Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Rechtsmittelinstanz [1 ed.] 9783428517657, 9783428117659

Die am 1. Januar 1995 erfolgte Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) gilt als Meilenstein in der Entwicklung der in

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German Pages 431 Year 2005

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Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Rechtsmittelinstanz [1 ed.]
 9783428517657, 9783428117659

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Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Band 39

Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Rechtsmittelinstanz

Von

Götz J. Göttsche

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

GÖTZ J. GÖTTSCHE

Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Rechtsmittelinstanz

Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Herausgegeben von Thomas Bruha, Meinhard Hilf, Hans Peter Ipsen †, Rainer Lagoni, Gert Nicolaysen, Stefan Oeter

Band 39

Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Rechtsmittelinstanz

Von

Götz J. Göttsche

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0945-2435 ISBN 3-428-11765-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hamburg im Wintersemester 2003/2004 in leicht veränderter Form als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde die Arbeit aktualisiert, wobei Schrifttum und Spruchpraxis der WTO-Streitbeilegungsorgane bis Ende November 2004 berücksichtigt werden konnten. Während der Entstehung der Arbeit hatte ich das Privileg, als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rahmen eines von der Fritz Thyssen Stiftung über mehrere Jahre geförderten WTO-Forschungsprojekts arbeiten zu dürfen. In dieser Zeit habe ich nicht nur von dem produktiven Arbeitsumfeld, sondern vor allem auch von der fachlichen und nicht zuletzt emotionalen Unterstützung der Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter stets profitieren können. Gleiches gilt für die Kolleginnen und Kollegen am Institut für Internationale Angelegenheiten (IIA) sowie für die Mitarbeiterinnen der Institutsbibliothek, die in ihrer liebenswürdigen Art selbst ungewöhnliche Literaturwünsche ermöglicht haben. Ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater und verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Meinhard Hilf. Er war es, der mein Interesse für das Welthandelsrecht geweckt, mich zu dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Thema angeregt und mir nicht zuletzt die Mitarbeit an seinem Lehrstuhl bzw. im Rahmen des WTO-Projekts ermöglicht hat. Die Entstehung der Arbeit hat er wohlwollend begleitet und mich an vielen seiner Aktivitäten im Bereich des WTO-Rechts stets teilhaben lassen. Herrn Prof. Dr. HansJoachim Koch danke ich sehr herzlich für seine zügige Erstellung des Zweitvotums. Mein größter Dank gilt all jenen, die mich während der Promotionszeit begleitet, unterstützt und immer wieder ermutigt haben. Ganz besonders gilt dies für Tini, aber auch für Matthias Bortfeld, Niels Witt und nicht zuletzt für meine Familie. Hamburg, im Dezember 2004

Götz J. Göttsche

Inhaltsverzeichnis Einleitung

21

A. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 B. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Teil Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

26

A. Ökonomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Komparative Kostenvorteile als „Triebfeder“ des Welthandels . . . . . . . . . . 27 II. Fortschreitende Liberalisierung statt unbedingtem Freihandel . . . . . . . . . . . 29 B. Historischer Hintergrund und Gründung der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Havanna Charta und die Idee einer Internationalen Handelsorganisation (ITO). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das GATT 1947 als „Provisorium“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schrittweise institutionelle Verfestigung des GATT 1947 . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fortentwicklung über Handelsrunden und Sonderabkommen . . . . . . . . . . . . V. Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die WTO als Teil der Verhandlungsergebnisse der Uruguay-Runde . . a) Verhandlungsmandat und -verlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhandlungsergebnisse und Inkrafttreten der Übereinkommen . . . 2. Übergang vom GATT 1947 zur WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die WTO als Internationale Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

C. Die Rechtsordnung der WTO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Völkerrecht als Rechtsordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. WTO-Recht als Teilrechtsordnung des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. WTO-Recht als eigenständige Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formelle Elemente der WTO-Rechtsordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufgaben der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Struktur und Funktionsweise der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Organisationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ministerkonferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Allgemeiner Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Sektorspezifische Räte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Ausschüsse und Arbeitsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 55 56 59 60 60 61 61 62 62 63 64

34 36 38 41 43 44 44 48 51 53

10

Inhaltsverzeichnis (5) Generaldirektor und Sekretariat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entscheidungsfindung und Vertragsänderung . . . . . . . . . . . . . . . cc) Durchsetzung des WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik (TPRM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) WTO-Streitbeilegungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Defizite des ursprünglichen Streitbeilegungsverfahrens (GATT 1947) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Überblick über die Neuerungen durch das WTOStreitbeilegungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Einheitliches Streitbeilegungssystem . . . . . . . . . . (bb) Errichtung eigener Streitbeilegungsorgane . . . . . (cc) Umkehr des Konsensprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Verfahrensbeschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Ablauf des WTO-Streitbeilegungsverfahrens. . . . . . . . (aa) Konsultationen, Art. 4 DSU. . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Panelverfahren, Art. 6 ff. DSU . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Rechtsmittelverfahren, Art. 17 DSU . . . . . . . . . . (dd) Durchsetzung der Entscheidungen des Dispute Settlement Body . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Verrechtlichung des Streitschlichtungssystems . . . . . . 2. Materielle Elemente der WTO-Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) GATT 1994 und die übrigen Übereinkommen zum Warenhandel. aa) Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1947/ 1994) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Materielle GATT-Verpflichtungen im Überblick . . . . . . . . (2) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bereichsspezifische Übereinkommen zum Warenhandel . . . . . b) Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der geistigen Eigentumsrechte (TRIPS). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65 66 70 71 71 71 73 74 75 76 77 78 80 81 84 85 88 90 91 91 93 95 96 97 100 102

2. Teil Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung A. Begriff und Funktion von Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsregeln und Rechtsprinzipien als Normkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . II. Definition und Unterscheidung von Rechtsregeln und -prinzipien . . . . . . . III. Abgrenzung zu politischen Zielsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Funktion von Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103 103 104 107 110 111

Inhaltsverzeichnis

11

V. Ursprung und Ermittlung von Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 B. Rechtsprinzipien im Völkerrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 I. Rechtsquellen von Völkerrechtsprinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 II. Funktion und Bedeutung von Rechtsprinzipien im Völkerrecht . . . . . . . . . 119 C. Rechtsprinzipien im WTO-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Funktion und Bedeutung von Rechtsprinzipien im WTO-Recht . . . . . . . . . 123 1. Lückenfüllungs- bzw. Interpretationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Systematisierende Funktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Richtungsweisende Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 II. Systematisierungsansätze im welthandelsrechtlichen Schrifttum . . . . . . . . . 126 1. Zum GATT-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Zum WTO-Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 III. Ursprung und Ermittlung von Rechtsprinzipien im WTO-Recht . . . . . . . . . 130 IV. Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

3. Teil Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

134

A. Der Appellate Body als ständige Rechtsmittelinstanz im Rahmen der WTO-Streitbeilegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I. Zusammensetzung des Appellate Body . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Verfahrensbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 III. Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 IV. Verfahrenseinleitung und weiterer Verlauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 V. Abschluß des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 VI. Konzeptionelle Schwächen des Rechtsmittelverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 B. Das anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Unter das DSU fallende Übereinkommen (covered agreements). . . . . . . . . 147 II. Rechtswert der Streitbeilegungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. GATT-Panelberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. WTO-Panelberichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Appellate Body-Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 III. WTO-internes Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 IV. Sonstiges Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Der völkerrechtliche Rechtsquellenkatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Völkerrechtliche Rechtsquellen in der WTO-Spruchpraxis. . . . . . . . . . . 157 a) Außerhalb der WTO-Rechtsordnung stehende völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Völkergewohnheitsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 c) Allgemeine Rechtsgrundsätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

12

Inhaltsverzeichnis d) Gerichtsentscheidungen und Lehrmeinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

C. Die Auslegung des WTO-Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Auslegungsgrundsätze im Streitbeilegungsverfahren der WTO . . . . . . . . . 1. Bezugnahme auf die Auslegungsmethodik der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wortlaut, Art. 31 Abs. 1 WVK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematik, Art. 31 Abs. 1, 2 WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Dem Zusammenhang gleichgestellte Umstände, Art. 31 Abs. 3 lit. a–c WVK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auslegungsübereinkünfte (lit. a) und spätere Übung bei der Vertragsanwendung (lit. b). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zwischen den Parteien anwendbares Völkerrecht (lit. c) . . . . . cc) Ziel und Zweck, Art. 31 Abs. 1 WVK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergänzende Auslegungsmittel, Art. 32 WVK . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung sonstiger völkerrechtlicher Auslegungskriterien . . . . . . . . a) Sonstige WVK-Artikel als Auslegungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Formale Auslegungsregeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gebot der restriktiven Auslegung von Ausnahmevorschriften bb) Vermutung der Konfliktfreiheit (presumption against conflict) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die allgemeinen Kollisionsregeln lex posterior und lex specialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kollisionsfälle innerhalb des WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . (2) Konfliktfälle zwischen WTO-Recht und sonstigem Völkervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

166 167 168 169 169 172 174 174 176 181 182 184 184 185 185 187 188 189 191 194

4. Teil In der Spruchpraxis des Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prinzip der Nichtdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmung und völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . 2. WTO-rechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spruchpraxis des Appellate Body. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prinzip der Meistbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmung und völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . 2. WTO-rechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spruchpraxis des Appellate Body. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prinzip der Inländer(gleich)behandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195 199 199 199 200 201 202 202 203 206 207

Inhaltsverzeichnis

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

13

1. Bedeutungsgehalt und völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. WTO-rechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Spruchpraxis des Appellate Body . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. WTO-rechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Spruchpraxis des Appellate Body . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Prinzip der Vorzugsbehandlung weniger entwickelterer Staaten . . . . . . . . . 219 1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Wirtschaftstheoretischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 4. WTO-rechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 5. Spruchpraxis des Appellate Body . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Prinzip der Souveränität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1. Begriffsbestimmung und völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . 227 2. WTO-rechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Spruchpraxis des Appellate Body . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Prinzip der Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 1. Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. WTO-rechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3. Spruchpraxis des Appellate Body . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Prinzip der Rechtsstaatlichkeit (rule of law). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Rechtsvergleichende Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Anknüpfungspunkte im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3. WTO-rechtliche Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 4. Spruchpraxis des Appellate Body . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Prinzip der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Begriff und Ursprünge im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2. Ausgestaltung im EG-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3. Völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 4. WTO-rechtliche Ausgestaltung und Appellate Body-Spruchpraxis. . . . 260 a) Einzelne Anknüpfungspunkte im WTO-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Die allgemeine Ausnahmevorschrift des Art. XX GATT . . . . . . . . . 262 aa) Legitimes politisches Schutzziel und Geeignetheit der Maßnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 bb) Notwendigkeit der Maßnahme (necessity test) . . . . . . . . . . . . . . 264 cc) Chapeau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 c) Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Aussetzung von Zugeständnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 d) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 I. Prinzipien aus dem Recht Internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . 274

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Inhaltsverzeichnis 1. Prinzip der effektiven Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkerrechtliche Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Spruchpraxis des Appellate Body . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subsidiaritätsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europa- und völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Spruchpraxis des Appellate Body . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prinzip des institutionellen Gleichgewichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europa- bzw. völkerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anknüpfungspunkte im WTO-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Spruchpraxis des Appellate Body . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prinzipien aus multi- bzw. bilateralen Völkerrechtsverträgen . . . . . . . . . . . 1. Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkerrechtliche Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anknüpfungspunkte im WTO-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Entscheidung des Appellate Body im „Shrimps-Fall“ . . . . . . . 2. Weitere völkervertragsrechtliche Prinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . 1. Vorsorgeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europarechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Völkerrechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Relevanz des Vorsorgeprinzips im „Hormonstreit“ . . . . . . . . . . 2. Der bona fides-Grundsatz in seinen speziellen Ausprägungen . . . . . . . a) Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsmißbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertragstreue (Pacta Sunt Servanda) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Prinzipien der Equity. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vertrauensschutz und Grundsatz der Nichtrückwirkung . . . . . . . . . . 3. Prozedurale Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Due Process of Law, Natural Justice und Fundamental Fairness . . b) Prozeßökonomie (Judicial Economy) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtskrafterstreckung (Res Judicata). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Berechtigtes Interesse (Legal Interest) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beweislast (Burden of Proof) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

274 275 276 279 279 281 283 283 285 287 290 290 291 294 294 300 301 302 303 304 306 312 313 319 321 325 329 332 333 337 340 342 344

C. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348

Inhaltsverzeichnis

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5. Teil Ergebnisse

352

A. Die legislatorische Schwäche der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 B. Streitbeilegung im Bezugsfeld des Politischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 C. Prinzipienanwendung als „Gratwanderung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 D. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Verzeichnis der zitierten Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418

Abkürzungsverzeichnis AB ABl. Abs. AD AJIL AoA ARSP Art. ASIL ATC AtG AVR BGB BGBl. BGH BGSG BImSchG BISD BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE ChemG CITES CMLR Doc. DÖV DSB DSU DVBl. DZWir EA EC ECOSOC EEC

Appellate Body Amtsblatt der EG Absatz (Agreement on) Anti-Dumping American Journal of International Law Agreement on Agriculture Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel American Society of International Law Agreement on Textiles and Clothing Atomgesetz Archiv des Völkerrechts Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Gesetz über den Bundesgrenzschutz Bundesimmissionsschutzgesetz Basic Instruments and Selected Documents Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Chemikaliengesetz Convention on International Trade in Endangered Species Common Market Law Review Document Die Öffentliche Verwaltung Dispute Settlement Body Dispute Settlement Understanding Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitung für Wirtschafts- und Insolvenzrecht Europa Archiv European Communities Economic and Social Council European Economic Community

Abkürzungsverzeichnis EG EGV EJIL EMRK EPIL EU EuG EuGH EuR EUV EuZW EWS f. FAO ff. Fn. FSC(s) GATS GATT gem. GG GMO GPA GRURInt. GYIL Hrsg. hrsg. IBRD ICITO ICJ ICJ Rep. ICLQ IGH ILA ILC ILM ILO IMF insg. i. S. d.

Europäische Gemeinschaft(en) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Journal of International Law Europäische Menschenrechtskonvention Encyclopedia of Public International Law Europäische Union Europäisches Gericht 1. Instanz Europäischer Gerichtshof Europarecht Vertrag zur Gründung der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende Food and Agricultural Organization fortfolgende Fußnote Foreign Sales Corporation(s) General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade gemäß Grundgesetz Genetically Modified Organism Agreement on Government Procurement Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil German Yearbook of International Law Herausgeber herausgegeben International Bank for Reconstruction and Development Interim Commission for the International Trade Organization International Court of Justice Reports of the ICJ International and Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof International Law Association International Law Commission International Legal Materials International Labour Organization International Monetary Fund insgesamt im Sinne des/im Sinne der

17

18

Abkürzungsverzeichnis

IStR Internationales Steuerrecht i. S. v. im Sinne von ITO International Trade Organization i. V. m. in Verbindung mit IWF Internationaler Währungsfonds JA Juristische Arbeitsblätter JIEL Journal of International Economic Law JR Juristische Rundschau Jura Juristische Ausbildung JuS Juristische Schulung JWT(L) Journal of World Trade (Law) JZ Juristenzeitung Max Planck UNYB Max Planck United Nations Yearbook MEA(s) Multilateral Environmental Agreement(s) MFN Most-Favoured-Nation Mio. Millionen MMR Multimedia und Recht Mrd. Milliarden m. w. N. mit weiteren Nachweisen NAFTA North American Free Trade Agreement NGO(s) Non-Governmental Organization(s) NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr. Nummer NuR Natur und Recht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NYIL Netherlands Yearbook of International Law OBG NW Ordnungsbehördengesetz Nordrhein-Westfalen OECD Organization for Economic Co-operation and Development ORDO Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft OTC Organization for Trade Cooperation para(s). paragraph(s) PCIJ Permanent Court of International Justice PolG NW Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RdA Recht der Arbeit RdC Recueil des Cours Rep. Report Res. Resolution RIW Recht der Internationalen Wirtschaft Rn. Randnummer

Abkürzungsverzeichnis Rs. S S. SCM SFR Slg. SOG HH SPS StIGH StPO TBT TCA TED(s) TPRB TPRM TRIMS TRIPS u. a. UN UNCLOS UNCTAD UNITAR UNO UNTS US USA UVPG vgl. VN Vol. vs. VwVG WHO WIPO WISU WTO WVK

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Rechtssache Supplement Seite/Satz (Agreement on) Subsidies and Countervailing Measures Schweizer Franken Sammlung Hamburger Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Agreement on the Application of) Sanitary and Phytosanitary Measures Ständiger Internationaler Gerichtshof Strafprozeßordnung (Agreement on) Technical Barriers to Trade Agreement on Trade in Civil Aircraft Turtle Excluder Device(s) Trade Policy Review Body Trade Policy Review Mechanism Trade-Related Investment Measures (Agreement on) Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights unter anderem/und andere United Nations/Vereinte Nationen United Nations Convention on the Law of the Sea United Nations Conference on Trade and Development United Nations Institute for Training and Research United Nations Organization United Nations Treaty Series United States Vereinigte Staaten von Amerika Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung vergleiche Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen Volume versus Verwaltungsvollstreckungsgesetz World Health Organization World Intellectual Property Organization Das Wirtschaftsstudium World Trade Organization Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

20 ZaöRV z. B. ZEuS ZfZ ZLR ZRP ZUR ZVglRWiss

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für recht zum Beispiel Zeitschrift für Zeitschrift für Zeitschrift für Zeitschrift für Zeitschrift für Zeitschrift für

ausländisches öffentliches Recht und Völker-

europarechtliche Studien Zölle und Verbrauchssteuern Lebensmittelrecht Rechtspolitik Umweltrecht vergleichende Rechtswissenschaft

Einleitung In der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung fristete das Welthandelsrecht lange Zeit ein Schattendasein. Als Domäne einiger weniger Handelsdiplomaten und Spezialisten, von denen viele kein großes Interesse an der Verbreitung ihrer besonderen Kenntnisse hatten, fand es in der Öffentlichkeit eine nur geringe Aufmerksamkeit. Dieses „Mauerblümchendasein“ hat mit dem Inkrafttreten des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO-Übereinkommen) nebst seiner inkorporierten Anhänge am 1. Januar 1995 sein Ende gefunden1. Denn als Ergebnis langwieriger Verhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde wurde durch dieses Vertragswerk nicht nur die Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) gegründet und damit eine institutionelle Struktur geschaffen. Auch ist das ursprüngliche, auf das Jahr 1947 zurückgehende Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade, GATT 1947) in etlichen Bereichen weiter ausdifferenziert und durch die Einbeziehung des Dienstleistungshandels sowie des Schutzes der handelsbezogenen Aspekte geistiger Eigentumsrechte erheblich erweitert worden. In institutioneller Hinsicht gilt als wohl wichtigster Faktor für den Bedeutungsgewinn des Welthandelsrechts die Neuordnung und Verrechtlichung eines auf Völkerrechtsebene in dieser Form einmaligen welthandelsrechtlichen Streitbeilegungsverfahrens. Galten bereits die Vorschriften des GATT 1947 als teilweise derart kompliziert, daß ihnen nachgesagt wurde, ihre Lektüre könne einen gesunden Menschenverstand zum Wahnsinn treiben2, so kann dies erst Recht für das WTO-Recht behauptet werden3. Allein der reine Vertragstext des WTOÜbereinkommens nebst den multi- bzw. plurilateralen Sonderübereinkommen beträgt etwa 550 Seiten. Werden alle Anhänge und Konzessionslisten hinzugezählt, umfaßt das Vertragswerk weit mehr als 20 000 Seiten und stellt damit einen Rechtskorpus dar, der jedes andere völkerrechtliche Ver1 Agreement Establishing the World Trade Organization vom 15.04.1994; BGBl. 1994 II, S. 1441 ff. bzw. 1625 ff.; deutsche Übersetzung abgedruckt bei Benedek, Textausgabe WTO, S. 45 ff.; gem. Art. XVI Abs. 6 WTO-Übereinkommen sind nur der englische, französische sowie spanische Text des Übereinkommens authentisch. 2 Petersmann, Handelspolitik als Verfassungsproblem, ORDO 39 (1988), S. 239. 3 Der Begriff „WTO-Recht“ steht seit Gründung der WTO synonym für „Welthandelsrecht“; hierzu und auch allgemein zum Begriff „Welthandelsrecht“ Weiß/ Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 44 ff. und 57.

22

Einleitung

tragswerk in den Schatten stellt4. Da aber nicht nur das Allgemeine Zollund Handelsabkommen selbst teilweise unübersichtlich aufgebaut ist, sondern auch das Zusammenspiel der GATT-Vorschriften mit denen der verschiedenen Zusatzübereinkommen im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann5, ist in der Vergangenheit bereits mehrfach der Versuch unternommen worden, das Welthandelsrecht anhand grundlegender Rechtsprinzipien zu systematisieren. Diese Systematisierungsansätze, die im Hinblick auf ihren jeweiligen Inhalt und Umfang zum Teil erhebliche Unterschiede aufweisen, sind in der Regel von dem Bestreben geleitet, die komplexe Materie des Welthandelsrechts auf diese Weise einer schlüssigen dogmatischen Ordnung zuzuführen, in der die rechtlichen Regelungen mit mehr oder weniger abstrakten Prinzipien „unterfüttert“ werden, die die Rechtsanwendung mitunter sogar in solchen Bereichen leiten können, die nicht oder nur unvollständig geregelt sind6.

A. Gegenstand der Untersuchung Gegenstand dieser Arbeit ist daher die Frage, ob und auf welche Weise der Appellate Body als Rechtsmittelinstanz der WTO im Rahmen seiner Spruchpraxis neben den in den WTO-Übereinkommen explizit niedergelegten Regeln auch auf – zum Teil ungeschriebene – rechtliche Prinzipien zurückgreift. Eine verbindliche Liste oder etwa ein umfassender Katalog welthandelsrechtlicher Prinzipien ist in den verschiedenen welthandelsrechtlichen Übereinkommen an keiner Stelle zu finden. Dennoch wird in einer Vielzahl von Bestimmungen der Begriff des Prinzips (principle) nicht nur erwähnt, sondern findet auch Verwendung im Gegensatz etwa zur Regel (provision, rule) oder aber zur allgemeinen Zielsetzung (objective). Vieles scheint also darauf hinzudeuten, daß die der Prinzipientheorie zugrundeliegende maßgebliche Erkenntnis, reine Regelsysteme könnten nur schwerlich existieren und seien als solche auch nicht erstrebenswert, auch auf der Ebene des Welthandelsrechts gilt. In ihrer Gesamtheit lieferten die einzelnen Rechtsprinzipien dann relevante normative Bezugspunkte, anhand derer sich nicht nur die Grundstrukturen der WTO-Rechtsordnung aufzeigen ließen, sondern mit deren Hilfe auch eine kohärente Analyse und Anwendung des WTO-Rechts gewährleistet wäre7. 4 Vgl. Jackson, GYIL 39 (1996), S. 20; Petersmann, EJIL 1995, S. 161 (189); Leebron, Columbia Journal of Transnational Law 1995, S. 11. 5 Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 12; Arup, JWT 37 (2003) Nr. 5, S. 897 (910). 6 Zu den einzelnen Systematisierungsansätzen ausführlich unten 2. Teil C. II. 7 An dieser Stelle vgl. nur Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 179.

B. Gang der Darstellung

23

Bei der Identifizierung der dem WTO-Recht zugrunde liegenden Prinzipien kommt naturgemäß der Spruchpraxis der WTO-Streitbeilegungsgremien – also den ad hoc von Streitfall zu Streitfall sich jeweils neu zusammensetzenden Panels sowie dem Appellate Body als der ständigen Rechtsmittelinstanz – besondere Bedeutung zu. Denn sie sind es, die den von den Streitparteien vorgelegten Sachverhalt anhand des WTO-Rechts umfassend prüfen und schließlich die Feststellungen treffen, die den Dispute Settlement Body (DSB) als das mit der Überwachung der Streitbeilegung betraute zentrale Streitbeilegungsorgan bei dessen verbindlicher Entscheidung unterstützen sollen. Hierbei bildet der Appellate Body, der als Produkt der UruguayRunde ein Novum nicht nur für das Welthandelsrecht, sondern in seiner Eigenschaft als zweite Instanz auch im internationalen Bereich eine Seltenheit darstellt8, gewissermaßen das Kernstück des WTO-Streitbeilegungssystems. Mit seiner Errichtung sollte ein Höchstmaß an Rechtssicherheit und konstanter Rechtsinterpretation innerhalb der WTO-Rechtsordnung gewährleistet werden, was letztlich und trotz gelegentlich geäußerter Kritik auch gelungen ist. Denn betrachtet man die bisherigen inzwischen mehr als fünfzig ergangenen Appellate Body Reports, so zeichnen sich diese bei der Beurteilung der zu klärenden Rechtsfragen durch ein hohes Maß an Qualität aus. Auf die Berichte des Appellate Body soll daher in dieser Arbeit der Fokus gerichtet werden. Gerade sie können einen wesentlichen Beitrag leisten bei der Identifizierung der dem WTO-Recht zugrundeliegenden Rechtsprinzipien.

B. Gang der Darstellung Die Arbeit ist in fünf Teile gegliedert. Der erste Teil befaßt sich mit den Grundstrukturen des Welthandelsrechts, um für die folgenden Teile das notwendige Fundament zu legen. Bevor hier auf einzelne Aspekte der WTORechtsordnung in ihrer institutionellen und materiellrechtlichen Struktur eingegangen wird, sind die ökonomischen Grundlagen des Welthandelsrechts zu streifen und ist die schrittweise Herausbildung der Welthandelsordnung in ihrer heutigen Form zu skizzieren. Bei der anschließenden Darstellung des normativen Ordnungsrahmens der WTO steht der Streitbeilegungsmechanismus im Vordergrund. Der dann folgende Überblick über das materielle WTO-Recht enthält bereits erste Hinweise auf die klassischen materiellrechtlichen Welthandelsprinzipien. Im zweiten Teil werden zunächst die rechtstheoretischen Grundlagen der Regel- und Prinzipiendiskussion näher beleuchtet. Hierbei werden Rechts8 Sacerdoti, Appeal and Judicial Review in International Arbitration and Adjudication: The Case of the WTO Appellate Review, in: Petersmann (Hrsg.), International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 245 ff.

24

Einleitung

prinzipien als eine von den Rechtsregeln abzugrenzende Normkategorie verstanden, und es wird anhand der strukturell-qualitativen Unterschiede beider Normkategorien der Versuch einer Definition unternommen. Im Anschluß wird auf die Frage eingegangen, welche Funktionen Rechtsprinzipien in einer Rechtsordnung wahrnehmen können und auch worin ihr Ursprung liegt bzw. auf welche Weise sie ermittelt werden können. Gewissermaßen als „Brückenschlag“ werden sodann Funktion und Bedeutung rechtlicher Prinzipien auf der Ebene des Völkerrechts erörtert, um sich anschließend mit ihrer Relevanz im Welthandelsrecht auseinanderzusetzen. Bevor mit der empirischen, auf die Anwendung einzelner Rechtsprinzipien hin orientierten Untersuchung der bisherigen Appellate Body-Spruchpraxis begonnen werden kann, widmet sich der dritte Teil dem Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body. Dabei werden die bereits im Rahmen der allgemeinen Ausführungen zur Streitbeilegung im ersten Teil erwähnten Aspekte der Zusammensetzung des Spruchkörpers, den Verfahrensbeteiligten und dem eigentlichen Ablauf des welthandelsrechtlichen Rechtsmittelverfahrens vertieft. Zudem wird hier insbesondere der Frage nach dem anwendbaren Recht nachgegangen und geklärt, ob und inwieweit der Appellate Body bei seiner Entscheidungsfindung unter Umständen auch auf Rechtsquellen des allgemeinen Völkerrechts zurückgreifen kann. Zudem beleuchtet dieser Abschnitt die von den WTO-Streitbeilegungsorganen angewandte Methodik der (völkerrechtlichen) Vertragsauslegung. Vor diesem Hintergrund kann im vierten Teil die Zusammenstellung der in der bisherigen Spruchpraxis des Appellate Body herangezogenen Rechtsprinzipien erfolgen. Ausgehend von einem „Prinzipienkatalog“, der inzwischen beinahe vierzig einzelne und von verschiedener Seite immer wieder im Zusammenhang mit dem WTO-Recht als relevant eingestufte Prinzipien aufweist, werden lediglich diejenigen eingehend behandelt, die der Appellate Body in seiner Spruchpraxis tatsächlich als Prinzip (principle) benannt bzw. in seinen Erwägungen als solches angewandt hat. Im Sinne eines Systematisierungsversuchs wird hierbei unterschieden zwischen den „klassischen“, vor allem materiellrechtlichen Prinzipien des Welthandelsrechts, also etwa dem Prinzip der Nichtdiskriminierung, und solchen Prinzipien, die – wie beispielsweise das (umweltvölkerrechtliche) Vorsorgeprinzip – aus dem rechtlichen Umfeld der WTO stammen. Mit Blick auf die völkerrechtliche Rechtsquellenlehre wird gerade hinsichtlich letzterer versucht, diese gewissermaßen „WTO-externen“ Prinzipien nicht nur anhand ihres völkerrechtlichen Ursprungs einzuordnen, sondern den Blick auch darauf zu richten, ob diese in erster Linie zur Klärung verfahrensrechtlicher Fragen angewandt werden oder ob darüber hinaus ein Prinzipienrückgriff auch zur Klärung materiellrechtlicher Aspekte erfolgt. Bei der Behandlung der einzelnen Prinzipien wird ausgehend vom nationalen bzw. europäischen Recht

B. Gang der Darstellung

25

in einem ersten Schritt die jeweilige rechtliche Bedeutung umrissen, um anschließend auf die spezielle normative Konkretisierung – sei es in den WTO-Übereinkünften oder aber im allgemeinen Völkerrecht – eingehen zu können. Erst dann erfolgt die auf die Anwendung des jeweiligen Prinzips hin orientierte Analyse der relevanten Appellate Body-Berichte. Im fünften und letzten Teil schließt die Arbeit mit einer zusammenfassenden Bewertung der gefundenen Ergebnisse sowie einem kurzen Ausblick auch auf die künftige Relevanz von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Streitbeilegung.

1. Teil

Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung Sowohl die historische Entwicklung der Welthandelsordnung als auch ihre formelle und materielle Struktur ist Gegenstand einer Vielzahl zum Teil umfangreicher Darstellungen1. Allerdings reicht der bloße Verweis auf diese Abhandlungen aus zweierlei Gründen nicht aus und macht eine zumindest überblicksartige Darstellung der GATT- bzw. WTO-rechtlichen Grundstrukturen auch im Rahmen dieser Untersuchung unverzichtbar. Zum einen kann eine Analyse gerade der klassischen welthandelsrechtlichen Prinzipien sinnvollerweise nur dann gelingen, wenn zuvor in zumindest groben Zügen und unter Rückgriff auch auf ökonomische Hintergründe die wesentlichen Aspekte des Welthandelsrechts skizziert worden sind. Zum anderen erfordert eine Auseinandersetzung mit der Spruchpraxis des Appellate Body die Kenntnis um und das Vorverständnis für die welthandelsrechtliche Streitbeilegung.

A. Ökonomische Grundlagen Wie sich aus dem ersten Erwägungsgrund der Präambel zum WTO-Übereinkommen ergibt, ist die WTO-Rechtsordnung von der Überzeugung ihrer Mitglieder getragen, „daß ihre Handels- und Wirtschaftsbeziehungen auf die Erhöhung des Lebensstandards, auf die Sicherung der Vollbeschäftigung und eines hohen und ständig steigenden Umfangs des Realeinkommens und der wirksamen Nachfrage sowie auf die Ausweitung der Produktion und des Handels mit Waren und Dienstleistungen gerichtet sind“. Dieser allge1 Aus dem deutschsprachigen Schrifttum vgl. insbesondere Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 27 ff.; Senti, GATT, S. 4 ff.; Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus der Neuen Welthandelsordnung, in: Klein/Meng/Rode (Hrsg.), Die neue Welthandelsordnung der WTO, S. 19 (35 ff.); Yüksel, GATT/WTO, S. 37 ff.; Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, GATT-WTO-GATS, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 47 ff.; Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 ff.; Herrmann, ZEuS 2001, S. 453 ff.; Hailbronner/Bierwagen, JA 1988, S. 318 ff.; Bail, EuZW 1990, S. 433 ff.; Köpernik, JuS 1976, S. 779 ff.; Hanel, ZfZ 1996, S. 104 ff.; Heselhaus, JA 1999, S. 76 f.; aus dem englischsprachigen Raum statt vieler Jackson, The World Trading System, S. 31 ff.; Trebilcock/Howse, The Regulation of International Trade, S. 21 ff.

A. Ökonomische Grundlagen

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meinen Umschreibung der Ziele der WTO, die auch schon in der Präambel des GATT 1947 enthalten war, liegt die ökonomische Erkenntnis zugrunde, daß auch auf zwischenstaatlicher Ebene universelle Wohlfahrtsgewinne durch internationale Arbeitsteilung erreicht werden können2.

I. Komparative Kostenvorteile als „Triebfeder“ des Welthandels Angesprochen ist damit die von dem englischen Ökonomen David Ricardo vor bald zweihundert Jahren formulierte Theorie der komparativen Kostenvorteile, die trotz aller Kritik im Kern unangefochten bleibt und auch heute noch den maßgeblichen Erklärungsansatz für den Welthandel bietet3. Hatte noch der schottische Moralphilosoph Adam Smith mit seinem Theorem der absoluten Kostenvorteile vertreten, die aus dem Handel resultierende internationale Arbeitsteilung sei immer nur dann sinnvoll, wenn sich – in einem Zwei-Länder-Zwei-Güter-Modell4 – jeweils ein Gut in einem der beiden Länder billiger produzieren ließe und sich beide Länder mithin auf die Produktion des Gutes spezialisierten, bei dem sie einen absoluten Kostenvorteil besäßen5, wurde diese Vorstellung von Ricardo grundlegend erweitert6. 2 Tietje, Grundlagen und Perspektiven der WTO-Rechtsordnung, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.II., Rn. 8. 3 Eine Zusammenfassung der Theorie der komparativen Kostenvorteile findet sich auch auf der WTO-Homepage und zwar unter http://www.wto.org/english/ thewto_e/whatis_e/tif_e/fact3_e.htm (Stand Oktober 2004); siehe ausführlich auch Göttsche, Historische Entwicklung, in: Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, § 4, Rn. 18 ff. 4 Die klassische Außenhandelstheorie geht in ihren Modellen immer von der Existenz zweier Länder, zweier Güter sowie eines Produktionsfaktors aus; dazu Ströbele, Außenwirtschaft, S. 9. 5 Mit seinem im Jahre 1776 veröffentlichtem Werk An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations stellt der Schotte Adam Smith ein System der natürlichen Freiheit als Gegenentwurf zum Merkantilismus vor und analysiert als einer der ersten die Funktion des Wettbewerbs in einer marktwirtschaftlichen Ordnung. In den Mittelpunkt stellt er dabei den Faktor Arbeit und hebt die Vorzüge zunehmender Arbeitsteilung bei weitgehender Freiheit vor staatlicher Reglementierung deutlich hervor. Im internationalen Bereich entspricht diesen Idealen der Arbeitsteilung sowie der wirtschaftspolitischen Neutralität des Staates der Gedanke des Freihandels, wobei Smith mit seinen Forderungen hier kaum über das hinausgeht, was zuvor bereits Richard Cantillon und David Hume in ihren Schriften erarbeitet hatten; zum Ganzen Irwin, Against the Tide, An Intellectual History of Free Trade, S. 75; Kruse, Geschichte der volkswirtschaftlichen Theorien, S. 50; Starbatty, Die Englischen Klassiker der Nationalökonomie, S. 7. 6 Ricardo, On the Principles of Political Economy and Taxation (1817); siehe auch Lang, Theorie der komparativen Kosten, in: Dichtl/Issing (Hrsg.), Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Band 2, S. 2087.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

Ihm zufolge brächten Handelsbeziehungen auf internationaler Ebene selbst dann noch Vorteile für alle Beteiligten, wenn ein Land in sämtlichen Produktionsbereichen überlegen sei, also alle absoluten Kostenvorteile auf sich vereine. Auch dann wäre es für dieses Land von Vorteil, sich auf die Erzeugung derjenigen Güter zu konzentrieren, bei denen es im Vergleich zu seinen anderen Erzeugnissen den größten absoluten Kostenvorsprung gegenüber allen übrigen Ländern besäße (komparativer Kostenvorteil). Denn die auf diese Weise erzielten Überschüsse könnten anschließend gegen solche Güter eingetauscht werden, bei deren Produktion sich kein entsprechend großer Vorteil erzielen ließe und deren Erzeugung folglich mit relativen Nachteilen verbunden wäre7. Auf die Erzeugung und den Export dieser Produkte solle sich hingegen die weniger effiziente Nation spezialisieren, da in diesem Bereich ihr Nachteil – relativ gesehen – geringer ausfalle8.

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Zum Ganzen Krugman/Obstfeld, International Economics, S. 11 ff.; Overbeek, Free Trade versus Protectionism, S. 53 f.; Maennig/Wilfling, Außenwirtschaft, S. 95 ff.; Rose/Sauernheimer, Theorie der Außenwirtschaft, S. 381; Ziegler, Geschichte des ökonomischen Denkens, S. 116; Niehans, Geschichte der Außenwirtschaftstheorie im Überblick, S. 27 ff. 8 Ricardo erklärte seinen Ansatz am Beispiel der Handelsnationen England und Portugal sowie der beiden Güter Tuch und Wein. Angenommen, Portugal könne aufgrund geringerer Arbeitskosten sowohl Wein als auch Tuch billiger produzieren als England (Um eine Einheit Tuch in einer bestimmten Zeit (z. B. eine Stunde) herzustellen, werden in England 100, in Portugal dagegen lediglich 90 Arbeiter benötigt. Und bei der Weinherstellung erbringen in Portugal 80 Arbeiter die gleiche Leistung, die in England 120 Arbeiter erledigen müßten. Portugal produziert mithin beide Güter zu niedrigeren Kosten). Jedoch sei der Vorsprung bei Wein größer als bei Tuch. Dann steige der Wohlstand insgesamt, wenn Portugal sich auf die Produktion von Wein und England auf die Produktion von Tuch spezialisierte, obwohl Portugal bei beiden Produkten einen absoluten Kostenvorteil besäße. In dieser Konstellation hätte nämlich England bei der Herstellung von Tuch einen vergleichsweisen, also komparativen, Kostenvorteil, weil die Rationalisierungsgewinne beim Wechsel von der englischen zur portugiesischen Weinproduktion die Verluste beim Übergang von der portugiesischen zur englischen Tuchproduktion übersteigen würden (Portugal muß zur Tuchproduktion 90 Stunden aufwenden. Tauscht es dagegen den produzierten Wein gegen englische Tuche, so erhält es dieselbe Leistung für den Gegenwert von nur 80 Arbeitsstunden. Und auch England erhielte für sein produziertes Tuch im Werte von 100 Arbeitsstunden den portugiesischen Wein im Werte von 120 Arbeitsstunden). Konzentriert sich also jedes Land auf das Produkt, welches es – relativ gesehen – billiger herstellen und demzufolge exportieren kann, so werde die Gesamtheit der produzierten Güter größer sein als ohne Außenhandel bzw. internationale Arbeitsteilung und der Wohlstand in beiden Länder zwangsläufig steigen. Zum Ganzen Ricardo, On the Principles of Political Economy and Taxation (1817), deutsche Ausgabe Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung (1980), S. 112 ff.; zu diesem Beispiel auch Kenen, The International Economy, S. 44 ff.; Söllner, Die Geschichte des ökonomischen Denkens, S. 44 ff.; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 20.

A. Ökonomische Grundlagen

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Nach dem von Ricardo entwickelten Ansatz, der auch als die klassische oder reine Außenhandelstheorie bezeichnet wird9, ist einer der Hauptgründe für den internationalen Handel, daß bei der Produktion gleicher Güter in den einzelnen Volkswirtschaften wegen der Unterschiede in der Qualität der eingesetzten Produktionsfaktoren verschieden hohe Kosten entstehen. Eigentliche Ursache der komparativen Kostendifferenzen sind also die tatsächlich vorhandenen Produktivitätsunterschiede zwischen den Staaten (Produktivitätstheorem). Dieses Modell wird in der neoklassischen Außenhandelstheorie aufgegriffen und verfeinert. Zentral hierfür ist das maßgeblich von den schwedischen Ökonomen Eli Heckscher und Bertil Ohlin entwickelte und nach ihnen benannte Heckscher-Ohlin-Theorem, demzufolge es für die Entstehung komparativer Kostenvorteile maßgeblich auf die Ausstattung der Staaten mit den zur Produktion der jeweiligen Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital ankommt. Ist also beispielsweise ein Land im Vergleich zum Ausland besser mit dem Produktionsfaktor Arbeit als mit dem Faktor Boden (Rohstoffe) ausgestattet, so wird es sich bei entsprechender Nachfrage auf die Produktion von arbeitsintensiven Gütern konzentrieren. Aus dem Ausland wird dieses Land seinerseits verstärkt den Faktor Boden in Form von Rohstoffen importieren. Oder allgemeiner formuliert: Die Staaten werden sich auf die Erzeugung und den Export derjenigen Güter spezialisieren, die die relativ häufig vorhandenen Produktionsfaktoren in intensiver Weise nutzen (sog. Faktorproportionentheorem)10.

II. Fortschreitende Liberalisierung statt unbedingtem Freihandel Auch wenn damit feststeht, daß Handelsnationen aufgrund eines durch internationale Arbeitsteilung bedingten, effizienteren Ressourceneinsatzes ihr jeweiliges Wohlstandsniveau erhöhen können, ist noch nichts darüber ausgesagt, unter welchen Bedingungen der internationale Handel am effizientesten funktionieren kann. Innerhalb einer marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft erfolgt die Koordinierung der verschiedenen wirtschaftlichen Tätigkeiten und Interessen der Marktteilnehmer dezentral über den Marktmechanismus. Der vollkommene Wettbewerb zwischen rational handelnden, also die eigene Nutzenmaximierung anstrebenden Marktteilneh9 Vgl. Bender, Außenhandelstheorie, in: Dichtl/Issing (Hrsg.), Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Band 1, S. 162 f.; Ströbele, Außenwirtschaft, S. 9 ff.; zu den Grundzügen der Außenhandelstheorie siehe ausführlich auch Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 19 ff. 10 Zum Ganzen Lang, Faktorproportionentheorie, in: Dichtl/Issing (Hrsg.), Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Band 1, S. 651; Trebilcock/Howse, The Regulation of International Trade, S. 5 f.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

mern führt auf den Märkten dann idealerweise zu einer optimalen Allokation der vorhandenen Produktionsfaktoren11. Zugleich impliziert die optimale Ressourcenallokation den größtmöglichen Ertrag an Gesamtwohlfahrt in einer Volkswirtschaft. Zu dieser Erkenntnis gelangte der Schotte Adam Smith in seinem berühmten Werk An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations bereits im Jahre 1776. Ihm zufolge stelle sich im Rahmen eines freien Wettbewerbs aufgrund des eigennützigen menschlichen Handelns als Ordnungsprinzip der wirtschaftlichen Entwicklung stets ein Gleichgewicht zwischen Erzeugung, Verbrauch, Lohn und Preis und somit ein Zustand natürlicher Harmonie des wirtschaftlichen und sozialen Lebens ein12. Voraussetzung hierbei sei allerdings ein funktionierender Marktmechanismus, der über den Marktpreis Angebot und Nachfrage ausgleicht und weitgehend frei ist von staatlichen Reglementierungen. Folgt man Smith, so ist die Rolle des Staates zwar nicht auf die eines reinen „Nachtwächterstaates“13 zu beschränken14, jedoch sollten unmittelbare staatliche Eingriffe in das, „was die Natur allein auf Grund der ökonomischen Gesetze (besser) besorge“15, unterbleiben16. Aufbauend auf den „Klassikern der Nationalökonomie“ wie David Hume, Adam Smith, David Ricardo und John Stuart Mill wurde dieser für die nationale Ebene geltende Befund auch auf den zwischenstaatlichen Handel übertragen. Dabei gilt als Pendant zum freien Wettbewerb auf den Binnenmärkten der freie Handel auf den Weltmärkten, der von der überwiegenden Mehrheit der Ökonomen als diejenige Organisationsform des Außenhandels angesehen wird, die der generellen Vorteilhaftigkeit dezentraler Entscheidungen freier Wirtschaftssubjekte am besten Rechnung trägt und die markt11 Schüller, Marktwirtschaft, in: Dichtl/Issing (Hrsg.), Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Band 2, S. 1413 f. 12 Diesen Gedanken vom menschlichen Selbstinteresse als Leitmotiv des Handelns bezeichnet Smith an späterer Stelle in seinem Werk metaphorisch als die „unsichtbare Hand“ des Marktes, siehe Smith, Der Wohlstand der Nationen, Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, S. 371. 13 Der Begriff des Nachtwächterstaates geht zurück auf den deutschen Sozialisten Ferdinand Lassalle (1825–1864). 14 Der Staat hat in Smiths System der natürlichen Freiheit drei Aufgaben zu erfüllen: erstens die Sicherung der Landesverteidigung nach Außen, zweites die Einrichtung eines zuverlässigen Justizwesens im Inneren und drittens Gründung sowie Unterhalt gewisser öffentlicher Anlagen und Einrichtungen, die ein einzelner aus Rentabilitätsgesichtspunkten nicht betreiben kann; vgl. Smith, Der Wohlstand der Nationen, Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, S. 582. 15 Kruse, Geschichte der volkswirtschaftlichen Theorien, S. 57; Starbatty, Die Englischen Klassiker der Nationalökonomie, S. 38: „(. . .) für die Aufteilung in private und öffentliche Aufgaben gilt gewissermaßen das Subsidiaritätsprinzip (. . .)“. 16 Ahrns/Feser, Wirtschaftspolitik, S. 11; van Suntum, Die unsichtbare Hand, S. 41 und S. 231.

A. Ökonomische Grundlagen

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mäßige Koordination ihrer autonomen Handlungen auch im Weltmaßstab bewirkt17. Auch wenn mithin längst nachgewiesen zu sein scheint, daß staatliche Handelsbeschränkungen sich aus der globalen aber auch nationalen Wohlfahrtsperspektive in der Regel als ineffizient darstellen und wegen ihrer wohlfahrtsmindernden Effekte abzulehnen sind, greifen die Staaten in der Realität auf eine Vielzahl protektionistischer Instrumente zurück18. Dabei wird regelmäßig eine Reihe von wissenschaftlich oder aber politisch begründeten Argumenten angeführt, die einen zumindest vorübergehenden Protektionismus rechtfertigen sollen19. Ohne hier im einzelnen auf die Debatte eingehen zu können, inwieweit es aus ökonomischen Gründen unter Umständen tatsächlich sinnvoll sein kann, die Einfuhr von Waren und Dienstleistungen zumindest zeitweilig zu unterbinden20, ist bereits an dieser Stelle festzuhalten, daß das Welthandelsrecht keineswegs von der Idee des unbedingten Freihandels und damit der Forderung nach der vollständigen Beseitigung aller staatlichen Handelsregulierung geprägt ist21. Vielmehr geht es um eine progressive, in den jeweils vernünftig erscheinenden Schritten voranzutreibende Liberalisierung des Welthandels22.

17 Lütkenhorst, Freihandel, in: Dichtl/Issing (Hrsg.), Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Band 1, S. 724 f. 18 Zum Ganzen näher Tietje, Grundlagen und Perspektiven der WTO-Rechtsordnung, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.II., Rn. 10 ff.; Ohr, Protektionismus, in: Dichtl/Issing (Hrsg.), Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Band 2, S. 1744 f.; Petersmann, RabelsZ 1983, S. 478 ff. 19 Im einzelnen handelt es sich um Argumente hinsichtlich des Schutzes der heimischen Produktion (Autarkie, Schutz etablierter oder junger Industrien, Abfederung des Strukturwandels), der vermeintlichen Mehrung von Außenhandelsgewinnen (Optimalzoll, strategische Handelspolitik) oder aber der Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen (level playing field); überblicksartig hierzu Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 29. 20 Zu den möglichen Argumenten zugunsten des Protektionismus sowie zu den Gegenpositionen siehe Siebert, Weltwirtschaft, S. 159 ff.; außerdem Bhagwati, Free Trade Today, S. 5 ff.; Ahrns/Feser, Wirtschaftspolitik, S. 11 ff.; zu den Zweifeln an der Konzeption des Freihandels siehe auch Jackson, JWTL 12 (1978) Nr. 2, S. 93 ff. 21 Beise, Vom alten zum neuen GATT – Zu den neuen Dimensionen der Welthandelsordnung, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Europäische und Internationale Wirtschaftsordnung aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland, S. 179 (199); Wolter, Freihandel und Gruppeninteresse, in: Streit u. a. (Hrsg.), Wirtschaftspolitik zwischen ökonomischer und politischer Rationalität, Festschrift für Herbert Giersch, S. 27 (33 ff.); Bail, EuZW 1990, S. 433 (433 f.); Stoll, ZaöRV 1997, S. 83 (116 f.); Ipsen/Haltern, Reform des Welthandelssystems, S. 24; ausführlich Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 59 ff. 22 WTO, Understanding the WTO, S. 10 („progressive liberalization“); siehe auch Bacchus, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2002, S. 1021 (1031).

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

B. Historischer Hintergrund und Gründung der WTO Die Notwendigkeit, Handelsbeziehungen auch grenzüberschreitend zu regeln, ist so alt wie die überlieferte Geschichte der Menschheit selbst23. Eine gewisse multilaterale Verfestigung erfuhr das internationale Handelssystem jedoch erst im Mittelalter. Spätestens mit Gründung der Deutschen Hanse im Jahre 1358 hatten sich die ursprünglich genossenschaftlich organisierten, kaufmännischen Zusammenschlüsse für den Fernhandel zu einem machtvollen Städtebund entwickelt, der in seiner Blütezeit zum Ende des 14. Jahrhunderts mehr als 200 Städte zwischen Flandern und Polen umfaßte24. Allerdings unterschieden sich die von den Hansestädten geschlossenen Handelsverträge25, deren Gegenstand in erster Linie die Liberalisierung des Fremdenrechts, also vor allem des Stapel-, Markt-, Niederlassungs- und Erbrechts war26, von echten völkerrechtlichen Verträgen noch durch die mangelnde Staatlichkeit der Städte bzw. kaufmännischen Korporationen27. Mit Ausgang des Mittelalters wurden die den Fernhandel dominierenden Städte, die in ihrer Gesamtheit eine Art mittelalterliche Weltwirtschaft ergaben, zunehmend durch die sich herausbildenden zentralen und territorialen Fürstenstaaten verdrängt28. Zugleich entwickelten sich damit geschlossene Wirtschafts- und Zollgebiete also volkswirtschaftliche Einheiten moderner Prägung29. Der Außenhandel geriet dabei sukzessive unter den Einfluß politischer Interessen und damit staatlicher Lenkung. Das Bedürfnis nach der staatlichen Regelung des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs nahm zu, 23 Winham, The Evolution of International Trade Agreements, S. 4 ff.; van Scherpenberg, Prinzipien des Welthandels, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, S. 820 ff.; von Hayek, Die Evolution des Marktes: Handel und Zivilisation, in: von Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus, S. 38 ff. 24 Winkel, Hanse, in: Dichtl/Issing (Hrsg.), Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Band 1, S. 891. 25 Die heutigen Handelsverträge haben ihren Ursprung in diesen Freibriefen und Handelsprivilegien, die von Fürsten oder Stadtstaaten zugunsten von gebietsfremden Kaufleuten ausgestellt wurden. Im übrigen ist die Geschichte der Handelsverträge nicht zu trennen von der des Handels: „. . . trade agreements are almost as old as trade itself.“, vgl. Winham, The Evolution of International Trade Agreements, S. 16. 26 Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, Vor § 43, Rn. 1; Erler, Internationales Wirtschaftsrecht, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, S. 862 (863). 27 Herrmann, ZEuS 2001, S. 453 (456 „völkerrechtsähnlicher Charakter“). 28 Erler, Grundprobleme des Internationalen Wirtschaftsrechts, S. 47 ff.; Tietje, Grundlagen und Perspektiven der WTO-Rechtsordnung, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.II., Rn. 4. 29 Kruse, Geschichte der volkswirtschaftlichen Theorien, S. 16 f.; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 82.

B. Historischer Hintergrund und Gründung der WTO

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und der Außenhandel wurde nach und nach durch handelspolitische Instrumente wie Zölle, Handelsverbote und Kontingente oder aber Subventionen und Belehnungen reglementiert. Die beginnende Epoche des Merkantilismus ist beredter Ausdruck dieser souveränitätsorientierten Dominanz des Staates im internationalen Handelssystem. Denn Grundgedanke dieser im 17. und 18. Jahrhundert vorherrschenden Denkrichtung30, die letztlich die finanziellen Voraussetzungen zur Entfaltung des Absolutismus zu schaffen beabsichtigte, ist die Förderung bzw. Mehrung staatlichen Reichtums und staatlicher Macht mittels protektionistischer und reglementierender Instrumente31. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts folgte der Zeit merkantilistischer Reglementierung eine erste Periode der Liberalisierung und des Freihandels. Eingeleitet wurde diese durch hauptsächlich bilaterale Präferenzverträge, in welchen sich neben dem Gedanken des Vertragszolles das (fremdenrechtliche) Prinzip der Inländergleichbehandlung immer deutlicher niederschlug und in die erstmals auch Meistbegünstigungsklauseln Eingang fanden32, die in der Folgezeit zahlreiche Variationen erfuhren33. Der Beginn der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien und damit der Übergang eines handarbeitsorientierten Produktionsprozesses zur Maschinenarbeit brachte eine Reihe neuer Einsichten in ökonomische Zusammenhänge. Dabei traten nicht nur Aspekte wie Arbeitsteilung, rationellere Fertigungsmethoden oder die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur zunehmend ins Blickfeld34, sondern es wurde auch die Rolle des Staates für die Gesamtwirtschaft neu überdacht. Gewissermaßen als Antwort auf die merkantilistischen Lehren beginnt sich 30 Walter, Wirtschaftsgeschichte, S. 19: „Der Merkantilismus ist kein Lehrgebäude, sondern der Inbegriff wirtschaftspolitischer Maßnahmen meist europäischer Staatsregierungen über etwa zwei Jahrhunderte, 17. und 18., hinweg, mit entsprechend länderspezifischen Ausprägungen.“ 31 Cameron, A Concise Economic History of the World, S. 128 ff.; Ziegler, Geschichte des ökonomischen Denkens, S. 78 ff. 32 Zu erwähnen sind hier insbesondere der zwischen Großbritannien und Portugal im Jahre 1703 geschlossene Methuen-Vertrag und das zwischen Spanien und Großbritannien 1713 abgeschlossene Utrechter Commerzien-Traktat; hierzu ausführlich von Keller, Handelsverträge, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 765 (766). 33 So hat vor allem der im Jahre 1786 zwischen Großbritannien und Frankreiche geschlossene Eden-Vertrag das diskriminierende Element des bilateralen Präferenzvertrages ersetzt durch die generalisierende Funktion der Meistbegünstigung; vgl. Erler, Internationales Wirtschaftsrecht, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, S. 862 (864). 34 Winkel/Wiswede, Industrialisierung, in: Dichtl/Issing (Hrsg.), Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Band 1, S. 946; ausführlicher Haussherr, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, S. 287 ff.; Söllner, Die Geschichte des ökonomischen Denkens, S. 25.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

die Freihandelslehre herauszubilden, als deren wissenschaftliches Fundament die klassisch-liberale Wirtschaftstheorie des 18. und 19. Jahrhunderts mit ihren bedeutendsten Vertretern Adam Smith, David Ricardo und John Stuart Mill gilt35. Wurde die praktische Realisierung der Freihandelslehre erst durch die friedenspolitisch stabile Periode in Europa seit dem Wiener Kongreß von 1814/15 ermöglicht, kam es mit dem aufkommenden Imperialismus und spätestens mit Beginn des 1. Weltkrieges zu einer vollständigen Absage an Freihandelstheorie und -praxis36. Zwar wurden mehrfach internationale Staatenkonferenzen zur Lösung der durch den 1. Weltkrieg verursachten und in ihrem Ausmaß bisher unbekannten wirtschaftlichen und sozialen Probleme einberufen37, durchgreifende Erfolge blieben diesen Versuchen auf multilateraler Ebene – trotz einiger hoffnungsvoller Ansätze vor allem im Rahmen des Völkerbundes – allerdings versagt. Bis 1945 sind die internationalen Handelsbeziehungen daher weitgehend geprägt von staatlicher Reglementierung und Hochzollpolitik38.

I. Havanna Charta und die Idee einer Internationalen Handelsorganisation (ITO) Basierend auf den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre, die letztlich für den Ausbruch des 2. Weltkrieges mitursächlich gewesen war39, hatten die Regierungen der USA und Großbritanniens ihre Vorstellungen über eine Neugestaltung der internationalen Beziehungen für 35 Lütkenhorst, Freihandel, in: Dichtl/Issing (Hrsg.), Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Band 1, S. 724; Walter, Wirtschaftsgeschichte, S. 34. Ausführlicher zu den herausragenden Vertretern der Klassischen Nationalökonomie Starbatty, Die Englischen Klassiker der Nationalökonomie, S. 1 ff.; Overbeek, Free Trade versus Protectionism, S. 29 ff. 36 Winham, The Evolution of International Trade Agreements, S. 19; Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band I, S. 92; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 3, Rn. 2; Tietje, Grundlagen und Perspektiven der WTO-Rechtsordnung, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.II., Rn. 4 f. 37 Brüsseler Finanzkonferenz von 1920, Währungskonferenz in Genua von 1922, Rohstahlkonferenz von 1926 sowie die Weltwirtschaftskonferenz von 1927. 38 So sah etwa die US-Regierung im sog. Smoot-Hawley Tariff Act von 1930 eine Anhebung der Importzölle von durchschnittlich 26 auf über 50 Prozent vor – andere Regierungen antworteten hierauf ihrerseits mit Zollanhebungen; vgl. näher Trebilcock/Howse, The Regulation of International Trade, S. 20; Hoekman/ Kostecki, The Political Economy of the World Trading System, S. 24. 39 Senti, WTO, Rn. 1; Jackson, The World Trading System, S. 36; Krenzler, Die Nachkriegsordnung des Welthandelssystems: Von der Havanna-Charta zur WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.I., Rn. 2.

B. Historischer Hintergrund und Gründung der WTO

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die Zeit nach dem 2. Weltkrieg bereits in der Atlantik-Charta vom 14. August 1941 festgelegt, um auf diese Weise einen Beitrag zur weltwirtschaftlichen Stabilität und weltweiten Friedenssicherung zu leisten40. Vor dem Hintergrund dieser und weiterer, von der Idee der Institutionalisierung internationaler Beziehungen geprägter Verhandlungen41, in die zunehmend auch die Regierungen anderer Länder einbezogen worden waren, wurden im Juli 1944 auf der Konferenz von Bretton Woods (New Hampshire, USA)42 der Internationale Währungsfonds (IWF)43 sowie die Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank)44 und ein knappes Jahr später, am 26. Juni 1945 in San Francisco, die Vereinten Nationen (UN) ins Leben gerufen. Nachdem mit den Übereinkommen über den IWF und die Weltbank die monetäre Seite der künftigen Weltwirtschaft festgelegt und bereits im Dezember 1945 in Kraft getreten war, sollte nun auch die reale Seite völkerrechtlich abgesichert werden, um das Weltwirtschaftssystem der Nachkriegszeit insgesamt auf eine solidere ordnungspolitische Grundlage zu stellen. Auf Betreiben der Vereinigten Staaten, deren Regierung einige Monate zuvor ihre Pläne zur Schaffung einer Internationalen Handelsorganisation (International Trade Organisation, ITO) veröffentlicht hatte45, beschloß der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (Economic and Social Council, ECOSOC) im Frühjahr 1946, eine UN-Konferenz für Handel und Beschäftigung einzuberufen46. Nach mehreren Verhandlungen eines vorbereitenden Ausschusses in London, New York und Genf47 trat die Konferenz 40 Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, S. 73; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 28; Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, Einleitung vor § 43, Rn. 4; Köpernik, JuS 1976, S. 779; Kimminich/Hobe, Völkerrecht, S. 324; Hauser/ Schanz, Das neue GATT, S. 7. 41 Vgl. Dam, GATT, S. 10; Dillon, Michigan Journal of International Law 1995, S. 349 (351 f.). 42 Näher hierzu Coing, Bretton Woods-Konferenz von 1944, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band I, S. 248 f. 43 International Monetary Fund (IMF); Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds vom 1./22. Juli 1944 in der Fassung vom 30.4.1976, deutscher Text in BGBl. 1978 II, S. 13 ff.; neueste Fassung BGBl. 1991 II, S. 814 ff.; abgedruckt etwa in Sartorius II, Nr. 44. 44 International Bank for Reconstruction and Development (IBRD); Abkommen über die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung vom 1./22. Juli 1944, deutscher Text in BGBl 1951 II, S. 664 ff., geändert am 30.7.65, BGBl 1965 II, S. 1089; neueste Fassung BGBl. 1992 II, S. 1134 ff.; Abdruck in Sartorius II, Nr. 45. 45 Proposals for Expansion of World Trade and Employment, Washington D.C., Dept. State Publ. No. 2411 Commercial Policy Series No. 79 (1945). 46 Köpernik, JuS 1976, S. 779; Senti, GATT, S. 10; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 92 f.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

im November 1947 in Havanna (Kuba) zusammen, und nach zähem Ringen der teilnehmenden Staaten konnte am 24. März 1948 die endgültige Fassung der sog. Havana-Charter for an International Trade Organization von insgesamt 54 Teilnehmerstaaten verabschiedet werden48. Sie erwies sich mit ihren insgesamt 106 Artikeln sowie 16 Anhängen als der umfangreichste völkerrechtliche Vertrag, der bis dahin ausgehandelt worden war, und enthielt neben einem bereits ausgefeilten Streitbeilegungsverfahren49 zugleich umfassende materiellrechtliche Regelungen etwa zu Handel und Wettbewerb oder aber der Entwicklungs- und Beschäftigungspolitik50.

II. Das GATT 1947 als „Provisorium“ Angesichts der Tatsache, daß es bei den Verhandlungen zum Abbau von Zöllen sowie nichttarifären Handelshemmnissen51 um Tausende von Einzelpositionen ging, hatten die Teilnehmerstaaten bereits zu einem frühen Zeitpunkt entschieden, über diese Detailfragen unabhängig von den parallel geführten Verhandlungen zur Gründung der ITO zu beraten und die Ergebnisse in einem separaten völkerrechtlichen Vertrag – dem sog. General Agreement on Tariffs and Trade – abzusichern52. Dieses Übereinkommen sollte zwar zeitlich früher in Kraft treten als das geplante Gründungsübereinkommen der ITO, letztlich dann aber in dieses eingebunden werden53. 47 Dazu Senti, WTO, Rn. 27 ff.; Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, S. 73. 48 Text abgedruckt in Hummer/Weiss, S. 11 ff.; Wilcox, A Charter for World Trade, S. 227 ff.; Kunig/Lau/Meng, International Economic Law, S. 419 ff. 49 Dillon, Michigan Journal of International Law 1995, S. 349 (352); Demaret, Columbia Journal of Transnational Law 1995, S. 123 (126 f.); Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus der Neuen Welthandelsordnung, in: Klein/Meng/Rode (Hrsg.), Die neue Welthandelsordnung der WTO, S. 19 (36 f.); Sauernheimer, Die neue Welthandelsordnung, in: Frenkel/Bender (Hrsg.), GATT und neue Welthandelsordnung, S. 227 (231). 50 Hanel, ZfZ 1996, S. 104 (105); Bail, EuZW 1990, S. 433; Ipsen/Haltern, RIW 1994, S. 717 (718); Krenzler, Die Nachkriegsordnung des Welthandelssystems: Von der Havanna-Charta zur WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.I., Rn. 10. 51 Zur Unterscheidung zwischen tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen näher unten 1. Teil C. III. 2. a) aa) (1). 52 Zudem war die US-amerikanische Regierung aufgrund des sog. Cordell HullProgramms nur befugt, über den Abschluß von Handelsverträgen, nicht aber über den Beitritt zu Internationalen Organisationen zu entscheiden; vgl. näher Jackson, The World Trading System, S. 35 ff.; Herrmann, ZEuS 2001, S. 453 (457). 53 Patterson/Patterson, Minnesota Journal of Global Trade 1994, S. 35 (36); Senti, GATT, S. 17; Hailbronner/Bierwagen, JA 1988, S. 318 (319); Montana I Mora, Columbia Journal of Transnational Law 1993, S. 103 (106 f.).

B. Historischer Hintergrund und Gründung der WTO

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Nachdem man sich in Genf54 über Inhalt sowie die umfangreichen Zollsenkungen einig geworden war, unterzeichneten die Regierungen von 23 Staaten55 am 30. Oktober 1947 das GATT als multilaterales Handelsübereinkommen. Ein am gleichen Tag unterzeichnetes Protokoll erlaubte nicht nur die Inkraftsetzung des GATT zum 1. Januar 194856, sondern enthielt zugleich einen Vorbehalt für die Weitergeltung bestehender Gesetzesbestimmungen der Vertragsparteien (sog. Grandfather Clause)57. Durch diese Verfahrensweise wollte man vor allem die Notwendigkeit zeitraubender parlamentarischer Ratifizierungen umgehen, um die erreichte Einigung über Zollsenkungen schnell in die Tat umzusetzen58. Unabhängig von den noch laufenden Verhandlungen zur Gründung der ITO trat das GATT damit am 1. Januar 1948 als „Provisorium“ in Kraft und normierte fortan vor allem Pflichten über die Bindung und anschließende Senkung von Zöllen im Rahmen von Zollsenkungsverhandlungen. Flankiert wurden diese durch verschiedene Vorschriften, mithilfe derer die Aushöhlung der erreichten Zollzugeständnisse über das Ergreifen anderer handelspolitischer Instrumente als Zölle in Zukunft verhindert werden sollte. Die ITO hingegen traf nicht auf die erhoffte Zustimmung59 und obwohl die USA ursprünglich zu den Hauptinitiatoren der Havanna-Charta gehört hatten, scheiterte diese letztlich an ablehnenden Haltung im US-Kongreß, dem sie von der US-Regierung nicht einmal mehr vorgelegt wurde60. Da 54 Eine Vorkonferenz, auf der ein erster Entwurf des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens ausgearbeitet worden war, hatte bereits im Frühjahr 1947 in Lake Success (New York) stattgefunden. 55 Siehe dazu die Auflistung der Vertragsparteien im Einleitungssatz der Präambel zum GATT 1947. 56 Protokoll von Genf über die vorläufige Anwendung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens, GATT (Protocol of Provisional Application of the General Agreement on Tariffs and Trade), deutscher Text abgedruckt in Text Hummer/ Weiss, S. 6 ff. 57 Näher hierzu Jackson, World Trade and the Law of GATT, S. 61 ff.; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 99 ff.; zum Inhalt der „Großvaterklausel“ auch Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 1. 58 Mit weiteren Gründen für die vorläufige Anwendung Jackson, The World Trading System, S. 39 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7, Rn. 2; Senti, GATT, S. 17. 59 Bis Mitte 1950 war die Havanna-Charta erst von zwei Staaten ratifiziert worden. 60 Zu den Gründen der ablehnenden Haltung siehe Dam, GATT, S. 14; Dillon, Michigan Journal of International Law 1995, S. 349 (356); Senti/Conlan, WTO – Regulation of World Trade after the Uruguay Round, S. 12 f.; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 30; Krenzler, Die Nachkriegsordnung des Welthandelssystems: Von der Havanna-Charta zur WTO, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.I., Rn. 11.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

aber ohne die Einbindung der Amerikaner die geplante Gründung der ITO auch für die übrigen Signatarstaaten undenkbar war, war die HavannaCharta damit auch auf internationaler Ebene gescheitert und das GATT 1947 fortan die einzig bestehende multilaterale Rechtsgrundlage der internationalen Handelsbeziehungen61. Abgesehen von partiellen Änderungen sollte dieses, ursprünglich lediglich zur Festschreibung von Zollsenkungen gedachte Provisorium fortan Bestand haben und wuchs in den folgenden Jahrzehnten hinein in die Rolle eines multilateralen Ordnungsrahmens für den Welthandel, was allein schon der imposante Anstieg bei der Mitgliederzahl62 der Vertragsparteien von ursprünglich 23 auf letztlich 128 im Dezember 1994 zu zeigen vermag.

III. Schrittweise institutionelle Verfestigung des GATT 1947 Ursprünglich sollte mit dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen nur die Zeit bis zum Inkrafttreten der Havanna-Charta und der damit einhergehenden Gründung der ITO überbrückt werden. Es war nicht dazu bestimmt, den Charakter einer Internationalen Organisation63 zu erhalten64, was das Minimum an vertraglich vorgesehenen, organisatorischen Bestimmungen erklärt65. So weist das GATT mit den zu diesem Zweck in Großbuchstaben bezeichneten VERTRAGSPARTEIEN66 lediglich ein (Haupt-) 61 Jackson, World Trade and the Law of GATT, S. 49 ff.; Senti, GATT, S. 17 f.; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 3001; Hauser/Schanz, Das neue GATT, S. 8 f.; Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, S. 74 f. 62 Zur Unterscheidung zwischen sog. Vollmitgliedern, de facto-Mitgliedern bzw. vorläufigen Mitgliedern und sonstigen Partizipationsformen siehe nur Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 196 ff.; eine Auflistung sämtlicher, zuletzt 128 GATT-Mitglieder läßt sich auf der Homepage der WTO finden unter http://www.wto.org/english/thewto_e/gattmem_e.htm (Stand Oktober 2004). 63 Als Internationale Organisation wird üblicherweise ein Verband bezeichnet, der durch einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag begründet wird und eine mitgliedschaftliche Struktur aufweist. Hierbei muß das Gründungsstatut die Einsetzung von Organen vorsehen und diese Organe zur Wahrnehmung von Rechtsetzungs-, Verwaltungs- bzw. Durchsetzungs- oder auch Streitschlichtungsaufgaben ermächtigen. Zur Definition der Internationalen Organisation Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 684; Buergenthal/Doehring/Kokott/Maier, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 72; Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (387). 64 Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, S. 74; Bast/ Schmidt, RIW 1991, S. 929 (930); Köpernik, JuS 1976, S. 779 (781); Heselhaus, JA 1999, S. 76, Fn. 8; Dillon, Michigan Journal of International Law 1995, S. 349 (354); Demaret, Columbia Journal of Transnational Law 1995, S. 123 (126); Jackson, GYIL 39 (1996), S. 20 (24).

B. Historischer Hintergrund und Gründung der WTO

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Organ auf, das im Hinblick auf Durchführung und Verwaltung des multilateralen Vertragswerkes gem. Art. XXV Abs. 1 GATT 1947 sämtliche Kompetenzen auf sich vereint67. Bereits frühzeitig begann allerdings ein Prozeß institutioneller Verfestigung, im Laufe dessen weitere Organe durch Beschlüsse der Vertragsparteien und mithin auf sekundärrechtlicher Grundlage geschaffen wurden68. Da vertraglich kein eigenständiges Sekretariat vorgesehen war, stellte die 1948 auf der Konferenz von Havanna im Hinblick auf die erwartete Gründung der ITO ins Leben gerufene sog. Interimskommission für die ITO (Interim Commission of the International Trade Organization – ICITO) alsbald ihr Sekretariat zur Verfügung69. Als sich die Interimskommission 1952 wegen des Nichtinkrafttretens der Havanna-Charta auflöste, wurde ihr Sekretariat dienstrechtlich zwar in das Sekretariat der Vereinten Nationen eingegliedert, war jedoch der GATT-Versammlung unter Leitung eines ihr verantwortlichen Exekutivsekretärs weiterhin zugeordnet. Als dann im Jahre 1955 auch ein zweiter Anlauf zur Gründung einer Internationalen Handelsorganisation (Organisation for Trade Cooperation, OTC) wiederum am Widerstand des US-Kongresses scheiterte, entwickelte sich hieraus das GATTSekretariat70. Nach und nach wurde aus der kleinen, in Genf ansässigen und vertraglich überhaupt nicht vorgesehenen provisorischen Arbeitsstelle eine effizient arbeitende Behörde, die fortan vor allem mit der technischen Durchführung und administrativen Vorbereitung der GATT-Sitzungen betraut war71. Als ihr Leiter fungierte seit einer Entscheidung der Vertragsparteien aus dem Jahre 1965 der sog. Generaldirektor, dem im Rahmen laufender GATT-Verhandlungsrunden nicht nur eine wichtige Vermittlerfunktion 65 Benedek, VN 1995, S. 13 (14 – „Geburtsfehler des GATT“); Senti, WTO, Rn. 55. 66 Wird die Versammlung der Vertragsparteien in ihrer Funktion als oberstes kollektives und einzig originäres Beschlußorgan bezeichnet, so ist sie im Vertragstext des GATT in Großbuchstaben mit VERTRAGSPARTEIEN (CONTRACTING PARTIES) aufgeführt. 67 Lowenfeld, International Economic Law, S. 27 f.; Senti, GATT, S. 44 ff.; Benedek, VN 1995, S. 13 (14). 68 Benedek, GATT – Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, in: Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, Rn. 5; Jackson, The World Trading System, S. 41 ff. 69 Jaenicke, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen von 1947, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band I, S. 29 (34); Dam, GATT, S. 340; Jackson, Restructuring the GATT System, S. 15; Yüksel, GATT/WTO, S. 39. 70 Rechtsgrundlage des GATT-Sekretariats blieb damit bis zuletzt die ICITO; zum Ganzen Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, GATT-WTOGATS, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 47 (57 f.); Benedek, VN 1995, S. 13 (14). 71 Vgl. näher Hanel, ZfZ 1996, S. 104 (109 f.).

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

zukam, sondern der auch handelspolitische Initiativen einleiten oder aber bei Streitigkeiten seine Vermittlungsdienste anbieten konnte72. Zudem wurde von den Vertragsparteien 1960 als zentrales Leitungsorgan der sog. GATT-Rat (Council of Representatives) geschaffen, an den die meisten Befugnisse der GATT-Vertragsparteien delegiert wurden73. Zwischen den in der Regel einmal jährlich stattfindenden Sitzungen der Vollversammlung aller Vertragsparteien war dieser gewissermaßen geschäftsführend mit der Wahrnehmung der laufenden Geschäfte betraut, sollte aktuelle Probleme erörtern und die Vertragsparteien von Routineaufgaben entlasten. Darüber hinaus wurden sowohl von den VERTRAGSPARTEIEN als auch vom GATT-Rat weitere Unterorgane wie etwa Fachausschüsse, Arbeitsgruppen oder aber Expertengremien zur Streitschlichtung (sog. Panel74) eingerichtet, um auf diese Weise die Entscheidungs- und Aktionsfähigkeit des GATT zu stärken und seine organisatorischen Defizite so weit wie möglich auszugleichen75. Auch wenn das provisorisch in Kraft gesetzte GATT 1947 sich zur besseren Aufgabenerfüllung im Laufe der Zeit institutionell verfestigte und sich de facto auf sehr pragmatische Weise zu einer von den Staaten als solche anerkannten und praktisch wie eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen behandelten Internationalen Organisation entwickelte76, verlor es rechtlich gesehen nie seine Natur als bloß multilateraler Vertrag „im Vorfeld internationaler Organisiertheit“77.

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Jackson, World Trade and the Law of GATT, S. 145 ff.; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 226 f.; Köpernik, JuS 1976, S. 779 (782); Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, S. 75. 73 Entscheidung der GATT-Vertragsparteien, BISD (1961) 9S/8. 74 Speziell hierzu vgl. ausführlich unten 1. Teil C. III. 1. b) cc) (2) (c) (bb). 75 Senti, GATT, S. 53 ff.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7, Rn. 3. 76 Montana I Mora, Columbia Journal of Transnational Law 1993, S. 103 (107 f.), Harbrecht, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, in: Dichtl/Issing (Hrsg.), Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Band 1, S. 58; Benedek, VN 1995, S. 13 (14); Köpernik, JuS 1976, S. 779 (781); Hailbronner/Bierwagen, JA 1988, S. 318 (320); Ipsen/Haltern, RIW 1994, S. 717 (718). 77 Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (388); Patterson/Patterson, Minnesota Journal of Global Trade 1994, S. 35 (37); Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 44, Rn. 34; Kulessa, World Trade Organization, Welthandelsorganisation, in: Altmann/Kulessa (Hrsg.), Internationale Wirtschaftsorganisationen, S. 283 (284).

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IV. Fortentwicklung über Handelsrunden und Sonderabkommen Wesentliches Instrument zur Weiterentwicklung dieses institutionell verfestigten Systems waren die in den Folgejahren immer wieder stattfindenden Handelsrunden (Art. XXVIIIbis GATT 1947), im Rahmen derer der erreichte Abbau von Handelshemmnissen ein stetiges und nicht unerhebliches weltwirtschaftliches Wachstum ermöglichen konnte78. Unter der verantwortlichen Leitung des GATT-Sekretariats wurden von den Vertragsparteien acht solcher Handelsrunden durchgeführt79 und zwar in Genf (1947); Annecy (1949); Torquay (1950/51); Genf (1955/56); Genf (1960–62, sog. Dillon-Runde); Genf (1964–67, sog. Kennedy-Runde); Genf (1973–79, sog. Tokio-Runde), Genf (1986–94, sog. Uruguay-Runde)80. Während der Schwerpunkt der Verhandlungen hierbei zunächst auf der Reduzierung der Zölle lag81, rückten seit der Kennedy-Runde auch Verhandlungen über sog. nichttarifäre Handelshemmnisse, wie etwa mengenmäßige Beschränkungen, Subventionen technische Standards und Einfuhrlizensierungen stärker in den Vordergrund82. Denn die Zölle konnten durch die GATT-Runden zwar weltweit erfolgreich und stetig gesenkt werden, dafür gingen aber die Staaten mehr und mehr dazu über, mittels nicht-zollbedingter Handelsschranken neue Formen des Protektionismus anzuwenden83. Insgesamt konnten sich die Verhandlungsrunden im Laufe der Zeit zu einer Plattform konstruktiver Rechtsfortbildung entwickeln, und man begann damit, die ursprüngliche 78 Von einer Zunahme des weltweiten Handels um durchschnittlich jährlich etwa 6% gehen aus z. B. Neuschwander, WTO/GATT (Welthandelsorganisation), in: Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik, S. 550; Hauser/Schanz, Das neue GATT, S. 47; Wartenweiler, VN 1994, S. 87 (90); Irwin, The American Economic Review 85 (1995) Nr. 2, S. 323 (326). 79 Während der ersten fünf Zollrunden wurden die Verhandlungen auf bilateraler Ebene geführt. Später verständigte man sich dann auf eine zeitsparende multilaterale Verhandlungsführung; näher hierzu Steinmetzler, DZWir 1997, S. 494 (495, Fn. 6); Senti, GATT, S. 57 ff. 80 Für einen Überblick über die einzelnen Verhandlungsgegenstände vgl. Lowenfeld, International Economic Law, S. 46 ff.; Senti/Conlan, WTO – Regulation of World Trade after the Uruguay Round, S. 16 f.; Yüksel, GATT/WTO, S. 49 ff. 81 Senti, GATT, S. 78, Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7, Rn. 5 f.; Bail, EuZW 1990, S. 433; Borchmann, EuZW 1990, S. 339. 82 Köpernik, JuS 1976, S. 779 (782); Hauser/Schanz, Das neue GATT, S. 9; Senti, WTO, Rn. 88; Yüksel, GATT/WTO, S. 59 ff.; Krenzler, Die Nachkriegsordnung des Welthandelssystems: Von der Havanna-Charta zur WTO, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.I., Rn. 17. 83 Benedek, GATT – Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, in: Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, Rn. 26; Patterson/Patterson, Minnesota Journal of Global Trade 1994, S. 35 (38); Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 98 ff.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

Fassung des GATT zu überarbeiten, neu auszulegen und zu ergänzen84. Da die erforderliche Mehrheit für Vertragsänderungen in der Regel nicht zu erreichen war85, wurden die in den Handelsrunden erzielten Ergebnisse allerdings nicht auf dem Wege der Vertragsänderung in das GATT 1947 selbst aufgenommen, sondern in einer Vielzahl separater Vereinbarungen (sog. Sonderabkommen86) festgehalten87. Deren Mitgliederbestand war keineswegs mit dem des Allgemeinen Abkommens identisch, und so entwikkelte sich im Laufe der Zeit ein vielschichtiges Rechtssystem (GATT à la carte). Im Unterschied zum Allgemeinen Abkommen enthielten die Sonderabkommen nicht lediglich Sonderbestimmungen etwa hinsichtlich der Streitbeilegung oder der bevorzugten Behandlung von Entwicklungsländern, sondern sahen auch eigene Organe vor, die neben die Organe des GATT 1947 traten88. Der daraus resultierende unterschiedliche Verpflichtungsgrad der einzelnen Vertragsparteien beeinträchtigte nicht nur die Transparenz der welthandelsrechtlichen Regelungen, sondern führte immer mehr auch dazu, daß das GATT-System die aufkommenden Probleme des Welthandels nicht mehr zu lösen imstande war.

84 Jackson, The World Trading System, S. 75 f.; Heselhaus, JA 1999, S. 76; Yüksel, GATT/WTO, S. 48; Schoch, Unbestimmte Rechtsbegriffe im Rahmen des GATT, S. 35 ff.; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 106. 85 Zweidrittelmehrheits- bzw. Einstimmigkeitserfordernis gem. Art. XXX GATT 1947. 86 Bereits vor der Tokio-Runde wurden auf diese Weise abgeschlossen: das Abkommen über den Baumwollhandel, das Welttextilabkommen von 1973, das internationale Getreideabkommen von 1967 und das Antidumping-Abkommen von 1967. Abkommen der Tokio-Runde – im GATT-Sprachgebrauch als Kodizes bezeichnet – waren etwa das Abkommen über Subventionen und Ausgleichszölle, über Antidumpingmaßnahmen, über den Zollwert, über das öffentliche Beschaffungswesen, technische Handelshemmnisse, Importlizenzen, Handel mit Zivilluftfahrzeugen, sowie Rindfleisch und Milchprodukte; vgl. ausführlich Senti, WTO, Rn. 87 ff.; eine Zusammenstellung aller Übereinkommen der Tokio-Runde bei Hummer/Weiss, S. 173 ff. 87 Benedek, GATT – Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, in: Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, Rn. 11; Patterson/Patterson, Minnesota Journal of Global Trade 1994, S. 35 (39); Leebron, Columbia Journal of Transnational Law 1995, S. 11; Hanel, ZfZ 1996, S. 104 (108); Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7, Rn. 7; Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus der Neuen Welthandelsordnung, in: Klein/Meng/Rode (Hrsg.), Die neue Welthandelsordnung der WTO, S. 19 (41). 88 Benedek, GATT – Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, in: Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, Rn. 21 ff.; Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (264 f.); Hailbronner/Bierwagen, JA 1988, S. 318 (323).

B. Historischer Hintergrund und Gründung der WTO

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V. Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) Die Notwendigkeit einer neuen Welthandelsrunde wurde bereits Anfang der achtziger Jahre und damit kurz nach dem Abschluß der Tokio-Runde deutlich. Der zunehmende Anteil von Dienstleistungen am internationalen Wirtschaftsverkehr, die Frage der Auslandsinvestitionen sowie der als unzureichend empfundene Schutz des geistigen Eigentums durch die Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization, WIPO) ließen Forderungen nach einer Einbeziehung dieser Teilbereiche in das GATT 1947 immer lauter werden89. Auch gingen die Vertragsparteien in bestimmten, vom GATT grundsätzlich erfaßten Bereichen90 mehr und mehr dazu über, eine GATT-widrige, protektionistische Politik zu verfolgen, welche aufgrund der Schwerfälligkeit und Ineffizienz des multilateralen Streitschlichtungsverfahrens91 zumeist ungeahndet blieb und einer allgemeinen Aufweichung der Handelsregeln Vorschub leistete92. Vor dem Hintergrund der bereits angesprochenen Rechtsfortbildung durch Abschluß separater Abkommen bestand damit nicht nur die Gefahr der zunehmenden Zersplitterung der GATT-Rechtsordnung93, sondern auch die einer fortschreitenden Erosion des GATT-rechtlichen Ordnungsanspruchs insgesamt94. Diese und weitere Defizite der GATT-Handelsordnung95 machten eine grundlegende Reform 89 Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (246); Jansen, EuZW 1994, S. 333 (334); Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 44, Rn. 41. 90 So unterlag etwa der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und Textilien praktisch Sonderordnungen; daneben führten sog. „Grauzonenmaßnahmen“ in Form freiwilliger Selbstbeschränkungsabkommen (Voluntary Export Restraints) sowie multilateraler Beschränkungsabkommen (Orderly Market Agreements) zu einer Regelung von Handelsfragen außerhalb des GATT und abweichend von seinen Grundsätzen und Zielen, dazu Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (246 f. und 294 f.); Hauser/ Schanz, Das neue GATT, S. 45; Kimminich/Hobe, Völkerrecht, S. 330; Hailbronner/Bierwagen, JA 1988, S. 318 (325). 91 Im einzelnen hierzu unten 1. Teil C. III. 1. b) cc) (2) (a). 92 Hauser/Schanz, Das neue GATT, S. 46 f.; Beise, Vom alten zum neuen GATT – Zu den neuen Dimensionen der Welthandelsordnung, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Europäische und Internationale Wirtschaftsordnung aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland, S. 179 (196); Dolzer, Wirtschaft and Kultur im Völkerrecht, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (503); Senti, WTO, Rn. 167. 93 Vgl. Jackson, Law and Policy in International Business 1980, S. 21 (52), der von einer „Balkanisierung“ des GATT spricht; Dillon, Michigan Journal of International Law 1995, S. 349 (359 – „GATT à la carte“); Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 106 – „Zersplitterung“; Tietje, Einführung zur Textsammlung WTO, S. X („Wildwuchs“); Wartenweiler, VN 1994, S. 87 (88 – „Fragmentierung“); Oppermann, RIW 1995, S. 919 (922 – „Flickenteppich“). 94 Oppermann/Beise, EA 1991, S. 449 (452); Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 87.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

nötig, und die am 20. September 1986 formell von 74 Teilnehmerstaaten96 eingeleitete Uruguay-Runde sollte hier Abhilfe schaffen. 1. Die WTO als Teil der Verhandlungsergebnisse der Uruguay-Runde Durch die gemeinsame Erklärung von Punta del Este (Uruguay)97 wurde am 20. September 1986 auf einer Sondertagung der GATT-Vertragsparteien der Verhandlungsrahmen der Uruguay-Runde festgelegt. Ziel dieser auf Ministerebene stattfindenden Handelsgespräche war, neben der Überarbeitung und Weiterentwicklung von klassischen Bereichen der Handelsliberalisierung (Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen) neue Themen in den GATT-Kontext mit einzubeziehen und auf diese Weise neben einer Verbesserung der Marktzugangschancen die multilateralen Handelsregeln zu stärken bzw. zu ergänzen98. a) Verhandlungsmandat und -verlauf Das beschlossene Verhandlungsmandat umfaßte hierbei einen breiten Katalog unterschiedlicher Themenbereiche, der sich wie folgt einteilen läßt: (1) Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse, (2) besondere Sektoren wie etwa Rohstoffprodukte, Landwirtschaft und Textilien, (3) Reform der herkömmlichen GATT-Regeln vor allem im Hinblick auf Schutzmaßnahmen, GATT-Kodizes, Subventionen, Ausgleichszölle und Streitschlichtung, (4) neue Elemente der Welthandelsordnung wie beispielsweise Investitionsmaßnahmen, Schutz des geistigen Eigentums sowie Dienstleistungen, und schließlich (5) das Funktionieren des GATT-Systems insgesamt als allgemeine verhandlungsleitende Maxime99. 95

Näher Jackson, GYIL 39 (1996), S. 20 (21); Beise, Vom alten zum neuen GATT – Zu den neuen Dimensionen der Welthandelsordnung, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Europäische und Internationale Wirtschaftsordnung aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland, S. 179 (192 ff.); Krenzler, Die Nachkriegsordnung des Welthandelssystems: Von der Havanna-Charta zur WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.I., Rn. 18 f. 96 May, EA 1994, S. 33; Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 88. 97 Ministerial Declaration on the Uruguay Round, Doc. GATT/1395 vom 25.9.1986, BISD 33S/19-28; abgedruckt in Jackson, The World Trade Organization, Constitution and Jurisprudence, Appendix G, S. 180–189; siehe auch Hummer/ Weiss, S. 280 ff. 98 Jackson, The World Trading System, S. 305; Oppermann/Beise, EA 1991, S. 449 (452); Hauser/Schanz, Das neue GATT, S. 51; Hasse, GATT und WTO im Vergleich, in: Kantzenbach/Mayer (Hrsg.), Von der internationalen Handels- zur Wettbewerbsordnung, S. 59 (60 f.).

B. Historischer Hintergrund und Gründung der WTO

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Zunächst nicht erfaßt von diesem Mandat war die Gründung einer neuen Internationalen Handelsorganisation100. Institutionelle Fragen sollten lediglich im Rahmen des seit 1947 bestehenden Allgemeinen Abkommens behandelt werden101. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1991 wurden nach längeren Vorgesprächen über den Nutzen einer solchen Organisation102 die eigentlichen Verhandlungen zur Schaffung einer Welthandelsorganisation intensiviert103. Abgesehen von den bereits erwähnten Aspekten enthielt das Mandat der Ministererklärung von Punta del Este erstmals ausführliche Regelungen zum Verfahrensablauf und führte sogar eine Reihe allgemeiner Grundsätze an, die während der laufenden Verhandlungen als sog. Verhandlungsmaximen gelten sollten. Hierzu zählten unter anderem die Sicherstellung von Transparenz bei den Verhandlungen (Transparenzprinzip), das Prinzip der Einheit der Verhandlungen sowie ihres Ergebnisses (single undertaking approach)104, die Unterstreichung der Ausgewogenheit der Konzessionen innerhalb der verschiedenen Bereiche (Prinzip der Reziprozität) sowie die 99 Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (248); vgl. auch Lowenfeld, AJIL 1994, S. 477; Borchmann, RIW 1987, S. 444 (446); Schulz, ZfZ 1994, S. 162; Stobbe, ZfZ 2000, S. 223 (226); Wolfrum, Das internationale Recht für den Austausch von Waren und Dienstleistungen, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 2, S. 535 (584); ausführlich zu den Verhandlungsthemen Bail, EuZW 1990, S. 433 (437 ff. sowie 465 ff.). 100 Jackson, The World Trade Organization, Constitution and Jurisprudence, S. 5 und 27; Patterson/Patterson, Minnesota Journal of Global Trade 1994, S. 35 (41); Hanel, ZfZ 1996, S. 138; Steinmetzler, DZWir 1997, S. 494 (497). 101 Ipsen/Haltern, RIW 1990, S. 717 (719); Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 86. 102 Nach vorbereitenden europäischen Initiativen hatte Kanada im April 1990 den Vorschlag zur Errichtung einer World Trade Organization (WTO) zum Verhandlungsgegenstand der Uruguay-Runde gemacht. Beide Initiativen gingen maßgeblich auf wissenschaftliche Vorarbeiten von John H. Jackson (Jackson, Restructuring the GATT System, S. 91 ff.) zurück. Als die EG den kanadischen Vorschlag Ende des Jahres 1990 wieder aufnahm, schlug sie als Bezeichnung der Organisation hingegen Multilateral Trade Organization (MTO) vor, weil unter der Bezeichnung „WTO“ bereits die Welttourismusorganisation (Madrid) firmierte. Die Benennung MTO wurde im Laufe der weiteren Verhandlungen beibehalten und erst unmittelbar vor Abschluß der Uruguay-Runde auf Betreiben der USA wieder in WTO geändert; zum Ganzen Bail, GATT und WTO im Vergleich, in: Kantzenbach/Mayer (Hrsg.), Von der internationalen Handels- zur Wettbewerbsordnung, S. 85 (86 f.). 103 Patterson/Patterson, Minnesota Journal of Global Trade 1994, S. 35 (43 ff.); Jackson, The World Trade Organization, Constitution and Jurisprudence, S. 5; Oppermann/Beise, EA 1990, S. 493 (497 f.). 104 Mit dem Prinzip des Einheitsübereinkommens (single undertaking approach) soll eine einheitliche Verpflichtungsstruktur erreicht und die Aufsplitterung des Welthandelsrechts in verschiedene selbständige Handelsinstrumente mit unterschiedlicher Mitgliedschaft verhindert werden.

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Anerkennung einer, wenn auch abgestuften Sonderbehandlung der Entwicklungsländer (Prinzip der Sonderbehandlung der Entwicklungsländer)105. Dem Mandat der Ministererklärung entsprechend wurden die Verhandlungen in insgesamt zwei große Bereiche aufgeteilt und zwar in die „Verhandlungen über den Warenhandel“ und die „Verhandlungen über die Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen“. Für beide Bereiche wurden selbständige Verhandlungsgruppen106 gebildet, die einem übergeordneten Ausschuß für Handelsverhandlungen (Trade Negotiation Committee) zu berichten hatten107. Grund für diese Zweiteilung war, daß in den Zuständigkeitsbereich des bisherigen GATT 1947 lediglich Verhandlungen über den Warenhandel fielen und man die Zuständigkeitsfragen hinsichtlich des Handels mit Dienstleistungen zunächst noch offen lassen wollte108. Zwar war in der Ministererklärung für die Uruguay-Runde eine Dauer von vier Jahren vorgesehen, der Verhandlungsverlauf selbst gestaltete sich jedoch zum Teil schwieriger als ursprünglich angenommen und konnte daher nicht planmäßig auf der im Dezember 1990 in Brüssel stattfindenden Ministerkonferenz abgeschlossen werden. Insbesondere die unüberbrückbaren Differenzen der Beteiligten im Agrar- und Textilhandel führten letztlich dazu, daß eine akzeptable Kompromisslösung nicht gefunden werden konnte und die Brüsseler Ministerkonferenz damit gescheitert war109. Allerdings rückte die weltwirtschaftliche Thematik nun schlagartig ins öffentliche Blickfeld. Man befürchtete einen Rückfall in neue Formen des Protek105 Ausführlich Bail, EuZW 1990, S. 433 (436); Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (248 f.). 106 Verhandlungsgruppe für den Warenhandel (Group of Negotiations on Goods) bzw. Verhandlungsgruppe für Dienstleistungen (Group of Negotiations on Services). Erstere fungierte dabei als Aufsichts- und Koordinierungsorgan, dem weitere 14 Arbeitsgruppen unterstanden. Dies sind entsprechend der bereits erwähnten Verhandlungsthemen: die Verhandlungsgruppen für Zölle, nicht-tarifäre Maßnahmen, Rohstoffprodukte, Textilien, Landwirtschaft, tropische Produkte, GATT-Artikel, Kodizes und sonstige Vereinbarungen der Tokio-Runde, Schutzmaßnahmen, Subventionen und Ausgleichszölle, handelsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte, handelsrelevante Investitionsmaßnahmen, Streitschlichtung, Funktion des GATT-Systems. Daneben trat mit dem Surveillance Body ein Überwachungsorgan, dessen Aufgabe in der Überwachung des politischen Engagements bestand, keine neuen, GATT-widrigen protektionistischen Maßnahmen während der Verhandlungsdauer einzuführen bzw. bestehende derartige Maßnahmen zurückzuführen. 107 Borchmann, EuZW 1990, S. 339 (340); Ipsen/Haltern, RIW 1994, S. 717. 108 Beide Bereiche unterscheiden sich zudem in der Form der Beschlussfassung. Hinsichtlich der Verhandlungen über den Warenhandel werden die Vertragsparteien, für die Verhandlungen über den Dienstleistungshandel hingegen die anwesenden Minister als beschlussfassendes Organ genannt; vgl. Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (247 und 323). 109 Oppermann/Beise, EA 1991, S. 449 (450, 454); Bail, EuZW 1991, S. 32.

B. Historischer Hintergrund und Gründung der WTO

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tionismus und eine stärkere Regionalisierung durch die Bildung von Handelsblöcken. Nach der Wiederaufnahme der Verhandlungen im Februar 1991110 konnte der damalige Generalsekretär Arthur Dunkel schließlich im Dezember 1991 einen mehr als 400 Seiten starken Entwurf für ein Schlußdokument (sog. Dunkel-Draft111) vorlegen und in diesem Werk aus 28 Einzelübereinkommen die bisherigen Ergebnisse zusammenfassen112. Auch wenn nun erstmals ein, zumindest in seiner äußeren Form, geschlossener Entwurf eines Abschlußdokuments vorlag und viele Teilnehmerstaaten sogar bereit waren, den Text in seiner vorliegenden Fassung zu unterzeichnen, scheiterte eine Einigung an der ablehnenden Haltung der USA, der EG und Japan als den maßgeblichen Verhandlungsparteien113. Die Beratungen wurden fortgesetzt und zum eigentlichen Verhandlungsdurchbruch kam es erst Ende 1992 mit dem sog. Blair-House-Abkommen, welches zu einer Beilegung des zwischen der EG und den USA geführten Handelsstreits über EG-Agrarsubventionen führte114. Aufgrund einer Reihe noch offener Fragen115 dauerte es jedoch ein weiteres Jahr, bis am 15. Dezember 1993 die Verhandlungen in Genf nach mehr als sieben Jahren erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Ihr förmliches Ende fand die achte Welthandelsrunde genau vier Monate später mit der am 15. April 1994 in Marrakesch (Marokko) erfolgten feierlichen Unterzeichnung der sog. Schlußakte von Marrakesch116. Durch diese verpflichteten sich die insgesamt 111 Signatarstaaten, das Übereinkommen über die 110 Die Verhandlungsgruppen wurden hierbei auf sechs Problemfelder (Marktzugang, Textilien, Agrarhandel, Regeln und Disziplinen, handelsrelevante Aspekte geistiger Eigentumsrechte sowie institutionelle Fragen) reduziert, um die noch nicht ausgehandelten Problemfelder doch noch einer Lösung zuzuführen, vgl. Benedek, Einführung in die Ergebnisse der Uruguay-Runde, in: Thürer/Kux (Hrsg.), GATT 94 und die Welthandelsorganisation, S. 17 (20). 111 Draft Final Act Embodying the Results of the Uruguay Round of Multilateral Trade Negotiations, GATT Doc. MTN.TNC/W/FA (Dec. 20, 1991). 112 Jackson, The World Trade Organization, Constitution and Jurisprudence, S. 28; Beise, Vom alten zum neuen GATT – Zu den neuen Dimensionen der Welthandelsordnung, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Europäische und Internationale Wirtschaftsordnung aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland, S. 179 (206); May, EA 1994, S. 33 f. 113 May, EA 1994, S. 33 (34); Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 89. 114 Oppermann/Beise, EA 1993, S. 1 (5 ff.); Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (251); Ipsen/Haltern, RIW 1994, S. 717; Senti, WTO, Rn. 266 f. 115 Dazu eingehend Krenzler, Die Nachkriegsordnung des Welthandelssystems: Von der Havanna-Charta zur WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.I., Rn. 27 ff.; Beise, WTO, S. 67 ff. 116 Abgedruckt in Hummer/Weiss, S. 300; für einen Überblick über den Inhalt der Schlussakte siehe Ipsen/Haltern, RIW 1994, S. 717 (722); Schulz, ZfZ 1994, S. 162 ff.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

Errichtung der Welthandelsorganisation nach den jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften zu ratifizieren117. Zugleich wurden hiermit die Erklärungen und Beschlüsse der Minister zur Uruguay-Runde angenommen (Ministerial Decisions and Declarations). Zwar bildet die Schlußakte genaugenommen die rechtliche Grundlage der Entstehung des modernen Welthandelssystems, letztlich erschöpft sich ihre Wirkung jedoch weitestgehend in diesem „Geburtsakt“118. Die zentrale Bedeutung kommt vielmehr dem WTO-Übereinkommen zu, welches als völkerrechtliches Rahmenübereinkommen gleichsam den Überbau des gesamten Welthandelssystems bildet. Da diesbezüglich eine Unterzeichnung wegen der internen Rechtslage nicht allen Verhandlungspartnern möglich war119, wurde das WTO-Übereinkommen getrennt und zumeist unter dem Vorbehalt der Ratifikation von insgesamt 104 Teilnehmern unterzeichnet120. b) Verhandlungsergebnisse und Inkrafttreten der Übereinkommen Die Uruguay-Runde wird allgemein als Meilenstein in der Entwicklung des Welthandels betrachtet, durch die alle bisherigen Verhandlungsrunden in den Schatten gestellt werden121. In materieller Hinsicht führte nicht nur der weitere Abbau von Zöllen sowie nichttarifären Handelshemmnissen zu einer weiterreichenden Handelsliberalisierung122. Erstmals wurden neben dem Warenhandel auch die bisher nicht vom GATT erfaßten Bereiche Dienstleistungen, geistige Eigentumsrechte und Investitionen in den multilateralen 117 Damit haben von den insgesamt 125 Teilnehmerstaaten der Uruguay-Runde nur 14 Staaten die Schlußakte nicht unterzeichnet. Dies sind Burkina Faso, Dominikanische Republik, Gambia, Grenada, Haiti, Lesotho, die Malediven, St. Kitts and Nevis, St. Vinzent und die Grenadinen, Sierra Leone, Tschad, Togo, Ruanda und Swaziland. 118 Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 104. 119 Zur Problematik der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft (EG) und ihren Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Unterzeichnung der einzelnen Übereinkommen Hilf, EuZW 1995, S. 7 (7 f.); Neugärtner/Puth, JuS 2000, S. 640 ff.; Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, S. 190 ff.; Hilpold, Die EU im GATT/WTO-System, S. 51 ff. 120 Wegen der Gestaltung des innerstaatlichen Zustimmungsverfahrens haben die USA, Australien, Japan sowie einige weitere Staaten das WTO-Übereinkommen nicht unterzeichnet, vgl. Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (255); Benedek, VN 1995, S. 13 (15); Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, GATT-WTO-GATS, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 47 (67). 121 Vgl. nur Jackson, The World Trading System, S. 49; Wartenweiler, VN 1994, S. 87 ff. 122 Hanel, ZfZ 1996, S. 138 (141); Schulz, ZfZ 1994, S. 162 (164); Yüksel, GATT/WTO, S. 52 ff.; Beise, WTO, S. 92 ff. spricht von bis zu 12% Steigerung des Welthandelsvolumens.

B. Historischer Hintergrund und Gründung der WTO

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Liberalisierungsprozeß miteinbezogen. Ferner gelang die Reintegration des internationalen Agrarhandels, und auch die bisherigen Subventions- und Antidumpingübereinkommen wurden weitgehend überarbeitet bzw. ergänzt. Abgesehen von lediglich vier plurilateralen Übereinkommen wurden alle sechzehn Sonderabkommen multilateralisiert123. Am herausragendsten ist jedoch, daß der internationale Handel mit Gründung der Welthandelsorganisation fortan auf einer institutionellen Grundlage beruht124. Bereits die Kurzübersicht über Aufbau bzw. Inhalt der Schlußakte vermag die umfangreichen Verhandlungsergebnisse der Uruguay-Runde widerzuspiegeln und verdeutlicht zugleich die historische Dimension dieses Vertragswerkes, dessen eigentlicher Vertragstext dabei etwa 550 Seiten beträgt, inklusive aller Anhänge und Konzessionslisten jedoch weit mehr als 20 000 Seiten umfaßt125. Schlußakte über die Ergebnisse der multilateralen Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde (Final Act Embodying the Results of the Uruguay Round of Multilateral Trade Negotiations)126 Teil I – Schlußakte (Final Act Embodying the Results of the Uruguay Round of Multilateral Trade Negotiations127) Teil II – Übereinkommen über die Errichtung der Welthandelsorganisation (Agreement Establishing the World Trade Organization) Annex 1A: Übereinkommen über den Warenhandel (Agreements on Trade in Goods) 1. Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen 1994 (General Agreement on Tariffs and Trade 1994 – GATT 1994) 123 Hierzu im Überblick Senti, Die neue Welthandelsordnung, ORDO 45 (1994), S. 301 ff.; Barth, NJW 1994, S. 2811; Auf der Heide, WISU 1997, S. 886; Jackson, GYIL 39 (1996), S. 20 (21); Sauernheimer, Die neue Welthandelsordnung, in: Frenkel/Bender (Hrsg.), GATT und neue Welthandelsordnung, S. 227 (228); Oppermann/Beise, EA 1994, S. 195 (196); zur Unterscheidung zwischen multi- und plurilateralen Übereinkommen näher unten 1. Teil C. III. 2. 124 Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus der Neuen Welthandelsordnung, in: Klein/Meng/Rode (Hrsg.), Die neue Welthandelsordnung der WTO, S. 19 (47). 125 Jackson, The World Trade Organization, Constitution and Jurisprudence, S. 36; Petersmann, EJIL 1995, S. 161 (189); Benedek, Einführung in die Ergebnisse der Uruguay-Runde, in: Thürer/Kux (Hrsg.), GATT 94 und die Welthandelsorganisation, S. 17 (24). 126 Abgedruckt bei Hummer/Weiss, S. 300 ff.; außerdem BGBl. 1994 II, S. 1441 ff. (authentische englische Fassung) und S. 1624 ff. (deutsche Fassung). 127 Der Begriff Schlußakte findet zweifache Verwendung: er bezeichnet sowohl das gesamte Abschlußdokument als auch den lediglich eine Seite umfassenden ersten Teil, in dem sich die nationalen Regierungen verpflichten, die nötigen Schritte für eine Zustimmung zu erbringen.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung 2. Protokoll zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen 1994 (Marrakesh Protocol to GATT 1994) 3. Übereinkommen über die Landwirtschaft (Agreement on Agriculture) 4. Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (Agreement on Sanitary and Phytosanitary Measures) 5. Übereinkommen über Textilwaren und Bekleidung (Agreement on Textiles and Clothing) 6. Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (Agreement on Technical Barriers to Trade) 7. Übereinkommen über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen (Agreement on Trade-Related Investment Measures) 8. Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zollund Handelsabkommens 1994 – „Antidumping“ (Agreement on Implementation of Article VI of GATT 1994) 9. Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VII des Allgemeinen Zollund Handelsabkommens 1994 – „Zollwert“ (Agreement on Implementation of Article VII of GATT 1994)

10. Übereinkommen über Vorversandkontrollen (Agreement on Preshipment Inspection) 11. Übereinkommen über Ursprungsregeln (Agreement on Rules of Origin) 12. Übereinkommen über Einfuhrlizenzverfahren (Agreement on Import Licensing Procedures) 13. Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen (Agreement on Subsidies and Countervailing Measures) 14. Übereinkommen über Schutzmaßnahmen (Agreement on Safeguards) Annex 1B: Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services – GATS) Annex 1C: Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, Including Trade in Counterfeit Goods – TRIPS) Annex 2 Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes – DSU) Annex 3 Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik (Trade Policy Review Mechanism – TPRM) Annex 4 Plurilaterale Handelsabkommen (Plurilateral Trade Agreements) a) Übereinkommen über den Handel mit Zivilluftfahrzeugen (Agreement on Trade in Civil Aircraft) b) Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (Agreement on Government Procurement)

B. Historischer Hintergrund und Gründung der WTO

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c) Internationale Übereinkunft über Milcherzeugnisse (International Dairy Arrangement) d) Übereinkunft über Rindfleisch (Arrangement Regarding Bovine Meat) Teil III – Beschlüsse und Erklärungen der Minister (Ministerial Decisions and Declarations)

Gem. Nr. 3 der Schlußakte war diese den jeweils zuständigen Stellen der Vertragsparteien zur Annahme vorzulegen. Abgesehen von den plurilateralen Übereinkommen konnten die Parteien das Vertragswerk nur in seiner Gesamtheit annehmen. Der genaue Zeitpunkt des Inkrafttretens des WTOÜbereinkommens wurde gem. Art. XIV Abs. 1 Satz 3 WTO-Übereinkommen i. V. m. Nr. 3 der Schlußakte durch eine Implementierungskonferenz am 12. Dezember 1994 in Genf festgelegt und zwar auf den 1. Januar 1995. Da zu diesem Zeitpunkt bereits klar war, daß die Anzahl der bereits erfolgten Ratifizierungen128 als genügend repräsentativ anzusehen war129, konnte das Vertragswerk plangemäß zum 1. Januar 1995 in Kraft treten130. 2. Übergang vom GATT 1947 zur WTO Das WTO-Übereinkommen differenziert gem. Art. II Abs. 4 zwischen GATT 1947 und GATT 1994. Entsprechend dieser in der Uruguay-Runde eingeführten Unterscheidung wird als GATT 1947 das ursprüngliche Allge128 Bereits Mitte des Jahres 1994 stimmten der Deutsche Bundestag sowie der Deutsche Bundesrat dem WTO-Vertragswerk zu (vgl. Gesetz zu dem Übereinkommen vom 15.4.1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation und zur Änderung anderer Gesetze, BGBl. 1994 II, S. 1438 ff. und Bekanntmachung BGBl. 1995 II, S. 456). Ende 1994 hatten auch die USA und Japan das WTO-Übereinkommen ratifiziert; zur nationalen Umsetzung in Deutschland, Barth, NJW 1994, S. 2811 (2812); zur Umsetzung in den USA ausführlich Baab, GATT und WTO im Recht der USA, S. 57 ff. 129 Entsprechend einer internen Vereinbarung sollte das WTO-Übereinkommen erst in Kraft treten, wenn eine repräsentative Teilnahme aus allen Wirtschaftsregionen mit einem Welthandelsanteil von zumindest zwei Dritteln erreicht war; dazu Wartenweiler, VN 1994, S. 87 (88); Benedek, VN 1995, S. 13 (15); Jansen, EuZW 1994, S. 333 (335 f.). 130 Dabei gelten als originäre bzw. ursprüngliche WTO-Mitglieder (original members) diejenigen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der WTO bereits Vertragsparteien des GATT 1947 waren und die den multilateralen Teil des WTO-Vertragswerkes übernommen haben (vgl. Nr. 4 der Schlußakte von Marrakesch i. V. m. Art. XIV Abs. 1 WTO-Übereinkommen). Zu dieser Gruppe gehört auch die EG, obwohl diese de iure nicht Vertragspartei des GATT 1947 war (vgl. Art. XI Abs. 1 und XIV Abs. 1 WTO-Übereinkommen); zum Ganzen Petersmann, The EEC as a GATT Member – Legal Conflicts Between GATT Law and European Community Law, in: Hilf/Jacobs/Petersmann (Hrsg.), The European Community and GATT, S. 23 ff.; Oppermann, RIW 1995, S. 919 (922).

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

meine Zoll- und Handelsabkommen mit all den Änderungen bezeichnet, die bis Ende 1994 in Kraft getreten sind. Das GATT 1994 hingegen stellt die neue, durch die Uruguay-Runde modifizierte Form des GATT 1947 dar. Mit Ausnahme des Protokolls über die vorläufige Anwendung131 beruht es damit zwar inhaltlich auf dem GATT 1947, erweitert dieses jedoch um wichtige Interpretations- bzw. Auslegungsregeln und sonstige Vereinbarungen132. Hinzu tritt das Marrakesch Protokoll, das alle Zugeständnisse eines jeden WTO-Mitglieds hinsichtlich der Beseitigung bzw. Senkung von Zöllen und nichttarifären Maßnahmen enthält133. Insbesondere an Art. XVI WTO-Übereinkommen wird deutlich, daß die WTO damit in institutioneller Hinsicht gewissermaßen an die Stelle des alten GATT 1947 getreten ist. So wird in Abs. 1 bestimmt, daß sich die WTO grundsätzlich von den Beschlüssen, Verfahren und üblichen Praktiken der Vertragsparteien des GATT 1947 sowie der durch diese eingesetzten Organe leiten lassen soll. Auch ist das GATT-Sekretariat in Genf als Sekretariat der WTO übernommen und der letzte Generaldirektor des GATT 1947 zumindest vorläufig mit den Aufgaben des Generaldirektors der WTO betraut worden (Art. XVI Abs. 2 WTO-Übereinkommen). Schließlich wurde in einem zwischen GATT 1947, der ICITO und der WTO abgeschlossenes Übergangsabkommen bestimmt, daß alle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten mit Inkrafttreten der WTO auf diese übergehen sollen134. Allerdings stellen rechtlich gesehen GATT 1947 und das WTO-Übereinkommen nebst aller seiner Anhänge zwei verschiedene und voneinander unabhängige Vertragssysteme dar. Weder ist die WTO Nachfolgeorganisation des in institutioneller Hinsicht als de facto Internationale Organisation angesehenen GATT 1947, noch ist das GATT 1994 Nachfolgevertrag des GATT 1947 im Sinne von Art. 30 WVK135. Vor allem aus vertragstechni131 Vgl. Einführender Text (Introductory Note) zum GATT 1994 unter Nr. 1 b) ii). Dies bedeutet, daß für das GATT die vorläufige Anwendung entfällt und auch die sog. grandfather clause nicht weiter fortbesteht; vgl. zum Ganzen Jackson, The World Trading System, S. 48; Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (266); Benedek, Einführung in die Ergebnisse der Uruguay-Runde, in: Thürer/Kux (Hrsg.), GATT 94 und die Welthandelsorganisation, S. 17 (24). 132 Hanel, ZfZ 1996, S. 138 (140 ff.); Benedek, Einführung zur Textausgabe WTO, S. 9 ff. 133 Einführender Text (Introductory Note) zum GATT 1994 unter Nr. 1 d). 134 Agreement on the Transfer of Assets, Liabilities, Records, Staff and Functions from the Interim Commission of the International Trade Organization and the GATT to the World Trade Organization, vom 31.01.1995, WT/L/36; abgedruckt bei Hummer/Weiss, S. 312 ff. 135 Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 44, Rn. 43; Ipsen/Haltern, RIW 1994, S. 717 (719); Hanel, ZfZ 1996, S. 138 (140); Jansen, EuZW 1994, S. 333 (334).

B. Historischer Hintergrund und Gründung der WTO

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schen Gründen136 existierte das GATT 1947 für eine einjährige Übergangszeit weiter137 und wurde in dieser Zeit auch durchaus noch tätig wie beispielsweise bei der Entscheidung bereits anhängiger Streitfälle138. Mit Ablauf des 31. Dezembers 1995 verlor das GATT 1947 dann seine völkerrechtliche Existenz139. 3. Die WTO als Internationale Organisation Im Gegensatz zum bisherigen GATT wird durch Art. VIII WTO-Übereinkommen unmißverständlich klargestellt, daß die WTO eine Internationale Organisation im völkerrechtlichen Sinne darstellt. Sie genießt Rechtspersönlichkeit140 und jedes ihrer Mitglieder räumt ihr neben der Rechtsfähigkeit auch diejenigen Vorrechte und Immunitäten ein, die zur Wahrnehmung der jeweiligen Aufgaben erforderlich sind (Art. VIII Abs. 1, 4 WTO-Übereinkommen)141. Damit wird die alte Idee von der ITO zumindest teilweise nachvollzogen142 und die WTO tritt gewissermaßen als dritte Säule des Bretton-Woods-Systems neben IWF und Weltbank143. Im Gegensatz zu diesen UN-Sonderorganisationen und im Gegensatz auch zur ursprünglich als UN-Sonderorganisation geplanten ITO (vgl. Art. 86 Havanna-Charta) 136 Umgehen wollte man auf diese Weise die GATT-Bestimmungen über Vertragsänderungen, die aufgrund ihrer Rigidität und Schwerfälligkeit die Umsetzung der Ergebnisse der Uruguay-Runde nicht unerheblich erschwert hätten; siehe näher Jackson, From GATT to the World Trade Organization: Implications for the World Trading System, in: Cottier (Hrsg.), GATT-Uruguay-Round, S. 29 (35). 137 Decision on Transitional Coexistence of the GATT 1947 and the WTO Agreement, vom 08.12.1994, abgedruckt bei Hummer/Weiss, S. 302; zum Ganzen Beise, WTO, S. 137 f. 138 Benedek, VN 1995, S. 13 (16); Ott, GATT und WTO im Gemeinschaftsrecht, S. 19. 139 Auf der 51. und zugleich letzten Sitzung der VERTRAGSPARTEIEN wurde am 12./13. Dezember 1995 in Genf die endgültige Auflösung des GATT 1947 beschlossen. 140 Jackson, The World Trading System, S. 48 und 59; Leebron, Columbia Journal of Transnational Law 1995, S. 11 (13); Stoll, World Trade Organization, EPIL VI (1999), S. 1529 (1530); Dolzer, Wirtschaft and Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (506). 141 Privilegien und Immunitäten der WTO, ihrer Mitarbeiter sowie der Vertreter ihrer Mitglieder sollen gemäß Art. VIII Abs. 4 WTO-Übereinkommen denjenigen gleichen, die im Abkommen über Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, vom 21. November 1947 festgelegt sind; vgl. United Nations Treaty Series (UNTS), Bd. 33 (1948), S. 261 ff.; BGBl. 1954 II, S. 639 ff.; 1964 II, S. 187 ff.; 1980 II, S. 974 ff.; zum Ganzen Tietje, Die institutionelle Ordnung der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.III., Rn. 14 f. 142 Dillon, Michigan Journal of International Law 1995, S. 349 (360). 143 Kimminich/Hobe, Völkerrecht, S. 331; May, EA 1994, S. 33 (38).

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

schweigt das WTO-Übereinkommen jedoch zur Frage des Verhältnisses der WTO zu den Vereinten Nationen und behält damit die aus der Zeit des GATT 1947 stammende Distanz zum UN-System bei144. Vielmehr beläßt es der Vertrag bei der allgemeinen Formel, wonach die Kooperation mit anderen Organisationen, „deren Aufgaben mit denen der WTO im Zusammenhang stehen“ anvisiert ist (Art. III Abs. 5 bzw. Art. V WTO-Übereinkommen)145. Offengelassen wurde insoweit, ob die WTO mit dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) ein Abkommen nach Art. 57 bzw. Art. 63 UN-Charta schließen und welchen Platz die WTO zukünftig im System der Vereinten Nationen einnehmen soll146. Der Sitz der WTO wurde durch Abschluß eines Sitzabkommens mit der Schweiz auf Genf festgelegt147, der bisherige Sitz des GATT 1947 dadurch beibehalten und das Angebot Deutschlands, die WTO in Bonn anzusiedeln, ausgeschlagen148.

C. Die Rechtsordnung der WTO Wie beim GATT 1947 liegt auch bei der WTO die besondere Bedeutung darin, daß sie die Weltwirtschaftsbeziehungen einer rechtlichen Ordnung unterwirft. Als Rechtsordnung wird allgemein die Gesamtheit der für eine Rechtsgemeinschaft geltenden Rechtsnormen verstanden. Letztere zeigen 144

Der Allgemeine Rat bezeichnet den Status der WTO als „a sui generis organization established outside the United Nations System“, vgl. WTO, General Council, Conditions of Service applicable to the Staff of the WTO Secretariat, WT/GC/W/ 102/Rev. 1, vom 07.10.1998; zum Ganzen ausführlich Schorlemer, VN 2001, S. 101 ff.; siehe außerdem Benedek, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Kompetenzen und Rechtsordnung der WTO, in: Bothe (Hrsg.), Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 40, S. 283 (313). 145 Zum Prinzip der Kooperation näher unten 4. Teil B. II. 1. 146 Trotz einer förmlichen Einladung des UNO-Generalsekretärs zum Abschluß eines Übereinkommens über die Beziehungen zur UNO kam der Vorbereitungsausschuß für die WTO zu der Auffassung, daß die WTO nicht den Status einer UNSonderorganisation anstreben, sondern die bestehende Arbeitsbeziehung fortführen sollte. Vgl. dazu Mitteilung des WTO-Generaldirektors über die Relations between the WTO and the United Nations vom 29.09.1995; abgedruckt bei Hummer/Weiss, S. 350 ff.; ausführlich zum Ganzen Benedek, Einführung in die Ergebnisse der Uruguay-Runde, in: Thürer/Kux (Hrsg.), GATT 94 und die Welthandelsorganisation, S. 17 (34); Stoll, World Trade Organization, EPIL IV (1999), S. 1529 (1531 f. – „de facto Sonderorganisation“). 147 Agreement between the World Trade Organization and the Swiss Confederation to determine the legal status of the Organization in Switzerland, vom 02.06.1995, abgedruckt in Hummer/Weiss, S. 391 ff. 148 Zur Sitzfrage ausführlich Beise, WTO, S. 166 ff.

C. Die Rechtsordnung der WTO

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als rechtliche Sollensnormen nicht bloß die Rahmenbedingungen für das Funktionieren und den Erhalt der rechtlichen Ordnung auf, sondern stellen zugleich ihre Legitimationsgrundlage dar. Jede Rechtsordnung weist hierbei regelmäßig sowohl formelle als auch materielle Elemente auf. Während erstere den institutionellen Rahmen der Rechtsordnung bestimmen und damit festlegen, durch wen und auf welche Art und Weise Recht geschaffen, interpretiert und letztlich auch durchgesetzt wird, bestimmen letztere, wer ihre Subjekte sind und in welchen Beziehungen diese zueinander bzw. zur Rechtsordnung insgesamt stehen149.

I. Völkerrecht als Rechtsordnung Das Völkerrecht ist eine Rechtsordnung in dem soeben dargestellten Sinne. Auch wenn es im Vergleich zu den nationalstaatlichen Rechtsordnungen weiterhin Defizite bei der Rechtsdurchsetzung aufweist, wird seine Geltungsautorität heute nicht mehr ernsthaft bezweifelt150. Anders als die subordinationsrechtlich strukturierten nationalen Rechtsordnungen weist das Völkerrecht jedoch eine koordinationsrechtliche und damit horizontale Struktur auf151. Während im innerstaatlichen Bereich besondere Legislativorgane die Verhältnisse der Rechtsunterworfenen regeln, sind es im Völkerrecht die Rechtsunterworfenen selbst, die unmittelbar an der Bildung des Rechts beteiligt sind. Doch im Unterschied zum klassischen Völkerrechtsverständnis, demzufolge Völkerrecht die Beziehungen zwischen souveränen Staaten regele, nimmt man heutzutage nicht mehr an, das Völkerrecht beschränke sich ausschließlich auf zwischenstaatliche Beziehungen. Die wachsende Interdependenz der Staaten hat inzwischen nicht bloß zu einer fortschreitenden politischen und rechtlichen Verklammerung und damit Intensivierung der Regelungsdichte des Völkerrechts geführt152. Sie hat auch weitere Akteure im internationalen Bereich geschaffen, die nicht mehr nur 149 Zum Ganzen Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 387; Rüthers, Rechtstheorie, § 4, Rn. 92; zum WTO-Recht siehe Tietje, Grundlagen und Perspektiven der WTORechtsordnung, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.II., Rn. 14 ff.; Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), S. 24 f.; Behrens, RabelsZ 1986, S. 483 (489 ff.); zur normtheoretischen Unterscheidung zwischen Rechtsregeln und -prinzipien vgl. unten 2. Teil A. II. 150 Herdegen, Völkerrecht, § 1, Rn. 18; Mosler, ZaöRV 1976, S. 6 ff.; Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insbesondere im Welthandelsrecht, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 123 (128 ff.); kritisch etwa Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1351; ablehnend Hart, The Concept of Law, S. 216 ff. 151 Beise, WTO, S. 207 „genossenschaftlicher Charakter des Völkerrechts“. 152 Zum Wandel vom Koordinations- zum Kooperationsvölkerrecht Fink, JZ 1998, S. 330 (334 ff.).

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

den Rechtsordnungen einzelner Staaten unterworfen sind, sondern von den bestehenden Teilnehmern des völkerrechtlichen Rechtsverkehrs zum Teil auf gleicher Ebene zugelassen wurden. Gegenwärtig ließe sich das Völkerrecht daher definieren als eine Rechtsordnung, welche die Beziehungen von Staaten, Internationalen Organisationen und anderen Völkerrechtssubjekten untereinander regelt und zwar einschließlich der für die Völkergemeinschaft relevanten Rechte oder Pflichten einzelner153.

II. WTO-Recht als Teilrechtsordnung des Völkerrechts Seit dem Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens am 1. Januar 1995 wird auch das im Rahmen der Uruguay-Runde ausgehandelte und auf der Ministerkonferenz in Marrakesch feierlich verabschiedete völkerrechtliche Vertragswerk vielfach als „WTO-Rechtsordnung“ bezeichnet154. Wie bereits erwähnt wurde, ist die WTO eine Internationale Organisation im völkerrechtlichen Sinne. Im Verhältnis zur Rechtsordnung des allgemeinen Völkerrechts gelten die das Funktionieren der verschiedenen Internationalen Organisationen regelnden Normapparate grundsätzlich als Teilrechtsordnungen und zwar für die jeweils unterschiedlichen Bereiche internationaler Beziehungen155. Gegenstand dieser Teilrechtsordnungen bildet dabei in erster Linie das Primärrecht der jeweiligen Internationalen Organisation, welches neben dem Gründungsvertrag auch alle die Verträge und Erklärungen umfaßt, die diesen ergänzen oder abändern. Hinzu tritt das von den eingesetzten Organen der Internationalen Organisation aufgrund primärrechtlicher Ermächtigung geschaffene Sekundärrecht, welches als von der Rechtssetzungskompetenz der Organe abgeleitetes Recht nur mittelbar durch den zwischenstaatlichen Konsens legitimiert ist und deshalb dem Primärrecht im Range nachgeht. Soweit weder im Primär- noch Sekundärrecht spezielle Regelungen vorgesehen sind, bleibt daneben im Bedarfsfall der Rückgriff auf die zugrunde liegende Rechtsordnung des allgemeinen Völkerrechts und damit auf völkerrechtliches Gewohnheitsrecht oder aber allgemeine Rechtsgrundsätze grundsätzlich möglich156. 153 Buergenthal/Doehring/Kokott/Maier, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 4; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 2; Herdegen, Völkerrecht, § 1, Rn. 4; Oeter, Gibt es ein Rechtsschutzdefizit im WTO-Streitbeilegungsverfahren?, in: Nowak/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO, S. 221 ff. 154 Siehe etwa Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 48 ff.; Tietje, Grundlagen und Perspektiven der WTO-Rechtsordnung, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.II., Rn. 13 ff.; Göttsche, WTO als Rechtsordnung, in: Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, § 7, Rn. 85 ff.; zum GATT 1947 bereits Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 41 ff. 155 Vgl. nur Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 1504.

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Das aus dem Recht der Internationalen Organisationen bekannte Tableau von Primär- und Sekundärrecht, Gewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsgrundsätzen spiegelt sich auch in der Rechtsquellensystematik der WTO wider157. Naturgemäß wird das WTO-Recht dabei bestimmt durch das (vertragliche) Primärrecht. Dieses durch das unmittelbare Zusammenwirken der WTO-Mitglieder geschaffene Recht umfaßt neben dem WTO-Übereinkommen als organisationsrechtlichem Gründungsvertrag alle diejenigen Vereinbarungen, die allein aufgrund der völkerrechtlichen Vertragsabschlußkompetenz der WTO-Mitglieder zustande gekommen sind158. Integraler Bestandteil der WTO-Rechtsordnung sind mithin die in den Anhängen 1 bis 4 um WTO-Übereinkommen enthaltenen Handelsübereinkommen (Art. II Abs. 2 und 3 WTO-Übereinkommen). Zum Primärrecht zählen ferner die dreißig ministeriellen Erklärungen und Entscheidungen, die einzelne Aspekte wie etwa Übergangsregelungen oder aber zukünftige Verhandlungsthemen betreffen. Hinzu kommen für jedes WTO-Mitglied die Ergebnisse der oft bilateral geführten Verhandlungen über die Marktzugangsverpflichtungen, die in speziellen Landeslisten (Schedules) festgehalten sind159. Schließlich fallen unter das Primärrecht alle Übereinkommen, die seit Ende der Uruguay-Runde abgeschlossen und in den rechtlichen Rahmen des WTO-Übereinkommens und seiner Anhänge eingestellt wurden160 bzw. alle die Übereinkommen, die in Zukunft von den WTO-Mitgliedern – etwa im Hinblick auf Vertragsänderungen (Art. X WTO-Übereinkommen), den Bei156 Zum Ganzen Epping, Internationale Organisationen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 31, Rn. 42; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 1502 ff.; Bleckmann, ZaöRV 1977, S. 107 ff. 157 Zur Rechtsquellensystematik der WTO Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 ff.; Gaffney, American University International Law Review 1999, S. 1173 (1187 ff.); zur Rechtsquellensystematik des GATT 1947 vgl. Schoch, Unbestimmte Rechtsbegriffe im Rahmen des GATT, S. 41 f.; Thomas, JWT 30 (1996) Nr. 2, S. 53 (63 ff.); Haltern, ZVglRWiss 1992, S. 1 (22 ff.); Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 94 ff.; zum Internationalen Wirtschaftsrecht Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 2, Rn. 1 ff.; zur Rechtsquellenlehre im nationalen Recht Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 217 ff. 158 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 1 ff. und S. 41 ff.; Beise, WTO, S. 43; Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), S. 25; ausführlich Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 41 ff. 159 EC – Computer Equipment, AB, para. 84 „A Schedule is made an integral part of the GATT 1994 by Article II:7 of the GATT 1994. Therefore the Concessions provided for in that Schedule are part of the terms of the treaty.“. 160 Vgl. beispielsweise die Übereinkommen über besondere Dienstleistungen (Telekommunikation, Finanzdienstleistungen), die als Anhänge zum GATS erst im Jahre 1997 in die WTO-Rechtsordnung integriert wurden; näher hierzu Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 897 ff.

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tritt neuer Mitglieder (Art. XII WTO-Übereinkommen) oder aber zu neuen Sachbereichen – noch ausgehandelt werden161. Um die der WTO von den Mitgliedstaaten übertragenen Aufgaben und Funktionen wahrnehmen zu können, beinhaltet das WTO-Recht (primärrechtliche) Ermächtigungen zur Rechtserzeugung. Das auf diese Weise geschaffene Sekundärrecht ist als abgeleitetes Recht Ergebnis des Wirkens der zuständigen WTO-Organe162. Zum Sekundärrecht zählen alle Beschlüsse der WTO-Organe, wie etwa die zur Erweiterung der Organstruktur durch Errichtung neuer Gremien (Art. VI Abs. 6 WTO-Übereinkommen) oder die zur authentischen Vertragsinterpretation (Art. IX Abs. 2 WTOÜbereinkommen). Hinzu kommen die die Außenrechtsbeziehungen der WTO regelnden Verträge mit anderen Internationalen Organisationen (Art. V WTO-Übereinkommen)163 bzw. einzelnen Staaten164. Gleiches gilt für die Innenrechtsbeziehungen, also etwa die Geschäfts- und Verfahrensordnungen von WTO-Organen oder aber das interne Dienstrecht. Soweit jedoch weder das primäre noch das sekundäre WTO-Recht spezielle Regelungen aufweist, bleibt daneben das umliegende allgemeine Völkerrecht, wie es generell den zwischenstaatlichen Beziehungen zugrunde liegt, auch im Bereich der internationalen Handelsbeziehungen zwischen den WTO-Mitgliedern anwendbar165. Dies wurde vom Appellate Body in seinem allerersten Bericht US – Gasoline bereits mit den folgenden Worten klargestellt „. . . the General Agreement is not to be read in clinical isolation from public international law“166. Mit dieser Feststellung, die über das GATT 1994 hinaus für das gesamte WTO-Recht Geltung beansprucht, wurde einer isolationistischen Ausrichtung des Welthandelsrechts eine klare Absage erteilt. Gerade für das GATT 1947 war mit Blick auf seinen provisorischen Charakter sowie die stets auf diplomatischen 161

Zum Ganzen Waincymer, WTO Litigation, S. 376 ff.; Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), S. 26; Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 43 f. 162 Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, S. 379; Beise, WTO, S. 43; Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 44 ff. 163 Vgl. z. B. das anläßlich der Ministerkonferenz von Singapur unterzeichnete Kooperationsabkommen mit dem IWF oder aber das Kooperationsabkommen mit der WIPO; beide abgedruckt in Hummer/Weiss, Textsammlung, S. 358 ff. 164 So etwa das Amtssitzabkommen mit der Schweiz vom 02.06.1995, welches Fragen der rechtlichen Stellung der WTO in der Schweiz sowie Fragen der Privilegien und Immunitäten des Personals der WTO regelt; abgedruckt in Hummer/Weiss, Textsammlung, S. 391 ff. 165 So ausdrücklich Korea – Government Procurement, Panel Report, para. 7.96 sowie 7.101 (Fn. 755). 166 US – Gasoline, AB, S. 17.

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Ausgleich bedachte Kultur der Vertragsparteien immer wieder vertreten worden, es stelle eine Regelungsmaterie eigener Art dar167, die sich nur schwer in das allgemeine System des Völkerrechts einordnen lasse168. Man bezeichnete es als sog. self-contained regime169 und damit – in der Terminologie des Internationalen Gerichtshofs (IGH) – als einen in sich geschlossenen Normkomplex, bei dem im Falle von Rechtsverstößen ein Rückgriff auf das allgemeine Völkerrecht (und hier insbesondere das allgemeine Repressalienrecht) ausgeschlossen sei170. Dieser auch nach der Gründung der WTO vereinzelt noch vertretene Ansatz eines in sich geschlossenen Rechtskreises171 ist heute nicht mehr haltbar. Vielmehr ist die WTO-Rechtsordnung eine auf dem allgemeinen Völkerrecht aufbauende Teilrechtsordnung des Völkerrechts172.

III. WTO-Recht als eigenständige Rechtsordnung Wird von der WTO-Rechtsordnung gesprochen, so ist hiermit diejenige Ordnung gemeint, welche die Bedingungen schafft, unter denen sich die tatsächliche Ordnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen bilden 167 Näher zu den Gründen, warum das GATT häufig als eine in sich geschlossene Rechtsmaterie angesehen wurde, Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 29 ff. 168 US – Imports of Sugar from Nicaragua, GATT Panel Report, BISD 31S/67; mit Nachweisen auf die jeweiligen Standpunkte der EG und der USA Kuijper, NYIL 25 (1994), S. 227 (251 f.); ablehnend Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 361; Mavroidis, RIW 1991, S. 497 (500 ff.); Ostrihansky, NYIL 22 (1991), S. 163 (199); Diem, Freihandel und Umweltschutz in GATT und WTO, 1996, S. 60. 169 Allgemein zum Begriff Simma, NYIL 16 (1985), S. 111 (113); Mavroidis, RIW 1991, S. 497 (498 f.). 170 In seiner Entscheidung zum Teheraner Geiselfall hat der IGH als Voraussetzung eines self-contained regimes aufgeführt, daß es (1) Rechte gewährt, die im Rahmen dieses Regimes gelten sollen, und (2) auch die Mittel für den Fall der Verletzung dieser Verpflichtungen und des Mißbrauchs bereithält; vgl. Case on US Diplomatic and Consular Staff in Teheran, I. C. J. Rep. 1980, S. 3 (38 ff.); zum Ganzen Ruffert, AVR 2000, S. 129 (155); Falke, ZEuS 2000, S. 307 (325, Fn. 59). 171 Bello, AJIL 1996, S. 416 (417). 172 Zum Ganzen Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 25 ff.; Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (413); Schoenbaum, ICLQ 1998, S. 647 (653); Cleveland, JIEL 2002, S. 133 (149 ff.); Dunoff, George Washington Journal of International Law and Economics 2001, S. 979 (991 ff.); Schroeder/ Schonard, RIW 2001, S. 658 (661); Hilf, EuR 2002, Beiheft 1, S. 173 (184); Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 380 ff.; Thürer, WTO – Teilordnung im System des Völker- und Europarechts, in: Thürer/Kux (Hrsg.), GATT 94 und die Welthandelsorganisation S. 41 ff.; Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 171 f.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

kann173. Nachfolgend werden ihre formellen Elemente, also etwa die Regelungen hinsichtlich der Aufgaben und Funktionsweise, der Organstruktur bzw. den Formen der Mitgliedschaft, und ihre materiellen Elemente, also insbesondere die Rechte und Pflichten der WTO-Mitglieder, aufgezeigt. 1. Formelle Elemente der WTO-Rechtsordnung Das wichtigste institutionelle Ergebnis der Uruguay-Runde ist die Gründung der neuen, mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Welthandelsorganisation. Diese soll gem. Art. II Abs. 1 WTO-Übereinkommen den gemeinsamen institutionellen Rahmen für die Handelsbeziehungen der Mitglieder bilden. a) Aufgaben der WTO Hauptaufgabe der WTO ist, die Übereinkommen der Uruguay-Runde sowie das jetzige GATT 1994 mit einer gemeinsamen organisatorischen Struktur zu versehen174. Auf diese Weise soll erreicht werden, daß alle Übereinkommen, einschließlich der plurilateralen Handelsübereinkommen, von gemeinsamen Organen verwaltet bzw. durchgeführt werden (vgl. Art. III Abs. 1 WTO-Übereinkommen) und so der innere Zusammenhang zwischen den Vertragstexten gewahrt bleibt175. Diese Verwaltungsfunktion umfaßt gem. Art. III Abs. 3 WTO-Übereinkommen auch das Streitschlichtungsverfahren (DSU) sowie gem. Art. III Abs. 4 WTO-Übereinkommen das Verfahren zur Überprüfung der Handelspolitiken (Trade Policy Review Mechanism, TPRM). Darüber hinaus soll die WTO als Forum für künftige multilaterale Handelsverhandlungen zwischen ihren Mitgliedern agieren (Forumfunktion, Art. III Abs. 1 WTO-Übereinkommen) und zwar sowohl hinsichtlich bereits erfaßter Bereiche als auch hinsichtlich neuer, über den Sachbereich der bisherigen Regelungen hinausgehender Themen176. Schließlich obliegt ihr im Interesse einer kohärenteren Gestaltung der weltweiten Wirtschaftspolitik 173 Näher zur Unterscheidung zwischen tatsächlicher (faktischer) und normativer Ordnung Tietje, Grundlagen und Perspektiven der WTO-Rechtsordnung, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.II., Rn. 16; zum GATT 1947 bereits Behrens, RabelsZ 1986, S. 483 (489). 174 Petersmann, EJIL 1995, S. 161 (193); Dillon, Michigan Journal of International Law 1995, S. 349 (361); Weiss, NYIL 29 (1998), S. 71 (72 und 77); Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7, Rn. 13; Ipsen/Haltern, RIW 1994, S. 717 (719); Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus der Neuen Welthandelsordnung, in: Klein/Meng/Rode (Hrsg.), Die neue Welthandelsordnung der WTO, S. 47 („Dachfunktion“); Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 3002a. 175 Jansen, EuZW 1994, S. 333 (334).

