Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter: Mit einem Ausblick auf das 20. Jahrhundert und einem Beitrag über religiöse Intoleranz im nichtchristlichen Bereich 9783412308131, 3412047929, 3412033928, 9783412033927


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German Pages [320] Year 1993

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Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter: Mit einem Ausblick auf das 20. Jahrhundert und einem Beitrag über religiöse Intoleranz im nichtchristlichen Bereich
 9783412308131, 3412047929, 3412033928, 9783412033927

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BAYREUTHER HISTORISCHE KOLLOQUIEN Herausgegeben von Adolf M. Birke, Franz Bosbach, Rudolf Endres, Uta Lindgren, Jörg A. Schlumberger und Peter Segl Band 7

Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter Mit einem Ausblick auf das 20. Jahrhundert und einem Beitrag über religiöse Intoleranz im nichtchristlichen Bereich

Herausgegeben von PETER SEGL

@ 1993

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter : mit einem Ausblick auf das 20. Jahrhundert und einem Beitrag über religiöse Intoleranz im nichtchristlichen Bereich / hrsg. von Peter Segl. - Köln ; Weimar ; Wien : Böhlau, 1993 (Bayreuther Historische Kolloquien ; Bd. 7) ISBN 3-412-04792-9 N E : Segl, Peter [Hrsg.]; Bayreuther Historisches Kolloqium: Bayreuther Historische Kolloquien © 1993 by Böhlau Verlag G m b H & Cie, Köln Alle Rechte vorbehalten Satz und Druck: Richarz Publikations-Service G m b H , St. Augustin Printed in Germany ISBN 3-412-03392-8

INHALT

Vorwort

VII

Peter Segl Einrichtung und Wirkungsweise der inquisitio baereticae pravitatis im mittelalterlichen Europa. Zur Einführung

1

Winfried Trusen Von den Anfängen des Inquisitionsprozesses zum Verfahren bei der inquisitio baereticae pravitatis

39

Lothar Kolmer ... ad terrorem multorum. Frankreich

77

Die Anfänge der Inquisition in

Helmut G. Walther Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik in der Lombardei und im Kirchenstaat 1184 - 1252

103

Dietrich Kurze Anfänge der Inquisition in Deutschland

131

Ludwig Vones Krone und Inquisition. Das aragonesische Königtum und die Anfänge der kirchlichen Ketzerverfolgung in den Ländern der Krone Aragon

195

Alexander Patschovsky Uber die politische Bedeutung von Häresie und Häresieverfolgung im mittelalterlichen Böhmen

235

Hans-Eberhard Hilpert Die Insel der Gläubigen? Über die verspätete Ankunft der Inquisition im regnum Angliae

253

Ulrich Berner Toleranz und Intoleranz in den nichtchristlichen Religionen

269

.

VI

Inhalt

Bernhard Schimmelpfennig Des Großen Bruders Großmutter. Die christliche Inquisition als Vorläuferin des modernen Totalitarismus

285

Amalie Fößel Diskussionsbericht

297

DieAutoren

312

VORWORT

Im Jahr der 450. Wiederkehr des Jahrestages der Errichtung der Römischen Inquisition widmete die Facheinheit Geschichte der Universität Bayreuth ihr jährlich stattfindendes wissenschaftliches Symposium am 29./30. Mai 1992 den Anfängen der Ketzerinquisition im mittelalterlichen Europa, womit der turnusgemäß mit der Organisation dieses VIII. Bayreuther Historischen Kolloquiums betraute Mittelalterhistoriker einen seit mehreren Jahren verfolgten Plan realisieren konnte. Ermöglicht wurde die Veranstaltung dank der finanziellen Unterstützung durch den Bayreuther Universitätsverein, dessen Vorsitzendem, Herrn Landgerichtspräsident a. D. Dr. Erwin Bender, dafür herzlichst gedankt sei, ebenso auch seiner »rechten Hand«, Herrn Dr. Karl-Friedrich Kühner. Der Universität Bayreuth und ihrem Präsidenten, Herrn Professor Dr. Helmut Büttner, ist für vielfältige Förderung im ideellen und im organisatorischen Bereich sowie für einen Zuschuß zu den Druckkosten des Tagungsbandes geziemend zu danken. Die Drucklegung hat wie immer der Böhlau-Verlag in bewährter Manier übernommen, wofür besonders der ab jetzt unsere Reihe betreuenden Lektorin, Frau Julia Kunisch, für die gute Zusammenarbeit Dank gesagt sei. Der größte Dank gilt den Referenten, die bereitwillig auf meine Themenvorschläge eingingen und ihre Vorträge meist binnen weniger Monate druckfertig machten, in einigen Fällen auch immer drängender werdendes Mahnen mit großer Geduld ertrugen und schließlich das Erscheinen des Bandes in der vorliegenden Form möglich gemacht haben. Herzlich danke ich auch den Mitarbeitern meines Lehrstuhles, die mir bei der Organisation und Durchführung des Kolloquiums sowie bei der Druckvorbereitung hilfreich zur Seite gestanden haben: Herrn stud. phil. Jörg Herzog und Frau Dr. Anette Hettinger danke ich für ihr Engagement bei der Organisation und der Referentenbetreuung, ebenso auch Frau Renate Fröhlich, die zudem die Texterfassung besorgte, und ganz besonders großen Dank schulde ich meiner Assistentin, Frau Dr. Amalie Fößel, die mir nicht nur bei der

VIII

Vorwort

Vorbereitung und Durchführung der Tagung eine unentbehrliche Stütze gewesen ist, sondern die auch den Diskussionsbericht erstellt und die redaktionellen Mühen mit mir geteilt hat. Uberschattet worden ist das Kolloquium durch die wenige Tage vor seinem Beginn auftretende schwere Erkrankung von Professor Dr. Hans-Eberhard Hilpert, die ihm die Reise nach Bayreuth unmöglich machte, und der er am 31.8.1992, dreiundvierzigjährig, erlegen ist. Sein für das Bayreuther Kolloquium verfaßter Beitrag, der vom Herausgeber verlesen und von den Teilnehmern diskutiert worden ist, stellt die letzte wissenschaftliche Veröffentlichung von Hans-Eberhard Hilpert dar. Seinem Andenken ist dieser Band gewidmet. Bayreuth, im Sommer 1993

Peter Segl

EINRICHTUNG UND WIRKUNGSWEISE DER INQUISITIO HAERETICAE PRAVITATIS IM MITTELALTERLICHEN EUROPA. ZUR EINFÜHRUNG V o n P e t e r Segl

Mit kaum einem anderen Wort kann man so rasch und so erfolgreich all die bekannten und noch immer weit verbreiteten Klischees vom »finsteren Mittelalter«1 geradezu schlagartig heraufbeschwören wie mit dem Wort »Inquisition«2. Assoziationen an brennende Scheiterhaufen, psychische und physische Foltern, brutalen Terror sowie kirchliche Herrschaftsansprüche nicht nur im politischen, sondern auch im geistigen und wissenschaftlichen Bereich stellen sich ein, unwillkürlich sieht man beim Klang des Wortes »Inquisition« plötzlich El Grecos »Großinquisitor«3 vor

' Klaus A r n o l d , Das „finstere" Mittelalter. Zur Genese und Phänomenologie eines Fehlurteils, Saeculum 32 (1981) S. 287-300, über die „Scheiterhaufen der Inquisition" S. 287; grundlegend bleibt Lucie V a r g a , Das Schlagwort vom „finsteren" Mittelalter (Veröffentlichungen des Seminars für Wirtschafts- und Kulturgeschichte an der Universität Wien 8, 1932). Vgl. auch Edward B u r m a n , The Inquisition. The Hammer of Heresy (1984) bes. S. 9f. und Jeffrey Burton R ü s s e l , Dissent and Order in the Middle Ages. The Search for Legitimate Authority (1992) bes. S. 55. 2 Mit spitzen Klammern wird das Wort »Inquisition« im folgenden immer dann versehen, wenn es die mittelalterliche inquisitio haereticae pravitatis bezeichnen soll. Ein Literaturüberblick ist in dieser Einführung nicht beabsichtigt, allein schon die Masse des bei Emil van der V e k e n e , Bibliotheca bibliographica historiae sanctae inquisitionis. Bibliographisches Verzeichnis des gedruckten Schrifttums zur Geschichte und Literatur der Inquisition, 2 Bde. (1982-1983) ließe ein solches Unterfangen illusorisch erscheinen. Als wegekundiger Führer durch das Dickicht der Literatur erweist sich Giovanni G ö n n e t , Recent European historiography on the medieval Inquisition, in: Gustav H e n n i n g s e n - John T e d e s c h i (Hgg.), The Inquisition in early modern Europe. Studies on sources and methods (1986) S. 199-223. 3 Seit Manuel Bartholome Cossio, El Greco, 2 Bde. (1908) den von dem Maler porträtierten Geistlichen als Kardinal Fernando Nifio de Guevara identifiziert und die Frage aufgeworfen hatte, ob das Bild anläßlich von dessen Ernennung zum Großinquisitor (Amtszeit: 1599-1601) entstanden sein könnte, hat dieses Gemälde die Phantasie von Künstlern, Schriftstellern und Kunsthistorikern angeregt und immer

2

Peter Segl

sich, man denkt an Giordano Bruno 4 und Galileo Galilei 5 oder an die vielen tausend grausam gemarterten und als »Hexen« verbrannten Frauen - und als Urheberin all dieser Verbrechen und Greuel stellt man sich eine Behördenmaschinerie nach Art des sowjetischen K G B , des Reichssicherheitshauptamtes der Nazis oder der in unseren Tagen zu trauriger Berühmtheit gelangten »Stasi« vor. Dabei merkt man meist gar nicht (- oder man bemerkt es erst ziemlich spät -), daß man sich mit seinen Gedanken bereits weit aus dem Mittelalter hinaus bewegt hat und sehr rasch in der Frühen Neuzeit oder gar in der Gegenwart angelangt ist. So viel die Neuzeit und unsere Gegenwart von den Repressionsmethoden der mittelalterlichen Ketzerverfolgung auch gelernt haben mögen, und so viel »Inquisition« im Mittelalter mit Verfolgung und Eliminierung Andersdenkender und Anderslebenwollender auch zu tun hat, als einen Behördenapparat oder ein von R o m zentral gelenktes wieder neue Interpretationen erfahren; vgl. dazu etwa Michael S c h o l z - H ä n s e l , Die spanische Inquisition als Richtstelle und Thema der Kunst, in: Titus H e y d e n r e i c h Peter B l u m e n t h a l (Hgg.), Glaubensprozesse - Prozesse des Glaubens? Religiöse Minderheiten zwischen Toleranz und Inquisition (Erlanger Romanistische Dokumente und Arbeiten 1, 1989) S. 123-141, der S. 134 in dem von El Greco Dargestellten „nicht den obersten Kirchenkontrolleur, sondern den Musenfreund" Kardinal Bernardo de Sandoval y Rojas sieht, während d e r s . , El Greco. Der Großinquisitor. Neues Licht auf die Schwarze Legende (Fischer Taschenbuch 10128, 1991) S. 68 vorschlägt, „die Identifizierung mit Sandoval y Rojas endgültig aufzugeben" und das Bild wieder als Porträt des Kardinals N i n o de Guevara anzusprechen. Die einst im Archiv des Heiligen Offiziums befindlichen ursprünglichen Aufzeichnungen zu dem römischen Inquisitionsverfahren gegen den Dominikaner Giordano Bruno (1593-1600) müssen als verloren gelten. Erhalten hat sich jedoch im Vatikanischen Archiv eine 1597 angefertigte Zusammenfassung des Prozesses gegen Bruno (Archivio Segreto Vaticano, Misc., Arm. X , 205), die 1940 von dem damaligen Präfekten Angelo Mercati entdeckt und mustergültig ediert worden ist: Angelo Μ e r c a t i, Ii Sommario del processo di Giordano Bruno. C o n appendice di documenti sull'eresia e l'Inquisizione a Modena nel secolo X V I (Studi e Testi 101, 1942). 4

Wichtige Aktenstücke des Galilei-Prozesses haben sich im Bestand Miscellanea Armadi (Arm. X , 204) des Archivio Segreto Vaticano, im Bestand Acta et Documenta E E des Archivio della S. Congregazione per la Dottrina della Fede sowie in anderen Archiven erhalten und sind von Sergio Μ. Ρ a g a η ο (Hg.), I documenti del processo di Galileo Galilei (Collectanea Archivi Vaticani 21, 1984) zugänglich gemacht worden. Zu der im Jahre 1992 wieder besonders lebhaft geführten Diskussion um eine »Rehabilitation« Galileis vgl. Walter B r a n d m ü l l e r - Egon Johannes G r e ί ρ 1 (Hgg.), Copernico, Galilei e la Chiesa. Fine della controversia (1820). Gli atti del Sant'Uffizio (1992). 5

3

Zur Einführung

und straff organisiertes »Amt« zur Bekämpfung von Dissidenten 6 darf man sich die mittelalterliche »Inquisition« jedoch nicht vorstellen. Ein solches »Amt« ist erst am 21. Juli 1542 von Papst Paul III. mit der durch die Konstitution Licet ab initio erfolgten Errichtung eines für die gesamte Christenheit zuständigen obersten päpstlichen Inquisitionstribunals in Rom geschaffen worden 7 , dessen Organisation als Congregatio sanctae Inquisitionis haereticae pravitatis unter Sixtus V. im Jahre 1587 (Immensa aeterni Dei vom 22. Januar) ihren Abschluß gefunden hat. Uber die Zwischenstufe der Congregatio Sancti Officii ist dieses »Amt« der institutionelle Vorläufer der durch ein Motu Proprio Pauls VI. vom 7. Dezember 1965 eingerichteten Sacra Congregatio pro Doctrina Fidei, der Glaubenskongregation, die unter ihrem derzeitigen Präfekten Joseph Kardinal Ratzinger ihren Auftrag nicht mehr „vorwiegend im Uberwachen" sieht, sondern darin, „die gesunde Lehre voranzutreiben, um den Verkündigern des Evangeliums neue Energien zu geben" 8 . Das Mittelalter kannte das »Heilige Offizium« bzw. die »Kongregation der Römischen und Universalen Inquisition« noch nicht, weshalb man überspitzt und dadurch leicht mißverständlich formulieren konnte, daß es „the Inquisition" im Mittelalter eigentlich gar nicht gegeben habe 9 . Wenn es »die Inquisition« als zentrale kirchliche Behörde zur Ketzerverfolgung im Mittelalter auch tatsächlich nicht gegeben hat,

6

Der Begriff Dissidenten begegnet als Bezeichnung für „die Anderen" bereits in der

für die Ketzerbekämpfung richtungweisenden Dekretale ist über den Kanon

Excommunicamus

Ad abolendam

von 1184 und

des Laterankonzils von 1215 weiter verbreitet

worden; vgl. unten Anm. 34 und Anm. 53. 7

Dazu und zum folgenden vgl. Niccolo d e l R e , La Curia Romana. Lineamenti

storico-giuridici. Terza edizione nuovamente rifatta ed aggiornata (Sussidi eruditi 23, 1970) S. 89-101, 505-509, 522-525, 533-543 sowie den Abschnitt „Sacra Congregatio Romanae et Universalis Inquisitionis" bei Leonard E. B o y l e , A Survey of the Vatican Archives and of its Medieval Holdings (Subsidia Mediaevalia 1, 1972) S. 85f. 8

Joseph Kardinal R a t z i n g e r , Zur Lage des Glaubens. Ein Gespräch mit Vittorio

Messori (1985) S. 19f. 9

Richard K i e c k h e f e r , Repression of heresy in medieval Germany (1979) S. 1 -10;

zur Kritik an den zahlreichen Fehlern im Detail und den auf zu schmaler Quellenbasis getroffenen Verallgemeinerungen in diesem Buch vgl. die kritische Besprechung in M I Ö G 89 (1981) S. 370f. Im Anschluß an Kieckhefer bemüht sich auch Edward P e t e r s , Inquisition (1988) S. 105-121 um eine Überwindung von „the myth of The Inquisition".

4

Peter Segl

so gab es doch seit dem 13. Jahrhundert das negotium inquisitionis10, die „Sache" bzw. das „Geschäft der Inquisition", sowie das „Amt der Inquisition" ( o f f i c i u m inquisitionis)n als kirchliche Aufgabe der Ketzerbekämpfung, schon unter Papst Gregor IX. auch als inquisitio hereticorum12 bezeichnet, der jeder Bischof sowie die vom Papst oder einem Bischof dazu bevollmächtigten inquisitores hereticorum 10

In einem Schreiben Gregors IX. vom 21. August 1235 an den dilecto filio priori provinciali ordinis fratrum predicatomm in regno Franciae begegnet das inquisitionis negotium bzw. negotium inquisitionis gleich doppelt: P o t t h a s t 9993; Druck u.a. bei Paul F r e d e r i c q (Hg.), Corpus documentorum inquisitionis haereticae pravitatis Neerlandicae 1 (1889) Nr. 100, S. lOOf. Die Wortgeschichte von negotium inquisitionis und dessen Zusammenhang mit dem bei Peter von Vaux-Cernay, Hystoria Albigensis, hg.v. Pascal G u e b i n und Ernest L y o n , 3 Bde. (1926-1939) §67, 74, 596 passim wiederholt erscheinenden negotium pads et fidei, zu dessen Wahrnehmung Innocenz III. die südfranzösischen Bischöfe, die von ihm mit der Ketzerbekämpfung betrauten Cistercienser-Äbte und seine eigenen Legaten immer wieder ermahnte, und zu dessen Ausführung neben Predigt und Belehrung auch gewaltsames Vorgehen gegen Häretiker und ihre Protektoren gehörte, verdiente eine eigene Untersuchung, in der auch die Predigttätigkeit des Dominikus in Südfrankreich berücksichtigt werden müßte; wertvolle Hinweise dazu schon bei Marie-Humbert V i c a i r e , Geschichte des heiligen Dominikus 1 (1962) bes. S. 10f., 87f., 339 und d e r s . , L'elargissement universel de la predication de saint Dominique en Languedoc (1206-1217), in: Saint Dominique en Languedoc (Cahiers de Fanjeaux 1, 1966) S. 133-158 sowie d e r s . , «L'affaire de paix et de foi» du Midi de la France, in: Paix de Dieu et guerre sainte en Languedoc aux XIII e siecle (Cahiers de Fanjeaux 4, 1969) S. 102-127. Aufschlußreich auch die von Gregor IX. am 20. April 1233 ( P o t t h a s t 9153) benützte Formulierung negotium fidei contra hereticos (Druck bei Thomas R i p o l l (Hg.), Bullarium Ordinis FF. Praedicatorum 1 (1729) Nr.71, S.47), die auch erscheint bei Wilhelm P e l h i s s o n , Chronicon, hg.v. Charles M o l i n i e r (1880) S. 13; weitere Belege ließen sich beibringen, doch kommt es auch bei diesem negotium wie bei allen anderen in diesem Abschnitt der Einführung erwähnten Begriffen nicht auf Vollständigkeit, sondern lediglich auf den Nachweis ihres Vorhandenseins an. Über die Verknüpfung von pax, fides und Ketzerbekämpfung hat sich 1246 das Konzil von Beziers so geäußert: cum tempore pacts fides liberius valeat praedicari et inquisitio contra haereticos fieri et sacramenta ecclesiastica ministrari, tranquillitatipacis congaudentes, statuimus...., M a n s i 23, Sp.695. 11 Die Formulierung offidum inquisitionis bzw. inquisitionis offidum begegnet nicht nur in den Briefen Gregors IX. (- so etwa am 16. November 1234; Druck bei Lucien A u v r a y , Les Registres de Gregoire IX, Bd.l (1896) Nr.2218, Sp.1193 -), sondern auch in den von Kardinal Thomas von Capua (gest. 1239) zusammengestellten Forme Romane curie super casibus penitentie, hg.v. Henry Charles L e a, A Formulary of the Papal Penitentiary in the thirteenth Century (1892) N r . 36 u. N r . 37, S. 53f. 12 So etwa in einem Brief vom 10. April 1236, in dem auch von super inquirendo hereiice pravitatis vitio in villa Caritatehsi inquisitores deputati a nobis die Rede ist; Druck: A u v r a y 3106.

Zur Einführung b z w . inquisitores

heretice

pravitatis13

5

von Amts wegen

nachzugehen

hatten. S p ä t e s t e n s seit P a p s t I n n o c e n z I V . läßt sich d i e F u n k t i o n s b e z e i c h n u n g officium

inquisitionis

a u c h als » A m t « i m S i n n e v o n

f o l g u n g s b e h ö r d e v e r s t e h e n , d e n n in s e i n e r B u l l e Ad

1 5 . 5 . 1 2 5 2 w i r d n i c h t n u r die E i n r i c h t u n g v o n in i h r e r setzung

alle s e c h s

Monate

wechselnden

Ketzerver-

extirpanda

vom

Zusammen-

Ketzeraufspürkommandos

angeordnet, s o n d e r n a u c h die A b u r t e i l u n g der v o n diesen

officiates

gefangengesetzten K e t z e r u n d K e t z e r i n n e n d u r c h den jeweiligen D i ö z e s a n b i s c h o f , d e s s e n V e r t r e t e r ( v i c a r i u s ) o d e r v o m P a p s t bestellte inquisitores

haereticorum

b z w . inquisitores

haeretice

pravitatis

geregelt14.

W i e effizient s o l c h e » I n q u i s i t i o n s ä m t e r « ( o f f i c i a inquisitionis)

im Ver-

laufe des M i t t e l a l t e r s g e r a d e in Italien o d e r in S ü d f r a n k r e i c h die i h n e n als A u f g a b e z u g e w i e s e n e destructio

heretice

pravitatis15

z u erledigen

Im Jahre 1243 schicken die in Narbonne zusammen mit anderen Prälaten zur Synode versammelten Erzbischöfe von Narbonne, Arles und Aix den dilectis fidelibus in Christo filiis ordinis Praedicatorum fratribus inquisitoribus haereticorum Richtlinien für das Vorgehen gegen Ketzer, M a n s i 23, Sp.355-366; besserer Text bei Kurt-Victor S e l g e (Hg.), Texte zur Inquisition (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 4, 1967) S. 60-69, dort auch die nötigen Literaturangaben. Ein Jahr später ist im sog. Ordo processus Narbonensis von inquisitores heretice pravitatis die Rede; Druck bei S e l g e , Texte S. 70-76, die Zitate S. 71 und S. 73. 13

Beide Bezeichnungen erscheinen in Ad extirpanda synonym. Druck bei M a n s i 23, Sp.569-575. 15 In einer vermutlich 1491 in Rom für Juan d'Astorga, Bischof von Medina und Gesandter Spaniens beim Heiligen Stuhl, sehr sorgfältig geschriebenen und mit schöner Titelminiatur und kunstvollen Verzierungen geschmückten Zusammenstellung inquisitionsrelevanter Materialien (Papsturkunden, Consilia, Formulare, Inquisition gegen Juden und Antiketzertraktate), die heute unter der Signatur II 63 im Archivium generale Ordinis Praedicatorum (AGOP) in Rom verwahrt wird, findet sich, eingeschoben in die Formulare, eine kleine Abhandlung De auctoritate et forma inquisitionis (S. 93-100), in der auch der Endzweck (finis) der Ketzerinquisition umschrieben ist: Finis autem officii est destructio heretice pravitatis, que destrui non potest, nisi destruantur heretici (AGOP II 63, S. 93). Für die Erlaubnis zur Benützung der Handschrift und zur Anfertigung eines Mikrofilmes schulde ich dem Archivar des Ordens, Rev. P. Guiglielmo Esposito OP, großen Dank. Die gleiche Formulierung destructio heretice pravitatis begegnet unter der Überschrift Collectio et explicatio eorum, que pertinet ad officium inquisitionis auch in Ms. 1730, fol.209 rI1 der Biblioteca Casanatense (Rom), der ich ebenfalls für die Überlassung eines Mikrofilmes zu danken habe. Beide Handschriften sind beschrieben worden von Gottfried O p i t z , Über zwei Codices zum Inquisitionsprozess. Cod. Cas. 1730 und Cod. des Archivio Generalizio dei Domenicani II 63, Q F I A B 28 (1937/38) S. 75-106. 14

6

Peter Segl

verstanden, ließe sich etwa an den in Bologna 1 6 , Ferrara 1 7 , Modena 18 , Carcassonne 1 9 oder Toulouse 20 errichteten »Amtern« besonders gut

16 Lorenzo P a o l i n i , II „De officio inquisitionis". La procedura inquisitoriale a Bologna e a Ferrara nel Trecento (1976); Acta S. Officii Bononie ab anno 1291 usque ad annum 1310, hg.v. Lorenzo P a o l i n i und Raniero O r i o l i , 3 Bde. (Fonti per la storia d'Italia 106, 1984). 17 Wie für Bologna kennen wir auch für Ferrara eines der »Amtsbücher« der dortigen Inquisitoren: Die Handschrift Vat. lat. 5092 der Biblioteca Apostolica Vaticana enthält auf dem alten Schlußblatt (nach fol.42) den Besitzvermerk: Iste liber est officii Ferrarie, während sich auf dem zweiten der alten Vorsatzblätter (fol.II recto) der Eintrag findet: Iste liber est officii inquisitoris ferrariensis, quem ego magister Thomas de ferraria Inquisitor habui a predecessore meo magistro Antonio de Alexandria. 1462. Uber die mittelalterlichen »Inquisitorenhandbücher« vgl. Antoine D o n d a i n e , Le manuel de l'inquisiteur (1230-1330), Archivum Fratrum Praedicatorum 17 (1947) S. 85-194; dort S. 167-170 auch Beschreibung des Kodex Vat. lat. 5092 sowie die Identifizierung der beiden Inquisitoren (S. 167 Anm. 92).

Albani B i o n d i , Lunga durata e microarticolazione nel territorio di un Ufficio dell'Inquisizione: il «Sacro Tribunale» a Modena (1292-1785), Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento 8 (1982; ersch. 1984) S. 73-90. 19 Abschriften von Prozeßakten aus dem Archiv des 1237 in Carcassonne errichteten Tribunals haben sich in den Bänden 31-34 der sog. Collection Doat in der Bibliotheque Nationale in Paris erhalten. Über die Anlage und den Quellenwert dieser Sammlung vgl. Lothar Κ o l m e r , Colbert und die Entstehung der Collection Doat, Francia 7 (1979) S.463-489. Zur Effizienz des »Amtes« von Carcassonne: Yves D o s s a t , Les origines de la quereile entre Precheurs et Mineurs provenjaux. Bernard Delicieux, in: Franciscains d'Oc. Les Spirituels ca 1280-1324 (Cahiers de Fanjeaux 10, 1975) S.315-354, bes. S.322-327; Alan F r i e d l ä n d e r , Les agents du roi face aux crises de l'heresie en Languedoc, vers 1250- vers 1350, in: Effacement du Catharisme? (XIII e XIV e s.) (Cahiers de Fanjeaux 20, 1985) S. 199-220, bes. S. 207-213; Jean-Louis Β i g e t , L'extinction du catharisme urbain: les points chauds de la repression, in: Effacement S. 305-340, bes. S. 309-316. 18

20 Hier leitete von 1307 bis Ende 1323 das officium inquisitionis der Dominikaner Bernard Gui (gest. 1331), dessen erhaltene Urteile von Philipp L i m b o r c h , Historia Inquisitionis. Cui subjungitur Liber Sententiarum Inquisitionis Tbolosanae ab anno Christi 1307 ad annum 1323 (Amsterdam 1692) veröffentlicht worden sind. Vgl. auch Bernardus Guidonis, Practica inquisitionis heretice pravitatis, hg.v. Celestin D o u a i s (1886) sowie Marie-Humbert V i c a i r e (Hg.), Bernard Gui et son monde (Cahiers de Fanjeaux 16, 1981) und Bernard G u e n e e , Bernard Gui (1261-1331), in: B. G u e n e e , Entre l'Eglise et l'Etat. Quatre vies de prelats frangais ä la fin du Moyen Age (XIII e -XV e siecle) (1987) S. 49-85.

Zur Einführung

7

aufzeigen, ganz zu schweigen von der 1478 auf Veranlassung der Katholischen Könige Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon von Papst Sixtus IV. errichteten »Spanischen Inquisition«21. Der Zeitpunkt, von dem ab man im Mittelalter im Zusammenhang mit kirchlicher und staatlicher Ketzerbekämpfung von »Inquisition« sprechen könne, wird in der Forschung seit langem kontrovers diskutiert22. Entscheidend für die zeitliche Fixierung von „Les Debuts de Plnquisition", so die entsprechende Kapitelüberschrift in dem grundlegenden Buch von Henri Maisonneuve 23 , und ihre Abgrenzung von früheren Formen der Häretikerbekämpfung24, kommt der Definition zu, was mit »Inquisition« denn bezeichnet werden soll. Versteht man darunter nicht einfach alle auf der Basis von Offizial-

21

Die entscheidenden Dokumente zur Errichtung dieser mit päpstlicher Erlaubnis und Unterstützung geschaffenen und bis 1834 bestehenden »Staatsinquisition« sind am bequemsten zugänglich bei Bernardino L l o r c a (Hg.), Bulario Pontificio de la Inquisicion Espanola en su periodo constitutional (1478-1525) (Miscellanea Historiae Pontificiae 15, 1949) und J. Angel S e s m a M u f i o z (Hg.), El establecimiento de la Inquisicion en Aragon (1484-1486). Documentos para su estudio (Fuentes historicas aragonesas 15, 1987). Von der kaum noch überschaubaren Literatur ( - v a n d e r V e k e η e, Bibliotheca [wie Anm. 2] verzeichnet für Spanien an die fünfhundert Titel -) sei lediglich genannt Bernardino L l o r c a , La Inquisicion espanola incipiente. Nuevos datos sobre su primera actuacion, Gregorianum 20 (1939) S. 101-142 und S. 507534; Bartolome B e n n a s s a r , L'Inquisition espagnole XV e -XIX e siecle (1979); Angel A l c a l ä (Hg.), Inquisicion espanola y mentalidad inquisitorial. Ponencias del Simposio Internacional sobre Inquisicion Nueva York, abril de 1983 (1984); Joaquin P e r e z V i l l a n u e v a und Bartolome E s c a n d e l l B o n e t (Hgg.), Historia de la Inquisicion en Espana y America 1 (1984); Jean-Pierre D e d i e u , L'administration de la foi. L'Inquisition de Tolede (XVI e -XVIII e siecle) (1989); Stephen H a l i c z e r , Inquisition and Society in the Kingdom of Valencia, 1478-1834 (1990); William M o n t e r , Frontiers of Heresy. The Spanish Inquisition from the Basque Lands to Sicily (1990); JohannesMichael S c h o l z , Spanische Inquisition. Zum Stand Historischer Justizforschung, Ius commune. Zeitschrift für Europäische Rechtsgeschichte 18 (1991) S. 225-273. 22 Neben 1184 und 1215 werden vor allem die Jahre zwischen 1227 und 1233 als Anfangsdaten der »Inquisition« diskutiert; vgl. dazu die Auflistung der verschiedenen Autoren und ihrer Datierungsvorschläge bei B u r m a n , Inquisition (wie Anm. 1) S. 31. 23 Henri M a i s o n n e u v e , Etudes sur les origines de l'Inquisition (L'eglise et l'etat au moyen äge 7, 2 1960) S. 243-286. 24 Statt vieler Titel sei hier lediglich der materialreiche Aufsatz von Maurice B e v e n o t , The Inquisition an its Antecedents, The Heythrop Journal 7 (1966) S. 257268 und S. 381-393; 8 (1967) S. 52-69 und S. 152-168 angeführt.

8

Peter Segl

und Instruktionsmaxime per inquisitionem durchgeführten Gerichtsverfahren 25 , sondern schränkt den Begriff auf die inquisitio haereticae pravitatis ein, so steht man vor der Frage, ob damit sämtliche Formen des negotium inquisitionis bzw. negotium fidei contra haereticos26 und jegliche Maßnahme ad inquirendum super haeretica pravitate27 gemeint sind, oder ob man unter »Inquisition« in einem engeren Sinne, und das heißt: speziell unter »Ketzerinquisition«, nur solche Inquisitionsverfahren verstanden wissen will, die ein zum Zwecke der inquisitio haereticae pravitatis vom Papst bzw. einem Bischof (gelegentlich auch von beiden 28 -) mit delegierter Gerichtskompetenz ausgestatteter »Ketzerverfolgungsspezialist« mit dem Titel inquisitor haereticae pravitatis von Anfang bis zum Ende selbständig 29 nach Art eines Sondergerichtshofes durchführt, wobei ihm für seine Nachforschungen und Ermittlungen ein Stab von Mitarbeitern zur Seite steht. Akzeptiert man diese engere Bedeutung von »Inquisition« und fragt man nach deren erstem Auftreten in Europa 3 0 , so erscheint es als

25 Zu diesen Begriffen vgl. Gunter W e s e n e r , Prozeßmaximen, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hg.v. Adalbert E r l e r und Ekkehard K a u f m a n n , Bd.4 (1990) S.55-62. 26 Vgl. die Nachweise in Anm. 10. 27 Davon sprach Gregor IX. z.B. am 21. August 1235 in einem Brief an den Provinzialprior der Dominikaner in der Francia, P o t t h a s t 9993 = Au ν ray 2736; Druck BOP 1, Nr. 137, S. 80. 28 Als Beispiel dafür sei verwiesen auf den von 1243-1245 als Inquisitor in Florenz wirkenden Dominikaner Petrus von Verona, der in einer Urkunde vom 31. Januar 1244 erscheint als Inquisitor d. Pape hereticorum et d. Ardenghi Episcopi Florentini Iudicis Ordinarii Vicarius, zitiert nach Brunetto Q u i l i c i , II vescovo Ardingo e la chiesa di Firenze nel quarto e quinto decennio del secolo XIII (1965) S. 36. 29 Ein Zusammenwirken mit den jeweiligen Ortsbischöfen war nicht ausgeschlossen und ist später für einige Prozeßschritte sogar vorgesehen gewesen, wofür der Hinweis auf Camillo H e n n e r , Beiträge zur Organisation und Competenz der päpstlichen Ketzergerichte (1890) und Paul F l a d e , Das römische Inquisitionsverfahren in Deutschland bis zu den Hexenprozessen (Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche 9,1,1902) genügen mag. 30 Schon Henry Charles L e a , A History of the Inquisition of the Middle Ages 1 (1888) S. 300 hat darauf hingewiesen, daß es eine förmliche Gründung der »Inquisition« („any formal founding of the Inquisition") nicht gegeben habe, und er betonte: „The gradual organization of the Inquisition was simply a process of evolution arising from the mutual reaction of the social forces which we have described" (S. 305). Zu Lea und seinem Werk vgl. Anm. 60.

Zur Einführung

9

angemessen, zuvor daran zu erinnern, daß die Sorge für die Reinerhaltung des Glaubens und die Aufrechterhaltung der christlichen Sitten von Anfang an den Bischöfen in besonderer Weise aufgegeben war 31 , weshalb diese nach dem im Verlaufe des 12. Jahrhunderts immer deutlicheren Sichtbarwerden des dramatischen Anwachsens heterodoxer Bewegungen32 von Rom aus immer dringlicher an ihre Pflicht zur Bekämpfung der verschiedenen Häresien bzw. Dissidentengruppen erinnert und zu verstärkten Nachforschungen aufgefordert worden sind. So hatte ihnen ζ. B. die im Gefolge des 1184 in Verona vereinbarten Zusammengehens von Papst und Kaiser bei der als dringliche Gemeinschaftsaufgabe empfundenen Ketzerbekämpfung durch Lucius III. promulgierte Dekretale Ad abolendam33 befohlen, sich in häresieverdächtigen Pfarreien von zwei oder drei gut beleumundeten Männern, falls nötig auch von der Gesamtheit der Einwohner, die Häretiker und Abweichler anzeigen zu lassen34, jedoch weder die von diesen »Anzeigern« noch die von den Bischöfen bzw. ihren Archidiakonen ad reprehensionem baereticae pravitatis zu unternehmenden Nachforschungsmaßnahmen sind in Ad abolendam mit dem Verbum inquirere umschrieben oder gar als inquisitio bezeichnet worden. Ebensowenig erscheinen in dem weitgehend auf Ad abolendam zurückgehenden 31 Klaus M ö r s d o r f , Bischof, in: LThK 2 ( 2 1958) Sp.491-505; vgl. auch Mariano d ' A l a t r i , Ii vescovo e il «negotium fidei» nei secoli XII-XIII, in: d e r s . , Eretici e inquisitori in Italia. Studi e documenti 1 (Bibliotheca seraphico-capuccina 31, 1986) S. 113-125. 32 Aus der Fülle der Literatur können wieder nur einige ganz wenige Titel herausgegriffen werden: Herbert G r u n d m a n n , Ketzergeschichte des Mittelalters (Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch, hg.v. K.D. S c h m i d t und E. W o l f , Bd.2, Lieferung G.l, 2 1967) bes. S. 15-41; Elie G r i f f e , Les debuts de l'aventure cathare en Languedoc (1140-1190) (1969); d e r s . , Le Languedoc cathare au temps de la croisade (1209-1229) (1973); Raoul M a n s e I i i , Ii secolo XII: religione popolare ed eresia (1983); Malcolm L a m b e r t , Medieval Heresy. Popular Movements from the Gregorian Reform to the Reformation ( 2 1992) bes. S. 35-188. 33 X 5.7.9, im folgenden zitiert nach dem Druck bei S e l g e Anm. 13) S. 26-29.

(Hg.), Texte (wie

34 ... ut quilibus archiepiscopus vel episcopus per se, vel archidiaconum suum, aut per alias bonestas idoneasque personas bis vel semel in anno proprium parochiam, in qua fama fuerit haereticos babitare, circumeat, et ibi tres vel plures boni testimonii viros, vel etiam, si expedire videbitur, totarn viciniam iurare compellat, quod, si quis ibidem haereticos scierit vel aliquos occulte conventicula celebrantes, seu a communi conversatione fidelium vita et moribus dissidentes, eos episcopo vel archidiacono studeat indicare, S e l g e (Hg.), Texte S.28.

Peter Segl

10

A n t i k e t z e r k a n o n des L a t e r a n k o n z i l s v o n 1 2 1 5 , der erneut die w e l t lichen M a c h t h a b e r s o w i e die B i s c h ö f e verpflichtet, uniuersos ... exterminate inquirere

b z w . hereticam

b z w . inquisitio,

confundere

prauitatemi5,

hereticos

die Begriffe

die ansonsten, w o r a u f n o c h e i n z u g e h e n sein

w i r d , d e n K o n s t i t u t i o n e n dieses K o n z i l s d u r c h a u s nicht u n b e k a n n t s i n d 3 6 . „ D i e M e t h o d e des V o r g e h e n s gegen die K e t z e r " , s o hat bereits v o r n a h e z u sechzig J a h r e n H e r b e r t G r u n d m a n n festgestellt, ist v o m IV. L a t e r a n u m „ u n v e r ä n d e r t s o beibehalten w o r d e n , w i e sie s c h o n v o r 1 2 0 0 g e h a n d h a b t w o r d e n ist, o h n e d a ß die E r f a h r u n g e n w ä h r e n d des P a p a t s I n n o z e n z ' III. das K o n z i l z u n e u e n M a ß n a h m e n veranlaßt hätten"37. E r s t n a c h der B e e n d i g u n g des v o n I n n o c e n z III. initiierten u n d d a n n r a s c h seiner K o n t r o l l e entglittenen, v o n 1 2 0 9 bis 1 2 2 9 in Südfrankreich w ü t e n d e n A n t i k e t z e r k r e u z z u g e s 3 8 tritt ein neues E l e m e n t in der k i r c h lichen u n d weltlichen K e t z e r v e r f o l g u n g in E r s c h e i n u n g , u n d dieses n e u e E l e m e n t , b z w . diese neue M e t h o d e in der w i r d mit den W o r t e n inquirere

b z w . inquisitio

Ketzerbekämpfung

bezeichnet39.

X 5.7.13, hier zitiert nach Antonio G a r c i a y G a r c i a (Hg.), Constitutiones Concilii quarti Lateranensis una cum Commentariis glossatorum (Monumenta iuris canonici, series A, vol.2, 1981) S. 48 und S. 51. 36 Vgl. dazu etwa die Konstitutionen Nr. 8, Nr. 26 und Nr. 30, in der Edition von G a r c i a y G a r c i a S. 54-57, S. 71f. und S. 74f. 37 Herbert G r u n d m a n n , Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik (1935; reprographischer Nachdruck 3 1970) S. 137. 38 Auf Ursachen, Ausbruch und Verlauf der zwanzigjährigen Albigenserkriege ist hier nicht einzugehen; verwiesen sei lediglich auf Arno B o r s t , Die Katharer (Schriften der Monumenta Germaniae historica 12, 1953) bes. S. 118-121; Austin P. E v a n s , The Albigensian Crusade, in: Kenneth Μ. S e t t o n (Hg.), A History of the Crusades 2 ( 2 1969) S.277-324; Michel R o q u e b e r t , L'epopee cathare, 4 Bde. (1970-1989); Walter L. W a k e f i e l d , Heresy, Crusade and Inquisition in Southern France 1100-1250 (1974); Jonathan S u m p t i o n , The Albigensian Crusade (1978); Fernand N i e l , Albigeois et Cathares (Que sais-je? 689, 12 1990) bes. S. 74-107. 39 Schon im Friedensvertrag von Meaux-Paris (April 1229) mußte sich Graf Raimund von Toulouse unter anderem verpflichten, quod justitiam debitam faciei sine mora de haereticis manifestos, et fieri faciei per bailivos suos viriliter et potenter. Inquiret etiam diligenter et inquiri faciet de inveniendis haereticis, credentibus, fautoribus et receptatoribus eorumdem, secundum ordinationem quam super hoc faciet dictus legatus, M a n s i 23, Sp.164. Nahezu zeitgleich ordnet König Ludwig IX. für seine südfranzösischen Gebiete an, ut barones terrae, et bailivi nostri, et alii subditi nostri, 35

11

Zur Einführung

Auf einem von dem päpstlichen Legaten, Kardinal Romanus von Sant'Angelo, im November 1229 zur Neuordnung der Ketzerbekämpfung und zur Sicherung des Friedens40 in dem jahrelang vom Krieg heimgesuchten Territorium des sich soeben, im April 1229, der Kirche und König Ludwig IX. von Frankreich unterworfen habenden Grafen Raimund VII. von Toulouse in dessen Hauptstadt einberufenen Konzil wurde gleich als erstes festgelegt, „daß in jedem Ort ein Priester und drei Laien eingesetzt werden, die sorgfältig nach Ketzern forschen sollen (inquirant)"*1. Diese Suchtrupps, die bei Bedarf auch aus mehr als vier Personen bestehen konnten, sollten verdächtig erscheinende Häuser und Schlupfwinkel durchforschen (perquirere), „und falls sie irgendwelche Ketzer, Ketzeranhänger, Ketzerbegünstiger, Ketzerbeherberger oder Ketzerverteidiger fänden" (et si quos invenerint haereticos, credentes, fautores, et receptatores, seu defensores eorum), so sollten sie diese unter Anwendung von Vorsichtsmaßnahmen (- ne fugere possinf. damit sie nicht fliehen könnten -), aber rasch (cum omni festinantia) dem Erzbischof, Bischof, Ortsherrn oder deren Beamten anzeigen, damit sie der gebührenden Strafe zugeführt werden könnten. Ein gleiches Vorgehen wie in erzbischöflichen oder bischöflichen Gebieten schreibt das zweite capitulum dieser Synodalstatuten auch für die exemten Äbten unterstehenden Orte vor, während das dritte auch die weltlichen Landesherren auf die inquisitio haereticorum verpflichtet42, und im neunten sogar die Möglichkeit eingeräumt wird, ut quilibet in terra alterius possit inquirere vel capere haereticos^,

praesentes et futuri, soliciti sint et intenti terram purgare haereticis et haeretica foeditate. Etpraecipientes quod praedicti diligenter ipsos investigare studeant, etfideliter invenire..., M a n s i 23, Sp.l85f. 40 Dieser doppelte Zweck der Synode wird vom Legaten am Ende der den beschlossenen Statuten vorangestellten Praefatio deutlich benannt: ordinandum duximus et statuendum de consilio archiepiscoporum, episcoporum, et praelatorum, et baronum, et militum, quae ad purgationem haereticae pravitatis, conservationem pads, necnort et terrae quasi neophytae, novimus expedire, zitiert nach S e 1 g e (Hg.), Texte (wie Anm. 13) S. 30. 41 I. Ut in singulis locis sacerdos unus et tres laid constituantur, inquirant haereticos, S e l g e (Hg.), Texte S. 30.

qui

diligenter

III. Ut domini locorum inquirant in haereticos. Soliciti etiam sint domini terrarum circa inquisitionem haereticorum in villis, domihus, et nemoribus faciendam, et circa hujusmodi appensa, adjuncta, seu subterranea latihula, destruenda, S e l g e (Hg.), Texte S. 31. 42

43

S e l g e (Hg.), T e x t e S . 3 l f .

12

Peter Segl

wodurch Häretiker sich nicht mehr einfach durch einen Wechsel ihres Aufenthaltsortes dem Zugriff der Verfolger entziehen konnten. Hatten die Bestimmungen von Ad abolendam (1184) und des IV. Lateranums (1215) noch die jährliche Visitation von häresieverdächtigen Pfarreien und die dabei vorzunehmende Aufstellung von Synodalzeugen vorgesehen, die dann dem Bischof etwaige Kenntnisse über Ketzer zu melden hatten, so sollten nun nach den 1229 vom päpstlichen Legaten für Frankreich im Beisein der Erzbischöfe von Narbonne, Bordeaux, Auch und zahlreicher südfranzösischer Prälaten und Großer44 erlassenen Statuten der Synode von Toulouse in jeder Pfarrei kleine Trupps einer Art von Spezialpolizei45 unter Leitung eines Priesters in Permanenz und unabhängig von einer Synode oder einer bischöflichen Visitation nach den Ketzern forschen (inquirere), und diese »Aufspürer« (- lateinisch müßte man sie wohl als inquisitores bezeichnen -) brauchten ihre Erkenntnisse nicht mehr einer Synode vorzutragen, sondern meldeten sie unmittelbar den zuständigen Jurisdiktionsorganen, die dann die fälligen Stafmaßnahmen einzuleiten hatten. Richterliche Vollmachten sind diesen mit dem Aufspüren der Ketzer beauftragten Spezialkommandos nicht übertragen worden. Auch die Festnahme der Verdächtigen oblag anderen Organen, und ihre Aburteilung war ausdrücklich den Bischöfen vorbehalten, vel aliquam personam ecclesiasticam, quae potestatem habeat46. Wenn diese Anordnung auch noch ganz im Rahmen der bischöflichen Jurisdiktion,

44

Die genaue Teilnehmerliste ist unbekannt. Wilhelm von Puylaurens berichtet

jedoch in seiner Hystoria

negocii

Albiensis,

Tholose, post estatem, concilium celebravit, Auxitanus

archiepiscopi,

et episcopi multi et aliiprelati;

et alii comites, preter Fuxensem,

legatus

Narbonensis,

item affuerunt

et tarn comes quam

ibidem

Burdegalensis,

comes

et barones et senescallus Carcassone et consules

duo, unus de civitate et alter de burgo, juraverunt;

Kapitel 38: Idemque

cui interfuerunt,

Tholosanus Tholosani

qui statuta pads in tocius universitatis

ceteri illud approbaverunt

et fecerunt,

animam

zitiert nach J.

Β e y s s i e r , Guillaume de Puylaurens et sa chronique (Universite de Paris. Bibliotheque de la faculte des lettres 18, 1904) S. 154f. Die Edition von Jean D u v e r n o y

(Hg.),

Guillaume de Puylaurens, Chronique. Chronica Magistri Guillelmi de Podio Laurentii (1976) war mir nicht zugänglich. 45

Schon M a i s o n n e u v e , Etudes (wie Anm. 23) S. 241 nennt diese Suchtrupps „une

police specialisee". 46

Selge

(Hg.), Texte S.31. Wie so manche andere Formulierung der Tolosaner

Synodalstatuten scheint auch diese vom Text des Pariser Friedensvertrages bzw. der königlichen Ordonnance Cupientes Anm. 39.

vom April 1229 angeregt worden zu sein; vgl.

Zur Einführung

13

die ja auch delegiert werden konnte, zu bleiben scheint, so läßt sie doch auch schon die Möglichkeit besonderer päpstlicher Aufträge an andere Personen in den Blick treten 47 . Wenige Jahre später hat Papst Gregor IX. solche Aufträge in der Tat erteilt und aus päpstlicher Machtvollkommenheit bestimmten Ketzeraufspürern geistlichen Standes richterliche Vollmachten übertragen, womit den traditionell für die Aburteilung von Ketzern zuständigen Bischöfen die konkurrierende Gerichtsbarkeit der inquisitores haereticae pravitatis zur Seite gestellt worden ist. Zuvor jedoch hatte der Papst, der einst als Kardinal Hugolin und Legat Honorius' III. mit der Durchsetzung von Kaiser Friedrichs Antiketzergesetz des Jahres 1220 48 in Oberitalien befaßt gewesen war 49 , im Januar 1231 dessen Konstitution gegen die Ketzer der Lombardei vom März 1224 50 in sein Register übernommen und damit der dort festgelegten Strafe des Feuertodes auch im kirchlichen Bereich Eingang verschafft. Kurz darauf, im Februar 1231, erließ er im Anschluß an den Kanon 3 des IV. Lateranums und die älteren kirchlichen Ketzerbestimmungen seine eigene Dekretale Excommunicamus51, in der zwar vom Verbrennen überführter und hartnäckiger Ketzer nicht die Rede ist, die jedoch keinen Zweifel daran aufkommen läßt, daß nun mit der animadversio debita, der die Verurteilten zuzuführen seien, ihre Hinrichtung gemeint war, die dann eben nach dem vom Papst im Vormonat rezipierten

47

Diese Vermutung ist bereits von S e l g e

(Hg.), Texte S.31 Anm. 111 geäußert

worden. 48

Constitutio in Basilica Beati Petri (22.11.1220), M G H Const. 2, N r . 85, S. 106-109.

Zur Gesetzgebung Friedrichs II. gegen die Häretiker vgl. Kurt-Victor S e l g e , Die Ketzerpolitik Friedrichs II., in: Probleme um Friedrich II., hg.v. Josef F l e c k e n s t e i n (Vorträge und Forschungen 16, 1974) S. 3 0 9 - 3 4 3 . 49

Guido L e v i

(Hg.), Registri dei cardinali Ugolino d'Ostia e Ottaviano degli

Ubaldini (Fonti per la storia d' Italia 8, 1890) Nrr.48,63,64,72 passim. Zur Legation Hugolins vgl. Christine T h o u z e l l i e r , L a legation en Lombardie du cardinal Hugolin (1221). U n episode de la cinquieme croisade, Revue d'histoire ecclesiastique 44 (1950) S. 508-542. 50

M G H Const.2, N r . 100, S. 126-127; wieder abgedruckt bei James F e a r n s

(Hg.),

Ketzer und Ketzerbekämpfung im Hochmittelalter (Historische Texte/Mittelalter 8, 1968) N r . 24, S. 68f. 51

A u v r a y 539; fehlt bei P o t t h a s t .

Anm. 13) S.41f.

Bester Druck bei S e l g e (Hg.), Texte (wie

14

Peter Segl

Kaisergesetz von 1224 durch den Scheiterhaufen zu erfolgen hatte 52 . Im übrigen werden die schon üblichen Strafen erneut angedroht, nämlich Exkommunikation, Infamie, Amtsverlust bzw. Berufsverbot, Gefängnis und Bußkreuzetragen, und wie 1229 auf dem Konzil von Toulouse wird die Anzeigepflicht der Gläubigen nochmals streng eingeschärft53. Das in Toulouse geschaffene Kollegium der »Aufspürer«,

qui diligenter, fideliter, et frequenter, inquirant baereticos54, wird vom Papst jedoch nicht übernommen. Im unmittelbaren Anschluß an seine Dekretale Excommunicamus hat Gregor IX. jedoch ein von ihm veranlaßtes Edikt des römischen Senators Annibaldo Annibaldini vom Februar 1231 in sein Register eintragen lassen55, in dem von solchen »Aufspürern« (- inquisitores -) wieder ausdrücklich die Rede ist 56 , ohne daß ihnen jedoch irgendwelche richterliche Vollmachten übertragen worden wären. Gegen die in der Forschung vielfach vertretene Ansicht, in Gregors IX. Dekretale Excommunicamus und den mit ihr in Zusammenhang stehenden Capitula Anibaldi senatoris et populi Romani sei „l'acte de naissance de l'Inquisition" zu sehen 57 , müssen deshalb Bedenken angemeldet werden. Die Suche nach einer »Geburtsurkunde« für die »Inquisition« bzw. die Feststellung von deren »Geburtsjahr« oder gar »Geburtstag« erfreut sich zwar schon seit geraumer Zeit der Aufmerksamkeit der Forschung, erscheint jedoch im Hinblick auf den länger als ein halbes Jahrhundert sich hinziehenden »Geburtsvorgang« (- um im Bild zu bleiben -) nach wie vor problematisch, weshalb auch gleich zu Beginn der Bayreuther Tagung die Frage aufgeworfen wurde, ob 52

Darauf hat bereits Julius F i c k e r ,

Die gesetzliche Einführung

der Todes-

strafe für Ketzerei, M I Ö G 1 (1880) S. 177-226, bes. S.207f. hingewiesen; vgl. auch M a i s o n n e u v e , Etudes (wie A n m . 2 3 ) S . 2 4 5 - 2 4 8 . 53

Item

si quis hereticos

a communi confessori

sciverit

conversatione

fidelium

suo vel alii, per

quem

excommunicationis

vel aliquos credat

sententiapercellatur,

ad prelati

S e l g e (Hg.), Texte S. 30.

55

A u v r a y 540; S e l g e (Hg.), Texte S.42f.

56

Item

qui fuerint

Henri

Maisonneuve,

seu

eos studeat

indicate

sui notitiam

pervenire;

alioquin

in Urbe

reperti, presertim

Ecclesia vel alios viros catholicos, senator capere teneatur, 57

celebrantes,

dissidentes,

S e l g e (Hg.), Texte S. 42.

