unbeschäf­

tigten, berufslosen Frauen und Mädchen; ich meine keines­

wegs , daß sie auf alle Vergnügungen verzichten soll und darf. Ihr thut vorzugsweise eine gesunde und behagliche Häuslichkeit noth, ohne welche sie den Anforderungen ihres Berufslebens auf die Dauer erliegen muß, aber daneben auch soviel edle Geselligkeit, wie sich mit treuer Pflicht-

Die Arbeitszeit.

134

erfüllung verträgt, und wie sie zum körperlichen und gei­ stigen Wohlsein bedarf. Zugleich sollte schon bei bett Erwägungen, die der

Wahl des Berufes überhaupt vorausgehen müssen,'ganz bestimmt ins Auge gefaßt werden, für welche Art der pä­

dagogischen Wirksamkeit das Mädchen sich entscheidet. Die

Frauen gelangen zu diesem, wie zu jedem anderen selbst­ erwählten Berufe nicht wie die Männer auf geraden, brei­ ten ,

vielbefahrenen

Heerstraßen

mit

Wegweisern

und

Schlagbäumen, sondern mehr oder minder auf verschlun­

genen Pfaden, wie sie der Fuß des Wanderers durch un­ wegsames

Dickicht

Schmuggelwegen.

zeichnet,

und

manchmal

sogar

auf

Desto nöthiger ist es, sich Ziel und

Richtung von Anfang an genau zu merken, damit man

nicht in den Sumpf geräth. Will ein Knabe Lehrer wer­ den, so entscheiden meistens der Stand und das Vermö­

gen seiner Eltertt, manchmal auch seine Fähigkeiten, ob er die niedere, höhere oder höchste Laufbahn durchmacht. Im

ersten Falle besucht er ein Seminar und wird nach abge­ legtem Examen Volks- oder Elementarlehrer, staatlich an­

gestellt, sobald er will und nur irgend etwas taugt.

Im

zweiten und dritten bezieht er nach absolvirten Gymnasial­

studien die Universität, legt ebenfalls ein oder mehrere Examina ab und wird nun Gymnasiallehrer oder Docent

an einer Universität, und in allen Fällen ist der Weg des

gesetzmäßigen Aufsteigens, von dem ihn nur notorische

Unwürdigkeit ausschließen kann, von Anbeginn übersehbar. Dahingegen, wenn von einem Mädchen kund wird , sie habe sich entschlossen, Lehrerin zu werden, so werden ge­

wöhnlich in einer Reihenfolge, die merkwürdig an eine

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

135

auf der Spitze balancirende Pyramide erinnert, drei Fra­

gen unter ihren Bekannten laut. Hat sie schon eine Stelle? Examen machen?

Die erste ist allemal:

Die zweite ist:

Will sie ein

Die dritte: Wird sie ein Seminar be­

suchen? Offenbar hätte

diese Reihenfolge nur

dann einen

Sinn, wenn man, d. h. die über die Zukunft des Mäd­ chens Berathenden, Eltern und Vormünder mit Einschluß

ihrer eigenen Stimme, zuerst fragte: Für welche Art von Stellung und Wirksamkeit ist sie befähigt und sind wir im Stande, ihr die Mittel zur Ausbildung zu gewähren? so­ dann: Welche Vorbildung, bezüglich welchen Nachweis der­

selben erheischt diese Wirksamkeit? und endlich: Auf welchen

Wegen wird diese Vorbildung und später die gewünschte Stellung erlangt? Man hätte dann die Wahl zwischen drei getrennten Berufszweigen: richt.

Schule, Hauserziehung und Privatunter­

Jedem derselben kommen eigenthümliche Vortheile

zu, jeder stellt seine besonderen Anforderungen. Die Schul­

wirksamkeit bedingt stärkere, anstrengendere Arbeit, bietet nach der Arbeit größere Freiheit und Selbständigkeit und

verbürgt eher die Möglichkeit der Weiterbildung und des

längeren Wirkens auf einer Stelle; die Frage nach der Häuslichkeit, welche die Lehrerin findet, ist daneben mei­ stens so lange eine offene, bis sie eine bestimmte Stellung antritt, und erweist sich manchmal als schwer zu lösen.

Der Hauslehrerinnenberuf liefert diese Häuslichkeit, giebt

wohl hie und da Gelegenheit, die große Welt kennen zu

lernen und sich ihre Formen anzueignen, und gestattet eher, sich in allerlei besonders weiblichen Fertigkeiten oder

136

Die Arbeitszeit.

Verrichtungen Nebenbei zu vervollkommnen, verlangt da­

gegen, wenigstens in Deutschland, eine größere Schmieg­ samkeit und eine Vielseitigkeit, die nur auf Kosten einer

gewissen Oberflächlichkeit zu erwerben ist.

Das unsicherste

Wirken in Bezug auf Lohn, Erfolg und Zusammenhang, darum aber auch das bequemste in mancher Beziehung und das dem individuellen Belieben am meisten Spiel­

raum lassende sind die Privatstunden aller Art; zugleich aber, wo sie den Lebensunterhalt allein erschwingen sol­ len, wohl das aufreibendste. Geboren wird kein Mädchen weder als Schul- noch

als Haus- noch als Privatlehrerin; ebensowenig wird sie

als solche aus der Schule entlasten.

Dagegen ist dieser

Zeitpunkt der Entlassung aus der Schule der richtigste, um nach stattgefundener Entscheidung über die Art der Wirk­

samkeit, der sie sich zuwenden will, die nöthige Vorberei­ tung dazu eintreten zu lassen. Da aller Unterricht erzieh­

lich wirken muß, so kann keine Lehrerin der Allgemein­ bildung und der speciell pädagogisch - didaktischen Vorbil­

dung entrathen. Ein guter, gründlicher und treubenützter Schulunterricht und die Atmosphäre eines gebildeten Hau­ ses smd daher kaum zu entbehrende, jedenfalls nur mit Mühe zu compensirende Vorbedingungen, das Absolviren eines theoretisch-praktischen Cursus in der Pädagogik, wie er mit der gehörigen Zuverlässigkeit bis jetzt eigentlich nur an den wenigen größeren Seminaren für Lehrerinnen ge­

boten wird, die unentbehrliche Vorbereitung für den Lehr­ beruf überhaupt.

Auch für alle wisienschaftlichen und die

meisten technischen Fächer führt bis jetzt der einzig sichere Weg durch ein gutes Seminar, und das wird so lange so

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Berus rc.

137

bleiben, bis eine akademische Bildung in irgend einer

Form den wifsenschaftlichen Lehrerinnen der Oberstufen zugänglich gemacht wird. Nur die Privatlehrerin gewisser

technischer Fertigkeiten: der Musik, des Zeichnens, des Turnens, der weiblichen Handarbeiten, wird, wenn sie ge­

nügende Allgemeinbildung besitzt und ihren pädagogischen Cursus absolvirt hat, ihre eigentliche Fachbildung auf an­ deren Anstalten suchen müssen, deren es bereits für jedes

einzelne der genannten Fächer in Deutschland giebt: Conservatorien für Musik, Zeichenschulen, Anstalten zur Aus­

bildung von Turn- und Handarbeitslehrerinnen in Ber­ lin, Leipzig, Dresden, München, Stuttgart und anderen Städten.

Eine gewisse Meisterschaft muß erlangt sein,

ehe man daran denken darf, Andere, namentlich Unmün­

dige, zu unterweisen, und diese Meisterschaft beruht auch in dem scheinbar geringsten und einfachsten Unterrichts­

gegenstande ebenso sehr auf einer bewußten, klaren Einsicht in die Naturgesetze und den Zusammenhang des Lehrstof­ fes, als in einer technischen oder mechanischen Fertigkeit.

Eine Musiklehrerin zum Beispiel, wie sie leider zu Dutzen­ den auf der Straße herumlaufen, ohne Kenntniß der Har­

monielehre, ohne Einsicht in den Ban und den Charakter der verschiedenen Musikgattungen, nur mit einem gewissen

Borrath von Tonleitern, Fingerübungen und Bravour­ stücken ausgestattet, den sie alljährlich um drei erweitert,

ist ein Unding, nur geschaffen von der unglückseligen Mode,

jedes unmündige Wesen aus halbwegs gebildeter Familie

während seiner hülflosen Jugend Tausende von Stunden zu ohrzerreißenden Productionen auf dem Clavierbock fest­ zunageln.

Die Arbeitszeit.

138

Die Privatlehrerinnen sind bis jetzt aller staatlichen

Controls entzogen, die Hanslehrerinnen können, die Schullehrerinnen müssen sich ihr im allergrößten Theile von

Deutschland unterwerfen.

Kein einsichtiger und mit der

Sache vertrauter Mensch wird in dieser Controle, d. h.

in dem staatsseitig geforderten Lehrerinnenexamen, die ein­

zige oder eine für alle Fälle genügende und zuverlässige Bürgschaft für die Tüchtigkeit der geprüften Lehrerinnen

erwarten.

Examinatoren sind Menschen und

als solche

dem allgemein menschlichen Berhängniß des Irrens unter­

worfen; der Buchstabe des Gesetzes ist dehnbar und wird

verschieden ausgelegt; Mutterwitz, gefaßte Unverzagtheit, ja selbst ein gewinnendes Aeußere mögen manchmal über

das bescheidene, ängstliche und unansehnliche Verdienst dm Sieg davon tragen:

ja, selbst die Exammordnungen sind

noch weit davon entfernt, allen berechtigten Anforderungen

zu entsprechen.

Trotzdem ist es ein gar gutes Ding um

Nicht an Dem, was die Examinandin weiß, sagte ein geistreicher Mann, der Mitglied einer Exa­

diese Examina!

mencommission war, aber wohl an der Art, wie sie es

weiß, und an Dem, was sie nicht weiß, kann sie gemessen

werden. Ist daher ein Examenprädicat auch nur mit Vor­ sicht und . im Zusammenhang mit anderweitigem Zengnißmaterial als maßgebend für die Amtstüchtigkeit einer Leh­ rerin anzusehen, so bürgt die zurückgelegte Prüfung doch

wenigstens für eine längere ernstliche Vorbereitung, für eine mehr oder minder gründliche und eingehende Beschäf­ tigung mit wissmschaftlichen Dingen, für einen wenigstens flüchtigen Blick in den Betrieb des Erziehungswerkes. Die

Lehrerin wird immer die gefördertste sein,« die am bestm

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf re.

139

begriffen hat, wie sehr sie noch am Anfang ihres Wiffens steht/ und die mit nachhaltigem Muth und Ernst an ihrer Weiterbildung fortgesetzt arbeitet.

Daß ihr dazu durch

stufenmäßige Prüfungen, durch öffentliche Unterrichtsveran­ staltungen und durch fortgesetzte, mit ihrer Tüchtigkeit Schritt

haltende Verbesserungen ihrer äußeren Lage immer mehr Sporn und Möglichkeit geboten werde, ist bis jetzt noch

frommer Wunsch, wird es aber hoffentlich nicht allzulange mehr bleiben. Wie weit und in welchen

Fächern Lehrerinnnen an

Mädchenschulen verwandt werden sollen, das ist noch eine offene Frage, die gerade jetzt sehr vielfach erörtert wird. Während manche Privatschulen

nur weibliche Lehrkräfte

beschäftigen, findet sich daneben in einigen wenigen großen öffentlichen Töchterschulen die merkwürdige Einrichtung, daß' Männern der gejammte Unterricht mit Ausnahme einzelner ins Belieben gestellter Handarbeitsstunden anvertraut ist.

Das Eine ist gewiß so verkehrt wie das Andere. Wenn irgend­ wo, so ist auf dem Felde der weiblichen Erziehung der Ein­ fluß beider Geschlechter nicht zu entbehren: die sittliche und ästhetische Seite wird Schaden leiden, wo die Frauen, die intellectuelle, wo die Männer ausgeschlossen sind. Die Lei­

tung einer großen, vielklaffigen, vollständig gegliederten An­

stalt sollte ohne Frage nur in Männerhänden liegen: dazu ist dem Manne das Organisationstalent, der Blick für das Allgemeine, die Verbindung mit dem Getriebe des öffent­

lichen Lebens gegeben und jene Widerstandskraft im Ver­

kehr mit einem zahlreichen Personal und dem Publikum,

welche das Weib sich nur selten anders als auf Kosten

140

Die Arbeitszeit.

Wie man auch immer Grund haben mag, von der wissenschaftlichen

einiger seiner besseren Eigenschaften aneignet.

Befähigung der Lehrerin zu denken: in der Erziehung vorzugsweise der reiferen Altersklassen ist ihre Mitwirkung nicht zu entbehren, und schon darum muß es möglich ge­ macht werden, Lehrerinnen nicht blos in Nebensachen, son­ dern in schwerwiegenden Fächern auch auf der Oberstufe zu beschäftigen.

Im Sprachunterricht geschieht das jetzt

schon an manchen großen Schulen mit gutem Erfolge; bei

einer allgemein werdenden, ausreichenden Vorbereitung der Lehrerinnen wird es sich zeigen, daß sie auch in manchen anderen wissenschaftlichen Fächern die nöthige Leistungs­ Jemehr sie aber Gelegenheit

fähigkeit erreichen können.

haben, ihre Kräfte innerhalb des ganzen Schulorganismus

angemessen zu gebrauchen und entsprechend zu verwerthen, desto mehr werden sie davon zurückkommen, selbständige,

d. h. häufig sehr unselbständige Leiterinnen von Miniatur­

anstalten sein zu wollen, die, von der Gunst und' Laune des Publikums im höchsten Grade abhängig, manchmal wenig mehr als Bewahranstalten für größere Kinder ge­ nannt zu werden verdienen.

Das in den allermeisten Schulen mit Recht eingeführte Klassenlehrersystem erfordert naturgemäß, daß die Schul­ lehrerin in mehreren Fächern, nicht aber, daß sie auf allen

Stufen verwendbar sei. Wer eine Fremdsprache lehrt, kann einer eingehenden Kenntniß des Deutschen nicht entrathen; geschichtliche und geographische Kenntnisse sind ohne gegenseitige Unterstützung nicht

zu

verwerthen

u. s. w.

Die Klassenlehrerin muß, wenn sie den richtigen erzieh­

lichen Einfluß in ihrer Klaffe haben soll, in mindestens

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

141

einem oder zweien der Hauptfächer den Unterricht über­

nehmen können ; es ist daneben, namentlich im Interesse ihrer Weiterbildung, sehr gut, wenn sie in irgend einem

Fache auch auf anderen Stufen beschäftigt werden kann. Bloße Fachlehrerinnen dagegen, die etwa einen einzelnen

Unterrichtszweig von der Unter- bis zur Oberstufe durch die ganze Schule vertreten, haben schon deshalb weniger

Aussicht auf gedeihliche Wirksamkeit, weil es nur sehr we­ nigen Menschen gegeben ist, sich ganz ebenso gut mit klei­

nen Kindern, wie mit erwachseneren Schülern erziehlich zu beschäftigen, und sie werden sich in den Schulorganis­

mus nie so einleben, wie Diejenigen, denen ein einzelnes Glied der Anstalt zu erziehlicher Führung besonders an­ vertraut ist.

Ist es wünschenswerth, daß die Schullehrerin nicht

Fachlehrerin, wohl aber in bescheidenem Maße eine Fach­ kundige sei, so genießt dagegen die Gouvernante, wie man

mit einem wenig zutreffenden Fremdwort die Hauslehrerin

noch immer nennt, den nicht sehr beneidenswerthen Vor­ zug, Director, Fach- und Klassenlehrer in ihrer Person

zu vereinigen. Die Vorzüge des deutschen Unterrichts­ systems, nach welchem Haus und Schule sich in die Gefamterziehung des Kindes theilen, sind in Deutschland so

allgemein anerkannt, daß man getrost behaupten kann, bei weitem die größte Mehrzahl deutscher Kinder werde zu Hause vorzugsweise erzogen, in der Schule vorzugsweise

unterrichtet,

ohne daß allerdings zwischen Unterricht und

Erziehung eine genaue Scheidung durchzuführen oder auch nur wünschenswerth sei.

Fast nur diejenigen Eltern, die

Die Arbeitszeit.

142

nicht anders können, lassen ihre Kinder im Hanse unter­ richten.

Dahin gehören vor allen Dingen die gebildeten

Landbewohner, für deren Kinder der Unterricht der Dorf­ schule nicht ausreicht, und die daher vor der Alternative

stehen, entweder den größten Theil des Jahres hindurch dieselben einem Kosthause anzuvertrauen, von wo sie eine Schnle besuchen können, oder im eigenen Hause für genü­

genden Unterricht zu sorgen.

Für die Knabm entschließt

man sich im Hinblick auf ihre künftige Laufbahn meistens

zu dem Ersteren; die Mädchen behält man gewöhnlich zu Haus und läßt sie von einer Hauslehrerin unterrichten.

Daß man daran im Ganzen völlig recht thut, unterliegt keinem Zweifel.

Nur haben sich, indem man fo aus der

Noth eine Tugend macht, zwei Irrthümer sehr allgemein

verbreitet, die für alle Betheiligten, und zwar am meiste» für die in Betracht kommenden Kinder von üblen Folgen sind.

Der erste ist der, daß man den Hausunterricht ohne Weiteres nach dem Muster des Schulunterrichtes zuschnei­

det. Obwohl die Regel, die Knaben lieber ganz von Haus zu geben, als durch einen Hauslehrer unterrichten zu las­ sen, ein thatsächliches Zugeständniß enthält, , daß ein ein­

zelner Lehrer, und wäre er der beste, nicht genug für die

intellectuelle Ausbildung seiner Zöglinge zu leisten ver­ mag, so finden wir doch, wenn wir uns nach den Anfor­

derungen erkundigen, die an den Gouvernantenunterricht

gestellt werden, weder in Bezug auf Lehrstoffe noch auf Lehrziele irgendwie ein geringeres Maß, als was man von

einem

regelrechten Schulunterricht erwartet.