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gem. Art. III Abs. 5 WTO-Übereinkommen die Zusammenarbeit mit IWF und Weltbank sowie deren Unterorganisationen177. b) Struktur und Funktionsweise der WTO Der Aufbau der Welthandelsorganisation ergibt sich im wesentlichen aus Art. IV und VI WTO-Übereinkommen. Er stellt eine Fortentwicklung der im Laufe der Jahrzehnte herausgebildeten organisatorischen Grundstrukturen des GATT 1947 dar178 und weist damit letztlich auch unverkennbar institutionelle Ähnlichkeiten zur gescheiterten ITO auf179. aa) Organisationsstruktur Die WTO verfügt über eine Organisationsstruktur, die für den Aufbau Internationaler Organisationen typisch ist180. Die Rolle des obersten politischen Beschlußorgans wird von der Ministerkonferenz (bzw. dem Allgemeinen Rat) wahrgenommen. Ausführendes Administrativorgan ist das Sekretariat. Als Unterorgane kommen spezielle Räte, Ausschüsse und Arbeitsgruppen hinzu. Ein parlamentarisches Gremium, in dem sich Parlamentarier der Vertragsparteien zusammenfinden, existiert nicht. Dafür besteht jedoch eine obligatorische Streitbeilegung durch ständige Streitbeilegungsorgane, was auf internationaler Ebene noch immer eine Besonderheit darstellt.

176 Im Hinblick auf bisher noch nicht vom WTO-Übereinkommen erfaßte Themenbereiche bietet Art. III Abs. 2 Satz 2 WTO-Übereinkommen die Möglichkeit zur Fortentwicklung des Welthandelsrechts. Bereits die erste WTO-Ministerkonferenz in Singapur beschloß demgemäß die Einsetzung von Arbeitsgruppen zu den neuen Themen Investitionen, Wettbewerb sowie Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen (sog. Singapur-Themen); siehe dazu WTO, Singapore Ministerial Declaration, WT/MIN(96)/DEC, vom 18.12.1996, para. 20; zum Ganzen auch Stoll/ Schorkopf, WTO, Rn. 692 ff. sowie Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 1111 ff. 177 Speziell zum Verhältnis WTO – IWF Siegel, AJIL 2002, S. 561 ff. 178 Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 176; Senti, Die neue Welthandelsordnung, ORDO 45 (1994), S. 301 (302); Dillon, Michigan Journal of International Law 1995, S. 349 (360); Jackson, GYIL 39 (1996), S. 20 (25). 179 Jackson, The World Trade Organization, Constitution and Jurisprudence, S. 41; Zeller, Die Welthandelsorganisation (WTO), in: Thürer/Kux (Hrsg.), GATT 94 und die Welthandelsorganisation S. 35 (37); Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (257). 180 Zur typischen Organstruktur Internationaler Organisationen siehe Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 54 ff.

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(1) Ministerkonferenz Oberstes Organ der WTO ist gem. Art. IV Abs. 1 WTO-Übereinkommen die aus den Repräsentanten aller Mitgliedsstaaten bestehende181 und mindestens alle zwei Jahre zusammentretende Ministerkonferenz (Ministerial Conference). Als Plenarorgan nimmt sie die Aufgaben der WTO wahr und kann in dieser Hinsicht alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen182. Vertragsgemäß trägt sie die Verantwortung für das Funktionieren der WTO und entspricht damit den VERTRAGSPARTEIEN als dem ursprünglich aus einer Staatenkonferenz hervorgegangenen und später organisatorisch verfestigten Hauptorgan des GATT 1947. In ihren Zuständigkeitsbereich fällt etwa die Beschlußfassung über Vorschläge zur Vertragsänderung (Art. X Abs. 1 WTO-Übereinkommen) oder aber zur authentischen Vertragsinterpretation (Art. IX Abs. 2 WTO-Übereinkommen). Auch obliegt ihr gem. Art. IV Abs. 7 WTO-Übereinkommen die Einrichtung der ständigen Ausschüsse der WTO sowie die Ernennung des WTO-Generaldirektors bzw. die Entscheidung über dessen Befugnisse, Aufgaben und Amtszeit (Art. VI Abs. 2 WTO-Übereinkommen). (2) Allgemeiner Rat Zwischen den Tagungen der Ministerkonferenz soll der Allgemeine Rat (General Council)183, der ebenfalls aus den Vertretern aller Mitgliedsstaaten besteht und je nach Bedarfsfall zusammentritt, als Hauptorgan fungieren und die laufenden Geschäfte der WTO wahrnehmen (Art. IV Abs. 2 WTOÜbereinkommen). Er vertritt damit gewissermaßen die Ministerkonferenz in deren sitzungsfreier Zeit und ist das zentrale Organ im institutionellen Gefüge der WTO184. Anders als bei der Ministerkonferenz und deren hochrangigen ministeriellen Repräsentanten treffen sich im Allgemeinen Rat Ver181 Die Vertretung der Mitgliedsstaaten übernehmen in der Regel die Wirtschaftsbzw. Außenhandelsminister. Bisherige Ministerkonferenzen fanden in Singapur (Dezember 1996), Genf (Mai 1998 ), Seattle (November 1999), Doha (November 2001) sowie Cancffln (September 2003) statt. 182 Leebron, Columbia Journal of Transnational Law 1995, S. 11 (13); Stoll/ Schorkopf, WTO, Rn. 25. 183 Teilweise wird der Allgemeine Rat auch bezeichnet als „Welthandelsrat“ (so etwa Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (259); Wolfrum, Das internationale Recht für den Austausch von Waren und Dienstleistungen, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 2, S. 535 (566); Yüksel, GATT/WTO, S. 40), als „Generalrat“ (Benedek, VN 1995, S. 13 (16)) oder aber „WTO-Rat“ (Senti, WTO, Rn. 290). 184 Siehe nur Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7, Rn. 14; Jansen, EuZW 1994, S. 333 (334).

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treter auf Beamten- bzw. Diplomatenebene und damit letztlich die in den Einzelheiten besonders sachverständigen Staatenvertreter zur Erledigung des politischen „Tagesgeschäftes“185. In seiner Bedeutung entspricht der Allgemeine Rat damit dem von den VERTRAGSPARTEIEN 1960 eingerichteten GATT-Rat186. Zu seinen generellen Aufgaben gehört neben der Kooperation mit anderen staatlichen und nichtstaatlichen internationalen Organisationen (Art. V WTO-Übereinkommen) die Koordination der Tätigkeiten der sektorspezifischen Räte, also dem Rat für Warenhandel, der Rat für Dienstleistungshandel und dem Rat für handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Art. IV Abs. 5 WTO-Übereinkommen). Auch kann er gem. Art. IV Abs. 7 WTO-Übereinkommen Einfluß nehmen auf die Arbeit der von der Ministerkonferenz eingerichteten Ausschüsse. Abgesehen von der Ministerkonferenz ist allein der Allgemeine Rat zur authentischen Auslegung der WTO-Übereinkommen befugt (Art. IX Abs. 2 WTO-Übereinkommen). Zu seinen Aufgaben zählt schließlich die Genehmigung des jährlichen WTO-Haushaltes (Art. VII Abs. 1 Satz 3 WTO-Übereinkommen). Darüber hinaus tritt der Allgemeine Rat in zwei Sonderfunktionen zusammen, nämlich als Streitbeilegungsgremium (Dispute Settlement Body, DSB)187 und als Organ zur Überprüfung der Handelspolitik (Trade Policy Review Body, TPRB)188. In beiden Funktionen verfügt der Allgemeine Rat entsprechend der primärrechtlichen Ermächtigungen in Art. IV Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 2 WTO-Übereinkommen über einen eigenen Vorsitzenden sowie eine eigene Geschäftsordnung. (3) Sektorspezifische Räte Unter der Aufsicht des Allgemeinen Rates arbeiten gem. Art. IV Abs. 5 WTO-Übereinkommen der Rat für den Handel mit Waren189 (Council for Trade in Goods), der Rat für den Handel mit Dienstleistungen190 (Council 185 Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (260); Zeller, Die Welthandelsorganisation (WTO), in: Thürer/Kux (Hrsg.), GATT 94 und die Welthandelsorganisation, S. 35 (38); Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 178. 186 Anders als das GATT 1947, das eine Mitgliedschaft im GATT-Rat der Selbstwahl der Mitgliedsstaaten überließ, ist nunmehr die Mitgliedschaft aller Mitglieder vorgesehen (Art. IV Abs. 2 WTO-Übereinkommen); mit Blick auf die effektive Aufgabenwahrnehmung kritisch hierzu Tietje, Die institutionelle Ordnung der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.III., Rn. 26. 187 Art. IV Abs. 3 i. V. m. Annex 2 WTO-Übereinkommen. 188 Art. IV Abs. 4 i. V. m. Annex 3 WTO-Übereinkommen. 189 Nachfolgend GATT-Rat. 190 GATS-Rat.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

for Trade in Services) sowie der Rat für handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums191 (Council for Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights). Diese drei Räte haben die Wirkungsweise bzw. das Funktionieren der zentralen sektorspezifischen Übereinkommen (GATT 1994, GATS, TRIPS) zu überwachen und nehmen nicht nur die ihnen in den jeweiligen Übereinkommen zugewiesenen Aufgaben, sondern zudem die ihnen durch den Allgemeinen Rat übertragenen Aufgaben wahr. Zur Erfüllung dieser Aufgaben treten sie zu jeweils angemessenen Zeiträumen zusammen, wobei die Mitgliedschaft erneut allen Mitgliedern offen steht (Art. IV Abs. 5 Satz 7 WTO-Übereinkommen). Sie ist jedoch nicht obligatorisch, und daher liegt die Zahl der stimmberechtigten Ratsmitglieder stets unter der Gesamtzahl der WTO-Mitgliedsstaaten192. Auch die sektorspezifischen Räte können gem. Art. IV Abs. 6 WTO-Übereinkommen nachgeordnete Gremien einsetzen, sich eine Geschäftsordnung geben und ihren eigenen Vorsitz wählen193. (4) Ausschüsse und Arbeitsgruppen Die drei bereits erwähnten ständigen Ausschüsse, die von der Ministerkonferenz eingerichtet werden und denen der Allgemeine Rat Aufgaben übertragen kann (vgl. Art. IV Abs. 7 WTO-Übereinkommen), erfüllen im wesentlichen Funktionen, die auf die Arbeit der entsprechenden Ausschüsse des ursprünglichen GATT 1947 zurückgeführt werden können. Hierzu zählen der Ausschuß für Handel und Entwicklung (Committee on Trade and Development), der Ausschuß für Zahlungsbilanzbeschränkungen (Committee on Balance-of-Payments Restrictions) und der Ausschuß für Haushalt, Finanzen und Verwaltung (Committee on Budget, Finance and Administration). Der Ausschuß für Handel und Umwelt (Committee on Trade and Environment) ist sowohl der Ministerkonferenz als auch dem Allgemeinen Rat unterstellt. Darüber hinaus sind in verschiedenen multilateralen Handelsübereinkommen Bestimmungen enthalten, durch die Ausschüsse gebildet werden, die für das jeweilige Übereinkommen zuständig sind. Diese sektoriellen Ausschüsse sind jeweils den sektorspezifischen Räten, also dem GATT-Rat, dem GATS-Rat und dem TRIPS-Rat angegliedert bzw. werden gem. Art. IV Abs. 6 WTO-Übereinkommen bei Bedarf von diesen einge191

TRIPS-Rat. In der Praxis entsenden nur die größeren Handelsnationen Repräsentanten zu diesen Treffen; die am wenigsten entwickelten WTO-Mitglieder sind aufgrund von Personalengpässen hingegen zumeist nicht vertreten; näher Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 179. 193 Hierzu Tietje, Die institutionelle Ordnung der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.III., Rn. 31. 192

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setzt. Zahlreiche weitere Neben- und Unterorgane ergänzen das institutionelle Gefüge der WTO194. (5) Generaldirektor und Sekretariat Eine Sonderstellung in der Organisationsstruktur der WTO nimmt das WTO-Sekretariat ein. Es findet sich weder im offiziellen Organigramm der WTO195, noch wird es in der den Aufbau der WTO festlegenden Vorschrift des Art. IV WTO-Übereinkommen erwähnt. Vielmehr ist ihm mit Art. VI WTO-Übereinkommen eine eigene Vorschrift vorbehalten. Auffallend ist im Vergleich zu anderen Internationalen Organisationen zudem die sowohl in personeller als auch finanzieller Hinsicht schlechte Ausstattung des Sekretariats. Zahlenangaben für das Jahr 2003 belaufen sich auf lediglich 550 Bedienstete und ein Budget von 154 Mio. Schweizer Franken und sind damit im Vergleich zu den Vorjahren nahezu unverändert196. Allerdings scheinen die WTO-Mitglieder auch nicht gewillt zu sein, die WTO als eine eng am politischen Willen ihrer Mitglieder orientierte Organisation (member-driven organization197) personell und finanziell besser auszustatten. Denn hiermit ginge ein Gewinn an politischem Einfluß einher, der letztlich eine Bedrohung der handelspolitischen Souveränität der WTO-Mitglieder darstellen könnte198. Die Hauptaufgaben des WTO-Sekretariats bestehen demgemäß – wie im übrigen bereits die des GATT-Sekretariats – in erster Linie in der Vorberei194 Zum Ganzen Dillon, Michigan Journal of International Law 1995, 349 (367); Stoll, ZaöRV 1994, 241 (259 f.); Adamantopoulos, WTO Anatomy, S. 37 ff.; Weiß/ Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 184 ff.; Senti, WTO, Rn. 305 ff.; kritisch zu dieser differenzierten Struktur Tietje, Die institutionelle Ordnung der WTO, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.III., Rn. 24 f. und 31. 195 Im Internet verfügbar unter http://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/ tif_e/org2_e.htm (Stand Oktober 2004); Abdruck dieses WTO-Organigramms etwa bei Stoll/Schorkopf, WTO, S. 19. 196 WTO, Understanding the WTO, S. 107; demgegenüber beschäftigte die Weltbank ihrem Jahresbericht zufolge im gleichen Jahr insgesamt 11.100 Mitarbeiter bei einem Haushalt von 1,45 Mrd. US-Dollar, vgl. dazu die im Internet erhältlichen Angaben unter http://www.worldbank.org/annualreport/2003/(Stand Juli 2004). 197 So die WTO in ihrer Selbstbeschreibung: „(. . .) the WTO is a member-driven, consensus-based organization.“ (WTO, Understanding the WTO, S. 100); siehe hierzu außerdem Benedek, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Kompetenzen und Rechtsordnung der WTO, in: Bothe (Hrsg.), Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 40, S. 283 (289 f. und 311). 198 Jackson, JIEL 2001, S. 67 (72); Rudisch, Die institutionelle Struktur der Welthandelsorganisation (WTO): Reformüberlegungen, S. 5 (19 f.); Tietje, Die institutionelle Ordnung der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.III., Rn. 34.

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tung und Durchführung von Verhandlungen, der Beratung der Handelspartner199, der Analyse, Darstellung und Veröffentlichung der Welthandelsentwicklung sowie der Unterstützung der Arbeit der Streitbeilegungsorgane (vgl. Art. 27 DSU)200. Geleitet wird Sekretariat von einem Generaldirektor, der wie auch das Sekretariatspersonal internationaler Beamter ist und von keiner Regierung oder anderen Seite Weisungen entgegennehmen darf (Art. VI Abs. 4 WTO-Übereinkommen). Er wird von der Ministerkonferenz201 ernannt202, hat die Beschlüsse von Ministerkonferenz und Allgemeinem Rat auszuführen und ist diesen übergeordneten Organen gegenüber berichterstattungspflichtig (Art. VI Abs. 2 WTO-Übereinkommen). Auch erstellt er den jährlichen Haushaltsplan und Rechnungsabschluß und hat periodisch über die Geschäftstätigkeit der WTO Bericht zu erstatten. Obgleich also Generaldirektor und Sekretariat als bloß ausführende bzw. dienende Organe an der politischen Willensbildung nicht mitwirken, keine Beschlüsse fassen dürfen und kaum einmal die politische Initiative ergreifen können, ist ihr tatsächlicher Einfluß aufgrund ihrer oftmals überragenden Sachkenntnis in der Praxis dennoch nicht zu unterschätzen. bb) Entscheidungsfindung und Vertragsänderung Gem. Art. IX Abs. 1 Satz 1 WTO-Übereinkommen wird die bereits unter dem GATT 1947 übliche Praxis der Beschlußfassung durch Konsensus 199 Eine besonders wichtige und ressourcenintensive Aufgabe des Sekretariats liegt in der technischen Unterstützung namentlich der schwächer entwickelten WTO-Mitglieder; ausführlicher hierzu Neugärtner/Michaelis, ZEuS 2002, S. 587 (592 ff.). Zur Aufgabenverteilung innerhalb des Sekretariats sowie zum Länderproporz vgl. im übrigen die im Internet auf der offiziellen Homepage verfügbaren Angaben unter http://www.wto.org/english/thewto_e/secre_e/intro_e.htm (Stand Oktober 2004). 200 Senti, WTO, Rn. 303; Zeller, Die Welthandelsorganisation (WTO), in: Thürer/ Kux (Hrsg.), GATT 94 und die Welthandelsorganisation, S. 35 (38); Auf der Heide, WISU 1997, S. 887 (888); Tietje, Einführung zur Textsammlung WTO, S. XIV; Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 444. 201 Siehe dazu die vom Allgemeinen Rat formulierten Procedures for the Appointment of Directors General, WT/GC/W/482/Rev. 1 vom 06.12.2002. 202 Nach Rücktritt des damaligen Generaldirektors Renato Ruggiero (1995–1999) im April 1999 kam es zu einem monatelangen Streit zwischen den USA und einem Teil der Mitgliedsstaaten der EU einerseits und asiatischen Staaten andererseits. Der letztlich erreichte Kompromiß sah die Verlängerung des Mandates und dessen Aufteilung in zwei Perioden vor (vgl. die Entscheidung des Allgemeinen Rates vom 22.07.1999, WT/L/308); die erste Hälfte übernahm vom 01.09.1999 bis zum 31.08.02 der vom Westen favorisierte, ehemalige neuseeländische Premierminister Mike Moore. Seit dem 01.09.02 hat der ehemalige thailändische Vizepremier- und Handelsminister Supachai Panitchpakdi das Amt inne.

C. Die Rechtsordnung der WTO

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(consensus) fortgeführt203. Nach diesem sog. Konsensus-Verfahren, welches auch in anderen Internationalen Organisationen zur Anwendung kommt und letztlich auf der gleichberechtigten Stellung souveräner Staaten basiert204, gilt eine Entscheidung dann als getroffen, wenn ihr kein anwesendes Mitglied förmlich widerspricht205. Gleichwohl sieht das WTO-Übereinkommen Abstimmungsregeln für den Fall vor, daß ein Konsensus nicht zustande kommt (Art. IX Abs. 1 Satz 2 WTO-Übereinkommen)206. Bei einer solchen Beschlußfassung durch Mehrheitsvotum verfügt jedes WTO-Mitglied über eine Stimme (Art. IX Abs. 1 Satz 3 WTO-Übereinkommen)207. Eine Stimmgewichtung, etwa nach Bevölkerungsgröße, Wirtschafts- oder Finanzkraft, findet – anders als beim IWF oder der Weltbank – nicht statt208.209 Ist vertraglich nichts anderes bestimmt, reicht für die Beschlußfassung gemäß der Grundregel in Art. IX Abs. 1 Satz 5 WTO-Übereinkommen die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen aus210. Abweichend davon 203

Art. XXV Abs. 4 GATT 1947 sah für Entscheidungen der VERTRAGSPARTEIEN vor, daß die Beschlußfassung grundsätzlich mit Mehrheit zu erfolgen hat. Tatsächlich entwickelte sich allerdings eine Praxis des Konsensus; ausführlich dazu Jackson, The World Trade Organization, Constitution and Jurisprudence, S. 43 und 46 f.; Petersmann, EJIL 1995, S. 161 (194); Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 232 f. 204 Jackson, JIEL 2001, S. 67 (71 f.); Klein, Die Internationalen und Supranationalen Organisationen, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 267 (323 f.); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 122. 205 Vgl. Fußnote 1 zu Art. IX Abs. 1 WTO-Übereinkommen („The body concerned shall be deemed to have decided by consensus on a matter submitted for its consideration, if no Member, present at the meeting when the decision is taken, formally objects to the proposed decision.“). Die deutsche Übersetzung, die von einer Beschlußfassung durch „Konsens“ spricht, ist insofern falsch, denn Konsens ist im Sinne einer expliziten Einstimmigkeit zu verstehen, während es beim Konsensus-Verfahren nur auf das Fehlen einer ausdrücklichen Ablehnung ankommt; zum Ganzen näher Tietje, Die institutionelle Ordnung der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.III., Rn. 51. 206 Für eine graphische Darstellung des WTO-Beschlussverfahrens vgl. Hasse, GATT und WTO im Vergleich, in: Kantzenbach/Mayer (Hrsg.), Von der internationalen Handels- zur Wettbewerbsordnung, S. 59 (71); Senti, WTO, Rn. 334. 207 So im übrigen auch bereits Art. XXV Abs. 3 GATT 1947. 208 Zeller, Die Welthandelsorganisation (WTO), in: Thürer/Kux (Hrsg.), GATT 94 und die Welthandelsorganisation, S. 35 (39); Senti, Die neue Welthandelsordnung, ORDO 45 (1994), S. 301 (303). 209 Anders als die Länder anderer Integrationsräume (z. B. NAFTA oder MERCOSUR), die auch weiterhin als Einzelmitglieder abstimmen, tritt die EG in der WTO in allen Fragen, die vom EG-Vertragswerk abgedeckt sind, als ein Mitglied auf. Der bisherigen GATT-Praxis Rechnung tragend, wird der EG hierbei gem. Art. IX Abs. 1 Satz 4 WTO-Übereinkommen diejenige Stimmenzahl eingeräumt, die der Anzahl ihrer Mitglieder in der WTO entspricht; vgl. Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 36.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

sind in speziellen Regelungen qualifizierte Mehrheiten vorgesehen. So wird etwa für die Beschlüsse der Ministerkonferenz zur Aufnahme neuer Mitglieder in die WTO eine Zweidrittelmehrheit benötigt (Art. XII Abs. 2 Satz 2 WTO-Übereinkommen)211. Auch die Entscheidung über die Annahme des Haushaltes durch den Allgemeinen Rat soll mit Zweidrittelmehrheit erfolgen, wobei diese dabei mehr als die Hälfte aller WTO-Mitglieder umfassen muß (Art. VII Abs. 3 WTO-Übereinkommen). Eine Dreiviertelmehrheit ist hingegen erforderlich für Beschlüsse der Ministerkonferenz bzw. des Allgemeinen Rates, welche die verbindliche Auslegung einzelner Bestimmungen des WTO-Übereinkommens bzw. der multilateralen Handelsübereinkommen betreffen (Art. IX Abs. 2 WTO-Übereinkommen). Auch die Gewährung von Ausnahmegenehmigungen (waiver) erfordert gem. Art. IX Abs. 3 WTO-Übereinkommen grundsätzlich Dreiviertelmehrheit. Unter engen Voraussetzungen ist schließlich die Abstimmung über die Änderung des WTO-Vertragswerkes möglich. Hierfür sieht Art. X WTOÜbereinkommen detaillierte Beschlußmechanismen vor212. Demgemäß soll nach Art. X Abs. 1 WTO-Übereinkommen die Ministerkonferenz in einem ersten Schritt zunächst im Konsensus, bei dessen Nichtzustandekommen jedoch mit Zweidrittelmehrheit darüber entscheiden, ob der Änderungsvorschlag den Mitgliedstaaten überhaupt zur Annahme vorgelegt wird. In einem zweiten Schritt hat dann die Annahme durch die Mitglieder zu erfolgen, wobei hier differenzierte Regelungen im Hinblick auf das Wirksamwerden der Änderungen gelten (Art. X Abs. 2–6 WTO-Übereinkommen). Diesbezüglich ist vorerst zu klären, ob es sich um Vertragsänderungen im vertraglichen Kernbereich handelt oder sonstige Bestimmungen betroffen sind. Sollten Vertragsänderungen nämlich beispielsweise die in Art. I GATT 1994, Art. II Abs. 1 GATS bzw. Art. 4 TRIPS verankerte Meist210 Art. IX Abs. 1 Satz 5 WTO-Übereinkommen gilt explizit nur für die Ministerkonferenz und den Allgemeinen Rat. Eine Regelung über die Abstimmung in den Ausschüssen und speziellen Räten hat daher in deren Geschäftsordnungen zu erfolgen, in denen in der Regel von den Mitgliedern festgelegt worden ist, daß es keine förmlichen Abstimmungen gibt, sondern immer im Konsensus-Verfahren entschieden wird; zum Ganzen Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 199. 211 In der Praxis wird diese Kompetenz der Ministerkonferenz im übrigen regelmäßig vom Allgemeinen Rat wahrgenommen; allgemein zum WTO-Beitrittsverfahren Parenti, Legal Issues of Economic Integration 2000, S. 141 (144 ff.); Rieck, ZEuS 2003, S. 153 ff.; Hilf/Göttsche, RIW 2003, S. 161 ff.; siehe im übrigen auch das ausführliche Material zum Beitritt neuer Mitglieder auf der offiziellen Homepage der WTO unter http://www.wto.org/english/thewto_e/acc_e/acc_e.htm (Stand Oktober 2004). 212 Ausführlich Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 207 ff.; Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 319 ff.; Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (399 f.).

C. Die Rechtsordnung der WTO

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begünstigung oder aber in Art. IX WTO-Übereinkommen festgelegte Entscheidungsverfahren betreffen, so erfordert Art. X Abs. 2 WTO-Übereinkommen Einstimmigkeit. Jedes WTO-Mitglied besitzt demgemäß in diesen vertraglichen Kernbereichen ein Vetorecht213. Für sonstige Änderungen ist eine Zweidrittelmehrheit ausreichend aber auch erforderlich (Art. X Abs. 1 WTO-Übereinkommen), wobei die auf diese Weise gewonnenen Beschlüsse dann lediglich die der Vertragsänderung zustimmenden Länder verpflichten214. Insgesamt sind die Art. IX und X WTO-Übereinkommen vertraglich vorgesehenen Entscheidungs- und Vertragsänderungsverfahren wesentlich komplexer als noch unter dem GATT 1947. Da der Herbeiführung eines gegenseitigen Einvernehmens allerdings auch im Rahmen der WTO noch immer eine große Bedeutung beigemessen wird, wurde von diesen detaillierten vertraglichen Vorgaben in der Praxis bisher kaum Gebrauch gemacht215. Vielmehr haben sich die WTO-Mitglieder in vielen Bereichen zügig darauf verständigen können, auch weiterhin Entscheidungen im Konsensus-Verfahren herbeizuführen216, um auf diese Weise Kompromisse ohne „Gesichtsverlust“ zu ermöglichen und Kampfabstimmungen zu vermeiden217. Angesichts der inzwischen erreichten Anzahl von fast 150 Mitgliedern218 birgt 213

Senti, Die neue Welthandelsordnung, ORDO 45 (1994), S. 301 (303). Allerdings kann die Ministerkonferenz gem. Art. IX Abs. 3 Satz 2 WTOÜbereinkommen beschließen, daß es jedem Mitglied, das die Änderung nicht angenommen hat, freisteht, aus der WTO auszutreten oder mit Zustimmung der Ministerkonferenz Mitglied zu bleiben; zum Ganzen eingehender Senti, WTO, Rn. 329– 332; Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus der Neuen Welthandelsordnung, in: Klein/Meng/Rode (Hrsg.), Die neue Welthandelsordnung der WTO, S. 19 (48 f.); Frenkel/Radeck, Die Beschlüsse der Uruguay-Runde: Hintergrund, Inhalt und Bewertung; in: Frenkel/Bender (Hrsg.), GATT und neue Welthandelsordnung, S. 13 (40). 215 Hilf, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Struktur, Institutionen und Verfahren, in: Bothe (Hrsg.), Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 40, S. 257 (262); Ehlermann, JWT 36 (2002) Nr. 4, S. 605 (634 f.); Tietje, Die institutionelle Ordnung der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.III., Rn. 50 ff. 216 Dies gilt etwa für die Entscheidungen über die Neuaufnahme von Mitgliedern, die Gewährung von Ausnahmegenehmigungen oder aber für die Verabschiedung des jährlichen Haushaltes; vgl. WTO, Decision-Making Procedures under Articles IX and XII of the WTO Agreement, Statement by the Chairman as agreed by the General Council, WT/L/93 vom 24.11.1995. 217 Rudisch, Die institutionelle Struktur der Welthandelsorganisation (WTO): Reformüberlegungen, S. 5 (23). 218 Unter http://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/org6_e.htm ist der jeweils aktuelle Mitgliederbestand im Internet abrufbar (Stand Oktober 2004: 148 Mitglieder). 214

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

ein solches Verhalten zugleich aber die Gefahr der Lähmung und des Stillstandes. Kommen politische Entscheidungen dann aus Mangel an politischem Einvernehmen der Mitglieder nicht mehr zustande, ist angesichts einer effektiven Streitbeilegung die Verlockung groß, die Streitbeilegungsorgane mehr und mehr mit – den eigentlich den politischen Entscheidungsträgern vorbehaltenen – Grundsatzfragen zu konfrontieren219. cc) Durchsetzung des WTO-Rechts Aus der innerstaatlichen Perspektive erwächst auch heute noch die Vorstellung, jede Rechtsordnung sei untrennbar verknüpft mit der womöglich zwangsweisen Durchsetzung von bestehenden Ge- und Verboten. Auf der völkerrechtlichen Ebene stellt sich die Frage nach der Rechtsdurchsetzung in besonderer Weise, denn anders als die nationalen Rechtsordnungen verfügt das Völkerrecht über keine zentrale und den Rechtssubjekten übergeordnete Instanz zur Rechtsdurchsetzung. Es existiert weder eine zwingende, umfassende Gerichtsbarkeit für völkerrechtlicher Streitigkeiten noch eine zentrale Instanz der Weltgesetzgebung oder eine allzeit verfügbare „Polizeigewalt“ zur wirksamen und gleichförmigen Durchsetzung völkerrechtlicher Normen. Nichtsdestotrotz läßt sich die verhaltenslenkende und legitimationsstiftende Kraft des Völkerrechts in der Gegenwart nicht mehr bestreiten und auch die mitunter verbleibenden Defizite in der Rechtsdurchsetzung vermögen seine Geltungsautorität nicht mehr in Frage zu stellen220. Galt noch im Rahmen des GATT 1947 als eines der entscheidenden Defizite die mangelhafte Durchsetzbarkeit seines rechtlichen Ordnungsanspruches221, so stehen seit Gründung der WTO zwei Verfahren für die Rechtsdurchsetzung zur Verfügung, nämlich das Verfahren zur Überprüfung der Handelspolitik (Trade Policy Review Mechanism – TPRM) sowie das Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (Dispute Settlement Understanding – DSU).

219 Jackson, JIEL 2001, S. 67 (74 ff.); Wahl, Konstitutionalisierung – Leitbegriff oder Allerweltsbegriff, in: Eberle u. a. (Hrsg.), Der Wandel des Staates vor den Herausforderungen der Gegenwart, Festschrift für Winfried Brohm, S. 191 (204). 220 Buergenthal/Doehring/Kokott/Maier, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 17 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 1, Rn. 15; Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insbesondere im Welthandelsrecht, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 123 ff.; Beise, WTO, S. 207. 221 Vgl. dazu näher unten 1. Teil C. III. 1. b) cc) (2) (a); ausführlich außerdem Molsberger/Kotios, Ordnungspolitische Defizite des GATT, ORDO 41 (1990), S. 93 (97 f. und 104 f.).

C. Die Rechtsordnung der WTO

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(1) Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik (TPRM) Der auf vorläufiger Grundlage schon seit 1989 bestehende Handelspolitische Überprüfungsmechanismus222, der nunmehr durch ein eigenes Übereinkommen (Annex 3) fest in der WTO verankert und detailliert geregelt ist, stellt ein besonderes Verfahren dar, durch welches die Handels- und Wirtschaftspolitiken der einzelnen Mitglieder regelmäßig in periodischen Zeitabständen hinsichtlich der WTO-rechtlichen Verpflichtungen begutachtet werden223. Durch die Förderung von erhöhter Transparenz und das Bemühen um mehr Verständnis für die Handelspolitiken einzelner Mitglieder zielt der Handelspolitische Überprüfungsmechanismus ab auf die bessere Einhaltung der in den multilateralen Übereinkommen festgeschriebenen Regelungen und damit ein reibungsloses Funktionieren des internationalen Handelssystems insgesamt (vgl. Art. A TPRM)224. (2) WTO-Streitbeilegungsverfahren Anders als der Handelspolitische Überprüfungsmechanismus, welcher in erster Linie ein Instrument der politischen Koordination bzw. der sozialen Kontrolle darstellt225, dient das Streitbeilegungsverfahren der Klärung und Durchsetzung von WTO-Recht im Einzelfall. Dabei ist das bestehende Streitbeilegungssystem nur vor dem Hintergrund der bereits unter dem GATT 1947 geltenden Instrumentarien zur Streitschlichtung nachvollziehbar, auf die Art. 3 Abs. 1 DSU im übrigen auch ausdrücklich Bezug nimmt. (a) Defizite des ursprünglichen Streitbeilegungsverfahrens (GATT 1947) Auch wenn das GATT 1947 ursprünglich kein eigenes Verfahren zur Streitbeilegung vorsah226, haben sich in der GATT-Praxis auf Grundlage 222 Beschluß der VERTRAGSPARTEIEN vom 12.04.1989 zur vorläufigen Einführung des TPRM, GATT Doc. L/6490. 223 Abgedruckt in deutscher Übersetzung etwa bei Benedek, Textausgabe WTO, S. 488 ff. 224 Zum Ganzen näher Tietje, Der Trade Policy Review-Mechanism, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.1., Rn. 1 ff. 225 Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), S. 31; Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insbesondere im Welthandelsrecht, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 123 (171). 226 Khansari, Hastings International and Comparative Law Review 20 (1996), S. 183 (184); Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), S. 130.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

der Artikel XXII (Konsultationen) und XXIII GATT 1947 (Zunichtemachung oder Schmälerung von Vertragsnutzen) im Laufe der Zeit gewohnheitsrechtlich zum Teil sehr detaillierte Verfahrensregeln herausbilden können227. Diese wurden von den VERTRAGSPARTEIEN teilweise sogar sekundärrechtlich verankert228, und somit entstand insgesamt ein Streitbeilegungsinstrumentarium, welches bereits erstaunlich gut funktionierte229 und im Rahmen dessen insgesamt mehr als 200 Verfahren anhängig gemacht wurden230. Allerdings ließen sich bestimmte, dem GATT-Streitschlichtungssystem immanente und zum Teil gravierende Schwächen auch durch gewohnheitsrechtliche Fortentwicklung nicht beheben. Als größtes Defizit des Verfahrens galt, daß die Letztentscheidung über den jeweiligen Streitfall bei den VERTRAGSPARTEIEN verblieb231. Diese mußten darüber im (positiven) Konsens, d. h. unter Beteiligung auch der Streitparteien entscheiden. Hierdurch war der unterlegenen Partei die Möglichkeit zur Ablehnung des Panelberichts und damit faktisch ein Vetorecht eröffnet232. Hinzu kam, daß die bisherigen Regelungen keinen verbindlichen Zeitfahrplan vorsahen und 227 Ausführlich Pescatore, JWT 27 (1993) Nr. 1, S. 5 ff.; Jäger, Streitbeilegung und Überwachung als Mittel zur Durchführung des GATT, S. 217 ff.; Jackson, Restructuring the GATT System, S. 63 ff.; Petersmann, International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System 1948–1996: An Introduction, in: Petersmann (Hrsg.), International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 3 (33 ff.); Specht, Georgia Journal of International and Comparative Law 27 (1998), Nr. 1, S. 57 (72 ff.); Bast/Schmidt, RIW 1991, S. 929 ff.; Porges, Leiden Journal of International Law 1995, S. 115 (116 f.). 228 Vgl. etwa Understanding Regarding Notification, Consultation, Dispute Settlement and Surveillance, vom 28.11.1979, BISD 26S/212; Agreed Description of the Customary Practice of the GATT in the Field of Dispute Settlement (Art. XXIII:2), vom 28.11.1979, BISD, 26S/217; Ministerial Declaration on Dispute Settlement Procedures, vom 29.11.1982, BISD 29S/13; ausführlich zum Ganzen Petersmann, CMLR 1994, S. 1157 (1187 ff.). 229 Jackson, The World Trading System, S. 112; Bail, EuZW 1990, S. 465 (472 f.); Hilf, EuR 2002, Beiheft 1, S. 173 (176 f.); Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), S. 215 ff. 230 Für eine statistische Auswertung der Panelverfahren während der Jahre 1948 bis 1989 siehe Hudec/Kennedy/Sgarbossa, Minnesota Journal of Global Trade 1993, S. 1 ff. 231 Trotz des in Art. XXV Abs. 4 GATT 1947 vorgesehenen einfachen Mehrheitserfordernisses war es ständige GATT-Praxis, daß sich die VERTRAGSPARTEIEN bei wichtigen Entscheidungen, wie etwa der Einrichtung eines Panel, der Bestimmung der Panelmitglieder, der Annahme des Panelberichtes oder der Verhängung von Retorsionen im GATT-Rat einstimmig dafür aussprachen. 232 Hilf, Settlement of Disputes in International Economic Organizations: Comparative Analysis and Proposals for Strengthening the GATT Dispute Settlement Procedures, in: Hilf/Petersmann (Hrsg.), The new GATT Round and Multilateral Trade Negotiations, S. 285 (300 f.).

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die einzelnen GATT-Mitglieder somit das Verfahren beliebig verzögern konnten, etwa um die Einsetzung eines GATT-Panel zu vermeiden oder die Annahme eines Panelberichtes zu blockieren233. Problematisch war zudem die Unverbindlichkeit der Schiedssprüche. Angenommene Panelberichte waren kaum oder überhaupt nicht durchsetzbar. Einen Vollstreckungsmechanismus gab es nicht234. Vielmehr galt im wesentlichen das Prinzip des freiwilligen Selbstvollzugs. Als letztes Mittel blieb der Beschwerdepartei letztlich nur die Retorsion235. Auch bestand für die jeweilige Prozeßpartei aufgrund der zum Teil unterschiedlichen Streitbelegungsbestimmungen in den verschiedenen Bereichen des GATT die Möglichkeit eines sog. forum shopping, also die prozeßtaktische Auswahl desjenigen Gerichtsstandes, bei dem sie sich das für sie günstigste Prozeßergebnis erhoffen konnte236. Schließlich wurde häufig die unzureichende Qualität der Abschlußberichte beklagt. Da diese in einem überwiegend diplomatisch orientierten Verfahren zustande gekommen waren, fehlte ihnen oft die rechtliche Substanz, um als Orientierungs- und Interpretationshilfe in nachfolgenden Streitfällen dienen zu können237. (b) Überblick über die Neuerungen durch das WTO-Streitbeilegungsverfahren Die Beseitigung dieser Defizite war eines der zentralen Themen der Uruguay-Runde und ist mit deren Abschluß auch weitgehend gelungen238. Die fundamentalen Änderungen des Streitbeilegungsverfahrens betreffen sowohl 233 Petersmann, CMLR 1994, S. 1157 (1203); Voigt, Die Welthandelsordnung zwischen Konflikt und Stabilität, S. 170. 234 In der Praxis lastete allenfalls ein kollektiver moralischer Druck auf den Staaten, die ihr Verhalten nicht den GATT-Verpflichtungen anpassen wollten; als Bereich, in welchem die Vertragsparteien diesem Druck hartnäckig standgehalten haben, gilt insbesondere die Landwirtschaft, die weder von den USA noch der EG GATT-konform ausgestaltet wurde; zum Ganzen Long, Law and its Limitations in the GATT Multilateral Trade System, S. 66. 235 Heselhaus, JA 1999, S. 76 (79); Backes, RIW 1995, S. 916; Mauderer, Der Wandel vom GATT zur WTO und die Auswirkungen auf die Europäische Gemeinschaft, S. 38 f.; Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), S. 207 ff.; zum Ganzen im übrigen Hahn, Die einseitige Aussetzung von GATT-Verpflichtungen als Repressalie, S. 156 ff. 236 Insbesondere die Kodizes der Tokio-Runde mit ihren jeweils eigenen Verfahrensbestimmungen führten zu einer Diversifizierung der streitverfahrensrechtlichen Bestimmungen; dazu Montana I Mora, Columbia Journal of Transnational Law 1993, 103 (124 f.); Petersmann, CMLR 1994, S. 1157 (1203); McLarty, Florida Journal of International Law 1994, S. 241 (265). 237 Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), S. 214 f.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

materielle als auch prozessuale und institutionelle Belange. Letztere finden ihre Rechtsgrundlage im WTO-Übereinkommen selbst und zwar in den Artikeln III Abs. 3 und IV Abs. 3 WTO-Übereinkommen. Zentrale Bedeutung hat daneben die als Annex 2 zum WTO-Übereinkommen verabschiedete Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes – DSU)239, in welcher die wesentlichen Verfahrensfragen detailliert geregelt sind. Dabei verweist Art. 3 Abs. 1 DSU hinsichtlich der materiellen Grundlagen ausdrücklich auf die unverändert in das GATT 1994 übernommenen Art. XXII und XXIII und die hierzu gewohnheitsrechtlich entwickelten Streitbeilegungsstrukturen des GATT 1947. Hinzu kommen insbesondere die vom Appellate Body selbst ausgearbeiteten Verfahrensvorschriften für die Rechtsmittelinstanz (Working Procedures for Appellate Review)240. (aa) Einheitliches Streitbeilegungssystem Die Streitbeilegungsvereinbarung erstreckt sich gem. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 DSU auf alle Streitigkeiten, die aufgrund der Bestimmungen über Konsultationen und Streitbeilegung der in Anhang 1 zum DSU genannten Übereinkommen (covered agreements) vorgebracht werden. Einbezogen sind damit das WTO-Übereinkommen, die multilateralen Übereinkommen nach Annex 1 A, 1 B und 1 C, das DSU selbst sowie die derzeit noch bestehenden zwei plurilateralen Übereinkommen241. Ausgenommen ist lediglich der Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik, da dieser ein eigenständiges präventives Überwachungsinstrument zur Beurteilung nationalstaatlicher Handelspolitiken darstellt. Einige der multilateralen Übereinkommen weisen besondere oder zusätzliche Regeln und Verfahren zur Streitbeilegung auf, die in Anhang 2 zum DSU aufgeführt sind und dem DSU als leges 238 Leebron, Columbia Journal of Transnational Law 1995, S. 11 (14 ff.); Young, International Lawyer 1995, S. 389 (391); Stewart/Burr, North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation 1998, S. 481 (486 ff.). 239 Abgedruckt in deutscher Übersetzung etwa bei Tietje, Textsammlung WTO, S. 295 ff. 240 Working Procedures for Appellate Review, WT/AB/WP/1 vom 15.02.1996 (ursprüngliche Version); als derzeit aktuelle Version vgl. WT/AB/WP/7 vom 01.05.2003. Ab dem 1. Januar 2005 werden erneut Änderungen in Kraft treten, vgl. WTO-Dok. WT/AB/WP/9 vom 07.10.2004. 241 Zudem gelten gem. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 DSU die Regeln und Verfahren des DSU für Konsultationen und die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Mitgliedern im Hinblick auf ihre Rechte und Pflichten nach den Bestimmungen des WTO-Übereinkommens und des DSU entweder allein oder in Verbindung mit einem anderen unter das DSU fallenden Übereinkommen.

C. Die Rechtsordnung der WTO

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speciales vorgehen (Art. 1 Abs. 2 Satz 2 DSU)242, wobei das DSU jedoch grundsätzlich anwendbar bleibt. Insgesamt folgen die Regelungen zur WTO-Streitbeilegung damit dem Prinzip des Einheitsabkommens (single undertaking approach) und bilden ein integriertes System der Streitbeilegung243. (bb) Errichtung eigener Streitbeilegungsorgane Hierzu dient auch die Errichtung eines einheitlichen Streitbeilegungsgremiums, des sog. Dispute Settlement Body (DSB). Dieser setzt sich aus den Vertretern aller Mitglieder zusammen244, ist zuständig für sämtliche Streitschlichtungsverfahren innerhalb der WTO und überwindet so die frühere Möglichkeit des forum shopping. Zu seinen Aufgaben gehört die Verwaltung des Streitbeilegungsverfahrens und damit gem. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 DSU die Einberufung der Panels, die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung von Panel- bzw. Appellate Body-Berichten, die Überwachung der Umsetzung von Entscheidungen und Empfehlungen und schließlich die Genehmigung bzw. Ablehnung der Aussetzung von Zugeständnissen und sonstigen Verpflichtungen aus den WTO-Übereinkommen. Wahrgenommen werden gem. Art. IV Abs. 3 Satz 1 WTO-Übereinkommen die Aufgaben des DSB vom Allgemeinen Rat und zwar in dessen Funktion als Streitbeilegungsgremium. Da der DSB über eine eigene Geschäftsordnung verfügt und einen eigenen Vorsitzenden einsetzen kann (Art. VI Abs. 3 Satz 2 WTO-Übereinkommen), ist er selbständiges Organ der WTO245. Neu gegenüber dem früheren Streitschlichtungsverfahren ist auch die Möglichkeit eines Rechtsmittelverfahrens, welches gem. Art. 17 DSU von einer ständigen zweiten Entscheidungsinstanz – dem sog. Appellate Body – durchgeführt wird246.

242 So etwa das Subventionsübereinkommen in Art. 4 Abs. 2 bis 12 SCM im Hinblick auf Konsultationen, in Art. 7 Abs. 2 bis 10 SCM hinsichtlich der Einsetzung einer Sondergruppe und in Art. 24 Abs. 4 SCM zum Gutachten einer Ständigen Sachverständigengruppe; außerdem Art. XXII GPA. 243 So auch der Appellate Body in Brazil – Desiccated Coconut, AB, S. 13; Guatemala – Cement, AB, para. 66. 244 Wendet der DSB die Streitbeilegungsbestimmungen eines plurilateralen Übereinkommen an, dürfen sich gem. Art. 2 Abs. 1 Satz 4 DSU allerdings nur solche Mitglieder an den vom DSB hinsichtlich dieser Streitigkeit getroffenen Entscheidungen oder ergriffenen Maßnahmen beteiligen, die Vertragsparteien des betreffenden Übereinkommens sind. 245 Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 265; Tietje, Die institutionelle Ordnung der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.III., Rn. 23. 246 Dazu ausführlich unten 3. Teil.

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(cc) Umkehr des Konsensprinzips Nach Art. 2 Abs. 4 DSU hat eine Entscheidung des DSB grundsätzlich im Konsens (consensus) zu erfolgen und gilt demgemäß nur dann als beschlossen, wenn kein auf der DSB-Sitzung anwesendes Mitglied gegen die vorgeschlagene Entscheidung förmlich Einspruch erhebt247. Auf den ersten Blick scheint es, als folge das DSU damit im Hinblick auf die Beschlußfassung der für das GATT 1947 geltenden Form des Konsensprinzips. Eine nähere Prüfung zeigt allerdings, daß das DSU für alle prozessual bedeutenden Beschlüsse innerhalb des Verfahrens248 gerade eine Umkehrung des (positiven) Konsensprinzips eingeführt hat (reverse or negative consensus). Eine Entscheidung kann dementsprechend nur dann abgelehnt werden, wenn sich alle bei einer Sitzung anwesenden DSB-Mitglieder geschlossen gegen die Entscheidung aussprechen. Dieser Fall ist seit Gründung der WTO noch nie eingetreten, und auch zukünftig dürfte es höchst unwahrscheinlich sein, daß sich eine obsiegende Partei eines Verfahrens jemals an einem den Schiedsspruch ablehnenden Konsens beteiligen wird. Die Umkehrung des ursprünglich geltenden Konsensprinzips gilt als die wohl bedeutendste Neuerung der im Rahmen der Uruguay-Runde erreichten Verfahrensreformen, da sie den diplomatischen Charakter des GATT-Streitschlichtungsverfahrens zugunsten eines gerichtsförmigen Verfahrens verdrängt hat249. War unter dem GATT 1947 die Einrichtung eines Panel oder aber die Annahme des Panelberichtes gegen den Willen des Beschwerdegegners ausgeschlossen, so kann nunmehr beides nur noch dann verweigert werden, wenn sich der DSB einstimmig dafür ausspricht (vgl. Art. 6 Abs. 1 bzw. Art. 16 Abs. 4 Satz 1 DSU). Da die Einsetzung eines Panel bzw. die spätere Annahme eines Panelberichts nur noch im äußersten Ausnahmefall durch die accused party verhindert werden kann, erfolgt nicht nur die Eröffnung des Verfahrens, sondern auch zu dessen Abschluß gewissermaßen automatisch250.251

247 Fußnote 1 zu Art. 2 Abs. 4 DSU lautet „The DSB shall be deemed to have decided by consensus on a matter submitted for its consideration, if no Member, present at the meeting of the DSB when the decision is taken, formally objects to the proposed decision“. 248 Vgl. Art. 6 Abs. 1 DSU (Einsetzung der Panels); Art. 16 Abs. 4 Satz 1 DSU (Annahme der Panelberichte); Art. 17 Abs. 14 DSU (Annahme von Berichten des Appellate Body); Art. 22 Abs. 6 DSU (Entscheidung über die Aussetzung von Zugeständnissen). 249 Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (396); Tietje, Die institutionelle Ordnung der WTO, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.III., Rn. 73; Reich, Northwestern Journal of International Law & Business 1996/97, S. 775 (794 ff.).

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(dd) Verfahrensbeschleunigung In der Praxis der GATT-Streitbeilegung konnten die einzelnen Parteien das Verfahren auf unterschiedliche Weise verzögern und sogar ganz blockieren252. Das Fehlen von Fristvorgaben und vor allem das bereits mehrfach angesprochene Erfordernis der Einstimmigkeit sowohl bei der Errichtung der Panels als auch bei der Annahme der Abschlußberichte verlieh insbesondere der „verklagten“ Partei de facto ein Vetorecht über Fortgang und auch Abschluß des Verfahrens. Demgegenüber wird das in Art. 3 Abs. 3 DSU genannte Ziel einer schnellen Klärung von Streitigkeiten (prompt settlement of disputes) durch die auch im Vergleich zu nationalen Verfahren knapp bemessenen Verfahrensfristen des DSU umgesetzt253. Diesen zeitlichen Vorgaben zufolge soll das streitige, sich gegebenenfalls über zwei Instanzen erstreckende Verfahren insgesamt nicht mehr als neun bzw. für das Rechtsmittelverfahren nicht mehr als zwölf Monate dauern254. Auch wenn der enge Zeitrahmen sich in der Praxis bisweilen als zu ehrgeizig erwiesen hat255 und als zu strikt kritisiert wird256, folgt die Notwendigkeit einer zügigen Klärung der WTO-Streitigkeiten bereits daraus, daß regelmäßig erhebliche wirtschaftliche Interessen berührt sein werden und zudem keine Möglichkeit zum vorläufigen Rechtsschutz besteht257.

250 Feliciano/van den Bossche, The Dispute Settlement System of the World Trade Organization: Institutions, Process and Practice, in: Blokker/Schermers (Hrsg.), Proliferation of International Organizations, S. 297 (309 f.); Schroeder/ Schonard, RIW 2001, S. 658; Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 434 („notarielles“ Handeln des DSB). 251 Diese – die Souveränität der WTO-Mitglieder nicht unerheblich einschränkende – Verfahrensweise hat vor allem in den USA Kritik hervorgerufen; vgl. nur Jackson, Columbia Journal of Transnational Law 1997/98, S. 157 (165 ff.). 252 Ausführlich mit Verweisen auf einzelne Panelberichte Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 332 (Fn. 126). 253 Vgl. etwa Art. 12 Abs. 8 und 9, Art. 17 Abs. 5, Art. 20, Art. 21 Abs. 4 DSU sowie den in den Panelverfahrensvorschriften vorgegebenen Zeitplan (Working Procedures, Anhang 3 zum DSU, para. 12); zum Ganzen Cottier, CMLR 1998, S. 325 (343 f.); Vermulst/Driessen, JWT 29 (1995) Nr. 2, S. 131 (140 ff.). 254 Dabei erstreckt sich die Frist gem. Art. 20 Satz 1 DSU auf den Zeitraum zwischen der Einsetzung eines Panel durch den DSB und dem Zeitpunkt, zu dem der DSB den Panelbericht zur Annahme prüft (9 Monate) bzw. zu dem gegen den Panelbericht Berufung eingelegt wurde (12 Monate). 255 Deutlich überschritten wurde der zeitliche Rahmen bisher z. B. im Hormonfall (EC – Hormones) bzw. im Streit um die EU-Bananenmarktordnung (EC – Bananas); vgl. Leier, EuZW 1999, S. 204 (206). 256 Sack, EuZW 1997, S. 650 (651 – „Schnellschußjustiz“); Fudali, Netherlands International Law Review 2002, S. 39 (68 ff.); zu diesbezüglichen Reformvorschlägen vgl. Witt, RIW 2000, S. 691 (698); Petersmann, JIEL 2003, S. 237 (241).

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

(c) Ablauf des WTO-Streitbeilegungsverfahrens Die Einleitung eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens stützt sich grundsätzlich auf die von einem WTO-Mitglied vorgebrachte Behauptung, nicht oder nur eingeschränkt in den Genuß solcher Vorteile zu kommen, welche ihm unter einem der WTO-Übereinkommen erwachsen sollten258. Im Regelfall beruht eine solche Schmälerung bzw. Zunichtemachung von Handelsvorteilen (nullification or impairment of benefits) auf der Verletzung von WTOVerpflichtungen durch ein anderes WTO-Mitglied (sog. Verletzungsbeschwerde – violation complaint)259. Allerdings ist es auch möglich, daß eine von einem Mitglied durchgeführte Maßnahme zwar nicht gegen eine aus einem der Übereinkommen erwachsende Verpflichtung verstößt, gleichwohl aber Zugeständnisse oder Vorteile eines anderen Mitglieds zunichte gemacht oder geschmälert sind. In einem solchen Fall spricht man von einer sog. Nichtverletzungsbeschwerde (non-violation complaint)260, deren Rechtsfolgen im Vergleich zum violation complaint etwas anders konzipiert aber ebenfalls im DSU festgelegt sind261. Praktisch bedeutungslos ist hingegen der sog. situation complaint und damit die dritte Möglichkeit, mit der eine Schmälerung oder Zunichtemachung von Handelsvorteilen geltend gemacht werden kann262. Erfaßt werden sollen hiermit solche Fälle, die weder eine 257 Leier, EuZW 1999, S. 204 (206); Hilf, EuR 2002, Beiheft 1, S. 173 (180); vgl. allerdings Art. 4 Abs. 10 DSU, demzufolge sich die Streitparteien, die Panels und der Appellate Body in „dringenden Fällen“ um Beschleunigung des Verfahrens bemühen sollen. 258 Vgl. etwa Art. XXIII Abs. 1 GATT 1994 für den Güterhandel oder Art. XXIII GATS für den Dienstleistungshandel; siehe außerdem Art. 3 Abs. 3 DSU; daneben kommt gem. Art. XXIII Abs. 1 GATT 1994 neben der Zunichtemachung oder Schmälerung auch die Behinderung der Erreichung eines der Ziele der Übereinkommen in Betracht (impediment). 259 Waincymer, WTO Litigation, S. 91 f.; Feliciano/van den Bossche, The Dispute Settlement System of the World Trade Organization: Institutions, Process and Practice, in: Blokker/Schermers (Hrsg.), Proliferation of International Organizations, S. 297 (307 ff.); Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 423. 260 Zu den non-violation complaints vgl. Cottier/Schefer, Non-Violation Complaints in WTO/GATT Dispute Settlement: Past, Present and Future, in: Petersmann (Hrsg.), International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 145 ff.; Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems of International Economic Relations, S. 357 ff.; Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 126 ff. 261 Art. 26 Abs. 1 DSU; zu beachten ist allerdings, daß hinsichtlich der non-violation complaints einige Übereinkommen spezielle Regelungen treffen (etwa Art. 64 Abs. 2 TRIPS). 262 Bisher erging zu den situation complaints noch kein einziger Bericht; vgl. Petersmann, The GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 173; Waincymer, WTO Litigation, S. 110 f.

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Verletzungs- noch eine Nichtverletzungsbeschwerde darstellen, sondern durch sonstige außergewöhnliche Umstände verursacht worden sind263. Streitparteien eines Streitschlichtungsverfahrens können nur WTO-Mitglieder sein, also vor allem Staaten, die EG oder aber Zollgebiete, die in der Wahrnehmung ihrer Angelegenheit volle Handlungsfähigkeit besitzen. Denn gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 DSU haben die WTO-Mitglieder anerkannt, daß das WTO-Streitbeilegungssystem „dazu dient, die Rechte und Pflichten der Mitglieder aus den unter die Vereinbarung fallenden Übereinkommen zu bewahren“. Ist mithin die WTO-Streitbeilegung ihrer Konzeption nach auf die Interaktion von Staaten bzw. ihren Regierungen und Delegationen gerichtet, wird verständlich, warum es derzeit weder WTO-Organen möglich ist, im allgemeinen Interesse ein Verfahren gegen ein WTOMitglied einzuleiten, noch Privatpersonen oder aber Unternehmen Zugang zum Streitverfahren haben264. Gleichwohl wird von den Regierungen im Rahmen eines Verfahrens mitunter zurückgegriffen auf externen Sachverstand, also beispielsweise Wissenschaftler, Rechtsanwälte oder sonstige beratende Experten. Diese können ohne weiteres in den Verhandlungen auftreten und das Wort ergreifen, sofern sie offizielle Mitglieder der jeweiligen Delegation sind und als solche auch zuvor notifiziert wurden265. Zu unterscheiden von der Position der Streitparteien ist die eines Dritten (third party). An mehreren Stellen enthält das DSU Regelungen, welche die Beteiligung dieser nicht direkt am kontradiktorischen Verfahren beteiligten Mitglieder vorsehen und dabei zugleich stets auf bestimmte prozessuale Rechte einschränken266. 263 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang insbesondere Art. 26 Abs. 2 DSU, der die Anwendbarkeit des DSU auf den situation complaint einschränkt und statt dessen die Streitbeilegungsregeln und Verfahren des Beschlusses vom 12.04.1989 (BISD 36S/61-67) für anwendbar erklärt; dazu Petersmann, CMLR 1994, S. 1157 (1214). 264 Näher zur Rolle privater Parteien in der WTO-Streitbeilegung Hilpold, IStR 2002, S. 31 (31 f.); Witt, RIW 2000, S. 691 (692); Ohlhoff, EuZW 1999, S. 139 ff.; Behrens, Die private Durchsetzung von WTO-Recht, in: Nowak/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO, S. 201 (214 ff.); Reinisch/Irgel, Non-State Actors and International Law 2001, S. 127 ff.; Robertson, The World Economy 23 (2000), S. 1119 ff. 265 Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 471 ff.; zum Ganzen ausführlich Pauwelyn, ICLQ 2002, S. 325 ff. 266 Art. 4 Abs. 11 DSU (Beteiligung Dritter im Konsultationsverfahren); Art. 9 DSU (Verfahren für mehrere Beschwerdeführer); Art. 10 DSU (Dritte); Art. 17 Abs. 4 DSU (Recht auf schriftliche Stellungnahme im Revisionsverfahren); zum Ganzen ausführlicher Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, S. 327 ff.; Covelli, JWT 33 (1999) Nr. 2, S. 125 ff.; Antoniadis, Legal Issues of Economic Integration 2002, S. 285 ff.; allgemein zum Völkerrecht Chinkin, Third Parties in International Law, S. 147 ff.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

Der neue Streitbeilegungsmechanismus läßt sich in insgesamt vier Abschnitte aufteilen und zwar in die Phase der Konsultationen, das Panelverfahren, das Rechtsmittelverfahren sowie die Phase der Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen267. Parallel hierzu können die Streitparteien gem. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 DSU während des gesamten Verfahrens auf weitere Instrumente der diplomatischen Konfliktlösung zurückgreifen268 bzw. haben für den Fall klar definierter Streitfragen gem. Art. 25 Abs. 1 DSU die Möglichkeit, ein beschleunigtes Schiedsverfahren als alternatives Mittel der Streitbeilegung zu wählen. Hiervon wird in der Praxis aber kaum Gebrauch gemacht269. (aa) Konsultationen, Art. 4 DSU Das WTO-Streitbeilegungsverfahren beginnt stets mit einem formalen Konsultationsbegehren270. Ist ein WTO-Mitglied der Auffassung, das Verhalten eines anderen Mitglieds beeinträchtige die ihm vertraglich zugesicherten Rechte, so kann es bezüglich der beklagten Handelsmaßnahme die Aufnahme von Konsultationen schriftlich beantragen. Dieser Antrag, der bereits eine erste Umschreibung des späteren Verfahrensgegenstandes darstellt271, ist gem. Art. 4 Abs. 4 Satz 2 DSU zu begründen und zwar unter Angabe der strittigen Maßnahmen und der Rechtsgrundlage für die Be267 Zum Verlauf des WTO-Streitschlichtungsverfahrens siehe das Ablaufdiagramm auf der WTO-Homepage unter http://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/disp2_e.htm (Stand Oktober 2004); vgl. außerdem die Übersichten bei Sittmann, RIW 1997, S. 749 (753) sowie Petersmann, CMLR 1994, S. 1157 (1212). 268 Angesprochen sind hiermit die Guten Dienste, der Vergleich und die Vermittlung, die sich im Unterschied zu den Konsultationen dadurch auszeichnen, daß ein unbeteiligter Dritter zur Konfliktlösung hinzugezogen wird; zum Ganzen Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), S. 91 ff.; Weiß/ Hermann, Welthandelsrecht, Rn. 278 f. 269 Gramlich, Die Wirkung von Entscheidungen des Dispute Settlement Body der WTO: Völkerrecht, Europarecht, staatliches Recht, in: Geiger (Hrsg.), Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht vor dem Hintergrund zunehmender Verdichtung der internationalen Beziehungen, S. 187 (203); Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 150. Bis Juni 2004 wurde lediglich ein Verfahren nach Art. 25 DSU durchgeführt (US – Section 110 (5) of the US Copyright Act, WT/DS160/ARB25/1, vom 09.11.2001). 270 Der Ablauf des Konsultationsverfahrens wird im wesentlichen in Art. 4 DSU geregelt. Spezielle Vorschriften lassen sich aber auch in den übrigen WTO-Übereinkommen finden; mit ausführlichen Nachweisen dazu Schmodde, Das Konsultationsverfahren im Streitbeilegungssystem der WTO, S. 4, Fn. 12; zum Konsultationsverfahren des GATT 1947 (Art. XXII GATT 1947) siehe nur Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 311 ff. 271 Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 478; Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 85.

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schwerde. Die Gegenseite ist dann verpflichtet, binnen 10 Tagen auf den Antrag zu reagieren und kann innerhalb von 30 Tagen Konsultationen aufnehmen mit dem Ziel, eine zufriedenstellende Lösung der Angelegenheit zu finden (Art. 4 Abs. 3 Satz 1 bzw. Abs. 4 Satz 2 DSU). Zwar ist das Konsultationsbegehren dem DSB zu notifizieren (Art. 4 Abs. 4 Satz 1 DSU), die eigentlichen Verhandlungen werden jedoch allein von den Parteien und ohne die Aufsicht oder Einflußnahme eines übergeordneten Dritten durchgeführt272. Gem. Art. 4 Abs. 6 DSU sind die Verhandlungen vertraulich und lassen die Rechte der Parteien im weiteren Verfahren zudem unberührt. Insgesamt handelt sich um ein zwischenstaatliches, diplomatisches Verfahren, dessen Ziel es ist, den Streit einvernehmlich beizulegen und eine streitige Auseinandersetzung vor dem Panel zu vermeiden273. Kommt es innerhalb eines Zeitraums von 60 Tagen, gerechnet ab Eingang des Antrags, nicht zu einer einvernehmlichen Lösung zwischen den Parteien, kann das antragsstellende Mitglied gem. Art. 4 Abs. 7 Satz 1 DSU die Einsetzung eines Panel beantragen. Gleiches gilt, wenn der Adressat auf das Konsultationsbegehren überhaupt nicht reagiert bzw. das Konsultationsverfahren nicht innerhalb der dreißigtätigen Frist eröffnet (Art. 4 Abs. 3 Satz 2 DSU). Beendet wird das Konsultationsverfahren demgemäß entweder durch eine gütliche Beilegung des Streites oder aber die Stellung des Antrags auf Einsetzung eines Panel. (bb) Panelverfahren, Art. 6 ff. DSU Das eigentlich streitige Verfahren beginnt mit dem Antrag auf Einsetzung eines Panel, über den der DSB im umgekehrten Konsens zu entscheiden hat (Art. 6 Abs. 1 DSU). In Fortführung der GATT-Praxis handelt es sich bei einem Panel um ein unabhängiges und für jeden Streitfall neu zusammengesetztes Gremium von regelmäßig drei bzw. ausnahmsweise auch fünf Experten (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 DSU)274, die nicht Staatsangehörige der am 272 Nicht ausgeschlossen ist hingegen die Teilnahme von Drittparteien, wenn diese ein wesentliches Interesse an den Konsultationen geltend machen, vgl. Art. 4 Abs. 11 DSU; dazu Komuro, JWT 29 (1995) Nr. 4, S. 5 (46). 273 Vgl. Art. 3 Abs. 7 Satz 2, Art. 4 Abs. 3 sowie Abs. 5 DSU; ausführlich zum Ganzen Schmodde, Das Konsultationsverfahren im Streitbeilegungssystem der WTO, S. 6 ff. 274 Der Ausdruck panel ist die Kurzform für panel of experts. Die Praxis zur Bildung von Panels geht zurück auf das Jahr 1952. Anlaß war der Fall Treatment by Germany of Imports of Sardines, GATT Panel Report, BISD 1S/53; ausführlich zum Ganzen Thomas, JWT 30 (1996) Nr. 2, S. 53 (56 ff.); Nichols, Virginia Journal of International Law 1996, S. 379 (392 ff.); Pescatore, JWT 27 (1993) Nr. 1, S. 5 ff.; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 314 ff.

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Streit beteiligten Parteien sein sollen (Art. 8 Abs. 3 DSU). Die Mitglieder des Panel werden vom WTO-Sekretariat benannt275, wobei den Streitparteien bei Vorliegen zwingender Gründe ein Recht zur Ablehnung zusteht (Art. 8 Abs. 6 Satz 1 und 2 DSU)276. Erklären sich die Parteien wiederholt mit der personellen Zusammensetzung eines Panel nicht einverstanden, so ernennt der WTO-Generalsekretär die seiner Ansicht nach geeignetsten Mitglieder (Art. 8 Abs. 7 DSU). Der Antrag auf Einsetzung eines Panel, der gem. Art. 6 Abs. 2 DSU schriftlich abzufassen ist, muß Angaben enthalten über zuvor durchgeführte Konsultationen277 sowie die einzelnen im Streit stehenden Maßnahmen. Auch soll er in kurzer Form die Rechtsgrundlage der Beschwerde angeben, so daß der Streit- bzw. Verfahrensgegenstand klar ersichtlich wird. In der neueren WTO-Spruchpraxis wird hierbei unterschieden zwischen dem Rechtsbegehren (claim) und dessen Begründung (argument). Während der claim im Laufe des Verfahrens nicht mehr abänderbar ist, ist es üblich und auch zulässig, die Begründung in den Schriftsätzen und anlässlich der Anhörungen kontinuierlich zu entwickeln und zu ergänzen278. Im Regelfall, d. h. sofern die Streitparteien nicht innerhalb von zwanzig Tagen nach Einsetzung eines Panel etwas anderes vereinbaren, wird durch diese Angaben das Standardmandat des Panel (standard terms of reference) 275 Zur Unterstützung der Auswahl von Panel-Mitgliedern führt das WTO-Sekretariat eine Liste geeigneter Personen (Art. 8 Abs. 4 Satz 1 DSU); vgl. WTO, Indicative List of Governmental and Non-Governmental Panelists, WT/DSB/17 vom 03.11.1999; zu den Forderungen nach einer dauerhaften Bestellung der Panelisten vgl. Lavranos, Legal Issues of Economic Integration 2002, S. 73 (79); Weiler, JWT 35 (2001) Nr. 2, S. 191 (202); Davey, A Permanent Panel Body for WTO Dispute Settlement: Desirable or Practical, in: Kennedy/Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, S. 496 ff.; Davey, JWT 34 (2000) Nr. 1, S. 167 (169); sowie die Änderungsvorschläge der EU Contribution of the European Communities and its Member States to the Improvement of the WTO Dispute Settlement Understanding, TN/DS/W/1, vom 13.03.2002, S. 2 ff. (Moving from ad hoc to more permanent Panelists). 276 Zur Zusammensetzung von Panels siehe Art. 8 DSU; Verhaltensregeln für Panelmitglieder finden sich in den Rules of Conduct for the Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes, Document WT/DSB/RC/1, vom 11.12.1996; dazu Marceau, JWT 32 (1998) Nr. 3, S. 57 ff. 277 Zu der Problematik, inwieweit die Konsultationsphase obligatorisch ist, siehe Schmodde, Das Konsultationsverfahren im Streitbeilegungssystem der WTO, S. 13 sowie S. 25 ff. mit Nachweisen zur WTO-Spruchpraxis. 278 EC – Bananas, AB, para. 141 „there is a significant difference between the claims identified in the request for the establishment of a panel, which establish the panel’s terms of reference under Article 7 of the DSU, and the arguments supporting those claims, which are set out and progressively clarified in the first written submissions, the rebuttal submissions and the first and second panel meetings with the parties.“

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festgelegt279. Gem. Art. 7 Abs. 1 DSU sieht dieses vor, daß „im Lichte der einschlägigen Bestimmungen in (Bezeichnung des/der unter die Vereinbarung fallenden Übereinkommen/s, auf das/die sich die Streitparteien beziehen) die von (Name der Partei) in Dokument . . . dem Dispute Settlement Body unterbreitete Angelegenheit“ zu „prüfen“ und „Feststellungen“ zu treffen sind, „die den Dispute Settlement Body bei seinen in diesem/diesen Übereinkommen vorgesehenen Empfehlungen oder Entscheidungen unterstützen“. Dabei beschränkt sich das Mandat gem. Art. 7 Abs. 2 DSU im Hinblick auf die zu prüfenden WTO-Vorschriften auf die „einschlägigen Bestimmungen aller unter die Vereinbarung fallenden Übereinkommen, auf die sich die Streitparteien beziehen“. Im Ergebnis liegt damit die Bestimmung des Streitgegenstandes bei der antragstellenden Partei. Sofern nämlich die Streitparteien keine Einigung über eine abweichende Bestimmung treffen, gilt die vom Antragssteller gerügte Maßnahme als Streitgegenstand280. Der Umfang der Prüfungsbefugnis (standard of review, Kontrolldichte) eines Panel ergibt sich aus seiner Aufgabe, zu der nach Art. 11 Satz 2 DSU unter anderem gehört, eine objektive Beurteilung des Sachverhaltes (objective assessment of the facts) und seiner Vereinbarkeit mit dem Welthandelsrecht vorzunehmen. Anders als im Rahmen der GATT-Streitbeilegung, bei der der Fokus auf einen politischen Ausgleich gerichtet war, erfolgt hier mithin vor allem eine rechtliche Beurteilung der gerügten Maßnahmen. Dazu bedarf es einer objektiven Tatsachenbeurteilung, die jedoch weder eine völlige Neuerhebung der Tatsachen zuläßt, noch eine bloße Übernahme der Sichtweisen der jeweiligen Streitparteien rechtfertigt281. Das Panel richtet sich bei seiner Arbeit gem. Art. 12 Abs. 1 DSU nach den in Anhang 3 zum DSU aufgeführten Regeln zum Arbeitsverfahren (Working Procedures)282. Diesen zufolge erhalten die Parteien zunächst Gelegenheit, in schriftlichen Stellungnahmen bzw. zwei mündlichen Verhandlungen ihre Standpunkte vorzutragen und Beweismittel einzureichen. Im Anschluß hieran legt das Panel den Parteien einen ersten Berichtsentwurf 279

Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 269; Feliciano/van den Bossche, The Dispute Settlement System of the World Trade Organization: Institutions, Process and Practice, in: Blokker/Schermers (Hrsg.), Proliferation of International Organizations, S. 297 (317 ff.). 280 Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), S. 267 f.; Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 479 (Fn. 55). 281 Aus der WTO-Spruchpraxis siehe etwa EC – Hormones, AB, paras. 116 ff.; Argentina – Footwear Safeguards, AB, paras. 119 f.; ausführlich zum Ganzen Zleptnig, European Business Law Review 2002, S. 427 ff.; Oesch, JIEL 2003, S. 635 ff.; Ehlermann, JIEL 2003, S. 695 (701 ff.); McNelis, JIEL 2001, S. 189 (196 ff.). 282 Im folgenden Panel Working Procedures; ausführlich zum Ablauf des Panelverfahrens Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 89 ff.; Weiß/Hermann, Welthandelsrecht, Rn. 292 ff.

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(draft report) zur Stellungnahme vor, der neben dem Tatbestand auch die rechtlichen Ausführungen der Parteien enthält (Art. 15 Abs. 1 DSU). Nach Berücksichtigung etwaiger Kommentare händigt das Panel den Parteien einen sog. Zwischenbericht (interim report) aus, zu dem diese sich erneut äußern dürfen (Art. 15 Abs. 2 DSU). Bleiben diesbezügliche Stellungnahmen aus, so wird der Zwischenbericht gem. Art. 15 Abs. 2 Satz 4 DSU) als Abschlußbericht betrachtet. Andernfalls hat sich das Panel im Abschlußbericht mit den in der Zwischenprüfung von den Parteien aufgeworfenen Fragen zu befassen (Art. 15 Abs. 3 DSU). Im Abschlußbericht (final report) stellt das Panel den Sachverhalt fest, benennt die einschlägigen, der Entscheidung zugrundeliegenden Vorschriften und verkündet die Begründung seiner Entscheidung (Art. 12 Abs. 7 DSU). Verletzt das Verhalten einer Partei tatsächlich Vorschriften der WTOÜbereinkommen, so spricht das Panel die Empfehlung aus, das Verhalten in Übereinstimmung zu bringen mit den multilateralen Übereinkommen (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 DSU)283. Der Panelbericht wird in dieser Form dem DSB vorgelegt, wobei letzterer den Panelbericht innerhalb einer Frist von 60 Tagen nur dann nicht annimmt, wenn eine der Parteien förmlich die Absicht zur Einlegung eines Rechtsmittels angezeigt hat oder aber die DSBMitglieder ausnahmsweise im Konsens für die Nichtannahme des Berichtes stimmen (umgekehrter Konsens). (cc) Rechtsmittelverfahren, Art. 17 DSU Beantragt eine der beiden Streitparteien die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens284, was in der bisherigen Praxis den Regelfall darstellt285, gelangt der Fall vor den Appellate Body. Die Einzelheiten des Verfahrens vor dem Appellate Body ergeben sich aus Art. 17 DSU und den vom Appellate Body selbst ausgearbeiteten Verfahrensvorschriften (Working Procedures for Appellate Review)286. Auch hier gelten enge Zeitvorgaben. Regelmäßig soll die Verfahrensdauer 60 Tage, gerechnet vom Zeitpunkt des for283 Für den Fall der Nichtverletzungsbeschwerde (non-violation complaint) trifft Art. 26 DSU abweichende Regelungen; siehe dazu Gramlich, Die Wirkung von Entscheidungen des Dispute Settlement Body der WTO: Völkerrecht, Europarecht, staatliches Recht, in: Geiger (Hrsg.), Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht vor dem Hintergrund zunehmender Verdichtung der internationalen Beziehungen, S. 187 (204). 284 Zum Rechtsmittelverfahren vgl. ausführlich unten 3. Teil. 285 Ziegler, Max Planck UNYB 3 (1999), S. 439 (466 f.); Hauser/Martel, Aussenwirtschaft 1997, S. 525 (545 f.); Park/Panizzon, JIEL 2002, S. 221 (229 f.): Anrufung des Appellate Body in mehr als 70% der Fälle (siehe dazu näher unten 3. Teil A. VI.).

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mellen Antrags auf Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens bis zur Veröffentlichung des Berichts (Art. 17 Abs. 5 Satz 1 DSU), nicht überschreiten287. In seinem Schlußbericht kann der Appellate Body die Erkenntnisse und Schlußfolgerungen des Panel entweder aufrechterhalten, abändern oder verwerfen. Nicht möglich ist hingegen eine Rückverweisung an das Panel, auch wenn dies immer wieder gefordert wird288. Auch der Appellate BodyBericht schließt seine als findings bezeichneten Feststellungen mit Empfehlungen ab, die das Ergebnis seiner Untersuchung gleichsam zusammenfassen und die die an den DSB gerichteten Vorschläge zur Lösung des jeweiligen Streitfalles enthalten (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 DSU)289. Wird der Bericht des Appellate Body nicht innerhalb von 30 Tagen vom DSB einstimmig abgelehnt (umgekehrter Konsens, Art. 17 Abs. 14 Satz 1 DSU), werden die ausgesprochenen Empfehlungen rechtskräftig. (dd) Durchsetzung der Entscheidungen des Dispute Settlement Body Mit der quasi-automatischen Annahme der Panel- bzw. Appellate BodyBerichte durch den DSB ist der erkennende Teil des Streitbeilegungsverfahrens abgeschlossen, und es beginnt die Implementierungsphase. Deren Überwachung ist Aufgabe des DSB290. Die durch die Panels bzw. den Appellate Body ausgesprochenen und nach der Annahme durch den DSB in Rechtskraft erwachsenen Empfehlungen und Entscheidungen statuieren die völkerrechtliche Verpflichtung der unterlegenen Partei, das beanstandete Verhalten zu beenden und gegebenenfalls die innerstaatliche Rechtslage WTO-konform anzupassen291. 286 Working Procedures for Appellate Review, WT/AB/WP/7 vom 01.05.2003; für die ab dem 01.01.2005 geltenden Änderungen siehe WTO-Dok. WT/AB/WP/9 vom 07.10.2004. 287 In Ausnahmefällen gilt eine Frist von 90 Tagen, vgl. Art. 17 Abs. 5 Satz 3 und 4 DSU. 288 Palmeter, JWT 32 (1998) Nr. 1, S. 41 ff.; van der Borght, American University International Law Review 1999, S. 1223 (1242 f.); vgl. außerdem die Änderungsvorschläge der EU Contribution of the European Communities and its Member States to the Improvement of the WTO Dispute Settlement Understanding, TN/DS/ W/1, vom 13.03.2002, S. 13 (Einführung eines Art. 13 bis DSU – Remand Procedure). 289 Gem. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 DSU können sowohl die Panels als auch der Appellate Body nach eigenem Ermessen Vorschläge machen im Hinblick darauf, wie ausgesprochene Empfehlungen umzusetzen sind. Von dieser Möglichkeit wurde allerdings bisher mit Blick auf die Souveränität der WTO-Mitglieder nur zurückhaltend Gebrauch gemacht; Carmody, JIEL 2002, S. 307 (315 f.); Waincymer, The World Economy 24 (2001), S. 1247 (1271). 290 Vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 DSU sowie Art. 21 Abs. 6 Satz 1 bzw. Art. 22 Abs. 8 Satz 2 DSU.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

Gem. Art. 21 Abs. 3 Satz 1 DSU hat das unterlegene Mitglied dem DSB binnen 30 Tagen nach der Annahme des Panel- bzw. Appellate Body-Berichts mitzuteilen, wie es die ausgesprochenen Empfehlungen umzusetzen gedenkt. Dabei besteht grundsätzlich die Pflicht zur sofortigen Umsetzung (prompt compliance)292. Soweit dies nicht möglich erscheint, kann gem. Art. 21 Abs. 3 Satz 2 DSU auch ein angemessener längerer Zeitraum (reasonable period of time) als Umsetzungsfrist vereinbart werden, wobei jedoch insgesamt ein Zeitraum von 15 Monaten nicht überschritten werden soll (Art. 21 Abs. 4 Satz 1 DSU)293. Während der Umsetzung hat die unterlegene Partei regelmäßig über die erreichten Fortschritte zu berichten, steht also unter einem Berichts- bzw. Begründungszwang. Kommt es dabei zu Meinungsverschiedenheiten im Hinblick darauf, ob ein Mitglied die Empfehlungen oder Entscheidungen überhaupt bzw. vollständig umgesetzt hat, kann nach Art. 21 Abs. 5 DSU erneut ein Panelverfahren angestrengt werden, bei dem das Panel möglichst in seiner ursprünglichen Besetzung zusammenfinden und einen die Umsetzungsmaßnahme analysierenden Bericht innerhalb von 90 Tagen erteilen soll294. Soweit ein WTO-Mitglied dem Schiedsspruch des DSB nicht nachkommt, kann die Gegenseite Entschädigung (compensation) verlangen. Allerdings ist in Art. 22 Abs. 2 DSU insoweit nur vorgesehen, daß die Entschädigung einvernehmlich zwischen den Parteien festgelegt werden soll und im übrigen mit WTO-Recht in Einklang stehen muß. Abgesehen davon sind die DSU-Regelungen relativ unvollkommen, und offen bleibt insbe291 Vgl. Art. 3 Abs. 7 Satz 3 DSU; eine Verpflichtung zur Rücknahme der Maßnahme gilt gem. Art. 26 Abs. 1 lit. b DSU nicht für die sog. non-violation complaints; näher zum Ganzen McNelis, JWT 37 (2003) Nr. 3, S. 647 (650 ff.). 292 Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 Satz 2 DSU; im Gegensatz zum allgemeinen Völkerrecht besteht damit lediglich die Pflicht zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes ex nunc, nicht hingegen zur Wiedergutmachung des unter Umständen erlittenen Schadens; zum Ganzen Waincymer, The World Economy 24 (2001), S. 1247 (1271 f.) mit Verweis auf die Rechtsprechung des StIGH im Fall Chorzow Factory (Germany versus Poland), PCIJ Reports, Series A, No. 17 (1928), S. 4. 293 Für den Fall, daß keine Einigung über die Umsetzungsfrist zustande kommt, kann diese letztlich auch durch einen Schiedsrichter ermittelt werden, vgl. Art. 21 Abs. 3 Satz 3 lit. c DSU. Diese häufig in Anspruch genommene Möglichkeit einer schiedsrichterlichen Bestimmung der Umsetzungsfrist hat zu einer eigenen differenzierten Rechtsprechung geführt; vgl. zu den Art. 21.3 (c) DSU „Reasonable Period of Time Arbitration Awards“ sowie den jeweils zugestandenen Umsetzungszeiträumen die Übersicht der inzwischen mehr als 15 Fälle in Appellate Body, Annual Report 2003, WT/AB/1 vom 07.05.2004, S. 37 ff.; ausführlich zu dieser Problematik Gleason/Walther, Law and Policy in International Business 2000, S. 709 (714 ff.). 294 Weitgehend unklar ist, welche Regeln für dieses beschleunigte Verfahren gelten sollen; vgl. dazu Leier, EuZW 1999, S. 204 (210 f.); ausführlich zu Art. 21 Abs. 5 DSU Kearns/Charnovitz, JIEL 2002, S. 331 ff. (mit einer Übersicht zu den bisher nach Art. 21 Abs. 5 DSU eingeleiteten Verfahren).

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sondere, was Gegenstand einer Entschädigung sein kann und wie damit der Durchsetzungsanspruch der obsiegenden Partei ausreichend befriedigt werden soll. Kommt es innerhalb von 20 Tagen nach Ablauf der Umsetzungsfrist nicht zu einem Einvernehmen über die zu leistende Entschädigung, kann das obsiegende Mitglied beim DSB gem. Art. 22 Abs. 2 Satz 2 DSU die Genehmigung beantragen, einseitig Zugeständnisse oder sonstige Pflichten der unter das DSU fallenden Übereinkommen nach Maßgabe der in Art. 22 Abs. 3–8 DSU niedergelegten Grundsätze auszusetzen. Die Genehmigung hierüber wird innerhalb von 30 Tagen erteilt oder durch negativen Konsens abgelehnt (Art. 22 Abs. 6 DSU)295. Im Anschluß ist das geschädigte Mitglied dann ermächtigt, die nach seinem Ermessen angemessenen handelspolitischen Gegenmaßnahmen zu ergreifen296. Vorzugsweise soll es sich dabei zunächst um Maßnahmen handeln, die denselben Wirtschaftssektor (sog. parallel retaliation, Art. 22 Abs. 3 lit. a DSU) oder aber wenigstens andere Sektoren desselben WTO-Übereinkommens betreffen (sog. cross-sectoral retaliation, Art. 22 Abs. 3 lit. b DSU). Nur in Ausnahmefällen können Zugeständnisse auch aus dem Geltungsbereich anderer Übereinkommen ausgesetzt werden (sog. cross-agreement retaliation, Art. 22 Abs. 3 lit. c DSU), wobei der Umfang der Gegenmaßnahmen in seiner Höhe jedoch stets beschränkt bleibt auf den Gegenwert der von der ursprünglichen Rechtsverletzung ausgehenden Schädigung (Art. 22 Abs. 4 DSU)297. Sowohl die einvernehmlich zwischen den Streitparteien festzulegende Entschädigung als auch die als ultima ratio konzipierte, einseitige Sanktionierung298 im Wege der Aussetzung von Zugeständnissen gelten gegenüber der vollständigen Umsetzung des DSB-Schiedsspruches als nicht gleichwer295 Insbesondere dieser Automatismus der Ermächtigung durch den DSB führt dazu, daß die Aussetzung von Zugeständnissen gegenüber der Entschädigung die weitaus größere Rolle in der Praxis spielt; vgl. Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 501. 296 Zu einer tatsächlichen Aussetzung von Zugeständnissen ist es bisher erst in wenigen Fällen gekommen, vgl. etwa EC – Bananas (insg. etwa 393 Mio. US-Dollar pro Jahr), EC – Hormones (insg. etwa 124 Mio. US-Dollar pro Jahr) sowie Brazil – Aircraft (insg. etwa 220,5 Mio. US-Dollar pro Jahr); zum Ganzen Carmody, JIEL 2002, S. 307 (320); Puth, EuR 2001, S. 706 (707). 297 Müller, Aussenwirtschaft 2001, S. 391 (396 ff.); Vranes, EuZW 2001, S. 10 ff.; Pauwelyn, AJIL 2000, S. 335 ff.; Jürgensen, RIW 2000, S. 577 (581). Zu den mit der Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen verbundenen Schäden auf Seiten der Privatwirtschaft siehe Hörmann/Göttsche, RIW 2003, S. 689 ff. 298 Auch wenn die Aussetzung von Zugeständnissen sachlich in den Bereich völkerrechtlicher Sanktionen und zwar in Form der Gegenmaßnahme (countermeasure) fällt, wird der Begriff „Sanktion“ an keiner Stelle in den WTO-Übereinkommen erwähnt; dazu Charnovitz, Should the teeth be pulled? An analysis of WTO sanctions, in: Kennedy/Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, S. 602 (612 ff.); Puth, EuR 2001, S. 706 (711).

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

tige Alternativen299. Eine Wahlmöglichkeit zwischen Befolgung der vom DSB ausgesprochenen Empfehlungen oder aber Kompensationen besteht demzufolge nicht300, da gem. Art. 3 Abs. 7 Satz 3 DSU „das erste Ziel des Streitbeilegungsmechanismus gewöhnlich in der Rücknahme der betreffenden Maßnahmen“ besteht und sowohl Entschädigung als auch Gegenmaßnahme als lediglich vorübergehend zu ergreifende Maßnahmen gelten301. Für den Fall, daß es zwischen den Parteien zu Meinungsverschiedenheiten kommt über den Umfang der ausgesetzten Zugeständnisse bzw. über die Einhaltung der in Art. 22 Abs. 3 DSU niedergelegten Verfahrensgrundsätze, kann die Angelegenheit gem. Art. 22 Abs. 6 DSU erneut einem Schiedsverfahren unterstellt werden, welches nach Möglichkeit von dem ursprünglichen Panel durchzuführen ist302. (d) Verrechtlichung des Streitschlichtungssystems Die Fortentwicklung des GATT-Streitschlichtungssystems zu einem einheitlichen System der Streitschlichtung unter dem Dach der WTO gilt als einer der erstaunlichsten Erfolge der Uruguay-Runde. War noch im Rahmen des GATT 1947 insbesondere das positive Konsenserfordernis als Zeichen dafür gewertet worden, daß das Streitbeilegungsverfahren ein vor allem handelsdiplomatisch ausgerichtetes und damit letztlich machtorientiertes (power-oriented303) Verfahren darstelle304, sind gerade die Straffung und 299 Zum „Stufenverhältnis“ von Befolgung, Kompensation und Gegenmaßnahmen vgl. Art. 3 Abs. 7 Satz 3 bis 5 DSU. 300 So aber etwa Bello, AJIL 1996, S. 416 (418); Sack, EuZW 1997, S. 650; vgl. auch EuGH, Rs. C-149/96, Slg. 1999, I-8395, Rn. 36 ff. (Portugal/Rat); kritisch dazu Griller, JIEL 2000, S. 441 (450 ff.). 301 EC – Bananas, Decision by the Arbitrators (Art. 22.6 DSU), WT/DS27/ARB, para. 6.3; Brazil – Aircraft, Decision by the Arbitrators (Art. 22.6 DSU), WT/ DS46/ARB, para. 3.44; vgl. außerdem Jackson, AJIL 1997, S. 60 ff.; Kohona, JWT 28 (1994) Nr. 2, S. 23 (41); Puth, EuR 2001, S. 706 (709 f.); Schroeder/Schonard, RIW 2001, S. 658 (661); Carmody, JIEL 2002, S. 307 (319); van den Broek, JIEL 2001, S. 411 (432 f.); Bronckers, JIEL 2001, S. 41 (59). 302 Im Gegensatz zu Art. 21 Abs. 5 DSU schließt das Verfahren nach Art. 22 Abs. 6 DSU ausdrücklich in Satz 5 einen Suspensiveffekt ein; vgl. zum vieldiskutierten Problem des Verhältnisses zwischen Art. 21 Abs. 5 DSU und Art. 22 Abs. 6 DSU etwa Gleason/Walther, Law and Policy in International Business 2000, S. 709 (721 ff.); Leier, EuZW 1999, S. 204 (210 f.); Jürgensen, RIW 2000, S. 577 (578 ff.); sowie die Änderungsvorschläge der EU Contribution of the European Communities and its Member States to the Improvement of the WTO Dispute Settlement Understanding, TN/DS/W/1, vom 13.03.2002, S. 4 f.; zu den Article 22.6 DSU Arbitration Awards siehe im Internet unter http://www.worldtradelaw.net/ reports/226awards/index.htm (Stand November 2004). 303 Begriffsprägend Jackson, JWTL 12 (1978) Nr. 2, S. 93 (98).

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die – trotz diplomatischer Relikte305 – weitgehend gerichtsförmige Ausrichtung des neuen Streitbeilegungsverfahrens entscheidende Aspekte einer zunehmenden Verrechtlichung der Welthandelsbeziehungen. So werden nicht nur fundamentale rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze wie die Unabhängigkeit der Mitglieder der Spruchkörper (Art. 8 Abs. 2, 17 Abs. 3 DSU), das Verteidigungs- und Anhörungsrecht der Streitparteien sowie die kontradiktorische Ausgestaltung des Verfahrens festgeschrieben. Von entscheidender Bedeutung ist auch die Umkehrung des Einstimmigkeitserfordernisses, welche zu einer Automatisierung des Verfahrens und damit zu einer insgesamt justizähnlicheren Ausgestaltung der Streitbeilegung führt. Letztere zeigt sich insbesondere auch in der rechtlichen Verbindlichkeit und verbesserten Durchsetzbarkeit der schiedsgerichtlichen Entscheidungen306. Außerdem wird in Art. 23 DSU nocheinmal ausdrücklich betont, daß zur „Stärkung des multilateralen Systems“ unilaterale Maßnahmen außerhalb der Regeln und Verfahren des DSU ausgeschlossen und nationale Alleingänge somit zukünftig untersagt sind307. Im Gegensatz zu der ursprünglich handelsdiplomatisch ausgerichteten bzw. machtorientierten Form der Streitschlichtung des GATT 1947308 und anders auch als die traditionellen Formen und Verfahren der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit309 ist der 304 Reich, Northwestern Journal of International Law & Business 1996/97, S. 775 (794 ff.); Hudec, The GATT Legal System and World Trade Diplomacy, S. 66 ff.; Long, Law and its Limitations in the GATT Multilateral Trade System, S. 109; Weiler, JWT 35 (2001) Nr. 2, S. 191 (194); zur politischen Praxis der EG vgl. Hilf, Settlement of Disputes in International Economic Organizations, in: Petersmann/ Hilf (Hrsg.), The New GATT Round, S. 285 (290 ff.); kritisch zum Ganzen insbesondere Jackson, Restructuring the GATT System, S. 49 ff.; vgl. auch Petersmann, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, S. 224 ff. 305 Näher Cottier, CMLR 1998, S. 325 (346 ff.); das Streitschlichtungsverfahren aus verhandlungsorientierter Perspektive analysieren Hauser/Martel, Aussenwirtschaft 1997, S. 525 ff. 306 Zu den bisherigen Erfahrungen der WTO-Praxis im Hinblick auf die Implementierung und die verbleibenden Durchsetzungsdefizite vgl. etwa Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insbesondere im Welthandelsrecht, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 123 (201 ff.); Schroeder/Schonard, RIW 2001, S. 658 (663, Fn. 56); Carmody, JIEL 2002, S. 307 (321 ff.). 307 Vgl. etwa US – Certain EC Products, AB, para. 111; außerdem Meng, Das Vertragssystem der Welthandelsorganisation, in: Müller-Graff (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation, S. 63 (76); Weber/Moos, EuZW 1999, S. 229 (231). 308 Zu den verschiedenen, im Hinblick auf norm- bzw. machtorientierte Strukturen des GATT 1947 vertretenen Positionen vgl. Dillon, Michigan Journal of International Law 1995, S. 349 (393 ff.). 309 Dazu näher Sittmann, RIW 1997, S. 749 (752).

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

neue WTO-Streitbeilegungsmechanismus damit insgesamt zu Recht als ein verstärkt an Regeln und Normen orientierter Ansatz (rule-oriented approach) verstanden worden310. 2. Materielle Elemente der WTO-Rechtsordnung In ihrer materiellrechtlichen Struktur basiert die WTO-Rechtsordnung vor allem auf den primärrechtlichen Regelungen zum Warenhandel, zum Dienstleistungshandel sowie zum Schutz geistiger Eigentumsrechte, die unter dem Dach des WTO-Übereinkommens gewissermaßen drei Säulen bilden311. Diese in der Liste der Anhänge zum WTO-Übereinkommen als Anhänge 1 A, B und C aufgeführten und in der WTO-Terminologie als multilaterale Handelsübereinkommen bezeichneten Vereinbarungen gelten gem. Art. II Abs. 2 WTO-Übereinkommen als integrierende Bestandteile des WTO-Übereinkommens und sind für alle WTO-Mitglieder verbindlich312. Institutionell abgesichert wird auf diese Weise der einer Aufsplitterung bzw. „Balkanisierung“ des Welthandelsrechts entgegen wirkende und bereits während der Uruguay-Runde vertretene Ansatz vom Einheitsübereinkommen (single undertaking approach313)314. 310 Aus der umfangreichen Literatur etwa Jackson, GYIL 39 (1996), S. 20 (31); Albren, Suffolk Transnational Law Review 20 (1996), S. 85 (95); Merrills, International Dispute Settlement, S. 218; Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 92; Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 31 ff.; teilweise kritisch Speyer, Aussenwirtschaft 1998, S. 129 (142 ff.). 311 Zur „Säulenstruktur“ näher Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 44, Rn. 44; Hauser/Schanz, Das neue GATT, S. 55 und 231; Wartenweiler, VN 1994, S. 87 (88); Heselhaus, JA 1999, S. 76 (77). 312 Sektorenübergreifend ergänzt werden die drei Regelungsbereiche durch die Vereinbarung zur Streitbeilegung (DSU) sowie den Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik (TPRM). 313 Ipsen/Haltern, RIW 1994, S. 717 (720); vgl. auch Jackson, The World Trade Organization, Constitution and Jurisprudence, S. 37 („single package“); Demaret, Columbia Journal of Transnational Law 1995, S. 123 (133 f.) („single package system“); Oppermann, RIW 1995, S. 919 (929) und Dolzer, Wirtschaft and Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (503) („single agreement approach“); Stoll, World Trade Organization, EPIL IV (1999), S. 1529 (1532); Petersmann, EJIL 1995, S. 161 (191); Tietje, Einführung zur Textsammlung WTO, S. XIV („single undertaking approach“). 314 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 3002a; Benedek, Einführung in die Ergebnisse der Uruguay-Runde, in: Thürer/Kux (Hrsg.), GATT 94 und die Welthandelsorganisation, S. 17 (27); Wartenweiler, VN 1994, S. 87 (88); Petersmann, CMLR 1994, S. 1157 (1161 f.); Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus der Neuen Welthandelsordnung, in: Klein/Meng/Rode (Hrsg.), Die neue Welthandelsordnung der WTO, S. 19 (48); Heselhaus, JA 1999, S. 76 (77); Dillon, Michigan Journal of International Law 1995, S. 349 (359).

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Allerdings ist die einheitliche Verpflichtungsstruktur des WTO-Rechts nicht durchweg verwirklicht. Denn gem. Art. II Abs. 3 WTO-Übereinkommen sind die in Anhang 4 zum WTO-Übereinkommen aufgeführten sog. plurilateralen Übereinkommen nur für diejenigen WTO-Mitglieder völkerrechtlich bindend, die diese auch separat ratifiziert haben. Von den ursprünglich vier plurilateralen Übereinkommen sind heute noch zwei relevant, nämlich das Übereinkommen zum Handel mit Zivilluftfahrzeugen (Agreement on Trade in Civil Aircraft) bzw. das Übereinkommen zur öffentlichen Auftragsvergabe (Agreement on Government Procurement)315. Das Internationale Übereinkommen über Milcherzeugnisse (International Dairy Agreement)316 und auch das Internationale Übereinkommen über Rindfleisch (International Bovine Meat Agreement)317 wurden hingegen zum 1. Januar 1998 im Konsens der Mitglieder und auf Grund der Beschlüsse des Internationalen Fleischrates bzw. des Internationalen Milchrates beendet318. a) GATT 1994 und die übrigen Übereinkommen zum Warenhandel Das mit Abstand umfangreichste Regelungswerk im Rahmen der WTO stellen die in Anhang 1 A zum WTO-Übereinkommen aufgeführten sog. Multilateralen Übereinkommen zum Warenhandel dar. Hierbei spielt auch weiterhin das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) die zentrale Rolle, seine Regelungen werden allerdings konkretisiert bzw. ergänzt durch zwölf bereichsspezifische Übereinkommen zum Warenhandel. aa) Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1947/1994) Das GATT 1994 bildet den allgemeinen internationalen Ordnungsrahmen für den grenzüberschreitenden Warenhandel zwischen den WTO-Mitgliedern. Erwähnt wurde bereits, daß das GATT 1994 zwar faktisch auf dem GATT 1947 aufbaut, jedoch rechtlich von diesem zu unterscheiden ist (Art. II Abs. 4 WTO-Übereinkommen, legally distinct)319. Bestandteil der 315 Vgl. hierzu im Detail nur Göttsche, Öffentliches Beschaffungswesen, in: Hilf/ Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, § 25, Rn. 9 ff. sowie Neugärtner/Göttsche, Handel mit Zivilluftfahrzeugen, in: Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, § 26, Rn. 11 ff. 316 GATT, BISD (1980) 26S/91; Hummer/Weiss, Textsammlung, S. 1182 ff. (deutsche Fassung). 317 GATT, BISD (1980) 26S/84; Hummer/Weiss, Textsammlung, S. 1175 ff. (deutsche Fassung). 318 Vgl. WTO News, Press/78 vom 30.09.1997; ausführlicher Senti, WTO, Rn. 1420 ff. 319 Vgl. dazu oben 1. Teil B. V. 2.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

WTO-Rechtsordnung ist allein das GATT 1994, dessen eigentlicher Text in der Schlußakte von Marrakesch aber nicht enthalten ist320. Unter der Überschrift GATT 1994 ist in einem Einführenden Text (Introductory Note) lediglich aufgezählt, aus welchen Rechtsakten es bestehen soll321. Demzufolge umfaßt das als GATT 1994 bezeichnete Regelwerk den ursprünglichen Vertragstext des GATT 1947 und zwar einschließlich aller vor Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens relevanten Änderungen sowie sonstiger rechtlicher Regelungen, die im gleichen Zeitraum in Kraft getreten sind wie etwa Protokolle und Zertifikate im Hinblick auf Zollzugeständnisse, Beitrittsprotokolle bzw. die unter Art. XXV GATT 1947 gewährten und noch Gültigkeit besitzenden Ausnahmegenehmigungen (waiver)322. Weggefallen ist hingegen der bereits erwähnte Vorbehalt im Hinblick auf die bestehende innerstaatliche Gesetzgebung im Protokoll über die vorläufige Anwendung des GATT 1947 (grandfather clause)323. Insgesamt bildet das GATT 1994 damit ein komplexes Geflecht an Übereinkommen und sonstigen Rechtsinstrumenten, dessen Kern jedoch das „alte“ GATT 1947 ist324. Da dessen grundlegende Elemente in materieller Hinsicht nahezu vollständig in das GATT 1994 inkorporiert wurden, ist auf diese zumindest überblicksartig einzugehen. Hierbei kann – mit Verweis auf die noch folgenden Ausführungen325 – auf eine detaillierte Darstellung der bereits im GATT 1947 geltenden und allesamt in das GATT 1994 übernommenen materiellen Rechtsprinzipien allerdings weitgehend verzichtet werden.

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Eine konsolidierte, die einzelnen Neuerungen inkorporierende Fassung des GATT besteht bisher nicht, so daß bis auf weiteres der Text des ursprünglichen GATT 1947 jeweils unter Bezugnahme auf die begrifflichen Klarstellungen im Einführenden Text des GATT 1994 zu lesen ist; dazu Benedek, Einführung zur Textausgabe WTO, S. 10. 321 Einführender Text (Introductory Note) zum GATT 1994, abgedruckt etwa bei Tietje, Textsammlung WTO, S. 14 f. 322 Einführender Text (Introductory Note) zum GATT 1994 unter Nr. 1 a und b. 323 Einführender Text (Introductory Note) zum GATT 1994 unter Nr. 1 b ii; näher hierzu Weiß/Herrmann, Rn. 110. 324 Da die Vorschriften des GATT 1947 und GATT 1994 prinzipiell identisch sind, wird im folgenden lediglich die Bezeichnung GATT gewählt. Soweit abweichend hiervon die Jahreszahl hinzugefügt ist, dient dies der Klarstellung im Einzelfall. 325 Vgl. zu den klassischen welthandelsrechtlichen Prinzipien ausführlich unten 4. Teil A.

C. Die Rechtsordnung der WTO

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(1) Materielle GATT-Verpflichtungen im Überblick Die Begründer des GATT 1947 waren überzeugt, durch den Abbau von Handelshemmnissen einen erheblichen Beitrag zur Erhöhung des wirtschaftlichen Wohlstands leisten zu können326. Die GATT-Regelungen befassen sich demgemäß in erster Linie mit der Verwirklichung des schrittweisen Zollabbaus. Flankiert werden diese, sich unmittelbar mit den tarifären Handelshemmnissen befassenden Bestimmungen327, von zahlreichen Regelungen, die dazu dienen, die erreichten Vorteile ausgehandelter Zollkonzessionen nicht durch anderweitige Maßnahmen wie z. B. quantitative Beschränkungen oder aber technische Handelshemmnisse wieder aufzugeben bzw. zu umgehen328. Aufgrund des inzwischen weit fortgeschrittenen Zollabbaus stehen letztere, also die sog. nichttarifären Handelshemmnisse heute weitgehend im Vordergrund329, wobei es in erster Linie um die Sicherung gleicher 326 Vgl. dazu insbesondere die in der Präambel des GATT 1947 zum Ausdruck kommende Vorstellung der Vertragsparteien. Als Zielvorgaben werden hier genannt „die Erhöhung des Lebensstandards“, „die Verwirklichung von Vollbeschäftigung“, „ein hohes und ständig steigendes Niveau des Realeinkommens und der wirksamen Nachfrage“, „die volle Erschließung der Hilfsquellen der Welt“ sowie „die Steigerung der Produktion und des Austausches von Waren“. Diese Aufzählung, die in ihrer Formulierung als wenig geglückt angesehen wird und eher einen Wunschkatalog als eine verbindliche Vereinbarung über die Erreichung wirtschaftspolitischer Zielsetzungen darstellt, zielt letztlich ab auf die Errichtung eines marktwirtschaftlich orientierten Weltwirtschaftssystems, in welchem sich die Regierungen möglichst aller Eingriffe enthalten und auf diese Weise den Unternehmen im weltweiten Rahmen gleiche Wettbewerbschancen einräumen; zum Ganzen Beise, WTO, S. 45 f. 327 Tarifäre Handelshemmnisse sind alle durch den Staat erhobenen Abgaben, mit denen die Ware allein aufgrund ihres Grenzübertritts belastet wird. In diese Kategorie fallen Zölle bereits ihrer Definition nach. Unter bestimmten Voraussetzungen sind aber auch andere Abgaben und Belastungen den Zöllen gleichgestellt. Diese sog. zollgleichen Abgaben sind finanzielle Belastungen aller Art, die anlässlich oder im Zusammenhang mit der Einfuhr oder Ausfuhr von Waren erhoben werden. Im Unterschied zu eigentlichen Zöllen werden zollgleiche Abgaben jedoch nicht in nationalen Zolltarifen niedergelegt und auch nicht als Zölle bezeichnet; zum Ganzen Senti, WTO, Rn. 497. 328 Allgemein zur Unterscheidung von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen vgl. nur Jackson, The World Trading System, S. 139 ff.; kritisch zu dieser Unterscheidung Senti, WTO, Rn. 535. 329 Nichttarifäre Handelshemmnisse sind in Abgrenzung von den tarifären Handelshemmnissen alle sonstigen handelsbeschränkenden staatlichen Maßnahmen. Hierunter fallen sowohl Maßnahmen an der Grenze, die bereits den Zugang zum inländischen Markt erschweren (etwa Kontingente oder Einfuhrlizenzen), als auch interne Maßnahmen, die erst nach dem Grenzübertritt auf den inländischen Märkten greifen (z. B. Produktstandards, Besteuerung); zum Ganzen Hailbronner/Bierwagen, JA 1988, S. 318 (321 f.); zu Begriff und Systematik nichttarifärer Handelshemmnisse ausführlich Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 30 ff.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

Wettbewerbsbedingungen für einheimische und importierte Produkte (level playing field) geht. Demgemäß enthält Art. XI GATT die Verpflichtung der Mitglieder, ihre Handelspolitik lediglich in Form von Zöllen zu betreiben (tariffs only-Maxime). Grund hierfür ist, daß Zölle zwar den internationalen Handel insofern behindern, als sie den Warenexport verteuern. Im Gegensatz zu nichttarifären Handelshemmnissen sind sie aber transparent und können leichter kontrolliert und verglichen werden. Auch lassen sich die durch Zölle eintretenden wirtschaftlichen Auswirkungen steuern und führen im Regelfall nicht zur Außerkraftsetzung der geltenden Marktmechanismen330. Auch wenn Zölle unter dem GATT mithin grundsätzlich zulässig sind, haben die Mitglieder in der Präambel sowie in Art. XXVIIIbis GATT ihre gemeinsame Absicht bekundet, innerhalb von Zollverhandlungen eine substantielle Senkung der Zölle zu erreichen. Die im Rahmen des GATT von den Mitgliedern untereinander vereinbarten Zölle werden dabei in sog. Listen (schedules) festgehalten, die jedes Mitglied für sich formuliert und die gem. Art. II Abs. 7 GATT Bestandteil des GATT werden. Das Aushandeln der Zollsätze, welche in den Listen verbindlich festgelegt werden und nur unter den erschwerten Bedingungen des Art. XXVIII GATT wieder abänderbar sind, stellt seit jeher das primäre Liberalisierungsinstrument des GATT dar331. Die durch den schrittweisen Zollabbau erreichten Vorteile kommen über die in Art. I Abs. 1 GATT enthaltene allgemeine Meistbegünstigungsverpflichtung gleichermaßen allen Mitgliedern zugute. Denn diesem oftmals als „Kernstück des GATT“332 bezeichneten Diskriminierungsverbot zufolge ist jedes Mitglied dazu verpflichtet, den Waren eines jedes anderen Mitglieds an den Außengrenzen diejenige Behandlung zu gewähren, die der günstigsten Behandlung entspricht, die es gleichartigen Waren aus einem anderen Staat zukommen läßt. Aufgrund der in Art. I Abs. 1 GATT enthaltenen Verweisung auf Art. III Abs. 2 und 4 GATT wird diese Verpflichtung dabei zum Teil auch auf interne nichttarifäre Maßnahmen erweitert. Da mit zunehmendem Zollabbau die Versuchung einhergeht, zur Verfolgung protektionistischer Zwecke auf nichttarifäre Maßnahmen auszuwei330 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7, Rn. 27; Hauser/Schanz, Das neue GATT, S. 17 ff.; Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 222 f. 331 Zum Ganzen Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 105 ff.; Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 193 ff. 332 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7, Rn. 22; Borchmann, RIW 1987, S. 444; Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, GATT-WTOGATS, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 47 (59).

C. Die Rechtsordnung der WTO

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chen, enthält das GATT neben Bestimmungen, die sich unmittelbar mit dem Zollabbau befassen, auch zahlreiche Regelungen, die dazu dienen, die erreichten Vorteile ausgehandelter Zollkonzessionen nicht wieder aufzugeben bzw. zu umgehen. Gänzlich untersagt sind gem. Art. XI Abs. 1 GATT mengenmäßige Beschränkungen der Ein- und Ausfuhr. Wie sich bereits aus dem Wortlaut von Abs. 1 (or other measures) ergibt, ist der Begriff der mengenmäßigen Beschränkungen dabei in einem weiten Sinne zu verstehen. Allein entscheidend ist, ob eine nichttarifäre Maßnahme die Ein- oder Ausfuhr in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht beschränkt oder sich konkret negativ auf den Marktzugang auswirkt. Erfaßt werden neben Kontingenten damit beispielsweise auch einfuhrbezogene Verbote, Auflagen und Anforderungen an die Beschaffenheit von Waren, ihre Verkaufsform oder Herstellungsweise333. Um zugleich zu verhindern, daß ein Mitglied den erreichten Abbau von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen durch die diskriminierende Anwendung interner Marktzugangsbarrieren, etwa in Form inländischer Abgaben oder behindernder Rechtsvorschriften, wieder umgeht, wird in Art. III GATT daneben die Pflicht zur sog. Inländer(gleich) behandlung statuiert. So verlangt etwa Art. III Abs. 2 GATT, daß auf den internen Märkten eingeführte Waren nach Überschreiten der Zollgrenzen im Vergleich zu gleichartigen inländischen Produkten nicht mit höheren internen Steuern oder Gebühren belastet werden dürfen. Noch erweitert wird diese Pflicht in Art. III Abs. 4 GATT, demzufolge importierte Produkte in Bezug auf alle Regularien hinsichtlich des Angebots, Verkaufs, Transports, der Verteilung und des Gebrauchs genauso zu behandeln sind wie gleichartige inländische Produkte (Art. III Abs. 4 GATT). (2) Ausnahmen Verstößt eine staatliche Maßnahme gegen eines dieser Ge- und Verbote, so führt der Verstoß nicht zwangsläufig auch zu einer Vertragsverletzung. Denn in Anerkennung der den Freihandelsinteressen mitunter entgegenstehenden, individuellen Interessen einzelner Mitglieder sieht das GATT eine Vielzahl genereller bzw. einzelfallbezogener Ausnahmen vor, mit denen die in Rede stehende Maßnahme ausnahmsweise gerechtfertigt werden kann. So erlaubt etwa die Schutzklausel (escape clause) in Art. XIX GATT Maßnahmen zum Schutze der inländischen Wirtschaft vor Importen, wenn den inländischen Herstellern eine ernsthafte Schädigung droht334. Die betreffende Vertragspartei kann dann Zollzugeständnisse aufheben oder eine men333 Zum Anwendungsbereich mit einer Vielzahl von Beispielen Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 147; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 464; Senti, WTO, Rn. 534.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

genmäßige Einfuhrbeschränkung erlassen. Des weiteren sind Abweichungen erlaubt, die im Rahmen der Währungspolitik bei Zahlungsbilanzproblemen erforderlich sind (Art. XII GATT). Art. XX und XXI GATT gewähren Ausnahmen zugunsten bedeutsamer nationaler Politikziele, wie etwa der öffentlichen Sicherheit, des Schutzes von Leben und Gesundheit oder aber des Schutzes von nationalem Kulturgut335. Auch bestehen Sonderregelungen etwa für Zollunionen und Freihandelszonen (Art. XXIV GATT) sowie zugunsten von Entwicklungsländern (Art. XXXVI–XXXVIII GATT). Im Einzelfall können einzelne Mitglieder zudem Befreiungen (waiver) von den im Rahmen des GATT grundsätzlich bestehenden Pflichten beantragen (Art. XXV Abs. V GATT)336. bb) Bereichsspezifische Übereinkommen zum Warenhandel Neben das GATT 1994 treten zwölf multilaterale, in Anhang 1A zum WTO-Übereinkommen aufgeführte Sonderübereinkommen, welche die Vorschriften des GATT konkretisieren bzw. ergänzen337. Diese bereichsspezifi334 Spezialbestimmungen sieht nicht nur das Übereinkommen über die Landwirtschaft vor, sondern vor allem auch das neue Übereinkommen über Schutzmaßnahmen, welches auf jede Art von Schutzmaßnahmen im Sinne des Art. XIX GATT Anwendung findet; überblicksartig hierzu Herrmann, ZEuS 2001, S. 453 (487 f.). 335 Ausführlich zur allgemeinen Ausnahmevorschrift des Art. XX GATT unten 4. Teil A. IX. 4. b). 336 Eingehender zu den Ausnahmeregelungen des GATT Senti, GATT, S. 199 ff.; Benedek, GATT – Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, in: Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, Rn. 18 ff.; von Bogdandy, RIW 1991, S. 55 (58 ff.); Hailbronner/Bierwagen, JA 1988, S. 318 (322 ff.); Hanel, ZfZ 1996, S. 104 (107); Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 145 ff. 337 Im einzelnen sind dies das Übereinkommen über die Landwirtschaft (Agreement on Agriculture); das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (Agreement on Sanitary and Phytosanitary Measures); das Übereinkommen über Textilwaren und Bekleidung (Agreement on Textiles and Clothing); das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (Agreement on Technical Barriers to Trade); das Übereinkommen über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen. (Agreement on Trade-Related Investment Measures); das Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsübereinkommens 1994 – „Antidumping“ (Agreement on Implementation of Article VI of GATT 1994); das Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VII des Allgemeinen Zoll- und Handelsübereinkommens 1994 – „Zollwert“ (Agreement on Implementation of Article VII of GATT 1994); das Übereinkommen über Vorversandkontrollen (Agreement on Preshipment Inspection); das Übereinkommen über Ursprungsregeln (Agreement on Rules of Origin); das Übereinkommen über Einfuhrlizenzverfahren (Agreement on Import Licensing Procedures); das Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen (Agreement on Subsidies and Countervailing Measures); das Übereinkommen über Schutzmaßnahmen (Agreement on Safeguards); überblicksartig zu diesen Sonderüberein-

C. Die Rechtsordnung der WTO

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schen Übereinkommen umfassen zum Teil Regelungsbereiche der bereits im Rahmen der Tokio-Runde ausgehandelten Übereinkommen (z. B. Antidumping, technische Handelshemmnisse, und Zollwert). Daneben betreffen sie aber auch solche Regelungsmaterien des internationalen Warenhandels, die wieder in den GATT-Zusammenhang einbezogen wurden, nachdem sie sich zuvor weitgehend außerhalb des GATT-Systems entwickelt hatten (Textilien und Landwirtschaft), oder sogar neu in diesen Zusammenhang aufgenommen wurden (Investitionen). Sie alle stehen mit ihren warenbezogenen Regelungen zum GATT 1994 in einem Spezialitätsverhältnis (lex specialis), was durch die allgemeine Auslegungsregel zu Anhang 1 A klargestellt wird338. b) Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) Das Übereinkommen über den Dienstleistungshandel (General Agreement on Trade in Services, GATS)339 bezieht den stetig an Bedeutung zunehmenden Bereich des Handels mit Dienstleistungen in den Rechtsrahmen der Welthandelsorganisation ein340. Dabei baut es in seiner Struktur auf dem GATT auf, wobei es dessen Systematik der ausnahmefähigen Verpflichtungen unter Modifizierungen auf den Dienstleistungsbereich anzuwenden sucht341. Das GATS selbst, dessen Anwendungsbereich gem. Art. I GATS auf einer weiten Definition des Dienstleistungsbegriffs basiert und sich auf so kommen Petersmann, EJIL 1995, S. 161 (196 ff.); Demaret, Columbia Journal of Transnational Law 1995, S. 123 (139 ff.); Stobbe, ZfZ 2000, S. 223 (228 ff.). 338 In der deutschen Übersetzung besagt diese Allgemeine Auslegungsregel zu Anhang 1A „Beim Vorliegen eines Widerspruchs zwischen Bestimmungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsübereinkommens 1994 und Bestimmungen einer anderen Übereinkunft in Anhang 1A des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (. . .) sind die Bestimmungen der anderen Übereinkunft maßgebend.“; näher hierzu unten 3. Teil C. I. 2. b) cc) (1). 339 BGBl. 1994 II, S. 1473 ff. bzw. S. 1643 ff. (deutsche Fassung); abgedruckt samt Anhängen bei Hummer/Weiss, S. 1006 ff. 340 Zur wirtschaftlichen Bedeutung des internationalen Dienstleistungshandels Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, GATT-WTO-GATS, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 47 (101 f.); Senti, WTO, Rn. 1204 und Rn. 1217 ff.; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 810 f.; zum Verhandlungsverlauf bei der Aushandlung des GATS Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 (321 f.); Senti, Die neue Welthandelsordnung, ORDO 45 (1994), S. 301 (308); Jackson, The World Trading System, S. 306 f. 341 Barth, EuZW 1994, S. 455 ff.; ausführlich Pitschas, Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.II., Rn. 38 ff.

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

unterschiedliche Sektoren wie Banken und Versicherungen, Bauwirtschaft, Verkehr, Kommunikations-, Beratungs- und Computerwesen sowie Tourismus erstreckt342, bildet letztlich nur ein Rahmenübereinkommen. Es enthält neben institutionellen Bestimmungen343 und Definitionsnormen nur wenige unmittelbare Verpflichtungen344. Zu diesen sog. Allgemeinen Pflichten zählen beispielsweise das Gebot der Transparenz (Art. III GATS) bzw. das der Meistbegünstigung (Art. II GATS). Dabei dürfen die Mitglieder von letzterer allerdings gem. Art. II Abs. 2 GATS dann abweichen, wenn und soweit die jeweiligen mit der Meistbegünstigung nicht zu vereinbarenden Maßnahmen bei Vertragsschluß in einem Anhang zum GATS (Annex on Article II – Exemptions) näher spezifiziert wurden345. Im Gegensatz zu den allgemeinen Verpflichtungen bedürfen die sog. spezifischen Verpflichtungen, welche etwa die Gewährung von Marktzugang (Art. XVI GATS) oder aber die Inländerbehandlung (Art. XVII GATS) umfassen, einer eigenständigen und ausdrücklichen vertraglichen Regelung durch die Mitglieder346. Diese sind dabei nicht auf ein bestimmtes Liberalisierungsziel verpflichtet, sondern müssen sich lediglich auf Verhandlungen über die schrittweise Liberalisierung in diesen Bereichen einlassen (Art. XIX Abs. 1 GATS). Ihren Niederschlag finden die dabei ausgehandelten Verpflichtungserklärungen in den sog. Listen spezifischer Verpflichtungen (Schedules of Specific Commitments), welche als einseitige, völker342

Gem. Art. I Abs. 3 lit. b GATS werden mit Ausnahme der durch die öffentliche Hand erbrachten Dienste erfaßt: alle mit dem Warenhandel eng verbundenen Dienstleistungen (z. B. Gewährung von Exportkrediten, Konstruktions-, Beratungsund Serviceleistungen, Transporte oder Marketing), diesen ersetzende Dienstleistungen (z. B. Leasing, Lizenzen oder Patente) und unabhängig vom Warenhandel zu erbringenden Dienstleistungen (z. B. Tourismus, Bank- und Versicherungsleistungen). Gem. Art. I Abs. 2 lit a und b ist unter dem „Handel mit Dienstleistungen“ zu verstehen der zwischenstaatliche Handel mit Diensten, im Inland geleistete Dienste an Ausländer oder im Ausland geleistete Dienste von Inländern und die Erbringung von Diensten, die eine Niederlassung des Dienstleistungsanbieters – in kommerzieller Präsenz oder durch natürliche Personen – im Erbringungsland erfordern; näher Senti, WTO, Rn. 1212; Leebron, Columbia Journal of Transnational Law 1995, S. 11 (30 f.); Pitschas, RIW 2003, S. 676 (677 ff.). 343 Vgl. etwa Art. XXIV GATS (Errichtung eines GATS-Rates); Art. XXIII GATS (Anwendung des allgemeinen Streitbeilegungsverfahrens). 344 Einen graphischen Überblick über die Regelungen zum Dienstleistungshandel bieten Hauser/Schanz, Das neue GATT, S. 197; Adamantopoulos, WTO Anatomy, S. 21 und Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 539. 345 Von dieser Möglichkeit haben bei Aushandlung des GATS mehr als 70 Mitglieder Gebrauch gemacht; vgl. Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 540; Pitschas, RIW 2003, S. 676 (681). 346 Anders als das GATT enthält das GATS mithin keine generelle Gewährleistung der Inländerbehandlung.

C. Die Rechtsordnung der WTO

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rechtlich bindende Erklärungen gem. Art. XX Abs. 3 GATS einen wesentlichen Bestandteil des GATS bilden347. Gewissermaßen auf einer dritten Regelungsebene kommen bereichspezifische Regelungen zu solch ausgewählten Dienstleistungssektoren hinzu, bei denen die Mitglieder im Rahmen der Uruguay-Verhandlungen nicht bereit waren, sofort eine Liberalisierung zuzugestehen. Diese als Anlagen zum GATS bezeichneten Regelungen, die gem. Art. XXIX GATS ebenfalls Bestandteil des GATS sind, tragen den besonderen Gegebenheiten der jeweiligen Sektoren Rechnung und enthalten Definitionen bzw. gewisse Modifikationen der GATS-Verpflichtungen348. Rechtlich selbständig, inhaltlich aber auf das GATS bezogen, stehen daneben vier als Protokolle bezeichnete Übereinkommen, welche die Verpflichtungen in solchen Dienstleistungssektoren zusammenfassen, die erst nach Abschluß der Uruguay-Runde vereinbart werden konnten349.350 Auch wenn das Liberalisierungsniveau des GATS derzeit noch weit hinter dem des GATT zurückbleibt351, liegt seine entscheidende Bedeutung in der Festschreibung verbindlicher Regelungen für den Dienstleistungshandel sowie in der Schaffung eines institutionellen Rahmens für zukünftige multilaterale Liberalisierungsbemühungen352. 347 Ausführlich Pitschas, Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.II., Rn. 99 ff. 348 Nebst der bereits erwähnten Anlage zu den Ausnahmen von Artikel II sind dies die Anlage zum grenzüberschreitenden Verkehr natürlicher Personen, die im Rahmen des Übereinkommens Dienstleistungen erbringen; die Anlage zu Luftverkehrsdienstleistungen; die Anlage zu Finanzdienstleistungen; die Zweite Anlage zu Finanzdienstleistungen; die Anlage zu Verhandlungen über Seeverkehrsdienstleistungen; die Anlage zur Telekommunikation sowie die Anlage zu Verhandlungen über Basistelekommunikation. Abdruck aller dieser Anlagen bei Benedek, Textausgabe WTO, S. 411 ff. 349 Dies sind die Sektoren Basistelekommunikation (Fourth Protocol to the GATS, WT/S/L/20 vom 30.04.1996), Finanzdienstleistungen (Second Protocol to the GATS, WT/S/L/11 vom 24.07.1995 bzw. Fifth Protocol to the GATS, WT/S/L/ 45 vom 03.12.1997) sowie grenzüberschreitender Verkehr natürlicher Personen (Third Protocol to the GATS, WT/S/L/12 vom 24.07.1995). 350 Ausführlich zu den besonderen Liberalisierungsbereichen Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 569 ff.; Weiß/Hermann, Welthandelsrecht, Rn. 897 ff.; Moritz, MMR 1998, S. 393 ff. 351 Frenkel/Radeck, Die Beschlüsse der Uruguay-Runde: Hintergrund, Inhalt und Bewertung; in: Frenkel/Bender (Hrsg.), GATT und neue Welthandelsordnung, S. 13 (36); Wartenweiler, VN 1994, S. 87 (91); Leebron, Columbia Journal of Transnational Law 1995, S. 11 (30). 352 Herrmann, ZEuS 2001, S. 453 (490); Hauser/Schanz, Das neue GATT; S. 207 und 209; Pitschas, Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistun-

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

c) Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der geistigen Eigentumsrechte (TRIPS) Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS)353 läßt sich als dritte Säule im Rahmen des multilateralen Handelssystems der WTO begreifen354. Es ist jedoch weniger der Liberalisierung als einem zeitlich begrenzten Schutz wohlerworbener geistiger Eigentumsrechte verpflichtet355, deren Anteil in Form von Patent-, Markenoder Urheberrechten an der Entstehung und dem Wesen von Gütern und Dienstleistungen ständig zunimmt356. Das TRIPS-Übereinkommen steht in Einklang mit den bisher auf internationaler Ebene bestehenden Übereinkommen zum Schutz des geistigen Eigentums357. Dabei werden die Regelungen dieser Übereinkommen teilweise in die WTO-Rechtsordnung integriert358, zum Teil geht das TRIPS aber auch weit über die bestehenden, unter dem Dach der Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization, WIPO359) verwalteten Vereinbarungen hinaus360. gen (GATS), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.II., Rn. 6 und 188 ff.; zu den Liberalisierungsverhandlungen Barth, ZEuS 2000, S. 273 ff. 353 BGBl. 1994 II, S. 1565 ff. (englische Sprache) bzw. S. 1730 ff. (deutsche Fassung); abgedruckt bei Hummer/Weiss, S. 1086 ff. 354 Zum Hintergrund der Verhandlungen zum TRIPS siehe Jackson, The World Trading System, S. 310 ff.; Seiler, WechselWirkung 2000, Nr. 105/106, S. 66 ff.; Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 592. 355 Koopmann, Die Welthandelsordnung nach der Uruguay-Runde – von der Liberalisierung zur Harmonisierung? in: Kantzenbach/Mayer (Hrsg.), Von der internationalen Handels- zur Wettbewerbsordnung, S. 11 (34); Heselhaus, JA 1999, S. 76 (79). 356 Barth, NJW 1994, S. 2811 (2812); Dolzer, Wirtschaft and Kultur im Völkerrecht, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (514); Hauser/ Schanz, Das neue GATT, S. 211. 357 Zu nennen sind hier insbesondere die Pariser Konvention zum Schutz des gewerblichen Eigentums vom 20.03.1883 (BGBl. 1970 II, S. 391 ff.), die Berner Konvention zum Schutz des Urheberrechts an Werken der Literatur, Musik und Bildender Kunst vom 09.09.1886 (BGBl. 1973 II, S. 1071 ff.), die Römische Konvention zum Schutz der ausübenden Künstler, Hersteller von Tonträgern und Sendeunternehmen vom 26.10.1961 (BGBl. 1965 II, S. 1243 ff.) sowie das Washingtoner Übereinkommen über den Schutz des geistigen Eigentums an integrierten Schaltkreisen vom 26.05.1989; zum Ganzen überblicksartig Stobbe, ZfZ 2000, S. 223 (231 f.). 358 Vgl. z. B. Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 35 TRIPS. 359 Diese in Genf ansässige Organisation wurde am 14.07.1967 gegründet auf Grundlage des Übereinkommens zur Errichtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum und nahm am 26.04.1970 ihre Arbeit auf. Sie ist in erster Linie mit der Verwaltung und Fortentwicklung der genannten Konventionen betraut. Seit dem 17.12.1974 hat sie den Status einer UN-Sonderorganisation und umfaßte Ende 2003 insgesamt 179 Staaten.

C. Die Rechtsordnung der WTO

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Ebenso wie das GATS gelten auch für das TRIPS die wesentlichen GATT-rechtlichen Grundsätze361, die aus Inhalt und Praxis des GATT 1947 entwickelt und den Besonderheiten des Schutzes geistigen Eigentums angepaßt wurden. Art. 1 Abs. 2 TRIPS definiert als Vertragsgegenstand „geistiges Eigentum“ und bezieht sich dabei auf die in Teil II des Übereinkommens aufgeführten Bereiche Urheberrecht und verwandte Rechte, Marken, geographische Angaben, gewerbliche Muster, Patente, Topographien integrierter Schaltkreise und Geschäftsgeheimnisse362. Die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens erstrecken sich nicht lediglich auf die handelsbezogenen Aspekte des Schutzes geistigen Eigentums, sondern prinzipiell auf alle kommerziellen Tätigkeiten mit Produkten oder Verfahren, welche die entsprechenden Schutzvoraussetzungen erfüllen363 und für die gem. Art. 41 TRIPS auch im jeweiligen nationalen Rahmen entsprechende Schutzmechanismen bereitzustellen sind. Dabei sind die TRIPS-Vorschriften lediglich als materielle Mindestnormen zu verstehen, und es ist den Vertragspartnern freigestellt, nach eigenem Ermessen einen umfassenderen Rechtsschutz anzustreben364.365 Auch das TRIPS-Übereinkommen bietet mit dem Rat für geistige Eigentumsrechte eine eigene institutionelle Struktur (Art. 68 TRIPS), und gem. Art. 64 TRIPS finden die Regelungen über das WTOStreitbeilegungsverfahren mit gewissen Einschränkungen Anwendung366. Insgesamt wurden mit dem TRIPS-Übereinkommen die internationalen, bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Regelungen über den Schutz des 360 Stoll/Raible, Schutz geistigen Eigentums und das TRIPS-Abkommen, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.III., Rn. 12; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 920 f. 361 Insbesondere Festschreibung des Prinzips der Nichtdiskriminierung durch das Gebot der Inländerbehandlung (Art. 3 TRIPS) sowie die Pflicht zur Meistbegünstigung (Art. 4 TRIPS), aber auch Transparenzpflichten (Art. 63 TRIPS). 362 Zum Ganzen Stoll/Raible, Schutz geistigen Eigentums und das TRIPS-Abkommen, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.III., Rn. 16 ff.; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 920 und 927 ff. 363 Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 595; Seiler, WechselWirkung 2000, Nr. 105/106, S. 66. 364 Jackson, The World Trading System, S. 312; Senti, Die neue Welthandelsordnung, ORDO 45 (1994), S. 301 (310); Barth, NJW 1994, S. 2811 (2812). 365 Da zu den strukturellen Defiziten des Schutzes geistigen Eigentums oftmals die mangelhafte Durchsetzung von Immaterialgüterrechten gehörte, wird gerade in der Effektivierung der Durchsetzungsinstrumentarien ein entscheidender Vorteil des TRIPS gesehen; vgl. Frenkel/Radeck, Die Beschlüsse der Uruguay-Runde: Hintergrund, Inhalt und Bewertung; in: Frenkel/Bender (Hrsg.), GATT und neue Welthandelsordnung, S. 13 (39); Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 951 ff. 366 Stoll/Raible, Schutz geistigen Eigentums und das TRIPS-Abkommen, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.III., Rn. 140 ff.; Dörmer, GRURInt. 1998, S. 919 (920 ff.).

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1. Teil: Die Herausbildung der WTO-Rechtsordnung

geistigen Eigentums erstmals in ein multilaterales Rahmenübereinkommen überführt und zwar mit dem Ziel, mittelfristig bei den nationalen Gesetzgebungen einen vergleichbaren, weltweiten Schutzstandard zu schaffen sowie positive Anreize für die weitere Forschung und Entwicklung in diesem Bereich zu geben. d) Zusammenfassung Wie jede andere Rechtsordnung kann auch das WTO-Recht formelle und materielle Elemente aufweisen, durch welche ein rechtlicher Ordnungsrahmen geschaffen wird. Hierzu zählen Regelungen etwa hinsichtlich der Aufgaben und Funktionsweise der WTO, ihrer Organstruktur oder aber die Rechte und Pflichten der WTO-Mitglieder untereinander. Verglichen mit dem GATT 1947 zeichnet sich die WTO-Rechtsordnung insgesamt durch einen weit höheren Grad an Verrechtlichung aus. Fand noch das GATT 1947 lediglich als „Provisorium“ Anwendung, so ist die WTO eine Internationale Organisation mit eigener Völkerrechtssubjektivität, die über gemeinsame Organe verfügt und einen beachtlichen Grad der Institutionalisierung aufweist. Ihre Verfahrensmechanismen sind dabei nicht mehr allein von dem für das Völkerrecht typischen Konsensprinzip geprägt, sondern sehen bereits Mehrheitsentscheidungen vor, was – verglichen mit dem Entscheidungssystem klassischer Internationaler Organisationen – ihre qualitative Andersartigkeit verdeutlicht. Denn wie nie zuvor werden Interessenkonflikte im WTO-Recht inzwischen detaillierten Regelungsmechanismen unterzogen, also verrechtlicht. Nicht nur unterliegen inzwischen weite Bereiche, die zuvor von den traditionellen Grundsätzen des freien bzw. machtgeleiteten Interessenausgleichs geprägt waren, erstmals überhaupt einer rechtlichen Regelung. Geändert hat sich darüber hinaus auch die Regelungsqualität in jenen Bereichen, für die bereits das GATT 1947 Geltung beanspruchte. Die eindeutigere Fassung von Rechten und Pflichten der Mitglieder, die Beseitigung weitreichender Ausnahmemöglichkeiten, jedenfalls aber die Präzisierung ihrer Voraussetzungen, das Verbot bestimmter Protektionsformen sowie die weitere Verrechtlichung verbleibender handelspolitischer Schutzmaßnahmen – durch jeden dieser Schritte verliert das internationale Wirtschaftsrecht ein Stück jenes politisch-koordinationsrechtlichen Charakters, der noch das GATT 1947 weitestgehend prägte, und verhilft ihm zu einer neuen, von Rechts- und Verhaltenssicherheit geprägten, rechtlichen Qualität367.

367 So Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (392 f.).

2. Teil

Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung Mehrfach ist bereits der Versuch unternommen worden, das Welthandelsrecht zu systematisieren und zwar anhand grundlegender Prinzipien. Grund hierfür ist nicht nur die Suche nach einer in sich schlüssigen dogmatischen Ordnung, sondern vor allem auch die Nutzbarmachung der Rechtsprinzipien im Rahmen der Rechtsanwendung, also etwa der Auslegung von WTO-Bestimmungen durch die Organe der Streitbeilegung. Bevor allerdings der Frage nachgegangen wird, ob und inwieweit sich in der WTO-Spruchpraxis ein Rückgriff auf Rechtsprinzipien tatsächlich nachweisen läßt, sollen im folgenden die rechtstheoretischen Grundlagen der sog. Regel- und Prinzipiendiskussion näher beleuchtet werden.

A. Begriff und Funktion von Rechtsprinzipien Trotz einer beinahe unvordenklich langen Diskussion um Begriff und Funktion rechtlicher Prinzipien1, besteht heute zumindest im Ergebnis nahezu uneingeschränkte Einigkeit darüber, daß jeder Rechtsordnung eine Vielzahl von (Rechts-)Prinzipien zugrunde liegt2. Diesen Umstand beschreibt Ronald Dworkin in seinem berühmten Werk Taking Rights Seriously folgendermaßen: „Die Rechtslehrer halten Unterricht über sie, 1 Vgl. schon Immanuel Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ (1781/1787): „Es ist ein alter Wunsch, der, wer weiß wie spät, vielleicht noch einmal in Erfüllung gehen wird: daß man doch einmal statt der endlosen Mannigfaltigkeit bürgerlicher Gesetze ihre Principien aufsuchen möge; denn darin kann allein das Geheimniß bestehen, die Gesetzgebung, wie man sagt, zu simplificieren.“, zitiert nach Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Kants gesammelte Schriften, Bd. III, S. 239; als erster Autor, in dessen Werk ausdrücklich von Rechtsprinzipien die Rede ist, tritt der mallorquinische Philosoph und Naturrechtler Ramon Llull (1232–1316) in Erscheinung, nähere Nachweise bei Pascua, Die Grundlage rechtlicher Geltung von Prinzipien – eine Gegenüberstellung von Dworkin und Esser, in: Orsi (Hrsg.), Prinzipien des Rechts, S. 7 (11). 2 Koch, NuR 2001, S. 541 (548) – „Prinzipien als Tiefenstruktur einer Rechtsordnung“; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 251; Dreier, NJW 1986, S. 890 (892); anders Rieth, Vom Wert grundlegender Werte im Recht, ARSP 67 (1981), S. 369 (377), der nur die Menschenwürde als einzig wirkliches Rechtsprinzip ansieht.

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

Rechtstexte nehmen Bezug auf sie, die Vertreter der Rechtgeschichte rühmen sie und die Richter machen, neben anderen Dingen, von ihnen zur Lösung schwieriger Fälle Gebrauch.“3 Doch was genau sind Rechtsprinzipien und welche Funktion bzw. Wirkung kommt ihnen innerhalb eines Rechtssystems zu? Diesen allgemeinen Fragen ist im folgenden nachzugehen.