54

hereticos

occulta conventicula

vita et moribus

L'Inquisition

(1989)

per inquisitores

S.44f.:

„Les deux

decretale du pape et Statut du senateur, appeles Status du Saint-Siege, consideres comme l'acte de naissance de l'Inquisition".

datos

ab

S e l g e (Hg.), Texte S. 43. documents,

sont generalement

Zur Einführung

15

Formulierungen wie: „Die Inquisition wurde 1231 geschaffen" 58 , oder: „die päpstliche Ketzerinquisition ... in Deutschland, ja überhaupt in Europa", habe am 11. Oktober 1231' „ihren Anfang" genommen 5 9 , den Sachverhalt zutreffend beschreiben. Vor allem die Vorträge über die Anfänge der inquisitio haereticae pravitatis in Südfrankreich und in Deutschland haben auf diese Frage neue Antworten gegeben, auch in den Diskussionen ist das Problem wiederholt zur Sprache gekommen, wobei weitgehend Einigung darüber erzielt werden konnte, daß im Gesamtvorgang der Einrichtung der »Inquisition« als einem Institut der kirchlichen Ketzerbekämpfung dem Jahr 1231 insofern eine besondere Stellung zukommt, als sich in ihm (- bis jetzt -) erstmals mit vom Papst delegierter Gerichtsgewalt ausgestattete inquisitores haereticae pravitatis nachweisen lassen. In diesem Zusammenhang müßte eigentlich auch eine Auseinandersetzung stattfinden mit der seit Henry Charles Lea's Inquisitionsgeschichte 60 in der Forschung gebräuchlichen Differenzierung zwischen »Bischöflicher Inquisition« („Episcopal Inquisition" 61 ; „l'Inquisition Episcopale" 6 2 ; „l'inquisizione episcopale" 63 ), »Legateninquisition« („Legatine Inquisition" 64 ; „l'inquisizione legatina" 65 ) und

K o l m e r , Ad capiendas vulpes (wie Anm. 109) S. 122. P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung (wie Anm. 140) S.644. 6 0 Henry Charles L e a , A History of the Inquisition of the Middle Ages, 3 Bde. (1888); dt.: Geschichte der Inquisition im Mittelalter. Autorisierte Übersetzung, bearbeitet von Heinz W i e c k und Max R a c h e l , revidiert und hg.v. Joseph H a n s e n , 3 Bde. (1905-1913). Auf die von konfessionellen Ressentiments nicht immer freie Rezeptionsgeschichte dieses auch ins Französische, Italienische und Spanische übersetzten, mehrmals (- auch in Kurzfassungen -) nachgedruckten und immer noch unentbehrlichen Werkes braucht hier nicht eingegangen zu werden. Zu Leben und Werk Lea's (1825-1909) vgl. Edward Sculley B r a d l e y , Henry Charles Lea. A Biography (1931). 58

59

61 L e a , History 1, S.XI mit Verweis auf S. 313 und S. 356. Es wird im folgenden für die im wissenschaftlichen Sprachgebrauch weit verbreiteten Benennungen jeweils nur 1 Nachweis (- meist aus dem Inhaltsverzeichnis der betreffenden Werke -) gegeben.

M a i s o n n e u v e , Etudes (wie Anm.23) S.386. Mariano da A l a t r i , Ε l'inquisizione? Tabu e realtä sul tribunale delle fede (Tempi e figure 23, 1959) S. 221 mit Verweis auf S. 40-42. 64 L e a , History 1, S.XI mit Verweis auf S.315. 65 da A l a t r i , L'inquisizione S.221 mit Versveis auf S.42-45. 62 63

Peter Segl

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»Päpstlicher Inquisition« („Papal Inquisition" 66 ; „l'Inquisition papale" 6 7 ) bzw. »Mönchsinquisition« („l'Inquisition Monastique" 68 ; „l'inquisizione monastica" 69 ; „l'inquisizione monastico-papale" 70 ), doch sind diese Differenzierungen während der Bayreuther Tagung nicht Thema eines Vortrages bzw. der Diskussion gewesen, weshalb sie auch hier nicht weiter problematisiert werden sollen 71 . Während man angesichts des langen evolutionären Prozesses der Ausbildung und Einrichtung der inquisitio haereticae pravitatis im mittelalterlichen Europa die Frage nach deren »Geburtstag« wohl als eher zweitrangig einstufen wird, kommt der Erhellung des in ihren Prozessen angewandten Verfahrens eine herausragende Bedeutung zu. Dabei ist sich die neuere Forschung darin einig geworden, daß das prozessuale Vorgehen der »Inquisition« gegen Ketzer auf dem von Papst Innocenz III. zu Beginn des 13. Jahrhunderts in das kirchliche Prozeßwesen eingeführten Verfahren per inquisitionem (wörtlich: „durch Untersuchung" -) basiert, mit dem der Papst im Zusammenhang seiner Reformbemühungen 72 gegen pflichtvergessene Geistliche disziplinarisch vorzugehen begann, dieses jedoch nicht gegen Laien in Anwendung brachte und auch nicht für die Verfolgung von Ketzern vorsah, die er 1215 vom Laterankonzil noch in den alten Formen der bischöflichen Gerichtsbarkeit sanktionieren ließ. Innocenz III. hatte klar erkannt, daß das Umsichgreifen von Häresien und der Zulauf der Massen zu den Ketzern nicht zuletzt durch das Versagen des Klerus bedingt war, der wegen des verderbten Lebenswandels nicht weniger seiner Mitglieder es den Ketzern leicht machte, sich selbst als die Nachfolger der Apostel und die Vertreter der Kirche 66

L e a, History 1, S.XI mit Verweis auf S. 364.

67

Jean G u i r a u d , Histoire de l'Inquisition au moyen äge 2 (1938) S . 5 9 5 .

68

M a i s o n n e u v e , Etudes S . 3 8 6 .

69

da

Alatri,

L'inquisizione S.221 mit Verweis auf S . 4 5 - 4 7 , w o dann darauf

hingewiesen wird, daß man eigentlich von „l'inquisizione fratesca" zu sprechen habe. 70

Ilarino d a

M i l a n o , Eresie medioevali. Scritti minori (Studi e ricerche dell'

Istituto di storia della Facoltä di Magistero dell' Universitä di Perugia 1, 1983) S. 5 mit Verweis auf S. 4 4 9 - 4 8 2 . 71

Zur Kritik an den Wendungen bischöfliche bzw. päpstliche Inquisition vgl.

K o l m e r , A d capiendas (wie Anm. 109) S. 112. 72

N o c h immer maßgeblich dazu Helene T i l l m a n n , Papst Innocenz III. (Bonner

Historische Studien 3, 1954) und Michele M a c c a r r o n e ,

Studi su Innocenzo III

(Italia sacra 17, 1972); vgl. auch Georg S c h w a i g e r , Innocenz III., in: T R E 16 (1987) S. 175-182.

Zur Einführung

17

als Diener ihres Bauches und des Mammons hinzustellen. Omnis in populo coruptela principaliter procedit a clero, hat Innocenz selbst den zum Konzil versammelten Prälaten vorgehalten - jede Verderbnis im Volk geht in erster Linie vom Klerus aus, und unter den Übeln, die schlechte Priester über das christliche Volk brächten, hat der Papst ausdrücklich auch Ketzer und Schismatiker genannt73. Um hier Abhilfe zu schaffen und die Reform des Klerus durch Amtsenthebung seiner unwürdigen Vertreter endlich voranzubringen, hat Innocenz III. das Verfahren per inquisitionem in den kanonischen Strafprozeß eingeführt, der bisher (- wie auch im weltlichen Prozeß -) nur aufgrund einer förmlichen, jedoch nicht amtlichen Anklage, eingeleitet werden konnte, wobei (- ebenfalls wie im weltlichen Akkusationsprozeß -) der Kläger die volle Beweislast für seine Beschuldigungen zu tragen hatte. Dieses Verfahren war für den Kläger nicht nur äußerst riskant, sondern, wenn es sich um Verfahren gegen hohe und mächtige Geistliche handelte, auch so gefährlich, daß sich selbst in Fällen schwerer Verbrechen nicht leicht ein Ankläger fand. Außerdem fehlte den Laien meist das nötige juristische Wissen, um einen Prozeß gegen Kleriker in die Wege leiten oder erfolgreich durchfechten zu können74, während Geistliche in der Regel aus Gründen der »Standespolitik« vor einer Anklage gegen Mitbrüder zurückschreckten, selbst wenn sie von deren Schuld überzeugt waren. Nachdem Innocenz III. im ersten Jahr seines Pontifikates erlebt hatte, daß vor allem Prälaten selbst bei schwerer Schuld mit Hilfe des herkömmlichen Akkusationsprozesses nicht beizukommen war, schuf er bereits im zweiten Jahr seiner Amtszeit die Möglichkeit, per inquisitionem gegen Geistliche Rechtsverfahren auch ohne förmliche Anklage eines Dritten von Amts wegen (- ex officio -) einleiten zu können. Dieser unter Innocenz III. als rein innerkirchliches Disziplinarverfahren entstandene Inquisitionsprozeß ist sehr rasch auch im 73

Innocenz

III., Sermo in concilio generali Lateranensi habitus, in: M i g n e

PL

217, Sp.673-680, das Zitat Sp.678. Die selbstkritischen Worte des Papstes dürfen nicht übersehen lassen, daß vor allem in Südfrankreich die Ursachen für die Erfolge der Ketzer nicht zuletzt in der dynastischen Zersplitterung und in den sozialen und wirtschaftlichen Spannungen des Landes lagen. 74

Klageerhebungen von Laien oder Klerikern niedriger Weihegrade gegen höhere

Geistliche waren zudem vom kanonischen Recht nur in sehr eingeschränktem Umfang zugelassen, Erwin J a c o b i , Der Prozeß im Decretum Gratiani und bei den ältesten Dekretisten, Z R G Kan. 3 (1913) S. 223-343, bes. S. 248-261.

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Peter Segl

weltlichen Bereich übernommen worden, besonders früh von Friedrich II. 75 und den oberitalienischen Kommunen 76 . Sein Hauptcharakteristikum im Unterschied zu dem herkömmlichen, auf Anklage eines Geschädigten in Gang gesetzten Akkusationsprozeß bestand auch im weltlichen Prozeßrecht darin, daß nun die Gerichtsorgane von sich aus ex officio die Ausforschung von Verbrechen und das Aufspüren von Verbrechern übernahmen und sich selbst über die Umstände des kriminalistischen Sachverhaltes und die Straftatbestände unterrichteten. Die eigentlichen Grundlagen dieses Inquisitionsprozesses sind von der Forschung lange Zeit verkannt und erst in den letzten Jahren vor allem durch Aufsätze von Winfried Trusen klargestellt worden 77 , der die selbständige Entwicklung des kanonischen Rechtes in diesem Bereich auf der Basis des aus fränkischer Zeit stammenden Infamationsverfahrens herausgearbeitet hat. Wie dieser im Zuge der juristischen Rationalisierung des 12. und 13. Jahrhunderts entstandene Inquisitionsprozeß, dessen „Institutionalisierung ... in wenig mehr als einem Jahrzehnt erreicht war" 7 8 , unter den Nachfolgern von Papst Innocenz

75 Hermann D i l c h e r , Die Bedeutung der Laterankonzilien für das Recht im normannisch-staufischen Sizilien, Z R G Kan. 56 (1970) S.243-274, bes. S. 247f.; d e r s . , Die sizilische Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II. Quellen der Constitutionen von Melfi und ihre Novellen (Studien und Quellen zur Welt Kaiser Friedrichs II. 3, 1975) bes. S. 71-73. 76 Die Rolle der den Städten zur Beachtung übersandten kaiserlichen und päpstlichen Antiketzergesetze sowie die regional unterschiedliche Rezeptionsgeschwindigkeit verdienten eine genauere Untersuchung. 77 Winfried T r u s e n , Strafprozeß und Rezeption, in: Peter L a n d a u und Friedrich Christian S c h r ö d e r (Hgg.), Strafrecht, Strafprozeß und Rezeption. Grundlagen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio Criminalis Carolina (Juristische Abhandlungen 19, 1984) S.29-118; d e r s . , Der Inquisitionsprozeß. Seine historischen Grundlagen und frühen Formen, Z R G Kan. 74 (1988) S. 168-230. - Außer Trusen vgl. auch Dietrich Ο e h 1 e r , Zur Entstehung des strafrechtlichen Inquisitionsprozesses, in: Hans Joachim H i r s c h / G ü n t h e r K a i s e r / Helmut M a r q u a r d (Hgg.), Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann (1986) S. 847-861 und Günter J e r o u s c h e k , Die Herausbildung des Peinlichen Inquisitionsprozesses im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Paul N e v e und Chris C O p p e n s (Hgg.), Vorträge gehalten auf dem 28. deutschen Rechtshistorikertag. Nimwegen 23. bis 27. September 1990 (1992) S. 95-126. 78 Peter L a n d a u , Die Durchsetzung neuen Rechts im Zeitalter des klassischen kanonischen Rechts, in: Gert M e l v i l l e (Hg.), Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde (Norm und Struktur 1, 1992) S. 137-155, das Zitat S. 155.

Zur Einführung

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III. in Abweichung von den gemeinrechtlichen Verfahrensregeln bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts zum speziellen Ketzerprozeß weiterentwickelt worden ist, hat ebenfalls der Rechtshistoriker Trusen kürzlich aufgezeigt 79 . Doch da dieser von der kirchlichen Gesetzgebung niemals insgesamt geregelte, sondern nur in Einzelfragen durch päpstliche Dekretalen bzw. Beschlüsse von Provinzialsynoden normierte Ketzerprozeß „weithin das Ergebnis der Praxis durch die Inquisitoren und der bischöflichen Eingrenzungen gewesen" 8 0 ist, kommt bei der Frage nach den Anfängen der inquisitio haereticae pravitatis der Beschreibung gerade dieser Praxis eine besondere Bedeutung zu, wobei die unterschiedlichen politischen, kirchlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Entwicklungen in den verschiedenen, zur lateinischen Christenheit 81 zählenden, Regionen des mittelalterlichen Europa beachtet werden müssen. Dies sollte auf dem Bayreuther Symposion, das schon von seiner Mittelausstattung her nicht mit den internationalen Inquisitionskongressen 82 der letzten Jahre verglichen werden kann, durch eine Kon79 Winfried T r u s e n , Vom Inquisitions verfahren zum Ketzer- und Hexenprozeß. Fragen der Abgrenzung und Beeinflussung, in: Dieter S c h w a b / Dieter G i e s e n / Joseph L i s t l / Hans-Wolfgang S t r ä t z (Hgg.), Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Mikat (1989) S.435-450; d e r s . , Rechtliche Grundlagen des Häresiebegriffs und des Ketzerverfahrens, in: Silvana S e i d e l M e n c h i (Hg.), Ketzerverfolgung im 16. und frühen 17. Jahrhundert (Wolfenbütteler Forschungen 51, 1992) S. 1-20.

T r u s e n , Rechtliche Grundlagen S. 8. Das griechisch-orthodoxe Christentum kennt keine »Inquisition«. Zum unterschiedlichen Umgang mit Häretikern im abendländischen und im byzantinischen Bereich vgl. Hans-Georg B e c k , Actus fidei. Wege zum Autodafe (SB München 1987, 3) und Nikos O i k o n o m i d e s , La brebis egaree et retrouvee: l'apostat et son retour, in: Dieter S i m o n (Hg.), Religiöse Devianz. Untersuchungen zu sozialen, rechtlichen und theologischen Reaktionen auf religiöse Abweichungen im westlichen und östlichen Mittelalter (Ius commune. Sonderhefte 48, 1990) S. 143-157. 80 81

82 Etwa 1978 in Skjoldenaesholm und Kopenhagen (vgl. Gustav HenningsenMarisa R e y - H e n n i n g s e n , Inquisition and Interdisciplinary History. Report from an international Symposium on the Medieval and Modern Inquisition. Skjoldenaesholm, 5 t h -9 t h September 1978 [Dansk Folkemindesamling. Studier 14, 1981]), 1983 in New York (Tagungsband hg.v. Angel A l c a l a [wie Anm. 21]) oder 1988 in Triest; zur letztgenannten Tagung vgl. Andrea D e l C o l - Giovanna P a o l i n (Hgg.), L'Inquisizione romana in Italia nell' etä moderna. Archivi, problemi di metodo e nuove ricerche. Atti del seminario internazionale Trieste, 18-20 maggio 1988 (Pubblicazioni degli Archivi di Stato. Saggi 19, 1991), dort S. 24 auch die Kongresse 1981 in Rom und Neapel sowie 1985 in DeKalb und Chicago samt den nachfolgenden Publikationen erfaßt.

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Peter Segl

zentration auf jene Länder versucht werden, in denen auch schon die ältere Forschung die Anfänge der »Inquisition« ausgemacht oder vermutet hatte, nämlich Frankreich, Italien, Deutschland, Spanien und Böhmen. Darüber hinaus erschien es ratsam, auch England in die Betrachtung einzubeziehen, da dieses in der Forschungsliteratur meist als die große Ausnahme bzw. als das Land herausgestellt wird, in dem die »Inquisition« nicht Fuß zu fassen vermochte83, eine Annahme, die überprüft werden sollte. Bedauerlicherweise mußte auf einen Beitrag über die Ketzerbekämpfung in Bosnien, eines der »Kernländer« des mittelalterlichen Katharismus, verzichtet werden, die schon Innocenz III. seit 1199 beschäftigt hatte84 und die erneut von Honorius III. 1221 seinem Legaten Accontius dringend ans Herz gelegt worden war, nachdem ihm zu Ohren gekommen war, daß in partibus Bosniae tamquam in cubilibus structionum haeretici receptati, velut lamiae nudatis mammis catulos suos lactent, dogmatizando palam suae pravitatis errores in enorme gregis Dominici detrimentum85. Für die Frage nach den Anfängen der »Inquisition« verdienten vor allem die Bemühungen Gregors IX. um die Ausrottung (exterminium) der Ketzer auf dem Balkan besondere Aufmerksamkeit. Sie reichen von der Absetzung des zuständigen Bischofs und der Anweisung an den päpstlichen Legaten, die Pastoral in Bosnien durch die Weihe möglichst mehrerer Bischöfe (- duos vel tres aut quatuor, prout videris expedire -) zu verbessern86, über die Aufforderung an die weltlichen Machthaber zum gewaltsamen Vorgehen87 und die Pivilegierung der sich am Ketzerkreuzzug beteiligenden Kämpfer88, bis hin zu der Ermahnung an den Erzbischof von Gran 83

M a i s o n n e u v e , L'Inquisition (wie Anm. 57) S. 55.

84

Einzelheiten dazu bei Franjo S a n j e k , Les chretiens bosniaques et le mouvement

cathare X I I e - X V e siecles (Publications de la Sorbonne. N S Recherches 2 0 , 1 9 7 6 ) S. 4 5 - 5 2 . Vgl. auch Georgi S e m k o v , Der sozial-ökonomische Hintergrund der Bogomilen in Bulgarien und Byzanz wie auch der Patarener in Bosnien, Heresis 3 (1984) S. 4 5 - 5 1 ; 4 (1985) S. 37-62, bes. S.42f. 85

Potthast

6725; Druck bei Nikolaus P f e i f f e r , Die ungarische Dominikaner-

provinz von ihrer Gründung 1221 bis zur Tatarenverwüstung 1241-1242, 1913) N r . 18, S. 164, nach dem ich zitiere. 86

P o t t h a s t 9211; Druck bei P f e i f f e r , Ungarische Dominikanerprovinz N r . 19,

S. 165f. Zu sämtlichen Aktivitäten Gregors I X . in bezug auf Bosnien vgl. S a n j e k , Chretiens bosniaques S. 68-74. 87

P o t t h a s t 9726; Druck bei P f e i f f e r , Ungarische Dominikanerprovinz N r . 2 2 ,

S. 168f.; vgl. auch P o t t h a s t 88

Potthast

9733.

10688.

Zur Einführung

21

und dessen Suffragane89, der Ketzerbekämpfung in Bosnien und der benachbarten Herzegowina (Cholim) ihre Unterstützung zu gewähren, für welche Region Gregor IX. 1238 den Dominikaner Ponsa zum Bischof erheben ließ90 und noch im selben Jahr zum Apostolischen Legaten ernannte91. Am gleichen Tag, dem 23. Dezember 1238, rühmte er in einem Schreiben an Erzbischof Robert von Gran und dessen Suffragane von Ponsa, daß durch dessen Bemühungen Bosnien, que usque ad haec ipsa pertulit haeretice pravitatis opprobrium ... ad, status gratiam redeat salutaris92. Knapp 8 Monate später, am 6. August 1239, berichtet der Papst dem Provinzial der Dominikaner in Ungarn von den Leistungen Kolomans, des Sohnes König Andreas' II. von Ungarn, bei der Häresiebekämpfung in Bosnien und fordert ihn auf, aliquos fratres ordinis tut potentes in opere et sermone ad dictam terram ad predicandum inibi verbum dominicum et cultum divinum fortius ampliandum destinare9i. In Bosnien, dessen einheimischer Adel, ähnlich wie in Südfrankreich nicht selten mit den Ketzern sympathisierte, während der ungarische Oberlehensherr sich offensichtlich durch Ketzerbekämpfung die Gunst Roms zur Verfolgung politischer Ziele zu sichern suchte, setzte Gregor IX. also im Kampf gegen die weitverbreitete Häresie außer den längst bekannten und letztlich immer nur mäßige Erfolge erbracht habenden Mitteln (- Legationen, Aktivierung der Bischöfe und der weltlichen Gewalt, Ketzerkreuzzug -) wie in Südfrankreich, Deutschland, Italien und Spanien ebenfalls Predigerbrüder ein, doch ob und gegebenfalls ab wann diese auch mit der »Inquisition« im Sinne der oben vorgeschlagenen Definition betraut worden sind, erforderte

89 P o t t h a s t 10692; Druck bei P f e i f f e r , Ungarische Dominikanerprovinz N r . 2 7 , S. 174f. 90 P o t t h a s t 10585; Druck bei P f e i f f e r , Ungarische Dominikanerprovinz N r . 2 5 , S. 171-173. Schon der Vorgänger Ponsas, der Ende 1235 oder Anfang 1236 als Bischof zurückgetretene Johannes von Wildeshausen, war Mitglied des Predigerordens gewesen. 91 P o t t h a s t 10693; Druck bei P f e i f f e r , Ungarische Dominikanerprovinz N r . 2 6 , S. 173f. 92 Ρ ο 11 h a s t 10692; Druck bei P f e i f f e r , Ungarische Dominikanerprovinz Nr. 27, S. 175. 93 P o t t h a s t 10823; Druck bei P f e i f f e r , Ungarische Dominikanerprovinz N r . 2 9 , S. 176f.

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Peter Segl

eine eigene Untersuchung94, die gleichzeitig auch die übrigen Länder der Krone Ungarn einbeziehen sollte, um auch für diese Regionen genauere Kenntnisse über die Anfänge der inquisitio baereticae pravitatis zu gewinnen95. Je nach Land stellen sich die Anfänge der »Inquisition« nicht nur jeweils anders dar, sondern sie haben auch in einem etwa zwei Jahrhunderte andauernden Entwicklungsprozeß zu je unterschiedlichen Zeiten stattgefunden, was sich durch eine Einbeziehung Skandinaviens in die Betrachtung noch verdeutlichen ließe, wozu während der Bayreuther Tagung jedoch keine Gelegenheit bestand. Es darf jedoch daran erinnert werden, daß erst mit der am 9. Mai 1403 von Papst Bonifaz IX. vorgenommenen Ernennung des Franziskaners Clemens Rauwaldi zum inquisitor heretice pravitatis in provincia regni Dacie ein „Beispiel einer inquisitorischen Jurisdiktion in einem skandinavischen Gebiete"96 bekannt ist. Im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Hussitismus hat dann 1421 Papst Martin V. den Bischof von Schleswig beauftragt, den Minoriten Nikolaus Johannes zum Inquisitor für Dänemark, Schweden und Norwegen zu ernennen, doch konnten bisher keinerlei Spuren inquisitorischer Aktivitäten in dessen riesigem Sprengel entdeckt werden97. Da im Hauptteil des vorliegenden Bandes, der Konzeption des Kolloquiums entsprechend, die Anfänge der inquisitio baereticae pravitatis in ausgewählten Ländern Europas von Historikern behandelt werden, kommt dem rechtshistorischen Beitrag von W i n f r i e d T r u s e n im wahrsten Sinne des Wortes grundlegende Bedeutung zu. 94

Wertvolle Vorarbeiten dazu bei S a η j e k , Chretiens bosniaques (wie Anm. 84),

der aber den institutionsgeschichtlichen Aspekten der päpstlichen Ketzerbekämpfung auf dem Balkan keine Aufmerksamkeit geschenkt hat. 95

In der verdienstvollen, geographisch angeordneten Zusammenstellung „Prediger-

orden und Inquisition" bei Heribert Christian S c h e e b e n , Beiträge zur Geschichte Jordans von Sachsen (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 35, 1938) S. 142-153 erscheint weder Bosnien noch Ungarn. Die Monographie von Mätyäs Jenö F r e h e r , Közepkori magyar inkvizicio [Inquisition im mittelalterlichen Ungarn] (Magyar törtenelmi Tanulmänysorozat 2, 1968) läßt den Wunsch nach einer Einbeziehung Ungarns in die Erhellung der Anfänge der inquisitio baereticae pravitatis umso dringlicher erscheinen. 96

L e a , Geschichte der Inquisition (wie Anm. 60) 2, S. 457.

97

L e a , Geschichte der Inquisition 1, S. 397; vgl. auch Gustav H e n n i n g s e n , Los

Daneses y la Inquisicion, Annuario dell'Istituto storico italiano per l'etä moderna e contemporanea 3 7 / 3 8 ( 1 9 8 5 / 8 6 ) S. 2 0 1 - 2 1 6 , bes. S.203.

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Zur Einführung

Aufbauend auf seinen bisherigen Forschungen und diese vielfach präzisierend und weiterführend stellt Trusen erneut die Entstehung und die Anfänge des Inquisitionsprozesses unter Papst Innocenz III. (1198-1216) dar, skizziert dessen weitere Entwicklung, Übernahme in die weltliche Gerichtsbarkeit und „Angleichung an das gemeine Strafprozeßrecht". Nach einem Uberblick über das Verfahren der bischöflichen Ketzerverfolgung bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, in dem er dem materiell-rechtlichen wie dem prozessualen Inhalt der

von ihm als magna charta persecutionis haereticorum

gewürdigten

Dekretale Ad abolendam besondere Aufmerksamkeit zuwendet, behandelt er die römisch-rechtlichen Einflüsse auf die mittelalterliche Antiketzergesetzgebung von »Kirche« und «Staat«, unter denen vor allem die Anwendung der Rechtsfolgen des crimen laesae maiestatis auf die Häretiker sowohl durch Innocenz III., Alfons II. und Peter II. von Aragon als auch durch Kaiser Friedrich II. herausgestellt werden. Seine anschließende Darstellung des summarischen Ketzerprozesses, der durch Papst Bonifaz VIII. (1294-1303) endgültig sanktioniert worden ist 98 und der sich am vollständigsten in dem 1376 von Nicolaus Eymerich in Avignon zusammengestellten Directorium inquisitorum99 studieren läßt, verbindet der Autor mit der Warnung vor dem MißVerständnis, es gäbe „d en Ketzerprozeß schlechthin". Verfahren gegen Ketzer hätten im Mittelalter in durchaus unterschiedlicher Form durchgeführt werden können, doch in der Regel begegne im Spätmittelalter ein summarisches Verfahren gegen Häretiker, das

98

VI 5.2.20 (ed. F r i e d b e r g , Corpus iuris canonici 2 [1879] Sp.1078).

99

Das 1503 in Barcelona erstmals und unter dem Titel Directorium

inquisitorum

gedruckte ( v a n d e r V e k e n e [wie A n m . 2 ] N r . 50) Inquisitorenhandbuch Eymerichs war schon handschriftlich weit verbreitet und trägt in den Handschriften nicht selten die Uberschrift Directorium pia sancte inquisitionis

Inquisitionis,

so etwa auch Vat. lat. 4866; Incipit:

Ne

negotia, fol.l r . Zur handschriftlichen Überlieferung des Werkes

vgl. Heinrich D e n i f l e , Die Handschriften von Eymerichs Directorium inquisitionis, Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 1 (1885) S. 143-145 sowie Thomas K a e p p e l i , Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi 3 (1980) N r . 3 0 6 2 , S. 158f.; zur Druckgeschichte: Emil v a n d e r V e k e n e , Die gedruckten Ausgaben des >Directorium inquisitorum< des Nicolaus Eymerich, Gutenberg-Jahrbuch 48 (1973) S . 2 8 6 - 2 9 7 ; Edward P e t e r s , Editing Inquisitors' Manuals in the Sixteenth Century: Francisco Pena and the Directorium Inquisitorum of Nicholas Eymeric, The Library Chronicle 40 (1974) S. 95-107; Agostino B o r r o m e o , A Proposito del Directorium Inquisitorum di Nicolas Eymerich e delle sue edizioni cinquecentesche, Critica Storica 20 (1983) S. 499-547.

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Peter Segl

man jedoch keinesfalls in einen Topf werfen dürfe „mit dem in ähnlicher Weise gekennzeichneten summarischen Zivilprozeß, wie das bisweilen geschehen ist". Trusens konzise Skizze der Grundsätze des summarischen Ketzerprozesses und seine Hinweise auf dessen Unterschiede, aber auch Ubereinstimmungen mit dem gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß dürften in Zukunft gerade den Historikern das begriffliche Auseinanderhalten beider Prozeßarten erleichtern. Von der historischen Forschung sind schon seit langem die Ketzergruppen in Südfrankreich und deren Bekämpfung im Hinblick auf die Anfänge und die Wirkungsweise der inquisitio haereticae pravitatis mehrfach untersucht worden, wobei nach grundlegenden Werken von Charles Molinier 100 , Louis Tanon 101 , Celestin Douais 102 , Th. de Cauzons 1 0 3 , Jean Guiraud 104 , Yves Dossat 105 , Antoine Dondaine 106 , Walter Wakefield 107 oder Bernard Hamilton 1 0 8 die Regensburger Dissertation von L o t h a r K o l m e r mit der systematischen Auswertung von „über 10000 Seiten ungedruckter Quellen" 1 0 9 einen weiteren Forschungsfortschritt brachte, der in den letzten Jahren durch Untersuchungen

Charles M o l i n i e r , L'inquisition dans le Midi de la France au X I I I e et au X I V e siecle. Etude sur les sources de son histoire (1880; N D 1964). 101 Louis T a n o n , Histoire des Tribunaux de l'inquisition en France (1893). 102 Celestin D o u a i s , Documents pour servir ä l'histoire de l'inquisition dans le Languedoc, 2 Bde. (1900); d e r s . , L'inquisition, ses origines, sa procedure (1906). 103 Th. de C a u z o n s , Histoire de l'inquisition en France, 2 Bde. (1909-1912). 104 Jean G u i r a u d (Hg.), Cartulaire de Notre-Dame de Prouille, 2 Bde. (1907); d e r s . , Histoire de l'inquisition au moyen äge. Origines de l'inquisition dans le Midi de la France, 2 Bde. (1935-1938). 105 Yves D o s s a t , Les crises de l'inquisition toulousaine au X I I I e siecle (1233-1273) (1959); grundlegende Aufsätze der Jahre 1941-1977 jetzt nachgedruckt in: D o s s a t , Eglise et heresie en France au X I I I e siecle (Collected studies series. CS 147, 1982). 106 Antoine D o n d a i n e , Un traite neo-manicheen du X I I I e siecle: Le Liber de duobus principiis, suivi d'un fragment de rituel cathare (1939); d e r s . , Les heresies et l'inquisition, X I I e - X I I I e siecles. Documents et etudes. Edite par Yves D o s s a t (Collected studies series. CS 314, 1990). 107 W a k e f i e l d , Heresy, Crusade and Inquisition (wie Anm. 38). 108 Bernard H a m i l t o n , The medieval inquisition (1981). 109 Lothar K o l m e r , Ad capiendas vulpes. Die Ketzerbekämpfung in Südfrankreich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und die Ausbildung des Inquisitionsverfahrens (Pariser Historische Studien 19, 1982); das Zitat S. 14. 100

Zur Einführung

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von Jean Duvernoy 110 , James Given 111 oder John H. Mundy 112 , um wieder nur einige wenige zu nennen, noch weiter ausgebaut werden konnte. Schon vor Kolmers Buch wußte man, daß die entscheidende Wende in der Bekämpfung der südfranzösischen Katharer und Waldenser mit den im Januar 1234 auf Vorschlag ihres Provinzialoberen Romeu de Llivia vom Vienner Erzbischof Johannes von Bernin als päpstlichem Legaten ad. faciendum inquisitionem contra haereticosni zu delegierten Richtern ernannten Dominikanern Guillelmus Arnaldi, Arnaldus Catala, Pontius von Saint Gilles und Petrus Seila sowie deren jeweiligen Nachfolgern eingetreten ist, doch die auch früher schon einigermaßen überschaubaren Aktivitäten dieser Fratres inqui«iores 114 , ihr Verhältnis zu Bischöfen und Lokalgewalten, ihre Erfolge und Mißerfolge und das durch ihre verschiedenen Ketzerprozesse immer effizienter ausgestaltete Prozeßverfahren sind durch ihn sehr viel deutlicher sichtbar geworden, insbesondere im Hinblick auf die von Bischöfen und Synoden gemeinsam mit den päpstlichen Inquisitoren erarbeiteten Verfahrungsregeln, die um 1244 ihre feste Form gefunden hatten und im Ordo processus Narbonensis handbuchartig zusammengestellt worden sind. In diesen aus der Praxis der Inquisitoren entstandenen Richtlinien, die 1246 von einem Konzil in Beziers 115 ergänzt und später noch weiter perfektioniert worden sind, ist von der Vorladung (modus citandi) über das Verhör {formula interrogandi) bis

110 Jean D u v e r n o y , Le catharisme 2: L'histoire des cathares, 2 e reimpression (1989); vgl. auch d e r s . , La Procedure de repression de l'heresie en Occident au moyen-äge, Heresis 6 (1986) S. 45-53. 1,1 James G i v e n , The Inquisitors of Languedoc and the Medieval Technology of Power, The American Historical Review 94 (1989) S. 336-359. 112 John Hine M u n d y , The Repression of Catharisme at Toulouse. The Royal Diploma of 1279 (Studies and Texts 74, 1985); d e r s . , Men and women at Toulouse in the age of the Cathars (Studies and Texts 101, 1990). 113 Den Legaten als Quelle ihrer Gerichtskompetenz in Sachen Ketzerei führen die Inquisitoren fast regelmäßig an, so auch in einem Urteil vom 26. Mai 1237 (Coli. Doat 21, fol.l44 v ), in dem sie sich nennen judices constituti a venerabili patre Johanne, Dei gratia sancte Viennensis ecclesie archiepiscopo, apostolice Sedis legato, ad faciendum inquisitionem contra bereticos in Tholosa et in tota diocesi Tholosana, zitiert nach D o s s a t , Les crises (wie Anm. 105) S. 122 Anm. 120. 114 So nennt P e l his so η, Chronicon (wie Anm. 10) S. 20 seine mit richterlichen Vollmachten zur Ketzerbekämpfung ausgestatteten Ordensbrüder. 115 M a n s i 23, Sp.689-704 (statuta) und Sp.715-724 (consilium); dazu K o l m e r , Ad capiendas S. 200-212.

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hin zur Verkündung der verschiedenen Strafarten (modus et forma reconciliandi et puniendi redeuntes ad ecclesiasticam unitatem; littere de penitentiis faciendis; forma sententie relinquendi brachio seculari) und der Verurteilung von bereits verstorbenen Häretikern {forma sententie contra eos qui heretici decesserint) alles geregelt, was bei der Durchführung eines processus inquisitionis von auctoritate Domini Pape ...ad inquirendum de hereticis beauftragten Dominikanern beachtet werden mußte 1 1 6 . In seinem Beitrag zu diesem Band faßt Kolmer nicht nur seine früheren Forschungsergebnisse knapp zusammen, sondern bereichert sie durch neue Beobachtungen zur Rolle der in Südfrankreich eingerichteten Inquisitionstribunale bei der sozialen Umschichtung 1 1 7 und »Disziplinierung« der Bevölkerung sowie bei deren Eingliederung in den französischen Territorialstaat 118 . Da wegen der geringen Ressourcen des Bayreuther Kolloquiums und seiner Beschränkung auf insgesamt 9 Referate in unserem Tagungsband ein eigentlich notwendiger Beitrag über die Anfänge der „inquisitionären Ketzerbekämpfung" 1 1 9 in Nordfrankreich fehlt, gewinnt der gleichsam nur nebenbei gegebene Hinweis von Kolmer

116 Alle Zitate nach dem Druck des Ordo processus Narbonensis bei S e l g e (Hg.), Texte (wie Anm. 13) S. 70-76. 117 Hier konnte der Referent auf Ergebnisse der Regensburger Dissertation von Michael H a n s s l e r , Katharismus in Südfrankreich. Struktur der Sekte und inquisitorische Verfolgung in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (1991) zurückgreifen. 118 Der den Trend des derzeitigen Forschungsinteresses charakterisierende Hinweis Kolmers auf Roswitha H a n c k e , Häresie und Inquisition. Uber die Kirche als Schöpferin neuer und folgenschwerer Herrschafts-Strategien und Kontrollformen, Kriminologisches Journal. Beiheft 2 (1987) S. 58-73, sollte den von der französischen Forschung immer wieder betonten „aspect persuasif" der »Inquisition« nicht völlig verdunkeln und darf nicht vergessen lassen, daß die Inquisitoren „sont ä la fois juges et penitenciers, et l'originalite de l'Inquisition est de parvenir ä concilier ces deux fonctions", Patrick Η e η r i e t, Du nouveau sur l'inquisition languedocienne, in: Effacement du Catharisme (wie Anm. 19) S. 159-173, die Zitate S. 171 und S. 170. Auch Fragestellungen, wie die für das 16. Jahrhundert sich als fruchtbare erweisende von Silvana S e i d e l M e n c h i , Inquisizione come repressione. Inquisizione come mediazione?, Annuario dell'Istituto storico italiano per l'etä moderna e contemporanea 35/36 (1983/84) S. 51-77 könnten der mediävistischen Inquisitionsforschung Anregungen vermitteln. 119 Der Ausdruck stammt von Η a n c k e , Häresie und Inquisition S. 67.

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zusätzliches Gewicht, daß die »Inquisition« in Frankreich nicht im Süden, sondern im Norden mit Robert le Bougre 1 2 0 begonnen habe. Für Italien hat H e l m u t G . W a l t h e r , der schon seit Jahren die Forschung immer wieder mit neuen Einsichten in die kirchenrechtlichen, theologischen und politischen Rahmenbedingungen der Ketzerbekämpfung bereichert, auf die ihm gestellte Frage nach der Ausbildung und dem Beginn einer ständigen kirchlichen Sondergerichtsbarkeit zur Ketzerverfolgung durch eine Analyse der päpstlichen Ketzerpolitik in der Lombardei und im Kirchenstaat die Antwort gefunden, wobei er insbesonders der Erweiterung des Ketzerbegriffs um das Vergehen des contemptus clavium nachging, der nicht nur „im theologisch-politischen Weltbild" des Papstes Innocenz III. einen „Zentralbegriff gebildet haben" dürfte 121 , sondern der auch von Innocenz IV. erfolgreich zur Verketzerung und Absetzung des Staufers Friedrich II. eingesetzt worden ist 122 . Gerade dieser hatte sich in den Jahren davor von Gregor IX. ebenso wie schon sein Großvater Friedrich I. von Lucius III. in Italien und im Reich „zum Exekutor der vom päpstlichen Dekretalenrecht geprägten Formen der Aufspürung und prozessualen Behandlung von der Ketzerei Verdächtigen" machen lassen, da beide den „kommunefeindlichen Grundton" der

120 Nach den Studien von Emile C h e n o n , L'heresie ä la Charite sur Loire et les debuts de {'inquisition monastique, Nouvelle Revue historique de droit fran^ais et etranger 41 (1917) S. 199-345 und Charles Homer H a s k i n s , Robert le Bougre and the Beginnings of the Inquisition in Northern France, in: d e r s . , Studies in Medieval Culture (1929; N D 1965) S. 193-244 sind Robert le Bougre und seine Antiketzerkampagnen zwar immer wieder in der »Inquisitionsliteratur« gestreift, aber nicht mehr gründlich untersucht worden. Eine Neubearbeitung, die auch im Hinblick auf Konrad von Marburg ein dringendes Desiderat darstellt, müßte den Gesamtrahmen der »Ketzerpolitik« Gregors I X . berücksichtigen und dabei auch das bisher von der Forschung vernachlässigte »Robert-Material« in der Formularsammlung des Thomas von Capua (vgl. dazu Anm. 11) einbeziehen. 121 Othmar H a g e n e d e r , Bischof Wolfger von Passau und Papst Innocenz III. Ihre Aussöhnung im Jahre 1204, in: Jürgen S c h n e i d e r - Gerhard R e c h t e r (Hgg.), Festschrift Alfred Wendehorst (Jahrbuch für fränkische Landesforschung 52, 1992) S. 109-120, das ZitatS. 114. 122 M G H Epp.pont.2, Nr. 124, S. 88-94; Verachtung der Schlüsselgewalt S. 90 Zeile 38. Zum politischen Hintergrund und propagandistischen Kontext der Absetzung Friedrichs II. zuletzt Peter S e g l , Die Feindbilder in der politischen Propaganda Friedrichs II. und seiner Gegner, in: Franz B o s b a c h (Hg.), Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit (Bayreuther Historische Kolloquien 6, 1992) S. 41-71, bes. S. 67f.

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päpstlichen Ketzerverfolgungsbestimmungen für ihre Aktionen gegen widerspenstige kommunale Magistrate in Oberitalien politisch instrumentalisieren konnten. Walther geht auch den von der Forschung bislang zu wenig beachteten besonderen Umständen nach, wie in jenem nicht unbedeutenden Teil Italiens, der der weltlichen Herrschaft des Papstes direkt unterstand, die Bestimmungen der Ketzerdekretalen in die Praxis der Ketzerverfolgung umgesetzt wurden, wobei er am Einsatz der Dekretale Vergentis in senium vom 25.3.1199 in den Auseinandersetzungen Innocenz' III. mit den Kommunen Viterbo und Orvieto den Nachweis führt, daß dabei für den Papst weniger die Ketzerfrage, als die Durchsetzung seiner Herrschaftsinteressen im Kirchenstaat Vorrang hatte. Sowohl im Patrimonium Petri wie auch außerhalb hat Papst Gregor IX. italienischen Bischöfen seit 1233 Predigerbrüder als Helfer in der Ketzerverfolgung zugesandt, deren inquisitorische Aktivitäten jedoch ausdrücklich auf die forma statutorum von 1231123 beschränkt und ihnen offensichtlich keine Jurisdiktionsgewalt übertragen. Auch in Mailand, wo schon 1229 vom Podestä eine Kommission von 12 Mitgliedern, darunter je zwei Dominikaner und zwei Franziskaner, zur Aufspürung der Ketzer ernannt worden war, blieben diese inquisitores auch 1233 noch immer dem erzbischöflichen Gericht unterstellt. Da selbst die am 20. Mai 1237 verfügte generelle Neuregelung der dominikanischen Ketzerverfolgungsaktivitäten in der Lombardei immer noch das traditionelle Formular von Ille humani generis von 1231 und 1233 verwendet, liegt der Schluß nahe ( - den Walther zwar expressis verbis nicht zieht, der sich aber nach einem Blick in das von ihm zitierte Schreiben Gregors IX. 124 geradezu aufdrängt -), daß auch damals die inquisitio haereticae pravitatis im Sinne von »Sondergerichtsbarkeit« gegen Ketzer in Oberitalien noch nicht eingerichtet war. Fünfzehn Jahre später jedoch war auch dort es soweit, denn die von Innocenz IV. durch die Dekretale Ad extirpanda vom 15. Mai 1252 für die Lombardei, Mark Treviso und Romagna angeordneten Ketzeraufspürtrupps unter dem Kommando des jeweiligen Podestä oder Rektor hatten die von ihnen entdeckten und gefangengesetzten Häresieverdächtigen dem Diözesanbischof, dessen Spezialvikar oder den vom apostolischen 123

Womit die Capitula

gemeint sind. 124

M a n s i 23, Sp.74f.

Anibaldi

senatoris

und die Dekretale

Excommunicamus

Zur Einführung

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Stuhl beauftragten Inquisitoren zur Untersuchung und Aburteilung zu überstellen 125 . Wie gerade der Schlußpassus von Ad extirpanda, so Walther, deutlich mache, „war auch diese päpstliche Ketzerdekretale ... wiederum in ihren Verfahrensregeln in erster Linie auf die italienischen Verhältnisse abgestimmt", doch da sie, so wird man hinzufügen dürfen, Innocenz IV. schon am 25. Mai 1252 auch den Dominikanern zuleitete 126 , zwei Jahre später erneut promulgierte 127 , und sie mit geringfügigen Modifikationen von seinen Nachfolgern Alexander IV. 1 2 8 , Clemens IV. 1 2 9 und Nikolaus IV. 1 3 0 für ganz Italien verbindlich gemacht worden ist, hat die Bulle Ad extirpanda rasch weite Verbreitung und Eingang in die Handbücher der Inquisitoren gefunden und ist auch außerhalb Italiens als Norm rezipiert worden 131 . Als ein gravierendes Forschungsdefizit hat Walther die immer noch fehlende Untersuchung der Beziehungen Papst Gregors IX. ( - und vorher schon des Kardinals Hugolin - ) zu den Dominikanern herausgestellt, die gerade im Hinblick auf die Betrauung mit Inquisitionsaufgaben auch früher schon mehrfach angemahnt worden ist 132 . Erst im Rahmen einer gründlichen Studie über die Antiketzeraktivitäten der Dominikaner in den Jahren 1227 bis 1241 würde sich auch der jeweilige Stellenwert jener zahlreichen Ille humani generis-Schreiben Gregors IX. bestimmen lassen, die einzelnen Predigerbrüdern Inquisitionsaufgaben teils mit, teils ohne Delegation von Jurisdiktionsgewalt übertragen haben und die noch immer für erhebliche Differenzen M a n s i 23, Potthast 127 P o t t h a s t 128 P o t t h a s t 129 P o t t h a s t Januar 1266. 125

126

Sp.569-575. 14603. 15375 vom 20. Mai 1254. 17714 vom 30. November 1259. 19433 vom 3. November 1265; vgl. auch P o t t h a s t 19523 vom 18.

P o t t h a s t 22946 vom 22. April 1289. Hingewiesen sei lediglich auf Bernhard Gui, der Ad extirpanda in der Fassung Clemens' IV. vom 3. Nov. 1265 in seine Practica inquisitionis heretice pravitatis (wie Anm. 20) S. 310-319 inseriert hat. Schon Pseudo-David von Augsburg jedoch kannte die Bulle und auch in zahlreichen »Inquisitionsamtsbüchern« läßt sie sich nachweisen, worauf an anderer Stelle einzugehen sein wird. 130

131

132 So etwa von S c h e e b e n , Beiträge (wie Anm. 95) S. 142 und Peter S e g l , Ketzer in Osterreich. Untersuchungen über Häresie und Inquisition im Herzogtum Österreich im 13. und beginnenden 14. Jahrhundert (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte N.F. 5, 1984) S.63 Anm. 327.

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in der Beurteilung der Anfänge der inquisitio haereticae pravitatis sorgen. Zur Erhellung der Zusammenarbeit Gregors IX. mit Angehörigen des Predigerordens bei der Eindämmung der Ketzergefahr müßte auch sein bereits drei Monate nach seiner Wahl erfolgtes Eingreifen in Florenz, dem Zentrum und Bischofssitz der katharischen ecclesia de Tusciam, erneut in den Blick genommen und genauer als bisher analysiert werden. Der Papst beauftragte nämlich am 20. Juni 1227 Johannes von Salerno, den Prior der Dominikaner von Santa Maria Novella, zusammen mit einem seiner Mitbrüder und dem Florentiner Kanoniker Bernhard, den bereits im Vorjahr gefangengesetzten und dann wieder freigelassenen Häresiarchen Philipp erneut zu jagen und von neuem zu fangen, ebenso auch dessen Anhänger, und die Verhafteten so lange in hartem Kerker (- in arta custodia -) zu verwahren, bis sie öffentlich ihren häretischen Irrtümern abgeschworen und alle ihre Verfehlungen bekannt hätten. Unter dieser Voraussetzung dürften sie dann wieder in die Kirchengemeinschaft aufgenommen werden, gegen Unbußfertige sollte procedatur iuxta constitutionem concilii generalis, also gemäß den Bestimmungen des IV. Lateranums vorgegangen werden. Zur Unterstützung des Florentiner »Greifkommandos« schickte der Papst einen Priester, der selbst einst Häretiker gewesen war und nun in Florenz bei der Aufspürung des Katharerbischofs und seiner Glaubensgenossen behilflich sein sollte - insgesamt ein Schreiben 134 , das gerade auch in Hinblick auf das päpstliche Eingreifen in eine Ortskirche und die auffallende Nichterwähnung des Bischofs, auf das Zusammenwirken von Dominikanern und Kanonikern sowie die Beteiligung eines aus Rom abgeordneten »Spezialisten« als frühes Zeugnis der Antiketzeraktivitäten Gregors IX. bei der Frage nach den

133

Antoine D o n d a i n e ,

La hierarchie cathare en Italie II, Archivum

Fratrum

Praedicatorum 20 (1950) S. 234-324; über die katharische Kirche von Florenz S. 2 9 9 - 3 1 0 . 134

Das noch heute im Original erhaltene Schreiben Gregors I X . vom 20. Juni

1227 (Archivio di Stato di Firenze, Diplomatico, S. Maria Novella) ist dank seines Abdruckes bei Vincenzo F i n e s c h i , Memorie istoriche, che possono servire alle vite degli uomini illustri del convento di S.Maria Novella (Firenze 1790) S . 7 7 - 7 9 der Forschung keineswegs unbekannt geblieben. Vgl. dazu etwa d' A l a t r i , Ii vescovo (wie A n m . 3 1 ) S. 117; Brunetto Q u i l i c i , L a chiesa di Firenze nei primi decenni del secolo X I I I (1965) S. 88f.; Dinora C o r s i, Aspetti dell'inquisizione fiorentina nel'200, in: Domenico Μ as e Iii (Hg.), Eretici e ribelli del X I I I e X I V sec. Saggi sullo spiritualismo francescano in Toscana (1974) S. 69f. In diesen Arbeiten findet sich die ältere Literatur.

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Anfängen der inquisitio haereticae pravitatis erhöhte Aufmerksamkeit beanspruchen darf. Deutschland kommt in den Anfängen der »Inquisition« im Mittelalter insofern eine besondere Stellung zu, als der hier seit 1227 als Ketzeraufspürer nachweisbare Magister Konrad von Marburg, der Beichtvater der Heiligen Elisabeth, nicht nur „Deutschlands erster Inquisitor" 135 gewesen ist, sondern möglicherweise überhaupt als der erste mit päpstlich delegierter Sondergerichtsbarkeit ausgestattete Ketzerverfolger in Europa bezeichnet werden muß. Außerdem hat dieser homo rigidus et austeruslib ab Herbst 1231 in knapp zweijährigem Wirken als Inquisitor im Reich eine solche „Konfusion" erzeugt, wie sie nach Meinung von Zeitgenossen seit Jahrhunderten unbekannt gewesen ist 137 , und die ihrem Verursacher schon längst das anhaltende Interesse der Historiker gesichert hat. Auf der Bayreuther Tagung hat sich D i e t r i c h K u r z e , dessen Arbeiten zur spätmittelalterlichen Ketzergeschichte gerade die deutsche Inquisitionsforschung vielfach angeregt und befördert haben 138 , den Anfängen der inquisitio haereticae pravitatis in Deutschland angenommen und dabei das Wirken Konrads von Marburg in den Mittelpunkt seiner Untersuchung gestellt, das bisher von der Forschung noch sehr kontrovers beurteilt wird. Während man einerseits an den von Konrad von Marburg durchgeführten Ketzerprozessen „Unregelmäßigkeiten"

135

Eduard W i n k e l m a n n , Deutschlands erster Inquisitor, Deutsche Rundschau 28

(1881) S. 220-234. 136

So charakterisiert ihn aus persönlicher Bekanntschaft Cäsarius von Heisterbach,

Vita sancte Elyzabeth lantgravie, hg.v. Albert H u y s k e n s , Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 86 (1908) S. 17-50, das Zitat S. 31. 137

Alberich von Troisfontaines, Chronica, M G H SS 23, S. 932 Zeile lf.: et facta est

confusio a seculis 138

inaudita.

Erwähnt seien lediglich Dietrich K u r z e ,

Die festländischen Lollarden. Zur

Geschichte der religiösen Bewegungen im ausgehenden Mittelalter, Archiv für Kulturgeschichte 47 (1965) S . 4 8 - 7 6 ; d e r s . , Zur Ketzergeschichte der Mark Brandenburg und Pommerns vornehmlich im 14. Jahrhundert. Luziferianer, Putzkeller und Waldenser, Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 16/17 (1968) S . 5 0 - 9 4 ; d e r s . , Märkische Waldenser und Böhmische Brüder. Zur brandenburgischen Ketzergeschichte und ihrer Nachwirkung im 15. und 16. Jahrhundert, in: Festschrift für Walter Schlesinger, hg.v. Helmut Β e u m a η η, Bd.2 (Mitteldeutsche Forschungen 74/11, 1974) S . 4 5 6 - 5 0 2 ; d e r s . , Quellen zur Ketzergeschichte Brandenburgs und Pommerns (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 45, 1975); d e r s . , Häresie und Minderheit im Mittelalter, H Z 2 2 9 (1979) S. 529-573.