Eine

deutsche Gouvernante auf dem Lande unterrichtet wohl

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Berus k.

143

oder übel in sämmtlichen Fächern, die auf einer vollständig

organisirten Mädchenschule gelehrt werden, und muß ex­ tensiv in der Regel ebenso weit kommen, wie der Schul­

unterricht auf den oberen Stufen reicht.

Die natürliche

Folge ist, daß intensiv, d. h. in Bezug auf Vollständigkeit, Gründlichkeit und wirkliche Bildungskraft ihr Unterricht

weit hinter Dem zurückbleibt, was selbst eine einzelne Leh­ rerin zu leisten vermöchte, wenn man das Feld ihres Wir­ kens mehr beschränkte.

Der zweite und noch verhängnißvollere Irrthum geht

aus diesem ersten hervor. Da es nemlich doch kein Mensch zu einer gleichen Bortrefflichkeit in allen Unterrichtszwei­

ge» bringen kann, so hat man sich gewöhnt, die Leistungs­

fähigkeit einer Gouvernante überhaupt stillschweigend vor-

anszusetzen, wenn sie ihre Befähigung in fremdsprachlicher GvnversaUon und Musik, d. h. Clavierspiel, glaublich zu machen weiß. Wer immer sich um diese Dinge eingehend

gekümmert hat, ja, wer auch nur eine Zeit lang die einschlägigen Anzeigen in den Zeitungen verfolgen will, wird

wissen, daß vor dem Engagement nicht in erster Linie da­ nach gefragt wird, ob die ins Auge gefaßte Persönlichkeit zu erziehen und zu unterrichten versteht, zum zweiten nicht,

ob sie eine gründliche Vorbildung in ihrer Muttersprache und den Realien mitbringt, sondern gewöhnlich nur zuerst und zuletzt, ob sie mit ihren Zöglingen englisch und franzöfisch sprechen und sie im Clavierspiel unterrichten kann.

Gewiß haben diese Dinge auch ihren relativen Werth; der Fehler ist nur, daß man die absoluten Kennzeichen der

Bildung deutscher Mädchen der mittleren Stände in ihnen sehen will, während sie im Grunde doch nur der Salon-

Die Arbeitszeit.

144

dame, keineswegs aber der deutschen Hausfrau und Mut­ ter unentbehrliche Mitgaben sind.

Ja, man kann getrost behaupten, daß alle anderen Unterrichtszweige, die in der deutschen Mädchenbildung heimatberechtigt sind, mehr di-

recte Beziehung auf den künftigen

Frauenberuf haben,

mehr zur unmittelbaren Verwendung kommen und mehr

wirklich bildende Kraft besitzen als diese beiden Parade­ pferde.

Und wenn

eine

wirkliche musikalische

Bildung

überhaupt nur jedem Menschen erreichbar wäre; wenn eine wirkliche Beherrschung einer fremden Sprache soweit, daß

man sie correct und fließend sprechen kann, überhaupt bei durchschnittlicher Begabung durch stundenlanges Radebre­ chen Wit einer einzigen Person, die im günstige« Falle

selbst nur einen geringen Bruchtheil dieser Sprache zur Verfügung hat, erlangt werden könnte! Aber man jagt einem Schatten nach und opfert jährlich Hunderte von Stunden, die einer gediegenen deutschen Bildung gewidmet sein sollten, dem eitlen Flitter, der bei Seite geworfen

wird, sobald das Mädchen irgend einen ernsten Beruf an­ tritt, und der ihr im anderen Falle für Geist und Herz nichts bieten kann. Wenn Eltern, die genöthigt sind, die Ausbildung ihrer Töchter ganz oder zum größten Theil

den Händen einer Lehrerin anzuvertrauen, auf französische und englische Conversation ganz verzichten wollten, und

auf Clavierunterricht nur dann bestehen, wenn wirklich ein

hervorragendes musikalisches Talent bei ihren Kindern sich zeigt, das im Gesänge allein nicht genug Entfaltung fin­ det, so würde dadurch eine nnverhältnißmäßige Menge

von Zeit und Kraft für viel wichtigere Dinge frei bleiben, die jetzt mit Nothwendigkeit zu kurz kommen.

Die Bürg-

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

145

schäft dafür, daß die zur Hauslehrerin erwählte Persönlich­

keit wahrhaft erziehlich auf ihre Zöglinge einzuwirken, so­ wie, daß sie zu unterrichten versteht, sollte die erste sein,

nach der man fragt.

Sodann ist es unendlich viel räth-

licher, ihre muttersprachliche Bildung, als ihre Gewandtheit

in fremdsprachlicher Unterhaltung zum Kennzeichen ihrer Bildung überhaupt zu machen. Wie manche Gouvernante,

die für deutsche Ohren ein ganz erträgliches Englisch oder

Französisch spricht, kann keinen einfachen deutschen Brief

ohne Fehler schreiben und kennt weder den Bau und die Gesetze ihrer eigenen noch die der fremden Sprachen! Das ist ja auch nicht zu verwundern, wenn man bedenkt, wie­ viel Zeit sie nothwendig zur Erlangung auch nur einer

mittelmäßigen Fertigkeit in der Conversation und im Clavierspiel hat opfern müssen, um nur überhaupt für eine wohlconditionirte Gouvernante angesehen zu werden. Auf

ihre Kenntniß des Deutschen und der übrigen Schulwissenschasten konnte da nicht viel Mühe mehr verwandt werden, und für Diejenige, der ihr Fortkommen in der Welt und nicht der Ernst und die Verantwortlichkeit ihres Berufes

die Hauptsache sind, ist ja nach den heutigen Ansprüchen diese Mühe obendrein vergebene Liebesmühe.

Die Hauslehrerin sollte vor allen Singen eine geistig und sittlich reife Persönlichkeit sein, nicht allein, wie jede

Lehrerin, gründlich und ordnungsmäßig vorgebildet, son­ dern bereits mit Lehrerfahrung versehen, die sich für eine Anfängerin viel füglicher an einer gutgeleiteten Schule als

in der isolirten, aufsichtslosen Wirksamkeit einer Erzieherin gewinnen läßt.

Sie sollte vorzugsweise auf ihre Durch­

bildung in den ethischen Fächern angesehen werden, und Lammers, Die Frau.

10

Tie Arbeitszeit.

146

wenn man auf fremdsprachlichen Unterricht nicht ganz ver­ zichten zu können meint, so sollte man in Bezug darauf von ihr verlangen- daß sie ihre Schülerinnen zu formalen Bildungszwecken

in die Grammatik einführt und ihnen

durch vernünftig betriebenen Leseunterricht den Zugang in

die fremde Literatur und damit zu dem Geist und Cha­ rakter des fremden Culturvolkes erschließt.

Wenn eine

dieser Schülerinnen dann im späteren Leben einmal zwi­

schen Ausländer und damit in die Nothwendigkeit geräth, sich des fremde« Idioms zu bedienen, so wird sie das nach

solchen Vorstudien in kürzester Zeit besser, sicherer, gründ­ licher und richtiger lernen als durch jahrelange Conversa-

tionsübungen, die für Kinder und Lehrerinnen die gleiche Qual zu sein Pflegen. Sind ihre Zöglinge wirklich musikalisch beanlagt, so ist

es allerdings Wünschenswerth, daß sie auch für die musi­

kalische Ausbildung wenigstens den Grund legen könne. Zärtliche Eltern sehen diese Anlage oft durch die entschie­ denste Unlust, die hartnäckigsten Gehör- und Taktfehler

hindurchschimmern; es wäre wohl gut, wenn sie erst das Gutachten eines Sachverständigen über das Talent ihrer

Kinder einholten, ehe sie sich dazu entschließen, vielleicht ein theures Instrument anzuschaffen und ein wahres Ca­ pital an Zeit und Kraft und Gesundheit ihrer Kinder an

die Erlangung einer Fertigkeit zu setzen, die schließlich doch nur zu den Annehmlichkeiten, nicht zu den Nothwendig­

keiten des Lebens gerechnet werden kann. Und dann soll­ ten sie bedenken, daß das erste, natürlichste und bei weitem

das schönste musikalische Instrument nicht ein, Flügel oder ein Pianino, sondern die menschliche Stimme ist.

Besitzt

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

147

die Hauslehrerin eine frische Singstimme, Lust und Talent,

mit ihren Zöglingen einfache Weisen, Volkslieder, Choräle einstimmig oder mehrstimmig zu singen, so ist das für die musikalische Ausbildung der Kinder gewiß mindestens ebenso

gut und in jeder anderen erziehlichen Hinsicht unvergleich­ lich viel besser, als wenn ihre Finger die erstaunlichsten

Kunststücke auf den schwarzen und weißen Tasten

auszu­

führen verstehen. Statt dieser zweifelhaften Geschicklichkeit wäre es ihr dagegen sehr zu wünschen, daß sie es verstände, ihre Zög­

linge außerhalb der Unterrichtsstunden nützlich und ange­ nehm zu beschäftigen und sich dadurch mit

ihnen einzu­

leben. Das Landleben — und auf dem Lande ist die Gouvernante ja vorzugsweise zu finden — ladet zum in­

nigen Verkehr mit der Natur ein: wie gut daher, wenn

sie eine Naturfreundin und in bescheidenem Maße eine Naturkennerin ist! Sie interessire sich für die Liebhabe­ reien der Kinder, für ihre Pflanzversuche, ihre Lieblings­

thiere, sie suche und sanimle mit ihnen, was ihnen in Wald und Feld Merkwürdiges aufstößt, sie lehre sie beobachten,

vergleichen, aufzeichnen. In den langen Winterabenden werden es ihr Kinder und Eltern Dank wissen, wenn sie den langsamen Flug der Stunden durch gemeinschaftliche Lektüre, durch Unterweisung in allerlei Handgeschicklichkeit,

durch geiflbildende Spiele zu verkürzen weiß.

Eine ge­

wisse Vielseitigkeit des Geistes ist ihr um so nöthiger, da

während des Unterrichtes kein Wechsel der lehrenden Per­

sönlichkeit stattfindet, die Kinder also verurtheilt sind, tag­ aus, tagein und Stunde um Stunde dieselbe Stimme zu

hören, dasselbe Gesicht zu sehen , dieselben Manieren zu io*

148

Die Arbeitszeit.

beobachten. Die daraus nothwendig entstehende Einförmigkeit

muß sie so viel immer möglich durch Frische, verschieden­ artige Behandlung der Unterrichtsstoffe, wechselnde Lehr­ Wenn sie aber außerhalb der Lehrstunden den Kindern lieb und intereffant wird, so

formen auszugleichen verstehen.

hat sie es ungleich leichter, auch während der ernsten Ar­ beit ihren Eifer immer wieder zu beleben und sie zu im­

mer neuen Anstrengungen anzuspornen.

Die vorstehenden Bemerkungen gelten hauptsächlich der Erzieherin in Familien des deutschen Mittelstandes.

An­

deren Anforderungen hat sie in vieler Beziehung zu ent­

sprechen, anders gestaltet sich ihre Stellung, wenn sie ent­ weder im Verein mit anderen Lehrern sich mit der Er­ ziehung hochadliger oder fürstlicher Kinder beschäftigt, oder

wenn sie außerhalb der Grenzen des Vaterlandes eine Wirksamkeit findet. Im ersteren Falle vertritt sie voraus­ sichtlich nur ein oder einige Unterrichtsfächer oder betheiligt sich auch wohl gar nicht direct am Unterricht, hat

aber dafür die Leitung der Gesammterziehung in Händen.

Im zweiten wird sie hauptsächlich als Lehrerin ihrer Muttersprache verwandt werden und daneben vielleicht noch in anderen Gegenständen unterrichten, ja nicht selten auch, wie ihre Collegin in Deutschland, mit dem ganzen

Unterricht ihrer Zöglinge betraut sein. Die Erzieherin in vornehmen Häusern bedarf neben der allgemeinen, pädagogischen und fachlichen Vorbildung

mehr als alle anderen Lehrerinnen der Beherrschung der feinsten Lebensformen, um ihre Zöglinge zu denselben her­ anzubilden und fich in ihrer Stellung würdig zu behaup­ ten.

Sie muß reif und selbständig genug sein, um des

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

149

engeren Anschlusses an die Personen ihrer Umgebung ent­ behren zu können.

Connexionen in den höchsten Kreisen

sind ihr endlich unerläßlich, um überhaupt eine Anstellung

zu finden. Dagegen gewähren Stellungen dieser Art, wenn sie gut ausgefüllt werden, nicht allein einen reichlichen Ar­

beitsertrag, ein Leben in glänzenden Verhältnissen, sondern auch meistens die Aussicht auf direkte Altersversorgung und mögen für einen Charakter, der ziemlich viel Zwang

ertragen kann, Lockendes haben. Immerhin ist wie be­ greiflich die Nachfrage nach solchen Damen nicht sehr groß. Desto stärker ist der Strom der pädagogischen Aus­

wanderung, der sich alljährlich in steigendem Verhältniß über die deutschen Grenzen ergießt. Wir finden deutsche Lehrerinnen in Rußland und Amerika, in Ostindien und

an der Meerenge von Gibraltar, im schottischen Hochge­ birge und im belgischen Niederland, an den Ufern der Seine und des Mälarsees, in der ungarischen Pußta und

'auf dem Landsitze des englischen Edelmannes.

Am zahl­ reichsten ziehen sie über die Vogesen auf den Spuren der

siegreichen Heere von 1870 und 71, und über die Nord­ see: einmal weil Engländern und Franzosen am meisten

daran liegt, deutsch zu lernen, dann aber auch, weil das Tauschobjekt, das sie dort in den Kauf bekommen, die ko­ stenlose Erlernung der beiden anderen Weltsprachen, für sie einen sehr realen Werth repräsentirt. Vereinzelt kom­

men die deutschen Erzieherinnen, wie gesagt, in der ganzen Welt vor, mehr als Lehrerinnen jeder anderen Nationa­ lität.

Daran mag zum Theil der deutsche Wandertrieb schuld sein; zum Theil ist es die Aussicht auf besseren Verdienst,

Die Arbeitszeit.

150

als er in der Heimat durch gleiche Arbeit beschafft wird,

zum größten Theil gewiß der sehr berechtigte Wunsch, eine fremde Sprache an der Quelle zu studiren und sich den

Geist durch lebendige Anschauung von Land und Leuten jenseits der Berge oder des Meeres zu bereichern.

Wird

der Aufenthalt im Auslande von vornherein, wie es oft gefchieht, in den Lebensplan einer Lehrerin mit ausgenom­

men, so sollte man sich vorher allemal klar machen, welche bestimmten Zwecke man damit erreichen will, auf welche

Art von Stellungen zu rechnen fein wird, und welche An­ an Lehrerinnen bestimmter Kategorien im Auslande gemacht zu werden pflegen. Aus der großen forderungen

Menge denkbarer Fälle und Vorkommniffe sei hier nur Einiges hervorgehoben.

Wem es nur darum zu thun ist, einmal recht weit in die Welt zu kommen und sich den fremden Wind um die

Nase wehen zu laffen, dem wird auch nicht viel daran

liegen, ob er nach San Francisco oder nach der Kapstadt, nach Rio oder Jokohama verschlägt.

Höchstens mag es

heißen: Je weiter, desto besser; je schöner oder berühmter das Land, desto lieber.

stimmtem

Plane

durch

Ebenso wenig wird bei so unbe­ die Vorbildung eint bestimmte

Amtstüchtigkeit angestrebt werden können: man muß es dar­ auf ankommen laffen, welcher zufällig angebotenen Stelle die Lehrerin gewachsen sein wird.

Auf alle Fälle sollte

sie ein möglichst umfaffendes Staatsexamen machen; das hat auch im Auslande einen guten Klang und ist manch­ mal die unerläßliche Bedingung.

Diejenige Lehrerin, die vor allen Dingen viel Geld verdienen will, wird nicht selten auch auf ihre Rechnung

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf re.

kommen, wenn sie sich entschließt, den zwischen sich

,151

halben Erdball

und ihr Vaterland zu legen.

Namentlich

deutsche Colonisten in fernen Breiten opfern oft große

Summen

dafür,

ihren Kindern durch eine brauchbare

Landsmännin eine vaterländische Erziehung zu verschaffen. Da aber auf solche Stellungen nicht immer dann gerade

mit Sicherheit zu rechnen ist, wenn man sie braucht, so thut man besser, zuerst den europäischen Markt ins Auge

zu fassen, auf dem dann Rußland und England mit hohen

Gehaltsätzen obenan stehen.

In beiden Ländern indessen,

und in England ganz besonders, sind die sehr hoch be­ soldeten Stellen für deutsche Lehrerinnen doch auch nur bei

den oberen Zehntausend zu suchen, und die Bedingungen auf Erfolg wesentlich dieselben, wie in den vornehmsten

Kreisen Deutschlands.