I. Rechtsregeln und Rechtsprinzipien als Normkategorien Versucht man, sich dem Begriff Rechtsprinzip4 zu nähern, so bedarf es zunächst der Klärung, was sein Wesen ausmacht. Untrennbar damit verbunden ist die Frage, durch was es sich von einer einfachen Rechtsregel unterscheidet. Die Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien ist keineswegs neu, wobei die Arten und Kriterien dieser Unterscheidung überaus zahlreich sind. Im deutschsprachigen Raum wurde die Diskussion zunächst bestimmt durch die Arbeiten von Josef Esser5 und später auch die von Karl Larenz6 und Claus-Wilhelm Canaris7. Auf internationaler Ebene hat eine breite Diskussion über die grundsätzliche Rolle von Prinzipien im Rechtssystem allerdings erst die grundsätzliche Kritik anstoßen können, die Ronald Dworkin an der positivistischen Rechtstheorie seines Lehrers Herbert L. A. Hart8 geübt 3

Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 28. Die Terminologie ist diesbezüglich keineswegs einheitlich. In Rechtsdogmatik und -methodik lassen sich als Bezeichnungen für Rechtsprinzip gleichsam Begriffe finden wie Rechtsgrundsatz, rechtsethisches Prinzip, Leit- oder Grundgedanke, Maxime, Rechtsaxiom, fundamentales Rechtsprinzip, allgemeiner Rechtsgedanke, Doktrin oder Rechtsinstitut; zum Ganzen mit jeweils ausführlichen Nachweisen Schilcher, Prinzipien und Regeln als Elemente einer Theorie des gebundenen Ermessens, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 153 (155); Vogel, Juristische Methodik, S. 67 ff.; Llompart, Die Geschichtlichkeit der Rechtsprinzipien, S. 5 f. 5 Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts (1956); zum Werk Essers vgl. Köndgen, JZ 2001, S. 807 (808 f.); außerdem Pascua, Die Grundlage rechtlicher Geltung von Prinzipien – eine Gegenüberstellung von Dworkin und Esser, in: Orsi (Hrsg.), Prinzipien des Rechts, S. 7 ff.; in Österreich nahm Walter Wilburg wesentliche Einsichten bereits in den vierziger Jahren mit seiner Theorie der beweglichen Systeme vorweg, vgl. Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts (1941) sowie ders., Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht (1951). 6 Larenz, Richtiges Recht, S. 23 ff. 7 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 46 ff. 8 Vgl. dazu Hart, The Concept of Law (1961); Kernthese aller positivistischen Rechtstheorien ist die sog. Trennungsthese, die besagt, daß keine notwendige Verbindung zwischen Recht und Moral besteht. Dabei meint der Begriff Recht das positive Recht und Moral dasjenige, was traditionell unter Naturrecht zu verstehen ist, Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 263 ff.; ausführlich zum positivistischen Rechtsbegriff auch Dreier, NJW 1986, S. 890 ff. 4

A. Begriff und Funktion von Rechtsprinzipien

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hat9. Dworkin zufolge lasse sich die positivistische Rechtstheorie vor allem durch drei Kernthesen charakterisieren. Erstens bestehe jedes Rechtssystem ausschließlich aus Regeln, wobei jede Regel nicht aufgrund ihres Inhalts, sondern aufgrund ihrer Herkunft identifiziert werden könne (test of pedigree10). Wenn ein Fall nicht eindeutig durch eine solche Regel entschieden werden könne (open texture-Situationen11), etwa weil keine passende Regel vorliege, so sei – der zweiten These zufolge – eine Entscheidung nicht durch Anwendung des geltenden Rechts möglich, sondern müsse im freien Ermessen des jeweiligen Richters durch Rückgriff auf außerrechtliche Maßstäbe und zwar insbesondere solche der Moral erfolgen. Schließlich sollen – entsprechend der dritten These – Rechtspflichten nur aufgrund geltender rechtlicher Regeln bestehen. Hat also ein Richter einen Rechtsfall aufgrund seines freien Ermessens zu entscheiden, so werde hierdurch keine bestehende Rechtspflicht ausgesprochen, sondern eine neue, vorher nicht existente Regel geschaffen12.13 Diesem positivistischen Modell stellt Dworkin ein eigenes Prinzipienmodell entgegen, welches sich ebenfalls in drei Kernaussagen zusammenfassen läßt14: (1) Jedes Rechtssystem bestehe nicht nur aus Regeln, sondern auch aus Prinzipien15, wobei letztere – anders als Regeln – nicht allein aufgrund formeller Kriterien zu identifizieren seien16. (2) Lasse sich ein Fall mittels einer Regel nicht eindeutig entscheiden, so sei die Entscheidung rechtlich durch Prinzipien festgelegt. Ein Richter habe deshalb auch in einem solch 9 Dworkin, University of Chicago Law Review 35 (1967), S. 14 ff. sowie Dworkin, Taking Rights Seriously (1977). 10 Mit test of pedigree meint Dworkin das Geltungskriterium des positivistischen Rechtsbegriffs, wie es etwa in der „Grundnorm“ Kelsens (Reine Rechtslehre, S. 219) oder in Hart’s „rule of recognition“ (The Concept of Law, S. 79 ff.) definiert ist. 11 Hart, The Concept of Law, S. 124 ff. 12 Hart, The Concept of Law, S. 145: „The open texture of law leaves to court’s a law-creating power . . .“. 13 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 17. 14 Hierzu Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 63 f.; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 259; zum „Prinzipienargument“ Dworkin’s vgl. auch Dreier, NJW 1986, S. 890 (892), der eine strukturtheoretische und eine geltungstheoretische Version des Prinzipienarguments unterscheidet. 15 Diese von Dworkin vorgenommene normtheoretische Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien ist auch in der anglo-amerikanischen Rechtstheorie keineswegs neu. So hatte bereits Anfang der 1920er Jahre Benjamin N. Cardozo in seiner Schrift „The Nature of the Judicial Process“ auf die Bedeutung der Prinzipien im amerikanischen Rechtsdenken hingewiesen und eine entsprechende Methodologie entwickelt, vgl. dazu die Nachweise bei Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Band II, Anglo-Amerikanischer Rechtskreis, S. 82 f. und S. 242 ff. 16 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 22, S. 39 ff.

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

„schwierigen Fall“ (hard case) kein freies Ermessen17. (3) Rechtspflichten bestünden damit nicht nur aufgrund von Regeln, sondern auch aufgrund von Prinzipien18. Im Ergebnis liege nach Dworkin’s Ansicht der Hauptfehler aller positivistischen Theorien demgemäß in der Verkennung der tatsächlichen Bedeutung von Prinzipien im Rahmen der juristischen Argumentation. Dworkin’s Erkenntnis, daß Regeln und Prinzipien als zwei logisch voneinander zu trennende Arten von Rechtsnormen zu begreifen sind19, hat sich inzwischen auch unter den Vertretern des Rechtspositivismus weitgehend durchgesetzt20 und ist nachträglich sogar von Hart selbst angenommen worden21. Heutzutage besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß sich die Normen einer Rechtsordnung aufteilen lassen und zwar in Regeln einerseits und Prinzipien andererseits22. Maßgebliche Erkenntnis ist hierbei, daß reine Regelsysteme nur schwerlich existieren können und als System darüber hinaus auch nicht erstrebenswert sind23. Sie wären bei der Lösung konkreter rechtlicher Probleme als solche beschränkt auf die Anwendung definitiver Rechtsnormen. Da sich aber empirisch nachweisen läßt, daß eine vorhandene Rechtsmasse immer unvollständig ist und selbst unter Einschluß der juristischen Methodenlehre nicht zur Lösung sämtlicher denkbarer Rechtsprobleme in der Lage ist24, hätte ein reines Regelmodell zur Folge, be17

Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 30 ff. Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 28 ff. 19 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 22 ff.; außerdem Dworkin, University of Chicago Law Review 35 (1967), S. 14 ff.; zum Ganzen auch Pascua, Die Grundlage rechtlicher Geltung von Prinzipien – eine Gegenüberstellung von Dworkin und Esser, in: Orsi (Hrsg.), Prinzipien des Rechts, S. 7 ff.; Luf, Zur Geltung von Rechtsprinzipien, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 129 (137 ff.); die Unterscheidung Dworkin’s wurde insbesondere von Robert Alexy aufgegriffen, präzisiert und auf die Grundrechte angewandt Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff.; Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 177 ff. 20 Koller, Meilensteine im Rechtspositivismus des 20. Jahrhunderts: Hans Kelsens reine Rechtslehre und H. L. A. Harts „Concept of Law“, in: Weinberger/Krawietz (Hrsg.), Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker, S. 129 (178). 21 Hart, The Concept of Law, S. 259 ff. (263) – Postkript zur 2. Auflage (1994) seines im Jahre 1969 erstmalig erschienenen Buches. 22 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 119 ff.; Pfeifer, DVBl. 1989, S. 337 (341); Penski, JZ 1989, S. 105 (107 f.); Otte, Die Anwendung von Rechtsnormen mit und ohne Spielraum, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 143 (147); Atienza/Manero, Über Prinzipien und Regeln, in: Krawietz/von Wright (Hrsg.), Öffentliche oder private Moral, Festschrift für Ernesto Garzón Valdés, S. 109 (114 ff.); anders Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 57; Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, S. 359 ff. 23 Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 219 ff. 24 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 173 und S. 366 ff. 18

A. Begriff und Funktion von Rechtsprinzipien

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stimmte Rechtsfragen nicht klären zu können oder aber eine Entscheidung aufgrund außerrechtlicher Kriterien treffen zu müssen.

II. Definition und Unterscheidung von Rechtsregeln und -prinzipien Herrscht mithin Einigkeit darüber, daß Normen entweder Regeln oder Prinzipien sein können, so ist in der rechtstheoretischen Debatte noch immer nicht abschließend geklärt, wie sich Prinzipien konkret definieren und damit letztlich eindeutig von Regeln abgrenzen lassen. Bei der Vielzahl vorgeschlagener Definitions- und Differenzierungsversuche, welche etwa abstellen auf den Grad der Allgemeinheit, die Art des Geltungsgrundes, der Entstehungsweise oder aber den Bezug zur Rechtsidee, sollen hier vor allem zwei der angebotenen Konzeptionen näher beleuchtet werden25. Teilweise wird vertreten, Regeln und Prinzipien seien auf unterschiedlichen normtheoretischen Ebenen anzusiedeln. Während Regeln eine konkrete Lösung oder Entscheidungsvorgabe für ein bestimmtes Rechtsproblem enthalten und damit unmittelbar Grund für eine juristische Entscheidung darstellen, sind Prinzipien nicht Weisung selbst, sondern deren „Grund, Kriterium und Rechtfertigung“26. Sie sind leitende Gedanken bzw. Rechtfertigung einer möglichen oder bereits bestehenden rechtlichen Regelung27. Prinzipien weisen damit zwar bereits einen zur Regelung des Einzelfalls hinführenden gedanklichen Gehalt auf, entbehren aber noch des rechtssatzförmigen Charakters, also der Verknüpfung eines näher umrissenen Tatbestandes und einer bestimmten Rechtsfolge28. Andere hingegen wollen als Unterscheidungsmerkmal die verschiedenartige Wirkungsweise von Regeln und Prinzipien nutzen. Regeln bestehen 25

Zu weiteren Hinweisen hinsichtlich der verschiedenen Arten der Abgrenzung vgl. etwa Neumann, Die Geltung von Regeln, Prinzipien und Elementen, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 115 ff.; Buchwald, Prinzipien des Rechtsstaats, S. 60 ff.; Hofmann, Normenhierarchien im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 138 f.; Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, ARSP Beiheft 25 (1985), S. 13 (14); Sieckmann, Begriff und Struktur von Regeln, Prinzipien und Elementen im Recht, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 69 (70). 26 So Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S. 51; Larenz, Richtiges Recht, Grundzüge einer Rechtsethik, S. 25. 27 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 240; Schrader, DÖV 1990, S. 326. 28 Larenz, Richtiges Recht, Grundzüge einer Rechtsethik, S. 23; Di Fabio, NVwZ 1999, S. 1153 (1154); Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 485.

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

demzufolge aus einem Tatbestand und einer Rechtsfolge. Sie folgen einem „Alles-oder-Nichts-Schema“ (all-or-nothing-fashion)29 bzw. einer „WennDann-Struktur“30. Ist der Tatbestand einer Regel erfüllt, so gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder ist die Regel gültig, dann muß auch ihre Rechtsfolge akzeptiert werden, oder sie ist nicht gültig, und dann hat sie keinen Einfluß auf die Entscheidung31. Die typische Anwendungsform einer Regel ist folglich die Subsumtion32. Prinzipien wirken anders. Sie legen eine Entscheidung nicht zwingend fest, sondern formulieren vielmehr allgemeine Präferenzen, die im Hinblick auf im Rechtssystem angestrebte soziale, politische oder wirtschaftliche Ziele gebildet werden33. Prinzipien sind Normen, die ein „ideales Sollen“ beinhalten, während Regeln auf ein „reales Sollen“ des Adressaten gerichtet sind34. Robert Alexy zufolge sind Prinzipien als sog. Optimierungsgebote dadurch charakterisiert, daß sie in unterschiedlichen Graden erfüllt werden können und daß das gebotene Maß ihrer Erfüllung nicht nur von den tatsächlichen, sondern auch von den rechtlichen Möglichkeiten abhängt, also etwa von gegenläufigen Regeln oder Prinzipien35. Weitgehende Übereinstimmung besteht jedenfalls darüber, daß Regeln und Prinzipien ein völlig unterschiedliches Kollisionsverhalten besitzen36. 29 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 24; kritisch dazu Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, ARSP Beiheft 25 (1985), S. 13 (15 ff.). 30 Koch, NuR 2001, S. 541 (548); Koch, Rechtsprinzipien im Bauplanungsrecht, Zur normtheoretischen Basis der planerischen Abwägung, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 245. 31 Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, ARSP Beiheft 25 (1985), S. 13 (20); Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76. 32 Alexy, Rechtssystem und praktische Vernunft, Rechtstheorie 1987, S. 405 (407 f.). 33 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 22, demzufolge sich Zielsetzungen von Prinzipien als eigene rechtliche Elemente unterscheiden lassen. Rechtlich formulierte Ziele (policies) sind Aussagen oder Maßstäbe, die bestimmte politische, wirtschaftliche oder soziale Ziele (goals) betreffen, deren Erreichung angestrebt wird. Dieser Gedanke, daß Zielsetzungen ebenfalls als Elemente des Rechts zu berücksichtigen sind, wird seit geraumer Zeit insbesondere im Zusammenhang mit der Bedeutung von Prinzipien diskutiert; im Hinblick auf das EG-Recht dazu Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 286 ff. 34 Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 202 ff. 35 Zum Begriff des Optimierungsgebotes vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f.; Alexy, Zur Struktur der Rechtsprinzipien, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 31 (32); kritisch etwa Schilcher, Prinzipien und Regeln als Elemente einer Theorie des gebundenen Ermessens, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 153 (162 ff.); Penski, JZ 1989, S. 105 (109 f.). 36 Nicht so eindeutig ist hingegen das Kollisions- bzw. Rangverhältnis zwischen Prinzip und Regel. Zwar bilden Regeln die Konkretisierung eines Prinzips mit der

A. Begriff und Funktion von Rechtsprinzipien

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Kollidieren zwei Prinzipien miteinander, so werden sie gegeneinander abgewogen37. Das Überwiegen des dem einen Prinzip innewohnenden Interesses führt dann jedoch nicht zur Ungültigkeit des anderen Prinzips. Letzteres tritt nur im konkreten Fall zurück, soweit das überwiegende Interesse des ersten Prinzips dies erfordert38. Prinzipien können sich also wechselseitig ergänzen, aber auch einschränken39 und die Abwägung kann mithin als die für Prinzipien kennzeichnende Form der Rechtsanwendung bezeichnet werden40. Eine hiermit vergleichbare „Dimension des Gewichts“ (dimension of weight or importance) fehlt hingegen den Regeln41. Wenn diese miteinander in Konflikt geraten, kann stets nur eine von ihnen Gültigkeit in der jeweiligen Rechtsordnung beanspruchen42. Die Entscheidung darüber, welche der jeweils einschlägigen Regeln im konkreten Fall Geltung beanspruchen kann, hat aufgrund der Vorrangregeln wie lex posterior, lex specialis oder lex superior zu erfolgen oder aber aufgrund der Wichtigkeit der den Regeln jeweils zugrundeliegenden bzw. sie stützenden Prinzipien43. Aus alledem folgt, daß demgegenüber kein zuverlässiges Kriterium für die Unterscheidung beider Normgruppen deren jeweilige Regelungsdichte darstellt44. Auch wenn Prinzipien meist einen hohen Abstraktionsgrad aufweisen und daher inhaltlich mehr oder minder unbestimmt sind, taugen diese Merkmale letztlich kaum als verläßliche Kriterien für die Differenzierung beider Normtypen45. Nicht selten sind nämlich auch Regeln inhaltlich Folge, daß es bei Vorliegen einer einschlägigen Regel nicht notwendig (und auch nicht zulässig) ist, auf das Prinzip selbst zurückzugreifen. Allerdings kann jede konkrete Vorschrift dadurch suspendiert werden, daß man sie auf ein Prinzip zurückführt und geltend macht, daß die Regel dem Gedanken des dahinter stehenden Prinzip nicht richtig zur Geltung verhilft. Vgl. zum Ganzen Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 256. 37 Diese Abwägung soll Alexy zufolge mithilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100 ff.; dazu Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 74 f. 38 Zu dem von Alexy diesbezüglich formulierten „Abwägungsgesetz“ vgl. nur Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, ARSP Beiheft 25 (1985), S. 13 (35 f.). 39 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 304; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 55. 40 Alexy, Rechtssystem und praktische Vernunft, Rechtstheorie 1987, S. 405 (407 f.). 41 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 26. 42 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 77 f.; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 255. 43 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 27; Alexy, Zur Struktur der Rechtsprinzipien, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 31 (33). 44 So aber Christie, Duke Law Journal 1968, S. 649 (669); Hughes, The Yale Law Journal 77 (1968), S. 411 (419); Raz, The Yale Law Journal 81 (1972), S. 823 (383); Penski, JZ 1989, S. 105 (108).

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

sehr viel allgemeiner gehalten, ohne deswegen ihre unmittelbare Verbindlichkeit einzubüßen. Regeln dieses Zuschnitts mögen dem Adressaten größere Spielräume hinsichtlich ihrer Erfüllung lassen und daher schwerer durchsetzbar sein. Sie eröffnen dem Adressaten jedoch keine alternativen Handlungsmöglichkeiten. Sie sind damit anders als Prinzipien nicht bloße Determinanten eines noch ergebnisoffenen Abwägungsprozesses46. Zusammenfassen läßt sich die strukturell-qualitative Differenz beider Normkategorien wie folgt: Auf der Tatbestandsseite erfassen Regeln einen genau definierten Sachverhalt (Wenn-Struktur), während Prinzipien auf eine Vielzahl von Sachverhalten Anwendung finden können. Auf der Rechtsfolgenseite sehen Regeln eine bestimmte Rechtsfolge (Dann-Struktur) vor, wenn der Tatbestand erfüllt wurde, wohingegen Prinzipien im Abwägungsprozeß für den jeweiligen Einzelfall zu konkretisieren sind. Als Recht zeichnen sich letztere durch ihren Anspruch auf positive Rechtsgeltung aus, mit dem sie in der Rechtsordnung auftreten – der Rechtsanwender hat sie bei der Rechtsfindung zu beachten47.

III. Abgrenzung zu politischen Zielsetzungen Der soeben angeführte Aspekt ist von entscheidender Bedeutung bei der Abgrenzung von Prinzipien und politischen Zielsetzungen. Bei letzteren handelt es sich um politische Leitideen, welche das (staatliche) Handeln auf ein bestimmtes Ziel hin orientieren und damit politischen Handlungen zugrunde liegen. Anders als bei der Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln kann die Abgrenzung zwischen Prinzipien und politischen Zielsetzungen nicht über die Struktur, sondern nur über den Verbindlichkeitsanspruch innerhalb einer rechtlichen Ordnung erfolgen. Zwar haben sich auch politische Zielsetzungen immer an dem jeweiligen rechtlichen Rahmen zu orientieren, in dem sie umgesetzt werden sollen. Bis zu ihrer Umsetzung fehlt ihnen allerdings der für Rechtsprinzipien charakteristische Verbindlichkeitsanspruch. Politische Zielsetzungen können ihres programmatischen Charakters wegen zwar eine Selbstbindung des Gesetzgebers herbeiführen. Abgesehen von dieser „Ausstrahlung“ auf das Recht bleiben sie jedoch ohne eigene Rechtsqualität, auch wenn sie bei rechtlichen Begründungen 45

Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 92 f. Beyerlin, „Prinzipien“ im Umweltvölkerrecht – ein pathologisches Problem?, in: Cremer u. a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger, S. 31 (54). 47 So mit umfangreichen Nachweisen Schröter, Lebensmittelrechtliche Vorsorge als Rechtsprinzip – nationale, europäische und welthandelsrechtliche Aspekte, ZERP-Diskussionspapier 4/2002, S. 1 (2 f.). 46

A. Begriff und Funktion von Rechtsprinzipien

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durchaus eine Rolle spielen und somit zumindest indirekte Geltung innerhalb der Rechtsordnung erlangen können48.

IV. Funktion von Rechtsprinzipien Den Rechtsprinzipien werden in ihrer Eigenschaft als tragende Säulen des Rechtsgebäudes eine Reihe von Funktionen zugeordnet. Vier Funktionen sind dabei von besonderer Bedeutung und sollen daher an dieser Stelle beispielhaft herausgegriffen werden. Sie werden nachfolgend als lückenfüllende, interpretierende, richtungsweisende und einende Funktion bezeichnet49. Die lückenfüllende Funktion von Prinzipien besteht in der Lösung solcher Konflikte, für die das geltende Recht keinen konkreten Maßstab liefert, etwa weil keine einschlägigen Regeln existieren oder diese zu vage sind (open texture-Situationen50)51. In solch schwierigen Fällen (hard cases) können die Gerichte zur Lösung offener Rechtsfragen auf Prinzipien zurückzugreifen, die ebenfalls Teil der Rechtsordnung sind. Ihre Anwendung liefere den Gerichten Gründe für die Anwendung oder Schaffung von Regeln und gestatte ihnen, zur Lösung eines Falles Antworten zu finden52. 48 Zum Ganzen näher Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, S. 355 ff.; Schröter, Lebensmittelrechtliche Vorsorge als Rechtsprinzip – nationale, europäische und welthandelsrechtliche Aspekte, ZERP-Diskussionspapier 4/2002, S. 1 (6 f.); Di Fabio, NVwZ 1999, S. 1153 (1154); Murswiek, ZUR 2001, S. 7 (8); Jaeschke, NVwZ 2003, S. 563 f. 49 Pascua, Die Grundlage rechtlicher Geltung von Prinzipien – eine Gegenüberstellung von Dworkin und Esser, in: Orsi (Hrsg.), Prinzipien des Rechts, S. 7 (10 f.); zum EG-Recht Lecheler, ZEuS 2003, S. 337 (346 ff.); siehe zu den Funktionen auch unten 2. Teil B. II. und 2. Teil C. I. 50 Hart, The Concept of Law, S. 124 ff. 51 Allgemein zur „Lückendiskussion“ im Recht Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 138 ff.; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, S. 174 ff.; zum EG-Recht etwa Groussot, The General Principles of Community Law in the Creation and Development of Due Process Principles in Competition Law Proceedings: From Transocean Marine Paint (1974) to Montecatini (1999), in: Bernitz/Nergelius (Hrsg.), General Principles of European Community Law, S. 185 ff.; zum Völkerrecht siehe nur Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 18 ff. 52 Dworkin führt als Beispiel den Fall Henningsen v. Bloomfield Motors, Inc. an, der 1960 von einem Gericht in New Jersey entschieden wurde. In diesem Fall ging es um die Frage, inwieweit der Kläger Henningsen, der bei Bloomfield Motors ein Auto gekauft und anschließend aufgrund eines Produktfehlers einen Unfall erlitten hatte, neben dem Sachschaden auch den Personenschaden geltend machen konnte. Letzterer war in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgeschlossen worden, und Henningsen konnte, da es zu jener Zeit in New Jersey noch keine Produzentenhaftung gab, keine Regel für sein Begehren anführen. Trotzdem sah das Gericht in

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

Im Rahmen dieses richterlichen Entscheidungsprozesses gelten Prinzipien als höherrangig gegenüber Regeln und rechtfertigen ein Abweichen von letzteren, da sie stets generelle Verhaltensanweisungen im Hinblick auf eine angestrebte Zielverwirklichung formulieren. Daß durch den Rückgriff auf Prinzipien der Richter dabei in die Lage versetzt wird, immer die eine „richtige“ Entscheidung zu treffen, darf entgegen Dworkin bezweifelt werden53. Allerdings wird durch ihre Verwendung die Plausibilität juristischer Entscheidungen erhöht, auch und gerade weil sie eine Abwägung mit anderen Faktoren im Rechtssystem voraussetzen und so die Kohärenz des Rechtssystems insgesamt stützen. Eng hiermit zusammen hängt auch die interpretierende Funktion von Prinzipien. Sie besteht darin, Normen, deren Sinngehalt mehr oder weniger verborgen bleibt, anhand von Prinzipien auszulegen und damit richtig zu erfassen. Prinzipien dienen dann als Richtschnur für die Norminterpretation54. Hingegen versteht man unter der richtungsweisenden Funktion diejenige, anhand von Prinzipien den Kurs einzuhalten, dem die jeweilige Rechtsordnung in ihrer zukünftigen Entwicklung folgen soll. Diese Funktion dürfte vorrangig, wenn auch nicht ausschließlich, mit einem bestimmten Prinzipientyp korrespondieren, nämlich mit den sog. Verfassungsprinzipien, die vor allem den Gesetzgeber binden, indem sie seinem Werk Vorbild und Orientierung geben55. Schließlich besitzen Prinzipien auch eine einende bzw. systematisierende Funktion, indem sie als Konvolut grundsätzlich kohärenter und objektiver Werte der gewaltigen Masse von Regeln eine gewisse materielle und substantielle Einheit bieten. Gemeint ist damit eine gewisse inhaltlich strukturierte Systematik, die es erlaubt, das Normenmaterial zu ordnen und als kohärentes Ganzes darzustellen56. dem Fall das Prinzip der Vertragsfreiheit eingeschränkt durch das Prinzip des Verbraucherschutzes und gab der Klage statt, vgl. Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 23 f. 53 Dworkin selbst zeigt keine Methode auf, mit der durch Prinzipienanwendung sicher entschieden werden kann. Statt dessen überträgt er die Aufgabe der Rechtsfindung dem fiktiven Superrichter Herkules; vgl. Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 68 ff. und S. 105 ff. 54 Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 269; Weinberger, Revision des traditionellen Rechtssatzkonzepts, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 53 (63); Lang, Bedeutung des Konzepts der Nachhaltigen Entwicklung für die Entwicklung des Umweltvölkerrechts, in: Lang/Hohmann/Epiney, Das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung, S. 9 (19). 55 Weinberger, Revision des traditionellen Rechtssatzkonzepts, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 53 (63).

A. Begriff und Funktion von Rechtsprinzipien

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V. Ursprung und Ermittlung von Rechtsprinzipien Für die einzelnen Rechtsordnungen liegt die Summe der Rechtsprinzipien nicht im Sinne eines „vollständigen Katalogs“ offen zutage57. Nachfolgend soll daher kurz dargestellt werden, welche Verfahren sich zur Prinzipienermittlung anbieten und worin der Ursprung der rechtlichen Geltung von Prinzipien zu sehen ist. Dworkin’s Aussagen zu den Rechtsquellen von Regeln und Prinzipien beinhalten eine geltungstheoretische Komponente, die besagt, daß die rechtliche Geltung von Regeln stets einem test of pedigree zugänglich sei, die der Prinzipien hingegen nicht immer58. Mit test of pedigree beschreibt er den Geltungsgrund eines Rechtsbegriffes, der im Sinne einer Erkenntnisregel (rule of recognition59) bzw. einer Grundnorm60 als Ableitung einer Regel aus der jeweils nächst höheren Norm zu verstehen sei. Prinzipien hingegen können Dworkin zufolge ihren Geltungsgrund auch etwa im Bereich der Politik, der Moral und der Sitten und damit in schwer konkretisierbaren Rechtsquellen haben61. Das von ihm vorgeschlagene Verfahren zur Ermittlung, ob ein bestimmtes Prinzip bereits Bestandteil einer geltenden Rechtsordnung ist, erfordert stets einen institutionellen Rückhalt. Gemeint sind hiermit etwa Gerichtsurteile, in denen auf das Prinzip Bezug genommen wird oder Gesetze, in denen ein Prinzip exemplifiziert wird. Je mehr Präsenz bzw. institutionellen Rückhalt (institutional support) ein Prinzip in der jeweiligen Rechtsordnung habe, desto größere Bedeutung könne man ihm beimessen. Dworkin’s Idealmodell der Prinzipienbestimmung wird an anderer Stelle noch deutlicher beschrieben. Demnach sei zuerst erforderlich, sich mit einer Identifikation des gesamten Fachwerks juristischer Institutionen und gültiger einschlägiger Rechtsnormen zu befassen. Sei dies gelungen, müsse man sich fragen, welches System von Prinzipien und welche Vorrangfolge notwendigerweise zur Sprache zu bringen sei, um die Exi56

Atienza/Manero, Über Prinzipien und Regeln, in: Krawietz/von Wright (Hrsg.), Öffentliche oder private Moral, Festschrift für Ernesto Garzón Valdés, S. 109 (120 ff.); so zum EG-Recht etwa von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht: Theoretische und dogmatische Grundzüge, S. 149 (152 ff.). 57 Luf, Zur Geltung von Rechtsprinzipien, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 129 (132); den Versuch der Zusammenstellung eines Katalogs von (zivilrechtlichen) Rechtsprinzipien unternimmt Larenz, Richtiges Recht, S. 43. 58 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 17, S. 39 ff.; dazu Dreier, NJW 1986, S. 890 (893). 59 So Hart, The Concept of Law, S. 100, auf den Dworkin Bezug nimmt. 60 So Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 219. 61 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 64 ff.; Dreier zufolge unterscheidet Dworkin im Hinblick auf die Art und Weise der Geltungsbegründung mindestens vier Arten von Prinzipien, dazu näher Dreier, NJW 1986, S. 890 (893).

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

stenz des gesamten, zuvor identifizierten Rechtsmaterials bestmöglich zu erklären und zu rechtfertigen. Ein jedes der zur besagten Struktur gehörenden Elemente könne dann unzweifelhaft als ein im Recht geltendes Prinzip angesehen werden. Dworkin räumt hierbei allerdings ein, daß den Gerichten die ordnungsgemäße Durchführung eines solchen Prinzipienidentifikationsverfahrens eine übermenschliche, ja herkulinische Anstrengung abverlange, der sie in der Praxis nur schwerlich nachkommen könnten62. Die von Dworkin vorgeschlagene weite Definition möglicher Rechtquellen von Prinzipien läßt sich nur erklären vor dem Hintergrund des angloamerikanischen Common Law-Systems63. Auf einen engeren Kreis von Rechtsquellen stützt sich regelmäßig die kontinental-europäische Sichtweise, die jedoch hinsichtlich des Verfahrens zur Prinzipienidentifikation grundsätzlich vergleichbare Maßnahmen vorschlägt. Demzufolge erfolgt der Vorgang der Prinzipiengewinnung durch Isolierung der Grundprinzipien des jeweiligen Rechtssystems und der daraus ableitbaren oder im Zuordnungsverhältnis stehenden weiteren Prinzipien64. Als geeignete Verfahren zur Ermittlung gelten dabei die logische Abstraktion bzw. die verallgemeinernde Induktion65. Hierbei wird das verfügbare Regelmaterial, in dem Prinzipien latent oder implizit enthalten sein können, zugrunde gelegt und anschließend versucht, unter Einbeziehung rechtsvergleichender und historischer Aspekte sowie den Auslegungsergebnissen von Wissenschaft und Rechtsprechung, Rückschlüsse zu ziehen auf grundsätzliche Maximen oder Leitideen der jeweiligen Rechtsordnung.

VI. Zusammenfassung Im Ergebnis weist der Begriff des Rechtsprinzips eine „skalenartige“ Struktur auf. Es handelt sich bei einem Rechtsprinzip um eine auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite offene Norm, welche mit Verbindlichkeitsanspruch in der Rechtsordnung auftritt und der Konkretisierung im Rahmen 62 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 68 ff. und S. 105 ff.; dazu Raisch, Juristische Methoden, S. 169. 63 Kritisch daher Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 260, der Dworkin’s Theorie in der europäischen Diskussion insgesamt für überbewertet hält, weil ihr Ursprung im anglo-amerikanischen Rechtskreis (Common Law) nicht ausreichend berücksichtigt wird. 64 Dreier, NJW 1986, S. 890 (893). 65 Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 312; Bydlinski, Die „Elemente“ des Beweglichen Systems: Beschaffenheit, Verwendung und Ermittlung, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 9 (23 f.); zum EG-Recht siehe etwa Lecheler, ZEuS 2003, S. 337 (344 f.).

B. Rechtsprinzipien im Völkerrecht

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eines Abwägungsprozesses bedarf. Der jeweilige Konkretisierungsgrad eröffnet den skalenartigen Bedeutungsbereich, in dem sinnvollerweise von einem Rechtsprinzip gesprochen werden kann. Die Definitionsgrenze nach „unten“ bilden die konditional strukturierten Regeln. Nach „oben“ hin werden die Prinzipien von den politischen Zielsetzungen begrenzt, welche wiederum keinen Verbindlichkeitsanspruch innerhalb der positiven Rechtsordnung aufweisen können66.

B. Rechtsprinzipien im Völkerrecht Auch auf der völkerrechtlichen Ebene basieren die Regeln auf leitenden Prinzipien, und das Völkerrecht insgesamt besteht aus Normen unterschiedlicher Konkretisierungsstufen67. Dabei existieren gegen eine Übertragung der vornehmlich für das innerstaatliche Recht entwickelten rechtstheoretischen Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien auf die völkerrechtliche Ebene kaum Bedenken. Zwar unterscheiden sich beide Rechtsordnungen vor allem insofern, als das Völkerrecht im Gegensatz zum nationalen Recht koordinationsrechtlichen Charakter besitzt und regelmäßig von der Identität zwischen Rechtserzeuger und Rechtsunterworfenen geprägt ist. Allerdings beruhen trotz dieser strukturellen Verschiedenartigkeit beide Rechtsordnungen insgesamt auf Normen, deren Wesen und Funktion sich im wesentlichen gleichen68. Im Gegensatz zu den aus dem völkerrechtlichen Vertrags- bzw. Gewohnheitsrecht resultierenden Regeln sind die völkerrechtlichen Prinzipien meist weniger auf konkrete Detailfragen zugeschnitten, sondern aufgrund ihres häufig hohen Abstraktionsgrades flexibler handhabbar. Sie stellen inhaltliche Leitlinien und Wertmaßstäbe dar, die das Staatenverhalten zwar maßgeblich beeinflussen können, im Gegensatz zu Regeln aber oftmals keine unmittelbaren völkerrechtlichen Verhaltenspflichten erzeugen69. Völker66 Zu möglichen Einwänden im Hinblick auf diese Begriffsbildung bzw. ihre Tauglichkeit als rechtsdogmatisches Untersuchungskriterium auf internationaler Ebene vgl. Schröter, Lebensmittelrechtliche Vorsorge als Rechtsprinzip – nationale, europäische und welthandelsrechtliche Aspekte, ZERP-Diskussionspapier 4/2002, S. 1 (8 f.). 67 Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 125; Stocker, Das Prinzip des Common Heritage of Mankind als Ausdruck des Staatengemeinschaftsinteresses im Völkerrecht, S. 143; Weiß, AVR 2001, S. 394 (441); für eine ausführliche Auflistung siehe Mosler, General Principles of Law, EPIL II (1984), S. 511 (518 ff.). 68 Beyerlin, „Prinzipien“ im Umweltvölkerrecht – ein pathologisches Problem?, in: Cremer u. a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger, S. 31 (53 f.); Kaltenborn, Entwicklungsvölkerrecht und Neugestaltung der internationalen Ordnung, S. 122; Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 241 f.

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

rechtliche Prinzipien sind demnach Normen, die ein „ideales Sollen“ beinhalten und unterscheiden sich damit qualitativ von den auf ein „reales Sollen“ der Völkerrechtsadressaten gerichteten völkerrechtlichen Regeln. Versteht man sie als auf einen internationalen Sachverhalt bezogene Optimierungsgebote, so bestimmen Völkerrechtsprinzipien, daß ein als Zielvorgabe beschriebener Zustand in einem – gemessen an den tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten der beteiligten Völkerrechtssubjekte – möglichst hohen Maße realisiert werden soll70, wobei im Falle einer Prinzipienkollision hierbei eine Abwägung auch dem Völkerrechtler nicht erspart bleibt71.

I. Rechtsquellen von Völkerrechtsprinzipien Auch wenn also die grundsätzliche Existenz von Prinzipien auf der völkerrechtlichen Ebene außer Frage steht, fallen bei näherer Betrachtung sogleich die vielfältigen, im Zusammenhang mit den Völkerrechtsprinzipien gebrauchten Begrifflichkeiten ins Auge und zwar sowohl innerhalb der deutsch- als auch der englischsprachigen Völkerrechtsliteratur. Hier werden zur Beschreibung der leitenden völkerrechtlichen Prinzipien Begriffe verwandt wie „völkerrechtliche Rechtsgrundsätze“72, „allgemeine Völkerrechtsprinzipien“73, „Strukturprinzipien des Völkerrechts“74, „Grundprinzipien des Völkerrechts“75, „allgemeine Grundsätze des Völkerrechts“76 oder aber „general principles of international law“77 „principles of international law“, „constitutional principles“78. Diese Unterschiede in der Terminologie erklären sich erst vor dem Hintergrund der umstrittenen Einordnung von Prinzipien in die formelle 69 Beyerlin, „Prinzipien“ im Umweltvölkerrecht – ein pathologisches Problem?, in: Cremer u. a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger, S. 31 (54). 70 Kaltenborn, Entwicklungsvölkerrecht und Neugestaltung der internationalen Ordnung, S. 122. 71 Falterbaum, AVR 1995, S. 245 (264); Kaltenborn, Entwicklungsvölkerrecht und Neugestaltung der internationalen Ordnung, S. 125. 72 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 605; ähnlich Krieger, Das Effektivitätsprinzip im Völkerrecht, S. 44 (Rechtsgrundsätze der Völkerrechtsordnung). 73 Mössner, Rechtsquellen, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts – Völkerrecht, S. 329 (330). 74 Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 125. 75 Bernhardt, ZaöRV 1976, S. 50 (52 ff.). 76 Heintschel von Heinegg, Die weiteren Quellen des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 16, Rn. 43 und § 17, Rn. 1; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 81. 77 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 18 f. 78 Monaco, Sources of International Law, EPIL IV (1984), S. 467 (468 f.).

B. Rechtsprinzipien im Völkerrecht

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Rechtsquellensystematik des Art. 38 Abs. 1 Statut des Internationalen Gerichtshofes (IGH-Statut79)80. Nach einer wohl überwiegenden Meinung in der völkerrechtlichen Literatur müßten Völkerrechtsprinzipien nämlich entweder vertraglich oder gewohnheitsrechtlich objektiviert sein, um rechtliche Bindungskraft entfalten zu können81. Als Völkerrechtsprinzipien gelten dann die fundamentalen Grundprinzipien zwischenstaatlicher Beziehungen, also insbesondere die in der „Friendly-Relations“-Deklaration der Generalversammlung der Vereinten Nationen82 enthaltenen Grundsätze der souveränen Gleichheit der Staaten, das Gewalt- bzw. Interventionsverbot, das Gebot der zwischenstaatlichen Kooperation, das Gebot friedlicher Streitbeilegung oder das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Diese speziell den internationalen Beziehungen zugrundeliegenden Völkerrechtsprinzipien sind zu unterscheiden von den allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut. Denn diese – in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut als dritte Völkerrechtsquelle – aufgeführten, sog. general principles of law recognized by civilized nations ergänzen zwar die Normen des Völkervertrags- und Völkergewohnheitsrechts83, stellen ihrem Ursprung nach aber „völkerrechtsfremde“ Normen dar84. Bei ihnen handelt es sich auch um Rechtsprinzipien, aber jeweils um solche, die allen oder doch zumindest den meisten nationalen Rechtsordnungen gemein sind und sich trotz ihres innerstaatlichen Ursprungs auch auf den zwischenstaatlichen Verkehr übertragen lassen85. Als Beispiele dieser im Wege der Rechtsver79 Statut des Internationalen Gerichtshofes, BGBl. 1973 II, S. 505 ff.; abgedruckt in Sartorius II, Nr. 2; zur völkerrechtlichen Rechtsquellensystematik vgl. bereits oben 1. Teil C. II. 80 Ausführlich hierzu Weiß, AVR 2001, S. 394 (399 ff.). 81 Herczegh, General Principles of Law and the International Legal Order, S. 56; Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 100 ff.; Mössner, Rechtsquellen, in: SeidlHohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts – Völkerrecht, S. 329 (330). 82 Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Cooperation Among States in Accordance with the Charter of the United Nations, Anhang zur Resolution der UN-Generalversammlung 2625 (XXV) vom 24.10. 1970, abgedruckt in AJIL 1971, S. 243 ff.; VN 1978, S. 138 ff. (deutsche Übersetzung); dazu Graf zu Dohna, Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, S. 48 ff. 83 Allgemein Bogdan, Nordic Journal of International Law 1977, S. 37 (44); Herdegen, Völkerrecht, § 17, Rn. 1 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 508; Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 100 ff.; speziell zum Recht der Internationalen Organisationen Bleckmann, ZaöRV 1977, S. 107 ff. 84 Heintschel von Heinegg, Die weiteren Quellen des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 17, Rn. 1; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 605; Doehring, Völkerrecht, Rn. 408. 85 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 81 f.; Buergenthal/Doehring/Kokott/ Maier, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 59; Heintschel von Heinegg, Die weiteren

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

gleichung ermittelten und unter die allgemeinen Rechtsgrundsätze i. S. d. Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut fallenden Prinzipien seien hier lediglich erwähnt die Prinzipien zur Haftung und Verantwortlichkeit, das Verbot des Rechtsmißbrauchs (abus de droit), die Rückabwicklung ungerechtfertigter Bereicherung, die Geschäftsführung ohne Auftrag, die Verjährung, die Verwirkung, höhere Gewalt (force majeure), rechtliches Gehör und andere prozedurale Grundsätze, wie die Waffengleichheit der Parteien (equality of the parties) oder ein ordnungsgemäßes Verfahren (due process of law), und schließlich der Grundsatz der Billigkeit und Gerechtigkeit (equity)86. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch die besonderen Ausprägungen des Prinzips von Treu und Glauben (good faith) wie etwa der Grundsatz pacta sunt servanda, der Einwand des venire contra factum proprium oder der aus dem amerikanischen Recht stammende estoppel-Grundsatz87. Häufig werden zudem rechtslogische Prinzipien (lex posterior, lex specialis, etc.) zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gezählt88. Folge dieser engen Auslegung des Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut und der damit verbundenen strikten Differenzierung zwischen allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Völkerrechtsprinzipien ist, daß letzteren in ihrer jeweiligen Abhängigkeit vom völkerrechtlichen Vertrags- bzw. Gewohnheitsrecht kein eigenständiger Rechtsquellencharakter zukommt. Demgegenüber will eine Reihe von Autoren den Anwendungsbereich des Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut über den Wortlaut hinaus erweitern und auch solche Prinzipien erfassen, die sich mittels juristischer Logik aus der Struktur des Völkerrechts ermitteln lassen. Unter den Terminus allgemeine Rechtsgrundsätze würden dann – neben den in foro domestico vorgefundenen und im Wege der Rechtsvergleichung gewonnenen Prinzipien – auch solche Prinzipien gefaßt, die auf der internationalen Ebene unmittelbar zur Entstehung gelangt sind89. Begründet wird dies einerseits damit, daß sich die Staaten, etwa in der UN-Vollversammlung durch inhaltlich übereinstimQuellen des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 17, Rn. 1; Ress, Allgemeine Rechtsgrundsätze, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts – Völkerrecht, S. 322 (324); Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1 (77). 86 Ausführliche Nachweise bei Weiß, AVR 2001, S. 394 (398 f.); siehe auch Mosler, General Principles of Law, EPIL II (1984), S. 511 ff.; Ress, Allgemeine Rechtsgrundsätze, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts – Völkerrecht, S. 322 (324 f.). 87 Herdegen, Völkerrecht, § 17, Rn. 3; Kimminich/Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 185. 88 Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1 (77); Buergenthal/Doehring/Kokott/Maier, Grundzüge des Völkerrechts, Rn. 59. 89 Mosler, ZaöRV 1976, S. 6 (45); Weiß, AVR 2001, S. 394 (403).

B. Rechtsprinzipien im Völkerrecht

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mende einseitige Erklärungen oder durch formlosen zwischenstaatlichen Konsens zu neuen völkerrechtlichen Prinzipien bekennen, noch bevor diese Eingang gefunden haben in das Völkergewohnheitsrecht oder das Völkervertragsrecht90. Zum anderen wird argumentiert, daß die meisten Privatrechtsanleihen aus den nationalen Rechtsordnungen inzwischen Eingang gefunden hätten in das Völkervertrags- bzw. Völkergewohnheitsrecht und Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut damit seinen ursprünglichen Anwendungsbereich weitgehend eingebüßt habe. Eine zeitgemäße Interpretation der Vorschrift erfordere daher die Einbeziehung auch solcher Prinzipien, die entweder im Wege der Induktion durch Generalisierung einzelner, bereits bestehender völkerrechtlicher Vertrags- und Gewohnheitsnormen gewonnen werden können oder aber von den Staaten als grundlegende Verhaltensstandards der internationalen Gemeinschaft aufgestellt worden seien91. Beiden Ansätzen gemein ist die Erkenntnis, daß die auf der Ebene des Völkerrechts zum Tragen kommenden Rechtsprinzipien nach ihrer jeweiligen Herkunft unterschieden werden können. Entweder handelt es sich um allgemeine Rechtsgrundsätze und damit um diejenigen allgemeinen Prinzipien, die zunächst einmal auf nationaler Ebene beheimatet sind, sich aber auf den zwischenstaatlichen Verkehr übertragen lassen. Oder aber es handelt sich um solche Prinzipien, die sich speziell in den internationalen Beziehungen also auf der Ebene des Völkerrechts entwickelt haben. Ob letztere dabei ebenfalls der Rechtsquelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut unterfallen oder aber, ohne eigenständigen Rechtsquellencharakter zu besitzen, im Völkervertrags- bzw. im Völkergewohnheitsrecht verankert sind, kann letztlich dahinstehen. Denn der spezifisch normative Gehalt der auf der völkerrechtlichen Ebene zum Tragen kommenden allgemeinen Prinzipien bleibt von einer solchen Unterscheidung grundsätzlich unberührt92.

II. Funktion und Bedeutung von Rechtsprinzipien im Völkerrecht Auch auf der völkerrechtlichen Ebene erfüllen die Rechtsprinzipien eine Reihe von Funktionen93. 90 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 606; Weiß, AVR 2001, S. 394 (400 f.). 91 Cassese, International Law in a Divided World, S. 174; dazu auch Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht, § 606. 92 Zum Ganzen ausführlich Kaltenborn, Entwicklungsvölkerrecht und Neugestaltung der internationalen Ordnung, S. 128. 93 Vgl. überblicksartig Hohmann, Bedeutung des Prinzips der bestandsfähigen Entwicklung für die Weiterentwicklung des Umweltvölkerrechts – eine Skizze, in:

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

Wichtigste Funktion ist erneut die der Lückenfüllung94. Steht ein internationales (Schieds-)Gericht im konkreten Fall vor einem Rechtsproblem, für das weder Regelungen im Völkervertrags- noch im Völkergewohnheitsrecht eine Lösung bereithalten, so kann auf allgemeine Prinzipien zurückgegriffen werden. Bereits vor der Ausarbeitung des Statuts für den Ständigen Internationalen Gerichtshof (StIGH) war man sich darüber klar geworden, daß in der Praxis allein mit Verträgen und Gewohnheitsrecht als Quellen des Völkerrechts nicht auszukommen sei. Internationale Schiedsgerichte hatten daher bereits seit längerem auf allgemeine Rechtsgrundsätze und damit auch auf allgemeine Rechtsprinzipien zurückgegriffen95. Insbesondere aus diesem Grund wurden die allgemeinen Rechtsgrundsätze dann auch in das Statut des StIGH als Rechtsquelle aufgenommen und zwar unter anderem mit der Begründung, durch sie Rechtslücken ausfüllen und eine Unmöglichkeit der Entscheidung (non liquet) verhindern zu wollen96. Daneben fungieren völkerrechtliche Prinzipien als Hilfsmittel der Auslegung und Anwendung bestehender völkerrechtlicher Verträge oder von Gewohnheitsrecht97. So kann etwa das Prinzip von Treu und Glauben als allgemeiner Rechtsgrundsatz Bedeutung erlangen bei der genaueren Bestimmung des Umfangs von Pflichten aus einem völkerrechtlichen Vertrag. Auf der anderen Seite darf Völkergewohnheitsrecht bzw. Völkervertragsrecht, welches mit zwingenden Rechtsprinzipien, etwa elementaren menschenrechtlichen Anforderungen, im Widerspruch steht, nicht angewandt werden. In einem solchen Fall kommt den allgemeinen Prinzipien eine Korrekturbzw. Begrenzungsfunktion zu. Lang/Hohmann/Epiney, Das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung, S. 23 (34 ff.); Weiß, AVR 2001, S. 394 (411 ff.); Ress, Allgemeine Rechtsgrundsätze, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts – Völkerrecht, S. 322 (325); siehe auch Stober, UN und WTO als Motoren globaler Wirtschaftsprinzipien, in: Kluth/Müller (Hrsg.), Ordnungsrahmen und Akteure einer sozialen und ökologischen Markt- und Weltwirtschaft, S. 143 (154 ff.). 94 Zum „Lückenproblem“ im Völkerrecht vgl. Bogdan, Nordic Journal of International Law 1977, S. 37 (38 ff.); ausführlich Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 24 ff. 95 Ausführliche Nachweise hierzu bei Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 508 ff. 96 Permanent Court of International Justice, Advisory Committee of Jurists, Procès-verbaux of the Proceedings of the Committee, June 16th – July 21st (with Annexes), S. 296 und 318; vgl. auch Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 100; kritisch Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 607. 97 In Bezug auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut Cheng, General Principles of Law, S. 390; Ress, Allgemeine Rechtsgrundsätze, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts – Völkerrecht, S. 322 (325).

B. Rechtsprinzipien im Völkerrecht

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Schließlich verfügen völkerrechtliche Prinzipien über einen innovativen Einfluß auf die Weiterentwicklung des Völkerrechts98. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, daß gem. Art. 13 Abs. 1 lit. a UN-Charta die fortschreitende Entwicklung (progressive development) des Völkerrechts als eine gleichwertige Alternative zur vertraglichen Kodifikation anzusehen ist. Idealerweise verläuft dabei der Verrechtlichungsprozeß ausgehend von der Formulierung einer rein politischen Forderung über die Bildung von soft law bis hin zur Entstehung von hard law99. Von den zahlreichen Untersuchungen, welche sich darauf konzentrieren, den Stand des Transformationsprozesses vor allem durch die Identifizierung, Gewichtung und wechselseitige Zuordnung einzelner Prinzipien zu bestimmen, sind aus wirtschaftsvölkerrechtlicher Sicht von Bedeutung etwa die Studie des United Nations Institute for Training and Research (UNITAR) von 1984 sowie die SeoulErklärung der International Law Association (ILA) von 1986. Erstere geht zurück auf eine Initiative der Generalversammlung der Vereinten Nationen, mit der der UN-Generalsekretär beauftragt worden war, in Zusammenarbeit mit UNITAR eine Zusammenstellung der bereits bestehenden bzw. sich noch entwickelnden Prinzipien hinsichtlich des sich auf die Neue Weltwirtschaftsordnung beziehenden internationalen Rechts vorzubereiten100. Ergebnis dieses in mehreren Phasen umgesetzten Auftrags ist eine analytische Studie, welche sowohl existierende als auch neue, sich entwickelnde Prinzipien behandelt, die für die Schaffung einer Neuen Weltwirtschaftsordnung notwendig und in Resolutionen der UN-Generalversammlung, in bi- und multilateralen Übereinkommen, in Entscheidungen internationaler Gerichte sowie internationalen Schiedssprüchen enthalten sind101. Parallel zur UNITAR-Studie beschäftigte sich in der ersten Hälfte der 80er Jahre auch die ILA damit, einen weltweiten Konsens über einige grundlegende Prinzipien 98

Kaltenborn, Entwicklungsvölkerrecht und Neugestaltung der internationalen Ordnung, S. 130; Sands, International Law in the Field of Sustainable Development: Emerging Legal Principles, in: Lang (Hrsg.), Sustainable Development and International Law, S. 53 (57); Stober, UN und WTO als Motoren globaler Wirtschaftsprinzipien, in: Kluth/Müller (Hrsg.), Ordnungsrahmen und Akteure einer sozialen und ökologischen Markt- und Weltwirtschaft, S. 143 (156). 99 Zum Begriff des soft law vgl. etwa Heintschel von Heinegg, Die weiteren Quellen des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 19, Rn. 20. 100 UN GA-Res. 35/166 vom 15.12.1980; allgemein zur Diskussion um die Neue Weltwirtschaftsordnung Bryde/Kunig/Oppermann (Hrsg.), Neuordnung der Weltwirtschaft (1986), passim. 101 Als fundamentale Prinzipien werden dabei identifiziert das Prinzip der souveränen Gleichheit sowie die Pflicht zur Zusammenarbeit, denen wiederum Unterprinzipien zugeordnet werden können wie etwa die permanente Souveränität über natürliche Ressourcen oder aber das Prinzip der präferentiellen Behandlung von Entwicklungsländern, vgl. zum Ganzen mit ausführlichen Nachweisen Schütz, Solidarität im Wirtschaftsvölkerrecht, S. 95 ff.

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

der Weltwirtschaftsordnung zu suchen. Nach langjährigen Vorarbeiten verabschiedete sie schließlich am 30. August 1986 in Seoul im allgemeinen Konsens die Declaration on the Progressive Development of Principles of Public International Law relating to a New International Economic Order, welche von dem Versuch bestimmt ist, zur wissenschaftlich fundierten Suche nach international konsensfähigen Rechtsprinzipien beizutragen102. Auch die Seoul-Erklärung der ILA benennt eine ganze Reihe materieller (Rechts-)Prinzipien103, wobei allerdings der Grad an Verbindlichkeit offen bleibt, da sowohl Prinzipien im Sinne allgemein anerkannter Rechtsprinzipien in die Erklärung aufgenommen wurden als auch andere, die der Annahme durch Vertrag oder gewohnheitsrechtlicher Anerkennung bedürfen, um bindende Kraft zu erlangen104.

C. Rechtsprinzipien im WTO-Recht Die der Prinzipientheorie zugrundeliegende maßgebliche Erkenntnis, daß reine Regelsysteme nur schwerlich existieren können und als solche auch nicht erstrebenswert sind, gilt auch und gerade auf der Ebene des Welthandelsrechts105. Zwar kann das mit Abschluß der Uruguay-Runde in Kraft getretene WTO-Recht, wie zuvor auch das Recht des GATT 1947, im Gegensatz zu den innerstaatlichen Rechtsordnungen nur partielle Geltung beanspruchen, da beide völkerrechtlichen Vertragsordnungen nur den Bereich der jeweils speziellen Kompetenzen umfassen und auch nur diejenigen Völkerrechtssubjekte binden, die Parteien der jeweiligen Ordnung sind bzw. waren106. Im Rahmen ihres jeweiligen Bereichs bilden jedoch auch sie ein umfassendes System von Regeln und Prinzipien, welches neue Entwicklungen nicht nur kategorisieren, sondern auch kanalisieren kann. Es verwun102 Abdruck des Textes der „Seoul-Erklärung“ in Oppermann/Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order, S. 47 ff. 103 Hierzu zählen u. a. das Prinzip der Billigkeit, das Prinzip der Solidarität, das Prinzip des gemeinsamen Erbes der Menschheit oder aber das Prinzip der Gleichheit und Nichtdiskriminierung. 104 Vgl. Abs. 4 der Präambel der Seoul-Erklärung; zum Ganzen Oppermann, Die Seoul-Erklärung der International Law Association vom 29.–30. August 1986 über die fortschreitende Entwicklung von Völkerrechtsprinzipien einer neuen Weltwirtschaftsordnung, in: Böckstiegel u. a. (Hrsg.), Völkerrecht, Recht der Internationalen Organisationen, Weltwirtschaftsrecht, Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern, S. 449 ff. 105 Hilf, EuR 2002, Beiheft 1, S. 173 (174); Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 178; Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 180; Geisel, Das TRIPS-Übereinkommen in der WTO-Rechtsordnung, S. 107 ff. 106 Allgemein zum Begriff der Vertragsordnung Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, S. 53.

C. Rechtsprinzipien im WTO-Recht

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dert daher nicht, daß die Regel- und Prinzipienlehre inzwischen auch Einzug gehalten hat in das Welthandelsrecht.

I. Funktion und Bedeutung von Rechtsprinzipien im WTO-Recht Auch auf WTO-Ebene lassen sich den Prinzipien eine Reihe von Funktionen zuordnen107. 1. Lückenfüllungs- bzw. Interpretationsfunktion Besondere Bedeutung kommt erneut der Lückenfüllung bzw. Norminterpretation zu108. Denn wie jede andere Rechtsordnung enthält auch das WTO-Recht Regelungslücken in dem Sinne, daß überhaupt keine rechtliche Norm zur Lösung eines Problems vorhanden ist oder aber sich zwar Bestimmungen finden, diese sich jedoch als (bewußt) offen oder vage darstellen109. In beiden Fällen kommt der Rückgriff auf zugrundliegende rechtliche Prinzipien in Frage, sei es zur Lückenfüllung oder zum Zwecke der Interpretation. Verstärkt wird diese Situation dadurch, daß die WTO-Rechtsordnung als Teilordnung des Völkerrechts naturgemäß in vielen Bereichen das völkerrechtliche Schicksal nicht nur bewußt vage gehaltener, kompromißhafter Formulierungen teilt110, sondern sich auch auszeichnet durch einen oft langwierigen und schwierigen Prozeß der Rechtssetzung. So lassen sich die vertraglichen Kernbereiche gem. Art. X Abs. 2 WTO-Übereinkommen nur einstimmig abändern. Alle übrigen Normen könnten – sofern sich ein Konsens der WTO-Mitglieder nicht erreichen ließe (Art. X Abs. 1 Satz 6 WTO-Übereinkommen) – zumindest dem Vertragstext nach mit Zweidrittelmehrheit geändert werden111. Um diese, für eine Vertragsänderung not107 Oppermann/Conlan, „Principles“ – Legal Basis of Today’s International Economic Order?, ORDO 41 (1990), S. 75 (81 f.). 108 Vgl. dazu WTO News vom 01.02.2001, Joint Statement on the Multilateral Trading System (Arthur Dunkel/Peter Sutherland/Renato Ruggiero): „Our concern is that the dispute settlement system is being used as a means of filling out gaps in the WTO system“. 109 Zum Problem der Regelungslücken im GATT 1947 bereits Haltern, ZVglRWiss 1992, S. 1 (13); Molsberger/Kotios, Ordnungspolitische Defizite des GATT, ORDO 41 (1990), S. 93 (10 f); zum WTO-Recht etwa Charnovitz, Judicial Independence in the World Trade Organization, in: Boisson de Chazournes/ Romano/Mackenzie (Hrsg.), International Organizations and International Dispute Settlement: Trends and Prospects, S. 219 (233 ff.). 110 Bail, EuZW 1990, S. 433 (434); Reinisch, Journal für Rechtspolitik 2001, S. 294 (300 f.). 111 Vgl. dazu bereits oben 1. Teil C. III. 1. b) bb).

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

wendige Zustimmung aller oder zumindest der überwiegenden Mehrheit der WTO-Mitglieder zu erhalten, sind erfahrungsgemäß lange Phasen der Vorbereitung und Meinungsbildung nötig. Ist mithin eine Vertragsänderung oder aber eine allgemeingültige Interpretation i. S. d. Art. IX Abs. 2 WTOÜbereinkommen auf absehbare Zeit nicht erreichbar, kommt der WTOStreitschlichtung bei der Ausfüllung von Lücken bzw. der Vertragsinterpretation im konkreten Einzelfall eine besondere Bedeutung zu112. 2. Systematisierende Funktion Bereits im Zusammenhang mit dem GATT 1947 wurde die Forderung nach einer Identifizierung bzw. Aufstellung GATT-rechtlicher Grundprinzipien unter anderem damit begründet, daß nur auf diese Weise der extrem unübersichtliche Normenbestand hinreichend verdeutlicht werden könne113. Da im Vergleich zum GATT 1947 das WTO-Vertragsregime nicht nur umfangreicher, sondern auch erheblich komplizierter geworden ist, gilt hier umso mehr, daß eine an grundlegenden Prinzipien ausgerichtete Ordnung des komplexen Normenmaterials nur einem besseren Verständnis dienen kann114. In ihrer Gesamtheit liefern die einzelnen Rechtsprinzipien dann relevante normative Bezugspunkte, anhand derer sich nicht nur die Grundstrukturen der WTO-Rechtsordnung aufzeigen lassen, sondern mit deren Hilfe sich auch eine kohärente Analyse und Anwendung des WTO-Rechts gewährleisten läßt115. Nicht verwunderlich ist daher, daß die in der Öffentlichkeitsarbeit der WTO häufig selbst auf Prinzipien zurückgegriffen wird, um auf diese Weise die komplexen Zusammenhänge des Welthandelssystems darzustellen und zu verdeutlichen116.

112 Wahl, Konstitutionalisierung – Leitbegriff oder Allerweltsbegriff, in: Eberle u. a. (Hrsg.), Der Wandel des Staates vor den Herausforderungen der Gegenwart, Festschrift für Winfried Brohm, S. 191 (204). 113 Von Bogdandy, RIW 1991, S. 55 (56); vgl. auch Petersmann, RabelsZ 1983, S. 478 (484 ff.); allgemein zum Internationalen Wirtschaftsrecht Schwarzenberger, The Principles and Standards of International Economic Law, RdC I 1966, S. 1 ff.; darauf Bezug nehmend Fischer, GYIL 19 (1976), S. 143 (158 ff.); Seiffert, Zum Problem des Internationalen Wirtschaftsrechts, in: Girardot u. a. (Hrsg.), New Directions in International Law, Festschrift für Wolfgang Abendroth, S. 159 (172 ff.). 114 Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 58; Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 12. 115 Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 179. 116 WTO, Trading into the Future, S. 5 ff. („Principles of the trading system“); WTO, A Training Package, („Basic Principles“), im Internet auf der offiziellen WTO-Homepage verfügbar unter http://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/ whatis_e.htm (Stand Oktober 2004).

C. Rechtsprinzipien im WTO-Recht

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3. Richtungsweisende Funktion Auch in ihrer zukünftigen Entwicklung ist die Welthandelsorganisation orientiert an grundlegenden Prinzipien. Diese geben gewissermaßen eine „Richtschnur“ vor für die weitere Entwicklung des Welthandelssystems117 und finden beispielsweise Erwähnung in Ministererklärungen118, Veröffentlichungen des WTO-Sekretariats119 oder aber den Reden der Generalsekretäre der WTO120. Diese dynamische bzw. richtungsweisende Funktion von Prinzipien ist von Frieder Roessler im Hinblick auf das Internationale Wirtschaftsrecht einst wie folgt zusammengefaßt worden: „The rules uphold the present order; they help predict the responses to actions in the immediate future. The agreed principles foreshadow new orders (. . .). Rules serve the purpose of stability, principles the cause of change.“121.

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Roessler, GYIL 21 (1978), S. 27 (59). Vgl. z. B. WTO, Doha Ministerial Declaration, WT/MIN(01)/DEC/W/1, vom 14.11.2001, para. 1 („We therefore strongly reaffirm the principles and objectives set out in the Marrakesh Agreement Establishing the World Trade Organization . . .“) sowie para. 25 („In the period until the Fifth Session, further work in the Working Group on the Interaction between Trade and Competition Policy will focus on the clarification of: core principles, including transparency, non-discrimination and procedural fairness,. . .“); sowie WTO, Declaration On The TRIPS Agreement and Public Health, WT/MIN(01)/DEC/W/2, vom 14.11.2001, para. 5 (a) („In applying the customary rules of interpretation of public international law, each provision of the TRIPS Agreement shall be read in the light of the object and purpose of the Agreement as expressed, in particular, in its objectives and principles.“). 119 Vgl. etwa WTO, Doha Development Agenda, Organization and Management of the Negotiations, in Bezugnahme auf die Doha Ministerial Declaration, WT/ MIN(01)/DEC/W/1, vom 14.11.2001, paras. 47–52; unter http://www.wto.org/english/tratop_e/dda_e/work_organi_e.htm#principles im Internet abrufbar (Stand Oktober 2004). 120 Vgl. z. B. die Rede des ehemaligen WTO-Generalsekretärs Mike Moore, Promoting Openness, Fairness and Predictability in International Trade for the Benefit of Humanity, WTO-News, vom 08.06.2001 („Openness, fairness and predictability are at the heart of the multilateral trading system.“); oder aber WTO News vom 01.02.2001, Joint Statement on the Multilateral Trading System (Arthur Dunkel/ Peter Sutherland/Renato Ruggiero): „However, the principles which underlie the system are not in serious dispute. They underlie the achievement of economic success across much of the world today. Those principles – open markets, non-discrimination; the rule of law, not power, transparency – must be reconfirmed and reinforced“). 121 Roessler, GYIL 21 (1978), S. 27 (59). 118

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

II. Systematisierungsansätze im welthandelsrechtlichen Schrifttum Vielfach finden sich im Schrifttum Vorschläge, das Welthandelsrecht anhand von Prinzipien zu systematisieren. Hierbei wird die bereits angesprochene rechtstheoretische Unterscheidung zwischen Rechtsregeln und Rechtsprinzipien im großen und ganzen eingehalten122. Erhebliche Unterschiede weisen die jeweiligen Systematisierungsansätze jedoch im Hinblick auf Umfang und Inhalt der im einzelnen präsentierten Prinzipienkataloge auf123. Zu Recht wurde in diesem Zusammenhang allerdings bereits darauf verwiesen, daß sich stets eine Einordnung bzw. Zusammenfassung einzelner Prinzipien nach verschiedenen Oberbegriffen durchführen ließe und daher die unterschiedlichen Positionen nicht als sich gegenseitig ausschließend betrachtet werden sollten124. 1. Zum GATT-Recht Aus den zahlreichen Ansätzen zur Systematisierung der GATT-Prinzipien sollen an dieser Stelle lediglich einige wenige und vor allem diejenigen herausgegriffen werden, auf die vielfach im Schrifttum zurückgegriffen wird125. Besonders erwähnenswert ist im deutschsprachigen Schrifttum aufgrund seines Umfangs vor allem der von Wolfgang Benedek bereits zum 122 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 49 ff.; Petersmann, International Trade Order and International Trade Law, in: Oppermann/Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order, S. 201 (209 f.); Oppermann, On the Present International Economic Order, Basic Values and Shortcomings, in: Oppermann/Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order, S. 187 (195 ff.); Oppermann/Conlan, „Principles“ – Legal Basis of Today’s International Economic Order?, ORDO 41 (1990), S. 75 (81 f.); eine kritische Auseinandersetzung zu den einzelnen Systematisierungsvorschlägen bietet Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 179 ff. 123 Hierzu mit ausführlichen Nachweisen Waincymer, WTO Litigation, S. 440 ff. 124 Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 146; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 51; Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, GATT-WTO-GATS, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 47 (96); Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 13. 125 Vgl. im übrigen aber auch Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, S. 75 ff.; Köpernik, JuS 1976, S. 779 (782 ff.); Mestmäcker, RabelsZ 1990, S. 409 (425); Bail, EuZW 1990, S. 433 ff.; Borchmann, RIW 1987, S. 444 ff.; Jäger, Streitbeilegung und Überwachung als Mittel zur Durchführung des GATT, S. 56 ff.; Bast/Schmidt, RIW 1991, S. 929 (930 f.); Wolfrum, Das internationale Recht für den Austausch von Waren und Dienstleistungen, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 2, S. 535 (570 ff.); VerLoren van Themaat, The Changing Structure of International Economic Law, S. 16 ff.

C. Rechtsprinzipien im WTO-Recht

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GATT 1947 herausgearbeitete Prinzipienkatalog. Ihm zufolge sind in der Rechtsordnung des GATT von grundlegender Bedeutung der Grundsatz der Nichtdiskriminierung, der Gegenseitigkeit, der besonderen Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedürfnisse der Entwicklungsländer (Solidarität), des Gleichgewichts der Rechte und Verpflichtungen, der staatlichen Verantwortlichkeit für Schäden aus rechtsmäßigem wirtschaftlichen Handeln, des fairen Handels sowie der friedlichen Streitbeilegung126. Einen ähnlich weitgehenden Prinzipienkatalog hat Ernst-Ulrich Petersmann vorgestellt. Ihm zufolge fußt die Rechtsordnung des GATT auf den Prinzipien der Nichtdiskriminierung, der geringsten Verzerrung (least distortion), der Transparenz, der friedlichen Streitbeilegung, der Sonderbehandlung für Entwicklungsländer sowie der nationalen Wirtschaftssouveränität127. Marc Beise hingegen zählt neben den Prinzipien der Nichtdiskriminierung, der Gegenseitigkeit, der friedlichen Streitbeilegung und der Transparenz auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie das Prinzip der Liberalisierung auf128. Weniger umfangreich sind die Systematisierungsansätze von Roessler, Ipsen/Haltern, von Bogdandy und Hailbronner/Bierwagen. Frieder Roessler, der bereits frühzeitig die Prinzipienlehre auf das Internationale Wirtschaftsrecht angewandt hat, unterscheidet hierbei zwischen dem Prinzip der Nichtdiskriminierung, dem Prinzip der Offenheit der Märkte sowie dem Prinzip des Fair Trade129. Knut Ipsen und Ulrich R. Haltern halten das GATT-Vertragswerk im wesentlichen gekennzeichnet durch das Prinzip der Nichtdiskriminierung, das Prinzip der geringsten Verzerrung (least distortion) sowie das Transparenzprinzip130. Armin von Bogdandy erwähnt neben den Prinzipien der Nichtdiskriminierung und des offenen Marktes auch das Prinzip der sog. ordnungspolitischen Neutralität131. Kay Hailbronner und Rainer M. 126 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 52 ff.; darauf Bezug nehmend Dolzer, Wirtschaft and Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (504). 127 Petersmann, International Trade Order and International Trade Law, in: Oppermann/Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order, S. 201 (211 f.); sowie ausführlich Petersmann, World Trade, Principles, EPIL IV (1985/ 2000), S. 1543 ff.; auf Petersmann Bezug nehmend auch Oppermann/Conlan, „Principles“ – Legal Basis of Today’s International Economic Order?, ORDO 41 (1990), S. 75 (83); Stegemann, The World Economy 23 (2000), S. 1237 (1243 ff.). 128 Beise, Vom alten zum neuen GATT – Zu den neuen Dimensionen der Welthandelsordnung, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Europäische und Internationale Wirtschaftsordnung aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland, S. 179 (200 f.). 129 Roessler, The World Economy 8 (1985), S. 287 ff. sowie Roessler, GYIL 21 (1978), S. 27 (56 ff.). 130 Ipsen/Haltern, Reform des Welthandelssystems? Perspektiven zum GATT und zur Uruguay Runde, S. 20. 131 Von Bogdandy, RIW 1991, S. 55 (56).

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

Bierwagen schließlich wollen die verschiedenen GATT-Prinzipien reduzieren auf lediglich zwei grundlegende Prinzipien, nämlich das Prinzip der Nichtdiskriminierung sowie das der Handelsliberalisierung132. 2. Zum WTO-Recht Auch zum WTO-Recht lassen eine ganze Reihe von prinzipienorientierten Systematisierungsansätzen finden. Viele hiervon greifen zurück auf die bereits für das GATT 1947 entwickelten „klassischen“ Prinzipienkataloge und erwähnen dann als zentrale „WTO-Prinzipien“ etwa die Handelsliberalisierung, die Nichtdiskriminierung oder aber die Reziprozität133. So hat jüngst beispielsweise Christian Tietje lediglich vier wesentliche Prinzipien vorgeschlagen, auf denen die WTO-Rechtsordnung basieren soll. Hierzu zählt er das Prinzip der Nichtdiskriminierung, das Prinzip der Souveränität, das Prinzip globaler Gerechtigkeit, welches er anstatt des Prinzips der Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer gebraucht, sowie das Prinzip der Offenheit der Märkte, unter welches er etwa das Transparenzprinzip, das Prinzip des fairen Handels oder aber das Verhältnismäßigkeitsprinzip zusammenfassen will134. Vertreten werden jedoch auch erheblich weitergehende Konzepte. So ist beispielsweise der klassische welthandelsrechtliche Prinzipienkatalog erweitert worden um solche Rechtsprinzipien, die aus dem völkerrechtlichen Umfeld der WTO stammen. Mit diesem maßgeblich von Meinhard Hilf entwickelten Ansatz soll verdeutlicht werden, daß sich die WTO-Rechtsordnung im Vergleich zum GATT 1947 nicht nur von einer machtorientierten hin zu einer normorientierten Ordnung gewandelt hat, sondern zugleich auch das spezifische Charakteristikum einer Rechtsordnung erreicht hat, nämlich die Existenz geschriebener und ungeschriebener Prinzipien135. Hilf unterscheidet hierbei zwischen Prinzipien innerhalb des WTO-Systems und 132

Hailbronner/Bierwagen, JA 1988, S. 318 (321). So etwa Senti, WTO, Rn. 364 ff.; Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 83 ff.; Kulessa, World Trade Organization, Welthandelsorganisation, in: Altmann/Kulessa (Hrsg.), Internationale Wirtschaftsorganisationen, S. 283; Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 45, Rn. 1 ff.; Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung, S. 84 ff.; Vollmöller, Die Globalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts, S. 141 ff. 134 Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 187 f.; so im wesentlichen auch Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 13 ff. 135 Hilf, JIEL 2001, S. 111 (114 ff.) spricht in diesem Zusammenhang in Anlehnung an die von Jackson zum GATT bzw. zur WTO geprägte Terminologie der power-orientation bzw. rule-orientation von einem principle-oriented approach; 133

C. Rechtsprinzipien im WTO-Recht

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solchen, die ihren Ursprung im (allgemeinen) Völkerrecht oder aber den nationalen Rechtsordnungen haben. Zu den „WTO-internen“ Prinzipien zählt er die Prinzipien der fortlaufenden Handelsliberalisierung, der Nichtdiskriminierung, der Souveränität der Mitglieder, der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development), der Kooperation und des Multilateralismus, der Transparenz, der Rechtsstaatlichkeit sowie der Verhältnismäßigkeit. Als mögliche „externe Prinzipien“ können daneben Prinzipien Berücksichtigung finden, die ihren Ursprung etwa im Völkergewohnheitsrecht bzw. in multilateralen Übereinkommen haben oder aber den internen Rechtsordnungen der WTO-Mitglieder entstammen. Als derartige Beispiele werden unter anderem angeführt das Prinzip von Treu und Glauben, das Prinzip des due process of law, das Prinzip des Verbots des Rechtsmißbrauchs oder der allgemein anerkannte Grundsatz der Beweiswürdigung (burden of proof)136. Ein anderer Ansatz liegt der sog. Theorie der Verfassungsfunktionen zugrunde, die das Welthandelsrecht aus verfassungsrechtlicher Perspektive beleuchtet. Unter der Prämisse, das WTO-Recht wirke in die gleiche Richtung wie nationales Verfassungsrecht, wird hierbei davon ausgegangen, daß auch der internationalen Handelsordnung bestimmte Verfassungsprinzipien zugrundeliegen müssen, die als konstitutionelle Ergänzung freiheitssichernd auf den nationalen Verfassungsraum und dessen Individuen zurückwirken137. So erweitert etwa Peter-Tobias Stoll den „klassischen“ welthandelsrechtlichen Prinzipienkatalog der Nichtdiskriminierung, Gegenseitigkeit und Fairneß um die Prinzipien der Effektivität, der Verhältnismäßigkeit oder aber der Rechtsstaatlichkeit (rule of law)138. Auch Ernst-Ulrich Petersmann erwähnt in seinen Publikationen stets eine Reihe von Verfassungsfunktionen vgl. schon Hilf/Eggers, EuZW 1997, S. 559 (564 f.) sowie nunmehr Göttsche, WTO als Rechtsordnung, in: Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, § 7, Rn. 35 ff. 136 Zum Ganzen Hilf, JIEL 2001, S. 111 (117 ff.); Hilf, EuR 2002, Beiheft 1, S. 173 (185 ff.); Hilf, NVwZ 2000, S. 481 (488); ausführlich auch Hilf/Goettsche, The Relation of Economic and Non-Economic Principles in International Law, in: Griller (Hrsg.), International Economic Governance and Non-Economic Concerns, S. 5 ff. 137 Zum Ganzen bereits Tumlir, International Economic Order and Democratic Constitutionalism, ORDO 34 (1983), S. 71 ff.; Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), S. 161 ff.; Duvigneau, Aussenwirtschaft 2001, S. 295 ff.; allgemein zu Konstitutionalisierungstendenzen im Völkerrecht Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, in: Dicke u. a. (Hrsg.), Völkerrecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden internationalen System – Auswirkungen der Entstaatlichung transnationaler Rechtsbeziehungen, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Band 39, S. 427 ff. 138 Stoll, World Trade Organization, EPIL IV (1999), S. 1529 (1532 ff.); Stoll, ZaöRV 1997, S. 83 (116 ff.); außerdem Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 58 ff.

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

erfüllenden GATT- bzw. WTO-Prinzipien, zu denen er neben dem Prinzip der Nichtdiskriminierung und der Gegenseitigkeit auch solche der Verhältnismäßigkeit, der Transparenz, des ordnungsgemäßen Verfahrens (due process) oder aber der Rechtsstaatlichkeit zählt139.

III. Ursprung und Ermittlung von Rechtsprinzipien im WTO-Recht An keiner Stelle in den verschiedenen WTO-Übereinkommen ist eine vollständige Liste oder ein abschließender Katalog mit verbindlichen Aussagen zu den Grundprinzipien des WTO-Rechts auffindbar. Allerdings wird in einer Vielzahl einzelner WTO-rechtlicher Bestimmungen der Begriff des Prinzips (principle) erwähnt140 und zwar in Abgrenzung etwa zur Regel (provision, rule)141 oder aber zur allgemeinen Zielsetzung (objective)142. 139 Petersmann, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, S. 221 ff. (zum GATT 1947); Petersmann, EJIL 1995, S. 161 (181); Petersmann, The GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 32 ff. (zur WTO); kritisch Krajewski, JWT 35 (2001) Nr. 1, S. 167 (177 ff.). 140 Vgl. etwa Art. III Abs. 2 GATT („. . . contrary to the principles set forth in paragraph 1“); Art. VII Abs. 1 GATT („. . . the validity of the general principles of valuation set forth in the following paragraphs of this Article, and they undertake to give effect to such principles . . .“); Art. X Abs. 3 lit. b GATT („. . . inconsistent with established principles of law . . .“); Art. XIII Abs. 5 GATT („. . . the principles of this Article shall also extend to . . .“); Art. XX lit. j GATT („. . . shall be consistent with the principle that . . .“); Art. XXIX Abs. 6 GATT („The application of the principle underlying this paragraph . . .“); Art. XXXVI Abs. 9 („. . . to give effect to these principles and objectives . . .“); 2. Erwägungsgrund der Präambel zum TRIPS („. . . the applicability of the basic principles . . .“); Art. 62 Abs. 4 TRIPS („. . . shall be governed by the general principles set out in paragraphs 2 and 3 of Article 41.“). 141 Art. 7 Abs. 1 Zollwertübereinkommen („. . . with the principles and general provisions of this Agreement . . .“); 2. Erwägungsgrund der Präambel zum GATS („Wishing to establish a multilateral framework of principles and rules for trade in services“); vgl. außerdem WTO, Doha Ministerial Declaration, WT/MIN(01)/DEC/ W/1, vom 14.11.2001, para. 25 („. . . core principles, including transparency, nondiscrimination and procedural fairness, and provisions on hardcore cartels“) oder aber Art. 6 Abs. 5 des inzwischen ausgelaufenen Rindfleischübereinkommens („. . . consistent with the principles and rules of the GATT 1994 . . .“). 142 Art. 7 TRIPS („Objectives“) und Art. 8 TRIPS („Principles“); Art. XXXVI GATT („Principles and Objectives“); Art. 9 Übereinkommen über Ursprungsregeln („Objectives and Principles“); vgl. außerdem WTO, Doha Ministerial Declaration, WT/MIN(01)/DEC/W/1, vom 14.11.2001, para. 1 („We therefore strongly reaffirm the principles and objectives set out in the Marrakesh Agreement Establishing the World Trade Organization, . . .“) sowie Declaration On The TRIPS Agreement and Public Health, WT/MIN(01)/DEC/W/2, vom 14.11.2001, para. 5 (a) („. . . its objectives and principles . . .“).

C. Rechtsprinzipien im WTO-Recht

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Einen ersten Ansatzpunkt bietet die Präambel des WTO-Übereinkommens, in deren letzten Erwägungsgrund es in der verbindlichen englischen Textfassung heißt: „The Parties to this Agreement, (. . .) Determined to preserve the basic principles and to further the objectives underlying this multilateral trading system, (. . .).“143

Hiermit wird nicht nur die Absicht der WTO-Mitglieder zum Ausdruck gebracht, die grundlegenden Prinzipien des Welthandelssystems zu bewahren und die übergeordneten Zielsetzungen zu fördern. Bestätigt wird vielmehr auch, daß es Prinzipien sind, die der WTO als einer Rechtordnung unterliegen (principles . . . underlying this multilateral trading system) und daß diese nicht gleichzusetzen sind mit den Zielsetzungen bzw. Zielen (objectives) der WTO144. Letztere sind katalogartig in der Präambel des WTOÜbereinkommens aufgeführt und umfassen insbesondere Ziele wirtschaftlicher bzw. handelspolitischer Art, von denen viele bereits in der Präambel zum GATT 1947 aufgeführt waren (z. B. die Erhöhung des Lebensstandards oder die Sicherung der Vollbeschäftigung)145. Neu hinzugekommen sind seit Abschluß der Uruguay-Runde aber auch Zielsetzungen wie das der nachhaltigen Entwicklung, der Ausrichtung auf den Umweltschutz oder aber der Integration von Entwicklungsländern in den Welthandel146. Darüber hinaus finden spezielle Rechtsprinzipien Erwähnung in nahezu allen WTO-Übereinkommen sowie in besonderen Rechtsinstrumenten wie etwa der Ministererklärung von Doha. Zu diesen in den Vertragstexten entweder ausdrücklich als principles angeführten oder zumindest dem Regelungsgehalt nach umschriebenen Rechtsprinzipien zählen unter anderem die folgenden: • Das Prinzip der Nichtdiskriminierung (Principle of Non-discrimination), welches ausdrücklich genannt wird z. B. in Art. XXVII Abs. 1 lit. a GATT („. . . consistent with the general principles of non-discrimination“), in Art. X Abs. 1 GATS („. . . based on the principle of non-discri143 Vgl. im übrigen auch eine Reihe weiterer Bezugnahmen auf die „Prinzipien des GATT 1994“ in der Präambel des Übereinkommens über Einfuhrlizenzverfahren, des Übereinkommens über Vorversandkontrollen und des Übereinkommens über Schutzmaßnahmen. 144 Zur Unterscheidung zwischen Zielsetzungen und Rechtsprinzipien vgl. bereits oben 2. Teil A. III.; siehe außerdem Geisel, Das TRIPS-Übereinkommen in der WTO-Rechtsordnung, S. 109 ff. 145 Dazu näher Ipsen/Haltern, Reform des Welthandelssystems? Perspektiven zum GATT und zur Uruguay Runde, S. 20; ausführlich Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 41 ff. 146 Zur Neuausrichtung der Zielsetzungen Senti, Die neue Welthandelsordnung, ORDO 45 (1994), S. 301 (305 f.); Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 62 ff.

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2. Teil: Anwendung der Prinzipientheorie auf die WTO-Rechtsordnung

mination“) oder aber im ersten Erwägungsgrund der Präambel der Vereinbarung zur Auslegung des Artikels XVII GATT („the general principles of non-discriminatory treatment prescribed in GATT 1994“). Auch in der Ministererklärung von Doha wird es explizit bezeichnet als eines der zentralen welthandelsrechtlichen Prinzipien („core principles, including . . . non-discrimination“). Seinem Regelungsgehalt nach ist es außerdem zu finden im jeweils dritten Erwägungsgrund der Präambeln zum WTOÜbereinkommen bzw. zum GATT 1947 („elimination of discriminatory treatment“), in Art. XX Abs. 1 GATT („arbitrary and unjustifiable discrimination“) oder aber in Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens über Vorversandkontrollen („inspection activities are carried out in a non-discriminatory manner“). • Das Prinzip der Gegenseitigkeit (Principle of Reciprocity) wird an keiner Stelle explizit erwähnt, findet aber dennoch Ausdruck an vielen Stellen des Vertragswerkes – wie etwa im jeweils dritten Erwägungsgrund der Präambeln zum WTO-Übereinkommen bzw. zum GATT 1947 („Being desirous of contributing to these objectives by entering into reciprocal and mutually advantageous arrangements“), in Art. XVII Abs. 3 GATT („thus negotiations on a reciprocal and mutually advantageous basis . . . are of importance“) oder aber in Art. XXIV Abs. 7 lit. b GPA („on the basis of mutual reciprocity“). • Das Souveränitätsprinzip (Principle of Sovereignty) wird erwähnt unter anderem in dem mit „Principles“ überschriebenen Art. 8 TRIPS, in dem Bereiche nationalstaatlicher Souveränität, wie etwa der nationale Gesundheitsschutz umschrieben werden. Seinen Ausdruck findet dieses Prinzip außerdem in den in Artikel XX bzw. XXI GATT geregelten Ausnahmevorschriften. • Das Transparenzprinzip (Principle of Transparency) wird in der Ministererklärung von Doha ausdrücklich erwähnt als ein zentrales welthandelsrechtliches Prinzip („. . . core principles, including transparency,. . .“)147. Weitere Konkretisierungen lassen sich beispielsweise finden in den jeweils ausdrücklich mit Transparency überschriebenen Vorschriften der Art. 7 SPS-Übereinkommen, Art. XVII GPA, Art. III GATS, Art. 6 TRIMS sowie Art. X GATT. • Das Prinzip der Vorzugsbehandlung der weniger entwickelten Staaten (Principle of Special and Differential Treatment for Developing and Least-developed Countries) wird explizit ebenfalls in der Ministererklärung von Doha angeführt148; implizite Erwähnung findet es insbesondere 147 WTO, Doha Ministerial Declaration, WT/MIN(01)/DEC/W/1, vom 14.11. 2001, para. 25.

C. Rechtsprinzipien im WTO-Recht

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im Teil IV des GATT (Trade and Development) oder aber beispielsweise im sechsten Erwägungsgrund der Präambel des TRIPS („Recognizing also the special needs of the least-developed country Members“). • Schließlich soll das Prinzip der prozeduralen Fairneß (Principle of Procedural Fairness) noch erwähnt werden, welches in der Ministererklärung von Doha ebenfalls als zentrales welthandelsrechtliches Prinzip bezeichnet wird („. . . core principles, including . . . procedural fairness . . .“)149. Bereits diese kurze, sich in erster Linie am Wortlaut orientierende Analyse offenbart eine Liste WTO-rechtlicher Prinzipien, die in ihrem Umfang bereits über das hinauszugehen scheint, was einige der prinzipienorientierten Systematisierungsansätze des welthandelsrechtlichen Schrifttums in diesem Zusammenhang erwähnen. Weitere Klarheit vermag die Praxis der Streitbeilegung zu schaffen. Ihr kommt bei der Suche nach grundlegenden Prinzipien des WTO-Rechts eine ganz besondere Bedeutung zu, da sich in den einzelnen Berichten der WTO-Streitbeilegungsorgane häufig Bezugnahmen auf verschiedene Rechtsprinzipien finden lassen. Teilweise handelt es sich hierbei um ausdrückliche Bezugnahmen auf ein Prinzip, welches auch als principle bezeichnet wird. In anderen Fällen wiederum wird eine solch ausdrückliche Klassifizierung nicht vorgenommen, obwohl sich aus dem Kontext der jeweiligen Ausführungen entnehmen läßt, daß es sich der Sache nach um eine Unterscheidung zwischen „Regeln“ auf der einen und „Prinzipien“ auf der anderen Seite handelt150.

IV. Zwischenergebnis Eine jeweils an den einzelnen Rechtsprinzipien orientierte Untersuchung der WTO-Streitbeilegungspraxis kann mithin nicht nur dabei helfen, Inhalt und Reichweite der zum Teil bereits angesprochenen Rechtprinzipien zu verdeutlichen. Eine solche Auswertung kann unter Umständen auch dazu dienen, den inzwischen auf beinahe vierzig Prinzipien angewachsenen „WTO-Prinzipienkatalog“ seinem Umfang nach einzugrenzen. Allerdings soll diese empirische, an den einzelnen Rechtsprinzipien orientierte Untersuchung der Spruchpraxis des Appellate Body erst erfolgen, nachdem zuvor auf die für das Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body wesentlichen Aspekte näher eingegangen worden ist.

148 WTO, Doha Ministerial Declaration, WT/MIN(01)/DEC/W/1, vom 14.11. 2001, para. 50. 149 WTO, Doha Ministerial Declaration, WT/MIN(01)/DEC/W/1, vom 14.11. 2001, para. 25. 150 Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 184.

3. Teil

Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body Das Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body stellt eine der wesentlichen Neuerungen des WTO-Streitbeilegungssystems dar. Der Hauptgrund für seine Einführung liegt in der Änderung der für die Annahme von Panelberichten geltenden Modalitäten. Besaß im Rahmen des GATT 1947 noch jede der VERTRAGSPARTEIEN die Möglichkeit, durch ihre Ablehnung die Annahme eines inhaltlich fehlerhaften Panelberichts zu blockieren, besteht seit Einführung des Art. 16 Abs. 4 Satz 1 DSU dieser Weg nicht mehr. Der die Entscheidungsfindung beherrschende umgekehrte Konsens hat zur Folge, daß die Zustimmung des DSB zu dem jeweiligen Panelbericht (und auch Appellate Body-Bericht) automatisiert wird. Diese, im Gegensatz zu den traditionellen Verfahren internationaler Schiedsgerichtsbarkeit1 stehende Vorgehensweise machte es notwendig, im Rahmen der WTO-Streitbeilegung gewissermaßen als Ausgleich bzw. als Gegengewicht eine zweite Instanz und damit einen zusätzlichen Kontrollmechanismus zu schaffen2. Darüber hinaus dient das Rechtsmittelverfahren dazu, die Einheitlichkeit der Anwendung und Auslegung der relevanten Rechtsvorschriften sicherzustellen und auf diese Weise die Vorhersehbarkeit des Streitbeilegungsverfah1 Vergleichende Analysen zu Rechtsmittelverfahren auf nationaler und internationaler Ebene bieten: Joergens, Law and Policy in International Business 1999, S. 193 ff.; Ziegler, Max Planck UNYB 3 (1999), S. 439 (446 ff.); McRae, The Emerging Appellate Jurisdiction in International Trade Law, in: Cameron/Campbell (Hrsg.), Dispute Resolution in the World Trade Organization, S. 98 ff.; Petersmann, JIEL 1998, S. 25 (38); Sacerdoti, Appeal and Judicial Review in International Arbitration and Adjudication: The Case of the WTO Appellate Review, in: Petersmann (Hrsg.), International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 245 ff. 2 Lowenfeld, AJIL 1994, S. 477 (480); Steger, The Appellate Body and its Contribution to WTO Dispute Settlement, in: Kennedy/Southwick (Hrsg.), The Political Economy of International Trade Law, S. 482 (483); Sacerdoti, Appeal and Judicial Review in International Arbitration and Adjudication: The Case of the WTO Appellate Review, in: Petersmann (Hrsg.), International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 245 (272); Weiler, JWT 35 (2001) Nr. 2, S. 191 (199).

A. Der Appellate Body als ständige Rechtsmittelinstanz

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rens zu erhöhen (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 DSU)3. Insgesamt soll hiermit die Akzeptanz der WTO-Streitbeilegung auf Seiten der Mitglieder gefördert und letztere davon abgehalten werden, die Umsetzung der in den Panelberichten ausgesprochenen Empfehlungen mit der Begründung zu verweigern, das WTO-Streitbeilegungsverfahren sei in unfairer, fehlerhafter oder aber unvollständiger Weise durchgeführt worden.

A. Der Appellate Body als ständige Rechtsmittelinstanz im Rahmen der WTO-Streitbeilegung Die Einzelheiten des WTO-Rechtsmittelverfahrens ergeben sich aus Art. 17 DSU sowie den auf Grundlage des Art. 17 Abs. 9 DSU ergangenen detaillierten Verfahrensregeln (Working Procedures for Appellate Review), die vom Appellate Body in Absprache mit dem Vorsitzenden des DSB und dem WTO-Generaldirektor selbst ausgearbeitet worden sind4.

I. Zusammensetzung des Appellate Body Im Gegensatz zu den Panels, die in sich in jedem Verfahren neu zusammensetzen, besteht der Appellate Body aus insgesamt sieben ständigen Mitgliedern5. Ernannt werden diese vom DSB und zwar für die Dauer von vier Jahren, wobei eine einmalige Wiederernennung zulässig ist. Als Member of the Appellate Body kommen gem. Art. 17 Abs. 3 Satz 1 DSU nur anerkannte und angesehene Fachleute mit ausgewiesenen Kenntnissen auf den Gebieten Recht, internationaler Handel und den Sachbereichen der jeweiligen multilateralen Übereinkommen in Betracht. Dabei darf es sich, anders als bei den Panelmitgliedern, nicht um Regierungsvertreter handeln (Art. 17 Abs. 3 Satz 2 DSU)6. Mitglieder des Appellate Body dürfen sich nicht an 3 Behboodi, JWT 32 (1998) Nr. 4, S. 55 (62 f.); Kohona, JWT 38 (1994) Nr. 2, S. 23 (40); Vermulst/Mavroidis/Waer, JWT 33 (1999) Nr. 2, S. 1 (33). 4 Working Procedures for Appellate Review, WT/AB/WP1, vom 15.02.1996. Die derzeit aktuelle Version (WT/AB/WP7, vom 01.05.2003) sowie sämtliche Vorgängerversionen sind im Internet abrufbar unter http://www.wto.org/english/tratop_e/ dispu_e/ab_procedures_e.htm (Stand November 2004); Abdruck der ursprünglichen Version u. a. in ILM 35 (1996), S. 495 (501 ff.). Für die ab dem 01.01.2005 geltende Version siehe WTO-Dok. WT/AB/WP/W/9 vom 07.10.2004. 5 Als die ersten sieben Mitglieder des Appellate Body wurden am 29. November 1995 benannt C. Beeby (Neuseeland), S. El-Naggar (Ägypten), F. Feliciano (Philippinen), J. Lacarte-Muró (Uruguay), J. Bacchus (USA), M. Matsuhita (Japan) und C.-D. Ehlermann (Deutschland); vgl. WTO, Press Release vom 29.11.1995. 6 Vermulst/Driessen, JWT 29 (1995) Nr. 2, S. 131 (145); ausführlich zur Zusammensetzung des Appellate Body Ehlermann, JWT 36 (2002) Nr. 4, S. 605 (607 ff.);

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

der Erörterung von Streitigkeiten beteiligen, wenn dies zu einem mittelbaren oder unmittelbaren Interessenkonflikt führen würde (Art. 17 Abs. 3 Satz 5 DSU). Zur Wahrung der (richterlichen) Unabhängigkeit wird in den Verfahrensregeln zudem bestimmt, daß sie während ihrer Amtszeit keine mit ihren Aufgaben in Konflikt stehenden Tätigkeiten ausüben und sie bei der Ausübung ihres Amtes von niemandem Anweisungen einholen oder entgegen nehmen dürfen7. Insgesamt soll die Besetzung des Appellate Body repräsentativ sein für die Mitgliedschaft in der WTO (Art. 17 Abs. 3 Satz 3 DSU)8. Über einen konkreten Fall hat nicht der Appellate Body in der Gesamtheit seiner Mitglieder zu entscheiden, sondern gem. Art. 17 Abs. 1 Satz 3 DSU stets nur eine aus jeweils drei Mitgliedern gebildete Kammer (division)9. Diese „Dreier-Kammern“ entscheiden über die ihnen zugewiesenen Verfahren zwar abschließend, allerdings werden im Rahmen des vorangehenden Meinungsbildungsprozesses stets auch die übrigen Mitglieder des Appellate Body beteiligt. Diese Partizipation aller Mitglieder des Appellate Body am Entscheidungsfindungsprozeß, die sich in dieser Form in keinem anderen internationalen Streitbeilegungsverfahren findet, soll der Gewährleistung einer einheitlichen Entscheidungspraxis dienen10. Was die Zusammensetzung der Kammern angeht, so ist in Art. 17 Abs. 1 Satz 4 DSU lediglich bestimmt, daß die Mitglieder turnusgemäß wechseln. Einige wenige Angaben zum genaueren Ablauf dieses Wechsels finden sich wiederum in den Verfahrensregeln. Ausgeführt wird hier, daß die eine KamBacchus, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2002, S. 1021 (1023); allgemein zur Besetzung internationaler Gerichte Mosler, „Nationale“ Richter in internationalen Gerichten, in: Beyerlin u. a. (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, S. 713 (717 ff.). 7 Rule (2) und (3) der Working Procedures for Appellate Review. Zur „richterlichen“ Unabhängigkeit ausführlich Charnovitz, Judicial Independence in the World Trade Organization, in: de Chazournes/Romano/Mackenzie (Hrsg.), International Organizations and International Dispute Settlement, S. 219 (225 ff.). 8 Seit dem 10.12.2001 (WTO, Press Release vom 25.09.2001) sind als Mitglieder des Appellate Body für vier Jahre benannt L. O. Baptista (Brasilien), J. S. Lockhart (Australien), G. Sacerdoti (EG), J. Bacchus (USA), G. M. Abi-Saab (Ägypten), A. V. Ganesan (Indien), Y. Taniguchi (Japan); J. Bacchus wurde am 11.12.03 von E. Janow abgelöst, vgl. WTO News, Press Release Nr. 364, vom 07.11.2003. Für eine Übersicht der Members of the Appellate Body siehe Appellate Body, Annual Report 2003, WT/AB/1 vom 07.05.2004, S. 1 sowie 10 ff. 9 Nähere Angaben zur Festlegung der Zusammensetzung der divisions macht Rule 6 der Working Procedures for Appellate Review. 10 Vgl. Rule 4 (1) und (3) der Working Procedures for Appellate Review; außerdem Begleitschreiben anläßlich der Übersendung der Working Procedures vom Vorsitzenden des Appellate Body (J. Lacarte-Muró) an den Vorsitzenden des DSB (C. Lafer) vom 07.02.1996, abgedruckt in ILM 35 (1996), S. 498 ff.

A. Der Appellate Body als ständige Rechtsmittelinstanz

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mer bildenden Mitglieder auf Rotationsbasis ausgewählt werden und im Rahmen dessen die Prinzipien der zufälligen Auswahl, der Unvorhersehbarkeit sowie der von der jeweiligen Nationalität unabhängigen Mitwirkungsmöglichkeit aller Mitglieder zu beachten sind11. Wie das Verfahren – abgesehen von diesen Grundsätzen – im einzelnen verläuft, wird nicht näher beschrieben. Die Festlegung der Kammerzusammensetzung erfolgt vielmehr durch die Appellate Body Mitglieder selbst, ohne daß das Verfahren im einzelnen genau nachzuvollziehen ist. In der Praxis dürfte es wohl so ablaufen, daß die Mitglieder des Appellate Body regelmäßig im voraus die Zusammensetzung einer gewissen Zahl von Kammern per Los bestimmen12, schriftlich festhalten und anschließend in einem numerierten und verschlossenen Umschlag deponieren. Wenn dann ein neues Rechtsmittelverfahrens eingeleitet wird, wird jeweils der in der Reihenfolge nächste Umschlag geöffnet und so die nächste Kammer konstituiert13. Auf diese Weise will man neben der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder des Rechtsmittelgremiums auch die Objektivität des Rechtsmittelverfahrens insgesamt sicherstellen14. Unterstützt wird der Appellate Body in rechtlicher sowie administrativer Hinsicht von einem eigenen Sekretariat (Art. 17 Abs. 7 DSU). Dieses Appellate Body Secretariat verfügt über einen eigenen Mitarbeiterstab und ist institutionell vom WTO-Sekretariat unabhängig15.

II. Verfahrensbeteiligte Das Recht zur Einlegung des Rechtsmittels steht gem. Art. 17 Abs. 4 Satz 1 DSU nur den Streitparteien eines Panelverfahrens zu16. Dritten Mitgliedern, die dem DSB ein substantielles Interesse an der Angelegenheit 11

Eine Art. 8 Abs. 3 DSU entsprechende Vorschrift, nach der Staatsangehörige von Streitparteien oder Dritten im Sinne des Art. 10 Abs. 2 DSU grundsätzlich als Panelmitglieder ausgeschlossen sind, enthält Art. 17 nicht; zu den Gründen, warum auch im Zuge der Ausarbeitung der Working Procedures for Appellate Review hierauf verzichtet wurde vgl. das Begleitschreiben anläßlich der Übersendung der Working Procedures vom Vorsitzenden des Appellate Body (J. Lacarte-Muró) an den Vorsitzenden des DSB (C. Lafer) vom 07.02.1996, abgedruckt in ILM 35 (1996), S. 498 ff. 12 Vermulst/Mavroidis/Waer, JWT 33 (1999) Nr. 2, S. 1 (16) – „lottery system“. 13 Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, S. 462. 14 Ausführlich Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insbesondere im Welthandelsrecht, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 123 (187 f.). 15 Siehe hierzu näher Appellate Body, Annual Report 2003, WT/AB/1 vom 07.05.2004, S. 2. 16 Nach der Spruchpraxis des Appellate Body gilt dies auch im Falle des beschleunigten Panelverfahrens nach Art. 21 Abs. 5 DSU; vgl. etwa Canada – Air-

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

gem. Art. 10 Abs. 2 DSU angezeigt haben, verbleibt hingegen nur das Recht, dem Appellate Body Schriftsätze einzureichen und in der mündlichen Verhandlung ihren Standpunkt vorzutragen (Art. 17 Abs. 4 Satz 2 DSU)17. Abgesehen von der in Art. 16 Abs. 4 Satz 1 DSU aufgestellten Frist von 60 Tagen unterliegt die Einlegung des Rechtsmittels keinerlei einschränkenden Voraussetzungen. Anders als etwa im nationalen Recht muß der Rechtsmittelführer (Appellant) nicht einmal beschwert sein durch den vorangegangenen Panelbericht18. Da das Rechtsmittelverfahren der objektiven Rechtskontrolle dient, kann sogar die im Panelverfahren obsiegende Partei das Rechtsmittelverfahren einleiten, wenn sie die im Panelbericht behandelten Rechtsfragen oder die Rechtsauslegung des Panel für fehlerhaft hält19. Jede Partei des Panelverfahrens kann im übrigen innerhalb einer Frist von 15 Tagen einem bereits gestellten Antrag auf Einleitung eines Rechtsmittelverfahrens beitreten20. Dabei kann sie dem Vorbringen der antragsstellenden Partei entweder folgen oder aber sich gegen andere in dem Panelbericht behandelte Rechts- oder Rechtsauslegungsfragen wenden. Die Beitrittsmöglichkeit besteht im übrigen auch für die gegnerische Partei21, wodurch es möglich wird, alle Beschwerden in einem Rechtsmittelverfahren zusammenzufassen. Sollte eine der Parteien es allerdings vorziehen, nicht einem anderen Rechtsmittelverfahren beizutreten, so kann sie jederzeit auch selbständig ein Verfahren einleiten22.

craft (21.5), AB bzw. Brazil – Aircraft (21.5), AB; zum Ganzen Waincymer, WTO Litigation, S. 698. 17 Zu beachten ist allerdings, daß der Appellate Body Drittparteien in besonderen Fallkonstellationen über die in Art. 10 Abs. 2 und 3 DSU ausdrücklich geregelte Stellung hinaus zusätzliche Verfahrensrechte einräumt EC – Hormones, AB, paras. 150 ff. (154); hierzu Antoniadis, Legal Issues of Economic Integration 2002, S. 285 ff.; Witt, RIW 2000, S. 691 (696 f.); Covelli, JWT 37 (2003) Nr. 3, S. 673 (680 ff.). 18 Joergens, Law and Policy in International Business 1999, S. 193 (219); Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), S. 316; Waincymer, WTO Litigation, S. 707 f.; Nogueira, JWT 30 (1996) Nr. 6, S. 5 (18). 19 Vgl. Art. 16 Abs. 4 Satz 1 DSU „a party to the dispute“. 20 Rule 23 (1) der Working Procedures for Appellate Review. 21 Vgl. etwa das Verfahren Japan – Alcoholic Beverages, in dem Japan als Partei des Panelverfahrens, gegen das die Beschwerde gerichtet war, einen Antrag auf Einleitung des Rechtsmittelverfahrens gestellt hat und die USA diesem gem. Rule 23 (1) der Working Procedures for Appellate Review als einer der Beschwerdeführer beigetreten sind, Japan – Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, angenommen am 01.11.1996, S. 2. 22 Rule 23 (4) der Working Procedures for Appellate Review.

A. Der Appellate Body als ständige Rechtsmittelinstanz

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III. Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens Gem. Art. 17 Abs. 6 DSU ist das Rechtsmittel beschränkt auf die im Panelbericht behandelten Rechtsfragen und auf die durch das Panel vorgenommene Rechtsauslegung23. Der Appellate Body überprüft, ob die Vorschriften der unter das DSU fallenden Übereinkommen (covered agreements) richtig angewandt und zutreffend ausgelegt worden sind. Er ist hierbei gebunden an die tatsächlichen Feststellungen des Panel und kann nicht etwa selbst in eine neue Beweiserhebung eintreten. Auch kann der Rechtsmittelführer keine neuen Tatsachen in das Verfahren vor dem Appellate Body einführen24. Da es sich beim Appellate Body demzufolge nicht um eine zweite Tatsacheninstanz handelt, ist der im deutschen Sprachgebrauch oftmals verwandte Begriff des Berufungsverfahrens bzw. -gremiums teilweise irreführend25. Statt dessen sollte der Appellate Body besser als eine Revisions26- bzw. Rechtsmittelinstanz27 bezeichnet werden, auch wenn die Funktionen und Regelungen des Verfahrens dem nationalstaatlichen Verständnis der Revision nicht in allen Einzelheiten entsprechen28. In seinem Bericht wird der Appellate Body die rechtlichen Feststellungen und Schlußfolgerungen des Panel entweder bestätigen, abändern oder aufheben (Art. 17 Abs. 13 DSU). Verfahrensrechtlich nicht vorgesehen ist hingegen die Befugnis, die Angelegenheit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das ursprünglich mit der Sache befaßte Panel zurückzuverweisen (re23 Zur oftmals schwierigen Unterscheidung zwischen tatsächlichen (issues of law) und rechtlichen Feststellungen (issues of facts) Ehlermann, JWT 36 (2002) Nr. 4, S. 605 (621 f.); Waincymer, WTO Litigation, S. 721 ff.; Bronckers/McNelis, Fact and Law in Pleadings before the WTO Appellate Body, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures, S. 321 ff. 24 Waincymer, WTO Litigation, S. 720. 25 Die Bezeichnung des Appellate Body als „Berufungsgremium“ findet sich im Bundesgesetzblatt (BGBl. 1994 II, S. 1749 ff.) und in weiten Teilen der Literatur (vgl. etwa Herrmann, ZEuS 2001, S. 453 (495); Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), S. 32; Heselhaus, JA 1999, S. 76 (80); Jansen, EuZW 1994, S. 333 (335); Sittmann, RIW 1997, S. 749 (751)). 26 Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 441; Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 41; Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), S. 315; Backes, RIW 1995, S. 916 (917). 27 Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, S. 458; Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insbesondere im Welthandelsrecht, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 123 (184). 28 Näher hierzu Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 441; ausführlicher Joergens, Law and Policy in International Business 1999, S. 193 (197 ff.); Ziegler, Max Planck UNYB 3 (1999), S. 439 (446 f.).

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

mand authority)29. Nichtsdestotrotz hat der Appellate Body in seiner bisherigen Spruchpraxis eine Strategie entwickelt, auch mit solchen Situationen umzugehen, in denen ein nationales Revisionsgericht eine Angelegenheit zum Zwecke weiterer Sachverhaltsaufklärung an die Tatsacheninstanz zurückverweisen würde. Bieten die tatsächlichen Feststellungen des Panel eine hinreichende Grundlage, führt der Appellate Body die Analyse fort und behandelt dabei auch solche Aspekte, auf die das Panel in seinem Bericht nicht weiter eingegangen ist, etwa weil es eine der Tatbestandsvoraussetzungen fälschlicherweise verneint und deshalb die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht weiter erörtert hat (Technique of Completing the Analysis)30. Sollten hingegen die tatsächlichen Feststellungen des Panel keine solch hinreichende Basis bieten, wendet der Appellate Body diese Technik nicht an und hebt die Panelentscheidung auf31. Dies hat zur Folge, daß das Verfahren ohne einen Panelbericht endet und das gesamte Verfahren von einer der Parteien erneut in Gang gesetzt werden müßte, um eine verbindliche Streitentscheidung herbeizuführen32. Allerdings können besonders schwerwiegende Fehler bei der Tatsachenermittlung stets zur Aufhebung des Panelberichtes führen, da der Appellate Body im Sinne einer Mißbrauchskontrolle prüft, ob ein Panel sein Ermessen bei der Gestaltung der Sachverhaltsermittlung willkürlich überschritten hat33. 29

Zum Ganzen Palmeter, JWT 32 (1998) Nr. 1, S. 41 ff.; Waincymer, WTO Litigation, S. 371 f. und 740 ff.; Vermulst/Mavroidis/Waer, JWT 33 (1999) Nr. 2, S. 1 (6 f.); Shoyer/Solovy, Law and Policy in International Business 2000, S. 677 (689 ff.); van der Borght, American University International Law Review 1999, S. 1123 (1242 f.); Lowenfeld, AJIL 1994, S. 477 (484); vgl. außerdem die Änderungsvorschläge der EU Contribution of the European Communities and its Member States to the Improvement of the WTO Dispute Settlement Understanding, TN/DS/ W/1, vom 13.03.2002, S. 13 (Einführung eines Art. 13 bis DSU – Remand Procedure). 30 Vgl. hierzu etwa den Fall US – Gasoline, AB, S. 19 ff., in dem der Appellate Body die weiteren Voraussetzungen des Art. XX lit. g GATT 1994 prüft, nachdem er zu dem Ergebnis gekommen war, das Panel habe fälschlicherweise eine der Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift verneint und aufgrund dessen die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen nicht mehr geprüft; vgl. ebenfalls Canada – Periodicals, AB, S. 23 ff.; US – Shrimp, AB, paras. 123 f.; EC – Poultry, AB, paras. 156 ff.; Australia – Salmon, AB, paras. 117 ff.; Japan – Agricultural Products, AB, paras. 112 ff.; US – Wheat Gluten, AB, paras. 80 ff. und 127 ff. (Technique of Completing the Analysis bzw. de novo decisions); zu den jeweiligen Fällen ausführlicher Waincymer, WTO Litigation, S. 744 ff.; Cone, JWT 33 (1999) Nr. 2, S. 51 (56 ff.). 31 So etwa in den Fällen Canada – Automotive Industry, AB, paras. 145 f.; Korea – Dairy Safeguards, AB, para. 92; EC – Asbestos, AB, paras. 81 ff. 32 Rangaswami, Law and Policy in International Business 2000, S. 701 (703). 33 EC – Hormones, AB, para. 133; Argentina – Textiles and Apparel, AB, paras. 77 ff.; EC – Poultry, AB, paras. 131 ff.; außerdem Vermulst/Mavroidis/Waer, JWT

A. Der Appellate Body als ständige Rechtsmittelinstanz

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IV. Verfahrenseinleitung und weiterer Verlauf Hinsichtlich des Verfahrensablaufs bestimmt das DSU lediglich, daß das Verfahren vor dem Rechtsmittelgremium vertraulich und nicht öffentlich ist (Art. 17 Abs. 10 DSU)34 und die in dem Bericht des Rechtsmittelgremiums geäußerten Auffassungen einzelner Mitglieder der Kammer anonym bleiben (Art. 17 Abs. 11 DSU). Im übrigen verweist Art. 17 Abs. 9 DSU auf die Verfahrensregeln, die in ihrem zweiten Teil detailliertere Verfahrensregeln aufstellen35. Gem. Art. 16 Abs. 4 DSU ist das Rechtsmittelverfahren innerhalb von 60 Tagen nach der Verteilung des Panelberichts an die Mitglieder durch eine förmliche Anzeige (Notice of Appeal) gegenüber dem DSB einzuleiten36. In den Verfahrensregeln wird hierzu näher ausgeführt, daß zugleich ein förmlicher Antrag an das WTO-Sekretariat zu richten ist37, welcher die exakte Bezeichnung des angefochtenen Panelberichts, den Rechtsmittelführer, seine Kontaktadresse sowie eine kurze rechtliche Begründung für die Einlegung des Rechtsmittels enthalten muß38 und anschließend an den Appellate Body weitergeleitet wird39. Binnen weiterer 10 Tage nach Eingang dieses förmlichen Antrags muß die das Rechtsmittel einlegende Partei in einer weiteren schriftlichen Stellungnahme (Appellant’s Submission) ihr Anliegen ausführlicher begründen und auch ihr Antragsziel darlegen40. Jede andere Partei des Panelverfahrens kann innerhalb von 25 Tagen nach Eingang der 33 (1999) Nr. 2, S. 1 (20 f.); Lugard, JIEL 1998, S. 323 ff.; Leier, EuZW 1999, S. 204 (207); Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 106. 34 Vgl. außerdem Art. 18 Abs. 2 Satz 1 DSU und auch Art. VII der Rules of Conduct for the Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes, WT/DSB/RC/1 vom 11.12.1996. 35 Gem. Rule 16 (1) der Working Procedures for Appellate Review wird zudem die jeweilige Kammer ausdrücklich für den Fall, daß einmal eine Verfahrensfrage auftaucht, für welche in den Working Procedures keine Regel existiert, ermächtigt, diese Frage nach eigenem Ermessen zu regeln. 36 Dies muß erfolgen vor Annahme des Panelberichts durch den DSB. Gängige Praxis ist daher, die schriftliche Anzeige kurz vor der DSB-Sitzung, für die die Annahme des Panelberichts anberaumt war, einzureichen; vgl. van den Bossche, Appellate Review in WTO Dispute Settlement, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures, S. 305 (312). 37 Rule 20 (1) der Working Procedures for Appellate Review. 38 Rule 20 (2) der Working Procedures for Appellate Review; zum Inhalt der Notice of Appeal ausführlich Waincymer, WTO Litigation, S. 712 ff. 39 Vgl. zur Zustellung von Schriftstücken an das Rechtsmittelgremium Rule 18 der Working Procedures for Appellate Review; außerdem Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, S. 214 f. 40 Rule 21 der Working Procedures for Appellate Review.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

Notice of Appeal ebenfalls eine schriftliche Erwiderung einreichen (Appellee’s Submission; Third Participant’s Submission)41. Zusammen mit sämtlichen, das Panelverfahren betreffenden Unterlagen werden die jeweiligen Stellungnahmen der Parteien vom WTO-Generaldirektor an den Appellate Body weitergeleitet42, so daß dieser anschließend einen Zeitplan für den weiteren Ablauf des Rechtsmittelverfahrens festlegen kann43. Nach Möglichkeit findet innerhalb von 30 Tagen nach Eingang der Notice of Appeal eine in der Regel eintägige44 mündliche Verhandlung vor der Kammer statt45, wobei die Parteien oder auch Dritte jederzeit – also auch während dieser Verhandlung – von der Kammer aufgefordert werden können, ergänzendes Material einzureichen46. Nicht nur im Rahmen der unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindenden mündlichen Verhandlung, sondern während des gesamten Verfahrens ist nach der Spruchpraxis des Appellate Body die Mitwirkung durch private Rechtsanwälte zugelassen, sofern diese offizielle Mitglieder der jeweiligen Delegation sind und als solche zuvor auch notifiziert wurden47. Nach Abschluß des Argumentationsaustausches mit den Streit- bzw. eventuellen Drittparteien beraten die Mitglieder der zuständigen Kammer abschließend und fassen ihre endgültige Entscheidung in einem Abschlußbericht (Appellate Body Report) zusammen (Art. 17 Abs. 10 Satz 2 DSU)48. 41

Rule 22 (Appellee) bzw. Rule 24 (Third Participants) der Working Procedures for Appellate Review. 42 Rule 25 der Working Procedures for Appellate Review. 43 Rule 26 der Working Procedures for Appellate Review; einen Musterzeitplan enthält Anhang I der Working Procedures. 44 In den Fällen EC – Hormones, AB bzw. EC – Bananas, AB betrug die Dauer der mündlichen Verhandlung vor dem Appellate Body hingegen zwei bzw. zweieinhalb Tage. 45 Rule 27 (1) der Working Procedures for Appellate Review; in der Praxis wird die mündliche Verhandlung oftmals zu einem späteren Zeitpunkt abgehalten; vgl. ausführlicher zum Ablauf der mündlichen Verhandlung Feliciano/van den Bossche, The Dispute Settlement System of the World Trade Organization: Institutions, Process and Practice, in: Blokker/Schermers (Hrsg.), Proliferation of International Organizations, S. 297 (333 f.); Waincymer, WTO Litigation, S. 717. 46 Rule 28 (1) der Working Procedures for Appellate Review; dazu van den Bossche, Appellate Review in WTO Dispute Settlement, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures, S. 305 (315). 47 EC – Bananas, AB, paras. 10 ff.; dies stellt eine Abkehr von der ursprünglichen Verfahrenspraxis der GATT-Panels dar; zum Ganzen Martha, JWT 31 (1997) Nr. 2, S. 83 ff.; Witt, RIW 2000, S. 691 (695 f.); Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 70. 48 Gem. Rule 3 (2) der Working Procedures for Appellate Review soll die Entscheidung möglichst im Konsens erfolgen; wird dieser nicht erreicht, erfolgt eine Mehrheitsabstimmung. Sollte ein Mitglied des Appellate Body eine abweichende Meinung äußern, so erfolgt dies gem. Art. 17 Abs. 11 DSU anonym; eine individual

A. Der Appellate Body als ständige Rechtsmittelinstanz

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Dieser wird sodann in die drei Amtsprachen der WTO übersetzt49 und anschließend an alle Mitglieder des DSB verteilt. Zwischen Verfahrenseinleitung und der Verteilung dieses Abschlußberichtes sollen gem. Art. 17 Abs. 5 Satz 1 DSU nicht mehr als 60 Tage liegen. Ist die Kammer der Auffassung, daß dieser enge Zeitrahmen nicht ausreicht, kann die Verfahrensdauer mittels schriftlicher Begründung gegenüber dem DSB verlängert werden, darf aber insgesamt nicht mehr als 90 Tage betragen (Art. 17 Abs. 5 Satz 4 DSU)50. Auch der Appellate Body Bericht schließt seine als findings bezeichneten Feststellungen mit Empfehlungen ab, die das Ergebnis seiner Untersuchung gleichsam zusammenfassen und die an den DSB gerichteten Vorschläge zur Lösung des jeweiligen Streitfalles enthalten (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 DSU)51.

V. Abschluß des Verfahrens Hat der Appellate Body seinen Abschlußbericht dem DSB vorgelegt, so kann ihn dieser innerhalb von 30 Tagen nach Verteilung des Berichts an die Mitglieder nur einstimmig ablehnen (Art. 17 Abs. 14 DSU)52; anderenfalls wird der Bericht aufgrund der quasi automatischen Annahme bindend und bildet die endgültige und verbindliche Entscheidung der Streitigkeit. Wie auch die Panelberichte erwachsen die Berichte des Appellate Body nicht von sich aus in Rechtskraft, sondern bedürfen der Annahme durch den DSB. Gegen einen vom DSB angenommenen Schlußbericht können die opinion wurde in der bisherigen Spruchpraxis allerdings erst einmal geäußert und zwar im Fall EC – Asbestos, AB, paras. 149 ff.; zum Ganzen Ehlermann, JIEL 2003, S. 695 (696 ff.); Greenwald, JIEL 2003, S. 113 (123 f.); Bacchus, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2002, S. 1021 (1029 f.); Hohmann, RIW 2003, S. 352 (360). 49 Dies sind Englisch, Französisch und Spanisch – Arbeitssprache des Appellate Body ist Englisch, obwohl die Parteien oder Drittparteien in einigen der bisherigen Verfahren auch schriftliche bzw. mündliche Stellungnahmen in Französisch oder Spanisch eingereicht haben. 50 Diese enge Zeitvorgabe konnte in einer Reihe von Rechtsmittelverfahren nicht eingehalten werden; vgl. etwa EC – Asbestos, AB (140 Tage). Kritisch zu den strikten Zeitvorgaben angesichts eines stetig steigenden Fallaufkommens Shoyer/Solovy, Law and Policy in International Business 2000, S. 677 (678 ff.). 51 Gem. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 DSU können sowohl die Panels als auch der Appellate Body nach eigenem Ermessen Vorschläge machen im Hinblick darauf, wie ausgesprochene Empfehlungen umzusetzen sind. Von dieser Möglichkeit wurde allerdings bisher mit Blick auf die Souveränität der WTO-Mitglieder nur zurückhaltender Gebrauch gemacht; dazu Carmody, JIEL 2002, S. 307 (315 f.); Waincymer, The World Economy 24 (2001), S. 1247 (1271). 52 Der Wortlaut des Art. 17 Abs. 14 Satz 1 DSU entspricht im Hinblick auf den Annahmemodus im negativen Konsensverfahren exakt dem Wortlaut des Art. 16 Abs. 4 Satz 1 DSU.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

Streitparteien keine weiteren Rechtsmittel einlegen. Es besteht allerdings die Möglichkeit, ihre gegebenenfalls ablehnende Auffassung zum Inhalt eines Abschlußberichts gem. Art. 17 Abs. 14 Satz 2 DSU kundzutun – eine Möglichkeit, von der die Streitparteien in der Praxis häufigen Gebrauch machen53.

VI. Konzeptionelle Schwächen des Rechtsmittelverfahrens Auch wenn im Rahmen der bisherigen Bewertungen der Tätigkeit des Appellate Body die positiven Stimmen bei weitem überwiegen54, sind in den inzwischen mehr als 50 Verfahren vor dem Appellate Body55 eine Reihe von Defiziten offen zu Tage getreten, von denen einige bereits frühzeitig erkannt bzw. vorhergesagt worden sind56. Hierzu zählt insbesondere das Fehlen von Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Eröffnung des Verfahrens vor dem Appellate Body57. Die Tatsache, daß abgesehen von der in Art. 16 Abs. 4 Satz 1 DSU aufgestellten sechzigtägigen Frist die Einlegung des Rechtsmittels keinerlei Beschränkungen unterliegt und für die Parteien praktisch keine zusätzlichen Verfahrenskosten entstehen, hat in der Praxis dazu geführt, daß in mehr als 70 Prozent der Streitfälle eine Panelentscheidung von den Streitparteien nicht als definitiv akzeptiert und statt dessen den Appellate Body angerufen wird58. Betrachtet man dabei den potentiellen Nutzen, den eine unterlegene Partei aus dem 53 Feliciano/van den Bossche, The Dispute Settlement System of the World Trade Organization: Institutions, Process and Practice, in: Blokker/Schermers (Hrsg.), Proliferation of International Organizations, S. 297 (336). 54 Jackson, The Role and Effectiveness of the WTO Dispute Settlement Mechanism, Brookings Trade Forum 2000 (2000), S. 179 (196); Frechette/Hathaway/Do Prado, International Lawyer 1998, S. 747 ff.; Ehlermann, JWT 36 (2002) Nr. 4, S. 605 (606 f.); Bacchus, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2002, S. 1021 (1027); van den Bossche, Appellate Review in WTO Dispute Settlement, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures, S. 305 (319); Joergens, Law and Policy in International Business 1999, S. 193; Meier, EuZW 1997, S. 719 (722); Hilf, NVwZ 2000, S. 481 (490). 55 Bis Ende 2003 sind 59 Appellate Body Reports ergangen; vgl. dazu die Übersicht in Appellate Body, Annual Report 2003, WT/AB/1, vom 07.05.2004, S. 18 ff. Ende November 2004 beläuft sich die Zahl auf 64 ergangene Berichte. 56 Vgl. Petersmann, The GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 190 f.; Montana I Mora, Columbia Journal of Transnational Law 1993, S. 103 (151 f.); Wang, JWT 29 (1995) Nr. 2, S. 173 (177 f.); kritisch auch Greenwald, JIEL 2003, S. 113 (115 ff.); zusammenfassend zu dieser Kritik Charnovitz, Judicial Independence in the World Trade Organization, in: Boisson de Chazournes/Romano/Makkenzie (Hrsg.), International Organizations and International Dispute Settlement: Trends and Prospects, S. 219 (230 ff.). 57 Nogueira, JWT 30 (1996) Nr. 6, S. 5 (18); Witt, RIW 2000, S. 691 (698 f.).

A. Der Appellate Body als ständige Rechtsmittelinstanz

145

Rechtsmittel ziehen kann, dann erscheint dieser Schritt aus drei Gründen als geradezu vorprogrammiert59: In erster Linie ist Grund für die Einlegung der Revision sicherlich die Hoffnung, daß die eigene Position bei einer Neuüberprüfung des Falles durch den Appellate Body verbessert wird. Aber auch wenn an der Richtigkeit der Schlußfolgerungen des Panel keine Zweifel bestehen, kann es für die verurteilte Partei von Vorteil sein, gegen den Panelbericht vorzugehen und zwar aus Gründen des Zeitgewinns. Denn während der gesamten Zeit, in der das Rechtsmittelverfahren läuft, wird die Aufhebung der Handelsbeschränkung verzögert und die beklagte Partei kann in systemkonformer Weise den Nutzen aus der Handelsbeschränkung abschöpfen60. Innenpolitischer Druck ist schließlich ein dritter Grund für eine Regierung, alle Möglichkeiten zur Verfahrensverlängerung auszuschöpfen. In Fällen, in denen bestimmte Wirtschaftskreise und Interessengruppen im eigenen Land die negative Entscheidung des Panel nicht anerkennen wollen, muß die Regierung wenigstens zeigen können, daß sie zur Abwendung der Streitentscheidung alles in ihrer Macht stehende getan hat61. Folgen der häufigen Inanspruchnahme des im Grundsatz nur als Ausnahme vorgesehenen Rechtsmittelverfahrens sind nicht nur die Verlängerung der Verfahrensdauer oder aber die drohende Arbeitsüberlastung des Appellate Body62. Hinzu kommt die Gefahr des Bedeutungsverlustes bzw. 58

Für den Zeitraum 1995–2003 lag der Prozentsatz immerhin noch bei 71,6% der Fälle, vgl. dazu Leitner/Lester, JIEL 2004, S. 169 (175 f.). Insgesamt ist die Inanspruchnahme des Appellate Body allerdings rückläufig, wie die vorangegangenen statistischen Auswertungen für die Zeiträume 1995–1999 (83,9%), 1995–2000 (78,3%) bzw. 1995–2001 (75%) ergeben haben; vgl. dazu jeweils Park/Eggers, JIEL 2000, S. 193 (196); Park/Umbricht, JIEL 2001, S. 213 (218) sowie Park/ Panizzon, JIEL 2002, S. 221 (229 f.). 59 Bütler/Hauser, Journal of Law, Economics and Organization 2000, S. 503 (519). 60 Witt, RIW 2000, S. 691 (699); Hauser/Martel, Aussenwirtschaft 1997, S. 525 (545). 61 Hauser/Martel, Aussenwirtschaft 1997, S. 525 (546); Ziegler, Max Planck UNYB 3 (1999), S. 439 (469); Joergens, Law and Policy in International Business 1999, S. 193 (221); zur Stellungnahme des europäischen Parlaments im Hinblick auf die politische Durchsetzbarkeit der Panelentscheidung im Hormonfall vgl. Hilf/ Eggers, EuZW 1997, S. 559 (565); zu den nichtstaatlichen Wirtschaftsakteuren vgl. Oeter, Gibt es ein Rechtsschutzdefizit im WTO-Streitbeilegungsverfahren?, in: Nowak/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO, S. 221 (223 f.). 62 Vgl. etwa die Änderungsvorschläge der EU Contribution of the European Communities and its Member States to the Improvement of the WTO Dispute Settlement Understanding, TN/DS/W/1, vom 13.03.2002, S. 8; zur stetig steigenden Zahl der Rechtsmittelverfahren van den Bossche, Appellate Review in WTO Dispute Settlement, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures, S. 305 (317).

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

der Schwächung des erstinstanzlichen Panelverfahrens, denn unabhängig von der rechtlichen Qualität des Panelberichts und der Erfüllung der Forderungen des Art. 17 Abs. 6 DSU muß mit der Einlegung der Revision stets gerechnet werden63. Eine solche Schwächung der ersten Instanz ist auch deshalb zu befürchten, weil der Appellate Body häufig die ursprüngliche Panelentscheidung entweder ganz oder teilweise aufhebt, zumindest aber modifiziert64 und damit letztlich die Glaubwürdigkeit der Erstinstanz zu untergraben droht65. Ein weiteres Problem verbindet sich mit der bereits angesprochenen Beschränkung des Appellate Body auf die Überprüfung rechtlicher Feststellungen des Panel und der fehlenden Zurückverweisungsbefugnis (remand authority)66. Nach der gegenwärtigen Fassung des DSU ist es dem Appellate Body nicht möglich, einen Fall zur Neuverhandlung an das (ursprüngliche) Panel zurückzuverweisen, sei es auf Grundlage der eigenen, von der Panelauffassung verschiedenen rechtlichen Interpretation, sei es zur Beseitigung von Verfahrensfehlern. Die vom Appellate Body in diesen Fällen zum Teil vorgenommene Technique of Completing the Analysis ist der Sache nach jedoch nichts anderes als die Vornahme einer Sachverhaltsfeststellung, zu der nach dem DSU keine Ermächtigung besteht. Die Einführung einer Zurückverweisungsbefugnis würde dieses Problem auf einfache Weise lösen und einen besseren rechtlichen Schutz der Verfahrensparteien bewirken, da die vorgebrachten Argumente dann stets in zwei Instanzen überprüft werden könnten, und es nicht zu einer de novo Entscheidung durch die Revisionsinstanz käme67. 63 Witt, RIW 2000, S. 691 (699); Wang, JWT 29 (1995) Nr. 2, S. 173 (177 f.); Joergens, Law and Policy in International Business 1999, S. 193 (220 f.); Petersmann, CMLR 1994, S. 1157 (1218). 64 Laut Park/Panizzon, JIEL 2002, S. 221 (230) wurden in den innerhalb des Zeitraumes 1995 bis 2001 insgesamt ergangenen 39 Berichten des Appellate Body die Schlußfolgerungen der Panels in 23 Fällen ganz oder zumindest teilweise aufgehoben, in fünf Fällen abgeändert und in nur 11 Fällen bestätigt; vgl. auch die Übersicht bei McCall Smith, World Trade Review 2 (2003) Nr. 1, S. 65 (S. 68 ff.). 65 Ziegler, Max Planck UNYB 3 (1999), S. 439 (467 f.); Weiler, JWT 35 (2001) Nr. 2, S. 191 (207); Hauser/Martel, Aussenwirtschaft 1997, S. 525 (547). 66 Vgl. dazu oben 3. Teil A. III. 67 Waincymer, WTO Litigation, S. 743; Palmeter, JWT 32 (1998) Nr. 1, S. 41 (43); Witt, RIW 2000, S. 691 (699); Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, S. 227 ff.; van der Borght, American University International Law Review 1999, S. 1123 (1243); Weiss, Das Streitschlichtungsverfahren der Welthandelsorganisation: Wesenszüge, Wirkungen für die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten, Reformvorschläge, in: Müller-Graff (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation, S. 189 (197); siehe außerdem die Änderungsvorschläge der EU Contribution of the European Communities and its Member States to the Improvement of the WTO Dispute Settlement Un-

B. Das anwendbare Recht

147

B. Das anwendbare Recht Die zunehmende Verrechtlichung des WTO-Streitbeilegungsverfahrens und das spürbare Bemühen, die rechtliche Qualität sowohl der Panel- als auch der Appellate Body-Berichte zu erhöhen, haben vor allem in der Spruchpraxis der Rechtsmittelinstanz zu einer – im Vergleich zum GATT 1947 – höheren Sensibilität in Fragen des anwendbaren Rechts geführt. Anders als etwa die Statuten des IGH (Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut) bzw. des Internationalen Seegerichtshofes (Art. 293 UN-Seerechtsübereinkommen) enthält das DSU keine ausdrückliche Regelung der von den WTO-Spruchkörpern bei der Entscheidungsfindung heranzuziehenden Rechtsquellen.

I. Unter das DSU fallende Übereinkommen (covered agreements) Als Ausgangspunkt für die Ermittlung des in der Streitbeilegung anwendbaren Rechts gilt jedoch im allgemeinen der sich mit dem Mandat eines Panel (terms of reference) befassende Art. 7 DSU. Nach dieser Vorschrift sollen sich die Panels bei ihrer Entscheidungsfindung auf die jeweils einschlägigen Bestimmungen der unter das DSU fallenden Übereinkommen stützen68. Indirekt ist an diesen Prüfungsmaßstab auch der Appellate Body gebunden, dessen Aufgabe sich gem. Art. 17 Abs. 6 DSU jedoch darauf beschränkt, die in dem jeweiligen Panelbericht aufgeworfenen und von den Parteien zum Gegenstand der Revision gemachten Rechtsfragen zu untersuchen69. Als primäre Rechtsquelle bei der Entscheidungsfindung des Appellate Body dienen folglich die gem. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 DSU vom Anwendungsbereich des DSU erfaßten Übereinkommen. Zu diesen sog. covered agreements70 gehören alle in Anhang 1 zum DSU aufgeführten Übereinderstanding, TN/DS/W/1, vom 13.03.2002, S. 13 (Einführung eines Art. 13 bis DSU – Remand Procedure). 68 Art. 7 Abs. 1 DSU lautet „Panels shall have the following terms of reference unless the parties to the dispute agree otherwise within 20 days from the establishment of the panel: ‚To examine, in the light of the relevant provisions in (name of the covered agreement(s) cited by the parties to the dispute), the matter referred to the DSB by (name of party) in document . . . and to make such findings as will assist the DSB in making the recommendations or in giving the rulings provided for in that/those agreement(s)‘ “. Art. 7 Abs. 2 DSU lautet „Panels shall address the relevant provisions in any covered agreement or agreements cited by the parties to the dispute.“; vgl. zum Ganzen näher Bartels, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 499 (504 f.); Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, S. 51; Hilf, NVwZ 2000, S. 481 (488); Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 340. 69 Ausführlich zum Ganzen Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 23.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

kommen, also das WTO-Übereinkommen selbst sowie – mit Ausnahme des TPRM – alle Warenhandelsübereinkommen, das GATS, das TRIPS, das DSU sowie von den beiden plurilateralen Übereinkommen das über das öffentliche Beschaffungswesen71. Relevant werden können darüber hinaus die in der Schlußakte von Marrakesch enthaltenen ministeriellen Beschlüsse und Erklärungen (Ministerial Decisions and Declarations)72. Diese stehen zwar außerhalb des WTOÜbereinkommens und werden nach ihrem Wortlaut von der Definition des Begriffs covered agreements nicht erfaßt. So weit durch sie allerdings die Rechte und Pflichten der WTO-Mitglieder modifiziert werden, sind sie im Ergebnis als Bestandteil der covered agreements zu verstehen und als solche von den WTO-Streitbeilegungsorganen gleichermaßen zu berücksichtigen73.

II. Rechtswert der Streitbeilegungsentscheidungen Von den covered agreements nicht erfaßt sind die Berichte der Streitbeilegungsorgane. Bereits früh wurde deshalb in der WTO-Spruchpraxis die Frage relevant, welche Bedeutung diesen, den DSB-Entscheidungen „vorgelagerten“ Berichten der Panels bzw. des Appellate Body beigemessen werden kann. Im Hinblick auf ihren jeweiligen rechtlichen Stellenwert muß dabei differenziert werden zwischen den noch unter dem GATT 1947 ergangenen Panelberichten, den WTO-Panelberichten sowie den Berichten des Appellate Body.

70

Zum Term covered agreements siehe etwa Brazil – Desiccated Coconut, AB, S. 13 „The ‚covered agreements‘ include the WTO Agreement, the Agreements in Annexes 1 and 2, as well as any Plurilateral Trade Agreement in Annex 4 where its Committee of signatories has taken a decision to apply the DSU.“; siehe dazu WTO, Analytical Index, Vol. 2, S. 1271 f. 71 Zwar ist das plurilaterale Übereinkommen über den Handel mit Zivilluftfahrzeugen in Anhang 1 des DSU ebenfalls als covered agreement aufgeführt, anders als beim Übereinkommen zum öffentlichen Beschaffungswesen wurde dem DSB allerdings bisher vom Ausschuß für den Handel mit Zivilluftfahrzeugen nicht offiziell angezeigt, daß die Vertragsparteien die Anwendbarkeit des DSU auf das plurilaterale Übereinkommen annehmen; näher hierzu Neugärtner/Göttsche, Handel mit Zivilluftfahrzeugen, in: Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, § 26, Rn. 20; siehe auch WTO, Report of the Trade Committee on Trade in Civil Aircraft, WT/L/247, vom 26.11.1997, para. 4. 72 Vgl. dazu bereits oben 1. Teil B. V. 1. b). 73 Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTOHandbuch, C.I.2., Rn. 27.