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und „Rechtsbrüche" glaubte feststellen zu können 139 , hat man ihn andererseits gerade davon freigesprochen und betont, sein Vorgehen sei „die zwangsläufige Folge des Wirkens ketzerinquisitorischer Ausnahmegerichtsbarkeit", in deren Wahrnehmung Konrad „die Regeln des neuen, prozessualisch noch unerprobten Ketzerinquisitionsverfahrens konsequent angewandt" habe, dabei auch „wohl bis an die Grenze von dessen prozeßrechtlichen Möglichkeiten, aber nicht daüber hinaus" gegangen sei 140 . Kurze hat durch seine erneute sorgfältige Analyse der reichlich desolaten Quellenlage bisher übersehene Aspekte der Anfänge der Ketzerinquisition in Deutschland herausgearbeitet und im Gewoge konträrer Forschungspositionen massive Pfeiler errichtet, auf denen ein Brückenschlag zwischen den sich bisher ausschließenden Auffassungen über geregeltes oder ungeregeltes Vorgehen Konrads von Marburg möglich werden dürfte. Sein Argumentationsgang und seine Ergebnisse sollen hier nicht vorweggenommen werden, noch dazu der Berichterstatter in diesem Falle „Partei" ist, doch mit Nachdruck sei auf den Editionsanhang seines Beitrages hingewiesen, in dem er das für die Geschichte der Ketzerverfolgung in Deutschland und allgemein für die Anfänge der inquisitio haereticae pravitatis in Europa ungemein wichtige Schreiben Papst Gregors IX. an Konrad von Marburg vom 11. Oktober 1231 kritisch ediert hat. Dadurch ist nun ein Vergleich der Konrad von Marburg erteilten Vollmachten mit jenen Ketzerverfolgungsaktivitäten wesentlich erleichtert, die Gregor IX. am 22. November 1231 dem Prior Burkard und dem Bruder Dietrich des Regensburger Dominikanerkonventes mit seiner berühmten Bulle Ille humani generislAX aufgetragen hat, deren Formular die päpstliche Kanzlei später noch für weitere Beauftragungen von Dominikanern mit der Ketzerbekämpfung gerne verwandte. Die Diskussion über die Interpretation von Wortlaut und Umfang des päpstlichen Auftrages an Konrad von Marburg, und dessen Vergleich mit den Aufträgen an die Regensburger Dominikaner, sollten durch die Edition Kurzes,

139 Peter S e g l , Konrad von Marburg, in: N D B 12 (1980) Sp.544-546, die Zitate Sp.545. 140 Alexander P a t s c h o v s k y , Zur Ketzerverfolgung Konrads von Marburg, DA 37 (1981) S. 641-693, die Zitate S. 666. 141 Original im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München (BayHStA), Regensburg, Dominikaner Nr. 7; Druck bei Ludwig F ö r g, Die Ketzerverfolgung in Deutschland unter Gregor IX. (Historische Studien 218, 1932) S. 94-96.

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die schon im Druckbild die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede deutlich macht, erneut an Intensität gewinnen. A l e x a n d e r P a t s c h o v s k y , dessen Entdeckung, Edition und wissenschaftliche Analyse eines Prager Inquisitoren-Handbuches aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts die Forschung vor mehr als fünfzehn Jahren „zu einer grundsätzlich neuen Auffassung" 142 über die Verbreitung und die Bekämpfung von Häresie im spätmittelalterlichen Böhmen geführt hat, beschäftigt sich in seinem Beitrag mit dem 1318 in Prag errichteten und vom Papst autorisierten Officium inquisitionis haereticae pravitatis und geht vor allem der Frage nach der funktionalen Bedeutung von Häresie und Ketzerverfolgung im gesellschaftlich-politischen Raum nach. Zwischen den Eckdaten 1315 ( - Bischöfliches Ketzergerichtsverfahren gegen den italienischen Arzt Richardin von Pavia, das Bischof Johann IV. von Draschitz eine Anzeige bei der Kurie und zeitweilige Suspension vom Amt einbrachte - ) und 1414 ( - „Prozeßfarce" des päpstlichen Inquisitors Nicolaus Wenceslai gegen Johannes Hus in Form eines Akkusationsverfahrens - ) verdeutlicht er an trefflich ausgewählten Beispielen einerseits, wie durch den Einsatz des Instrumentes Ketzerinquisition Konflikte im innerkirchlichen ebenso wie im innerstädtischen oder im akademischen Bereich, aber auch auf höchster politischer Ebene gelöst zu werden versuchten, während andererseits auch deutlich wird, daß noch im Verlauf des 14. Jahrhunderts „die im Punkte der Ketzerinquisition mit der ordentlichen bischöflichen geistlichen Gerichtsbarkeit konkurrierende päpstliche Inquisition wieder zu einem Instrument in der Hand des Prager Bischofs bzw. Erzbischofs geworden" ist. Neben der herausragenden Bedeutung des politischen Elementes in der Wirkungsweise der inquisitio haereticae pravitatis in Böhmen treten die eigentlichen häresiologischen Probleme bei Patschovsky ganz in den Hintergrund, für den in diesem Beitrag „reine Glaubensketzer" ohne Interesse sind, da der „politische Charakter des Häresieproblems" um so klarer in Erscheinung trete, „je weniger die mit solchem Vorwurf konfrontierten Personen, dogmatisch gesehen, mit Ketzerei etwas zu tun hatten". 142 Jirx K e j r , Besprechung von Alexander Patschovsky, Die Anfänge einer ständigen Inquisition in Böhmen. Ein Prager Inquisitoren-Handbuch aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 3, 1975), ZRG Kan.62 (1976) S. 445-448, das Zitat S. 445.

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Daß jedoch „Glaubensketzer", vor allem fromme und gottesfürchtige Waldenser, in Böhmen und Mähren einen nicht unerheblichen Anteil der Bevölkerung ausmachten, hat bisher niemand überzeugender dokumentiert als Alexander Patschovsky mit seiner Quellenedition von 1979 143 . Der Beitrag von L u d w i g V o n e s erweist auch für Aragon die eminent politische Dimension der Einrichtung der inquisitio haereticae pravitatis, für die Papst Gregor IX. mit einem vermutlich auf Initiative König Jakobs I. am 26. Mai 1232 an den Erzbischof von Tarragona und dessen Suffragane gerichteten Schreiben 144 „die entscheidende Grundlage", so Vones, gelegt habe. Zu dieser Bulle, die den Bischöfen auftrug, sowohl in eigener Person als auch durch Predigerbrüder und andere geeignete Personen gegen Ketzer und der Ketzerei Verdächtige die übersandten Antiketzerbestimmungen vom Februar 1231 in Anwendung zu bringen, sind 1234 auf einem Provinzialkonzil in Tarragona durch den König „Ausführungsbestimmungen" erlassen worden, die ähnlich wie 1229 das Konzil von Toulouse die Schaffung von kleinen Ketzeraufspürkommandos anordneten, deren Zusammensetzung aber, anders als in Toulouse vorgesehen, weitgehend vom König oder seinen Vertretern bestimmt werden konnte. Wie in Okzitanien stellten jedoch diese Trupps noch reine »Polizeiorgane« dar und verfügten über keinerlei richterliche Kompetenzen, die nach wie vor ungeschmälert und konkurrenzlos bei den Bischöfen verblieben. Die „betonte Mitwirkung" der Königsgewalt bei der Ketzerbekämpfung sowie das anfangs offenbar einvernehmliche Zusammenwirken von Ortsordinarien und Dominikanern (- aber auch anderen Ordensgeistlichen -) zählt zu den Besonderheiten der aragonesischen Verhältnisse, von denen bereits Johannes Vincke mit Blick auf die dreißiger Jahre des 13. Jahrhunderts festgestellt hat: „Wenn Predigeroder Minderbrüder als Inquisitoren in Tätigkeit traten, so waren sie von den Bischöfen beauftragt" 145 . Als „Ausnahme" hat jedoch ebenfalls schon Vincke auf „päpstliche Glaubensrichter" in Aragon

143 Alexander P a t s c h o v s k y , Quellen zur böhmischen Inquisition im 14. Jahrhundert (MGH Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 11, 1979). 144 P o t t h a s t 8932 = BOP 1, Nr.52, S.38: Declinante iam mundi. 145 Johannes V i n c k e , Zur Vorgeschichte der Spanischen Inquisition. Die Inquisition in Aragon, Katalonien, Mallorca und Valencia während des 13. und 14. Jahrhunderts (Beiträge zur Kirchen- und Rechtsgeschichte 2, 1941) S. 16.

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hingewiesen und als solche den Dominikanerprior von Barcelona und dessen Ordensbruder Wilhelm de Barbara namhaft gemacht, die am 16. Mai 1235 zusammen mit dem Bischof von Vieh von Papst Gregor I X . als Ketzerrichter für die nicht einer bischöflichen Zuständigkeit unterliegenden exemten Gebiete der Ordensgemeinschaften bestellt worden sind 146 . Dem rund drei Jahrzehnte dauernden Entwicklungsprozeß hin zu einem einheitlichen aragonesischen Inquisitionsbezirk mit ausschließlich nichtbischöflichen Inquisitoren, die vom spanischen Provinzialprior der Dominikaner bzw. seit 1267 auch von dessen Generalvikar ernannt werden und zudem Untertanen der Krone Aragon sein sollten, vermag Vones vor dem Hintergrund des komplizierten transpyrenäischen dynastischen Beziehungsgeflechtes und der machtpolitischen Konkurrenzsituation zwischen Aragon und Frankreich im Languedoc deutliche Konturen zu verleihen. Treibende Kraft in diesem Prozeß war König Jakob I., dem es nicht zuletzt dank der tatkräftigen Unterstützung Raymunds von Penyafort und dessen kurialen Beziehungen gelang, die »Inquisition« zu einem Instrument der Krone auszubauen, das er neben der Ketzerbekämpfung auch zur Abwehr kapetingischer Expansionspläne im Pyrenäenraum ebenso wie zur Verstärkung seines eigenen politischen Einflusses in Okzitanien, zur »Domestizierung« von nach Unabhängigkeit strebenden Adeligen und zur »Disziplinierung« von städtischen Führungsschichten einzusetzen verstand. Im Unterschied zum Aragon Jakobs I. war auf den britischen Inseln, wie H a n s - E b e r h a r d H i l p e r t in seinem Beitrag 147 aufzeigt, »Inquisition« für das Königtum offenbar »kein Thema«. Zwar gab es auch im regnum Angliae Ketzer, und diese sind von Königtum und Kirche auch verfolgt worden 148 , doch „der englische Sonderweg

146

V i n c k e , Vorgeschichte S. 15 mit Verweis auf A u ν r a y 2560.

147

Hans-Eberhard H i l p e r t hat an seinen Beitrag nicht mehr letzte Hand anlegen

können. Dieser wird in der vom Autor für das Bayreuther Kolloquium erstellten Vortragsform unverändert abgedruckt. Lediglich die meist nur mit einem Autorennamen bzw. einem Titelstichwort und einer Seitenzahl angedeuteten Anmerkungen sind vom Herausgeber vervollständigt worden. 148

Den noch immer materialreichsten Beitrag dazu liefert die Dissertation von John

Rea B a c h e r , The Prosecution of Heretics in Mediaeval England (Philadelphia 1942), die bedauerlicherweise viel zu wenig Beachtung gefunden hat.

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bezüglich des Umgangs mit Häretikern" 149 hat offenbar nicht zur Einrichtung der inquisitio haereticae pravitatis im kontinentalen Sinn einer »ständigen Inquisition« geführt, bei der ein päpstlich oder bischöflich „ausschließlich zur Ketzerbekämpfung delegierter Richter sich zeitlich nicht begrenzt mit Ketzerverfolgung beschäftigt" 150 . Wenn auch im Verlauf der Lollardenunruhen in England mit dem Statut De haeretico comburendo von 1401 die in Sachen Ketzerbekämpfung „auf dem Kontinent gewachsene Rechtslage in wesentlichen Teilen" rezipiert worden ist, so fanden doch, wie Hilpert in seinem weitgespannten, von den 1166 durch ein Konzil in Oxford verurteilten Katharern bis zur Verbrennung des Richard Wyche im Jahre 1440 reichenden Uberblick herausstellt, auch weiterhin die „englischen Ketzerprozesse vor dem bischöflichen Gericht statt. Jedes Anzeichen einer Sondergerichtsbarkeit fehlt". Bei den unter Bischof William Alnwick von 1428 bis 1431 in der Diözese Norwich durchgeführten Prozessen gegen Lollarden, mit neuartigen Voruntersuchungen zur Erweiterung des Kreises der Verdächtigen und mit Verhaftungen während der Vorverfahren, sieht Hilpert allerdings ein Novum in der Geschichte der Ketzerbekämpfung in England in Erscheinung treten, zu dem er anmerkt: „Fraglos handelt es sich erstmals im regnurn Angliae um ein der päpstlichen Inquisition vergleichbares Vorgehen". Ob man dafür aber tatsächlich den Begriff »Inquisition« verwenden sollte, läßt er ausdrücklich offen. Mit dem Beitrag des Religionswissenschaftlers U l r i c h B e r n e r überschreitet der Band den Bereich der mittelalterlichen christianitas und wendet sich dem Problem von Toleranz und Intoleranz in den nichtchristlichen Religionen zu, um auf diese Weise Aufschluß darüber zu gewinnen, ob es sich bei der inquisitio haereticae pravitatis des Mittelalters und der Neuzeit um ein spezifisch christliches Phänomen handle, demzufolge dann das Christentum als eine extrem intolerante Religion zu gelten habe, da die »Inquisition« ja unbestreitbar sich als ein besonders gravierendes Beispiel von Intoleranz darstellt. Berners Ausweitung der auf polytheistische Religionen nicht übertragbaren, aus dem Kontext des christlichen Monotheismus bekannten 149

Susanne J e η k s , Die Rolle von König und Klerus bei der Häretikerverfolgung in

England, Zeitschrift für Kirchengeschichte 99 (1988) S. 23-46, das Zitat S . 2 4 . 150

K o l m e r , A d capiendas (wie Anm. 109) S. 111.

Zur Einführung

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Gegenüberstellung von »Orthodoxie« und »Häresie« auf die Frage nach einer Gegenüberstellung, „die nicht inhaltlich, sondern funktional äquivalent ist", ermöglicht erhellende Einsichten in die im Polytheismus wie im Monotheismus vorhandenen, aber nach unterschiedlichen Prinzipien abgesteckten, Grenzen der Toleranz. Seine Feststellung, daß es trotz der Unterschiede in den institutionellen Strukturen von Christentum und Isalm in beiden Religionen im Bereich der Lehre Ansätze zu einer die Ausbildung der Inquisition ermöglichenden Intoleranz gebe, sowie sein Hinweis auf „interessante Vergleichsbeispiele für die Betrachtung der Inquisition im Mittelalter" in der Religionspolitik einzelner muslimischer Herrscher, hat auf dem Bayreuther Kolloquium ebenso wie seine Einschätzung des hinduistischen Kastensystems als einer Form religiöser Intoleranz lebhafte Diskussionen ausgelöst, die zu weiteren Klarstellungen und Ergänzungen führten, wie der Diskussionsbericht von A m a l i e F ö ß e l ausweist. Berners Forderung, in der Diskussion über religiöse Toleranz jeweils genau zu differenzieren zwischen dogmatischer, sozialer oder institutioneller Intoleranz, und bei jedem religionsgeschichtlichen Vergleich deren Geltungsbereich genau anzugeben, hilft unwissenschaftliche Vereinfachungen, wie etwa die beliebte Gegenüberstellung von tolerantem Hinduismus und intolerantem Christentum, zu vermeiden. Wie schwer sich mit der »Toleranz« nicht nur »Kirche« und »Staat«, sondern auch viele Individuen und Gruppen im christlichen Mittelalter und weit darüber hinaus getan haben und immer noch tun, zeigt B e r n h a r d S c h i m m e l p f e n n i g in dem auf seinem öffentlichen Abendvortrag in Bayreuth zurückgehenden letzten Beitrag des Bandes auf, in dem er in bewußt subjektiver und gelegentlich provozierend zugespitzter Argumentation Europas inquisitionäre Vergangenheit und deren mentale Bedingtheiten Revue passieren läßt. Auch wer seiner Ausgangsthese, derzufolge die Unbedingtheit einer Anschauung zu Intoleranz und Repression, in letzter Konsequenz zur „Eliminierung der Anderen" führt, nicht zu folgen vermag, oder wer seine Besorgnis über mögliche Umtriebe von „Großmutters Urenkeln" nicht teilt, wird mit Betroffenheit zur Kenntnis nehmen, „wie viel »Mittelalter« noch bis heute weiterlebt", und wird über diesen Sachverhalt nachzudenken beginnen. Anstöße zum Nachdenken und zur weiteren Erforschung des komplexen Phänomens der inquisitio haereticae pravitatis im Mittelalter

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wollen auch die übrigen Beiträge des Bandes vermitteln, die sich um die Erhellung der Anfänge dieser zu den beunruhigendsten Themen der europäischen Geschichte zählenden Erscheinung bemühen und dabei nahezu alle, unabhängig voneinander, deren politische und gesamtgesellschaftliche Dimension deutlicher als bisher hervortreten lassen. Wie viele Probleme dabei ausgeklammert werden mußten und wie viele Fragen trotz der vorgelegten neuen Forschungsergebnisse immer noch offen bleiben, ist dem Herausgeber deutlich bewußt. Den erreichten Zugewinn und Nutzen des Bandes für die weitere Inquisitionsforschung haben nun die kritischen Leser zu beurteilen.

V O N D E N ANFÄNGEN DES INQUISITIONSPROZESSES ZUM VERFAHREN

BEI DER INQUISITIO HAERETICAE PRAVITATIS Von Winfried Trusen

Es ist vielleicht angebracht, den folgenden, meist prozeßrechtlichen, Ausführungen eine kurze Vorbemerkung voranzuschicken. Ketzerverfolgungen sind, abgesehen von populärer Lynchjustiz und kriegerischen Maßnahmen, wie etwa bei den Albigensern, meist im Rahmen der geistlichen oder der weltlichen Gerichtsbarkeit, also in formalen Prozessen, vollzogen worden. Das geschah grundsätzlich nach ganz bestimmten rechtlichen Normen. Lange interessierte die allgemeine Geschichtswissenschaft nur sehr wenig, wie diese zustandekamen und in welcher Weise sie durchgeführt wurden, obwohl das von nicht geringer Bedeutung sein dürfte, denn in ihnen zeigten sich Motive geistiger, religiöser Provenienz, aber auch Hintergründe machtpolitischer Art. Zudem stand und steht die Rechtswissenschaft in einer gewissen Tradition. Ohne diese aufzuspüren und zu erkennen, könnte manche Interpretation ins Abseits geraten. Weitgehend dürfte für die verbreitete Unkenntnis darüber die eigentliche Fachsparte, die Rechtsgeschichte, verantwortlich sein. Die Entstehung des öffentlichen Strafrechts im Mittelalter ist erst in jüngster Zeit als besonders dringliches Forschungsproblem erkannt worden. Damit verbunden ist auch die Geschichte des Strafprozeßrechts, von der es kein ausreichendes neueres Lehrbuch gibt, ein wichtiges Forschungsdesiderat. Wir brauchen uns deshalb nicht zu wundern, daß über die Entstehung des Inquisitionsprozesses1 die absurdesten Theorien ernsthaft verbreitet wurden, und man diesen unbesehen mit der Ketzerinquisition in einen Topf warf. Deshalb ist es erforderlich, hier einige Korrekturen anzubringen. 1

Zu den folgenden Ausführungen vgl. Winfried T r u s e n , Der Inquisitionsprozeß.

Seine historischen Grundlagen und frühen Formen, Z R G Kan.74 (1988) S. 168-230, mit weiteren Quellen- u. Literaturbelegen.

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Winfried Trusen

I. Die Anfänge des Inquisitionsprozesses Die Verwirrung in den früheren Forschungsergebnissen geht nicht zuletzt darauf zurück, daß man die Begriffe inquirere und inquisitio unkritisch zur Grundlage der zu eruierenden Sachverhalte machte. Dann fand man natürlich Fundamente in den römischen leges. Η. Brunner2 glaubte, im fränkischen Recht schon einen Inquisitionsprozeß feststellen zu können, andere sahen das Vorbild in der Gesetzgebung Friedrichs II. oder in der in Frankreich3 während des Hochmittelalters durchgeführten Praxis. E. Schmidt4 vertrat schließlich die Ansicht, der Inquisitionsprozeß sei in Deutschland eigenständig ohne den Einfluß des gemeinen Rechts erfolgt. Hier wird eklatant deutlich, daß die deutsche rechts geschichtliche Forschung meist über die Zäune ihres eigenen Spartendenkens in Romanistik, Germanistik und Kanonistik nicht hinaussehen konnte. Dabei ist die eindeutige Lösung dieses Problems gar nicht so schwer. Wir müssen dabei allerdings zunächst auf die kirchlichen Rechtsverhältnisse im Frankenreich zurückgehen. Hatte dort die Kirche Geistliche in der Frühzeit noch dem römisch-rechtlich untermauerten Akkusationsprozeß unterzogen, so wurde bald von fränkischer Seite ein den eigenen Auffassungen angepaßtes Verfahren gefordert, das ein offizielles Einschreiten der kirchlichen Oberen schon verlangte, wenn ein weit verbreitetes Gerücht, eine mala fama, über Vergehen eines Geistlichen bei ehrenwerten Personen entstanden war. Darüber mußte zunächst eine inquisitio famae erfolgen. Wurde in ihr ein starker Verdacht festgestellt, konnte bereits eine vorläufige Suspendierung vom Amte durchgeführt werden. Der daraufhin zur Rechenschaft 2

Bes. Heinrich B r u n n e r , Zeugen und Inquisitionsbeweis der Karolingischen Zeit

(1866). 3

Vgl. Richard S c h m i d t , Die Herkunft des Inquisitionsprocesses, in: Festschrift

der Universität Freiburg zum 50j. Regierungsjubiläum S.K.H. d. Großherzog Friedrichs

(1882). 4

Eberhard S c h m i d t , Inquisitionsprozeß und Rezeption. Studien zur Geschichte

des Strafverfahrens in Deutschland vom 13. bis 16. Jahrhundert, in: Festschrift der Leipzigerjuristenfakultät für H . Siber (Leipziger Rechtswissenschaftliche Studien 124, 1940) S. 61. Vgl. dazu Winfried T r u s e n , Strafprozeß und Rezeption. Zu den Entwicklungen im Spätmittelalter und den Grundlagen der Carolina, in: Strafrecht, Strafprozeß und Rezeption. Grundlagen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio Criminalis Carolina, hg. v. Peter L a n d a u u. Friedrich-Christian S c h r o e d e r 19, 1984) S. 29-118.

(Juristische Abhandlungen

Von den Anfängen des Inquisitionsprozesses

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Gezogene konnte sich von dem Schuldvorwurf allerdings durch einen Reinigungseid mit Eideshelfern befreien. Mißlang dieser oder wurde ein Geständnis abgelegt, so konnte dem Angeklagten dauernd oder für längere Zeit Amt und Beneficium entzogen werden. Der materielle Wahrheitsbeweis, etwa durch Zeugen, entsprach damals bei Delikten nicht dem germanischen Rechtsempfinden. Die Kirche hat sich dem offenbar beugen müssen. So wurde im Laufe der Zeit dieser Infamationsprozeß zu einem oft angewandten Verfahren gegen übelbeleumdete Kleriker 5 . Zum besseren Verständnis seien noch einmal die einzelnen Stationen herausgestellt: - Mala fama bei einer Anzahl von ehrenwerten Personen (gleichgesetzt mit der Klage); - inquisitio famae von Amts wegen, also Offizialprinzip; - purgatio canonica, Reinigungseid mit einer je nach der Schwere des Vorwurfs vom Richter festzusetzenden Anzahl von Eideshelfern, welche, das muß betont werden, keineswegs Zeugen im materiellen Sinne waren, sondern nur den guten Leumund des Beschuldigten und die Glaubwürdigkeit seiner Aussage bekräftigen sollten. - Gelang der Reinigungseid, so mußte ein Freispruch erfolgen, ansonsten die Verurteilung. - Diese wurde auch nach einem Geständnis ausgesprochen. Jene Elemente, die, wie wir noch sehen werden, mit denen des späteren Inquisitionsprozesses weitgehend identisch sind, führten in der Forschung lange zu falschen Bewertungen. Als Beispiel dafür seien nur die berühmten Dekretalen Innozenz' III. von 1199 angeführt, die beide nahezu die gleiche Arenga besitzen 6 , und in denen es heißt, nichts müsse der Prälat mehr fürchten als das Laster der Nachlässigkeit. Wenn nach dem Zeugnis der Wahrheit, nämlich dem

Vgl. Karl H i l d e b r a n d , Die purgatio canonica und vulgaris (1841); Wilhelm Μ ο Ii t o r , Über das kanonische Gerichtsverfahren gegen Kleriker (1856); Erwin J a c o b i , Der Prozeß im Decretum Gratiani und bei den ältesten Dekretisten, ZRG Kan.3 (1913) S. 223ff., bes. S. 320ff.; T r u s e n , Inquisitionsprozeß (wie Anm. 1) S. 175ff. 5

Licet Heli: Register Innocenz' III., Bd.2: Das zweite Pontifikatsjahr 1199/1200, bearb. v. Othmar H a g e n e d e r , Werner M a l e c z e k u. Alfred A. S t r n a d (Publikationen des österreichischen Kulturinstituts in Rom, 2. Abt.: Quellen, 1. Reihe, Bd.2, 1979) Nr. 250 (260) S. 477-480. Nicbil estpene, ebd. Nr. 227 (236) S. 434-436, fährt nach dem Einleitungssatz im gleichen Wortlaut wie Licet Heli fort. 6

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Winfried Trusen

der Hl. Schrift 7 , für jedes unnütze Wort am Tage des Gerichts Rechenschaft zu geben sei, dann umso mehr für jede Unterlassung des Guten, da ihn, den Prälaten, der das Werk Gottes nachlässig betreibe, auch das Wort der Hl. Schrift verurteile. Der Priester Heli, der an sich als gut erscheine, habe, weil er nicht die Vergehen seiner Söhne wirksam unterband, die göttliche Strafe empfangen. Als seine Söhne im Krieg getötet worden waren, stürzte er vom Stuhl, brach sich das Genick und starb 8 . Zur Ahndung der Vergehen seiner Untergebenen müsse sich der Prälat um so gewissenhafter aufraffen, je schwerer die Vernachlässigung einer solchen Zurechtweisung wiege. Contra quos, ut de notoriis excessibus taceatur, etsi tribus modis procedere possit: per accusationem videlicet, denuntiationem et inquisitionem ipsorum, ut tarnen in omnibus diligens adhibeatur cautela, sicut accusationem legitima procedere debet inscriptio, sie et denuntiationem caritativa monitio9 et inquisitionem clamosa debet insinuatio prevenire. Man könne also, abgesehen von dem besonderen Verfahren bei notorischen Exzessen, auf dreierlei Weise vorgehen: Durch Anklage, Denunziation und Inquisition, wobei die besonderen Voraussetzungen zu beachten seien. Ist hier aber schon, wie man das lange annahm, unter inquisitio bereits das sog. Inquisitionsverfahren zu verstehen? Dem oben zitierten Text folgt das Zitat aus Gen. 18,21: „Ich will hinab und sehen, ob das Klagegeschrei, das zu mir gedrungen ist, ihren Taten entspricht oder nicht". In diesem Zusammenhang weist Innozenz III. darauf hin, daß der Prälat, wenn er per publicam famam aut insinuationem frequentem von Delikten höre, debet descendere et videre, id est mittere et inquirere, utrum clamorem Veritas comitetur10. Hier werden ganz klar das Offizialprinzip zur Einleitung eines Infamationsprozesses und die dabei durchzuführende inquisitio famae herausgestellt. Besonders zu beachten ist, daß dieses Vorgehen iuxta canonicas sanetiones erfolgen müsse. Von einer Neuerung kann also noch keine Rede sein. Im übrigen bezieht sich die Anweisung der ersten Dekretale an den Erzbischof von Neapel und den Kardinallegaten Cinthio auf Nachforschungen über verschiedene Vergehen, die dem Erzbischof Roger

7

Matth. 12, 36.

8

1. Sam. 1,3 - 4,18.

9

Vgl. Matth. 18, 15-17.

10

Vgl. Decretum Gratiani, c.20 C . 2 q.l.

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Von den Anfängen des Inquisitionsprozesses

von Benevent angelastet wurden. Sie sollten über die Ergebnisse dem

Papste berichten, damit per inquisitionem vestram sufßcienter instructi melius in ipso negotio procedere valeamus. Der Papst benötigte also die inquisitio famae, um noch in alter Weise gegen den Erzbischof vorzugehen. Die Vorwürfe ließen sich wohl nicht bestätigen, denn Roger blieb unangefochten weiter im Amte. Auch die Dekretale Licet Heli vom 10. Dezember 1199, welche die Amtsenthebung eines Abtes zum Gegenstand hat, zeigt noch keine neuen Elemente. Hier wird nur über die Exceptionen des Abtes entschieden, die sich offenbar gegen Aussagen von Personen richten, die bei der inquisitio famae vorgetragen wurden und eine Infamie begründeten. Die Amtsenthebung erfolgte nicht wegen eines bewiesenen Delikts, sondern, wie Innozenz später ausführte 11 , aufgrund

eines starken Verdachts, nicht secundum iuris rigorem, sed

secundum

temperantiam aequitatis, nicht criminaliter, wie bei der Aberkennung des geistlichen Standes, sondern civiliter...

tamquam

immeritus

et

damnosus. Das aber stände dem Papste zu, der sich auch mittels einer inquisitio famae die Grundlagen für eine solche Entscheidung schaffen könne. Dem entspreche auch die approbierte consuetudo der Religiösen. Letztlich kann man bei diesem Beispiel nur von der Anwendung der ihm zustehenden Amts- und Disziplinargewalt sprechen. In zahlreichen Fällen des endenden 12. und des beginnenden 13. Jahrhunderts hat Innozenz den Infamationsprozeß in überkommener Weise praktiziert 12 . Die Schwächen dieses Verfahrens offenbarten sich jedoch immer drastischer. Erschüttert wurde der Papst besonders durch die falschen Verdächtigungen des Bischofs von Fünfkirchen, die eine völlig unnötige purgatio canonica durch einen Eid mit Helfern erzwangen, als dieser zum Erzbischof von Esztergom vorgeschlagen wurde. Auf der anderen Seite wurde bei der Durchführung der beabsichtigten Kirchenreformen sehr deutlich, daß Innozenz III. in rechtlicher Hinsicht die Hände gebunden waren, um unbotmäßige Erzbischöfe und Bischöfe, die alles andere als Hirten ihrer Herden waren, entsprechend zu maßregeln, gegen sie vorzugehen und sie

11

Brief an Robert de C o u r f o n , 1204; aufgenommen in 3.Comp. 5, 2, 4 u. X (= Liber

Extra Gregors I X . ) 5, 3, 32. 12

Vgl. T r u s e n , Inquisitionsprozeß (wie Anm. 1) S.200ff.

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Winfried Trusen

endgültig ihres Amtes zu entsetzen. Wie konnte man solchen Kirchenfürsten, die selbst eklatante Verbrechen nicht scheuten, überhaupt beikommen? N a c h den pseudoisidorischen Dekretalen, die teilweise in das geltende Kirchenrecht übernommen worden waren 1 3 , galt die Anklage hoher Prälaten durch untergebene Geistliche oder gar durch Laien als verboten, zumindest als sehr problematisch. Die Zeugenaussagen waren leicht käuflich, und der Ankläger mußte infolge der geforderten inscriptio die gleiche Strafe wie der Angeklagte erwarten, wenn seine Beweisführung mißlang. Wer wagte da schon, eine Anklage zu erheben? Das ex officio einzuleitende Infamationsverfahren scheiterte im Ergebnis daran, daß sich schwer belastete Prälaten durch einen Reinigungseid leicht freischwören konnten. An den erforderlichen Eideshelfern fehlte es ihnen ganz gewiß nicht. Innozenz III. konnte nicht so leicht die bestehenden Prozeßarten durch eine neue ersetzen oder zumindest ergänzen. Er durfte nur auf der bestehenden rechtlichen Basis operieren. Die Kanonisten, das läßt sich aus vielen Äußerungen belegen, lehnten irrationale Beweise, wie die Gottesurteile, weitgehend ab. Auch der Reinigungseid erschien ihnen meist nicht mehr als überzeugend. Hier glaubte der Papst ansetzen zu können, ohne auf die bisherigen kirchenrechtlichen Grundlagen zu verzichten. Er baute auf ihnen auf und benutzte sie, u m durch eine kleine, aber in den Auswirkungen immense, Korrektur zum Ziel zu kommen. Dieser Entschluß hatte keineswegs, wie man bisher immer glaubte, eine lange Vorgeschichte. Er ist spontan, aber wahrscheinlich mit Billigung des päpstlichen Konsistoriums, gefaßt worden und wurde nach den vorliegenden Quellen zuerst beim Vorgehen des Papstes gegen den zur Kirchenprovinz N a r b o n n e gehörenden Bischof von Agde in einem Schreiben aus dem Jahre 1205 14 an den Erzbischof von Arles und einen A b t in Umrissen angedeutet. Der Beschuldigte war, wie durchaus üblich, wegen des bei der durchgeführten inquisitio famae entstandenen starken Verdachts vorläufig seines Amtes entsetzt worden. Innozenz III. wies seine

13

Vgl. J a c o b i , Prozeß im Decretum Gratiani (wie Anm. 5). Inc.: Cum dilecti filii.- Innocentii Romani Pontificis Regestorum sive Epistolarum libri, in: M i g n e PL 214-216 u. Suppl.217 (Abk.: Reg., Lib. mit Nr.); hier: Lib. VIII, Nr. 76; 3. Comp. 5, 1, 5; X 5, 1, 18. 14

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Delegaten an, gegebenenfalls seine Entschuldigungen zu prüfen. Wenn diese von ihm evidenter bewiesen würden, sei er freizusprechen. Von einem Reinigungseid ist keine Rede mehr. Auch wenn man hier nur Andeutungen des Künftigen zu sehen glaubt, so ist die später allgemein kirchenrechtlich sanktionierte endgültige Entscheidung nicht mehr weit. Am 26. Februar 1206 (nach der damaligen Zählung noch 1205) erließ Innozenz III. seine berühmte Dekretale Qualiter et quando15. In ihr wurden die päpstlichen Delegaten angewiesen, wie sie gegen einige Bischöfe vorzugehen hätten. Auf den entscheidenden Wortlaut müssen wir näher eingehen. Wie und wann ein Prälat die Exzesse seiner Untergebenen zu untersuchen und zu bestrafen habe, gehe aus der Autorität des Alten und Neuen Testaments klar hervor, denen sich die canonicae sanctiones anschließen müßten. Man könne im Evangelium lesen, daß jener Gutsverwalter, der bei seinem Herrn angeklagt wurde, er verschleudere dessen Güter, von diesem vernehmen mußte: „Was höre ich über dich? Gib Rechenschaft von deiner Verwaltung. Du kannst nicht länger mein Verwalter sein" 16 . Dem wird jene Bibelstelle angefügt, die wir schon in Licet Heli fanden und die dort ausgelegt wurde, nämlich die Worte des Herrn im Hinblick auf Sodom und Gomorra: „Ich will hinab und sehen, ob das Klagegeschrei, das zu mir gedrungen ist, ihren Taten entspricht" 17 . Daraus werde klar bewiesen, daß das nicht nur erfolgen solle, falls der Untergebene, sondern auch dann, wenn ein Prälat sich vergehe. Sobald per clamorem et famam ein Delikt an die Ohren des Oberen dringe, allerdings nicht ausgehend von übelwollenden und verleumderischen Personen, sondern von besonnenen und ehrenhaften, und das nicht nur einmal, sondern öfters, was den clamor bestätige und die diffamatio manifestiere, müsse darüber von den seniores der Kirche die Wahrheit sorgfältig erforscht werden. Hier ist also nicht mehr nur von der Wahrheit der Infamation die Rede, sondern von der materiellen Gegebenheit der Tat. Denn dann müsse die cartonica districtio die Schuld des Delinquenten treffen. Aber die Anknüpfung an das bereits praktizierte Verfahren ist unverkennbar: Wenn jemand bezüglich seines Vergehens so diffamiert 15 16 17

Reg. VIII, 200; 3. Comp. 5, 1, 4; X 5, 1, 17; 2, 1, 17. Luc. 16, lf. Gen. 18, 21.

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worden sei, daß darüber schon ein allgemeines Gerücht entstand, das ohne scandalum nicht unbeachtet gelassen und nicht ohne Gefahr toleriert werden könne, so solle, nicht aus Aufwallung des Zornes, sondern nur aus Antrieb der Liebe ad inquirendum et puniendum dieses Vergehens geschritten werden. D e r Belastete solle, auch wenn ein schweres Delikt vorliege, nicht ab ordine degradetur, tarnen amoveatur omnino. So sei nach dem Urteil des Evangeliums der Verwalter, der nicht von seiner Verwaltung Rechenschaft geben konnte, davon entbunden worden. Dieses hier zum ersten Mal deutlich werdende Verfahren, das man dann den Inquisitionsprozeß nennen sollte, baut eindeutig auf dem Infamationsverfahren auf. Voraussetzung für ein Vorgehen ist bei beiden eine Infamie, ein clamor, deren Nichtbeachtung sich als scandalum auswirken würde. Uber dieses Faktum erfolgt eine inquisitio, eine Befragung ehrenhafter Zeugen, die u.U. vereidigt werden. Der damit begründete Verdacht kann nun jedoch grundsätzlich nicht mehr durch einen Reinigungseid mit Eideshelfern ausgeräumt werden, sondern die inquisitio wird zur Ermittlung der Wahrheit durch einen materiellen Beweis, etwa durch Tatzeugen, weitergeführt. Allerdings ist damit die Anwendung des Reinigungseides nicht völlig ausgeschaltet. E r wird nur in eine subsidiäre Funktion verdrängt und kann immer dann auferlegt werden, wenn ein voller materieller Beweis nicht zu erbringen ist, ein starker Verdacht aber immer noch bestehen bleibt. Eine weitere Präzisierung des modifizierten Verfahrens erfolgte durch Innozenz III. im Jahre 1212 durch die Dekretale Inquisitionis negotium18 aufgrund bestimmter Fragen seiner Delegaten. Danach sollten die Namen und Aussagen der Zeugen wie im Akkusationsprozeß dem Beschuldigten mitgeteilt werden, der seinerseits dagegen Exzeptionen und Replikationen vorbringen könnte. Niemand dürfte bestraft werden, wenn nicht gegen ihn bezüglich eines Delikts eine infamia seu clamosa insinuatio vorläge. Ohne diese sei auch eine Zeugenvernehmung nicht statthaft. Auf eine Anzeige in einem geheim übermittelten libellum insinuationis seien über seinen Inhalt keine U n tersuchungen anzustellen. Man dürfe jemanden infolge der Aussagen weniger Personen nicht als infamiert ansehen, wenn eine Schmälerung des Rufes apud bonos et graves nicht eingetreten sei. Dem Zeugnis von Feinden sei kein Glaube zu schenken. 18

4. Comp. 5, 1, 2; X 5, 1, 21.

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Auch in diesen Festlegungen des Papstes wird die enge Verbindung mit dem überkommenen Infamationsverfahren deutlich. Seine Korrektur, nämlich die Hereinnahme des schon im Akkusationsprozeß angewandten materiellen Beweises, erschien nur als logische und auch notwendige Konsequenz der neuen rationalen Geisteshaltung, die parallel zu diesem Vorgehen auch die Gottesurteile und den Zweikampf nicht mehr als Beweismittel zulassen wollte. Allerdings hat Innozenz III. in der oben erwähnten Beantwortung strittiger Fragen einen Spalt für die bald eintretende zukünftige Entwicklung offengelassen: Wenn bei jemandem per inquisitionem ein solches Verbrechen bewiesen worden sei, bei dem im Rahmen einer accusatio criminalis eine depositio des Uberführten erfolgen müßte, etwa bei Mord oder Simonie, dann solle wie in einem Akkusationsprozeß verfahren werden. Anderenfalls könne nach der Würde der Person und der Schwere des Vergehens die Strafe nach dem Ermessen des Richters ermäßigt werden. All das spielte sich zunächst nur im Rahmen der persönlichen und delegierten Gerichtsbarkeit des Papstes ab, auch wenn die frühen Texte Eingang in die mit Gesetzeskraft versehene erste offizielle Rechtssammlung, die sog. Compilatio tertia von 1210, fanden. Hintergrund und Motiv bildeten seine Reformbestrebungen. Die abschließende gemeinrechtliche Sanktion des modifizierten Verfahrens erfolgte auf dem 4. Laterankonzil im Jahre 121519, der großen reformatorischen Kirchenversammlung. Hier wurden die Ausführungen der Dekretale Qualiter et quando bestätigt und nahezu wörtlich in die Konstitutionen aufgenommen. Hinzu kam der Anfang von Licet Heli mit der Aufzählung der Verfahrensarten und Voraussetzungen. Dazwischen wurden Präzisierungen geschoben, die wir bereits in der Dekretale Inquisitionis negotium fanden. Darüber hinaus wurde festgelegt, daß zur Gültigkeit des Verfahrens der Beschuldigte persönlich anwesend sein mußte, außer bei einer vorliegenden contumacia. Ihm müßten die capitula vorgelegt werden, über die eine inquisitio erfolgen solle, damit er sich ausreichend verteidigen könne.

19 Constitutiones Concilii quarti Lateranensis una cum Commentariis glossatorum, hg.v. Antonius G a r c i a y G a r c i a (Monumenta Juris Canonici. Series Α: Corpus Glossatorum 2, 1981) S.54ff.

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II. Zur Entwicklung des Inquisitionsverfahrens im 13. Jahrhundert Erstaunlich ist, soweit wir sehen, daß keiner der frühen kanonistischen Kommentatoren der Compilatio tertia und der Konstitutionen des 4. Laterankonzils gegen das neue Verfahren Einwendungen erhob. Offenbar war f ü r sie die Einfügung des materiellen Beweises in den Infamationsprozeß eine der Vernunft entsprechende und rechtlich zu fordernde Selbstverständlichkeit, genauso wie die Abschaffung der Gottesurteile. Aber auch bei den Legisten zeigte sich eine bemerkenswerte Resonanz. Sie ist in umfangreicher F o r m zunächst bei Roffredus feststellbar, der acht Jahre am H o f e Friedrichs II. weilte, Mitglied des Hofgerichts war und sicher auch f ü r die Übernahme gewisser Komponenten des fraglichen kanonischen Prozesses in die Gesetzgebung Siziliens verantwortlich war. Er hat, soweit wir sehen, wohl als erster Legist das kanonische Inquisitionsverfahren auch als im römischen Recht begründet und daher in der weltlichen Gerichtsbarkeit als anwendbar angesehen. Von ihm stammt die früheste diesbezügliche größere systematische Zusammenfassung und Darstellung 2 0 , die später weitgehend von Legisten wie von Kanonisten übernommen wurde und die Grundlage f ü r die Anwendung des Inquisitionsprozesses im weltlichen Bereich bildete. Bei den Kanonisten ist vor allem mit den Darstellungen des Goffredus de Trano 21 , Innozenz' IV. 22 und des Hostiensis 2 3 die wesentliche systematische Festlegung und damit die Basis für die künftige Zeit geschaffen worden. Die Auffassungen der zahlreichen Kanonisten und die Entwicklung der Lehre wird an anderer Stelle ausführlich dargestellt werden. Hier ist nur eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse möglich.

20 Libellus super iure pontificio von ca. 1237. Hier benutzt der Druck von 1591. Vgl. T r u s e n , Inquisitionsprozeß (wie Anm. 1) S. 222f. 21 Summa super rubricis decretalium. Hss. u. Drucke, wenn auch unvollständig, bei Johann Friedrich von S c h u l t e , Die Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts, Bd.2 (1877, N D 1956) S. 89 Anm. 5. 22 Apparatus (Commentaria) in quinque libros decretalium. Hss. u. Drucke bei S c h u l t e , Geschichte der Quellen S.92 Anm. 1. 23 Vor allem in seiner Summa super titulis decretalium. Hss. u. Drucke bei S c h u 11 e, Geschichte der Quellen S. 125 Anm. 20.

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Das Inquisitionsverfahren wird schon seit Johannes Teutonicus24 als processus extraordinarius bezeichnet. Der ordentliche Prozeß ist und bleibt danach das Anklageverfahren. Findet sich ein Kläger, so muß das Einschreiten des Richters von Amts wegen in der Regel zurücktreten. Da im Akkusationsprozeß der Kläger die volle Beweislast tragen und beim Versagen mit einer Talionsstrafe, zumindest aber mit erheblichen Beschwernissen, rechnen muß, ist dieser in der Praxis sehr bald vom Inquisitionsprozeß zurückgedrängt worden. Entscheidend ist also die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erfolgte Angleichung an das gemeine Strafprozeßrecht. Hostiensis beginnt das Kapitel De inquisitionibus mit der Definition, die inquisitio sei alicuius criminis manifesti ex bono et equo iudicis competentis canonice facta investigatio. Gegenstand ist danach also ein crimen manifestum. Jene Untersuchungsart, die sich unter Innozenz III. zunächst in Disziplinarverfahren gegen pflichtvergessene Prälaten zeigte, hat nun ein anderes Aussehen. Sie ist Teil eines Strafprozesses, wenngleich die früheren Regelungen noch in die Darstellungen einfließen. Uber die Hauptformen des Inquisitionsprozesses und ihre Bezeichnung gibt es verschiedene Auffassungen. Die Kanonisten unterscheiden zunächst zwischen der inquisitio super statu monasterii seu ecclesiae, welcher im weltlichen Bereich die der Gemeinwesen gleichgestellt wird, und der inquisitio über Delikte einer Einzelperson. Innozenz IV. trennt zwischen einer inquisitio generalis und einer inquisitio specialis. Darüber unten Näheres. Gemäß der eben genannten Definition entsteht zunächst die Frage: Wer ist für die Durchführung der inquisitio rechtlich kompetent? Es ist derjenige, der auch sonst korrigieren und strafen darf, z.B., abgesehen vom Papst, der Bischof25, der Erzbischof bei Bischöfen, der Patriarch bei Erzbischöfen26. Von ihnen abgeleitet, besitzen auch die von den iudices ordinarii delegierten oder mandierten Richter grundsätzlich dieses Recht. Im Einzelfall ergibt sich die spezielle Kompetenz ratione delicti, loci, originis vel domicilii.

Comm. ad Qualiter et quando, in: Constitutiones Concilii quarti (wie Anm. 19) S. 197ff. Vgl. T r u s e n , Inquisitionsprozeß (wie Anm. 1) S.217. 25 Vgl. Hostiensis, Summa, De off. ord., c.l. 26 Hinweis auf X 2, 1, 17; 5, 3, 11; 5, 3, 30; 5, 3, 31. Hier ist auch die inquisitio bei Kloster- und Kirchenvisitationen alten Stils eingeschlossen. 24

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Bei bestimmten Voraussetzungen, die noch zu erörtern sein werden, muß der Prälat oder sein Stellvertreter ex officio inquirieren, „weil das Blut der Untergebenen von ihnen am Tage des Gerichts gefordert" werde. Hier weist Hostiensis auf das Beispiel Helis hin, der die Exzesse seiner Söhne nicht wirksam korrigiert habe und deshalb dem göttlichen Schuldspruch verfiel 27 . Also muß der Prälat sich erheben, um die Untergebenen zu bestrafen, auch, um nicht selbst straffällig zu werden, wenn er ihre unzulässigen Vergehen übersieht 28 . Die nächste Frage ist, gegen wen sich die Inquisition richten könne. Es sind eindeutig die Untergebenen der Inhaber der Jurisdiktion, weil diese nicht nur die Pflicht haben, diese anzuklagen, sondern auch, sie zu korrigieren, exkommunizieren, interdizieren oder suspendieren, damit nicht die angeschlagenen Säulen des Bauwerks zerstört werden 29 . Hostiensis betont dabei, es sei schwieriger, ein Delikt zu beweisen als die Untergebenen zu züchtigen. Wenn ein Priester sich vergeht, veranlaßt er Ahnliches auch beim Volke, weil es ihn zum Vorbild nimmt 30 . Denn wenn die Kleriker den einen Gott predigen und einem anderen dienen, da fragen die Laien: Wo ist der Gott der Kleriker, von dem dort gesprochen wird? So muß der Prälat zugleich speculator und speculum sein. Das nächste Problem ist die Frage nach der erforderlichen Voraussetzung der Inquisition. Die von Innozenz III. verlangten Erfordernisse haben wir oben gekennzeichnet. Ihnen folgen die späteren Kanonisten. Dem Richter muß die Infamie bezüglich eines bestimmten Deliktes mehrfach zu Ohren gedrungen sein. Das Gerücht muß von gewissenhaften und zuverlässigen Personen ausgegangen sein. Ihr Motiv soll Liebe zur Gerechtigkeit, keineswegs Arglist sein. In der sog. inquisitio famae ist durch Aussagen integrer Zeugen zu beweisen, daß der bestimmte Verdacht von einem größeren Teil der Bevölkerung gehegt wird. Der Verleumdete kann einen Gegenbeweis über seinen guten Ruf führen. In strittigen Fällen soll der Richter zu dessen Gunsten entscheiden.

27 28 29 30

X X X X

5, 5, 5, 3,

3, 31. 1, 17. 1, 17; Decr. Grat. c. 71, C. XII, qu. 2. 34, 7.

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Halten wir noch einmal fest: Der Richter darf grundsätzlich nur nach Vorliegen ganz bestimmter Voraussetzungen ex officio vorgehen. Im Anschluß an frühere Grundlagen lehnt man es ab, ihn mit einem Kläger gleichzusetzen. Das Vorbringen und der Beweis der mala fama werden allgemein als Klage angesehen. Wichtig ist aber eine Einschränkung, die schon früh von der Jurisprudenz, wohl aus Praktikabilitätsgründen gegenüber Gewohnheitsverbrechern, herausgearbeitet worden ist, und die sich u.U. verhängnisvoll auswirken konnte: Der Beweis der mala fama ist zur Gültigkeit des Prozesses nur dann zwingend erforderlich, wenn der Beschuldigte die Richtigkeit dieser Behauptung leugnet und sich auf seinen guten Ruf bezieht. Erfolgt daraufhin kein Beweis der Infamie, hat der Beschwerte das Recht zur Appellation31. Ohne Vorliegen einer Infamie kann der Richter zulässig von Amts wegen bei Rechtswidrigkeiten in Wahl- und Ordinationsangelegenheiten, bei Translation, Postulation und Irregularitäten einschreiten. Strittig ist zunächst, ob ohne vorangegangene Infamierung beim Vorliegen eines scandalum oder bei einem periculum animarum seu ecclesiae bzw. des Gemeinwesens inquisitorisch vorgegangen werden darf. Sehr bald wird das jedoch akzeptiert. Dasselbe gilt bei einem festgestellten Verbrechen, etwa einem Mord, wo sich eindeutige Verdachtsgründe auf einen Täter beziehen. So wird die Auffassung vertreten, daß neben einer Infamie auch bewiesene Indizien zur Vornahme einer inquisitio specialis ausreichten. Die Verteidigung des Beschuldigten und auch das Recht zum Führen von Gegenbeweisen müssen jedoch auch in dieser Vorphase voll gewährleistet sein. Während eine inquisitio generalis, also die allgemeine Voruntersuchung, nicht nach den prozessualen Vorschriften durchgeführt zu werden braucht, muß sich die inquisitio specialis, das Verfahren gegen den eigentlichen mutmaßlichen Täter, nach Auffassung der Kanonisten und Legisten streng nach dem ordo iuris richten. Danach ist zur Einleitung des Verfahrens eine förmliche Ladung erforderlich. Dem Angeklagten sind die articula seu capitula über die zu erfolgende Inquisition auszuhändigen, die Namen der Zeugen und der Inhalt ihrer Aussagen sind ihm zu übermitteln. Er muß die Möglichkeit erhalten, dagegen Exzeptionen und Replikationen vorzubringen. Er hat auch das Recht, einen suspekten Richter abzulehnen und kann 31

Liber sextus (Abk.:VI) 5, 1 2.

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Entschuldigungsgründe vortragen. Kurzum, seine Verteidigungsmöglichkeit darf nicht eingeschränkt werden. Auch von einer Heimlichkeit des Verfahrens kann nicht gesprochen werden. Eine Verurteilung ist nur dann statthaft, wenn klare und einleuchtende Beweise vorliegen. All diese Regeln, die von den Juristen herausgearbeitet worden sind, bedeuten für jene Zeit schon einen Fortschritt. Wurde vorhin die Einleitung des Inquisitionsprozesses ex officio beschrieben, so darf nicht übersehen werden, das diese Form keineswegs die einzige ist, was vielfach in der Literatur übersehen wurde. Bereits Johannes Teutonicus32 weist daneben auf die inquisitio per promoventem hin, was von allen späteren Juristen übernommen und ausgebaut worden ist. Hatte schon Innozenz III. auf die denuntiatio evangelica hingewiesen, die eine caritativa monitio zur Voraussetzung hat und nur zur Buße führt, so ist in der Praxis nicht selten eine denuntiatio criminalis, eine Anzeige, festzustellen, die der Richter nicht übersehen darf. Auch wenn man dem Denunzianten zunächst anheimstellte, als Kläger aufzutreten, haben ihn davon sehr oft die eintretenden möglichen Belastungen, wenn er den Beweis nicht ausreichend führen konnte, abgehalten. So wurde hier in der Lehre ein besonderes Verfahren ausgebildet, das man in der Rechtslehre jedoch meist auf eine denuntiatio ratione publici commodi beschränken wollte. Der Denunziant, der als Promotor auftritt, braucht sich nicht der inscriptio, der bindenden Übernahme der Beweislast, wie im Akkusationsverfahren zu unterziehen, wenngleich ihn bei arglistiger Anzeige auch eine Strafe treffen konnte. Er ist verpflichtet, dem Richter die notwendigen Beweismittel vorzuführen, wie etwa ihm bekannte Zeugen. Das Verfahren ist zunächst dem Anklageprozeß angeglichen. Vor allem muß ein solcher Promotor öffentlich auftreten. Eine Verschweigung seines Namens darf de iure nicht zu einer inquisitio ex officio führen. Die Grundlagen des Prozeßrechts sind auch hier streng einzuhalten. Bevor es zu einer inquisitio specialis kommt, hat der Promotor die mala fama des Beschuldigten durch Zeugen zu beweisen. Der Gegenbeweis der bona fama ist zulässig, ebenso der Nachweis, daß die Berüchtigung von unzuverlässigen Personen herrührt. Ferner können Exzeptionen gegen die Person des Promotors vorgebracht werden. Dieser darf auch bei der inquisitio specialis Zeugen einführen, denen der Angeklagte seine eigenen Beweismittel entgegenstellen kann. Erst 32

Ad Qualiter et quando (wie Anm. 24) S. 197ff.