Für Diejenigen endlich, denen es vorzüglich daran liegt, in den vollen Besitz , einer Fremdsprache zu kommen, steht zunächst die Wahl zwischen England oder Frankreich,

in zweiter Linie auch zwischen Nordamerika, der Schweiz oder Belgien offen, während ein Aufenthalt in Italic,

Spanien, Holland, Ungarn oder den nordischen Ländern nichts einbringt, was sich nachher auf alle Fälle verwerthen läßt. In England und wenn auch nicht so zahlreich, doch ziemlich in derselben Weise in Frankreich werden deutsche

Lehrerinnen für drei Arten von Stellen beständig gesuchte Erstlich, wie schon erwähnt, in vornehmen Familien als

Lehrerinnen ihrer Muttersprache und wenn möglich einer

andern Cultursprache und einiger Fertigkeiten, die man in England accomplishments, in Frankreich arts d’agrement nennt, als Malen in Oel oder Wasserfarben, Singen, Kla-

Die Arbeitszeit.

152

vier- oder Harfenspiel u. dgl.

Zweitens in wohlhabenden

Familien nach oder zwischen ^«heimischen Gouvernanten

zur Uebernahme des gesammten Unterrichts, mit Einschluß der Anfangsgründe jener Fertigkeiten und natürlich unter der Voraussetzung, daß die Betreffende der Landessprache

bereits so weit mächtig ist, um sich ihrer beim Unterricht

bedienen zu können.

Endlich drittens in den unzähligen

Kostschulen, wo die deutsche Lehrerin wöchentlich ein paar

Stunden in ihrer Muttersprache, daneben vielleicht in Musik

oder Zeichnen zu geben hat, mit ihren Schülerinnen unaus­

gesetzt deutsch sprechen und sich an den Aufsichts- und sonstigen Crziehungspflichten ihrer Colleginnen betheiligen muß.

Stellen der letzteren Art sind für ein leidlich gebildetes Mädchen fast immer zu beschaffen: sie bilden eine gute Staffel, um- erst den Fuß auf fremdes Land zu setzen, und verbürgen natürlich persönliche und moralische Sicher­

heit. Sie werden aber sehr niedrig besoldet, gewähren schließlich doch nur dürftige Gelegenheit zu theoretischen

und praktischen Sprachstudien und sind sehr einförmig und ermüdend. Dagegen gelingt es einer Deutschen, die eine solide Grundlage von Bildung und gute Zeugnisse mitbringt, nicht selten gerade durch die auf einer Schule angeknüpften

Bekanntschaften, und nachdem sie mit Sprache und Sitte des Landes einigermaßen vertraut geworden ist, in die

für wirklich brauchbare Lehrerinnen gewöhnlich sehr behag­ liche, angenehme und auch einträgliche Stellung in einer

gebildeten Familie einzurücken: je weiter nach obm, desto

mehr, natürlich Nur unter der Voraussetzung untadeliger

Referenzen, besonders entwickelter Talente und feinsten Be­ nehmens.

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

153

Jede aber, die behufs sprachlicher Ausbildung den Blick

über die Grenzen des Vaterlandes hinausschweifen läßt,

muß festhalten, daß ein großer Theil ihres fremdsprach­

lichen Studiums in Deutschland absolvirt werden sollte, ehe sie den Wanderstab aufnimmt.

Alles Theoretische kann

sie in Deutschland besser -lernen, als unter gewöhnlichen

Verhältnissen im Auslande, und je mehr sie davon mit­

nimmt, desto mehr Nutzen in steigender Progression wird ihr der Aufenthalt im Auslande bringen.

Eine durch

grammatische und literarische Studien wirklich gut vor­ bereitete Lehrerin lernt in einem Jahre drüben mehr als

eine, die in den Anfangsgründen stecken geblieben ist, in fünf Jahren.

Als Erwerbsthätigkeit

mit

erziehlicher Richtung

ist

endlich für Frauen noch die Errichtung und Führung von

Kostschulen vorhanden. Solcher Anstalten, die, den aus­ ländischen Pensionaten gleich, Aufenthalt, Erziehung und Unterricht zugleich gewähren, giebt es namentlich in Nord­

deutschland wenige, und diese wenigen umfassen selten das ganze

schulpflichtige Alter.

Zahlreich sind dagegen die

Häuser in allen mit guten Lehranstalten versehenen Orten, die Kostgänger, sowohl schulpflichtige Kinder wie auch Jünglinge, als Familienglieder bei sich aufnehmen, ebenso zahlreich mindestens diejenigen, die jungen Mädchen nach der Confirmation zu mehr oder minder definirbaren Bil­

dungszwecken Aufnahme gewähren. Sie entsprechen einem ausgesprochenen Bedürfniß, sind aber auch, besonders die beiden letzten Arten, insofern ein Zeichen der Zeit, als sie zugleich verrathen, daß der Erwerb des Mannes nicht zu-

15-4

Die Arbeitszeit.

langt, die Familie zu ernähren, und daß die Frau, die neben ihrer Haushaltungskunst keine marktgängige Arbeit versteht, auf diese Weise mit zu verdienen strebt. Da wir einmal auf die finanzielle Seite dieser An­

stalten gerathen sind, so können wir nur gleich hinzufügen, daß sie, wie alle Arbeit, die man für den Erwerb dienst­

bar macht, ohne daß sie von Haus aus eigentlich auf den Erwerb berechnet wäre, einen nicht immer spärlichen, aber

im besten Falle unsicheren Verdienst abwerfen.

Selbst der

eigentlichen Pensionate für Mädchen sind im Verhältniß

zur Nachfrage jedenfalls zu viele.

Ihr Publikum ist der

Zahl nach gar nicht mit dem zu vergleichen, welches in

England, Frankreich, Belgien, der Schweiz seine Kinder solchen Instituten anvertraut. Wer in den mittleren Ständen unseres Vaterlandes seine Töchter im Hause behalten und in einer guten oder erträglichen Tagesschule unterrichten

laffen kann, zieht das ohne Frage und mit der größten

Berechtigung vor. Wo keine brauchbare Schule in der Nähe ist, wird allermeistens, trotz des mangelhafteren Unterrichts, der Hauslehrer oder die Hauslehrerin vor­

gezogen — wiederum mit großem Rechtenden« für die sittliche und Gemüthsbildung des Mädchens kann der Ein­

fluß eines rechten Elternhauses durch nichts ersetzt werden, und dieser Theil der Bildung ist doch schließlich wichtiger als der intellectuelle. Es bleiben also, so weit es sich um Kinder im schulpflichtigen Alter handelt, die Gottlob

zu den Ausnahmen gehörenden Fälle über, wo entweder das Elternhaus seine Erziehungspflichten nicht erfüllen kann, oder wo kein solches vorhanden und auch nicht zu ersetzen ist. Daneben sind dann besonders an einzelnen

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

155

Orten solche Pensionate, die sowohl Ausländerinnen als auch Heranwachsende deutsche Mädchen zu mehr oder minder

schulmäßigen Weiterbildung in mehr oder minder strenger Regelung aufnehmen: wissenschaftliche Pensionate, wie sie

bisweilen zum Unterschied von Haushaltspensionen genannt werden. Manche Orte, die im Auslande besonders gut bekannt sind, Hannover, Weimar, verschiedene rheinische und süddeutsche Städte, wimmeln von solchen Anstalten.

Denn. die zu ihrer Gründung für nöthig gehaltenen Be­ dingungen sind nicht allzu schwer zu erfüllen. Dame

beispielsweise des

Wenn eine

nomadenhaften Gouvernanten­

berufes satt geworden ist — was ihr in reiferem Mter

Niemand verdenken kann —, wenn sie unter guten Familien hier oder im Auslande bekannt geworden ist, wenn sie

soviel Capital flüssig machen kann, um ein passendes Local nebst Einrichtung zu beschaffen, und besonders, wenn noch zugleich eine Verwandte, die etwas vom Haushalt versteht,

zu versorgen ist: so steht eigentlich die Pension schon fertig

da; es handelt sich dann nur noch darum, mittelst Pro­

gramme, Annoncen und sonstiger Werbemittel Schülerinnen Das ist denn nicht immer ganz leicht, denn die Preise sind nothgedrungen hoch, so lockend auch in den

zu bekommen.

Ohren vieler Eltern die Versprechungen lauten mögen, in wenigen Jahren den Töchtern Alles, was zu einer salon­

mäßigen und wissenschaftlichen Ausbildung gerechnet werden

kann, gründlich beizubringen. Ueber die landläufigen Resuüate dieser Pensionserziehung braucht hier wohl kein ausführliches Urtheil abgegeben zu werden: manche An­ stalten wirken im Segen, von einem guten Geiste geleitet,

viele auch nicht.

Die Arbeitszeit.

156

Noch weniger Zurüstung hält man natürlich für nöthig,

wenn es sich darum handelt, in ein gewöhnliches, bürgerlich

gebildetes Haus junge Mädchen zur sogenannten Vervoll­ kommnung im Haushalte, oder aber Kinder und junge Männer als Kostgänger aufzunehmen.

Häuser ist daher auch Legion.

Die Zahl solcher

Jede Hausfrau hat das

Präjudiz für sich, daß sie junge Mädchen zu wirthschaftlichen Tugenden und Arbeiten anzuleiten, daß sie fremde

Kinder und Jünglinge richtig zu erziehen oder zu beein­ flussen versteht.

Die Wirklichkeit entspricht diesem günstigen

Borurtheil allerdings nicht immer.

Aber es scheint hart,

die Unvollkommenheiten einer Wirksamkeit allzu sehr hervvrzuheben, .die eine Frau in den meisten Fällen nur aus

Noth und weil sie nichts Anderes zu thun weiß, über­

nimmt, und die immer viel Arbeit, Sorge, Verantwortung

und Zwang mit sich bringt. Es ist nicht der vergrößerte Haushalt allein, der bei wechselnder Frequenz auf dem­ selben Fuße weiter erhalten werden muß, und der eigentlich nur dann productiv ist, wenn eine möglichst große Zahl

von Fremden erreicht wird: es ist die Schwierigkeit, die

Sprößlinge verschiedener Familien mit verschiedenen Cha­ rakteranlagen, Ansprüchen und Lebensgewohnheiten für eine

kürze Zeit, für ein oder ein paar Jahre häufig, in den Organismus des Hauses und der eignen Familie wirklich einzufügen, sie in den nöthigen Schranken zu halten, ohne doch dem Familienleben seine Behaglichkeit und Freiheit

ganz zu rauben, und es ist das Opfer der familienhasten Geschlossenheit, des trauten Zusammenlebens von Mann,

Frau und Kindern

allein,

das dem Heimwesen seinen

eigentlichsten Reiz verleiht, worin das Mühevolle einer

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc. solchen Wirksamkeit besteht.

157

Es giebt neben manchen un­

berufenen auch viele tapfere, willenskräftige Frauen, die, nachdem sie einmal die Nothwendigkeit erkannt haben, ihrer­

seits auf diesem Wege die Schulter an das Rad zu stemmen,

sich aufopfernd in alle Pflichten dieses Berufszweiges hinein­ gelebt, die aufrichtige Dankbarkeit und Anhänglichkeit ihrer Zöglinge verdient und möglicherweise jahrelang durch ihre

Anstrengung ihren Haushalt und ihre Familie vor Noth bewahrt haben. Aber das ist gewiß, es giebt manche Be­ rufsarten, durch welche auch verheiratete Frauen besser,

leichter.und ohne den Ihrigen mehr entfremdet zu werden, selbst erwerben könnten, wenn sie nur als Mädchen dafür vorgebildet wären, und Mann und Kinder würden mehr dabei zu ihrem Rechte kommen, was Geist und Gemüth

anlangt, wenn die Frau ein paar Stunden täglich einer lohnenderen Arbeit widmen könnte, anstatt vom Morgen bis zum Abend und Tag für Tag eine Schaar Fremder zu versorgen. Die Alters- und Krankenpflegerin.

Das dritte

große Arbeitsgebiet, das mit der natürlichen Veranlagung der Frauen zusammenhängt und daher schon früh auch zu Erwerbszwecken ausgebeutet worden ist, umfaßt die Pflege der Alten,

Schwachen und Kranken.

Auch auf diesen

Berufszweig macht Niemand den Frauen ihr Vorrecht streitig: es wäre daher zu erwarten, daß er wie die meisten bis jetzt von uns betrachteten an Ueberfüllung und den daraus entfließenden Folgen litte.

Das trifft indessen nur

in Bezug auf die Alterspflege, nicht hinsichtlich der Kranken­ pflege zu.

So verwandt diese beiden Gebiete sind, so bst

namentlich das erstere in das letztere hinüberreicht, so fühlt

Die Arbeitszeit.

158

man doch überall einen wesentlichen Unterschied heraus, und zwar einen solchen, der bei der Berufswahl gebildeter weiblicher Wesen, soweit überhaupt eine getroffen wird,

nur allzu häufig den Ausschlag giebt.

Zur Pflegerin alter und schwacher Leute, oder zur

Gesellschafterin, wie es gewöhnlicher heißt, hält man nämlich jedes gebildete Frauenzimmer ohne Weiteres für befähigt. Die Krankenpflege dagegen — nicht blos die berufsmäßige, sondern selbst die in der Familie dilettantisch betriebene,

— ist vielleicht die einzige im Naturberuf der Frauen be­

gründete Wirksamkeit, deren Anforderungen man viel eher zu hoch als zu niedrig schätzt, die einzige, bereit Schwierig­

keiten nicht in Gefahr sind, zu gering angeschlagen zu werden, die einzige deshalb, für welche die Nothwendigkeit einer systematischen Vorbildung von Niemandem geleugnet

oder auch nur ignorirt wird.

Während daher Gesell­

schafterinnen ziemlich ebenso reichlich zu haben sind, wie Stützen der Hausfrau, ist überall Mangel an Kranken­

pflegerinnen gebildeten Standes und an Solchen, die es werden wollen scheinung!

— auch eine sehr beachtenswerthe Er­

Sollte denn wirklich jedes junge oder ältere Mädchen, jede alleinstehende Frau sich zur Gesellschafterin eignen?

Der Leute, die einer Gesellschafterin bedürfen, sind offenbar

zwei Arten: Alte oder Gebrechliche, und diese beiden sind zunächst auf die Familie angewiesen, werden also nur im

Fall der Vereinsamung nach einer Fremden ausschauen..

Die Fremde, die sich zu einem solchen Posten anbietet, muß also doch mindestens den Beweis führen können, daß sie mit alten und schwachen Leuten im Allgemeinen umzu-

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

159

gehen versteht: eine Kunst, die wirklich nicht Jedermann

gegeben

ist,

und

die

sowohl

auf

bestimmten

Cha­

rakter- und Gemüthsanlagen, wie auf einer gewiffen Lebens­

erfahrung beruht.

Für beide Theile wird es daher kaum

ersprießlich sein, wenn ein ganz junges Mädchen sich dieser Aufgabe unterzieht. Damen, die noch irgend einer Berufs­ wirksamkeit vorstehen, verlangen in sehr seltenm Fällen nach einer Gesellschafterin; es handelt sich also um das

Zusammenleben mit einem Wesen, das nicht mehr zu den

Strebenden gerechnet werden kann, und so nützlich die vorauszusetzende Schulung in der Geduld, der Sanftmuth

und Fügsamkeit sein mag, so ist doch auf ein wirkliches Wachsthum in irgend welcher nützlichen Einsicht und Ge­ schicklichkeit nicht mit Sicherheit zu rechnen.

Die beständige

Abhängigkeit von den Ansichten, Gewohnheiten, Eigenheiten einer Person, die ein lebenserfahrener Mensch vielleicht ohne Schaden erträgt, wird einem jungen Wesen noth­

wendig eine einseitige Richtung geben, und ein Solches sollte daher, wenn nicht ein unmittelbarer Ruf Gottes es

an die Seite eines alternden, vereinsamten oder gebrech­ lichen Familiengliedes stellt, eine andere Wirksamkeit vor­ ziehen.

Zu beständiger engster Lebensgemeinschaft taugen

große Altersunterschiede überhaupt nicht. Auch die allein­ stehende Frau, die einer Gesellschaft bedarf, wird mehr^ Sympathie, mehr Verständniß, mehr Hülfe und Trost bei

einer Persönlichkeit reiferen Alters finden.

Die Kenntniß

des Hauswesens, sowie einige gesellige Talente, die Fähig­ keit', sei es durch Gespräch, durch Vorlesen,' durch Musik

u. dgl. zu unterhalten, sind nothwendige Erfordernisse für

diese Wirksamkeit, ein zuvorkommendes, freundliches, dimst-

Die Arbeitszeit.

160

bereites Wesen, Fügsamkeit, die sich mit Festigkeit in nothwendigen Dingen wohl verträgt, angenehme Umgangsformen

ebenso unentbehrlich.

Da aber die Pflege eines alternden

oder gebrechlichen Menschen jeden Augenblick zur Kranken­

pflege werden kann, so sollte auch wenigstens einige Kenntniß und Erfahrung in dieser Beziehung vorhanden sein.

Zur Krankenpflege ist zufolge seiner gesammten körper­

lichen und seelischen Organisation das Weib viel mehr be­

rufen als der Mann.

Es hat mehr Erfahrung von körper­

lichen Leiden und daher mehr Verständniß, mehr Sym­ pathie dafür; es vermag sich unmittelbarer in das Wesen und die Stimmung eines Anderen zu versetzen; sein Mit­

leid wird leichter erregt, seine Geduld weniger erschöpft; seine Beobachtungsgabe richtet sich vorzugsweise auf das

Kleine, Einzelne, Persönliche; seine Hand ist leichter, seine

Stimme leiser, seine Bewegungen geräuschloser als die des Mannes.

Schon der Mutterberuf setzt das Talent der

Krankenpflege voraus: die Pflege auch des gesunden Säug­ lings unterscheidet sich nicht viel von einer gewöhnlichen

Krankenpflege.