B. Das anwendbare Recht

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1. GATT-Panelberichte Strenggenommen stellten die Berichte der GATT-Panels keine – für die Streitparteien verbindliche – Entscheidung dar. Vielmehr handelte es sich bei diesen lediglich um Rechtsgutachten, die Empfehlungen sowohl zu faktischen als auch zu rechtlichen Fragen enthielten74. Grund hierfür ist, daß gem. Art. XXII Abs. 2 GATT 1947 die eigentliche (Streit-)Entscheidungsbefugnis bei den VERTRAGSPARTEIEN lag, diese jedoch – wie nahezu alle Befugnisse – an den GATT-Rat delegiert worden war75. Folglich konnte ein Panelbericht auch erst mit Annahme durch den GATT-Rat seine rechtlich bindende Wirkung entfalten76. Wurde ein Panelbericht angenommen, so war er nach dem Grundsatz each case on its own merits zunächst einmal nur für die jeweiligen Streitparteien bindend77. Der Frage, inwieweit ein Panelbericht auch als Präzedenzfall (stare decisis78) für zukünftige Streitfälle wirken könne, wurde von einem Panel erst Ende der Achtziger Jahre nachgegangen mit dem Ergebnis, daß eine Bindung an frühere Panelberichte im Sinne eines Präjudizienrechts nicht bestehe79. Gleichwohl konnten zumindest die angenommenen Panelberichte auch über den jeweiligen 74 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 320; Bast/Schmidt, RIW 1991, S. 929 (933). 75 Lester, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 521 (523); Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), S. 130 ff.; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 128 f. 76 Benedek, GATT – Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, in: Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, S. 201 (208); Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7, Rn. 53. 77 Jackson, The Legal Meaning of a GATT Dispute Settlement Report: Some Reflections, in: Blokker/Muller (Hrsg.), Towards More Effective Supervision by International Organizations, Essays in Honour of Henry G. Schermers, Vol. I, S. 149 (156 ff.). 78 Nach der Common Law Doktrin des stare decisis (bzw. doctrine of precedent) gilt: Hat ein Gericht für einen bestimmten Sachverhalt einen Rechtsgrundsatz entwickelt, so haben gleichrangige oder rangniedere Gerichte diesen Grundsatz in allen späteren Verfahren anzuwenden, wenn der Sachverhalt im wesentlichen übereinstimmt und zwar unabhängig davon, ob die Parteien oder der Streitgegenstand mit dem vorangegangenen Verfahren identisch sind. Die stare decisis-Doktrin gilt nur für die Grundsätze, die die Entscheidung tragen (ratio decidendi), nicht hingegen für beiläufige Bemerkungen (obiter dicta); vgl. hierzu Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, S. 25 ff.; Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, S. 23 f.; Graf von Bernstorff, Einführung in das englische Recht, S. 7; Lundmark, JuS 2000, S. 546 ff.; zur stare decisis-Doktrin auf völkerrechtlicher Ebene Bhala, American University International Law Review 1999, S. 845; Reinisch, Journal für Rechtspolitik 2001, S. 294 ff.; allgemein zum richterrechtlichen Präjudizienrecht Biaggini, Verfassung und Richterrecht, S. 53 f. 79 EEC – Restrictions on Imports of Dessert Apples (Chile), GATT Panel Report, BISD 36S/93, para. 12.1; hierzu Lester, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 521 (524).

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

Fall hinaus eine gewisse Bedeutung erlangen80. Dies zeigt sich insbesondere darin, daß in Panelberichten zum Teil ausdrücklich Bezug genommen wurde auf rechtliche Interpretationen bzw. Schlußfolgerungen früherer Panels81 und zwar als spätere Praxis der Vertragsparteien gem. Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK82. Das auf diese Weise im Laufe der Zeit entstandene „Fallrecht“ (case law83) war Teil des GATT-Sekundärrechts84 und unterfällt damit gem. Art. XVI Abs. 1 WTO-Übereinkommen heute dem Sekundärrecht der WTO85. Auch der Appellate Body hat zur rechtlichen Bedeutung der Berichte eines GATT 1947 Panel bereits ausdrücklich Stellung bezogen und zwar im Fall Japan – Alcoholic Beverages. Im Rahmen dieses Verfahrens, das die Vereinbarkeit einer japanischen Alkoholsteuer mit Art. III GATT 1994 zum Gegenstand hatte, befaßte sich der Appellate Body unter anderem mit der Frage, ob vorangegangene Panelberichte entsprechend der Ansicht des Panel86 als spätere Übung (subsequent practice) i. S. d. Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK angesehen werden können. Mit Verweis auf das internationale Recht wurde diese Frage verneint und festgestellt, daß ein angenommener Panelbericht lediglich die jeweiligen Streitparteien binde, nachfolgende Panels hingegen in ihrer Entscheidungsfindung nicht an vorangegangene Panelberichte gebunden seien87. Zudem stellte der Appellate Body fest, daß ange80

Jackson, Restructuring the GATT System, S. 68 (persuasive effect). Petersmann, Strengthening the GATT Dispute Settlement System: On the Use of Arbitration in GATT, in: Hilf/Petersmann (Hrsg.), The New GATT Round of Multilateral Trade Negotiations, S. 323 (335) „Even though GATT panels and the GATT CONTRACTING PARTIES remain free to deviate from GATT interpretations applied in previously adopted panel reports, they have hardly ever done so.“; Montana I Mora, Columbia Journal of Transnational Law 1993, S. 103 (162); mit ausführlichen Verweisen auf Panelentscheidungen Chua, Leiden Journal of International Law 1998, S. 45 (46 ff.); als Beispiel siehe etwa Norway – Restrictions on Imports of Apples and Pears, GATT Panel Report, BISD 36S/306, para. 5.6. 82 So Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 129 mit Verweis auf Japan – Imported Wines and Alcoholic Beverages, GATT Panel Report, BISD 34S/83, para. 5.5; vgl. auch Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 100. 83 Zur Methode des Case Law vgl. Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, S. 24 ff. 84 Ausführlicher hierzu Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 320 f.; Bast/Schmidt, RIW 1991, S. 929 (933). 85 Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, S. 379, Fn. 63; der Appellate Body spricht in diesem Zusammenhang vom „GATT acquis“ und nicht von „sonstigen Beschlüssen der VERTRAGSPARTEIEN des GATT 1947“ im Sinne des Art. 1 lit. b) Nr. iv Einführender Text zum GATT 1994 (Introductory Note), vgl. Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 14. 86 Vgl. hierzu Japan – Alcoholic Beverages, Panel Report, para. 6.10. 87 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 13; besprochen etwa bei Chua, Leiden Journal of International Law 1998, S. 45 (51 ff.); zum Ganzen auch WTO, Commit81

B. Das anwendbare Recht

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nommene Panelberichte keine Beschlüsse i. S. v. Art. 1 lit. b Nr. iv GATT 1994 (Einführender Text) darstellen88. Allerdings räumte er ein, daß angenommene Panelberichte einen durchaus wichtigen Bestandteil des GATT acquis bilden und daher oft von nachfolgenden Panels berücksichtigt werden würden. Sie führten zu legitimen Erwartungen (legitimate expectations) unter den Vertragsparteien und sollten schon deshalb Berücksichtigung finden, sofern sie im jeweiligen Fall von Belang sind89. Der Appellate Body zieht in diesem Zusammenhang eine Parallele zu Art. 59 IGH-Statut, der die Geltung des stare decisis Grundsatzes ausschließt, gleichwohl den IGH aber nicht habe hindern können, einen Bestand an case law zu entwickeln, der hinreichendes Vertrauen auf den Wert früherer Entscheidungen schaffe90. Hinsichtlich nichtangenommener Panelberichte wurde die Position des Panel vom Appellate Body dagegen unterstützt und festgestellt, daß diesen keine Rechtwirkung (no legal status) im GATT- bzw. WTOSystem zukäme. Gleichwohl könnten auch sie nützliche Hinweise (useful guidance) für die Entscheidungsfindung bieten91. 2. WTO-Panelberichte Auch die WTO-Panelberichte stellen strenggenommen lediglich Rechtsgutachten dar. Denn gem. Art. 11 Satz 2 DSU besteht die Aufgabe eines Panel darin, den DSB bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben zu unterstützen. Hierzu nimmt es eine objektive Beurteilung der ihm vorliegenden Angelegenheit (objective assessment of the facts of the case) vor und trifft andere Feststellungen, welche dem DSB helfen, die jeweiligen Empfehlungen abzugeben oder Entscheidungen zu treffen. Diese unterstützende Funktion der Panels kommt auch in Art. 19 Abs. 1 DSU zum Ausdruck, wo von „Empfehlungen“ (recommendations) gesprochen wird. Der Panelbericht selbst ist mithin für die Parteien nicht verbindlich, sondern es bedarf vielmehr zur Herbeiführung der Verbindlichkeit seiner Annahme durch den tee on Trade and Environment, Note by the Secretariat, WT/CTE/W/203, vom 08. März 2002, S. 3 f. 88 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 15; dazu auch Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (400); abweichend davon hatte das Panel Panelentscheidungen unter dem GATT 1947 als integralen Bestandteil des GATT 1994 angesehen, Japan – Alcoholic Beverages, Panel Report, para. 6.10. 89 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 14; vgl. auch US – 1916 Act, AB, para. 61; in US – Shrimp (21.5), AB, para. 109 wird dieser Gedanke auch auf angenommene Appellate Body-Berichte angewandt. 90 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 14, Fußnote 30; dazu Weber/Moos, EuZW 1999, S. 229 (232 f.); Reinisch, Journal für Rechtspolitik 2001, S. 294 (295 ff.). 91 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 15.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

DSB. Da jedoch – abgesehen von der möglichen Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens – Voraussetzung für die Nichtannahme des Panelberichts ist, daß der DSB die Annahme per Konsensentscheidung ablehnt (negativer Konsens), wirkt der Panelbericht zumindest „quasi-verbindlich“92. Als Hauptargument für eine nur eingeschränkte rechtliche Wirkung der Panelberichte und damit gegen eine rechtsschöpfende Tätigkeit wird jedoch Art. 3 Abs. 2 Satz 3 DSU ins Feld geführt, demzufolge die Empfehlungen und Entscheidungen des DSB die in den unter das DSU fallenden Übereinkommen enthaltenen Rechte und Pflichten der Mitglieder weder ergänzen noch einschränken können. Auch aus der exklusiven Kompetenz zur authentischen Auslegung der WTO-Übereinkommen, die gem. Art. IX Abs. 2 WTO-Übereinkommen die Ministerkonferenz bzw. der Allgemeine Rat innehaben93, wird im Umkehrschluß gefolgert, daß die interpretative Rechtsfortbildung nicht die Aufgabe der Streitbeilegungsorgane sein darf. Hingegen zeigt die Praxis der Streitbeilegung, daß sich die WTO-Panels häufig an ihre „Vorjudikatur“ halten bzw. Bezug nehmen auf ihre vorangegangenen Entscheidungen94 und damit letztlich die Grenze zwischen Rechtsfeststellung und Rechtsschöpfung überschreiten. Es entsteht ein Korpus an Entscheidungsgründen angenommener WTO-Panelberichte, der in der Regel von späteren Panels beachtet wird, ohne daß bereits eine Präzedenzwirkung im Sinne des Common Law-Konzepts vom binding precedent bzw. stare decisis bestünde95.

92

Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, S. 417 sowie 440; Mauderer, Der Wandel vom GATT zur WTO und die Auswirkungen auf die Europäische Gemeinschaft, S. 58. 93 Vgl. dazu bereits oben 1. Teil C. III. 1. b) bb) bzw. auch unten 3. Teil C. 94 Vgl. etwa India – Patents (EC), Panel Report, para. 7.30 „It can thus be concluded that panels are not bound by previous decisions of panels or the Appellate Body even if the subject-matter is the same. In examining dispute WT/DS79 we are not legally bound by the conclusions of the Panel in dispute WT/DS50 as modified by the Appellate Body report. However, in the course of ‚normal dispute settlement procedures‘ required under Article 10.4 of the DSU, we will take into account the conclusions and reasoning in the Panel and Appellate Body reports in WT/DS50.“ 95 McNelis, JWT 37 (2003) Nr. 3, S. 647 (652 ff.); Trebilcock/Howse, The Regulation of International Trade, S. 75; Chua, Berkeley Journal of International Law 1998, S. 171 (179); Croley/Jackson, AJIL 1996, S. 193 (210); Lichtenbaum, Michigan Journal of International Law 1998, S. 1195 (1244 ff.); Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (401); Weber/Moos, EuZW 1999, S. 229 (233); Reinisch, Journal für Rechtspolitik 2001, S. 294 (298).

B. Das anwendbare Recht

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3. Appellate Body-Berichte Die weitaus größte Bedeutung kommt im Rahmen der WTO-Streiterledigung gleichwohl den Berichten des Appellate Body zu. Gem. Art. 17 Abs. 13 DSU ist der Appellate Body befugt, auf Antrag einer Partei die rechtlichen Feststellungen und die Schlußfolgerungen der Panels zu überprüfen und diese entweder zu bestätigen, abzuändern oder aufzuheben. Zwar ist die Entscheidung einer Rechtsfrage bzw. die Auslegung von Vorschriften der unter das DSU fallenden Übereinkommen durch den Appellate Body für ein Panel nicht rechtsverbindlich (vgl. Art. 3 Abs. 2 bzw. Art. 19 Abs. 2 DSU i. V. m. Art. IX Abs. 2 WTO-Übereinkommen)96, jedoch wird in der Praxis ein Panel von einer Entscheidung des Appellate Body als höherer Instanz kaum abweichen, wenn es nicht eine Abänderung oder Aufhebung seiner eigenen Entscheidung riskieren will97. Insofern ist das Verhältnis Panel – Appellate Body durchaus vergleichbar mit dem eines nationalen Gerichts zum jeweiligen Berufungs- bzw. Revisionsgericht als höherer Instanz98. Der Appellate Body ist dem Grundsatz nach ebenfalls nicht an seine eigene Spruchpraxis gebunden. Tatsächlich ist eine Abkehr von früheren Berichten jedoch eher die Ausnahme, da der Appellate Body als ständiger Spruchkörper im Rahmen seiner Entscheidungsfindung stets mit seiner eigenen, zurückliegenden Entscheidungsfindung konfrontiert wird99. So verwundert es nicht, daß der Appellate Body Ende des Jahres 2002 damit begonnen hat, seinen Berichten stets eine Übersicht voranzustellen, in der die in dem jeweiligen Bericht zitierten früheren Berichte des Appellate Body und auch zurückliegende Panelberichte in tabellarischer Form zusammengefaßt werden (Table of Cases cited in this Report)100. 96 Vgl. hierzu US – Shirts and Blouses, AB, S. 19 f.; US – Lead Bars, Panel Report, para. 6.66, Fn. 78; siehe auch Bhala, American University International Law Review 1999, S. 845 (882 ff.); Witt, RIW 2000, S. 691 (692). 97 Siehe etwa Japan – Alcoholic Beverages, Panel Report, para. 6.22 mit Bezugnahme auf US – Gasoline, AB; anders jedoch mit Bezug auf Japan – Alcoholic Beverages, AB das Panel in Indonesia – Automobiles, Panel Report, Fn. 638; vgl. auch Weber/Moos, EuZW 1999, S. 229 (233); Waincymer, WTO Litigation, S. 514; McNelis, JWT 37 (2003) Nr. 3, S. 647 (656). 98 Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (401); Weber/Moos, EuZW 1999, S. 229 (233). 99 In einem konkreten Rechtsmittelverfahren entscheiden gem. Art. 17 Abs. 1 DSU zwar nur jeweils drei der insgesamt sieben Appellate Body-Mitglieder. Im Rahmen der Entscheidungsfindung findet jedoch ein intensiver Meinungsaustausch mit den übrigen vier Mitgliedern statt, was eine Abkehr von zurückliegenden Entscheidungen unwahrscheinlich macht; Waincymer, WTO Litigation, S. 514. 100 Erstmals in dieser Form im Bericht US – German Steel CVDs, AB, S. iii und iv.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

Diese Einheitlichkeit der Entscheidungspraxis, die bereits in Art. 3 Abs. 2 DSU („. . . in providing security and predictability to the multilateral trading system“) für das Streitbeilegungssystem insgesamt postuliert wird, ist für den Appellate Body speziell in dessen Verfahrensvorschriften vorausgesetzt. Hier wird in Nr. 4 (1) die Sicherung einer stetigen und übereinstimmenden Entscheidungsfindung sogar ausdrücklich als Ziel festgelegt („to ensure consistency and coherence in decision-making“). Dementsprechend haben die Berichte des Appellate Body, welche gem. Art. 17 Abs. 14 DSU gleichsam vom DSB angenommen werden müssen, zwar keine rechtliche, wohl aber eine starke faktische Präzedenzwirkung101. Zusammenfassend läßt sich also sagen: obwohl eine Präzedenzwirkung der Streitbeilegungsentscheidungen rechtlich gerade nicht vorgesehen ist, hat das WTO-Streitbeilegungssystem einen Rechtkorpus an Entscheidungen hervorgebracht, der de facto auf der Präzedenzwirkung von Panel- und Appellate Body-Berichten basiert. Diese Situation weist deutliche Parallelen zum Allgemeinen Völkerrecht auf102. Denn auch dort entfaltet ein Urteil zwar generell keine Präzedenzwirkung, jedoch zeigt sich etwa in der Rechtsprechungspraxis des IGH, daß dieser sich immer wieder auf die von ihm selbst oder von dem StIGH getroffenen Entscheidungen bezieht, ohne sich an diese Entscheidungen zwingend gebunden zu fühlen103.

III. WTO-internes Gewohnheitsrecht Gem. Art. XVI Abs. 1 WTO-Übereinkommen soll sich die Praxis der WTO von den Beschlüssen, Verfahren und üblichen Praktiken der VERTRAGSPARTEIEN sowie der im Rahmen des GATT 1947 eingesetzten 101 Gesprochen wird in diesem Zusammenhang auch von „strong persuasive power“ bzw. einer Form des „non-binding precedent“ (Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (401)) oder aber „de-facto stare decisis“ (Jackson, The World Trade Organization, Constitution and Jurisprudence, S. 83); Lester, JWT 35 (2001), Nr. 3, S. 521 (529 f.); von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 264 (274); ausführlich Bhala, Journal of Transnational Law and Policy 1999, S. 1 ff.; zu den Vor- und Nachteilen einer Präzedenzwirkung in der GATT/WTO-Rechtsprechung ausführlich Chua, Leiden Journal of International Law 1998, S. 45 (53 ff.). 102 Ostrihansky, NYIL 22 (1991), S. 163 (195); Reinisch, Journal für Rechtspolitik 2001, S. 294 (297 ff.). 103 Richterliche Entscheidungen i. S. des Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut gelten gem. Art. 59 IGH-Statut nur für die jeweiligen Streitparteien und sind nur in Bezug auf die Sache bindend, in der entschieden wurde; vgl. hierzu Shahabuddeen, Precedent in the World Court, S. 97 ff.; Reinisch, Journal für Rechtspolitik 2001, S. 294 (297); Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 108; Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, S. 442 f.; Weber/Moos, EuZW 1999, S. 229 (232 f.).

B. Das anwendbare Recht

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Organe leiten lassen104. Bezug genommen wird hiermit auf das Gewohnheitsrecht, welches sich im Laufe der Zeit als partikulares Gewohnheitsrecht unter dem GATT 1947 hat herausbilden können105. In Abgrenzung zum universellen Völkergewohnheitsrecht, das gleichsam von außen auf die Welthandelsordnung trifft, kann hier von internem Gewohnheitsrecht gesprochen werden, welches für die WTO-Rechtsordnung als Rechtsquelle übernommen wird, soweit keine abweichenden Regelungen greifen. Aufgrund der Ausdifferenziertheit des geschriebenen WTO-Rechts und wegen des starken Streitbeilegungsmechanismus für die Entstehung internen Gewohnheitsrechts dürfte allerdings – anders als noch unter dem GATT 1947 – hierfür nur wenig Raum bleiben106.

IV. Sonstiges Völkerrecht Fraglich ist, ob und inwieweit die WTO-Streitbeilegungsorgane bei ihrer Entscheidungsfindung auch auf sonstige Rechtsquellen des Völkerrechts zurückgreifen können107. 1. Der völkerrechtliche Rechtsquellenkatalog Mit dem Begriff der Rechtsquelle, dem in der Völkerrechtswissenschaft verschiedene Bedeutungen zukommen, sollen hier lediglich die formellen Völkerrechtsquellen beschrieben werden. Als Rechtsquelle im formellen Sinn wird der Rechtserzeugungstatbestand verstanden, der die Voraussetzungen bezeichnet, unter denen eine Verhaltensregel als Norm des Völkerrechts entsteht bzw. als Völkerrecht gilt108. Davon zu unterscheiden sind die materiellen Völkerrechtsquellen. Dies sind diejenigen (außerrechtlichen) 104 Vgl. auch Art. 3 Abs. 1 DSU, in dem ausdrücklich auf die bestehenden, gewohnheitsrechtlich entwickelten Streitbeilegungsstrukturen Bezug genommen wird. 105 Vgl. zum Ganzen ausführlich Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 126 ff. sowie 147 ff., Beise, WTO, S. 44; allgemein zum Recht der Internationalen Organisationen Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 1512 ff. 106 Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 175; Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 47 f.; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 345 f. 107 Zum Ganzen Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 ff.; Bartels, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 499 ff.; Lennard, JIEL 2002, S. 17 ff.; Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 ff.; Weber/Moos, EuZW 1999, S. 229 (233); Hilf, NVwZ 2000, S. 481 (488); Hilpold, IStR 2002, S. 31 (33); Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 24 sowie 36 ff.; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 347 ff.; allgemein Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 1512 und 1515.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

Grundwerte und Elemente wie etwa Gerechtigkeit, Billigkeit, die auf die einmal entstandene Norm einwirken, ohne jedoch selbst Rechtsqualität zu besitzen109. Welche Rechtsquellen für das Völkerrecht maßgeblich sind, wird nirgends allgemein verbindlich festgelegt. Allerdings enthält Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut eine Auflistung derjenigen Rechtsquellen, die vom Internationalen Gerichtshof in seiner Spruchtätigkeit anzuwenden sind. Es handelt sich dabei nach lit. a um „internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind“ (völkerrechtliche Verträge), nach lit. b um „das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung“ (völkerrechtliches Gewohnheitsrecht) sowie nach lit. c um „die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze“ (allgemeine Rechtsgrundsätze). Hiervon zu unterscheiden sind die sog. Rechtserkenntnisquellen, die als bloße Hilfsquellen zur Feststellung der eigentlichen Rechtsnormen in Frage kommen und etwa nationale und internationale Gerichtsentscheidungen sowie Äußerungen aus der Völkerrechtslehre (lit. d) umfassen110. Auch wenn das IGH-Statut nur diejenigen Rechtsquellen nennt, die der Internationale Gerichtshof seiner eigenen Entscheidungspraxis zugrunde zu legen hat, besteht nahezu uneingeschränkte Einigkeit darüber, daß Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut als bündiger Ausdruck der ohnehin allgemein geltenden Rechtsquellen des Völkerrechts anzusehen ist111. Unterschiedlich beurteilt wird hingegen, ob diese Auflistung als abschließend anzusehen ist112. Als zusätzliche Rechtsquellen werden unter anderem einseitige Akte oder aber Akte Internationaler Organisationen angeführt113.

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Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 21; Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 84. 109 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 515; Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, Einleitung vor § 9, Rn. 1. 110 Zum Ganzen Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 71 f. und 89 f.; Herdegen, Völkerrecht, § 14, Rn. 1 ff.; Kunig, JA 1989, S. 667 (668); Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 196 ff.; Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 91 ff. und 119 ff. 111 Vgl. nur Weiss, AVR 2001, S. 394 (395); Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, Einleitung vor § 9, Rn. 2. 112 Vgl. dazu Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 89 ff.; Kunig, Jura 1989, S. 667 (668 und 670). 113 Herdegen, Völkerrecht, S. 106; Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 225; Mössner, Rechtsquellen, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts – Völkerrecht, S. 329 (331).

B. Das anwendbare Recht

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2. Völkerrechtliche Rechtsquellen in der WTO-Spruchpraxis Bereits oben wurde erwähnt, daß das WTO-Recht als völkerrechtliche Teilordnung einzuordnen ist in den Kontext des allgemeinen Völkerrechts114. Zu diesem Ergebnis gelangte der Appellate Body bereits in seinem allerersten Bericht US – Gasoline, in welchem er unter anderem Stellung nahm zur Auslegung von WTO-Bestimmungen. Inhaltlich ging es dabei um ein von Venezuela und Brasilien gegen die USA angestrengtes Verfahren, in welchem der US-amerikanische Clean Air Act aus dem Jahr 1990 auf seine Vereinbarkeit mit dem WTO-Recht untersucht werden sollte (Art. III Abs. 4 GATT; Art. XX lit g GATT)115. Dieser suchte die Schadstoffbelastung durch Benzinverbrennung unter anderem durch die Regelung einer bestimmten Benzinzusammensetzung zu begrenzen und sah dabei für importiertes Benzin eine ungünstigere Berechnungsmethode vor als für heimisches Benzin (sog. Gasoline Rule). Auf die Revision der Vereinigten Staaten hin bestätigte der Appellate Body das Panel zwar in seiner Annahme einer nicht nach Art. XX GATT zu rechtfertigenden Verletzung von Art. III Abs. 4 GATT, allerdings korrigierte er die durch das Panel vorgenommene Auslegung von Art. XX GATT in mehrfacher Hinsicht und nahm in diesem Zusammenhang auch Bezug auf die Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK). Ausdrücklich stellte er dabei fest, daß die Auslegung des GATT sowie der übrigen WTO-Vertragstexte nicht in klinischer Isolation (clinical isolation) zum allgemeinen Völkerrecht erfolgen dürfe, sondern vielmehr unter Beachtung der inzwischen auch als Völkergewohnheitsrecht allgemein anerkannten Auslegungsregeln der Art. 31 ff. WVK vorzunehmen sei116. Ausdrücklich hat der Appellate Body damit die im Hinblick auf das GATT 1947 bisweilen vertretene Ansicht zurückgewiesen117, das Welt114

Vgl. dazu bereits oben 1. Teil C. II.; außerdem Jackson, The World Trade Organization, Constitution and Jurisprudence, S. 89; Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 (538); McRae, JIEL 2000, S. 27 (28); Waincymer, Michigan Journal of International Law 1996, S. 141 (179); anders aber Bello, AJIL 1996, S. 416 (417). 115 Fallbesprechungen bei Ziegler, Aussenwirtschaft 1996, S. 417 ff.; Ala’I, American University International Law Review 1999, S. 1129 (1155 ff.); Nogueira, JWT 30 (1996) Nr. 6, S. 5 ff.; Waincymer, Michigan Journal of International Law 1996, S. 141 ff.; Hermes, GYIL 42 (1999), S. 530 (541). 116 US – Gasoline, AB, S. 17; bestätigt in Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 10 f. sowie in US – Shrimp, AB, para. 114; India – Patents, AB, para. 46; Korea – Dairy Safeguards, AB, para. 80; vgl. auch Wang, JWT 29 (1995) Nr. 2, S. 173 (176 f.); Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (95 ff.); Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 171. 117 Hierzu näher Kuijper, NYIL 25 (1994), S. 227 (251 f.); Pescatore, JWT 27 (1993) Nr. 1, S. 5 (12); dagegen jedoch bereits Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 361; Mavroidis, RIW 1991, S. 497 (500 ff.); Ostrihansky, NYIL 22 (1991), S. 163 (199).

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

handelsrecht sei ein geschlossener, die Welthandelsbeziehungen ausschließlich regelnder Komplex von Rechtsnormen (self-contained regime)118. Ist also die Rechtsordnung der WTO als spezielle Teilordnung eingebettet in das allgemeine Völkerrecht, so könnte bereits hieraus der Schluß gezogen werden, das umliegende allgemeine Völkerrecht könne in seiner Gesamtheit von den Streitbeilegungsorganen angewandt werden, soweit eine solche Anwendung nicht ausnahmsweise in den WTO-Übereinkommen ausgeschlossen ist119. Doch in der welthandelsrechtlichen Literatur wird diese Frage noch immer keineswegs einheitlich beantwortet. Dies liegt vor allem wohl daran, daß als „Schnittstelle“ zum Allgemeinen Völkerrecht in erster Linie Art. 3 Abs. 2 Satz 2 DSU angesehen wird120. Nach dieser Vorschrift erkennen die WTO-Mitglieder an, daß das WTOStreitbeilegungssystem dazu dient, die Rechte und Pflichten der Mitglieder aus den unter das DSU fallenden Übereinkommen (covered agreements) zu bewahren und die geltenden Bestimmungen dieser Übereinkommen im Einklang mit den herkömmlichen Regeln der Auslegung des Völkerrechts zu klären. Gesicherte Erkenntnis ist damit zunächst, daß die völkergewohnheitsrechtlich anerkannten, in den Artikeln 31 bis 33 WVK beispielhaft kodifizierten Auslegungsgrundsätze Eingang gefunden haben in die WTORechtsordnung121. 118 Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 380 ff.; Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (413); Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 ff.; Schroeder/Schonard, RIW 2001, S. 658 (661); Schoenbaum, ICLQ 1998, S. 647 (653); Cleveland, JIEL 2002, S. 133 (149 ff.); Dunoff, George Washington Journal of International Law and Economics 2001, S. 979 (991 ff.); einschränkender Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (106 ff.). 119 Ein solches sog. contracting out und damit die Möglichkeit, in den Beziehungen mit anderen Völkerrechtssubjekten die Anwendung (bestimmter) völkerrechtlicher Normen – mit Ausnahme des ius cogens – abzubedingen, steht grundsätzlich jedem Völkerrechtssubjekt frei; zum Ganzen Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 35 ff. und 212 ff.; außerdem Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 71 f. zum Verhältnis WTO-Recht – ius cogens. 120 Hilf, EuR 2002, Beiheft 1, S. 173 (186) „Alle diese Rückgriffe auf das allgemeine Völkerrecht haben in Art. 3 Abs. 2 des DSU ihren Aufhänger.“; Hilpold, IStR 2002, S. 31 33 „Als Einlasspforte dafür wird allgemein Art. 3 Abs. 2 des Streitbeilegungsabkommens gesehen . . .“. 121 Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (108); Trachtman, Harvard International Law Journal 40 (1999) Nr. 2, S. 333 (343); Neumann, ZaöRV 2001, S. 529 (539); Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (399); Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (253); Lennard, JIEL 2002, S. 17 ff.; Stewart/Burr, North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation 1998, S. 481 (631); Feliciano/van den Bossche, The Dispute Settlement System of the World Trade Organization: Institutions, Process and Practice, in: Blokker/Schermers (Hrsg.), Proliferation of International Organizations, S. 297 (315 f.).

B. Das anwendbare Recht

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Fraglich ist, ob Art. 3 Abs. 2 DSU darüber hinaus als generelle Bezugnahme auch auf das sonstige Völkerrecht zu qualifizieren ist. Teilweise wird im Hinblick auf die Rechtsquellenfrage vertreten, daß eine strikte Beschränkung auf die WTO-Übereinkommen selbst geboten sei. Allgemeines bzw. sonstiges Völkerrecht komme lediglich in Ausnahmefällen zur Anwendung und zwar immer nur dann, wenn in den WTO-Übereinkommen ausdrücklich hierauf verwiesen werde122. Begründet wird diese einschränkende Position in der Regel mit dem Verweis auf die in Art. 3 Abs. 2 Satz 3 DSU123 enthaltene Aussage, daß die vom DSB ausgesprochenen Empfehlungen bzw. Entscheidungen die in den Übereinkommen enthaltenen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien weder ergänzen noch schmälern dürfen124. Auch der sich mit dem Mandat eines Panel befassende Art. 7 DSU bzw. der die Aufgabe der Panels umschreibende Art. 11 DSU werden als Argument dafür angeführt, daß das im Streitbeilegungsverfahren anzuwendende Recht auf die WTO-Übereinkommen beschränkt sei125. Bei genauerer Betrachtung der vorgebrachten Argumente wird allerdings schnell deutlich, daß hier Aspekte der Zuständigkeit und des Aufgabenbereichs vermengt werden mit der Frage nach dem anwendbaren Recht. Das DSU enthält weder explizite Regelungen zur inhaltlichen Reichweite der Jurisdiktion der WTO-Streitbeilegungsorgane, noch findet sich eine ausdrückliche, das anwendbare Recht festlegende Vorschrift126. Allerdings folgt aus einer Zusammenschau der in diesem Zusammenhang relevanten Bestimmungen (vgl. Art. 1, 3, 7 und 11 DSU), daß die Streitbeilegungsorganen zwar über eine begrenzte Zuständigkeit verfügen, das potentiell im Rahmen des Verfahrens anwendbare Recht dagegen nicht limitiert ist127. 122

Vgl. hierzu näher unten 3. Teil B. IV. 2. a). Vgl. außerdem Art. 19 Abs. 2 DSU mit gleichem Wortlaut. 124 Trachtman, Harvard International Law Journal 40 (1999) Nr. 2, S. 333 (342 f.); ähnlich auch Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (113); Guruswamy, Minnesota Journal of Global Trade 1998, S. 287 (311). 125 Dunoff, George Washington Journal of International Law and Economics 2001, S. 979 (995 f.); Marceau, EJIL 2002, S. 753 (762 ff.); Neumann, ZaöRV 2001, S. 529 (539 und 558); Bree, Harmonization of the Dispute Settlement Mechanisms of the Multilateral Environmental Agreements and the World Trade Agreements, in: Berichte des Umweltbundesamtes (Hrsg.), Band 1/03, S. 98 ff. 126 Bartels, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 499 (501 f.); Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 465 ff. und ders., AJIL 2001, S. 535 (561). 127 Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 (554 und 560); ders., JWT 37 (2003) Nr. 6, S. 997 (1000 ff.); Reinisch, RIW 2002, S. 449 (454 f.); Matsushita/Schoenbaum/ Mavroidis, The World Trade Organization, S. 54 f.; Hilf/Goettsche, The Relation of Economic and Non-Economic Principles in International Law, in: Griller (Hrsg.), International Economic Governance and Non-Economic Concerns, S. 5 (14); andere Ansicht Böckenförde, ZaöRV 2003, S. 971 (979 ff.). 123

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

So wird in Art. 1 Abs. 1 DSU zunächst der Geltungsbereich des DSU festgelegt auf alle Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern, die aufgrund der in Anhang 1 des DSU genannten Übereinkommen (covered agreements) vorgebracht werden. Eine Aussage über das im Rahmen der Streitbeilegung anzuwendende Recht findet sich hier genauso wenig wie in Art. 3 Abs. 2 DSU, der lediglich die Grenzen der judiziellen Vertragsinterpretation festlegt128. Gleiches gilt für Art. 11 DSU, der die Aufgaben eines Panel umschreibt und hierbei unter anderem festlegt, das Panel habe eine „objektive Beurteilung der vor ihm liegenden Angelegenheit“ vorzunehmen und zwar „einschließlich einer objektiven Beurteilung des Sachverhalts und der Anwendbarkeit sowie der Vereinbarkeit mit den einschlägigen unter das DSU fallenden Übereinkommen“129. Anhaltspunkte für die Frage nach dem anwendbaren Recht finden sich hingegen in Art. 7 DSU. Dieser umschreibt in seinem ersten Absatz das Mandat eines Panel (terms of reference) für den Regelfall – d. h. sofern die Streitparteien nicht innerhalb von zwanzig Tagen nach Einsetzung eines Panel etwas anderes vereinbaren – dahingehend, daß „im Lichte der einschlägigen Bestimmungen in (Bezeichnung des/der unter die Vereinbarung fallenden Übereinkommen/s, auf das/die sich die Streitparteien beziehen) die von (Name der Partei) in Dokument . . . dem Dispute Settlement Body unterbreitete Angelegenheit“ zu „prüfen“ und „Feststellungen“ zu treffen sind, „die den Dispute Settlement Body bei seinen in diesem/diesen Übereinkommen vorgesehenen Empfehlungen oder Entscheidungen unterstützen“. Hierbei sind die Panels gem. Art. 7 Abs. 2 DSU nicht an die von der beschwerdeführenden Streitpartei vorgebrachten einzelnen Bestimmungen gebunden, sondern können ihren Abschlußbericht auch auf weitere einschlägige Normen desjenigen Übereinkommens stützen, auf das sich die Streitparteien in ihrem Antrag auf Einsetzung eines Panel gem. Art. 6 Abs. 2 DSU bezogen haben. Zwar wird hierdurch das Mandat und damit die sachliche Zuständigkeit eines Panel beschränkt auf solche Parteianträge (claims), welche sich auf die vom DSU erfaßten WTO-Übereinkommen beziehen130. Jedoch hat diese Zuständigkeitsbegrenzung keine Auswirkung auf die Frage nach dem anwendbaren Recht. Denn weder im DSU noch in den verschiedenen WTO-Übereinkommen findet sich eine Vorschrift, in der allein das WTORecht für anwendbar erklärt wird131. Ist dies aber der Fall, können die Streitbeilegungsorgane im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung auch das umliegende Völkerrecht heranziehen132. Dies folgt schon aus dem einfa128

Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 352 f. und 465. Sog. Kontrolldichte (standard of review), vgl. dazu bereits oben 1. Teil C. III. 1. b) cc) (2) (c) (bb). 130 Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 (554); Bartels, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 499 (502 f.). 129

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chen Grund, daß die WTO als Internationale Organisation im Kontext des sie umgebenden Völkerrechts gegründet worden ist und als solche in diesem Kontext weiter fortbesteht. Dieses Ergebnis wird durch die Spruchpraxis sowohl der Panels als auch des Appellate Body bestätigt133. Denn im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung haben diese bisher immer wieder – und nicht lediglich im Rahmen des Auslegungsprozesses – auch sonstiges Völkerrecht angewandt. Beispielhaft seien an dieser Stelle nur erwähnt die Bezugnahmen auf allgemeine völkerrechtliche Regeln zur Streitbeilegung134 oder aber zum Recht der völkerrechtlichen Verträge135. Auch hat das Panel, welches sich im Streitfall Korea – Measures Affecting Government Procurement mit dieser Frage beschäftigt hat, nocheinmal ausdrücklich festgestellt, daß der Verweis auf die herkömmlichen völkerrechtlichen Auslegungsregeln in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 DSU nicht etwa umgekehrt darauf schließen lasse (argumentum e contrario), alle übrigen Regeln des allgemeinen Völkerrechts seien von einer Anwendung ausgeschlossen136. Im Ergebnis läßt sich daher festhalten, daß neben dem Text der unter das DSU fallenden Übereinkommen als primär in den Blick zu nehmender 131 Hilf/Goettsche, The Relation of Economic and Non-Economic Principles in International Law, in: Griller (Hrsg.), International Economic Governance and NonEconomic Concerns, S. 5 (14). 132 Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 (561); Bartels, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 499 (505); im Ergebnis so auch Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 479; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 348 „Schließlich basiert auch das WTO-Vertragsrecht auf Prinzipien wie pacta sunt servanda und der Anerkennung der souveränen Gleichheit aller Staaten und bedarf für sein Funktionieren des Völkerrechts“. 133 McRae, JIEL 2000, S. 27 (37); Reinisch, RIW 2002, S. 449 (455); zum GATT 1947 bereits Pescatore, JWT 27 (1993) Nr. 1, S. 5 (12). 134 Z. B. das Prinzip der Verfahrensökonomie (principle of judicial economy) in US – Shirts and Blouses, AB, S. 19; Australia – Salmon, AB, para. 223; Canada – Automotive Industry, AB, paras. 114 ff. oder aber die Frage der Klagebefugnis bzw. des Klaginteresses (standing) in EC – Bananas, AB, paras. 132 ff. 135 Z. B. das Prinzip der Nichtrückwirkung völkerrechtlicher Verträge (principle of non-retroactivity of treaties) in Brazil – Desiccated Coconut, AB, S. 15; EC – Hormones, AB, para. 128; Canada – Patent Term, AB, paras. 71 f.; EC – Sardines, AB, para. 200. 136 Korea – Government Procurement, Panel Report, para. 7.96, Fn. 753; vgl. dazu Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 (543 und 561); Bartels, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 499 (504) sowie ausführlich Büsing, Öffentliches Beschaffungswesen im Rahmen der WTO: Eine Einführung unter besonderer Berücksichtigung des Falles „Korea – Measures Affecting Government Procurement“, in: Nettsheim/Sander (Hrsg.), WTO-Recht und Globalisierung, S. 223 (233 ff.); vgl. auch Brazil – Desiccated Coconut, Panel Report, para. 279 („But it should be noted that the principle set forth in Article 28 applies ‚[u]nless a different intention appears from the treaty or is otherwise established . . .‘.“); kritisch McRae, JIEL 2003, S. 709 (713).

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

Rechtsquelle grundsätzlich alle in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut genannten Völkerrechtsquellen herangezogen werden können137. a) Außerhalb der WTO-Rechtsordnung stehende völkerrechtliche Verträge Andere internationale Übereinkommen kommen als mögliche Rechtsquelle immer dann in Betracht, wenn direkt im WTO-Vertragswerk auf sie verwiesen wird. Beispiele hierfür lassen sich etwa finden im TRIPS-Übereinkommen mit den Verweisen auf die von der WIPO verwalteten Konventionen von Paris, Bern, Rom und Washington (Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 TRIPS)138, im GATT mit dem Verweis auf zwischenstaatliche Grundstoffabkommen (Art. XX lit. h GATT), im SPS-Übereinkommen mit Verweis auf Internationale Normen, Richtlinien und Empfehlungen der Codex Alimentarius Kommission, des Internationalen Tierseuchenamtes bzw. der Internationalen Pflanzenschutzkonvention (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Anhang A Abs. 3; Art. 3 Abs. 4 SPS) oder im TBT-Übereinkommen (Art. 2 Abs. 4 i. V. m. Anhang 1 Abs. 4 TBT)139. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch Art. IX Abs. 3 und 4 WTO-Übereinkommen. Nach dieser Vorschrift kann unter außergewöhnlichen Umständen von der Ministerkonferenz eine Ausnahmegenehmigung (waiver) erteilt werden, die unter Umständen wie137

So Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 ff.; Bartels, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 499 (504 und 518); Howse, Adjudicative Legitimacy and Treaty Interpretation in International Trade Law, The Early Years of WTO Jurisprudence, in: Weiler (Hrsg.), The EU, the WTO, and the NAFTA, Towards a Common Law of International Trade, S. 35 (56); Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 (562); im Ergebnis und unter Bezugnahme auf Pauwelyn auch Lennard, JIEL 2002, S. 17 (41); Weber/Moos, EuZW 1999, S. 229 (233); Kneubühler, Integration durch Rechtsprechung in der EG und der WTO, S. 44; Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insbesondere im Welthandelsrecht, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 123 (189); Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, S. 378, Fn. 60 sowie S. 380; vgl. außerdem Korea – Government Procurement, Panel Report, paras. 7.96 und 7.101, Fn. 755; kritisch Dunoff, George Washington Journal of International Law and Economics 2001, S. 979 (1009 ff.); dagegen Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 24. 138 Vgl. außerdem in Art. 3 Abs. 1, 9 Abs. 1, 10 Abs. 1, 16 Abs. 2 und 3 TRIPS; weitere Verweise bei Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (112, Fn. 77); darauf Bezug nehmend Kluttig, Welthandelsrecht und Umweltschutz – Kohärenz statt Konkurrenz, S. 5 (29 f.). 139 Ausführlicher zum Ganzen Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 (555); Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (112); Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (409); Waincymer, WTO Litigation, S. 378; Weber/Moos, EuZW 1999, S. 229 (234); Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 40 f.

B. Das anwendbare Recht

163

derum Bezüge zu einem außerhalb der WTO-Rechtsordnung stehenden völkerrechtlichen Vertragswerk aufweist140. Problematisch ist hingegen, ob WTO-fremde bilaterale bzw. multilaterale Verträge auch dann als Rechtsquelle Bedeutung erlangen können, wenn WTO-Mitglieder Parteien dieser Verträge sind und von ihnen möglicherweise Auswirkungen auf ihre WTO-Verpflichtungen ausgehen141. So wird etwa der Fall US – Shrimp häufig als Beispiel für die Heranziehung WTOfremder multilateraler Verträge angeführt142. Zu beachten ist jedoch, daß der Appellate Body hier lediglich im Rahmen der Auslegung von WTOrechtlichen Normen zurückgreift auf die verschiedenen multilateralen Umweltschutzübereinkommen wie etwa das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES, 1973)143, die Konvention über Artenvielfalt144 oder aber die Konvention zum Schutz wandernder Tiere145.146 Gleiches gilt für den Fall EC – Poultry, bei dem es inhaltlich um eine Beschwerde Brasiliens im Hinblick auf die Verzollung bzw. Einfuhr von Geflügelprodukten durch die EG ging. Auch hier hat der Appellate Body mit dem Ölsaaten Abkommen (Oilseeds Agreement) ein bilaterales Abkommen lediglich zum Zwecke der Auslegung herangezogen147. Ob hingegen Normen aus dem Bereich der multilateralen Umweltschutzübereinkommen148 140 Zu dieser Konstellation siehe etwa EC – Bananas, AB, paras. 167 ff. (Lomé Convention); Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (268); Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 342; Hu, JIEL 2004, S. 143 (146 f.). 141 Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (410 ff.); Weber/Moos, EuZW 1999, S. 229 (234); zur Frage, inwieweit auch solche Übereinkommen von Bedeutung sein können, bei denen nicht alle Konfliktbeteiligten Mitglied sind Stökl, Aussenwirtschaft 2001, S. 327 (332). 142 Hilf, NVwZ 2000, S. 481 (488); Ruloff, Internationale Politik 57 (2002) Nr. 6, S. 37 (39 f.). 143 Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Flora and Fauna, vom 03.03.1973, abgedruckt in ILM 12 (1973), S. 1085 ff. 144 Convention on Biological Diversity, vom 05.06.1992, abgedruckt in ILM 31 (1992), S. 818 ff. 145 Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals, vom 23.06.1979, abgedruckt in ILM 19 (1980), S. 11 ff. 146 US – Shrimp, AB, paras. 130 ff.; zum Ganzen ausführlicher unten 4. Teil B. II. 1. c). 147 EC – Poultry, AB, para. 79 („As such the Oilseeds Agreement is not a „covered agreement“ within the meaning of Art. 1 and 3 of the DSU“) und 83 („Therefore, in our view, the Oilseeds Agreement may serve as a supplementary means of interpretation“); dazu Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (110 f.); Reinisch, RIW 2002, S. 449 (455); Waincymer, WTO Litigation, S. 178; Hilf, JIEL 2001, S. 111 (123). 148 Vgl. zum Verhältnis Multilateral Environmental Agreements (MEAs) und Welthandelsrecht Marceau, JWT 35 (2001) Nr. 6, S. 1081 ff.; Shaw/Schwartz, JWT

164

3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

oder aber des völkervertragsrechtlichen Menschenrechtsschutzes149 direkt – also nicht bloß im Rahmen der Auslegung – von den WTO-Streitbeilegungsorganen angewandt werden können, scheint nicht nur äußerst ungewiß, sondern wurde bisher auch in der WTO-Spruchpraxis noch nicht relevant150. b) Völkergewohnheitsrecht Mehrfach hat der Appellate Body bisher in seiner Spruchpraxis auf allgemeines Völkergewohnheitsrecht i. S. d. Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut zurückgegriffen151. Angeführt seien hier insbesondere die fortwährenden Bezugnahmen auf die völkergewohnheitsrechtlich anerkannten und in den Art. 31 ff. WVK inzwischen kodifizierten, allgemeinen völkerrechtlichen Auslegungsregeln bei der Auslegung von WTO-Vertragsbestimmungen152. Auch hat sich der Appellate Body im Hormonstreit ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Vorsorgeprinzip (precautionary principle) völkergewohnheitsrechtlichen Status besitzt und inwieweit es als solches neben den geschriebenen Regeln des SPS-Übereinkommens Geltung beanspruchen kann153. Hierauf wird noch zurückzukommen sein, wenn weiter unten die einzelnen Rechtsprinzipien ausführlich behandelt werden154. 36 (2002) Nr. 1, S. 129 ff.; Motaal, JWT 35 (2001) Nr. 6, S. 1215 ff.; Schoenbaum, AJIL 1997, S. 268 (281 ff.); Böckenförde, ZaöRV 2003, S. 971 ff.; ausführlich zum Verhältnis Handel und Umwelt Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 112 ff. 149 Dazu Petersmann, JIEL 2001, S. 3 ff.; Cottier, JIEL 2002, S. 111 ff.; Cleveland, JIEL 2002, S. 133 (149 ff.); Marceau, JWT 35 (2001) Nr. 6, S. 1081 (1105 ff.); Bartels, JWT 36 (2002) Nr. 2, S. 353 ff.; sowie ausführlich zum Verhältnis Handel und Menschenrechte Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 287 ff. 150 Waincymer, WTO Litigation, S. 188; Reinisch, RIW 2002, S. 449 (455); zum Ganzen auch Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 343 f. 151 Allgemein zum Begriff des Völkergewohnheitsrechts Herdegen, Völkerrecht, 2000, § 16, Rn. 1 ff.; zur Abgrenzung von Völkergewohnheitsrecht und Allgemeinen Rechtsgrundsätzen Weiß, AVR 2001, S. 394 (403 ff.); im WTO-Kontext Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (406 f.); zum GATT Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 126 ff. 152 US – Gasoline, AB, S. 17; bestätigt in Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 10 f.; India – Patents, AB, paras. 45 f.; US – German Steel CVDs, AB, para. 61; US – Shrimp, AB, para. 114; US – Japan Hot-rolled Steel AD Measures, AB, para. 57; Korea – Dairy Safeguards, AB, para. 80; zu weiteren Bezugnahmen auf Regelungen der WVK vgl. Shanker, JWT 36 (2002) Nr. 4, S. 721 (729 ff.); Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 36a. 153 EC – Hormones, AB, paras. 120 ff.; siehe außerdem Japan – Agricultural Products, AB, para. 81; dazu näher Shaw/Schwartz, JWT 36 (2002) Nr. 1, S. 129 (139 ff.).

B. Das anwendbare Recht

165

c) Allgemeine Rechtsgrundsätze Auch die in Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut aufgeführten allgemeinen Rechtsgrundsätze können als Rechtsquelle grundsätzlich in Betracht kommen155. Die Streitparteien selbst nehmen im Rahmen ihrer vorgebrachten Argumentation häufig Bezug auf allgemeine Rechtsgrundsätze, wobei die Zuordnung eines Rechtssatzes zum Gewohnheitsrecht oder zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen variieren kann156. Der Appellate Body ist demgegenüber sehr viel zurückhaltender und geht insbesondere Feststellungen dahingehend, ob ein bestimmter Rechtssatz als allgemeiner Rechtsgrundsatz oder aber als Völkergewohnheitsrecht gilt, eher aus dem Weg157. Als erster Anwendungsfall für den Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze gilt der Fall US – Shirts and Blouses. Der Appellate Body, der sich seinem Bericht unter anderem mit der Frage der Beweislast (burden of proof) befaßt, führt hierbei aus, daß der Grundsatz, demzufolge stets der Kläger die Tatsachen zu beweisen habe, auf die er seinen Anspruch stützen will, den allermeisten Rechtsordnungen gemein ist158. d) Gerichtsentscheidungen und Lehrmeinungen Neben den drei angesprochenen, formellen Völkerrechtsquellen des Art. 38 Abs. 1 lit. a bis c IGH-Statut benennt lit. d neben den Entscheidungen internationaler Gerichte auch die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtlicher der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Festlegung von Völkerrechtsnormen159. Anders als noch im Rahmen der Streitbeilegung des GATT 1947160 wird den Auffassungen namhafter Autoren und Exper154

Vgl. unten 4. Teil B. III. 1. Weber/Moos, EuZW 1999, S. 229 (233); Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 349; ausführlich Sandrock, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Verfahrensrecht der WTO, S. 63 ff.; zum GATT 1947 bereits Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 131. 156 So z. B. die EG im Hinblick auf das Vorsorgeprinzip im Fall EC – Hormones, AB, para. 121 (a general customary rule of international law or at least a general principle of law); oder aber Guatemala im Hinblick auf den Grundsatz des harmless error im Fall Guatemala – Cement I, Panel Report, paras. 7.40 und 7.43 (customary rule of public international law) sowie Guatemala – Cement II, Panel Report, para. 6.383 (general principle of law). 157 EC – Hormones, AB, para. 123; zum Ganzen Weiss, AVR 2001, S. 394 (419). 158 US – Shirts and Blouses, AB, S. 12 ff.; vgl. auch India – Quantitative Restrictions, AB, paras. 131 ff.; ausführlich zur Frage der Beweislastverteilung im WTORecht Pauwelyn, JIEL 1998, S. 227 ff. 159 Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 119 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 89 f. 155

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

ten zum WTO-Recht bzw. zum allgemeinen Völkerrecht in der Spruchpraxis der WTO-Streitbeilegungsorgane mehr Bedeutung beigemessen161. Nicht selten lassen sich daher in den Entscheidungserwägungen der Panelbzw. Appellate Body-Berichte Verweise finden auf völkerrechtliche bzw. speziell WTO-rechtliche Literatur162. Gleiches gilt für die Zitierung von Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes sowie des Ständigen Internationalen Gerichtshofes163.

C. Die Auslegung des WTO-Rechts Die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages obliegt in erster Linie den Vertragsparteien. Gehen diese dabei individuell vor und legen den völkerrechtlichen Vertrag durch einseitige Interpretationserklärungen oder durch Entscheidungen nationaler Gerichte aus, dann handelt es sich um eine sog. einseitige bzw. individuelle Auslegung. Wird die Vertragsauslegung hingegen im gegenseitigen Einvernehmen der Vertragsparteien vorgenommen, also etwa durch eine entsprechende übereinstimmende Erklärung der Parteien, so spricht man von authentischer Auslegung (vgl. Art. 3 Abs. 3 lit. b WVK)164. Diese authentische Auslegung ist im WTO-Recht gem. Art. IX Abs. 2 WTO-Übereinkommen ausdrücklich normiert, ausschließlich der Ministerkonferenz bzw. dem Allgemeinen Rat vorbehalten und erfordert gem. Art. IX Abs. 2 Satz 3 WTO-Übereinkommen eine Mehrheit von drei Viertel der Mitglieder165. 160 Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (407) mit Verweis auf US – Alcoholic and Malt Beverages, GATT Panel Report, BISD 39S/206, para. 5.45 (Arbeiten von John H. Jackson und Robert Hudec). 161 Waincymer, WTO Litigation, S. 384; Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (407 f.); Shanker, JWT 36 (2002) Nr. 4, S. 721 (729 f.) mit ausführlichen Nachweisen in Fn. 41. 162 Vgl. etwa die Anführung unterschiedlicher Literaturmeinungen zur Stellung des Vorsorgeprinzips im Völkerrecht in EC – Hormones, AB, para. 123, Fn. 92; oder zur Frage der Beweislast US – Shirts and Blouses, AB, S. 14, Fn. 15 und 16; Bezugnahmen auf Experten zum WTO-Recht in EC – Hormones, AB, para. 150, Fn. 80 (John H. Jackson); Turkey – Textiles, AB, para. 45, Fn. 13 (Kenneth Dam, John H. Jackson); India – Patents, AB, para. 39, Fn. 26 (Ernst-Ulrich Petersmann, Frieder Roessler). 163 US – Gasoline, AB, S. 17, Fn. 34; Japan – Alcohol Beverages, AB, S. 10, Fn. 17; EC – Hormones, AB, para. 165, Fn. 154; Korea – Dairy Safeguards, AB, para. 81, Fn. 44; EC – Tariff Preferences, AB, para. 105, Fn. 220; siehe auch Hu, JIEL 2004, S. 143 (157 ff.). 164 Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11, Rn. 1 f.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 774.

C. Die Auslegung des WTO-Rechts

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Abzugrenzen ist hiervon die judizielle Auslegung, also die Auslegung einer völkerrechtlichen Rechtsquelle durch internationale Gerichte oder Schiedsgerichte, deren Gerichtsbarkeit zuvor durch obligatorische oder fakultative Unterwerfung der Vertragsparteien begründet wurde166. Dem entspricht auf WTO-Ebene die Auslegung der in den jeweiligen welthandelsrechtlichen Übereinkommen vereinbarten Normen im Rahmen des auf dem DSU basierenden obligatorischen Streitbeilegungsverfahrens. Mit Blick auf die Spruchpraxis des Appellate Body sollen allein die Aspekte der judiziellen Auslegung näher betrachtet werden und damit die Auslegungsmethoden, welche für die Streitbeilegungsorgane der WTO bei der Interpretation von WTO-Recht im Zusammenhang mit seiner konkreten Anwendung im jeweiligen Streitfall gelten.

I. Auslegungsgrundsätze im Streitbeilegungsverfahren der WTO Gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 DSU hat die Auslegung der WTO-Bestimmungen „im Einklang mit den herkömmlichen Regeln der Auslegung des Völkerrechts“ zu erfolgen167. Mit dem Terminus „herkömmliche Regeln der Auslegung des Völkerrechts“ wird Bezug genommen auf die völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Auslegungsgrundsätze, welche inzwischen weitgehend, nicht aber abschließend in den Artikeln 31 bis 33 WVK kodifiziert sind168. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen der Uruguay-Runde wurde bei der Gestaltung des Art. 3 Abs. 2 DSU bewußt auf einen direkten Ver165 US – Certain EC Products, AB, para. 92; zur authentischen Interpretation im Rahmen der WTO vgl. bereits oben 1. Teil C. III. 1. b) bb) bzw. ausführlicher auch Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 99 ff.; Gabler, Das Streitbeilegungssystem der WTO und seine Auswirkungen auf das Antidumping-Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 56 f.; Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 339 f.; zum GATT Schoch, Unbestimmte Rechtsbegriffe im Rahmen des GATT, S. 81 ff. 166 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 774; vgl. etwa die fakultative Zuständigkeit des IGH gem. Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut. 167 Vgl. außerdem Art. 17 Abs. 6 Nr. ii AD, der inhaltsgleich auf die „üblichen Regeln für die Auslegung des Völkerrechts“ verweist; zur Frage, inwieweit der Verweis in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 DSU konstitutiver oder deklaratorischer Natur ist, siehe Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 344 ff.; zur Bezugnahme der GATT-Panels auf Art. 31 ff. WVK vgl. bereits Thomas, JWT 30 (1996) Nr. 2, S. 53 (63 ff.). 168 Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (406); Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (254); Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1 (67); zum GATT bereits Schoch, Unbestimmte Rechtsbegriffe im Rahmen des GATT, S. 82; vgl. im übrigen die Nachweise in US – Gasoline, AB, S. 17, Fn. 34.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

weis auf die Wiener Vertragsrechtskonvention verzichtet. Dies geschah zum einen, weil nicht alle WTO-Mitglieder diese bis heute ratifiziert haben bzw. ihr beigetreten sind169, zum anderen weil ein Beitritt zur WVK – im Gegensatz zur WTO170 – lediglich Staaten offensteht und diese darüber hinaus noch Mitglied der Vereinten Nationen sein müssen (vgl. Art. 83 i. V. m. Art. 81 WVK)171. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 DSU also gerade nicht direkt Bezug nimmt auf die Art. 31 ff. WVK, berufen sich in der Praxis nicht nur die jeweiligen Panels, sondern auch der Appellate Body häufig gerade auf diese Vorschriften172. So hat der Appellate Body bereits in seinen ersten beiden Berichten Art. 3 Abs. 2 DSU als Ausgangspunkt für die Auslegung von WTO-Bestimmungen ausdrücklich hervorgehoben, sich anschließend aber insbesondere an den Artikeln 31 und 32 WVK orientiert173. Die Relevanz der Art. 31 und 32 WVK für die Auslegung von WTO-Recht wurde auch in der Folgezeit immer wieder bestätigt174. 1. Bezugnahme auf die Auslegungsmethodik der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) Die allgemeinen, in der WVK kodifizierten Regeln zur Auslegung völkerrechtlicher Verträge greifen im großen und ganzen zurück auf die aus dem nationalen Recht bekannten Auslegungsmethoden, also die Auslegung nach dem Wortlaut (grammatikalische Auslegung), der Gesetzessystematik (systematische Auslegung), dem Sinn und Zweck (teleologische Auslegung) sowie der Entstehungsgeschichte einer Norm (historische Auslegung)175. 169 Insbesondere die USA haben die WVK weder ratifiziert, noch sind sie ihr beigetreten, erkennen dafür aber die Auslegungsgrundsätze als Rechtssätze des Völkergewohnheitsrechts an, vgl. Schoenbaum, AJIL 1992, S. 700 (719, Fn. 108). 170 Vgl. Art. XII Abs. 1 (Zollgebiet) bzw. IX Abs. 1 Satz 4 WTO-Übereinkommen (Europäische Gemeinschaften). 171 Kuijper, NYIL 1994, S. 227 (232). 172 Unter anderem India – Patents, AB, paras. 45 ff.; Korea – Beef, AB, para. 96; US – Japan Hot-rolled Steel AD Measures, AB, para. 57 (mit Bezug auf Art. 17 Abs. 6 Nr. ii AD); Korea – Government Procurement, Panel Report, paras. 7.9 ff.; Canada – Automotive Industry, Panel Report, paras. 10.10 ff.; Canada – Milk/ Dairy, Panel Report, para. 7.91. 173 US – Gasoline, AB, S. 17; Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 10 ff.; siehe ausführlich auch WTO, Analytical Index, Vol. 2, S. 1276 ff. 174 India – Patents, AB, paras. 45 f.; EC – Computer Equipment, AB, paras. 84 ff.; US – Shrimp, AB, paras. 114, 157. 175 Schoch, Unbestimmte Rechtsbegriffe im Rahmen des GATT, S. 82; zum Völkerrecht allgemein Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 176 ff., 200; zum deutschen Recht etwa Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 39 ff.; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 596 ff.; kritisch Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, S. 42.

C. Die Auslegung des WTO-Rechts

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Nach der allgemeinen Auslegungsregel des Art. 31 Abs. 1 WVK ist ein völkerrechtlicher Vertrag „nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen“. Lediglich in Ergänzung hierzu können gem. Art. 32 WVK vorbereitende Arbeiten und die Umstände des Vertragsschlusses als Auslegungsmittel herangezogen werden, wenn eine nach Art. 31 ermittelte Auslegung bestätigt werden soll bzw. wenn das derart gewonnene Auslegungsergebnis mehrdeutig ist oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen bzw. unvernünftigen Ergebnis führen würde. In der Tendenz folgt die Vertragsrechtskonvention damit dem objektiven Auslegungsansatz, im Rahmen dessen aber auch subjektive Elemente durchaus Berücksichtigung finden können176. a) Treu und Glauben Oberstes Gebot der völkerrechtlichen Vertragsauslegung ist die Interpretation bona fides. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz und – da er keinen eigenen Zugang zum Verstehen eines Textes eröffnet – gerade keine Auslegungsregel. Vielmehr ist dieser Grundsatz bei der Anwendung der einzelnen Auslegungsmethoden, also während des gesamten Auslegungsvorganges, zu beachten und wird dahingehend verstanden, daß jede Auslegung in vertragstreuer Absicht zu erfolgen hat177. b) Wortlaut, Art. 31 Abs. 1 WVK Ausgangspunkt für die Interpretation einer Vertragsnorm ist stets ihr Wortlaut. Zur Ermittlung der gewöhnlichen Wortbedeutung (ordinary meaning) ist auf den Bedeutungsgehalt des verwandten Begriffes zur Zeit des Vertragsschlusses abzustellen, so daß es im Zweifel auf den übereinstimmenden Willen der Parteien beim Abschluß des Vertrages ankommen wird178. Die gewöhnliche Wortbedeutung ist überdies nicht abstrakt, sondern fachspezifisch zu ermitteln179. Nicht ausreichend dabei ist ein bloßes 176 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 776; zum Ganzen Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 176 ff. und 200 f. 177 Sinclair, The Vienna Convention on the Law of the Treaties, S. 120; Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11, Rn. 20; Brötel, Jura 1988, S. 343 (345); Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 85; Köck, Vertragsrechtskonvention, S. 85 („uneigentliche Auslegungsregel“); zum Prinzip von Treu und Glauben in der Spruchpraxis des Appellate Body ausführlich unten 4. Teil B. III. 2. 178 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 335; Brötel, Jura 1988, S. 343 (346).

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

Nachschlagen in einem Wörterbuch, sondern die übliche Bedeutung eines Begriffes ist zu erschließen unter Hinzuziehung weiterer, unter Umständen bereits in der Gesetzessystematik begründeter Faktoren180. Zu diesen können nicht nur die jeweilige Vertragsbestimmung, sondern auch der Vertrag insgesamt, einschließlich seiner Präambel sowie etwaiger Annexe gehören181. Das Ausgehen vom Wortlaut einer Bestimmung begründet dabei keineswegs eine hierarchische Abstufung zwischen den einzelnen Auslegungsmethoden, denn im Rang grundsätzlich gleichberechtigt stehen daneben die Untersuchung des systematischen Zusammenhangs bzw. von Sinn und Zweck der auszulegenden Vorschrift. Vorgegeben wird durch die general rule of interpretation des Art. 31 Abs. 1 WVK lediglich der Ablauf der einzelnen Auslegungsschritte im Rahmen eines insgesamt einheitlichen Interpretationsvorganges, was so beispielsweise auch vom Panel im Fall US – Section 301 aufgegriffen und ausdrücklich festgestellt wurde182. Dem zunächst am Wortlaut orientierten Ansatz der Wiener Vertragsrechtskonvention wird auch in der WTO-Streitbeilegungspraxis grundsätzlich gefolgt183. Ausgehend von einer schlichten Definition des Wortlautes, welche üblichen Wörterbüchern entnommen werden kann184, ermittelt der Appellate Body den derart gefundenen Begriffsinhalt im Hinblick auf den Zusammenhang der Regelung185. Neben der englischen Bedeutung eines Begriffes kann hierbei mitunter auch die Begriffsbedeutung in einer anderen der übrigen offiziellen Versionen der WTO-Vetragstexte, sprich die 179 Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 11, Rn. 6. 180 Die übliche Bedeutung eines Begriffes ergibt sich häufig erst im systematischen Kontext mit anderen Begriffen; vgl. hierzu Köck, Vertragsrechtskonvention, S. 30 („Zusammenhang im engeren Sinn“); Sinclair, The Vienna Convention on the Law of the Treaties, S. 121 und 127; Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 11, Rn. 7; Waincymer, WTO Litigation, S. 416 f. mit Verweis auf India – Quantitative Restrictions, Panel Report, para. 5.59; unklar insoweit Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 86 und 92 und auch Schmodde, Das Konsultationsverfahren im Streitbeilegungssystem der WTO, S. 16 f. 181 Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 86 f.; Köck, Vertragsrechtskonvention, S. 30. 182 US – Section 301, Panel Report, para. 7.22. 183 Ehlermann, JIEL 2003, S. 695 (699); Lennard, JIEL 2002, S. 17 (87); Bacchus, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2002, S. 1021 (1033). 184 Der Appellate Body verwendet hierbei u. a. die folgenden englischsprachigen Wörterbücher: The New Shorter Oxford English Dictionary, Black’s Law Dictionary; The Concise Oxford Dictionary, Webster’s Third New International Dictionary, Webster’s New World Dictionary; Oxford English Dictionary. 185 Vgl. etwa Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 11 f.; US – FSCs, AB, para. 129; Canada – Aircraft, AB, paras. 153 ff.

C. Die Auslegung des WTO-Rechts

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französische oder spanische Übersetzung relevant werden186. Haben die WTO-Vertragsparteien hingegen beabsichtigt, einem Ausdruck eine besondere Bedeutung beizumessen, so ist gem. Art. 31 Abs. 4 WVK ausnahmsweise diese besondere Bedeutung maßgeblich187. Zu beachten ist, daß der gewöhnliche Sprachgebrauch durchaus dem zeitlichen Wandel unterliegen kann. Gerade bei einem völkerrechtlichen Vertragsregime wie dem der WTO, welches nicht nur eine Vielzahl von Vertragsparteien aufweist, sondern auch für einen unbestimmten Zeitraum das Verhalten dieser Vertragsparteien bestimmen soll, stellt sich das Problem, wie der zur Zeit des Vertragsschlusses geltende Sprachgebrauch zu einem späteren Zeitpunkt zu verstehen ist und ob gegebenenfalls eine in der Zwischenzeit eingetretene Begriffswandlung bei der Auslegung berücksichtigt werden kann. Bejaht wird diese Frage für solche Begriffe, die sowohl nach Auffassung der Parteien als auch nach allgemeiner Auffassung einer Begriffswandlung zugänglich sind (sog. offene Begriffe)188. Diese, dem zeitlichen Wandel Rechnung tragende sog. dynamische bzw. evolutive Auslegung findet auch im Streitbeilegungsverfahren der WTO Anwendung189. So kam der Appellate Body im Rahmen der Auslegung des Art. XX lit. g GATT unter Berücksichtigung der Präambel des WTO-Übereinkommens und der dort aufgeführten Ziele im Fall US – Shrimp zu dem Ergebnis, das Tatbestandsmerkmal der „erschöpflichen Naturschätze“ (exhaustible natural resources) stelle kein statisches, sondern ein dynamisch zu interpretierendes Merkmal dar. Die gegenwärtige Fassung des Art. XX lit. g GATT sei vor mehr als 50 Jahren in Kraft getreten und müsse daher bei der Auslegung im Lichte der gegenwärtigen Belange des Umweltschutzes gesehen werden. Zwar sei Art. XX GATT insgesamt während der Uruguay-Runde nicht Gegenstand der Verhandlungen gewesen, doch zeige insbesondere der in der Präambel zum WTO-Übereinkommen aufgenommene Begriff der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development), daß sich die Signatarstaaten 186 Siehe insbesondere EC – Asbestos, AB, para. 91; zur Auslegung mehrsprachiger Verträge Art. 33 WVK; ausführlich zum Ganzen Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge, S. 48 ff. 187 EC – Computer Equipment, AB, para. 85; ausführlicher Waincymer, WTO Litigation S. 415 f.; Lennard, JIEL 2002, S. 17 (44). 188 Zur dynamischen Auslegung im Völkerrecht vgl. Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht, § 11, Rn. 21; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 782; Brötel, Jura 1988, S. 343 (346 ff.). 189 Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (120 ff.) mit Verweis auf die IGHRechtsprechung; Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 88 ff.; Waincymer, WTO Litigation, S. 414 f. sowie 434 f.; Weiss, World Trade Review 2 (2003) Nr. 2, S. 183 (187 ff.); kritisch Appleton, JIEL 1999, S. 477 (481 f.); Lennard, JIEL 2002, S. 17 (75 f.).

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

der Bedeutung von Umweltschutzbelangen im Rahmen der internationalen Wirtschaftsentwicklung durchaus bewußt gewesen sind. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die IGH-Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen kam der Appellate Body im Anschluß zu folgendem Ergebnis: bei der Auslegung offener Begriffe in völkerrechtlichen Verträgen müssen nicht nur die nach dem Inkrafttreten dieser Verträge eingetretenen rechtlichen Veränderungen beachtet werden, sondern derartige Vertragsbestimmungen seien grundsätzlich im Einklang mit dem gesamten Rechtssystem anzuwenden bzw. auszulegen190.191 c) Systematik, Art. 31 Abs. 1, 2 WVK Bei der systematischen Auslegung wird der auszulegende Begriff grundsätzlich in den Zusammenhang des durch den Gesamttext begründeten Systems gestellt. Im Rahmen der allgemeinen Auslegungsregel des Art. 31 Abs. 1 WVK wird diese gewöhnliche Bedeutung des Begriffes Zusammenhang (context) allerdings in einem erweiterten Sinne verstanden192. Gemäß der Definition in Art. 31 Abs. 2 WVK sind bei der Auslegung nämlich nicht nur der operative Vertragstext, die Präambel sowie etwaige Anlagen des völkerrechtlichen Vertrages zu berücksichtigen, sondern es gehören hierher auch jede sich auf den Vertrag beziehende Übereinkunft, die zwischen allen Parteien anläßlich des Vertragsabschlusses getroffen wurde (lit. a), bzw. jede Urkunde, die von einer oder mehreren Vertragsparteien anläßlich des Vertragsabschlusses abgefaßt wurde und von den anderen Vertragsparteien als eine sich auf den Vertag beziehende Urkunde angenommen wurde (lit. b)193. Auch der Appellate Body nimmt bei der Normauslegung regelmäßig Bezug auf den umliegenden Vertragstext194 oder aber auf die Präambel des 190 US – Shrimp, AB, para. 130 mit Verweis in Fn. 109 auf das IGH-Rechtsgutachten Namibia (Legal Consequences) Advisory Opinion (1971) I.C.J. Rep., S. 31 sowie den Fall Aegean Sea Continental Shelf Case, (1978) I.C.J. Rep., S. 3. 191 Weitere Beispiele dynamischer Interpretation lassen sich unter anderem finden in US – Shirts and Blouses, Panel Report, para. 7.15; Turkey – Textiles, Panel Report, para. 9.120. 192 Köck, Vertragsrechtskonvention, S. 90. 193 Brötel, Jura 1988, S. 343 (345); Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 91 unterscheidet insoweit zwischen Regelungszusammenhang im „engeren“ bzw. im „weiteren“ Sinne. 194 Vgl. etwa Canada – Aircraft, AB, para. 155 (Auslegung von Art. 1 Abs. 1 lit. b SCM); EC – Bananas, AB, para. 200 (Auslegung von Art. X Abs. 3 lit. a WTO); Chile – Agricultural Products, AB, para. 211 (Auslegung von Art. 4 Abs. 2 AoA); außerdem etwa US – Cotton Underwear, Panel Report, para. 7.18 (Auslegung von Art. 6 Abs. 2 und Abs. 4 ATC).

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jeweiligen WTO-Übereinkommens195. Diesbezüglich hat er im Fall US – Shrimp sogar ausdrücklich festgestellt, daß die Präambel des WTO-Übereinkommens keineswegs nur relevant sei bei der Auslegung des WTOÜbereinkommens selbst bzw. des GATT, sondern auch bei der Interpretation aller übrigen WTO-Übereinkommen berücksichtigt werden müsse196. Ferner hat sich der Appellate Body im Rahmen der systematischen Auslegung eines Begriffes auch immer wieder auf die Bedeutung und Verwendung eines gleichen oder aber ähnlichen Begriffes in einem der übrigen WTO-Übereinkommen bzw. Vereinbarungen bezogen. Beispielsweise hat er im Fall US – Foreign Sales Corporations (FSCs) ausgeführt, bei der Auslegung des Begriffes der Exportsubvention (export subsidy) im WTOAgrarübereinkommen könne durchaus zurückgegriffen werden auf die Legaldefinition des Begriffes der Subvention in Art. 1 Abs. 1 SCM197. Andererseits hat der Appellate Body im Fall Japan – Alcoholic Beverages im Hinblick auf die Auslegung des im ganzen WTO-Vertragswerk in diversen Zusammenhängen verwendeten Begriffes der gleichartigen Ware (like product) festgestellt, daß insofern immer der spezifische Regelungszusammenhang zu beachten sei und die Definition dieses Merkmals daher durchaus unterschiedlich ausfallen könne198. Solch eine Bezugnahme auf andere WTO-Vertragstexte wird im übrigen regelmäßig bereits von Art. 31 Abs. 2 Halbsatz 1 WVK erfaßt und fällt nicht etwa unter Art. 31 Abs. 2 lit. a bzw. b WVK, da die einzelnen Übereinkommen der Uruguay-Runde Bestandteil des gesamten Vertragswerkes sind (single agreement approach)199. Was im WTO-Kontext unter einer „sich auf den Vertrag beziehenden und anläßlich des Vertragsabschlusses getroffenen Übereinkunft“ i. S. d. Art. 31 Abs. 2 lit. a WVK zu verstehen ist, wurde bisher lediglich in einem Panelbericht näher konkretisiert. Dem Panel zufolge wäre ein Beispiel hierfür die „(. . .) uncontested interpretations given at a conference (. . .), e. g. by a chairman of a drafting committee“200. Hierunter fallen aber auch die während der Uruguay-Runde gefaßten Beschlüsse und Erklärungen der Minister, die von allen Vertragsparteien gemeinsam ausgearbeitet und anläßlich der Unterzeichnung des WTO-Übereinkommens verkündet wurden201. Als 195 Australia – Salmon, AB, para. 251 (SPS-Übereinkommen); EC – Bananas, AB, para. 197 (Übereinkommen über Einfuhrlizenzverfahren). 196 US – Shrimp, AB, para. 129. 197 US – FSCs, AB, para. 136 mit Verweis auf Canada – Milk/Dairy, AB, para. 87. 198 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 20. 199 Vgl. dazu bereits oben 1. Teil C. III. 2.; ausführlich zum Ganzen Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 93 f. 200 US – Copyright Act, Panel Report, paras. 6.44 ff. (6.46). 201 Eingehender Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 183.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

eine von den Vertragsparteien anläßlich des Vertragsabschlusses abgefaßte Urkunde i. S. d. Art. 31 Abs. 2 lit. b WVK kämen unter anderem die Berichte der mit dem WTO-Beitritt befaßten Arbeitsgruppen (Working Party Reports on Accession) in Betracht202. d) Dem Zusammenhang gleichgestellte Umstände, Art. 31 Abs. 3 lit. a–c WVK Neben dem Zusammenhang i. S. d. Art. 31 Abs. 2 WVK sind die in Art. 31 Abs. 3 lit. a–c WVK genannten Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen. Hierzu gehören eventuelle spätere Auslegungsübereinkünfte (lit. a), die spätere Übung bei der Vertragsanwendung (lit. b) sowie die zwischen den Parteien anwendbaren Völkerrechtssätze (lit. c)203. aa) Auslegungsübereinkünfte (lit. a) und spätere Übung bei der Vertragsanwendung (lit. b) Sowohl bei der Auslegungsübereinkunft als auch bei der späteren Übung handelt es um Formen der sog. authentischen Vertragsinterpretation204. Im Falle der Auslegungsübereinkunft i. S. d. Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK wird von den Vertragsparteien eines völkerrechtlichen Vertrages im Nachhinein eine verbindliche Auslegung durch einen (förmlichen) Auslegungsvertrag festgelegt. Einer solchen Maßnahme bedienen sich die Vertragsparteien häufig dann, wenn bei der Vertragsanwendung Unklarheiten oder Probleme aufgetreten sind und diese mithilfe einer eindeutigen Festlegung für die Zukunft ausgeräumt werden sollen. Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK zufolge kann im Rahmen der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages auch jede spätere Übung bei der Vertragsanwendung herangezogen werden, sofern daraus eine Übereinstimmung der Vertragsparteien hinsichtlich der Auslegung der jeweiligen Vorschrift hervorgeht. Im Unterschied zur Auslegungsübereinkunft des Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK kommen die Vertragsparteien im Fall des Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK jedoch gerade nicht ausdrücklich über die 202

Lennard, JIEL 2002, S. 17 (26). Der Grund, daß diese Interpretationsobjekte zwar formell außerhalb des Zusammenhangs stehen, gleichwohl aber gemeinsam mit ihm heranzuziehen sind, liegt darin, daß man nicht als Zusammenhang bezeichnen wollte, was zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht (lit. a und b) bzw. noch nicht notwendigerweise gegeben ist (lit. c); zum Ganzen Köck, Vertragsrechtskonvention, S. 91; Lennard, JIEL 2002, S. 17 (29 f.). 204 Marceau, JWT 35 (2001) Nr. 6, S. 1081 (1087); Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 184; zur authentischen Vertragsinterpretation siehe näher bereits oben 3. Teil C. 203

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Auslegung des Vertrages überein, sondern folgen bei ihrer Vertragsanwendung einer stillschweigend konsentierten Auslegung. Letztlich handelt es sich damit aber gleichermaßen um einen Fall der authentischen Vertragsinterpretation. Im Rahmen der WTO-Spruchpraxis ist bisher nur vereinzelt auf die Art. 31 Abs. 3 lit. a bzw. lit. b WVK Bezug genommen worden205. Ausdrücklich erwähnt sei an dieser Stelle daher auch lediglich die vor dem Appellate Body im Fall Japan – Alcoholic Beverages aufgeworfene Frage, ob und inwieweit verbindlich gewordene Panel- bzw. Appellate Body-Berichte als spätere Praxis der WTO-Mitglieder i. S. d. Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK einzustufen seien206. Hatte noch das Panel diese Frage bejaht207, wurde sie vom Appellate Body mit der Begründung verneint, daß für die Herausbildung einer konstanten und konsistenten Praxis jedenfalls eine einzelne Entscheidung (eines Panel bzw. des Appellate Body) nicht ausreichen könne208. Letztlich ist die geringe Bezugnahme der WTO-Spruchkörper auf die Art. 31 Abs. 3 lit. a und b WVK nicht verwunderlich. Denn spätestens seit Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens werden diese Vorschriften von der speziellen Bestimmung des Art. IX Abs. 2 Satz 1 WTO-Übereinkommen überlagert, welche im Hinblick auf die multilateralen WTO-Übereinkommen209 eindeutig festlegt, daß zur authentischen Auslegung ausschließlich die Ministerkonferenz bzw. der Allgemeine Rat befugt und entsprechende Beschlüsse gem. Art. IX Abs. 2 Satz 3 WTO-Übereinkommen mit einer 205 Vgl. etwa EC – Computer Equipment, AB, paras. 85 und 90 (Auslegung von Schedule LXXX unter Einbeziehung der Entscheidungen der Weltzollorganisation (WCO), Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK); Brazil – Desiccated Coconut, Panel Report, para. 255 (Der Subventionskodex von 1979 ist keine Auslegungsübereinkunft im Hinblick auf die Auslegung von Art. VI GATT) sowie para. 256 (Der Subventionskodex von 1979 ist keine spätere Übung im Hinblick auf die Auslegung von Art. VI GATT); Chile – Agricultural Products, AB, para. 214 (Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK); vgl. auch US – Section 211 („Havana Club“), Panel Report, para. 8.82 (Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK); zum GATT 1947 bereits US – Restrictions on Imports of Tuna (Tuna/Dolphin II), Panel Report, DS29/R, nicht angenommen, Bericht vom 16.06. 1994, para. 3.50 (zur Frage, ob zeitlich nachfolgende Umweltschutzübereinkommen als Auslegungsübereinkünfte oder als nachträgliche Praxis einzustufen sind). 206 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 12 ff.; vgl. im übrigen dazu bereits oben 3. Teil B. II. 207 Japan – Alcoholic Beverages, Panel Report, para. 6.10. 208 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 13; Lennard, JIEL 2002, S. 17 (33); Waincymer, WTO Litigation, S. 493. 209 Für die authentische Interpretation eines plurilateralen Übereinkommens gelten gem. Art. IX Abs. 5 WTO-Übereinkommen die einschlägigen Vorschriften des jeweiligen Übereinkommens, ausführlicher hierzu Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 99 f.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

Mehrheit von drei Viertel der WTO-Mitglieder zu fassen sind210. Sowohl der insoweit eindeutige Wortlaut (exclusive authority) des Art. IX Abs. 2 Satz 1 WTO-Übereinkommen als auch die genauen Anforderungen an die Mehrheitsverhältnisse sprechen dafür, daß eine über die angeführten Organe hinausgreifende anderweitige Zuständigkeit zur authentischen Vertragsinterpretation nicht existiert, bzw. die Bestimmungen der Art. 31 Abs. 3 lit. a und b WVK insoweit verdrängt werden211. Allerdings bleibt festzuhalten, daß seit Gründung der Welthandelsorganisation im Jahre 1995 kein einziger Fall authentischer Vertragsinterpretation zu verzeichnen ist212, und es auch äußerst fraglich erscheint, ob das dafür erforderliche Quorum von drei Viertel der WTO-Mitglieder realistischerweise jemals zu erreichen ist213. bb) Zwischen den Parteien anwendbares Völkerrecht (lit. c) Von besonderer Bedeutung für die Auslegung des WTO-Rechts ist Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK. Insbesondere in der Debatte über das Verhältnis zwischen Handel und Umwelt ist häufig gerade diese Regelung der Wiener Vertragsrechtskonvention ins Feld geführt worden mit dem Ziel, auf diese Weise eine umfassende Berücksichtigung des Umweltvölkerrechts bei der Auslegung des WTO-Rechts zu begründen214. Gem. Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK ist bei der Auslegung von Normen neben Wortlaut, Ziel und Zweck eines Vertrages in gleicher Weise „jeder in den Beziehungen zwischen den Parteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz“ (any relevant rules of international law applicable in the relations between the parties) zu berücksichtigen. Es handelt sich hierbei gewissermaßen um eine Auffangbestimmung, mittels derer auch das völkerrechtliche Umfeld eines völkerrechtlichen Vertrages bei der Auslegung miteinbezogen werden soll215. Da210 Ausdrücklich erwähnt wird in Art. IX Abs. 2 Satz 4 WTO-Übereinkommen zudem, daß die Vertragsänderung von der authentischen Interpretation abzugrenzen ist, da erstere den gesonderten Verfahrensbestimmungen des Art. X WTO-Übereinkommen unterliegt. 211 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 14; zum Ganzen Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 184 f.; Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 (574). 212 So ist beispielsweise ein Gesuch der EG zur authentischen Interpretation bzw. Klärung des Verhältnisses der Art. 21 Abs. 5 und 22 Abs. 6 DSU nicht weiter verfolgt wurden; vgl. dazu EC – Request for an Authoritative Interpretation pursuant to Art. IX:2 of the Marrakesh Agreement establishing the World Trade Organization, WT/GC/W/133, vom 25.01.1999. 213 Zu beachten ist hier gleichwohl wieder das Konsensus-Prinzip; Jackson, JIEL 1998, S. 329 (346). 214 Vgl. etwa Marceau, JWT 35 (2001) Nr. 6, S. 1081 (1087 ff.); Hohmann, RIW 2000, S. 88 (98); für den Bereich Handel und Menschenrechte Marceau, EJIL 2002, S. 753 (780 ff.).

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mit zielt Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK ab auf die Widerspruchsfreiheit der von den Völkerrechtssubjekten übernommenen Verpflichtungen und ist letztlich Ausdruck des Gedankens einer einheitlichen (Völker-)Rechtsordnung216. Im Hinblick auf den sachlichen Regelungsgehalt gilt, daß gem. Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK zufolge „jeder“ (any) Völkerrechtssatz zur Auslegung einer Norm herangezogen werden kann. Verwiesen wird hiermit auf das die WTO-Rechtsordnung umgebende Völkerrecht, also sonstiges Völkervertragsrecht, Völkergewohnheitsrecht bzw. allgemeine Rechtgrundsätze217. Allerdings gilt dies nur insoweit, als der jeweilige Völkerrechtssatz auch „einschlägig“ (relevant) ist, also einen sachlichen Bezug zu der auszulegenden Vorschrift aufweist218. Dabei ist der zeitliche Bezugspunkt nicht etwa begrenzt auf das bei Abschluß des auszulegenden Vertrages bereits bestehende Völkerrecht, sondern von Bedeutung sind grundsätzlich alle zum Zeitpunkt der Auslegung bestehenden völkerrechtlichen Regelungen219. Erneut wird hiermit zugleich das dynamische Element der Vertragsauslegung deutlich220. Insgesamt spiegelt die Regelung des Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK damit das grundlegende Bekenntnis der Völkerrechtsgemeinschaft wider, völkerrechtliche Vertragsbestimmungen nicht bloß in ihrem eigenen Kontext zu betrachten und auszulegen, sondern in den völkerrechtlichen Gesamtzusammenhang einzuordnen221. Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK zufolge muß der zur Auslegung heranzuziehende Völkerrechtssatz in den Beziehungen zwischen den Parteien anwendbar sein (applicable in the relations between the parties). „Anwendbar“ ist ein Völkerrechtssatz, wenn das entsprechende Rechtsinstrument in Kraft getreten ist und Rechtswirkungen entfaltet. Fraglich ist jedoch, im Verhältnis welcher „Parteien“ der bei der Auslegung unter Umständen heranzuziehende Völkerrechtssatz zu gelten hat. Hier kommen verschiedene Auslegungsvarianten in Betracht222. Eine sehr enge Auslegung will nur sol215 Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11, Rn. 14. 216 Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 374. 217 Sinclair, The Vienna Convention on the Law of the Treaties, S. 139; Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (123). 218 Ausführlich hierzu Marceau, EJIL 2002, S. 753 (782 f.); Köck, Vertragsrechtskonvention, S. 41. 219 Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 (575); so auch der IGH im Rechtsgutachten Namibia (Legal Consequences) Advisory Opinion (1971) I.C.J. Rep., S. 31. 220 Marceau, EJIL 2002, S. 753 (780 ff.) mit Verweis auf US – Shrimp, AB, paras. 129 f.; vgl. im übrigen die obigen Ausführungen zum Wortlaut (Art. 31 Abs. 1 WVK). 221 Köck, Vertragsrechtskonvention, S. 41; Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 367.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

che Völkerrechtssätze heranziehen, die im Verhältnis aller Vertragsparteien des auszulegenden Vertrages gleichermaßen anwendbar sind. Unproblematisch erfaßt wäre dann zwar neben den allgemeinen Rechtsgrundsätzen auch das für alle Staaten gleichermaßen geltende allgemeine Völkergewohnheitsrecht. Auf völkerrechtliche Verträge könnte hingegen dieser Ansicht nach nur dann zurückgegriffen werden, wenn alle Vertragsparteien des auszulegenden Vertrages zugleich auch Parteien des zur Auslegung herangezogenen Vertrages sind, also Parteienidentität besteht. Begründet wird diese Ansicht zum einen mit dem Wortlaut des Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK223. Verwandt werde nämlich der Begriff party, der wiederum in Art. 2 Abs. 1 lit. g WVK legaldefiniert sei als „a state which has consented to be bound by the treaty and for which the treaty is in force“. Als Argument wird auch das in Art. 34 WVK kodifizierte pacta tertiis-Prinzip herangezogen, demzufolge ein Vertrag für einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung weder Rechte noch Pflichten begründen könne224. Eine weitergehende Ansicht versteht unter Parteien i. S. d. Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK die Parteien des jeweiligen Streitfalles, in dem die Auslegungsfrage erwächst225. Demnach müssen die im Einzelfall streitbefangenen Parteien des auszulegenden Vertrages auch Vertragsparteien des zur Auslegung herangezogenen Vertrages sein. Auch hier wird mit dem Wortlaut argumentiert. Der maßgebliche Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK spreche – im Gegensatz zu Art. 31 Abs. 2 lit. a WVK – nämlich von „den Vertragsparteien“ (the parties) und gerade nicht von „allen Vertragsparteien“ (all the parties). Einige wollen es sogar genügen lassen, wenn nur eine der Vertragsparteien des auszulegenden Vertrages auch Partei des zur Auslegung heranzuziehenden Vertrages ist. Begründet wird dies unter anderem damit, daß der Wortlaut „einschlägig in den Beziehungen“ (applicable in the relations) nicht auf die rechtliche Einschlägigkeit, sondern auf die tatsächliche Beeinflussung einer der Parteien durch eine anderweitige Rechtsbindung abstelle. Einschränkend soll bei Bindung nur einer Streitpartei dem einschlägigen Völkerrechtssatz dann allerdings eine geringere Bedeutung für die Auslegung zukommen226. 222

Ausführlich dazu Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (124 ff.); Marceau, EJIL 2002, S. 753 (780 ff.); Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 368 ff.; Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 188 ff.; Bartels, JWT 36 (2002) Nr. 2, S. 353 (360). 223 Lennard, JIEL 2002, S. 17 (36 ff.); Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 257; Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 190 sowie Leirer, Rechtliche Grundfragen des Verhältnisses Internationaler Umweltschutzabkommen zum GATT, S. 15, Fn. 76 m. w. N. 224 Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 257. 225 Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (411); Marceau, JWT 35 (2001) Nr. 6, S. 1081 (1087); Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 344.

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Die bisherige WTO-Spruchpraxis scheint in der Tendenz den beiden letztgenannten Auslegungsvarianten zu folgen. So rügte der Appellate Body beispielsweise im Fall EC – Computer Equipment, daß das Panel zur Auslegung der EG-Zolltabelle LXXX nicht die Klassifikation des harmonisierten Warensystems der Vereinten Nationen herangezogen hatte. Hierbei handele es sich zwar nicht um WTO-Recht im formellen Sinne, es werde aber von den Parteien als klassifikatorische Leitlinie bei der Festlegung der Zollzugeständnisse genutzt. Daher sei ein Rückgriff darauf naheliegend. Der Appellate Body stellte hierbei nicht darauf ab, ob alle WTO-Mitglieder durch die Klassifikation der Vereinten Nationen gebunden seien, sondern erachtete eine Bindung nur der Streitparteien als ausreichend227. Auch erklärte er die zollrechtliche Klassifikationspraxis der Weltzollorganisation für potentiell auslegungsrelevant, was darauf hindeutet, daß mitunter sogar Sekundärrecht anderer Vertragsordnungen Auslegungsmaßstab für WTORecht sein kann228. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte der Appellate Body im Fall US – Shrimp und zwar im Rahmen der Auslegung des Art. XX lit. g GATT229. Unter Bezugnahme auf Prinzip 12 der Rio-Deklaration230 und Art. 2.22 (i) der Agenda 21231 wurde etwa die Bedeutung der Ermächtigung von Handelsbeschränkungen durch WTO-fremde, multilaterale Rechtsakte betont232. Ferner wurde untersucht, ob sich etwa über das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES)233 eine Handelsbeschränkung rechtfertigen ließe234. Allerdings waren praktisch alle WTO-Mitglieder an der Rio-Erklärung sowie der Agenda 21 beteiligt und alle Streitparteien auch CITES-Parteien235. Bei der Auslegung des Begriffes „erschöpfliche Naturschätze“ im Rahmen des Art. XX lit. g GATT nahm der Appellate Body anschließend aber auch auf solche multilateralen Umweltübereinkommen Bezug, bei de226 Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (126); Stökl, Aussenwirtschaft 2001, S. 327 (332); außerdem EC – Computer Equipment, AB, para. 93. 227 EC – Computer Equipment, AB, para. 89. 228 EC – Computer Equipment, AB, para. 90. 229 Zum Ganzen ausführlich unten 4. Teil B. II. 1. c). 230 Rio Declaration on Environment and Development vom 13.06.1992, abgedruckt in ILM 31 (1992), S. 874 ff. 231 Angenommen von der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (United Nations Conference on Environment and Development), 14.06.1992, UN Doc. A/CONF. 151/26/Rev.1. 232 US – Shrimp, AB, paras. 154, 168; allgemein zur Rio-Deklaration und zur Agenda 21 Hobe, JA 1997, S. 160 (162 ff.). 233 Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Flora and Fauna vom 03.03.1973, abgedruckt in ILM 12 (1973), S. 1085 ff. 234 US – Shrimp, AB, para. 132. 235 US – Shrimp, AB, para. 135.

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nen nicht alle Streitparteien zugleich Vertragsparteien waren (z. B. UN-Seerechtsübereinkommen236, das Übereinkommen zur Artenvielfalt237 oder aber das Übereinkommen zum Schutz wandernder Tiere238)239. Auch wenn dieses interpretative Heranziehen von nicht für alle Streitparteien verbindlichen, multilateralen Umweltübereinkommen mit Blick auf das pacta tertiisPrinzip (Art. 34 WVK) nicht unproblematisch ist240, begründete der Appellate Body seine Vorgehensweise unter anderem damit, daß die Auslegung eines Vertrages im Rahmen des ganzen, sich stetig fortentwickelnden Völkerrechtssystems erfolgen müsse241. Auch wenn hierbei die Regelung des Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK nicht explizit erwähnt wird, entspricht eine solche Vorgehensweise dem in Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK zum Ausdruck kommenden Gedanken der Einheit der (Völker-)Rechtsordnung242. Im Ergebnis läßt sich festhalten, daß in der Spruchpraxis der WTOStreitbeilegungsorgane bei der Auslegung von WTO-Recht über Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK auch WTO-fremdes Recht Berücksichtigung findet. Sollte es sich dabei um grundlegende, annähernd universelle völkerrechtliche Vertragswerke handeln, kann hierauf trotz Art. 34 WVK ausnahmsweise auch in den Fällen rekurriert werden, in denen nicht alle Streitparteien diese Vertragswerke förmlich akzeptiert haben243. 236 United Nations Convention on the Law of the Sea vom 10.12.1982, ILM 21 (1982), S. 1261 ff.; 142 Mitglieder (Stand 28.02.2003). 237 Convention on Biological Diversity vom 05.06.1992, abgedruckt in ILM 31 (1992), S. 818 ff.; 187 Mitglieder (Stand 10.03.2003). 238 Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals vom 23.06.1979, abgedruckt in ILM 19 (1980), S. 11 ff.; 81 Mitglieder (Stand 01.03.2003). 239 US – Shrimp, AB, paras. 130 ff.; zum Ganzen Hilf, NVwZ 2000, S. 481 (488); Howse, Adjudicative Legitimacy and Treaty Interpretation in International Trade Law: The Early Years of WTO Jurisprudence, in: Weiler (Hrsg.), The EU, the WTO and the NAFTA, S. 35 (55 ff.); Ruloff, Internationale Politik 57 (2002) Nr. 6, S. 37 (39 f.); Stökl, Aussenwirtschaft 2001, S. 327 (330); Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 196 ff. 240 Dazu ausführlich Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 372 ff.; Art. 34 WVK hält hingegen nicht für einschlägig Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 199 f. 241 US – Shrimp, AB, para. 130, Fn. 109 mit Hinweis auf die IGH-Rechtsprechung Namibia (Legal Consequences) Advisory Opinion (1971) I.C.J. Rep., S. 31 sowie Aegean Sea Continental Shelf Case, (1978) I.C.J. Rep., S. 3. 242 Anders Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 200, der hier nicht Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK für einschlägig hält, sondern dieses Vorgehen als Anwendung der allgemeinen Auslegungsregel des Art. 31 Abs. 1 WVK versteht (Klärung des objektiven Begriffsinhaltes anhand anderer völkerrechtlicher Verträge unabhängig vom konkreten Parteienkreis). 243 US – Shrimp, AB, paras. 130 ff.; vgl. außerdem US – Copyright Act, Report of the Panel, paras. 6.67 ff., in dem das Panel bei der Auslegung des Art. 13 TRIPS

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cc) Ziel und Zweck, Art. 31 Abs. 1 WVK Bei der Auslegung einer Vertragsbestimmung sind neben dem Zusammenhang und den gem. Art. 31 Abs. 3 WVK gleichgestellten Umständen auch Ziel und Zweck (object and purpose) des jeweiligen Vertrages heranzuziehen244. Ziel und Zweck eines Vertrages müssen dabei stets im Vertragstext selbst Niederschlag gefunden haben, sei es in der Präambel, den Grundsatzartikeln, im Wortlaut der auszulegenden Einzelbestimmung oder auch nur im Gesamtzusammenhang des Vertrages245. Die Ermittlung von Ziel und Zweck im Rahmen der Auslegung nimmt in der Praxis der WTO-Streitschlichtung einen zentralen Stellenwert ein und erfolgt nicht nur in Bezug auf einzelne Bestimmungen der Übereinkommen, sondern auch auf die Übereinkommen als Ganzes246. Hierbei ist Maßstab für die Auslegung jedoch stets der Vertragstext und nicht ein allgemeines, an möglichst sachgerechten und wirksamen Ergebnissen orientiertes Zweckund Effektivitätsdenken247. Mehrfach hat der Appellate Body ausgeführt, Ziel und Zweck müßten regelmäßig in Wechselbeziehung zum Vertragswortlaut stehen und bildeten nicht etwa eine eigenständige Grundlage der Auslegung248. Die Bezugnahme auf den hinter einer Vorschrift oder einem ganzen Übereinkommen stehenden Zweck soll mithin nicht dazu führen, daß eine eindeutige Regelung aufgrund des Hinweises auf bestimmte Ziele unterlaufen wird. Denn zu vielfältig und mitunter auch widersprüchlich sind die mit einem Vertragswerk verfolgten Zielsetzungen249. auf den WIPO-Urheberrechtsvertrag zurückgriff, obwohl dieser nach der erfolgten Unterzeichnung noch nicht in Kraft getreten war; dazu mit einer Unterscheidung zwischen „bipolaren“ und „multipolaren“ Verträgen Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 376 ff. 244 Zu dem in diesem Zusammenhang ebenfalls relevanten Prinzip der effektiven Vertragsauslegung (effet utile) vgl. ausführlich unten 4. Teil B. I. 1. 245 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, S. 89; Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11, Rn. 15. 246 Vgl. etwa Canada – Automotive Industry, AB, para. 84 (Art. I Abs. 1 GATT) sowie paras. 138 ff. (Subventionsübereinkommen); Argentina – Footwear Safeguards, AB, paras. 91 ff. (Art. XIX GATT); EC – Hormones, AB, para. 177 (Art. 3 SPS-Übereinkommen sowie das SPS-Übereinkommen insgesamt); näher Waincymer, WTO Litigation, S. 437 ff.; Lennard, JIEL 2002, S. 17 (28). 247 Lennard, JIEL 2002, S. 17 (28 f.); allgemein zum Völkerrecht Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, S. 89. 248 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 12, Fn. 20; ähnlich US – Shrimp, AB, para. 114.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

In der WTO-Spruchpraxis finden sich beispielsweise Feststellungen, wonach Sinn und Zweck des GATT 1994 und auch des GATT 1947 die Steigerung des freien Handels sei250. Im Hinblick auf das WTO-Übereinkommen wurde ausgeführt, es diene unter anderem der Herstellung eines praktikablen und langlebigen multilateralen Handelssystems251. Auch wurde mit Hinweis auf die Präambel des WTO-Übereinkommens die besondere Bedeutung der ökonomischen Entwicklung in den Entwicklungsländern und ihre Förderung im Rahmen der Welthandelsorganisation betont252. Mehrfach ist zudem festgestellt worden, die Vorhersehbarkeit und Sicherheit stelle in Bezug auf eingeräumte Zugeständnisse in den Listen (schedules) ein wesentliches Ziel sowohl des WTO-Übereinkommens als auch des GATT dar253. dd) Ergänzende Auslegungsmittel, Art. 32 WVK Für den Fall, daß die Bedeutung einer Vertragsbestimmung mehrdeutig oder unklar bleibt oder die Auslegung zu einem offensichtlich sinnwidrigen bzw. unvernünftigen Ergebnis führt, können ergänzende Auslegungsmittel (supplementary means of interpretation) herangezogen werden254. Als solche werden in Art. 32 WVK beispielhaft, nicht aber abschließend die den Vertragsschluß vorbereitenden Arbeiten (travaux préparatoires) sowie die Umstände des Vertragsabschlusses aufgeführt. Zu den Vorarbeiten des Vertragsschlusses gehören alle amtlichen Erklärungen und Verhandlungen, die dem endgültigen Vertragsschluß vorausgegangen sind und den späteren Abschluß und Inhalt des konkreten Vertrages erkennbar zum Gegenstand haben255. Bei multilateralen Verträgen – wie dem WTO-Vertragswerk – ist ferner zu beachten, daß die Vorarbeiten als subsidiäres Auslegungsmittel nur dann taugen, wenn sie allen Vertragsparteien tatsächlich zugänglich und auch bekannt waren. Denn eine Bindung an nicht erkennbare Pflichten bzw. Dokumente wäre mit dem Souveränitätsprinzip der einzelnen Vertragsparteien nicht vereinbar256. Die Erwähnung auch der Begleitumstände 249 Sinclair, The Vienna Convention on the Law of the Treaties, S. 130 f.; dazu auch Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 363 ff. 250 Turkey – Textiles, Panel Report, para. 9.159. 251 Brazil – Desiccated Coconut, Panel Report, para. 242; US – 1916 Act (Japan), Panel Report, para. 6.223. 252 Brazil – Aircraft (21.5), Panel Report, para. 6.47; siehe näher auch Qureshi, JWT 37 (2003) Nr. 5, S. 847 (870 ff.). 253 EC – Computer Equipment, para. 82; zum Ganzen Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 95 f.; Waincymer, WTO Litigation, S. 437 ff. 254 Zum Begriff supplementary means näher Lennard, JIEL 2002, S. 17 (46). 255 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 357; Shanker, JWT 36 (2002) Nr. 4, S. 721 (732 f.).

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des Vertragsschlusses soll garantieren, daß bei der Auslegung im Zweifelsfalle auch die historischen Umstände oder aber die besonderen Umstände einzelner Vertragspartner in politischer, ideologischer bzw. wirtschaftlicher Hinsicht zu berücksichtigen sind257. Während die GATT-Panels im Rahmen ihrer Auslegungsarbeit häufig auf die Entstehungsgeschichte des GATT 1947 zurückgriffen258, mißt die WTO-Streitschlichtung in Übereinstimmung mit dem objektiven Auslegungskonzept der Wiener Vertragsrechtskonvention der historischen Auslegung eine erheblich geringere Bedeutung bei. Bei der Auslegung von Vorschriften des GATT wird mitunter auf die jeweils relevanten Bestimmungen in den Entwürfen des vorbereitenden Ausschusses sowie auf die spätere endgültige Fassung der Havanna-Charta und die in diesem Zusammenhang dokumentierten Verhandlungen hingewiesen259. Auch hat der Appellate Body im Fall EC – Computer Equipment die einschlägigen Praktiken der Mitglieder zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der WTO-Übereinkommen als beachtliche Umstände des Vertragsschlusses im Sinne von Art. 32 WVK angesehen260. Auch wenn die historische Auslegung in der bisherigen WTO-Streitbeilegungspraxis nicht immer nur zur Korrektur eines zweideutigen Auslegungsergebnisses angewandt wird261, sondern auch dann zum Tragen kommt, wenn ein bereits gefundenes Ergebnis argumentativ untermauert werden soll, zeigt sich insgesamt jedoch eine bemerkenswerte Vorsicht beim Umgang mit Art. 32 WVK262. 256 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, S. 120; Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11, Rn. 18. 257 Brötel, Jura 1988, S. 343 (348); Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, S. 120 ff. 258 Canada – FIRA, GATT Panel Report, BISD 30S/140, para. 5.12; Japan – Certain Agricultural Products, GATT Panel Report, BISD 35S/163, para. 5.1.2; Republic of Korea – Imports of Beef (US), GATT Panel Report, BISD 36S/268, paras. 126 f. 259 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 17, Fn. 39 sowie S. 24, Fn. 52 (Auslegung von Art. III GATT 1994); Canada – Periodicals, AB, S. 34, Fn. 73 (Auslegung von Art. III Abs. 8 lit. b GATT 1994); US – 1916 Act (EC), Panel Report, para. 6.201 (Art. VI GATT 1994); kritisch dazu Waincymer, WTO Litigation, S. 483. 260 EC – Computer Equipment, AB, paras. 86 ff. (92); US – Lamb Safeguards, Panel Report, paras. 7.110 ff. 261 So etwa in EC – Computer Equipment, AB, para. 86; Canada – Milk/Dairy, AB, para. 138; US – German Steel CVDs, AB, para. 89. 262 So etwa in Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 17; US – Shrimp, AB, para. 157; Canada – Patent Term, AB, para. 73; India – Patents (EC), Panel Report,

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

2. Anwendung sonstiger völkerrechtlicher Auslegungskriterien Über die in den Artikeln 31 und 32 WVK enthaltenen herkömmlichen Auslegungsregeln hinaus haben die WTO-Streitbeilegungsorgane in ihrer Spruchpraxis sowohl auf weitere in der Wiener Vertragsrechtskonvention normierte als auch auf zum Teil ungeschriebene Auslegungskriterien zurückgegriffen. Handelt es sich hierbei um Rechtsprinzipien, so wird im folgenden Abschnitt ohnehin ausführlich darauf eingegangen, weshalb an dieser Stelle dann ihre bloße Erwähnung genügen soll. a) Sonstige WVK-Artikel als Auslegungskriterien Mehrfach bereits wurde in der Spruchpraxis auf das in Art. 26 WVK kodifizierte, völkergewohnheitsrechtliche Rechtsprinzip des pacta sunt servanda zurückgegriffen, das die Völkerrechtssubjekte verpflichtet, die einmal geschlossenen völkerrechtlichen Verträge einzuhalten263. Auch Art. 27 WVK, demzufolge Staaten sich nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen können, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen, hat bereits Erwähnung in Panelberichten gefunden264. Gleiches gilt für das in Art. 28 WVK kodifizierte Prinzip der Nichtrückwirkung von Verträgen265 sowie für Art. 33 WVK, der sich mit der Auslegung mehrsprachiger Verträge befaßt266. Schließlich hat der Appellate Body im Fall Brazil – Desiccated Coconut die grundsätzliche Einschlägigkeit des Art. 70 WVK zu den Folgen der Vertragsbeendigung anerkannt, ohne diesen im konkreten Fall jedoch anzuwenden, da er insoweit eine spezielle Regelung zum Subventionsübereinkommen für einschlägig hielt267.268 para. 7.40; anders hingegen in India – Quantitative Restrictions, Panel Report, para. 4.19; zum Ganzen Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 110; Lennard, JIEL 2002, S. 17 (45 ff.). 263 Korea – Government Procurement, Panel Report, paras. 7.93 und 7.99 ff.; US – Shrimp, Panel Report, paras. 6.5 und 7.41; India – Quantitative Restrictions, Panel Report, para. 5.80; vgl. auch die Erwähnung des Art. 26 WVK durch den Appellate Body im Fall US – Offset Act („Byrd Amendment“), AB, para. 396 (im Zusammenhang mit dem principle of good faith); allgemein zum Ganzen unten 4. Teil B. III. 2. c). 264 US – Section 301, Panel Report, para. 7.80; US – Certain EC Products, Panel Report, para. 139. 265 Brazil – Desiccated Coconut, AB, S. 15; EC – Hormones, AB, paras. 126 ff.; EC – Bananas, AB, para. 235; Canada – Patent Term, AB, paras. 71 ff.; näher zum Ganzen unten 4. Teil B. III. 2. e). 266 Chile – Agricultural Products, AB, para. 271 (Art. 33 Abs. 4 WVK); EC – Asbestos, AB, para. 91, Fn. 62 (Art. 33 Abs. 1 WVK); hierzu auch Lennard, JIEL 2002, S. 17 (54 f.); umfassend zur Auslegung mehrsprachiger völkerrechtlicher Verträge Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge, S. 48 ff.

C. Die Auslegung des WTO-Rechts

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b) Formale Auslegungsregeln Daneben haben sowohl Panels als auch der Appellate Body sog. formale Auslegungsregeln und -prinzipien angewandt. Hierbei handelt es sich zumeist um ungeschriebene Auslegungskriterien, die der allgemeinen juristischen Logik und Dogmatik entliehen sind. Die Anwendung dieser Auslegungsregeln, also etwa des Gebotes der restriktiven Auslegung von Ausnahmevorschriften (exceptio strictissimae est interpretationis) oder aber der engen Interpretation völkervertraglicher Beschränkungen der staatlichen Souveränität (in dubio mitius)269, setzt allerdings voraus, daß diese den nationalen Rechtsordnungen entstammenden Konzepte auch für das Völkervertragsrecht angemessen und dabei für alle Verträge gleichermaßen brauchbar sind. Gerade diesbezüglich herrscht jedoch keineswegs Einigkeit, so daß zweifelhaft ist, ob sie auf der Ebene des Völkerrechts allgemeine Anerkennung gefunden haben270. aa) Gebot der restriktiven Auslegung von Ausnahmevorschriften Nicht nur in der völkerrechtlichen Literatur, sondern auch in der welthandelsrechtlichen Spruchpraxis scheint das Gebot der engen Auslegung von Ausnahmebestimmungen (exceptio strictissimae est interpretationis) einen festen Platz einzunehmen. Die aus dem nationalen Recht bekannte, formaljuristische Auslegungsregel271 hat nicht nur Anerkennung gefunden in einer ganzen Reihe von Panelberichten272, sondern wird vor allem mit Blick auf die Auslegung der allgemeinen Ausnahmebestimmung des Art. XX GATT auch heute zum Teil noch als vorzugswürdig eingestuft273. Gleichwohl bleibt hierbei offen, weshalb eine Ausnahme eng auszulegen ist und was 267

Brazil – Desiccated Coconut, AB, S. 19 f. Zum Ganzen ausführlich Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 348 ff.; Shanker, JWT 36 (2002) Nr. 4, S. 721 (729 ff. und 735). 269 Vgl. dazu ausführlich unten 4. Teil A. VI. 270 Näher Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, S. 175 ff.; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, S. 647 f. und 685 f.; Mosler, ZaöRV 1976, S. 6 (46); Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 1 (68 f.). 271 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 355. 272 US – Tuna/Dolphin I, GATT Panel Report, BISD 39S/155, para. 5.22; US – Tuna/Dolphin II, GATT Panel Report, DS29/R, para. 5.26; Canada – Herring and Salmon, GATT Panel Report, BISD 35S/98, para. 4.6; allgemein auch United States Customs Users Fee, GATT Panel Report, BISD 35S/245, para. 84; EEC – Restrictions on Imports of Dessert Apples (Chile), GATT Panel Report, BISD 36S/93, para. 12.13. 268

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genau unter einer „engen Auslegung“ zu verstehen ist274. Zweifel am Erkenntniswert der bisweilen als Völkergewohnheitsrecht eingestuften Auslegungsregel, deren Ursprünge in der Prämisse in dubio pro libertate commercii vermutet werden275, sind daher angebracht. Bedenken ergeben sich vor allem dort, wo es um den Schutz nicht-wirtschaftlicher öffentlicher Interessen und Schutzgüter geht. Denn hier würde die bloß formale Anwendung der exceptio strictissimae-Regel dazu führen, daß den Freihandelsinteressen stets Vorrang vor den in Art. XX GATT aufgeführten, konkurrierenden Politiken einzuräumen wäre276. Dies aber ist vor dem Hintergrund einer – mit Ausnahme des ius cogens – fehlenden völkerrechtlichen Normenhierarchie277 und der damit einhergehenden Gleichberechtigung unterschiedlicher Vertragsregime nicht zu rechtfertigen. Auch der Appellate Body hat aus diesem Grund von dem formalen Gebot der restriktiven Auslegung von Ausnahmebestimmungen Abstand genommen und im Fall US – Shrimp ausgeführt, die Verfolgung der gem. Art. XX GATT geschützten, legitimen staatlichen Politiken sei gegenüber den allgemeinen GATT-Verpflichtungen keineswegs zweitrangig. Vielmehr stünden sie mit diesen in einem Verhältnis der Gleichordnung und seien daher im konkreten Einzelfall in einen angemessenen Ausgleich zu bringen278. Bereits zuvor hatte der Appellate Body im Fall US – Gasoline gefordert, die Beziehung der verschiedenen Freihandelsverpflichtungen (z. B. Art. I, III oder XI GATT) zu den Ausnahmegründen des Art. XX GATT sei stets im Einzelfall zu bestimmen (on a case-to-case basis) und zwar unter sorgfältiger Berücksichtigung der tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten279. Daß Ausnahmen nicht per se eng auszulegen sind, sondern die Interpretation sich stets an den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu orientieren hat, wurde schließlich auch im Fall EC – Hormones mit den folgenden Worten hervorgehoben: 273 So jüngst etwa Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 231; zum GATT 1947 bereits Klabbers, JWT 26 (1992) Nr. 2, S. 63 (88); Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 163; von Bogdandy, EuZW 1992, S. 243 (245). 274 Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 93; vgl. auch Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 135 ff. 275 So jüngst Oppermann/Beise, RIW 2002, S. 269 (273). 276 Hilf, NVwZ 2000, S. 481 (486); Epiney, DVBl. 2000, S. 77 (81); Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 297; von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 425 (435). 277 Zur Rangordnung der Völkerrechtsquellen Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 640 ff. 278 US – Shrimp, AB, para. 156. 279 US – Gasoline, AB, S. 18.

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„(. . .), merely characterizing a treaty provision as an ‚exception‘ does not by itself justify a ‚stricter‘ or ‚narrower‘ interpretation of that provision than would be warranted by examination of the ordinary meaning of the actual treaty words, viewed in context and in the light of the treaty’s object and purpose, or, in other words, by applying the normal rules of treaty interpretation.“280

Aus alledem folgt, daß der formalen Regel der restriktiven Auslegung von Ausnahmen in der WTO-Spruchpraxis keine Relevanz beizumessen ist281. bb) Vermutung der Konfliktfreiheit (presumption against conflict) Gerade die Vielzahl der verschiedenen WTO-rechtlichen Übereinkommen, ihr Verhältnis sowohl untereinander als auch zu sonstigen völkerrechtlichen Verträgen und die hieraus unter Umständen resultierenden Konflikte machen es in der Spruchpraxis erforderlich, das mitunter komplizierte Verhältnis der Verträge zueinander sowohl im Sinne einer Vermeidung von Vertragskonflikten als auch einer Auflösung von entstandenen Konflikten möglichst sachgerecht zu klären282. Hierbei zeigt die bisherige Spruchpraxis eine deutliche Tendenz, „vermeintliche“ Kollisionen über eine harmonisierende und einzelfallorientierte Auslegung aufzulösen und einen Konflikt auf diese Weise gar nicht erst entstehen zu lassen. Dabei wird zum Teil ausdrücklich auf die Vermutung zugunsten einer konflikt- bzw. widerspruchsfreien Auslegung (presumption against conflict) zurückgegriffen283, zum Teil das gleiche Ergebnis aber auch über das Prinzip der effektiven Vertragsauslegung erreicht284. Besonders deutlich wird dies etwa im Ver280

EC – Hormones, AB, para. 104. So auch Waincymer, WTO Litigation, S. 480 f.; Palmeter/Mavroidis, AJIL 1998, S. 398 (408); Hilf, JIEL 2001, S. 111 (128); Altemöller, Handel und Umwelt im Recht der Welthandelsorganisation WTO, S. 334 f.; Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 139. 282 Allgemein zur Vertragskonkurrenz im Völkerrecht Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, S. 680 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 786 ff.; näher zum Vorliegen eines „Konflikts“ im WTO-Recht Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 5 ff.; Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 59 ff.; Marceau, JWT 35 (2001) Nr. 6, S. 1081 (1083 ff.); Marceau/Trachtman, JWT 36 (2002) Nr. 5, S. 811 (868 ff.). 283 Vgl. insbesondere Indonesia – Automobiles, Panel Report, para. 14.28; US – 1916 Act (EC), Panel Report, para. 3.33; US – Copyright Act, Panel Report, para. 6.66; vgl. auch Canada – Periodicals, AB, S. 19; EC – Bananas, AB, para. 221; hierauf bezugnehmend Turkey – Textiles, Panel Report, paras. 9.92 ff.; zum Gebot der konfliktfreien Auslegung siehe allgemein Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 342 f.; Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 (542 und 550). 284 Korea – Dairy Safeguards, AB, para. 81; näher hierzu unten 4. Teil B. I. 1. 281

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fahren Indonesia – Automobiles, in welchem das Panel der Frage nachging, ob zwischen den Vorschriften des Subventionsübereinkommens und denen des GATT 1994 ein Vertragskonflikt bestünde285. Hierbei griff es im Rahmen seiner Argumentation sowohl auf die Vermutung der Konfliktfreiheit als auch auf das Prinzip des effet utile zurück und kam letztlich zu dem Ergebnis, daß ein Konflikt zwischen den Vorschriften des GATT und des Subventionsübereinkommens nicht existiert. In considering Indonesia’s defence that there is a general conflict between the provisions of the SCM Agreement and those of Article III of GATT, and consequently that the SCM Agreement is the only applicable law, we recall first that in public international law there is a presumption against conflict. This presumption is especially relevant in the WTO context since all WTO agreements, including GATT 1994 which was modified by Understandings when judged necessary, were negotiated at the same time, by the same Members and in the same forum. In this context we recall the principle of effective interpretation pursuant to which all provisions of a treaty (and in the WTO system all agreements) must be given meaning, using the ordinary meaning of words.286

Die presumption against conflict ist bisher allerdings lediglich auf das Verhältnis der einzelnen WTO-Übereinkommen untereinander, nicht aber in Bezug auf sonstiges Völkervertragsrecht zur Anwendung gekommen. cc) Die allgemeinen Kollisionsregeln lex posterior und lex specialis Die allgemeinen Kollisionsregeln, allen voran die lex posterior- und die lex specialis-Regel, werden stets dann relevant, wenn ein Konflikt tatsächlich festgestellt werden konnte und keine vertraglichen Kollisionsregeln existieren287. Hierbei folgt aus der intertemporalen lex posterior-Regel, die in Art. 30 Abs. 3 WVK in Bezug auf aufeinanderfolgende, von den gleichen Parteien und über denselben Gegenstand abgeschlossene Völkerrechtsverträge positivrechtliche Verankerung gefunden hat, daß die zeitlich frühere Bestimmung von der nachfolgenden verdrängt wird. Hingegen besagt die lex specialis-Regel, die zwar in der WVK nicht erwähnt wird, deren Geltung als allgemeiner Rechtsgrundsatz oder Völkergewohnheitsrecht aber an285 Fallbesprechung bei Falke, ZEuS 2000, S. 307 (329 ff.); Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 356. 286 Indonesia – Automobiles, Panel Report, para. 14.28 (Hervorhebungen durch den Verfasser) mit ausführlichen Verweisen auf die Völkerrechtslehre in Fn. 649; siehe auch WTO, Analytical Index, Vol 2, S. 1284 f. 287 India – Quantitative Restrictions, Panel Report, para. 420: „In any event, the principle of lex specialis is only subsidiary.“; vgl. auch Guatemala – Cement (I), AB, para. 65; Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 327 ff. und 355 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, S. 696 ff.; Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 224.

C. Die Auslegung des WTO-Rechts

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erkannt ist288, die speziellere Regelung gehe der allgemeineren vor. Im Rahmen des WTO-Rechts können diese allgemeinen Kollisionsregeln vor allem auf zweierlei Weise relevant werden, nämlich zum einem im Verhältnis der einzelnen WTO-Übereinkommen untereinander, zum anderen im Verhältnis WTO-Recht gegenüber sonstigem Völkervertragsrecht. (1) Kollisionsfälle innerhalb des WTO-Rechts Gerade im Hinblick auf potentielle Konfliktfälle innerhalb des WTORechts stellen die verschiedenen WTO-Übereinkommen eine Reihe spezieller Kollisionsregeln bereit. So bestimmt etwa Art. XVI Abs. 3 WTO-Übereinkommen, daß im Falle einer Normenkollision die Bestimmungen des WTO-Übereinkommens Vorrang genießen gegenüber den übrigen, in Anhang 1 bis 3 aufgeführten multilateralen Handelsübereinkommen. Dem WTO-Übereinkommen kommt im WTO-Recht mithin Verfassungsqualität zu (lex superior derogat legi inferiori)289. Auch für den Bereich des Warenhandels existiert eine klare Konfliktregel. Gemäß der Allgemeinen Auslegungsregel zu Anhang 1 A des WTOÜbereinkommens sind im Falle eines Widerspruchs zwischen den Bestimmungen des GATT 1994 und den Bestimmungen eines anderen multilateralen Übereinkommens zum Warenhandel die Bestimmungen dieses anderen Übereinkommens anzuwenden290. Letztere gelten mithin als leges speciales. Darüber hinaus finden sich auch in den einzelnen Übereinkommen zum Warenhandel mitunter spezielle Vorrangklauseln. So bestimmt Art. 21 Abs. 1 AoA, daß das Landwirtschaftsübereinkommen im Konfliktfall Vorrang hat vor dem GATT und den sonstigen Übereinkommen zum Warenhandel. Auch findet das TBT-Übereinkommen beispielweise keine Anwendung im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens (Art. 1 Abs. 4 TBT) bzw. soweit das SPS-Übereinkommen sachlich einschlägig ist (Art. 1 Abs. 5 TBT). Daß das SPS-Übereinkommen in seinem Anwendungsbereich gegenüber dem TBT-Übereinkommen lex specialis ist, ergibt sich zudem aus 288 Im Sinne einer völkergewohnheitsrechtlichen Geltung etwa Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 246 (257); Stökl, Aussenwirtschaft 2001, S. 327 (336); Hohmann, RIW 2000, S. 88 (89); Marceau/Trachtman, JWT 36 (2002) Nr. 5, S. 811 (869); mit umfangreichen Nachweisen auf die IGH-Rechtsprechung Marceau, JWT 35 (2001) Nr. 6, S. 1081 (1092); für die Anerkennung als allgemeiner Rechtsgrundsatz Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, S. 86; wohl auch Lennard, JIEL 2002, S. 17 (70). 289 Oppermann, RIW 1995, S. 919 (925); Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (389 ff.). 290 General Interpretative Note to Annex 1 A, abgedruckt in Originalfassung sowie in deutscher Übersetzung bei Hilf/Schorkopf, WTO-Recht, Textsammlung, S. 32.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

Art. 1 Abs. 4 SPS. Schließlich gehen gem. Art. 1 Abs. 2 DSU die in Anhang 2 zum DSU gesondert aufgeführten Regeln und Verfahren den allgemeinen Streitbeilegungsregeln vor291. Gerade für den Bereich des Warenhandels hat die bisherige WTO-Spruchpraxis gewissermaßen als allgemeine Leitlinie vorgegeben, daß die einzelnen Übereinkommen grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander stehen, sich in ihren Verpflichtungen gegenseitig ergänzen und daher – soweit ein konkreter Normenkonflikt nicht besteht – grundsätzlich parallel anzuwenden sind und zwar im Lichte größtmöglicher Handelsfreiheit. So hat der Appellate Body etwa im Fall Korea – Dairy Safeguards nachdrücklich betont: „It is now well established that the WTO Agreement is a ‚Single Undertaking‘ and therefore all WTO obligations are generally cumulative and Members must comply with all of them simultaneously“.292

Letzteres gilt insbesondere für das Verhältnis zwischen dem GATT 1994 und den seine Anwendung operationalisierenden Übereinkommen, wie etwa dem Übereinkommen über Schutzmaßnahmen (Art. XIX GATT) oder dem Antidumpingübereinkommen (Art. VI GATT). Die von den Streitbeilegungsorganen im Einzelfall vorgenommene Prüfung einer möglichen WTORechtsverletzung beginnt dabei in der Regel mit dem detaillierteren Übereinkommen293, wobei die Frage, welches Übereinkommen die detaillierteren Vorgaben aufweist, vom konkreten Sachverhalt abhängen kann294. Keine ausdrücklichen vertraglichen Vorgaben bestehen hingegen für das Verhältnis der „drei Säulen“ untereinander. Es verwundert daher nicht, daß die Klärung dieser Frage in der Vergangenheit bereits häufig Gegenstand von WTO-Streitbeilegungsverfahren gewesen ist. So sind sowohl Panel als auch Appellate Body im Fall Canada – Periodicals zu dem Ergebnis gelangt, das GATS könne die Pflichten aus dem GATT nicht verdrängen, sondern die Übereinkommen seien parallel anzuwenden: The ordinary meaning of the texts of GATT 1994 and GATS as well as Article II:2 of the WTO Agreement, taken together, indicates that obligations under GATT 1994 and GATS can co-exist and that one does not override the other.295 291 Den Fall, daß mehrere zur Anwendung kommende, spezielle Streitbeilegungsvorschriften kollidieren, regelt Art. 1 Abs. 2 Satz 3 bzw. 4 DSU, wonach der DSBVorsitzende in einem solchen Fall nach Rücksprache mit den Streitparteien die anzuwendenden Regeln festlegen kann, wenn zuvor keine Einigung zwischen den Parteien herbeigeführt werden konnte. 292 Korea – Dairy Safeguards, AB, para. 74; ähnliche Ausführungen lassen sich finden in Turkey – Textiles, Panel Report, paras. 9.92 ff. 293 Vgl. etwa EC – Bananas, AB, para. 204; bezugnehmend hierauf US – FSCs, Panel Report, paras. 4.466 ff.; ausführlich Marceau/Trachtman, JWT 36 (2002) Nr. 5, S. 811 (870, 872 und 875). 294 Zum Ganzen Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, S. 81 f.; Falke, ZEuS 2000, S. 307 (321 ff.).

C. Die Auslegung des WTO-Rechts

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Auch im Fall EC – Bananas wurde festgestellt, eine ausschließliche Anwendbarkeit von GATT oder GATS je nach Regelungsziel der Maßnahme oder Schwerpunkt der Auswirkungen komme nicht in Betracht. Vielmehr seien die sowohl den Güter- als auch den Dienstleistungshandel beeinträchtigenden Maßnahmen gleichermaßen zu messen an GATT und GATS296. Gleiches gilt dem Grundsatz nach auch für das Verhältnis zwischen TRIPS und GATT bzw. TRIPS und GATS, auch wenn hier im einzelnen noch vieles ungeklärt ist297. Zwar handelt es sich beim Schutz des geistigen Eigentums um eine Materie der Welthandelsordnung, welche zu den vorhandenen, am Ziel der fortschreitenden Handelsliberalisierung orientierten Grundsätzen gerade wegen der Gewährung ausschließlicher Rechte in einem Spannungsverhältnis stehen kann. Jedoch ist auch das TRIPS integraler Bestandteil des WTO-Systems und folglich finden hier ebenfalls die anderen multilateralen Übereinkommen konkurrierende Anwendung298. Wie die bisherige Spruchpraxis deutlich zeigt, sind sowohl Panels als auch der Appellate Body um eine harmonische Auslegung und Anwendung der verschiedenen welthandelsrechtlichen Übereinkommen bemüht und greifen zur Konfliktlösung nicht leichtfertig auf etwa die lex specialis-Regel zurück299. (2) Konfliktfälle zwischen WTO-Recht und sonstigem Völkervertragsrecht Eine eigene intertemporale Kollisionsregel enthielt der Vorentwurf zum GATT 1947, wonach das GATT im Konfliktfall allen früheren internationalen Verpflichtungen der Vertragsparteien vorgehen sollte. Diese Bestim295 Canada – Periodicals, AB, S. 19 mit Bezugnahme auf Canada – Periodicals, Panel Report, para. 5.17; Fallbesprechung bei Carmody, Law and Policy in International Business 1998, S. 231 ff.; Makki/Morrison, Canada – Certain Measures Concerning Periodicals, in: Cameron/Campbell (Hrsg.), Dispute Resolution in the World Trade Organization, S. 408 ff. 296 EC – Bananas (US), Panel Report, paras. 7.277 ff.; EC – Bananas, AB, paras. 217 ff. 297 Im Schrifttum wird bisweilen sogar von einer Spezialität des TRIPS ausgegangen; vgl. Bronckers, JWT 32 (1998) Nr. 5, S. 137 (143 ff.). 298 India – Patents (US), Panel Report, para. 7.19 („the TRIPS Agreement, which (. . .) occupies a relatively self-contained, sui generis status in the WTO Agreement, nevertheless is an integral part of the WTO system“); ausführlich hierzu Falke, ZEuS 2000, S. 307 (317 ff.). 299 So Falke, ZEuS 2000, S. 307 (334); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, S. 704; von einer „weiten Berücksichtigung“ der lex specialis-Regel geht hingegen Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 130 ff. aus; weitere Beispiele für die Anwendung der lex specialis-Regel in der WTO-rechtlichen Spruchpraxis bei Bartels, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 499 (514, Fn. 63) sowie Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen, S. 354 f.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

mung wurde später jedoch nicht in das GATT 1947 aufgenommen300. Und auch im WTO-Recht lassen sich etwa in Art. XXI lit. c GATT im Hinblick auf die UN-Charta sowie in Art. 2 Abs. 2 TRIPS in Bezug auf bestimmte Konventionen zum geistigen Eigentumsschutz zwar einige wenige Kollisionsregeln finden, im übrigen jedoch ist fraglich, inwieweit im Falle des Konfliktes mit anderen völkerrechtlichen Übereinkommen auf allgemeine Kollisionsregeln zurückgegriffen werden kann301. Ohne die Frage nach dem grundsätzlichen Gebrauchswert formallogischer Kollisionsregeln bei multilateralen Vertragswerken wie dem WTOÜbereinkommen an dieser Stelle beantworten zu können, läßt sich die Beliebigkeit der möglichen Ergebnisse anhand der Kollision handels- und umweltrechtlicher Normen plastisch darstellen. Denn hier wird unter Rückgriff auf die formallogischen Kollisionsregeln sowohl der grundsätzliche Vorrang multilateraler Umweltschutzübereinkommen vor dem GATT vertreten302, als auch der grundsätzliche Vorrang des GATT 1994 vor den multilateralen Umweltschutzübereinkommen postuliert303. Wie wenig letztlich beide Konzepte zur Lösung von Normkonflikten geeignet sind, läßt sich an einer ganzen Reihe von Faktoren festmachen: so enthält etwa lex specialis-Regel keine Anleitung, auf welche Weise die Spezialität oder aber Generalität einer Regelung oder eines ganzen Normkomplexes zu beurteilen ist304. Häufig wird etwa den WTO-Übereinkommen attestiert, sie enthielten die „allgemeinen“ Handelsregeln, während die handelsrelevanten Vorschriften eines multilateralen Umweltübereinkommens gerade im Hinblick auf die zum Zwecke des Umweltschutzes ergriffenen Handelsmaßnahmen spezieller seien. Genau entgegengesetzt könnte aber auch argumentiert werden, daß bei handelsbezogenen Sachverhalten naturgemäß das Welthandelsrecht die spezielleren Vorschriften aufweise. Letztendlich hinge die Klassifizierung der „Spezialität“ eines Sachgebietes dann wohl am ehesten davon ab, ob sich eine Welthandelsrechtlerin oder ein Umweltvölker300

Zu den Gründen Jackson, World Trade and The Law of GATT, S. 83 f. Zu einer solchen Handhabung siehe etwa Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rn. 646 ff.; Haltern, ZVglRWiss 1992, S. 1 (28, Fn. 156); skeptisch Stoll, ZaöRV 2003, S. 439 (446). 302 Schoenbaum, AJIL 1992, S. 700 (716); Palmeter, JWT 27 (1993) Nr. 3, S. 55 (60) – beide qua Posteriorität; Hudec, GATT Legal Restraints on the Use of Trade Measures against Foreign Environmental Practices, in: Bhagwati/Hudec (Hrsg.), Fair Trade and Harmonization, Bd. I, S. 95 (121) – qua Spezialität. 303 Schoenbaum, AJIL 1997, S. 268 (282 f.); Diem, Freihandel und Umweltschutz, S. 62; außerdem Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 379 ff., der aufgrund der lex specialis-Regel insgesamt zu einer Vorrangwirkung des WTO-Rechts gelangt. 304 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, S. 695; Stoll, ZaöRV 2003, S. 439 (446). 301

C. Die Auslegung des WTO-Rechts

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rechtler hierzu äußert und dabei „den im eigenen Garten kultivierten Theorien den Vorrang“ sichert305. Doch auch die lex posterior-Regel begegnet grundlegenden Bedenken. Denn auf den ersten Blick scheint diese Regel, dem WTO-Recht als vergleichsweise „jungem“ Recht noch den Vorrang gegenüber den meisten, zuvor in Kraft getretenen Vertragswerken einzuräumen. Konnten mithin noch unter dem GATT 1947 mit dem Hinweis auf die lex posterior-Regel alle späteren Umweltschutzübereinkommen als dem GATT im Konfliktfall vorrangig eingestuft werden, hätte sich dies spätestens mit dem Inkrafttreten der WTO-Übereinkommen im Jahre 1995 schlagartig geändert306. Gerade derartige „historische Zufälle“ bei der Charakterisierung des „späteren“ oder aber „früheren“ Rechts, zu denen auch die oftmals langen Verhandlungszeiträume bzw. Ratifikationsprozesse noch ihren Teil beitragen, lassen an der Geeignetheit der lex posterior-Regel im internationalen Kontext Zweifel aufkommen307. Zudem kann die lex posterior-Regel gem. Art. 30 Abs. 3 WVK überhaupt nur dann zur Anwendung gelangen, wenn es sich um identische Vertragsparteien (vgl. auch Art. 30 Abs. 4 WVK) sowie denselben Regelungsgegenstand handelt (Art. 30 Abs. 1 WVK). Abgesehen davon, daß es von vornherein schwierig sein dürfte, Konstellationen zu finden, in denen alle WTO-Mitglieder zugleich an ein Umweltschutzübereinkommen gebunden sind308, ist auch weitgehend unklar, wann und unter welchen Bedingungen bereits von einem identischen Regelungsgegenstand gesprochen werden kann309. Wohl auch aus diesen Gründen lassen die Streitbeilegungsorgane bei der Anwendung allgemeiner Kollisionsregeln zur Lösung von Konflikten zwi305 So ausdrücklich Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 223; ähnlich bereits Hilf/Goettsche, The Relation of Economic and Non-Economic Principles in International Law, in: Griller (Hrsg.), International Economic Governance and Non-Economic Concerns, S. 5 (34); zum Ganzen auch Puth, WTO und Umwelt: die ProduktProzess-Doktrin, S. 165 ff. 306 Ob bei Art. 30 Abs. 3 WVK auf den Zeitpunkt der Annahme des Vertragstextes oder aber das Inkrafttreten als relevanten Zeitpunkt abzustellen ist, wird unterschiedlich beurteilt; vgl. hierzu Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, S. 693 mit weiteren Nachweisen in Fn. 98. 307 Hilf, NVwZ 2000, S. 481 spricht in diesem Zusammenhang von der „hausbackenen“ lex posterior-Regel; siehe auch Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 (546); Ruffert, AVR 2000, S. 129 (150); Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 162 f. 308 Hilf, NVwZ 2000, S. 481 (483 f.); Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 134. 309 Näher hierzu Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 787 ff.; Sinclair, The Vienna Convention on the Law of the Treaties, S. 96 ff.; Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 364 ff.

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3. Teil: Das WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body

schen WTO-Recht und sonstigem Völkerrecht Vorsicht walten310. Zwar wurde in mehreren Berichten Art. 30 Abs. 3 WVK und die hierin kodifizierte lex posterior-Regel ausdrücklich erwähnt, die Relevanz für das jeweilige Streitverfahren dann allerdings abgelehnt. Beispielhaft sind insofern die zurückhaltenden Ausführungen im Panelbericht EC – Poultry, in dem das Panel darüber zu entscheiden hatte, ob die einmal in den Listen der Zugeständnisse gewährten, tariflichen Vorteile durch spätere Neuverhandlungen aufgehoben und ersetzt worden sind. Although we note that these provisions of the Vienna Convention (which generally pertain to the legal maxim lex posterior derogat prior) are codification of the customary rules of interpretation of public international law within the meaning of Article 3.2 of the DSU, we also note that past panels have been careful about the application of the lex posterior rule on tariff schedules.311

Anschließend gelangte das Panel zu dem Ergebnis, daß die lex posteriorRegel nicht ohne weiteres angewandt werden dürfe, sondern anhand weiterer Umstände deutlich werden müsse, ob das spätere tarifliche Zugeständnis tatsächlich das vorhergehende in seiner Gesamtheit habe ersetzen sollen312.

II. Zwischenergebnis In der bisherigen Streitbeilegungspraxis haben die Mitglieder der Rechtsmittelinstanz (Appellate Body Members) ein „richterliches Selbstverständnis“313 an den Tag gelegt, welches sich zum Teil erheblich von dem ihrer Vorgänger in den Streitbeilegungsausschüssen des GATT 1947 (Panels) unterscheidet. Während früher das Bemühen um Erzielung eines diplomatischen Ausgleichs im Vordergrund stand, sind heute Distanz, Neutralität und judiziell-argumentative Rationalität prägend für die Spruchpraxis. Daß die ehemalige, vor allem auch an Machtinteressen orientierte Verhandlungsdiplomatie hierbei inzwischen einen wesentlichen „Juridifizierungsschub“ erlebt hat und heute weitgehend von einer am Maßstab der Rechtssicherheit orientierten Spruchpraxis überlagert wird, zeigt sich nirgendwo so deutlich wie beim WTO-Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body.