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in diesem Stadium soll der Richter, falls erforderlich, von Amts wegen weiter vorgehen und selbständig andere Zeugen herbeiziehen. Schließlich muß noch eine andere Variante erwähnt werden, die der ebengenannten ähnlich ist, nur daß hier amtlich beauftragte Personen als Promotoren fungieren. Besonders in den oberitalienischen Gemein-

wesen gab es sog. syndici, consules locorum et villarum, ministeriales, ofßciales, die bei Strafe verpflichtet waren, Verbrechen anzuzeigen, die Wahrheit ihrer Anzeige, die zu einer inquisitio specialis führen konnte, durch Vorlage von Beweismitteln zu vertreten. Dabei mußten sie nur bei einer gravierenden Amtspflichtverletzung haften. Gerade hier wird jedoch von Juristen nicht selten bemängelt, daß man den ordo iuris nicht einhält. Kritik dieser Art übt man auch an gewissen Bestimmungen von Statuten. Gelehrtes Recht und Rechtswirklichkeit sind hier, wie zu allen Zeiten, nicht immer identisch. Generell hat das 4. Laterankonzil, wie auch vorher Innozenz III., davon abgesehen, die rechtlichen Bestimmungen dieses Verfahrens uneingeschränkt auf die Regularen anzuwenden. Die disziplinären Grundlagen in den Orden, ihre akzeptierten consuetudines, ermöglichten ein Vorgehen gegenüber Beschuldigten direkt durch die Vorgesetzten, ohne den angesprochenen Rechtsweg einzuschlagen. Eine inquisitio

gegen Prälaten soll durchgeführt werden, wenn die

mala fama so groß ist, daß sie nicht ohne scandalum oder periculum dilapidationis übergangen werden kann. Bei einem Vorgehen des Bischofs gegen einen ihm untergebenen Weltgeistlichen genügt allerdings eine frequens fama et clamosa insinuatio, auch wenn nicht ein scandalum vorliegt oder zu erwarten ist. Der Obere darf sich aber nicht schon durch eine erste Mitteilung bewegen lassen, sondern erst, wenn sie öfter an seine Ohren gelangt

ist. Dann allerdings kann er auch puro officio sine fama

vorgehen33.

Die Durchsicht der Quellen zeigt also, daß die damalige Kanonistik zwar das neue Verfahren als einen Kriminalprozeß akzeptiert hat, andererseits aber immer noch die Gegebenheiten eines eindeutigen Disziplinarverfahrens, wie bei Innozenz III., akzeptierte.

Entscheidend ist, ob bei diesem Verfahren secundum iuris rigorem vorgegangen wird, also eine poena temporalis oder eine Buße, eine alleinige Enthebung von Amt bzw. Benefizium tendiert wird.

33

Hostiensis, Summa, l.V, De inqu., Ziff. 4.

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Am Schluß dieses Abschnittes muß kurz auf ein Instrument eingegangen werden, das bis weit in die Neuzeit hinein das europäische Rechtswesen korrumpiert hat, die Folter. Gewiß hat man zu allen Zeiten und in vielen Gegenden physische Zwangsmittel, Gewalt angewendet, um Aussagen zu erpressen, Namen von Komplizen wie Angaben über Absichten des Feindes zu erhalten, zu bestimmten Handlungen zu zwingen oder um jemanden zu bestrafen. Daneben gab und gibt es andere Methoden wie Hunger und Durst, Verbannung, Kerker, psychiatrische Kliniken, um Menschen mürbe zu machen. Hier geht es allein um die prozessuale Folter, die tortura giudiziaria34. In der zeitgenössischen Rechtslehre ist diese umschrieben worden als interrogatio de crimine commisso per corporis tormenta, ad eruendam ipsius criminis sive causae veritatem, legitime a iudice instituta. Diese prozessuale Folter geht in ihrer mittelalterlichen und neuzeitlichen Auswirkung auf das römische Recht 35 zurück. Dort konnte sie zunächst bei Sklaven angewandt werden, bei denen man wohl parteiische Aussagen zugunsten ihrer Herren unterbinden wollte. Dann weitete man ihren Einsatz auf Staatsfeinde und Täter von crimina publica aus. Der Rückgriff darauf im Mittelalter ist sicher nicht aus Lust an roher Gewalt erfolgt. Im Akkusations- wie im Inquisitionsprozeß war die gerichtliche Uberführung nur durch klare und überzeugende Beweise, wie die übereinstimmende Aussage mehrerer Tatzeugen und das eigene Geständnis möglich. Das Zeugnis einer einzelnen Person und Indizien, die eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Tat des Angeklagten ergaben, genügten nicht zur Verurteilung. So haben die Legisten, sicher nicht zuletzt, um der Gerechtigkeit zu dienen, beim Vorliegen von starken Indizien bei Kapitalverbrechen unter Rückgriff auf das römische Kaiserrecht die physische Geständniserzwingung als möglich hingestellt. Dabei muß eines festgehalten werden: Die Folter

34

Vgl. Piero F i o r e l l i , La tortura giudiziaria nel diritto comune (Ius nostrum. Studi e testi pubblicati dall' istituto del diritto italiano dell' Universitä di Roma 1/2, 1953/1954). 35 Dig.48, 18 (ff. de quaestionibus); Cod.9, 41 (C. de quaestionibus); Dig.29, 5 (ff. de senatus consulto Silaniano); Cod.6, 35 (C. de his quibus ut indignis auferuntur); Dig.22, 5 (ff. de testibus); Dig.48, 19 (ff. de poenis); Cod.9, 8 (C. ad legem Iuliam maiestatis); Nov. 90, 1 (auth. de testibus, § Sancimus, coll. VII).

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ist nicht, wie man behauptet hat, ein Kennzeichen des Inquisitionsprozesses, der ohne sie auskommen konnte. Sie durfte unter den genannten Voraussetzungen ebenso im Akkusationsprozeß Anwendung finden. In Italien finden wir den ersten Gesetzestext, der die Folter erwähnt, in dem Lib er iuris civilis von Verona 1228 zusammengestellt. Dann folgt eine Rubrik in den Statuten von Vercelli von 1241, die vielleicht auf 1229 zurückgeht, eine Festsetzung von 1233, die in den 1255 verfaßten Statuten von Parma wiedergegeben wird, und schließlich ein Kapitel der Statuten von Viterbo 1237/3836. Eine besondere Bedeutung haben die Constitutiones augustales oder Constitutiones regni Siciliae Friedrichs II. von 123 1 37 , in denen die Tortur für Personen minderer Herkunft vorgeschrieben wird, die stark eines Mordes oder eines anderen schweren nächtlichen bzw. heimlichen Verbrechens verdächtig sind. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts folgen fast alle städtischen Statuten in Italien. Zunächst wird die Tortur als etwas Außergewöhnliches behandelt, der die Bürger nur in Ausnahmefällen unterzogen werden. Daß die Foltererlaubnis des crimen laesae maiestatis eine gewisse Rolle spielte, steht außer Frage. Die Offizialmaxime wird ebenfalls meist bei Hochverrat und Münzfälschung anerkannt. Während zunächst Adel und Magnaten in den politischen Kämpfen stärker betroffen sind, richtet sich im Zuge der Friedensbewegung das neue Verfahren in besonderer Weise gegen Delinquenten, die Kapitalverbrechen begangen haben, vor allem Berufsverbrecher, gemeingefährliche Personen. Auch in Frankreich läßt sich die prozessuale Folter um die Mitte des 13. Jahrhunderts nachweisen. In Spanien erlebte die römischrechtlich geprägte Lex Romana Visigothorum durch Ferdinand III. in kastilischer Ubersetzung mit Zusätzen als Fuero juzgo eine gesetzliche Auferstehung, wobei die Texte über die Folter darin enthalten waren. Schließlich erfolgte 1265 in der letzten der Siete partidas Alfons' X . in einem eigenen Titel De los tormentos (7,30) 38 die Rezeption des justinianischen Rechts und der Lehre der Legisten. Daß in Deutschland bereits unabhängig von einem Einfluß des gelehrten Rechts die prozessuale Folter bereits im 12. Jahrhundert in Gebrauch 36 37 38

F i o r e i l i, La tortura (wie A n m . 3 4 ) Bd.l, S. 82ff. F i o r e l l i , La tortura 1, S. 86f. F i o r e l l i , La tortura 1, S. 100.

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gekommen sei, wie E. Schmidt 3 9 behauptete, läßt sich quellenmäßig ebensowenig wie eine solche Praxis im 13. Jahrhundert nachweisen. Exakte Belege dafür finden wir erst seit den zwanziger Jahren des 14. Jahrhunderts in Augsburg u n d in rheinischen Bischofsstädten.

III. Z u m Verfahren der bischöflichen Ketzerverfolgung bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts Während sich in fränkischer Zeit das oben beschriebene Infamationsverfahren gegen Kleriker ausbildete, blieb die nach weltlichen Vorbildern eingerichtete bischöfliche Sendgerichtsbarkeit 40 mit ihrem Rügeverfahren gegen Laien weiter bestehen. Hier erfolgte eine Abfragung der möglichen Hauptvergehen. Ihr folgten Bezichtigungen, zunächst aus dem Volksumstand kommend, dann, offenbar wegen vieler unqualifizierter Denunziationen, in der Regel von den sog. iuratores synodi. Diese stammten aus dem Kreis der honoratiores, meliores, maturiores, meist mit Autorität ausgestatteten Vertretern der Gemeinde. Sie bildeten die Anlaufstelle f ü r Klagen, die von Einzelpersonen oder von G r u p p e n ausgingen. Sie waren aufgrund ihrer Kenntnis der Verhältnisse in der Lage, zu ermessen, ob es sich u m haltlose Vorwürfe oder ernst zu nehmende Bezichtigungen handelte. N u r die letzteren mußten sie vorbringen. Es scheint, daß es sich im Volksempfinden und nach der damaligen Prozeßvorstellung um Personen handelte, welche die „amtliche" Funktion des „öffentlichen Anklägers" übernahmen. Dementsprechend finden wir auch die Begriffe accusare und accusatio in den Quellen, auch wenn hier das sog. Talionsprinzip des Einstehens f ü r die Beschuldigung nicht angewendet wurde. Im Sendgericht konnten natürlich auch Verstöße in Glaubensangelegenheiten Gegenstand einer Rüge sein. Der Sendherr, der Bischof, in Ausnahmefällen sein Stellvertreter, war keineswegs selbsturteilender Richter. Er hatte nur die Prozeßleitung und verkündete rechtskräftig das Urteil, das die 39

Vgl. Anm. 4. Vgl. Albert Michael K o e n i g e r , Die Sendgerichte in Deutschland, Bd.l (1907); ferner die älteren Arbeiten von Richard Wilhelm D o v e , Untersuchungen über die Sendgerichte, Zeitschrift für deutsches Recht 19 (1859) S. 321-394; D e r s . , Beiträge zur Geschichte des deutschen Kirchenrechts. Die fränkischen Sendgerichte I/II, Zeitschrift für Kirchenrecht 4 (1864) S. 1-45 u. 5 (1865) S. 1-42; D e r s . , De iurisdictionis ecclesiasticae apud Germanos Gallosque progressu (iur. Diss. Berlin, 1855). 40

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Sendschöffen, Geistliche seiner Umgebung und ortsansässige Kleriker, fanden. Der Beschuldigte hatte nur die Wahl zu gestehen oder zu leugnen. Im letzteren Fall mußte er den Beweis erbringen. Das konnte durch den Reinigungseid mit Eideshelfern oder durch ein Gottesurteil geschehen. Die Sendschöffen fällten dabei zuvor meist ein sog. zweizüngiges Urteil, das auf den Erfolg oder Mißerfolg dieses Beweises abstellte. Mißlang der Beweis, wurde die Strafe vollzogen. Auch als die Gefahr häretischer Bewegungen im 11. und dann besonders im 12. Jahrhundert größer wurde, blieb man weithin bei diesem prozessualen Vorgehen. Allerdings lassen sich auch Abweichungen feststellen, und bisweilen reagierte das aufgebrachte Volk durch Lynchjustiz, indem die Beschuldigten verbrannt wurden. Ein Ereignis muß besonders erwähnt werden. Es ist die gemeinsame, oder genauer gesagt, die doppelte Gesetzgebung von Papst und Kaiser, Lucius III. und Friedrich I. Barbarossa, in Venedig. Erhalten ist uns davon nur die päpstliche Dekretale Ad abolendam41 vom 4. November 1184. Man kann sie als magna charta persecutionis haereticorum bezeichnen, auch wenn ihre Verfahrensgrundsätze bereits nach mehreren Jahrzehnten ins Wanken gerieten. Deshalb muß auf ihren materiell-rechtlichen wie prozessualen Inhalt näher eingegangen werden. Papst und Kaiser, so heißt es, hätten sich, wie ein Vater und ein Sohn, im Geiste unterhalten und als die beiden Köpfe der einen Christenheit geistliche wie weltliche Angelegenheiten besprochen. Mit dem Rat derer, die dort zusammenkamen, Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe und vieler Fürsten aus verschiedenen Teilen des Reiches, habe man einstimmig die Maßnahmen gebilligt, welche sie unternehmen wollten, nämlich die Verurteilung häretischer Sekten, die, sicher nicht ganz exakt, einzeln aufgezählt werden, sowie der Personen, die unberechtigt öffentlich oder privat predigten bzw. Falsches über die Sakramente lehrten. Sie sollte der dauernde Kirchenbann treffen wie auch alle, die jene unterstützten und verteidigten. Gegen die, welche der Häresie überführt worden waren, sollte folgendermaßen vorgegangen werden: Wenn es sich um einen Kleriker handelt, so ist er der Vorrechte des geistlichen Standes zu entkleiden, also zu degradieren, von Amt

41

X 5, 7, 9.

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und Benefizium zu entsetzen und der weltlichen Gewalt zur Bestrafung zu übergeben, sofern er nicht sofort nach Klarstellung des Irrtums freiwillig zur Einheit des katholischen Glaubens zurückkehrt, der Anordnung des zuständigen Bischofs zustimmt, seinem Irrtum abzuschwören und eine entsprechende Genugtuung zu leisten. Ein Laie aber, den eine solche Schuld trifft, soll, falls er nicht der Häresie abschwört, die auferlegte Genugtuung leisten will und sofort zum katholischen Glauben zurückkehrt, dem Urteil des weltlichen Richters übergeben werden, damit er die entsprechende Strafe erhält. Diejenigen, die nur verdächtig sind und nicht durch die vom Bischof gemäß der Beschaffenheit des Verdachts und der Person zu verhängende Reinigung ihre Unschuld beweisen, sind in der gleichen Weise zu bestrafen. Solche aber, die nach der Abschwörung des Irrtums oder nach der Reinigung eines Rückfalls in die abgeschworene Häresie schuldig werden, sind ohne irgendeine Anhörung dem weltlichen Gericht zu übergeben. Die Güter der verurteilten Kleriker sind den Kirchen, denen sie dienen, gemäß den gesetzlichen Sanktionen zurückzuerstatten. Alle Patriarchen, Erzbischöfe und Bischöfe werden verpflichtet, die erwähnte Verhängung des Kirchenbanns durchzuführen und an gewissen Festen und bei besonderen Gelegenheiten diese Anordnung erneut bekanntzugeben. Wer in dieser Hinsicht als nachlässig anzutreffen ist, soll für den Zeitraum von drei Jahren der bischöflichen Würde und der Amtsausübung enthoben werden. Jeder Erzbischof und Bischof soll sich persönlich, bzw. vertreten durch den Archidiakon oder per honestas et idoneas personas, einoder zweimal im Jahr in die Pfarreien begeben, in denen ein Gerücht über die Anwesenheit von Häretikern aufgetreten ist. Dort sollen sie durch Eid drei oder mehr glaubwürdige Männer, wenn es erforderlich ist auch die gesamte Nachbarschaft, verpflichten, alles, was sie über häretische Umtriebe und Personen wissen, dem Bischof bzw. dem Archidiakon anzugeben. Nach dieser Untersuchung soll der Bischof oder sein Vertreter die Angeschuldigten vor Gericht ziehen. Letztere können sich iuxta patriae consuetudinem von dem gegen sie erhobenen Vorwurf reinigen. Wer das nicht vermag oder als Rückfälliger gilt, soll als Häretiker so bestraft werden, wie es oben ausgeführt wurde. Ferner wird angeordnet, daß Grafen, Barone, Rektoren und Konsuln von Städten und anderen Ortschaften nach einer Ermahnung

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durch die Erzbischöfe oder Bischöfe persönlich einen Eid leisten sollen, in dieser Angelegenheit gewissenhaft und wirksam die Kirche bezüglich der Häretiker und ihrer Komplizen zu unterstützen und sowohl die kirchlichen wie die kaiserlichen Anordnungen durchführen zu lassen. Wenn sie das nicht beachten, werden sie ihrer Würden beraubt, und es wird ihnen verboten, andere anzunehmen. Sie verfallen der Exkommunikation. Ihren Ländereien ist das Interdikt aufzuerlegen. Die Gemeinwesen aber, welche diesen Anordnungen zu widerstehen suchen, oder entgegen den Ermahnungen des Bischofs die Widerstrebenden nicht bestrafen, dürfen nicht mit anderen Städten Handel treiben und gehen ihrer Würde als Bischofssitz verlustig. Auch alle, welche die Häresie unterstützen, sollen einer dauernden Infamie verfallen, von dem Auftreten als Advokat oder Gerichtszeuge sowie von öffentlichen Ämtern entbunden sein. Diejenigen, die rechtlich von einer Diözesanjurisdiktion exemt sind, sollen in Häretikerfällen derselben, gleichsam als einer vom Apostolischen Stuhl delegierten Gerichtsbarkeit, unterstehen, wobei dem keine erteilten Freiheiten und Privilegien entgegenstehen. Ohne Zweifel sind in dieses Dokument alle wichtigen Elemente einbezogen worden, die zu dem damaligen Zeitpunkt sowohl materiellrechtlich wie prozessual die Grundlage der Ketzerbekämpfung bildeten. Das sollte auch noch einige Jahrzehnte so bleiben. Denn die immer wieder zu findende Behauptung, der Inquisitionsprozeß sei entstanden, weil man ein solches Mittel gegen die Häretiker brauchte, ist unrichtig. Selbst Jahre nach dem Erlaß der Dekretale Qualiter et quando hat sich Innozenz III. an die 1184 sanktionierten Normen gehalten. Schließlich waren die Prinzipien von Ad abolendam noch Grundlage der Beschlüsse des IV. Laterankonzils von 1215, das sie in etwas erweiterter Form in seine 3. Konstitution übernahm42. Darüber hinaus ist die 6. Konstitution 43 von besonderer Bedeutung. Hier heißt es unter Hinweis auf frühe ökumenische Konzile, deren Bestimmungen zu beachten seien, die Metropoliten dürften nicht unterlassen, jährlich zusammen mit ihren Suffraganen Provinzialkonzile durchzuführen, in welchen zur Verfolgung von Exzessen und zur Reform der Sitten die kanonischen Regeln anzuwenden und 42

Constitutiones Concilii quarti (wie Anm. 19) S. 47ff.

43

Constitutiones Concilii quarti S. 53.

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ihren Übertretern die gebührenden Strafen aufzuerlegen seien. Damit das jedoch wirksamer vollzogen werde, solle man in den einzelnen Diözesen geeignete, umsichtige und ehrenhafte Personen bestellen, welche während des ganzen Jahres simpliciter et piano, ohne eine Jurisdiktionsgewalt innezuhaben, erforschen, welche Korrektur oder Reform erforderlich sei und das auf dem folgenden Provinzialkonzil berichten. Johannes Teutonicus44 kommentiert diese Konstitution dahingehend, daß es sich hier gleichsam um sog. testes synodales handele, wie sie auch im Decretum Gratiani45 beschrieben seien. Diese könnten nämlich mehr darüber wissen, was in der Diözese vorgehe als Auswärtige. Aber es entstehe die Frage, ob jene von Dorf zu Dorf wandern müßten, um Exzesse aufzuspüren, was bejaht wird, sofern eine Notwendigkeit auftritt. Solche inquisitores besäßen ja keine Jurisdiktionsgewalt und sollten daher nur das Gerücht dem Metropoliten mitteilen, ut ad clamorem istorum possit descendere et visitare diocesim. Der weitere Kommentar erscheint jedoch etwas abwegig, weil er allein auf den Erzbischof bezogen wird. Diese Personen sollten nach seiner Auffassung nur dann dem Metropoliten vom Gerücht über bestimmte Verbrechen Mitteilung machen, wenn der betreffende Bischof seinerseits nicht bereit sei, dagegen einzuschreiten. Jene seien also vom Konzil eingesetzt, damit sie dem Erzbischof die Versäumnisse der Bischöfe meldeten. Denn erst dann dürfe er sich in die jeweilige Diözese begeben, nicht um nach Verbrechen zu forschen, sondern um die Nachlässigkeit des Bischofs zu überprüfen. Diese Interpretation ist wohl doch sehr einseitig. Denn der Text der Konstitution lautet ausdrücklich, ea fideliter proferant ad metropolitanum et suffraganeos in concilio subsequenti, ut super hiis...provida deliberatione procedant. Was nach altem Recht bei den örtlichen Rügegeschworenen in Häretikerprozessen durch Ad abolendam sanktioniert wurde, sollte nun auf Diözesanebene allgemein praktiziert werden. Innozenz III. und die Konzilsväter versprachen sich davon gewiß gemeinsame Aktionen innerhalb der Kirchenprovinzen gegen die übergreifenden Exzesse, sicher auch im Hinblick auf die immer stärker werdenden häretischen Bewegungen jener Zeit. Daß von der Stellung dieser offiziell bestellten Denunzianten zu den Promotoren der Häretikerprozesse künftiger 44 45

Constitutiones Concilii quarti S. 191 ff. C. XXXV, qu. 6.

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Zeit eine nicht allzu große Kluft besteht, dürfte auf der Hand liegen. Die eigentlichen gravierenden Veränderungen haben allerdings eine andere rechtliche Grundlage.

IV. Römisch-rechtliche Einflüsse Wie wir sahen, hatte das 4. Laterankonzil den Bischöfen die Kompetenz für die Ketzerangelegenheiten bestätigt. Für das Verständnis der hier zu behandelnden Entwicklung ist die Tatsache wichtig, daß der anzuwendende Prozeß noch ganz den germanisch bestimmten Grundlagen folgt. Das Beweisverfahren ist nicht materiell-rechtlich ausgeformt. Trotz des Verbots des Gottesurteils hat der Reinigungseid, die purgatio canonica, eine maßgebende Rolle als Beweismittel noch nicht verloren. Lange wird man das nicht mehr aufrechterhalten können. Das gelehrte Recht, die Jurisprudenz, zunächst in der getrennten Ausprägung von Kanonistik und Legistik, dann in der von einander abhängigen Form des ins utrumque, bot andere Rechtsgrundlagen und Möglichkeiten, auch zur Verfolgung der immer drohender werdenden Ketzerbewegungen. Bei der Anerkennung der Subsidiarität des römischen Rechts, wenn eigene kanonische Grundlagen fehlten, brauchen wir uns nicht zu wundern, daß die Juristen der damaligen Zeit auch in diesem Bereich den Blick auf die spätantiken leges richteten. Ganz klar basieren die Ausführungen der Kanonisten über die Anwendung des Akkusationsprozesses auf ihnen46. Ohne den römisch-rechtlichen Einfluß ist auch die spätere Entwicklung des Ketzerprozesses nicht denkbar, und deshalb müssen wir kurz auf einige dieser Regelungen eingehen. Wie man in heidnischer Zeit die Christen im Namen des Kaiserkults als gefährliche Sekte, sogar als Feinde der Menschheit, verfolgte, so wurden nach der Anerkennung des Christentums als Staatsreligion Heiden wie Häretiker bestraft. Die gesetzlichen Verbote der Ausübung des Kults richteten sich vor allem gegen die Manichäer und

46 Als Beispiel sei nur auf die Darstellung des Goffredus de Trano, Summa super titulis decretalium (Ausg. Lyon 1519; N D Aalen 1968) fol,195 b sq.= S. 392f. verwiesen.

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Donatisten. Zwei Konstitutionen Justinians, eine an gewisse Amtspersonen 47 , die andere an alle Untertanen des Imperiums 48 gerichtet, machten die Nachforschung über Häretiker und ihre Denunziation zur Pflicht und begründeten als Prinzip, daß derjenige, der sich als ihr Komplize erweise, auch als Häretiker zu betrachten sei und sich gleichen Strafen aussetze. Von entscheidender Bedeutung waren für das Verfahren und die Bestrafung die Einbeziehung des Delikts in das crimen laesae maiestatis. Ursprünglich war die maiestas auf die Götter bezogen, dann aber dem römischen Volke und seinem Staatswesen, schließlich den Kaisern beigelegt. Das Delikt war bereits in der Republik bekannt. Man faßte darunter als Tatbestände alles zusammen, was gegen die Struktur und Würde des Staates gerichtet war: Verbindungen mit dem Feind, versuchter Umsturz der Verfassung, Angriffe gegen eine Person des Magistrats, später natürlich besonders die des Kaisers, Vernachlässigung der Pflichten bei Amtsgeschäften des Magistrats und des Priestertums, umfassend auch schwere Versäumnisse der bürgerlichen oder der religiösen Pflichten. So konnte Ulpian definieren: Maiestatis crimen illud est, quod adversus populum romanum et adversus securitatem ejus commititur49. Als Strafen waren vor allem Konfiskation der Güter, Exil, Deportation, Tod, Vernichtung der Grabstätte, Entziehung des ehrenden Gedenkens angedroht. Zunächst waren diese streng individuell, bezogen sich nicht auf Abkömmlinge. Sulla 50 Schloß jedoch Kinder und Enkel der Täter vom ius bonorum aus. Diese Bestimmung wurde aber von Caesar aufgehoben und während der Zeit des Prinzipats nicht angewendet. Eine Änderung erfolgte durch die auch in späterer Zeit wirkmächtige und immer wieder zitierte Konstitution Quisquis von Arcadius und Honorius aus dem Jahre 397 51 . Diese sieht nicht nur die Todesstrafe für Majestätsverbrecher vor, sondern auch die Güterkonfiskation, die nun wieder auf die Erben ausgeweitet wird. Die filii der Täter dürfen ferner keine Testamente errichten oder eine andere Erbschaft C o d . I, 5, 16. C o d . I, 5, 18. 49 D e officiis proconsulis, l.VII; Dig. XLVIII, 4, 1. 50 Lex Cornelia de proscriptione. 51 C o d . Theod., IX, 14, 3; C o d . Just., IX, 8, 5. Bemerkenswert ist, daß diese rechtlichen Bestimmungen bereits zum Teil im Decretum Gratiani, c.22, C.VI, qu.l aufgeführt wurden. 47 48

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empfangen. Sie sollen sein perpetuo egentes et pauperes. Die väterliche Infamie soll sie immer begleiten, so daß sie keiner Ehre teilhaftig und keiner wirksamen Eidesleistung fähig sind. Die Verfolgung der Täter und die Konfiskation der Güter kann selbst nach ihrem Tode erfolgen, ihre memoria untersagt werden. Seitdem das Christentum als offizielle Staatsreligion angesehen wurde, waren Häretiker wegen Vernachlässigung der vom Staat geforderten religiösen Pflichten des crimen laesae maiestatis schuldig. So erneuerten 379 Gratian, Valentinian und Theodosius 52 alle Verurteilungen, die schon gegen die Häretiker durch die göttlichen Gesetze und die kaiserlichen Konstitutionen verhängt worden waren. 380 wurden die Glaubensregeln auf die Lehren des römischen Stuhles und die des Damasus und des Petrus von Alexandria festgelegt 53 . Dann waren die Bestimmungen des Konzils von Nicaea zusätzlich maßgebend. Zahlreiche Strafandrohungen gegen Häretiker folgten. 407 sehen Arcadius, Honorius und Theodosius II. die Häresie ausdrücklich als crimen publicum an 54 . In dieser berüchtigten lex Manichaeos wird befohlen, die Manichäer und Donatisten mit härtesten Strafen zu verfolgen. Sie hätten mit dem Menschengeschlechte aufgrund der Sitten und Gesetze nichts gemein. Das, was gegen die göttliche Religion begangen werde, müsse als ein Verbrechen gegen alle angesehen und auch durch die Öffentlichkeit verfolgt werden. Das beträfe auch die Verwandten der Täter. Jene sollen jeder Freiheit der Erbfolge, von welcher Seite sie auch kommen möge, enthoben sein. Das Recht der Schenkung, des Kaufs und Verkaufs, ja jedes Vertragsschlusses soll den Uberführten entzogen werden. Alle schriftlichen Willenserklärungen, wie Testament, Codizill oder Brief, seien nichtig. Auch bei eingetretenem Tode müsse die Untersuchung durchgeführt werden, denn bei Majestätsverbrechern könne die memoria des Verstorbenen angeklagt werden und müsse dem Urteil verfallen. Wenn auch die Söhne der Täter grundsätzlich nicht als Erben auftreten dürften, so soll denen jedoch die Gnade gewährt werden, die a paterna pravitate discesserint: delicti enim veniam paenitentibus damus. Auch den Sklaven soll kein Schaden zugefügt werden, wenn sie

52 53 54

Cod. Theod., XVI, 5, 5; Cod. Just., I, 5, 2. Cod. Theod.,XVI, 1, 2; Cod. Just., I, 1, 1. Cod. Theod., XVI, 5, 40; Cod. Just., I, 5, 4.

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das Sakrileg der Herren gemieden haben und zur katholischen Kirche zurückgekehrt sind. Besondere Bestimmungen richten sich gegen diejenigen, welche jene Häretiker in ihren Häusern in verdammenswerter Sorge schützen. Im Jahre 428 setzen Theodosius II. und Valentinian III. 5 5 für die Manichäer die Strafe des Exils und in der Fassung des Codex Justinians die des Todes fest. Beides braucht sich nicht auszuschließen, denn die Todesstrafe würde jene treffen, die nicht auswanderten. In den genannten Gesetzen ist die Art der Hinrichtung nicht genau angegeben. Aber hier liegt bereits eine lange Tradition vor. Schon aus einer Konstitution von Maximinian, Diokletian und Galerius vom Jahre 287 gegen die Manichäer 56 ergeben sich die strafrechtlichen Folgen, nämlich außer der Güterkonfiskation bei einfachen Anhängern die Strafe der Minen, bei Dignitären die Todesstrafe. Die Führer der Sekte sollten „mit ihren abscheulichen Büchern" verbrannt werden. Weshalb der bei den Römern sonst selten angewandte Feuertod als Strafe verhängt wurde, gab zu den unterschiedlichsten Hypothesen Anlaß. Wurden die Manichäer mit ihren geheimnisvollen Praktiken der Strafe der schadenstiftenden Zauberer unterzogen, die sich im Kreuzestod, dem Tod durch wilde Tiere und schließlich in dem durch das Feuer darstellte? Oder liegt hier eine altempfundene Purgationsstrafe vor, welche die Dunkelheit des Verbrechens durch das Licht des Feuers reinigen sollte? Wollte man vor den Göttern jene Schändlichkeit ausbrennen? So finden wir beim Feuertod für Häretiker auch im vom germanischen Recht geprägten Bereich ähnliche eigenständige Grundlagen. Neben den aufgezeigten Tatbeständen und Strafen, die dann im Mittelalter in großem Umfang übernommen wurden, muß noch eine kurze Bemerkung über das Verfahren gemacht werden. Beim crimen laesae maiestatis wird eine Einhaltung der sonst streng zu beachtenden Prozeßregeln nicht gefordert. Die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten sind eingeschränkt. Als Zeugen gegen ihn können auch gewisse schlecht beleumdete Personen oder Unfreie auftreten und den Beweis liefern. Falls man auf diesem Wege nicht vorankommt, wird die zunächst bei Bürgern oder gar Honoratioren nicht zugelassene Folter

55 56

Cod. Theod., XVI, 5, 65; Cod. Just., I, 5, 52. Codex Theodosianus, hg.v. Gustav H a e n e l (1842) l.XIV, t. IV, 6 u.7.

Von den Anfängen des Inquisitionsprozesses

65

zur prozessualen Geständniserzwingung rechtlich gestattet. Hier ist es auch erlaubt, in caput domini servos torquere. In der frühen Kirche hat man weithin den Standpunkt vertreten, man solle den Häretikern nicht mit Gewalt, sondern mit Liebe gegenübertreten57. Das war auch zunächst die Auffassung Augustins58. Als zu Beginn des 5. Jahrhunderts in Nordafrika die von den Donatisten ausgehende Gefahr immer größer wurde, forderten die dortigen Bischöfe die Anwendung der Gesetze. Das Konzil von Karthago bat 410 den Kaiser, das Toleranzedikt zurückzunehmen 59 . Das geschah auch in den folgenden Jahren im Zusammenhang mit einer verschärften Gesetzgebung 60 . Hier liegt der Hintergrund des späteren Compelle intrare Augustins im Hinblick auf Luc. 16, 17 24. Gewaltanwendung gegen Häretiker wurde also nun als legitim angesehen. Es stand dem Kaiser zu, sie anzuwenden. Dieses Prinzip wurde dann auch in der großen Kompilation Justinians, dem später sog. Corpus iuris civilis durch die Hereinnahme der entsprechenden Gesetze verankert. Von dieser Basis aus hat das römische Recht noch einen gewissen Einfluß in Italien und im westgotischen Bereich ausgeübt. Manches fand auch Eingang in die frühen kirchenrechtlichen Sammlungen. Eine größere praktische Wirkung war damit allerdings nicht verbunden. Das aber wird seit der „Wiedergeburt" des römischen Rechts durch die wissenschaftliche Bearbeitung in der Schule von Bologna, dann auch an weiteren Universitäten, anders. Die Äußerungen der legistischen Glossatoren 61 , mehr noch die ihrer spätmittelalterlichen Nachfolger, basieren auf den überlieferten Texten, welche eine strenge Bestrafung der Häretiker androhen, denen wieder wie einst mit allen Konsequenzen vorgeworfen wird, ein crimen laesae maiestatis begangen zu haben. Die Konstitutionen der römischen Imperatoren werden als anwendbares Kaiserrecht angesehen. Auf die einzelnen Werke kann hier nicht näher eingegangen werden. Sie laufen alle auf eine 57

Vgl. Henri M a i s o n n e u v e , Etudes sur les origines de Γ inquisition ( L ' Eglise et

Γ Etat au Moyen Age 7, 2 1 9 6 0 ) S. 36ff. 58

D e civ. Dei, 19, 6.

59

Carl J. H e f e l e -

Henri L e c l e r c q

(Hgg.), Histoire des Conciles: D'apres les

documents originaux (1907 - 1921) Bd.2, S. 159. 60

Cod. Theod., X V I , 5, 51, 52, 54, 55.

61

Vgl. Onofrio R u f f i n o ,

Ricerche sulla condizione giuridica degli eretici nel

pensiero dei glossator!, Rivista di Storia del diritto italiano 46 (1973) S. 30-190.

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Wiederbelebung der oben angeführten Prinzipien hinaus. Diese finden dann auch teilweise Eingang in das Decretum Gratians und in die frühe Kanonistik62. Neben der geistlichen Strafe der Exkommunikation und der Infamie - jetzt ergänzt durch die nicht mehr notwendigerweise als Strafe zu verhängende infamia facti - erscheinen hier in Anlehnung an das römische Recht die von der weltlichen Gewalt zu verhängenden Zwangsmittel der Güterkonfiskation, des Exils, der Deportation und auch die Todesstrafe. Bei Gratian finden wir das auf Augustinus zurückgehende persönliche Kriterium, den subjektiven Tatbestand für eine Bestrafung des Häretikers, nämlich seine incorrigibilitas, seine pertinacia63. Innozenz III. setzte eigene rechtliche Grundlagen in seiner berühmten Dekretale Vergentis in senium von 119964, die an Viterbo gerichtet war, also an eine Stadt des Patrimonium Petri, welche der weltlichen Jurisdiktion des Papstes unterstand, was Kanonisten sehr bald mit der Konsequenz betonten, daß sie, zumindest an einem Punkt, nicht in der Gesamtkirche von allgemeingültiger Verbindlichkeit sei. Diese Sanktion erhielt sie erst durch das 4. Laterankonzil, allerdings mit einer bedeutsamen Korrektur. Der Papst stellte die Frage: Wenn schon gemäß den Sanktionen der leges die Täter eines MajestätsVerbrechens Othmar H a g e n e d e r , Der Häresiebegriff bei den Juristen des 12. und 13. Jahrhunderts, in: The Concept of Heresy in the Middle Ages (11 th - 13 th Century). Proceedings of the international conference Louvain, may 13 - 16, 1973, hg.v. W. L o u r d a u x / D . V e r h e l s t (Mediaevalia Lovaniensia 1 4, 1976) S.42-103 mit weiterer Lit.; Candido Ρ ο ζ ο , La nocion de ,herejia' en el derecho canonico medieval, Estudios Ecclesiasticos 35 (1960) S. 235-252. 62

63 Decr. Grat, c.29 C . X X I V qu.3: Dixit Apostolus (Tit.3,10): „Haereticum hominem post primam et secundum correctionem devita, quia subversus est huiusmodi, et peccat, in semetipso dampnatus". Sed qui sentenciam suam, quamvis falsarn atque perversam, nulla pertinaci animositate defendunt, presertim quam non audacia suae praesumptionis pepererunt, sed a seductis atque in errorem lapsis parentibus acceperunt, querunt autem cauta sollicitudine veritatem, corrigi parati, cum invenerint, nequaquam sunt inter hereticos deputandi. Dazu die Glosse des Johannes Teutonicus ad v. pertinaci: Licet ergo teneat aliquis ea, quae sunt contra fidem, dummodo paratus sit corrigi, non est habendus baereticus (Ed.Lugduni 1618) fol.1429.

Ferner: Decr. Grat, c.31: Qui in ecclesia Christi morbidum aliquid pravumque sapiunt, si correcti, ut sanum rectumque sapiant, resistunt contumaciter, suaque pestifera et mortifera dogmata emendare nolunt, sed defensare persistunt, heretici sunt. 64 X 5, 7, 10. - Dazu Othmar H a g e n e d e r , Studien zur Dekretale „Vergentis"(X.V,7,10). Ein Beitrag zur Häretikergesetzgebung Innozenz' III, Z R G Kan.49 (1963) S. 145ff.

Von den Anfängen des Inquisitionsprozesses

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entsprechend bestraft würden, müßten dann nicht umsomehr diejenigen, welche vom Glauben an den Herrn abirrten, den Gottessohn Jesus Christus beleidigten, von unserem Haupte Christus durch ein kirchliches Vorgehen abgeschnitten und ihrer zeitlichen Güter beraubt werden, da es weit schwerer sei, die ewige als die weltliche Majestät zu verletzen?

Die Anwendung der Rechtsfolgen des crimen laesae maiestatis auf die Häretiker bringt jedoch allein nichts Neues. Hier ist allerdings die maiestas, die verletzt wird, nicht die res publica, nicht der Imperator, sondern es ist die maiestas divina. Die Deutung dieses Begriffs kehrt an seinen Ausgangspunkt zurück. Sie bietet damit erstmalig - in der Forschung hat man das weithin noch nicht begriffen - ein eigenständiges kirchenrechtliches Fundament, auf dem man die entscheidenden leges analog anwenden konnte, nicht mehr nur subsidiär und damit äußerst anfechtbar. Römisch-rechtliche Grundlagen hat, wie wir sahen, auch das ange-

drohte Vorgehen gegen die defensores, receptatores, fautores et credentes haereticorum. Dasselbe trifft für die Verhängung der Infamie mit ihren aufgezählten Rechtsfolgen zu. Bei der ursprünglich festgesetzten Enterbung der Ketzer und aller ihrer Nachkommen stand die lex Quisquisbi Pate, offenbar ohne genaue Kenntnis der weiteren Entwicklung des römischen Rechts. Denn bereits Azo hatte die gleiche auf sie begründete Auffassung des Placentinus mit dem Hinweis abgelehnt, die Konstitution Manichaeos66 hätte jene strenge Normierung zugunsten der katholischen Nachkommen korrigiert 67 . Darauf weist auch Johannes Teutonicus 68 in seinem Kommentar zu den Konstitutionen des 4. Laterankonzils hin.

65

C. 9, 8, 5.

C. 1, 5, 4. Summa, liber primus. De Haereticis et Manichaeis et Samaritis: ...et ideo in bona eorum succedit fiscus, nisi filios habeant fideles, licet Pia. etiam in filios fideles dixerit eos non posse testari, lex tarnen infra eo. 1. Manichaeos dicit contra. 68 Const. 3, ad v. si laici fuerint, confiscentur: Nota, quod bona hereticorum confiscantur, sive habeant filios vel agnatos sive non, ut extra III. de heret. Vergentis (= Comp.5,11, 4; X 5, 7 10) in fine. Et in hoc corrigitur lex que dicit quod bona hereticorum ad cognatos vel agnatos deferuntur, ut C. de heret. autbent. Idem de Nestorianis (= post Cod.l, 5 [1, 8 vulg.] 19 [ ex Nov. 115, 3, 14] ), Constitutiones Concilii quarti (wie Anm. 19) S. 188. 66 67

68

Winfried Trusen

Blicken wir nun kurz in den weltlichen Bereich. Das Gegenstück von Ad abolendam, die Anordnungen Friedrich Barbarossas, kennen wir nicht. Zu vermuten ist, daß auch hier bereits Einflüsse des römischen Rechts anzutreffen wären. Bedeutsam ist jedoch eine häufig übersehene nachweisbare Gesetzgebung auf der iberischen Halbinsel. Hier hatte Alfons II. unter dem Druck des Konzils von Lerida 1194 ein Edikt publiziert, nach dem die Häretiker, als Feinde des Volkes und Staates angeprangert, alle Territorien zu verlassen hätten, die der Jurisdiktion des Königs unterständen, also Aragon, Katalonien, Roussillon und die Grafschaft der Provence. Die Anhänger und Unterstützer der Häretiker müßten ebenfalls als Hochverräter, als solche, die des crimen laesae maiestatis schuldig seien, verurteilt und ihre Güter konfisziert werden. Im Jahre 1197 erneuerte Peter II. auf dem Konzil von Gerona das Edikt seines Vaters. Um die Aufspürung von Häretikern anzuregen, wurde den Denunzianten ein Drittel der konfiszierten Güter versprochen. Schließlich behielt sich der König vor, bei den Schuldigen die Strafe des Feuertodes anzuwenden: Corpora eorum ignibus crementur. Die Enteignung der Güter war uneingeschränkt. Den Statthaltern wurde die gewaltsame Austreibung von Häretikern zugestanden69. Diese Gesetzgebung ist außerordentlich wichtig. Daß sie Innozenz III. zur Dekretale Vergentis angeregt hätte, läßt sich nicht nachweisen. Aber es scheint, daß bereits die Rechtswissenschaft ihre praktischen Folgen zeigt. Die Summa des Placentinus ist in Montpellier verfaßt worden und es gibt noch andere Quellen, die als Vorlage hätten dienen können. Jedenfalls erscheint hier zum ersten Mal nachweisbar die Häresie in der weltlichen Gesetzgebung des Mittelalters ausdrücklich als crimen laesae maiestatis70. Die Ketzergesetzgebung Friedrichs II. ist also nichts Neues in jener Zeit, ihre römisch - rechtliche Begründung schon gar nicht. Dennoch bot sie für die weltlichen Gewalthaber weithin im Reich die rechtliche Grundlage für ein eigenes Handeln, auch hinsichtlich der Konsequenzen jener Übergabe an den weltlichen Arm durch das geistliche Gericht.

69

M a n s i 22, S. 673ff.

70

M a i s o n n e u v e , Etudes (wie Anm. 57) S. 141.

Von den Anfängen des Inquisitionsprozesses

69

V. Der summarische Ketzerprozeß im Spätmittelalter Um Mißdeutungen zu vermeiden, ist eine Vorbemerkung erforderlich. Es gibt nicht den Ketzerprozeß schlechthin. Verfahren gegen Häretiker konnten in durchaus unterschiedlicher Form durchgeführt werden. Fand sich ein Kläger, der bereit war, die inscriptio vorzunehmen, also für die Überführung des Täters die erforderlichen Beweismittel vorzulegen und beim Mißlingen der Uberführung selbst zu haften, konnte ein normaler Akkusationsprozeß den Vorrang haben. Der Richter war auch berechtigt, den uneingeschränkten Inquisitionsprozeß anzuwenden oder einen Promotor in diesem Verfahren heranzuziehen. In der Praxis wie auch in Handbüchern und anderen Quellen bemerken wir jedoch in der Regel ein summarisches Verfahren gegen Häretiker im Spätmittelalter. Nach vorangegangenen päpstlichen Äußerungen ist dieses durch Bonifaz VIII. endgültig sanktioniert worden: Concedimus, quod in inquisitionis haereticae pravitatis negotio procedi posset simpliciter et de piano, et absque advocatorum ac iudiciorum strepitu et figura71. Wenngleich zu diesem Verfahren nur sehr wenige spezifisch kanonische Festlegungen existieren, dürfen wir es jedoch nicht in einen Topf werfen mit dem in ähnlicher Weise gekennzeichneten summarischen Zivilprozeß, wie das bisweilen geschehen ist. Sicher sind hier einerseits gewisse Formen des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses als Grundlage übernommen worden, ohne alle von Innozenz III. geforderten Verteidigungsmöglichkeiten für den Angeklagten und die strengen Beweisnotwendigkeiten zu beachten. Auf der anderen Seite baut man auf den geschilderten römischrechtlichen Normen auf, die von den Juristen fleißig zitiert werden. Entscheidend ist, daß auch die leges beim crimen laesae maiestatis ein summarisches Verfahren kennen, das ebenfalls auf dem Offizialprinzip basiert. Den Beschuldigten wurde ein „kurzer Prozeß" gemacht, wobei gewisse Ähnlichkeiten nicht zu verkennen sind. Bereits durch das Vorgehen von Amts wegen, das bei den crimina publica durch einfache Denunziation eingeleitet werden konnte, fielen eine Reihe der sonst üblichen Schriftstücke, allgemein geforderte Prozeßstationen und notwendigerweise eintretende Dilationen weg. Die Verhandlung 71

VI 5, 2, 20

70

Winfried Trusen

begann meist mit dem Beweisverfahren, wobei hier auch, wie wir sahen, zur Folter geschritten werden und Zeugen Gehör finden konnten, denen man gegenüber ehrbaren Bürgern und Honoratioren sonst nicht Glauben schenkte. Solche Verfahren wurden nicht selten auch bei den Christenverfolgungen und später gegenüber Häretikern und Heiden angewandt. Es ist keine Frage, daß die Auffassung von der Häresie

als crimen laesae maiestatis und später als crimen laesae maiestatis

divinae die Juristen im Mittelalter dazu brachte, ein summarisches Verfahren in Parallele zum römischen Recht anzuerkennen. Seine eigentliche Ausformung geschah wohl durch die Praxis der Inquisitoren in Zusammenarbeit mit den Bischöfen und aufgrund der Beschlüsse von Provinzialkonzilien 72 . Dennoch darf man dabei die im Spätmittelalter erlassenen gemeinrechtlichen Normen nicht unberücksichtigt lassen, die allerdings das Verfahren nur in einigen Punkten regeln. Das summarische Verfahren tritt uns voll ausgebildet im Directorium des Nicolaus Eymericus 73 von 1376 entgegen. Einige wesentliche Punkte sollen hervorgehoben werden: Die Einleitung des Verfahrens konnte durch Denunziation erfolgen. Es war also nicht mehr, wie Innozenz III. verlangte, eine inquisitio famae bei einer größeren Anzahl zuverlässiger und ehrenwerter Personen als Voraussetzung erforderlich, was er bei negativem Befund einer eingereichten Klage gleichstellte. Man nahm an, daß sie bei einem periculum ecclesiae sen animarum entfallen konnte, und das war ja bei den großen Ketzerbewegungen jener Zeit generell anzunehmen. Die Denunziationen konnten durch amtlich bestellte Personen, etwa solche, wie sie noch das 4. Laterankonzil forderte, erfolgen. Sie durften aber auch, genauso wie im römischen Recht bei den crimina publica, Privatpersonen sein. Ferner war hier die Möglichkeit gegeben,

72

Vgl. Lothar K o l m e r , Ad capiendas vulpes. Die Ketzerbekämpfung in Südfrank-

reich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und die Ausbildung des Inquisitionsverfahrens (Pariser Historische Studien 19, 1982); Winfried T r u s e n , Vom Inquisitionsverfahren zum Ketzer- und Hexenprozeß. Fragen der Abgrenzung und Beeinflussung, in: Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65.Geb. von Paul Mikat, hg.v. Dieter S c h w a b u.a. (1989) S . 4 3 5 - 4 5 0 . 73

Drucke u.a. R o m 1578, 1585, 1587, Venedig 1595, 1607. Französische Teilüber-

setzung: Nicolas Eymerich - Francisco Pena, Le manuel des inquisiteurs, hg.v. Louis S a l a - M o l i n s (Le savoir historique 8, 1973).

Von den Anfängen des Inquisitionsprozesses

71

daß diese im Prozeß als Promotoren auftraten, zugleich als Beweisführer, Zeugen und gewissermaßen auch Assessoren fungierten, wie wir das im Verfahren gegen Meister Eckhart sehen. Eine solche Person verfiel auch nicht der Talionsstrafe wie ein privater Ankläger, wenn er eine Uberführung des Angeklagten nicht durch die Beibringung ausreichender Beweise herbeiführen konnte. Denn in diesem Falle wurde der Prozeß durch den Richter weitergeführt, der ex officio zu weiteren Beweismitteln Zuflucht nehmen konnte und damit meist Erfolg hatte. Während in anderen Verfahren der sog. Kalumnieneid geleistet werden mußte, also der Eid, der anderen Partei nicht bewußt schaden zu wollen, wurde hier vom Angeklagten das iuramentum de verkette dicenda verlangt. Er hatte also vor Gott zu schwören, auch all das auszusagen, was ihn selbst belastete. Man muß fragen, woher dieses unmenschliche Prinzip stammte. Schon früher wurde diese Eidesleistung bei Zeugenaussagen und bei den Kirchen- und Klostervisitationen verlangt, um Mißstände aufzudecken, also bei der später sog. inquisitio generalis, die grundsätzlich noch nicht einer Versetzung in den Anklagestand gleichkam. O b man dieses hier unschädliche Prinzip aus Gedankenlosigkeit auf die sog. inquisitio specialis übertrug oder ob man bewußt bei einem solchen Kapitalverbrechen einen seelischen Druck zum Geständnis herbeiführen wollte, was sicher denkbar wäre, läßt sich heute nicht mehr eindeutig feststellen. Auch das Beweisverfahren erfuhr Veränderungen: Während beim Akkusations- und beim gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß der Zeugenbeweis nur durch glaubwürdige Personen mit gutem Ruf geführt werden konnte und solche, die durch persönliche Bindungen beschwert waren, wie Verwandte und Untergebene, aber auch Verbrecher, Meineidige und Mittäter in der Regel nicht als Zeugen herangezogen werden durften, war letzteres hier statthaft 74 . Auch dabei liegt eine Parallele zum römischen Recht vor. Selbst Kinder konnten als Zeugen auftreten. N u r Todfeinde waren auszuschließem. Aber dieser Status war sehr schwer nachzuweisen. Die Einzelaussagen, die nach Anordnung Innozenz' III. dem Angeklagten schriftlich unterbreitet werden sollten, durften nun zusammenfassend ohne Identifizierungsmöglichkeit mitgeteilt werden, angeblich, um eine Gefahr für die Sicherheit der Zeugen auszuschließen. 74

Vgl. VI 5, 2, 5.

72

Winfried Trusen

Daß der Angeklagte durch den abzulegenden Eid zur eigenen Belastung durch Gewissensgründe, vielleicht auch durch Furcht vor einer Bestrafung wegen Meineids, gezwungen war, ist bereits erwähnt worden. Hinzu kam ein physischer Zwang zum Geständnis durch die ebenfalls aus dem römischen Recht entnommene Folter, die dort, wie wir sahen, beim crimen laesae maiestatis selbst gegenüber Bürgern und Honoratioren zulässig war. Auch die Aussagen von Sklaven als Zeugen gegen den eigenen Herrn unter Folter wurden als beweiskräftig angesehen. Wir brauchen uns daher nicht zu wundern, daß unter Mitwirkung der Rechtsgelehrten die oberitalienischen Städte, aber auch andere Gemeinwesen, sehr bald hierin ein Mittel sahen, um Verräter, Staats- und Kapitalverbrecher zum Geständnis zu zwingen, und sie daraufhin zu verurteilen. Da nach der Gesetzgebung Friedrichs II. die Häresie als Majestätsverbrechen im Imperium zu gelten hat, finden wir hierbei auch die Folter zuerst im weltlichen Bereich. So erhielt 1233 Gherardo Boccabadati die Vollmacht des Podestä von Parma, in die Statuten der Stadt die Verpflichtung einzufügen, verdächtige Häretiker der Tortur zu unterziehen, wohl auch mit dem Ziel, andere zu entdecken, jedesmal dann, wenn es der Bischof für richtig erachtete. So ganz ohne kirchliche Mitwirkung wollte man nicht vorgehen. Wenn das zunächst eine örtliche Maßnahme gewesen zu sein scheint, so war sie sicher bald nicht mehr auf Parma beschränkt. Ob hier bereits Auswüchse eintraten, wissen wir nicht. Jedenfalls fühlte sich Papst Innozenz IV. veranlaßt, in seiner Bulle Ad extirpanda vom 15. Mai 125275, die an die Kommunen von Norditalien gerichtet war, diesen bei Notwendigkeit zu gestatten, ja sie anzuhalten, die beschuldigten Häretiker einer, allerdings nur mäßigen, Folter zu unterziehen. Dabei wies er ausdrücklich auf die Ketzergesetzgebung des Staufers hin. Diese Anordnung sollte in die städtischen Statuten eingetragen werden. Sie wurde 1254 auf ganz Italien ausgeweitet und 1259 durch Alexander IV. sowie 1265 durch Clemens IV. bestätigt. Die Ausübung der Folter wurde den weltlichen Behörden überlassen. Man hielt zunächst noch immer grundsätzlich an den alten canones der Kirche fest, die es Klerikern unter der Strafe der Irregularität, d.h. des Verbots der Ausübung der Weihegewalt, untersagte, an einem solchen Akt mitzuwirken oder auch

75

F i o r e l l i , La tortura (wie A n m . 3 4 ) Bd.l, S. 78ff.