Frauen aller Zeiten und aller Bildungs­

grade sehen wir daher auch Samariterdienste an den Betten

der Leidenden verrichten; von einigen der höchstgestellten

jetzt lebenden Frauen ist es rühmlich bekannt, daß sie sich mit besonderem Geschick und besonderer Hingabe in ihren

Familien diesem Dienst der Liebe Unterzogen haben. Das Verdienst, die Wirksamkeit der Frauen auf diesem

Gebiete zuerst organifirt und dadurch wesentlich gesteigert zu haben, gebührt der katholischen KirchL.

Ihre Barm­

herzigen Schwestern bilden eine Körperschaft, die an Zucht,

DaS Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

161

Hingabe, Aufopferungsfähigkeit noch nicht übertroffen, wohl kaum erreicht worden ist.

Das Institut der evangelischen

Diakonissen ist damit verglichen verhältnißmäßig neu, hat

aber auch bereits die segensreichsten Erfolge aufzuweisen. In unseren Tagen wird nun der Versuch gemacht, Ge-

noffenschaften von Krankenpflegerinnen zu bildxn, die des religiösen Charakters entkleidet sind, während es daneben natürlich seit langer Zeit einzelne Frauen gegeben hat, die

des Erwerbes halber in Hospitälern oder in Privathäusern als Pflegerinnen wirken.

Die Meinnngen über diese ver-

schiedenartigen Organisationsformen nnd ihren Werth für den beabsichtigten Zweck sind natürlich getheilt.

Einige

geben den Barmherzigen Schwestern, Andere den Diako­ niffen als Pflegerinnen den Vorzug; die Ansicht, daß nur

ein religiöses Motiv stark genug sein könne, die Erwählung und Durchführung eines so aufopferungsvollen Berufes

zu tragen, daß also von weltlichen Krankenpflegerinnen wenig Gutes zu erwarten sei, ist weit verbreitet und stützt sich auf die Erfahrungen, die man in Bezug auf letztere

sowohl in der Privat- wie in der Hospitalpflege hat machen können.

Jndeffen wäre es doch voreilig, von dem, was

, ist, ohne Weiteres auf das, was werden kann, zu schließen.

Es ist wohl zu bedenken, daß die jetzigen weltlichen Kranken­ pflegerinnen von Beruf einerseits nur Frauen aus bett

niederen Ständen sind, andererseits, daß noch keine Er­ fahrungen darüber vorliegen, wie viel oder wie wmig die

geschlossene Organisation, abgesehen von dem in der Ein­ zelnen wirksamen religiösen Motiv, mit der Trefflichkeit

der

katholischen und ^protestantischen Pflegeschwestern

thun hat.

zu

Menschen, die.ihr ganzes Leben als einen

Lammers, Die Frau.

11

Die Arbeitszeit.

162

Gottesdienst ansehen, und deren Handlungen zumeist aus der Quelle einer lauteren Gottes- und Menschenliebe ent­ springen, sind eben in jeder Lebenslage, in jedem Berufs­

kreise die brauchbarsten; aber sie sind auch die seltensten, und es gehen ihrer Manche ohne Ordensgewand einher.

Daß Krankenpflegerinnen sich aber zu einer Genossen­ schaft zusammenschließen, anstatt sich auf eigne Hand zu etabliren, das hat seine augenfälligen Vorzüge.

Sowohl

die unerläßliche Vorbildung, wie auch der nöthige Rück­ halt gegen die Ansprüche des Publikums, die den Einzelnen

heilsame Zucht, wie die Bürgschaft gegen Ueberarbeitung,

endlich die Gewährung einer Heimat als Stätte des Aus­ ruhens in gesunden und kranken Tagen und im Alter wird einzig auf diese Art sicher beschafft werden.

In den

großen öffentlichen Hospitälern kann die Ausbildung von Wärtern und Wärterinnen immer nur Nebeüsache sein.

Eine Genossenschaft

wird

dagegen

ihr erstes Bestreben

darauf richten, eine Klinik oder besser ein Spital behufs

praktischer Einführung der Pflegerinnen in ihren Beruf zu

gründen und einen geeigneten Arzt zur theoretischen Unter­ weisung heranzuziehen. Sie wird durch, sorgfältig erwogene Vorschriften dafür sorgen, daß der einzelnen Pflegerin in der Privatpflege weder Unbilliges zugemuthet wird, noch daß sie zu lange ohne Ablösung oder ohne Beschäftigung bleibt. Die Krankenpflegerin von Beruf findet in dem Hause, dem sie dient, immer nur ein zeitweiliges Unter­

kommen, so lange höchstens, wie man ihrer Dienste be-

nöthigt ist; ihrer eignen Familie aber kann sie sich so

wenig widmen, daß sie in der Regel ihre Ansprüche an die Heimat des Hauses wird aufgeben müssen; darum hat

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

163

ihr die Anstalt eine Heimat zu gewähren und zwar füralle Zeit, da sie des Ausruhens bedarf.

Die Schwierigkeiten dieses Berufes werden als so selbst­

verständlich angenommen, daß man sich kaum je die Mühe giebt, sie einzeln aufzuzählen und zu begründen. Niemand wird auch leugnen wollen, daß ein besonderer Grad von

Aufopferung, Hingabe und Entsagung dazu gehört, sein Leben ausschließlich dem Dienste der Leidenden und Kranken

zu weihen.

Aber man muß nur nicht vergessen, daß über­

haupt jeder Beruf, der sich ausschließlich mit den Nacht­

seiten des Lebens beschäftigt, ähnliche Selbstverleugnung voraussetzt, und daß zuletzt die meisten Berufsarten, denen Frauen sich widmen, ernstlich erfaßt mehr Schwierigkeiten

bieten, als gerade auf der Oberfläche erscheinen, oder als ein junges, unerfahrenes Mädchen zu glauben geneigt ist.

Gewiß ist es ein verdienstliches und Gott wohlgefälliges Werk, Schmerzen und Elend zu lindern, dem Leidenden

wieder zur Gesundheit zu verhelfen, den Sterbenden mit linder Hand die Augen zuzudrücken.

Daß inan geneigt

ist, sich die Schrecknisse dieses Berufes größer vorzustellen,

als sie wirklich sind, und daß deshalb Mangel an Kranken­ pflegerinnen herrscht, ist sehr zu beklagen, aber auch zu

begreifen.

Er verlangt erstlich eine entschiedenere Tren­

nung von der eignen Familie als sämmtliche andere für

Frauen zugängliche Berufsarten, sollte freilich darum um so mehr von solchen Frauen berücksichtigt werden, die keine

Familie mehr haben.

Er verlangt Berzichtleistung

auf

allen regelmäßigen Genuß weltlicher Vergnügungen, ja,

wo ein religiöses Gelübde in Kraft tritt, auf allen Genuß derselben überhaupt, und man darf bei der in unserer 11*

Die Arbeitszeit.

164

Frauenwelt herrschenden Richtung wohl annehmen, daß

diese Entsagung zum mindesten ebenso abschreckend wirkt,

wie die ersterwähnte.

Er bringt eine fortgesetzte Reihe

trüber oder widriger Eindrücke, wirkt also niederdrückend

aufs Gemüth und auf die Nerven, abgesehen von der be­ ständigen Gefahr der Ansteckung.

Was nun dies Letztere

anbetrifft, so geht eS offenbar nicht allein die Kranken­ pfleger, sondern ebenso gut die Aerzte an; dennoch sehen wir nicht, daß an Aerzten irgendwo ein erheblicher Mangel wäre.

Mit den widrigen Eindrücken

der Krankenstube,

mit den üblen Anblicken u. dgl. verhält es sich so, daß einige Leute mit größerem oder geringerem Aufwand von Selbstbeherrschung sich allmählich daran gewöhnen und da-

gegen abstumpfen, und daß andere den physischen Schauder uyd das daraus entstehende Unbehagen nie überwinden: die letzteren sind einfach weder zu Aerzten noch zu Kranken­

pflegern von Natur bestimmt.

Keineswegs aber bietet jede

Krankenstube tagaus, tagein nur trübe und schmerzliche Eindrücke.

Bon manchem Schmerzenslager geht ein Helles

Licht aus, das' alle Schatten der Leiden und des Todes

überstrahlt, und das Bewußtsein, Schmerzen gelindert, eine

qualvolle Lage erträglich, einen Verzagten durch tröstlichen

Zuspruch muthig gemacht zu haben, giebt eine innere Heiter­

keit des Gemüthes, die sich nicht leicht umwölkt. Wer die Barmherzigen Schwestern, die Kranken­

namentlich

pflegerinnen par excellence, beobachtet, wird an ihnen fast ohne Ausnahme diese stille gleichmäßige Heiterkeit wahr-

nehmen, die das sicherste Zeichen eines befriedigten Ge­

müthes ist. Kann man somit nur einladen, den wirklichen und ver-

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Der Häusl. Beruf rc.

165

meintlichen Schwierigkeiten dieses Berufes nicht allzu viel Gewalt einzuräumen, sondern wenigstens einen Versuch zu wagen, wenn ein Mädchen sich dazu hingezogen fühlt, so

sind

andrerseits natürlich die Bedingungen

festzuhalten,

unter welchen allein auf eine längere und gedeihliche Wirk­

samkeit zu rechnen ist.

Der Entschluß, sich der Kranken­

pflege zu widmen, wird manchmal aus der ersten Neuheit eines großen Schmerzes, aus dem plötzlich mit Heftigkeit

auftretenden Gefühl der Verlassenheit herausgeboren; aber die Verzweiflung an Stelle der Begeisterung ist ein ge­ brechlicher Stab, und es sollte billig eine genaue Prüfung, wo nicht der Motive, doch der Anlagen und der Befähigung überhaupt dem Eintritt in diesen Beruf vorangehen. Der

innere Drang, sich Leidenden, speziell Kranken, zu nähern

und nützlich zu machen, ein gesunder starker Körper mit gesunden starken Nervm, ein heiteres oder sinniges, nur nicht melancholisches Temperament, Selbstbeherrschung, Ge­

duld, Fügsamkeit mit ebenso viel Festigkeit gepaart und

zum mindesten einige Lebenserfahrung sind unerläßliche Bedingungen, ohne welche selbst zu einer Probe kaum zu

rathen ist. Die religiösen Schwesterschaften setzen bekanntlich und mit gutem Recht eine solche Probe sowie ein niedrigstes und ein höchstes Lebensalter »für den Eintritt fest: auch

da, wo kein bindendes Gelübde abgelegt werden soll, ist jedenfalls Beides aufzunehmen. In erfreulicher Weise mehren sich in unseren Tagen

die Veranstaltungen, Frauenhülfe dem leidenden Theile der

Menschheit dienstbar zu machen.

Hoffentlich wird es dahin

kommen, daß in jeder größeren Stadt und in jedem einiger­ maßen ausgedehnten Landbezirk eine Anstalt, ob geistlichen,

Die Arbeitszeit.

166

ob weltlichen Charakters, zur Ausbildung von Kranken­

pflegerinnen gefunden wird.

Aber auch für verwandte

Anstalten, für Rettungshäuser, für die Arbeit an Bier­

sinnigen, Idioten, Epileptischen u. A. ist die Beihülfe der Frauen erwünscht, ja zum Theil dringend gefordert.

Und

es stehen ihrer so Biele am Markte müßig und sprechen:

Uns hat Niemand gedingt.

Die Ernte ist groß genug,

möchten bald der Arbeiterinnen auch genug sein!

2. Die Erwerbsthätigkeit außerhalb des Naturberufes. Von fast allen innerhalb der Grenzen

des Natur­

berufes sich haltenden Erwerbszweigen mußten wir constatiren,

daß

sie

mit

Arbeitsuchenden

überftittt

seien.

Theils weil demzufolge Arbeit auf diesen Gebieten schwer zu haben oder schlecht bezahlt ist, theils weil Talent und Neigung in andere Bahnen wies, theils endlich weil auf neutralem, d. h. nicht mit Naturnothwendigkeit dem Manne zugewiesenem Boden Arbeitskräfte mangelten,

haben es Frauen je und dann, je länger desto häufiger gewagt, den schützenden Umkreis des Hauses zu verlaffen und ihre Kräfte auf dem großen Markt des Lebens zu

verwerthen. Jed.es Vorgehen dieser Art haben ihnen zuerst conservative Leute als ein Aufgeben ihrer Weiblichkeit vorge­ worfen; jeder einzelne Arbeitszweig, den sie sich außerhalb

des Hauses erobert haben, ist zuerst für ein dem Manne widerrechtlich entrissenes Monopol erklärt worden. Es

mögen dreißig oder vierzig Jahre her sein, daß, wie das Spottlied sang, „die Schneidergesellen den Krieg erklärten

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Die Erwerbsthätigkeit rc.

167

den Schneidermamsellen," d. h. daß die löbliche Zunft der Bekleidungskünstler es sich als unveräußerliches Naturrecht

anniaßte, die Hülle des äußeren Menschen für Männlein und Weiblein

herzustellen.

Trotzdem ist das Verderben

seinen Gang gegangen und man ist mehr und mehr dazu

gekommen, die harmlose Schneiderin für paßlicher zu er­

klären als den Damenschneider; man hat jetzt Geschäfts­ inhaberinnen, Verkäuferinnen, Buchhalterinnen, Photogra­

phinnen, und man ventilirt sehr lebhaft die Frage, ob Apothekerinnen, Aerztinnen, weibliche Post- und Telegraphen­

beamte zulässig sein sollen oder nicht.

Kurz, man sucht

eingestandener- und berechtigtermaßen nach neuen Erwerbs­

zweigen für Frauen; man gründet sogar Vereine zu diesem Zweck, und das große Publikum muß wohl oder übel sein Interesse darauf lenken. Eins aber ist bezeichnend für die ganz persönliche Richtung dieses Interesses: stets hört man warnende Stimmen die Befürchtnng äußern, es werde uns nächstens an Hausfrauen und Müttern fehlen, wenn den

Frauen so viele außerhäusliche Arbeitsgebiete zugänglich gemacht werden.

Wenn ein Mann diese Befürchtung äu­

ßert, so mag da eine gewisse, in ihrer Art achtungswerthe Bescheidenheit zu Grunde liegen; er gesteht damit aber doch zu, was sonst standhaft geleugnet zu werden Pflegt, daß die Ehe für eine große Mehrzahl von Mädchen zu einer bloßen Bersorgungsanstalt geworden ist, und daß viele Männer nur daruni eine Frau bekommen, weil sie ihr das tägliche Brot bieten können.

Frauen bekennen sich ungleich

seltener zu dieser Ansicht: sie wissen wohl, daß ein einiger­ maßen annehmbarer Bewerber immer noch mehr Chancen bei ihren Geschlechtsgenossinnen hat, als eine um de» Preis

Die Arbeitszeit.

168

des ehelose« Lebens erkaufte wirthschastliche Selbständigkeit. Der Wunsch, Herrin im eigenen Hause zu sein, eigene

Kinder aufzuerziehen, wurzelt dem weiblichen Geschlechte

so tief ein , daß der Fälle immer nur verschwindend we­ nige sein werden,

wo ein selbsterwählter außerhäuslicher

Beruf nicht willig mit dem Naturberufe unter irgend gün­

stigen Bedingungen vertauscht würde. Und sollten wirklich

unter tausend ein paar Ehen weniger geschlossen werden,

weil die Begehrte nicht durch die bloße Furcht vor dem Verhungern zum Jawort getrieben wird, so ist das für Niemand ein Schaden und wird reichlich dadurch wett ge­

macht, daß ein erwerbsfähiges Mädchen, auch wenn sie

mittellos ist, es viel eher wagen darf, einem gleichfalls mittellosen Manne die Hand zu reichen, weil sie ihn in seinem Kampfe ums Dasein wesentlich unterstützen kann. Da wir nicht der amerikanischen Ansicht huldigen, alle Arbeit der Männer eigne sich schlechthin auch für Frauen, so ist nur noch übrig, die verschiedenen neutralen Arbeits­ gebiete zu betrachten, auf denen die Frau außerhalb der Familie die.Gehülfin des Menschen, die Theilnehmerin

an seiner großen Culturaufgabe sein oder werden.kann. Sie lassen sich in das industrielle, das wissenschaftliche, das

künstlerische und das sociale Gebiet scheiden. Die Frauen in-der Industrie. Derjenige indu­ strielle Arbeitszweig, der den Frauen am nächsten liegt und daher

weitaus am meisten von ihnen ausgebeutet

wird, ist die Hand- oder Nadelarbeit. Die eine oder an­ dere Art dieser Arbeit versteht jedes weibliche Wesen, das den ersten Kinderschuhen entwachsen ist. Dieselbe verlangt

keinen großen Aufwand von Körper- oder Geisteskraft, kein

Das Weib im Arbeitsgebiet derWelt: Die Erwerbsthätigkeit rc. 169

hervorragendes Talent, keinen weitläuftigen oder kostspie­ ligen Apparat, kein Anlagecapital, keine besondere Räum­ lichkeit. Sie läßt sich in die Zwischenräume der häuslichen Beschäftigungen einfügen, nach Belieben vornehmen und

wieder aus der Hand legen.

Sie kommt endlich dem ge­

sellschaftlichen Borurtheil entgegen, indem Niemand es einer Handarbeit ansehen kann, ob sie für den häuslichen Ver­ brauch oder für den Verkauf bestimmt ist.