310

Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 133; Hohmann, RIW 2000, S. 88

(96). 311

EC – Poultry, Panel Report, para. 206; siehe auch EC – Poultry, AB, para. 79. EC – Poultry, Panel Report, para. 206; vgl. außerdem Japan – Film, Panel Report, para. 10.65; US – Copyright Act, Panel Report, para. 6.41. 313 Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (396). 312

4. Teil

In der Spruchpraxis des Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien Bereits oben hat ein näherer Blick auf das welthandelsrechtliche Schrifttum eine Fülle von Prinzipien offenbart, die inzwischen mit dem WTORecht in Verbindung gebracht werden1. Eine nicht-systematische, sich zum Teil inhaltlich überschneidende und keineswegs vollständige Zusammenstellung dieser WTO-rechtlichen Prinzipien könnte dann unter anderem die folgenden beinhalten: das Prinzip der fortlaufenden Handelsliberalisierung (progressive trade liberalization)2, das Prinzip der Nichtdiskriminierung (non-discrimination)3, das Prinzip der Meistbegünstigung (most-favourednation treatment)4, das Prinzip der Inländer(gleich)behandlung (national treatment)5, das Prinzip der Gegenseitigkeit (reciprocity)6, das Prinzip der geringsten Verzerrung (least distortion)7, das Prinzip der Offenheit der 1 Vgl. dazu bereits die oben unter 2. Teil C. II. angesprochenen Systematisierungsansätze im GATT bzw. WTO-Schrifttum. 2 Oppermann, On the Present International Economic Order, Basic Values and Shortcomings, in: Oppermann/Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order, S. 187 (198); Hailbronner/Bierwagen, JA 1988, S. 318 (321); Hilf, JIEL 2001, S. 111 (117). 3 Matsushita/Schoenbaum/Mavroidis, The World Trade Organization, S. 169 ff.; Ipsen/Haltern, Reform des Welthandelssystems? Perspektiven zum GATT und zur Uruguay Runde, S. 21; Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 112 ff.; Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 14. 4 Senti, WTO, Rn. 373 ff.; Mestmäcker, RabelsZ 1990, S. 409 (425); Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 378 ff.; Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, GATT-WTO-GATS, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 47 (97 ff.); Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung, S. 107 ff. 5 Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 45, Rn. 1 ff.; Kimminich/Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 326; Senti, WTO, Rn. 422 ff. („Inländerprinzip“); Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, GATT-WTO-GATS, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 47 (99 f.). 6 Dolzer, Wirtschaft and Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (504); Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 97 ff. 7 Ipsen/Haltern, Reform des Welthandelssystems? Perspektiven zum GATT und zur Uruguay Runde, S. 24; Petersmann, International Trade Order and International

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Märkte8, das Prinzip einer Minimierung von Handelseingriffen9, das Prinzip unverfälschten Wettbewerbs (undistorted competition)10, das Prinzip fairen Handels (fair trade)11, das Kooperationsprinzip12, das Prinzip des Multilateralismus13, das Prinzip wirtschaftlicher Souveränität14, das Subsidiaritätsprinzip15, das Prinzip der staatlichen Verantwortlichkeit (state responsibility)16, das Prinzip nachhaltiger Entwicklung (sustainable development)17, das Prinzip eines gemeinsamen Erbes der Menschheit (common heritage of mankind)18, das Vorsorgeprinzip (precaution)19, das Prinzip des Umweltschutzes20, das Transparenzprinzip21, das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit Trade Law, in: Oppermann/Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order, S. 201 (212). 8 Roessler, The World Economy 8 (1985), S. 287 ff.; Petersmann, EJIL 1995, S. 161 (181); McGovern, International Trade Regulation, S. 13; Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTOHandbuch, B.I.1., Rn. 15; Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 185 und 188; von Bogdandy, RIW 1991, S. 55 (56); Bast/Schmidt, RIW 1991, S. 929 (931). 9 Beise, WTO, S. 48 und 99. 10 Oppermann, On the Present International Economic Order, Basic Values and Shortcomings, in: Oppermann/Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order, S. 187 (198); Petersmann, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, S. 232 f. 11 Roessler, The World Economy 8 (1985), S. 287 ff.; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 56 f.; Schoch, Unbestimmte Rechtsbegriffe im Rahmen des GATT, S. 103 ff. 12 Oppermann/Conlan, „Principles“ – Legal Basis of Today’s International Economic Order?, ORDO 41 (1990), S. 75 (83); Hilf, EuR 2002, Beiheft 1, S. 173 (185). 13 Hilf, JIEL 2001, S. 111 (119); Mestmäcker, RabelsZ 1990, S. 409 (425); Gabler, Das Streitbeilegungssystem der WTO und seine Auswirkungen auf das Antidumping-Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 38. 14 Petersmann, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, S. 236 f.; Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 17. 15 Bourgeois, „Subsidiarity“ in the WTO Context from a Legal Perspective, in: Bronckers/Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, S. 35 ff. 16 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 55 f.; Dolzer, Wirtschaft and Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (504); Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (292 f.). 17 Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 122 ff.; Hilf, NVwZ 2000, S. 481 (485). 18 Oppermann, On the Present International Economic Order, Basic Values and Shortcomings, in: Oppermann/Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order, S. 187 (198). 19 Schröter, Lebensmittelrechtliche Vorsorge als Rechtsprinzip – nationale, europäische und welthandelsrechtliche Aspekte, ZERP-Diskussionspapier 4/2002, S. 30 ff. 20 Senti, WTO, Rn. 365; Mengozzi, The World Trade Organization Law: An Analysis of its First Practice, in: Mengozzi (Hrsg.), International Trade Law on the 50th

4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

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(rule of law)22, das Prinzip der Gewaltenteilung (separation of powers)23, das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts (institutional balance)24, das Prinzip friedlicher Streitbeilegung25, das Prinzip der Rechtssicherheit bzw. Vorhersehbarkeit (security and predictability)26, das Verhältnismäßigkeitsprinzip (proportionality)27, das Prinzip der Solidarität28, das Prinzip globaler Gerechtigkeit29, das Prinzip von Treu und Glauben (good faith)30, das Prinzip der Fairneß31, das Prinzip der Verwirkung (estoppel)32, das Prinzip ordnungsgemäßen Verfahrens (due process of law)33, das Prinzip des SchutAnniversary of the Multilateral Trade System, S. 3 (21); Stober, UN und WTO als Motoren globaler Wirtschaftsprinzipien, in: Kluth/Müller (Hrsg.), Ordnungsrahmen und Akteure einer sozialen und ökologischen Markt- und Weltwirtschaft, S. 143 (163 f.). 21 Ipsen/Haltern, Reform des Welthandelssystems? Perspektiven zum GATT und zur Uruguay Runde, S. 26; ausführlich Waincymer, Melbourne University Law Review 2000, S. 797 ff.; Hilpold, EuR 1999, S. 597 (598 ff.). 22 Stoll, ZaöRV 1997, S. 83 (118); Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 1184 ff. 23 von Bogdandy, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 609 (614 ff.); Petersmann, The GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 32 f. 24 Von Bogdandy/Makatsch, EuZW 2000, S. 261 (262). 25 Beise, WTO, S. 49; Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 19; Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 58; Stober, UN und WTO als Motoren globaler Wirtschaftsprinzipien, in: Kluth/Müller (Hrsg.), Ordnungsrahmen und Akteure einer sozialen und ökologischen Markt- und Weltwirtschaft, S. 143 (168 f.). 26 Seiffert, Zum Problem des Internationalen Wirtschaftsrechts, in: Girardot u. a. (Hrsg.), New Directions in International Law, Festschrift für Wolfgang Abendroth, S. 159 (174); von Bogdandy, RIW 1991, S. 55 (58); Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 147 ff. 27 Petersmann, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, S. 230 ff.; Hilf/Puth, The Principle of Proportionality on its Way into WTO/GATT Law, in: von Bogdandy/Mavroidis/Mény (Hrsg.), European Integration and International Co-Ordination, Studies in Transnational Economic Law in Honour of Claus-Dieter Ehlermann, S. 199 ff. 28 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 54; Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 18. 29 Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 188 und 326 ff. 30 Cottier/Schefer, Good Faith and the Protection of Legitimate Expectations in the WTO, in: Bronckers/Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, S. 47 ff. 31 Dolzer, Wirtschaft and Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (486); Suranovic, The World Economy 23 (2000), S. 283 ff. 32 Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (293 f.). 33 Petersmann, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, S. 234 f.; Rubenstein/Schultz, Saint John’s Journal of Legal Commentary 1996, S. 271 (285 ff.).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

zes legitimer Erwartungen34, das Effektivitätsprinzip (effet utile)35 sowie das Prinzip der Verfahrensökonomie (judicial economy)36. Aus diesem Katalog von fast vierzig für die WTO als relevant eingestuften und als „Prinzip“ bezeichneten Rechtsinstituten werden im folgenden lediglich diejenigen den Gegenstand einer genaueren Untersuchung bilden, welche der Appellate Body in seiner bisherigen Spruchpraxis tatsächlich als Prinzip (principle) benannt bzw. in seinen Erwägungen als solches angewandt hat. Angesichts der bereits oben angesprochenen (qualitativen) Unterscheidung zwischen rechtlich verbindlichen Prinzipien und den in erster Linie politisch-orientierten Zielsetzungen fallen damit letztere aus dem thematisch vorgegebenen Betrachtungswinkel dieser Untersuchung heraus. Solch übergeordnete, insbesondere in der Präambel zum WTO-Übereinkommen katalogartig aufgeführte und vom Appellate Body in seiner Spruchpraxis auch ausdrücklich anerkannte Zielsetzungen (objectives) sind die fortschreitende Liberalisierung des Handels (progressive trade liberalization)37, die friedliche Beilegung von Streitigkeiten (peaceful settlement of disputes)38, die nachhaltige Entwicklung (sustainable development)39 sowie der Schutz der Umwelt (environmental protection)40. Sie alle werden nachfolgend nicht im einzelnen thematisiert, sondern nur soweit sie in anderen Prinzipien Ausdruck gefunden haben.

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Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (260 ff.). Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (256 ff.); ausführlich Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 124 ff. 36 Waincymer, WTO Litigation, S. 367 ff.; Vermulst/Mavroidis/Waer, JWT 33 (1999) Nr. 2, S. 1 (12 f.); Witt, RIW 2000, S. 691 (699) – Grundsatz richterlicher Effizienz; Weiss, Das Streitschlichtungsverfahren der Welthandelsorganisation: Wesenszüge, Wirkungen für die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten, Reformvorschläge, in: Müller-Graff (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation, S. 189 (197) – Wirtschaftlichkeit des Verfahrens. 37 Brazil – Desiccated Coconut, AB, S. 18; explizit Turkey – Textiles, Panel Report, para. 2.2 (objective); zu dieser welthandelsrechtlichen Zielsetzung ausführlich Vollmöller, Die Globalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts, S. 141 ff. 38 US – Offset Act (Byrd Amendment), AB, para. 311; EC – Bed Linen (21.5), AB, para. 98. 39 US – Shrimp, AB, paras. 129 ff. und 152 f.; US – Shrimp, Panel Report, paras. 7.42 und 9.1; außerdem WTO, Doha Ministerial Declaration, WT/MIN(01)/DEC/ W/1, vom 14.11.2001, paras. 6 und 51; allgemein zu dieser politischen Zielsetzung Lang, Bedeutung des Konzepts der Nachhaltigen Entwicklung für die Entwicklung des Umweltvölkerrechts, in: Lang/Hohmann/Epiney, Das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung, S. 9 ff.; Theobald, ZRP 1997, S. 439 ff.; Menzel, ZRP 2001, S. 221 ff. 40 US- Shrimp, AB, para. 129. 35

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts In den Berichten des Appellate Body finden sich regelmäßige Bezugnahmen auf die klassischen – gegenüber der Rechtsordnung des GATT 1947 unveränderten – Prinzipien des Welthandelsrechts. Zu diesen oft in den einleitenden bzw. grundlegenden Bestimmungen der einzelnen WTO-Übereinkommen angeführten Prinzipien zählen etwa das Prinzip der Nichtdiskriminierung (principle of non-discrimination), das Prinzip der Gegenseitigkeit (principle of reciprocity), das Prinzip der Souveränität (principle of sovereignty) oder aber das Prinzip der Transparenz (principle of transparency).

I. Prinzip der Nichtdiskriminierung Tragender Pfeiler des Welthandelsrechts und „axiomatisches Prinzip schlechthin“ ist das Prinzip der Nichtdiskriminierung (principle of non-discrimination)41. 1. Begriffsbestimmung und völkerrechtliche Grundlagen Ließe sich Diskriminierung beschreiben als eine sachlich nicht gerechtfertigte, ungleiche Behandlung vergleichbarer Objekte oder Sachverhalte, so wäre umgekehrt Nichtdiskriminierung diejenige Behandlung, die bei vergleichbaren Objekten oder Sachverhalten eine solche Unterscheidung gerade nicht vornimmt42. Zwar kennt das Völkerrecht kein allgemeines Gebot, demzufolge Staaten einander nicht diskriminieren sollen43. Rein empirisch ist jedoch auffällig, daß das Diskriminierungsverbot in zahlreichen Rechtsgebieten des Völkerrechts sowie des supranationalen EG-Rechts an hervorgehobener Stelle steht und auch speziell im Bereich des Internationalen Wirtschaftsrechts ein wesentliches Element multilateraler und bilateraler Verträge darstellt. Aus völkerrechtlicher Sicht lassen sich dabei zwei Ebenen ausmachen, auf denen das Diskriminierungsverbot Wirkung zeigt. Nämlich zunächst eine zwischenstaatliche Ebene, welche die Beziehungen der Staaten untereinander erfaßt und letztlich Ausdruck der souveränen 41 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 51; Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 14. 42 Ausführlich Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Band 1, Der Begriff der Diskriminierung, S. 24 ff. 43 Kramer, RIW 1989, S. 473; Dolzer, Wirtschaft and Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (483); Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 43, Rn. 6.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Gleichheit der Staaten ist. Hier verlangt das Diskriminierungsverbot die Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte in den zwischenstaatlichen Beziehungen, so daß insofern von einem „nach außen“ gerichteten Verbot der Diskriminierung gesprochen werden kann. Davon zu unterscheiden ist eine innerstaatliche Ebene, welche das Individuum als relevantes Handlungssubjekt in den Genuß der Nichtdiskriminierung kommen läßt. Klassisches Beispiel für diese „nach innen“ gerichtete Komponente der Nichtdiskriminierung wäre etwa das völkerrechtliche Verbot der Rassendiskriminierung44. 2. WTO-rechtliche Ausgestaltung Im Bereich des WTO-Rechts verpflichtet der Grundsatz der Nichtdiskriminierung als zentrales welthandelsrechtliches Strukturprinzip die jeweiligen WTO-Mitglieder, hinsichtlich der Modalitäten des Handelsverkehrs nicht zwischen einzelnen anderen WTO-Mitgliedern zu differenzieren45. Bereits in der Präambel des WTO-Übereinkommens findet die „Beseitigung der Diskriminierung in den internationalen Handelsbeziehungen“ als ein instrumentales, im Dienste der fortschreitenden Handelsliberalisierung stehendes Ziel Erwähnung46. Seine wesentliche Funktionalisierung erfährt das Prinzip der Nichtdiskriminierung durch die nach außen wirkende Pflicht zur unbedingten Meistbegünstigung (most-favoured-nation treatment) sowie durch das nach innen gerichtete Gebot der Inländer(gleich)behandlung (national treatment). Abgesehen von diesen beiden komplementären Teilbereichen des selben Prinzips, die nachfolgend noch gesondert behandelt werden, lassen sich eine ganze Reihe weiterer Regelungen finden, in welchen dieses zentrale WTO-Prinzip ebenfalls materialisiert ist47. So legt beispielsweise die allgemeine Ausnahmevorschrift des Art. XX GATT in ihrem chapeau ausdrücklich fest, daß Maßnahmen, die von allgemeinen GATTPflichten abweichen, nur dann zulässig sind, wenn sie nicht zu einer will44

Vgl. zum Ganzen mit weiteren Nachweisen nur Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 189 ff. 45 EC – Bananas, AB, paras. 160 f.; Canada – Automotive Industry, AB, para. 82. 46 Dritter Erwägungsgrund der Präambel des WTO-Übereinkommens; vgl. ähnlich auch den dritten Erwägungsgrund der Präambel des GATT 1947. 47 Vgl. etwa Art. I, III, XIII (Non-Discriminatory Administration of Quantitative Restrictions), XIV (Exceptions to the Rule of Non-Discrimination) und XVII Abs. 1 a (the general principles of non-discriminatory treatment) GATT; Art. X Abs. 1 GATS (principle of non-discrimination); Art. III GPA (Non-Discrimination); außerdem WTO, Doha Ministerial Declaration, WT/MIN(01)/DEC/W/1, vom 14.11.2001, para. 25 (core principles, including . . . non-discrimination . . .); vgl. auch von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 425 (432 f.) mit Verweis auf die zugleich politische Funktion dieses Prinzips.

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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kürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern führen, in denen gleiche Verhältnisse bestehen. Dies gilt auch im Bereich der speziellen Ausnahmevorschriften des GATT. Während Art. XI Abs. 1 GATT ein grundsätzliches Verbot mengenmäßiger Beschränkungen enthält, erlauben Art. XI Abs. 2, Art. XII GATT und spezielle weitere Ausnahmebestimmungen in bestimmten Fällen die Anwendung mengenmäßiger Beschränkungen. Wird hiervon Gebrauch gemacht, ist allerdings die Vorschrift des Art. XIII Abs. 1 GATT zu beachten, derzufolge mengenmäßige Beschränkungen dann auf sämtliche gleichartige Waren und zwar ungeachtet ihrer Herkunft, also in nichtdiskriminierender Weise anzuwenden sind. Hiermit wird deutlich, daß das Prinzip der Nichtdiskriminierung auch im Bereich der Ausnahmen keineswegs einfach suspendiert werden kann48. 3. Spruchpraxis des Appellate Body In der Spruchpraxis des Appellate Body wurde das principle of non-discrimination bisher ausdrücklich im Fall EC – Bananas erwähnt49. In diesem äußerst komplexen Verfahren zur EG-Bananenmarktordnung ging es unter anderem um die Verletzung von Art. XIII GATT50. Das Panel hatte die Verfahrensweise der EG, lediglich ausgewählten Staaten Kontingentanteile zuzuteilen, auch wenn diese am Bananenexport gar nicht interessiert waren (z. B. Nicaragua, Venezuela sowie bestimmte AKP-Staaten), andere Staaten wie etwa Guatemala hingegen von der Zuteilung auszunehmen, als einen Verstoß gegen das Gebot der nichtdiskriminierenden Anwendung mengenmäßiger Beschränkungen (Art. XIII GATT) gewertet. Diese Einschätzung wurde vom Appellate Body geteilt51. Im Rahmen seiner Ausführungen zu Art. XIII GATT nimmt er dabei ausdrücklich und zwar mit folgenden Worten Bezug auf das in Abs. 1 verankerte Prinzip der Nichtdiskriminierung, welches nicht nur Anwendung auf mengenmäßige Beschränkungen, sondern auch auf Zollkontingente gem. Art. XIII Abs. 5 GATT finde: Article XIII of the GATT 1994 requires the non-discriminatory administration of quantitative restrictions. As provided in paragraph 5, Article XIII also applies to tariff quotas. Article XIII:1 sets out a basic principle of non-discrimination in the administration of both quantitative restrictions and tariff quotas.52 48

Geisel, Das TRIPS-Übereinkommen in der WTO-Rechtsordnung, S. 143 f. EC – Bananas, AB, paras. 160 f.; vgl. mit Bezug auf Art. XIII GATT auch EC – Poultry, AB, para. 100. 50 Ausführliche Fallbesprechung bei Meier, EuZW 1997, S. 566 ff. (zum Panelbericht) sowie Meier, EuZW 1997, S. 719 ff. (zum Appellate Body-Bericht). 51 EC – Bananas, AB, para. 191. 52 EC – Bananas, AB, para. 160 (Hervorhebung durch den Verfasser). 49

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Und bevor der Appellate Body zu dem Schluß kommt, daß die von der EG vorgenommene Zuteilung zollbegünstigter Einfuhrkontingente nicht mit Art. XIII Abs. 1 GATT zu vereinbaren sei53, heißt es weiter: Nevertheless, allocation to Members not having a substantial interest must be subject to the basic principle of non-discrimination. When this principle of non-discrimination is applied to the allocation of tariff quota shares to Members not having a substantial interest, it is clear that a Member cannot, whether by agreement or by assignment, allocate tariff quota shares to some Members not having a substantial interest while not allocating shares to other Members who likewise do not have a substantial interest. To do so is clearly inconsistent with the requirement in Article XIII:1 that a Member cannot restrict the importation of any product from another Member unless the importation of the like product from all third countries is „similarly“ restricted.54

Nach Ansicht des Appellate Body kommt das Nichtdiskriminierungsprinzip also auch im Rahmen der Zuteilung und Verwaltung zollbegünstigter Einfuhrkontingente zum Zuge. Ein Mitglied darf demgemäß die Einfuhr gleichartiger Waren durch andere WTO-Mitglieder nicht mit unterschiedlichen Mitteln beschränken; vor allem aber kann eine solche Beschränkung nicht – wie von der EG im Bananenfall versucht – damit gerechtfertigt werden, daß es sich um zwei verschiedene Regime handele, welche jeweils für sich genommen am Maßstab des Art. XIII GATT zu messen seien55.

II. Prinzip der Meistbegünstigung Als erste wesentliche Ausprägung des Prinzips der Nichtdiskriminierung und demnach ebenfalls zentrales Strukturelement der Welthandelsordnung gilt das Gebot der Meistbegünstigung. 1. Begriffsbestimmung und völkerrechtliche Grundlagen Der völkerrechtliche Begriff der Meistbegünstigung besagt im Grundsatz, daß ein Staat in seinen Rechtssetzungs- oder Verwaltungsmaßnahmen einen anderen Staat genau so behandelt, wie es der günstigsten Behandlung entspricht, die er irgendeinem dritten Staat in gleicher Beziehung und unter gleichen Prämissen zukommen läßt (most-favoured-nation treatment)56. Die historischen Wurzeln des Rechtsinstituts der Meistbegünstigung reichen bis weit vor das GATT 1947 zurück57. Meistbegünstigungsklauseln sind ein 53

EC – Bananas, AB, para. 162. EC – Bananas, AB, para. 161 (Hervorhebung durch den Verfasser). 55 Vgl. zu dieser Argumentation EC – Bananas (Ecuador), Panel Report, paras. 7.78 ff.; näher zum Ganzen Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 146 und 487. 54

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altbewährtes Instrument, welches sich insbesondere in Handelsverträgen häufig wiederfindet58. Neben einer solch vertraglichen Gewährung kann die Meistbegünstigung aber auch einseitig durch Gesetz oder faktisch gewährt werden59. Auch wenn Meistbegünstigungsklauseln besonders häufig im Bereich des internationalen Wirtschaftsrechts relevant werden, finden sie auf anderen Gebieten gleichermaßen Anwendung, etwa im Diplomaten- und Konsular- oder Fremdenrecht60. Trotz ihrer tatsächlichen Bedeutung und universeller Kodifikationsanstrengungen etwa des Völkerbundes oder der International Law Commission der Vereinten Nationen kann die Meistbegünstigung allerdings nicht als Teil des Völkergewohnheitsrechts bezeichnet werden61. 2. WTO-rechtliche Ausgestaltung Im Bereich des WTO-Rechts ist die insoweit grundlegende und an prominenter Stelle verankerte Vorschrift der Art. I Abs. 1 GATT. Ihm zufolge werden „alle Vorteile, Vergünstigungen, Vorrechte oder Befreiungen, die eine Vertragspartei für eine Ware gewährt, welche aus einem anderen Land stammt oder für dieses bestimmt ist, unverzüglich und bedingungslos für alle gleichartigen Waren gewährt, die aus den Gebieten der anderen Vertragsparteien stammen oder für diese bestimmt sind.“. Beziehen müssen sich die Vorteile und Vergünstigungen auf „Zölle und Belastungen aller Art, die anläßlich oder im Zusammenhang mit der Einfuhr oder Ausfuhr (. . .) erhoben werden“62. Im Kern besteht damit eine Pflicht zur sofortigen und unbedingten Meistbegünstigung, die für eine Gleichbehandlung der auslän56 Ustor, Most-Favoured-Nation Clause, EPIL III (1985/1995), S. 486; ausführlich zum Begriff der Meistbegünstigung auch Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 194 f. 57 Zur historischen Entwicklung etwa Brößkamp, Meistbegünstigung und Gegenseitigkeit im GATT, S. 28 ff.; Kramer, RIW 1989, S. 473 (478 ff.); Ustor, MostFavoured-Nation Clause, EPIL III (1985/1995), S. 486 (469); Trebilcock/Howse, The Regulation of International Trade, S. 17 ff. 58 Jaenicke, Meistbegünstigungsklausel, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, S. 497 ff.; Erler, Grundprobleme des Internationalen Wirtschaftsrechts, S. 52 f.; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 84. 59 Zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Meistbegünstigung (bedingte, unbedingte; beschränkte, unbeschränkte; einseitige, gegenseitige Meistbegünstigung) vgl. ausführlich Kramer, RIW 1989, S. 473 (474); Brößkamp, Meistbegünstigung und Gegenseitigkeit im GATT, S. 26 f. 60 Jaenicke, Meistbegünstigungsklausel, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, S. 497 (500). 61 Matsushita/Schoenbaum/Mavroidis, The World Trade Organization, S. 146; Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 194; Brößkamp, Meistbegünstigung und Gegenseitigkeit im GATT, S. 23 f.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

dischen Waren untereinander sorgt63. Jedes WTO-Mitglied hat alle Vorteile, die es einem bestimmten Staat – und zwar unabhängig von dessen WTOMitgliedschaft – einräumt, auch allen anderen WTO-Mitgliedern für gleichartige Produkte (like products)64 einzuräumen und zwar unabhängig davon, ob diese eine adäquate bzw. überhaupt eine Gegenleistung erbracht haben („Favour one, favour all“)65. Verhindert werden soll dadurch, daß ein bereits liberalisierter Markt durch bilaterale Absprachen wieder partitioniert wird. Die Meistbegünstigungsverpflichtung findet nicht nur in zahlreichen weiteren Vorschriften des GATT und den damit verbundenen Übereinkommen Erwähnung66, sondern wurde mit Gründung der WTO auch in die neuen Teilordnungen für Dienstleistungen (Art. II Abs. 1 GATS67) und geistige Eigentumsrechte (Art. 4 TRIPS) mit nahezu identischen Formulierungen übernommen68. Sie ist demnach eines der zentralen Strukturelemente der Welthandelsordnung. Wird diese Ordnung in ihrer Gesamtheit betrachtet, so liegen die Funktionen der Meistbegünstigung auf der Hand69. Durch die Gleichbehandlung 62 Zum Anwendungsbereich näher Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 89 ff. 63 Die Bevorzugung inländischer Waren stellt folglich keinen Verstoß gegen Art. I Abs. 1 GATT dar; vgl. Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 385; Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 283 ff. 64 Der Begriff der Gleichartigkeit (likeness) ist von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang, da dieses Kriterium vertraglich nicht näher bestimmt ist und die weitere Konkretisierung des Begriffes mithin weitgehend der Streitbeilegung überlassen ist; näher dazu Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 94 und 33 ff. 65 So oftmals die knappe Beschreibung auf der Homepage der WTO http:// www.wto.org/english/thewto_e/minist_e/min99_e/english/about_e/09serv_e.htm (Stand November 2004). 66 Vgl. etwa Art. III Abs. 7, Art. IV lit. b, Art. V Abs. 2, 5, 6, Art. IX Abs. 1, Art. XVIII Abs. 20 sowie Art. XX lit. j GATT und Art. 2 Abs. 2 AoS; vgl. auch Canada – Automotive Industry, AB, para. 82, Fn. 72 mit Hinweisen auf weitere „MFN-type clauses“ im GATT 1994. 67 Vgl. außerdem auch Art. XVI Abs. 2, Art. VII Abs. 3, Art. VIII, Art. X, Art. XII GATS. 68 Zur Meistbegünstigung im GATS ausführlich Siebold, Die Ordnung des internationalen Handels, GATT-WTO-GATS, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 47 (108 ff.); zur Meistbegünstigung im TRIPS Schäfers, GRURInt. 1996, S. 763 (771). 69 Ausführlich zu den Funktionen der Meistbegünstigung siehe Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 195 ff., der insgesamt fünf wesentliche Funktionen unterscheidet und zwar optimale Ressourcenallokation, Sicherung der eingegangenen Liberalisierungsverpflichtungen, Relativierung der staatlichen Machtunterschiede, Internationalisierung staatlicher Wirtschaftspolitik sowie deren gerichtliche Nachprüfbarkeit.

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der Handelspartner an den Außengrenzen trägt die Meistbegünstigung erheblich zu einer Liberalisierung und Entpolitisierung des Welthandels bei. Denn aus ökonomischer Sicht wird nicht nur eine dynamische Verallgemeinerung von Liberalisierungsfortschritten bewirkt, sondern auch eine Minimierung von Verhandlungskosten70. Zudem erfolgt der Handel zwischen den Vertragsparteien zumindest an den Außengrenzen des im- bzw. exportierenden Mitglieds unter nahezu gleichen Bedingungen, da alle Staaten gleichermaßen begünstigt werden und zwar unabhängig von ihrer Größe und ihrem politischen oder wirtschaftlichen Gewicht71. Nicht übersehen werden darf gleichwohl, daß die Gewährung unbedingter Meistbegünstigung unter Umständen auch solche Länder in den Genuß der Vorteile gelangen läßt, die selbst nicht bereit sind, ihrerseits bestimmte Konzessionen einzuräumen (sog. free riding). Auch wird die Pflicht zur unbedingten Meistbegünstigung durch zahlreiche Ausnahmevorschriften wieder durchbrochen72. So ist etwa gemäß Art. XXIV GATT die Gründung von Zollunionen und Freihandelszonen zulässig, um durch diese „freiwillige(n) Vereinbarungen zur Förderung der wirtschaftlichen Integration der teilnehmenden Länder eine größere Freiheit des Handels herbeizuführen“ (vgl. Art. XXIV Abs. 4 GATT). Der Grund für die Schaffung von Ausnahmemöglichkeiten ist darin zu sehen, daß eine ausnahmslose Pflicht zur Meistbegünstigung Fortschritte bei der Handelsliberalisierung unter bestimmten Umständen auch hemmen kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn einzelne Mitglieder befürchten müssen, andere Mitglieder könnten in den Nutzen gewährter Zugeständnisse kommen, ohne selbst zu ausgewogenen Gegenleistungen bereit zu sein73.

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Jackson, The World Trading System, S. 159 (multiplier effect); Hauser/ Schanz, Das neue GATT, S. 12; zur außenhandelstheoretischen Rechtfertigung der Meistbegünstigung Senti, WTO, Rn. 408 ff. 71 Petersmann, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, S. 229; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 379; Stoll/ Schorkopf, WTO, Rn. 119. 72 Art. I Abs. 2 und 3 GATT (historisch bedingte Ausnahmen); Teil IV des GATT (Ausnahmen zugunsten der Entwicklungsländer); Art. XXIV GATT (regionale Handelsvereinbarungen); Art. XIX GATT (Notstandsmaßnahmen); Art. XX GATT (Allgemeine Ausnahmen); Art. XXI GATT (Ausnahmen zur Wahrung der Sicherheit); siehe auch Canada – Automotive Industry, AB, para. 83, Fn. 73. 73 Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 131; Brößkamp, Meistbegünstigung und Gegenseitigkeit im GATT, S. 62; Wolfrum, Das internationale Recht für den Austausch von Waren und Dienstleistungen, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 2, § 15, Rn. 46 f.

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3. Spruchpraxis des Appellate Body Während in den prinzipienorientierten Systematisierungsansätzen zum Welthandelsrecht keineswegs Einigkeit darüber besteht, ob die welthandelsrechtliche Pflicht zur unbedingten Meistbegünstigung als eine – das Nichtdiskriminierungsprinzip konkretisierende – Rechtsregel oder aber als Rechtsprinzip angesehen werden kann74, wurde sie vom Appellate Body im Fall Canada – Automotive Industry explizit als ein dem Welthandelssystem zugrundeliegendes Prinzip eingestuft75. In diesem Verfahren, in welchem Japan und die EG gemeinsam die Vereinbarkeit einer kanadischen Importregelung mit diversen Vorschriften des GATT 1994, des Subventionsübereinkommens sowie des GATS rügten76, hatte der Appellate Body sich unter anderem mit einem möglichen Verstoß Kanadas gegen die allgemeine Meistbegünstigungspflicht zu beschäftigen. Dabei lassen sich gleich zu Beginn der Ausführungen zur Auslegung des Art. I Abs. 1 GATT folgende Worte finden: „On appeal, the issue before us is whether the import duty exemption accorded by this measure is consistent with Canada’s obligations under Article I:1 of the GATT 1994. We are confronted with the daunting task of interpreting certain aspects of the ‚most-favoured-nation‘ (‚MFN‘) principle that has long been a cornerstone of the GATT and is one of the pillars of the WTO trading system.“77

Im Anschluß an diese Betonung der grundlegenden Bedeutung des Prinzips der Meistbegünstigung für das Welthandelssystem widmet sich der Appellate Body der Frage, ob bei der Anwendung des Art. I Abs. 1 GATT nur eine de iure-Ungleichbehandlung von Waren verschiedener Ausfuhrstaaten verboten ist, oder auch eine de facto-Ungleichbehandlung ausreicht78. Letzteres wird mit Verweis auf den Wortlaut der Vorschrift bejaht, ohne daß 74 Dazu ausführlich mit weiteren Nachweisen Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 179 ff. und S. 193 ff. 75 Canada – Automotive Industry, AB, para. 69 („MFN-principle“). 76 Die angegriffene Regelung des kanadischen Rechts (US – Canada Automotive Products Agreement) sah unter anderem vor, daß kanadische Automobilhersteller von Importzöllen für die Einfuhr von Motorfahrzeugen unter bestimmten Voraussetzungen befreit waren; Fallbesprechung bei Gall/Jessen, GYIL 43 (2000), S. 355 (369 ff.). 77 Canada – Automotive Industry, AB, para. 69 (Hervorhebung durch den Verfasser); siehe auch EC – Tariff Preferences, AB, paras. 89 und 101. 78 Von de iure-Ungleichbehandlung wird gesprochen, wenn die zu untersuchende Maßnahme ausdrücklich an die Herkunft des Produktes anknüpft. De facto-Ungleichbehandlung liegt hingegen vor, wenn alle Waren, unabhängig von ihrer Herkunft zwar formal gleich behandelt werden, im Ergebnis jedoch nur Produkte bestimmter Herkunft einen Vorteil in Anspruch nehmen können; siehe zum Ganzen Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 98.

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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hierbei jedoch noch einmal argumentativ auf das Meistbegünstigungsprinzip in irgendeiner Form zurückgegriffen wird79.

III. Prinzip der Inländer(gleich)behandlung Als zweite wesentliche Ausprägung des Nichtdiskriminierungsprinzips gilt das Gebot der Inländerbehandlung (national treatment)80. 1. Bedeutungsgehalt und völkerrechtliche Grundlagen Seine Bedeutung erschließt sich am besten in Gegenüberstellung zur Meistbegünstigung. Während letztere anknüpft an die Möglichkeiten der Diskriminierung beim Grenzübertritt und damit bei der Ein- und Ausfuhr von Gütern, sind für faire Wettbewerbsbedingungen zwischen in- und ausländischen Erzeugnissen die Angebotsbedingungen und Steuern in einem Staat mindestens ebenso wichtig. Viele der gewährten Zugeständnisse im Hinblick auf Zölle und Kontingente können durch diskriminierende interne Maßnahmen nämlich sonst leicht ihrer liberalisierenden Wirkung wieder beraubt werden81. Indem die Inländerbehandlung eine Schlechterstellung von Waren und Dienstleistungen aufgrund ihres ausländischen Ursprungs verbietet, gebietet sie gewissermaßen eine Entnationalisierung der internen Märkte82. Da das klassische Völkerrecht die Diskriminierung zwischen Ausländern und Staatsangehörigen mit Blick auf deren innerstaatliche Aktivitäten grundsätzlich nicht verbietet, wurde dieser als unbefriedigend empfundene Schutz frühzeitig zum Anlaß genommen, einzelne Mindeststandards einer geschützten Position von Ausländern rechtlich festzulegen. Im wirtschaftlichen Bereich ist eines der ältesten und bekanntesten Beispiele die Hanse83. Darüber hinaus lassen sich weitergehende Verankerungen geschützter Rechte von Ausländern finden in den zahlreichen Freundschaftsund Handelsverträgen des neunzehnten bzw. zwanzigsten Jahrhunderts84. 79

Canada – Automotive Industry, AB, para. 79. Zur Relevanz dieses Prinzips im europäischen Recht vgl. nur Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung, S. 118. 81 Jackson, The World Trading System, S. 213; Herrmann, ZEuS 2001, S. 453 (476); Köpernik, JuS 1976, S. 779 (784); Steinmetzler, DZWir 1997, S. 494 (495). 82 Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 134; zum Verhältnis von Meistbegünstigung und Nichtdiskriminierung siehe auch Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 200. 83 Vgl. näher bereits 1. Teil B.; siehe auch Göttsche, Historische Entwicklung, in: Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, § 4, Rn. 2 ff. 84 Zum Ganzen van Scherpenberg, Welthandel, Prinzipien des, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, S. 820 (825); von Keller, Handelsver80

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2. WTO-rechtliche Ausgestaltung Im GATT bzw. WTO-Recht ist die zentrale Vorschrift der Inländergleichbehandlung Art. III GATT, welcher die unterschiedliche Behandlung von eingeführten und inländischen Waren im Hinblick auf eine Reihe in den einzelnen Absätzen der Vorschrift näher bezeichneten Maßnahmen verbietet. Während Art. III Abs. 1 GATT gewissermaßen als Generalklausel wirkt85, beinhalten Abs. 2 und 3 das Gebot der Nichtdiskriminierung bereits importierter Waren im Hinblick auf die Steuer- und Abgabenbelastung. Die zentrale Bestimmung findet sich gleichwohl in Abs. 4, demzufolge ein Staat importierten Waren keine schlechtere Behandlung (no less favourable) hinsichtlich absatzrelevanter Rechts- und Verwaltungsvorschriften über den Verkauf, die Beförderung, Verteilung und Nutzung im Inland zuteil werden lassen darf als gleichartigen inländischen Produkten86. Der Grundsatz der Inländerbehandlung gewährleistet somit die Nichtdiskriminierung ausländischer Waren durch staatliche Maßnahmen ab dem Zeitpunkt, zu welchem die Waren die Grenze überschritten haben und auf diese Weise Teil des inländischen Warenkreislaufs geworden sind87. Dabei verlangt das Gebot der Inländerbehandlung nicht zwingend eine formale Gleichstellung, sondern eine Nicht-Schlechterstellung der ausländischen Waren im Vergleich zu den Erzeugnissen inländischen Ursprungs88. Da sich Art. III GATT – ebenso wie Art. I Abs. 1 GATT – auf gleichartige Waren (like product) bezieht, kommt der Auslegung des unbestimmten Begriffs der Vergleichbarkeit erneut große Bedeutung zu89.

träge, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 765 ff.; Erler, Grundprobleme des Internationalen Wirtschaftsrechts, S. 46 ff. 85 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 18 „This general principle informs the rest of Art. III.“. 86 Ausführlich zu den insgesamt neun Absätzen des Art. III GATT Benedek, Handbuch zur österreichischen GATT-Praxis, S. 28 ff.; Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 230 ff.; Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 30 ff. 87 Deutlich wird hier, wie Meistbegünstigung und Inländerbehandlung ergänzend ineinandergreifen. Während das Meistbegünstigungsprinzip die Nichtdiskriminierung ausländischer Waren an der Grenze gewährleistet, beginnt das Inländerprinzip direkt nach dem Zeitpunkt des Grenzübertritts zu greifen. 88 Ausführlicher dazu Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 140 ff.; Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 74 ff. 89 Aus der Spruchpraxis vgl. etwa Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 19 ff.; Canada – Periodicals, AB, S. 20 ff.; außerdem EC – Asbestos, AB, paras. 87 ff. (dort insb. Fn. 58 mit umfangreichen Hinweisen).

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Die ökonomische Funktion des Inländerbehandlungsgebotes läßt sich aus der historischen Perspektive erschließen. Erfüllten zur Zeit der Hanse die vertraglichen Festlegungen zugunsten ausländischer Kaufleute in erster Linie die Funktion, diesen Personen ein Minimum an Sicherheit zu gewährleisten und so den Fernhandel überhaupt erst möglich zu machen, wird diese grundlegende Sicherungsfunktion heutzutage durch die Vielzahl der Regelungen zu den fremdenrechtlichen Mindeststandards garantiert. Da die Begründung von Außenhandelsaktivitäten überhaupt also nicht mehr in Frage steht, betrifft die WTO-rechtliche Pflicht zur Inländerbehandlung in erster Linie die konkrete Ausgestaltung der Handelsaktivitäten von Ausländern innerhalb einer nationalen Volkswirtschaft. Diese Ausgestaltung der konkreten Wirtschaftsaktivitäten orientiert sich an dem wohlfahrtssteigernden Modell komparativer Kostenvorteile. Denn Voraussetzung jeder wohlfahrtssteigernden internationalen Arbeitsteilung ist die Möglichkeit zu einer optimalen Ressourcenallokation. Diese aber läßt sich nur dann optimal gestalten, wenn eine unverzerrte Marktsituation von Angebot und Nachfrage besteht. Indem also durch das Gebot der Inländerbehandlung rechtlich festgeschrieben wird, daß In- und Ausländer innerhalb einer nationalen Volkswirtschaft gleich zu behandeln sind, sollen die Grundbedingungen der wohlfahrtssteigernden optimalen Allokation von Ressourcen abgesichert werden90. Neben der zentralen Vorschrift des Art. III GATT kommt die Inländerbehandlung in einer ganzen Reihe weiterer Bestimmungen sowohl des GATT91 als auch der sonstigen Übereinkommen zum Warenverkehr92 bzw. dem TRIPS zum Ausdruck93. Eine eigenständige Regelung der Inländerbehandlung findet sich im GATS. Gem. Art. XVII GATS ist ein WTO-Mitglied im Bereich des grenzüberschreitenden Dienstleistungshandels nämlich nur dann an das Inländergleichbehandlungsgebot gebunden, wenn es bestimmte Dienstleistungssektoren zum Gegenstand von länderspezifischen Konzessionslisten gemacht hat. Das GATS enthält damit anders als Art. III GATT keine generelle Gewährleistung der Inländerbehandlung94. Wie die Pflicht zur Meistbegünstigung gilt auch das Gebot der Inländerbehandlung 90

Hierzu umfassend Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 222 f. Vgl. neben Art. III GATT insbesondere Art. IV GATT, der ein besonderes Gleichbehandlungsgebot für Kinofilme enthält; näher zum Bereich Kultur und Film Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 756 ff. 92 Vgl. etwa Art. 2 Abs. 3 SPS; Art. 5 TBT; Art. 2 TRIMS, Art. III GPA sowie die Aufzählung bei Senti, WTO, Rn. 430 ff. 93 Art. 3 TRIPS; hierzu Schäfers, GRURInt. 1996, S. 763 (771). 94 Senti, WTO, Rn. 427 und 450; Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 541; Enquete Kommission des Deutschen Bundestages, Globalisierung der Weltwirtschaft, BT-Drucksache 14/9200, S. 149. 91

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

keineswegs ausnahmslos, sondern kann etwa eingeschränkt werden im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens oder aber der staatlichen Subventionen (vgl. Art. III Abs. 8 lit. a und b GATT). Gleichermaßen anwendbar sind die Ausnahmebestimmungen zur öffentlichen Sicherheit gem. Art. XXI GATT bzw. Art. XIVbis GATS sowie die allgemeinen Ausnahmen nach Art. XX GATT. 3. Spruchpraxis des Appellate Body Zwar ist man sich im welthandelsrechtlichen Schrifttum erneut keineswegs einig, ob das Gebot der Inländer(gleich)behandlung als eine – das Nichtdiskriminierungsprinzip konkretisierende – rechtliche Regel oder aber als rechtliches Prinzip angesehen werden kann95. Doch hat der Appellate Body auch insoweit inzwischen eine deutliche Position bezogen und in dem Verfahren US – Section 211 (Havana Club) die Inländerbehandlung als ein für die Welthandelsordnung tragendes Prinzip eingestuft96. Gegenstand dieses zwischen der EG und den USA ausgetragenen Konfliktes war ein USGesetz aus dem Jahre 1998 (Section 211 Omnibus Appropriations Act), welches nach Meinung der EG allein darauf abzielte, die Rechte des USamerikanischen Konzerns Bacardi-Martini gegenüber dem französischen Konzern Pernod-Ricard zu stärken. In der beanstandeten Vorschrift wurde die Registrierung von Marken, Handels- und Geschäftsbezeichnungen in den USA verboten, die denen glichen oder ähnelten, welche seit dem 1. Januar 1959 von der kubanischen Regierung beschlagnahmt wurden. Nachdem die Verhandlungen mit den USA zu keiner einvernehmlichen Lösung geführt hatten, beantragte die EG am 30. Juni 2000 die Einsetzung eines Panel gem. Art. 6 DSU i. V. m. Art. 64 Abs. 1 TRIPS, um die Vereinbarkeit der Section 211 mit dem WTO-Recht überprüfen zu lassen. Hierbei wurde von der EG unter anderem ein Verstoß gegen das Inländerbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 TRIPS geltend gemacht97. Da das Panel in seinem am 6. August 2001 ergangenen Bericht der vorgebrachten Argumentation nicht folgte, wurde von der EG im Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body erneut Art. 3 Abs. 1 TRIPS ins Feld geführt. Dieser hatte sich somit mit der Frage der Inländerbehandlung zu befassen und betonte hierbei sogleich ausdrücklich, es sei das erste Mal, daß er im Bereich des geistigen Eigentums zu dieser Frage Stellung nehmen müsse98. In seinen anschließen95

Vgl. dazu nur Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 179 ff. sowie S. 193 ff. US – Section 211 (Havana Club), AB, para. 242; ausführliche Besprechung sowohl des Panel- als auch des Appellate Body-Berichts bei Jakob, GRURInt. 2002, S. 406 ff. 97 US – Section 211 (Havana Club), Panel Report, paras. 8.166 ff. 98 US – Section 211 (Havana Club), AB, para. 233. 96

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den Ausführungen qualifiziert der Appellate Body das Prinzip der Inländerbehandlung als eine der tragenden Säulen nicht nur der Pariser Verbandsübereinkunft, sondern auch zahlreicher anderer Übereinkommen zum Schutz des geistigen Eigentums, welches mit Abschluß des TRIPS auch zum Bestandteil der WTO geworden sei99. Dort werde es in Art. 3 Abs. 1 TRIPS näher konkretisiert, wobei der Wortlaut der Norm dem des Art. III Abs. 4 GATT vergleichbar sei. Im einzelnen führt der Appellate Body hierzu wie folgt aus: As we see it, the national treatment obligation is a fundamental principle underlying the TRIPS Agreement, just as it has been in what is now the GATT 1994. The Panel was correct in concluding that, as the language of Article 3.1 of the TRIPS Agreement, in particular, is similar to that of Article III:4 of the GATT 1994, the jurisprudence on Article III:4 of the GATT 1994 may be useful in interpreting the national treatment obligation in the TRIPS Agreement. As articulated in Article 3.1 of the TRIPS Agreement, the national treatment principle calls on WTO Members to accord no less favourable treatment to nonnationals than to nationals in the „protection“ of trade-related intellectual property rights.100

Bezugnahmen auf das Prinzip der Inländerbehandlung lassen sich in einer Vielzahl von Berichten der Rechtsmittelinstanz finden. So hatte sich der Appellate Body etwa in dem Verfahren Japan – Alcholic Beverages mit den Beschwerden der EG, Kanadas und der USA zu beschäftigen, die Japan vorwarfen, dorthin ausgeführte Spirituosen würden nach dem japanischen Branntweinsteuersystem gegenüber dem einheimischen Sochu diskriminiert101. Obwohl es sich bei den eingeführten Spirituosen wie Whisky oder Cognac um mit dem japanischen Sochu vergleichbare Produkte i. S. d. Art. III Abs. 2 GATT handele, würde letzterer erheblich niedriger besteuert. Das Panel befand daraufhin, daß Japan mit seinem Branntweinsteuersystem gegen Art. III Abs. 2 GATT verstoßen habe102. Im Ergebnis folgte der Appellate Body zwar dieser Argumentation, zeigte aber mehrere Stellen auf, an denen das Panel seiner Ansicht nach unzutreffende rechtliche Erwägungen angestellt habe. Im Hinblick auf Art. III GATT äußert sich der Appellate Body dabei wie folgt: Article III:1 articulates a general principle that internal measures should not be applied so as to afford protection to domestic production. This general principle informs the rest of Article III. The purpose of Article III:1 is to establish this general principle as a guide to understanding and interpreting the specific obli99

US – Section 211 (Havana Club), AB, paras. 234 ff. US – Section 211 (Havana Club), AB, paras. 242 f. (Hervorhebungen des Verfassers). 101 Fallbesprechung bei Hermes, GYIL 42 (1999), S. 530 (537 f.). 102 Japan – Alcoholic Beverages, Panel Report, para. 7.1. 100

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gations contained in Article III:2 and in the other paragraphs of Article III, while respecting, and not diminishing in any way, the meaning of the words actually used in the texts of those other paragraphs.103

Zweierlei wird hiermit deutlich: Nach Ansicht des Appellate Body ist Hauptzweck des Art. III Abs. 1 GATT der Schutz vor staatlichem Protektionismus. Im Mittelpunkt steht damit nicht die Garantie des Marktzugangs. Vielmehr sollen die WTO-Mitglieder davon abgehalten werden, solche inneren Abgaben und Rechtsvorschriften anzuwenden, die die Wettbewerbsbeziehung am Markt zwischen der inländischen und der eingeführten Ware derart berühren, daß die inländische Produktion geschützt wird. Zudem hebt der Appellate Body hervor, daß der erste Absatz des Art. III GATT sich auf alle weiteren Absätze beziehe und folglich als allgemeiner Grundsatz bei der Auslegung der spezielleren Absätze zur berücksichtigen sei. Rechtlich fehlerhaft in den Ausführungen des Panel sei es daher gewesen, bei der Auslegung von Art. III Abs. 2 Sätze 1 und 2 GATT den Abs. 1 nicht mit heranzuziehen.

IV. Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) Das Prinzip der Gegenseitigkeit oder Reziprozität läßt sich charakterisieren als umfassendes, auf dem Grundsatz des do ut des beruhendes Phänomen menschlicher Beziehungen im allgemeinen und rechtlicher Beziehungen im besonderen104. 1. Völkerrechtliche Grundlagen Während die Mechanismen der Gegenseitigkeit jedoch in den voll entwickelten, innerstaatlichen Rechtsordnungen zum größten Teil von konkreteren Regeln und Institutionen absorbiert und überlagert worden sind und somit die Gegenseitigkeit als generelles Organisationsprinzip keine unmittelbare Anwendung mehr findet, kommt ihr auf völkerrechtlicher Ebene eine weitaus größere Bedeutung zu105. Da das Völkerrecht eine Rechtsordnung souveräner Staaten darstellt, die aufgrund ihrer politischen Unabhängigkeit auf der Basis von formaler Gleichheit miteinander umgehen, und 103 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 18 (Hervorhebung des Verfassers); bezugnehmend hierauf u. a. EC – Asbestos, AB, para. 98. 104 Schaumann, Gegenseitigkeit, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 630; Simma, Reciprocity, EPIL IV (1984), S. 29 (30 – „quid pro quo“); Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (384). 105 Simma, Reciprocity, EPIL IV (1984), S. 29; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 64 ff.

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eine übergeordnete Instanz zur Rechtsdurchsetzung nicht existiert, müssen andere Gründe für die Befolgung völkerrechtlicher Regeln und Prinzipien bedeutsam sein. Zu ihnen gehört das die gesamte Völkerrechtsordnung durchziehende Prinzip der Gegenseitigkeit106. Im Grundsatz bezeichnet die Gegenseitigkeit im Völkerrecht das Verhältnis von zwei oder mehr Staaten, die sich gegenseitig eine identische oder zumindest gleichwertige Behandlung einräumen107. Die rechtliche Relevanz dieses zentralen völkerrechtlichen Prinzips besteht dann vor allem darin, daß ein Staat, der einen Anspruch aus einer spezifischen Völkerrechtsnorm zu begründen sucht, diese Norm auch als bindend gegenüber sich selbst zu akzeptieren hat108. Da völkerrechtliche Verpflichtungen grundsätzlich nur solche sind, die von den Völkerrechtssubjekten freiwillig in Ausübung ihrer jeweiligen Souveränität übernommen werden, besteht auch die Bereitschaft zur rechtlichen Bindung nur insoweit, als erwartet werden kann, daß die Vorteile aus der Übernahme von Verpflichtungen durch andere Völkerrechtssubjekte mindestens gleich groß oder sogar größer sind als die Nachteile aus der Übernahme der eigenen Verpflichtungen. Die Gegenseitigkeit entfaltet ihre konstruktive Wirkung jedoch nicht nur bei der Entstehung völkerrechtlicher Normen, sondern setzt sich auch im Rahmen der Erfüllung des geltenden Völkerrechts fort. Denn die Erwartung und Verwirklichung gegenseitiger Vorteile und Zugeständnisse läßt die Staaten den überwiegenden Teil des völkerrechtlichen Vertrags- und Gewohnheitsrechts ohne äußeren Zwang befolgen. Die Gegenseitigkeit wird somit zu einem Garanten der Effektivität im Völkerrecht. Besonders im Recht des bewaffneten Konflikts (ius in bello), bei der Einräumung diplomatischer bzw. konsularischer Privilegien und Immunitäten, im Bereich des Fremdenrechts sowie im völkerrechtlichen Sanktionsrecht ist die Reziprozität geeignet, die Befolgung des Rechts zu sichern109. In all diesen Bereichen wird die Gegenseitigkeit häufig durch Aufnahme von Gegenseitigkeitsklauseln in Verträge innerstaatliche Rechtsvorschriften auch juristisch zum Maßstab für das jeweils eigene staatliche Verhalten gemacht. Trotz alledem kennt das Völkerrecht keine allgemeine 106 Kimminich/Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 298 f.; Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 222; Ott, EuR 2003, S. 504 (509). 107 Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen formeller und materieller Reziprozität vgl. nur Schaumann, Gegenseitigkeit, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 630. 108 Dolzer, Wirtschaft und Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (484); Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 91. 109 Ferner liegt der Gegenseitigkeitsgedanke der Fakultativklausel des Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut zugrunde; zum Ganzen Kimminich/Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 298 f.; Schaumann, Gegenseitigkeit, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 630 (631).

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Pflicht, völkerrechtliche Verträge auf reziproker Basis zu schließen. Folglich hängt die rechtliche Wirksamkeit eines völkerrechtlichen Vertrages auch nicht ab von der inhaltlichen Identität bzw. materiellen Gleichwertigkeit der eingeräumten Zugeständnisse110. 2. WTO-rechtliche Ausgestaltung Für den Bereich des Internationalen Handelsrecht und damit nach traditionellem GATT-Verständnis beinhaltet dieser Grundsatz, daß die gewährten Handelsvorteile der Staaten untereinander im Gleichgewicht bleiben sollen, also beispielsweise Handelszugeständnisse von der Gewährung entsprechender Gegenleistungen abhängig gemacht werden können111. Auch wenn das Reziprozitätsprinzip in den Bestimmungen der Vertragstexte nirgends explizit Erwähnung findet, zieht es sich wie ein roter Faden durch das Vertragswerk112. So basiert das gesamte System der WTO auf dem von den Vertragsparteien formulierten und im dritten Erwägungsgrund der Präambel zum WTO-Übereinkommen festgehaltenen Wunsch, „zur Verwirklichung dieser Ziele durch den Abschluß von Übereinkünften beizutragen, die auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen auf einen wesentlichen Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken (. . .) abzielen“113. Seine konkrete Bedeutung gewinnt das Prinzip der Gegenseitigkeit vor allem im Rahmen der multilateralen Handelsrunden, bei denen die Verhandlungen auf „Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen“ zu führen sind (XXVIII bis Abs. 1 GATT). Durch Ablauf und Ver110 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 753; vgl. auch Geisel, Das TRIPS-Übereinkommen in der WTO-Rechtsordnung, S. 147. 111 Zum GATT 1947 vgl. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 53; zur WTO Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7, Rn. 21; Vollmöller, Die Globalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts, S. 148; zur Problematik der sog. aggressiven Reziprozität siehe in diesem Zusammenhang Senti, WTO, Rn. 477; Beise, WTO, S. 98 f. 112 Vgl. etwa Art. XVII Abs. 3 GATT; Art. 7 TRIPS; Art. 4 Abs. 2 ATC; Art. 8 Abs. 3 und 4 TCA; ausführlich zum Ganzen Dam, The GATT: Law and International Economic Organization, S. 59; Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung, S. 86 ff.; Senti, WTO, Rn. 462 ff.; zu den unterschiedlichen Aspekten, nach denen der EuGH in seiner Rechtsprechung das Prinzip der Gegenseitigkeit betrachtet siehe Behrens, Die private Durchsetzung von WTO-Recht, in: Nowak/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO, S. 201 (207 ff.); Ott, EuR 2003, S. 504 ff. 113 Vgl. gleichlautend den dritten Erwägungsgrund der Präambel zum GATT 1947; ähnlich auch der dritte Erwägungsgrund der Präambel zum GATS sowie der siebte Erwägungsgrund der Präambel zum Übereinkommen über das Öffentliche Beschaffungswesen.

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fahren der Handelsrunden soll die Bereitschaft der Mitglieder gefördert werden, im Gegenzug für entsprechende Angebote der anderen Mitglieder selbst eigene weitere Zugeständnisse zu machen. Doch auch im Hinblick auf Geltung und Bestand der einmal gemachten und gem. Art. II GATT grundsätzlich rechtsverbindlichen Zugeständnisse wirkt das Reziprozitätsprinzip fort. Sofern nämlich ein Mitglied seine Zugeständnisse ändern oder ganz aussetzen will, ist es hierbei an ein besonderes Verfahren gebunden, im Rahmen dessen die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Zugeständnisse der anderen Mitglieder dann gegebenenfalls neu zu verhandeln sind bzw. in gleichem Umfang ausgesetzt werden dürfen (Art. XXVIII GATT)114. Von Bedeutung ist der Gedanke der Gegenseitigkeit auch für den WTO-Beitritt neuer Mitglieder. Denn gem. Art. XII WTO-Übereinkommen kann ein Staat (oder Zollgebiet) der WTO nur unter den Bedingungen beitreten, „die zwischen ihm und der WTO vereinbart werden“. Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen soll mithin die „Gegenseitigkeitsbereitschaft“ des neuen Mitglieds sichergestellt werden115. Daß das WTO-Recht im Grundsatz auf der Gegenseitigkeit aufbaut, zeigt sich nicht zuletzt auch an der Vielzahl von Vorschriften, nach denen die Entwicklungsländer bei den Handelsverhandlungen ausdrücklich ausgenommen werden von den Erfordernissen der Gegenseitigkeit (vgl. etwa Art. XI Abs. 2 WTO-Übereinkommen sowie Art. XXXVI Abs. 8 GATT). Diese Ausnahmebestimmungen wären nicht erforderlich, wäre das WTO-Recht nicht insgesamt vom Prinzip der Gegenseitigkeit beherrscht116. Während die angeführten Beispiele allesamt die Ebene der Verhandlungen und das Gleichgewicht der darin vereinbarten Rechte und Pflichten betreffen, kommt das Reziprozitätsprinzip aber auch auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung zum Tragen. Gerade die Regelungen zur Streitbeilegung zeigen, daß sich die Gegenseitigkeit nicht nur auf die wechselseitig übernommenen Verpflichtungen bezieht, sondern im Hinblick auf die Umsetzung der Übereinkommen ebenfalls gewahrt bleiben muß117. So ist gem. Art. XXIII Abs. 1 GATT Voraussetzung für die Einleitung eines Streitbeile114 Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 103 f.; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 445 ff.; ausführlich zur Änderung der Zollzugeständnisse Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 131 ff. 115 Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 91. 116 Hilpold, Die EU im GATT/WTO-System, S. 265 f.; Ritgen, Geltung und Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge – Das TRIPS-Abkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung, in: Bauschke u. a. (Hrsg.), Pluralität des Rechts – Regulierung im Spannungsfeld der Rechtsebenen, S. 117 (133). 117 Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 105 f.; Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 92.

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gungsverfahrens, daß ein WTO-Mitglied die durch ein anderes Mitglied herbeigeführte Schmälerung oder Zunichtemachung der Vorteile geltend macht, die ihm unmittelbar oder mittelbar aus dem GATT oder einem der anderen Übereinkommen zustehen. Diese „Vorteile“ sind im wesentlichen die durch entsprechende Zugeständnisse erreichten Handelserleichterungen auf den Märkten des anderen Mitglieds. Als ultima ratio und zum Schutze der eigenen Zugeständnisse kann das in seinen berechtigten Erwartungen verletzte Mitglied nach vorheriger Autorisierung durch den DSB letztlich sogar Gegenmaßnahmen ergreifen, wobei diese allerdings dem Umfang nach den zuvor zunichte gemachten oder geschmälerten Vorteilen entsprechen müssen (Art. 22 Abs. 4 DSU). Im Laufe der Jahrzehnte konnte das Prinzip der Gegenseitigkeit im Zusammenspiel mit dem Meistbegünstigungsprinzip erheblich zur fortschreitenden Liberalisierung des internationalen Handels beitragen118. Zwar kann ein Land theoretisch aufgrund der gem. Art. I GATT unbedingt zu gewährenden Meistbegünstigung ohne eigene Zugeständnisse in den Genuß einer zwischen anderen Staaten bi- bzw. multilateral ausgehandelten Handelsliberalisierung gelangen (sog. free riding bzw. Trittbrettfahrerproblem)119. Einer solchen Entwicklung wirkt jedoch entgegen, daß regelmäßig alle wichtigen Handelsnationen in die einzelnen Handelsrunden miteinbezogen werden. Macht dabei eine am Welthandel in großem Maße teilnehmende Nation keinerlei eigene Zugeständnisse, werden Konzessionen auch zwischen den interessierten Vertragsparteien nicht zustandekommen, da diese die Auswirkungen etwaiger Zollreduktionen bzw. anderer gewährter Vorteile jeweils im Hinblick auf alle Vertragsparteien einkalkulieren werden120. Einwänden begegnet das Prinzip der Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang häufig darauf, daß gesamtwirtschaftlich gesehen jede Liberalisierungsmaßnahme auch und in erster Linie dem Land Vorteile bringt, welches die Maßnahme ergreift, und insoweit der Grundsatz der Reziprozität wie ein Fremdkörper wirke in einer am Grundsatz der unbedingten Meistbegünstigung orientierten multilateralen Handelsordnung121. Zu 118 Zum Verhältnis von Meistbegünstigung und Gegenseitigkeit im GATT- bzw. WTO-Recht Brößkamp, Meistbegünstigung und Gegenseitigkeit im GATT, S. 68 ff.; Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 107 f. 119 Molsberger/Kotios, Ordnungspolitische Defizite des GATT, ORDO 41 (1990), S. 93 (98 ff.). 120 Steinmetzler, DZWir 1997, S. 494 (496, Fn. 10); ausführlich Brößkamp, Meistbegünstigung und Gegenseitigkeit im GATT, S. 68 ff. 121 Dazu mit weiteren Nachweisen Petersmann, RabelsZ 47 (1983), S. 478 (486); Dolzer, Wirtschaft und Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (485); Wolfrum, Das internationale Recht für den Austausch von Wa-

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beachten ist hierbei jedoch, daß die Konzepte der Handelspolitik der einzelnen WTO-Mitglieder keineswegs einer abstrakten Rationalität folgen, sondern mehr oder weniger stark durch Partikularinteressen der jeweiligen Gesellschaft geprägt sind und insofern in unterschiedlichem Grad von einer bloßen Orientierung an der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt abweichen können122. 3. Spruchpraxis des Appellate Body In der bisherigen Spruchpraxis des Appellate Body findet das principle of reciprocity keine ausdrückliche Erwähnung. Allerdings lassen sich in mehreren Berichten des Appellate Body Ausführungen allgemeiner Art finden, in denen zum Ausdruck gebracht wird, das Welthandelssystem insgesamt sei in besonderem Maße durch den Gedanken der Gegenseitigkeit geprägt. Als erstes Beispiel hierfür soll der Fall EC – Computer Equipment dienen. Gegenstand dieses Verfahrens war der Vorwurf der USA, die EG hätte nach Abschluß der im Rahmen der Uruguay-Runde gewährten und insbesondere in der EG-Zugeständnisliste LXXX niedergelegten Zollkonzessionen gewisse Computererzeugnisse (LAN-Adapter) einseitig neu klassifiziert. Entscheidende Frage war, ob diese im Ergebnis zu höheren Zollsätzen für die USA führende Neuklassifizierung deren legitime Erwartungen (legitimate expectations) an die Beibehaltung einer einmal getroffenen Zollklassifizierung verletzt und somit zu einem Verstoß gegen Art. II Abs. 1 GATT geführt haben könnte123. Das Panel hatte diese Frage bejaht und befunden, die USA besäßen ein solch schutzwürdiges Vertrauen124. Der Appellate Body hingegen widersprach der Auffassung des Panel, daß die Bedeutung von Zollzugeständnissen in den Listen eines Mitglieds im Lichte der legitimen Erwartungen eines exportierenden Mitgliedes bestimmt werden könne und verneinte daher eine Verletzung des Art. II Abs. 1 GATT. Im einzelnen führt er dabei unter Bezugnahme auf den in der Präambel des WTO-Übereinkommens sowie des GATT 1994 angesprochenen Gedanken der Gegenseitigkeit aus: Third, we agree with the Panel that the security and predictability of „the reciprocal and mutually advantageous arrangements directed to the substantial reduction ren und Dienstleistungen, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 2, § 15, Rn. 43. 122 Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 98 ff.; ausführlich zu den diversen Argumenten, die für die Anwendung des Reziprozitätsprinzips in der heutigen Welthandelsordnung sprechen, Senti, WTO, Rn. 468 ff. 123 Fallbesprechungen bei Hermes, GYIL 42 (1999), S. 530 (536 f.); Hohmann, EuZW 2000, S. 421 (423). 124 EC – Computer Equipment, Panel Report, para. 8.60.

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of tariffs and other barriers to trade“ is an object and purpose of the WTO Agreement, generally, as well as of the GATT 1994. However, we disagree with the Panel that the maintenance of the security and predictability of tariffconcessions allows the interpretation of a concession in the light of the „legitimate expectations“ of exporting Members, i. e., their subjective views as to what the agreement reached during tariff negotiations was. The security and predictability of tariff concessions would be seriously undermined if the concessions in Members’ Schedules were to be interpreted on the basis of the subjective views of certain exporting Members alone.125

Im Anschluß daran kommt der Appellate Body auch auf den für das Reziprozitätsprinzip charakteristischen Aspekt des „Gebens und Nehmens“ zu sprechen und zwar bei der Beschreibung des grundsätzlichen Ablaufs von Zollverhandlungen. Tariff negotiations are a process of reciprocal demands and concessions, of „give and take“. It is only normal that importing Members define their offers (and their ensuing obligations) in terms which suit their needs. On the other hand, exporting Members have to ensure that their corresponding rights are described in such a manner in the Schedules of importing Members that their export interests, as agreed in the negotiations, are guaranteed.126

Auf das „Gleichgewicht der untereinander gewährten Rechte und Pflichten“ bezieht sich der Appellate Body auch im Fall US – Shrimp. Hierbei wird der Gedanke der Gegenseitigkeit angewandt auf die Auslegung der allgemeinen Ausnahmevorschrift des Art. XX GATT: Turning then to the chapeau of Article XX, we consider that it embodies the recognition on the part of WTO Members of the need to maintain a balance of rights and obligations between the right of a Member to invoke one or another of the exceptions of Article XX, specified in paragraphs (a) to (j), on the one hand, and the substantive rights of the other Members under the GATT 1994, on the other hand.127

Ähnliche Bezugnahmen auf eine „carefully drawn balance of rights and obligations of Members“ lassen sich auch in weiteren Berichten des Appellate Body finden, etwa im Zusammenhang mit der speziellen Schutzklausel im Textilübereinkommen (Art. 6 ATC)128.

125

EC – Computer Equipment, AB, para. 82. EC – Computer Equipment, AB, para. 109 (Hervorhebung durch den Verfasser). 127 US – Shrimp, AB, para. 156 (Hervorhebung durch den Verfasser). 128 US – Cotton Underwear, AB, S. 15; darauf bezugnehmend auch US – Shirts and Blouses, AB, S. 16. 126

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V. Prinzip der Vorzugsbehandlung weniger entwickelterer Staaten Wie andere Internationale Organisationen auch räumt die WTO der Gruppe der sich entwickelnden Staaten besondere Vorteile ein. Die Sonderstellung, die diese in der Welthandelsordnung einnehmen, ist als solche evident, denn trotz der zahlenmäßig starken Vertretung der wirtschaftlich schwachen Handelspartner entfallen rund vier Fünftel des von der WTO abgedeckten Güter- und Dienstleistungshandels noch immer auf die Industriestaaten129. Seit Bestehen des GATT 1947 werden daher die Möglichkeiten einer verbesserten Integration der Entwicklungsländer in den internationalen Handel kontrovers diskutiert130. Diesen Staaten einen Anteil am Wachstum des internationalen Handels zu sichern, der ihren Erfordernissen nach wirtschaftlicher Entwicklung entspricht, ist eines der erklärten Ziele der WTO131, welches auch auf der Ministerkonferenz von Doha erneut bekräftigt wurde132. 1. Begriffsbestimmung Für die Verpflichtung der Staaten, der besonderen wirtschaftlichen Situation der weniger entwickelten Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft durch entsprechende Maßnahmen angemessen Rechnung zu tragen, werden im welthandelsrechtlichen Schrifttum eine Vielzahl von Begriffen gebraucht. Wolfgang Benedek etwa spricht in diesem Zusammenhang vom Prinzip der besonderen Berücksichtigung der Bedürfnisse der wirtschaftlichen Entwicklung der Entwicklungsländer bzw. vom Prinzip der Solidarität133. Ähnlich beschreibt Ernst-Ulrich Petersmann die Sonderbehandlung 129 Senti, WTO, Rn. 571; Beise, WTO, S. 101; ausführlich WTO, Trade Statistics 2002, S. 5 ff., abrufbar im Internet unter http://www.wto.org/english/res_e/statis_e/ statis_e.htm (Stand Oktober 2004). 130 Zur schrittweisen Integration der Entwicklungsländer ausführlich Senti, WTO, Rn. 573 ff.; vgl. auch Garcia, Michigan Journal of International Law 2000, S. 975 ff.; Benedek, ZEuS 2000, S. 41 (44 ff.). 131 Vgl. den zweiten Erwägungsgrund der Präambel des WTO-Übereinkommens „Recognizing further that there is need for positive efforts designed to ensure that developing countries, and especially the least developed among them, secure a share in the growth in international trade commensurate with the needs of their economic development“. 132 WTO, Doha Ministerial Declaration, WT/MIN(01)/DEC/W/1, vom 14.11. 2001, para. 2; hierzu näher Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 326 f. 133 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 54; vgl. auch Dolzer, Wirtschaft und Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (504); Schütz, Solidarität im Wirtschaftsvölkerrecht, S. 102 ff.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

der Entwicklungsländer als Prinzip der nicht-reziproken und präferentiellen Behandlung der Entwicklungsländer134. Christian Tietje hingegen will insbesondere wegen der völkerrechtlichen und rechtsphilosophischen Bedeutung der Sonderrolle von Entwicklungsländern besser von einem Prinzip der globalen Gerechtigkeit sprechen135. Ohne auf diese – letztlich terminologischen – Unterschiede näher eingehen zu wollen, soll hier in Anlehnung an das explizit in der Ministererklärung von Doha erwähnte Prinzip der speziellen und differenzierten Behandlung von Entwicklungsländern und am wenigsten entwickelten Ländern (Principle of Special and Differential Treatment for Developing and Least-developed Countries136) der Vereinfachung halber gesprochen werden vom Prinzip der Vorzugsbehandlung der weniger entwickelten Staaten. Angemerkt sei hierbei, daß im WTO-Recht differenziert wird zwischen Entwicklungsländern (developing coutries) und den am wenigsten entwickelten Ländern (least-developed countries)137, wobei die Zuordnung eines Staates zur ersten Gruppe weitgehend der Methode der Selbstwahl folgt138, während für die Einstufung als least-developed country gem. Art. XI Abs. 2 WTO-Übereinkommen die Anerkennung durch die Vereinten Nationen entscheidend ist139. Der Begriff der „weniger entwickelten Staaten“ soll daher als Oberbegriff dienen und beide Gruppe umfassen.

134 Petersmann, International Trade Order and International Trade Law, in: Oppermann/Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order, S. 201 (212); bezugnehmend hierauf auch Oppermann/Conlan, „Principles“ – Legal Basis of Today’s International Economic Order?, ORDO 41 (1990), S. 75 (83). 135 Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 188 und 326 ff.; kritisch zum Ganzen Ipsen/Haltern, Reform des Welthandelssystems? Perspektiven zum GATT und zur Uruguay Runde, S. 27 f., die die Sonderbehandlung von Entwicklungsländern zwar als strukturelles Merkmal der Welthandelsordnung, aufgrund ihres Ausnahmecharakters aber gerade nicht als Prinzip begreifen wollen. 136 WTO, Doha Ministerial Declaration, WT/MIN(01)/DEC/W/1, vom 14.11.2001, para. 50. 137 Vgl. dazu nur den zweiten Erwägungsgrund der Präambel des WTO-Übereinkommens. 138 Während der Uruguay Runde gelang es nicht, sich auf eine verbindliche Definition des Begriffs „Entwicklungsland“ zu einigen und diese im WTO-Übereinkommen zu verankern; vgl. dazu näher Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 972. 139 Gebrauch gemacht wird insoweit von einer Liste der UNCTAD; vgl. dazu die Homepage der WTO unter http://www.wto.org/english/tratop_e/devel_e/d1who_e. htm sowie die Homepage der UNCTAD unter http://www.unctad.org/(jeweils Stand Juli 2004); außerdem Beck, Die Differenzierung von Rechtspflichten in den Beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, S. 23 ff.

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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2. Völkerrechtliche Grundlagen Die völkerrechtliche Pflicht, der wirtschaftlichen Situation von weniger entwickelten Staaten angemessen zu begegnen, basiert letztlich auf dem allgemeinen Prinzip der Solidarität der Staaten und beinhaltet Elemente sowohl des (materiellen) Gleichheitsgrundsatzes als auch der Idee der Gerechtigkeit140. Hierbei besteht allerdings keineswegs Einigkeit darüber, inwieweit sich aus diesem Prinzip auch materielle Anforderungen ableiten lassen. Während sich die International Law Association in ihrer 1986 verabschiedeten „Seoul-Erklärung“ (Declaration on the Progressive Development of Principles of Public International Law relating to a New International Economic Order) beschränkt hatte auf ein Berücksichtigungs- bzw. Unterlassungsgebot141, gehen in der völkerrechtlichen Literatur zahlreiche Stimmen davon aus, daß das Prinzip der Solidarität darüber hinaus auch ein bestimmtes positives Verhalten von Völkerrechtssubjekten in den wirtschaftlichen Beziehungen verlange, etwa in Form präferentieller Behandlung bzw. technischer Unterstützung benachteiligter Staaten142 oder aber in einer generellen Hilfsverpflichtung in Extremsituationen wie etwa bei Hungerkatastrophen143. Auch sind dabei die Versuche, das Solidaritätsprinzip als völkerrechtliches hard law zu qualifizieren, vielfältig und beinhalten neben einer vertragsrechtlichen Ableitung aus der UN-Charta (Art. 55 lit. a i. V. m. Art. 56 UN-Charta) sowie den Menschenrechtspakten unter anderem die Instrumentalisierung des nationalstaatlichen Sozialstaatsgebotes über die Völkerrechtsquelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze144. 140 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 54; Scheuner, Solidarität unter den Nationen als Grundsatz in der gegenwärtigen internationalen Gesellschaft, in: Delbrück/Menzel/Rauschning (Hrsg.), Recht im Dienst des Friedens, Festschrift für Eberhard Menzel, S. 251 (270 ff.); Schütz, Solidarität im Wirtschaftsvölkerrecht, S. 102 ff.; Beck, Die Differenzierung von Rechtspflichten in den Beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, S. 193 ff.; vgl. mit Bezugnahme auf das Fairneßkonzept John Rawls auch Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 327 ff. sowie Garcia, Michigan Journal of International Law 2000, S. 975 (997 ff.); zum EG-Recht Hieronymi, Solidarität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, passim. 141 Abdruck des Textes der „Seoul-Erklärung“ in Oppermann/Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order, S. 47 ff.; zur Entstehungsgeschichte und den einzelnen Prinzipien Oppermann, Die Seoul-Erklärung der International Law Association vom 29.–30. August 1986 über die fortschreitende Entwicklung von Völkerrechtsprinzipien einer neuen Weltwirtschaftsordnung, in: Böckstiegel u. a. (Hrsg.), Völkerrecht, Recht der Internationalen Organisationen Weltwirtschaftsrecht, Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern, S. 449 ff. 142 So etwa Verwey, Hellenic Review of International Relations 2 (1981), S. 57 ff. 143 So Bryde, Von der Notwendigkeit einer neuen Weltwirtschaftsordnung, in: Bryde/Kunig/Oppermann (Hrsg.), Neuordnung der Weltwirtschaft, S. 29 (42 ff.).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

3. Wirtschaftstheoretischer Hintergrund Der klassischen Außenhandelstheorie zufolge führt der freie Handel zu einer Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt aller Handelspartner145. Handel und Liberalisierung, transnationale Konzerne und internationale Institutionen werden deshalb als hilfreich zur Überwindung des Rückstandes und der Armut in Entwicklungsländern angesehen146. Hiergegen wird allerdings eingewandt, daß nachhaltig positive Auswirkungen der Beteiligung am weltweiten Handel und internationalen Wettbewerb einen gewissen, bereits vorhandenen Stand der Entwicklung der heimischen Wirtschaft voraussetzten. Denn durch die früher verfolgte Spezialisierung von unterentwikkelten Ländern auf Produktion und Export von unverarbeiteten Primärgütern werde ihre Abhängigkeit von schwankenden Weltmarktpreisen sowie das vorhandene Technologiegefälle nur verstärkt und eine Situation erreicht, welche die weitere Entwicklung hemme. Die internationale Handelspolitik mit ihren Kernelementen der Meistbegünstigung, Gegenseitigkeit und Inländergleichbehandlung entspreche daher nicht der Interessenlage der Entwicklungsländer und angesichts des Ausbleibens von Wohlstandserfolgen werden von Seiten der Entwicklungsländer daher befristete und degressiv ausgestaltete, entwicklungsförderliche Ausnahmen bei der Reziprozität und der Inländerbehandlung gefordert. Nur durch eine solche Sonderbehandlung (Special and Differential Treatment) könne einer weiteren Machtmanifestation der Industrieländer entgegengewirkt werden147. Bei dieser Debatte geht es letztlich darum, den Aspekt der grenzüberschreitenden Solidarität und die konstitutiven Elemente der Welthandelsordnung, also Meistbegünstigung, Reziprozität und Inländerbehandlung in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen148. 4. WTO-rechtliche Ausgestaltung Auf der Ebene des Welthandelsrechts hat die Ausgestaltung des allgemeinen Gedankens der Solidarität inzwischen konkrete Formen annehmen können. Als Prinzip der Vorzugsbehandlung der weniger entwickelten Staaten 144 Zum Ganzen Schütz, Solidarität im Wirtschaftsvölkerrecht, S. 42 ff. sowie S. 102 ff.; Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 326. 145 Vgl. dazu oben 1. Teil A. 146 Zu den Ursachen der Unterentwicklung siehe näher Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 975 ff. 147 Die Entwicklungsländer berufen sich dabei im Grunde genommen auf das sog. Infant Industry-Argument, vgl. dazu Maennig/Wilfling, Aussenwirtschaft, S. 186 f. 148 Zum Ganzen ausführlich Enquete Kommission des Deutschen Bundestages, Globalisierung der Weltwirtschaft, BT-Drucksache 14/9200, S. 144 ff.; Koch, Handelspräferenzen der Europäischen Gemeinschaft für Entwicklungsländer, S. 110 ff.

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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konnte er systematisch bereits aus der Rechtsordnung des GATT 1947 abgeleitet werden149. Zwar war ein Großteil der Bestimmungen der HavannaCharta zugunsten der Entwicklungsländer nicht in das GATT 1947 übernommen worden150, jedoch erfolgte die Formulierung der Stellung der Entwicklungsländer im GATT 1947 weitgehend in den 1960er und 1970er Jahren und zwar vor allem im Kontext der Diskussion um eine Neue Internationale Wirtschaftsordnung151. Als Grundlagen der Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer galten seitdem insbesondere der neu in das GATT 1947 aufgenommene Teil IV („Handel und Entwicklung“), welcher eine Abkehr vom Prinzip der formellen Gleichheit aller Mitgliedsstaaten beinhaltet und in Art. XXXVI Abs. 8 GATT 1947 eine Abkehr vom Prinzip die Reziprozität bei Verpflichtungen aus Handelsverhandlungen zuläßt. Eine ständige Ausnahmeregelung zugunsten einer Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer brachte zudem die 1979 abgeschlossene Tokio-Runde in Form der sog. Ermächtigungsklausel (enabling clause)152, nach der etwa zugunsten von Entwicklungsländern Abweichungen von der Meistbegünstigungsverpflichtung des Art. I Abs. 1 GATT gestattet sind153. Seit Gründung der WTO hat die spezielle und differenzierte Behandlung (special and differential treatment) Einzug gehalten auch in die Vertragstexte der übrigen Übereinkommen154. Einer Untersuchung des WTO-Sekretariats zufolge weist das WTO-Recht inzwischen mehr als 150 Einzelbestimmungen und damit eine Vielzahl von Regelungen auf, mittels derer den Entwicklungsländern eine vorzugsweise Behandlung gewährt werden soll155. Ohne auf alle diese Einzelausprägungen eingehen zu können, läßt sich das dahinter stehende Prinzip der Vorzugsbehandlung der weniger ent149

Vgl. insbesondere Art. XXXVI ff. GATT 1947 (Teil IV des GATT). Dazu näher Schütz, Solidarität im Wirtschaftsvölkerrecht, S. 51 ff.; Weiß/ Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 989. 151 Dazu näher Tomuschat, VN 1975, S. 93 ff.; sowie die Beiträge in: Bryde/ Kunig/Oppermann (Hrsg.), Neuordnung der Weltwirtschaft (1986). 152 Entscheidung der Vertragsparteien des GATT über differenzierte und günstigere Behandlung, Gegenseitigkeit und verstärkte Teilnahme der Entwicklungsländer; deutsche Fassung veröffentlicht in: Hummer/Weiss, S. 259 ff.; englische Fassung in GATT, BISD 26S/203 ff. 153 Vgl. Ziff. 1 der Ermächtigungsklausel; zum Ganzen ausführlich Senti, WTO, Rn. 596 ff.; siehe außerdem Jessen, Zollpräferenzen für Entwicklungsländer: WTOrechtliche Anforderungen an Selektivität und Konditionalität, S. 5 (8 ff.). 154 Benedek, ZEuS 2000, S. 41 (46 ff.); Neugärtner/Michaelis, ZEuS 2002, S. 587 (588); Garcia, Michigan Journal of International Law 2000, S. 975 (993 ff.); vgl. auch WTO, Doha Ministerial Declaration, WT/MIN(01)/DEC/W/1, vom 14.11. 2001, para. 44. 155 WTO, Committee on Trade and Development, Implementation of Special and Differential Treatment Provisions in WTO Agreements and Decisions, Note by the Secretariat, WT/COMTD/W/77/Rev. 1 vom 21.09.2001. 150

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

wickelten Staaten etwa wie folgt charakterisieren156: Grundlage des welthandelsrechtlichen Ordnungsrahmens ist der internationale Freihandel in seiner theoretischen Absicherung in der Theorie komparativer Kostenvorteile, derzufolge Ungleichverteilungen der Güter Voraussetzung sind, um zu einer internationalen Arbeitsteilung kommen zu können, die ihrerseits universell wohlfahrtssteigernde Effekte hat. Eine egalitäre Gleichheit wird mithin bewußt negiert, da zunächst davon auszugehen ist, daß auch die schwächer entwickelten Staaten von der nicht bestehenden Gleichheit in Form von Wohlfahrtsgewinnen profitieren. Normativ konkretisiert ist diese Ausgangsüberlegung insbesondere im Prinzip der Nichtdiskriminierung sowie im Meistbegünstigungsprinzip. Von dieser Grundüberlegung ist allerdings immer dann abzuweichen, wenn die universellen Ungleichverteilungen ein Maß erreichen, welches den weniger entwickelten Staaten – selbst auf lange Sicht – nicht mehr zum Vorteil gereicht. Ist dies der Fall, verlangt das Prinzip der Vorzugsbehandlung der weniger entwickelten Staaten Umverteilungen, mittels derer die dann bestehenden Ungerechtigkeiten ausgeglichen werden können. Diese Umverteilungen erfolgen im Rahmen des WTO-Systems auf ganz unterschiedliche Weise, nämlich etwa durch den präferentiellen Zugang zu den Märkten der entwickelten Industrieländer, durch partielle Befreiungen vom Prinzip der Gegenseitigkeit, durch die Gewährung längerer Übergangsfristen bei der Implementierung von Vertragsvorgaben, aber auch durch verbesserte Formen technischer Hilfe sowie durch verschiedene institutionelle Maßnahmen zur besseren Berücksichtigung von Entwicklungsländerinteressen157. Festgeschrieben ist das Prinzip der Vorzugsbehandlung der weniger entwickelten Staaten unter anderem in der Präambel zum WTO-Übereinkommen. Dort ist der zweite Erwägungsgrund unmittelbar den Entwicklungsländern gewidmet und spricht von der „Erkenntnis, dass es positiver Bemühungen bedarf, damit die Entwicklungsländer, insbesondere die am wenigsten entwickelten Ländern unter ihnen, einen Anteil am Wachstum des internationalen Handels erreichen, der den Erfordernissen ihrer wirtschaftlichen Entwicklung entspricht“. Auch wenn diese Aussagen das Verhältnis von Industrieländern und Entwicklungsländern nicht konkret regeln, werden doch zwei Grundaspekte deutlich: Zum einen wird die Relevanz unterschiedlicher Entwicklungsstufen der Mitglieder für den gesamten Bereich der WTO, also für alle Übereinkommen, anerkannt, und zum anderen findet sich schon an dieser exponierten Stelle eine Differenzierung zwischen den 156 So Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 330 ff.; außerdem Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 991. 157 Näher Benedek, ZEuS 2000, S. 41 (46 ff. und 54 ff.); speziell zum Ende 2001 eröffneten Advisory Centre on WTO Law vgl. Neugärtner/Michaelis, ZEuS 2002, S. 587 (597 ff.).

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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Entwicklungsländern im allgemeinen und den am wenigsten entwickelten unter ihnen, die gegenüber den übrigen Entwicklungsländern eine weitere Sonderbehandlung erfahren sollen. Auch wenn mit Gründung der WTO kein einklagbarer, genereller Anspruch der Entwicklungsländer auf Sonderbehandlung festgeschrieben worden ist, läßt sich doch festhalten, daß sich das Prinzip der Sonderbehandlung im WTO-Recht etabliert hat. Es kann nicht mehr als bloß begrenzte Ausnahme von den Grundsätzen der Meistbegünstigung und der Reziprozität angesehen werden. Vielmehr ist die Ausnahme zur Regel geworden und steht als gleichwertiges Prinzip neben dem Meistbegünstigungsgrundsatz oder aber der Reziprozität158. Vergleicht man insgesamt die Stellung der Entwicklungsländer im WTOSystem mit der unter dem GATT 1947, sind deutliche Veränderungen sichtbar. Im Rahmen des GATT 1947 fand aufgrund der unzureichenden Wirkung der Sonderregelungen die Berücksichtigung der besonderen Belange der Entwicklungsländer im wesentlichen mittels freiwilliger und unverbindlicher Präferenzsystem der Industrieländer statt und damit außerhalb des rechtlichen Rahmens des GATT 1947. Im Ergebnis führte dies dazu, daß die Sonderbehandlung der Entwicklungsländer nicht rechtsförmig erfolgte, und es den Entwicklungsländern daher vor allem an Rechtssicherheit mangelte. Vor diesem Hintergrund ist die verstärkte rechtliche Einbindung der Entwicklungsländer im WTO-Recht zu sehen. Denn wie alle anderen WTO-Mitglieder haben sich auch die Entwicklungsländer sämtlichen multilateralen WTO-Übereinkommen zu unterwerfen, wenn sie der WTO beitreten wollen (single agreement approach). Eine Sonderbehandlung findet nunmehr innerhalb dieser Übereinkommen statt159, was aufgrund des Abbaus der Abhängigkeit von freiwillig und einseitig eingeräumten Vergünstigungen der Industrieländer nicht nur ein Mehr an Rechtssicherheit mit sich bringt, sondern mit Blick auf den einheitlichen WTO-Streitbeilegungsmechanismus auch dazu führt, daß die Regelungen über die Sonderbehandlung der Entwicklungsländer fortan justiziabel sind. 5. Spruchpraxis des Appellate Body Im Fall Brazil – Aircraft hat sich der Appellate Body näher mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob das Prinzip der Sonderbehandlung von weniger entwickelten Staaten gleichwertig neben den Grundsätzen der Meistbe158 Rott, GRURInt. 2003, S. 103 (107); Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 33 ff. 159 Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 995 ff.; Berrisch, Allgemeines Zollund Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 315 ff.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

günstigung und der Reziprozität steht160. Letzteres war von Brasilien in diesem Verfahren in bezug auf Art. 27 SCM und damit im Hinblick auf eine Vorschrift vorgebracht worden, die unter bestimmten Tatbestandsvoraussetzungen Regelungen speziell für Entwicklungsländer vorsieht. Inhaltlich ging es in erster Linie um die Frage, ob Kanada als Antragsteller oder Brasilien als Antragsgegner die Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 4 SCM zu beweisen hätten (Beweislast), und Brasilien trug diesbezüglich vor: Article 27 is not an exception to Article 3. Like other provisions dealing with special and differential treatment for developing countries and economies in transition, it is co-equal with all other Articles of the WTO Agreement. It is in no way subordinate to Article 3 or any other Article of the SCM Agreement.161

Oder anders formuliert gebe es im WTO-Recht nicht mehr ein Regime für alle Vertragsparteien der WTO mit einigen wenigen Sonderregelungen für Entwicklungsländer, sondern die Regime für Industrieländer und Entwicklungsländer stünden – trotz vielfältiger Überschneidungen – nebeneinander. Die Ausführungen des Panel in Brazil – Aircraft bestätigten diese von Brasilien vorgebrachte Deutung. Es stellte nämlich fest, Art. 27 SCM gelte nicht etwa als Ausnahmeregelung zur Grundnorm des Art. 3 Abs. 1 SCM, sondern vielmehr sei Art. 3 Abs. 1 SCM auf Entwicklungsländer übergangsweise gar nicht anwendbar. Dieser Auslegung zufolge bestünden für weniger entwickelte Länder nicht lediglich Ausnahmevorschriften, sondern schlicht andere Regelungen als für Industrieländer. Im Ergebnis legte daher das Panel Kanada die Beweislast dafür auf, daß Brasilien die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 27 Abs. 4 SCM nicht erfüllte162. Diese Sichtweise wurde anschließend vom Appellate Body bestätigt, ohne hierbei das principle of special and differential treatment jedoch ausdrücklich zu erwähnen163. Eine solch explizite Bezugnahme findet sich hingegen im Panelbericht zum Verfahren India – Quantitative Restrictions164. Hier wurde das Prinzip der Sonderbehandlung von weniger entwickelten Staaten gleich mehrfach herangezogen. So nimmt das Panel im Rahmen der Beurteilung, ob Indien bei Ergreifung von Maßnahmen zum Schutze der Zahlungsbilanz die in Art. XVIII Abschnitt B GATT aufgestellten Voraussetzungen erfüllt hat, allgemein Stellung zu dieser Vorschrift und erklärt: 160 Fallbesprechung bei Ohlhoff, EuZW 2000, S. 645 (649); Hohmann, RIW 2001, S. 649 (654). 161 Brazil – Aircraft, Panel Report, para. 4.153; zur Frage der Beweislast siehe ausführlich unten 4. Teil B. III. 3. e). 162 Brazil – Aircraft, Panel Report, paras. 7.42 ff. 163 Brazil – Aircraft, AB, paras. 139 ff.; Bezugnahme hierauf in US – FSCs, para. 89 (Fn. 97). 164 Fallbesprechung bei Hohmann, RIW 2001, S. 649 (652).

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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In this instance, we have noted that Article XVIII:B as a whole, on which our analysis throughout this section is based, embodies the principle of special and differential treatment in relation to measures taken for balance-of-payments purposes.165

Und auch im Rahmen seiner gem. Art. 19 Abs. 1 DSU ausgesprochenen Empfehlungen für die Umsetzung führt das Panel dieses Prinzip erneut an, um auf diese Weise eine Verlängerung des gem. Art. 21 Abs. 3 lit. c DSU vorgesehenen Umsetzungszeitraums von höchstens 15 Monaten ab Annahme des Berichts zu rechtfertigen: The foregoing factors take an added importance in light of the principle of special and differential treatment. This principle should be highlighted, given that Article 21.2 of the DSU requires that „Particular attention should be paid to matters affecting the interests of developing country Members with respect to measures which have been subject to dispute settlement“.166

VI. Prinzip der Souveränität Der wirtschaftlichen Globalisierung als Prozeß zunehmender grenz- bzw. sogar regionenübergreifender Integration und Interdependenz steht völkerrechtlich das Prinzip der staatlichen Souveränität gegenüber167. 1. Begriffsbestimmung und völkerrechtliche Grundlagen Souveränität wird hierbei definiert als die unbeschränkte und unteilbare, aber dennoch nicht absolute, sondern nur relative (weil dem Völkerrecht unterstellte) Gewalt eines Staates nach innen und nach außen168. Dabei beschreibt die innere Souveränität den Zustand des Staates als höchster Herrschaftsverband, der nicht durch andere innerstaatliche Gewalten in Frage 165

India – Quantitative Restrictions, Panel Report, paras. 5.145 ff. (5.157). India – Quantitative Restrictions, Panel Report, para. 7.6. 167 Dolzer, Wirtschaft und Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (474); ders., Wirtschaftliche Souveränität im Zeitalter der Globalisierung, in: Cremer u. a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger, S. 137 ff.; allgemein zum Souveränitätsprinzip im Völkerrecht Bleckmann, AVR 1985, S. 450 ff.; Brownlie, Principles of Public International Law, S. 289 ff. 168 Im Gegensatz zu diesem sog. relativen Souveränitätsverständnis betrachtete das klassische, auf die Lehren Jean Bodins aus dem 16. Jh. zurückgehende und bis in das 20. Jh. vorherrschende absolute Souveränitätsverständnis die Souveränität als ein vor- und damit außerrechtliches Prinzip, weil die Völkerrechtsordnung die Existenz souveräner Staaten logisch voraussetze; zum Ganzen Oeter, Souveränität – ein überholtes Konzept?, in: Cremer u. a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger, S. 259 (261 ff.). 166

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

gestellt wird. Äußere Souveränität hingegen meint vor allem die Unabhängigkeit des Staates von übergeordneten außerstaatlichen Gewalten und damit seine Fähigkeit zu rechtlich vollständiger Selbstbestimmung im völkerrechtlichen Verkehr. Ausfluß des völkerrechtlichen Souveränitätsprinzips ist unter anderem der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten, der ein völkerrechtliches Strukturprinzip darstellt und neben Art. 2 Nr. 1 der UNCharta auch in zahlreichen Staatenerklärungen bzw. anderen völkerrechtlichen Instrumenten kodifiziert ist169. Er besagt inhaltlich, daß die grundlegenden, aus der Staatensouveränität fließenden völkerrechtlichen Rechte und Pflichten a priori jedem Staat gleichermaßen zustehen, also eine Unterscheidung nach der Größe des Staatsgebietes, der Bevölkerungsanzahl, der Staatsform oder aber der wirtschaftlichen, militärischen bzw. politischen Macht nicht stattfindet170. Souveränitätseinbußen scheinen heutzutage insbesondere durch die Mitgliedschaft in Internationalen Organisationen zu drohen. Hierbei ist zu differenzieren zwischen der politischen und der völkerrechtlichen Souveränität. Für letztere kann es nicht darauf ankommen, wie viele einzelne Funktionen oder Aufgaben die Organisationsmitglieder noch selbst wahrnehmen, sondern nur darauf, ob ihnen die Kompetenz zusteht, letztverbindlich über Inhalt und Geltung von Rechtsnormen zu entscheiden. Steht diese dem einzelnen Staat nicht mehr zu, so läßt er sich nicht mehr als souverän bezeichnen, da dann eine andere Organisation über die letztverbindliche Entscheidungsmacht verfügt171. Die Fähigkeit eines Staates, wichtige Staatsfunktionen selbst auszuüben, betrifft hingegen nur dessen politische Souveränität, so daß die Übertragung einzelner Hoheitsrechte auf Internationale Organisationen nur zu einem Weniger an politischer Souveränität führt, die völkerrechtliche Souveränität aber unberührt bleibt, solange die jeweilige Kompetenzeinschränkung völkerrechtlich – etwa durch Kündigung, Rücktritt oder aufgrund der clausula rebus sic stantibus – wieder widerrufen werden kann. Die Selbstbindung durch den Abschluß völkerrechtlicher Verträge ist mithin Ausübung, nicht aber Aufgabe staatlicher Souveränität172. Die Frage nach der Relativierung nationalstaatlicher Souveränität als eines der zentralen Themen der Globalisierungsliteratur173 ist letztlich auch Ausdruck eines tiefergehenden Wandels des Staatsbegriffes selbst, der sich 169 Vgl. hierzu die Ausführungen im Schiedsverfahren nach Art. 22 Abs. 6 DSU im Fall EC – Bananas (US), WT/DS27/ARB, vom 09.04.1999, para. 6.14. 170 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 325 f.; Gloria, Der Staat im Völkerrecht, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 26, Rn. 7 ff. 171 Gesteigerte Brisanz erlangt die Souveränitätsfrage im Kontext der europäischen Integration; dazu Herdegen, Völkerrecht, § 28, Rn. 7. 172 Zum Ganzen Vollmöller, Die Globalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts, S. 22 f.

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parallel zum Wandel des Völkerrechts von einem bloßen Recht der Koordination hin zu einem Recht der Kooperation vollzieht174. Der ursprünglich geschlossene Verfassungsstaat hat sich inzwischen nämlich weiterentwickelt zu einem offenen oder aber kooperativen Verfassungsstaat, dessen Souveränität sich nicht mehr in der Fähigkeit manifestiert, sich nach außen beliebig abzuschirmen, sondern darin, im Rahmen des Rechts einen angemessenen Platz in der internationalen Gemeinschaft einzunehmen175. 2. WTO-rechtliche Ausgestaltung Auch auf welthandelsrechtlicher Ebene ist das Souveränitätsprinzip von grundlegender Bedeutung. Oftmals als Prinzip der wirtschaftlichen Souveränität bezeichnet176, beschreibt es die Fähigkeit eines WTO-Mitglieds, seine Handels- und Wirtschaftsbeziehungen autonom zu gestalten, also beispielsweise über die Wahl der Mittel und Ziele staatlicher Handelsinterventionen frei zu entscheiden. Dies gilt allerdings nur innerhalb der bereits völkervertraglich eingegangenen WTO-rechtlichen Vereinbarungen. Denn mit Blick auf die (erhofften) Vorzüge eines zunehmend liberalisierten Handels haben die WTO-Mitglieder Teilbereiche ihrer staatlichen Souveränität inzwischen übertragen auf die WTO als internationale Organisation177. Grundlegend für die Rechtsordnung der WTO ist folglich das stetige Spannungsverhältnis zwischen universellen Liberalisierungsanstrengungen und den entgegenstehenden partikularen Souveränitätsinteressen der Staaten. 173 Dazu mit weiteren Nachweisen Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 55 ff.; vgl. auch Walter, DVBl. 2000, S. 1 (7 ff.); Coleman/Maogoto, Legal Issues of Economic Integration 2003, S. 35 ff. 174 Zu letzterem Tietje, DVBl. 2003, S. 1081 (1084 ff.); Fink, JZ 1998, S. 330 (334 ff.); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 9 f.; Herdegen, Völkerrecht, § 28, Rn. 4; vgl. auch Hobe, AVR 1999, S. 253 (271 ff. und 278). 175 Vollmöller, Die Globalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts, S. 27 ff.; Delbrück, Das Staatsbild im Zeitalter wirtschaftsrechtlicher Globalisierung, S. 5 (9 ff.); Wahl, JuS 2003, S. 1145 ff.; ausführlich auch Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 1998, passim. 176 Petersmann, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, S. 236 f. ihm folgend auch Stegemann, The World Economy 23 (2000), S. 1237 (1244); kritisch Ipsen/Haltern, Reform des Welthandelssystems?: Perspektiven zum GATT und zur Uruguay Runde, S. 28; näher zu den ökonomischen Konkretisierungen staatlicher Souveränität Stober, UN und WTO als Motoren globaler Wirtschaftsprinzipien, in: Kluth/Müller (Hrsg.), Ordnungsrahmen und Akteure einer sozialen und ökologischen Markt- und Weltwirtschaft, S. 143 (160 f.). 177 Jones, World Trade Review 1 (2002) Nr. 3, S. 257 (262); Wahl, Internationalisierung des Staates, in: Bohnert u. a. (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach, S. 193 (207); vgl. außerdem Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 15; sowie darauf bezugnehmend Korea – Beef, Panel Report, paras. 498 und 673 (Fn. 372).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Normative Ausgestaltung erfährt das Souveränitätsprinzip im WTO-Recht vor allem in den zahlreichen Ausnahmebestimmungen und Schutzklauseln, durch welche es den Mitgliedern ermöglicht wird, in bestimmten Situationen von vertraglichen Vorgaben abzuweichen und auf diese Weise partikulare Interessen aufrechtzuerhalten178. In Betracht kommen dabei sowohl wirtschaftliche als auch politische Motive. Klassisches Beispiel einer auf wirtschaftliche Belange abzielenden Ausnahmevorschrift vom Gebot der Meistbegünstigung ist etwa Art. XIX GATT. Hiernach dürfen die Vertragsparteien von bestehenden Verpflichtungen dann abweichen, wenn erhöhte Warenimporte zu einer ernsthaften Schädigung der heimischen Industrie führen (escape clause)179. Politische Erwägungen hingegen liegen Art. XX GATT zugrunde, nach dem bestimmte staatliche Maßnahmen u. a. zum Schutz der öffentlichen Sittlichkeit oder aber des nationalen Kulturgutes trotz entgegenstehender materiellrechtlicher Verpflichtungen ergriffen werden dürfen180. Mit Blick auf die Streitbeilegung ist zudem vor allem der in Art. 3 Abs. 2 DSU verankerte Souveränitätsvorbehalt erwähnenswert, demzufolge die Empfehlungen und Entscheidungen des DSB die in den Übereinkommen enthaltenen Rechte und Pflichten weder ergänzen noch einschränken können. Diese vertragliche Festschreibung scheint auf den ersten Blick überflüssig zu sein, betrifft sie doch offenbar lediglich die Abgrenzung zwischen Interpretation und Vertragsänderung, wobei letztere ohnehin gem. Art. X WTO-Übereinkommen in die alleinige Kompetenz der WTOMitglieder fällt. Die Entstehungsgeschichte zeigt jedoch, daß Art. 3 Abs. 2 DSU über ein solch rein deklaratorisches Verständnis hinausgeht. Denn nach dem Willen der WTO-Mitglieder hat diese Bestimmung den Charakter einer Schutzklausel, die das während der Uruguay-Runde mühsam ausgehandelte Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten vor einem allzu rechtsschöpferischen Interpretationseifer der Streitbeilegungsorgane bewahren soll181. 178 Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 296; Petersmann, International Trade Order and International Trade Law, in: Oppermann/Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order, S. 201 (212); Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 17 und 22. 179 Die allgemeine Schutzklausel des Art. XIX GATT wird näher konkretisiert durch das Übereinkommen über Schutzmaßnahmen. 180 Allgemein zur Systematik der Ausnahmen bereits oben 1. Teil C. III. 2. a) aa) (2). 181 Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), S. 309 f.; außerdem Gramlich, Die Wirkung von Entscheidungen des Dispute Settlement Body der WTO: Völkerrecht, Europarecht, staatliches Recht, in: Geiger (Hrsg.) Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht vor dem Hintergrund zunehmender Verdichtung der internationalen Beziehungen, S. 187 (207).

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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3. Spruchpraxis des Appellate Body Auch der Appellate Body versteht Souveränität als das generelle Recht der WTO-Mitglieder, wirtschafts- und gesellschaftspolitische Fragen frei zu entscheiden und Maßnahmen in diesem Bereich zu treffen, soweit sie sich damit nicht in Widerspruch zu WTO-rechtlichen Vorgaben setzen. So führt er etwa in dem bereits angesprochenen Fall zum japanischen Branntweinsteuersystem (Japan – Alcoholic Beverages) im Rahmen der Auslegung des Art. III GATT hierzu näher aus: The WTO Agreement is a treaty – the international equivalent of a contract. It is self-evident that in an exercise of their sovereignty, and in pursuit of their own respective national interests, the Members of the WTO have made a bargain. In exchange for the benefits they expect to derive as Members of the WTO, they have agreed to exercise their sovereignty according to the commitments they have made in the WTO Agreement.182

Mehrfach hat der Appellate Body in diesem Zusammenhang beispielsweise festgestellt, daß das WTO-Recht ein bestimmtes Steuersystem weder vorschreibt noch Festlegungen trifft zu den zu versteuernden Einkünften. Die WTO-Mitglieder entscheiden vielmehr alleinverantwortlich darüber, welche Einkünfte sie besteuern und welche Art des Steuersystem sie einführen wollen. Die Grenze dieses Freiraumes ist dann erreicht, wenn die Art der nationalen Besteuerung gegen das WTO-Recht verstößt bzw. dieses umgangen wird183. Letzteres wurde im Bericht des Appellate Body zu den US-Sonderregelungen für die Besteuerung von Unternehmensgewinnen sog. Foreign Sales Corporations (FSCs) besonders hervorgehoben: A Member, in principle, has the sovereign authority to tax any particular categories of revenue it wishes. It is also free not to tax any particular categories of revenues. But, in both instances, the Member must respect its WTO obligations.184 (. . .) Also, this is not a ruling that a Member must choose one kind of tax system over another so as to be consistent with that Member’s WTO obligations. In particular, this is not a ruling on the relative merits of „worldwide“ and „territorial“ systems of taxation. A Member of the WTO may choose any kind of tax system it wishes – so long as, in so choosing, that Member applies that system in a way that is consistent with its WTO obligations.185 182 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 15; zur Frage des Ergreifens von Schutzmaßnahmen etwa US – Line Pipe Safeguards, AB, para. 158. 183 Vgl. etwa Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 16; Chile – Alcoholic Beverages, AB, paras. 59 f.; allgemein zum Spannungsverhältnis zwischen WTO-Recht und nationaler Fiskalpolitik Schön, RIW 2004, S. 50 (52 f.). 184 US – FSCs, AB, para. 90; zu diesem Fall ausführlich Feddersen, IStR 2001, S. 551 ff.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Relevant wurde das Souveränitätsprinzip aber auch in einem ganz anderen Zusammenhang und zwar im Rahmen der völkerrechtlichen Vertragsauslegung. So hat der Appellate Body im Fall EC – Hormones bei der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 SPS festgestellt, die WTO-Mitglieder hätten nicht beabsichtigt, den an sich nicht bindenden internationalen Standards der Codex Alimentarius Kommission durch den Verweis in Art. 3 Abs. 1 SPS rechtliche Bindungswirkung zu verschaffen. Bei Auslegungszweifeln seien nämlich die von souveränen Staaten in völkerrechtlichen Verträgen festgeschriebenen Verpflichtungen stets zugunsten der nationalen Souveränität auszulegen und folglich sei die Auslegung vorzugswürdig, welche die Mitglieder in ihrer Souveränität am wenigsten belaste (souveränitätsschonende Auslegung)186. Angesprochen wird hiermit die völkerrechtliche Auslegungsregel des in dubio (pro) mitius, derzufolge völkervertragliche Beschränkungen der staatlichen Entscheidungsfreiheit im Zweifel eng zu interpretieren sind187. Vom Appellate Body wird diesbezüglich ausgeführt: The interpretative principle of in dubio mitius, widely recognized in international law as a „supplementary means of interpretation“, has been expressed in the following terms: „The principle of in dubio mitius applies in interpreting treaties, in deference to the sovereignty of states. If the meaning of a term is ambiguous, that meaning is to be preferred which is less onerous to the party assuming an obligation, or which interferes less with the territorial and personal supremacy of a party, or involves less general restrictions upon the parties.“188

Auch wenn es angesichts eines modernen, von internationaler Zusammenarbeit geprägten Souveränitätsverständnisses fraglich erscheint, inwieweit eine derartige am klassischen Souveränitätsverständnis anknüpfende Auslegungsregel überhaupt noch uneingeschränkt Geltung beanspruchen kann189, hat das principle of in dubio mitius in der Spruchpraxis des Appellate Body inzwischen einen festen Platz einnehmen können190 und ergänzt als ein im Völkerrecht allgemein geltender Auslegungsgrundsatz die 185

US – FSCs, AB, para. 179. EC – Hormones, AB, para. 165, Fn. 165 (mit Verweisen auf die einschlägige IGH-Rechtsprechung). 187 Vgl. hierzu Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (258 ff.); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 780; ausführlich Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, S. 143 ff. 188 EC – Hormones, AB, para. 165, Fn. 154 (Hervorhebung durch den Verfasser). 189 So Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 140 ff.; kritisch auch Bernhardt, Vertragsauslegung, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts – Völkerrecht, S. 505 (507). 190 EC – Hormones, AB, para. 165, Fn. 154; Argentina – Footwear Safeguards, Panel Report, para. 7.8, Fn. 400; US – 1916 Act (EC), Panel Report, para. 6.87; US – Lamb Safeguards, Panel Report, para. 7.16 (Fn. 59); vgl. zum Ganzen auch Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (117); Waincymer, The World Economy 24 186

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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bereits erwähnten allgemeinen Auslegungsgrundsätze im WTO-Streitbeilegungsverfahren191.

VII. Prinzip der Transparenz Transparenz als die Offenheit bzw. Durchschaubarkeit von Verfahren und Entscheidungsprozessen192 wird sowohl in den nationalen Rechtssystemen als auch im europäischen Gemeinschaftsrecht mehr und mehr zu einem zentralen Konzept bei der Absicherung individueller Rechtspositionen193. Da Gerechtigkeit im Rahmen von Rechtsfindungsprozessen stets eine ausreichende Kenntnis von Entscheidungsgrundlagen voraussetzt, kommt dem Transparenzprinzip eine instrumentale Funktion zu, die es nicht nur zur Realisierung horizontaler Gerechtigkeit, sondern gerade auch innerhalb vertikal strukturierter, also insbesondere öffentlich-rechtlicher Rechtsbeziehungen einnimmt194. In individualistisch konzipierten Gesellschaftssystemen wie dem nationalen Recht oder aber dem europäischen Gemeinschaftsrecht ist Transparenz als elementarer Sicherungsmechanismus zu begreifen, der einerseits die Voraussetzungen zur Kontrolle des gesetzeskonformen Handelns der Verwaltung schafft und andererseits notwendige Voraussetzung der Partizipation des einzelnen am demokratischen Willensbildungsprozeß ist.

1. Völkerrechtliche Grundlagen Zusehends größere Bedeutung wird dem Prinzip der Transparenz inzwischen aber auch auf internationaler Ebene beigemessen, wobei sich hier zwei unterschiedliche Zielrichtungen unterschieden lassen195. Der klassische erste Bereich betrifft den gegenseitigen Informationsaustausch im Rahmen zwischenstaatlicher Rechtsbeziehungen, in deren Mittelpunkt die wechselseitige Offenlegung derjenigen Fakten steht, die für das jeweilige Rechtsverhältnis ausschlaggebend sind. Hinzu kommt – insbesondere mit Blick (2001), S. 1247 (1264); Lennard, JIEL 2002, S. 17 (61 ff.); Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 354. 191 Vgl. dazu oben 3. Teil C. I. 192 Zum Begriff Loddenkemper, Transparenz im öffentlichen und privaten Wirtschaftsrecht, S. 21 f. 193 Aus deutscher Sicht vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 190 f.; Gurlit, DVBl. 2003, S. 1119 ff.; zum EG-Recht siehe etwa Bernhardt, Verfassungsprinzipien – Verfassungsgerichtsfunktionen – Verfassunsprozeßrecht im EWG-Vertrag, S. 82 ff. 194 Hilpold, EuR 1999, S. 597. 195 Dolzer, Wirtschaft und Kultur im Völkerrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 469 (490 f.).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

auf das Wirken Internationaler Organisationen – die Akzeptanz und Legitimität vermittelnde Funktion der Transparenz nicht nur gegenüber, sondern vor allem auch in den einzelnen Mitgliedsstaaten und damit letztlich der Zivilgesellschaft gegenüber. Denn je stärker sich der einzelne Staat als Teilelement der Staatenordnung definiert und je intensiver sich auch Individuen in dieser Ordnung emanzipieren, desto unmittelbarer sind die Rückwirkungen dieser sich auf der völkerrechtlichen Ebene vollziehenden Entwicklung auch auf die Verhaltensoptionen des einzelnen196. Stets ist hierbei notwendige Voraussetzung ein möglichst hohes Maß an Transparenz, denn nur so wird eine sachgerechte Entscheidungsfindung des einzelnen überhaupt erst möglich. 2. WTO-rechtliche Ausgestaltung Auch innerhalb der WTO-Rechtsordnung kommt dem der Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit dienenden Transparenzprinzip auf unterschiedlichen Ebenen Bedeutung zu197. Zunächst relevant wird der wechselseitige Informationsaustausch in den bilateral strukturierten Rechtsbeziehungen zwischen den WTO-Mitgliedern. Im Mittelpunkt steht dabei die Offenlegung derjenigen Fakten, die für eine konsequente Anwendung der jeweiligen Übereinkommen ausschlaggebend sind. Interessiert an der Einhaltung dieser Verpflichtung zur Transparenz ist jeweils die unmittelbare Gegenseite, und folglich geht die Natur der Transparenzpflicht hier von einer grundsätzlich reziprok verfaßten Erfüllungsstruktur der Austauschbeziehungen aus198. Ausprägungen dieser Form des Transparenzprinzips lassen sich insbesondere in Art. X Abs. 1 Satz 1 und 2 GATT finden, wonach die Vertragsparteien alle handelsrelevanten Rechtsnormen, Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen, etc. unverzüglich zu veröffentlichen haben, damit Regierungen und Wirtschaftskreise sich rechtzeitig mit ihnen vertraut machen können199. Diese Informationspflicht ist allerdings nicht unbegrenzt. Ihr unterliegen keine vertraulichen Informationen, deren Veröffentlichung die 196 Dieses Phänomen wird immer häufiger mit dem Schlagwort „Globalisierung“ bezeichnet; vgl. dazu die Zusammenstellung gebräuchlicher Definitionen des Begriffs der Globalisierung bei Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 70 ff. 197 Vgl. hierzu ausführlich WTO, Working Group on the Relationship between Trade and Investment, Transparency, Note by the Secretariat, WT/WGTI/W/109, vom 27.03.2002; Hilf, New Economy – New Democracy? Zur demokratischen Legitimation der WTO, in: Classen (Hrsg.), In einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, Festschrift für Thomas Oppermann, S. 427 (434 ff.). 198 Hilpold, EuR 1999, S. 597 (599); zum GATT bereits Benedek, Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 79. 199 Vgl. mit ähnlichem Wortlaut auch Art. III GATS sowie Art. 63 TRIPS.

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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Durchführung der Rechtsvorschriften behindern oder sonst dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen oder die berechtigten Wirtschaftsinteressen bestimmter öffentlicher oder privater Unternehmen schädigen würden (Art. X Abs. 1 Satz 3 GATT). Neben der Kernbestimmung des Art X GATT enthalten die jeweiligen Sonderübereinkommen eine Vielzahl von Publikations- und Notifikationsverpflichtungen zur Gewährleistung der Vorhersehbarkeit und Transparenz der nationalen Handelsregelungen200. Außerdem gewährt das Streitbeilegungsübereinkommen in Art. 13 Abs. 1 bzw. 2 DSU ein ausdrückliches „Recht auf Information“, demzufolge jedes Panel berechtigt ist, von Einzelpersonen, Gremien oder sonstigen staatlichen Stellen Informationen bzw. fachlichen Rat einzuholen201. Letztlich können sämtliche, im DSU stehenden prozeduralen Vorschriften als Konkretisierung des Transparenzprinzips angesehen werden, da mit ihrer Hilfe eine umfassende Feststellung des zugrundeliegenden streitigen Sachverhalts ermöglicht werden soll202. Dem Ziel erhöhter Transparenz dient schließlich der handelspolitische Überwachungsmechanismus (TPRM)203, im Rahmen dessen in regelmäßigen Abständen jedes WTO-Mitglied beim sog. Trade Policy Review Body einen Bericht über die Handelspolitik sowie Handelspraktiken im eigenen Land einzureichen hat. Diese regelmäßig stattfindenden handelspolitischen Überprüfungen sollen es ermöglichen, die nationalen Vorschriften und Verfahrensabläufe der WTO-Mitglieder kennenzulernen und so das Verständnis für die jeweils unterschiedlichen Rechtssysteme zu fördern. Abgesehen hiervon konkretisiert sich das Transparenzprinzip aber auch in der Informationspflicht der WTO als Organisation gegenüber ihren Mitgliedern. Zentral wahrgenommen wird diese Aufgabe vom WTO-Sekretariat und zwar vor allem mit Hilfe periodisch erscheinender Veröffentlichungen (z. B. WTO Focus; Annual Reports; World Trade Review), zahlreicher Einzelstudien (Basic Instruments and Selected Documents (BISD) sowie Analy200 Vgl. etwa Art. 5 Abs. 7 AoA; Art. 7 SPS sowie Anhang B zum SPS; Art. 2 Abs. 9 und Art. 5 Abs. 6 TBT; Art. 6 Abs. 7 und Art. 7 Abs. 2 ATC; Art. 5 TRIMS; Art. 12 Abs. 1 und Art. 18 Abs. 5 AD; Art. 2 Abs. 5 ff. und Art. 5 Übereinkommen über Vorversandkontrollen; Art. 5 Abs. 1 Übereinkommen über Ursprungsregeln; Art. 5 Übereinkommen über Einfuhrlizenzverfahren; Art. 9, 12, 13 und 25 SCM; Art. 12 AoS; von den plurilateralen Übereinkommen vgl. Art. 8 Abs. 1 TCA; Art. VII Abs. 2 GPA. 201 Vgl. näher Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 233 und 295; Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 100. 202 So ausführlich Waincymer, Melbourne University Law Review 2000, S. 797 ff.; vgl. außerdem Wallach, Law and Policy in International Business 2000, S. 773 ff. 203 Vgl. Art. A lit. i und Art. B TPRM.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

tical Index)204 oder aber durch das inzwischen sehr umfangreiche Informationsangebot im Internet205. Diese zweite Ebene macht das gewandelte Verständnis der Erfüllungsstruktur der WTO-Verpflichtungen deutlich. Erfüllt oder verletzt werden die betreffenden WTO-Verpflichtungen nicht mehr nur gegenüber den einzelnen Vertragspartnern, sondern zunehmend auch gegenüber den WTO-Mitgliedern in ihrer Gesamtheit206. Dementsprechend können diese einen Informationsanspruch geltend machen, wobei die diesbezüglich in der Praxis bestehenden Ungleichgewichte zwischen Industrieländern auf der einen und Entwicklungsländern auf der anderen Seite immer wieder Gegenstand von Diskussionen und Reformvorschlägen sind207. Da beide Ausformungen des Transparenzprinzips in den Beziehungen der WTO-Mitglieder untereinander bzw. denen zur WTO als Internationale Organisation relevant werden und damit letztlich Maßnahmen betreffen, welche die effektive Teilnahme aller Mitglieder am Wirken der WTO sicherstellen sollen, wird in diesem Zusammenhang auch von interner Transparenz (internal transparency) gesprochen208. Im Gegensatz hierzu versteht man unter der externen Transparenz (external transparency), die gewissermaßen als dritte Ausprägung des Transparenzprinzips auf WTO-Ebene verstanden werden kann, die Beteiligung der Zivilgesellschaft bzw. der NGOs an den WTO-internen Entscheidungsverfahren. Zwar hat der Allgemeine Rat basierend auf der Ermächtigungsgrundlage des Art. V Abs. 2 WTO-Übereinkommen inzwischen Richtlinien 204

Special Studies; vgl. hierzu die Auflistung auf der offiziellen Homepage (www.wto.org) unter „resources“ und „economic research and analysis“ bzw. „publications“ (Stand Oktober 2004). 205 Angeführt sei hier nur die offizielle Homepage der WTO (www.wto.org); weitere Angaben zu WTO relevanten Onlineressourcen in JIEL 2002, S. 251 ff. Hinsichtlich der stetig wachsenden Inanspruchnahme des Internets vgl. außerdem die statistischen Daten in WTO-Focus Nr. 29, April 1998, S. 8. Im Global Accountability Report 2003 wird der von der WTO über das Internet bereitgestellte Informationszugang im übrigen als hervorragend eingestuft, vgl. Kovach/Neligan/Burall, Power without Accountability?, The Global Accountability Report 2003, S. 15. 206 Hilpold, EuR 1999, S. 597 (599). 207 Das Prozedere der Entscheidungsfindung wird von vielen Entwicklungsländern als selektiv und ausgrenzend wahrgenommen, denn oftmals werden die WTOBeratungen durch informelle Absprachen der Delegationen der großen Industrieländer und einiger weniger „strategischer Entwicklungsländer“ gesteuert (sog. Green Room Discussions); vgl. dazu Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), S. 86 ff. 208 Vgl. etwa die Ministererklärung von Doha, WTO, Doha Ministerial Declaration, WT/MIN(01)/DEC/W/1, vom 14.11.01, para. 10; Sitzungsprotokoll des Allgemeinen Rates, WT/GC/M/57, vom 14.09.2000, paras. 132 ff.; Enquete Kommission des Deutschen Bundestages, Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten, 14. Wahlperiode, BT-Drucksache 14/9200 vom 12.06.2002, S. 157 f.

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erlassen im Hinblick auf die Beziehungen zu nichtstaatlichen Organisationen209. Allerdings decken diese lediglich einen kleinen Bereich ab, der Fragen etwa des Zugangs zu offiziellen WTO-Dokumenten, der Teilnahme von Vertretern nichtstaatlicher Organisationen an Sitzungen von WTO-Gremien bzw. insbesondere im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens offen läßt. Gerade in diesen Bereichen wird jedoch insbesondere von Seiten der NGOs immer wieder die Forderung nach mehr Mitwirkungsrechten laut, während die Positionen der WTO-Mitglieder zu den vorgebrachten Reformvorschlägen und zu einer Öffnung des WTO-internen Verfahrens zum Teil noch erheblich differieren210. 3. Spruchpraxis des Appellate Body Eine erste allgemeine Bezugnahme auf das Prinzip der Transparenz findet sich im Fall US – Cotton Underwear. Gegenstand dieses Verfahrens war die Frage, von welchem Zeitpunkt an gem. Art. 6 Abs. 10 ATC Schutzmaßnahmen erhoben werden können. Während das Panel in dieser Frage davon ausgegangen war, eine solche Maßnahme könne gem. Art. X Abs. 2 GATT zurückwirken auf den Zeitpunkt ihrer Bekanntmachung211, sprach sich der Appellate Body dagegen aus. Im Rahmen seiner Ausführungen zur Frage der Anwendbarkeit des Art. X Abs. 2 GATT in diesem Zusammenhang finden sich dabei unter anderem die folgenden allgemeinen Ausführungen: Article X:2, General Agreement, may be seen to embody a principle of fundamental importance – that of promoting full disclosure of governmental acts affecting Members and private persons and enterprises, whether of domestic or foreign nationality. The relevant policy principle is widely known as the principle of transparency and has obviously due process dimensions. The essential implication is that Members and other persons affected, or likely to be affected, by governmental measures imposing restraints, requirements and other burdens, should have a reasonable opportunity to acquire authentic information about such measures and accordingly to protect and adjust their activities or alternatively to seek modification of such measures. We believe that the Panel here gave to Article X:2, 209 Guidelines for Arrangements on Relations with Non-Governmental Organizations, WT/L/162, angenommen vom Allgemeinen Rat am 23.01.1996. Im Anschluß an die Verabschiedung dieser Richtlinien wurden wiederholt informelle Veranstaltungen organisiert, die primär dem Meinungsaustausch dienten. 210 Vgl. etwa den Reformvorschlag der EG, WT/GC/W/92 vom 14.07.1998; die Reformvorschläge von China und Hong Kong, WT/GC/W/418 vom 31.10.2000; das Sitzungsprotokoll des Allgemeinen Rates, WT/GC/M/57, vom 14.09.2000, paras. 282 ff.; zum Ganzen auch Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 765 sowie Hoekman/ Mavroidis, The World Economy 23 (2000), S. 527 (538 ff.). 211 US – Cotton Underwear, Panel Report, para. 7.69.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

General Agreement, an interpretation that is appropriately protective of the basic principle there projected.212

Auch wenn nach Ansicht des Appellate Body die Vorschrift des Art. X Abs. 2 GATT folglich als eine Ausformung bzw. Konkretisierung des Transparenzprinzips anzusehen ist, war dies für die Entscheidung ohne weitere Relevanz. Denn gleich im Anschluß hieran wurde vom Appellate Body weiter ausgeführt, daß Art. X Abs. 2 GATT nicht herangezogen werden könne, um die rückwirkende Anwendung von Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen: At the same time, we are bound to observe that Article X:2 of the General Agreement, does not speak to, and hence does not resolve, the issue of permissibility of giving retroactive effect to a safeguard restraint measure. The presumption of prospective effect only does, of course, relate to the basic principles of transparency and due process, being grounded on, among other things, these principles. But prior publication is required for all measures falling within the scope of Article X:2, not just ATC safeguard restraint measures sought to be applied retrospectively. Prior publication may be an autonomous condition for giving effect at all to a restraint measure. Where no authority exists to give retroactive effect to a restrictive governmental measure, that deficiency is not cured by publishing the measure sometime before its actual application. The necessary authorization is not supplied by Article X:2 of the General Agreement.213

Weitere Rückgriffe auf das Transparenzprinzip finden sich insbesondere im Zusammenhang mit dem DSU und zwar im Hinblick auf Konsultationen214, die Öffentlichkeit des Verfahrens215 oder aber die Verfahrensbeteiligung von NGOs. Hinsichtlich letzterer hat der Appellate Body in US – Shrimp abweichend von der vorangegangenen Panelentscheidung ausgeführt, daß das in Art. 13 DSU enthaltene Recht des Panel auf Information es keineswegs ausschließe, bei den Urteilserwägungen auch unaufgefordert übermittelte Schriftsätze bzw. Stellungnahmen (sog. amicus curiae briefs216) mit zu berücksichtigen. Allerdings stehe es im Ermessen sowohl der Panels als auch des Appellate Body, ob und auf welche Weise derartige 212 US – Underwear, AB, S. 21 (Hervorhebung durch den Verfasser); Fallbesprechung etwa bei Hermes, GYIL 42 (1999), S. 530 (547); Ellis/Nawaz, United States – Restrictions on Imports of Cotton and Man-Made Fibre Underwear, in: Cameron/ Campbell (Hrsg.), Dispute Resolution in the World Trade Organization, S. 377 ff. 213 US – Underwear, AB, S. 21. 214 India – Patents, AB, para. 94. 215 Mexico – HFCS (21.5), AB, para. 126; Canada – Automotive Industry, AB, para. 117. 216 Hierbei handelt es sich um eine im US-amerikanischen Gerichtsverfahren ausgeübte Praxis, daß ein nicht auf Seite der Streitparteien stehender, juristischer Berater dem Gericht (als „Freund des Gerichts“, amicus curiae) erklärende Stellungnahmen unterbreitet; ausführlich hierzu Pauwelyn, ICLQ 2002, S. 325 ff.; Note by the Editors, Issues of Amicus Curiae Submissions, JIEL 2000, S. 701 ff.; Ohlhoff, Die

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Stellungnahmen verwertet werden217. Die Gewährung des Vortragsrechts sowie die Kontaktaufnahme zu NGOs stehen damit in der Tendenz der WTO, ihre Transparenz nach außen hin zu erhöhen (external transparency)218.

VIII. Prinzip der Rechtsstaatlichkeit (rule of law) Dem WTO-Recht immanent ist der Anspruch, die internationalen Handelsbeziehungen mit den Mitteln des Rechts zu ordnen und auf diese Weise einer Herrschaft des Rechts (rule of law) zu unterwerfen. Im Wege der rechtlichen Disziplinierung der mitgliedschaftlichen Außenhandelspolitiken soll einer an bloßen Machtgesichtspunkten orientierten wirtschaftlichen Interessendurchsetzung wirksam vorgebeugt werden. So verstanden ist das Konzept der rule of law zwar Ausdruck der Überzeugung, daß der in der Vergangenheit dominante machtorientierte Ansatz (power oriented approach) seit Gründung der WTO durch einen regelorientierten (rule oriented approach) Ansatz abgelöst worden ist219. Letztlich stellt die damit angesprochene Rechtsgeltung bzw. Rechtsbindung jedoch kein spezifisch welthandelsrechtliches Prinzip dar, denn sie kann letztlich allen völkerrechtlichen Vertragsordnungen zugeschrieben werden220. Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 55 ff. 217 US – Shrimp, AB, para. 104; siehe außerdem EC – Asbestos, AB, paras. 50 ff. In diesem Verfahren sah sich der Appellate Body mit einer Flut unverlangter amicus curiae briefs konfrontiert und stellte daher in einem verfahrensleitenden Beschluss eine Reihe von Voraussetzungen auf, unter denen er entsprechende Schriftsätze künftig berücksichtigen würde (EC – Asbestos, Communication from the Appellate Body, WT/DS135/9 vom 08.11.2000). Dieser Beschluss wurde von den WTO-Mitgliedern im Allgemeinen Rat nahezu einhellig als Kompetenzüberschreitung kritisiert (vgl. General Council, Minutes of Meeting, WT/GC/M/60 vom 23.01.2001). Siehe ausführlich zum Ganzen Appleton, JIEL 2000, S. 691 ff.; Charnovitz, Judicial Independence in the World Trade Organization, in: Boisson de Chazournes/Romano/Mackenzie (Hrsg.), International Organizations and International Dispute Settlement: Trends and Prospects, S. 219 (236). 218 So werden NGOs regelmäßig zu einer ganzen Reihe von WTO-Konferenzen zu diversen Themen eingeladen; vgl. dazu den Überblick bei Dunoff, JIEL 1998, S. 433 (453). Auch hat die WTO unter http://www.wto.org/english/forums_e/ngo_e/ngo_e. htm (Stand November 2004) ein umfangreiches Forum für NGOs eingerichtet. 219 Begriffsprägend Jackson, JWTL 12 (1978) Nr. 2, S. 93 (99); vgl. auch Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 31 ff.; Wahl, Konstitutionalisierung – Leitbegriff oder Allerweltsbegriff, in: Eberle u. a. (Hrsg.), Der Wandel des Staates vor den Herausforderungen der Gegenwart, Festschrift für Winfried Brohm, S. 191 (203). 220 Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), S. 195 f.; Bruha/Krajewski, VN 1998, S. 13 (16); vgl. auch Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 84 ff.; Beise, WTO, S. 27 ff.; Ipsen/Haltern, RIW 1994, S. 717 ff.

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1. Rechtsvergleichende Begriffsbestimmung Oftmals wird allerdings, wenn im WTO-rechtlichen Zusammenhang von der rule of law gesprochen wird, dieser aus dem anglo-amerikanischen Recht stammende Begriff gleichgesetzt mit dem aus dem nationalen (deutschen) Recht bekannten Rechtsstaatsprinzip221. Das Postulat der Rechtsstaatlichkeit hat sich inzwischen zum Wesensgehalt des demokratischen Verfassungsstaates überhaupt entwickelt und gilt als Kind des politischen Liberalismus, wenngleich einzelne rechtsstaatliche Elemente bereits aus der antiken Staatstheorie bekannt sind222. Seine mit Blick auf ihre internationale Ausstrahlung bedeutendsten und trotz der unterschiedlichen Rechtstraditionen im wesentlichen vergleichbaren Grundmodelle sind die englische rule of law und der deutsche Rechtsstaat, die in Übersetzungen heute meist gleichbedeutend verwandt werden223. Rechtsstaatlichkeit in der deutschen Terminologie, die in ihrer Komplexität bislang weltweit unerreicht bleibt224, wird dabei zum einen materiell verstanden und bezeichnet als Rechtsstaat einen auf die „Idee der Gerechtigkeit“ bezogenen Staat225. Das formelle Rechtsstaatsverständnis hingegen begreift den Rechtsstaat als einen durch organisatorische oder verfahrensmäßige Vorkehrungen disziplinierten Staat, in dem das öffentliche Handeln stets auf ein Gesetz oder die Verfassung selbst zurückführbar sein muß. In dieser formellen Ausprägung enthält das Rechtsstaatsprinzip eine Vielzahl 221 Zum Prinzipiencharakter des Rechtsstaatsprinzips im deutschen Recht Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, Art. 20 GG (Rechtsstaat), Rn. 39 ff. 222 So ist etwa die Idee, daß in einem Staat Gesetze und nicht Menschen herrschen sollen, seit Aristoteles Leitmotiv der politischen Philosophie; zur Entstehungsgeschichte Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 794 ff. 223 Als Träger dieses staatsrechtlichen Konzepts wurde der deutschstämmige Begriff des Rechtsstaats von vielen anderen Rechtordnungen rezipiert bzw. in entsprechender Übersetzung verfassungsrechtlich verankert; mit umfangreichen Nachweisen dazu Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, S. 205 ff.; SchulzeFielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, Art. 20 GG (Rechtsstaat), Rn. 32 ff.; siehe außerdem die einzelnen Länderberichte in Hofmann u. a. (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit in Europa, S. 41 ff. 224 Ausführlich zum Ganzen Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 764 ff.; Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, § 17, Rn. 1 ff. 225 Zur Rechtsprechung des BVerfG vgl. etwa BVerfGE 20, 323 (313); 52, 131 (144 f.); 70, 297 (308). Als Ausprägungen der materiellen Rechtsstaatlichkeit werden u. a. die Bestimmungen über den Schutz der Menschenwürde, die Freiheitsrechte oder aber auch justizielle Garantien gezählt; zum Ganzen näher Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, S. 211 ff.

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weiterer Elemente bzw. (Unter-)Prinzipien, wie etwa das der Gewaltenteilung, der Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns (Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes), des Rechtsschutzes durch unabhängige Gerichte, des Verbotes von Willkür, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes oder aber der Verhältnismäßigkeit226. Insgesamt läßt sich die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips am plastischsten darstellen durch eine Gegenüberstellung mit dem Macht- oder Willkürstaat (Despotie). Während der Rechtsstaat sich auszeichnet durch die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, den Vorrang von Recht und Gesetz, die Gewährleistung von Menschenrechten, die Begrenzung staatlicher Macht zur Sicherung einer freiheitlichen Gesamtordnung und einen umfassenden gerichtlichen Schutz, will der Machtstaat im Prinzip das Gegenteil. Seine Elemente sind der alleinige Vorrang der realen, rechtlich weitgehend ungebundenen Staatsmacht, die zentralistische Zusammenführung aller staatlichen Gewalt, der Ausschluß der Gewährleistung gerichtlich durchsetzbarer Grundrechte und eines umfassenden Rechtsschutzes227. Eng verwandt mit dem Rechtsstaatsgebot ist das englische Prinzip der rule of law, welches nicht nur in den durch das Common Law geprägten Ländern vorherrscht, sondern auch den Sprachgebrauch des allgemeinen Völkerrechts bzw. des Internationalen Organisationsrechts bestimmt228. Im englischen Recht haben sich rechtsstaatliche Grundsätze im Laufe eines langen historischen Prozesses herausbilden können, wobei die Lehre von der Herrschaft des Rechts ihre klassische Ausprägung erst im 19. Jahrhundert erhielt. Gedacht vor allem als Abgrenzung gegenüber den kontinentalen Rechtsstaatskonzepten, entwickelte der englische Verfassungsrechtler Albert Venn Dicey den Begriff der rule of law und gab ihm in seinem erstmals 1885 erschienenen Verfassungsrechtslehrbuch folgenden Inhalt: Rule of law beinhalte den absoluten Vorrang des ordentlichen Rechts vor Rechtsakten der Verwaltung und schließe Willkür, Vorrechte und weite Ermessensspielräume der staatlichen Gewalt aus. Auch bedeute rule of law die Gleichheit vor dem Recht, sprich die gleiche Unterwerfung aller Bürger, einschließlich der staatlich Bediensteten, unter das ordentliche Recht, dessen Anwendung durch ordentliche Gerichte überwacht werde229. 226 Badura, Staatsrecht, S. 265 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 784 ff.; Degenhart, Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, Rn. 233 ff.; ausführlich auch Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 254 ff., die in einer Bestandsaufnahme insgesamt 142 Einzelausprägungen des Rechtsstaatsprinzips ausmacht. 227 Katz, Staatsrecht, Rn. 161; vgl. auch Battis/Gusy, Einführung in das Staatsrecht, Rn. 195. 228 Vgl. mit weiteren Nachweisen hierzu Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/ Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Band 2, Art. 20, Rn. 234. 229 Dicey, An Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 183 ff.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Auch wenn zu Recht immer wieder auf die unterschiedliche Herkunft und Ausgestaltung der englischen rule of law und des deutschen Rechtsstaatsprinzips hingewiesen wird230, ist inzwischen ein Grad an Überschneidung erreicht, der unbeschadet der noch verbleibenden Unterschiede beider Prinzipien die im internationalen Sprachgebrauch inzwischen gebräuchliche Übersetzung von rule of law in Rechtsstaat und umgekehrt nicht nur rechtfertigt, sondern zugleich als Zeichen gewertet werden kann, daß beide Konzepte mehr und mehr zu einem einheitlichen Modell verschmelzen231. Der dem Rechtsstaatsprinzip immanente verfassungstheoretische Anspruch, politische und gesellschaftliche Macht im Gemeinwesen primär nach Maßgabe von Recht und Gerechtigkeit auszuüben und dabei zugleich zu begrenzen, nimmt inzwischen auch auf europäischer Ebene einen festen Platz ein232. Von Beginn an erfolgte der Aufbau der Europäischen Gemeinschaft nach den gemeineuropäischen rechtsstaatlichen Prinzipien. Zwar wurde die Rechtsstaatlichkeit zum ausdrücklichen Bezugspunkt erst im Vertrag von Maastricht233 und wird seit dem Vertrag von Amsterdam als Grundlage der Europäischen Union in Art. 6 Abs. 1 EUV an prominenter Stelle hervorgehoben. Dieser eher magere Textbefund darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß vor allem dank der Rechtsprechung des EuGH die zahlreichen Einzelausprägungen des Rechtsstaatsprinzips bereits zuvor im europäischen Gemeinschaftsrecht ihren Niederschlag gefunden haben234.