Von den Anfängen des Inquisitionsprozesses

73

nur diesem beizuwohnen. Aber bereits 125676 wurde den Inquisitoren und ihren socii gestattet, sich gegenseitig zu absolvieren, um den möglichen rechtlichen Folgen zu entgehen. Seitdem fand die Folter auch Eingang in die geistlichen Gerichte, selbst wenn man weithin noch bei der Übertragung der Ausführung an weltliche Behörden blieb. Diese Zurückhaltung läßt sich auch noch später bemerken. So beschränkte man sich bisweilen, wie etwa im Falle der Jeanne d'Arc, auf die Anordnung der territio durch Folterwerkzeuge. Es muß ferner hervorgehoben werden, daß manche berühmten Inquisitoren, wie z.B. Jacques Fournier, der spätere Papst Benedikt XII., niemals dieses Mittel der physischen Geständniserpressung anwandten. Sie hatten das auch gar nicht nötig. Denn als Beweismittel genügte die sog. praesumptio violenta, besonders für den persönlichen Tatbestand der pertinacia. Auch hier liegt eine Durchlöcherung des noch von Innozenz III. geforderten materiellen Beweises vor. Bereits im römischen Privatrecht gibt es die Anerkennung von Rechts Vermutungen. Auf dieser Basis haben dann die Legisten des Mittelalters die sog. praesumptio iuris, bei der ein Gegenbeweis zulässig, und die sog. praesumptio iuris et de iure, bei der dieser ausgeschlossen war, entwickelt. Sie blieben jedoch äußerst zurückhaltend gegenüber einer Anwendung im Strafrecht, besonders bei Kapitalverbrechen mit der Androhung einer Todesstrafe. Vermutungen, die sich sogar in zwingender Weise aus Fakten ergaben, die als Indizien für die Tat gewertet werden könnten, sollten nach Auffassung der Kriminalisten nur zur Durchführung der Folter berechtigen. Ihr unumstößlicher Nachweis wurde als rechtliche Voraussetzung für deren Anwendung angesehen. Schließlich vertrat man aber im kanonistischen Bereich die Auffassung, daß beim Vorliegen eines crimen exceptum, wie dem der Häresie, wo es sehr schwierig ist, äußere Beweise zu finden, auch Verdachtsgründe, die auf eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit zielen, zur Verurteilung ausreichen. Als Beispiel wird auf das Urteil Salomons verwiesen, das auf die Liebe der Mutter zu ihrem Kinde abstellt. In der Glosse zum Decretum Gratiani lesen wir dazu: Haec nempe fuit sententia definitiva lata per solam praesumptionem... Haec locum habent, cum violenta est praesumptio. So brauchen wir uns nicht zu wundern, daß in dem Directorium des Bulle Ut negotium fidei Alexanders IV., bestätigt 1262 durch Urban IV. Vgl. F i o r e l l i , La tortura 1, S. 81. 76

74

Winfried Trusen

Eymericus, dem berühmtesten Inquisitoren-Handbuch des Mittelalters, eine ganze Skala von Verdachtstrafen bzw. -büßen aufgezählt wird. Einepraesumptio violenta wurde z.B. aus der Annahme einer Beteiligung an einem Häretikerkult, dem Empfang des consolamentum, dem Vollzug ähnlicher Riten, der Nichtbefolgung einer gerichtlichen Ladung, aus dem Verweilen in der Exkommunikation über ein Jahr hinaus und bei Ablehnung des Sakramentenempfangs geschlossen. Der persönlichen Ausdeutung bei der Annahme einer Unbelehrbarkeit und Hartnäckigkeit und der Ausweitung des Häresiebegriffs77 waren kaum Grenzen gesetzt. So konnte sich Meister Eckhart in seinem Prozeß diesem Vorwurf nur durch eine notariell beglaubigte öffentliche protestatio für seine Rechtgläubigkeit in der Dominikanerkirche zu Köln entziehen. Geringere Strafen bzw. Bußen konnten verhängt werden, wenn jemand als vehementer suspectus erschien oder auch nur eine suspicio levis vorlag. Wir sehen also, daß in den meisten Fällen eine Geständniserpressung durch die Folter gar nicht erforderlich zu sein brauchte. Wichtig ist noch die gemeinrechtliche Festsetzung, daß jemand, der zumindest einer praesumptio vehemens unterliegt, wegen Nichtbefolgung der gerichtlichen Ladung als contumax exkommuniziert wird und während eines Jahres in dieser pertinacia bleibt, als Häretiker verurteilt werden kann 78 . Während sonst ein Verteidiger zugelassen war, lag es im Ermessen des Inquisitors, ihn abzulehnen. Wenn ein Advokat dennoch zugelassen wurde, lief er Gefahr, selbst als fautor des mutmaßlichen Häretikers bestraft zu werden. Wer wollte sich dazu noch zur Verfügung stellen? Die Verhöre wurden, sicher nicht immer, aber doch sehr häufig, äußerst schematisch aufgrund der Annahme bestimmter häretischer Lehren durchgeführt. Suggestivfragen wurden nicht vermieden. Bisweilen fehlten den Befragten Kenntnis und Erkenntnis dessen, was der Inquisitor wissen wollte. Unbeholfene Antworten konnten einer negativen Interpretation unterliegen. Nach einem Abschwören häretischer Lehren durfte die Ubergabe 77

Vgl. Winfried T r u s e n , Der Prozeß gegen Meister Eckhart. Vorgeschichte, Verlauf

und Folgen

(Rechts-

und Staatswissenschaftliche

Gesellschaft, N . F . 54, 1988) S. 164ff. 78

VI 5, 2, 7.

Veröffentlichungen

der

Görres-

Von den Anfängen des Inquisitionsprozesses

75

an den weltlichen Arm durch eine lebenslängliche, auch durch eine kürzere Klosterhaft oder andere Bußhandlungen ersetzt werden. Das wurde jedoch grundsätzlich denen verweigert, welche die abiuratio im letzten Augenblick, offensichtlich nur aus Todesfurcht, leisten wollten. Das betraf natürlich nur das forum externum. Im forum internum war eine Absolution immer, sogar noch auf dem Scheiterhaufen, möglich79. Rückfällige, sog. relapsi, konnten ohne ein neues Verfahren sofort dem weltlichen Arm überliefert werden, also die Todesstrafe erleiden80. Als relapsus wurde auch betrachtet, wer speziell oder allgemein der Häresie abgeschworen hatte und danach einen Häretiker aufnahm, wegbrachte, ihn besuchte oder sich mit ihm verband, ihm Gaben und Geschenke übermittelte oder ihn sonst begünstigte81. Dasselbe trat ein, wenn ihm eine von der ersten Beschuldigung verschiedene Häresie zur Last gelegt wurde. Sollte es doch einmal zu einem Freispruch kommen, so geschah dieser nicht mit bindender Rechtskraft, sondern als absolutio ab instantia. Eine Appellation nach erfolgtem Endurteil war bei Häretikerverfahren in der Regel nicht zulässig82. Diese Grundsätze des summarischen Ketzerprozesses sind dann im Spätmittelalter auf die Hexeninquisition83 übertragen worden. Während im römischen Recht zunächst nur der Schadenszauber strafbar war, verfolgte man später auch die Magie durch Wahrsagen oder Verabreichung von Abortiv- und Liebesgetränken als crimen publicum, u.U. sogar mit dem Feuertod. Demgegenüber erhielten die kirchlichen Hexenverfolgungen des Spätmittelalters ein völlig anderes rechtliches Fundament. Die Inquisitoren durften angebliche Hexen zunächst nur dann vor ihr Gericht ziehen, wenn ihre Handlungen „nach Häresie riechen". Deshalb hat man es verstanden, dieses Delikt unter Heranziehung antiker, patristischer und scholastischer Argumente sowie von Elementen des Volksaberglaubens fast ganz auf die Ebene der Häresie, 79

VI 5, 2, 4.

80

VI 5, 2, 4.

81

VI 5, 2, 8.

82

VI 5, 12, 18.

83

Vgl. Winfried T r u s e n ,

Rechtliche Grundlagen der Hexenprozesse und ihrer

Beendigung (erscheint in Kürze in einem Sammelband der Kath. Akademie StuttgartRottenburg).

76

Winfried Trusen

ja der Apostasie zu ziehen. Die Ausbildung des sog. kumulativen Hexenbegriffs, die um die Mitte des 15. Jahrhunderts abgeschlossen war, bestand in der Annahme der Tatbestandsmerkmale des Teufelspaktes, der Teufelsbuhlschaft, des Hexenfluges und des Hexensabbats. Dann waren für diese angeblichen abscheulichen Delikte natürlich die Gerichte der Inquisitoren kompetent. So brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn der Dominikaner Heinrich Kramer (Institoris) - wohl der eigentliche Autor - zusammen mit seinem Ordensbruder, dem Professor Jakob Sprenger, im dritten Teil des berüchtigten Malleus maleficarum, des sog. „Hexenhammers" von 1487 84 , alle vorhin genannten Einzelheiten jenes summarischen Ketzerprozesses nun auch auf das Hexenverfahren übertragen hat. Allerdings scheinen die Inquisitoren im kirchlichen Bereich nur wenig Erfolg gehabt zu haben, zumal sie keinen Prozeß mehr ohne Einverständnis des zuständigen Bischofs durch Urteil abschließen durften 85 . Deshalb sollten die weltlichen Gerichtsbehörden nach ihrer Auffassung aufgrund des delictum mixtifori diese Aufgabe übernehmen. Infolge der durch die Reformation ausgelösten Glaubenskämpfe nahm die Tätigkeit der kirchlichen Inquisition in Deutschland und Frankreich ein Ende. Leider ist jene Aufforderung in der Neuzeit nicht ungehört verhallt. Manches aus dem summarischen Ketzerprozeß ist von der Gerichtsbarkeit katholischer und protestantischer Territorien übernommen worden. Auch der direkte Zugriff auf römisch - rechtliche Normen ist weithin nachzuweisen. Interessant ist vielleicht in diesem Zusammenhang, daß sowohl die in Spanien weiterhin tätige Inquisition wie auch ausdrücklich das Hl. Offizium in Italien als dort wirksame Oberbehörde nach Befunden des vor einiger Zeit freigegeben Archivmaterials dezidiert Abstand genommen haben von dem aufgezeigten summarischen Ketzerprozeß und seinen Grundlagen 86 .

84

Seit kurzem bequem zugänglich in einer Faksimile-Ausgabe des Erstdruckes

von 1487: Andre S c h n y d e r

(Hg.), Malleus maleficarum. Von Heinrich Institoris

(alias Kramer) unter Mithilfe Jakob Sprengers aufgrund der dämonologischen Tradition zusammengestellt (Litterae. Göppinger Beiträge zur Textgeschichte 1 1 3 , 1 9 9 1 ) . Zu Autor und Werk vgl. Peter S e g l

(Hg.), Der Hexenhammer. Entstehung und Umfeld des

Malleus maleficarum von 1487 (Bayreuther Historische Kolloquien 2, 1988). 85

Clem. 5, 3, 1.

86

Vgl. die Beiträge in: Ketzerverfolgung im 16. und frühen 17. Jahrhundert. In

Gemeinschaft mit Hans R. G u g g i s b e r g und Bernd M o e l l e r , hg.v. Silvana S e i d e l M e n c h i (Wolfenbütteler Forschungen 51, 1992).

...AD TERROREM MULTORUM. DIE A N F Ä N G E DER INQUISITION I N FRANKREICH Von Lothar Kolmer

Was das Thema dieses Vortrags angeht, so scheint die Gefahr zu bestehen, über etwas zu reden, das es nicht gibt, bzw. nicht gab: die Inquisition. Ausweislich des Lexikon des Mittelalters existierte nur das Inquisitionsverfahren1. Es läßt sich konstatieren, daß es bereits im 13. Jahrhundert ein officium gab; eine Sache der Begriffsauslegung muß es aber bleiben, ob das „Amt" eines inquisitoris haereticae pravitatis innerhalb einer eigenen „Behörde" ausgeübt wurde 2 . Gemäß der alten Regel: quod non in compendiis non est in mundo 3 , müßte im folgenden nur das rechtliche Verfahren abhandelt werden 4 . Doch wir wollen hier die weise Selbstbeschränkung auf das Spezifische der Rechtsgeschichte und ihrer Literatur nicht nachvollziehen 5 1 Winfried T r u s e n , in: LexMA 5 (1991) Sp.441f. Dagegen doch existent in der TRE (Henry K a m e n ) Bd.17 (1987) S. 189-196 mit Schwächen in der Definition und zahlreichen Unscharfen. 2 Auch dies ist wiederum eine Frage der Definition. Bezeichnenderweise schweigen dazu die meisten Lexika. Es wäre zu diskutieren, wieweit moderne Begriffe hier rückbezogen werden können. 3 Vgl. G. Chr. Lichtenberg, Schriften und Briefe, hg.v. W. P r o m i e s , Bd.l (1968) S. 874, L 155. 4 Winfried T r u s e n , Der Inquisitionsprozeß. Seine historischen Grundlagen und frühen Formen, Z R G Kan. 74 (1988) S. 168-230; D e r s . , Strafprozeß und Rezeption. Zu den Entwicklungen im Spätmittelalter und den Grundlagen der Carolina, in: Strafrecht, Strafprozeß und Rezeption. Grundlagen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio Criminalis Carolina, hg.v. Peter L a n d a u und Friedrich-Christian S c h r ö d e r (Juristische Abhandlungen 19, 1984) S. 29-118. 5 Man glaubte diese Epoche zwar schon überwunden, vgl. Karl von A m i r a , Grundriß des germanischen Rechts (31913) S. 3, dagegen selbstkritisch einsichtig Heinrich M i t t e i s , Vom Lebenswert der Rechtsgeschichte (1947!) bes.S.69ff. Das spiegelt trefflich ein Selbstverständnis der Disziplin, wie es seit Savigny in der Historischen Rechtsschule öfters begegnet. Die Rechtssatzungen, die Normen dienen zur Rekonstruktion, die Praxis bleibt außen vor - und damit auch so ziemlich die gesamte einschlägige historische Literatur, was auch noch bei Trusen bemerkbar ist.

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Lothar Kolmer

und uns nicht beirren lassen: Sehen wir die Quellen durch, dann gab es Häretiker- in den Augen der katholischen Kirche - gab es Ketzerverfolgungen und - Verfolger; entwickelte sich ein procedere, um Glaubensabweichungen festzustellen und abzuurteilen. Das alles ist von der Forschung -in unterschiedlichem Rezeptionsgrad - behandelt worden 6 . Wie die Forschung in den letzten Jahren vorangekommen ist, belegen gerade die jüngsten Struktur- und Interpretationsmodelle auf der Basis der gesicherten Fakten 7 . Deswegen möchte ich zunächst, wie es das Thema fordert, über die Entstehung der Inquisition in Frankreich sprechen - samt ihrer zum Verständnis notwendigen Vorgeschichte. Anschließend soll auf die Frage nach der Durchsetzung, den Gründen für den Erfolg und die politische Dimension eingegangen werden. Am Schluß steht die Frage nach dem terror, der wie der Chronist vermerkte, alle schrecken sollte 8 .

I.

Die Entstehung der Inquisition erfolgte als eine wesentlich päpstliche Reaktion auf die Ausbreitung abweichender Dogmen, besonders aber, um die in vielfältiger Weise bedrohliche Gegenkirche der Katharer zu bekämpfen. Andere Maßnahmen und Mittel, die parallel erfolgten, wie verstärkte Predigttätigkeit der neuen Orden, die ja ihrerseits auf die Herausforderungen reagierten, können hier nicht besprochen werden. Sie zeigten, angefangen von Bernhard von Clairvaux bis zu Dominicus, ohnehin geringe Wirkung 9 . Erst ab der Mitte des 13.

6 Wie gerade auf der Basis des vorhandenen Materials „neue" Arbeiten Zustandekommen, belegt etwa Daniela M ü l l e r , Inquisitio haereticae pravitatis. Ketzerei und Ketzerbekämpfung vom 11. bis zur 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts, Heresis 9 (1987) S. 49-63 und 10 (1988) S. 27-44. Die genannte Zeitschrift wird ihrer Absicht nicht gerecht, das mag an einer occitanischen Spielart - auch von wissenschaftlichem Partikularismus liegen. 7 Siehe dazu etwa Roswitha H a n c k e , Häresie und Inquisition. Uber die Kirche als Schöpferin neuer und folgenschwerer Herrschaftsstrategien und Kontrollformen, in: Kriminologie und Geschichte (Kriminologisches Journal. Beiheft 2 , 1 9 8 7 ) S. 58-72. 8 Guillelmus Pelhisso, Chronicon, hg.v. Charles M o l i n i e r (1880) S . 2 1 . 9 Siehe Saint Dominique en Languedoc (Cahiers de Fanjeaux 1, 1966).

.. A d Terrorem multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich

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Jahrhunderts stellten dann die Bettelorden allmählich eine Konkurrenz zu den Katharern dar. Hier ist weder der Raum, um eine durchgehende Geschichte der Ketzerverfolgungen zu geben, noch um auf die Entstehung und Ausbreitung der verschiedenen heterodoxen Gruppierungen des 11. und 12. Jahrhunderts näher einzugehen 10 . Die Katharer breiteten sich im 12. Jahrhundert rasch aus. Besonders im Norden Italiens und im Süden Frankreichs fanden sie breiten Zulauf 1 1 . Der Zustrom führte zu einer neuen Organisationsweise. Auf einem katharischen Konzil wurde 1167 in St. Felix de Caraman eine hierarchische Struktur samt Bistümern eingerichtet. Zugleich übernahm die dortige Kirche die radikaldualistischen Anschauungen des bogomilischen Bischofs Niketas 1 2 . Die Attraktivität der Katharer erklärt sich mit aus dem Zustand der katholischen Kirche, ihrer Verweltlichung, dem Pfründenschacher, dem ausschweifenden Leben der Geistlichen 13 . Das dürfte jedoch nur ein Beweggrund gewesen sein. Das eigentliche und tiefere Motiv rührt noch aus den Diskussionen der Zeit der Kirchenreform her; die Gläubigen hatten verstanden, daß unwürdige Priester keine Garanten mehr für das Seelenheil sein

10 Damit verbunden ist das alte Problem: wie setzt sich die Amts- und Staatskirche mit abweichenden Meinungen auseinander? Bereits die Staatskirche der nachkonstantinischen Ära ging mit Hilfe der kaiserlichen Rechtssetzung und -sprechung, also mit Unterstützung des weltlichen A r m s gegen Glaubensabweichungen und -abweicher vor. Auf die einschlägige Gesetzgebung dieser Zeit wird die spätmittelalterliche Kanonistik zurückgreifen.

Zu den Katharern immer noch grundlegend: Arno B o r s t , Die Katharer (Schriften der M G H 12, 1953); dazu Gerhard R o t t e n w ö h r e r , Der Katharismus, 3 Bde. (1982 u. 1990). Siehe jetzt auch die Artikel von G. R o t t e n w ö h r e r , in: L e x M A 5 (1991) Sp.1064-1068 und den weniger geglückten von D . M ü l l e r , in: T R E 18 (1989) S. 21-30; ferner Christine T h o u z e l l i e r , Catharisme et valdeisme en Languedoc ä la fin du X I I e et au debut du X I I I e siecle (Publication de la Faculte des Lettres et Sciences humaines de Paris, Serie «Recherches» 27, 1966). 11

Antoine D o n d a i n e , Les actes du concile albigeois de Saint-Felix de Caraman (Studi e Testi 125, 1946) S. 324-355; Yves D ο s s a t , A propos du concile cathare de SaintFelix: les milinques, in: Cathares en Languedoc (Cahiers de Fanjeaux 3, 1968) S. 201-214; Bernhard H a m i l t o n , The cathar Council of Saint-Felix reconsidered, Archivum Fratrum Praedicatorum 58 (1978) S. 23-53; Franjo S a n j e k , L e rassemblement heretique de Saint-Felix de Caraman (1167) et les eglises cathares au X I I e siecle, R H E 67 (1972) S. 767-799. 12

13 Yves D o s s a t , Eglise et heresie en France au X I I I e siecle (1982); Elie G r i f f e , L e Languedoc cathare de 1190 ä 1210 (1971).

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konnten. Gerade das aber versprachen die Katharer; mehr noch: bei ihnen erhielt der credens eine Art von „Heilsgarantie". Wer im Schöße ihrer Kirche starb, versehen mit dem Consolamentum, war dem Kreislauf irdischer Wiedergeburt entzogen und konnte zum Geistwesen werden14. Dazu genügte schon die Erklärung auf dem Totenbett, was auf die Lebensführung zurückwirkte15. Dazu trugen noch die gesellschaftlichen, politischen wie auch die wirtschaftlichen Umstände, auf die ebenfalls nicht eingegangen werden kann, das ihre bei16. So stellte bereits vor der Wende zum 13. Jahrhundert der Katharismus in der Languedoc eine Bedrohung des Katholizismus dar. Die Bischöfe, zuständig als kirchliche Richter, nahmen die Ausbreitung des Katharismus wahr, jedoch kam es noch zu keinem systematischen Vorgehen und keiner konsequenten Verfolgung. Verfahren fanden selten statt, gingen auf Zufälle zurück17. Zur Entdeckung verhalfen Denunziationen vor dem Sendgericht. Weil die Häretiker die Öffentlichkeit vermieden, nicht mehr mit Predigt auf den Marktplätzen missionierten, mußten sie aufgespürt werden, was schon Bernhard von Clairvaux als Problem erkannt hatte18, was aber auch die Ängste vor der Bedrohung aus dem Untergrund verstärkte. Nach einer Entdeckung durch Zufall oder Denuntiation sah sich die Kirche vor dem Problem, Heterodoxie oder Orthodoxie festzustellen. Die Ketzer selbst verstanden sich als rechtgläubig, zudem übertrafen ihre Schriftkenntnisse öfter die des orthodoxen Klerus, der sich dabei als wesentlich schlechter ausgebildet präsentierte19. 14

Zum Consolamentum vgl. B o r s t , Katharer S. 193ff.; R o t t e n w ö h r e r ,

Katha-

rismus 2, S. 145-341 (beide wie Anm. 11). 15

Das entsprach ja durchaus frühchristlicher Praxis, mit der ein- und letztmaligen

Beichte vor dem Tode. 16

Knapp zu den Verhältnissen im Süden Joachim E h l e r s , Geschichte Frankreichs

im Mittelalter (1987) S. 142ff. 17

Vgl. Lothar K o l m e r , Ad capiendas vulpes. Die Ketzerbekämpfung in Südfrank-

reich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und die Ausbildung des Inquisitionsverfahrens (Pariser Historische Studien 19, 1982) S. 24. 18

Bernard von Clairvaux, Opera, Bd.8: Epistolae, hg.v. Jean L e c l e r c q /

M. R o c h a i s

Henri

(1977) S. 128f. Dies führte zu erhöhter Angst kirchlicherseits, da das

Ausmaß und die Verbreitung dieser Gruppe nicht einschätzbar waren. Von daher rührt auch die Bildlichkeit in den Texten, die die Heimlichkeit der Häretiker ausdrücken sollten. 19

Siehe K o l m e r , Ad capiendas vulpes S.24ff.

.. Ad Terrorem multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich

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Um die Ketzer zu überführen, griff man in der ersten Zeit noch zu Ordalien. Doch im Laufe der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurden sie zunehmend verdächtig und immer seltener angewandt, bis dann das 4. Laterankonzil 1215 die Teilnahme von Klerikern verbot, dadurch die Praxis unmöglich machte20. Häufig zögerten vorsichtige und unsichere Bischöfe in ihrem Vorgehen, gaben dadurch der Volksmenge Zeit, das Problem auf ihre Weise, durch Lynchjustiz, zu lösen21. Uberführten Ketzern mußte entsprechend ihrer Schuld eine Strafe zugemessen werden. Hier bildet sich allmählich durch kirchliche Rechtsetzung als Reaktion auf erkannte Häresien ein Kanon aus. Das Konzil von Reims 1049 setzte die Exkommunikation fest22. Geistliche Maßnahmen aber trafen die Ketzer nicht, da sie ohnehin die Kirche und deren Disziplin ablehnten. Materielle und körperliche Strafen aber durften nach Kirchenrecht zunächst nicht verhängt werden. Um hier die Lücke zu schließen, sollte nach c. 3 des Konzils von 1119 in Toulouse der weltliche Arm zur Bestrafung von Ketzern herangezogen werden. Die Bestimmung wurde in Montpellier 1132 wiederholt, in Tours 1162 als Kanon 4 rezipiert23. Doch die Herrscher bestraften weniger nach religiösen Gesichtspunkten, sondern nutzten die Ketzergesetzgebung für ihre politischen und wirtschaftlichen Zwecke. Das erweist sich etwa bei Ad abolendam von 1184, einem Vertrag zwischen Lucius III. und Friedrich Barbarossa24. Am Anfang wird der ausdrückliche Konsens zwischen Papst und Kaiser bei der Ketzerbekämpfung herausgestellt. Die Träger der weltlichen Gewalt sollten einen Eid leisten, daß sie nach Aufforderung durch die Kirche gegen Ketzer vorgingen und die kirchlicherseits erlassenen Statuten beachteten. Sollten sie sich weigern, konnten sie des Amtes enthoben 20

M a n s i 22, Sp.1007.

21

So schildert Guibert von Nogent, daß 1144 zwei Bauern vor dem bischöflichen

Gericht standen, die Schuldfrage nach dem ersten Verhör aber nicht geklärt werden konnte. Man vertagte sich auf eine weitere Synode. Das gläubige Volk, wie er anmerkt, war mit der klerikalen Weichlichkeit nicht zufrieden, zog die beiden aus dem Gefängnis und verbrannte sie vor der Stadt; Guibert de Nogent, De vita sua sive monodiarum libri tres, hg. v. Georges B o u r g i n (Collection de textes 40, 1907) S . 2 1 5 . 22

M a n s i 19, Sp. 849.

23

Κ ο 1 m e r , Ad capiendas vulpes S. 28

24

Siehe dazu Κ ο 1 m e r , Ad capiendas vulpes S. 29f.

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und exkommuniziert werden. Eine Exemtion von der bischöflichen Jurisdiktion gab es nicht. D e r Bischof war für die Ketzerverfolgung verantwortlich, ihm als zuständigem Richter kam es zu, die Visitationen durchzuführen, Ketzer aufzuspüren, zu verhören und abzuurteilen. E r konnte dabei auf den weltlichen Arm zurückgreifen, der ihm bei der Ketzerverfolgung unterstellt war 25 . D e r Bischof wurde angehalten, regelmäßig Visitationen vorzunehmen. Diese mußten nicht mehr wie vordem nur einmal jährlich, sondern bei jedem Verdacht vorgenommen werden. Dabei konnte die vorgeschriebene Zahl der Sendzeugen den Erfordernissen angepaßt werden, konnte also erhöht werden und mehr Gemeindemitglieder einbeziehen. Ferner mußten diese Synodalzeugen ihre Anschuldigungen nicht mehr begründen, sondern konnten subjektive Verdachtsmomente mitteilen 26 . Das bedeutet letztlich, daß jedes Verhalten, das die Synodalzeugen als A b weichung von der N o r m einstuften, nun angezeigt werden mußte. Die Verfolgung hing in dieser Phase weitgehend vom Einsatz des Bischofs ab, dazu aber jeweils vom Einvernehmen mit der weltlichen Macht. Gerade deswegen aber fehlte öfters der Impetus 27 . Die Päpste, die dies erkannt hatten, versuchten, durch Statuten und Anordnungen die Ketzer zu bekämpfen, erzielten jedoch zunächst ebenfalls keine besonderen Erfolge. Die Ketzerverfolgung blieb wegen politischer Spannungen, der Auseinandersetzung zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt, blieb auch aus persönlichen, ökonomischen, gesellschaftlichen Motiven relativ wirkungslos. U m die Jahrhundertwende zum 13. Jahrhundert war schließlich ein Stillstand eingetreten. In bestimmten Gegenden Europas war die Kirche mittlerweile in die Defensive gedrängt, so in Südfrankreich und in Italien. Orthodoxe Lokalchronisten zeichnen für diese Zeit ein düsteres Bild. Die Grafen von Toulouse waren im Glauben schwankend, die Bischöfe kümmerten sich nicht um die Verfolgung, die Katharer dagegen befanden sich in voller Ausbreitung 28 .

25

M a n s i 22, Sp.492; X.V,7,9.

26

Vgl. K o l m e r , A d capiendas vulpes S.29f.

27

K o l m e r , Ad capiendas vulpes S.29f.

28

K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 32f.

,. Ad Terrorem multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich

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II. Angesichts dieser Verhältnisse ging Innozenz III. gleich seit Beginn seines Pontifikats, 1198, hart gegen die Ketzer vor. 1199 wurde Vergentis in senium promulgiert 29 . Die Härte des Textes ist unübersehbar. Druck, Isolation, harte Strafen sollten die Ketzer und ihre Sympathisanten wieder in den Schoß der Kirche zurückbringen. Bei Delikten sollte Infamie verhängt werden, das bedeutete Verlust des aktiven wie des passiven Wahlrechts, Verlust der Bürgerrechte und das Unvermögen, öffentliche Amter auszuüben. Richter, Rechtsanwälte, Notare verloren ihre Amtsbefugnisse. Kleriker wurden des Amtes und der Pfründe enthoben. Im Gebiet der päpstlichen Jurisdiktion, und wohin der Arm des Papstes reichte, sollte der Besitz der Häretiker konfisziert werden und auch die Söhne der Häretiker sollten davon ausgeschlossen werden. Lediglich den Töchtern sollte ihre Mitgift gewährt werden 30 .

29 Siehe dazu die grundlegenden Arbeiten von Othmar H a g e n e d e r , Studien zur Dekretale Vergentis (X.V, 7,10). Ein Beitrag zur Häretikergesetzgebung Innocenz' III., Z R G Kan. 49 (1963) S. 138-173; D e r s . , Der Häresiebegriff bei den Juristen des 12. und 13. Jahrhunderts, in: The Concept of Heresy in the Middle Ages ( l l t h - 1 3 t h Century). Proceedings of the international conference Louvain, may 13-16, 1973, hg.v. W. L o u r d a u x / D . V e r h e l s t (Medievalia Lovaniensia I 4, 1976) S.42-103; ferner Walter U l i m a n n , The Significance of Innocent Ill's Decretal „Vergentis", in: Etudes d'historie du droit canonique. Festschrift Gabriel LeBras, Bd.l (1965) S. 729-741; Helmut G. W a l t h e r , Häresie und päpstliche Politik. Ketzerbegriff und Ketzergesetzgebung in der Übergangsphase von der Dekretistik zur Dekretalistik, in: Concept (wie oben) S. 104-143; Lothar Κ o l m e r , Christus als beleidigte Majestät. Von der Lex »Quisquis« (397) bis zur Dekretale »Vergentis« (1199), in: Papsttum, Kirche und Recht im Mittelalter. Festschrift Horst Fuhrmann zum 65. Geb., hg.v. Hubert M o r d e k (1991) S. 1-13. 30 Was die Konfiskation des Besitzes angeht, ist auch diese Bestimmung schon älter. Neu ist lediglich die Begründung, warum der konfiszierte Besitz nicht mehr zurückgegeben wurde. Innozenz griff hier auf das römische Majestätsverbrechen zurück. Er sagte, nach den Gesetzen werden Majestätsverbrecher mit dem Tode bestraft, den Söhnen das Leben nur aus Mitleid geschenkt. Weil es aber schwerer wiegt, die göttliche als die weltliche Majestät zu beleidigen, muß der, der vom Glauben abirrt und so Christus beleidigt, mit entsprechenden kirchlichen Strafen belegt und seiner weltlichen Besitzungen beraubt werden. Weil nach göttlichem Urteil in vielen Fällen die Söhne für die Sünden der Väter in dieser Welt büßen müssen und nach den kirchlichen Strafbestimmungen die Rache nicht nur die Urheber, sondern auch die Nachfolger trifft, dürften die Söhne enterbt werden. Hier zeigt sich die Rezeption der antiken

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Der Empfängerkreis, die Zielrichtung ist klar. Nicht die Unterschichten waren betroffen, sondern die besitzenden Kreise, hauptsächlich in den Städten. Diese sollten durch Strafandrohungen zur Abkehr von der Häresie bewegt werden. Doch konnte das Gesetz nur in Gebieten mit geregelter Justiz angewandt werden31. Vergentis stellt sich als eine Mischung aus altbewährten Strafen und neuem Druck dar. Innozenz glaubte, er könne dadurch und durch Isolation von der Gemeinschaft der Gläubigen, die Ketzer zur Rückkehr bewegen. Die alten Strafen wurden aufgelistet, um eine Abschreckungswirkung zu erreichen. Mit den Enteignungsbestimmungen ließ sich ein bei der Ketzerverfolgung nachlässiger Territorialherr treffen; statt seiner konnte ein neuer Herrscher eingesetzt werden32. Eine zweite Konsequenz liegt darin, daß Häresie mit dem Majestätsverbrechen gleichgesetzt wurde. So konnte die Härte der spätantiken Gesetze gegen Ketzer übernommen werden33. Die Bedeutung Innozenz bei der Ketzerverfolgung kann kaum überschätzt werden. Er schuf die rechtliche Basis und suchte, durch Strafandrohungen den weltlichen Arm einzubeziehen. Er rief den französischen König zum Ketzerkreuzzug auf, als Anreiz winkte ein Ablaß wie er den Kreuzfahrern gewährt wurde. Doch dem König schien der Kampf gegen die Engländer zunächst vordringlicher34. Doch Innozenz drang weiterhin auf einen Kreuzzug. Im Kirchenrecht war der Krieg als Mittel zur Herstellung der Glaubenseinheit erlaubt; die Heidenkreuzzüge hatten das Muster geliefert, und so

Majestätsstrafen. Interessant ist die weitere Diskussion der Kanonisten, die sich bei H a g e n e d e r , Studien (wie A n m . 2 9 ) findet. 31

Als Mittel im Territorialisierungsprozeß erwies es somit seine Kraft; vgl. Othmar

H a g e n e d e r , Das päpstliche Recht der Fürstenabsetzung: Seine kanonistische Grundlegung 1150-1250, Archivum Historiae Pontificiae 1 (1963) S. 53-95. 32

Vgl. H a g e n e d e r (wie A n m . 2 9 und 31).

33

Vgl. K o l m e r , Christus als beleidigte Majestät (wie A n m . 2 9 ) .

34

Der König wollte überhaupt nur losmarschieren, wenn der Papst sämtliche

Unkosten für den Ketzerkreuzzug übernahm. Die Literatur zum Kreuzzug ist zahlreich, genannt seien: Pierre B e i p e r r o n ,

L a croisade contre les Albigeois et l'union du

Languedoc ä la France 1209-1249 (1942); Paix de Dieu et guerre sainte en Languedoc au X I I I e siecle (Cahiers de Fanjeaux 4, 1969); Elie G r i f f e , Le Languedoc cathare au temps de la Croisade (1973); Joseph R. S t r a y e r , The Albigensian Crusades (1971); Jonathan S u m p t i o n , The Albigensian Crusade (1978).

. Ad Terrorem multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich

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suchte die Kirche in Südfrankreich mit diesem Mittel ihre Macht zurückzugewinnen 35 . Der Graf von Toulouse, Raimund VI. (1195-1222), wurde 1207 von Innozenz III. exkommuniziert, ferner wurde über dessen Ländereien das Interdikt verhängt. Als im Januar 1208 der päpstliche Legat Peter von Castelnau ermordet wurde, nutzten dies die kirchlichen Kreise, einschließlich der Kurie, propagandistisch geschickt aus 36 . Im Oktober 1208 wurde der Kreuzzugsaufruf erlassen. Nach Kämpfen, Belagerungen, blutigen Exzessen wurde er schließlich durch das Eingreifen des französischen Königs 1229 beendet. Der Vertrag von Paris im gleichen Jahr regelte die Wiedergutmachung für die katholische Kirche, sicherte der Monarchie den Zugang zum Mittelmeer und den nordfranzösischen Adeligen ihre Territorialgewinne 37 . Der Ketzerkreuzzug verfehlte sein eigentliches Ziel - die Ketzerverfolgung. Ohne besonders intensive Nachforschungen wurden die Verdächtigen herausgegriffen, in summarischen Verfahren, häufig in einer Art von Lynchjustiz, verurteilt und hingerichtet. Der Kreuzzug entartete zum Eroberungskrieg gegen den Süden - doch das geeignete Mittel zur Ketzerbekämpfung stellte er nicht dar 38 .

III. Erst die Umgestaltung der politischen Verhältnisse nach dem „siegreichen" Ende von 1229 sollte die Wende bringen. Der Machtzerfall der Grafen von Toulouse und zahlreicher häretischer Adeliger, der neue Einfluß des Nordens und der Monarchie, deren Interesse auf Machtsicherung, all das schuf eine Basis für die Verfolgungen. Denn nun lag dem König, wie dessen Amtsträgern im Süden, an „Ruhe 35

Zum „bellum iustum" siehe den gleichnamigen Art. von Adriano C a v a n n a , in:

L e x M A 1 (1980) Sp.l849ff. 36

Im März 1208 forderte eine Reihe von päpstlichen Briefen die Grafen, Barone,

Bischöfe und das Volk von Frankreich zum Krieg auf. Der König stieß sich daran, daß die Enteignungsbestimmungen auch auf Ländereien ausgedehnt wurden, die vom ihm als Lehen ausgegeben worden waren. So scheiterte auch dieser Aufruf; Lit. wie in Anm. 34. 37

Lit. wie in Anm. 34, dazu Pierre C. T i m b a l , L'application de la coutume de

Paris au pays d'Albigeois (1950); Jean P e n e , La conquete du Languedoc (1957). 38

Vgl. Κ ο 1 m e r , A d capiendas vulpes S. 44ff.

86

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und Ordnung im Land", d.h. der „weltliche Arm" beteiligte sich nachdrücklich an der Ketzerbekämpfung. Dazu hatten die Bestimmungen des Laterankonzils von 1215 ihre Auswirkungen 39 : Auf dem Konzil wurde festgelegt 40 , daß Nichtübereinstimmung mit der Lehre der katholischen Kirche künftig Häresie bedeutete 41 . Ketzer sollten exkommuniziert und danach dem weltlichen Gericht zum Vollzug des Urteils übergeben werden. Jeweiliger Besitz war einzuziehen. Die weltliche Gewalt mußte unter Androhung der Exkommunikation gegen Ketzer vorgehen. Bei Nachlässigkeit drohte Enteignung 42 . Diese Bestimmungen sicherten das Eingreifen der weltlichen Justiz 43 . Die eigentliche Ketzerbekämpfung aber ruhte weiterhin auf den Schultern der Bischöfe. Sie wollten sich ihre rechtliche Position nicht durch päpstliche Legaten schwächen, den Papst nicht in ihre Diözesen hineinregieren lassen. Darum lief das übliche Verfahren der bischöflichen Jurisdiktion gegen Ketzer weiter wie bisher. Sie wurden durch Visitationen, durch Denunziationen aufgespürt, vor das bischöfliche Gericht gestellt, das über die Häresie entschied, ein Urteil als Ketzer aussprach, den Verdächtigen verurteilte, um ihn dann dem weltlichen Gericht zu überantworten. Innozenz bereits hatte die Schwachstellen der Ketzerbekämpfung erkannt und suchte sie konsequent auszumerzen - doch es gelang ihm nicht, den Konflikt mit den Bischöfen zu lösen. Deren Widerstand hemmte bis nach der Mitte des 13. Jahrhunderts das Vorgehen gegen Ketzer immer wieder. Die Konsequenzen lagen auf der Hand. Einmal mußten nachlässige Bischöfe dizipliniert, notfalls, bei zu engen Beziehungen zu häretischen Familien, auch abgesetzt werden können. Zum anderen mußten die Häresieverfahren beschleunigt werden. Dies ließ sich am besten durch ein modifiziertes Verfahren bewerkstelligen und durch „Umgehung" der bischöflichen Jurisdiktion durch indices delegati des Papstes 44 . 39 M a n s i 22, Sp.982; Conciliorum Oecumenicorum Decreta, hg.v. Giovanni A l b e r i g o u.a. ( 3 1973) S.230. 4 0 Es ging um das Verhältnis der drei Personen, also der Trinität, um Christologie und Sakramentenlehre. Das D o g m a bildete die N o r m , diese ein eindeutiges Kriterium zur Unterscheidung von Rechtgläubigkeit und Ketzerei. 41 So brauchte man hinkünftig weder Ketzerlisten noch Ketzerkaloge mehr. 42 Vgl. Lit. in A n m . 2 9 u. 31. 43 K o l m e r , A d capiendas vulpes S.46ff. 44 Vgl. H a n c k e , Häresie und Inquisition (wie Anm. 7) S. 67f.

Ad Terrorem multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich

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Die Einführung der neuen forma procedendi zeigte die Richtung.

IV. Die wesentliche Änderung brachte das neue Verfahren per inquisitionem. Innozenz III. hatte es ursprünglich zur Reform des Klerus eingeführt, um gegen Verfehlungen leichter und besser einschreiten und unwürdige Kleriker absetzen zu können45. Das neue Verfahren bildete sich konkret durch Fälle heraus. Gegen Kleriker, die sich eines Vergehens schuldig gemacht hatten, konnte auf dreierlei Weise vorgegangen werden: per Akkusation mit dem herkömmlichen Akkusationsverfahren, per Denunziation, wenn die Sache notorisch war, und vorher bereits eine Ermahnung erfolgt war, und drittens mit der neuen Form der Inquisitio. Eine Inquisitio konnte eingeleitet werden, wenn ein Gerücht über ein Vergehen eines Klerikers dem zuständigen Prälaten zu Ohren kam46. Dieser mußte daraufhin einschreiten und den Wahrheitsgehalt prüfen. Dabei trat er als Ankläger und Endrichter in einer Person auf. Innozenz suchte diesen Verfahrensmangel durch einen formalen Kniff auszugleichen, indem er praktisch das Gerücht als Ankläger auftreten ließ, der Richter dagegen nur den Sachverhalt feststellte, prüfte und beurteilte. Dieses Verfahren gegen Kleriker war 1215 auf dem Laterankonzil abgeschlossen. Das Verfahren lief schriftlich ab, die Namen der Zeugen und die Aussagen waren festzuhalten, der Beschuldigte erhielt das Material zu seiner Verteidigung. Der Angeschuldigte konnte gegen die Personen der Zeugen Einwände erheben. Er konnte seine Gegenrede zu Aussagen äußern47. Die Aussagen waren jeweils zu beeiden. Die Richter lenkten den Prozeß. Sie nahmen die Zeugenaussagen entgegen, sie hörten die Einlassungen des Beschuldigten. Sie waren verpflichtet, sorgfältig und gewissenhaft vorzugehen und die neue forma judicii einzuhalten. Nach Rede und Gegenrede und Würdigung des Sachverhalts mußte ein Urteil gefällt werden. Der Papst schrieb vor, daß es

45

K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 50ff.; vgl. T r u s e n , Inquisitionsprozeß (wie

Anm. 4) S. 229f. 46

Innozenz III. Qualiter et quando, X

5,1,17; vgl. T r u s e n ,

Inquisitionspro-

zeß S. 206f. 47

Vgl. K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 56ff.; T r u s e n , Inquisitionsprozeß.

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im Verhältnis zu einem Akkusationsverfahren milder ausfallen müßte. Eine Kirchenbuße sei angemessen 48 . Das Verfahren war in der Wurzel nicht neu. Es handelte sich im Prinzip um eine Adaption des alten Sendgerichts. Von diesem Verfahren per inquisitionem führen nun die Wege zum späteren Inquisitionsverfahren 49 . Diese Vorstufen sind wichtig. Die Inquisition basiert auf mehreren Wurzeln: Der Rechtsetzung durch Päpste und Konzilien, der Erfahrungen aus dem Vorgehen gegen Ketzer, die sich auch darin bereits niedergeschlagen hatten, wie auch im modus procedendi, der sich allmählich herausbildete. Einen wichtigen Meilenstein stellt dabei das Konzil von Toulouse dar. Es wurde 1229, nach dem Ende des Kreuzzugs einberufen, um nun mit der Ketzerverfolgung beginnen zu können. Ein Drittel aller, insgesamt 18 Kanones befaßten sich mit der Materie. Zur Aufspürung der Ketzer wandte man ein modifiziertes Sendgerichtsverfahren an. In den Städten und Pfarreien sollte ein Priester und zwei oder drei gut beleumdete Laien eidlich verpflichtet werden, sorgfältig und permanent nach Häretikern zu suchen. Sie sollten verdächtige Häuser und unterirdische Schlupfwinkel durchsuchen, diese gleich zerstören, um Rückzugsmöglichkeiten für die Ketzer zu zerstören. Wurden Häretiker oder Sympathisanten gefunden, dann sollten diese bei den Bischöfen, Ortsherren oder Beamten angezeigt werden, die dann ihrerseits verpflichtet waren, entsprechende Maßnahmen durchzuführen 5 0 .

48

Wenn nur ein Verdacht blieb, das Gerücht sich nicht als stichhaltig erwies, dann sollte eine purgatio canonica verhängt werden. In schwereren Fällen konnte Amtsenthebung und Pfründenentzug angeordnet werden. X 5,1,21. 49 Vgl. den anderweitigen Kenntnisstand bei Dietrich O e h l e r , Zur Entstehung des strafrechtlichen Inquisitionsprozesses, in: Gedächtnisschrift für Hilde K a u f m a n n , hg.v. Hans J. H i r s c h u.a. (1986) S. 847-861; dazu kritisch T r u s e n , Inquisitionsprozeß S. 169f.: Oehler untersuchte die drei „nach der bisherigen Forschung entscheidenden Dekretalen Innozenz III." Er meint, „daß ohne jene sichtbare unmittelbare Vorbereitung, aber durch die kirchlichen Verhältnisse bedingt, dieses Prozeßverfahren entstanden" sei. Bis jetzt könne das Missinglink, das zum päpstlichen Inquisitionsprozeß führe „noch nicht voll offengelegt werden". Dies sucht Trusen, ohne zu sehen, daß dies anderweitig schon früher getan worden war. 50 M a n s i 23, Sp. 191-205; Lit. bei K o l m e r , A d capiendas vulpes S.64f.

.. Ad Terrorem multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich

89

Die Funktion der Synodalzeugen hatte sich geändert, doch ging dies bereits auf ein Statut des Konzils von Avignon 1209 zurück 5 1 : Aus einem passiven war nun ein aktives Organ geworden 52 . Die ergriffenen Häretiker sollten nach wie vor vom Ortsbischof abgeurteilt werden, das Konzil von Toulouse erließ dafür einen Strafenkatalog 53 . Es wurde ferner ein Eid von der gesamten Bevölkerung verlangt, sie sollte jeglicher Häresie abschwören, sich verpflichten, den katholischen Glauben zu halten und die Häretiker zu verfolgen. U m hier ganz sicher zu gehen, sollten in den Pfarreien die Namen aller Pfarrkinder aufgeschrieben werden. Auf diese Weise hätte die Eidleistung überprüft werden können. Wie weit das geschah, muß offen bleiben 54 . Die Ketzerbekämpfung wurde auf diese Weise auch zu einer Sache der Bevölkerung, die nun aktiv die Häretiker verfolgen mußte. Der Priester und die neuen Synodalzeugen hatten zugleich die Gläubigen

51 Henri M a i s o n n e u v e , Etudes sur les origines de l'Inquisition (L'Eglise et l'Etat au Moyen Age 7, 2 1960) S. 241 bezeichnete das als eine Spezialpolizei. Sie erhielt dann auch später selbst noch das Recht zur Festnahme. 52 Zumindest nach den Statuten hätte es in jeder Gemeinde nun eine Art von religiös-politischer Polizei gegeben, die den Lebenswandel der Mitbürger aufmerksam beobachtete, und jeden Verdacht meldete. Die Bevölkerung sollte besser überwacht werden. Erwies sich bei solchen Verfahren, daß die Territorialherren auf ihrem Gebiet Häretiker duldeten, oder in der Ketzerfrage zu nachlässig waren, so sollte der Amtsträger von seinem Herrn bestraft werden. Ketzer konnten mit Konfiskation bestraft werden. Wurden in einem Haus Häretiker gefunden, wurde das Gebäude zerstört, das Grundstück konfisziert. Mit der Ketzerverfolgung wurde dann hauptamtlich der Bailli, ein königlicher Amtsträger beauftragt. Für ihn galt das alte Territorialitätsprinzip nicht mehr. Wir wissen jedoch nicht, wie weit die Anordnungen des Konzils in die Praxis

umgesetzt wurden. 5 3 Wer den Irrtum einsah und freiwillig zum Glauben zurückkehrte, der mußte deportiert werden und sollte in eine katholische Stadt gebracht werden. U m ihn aber von den Orthodoxen abzugrenzen, sollte er zwei farblich von der Kleidung sich abhebende Kreuze tragen, die auf die übliche Kleidung aufzunähen waren. Sie durften erst nach der Rekonziliation durch den Bischof wieder abgetrennt werden. Das erste Mal hatte

Dominikus 1206 das für Häretiker angewandt. Es ist als Ersatz der spiegelnden Strafe zu sehen. Für halsstarrige, unbekehrbare Ketzer stand die Todesstrafe fest, in weniger schweren Fällen lebenslange Haft. 54 Wie vorige Anm. Das Konzil schrieb nun auch dreimaligen Kommunionempfang vor, was ebenfalls als Mittel der Kontrolle diente, denn wer nicht kam, galt als verdächtig. Da die Katharer den Eid verweigerten, machte eine Eidverweigerung

automatisch verdächtig.

90

Lothar Kolmer

zu überwachen, diese praktisch wieder den königlichen Amtsträger 55 . Gleich im Anschluß an das Konzil kam es zu einer ersten Verfolgung. Ein Häretiker, der freiwillig in den Schoß der Kirche zurückgekehrt war, diente als Kronzeuge. Seine Beschuldigungen führten zu einer größeren Verhaftungswelle, zu Prozessen 56 und dabei zu Irregularitäten 57 . Die Urteile wurden schließlich öffentlich in Toulouse verkündet 58 , hauptsächlich Pilgerreisen waren anzutreten 59 . Die Ketzerverfolgung stagnierte wegen des großen örtlichen Widerstands, über den sich die Bischöfe nicht hinwegsetzen konnten. Eine neuen Dimension erhielt sie erst durch die Schaffung der Inquisitionstribunale.

V. Es ist nun nicht so, daß 1231 ganz plötzlich und mit einem Mal eine neue Institution erscheint. Wie die Vorgeschichte belegt, wurde auf bereits bestehende Einrichtungen zurückgegriffen. Durch die Verbindung vorliegender Elemente entstand aber qualitativ Neues. Das im Süden modifizierte Verfahren des bischöflichen Sendgerichts, mit den aktiven Synodalzeugen, verband sich mit der von Innozenz III. geschaffenen Form der Inquisitio gegen Kleriker, was dann für die

55

Der weltliche A r m funktionierte kraft königlicher Initiative, der Bailli wurde

zum Mädchen für alles. E r mußte einschreiten, die Häretiker verhaften, sie in Haft halten, und nach dem kirchlichen Schuldspruch wieder übernehmen. Ihm oblag die Konfiskation und ihm oblag die Hinrichtung. So mußte natürlich auf den Bailli ein besonderes Augenmerk gerichtet werden. 56

Guillelmus de Podio Laurensi, Chronicon, hg.v. J. B e y s s i e r (Biliotheque de la

Faculte des Lettres de l'Universite de Paris 18, 1904) S. 155; vgl. K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 79f. 57

Der päpstliche Legat, der dieses Verfahren leitete, nahm die Aussagen an sich, und

wollte die Aussagen nicht dem Beschuldigten zur Verteidigung übergeben, sie konnten lediglich die Namen ihrer persönlichen Feinde nennen, die dann der Legat von der Zeugenliste streichen wollte; K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 82. 58

Die aufgeheizte Stimmung sieht man darin, daß Puylaurens (wie Anm. 56)

berichtet, daß schon auf bloßen Verdacht hin einige Zeugen, die ausgesagt hatten, erschlagen wurden. 59

K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 78ff.

Ad Terrorem multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich

91

Ketzerbekämpfung übernommen wurde. Dazu kamen die Erfahrungen aus der Praxis der Ketzerverfolgung, die nicht unterschätzt werden dürfen, führten sie doch zu zahlreichen Änderungen des Verfahrens. Hierbei sind deutliche Abweichungen von den Vorschriften der Dekretalen und Kanones festzustellen, was wiederum einmal erweist, daß diese nicht allein zur Grundlage genommen werden dürfen, geht es um die Rekonstruktion der Inquisitionsgeschichte. Der Begriff der Inquisitio ist weit, er meint im ursprünglichen Sinne nur gerichtliche Untersuchung. Inquisitio war zunächst über viele Tatbestände möglich60. Häresie war nur ein Delikt unter anderen. Um das Vorgehen gegen Ketzer einzugrenzen, habe ich die folgende Definition vorgeschlagen: „Ein päpstlich oder später bischöflich ausschließlich zur Ketzerbekämpfung delegierter Richter beschäftigt sich zeitlich nicht begrenzt mit Ketzerverfolgung. Er führt dabei das Ermittlungs- wie das Hauptverfahren bis zum Endurteil selbst und selbständig durch. Bei den Ermittlungen versucht er mit rationalen Erkenntnismitteln den Sachverhalt festzustellen. Im Verfahren erscheinen Offizial- sowie Instruktionsmaxime"61. Wann die „Inquisition" begann, ist wesentlich eine Frage der Definition. Legt man obige zugrunde, beginnt sie im Jahr 1231 mit Konrad von Marburg62 und Robert le Bougre63. Nach zahlreichen Mißgriffen Roberts, die zu seiner Absetzung führten, brach im Norden die Verfolgung zusammen, doch dürften dort die Häretiker ohnehin im Vergleich zum Süden relativ gering gewesen sein, hatten doch bereits vorher harte Verfolgungen durch die Monarchie ihre Zahl dezimiert64. In Frankreich lag, wie gesagt, die Ketzerverfolgung zunächst in den Händen der Bischöfe; auch nach Schaffung der Inquisitionstribunale behielten sie weiterhin ihre Vollmachten und suchten sie auszuüben.

60

Vgl. T r u s e n , Inquisitionsprozeß (wie A n m . 4 ) S. 189.

61

K o l m e r , A d capiendas vulpes S. 111; vgl. T r u s e n , Inquisitionsprozeß S. 171:

Inquisitionsprozeß soll nur „jenes Verfahren... bezeichnen, das sich unter diesem Namen seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts sowohl im kirchlichen wie im weltlichen Bereich ausgebildet hat und gemeinrechtlich bis weit in die Neuzeit hinein Anwendung fand". 62

Siehe dazu den folgenden Beitrag zur Inquisition in Deutschland.