Daher ist die

Zahl Derer Legion, die zu Erwerbszwecken Handarbeiten

anfertigen; daher wird auch im Durchschnitt keine Frauen­ Die arme Nähterin

leistung schlechter bezahlt als diese.

oder Stickerin muß darunter büßen, daß Frauen oder

Mädchen aus den höheren Ständen heimlich die Gefällig­ keit des Kaufmanns für den Absatz ihrer Nadelarbeiten in Anspruch nehmen,

vielleicht nur um mit dem Erlös

derselben ihr Luxusbedürfniß befriedigen zu können.

Der

Kaufmann hat es bei dem massenhaften Angebot in der Hand, den Preis für die Arbeit zu bestimmen: daß er ihn so niedrig wie möglich ansetzt, dafür ist er eben Kaufmann.

Mit einzelnen am leichtesten auszuführenden Arbeiten die­ ser Art,

besonders wenn die Concurrenz der Maschine

dabei in den Weg tritt, ist es daher auch bei den beschei­

densten Ansprüchen kaum mehr möglich, das Leben zu fri­ sten, und der berühmte Song of the Shirt, der die Auf­

merksamkeit von Tausenden auf das elende Loos armer

Nähterinnen hinwies, enthält keine Uebertreibung, sondern

bitterste Wahrheit. Als man die Lage dieser Arbeiterin­ nen durch Errichtung von Verkaufsstellen, sogenannten Büzaren, wodurch ihnen der sich nach Abzug der geringen Geschäftsunkosten ergebende volle Ertrag ihrer Arbeit zu-

170

Die Arbeitszeit.

geführt werden sollte, also auch der Gewinnantheil, den

sonst der Kaufmann einstreicht, zu bessern suchte, da fand es sich in den verschiedensten Theilen unseres Vaterlandes, daß die Wurzel des Uebels noch ein Stockwerk tiefer lag:

daß nämlich eine große Anzahl der Frauen, die sich her­

zudrängten, selbst in den einfachsten Gattungen keine sau­ bere, sorgfältige, mustergültige Arbeit zu liefern verstand. Das hat denn hie und da zum Aufgeben der Bazare, an vielen Orten aber zu der höchst nöthigen Errichtung von

Handarbeitsschulen geführt, in denen die verschiedenen Ar­

ten des Nähens, Stickens und Häkelns, die Anfertignng

von Weißzeug und Kleidungsstücken mit und

ohne Näh­

maschine, das Ausbessern der Wäsche bis zur technischen Vollendung gelehrt werden.

Wiederum hat man also auf

diesem Gebiet von dem Irrthum zurückkommen müffen, die Allgemeinschule, sie sei nun Volks-, Mittel- oder höhere Töchterschule, könne ohne Weiteres die Befähigung zu ir­ gend einer Erwerbsthätigkeit geben, während ihr doch nur

die Grundlegung zukommt. Daß auch solchen Mädchen, die sich auf den häuslichen

Beruf

vorbereiten, der Besuch einer derartigen Schule

dringend anzurathen ist, versteht sich von selbst.

Einen

Lebensberuf aber auf die bloße Ausübung einer Handfer­

tigkeit gründen zu wollen, ist für Töchter der gebildeten Stände doch im Ganzen nur dann rathsam, wenn sie das kaufmännische Element damit verbinden. Das Arbeiten im Hause auf Bestellung oder für Läden bringt noch immer nicht soviel ein. daß die Lebensansprüche eines gebildeten Menschen davon befriedigt werden könnten. Mädchen aus

den niederen Ständen dagegen, wenn sie Tüchtiges leisten.

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Die Erwerbsthätigkeit rc. 171

können namentlich bei tageweis bezahlter Arbeit in Pri­

vathäusern oder im festen Engagement für Geschäfte als Maschinennähterinnen, Schneiderinnen, Putzmacherinnen oder Stickerinnen ein ausreichendes Brot verdienen.

Eine Er­

weiterung des Arbeitsgebietes gebildeter Frauen hat in England unter dem Protectorat der Prinzessin Christian

vor einigen Jahren durch Errichtung einer sogenannten Schule für Kunststickerei stattgefunden, in der man die be­ wundernswürdige Kunstfertigkeit,

von

welcher

Arbeiten aus dem Mittelalter Zeugniß geben,

beleben sucht.

weibliche

wieder zu

Möbelbezüge, Verzierungen von Hausgerä-

thm, Hofkleider, oft aus den kostbarsten Stoffen und nach

den schönsten alten Mustern, gehen aus den kunstfertigen Händen der Schülerinnen hervor. — Auch das Muster­

zeichnen für verschiedene Arten von Stickereien, das ebenso wohl eine gründliche Kenntniß dieser Arbeiten, wie gehö­ rige Durchbildung int stylisirten Zeichnen und Erfindungs­ talent voraussetzt, bietet einen lohnenden Verdienst.

Den Frauen und Töchtern von Landwirthen ist in

verschiedenen Zweigen der landwirthschaftlichen Production ein weites Feld für erwerbende Thätigkeit geboten.

Bei Gemüse- und Obstbau, Geflügelzucht, Mästung des Viehes

und dem gesammten Molkereibetrieb ist die Hülfe der Frauen unentbehrlich. Sie müssen nur wie ihre Männer, die strebsamen Landwirthe der Neuzeit, die Belehrung der

Wissenschaft'nicht verschmähen und sich den fortgehenden

Verbesserungen und neuen Erfindungen zugänglich erhal­

ten, die den alten Schlendrian bis in die Gehöfte seiner zähesten Anhänger, des konservativen Landvolkes, verfolgen. Wenn die Töchter wohlhabender Gutsbesitzer, welche Aus-

172

Die Arbeitszeit.

sicht haben- ihr Leben auf dem Lande zu verbringen- sich ein wenig um Chemie und einige einschlägige Capitel der

Bolkswirthschaft kümmern wollten, anstatt während eines

Jährchens etwa in einer hochfeinen Pension einen großstädtischen Schliff zu erstreben, der zu ihrer späteren na­

turwüchsigen Umgebung wenig paßt, so wäre das. sehr vernünftig.

In der Verwerthung der Mich, der Butter­

und Käsebereitung zum Beispiel können wir von einigen

Nachbarvölkern noch erstaunlich viel lernen, und diese Ge­ werbe gehen die Frauen von Landwirthen doch sehr nahe an. — Die Kunstgärtnerei, d. h. speciell die Blumenzucht,

dürfte wohl einen passenden und lohnenden Erwerbszweig für gebildete Frauen abgeben können.

Bei der allgemei­

nen Borliebe der Frauen für Blumenpflege ist es zu ver­ wundern, daß man damit den Versuch nicht schon ge­

macht hat. Betreffs der Verwendung von Frauen zu gewerblichen Arbeiten können überall nur solche in Betracht kommen, die mehr Ausdauer und Gewandtheit als Körperkraft vor­

aussetzen. Gebildete Frauen insbesondere werben nur den­ jenigen Gewerbtreibenden ihre Hülfe anbieten, die in der

Regel mit ihnen auf gleicher Stufe der Bildung stehen, und deren Arbeitsbetrieb entweder eine höhere Schulbil­ dung oder eine besondere Feinheit der Manipulation be­

dingt. Versuche, auf diesem Felde Frauen als Gehülfin­ nen zu verwenden, sind schon "nach verschiedenen Richtun­

gen hin mit bestem Erfolge gemacht.

Es verdient aber

festgehalten zu werden, daß auch hier, wie bei dem vorigen

Gebiet, das Richtige in der getheilten Arbeit, nicht in dem selbständigem Gewerbebetrieb der Frauen zu suchen sein

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: DieErwerbsthätigkeit rc.

173

wird, seltene Fälle ausgenommen. Der Photograph kann die leichte und feine Hand der Frau trefflich beim Retouchiren anwenden, der Mechaniker, der Uhrmacher ihr die

Znsammenfügung der zartesten und winzigsten Rädchen und

Federchen anvertrauen; damit ist aber nicht gesagt, daß

Frauen mit ihrer jetzigen Vorbildung selbst nach einigen Jahren der gewerblichen Lehrzeit sich in Hellen Haufen als Photographinnen, Uhrmacherinnen u. s. f. etabliren sollen.

Ebenso wird die Leitung eines Druckereibetriebes füglich in der Hand eines Mannes liegen, obwohl es bereits er­ wiesen ist, daß Setzerinnen mindestens nicht schlechtere Ar­

beit liefern als Setzer.

Ueberall kann es sich nicht um

Verdrängung der Männer von den ihnen zukommenden Arbeitsgebieten handeln, sondern nur um Ergänzung der

fehlenden Arbeitskräfte, beziehungsweise um Verwerthung derjenigen Naturanlagen, mit denen die Frau dem Manne aushelfen

kann.

Im Apothekergewerbe macht sich zum

Beispiel ein entschiedener Mangel an Lehrlingen und Ge­

hülfen fühlbar, derart, daß Apotheker auf dem Lande und in kleinerm Städten notorisch seit langer Zeit und ohne

irgend einen Nachtheil ihre Frauen und Töchter zur Aus­

Was liegt also näher als der Vor­ schlag, nicht blos unter der Hand, sondern auf gesetzlichem hülfe heranziehen.

Wege die Gehülfenschaft der Frau hierfür aufzubieten?

Aber gerade ein Reichsgesetz steht dem im Wege: es schreibt als Qualifikation eines Apothekerlehrlings — nicht etwa bestimmte Kenntnisse: die ließen sich anderweitig erwerben

— sondern den Besuch einer Schulanstalt vor, welche die

Berechtigung zur Ertheilung von Zeugnissen für den Einjährig-Freiwilligendienst hat.

Und doch bezeugen sowohl

Die Arbeitszeit.

174

Apotheker als Aerzte, daß nicht nur die Körperkräfte der

Frauen für diesen Beruf vollkommen ausreichen, daß auch

ihre anerkannte Treue im Kleinen, ihre Hyndgeschicklichkeit,

ihre Sauberkeit und Sorgsamkeit sie ganz besonders dazu befähigen, und daß sie unschwer soviel chemische Begriffe

wie nöthig und soviel Latein, wie zum Verständniß der Terminologie gehört, erwerben können.

Dem Manne die

Leitung und diejenigen Arbeiten, die besondere wissenschaftliche oder technische Kenntniß und Erfahrung, sowie beson­ dere körperliche Kraft voraussetzen, der Frau die Ausfüh­

rung int Einzelnen, vorzüglich da, wo die oben erwähnten Eigenschaften der Sorgfalt im Kleinen, der manuellen Geschicklichkeit, der Ausdauer und Gewissenhaftigkeit ins Spiel

kommen: das wird im Allgemeinen das richtige Verthei-

lungsprincip sein.

Auch auf das Geschäftsleben findet dasselbe Princip seine Anwendung.

Nur etwa diejenigen Geschäfte, welche

lediglich mit einem Frauenpublikum zu thun haben, mögen ganz in den Händen von Frauen wohl aufgehoben sein; in allen anderen wird ihre Gehülfenschaft ersprießlicher

sein als ihre Oberleitung. Manche Frauen haben entschie­

den kaufmännisches Talent, aber ihr Blick ist in der Regel zu sehr auf das Einzelne, Kleine, Zufällige gerichtet, und

wenn sie sich ja zum Speculiren versteigen, so speculiren

sie meistens unglücklich. Als Verkäuferinnen einerseits, als

Buchhalterinnen andrerseits sind sie dagegen sehr an ihrem Platze, und man kann hinzufügen, sehr gesucht.

Es ver-

' steht sich von selbst, daß sie in beiden Fällen ganz bestimmte

Kenntnisse und Fertigkeiten mitbringen müssen, die selten oder nie durch die allgemeine Schulbildung in genügendem

Das Weib im Arbeitsgebiet derWelt: Die Erwerbsthätigkeit rc.

175

Maße erworben werden: eine gute, kaufmännische Hand­ schrift, Fertigkeit im Kopf- und schriftlichen Rechnen, und wenn sie im Comptoir verwandt werden wollen, Kenntniß der Buchführung und Handelscorrespondenz.

Für manche

Geschäfte wäre die Verwendung von Frauen als Verkäu­ ferinnen anstatt der Ladendiener dringend anzurathen, na­ mentlich für die Manufacturgeschäfte; das Abmessen von

Seide und Band, 'das Anpreisen von Mänteln und Klei­

derstoffen, das Aussuchen zusainmenpassender Farben eignet sich entschieden besser für weibliche Hand, und Gehülfinnen

spielen, da sie sich immer beschäftigen können, in den un­

vermeidlichen Geschäftspausen keine so klägliche Rolle wie Gehülfen. Geschäfte, die sich hauptsächlich oder lediglich mit dem Vertrieb der Arbeitserze'ugnisse weiblicher Hand

beschäftigen,

besonders also Leinen- und Wäschegeschäfte,

Stickerei- und Putzläden, sollten füglich nur in Frauen­

händen liegen; die Leiterin bedarf dann allerdings zum

mindesten der technischen Qualification einer Buchhalterin und Verkäuferin und müßte als solche in verschiedenen an­

deren Geschäftshäusern derselben Gattung bereits kaufmän­ nische Erfahrungen gesammelt haben. Einen Stickereiladen eröffnen, weil man einige Stickereien anzufertigen versteht,

oder einen Thee- und Chocoladenhandel, weil man schon

manchmal Thee und Chocolade bereitet oder getrunken hat: das ist doch ein gewagtes Ding und schlägt häufig übel aus. Endlich haben sich im Gebiete des.Verkehrs die Frauen einige bescheidene Plätzchen erobert, die sie hoffentlich trotz

mancher Anfechtungen festhalten werden.

Es ist nicht er­

sichtlich, warum nicht der Verkauf von Eisenbahnbillets

176

Die Arbeitszeit.

und Postwerthzeichen, die Annahme und Abstempelung von

Briefen, die Führung des Telegraphenapparates ebenso gut

von weiblicher wie von männlicher Hand besorgt werden

könnte.

Ueberall, wo man den Versuch gemacht hat, im

Auslande noch häufiger als in Deutschland, ist er befrie­ digend ausgefallen, woran auch gar nicht zu zweifeln war.

Darum eben ist diese von den Frauen errungene Position eine vielumstrittene, weil kein natürliches Vorrecht der Männer sie unhaltbar macht, weil aber doch nur die le­

diglich von Männern besorgte Gesetzgebung sie befestigen

kann, nicht die freie Concurrenz.

Man führt allerlei

Gründe dagegen ins Feld: nachdem man nicht mehr be­

haupten kann, daß Frauenarbeit auf den verschiedenen ins

Auge gefaßten Posten schlechter ist als die der Männer, steift man sich auf die große Anstrengung, die solcher Dienst

fordert, auf die Unzuträglichkeit, Frauen am Post- oder

Eisenbahnschalter uneingeschränkt mit dem Publikum ver­ kehren zu laffen u. dgl. Da bleibt jedoch nichts übrig als "sich zu fügen; eine gebildete Frau, die mit verhältnißmäßig geringen Kenntnisien ihr Brot verdienen will, die muß sich

eben anstrengen; entgegengetragen wird es ihr nicht. Und was den Verkehr mit dem Publikum angeht, so sind Post«nd Eisenbahnschalter längst nicht so exponirt wie manche

andere Orte, an die man Frauen ohne Blinzeln treten sieht. Weibliche Würde schützt sich selbst, und in einer an­

gemessenen ruhigen dienstlichen Haltung liegt nicht so viel Herausforderndes, zu Grobheit oder Schmeichelei Reizen­ des, daß alle Augenblicke und mehr als zum Beispiel im

Laden oder auf der Straße ein Angriff erfolgen sollte. Auch ist hier von einem maffenhaften Zuströmen, von

Das Weib im ArbeitsgebietderWelt: Die Erwerbsthäthigkeit rc. 177 einem Verdrängen der Männer aus der ihnen gebühren­

den Sphäre keine Gefahr zu

befürchten.

Weder ist der

für die Frauen ausgeworfene Gehalt so

hoch, noch die

einförmige, nach dem Gange der Uhr geregelte Thätigkeit

an sich so anziehend, daß Viele sich dazu drängen sollten, wenn sie etwas Besseres zu

Nur die

beginnen wissen.

verhältnißmäßige Sicherstellung des Staatsdienstes und die geringen Anforderungen an Positive Kenntnisse oder Ge-

schicklichkeit machen diese Stellungen

für Manche empfeh-

lenswerth. Die Frauen

in der Wissenschaft.

Erregen die

Frauen auf dem Gebiete der industriellen Arbeit schon

häufig ein energisches Kopfschütteln,

so ist das noch weit

ärger, wenn sie sich auf dem Felde

der Wissenschaft be­

treffen lassen oder Eingang daselbst zu verschaffen suchen. Moliere, bett die precieuses seines Jahrhunderts zu zweien

seiner besten Stücke begeisterten, bewilligt ihnen durch den

Mund eines seiner Helden, daß sie von Allem Klarheit

haben, verlangt aber, daß sie sich mit ihrem Wissen ver­ bergen sollen; ja, der nicht zu beneidende Besitzer einer

gelehrten Frau, einer dito Tochter und einer dito Schwe­ ster in den Femmes savantes möchte die Bibliothek dieser

Drei, wenn er könnte, auf ein Kochbuch einschränken nnd

einen dicken Plutarch, in dem sie seine Kragen preffen

können.

Dieser

gemüthliche

Chrysale,

so

borstig

nach

außen, so weichlich nach innen wie eine richtige Raupe, repräsentirt nicht übel die erste, naivste und in ihrer Art

zu Recht bestehende Kategorie von Einwürfen, welche gegen das Frauenstudium geltend gemacht

werden.

Die häus­

liche Bequemlichkeit des Mannes muß darunter Lammers, Die Frau.