230 Zu den Hauptunterschieden König, „Rule of Law“ und Gouvernanz in der entwicklungs- und transformationspolitischen Zusammenarbeit, in: Murswiek (Hrsg.), Staat – Souveränität – Verfassung, Festschrift für Helmut Quaritsch, S. 123 (133 ff.). 231 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Band 2, Art. 20, Rn. 237; vgl. auch MacCormick, JZ 1984, S. 65 ff. 232 Vgl. aus der EuGH-Rechtsprechung etwa EuGH, Rs. 101/78, Slg. 1979, 623, 637 (Granaria BV – Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten). Zum Ganzen auch von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht: Theoretische und dogmatische Grundzüge, S. 149 (165 ff.); Hofmann, Rechtsstaatsprinzip und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in: Hofmann u. a. (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit in Europa, S. 321 ff.; Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Band 2, Art. 23, Rn. 37 („Rechtsstaatlichkeit als gemeineuropäisches Verfassungsprinzip“). 233 Vgl. den dritten Erwägungsgrund der Präambel zum EUV; außerdem auch Art. 11 Abs. 1 EUV. 234 Einzelne Nachweise bei Grabitz, NJW 1989, S. 1776 (1778 ff.); Haibach, NJW 1998, S. 456 ff.; Middeke, Grundlagen europäischer Rechtskontrolle, in: Rengeling u. a. (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 4, Rn. 6; vgl. auch Fernández Esteban, The Rule of Law in the European Constitution, S. 102 ff.

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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2. Anknüpfungspunkte im Völkerrecht Betrachtet man die in ihren wesentlichen Aussagen also deckungsgleichen Ansätze der rule of law bzw. der Rechtsstaatlichkeit, so kann auf der internationalen Ebene von einem solch umfassenden Konzept (noch) nicht gesprochen werden, was sich insbesondere mit der Rolle der Staaten als zentrale völkerrechtliche Akteure begründen läßt. Betrachtet man etwa die Tätigkeitsbereiche Internationaler Organisationen, so ist deren Zuständigkeit ganz im Gegensatz zu den Nationalstaaten beschränkt auf mehr oder minder eng begrenzte Politikfelder. Zumindest in der traditionellen Sichtweise erschöpft sich ihre Aufgabe in der bloßen Koordination der in den Nationalstaaten aggregierten und dort auch legitimierten Politiken235. Da aber nicht Individuen, sondern Staaten Adressaten dieser auf der internationalen Ebene getroffenen koordinierenden Entscheidungen sind, erscheinen die Entscheidungen nicht nur nicht in gleichem Maße legitimierungsbedürftig wie auf innerstaatlicher Ebene, sondern erscheint auch die generelle Übertragung und Anwendung des Rechtsstaatsprinzips auf eine bloß koordinierende Tätigkeit unangemessen. Allerdings hat im Zuge nicht nur der europäischen Integration, sondern auch der internationalen Kooperation die Zahl und auch die Bedeutung der Kompetenzen, die auf Organisationen wie die EG oder aber die WTO verlagert werden, ständig zugenommen. Diese Veränderung der staatlichen Souveränität, die sich zugleich als Gewinn und Verlust an staatlichem Einfluß charakterisieren läßt, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisch. Denn mit dem gewonnenen Zuwachs an extraterritorialen Einflußmöglichkeiten geht nicht nur der Verlust einher, zwischen konkurrierenden Politikzielen nicht mehr auf allein staatlicher Ebene und damit autonom entscheiden zu können, sondern es drohen auch die nationalen rechtsstaatlichen Gewährleistungen auf der Strecke zu bleiben236. Zwar hat die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit inzwischen vor allem auf europäischer Ebene in zahlreichen Verträgen und Deklarationen ihren Niederschlag gefunden237 und haben einzelne Ausprägungen des Rechts235 Klein, Die Internationalen und Supranationalen Organisationen, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 267 (346 f.). 236 Näher hierzu Wahl, Internationalisierung des Staates, in: Bohnert u. a. (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche, Festschrift für Alexander Hollerbach, S. 193 (216 f.). 237 Vgl. Art. 3 der Satzung des Europarates (05.05.1949) „Every member of the Council of Europe must accept the principles of the rule of law“; siehe auch den dritten Erwägungsgrund der Präambel zur EMRK (04.11.1950), der die rule of law zum gemeinsamen Erbe der Signatarstaaten erklärt; zur weiteren Ausgestaltung des Rechtsstaatsprinzips durch die EMRK-Rechtsprechung vgl. mit Nachweisen Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, Art. 20 GG (Rechtsstaat), Rn. 21.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

staatsgedankens wie z. B. die Rechtssicherheit, die Rechtsgleichheit oder aber das Willkürverbot inzwischen auch auf allgemeiner völkerrechtlicher Ebene eine gewisse Bedeutung erlangen können238. Da aber zugleich der Gerechtigkeitsaspekt nicht nur im allgemeinen Völkerrecht, sondern auch in den besonderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen stets zu den wesentlichen Anforderungen an die Legitimität einer Rechtsordnung gehört239, werden sich letztlich auch die WTO-Mitglieder daran messen lassen müssen, ob in den jeweiligen Prozessen der Rechtssetzung bzw. Rechtsfindung die Maßstäbe des Rechts eingehalten werden. Eine bloße rule-orientation, wie es bereits in Abkehr von der power-orientation geheißen hatte, kann hier nicht genügen240. Die Erwartungen gehen vielmehr dahin, daß das Welthandelsrecht in einem rechtsförmigen Verfahren zustande kommt, dessen Ergebnisse rechtlich überzeugen und dessen Anwendung zugleich rechtsstaatlichen Grundanforderungen entspricht. Anderenfalls ließe sich – zumindest die deutsche – Mitgliedschaft in der WTO auch gar nicht rechfertigen. Denn aus verfassungsrechtlicher Perspektive ermächtigt weder die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 GG noch Art. 24 Abs. 1 GG dazu, im Wege der Einräumung von Hoheitsrechten für zwischenstaatliche Einrichtungen die geltende Verfassungsordnung und damit auch das Rechtsstaatsprinzip aufzugeben241. 3. WTO-rechtliche Ausprägungen Einzelne Ausprägungen eines so verstandenen Rechtsstaatsprinzips lassen sich nicht nur finden in der formalen Bindung der Mitglieder an das einmal gesetzte Recht, sprich die einzelnen WTO-Übereinkommen bzw. die eingeräumten Zugeständnisse, durch welche sich die Mitglieder bei der Ausgestaltung ihrer Handelspolitik gewissermaßen selbst „rechtsstaatliche Fes238

Mit Verweisen auf die IGH-Spruchpraxis hierzu ausführlich Watts, GYIL 36 (1993), S. 15 (21 ff.). 239 Umfassend Nádrai, Rechtsstaatlichkeit als internationales Gerechtigkeitsprinzip, S. 25 ff. und 156 ff. 240 Hilf, JIEL 2001, S. 111 (114 ff.); Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 172. 241 So mit Blick auf Art. 24 Abs. 1 GG Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 273 ff.; für eine analoge Anwendung der Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 GG auch auf das WTO-Recht plädiert Hilf, New Economy – New Democracy? Zur demokratischen Legitimation der WTO, in: Classen (Hrsg.), In einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, Festschrift für Thomas Oppermann, S. 427 (432); allgemein zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Öffnung des innerstaatlichen Bereichs siehe etwa BVerfGE 58, 1 (41); Hobe, Der Staat 1998, S. 521 (533 und 543); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 183 f.

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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seln“ angelegt haben242. Vielmehr enthält die WTO – wie andere fortgeschrittene völkerrechtliche Regime auch – weiterreichende verfahrensmäßige und materielle Bindungen der Rechtsausübung, Rechtsgestaltung und Rechtsdurchsetzung. Als Manifestation der rule of law gilt insbesondere das welthandelsrechtliche Streitbeilegungsverfahren243, dessen Reform derzeit vehement gefordert wird und zwar auch bzw. gerade mit Blick auf die Stärkung rechtsstaatlicher Elemente, etwa der Erhöhung der Verfahrenstransparenz bzw. der Erweiterung des Kreises der Verfahrensbeteiligten244. Darüber hinaus unterliegen die WTO-Mitglieder sowohl untereinander als auch gegenüber der WTO als Institution umfangreichen Veröffentlichungs-, Notifikations- und Berichtspflichten im Hinblick auf die Ausgestaltung ihrer Handelspolitik245. Insgesamt konkretisiert sich das Rechtsstaatsprinzip damit auf zwischenstaatlicher Ebene insbesondere im WTO-rechtlichen Durchsetzungsinstrumentarium246, kommt darüber hinaus aber auch darin zum Ausdruck, daß die WTO-Rechtsordnung materielle Regelungen sowie internationale Institutionen und Verfahren vorsieht247.

242 So Hilf, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Struktur, Institutionen und Verfahren, in: Bothe (Hrsg.), Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 40, S. 257 (270); zum GATT 1947 bereits Petersmann, Strengthening the Domestic Legal Framework of the GATT Multilateral Trade System, in: Petersmann/Hilf (Hrsg.), The New GATT Round of Multilateral Trade Negotiations, S. 33 (74 ff.). 243 India – Quantitative Restrictions, Panel Report, para. 5.101 „Under the WTO, the rule of law has been strengthened through increased automaticity of dispute settlement and detailed integrated dispute settlement procedures.“; außerdem Petersmann, JIEL 1999, S. 189 (208 ff.); Rubenstein/Schultz, Saint John’s Journal of Legal Commentary 1996, S. 271 ff. 244 Für eine Zusammenstellung der Reformvorschläge siehe etwa Petersmann (Hrsg.), Preparing the Doha Development Round: Improvements and Clarifications of the WTO Dispute Settlement Understanding, Conference Report, Florenz 2002; außerdem Tietje, Grundlagen und Perspektiven der WTO-Rechtsordnung, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.II., Rn. 57. 245 Als Beispiel soll Art. 7 SPS dienen, der von den WTO-Mitgliedern die Mitteilung bzw. Notifikation bei Ergreifung oder Änderung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen verlangt. Die genauen Anforderungen finden sich in Annex B zum SPS-Übereinkommens, wonach die WTO-Mitglieder beispielsweise auch zur Einrichtung besonderer Informationsstellen verpflichtet sind; näher hierzu Japan – Agricultural Products, AB, paras. 102 ff. 246 US – FSCs, AB, para. 166; vgl. auch Rubenstein/Schultz, Saint John’s Journal of Legal Commentary 1996, S. 271 (280 ff. sowie 303). 247 Stoll, ZaöRV 1997, S. 83 (118); Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 121; Witt, RIW 2000, S. 691 (694); Lafer, The Role of the WTO in International Trade Regulation, in: Ruttley (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 33 (36); Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 267.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Abgesehen hiervon lassen sich in den WTO-Übereinkommen zudem einzelne Vorschriften finden, die gesondert auf die rechtsstaatliche Ausrichtung der Rechtsordnungen der Mitglieder abzielen und diesbezügliche völkerrechtliche Verpflichtungen aufstellen248. So enthält etwa das Antidumpingübereinkommen in den Artikeln 5 und 6 AD präzise verfahrensrechtliche Vorgaben zur einzelstaatlichen Antidumpinguntersuchung, wobei insbesondere in Art. 6 AD umfangreiche Regelungen getroffen worden sind, wie sie für Verfahren im Bereich der Eingriffsverwaltung allgemein üblich sind. Wesentliche Grundsätze sind hierbei der Anspruch auf rechtliches Gehör, der Grundsatz der Schriftlichkeit des Verfahrens sowie die in Ausgleich zu bringenden Prinzipien der Transparenz auf der einen und der Vertraulichkeit auf der anderen Seite249. Weiter noch reichen die vertraglichen Vorgaben des TRIPS, in dessen Rahmen sich die WTO-Mitglieder auf die präzise Ausgestaltung der nationalen Rechtsordnungen im Hinblick auf die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte verständigt haben. So müssen die Verfahren zur Durchsetzung von Immaterialgüterrechten dem Grundsatz eines fairen und gerechten Verfahrens entsprechen, Sachentscheidungen sind vorzugsweise schriftlich abzufassen, und es muß rechtliches Gehör gewährt werden (vgl. Art. 41 ff. TRIPS). Darüber hinaus ist gegen Verwaltungsentscheidungen sowie erstinstanzliche Gerichtsentscheidungen weiterer Rechtsschutz durch ein Gericht und zur Verhinderung drohender Rechtsverletzungen sogar einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren (Art. 41 Abs. 4 und Art. 50 TRIPS)250.

248 Dazu mit weiteren Nachweisen Stoll, ZaöRV 1997, S. 83 (118) sowie Stoll/ Schorkopf, WTO, Rn. 95 f.; Hilf, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Struktur, Institutionen und Verfahren, in: Bothe (Hrsg.), Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 40, S. 257 (270). 249 Hierzu Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 657 sowie Rn. 878 ff. im Hinblick auf Art. VI GATS und die darin verankerten „rechtsstaatlichen Mindestanforderungen“. 250 Gerade Art. 50 TRIPS mit seinen präzisen Vorgaben zur Ausgestaltung des vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes wird daher vielfach als unmittelbar anwendbare Norm eingestuft. Dazu mit weiteren Nachweisen Uerpmann, Völkerrechtliche Nebenverfassungen, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht: Theoretische und dogmatische Grundzüge, S. 339 (347). Vgl. außerdem Art. XX GPA, der die Mitglieder des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesens zur Einrichtung eines nationalen Widerspruchsverfahrens verpflichtet und dieses ebenfalls an gewisse rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze knüpft; näher Göttsche, Öffentliches Beschaffungswesen, in: Hilf/Oeter (Hrsg.), WTO-Recht, § 25, Rn. 40 ff.

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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4. Spruchpraxis des Appellate Body Auch wenn die im Sinne des Rechtsstaatsprinzips verstandene rule of law in der bisherigen Spruchpraxis des Appellate Body nicht ein einziges Mal explizit aufgegriffen worden ist251, gibt es immerhin regelmäßige Bezugnahmen auf einzelne rechtsstaatliche Aspekte, die als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips gewertet werden können. Häufig verwiesen wird etwa auf die Sicherheit (security) und Vorhersehbarkeit bzw. Verläßlichkeit (predictability) internationaler Handelsbeziehungen252 oder aber auf die Prinzipien der Transparenz, der prozeduralen Fairness, des due process of law bzw. der Verhältnismäßigkeit253. So hat der sich der Appellate Body im Fall US – Shrimp im Rahmen der Auslegung der chapeau-Klausel des Art. XX GATT unter anderem mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob das US-amerikanische Genehmigungsverfahren, mit dem ausnahmsweise eine Erlaubnis zur Einfuhr von Shrimps in die Vereinigten Staaten erlangt werden konnte, eine willkürliche Diskriminierung (arbitrary discrimination) darstellte254. Die Tatsache, daß den antragstellenden Staaten innerhalb dieses Verfahrens weder eine Möglichkeit zur Stellungnahme geboten wurde, noch sie im Falle einer Ablehnung des Antrags über die Gründe der Ablehnung informiert werden sollten und ihnen zudem ein Recht zur Überprüfung der administrativen Entscheidung nicht zustand, führte letztlich zur Bejahung einer willkürlichen Diskriminierung255. Denn das von den amerikanischen Behörden angewandte Zertifizierungsverfahren sei nicht nur rigide und unflexibel, weil es zu wenig Rücksicht auf die bestehenden Zustände der jeweiligen exportierenden Mitglieder nehme. Es sei auch intransparent, da eine Nichterteilung der Zertifikate nicht mitgeteilt bzw. nicht einmal Gelegenheit zu einer rechtlichen Nachprüfung eingeräumt werde. Insgesamt werde das Verfahren weder gerecht noch fair durchgeführt und damit in einer Weise praktiziert, die eine Ver251 Zur Streitbeilegungspraxis unter dem GATT 1947 vgl. Weiss, Optimising the Dispute Settlement Procedure (a European Position), in: van Kappel/Heusel (Hrsg.), Free World Trade and the European Union: The Reconciliation of Interests and the Review of the Understanding on Dispute Settlement in the Framework of the World Trade Organization, S. 77 (78 ff.). 252 Vgl. EC – Computer Equipment, AB, para. 82; Japan – Alcohol, AB, S. 31; Mexico – HFCS (21.5), AB, para. 107 (mit Verweis auf Art. 3 Abs. 2 sowie 12 Abs. 7 DSU); näher zum Ganzen Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 147 ff. 253 Vgl. zu letzteren unten 4. Teil A. IX. bzw. 4. Teil B. III. 3. 254 Näher hierzu Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 351 ff.; Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 288 ff.; zum „Shrimps-Fall“ ausführlich unten 4. Teil B. II. 1. c). 255 US – Shrimp, AB, para. 184.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

kürzung der Rechte von Mitgliedern sehr wahrscheinlich mache256. Diese Äußerungen des Appellate Body lassen darauf schließen, daß die Anwendung einer Maßnahme nach Art. XX GATT einem Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit genügen muß, um nicht als willkürliche Diskriminierung zu erscheinen. Ableiten will der Appellate Body diese rechtsstaatlichen Mindeststandards aus der Vorschrift des Art. X Abs. 3 GATT: It is also clear to us that Article X:3 of the GATT 1994 establishes certain minimum standards for transparency and procedural fairness in the administration of trade regulations which, in our view, are not met here. The non-transparent and ex parte nature of the internal governmental procedures applied by the competent officials (. . .) throughout the certification processes under Section 609, as well as the fact that countries whose applications are denied do not receive formal notice of such denial, nor of the reasons for the denial, and the fact, too, that there is no formal legal procedure for review of, or appeal from, a denial of an application, are all contrary to the spirit, if not the letter, of Article X:3 of the GATT 1994.257

Nicht nur bei der Rechtsetzung, sondern auch bei der Anwendung handelshemmender Rechtsakte sind ausländische Interessen mithin in gebührender Weise zu berücksichtigen. Im Rahmen von Genehmigungsverfahren etwa sind die WTO-Mitglieder verpflichtet, ihre Entscheidungen ausreichend zu begründen und die Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen die etwaige Verweigerung einer Genehmigung zu gewähren. Unter Rückgriff auf einzelne Aspekte des Rechtsstaatsprinzips werden damit der Sache nach verfahrensrechtliche Vorgaben entwickelt, die in erster Linie dem Schutz ausländischer Unternehmen dienen sollen und bei der Verfolgung der jeweiligen Interessen von den WTO-Mitgliedern beachtet werden müssen258.

IX. Prinzip der Verhältnismäßigkeit Vieles deutet darauf hin, daß als allgemeine Abwägungsmethode zum rationalen Umgang mit unterschiedlichen Werten und Interessen inzwischen auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im WTO-Recht einen festen Platz einnimmt. Legt man diese mittlerweile häufig vertretene, keineswegs aber unbestrittene Position zugrunde259, so könnte die internationale Ausbreitung 256

US – Shrimp, AB, para. 181. US – Shrimp, AB, para. 183 (Hervorhebung durch den Verfasser). 258 So von Bogdandy, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 609 (669 f.); vgl. auch Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 290. 259 Aus dem umfangreichen Schrifttum vgl. Hilf/Puth, The Principle of Proportionality on its Way into WTO/GATT Law, in: von Bogdandy/Mavroidis/Mény (Hrsg.), European Integration and International Co-Ordination, Studies in Transnational Economic Law in Honour of Claus-Dieter Ehlermann, S. 199 (211 ff.); 257

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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und Anerkennung dieses zunächst von der deutschen Rechtswissenschaft entwickelten Prinzips geradezu als Paradebeispiel gelten für die inzwischen erreichte Angleichung verschiedenartiger Rechtsordnungen. Ursprünglich zunächst auf die klassischen verwaltungsrechtlichen Bereiche des Ordnungs- und Gefahrenabwehrrechts beschränkt, wurde das Verhältnismäßigkeitsprinzip schnell zu einem zentralen Grundsatz der deutschen Rechtsordnung, der heute nahezu alle Bereiche des deutschen Verwaltungs- und Verfassungsrechts durchzieht. Der Bedeutungszuwachs beschränkt sich jedoch keineswegs auf die Rechtsentwicklung in Deutschland, sondern kommt zum Ausdruck auch in einer stetig wachsenden Anerkennung in anderen Rechtsordnungen260, die bemerkenswerterweise zum Teil erhebliche Unterschiede gegenüber dem deutschen Rechtssystem aufweisen261. Wie die vergleichende Betrachtung der konkreten Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf nationaler, europäischer und völkerrechtlicher Ebene zeigt, gelangt das Verhältnismäßigkeitsprinzip dabei allerdings auf den jeweiligen Rechtsebenen in durchaus unterschiedlicher Art und Weise zur Anwendung, was wiederum nicht ohne Bedeutung ist für seine Ausgestaltung im Welthandelsrecht. McGovern, International Trade Regulation, § 13.111; Verhoosel, National Treatment and WTO Dispute Settlement, S. 106 ff.; Tietje, Grundlagen und Perspektiven der WTO-Rechtsordnung, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.II., Rn. 52; Epiney, DVBl. 2000, S. 77 (83 f.); Ohlhoff, EuZW 2002, S. 549 (551); Godt, EWS 1998, S. 202 (207); Altemöller, Handel und Umwelt im Recht der Welthandelsorganisation WTO, S. 308 ff.; zum GATT 1947 bereits Rothberg, Minnesota Law Review 1990, S. 505 (530); Petersmann, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, S. 230. Dagegen u. a. Neumann/Türk, JWT 37 (2003) Nr. 1, S. 199 (231); Desmedt, JIEL 2001, S. 441 ff.; Neumayer, JWT 35 (2001) Nr. 1, S. 145 (153); Marceau, A Call for Coherence in International Law, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (138); zum GATT 1947 bereits ablehnend von Bogdandy, EuZW 1992, S. 243 (246 f.); Bruha, Normen und Standards im Warenverkehr mit Drittstaaten, in: Hilf/Tomuschat (Hrsg.), EG und Drittstaatenbeziehungen nach 1992, S. 83 (95). 260 Delbrück, Proportionality, EPIL III (1984), S. 1140; vgl. die Beiträge zu ausgewählten nationalen Rechtsordnungen bei Kutscher u. a. (Hrsg.), Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, passim; Heinsohn, Der öffentlichrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 129 ff.; Emiliou, The Principle of Proportionality in European Law, S. 67 ff.; weitere Nachweise auch bei Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S. 207 f. 261 Dies gilt vor allem für Großbritannien, wo sich nach und nach ebenfalls eine Etablierung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit abzeichnet; ausführlich dazu Knill/ Becker, Divergenz trotz Diffusion? Rechtsvergleichende Aspekte des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Deutschland, Großbritannien und der Europäischen Union, MPIProjektgruppe Recht der Gemeinschaftsgüter, Preprint 2003/1, S. 1 (19 ff.); de Bfflrca, Proportionality and Subsidiarity as General Principles of Law, in: Bernitz/ Nergelius (Hrsg.), General Principles of European Community Law, S. 95 (99 ff.); Blake, European Human Rights Law Review 2002, S. 19 ff.

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1. Begriff und Ursprünge im deutschen Recht Auch wenn der Begriff der Verhältnismäßigkeit zuallererst ein Relationsbegriff ist, der bestimmte Aspekte zueinander in Beziehung setzt262, verbindet man im deutschen Recht mit dem sog. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine sehr ausdifferenzierte, teilweise sogar als ausufernd kritisierte263, rechtliche Dogmatik. Grundgedanke ist dabei, daß der Staat den einzelnen in seiner Freiheitssphäre nur soweit beschränken darf, als es im allgemeinen Interesse unbedingt erforderlich ist. Obwohl sich die Idee des „rechten Maßes“ bis in die Gerechtigkeitslehren der Antike zurückverfolgen läßt264, ist die Rechtsgeschichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine bemerkenswert junge. Als erster Anknüpfungspunkt gilt die in § 10 Abs. 2 Titel 17 des Preußischen Allgemeinen Landrechts erwähnte Notwendigkeit265, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem durch die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts weiterentwickelt wurde266 und seither als Gemeingut des Polizeirechts gilt267. Im Grundgesetz ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich nicht formuliert268. Gleichwohl wird er einhellig als verfassungsrechtliches Strukturprinzip angesehen und dabei insbesondere abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip269 oder aber aus „dem Wesen der Grundrechte 262 Wieacker, Geschichtliche Wurzeln des Prinzips der verhältnismäßigen Rechtsanwendung, in: Lutter u. a. (Hrsg.), Festschrift für Robert Fischer, S. 867 (871); Michael, JuS 2001, S. 148 ff.; vgl. auch Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 603 „Es handelt sich deshalb gar nicht um ein Rechtsprinzip, sondern um eine, ja vielleicht um die wichtigste Methode rationaler Wertabwägung überhaupt.“. 263 So Leisner, NJW 1997, S. 636 ff.; kritisch zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Arbeitsrecht etwa Stückmann/Kohlepp, RdA 2000, S. 331 (333 ff.). 264 Wieacker, Geschichtliche Wurzeln des Prinzips der verhältnismäßigen Rechtsanwendung, in: Lutter u. a. (Hrsg.), Festschrift für Robert Fischer, S. 867 (874 ff.); Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 245. 265 § 10 Abs. 2 Titel 17 Preußisches ALR lautet „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit, und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey.“ Zu den historischen Ursprüngen im deutschen Recht Heinsohn, Der öffentlichrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 3 ff.; Stern, Zur Entstehung und Ableitung des Übermaßverbots, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Peter Lerche, S. 165 (168 f.); Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 2 ff. 266 PrOVGE 9, 353 (368); 13, 424 (426); 37, 401 (403 ff.); weitere Nachweise bei Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 863. 267 Ausführlicher Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 320 ff. 268 Dafür finden sich einfachgesetzliche Normierungen auf Bundesebene etwa in § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO; § 9 Abs. 2 VwVG; § 15 BGSG; auf Landesebene z. B. in § 4 SOG HH; § 2 PolG NW; § 15 OBG NW.

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selbst“270.271 Ungeachtet dieser unterschiedlichen Herleitung besteht weithin Einigkeit hinsichtlich seiner dogmatischen Struktur. Üblicherweise wird die auch als Übermaßverbot272 bezeichnete sog. Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne (i. w. S.) unterteilt in die drei Teilgebote Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (i. e. S.)273. Hierbei liegt die Bedeutung des ersten Prüfungspunktes auf der Hand. Der Eingriff muß zur Erreichung des angestrebten, bereits zuvor als legitim identifizierten Zwecks überhaupt geeignet sein, sprich das vom Staat gewählte Mittel zur Zweckerreichung beitragen können. Ist dies der Fall, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die staatliche Maßnahme das mildeste Mittel darstellt, um das fragliche Ziel zu erreichen. Stehen mehrere, gleichermaßen geeignete Mittel zur Verfügung, so ist stets das freiheitsschonendere Mittel zu wählen. Die dritte Prüfungsstufe ist die anspruchsvollste, denn hier verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. e. S., daß das belastende staatliche Handeln in einem angemessenen Verhältnis zu Gewicht und Bedeutung der grundrechtlichen Beeinträchtigung steht. Dieses auch als Angemessenheit274, Zumutbarkeit275 oder Proportionalität276 bezeichnete Prinzip zielt im Sinne einer Güterabwägung ab auf den Ausgleich zwischen der Schwere der Belastungen auf der einen und der Bedeutung des von der staatlichen Maßnahme verfolgten Gemeinwohlzwecks auf der anderen Seite277. 269 BVerfGE 23, 127 (133); 69, 1 (35); 70, 278 (286); 76, 256 (359); Katz, Staatsrecht, Rn. 205; Ress, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im deutschen Recht, in: Kutscher u. a. (Hrsg.), Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, S. 5 (15). 270 BVerfGE 19, 342 (349); 76, 1 (50 f.); Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, Vorb. Art. 1 GG, Rn. 91, Fn. 361; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Band 2, Art. 20, Rn. 298; Bleckmann, JuS 1994, S. 177 (178). 271 Zu den verschiedenen Herleitungsmöglichkeiten mit weiteren Nachweisen Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, Art. 20 GG (Rechtsstaat), Rn. 167; ausführlich Zimmerli, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im öffentlichen Recht, S. 19 ff. 272 BVerwGE 48, 299 (302); 49, 36 (43); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 861; Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, Vorb. Art. 1 GG, Rn. 91; Badura, Staatsrecht, S. 272. 273 Mit ausführlichen Verweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG hierzu Michael, JuS 2001, S. 654 ff.; 764 ff. und 866 ff. 274 Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 180. 275 BVerfGE 21, 173 (183); von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, S. 245 ff. 276 Degenhart, Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, Rn. 397; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 866; Katz, Staatsrecht, Rn. 208. 277 Zum Ganzen Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band I, Vorb. Art. 1 GG, Rn. 91 ff.; Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 169 ff.; von Arnauld, Die Frei-

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Trotz seines verwaltungsrechtlichen Ursprungs entfaltet das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Regulativ für die Abwägung von Freiheit und Eingriff und das Gegenüber von Gemeinwohl- und Individualinteresse inzwischen konkrete Bedeutung für alle drei staatlichen Gewalten278. So können sogar Legislativakte vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden279, wenn sie nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Allerdings wird dem Gesetzgeber hinsichtlich des Erlasses von Gesetzen stets ein hohes Maß an Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum (gesetzgeberisches Ermessen) zuerkannt280. Diskutiert wird die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zudem im bundesstaatlichen Kontext281. Jedoch wurde eine Übernahme des Prinzips als Maßgabe auch für die Beziehungen zwischen Bund und Ländern vom Bundesverfassungsgericht bisher stets abgelehnt mit der Begründung, die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Schranken für Einwirkungen des Staates in den Rechtskreis des einzelnen seien auf das kompetenzrechtliche Bund-Länder-Verhältnis nicht übertragbar282. Auch wenn dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit die Hauptbedeutung damit in den Rechtsbereichen zukommt, die staatliche Eingriffe normieren und von Grundrechten oder Einrichtungsgarantien abgesichert sind, gilt es darüber hinaus als ein generelles Gebot des Maßhaltens und einer vernunftgemäßen Zweck-Mittel-Relation.

heitsrechte und ihre Schranken, S. 219 ff.; Ress, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im deutschen Recht, in: Kutscher u. a. (Hrsg.), Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, S. 5 (17 ff.). 278 Näher zu den jeweiligen Anwendungsbereichen Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, S. 863 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, Art. 20 GG (Rechtsstaat), Rn. 175 ff. 279 BVerfGE 7, 377 (405 ff.); 30, 292 (316); 63, 88 (115); 67, 157 (173); 90, 145 (172); 100, 313 (373). 280 BVerfGE 15, 126 (147); 46, 246 (257); 50, 290 (332 f.); 77, 84 (111 f.); näher hierzu Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, Art. 20 GG (Rechtsstaat), Rn. 178 f. 281 Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band II, Art. 70 GG, Rn. 38 sowie ausführlicher ders., Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 397 ff.; vgl. auch Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Band 2, Art. 72, Rn. 89. 282 BVerfGE 61, 256 (289); 81, 310 (337 f.); 84, 25 (31); siehe auch Knill/ Becker, Divergenz trotz Diffusion? Rechtsvergleichende Aspekte des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Deutschland, Großbritannien und der Europäischen Union, MPIProjektgruppe Recht der Gemeinschaftsgüter, Preprint 2003/1, S. 1 (11 f.); Degenhart, Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, Rn. 404.

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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2. Ausgestaltung im EG-Recht Mit dem Vertrag von Maastricht hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip ausdrücklich auch Eingang gefunden in das gemeinschaftsrechtliche Primärrecht. Zumindest teilweise findet es sich nun in Art. 5 Abs. 3 EGV wieder, demzufolge „die Maßnahmen der Gemeinschaft nicht über das für die Erreichung der Vertragsziele erforderliche Maß hinausgehen“ dürfen283. Auch wenn diese Formulierung insoweit offen zu bleiben scheint284, ist doch unumstritten, daß hierdurch das Prinzip umfassend und weitgehend auch mit den drei – bereits aus der deutschen Rechtsordnung bekannten – Prüfungsschritten vertraglich normiert wurde285. Denn bereits zuvor hatte sich der EuGH zum Zwecke einer funktionsähnlichen Überprüfung gemeinschaftlicher Eingriffe in Rechte Privater gerade der Begrifflichkeiten bedient, die zu weiten Teilen der deutschen Dogmatik entsprechen286. Bis zu seiner vertraglichen Normierung im Jahre 1992 war das Verhältnismäßigkeitsprinzips dabei als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkannt, zu dessen Herleitung der EuGH nicht nur auf diejenigen vertraglichen Vorschriften zurückgriff, in denen gemeinschaftliche Maßnahmen unter den Vorbehalt ihrer sachbezogenen Rechtfertigung bzw. ihrer Erforderlichkeit gestellt wurden (z. B. Art. 30, 34 Abs. 2 EGV)287, sondern stets auch auf die Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten rekurrierte288. 283 Siehe außerdem das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit vom 02.10.1997 (abgedruckt in Sartorius II, Nr. 151, Protokollnr. 30), welches gem. Art. 311 EGV Vertragsbestandteil ist. 284 Zur „sprachlich nicht besonders gelungenen Kodifikation“ Pache, NVwZ 1999, S. 1033 (1035). 285 Ress, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im deutschen Recht, in: Kutscher u. a. (Hrsg.), Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, S. 5 (38); Kischel, EuR 2000, S. 380 (390 ff.); de Bfflrca, The Principle of Proportionality and its Application in EC Law, Yearbook of European Law 1993, S. 105 (113 ff.); Jans, Legal Issues of Economic Integration 2000, S. 239 (240 ff.). 286 Als erste Entscheidung, bei der der EuGH den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bzw. zumindest Teile davon herangezogen hat, gilt das Urteil Fédéchar, vgl. EuGH, Rs. 8/55, Slg. 1955/56, 297, 311 (Fédération Charbonnière de Belgique – Hohe Behörde). In ständiger Rechtsprechung als übergreifendes Rechtsprinzip zur Begrenzung sämtlicher belastender Gemeinschaftsmaßnahmen ist er spätestens seit EuGH, Rs. 11/70, Slg. 1970, 1125, 1135 ff. (Internationale Handelsgesellschaft) anerkannt und hat über die Rechtsprechung des EuGH sogar Eingang gefunden in nationale Rechtsordnungen, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in dieser Form bisher nicht kannten; so Schwarze, NJW 1986, S. 1067 (1069) mit Verweis auf Großbritannien. 287 Für weitere Nachweise siehe Kutscher, Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Recht der Europäischen Gemeinschaften, in: Kutscher u. a. (Hrsg.), Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, S. 89 (91 f.); ausführlicher zur Verhältnismäßigkeitskontrolle im Rahmen des Art. 30 EGV Wie-

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Betrachtet man den systematischen Zusammenhang von Art. 5 Abs. 3 EGV, so ist bemerkenswert, daß diese Vorschrift nicht – wie dies aufgrund mitgliedstaatlicher Rechtstraditionen zu erwarten gewesen wäre – im Kontext der vertraglichen Grundfreiheiten zu finden ist. Vielmehr steht sie vereint mit den wichtigen Eckdaten einer im Entstehen begriffenen, fundamentalen Kompetenzordnung, deren weitere Grundmaximen (Subsidiaritätsprinzip und Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung) der Domestizierung gemeinschaftlicher Regelungshypertrophie dienen289. Nicht verwunderlich ist daher, wenn das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf europäischer Ebene in unterschiedlichen Zusammenhängen Anwendung findet, innerhalb derer die Prüfungsschritte zwar grundsätzlich denen des deutschen Rechts entsprechen, aber je nach Zusammenhang hinsichtlich ihrer Intensität durchaus variieren können. Als Schranken-Schranke im Anwendungsbereich der Gemeinschaftsgrundrechte und Grundfreiheiten bildet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit den wesentlichen Prüfungsmaßstab für die Zulässigkeit von Eingriffen in Freiheitsrechte des einzelnen290. Hier kommen die drei Teilgebote der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit zur Anwendung, denn hoheitliche Maßnahmen sind nur rechtmäßig, „wenn sie zur Erreichung der zulässigerweise mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich sind“. Und stehen mehrere geeignete Maßnahmen zur Verfügung, so ist „die am wenigsten belastende zu wählen; ferner müssen die auferlegten Belastungen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen“291. Allerdings ist die Intensität, mit der ein möglicher Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geprüft wird, eingeschränkter als im deutmer, Produktsicherheit und freier Warenverkehr in GATT, WTO: eine Untersuchung von SPS-, TBT-Abkommen und GATT 1994 unter vergleichender Berücksichtigung von Artt. 28, 30 EG, S. 67 f. 288 Kutscher, Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Recht der Europäischen Gemeinschaften, in: Kutscher u. a. (Hrsg.), Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, S. 89 ff.; Arnull, The European Union and its Court of Justice, S. 199 ff.; Pache, NVwZ 1999, S. 1033 (1034 f.); allgemein zur Bedeutung der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts etwa Iglesias, NJW 1999, S. 1 (4 ff.); Lecheler, ZEuS 2003, S. 337 (340 ff.). 289 So Knill/Becker, Divergenz trotz Diffusion? Rechtsvergleichende Aspekte des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Deutschland, Großbritannien und der Europäischen Union, MPI-Projektgruppe Recht der Gemeinschaftsgüter, Preprint 2003/1, S. 1 (16). 290 Kingreen, JuS 2000, S. 857 (863); Kischel, EuR 2000, S. 380 (384 f.); Pernice, NJW 1990, S. 2409 (2415 f.). 291 So etwa EuGH, Rs. 265/87, Slg. 1989, 2237, 2269, Rn. 21 (Schräder – Hauptzollamt Gronau).

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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schen Recht292. Vom EuGH werden die Einzelelemente der Verhältnismäßigkeit, also die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit, nämlich als unbestimmte Rechtsbegriffe mit hohem Abstraktionsgrad verstanden. Und aufgrund dieser Unbestimmtheit bzw. wegen der bei der Beurteilung stets anzustellenden Prognosen und Bewertungen wird den anderen Gemeinschaftsorganen stets ein weitreichender Beurteilungsspielraum eingeräumt. So heißt es etwa im Urteil zur Bananenmarktordung, „daß der Gemeinschaftsgesetzgeber auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik über ein weites Ermessen verfügt“ und der EuGH „nicht die Beurteilung des Rates in der Frage, ob die vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewählten Maßnahmen mehr oder weniger angemessen sind, durch seine eigene Beurteilung ersetzen“ könne293. Folglich hat die Berufung auf die Berufsfreiheit und das Eigentum nicht nur im Bananenmarktfall, sondern überhaupt gegenüber gemeinschaftlichen Maßnahmen noch nicht ein einziges Mal zum Erfolg geführt. Diese Differenz zwischen deutschem und europäischem Grundrechtsverständnis birgt erhebliches Konfliktpotential, da nach deutschem Verständnis das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu den konkret betroffenen Rechtspositionen in Bezug zu setzen ist und sich nicht an abstrakten Wertigkeiten orientieren darf294. Über den subjektivrechtlichen Ansatz hinaus entfaltet das Verhältnismäßigkeitsprinzip aber auch in objektivrechtlicher Hinsicht Wirkung und findet deswegen auch in solchen Fällen Anwendung, in denen grundrechtliche Positionen nicht betroffen sind. In dieser zweiten Funktion dient das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht mehr primär dem Schutz individueller Rechte der Gemeinschaftsbürger, sondern vielmehr der Balance zwischen Gemeinschaftsintegration und mitgliedstaatlicher Souveränität. Rechtlich gebunden werden sowohl die Gemeinschaftsorgane bei der Rechtssetzung und Verwaltung als auch die Mitgliedsstaaten beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts295. Auffallend ist, daß in den Fällen, in denen der Erhalt gemeinschaftlicher Kompetenzen auf dem Spiel steht, der EuGH die verschiedenen Prüfungsschritte des Verhältnismäßigkeitsprinzips allerdings nur recht 292 Zur Überprüfungsintensität Pache, NVwZ 1999, S. 1033 (1038 f.); vgl. auch Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Band 2, Art. 23, Rn. 57. 293 EuGH, Rs. C-280/93, Slg. 1994, I-4973, 5068, Rn. 89 (Bundesrepublik Deutschland/Rat); siehe auch Haibach, NJW 1998, S. 456 (461); Kischel, EuR 2000, S. 380 (386 ff.). 294 Näher zum Ganzen Kingreen, JuS 2000, S. 857 (863); Pache, NVwZ 1999, S. 1033 (1039 f.); Hörmann/Göttsche, RIW 2003, S. 689 (696 ff.). 295 Kutscher, Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Recht der Europäischen Gemeinschaften, in: Kutscher u. a. (Hrsg.), Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, S. 89 (93); Pache, NVwZ 1999, S. 1033 (1038); Arnull, The European Union and its Court of Justice, S. 199.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

zurückhaltend durchschreitet. Den Gemeinschaftsorganen wird regelmäßig ein sehr weiter Entscheidungsspielraum zugestanden. Die eigentlich notwendige einzelfallbezogene Gewichtung des konkreten, auf dem Spiel stehenden Interesses wird zugunsten einer Globalabwägung zwischen Vorteilen und Unzuträglichkeiten einer Maßnahme meist zurückgestellt, was im Ergebnis dazu führt, daß eine Maßnahme der Gemeinschaft nur bei offensichtlicher Ungeeignetheit schon auf der ersten Stufe der Prüfung scheitert. Ähnliches gilt für die Fragen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit i. e. S., denn nur offenkundige Verstöße werden hier durch den EuGH gerügt, so daß insgesamt die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf Gemeinschaftsrechtsakte nur äußerst selten zu deren Ungültigkeit geführt hat. Deutlich strenger hingegen ist der Prüfmaßstab, den der Gerichtshof bei der Überprüfung mitgliedstaatlicher Maßnahmen anlegt. Kollidieren hier mitgliedsstaatliche Aktivitäten mit den Regelungsansprüchen der Gemeinschaft, so werden nationale Ausnahmeregelungen vom EuGH häufig als unverhältnismäßige Einschränkungen gemeinschaftlicher Freiheiten eingestuft, entweder weil sie als ungeeignet oder als nicht erforderlich zur Erreichung des mit der Ausnahmeregelung angestrebten Ziels angesehen werden296. Für die Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf europäischer Ebene läßt sich folglich zweierlei konstatieren: Zum einen mißt der EuGH dem Prinzip je nach Anwendungsbereich einen unterschiedlichen Stellenwert bei. Strenge und ausdifferenzierte Prüfungsmaßstäbe werden angelegt, wenn es um die Wahrung mitgliedstaatlicher Kompetenzen bzw. die Kontrolle mitgliedstaatlicher Eingriffe geht. Steht hingegen die Ausweitung gemeinschaftlicher Kompetenzen und die Kontrolle gemeinschaftlicher Eingriffe im Vordergrund, fällt die Prüfung der Verhältnismäßigkeit dieser Aktivitäten schwächer aus. Ein zentraler Faktor, der diese Entwicklung erklären mag, ist die Eigenschaft des EuGH als korporativer Akteur, der über eigene, von den Mitgliedstaaten übertragene Handlungskompetenzen verfügt. Im Gegensatz zu einem intergouvernementalen Akteur, dessen Interesse bloß dem aggregierten Individualinteresse entspricht, verfolgt der EuGH neben gemeinschaftsweiten Zielen auch institutionelle Eigeninteressen, welche den Vorstellungen einzelner Mitgliedsländer durchaus zuwiderlaufen können. Zum anderen ist auffallend, daß das Verhältnismäßigkeits296 Zum Ganzen Knill/Becker, Divergenz trotz Diffusion? Rechtsvergleichende Aspekte des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Deutschland, Großbritannien und der Europäischen Union, MPI-Projektgruppe Recht der Gemeinschaftsgüter, Preprint 2003/1, S. 1 (17 f.); de Bfflrca, Proportionality and Subsidiarity as General Principles of Law, in: Bernitz/Nergelius (Hrsg.), General Principles of European Community Law, S. 95 (97 ff.); Ehlers, Allgemeine Lehren, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7, Rn. 85.

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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prinzip auf europäischer Ebene teilweise in einem völlig anderen systematischen Kontext als in der deutschen Rechtsordnung angewandt wird, nämlich bei der Abgrenzung gemeinschaftlicher und nationaler Regelungskompetenzen. Das Prinzip dient hier als Maßstab für die Allokation gemeinschaftlicher und mitgliedstaatlicher Souveränität und tritt damit neben das ebenfalls in Art. 5 EGV kodifizierte Subsidiaritätsprinzip297. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf EG-Ebene verfügt mithin über eine innovative Komponente, die in dieser Form auf nationaler Ebene nicht zu finden ist. 3. Völkerrechtliche Grundlagen Auf das Völkerrecht ist dieser innerstaatliche bzw. supranationale Ansatz hingegen nur eingeschränkt übertragbar. Die (völkergewohnheitsrechtliche) Anerkennung des Verhältnismäßigkeitsprinzips beschränkt sich bisher lediglich auf völkerrechtliche Teilbereiche. So umfaßt etwa das staatliche Selbstverteidigungsrecht gem. Art. 51 UN-Charta nur solche Aktionen, die im Hinblick auf den vorangegangenen Angriff verhältnismäßig sind298. Gleiches gilt für die völkerrechtlichen Zwangsmittel der Retorsion und der Repressalie299 oder aber die Zwangsmaßnahmen des UN-Sicherheitsrates (Art. 39 ff. UN-Charta)300. Für den Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes sind der Umfang der Rechtsgarantie und dessen Begrenzung ebenfalls in einen angemessenen Ausgleich zu bringen301. Schließlich hat der Verhältnismäßigkeitsgedanke Ausprägung auch im humanitären Völker297 Zum Verhältnis von Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Subsidiaritätsprinzip näher Pache, NVwZ 1999, S. 1033 (1038); de Bfflrca, Proportionality and Subsidiarity as General Principles of Law, in: Bernitz/Nergelius (Hrsg.), General Principles of European Community Law, S. 95 ff. 298 IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons Case, Advisory Opinion, I. C. J. Rep. 1996, S. 226 (242); IGH, Nicaragua Case, I. C. J. Rep. 1986, S. 14 (94), siehe außerdem Fischer, Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 59, Rn. 39 f. 299 Dazu Doehring, Völkerrecht, Rn. 1026 und 1033; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1343; Bleckmann, Gedanken zur Repressalie, in: von Münch (Hrsg.), Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht, Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer, S. 193 (209); vgl. außerdem die Art. 49 ff. des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit, abrufbar im Internet unter http://www.un.org/law/ilc/(Stand Oktober 2004). 300 Frowein, in: Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, Art. 42, Rn. 11; Herdegen, Vanderbilt Journal of Transnational Law 1994, S. 135 (157); ausführlich Martenczuk, Rechtsbindung und Rechtskontrolle des Weltsicherheitsrats, S. 275 ff. 301 Cremona, The Proportionality Principle in the Jurisprudence of the European Court of Human Rights, in: Beyerlin u. a. (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, S. 323 ff.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

recht finden können, wo in einzelnen Vorschriften der Genfer Rot-Kreuz Konventionen eine Abwägung zwischen dem Schaden für die Zivilbevölkerung und dem erwarteten militärischen Nutzen vorgeschrieben wird302.303 Ingesamt geht es hierbei jedoch weniger um eine dogmatisch ausdifferenzierte Ausbalancierung der widerstreitenden Werte und Interessen, wie sie etwa das BVerfG unter dem Etikett des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vornimmt, als vielmehr um die Erlaubnis von Maßnahmen, die nicht „außerhalb jeden Verhältnisses“ zum jeweiligen Anlaß stehen304. Das völkerrechtliche Verständnis einer Verhältnismäßigkeitskontrolle ist mithin wesentlich enger ist als das deutsche bzw. auch das europarechtliche. Wird im Völkerrecht vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit (principle of proportionality) gesprochen, entspricht dies am ehesten dem deutschen Verständnis von der Verhältnismäßigkeit i. e. S.305. Mitunter wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Völkerrechts eingestuft mit der Begründung, es sei nahezu allen nationalen Rechtsordnungen immanent und darüber hinaus auch im Rahmen des Völkerrechts für eine dem konkreten Einzelfall gerecht werdende Rechtsanwendung unerläßlich306. Aus zweierlei Gründen ist hier al302

Vgl. etwa Art. 51 Abs. 5 lit. b des Ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen (1949) über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte vom 08.06.1977 (abgedruckt in Sartorius II, Nr. 54a), nach dem solche Einsätze verboten sind, die als Nebenwirkung Zivilverluste verursachen, die zum angestrebten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil in keinem Verhältnis stehen; dazu Oeter, Kampfmittel und Kampfmethoden, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, S. 89 (144 ff.); Ipsen, Bewaffneter Konflikt und Neutralität, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 69, Rn. 8; Bothe, Friedenssicherung und Kriegsrecht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 603 (648). 303 Zu weiteren Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgedankens siehe Delbrück, Proportionality, EPIL III (1984), S. 1140 (1141 ff.). 304 Bleckmann, Gedanken zur Repressalie, in: von Münch (Hrsg.), Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht, Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer, S. 193 (209 ff.); Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S. 209 – jeweils mit Verweis auf das alttestamentarische Talionsgebot. 305 Bruha/Krajewski, VN 1998, S. 13 (17); Diem, Freihandel und Umweltschutz in GATT und WTO, S. 92; Hilf/Puth, The Principle of Proportionality on its Way into WTO/GATT Law, in: von Bogdandy/Mavroidis/Mény (Hrsg.), European Integration and International Co-Ordination, Studies in Transnational Economic Law in Honour of Claus-Dieter Ehlermann, S. 199 (210 f.); anders Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 314, demzufolge sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch im Völkerrecht durch die drei Elemente Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit auszeichnet; umfassend Krugmann, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, passim. 306 So Delbrück, Proportionality, EPIL III (1984), S. 1140 (1144); Herdegen, Vanderbilt Journal of Transnational Law 1994, S. 135 (157); Frowein, in: Simma

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lerdings Vorsicht geboten. Zum einen offenbart der Blick auf den innerstaatlichen Ansatz, daß es hier in erster Linie um die Bindung hoheitlicher Gewalt im Subordinationsverhältnis (Staat – Bürger) geht, während sich auf der völkerrechtlichen Ebene die Staaten nicht in einem Verhältnis der Überund Unterordnung, sondern der Gleichordnung befinden. Vertreten wird daher, das dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zugrunde liegende Erfordernis der Herstellung einer vernünftigen Beziehung zwischen dem durch einen Akt bewirkten Eingriff in die Rechte des Adressaten und der Wahrung des öffentlichen Interesses könne entweder gar nicht, zumindest aber nur soweit zur Anwendung kommen, als eine solche Gegenüberstellung überhaupt denkbar ist307. Einwenden läßt sich hiergegen allerdings, daß die Völkerrechtsordnung mittlerweile durchaus von Konstitutionalisierungstendenzen geprägt ist und sich über die Koordination hinaus auch Situationen der Über- oder Unterordnung ergeben können, wie sich an den Maßnahmen nach Artikel VII der UN-Charta exemplarisch zeigen läßt308. Zudem werden private Akteure vermehrt direkt durch das Völkerrecht berechtigt oder aber in die Pflicht genommen und treten damit ebenfalls auf die Bühne der völkerrechtlichen Akteure309. Ist dies aber der Fall, so kommen auch nationale öffentlich-rechtliche bzw. subordinationsrechtliche Prinzipien als Erkenntnisquelle grundsätzlich in Betracht. Allerdings müssen diese für ihre Anerkennung als allgemeine Rechtsgrundsätze auch tatsächlich allgemein anerkannt sein. Und hier kommt der zweite Einwand zum Zuge. Denn auch wenn das Recht an sich und damit jede Rechtsordnung stets für sich beansprucht, „verhältnismäßige“ Lösungen anbieten zu können, weisen die einzelnen staatlichen Verhältnismäßigkeitskonzepte derzeit noch immer zum Teil nicht unerhebliche Unterschiede auf310. Es bestehen daher berechtigte (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, Art. 42, Rn. 11; Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, 1992, S. 208; Montini, Review of European Community and International Environmental Law 1997, S. 121 (129); Zimmerli, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im öffentlichen Recht, S. 28. 307 So etwa Mosler, ZaöRV 1976, S. 5 (45); gänzlich gegen eine Anwendung zum Beispiel Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 617. 308 Weiß, AVR 2001, S. 394 (409); Herdegen, Völkerrecht, § 18, Rn. 5. 309 Erinnert sei nicht nur an den internationalen Menschenrechtsschutz, sondern auch an die stets bedeutsamer werdende völkerrechtliche Strafbarkeit; näher zum Ganzen Herdegen, Völkerrecht, § 12, Rn. 1 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 927 ff.; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Vorbemerkung zu Art. 8– 11, Rn. 17. 310 Vgl. dazu die unterschiedlichen Ansätze in Großbritannien (unreasonableness), den Vereinigten Staaten (rational basis test; strict scrutiny test) und Deutschland (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit); zum Ganzen näher Knill/Becker, Divergenz trotz Diffusion? Rechtsvergleichende Aspekte des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Deutschland, Großbritannien und der Europäischen Union, MPI-Projektgruppe

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Zweifel, ob von einer generellen Anerkennung eines Prinzips der Verhältnismäßigkeit auf Völkerrechtsebene zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits gesprochen werden kann311. 4. WTO-rechtliche Ausgestaltung und Appellate Body-Spruchpraxis Explizit erwähnt wird das Prinzip der Verhältnismäßigkeit (principle of proportionality) in den WTO-Übereinkommen nicht. Auch der Begriff der Verhältnismäßigkeit (proportionality) ist lediglich an einer Stelle zu finden. Wenn nämlich im Zusammenhang mit den WTO-rechtlichen Vorgaben zur nationalen Ausgestaltung der Durchsetzungsmöglichkeiten geistiger Eigentumsrechte gem. Art. 46 TRIPS die WTO-Mitglieder auch Möglichkeiten zur Einziehung und Vernichtung der verletzenden Waren bzw. Herstellungswerkzeuge einzuräumen haben und bei „der Prüfung derartiger Anträge die Notwendigkeit eines angemessenen Verhältnisses (the need for proportionality) zwischen der Schwere der Rechtsverletzung und den angeordneten Maßnahmen sowie die Interessen Dritter zu berücksichtigen“ ist312. a) Einzelne Anknüpfungspunkte im WTO-Recht Eine ganze Reihe von WTO-Bestimmungen bieten allerdings Anhaltspunkte, die im Kern auf einen angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigten einzelstaatlichen Interessen und einem möglichst unbeschränkten weltweiten Handel abzielen und daher auf die Relevanz des Verhältnismäßigkeitsprinzips auch innerhalb der WTO-Rechtsordnung schließen lassen313. So wird beispielsweise in Art. 2 Abs. 2 SPS die grundsätzliche Befugnis der WTO-Mitglieder, gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzRecht der Gemeinschaftsgüter, Preprint 2003/1, S. 1 (19 ff.); Heinsohn, Der öffentlichrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 183 ff. sowie Oeter, Die Kontrolldichte hinsichtlich unbestimmter Begriffe und des Ermessens, in: Frowein (Hrsg.), Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, S. 266 (274) mit Verweis auf die einzelnen Länderberichte im gleichen Band. 311 Ablehnend etwa Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 481 f.; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 617. 312 Zur Durchsetzung der Immaterialgüterrechte in den Rechtsordnungen der WTO-Mitglieder siehe Stoll/Raible, Schutz geistigen Eigentums und das TRIPS-Abkommen, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.III., Rn. 120 ff.; Weiß/ Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 951 ff. 313 Zum Ganzen Hilf/Goettsche, The Relation of Economic and Non-Economic Principles in International Law, in: Griller (Hrsg.), International Economic Gov-

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rechtliche Maßnahmen zu ergreifen, auf solche Maßnahmen beschränkt, die zum Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen notwendig (necessary) sind. Dieses „Notwendigkeitserfordernis“ wird weiter konkretisiert in Art. 5 SPS. Denn gem. Art. 5 Abs. 4 SPS haben die WTO-Mitglieder bei der Festlegung eines angemessenen (appropriate) Schutzniveaus das Ziel zu berücksichtigen, nachteilige Auswirkungen auf den Handel auf ein Mindestmaß zu beschränken (objective of minimizing negative trade effects). Außerdem verlangt Art. 5 Abs. 6 SPS von den WTO-Mitgliedern, bei der Einführung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen sicherzustellen, daß diese zur Erreichung des für angemessen erachteten Schutzniveaus nicht handelsbeschränkender als erforderlich sind (not more trade-restrictive than required). Darüber hinaus wird in der interpretierenden Fußnote zu Art. 5 Abs. 6 SPS gewissermaßen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt314. Denn als „notwendig“ für die Zwecke des Art. 5 Abs. 6 SPS wird demgemäß eine SPS-Maßnahme nur dann erachtet, „wenn keine andere Maßnahme unter vertretbaren technischen und wirtschaftlichen Bedingungen zur Verfügung steht, die das angemessene Schutzniveau erreicht und wesentlich weniger handelsbeschränkend ist“315. In ähnlicher Weise stellt auch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 TBT für die Anwendung technischer Vorschriften darauf ab, daß diese im Hinblick auf die in Satz 3 beispielhaft aufgeführten Schutzgüter nicht handelsbeschränkender als notwendig (shall not be more trade-restrictive than necessary) sein dürfen316. Hierbei wurde im ursprünglichen Entwurf dieser Bestimmung in einer Fußnote sogar ausdrücklich auf das Proportionalitätserfordernis hingewiesen317, diese Fußnote im Rahmen der Verhandlungen auf Betreiben der Vereinigten Staaten dann aber wieder gestrichen. Fraglich ist daher, ob ihr Regelungsernance and Non-Economic Concerns, S. 5 (19 f.); Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 314 ff.; Desmedt, JIEL 2001, S. 441 (464 ff.). 314 So Altemöller, RabelsZ 2000, S. 213 (249). 315 Im englischen Originalwortlaut lautet Fußnote 3 des SPS-Übereinkommens „For purposes of paragraph 6 of Article 5, a measure is not more trade-restrictive than required unless there is another measure, reasonably available taking into account technical and economic feasibility, that achieves the appropriate level of sanitary or phytosanitary protection and is significantly less restrictive to trade.“ 316 Hierzu näher Tietje, Das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.5., Rn. 78 ff.; Wiemer, Produktsicherheit und freier Warenverkehr in GATT, WTO: eine Untersuchung von SPS-, TBT-Abkommen und GATT 1994 unter vergleichender Berücksichtigung von Artt. 28, 30 EG, S. 142 ff. 317 Die im sog. „Dunkel-Entwurf“ vorgesehene Fußnote zu Art. 2 Abs. 2 TBT lautete „This provision is intended to ensure proportionality between regulations and the risks non-fulfillment of legitimate objectives would create“; vgl. Draft Final Act Embodying the Results of the Uruguay Round of Multilateral Trade Negotiations, GATT Document, MTN.TNC/W/FA vom 20.12.1993, S. G.3.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

gehalt noch von Relevanz ist und zumindest im Rahmen des SPS-Übereinkommens eine Güterabwägung vorzunehmen ist318. b) Die allgemeine Ausnahmevorschrift des Art. XX GATT Welche Bedeutung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip inzwischen auch auf der WTO-Ebene zukommt, läßt sich am deutlichsten anhand des Art. XX GATT zeigen. Denn insbesondere bei der Prüfung dieser Vorschrift haben die Streitbeilegungsgremien Elemente einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur angewandt, sondern auch stetig weiterentwickelt. Die allgemeine Ausnahmevorschrift des Art. XX GATT genießt besondere Bedeutung innerhalb der Ausnahmebestimmungen des GATT. Ihr zufolge lassen sich solche Maßnahmen rechtfertigen, die nicht im Einklang mit den allgemeinen GATT-Vorschriften stehen, also beispielsweise gegen das Meistbegünstigungsprinzip (Art. I GATT) oder aber gegen das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen (Art. XI GATT) verstoßen. Dieses Recht der WTO-Mitglieder, ihre besonderen einzelstaatlichen Interessen auch im Rahmen der WTO zu verfolgen, ist gleichermaßen Ausdruck und Konkretisierung des Souveränitätsprinzips319. Angeführt sind in Art. XX GATT insgesamt zehn Ausnahmegründe, bei deren Vorliegen die WTO-Mitglieder nicht gehindert sind, handelsrestriktive Maßnahmen zu beschließen und auch anzuwenden. Zu den wohl bedeutendsten dieser Schutz- bzw. Politikziele gehören unter anderem die Gewährleistung der öffentlichen Ordnung (lit. a) oder aber der Gesundheits- bzw. Umweltschutz (lit. b und g)320. Liegt ein Verstoß gegen GATT-Vorschriften vor, hat die Prüfung des Art. XX GATT in grundsätzlich zwei Schritten zu erfolgen. Dabei ist die Reihenfolge der Prüfschritte, wie der Appellate Body bereits in seinem ersten Bericht US – Gasoline deutlich hervorgehoben hat, nicht beliebig, sondern richtet sich nach der dem Art. XX GATT zugrundeliegenden logischen Struktur321: zu prüfen ist in einem ersten Schritt, ob die relevante 318 So ausdrücklich Diem, Freihandel und Umweltschutz in GATT und WTO, S. 92; Tietje, Das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.5., Rn. 102 f.; anders Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 281; ausführlich zum Ganzen Desmedt, JIEL 2001, S. 441 (453 ff.); Neumann/ Türk, JWT 37 (2003) Nr. 1, S. 199 (217 ff.); Marceau/Trachtman, JWT 36 (2002) Nr. 5, S. 811 (831 ff.). 319 Vgl. dazu bereits oben 4. Teil A. VI. 320 Genau genommen enthält Art. XX den Begriff Umwelt oder Umweltschutz nicht. Mehrere der einzelnen Ausnahmegründe bieten jedoch die Möglichkeit, hierauf gerichtete Maßnahmen als solche des Umweltschutzes einzuordnen (vgl. lit. a public morals; lit. b human, animal or plant life or health, lit. g conservation of exhaustible natural resources).

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

263

Maßnahme abstrakt den in einem der Absätze a bis j aufgestellten Anforderungen genügt. Ist dies der Fall, ist in einem zweiten Schritt die Art und Weise der konkreten Anwendung der Maßnahme anhand der für alle Schutzziele gleichermaßen geltenden Voraussetzungen des Einleitungssatzes (chapeau) zu messen. Diese Prüfreihenfolge verdeutlicht die unterschiedliche Funktion der beiden normativen Elemente des Art. XX GATT. Mit den einzelnen Ausnahmegründen der lit. a bis j wird einem WTO-Mitglied das Recht eingeräumt, zur Verfolgung der jeweils aufgeführten Politiken die GATT-Verpflichtungen ausnahmsweise außer acht zu lassen. Die in Frage stehende restriktive Maßnahme ist in erster Linie also daraufhin zu untersuchen, ob der ihr zugrundeliegende Zweck einem der in den lit. a bis j aufgeführten Schutzziele abstrakt zurechenbar ist. Demgegenüber hat die den Art. XX einleitende chapeau-Klausel die Funktion, einen Mißbrauch dieses grundsätzlich gewährten Rechts durch die Mitglieder auszuschließen. Die Berufung auf die jeweiligen Ausnahmegründe soll nämlich nicht dazu führen, daß das einzelne Mitglied sich seiner Verpflichtungen gänzlich entledigen kann bzw. diese entwertet. Mithilfe des chapeau ist folglich nicht nur ein Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten des die Ausnahme ergreifenden Mitgliedes herzustellen, sondern es soll darüber hinaus ein Ausgleich auch zu den Rechten aller übrigen WTO-Mitglieder gefunden werden. Denn diese stehen zu den eingegangenen Verpflichtungen des handelnden Mitglieds in einem Verhältnis der Gegenseitigkeit. Letztlich dient die chapeau-Klausel damit der Herbeiführung einer auf den konkreten Einzelfall bezogenen Abwägung widerstreitender Interessen322. aa) Legitimes politisches Schutzziel und Geeignetheit der Maßnahme Im Rahmen der Prüfung des Art. XX GATT ist zunächst zu beurteilen, ob die relevante Maßnahme einem der aufgeführten Ausnahmegründe zugeordnet werden kann. Hierbei geht es allein darum, inwieweit das mit der Maßnahme verfolgte Politikziel grundsätzlich einem der in lit. a bis j näher beschriebenen legitimen Schutzziele zugeordnet werden kann. Die Entscheidung über das Tätigwerden an sich ist hingegen allein Sache des handeln321

US – Gasoline, AB, S. 22 „The analysis is, in other words, two-tiered: first, provisional justification by reason of characterization of the measure under XX(g); second, further appraisal of the same measure under the introductory clauses of Article XX.“; darauf Bezug nehmend z. B. US – Shrimp, AB, paras. 118 f. Ausführlich zur Prüfungsabfolge des Art. XX GATT mit weiteren Verweisen auf die Appellate Body Spruchpraxis siehe zudem WTO, Committee on Trade and Environment, GATT/WTO Dispute Settlement Practice relating to GATT Article XX, Paragraphs (b), (d) and (g), Note by the Secretariat, WT/CTE/W/203 vom 08.03.2002, S. 3 ff. 322 Zum Ganzen ausführlich Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 298 ff.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

den Mitgliedes und für die Prüfung nicht von Belang323. Gleiches gilt für die Festlegung des angestrebten Schutzniveaus. Auch bei dieser Entscheidung wird den Mitgliedern ein Beurteilungsspielraum zuerkannt324. Haben die Streitbeilegungsorgane das Vorliegen eines solch legitimen Zieles bejaht, wird im Anschluß geprüft, ob die Handelsrestriktion zumindest abstrakt geeignet ist, das verfolgte Ziel zu erreichen. Die ergriffene Maßnahme muß demnach zumindest in der Lage sein, einen Beitrag zur Zielerreichung leisten zu können, also beispielsweise förderlich sein zur Abwendung von Gesundheitsgefahren (lit. d)325. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn eine Bedrohung für das jeweilige Schutzgut überhaupt nicht vorliegt. Es bedarf damit zumindest einer Gefährdungslage, für die das sich auf die Vorschrift berufende WTO-Mitglied auch beweispflichtig ist326. Dabei reicht der Nachweis einer potentiell möglichen Bedrohung jedoch grundsätzlich aus327. Da die Streitbeilegungsorgane die Frage der abstrakten Geeignetheit in der Regel als erfüllt ansehen328, lassen sich in den Berichten diesbezüglich nur selten nähere Ausführungen finden. Ausdrücklich erwähnt wird zumeist nur das legitime Politikziel329. bb) Notwendigkeit der Maßnahme (necessity test) Bedeutsamer ist daher der in einem zweiten Schritt erfolgende sog. Notwendigkeitstest (necessity test), bei dem die ergriffene Handelsrestriktion zur verfolgten Schutzpolitik ins Verhältnis gesetzt wird. Hierbei ist in Fortführung entsprechender GATT-Panelentscheidungen inzwischen gefestigte 323

Vgl. etwa US – Tuna/Dolphin I, GATT Panel Report, BISD 39S/155, para.

5.32. 324

EC – Asbestos, AB, para. 168; näher hierzu auch WTO, Committee on Trade and Environment, GATT/WTO Dispute Settlement Practice relating to GATT Article XX, Paragraphs (b), (d) and (g), Note by the Secretariat, WT/CTE/W/203 vom 08.03.2002, para. 19; Epiney, DVBl. 2000, S. 77 (85); von Bogdandy, EuZW 1992, S. 243 (245). 325 Auf den tatsächlich erreichten Erfolg kommt es bei der abstrakten Geeignetheit also gerade nicht an; Altemöller, RabelsZ 2000, S. 213 (235). 326 US – Section 337 of the Tariff Act of 1930, GATT Panel Report, BISD 36S/ 345, para. 5.9; Korea – Beef, AB, para. 157; allgemein zur Beweislast vgl. unten 4. Teil B. III. 3. e). 327 Kluttig, Welthandelsrecht und Umweltschutz – Kohärenz statt Konkurrenz, S. 5 (20); Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 233. 328 In diesem Zusammenhang spricht von einer lediglich „negativen Evidenzkontrolle“ Tietje, Das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse, in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.5., Rn. 86. 329 So etwa in US – Gasoline, Panel Report, para. 6.21; EC – Asbestos, Panel Report, paras. 8.184 ff.

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

265

Praxis, den mehrfach in Art. XX GATT enthaltenen Begriff der Notwendigkeit (necessary)330, der in der deutschen Übersetzung überhaupt keine Erwähnung findet, wie folgt auszulegen: Notwendig ist eine Maßnahme dann, wenn in Bezug auf die verfolgte Schutzpolitik dem Mitglied keine Maßnahme zur Verfügung steht, die gleichermaßen wirksam und zumutbar ist, dabei aber geringere handelsbeschränkende Wirkung entfaltet (least trade restrictive test). Diese ursprünglich im GATT-Panelverfahren US – Section 337331 vorgenommene Auslegung des in Art. XX lit. d GATT aufgeführten Notwendigkeitserfordernisses ist in späteren Verfahren auch auf andere, den Begriff necessary enthaltende Ausnahmegründe des Art. XX GATT übertragen worden und wird seither in ständiger Spruchpraxis angewandt332. Daß der least trade restrictive test keinen starren Standard darstellt, sondern hierbei auch wertende Elemente eine Rolle spielen können, hat der Appellate Body im Fall Korea – Beef hervorgehoben. Inhaltlich ging es hierbei um die von den Vereinigten Staaten und Australien vorgebrachte Beschwerde, Südkorea versage ausländischen Rindfleischimporteuren die Gleichbehandlung mit einheimischen Konkurrenten. Vor allem die Einführung eines dualen Einzelhandelssystems, welches die Verkaufsmöglichkeiten für importiertes Rindfleisch von vornherein auf ganz bestimmte Fachgeschäfte festlege und damit den Absatz stark einschränke, stellte nach Ansicht der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das in Art. III Abs. 4 GATT verankerte Gebot der Inländergleichbehandlung dar. Von Südkorea wurde zur Rechtfertigung auf Art. XX lit. d GATT verwiesen, der es den Mitgliedern erlaubt, die zur Rechtsdurchsetzung notwendigen (necessary) Maßnahmen zu ergreifen, sofern diese nicht selbst GATT-widrig sind333. 330 Das Merkmal der notwendigen (necessary) Maßnahme findet sich in XX lit. a, b, d und i GATT; gleichbedeutend hiermit ist der in Art. XX lit. j GATT gebrauchte Begriff der wesentlichen (essential) Maßnahme. Weniger strenge Anforderungen stellt hingegen der in den Absätzen lit. c, e und g verwandte Begriff des relating to. Zu den Unterschieden im einzelnen und mit Verweisen auf die WTOSpruchpraxis Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 232 ff.; Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 313 ff.; Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 309 ff. sowie 318 ff. 331 US – Section 337 of the Tariff Act of 1930, GATT Panel Report, BISD 36S/ 345, para. 5.26; vgl. aus jüngerer Zeit etwa Korea – Beef, AB, paras. 165 f. 332 Vgl. nur Thailand – Cigarettes, GATT Panel Report, BISD 37S/200, paras 74 f.; zum Ganzen Marceau/Trachtman, JWT 36 (2002) Nr. 5, S. 811 (825 ff.); Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 444 f.; Desmedt, JIEL 2001, S. 441 (467); Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 234. 333 Für eine Besprechung des Falles siehe Gall/Jessen, GYIL 43 (2000), S. 355 (359 f.) und Ohlhoff, EuZW 2002, S. 549 (551).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Im Rahmen seiner Prüfung hatte sich der Appellate Body also mit dem Notwendigkeitserfordernis auseinanderzusetzen, zu dessen Konkretisierung in seinem Bericht drei relevante Kriterien aufgestellt werden. Bei der Bestimmung, ob eine Maßnahme i. S. d. Art. XX lit. d GATT als notwendig eingestuft werden könne, sei zu berücksichtigen erstens, die Bedeutung des Rechtsguts, das die einzuhaltende WTO-konforme nationale Norm schützen wolle, zweitens, das Ausmaß, mit dem die Handelsbeschränkung zur Einhaltung dieser Norm beitrage und drittens, das Ausmaß, mit dem die Beschränkung den Handel behindere. Durch das Abwägen dieser Kriterien im Einzelfall könne dann bestimmt werden, ob eine Maßnahme als notwendig einzustufen sei. Hierbei gelte eine Beschränkung des Handels umso eher als notwendig, je größer die Bedeutung des zu schützenden Rechtsguts sei und die Handelsbeschränkung zu seinem Schutz beitrage bzw. je geringer der Eingriff in die Handelsfreiheit sei334. Daß es sich hierbei um einen Abwägungsprozeß handelt, wird vom Appellate Body im Anschluß selbst und mit den folgenden Worten ausdrücklich bestätigt: In sum, determination of whether a measure (. . .) may nevertheless be „necessary“ within the contemplation of Article XX(d), involves in every case a process of weighing and balancing a series of factors which prominently include the contribution made by the compliance measure to the enforcement of the law or regulation at issue, the importance of the common interests or values protected by that law or regulation, and the accompanying impact of the law or regulation on imports or exports.335 In our view, the weighing and balancing process we have outlined is comprehended in the determination of whether a WTO-consistent alternative measure which the Member concerned could „reasonably be expected to employ“ is available, or whether a less WTO-inconsistent measure is „reasonably available“.336

Diese anhand des Tatbestandsmerkmals necessary vorgenommene rechtliche Prüfung entspricht in weiten Teilen dem aus dem deutschen bzw. europäischen Recht bekannten Teilaspekt der Erforderlichkeit337. Denn gesucht wird nach einer gleichermaßen wirksamen, aber weniger handelsbeschränkenden alternativen Maßnahme. Die durch den Appellate Body im Fall Korea – Beef eingeführte und den klassischen necessity-Ansatz erweiternde Methode eines weighing and balancing, die bereits in weiteren Verfahren angewandt worden ist338, geht allerdings insoweit darüber hinaus, 334

Korea – Beef, AB, para. 163. Korea – Beef, AB, para. 164 (Hervorhebung durch den Verfasser). 336 Korea – Beef, AB, para. 166 (Hervorhebung durch den Verfasser). 337 So etwa Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 315; Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 174; Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 444 ff.; Kluttig, Welthandelsrecht und Umweltschutz – Kohärenz statt Konkurrenz, S. 5 (20 f.). 335

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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als sie zur Bestimmung einer solchen Maßnahme bereits auf dieser – letztlich noch abstrakten – Prüfungsebene eine umfassende Abwägung konkreter Interessen vornimmt339. cc) Chapeau Wird eine Handelsmaßnahme durch einen der in Art. XX lit. a bis j GATT erwähnten Ausnahmegründe erfaßt, so gilt sie zwar als vorläufig gerechtfertigt. Zu prüfen ist in einem zweiten Schritt allerdings auch ihre konkrete Anwendung. Dies geschieht anhand der chapeau-Klausel, die drei verschiedene Standards enthält und auf alle Maßnahmen gleichermaßen anwendbar ist. Die Maßnahme darf demnach, weder eine willkürliche (arbitrary) noch um eine ungerechtfertigte (unjustified) Diskriminierung zwischen Staaten darstellen, in denen die gleichen Verhältnisse bestehen, und es darf sich auch nicht um eine verschleierte (disguised) Handelsmaßnahme handeln. Da diese drei Voraussetzungen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen, läßt sich eine isolierte Betrachtung allerdings nur schwer vornehmen340. Auch der Appellate Body hält aus diesem Grund eine genaue Unterscheidung der einzelnen Standards für entbehrlich und läßt sich bei ihrer Anwendung vielmehr von Sinn und Zweck der chapeauKlausel leiten341. Dieser liegt, wie im Fall US – Gasoline näher ausgeführt wurde, in der Verhinderung eines Mißbrauchs der verschiedenen Ausnahmegründe zur Verfolgung protektionistischer Ziele: The fundamental theme is to be found in the purpose and object of avoiding abuse or illegitimate use of the exceptions to substantive rules available in Article XX.342 338 EC – Asbestos, AB, paras. 171 ff. (im Hinblick auf Art. XX lit. b GATT); vgl. auch WTO, Committee on Trade and Environment, GATT/WTO Dispute Settlement Practice relating to GATT Article XX, Paragraphs (b), (d) and (g), Note by the Secretariat, WT/CTE/W/203 vom 08.03.2002, para. 42; ausführlich zum Ganzen Marceau/Trachtman, JWT 36 (2002) Nr. 5, S. 811 (850 ff.). 339 Kritisch hinsichtlich dieses dogmatischen Aspekts daher Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 310 f., insgesamt ablehnend zu diesem „flexiblen“ Ansatz Neumann/Türk, JWT 37 (2003) Nr. 1, S. 199 (231 ff.) – „such a flexible approach (. . .) might open the door to judicial activism“. 340 Berrisch, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994), in: Prieß/ Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.1., Rn. 270; Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 326; Marceau/Trachtman, JWT 36 (2002) Nr. 5, S. 811 (829). 341 Ausführlich WTO, Committee on Trade and Environment, GATT/WTO Dispute Settlement Practice relating to GATT Article XX, Paragraphs (b), (d) and (g), Note by the Secretariat, WT/CTE/W/203 vom 08.03.2002, paras. 57 ff. 342 US – Gasoline, AB, S. 25.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Letztlich ist die chapeau-Klausel damit Ausdruck des Prinzips von Treu und Glauben (principle of good faith) und zwar in seiner speziellen Ausprägung als Verbot des Rechtsmißbrauchs (abuse of rights)343. Ein jedes WTO-Mitglied ist hiernach angehalten, seine vertraglich gewährten Rechte gegenüber den anderen WTO-Mitgliedern in einer Weise auszuüben, die angemessen und notwendig zur Erreichung der jeweiligen Ziele ist. Der chapeau-Klausel kommt damit gewissermaßen eine Ausgleichsfunktion zu, durch welche das Spannungsverhältnis zwischen der Verfolgung von Freihandelsinteressen einerseits und den legitimen staatlichen Schutzzielen andererseits im Wege einer am jeweiligen Einzelfall orientierten Interessenabwägung aufgelöst werden soll344. Ihre Bestätigung findet diese Sichtweise in der Spruchpraxis des Appellate Body. Dieser hat die Anforderungen des chapeau im Fall US – Gasoline unter Verweis auf die widerstreitenden Rechte zunächst folgendermaßen beschrieben: The chapeau by its express terms addresses, not so much the questioned measure or its specific contents as such, but rather the manner in which that measure is applied. (. . .) The chapeau is animated by the principle that while the exceptions of Article XX may be invoked as a matter of legal right, they should not be so applied as to frustrate or defeat the legal obligations of the holder of the right under the substantive rules of the General Agreement. If those exceptions are not to be abused or misused, in other words, the measures falling within the particular exceptions must be applied reasonably, with due regard both to the legal duties of the party claiming the exception and the legal rights of the other parties concerned.345

Noch weiter konkretisiert wird das Bestreben der Herstellung eines umfassenden Ausgleichs (equilibrium) zwischen den unterschiedlichen Rechtspositionen im Fall US – Shrimp, wenn der Appellate Body in seinem Bericht im Hinblick auf die Anwendung der chapeau-Klausel hervorhebt: The task of interpreting and applying the chapeau is, hence, essentially the delicate one of locating and marking out a line of equilibrium between the right of a Member to invoke an exception under Article XX and the rights of the other Members under varying substantive provisions (e. g., Article XI) of the GATT 1994, so that neither of the competing rights will cancel out the other and thereby distort and nullify or impair the balance of rights and obligations constructed by the Members themselves in that Agreement. The location of the line of equilib343

US – Shrimp, AB, para. 158; ausführlich zu diesem Fall unten 4. Teil B. II.

1. c). 344 Hilf/Goettsche, The Relation of Economic and Non-Economic Principles in International Law, in: Griller (Hrsg.), International Economic Governance and NonEconomic Concerns, S. 5 (20 ff.); Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-ProzessDoktrin, S. 324. 345 US – Gasoline, AB, S. 22 (Hervorhebung durch den Verfasser).

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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rium, as expressed in the chapeau, is not fixed and unchanging; the line moves as the kind and the shape of the measures at stake vary and as the facts making up specific cases differ.346

Deutlich erkennbar wird hier, daß es dem Appellate Body auf eine am konkreten Einzelfall orientierte Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen und Interessen ankommt. Und auch wenn explizit nicht hierauf verwiesen wird, wendet die Spruchpraxis damit innerhalb der chapeau-Klausel ein Konzept an, welches der Sache nach bereits der aus dem deutschen bzw. europäischen Recht bekannten Angemessenheitsprüfung (Verhältnismäßigkeit i. e. S.) sehr nahe kommt. Auch wenn im Zusammenhang mit Art. XX GATT bisher in keinem der Appellate Body-Berichte ausdrücklich von einem verhältnismäßigen (proportionate) Ausgleich gesprochen wird oder gar das Prinzip der Verhältnismäßigkeit (principle of proportionality) Erwähnung findet, liegt dieser Ansatz der Spruchpraxis dennoch erkennbar zugrunde. Gerade anhand der Ausnahmevorschrift des Art. XX GATT zeigt sich dabei, welche Bedeutung das Verhältnismäßigkeitsprinzip inzwischen auch im WTO-Recht erlangen konnte. Seine zentralen Elemente finden bei der Prüfung des Art. XX GATT allesamt Anwendung: der legitime Zweck, die Geeignetheit sowie die Erforderlichkeit kommen bereits auf der Ebene der vorläufigen Rechtfertigung nach den lit. a bis j zum Tragen. Elemente einer umfassenden Interessenabwägung und damit der Verhältnismäßigkeit i. e. S. sind sowohl auf dieser ersten Stufe als Teilaspekt des Notwendigkeitstests (weighing and balancing) als auch im Rahmen der Prüfung des chapeau zu finden. c) Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Aussetzung von Zugeständnissen Darüber hinaus findet der Gedanke der Verhältnismäßigkeit Ausdruck auch innerhalb des welthandelsrechtlichen Sanktionsmechanismus. Denn sowohl die in Art. 22 Abs. 3 DSU vorgesehene Abstufung bei der Aussetzung von Zugeständnissen als auch die in Art. 22 Abs. 4 DSU verankerte Gleichwertigkeit von Umfang der ausgesetzten Zugeständnisse und dem durch die festgestellte Verletzung erlittenen Schaden sind letztlich Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes347. Konkret fordert Art. 22 Abs. 4 DSU, daß 346

US – Shrimp, AB, para. 159 (Hervorhebung durch den Verfasser); hierzu näher Marceau/Trachtman, JWT 36 (2002) Nr. 5, S. 811 (853 f.). 347 Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 320; Jürgensen, RIW 2000, S. 577 (580 ff.); Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insbesondere im Welthandelsrecht, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 123 (197).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

der vom DSB genehmigte Umfang einer Aussetzung von Zugeständnissen oder sonstigen Pflichten dem Umfang der zunichte gemachten oder geschmälerten Vorteile entsprechen muß (shall be equivalent). Von den Streitschlichtern im Schiedsverfahren EC – Bananas wurde diese Äquivalenz zunächst nicht im Sinne einer allgemeinen Verhältnismäßigkeit, sondern als exakte Deckungsgleichheit zwischen Schaden und Gegenmaßnahme verstanden348. Eine andere Sichtweise scheint sich jedoch seit dem Fall US – Cotton Yarn abzuzeichnen349. In diesem Verfahren hatte sich Pakistan gegen Schutzmaßnahmen gewandt, die von den Vereinigten Staaten im Hinblick auf gekämmtes Baumwallgarn ergriffen worden waren, und unter anderem einen Verstoß gegen Art. 6 ATC geltend gemacht. Nach dieser Vorschrift können die WTO-Mitglieder zwar vorübergehend Schutzmaßnahmen erheben, um sich vor erhöhten Einfuhrsteigerungen zu schützen, allerdings müssen hierbei stets zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst hat das die Schutzmaßnahme ergreifende Mitglied nachzuweisen, daß eine bestimmte Ware in derart erhöhten Mengen eingeführt wird, daß einem inländischen Wirtschaftszweig ein erheblicher Schaden entsteht oder zu entstehen droht (Art. 6 Abs. 2 und 3 ATC). Anschließend muß der bereits eingetretene oder drohende Schaden einem anderen Mitglied konkret zugeschrieben werden, wobei bei dieser Auswahl bestimmte, in Art. 6 Abs. 4 ATC näher angeführte Kriterien einzuhalten sind, nämlich etwa der Anteil des betroffenen ausführenden WTO-Mitglieds an den Gesamteinfuhren des einführenden Staates350. Klärungsbedürftig war hierbei vor allem die Frage, ob Art. 6 Abs. 4 ATC tatbestandlich verlange, alle Mitglieder zu bestimmen, denen die Entstehung eines Schadens zuzuschreiben sei351. Das Panel hatte diese Frage zuvor aufgrund der Tatsache, daß eine solche Prüfung in Bezug auf mexikanische Einfuhren gar nicht stattgefunden habe, bejaht und mithin einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 4 ATC festgestellt. Der Appellate Body, der sich nach auf Betreiben der Vereinigten Staaten in seinem Bericht mit der Auslegung von Art. 6 Abs. 4 ATC erneut auseinanderzusetzen hatte, kam hierbei zu folgendem Ergebnis: läßt sich der entstandene Schaden auf Einfuhren aus mehreren WTO-Mitgliedern zurückführen, so ist der jeweilige Anteil an den erhöhten Einfuhren im Rahmen einer vergleichenden Analyse zu ermitteln352. Unverhältnismäßig wäre hierbei, den 348 EC – Bananas (US), WT/DS27/ARB, vom 09.04.1999, paras. 4.1 ff. sowie 8.1; näher zu diesem Verfahren Müller, Aussenwirtschaft 2001, S. 391 (400 ff.). 349 Fallbesprechung bei Bayer/Jessen, GYIL 44 (2001), S. 679 (693 ff.). 350 Zu den Voraussetzungen der allgemeinen Schutzklausel näher Berz, Das Übereinkommen über Textilwaren und Bekleidung, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTOHandbuch, B.I.4., Rn. 35 ff. 351 US – Cotton Yarn, AB, paras. 106 ff. 352 US – Cotton Yarn, AB, paras. 117 und 122 ff.

A. „Klassische“ Prinzipien des Welthandelsrechts

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gesamten erlittenen Schaden lediglich einem Mitglied zuzuschreiben, es sei denn, dessen Exporte hätten tatsächlich den gesamten Schaden verursacht. Damage that is actually caused to the domestic industry by imports from one Member cannot, in our view, be attributed to a different Member imports from whom were not the cause of that part of the damage. This would amount to a „mis-attribution“ of damage and would be inconsistent with the interpretation in good faith of the terms of Article 6.4. Therefore, the part of the total serious damage attributed to an exporting Member must be proportionate to the damage caused by the imports from that Member. Contrary to the view of the United States, we believe that Article 6.4, second sentence, does not permit the attribution of the totality of serious damage to one Member, unless the imports from that Member alone have caused all the serious damage.

Hierbei wird zur argumentativen Unterstützung des Ergebnisses nicht nur auf das in Art. 51 des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit normierte Gebot der Verhältnismäßigkeit von Gegenmaßnahmen verwiesen353, sondern vor allem auch Art. 22 Abs. 4 DSU angeführt, der nach Ansicht des Appellate Body als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips (principle of proportionality) angesehen werden kann: Our view is supported further by the rules of general international law on state responsibility, which require that countermeasures in response to breaches by states of their international obligations be commensurate with the injury suffered. In the same vein, we note that Article 22.4 of the DSU stipulates that the suspension of concessions shall be equivalent to the level of nullification or impairment. This provision of the DSU has been interpreted consistently as not justifying punitive damages. These two examples illustrate the consequences of breaches by states of their international obligations, whereas a safeguard action is merely a remedy to WTO-consistent „fair trade“ activity. It would be absurd if the breach of an international obligation were sanctioned by proportionate countermeasures, while, in the absence of such breach, a WTO Member would be subject to a disproportionate and, hence, „punitive“, attribution of serious damage not wholly caused by its exports. In our view, such an exorbitant derogation from the principle of proportionality in respect of the attribution of serious damage could be justified only if the drafters of the ATC had expressly provided for it, which is not the case.354

Hinsichtlich der Anwendung des Art. 6 Abs. 4 ATC kommt der Appellate Body nach diesen Ausführungen zu dem abschließenden Ergebnis, daß die vergleichende Analyse zur Bestimmung des jeweiligen Anteils an den 353

Der Appellate Body zitiert in einer Fußnote den wie folgt lautenden Artikel 51 „Countermeasures must be commensurate with the injury suffered, taking into account the gravity of the internationally wrongful act and the rights in question.“; die vollständige Fassung des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit ist im Internet unter http://www.un.org/law/ilc/abrufbar (Stand Oktober 2004); vgl. für die Bezugnahme auf die gleiche Vorschrift schon EC – Bananas (US), WT/DS27/ARB, vom 09.04.1999, para. 6.16. 354 US – Cotton Yarn, AB, paras. 119 ff. (Hervorhebung durch den Verfasser).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Einfuhren stets auch im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips durchzuführen sei: We now turn to the question of how to conduct the comparative analysis required by Article 6.4. This analysis is to be seen in the light of the principle of proportionality as the means of determining the scope or assessing the part of the total serious damage that can be attributed to an exporting Member355.

Nicht nur beim Ergreifen von (vorläufigen) Schutzmaßnahmen i. S. d. Art. 6 ATC356, sondern auch bei der Aussetzung von Zugeständnissen bzw. sonstigen Verpflichtungen gem. Art. 22 DSU dient das Verhältnismäßigkeitsprinzip folglich als ein zusätzlicher Kontrollmaßstab, weil die diesbezüglich geltenden WTO-Bestimmungen vom Appellate Body als zum Teil noch ergänzungsbedürftig erachtet werden. d) Ergebnis Insgesamt zeigt sich, daß das Prinzip der Verhältnismäßigkeit inzwischen auch im WTO-Recht einen festen Platz einnimmt. Teilweise wird es dabei verstanden im Sinne seiner völkergewohnheitsrechtlichen Ausprägung eines Übermaßverbotes, wenn nämlich beispielsweise eine Sanktion nicht außerhalb jeden Verhältnisses zum konkreten Anlaß stehen darf. Vor allem im Rahmen der Anwendung der allgemeinen Ausnahmevorschrift des Art. XX GATT hat sich darüber hinaus aber in der WTO-Spruchpraxis ein Konzept entwickeln können, das dogmatisch in weiten Teilen dem aus dem deutschen bzw. europäischen Recht bekannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Die ursprünglich auf den GATT-Panelbericht US – Tuna/Dolphin I357 zurückgehende und zum Teil lebhaft geführte Diskussion über die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Welthandelsrecht dürfte damit einen Abschluß gefunden haben. Denn vor allem das Angemessenheitskriterium, welches angesichts seiner wertungsabhängigen Interessenabwägung stets dem Vorwurf ausgesetzt war, nicht dem universellen Charakter des Welthandelsrechts zu entsprechen, wurde häufig gerade deshalb für nicht anwendbar erklärt, weil es sich durch die Spruchpraxis der Streitbeilegungsorgane nicht belegen ließ358. Inzwischen jedoch zeigen die Berichte 355

US – Cotton Yarn, AB, para. 122 (Hervorhebung durch den Verfasser); bestätigt in US – Line Pipe Safeguards, AB, paras. 253 ff. 356 Allgemein zur Relevanz des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen Desmedt, JIEL 2001, S. 441 (451 ff.); Pitschas, Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.12., Rn. 107 f. 357 US – Tuna/Dolphin I, GATT Panel Report, BISD 39S/155, para. 5.28. 358 Von Bogdandy, EuZW 1992, S. 243 (246 f.); Wiemer, Produktsicherheit und freier Warenverkehr in GATT, WTO: eine Untersuchung von SPS-, TBT-Abkom-

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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des Appellate Body in aller Deutlichkeit, daß sich ein Abwägungsmodell in der WTO-Streitbeilegungspraxis etabliert hat, dessen grundlegendes Ziel es ist, einen angemessenen Ausgleich herzustellen zwischen den legitimen einzelstaatlichen Regelungsinteressen einerseits und dem (globalen) Interesse an einem reibungslosen Welthandel andererseits.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO Bereits im Zusammenhang mit der Frage des anwendbaren Rechts wurde erwähnt, daß die WTO-Streitbeilegungsgremien in ihrer Entscheidungspraxis zunehmend auch das rechtliche Umfeld des WTO-Vertragswerkes miteinbeziehen. Daß hierbei auch auf allgemeine völkerrechtliche Rechtsprinzipien zurückgegriffen wird, läßt sich inzwischen kaum mehr bestreiten und wird auch in einem erst kürzlich ergangenen Panelbericht ausdrücklich anerkannt: (. . .), although it is certainly true that certain widely recognized principles of international law have been found to be applicable in WTO dispute settlement, particularly concerning fundamental procedural matters.359

Scheint damit die Anwendung als solche ersteinmal außer Frage zu stehen, so ist neben der Herkunft bzw. dem rechtlichen Ursprung dieser Prinzipien insbesondere klärungsbedürftig, ob es sich hierbei in erster Linie um verfahrensrechtliche Prinzipien handelt oder ob darüber hinaus auch materiellrechtliche Prinzipien zur Anwendung kommen. Im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen soll bei der Untersuchung der von der Appellate Body-Spruchpraxis aus dem rechtlichen Umfeld der WTO herangezogenen Prinzipien differenziert werden nach ihrem rechtlichen Ursprung bzw. ihrer Herkunft. Denn die verschiedenen Rechtsprinzipien können grundsätzlich dem internationalen Organisationsrecht, dem Völkervertragsrecht, dem Völkergewohnheitsrecht oder aber den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und damit letztlich den nationalen Rechtsordnungen der WTO-Mitglieder entstammen. men und GATT 1994 unter vergleichender Berücksichtigung von Artt. 28, 30 EG, S. 154 ff.; Altemöller, Handel und Umwelt im Recht der Welthandelsorganisation WTO, S. 310 f.; Diem, Freihandel und Umweltschutz in GATT und WTO, S. 92 f. und neuerdings bekräftigend auch Neumann/Türk, JWT 37 (2003) Nr. 1, S. 199 (231 ff.); Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 376 ff. 359 India – Autos, Panel Report, para. 7.57; vgl. dazu Bree, Harmonization of the Dispute Settlement Mechanisms of the Multilateral Environmental Agreements and the World Trade Agreements, in: Berichte des Umweltbundesamtes (Hrsg.), Band 1/ 03, S. 103; Gaffney, American University International Law Review 1999, S. 1173 (1186); Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 349.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

I. Prinzipien aus dem Recht Internationaler Organisationen Etliche der WTO-Übereinkommen verweisen in ihren Bestimmungen auf andere Internationale Organisationen, wie beispielsweise den IWF (Art. III Abs. 5 WTO-Übereinkommen; Art. XI, XII GATS)360, die Weltbank (Art. III Abs. 5 WTO-Übereinkommen), die WIPO (Art. 4 TRIPS) oder aber die FAO (Art. 10 AoA)361. Auch wenn die Welthandelsorganisation selbst nicht über den formellen Status einer UN-Sonderorganisation verfügt, pflegt sie doch enge Kontakte sowohl zur UN-Familie als auch zu solchen Internationalen Organisationen, die außerhalb des rechtlichen Rahmens der Vereinten Nationen stehen362. Im speziellen Kontext könnten daher unter Umständen auch die für das Internationale Organisationsrecht insgesamt charakteristischen und zum Teil in den jeweiligen Gründungsstatuten dieser Organisationen aufgeführten Prinzipien relevant werden für die Auslegung bzw. Anwendung des WTO-Rechts363.364 1. Prinzip der effektiven Vertragsauslegung Bereits bei der Darstellung der von den WTO-Streitbeilegungsorganen angewandten Auslegungsmethodik wurde erwähnt, daß im Rahmen der Interpretation einer Vertragsbestimmung gem. Art. 31 Abs. 1 WVK neben dem Zusammenhang und den nach Art. 31 Abs. 3 WVK gleichgestellten Umständen stets auch Ziel und Zweck des völkerrechtlichen Vertrages heranzuziehen sind365. Ganz allgemein im internationalen bzw. supranationalen Organisationsrecht läßt sich dabei die Tendenz beobachten, souveränitätsschonende Auslegungsregeln bisweilen aus Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit zurücktreten zu lassen. Denn der Umstand, daß ein Grün360

In seiner Spruchpraxis hat sich der Appellate Body bisher zweimal mit dem Verhältnis WTO – IWF auseinandergesetzt: Argentina – Textiles and Apparel, AB, paras. 70 ff.; India – Quantitative Restrictions, AB, paras. 146 ff. 361 Vgl. auch das Kooperationsabkommen zwischen WTO und IMF bzw. Weltbank, WT/L/195, vom 18.10.1996 oder aber das Abkommen zwischen WTO und WIPO, abgedruckt in ILM 35 (1996), S. 754. 362 Kulessa, World Trade Organization, Welthandelsorganisation, in: Altmann/Kulessa (Hrsg.), Internationale Wirtschaftsorganisationen, S. 283 (290); Beise, WTO, S. 159 ff.; Benedek, VN 1995, S. 13 (17 ff.). 363 Hilf, JIEL 2001, S. 111 (122); Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (268 f.); Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, S. 78 f.; kritisch Ruffert, AVR 2000, S. 129 (146 ff.); Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 46. 364 Allgemein zu diesem Ansatz Ress, Allgemeine Rechtsgrundsätze, in: SeidlHohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts – Völkerrecht, S. 322 (326 f.). 365 Vgl. dazu oben 3. Teil C. I. 1. d) cc).

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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dungsvertrag gewissermaßen die „Verfassung“ der jeweiligen Organisation bildet bzw. zumindest für das Wirken der Organisation eine den innerstaatlichen Verfassungen vergleichbare Rolle spielt, mag dazu verleiten, auf solche Verträge Auslegungsregeln und -prinzipien anzuwenden, die auch im innerstaatlichen (Verfassungs-)Recht gelten366. a) Völkerrechtliche Grundlagen Angesprochen ist damit in erster Linie das Prinzip der Effektivität (ut res magis valeat quam pereat). Dieses in der Rechtsprechung des EuGH auch als Prinzip des effet utile firmierende Prinzip367 besagt, daß bei zwei oder mehr Auslegungsergebnissen diejenige Auslegung den Vorzug verdient, die mit dem erkennbaren Vertragszweck nicht nur harmoniert, sondern am besten zu seiner Erreichung beiträgt368. Das Effektivitätsprinzip findet keine ausdrückliche Erwähnung in den Artikeln 31 und 32 WVK, wird aber inzwischen als völkergewohnheitsrechtlich verfestigter369 bzw. als bereits implizit in der Grundregel des Art. 31 Abs. 1 WVK enthaltener Grundsatz angesehen370. Bei seiner Anwendung sollte Maßstab für die Zweckerreichung allerdings nicht ein allgemeines Zweck- und Effektivitätsdenken, sondern stets der Vertragstext mit seinen jeweiligen Grundgedanken sein. Weitgehende Einigkeit besteht mithin darüber, daß der Zweck des Vertrages im Vertragstext selbst einen irgendwie gearteten Niederschlag gefunden haben muß, sei es in der Präambel, in den Grundsatzartikeln, dem Wortlaut der auszulegenden Einzelbestimmung oder auch nur im Gesamtzusammenhang des Vertrages371. 366

Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 352. Oppermann, Europarecht, Rn. 527 ff.; Hobe, Europarecht, Rn. 151; Herdegen, Europarecht, Rn. 200 f.; Kneubühler, Integration durch Rechtsprechung in der EG und der WTO, S. 34 f.; ausführlich mit weiteren Nachweisen auch Bernhardt, Verfassungsprinzipien im EWG-Vertrag, S. 81 f. 368 Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 366; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 780; Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, S. 96. 369 Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11, Rn. 16; Haltern, ZVglRWiss 1992, S. 1 (21). 370 International Law Commission, Yearbook ILC 1966, Vol. II, S. 219; Lennard, JIEL 2002, S. 17 (58); Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 124 f. 371 StIGH, Wimbledon Case (1923), Serie A, Nr. 1, S. 25; IGH, Corfu Channel Case, I. C. J. Rep. 1949, S. 24 ff.; IGH, Interpretation of Peace Treaties, I. C. J. Rep. 1950, S. 229; Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, S. 96 f.; Brötel, Jura 1988, S. 343 (348). 367

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

b) Spruchpraxis des Appellate Body Auch in der WTO-Streitschlichtungspraxis ist das Effektivitätsprinzip als ein eigenständiges Prinzip der Vertragsauslegung anerkannt372. Bereits in seinem ersten Bericht US – Gasoline hat der Appellate Body im Rahmen der Auslegung von Art. XX GATT gesprochen von einem aus der Wiener Vertragsrechtskonvention resultierenden Grundsatz, welchem zufolge die Auslegung nicht dazu führen dürfe, Teile einer Bestimmung oder sogar eine ganze Vorschrift redundant oder unwirksam werden zu lassen. One of the corollaries of the „general rule of interpretation“ in the Vienna Convention is that interpretation must give meaning and effect to all the terms of a treaty. An interpreter is not free to adopt a reading that would result in reducing whole clauses or paragraphs of a treaty to redundancy or inutility.373

Die hierbei zum Ausdruck kommende Orientierung des Appellate Body an den Ausführungen der International Law Commission, die das Effektivitätsprinzip als Ausfluß der allgemeinen Auslegungsregel des Art. 31 Abs. 1 WVK ansieht, wird noch deutlicher im Fall Japan – Alcoholic Beverages. Denn hier findet sich nicht nur ein ausdrücklicher Verweis auf das principle of effectiveness, sondern darüber hinaus auch eine Bezugnahme auf die Arbeiten der International Law Commission. A fundamental tenet of treaty interpretation flowing from the general rule of interpretation set out in Article 31 is the principle of effectiveness (ut res magis valeat quam pereat). In United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, we noted that „[o]ne of the corollaries of the „general rule of interpretation“ in the Vienna Convention is that interpretation must give meaning and effect to all the terms of the treaty. An interpreter is not free to adopt a reading that would result in reducing whole clauses or paragraphs of a treaty to redundancy or inutility“.374

In seiner neueren Spruchpraxis scheint der Appellate Body hingegen inzwischen von einer eigenständigen Geltung des Effektivitätsprinzips und damit einer Verortung außerhalb der Auslegungsregeln der Wiener Vertragsrechtskonvention auszugehen. So lassen sich etwa in dem Verfahren Canada – Milk/Dairy im Anschluß an die Heranziehung der Grundregel des Art. 31 Abs. 1 WVK folgende Ausführungen finden: 372 Aus der Panelspruchpraxis etwa Canada – Patent Term, Panel Report, para. 6.49, Fn. 30; US – Section 211 (Havana Club), Panel Report, para. 8.79, Fn. 122. 373 US – Gasoline, AB, S. 23 sowie Fn. 45 mit ausführlichen Verweisen auf IGHRechtsprechung und allgemeine Völkerrechtsliteratur. 374 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 12 (Hervorhebung durch den Verfasser); vgl. Fn. 21 mit Verweis auf International Law Commission, Yearbook ILC 1966, Vol. II, S. 219; zum Ganzen Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (256 ff.); siehe auch WTO, Analytical Index, Vol. 2, S. 1282 ff.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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It is also well to recall that the task of the treaty interpreter is to ascertain and give effect to a legally operative meaning for the terms of the treaty. The applicable fundamental principle of effet utile is that a treaty interpreter is not free to adopt a meaning that would reduce parts of a treaty to redundancy or inutility.375

Ohne den Geltungsgrund dieses seiner Ansicht nach eigenständigen Auslegungsprinzips näher bestimmen zu wollen, fordert der Appellate Body eine Interpretation, die keine Vertragsbestimmung im Lichte einer anderen Bestimmung leerlaufen beziehungsweise zwecklos erscheinen läßt. Damit wird – anders als bei der oftmals äußerst progressiven Anwendung des effet utile im europäischen Gemeinschaftsrecht – das Effektivitätsprinzip von den WTO-Streitbeilegungsgremien nicht in einem solch dynamischen Sinne angewandt. Die Auslegung der WTO-Übereinkommen soll nicht dazu führen, daß diese stets ihre größtmögliche Wirkung entfalten376. Vielmehr sollen sie ihre faktische Wirksamkeit und materielle Verbindlichkeit nicht – wie in der Vergangenheit unter dem GATT 1947 oft geschehen – durch eine zu restriktive Auslegung der Grundprinzipien zugleich aber weite Auslegung von Ausnahmevorschriften einbüßen377. Auf diese Weise versucht der Appellate Body, die materielle Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit des Welthandelrechts zu erhöhen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, unter dem Deckmantel der Effektivität zu einer quasilegislatorischen Revision statt zu einer richterlichen Interpretation WTO-rechtlicher Bestimmungen zu gelangen378. Auch im Rahmen der Frage, wie die einzelnen WTO-Übereinkommen in ihrem gegenseitigen Verhältnis auszulegen sind, hat der Appellate Body auf das Effektivitätsprinzip zurückgegriffen379. In dem Verfahren Korea – Dairy Safeguards war zu prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die von Südkorea bezüglich bestimmter Milch- und Magermilchprodukte erhobenen Einfuhrschutzmaßnahmen auch tatsächlich vorlagen380. 375 Canada – Milk/Dairy, AB, para. 133 (Hervorhebung durch den Verfasser); vgl. außerdem Argentina – Footwear Safeguards, AB, para. 88; Korea – Dairy Safeguards, AB, para. 80; EC – Asbestos, AB, para. 115; US – Shrimp, AB, para. 131; US – Offset Act (Byrd Amendment), AB, para. 271; kritisch dazu Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 125 ff. 376 So aber Weber/Moos, EuZW 1999, S. 229 (233). 377 Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insbesondere im Welthandelsrecht, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 123 (194); Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 351. 378 Zum Ganzen ausführlich Lennard, JIEL 2002, S. 17 (58 ff.); Waincymer, WTO Litigation, S. 472 ff. 379 Dazu siehe außerdem die obigen Nachweise bei der Behandlung der harmonischen bzw. konfliktfreien Auslegung 3. Teil C. I. 2. b) bb). 380 Fallbesprechung bei Gall/Jessen, GYIL 43 (2000), S. 355 (373 ff.).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Hatte noch das Panel in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen Art. XIX GATT und Art. 2 Abs. 1 SCM verneint381, kam der Appellate Body unter vorheriger Bezugnahme auf das principle of effectiveness zu dem Ergebnis, Schutzmaßnahmen müßten sowohl den Voraussetzungen des Art. XIX GATT als auch denen des Schutzmaßnahmenübereinkommens entsprechen: In light of the interpretive principle of effectiveness, it is the duty of any treaty interpreter to „read all applicable provisions of a treaty in a way that gives meaning to all of them, harmoniously.“ An important corollary of this principle is that a treaty should be interpreted as a whole, and, in particular, its sections and parts should be read as a whole. Article II:2 of the WTO Agreement expressly manifests the intention of the Uruguay Round negotiators that the provisions of the WTO Agreement and the Multilateral Trade Agreements included in its Annexes 1, 2 and 3 must be read as a whole.382

Dem Prinzip der effektiven Auslegung zufolge komme allen Bestimmungen eines Vertrages eine gewisse Bedeutung zu. Eine Vertragsbestimmung dürfe daher nicht derart ausgelegt werden, daß eine andere Bestimmung völlig wirkungslos bleibt. Bezogen auf das Verhältnis des GATT zum Schutzmaßnahmenübereinkommen schließt der Appellate Body hieraus, für die Zulässigkeit von Schutzmaßnahmen sei die Feststellung „unvorhergesehener Entwicklungen“ im Sinne des Art. XIX Abs. 1 lit. a GATT erforderlich, auch wenn das Schutzmaßnahmenübereinkommen in Art. 2 Abs. 1 SCM diese Voraussetzungen nicht aufführt. Anderenfalls wäre die explizite Nennung in Art. XIX GATT letztlich ohne jede rechtliche Wirkung383. Deutlich wird hiermit, daß insbesondere im Verhältnis des GATT zu den anderen multilateralen Handelsübereinkommen die aus dem GATT resultierenden Verpflichtungen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden dürfen, da sie die Grundlage bilden, auf der das multilaterale Handelssystem insgesamt beruht. Dem Effektivitätsprinzip kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu, da es letztlich dazu dient, den bereits unter dem GATT 1947 erreichten Stand der Handelsliberalisierung auszubauen und die im Rahmen der Uruguay-Runde ausgehandelten neuen Handelsübereinkommen als Stärkung des multilateralen Systems zu begreifen. Nur in Ausnahmenfällen wird man deshalb zu dem Ergebnis kommen können, daß die bereits unter dem alten GATT bestehenden Verpflichtungen durch die neuen Handelsübereinkommen in ihrer Wirkung eingeschränkt werden384.

381 382 383 384

Korea – Dairy Safeguards, Panel Report, para. 7.48. Korea – Dairy Safeguards, AB, para. 81 (Hervorhebung durch den Verfasser). Korea – Dairy Safeguards, AB, para. 88. Zum Ganzen Falke, ZEuS 2000, S. 307 (309 ff.).

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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2. Subsidiaritätsprinzip Als ein weiteres, für das internationale Organisationsrecht bedeutsames Prinzip gilt das Prinzip der Subsidiarität385. In einem System von nach wie vor im Grundsatz souveränen und gleichberechtigten Staaten obliegt naturgemäß die Entscheidung, auf welcher Ebene die von staatlicher Seite zu erfüllenden Aufgaben erledigt werden sollen, den Staaten selbst. Hierbei gilt, wie etwa mit der Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 GG für die Bundesrepublik Deutschland zum Ausdruck gebracht wird, daß grundsätzlich alle Aufgaben und Kompetenzen auf die überstaatliche Ebene übertragbar sind, sofern eine adäquate Ausgestaltung der überstaatlichen Erfüllungsebene gewährleistet ist. Ein wesentlicher Aspekt des heutigen internationalen Systems ist damit die Abkehr von der ausschließlich staatlichen Aufgabenerfüllung386. a) Europa- und völkerrechtliche Grundlagen Aufschluß darüber, ob die staatliche Zuweisungsmacht noch (relativ) unbegrenzt ist oder aber diese durch normative Kriterien begrenzt wird, können die Kriterien der Verteilung der Aufgabenerledigung geben387. Einen solch allgemeinen normativen Ansatz für die effektive Allokation der Aufgabenverteilung bietet der Grundsatz der Subsidiarität, dessen zentrale Aussage die folgende ist: eine größere Einheit soll nur solche Aufgaben an sich ziehen, die von der kleineren Einheit nicht selbst ausreichend ausgeführt werden können388. Zwar läßt sich das inzwischen auf europäischer Ebene positivrechtlich in Art. 5 Abs. 2 EGV verankerte Subsidiaritätsprinzip389 nicht aus einer ganz bestimmten rechtlichen oder sozialethischen Tradition 385 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 0800; Fastenrath, Subsidiarität im Völkerrecht, S. 475 (511 ff.). 386 Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 392; außerdem Delbrück, Das Staatsbild im Zeitalter wirtschaftsrechtlicher Globalisierung, S. 5 (11 ff.); Mosler, Die Übertragung von Hoheitsgewalt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VII, S. 599 ff. 387 Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 393. 388 Zu den Schwierigkeiten einer Definition Lecheler, Subsidiaritätsprinzip, S. 43 ff. 389 Weiter ausdifferenziert wird das Subsidiaritätsprinzip im Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit (vom 02.10.1997, abgedruckt in Sartorius II, Nr. 151, Protokollnr. 30), welches gem. Art. 311 EGV Vertragsbestandteil ist. Siehe außerdem im Hinblick auf die Arbeiten zum europäischen Verfassungsvertrag Art. 9 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über eine Europäische Verfassung, CONV 850/03 vom 18. Juli 2003 sowie den Abschlußbericht der Konvents-Arbeitsgruppe I (Subsidiaritätsprinzip), CON 286/02 vom 23.09.2002.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

herleiten390, doch deutet die institutionell darin angelegte Verflechtung von staatlichem und gemeinschaftlichem Recht auf eine wechselseitige Durchdringung der Rechtsebenen hin391. Überhaupt wird bei dem Versuch, seinen wesentlichen Gehalt zu bestimmen, deutlich, daß dem Subsidiaritätsprinzip strukturell ein „Mehrebenendenken“ zu eigen ist, welches bei den kleineren Einheiten ansetzt, ohne dabei das Ganze aus den Augen zu verlieren. Entscheidend ist hierbei weniger die Idee einer hierarchischen Ordnung als vielmehr die einer Vernetzung unterschiedlicher Ebenen, wobei auf Grundlage einer gemeinsamen Aufgaben- und Zielbezogenheit die jeweils kleinere Einheit grundsätzlich Vorrang genießen soll392. Anders als das staats- bzw. machtorientierte Souveränitätsprinzip zielt die Subsidiarität also gerade darauf ab, staatlicher Allgewalt durch geeignete organisatorische Maßnahmen vorzubeugen und lenkt so den Blick über den innerstaatlichen bzw. europäischen Bereich hinaus auch auf das Völkerrecht, seine überstaatlichen Institutionen und die Gestaltung der Aufgabenverteilung. Auch wenn die Völkerrechtslehre auf das Subsidiaritätsprinzip bisher eher zurückhaltend reagiert, wird seine völkerrechtliche Geltung keineswegs negiert, sondern für durchaus möglich und sinnvoll erachtet, und es wird teilweise bereits als allgemeines völkerrechtliches Strukturprinzip angesehen393. Hinsichtlich möglicher Anwendungsbereiche des Subsidiaritätsprinzips im Recht der Internationalen Organisationen lassen sich dabei zwei Ebenen unterscheiden, nämlich die der Internationalen Organisationen untereinander und die der jeweiligen Organisation zu ihren Mitgliedern. Auf der ersten Ebene, also im gegenseitigen Verhältnis der Internationalen Organisationen, kann der Rückgriff auf den Subsidiaritätsgedanken unter Umständen dazu 390 Zur Entstehungsgeschichte näher Wyduckel, Subsidiarität und Souveränität als Prinzipien globaler rechtlicher und politischer Ordnung, S. 537 (550 ff.); Lecheler, Subsidiaritätsprinzip, S. 29 ff.; Schröter, Das Subsidiaritätsprinzip als verfassungsgenerierender Modus, S. 1 (7). 391 Zum EG-Recht de Bfflrca, Proportionality and Subsidiarity as General Principles of Law, in: Bernitz/Nergelius (Hrsg.), General Principles of European Community Law, S. 95 (103 ff.); Schröter, Das Subsidiaritätsprinzip als verfassungsgenerierender Modus, S. 1 (7 f); Callies, Subsidiaritätsprinzip und Solidaritätsprinzip als rechtliches Regulativ der Globalisierung von Staat und Gesellschaft – Dargestellt am Beispiel von EU und WTO, in: Blickle u. a. (Hrsg.), Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip in Kirche, Staat und Gesellschaft, Rechtstheorie, Beiheft 20, S. 371 (393 ff.). 392 Vgl. zum Ganzen Wyduckel, Subsidiarität und Souveränität als Prinzipien globaler rechtlicher und politischer Ordnung, S. 537 ff.; außerdem Schilling, Subsidiarity as a Rule and a Principle, or: Taking Subsidiarity Seriously, Harvard, Jean Monnet Working Paper 10/95, S. 1 ff.; Koenig/Lorz, JZ 2003, S. 167 ff. 393 Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 393 ff. und S. 441; Fastenrath, Subsidiarität im Völkerrecht, S. 475 ff.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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dienen, die oft sehr weit formulierten und sich daher vielfach sachlich oder aber geographisch überschneidenden Kompetenzen voneinander abzugrenzen394. Auf der für den vorliegenden Zusammenhang relevanten zweiten Ebene, also innerhalb des Verhältnisses von Mitgliedstaaten und Internationalen Organisationen, käme dem Subsidiaritätsprinzip – ähnlich wie im europäischen Gemeinschaftsrecht – die Funktion einer Kompetenzausübungsmaxime zu, derzufolge jeweils die Entscheidungsebene als zuständig anzusehen ist, welche die Aufgabe besser zu erfüllen vermag395. Auf die WTO und ihre Mitglieder bezogen bedeutet dies, daß die WTO nur insoweit in nationale Souveränitätsrechte eingreifen darf, als dies zur Erreichung ihrer Ziele unbedingt nötig und auf mitgliedstaatlicher Ebene nicht ausreichend bzw. besser realisierbar ist396. Umgekehrt gilt aber auch, daß die Vermutung staatlicher Zuständigkeit zur Aufgabenerledigung entgegen dem alten Dogma staatlicher Allzuständigkeit widerleglich ist, wenn und sofern der transnationale Charakter einer bestimmten Aufgabe eine Bewältigung auf internationaler Ebene erforderlich macht, weil die nationalstaatlichen Handlungsmöglichkeiten zur Aufgabenerfüllung nicht (mehr) ausreichen. b) Spruchpraxis des Appellate Body Auch wenn in der bisherigen Spruchpraxis das principle of subsidiarity bisher nicht explizit erwähnt wurde, hat der des Appellate Body zumindest der Sache nach bereits hierauf Bezug genommen. So wurde im ersten Rechtsmittelverfahren US – Gasoline im Anschluß an die Überprüfung der amerikanischen Qualitätsanforderungen für Benzin anhand von Art. XX lit. b und g GATT abschließend noch einmal ausdrücklich betont, den WTOMitgliedern stehe grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum bei der Bestimmung ihrer jeweiligen Umweltpolitiken zu und zwar auch und gerade im Verhältnis zu Handelsfragen. 394 Dazu näher Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 0800; Fastenrath, Subsidiarität im Völkerrecht, S. 475 (511 ff.). 395 Wyduckel, Subsidiarität und Souveränität als Prinzipien globaler rechtlicher und politischer Ordnung, S. 560; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 1507; Fastenrath, Subsidiarität im Völkerrecht, S. 475 (515 f.); Hobe, Der offene Verfassungsstaat, S. 394 f. und 402; Koenig/Lorz, JZ 2003, S. 167. 396 Vgl. ausführlich zu den möglichen Funktionen des Subsidiaritätsprinzips auf WTO-Ebene Bourgeois, „Subsidiarity“ in the WTO Context from a Legal Perspective, in: Bronckers/Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, S. 35 (43 ff.); außerdem Rollo/Winters, The World Economy 23 (2000), S. 561 (566 f.); Hilf, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Struktur, Institutionen und Verfahren, in: Bothe (Hrsg.), Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 40, S. 257 (276).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

It is of some importance that the Appellate Body point out what this does not mean. It does not mean, or imply, that the ability of any WTO Member to take measures to control air pollution or, more generally, to protect the environment, is at issue. That would be to ignore the fact that Article XX of the General Agreement contains provisions designed to permit important state interests – including the protection of human health, as well as the conservation of exhaustible natural resources – to find expression. The provisions of Article XX were not changed as a result of the Uruguay Round of Multilateral Trade Negotiations. Indeed, in the preamble to the WTO Agreement and in the Decision on Trade and Environment, there is specific acknowledgement to be found about the importance of coordinating policies on trade and the environment. WTO Members have a large measure of autonomy to determine their own policies on the environment (including its relationship with trade), their environmental objectives and the environmental legislation they enact and implement.397

Auch im Hormonfall kommt der Subsidiaritätsgedanke zum Ausdruck, wenn der Appellate Body zum Aspekt nationalstaatlicher Risikoregulierung plastisch ausführt, daß hinsichtlich der Risikoanalyse und -bewertung (Art. 5 Abs. 1, 2 SPS) nicht lediglich auf Laborbedingungen abgestellt werden dürfe, sondern auch die konkrete Risikolage in den jeweiligen Gesellschaften berücksichtigt werden müsse. Es komme an auf die reale Welt, in der – wie es heißt – „Menschen leben, arbeiten und sterben“. It is essential to bear in mind that the risk that is to be evaluated in a risk assessment under Article 5.1 is not only risk ascertainable in a science laboratory operating under strictly controlled conditions, but also risk in human societies as they actually exist, in other words, the actual potential for adverse effects on human health in the real world where people live and work and die.398

Anerkannt wird im Hinblick auf die Risikobewertung bzw. Festlegung eines angemessenen Schutzniveaus, daß nicht lediglich rein wissenschaftliche Faktoren, sondern auch gesellschaftlich relevante Wertentscheidungen – etwa ethischer oder religiöser Natur – Berücksichtigung finden können. Da aber die Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung von den jeweiligen WTO-Mitgliedern selbst am besten eingeschätzt werden können, muß diesen ein ausreichender Spielraum bleiben, den möglichen Gefahren durch geeignete Maßnahmen wirksam begegnen zu können399. Dem Subsidiaritätsprinzip kommt damit letztlich auch auf WTO-Ebene die Funktion zu, 397 US – Gasoline, AB, S. 30; vgl. dazu auch Jackson, GYIL 1996, S. 20 (39); Fallbesprechungen etwa bei Nogueira, JWT 30 (1996) Nr. 6, S. 5 ff.; Waincymer, Michigan Journal of International Law 1996, S. 141 ff. 398 US – Hormones, AB, para. 187; als Fallbesprechung siehe Godt, EWS 1998, S. 202 (207); Goh/Ziegler, JWT 32 (1998) Nr. 5, S. 271 ff. 399 Quick/Blüthner, JIEL 1999, S. 603 (615 ff.); Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 557 f.; Puttler, Noch Raum für staatliche Gesundheitsvorsorge im freien Welthandel?, in: Hummer (Hrsg.), Europarechtliche Markierungen zur Jahrtausendwende, S. 149 (156 f.).

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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einen adäquaten Ausgleich zu schaffen zwischen den welthandelsrechtlichen Regelungsmechanismen, ihren Zielen und Zwecken auf der einen und den von den WTO-Mitgliedern ergriffenen Maßnahmen und deren Zielen und Absichten auf der anderen Seite400. 3. Prinzip des institutionellen Gleichgewichts Schließlich soll das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts Erwähnung finden, welches ebenfalls einen nicht unbedeutenden Stellenwert im internationalen Organisationsrecht einnimmt und Gemeinsamkeiten mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung aufweist. Letzterer, also der für den Typus des freiheitlichen Rechtsstaates zentrale Grundgedanke von der gewaltenteiligen Ausübung der Staatsgewalt401, ist im überstaatlichen Recht nicht in der klassischen Dreiteilung der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt verwirklicht402. a) Europa- bzw. völkerrechtliche Grundlagen Betrachtet man etwa die europäischen Gemeinschaftsorgane, so lassen sich diese nicht in das übliche Schema Legislative – Exekutive – Judikative einordnen. Das Europäische Parlament hat nicht die klassischen Befugnisse einer gesetzgebenden Gewalt, im Rat sind Funktionen vereinigt, die zwischen Exekutive und Legislative anzusiedeln sind, und auch die Kommission ist keine Institution, die einer nationalstaatlichen Regierung gleichgestellt werden kann403. Demgegenüber besteht eine richterliche Gewalt in Form unabhängiger Organe, die mit denselben Aufgaben betraut ist wie die rechtsprechende Gewalt in den jeweiligen Mitgliedstaaten404. Trotz dieser 400 Vgl. hierzu näher Bourgeois, „Subsidiarity“ in the WTO Context from a Legal Perspective, in: Bronckers/Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, S. 35 (45); außerdem Hilf, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Struktur, Institutionen und Verfahren, in: Bothe (Hrsg.), Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 40, S. 257 (276). 401 Dazu ausführlich Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band I, S. 987 (1023 ff.); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band II, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 62 ff. 402 Von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 264 (265); Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 881. 403 Zu den diesbezüglichen Modifizierungen durch den Vertrag von Nizza, die insbesondere zu einer Aufwertung des Europäischen Parlaments geführt haben, Pache/Schorkopf, NJW 2001, S. 1377 ff. 404 Zum Ganzen Oppermann, Europarecht, Rn. 243; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 925; Nicolaysen, Europarecht I, S. 181 f.; Iglesias, NJW 2000, S. 1889.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

fehlenden Gewaltenteilung im klassischen Sinne besteht jedoch auch auf EG-Ebene de facto ein System von Gewaltenverschränkungen und -hemmungen und damit die Möglichkeit zur gegenseitigen Kontrolle. Dieses System der faktischen checks and balances, welches letztlich ähnliche Auswirkungen hat wie das Prinzip der Gewaltenteilung, firmiert in der Rechtsprechung des EuGH als sog. Prinzip des institutionelles Gleichgewichts (principle of institutional balance)405 und dient als normatives Kriterium der Verhinderung eines einseitigen Machtmißbrauchs durch die Gemeinschaftsorgane406. Zwar lassen sich auf der völkerrechtlichen Ebene weit weniger explizite Bezugnahmen auf dieses Prinzip finden407, doch gilt letztlich auch hier, daß zwischen den Organen einer Internationalen Organisation408 ein gewisses institutionelles Gleichgewicht besteht, welches sich vom Prinzip der Gewaltenteilung eines demokratischen Rechtsstaates unterscheidet. So besitzen weder die quasi-parlamentarischen noch die gerichtlichen Organe Kompetenzen, die innerstaatlichen Parlamenten oder Gerichten vergleichbar wären. Vor allem aber verschwimmen häufig die Grenzen zwischen Legislative und Exekutive fast vollständig. Das relative Gewicht der einzelnen Organe einer Internationalen Organisation differiert von Organisation zu Organisation und läßt sich erst aus dem Zusammenhang der einzelnen Bestimmungen des Gründungsvertrages in Verbindung mit dem Sekundärrecht bzw. der jeweiligen Praxis der Organisation erschließen409. 405 EuGH, Rs. C-70/88, Slg. 1990, I-2041, Rn. 21 ff. (Tschernobyl); Rs. 138/79, Slg. 1980, 3333, Rn. 33 (Roquette Frères); Rs. 25/70, Slg. 1970, 1161, 1172 f. (Köster); zum Ganzen Bernhardt, Verfassungsprinzipien im EWG-Vertrag, S. 87 ff.; Hummer, Das „Institutionelle Gleichgewicht“ als Strukturdeterminante der Europäischen Gemeinschaften, in: Miehsler u. a. (Hrsg.), Ius Humanitatis, Festschrift zum 90. Geburtstag von Alfred Verdross, S. 459 (461 ff.); Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 333; de Witte, Institutional Principles: A Special Category of General Principles of EC Law, in: Bernitz/Nergelius (Hrsg.), General Principles of European Community Law, S. 143 (150 ff.). 406 Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, Rn. 35; Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 220, 221; Hilf, Die Organisationsstruktur der Europäischen Gemeinschaften, S. 312 ff.; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 923 ff.; Huber, Recht der Europäischen Integration, S. 205 f. sowie 208; mit Blick auf das institutionelle Gleichgewicht zwischen Rat und Europäischem Parlament in der künftigen europäischen Verfassung ders., EuR 2003, S. 574 ff.; kritisch Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Die Europäische Union, Rn. 85, 191 und 381. 407 Vgl. dazu mit näheren Nachweisen insbesondere auf die Vereinten Nationen Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 222 ff.; vgl. auch die diesbezüglichen Ausführungen Indiens im Fall India – Quantitative Restrictions, AB, paras. 8 ff. 408 Zum Begriff der Internationalen Organisation bereits oben 1. Teil B. III.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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b) Anknüpfungspunkte im WTO-Recht Die WTO als Internationale Organisation weist ebenfalls eine völkervertraglich festgelegte, organschaftliche Struktur auf. Hierbei scheint das WTO-Übereinkommen die traditionellen konzeptionellen Unterscheidungen, wie sie die Verfassungstheorie auf Grundlage der Lehre von der Gewaltenteilung hinsichtlich der Funktionen öffentlicher Gewalt entwickelt hat, überraschend getreu widerzuspiegeln410. Denn ein erster Blick auf den die Aufgaben der WTO auflistenden Art. III WTO-Übereinkommen offenbart, daß hier der traditionellen Differenzierung zwischen Gesetzgebung (Rechtsetzung)411, Vollzug und Rechtsprechung gefolgt wird. Die exekutive Funktion beispielsweise kommt in Abs. 1 zum Ausdruck, wenn es dort heißt, die WTO soll „die Durchführung, die Verwaltung und die Wirkungsweise dieses Übereinkommens und der Multilateralen Handelsübereinkommen sowie die Verwirklichung ihrer Ziele“ erleichtern. Die rechtsetzende Funktion folgt in Abs. 2, demzufolge die WTO „als Forum für Verhandlungen zwischen ihren Mitgliedern über deren multilaterale Handelsbeziehungen“ dienen soll und zwar nicht nur in Bezug auf Angelegenheiten im Zusammenhang mit bereits bestehenden Übereinkommen, sondern auch hinsichtlich „weiterer Verhandlungen“ über multilaterale Handelsfragen. Von der rechtsprechenden Funktion ist schließlich in Abs. 3 die Rede, denn die WTO „verwaltet die in Anlage 2 dieses Übereinkommens enthaltene Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten“. Allerdings vermag eine nähere Analyse des Art. III die eigentümliche Beziehung zwischen Recht und Politik in der WTO aufzudecken412. Denn im Hinblick auf die Rechtsetzung soll die WTO lediglich ein „Verhandlungsforum“ bereitstellen (Art. III Abs. 2 WTO-Übereinkommen), hinsicht409

Zum Ganzen Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, Rn. 1401 f.; zur typischen Organstruktur Internationaler Organisationen vgl. im übrigen auch Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 54 ff. 410 Roessler, The Institutional Balance between the Judicial and the Political Organs of the WTO, in: Bronckers/Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, S. 325; von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 264 (266). 411 Die Gleichsetzung von Gesetzgebung und Rechtsetzung erscheint vor dem Hintergrund staatlichen Verfassungsdenkens problematisch, da der Begriff Gesetzgebung meist der parlamentarischen Rechtsetzung vorbehalten ist. Dennoch scheint diese Gleichsetzung hier vertretbar, da auf der überstaatlichen Ebene die Begriffe Gesetzgebung und Rechtsetzung generell jeder rechsetzenden Körperschaft zugeordnet werden, selbst wenn diese keine parlamentarische Institution ist; vgl. EuGH, Rs. C-280/93, Slg. 1994, I – 4973, Rn. 47 (Deutschland/Rat); von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 264 (265). 412 Zum folgenden ausführlich von Bogdandy, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 609 (614 ff.).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

lich der Exekutive soll sie nur die Umsetzung, Handhabung und Ausführung „erleichtern“ (Art. III Abs. 1 WTO-Übereinkommen). Das WTO-Übereinkommen dient damit gerade nicht der Institutionalisierung autonomer politischer Prozesse, was auch dadurch unterstrichen wird, daß die WTO in ihrer offiziellen Darstellung ihre nur dienende Rolle stets ausdrücklich hervorhebt und sich als eine „member-driven organization“ beschreibt413. Bereits angesprochen wurde, daß das WTO-Recht zwar vereinzelt primärrechtliche Rechtsgrundlagen zur Schaffung von Sekundärrecht enthält414, die WTO-Organe hingegen nicht über eine allgemeine Kompetenz zur Setzung sekundären internationalen Wirtschaftsrechts verfügen. Die WTO als Organisation kann folglich keine Verpflichtungen ihrer Mitglieder begründen, welche nicht bereits im primären Regelwerk angelegt sind. Zwar sind Ministerkonferenz und Allgemeiner Rat gem. Art. IX Abs. 2 WTO-Übereinkommen dazu berufen, das WTO-Übereinkommen selbst sowie die im Annex 1A aufgeführten multilateralen Handelsübereinkommen authentisch auszulegen, was im Ergebnis immer auch zu gewissen Teilen die Setzung und Fortentwicklung von Recht beinhaltet. Doch ist diese Befugnis begrenzt und kommt nicht einer wirklichen Rechtsgestaltung nahe. Tatsächliche Rechtsetzung erfolgt auch weiterhin im wesentlichen durch multilateralen Vertragsschluß aller Mitglieder415. Ganz anders der judikative Bereich. Hier ist die WTO nicht darauf beschränkt, lediglich ein Forum für die entsprechende Tätigkeit ihrer Mitglieder zu bieten, sondern übt eine eigenständige Rechtsprechungsfunktion aus, die nicht bloß formaler, sondern substantieller Natur ist. Letzteres zeigt sich insbesondere in der Ausgestaltung des Streitbeilegungsmechanismus. So ist die Eröffnung des Panelverfahrens gem. Art. 6 Abs. 1 DSU nicht von der Zustimmung des verklagten Mitglieds abhängig. Und auch die später im Laufe des Verfahrens „unterlegene“ Partei kann es nicht verhindern, daß der Panel- bzw. Appellate Body-Bericht vom DSB angenommen und damit zu einer rechtsförmigen Streitbeilegungsentscheidung wird, außer sie vermag einen ablehnenden Konsens aller DSB-Mitglieder – die obsiegende Partei eingeschlossen – herbeizuführen (Art. 16 Abs. 4 bzw. 17 Abs. 14 DSU). Auch wenn die streitschlichtende Entscheidung in der Verantwortung 413 WTO, 10 Common Misunderstandings (2002), S. 2: „The WTO does not tell governments how to conduct their trade policies. Rather it’s a ‚member-driven‘ organization.“; siehe auch Hilf, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Struktur, Institutionen und Verfahren, in: Bothe (Hrsg.), Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 40, S. 257 (275). 414 Vgl. dazu bereits oben 1. Teil C. II. 415 Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (394 f.).

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des DSB und damit eines aus den Vertretern der WTO-Mitglieder zusammengesetzten politischen Organs verbleibt, besteht mit Blick auf das Prinzip des umgekehrten Konsens dennoch kaum die Möglichkeit eines politischen Zugriffs auf die Entscheidungen. Damit werden nicht nur die von den Panels bzw. dem Appellate Body vorgelegten Berichte praktisch zu „Urteilen“, sondern beide Streitbeilegungsorgane lassen sich gewissermaßen als unabhängige rechtsprechende Organe bezeichnen416. Insgesamt läßt sich damit festhalten: das WTO-Übereinkommen lehnt sich zwar begrifflich an die herkömmliche Gewaltenteilung an, etabliert insgesamt jedoch eine Organisation, die lediglich eine dieser Gewalten effektiv ausübt417. Im übrigen entspricht das organschaftliche Grundgefüge der WTO weitgehend dem klassischen Muster einer Internationalen Organisation. Mit der Einsetzung einer Ministerkonferenz und eines Allgemeinen Rates sowie eines vom Generaldirektor geleiteten Sekretariats bewegt sich das WTO-Übereinkommen in den herkömmlichen Bahnen, ohne daß der Sprung zu einem System mit (horizontaler) Gewaltenteilung bzw. -verschränkung gelänge. Lediglich die Streitbeilegung sticht aus diesem üblichen Muster Internationaler Organisationen heraus.418 Zu fragen ist daher, inwieweit vor diesem Hintergrund in bezug auf das WTO-Recht überhaupt von einem Prinzip des institutionellen Gleichgewichts ausgegangen werden kann. c) Spruchpraxis des Appellate Body Im Fall India – Quantitative Restrictions hatte sich der Appellate Body mit dieser Frage auseinanderzusetzen419. Inhaltlich ging es bei diesem Ver416 So von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 264 (268); Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (395); vgl. auch Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insbesondere im Welthandelsrecht, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 123 (191 f.); Kneubühler, Integration durch Rechtsprechung in der EG und der WTO, S. 50 f. 417 Wahl, Konstitutionalisierung – Leitbegriff oder Allerweltsbegriff, in: Eberle u. a. (Hrsg.), Der Wandel des Staates vor den Herausforderungen der Gegenwart, Festschrift für Winfried Brohm, S. 191 (204); vgl. auch Hilf, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Struktur, Institutionen und Verfahren, in: Bothe (Hrsg.), Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 40, S. 257 (275), der insoweit von einer „hinkenden Organisation“ spricht. 418 Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (394). 419 Hierzu näher von Bogdandy/Makatsch, EuZW 2000, S. 261 ff.; Hohmann, RIW 2001, S. 649 (652 f.); Davey, JIEL 2001, S. 79 (85 ff.); mit Verweisen auf die diesbezügliche GATT-Spruchpraxis vgl. ausführlich Roessler, The Institutional Ba-

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

fahren um von Indien erhobene mengenmäßige Beschränkungen für den Import von Agrar-, Textil- und Industrieprodukten, die mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten gerechtfertigt worden waren. Der Vorschlag Indiens, die Beschränkungen erst nach sieben Jahren wieder abzuschaffen, erschien einigen WTO-Mitgliedern, vor allem den USA, als nicht haltbar. Nach erfolglosen Konsultationen wurde daher ein Panel einberufen, um die Übereinstimmung der Zahlungsbilanzbeschränkungen Indiens mit den WTO-rechtlichen Verpflichtungen zu überprüfen. Den Artikeln XII und XVIII Abschnitt B GATT sowie der konkretisierenden Vereinbarung über Zahlungsbilanzbestimmungen420 zufolge kann ein Entwicklungsland Importbeschränkungen oder sonstige Handelsrestriktionen aufgrund von Zahlungsbilanzschwierigkeiten einführen. Derartige Hemmnisse müssen nach Art. XVIII Abs. 9 GATT jedoch erforderlich sein, um der drohenden Gefahr einer bedeutenden Abnahme der Währungsreserven vorzubeugen, eine solche Abnahme aufzuhalten oder unzureichende Währungsreserven in maßvoller Weise zu steigern. Gem. Art. XVIII Abschnitt B GATT hat die Einführung von Beschränkungen außerdem in einem speziellen Verfahren zu erfolgen, an welchem neben dem Allgemeinen Rat auch der Ausschuss für Zahlungsbilanzbeschränkungen (Committee on Balance-of-Payments Restrictions, vgl. Art. IV Abs. 7 WTO-Übereinkommen) sowie der IWF (Art. XV Abs. 2 GATT) beteiligt sind. Geprüft werden in diesem Verfahren die Art der Zahlungsbilanzschwierigkeiten, mögliche alternative Abhilfemaßnahmen sowie die Auswirkungen der Beschränkungen auf andere Vertragsparteien421. In seinem Bericht war das Panel zu dem Ergebnis gekommen, daß die streitgegenständlichen Maßnahmen Indiens sowohl Art. XI als auch Art. XVIII Abs. 11 GATT verletzten und sich auch nicht durch Art. XVIII Abschnitt B GATT rechtfertigen ließen422. Indien legte daraufhin Rechtsmittel ein und zwar mit folgender Begründung: Es fehle dem Panel die Kompetenz, die Rechtfertigung der Zahlungsbilanzbeschränkungen nach Art. XVIII Abschnitt B GATT zu beurteilen. Denn diese Befugnis liege gem. Art. XVIII Abs. 12 GATT und der Vereinbarung über Zahlungsbilanzbestimmungen ausschließlich beim Allgemeinen Rat sowie dem Ausschuss für Zahlungsbilanzschwierigkeiten. Da aber Indiens Auffassung zufolge auch im WTO-Recht das allgemeine völkerrechtliche Prinzip des institutionellen Gleichgewichts (principle of institutional balance) Geltung beansprulance between the Judicial and the Political Organs of the WTO, in: Bronckers/ Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, S. 325 (326 ff.). 420 Vgl. WTO, The Legal Texts, S. 29 ff.; deutsche Übersetzung bei Benedek, Textausgabe WTO, S. 141 ff. 421 Zum Ganzen näher Stoll/Schorkopf, WTO, Rn. 228 ff.; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 737 ff. 422 India – Quantitative Restrictions, Panel Report, para. 6.1.