63

Zu Robert vgl. K o l m e r , A d capiendas vulpes S. 119f.

64

In Frankreich läßt sich dies auf den 13.4.1233 datieren; vgl. K o l m e r ,

capiendas vulpes S. 127.

Ad

92

Lothar Kolmer

Dies führte zu einer lähmenden Rivalität zwischen den beiden Gerichten, besonders hervorgerufen durch Kompetenz- und Hierarchiestreitigkeiten65, als dann im Süden 1233 die Dominikaner mit der Ketzerbekämpfung betraut wurden 66 . Nach Anordnung des Papstes sollten geeignete Mönche vom Provinzial ausgesucht werden und gemäß den Statuten des Heiligen Stuhls gegen die Häretiker vorgehen. Die Bischöfe wurden zur Hilfe und zur Unterstützung aufgerufen. Der päpstliche Legat setzte die ersten Mönche als Inquisitionsrichter ein. Wir kennen die Namen der ersten Inquisitoren für die Diözesen Toulouse, Cahors und Albi67. Zwar waren nun Inquisitoren ernannt, jedoch wie Wakefield richtig sagt, ist eine richtig funktionierende Inquisition erst im Laufe der 30er Jahre des 13. Jahrhunderts entstanden 68 . Auf Druck des französischen König erließ im gleichen Jahr noch Raimund VII. Richtlinien für die Ketzerbekämpfung, die seine Beamten zur Mitwirkung verpflichteten69.

VI. Die ersten Jahre der Tätigkeit der Inquisitoren liegen weitgehend im Dunkel. Eigene Dokumente sind nicht erhalten, wir müssen die Vorgänge aus Chroniken erschließen. Die neuen Ketzerrichter gingen offensichtlich mit großem Eifer vor - doch dem stand ein geringer Erfolg gegenüber. Die Dominikaner mußten sich im ersten Jahr ihrer Tätigkeit damit begnügen, Tote als Häretiker zu verurteilen, diese exhumieren und verbrennen zu lassen70. Die Toten konnten sich nicht

65

Siehe dazu K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 127ff. Corpus documentorum inquisitionis haereticae pravitatis Neerlandicae, hg. v. Paul F r e d e r i c q , 5 Bde. (1889-1903), hier Bd.l, S. 89; K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 127 mit Lit. 67 K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 128 68 Walter L. W a k e f i e l d , Heresy, crusade and inquisition in southern France 1100-1250 (1974) S. 140. 69 M a n s i 23, Sp.265ff., dazu K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 127. Hier werden Konfiskationsbestimmungen präzisiert, die Kopfgeldprämien festgesetzt, die Inquisitoren dürfen alle Grundstücke betreten. 70 Pelhisso (wie Anm. 8) S. 14 u. 45 beschreibt derartige Proceduren; siehe dazu K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 129ff. 66

A d Terrorem multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich

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mehr verteidigen, zudem konnten die Lebenden bei Verhören die Schuld auf die Toten schieben. Die Inquisitoren wollten aber durch die Exhumierungen beweisen, daß sie unnachsichtig waren 71 . Das Zitat in der Uberschrift umreißt die Absicht: die territio71. Dabei wurde das Verfahren, wie es sich seit 1200 entwickelt hatte, zumindest in den äußeren Formen eingehalten. Die Mönche bereisten die Diözesen, predigten, warnten vor den Ketzern, drohten ewige Strafen an, erklärten den wahren Glauben. Dann erfolgte der Aufruf, sich zum festgesetzten Termin vor den Dominikanern einzufinden und sein Wissen bekannt zu geben. Die Aussagen wurden entgegengenommen, schriftlich niedergelegt, freilich wurde auf den Leumund der Zeugen und den Wahrheitsgehalt der Aussagen am Anfang wenig geachtet. Man scheute sich nicht davor zurück, obsolete Personen zu verhören, um überhaupt voranzukommen. Die Sicherungsmittel, nämlich die Namen der Zeugen den Beschuldigten zu nennen, wurden oft genug nicht eingehalten, die Zeugenaussagen nicht mitgeteilt. Die Dominikaner hatten zwar Grund, die Zeugen zu schützen, doch die Prozeßsicherungen waren für ein geregeltes Verfahren absolut notwendig. Der Zeuge sollte sich selbst verteidigen können, jedoch wurden ihm durch solche Maßnahmen die Mittel beschnitten 73 . Nach Verhör und Verteidigung sollte das Urteil gefällt werden. Es war vorgeschrieben, daß zur Beratung andere Kleriker zugezogen werden sollten, was die Dominikaner oft übergingen. Der weltliche Arm vollstreckte die Strafen relativ schnell 74 . Am Anfang wurden ganz offensichtlich kaum ein Dutzend Todesurteile vollstreckt. Die Inquisitoren stießen zunächst auf eine Mauer des Schweigens. Es kam zu Absprachen der Zeugen, keine Aussagen zu machen. Häufig erschienen auch Entlastungszeugen von sich aus, um den Angeklagten zu helfen. Die Dominikaner wurden selbst auch körperlich bedroht und angegriffen. Auch der Graf von Toulouse, Raimund VII., war ein Gegner der Dominikaner und auch andere Landesherrn begünstigten die A m Anfang scheint es zu zahlreichen Mißgriffen gekommen zu sein. Die Dominikaner ließen sich, um Erfolge aufzuweisen, auf einige Kuhhändel ein, die dann in Appellationen der betroffenen Parteien v o r dem Papst aufgedeckt wurden. Auch der Graf von Toulouse beschwerte sich über die Dominikaner, die starke Unruhen in seinem Gebiet verursachten; dazu K o l m e r , A d capiendas vulpes S. 131. 71

72 73 74

Dazu weiter unten. K o l m e r , A d capiendas vulpes S. 129ff. K o l m e r , A d capiendas vulpes S. 129ff.

94

Lothar Kolmer

Katharer nach wie vor offen. Dazu kam, daß die Dominikaner noch nicht das Monopol der Ketzerbekämpfung hatten, die bischöfliche Jurisdiktion arbeitete parallel und wohl auch mit einem argwöhnischen Auge 75 . Die Bevölkerung antwortete auf die Maßnahmen der Dominikaner mit einer Art von „Gegenterror". In Toulouse kam es zu größeren Unruhen, wobei die Dominikaner aus der Stadt verwiesen wurden. Das führte auch zum zeitweiligen Erliegen der Inquisition 76 . Politischer Widerstand, der Argwohn der Bischöfe wie der Bevölkerung führte zu einer Unterbrechung von 1238 — 1241 77 . Aus der Zeit danach stammen die ersten Quellen der Inquisition, etwa das Fragment eines Registers des Inquisitors Petrus Seila, das das Procedere wie die Strafen erkennen läßt 78 . Doch der Widerstand gegen die Häretiker ließ nicht nach, so wurde der Inquisitor Guillelmus Arnaldi 1242 ermordet 79 . Das führte nun zu einem rigideren Vorgehen der Inquisition, die Rückzugsburg der Ketzer, Montsegur, wurde 1244 erobert und über 200 Ketzer danach verbrannt 80 . Die neuen politischen Gewalten im Süden hatten sich stabilisiert, die königlichen Amtsträger die Herrschaft gesichert. Das Schwert des weltlichen Arms ging mit Schärfe gegen die Häretiker vor.

VII. In den vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts ist von den Inquisitoren das „klassische" Verfahren ausgebildet worden. Das Verfahren spielte sich allmählich ein. Die Listen der Inquisition wurden zuverlässig geführt, das Netz zog sich zusammen und trieb die Katharer in die Enge. Zunächst hatte der Pfarrer das Ankommen der Inquisition zu verkünden und zum festgesetzten Termin zur Predigt einzuladen. Der Inquisitor kam in den Ort, und hielt die übliche Predigt.

75

K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 129ff.

76

K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 140ff.

77

K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 145ff.

78

K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 150ff.

79

K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 162ff.

80

K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 176.

.. Ad Terrorem multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich

95

Dort verkündete er eine Gnadenfrist, innerhalb derer Aussagende glimpflicher bestraft wurden. Wer sich danach zur Aussage einfand, wurde vernommen, die Aussagen wurden schriftlich festgehalten, es wurde die Verpflichtung aufgeschrieben, die später verhängte Buße erfüllen zu wollen. Durch dieses sogenannte tempus gratiae entfiel die Komplikation der Verteidigung. Bei einem Eigengeständnis mußte keine förmliche Verteidigung mehr erfolgen. Es konnte sofort zum Urteil geschritten werden. So wurden weitere Zeugen nicht mehr formell vernommen, sondern wahrscheinlich nur Zeugenaussagen gegeneinander verglichen, um den Wahrheitsgehalt zu ermitteln. Diese Gnadenfrist führte zu einer Beschleunigung der Verfahren und zu milderen Strafen - hauptsächlich zu Wallfahrten. Dazu kam nun eine Registerführung, die Verhöre wurden protokolliert, Urteile und Bußen festgehalten und offensichtlich auch Aktenauszüge angefertigt 81 . Verdächtige wurden vorgeladen, wie auch die Zeugen. Vor der Vernehmung mußte geschworen werden, über sich und andere die Wahrheit zu sagen. Danach folgte die schriftlich festgehaltene Aussage. Danach mußte mit einem erneuten Eid jeglicher Häresie abgeschworen, dazu versprochen werden, den Geboten der Kirche zu folgen. Die Aussagen eines Dorfes etwa wurden ausgewertet, miteinander verglichen; neue Beschuldigte und Verdächtige danach vorgeladen. Für jeden Angeklagten wurde eine Anklageschrift verfaßt, die er erhielt. Zugleich wurde ihm der Termin seines Verfahrens mitgeteilt. Seine Verteidigung wurde von den Inquisitoren gehört und verzeichnet, diese stellten aufgrund ihrer Unterlagen und ihres Wissens Zusatzfragen. Alles was vorgetragen wurde, wurde kritisch überprüft. Dabei fiel der Inquisition häufig auf, daß in den Inquisitionsakten Lücken aufschienen, die durch neue Verhöre geschlossen werden mußten. Am Ende hatte sich der Angeklagte zu einem bestimmten Termin zur Urteilsverkündigung einzufinden. Es gab keine öffentliche Schlußverhandlung. Das Urteil wurde aufgrund des Aktenmaterials gefällt; es sollte aber vorher noch von einem kirchlichen Richter überprüft werden. Das Endurteil wurde feierlich und öffentlich verkündet - das sogenannte spätere Autodafe. Darüber verfertigte der Notar der Inquisition, meistens ebenfalls ein Kleriker, ein Protokoll, das wieder ins Register eingetragen wurde. Die

Κ o l m e r , A d capiendas vulpes S. 167.

96

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Strafen wurden jeweils gestuft verkündet, am Ende der StrafSanktionen stand die Hinrichtung 82 . In diesen Jahren wurde die Organisation der Tribunale in den jeweiligen Diözesen gestärkt, die Kompetenzen und die Zusammenarbeit geordnet, der Aktenaustausch verbessert, sowie die Verhörtechnik perfektioniert. Grundlage bildete ein neuentwickeltes Frageschema 83 . Foltermethoden der geistlichen Inquisitoren sind zu dieser Zeit nicht erweisbar; das dürfte wenn, dann eher der weltliche Arm vorgenommen haben. Die Inquisition verfügte aber über ein probates Mittel, dennoch zu Geständnissen zu kommen: eine längere Untersuchungshaft in den berüchtigten Gefängnissen führte in der Regel zu Aussagen 84 . Spannungen mit den Bischöfen blieben nicht aus. Deren Kontrolle war notwendig, denn dauernd traten Unregelmäßigkeiten, Übertretungen des ordo judiciarius zutage, zudem bewahrte der Episkopat dadurch auch seine Rechtsvollmachten. Die Inquisitoren dagegen wollten die Freiheit, um gegen die Ketzer vorgehen zu können. 1248 kam es zu einer schweren Krise und einer zeitweiligen Einstellung der Inquisition. Mehrere Bürger von Limoux hatten nach ihrer Verurteilung erfolgreich Appellation beim Papst eingelegt. Die Inquisitoren blieben uneinsichtig und halsstarrig bei ihren Urteilen, legten ihr Amt demonstrativ nieder 85 . Bis 1251 amteten die Inquisitoren nicht mehr. Nach dieser Krise aber setzten sich die Inquisitoren allmählich gegen die bischöflichen Gerichte durch; letztere spielten bald keine 82

K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 167ff.

83

Aus dem sog. O r d o Processus Narbonensis, abgedruckt bei Kurt-Victor S e l g e

(Hg.), Texte zur Inquisition (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 4, 1967) S. 7 0 - 7 6 können wir einzelne Verfahrensteile entnehmen; siehe dazu K o l m e r ,

Ad

capiendas vulpes S. 173f. Gefragt wurde, w o man Häretiker gesehen habe, was diese gemacht hätten, wer dabei gewesen sei, und was diese gemacht hatten. Es kommt zur Frage, ob Häretiker „angebetet" oder unterstützt worden sind. Dabei ist es auffällig, daß häufig Beschuldigte mehrmals vernommen wurden. Das laßt sich so erklären, daß die Inquisitoren aus ihren Akten bereits ein Vorwissen hatten, der Angeklagte jedoch zunächst noch leugnete. 84

Michael H a n s s l e r ,

Katharismus in Südfrankreich: Struktur der Sekte und

inquisitorische Verfolgung in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (phil. Diss. Regensburg 1991) S. 154f. 85

K o l m e r , Ad capiendas vulpes S. 189. Ihre Nachfolger waren ebenfalls halsstarrig.

Der Papst war auch nicht bereit nachzugeben, Rechtsprechung in den Händen der Bischöfe.

und so lag für einige Zeit die

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Rolle mehr, die Zuständigkeiten, wie die Vollmachten der Inquisitoren wurden erweitert 86 . Das hatte zur Folge, daß die Sicherungen für die Angeklagten weiter reduziert wurden. Eine besondere Bedeutung kam schließlich der Folter zu, die ab 1252 im Inquisitionsprozeß eingeführt wurde 87 . Damit ist eine für die Zukunft verhängnisvolle Entwicklung eingeleitet: so konnten Geständnisse produziert werden. Mit Hilfe des immer besser funktionierenden weltlichen Arms gelang es, ein flächendeckendes Netz zu spannen, in dem sich die Ketzer verfingen. Die erhaltenen Inquisitionsakten zeigen, daß die Inquisitoren ihre Sprengel bereisten, Zeugenaussagen aufzeichneten, Verdächtige ganz gezielt vorluden. Das belegt die Registerführung wie die systematische Auswertung der Aussagen 88 . Am Ende des 13. Jahrhunderts befand sich die katharische Kirche in Auflösung. Neben der Wirksamkeit der Inquisition trugen noch andere Elemente dazu bei: etwa die Uberzeugungskraft der Bettelmönche als Prediger. Ferner hatten die Verfolgungswellen zu einem Exodus der Ketzer aus dem Süden geführt, dazu sank das Niveau der Katharer dogmatisch wie moralisch, was deren Anziehungskraft verminderte. Man kann davon ausgehen, daß zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Katharer sich in vollem Niedergang befanden 89 . Die Inquisition wurde dadurch nicht arbeitslos, denn sie hatte bereits im 13. Jahrhundert eine neue Gefahr für die Kirche entdeckt, die Zauberer und die Hexen 90 .

86

K o l m e r , A d capiendas vulpes S. 190ff.

87

Ad extirpanda, in: M a n s i 23, Sp.569-573, nur dem weltlichen A r m erlaubt; siehe

Κ ο 1 m e r , Ad capiendas vulpes S. 2 0 8 mit Lit.; vgl. dazu auch Η a η s s 1 e r , Katharismus (wie Anm. 84) S. 149ff. 88

Das belegen die erhaltenen Dokumente der Inquisition, vor allem die Abschriften

der Collection Doat. 89

H a n s s l e r , Katharismus S. 196ff.

90

Das gehörte ursprünglich nicht in die Kompetenz, da jedoch der Häresiegehalt

immer nachzuweisen war, wurden auch solche Untersuchungen getätigt. Die Inquisition befaßte sich dann damit, doch es ist in unseren Breiten ein Unterschied festzustellen. Die eigentlichen Hexenprozesse wurden mit einem Inquisitionsverfahren vor weltlichen Tribunalen geführt.

98

Lothar Kolmer

VIII. Beim Rückblick über die Ketzergeschichte des 11. - 13. Jahrhunderts lassen sich Strukturveränderungen bei der Auseinandersetzung mit Häretikern deutlich erkennen. N a c h einer gewissen Rat- und Hilflosigkeit im 11. Jahrhundert, was Verfahren wie Strafen anlangt, verschärfte sich das Vorgehen während des 12. Jahrhunderts, bis dann im folgenden Saeculum die wirksamen Strukturen gefunden und angewandt wurden. Sie erbrachten die gewünschte Wirksamkeit, die Beschleunigung der Verfahren, doch das wurde auf Kosten der Beschuldigten und Verdächtigten erreicht, deren Verteidigungsmöglichkeiten stark beschnitten worden waren. Es ist generell ein deutlicher Umschwung von der persuasio hin zur repressio festzustellen. Die Diskussionen, wie wir sie gelegentlich im 12. Jahrhundert noch finden, enden. Statt dessen erfolgt der Griff zum Schwert - wie bei den Kreuzzügen. Die pertinacia der Ketzer ist kirchlicherseits erwiesen, die Hartnäckigkeit im Irrtum wird gerade zu einem Kriterium f ü r Häresie 91 . Der einen Hartnäckigkeit steht aber die der Kirche gegenüber, die im 12. Jahrhundert zunimmt. Die Strafen steigern sich, die Repression nimmt zu. Da die Kirche nicht in der Lage war, mit adäquaten Mitteln zu antworten, wie Reform des Klerus, der kirchlichen Zustände insgesamt, einer besseren Katechese und religiösen Versorgung, blieb ihr nur die Härte. Mitbeigetragen hat dazu die hierarchische Auffassung seit Gregor VII., die sich auch bei Innozenz III. findet, die Entwicklung der Kanonistik und der kirchlichen Rechtsprechung. Ein neues klerikales Machtbewußtsein über alle Laien hinweg rief Opposition hervor - und verhalf gleichzeitig zur Rechtfertigung von deren Unterdrückung. Der neue Status ließ nun aber auch die Ängste vor einem befürchteten Machtverlust wachsen. Das alles führte zur Verhärtung. Kompromisse wurden von beiden Parteien ausgeschlossen, es ging -einmal- u m die geistige Dominanz in einem Gebiet wie in Südfrankreich. Untrennbar aber damit verbunden war die materielle Seite. Die Kirche als Großgrundbesitzer, als Finanzunternehmen geriet durch die Katharer in Bedrängnis. Zahlungen wie Grundstücksübertragungen, etwa als letztwillige Verfügungen, gingen nicht mehr an die katholische, sondern an die katharische Kirche. 91

H a g e n e d e r (wie Anm.29).

Ad Terrorem multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich

99

Diese gewährte auch Kredite, führte Geldgeschäfte durch 92 . Der niedrige Adel des Südens war den Katharern gewogen, Zehntforderungen und andere Ansprüche der Amtskirche erschienen ungerechtfertigt. Dazu kam die schwache politische Machtstruktur im Süden. Die Macht- und Besitzverhältnisse hatten sich über längere Zeiten hin kaum geändert93.

IX. Der Adel der Languedoc hoffte, sich am Kirchenbesitz bereichern zu können. Doch letztlich kam es anders. Der nordfranzösische Adel bereicherte sich am Besitz des südfranzösischen. Viele dieser Familien hatten erweisbare Beziehung zu den Katharern. Selbst der Episkopat im Süden setzte sich weitgehend aus Mitgliedern der katharisch gewordenen Familien zusammen. Diese Familien wurden systematisch enteignet. Es beginnt mit dem Albigenserkreuzzug unter der Führung Simon von Montforts, der bis 1212 weite Landstriche eroberte. Im November 1212 hielt er eine Versammlung der Bischöfe, Äbte, französischer und einheimischer Vasallen in Pamiers ab. Statuten regelten die grundlegende Neuordnung des eroberten Landes. Die Privilegien, Freiheiten und Zehentrechte der Kirche wurden bestätigt, eine lückenlose Pfarreiorganisation beschlossen und Bestimmungen zur Ketzerbekämpfung erlassen94. Ein Ziel bestand in der Enteignung der einheimischen Führungsschicht, der Übertragung des Besitzes an Vasallen Simons. Das strenge nordfranzösische Lehensrecht wie auch das Erbrecht wurden eingeführt, was zu gesellschaftlichen Erschütterungen führte 95 . Nach dem Tod Simons übernahm der französische König die weiteren Operationen. Der Papst sicherte den gesamten Besitz des Grafen von Toulouse und der anderen Häretiker König Ludwig VIII. zu. Das steigerte konsequenterweise die Zahl der Ketzerprozesse, denn vor der Enteignung

92 93 94 95

H a n s s l e r , Katharismus S. 115ff. E h l e r s , Geschichte Frankreichs (wie Anm. 16) S. 142ff. M a n s i 22, Sp.856ff. Vgl. E h l e r s , Geschichte Frankreichs S. 146.

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mußten die Schuldnachweise, häretische Verwicklungen, dokumentiert werden96. Hierbei entfaltete sich die Wirkkraft von V e r g e n t i s , dazu traten die Auswirkungen der Statuten von Pamiers. Die neu eingesetzten königlichen Beamten ordneten die Verwaltung nach nordfranzösischem Muster, alle Städte erhielten Garnisonen. Die neue Herrschaft mußte durchgesetzt und gesichert werden. Dabei stellten die Konfiskationsmöglichkeiten einen Hebel dar. Erst der Anreiz, Gebiete, Herrschaften, im Süden zu erlangen, setzte die Kreuzfahrer, voran den französischen König in Marsch. Um diese zu übernehmen, mußten Ketzerprozesse geführt - und um sie zu „beenden", mußte der weltliche Arm tätig werden. Er schuf für die Arbeit der Inquisitoren die nötige Sicherheit, exekutierte auch deren Urteile. Der französische König betrieb Territorialpolitik, er überzog das Land mit seinen Herrschaftsstrukturen, gliederte es in die Monarchie ein. Ohne diese Strukturen hätte die Inquisition nicht amten können. Einmal weil ihr der politisch-militärische Rückhalt fehlte und zum anderen, weil ihre Organisation aus dem administrativen Muster der königlichen Verwaltung Anregungen für die eigene Tätigkeit entnahm. Register, Protokolle, Amtsführung, Rechnungswesen, was die „moderne" Monarchie ausmachte, findet sich bald auch bei den Inquisitionsbehörden. Die Erfahrungen der Kirche trugen das ihre bei, aber auch die zentralistischen Tendenzen der Orden selbst mit ihrer ausgeprägten Informationsstruktur.

X. Die Pfarrorganisation, die Verzeichnisse der Pfarrangehörigen, samt deren Eid-, Beicht- und Bußleistungen in Listen, die königlichen Aufsichts-Beamten und nicht zuletzt die Inquisition, mit ähnlichen Methoden und Techniken: all das trug zur Kontrolle der Untertanen bei97, diente zu ihrer „Disziplinierung" und ihrer Eingliederung 96 A m Fall der Familie Niort habe ich ein derartiges Vorgehen zu zeigen gesucht; siehe K o l m e r , A d capiendas vulpes S. 82ff.; aufgegriffen etwa bei Ernst W e r n e r / Martin E r b s t ö s s e r , Ketzer und Heilige. Das religiöse Leben im Hochmittelalter (1986) S. 373ff. und Ute W e i n m a n n , Mittelalterliche Frauenbewegungen. Ihre Beziehungen zu Orthodoxie und Häresie (Frauen in Geschichte und Gesellschaft 9, 1990). 97 H a n c k e , Häresie und Inquisition (wie Anm. 7) S. 58.

Ad Terrorem multorum. Die Anfänge der Inquisition in Frankreich

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in den Territorialstaat98. Der „Terror" wurde dabei als durchaus zielgerichtetes Mittel eingesetzt. Die Eroberung und das Massaker von Beziers, die Herrschaft Simon von Montforts sollten Schrecken verbreiten, was durchaus gelang". Ahnliche Ziele verfolgte die Gesetzgebung, sowohl des Papstes als auch des Königs. In durchaus mittelalterlichem Verständnis sollte eine territio poene - die Angst vor einer drohenden Strafe - deren Anwendung ersparen; im Ubertretungsfall sie aber konsequent rechtfertigen 100 . Freilich ist die bloße territio rasch überschritten, wird aus „Abschreckung" bald Erschrecken, Schrecken - terror. Und dieser mündet schließlich in Terror: die Ereignisse von Beziers, von Toulouse bei der Leichenverbrennung und die der ersten Jahre der Katharerbekämpfung bezeugen ihn 101 . Terror dient als Instrument einer „Staatsgewalt..., welche sich in ihrem Bestände nicht sicher.." 102 , ihre „... Zwecke durch Gewalt und Grausamkeit zu erreichen sucht" 103 . In dieser allgemeinen Definition läßt sich der Begriff des Terrors auf die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts durchaus beziehen, denn die neuen Gewalten des Südens waren sich ihrer Herrschaft nicht sicher, suchten sie mit allen Mitteln zu stabilisieren104. Der Terror diente der Territorialpolitik, half der Inquisition mit zu ihren Erfolgen. Es läßt sich eine konsequente, kanonistische Weiterentwicklung der augustinischen Interpretation von compelle intrare sehen 105 : über Vergentis zu Ad extirpanda , so wie die strikte Umsetzung in die Praxis. 98

H a n c k e , Häresie und Inquisition S. 100.

99

N a c h Beziers waren die anderen Städte eher zur Kapitulation bereit. Auf der

anderen Seite führte das zur Vertiefung der Kluft zwischen Norden und Süden. Zu Beziers auch Albert C. S h a n n o n , The medieval inquisition (1983) S . 6 0 . 100

In diesem Sinne ist Vergentis durchaus auch zu verstehen; siehe die Lit. in Anm. 29.

101

Diese Absicht formuliert auch Pelhisso in seinem Zitat ganz ausdrücklich; vgl.

oben Anm. 8. Beziers aber steht nicht allein, 1142/43 ließen die Krieger Ludwigs I X . auf dem Champagnefeldzug in Vitry 1300 Menschen in einer Kirche umkommen; vgl. E h l e r s , Geschichte Frankreichs S. 110. Die Belege Hessen sich vermehren. 102

Karl Friedrich August B u c h n e r , Terrorismus, in: C . R o t t e k / C .

Welter,

Staats-Lexikon, Bd. 15 (1843) S. 351. Siehe generell Rudolf W a l t h e r , Terror, Terrorismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe 6 (1990) S. 323-443. 103

Wilhelm Traugott K r u g ,

Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen

Wissenschaften, Bd.4 ( 2 1 8 3 4 ) S. 142; Bd.l (1832) S . 2 5 . 104

Z u m Problematischen des Begriffs siehe W a l t h e r , Terror (wie Anm. 102).

105

Klaus S c h r e i n e r , „Duldsamkeit" (tolerantia) oder „Schrecken" (terror). Reak-

tionsformen auf Abweichungen von der religiösen N o r m , untersucht und dargestellt am Beispiel des augustinischen Toleranz- und Gewaltkonzeptes und dessen Rezeption

102

Lothar Kolmer

Am Ende waren die Ketzer vernichtet, doch von da an haftete an der Ecclesia der Geruch der Scheiterhaufen106, der sich nicht exorzieren läßt107.

im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Religiöse Devianz. Untersuchungen zu sozialen, rechtlichen und theologischen Reaktionen auf religiöse Abweichung im westlichen und östlichen Mittelalter, hg.v. Dieter S i m o n (Ius commune. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 48, 1990) S. 159-210, geht aber auf den Begriff des „terror" nicht ein. 106 Es greift zu kurz, dies als einen Fehltritt in der Vergangenheit zu entschuldigen. Es resultiert aus der Struktur dieser Einrichtung, nach deren Verständnis, Dogma, Verkündigung und lebensgestaltende Umsetzung eine untrennbare Einheit bilden - wie es sich bei der Ketzerbekämpfung auch tatsächlich erwies. 107 jsj u r e ; n Muster für die rhetorische Bewältigung: M. David K n o w l e s , Die Inquisition, in: Geschichte der Kirche, Bd.2: Früh- und Hochmittelalter (1971) S. 340343, zit. S. 342: „Die mittelalterliche Inquisition war ein Ergebnis der Zeitumstände und des damaligen geistigen Klimas. Die Gesellschaft, die in ihren Institutionen, Glaubensansichten, Meinungen und Gewohnheiten unverfälscht christlich war, sah sich erstmals einer wachsenden und meist geheimen Gemeinschaft von Dissidenten in den eigenen Reihen gegenüber, die sehr aktiv Lehren und Praktiken verbreitete, kirchliche Riten nachahmte, gleichzeitig aber den christlichen Glauben ausdrücklich ablehnte und oft eine Herausforderung war gegen die christliche Sittenlehre. Die Kirche aber, d.h. die Kleriker und ihr Oberhaupt, der Papst, hatte im Zug der gregorianischen Reform höchste Autorität und wirkliche Macht im politischen Gebilde des Christentums beansprucht und weitgehend auch erlangt. Dem Papsttum kam die Verantwortung und die Initiative zu, für den Schutz und die Zucht der ganzen Kirche, zu der auch die weltlichen Autoritäten als getaufte Christen gehörten. So wie der Papst als Stellvertreter Christi über geistige Waffen verfügte, so beanspruchte und besaß er in gewissen Bereichen auch tatsächlich die Macht einer totalitären Autorität. Diese Umstände hätten an sich weder zum Bestreben, die Häresie durch Feuer auszurotten, noch zu den neuartigen Methoden der Inquisition führen müssen. Aber allmählich setzte sich in der Gesellschaft als ganzer die Uberzeugung durch, daß dies getan werden müsse..."

ZIELE U N D MITTEL PÄPSTLICHER KETZERPOLITIK IN D E R L O M B A R D E I U N D IM K I R C H E N S T A A T 1184-1252 V o n H e l m u t G.

Walther

Wenn in diesem Bayreuther Kolloquium nach den Rahmenbedingungen, den Ursachen und den Umständen für die Ausbildung einer ständigen kirchlichen Sondergerichtsbarkeit zur Ketzerverfolgung gefragt wird, so soll die Problematik hier unter einem besonderen Gesichtspunkt aufgegriffen werden: Welche Konsequenzen hatte die Erweiterung des Ketzerbegriffs um das Vergehen des contemptus clavium, also in einer Entwicklung, die sich seit der Epoche des Reformpapsttums in einem keineswegs einsträngigen Prozeß vollzog 1 . Bei der Fortführung der 1974 erstmals von mir vorgetragenen These, die Ausbildung und Institutionalisierung der Inquisitionsgerichtsbarkeit gegenüber Ketzern sei ganz maßgeblich durch die kaiserliche und päpstliche Ketzerpolitik gegenüber den lombardischen Kommunen und dem Interesse der Päpste an der Durchsetzung der eigenen

1 In gleicher Weise, jedoch unabhängig voneinander und mit unterschiedlicher Akzentsetzung erörtert auf dem Löwener Ketzerkongreß von 1974: Othmar H a g e n e d e r , Der Häresiebegriff bei den Juristen des 12. und 13. Jahrhunderts, und Helmut G. W a l t h e r , Häresie und päpstliche Politik, Ketzerbegriff und Ketzergesetzgebung in der Ubergangsphase von der Dekretistik zur Dekretalistik, beide in: The Concept of Heresy in the Middle Ages ( l l t h - 1 3 t h century), hg.v. W. L o u r d e a u x / D . V e r h e l s t (Mediaevalia Lovaniensia I 4, 1976) S. 42-103 u. 104-143. Dazu die Weiterführungen: W a l t h e r , Haeretica pravitas und Ekklesiologie. Zum Verhältnis von kirchlichem Ketzerbegriff und päpstlicher Ketzerpolitik von der zweiten Hälfte des X I I . bis ins erste Drittel des X I I I . Jahrhunderts, in: Die Mächte des Guten und Bösen, hg.v. Albert Z i m m e r m a n n (Miscellanea Mediaevalia 11, 1977) S.286-314; H a g e n e d e r , Die Häresie des Ungehorsams und das Entstehen des hierokratischen Papsttums, Römische Historische Mitteilungen 20 (1978) S. 30-47; D e r s . , Peccatum ariolandi est non obedire. Zur Aggravatio und Reaggravatio kirchlicher Strafen im Jahre 1401, in: Festschrift Nikolaus Grass, hg.v. Kurt E b e r t (1986) S.221-243; D e r s . , Inobediencia sceleri comparatur ydolatrie. Bischof Bruno von Olmütz und die Bettelorden, Römische Historische Mitteilungen 28 (1986) S. 155-162.

104

Helmut G. Walther

Herrschaftsansprüche im Kirchenstaat geprägt, finde ich zwar Unterstützung durch Detailuntersuchungen, bewege mich aber dennoch keineswegs ganz auf dem Pfad, den die jüngere Inquisitionsforschung des 20. Jahrhunderts zur Erklärung des Entstehungsprozesses eingeschlagen hat 2 . Für das noch immer in der Fülle des aufgearbeiteten Materials grundlegende Werk Henri Maisonneuves verläuft etwa die Entwicklung des rechtlichen Rahmens durch päpstliche Ketzerdekretalengesetzgebung in gerader Linie von Ad, abolendam Lucius' III. von 1184 über Vergentis in senium Innocenz' III. von 1199 zu Excommunicamus des Lateranum IV von 1215, zur Rezeption der Ketzergesetze Friedrichs II. von 1220 durch Gregor IX. und bis hin zu Ad extirpanda Innocenz' IV. von 1252 und seiner Erneuerung durch Alexander IV. (1257) mit der schließlichen Festschreibung des summarischen Ketzerinquisitionsprozesses durch besondere Richter und der Legitimation der Folter zur Erreichung von Geständnissen3. Doch hat es in der Forschung in den letzten Jahren bei dem Versuch, den Beginn einer eigenständigen besonderen Ketzergerichtsbarkeit (also der Ketzerinquisition im engeren Sinne) möglichst genau 2 Jean G u i r a u d , Histoire de l'inquisition au Moyen Age, 2 Bde. (1935-1938); Henri M a i s o n n e u v e , Etudes sur les origines de l'inquisition (L'Eglise et l'Etat au Moyen Age 7, 1942, 2 1960); Yves D o s s a t , Les crises de l'inquisition toulousaine au X I I I e siecle (1253-1273) (1959); Alexander P a t s c h ο vs k y , Die Anfänge einer ständigen Inquisition in Böhmen. Ein Prager Inquisitoren-Handbuch aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 3, 1975); D e r s . , Zur Ketzerverfolgung Konrads von Marburg, DA 37 (1981) S. 641-693; Bernard H a m i l t o n , The Medieval Inquisition (1981); Lothar K o l m e r , Ad capiendas vulpes. Die Ketzerbekämpfung in Südfrankreich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und die Ausbildung des Inquisitionsverfahrens (Pariser Historische Studien 19,1982); Albert C. S h a n n o n , The Medieval Inquisition (1983); Peter S e g l , Ketzer in Osterreich. Untersuchungen über Häresie und Inquisition im Herzogtum Osterreich im 13. und beginnenden 14. Jahrhundert (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, N.F. 5, 1984); Edward P e t e r s , Inquisition (1988); Bibliographische Ubersichten bei Emil v a n d e r V e k e n e , Bibliographie der Inquisition. Ein Versuch (1963); Herbert G r u n d m a n n , Bibliographie zur Ketzergeschichte des Mittelalters (1900-1966) (Sussidi eruditi 20, 1967) S. 76ff.; Carl T. B e r k h o u t / Jeffrey B. R u s s e l l , Medieval Heresies. A bibliography 1966-1979 (Subsidia Mediaevalia 11, 1981) S. 142ff. Zuletzt der interessante Versuch, die Ketzerinquisition des 13. Jahrhunderts als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Umorientierungsprozesses zu verstehen bei Robert I. M o o r e , The Formation of a Prosecuting Society, Power and Deviance in Western Europe, 950-1250 (1987). 3

M a i s o n n e u v e , Etudes (wie Anm.2) S. 15iff., 243ff.

105

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik

festzulegen, so etwas wie eine „rechtsgeschichtliche Wende" gegeben. Dabei kam es zu einer mehrheitlichen Verständigung darüber, das diesbezügliche Datum in der Mitte der 30er Jahre, spätestens jedoch am Beginn der 40er Jahre des 13. Jahrhunderts festzuschreiben, wobei freilich Differenzen durch unterschiedliche regionale Entwicklungen gegeben seien, die ein allgemeinverbindliches Datum für den Beginn der Ketzerinquisition ausschlössen. Doch galt gerade für die speziell rechtsgeschichtlichen Untersuchungen Winfried Trusens als Ausgangsbasis, daß es im päpstlichen Ketzerdekretalenrecht eine konsequente Ausgestaltung der allgemeinen rechtsgeschichtlichen Entwicklungstendenzen auf dem Gebiete des Prozeß- und Strafrechts gäbe4. Unter solchen Prämissen war es nur konsequent, wenn es Ziel der Forschung wurde, einerseits die rechtlichen Grundlagen des Ketzerinquisitionsprozesses genau zu bestimmen, andererseits die Entwicklung des Verfahrens im Detail zu erhellen. Auf diese Weise wurde geklärt, was zeitgenössisch unter einem Inquisitionsprozeß verstanden wurde und welche Bedeutung dessen Übernahme für das Gerichtsverfahren gegen Ketzer besaß 5 . Damit wurden neben einer nun erfolgten terminologischen Präzisierung auch gesicherte Anhaltspunkte dafür gewonnen, ab wann innerhalb der schon vorher durch päpstliche Intervention umgestalteten Ketzerverfolgung von einer Ketzerinquisition gesprochen werden kann. Freilich sah sich Lothar Kolmer mit guten Gründen seinerzeit

4

K o l m e r , A d capiendas (wie A n m . 2 ) S. 122 („seit 1231 gibt es die Inquisition");

S e g l , Ketzer (wie Anm. 2) S. 52 („erst unter Innocenz IV. [...] wurde die Ausbildung der Inquisition als eines Instituts des kanonischen Rechtes zum Abschluß gebracht"). 5

Maurice B e v e n o t , The Inquisition and its antecedents, The Heythrop Journal

7 (1966) S . 2 5 7 - 2 6 8 , 381-393; 8 (1967) S . 5 2 - 6 9 ,

152-168; K o l m e r ,

Ad capiendas

S. 108ff.; Winfried T r u s e n , Der Inquisitionsprozeß. Seine historischen Grundlagen und frühen Formen, Z R G Kan. 74 (1988) S. 168-230; D e r s . , Vom Inquisitionsverfahren zum Ketzer- und Hexenprozeß, in: Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geb. von Paul M i k a t , hg.v. Dieter S c h w a b

u.a.

(1989) S . 4 3 5 - 4 5 0 ; D e r s . , (Art.) Inquisitionsprozeß, in: L e x M A 5 (1980) Sp.441f.; zuletzt Edward P e t e r s , Wounded names. The medieval doctrine of infamy, in: Law in medieval life and thought, hg.v. Edward B. K i n g and Susan J. R i d y a r d (1990) S. 4389. - Forschungsfortschritt: Paul M i k a t , Inquisition II, in: LThK 5 ( 2 1 9 6 0 ) Sp.698-702; Adalbert E r l e r , Inquisition, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 2 (1978) Sp.370-375; Eberhard K a u f m a n n , Inquisitionsbeweis, ebd. S. 375-378; Hans S c h l o s s e r , Inquisitionsprozeß, ebd. S . 3 7 8 - 3 8 2 . Im neuen L e x M A gibt es nur einen Artikel zum Inquisitionsprozeß (s.o.), nicht aber zum Stichwort Inquisition.

106

Helmut G . Walther

gezwungen, hier zeitlich nach regionalen Gesichtspunkten zu differenzieren6. Diesem Differenzierungsgesichtspunkt trägt die Anlage des Programms dieses Bayreuther Kolloquiums ja auch explizit Rechnung. Ich fühle mich ebenfalls diesem Differenzierungsansatz verpflichtet, wenn ich nun auch am italienischen Beispiel nach dem „Sitz im Leben" fragen werde. Am Beispiel der Veränderungen im Rechtsrahmen päpstlicher Dekretalen für die Ketzerverfolgung in den Territorien des „Patrimonium Petri" und der Lombardei soll nach diesem „Sitz im Leben" gefragt werden und mit der Analyse des Anwendungsfeldes der päpstlichen Dekretalen ein Beitrag zur Gesamtfragestellung dieses Kolloquiums geleistet sein.

I.

In den Jahren seit dem Präliminarfrieden von Venedig (1177) mit dem Papsttum, dem sizilischen König und der Lombardischen Liga hatte Barbarossa die Chancen, die in den recht problematisch gewordenen Beziehungen von römischer Kurie und norditalienischen Kommunen für ihn lagen, konsequent auch für sich genutzt. Die ehemalige gegnerische Front war aufgebrochen, da nun die divergierenden politischen Interessen durchschlugen; der Friedensschluß von Konstanz von Juni 1183 eröffnete deshalb dem Staufer trotz aller Zugeständnisse neue Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kommunen, wie nicht zuletzt der spektakuläre Verlauf des Mailandaufenthalts Barbarossas im September 1184 bewies 7 . Andererseits hatte der Kaiser zuvor auch ein Zusammentreffen mit Papst Lucius III. für Verhandlungen über offene Konfliktpunkte vereinbart. Als es im Oktober 1184 zum Treffen beider Herrscher 6 K o l m e r , A d capiendas S. 122 (Ketzerinquisition beginnt „richtig zu arbeiten" einige Jahre nach 1231), 64ff. (Narbonnais), 117 (Konrad von Marburg), 150ff. (Languedoc nach 1241). 7 Studi sulla pace di Costanza (1984), bes. die Aufsätze von Marcel P a c a u t ( S . 165184), Pierre R a c i n e ( S . 213-248) u. Augusto V a s i n a ( S . 261-287); Alfred H a v e r k a m p , Der Konstanzer Friede zwischen Kaiser und Lombardenbund (1183), in: Kommunale Bündnisse Oberitaliens und Oberdeutschlands im Vergleich, hg.v. Helmut M a u r e r (Vorträge und Forschungen 33, 1987) S. 11-44; zuletzt Ferdinand Ο ρ 11, Friedrich Barbarossa (1990) S. 142ff.

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik

107

in Verona kam, blieben die tiefgreifenden Divergenzen über die Besitzverhältnisse an den Mathildischen Gütern und über eine Kaiserkrönung Heinrichs VI. bestehen; doch kam es in der Frage der Ketzerbekämpfung zu einer Einigung. Nach allem, was wir wissen, kann das Thema nur auf Vorschlag des Papstes und der norditalienischen Bischöfe beraten worden sein. Uberkommen ist uns bekanntlich nur die päpstliche Dekretale, in der die Ergebnisse der gemeinsamen Entschließung zusammengefaßt wurden, nicht jedoch die darin angesprochene kaiserliche Anordnung zur Ketzerverfolgung8. Wenn Lucius III. in seiner Dekretale Ad abolendam ausdrücklich davon spricht, er sei bei seinen Beschlüssen gegen die Ketzer vom Kaiser pariter et vigore suffultus, so kann es gewiß nicht richtig sein, ex eventu der anschließenden politischen Entwicklung des kaiserlich-päpstlichen Verhältnisses hierin nur ein nicht eingelöstes Versprechen des Staufers zu vermuten, mit dem Barbarossa seinerzeit in Verona politische Zugeständnisse des Papstes habe erreichen wollen. Papst und Kaiser verband in der damaligen Situation durchaus das gemeinsame Interesse, die allzu autonom gewordenen und handelnden Kommunen stärker kontrollieren zu können. Gerade in der Phase vor dem endgültigen Scheitern des versuchten politischen Ausgleichs mit der Kurie hatte Barbarossa bereits durch Privilegiengewährung an die Geistlichkeit der Städte Oberitaliens seinen Einfluß auf die Städte auf diesem Wege zu verbessern versucht9.

8

Gerhard B a a k e n , Unio regni ad imperium. Die Verhandlungen von Verona 1184

und die Eheabredung zwischen König Heinrich VI. und Konstanze von Sizilien, Q F I A B 52 (1972) S.219ff.; Hans W o l t e r , Die Verlobung Heinrichs VI. mit Konstanze von Sizilien im Jahre 1184, H J b 105 (1985) S. 30ff. 9

M a n s i 22, Sp.476ff. u. X V.7.9 (Text der Dekretale); kommentierter Text in:

Kurt-Victor S e 1 g e, Texte zur Inquisition (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 4, 1967) S. 26-29. Hintergründe: Annamaria A m b r o s i o n i , Le cittä italiane fra Papato ed Impero dalla pace di Venezia alia pace di Costanza, in: L a pace di Costanza 1183, un difficile equilibrio di poteri fra societä italiana ed impero (1984) S. 35-57; Ferdinand O p l l , Stadt und Reich im 12. Jahrhundert, 1 1 2 5 - 1 1 9 0 (Forschungen und Beiträge zur Kaiser- u. Papstgeschichte des M A 6, 1986) S. 335ff. - Vgl. zuletzt Peter D i e h l , ,Ad abolendam' ( X 5.7.9) and imperial legislation against heresy, Bulletin of Medieval Canon Law 19 (1989) S. 1-11 (chronikalische Überlieferung des kaiserlichen Ketzergesetzes von Verona bezeuge seine Konventionalität: Bannung mit Konfiskation und Exilierung, bei Verweigerung Todesurteil; deshalb in der Kanonistik wegen der weitergehenden Bestimmungen von „Vergentis" nicht rezipiert).

108

Helmut G. Walther

Für Barbarossa war während der Veroneser Verhandlungen keineswegs abzusehen, daß es ihm Anfang 1185 sogar gelingen werde, nicht nur an einer Tagung des Lombardenbundes in Piacenza teilzunehmen, sondern in Anschluß daran sogar ein formelles Bündnis mit der Erzgegnerin Mailand zu schließen10. Die Bestimmungen von Ad abolendam besitzen dagegen noch den alten kommunefeindlichen Grundton, der Kaiser und Papst in Verona auch näherbrachte. Nicht nur die in der Dekretale aufgezählten Ketzernamen zielen eindeutig auf Oberitalien, auch die formale Adressierung der Dekretale weist ja in diese Richtung. Zudem werden mit der Dekretale dann die rectores et consules civitatum et aliorum locorum eidlich (wie auch Grafen und Barone) zur Ketzerverfolgung nach den neuen kirchlichen und kaiserlichen (!) Statuten verpflichtet11. Mit solchen Bestimmungen konnte der Kaiser trefflich legitimiert politische Aktionen gegen widerspenstige kommunale Magistrate in Oberitalien unternehmen. Der Enkel Friedrich II. wird genau dieses politische Mittel gegen die unbotmäßigen lombardischen Kommunen einsetzen. Seine berüchtigte Constitutio contra haereticos Lombardiae, mit der er im März 1224 weit über die Ketzerverfolgungsbestimmungen in seinen Krönungsgesetzen von 1220 hinausging, erließ er, nachdem Papst Honorius III. die Wortführerin des neuen Lombardenbundes, Mailand, ermahnt hatte, sie stehe im Rufe der Infektion durch die haeretica pravitas und ihr Podestä treffe Entscheidungen, die sich aus ketzerischen Wurzeln nährten12. Der Nachfolger auf dem Stuhl Petri, der zuvor als päpstlicher Legat große Erfahrungen bei der Ketzerverfolgung in Oberitalien gesammelt hatte, rezipierte dieses neue Kaisergesetz offiziell durch Aufnahme in die Register zu Beginn des Jahres 1231, nachdem schon Honorius III.

O p l l , Barbarossa (wie Anm. 7) S. 146. Ketzernamen: S e l g e , Texte (wie Anm. 9) S. 26, Anm. 94. - Italienische Adressaten: Statuimus insuper, ut comites, barones, rectores et consules civitatum et aliorum locorum [...]praestito corporaliter iuramento promittunt, quod ecclesiam contra haereticos et eorum complices adiuvabunt et studebunt bona fide iuxta officia et posse suum ecclesiastica et imperialia statuta circa ea, quae diximus, exsecutionis mandare (ebd. S. 28). 12 Ketzerkonstitution, Catania, März 1224, in: M G H Const.2, Nr. 100; Honorius III., 27. Febr. 1224, in: M G H Epp. saec. X I I I , Bd.l, Nr. 241: Mediolanensis civitatis famam plurimum denigrando et augendo infamiam, qua notatur vitio heretice pravitatis infecta, cum proculdubio rami huiusmodi non nisi de radice pravitatis antedicte procedant. 10 11

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik

109

1227 ihre Umsetzung durch die Kommunen durch Aufnahme in ihre Statuten zur Vorbedingung eines Friedensschlusses zwischen Kaiser und Lombardischer Liga genannt hatte. Freilich meinte Honorius damit nicht nur das spezielle Lombardengesetz von 1224, sondern in erster Linie die einst von der Kurie formulierten kaiserlichen Ketzergesetze von 1220 1 3 . Letztere waren zusammen mit den anderen Krönungsgesetzen von Friedrich II. schon den legistischen Rechtsschulen in Bologna als neue Collatio von Authentiken zur Rezeption übersandt worden. Auch Papst Honorius hatte schon 1221 die kaiserlichen Ketzergesetze als die kirchlichen Regelungen notwendig ergänzende Bestimmungen bezeichnet und sie deshalb zuerst Stadt und Diözese Bologna, dann auch seinem Legaten in Oberitalien, Hugolin von Ostia, zur Publikation in seinem Sprengel übersandt, schließlich durch Aufnahme in die Compilatio Quinta (als titulus 4 des 5. Buches) 1226 zum Gegenstand kanonistischen Unterrichts in Bologna gemacht 14 . Hugolin selbst war dann als Papst Gregor IX. in seinem politischen Handlungsspielraum bei einer gewünschten Parteinahme für die Lombarden und gegen Friedrich II. dadurch eingeschränkt, daß der

13 Honorius III., 5. Jan. 1227, in: MGH Epp. saec. XIII, Bd.l, Nr. 327: Constitutiones vero, leges et statuta ab ecclesia Romana et Romanis imperatoribus et specialiter ab ipso imperatore contra hereticos, receptatores, defensores, credentes et fautores eorum hactenus promulgata.... redpiant et observent inviolabiliter et efficaciter exequantur. - Gregor IX., Registereintrag zum 27. Jan. 1231, danach die Fassung in: MGH LL 2, S.252; zur Textproblematik Julius F i c k e r , Die gesetzliche Einführung der Todesstrafe für Ketzerei, MIÖG 1 (1880) S. 207f. Nach dieser Textvorlage auch die eigene Ketzerdekretale Gregors IX. „Excommunicamus" von Febr. 1231 (Les Registres de Gregoire IX, hg.v. Lucien A u v r a y [künftig zitiert als A u v r a y mit Angabe der Nummer] Nr.539; Text: S e l g e , Texte S.41f.; X V.7.15). 14 Authentisierung der Ketzergesetze von 1220: Honorius III., 1221, MGH Const.2, S. 110, Anm. 1; jedoch 1224 gegenüber Brescia und Modena, Jan. 1225 gegenüber Rimini: Kanon Excommunicamus von 1215 als Grundlage kommunaler Ketzerverfolgung; seit 1226 mit Übersendung der Dekretalencompilation V an Bologna das Ketzergesetz von 1220 als Dekretale (V.4) den Kanonisten übersandt. - Friedrich II. schon 1220 an die Bologneser Legisten seine gesamten Krönungsgesetze als neue Authentiken: MGH Const.2, Nr. 86, S. 110; - Zur Haltung Honorius' zuletzt Kurt-Victor S e l g e , Die Ketzerpolitik Friedrichs II., in: Probleme um Friedrich II., hg.v. Josef F l e c k e n s t e i n (Vorträge und Forschungen 16, 1974) S. 309-343, hier S. 330 (gegen M a i s o n n e u v e , Etudes S. 244); Verbreitung der kaiserlichen Ketzerkonstitutionen und Insertionsbefehle päpstlicher Legaten für kommunale Statuten: M a i s o n n e u v e , Etudes (wie Anm.2) S.344 und S e l g e , Ketzerpolitik S.320.

110

Helmut G . Walther

Staufer sein Vorgehen gegen die unbotmäßigen Kommunen wegen einer päpstlichen Exkommunikation infolge von pertinacia bei vorliegendem Häresieverdacht nach den gültigen Maßstäben der Ketzerverfolgung legitimieren konnte 15 . Deshalb hat Kurt-Victor Selge schon 1974 mit gutem Grund im kaiserlichen Ketzergesetz von 1220 einen „Ansatz zu einer Erschütterung der politisch-administrativen Struktur aller lombardischen Städte" gesehen 16 . Friedrich II. schöpfte die gegebene Möglichkeit zu einer politischen Instrumentalisierung der Ketzerverfolgung in der Folgezeit bewußt aus. Die vom Papsttum einst zur Durchsetzung des Primats gewollte politische Ausweitung des Ketzerbegriffs auf den hartnäckigen Ungehorsam gegenüber dem apostolischen Stuhl und die Ausdehnung der Verfolgung auf receptatores, fautores et defensores der Ketzer in Zusammenhang mit der Katharerbekämpfung bot nun auch den weltlichen Herrschern die Chance, Rebellion und Häresie gleichzusetzen. Dem über die Brücke der traditionellen Ketzerkriterien von pertinacia und contumacia geschaffenen neuen Tatbestand des hartnäckigen Ungehorsams gegenüber dem Jurisdiktions-, nicht nur dem Lehrprimat der römischen Kirche entwuchs die Lehre von der Häresie des contemptus clavium, der hartnäckigen Mißachtung der Schlüsselgewalt der Nachfolger Petri 17 . Friedrichs politische Instrumentalisierung der eigenen Ketzergesetze steht also seinerseits in einer Tradition, die über Innocenz III. und seine hilfsweise Bemühung des spätantiken Strafmaßes für Majestätsverbrecher in Vergentis bis zu Ad abolendam zurückführt. Auch der Pakt Friedrichs I. mit Lucius III., mit dem sich der Kaiser ein 15 Friedrich II. an Gregor IX., Cremona Okt. 1236 (?), B F W 2198: umquam etenim defensionem ecclesie melius debilitare possetis, quam debilitando vires et iustitiam defensoris (Zitat S e l g e , Ketzerpolitik S. 338, Anm. 71). - Vgl. Brief Friedrichs II. an Gregor IX., 15. Juni 1233, B F W 2021, Druck: Jean-Louis-Alphonse H u i l l a r d B r eh o l l e s , Historia diplomatica Friderici Secundi 4 (1854) S. 435f. - Verhältnis Gregors IX. zu Mailand: M a i s o n n e u v e , Etudes S.250ff. - Im Juni und N o v . 1236 Auftrag an die Kardinalbischöfe von Palestrina (Nov.) und Ostia (Juni) zur Ketzerverfolgung in der Erzdiözese Mailand mit kaiserlichen und kirchlichen Statuten als Grundlage: A u v r a y 3179, 3180 (10. Juni 1236), 3384, 3385 (29. N o v . 1236). 16 S e l g e , Ketzerpolitik S. 320. 17 H a g e n e d e r , Häresie des Ungehorsams (wie Anm. 1) u. W a l t h e r , Haeretica pravitas (wie Anm. 1) passim. - Mit guten Gründen S e l g e , Ketzerpolitik S. 333f., gegen Ernst H. K a n t o r o w i c z , Kaiser Friedrich II. ( 4 1936) S.241ff. (Ketzergesetz in den Konstitutionen von Melfi, 1231: „diese Lehre vollständig ins Staatliche abgebogen").