12

leiden,

178

Die Arbeitszeit.

wenn die Frauen sich den Wissenschaften widmen.

Das

ist ein sehr verständlicher Grund, der durchaus nicht als

ungerechtfertigt bezeichnet werden kann.

Der Antheil der

Frau an wissenschaftlicher Arbeit erscheint erst dann be­ rechtigt, wenn sie ihren häuslichen Pflichten vollkommen

genügt, vor Allem natürlich, wenn und so lange sie keine häuslichen Pflichten zu erfüllen hat. Das Aufsuchen neuer Arbeitsgebiete, das wird nur zu leicht vergessen! geschieht ja nicht im Interesse der Frauen, die einen von Gott ge­

ordnete« Beruf in der Familie haben, sondern im Jntereffe derer, die ihre Kräfte in Ermangelung eines solchen

brach liegen und verkümmern lassen.

Fürs Zweite befürchtet man, daß studirende Frauen einige der besten und liebenswürdigsten Eigenschaften ihres Geschlechtes einbüßen werden.

Darauf läßt sich im All-

gemeinen erwidern, daß prunkendes Halbwiffen, nicht aber

eine wirklich gründliche Vertiefung in irgend ein Gebiet menschlicher Erkenntniß diese Folge haben mag, sowie daß

notorisch einige der gelehrtesten Frauen, die es gegeben hat, zum Beispiel Mary Somerville,

zugleich zu den

liebenswürdigsten, bescheidensten, echt häuslichen Repräsen­ tantinnen ihres Geschlechtes gehörten. Speziell wird die­ ser Einwand gegen das voraussichtlich am meisten von

den Frauen begehrte Studium der Medicin erhoben, das ihre Schamhaftigkeit ansrotten, sie hart und unweiblich machen müsse.

Soviel steht jedenfalls fest: ein auf dem

Wege der Natur und des Berufes erworbenes Wisse« von natürlichen Dingen hat noch keinem Menschen an seiner

Sittlichkeit oder Sittsamkeit geschadet; im Gegentheil aber sind schon unzählige Frauen zu Grunde gegangen oder

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Die Erwerbsthäthigkeit :c. 179

lebenslang elend geworden, weil sie vor der Alternative stan­ den, ihre Leiden entweder einem Manne anzuvertrauen oder schweigend zu tragen. So lange man die Verwendung der Frauen in der Krankenpflege und bei der Geburtshülfe nicht beanstandet, ist auch dieser Grund hinfällig; selbst die

Frage der praktischen Ausführung, nämlich des gemeinsamen

Studiums von Männern und Frauen in denselben Hör­ sälen und Laboratorien, ist an der Universität Zürich be­

reits thatsächlich gelöst worden, und ist damit ihre Lösbar­ keit bewiesen.

Ein weiterer Einwand, der Haupteinwand gegen das

Studium der Frauen, ist die vielgehörte Behauptung von

der allgemeinen geistigen Inferiorität

des Weibes, der

letzte Nachklang jener mittelalterlich-kirchlichen Theorie, die

dem Weibe schlechthin die Seele absprach.

Diese Behaup­

tung stützt sich auf zwei gleich gebrechliche Säulen: auf

den Erfahrungsbeweis und den physiologischen Beweis. Es ist leicht, erfahrungsgemäß darzuthun, daß noch keine Frau auf wissenschaftlichem Gebiete soviel geleistet hat wie Aristoteles und Plato, wie Kepler, Leibniz, Bacon und Newton, wie Cuvier und Arago, Kant und Humboldt u. s. w. u. s. w. Aber es ist einfach unmöglich zu be­ haupten, daß noch keine Frau auf wissenschaftlichem Ge­ biete Gutes und selbst Vorzügliches geleistet habe, weil

Namen wie Olympia Morata, Anna Maria von Schnermann, Emilie du Chastelet, Caroline Herschel, Mary Somerville das Gegentheil darthun. Man schließt ja die Frauen nicht von der Ausübung der Kunst aus, obgleich

es keine weiblichen Leistungen giebt, die sich mit den Wer­

ken Shakespeares und Goethes, Beethovens und Mozarts, 12*

Die Arbeitszeit.

180 Raphaels

und

Michelangelos

messen könnten.

Warum

sollte ihnen in der Wissenschaft nicht wenigstens die Probe

gestattet werden?

Weil ihr Gehirn zu klein ist! antwor­

ten die weiberfeindlichen Forscher.

Aber leider ist diese

Stütze, wenigstens nach Aussage anerkannter Physiologen,

nicht haltbarer als der Erfahrungsbeweis. weist

Profeffor

Hermann,

übrigens

kein

Absolut, so Freund

des

Frauenstudiums, nach, absolut ist das männliche Gehirn

größer als das weibliche, „während das relative Gewicht annähernd bei beiden Geschlechtern gleich ist.

Wie wenig

aber die Proportionalität zwischen Hirngewicht und geisti­ ger Begabung feststeht, ist jedem Anatomen und Physiolo­

gen wohlbekannt.-------- Höchstens kann man mit Fug und Recht so weit gehen, eine festgestellte geistige Inferiorität

mit einem festgestellten Minus" — nicht etwa an Gehirn­

masse überhaupt, sondern „an grauer Rindensubstanz in einen wahrscheinlichen Zusammenhang zu bringen." Ein

Elephantengehirn ist beträchtlich umfangreicher und schwer­

wiegender als das des geistig begabtesten Mannes: daraus wird man doch nicht die geistige Inferiorität des letzteren schließen dürfen,

so achtungswerth 'die Intelligenz, des

Rüffelträgers sein mag.

Außerdem ließe sich im Hinblick auf die bekannte Des­ cendenztheorie noch geltend machen, daß von einer gerech­

ten Vergleichung männlicher «nd

weiblicher Naturgaben

erst dann die Rede sein könnte, wenn durch viele Genera­

tionen hindurch dem jWeibe dieselben wissenschaftlichen Bil­ dungsmittel zugänglich gewesen wären wie dem Manne.

Aber wenn dies auch der Fall gewesen wäre, so wird doch das Bahnbrechen, das Leiten und Organisiren wahrschein-

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Die Erwerbsthätigkeit rc.

181

lich immerdar Sache der Männer sein und bleiben. Nicht

zur epochemachenden Förderung der abstracten Wissenschaft ich die

glaube

tischen

Frauen

Verwerthung

berufen,

gewonnener

wohl aber zur prak­

Resultate;

nicht Berg­

sondern Münzleute sollen sie werden.

leute,

Und auch

das nur für diejenigen Gebiete, die mit dem Naturberufe

Weibes

des

unmittelbar

Zusammenhängen.

Man

gebe

ihnen das Studium der Medicin frei, damit sie die Heil­

kunst

an

ihren

und an Kindern

Geschlechtsgenossinnen

ausüben können.

Man gewähre den Lehrerinnen, deren

Befähigung und Vorbildung so weit reicht, die Möglich­ keit, sich zum wenigsten in den ethischen und sprachlichen Fächern für den Unterricht auf oberen Stufen gehobener

Mädchenschulen vollständig

zu können.

ausrüsten

Man

gestatte endlich Denen, die für landwirtschaftlichen, ge­ werblichen oder hauswirthschaftlichen Betrieb Nutzen daraus ziehen können, sowie Denen, deren sorgsame Beobachtung

und

geschickte

Hand

der

Wissenschaft

selber

dienstbar

werden kann,

den Zugang in

wissenschaften.

Die speculative Wissenschaft, die Juris­

prudenz

das

Gebiet der Natur­

und Theologie mögen sie getrost den Männern

überlassen. Soweit man ihnen aber die Laufbahn öffnet, soweit

thue man

es

voll und ganz.

Nicht besondere Frauen­

hochschulen, nicht besondere Fraueneurse, damit nicht einmal

der Verdacht erweckt werden könne, es solle die Wissenschaft

populär oberflächlich für sie zurechtgemacht werden.

„Auf

dem wissenschaftlichen Gebiet ist," wie Professor Böhmert

sagt, „für die Frauen nur in freier Concurrenz mit den Männern Heil und Erfolg zu erwarten."

Nur die Geister

Die Arbeitszeit.

182

ersten Ranges können wir auf diesem Felde als Pioniere brauchen;

nur

solche Frauen,

die

mit hervorragender

geistiger Begabung völligen Ernst, völlige Lebenshingabe an einen großen Zweck verbinden.

Wird auf anderen

Gebieten das Weib früher für mündig erachtet, als der Mann, so dürfte sich's empfehlen, daß Mädchen erst in

dem Alter akademische Studien beginnen, in dem junge Männer mit denselben abzuschließen pflegen.

Nicht mit

siebzehn oder achtzehn Jahren, sondern ein Decennium

oder mindestens ein Lustrum später, nachdem sie Zeit und

'Gelegenheit gehabt hat abzuwägen, ob der Einsatz eines

ganzen Lebens ihr nicht zu hoch sein wird, suche das ge­ reifte Weib einen Platz in den Hörsälen der Wissenschaft. Ein akademischer Bürger muß ein selbständiger Mensch sein, dem directen Erziehungseinflusse Anderer entwachsen;

die, welche akademische Bürgerin werden will, müßte meines Erachtens ebenfalls so alt geworden sein, daß man sie als

einen selbständigen, für ihr Thun und Lassen allein ver­ antwortlichen Menschen betrachten kann.

Das ist aber,

wenigstens bei einer Unverheirateten, kaum vor dem sünfundzwanzigsten Lebensjahre der Fall.

Auch fällt hier noch ein Umstand ins Gewicht, der

nicht ganz mit Stillschweigen übergangen werden kann. Die akademische Laufbahn ist kostspielig, so sehr, daß Eltern

von geringen Mitteln, die nur mit erheblichen Opfern und

durch Stipendien unterstützt einen begabten Sohn studiren

lassen können, voraussichtlich noch lange nicht daran denken werden, einer wissensdurstigen Tochter dasselbe zu gewähren.

Eine solche kann aber etwa, falls sie überhaupt für irgend einen einträglichen Beruf rechtzeitig vorgebildet ist, sich in

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Die Erwerbsthätigkeit rc.

183

acht bis zehn Jahren bei Fleiß und Sparsamkeit selbst die Mittel zu einem Universitätsstudium erwerben.

Die

Tochter reicher Eltern hingegen, denen der Geldpunkt die

geringste Schwierigkeit machen würde, hat inzwischen höchst wahrscheinlich genügende Gelegenheit gehabt, ihr Herz zu prüfen, ob sie ein gewöhnliches Frauenloos nicht den dor­ nigen Pfaden der Wissenschaft vorziehen möchte, und steht

also in dem fraglichen Alter vor der Wahl zwischen einem

beruflosen oder einem würdig ausgefüllten Dasein. Schwierig und für den Einzelnen unmöglich zu ent­ scheiden ist endlich die Frage nach der Vorbildung, die

für studirende Frauen beschafft werden muß.

Ob man

namentlich in Bezug auf die Kenntniß des classischen Alter­ thums ganz dasselbe von ihnen verlangen soll, was das

Maturitätsexamen

von

den zur Universität abgehenden

Jünglingen verlangt oder nicht; ob man sie, wie bis jetzt thatsächlich der Gang der Dinge war, auf Privatunterricht verweisen oder Gymnasien für Mädchen gründen soll: das

ist noch nicht spruchreif.

Es muß nur erst dahin gewirkt

werden, daß, wie in England und der Schweiz, auch in Deutschland eine oder die andere Universität den Frauen vorläufig unter denselben Bedingungen wie den Männern

erschlossen werde; nach längerer Erfahrung und sorgfältiger Beobachtung wird sich dann die ersprießliche Regel schon

finden lassen. Die Frauen in der Kunst.

Apollo, der die Musen

führt, wird als ein Mann dargestellt; die Musen selber sind weibliche Gestalten.

Daraus läßt sich schließen, daß

die Griechen, deren Ansichten über die Kunst heutzutage

in der Hauptsache noch maßgebend sind, gegen eine Be-

Die Arbeitszeit.

184

theiligung des weiblichen Geschlechtes an der Kunst prin­ cipiell nichts einzuwenden hatten.

Ebenso wenig würde

eine Ausschließung der Fraum von diesem Gebiete histo­ risch berechtigt sein.

Dagegen aber giebt es sowohl ein­

zelne Künste als einzelne Kunstbestrebungen, worin nur Männer das Heimatsrecht haben, einzelne andere wiederum, in denen sie von Frauen übertroffen werden.

Des mündlichen Wortes sind Frauen häufig mächüger als Männer; sobald sich aber die'Rede in das Gebiet der

Kunstleistung aufschwingt, verstummt der Mund der Frauen.

Es ist nicht zu

wünschen, daß ihnen die drei großen

Rednerbühnen des Mannes, die Kanzel, die Tribüne und das Forum, geöffnet werden; daß ihre sprachliche Misfion trotzdem eine höchst bedeutende ist, daß die meisten Frauen, wenn auch unbewußt, einen schwer wiegenden Einfluß auf die Fortentwickelung der Sprache haben, erhellt leicht aus einem Blick auf die Beziehungen zwischen Mutter und

Kind.

Ob Frauen sich alles Redens in öffentlichen Ver­

sammlungen entschlagen sollen, darüber sind die Meinungen

getheilt.

Mele Eltern, die ihre Töchter unbedenklich in

großer Gesellschaft Vorsingen oder declamiren lassen würden, verurtheilen es als entschieden unweiblich.

Warum in­

dessen Jemand, der zufällig eine eigne Meinung hat, auch

wenn er ein weiblicher Jemand ist, diese Meinung bei­

spielsweise in einer Vereinssitzung nicht anders als zu Gunsten seines nächsten Nachbars äußern sollte, ist, falls

es nur einfach und sachgemäß geschieht, nicht abzusehe«. Doch dies gehört nicht zum Gebiete der Kunst.

Im Ge­

biete des geschriebenen Wortes, der literarischen Production haben viele Frauen Gutes, einzelne Hervorragendes ge-

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Die Erwerbsthätigkeit re. leistet.

185

Wir erinnern nur, daß von maßgebenden Kri­

tikern George Elliot und Georges Sand die größten Roman­

dichter ihrer Nation, Fanny Lewald einer der ersten deutschen

Stilisten genannt werden.

Aber freilich ist der Roman,

einen wie breiten Raum er auch mit seinen Nebenarten

in unserm socialen Leben von heute einnimmt, nur eine Zwittergattung, und weder im eigentlichen Epos, noch in der Lyrik, noch vor allem im Drama glänzen weibliche

Namen unter den Sternen ersten oder auch nur zweiten

Ranges.

Ja, wenn man einem so gewiegten Kunstkenner

wie W. H. Riehl glauben will, so könnte man die Ge­

schichte der Poesie in ihren wesentlichsten Epochen schreiben und dabei so unartig sein, keiner einzigen Dame zu er­ wähnen. Auch ohne ängstlich den rein künstlerischen Stand­

punkt festzuhalten, ist in der That, von den erwähnten

Ausnahmen abgesehen, kaum ein epochemachendes Werk irgend einer Art aus weiblicher Feder zu verzeichnen. Das

thut

indessen nichts und kann keineswegs als ein Ab­

schreckungsmittel dienen sollen, damit Frauen ihre in der Schule

erlernten Schreibekünste

nur

zu Haushaltsrech­

nungen oder freundschaftlicher Correspondenz verwenden möchten. In einer großen Gemeinschaft find nicht bloß

Holzhacker nothwendig, die den Urwald ausroden, Ent­ decker, die neue Stromgebiete erforschen, Ingenieure, die

Berge versetzen, sondern nicht minder bescheidene Feld­

arbeiter, die Kartoffeln bauen, emsige Tagelöhner, die Un­ kraut ausjäten, und ein oder das andere sinnige Gemüth, das Blumen pflegt und Früchte sammelt.

Auf diesem Felde herrscht auch bereits jene uneinge­ schränkte Concurrenz, die allen Gebieten weiblicher Arbeit

Die Arbeitszeit.

186 zu wünschen wäre.

Eine Novelle, ein Zeitungsartikel, ein

Buch werden darum keinen Pfennig

geringer honorirt,

weil sie einer Verfasserin und nicht einem Verfasser ihr

Dasein

verdanken.

Neben ihrem bleibenden innerlichen

und ihrem vorübergehenden Marktwerth ist dafür höchstens der mehr oder minder bekannte Name des Schriftstellers,

der den letzteren erhöht, maßgebend.

Gerade weil aber

diese Concurrenz uneingeschränkt ist, so lernt die schrift­ stellernde Frau bald einsehen, daß sie ihre Leistungen nicht

nur an denen ihrer Geschlechtsgenossinnen, sondern an der

Gesammtproduction ihres Volkes und ihrer Zeit messen muß. Diese Erwägung fällt natürlich um so schwerer ins Gewicht, wenn es sich einmal darum handelt, die Schrift­ stellerei als Lebensberuf zu treiben.

Zu diesem Entschlüsse

wird eine Frau schwerlich je kommen, ehe sie irgend welche

literarischen Erfolge errungen hat; auch dann aber möchte ihr wie dem schriftstellernden Manne anheimzugeben sein, daß es dem Menschen in der Regel gesünder ist, wenn er sich zunächst wenigstens in irgend einem anderen zwingenden

und dringenden Berufe völlig heimisch macht, ehe er seine Existenz inhaltlich und materiell an die Arbeit seiner Feder knüpft. Auch darf wohl daran erinnert werden, daß billiger­

weise Jede, die mit ihrer Arbeit an den öffentlichen Markt treten will, in den ersten technischen Griffen ihres Hand­ werks ausgelernt haben, also z. B. die gewöhnlichsten Re­ geln der Grammatik, Orthographie und Stilistik be­ herrschen muß. Man hört es zuweilen von älteren Leuten beklagen, daß unsere heutige Generation von jungen Mädchen nicht

mehr im Stande sei, so hübsche, lesbare Briefe zu schreiben,

Das Weib im Arbeitsgebiet derWelt: Die Erwerbsthätigkeit rc.