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che, sei ein Panel bei der Festlegung des Umfangs seiner Entscheidungsbefugnis verpflichtet, die Kompetenzen anderer WTO-Organe ausreichend zu berücksichtigen. Dem sei nur dann Rechnung getragen, wenn die Beurteilung der jeweiligen Zahlungsbilanzbeschränkung dem Ausschuss für Zahlungsbilanzschwierigkeiten sowie dem Allgemeinen Rat vorbehalten bleibe423. Der Appellate Body ist dieser Argumentation in seinem Bericht nicht gefolgt und hat entgegen dem Vortrag Indiens die Prüfungskompetenz des Panel bestätigt. Begründet wird dies einerseits mit dem Umstand, daß in Anhang I zum DSU unter anderem das GATT aufgeführt und folglich auch Art. XVIII Abschnitt B GATT hiervon erfaßt sei424. Zum anderen hält der Appellate Body die Zuständigkeit des Panel aber auch unter Bezugnahme auf den Wortlaut der Fußnote 1 der Vereinbarung über Zahlungsbilanzbestimmungen in vollem Umfang und für alle zahlungsbilanzbezogenen Fragen für gegeben425.426 Ausdrücklich abgelehnt wird hierbei die von Indien vorgebrachte Behauptung eines im WTO-Recht etablierten Prinzips des institutionellen Gleichgewichts, mithilfe dessen Indien eine Einschränkung der Prüfungskompetenz des Panel begründen wollte. We, therefore, conclude that the three reports cited by India do not support its contention that there is a principle of institutional balance, as defined by India, in WTO law.427 We, therefore, consider that India failed to advance any convincing arguments in support of the existence of a principle of institutional balance that requires panels to refrain from reviewing the justification of balance-of-payments restrictions under Article XVIII:B.428

Einen Konflikt zwischen der judiziellen Panelkompetenz und den (politischen) Kompetenzen des Allgemeinen Rates bzw. des Zahlungsbilanzausschusses sieht der Appellate Body nicht, was mit den unterschiedlichen Funktionen der jeweiligen Organe sowie den jeweiligen Verfahren bezüg423

India – Quantitative Restrictions, AB, paras. 8 ff. sowie paras. 80 und 98. India – Quantitative Restrictions, AB, paras. 85 ff. 425 India – Quantitative Restrictions, AB, paras. 87 ff. 426 Der amtliche englische Text der Fußnote 1 lautet: „Nothing in this Understanding is intended to modify the rights and obligations of Members under Articles XII or XVIII:B of GATT 1994. The provisions of Articles XXII and XXIII of GATT 1994 as elaborated and applied by the Dispute Settlement Understanding may be invoked with respect to any matters arising from the application of restrictive import measures taken for balance-of-payments purposes.“ Bei Benedek, Textausgabe WTO, S. 141 ist diese Fußnote als Fußnote 2 abgedruckt. 427 India – Quantitative Restrictions, AB, para. 100 (Hervorhebung durch den Verfasser). 428 India – Quantitative Restrictions, AB, para. 105 (Hervorhebung durch den Verfasser). 424

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lich Umfang, Natur, Zeitablauf und Ergebnis begründet wird. Die WTOMitglieder verfügen insoweit über ein Wahlrecht, ob sie den Weg über Art. XVIII Abs. 12 GATT einschlagen, um Zahlungsbilanzbeschränkungen prüfen zu lassen, oder ob sie das Streitbeilegungsverfahren zur Anwendung kommen lassen. Dabei halte die Wahl des letzteren weder den Zahlungsbilanzausschuss noch den Allgemeinen Rat davon ab, denselben Sachverhalt im Verfahren des Art. XVIII Abs. 12 GATT zu prüfen429.

II. Prinzipien aus multi- bzw. bilateralen Völkerrechtsverträgen Die Berücksichtigung multilateraler Völkerrechtsverträge bzw. der darin kodifizierten Rechtsprinzipien ist bisher lediglich relevant geworden in Konstellationen, in denen Handelsfragen Bereiche des Umweltschutzes berührten. Als leading case in diesem Bereich gilt der Fall US – Shrimp, in welchem die grundlegende Bereitschaft des Appellate Body offenbar wird, mit dem Kooperationsprinzip auch Prinzipien WTO-fremden Rechts bei der Auslegung von WTO-Recht in seine Erwägungen einzubeziehen. 1. Kooperationsprinzip Kooperation ist arbeitsteilige Aufgabenerfüllung. Sie findet statt, wenn einzelne Partner des Kooperationsverhältnisses allein eine gemeinsame Aufgabe nicht oder nur schlechter erfüllen können als alle gemeinsam. Prinzipiell gleichgültig ist dabei, ob alle Partner jeweils gleiche Beiträge einbringen oder ob sie unterschiedliche, einander ergänzende Beiträge leisten. In beiden Fällen ist das Zusammenwirken jedenfalls dann sinnvoll, wenn anderenfalls der Kooperationserfolg nicht, nicht zum gleichen Zeitpunkt oder nicht in gleichem Ausmaß eintritt430. Der Kooperationsgedanke hat bereits seit längerem Konjunktur, und Einfluß bzw. Auswirkungen des Kooperationsprinzips werden auf nationaler Ebene keineswegs nur im Umweltrecht431, sondern beispielsweise auch im öffentlichen Wirtschaftsrecht, im 429 India – Quantitative Restrictions, AB, para. 97; kritisch zu dieser Argumentation Roessler, The Institutional Balance between the Judicial and the Political Organs of the WTO, in: Bronckers/Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, S. 325 (335 ff.). 430 Vgl. allgemein Gusy, ZUR 2001, S. 1 (3 f.); Müggenborg, NVwZ 1990, S. 909 ff.; zum Begriff der Kooperation Grüter, Umweltrecht und Kooperationsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland, S. 1 ff. 431 Speziell zum Abfallrecht vgl. auch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Landesabfallabgaben BVerfGE 98, 83 (100) bzw. zur kommunalen Verpackungssteuer BVerfGE 106, 126 (128 ).

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Städtebaurecht oder im Polizeirecht ausführlich diskutiert432. Für den Bereich des Umweltschutzes, dem dabei stets besondere Aufmerksamkeit gewidmet ist433, bringt das Kooperationsprinzip zum Ausdruck, daß Umweltschutz nicht nur Aufgabe des Staates, sondern aller gesellschaftlichen Kräfte ist und fordert das auf den Umweltschutz bezogene Zusammenwirken zwischen Staat und Gesellschaft. a) Völkerrechtliche Grundlagen Mit Blick den Wandel von einem Völkerrecht der Koordination hin zu einem Völkerrecht der Kooperation434 stellt sich unweigerlich die Frage, ob eine generelle Pflicht zur Kooperation der Staaten auch im allgemeinen Völkerrecht besteht. Ausgehend von den noch vagen und in ihrer rechtlichen Tragweite umstrittenen Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen (Art. 1 lit. 2 bzw. Art. 55, 56 UN-Charta) lassen sich in einer Vielzahl bilateraler und multilateraler völkerrechtlicher Verträge und zahlreichen unverbindlichen Resolutionen Bestimmungen finden, die die Staaten zu einer verstärkten Zusammenarbeit im internationalen System verpflichten435. Hatte die Friendly Relations Declaration von 1970 bereits auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Staaten verwiesen436, so läßt sich heute im 432

So mit ausführlichen Nachweisen Schrader, DÖV 1990, S. 326 (329); Gusy, ZUR 2001, S. 1; zum Prinzip der Gemeinschaftstreue bzw. der Loyalität im EGRecht de Witte, Institutional Principles: A Special Category of General Principles of EC Law, in: Bernitz/Nergelius (Hrsg.), General Principles of European Community Law, S. 143 (146 f.); von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht: Theoretische und dogmatische Grundzüge, S. 149 (200 ff.). 433 Vgl. u. a. Helberg, Allgemeines Umweltverwaltungsrecht, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, § 3, Rn. 16 f.; Koch, NuR 2001, S. 541 ff.; Di Fabio, NVwZ 1999, S. 1153 ff.; Reese, ZUR 2001, S. 14 ff.; Wieland, ZUR 2001, S. 20 ff.; Voßkuhle, ZUR 2001, S. 23 ff.; den Prinzipiencharakter verneinend Murswiek, ZUR 2001, S. 7 ff.; Jaeschke, NVwZ 2003, S. 563 ff.; Schrader, DÖV 1990, S. 326 ff. 434 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 9 f.; Kimminich/Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 308; ausführlich Wolfrum, International Law of Cooperation, EPIL II (1986/1991), S. 1242 ff. 435 Vgl. im einzelnen die Nachweise bei Wolfrum, International Law of Cooperation, EPIL II (1986/1991), S. 1242 (1244 ff.); außerdem die Feststellung der International Law Association in ILA, Report of the 61st Conference (Paris 1984), S. 124: „The duty of States to co-operate is one of the most important principles of contemporary international law“; außerdem Tietje, DVBl. 2003, S. 1081 (1087 f.). 436 Grundsatz 4 der Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Cooperation Among States in Accordance with the Charter of the United Nations, Anhang zur Resolution der UN-Generalversammlung 2625 (XXV) vom 24.10.1970: „States have the duty to co-operate with one another, irrespective of the differences in their political, economic and social systems, in the

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internationalen Wirtschaftsrecht ein signifikanter und auch normativ verfestigter Trend zur weiteren Öffnung nationaler Märkte zum Austausch von Gütern und Dienstleistungen beobachten. Tendenziell kooperative Handlungspflichten der Staaten zum Schutze des Individuums bringt auch die zunehmende Verdichtung des internationalen Menschenrechtsschutzes mit sich437. Dabei gilt generell, daß die internationale Staatengemeinschaft bemüht ist, sich durch die Zusammenarbeit in Internationalen Organisationen eines bestimmten funktionalen Zuschnitts adäquat zu organisieren im Hinblick auf die zu erledigenden Gemeinschaftsaufgaben. In diesem Sinne lassen sich Internationale Organisationen inhaltlich als Instrumente zwischenstaatlicher Kooperation charakterisieren438. Eine besondere Ausprägung hat der Kooperationsgedanke im internationalen Umweltrecht erhalten439. Zum einen bestehen hier präventive Verfahrenspflichten, wie etwa Informations-, Warn- bzw. Konsultationspflichten, die helfen sollen, Schäden von Staatsterritorien oder Gemeinschaftsgütern abzuwenden. Zum anderen läßt sich aus der allgemeinen Staatenpraxis der letzten dreißig Jahre wohl auch ein legislativ-materielles Kooperationsgebot ableiten, soweit es um Umweltgüter geht, zu deren Schutz das Zusammenwirken einer Vielzahl von Staaten zwingend erforderlich ist440. So wurden bereits dem Prinzip 24 der Stockholmer Erklärung von 1972 zufolge die Staaten zur Zusammenarbeit beim Schutze der Umwelt sowie bei der Weiterentwicklung des Umweltvölkerrechts angehalten441. Dieser Grundsatz various spheres of international relations, in order to maintain international peace and security and to promote international economic stability and progress, the general welfare of nations and international cooperation free from discrimination based on such differences.“, abgedruckt in AJIL 1971, S. 243 ff.; dazu Neuhold, Die Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen den Staaten: Moralisches Postulat oder völkerrechtliche Norm?, in: Miehsler u. a. (Hrsg.), Ius Humanitatis, Festschrift zum 90. Geburtstag von Alfred Verdross, S. 575 ff. 437 Kimminich/Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 309. 438 Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, S. 324 ff.; vgl. außerdem Ruffert, AVR 2000, S. 129 f.; Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 132 f.; Beise, WTO, S. 29; Vollmöller, Die Globalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts, S. 39 ff. 439 Allgemein zum Umweltvölkerrecht vgl. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, S. 5 ff.; Hobe, JA 1997, S. 160 ff.; vgl. auch Godzierz, Nationale Umweltpolitiken und Internationaler Handel nach WTO und GATT, S. 42 f. 440 Buck/Verheyen, Umweltvölkerrecht, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, § 1, Rn. 29 mit umfangreichen Nachweisen; einschränkender Epiney/Scheyli, Umweltvölkerrecht, S. 99 f. 441 Prinzip 24 der Stockholm Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment vom 15.06.1972: „International matters concerning the protection and improvement of the environment should be handled in a co-operative spirit by all countries, big or small, on an equal footing. Cooperation through multilateral or bilateral arrangements or other appropriate means is essential to effec-

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wurde 1992 auf der Konferenz von Rio wieder aufgenommen und im entwicklungspolitischen Kontext modifiziert. An die Stelle gleicher Anstrengungen aller Staaten ist dabei der neue Begriff der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung getreten442. Nachbarschaftliche staatliche Kooperation wird zudem relevant insbesondere bei der Nutzung geteilter und gemeinsamer Ressourcen sowie bei der Vermeidung grenzüberschreitender Einwirkungen. Prinzip 12 der Erklärung von Rio443 sowie Ziffer 2.22 (i) der Agenda 21444 tragen den Staaten daher auf, sich bei dem Ergreifen von Maßnahmen gegen grenzüberschreitende oder globale Umweltprobleme so weit wie möglich auf einen internationalen Konsens zu stützen. Kooperatives Vorgehen genießt mithin auch auf internationaler Ebene einen hohen Stellenwert. Zwar wird man insgesamt noch nicht so weit gehen können, der völkerrechtlichen Grundordnung ein Gebot der Zusammenarbeit zu entnehmen, welches dem in Art. 10 EGV verankerten und für das gegenseitige Verhältnis der EG und den Mitgliedstaaten geltenden Grundsatz der Gemeinschaftstreue vergleichbar ist445. Doch birgt das gegenwärtige Völkerrecht in der Epoche der Globalisierung an etlichen Stellen deutliche Belege dafür, daß sich durch die Formulierung von schützenswerten Staatengemeinschaftsinteressen bzw. Gemeinschaftsaufgaben auch die Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit zunehmend verstärkt. tively control, prevent, reduce and eliminate adverse environmental effects resulting from activities conducted in all spheres, in such a way that due account is taken of the sovereignty and interests of all States.“; abgedruckt bei Hohmann (Hrsg.), Basic Documents of International Environmental Law, Vol. 1, S. 21 ff. 442 Prinzip 7 der Rio Declaration of the United Nations Conference on Environment and Development vom 14.06.1992: „States shall cooperate in a spirit of global partnership to conserve, protect and restore the health and integrity of the Earth’s ecosystem. In view of the different contributions to global environmental degradation, States have common but differentiated responsibilities. (. . .)“; abgedruckt in ILM 31 (1992), S. 876 ff.; näher zum Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 180 ff.; Sands, Principles of International Environmental Law, S. 217 ff. 443 Prinzip 12 der Rio Declaration of the United Nations Conference on Environment and Development vom 13.06.1992: „States should cooperate to promote a supportive and open international economic system that would lead to economic growth and sustainable development in all countries, to better address the problems of environmental degradation. (. . .)“. 444 Agenda 21 vom 14.06.1992: „Avoid unilateral actions to deal with environmental challenges outside the jurisdiction of the importing country. Environmental measures addressing transborder or global environmental problems should, as far as possible, be based on an international consensus.“; UN Doc. A/CONF.151/26. 445 Kimminich/Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 309; näher zu den Prinzipien der Kooperation und der Gemeinschaftstreue im EG-Recht Bernhardt, Verfassungsprinzipien im EWG-Vertrag, S. 190 ff.

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b) Anknüpfungspunkte im WTO-Recht Die allgemeine Tendenz vom Koordinations- zum Kooperationsvölkerrecht hat ihren Niederschlag auch im Welthandelsrecht gefunden. Bereits für das GATT 1947 zeigte sie sich in einer kontinuierlichen Erweiterung der Intensität der Zusammenarbeit, etwa durch den schrittweise erfolgten Aufbau einer Organstruktur und der Fortentwicklung der Institution des GATT an sich, aber auch und gerade in der Entwicklung zusätzlicher Instrumente wie etwa im Bereich der Streitbeilegung446. Dabei ist ihre zentrale Funktion auch heute noch in der zwischenstaatlichen, auf den wechselseitigen Abbau von Handelshemmnissen gerichteten Kooperation und nicht etwa in der Marktintegration zu sehen447. Mit dem Kooperationsgedanken korrespondiert letztlich auch die Idee des Multilateralismus, die ein grundlegendes, bereits in der Präambel des WTO-Übereinkommens verankertes Ziel darstellt448, sich gegen unilaterale bzw. bilaterale Tendenzen in den internationalen Beziehungen richtet und damit der Machtkontrolle dient449. c) Die Entscheidung des Appellate Body im „Shrimps-Fall“ Der Fall US – Shrimp gilt als leading case in der bisherigen WTO-Streitbeilegungspraxis und ist von herausragender Bedeutung für die Frage der WTO-Konformität handelsbeschränkender Maßnahmen, die aus Gründen des Umweltschutzes ergriffen werden. Auch wenn der zugrundeliegende Sachverhalt im Detail ausgesprochen komplex ist, ging es dabei im Kern um folgendes Problem450: Nachdem die Gefährdung von Meeresschildkrö446 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 379 und 460 f.; Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 194. Das als spezielle Ausprägung des Kooperationsgedankens geltende Prinzip der friedlichen Streitbeilegung ist in den Bestimmungen des DSU heute weitestgehend normativ konkretisiert; allgemein zu diesem völkergewohnheitsrechtlichen Prinzip Peters, EJIL 2003, S. 1 (3 f. und 9 f.). 447 Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), S. 51 f. 448 Vgl. den vierten Erwägungsgrund der Präambel des WTO-Übereinkommens „Resolved, therefore, to develop an integrated, more viable and durable multilateral trading system encompassing the General Agreement on Tariffs and Trade, the results of past trade liberalization efforts, and all of the results of the Uruguay Round of Multilateral Trade Negotiations“ (Hervorhebung durch den Verfasser). 449 Jackson, World Trading System, S. 158; Beise, WTO, S. 29; Hilf, JIEL 2001, S. 111 (119). 450 Aus dem umfangreichen Schrifttum zum Shrimps-Fall vgl. etwa Appleton, JIEL 1999, S. 477 ff.; Puls, Minnesota Journal of Global Trade 1999, S. 343 ff.; Pyatt, Ecology Law Quarterly 1999, S. 815 ff.; Ahn, Michigan Journal of International Law 1999, S. 819 ff.; Scott, On Kith and Kine (and Crustaceans): Trade and

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ten (turtles) unter anderem durch ihre Aufnahme in den Kreis der durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES, 1973)451 geschützten Tierarten auch in den Vereinigten Staaten in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt war, wurden dort ab Mitte der 1980er Jahre verschiedene Maßnahmen zum Schutze der vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröten ergriffen. Insbesondere um ihrer Gefährdung beim Fang von Garnelen (shrimps) zu begegnen, wurde dabei unter anderem der amerikanische Endangered Species Act452 um zwei Punkte ergänzt. Zum einen mußten fortan alle zum Shrimpfang eingesetzten Schiffe unter US-amerikanischer Flagge über sog. Turtle Exluder Devices (TEDs) verfügen, also über technische Einrichtungen, die das Verfangen der Schildkröten in den Fischnetzen verhindern sollen453. Zum anderen wurde gegenüber Staaten, deren Fangtechnologie die geschützten Meeresschildkröten bedrohte, ein Importverbot für Garnelen verhängt454, sofern diese Staaten nicht ein dem USamerikanischen Schutzprogramm vergleichbares Schutzniveau nachweisen konnten455. Diese Anforderungen wurden in der amerikanischen Verwaltungspraxis zunächst auf amerikanische Staaten beschränkt, nach verschiedenen, insbesondere von amerikanischen Umweltgruppen initiierten Gerichtsverfahren jedoch auf alle Staaten ausgeweitet. Am 8. Oktober 1996 strengten daraufhin Indien, Malaysia, Pakistan und Thailand ein WTOStreitbeilegungsverfahren an, in welchem sie den Vereinigten Staaten die Verletzung des Verbotes nichttarifärer Handelshemmnisse an der Grenze vorwarfen (Art. XI GATT). Nach den erfolglos gebliebenen Konsultationen wurde vom DSB ein Panel zur Untersuchung des Falles eingesetzt, wobei zwischen den Parteien unstreitig war, daß die Importverbote der USA tatbestandlich mit Art. XI Abs. 1 GATT nicht zu vereinbaren waren. Als maßgebliche Rechtsfrage war lediglich zu entscheiden, ob eine Rechtfertigung gem. Art. XX lit. g GATT in Betracht kam, wie dies von den Vereinigten Staaten ins Feld geführt wurde. Nach dieser Vorschrift sind Handelsbeschränkungen ausnahmsweise dann zulässig, wenn sie in Verbindung mit inländischen Restriktionen Environment in the EU and WTO, in: Weiler (Hrsg.), The EU, the WTO and the NAFTA, S. 125 (133 ff.); Mavroidis, JWT 34 (2000) Nr. 1, S. 73 ff.; Ginzky, ZUR 1999, S. 216 ff.; Pfahl, Internationaler Handel und Umweltschutz, S. 138 ff. 451 Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (CITES) vom 03.03.1973, abgedruckt in BGBl. 1975 II, S. 773 ff. 452 Endangered Species Act (1973), Public Law 93–205, 16 United States Code § 1531 ff. 453 Turtle Conservation; Shrimp Trawling Requirements 52 Fed. Reg. 24244 vom 29.06.1987. 454 Section 609 of Public Law 101–162, 16 United States Code, § 1537; abgedruckt als Annex I des Panelberichts US – Shrimp, Panel Report, S. 296 ff. 455 US – Shrimp, AB, paras. 3 ff.

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zum Erhalt erschöpflicher Naturschätze ergriffen werden (lit. g) und dabei nicht eine willkürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierung zwischen Ländern darstellen, in denen die gleichen Verhältnisse bestehen, oder eine verschleierte Beschränkung des internationalen Handels die Folge ist (chapeau-Klausel)456. Die Auslegung und Anwendung von Art. XX GATT im Hinblick auf von einem Staat unilateral ergriffene, umweltrelevante Handelsrestriktionen wird bereits seit den sog. Thunfischfällen intensiv diskutiert457. Denn hierbei handelt es sich um die einzige Vorschrift, nach der solche Maßnahmen überhaupt zu rechtfertigen sind. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei der Frage zu, ob Art. XX GATT auch einzelstaatliche Maßnahmen erfaßt, die aufgrund ihres Bezuges zu globalen Umweltproblemen inhärent einen extraterritorialen Bezug der nationalen Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung aufweisen458. Im Ergebnis werden unilaterale Umweltschutzmaßnahmen nämlich immer dahingehend wirken, daß die Beachtung eines bestimmten, national festgelegten Schutzstandards mit Einführung der jeweiligen Handelsrestriktion durch einen Staat weltweit von allen Staaten eingefordert wird. In seinem Bericht kam das Panel zu dem Ergebnis, daß die amerikanischen Importrestriktionen gegen Art. XI Abs. 1 GATT verstießen und dieser Verstoß – entgegen der US-amerikanischen Auffassung – auch nicht gem. Art. XX GATT zu rechtfertigen sei. Zu diesem Schluß gelangte das Panel, indem es losgelöst vom Wortlaut sogleich eine an Sinn und Zweck 456 Zur Abgrenzung der für den Bereich der Gesundheits- und Umweltschutzmaßnahmen bedeutsamen Ausnahmetatbestände des Art. XX lit. b und g siehe Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 300 ff.; Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 527 ff.; zur Anwendung der chapeau-Klausel erstmals US – Gasoline, AB, S. 22 ff.; vgl. umfassend auch WTO, Committee on Trade and Environment, GATT/WTO Dispute Settlement Practice relating to GATT Article XX, Paragraphs (b), (d) and (g), Note by the Secretariat, WT/CTE/W/203 vom 08.03.2002. 457 US – Tuna/Dolphin I, GATT Panel Report, BISD 39S/155, US – Tuna/Dolphin II, GATT Panel Report, DS29/R. Die beiden Panelreports entschieden damals, daß das amerikanische Importverbot für Thunfisch aus Ländern, die keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen vorschrieben, um die Tötung von Delphinen beim Thunfischfang zu verhindern, einen Verstoß gegen Art. III und Art. XI GATT 1947 darstellte. Eine Rechtfertigung über Art. XX lit. b oder g kam nicht in Betracht, da es sich bei den amerikanischen Bestimmungen nicht um produkt- sondern um produktionsbezogene Maßnahmen handelte, die zudem extraterritorial wirken sollten; dazu Hohmann, RIW 2000, S. 88 (92 f.); ausführlich Puth, WTO und Umwelt: die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 66 ff. 458 Tietje, EuR 2000, S. 285 (289); Qureshi, ICLQ 1999, S. 199 (204 ff.); Wolfrum, Nationale Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und internationales Wirtschaftsrecht, in: Cremer u. a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger, S. 375 ff.

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orientierte Interpretation der Norm vornahm und die Voraussetzungen der allgemeinen chapeau-Klausel des Art. XX GATT prüfte, ohne zuvor auf die speziellen, in lit. a bis j aufgeführten Ausnahmetatbestände einzugehen459. Pauschal wurde dabei die Rechtmäßigkeit unilateraler, handelsbeschränkender Maßnahmen verneint, da diese generell mit der Sicherheit und Vorhersehbarkeit des multilateralen Handelssystems nicht zu vereinbaren seien460. Auch wenn die Revision der USA zwar im Ergebnis erfolglos blieb, führte sie jedoch zur Aufhebung wesentlicher Teile des Panelberichts. Denn nach Ansicht des Appellate Body seien dessen Ausführungen in weiten Teilen zu allgemein gehalten und entsprächen nicht den Anforderungen an die Interpretation völkerrechtlicher Verträge461. Folge man der Panelentscheidung, bliebe im Ergebnis für die Politikziele, welche in Art. XX GATT explizit als wichtige und auch legitime Anliegen nationaler Politik anerkannt werden, praktisch kein Spielraum mehr. Vielmehr müsse bei der Analyse von Handelsrestriktionen mit Blick auf Art. XX GATT in einem ersten Schritt sorgfältig untersucht werden, ob eine Maßnahme alle Merkmale eines der konkreten Ausnahmetatbestände (lit. a bis j) erfüllt. Ist dies der Fall, werde erst anschließend – in einem zweiten Schritt – geprüft, ob auch die allgemeinen Anforderungen der chapeau-Klausel erfüllt sind462. Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab kommt der Appellate Body in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, daß die US-amerikanischen Importbeschränkungen zwar die Voraussetzungen des Art. XX lit. g und damit der ersten Stufe erfüllen. Hierbei wird der Begriff der erschöpflichen Naturschütze (exhaustible natural ressources) im übrigen unter Bezugnahme auf internationale (umweltrechtliche) Übereinkommen und Konventionen463 weit interpretiert und so verstanden, daß er über nichtlebendige, natürliche Rohstoffe wie Öl, Gas oder Luft hinaus lebendige Rohstoffe und damit 459 Nach Ansicht des Panel sei die chapeau-Klausel des Art. XX GATT in jedem Fall einzuhalten und daher könne auch mit ihrer Prüfung begonnen werden; vgl. US – Shrimp, Panel Report, para. 7.28. 460 US – Shrimp, Panel Report, para. 7.44. 461 US – Shrimp, AB, paras. 114 ff. 462 US – Shrimp, AB, paras. 118 ff. mit Bezugnahme auf US – Gasoline, AB, S. 22. 463 Im einzelnen wird Bezug genommen auf das UN-Seerechtsübereinkommens (United Nations Convention on the Law of the Sea, UNCLOS), vom 10.12.1982, UN Doc. A/CONF.62/122, abgedruckt in ILM 21 (1982) S. 1261 ff.; die Konvention über Artenvielfalt (Convention on Biological Diversity), vom 05.06.1992, UNEP/Bio.Div./N7-INC5/4, abgedruckt in ILM 31 (1992), S. 818 ff.; die Agenda 21, vom 14.06.1992, UN Doc. A/CONF. 151/26/Rev.1 sowie die Konvention zum Schutz wandernder Tiere (Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals), vom 23.06.1979, abgedruckt in ILM 19 (1980), S. 11 ff.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

auch bedrohte Tierarten erfasse464. Dagegen seien die allgemeinen Voraussetzungen des chapeau und damit der zweiten Prüfungsstufe, deren dogmatischer Gehalt nochmals im einzelnen dargelegt wird, nicht gegeben, weil die konkrete Anwendung der Importrestriktionen aus mehreren Gründen zu einer ungerechtfertigten Diskriminierung ausländischer Produkte führe und zudem willkürlich sei465. Dabei begründet der Appellate Body den zum Versagen der Rechtfertigung führenden Diskriminierungsvorwurf gegen die USA unter anderem damit, daß die Vereinigten Staaten vor dem Einsatz unilateraler Schutzmaßnahmen nur mit einigen mittelamerikanischen Staaten Abkommen zum Schutz der Meeresschildkröten abgeschlossen hätten466. Mit anderen Shrimps-exportierenden Staaten hätten sie hingegen vor Verhängung des Importverbotes entsprechende Verhandlungen gar nicht erst aufgenommen und sich mithin nicht ausreichend um einen multilateralen Ansatz bemüht467. Da aber vor dem Ergreifen einseitiger Maßnahmen gerade das völkerrechtliche Kooperationsprinzip die einzelnen WTO-Mitglieder zu ernsthaften Bemühungen um eine Verständigung bzw. Zusammenarbeit auf internationaler Ebene verpflichte, handele es sich im Ergebnis um eine ungerechtfertigte Diskriminierung (unjustifiable discrimination)468. Die Pflicht zur (völkerrechtlichen) Kooperation ergebe sich nach Ansicht des Appellate Body nicht nur aus dem Umstand, daß der Schutz von Meeresschildkröten ein transnationales Umweltproblem darstelle, sondern auch daraus, daß sowohl Prinzip 12 der Erklärung von Rio als auch Ziffer 2.22 (i) der Agenda 21 kooperative und konsensuale Maßnahmen zur Lösung solch transnationaler Probleme verlangen. Zur Beachtung dieser Anforderungen seien die WTO-Mitglieder schon deshalb verpflichtet, weil in der Entscheidung zur Errichtung des Committee on Trade and Environment (CTE) auf diese internationalen Dokumente Bezug genommen werde469. Neben diesen lediglich unverbindlichen, völkerrechtlichen Erklärungen sei die Pflicht zur internationalen Kooperation aber auch festgeschrieben in internationalen Umweltschutzverträgen wie etwa im Übereinkommen über biologische Vielfalt (Art. 5)470 oder aber im Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten (Art. II)471, in dessen Annex I 464

US – Shrimp, AB, paras. 127 ff. US – Shrimp, AB, paras. 161 ff. sowie 177 ff. 466 US – Shrimp, AB, paras. 171 f. 467 US – Shrimp, AB, para. 172. 468 US – Shrimp, AB, para. 176; dazu Ohlhoff, EuZW 2002, S. 549 (552); Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 457. 469 US – Shrimp, AB, para. 168; Abdruck der Decision on Trade and Environment bei Benedek, Textausgabe WTO, S. 563 ff. 470 Convention on Biological Diversity vom 05.06.1992, ILM 31 (1992), S. 818 ff. 465

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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Meeresschildkröten zu den gefährdeten Tierarten gezählt werden472. Letztlich leitet der Appellate Body damit im Wege einer Gesamtschau dieser rechtlich zum Teil verbindlichen, zum Teil aber auch unverbindlichen Regelungen eine Kooperationspflicht ab, die von den Vereinigten Staaten dadurch verletzt wurde, indem einseitig extraterritorial wirkende Umweltschutzmaßnahmen ergriffen worden waren, ohne zuvor den Versuch einer multilateralen Lösung herbeizuführen: (. . .) the protection and conservation of highly migratory species of sea turtles, that is, the very policy objective of the measure, demands concerted and cooperative efforts on the part of the many countries whose waters are traversed in the course of recurrent sea turtle migrations. The need for, and the appropriateness of, such efforts have been recognized in the WTO itself as well as in a significant number of other international instruments and declarations.473 (. . .) the record also does not show that the appellant, the United States, attempted to have recourse to such international mechanisms as exist to achieve cooperative efforts to protect and conserve sea turtles before imposing the import ban.474

Offen geblieben ist bei dieser Argumentation allerdings, welche konkreten Anstrengungen – abgesehen von der Ernsthaftigkeit und Diskriminierungsfreiheit der Verhandlungen – unternommen werden müssen, um der Kooperationspflicht zu genügen475. Letztlich muß wohl davon ausgegangen werden, daß die WTO-Mitglieder lediglich dazu verpflichtet sind, sich um eine Zusammenarbeit zu bemühen. Erwartet wird ein ernsthaftes Verhandeln im Hinblick auf den Abschluß eines Übereinkommens zur Regelung der problematischen Bereiche, nicht hingegen der tatsächliche Abschluß. Auch die neuerliche Befassung des Appellate Body mit dem Fall in US – Shrimp (21.5) scheint diese Sichtweise zu bestätigen, indem sie die Anforderungen an Kooperationsverhandlungen wie folgt präzisiert: (. . .) good faith efforts to reach international agreements that are comparable from one forum of negotiation to the other. The negotiations need not be identical. Indeed, no two negotiations can ever be identical, or lead to identical results. Yet the negotiations must be comparable in the sense that comparable efforts are 471 Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals vom 23.06.1979, ILM 19 (1980), S. 15 ff. 472 Ausführlicher zu diesen multilateralen Übereinkommen Rest, Internationaler Umweltschutz, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts – Völkerrecht, S. 426 ff. 473 US – Shrimp, AB, para. 168 (Hervorhebung durch den Verfasser). 474 US – Shrimp, AB, para. 171 (Hervorhebung durch den Verfasser). 475 Ginzky, ZUR 1999, S. 216 (220 f.); Schmidt/Kahl, Umweltschutz und Handel, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, § 89, Rn. 134; Neumann, ZaöRV 2001, S. 529 (537), Ohlhoff, EuZW 2002, S. 549 (551 f.); von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 425 (436), der in diesem Zusammenhang von der Prozeduralisierung materieller Verpflichtungen spricht.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

made, comparable resources are invested, and comparable energies are devoted to securing an international agreement.476

In beiden Verfahren hat der Appellate Body keine grundsätzliche Aussage getroffen zum umstrittenen Verhältnis der einzelnen WTO-Übereinkommen und den zahlreichen multilateralen Umweltschutzübereinkommen477. Insbesondere wird nicht näher eingegangen auf die von der EG als Drittpartei (third party) vorgebrachte Argumentation, derzufolge multilaterale Übereinkommen im Rahmen des Art. XX GATT generell zu berücksichtigen seien478. Nichtsdestotrotz hat die Verankerung des Kooperationserfordernisses im Rahmen des chapeau zumindest einen Beitrag leisten können zur Lösung von Konfliktfällen im Bereich Handel und Umwelt. Denn nach vielen Unklarheiten über die Bedeutung des Art. XX GATT bei unilateralen Umweltschutzmaßnahmen mit handelsbeschränkender Wirkung liegt nunmehr ein rechtlicher Maßstab vor, der unter Berücksichtigung des Kooperationsprinzips eine Abwägung der widerstreitenden Interessen verlangt479. 2. Weitere völkervertragsrechtliche Prinzipien Weitere Bezugnahmen auf solche Rechtsprinzipien, die in außerhalb der WTO-Rechtsordnung stehenden, multilateralen Völkerrechtsverträgen kodifiziert sind, können bisher nicht nachgewiesen werden. Erst die zukünftige Spruchpraxis wird daher zeigen, inwieweit der Appellate Body – etwa im Widerstreit zwischen Handels- und Umweltbelangen – bereit sein wird, derartige Prinzipien in seine Erwägungen miteinzubeziehen, sei es im Rahmen der Auslegung oder im Sinne einer direkten Anwendung. Aus dem Bereich des multilateralen Umweltvölkerrechts kämen dann beispielsweise in Betracht das bereits in einem Panelbericht aus dem Jahre 1987 Erwähnung findende Verursacherprinzip (polluter pays principle)480, demzufolge derje476

US – Shrimp (21.5), AB, para. 122. Zur Frage des grundsätzlichen Verhältnisses solcher multilateraler Verträge zum Welthandelsrecht vgl. etwa Ruffert, AVR 2000, S. 129 (133 ff. und 143 ff.); Hohmann, RIW 2000, S. 88 ff.; Neumann, ZaöRV 2001, S. 529 ff.; Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (263 ff.). 478 US – Shrimp, AB, para. 72. 479 Tietje, EuR 2000, S. 285 (296); zum Ganzen auch Hilf, NVwZ 2000, S. 481 (485); Hilf, EuR 2002, Beiheft 1, S. 173 (186); Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 483 ff.; Weiß/ Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 536; Kluttig, Welthandelsrecht und Umweltschutz – Kohärenz statt Konkurrenz, S. 5 (33 f.). 480 US – Taxes on Petroleum (Superfund), GATT Panel Report, BISD 34S/136, paras. 5.2.3 ff.; vgl. näher auch Altemöller, RabelsZ 2000, S. 213 (233); allgemein zur völkerrechtlichen Relevanz Sands, Principles of International Environmental Law, S. 213 ff. 477

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nige zur Beseitigung eines umweltrelevanten Schadens herangezogen werden soll, der als dessen Verursacher zu identifizieren ist481. Gleiches könnte gelten für das Vorsorgeprinzip (precautionary principle) oder aber das Prinzip der schonenden Nutzung gemeinsamer Ressourcen (principle of equitable use)482. In dem Fall EC – Poultry, bei dem es inhaltlich um eine Beschwerde Brasiliens im Hinblick auf die Verzollung bzw. Einfuhr von Geflügelprodukten durch die EG ging, hat der Appellate Body außerdem ausgeführt, daß das zwischen Brasilien und der EG ausgehandelte sog. Oilseeds Agreement als ergänzendes Auslegungsmittel i. S. d. Art. 32 WVK heranzuziehen ist483. Hieraus kann gefolgert werden, daß mitunter sogar in bilateralen Abkommen kodifizierte Rechtsprinzipien zwischen den Parteien eines Rechtsstreits relevant werden können484.

III. Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze Ein umfangreiches Reservoir rechtlicher Prinzipien, auf die der Appellate Body in seiner Spruchpraxis zurückgreifen kann, bietet das Völkergewohnheitsrecht bzw. bieten die allgemeinen Rechtsgrundsätze. Aus diesem Bereich werden häufig Rechtsprinzipien herangezogen. Allerdings gibt der Appellate Body hierbei oftmals nicht eindeutig zu erkennen, ob auf das allgemeine Völkerrecht zurückgegriffen wird oder aber diese Prinzipien bereits als WTO-systemimmanent verstanden und herangezogen werden485.

481 Zum umweltvölkerrechtlichen Verursacherprinzip vgl. Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 275 ff.; Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (269); Hobe, JA 1997, S. 160 (164 f.) – jeweils mit ausführlichen Kodifikationsnachweisen. Zum EGRecht siehe Caspar, Europäisches und nationales Umweltverfassungsrecht, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, § 2, Rn. 48. 482 Vgl. zu den Prinzipien des Umweltvölkerrechts allgemein Godzierz, Nationale Umweltpolitiken und Internationaler Handel nach WTO und GATT, S. 40 ff.; Lang, Bedeutung des Konzepts der Nachhaltigen Entwicklung für die Entwicklung des Umweltvölkerrechts, in: Lang/Hohmann/Epiney, Das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung, S. 9 (15 ff.); Sands, International Law in the Field of Sustainable Development, Emerging Legal Principles, in: Lang (Hrsg.), Sustainable Development and International Law, S. 53 (57 ff.). 483 EC – Poultry, AB, para. 83; vgl. hierzu näher oben 3. Teil B. IV. 2. a). 484 Hilf, JIEL 2001, S. 111 (123); Hilf/Goettsche, The Relation of Economic and Non-Economic Principles in International Law, in: Griller (Hrsg.), International Economic Governance and Non-Economic Concerns, S. 5 (13). 485 Hilf, EuR 2002, Beiheft 1, S. 173 (186); Weiß, AVR 2001, S. 394 (419).

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1. Vorsorgeprinzip Das Vorsorgeprinzip im nationalen, europäischen und internationalen Kontext ist bereits seit längerem Gegenstand (umwelt-)rechtlicher Untersuchungen mit zum Teil widersprüchlichen Deutungen. Zumindest auf nationaler (deutscher) Ebene besteht dabei inzwischen weitgehende Einigkeit, daß es der Regulierung von Risikosituationen dient, für die ein Zustand wissenschaftlicher Unsicherheit kennzeichnend ist486. Gerade für den Umweltbereich läßt sich dies beispielhaft nachvollziehen. Denn häufig ist hier das Handeln vor allem dadurch erschwert, daß verfügbare naturwissenschaftliche Modelle aufgrund der Komplexität der ökologischen Systeme keine absolute wissenschaftliche Gewißheit über das tatsächliche momentane Ausmaß und die künftig zu erwartende Entwicklung von Umweltgefährdungen zulassen. Die Zusammenhänge sind höchst komplex, und oft ist nicht klar, welche Ursachen bestimmten Umweltschäden genau zugrundeliegen und wie am besten Abhilfe geschaffen werden kann. In solchen Fällen greift das Vorsorgeprinzip, dem neben dem Präventionsaspekt der Gedanke immanent ist, den Gefahren für Mensch und Umwelt auch bei unvollkommenem Wissensstand zu begegnen487. Das Prinzip der Vorsorge, das zusammen mit dem Verursacher- und dem Kooperationsprinzip zu den drei Leitprinzipien deutscher Umweltpolitik gehört („Prinzipientrias“)488, hat inzwischen rechtssatzförmige Verankerung in einer ganzen Reihe von Vorschriften – etwa § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, § 17 ChemG oder aber § 1 UVPG – finden können und ist damit nicht mehr nur politische Leitidee489. Letztlich ist es normativer Ausdruck der Erkenntnis, daß das traditionelle Recht der Gefahrenab486 So zum deutschen Recht Schröter, Lebensmittelrechtliche Vorsorge als Rechtsprinzip – nationale, europäische und welthandelsrechtliche Aspekte, ZERP-Diskussionspapier 4/2002, S. 1 (1 und 9 ff.); zur weiteren Staatenpraxis Cameron/Abouchar, The Status of the Precautionary Principle in International Law, in: Freestone/ Hey (Hrsg.), The Precautionary Principle and International Law, S. 29 (38 ff.); Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, S. 19 ff. 487 Ausführlich hierzu Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 278 ff.; zur Abgrenzung des Vorsorgeprinzips vom Konzept der Nachhaltigkeit vgl. Rehbinder, NVwZ 2002, S. 657 ff. 488 Die programmatische Grundlage für die genannten Prinzipien als „Richtschnur“ der deutschen Umweltpolitik findet sich im Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 (BT-Drs. VI/2710, S. 7 ff.). Ausdrücklich wird das Vorsorgeprinzip allerdings erst im Umweltbericht von 1976 aufgeführt und folgendermaßen definiert: „Umweltpolitik erschöpft sich nicht in der Abwehr drohender Gefahren und der Beseitigung eingetretener Schäden. Vorsorgende Umweltpolitik verlangt darüber hinaus, daß die Naturgrundlagen geschützt und schonend in Anspruch genommen werden“ (BT-Drs. VII/5684, S. 8 f.); zum Ganzen Murswiek, ZUR 2001, S. 7 f.; Atzpodien, NVwZ 1989, S. 415.

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wehr mit seinen hohen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit oder aber die individuelle Zurechenbarkeit eingriffsrechtfertigender Gefahrenlagen den Anforderungen eines wirksamen Umweltschutzes nicht entspricht und folglich für einen wirksamen Umweltschutz präventive Maßnahmen in Ablösung von den Eingriffsvoraussetzungen des traditionellen Gefahrenabwehrrechts erforderlich sind490. a) Europarechtliche Grundlagen Auf europäischer Ebene werden in Art. 174 Abs. 2 Satz 2 EGV unter den in dieser Vorschrift statuierten Prinzipien, auf denen die Umweltpolitik der Gemeinschaft aufbauen soll, an erster Stelle die Grundsätze der Vorsorge (precaution) und Vorbeugung (prevention) angeführt. Während die Vorbeugung begrifflich schon in der ursprünglichen, mit der Einheitlichen Europäischen Akte in den EG-Vertrag eingefügten Fassung dieser Vorschrift enthalten war491, ist der Vorsorgegrundsatz erst durch Maastrichter Unionsvertrag hinzugekommen492. Nach überwiegender Auffassung stellen beide Begriffe jedoch trotz der unterschiedlichen Bezeichnung inhaltlich dekkungsgleiche Umschreibungen des Vorsorgegrundsatzes und damit desselben Prinzips dar493. Obwohl das Vorsorgeprinzip innerhalb des EGV nur im Zusammenhang mit dem Umweltschutz erwähnt und zudem nicht näher definiert wird, geht sein Anwendungsbereich inzwischen über den Umweltbereich hinaus. Dies offenbart zum einen die der inhaltlichen Ausgestaltung dienende Mitteilung der Kommission zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, denn ihr zufolge komme das Vorsorgeprinzip zur Anwendung „insbesondere in den Fällen, in 489 Helberg, Allgemeines Umweltverwaltungsrecht, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, Neuwied 2002, § 3, Rn. 12; Beyer, Das Vorsorgeprinzip in der Umweltpolitik, S. 36 f.; Ossenbühl, NVwZ 1986, S. 161 (163 f.); Schröder, Vorsorge als Prinzip des Immissionsschutzrechts, S. 288 f. 490 So Lübbe-Wolff, NVwZ 1998, S. 777 (778); zum Vorsorgeprinzip in der bundesdeutschen Rechtsprechung vgl. mit weiteren Nachweisen Fleury, Das Vorsorgeprinzip im Umweltrecht, S. 19 ff. 491 Einheitliche Europäische Akte vom 28.02.1986, ABl. EG 1987 Nr. L 169, S. 1. 492 Vgl. Vertrag über die Europäische Union vom 07.02.1992, ABl. EG 1992 Nr. C 191, S. 1; zur deutschen Herkunft des europäischen Vorsorgeprinzips vgl. Di Fabio, Voraussetzungen und Grenzen des umweltrechtlichen Vorsorgeprinzips, in: Kley (Hrsg.), Steuerrecht, Steuer- und Rechtspolitik, Wirtschaftsrecht und Unternehmensverfassung, Umweltrecht, Festschrift für Wolfgang Ritter, S. 807 (810); außerdem Stökl, Der welthandelsrechtliche Gentechnikkonflikt, S. 72 ff. 493 Caspar, Europäisches und nationales Umweltverfassungsrecht, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, § 2, Rn. 42; Lübbe-Wolff, NVwZ 1998, S. 777 (778).

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denen aufgrund einer objektiven wissenschaftlichen Bewertung berechtigter Grund für die Besorgnis besteht, daß die möglichen Gefahren für die Umwelt und die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen nicht hinnehmbar oder mit dem hohen Schutzniveau der Gemeinschaft unvereinbar sein könnten“494. Doch auch die angesichts der BSE-Krise ergangenen Entscheidungen des EuGH bestätigen diese Sichtweise. Denn unter Rückgriff auf die Grundsätze der Vorsorge und Verbeugung wurde hier vom Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Europäischen Kommission aufrechterhalten, mit der diese die Ausfuhr von Rindfleisch aus dem Vereinigten Königreich verboten hatte, um das Risiko einer Übertragung von BSE zu beschränken495. Anerkannt wurde damit, daß dem Vorsorgeprinzip auf europäischer Ebene der Status eines allgemeinen Rechtsprinzips zukommt, welches eine positivrechtliche Ausformung vor allem im Umweltbereich gefunden hat, daneben aber auch für den Bereich der Lebensmittelsicherheit und des gemeinschaftsrechtlichen Gesundheitsschutzes von Bedeutung ist496. b) Völkerrechtliche Ausgestaltung Auf völkerrechtlicher Ebene hat der Gedanke, daß bei Gefahr schwerer und möglicherweise irreversibler Schäden für die Umwelt nicht auf die volle wissenschaftliche Gewißheit gewartet werden soll, sondern vorbeugend gehandelt werden muß, inzwischen ebenfalls Eingang gefunden in eine Vielzahl – vor allem umweltrechtlicher – Übereinkommen und sonstiger Dokumente497. 494 Mitteilung der Kommission, Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, KOM (2000) 1 endg. vom 02.02.2000, S. 2; dazu Wägenbaur, EuZW 2000, S. 162; vgl. im übrigen bereits das Weißbuch der Kommission zur Lebensmittelsicherheit, KOM (1999) 719 endg. vom 12.01.2000, para. 14. 495 EuGH, Rs. C-180/96 (Vereinigtes Königreich/Kommission), Rn. 98–100: „Wenn das Vorliegen und der Umfang von Gefahren für die menschliche Gesundheit ungewiß ist, können die Organe Schutzmaßnahmen treffen, ohne abwarten zu müssen, daß das Vorliegen und die Größe dieser Gefahren klar dargelegt sind.“; vgl. auch EuGH, Rs. C-157/96 (National Farmers Union), Rn. 62–64. 496 So etwa Rengeling, DVBl. 2000, S. 1473 (1475); Caspar, Europäisches und nationales Umweltverfassungsrecht, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, § 2, Rn. 46; vgl. auch Mitteilung der Kommission, Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, KOM (2000) 1 endg. vom 02.02.2000, S. 10; zurückhaltender Salmon, European Law Review 2002, S. 138 (141). 497 Siehe dazu die umfangreichen Nachweise in Mitteilung der Kommission, Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, KOM (2000) 1 endg. vom 02.02.2000, Anhang II (Das Vorsorgeprinzip im Völkerrecht); außerdem Sands, Principles of International Environmental Law, S. 208 ff.; Freestone/Hey, Origins and Development of the Precautionary Principle, in: Freestone/Hey (Hrsg.), The Precautionary Principle and International Law, S. 3 (5 ff.).

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So heißt es erstmals bereits in der Ministererklärung der Zweiten Internationalen Konferenz zum Schutz der Nordsee von 1987: „Um die Nordsee vor den möglichen schädlichen Wirkungen äußerst gefährlicher Stoffe zu schützen, ist nach dem Vorsorgeansatz vorzugehen, demzufolge Maßnahmen zur Überwachung der Emissionen derartiger Stoffe auch dann geboten sein können, wenn der Kausalzusammenhang wissenschaftlich noch nicht nachgewiesen ist.“498 Von besonderer Bedeutung ist Prinzip 15 der Erklärung von Rio, der bis heute den wohl breitesten anerkannten Ansatz zur Formulierung des Vorsorgeprinzips darstellen dürfte. Demgemäß sollen die Staaten zum Schutze der Umwelt „den Vorsorgeansatz entsprechend ihren Möglichkeiten umfassend anwenden“, wobei „angesichts der Gefahr erheblicher oder irreversibler Schäden“ die „fehlende vollständige Gewißheit nicht als Grund dafür dienen“ darf, „kostenwirksame Maßnahmen zur Verhinderung von Umweltschäden hinauszuzögern.“499 Hierauf Bezug nimmt das Anfang 2000 von insgesamt 133 Staaten verabschiedete sog. Cartagena Protokoll über Biologische Sicherheit, welches die sichere Weitergabe, Handhabung und Verwendung der durch moderne Verfahren der Biotechnologie entstandenen modifizierten Organismen (Genetically Modified Organisms, GMOs) zum Gegenstand hat500. Zielsetzung dieses als Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über Biologische Vielfalt501 abgeschlossenen Vertragswerkes ist der angemessene Schutz im Hinblick auf solche Risiken, die sich aus dem Umgang mit lebenden GMOs für die biologische Vielfalt 498 Vgl. Second International Conference on the Protection of the North Sea, London 24./25.11.1987, para. VII. Weiter präzisiert wurde diese Erklärung auf Dritten Internationalen Konferenz zum Schutz der Nordsee von 1990: „Die unterzeichnenden Regierungen haben das Vorsorgeprinzip anzuwenden, d. h. sie müssen Maßnahmen treffen, um die Auswirkungen potentiell schädlicher (toxischer) Stoffe zu verhindern, und zwar auch dann, wenn es keine wissenschaftlichen Beweise für einen Kausalzusammenhang zwischen den Emissionen und diesen Wirkungen gibt.“, vgl. Ministerial Declaration of the Third International Conference on the Protection of the North Sea, Den Haag 08.03.1990. 499 Prinzip 15 der Rio Declaration of the United Nations Conference on Environment and Development vom 13.06.1992: „In order to protect the environment, the precautionary approach shall be widely applied by States according to their capabilities. Where there are threats of serious or irreversible damage, lack of full scientific certainty shall not be used as a reason for postponing cost-effective measures to prevent environmental degradation.“. 500 Cartagena Protocol on Biosafety to the Convention on Biological Diversity, englischer Vertragstext im Internet abrufbar unter http://www.biodiv.org/biosafety/ protocol.asp (Stand Oktober 2004); Inkrafttreten des Protokolls am 11.09.2003 (vgl. Art. 37). Die USA als wichtigstes Exportland von GMOs haben zwar bei der Ausgestaltung des Cartagena Protokolls mitgewirkt, konnten als Nichtmitglied der Convention on Biological Diversity jedoch nicht Mitglied werden. 501 Convention on Biological Diversity vom 05.06.1992, abgedruckt in ILM 31 (1992), S. 818 ff. sowie BGBl. 1993 II, S. 1724 ff.

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und die menschliche Gesundheit ergeben können. Dabei wird in Artikel 1 des Protokolls klargestellt, daß der durch das Protokoll aufgestellte Regelungsrahmen Ausdruck des in Prinzip 15 der Erklärung von Rio verankerten Vorsorgeprinzips ist, wobei sich dessen normative Ausprägungen in vielen der Einzelvorschriften wiederfinden lassen502. Bereits diese überblicksartige Zusammenstellung macht deutlich, daß es hinsichtlich des Vorsorgegedankens auch auf der völkerrechtlichen Ebene im Kern um den Aspekt der Prävention geht503. Allerdings besteht bisher weder Einigkeit über Inhalt und Reichweite dieses Prinzips, noch ist dessen völkerrechtlicher Verbindlichkeitsanspruch, sprich seine Geltung als Gewohnheitsrecht oder allgemeiner Rechtsgrundsatz geklärt504. Festzustehen scheint lediglich, daß im Völkerrecht hieraus – anders als etwa im nationalen deutschen Recht – ein Gebot zum Handeln jedenfalls nicht ableitbar ist505. c) Die Relevanz des Vorsorgeprinzips im „Hormonstreit“ Seit vonseiten der EG im Fall EC – Hormones das Vorsorgeprinzip unter anderem zur Begründung von Maßnahmen angeführt wurde, die nicht auf Ergebnissen wissenschaftlicher Gewißheit, sondern auf Wahrscheinlichkeits- bzw. Werteabwägungen beruhen, steht es auch auf der Ebene des Welthandelsrechts im Zentrum des Interesses506. Hintergrund des sog. Hor502 Vgl. nur Art. 10 Abs. 6 sowie Art. 11 Abs. 8 Cartagena Protokoll; zum Ganzen ausführlich und vor allem auch mit Blick auf das bislang ungeklärte Verhältnis zum WTO-Recht Buck, ZUR 2000, S. 319 (322 ff.); Phillips/Kerr, JWT 34 (2000) Nr. 4, S. 63 (66 ff.); Eggers/Mackenzie, JIEL 2000, S. 525 (531 f.); Stökl, Aussenwirtschaft 2001, S. 327 (332 ff. und 348 ff.). 503 Hobe, JA 1997, S. 160 (165); Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 279 ff. 504 Für völkergewohnheitsrechtliche Geltung plädieren u. a. Cameron/Abouchar, The Status of the Precautionary Principle in International Law, in: Freestone/Hey (Hrsg.), The Precautionary Principle and International Law, S. 29 (30 und 52); Sands, Principles of International Environmental Law, S. 213; Epiney/Scheyli, Umweltvölkerrecht, S. 89 f.; Tietje, Das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.5., Rn. 84; zurückhaltender Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rn. 127; Hobe, JA 1997, S. 160 (165); dagegen etwa Birnie/Boyle, International Law and the Environment, S. 98. 505 Caspar, Europäisches und nationales Umweltverfassungsrecht, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, § 2, Rn. 30; Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 285; Eggers/Mackenzie, JIEL 2000, S. 525 (532). 506 Als weitere Beispiele können in diesem Zusammenhang angeführt werden die transatlantischen Streitigkeiten über Lärmschutzvorrichtungen an Flugzeugen, die Zulässigkeit eines Verbots von Asbestfasern in bestimmten Produkten sowie die Marktzugangsbeschränkungen für Produkte, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten bzw. für gentechnisch verändertes Saatgut; vgl. hierzu den Antrag

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monstreits war folgender Sachverhalt: Bereits Anfang der 1980er Jahre hatte die EG in Reaktion auf heftige, gegen den Hormoneinsatz bei der Rinderaufzucht gerichtete Verbraucherproteste die Hormonverwendung zunächst beschränkt507, später sogar gänzlich untersagt508, wobei lediglich der Einsatz natürlicher Hormone zu therapeutischen Zwecken von diesem Verbot ausgenommen blieb509. Abgesehen von ökologischen und tierethischen Einwänden galt die Besorgnis dabei in erster Linie den ungeklärten Fragen des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes510. Gegen diesen von der EG verfolgten „Null-Risiko-Ansatz“ wandten sich von Beginn an die USA und Kanada, aber auch Staaten wie etwa Neuseeland. Denn in diesen Ländern war der Einsatz der umstrittenen Rindermasthormone innerhalb gewisser Grenzwerte erlaubt und hatte teilweise sogar weite Verbreitung gefunden mit der Folge, daß viele der Züchter ihre Produkte innerhalb der EG nicht mehr absetzen konnten und drastische Exportverluste erleiden mußten. Bereits vor Abschluß der Uruguay-Runde war von den USA daher versucht worden, die EG zu einem Streitbeilegungsverfahren unter dem im Rahmen der Tokio-Runde abgeschlossenen Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (1979) zu bewegen, was von der EG jedoch abgelehnt wurde511. Nachdem die EG 1995 offiziell Mitglied der WTO geworden war und fortan auch der obligatorischen Streitbeilegung unterworfen war, konnte sie ein von den Vereinigten Staaten und Kanada Mitte 1996 angestrengtes Panelverfahren, innerhalb dessen das von der EG auf hormonbehandeltes Fleisch verhängte Importverbot auf seine WTO-rechtliche Konformität mit den Vorschriften des GATT, des TBT- sowie des SPS-Übereinkommens überprüft werden sollte, allerdings nicht mehr abwehren512. Im der USA auf Einsetzung eines Panel zur Überprüfung des bestehenden de facto-Moratoriums der EG für genetisch modifizierte Nutzpflanzen, WT/DS291/23 vom 08.08.2003; zum Ganzen Eggers, The Precautionary Principle in WTO Law, passim. 507 Richtlinien 81/602/EWG des Rates, ABl. EG Nr. L 222 vom 07.08.1981, S. 32 ff. sowie 85/358/EWG, ABl. L 191 vom 23.07.1985; näher zum Ganzen Slotboom, CMLR 1999, S. 471 (472 f.). 508 Richtlinie 88/146/EWG des Rates, ABl. EG Nr. L 70 vom 16.03.1988, S. 16 ff. 509 Richtlinie 88/299/EWG des Rates, ABl. EG Nr. L 128 vom 21.05.1988, S. 36 ff. 510 Quintillán, JWT 33 (1999) Nr. 6, S. 147 (156 f.). 511 Vgl. EC – Hormones (US), Panel Report, paras. II.34 f.; zur Vorgeschichte auch Meng, Michigan Journal of International Law 1990, S. 819 ff.; Quick/Blüthner, JIEL 1999, S. 603 (605 ff.). 512 Vgl. EC – Hormones (US), Panel Report, paras. 8.20 ff.; EC – Hormones (Canada), Panel Report, paras. 8.23 ff. Erschwerend hinzu kam eine Entscheidung der Codex Alimentarius Kommission aus dem gleichen Jahr, nach der auf Antrag der USA mit einfacher Mehrheit und gegen die Stimmen der EG-Mitglieder interna-

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Rahmen des Verfahrens berief sich dabei die EG bei der Begründung, die ergriffene Maßnahme entsprechend der gem. Art. 5 SPS erforderlichen Risikobewertung getroffen zu haben, hilfsweise auch auf das Vorsorgeprinzip, welches sich ihrer Meinung nach „zu einem echten Grundsatz von allgemeiner Geltung entwickelt“ hätte513. Die Mitte 1997 ergangenen, nahezu wortgleichen Berichte des Panel folgten im wesentlichen allerdings der Argumentation der Beschwerdeführer und kamen zu dem Ergebnis, das europäische Hormonverbot verstoße gegen das SPS Übereinkommen (Art. 3 Abs. 1 und 3; Art. 5 Abs. 1 und 5 SPS)514. Die Europäische Gemeinschaft habe nicht mit wissenschaftlich nachweisbaren Gesundheitsrisiken begründen können, warum ihre Vorschriften über die von ihr selbst anerkannten internationalen Standards hinausgingen515. Hierbei fallen die Ausführungen des Panel zum Vorsorgeprinzip vergleichsweise kurz aus: Selbst unter der hypothetischen Annahme eines völkergewohnheitsrechtlichen Status dieses Prinzips käme das Panel zu keinem anderen Ergebnis seiner durch Auslegung der Art. 5 Abs. 1 und 2 SPS gefundenen Begründung516. Denn die Regelung des Art. 5 Abs. 7 SPS, derzufolge ein WTO-Mitglied vorübergehend gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen auf Grundlage der verfügbaren einschlägigen Informationen in Fällen treffen kann, in denen das wissenschaftliche Beweismaterial für eine den grundsätzlichen Anforderungen des SPS-Übereinkommens entsprechende Risikobewertung nicht ausreicht, gelte als spezielle positiv-rechtliche Ausgestaltung des Vorsorgeprinzips, neben der für den Rückgriff auf ein allgemeines völkerrechtliches Vorsorgeprinzip kein Raum bleibe. Da aber die EG das Importverbot nicht vorläufig, sondern endgültig anwenden wollte, sie sich während des Verfahrens also auch nicht auf Art. 5 Abs. 7 SPS berufen tionale Hormonstandards erlassen worden waren, die das innerhalb Europas vorherrschende Schutzniveau im Gesundheits- und Verbraucherschutz zum Teil erheblich unterschritten; zur Relevanz dieser international harmonisierten Standards im SPSÜbereinkommen vgl. Puttler, Noch Raum für staatliche Gesundheitsvorsorge im freien Welthandel? Zum Streit um das europäische Importverbot für amerikanisches Hormonfleisch, in: Hummer (Hrsg.), Europarechtliche Markierungen zur Jahrtausendwende, S. 149 (154 ff.). 513 Vgl. EC – Hormones (US), Panel Report, paras. III.6 und IV.202 ff. 514 Die Anwendbarkeit des TBT-Übereinkommens war vom Panel hingegen verneint worden, vgl. EC – Hormones (US), Panel Report, para. 8.29; EC – Hormones (Canada), Panel Report, para. 8.32. 515 EC – Hormones (US), Panel Report, para. 9.1; EC – Hormones (Canada), Panel Report, para. IX.1; ausführliche Fallbesprechungen etwa bei Hilf/Eggers, EuZW 1997, S. 559 ff.; Quintillán, JWT 33 (1999) Nr. 6, S. 147 (159 ff.). 516 Diese Formulierung des Panel wurde teilweise als generelle Anerkennung eines völkergewohnheitsrechtlich geltenden Vorsorgeprinzips gewertet, so etwa Godzierz, Nationale Umweltpolitiken und Internationaler Handel nach WTO und GATT, S. 45; Godt, EWS 1998, S. 202 (205); Hilf/Eggers, EuZW 1997, S. 559 (565).

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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habe, könne das Vorsorgeprinzip schon deshalb nicht Teil der Risikoabschätzung gewesen sein517. Auch wenn der Bericht des Appellate Body ebenfalls mit der an den DSB gerichteten Empfehlung schließt, die EG aufzufordern, ihr auf hormonbehandeltes Fleisch verhängtes Importverbot mit den WTO-rechtlichen Verpflichtungen aus dem SPS-Übereinkommen in Einklang zu bringen, werden die Feststellungen des Panel in einigen wesentlichen Punkten revidiert518. Vom Appellate Body wird die Frage aufgegriffen, ob die festgestellten Verstöße gegen Art. 5 Abs. 1 SPS mit Blick auf das Vorsorgeprinzip anders zu bewerten wären. Vonseiten der EG war im Rechtsmittelverfahren insoweit gerügt worden, die Ausführungen des Panel zur lediglich begrenzten Anwendbarkeit des Prinzips im Rahmen des Art. 5 Abs. 7 SPS seien rechtlich fehlerhaft, da das Vorsorgeprinzip inzwischen als Völkergewohnheitsrecht, zumindest aber als allgemeiner Rechtsgrundsatz generell anerkannt sei519. Sowohl die Vereinigten Staaten als auch Kanada hatten hiergegen eingewandt, hinsichtlich des Vorsorgeaspektes könne auf völkerrechtlicher Ebene noch nicht von einem rechtlich verbindlichen Prinzip, sondern allenfalls von einem Ansatz oder Konzept gesprochen werden (precautionary approach/concept), der als solcher noch nicht Bestandteil des geltenden Völkerrechts sei520. Hierbei läßt insbesondere die Argumentation Kanadas erkennen, wie schwer sich Kanada als Streitpartei mit der allein aus verfahrenstaktischen Gründen notwendigen Verneinung des völkergewohnheitsrechtlichen Status tut521. 517 EC – Hormones (US), Panel Report, para. 8.157; EC – Hormones (Canada), Panel Report, para. 8.160; zum Ganzen Wiemer, Produktsicherheit und freier Warenverkehr in GATT, WTO: eine Untersuchung von SPS-, TBT-Abkommen und GATT 1994 unter vergleichender Berücksichtigung von Artt. 28, 30 EG, S. 136 ff.; Pauwelyn, JIEL 1999, S. 641 (651). 518 EC – Hormones, AB, para. 255; da bei Nachholen der erforderlichen Risikostudien für die EG allerdings die Möglichkeit verbleibt, das Hormonverbot aufrechtzuerhalten, wurde die Entscheidung als eine für beide Seiten gerechte Lösung bewertet; vgl. etwa Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insbesondere im Welthandelsrecht, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 123 (204 f.); Eggers, EuZW 1998, S. 147 (150); Quick/Blüthner, JIEL 1999, S. 603 (636); zum weiteren Fortgang des Verfahrens siehe EC – Hormones (22.6 – US), WT/DS26/ARB. 519 Vgl. EC – Hormones, AB, para. 16. 520 Vgl. EC – Hormones, AB, paras. 43 und 60. Zu den unterschiedlichen Positionen Hey, Leiden Journal of International Law 2000, S. 239 (241); Shaw/ Schwartz, JWT 36 (2002) Nr. 1, S. 129 (140 ff.). 521 Vgl. EC – Hormones, AB, paras. 60 und 122 „Canada, too, takes the view that the precautionary principle has not yet been incorporated into the corpus of public international law; however, it concedes that the ‚precautionary approach‘ or ‚concept‘ is ‚an emerging principle of law‘ which may in the future crystallize into

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Anders als das Panel setzt sich der Appellate Body eingehend mit diesen vorgebrachten Argumenten auseinander. Hierbei läßt er es im Ergebnis zwar dahinstehen, ob das Vorsorgeprinzip bereits als Völkergewohnheitsrecht oder aber als allgemeiner Rechtsgrundsatz anzusehen sei. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung wird jedoch in beachtlichem Umfang nicht nur auf die diesbezüglich relevante völkerrechtliche Literatur522, sondern auch auf ein Urteil des IGH zum Streit um das Staudamm-Projekt GabcikovoNagymaros verwiesen523. Gerade diese Entscheidung wird von einigen Umweltrechtlern als qualitative Aufwertung des Vorsorgeprinzips im Umweltvölkerrecht angeführt, wobei der Appellate Body einer derartigen Interpretation allerdings nicht zu folgen bereit ist, wie er in einer Fußnotenanmerkung zum Ausdruck bringt524. The precautionary principle is regarded by some as having crystallized into a general principle of customary international environmental law. Whether it has been widely accepted by Members as a principle of general or customary international law appears less than clear. We consider, however, that it is unnecessary, and probably imprudent, for the Appellate Body in this appeal to take a position on this important, but abstract, question. We note that the Panel itself did not make any definitive finding with regard to the status of the precautionary principle in international law and that the precautionary principle, at least outside the field of international environmental law, still awaits authoritative formulation.525

Zwar stimmt der Appellate Body insoweit mit dem Panel überein, daß im Ergebnis die konkreten Vorschriften der Art. 5 Abs. 1 und 2 SPS nicht durch das Vorsorgeprinzip verdrängt werden können. In Abweichung vom Panelbericht sieht er dieses Prinzip allerdings nicht ausschließlich von Art. 5 Abs. 7 SPS erfaßt. Auch wenn es als Prinzip nicht ausdrücklich im SPSÜbereinkommen erwähnt sei, spiegele es sich neben Art. 5 Abs. 7 SPS auch in weiteren Vorschriften des SPS-Übereinkommens, nämlich beispielsweise in Art. 3 Abs. 3 SPS oder aber im sechsten Erwägungsgrund der Präambel, wider: First, the principle has not been written into the SPS Agreement as a ground for justifying SPS measures that are otherwise inconsistent with the obligations of one of the ‚general principles of law recognized by civilized nations‘ within the meaning of Article 38(1)(c) of the Statute of the International Court of Justice.“. 522 Vgl. EC – Hormones, AB, para. 123, Fn. 92. Angeführt werden u. a. Philippe Sands, James Cameron, Juli Abouchar, Lothar Gündling, Patricia Birnie und Alan Boyle. 523 IGH, Case Concerning the Gabcíkovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), I.C.J. Rep. 1997, S. 92; näher hierzu Hey, Leiden Journal of International Law 2000, S. 239 (243 ff.). 524 EC – Hormones, AB, para. 123, Fn. 93 „However, we note that the Court did not identify the precautionary principle as one of those recently developed norms.“. 525 EC – Hormones, AB, para. 123 (Hervorhebungen durch den Verfasser); siehe auch WTO, Analytical Index, Vol. 1, S. 476 f. sowie 518.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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Members set out in particular provisions of that Agreement. Secondly, the precautionary principle indeed finds reflection in Article 5.7 of the SPS Agreement. We agree, at the same time, with the European Communities, that there is no need to assume that Article 5.7 exhausts the relevance of a precautionary principle. It is reflected also in the sixth paragraph of the preamble and in Article 3.3. These explicitly recognize the right of Members to establish their own appropriate level of sanitary protection, which level may be higher (i. e., more cautious) than that implied in existing international standards, guidelines and recommendations.526

Mit diesen Ausführungen scheint der Appellate Body das Vorsorgeprinzip zunächst einstufen zu wollen als ein dem SPS-Übereinkommen und damit letztlich auch dem WTO-Recht generell zugrundeliegendes Prinzip, das in verschiedenen Vorschriften seine konkrete Ausprägung gefunden hat. Zugleich wird aber auch betont, daß das Vorsorgeprinzip für eine verbindliche Anwendung innerhalb des SPS-Übereinkommens einer klaren textlichen Grundlage bedürfe: (. . .), however, the precautionary principle does not, by itself, and without a clear textual directive to that effect, relieve a panel from the duty of applying the normal (i. e. customary international law) principles of treaty interpretation in reading the provisions of the SPS Agreement.527

Insgesamt ist damit der gegenwärtige Status des Vorsorgeprinzips im WTO-Recht keineswegs geklärt. Der Appellate Body, der dieses Prinzip letztlich als impliziten Ausfluß des Souveränitätsprinzips einzustufen scheint528, hat dem Vorsorgeprinzip zwar eine größere Bedeutung bei der Interpretation des SPS-Übereinkommens eingeräumt, gleichzeitig aber auch betont, daß es stets einer eindeutigen Basis im Vertragstext bedürfe. Ob es daher in zukünftigen Verfahren auch etwa bei dem Prozedere der Risikobewertung (Art. 5 Abs. 1 SPS) eine Rolle spielen wird, wird unterschiedlich bewertet529. Wie auch immer die rechtliche Verankerung des Vorsorgeprinzips im welthandelsrechtlichen Normengefüge eingeschätzt werden mag, 526

EC – Hormones, AB, para. 124 (Hervorhebungen durch den Verfasser). EC – Hormones, AB, para. 124 (Hervorhebungen durch den Verfasser); bezugnehmend hierauf Japan – Apples, AB, para. 233. 528 EC – Hormones, AB, para. 124 „Thirdly, a panel charged with determining, for instance, whether ‚sufficient scientific evidence‘ exists to warrant the maintenance by a Member of a particular SPS measure may, of course, and should, bear in mind that responsible, representative governments commonly act from perspectives of prudence and precaution where risks of irreversible, e. g. life-terminating, damage to human health are concerned.“. 529 Vgl. dazu Hey, Leiden Journal of International Law 2000, S. 239 (245); Hughes, Georgetown International Environmental Law Review 1998, S. 915 (931 ff.); Marceau/Trachtman, JWT 36 (2002) Nr. 5, S. 811 (848 f.); Hohmann, RIW 2000, S. 88 (98 f.); außerdem den Bericht des WTO-Ausschusses zu Handel und Umwelt (CTE), WT/CTE/M/24, vom 05./06.06.2000. 527

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

seine rechtspolitische Bedeutung erschöpft sich jedenfalls keinesfalls in bloßer Symbolik530. Denn im Rahmen des Welthandelsrechts wächst gerade ihm die Aufgabe zu, gesundheitliche und ökologische Standards der WTOMitglieder mit handelsliberalisierenden Bestrebungen in einen vernünftigen Ausgleich zu bringen. Eine Aufgabe, deren Relevanz gerade die derzeitige Debatte um den Handel mit GMOs erneut deutlich vor Augen führt531. 2. Der bona fides-Grundsatz in seinen speziellen Ausprägungen Das zentrale Prinzip, welches die Ausübung von Rechten und Pflichten steuert und letztlich jeder Ordnung innewohnt, die als Rechtsordnung bezeichnet wird, ist der Grundsatz von Treu und Glauben532. Nicht erstaunlich ist daher, daß auch jenseits der nationalstaatlichen Ebene völkerrechtliche und vor allem vertragliche Pflichten nach Treu und Glauben (good faith; bona fides) zu erfüllen sind. Dem Grundgedanken nach haben die Staaten im Rahmen ihrer zwischenstaatlichen Beziehungen die jeweiligen Pflichten in aufrichtiger und ehrlicher Gesinnung auszuführen bzw. ein solches Verhalten zu unterlassen, welches zu einer Vereitelung des Vertragszieles führen würde533. Vertragsrechtlich verankert ist dieser allgemeine 530 Vgl. etwa die Ausführungen des WTO-Sekretariats zum precautionary principle in dem an nationale Parlamentarier gerichteten Informationspapier WTO, Policy Issues for Parliamentarians: A Guide to Current Trade Issues for Legislators, S. 22: „This principle of administration can be used by governments when there is no readily available science to guide a decision in matters such as health, safety or the environment and where the risks appear to be great.“. 531 Zum Ganzen Schröter, Lebensmittelrechtliche Vorsorge als Rechtsprinzip – nationale, europäische und welthandelsrechtliche Aspekte, ZERP-Diskussionspapier 4/2002, S. 1 (54 ff.); Buck, ZUR 2000, S. 319 (327 ff.); Wolf, Regulative Maßnahmen zum Schutz vor gentechnisch veränderten Organismen und Welthandelsrecht, S. 5 ff.; Isaac/Kerr, The World Economy 26 (2003), S. 29 ff.; Quintillán, JWT 33 (1999) Nr. 6, S. 147 (176 ff.); Altemöller, RabelsZ 2000, S. 213 (249 f.); Stökl. Der welthandelsrechtliche Gentechnikkonflikt, passim; Fricke, Genetisch veränderte Lebensmittel im Welthandelsrecht, passim. 532 Zum Grundsatz von Treu und Glauben im deutschen und europäischen Recht siehe Roth, in: Rebmann u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 242, Rn. 9 ff. und 140 ff.; vgl. auch BVerfGE 59, 128 (167) „dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben“; aus der Common Law-Perspektive Yee, Oxford University Commonwealth Law Journal 2001, S. 195 ff.; zum Ursprung des Prinzips siehe Cottier/Schefer, Good Faith and the Protection of Legitimate Expectations in the WTO, in: Bronckers/Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson, S. 47 (48 f.). 533 Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 241; Verdross, Bona fides, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I (1960), S. 223 (224); D’Amato, Good Faith, EPIL II (1984), S. 599 ff.; Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, S. 127 f.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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Rechtsgrundsatz534 in Art. 26 WVK bzw. für den Bereich der Internationalen Organisationen beispielhaft in Art. 2 Ziff. 2 der UN-Charta. Im Völkervertragsrecht prägt der bona fides-Grundsatz insbesondere den gesamten Vorgang der Vertragsauslegung (Art. 31 I WVK )535. a) Treu und Glauben In den WTO-Vertragstexten findet das principle of good faith keine ausdrückliche Erwähnung. Nichtsdestotrotz wird zumindest der „gute Glaube“ (good faith) in einer Vielzahl von Einzelvorschriften erwähnt536, welche wiederum vom Appellate Body als normative Konkretisierungen dieses allgemeinen Prinzips verstanden werden. So wurde etwa im Verfahren um die US-amerikanischen Exportsubventionen (US – Foreign Sales Corporations, FSCs) unter anderem die Frage relevant, welche Auswirkungen ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 SCM hat. Dieser Vorschrift zufolge muß ein Antrag auf Konsultationen stets auch „Angaben zu den verfügbaren Beweisen für das Bestehen und die Art der betreffenden Subvention“ enthalten537. Da in dem europäischen Konsultationsantrag genau diese Beweisangaben fehlten, war von Seiten der USA beantragt worden, das europäische Begehren zurückzuweisen. In seiner diesbezüglichen Stellungnahme führt der Appellate Body, nachdem zuvor der genaue Ablauf der Konsultationen untersucht worden ist, mit Verweis auf die allgemeine Vorschrift des Art. 3 Abs. 10 DSU538 wie folgt näher aus: 534 So etwa Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 2, Rn. 16; Mosler, ZaöRV 1976, S. 6 (44). 535 Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11, Rn. 20; ausführlich Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, S. 23 ff.; vgl. im übrigen bereits oben 3. Teil C. I. 1. a). 536 Vgl. z. B. Art. 24 Abs. 4 und 5, Art. 48, 58 lit. c TRIPS; Art. 3 Abs. 10 und Art. 4 Abs. 3 DSU; para. 5 der Vereinbarung zur Auslegung des Artikels XXIV des GATT 1994. 537 Das Subventionsübereinkommen enthält in Art. 4 SCM eine Reihe von Verfahrensregeln für die Streitbeilegung, welche die entsprechenden Bestimmungen des DSU modifizieren und diesen im Falle des Konfliktes vorgehen; vgl dazu bereits oben 1. Teil C. III. 1. b) cc) (2) (b) (aa); ausführlich Schmodde, Das Konsultationsverfahren im Streitbeilegungssystem der WTO, S. 65 ff. und 156 ff.; allgemein zum FSC-Fall Feddersen, IStR 2001, S. 551 ff.; Ohlhoff, EuZW 2000, S. 645 (650 f.). 538 Nach Art. 3 Abs. 10 DSU haben alle Mitglieder im Falle des Entstehens eines Streites an den vorgesehenen Verfahren nach Treu und Glauben teilzunehmen und an der Lösung des Falles mitzuwirken.

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Article 3.10 of the DSU commits Members of the WTO, if a dispute arises, to engage in dispute settlement procedures „in good faith in an effort to resolve the dispute“. This is another specific manifestation of the principle of good faith which, we have pointed out, is at once a general principle of law and a principle of general international law. This pervasive principle requires both complaining and responding Members to comply with the requirements of the DSU (and related requirements in other covered agreements) in good faith. By good faith compliance, complaining Members accord to the responding Members the full measure of protection and opportunity to defend, contemplated by the letter and spirit of the procedural rules. The same principle of good faith requires that responding Members seasonably and promptly bring claimed procedural deficiencies to the attention of the complaining Member, and to the DSB or the Panel, so that corrections, if needed, can be made to resolve disputes. The procedural rules of WTO dispute settlement are designed to promote, not the development of litigation techniques, but simply the fair, prompt and effective resolution of trade disputes.539

Weil aber die Vereinigten Staaten durch ihr Verhalten während der Konsultationsphase insgesamt den Eindruck erweckt hatten, als hätten sie die Einsetzung eines Panel akzeptiert, könnten sie sich im Nachhinein auch nicht gutgläubig darauf berufen, der Konsultationsantrag hätte nicht die erforderlichen Angaben zu den verfügbaren Beweisen enthalten540. Ganz ähnliche Ausführungen lassen sich finden im Verfahren US – Japan Hot Rolled Steel und zwar im Hinblick auf die Informationsbeschaffung im Rahmen der (nationalen) Antidumpinguntersuchung. Die Durchführung dieses förmlichen Untersuchungsverfahrens, in welchem festgestellt werden soll, ob infolge gedumpter Importe einem inländischen Wirtschaftszweig tatsächlich eine bedeutende Schädigung entstanden ist bzw. zu entstehen droht (Art. 2 und 3 AD), ist notwendige Voraussetzung für das Ergreifen von Antidumpingmaßnahmen (Art. 1 AD) und in Bezug auf Einleitung, Durchführung und Rechtsfolgen an bestimmte prozedurale Mindestvoraussetzungen geknüpft (Art. 5 und 6 AD)541. Auslöser des Falles war die Entscheidung des US-Handelsministeriums, Antidumpingmaßnahmen gegenüber japanischen Herstellern von gewalztem Stahl zu erheben542. Japan sah hierin einen Verstoß gegen Bestimmungen sowohl des GATT als auch des Antidumpingübereinkommens und beantragte nach erfolglos verlaufenen Konsultationen die Einsetzung eines Panel. Inhaltlich 539 US – FSCs, AB, para. 166 (Hervorhebung durch den Verfasser); vgl. auch Canada – Aircraft, AB, para. 190; Canada – Wheat, AB, para. 205. 540 US – FSCs, AB, para. 165. 541 Zum Ganzen näher Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 653 ff.; Stoll/ Schorkopf, WTO, Rn. 354 ff. 542 Fallbesprechung bei Bayer/Jessen, GYIL 44 (2001), S. 679 (698 ff.); Ohlhoff, EuZW 2002, S. 549 (554 f.).

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ging es dabei unter anderem um die Frage, ob die Vereinigten Staaten gegen Art. 6 Abs. 8 AD i. V. m. Annex II des Antidumpingübereinkommens verstoßen hatten. Nach dieser Vorschrift kann eine Partei Entscheidungen über Antidumpingzölle auf Grundlage der ihr verfügbaren Tatsachenangaben (facts available) treffen, wenn die andere Partei für die Antidumpinguntersuchung erforderliche Informationen zurückhält bzw. innerhalb einer angemessenen Frist nicht einreicht. Was dabei unter der „Verfügbarkeit“ von Informationen zu verstehen ist, wird in Annex II des Antidumpingübereinkommens näher ausgeführt. Nach Ziffer 7 dieses Annexes können die nationalen Untersuchungsbehörden von mehreren verfügbaren Tatsachenangaben auch – für das jeweils betroffene Unternehmen – nachteilige Angaben (adverse facts available) auswählen543, sofern sich dieses Unternehmen zuvor unkooperativ verhalten hat544. Die Frage, ob einem der japanischen Unternehmen ein solch unkooperatives Verhalten vorgeworfen werden konnte, war von japanischer Seite bestritten worden. Das erstinstanzliche Panel war dieser Argumentation gefolgt545, woraufhin die Vereinigten Staaten eine erneute rechtliche Überprüfung im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens beansprucht hatten. Aufgabe des Appellate Body war daher die Beurteilung, in welchen Fällen von einem Mangel an Kooperation (lack of cooperation) ausgegangen werden kann. Da Ziffer 7 des Annex II zum Antidumpingübereinkommen keine näheren Angaben dazu macht, welches Maß an Zusammenarbeit von den nationalen Untersuchungsbehörden erwartet werden kann, versucht der Appellate Body unter Rückgriff auf die übrigen Vorschriften des Annex im Wege einer Gesamtschau dieses erforderliche Maß an Kooperation näher zu bestimmen und führt dabei unter Bezugnahme auf das Prinzip von Treu und Glauben aus: We note, however, that paragraph 2 of Annex II authorizes investigating authorities to request responses to questionnaires in a particular medium (for example, computer tape) but, at the same time, states that such a request should not be „maintained“ if complying with that request would impose an „unreasonable extra burden“ on the interested party, that is, would „entail unreasonable additional cost and trouble“. This provision requires investigating authorities to strike a balance between the effort that they can expect interested parties to make in responding to questionnaires, and the practical ability of those interested parties to comply fully with all demands made of them by the investigating authorities. We see this provision as another detailed expression of the principle of good faith, which 543 Der letzte Satz von Ziffer 7 des Annex II lautet in deutscher Übersetzung „Wenn eine interessierte Partei nicht mitarbeitet und somit den Behörden maßgebliche Informationen vorenthält, kann dies selbstverständlich zu einem Ergebnis führen, das für diese Partei weniger günstig ist, als wenn sie mitgearbeitet hätte.“ 544 US – Japan Hot-Rolled Steel AD Measures, AB, paras. 91 ff. 545 US – Japan Hot-Rolled Steel AD Measures, Panel Report, paras. 7.69 ff.

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is, at once, a general principle of law and a principle of general international law, that informs the provisions of the Anti-Dumping Agreement, as well as the other covered agreements. This organic principle of good faith, in this particular context, restrains investigating authorities from imposing on exporters burdens which, in the circumstances, are not reasonable.546

Insgesamt mahnt der Appellate Body jedoch zu einer maßvollen Anwendung dieser Vorschrift und macht darauf aufmerksam, daß die Untersuchungsbehörden zwar grundsätzlich ein hohes Maß an Kooperation erwarten dürfen, hierbei allerdings die jeweiligen Unternehmen nicht unangemessen belasten bzw. diese bei Bedarf sogar unterstützen sollen547. Insbesondere wenn ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen an das ausländische Unternehmen und den eigenen Bemühungen der untersuchenden Behörde besteht, könne nicht ohne weiteres auf einen Mangel an Kooperation geschlossen werden, wenn das betreffende Unternehmen nicht sämtliche ihm theoretisch zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt hat548. Im Ergebnis wurde der bereits durch das Panel festgestellte Verstoß der Vereinigten Staaten gegen Art. 6 Abs. 8 AD i. V. m. Annex II des Antidumpingübereinkommens damit bestätigt549. Die erste ausdrückliche Erwähnung des principle of good faith, auf die der Appellate Body in nachfolgenden Berichten stets auch Bezug nimmt550, findet sich hingegen im Fall US – Shrimp und zwar im Rahmen der Auslegung der chapeau-Klausel des Art. XX GATT. Diese wird in ihrer Struktur dabei als eine Ausprägung des Prinzips von Treu und Glauben angesehen: The chapeau of Article XX is, in fact, but one expression of the principle of good faith. This principle, at once a general principle of law and a general principle of international law, controls the exercise of rights by states.551

Beachtenswert ist dabei, daß sich der Appellate Body – wie auch in den nachfolgenden Berichten – hinsichtlich der rechtlichen Einordnung des Prinzips nicht eindeutig festlegt. Auch in dem erst kürzlich ergangenen Bericht US – Offset Act (Byrd Amendment) setzt sich der Appellate Body mit 546 US – Japan Hot-Rolled Steel AD Measures, AB, para. 101 (Hervorhebung durch den Verfasser). 547 US – Japan Hot-Rolled Steel AD Measures, AB, paras. 102 ff. 548 US – Japan Hot-Rolled Steel AD Measures, AB, paras. 105 ff. 549 US – Japan Hot-Rolled Steel AD Measures, AB, para. 110. 550 Vgl. etwa US – Cotton Yarn, AB, para. 81 (Fn. 53); US – Shrimp (21.5), AB, para. 134 (Fn. 97); US – FSCs, AB, para. 166; US – Japan Hot-Rolled Steel AD Measures, AB, para. 101. 551 US – Shrimp, AB, para. 158 (Hervorhebungen durch den Verfasser); dazu WTO, Analytical Index, Vol. 2, S. 1281; überdies Weiß, AVR 2001, S. 394 (419); Puth, WTO und Umwelt: Die Produkt-Prozess-Doktrin, S. 324 f.

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dem principle of good faith eingehender auseinander. Verfahrensgegenstand war das US-amerikanische Gesetz über Ausgleichszahlungen für anhaltende Dumping- und Subventionsverfahren (Continued Dumping and Subsidy Offset Act) vom 28. Oktober 2000. Dieses sog. Byrd Amendment552 spricht US-Unternehmen, die erfolgreich Verfahren wegen unfairen Dumpings bzw. unerlaubter Subventionen angestrengt haben, die Auszahlung der von der US-Regierung erhobenen Ausgleichszölle zu553. In seinem am 16. September 2002 vorgelegten Bericht schloß sich das Panel im wesentlichen der von den Beschwerdeführern vorgebrachten Argumentation an554 und empfahl die Aufhebung des Byrd Amendment555. Es sei eine rechtswidrige Antwort auf Dumping- und Subventionspraktiken. Denn bei den Ausgleichszahlungen handele es sich um eine Maßnahme, die über die bloße Einführung eines Antidumping- oder Ausgleichzolls hinausgehe und in den WTO-Übereinkommen so nicht vorgesehen sei. Die nach der Feststellung von Dumping- bzw. Subventionspraktiken automatisch erfolgenden Ausgleichszahlungen verschafften dem betreffenden US-amerikanischen Wirtschaftszweig einen unerlaubten Wettbewerbsvorteil, der erst nach Einstellung der Dumping- oder Subventionspraktiken wieder beseitigt werde. Auch dem Vorwurf der Beschwerdeführer, der mit der Auszahlung der Ausgleichszölle verbundene finanzielle Anreiz stehe im Widerspruch zum Prinzip des guten Glaubens556, pflichtete das Panel bei und leitete hieraus im Ergebnis einen Verstoß gegen die das nationale Untersuchungsverfahren betreffenden Vorschriften des Art. 5 Abs. 4 AD bzw. Art. 11 Abs. 4 des SCM ab557. In der am 18. Oktober 2002 eingelegten Berufungsbegründung wurde von den USA unter anderem der durch das Panel vorgenommene Rückgriff auf das Prinzip von Treu und Glauben wie folgt kritisiert: The United States criticizes the Panel for its finding that the United States may be regarded as not having acted in good faith. According to the United States, 552 Benannt nach dem US-Senator Robert Byrd (West Virginia), der den Gesetzesentwurf einst eingebracht hatte. 553 Im Rahmen der ersten jährlichen Auszahlung im Januar 2002 wurden knapp 207 Mio. US-Dollar an US-Unternehmen – in den meisten Fällen an Stahlerzeuger – gezahlt; vgl. Europäische Kommission, WTO-Dispute Settlement, What’s New, WTO-Berufungsgremium verurteilt „Byrd Amendment“, Pressemitteilung vom 16.01.2003; unter http://europa.eu.int/comm/trade/miti/dispute/wn.htm (Stand Oktober 2004) abrufbar; siehe zum Sachverhalt auch US – Offset Act (Byrd Amendment), AB, paras. 11 ff. 554 In dieser – im Hinblick auf die bisherige WTO-Streitbeilegungspraxis einmaligen – Initiative haben insgesamt elf WTO-Mitglieder ein Verfahren angestrengt; sechs weitere Mitglieder schlossen sich als Drittparteien an. 555 US – Offset Act (Byrd Amendment), Panel Report, para. 8.6. 556 Vgl. US – Offset Act (Byrd Amendment), Panel Report, paras. 7.53 ff. 557 US – Offset Act (Byrd Amendment), Panel Report, paras. 7.63 ff.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

there is no basis in the WTO Agreement for a panel to conclude that a Member has not acted in good faith, or to enforce a principle of „good faith“ as a substantive obligation agreed to by WTO Members.558

Diesbezüglich führt der Appellate Body in seinem Bericht im einzelnen aus: We observe that Article 31(1) of the Vienna Convention directs a treaty interpreter to interpret a treaty in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in the light of the treaty’s object and purpose. The principle of good faith may therefore be said to inform a treaty interpreter’s task. Moreover, performance of treaties is also governed by good faith. Hence, Article 26 of the Vienna Convention, entitled Pacta Sunt Servanda, to which several appellees referred in their submissions, provides that „[e]very treaty in force is binding upon the parties to it and must be performed by them in good faith.“ The United States itself affirmed „that WTO Members must uphold their obligations under the covered agreements in good faith“.559

Dabei kommt er unter Bezugnahme auf seine Ausführungen in den Berichten US – Shrimp sowie US – Japan Hot Rolled Steel im Anschluß zu folgendem Ergebnis: Clearly, therefore, there is a basis for a dispute settlement panel to determine, in an appropriate case, whether a Member has not acted in good faith.560

Ausdrücklich stellt der Appellate Body hierbei jedoch klar, daß die bloße Verletzung einer WTO-rechtlichen Vorschrift allein nicht schon darauf schließen lasse, ein Mitglied handele wider den guten Glauben: Nothing, however, in the covered agreements supports the conclusion that simply because a WTO Member is found to have violated a substantive treaty provision, it has therefore not acted in good faith. In our view, it would be necessary to prove more than mere violation to support such a conclusion.561

Im Ergebnis sei daher in diesem Punkt auch die Argumentation des Panel zurückzuweisen, das die Verletzung von Art. 5 Abs. 4 AD bzw. Art. 11 Abs. 4 SCM allein auf einen Verstoß der Vereinigten Staaten gegen den Grundsatz von Treu und Glauben zurückgeführt hatte562.

558

Vgl. US – Offset Act (Byrd Amendment), AB, para. 28. US – Offset Act (Byrd Amendment), AB, para. 296 (Hervorhebung durch den Verfasser). 560 US – Offset Act (Byrd Amendment), AB, para. 297; kritisch hierzu McRae, JIEL 2003, S. 709 (713 ff.). 561 US – Offset Act (Byrd Amendment), AB, para. 298. 562 US – Offset Act (Byrd Amendment), AB, paras. 299 und 318; siehe zum Ganzen auch Jung/Lee, JWT 37 (2003) Nr. 5, S. 921 ff. 559

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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b) Rechtsmißbrauchsverbot Eine spezielle Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben ist das Verbot des Rechtsmißbrauchs (abuse of rights; abus de droit)563. Mißbräuchlich ist die Ausübung einer Rechtsposition immer dann, wenn sie zwar formell dem Gesetz entspricht, die Geltendmachung jedoch aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles treuwidrig ist564. Der Gedanke, daß derjenige die Rechtsordnung verletzt, der ein ihm zustehendes Recht in einer Art und Weise gebraucht, die dem Wesen dieses Rechtes widerspricht, hat positivrechtlich Eingang vor allem in das Privatrecht gefunden565. Aber auch auf Völkerrechtsebene ist rechtsmißbräuchliches Handeln grundsätzlich denkbar. Allgemein versteht man unter Rechtsmißbrauch dann insbesondere die Schadenszufügung durch Ausübung eines einem Staat an sich zustehenden Rechts, wobei unterschiedlich beurteilt wird, ob der Schaden bewußt – das heißt in Schädigungsabsicht – zugefügt sein muß oder insofern auch allein ein zweckwidriges bzw. unangemessenes Handeln ausreicht566. Auch wenn das Verbot des Rechtsmißbrauchs von der Mehrheit der Völkerrechtslehre inzwischen als allgemeiner Rechtsgrundsatz i. S. d. Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut anerkannt wird567 und Bestätigung auch in zahlreichen obiter dicta internationaler Gerichte findet568, wird bisweilen seine völkerrechtliche Verbindlichkeit noch immer mit der Begründung geleugnet, ein solch genereller Rechtssatz sei keineswegs Bestandteil der überwiegenden Zahl nationaler Rechtsordnungen569. 563 D’Amato, Good Faith, EPIL, II (1984), S. 599 (600); Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 244; Ress, Allgemeine Rechtsgrundsätze, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts – Völkerrecht, S. 322 (324). 564 Cheng, General Principles of Law, S. 121 ff.; Schüle, Rechtsmissbrauch, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III (1962), S. 69 ff. 565 Im deutschen Zivilrecht vgl. etwa § 226 BGB, nach dem die Ausübung eines Rechtes unzulässig ist, wenn sie nur den Zweck haben kann, dem anderen Schaden zuzufügen. 566 Schüle, Rechtsmissbrauch, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III (1962), S. 69; vgl. mit weiteren Nachweisen auch Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 549. 567 So etwa Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 461; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 2, Rn. 16; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 509 f.; Weiß, AVR 2001, S. 394 (398); Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S. 141 ff. 568 Vgl. etwa StIGH, Certain German Interests in Polish Upper Silesia (1926), Serie A, Nr. 7, S. 37 f.; IGH, Anglo-Norwegian Fisheries Case, I. C. J. Rep. 1951, S. 142; Barcelona Traction, I. C. J. Rep. 1970, S. 17. 569 Neuhaus, Das Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht, S. 186 f. und 196; Ipsen, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Völkerstrafrecht, in: Ipsen

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Auf diesen Streit soll an dieser Stelle nicht im einzelnen eingegangen werden. Denn auch der Appellate Body hat in seiner Spruchpraxis zwar bereits zurückgegriffen auf die sog. doctrine of abus de droit, ohne sich hierbei allerdings festlegen zu wollen hinsichtlich des Rechtsquellenursprungs dieses Prinzips570. Erstmalig erwähnt wurde das Rechtsmißbrauchsverbot im Shrimps-Fall und zwar ebenfalls im Rahmen der Auslegung der allgemeinen chapeau-Klausel des Art. XX GATT. Im Anschluß an seine allgemeinen Ausführungen zum principle of good faith bezeichnet der Appellate Body das Rechtsmißbrauchsverbot als einen speziellen Anwendungsfall dieses Prinzips: The chapeau of Article XX is, in fact, but one expression of the principle of good faith. This principle, at once a general principle of law and a general principle of international law, controls the exercise of rights by states. One application of this general principle, the application widely known as the doctrine of abus de droit, prohibits the abusive exercise of a state’s rights and enjoins that whenever the assertion of a right „impinges on the field covered by [a] treaty obligation, it must be exercised bona fide, that is to say, reasonably.“ An abusive exercise by a Member of its own treaty right thus results in a breach of the treaty rights of the other Members and, as well, a violation of the treaty obligation of the Member so acting.571

Hierbei fällt das Bemühen des Appellate Body auf, seine diesbezüglichen Ausführungen nicht nur durch umfangreiche Nachweise auf völkerrechtliche Literatur bzw. Rechtsprechung des IGH nachzuweisen572, sondern auch mit der Wiedergabe der nachfolgenden Passage eines völkerrechtlichen Standardwerkes näher zu konkretisieren: (Hrsg.), Völkerrecht, § 39, Rn. 46; zum Streitstand ausführlich Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 265 ff. 570 Allgemein zum Rechtsmißbrauchsverbot im Welthandelsrecht bereits Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 383 ff.; Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 345 f. sowie 360 ff., der den non-violation complaint des Art. XXIII Abs. 1 lit. b GATT als eine Normierung des allgemeinen Rechtsprinzips Rechtsmißbrauchsverbot einstuft; Waincymer, WTO Litigation, S. 464 f.; ausführlich Cottier/Schefer, Good Faith and the Protection of Legitimate Expectations in the WTO, in: Bronckers/Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson, S. 47 (51 ff.). 571 US – Shrimp, AB, para. 158 (Hervorhebung durch den Verfasser); hierauf bezugnehmend auch US – Cotton Yarn, AB, para. 81; zum Ganzen vgl. Waincymer, The World Economy 24 (2001), S. 1247 (1264); Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (294 f.); Lennard, JIEL 2002, S. 17 (67 ff.); Wiemer, Produktsicherheit und freier Warenverkehr in GATT, WTO: eine Untersuchung von SPS-, TBT-Abkommen und GATT 1994 unter vergleichender Berücksichtigung von Artt. 28, 30 EG, S. 96 ff. 572 Die vom Appellate Body in Fußnote 156 zitierten Quellen lauten wie folgt: Jennings and Watts (eds.), Oppenheim’s International Law, 9th ed, Vol. I, (Longman’s, 1992), pp. 407–410, Border and Transborder Armed Actions Case, (1988) I.C.J. Rep. 105; Rights of Nationals of the United States in Morocco Case, (1952) I.C.J. Rep. 176; Anglo-Norwegian Fisheries Case, (1951) I.C.J. Rep. 142.

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(. . .) A reasonable and bona fide exercise of a right in such a case is one which is appropriate and necessary for the purpose of the right (i. e., in furtherance of the interests which the right is intended to protect). It should at the same time be fair and equitable as between the parties and not one which is calculated to procure for one of them an unfair advantage in the light of the obligation assumed. A reasonable exercise of the right is regarded as compatible with the obligation. But the exercise of the right in such a manner as to prejudice the interests of the other contracting party arising out of the treaty is unreasonable and is considered as inconsistent with the bona fide execution of the treaty obligation, and a breach of the treaty. (. . .)573

Diese Ausführungen des Appellate Body zum Rechtsmißbrauchsverbot sind zum Teil begrüßt worden574, teilweise aber auch auf grundlegende Ablehnung gestoßen. Denn befürchtet wird vor allem, daß durch eine undifferenzierte Anwendung dieses Prinzips, dessen völkerrechtlicher Rechtsquellenstatus keineswegs geklärt ist, den WTO-Streitbeilegungsorganen ein zu weitreichender Entscheidungsspielraum eingeräumt werden würde, der sich losgelöst von den vertraglichen Vorgaben hin zu einer auf reinen Billigkeitsaspekten basierenden Spruchpraxis entwickeln könnte575. Anhaltspunkte, mit denen sich diese Befürchtung bestätigen ließe, lassen sich in der bisherigen Streitbeilegungspraxis allerdings keine finden. Denn der Appellate Body führt das Prinzip des Rechtsmißbrauchsverbotes zwar als eine mögliche zusätzliche Auslegungshilfe (additional interpretative guidance) bei der Interpretation des Art. XX GATT ins Feld576, ohne es dann jedoch in irgendeiner Form auch tatsächlich zur Anwendung zu bringen577. c) Vertragstreue (Pacta Sunt Servanda) Auch das Prinzip der Vertragstreue (pacta sunt servanda) gilt als eine der speziellen Ausprägungen des bona fides-Grundsatzes578. Als allgemeiner Rechtsgrundsatz bzw. Satz des Völkergewohnheitsrechts579, der zudem in 573 Zitiert aus Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals, London 1953, S. 125; vgl. US – Shrimp, AB, para. 158, Fn. 156. 574 Cottier/Schefer, Good Faith and the Protection of Legitimate Expectations in the WTO, in: Bronckers/Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson, S. 47 (64 f.). 575 Lennard, JIEL 2002, S. 17 (68 ff.); Marceau, JWT 33 (1999) Nr. 5, S. 87 (137 ff.). 576 US – Shrimp, AB, para. 158. 577 So auch Bartels, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 499 (517). 578 Ausführlich Lachs, Pacta Sunt Servanda, EPIL III (1984/1992), S. 847 ff.; außerdem Cheng, General Principles of Law, S. 112 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 578.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Art. 26 WVK ausdrücklich normiert ist, verpflichtet er die Staaten, geschlossene völkerrechtliche Verträge einzuhalten. Das principle of pacta sunt servanda hat bereits mehrfach in Panelberichten Erwähnung gefunden580. In der Spruchpraxis der Rechtsmittelinstanz findet sich eine erste Bezugnahme dagegen erst in dem erst kürzlich abgeschlossenen Verfahren EC – Sardines581. Inhaltlich ging es hierbei um die Vermarktung verpackter peruanischer Sardinen unter dem Namen „Peruanische Sardinen“ bzw. „Südamerikanische Sardinen“ in der EG, welche von der Europäischen Kommission unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 2136/89 des Rates untersagt worden war582. Erklärtes Ziel der EG-Verordnung war vor allem der Schutz der Verbraucher vor Täuschung sowie die Schaffung erhöhter Markttransparenz und fairer Wettbewerbsmöglichkeiten. Entscheidender Gegenstand des Verfahrens war Art. 2 TBT583, dessen Auslegung im Vorfeld bereits mit großer Spannung erwartet worden war. Im Rahmen einer Minimallösung und unter weitgehender Offenlassung ungeklärter Auslegungsfragen beschränkten sich das Panel und der Appellate Body jedoch lediglich auf eine Interpretation der sich aus Art. 2 Abs. 4 TBT ergebenden rechtlichen Verpflichtungen. Nach dieser Vorschrift sind erforderliche technische Vorschriften zu 579 Da der Grundsatz des pacta sunt servanda in der Völkerrechtsliteratur übereinstimmend als geltende Norm anerkannt wird, ist die Kontroverse, ob es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz oder aber um einen Satz des Völkergewohnheitsrechts handelt, letztlich unerheblich; dazu mit weiteren Nachweisen Kägi, Pacta Sunt Servanda, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II (1961), S. 710 (711 ff.). 580 Vgl. etwa Korea – Government Procurement, Panel Report, paras. 7.93 und 7.99 ff.; US – Shrimp, Panel Report, paras. 6.5 und 7.41; India – Quantitative Restrictions, para. 5.80; näher hierzu Waincymer, WTO Litigation, S. 500. 581 Zu diesem Fall Howse, Legal Issues of Economic Integration 2002, S. 247 ff.; Hauser, Der Sardinenfall und das Potenzial des TBT-Abkommens, WTO-News Nr. 8 (April 2003), S. 3 f. 582 Verordnung (EWG) Nr. 2136/89 des Rates vom 21. Juni 1989 über gemeinsame Vermarktungsnormen für Sardinenkonserven, Amtsblatt Nr. L 212 vom 22.07.1989, S. 79 ff. Nach dieser Verordnung dürfen nur Fische der Gattung Sardina pilchardus unter der Produktbezeichnung „Sardinen“ vermarktet werden. Lebensraum der Sardina pilchardus ist hauptsächlich die europäische Atlantikküste, das Mittelmeer und das Schwarze Meer. Der an der Pazifikküste Südamerikas auftretende und in Aussehen und Geschmack sehr ähnliche Sardinops sagax darf dagegen innerhalb der EG nicht unter der Verwendung der Produktbezeichnung „Sardinen“ vertrieben werden. 583 In Art. 2 TBT sind gewisse Pflichten der WTO-Mitglieder verankert, die bei der Ausarbeitung, Annahme und Anwendung technischer Vorschriften durch Stellen der Zentralregierung gelten; zum Ganzen näher Tietje, Das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, B.I.5., Rn. 46 ff.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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stützen auf bereits bestehende internationale Standards. In dem konkreten Verfahren existierte ein solcher internationaler Standard für verpackte Sardinen und zwar im Rahmen des sog. Codex Alimentarius584, demzufolge der Ausdruck „Sardinen“ zumindest in Verbindung mit einem (Herkunftsland oder -region bzw. Gattung) klärenden Verpackungszusatz auch für eine größere Zahl nahe verwandter Fische eingesetzt werden darf. Peru betrachtete die keine inhaltlichen Ausnahmen vorsehende EG-Verordnung daher als Verstoß gegen das TBT-Übereinkommen und forderte dementsprechend die Legalisierung einer Vermarktung auf dem EG-Markt unter der Verwendung der Zusatzbezeichnung „Peruanische Sardinen“ oder „Südamerikanische Sardinen“. Die durch das Panel zu klärende zentrale Auslegungsfrage bestand in einer detaillierten Überprüfung der im zweiten Halbsatz des Art. 2 Abs. 4 TBT angeführten Befreiungsgründe, nach denen ein Land nicht verpflichtet ist, sich auf den internationalen Standard zu stützen, wenn dieser unwirksam bzw. ungeeignet ist, ein legitimes Ziel zu erreichen. Daß Konsumentenschutz, Transparenz und fairer Wettbewerb solch legitime Ziele darstellen, wurde von Peru nicht bestritten. Zu klären war jedoch, ob die Schutzziele der EG im Hinblick auf verpackte Sardinen wirklich nur durch einen lückenlosen Ausschluß jeglicher Zusatzbezeichnungen erreicht werden konnten, und ob im Umkehrschluß jegliche anderweitig in Frage kommende Methode als unwirksam bzw. ungeeignet einzustufen war. Sowohl das Panel als auch der Appellate Body haben im Ergebnis die Argumentation der EG verworfen und die Anwendbarkeit des internationalen Standards bejaht. Anders als das Panel, welches die Beweislast für das Eingreifen der Befreiungsgründe auf Seiten der EG als Beschwerdegegnerin sah585, revidierte jedoch der Appellate Body diese Ausführungen und ging – mit Verweis auf seine frühere Spruchpraxis586 – aus von einer Situation der prima facie-Beweisführung, nach der zunächst Peru als beschwerdeführende Partei alles hätte tun müssen, um den Vertragsverstoß der anderen Seite prima facie zu belegen und zwar auch in Bezug auf die Befreiungsgründe587. Zur Entkräftung des von Peru diesbezüglich vorgebrachten Ein584 In diesem Kodex sind Anforderungen an die Zusammensetzung, Qualität und die Kennzeichnung von Lebensmitteln zusammengestellt, die zur Abgabe an den Verbraucher bestimmt sind; verwaltet wird der Kodex von der Codex Alimentarius Kommission, einer gemeinsamen Kommission von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Vgl. näher Streinz, Die Bedeutung des WTO-Übereinkommens für den Lebensmittelverkehr, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1996, S. 435 (448 ff.). 585 EC – Sardines, Panel Report, paras. 7.50 ff. 586 US – Shirts and Blouses, AB und EC – Hormones, AB.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

wandes, als Beschwerdeführer entweder gar nicht oder nur unter erheblichen Anstrengungen an die für die Beweisführung erforderlichen Informationen zu gelangen588, argumentierte der Appellate Body folgendermaßen: Gem. Art. 2 Abs. 5 TBT sei bei der Anwendung einer technischen Vorschrift, die erhebliche Auswirkungen auf den Handel anderer Mitglieder erwarten läßt, jedes WTO-Mitglied dazu verpflichtet, auf Ersuchen eines anderen Mitglieds die jeweiligen Rechtfertigungsgründe näher zu erläutern589. Zur Wirksamkeit dieser vertraglichen Pflicht trage dabei insbesondere das Prinzip der Vertragstreue bei: Peru expresses doubts about the usefulness and efficacy of this obligation in the TBT Agreement. Peru argues that a Member may not respond fully or adequately to a request for information under Article 2.5, and that, therefore, it is inappropriate to rely on this obligation to support assigning the burden of proof under Article 2.4 to the complainant. We are not persuaded by this argument. We must assume that Members of the WTO will abide by their treaty obligations in good faith, as required by the principle of pacta sunt servanda articulated in Article 26 of the Vienna Convention. And, always in dispute settlement, every Member of the WTO must assume the good faith of every other Member.590

Hingegen hat das „Gegenstück“ zum Grundsatz der Vertragstreue und ebenfalls als Anwendungsfall des bona fides-Grundsatzes geltende Prinzip des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (clausula rebus sic stantibus, Art. 62 Abs. 1 lit. b WVK), demzufolge bei einer von den Vertragsparteien nicht vorausgesehenen, aber grundlegenden Änderung der Umstände eine Lösung vom Vertrag ausnahmsweise gerechtfertigt ist591, in der bisherigen WTOSpruchpraxis noch keine Erwähnung gefunden. Diese Tatsache wird unter anderem darauf zurückgeführt, daß bereits die WTO-rechtliche Beschwerdeart des non-violation complaint als spezielle Ausformung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes angesehen werden kann und insofern ein Rückgriff auf das allgemeine Völkerrecht nicht weiter erforderlich sei592.

587 Vgl. dazu Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 290 und ausführlich unten 4. Teil B. III. 3. e). 588 Vgl. EC – Sardines, AB, paras. 276 ff. 589 EC – Sardines, AB, para. 277. 590 EC – Sardines, AB, para. 278 (Hervorhebung durch den Verfasser). 591 Vgl. näher Schwarzenberger, Clausula Rebus Sic Stantibus, EPIL I (1984), S. 611 ff.; Pott, Clausula rebus sic stantibus, S. 81 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 381 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 366 f.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 112 ff.; Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, S. 210 ff. 592 Waincymer, S. 501 sowie S. 95; vgl. auch Linarelli, Law and Policy of International Business 2000, S. 263 (344); zu weiteren Ausprägungen Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 152 und 385.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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d) Prinzipien der Equity Während das Prinzip des guten Glaubens in der kontinentaleuropäischen Rechtstradition verwurzelt ist, werden im anglo-amerikanischen Rechtskreis (Common Law System) vergleichbare Ergebnisse über die Grundsätze der Billigkeit (equity) erreicht. Seit Beginn des 15. Jahrhunderts konnten sich entsprechend diesem „Billigkeitsrecht“ alle diejenigen, die nach dem streng formalen Common Law593 nicht zu ihrem Recht gekommen waren, an den englischen Monarchen als Garanten von Recht und Billigkeit wenden und mit seiner Unterstützung die Gegenseite zu einem Verhalten zwingen, welches zwar nicht den Regeln des Common Law, wohl aber den Geboten der Moral und des Gewissens entsprach. Anfänglich beruhten die Entscheidungen des zur Erledigung dieser Bittschriften eingesetzten obersten königlichen Verwaltungsbeamten (Chancellor) noch auf freiem Ermessen. Zu Beginn des 16. Jahrhundert jedoch bildete sich bereits ein an Präjudizien gebundenes und damit gerichtlich ausgeprägtes Verfahren heraus. Die so erfolgte Trennung in zwei verschiedene Gerichtszweige wurde zwar Ende des 19. Jahrhunderts aufgehoben, die equity als ein nicht geschlossenes System der Einzelfallgerechtigkeit jedoch beibehalten. Seitdem hat sie sich in einer Weise weiterentwickeln können, die mit der Entwicklung der deutschen Rechtsprechung zu § 242 BGB durchaus vergleichbar ist. Eine der Grundmaximen der equity ist demgemäß die Ausfüllung der Lücken des Common Law mit dem Ziel, auf diese Weise einen möglichst umfassenden Rechtsschutz bieten zu können594. Auch im Völkerrecht spielt die equity als allgemeiner Rechtsgrundsatz eine Rolle insbesondere bei der Anwendung konkretisierungsbedürftiger Normen und zielt als rechtsimmanente Billigkeit ab auf einen gerechten Interessenausgleich595. Als Konkretisierungsmaßstab bei der Anwendung ver593 Das ursprüngliche englische Common Law ist das gemeine Recht, welches von reisenden Richtern des königlichen Gerichts zu Westminster gebildet wurde und sich allmählich gegen die bis dahin bestehenden unterschiedlichen Regeln des Gewohnheitsrechts durchsetzen konnte. Seine Besonderheit bestand u. a. darin, daß nicht etwa die Klage als Mittel zur Durchsetzung eines Anspruchs herangezogen wurde, sondern statt dessen ein Aktionenrecht galt, bei dem Ansprüche über das Institut der writs (schriftliche königliche Befehle) durchgesetzt wurden. Heute wird der Begriff des Common Law weiter verstanden und erfaßt das gesamte anglo-amerikanische Recht. 594 Graf von Bernstorff, Einführung in das englische Recht, S. 2 ff.; Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, S. 7 ff.; umfassend Newman, Equity in the World’s Legal Systems: A Comparative Study, passim. 595 Akehurst, ICLQ 1976, S. 801 ff.; Janis, Equity in International Law, EPIL II (1984), S. 109 ff.; Schütz, Solidarität im Wirtschaftsvölkerrecht, S. 110 f.; Heintschel von Heinegg, Die weiteren Quellen des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völ-

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

trags- und gewohnheitsrechtlicher Regeln findet sie ihr Hauptanwendungsfeld bisher im internationalen Seerecht. So heißt es etwa in Art. 59 des UN-Seerechtsübereinkommens596, daß die Zuweisung von Rechten und Kompetenzen in der ausschließlichen Wirtschaftszone auf der Grundlage der Billigkeit erfolgen solle, und nach Art. 74 Abs. 1 bzw. 83 Abs. 1 UNSeerechtsübereinkommen ist für die Abgrenzung der ausschließlichen Wirtschaftszonen und der Festlandssockel eine equitable solution herbeizuführen. Auch in der IGH-Rechtsprechung zur Festlandssockelabgrenzung wird die Billigkeit ausdrücklich als Rechtsprinzip anerkannt597. Zu trennen von der Billigkeit als allgemeinem Rechtsgrundsatz ist die sog. außerrechtliche Billigkeit, nach der bestehendes Recht nicht ergänzt, sondern entgegen seiner Maßgabe geändert wird. Zu ihrer Anwendung durch den Rechtsanwender bedarf es daher stets einer besonderen Ermächtigung der Streitparteien (ex aequo et bono, vgl. Art. 38 Abs. 2 IGH-Statut)598. Im Rahmen der WTO-Spruchpraxis sind bisher insbesondere die im Rahmen der equity entwickelten Grundsätze der Akquieszenz (principle of aquiescence) bzw. des Estoppel (principle of estoppel) relevant geworden599, die als für das Common Law charakteristische Rechtsprinzipien auch auf völkerrechtlicher Ebene als allgemeine Rechtsgrundsätze Geltung beanspruchen600. Zur Abgrenzung beider Rechtsinstitute sind die Ausführungen des Panel im Fall Guatemala – Cement (II) hilfreich. In diesem Verfahren ging Mexiko zum zweiten Mal gegen eine von Guatemala hinkerrecht, § 19, Rn. 9 ff.; Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 127 ff.; Franck, Fairness in International Law and Institutions, S. 47 ff. 596 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, vom 10.12.1982, BGBl. 1994 II, S. 1798 ff. 597 IGH, North Sea Continental Shelf, I. C. J. Rep. 1969, S. 46 ff.; IGH, Continental Shelf (Tunisia/Libyan Arab Jamahiriya), I. C. J. Rep. 1982, S. 18 ff.; ausführlich zum Ganzen mit umfangreichen Nachweisen Gloria, Internationales und öffentliches Seerecht, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 53, Rn. 53 ff. 598 Allgemein Herdegen, Völkerrecht, § 19, Rn. 1; Janis, Equity in International Law, EPIL II (1984), S. 109 f.; im WTO-Kontext Waincymer, WTO Litigation, S. 508 f. 599 Lennard, JIEL 2002, S. 17 (76 ff.); Bartels, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 499 (517 f.); Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, S. 68 f.; Cottier/Schefer, Good Faith and the Protection of Legitimate Expectations in the WTO, in: Bronckers/Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson, S. 47 (55 ff.); Waincymer, WTO Litigation, S. 504 ff.; McCall Smith, World Trade Review 2 (2003) Nr. 1, S. 65 (91); Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 413 f.; zum GATT 1947 bereits Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 150. 600 Malanczuk, Akehurst’s Modern Introduction to International Law, S. 154 f.; Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 217; Mosler, ZaöRV 1976, S. 6 (45); Brownlie, Principles of Public International Law, S. 645 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 417; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 615.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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sichtlich der Einfuhr mexikanischen Zements erhobene Antidumpingmaßnahme vor, wobei sich Guatemala gegenüber den vorgeworfenen Verletzungen der Verfahrensvorschriften bei der Festlegung von Antidumpingzöllen unter anderem mit Berufung auf die Prinzipien der aquiescence bzw. des estoppel zu verteidigen suchte601. A second argument raised by Guatemala is based on the lack of reaction from Mexico to the alleged late notification, the alleged insufficient public notice and the alleged delay in providing the full text of the application to Mexico and Cruz Azul. Guatemala asserts that, by not reacting at the earliest possible moment, Mexico waived its rights to object to the above-mentioned alleged violations. Guatemala uses both the concepts of „acquiescence“ and „estoppel“ in support of this argument. We note that „acquiescence“ amounts to „qualified silence“, whereby silence in the face of events that call for a reaction of some sort may be interpreted as a presumed consent. The concept of estoppel, also relied on by Guatemala in support of its argument, is akin to that of acquiescence. Estoppel is premised on the view that where one party has been induced to act in reliance on the assurances of another party, in such a way that it would be prejudiced were the other party later to change its position, such a change in position is „estopped“, that is precluded.602

Unter Akquieszenz ist mithin folgendes zu verstehen: Schweigt eine Partei über einen längeren Zeitraum gegenüber der Geltendmachung eines vertraglichen Anspruchs durch eine andere Vertragspartei, so verliert sie ein diesem Anspruch entgegenstehendes Recht, wenn die andere Partei in dem Schweigen nach Treu und Glauben die Anerkennung des Anspruchs sehen darf (sog. qualifiziertes Stillschweigen)603. In eine ähnliche Richtung geht auch der estoppel-Grundsatz. Veranlaßt hier eine Vertragspartei durch ihr Verhalten eine andere Partei zu einem bestimmten rechtserheblichen Handeln, so kann sie sich später auf ein diesem Verhalten widersprechendes Recht nicht mehr berufen, wenn dadurch der anderen Partei ein rechtlicher Nachteil entstehen würde (Verbot des venire contra factum proprium)604. 601 Guatemala – Cement II, Panel Report, paras. 8.20 ff.; Fallbesprechung bei Gall/Jessen, GYIL 43 (2000), S. 355 (384 f.). 602 Guatemala – Cement II, Panel Report, para. 8.23 (Hervorhebungen des Verfassers); zur Abgrenzung vgl. außerdem auch Müller/Cottier, Acquiescence, EPIL I (1984), S. 14 (15 f.); Waincymer, WTO Litigation, S. 505 ff.; Brownlie, The Rule of Law in International Affairs, S. 27. 603 Müller/Cottier, Acquiescence, EPIL I (1984), S. 14 ff.; Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 15, Rn. 109. 604 Menzel, Estoppel-Prinzip, in: Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I (1960), S. 441 ff.; Mosler, General Principles of Law, EPIL II (1984), S. 511 (514 und 525); Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, S. 7 f.; aus der IGH-Rechtsprechung vgl. etwa IGH, Temple of Preah Vihear, I. C. J. Rep. 1962, S. 39 ff.; IGH, North Sea Continental Shelf, I. C. J. Rep. 1969, S. 25.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Hat das estoppel-Prinzip also lediglich die Verwirkung von Rechten (z. B. Anfechtung oder Rücktritt) und damit deren prozessuale Undurchsetzbarkeit zur Folge, bestehen die Rechtsfolgen der Akquieszenz darin, daß sich die materielle Rechtslage – sprich die Fortgeltung des Vertrages – ändert605. In dem angeführten Verfahren Guatemala – Cement (II) gelangte das Panel allerdings zu dem Ergebnis, daß gegenüber Mexico weder der Vorwurf des Estoppel noch der Aquieszenz durchgreifen könne. Hierbei stellte es im Hinblick auf letztere außerdem fest, daß Reichweite und Anwendungsbereich dieses Konzepts noch immer nicht geklärt seien und folglich nicht jegliches Stillschweigen bereits als Zustimmung gewertet werden könne606. Alle diese Ausführungen des Panel konnten vom Appellate Body nicht aufgegriffen werden, da keine der beiden Parteien Rechtsmittel gegen die Panelentscheidung einlegte. Dafür hat aber der Appellate Body in dem Verfahren US – Foreign Sales Corporations (FSCs) der Sache nach bereits das principle of aquiescence angewandt607. Denn hier führt er im Zusammenhang mit den Notifizierungspflichten im Rahmen des Subventionsübereinkommens aus, daß die Vereinigten Staaten der EG nicht die Nichterfüllung der Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 2 SCM608 vorhalten können, nachdem sie selbst im Vorhinein mehrfach und über längere Zeit die Gelegenheit zu diesem Einwand haben verstreichen lassen609. Zum principle of estoppel lassen sich bisher keine Nachweise in der Appellate Body-Spruchpraxis, sondern lediglich Ausführungen in verschiedenen Panelberichten finden610.

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Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 15, Rn. 8; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 615; Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 332 f. 606 Guatemala – Cement II, Panel Report, para. 8.24, Fn. 791. 607 US – FSCs, AB, para. 165; vgl. außerdem das Vorbringen der EG als Drittpartei im Verfahren Argentina – Textiles and Apparel, AB, para. 34. 608 Art. 4 Abs. 2 SCM zufolge muß das Konsultationsersuchen Angaben zu den verfügbaren Beweisen für das Bestehen und die Art der betreffenden Subvention enthalten. 609 So auch Lennard, JIEL 2002, S. 17 (78); anders Trachtman, United States: Tax Treatment for „Foreign Sales Corporations“, EJIL Current Developments, Decisions of the Appellate Body of the World Trade Organization, der diesbezüglich von einem estoppel-type approach spricht. 610 EC – Asbestos, Panel Report, para. 8.60; India – Autos, Panel Report, para. 7.115, Fn. 364; zum GATT 1947 bereits US – Softwood Lumber from Canada, GATT Panel Report, BISD 40S/358, paras. 308 ff.; näher auch Waincymer, WTOLitigation, S. 507.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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e) Vertrauensschutz und Grundsatz der Nichtrückwirkung Schließlich soll im Zusammenhang mit dem bona fides-Grundsatz das Prinzip des Vertrauensschutzes nicht unerwähnt bleiben. Vertrauensschutz als ein grundlegendes Prinzip rechtlicher Ordnung beinhaltet den Gedanken, daß bestimmte Erwartungen, die ein Rechtssubjekt durch sein schlüssiges Verhalten bei einem Rechtspartner oder bei der weiteren Rechtsgemeinschaft erweckt, rechtsgestaltend wirken können611. Nicht nur auf nationaler, sondern auch auf zwischenstaatlicher Ebene muß daher jeder Teilnehmer am Rechtsverkehr innerhalb gewisser Grenzen davon ausgehen können, die andere Seite werde sich immer dort mit einer gewissen Konsistenz und Verläßlichkeit verhalten, wo durch ihr Handeln fremde Interessenbereiche berührt werden612. Mehrfach bereits ist in der Panelspruchpraxis insbesondere im Bereich der sog. non-violation complaints (Nichtverletzungsbeschwerden nach Art. XXIII Abs. 1 lit. b GATT)613 bzw. im Zusammenhang mit der rechtlichen Bindungswirkung zurückliegender Panelberichte614 der Versuch unternommen worden, diesen grundlegenden Gedanken auch in der Streitbeilegung zur Anwendung gelangen zu lassen und zwar unter Rückgriff auf den Schutz sog. legitimer bzw. vernünftiger Erwartungen (legitimate/reasonable expectations). Auch wenn das principle of legitimate expectations gleichermaßen als eine spezielle Ausformung des Grundsatzes von Treu und Glauben bzw. der equity angesehen wird und als allgemeiner Rechtsgrundsatz auf Völkerrechtsebene Geltung beanspruchen soll615, hat der Appellate Body diesen Versuchen bisher eine klare Absage erteilt. Ausdrücklich hat 611 Für das deutsche Recht mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG vgl. Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, § 17, Rn. 49 ff.; Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, S. 103 ff.; zum EG-Recht Triantafyllou, NVwZ 1992, S. 436 (437 ff.); Grabitz, NJW 1989, S. 1776 (1779); Haibach, NVwZ 1998, S. 456 (459 ff.); Schwarze, NJW 1986, S. 1067 (1070 f.); aus Common Law-Perspektive Yee, Oxford University Commonwealth Law Journal 2001, S. 195 (224 ff.). 612 Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, S. 1; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 670, 705; Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 217 ff. 613 Japan – Film, Panel Report, paras. 10.50 und 10.72 ff.; dazu Chua, JWT 32 (1998) Nr. 2, S. 27 ff.; zur Unterscheidung von violation und non-violation complaint siehe bereits oben 1. Teil C. III. 1. b) cc) (2) (c); sowie Gabler, Das Streitbeilegungssystem der WTO und seine Auswirkungen auf das Antidumping-Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 66 ff.; Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 352 ff. 614 EEC – Restrictions on Imports of Dessert Apples (Chile), GATT Panel Report, BISD 36S/93, para. 12.1; EEC – Restrictions on Imports of Apples (US), GATT Panel Report, BISD 36S/135, para. 5.1; so auch Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 14; zum Ganzen bereits oben 3. Teil B. II.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

er in den Fällen India – Patents616 und EC – Computer Equipment darauf hingewiesen, daß das concept of legitimate expectations strikt zu trennen sei vom concept of reasonable expectations. Although the Panel states that it is merely applying a „well-established GATT principle“, the Panel’s reasoning does not accurately reflect GATT/WTO practice. In developing its interpretative principle, the Panel merges, and thereby confuses, two different concepts from previous GATT practice.617

Letzteres sei lediglich innerhalb der engen Grenzen der non-violation complaints von Bedeutung, wohingegen das Konzept der legitimen Erwartungen – anders als etwa im EG-Recht618 – nicht als ein der WTO-Rechtsordnung generell zugrundeliegendes Prinzip angesehen werden kann619. Ganz anders die Ausführungen des Appellate Body zum Grundsatz der Nichtrückwirkung, der ähnlich wie im nationalen und europäischen Recht auch im Völkerrecht Geltung beansprucht. Ein Vertrag entfaltet demgemäß seine Rechtswirkungen vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an für die Zukunft, es sei denn, von den Vertragsparteien wurde etwas anderes vereinbart (presumption against retroactivity of treaties). Dieser – im übrigen inzwischen in Art. 28 WVK kodifizierte – allgemeine Rechtsgrundsatz beruht letztlich auf dem Prinzip des Vertrauensschutzes620. Erstmalige Erwähnung 615 So etwa Schwebel, The Compliance Process and the Future of International Law, in: Schwebel, Justice in International Law, S. 598 (603); Newman, Equity in the World’s Legal Systems: A Comparative Study, S. 602 f.; Cottier/Schefer, Good Faith and the Protection of Legitimate Expectations in the WTO, in: Bronckers/ Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson, S. 47 (53); Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (260); zum EGRecht Temple Lang, Legal Certainty and Legitimate Expectations as General Principles of Law, in: Bernitz/Nergelius (Hrsg.), General Principles of European Community Law, S. 163 (170 ff.). 616 Zur Argumentation des Panel vgl. India – Patents, Panel Report, paras. 718 ff. (720): „The protection of legitimate expectations of Members regarding the conditions of competition is a well-established GATT principle“; siehe auch Dörmer, GRURInt. 1998, S. 919 (927 f.). 617 India – Patents, AB, paras. 33 ff. (36, 42) (Hervorhebung durch den Verfasser); EC – Computer Equipment, AB, para. 80; zum Ganzen Bartels, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 499 (516, Fn. 74 – insbesondere hinsichtlich der Unterscheidung von reasonable und legitimate expectations); Petersmann, JIEL 1998, S. 175 (186 ff.). 618 Dazu näher Brown/Kennedy, The Court of Justice of the European Communities, S. 353 ff.; Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (260, Fn. 59 mit weiteren Nachweisen auf EuGH-Rechtsprechung); de Bfflrca/Scott, The Impact of the WTO on EU Decision-Making, Harvard Jean Monnet Working Paper 06/00, S. 1 (19). 619 Lennard, JIEL 2002, S. 17 (66 f.); Waincymer, S. 445 und 501; anders Cottier/Schefer, Good Faith and the Protection of Legitimate Expectations in the WTO, in: Bronckers/Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law, Essays in Honour of John H. Jackson, S. 47 (56 ff.).