111

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik

Zugriffsrecht auf die lombardischen Kommunen auf dem Umweg über die Ketzerbegünstiger eröffnete, gehört durchaus in den Kontext des Versuchs zur Disziplinierung der Lombarden. Der Kaiser nutzte nur deshalb die Möglichkeit nicht, da die veränderte politische Situation nach Verona 1184 sie unnötig machte. Kaiser Heinrich VI. nahm 1195 in seine Verfügungen über die politische Neuordnung in Rimini bereits ausdrücklich die bestehende eidliche Verpflichtung des Podestä der Kommune zur Vertreibung der Ketzer nach den Bestimmungen von Ad abolendam auf. Er griff damit Klagen der Kurie über die Duldung einer Wiederzuwanderung von Patarenern durch die städtischen Behörden auf18. Da eine solche Regelung durchaus den eigenen politischen Interessen entsprach, konnte der Kaiser im Mai des folgenden Jahres dann dem neuen Papst Cölestin III. versichern, daß er das weltliche Schwert gegen die Ketzer einsetzen werde, wenn das geistliche des Petrus seiner Aufgabe zur Predigt des Wortes Gottes und zur Aufdeckung und Auslöschung der Ketzer nachkomme19. In gleicher Weise verpflichtete sich Otto IV. im März 1209 auch gern zu einer wirksamen Hilfe bei der Ausrottung der Ketzerei, da er damit ein Mittel in der Hand hatte, Reichsrechte gegenüber unbotmäßigen Magistraten der Kommunen durchzusetzen. Entsprechende Ketzererlasse des Weifen für Ferrara und Turin von März 1210 sind erhalten20. Es war also schon Tradition, daß sich auch Friedrich II. 1213 und 1219 in seinen Krönungsversprechen zur Ketzerbekämpfung verpflichten mußte21. 18

Theodor T o e c h e , Kaiser Heinrich VI. (1867) N r . 3 4 6 (S.674); dazu Lucius III.

an den Bischof von Rimini, 2. Okt. 1185, J L 15461 = P f l u g k - H a r t t u n g ,

Acta

pontificum romanorum inedita 3 (1886) S. 353. 19

Rogamus attentius quatinus, sicut vestri iuris est, gladium Petri contra eos

et sollicite exeratis vestrosque Dei

seminando

extirpent 20

eorum

nuntios discretos et studiosos ad hoc dirigatis, qui

nequitiam

et detestabilem

enormitatem

penitus

ferventer verbum

evacuent

et

( M G H Const.l, N r . 370).

M G H Const.2, N r . 31 = Regestum Innocentii III super negotio Romani im-

perii, hg.v. Friedrich K e m p f

(Miscellanea Historiae Pontificiae 12, 1947) N r . 189;

Konstitution des Kaisers, 25. März 1210 gegen die Katharer in Ferrara und Mandat an die städtischen Behörden zur Bekämpfung: M G H Const.2, N r . 35; Aufforderung Innocenz' III. an Otto, nach dem Vorbild älterer Kaiser gegen flüchtige Katharer in Reichsitalien einzuschreiten, N o v . 1209: M i g n e P L 216, Sp.154 (XII, 124). Gegen die Waldenser in Turin Mandat Ottos IV. von 1210: M G H Const.2, N r . 36. 21

M G H Const.2, Nrr.46, 47, 65.

Helmut G. Walther

112

S o w o h l der Weife als a u c h der Staufer w u r d e n schließlich selbst O p f e r des politisch e r w e i t e r t e n

Ketzerbegriffs:

Innocenz

III.

I n n o c e n z IV. v e r k ü n d e t e n ihre A b s e t z u n g w e g e n des contemptus vium,

des h a r t n ä c k i g e n V e r s t o ß e s gegen das Privilegium

und cla-

der r ö m i s c h e n

K i r c h e . Seit G r e g o r V I I . w u r d e diese F o r m des U n g e h o r s a m s

recht

plakativ als q u a s i - R ü c k f a l l in das H e i d e n t u m angesehen:

Peccatum

ariolandi

Peccatum

igitur

est non obedire,

paganitatis

apostolicae

incurrit

sedi obedire

et scelus idolatriae quisquis,

dum

non adquiescere. cbristianum

se esse

asserit,

contempnit22.

II. E s w ä r e j e d o c h völlig u n g e n ü g e n d , d e n politischen A s p e k t der auf O b e r - u n d Mittelitalien g e m ü n z t e n K e t z e r g e s e t z e v o n Ad bis z u Ad extirpanda

abolendam

allein auf diesen K o m p l e x d e r B e z i e h u n g e n z w i -

schen P ä p s t e n , d e u t s c h e n H e r r s c h e r n u n d d e n K o m m u n e n einengen z u w o l l e n . E s gab ja einen n i c h t u n b e d e u t e n d e n Teil Italiens, der der weltlichen H e r r s c h a f t des P a p s t e s direkt u n t e r s t a n d . D i e p r a k t i s c h e U m s e t z u n g des D e k r e t a l e n r e c h t e s in dieser R e g i o n u n t e r den

be-

s o n d e r e n A u s p i z i e n päpstlicher T e r r i t o r i a l h e r r s c h a f t ist bislang in der 22 Exkommunikation Ottos IV., Febr. 1210 (Eintritt der sententia lata sub conditione vom 18. Jan.); Denudation der eingetretenen Exkommunikation, 18. Nov. 1210, BFW 443e; Brief an Bischof und Klerus von Cremona, 6. Juli 1210, Johann Friedrich B ö h m e r , Acta imperii selecta (1870) Nr.922 (contra sententiam evangelicam claves regni celorum contempnit [...] nisi a tali et tanto resipuerit errore, nos eum hereticum esse divino iudicio decemimus, S. 632); Othmar H a g e n e d e r , Exkommunikation und Thronfolgeverlust bei Innocenz III., Römische Historische Mitteilungen (= RHM) 2 (1957/58) S.9-50, hier S. 18f.; Datierung der Exkommunikation: Anton H a i d a c h e r , Uber den Zeitpunkt des Exkommunikation Ottos IV. durch Papst Innocenz III., RHM 3 (1958/59 u. 1959/60) S. 132-185; D e r s . , Zur Exkommunikation OttosIV. durch Papst Innocenz III., RHM 4 (1961) S. 26-36; zuletzt ders., RHM 11 (1969) S.206209. - Absetzung Friedrichs II.: 17. Juli 1245, MGH Const.2, Nr. 400, VI II.14.2 {Apostolicae sedis): contra eum de heretica pravitate suspitio est exorta, cum postquam excommunicationis sententiam ... prolatam incurrit et dictus Gregorius papa ipsum anathematis vinculo innodoavit. [...] claves ecclesiae contempserit et contempnat (S. 511). Ahnliche Formulierungen schon zuvor auf S. 510. - Päpstliches Absetzungsrecht: Othmar H a g e n e d e r , Das päpstliche Recht der Fürstenabsetzung: seine kanonistische Grundlegung (1150-1250), Archivum Historiae Pontificiae 1 (1963) S. 53-95; D e r s . , Häresie des Ungehorsams (wie Anm. 1) dort S. 34 mit Anm. 19 das Zitat (ein als D.81.15 in Gratians Dekret aufgenommener Auszug aus einem Brief Gregors VII.).

113

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik

Forschung gegenüber den in den gesamteuropäischen Auswirkungen spektakuläreren Ketzerbekämpfungsaktionen im okzitanischen und norditalienischen Bereich leider zu sehr in den Hintergrund getreten. Es tut daher not, den besonderen Umständen nachzugehen, wie gerade im Bereich des Patrimonium Petri die Bestimmungen der Ketzerdekretalen in die Praxis der Ketzerverfolgung umgesetzt wurden. Beginnend mit den exemplarisch frühen Fällen soll hier der Prozeß der Genese der Ketzerinquisition nachgezeichnet werden 23 . Am 26. März 1209 erklärte Otto IV. mit einem feierlichen Diplom mit Goldbulle, daß der römischen Kirche die terra von Radicofani bis Ceprano, die Mark Ancona, das Herzogtum Spoleto, das Land der Gräfin Mathilde, das Exarchat Ravenna und die Pentapolis mit Zubehör zustehe und er sie bei der noch ausstehenden Wiedererwerbung unterstützen werde 24 . Der Adressat, Papst Innocenz III., konnte sich selbst im tuskischen Patrimonium des ehemaligen Dukats von Rom erst seit rund 1200 halbwegs als weltlicher Oberherr fühlen. Er versuchte sodann, die weltliche Herrschaft der Nachfolger Petri mit konsequenter Durchsetzung der Elemente des Treueids, der Heerfolgepflicht und mit der Installierung eines Landtages und eines allgemeinen Appellationsrechts an die päpstliche Kurie auf neuartige Fundamente zu stellen und damit die überkommenen patrimonialen Herrschaftsformen im Kirchenstaat abzulösen 25 . Den Auseinandersetzungen Innocenz' III. mit den Kommunen Viterbo und Orvieto kam dabei besondere Bedeutung zu. Gegen den Willen Innocenz' III. hatte sich die Kommune Viterbo 1198 dem Tuskenbund angeschlossen. In Erwartung eines Konfliktes hatte Viterbo bereits Rainerio Peponi zum divina gratia potestas Viterbiensium anstelle der bislang üblichen mehreren Konsuln als kommunales Leitungsorgan gewählt. Als im folgenden Jahr 1199 Viterbo dann im

23

Verhältnisse im Kirchenstaat bei G u i r a u d , Histoire 2 (wie Anm. 2) S. 390ff. und

M a i s o n n e u v e , Etudes (wie Anm. 2) S. 156-158 (zu 248f. (Gregors I X .

Excommunicamus),

Ad abolendam),

181

(Vergentis),

307ff. (Ketzergesetze Innocenz' IV. für Italien).

Zusammenfassend S e g l , Ketzer (wie Anm. 2) S. 44ff. (Gregor IX.), 52ff. (Innocenz IV.). 24

Siehe o. Anm. 20.

25

Daniel W a l e y , The Papal State in the Thirteenth Century (1961) S. 30-124;

Christian L a c k n e r , Studien zur Verwaltung des Kirchenstaates unter Papst Innocenz III., R H M 2 9 (1987) S. 127-214; Bernhard S c h i m m e l p f e n n i g , Utriusque potestatis monarchia. Zur Durchsetzung der päpstlichen Hoheit im Kirchenstaat mittels des Strafrechts während des 13. Jahrhunderts, Z R G Kan. 94 (1988) S. 304-323.

114

Helmut G. Walther

offenen Kampf mit der Kommune Rom stand, wurde der Pfalzgraf Ildebrandinus aus der Familie Aldobrandeschi zum Podestä bestellt 26 . Viterbo unterlag in der Auseinandersetzung und mußte dabei seit 1200 Exkommunikation und Interdikt durch den Papst erdulden, der sich auf die Seite der Kommune Rom schlug. So konnte sich Innocenz III. 1201 auch auf der Seite der Sieger im abgeforderten Treueid der Viterbesen gegenüber Rom mit einer Salvationsklausel als Stadtoberherr zur Geltung bringen 27 . In Viterbo hatten schon seit einiger Zeit die Katharer Anhänger gefunden. Der Wanderprediger Petrus Lombardus, der zuvor wohl selbst Katharer gewesen war, predigte nun als doctor manicheorum auch in Viterbo gegen die Anhänger seiner alten Glaubensgemeinschaft, bevor er seinen Wirkungsort nach Orvieto verlegte28. Innocenz' gewichtige Ketzerdekretale Vergentis in senium vom 25. März 1199 war an Klerus, Konsuln und Volk der Stadt adressiert. Die programmatisch an den Beginn des Registers des zweiten Pontifikatsjahres gestellte Dekretale war zweifellos die Frucht grundsätzlicher Erwägungen des Papstes zum Ketzerproblem, dem er nun in Viterbo mit gewichtigen Änderungen und Erweiterungen gegenüber dem bislang üblichen Verfahrensmodell von Ad abolendam zu Leibe rücken wollte. Aber schon ein genauer Blick auf die Bestimmungen im Dekretalentext macht eben deutlich, daß hier vom Papst nicht, jedenfalls zunächst nicht, an ein allgemeines neues Verfahrensrecht gegen Ketzer gedacht war, sondern - wie es der Adressatenkreis der Dekretale zeigt - auf die Verhältnisse einer Kommune im Patrimonium Petri gezielt wurde 29 . Getroffen werden sollten jetzt die Personenkreise, die durch Ad abolendam nur ungenügend erfaßt waren: die defensores, receptatores 26 Norbert K a m p , Konsuln und Podestä. Balivus communis und Volkskapitän in Viterbo im 12. und 13. Jahrhundert, in: Biblioteca degli Ardenti della Cittä di Viterbo (1960) S. 49-127, hier S. 59 (als italienische Monografie: Istituzioni communali in Viterbo nel Medioevo I, 1963); L a c k n e r , Studien S. 132ff. 27

L a c k n e r , Studien S. 134f.

Giorgio S i g n o r e l l i , Viterbo nella storia della Chiesa I (1907) S. 156ff.; Wanda C h e r u b i η i, Movimenti patarinici in Orvieto, Bollettino dell' Istituto storico artistico 28

Orvietano 15 (1959) S. 3-42, hier S. 11 (zu Petrus Lombardus). 29 Othmar H a g e n e d e r , Studien zur Dekretale „Vergentis". Ein Beitrag zur Häretikergesetzgebung Innocenz' III., Z R G Kan.49 (1963) S. 138-173; S c h i m m e l p f e n n i g , Utriusque potestatis monarchia (wie Anm. 25) S. 307f. (zu den Bestimmungen von Vergentis).

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik et fautores

115

der H ä r e t i k e r . D e s w e g e n w u r d e jetzt die A n a l o g i e k o n -

s t r u k t i o n m i t M a j e s t ä t s v e r b r e c h e r n u n d d e m für sie i m

römischen

R e c h t v o r g e s e h e n e n Strafmaß d u r c h g e f ü h r t . M i t d e m R ü c k g r i f f auf die spätantike K e t z e r k o n s t i t u t i o n der K a i s e r A r c a d i u s u n d H o n o r i u s v o n 3 9 7 ( Q u i s q u i s ) w a r eine I n f a m i e r u n g a u c h der K e t z e r b e g ü n s t i g e r u n d ihrer N a c h k o m m e n m ö g l i c h 3 0 . M i t diesen S t r a f m a ß n a h m e n griff der P a p s t ratione

peccati

in die

bürgerliche A u t o n o m i e der K o m m u n e ein. U n d es e n t s p r a c h genau d e m k o m p l i z i e r t e n H e r r s c h a f t s gefüge des P a t r i m o n i u m Petri, w e n n I n n o c e n z d o r t , w o er wie in der K o m m u n e V i t e r b o nicht H e r r s c h a f t ausübte, die potestates potestas

indirecta

in

temporalibus,

et principes

saeculares

n ä m l i c h d u r c h die

direkt

d u r c h die Verhängung

v o n geistlichen Z w a n g s m a ß n a h m e n , z u m E i n s c h r e i t e n als weltliche O b r i g k e i t gegen die B e g ü n s t i g e r der H ä r e s i e z w i n g e n wollte.

Der

b e s o n d e r e C h a r a k t e r der S t r a f m a ß n a h m e n zielte mit der G ü t e r k o n f i s k a t i o n auf die wirtschaftliche A u s s c h a l t u n g der Schicht, die zugleich d e n politischen W i d e r s t a n d der K o m m u n e V i t e r b o gegen den P a p s t trug31.

30 M a i s o n n e u v e , Etudes (wie Anm.2) S. 156ff.; H a g e n e d e r , Studien S. 144ff.; W a 11her, Häresie (wie Anm. 1) S. 134f.; Kenneth P e n n i n g t o n , ,pro peccatis patrum puniri'. A moral and legal problem of the inquisition, Church History 47 (1978) S. 137-154; K o l m e r , Ad capiendas (wie Anm.2) S. 36ff. - Rezeption der spätantiken Ketzerkonstitution Quisquis in der Legistik des 12. und 13. Jahrhunderts im Vergleich zur Rezeption durch Gratian: Onofrio R u f f i η ο, Richerche sulla condizione giuridica degli eretici nel pensiero dei glossatori, Rivista di Storia del Diritto Italiano 46 (1973) S. 30-190. 31 Die Register Innocenz' III., 2. Pontifikatsjahr 1190/1200, bearb. v. Othmar H a g e n e d e r , Werner Μ a 1 e c ζ e k und Alfred A. S t r η a d (Publikationen des österreichischen Kulturinstituts in Rom, 2.Abt.: Quellen, l.Reihe, Bd.2, 1979) Nr. 1, S.3-5. Die unter den von den Strafbestimmungen für Ketzerförderer namentlich genannten Stände der städtischen iudices, advocati und tabelliones machen deutlich, daß hier speziell auf die Trägerschicht der kommunalen Autonomie gezielt wurde. Die Sanktionen gegen verfolgungsunwillige potestates und principes sind im Register am Rand eigens nachgetragen! Gegen S c h i m m e l p f e n n i g , Utriusque potestatis monarchia (wie Anm. 25) S. 307 und S. 323, ist festzuhalten, daß Innocenz III. 1198/99 nicht von sich aus, sondern nur im Gefolge der römischen Kommune gegen Viterbo handelte. Der Papst war nur zunächst als angerufene schiedsrichterliche Instanz in den Konflikt der beiden Kommunen gezogen worden, hatte mit dem Erlaß von Vergentis aber deutlich gemacht, daß er aus seiner Position als Oberhaupt der Gesamtkirche auch Vorteile für die Durchsetzung seiner Stellung als Oberherr des Patrimonium Petri ziehen wollte.

Helmut G. Walther

116

Offensichtlich stand für Kommune und Papst der politische Charakter der Auseinandersetzung zunächst im Vordergrund, so daß die Ketzerfrage noch als nachrangig galt. Selbst als der Papst seit Ende 1199 das Interdikt gegen Viterbo verhängte und Bischof Richard sogar für neun Monate die Stadt verließ, verband Innocenz das hartnäckige Ignorieren der geistlichen Strafe des Kirchenoberhaupts noch nicht mit der Ketzerverfolgung. Aber im Falle der fast gleichzeitigen Auseinandersetzung des Papstes mit Orvieto zeigte die neue Dekretale schon Wirkung. Dem päpstlichen Interdikt im Streit um Acquapendente (1198) beugte sich Orvieto im Februar 1199 und akzeptierte den päpstlichen Parteigänger Peter Parenzi als päpstlichen Rektor für die Stadt. Parenzi wendete aber nun die Bestimmungen von Vergentis gegen die defensores, receptatores et fautores der Katharer in der Kommune konsequent an und konfiszierte das Vermögen der zur städtischen Führungsschicht gehörenden Gruppe. O b er dabei die Möglichkeiten des Strafverfahrens über den engeren Kreis hinaus auf die antipäpstliche Opposition in der Stadt schlechthin ausdehnte und sich dabei auch noch selbst bereicherte, entzieht sich unserer Kenntnis. Jedenfalls wurde Peter Parenzi von einer Verschwörergruppe im Mai 1199 zunächst entführt und nach seiner Weigerung, seine Maßnahmen zurückzunehmen, ermordet. Doch nach dieser Bluttat setzte sich die papstfreundliche Partei in Orvieto durch, und als gewählter Podestä der Kommune konnte der enge Verwandte des Ermordeten (Bruder?) Parenzo Parenzi bis 1203 die Botmäßigkeit Orvietos gegenüber dem Papst durchsetzen. Dabei benützte er wahrscheinlich die Strafbestimmungen von Vergentis, um sich gegen die alte Führungsschicht durchzusetzen. Die heute verlorenen Prozeßakten füllten seinerzeit drei Quaternionenhefte. Die von den lokalen Parteigängern der beiden Parenzi sofort mit Unterstützung des Bischofs Richard betriebene Kampagne zur Heiligsprechung des ermordeten Peter Parenzi wurde vom Papst nur mit Reserve behandelt. Uber die lokale elevatio corporis kam der Prozeß nicht hinaus, so daß es bei einer lokalen Verehrung in Orvieto blieb. In der Kommune wurde aber die „Festa del beato Pietro martire" zum wichtigen Termin für politische Akte 32 . 32

Daniel W a l e y ,

state, 1154-1334

Medieval Orvieto. The political history of an Italian city-

(1952) S. 12-21; C h e r u b i n i ,

Michele M a c c a r r o n e ,

Movimenti (wie A n m . 2 8 )

S. 8-20;

Orvieto e la predicazione della crociata, in: D e r s . ,

Studi

117

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik

Die Dekretale hatte ihre Anwendbarkeitsprobe bestanden, so daß sie Innocenz III. nun nach 1200 auch im Bereich der Langue d ' O c und in Ungarn als Mittel der Ketzerbekämpfung einsetzte 33 . Im Falle Viterbos, der ersten Adressatin, stand die Bewährungsprobe noch aus. Dort waren bald nach 1201 wieder Persönlichkeiten in wichtige kommunale Ämter gewählt worden, die Ortsbischof und Papst zumindest als der Förderung der Ketzerei verdächtig galten. Wieder setzte der Papst Interdikt und Exkommunikation als geistliche Waffe ein, zog den Bischof aus der Stadt ab und rief gemäß den Bestimmungen von Vergentis die Einwohner zum Ungehorsam gegen die Konsuln und deren Wähler auf. Diesmal wichen die Viterbesen dem geistlichen Zwang und der Drohung militärischen Einschreitens. Sie wählten jetzt einen Parteigänger Innocenz' III. unter den römischen Adligen, Johannes Guidonis aus der Familie der Papareschi, zum Podesta 34 . Bei der Bekämpfung der Häretiker und deren Begünstiger entsprach Johannes nicht allen Erwartungen des Papstes; jedenfalls intervenierte Innocenz entsprechend 35 . Andererseits war der Papst selbst nun bereit, die Strenge der Strafbestimmungen zur Konfiskation des Besitzes von Ketzerbegünstigern etwas zu lockern. Entsprechend gefaßte Bestimmungen mußten alle volljährigen Bürger Viterbos (ab 14 Jahre) am 26. Juni 1207 beschwören. Die Bestimmungen wurden auch eigens in die Kommunalstatuten aufgenommen 36 . Auf dem su Innocenzo III (Italia Sacra 17, 1972) S. 1-163, hier S . 2 2 - 6 1 ; L a c k n e r ,

Studien

(wie A n m . 2 5 ) S. 148ff. - Heiligsprechungsverfahren für Peter Parenzi: V. N a t a l i n i , S.Pietro P a r e n z i . L a leggenda scritta dal maestro Giovanni (1963). 33

Auftrag an den Legaten Johannes von St. Paul für Südfrankreich: P o t t h a s t

1092

= R H F 19, S. 389 (12. Juni 1200); Brief an König Emmerich II. von Ungarn: M i g n e P L 214, Sp.871f. (11. Okt. 1200): In terris vero nostrae temporali iurisdictioni subiectis eorum (sc. iudices, advocati, tabelliones) publicari,

et in aliis idem fieri praecipimus

potestates et principes saeculares, quos ad id exsequendum, mandavimus

ecclesiastica severitate

compelli;

si forte negligentes

Maisonneuve,

bona per

existerent,

Etudes (wie A n m . 2 )

S. 169f., 180f.; H a g e n e d e r , Studien (wie A n m . 2 9 ) S. 152ff. 34

Si adversus nos, 4. Juni 1 2 0 5 : M i g n e P L 215, Sp.654 ff.; aufgenommen in C o m p .

III (V.4.2), dann 1234 als X V.7.11; - S i g n o r e l l i , Viterbo (wie A n m . 2 8 ) S. 158f.; Kamp,

Konsuln (wie Anm. 26) S. 76, 78 u. 112 (quidam credentes

in consules electi); L a c k n e r , Studien (wie A n m . 2 5 ) S. 153f.;

Patarenorum

Schimmelpfennig,

Utriusque potestatis monarchia (wie Anm. 25) S. 307f. 35

Reg. Inn. III., I X , 258: M i g n e P L 215, Sp.l086f.

36

Gesta Innocentii papae III, c. 123, in: M i g n e P L 214, Sp.CLXIf.; Migne P L 215,

Sp.1200; Carlo P i n z i , Storia della cittä di Viterbo 1 (1887) S.219f.

118

Helmut G. Walther

ersten gemeinsamen Landtag für das Patrimonium Petri, der im September 1207 in Viterbo zusammentrat, wo Innocenz damals für einige Zeit residierte, wurden die Regelungen zur Bestrafung der Ketzerbegünstiger verallgemeinert: Im Falle der nachgewiesenen Begünstigung wurde nur noch ein Viertel des Besitzes konfisziert. Das Konfiskationsgut von Häretikern hingegen sollte gänzlich unter die Denuntiatoren des Verurteilten, das Gericht und die Kommune gedrittelt werden. Die Kommune erhielt auch das eingezogene Viertel der Ketzerbegünstiger. Eine völlige Enterbung der unschuldigen Nachkommen der fautores fand hinfort also nicht mehr statt37. Während der Papst noch für den Ketzerkreuzzug gegen die Albigenser drei Jahre später das unveränderte Strafmaß von Vergentis zugrundelegte und diesen ursprünglichen Text auch im Rahmen der Dekretalensammlung der sog. Compilatio Tertia des Kanonisten Peter von Benevent für das Bologneser Rechtsstudium der Kanonisten authentisierte (1210), befand sich Innocenz in der politischen Praxis des Kirchenstaates bereits auf dem Weg zur nachhaltigen Revision der Bestimmungen, so wie sie dann der Ketzerkanon Excommunicamus des Lateranum IV und die Fassung der Dekretale Vergentis im Liber extra Gregors IX. aufweisen werden. Gäbe es nicht schon andere Anhaltspunkte genug, würden zumindest diese Befunde darauf deuten, daß für Innocenz III. die Durchsetzung seiner Herrschaftsinteressen im Kirchenstaat vorrangig war, so daß er hier zur Revision der doch im März 1199 so rhetorisch aufwendig begründeten Neuregelung der Bestrafung der Ketzerbegünstiger stillschweigend bereit war 38 . Die Bologneser Kanonisten hatten jedoch ohnehin die Aggravierung der Bestrafung der Ketzerbegünstiger in Vergentis mit ihrer Ausdehnung auf die Infamierung und Enteignung unschuldiger Nachkommen nur zögerlich, mit großen Bedenken oder auch gar nicht rezipiert. 37

M i g n e PL 215, Sp. 1226f.; H a g e n e d e r , Studien (wie Anm.29) S. 152. Vergentis im Albigenserkrieg und als Dekretalentext in der Comp. III und im Liber extra: H a g e n e d e r , Studien S. 149ff.; Zurückhaltung bei der Rezeption durch Dekretalisten: P e n n i n g t o n , Pro peccatis (wie Anm.30) S. 140ff. Der Bologneser Alanus Anglicus schätzte Vergentis mehr wegen des rhetorischen Gehalts als wegen der höchst problematischen Strafandrohung, als er sich 1206 zur Aufnahme der Dekretale in die von ihm veranstaltete Sammlung entschloß; seine einzige Glosse: potius quam verbis quam pro sententia est hoc capitulum insertum (Vercelli, Bibl. capit.89, fol.l 16v, zit. bei P e n n i n g t o n , Pro peccatis S. 140, Anm. 10). 38

119

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik

Was sich nach Othmar Hageneders eingehenden Untersuchungen zur Textgeschichte von Vergentis wie ein Lernprozeß des Papstes angesichts unbeabsichtigter Folgen und Weiterungen seiner ersten großen Ketzerdekretale auszunehmen scheint, gewinnt einen anderen Stellenwert, wenn man nun die Vorrangigkeit der Sicherung politischer Herrschaftsinteressen im Kirchenstaat zum zugrunde liegenden Verhaltensmaßstab Innocenz' III. machen muß 39 . Kenneth Pennington machte schon vor Jahren darauf aufmerksam, daß der Widerstand der Bologneser Dekretalisten gegen die Rezeption der Konfiskationsbestimmungen von Vergentis gegenüber Ketzerbegünstigern und ihren Nachkommen tiefer ging, als es seinerzeit Henri Maisonneuve dargelegt hatte 40 . Als ein Bamberger Kanoniker nach 1215 von seinem Kanonistikstudium in Bologna ein Handexemplar der Compilatio III mit verschiedenen Glossenapparaten an die Regnitz brachte, zeigt darin eine Glosse, daß in Bologna ein (uns unbekannter) Rechtslehrer Zweifel an der Gültigkeit der gegenüber den spätantiken Ketzergesetzen verschärften Strafbestimmungen von Vergentis geäußert hatte, da hier der Papst als „Richter in eigener Sache", also unzulässig gehandelt habe 41 . Auch der um 1220 als Verfasser der Glossa ordinaria der Compilatio III Maßstäbe für die Exegese von Vergentis setzende Bologneser Kanonist Tancred hielt hier mit seinen Zweifeln an der Gültigkeit der Konfiskationsregelung der Dekretale nicht hinter dem Berg. Inzwischen hatten der Ketzerkanon Excommunicamus des Lateranum IV wie auch die Formulierungen der Ketzerkonstitutionen in den Krönungsgesetzen Friedrichs II. von 1220 auf eine Enterbung unschuldiger Ketzernachkommen verzichtet, jedoch die völlige Konfiskation bei überführten Ketzern beibehalten. Tancred sah deshalb umso mehr im unveränderten Wortlaut von Vergentis, wie ihn die Compilatio III enthielt, eine Überschreitung der Grenze der aequitas gegeben, die auch dem Papst als Gesetzgeber gezogen sei. Höchstens im Kirchenstaat, soweit ist Tancred zu einem Zugeständnis bereit, könne die Enteignung der 39

H a g e n e d e r , Studien S. 158ff.; dagegen auch S c h i m m e l p f e n n i g , Utriusque

potestatis monarchia S. 306ff. 40

Pennington,

Pro

peccatis

S. 140ff.,

gegen

Maisonneuve,

Etudes

(wie

A n m . 2 ) S. 281-283. 41

Glossenapparat zur C o m p . III Servus

appelletur,

Bamberg StB, ms.

fol.208 v : Set nonne papa in hoc casu est iudex suus, ubi adversaries sua punit.

suos

can.19,

auctoritate

120

Helmut G. Walther

rechtgläubigen Kinder Gültigkeit beanspruchen, da hier der Papst als weltlicher Oberherr auch als weltlicher Gesetzgeber fungieren könne. Uberall sonst müßten aber die älteren Bestimmungen der Ketzergesetze des römischen Rechts als ins commune weiter gelten, da in ihnen die Rechtsgrundlage der aequitas gewahrt sei42. Der zeitgleich ebenfalls in Bologna lehrende Kanonist Vincentius Hispanus tat freilich solche Bedenken als unbegründet ab, referierte zuvor aber wenigstens ausführlich die Argumente Tancreds. Für den Spanier waren Tancreds Einwände nur daher zu erklären, daß deren Urheber von lombardischer Herkunft war43. Möglicherweise traf der spätere Bischof von Zaragoza mit seiner Bemerkung sogar den Kern von Tancreds Widerstand gegen die Konfiskationsbestimmungen des Conti-Papstes. Denn in der Tat bedeuteten diese Strafbestimmungen in ihren Auswirkungen einen harten Eingriff in die Autonomie der Kommunen, die um diese Zeit gerade die Lombarden in hartnäckigem Widerstand gegen Friedrich II. verteidigten, der seinerseits seine Ketzergesetze von 1220 dazu benutzte, die politische Unbotmäßigkeit dieser Kommunen zu brechen. Auf der anderen Seite waren die Bologneser Dekretalisten durchaus bereit, mit dem Papst über die Brücke des Deliktes des hartnäckigen Ungehorsams gegen die Nachfolger Petri zu gehen und deshalb aus den Ketzerdekretalen den Päpsten ratione peccati ein Recht zur Herrscherabsetzung zuzubilligen. Die Häresie des contemptus clavium bot dazu den theoretischen Rahmen. Die Lehrdiskussion der Bologneser Dekretalisten war schon vor 1215 abgeschlossen, führte also zum gleichen Ergebnis, das Innocenz III. bei der Anathematisierung Ottos IV. wegen Ketzerei 1210/11 zugrundelegte. In der Folgezeit beschränkte sich die gesamte Diskussion der Kanonisten auf die Aspekte von Häresieverdacht, Enteignung und päpstlichem Absetzungsrecht44.

42

Tancred, Glossa ord. ad C o m p . III, ad V.4.1: Ego dico harte decretalem

legibus supradictis in terris Ulis dumtaxat que subsunt temporali iurisdictioni [...] In aliis autem terris prevalent

leges predicte

prevalere dominipape.

que maiori equitate nituntur (Fulda L B ,

ms. D.6, fol.248 v a ). 43

Vincentius Hispanus, App. super Decretales (Gregorianas), ad X V.7.10, s.v.

,filiorum', Paris B . N . ms. lat. 3967, fol,184 a ; dazu P e n n i n g t o n , Pro peccatis (wie Anm. 30) S. 142f. 44

W a l t h e r , Häresie (wie Anm. 1) S. 136ff.; D e r s . , Haereticapravitas (wie Anm. 1)

S. 312ff.

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik

121

III. Zur Ausgestaltung und umfänglichen Neuordnung des Verfahrens zur Wahrheitsermittlung per inquisitionem führte schließlich das durch die Bestimmungen der Dekretalen Ad abolendam und Excommunicamus als besonderer Tatbestand eingebrachte Problem des Häresieverdachtes. Die höchst komplizierte prozeßrechtliche Entwicklung, die auf eine Beseitigung der Schwierigkeiten des älteren Akkusationsprozesses hinauslief, ist durch Winfried Trusen weitgehend geklärt worden. Doch bildete sich dabei innerhalb des neuen Inquisitionsprozesses nochmals der Ketzerprozeß als Sonderform aus. Er weicht vom allgemeinen Inquisitionsprozeß im Verfahren bei der Bestätigung oder Zurückweisung des Anfangsverdachtes erheblich ab. Es braucht nur daran erinnert werden, daß bereits Ad abolendam wie dann Excommunicamus sorgfältig zwischen manifesten Häretikern und den bloß der Häresie Verdächtigen unterscheiden. Die aus moderner prozeßrechtlicher Warte so bedenklich erscheinende Bestimmung beider Dekretalen, daß die Verdächtigten ihre Unschuld selbst ausreichend zu beweisen hätten, wird aber durch die Herkunft aus den Verfahren des älteren Akkusationsprozesses und des Reinigungseides einerseits und andererseits aus den nur begrenzten Möglichkeiten zur Ermittlung der Wahrheit, die schließlich mit dem Instrument der Folter erweitert werden sollten, recht gut erklärlich. Eine andere Beobachtung gibt dagegen ein Rätsel auf, das auch hier nicht schlüssig gelöst werden kann: Wenn es überall eine gleichartige prozeßrechtliche Ausgangslage gab, bleibt es fraglich, weshalb eigentlich selbständig urteilende Inquisitoren in Ketzerprozessen nach den Quellenbelegen zunächst nur außerhalb der Gebiete des Patrimonium Petri nachweisbar sind45. Wenn es nur die konsequente Nutzung der verbesserten prozessualen Möglichkeiten bei vorliegendem Häresieverdacht, ja auch beim Aufspüren der seit jeher als im Verborgenen sub specie pietatis wirkenden widergöttlichen Kräfte der haeretica pravitas war, 45 S c h i m m e l p f e n n i g , Utriusque potestatis monarchia (wie A n m . 2 5 ) S . 3 1 2 f . (Eigenheiten der Quellenüberlieferung der Ketzerbekämpfung im Kirchenstaat). Die von Schimmelpfennig hier herangezogenen Anweisungen für Inquisitoren liegen jenseits des hier untersuchten Zeitraums. Ein guter Uberblick über die Quellenlage bei S e g l , Ketzer (wie A n m . 2 ) S.43ff.; am ausführlichsten noch immer G u i r a u d , Histoire 2 (wie Anm. 2) S. 435-532.

122

Helmut G. Walther

die diesen Wandel im Prozeß zum summarisch urteilenden Ketzerrichter quasi zwangsläufig hervorbrachte, so wäre zu fragen, weshalb Gregor IX. die institutionelle Verfestigung nur bei Ketzerinquisition und -prozessen außerhalb des Kirchenstaates wichtig erschien. Oder galt nur für die Diözesen außerhalb des Patrimoniums die Erfahrung, daß dort der bisherige Rahmen und das bisherige Personal der bischöflichen Gerichtsbarkeit für den beabsichtigten Zweck einer systematischen Aufdeckung und Verfolgung der Ketzerei nicht ausreichten? Andererseits läßt der in der gegenwärtigen Forschung vertretene Erklärungsansatz einer generellen Tendenz zur Ausbildung zur Ketzerinquisition mit neuem Personal, eigentlich keinen Raum für eine besondere Entwicklung im Kirchenstaat46. Nun hat sich Gregor IX. im April 1233 selbst in der Weise geäußert, daß er den nach seiner Meinung angesichts ihrer anderen Aufgaben bei der Ketzerverfolgung überforderten Prälaten des regnum Franciae die im einschlägigen Metier erfahrenen Dominikaner zu Hilfe schicken wolle47. Doch wird für uns damit das Problem nicht gelöst, in welchem Maße unterschiedliche regionale Erfahrungen unterschiedliche Regelungen bei der Form der Institutionalisierung einer eigenen Ketzergerichtsbarkeit zufolge hatten. Die zentralistisch ausgerichtete Kommunikationsstruktur im Dominikanerorden wirkte freilich einer solchen Regionalisierung von Anfang an tendenziell entgegen, auch wenn die existierenden Spannungen im Orden selbst davor warnen sollten, einen in seinen Bestrebungen, sich die Ketzerinquisition als ordenstypische Aufgabe anzueignen, homogenen Predigerorden zu hypostasieren. Freilich weisen die Praxis, 46

Bei T r u s e n

(wie A n m . 5 ) nur eine immanent prozeßrechtliche Untersuchung.

Rein formal ohne analytischen Zugriff Daniela M ü l l e r , Inquisitio haereticae pravitatis. Ketzerei und Ketzerbekämpfung vom 11. bis zur 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts, Heresis 9 (1987) S. 49-63;

10 (1989) S. 2 7 - 4 4 (bes. 36ff., Institutionalisierung

der

Ketzerinquisition). 47

Gregor IX., Nos considerantes,

13. Apr. 1233

( P o t t h a s t 9143; Druck: S e l g e ,

Texte, wie Anm. 9, S. 47): et quot vos diversis occupationum valetis inter innundantiam aliis dividantur.

sollicitudinum

turbinibm

agitatis

angustias respirare [...] ut oner a vestra

vix cum

Die Ernsthaftigkeit dieses Arguments wird fraglich durch die Tatsache,

daß diese Empfehlung in direktem Zusammenhang mit der Beauftragung des früheren Katharers Robert le Bougre steht, der mit langwährender Unterstützung des Papstes nichts von der von Gregor angesprochenen Teilung der Aufgaben nach dem Vorbild der Apostel wissen wollte. Vgl. M a i s o n n e u v e , Etudes (wie A n m . 2 ) S.266f. und S e g l , Ketzer S. 62.

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik

123

die nur für einzelne Regionen erteilten Ketzerinquisitionsprivilegien schon zu sammeln und andererseits die topisch gehaltenen Texte der päpstlichen Privilegien meist mit der identischen Arenga des Ille humani generis in eine bestimmte Richtung: Diese Privilegien wurden möglicherweise in Form einer erweiterten Reskriptpraxis vom Papst gewährt. Die Kommunikationsstruktur zwischen Dominikanern und Gregor IX. bedürfte zur Lösung dieser Frage noch einer detaillierten Untersuchung 48 . Zu erörtern ist außerdem, ob es eine Differenzierung bei der Ketzerinquisition für die Gebiete innerhalb und außerhalb des Patrimonium Petri gab, soweit sich dies an den erhaltenen Quellen im päpstlichen Dekretalenrecht und über die lokale Ketzerverfolgung feststellen läßt 49 . Seit 1233 hatte Gregor IX. Dominikaner als Inquisitoren auch italienischen Bischöfen zuhilfe gesandt. Die Beauftragung des Ordens für die Diözesen des Kirchenstaates Viterbo, Tuscania, Orte, Bagnoregio, Castro dei Volsci (seit 1649 Acquapendente), Soana, Amelia und Narni im August 1235 wiederholt topisch den Text der Beauftragungen andernorts: Die Bedrohung des Weinbergs des Herrn, die Gefahr fortdauernder Ketzerei sub specie conversionis. Als Rechtsrahmen wird auch hier ausdrücklich auf die forma statutorum verwiesen, die den Dominikanern schon zugesandt worden sei 50 . Dabei handelte es sich

4 8 Es fehlt noch immer eine Detailuntersuchung der Ketzerbekämpfung durch Dominikaner nach 1232, die bereits Herbert Christian S c h e e b e n , Beiträge zur Geschichte Jordans von Sachsen (1938) S. 142 anmahnte. Bei ihm findet sich (S. 142-153) ein kurzer Uberblick; vgl. S e g l , Ketzer S. 62ff. 49 Auch eine vergleichende Untersuchung der von Gregor I X . 1235 inaugurierten Ketzerinquisition durch den römischen Provinzialprior der Dominikaner für Rom, das Königreich Sizilien, die Campagna, den Dukat von Spoleto und Tuszien steht noch aus. Robert le Bougre war offensichtlich als Leiter der Aktion vorgesehen, P o t t h a s t 9995; Druck: Analecta Ordinis Praedicatorum 4 (1899) Nr. 515, S. 511. In diesem Zusammenhang wäre der Fond von Firenze, Arch, di Stato, Conv. soprr., S. Maria Novella zu untersuchen. Vgl. G u i r a u d, Histoire 2 (wie Anm. 2) S. 505f.; zuletzt Georgi S e m k o v , Die Katharer von Florenz und Umgebung in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, Heresis 7 (1986) S. 59-75 (setzt erst zu 1244/45 ein).

Liste der Dominikanerbeauftragung: von Anagni, Okt. 1233 [ P o t t h a s t 9306; Druck: Bullarium Ordinis Praedicatorum (künftig B O P ) , hg.v. Thomas R i p o l l , Bd.l (1729) Nr. 101] bis 12. Aug. 1235 [ P o t t h a s t 9988; A u v r a y 2724; Druck B O P 1, Nr. 134]: Viterbeser Konvent als Ketzerbekämpfer in den Diözesen Viterbo, Tuscania, Orte, Bagnoregio, Castro di Volsci, Soana, Amelia und Narni. Für die 50

124

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um die Capitula des römischen Senators Annibaldo dei Annibaldis, mit denen dieser im Februar 1231 die Ketzerverfolgung durch die weltliche Gewalt in Rom geordnet hatte. Gregor IX. hatte durch Registereintrag die Capitula authentisiert und zugleich als Muster für ein Vorgehen andernorts vorgesehen. Die Exekution der Capitula erfolgte ganz in der Weise, die Innocenz III. seinerzeit 1207 auf dem Landtag von Viterbo für den Kirchenstaat festgelegt hatte 51 . Außerhalb des Kirchenstaats, in Piacenza, waren der Dominikaner Roland von Cremona und seine Ordensbrüder 1233 vom Podestä der Kommune bei ihrer Tätigkeit als Inquisitoren nicht nur nicht unterstützt, sondern im Gegenteil nach Kräften behindert und schließlich von einer Gruppe von 24 Gefolgsleuten mit Steinen und Schwertern angegriffen und verwundet worden. Roland endete freilich nicht als Märtyrer wie später sein Ordensbruder Petrus. Das sofort vom Bischof verhängte Interdikt brachte die Kommune zur Unterwerfung, so daß der Podestä und seine Helfer eingekerkert werden konnten. Gregor IX. behielt sich die Straffestsetzung in diesem Fall ausdrücklich selbst vor 52 . Bereits im Oktober 1212 hatte Innocenz III. Konsuln und Volk von Mailand beschuldigt, als Verteidiger und Förderer von Ketzern zu wirken: dum vobis faventibus doctrinae suae fermentum publice praedicare non metuunt et in messem dominicam iam non occulta zizania seminare non praesumunt ... ad civitatem vestram quasi quamdam erroreis sentinam aconfugiunt, ubi pro religione suscipitur quidquid discordare a fide catholica demonstratur. In Mailand, das die Marbacher Annalen 1231 als diversarum haeresum et errorum primatus apostrophierten, hatte Erzbischof Heinrich von Septala mit Unterstützung des von den popolari getragenen Podestä harte Maßnahmen gegen die Katharer, vor allem auch gegen ihre defensores, receptatores et fautores ergriffen, nachdem die Aufnahme Untersuchung der Ketzerinquisition müßten zusätzlich der Beziehungen Gregors IX. zu den Dominikanern untersucht werden, die er als mit Ketzerbekämpfung in Norditalien beauftragter Kardinallegat Hugolin von Ostia unterhielt. 51 G u i r a u d , Histoire 2 (wie Anm.2) S.442ff.; M a i s o n n e u v e , Etudes (wie Anm.2) S.245-247; Excommunicamus und Annibaldi-Statuten: S e l g e , Texte (wie Anm. 9) S. 41-44. 52 Gregor IX., 15. Okt. 1233: A u v r a y 1560; Druck M G H Epp. saec. XIII, Bd.l, Nr. 556, S. 449f. Weitere Briefe: A u v r a y 1569, 1607, 1613, 1795, 1796, 2065, 2603; S c h e e b e n , Beiträge (wie Anm.48) S. 15lf.

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik

125

der kaiserlichen Ketzergesetze im Jahre 1228 zunächst ohne langfristige Konsequenzen blieb. Die Grabinschriften von Prälat und Podestä wiesen in gleicher Weise als ihre besondere Leistung aus, wie erbarmungslos sie Ketzer verfolgt hätten: injugulavit haereseos (Erzbischof Heinrich) - Catharos, ut debuit, uxit (Podestä Oldradus) 53 . Im Mai 1231 forderte Gregor IX. den neuen Erzbischof Wilhelm von Ruzolo auf, sich bei der Ketzerverfolgung nun auf den Rechtsrahmen der neuen Dekretale Excommunicamus zu stützen und die kommunalen Magistrate zur Durchsetzung der Ketzerbestrafung nach den Statuten des Senators Annibaldi anzuhalten. Nun waren auch in Mailand die Dominikaner schon als inquisitores bei der Ketzerverfolgung beteiligt, während 1228 der damalige Mailänder Prior Guala von Bergamo nur einer der Zeugen bei der Insertion der Ketzergesetze in die Kommunalstatuten war. Der Papst bedankte sich 1233 in einem Schreiben an den Erzbischof und den Klerus der lombardischen Metropole, daß die Dominikaner und Franziskaner nun bei der Ketzeraufspürung so erfolgreich mitgewirkt hätten. Dabei scheint damals in Mailand genau das gleiche Verfahren angewandt worden zu sein, das der Podestä Albert Crescimbene schon 1229 verwendet hatte: Der Podestä hatte damals eine geistliche Kommission von 12 Mitgliedern zur Aufspürung der Ketzer ernannt, in der zwei Dominikaner und zwei Franziskaner vertreten waren. Nun, nachdem Gregor IX. den mittlerweile zum Bischof von Brescia erhobenen Guala 1232 als seinen Legaten nach Mailand gesandt hatte, scheinen die Mendikanten in der Kommission tonangebend geworden zu sein. Beide Provinziale der großen Mendikantenorden, Jakob von Arquato, O.P. und Leo Perezo, O.F.M., gehörten ihr an. Doch blieb die Kommission noch immer dem erzbischöflichen Gericht unterstellt.

53 Reg. Inn. XV, 189 = Μ i g η e PL 216, Sp. 710 ff. Annales Marbacenses, M G H SSrer. Germ. (1907), ad annum 1231, S. 94; Vgl. Jakob von V i t r y , epistola 7 (1216), in: Lettres de Jacques de V i t r y , hg.v. Robert B . C . H u y g e n s (1960) S. 72 (Mediolanensem scilicet, que fovea est hereticorum). - Ketzerverfolgung unter Heinrich von Septala: G u i r a u d , Histoire 2, S. 429f., 437f.; M a i s o n n e u v e , Etudes S. 250f.; Luigi F u m i , L'inquisizione romana e lo stato di Milano, Archivio Storico Lombardo, serie 4, 13 (1910) S. 43-72, hier S. 47f.; Joseph K u c z y n s k i , Le bienheureux Guala de Bergame de l'Ordre des Freres Precheurs, eveque de Brescia, paciaire et legat pontifical (+ 1244) (1916).

126

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Aber die Bemerkung des Papstes im Dankbrief, daß ihm offenbar Jakob von Arquate (am Erzbischof vorbei) einen Bericht über den Verlauf der Mailänder Ketzerverfolgung geschickt hatte, zeigt schon, welcher rechtliche Dualismus sich hier mit Billigung des Papstes nicht nur in Deutschland unter Konrad von Marburg und in Frankreich unter Robert le Bougre etabliert hatte. Nicht auf den Inhalt des Berichtes des Dominikanerprovinzials an die Kurie kommt es hierbei an, sondern auf die Tatsache dieser sich auf dem besonderen Beziehungsgefüge von Papst und Dominikanerorden gründenden Kommunikationsstruktur, die mit dem gemeinsamen Interesse am Ketzerproblem offenkundig von den von der Aufgabe der Ketzerinquisition faszinierten Ordensoberen dazu genutzt wurde, um Ordensmitgliedern als Inquisitoren eine privilegierte Stellung zu schaffen, die die ordnungsgemäße Jurisdiktion des Diözesanbischofs aushöhlte. Dieser Umstand ist zu veranschlagen, wenn auch die generelle Neuregelung der dominikanischen Ketzerinquisition in der Lombardei im Mai 1237 erneut das schon traditionelle Formular von Ille humani generis verwendet, das der Papst auch schon 1231 mehrfach für die Tätigkeit der Dominikaner im Reich und 1233 in der Provence verwendet hatte54. Der neue Papst Innocenz IV. hat wohl noch im Oktober 1243 allen weltlichen Behörden der Lombardei, der Mark Treviso und der Romagna anbefohlen, die Ketzergesetze Friedrichs II. in ihrer letzten Fassung von 1239 in die städtischen Statuten aufzunehmen und hinfort bei der Ketzerverfolgung anzuwenden. Notfalls sollten geistliche Zwangsmaßnahmen für den nötigen Druck bei der Umsetzung des päpstlichen Mandats sorgen55. Auch die eigene Dekretale Ad extirpanda von 1252 präzisierte diese Bestimmungen nur und faßte zusammen, was für die geistliche Ketzeraufspürung und -Verfolgung ab sofort Rahmen und Maßstab bilden 54

Verfolgung 1231-1233: G u i r a u d , Histoire 2, S.438; M a i s o n n e u v e , Etudes S.251; Ilarino da M i l a n o , O.F.M. Cap., La „Summa contra haereticos" di Giacomo Cappelli, O.F.M., e un suo „Quaresimale" inedito (secolo XIII), in: D e r s . , Eresie medievali. Scritti minori (1983) S. 419-438, hier S. 427f.; S e g l , Ketzer (wie Anm. 2) S. 85f.- Gregor IX. an Mailand, 1. Dez. 1233: P o t t h a s t 9334; Druck B O P 1, N r . 105, S. 65f. - Neuregelung dominikanischer Inquisition, 20. Mai 1237: P o t t h a s t 10362; Druck: M a n s i 23, Sp.74f. = B O P 1, N r . 167, S. 95. 55 Cum adversus hereticam:V o t t h a s t 14762; Druck M a n s i 23, Sp.566-591 = B O P 1, N r . 3 4 , S. 125-127. Zur umstrittenen Datierung auf 1243 überzeugend S e g l , Ketzer S. 52ff. Anm. 263.

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik

127

sollte. Dabei war dafür gesorgt, daß die vorausgehende Dekretale Cum adversus baereticam die Pflichten der weltlichen Gewalt bei der Ketzerverfolgung und -bestrafung anhand der kaiserlichen Gesetze bestimmte, während Ad extirpanda nun den institutionellen und prozessualen Rahmen für das Tätigwerden der geistlichen Gewalt festschrieb. Hier ist den Inquisitoren als indices delegati eine eigene Gerichtsgewalt zugeordnet 56 . Der als bedeutendster Korporationstheoretiker des 13. Jahrhunderts bekannte Sinibaldus Fliscus etablierte damit auch das

sanctum officium inquisitionis als korporative universitas, quae non

moritur. Wie bei Korporationen üblich, wechselten die Mitglieder, die officiates officii inquisitionis, während die Korporation als solche dauerhaft fortbestand, wie das dann das Ketzerhandbuch der Bologneser Dominikaner De officio inquisitionis von 1320 unter ausdrücklicher Berufung auf die Dekretalen Innocenz' IV. beschrieb 57 .

Doch war auch diese päpstliche Ketzerdekretale Ad extirpanda wiederum in ihren Verfahrensregeln in erster Linie auf die italienischen Verhältnisse abgestimmt, wie besonders der Schlußpassus des Textes deutlich macht. Er greift noch weitgehender als die vorausgehende Dekretale Innocenz' IV. Cum adversus baereticam in die Autonomie kommunaler Statutargesetzgebung ein und verfügt, daß überall eine umfängliche Statutenrevision vorgenommen werden solle, bei der alle entgegengesetzten städtischen Bestimmungen zu beseitigen und nun die Ketzerbestimmungen der kaiserlichen Konstitutionen und der kommunalen Statuten in vier Exemplaren in der Stadt vorrätig sein müßten: Ein Exemplar im Kommunalarchiv, eines beim Bischof und je ein weiteres beim örtlichen Dominikaner- und Franziskanerkonvent 58 .