187

wie sie von gebildeten Frauen in der ersten Hälfte des

Jahrhunderts geschrieben wurden.

Ein Theil dieser An­

klage, falls sie überhaupt begründet ist, mag wohl darauf ruhen, daß das Amt des Briefes in unserer Zeit großen-

theils durch die Tagespresse und die Reisen übernommen worden ist, daß Männer und Frauen sich weniger Muße zu wohlstilisirten,

ausführlichen Briefen gönnen.

Zum

Theil aber -auch leidet ganz gewiß der deutsche Unterricht

in unserer Mädchenerziehung darunter, daß er von einem übermäßig ausgedehnten und nur allzu oft irrationell be­

triebenen fremdsprachlichen Unterricht

überwuchert wird.

Was man in den Fremdsprachen dem deutschen Kinde an schriftlicher und mündlicher Production zumuthet, das sollte

man getrost auf den Unterricht im Deutschen schlagen und sich damit begnügen, eine möglichst ausgedehnte Empfänglich­ keit für die Literaturen

fremder Culturvölker und die Grundlagen für eine etwa später im Verkehr mit Aus­

ländern zu erwerbende lebendige Anwendung zu geben.

Mädchen, die soweit gefördert sind, würden sich später mit Fug als Uebersetzerinnen anbieten können, statt daß jetzt

in Unterhaltungsschriften französische und englische Bücher

von Unberufenen dem deutschen Publikum in einer Weise mundgerecht gemacht zu werden pflegen, die zur Corruption

unserer schönen Muttersprache bereits wesentlich beigetragen hat.

Auch als Secretärinnen, als Verwalterinnen kleiner,

nicht streng wissenschaftlicher Privatbibliotheken, oder als Gehülfinnen solcher Verwalter würden literarisch genügend

vorgebildete Mädchen zu verwenden sein. Spielt in der Kunst des geschriebenen Wortes die Frau

als ausübende Künstlerin nur eine Nebenrolle, so tritt sie

Die Arbeitszeit.

188

dagegen als dem Manne durchaus gleichberechtigt in der

Mimik und- der Tonkunst auf, soweit es sich in beiden um

Reproduction, um die Darstellung des bereits geschaffenen Ja, man kann behaupten, daß es,

Kunstwerkes handelt.

so lange Frauen überhaupt öffentlich ihre Stimme ertönen

lasten, mehr berühmte und ausgezeichnete Sängerinnen als Sänger giebt.

Das sich Vertiefen in den Gedanken

eines Andern, das sinnige Eingehen auf seine Abfichten,

das Gestalten und Verschmelzen der Elemente, die er ge­ geben hat, ist eben Frauenart.

Musik und Schauspielkunst

haben anerkanntermaßen gewonnen, seit die strenge mittel­

alterliche Schranke gefallen ist, welche die Frauen von der

öffentlichen Ausübung

dieser Künste ausschloß.

Shake-

speare's Frauengestalten übertreffen an Liebreiz und echt weiblichem Empfinden so ziemlich alle anderen Geschöpfe einer dichterischen Einbildungskraft; das Einzige, was uns

an ihnen unangenehm auffällt, ihre dreiste oder verfäng­

liche Redeweise, würde wahrscheinlich sehr gemildert sein, hätte der Dichter sich Frauen statt Knaben mit diesen Rollen betraut gedacht.

Und vollends unsre ganze heutige

Bocalmusik in ihrer reichen Entfaltung wäre ohne die Mitwirkung von Frauenstimmen gar nicht denkbar. Doch sind auch hier von der Natur bestimmte Schranken

gezogen.

In der tragischen Kunst wirkt die Darstellung

eines verworfenen weiblichen Charakters, und sei sie noch

so künstlerisch vollendet, eher abstoßend als erhebend; in der Komik sind für einen geläuterten Geschmack die Grenzen

fast noch enger, und das heutige Soubrettenthum, das die glänzendsten Triumphe feiert, erntet seine Lorbeeren ge­ wöhnlich mehr durch Kunststücke als durch Kunstleistungen.

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Die Erwerbsthätigkeit rc.

189

Sowie die Frauen sich nicht durch dichterisches Schaffen

von Dramen auszeichnen, ebenso wenig findey wir Compomstinnen von hervorragender Bedeutung, und in der

ausübenden Instrumentalmusik sind sie ausschließlich auf Saiteninstrumente und zwar fast allein auf das Clavier

verwiesen.

In welcher heuschreckenhaften Weise sie dieses

Feld überziehen, ist männiglich bekannt und bezeugt Dem, der offne Augen und Ohren hat, nicht allein, daß ein Theil der Frauen, wie der Menschheit überhaupt, musika­ lisches Talent hat, und ein andrer nicht, sondern auch,

daß es ein Lebensbedürfniß ist, der Stunden unendliche Länge durch irgend etwas auszufüllen, und sei es nur

gymnastische Fingerkunststücke auf schwarzen und weißen Tasten. Wir Deutschen sind ein musikalisches Volk, durch

das ist gewiß; das heißt aber nicht, daß Jeder und Jede, die in dem Umkreise geboren werden, so weit die deutsche

Zunge klingt, musikalisch beanlagt sei.

Ja, auch die musi­

kalische Anlage hat ihre zwei Seiten: man kann ein großer Musikliebhaber und selbst Musikkenner sein, ohne deshalb nothwendig zu den ausübenden Künstlern gehören zu müffen;

gerade wie Mancher sein Haus mit Gemälden und Bild­

säulen schmückt, ohne je den Pinsel oder den Meißel an­

gesetzt zu haben.

In allen Fällen, wo wirklich produc­

tives oder reproduktives Talent vorhanden ist und daneben Mttel und Zeit von keinem wichtigeren Bildungszwecke in Anspruch genommen werden, da wolle man es pflegen, denn der erhebende, erfreuende Einfluß guter Musik kann nicht genug hervorgehoben werden — aber schlechte Musik,

solche, wie sie etwa von vielen jungen Mädchen mit einer

Beharrlichkeit, die einer besseren Sache würdig wäre, täglich

190

Die Arbeitszeit.

stundenlang zum Entsetzen der Nachbarn verübt wird, ist

schlimmer als gar keine. Talent, jene Gabe von Gottes Gnaden, ist in der Kunst überhaupt und so in der Tonkunst, die unerläßliche und erste Bedingung für Den, der in der Kunst seinen Lebens­

inhalt und Lebensberuf sucht.

Soll sich für ein weibliches

Wesen mit dem Beruf auch der Erwerb verbinden, so be­ schränkt sich auf diesem Gebiet die Wahl auf die bxiden Möglichkeiten, als Musiklehrerin oder öffentlich als aus­

übende Künstlerin aufzutreten.

Der Musiklehrerin ist schon

bei der Betrachtung des Lehrfaches gedacht worden.

Wann

und unter welchen Voraussetzungen ein Mädchen sich für

den Concertsaal oder die Bühne ausbilden soll, darüber

läßt sich nur in Ansehung des einzelnen Falles urtheilen.

Das bedeutende Talent wird diese Bahn suchen; sie mag dornenvoll und schlüpfrig sein, aber sie braucht nicht noth­

wendig in den Abgrund zu führen. Daß auch das größte Talent für diese, wie für alle künstlerischen Berufszweige,

einer sehr gründlichen Schulung, so wie der Basis einer breiten Allgemeinbildung bedarf, um zur Geltung zu kommen,

ist so allgemein anerkannt, daß es hier keines besonderen Hinweises bedarf.

Eben deshalb sind auch schon seit langer

Zeit die Veranstaltungen für musikalische Ausbildung Frauen so gut wie Männern zugänglich. In den Annalen der Baukunst steht wohl außer dem

Namen von Erwins hülfreicher Tochter kaum ein weib­

licher Name verzeichnet.

Sowohl das Entwerfen von Bau­

plänen wie das Ausführen derselben ist immer und überall

ausschließlich als Männerarbeit angesehen.

Der Mann

baut das Haus, die Frau schmückt es aus und macht es

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Die Erwerbsthätigkeit rc.

zu einer Heimstätte.

191

Von den beiden Künsten indessen,

die zunächst diesem Streben ihre Entstehung verdanken,

ist die Sculptur nur höchst selten, nie mit irgend bedeu-

tendern Erfolge von Frauen betrieben worden;

in der

Malerei dagegen cultiviren sie, wie in der Dichtkunst, einige

Gebiete mit voller Berechtigung.

Stillleben, Genre, Por­

trät, im engeren Rahmen die Landschaft: das sind die Gattungen, in denen sich malende Frauen ausgezeichnet

haben; auch den begabtesten und berühmtesten ist nie eine wahrhaft bedeutende historische Composition oder eine Land­

schaft im großen Stil gelungen.

Die Pflege des ästhetischen Sinnes und des künst­ lerischen Verständnisses ist trotzdem überall, wo sich die Naturanlage zeigt, in der Mädchenerziehung dringend anzurathen, und in entsprechendem Maße die Ausbildung

der technischen Begabung.

Ein an Harmonie' der Farben

und Formen gewöhntes Auge ist für die Frau, die ein

Hauswesen einzurichten oder zu verwalten hat, eine treff­ liche Mitgabe; ein künstlerisch entwickelter Geschmack und eine kunstfertige Hand vermögen auch mit geringen Mitteln ihrer Umgebung den Charakter der anmuthigen Behaglich­ keit zu verleihen, den prunkender Reichthum häufig ver­

gebens anstrebt.

Sich seiner Grenzen bewußt werden und

innerhalb derselben nach Vollendung ringen, das ist auch

hier das Geheimniß der wahren Befriedigung.

Es wäre

darpm zu wünschen, daß künstlerisch beanlagte Frauen, die einen Beruf suchen, dem Kunstgewerbe mehr Aufmerksam­ keit zuwenden möchten. Wir haben dies Gebiet bereits

gestreift, als wir von der Hülfe sprachen, die weibliche Hand dem Photographen zu leisten vermag, und von dem

Die Arbeitszeit.

192

Musterzeichnen für gewerbliche Zwecke.

Auch in der Holz­

schneidekunst, in der Lithographie und verwandten Kunst­ zweigen könnte manches Talent dienstbar gemacht werden,

das zum Schaffen originaler Werke nicht ausreicht.

Die

Veranstaltungen, welche die Vorbildung dazu gewähren, mehren sich in erfreulicher Weise und stehen Frauen wie

Männern zur Benutzung frei.

Das ist in großen Umriffen die active Wirksamkeit, die wir uns der Frau auf dem Gebiete der Kunst vorgezeichnet

denken.

Ein ausgesprochenes, aus dem Rahmen des Ge­

wöhnlichen heraustretendes Talent muß

die Grundlage

dafür bilden, wenn die Kunst in irgend einer Form den

Lebensberuf der Fra« abgeben soll.

Ihre Sphäre erwei­

tert sich aber unendlich, wenn die passive Wirksamkeit des weiblichen Geschlechtes in der Kunst, nämlich der bewußte

oder

unbewußte Einfluß,

den

die Frauen

auf Kunst­

schöpfungen und Kunstrichtungen ausüben, ins Auge ge­ faßt wird.

Bei wie vielen dichterischen, musikalischen oder

plastischen Kunstwerken läßt es sich nachweisen, daß fie

unter dem directen Einflüsse einer Frau entstanden sind; wie manche bedeutende Künstler verdanken die namhafteste Förderung ihres Strebens der Sympathie, dem theilneh-

menden Verständniß, das sie bei ihrer weiblichen Umgebung fanden! Höher als die Ausbildung einer beliebigen Kunstfertigkeit sollte daher in der Erziehung des Weibes die Pflege des Sinnes für das wahrhaft Schöne stehen, das

immer mit dem Wahren und Guten aufs nächste verwandt

ist.

Ist dem Mädchen Verständniß für die Schönheiten

von Dichterwerken ersten Ranges erschlossen worden, so wird ihr Geschmack über das gewöhnliche Leihbibliotheken-

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Die Erwerbsthätigkeit rc.

futter erhaben fein.

193

Ist ihr ein oder das andere classische

Tonstück nach seinem Grundgedanken/seinem Aufbau, feiner

Gliederung, seiner harmonischen und rhythmischen Eigenart wirklich bekannt gemacht worden: so ist das besser, als wenn

ihre Finger oder ihre Stimme zu den erstaunlichsten Läufen und Trillern abgerichtet sind. Man zeige ihr, was in Werken

der Plastik den ewigen Gesetzen der Schönheit entspricht

und was nur darauf berechnet ist, die Sinne gefangen zu

nehmen.

Man lehre sie erkennen, daß die größte Schön­

heit immer mit den einfachsten Mitteln wirkt, immer der Natur am nächsten steht, damit auch sie in ihrer Erscheinung wie in ihrer Umgebung die Natürlichkeit nie verleugne

und nach Einfachheit strebe.

Man führe sie endlich in die

schwierigste aller Künste ein- in die Lebenskunst, daß sie Maß halten lerne in allen Dingen, sich selbst beherrschen,

aus dem Gegebenen das Beste machen, die gute Seite an Menschen und Dingen herausfinden: eine Kunst, die nur

Der in einiger Vollkommenheit ausübt, der sein Leben als aus Gottes Hand hinnimmt und sein höchstes Ziel jenseits dieser Erde weiß. Die Frauen im öffentlichen Leben. zonen

Die Ama­

der alten Welt und des Königs von Dahomeh

werden wohl immerdar nur als Caricaturen der Weiblich­

keit angesehen werden.

Ein kämpfendes, streitendes Weib

ist ein widerwärtiger Anblick, kaum da erträglich, wo die

unmittelbare Gefährdung seiner höchsten Güter alle seine

Energie wachrust.

Mit dem Waffenhandwerk sollten daher

Frauen nichts anderes zu thun haben, als daß sie Wunden

verbinden, die geschlagen sind.

Daß sie auch, wie neuer­

dings eine Gesellschaft englischer und amerikanischer Frauen Lammers, Die Fran.

13

194

Die Arbeitszeit.

sich vorgenommen hat, die Mission haben, durch gemein­ sames Wirken den Krieg aus der Welt zu schaffen und

internationale Schiedsgerichte an die Stelle zu setzen, das

kann wahrscheinlich nur Der glauben, der die Vorwände

der Kriege mit den Gründen derselben verwechselt. In der Beschränkung der Frau auf Werke des Friedens

sind sich also jedenfalls alle Vernünftigen einig, nicht aber

in Bezug auf die Grenzen, welche dieser Wirksamkeit nach außen hin zugewiesen werden sollen.

Jenseits des atlan­

tischen Meeres sind Frauen nicht nur in allen den bis

jetzt von uns in Erwägungen gezogenen Berufsarten thätig, sondern wir hören mit Staunen von Advocaten, Richtern, Predigern, Profefforen und Volksvertretern weiblichen Ge­ schlechtes, während die Männer zu Markte gehen, um die

häuslichen Einkäufe zu machen, ja die Küche, die Wäsche, die Hausreinigung von männlichen Händen in sehr starker

Concurrenz mit weiblichen Arbeitskräften besorgt werden. In Europa wird man sich wohl nicht so bald entschließen, diesem Vorgehen zu folgen.

So wenig wir Frauen im

Schlachterhandwerk, wenigstens mit dem gewerbsmäßigen Tödten von Vieh, oder als Schmiedegesellen oder als Zimmerleute beschäftigt sehen möchten, so wenig entspricht

es unseren Ideen von der Würde und den Anforderungen der betreffenden Aemter, wenn wir uns Franen auf der Kanzel oder dem Katheder oder dem Richterstuhl denken sollen.

Da in Amerika jeder beliebige Mann jeden Augen­

blick jedes beliebige Amt erhalten oder übernehmen kann, so lag allerdings der Gedanke nahe, die Schranke des

Geschlechts, die wenigstens nicht mehr mit systematischer Vorbildung gleichbedeutend war, auch niederzureißen.

In

Das Weib im ArbeitsgebietderWelt: Tie Erwerbsthätigkeit 2c.

195

ganz Europa ist man jedoch von der Nothwendigkeit einer streng geregelten wissenschaftlichen Vorbildung für bestimmte

Aemter so fest überzeugt, und die einschlägige Gesetzgebung enthält so deutliche Weisungen — nach unserm Dafürhalten in Uebereinstimmung mit der Natur, — daß sich noch nir­

gends eine Agitation zu Gunsten der Erschließung der

theologischen, der juristischen oder der akademischen Lauf­ bahn hervorgewagt hat.

Anders steht es dagegen mit der politischen Arena. Hier wird nicht eine bestimmte wissenschaftliche Vorbildung,

welche den Frauen vorläufig unerreichbar ist, als Ein­ trittsbefähigung vorausgesetzt, sondern nur gewisse bürger­ liche Verhältnisse; das active Wahlrecht bedingt nicht mehr

als die Anfangsgründe der elementarsten Bildung, und daher hat man leichter dahin kommen können, in der Ge­

schlechtsbestimmung Formel zu sehen.

nur eine willkürliche,

widerrechtliche

Die amerikanische Idee des politischen

Stimmrechts für Frauen hat daher auch in dein sonst so conservativen England Wurzel geschlagen und eine organi-

sirte Agitation veranlaßt, die möglicherweise schon in wenigen Jahren den Triumph feiert, von Frauen gewählte Mit­ glieder im Parlamente tagen zu sehen.