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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findet das Prinzip der Nichtrückwirkung von Verträgen (principle of nonretroactivity of treaties) im Fall Brazil – Coconut. Von den Philippinen war in diesem Verfahren geltend gemacht worden, ein brasilianischer, vor Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens beantragter Ausfuhrzoll verstoße gegen Art. I, II und VI GATT. Brasilien hingegen hielt diese Vorschriften nicht für anwendbar, wobei es sich unter anderem auf das völkerrechtliche Prinzip der Nichtrückwirkung von Verträgen berief621. Beide Parteien waren sich allerdings einig darüber, daß die brasilianische Maßnahme nicht am Subventionsübereinkommen gemessen werden könne, da dieses gem. Art. 32 Abs. 3 SCM nur auf solche Ausfuhrzolluntersuchungen anzuwenden sei, die nach Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens beantragt worden waren. Unter Bezugnahme auf das Prinzip der Nichtrückwirkung in Verbindung mit Art. 32 Abs. 3 SCM kam das Panel in seinem Bericht zu dem Schluß, Art. VI GATT lasse sich nicht losgelöst vom Subventionsübereinkommen auf ein bereits vor Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens angestrengtes Ausfuhrzollverfahren anwenden und gleiches gelte auch im Hinblick auf die Art. I und II GATT622. Der Appellate Body, der sich auf Betreiben der Parteien insbesondere mit der Frage zu beschäftigen hatte, ob Art. VI GATT auch unabhängig von den Vorschriften des Subventionsübereinkommens zur Anwendung kommen könne, bestätigte diese Auffassung, wobei er sich unter anderem auch auf das Prinzip der Nichtrückwirkung völkerrechtlicher Verträge berief, um die rückwirkende Anwendung des GATT zu verneinen623. Im einzelnen führt er dabei aus: The fundamental question in this case is one of the temporal application of one set of international legal norms, or the successor set of norms, to a particular measure taken during the period of co-existence of the GATT 1947 and the Tokyo Round SCM Code with the WTO Agreement. Article 28 of the Vienna Convention contains a general principle of international law concerning the non-retroactivity of treaties. (. . .) Article 28 states the general principle that a treaty shall not be applied retroactively „unless a different intention appears from the treaty or is otherwise established“. Absent a contrary intention, a treaty cannot 620

Zum Ganzen Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 220; Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 12, Rn. 15; Stewart/Burr, North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation 1998, S. 481 (633). 621 Brazil – Desiccated Coconut, Panel Report, para. 23; Besprechung des Falles bei Hermes, GYIL 42 (1999), S. 530 (533 f.); Morrison/Tarsh, Brazil – Desiccated Coconut, in: Cameron/Campbell (Hrsg.), Dispute Resolution in the World Trade Organization, S. 387 ff. 622 Brazil – Desiccated Coconut, Panel Report, paras. 279 und 294; vgl. ausführlicher Waincymer, WTO Litigation, S. 478. 623 Brazil – Coconut, AB, S. 11 ff.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

apply to acts or facts which took place, or situations which ceased to exist, before the date of its entry into force.624

Eine Bezugnahme auf das Rückwirkungsverbot läßt sich auch im Fall Canada – Patent Term finden, wobei das Prinzip hier lediglich zur argumentativen Absicherung der bereits gefundenen Auslegungsergebnisse angeführt wird. This conclusion is supported by the general principle of international law found in the Vienna Convention, which establishes a presumption against the retroactive effect of treaties.625

3. Prozedurale Prinzipien Bereits die Ausführungen zum Grundsatz von Treu und Glauben haben deutlich werden lassen, daß der Appellate Body in seiner Spruchpraxis häufig dann auf allgemeine rechtliche Prinzipien zurückgreift, wenn verfahrensrechtliche Fragen zu klären sind, die Vorschriften des DSU diesbezüglich jedoch keine eindeutigen Anweisungen bereithalten. Neben dem schon erwähnten estoppel-Grundsatz oder aber dem Verbot des Rechtsmißbrauchs kommen hierbei eine Reihe weiterer, insbesondere den Ablauf des Streitverfahrens betreffende Prinzipien regelmäßig zur Anwendung. Viele dieser prozeduralen Rechtsprinzipien finden bereits implizit Ausdruck nicht nur im DSU, sondern auch in den besonderen Verfahrensvorschriften der übrigen Übreinkommen (vgl. Anhang 2 des DSU) sowie den Verfahrensvorschriften für die Panels (vgl. Anhang 3 des DSU) bzw. den Appellate Body (Working Procedures for Appellate Review626).627 Als Beispiel dient der allgemeine Rechtsgrundsatz des nemo judex in sua causa628, der sich wiederfindet in Art. 8 DSU. In dessen drittem Absatz 624 Brazil – Coconut, AB, S. 15; siehe hierzu auch WTO, Analytical Index, Vol. 2, S. 1285 f. 625 Canada – Patent Term, AB, para. 71 (Hervorhebung durch den Verfasser); weitere Bezugnahmen auf Art. 28 WVK etwa in EC – Hormones, AB, para. 128; EC – Sardines, AB, para. 200; zum Ganzen Shanker, JWT 36 (2002) Nr. 4, S. 721 (729 ff.) sowie Bartels, JWT 35 (2001) Nr. 3, S. 499 (510). 626 Working Procedures for Appellate Review, WT/AB/WP/7 vom 01.05.2003. 627 Rubenstein/Schultz, Saint John’s Journal of Legal Commentary 1996, S. 271 (277 ff.); Waincymer, WTO Litigation, S. 503; Cottier, CMLR 1998, S. 325 (337); ausführlich Sandrock, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Verfahrensrecht der WTO, S. 65 ff., S. 227 f.; vgl. zur richterlichen Entwicklung gemeinschaftlicher Verfahrensgrundsätze im EG-Recht Nehl, Europäisches Verwaltungsverfahren und Gemeinschaftsverfassung, S. 223 ff.; Kerse, General Principles of Community Law: Procedural Guarantees – A Note, in: Bernitz/Nergelius (Hrsg.), General Principles of European Community Law, S. 205 ff.; Haibach, NVwZ 1998, S. 456 ff.; Schwarze, NJW 1986, S. 1067 ff.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

333

wird hinsichtlich der Panelzusammensetzung festgelegt, daß Staatsangehörige von WTO-Mitgliedern grundsätzlich dann nicht einem Panel angehören dürfen, wenn ihre Regierungen in dieser Sache Streitparteien oder Dritte im Sinne des Art. 10 Abs. 2 DSU sind. Eine vergleichbare Vorschrift für die Zusammensetzung des Appellate Body fehlt hingegen, was auch nicht weiter verwundern kann. Denn mit Blick auf die häufige Inanspruchnahme der Streitschlichtung durch die USA bzw. die EG ist es bereits aus tatsächlichen Gründen gar nicht möglich, bei einer Anzahl von lediglich sieben Appellate Body-Mitgliedern eine derartige Verfahrensweise auch für das Rechtsmittelverfahren aufrechtzuerhalten629. Dennoch gilt auch für die Mitglieder des Appellate Body gem. Art. 17 Abs. 3 Satz 5 DSU, daß sie sich nicht an der Erörterung von Streitigkeiten beteiligen dürfen, „die zu einem mittelbaren oder unmittelbaren Interessenkonflikt führen würden“. Weiter ausdifferenziert werden diese Vorgaben zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sowohl der Panel- als auch der Appellate Body-Mitglieder zudem in den Verhaltensregeln für das Streitbeilegungsverfahren630.631 a) Due Process of Law, Natural Justice und Fundamental Fairness Sowohl due process of law als auch fundamental fairness beschreiben fundamentale Grundsätze der Verfahrensgerechtigkeit (procedural justice), die nicht nur die einzelnen nationalen Rechtsordnungen632, sondern auch die Spruchpraxis internationaler Gerichte und damit die völkerrechtlichen Rechtsordnungen prägen633. Due process of law beispielsweise ist trotz sei628

Allgemein zum Völkerrecht Cheng, General Principles of Law, S. 279 ff.; Mosler, General Principles of Law, EPIL II (1984), S. 511 (525); im deutschen Prozeßrecht läßt sich dieser Grundsatz wiederfinden in § 41 Nr. 1 ZPO bzw. § 22 Nr. 1 StPO; zum englischen Recht Bailey/Gunn, Smith & Bailey on The Modern English Legal System, S. 873. 629 Vermulst/Mavroidis/Waer, JWT 33 (1999) Nr. 2, S. 1 (16); Waincymer, WTO Litigation, S. 706; Fudali, Netherlands International Law Review 2002, S. 39 (58 f.); Ehlermann, JWT 36 (2002) Nr. 4, S. 605 (613); zur Zusammensetzung der mit der jeweiligen Rechtssache betrauten „Dreier-Kammern“ (divisions) siehe bereits oben 3. Teil A. I. 630 Rules of Conduct for the Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes, WT/DSB/RC/1, vom 11.12.1996, Abs. II und III. 631 Gaffney, American University International Law Review 1999, S. 1173 (1196); Waincymer, WTO Litigation, S. 264 ff.; kritisch mit Blick auf die Zusammensetzung des Appellate Body in Fällen mit amerikanischer bzw. europäischer Beteiligung McCall Smith, World Trade Review 2 (2003) Nr. 1, S. 65 (82 f.). 632 Dazu Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 506 ff. 633 Zur Verfahrensgerechtigkeit im Völkerrecht Hoffmann, Verfahrensgerechtigkeit, S. 81 ff.; siehe außerdem Mosler, General Principles of Law, EPIL II (1984), S. 511 (522); Cheng, General Principles of Law, S. 257 ff. und Gaffney, American

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

ner Ursprünge im englischen Recht (Magna Carta, 1215)634 ein in erster Linie amerikanisches Konzept635, welches verfassungsrechtlich verankert ist und in seiner prozeduralen Dimension einen Kernbestand an Garantien für ein ordentliches Verfahren – wie etwa die Gleichheit der Parteien, die Ankündigung der Entscheidung, die Möglichkeit zur Stellungnahme der Betroffenen, das Recht auf einen Rechtsbeistand oder aber die Neutralität des Entscheidungsträgers – umfaßt636. Gleiches gilt für den Begriff der natural justice, unter dem im englischen Recht die Mindestanforderungen an Verfahrensgerechtigkeit zusammengefaßt werden (z. B. das Recht auf ein faires und unparteiliches Verfahren, der Grundsatz des nemo judex in sua causa bzw. des audiatur et altera pars)637. Dem Rechtsprinzip der Fairneß (fundamental fairness) schließlich kommt eine ergänzende Funktion zu. Innerhalb einer stets unvollkommenen Verfahrensgerechtigkeit dient es als „ungeschriebener Nothelfer“ des Prozeßrechts638. Im DSU findet keines der drei Prinzipien ausdrückliche Erwähnung. Lediglich die Regel 16 (1) der Verfahrensregeln für die Rechtsmittelinstanz bietet einen Anknüpfungspunkt, wenn ihr zufolge der Appellate Body für den Fall des Eintretens einer Verfahrenssituation, für die bisher keine rechtlichen Vorgaben existieren, ermächtigt wird, im Interesse der Fairneß (in the interests of fairness) und des ordnungsgemäßen Verfahrens (orderly procedure) zusätzliche, jedoch nur für den jeweiligen Streitfall geltende Verfahrensregeln zu erlassen639. University International Law Review 1999, S. 1173 (1180 ff.) mit ausführlichen Nachweisen auf die internationale Spruchpraxis; kritisch Weiss, Optimising the Dispute Settlement Procedure (a European Position), in: van Kappel/Heusel (Hrsg.), Free World Trade and the European Union, S. 77 (80 f.). 634 Dazu Marshall, Due Process in England, in: Pennock/Chapman (Hrsg.), Due Process, S. 69 ff. 635 Gaffney, American University International Law Review 1999, S. 1173 (1175 f.); Resnick, Due Process and Procedural Justice, in: Pennock/Chapman (Hrsg.), Due Process, S. 206; Palmeter, JWT 31 (1997) Nr. 1, S. 51. 636 Zum Ganzen Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, S. 183 ff.; ders. Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 312 ff.; Hoffmann, Verfahrensgerechtigkeit, S. 105 ff.; zum EG-Recht Groussot, The General Principles of Community Law in the Creation and Development of Due Process Principles in Competition Law Proceedings: From Transocean Marine Paint (1974) to Montecatini (1999), in: Bernitz/Nergelius (Hrsg.), General Principles of European Community Law, S. 185 ff. 637 Lyall, An Introduction to British Law, S. 165 ff.; Bailey/Gunn, Smith & Bailey on The Modern English Legal System, S. 873 f.; Thomas, JWT 31 (1997) Nr. 1, S. 45. 638 So Berkemann, JR 1989, S. 221 (226); ausführlich zu den Ausprägungen der Fairneß im Völkerrecht Franck, Fairness in International Law and Institutions, passim; zum Welthandelsrecht Suranovic, The World Economy 23 (2000), S. 283 ff.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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Wie der Appellate Body mehrfach ausgeführt hat, sind allerdings die Streitbeilegungsvorschriften in ihrer Gesamtheit gerade Ausdruck der genannten Verfahrensgrundsätze. So wurde etwa in dem Verfahren Mexico – HFCS (21.5) die in Art. 12 Abs. 7 DSU festgeschriebene Pflicht des Panel, dem DSB einen schriftlichen Bericht vorzulegen, in dem neben Angaben zum Sachverhalt und den jeweils einschlägigen Rechtsnormen auch stets die wesentliche Begründung (basic rationale) der Streitentscheidung enthalten sein muß, zurückgeführt auf die Prinzipien des due process of law bzw. der fundamental fairness: In our view, the duty of panels under Article 12.7 of the DSU to provide a „basic rationale“ reflects and conforms with the principles of fundamental fairness and due process that underlie and inform the provisions of the DSU.640

Doch auch die Verhaltenspflichten der Streitparteien im Rahmen des Konsultations- bzw. Panelverfahrens lassen sich unter Rückgriff auf diese beiden Grundsätze noch näher konkretisieren, wie vom Appellate Body im Fall India – Patents beispielhaft ausgeführt worden ist: All parties engaged in dispute settlement under the DSU must be fully forthcoming from the very beginning both as to the claims involved in a dispute and as to the facts relating to those claims. Claims must be stated clearly. Facts must be disclosed freely. This must be so in consultations as well as in the more formal setting of panel proceedings. In fact, the demands of due process that are implicit in the DSU make this especially necessary during consultations. For the claims that are made and the facts that are established during consultations do much to shape the substance and the scope of subsequent panel proceedings.641

Bereits während der Konsultationsphase müssen die Anträge demnach ausdrücklich benannt und die Fakten offengelegt werden, da durch sie eine erste Umschreibung des Streitgegenstandes erfolgt und sie mithin wesentlich sind für die spätere Bestimmung des Panelmandates (Art. 7 Abs. 1 DSU)642. Auch im Hinblick auf die Beurteilung, ob von den Panels ihre gem. Art. 11 DSU bestehende Pflicht zur objektiven Beurteilung des von den 639

Rule 16 (1) der Working Procedures for Appellate Review; als Beispiel vgl. die Ergänzung der Verfahrensordnung im Hinblick auf die sog. amicus curiae briefs im „Asbestfall“, EC – Asbestos, Communication from the Appellate Body, WT/ DS135/9 vom 08.11.2000. 640 Mexico – HFCS (21.5), AB, para. 107 (Hervorhebung durch den Verfasser); mit Verweis auf US – Japan Hot-Rolled Steel, AB, paras. 101 und 193; US – Shrimp, AB, para. 158 sowie US – FSCs, AB, para. 166; vgl. außerdem WTO, Analytical Index, Vol. 2, S. 1423 m. w. N. 641 India – Patents, AB, para. 94 (Hervorhebung durch den Verfasser). 642 Vgl. bereits oben 1. Teil C. III. 1. b) cc) (2) (c) (aa); näher zum Ganzen auch Schmodde, Das Konsultationsverfahren im Streitbeilegungssystem der WTO, S. 69.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Parteien unterbreiteten Sachverhaltes (objective assessment of the facts) verletzt worden ist, hat der Appellate Body mehrfach zurückgegriffen auf die Grundsätze der Verfahrensgerechtigkeit und festgestellt, die Nichtberücksichtigung bzw. die Verdrehung von vorgebrachtem Beweismaterial komme einer Vorenthaltung dieser grundlegenden prozessualen Garantien gleich. A claim that a panel disregarded or distorted the evidence submitted to it is, in effect, a claim that the panel, to a greater or lesser degree, denied the party submitting the evidence fundamental fairness, or what in many jurisdictions is known as due process of law or natural justice.643

Da die derzeit geltenden Verfahrensvorschriften für das Panelverfahren (vgl. Art. 12 Abs. 1 DSU i. V. m. Anhang 3 des DSU) weder detaillierte Regelungen über die von den Parteien beizubringenden Beweismittel noch zeitliche Vorgaben für die Einreichung von Beweismitteln enthalten, hat der Appellate Body zudem unter Rückgriff auf die Grundsätze des due process und der fundamental fairness die Verpflichtungen der Parteien weiter zu konkretisieren versucht und etwa im Fall Australia – Salmon dazu ausgeführt: More generally, with regard to Australia’s claim that the Panel erred in admitting evidence we note that the Working Procedures in Appendix 3 of the DSU do not establish precise deadlines for the submission of evidence. Under the provisions of Article 12.1 of the DSU, panels are permitted to establish their own working procedures, in addition to those set out in Appendix 3. In this case, the Panel initially set the deadline for the submission of evidence on 7 October 1997, but later decided to admit evidence submitted after this date. We note that Article 12.2 of the DSU provides that „[p]anel procedures should provide sufficient flexibility so as to ensure high-quality panel reports, while not unduly delaying the panel process.“ However, a panel must also be careful to observe due process, which entails providing the parties adequate opportunity to respond to the evidence submitted.644

Zugleich hat er hierbei des öfteren verlauten lassen, daß die Verabschiedung neuer, detaillierterer Verfahrensvorschriften für das Panelverfahren erheblich dazu beitragen würde, den Erfordernissen von due process, fundamental fairness und natural justice innerhalb des Streitbeilegungsverfahrens insgesamt ausreichend Rechnung zu tragen. 643 EC – Hormones, AB, paras. 131 ff. (133) (Hervorhebung durch den Verfasser); bezugnehmend hierauf auch Australia – Salmon, AB, para. 264; US – Japan Hot-Rolled Steel AD Measures, AB, para. 193, Fn. 142; EC – Poultry, AB, para. 133; Korea – Alcoholic Beverages, AB, para. 162. 644 Australia – Salmon, AB, para. 272 (Hervorhebung durch den Verfasser); siehe auch Argentina – Textiles and Apparel, AB, paras. 79 ff. (Fn. 68); zum Ganzen Feliciano/van den Bossche, The Dispute Settlement System of the World Trade Organization: Institutions, Process and Practice, in: Blokker/Schermers (Hrsg.) Proliferation of International Organizations, S. 297 (329).

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

337

It is worth noting that, with respect to fact-finding, the dictates of due process could better be served if panels had standard working procedures that provided for appropriate factual discovery at an early stage in panel proceedings.645

b) Prozeßökonomie (Judicial Economy) Einer Vielzahl von Rechtsordnungen ist der prozedurale Grundsatz gemein, Gerichtsprozesse – soweit dies aus rechtsstaatlichen Gründen möglich ist – rationell und effektiv zu gestalten (Grundsatz der Prozeß- bzw. Verfahrensökonomie646; doctrine of judicial economy647). Prozeßökonomische Aspekte kommen etwa dann zum Tragen, wenn ein lediglich formaler prozeßrechtlicher Aspekt aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit zu korrigieren ist bzw. aus mehreren möglichen prozessualen Verfahrensweisen diejenige auszuwählen ist, mit der das Ziel einfacher, kostengünstiger und schneller erreicht werden kann. Als Ausdruck dieses Prinzips im WTORecht gilt beispielsweise Art. 9 Abs. 1 DSU, der eine Verbindung von gleichartigen Beschwerden (multiple complaints) – im Gegensatz zur Streitbeilegung unter dem GATT 1947 – nun ausdrücklich normiert. Nicht nur unter dem GATT 1947 haben Panels in ihren Entscheidungen häufig auf das principle of judicial economy Bezug genommen648, sondern auch im Rahmen der WTO-Panelspruchpraxis wird dieses Prinzip immer wieder herangezogen649. Der Appellate Body hatte sich im Fall US – Shirts and Blouses erstmals hiermit auseinanderzusetzen, und zwar im Hinblick auf die Frage, ob eine Beschwerdepartei die sachliche Entscheidung über alle behaupteten WTO-Verstöße verlangen könne. Bereits vom Panel war dazu ausgeführt worden, daß eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den 645 India – Patents, AB, para. 95; ähnlich Argentina – Textiles and Apparel, AB, paras. 79 ff. (Fn. 68); EC – Bananas, AB, para. 144. 646 Dieser Grundsatz wird mitunter auch bezeichnet als Grundsatz der Prozeßwirtschaftlichkeit bzw. Grundsatz richterlicher Effizienz, vgl. Witt, RIW 2000, S. 691 (699); ausführlich zum deutschen Recht von Mettenheim, Der Grundsatz der Prozeßökonomie im Zivilprozeß, passim. 647 Mit Verweisen auf die Common Law Doctrine of Judicial Economy siehe Bhala, Journal of Transnational Law and Policy 1999, S. 1 (48 ff.); McCall Smith, World Trade Review 2 (2003) Nr. 1, S. 65 (95). 648 Siehe dazu die Nachweise in US – Shirts and Blouses, AB, S. 18, Fn. 27; außerdem Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (281); Nichols, Virginia Journal of International Law 1996, S. 379 (401 ff.) mit Verweisen auf die GATT-Panelspruchpraxis zu den multiple complaints unter Heranziehung des principle of judicial economy. 649 Aus der Panelspruchpraxis vgl. etwa EC – Sardines, Panel Report, paras. 7.147 ff.; US – Steel Safeguards, Panel Report, paras. 10.700 ff.; India – Autos, Panel Report, para. 7.324.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

vorgebrachten Argumenten nur insoweit erfolgen müsse, als es für die Vorbereitung der DSB-Entscheidung notwendig sei650. In dem Bemühen, diesbezüglich einheitliche aber auch eindeutige Vorgaben aufzustellen, hat der Appellate Body unter Rückgriff auf die Ziele des WTO-Streitbeilegungsverfahrens festgestellt, daß ein Panel keineswegs auf alle von einer Streitpartei vorgebrachten Rechtsbegehren (claims) einzugehen habe, sondern sich aus Gründen der Verfahrensökonomie durchaus auf die für die Entscheidungsfindung erheblichen Aspekte beschränken könne. Thus, the basic aim of dispute settlement in the WTO is to settle disputes. (. . .) Given the explicit aim of dispute settlement that permeates the DSU, we do not consider that Article 3.2 of the DSU is meant to encourage either panels or the Appellate Body to „make law“ by clarifying existing provisions of the WTO Agreement outside the context of resolving a particular dispute. A panel need only address those claims which must be addressed in order to resolve the matter in issue in the dispute.651

Die zunächst ausgesprochene Beschränkung der judicial economy auf die von den Streitparteien vorgebrachten Begehren (claims) wurde bereits in dem Verfahren EC – Poultry erweitert und findet seitdem gleichermaßen Anwendung auf die von den Parteien zur Begründung angeführten Argumente (arguments): In United States – Measure Affecting Imports of Woven Wool Shirts and Blouses from India, we stated that nothing in Article 11 „or in previous GATT practice requires a panel to examine all legal claims made by the complaining party“, and that „[a] panel need only address those claims which must be addressed in order to resolve the matter in issue in the dispute.“ Just as a panel has the discretion to address only those claims which must be addressed in order to dispose of the matter at issue in a dispute, so too does a panel have the discretion to address only those arguments it deems necessary to resolve a particular claim.652

Dabei bleibt, wie vom Appellate Body im Fall Australia – Salmon weiter konkretisiert worden ist, die sachliche Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Rechtsbegehren und Argumenten allerdings stets insoweit erforderlich, als sie notwendig ist, um die spätere Empfehlung bzw. Entscheidung des DSB präzise vorzubereiten. 650

US – Shirts and Blouses, Panel Report, para. 6.6. US – Shirts and Blouses, AB, S. 19 (Hervorhebung durch den Verfasser); dazu Steger/Hainsworth, JIEL 1998, S. 199 (214 f.); Bhala, Journal of Transnational Law and Policy 1999, S. 1 (49 ff.); Behboodi, JWT 32 (1998) Nr. 4, S. 55 (80 ff.); vgl. auch Australia – Salmon, AB, para. 219; Canada – Automotive Industry, AB, paras. 114 ff.; EC – Poultry, AB, para. 135; US – Wheat Gluten, AB, paras. 177 ff. mit Verweis auf US – Shirts and Blouses, AB; aus der neueren Panelspruchpraxis etwa US – Steel Safeguards, Panel Report, para. 10.701; für weitere Nachweise siehe auch WTO, Analytical Index, Vol. 2, S. 1356 ff. 652 EC – Poultry, AB, para. 135 (Hervorhebung durch den Verfasser); dazu McCall Smith, World Trade Review 2 (2003) Nr. 1, S. 65 (95). 651

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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The principle of judicial economy has to be applied keeping in mind the aim of the dispute settlement system. This aim is to resolve the matter at issue and „to secure a positive solution to a dispute“. To provide only a partial resolution of the matter at issue would be false judicial economy. A panel has to address those claims on which a finding is necessary in order to enable the DSB to make sufficiently precise recommendations and rulings so as to allow for prompt compliance by a Member with those recommendations and rulings „in order to ensure effective resolution of disputes to the benefit of all Members.“653

Zudem hat der Appellate Body im Verfahren Canada – Automotive Industry aus Fairneß- bzw. Transparenzgesichtspunkten die Panels dazu aufgefordert, stets diejenigen Klagaspekte ausdrücklich zu bezeichnen, die aus prozeßökonomischen Gründen in dem jeweiligen Bericht nicht weiter behandelt worden sind. We are bound to add that, for purposes of transparency and fairness to the parties, a panel should, however, in all cases, address expressly those claims which it declines to examine and rule upon for reasons of judicial economy. Silence does not suffice for these purposes.654

Auch in seiner eigenen Spruchpraxis läßt sich der Appellate Body vom Prinzip der Verfahrensökonomie leiten, wenn er beispielsweise Abstand davon nimmt, solche Aspekte einer Panelentscheidung näher nachzuprüfen, die für eine abschließende Lösung des Streitfalles nicht relevant sind655. Insgesamt zeigt die Anwendung der judicial economy, daß die Panels sowie der Appellate Body auf dieses Konzept auch und gerade in solchen Fällen zurückgreifen, in denen sie richterliche Zurückhaltung (judicial restraint) üben wollen, etwa weil ein politisch brisanter Bereich betroffen, dieser aber nicht entscheidungserheblich ist656. Probleme können allerdings immer dann entstehen, wenn ein Panel aus Gründen der Verfahrensökonomie nicht alle angeführten Beschwerdepunkte aufgegriffen hat, der Appellate Body anschließend aber konfrontiert ist mit der Überprüfung auch solcher Aspekte, die in der Panelentscheidung nicht behandelt, wohl aber von den 653 Australia – Salmon, AB, para. 223 (Hervorhebung durch den Verfasser); dazu Shoyer/Solovy, Law and Policy in International Business 2000, S. 677 (692 f.), Vermulst/Mavroidis/Waer, JWT 33 (1999) Nr. 2, S. 1 (13); Davey, JIEL 2001, S. 79 (108 ff.). 654 Canada – Automotive Industry, AB, para. 117 (Hervorhebung durch den Verfasser). 655 Turkey – Textiles, AB, para. 65; zum Ganzen Waincymer, WTO Litigation, S. 701 ff.; McRae, The Emerging Appellate Jurisdiction in International Trade Law, in: Cameron/Campbell (Hrsg.), Dispute Resolution in the World Trade Organization, S. 98 (107); Joergens, Law and Policy in International Business 1999, S. 193 (220); Davey, JIEL 2001, S. 79 (110). 656 Näher dazu Davey, JIEL 2001, S. 79 (109) „Judicial Economy as an IssueAvoidance Technique“; vgl. außerdem McCall Smith, World Trade Review 2 (2003) Nr. 1, S. 65 (95 f.); Behboodi, JWT 32 (1998) Nr. 4, S. 55 (84).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Parteien vorgebracht worden sind. Daß die unsachgemäße Anwendung des principle of judicial economy auf Rechtsmittelebene angegriffen werden kann, ist hierbei unzweifelhaft657. Entscheidet sich der Appellate Body allerdings in einem solchen Fall für eine Überprüfung auch der von dem Panel nicht beachteten Aspekte658, kommt dies im Ergebnis einer Neuüberprüfung des Sachverhaltes gleich (de novo review) und widerspricht damit letztlich der auf die Überprüfung von Rechtsfragen beschränkten Funktion des Appellate Body (vgl. Art. 17 Abs. 6 und Abs. 13 DSU)659. c) Rechtskrafterstreckung (Res Judicata) In engem Zusammenhang nicht nur mit dem Prinzip der Prozeßökonomie, sondern auch mit dem Prinzip des due process of law steht der Grundsatz der materiellen Rechtskraft (res judicata)660. Diesem zufolge ist der Inhalt der (gerichtlichen) Entscheidung maßgeblich, sind also die Gerichte bei einem späteren Prozeß der Streitparteien über denselben Streitgegenstand an den Inhalt der ersten Entscheidung gebunden. Die materielle Rechtskraft richtet sich damit anders als die formelle Rechtskraft nicht gegen die mögliche Anfechtbarkeit der Entscheidung, sondern soll eine zweite, der ersten widersprechende Entscheidung verhindern661. Auch die Entscheidungen eines Streitfalles durch internationale Spruchkörper können der materiellen Rechtskraft zugänglich sein, wie Art. 59 IGH-Statut etwa in Bezug auf Urteile des IGH zeigt. Hierbei dürfte das Prinzip der res judicata inzwischen sogar als allgemeiner Rechtsgrundsatz Geltung beanspruchen662. 657

US – Wheat Gluten, AB, paras. 177 ff.; Japan – Agricultural Products, AB, paras. 111 und 117. 658 Zu dieser Konstellation vgl. u. a. die Fälle US – Gasoline, AB, S. 19 ff.; Canada – Periodicals, AB, S. 23 f.; EC – Asbestos, AB, paras. 133 ff. 659 Zum Ganzen bereits oben 3. Teil A. VI.; außerdem Lichtenbaum, Michigan Journal of International Law 1998, S. 1195 (1232); Palmeter, JWT 32 (1998) Nr. 1, S. 41 (42 f.); Vermulst/Mavroidis/Waer, JWT 33 (1999) Nr. 2, S. 1 (13); Witt, RIW 2000, S. 691 (699); Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, S. 227 ff. 660 Vgl. dazu India – Autos, Panel Report, para. 7.56 (Fn. 330); Nichols, Virginia Journal of International Law 1996, S. 379 (433 f.); Ostrihansky, NYIL 22 (1991), S. 163 (212). 661 Ausführlich zum deutschen Zivilprozeßrecht etwa Schilken, Zivilprozeßrecht, Rn. 993 ff.; zum englischen Recht Bailey/Gunn, Smith & Bailey on The Modern English Legal System, S. 403. 662 Mosler, General Principles of Law, EPIL II (1984), S. 511 (522); Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht, § 601; Waincymer, WTO Litigation, S. 519; Cheng, General Principles of Law, S. 336 ff.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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Im WTO-Recht findet sich hingegen keine positivrechtliche Ausgestaltung der (materiellen) Rechtskraft663. Zwar wird von einer Rechtskraftwirkung in den Fällen auszugehen sein, in denen zwischen denselben Streitparteien ein identischer Sachverhalt an identischen Normen geprüft wird664. Da diese Konstellation jedoch nur selten eintreten wird, ist es nicht verwunderlich, daß der Appellate Body in seiner Spruchpraxis bisher nicht auf das Prinzip der res judicata zurückgegriffen hat – und das, obwohl sich vereinzelt Streitparteien in ihren Begründungen ausdrücklich hierauf berufen haben665. Ausführlich behandelt wurde dieses Rechtsprinzip bisher lediglich in einem Panelverfahren (India – Autos)666. In diesem Verfahren hatten sowohl die USA als auch die EG unabhängig voneinander die Einsetzung eines Panel zur Überprüfung eines innerhalb Indiens praktizierten Importlizenzsystems für Zulieferungen im Automobilsektor beantragt. Zwar war das in der Kritik stehende indische Importlizenzsystem bereits als Reaktion auf eine vorangegangene Entscheidung im Verfahren India – Quantitative Restrictions mit Wirkung zum 1. April 2001 abgeschafft worden. Dennoch kam ein sich speziell auf den Automobilsektor auswirkender Teil der indischen Gesetzgebung noch immer zur Anwendung, dessen WTO-Konformität von den Beschwerdeführern bezweifelt wurde667. Indien versuchte sich zumindest im Hinblick auf die von USamerikanischer Seite vorgebrachten Klagepunkte unter anderem zu verteidigen mit dem Rückgriff auf das Prinzip des res judicata668. In der vom Panel anschließend vorgenommenen detaillierten Prüfung wurde das Vorliegen eines identischen Sachverhaltes – als eine für das Eingreifen der Rechtskrafterstreckung notwendige Voraussetzung – zwar verneint, die Frage der grundsätzlichen Anwendung des principle of res judicata in der WTO-Rechtsordnung jedoch ausdrücklich offen gelassen669. Der Appellate Body hat zu dieser Frage nicht weiter Stellung nehmen können, da von 663

India – Autos, Panel Report, para. 7.58. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vertragsordnungen, S. 639 f.; Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), S. 313 f.; Waincymer, WTO Litigation, S. 520; für das GATT bereits Pescatore, JWT 27 (1993) Nr. 1, S. 5 (16). 665 India – Autos, Panel Report, paras. 7.42 ff.; Argentina – Poultry, Panel Report, para. 7.28; EC – Bed Linen (21.5), AB, para. 35. 666 India – Autos, Panel Report, paras. 7.42 (7.55 ff.); mit Nachweisen zur Spruchpraxis der GATT-Panels Nichols, Virginia Journal of International Law 1996, S. 379 (433 f.); Montana I Mora, Columbia Journal of Transnational Law 1993, S. 103 (163, Fn. 283); Ostrihansky, NYIL 22 (1991), S. 163 (212 f.). 667 Für eine Besprechung des Falles siehe Bayer/Jessen, GYIL 44 (2001), S. 679 (684 f.). 668 India – Autos, Panel Report, paras. 7.44 ff. 669 India – Autos, Panel Report, para. 7.103. 664

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

Indien das zunächst eingebrachte Rechtsmittelersuchen später zurückgezogen worden war670. d) Berechtigtes Interesse (Legal Interest) Im Rahmen des Streites um die WTO-Konformität der europäischen Bananenmarktordnung671 wurde den Vereinigten Staaten vonseiten der EG unter anderem das Fehlen eines berechtigten Interesses (legal interest) vorgeworfen und damit das Bestehen einer Beschwerdebefugnis (standing; locus standi) abgesprochen672. Da das DSU eine die Beschwerdebefugnis ausdrücklich regelnde Vorschrift nicht enthält673, hatte sich in diesem Verfahren erstmals ein Panel mit der Frage auseinanderzusetzen, ob auch ein von einer handelsbeschränkenden Maßnahmen nicht betroffenes WTO-Mitglied zur Einleitung eines Panelverfahrens berechtigt sein kann. Konkret ging es darum, ob von den Vereinigten Staaten, die zum damaligen Zeitpunkt keine Bananen in die EG exportierten, die Bananenmarktordnung im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsverfahrens überhaupt angegriffen werden durfte. Das Panel hatte eine Beschwerdebefugnis der USA mit der Begründung bejaht, bereits ein potentielles eigenes Handelsinteresse oder aber das Interesse eines Mitglieds an der Bestimmung der Rechte und Pflichten aus den verschiedenen WTO-Übereinkommen würde insoweit ausreichen674. Hiergegen wandte sich die EG in ihrem Rechtsmittelersuchen mit dem Hinweis, es sei als allgemeiner Rechtsgrundsatz und auch in der IGH-Spruchpraxis generell anerkannt675, daß der Kläger in völkerrechtlichen Verfahren zur Begrün670

Vgl. dazu Rule 30 (1) der Working Procedures for Appellate Review. Ausführlich zum Streit um die Bananenmarktordnung Siebold, Der Fall Bananenmarktordnung – Die Europäische Gemeinschaft im Streit mit der Welthandelsorganisation, in: Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 212 ff. sowie Breuss/Griller/Vranes (Hrsg.), The Banana Dispute, passim. 672 EC – Bananas (US), Panel Report, paras. II.21 ff.; zum Begriff der Beschwerdebefugnis und zum Standort der Prüfung im WTO-Streitbeilegungsverfahren vgl. näher Neugärtner, Die actio popularis in der WTO, S. 74 ff.; Ohlhoff, Die Streitbeilegung in der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, C.I.2., Rn. 48 ff. 673 Steger/Lester, WTO Dispute Settlement: Emerging Practice and Procedures in Decisions of the Appellate Body, in: Ruttley/McVay/Weisberger (Hrsg.), Due Process in WTO Dispute Settlement, S. 119 (122); Rubenstein/Schultz, Saint John’s Journal of Legal Commentary 1996, S. 271 (289 ff.). 674 EC – Bananas (US), Panel Report, paras. 7.47 ff. (7.52); zum Ganzen Weiss, Optimising the Dispute Settlement Procedure (a European Position), in: van Kappel/Heusel (Hrsg.), Free World Trade and the European Union, S. 77 (83 f.). 675 Von der EG wird hierbei verwiesen auf die Fälle IGH, South West Africa Cases (Second Phase), I. C. J. Rep. 1966, S. 66; Barcelona Traction (Second Phase), I. C. J. Rep. 1970, S. 32 sowie StIGH, Mavrommatis Palestine Concessions, (1925), Serie A, Nr. 2, S. 12. 671

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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dung seiner Klagebefugnis ein besonderes rechtliches Interesse (legal interest) nachzuweisen habe und mithin die Möglichkeit einer Popularklage (actio popularis) auf Völkerrechtsebene gerade nicht bestünde676. Der Appellate Body hat in seinem Bericht dieser Argumentation allerdings nicht statt gegeben, sondern sie wie folgt zurückgewiesen: The participants in this appeal have referred to certain judgments of the International Court of Justice and the Permanent Court of International Justice relating to whether there is a requirement, in international law, of a legal interest to bring a case. We do not read any of these judgments as establishing a general rule that in all international litigation, a complaining party must have a „legal interest“ in order to bring a case.677

Seiner Ansicht nach akzeptiere keines der von der EG angeführten Urteile des StIGH bzw. des IGH den Grundsatz bzw. stelle eine Regel auf, derzufolge in internationalen Streitfällen immer ein besonderes rechtliches Interesse (legal interest) erforderlich sei. Ob ein solches Erfordernis in konkreten Verfahren besteht, richte sich vielmehr nach dem jeweils zugrundeliegenden (multilateralen) Vertrag, im Hinblick auf das WTO-Recht also vor allem nach Art. XXIII GATT und Art. 3 Abs. 7 DSU. Im Rahmen der Auslegung dieser beiden Vorschriften kommt der Appellate Body sodann zu dem Ergebnis, daß die Entscheidungsbefugnis über die Einleitung eines Streitbeilegungsverfahrens in erster Linie im Ermessen der WTO-Mitglieder selbst liege678 und insoweit auch ein potentielles Exportinteresse der Vereinigten Staaten zur Begründung der Beschwerdebefugnis bereits ausreiche679. Gefolgert werden kann aus diesen Ausführungen, daß an die Beschwerdebefugnis grundsätzlich nur geringe Anforderungen zu stellen sind; ausreichend wird insoweit schon das Vorbringen solcher Interessen sein, die über das bloße Interesse eines jeden WTO-Mitglieds an der Vertragstreue der anderen WTO-Mitglieder hinausgehen680.

676 Vgl. EC – Bananas, AB, paras. 15 f.; allgemein zur Bedeutung der actio popularis im Völkerrecht Neugärtner, Die actio popularis in der WTO, S. 4 ff.; Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 163 ff.; zum deutschen Recht vgl. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 369 ff. 677 EC – Bananas, AB, para. 133 (Hervorhebung durch den Verfasser); siehe hierzu Pauwelyn, EJIL 2003, S. 907 (941 ff.). 678 EC – Bananas, AB, paras. 134 f. 679 EC – Bananas, AB, para. 136; vgl. auch Hilpold, IStR 2002, S. 31 (32). 680 Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 283; zum Ganzen außerdem Bourgeois, JIEL 1998, S. 259 (262 ff.); Steger/Hainsworth, JIEL 1998, S. 199 (209); Lichtenbaum, Michigan Journal of International Law 1998, S. 1195 (1207 ff.); Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law, S. 208 und 470; Waincymer, WTO Litigation, S. 148 ff.; Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (287 ff.).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

e) Beweislast (Burden of Proof) Bei welthandelsrechtlichen Streitigkeiten, bei denen oftmals naturwissenschaftliche oder technische Belange von erheblicher Bedeutung sind, spielt neben rechtlichen Fragen häufig die Aufklärung der tatsächlichen Geschehnisse die entscheidende Rolle681. Der Verteilung der Behauptungs- und Beweislast kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Ausgangspunkt für die Bestimmung der diesbezüglich im WTO-Streitbeilegungsverfahren geltenden Regelung ist Art. 6 Abs. 2 Satz 2 DSU, demzufolge die beschwerdeführende Partei in ihrem Antrag auf Einsetzung eines Panel „die einzelnen strittigen Maßnahmen nennen und eine kurze Zusammenfassung der Rechtsgrundlage der Beschwerde geben“ muß, „die zur Verdeutlichung des Problems ausreicht“. Das für die Entscheidung notwendige Tatsachenmaterial ist demnach im Grundsatz von den Parteien beizubringen (Dispositionsmaxime), was aus dem schiedsgerichtlichen Charakter des WTO-Streitbeilegungsverfahrens resultiert682. Durchbrochen wird dieser Grundsatz lediglich durch Art. 13 DSU. Denn diese Vorschrift räumt den Panels das Recht ein, zur Sachverhaltsaufklärung auch selbst tätig zu werden und von Einzelpersonen, Gremien oder Sachverständigen zusätzliche Informationen bzw. fachlichen Rat einzuholen683. Verfahrensrechtlich nicht geregelt sind hingegen die von den Parteien beizubringenden Beweismittel684, und auch zur Frage der Beweislastverteilung finden sich ausdrückliche Angaben weder im DSU noch in den Verfahrensvorschriften für das Panelverfahren685. Dabei kommt gerade der Verteilung der Beweislast im Rahmen der bisherigen Spruchpraxis der WTO-Streitbeilegungsorgane eine zentrale Rolle zu, da häufig von den Streitparteien versucht wird, der jeweils anderen Seite die Beweislast aufzubürden. Blickt man diesbezüglich auf die bisherige Spruchpraxis des Appel681 Trüeb, Umweltrecht in der WTO, S. 77; Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, S. 81. 682 Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 174 f. 683 Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, S. 144; Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, S. 269; ausführlich Pauwelyn, ICLQ 2002, S. 325 ff. 684 Dazu näher Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, S. 268 ff. 685 Waincymer, WTO Litigation, S. 549; Steger/Lester, WTO Dispute Settlement: Emerging Practice and Procedures in Decisions of the Appellate Body, in: Ruttley/ McVay/Weisberger (Hrsg.), Due Process in WTO Dispute Settlement, S. 119 (126). Zur Frage der Beweislast im Rahmen der GATT-Panelspruchpraxis mit weiteren Nachweisen Thomas, JWT 30 (1996) Nr. 2, S. 53 (68 ff.); Nichols, Virginia Journal of International Law 1996, S. 379 (434 f.); Pauwelyn, JIEL 1998, S. 227 (235 ff.); Jäger, Streitbeilegung und Überwachung als Mittel zur Durchführung des GATT, S. 256.

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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late Body, so wird dessen Bemühen offenbar, für die Verfahrensbeteiligten mit Blick auf die völkerrechtliche Spruchpraxis bzw. allgemeine Grundsätze der nationalen Rechtsordnungen eindeutige Leitlinien aufzustellen. Besonders aufschlußreich sind hierzu die Ausführungen im Fall US – Shirts and Blouses, auf die in der weiteren WTO-Spruchpraxis stets Bezug genommen wird686. In diesem Verfahren konnte sich der Appellate Body, angesichts einer von Indien erhobenen Verletzungsbeschwerde (violation complaint) erstmals ausführlich mit der Frage der Beweislast auseinandersetzen. It is, thus, hardly surprising that various international tribunals, including the International Court of Justice, have generally and consistently accepted and applied the rule that the party who asserts a fact, whether the claimant or the respondent, is responsible for providing proof thereof. Also, it is a generally-accepted canon of evidence in civil law, common law and, in fact, most jurisdictions, that the burden of proof rests upon the party, whether complaining or defending, who asserts the affirmative of a particular claim or defence. If that party adduces evidence sufficient to raise a presumption that what is claimed is true, the burden then shifts to the other party, who will fail unless it adduces sufficient evidence to rebut the presumption.687

Zentraler Ausgangspunkt ist mithin der in nahezu allen Rechtssystemen anerkannte allgemeine Grundsatz der Beweiswürdigung, demzufolge eine Tatsache von derjenigen Partei nachzuweisen ist, die ihr Vorliegen behauptet (actori incumbit probatio)688. Allerdings zieht der Appellate Body hieraus nicht die Konsequenz, daß die beschwerdeführende Partei stets die rechtsbegründenden, der Beschwerdegegner hingegen stets die rechtshindernden, rechtsvernichtenden und rechtshemmenden Tatsachen zu beweisen habe und eine Beweislastumkehr nur dann in Betracht käme, wenn aufgrund der unterschiedlichen Verantwortungssphären eine Beweisführung an686 Vgl. aus der Spruchpraxis des Appellate Body nur EC – Hormones, AB, paras. 97 ff. (109); India – Quantitative Restrictions, AB, paras. 131 ff. (135); Japan – Agricultural Products, AB, paras. 118 ff. (121); EC – Sardines, AB, paras. 269 ff. (270); EC – Bed Linen (21.5), AB, para. 172; Japan – Apples, AB, paras. 154 und 228; aus der Panelspruchpraxis beispielsweise US – Cotton Yarn, Panel Report, para. 7.21; vgl. im übrigen auch WTO, Analytical Index, Vol. 2, S. 1344 ff. 687 US – Shirts and Blouses, AB, S. 14 (Hervorhebung durch den Verfasser). Die in der einschlägigen Fußnote 16 angeführten Nachweise vermögen zugleich einen plastischen Einblick auf das Bücher- und Quellenmaterial zu vermitteln, auf welches die Mitglieder des Appellate Body in ihrer Entscheidungsfindung zurückgreifen. 688 Vgl. dazu mit umfangreichen Nachweisen Pauwelyn, JIEL 1998, S. 227 (229 ff.); Waincymer, WTO Litigation, S. 529 ff.; sowie Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen, S. 283, demzufolge der Grundsatz actori incumbit probatio sich in nahezu allen nationalen Rechtsordnungen findet und als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt ist.

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

sonsten nicht möglich wäre und die jeweils betroffenen Rechtsgüter derart gewichtig sind, daß eine Beweislastverteilung für einen optimalen Rechtsgüterschutz geboten scheint689. Vielmehr wird einem Konzept der Beweislastverteilung gefolgt, das im angelsächsischen und angloamerikanischen Rechtskreis als prima facie-Beweis bekannt ist und dem Beschwerdeführer eine Beweiserleichterung gewährt690. Er hat lediglich einen Anscheinsbeweis für seinen Vortrag zu liefern, sprich die Beweisführung muß hinreichend substantiiert sein, um die Vermutung einer Verletzung von WTO-Vertragspflichten durch die andere Partei begründen zu können (presumption of nullification or impairment). Gelingt dies, wechselt die Beweislast zur gegnerischen Seite, der sodann die Entkräftung der entstandenen Vermutung obliegt (vgl. Art. 3 Abs. 8 DSU). Beruft sich diese hierbei auf eine Ausnahmevorschrift wie etwa Art. XX GATT, so hat sie das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen zu beweisen691. Auch insoweit sind die grundlegenden Ausführungen des Appellate Body im Fall US – Shirts and Blouses von Bedeutung: We acknowledge that several GATT 1947 and WTO panels have required such proof of a party invoking a defence, such as those found in Article XX or Article XI:2(c)(i), to a claim of violation of a GATT obligation, such as those found in Articles I:1, II:1, III or XI:1. Articles XX and XI:(2)(c)(i) are limited exceptions from obligations under certain other provisions of the GATT 1994, not positive rules establishing obligations in themselves. They are in the nature of affirmative defences. It is only reasonable that the burden of establishing such a defence should rest on the party asserting it.692

Welche tatsächlichen Anforderungen an die Beweisführung zu stellen sind, ab wann es also gelungen ist, eine hinreichende Vermutung zu begründen, richtet sich hingegen nach dem jeweiligen Einzelfall. In the context of the GATT 1994 and the WTO Agreement, precisely how much and precisely what kind of evidence will be required to establish such a presumption will necessarily vary from measure to measure, provision to provision, and case to case.693 689 Zu dieser Grundregel im deutschen Recht vgl. Greger, in: Zöller (Hrsg.), ZPO, Vor § 284, Rn. 17; zu den nicht gesetzlich geregelten Abweichungen von der Grundregel Schilken, Zivilprozeßrecht, Rn. 506 ff. 690 Zum GATT 1947 bereits Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 360. 691 Vgl. WTO, Committee on Trade and Environment, GATT/WTO Dispute Settlement Practice relating to GATT Article XX, Paragraphs (b), (d) and (g), Note by the Secretariat, WT/CTE/W/203 vom 08.03.2002, S. 5 f.; außerdem Pauwelyn, JIEL 1998, S. 227 (238 ff.); Waincymer, WTO Litigation, S. 553 ff.; Feddersen, Der ordre public in der WTO, S. 177 f. 692 US – Shirts and Blouses, AB, S. 15 f. (Hervorhebung durch den Verfasser); vgl. auch schon US – Gasoline, AB, S. 22 f. (Art. XX GATT). 693 US – Shirts and Blouses, AB, S. 14 (Hervorhebung durch den Verfasser).

B. Prinzipien aus dem rechtlichen Umfeld der WTO

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Strengere Anforderungen an die Beweisführung sind stets dann zu stellen, wenn von der beschwerdeführenden Partei die Zunichtemachung oder Schmälerung von Vorteilen aufgrund von Maßnahmen geltend gemacht wird, die nicht gegen ein WTO-Übereinkommen verstoßen (non-violation complaint). Denn hier fordert bereits Art. 26 Abs. 1 lit. a DSU vom Beschwerdeführer das Einreichen einer ausführlichen Begründung für die Nichtverletzungsbeschwerde694. Die in der Spruchpraxis des Appellate Body entwickelten Grundsätze der Beweislastverteilung gelten auch im Rahmen des Schiedsverfahrens nach Art. 22 Abs. 6 DSU, wie die Ausführungen der Schiedsrichter im Fall EC – Hormones (22.6) exemplarisch verdeutlichen695: Aufgrund des Souveränitätsprinzips bestehe die grundsätzliche Vermutung eines WTO-konformen Verhaltens der WTO-Mitglieder. Folglich habe diejenige Partei, von der die WTO-Konformität einer Maßnahme angezweifelt wird, den Anscheinsbeweis (prima facie) anzutreten, durch welchen die Vermutung des WTO-konformen Verhaltens erschüttert wird. Gelingt ihr dies, so wechselt die Beweislast. Dann ist es Aufgabe der Gegenseite, den prima facie-Beweis zu widerlegen. Sollten die Beweise im Gleichgewicht bleiben, so ist die WTORechtsverletzung nicht nachgewiesen, da dann der Grundsatz des vermuteten WTO-konformen Verhaltens überwiegt696. Insgesamt wird der beschwerdeführenden Partei damit stets eine Beweiserleichterung gewährt, wie sie beispielsweise im deutschen Zivilprozeßrecht erst bei sog. „typischen Geschehensabläufen“ gewohnheitsrechtlich anerkannt ist697. Auch wenn dieses Vorgehen aus Gründen einer schnellen Entscheidungsfindung lobenswert erscheint698, ist eine solch pragmatisch orientierte Verteilung der Beweislast vor allem und gerade im Bereich der Risikoabschätzung im Gesundheitsbereich bedenklich, wenn man berücksichtigt, daß die WTO-Streitparteien regelmäßig Staaten sind, deren Entscheidungen gegebenenfalls die Lebensweise einer Vielzahl von Menschen beeinflussen können699. 694

Näher Cameron/Gray, ICLQ 2001, S. 248 (278 f.); Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, S. 163 f. 695 EC – Hormones (22.6 – US), WT/DS26/ARB, paras. 8 ff.; bestätigt in EC – Bananas (22.6 – Ecuador) WT/DS27/ARB, para. 37; Brazil – Aircraft (22.6), WT/ DS46/ARB, paras. 2.7 ff. 696 Zum Ganzen Jürgensen, RIW 2000, S. 577 (582 f.); Neugärtner, Die actio popularis in der WTO, S. 175 f. 697 Näher dazu Schilken, Zivilprozeßrecht, Rn. 494 ff.; vgl. auch BGH NJW 2001, S. 1140. 698 Die Notwendigkeit einer zügigen Beilegung des Konfliktes folgt bereits daraus, daß i. d. R. erhebliche wirtschaftliche Interessen der Streitparteien betroffen sein werden; so Leier, EuZW 1999, S. 204 (206). 699 So mit Blick auf den „Hormonfall“ Schröter, Lebensmittelrechtliche Vorsorge als Rechtsprinzip – nationale, europäische und welthandelsrechtliche Aspekte,

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

C. Zusammenfassung der Ergebnisse Werden die vorangegangenen Ausführungen in ihrer Gesamtheit betrachtet, so findet die bereits zu Beginn der Arbeit aufgestellte, generelle These einer Prinzipienanwendung durch die WTO-Rechtsmittelinstanz ihre Bestätigung. Zwar wendet der Appellate Body bei der Lösung materiellrechtlicher bzw. prozeduraler welthandelsrechtlicher Fragen in erster Linie die zahlreichen, in den jeweiligen welthandelsrechtlichen Übereinkommen normierten Einzelvorschriften an. Immer wieder sind in den Appellate BodyBerichten aber auch Bezugnahmen auf rechtliche, teilweise in den Vertragstexten nicht einmal ausdrücklich erwähnte Rechtsprinzipien nachweisbar, wobei sich diese auf durchaus unterschiedliche Weise gestalten. Auffallend im Hinblick auf die klassischen welthandelsrechtlichen Prinzipien ist, daß diese häufig nur zum Zwecke der Verdeutlichung bzw. als Argumentationshilfe herangezogen werden und damit gewissermaßen ergänzende Erwähnung finden. Auf sie wird vielfach gerade dann verwiesen, wenn im Rahmen der Anwendung bzw. Auslegung einer konkreten Vertragsregelung deren allgemeiner Regelungsgehalt entweder anhand des zugrundeliegenden Prinzips näher erklärt oder aber die grundlegende Relevanz einer bestimmten Vorschrift anhand des darin konkretisierten Prinzips besonders hervorgehoben werden soll. So beginnt der Appellate Body beispielsweise im Fall Canada – Automotive Industry seine Ausführungen zur Auslegung des Art. I Abs. 1 GATT, indem er zunächst die grundlegende Bedeutung des in dieser Vorschrift konkretisierten Meistbegünstigungsprinzips betont700. Vergleichbare Ausführungen lassen sich im Fall US – Cotton Underwear mit Blick auf das in Art. X GATT materialisierte Transparenzprinzip finden oder aber im Fall EC – Bananas hinsichtlich des in Art. XIII GATT konkretisierten Prinzips der Nichtdiskriminierung701. In all diesen Fällen werden die jeweiligen welthandelsrechtlichen Prinzipien vor allem deshalb angeführt, um die bereits durch Anwendung der konkreten Vertragsregelungen gefundenen Ergebnisse noch einmal zu untermauern bzw. argumentativ abzusichern. Eine direkte, von den Einzelbestimmungen der jeweiligen Übereinkommen losgelöste Anwendung tradierter welthandelsrechtlicher Prinzipien findet hingegen in aller Regel nicht statt. Letzteres ist auch nicht weiter verwunderlich. Denn das mit Abschluß der Uruguay-Runde geschaffene WTO-Recht hat mögliche Interessenkonflikte wie nie zuvor einem detaillierten Korpus an Rechtsregeln unterzogen. ZERP-Diskussionspapier 4/2002, S. 1 (41 f. und 48 ff.); kritisch auch Pauwelyn, JIEL 1998, S. 227 (252 ff.). 700 Vgl. dazu oben 4. Teil A. II. 3. 701 Vgl. dazu oben 4. Teil A. I. 3.

C. Zusammenfassung der Ergebnisse

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Nicht nur wurden weite Bereiche, die zuvor dem freien staatlichen Interessenausgleich unterlagen, erstmals überhaupt einer rechtlichen Regelung unterstellt. Geändert hat sich auch die Regelungsqualität in den Bereichen, für die bereits das GATT 1947 grundsätzliche Geltung beanspruchte, denn hier wurden die mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten wesentlich präziser gefaßt bzw. ihre Voraussetzungen weiter ausdifferenziert702. Hat aber die Regelungsdichte in diesen Bereichen zugenommen, so bleibt für eine unmittelbare Anwendung der in den einzelnen Regelungen bereits weitestgehend konkretisierten, klassischen welthandelsrechtlichen Prinzipien nur (noch) wenig Raum. Mit anderen Worten: Prinzipien wie das der Nichtdiskriminierung, der Reziprozität oder aber der Meistbegünstigung werden hier nicht relevant in ihrer lückenfüllenden Funktion, sondern dienen in erster Linie als Richtschnur bei der Interpretation vorhandener Regelungen (interpretierende Funktion) bzw. dazu, diese im Sinne einer kohärenten Ordnung darzustellen und zu begreifen (einende Funktion)703. Anders sieht es bei solchen Prinzipien aus, die traditionellerweise die völkerrechtliche Vertragsauslegung leiten. Diese zum Teil in der Wiener Vertragsrechtskonvention ausdrücklich verankerten, zum Teil aber auch als Völkergewohnheitsrecht bzw. allgemeine Rechtsgrundsätze Geltung beanspruchenden Prinzipien nehmen auch in ihrer lückenfüllenden Funktion in der Spruchpraxis des Appellate Body inzwischen einen festen Platz ein. Als Beispiele können Prinzipien wie das der effektiven Vertragsauslegung (effet utile), des in dubio mitius, der Nichtrückwirkung oder aber des guten Glaubens (good faith) dienen. Sie finden wieder und wieder im Rahmen der Auslegung der für den jeweiligen Streit relevanten Bestimmungen der WTOÜbereinkommen Erwähnung. Auffallend ist dabei, daß der Appellate Body zwar bemüht ist, ihren Ursprung bzw. ihre Anerkennung im allgemeinen Völkerrecht („widely recognized in international law“)704 zu betonen, einer Festlegung, ob ein bestimmtes Prinzip gewohnheitsrechtlich bzw. als allgemeiner Rechtsgrundsatz gilt, jedoch eher aus dem Weg geht („at once a general principle of law and a general principle of international law“)705. Auch zur Klärung verfahrensrechtlicher Fragen wird auf allgemeine völkerrechtliche Prinzipien häufig dann zurückgegriffen, wenn die im DSU 702

In diesem Zusammenhang spielen vor allem die bereichsspezifischen Warenhandelsübereinkommen eine Rolle, da diese die GATT-Vorschriften ergänzen bzw. konkretisieren; vgl. hierzu bereits oben1. Teil C. III. 2. a) bb). 703 Zu den unterschiedlichen Funktionen rechtlicher Prinzipien oben 2. Teil A. IV.; vgl. mit Blick auf das EG-Recht auch Lecheler, ZEuS 2003, S. 337 (345 f.). 704 So etwa in EC – Hormones, AB, para. 165, Fn. 154 bzgl. des principle of in dubio mitius, näher hierzu oben 4. Teil A. VI. 3. 705 So erstmals in US – Shrimp, AB, para. 158 in Bezug auf das principle of good faith, zum Ganzen näher oben 4. Teil B. III. 2. a).

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4. Teil: Vom Appellate Body herangezogene Rechtsprinzipien

bzw. den übrigen Übereinkommen enthaltenen Verfahrensvorschriften keine ausreichenden Lösungsansätze bieten, sich aber das notwendige Funktionieren der WTO-Streitbeilegung gerade mithilfe prozeduraler Prinzipien sicherstellen läßt. Herangezogen wurden in der bisherigen Spruchpraxis beispielsweise das Prinzip des due process of law, der judicial economy oder aber des jura novit curia706. Andere, von den Streitparteien ins Feld geführte, allgemeine Prinzipien wie etwa das der materiellen Rechtskraft (res judicata) oder des berechtigten Klaginteresses (locus standi) wurden hingegen nicht angewandt bzw. die Frage ihrer Anwendbarkeit im WTO-Recht vom Appellate Body ausdrücklich offen gelassen. Eine Besonderheit in diesem Zusammenhang stellt der Fall US – Shirts and Blouses dar. In diesem Verfahren nämlich verweist der Appellate Body in seinem Bericht bei der Herleitung des principle of burden of proof mit den folgenden Worten sogar auf die jeweiligen Rechtsordnungen der WTO-Mitglieder, um auf diese Weise zu belegen, daß die Beweislast stets diejenige Partei zu tragen habe, die eine Tatsache in den Prozeß einbringt: Also, it is a generally-accepted canon of evidence in civil law, common law and, in fact, most jurisdictions, that the burden of proof rests upon the party, whether complaining or defending, who asserts the affirmative of a particular claim or defence.707

Der hierbei angeführte Verweis nicht nur auf das Common Law bzw. das kontinentaleuropäische Civil Law, sondern auch die diesbezügliche Tradition der meisten übrigen Rechtssysteme scheint ein schier unerschöpfliches Reservoir potentiell anwendbarer rechtlicher Prinzipien zu eröffnen. Allerdings wird diese zusätzliche „Quelle“ für die WTO-Streitbeilegungsorgane auch in Zukunft kaum erschließbar sein. Denn anders als im EG-Recht, innerhalb dessen die Rechtsprechungsorgane regelmäßig auf die Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten zurückgreifen und in ihrer Rechtsprechung auch diejenigen Rechtsprinzipien anwenden können, die diesen Rechtsordnungen gleichermaßen zugrunde liegen708, sind die jeweiligen Rechtsordnungen der inzwischen bald 150 WTO-Mitglieder nicht nur äußerst vielfältig, sondern auch weitgehend inhomogen. Sollte wider Erwarten und aufgrund mühseliger, rechtsvergleichender Fleißarbeit doch einmal ein 706 Siehe dazu jüngst EC – Tariff Preferences, AB, para. 105 mit ausführlichen Verweisen auf die IGH-Spruchpraxis in Fn. 220. 707 US – Shirts and Blouses, AB, S. 14 (Hervorhebung durch den Verfasser); hierzu näher Hilf, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Struktur, Institutionen und Verfahren, in: Bothe (Hrsg.), Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 40, S. 257 (266 f.). 708 Arnull, The European Union and its Court of Justice, S. 191; Wyatt/Dashwood, European Community Law, S. 88 f.

C. Zusammenfassung der Ergebnisse

351

Rechtsprinzip nachweisbar sein, welches tatsächlich sämtlichen mitgliedschaftlichen Rechtsordnungen innewohnt, dürfte dieses inzwischen wohl zugleich im Völkerrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz oder aber als Gewohnheitsrecht ohnehin ausreichende Anerkennung gefunden haben709. Kommt allgemeinen Rechtsprinzipien bei der Klärung verfahrensrechtlicher Probleme mithin eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu, wird zur Lösung materiellrechtlicher Fragen hingegen nur selten auf dem umliegenden Völkerrecht entstammende Prinzipien zurückgegriffen. Erneut kann dies damit erklärt werden, daß das materielle Welthandelsrecht inzwischen ein dichtes normatives Gebäude darstellt, welches weit weniger normative „Lücken“ als noch das GATT 1947 enthält. Häufig dienen deshalb Bezugnahmen des Appellate Body auf allgemeine Rechtsgrundsätze oder aber auf Prinzipien des Völkergewohnheitsrechts auch hier vor allem der Verstärkung der Überzeugungskraft zuvor bereits im Rahmen der Vertragsauslegung gefundener Ergebnisse710. Eine Ausnahmestellung nehmen in diesem Zusammenhang bisher das (umweltvölkerrechtliche) Vorsorgeprinzip sowie das völkerrechtliche Kooperationsprinzip ein. Denn beide dienen als Beispiele dafür, daß inzwischen auch allgemeine materielle Völkerrechtsprinzipien in der WTO-Spruchpraxis in zumindest begrenztem Umfang durchaus in ihrer lückenfüllenden Funktion Berücksichtigung finden können.

709

Hilf, EuR 2002, Beiheft 1, S. 173 (187); allgemein zum Völkerrecht Mosler, ZaöRV 1976, S. 6 (42 f.). 710 Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 349; Weiss, World Trade Review 2 (2003) Nr. 2, S. 183 (200).

5. Teil

Ergebnisse Wie die inzwischen weit mehr als fünfzig ergangenen Appellate BodyBerichte zeigen, läßt sich eine Vielzahl der Rechtsmittelverfahren vor dem Appellate Body anhand der in den verschiedenen WTO-Übereinkommen enthaltenen Vertragsbestimmungen lösen. Die bloße Subsumtion des Sachverhaltes sowie die anschließende logische Schlußfolgerung führt in den allermeisten Fällen zu einem richtigen und von den Streitparteien in der Regel auch akzeptierten Ergebnis. Bezugnahmen auf die den welthandelsrechtlichen Regelungen zugrundeliegenden, (welthandels-)rechtlichen Prinzipien lassen sich zwar nachweisen, dienen in aller Regel jedoch der bloßen Verdeutlichung bzw. argumentativen Untermauerung bereits – durch die Anwendung der Vertragsregeln – gefundener Ergebnisse. Der Rückgriff auf grundlegende Prinzipien kann in diesen Fällen als ein Mittel angesehen werden, die Vielzahl der in den jeweiligen WTO-Übereinkommen enthaltenen Regeln in transparenter, vor allem aber kohärenter Weise zur Anwendung kommen zu lassen und so in dem seit Abschluß der Uruguay-Runde zunehmend dichter gewordenen Geflecht welthandelsrechtlicher Bestimmungen einen groben Orientierungsrahmen zu geben. Daneben zeigen die Bezugnahmen des Appellate Body auf Prinzipien des Völkergewohnheitsrechts oder aber auf allgemeine Rechtsgrundsätze, daß mitunter rechtliche Prinzipien auch in solchen Fällen zur Anwendung kommen können, für welche die in den jeweiligen WTO-Übereinkommen verankerten Regelungen entweder keine oder lediglich unvollständige Lösungsansätze bieten. Vor allem diese Entscheidungen, bei denen der Appellate Body durch den Rückgriff auf (allgemeine) rechtliche Prinzipien zu bestimmten Ergebnissen gelangte, sind in der Vergangenheit bisweilen auf heftige Kritik gestoßen. Stets lautete hierbei der an die Streitbeilegungsorgane gerichtete Vorwurf, über die Rechtsanwendung hinaus rechtserzeugend tätig zu werden und so die (völkerrechtliche) Souveränität der WTO-Mitglieder in unzulässiger Weise einzuschränken1. Und in der Tat enthält das 1 Ausführlich Greenwald, JIEL 2003, S. 113 ff. („WTO Dispute Settlement as Trade Law Legislation“); vgl. auch McRae, JIEL 2003, S. 709 (712 ff.); Davey, JIEL 2001, S. 79 ff.; vgl. im übrigen Hilf, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Struktur, Institutionen und Verfahren, in: Bothe (Hrsg.), Entschädigung

A. Die legislatorische Schwäche der WTO

353

WTO-Recht gleich an mehreren Stellen Bestimmungen, mittels derer die WTO-Mitglieder einer evolutiv-dynamischen WTO-Streitbeilegungspraxis gewissermaßen einen „Riegel“ vorgeschoben haben, die Möglichkeit einer (richterlichen) Rechtsfortbildung durch die Streitbeilegungsorgane mithin ausdrücklich begrenzt werden sollte. In diesem Sinne schreiben vor allem Art. 3 Abs. 2 DSU für den DSB bzw. Art. 19 Abs. 2 DSU für die Panels sowie den Appellate Body fest, daß die jeweils ausgesprochenen Feststellungen und Empfehlungen die in den WTO-Übereinkommen enthaltenen Rechte und Pflichten der WTO-Mitglieder weder ergänzen noch einschränken können. Auch aus der gem. Art. IX Abs. 2 WTO-Übereinkommen bestehenden, exklusiv bei Ministerkonferenz bzw. Allgemeinem Rat verorteten Kompetenz zur authentischen Vertragsauslegung wird im Umkehrschluß gefolgert, daß jedenfalls eine rechtsfortbildende Interpretation der WTOVorschriften nicht Aufgabe der Streitbeilegungsorgane sei2.

A. Die legislatorische Schwäche der WTO Gerade hier jedoch offenbart sich ein grundlegendes Dilemma, welches die WTO in ihrer heutigen Form prägt3. Zwar scheint das WTO-Übereinkommen auf den ersten Blick die traditionelle Unterscheidung der Funktionen öffentlicher Gewalt, wie sie die Staatstheorie auf Grundlage der Gewaltenteilungslehre entwickelt hat, überraschend getreu widerzuspiegeln und damit an die institutionelle Basis vollentwickelter Rechtsordnungen anzuknüpfen4. Tatsächlich jedoch wird mit der WTO-Streitbeilegung lediglich eine dieser Gewalten effektiv ausgeübt, während es an funktionstüchtigen nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 40, S. 257 (265) mit dem Verweis auf die US-amerikanische Position „We have signed rules and not principles“. 2 Japan – Alcoholic Beverages, AB, S. 13 „(. . .) ‚The Ministerial Conference and the General Council shall have the exclusive authority to adopt interpretations of this Agreement and of the Multilateral Trade Agreements‘. Article IX:2 provides further that such decisions ‚shall be taken by a three-fourths majority of the Members‘. The fact that such an ‚exclusive authority‘ in interpreting the treaty has been established so specifically in the WTO Agreement is reason enough to conclude that such authority does not exist by implication or by inadvertence elsewhere.“. 3 Zum Ganzen von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 264 ff. („Entkoppelung von Recht und Politik“); Ehlermann, JWT 36 (2002) Nr. 4, S. 605 (632 f.); Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (394 f.); Umbricht, JIEL 2001, S. 773 (791 f.); siehe auch Barfield, Free Trade, Sovereignty, Democracy – The Future of the World Trade Organization, S. 1, 37 und 111 f. („constitutional flaw“). 4 Vgl. dazu bereits oben 4. Teil B. I. 3. b).

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5. Teil: Ergebnisse

legislativen Mechanismen weitgehend mangelt. Auch wenn sich in den WTO-Übereinkommen vereinzelt Bestimmungen finden lassen, welche der WTO zum Teil eigenständige institutionelle Rechtsetzungsbefugnisse einräumen5, läßt sich der generelle Wille der vertragsschließenden Staaten bei Gründung der WTO nicht leugnen, das WTO-Recht nicht durch eine autonome Rechtsetzung zu dynamisieren. An keiner Stelle findet sich eine ausdrückliche Ermächtigung der WTO-Organe zur Rechtsetzung. Weder verfügen die WTO-Organe über eine allgemeine Kompetenz zur Schaffung sekundären Rechts, noch kann die WTO als Institution solche Verpflichtungen gegenüber ihren Mitgliedern begründen, die nicht bereits im primären Regelwerk angelegt sind. Vielmehr stellt die WTO hinsichtlich der Fortentwicklung des WTO-Rechts gem. Art. III Abs. 2 WTO-Übereinkommen lediglich ein Forum für Verhandlungen ihrer Mitglieder bereit. Sie ist damit zwar zuständig für die Organisation von Vertragsverhandlungen, ist aber nicht ermächtigt, bestehende Vorschriften eigenständig abzuändern oder sogar neue zu erlassen. Letzteres bleibt Sache der souveränen Vertragsparteien und zumeist das Ergebnis komplexer, mühsamer und langwieriger Verhandlungsrunden, wie nicht nur die nach insgesamt acht Jahren Laufzeit zuletzt erfolgreich abgeschlossene Uruguay-Runde zeigt, sondern auch die derzeit laufenden, aber immer wieder ins Stocken geratenden Verhandlungen der Doha-Runde bestätigen6. Erschwerend hinzu kommt der schon fast stereotype Verweis auf die grundlegende Bedeutung des Konsensus-Prinzips7. Zwar läßt das rechtliche Instrumentarium zur Fortentwicklung des WTO-Rechts, vor allem also die in den Artikeln IX und X WTO-Übereinkommen verankerten Entscheidungs- bzw. Vertragsänderungsverfahren, unter bestimmten Bedingungen Mehrheitsabstimmungen zu und weist damit Ansätze einer „Überwindung des klassischen kooperations-orientierten Paradigmas völkerrechtlicher Entscheidungsverfahren“ auf8. Doch wird von dieser vertraglich vorgesehenen Abweichung vom im Völkerrecht allgemein vorherrschenden, souveränitätsschützenden Prinzip der Einstimmigkeit praktisch kein Gebrauch gemacht, da sich die WTO-Mitglieder in den meisten Bereichen zügig darauf 5

Vgl. etwa Art. VI Abs. 4 GATS oder aber Art. IX Abs. 2 bzw. X Abs. 8 WTO-Übereinkommen. 6 Am 14. September 2003 endete in Cancffln (Mexico) ohne Verhandlungsergebnisse die fünfte WTO-Ministerkonferenz; vgl. WTO, Ministerial Statement, WT/ MIN(03)/20, angenommen am 14.09.2003. Hierzu näher Berrisch, RIW 2004, S. 69 ff.; einen Überblick über die bisherigen Ministerkonferenzen gibt Cho, JIEL 2004, S. 219 (221 ff.). 7 So Tietje, Die institutionelle Ordnung der WTO, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, A.III., Rn. 59. 8 Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (399).

B. Streitbeilegung im „Bezugsfeld des Politischen“

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verständigen konnten, auch weiterhin Entscheidungen im Konsensus-Verfahren herbeizuführen.

B. Streitbeilegung im „Bezugsfeld des Politischen“9 Wie der bereits mehrfach erwähnte Art. 3 Abs. 2 DSU zeigt, scheint das WTO-Recht auf den ersten Blick einem weiteren Grundsatz herkömmlicher Gewaltenteilung zu folgen, nämlich dem der unpolitischen und deduktiven Natur (richterlicher) Streitentscheidung. Hiernach ist es stets der politische Prozeß, welcher nach der ihm eigenen Logik von Macht- und Interessenausübung in das rationalisierende Verfahren der Rechtssetzung (Gesetzgebung) mündet und auf diese Weise Recht produziert, welches nachfolgend von der Rechtsprechung deduktiv auf den Einzelfall anzuwenden ist. Gerade weil aber die WTO aus organisatorischen, aber auch konzeptionellen Gründen nur äußerst begrenzt in der Lage ist, mittels Rechtsetzung den tatsächlichen und in ihrer Dynamik zum Teil unerwarteten Veränderungen der Weltwirtschaft zu begegnen, ist es inzwischen zu einer teilweisen Verlagerung von Entscheidungsprozessen gekommen. Auch solche Sachfragen, die wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung eigentlich einer Vertragsänderung und damit der politischen Entscheidung durch die WTO-Mitglieder bedürfen, werden von den Streitparteien vor die WTO-Streitbeilegungsorgane gebracht. Diese wiederum sind gehalten, eine Entscheidung herbeizuführen und sind nicht etwa befugt, eine solche wegen der politischen Brisanz, die bestimmten Begehren zugrunde liegt, abzulehnen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 sowie 17 Abs. 12 DSU)10. Die WTO-Streitbeilegungsorgane werden vermehrt also auch in Bereichen tätig, in denen es – zum Teil gerade bedingt durch das Manko an funktionstüchtigen Rechtsetzungsmechanismen – den Vorgaben des Rechts an Eindeutigkeit mangelt. Daß dabei durch die im einzelnen meist detailliert begründeten Streitbeilegungsberichte nach und nach eine aus Fällen destillierte Rechtssystematik entsteht, welche die einzelnen Übereinkommen nicht nur weiter erschließt, sondern zugleich auch ergänzt, ist nicht weiter verwunderlich und findet seine Legitimation letztlich in dem in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 DSU verankerten Ziel der „Schaffung von Sicherheit und Vorhersehbarkeit im multilateralen Handelssystem“11. 9 Nettesheim, Von der Verhandlungsdiplomatie zur internationalen Verfassungsordnung, S. 381 (395). 10 Ehlermann, JWT 36 (2002) Nr. 4, S. 605 (632); Davey, JIEL 2001, S. 79 (106); Pauwelyn, AJIL 2001, S. 535 (559); zum völkerrechtlichen Rechtsverweigerungsverbot (non liquet) allgemein Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 272 ff. 11 Van den Bossche, Appellate Review in WTO Dispute Settlement, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures: Issues & Lessons from the

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5. Teil: Ergebnisse

Gerade in diesem Kontext zeugt nicht zuletzt die zunehmende Bedeutung rechtlicher Prinzipien von dem Versuch, die legislatorische Schwäche der WTO zumindest teilweise zu kompensieren. Ist nämlich die WTO aus organisatorischen, aber auch konzeptionellen Gründen nur begrenzt in der Lage, für bestimmte Bereiche eine adäquate Regelungsdichte herzustellen, so drängt sich der Rückgriff auf (allgemeine) rechtliche Prinzipien im Rahmen der Konfliktentscheidung geradezu auf. Denn wie für andere Rechtsordnungen gilt auch – oder sogar gerade – für das WTO-Recht, daß reine Regelsysteme nicht oder nur ungenügend in der Lage sind, die den modernen gesellschaftlichen Gegebenheiten inhärente Dynamik auf adäquate Weise im Recht zu reflektieren. Um im Gefolge des Streitbeilegungsverfahrens dennoch über sämtliche Streitigkeiten entscheiden zu können, bedarf es neben den vertraglich normierten Regeln allgemeiner Prinzipien, die sich für spezifische Problemstellungen konkretisieren lassen und dabei unter Umständen über das Verhältnismäßigkeitsprinzip in Abwägung zu bringen sind mit weiteren, teilweise gegenläufigen Prinzipien. Nur auf diese Weise ist die dem WTO-Recht inhärente Dynamik, welche sich nicht nur durch eine stetig steigende Anzahl von vor den Streitbeilegungsorganen ausgetragenen Verfahren, sondern auch durch stets neue und vor allem komplexere Fragen auszeichnet, überhaupt noch handhabbar.

C. Prinzipienanwendung als „Gratwanderung“ Die dennoch bestehende Absicht der WTO-Mitglieder, durch gewisse vertragliche Vorgaben einer allzu couragierten bzw. dynamischen Streitbeilegungspraxis vorzubeugen, erklärt sich vor allem mit Blick auf die integrationsfördernde und durch richterliche Rechtsfortbildung geprägte Rechtsprechung des EuGH12. Letztere soll nach Ansicht der WTO-Mitglieder den Streitbeilegungsorganen gerade nicht als „Vorbild“ dienen13. Denn anders als das europäische Gemeinschaftsrecht (Art. 2 EUV; Art. 2 EGV) zielt das Welthandelsrecht weder ab auf eine Vertiefung der wirtschaftlichen und sozialen Integration, noch zeichnet es sich aus durch dessen ökonomische, politische und kulturelle Homogenität14. Nichtsdestotrotz zeigt die bisherige Practice of other International Courts and Tribunals, S. 305 (317 ff.); von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 264 (273 f.). 12 Dazu Knauff, JA 2002, S. 719 ff.; Lecheler, ZEuS 2003, S. 337 ff.; Bleckmann, NJW 1982, S. 1177 ff.; Kneubühler, Integration durch Rechtsprechung in der EG und der WTO, S. 30 ff. 13 Näher hierzu von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 264 (278 ff.); allgemein zum Verhältnis EuGH – DSB Rapp-Lücke, Das rechtliche Verhältnis zwischen dem Streitbeilegungsgremium der Welthandelsorganisation und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, passim.

C. Prinzipienanwendung als „Gratwanderung“

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Spruchpraxis, daß sich die WTO-Streitbeilegungsorgane durch diese Vorgaben keineswegs „fesseln“ lassen15. Zwar wird vor allem dem Appellate Body eine sorgfältige und eher zurückhaltende Entscheidungspraxis zugestanden, welche sich auch nach dessen eigenem Bekunden in Bezug auf die Interpretation der Vertragstexte stets stark am Wortlaut orientiere16. Dennoch ist offensichtlich, daß durch seine zumeist detailliert begründeten und insgesamt judiziell geprägten Berichte nach und nach ein Rechtskorpus entsteht, der sich faktisch als Fortentwicklung des WTO-Recht darstellt. Hierbei zeigt insbesondere der Prinzipienrückgriff, wie behutsam der Appellate Body von eben dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Während im Hinblick auf das materielle Recht relativ häufig Bezug genommen wird auf diejenigen welthandelsrechtlichen Prinzipien, welche in den einzelnen Übereinkommen – zumindest teilweise – Konkretisierung gefunden haben, ist der Appellate Body äußerst zurückhaltend, wenn es um die Einbeziehung allgemeiner völkerrechtlicher Prinzipien geht. Insbesondere die Ausführungen zum (völkerrechtlichen) Kooperationsprinzip im Fall US – Shrimp sowie die zum (umweltvölkerrechtlichen) Vorsorgeprinzip im Fall EC – Hormones machen deutlich, welche Behutsamkeit hierbei an den Tag gelegt wird, um auf diese Weise einer Dynamik vorzubeugen, die einer an Prinzipien orientierten Rechtsauslegung innewohnen kann17. Anders als beispielsweise die EG ist die WTO (derzeit) nämlich nicht bzw. nur sehr begrenzt in der Lage, richterliche Entscheidungen im Wege des politischen Prozesses im nachhinein zu korrigieren18. Seiner daraus resultierenden, be14 McNelis, JIEL 2001, S. 189 (205 f.); Krajewski, Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO), S. 49 ff.; zum Ganzen ausführlich Kneubühler, Integration durch Rechtsprechung in der EG und der WTO, S. 22 ff. und S. 50 ff. 15 So Benedek, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung: Kompetenzen und Rechtsordnung der WTO, in: Bothe (Hrsg.), Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 40, S. 283 (S. 309 f. und 391) mit Verweis auf den Bericht des Appellate Body im Fall EC – Asbestos und die dortigen Ausführungen zu den Beteiligungsrechten von NGOs im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens; vgl. dazu auch Ehlermann, World Trade Review 1 (2002) Nr. 3, S. 301 (302 f.); McCall Smith, World Trade Review 2 (2003) Nr. 1, S. 65 (87 ff.); Umbricht, JIEL 2001, S. 773 (776 f.); Kuijper, JWT 37 (2003) Nr. 6, S. 1031 (1032). 16 Ehlermann, JIEL 2003, S. 695 (699 f.); Weiler, JWT 35 (2001) Nr. 2, S. 191 (206 f.); vgl. außerdem bereits oben 3. Teil C. I. 1. b). 17 Vgl. dazu Uerpmann, JZ 2001, S. 565 (572). 18 Ehlermann, World Trade Review 1 (2002) Nr. 3, S. 301 (304 f.); McRae, JIEL 2004, S. 3 (13 f.); Kneubühler, Integration durch Rechtsprechung in der EG und der WTO, S. 53; von Bogdandy, Kritische Justiz 2001, S. 264 (279). Eine gewisse politische Einflußnahme auf judizielle Entscheidungen erfolgt immerhin durch die auf den Ministerkonferenzen verabschiedeten Erklärungen, also etwa die Abschlußerklä-

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5. Teil: Ergebnisse

sonderen Verantwortung scheint sich der Appellate Body ebenso bewußt zu sein wie der mehr und mehr im Bezugsfeld des Politischen stattfindenden WTO-Streitbeilegungspraxis. Dagegen erscheint die vergleichsweise häufige Prinzipienanwendung in verfahrensrechtlichen Fragen, für die die allgemeinen Vorschriften des DSU bzw. die sonstigen speziellen Verfahrensregeln keine ausreichenden Lösungen bereithalten, vor allem deshalb als weniger problematisch, weil dem Appellate Body jedenfalls in prozeduralen Angelegenheiten von den Vertragsparteien ohnehin eine gewisse Befugnis zur autonomen Rechtsetzung eingeräumt wurde19. Während die Verfahrensregeln für die Panels von den Vertragsparteien selbst ausgehandelt wurden (Anhang 3 zum DSU), ist der Appellate Body gem. Art. 17 Abs. 9 DSU ausdrücklich dazu ermächtigt, sich eigene Verfahrensregeln zu geben und diese bei Bedarf auch wieder abzuändern bzw. zu ergänzen20. Diese von den WTO-Mitgliedern delegierte Kompetenz würde in Bezug auf das Rechtsmittelverfahren in jedem Fall etwa die Aufnahme auch ausdrücklicher Regelungen zur Beweislast (burden of proof) gleichermaßen rechtfertigen wie solche, die beispielsweise nähere Angaben zu prozeßökonomischen Gesichtspunkten enthalten und mithin der Konkretisierung des Prinzips der judicial economy dienen würden.

D. Ausblick In seiner fortschreitenden Dynamik berührt das WTO-Recht mehr und mehr solche Bereiche, die nicht einer in erster Linie wirtschaftspolitisch motivierten, staatlichen Regulierung unterliegen. Gerade aber für diese Schnittstellen zwischen Handelsinteressen einerseits und anderen gesamtgesellschaftlichen Belangen, wie etwa dem Umwelt- oder Gesundheitsschutz, bieten die verschiedenen WTO-Übereinkommen häufig nur ungenügende rechtliche Maßstäbe. Will man hier zu sachangemessenen Lösungen gelangen, die nicht zu einer einseitigen Bevorzugung von Handelsinteressen führen, bedarf es auch zukünftig eines feinen Gespürs für die jeweils angemessene Entscheidung. Zu überzeugenden Ergebnissen im Rahmen der welthandelsrechtlichen Streitbeilegung wird es hier nur dann kommen können, rung von Doha zu TRIPS und Gesundheitsbelangen (WTO, Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health, WT/MIN(01)/DEC/W/2, vom 14.11.2001, para. 5). 19 Näher hierzu McCall Smith, World Trade Review 2 (2003) Nr. 1, S. 65 (67 und 80 ff.); siehe auch Umbricht, JIEL 2001, S. 773 (785). 20 Working Procedures for Appellate Review, WT/AB/WP/7, vom 01.05.2003; zur jüngsten Revision der AB Working Procedures siehe WTO-Dok. WT/AB/WP/ W/9 vom 07.10.2004.

D. Ausblick

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wenn die auftretenden Konflikte zwischen den Grundprinzipien des WTORechts und den außerhalb der WTO-Rechtsordnung stehenden Prinzipien und Wertentscheidungen im Einzelfall über Abwägungsentscheidungen aufgelöst werden, die letztlich am Ziel praktischer Konkordanz orientiert sind. Demgemäß werden die Appellate Body Member auch zukünftig – um auf Dworkin zurückzukommen – ihr „Bestmögliches tun“ und dadurch in einem kontinuierlichen Prozeß der Abwägung das Recht immerfort interpretierend und abwägend voranbringen21. Für das Streitbeilegungssystem der WTO gilt hier nichts anderes als für andere Systeme der Streitbeilegung auch.

21 Dworkin, Law’s Empire, S. 233 „Your assignment is to make the text the best it can be, and you will therefore choose the interpretation you believe makes the work more significant or otherwise better.“.

Verzeichnis der zitierten Spruchpraxis WTO Appellate Body Reports Argentina – Footwear Safeguards: Argentina – Safeguard Measures on Imports of Footwear, WT/DS121/AB/R, angenommen am 12. Januar 2000. Argentina – Textiles and Apparel: Argentina – Measures affecting Imports of Footwear, Textiles, Apparel and other Items, WT/DS56/AB/R, angenommen am 22. April 1998. Australia – Salmon: Australia – Measures affecting Importation of Salmon, WT/ DS18/AB/R, angenommen am 6. November 1998. Brazil – Aircraft: Brazil – Export Financing Programme for Aircraft, WT/DS46/ AB/R, angenommen am 20. August 1999. Brazil – Aircraft (21.5): Brazil – Export Financing Programme for Aircraft, Recourse by Canada to Article 21.5 of the DSU, WT/DS46/AB/RW, angenommen am 4. August 2000. Brazil – Desiccated Coconut: Brazil – Measures affecting Desiccated Coconut, WT/ DS22/AB/R, angenommen am 20. März 1997. Canada – Aircraft: Canada – Measures affecting the Export of Civilian Aircraft, WT/DS70/AB/R, angenommen am 20. August 1999. Canada – Aircraft (21.5): Canada – Measures affecting the Export of Civilian Aircraft, Recourse by Brazil to Article 21.5 of the DSU, WT/DS70/AB/RW, angenommen am 4. August 2000. Canada – Automotive Industry: Canada – Certain Measures affecting the Automotive Industry, WT/DS139, 142/AB/R, angenommen am 19. Juni 2000. Canada – Milk/Dairy: Canada – Measures affecting the Importation of Milk and the Exportation of Dairy Products, WT/DS103, 113/AB/R, angenommen am 27. Oktober 1999. Canada – Milk/Dairy (21.5): Canada – Measures affecting the Importation of Milk and the Exportation of Dairy Products, Recourse to Article 21.5 of the DSU by New Zealand and the United States, WT/DS103, 113/AB/RW, angenommen am 18. Dezember 2001. Canada – Milk/Dairy (21.5) (II): Canada – Measures affecting the Importation of Milk and the Exportation of Dairy Products, Second Recourse to Article 21.5 of the DSU by New Zealand and the United States, WT/DS103, 113/AB/RW2, angenommen am 17. Januar 2003.

Verzeichnis der zitierten Spruchpraxis

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Canada – Patent Term: Canada – Term of Patent Protection, WT/DS170/AB/R, angenommen am 12. Oktober 2000. Canada – Periodicals: Canada – Certain Measures concerning Periodicals, WT/ DS31/AB/R, angenommen am 30. Juli 1997. Canada – Wheat: Canada – Measures relating to Exports of Wheat and Treatment of Imported Grain, WT/DS276/AB/R, angenommen am 27. September 2004. Chile – Agricultural Products („Price Band“): Chile – Price Band System and Safeguard Measures relating to Certain Agricultural Products, WT/DS207/AB/R, angenommen am 23. Oktober 2002. Chile – Alcoholic Beverages: Chile – Taxes on Alcoholic Beverages, WT/DS87, 110/AB/R, angenommen am 12. Januar 2000. EC – Asbestos: European Communities – Measures affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, WT/DS135/AB/R, angenommen am 5. April 2001. EC – Bananas: European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, WT/DS27/AB/R, angenommen am 25. September 1997. EC – Bed Linen: European Communities – Anti-Dumping Duties on Imports of Cotton-Type Bed Linen from India, WT/DS141/AB/R, angenommen am 12. März 2001. EC – Bed Linen (21.5): European Communities – Anti-Dumping Duties on Imports of Cotton-Type Bed Linen from India, Recourse to Article 21.5 of the DSU by India, WT/DS141/AB/RW, angenommen am 24. April 2003. EC – Computer Equipment: European Communities – Customs Classification of certain Computer Equipment, WT/DS62, 67, 68/AB/R, angenommen am 22. Juni 1998. EC – Hormones: EC Measures concerning Meat and Meat Products (HORMONES), WT/DS26, 48/AB/R, angenommen am 13. Februar 1998. EC – Pipe Fittings: European Communities – Anti-Dumping Duties on Malleable Cast Iron Tube or Pipe Fittings from Brazil, WT/DS219/AB/R, angenommen am 18. August 2003. EC – Poultry: European Communities – Measures affecting the Importation of certain Poultry Products, WT/DS69/AB/R, angenommen am 23. Juli 1998. EC – Sardines: European Communities – Trade Description of Sardines, WT/ DS231/AB/R, angenommen am 23. Oktober 2002. EC – Tariff Preferences: European Communities – Conditions for the Granting of Tariff Preferences to Developing Countries, WT/DS246/AB/R, angenommen am 20. April 2004. Guatemala – Cement I: Guatemala – Anti-Dumping Investigation regarding Portland Cement from Mexico, WT/DS60/AB/R, angenommen am 25. November 1998. India – Autos: India – Measures affecting the Automotive Sector, WT/DS146, 175/ AB/R, angenommen am 5. April 2002.

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Verzeichnis der zitierten Spruchpraxis

India – Patents (US): India – Patent Protection for Pharmaceutical and Agricultural Chemical Products, WT/DS50/AB/R, angenommen am 16. Januar 1998. India – Quantitative Restrictions: India – Quantitative Restrictions on Imports of Agricultural, Textile and Industrial Products, WT/DS90/AB/R, angenommen am 22. September 1999. Japan – Agricultural Products: Japan – Measures affecting Agricultural Products, WT/DS76/AB/R, angenommen am 19. März 1999. Japan – Apples: Japan – Measures Affecting the Importation of Apples, WT/ DS245/AB/R, angenommen am 10. Dezember 2003. Japan – Alcoholic Beverages: Japan – Taxes on Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, angenommen am 1. November 1996. Korea – Alcoholic Beverages: Korea – Taxes on Alcoholic Beverages, WT/DS75, 84/AB/R, angenommen am 17. Februar 1999. Korea – Beef: Korea – Measures affecting Imports of fresh, chilled and frozen Beef, WT/DS161, 169/AB/R, angenommen am 10. Januar 2001. Korea – Dairy Safeguards: Korea – Definitive Safeguards Measure on Imports of Certain Dairy Products, WT/DS98/AB/R, angenommen am 12. Januar 2000. Mexico – HFCS (21.5): Mexico – Anti-Dumping Investigation of High Fructose Corn Syrup (HFCS) from the United States, Recourse to Article 21.5 of the DSU by the United States, WT/DS132/AB/RW, angenommen am 21. November 2001. Thailand – Steel: Thailand – Anti-Dumping Duties on Angles, Shapes and Sections of Iron or Non-Alloy Steel and H-Beams from Poland, WT/DS122/AB/R, angenommen am 5. April 2001. Turkey – Textiles: Turkey – Restrictions on Imports of Textile and Clothing Products, WT/DS34/AB/R, angenommen am 19. November 1999. US – 1916 Act: United States – Anti-Dumping Act of 1916, WT/DS136, 162/AB/R, angenommen am 26. September 2000. US – Certain EC Products: United States – Import Measures on certain Products from the European Communities WT/DS165/AB/R, angenommen am 10. Januar 2001. US – Cotton Underwear: United States – Restrictions on Imports of Cotton and Man-made Fibre Underwear, WT/DS24/AB/R, angenommen am 25. Februar 1997. US – Cotton Yarn: United States – Transitional Safeguards Measure on Combed Cotton Yarn from Pakistan, WT/DS192/AB/R, angenommen am 5. November 2001. US – CVDs on EC Products („Privatization Subsidies“): United States – Countervailing Measures concerning certain Products from the European Communities, WT/DS212/AB/R, angenommen am 8. Januar 2003.

Verzeichnis der zitierten Spruchpraxis

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US – Foreign Sales Corporations (FSCs): United States – Tax Treatment for „Foreign Sales Corporations“, WT/DS108/AB/R, angenommen am 20. März 2000. US – Foreign Sales Corporations (FSCs) (21.5): United States – Tax Treatment for „Foreign Sales Corporations“, Recourse to Article 21.5 of the DSU by the European Communities, WT/DS108/AB/RW, angenommen am 29. Januar 2002. US – Gasoline: United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT/DS2/AB/R, angenommen am 20. Mai 1996. US – German Steel CVDs: United States – Countervailing Duties on certain Corrosion Resistant Carbon Steel Flat Products from Germany, WT/DS213/AB/R, angenommen am 19. Dezember 2002. US – Japan Hot-Rolled Steel: United States – Anti-Dumping Measures on Certain Hot-Rolled Steel Products from Japan, WT/DS184/AB/R, angenommen am 23. August 2001. US – Lamb Safeguards: United States – Safeguards Measures on Imports of fresh, chilled or frozen Lamb Meat from New Zealand and Australia, WT/DS177, 178/AB/R, angenommen am 16. Mai 2001. US – Lead Bars: United States – Imposition of Countervailing Duties on certain Hot-Rolled Lead and Bismuth Carbon Steel Products originating in the United Kingdom, WT/DS138/AB/R, angenommen am 7. Juni 2000. US – Line Pipe Safeguards: United States – Definitive Safeguard Measures on Imports of Circular Welded Carbon Quality Line Pipe from Korea, WT/DS202/ AB/R, angenommen am 8. März 2002. US – Offset Act (Byrd Amendment): United States – Continued Dumping and Subsidy Offset Act of 2000, WT/DS217, 234/AB/R, angenommen am 27. Januar 2003. US – Section 211 (Havana Club): United States – Section 211 Omnibus Appropriations Act of 1998, WT/DS176/AB/R, angenommen am 1. Februar 2002. US – Shirts and Blouses: United States – Measure affecting Imports of Woven Wool Shirts and Blouses from India, WT/DS33/AB/R, angenommen am 23. Mai 1997. US – Shrimp: United States – Import Prohibition of certain Shrimp and Shrimp Products, WT/DS58/AB/R, angenommen am 6. November 1998. US – Shrimp (21.5): United States – Import Prohibition of certain Shrimp and Shrimp Products, Recourse to Article 21.5 of the DSU by Malaysia, WT/DS58/ AB/RW, angenommen am 21. November 2001. US – Steel Safeguards: United States – Definite Safeguard Measures on Imports of certain Steel Products, WT/DS248, 249, 251, 252, 253, 254, 258, 259/R, angenommen am 10. November 2003. US – Wheat Gluten: United States – Definitive Safeguards Measures on Imports of Wheat Gluten from the European Communities, WT/DS166/AB/R, angenommen am 19. Januar 2001.

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Verzeichnis der zitierten Spruchpraxis WTO Panel Reports

Argentina – Footwear Safeguards: Argentina – Safeguard Measures on Imports of Footwear, WT/DS121/AB/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 12. Januar 2000. Argentina – Poultry: Argentina – Definite Anti-Dumping Duties on Poultry from Brazil, WT/DS241/R, angenommen am 19. Mai 2003. Brazil – Aircraft: Brazil – Export Financing Programme for Aircraft, WT/DS46/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 20. August 1999. Brazil – Aircraft (21.5): Brazil – Export Financing Programme for Aircraft, Recourse by Canada to Article 21.5 of the DSU, WT/DS46/RW, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 4. August 2000. Brazil – Desiccated Coconut: Brazil – Measures affecting Desiccated Coconut, WT/ DS22/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 20. März 1997. Canada – Automotive Industry: Canada – Certain Measures affecting the Automotive Industry, WT/DS139, 142/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 19. Juni 2000. Canada – Milk/Dairy: Canada – Measures affecting the Importation of Milk and the Exportation of Dairy Products, WT/DS103, 113/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 27. Oktober 1999. Canada – Patent Term: Canada – Term of Patent Protection, WT/DS170/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 12. Oktober 2000. Canada – Periodicals: Canada – Certain Measures concerning Periodicals, WT/ DS31/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 30. Juli 1997. EC – Asbestos: European Communities – Measures affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, WT/DS135/AB/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 5. April 2001. EC – Bananas (Ecuador): European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Complaint by Ecuador, WT/DS27/R/ECU, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 25. September 1997. EC – Bananas (US): European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Complaint by the United States, WT/DS27/AB/R/ USA, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 25. September 1997. EC – Computer Equipment: European Communities – Customs Classification of certain Computer Equipment, WT/DS62, 67, 68/AB/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 22. Juni 1998.

Verzeichnis der zitierten Spruchpraxis

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EC – Hormones (Canada): EC Measures concerning Meat and Meat Products (HORMONES), Complaint by the United States, WT/DS48/R/CAN, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 13. Februar 1998. EC – Hormones (US): EC Measures concerning Meat and Meat Products (HORMONES), Complaint by the United States, WT/DS26/R/USA, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 13. Februar 1998. EC – Poultry: European Communities – Measures affecting the Importation of certain Poultry Products, WT/DS69/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 23. Juli 1998. EC – Sardines: European Communities – Trade Description of Sardines, WT/ DS231/AB/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 23. Oktober 2002. Guatemala – Cement I: Guatemala – Anti-Dumping Investigation regarding Portland Cement from Mexico, WT/DS60/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 25. November 1998. Guatemala – Cement II: Guatemala – Definitive Anti-Dumping Measures on Grey Portland Cement from Mexiko, WT/DS156/R, angenommen am 17. November 2000. India – Autos: India – Measures affecting the Automotive Sector, WT/DS146, 175/ AB/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 5. April 2002. India – Patents (EC): India – Patent Protection for Pharmaceutical and Agricultural Chemical Products, Complaint by the European Communities and their member States, WT/DS79/R, angenommen am 2. September 1998. India – Patents (US): India – Patent Protection for Pharmaceutical and Agricultural Chemical Products, WT/DS50/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 16. Januar 1998. India – Quantitative Restrictions: India – Quantitative Restrictions on Imports of Agricultural, Textile and Industrial Products, WT/DS90/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 22. September 1999. Indonesia – Automobiles: Indonesia – Certain Measures affecting the Automobile Industry, WT/DS54, 55, 59, 64/R, angenommen am 23. Juli 1998. Japan – Alcoholic Beverages: Japan – Taxes on Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 1. November 1996. Japan – Film: Japan – Measures Affecting Consumer Photographic Film and Paper, WT/DS44/R, angenommen am 22. April 1998. Korea – Beef: Korea – Measures affecting Imports of fresh, chilled and frozen Beef, WT/DS161, 169/AB/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 10. Januar 2001. Korea – Dairy Safeguards: Korea – Definitive Safeguards Measure on Imports of Certain Dairy Products, WT/DS98/AB/R, angenommen am 12. Januar 2000.

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Verzeichnis der zitierten Spruchpraxis

Korea – Government Procurement: Korea – Measures affecting Government Procurement, WT/DS163/R, angenommen am 19. Juni 2000. Turkey – Textiles: Turkey – Restrictions on Imports of Textile and Clothing Products, WT/DS34/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 19. November 1999. US – 1916 Act (EC): United States – Anti-Dumping Act of 1916, Complaint by the EC, WT/DS136/R, in der vom Appellate Body modifizierten Form am 26. September 2000. US – 1916 Act (Japan): United States – Anti-Dumping Act of 1916, Complaint by Japan, WT/DS162/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 26. September 2000. US – Certain EC Products: United States – Import Measures on certain Products from the European Communities WT/DS165/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 10. Januar 2001. US – Copyright Act: United States – Section 110(5) of the US Copyright Act, WT/ DS160/R, angenommen am 27. July 2000. US – Cotton Underwear: United States – Restrictions on Imports of Cotton and Man-made Fibre Underwear, WT/DS24/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 25. Februar 1997. US – Cotton Yarn: United States – Transitional Safeguards Measure on Combed Cotton Yarn from Pakistan, WT/DS192/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 5. November 2001. US – Japan Hot-rolled Steel AD Measures: United States – Anti-Dumping Measures on Certain Hot-Rolled Steel Products from Japan, WT/DS184/AB/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 23. August 2001. US – Lamb Safeguards: United States – Safeguards Measures on Imports of fresh, chilled or frozen Lamb Meat from New Zealand and Australia, WT/DS177, 178/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 16. Mai 2001. US – Lead Bars: United States – Imposition of Countervailing Duties on certain Hot-Rolled Lead and Bismuth Carbon Steel Products originating in the United Kingdom, WT/DS138/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 7. Juni 2000. US – Offset Act (Byrd Amendment): United States – Continued Dumping and Subsidy Offset Act of 2000, WT/DS217, 234/AB/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 27. Januar 2003. US – Section 211 (Havana Club): United States – Section 211 Omnibus Appropriations Act of 1998, WT/DS176/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 1. Februar 2002. US – Section 301: United States – Sections 301–310 of the Trade Act of 1974, WT/DS152/R, angenommen am 27. Januar 2000.

Verzeichnis der zitierten Spruchpraxis

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US – Shirts and Blouses: United States – Measure affecting Imports of Woven Wool Shirts and Blouses from India, WT/DS33/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 23. Mai 1997. US – Shrimp: United States – Import Prohibition of certain Shrimp and Shrimp Products, WT/DS58/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 6. November 1998. US – Steel Safeguards: United States – Definite Safeguard Measures on Imports of certain Steel Products, WT/DS248, 249, 251, 252, 253, 254, 258, 259/R, angenommen in der vom Appellate Body modifizierten Form am 10. Dezember 2003.

GATT 1947 Panel Reports Canada – FIRA: Canada – Administration of the Foreign Investment Review Act („FIRA“), GATT Panel Report, BISD 30S/140, angenommen am 7. Februar 1984. Canada – Herring and Salmon: Canada – Measures Affecting Exports of Unprocessed Herring and Salmon, GATT Panel Report, BISD 35S/98, angenommen am 22. März 1988. EEC – Restrictions on Imports of Apples (US): European Economic Community – Restrictions on Imports of Apples, Complaint by the United States, GATT Panel Report, BISD 36S/135, angenommen am 22. Juni 1989. EEC – Restrictions on Imports of Dessert Apples (Chile): European Economic Community – Restrictions on Imports of Dessert Apples, Complaint by Chile, GATT Panel Report, BISD 36S/93, angenommen am 22. Juni 1989. Japan – Certain Agricultural Products: Japan – Restrictions on Imports of Certain Agricultural Products, GATT Panel Report, BISD 35S/163, angenommen am 2. Februar 1988. Japan – Imported Wines and Alcoholic Beverages: Japan – Customs Duties, Taxes and Labelling Practices on Imported Wines and Alcoholic Beverages, GATT Panel Report, BISD 34S/83, angenommen am 10. Oktober 1987. Norway – Restrictions on Imports of Apples and Pears: Norway – Restrictions on Imports of Apples and Pears, GATT Panel Report, BISD 36S/306, angenommen am 22. Juni 1989. Republic of Korea – Imports of Beef (US): Republic of Korea – Restrictions on Imports of Beef, Complaint by the United States, GATT Panel Report, BISD 36S/ 268, angenommen am 7. November 1989. Thailand – Cigarettes: Thailand – Restrictions on Importation of and Internal Taxes on Cigarettes, GATT Panel Report, BISD 37S/200, angenommen am 7. November 1990. Treatment by Germany of Imports of Sardines: Treatment by Germany of Imports of Sardines, GATT Panel Report, BISD 1S/53, angenommen am 31. Oktober 1952.

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Verzeichnis der zitierten Spruchpraxis

United States Customs Users Fee: United States Customs Users Fee, GATT Panel Report, BISD 35S/245, angenommen am 2. Februar 1988. US – Alcoholic and Malt Beverages: United States – Measures Affecting Alcoholic and Malt Beverages, GATT Panel Report, BISD 39S/206, angenommen am 19. Juni 1992. US – Imports of Sugar from Nicaragua: United States – Imports of Sugar from Nicaragua, GATT Panel Report, BISD 31S/67, angenommen am 13. März 1984. US – Section 337 of the Tariff Act of 1930: United States – Section 337 of the Tariff Act of 1930, GATT Panel Report, BISD 36S/345, angenommen am 7. November 1989. US – Softwood Lumber from Canada: United States – Measures Affecting Imports of Softwood Lumber from Canada, GATT Panel Report, BISD 40S/358, angenommen am 27. Oktober 1993. US – Taxes on Petroleum (Superfund): United States – Taxes on Petroleum (Superfund), GATT Panel Report, BISD 34S/136, angenommen am 17. Juni 1987. US – Tuna/Dolphin I: United States – Restrictions on Imports of Tuna (Tuna/Dolphin I), GATT Panel Report vom 3. September 1991, BISD 39S/155, nicht angenommen. US – Tuna/Dolphin II: United States – Restrictions on Imports of Tuna (Tuna/Dolphin II), GATT Panel Report vom 16. Juni 1994, DS29/R, nicht angenommen.

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Stichwortverzeichnis Advisory Centre on WTO Law 224 Allgemeine Rechtsgrundsätze 56, 118 ff., 156, 165 ff., 301 ff., 349 ff. Allgemeiner Rat (General Council) 61, 62 ff., 75, 152, 166, 175, 236, 286, 288 ff., 353 amicus curiae briefs 238 f., 334 f. Analytical Index 235 f. Annual Report(s) 235 Antidumpingübereinkommen 42, 49 f., 96 f., 190 Appellate Body 22 f., 75, 84 f., 134 ff. – Berichte des 23, 143 ff., 153 f., 175, 286 f., 352 ff. – Berufungsgremium 139 – de novo-Entscheidung 140, 146, 340 – Empfehlungen und Feststellungen 85 ff., 143 – findings 85, 143 – notice of appeal 141 f. – Rechtsmittelführer (Appellant) 138, 141 – Rechtsmittelgegner (Appellee) 141 f. – remand authority 85, 139 f., 146 – Revisionsinstanz 139 f., 153 – Rotationsprinzip 136 f. – Sekretariat 137 – technique of completing the analysis 140, 146 – Verfahren vor dem 134 ff. – Verfahrensregeln (Working Procedures for Appellate Review) 74, 84, 135 ff., 332 ff. – Zusammensetzung 135 ff.

aquiescence 325 ff. Arbeitsteilung, internationale 27 ff., 209, 224 argument (Begründung) siehe Dispute Settlement Understanding (DSU) argumentum e contrario 161, 323 Atlantik-Charta 35 Auslegung 63, 68, 120, 134, 157 ff., 166 ff., 274 ff. – authentische 58, 62 f., 152, 166, 174 ff., 353 – clausula rebus sic stantibus 228, 324 – dynamische 171 f., 177, 277, 353 – effet utile 188, 198, 274 ff., 349 – ergänzende Auslegungsmittel 182 ff. – evolutive 171 f., 353 – exceptio strictissimae est interpretationis 185 f. – menschenrechtskonforme 120 – souveränitätsschonende siehe in dubio mitius – Treu und Glauben 118, 120, 129, 169, 197, 268, 312 ff. – Vermutung der Konfliktfreiheit (presumption against conflict) 187 f. Außenhandelstheorie 29 Bananenstreit 201, 255, 342 f. begrenzte Einzelermächtigung 254 Beitritt zur WTO siehe WTO-Beitritt berechtigtes Interesse siehe legal interest Berner Übereinkunft 100 Berufungsinstanz siehe Appellate Body

Stichwortverzeichnis Beweislast (burden of proof) 129, 165, 226, 344 ff., 358 Billigkeit siehe equity Biodiversitätskonvention 163, 180, 297 f., 305 BISD (Basic Instruments and Selected Documents) 235 Blair-House-Abkommen 47 bona fides siehe Prinzipien, Treu und Glauben Bretton Woods-Konferenz 35 Bretton Woods-System 53 burden of proof siehe Beweislast Cartagena-Protokoll siehe Biodiversitätskonvention chapeau 200 f., 218, 247, 263, 267 ff., 296 ff., 316, 320 checks and balances 284 civil society siehe Zivilgesellschaft claim (Rechtsbegehren) siehe Dispute Settlement Understanding (DSU) clausula rebus sic stantibus 228, 324 clinical isolation 58, 157 Codex Alimentarius(-Kommission) 162, 232, 307, 323 Common Law 114, 149, 241, 325 ff., 345, 350 covered agreements 74, 139, 147 ff., 158, 160 Deutschland 51, 54, 249, 250 ff., 279 Dienstleistungen siehe auch GATS 26, 31, 43, 44, 46, 48, 63, 97 ff., 204, 207, 292 Dienstleistungshandel 46, 63, 90, 97 ff., 191, 209, 219 Diskriminierung siehe auch Inländerbehandlung/Meistbegünstigung 24, 94, 131, 199 ff., 224, 247, 267, 298 – de facto 206 – de jure 206 Dispute Settlement Body (DSB) 23, 63, 75 f., 81, 83, 84, 85 ff., 134 ff.,

419

141 ff., 151 ff., 160, 216, 230, 270, 286, 353 Dispute Settlement Understanding (DSU) 50, 70, 74 ff., 147 f., 235, 238, 294, 313, 332 ff. – Ablauf des Streitbeilegungsverfahrens 78 ff. – Anwendungsbereich 147 f. – Appellate Body siehe Appellate Body – argument 82 – Aussetzung von Zugeständnissen 75, 87, 269 ff. – Beteiligung Dritter am Verfahren 79, 137 f., 142, 333 – claim 82, 160, 338 – forum shopping 73, 75 – Gute Dienste 80 – judicial economy siehe Prinzipien, Verfahrensökonomie – Klagebefugnis (standing) 161, 342 ff., 350 – Kompensationen 85 ff. – Konsultationen 72, 80 f., 238 – negativer (umgekehrter) Konsens (negative consensus) 76, 81, 84, 85, 87, 135, 143, 152, 286 f. – Organe der Streitbeilegung 61, 75, 134 ff. – Panel 40, 71 ff., 75, 81 ff., 149 ff. – Rechtssicherheit siehe auch Prinzipien 23, 194, 225, 234 – Reform des DSU 245 – retaliation 87 – richterliche Zurückhaltung siehe judicial self-restraint – Sanktionen 87, 269 ff. – Sicherheit und Vorhersehbarkeit 134 f., 154, 182, 197, 234, 247, 355 – Sonderregeln für Entwicklungsländer 222 ff. – spezielle Verfahrensregeln 74 f. – Transparenz 235, 238

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Stichwortverzeichnis

– Umsetzung empfohlener Maßnahmen 75, 80, 85 ff. – Uruguay-Runde und Reform der Streitbeilegung 73 ff. – Verfahrensfristen 77 ff., 138, 144, 224 – Vergleich 80 – Vermittlung 80 – Vertretung durch Anwälte 79, 142 – Zunichtemachung/Schmälerung von Vorteilen (nullification or impairment of benefits) 72, 78, 216, 347 Doha-Runde 354 – Doha Development Agenda (DDA) 125 – Entwicklung 219 – Ministererklärung von Doha 62, 125, 130 ff., 219 f. DSU siehe Dispute Settlement Understanding due process (of law) 118, 129 f., 197, 237, 238, 247, 333 ff., 340, 350 Dumping 246, 314 ff. Dunkel-Draft 47, 261 Dworkin, Ronald 103 ff. ECOSOC (Economic and Social Council) 54 Eden-Vertrag 33 effet utile (ut res magis valeat quam pereat) 188, 198, 274 ff., 349 EG 45, 47, 48, 67, 79, 163, 179, 201 f., 243, 253 ff., 284, 293, 303 ff., 322 f., 350, 357 enabling clause 42, 223 Entscheidungsfindung siehe WTOÜbereinkommen Entwicklung und Handel 219 ff. – Advisory Centre on WTO Law 224 – Ausschuß für Handel und Entwicklung 64 – Doha-Runde 219 – enabling clause 42, 223 – Entwicklungsland, Definition 220

– – – –

Entwicklungsvölkerrecht 221 infant industry 222 Präferenzsysteme 33, 222 ff. Solidarität siehe auch Prinzipien, Vorzugsbehandlung weniger entwikkelter Staaten – special and differential treatment 42, 46, 132 f., 215, 219 ff. – UNCTAD 220 – Vorzugsbehandlung siehe auch Prinzipien – waiver 68, 92, 96, 162 Entwicklungsländer 96, 131, 182, 215, 219 ff., 288 equity 118, 325 ff. Erklärung von Punta del Este 44 f. escape clause 95 estoppel 118, 197, 325 ff., 332 ex aequo et bono 326 Exportbeschränkungen, freiwillige 43 Fairneß (prozedurale) 133, 247 ff., 333 ff. Faktorproportionentheorem 29 Fallrecht (case law) 150 FAO (Food and Agricultural Organization) 274, 323 force majeure 118 free riding 205, 216 Freihandel 26 ff., 224, 268 Freihandelszone 96, 205 Friendly Relations Declaration 117, 291 GATS siehe auch Dienstleistungen 50, 63 f., 97 ff., 148, 190 f. GATT 1947 21, 36 ff., 51, 71 ff., 91 ff. – als Provisorium 36 ff. – Entstehungsgeschichte 32 ff. – GATT à la carte 42 – GATT-Rat 40, 63 f., 149 – Geburtsfehler 38 ff., 43, 70, 71 ff.

Stichwortverzeichnis – grandfather clause 37, 52, 92 – Handelsrunden 39, 41 ff., 48, 214 ff., 354 – Havanna-Charta 34 ff., 37 f., 53 f., 138, 223 – ICITO (Interim Commission for the International Trade Organization) 39, 52 – Mitgliedschaft 38, 42 – Organisationsstruktur 38 ff. – Panel 40, 71 ff., 149 ff. – Präambel 27, 93 – Protokoll über die vorläufige Anwendung (Protocol of Provisional Application) 37, 52, 92 – Sekretariat 39, 41, 52 – Streitbeilegung 40, 43, 61, 71 ff., 149 ff. – Unterorgane (Fachausschüsse, Arbeitsgruppen, etc.) 40 – Verhältnis zum GATT 1994 51 ff., 91 f. GATT 1994 49, 51 ff., 91 ff. – Arten von Handelshemmnissen 36, 41, 93 ff. – Ausnahmen 95 f., 185 ff., 200 f., 205, 210 – Bestandteile des 91 ff. – Einführender Text (Introductory Note) 52, 92, 151 – GATT-Rat 40, 63 f., 149 – Inländerbehandlung siehe auch Prinzipien 126 ff., 195, 207 ff., 222 – Meistbegünstigung siehe auch Prinzipien 126 ff., 195, 201 ff., 222 – Präambel 94, 217 – Verhältnis zum GATT 1947 51 ff., 91 f. – waiver 68, 92, 96, 162 GATT-acquis 150 f. Gegenseitigkeit siehe auch Prinzipien 126 ff., 132, 195, 199, 212 ff., 222, 224, 263

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geistige Eigentumsrechte siehe auch TRIPS 43 f., 48, 100 ff., 191 f., 210 f., 246, 260 Generaldirektor 39, 52, 62, 65 f., 135, 142, 287 gentechnisch veränderte Organismen (GMOs) 305, 312 gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen siehe auch SPS-Übereinkommen 96, 132, 245, 260 ff., 282, 296, 304, 306 ff., 358 Gewaltenteilung siehe auch Prinzipien 197, 241, 283 ff., 353, 355 gewohnheitsrechtliche Praktiken 52, 154 f. gleichartiges Produkt (like product) 173, 202, 204, 208 Globalisierung 227, 234, 293 good faith siehe auch Prinzipien, Treu und Glauben 118, 197, 268, 312 ff., 349 GPA siehe öffentliches Beschaffungswesen, Übereinkommen über 91, 246 grandfather rights 37, 52, 92 Grauzonenmaßnahmen (grey-area measures) 43 Handelshemmnisse 36, 41, 44, 48, 50, 93 ff., 294 f., 307 – Arten 93 ff. – nichttarifäre 93 ff. – tarifäre 93 ff. Handelsliberalisierung, fortlaufende: siehe auch Prinzipien/Zielsetzungen 29 ff., 32 ff., 44, 48, 94, 99, 126 ff., 191, 195, 198, 199 ff., 202 ff., 216, 222, 278 Handelsrunde(n) 41 f., 214 ff. – Annecy 41 – Dillon-Handelsrunde 41 – Doha 354 – Genf 41 – Kennedy-Handelsrunde 41

422

Stichwortverzeichnis

– Tokio-Handelsrunde 41 ff. – Torquay 41 – Uruguay-Handelsrunde 41, 44 ff. Hanse 32, 207, 209 hard law 121, 221 harmonisiertes System 179 Havanna, Konferenz von 39 Havanna-Charta 34 ff., 37 f., 53 f., 138, 223 Heckscher-Ohlin-Theorem 29 höhere Gewalt siehe force majeure Hume, David 30 ICITO (Interim Commission of the International Trade Organization) 39, 52 IGH 59, 151, 154, 172, 310, 320, 326, 340, 343 – Bezugnahme des Appellate Body auf die Spruchpraxis des 172, 180, 232, 340, 350 – IGH-Statut 116 ff., 147, 155 ff. in dubio mitius 185, 232 f., 349 in dubio pro libertate 186 Industrialisierung 33 f. infant industry 222 Inländer(gleich)behandlung 126 ff., 195, 207 ff., 222 Innenrecht 58 – Geschäfts- und Verfahrensordnungen 58 – internes Dienstrecht 58 institutionelles Gleichgewicht (institutional balance) siehe auch Gewaltenteilung 197, 284, 288 International Bovine Meat Agreement (IMA) 42, 51, 91, 130 International Dairy Agreement (IDA) 42, 51, 91 International Law Association (ILA) 121 f., 221, 291 International Law Commission (ILC) 203, 276

Internationale Handelsorganisation (International Trade Organization, ITO) 34 ff., 36 ff., 38 ff., 53, 61 Internationale Organisation, Begriff der 38 Internationaler Gerichtshof (IGH) siehe IGH Internationaler Währungsfonds (IWF) 35, 53, 58, 61, 67, 274, 288 Introductory Note (Einführender Text zum GATT 1994) 52, 92, 151 Investitionen 43, 44, 46, 48, 61, 96, 97 iura novit curia 350 Judicial economy siehe Verfahrensökonomie judicial (self-)restraint 339 Klagebefugnis (standing) 161, 342 ff., 350 Kollision, Begriff der 187 – von Normen 108 f., 187, 188 ff. – von Prinzipien 108 f., 116 Kollisionsregeln, allgemeine 188 ff. komparative Kostenvorteile siehe Theorie der komparativen Kostenvorteile Konfliktfreiheit, Vermutung der 187 f. Konsensprinzip (positive consensus) 66 ff., 88, 102, 123, 176, 354 f. Konstitutionalisierung 102, 129 f., 189, 244 ff., 259 f., 285 – der Welthandelsordnung 102, 129 f., 189, 244 ff., 285 – des Völkerrechts 129, 259 f. Konsultationen 72, 74, 80 f., 238, 313 f. Kontrolldichte (standard of review) 83, 160 Kooperation siehe auch Prinzipien 54, 58, 63, 117, 129, 196, 229, 243, 274, 290 ff., 315 f., 351, 354, 357

Stichwortverzeichnis Koordination, Völkerrecht als Recht der 55, 102, 115, 228 f., 243, 259, 291, 294 Landwirtschaft 43, 44, 50, 96 f., 189 Landwirtschaftsübereinkommen 50, 96 f., 189 legal interest siehe Klagebefugnis level playing field 31, 94 lex posterior 109, 118, 188 ff. lex specialis 97, 109, 118, 188 ff. lex superior 109 like product siehe gleichartiges Produkt Listen der Zollzugeständnisse 94, 182, 194, 217 locus standi siehe Klagebefugnis Lückenfüllung 105, 111 f., 120, 123 f., 349, 351 Markenrechte 101, 210 Marktzugang 47, 95, 98 Marrakesch-Protokoll 52 MEA siehe multilaterale Umweltübereinkommen Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik siehe TPRM Meistbegünstigung siehe auch Prinzipien 126 ff., 195, 201 ff., 222 mengenmäßige Beschränkungen 41, 95, 201, 262, 288 Menschenrechte und Welthandel 164, 176 Merkantilismus 33 f. Methuen-Vertrag 33 Mill, John Stuart 30 f. ministerielle Erklärungen und Entscheidungen 57, 62, 148 Ministerkonferenz(en) 46, 51, 56, 62, 354 – als Organ 62 – Cancffln 62, 354 – Doha 62, 219 – Genf 62 – Seattle 62

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– Singapur 58, 61, 62 MTO (Multilateral Trade Organization) 45 multilaterale Übereinkommen 49, 74, 90, 91, 96, 163, 189, 290 ff. multilaterale Umweltübereinkommen 163, 175, 176 ff., 191 ff., 292 ff., 294 ff., 300 f., 304 ff. Multilateralismus 89, 129, 196, 294 Nachhaltige Entwicklung siehe auch Prinzipien und Zielsetzungen 129, 131, 171 f., 196, 198 Nachtwächterstaat 30 Nationalökonomie, Klassiker der 30, 34 natural justice 333 ff. necessity test 264 ff. negativer Konsens (negative consensus) 76, 81, 84, 85, 87, 135, 143, 152, 286 f. Nichtdiskriminierung siehe auch Inländerbehandlung, Meistbegünstigung u. Prinzipien 126 ff., 131, 195, 199 ff., 224, 348 f. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) 236 f., 238 f., 357 Nichtrückwirkung (non-retroactivity) siehe auch Prinzipien 161, 184, 329 ff., 349 nichttarifäre Handelshemmnisse siehe auch Handelshemmnisse 93 ff. Nichtverletzungsbeschwerde (non-violation complaint) 78 f., 84, 320, 324, 329, 347 non liquet 120, 355 non-retroactivity siehe Nichtrückwirkung non-violation complaint siehe Nichtverletzungsbeschwerde Normenkollision 109, 187, 188 ff. Obiter dictum 149, 319 öffentliches Beschaffungswesen, Übereinkommen über 91, 148, 246

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Stichwortverzeichnis

Oilseeds Agreement 163, 301 Organ zur Überprüfung der Handelspolitik siehe TPRB Organe der WTO 58, 61 ff. – Allgemeiner Rat (General Council) 61, 62 ff., 75, 152, 166, 175, 236, 286, 288 ff., 353 – Ausschüsse (Committees) und Arbeitsgruppen (Working Parties/Working Groups) 61, 64 f., 174 – GATS-Rat 63, 64, 98 – GATT-Rat 40, 63 f., 149 – Generaldirektor 65 f. – Ministerkonferenz 62 – Organ zur Überprüfung der Handelspolitik siehe TPRB – Sekretariat 61, 65 f., 82, 125, 137, 141, 235, 287 – Streitbeilegungsorgane 61, 75, 134 ff. – TRIPS-Rat 64 OTC (Organization for Trade Cooperation) 39 Pacta sunt servanda siehe auch Prinzipien 118, 184, 321 ff. pacta tertiis 178, 180 Panel 40, 71 ff., 75, 81 ff., 149 ff. – Abschlußbericht (final report) 84 – Auswahlliste der Panelisten (roster) 82 – Berichte der GATT-Panel 149 ff. – Berichte der WTO-Panel 151 ff. – Berichtsentwurf (draft report) 93 f. – Kontrolldichte (standard of review) 83, 160 – Mandat des Panel (terms of reference) 82 f., 147, 159 f., 335 – multiple complaints 337 – Sachverhaltsermittlung (objective assessment of the facts) 83, 151, 335 f. – Verfahrensregeln (Working Procedures) 83, 336 f.

– Vertragsauslegung 138, 139, 153, 161, 166 ff. – Zusammensetzung 81 f. – Zwischenbericht (interim report) 84 plurilaterale Übereinkommen 49, 50 f., 74, 91, 148 Popularklage (actio popularis) 343 Positivismus 104 ff. power-oriented approach 88, 89, 128, 239, 280 Präferenzsysteme 33, 219 ff. Präjudizien(recht) 325, 148 ff. Präzedenzwirkung, faktische 148 ff., 154 precautionary principle siehe Vorsorgeprinzip presumption against conflict siehe Konfliktfreiheit, Vermutung der prima facie-Beweis 323, 346 f. Primärrecht 56 ff., 90 ff., 147 f. principle-oriented approach 128 Prinzip(ien) – Abgrenzung zu Rechtsregeln 107 ff., 130 – Abrenzung zu Zielsetzungen 110 f., 130 – Abwägung 108 ff., 115 f., 248 ff., 300, 356, 359 – audiatur et altera pars 334 – Bedeutung für die WTO-Spruchpraxis 195 ff., 348 ff. – begrenzten Einzelermächtigung, Prinzip der 254 – Begriff 103 ff. – common heritage of mankind, Prinzip des 196 – due process (of law), Prinzip des 197, 247, 333 ff., 350 – Effektivitätsprinzip (effet utile) 188, 198, 274 ff., 349 – Einheitsabkommens, Prinzip des siehe auch single undertaking/ package 45, 75, 90, 173, 190, 225 – equitable use, Prinzip des 301

Stichwortverzeichnis – equity, Prinzipien der 118, 325 ff. – estoppel-Prinzip 197, 325 ff., 332 – fairen Handels, Prinzip des 128, 196 – Fairneß, Prinzip der 129, 133, 197, 247, 334, 339 – friedlichen Streitbeilegung, Prinzip der 117, 127, 197 f., 294 – Funktionen von 111 ff., 119 ff., 123 ff. – Gegenseitigkeitsprinzip 126 ff., 132, 195, 199, 212 ff., 222, 224, 263 – geringsten Verzerrung (least distortion), Prinzip der 127, 195 – Gewaltenteilung, Prinzip der 197, 241, 283 ff. – globalen Gerechtigkeit, Prinzip der 128, 197, 220 – Handelsliberalisierung 126 ff. – Inländer(gleich)behandlungsprinzip 126 ff., 195, 207 ff., 222 – institutionellen Gleichgewichts, Prinzip des 197, 284, 288 – Kollisionsverhalten von 108 f., 116 – Kooperationsprinzip 117, 129, 196, 290 ff., 315 f., 351, 357 – Meistbegünstigungsprinzip 126 ff., 195, 201 ff., 222 – Multilateralismus, Prinzip des 129, 196 – nachhaltigen Entwicklung (sustainable development), Prinzip der 129, 131, 171 f., 196, 198 – nemo judex in sua causa 332 ff. – Nichtdiskriminierungsprinzip 126 ff., 131, 195, 199 ff., 224, 348 f. – Nichtrückwirkungsprinzip 161, 184, 329 ff., 349 – Offenheit der Märkte, Prinzip der 127, 128, 195 – Optimierungsgebot 108, 116 – pacta sunt servanda, Prinzip des 118, 184, 321 ff.

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– polluter pays principle, Prinzip des 300 – principle-oriented approach 128 – prozedurale Grundsätze 118, 332 ff., 350 – Prozeßökonomie, Prinzip der siehe Verfahrensökonomie – Rechtsmißbrauchsverbots, Prinzip des 118, 129, 268, 319 ff., 332 – Rechtssicherheit, Prinzip der 197, 241, 247 – Rechtsstaatlichkeit, Prinzip der 129 f., 196, 239 ff., 250 – Regel- und Prinzipienlehre 23, 103 ff., 123, 127 – res judicata 340 ff., 350 – Reziprozitätsprinzip siehe Gegenseitigkeit – rule of law, Prinzip der 129, 196 f., 239 ff. – Schutz legitimer Erwartungen, Prinzip des 197 f., 217 f., 329 f. – Solidaritätsprinzip 127, 197, 219, 221 – (wirtschaftlichen) Souveränität, Prinzip der 127, 128, 132, 182, 196, 199, 227 ff., 262, 280, 311, 347 – special and differential treatment, Prinzip des 42, 46, 126 ff., 132 f., 215, 219 ff. – Staatenverantwortlichkeit, Prinzip der 118, 127, 196 – Subsidiaritätsprinzip 196, 254, 257, 279 ff. – Transparenzprinzip 45, 98, 127, 128, 130, 132, 196 ff., 199, 233 ff., 247, 348 – Treu und Glauben (good faith), Prinzip von 118, 197, 268, 312 ff., 349 – Umweltschutzes, Prinzip des 196 – unverfälschten Wettbewerbs (undistorted competition), Prinzip des 196 – Ursprung von 113 f., 116 ff., 130 ff.

426

Stichwortverzeichnis

– venire contra factum proprium 118, 327 – Verfahrensgerechtigkeit 333 f., 336 – Verfahrensökonomie, Prinzip der 161, 198, 337 ff., 350, 358 – Verhältnismäßigkeitsprinzip 109, 126 ff., 197, 241, 247, 248 ff., 356 – Vertragstreue, Prinzip der siehe pacta sunt servanda – Vertrauensschutzes, Prinzip des 241, 329 f. – Vorhersehbarkeit, Prinzip der 197, 247, 297 – Vorzugsbehandlung weniger entwikkelter Staaten (Solidarität), Prinzip der 127, 197, 219, 126 ff. – WTO-externe 24, 129, 273 ff. – WTO-interne 129, 199 ff. Protektionismus 31, 32 ff., 41, 43, 46 f., 94 f., 102, 212, 267 prozedurale Grundsätze 118, 332 ff., 350 Prozeßökonomie siehe Verfahrensökonomie Ratio decidendi 149 Rechtsmißbrauch, Verbot des (abus de droit) 118, 129, 268, 319 ff., 332 Rechtsmittelinstanz siehe Appellate Body Rechtsordnung 26 ff. – Begriff 54 f. – der WTO 54 ff. – des Völkerrechts 55 f. Rechtspersönlichkeit der WTO siehe auch WTO als Internationale Organisation 53, 60 Rechtsprinzipien siehe Prinzipien Rechtsquellen (WTO) 147 ff. – Inkorporation von Regeln anderer Internationaler Organisationen 162 f. – Systematik der 147 ff. – Verhältnis zum allgemeinen Völkerrecht 155 ff.

Rechtssicherheit 23, 194, 197, 225, 234, 241, 244 Rechtsstaatlichkeit siehe auch Prinzipien 126 ff., 196, 239 ff., 248 Reformbedarf der WTO 77, 146, 236 f., 245, 355 ff. Regel(n) 22 ff., 103 ff. – als Normkategorie 104 ff. – Definition 107 ff. – Grundnorm 105, 113 – hard cases 111 – Kollisionsverhalten von 109 – open texture-Situationen 105, 111 – rule of recognition 105, 113 – test of pedigree 105, 113 – und Prinzipien 107 ff., 130 – Wenn-Dann-Struktur 110 Regelorientierung siehe rule-oriented approach Regel- und Prinzipiendiskussion 23, 103 ff., 123, 127 Regionalisierung 47 remand authority siehe Appellate Body Repressalie 59, 257 res judicata 340 ff., 350 Retorsion 72 f., 257 Revisionsinstanz siehe Appellate Body Reziprozität siehe Gegenseitigkeit Ricardo, David 27 ff., 34 rule of law 129, 196 f., 239 ff. rule-oriented approach 90, 128, 239, 244 Schlussakte von Marrakesch 47 f., 49 ff., 92 Schutzmaßnahmen, Übereinkommen über 50, 95 f., 102, 190, 230, 237 ff., 270 ff., 277 f. Seattle 62 Sekundärrecht 39, 56 ff., 72, 150, 179, 284, 286, 354 self-contained regime 59, 158

Stichwortverzeichnis single package siehe auch Prinzipien 45, 75, 90, 173, 190, 225 situation complaint siehe Situationsbeschwerde Situationsbeschwerde 78 f. Smith, Adam 27 ff., 34 Smoot-Hawley Tariff Act 34 soft law 121 Souveränität siehe auch Prinzipien 33, 55, 65, 67, 117, 185, 212, 227 ff., 243, 257, 274, 279, 281, 311, 352 f., 354 special and differential treatment siehe Entwicklung und Handel SPS-Übereinkommen siehe auch gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen 50, 96, 162, 164, 189, 232, 260 ff., 306 ff. standard of review siehe Kontrolldichte stare decisis 148 ff. Steuern 95, 207, 231 StIGH 120, 154, 343 Streitbeilegung siehe Dispute Settlement Understanding (DSU) Subsidiarität siehe auch Prinzipien 196, 254, 257, 279 ff. Subvention(en) 33, 41, 44, 47, 173, 210, 313, 317 Subventionsübereinkommen (SCM) 50, 96, 184, 188, 206, 328, 331 sustainable development siehe nachhaltige Entwicklung Tariffs only-Maxime 94 TBT-Übereinkommen siehe auch technische Standards 50, 96, 162, 189, 307 f., 323 technische Standards siehe auch TBTÜbereinkommen 41, 93, 261, 307, 322 ff. Textilien 42, 43, 44, 46, 97, 270 f., 288

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Textilübereinkommen 50, 96, 218 Theorem der absoluten Kostenvorteile 27 ff. Theorie der komparativen Kostenvorteile 27 ff. Tokio-Kodizes 42, 44, 46, 73, 97, 307 TPRB (Trade Policy Review Body) 63, 71 TPRM (Trade Policy Review Mechanism) 50, 60, 70 f., 74, 90, 148, 235 TPRM-Übereinkommen 50, 60, 71, 148 Transparenz 42, 45, 233 ff., 322 f. – demokratische Legitimation 236 f. – externe 236, 239 – interne 236 – Prinzip der siehe Prinzipien – TPRM 71 – und Streitbeilegung 235, 238, 245, 339 Treu und Glauben siehe auch Prinzipien 118, 197, 268, 312 ff., 349 TRIMS(-Übereinkommen) siehe auch Investitionen 50 TRIPS-Übereinkommen siehe auch geistige Eigentumsrechte 50, 64, 100 ff., 132, 148, 162, 191 f., 209 ff., 246, 260 Trittbrettfahrer siehe free riding Umgekehrter Konsens (reverse consensus) siehe negativer Konsens Umkehrschluß siehe argumentum e contrario Umweltschutz 163 f., 171 f., 176 ff., 192 f., 290 ff. – Ausschuss für Handel und Umwelt 64 – Kooperationsprinzip siehe Prinzipien – multilaterale Umweltübereinkommen 163, 175, 176 ff., 191 ff., 292 ff., 294 ff., 300 f., 304 ff.

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Stichwortverzeichnis

– Präambel WTO-Übereinkommen 171 – sustainable development siehe nachhaltige Entwicklung – und Welthandel 171 f., 281, 300 f., 358 – unilaterale Umweltschutzmaßnahmen 294 ff. – Zielsetzung des 131, 262 UN-Charta 54, 121, 192, 221, 257, 259, 291, 313 UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) 220 unilaterale Maßnahmen 89, 294 ff. UNITAR (United Nations Institute for Training and Research) 121 UNO siehe Vereinte Nationen Urheberrecht 100 f. Ursprungsregeln, Übereinkommen über 50, 96 Uruguay-Runde 41, 44 ff., 56 f., 73, 88 – Abschluß 47 f., 56 – Blair-House-Abkommen 47 – Dunkel-Draft 47 – Ergebnisse 21, 23, 48 ff. – Erklärung von Punta del Este 44 – Eröffnung 44 ff. – Reform der Streitbeilegung 73 ff. – Verhandlungsmaximen 45 f. – Verhandlungsverlauf 44 ff. – Vorgeschichte 38 ff., 41 Utrechter Commerzien-Traktat 33 Venire contra factum proprium 118, 327 Vereinte Nationen 35, 39, 40, 54, 117, 212, 168, 179, 203, 220, 274 Verfahrensökonomie siehe auch Prinzipien 161, 198, 337 ff., 350, 358 Vergaberecht siehe öffentliches Beschaffungswesen

Verhältnismäßigkeit siehe auch Prinzipien 109, 126 ff., 197, 241, 247, 248 ff., 356 – Art. XX GATT 262 ff. – Begriff 250 f. – chapeau 267 ff. – equilibrium 268 f. – europarechtliche Ausgestaltung 253 ff. – least trade restrictive test 265 – Methode der Abwägung 248 – necessity test 264 ff. – Prüfschritte 251, 255 – völkerrechtliche Ausgestaltung 257 ff. – weighing and balancing 266 f., 269 – WTO-Recht 260 ff. Verletzungsbeschwerde 78, 345 Vertragsauslegung siehe Auslegung Vertrauensschutz 241, 329 f. violation complaint siehe Verletzungsbeschwerde Völkerbund 34, 203 Völkerrecht 55 ff., 115 ff., 155 ff., 176 ff., 184 ff., 290 ff., 301 ff. – allgemeine Rechtsgrundsätze 56 f., 116 ff., 165, 301 ff. – als Rechtsordnung 55 f. – Entscheidungen internationaler Gerichte/Schiedsgerichte 154, 156, 165 f., 121, 243, 340 – Gewohnheitsrecht 56 f., 116 ff., 164 f., 301 ff. – ius cogens 158, 186 – Kooperationsrecht 55, 229, 290 ff., 354, 357 – Koordinationsrecht 55, 102, 228 f., 259, 291, 294 – Lehrmeinungen 156, 165 f. – Rechtsquellen 56 f., 116 ff., 155 ff. – soft law 121 voluntary export restraints (VER) siehe Exportbeschränkungen, freiwillige Vorhersehbarkeit 297, 355

Stichwortverzeichnis Vorrangklauseln 189 ff. Vorsorgeprinzip (precautionary principle) siehe auch Prinzipien 24, 164, 196, 301, 302 ff., 351, 357 Vorversandkontrolle, Übereinkommen über 50, 96, 132 Waffengleichheit 118 waiver 68, 92, 96, 162 Weltbank 35, 53, 61, 67, 274 Welthandelsordnung 23, 27 ff., 155, 222 – als Mehrebenensystem 54 ff. – Verfassungsfunktion der WTO 102, 129 f., 244 ff., 285 Weltwirtschaft 35, 41, 54, 93, 121 f., 355 – Außenwirtschaftstheorie 27 ff. – mittelalterliche 32 Weltwirtschaftskrise 34 Wiener Vertragskonvention siehe WVK WIPO (World Intellectual Property Organization) 43, 274 Working Procedures for Appellate Review siehe Appellate Body WTO – als Verfassung der Weltwirtschaft 102, 129 f., 244 ff., 285 – Aufgaben der 60 f. – demokratische Legitimation 244 – Forumfunktion 60 – im Mehrebenensystem 54 ff. – institutionelle Lähmung 69 f., 123, 353 ff. – institutionelles Gleichgewicht (institutional balance) siehe auch Gewaltenteilung 197, 284, 288 – Internationale Organisation 53 f. – member-driven organization 65, 286 – Organisationsstruktur 61 ff. – Rechtsordnung 54 ff. – Reformbestrebungen 77, 146, 236 f., 245, 355 ff.

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– Sitz(abkommen) 54 – und andere Internationale Organisationen 53 f., 60 f., 162 f. – und IWF 53, 60 f., 274, 288 – und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) 236 f., 238 f., 357 – und Vereinte Nationen 54, 179, 274 – und Weltbank 35, 53, 60 f., 67, 274 – völkerrechtliche Teilrechtsordnung 56 ff. WTO-Beitritt 51, 68 f., 92, 174, 215 WTO-Gründung 43 ff. – Inkrafttreten der WTO-Übereinkommen 51 – Ministerkonferenz in Marrakesch 47 ff. WTO-Mitgliedschaft 51, 68 WTO-Sekretariat 61, 65 f., 125, 137, 141, 235, 287 – Generaldirektor 65 f., 287 – Hauptaufgaben 65 f., 82, 125, 235 WTO-Übereinkommen 22 f., 48 ff., 51 ff., 56 ff., 60 ff., 90 ff., 131 ff. – Beschlussfassung/Entscheidungsfindung 66 ff., 76, 102, 112, 134, 153 f., 161, 236 – einfache Mehrheit 66 ff. – informelle Entscheidungsverfahren 236 f. – Inkrafttreten 51 – institutioneller Rahmen 48, 90 f. – Präambel 26 f., 131, 171, 173, 182, 198, 200, 214, 217, 219 f., 224, 294 – Praxis der Konsensfindung 66 ff. – qualifizierte Mehrheit 66 ff. – single package 45, 75, 90, 173, 190, 225 – Umfang 21 f. – Verfassungsqualität 189 – Vertragsänderung 57, 62, 66 f., 123, 175 f. WVK 157 ff., 168 ff., 184 ff., 274 ff., 301, 313, 322, 324, 330

430

Stichwortverzeichnis

– allgemeine Auslegungsregeln 168 ff. – Art. 31 ff. 157 ff. Zahlungsbilanzbezogene Handelsmaßnahmen siehe auch Zahlungsbilanzen 96, 226 f., 288 ff. Zielsetzungen 22, 93, 110 ff., 115, 130, 181, 198 – Abgrenzung zu Rechtsprinzipien 108, 110 f. – Erhöhung des Lebensstandards 26, 131 – (fortschreitende) Handelsliberalisierung 198 – friedliche Streitbeilegung 198 – nachhaltige Entwicklung (sustainable development) 131, 198

– Sicherung der Vollbeschäftigung 26, 131 – Umweltschutz 131, 262 – und Spruchpraxis des Appellate Body 198 Zivilgesellschaft (civil society) 234, 236 Zivilluftfahrzeugen, Übereinkommen über den Handel mit 42, 50, 91, 148 Zölle 31, 32 f., 93 ff., 216 ff. zollgleiche Abgaben 93, 95, 208, 212 Zollisten 94, 182, 194, 217 Zollsenkungen 37 f., 52, 94 Zollunion 96, 205 Zwei-Länder-Zwei-Güter-Modell 27