Die Frage ist

daher an der Zeit, wie wir in Deutschland über die poli­ tische Gleichberechtigung der Geschlechter zu urtheilen haben.

Stellen wir zunächst fest, in welchen Grenzen sich die

englischen Forderungen jetzt noch hallen.

Bon dem Grund­

sätze ausgehend, daß, wer Steuern bezahlt, auch berechtigt sein müsse, im Parlamente repräsentirt zu werden, ver­

langen die Verfechter der Emancipationsbill, daß jede ein­

zelnstehende oder verwittwete Frau, die als Besitzerin eines 13*

Die Arbeitszeit.

196

Grundstückes Steuern bezahlt, auch das Recht habe, ihre Stimme für einen Wahlcandidaten abzugeben.

Man schließt

also alle verheirateten Frauen, als bereits durch ihre Män­ ner

vertreten, und alle nicht Besitzenden, folglich nicht

Steuerzahlenden aus, und man beschränkt sich auf das active Wahlrecht.

Es fehlt auch nicht an allerlei wichtigen

Gründen, die Forderung in diesem Rahmen zu unterstützen. Wer vernünftig genug ist, ein Besitzthum selbständig zu verwalten, sagt man, wird auch vernünftig genug sein,

mit einer Wahlstimme betraut werden zu können.

Wer

zu Steuern herangezogen wird, hat nach den Grundlagen der constitutionellen Verfassung das Recht, bei der Ver­

wendung dieser Steuern um seine Meinung befragt zu werden nnd diese Meinung in der Landesvertretung direct oder durch einen Vertreter geltend zu machen.

Neben

diesen nicht übel gewählten Argumenten hob man unter John Stuart Mills Führung besonders die sociale und politische Mündigkeit der Frauen hervor, die an die Stelle ihrer jetzigen Hörigkeit treten müsse.

Augenblicklich betont

man stärker die Nothwendigkeit, den Frauen eine Mitwir­ kung bei der Gesetzgebung zu verstatten, damit eine Reihe

veralteter, ungerechter, schädlicher Gesetze des englischen

Codex, unter denen sie besonders zu leiden haben, durch

neue, modernen Verhältnissen und Anschauungen entspre­ chende ersetzt werden.

Also das active Wahlrecht für alle

Frauen, die Grundbesitzerinnen sind und nicht unter ge­

setzlicher Vormundschaft stehen: damit will man sich vor­ läufig begnügen. Vorläufig! — Es fehlt aber nicht an Gegnern, die

da fragen,

mit welchem Rechte

man die verheirateten

Das Weib im Arbeitsgebiet derWelt: Die Erwerbsthätigkeit rc.

197

Frauen ausschließen wolle, wenn man die ehelosen und

verwittweten zulasse, da es ja durch nichts erwiesen sei,

daß eine verheiratete Frau durch ihren Mann gerade zu der Vertretung gelange, die ihr erwünscht sein müsse.

Und

ebenso wenig übersieht man auf Seiten der Widersacher, daß vom activen zum passiven Wahlrecht nur ein kleiner

Schritt ist, der ganz gewiß nicht auf sich warten lassen

lassen würde, wenn der erste einmal gethan wäre.

Ist

also die Emancipationsbill einmal durchgegangen, so wird man sicherlich bald dahin streben, das Accidens des Ge­ schlechts aus dem Wahlgesetze überhaupt auszustreichen und den Frauen in jeder Hinsicht dieselben politischen Rechte

und Pflichten zu verschaffen wie den Männern.

Es wird dann schließlich auf die Frage hinauskommen,

ob es möglich ist, im weiblichen Geschlechte dieselben Eigen­ schaften und Kräfte großzuziehen, die den Mann zu poli­ tischer Thätigkeit befähigen, und zwar ohne Schädigung derjenigen Seiten der weiblichen Natur, auf denen ihre

eigentlichste, unveräußerlichste Mission in der menschlichen

Gesellschaft beruht.

Die da behaupten, daß die Keime zu

solchen Eigenschaften und Kräften in der weiblichen Natur

liegen und nur aus Mangel an Pflege verkümmern, be­ rufen sich auf Regentinnen wie Elisabeth von England

und die drei Fürstinnen, die der staatskluge Karl V. zu Verwalterinnen seiner wichtigsten Provinzen machte.

Sie

lassen sich auch schwerlich durch das Argument aus dem Felde schlagen, daß, wo Frauen an der Spitze des Staats

eine gedeihliche Wirksamkeit geübt haben, doch eigentlich Männer die Regierenden gewesen seien: das, sagen sie,

würde nur beweisen, daß die Frauen Scharfblick genug

198

Die Arbeitszeit.

haben, sich die geeignetsten Werkzeuge zu Dienern zu er­ lesen, jedenfalls ein außerordentlich wichtiges Erforderniß eines guten Regenten.

Sie 'rühmen das Verwaltungs­

talent der Frauen, das in viel größerem Maße als es

jetzt geschieht, zum Nutzen der Gesammtheit herangezogen werden müsse.

Sie sind aber bis jetzt noch den Beweis

schuldig geblieben, daß Frauen, die sich durch staatsmännische Begabung anszeichnen, auch daneben Zeit, Kraft und Nei­ gung zur Erfüllung eines eigentlich weiblichen Berufes

behalten haben. England, es ist wahr, zählt die Regie­ rungszeit der Königin Victoria zu seinen glücklichen Pe­ rioden, und Victoria glänzt unter den jetzt lebenden Frauen als besonders treffliche Gattin, Mutter und Hausfrau.

Aber ist sie es auch, die England regiert? oder repräsen-

tirt sie nicht vielmehr nur die Königswürde, die der loyale

Engländer an der Spitze seines Gemeinwesens nicht ent­ behren will, so wenig es ihm einfällt, Jemand anders als

die Majorität seiner Landesvertreter könne ihm Gesetze geben, Jemand anders als in regelmäßiger Abwechselung ein conservatives und ein liberales Ministerium könne die

Exekutivgewalt in Händen haben.

Elisabeth Tudor und

die blutige Maria, Christine von Schweden und Catharina

von Medici oder die russischen Kaiserinnen des vorigen Jahrhunderts wird aber doch Niemand als Begründerinnen

und Hüterinnen häuslichen Glückes hinstellen wollen! Und sehen wir von den Regentinnen einstweilen ab, so sind

unter den Frauen, die sonst im politischen Leben der Völker

eine Rolle gespielt haben, doch auch die Vertreterinnen sinniger, häuslicher Weiblichkeit nur dünn gesäet! Weder die Damen der Fronde, noch die Heldinnen der Revolu-

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Die Erwerbsthätigkeit rc. tionszeit können als solche gelten.

199

Alle diese Frauen aber

standen in Ausnahmeverhältnissen, wurden in besonders

bewegten Zeitläuften durch besondere Fügungen auf die

hochgehende Woge des öffentlichen Lebens gehoben und

können daher noch keinen Maßstab geben für Das, was durch systematische, gesetzmäßige Heranziehung des ganzen Geschlechtes aus der jetzigen und aus künftigen Generationen werden könnte. Man kann also nicht wohl für alle folgenden Zeiten

einen Strich ziehen und sagen: Das weibliche Geschlecht

gehört ein für allemal zu den politisch Unmündigen. Denn dazu

berechtigen

die spärlichen und theilweise einander

widersprechenden Erfahrungeil der Vergangenheit keines­ wegs.

Auffallend ist es aber, wenn man unter den poli­

tisch thätigen Frauen früherer Jahrhunderte Musterung hält, daß man so wenig deutsche Namen darunter findet. Bon der einzigen Maria Theresia abgesehen, die bei aller

Staatsklugheit zugleich ein leuchtendes Beispiel häuslicher

Tugenden war: welche deutsche Frau von weltgeschichtlicher Bedeutung verdankte ihren Ruhm je ausschließlich oder auch nur zum größten Theile ihrer politischen Wirksam­

keit? Nicht in der Machtentfaltung des gesetzlichen Herr­ schens, auch nicht in der kunstreichen Verschlingung poli­ tischer Fäden, in der geschickten Schürzung und Lösung politischer Intriguen ragen die deutsche« Frauen über ihre Zeitgenossinnen hervor. Aber seit den ältesten Zeiten

haben sie etwas Befferes als das im Gesammtleben der Nafion geltend gemacht: eine tiefe, glühende, opfermuthige, tapfere Vaterlandsliebe,

von der aus den Annalen des

Tacitus schon rührende Kunde herübertönt, von der die

Die Arbeitszeit.

200

Neuzeit das strahlende Beispiel der unvergeßlichen Königin

Luise neben hat.

vielen anderen unscheinbareren aufzustellen

Wenn also in Deutschland bis jetzt noch der Ruf

nach politischer Gleichberechtigung der Geschlechter kaum

oder nur sehr spärlich gehört wird, während unsre ger­

manischen Stammesverwandten des Westens

eine noth­

wendige Forderung der Zeit darin zu sehen beginnen, so

ist der Grund davon keineswegs eine unüberwindliche todte Gleichgültigkeit deutscher Frauen gegen die Geschicke des

Vaterlandes.

Das

politische Leben unseres Volkes ist

überhaupt noch so jung verglichen mit dem der Engländer

und relativ dem der Amerikaner, daß es nicht zu verwun­ dern ist, wenn bis jetzt Frauen wenig davon berührt worden

sind, wenig Einsicht davon gewonnen haben, wenig Jnteresse dafür zeigen.

Das sollte freilich nicht so bleiben.

Nicht blos wenn Kanonen donnern und Schwerter blitzen,

sollten deutsche Frauen durch Gebete und Thaten der Liebe, durch Standhaftigkeit und Opfermuth beweisen, daß sie ihr

Vaterland lieb haben.

Das sind nicht immer die schwersten

Kämpfe, die auf dem Schlachtfelde ausgefochten werden. Die Kämpfer aber werden zum Beharren ermuthigt, zum

Siege über die inneren und äußeren Feinde des Vater­ landes angefeuert werden, wenn sie wissen, daß die andere Hälfte der Nation ihre Anstrengungen mit Verständniß und Theilnahme begleitet.

Wahrlich, an der Einsicht fehlt

es zuerst und hauptsächlich, wenn viele, viele Frauen sich den brennenden Fragen gegenüber, um deren Lösung unser

Volk ringt, stumpf und abwehrend verhalten, wenn viele andere dem Einfluß vaterlandsfeindlicher Gewalten dienst­ bar werden und nun wieder ihrerseits unheilvoll auf ihre

Das Weib im Arbeitsgebiet der Welt: Die Erwerbsthätigkeit rc.

Umgebung wirken.

201

Es sollte also kein deutscher Vater­

landsfreund gering achten, wo er immer kann, unter den

Frauen, die ihm nahestehen, das Interesse am politischen Leben der Nation zu wecken, ihnen einen klaren Einblick

in die Bedingungen der Wohlfahrt unseres Vaterlandes

zu eröffnen.

Wenn sie auch zuerst ansrufen oder denken

werden: Ein politisch Lied, ein garstig Lied! — um ihrer selbst und um des Ganzen willen sollte man ihre Sprödig­

keit besiegen und ihre Theilnahme für das öffentliche Leben wecken, auch wenn man ihr thätiges Eingreifen nicht für

gefügt hält. Damit mag es in der That noch gute Weile haben.

Für jetzt sind wir deutschen Frauen gewiß berechtigt anzu­ nehmen, daß die Männer, in deren Händen die Geschicke

des Vaterlandes liegen, ohne unsre directe Beihülfe besser fertig werden als mit derselben.

Andrerseits aber seufzen

wir nicht ganz so schwer wie die Engländerinnen unter

gesetzlichen Bestimmungen, die unsre Stellung in Haus, Familie und Gesellschaft unerträglich benachtheiligen.

Wir

hoffen auch noch Manches in der Zukunft auf gesetzlichem

Wege zu erreichen, was uns zu unserem und unseres

Volkes Wohlsein nöthig scheint und bis jetzt noch versagt ist, aber wir haben Grund zu glauben, daß weder die Regierungen noch die gesetzgebenden Versammlungen un­ seres Landes sich eigensinnig gegen vernünftige Neuerungen

sperren werden, auch wenn wir nicht Gelegenheit bekommen, unsre eignen Abgeordneten in den Reichstag zu schicken

oder gar selbst die Rednertribüne zu besteigen. Ob das in fernerer Zukunst möglich und nöthig sein Ein wesent-

wird, wollen wir dahin gestellt sein lassen.

Die Arbeitszeit.

202

licher Grundzug der weiblichen Natur ist die Neigung, das persönliche Interesse über das sachliche zu stellen: eine

Neigung, die gewiß bei vielen anderen Verhältnissen eher berechtigt und heilsam ist, als in der Politik.

Es würde

also entweder die Politik ihren Charakter, oder die Frauen, die in der Politik thätig sein wollen, würden ihre Natur ändern müssen.

Auch muß man zugeben, daß Frauen,

die durch ihre Lebensstellung von häufigerem Verkehr mit

Männern ausgeschlossen werden,

unvermählte und ver-

wittwete, wenig Aussicht haben, politische Erkenntniß zu

gewinnen

und sich eine wohlbegründete Meinung

über

öffentliche Dinge zu bilden, während andrerseits Frauen, die von ihren Männern, Vätern oder Brüdern mit staat­ lichen Verhältnissen bekannt gemacht werden, doch höchst

wahrscheinlich die Parteischattirung ihrer Lehrmeister theilen, also lediglich eine unberechenbare Majorität bei Abstim­ mungen bilden helfen würden.

Für die häusliche Gemüth­

lichkeit wäre das immerhin noch besser, als wenn sie es wagten, abweichende Meinungen zu bilden und geltend zu

machen.

So lange bei uns der größte Theil der • auf

staatlichem Gebiete thätigen Männer, also z. B. der Reichs­

boten und der höheren Beamten, eine akademische oder

mindestens eine Gymnasialbildüng mit aller Schulung des Geistes, die sie gewährt, voraus hat, würde auch alle Zungengewandtheit und aller Mutterwitz die Frauen in

parlamentarischen Kämpfen schwerlich zu ebenbürtigen Geg­ nern oder Gehülfen für sie machen.

Wenn man aber einsehen lernte, daß die Frauen auch ohne selbst mit einzugreifen, sich für die Geschicke des Vaterlandes begeistern sollten;

wenn man sie zur Mit-

DasWeib im Arbeitsgebiet derWelt: Die Erwerbsthätigkeit rc. 203 Wirkung bei Angelegenheiten der Verwaltung heranzöge und dadurch ihr Auge für das Allgeineine schärfte, ihr Herz

dafür erwärmte; tvenit man bei ihrer Erziehung das vater­ ländische Element in der Auswahl und Behandlung der

Unterrichtsstoffe und in der gesammten geistigen Richtung, die man verfolgt, gebührend zur Geltung brächte,

dann

würde der verdeckte, unberechenbare, aber nicht zu ver­ achtende Einfluß, den Frauen auf ihre Männer, Mütter

auf ihre Heranwachsenden Söhne ausüben, weit nachhaltiger zum Besten des Vaterlandes

ausschlagen, als dies jetzt

der Fall ist, und wir könnten noch lange auf die zwei­ schneidige Gabe der politischen Selbständigkeit des weib­

lichen Geschlechtes verzichten. Zur Mitarbeit an der Heilung socialer und wirthschaftlichcr Schäden, an der Verbreitung größerer Einsicht

und heilsamer Grundsätze, kurz am Bau des Reiches Gottes

auf Erden sind aber jetzt schon den Frauen Gelegenheiten reichlich geboten. Die einzelne That der helfenden, retten­ den, erbarmenden Liebe entzieht sich, wenn sie echt ist, dem

Auge der Oeffentlichkeit

und nlag häufig dem Tropfen

gleichen, der auf dem heißen Stein spurlos verdampft. Unsre Zeit erkennt vor allem den Segen und die Kraft vereinten Handelns zu großen Zwecken an, und wenige

Vereine dieser Art thun gut daran, die Hülfe der Frauen auszuschließen. Vereine speziell religiösen Charakters, wie der Gustav-Adolfs-Verein, die Missions- und Bibelgesell­ schaften, wissen recht gut, welche Förderung sie von ihren

leiblichen Mitgliedern oder Zweigvereinen erfahren; es

wäre wohl an der Zeit, auch in den Gemeindevertretungen den Frauen, die überall bekanntlich die besten Kirchgänger

Die Arbeitszeit.

204

und Stützen kirchlicher Werke sind, ein mitberathendes Wort zu gönnen.

Ebenso gut müßte ihre thätige Mithülfe bei

der Neugestaltuug kommunaler Armenpflege von vornherein

mit in Rechnung gezogen werden, da von Frauen zu allen Zeiten. Privat- und Vereinswohlthätigkeit geübt worden

ist.

Was öffentlich zur Rettung Verwahrloster, zur Hebung

des Gefängnißwesens, zur Besserung von Sträflingen, kurz zur Linderung von Noth im Dienst und in der Nachfolge des Heilandes geschieht, das sollte unter der Mitwirkung

von Frauen geschehen, denn ihrer Biele haben bereits durch die That bewiesen, daß kein Auge so scharf ist, verborgene Schäden zu entdecken wie das einer barmherzigen Frau,

kein Ohr so bereitwillig die Klage« des Leidenden zu hören wie ihr Ohr, keine Hand so hülfreich und geschickt, den

Elenden zu helfen wie ihre Hand, keine Liebe so erfin­ derisch, so warm, so zart, so unerschöpflich wie ihre Liebe.