56

Ad extirpanda,

15. Mai 1252: P o t t h a s t

14592; Druck: B O P 1, N r . 2 5 7 , S . 2 0 9 -

212. Die Zwölferkommission, die 1233 in Mailand noch ganz der Diözesangerichtsbarkeit unterstellt war, ist nun als Sondergerichtsbarkeit institutionalisiert: hereticos hereticas capere [...] et eos ducere et duci facere

in potestatem

dioecesani vel

et

vicariomm

eiusdem sive inquisitor um. 57

II „de officio inquisitionis". La procedura inquisitoriale a Bologna e a Ferrara

nel Trecento, hg.v. Lorenzo P a o l i n o (1976) S. 5ff. (auctoritas inquisitorum

qualis sit);

zur Entstehung S.VIff. - Zu Innocenz IV. als Korporationstheoretiker zuletzt Helmut G. W a l t h e r , Die Legitimität der Herrschaftsordnung bei Bartolus von Sassoferrato und Baldus de Ubaldis, in: Rechts- und Sozialphilosophie des Mittelalters, hg.v. Erhard M o c k u. Georg W i e l a n d (1990) S. 115-139, bes. S. 117ff. (mit Lit.). 58

Ad extirpanda,

B O P 1, N r . 257, S.211.

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Damit schließt sich der Kreis päpstlicher Ketzergesetzgebung für die italienischen Kommunen, der 1184 mit Ad abolendam begonnen worden war und bereits damals politische und geistliche Zwecke kombiniert hatte. Was damals im kaiserlichen Kalkül als ein wohlberechnender Versuch geplant worden war, bei der Ketzerverfolgung die kommunale Autonomie einzudämmen und die Städte zu disziplinieren, wurde 1252 durch Innocenz IV. ohne Legitimation durch einen Kaiser vollendet. Die Periode der Amtszeiten von Friedrich II. und Gregor IX. erscheint aus dieser Perspektive als notwendige Zwischenphase, in der die Weichen entscheidend gestellt wurden, in der aber wegen des unvereinbaren politischen Interessengegensatzes beider Persönlichkeiten keine endgültige Entscheidung bei der Institutionalisierung der Ketzerinquisition fallen konnte. Was aber die Ketzerverfolgung in Italien von Anfang an kennzeichnete, war die Bereitschaft der kaiserlichen Gewalt, sich zum Exekutor der vom päpstlichen Dekretalenrecht geprägten Formen der Aufspürung und prozessualen Behandlung von der Ketzerei Verdächtigen zu machen. Die Umsetzung der durch besondere Kaisergesetze legitimierten weltlichen Handlangerdienste wurden seit 1236 durch den offenen Konflikt zwischen Gregor IX. und Friedrich II. behindert, da die von Papst und oberitalienischen Kommunen bestrittene Amtsautorität des Staufers auf die Durchsetzungskraft seiner kaiserlichen Gesetze zurückwirkte. Das Papsttum hatte mit der Institutionalisierung einer auch die lokalen und regionalen weltlichen Gewalten zugleich bindenden eigenen Ketzergerichtsbarkeit erst dann Erfolg, als der Kaiser als zentrale weltliche Gewalt ausgeschaltet war, die kaiserlichen Ketzergesetze aber als vom Papsttum sanktioniert und mit eigenem ketzerrichterlichen Personal aus den Mendikantenorden mit geistlichen Zwangsmitteln gegenüber den lokalen weltlichen Gewalten durchgesetzt wurden. Was Friedrich II. verwehrt blieb, Gregor IX. in den letzten Jahren seines Pontifikats schon ansatzweise praktizierte, vollendete Innocenz IV.: Die weltliche Gewalt wurde im Sinne der Ziele der geistlichen Ketzerverfolgung instrumentalisiert und damit die kommunale Autonomie diszipliniert, im Kirchenstaat im geistlichen und weltlichen Sinne zugleich. Was zunächst an den Kommunen des Kirchenstaats erfolgreich erprobt werden konnte, da hier der Papst zugleich weltlicher Oberherr war, wurde nun auch außerhalb durchgesetzt. Als besondere Pointe erscheint dabei, daß Innocenz IV. deshalb so erfolgreich agieren

Ziele und Mittel päpstlicher Ketzerpolitik

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konnte, weil es ihm mit seinem Absetzungsurteil von 1245 gegen Friedrich II. gelang, die Legitimität des Staufers durch Verketzerung wegen contemptus clavium nachhaltig zu erschüttern. Die sich damit beinahe zwangsläufig stellende Frage, was aus der Ketzerinquisition geworden wäre, wenn Friedrich II. nicht 1250 gestorben wäre und nicht die hinlänglich bekannten politischen Folgen dadurch eingetreten wären, ist überaus reizvoll, aber nicht vom Historiker zu beantworten. Die Ketzerinquisition in Italien, wie sie rechtlich 1252 mit Ad extirpanda institutionalisiert wurde, setzt bekanntlich genau die Hilfe der weltlichen Gewalt voraus, die Barbarossa zuerst 1184 angeboten hatte, dann Friedrich II. seit 1220 als verpflichtenden Gesetzesrahmen für kommunale Behörden formuliert hatte. Das Besondere an der Situation nach 1250 ist, daß Innocenz IV. weitergehend in die städtische Rechtsautonomie eingreift, um die Rezeption und Umsetzung der kaiserlichen Ketzergesetze zu erreichen, als dies Friedrich II. je tun konnte. Die Instrumentalisierung der weltlichen Behörden bei der Ketzerverfolgung war für Innocenz IV. nichts anderes als eine Umsetzung seiner Auffassung vom Verhältnis der beiden Gewalten: Um der höherrangigen geistlichen Ziele willen hatte das weltliche Schwert ohne Widerspruch ad nutum des geistlichen tätig zu werden. In der Zwischenzeit hatte seit den 30er Jahren diese Durchsetzung der päpstlichen potestas indirecta in temporalibus gegenüber den italienischen Kommunen ein institutioneller Wandel bewirkt. Mit der Personengruppe geistlicher Ketzeraufspürer und dann auch -richter aus den Mendikantenorden, die von ihrer Ordensstruktur her ohnehin mit dem kommunalen Milieu Italiens eng verflochten waren, besaß das Papsttum zugleich eine Kontrollinstanz, ob die kommunalen Behörden ihrer Verpflichtung zur Verfolgung und Bestrafung auch nachkamen. Die besonders enge Kommunikationsstruktur im zentral aufgebauten Orden und dessen Ausrichtung auf die päpstliche Kurie lassen es nicht verwunderlich erscheinen, daß mehr noch als die Franziskaner die Dominikaner als Mittlerinstanz zwischen Kommunen und der Kurie zur allmählichen praktischen Ersetzung der ordentlichen Diözesangerichtsbarkeit in Ketzerangelegenheiten beitrugen. Ein Bewußtsein des sich unter Wahrung des alten Rechtsrahmens vollziehenden Wandels setzte bei den Zeitgenossen offenbar erst mit erheblicher Verspätung ein. In Bologna gab es etwa erst unter dem Inquisitor Aldovrandino da Reggio, O.P., ab 1273 eine geordnete

130

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eigene Registerführung über Ketzerprozesse. Noch im 18. Jahrhundert mußten die Bologneser Dominikaner, als sie einen Catbalogus inquisitomm anlegten, einräumen, daß es für die Zeit vorher keine Akten gebe nec de Ulis aliqua reperitur memoria59. Aber kaum war eine neue Ordnung der Inquisition eingeführt, besaß das Sanctum Officium Bononiae ab 1285 bereits ein eigenes Haus neben dem Dominikanerkloster, ist ab 1291 ein genaues Ketzerprozeßregister erhalten60. Uber den Rechtsrahmen ihrer Amtsführung konnten sich die dortigen Inquisitoren in einem noch heute erhaltenen Handbuch informieren, das für die dominikanische Ordensprovinz der Lombardia inferior angelegt wurde. Einer der Bologneser Inquisitoren des 14. Jahrhunderts vermerkte noch einmal ausdrücklich als notabilium am Rande in diesem Handbuch, was seit Ad extirpanda Papst Innocenz' IV. als feste Verpflichtung galt: Quod potestas et quilibet rector debet facere scribi has constitutiones in capitularibus suisb{.

59

Lorenzo P a o l i n i , L'eresie catare alia fine del duecento (L'eresia a Bologna fra

X I I I e X I V secolo, Bd.l = Studi Storici 93-96, 1975) S.3. Vgl. Alfonso D ' A m a t o , I Domenicani a Bologna, 2 Bde. (1988). 60

P a o l i n i , ebd. - Acta Sancti Officii Bononie ab anno 1291 ad annum 1310, hg.v.

Lorenzo P a o l i n i und Raniero O r i o l i , 2 Bde. und Indexband (Fonti per la Storia d'ltalia, Medioevo 106, 1982 u. 1984). 61

De officio inquisitionis (wie Anm. 57) S. 19.

ANFÄNGE DER INQUISITION IN DEUTSCHLAND Von Dietrich Kurze Obwohl weder die Substantive inquisitio oder inquisitor noch das Verb inquirere in dem Brief Papst Gregors IX. vom 11. Oktober 1231 an Konrad von Marburg vorkommen1, soll - so die Formulierung von A. Patschovsky - „mit diesem Schreiben die päpstliche Ketzerinquisition ... in Deutschland, ja überhaupt in Europa, ihren Anfang" genommen haben2. Hauptmerkmale dieser päpstlichen Ketzerinquisition seien „die Übertragung inquisitorischer Vollmachten ..., die das Recht vor allem zur selbständigen Gerichtsausübung, zur Subdelegierung bestimmter Verfahrensteile, zur Anrufung des ,weltlichen Arms' und zur Verhängung von Exkommunikation und Interdikt gegen die Protektoren von Ketzern beinhalten"3. In dem Text wird von der Ausrottung der Häresie (ad exstirpandam ... haereticam pravitatem) gesprochen, doch wird die für unser Kolloquium richtungweisende Formulierung inquisitio haereticae pravitatis in Deutschland oder für Deutschland erst später benutzt, scheint sie doch insgesamt nicht vor Papst Alexander IV. (1254-1261) offiziell in Gebrauch genommen worden zu sein. Bekanntlich werden über das gern genannte Jahr 1215 hinaus, als auf dem 4. Laterankonzil mit ökumenischer Verbindlichkeit die inquisitio neben und mit der accusatio und denunciatio als der dritte Modus zur Einleitung eines rechtsförmlichen Strafverfahrens

1

Der Text dieses Briefes war bislang nur aus einem Druck des Jahres 1730 bekannt.

E r wird jetzt aus einem Briefbuch (Bullarium) des 13. Jahrhunderts im Anhang (unten S. 186-193) vorgestellt und dementsprechend zitiert. 2

Alexander P a t s c h o v s k y , Zur Ketzerverfolgung Konrads von Marburg, D A

37 (1981) S. 641-693, hier S. 644. - Dieser Aufsatz von Patschovsky sowie das Buch von Peter S e g l , Ketzer in Osterreich. Untersuchungen über Häresie und Inquisition im Herzogtum Österreich im 13. und beginnenden 14. Jahrhundert (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, N . F . 5, 1984) mögen den Leser wie zuvor schon den Verfasser bedauern lassen, daß keiner dieser Experten den Deutschland betreffenden Beitrag in Bayreuth übernommen hat. 3

P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S.643.

132

Dietrich Kurze

anerkannt wurde, die Wörter inquirere oder inquisitio häufig gebraucht - und zwar ebenso im allgemeineren Zusammenhang mit Ketzerproblemen wie bei der Feststellung und Uberprüfung konkreter Häresievorwürfe wie nicht zuletzt im ganz weiten Sinne, z.B. von inquirere veritatem irgendwelcher Tatsachenbehauptungen oder Zustände (Besitz-, Weihe-, Wahl-, Ehefragen usw.) 4 . Wenn also vor und nach 1231 das Wort inquisitio sowohl ketzerspezifisch als auch ganz losgelöst von allen Häresieassoziationen benutzt wurde und in dem eingangs zitierten Schlüsselbrief vom Oktober 1231 die Vokabel inquisitio nicht vorkommen mußte, aber dennoch als Initialdokument für die auf diesem Bayreuther Kolloquium zur Verhandlung stehenden Thematik besondere Beachtung beanspruchen darf, hätte ich mich aus der Terminologieklemme bei der Ankündigung meines Beitrages befreien können, indem auch ich statt „Inquisition" „Ketzerverfolgung" in den Titel setzte. Im Vertrauen auf das allgemeine Vorverständnis und im Blick auf die Wegweiserfunktion meines Untersuchungszusammenhanges sowie auf die eben abgegebenen salvatorischen Erklärungen bin ich bei „Inquisition" geblieben. Nach einer knappen Erinnerung an die päpstlichen und kaiserlichen Beschlüsse von Verona im Jahr 1184, an Innozenz III. und an das Lateranense IV soll etwas ausführlicher das Häresieverfahren gegen den Goslarer Propst Heinrich Minnike vorgestellt werden - gleichsam als Musterprozeß der Inquisition vor der Inquisition, als eine Folie, vor der sich anschließend das neuartige inquisitorische Dreigestirn Papst Gregor IX., Konrad von Marburg und die Dominikaner - abheben wird, also das, was man verkürzend den Anfang der Inquisition in Deutschland nennen könnte, wobei auch Umschau zu halten sein

4

Vgl. aus der neueren Literatur nach den auf Ch. D u C a n g e , Glossarium Mediae

et Infimae Latinitatis 4 (1938, N D 1954) S. 3 7 3 - 3 7 6 verweisenden und leicht mittels der Indices notabilium rerum der Papstregister des 13. Jahrhunderts (Registres et lettres des papes du X I I I e siecle; hier: Lucien A u v r a y (Hg.), Les Registres du Gregoire I X , Bd.4 (1955) S. 256f. und Elie Β e r g e r (Hg.), Les Registres d'Innocent IV, Bd.4 (1955) S. 245f.) zu ergänzenden Bemerkungen von Daniela M ü l l e r , Inquisitio

haereticae

pravitatis.

Ketzerei und Ketzerbekämpfung vom 11. bis zur ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, Heresis 9 (1987) S. 49-63, bes. S. 51 vor allem die grundlegenden Arbeiten von Winfried T r u s e n , Der Inquisitionsprozeß. Seine historischen Grundlagen und frühen Formen, Z R G Kan.74 (1988) S. 168-230; D e r s . , Von den Anfängen des Inquisitionsprozesses zum Verfahren bei der inquisitio haereticae pravitatis,

in diesem Band S. 39-76

133

Anfänge der Inquisition in Deutschland w i r d nach den R a h m e n b e d i n g u n g e n , Wegbereitern, F ö r d e r e r n

und

Gegnern. D i e E r i n n e r u n g an Verona, w o Papst L u c i u s III. z w i s c h e n Mitte O k t o b e r und Mitte N o v e m b e r

1 1 8 4 die Dekretale Ad

abolendam

v e r k ü n d e t e 5 und Kaiser F r i e d r i c h B a r b a r o s s a ein (leider nicht ü b e r liefertes) entsprechendes G e s e t z erließ 6 , soll hier nicht z u m A n l a ß für eine intensive Detailanalyse o d e r für eine Auseinandersetzung mit den Versuchen, den Stellenwert dieser Dekretale in der G e s c h i c h t e der K e t z e r v e r f o l g u n g a u s z u m a c h e n 7 , g e n o m m e n w e r d e n . N u r soviel: D i e B e s t i m m u n g , w o n a c h ein jeder E r z b i s c h o f o d e r B i s c h o f d u r c h sich oder seinen A r c h i d i a k o n o d e r d u r c h andere ehrenhafte und geeignete P e r s o n e n zwei- oder dreimal jährlich seine D i ö z e s e , w o d e m G e r ü c h t nach K e t z e r w o h n e n , aufsuchen soll, A n g e z e i g t e u n d Angeklagte, falls sie sich nicht ( d u r c h E i d ) reinigen k ö n n e n , zu verurteilen hat usw., ist der Substanz nach nicht neu, wenngleich die Applikation auf die H ä r e t i k e r b e m e r k e n s w e r t bleibt. N i c h t also die A r t , wie H ä r e t i k e r aufgespürt w e r d e n sollen, o d e r der Verweis auf die bischöfliche Vera n t w o r t u n g leiten z u r Inquisition im späteren Sinne über, nicht einmal Der Text von Ad abolendam hat in fast alle einschlägigen Quellensammlungen Aufnahme gefunden, z.B. bei Paul F r e d e r i c q (Hg.), Corpus documentorum inquisitionis haereticae pravitatis Neerlandicae 1 (1899) S. 52-55 Nr. 56, später bei James F e a r n s , Ketzer und Ketzerbekämpfung im Hochmittelalter (Historische Texte/Mittelalter 8, 1968) Nr. 21 S. 61-63; besser schon bei Kurt Victor S e l g e (Hg.), Texte zur Inquisition (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 4, 1967) S. 26-29. 6 Zusammenstellung der chronikalischen Uberlieferung zuletzt (1990) in MGH DD F I Nr.""1188. - Recht nützlicher Uberblick und Einordnung in die Zusammenhänge bei Hermann K ö h l e r , Die Ketzerpolitik der deutschen Kaiser und Könige in den Jahren 1152-1254 (Jenaer Historische Arbeiten 6, 1913). - Zu der auffallend seltenen Erwähnung des Ad abolendam entsprechenden kaiserlichen Statuts in zeitnahen Quellen, dessen Bestätigung römisch-rechtlicher Normen und schließlich dessen, offenbar im Blick auf die Betonung der päpstlichen Suprematie, gezielte Außerachtlassung durch die Dekretisten ist jetzt zu vergleichen Peter D i e h l , ,Ad abolendam' (X.5.7.9.) and the imperial legislation against heresy, Bulletin of medieval canon law N.S. 19 (1989) S. 1-11. 7 Vgl. Malcolm L a m b e r t , Medieval Heresy. Popular Movements from the Gregorian Reform to the Reformation (21992) S. 66ff., mit Hinweisen auf frühere Interpretationen durch Maisonneuve, Thouzellier u.a.; die neueste ausführliche Darstellung und Deutung als „magna charta" der Ketzerverfolgung durch Winfried T r u s e n , Anfänge (wie Anm. 4) bes. S. 57-59. - Auf die von mir betonte frühere Zusammenarbeit der weltlichen und geistlichen Gewalten verwies auch schon Lothar K o l m e r , Ad capiendas vulpes. Die Ketzerbekämpfung in Südfrankreich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und die Ausbildung des Inquisitionsverfahrens (Pariser Historische Studien 19, 1982) S. 28. 5

134

Dietrich Kurze

die feierlich versprochene Zusammenarbeit der beiden universalen Gewalten oder die Verpflichtung, die saecularis potestas werde auf die kirchliche Verurteilung die angemessene weltliche Strafe folgen lassen, denn auch das war kein substanzielles Novum. Ihr Gewicht erhielt Ad abolendam als aktuelle Bündelung dieser und anderer Elemente und dadurch, daß mit ihrer Aufnahme zunächst partiell in c. 3 des Lateranense IV 8 und sodann vollständig in das Corpus iuris canonici durch Papst Gregor IX. 9 die Unterstreichung der erzbischöflichen und bischöflichen Jurisdiktionsgewalt über Ketzer auch de iure in der Inquisitionsgeschichte wirkungsmächtig blieb. Schließlich verweisen das Datum der gemeinsamen Entschließung' von Verona wie ihre vorläufige Umsetzungsschwäche darauf, daß Normensetzung und Normenerfüllung aus ihrem allgemeineren politischen und kirchenpolitischen Kontext (hier: die Beziehung zwischen Papst und Kaiser nach dem Frieden von Venedig) nicht zu lösen sind. Aus dem unmittelbaren Vorfeld der eigentlichen Ketzerinquisition in Deutschland auf Innozenz III. hinzuweisen, bedarf keiner Begründung, sondern lediglich der Entschuldigung, daß an dieser Stelle nur Andeutungen möglich sind 10 . So klingt die Äußerung dieses großen und strengen Juristenpapstes durchaus glaubwürdig, es sei nicht seine Intention, „Unschuldige zusammen mit Schuldigen zu verurteilen" 11 . Joseph A l b e r i g o u.a. (Hgg.), Conciliorum Oecumenicorum Decreta ( 3 1973) S. 21 Of.; Constitutiones Concilii quarti Lateranensis una cum Commentariis glossatorum, hg.v. Antonius G a r c i a y G a r c i a (Monumenta Juris Canonici. Series A: Corpus Glossatorum 2, 1981) S.50f., S. 190 Qoh. Teuton.), S.420 (Damasus). 9 X 5,7,9 (ed. F r i e d b e r g 2 [1879; N D 1959] Sp.780-782). 10 Aus der Literaturfülle seien hervorgehoben Herbert G r u n d m a n n , Religiöse Bewegungen im Mittelalter ( 2 1961) S. 70-156; Othmar H a g e n e d e r , Studien zur Dekretale Vergentis (X.V.7.10). Ein Beitrag zur Häretikergesetzgebung Innocenz' III., ZRG Kan.49 (1963) S. 138-173; Helmut G. W a l t h e r , Häresie und päpstliche Politik: Ketzerbegriff und Ketzergesetzgebung in der Ubergangsphase von der Dekretistik zur Dekretalistik, in: W. L o u r d a u x / D . V e r h e l s t (Hgg.), The Concept of Heresy in the Middle Ages (11th - 13th Century) (Mediaevalia Lovaniensia I 4, 1976) S. 104-143; weitere Hinweise bei L a m b e r t , Heresy (wie Anm. 7) S. 92ff. 11 So am 6. Dezember 1199 im Schreiben an den Bischof von Verona betr. die Humiliaten: ... Quia vero non est nostre intentionis innoxios cum nocentibus condemnare; siehe Othmar H a g e n e d e r u.a. (Bearb.), Die Register Innocenz' III. 2. Pontifikatsjahr, 1199/1200. Texte (Publikationen des Österr. Kulturinstituts in Rom II, 1,2,2, 1979) Nr.219 (228) S.424f.; vgl. auch - jeweils aus M i g n e PL 214, Sp.788f. zitierend - G r u n d m a n n , Religiöse Bewegungen S. 72ff.; Brenda B o l t o n , Innocent Ill's Treatment of the Humiliati, in: Popular Belief and Practice, hg. v. G. J. 8

135

Anfänge der Inquisition in Deutschland In H ä r e s i e f r a g e n verlangte er i m m e r w i e d e r -

auch von deutschen

Adressaten wie dem Bischof und Domkapitel von M e t z U n t e r s u c h u n g (inquiratis etiam

sollicite

veritatem) , 12

m e i n t e freilich

m i t solchen F o r m u l i e r u n g e n nicht n u r häresiespezifische s c h u n g e n 1 3 , s o n d e r n legte sein inquiratis

diligentius

sorgfältige Nachfor-

veritatem

bei-

spielsweise a u c h d e m E r z b i s c h o f v o n M a g d e b u r g in der b ö h m i s c h e n E h e s c h e i d u n g s f r a g e ans H e r z 1 4 . U b e r diesen aus der F ü l l e m ö g l i c h e r Z i t a t e herausgegriffenen B e l e g für inquisitio/inquirere

mit und ohne

K e t z e r b e z u g 1 5 hinaus soll der Pontifikat des g r o ß e n Papstes

dazu

C u m i n g / D . B a k e r (Studies in Church History 8, 1972) S. 73-82; Ψ a 11 h e r, Häresie S. 131. Aufmerksamkeit verdient vielleicht in diesem viel diskutierten Zusammenhang, daß Innozenz im selben Brief mit seiner Aufforderung ne vel damnet innoxios vel nocentes absolvat zwar die ältere - noch bei Papst Alexander III. 1162 in seinem Brief an Erzbischof Heinrich von Reims ( M i g n e PL 206, Sp.187: quia autius et minus malum est nocentes et condemnandos absolvere quam vitam innocentium severitate ecclesiastica condemnare) sowie 1169 in der Summa ,Elegantius in iure diuino' seu Coloniensis, ed. G. F r a n s e n u. St. K u t t n e r (Monumenta Juris Canonici A, 1,1, 1969) S. 89 c.100 ... Dich etiam auctoritas [i.e. Augustin] super Johannem, ubi Barrabas dimittitur et Iesus neci addicitur: ,Culpa, inquit, non est nocentem absoluere sed innocentem dampnare' vertretene - Zurückhaltung zugunsten einer klaren (Negativ-)Alternative aufgab, aber an der irdischen ifecreiw-Notwendigkeit festhielt und die Reparatur möglicher Fehlurteile nicht wie sein Kreuzzugslegat von Beziers und später die Männer um Konrad von Marburg (siehe unten S. 175 f.) Gott überließ. H a g e n e d e r , Register (wie Anm. 11) Nr. 133 (142) S.276 (1199,Juli 12); M i g n e PL 214, Sp.699; vgl. G r u n d m a n n , Religiöse Bewegungen S.97-100; Kurt-Victor S e l g e , Die ersten Waldenser. Mit Edition des Liber antiheresis des Durandus von Osca 1. Untersuchung und Darstellung (Arbeiten zur Kirchengeschichte 37,1, 1967) S. 290-293; Ψ a 11 h e r, Häresie S. 132. 13 Z.B. M i g n e PL 214, Sp.ll08f. Nr. 110, zu 1202 Nov. (betr. Katharer auf dem Balkan); M i g n e PL 215, Sp.269 Nr.231, zu 1203 Febr. (an Bischof von Auxerre); ebd. Sp.355-357 Nr. 75, zu 1204 Mai (betr. Häresieverdacht gegen Erzbischof von Narbonne); ebd. Sp.883-885 Nr. 66, zu 1206 Mai (betr. Erzbischof von Narbonne ohne Häresiehinweis); M i g n e PL 216, Sp.460f. Nr. 98, zu 1211 Aug. 21 (betr. Häresieverdacht gegen einen griechischen Bischof). 14 H a g e n e d e r , Register (wie Anm. 11) Nr. 179 (188) S.343-345, zu 1199 ca. Oktober; M i g n e PL 214, Sp.737. - Inquiratis diligentissime veritatem verlangte der Papst am 31. Juli 1210 von den Erzbischöfen von Salzburg und Magdeburg und anderen vor seiner Entscheidung über die Zulässigkeit einer Eheschließung zwischen den Kindern des Herzogs von Osterreich und des Markgrafen von Meißen; siehe M i g n e PL 216, Sp.305 Nr. 118. 15 Z.B. M i g n e PL 215, Sp.751 Nr. 168, zu 1205 Dez. (betr. mögliche Ehescheidung von einem furiosus; ebd.Sp.1185-1187 Nr. 89, zu 1207 Juli (betr. schwere Vorwürfe gegen Abt und Mönche in Vezelay); ebd.Sp.1314 Nr. 208, zu 1207/08 Febr. (betr. Verhalten des 12

136

Dietrich Kurze

dienen, auf die Straßburger Ketzerverbrennung in seiner Amtszeit (1211) aufmerksam zu machen, weil hier noch zur Wahrheitsfindung das Ordal, das Gottesurteil, angewandt wurde 16 , und eben dieser Nachfolger Petri daraufhin in einem knappen Schreiben an den zuständigen Bischof vom 9. Januar 1212 unter Zitierung des biblischen Non tentabis dominum Deum tuum (Deut. 6,16; Matt. 4,7; Luc. 4,12) dies als kirchlich nicht zulässig erklärte 17 und wenig später allgemeinverbindlich im Kanon 18 des vierten Laterankonzils allen Klerikern die Beteiligung an Wasser- oder Eisenproben strikt untersagte18: eine für die Ketzerinquisition bekanntlich höchst bedeutungsvolle Maßnahme, da nur zu bald an die Stelle der Versuchung Gottes die Folterung von Menschen treten sollte. Die Spekulation mag erlaubt sein, ob nicht auch durch die so vernünftig erscheinende Herausnahme Gottes aus den Ketzerprozessen das menschliche Frage-, Untersuchungs- und Entscheidungselement gegenüber Häresieverdächtigen so dominant wurde, daß das Wort Inquisition bei uns Schaudern, statt - wie es

Bischofs von Utrecht); M i g n e PL 216, Sp.34f. Nr. 24, zu 1209 Apr. 16 (betr. skandalöse Zustände im Bistum Regensburg); ebd.Sp.186 Nr. 177, zu 1209 Febr. (betr. Bischofswahl in Pamplona); ebd.Sp.193-198 Nr. 1, zu 1210 Febr. 24 (betr. Zustände im Kloster Corvey); ebd.Sp.248 Nr. 57, zu 1210 Mai (betr. Zustände im Bistum Porto); ebd.Sp.283f. Nr. 88, zu 1210 Juni 28 (betr. Anklage gegen die Erzbischöfe von Narbonne und Auch); ebd.Sp.421f. Nr. 55, zu 1211 Mai (betr. Klosterreform in England); ebd.Sp.479ff. Nr. 125, zu 1211 Nov. (betr. Simonievorwurf gegen den Erzbischof von Besan^on); ebd.Sp.565f. Nr. 30, zu 1212 Apr. (betr. Gewalt gegen Geistliche in Griechenland); ebd.Sp.866 Nr.63, zu 1213 Mai (betr. Erzbischof von Besan^on); M i g n e PL 217, Sp.31-36 Nr. 9, zu 1198 Mai 16 (betr. Streit zwischen dem Kloster Ribemont und einem Dekan um eine Kirche; nicht im Register Inn.); ebd.Sp.59f. Nr. 32, zu 1200 Apr. 3 (betr. Heiligsprechung der Kaiserin Kunigunde); ebd.Sp.132-134 Nr. 91, zu circa 1204 (betr. Reliquien des hlg. Mammantes); ebd.Sp.160 Nr. 112, zu 1206 Juli 16 (betr. Grundstein für ein Oratorium des Klosters Nonantula); ebd.Sp.178 Nr. 128, zu 1208 Aug. 21 (betr. Anfechtung einer Entscheidung des Bischofs von Olmütz). 16 Quellen: Annales Marbacenses, M G H SS rer. Germ.9, S. 86f. und Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum 111,17, hg. von Joseph S t r a n g e , Bd.l (1851) S. 133; vgl. G r u n d m a n n , Religiöse Bewegungen (wie Anm. 10) S. 138; Henri M a i s o n n e u v e , Etudes sur les origines de l'inquisition (L'Eglise et l'Etat au Moyen Age 7, 2 1960) S. 168f. 17 M i g n e PL 216, Sp.502. Das von Innozenz intendierte Ziel ist auch hier die Negativ-Alternative quod ... nec iniquum gravet iudicium nec misericordia dissoluta confundat. 18 A l b e r i g o , Conciliorum (wie Anm. 8) S. 220; Constitutiones (wie Anm. 8) S. 66.

Anfänge der Inquisition in Deutschland der K a n o n 8 v o m J a h r 1 2 1 5 (De inquisitionibus)19

137

nahelegen k ö n n t e -

die A s s o z i a t i o n v o n r e c h t l i c h e r F o r t s c h r i t t l i c h k e i t auslöst. W i e es n a c h 1 2 1 5 in D e u t s c h l a n d hätte sein k ö n n e n , tatsächlich w a r , aber nicht geblieben ist, soll a m Beispiel des Verfahrens gegen d e n p r ä m o n s t r a t e n s i s c h e n P r o p s t des G o s l a r e r Z i s t e r z i e n s e r i n n e n k l o s t e r s N e u w e r k , H e i n r i c h M i n n i k e , gezeigt w e r d e n 2 0 . D e r Fall M i n n i k e h a t in seiner Z e i t einiges A u f s e h e n erregt. D a s u m 1 2 2 7 / 3 0 verfaßte C h r o n i c o n M o n t i s Sereni 2 1 , eine 1 2 7 2 fertiggestellte R e z e n s i o der C r o n i c a M i n o r M i n o r i t a e E r p h o r d e n s i s 2 2 s o w i e die h ö c h s t w a h r s c h e i n l i c h auf ihr fußende C r o n i c a S. Petri E r f o r d e r n i s

moderna23,

aus d e r

wie-

d e r u m n a c h 1 3 3 7 der K o m p i l a t o r der C r o n i c a R e i n h a r d s b r u n n e n s i s

A l b e r i g o , Conciliorum S.213f.; Constitutiones S.54-57. Vgl. Paul B r a u n , Der Ketzerprozeß des Propstes Minnike von Neuwerk in Goslar, Zeitschr. d. Ver.f. Kirchengesch. i. d. Prov. Sachsen 6 (1909) S. 212-218; Martin F i t z t h u m , Die Irrtümer des Propstes Heinrich Minnike, Analecta Praemonstratensia 36 (1960) S. 128-132; Hermann Adolf L ü n t z e l , Geschichte der Diöcese und Stadt Hildesheim 1 (1858) S.531-534; P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung (wie Anm.2) bes. S. 690-693: Exkurs: War Konrad von Marburg an der Verurteilung des Propstes Heinrich Minnike von Neuwerk in Goslar beteiligt?; Adolf B e r t r a m , Geschichte des Bisthums Hildesheim 1 (1899) S.236f.; Henry Charles L e a , Geschichte der Inquisition im Mittelalter, hg. von Joseph Hansen, Bd.2 (1909, N D 1987) S.368f.; Albert H a u c k , Kirchengeschichte Deutschlands 4 (9. unver. Aufl. 1958) S. 906f. - Zu Verfahrensfragen immer noch sehr nützlich, wenn auch leider unter Aussparung der Ketzergeschichte Wilhelm M o l i t o r , Uber kanonisches Gerichtsverfahren gegen Kleriker (1856). 19

20

21 Hg. von E. E h r e n f e u c h t e r in MGH SS 23 (1876) S. 138-236; hier S. 199 Z.28-30 (zu 1222): Heinricus prepositus de Goslaria, cognomine Minnekke, a Conrado Hildenesheimensi episcopo de heresi Manicheorum convictus depositus et in custodia diutina detentus est-, vgl. Wilhelm W a t t e n b a c h / Franz-Josef S c h m a l e , Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vom Tode Kaiser Heinrichs V. bis zum Ende des Interregnum 1 (1976) S. 401-403. 22 Hg. von O. H o l d e r - E g g e r in Monumenta Erphesfurtensia (MGH SS rer. Germ. [42] (1899) S. 486-671, hier S. 651 Z.25-27: Anno Domini M°CCXXII. Heinricus prepositus Minnico pro heresi crematus est in Hildesheim. - Zu dieser vierten Rezensio siehe H o l d e r - E g g e r S. 508ff. 23 Hg. von Ο. Η ο 1 d e r - Ε g g e r, Monumenta S. 150-398, hier S. 225 Z.21 - S. 226 Z.2: Hoc eciam anno [i.e. 1222, gemeint aber wohl 1225] IUI. Kai. Aprilis [März 29] Heinricus Minnikinus prepositus Novi-operis Goslariensis in Hildesheim a Cu°rtrado eiusdem loci episcopo et C\u°nrado\ predicatore de Marhurc examinatus et septus commonitus, seculari iudicio pro heresi est crematus; vgl. W a t t e n b a c h / S c h m a l e , Geschichtsquellen (wie Anm. 21) S. 407f.

138

Dietrich Kurze

a b s c h r i e b 2 4 , später u.a. N i k o l a u s v o n Siegen ( 1 4 9 4 / 9 5 ) 2 5 , hielten ihn für überlieferungswert, d o c h h a b e n w i r glücklicherweise ü b e r das H ö r e n sagen u n d ü b e r das interpolierende u n d e r g ä n z e n d e W e i t e r t r a d i e r e n in der späteren C h r o n i s t i k hinaus a c h t Schriftstücke der B e t e i l i g t e n 2 6

-

des Papstes H o n o r i u s III., des päpstlichen L e g a t e n K o n r a d ( B i s c h o f v o n P o r t o u n d St. Rufina), der bei Kaiser F r i e d r i c h II. in F e r e n t i n o v e r s a m m e l t e n h o h e n Geistlichkeit, des D o m k a p i t e l s z u G o s l a r u n d der N o n n e n v o n N e u w e r k - , w o w i e d e r u m andere Briefe u n d A u s lassungen zitiert o d e r s i n n g e m ä ß referiert w e r d e n , so d a ß m a n sich ein r e c h t genaues Bild ü b e r d e n Inhalt des H ä r e s i e v o r w u r f s , v o r allem aber ü b e r d e n hier v o r n e h m l i c h interessierenden Verfahrensablauf m a c h e n kann. D e m n a c h w a r der seit 1 2 1 2 als P r o p s t v o n N e u w e r k n a c h w e i s b a r e 2 7 , v e r m u t l i c h einer H i l d e s h e i m e r B ü r g e r f a m i l i e e n t s t a m m e n d e 2 8

Hein-

24 Hg. von O. H o l d e r - E g g e r in MGH SS 30 (1896) S.514-656, hier S.597 Z.24-27: Anno Domini M°CC°XXII ... [IIII. Kai. Aprilis] Heinricus [Mundikinus] prepositus Novi-operis Goslariensis in Hildesheym a Conrado loci eiusdem episcopo et magistro Conrado predicatore de Martburg ac septus ammonitus, seculari iudicio pro heresi est crematus. - Vgl. W a t t e n b a c h / S c h m a l e , Geschichtsquellen S.410f. 25 Chronicon Ecclesiasticum Nicolai de Siegen, hg.v. Franz X. W e g e l e (Thüring. Geschichtsquellen 2, 1855) hier S. 350 Z.28-31: Eodem anno [i.e. 1223] Nuninkinus, prepositus novi operis Goslariensis in Hildesem α Conrado Hildesemensi episcopo et Conrado de Marpurg examinatus et septus commonitus, tandem seculari iudicio propter heresim crematus est. - Zu der ebenfalls in St. Peter zu Erfurt verfaßten Chronik und ihrem Autor siehe das Vorwort des Herausgebers. Weitere, schon bei B r a u n , Ketzerprozeß (wie Anm. 20) S. 218 Anm. 5 notierte, allenfalls traditionsgeschichtlich beachtenswerte Hinweise bieten die nicht vor 1414 im Eisenacher Franziskanerkloster abgeschlossene .Historia de lantgraviis Thuringie Eccardiana', ed. J.G. Ε c c a r d , Historia Genealogica principum Saxoniae superioris (Leipzig 1722) hier S. 414. Auf dieser ,Historia' beruht u.a. die von R. v. L i l i e n c r o n (unzulänglich) herausgegebene, 1421 abgeschlossene Düringische Chronik des Johannes Rothe (Thüring. Geschichtsquellen 3, 1859) hier S. 343: In den gezeiten do wart der probist zu dem nuwen wercke zu Erfforte Heinrich Mundicken gnant vor den greten [i.e. Treppen] umbe seyne ketzereie gebrant, do her nicht von lassen wolde; vgl. zum Verfasser Volker H o n e m a n n , (Art.) Rothe, Johannes, in: Verfasserlexikon 8 ( 2 1990) Sp.277-285. 26 Die Texte sind unter den Nrr.421, 424, 425, 427, 435-437 und 439 aufgenommen in dem von G. B o d e bearbeiteten Urkundenbuch der Stadt Goslar und der in und bei Goslar gelegenen geistlichen Stiftungen 1 (Geschichtsquellen der Prov. Sachsen 29, 1893); zit.: GUB. 27 Heinricus prepositus de Novo opere, unter den Zeugen einer am 18. Mai 1212 auf einer Hildesheimer Synode bestätigten Zehnt- und Grundbesitzüberlassung, Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe 1 (1896) Nr. 654 S. 626; verkürzt auch im GUB Nr. 388. - Schon in einer undatierten, in die Zeit zwischen 1191

139

Anfänge der Inquisition in Deutschland

rieh M i n n i k e s c h o n seit langem häresieverdächtig u n d bereits v o n den für G o s l a r zuständigen H i l d e s h e i m e r B i s c h ö f e n H a r t b e r t ( 1 1 9 9 - 1 2 1 6 ) u n d Siegfried I. ( 1 2 1 6 - 1 2 2 1 ) o h n e E r f o l g e r m a h n t w o r d e n 2 9 . K o n r a d II. ist bald nach seiner a m 19. September 1221 erfolgten B i s c h o f s w e i h e 3 0 mit k o n s e q u e n t e r e r E n e r g i e v o r g e g a n g e n . P e r s ö n l i c h begab er sich, begleitet v o n anderen Prälaten, n a c h N e u w e r k , u m g e m ä ß der L e h r e des E v a n g e l i u m s z u u n t e r s u c h e n ( i n q u i r e r e ) , o b der P r o p s t , d e m reichlich Gelegenheit z u r A n t w o r t u n d Verteidigung w u r d e , tatsächlich die d u r c h infamia

bezeugte Häresie

gegeben

vertrete31.

A u c h die N o n n e n v o n N e u w e r k w u r d e n unter E i d befragt.

Das

unmittelbare E r g e b n i s scheint ein P r e d i g t v e r b o t gewesen z u sein 3 2 . Vielleicht angeregt o d e r bestärkt d u r c h eine B i t t e u m Vertagung u n d A n h ö r u n g seitens des G o s l a r e r D o m k a p i t e l s 3 3 hat K o n r a d II. z u einer

und 1197 zu setzenden Urkunde trägt der Neuwerker Propst den Namen Heinricus (GUB Nr. 341), doch lassen Altersgründe an einer Identität zweifeln. 28 So H. H o o g e w e g , Bischof Konrad II. von Hildesheim als Reichsfürst, Zeitschr. d. Hist. Ver.f. Niedersachsen 64 (1899) S. 238-265, hier S.256. 29 Aus der Urteilsverkündung vom 22. Okt. 1224 (GUB Nr. 439): Cum autem a longis temporibus super haeresi fuerit infamatus et tarn a venerabili in Christo Conrado Hildensemensi episcopo quam a praedecessoribus suis monitus saepius correctionem reeipere noluisset. - Uber die beiden Vorgänger Konrads, aber ohne Hinweis auf ihre Mahnungen an den Propst siehe Hans G o e t t i n g (Bearb.), Das Bistum Hildesheim 3. Die Hildesheimer Bischöfe von 815 bis 1221 (1227) (Germania Sacra NF 20, 1984) S. 477-526. 30 G o e t t i n g , Hildesheim S.523; Irene C r u s i u s , Bischof Konrad II. von Hildesheim: Wahl und Herkunft, in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für J. Fleckenstein zu seinem 65. Geburtstag (1984) S. 431-468. 31 Aus der Verfahrensbeschreibung und -bestätigung durch den päpstlichen Legaten vom Herbst 1224 (GUB Nr. 436). Das in dem betreffenden Abschnitt benutzte Vokabular lehnt sich, gewiß ganz bewußt, an c. 8 des Lateranense IV (De inquisitionibus) an. 32 Aus der Narratio des päpstlichen Mandats vom 19. Jan. 1223 (GUB Nr. 421): ... imposito eidem silentio, ne ulterius predicaret. 33 GUB Nr.437. Nicht datiert, vom Herausgeber zu 1224 eingereiht. H o o g e w e g , Konrad II., S.257; D e r s . auch schon im UB des Höchst. Hildesheim 2 (1901) S. 26 Nr. 51 und B r a u n , Ketzerprozeß (wie Anm. 20) S. 214 nehmen den früheren Termin an. Mir erscheint die spätere Datierung immer wahrscheinlicher, wenn man das Schreiben überhaupt auf Heinrich Minnike bezogen sehen will. Der Text handelt nur über einen H. sacerdotem, vestrum clientulum et vobis per omnia expositum. Beim Fehlen des Propsttitels und angesichts der geschilderten Ohnmacht des Geistlichen ist eher an den eingekerkerten, aber noch nicht endgültig verurteilten und degradierten Minnike zu denken.

140

Dietrich Kurze

D i ö z e s a n s y n o d e mit Teilnahme v o n Z i s t e r z i e n s e r ä b t e n u n d a n d e r e n O r d e n s l e u t e n n a c h H i l d e s h e i m eingeladen. N a c h dreitägigem

sorg-

fältigen V e r h ö r w u r d e - E n d e M ä r z 1 2 2 2 3 4 - H e i n r i c h M i n n i k e für schuldig befunden u n d g e m ä ß d e m R a t kluger M ä n n e r v o n seinem A m t als P r o p s t s o w i e v o n der Predigtbefugnis u n d der A u s ü b u n g priesterlicher F u n k t i o n suspendiert. D a z u erhielt er die Auflage, in sein P r ä m o n s t r a t e n s e r s t i f t z u r ü c k z u k e h r e n 3 5 . M i n n i k e blieb j e d o c h h a r t n ä c k i g (in sua pertinacia

obstinatus)

-

mithin in einer H a l t u n g , die n a c h d e n A u f f a s s u n g e n der Z e i t aus e i n e m I r r e n d e n einen K e t z e r m a c h t e - , so d a ß B i s c h o f K o n r a d sich an d e n damaligen P a p s t w a n d t e . D a r a u f h i n stellte H o n o r i u s III. u n t e r d e m 19. J a n u a r 1 2 2 3 ein M a n d a t aus -

es ist u n t e r d e n überliefer-

ten Schriftstücken das früheste genau datierte - , das d e m A b t v o n R h e i n h a u s e n s o w i e d e m D e k a n u n d d e m Scholaster z u N ö r t e n o d e r d o c h mindestens z w e i e n v o n ihnen auftrug, die strenge B e a c h t u n g der bischöflichen A n o r d n u n g o h n e A p p e l l a t i o n s m ö g l i c h k e i t

durch-

z u s e t z e n 3 6 . E r k e n n b a r e W i r k u n g hatte dieses M a n d a t nicht. Z u gew i c h t i g w a r e n die beteiligten P e r s o n e n u n d Institutionen, u m nicht

34 Die Cronica S. Petri (wie Anm. 23) nennt den 29. März 1222 als Datum der Hinrichtung des Propstes. Sollte wenigstens an der Tagesangabe etwas Richtiges sein, dann wäre mit B r a u n , Ketzerprozeß S.214 an die Hildesheimer Synode, freilich nicht genau an „den Beginn des Prozesses", zu denken. 35 Aus der in Anm. 32 genannten Narratio: ... tarn α prepositura quam α predicacione et officii sacerdotalis exsecutione suspendit, injungens eidem, ut ad premonstratensem ordinem, quem profitebatur rediret. Der Sinn dieser Auflage ist in der Forschung umstritten. Während H o o g e w e g , Konrad II. (wie Anm.28) S.257 den Befehl erkennt, „zu der Regel der Prämonstratenser zurückzukehren", sprechen B r a u n , Ketzerprozeß S.215, L e a , Geschichte der Inquisition 2, S.368 und F i t z t h u m , Irrtümer (wie Anm. 20) S. 129 von in „ein Kloster des Prämonstratenserordens" oder in „sein Prämonstratenserkloster". Gemeint war gewiß die strenge Regelbeachtung, die in (s)einem Prämonstratenserstift besser als auf einem Außenposten kontrolliert werden konnte. - Zur suspensio ab officio vgl. Μ ο 1 i t ο r, Gerichtsverfahren (wie Anm. 20) S. 188. 36 GUB Nr. 421. - Zu dem durch Coelestin III. 1193 rechtlich fixierten Brauch, möglichst drei delegierte Richter zu bestellen, von denen einer sich aber nicht zu beteiligen brauchte, siehe nach Othmar H a g e n e d e r , Die geistliche Gerichtsbarkeit in Ober- und Niederösterreich. Von den Anfängen bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 10, 1967) S. 34f. auch Peter H e r d e , Audientia litterarum contradictarum. Untersuchungen über die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit vom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 31, 1970) S. 198ff.

141

Anfänge der Inquisition in Deutschland

weit über das übliche Maß, das mit der Hildesheimer Synode als erfüllt angesehen werden konnte, hinaus weitere Aktionen zu zeitigen. Zunächst wurden von einem Bevollmächtigten der Nonnen die Schriften ihres ehemaligen Propstes dem päpstlichen und kaiserlichen Hof ausgehändigt37, gewiß in der Erwartung, daß sie die Rechtgläubigkeit Minnikes belegen würden. Der Überbringer dürfte denselben Adressaten auch ähnlich lautende Beschwerdeschreiben der Äbtissin und des Konvents mitgebracht haben, von denen der Text des an Friedrich II. gerichteten Briefes überliefert ist38. Bemerkenswert an der Darstellung der Nonnen scheint nicht nur zu sein, daß sie behaupteten, in den Einzelverhören über ihren katholischen Glauben, besonders über die Trinität und über die Schöpfung, korrekte Antworten gegeben zu haben und dennoch von Bischof Konrad der Häresie verdächtigt worden zu sein, und daß sie ihrerseits versuchten, den Bischof mit dem Vorwurf des Unkrautsäens in Ketzernähe zu bringen, sondern auch unterstellten, die Uberprüfung von Propst und Konvent sei nur ein frommer Vorwand gewesen (pretextu caritatis), um über den Zugriff auf die Propstwahl die Freiheit dieses Reichsklosters, die auch von anderer Seite schon bedroht werde, aufzuheben. Ob im vorliegenden Fall diese Unterstellung nur dazu dienen sollte, um den kaiserlichen Privilegiengeber rechtmäßig in das Verfahren einzubeziehen, oder ob tatsächlich der ganze Minnikeprozeß außerreligiöse Mitursachen hatte, kann hier nicht geklärt werden39. Immerhin sollte allein die Tatsache, daß von den betroffenen Nonnen dieser Verdacht geäußert wurde, Beachtung finden. Ohne direkt auf ihre Vorstellungen und Argumente einzugehen, erteilten der Äbtissin und den Nonnen der Erzbischof von Magdeburg 37

Aus dem in Ferentino ausgestellten Prälatenschreiben an das Kloster Neuwerk

vom 12. März 1223 ( G U B N r . 425) ...ex scriptis, que procurator pape et imperatoris

vester ad curiam

domini

deportaverat...

38

G U B N r . 424, undatiert; spätestens vom Januar oder Anfang Februar 1223.

39

Von anderweitigen Bedrohungen Neuwerks ist m.W. sonst nichts

bekannt,

auszuschließen sind sie angesichts der zeitgleichen Wortzins-Streitigkeiten zwischen dem Domstift und dem Vogt sowie den Bürgern von Goslar nicht: G U B N r . 422. Der Hildesheimer Bischof könnte im Blick auf seine Auseinandersetzung mit der Äbtissin von Gandersheim - vgl. U B Höchst. Hildesheim 2 (wie Anm. 42) N r . 46; Hans G o e t t i n g , Das Bistum Hildesheim 1. Das reichsunmittelbare Kanonisssenstift Gandersheim (Germania Sacra N F 7, 1973) S. 99ff. - und im Vorfeld seines Streits um das Goslarer Domstift bereits Flagge gezeigt haben; vgl. G U B , S. 74ff. und B e r t r a m , Geschichte (wie Anm. 20) S. 236.

142

Dietrich Kurze

u n d sechs B i s c h ö f e , die sich damals mit a n d e r e n R e i c h s f ü r s t e n b e i m Kaiser in F e r e n t i n o aufhielten 4 0 , a m 12. M ä r z

1 2 2 3 eine deutliche

A b f u h r 4 1 . N a c h E i n s i c h t in die Schriften Minnikes, v e r m u t l i c h a u c h i n f o r m i e r t d u r c h den ebenfalls in F e r e n t i n o a n w e s e n d e n B i s c h o f K o n rad v o n H i l d e s h e i m 4 2 , dessen E i g n u n g sie a u s d r ü c k l i c h bestätigten, m a h n t e n die Prälaten, nicht w e i t e r d a r a u f z u sinnen, den ehemaligen P r o p s t z u r ü c k z u e r h a l t e n , der ihrer M e i n u n g n a c h w e d e r in N e u w e r k n o c h in einem a n d e r e n K l o s t e r L e i t u n g u n d Seelsorge innehaben dürfe. A n d e r e r s e i t s ü b e r n a h m e n sie aber a u c h n i c h t u n g e p r ü f t die P o s i t i o n des H i l d e s h e i m e r B i s c h o f s , s o n d e r n s u c h t e n n a c h e i n e m W e g ,

um

die K e t z e r f r a g e h e r u n t e r z u s p i e l e n o d e r z u umschiffen, i n d e m sie d e n Begriff H ä r e s i e v e r m i e d e n u n d bei d e n N o n n e n v o n allzu g r o ß e r , als U n z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t z u w e r t e n d e r Einfältigkeit u n d bei M i n n i k e v o n D u m m h e i t s p r e c h e n 4 3 . Sie w a n d t e n also eine M e t h o d e an, die in totalitären S y s t e m e n gegen Dissidenten m i ß b r a u c h t w i r d , die aber H ä r e s i e v e r d ä c h t i g e n nicht n u r S p o t t eintragen, s o n d e r n a u c h S c h u t z bieten k o n n t e 4 4 . Z w e i M o n a t e später befahl a u c h P a p s t H o n o r i u s III. Zum ,Kongreß von Ferentino' siehe Eduard W i n k e l m a n n , Kaiser Friedrich II., Bd.l Ob. d. Deutschen Gesch. 20,1, 1889) S. 194-210. 41 GUB Nr. 425. 42 Der Bischof ist schon seit Januar 1223 im Gefolge Friedrichs II., zunächst in Capua, nachweisbar; siehe UB des Hochstifts Hildesheim 2 (1901) Nrr.60ff., seit dem 6. März taucht er in Ferentino als Zeuge auf, gelegentlich gemeinsam mit Propst Elger von Goslar; siehe ebd. Nrr.69ff. 43 GUB Nr. 425: ... vestra simplicitate, quam dementiam reputamus ... pro stulto habitus sit et profano. 44 Vgl. Ch. L e f e b v r e , (Art.) Demence, Dictionnaire du droit canonique 4 (1949) Sp.1098-1115; Stephan K u t t n e r , Kanonistische Schuldlehre von Gratian bis auf die Dekretalen Gregors IX. (Studi e Testi 64, 1935), freilich nur am Rande für Häresieprobleme nützlich. - Geistesverwirrung (mentis alienatio) bei dem hochangesehenen und wirkungsvollen Raimund von Penafort als Entschuldigungsgrund; vgl. P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung (wie Anm. 2) S. 670 mit Hinweis auf dessen zwischen ca. 1220-1234 entstandene Summa de casibus poenitentiae III § 4 (in der Ausgabe Rom 1603, S. 375). Den intellektuell zugleich bequemen und anmaßenden Weg, Ketzer oder religiöse Abweichler als nicht ganz zurechnungsfähig einzustufen, hatte man auch vor dem 13. Jahrhundert wiederholt gewählt, so die römische Synode im Jahr 745 im Fall Aldebert, so Petrus Venerabiiis um 1140 gegenüber den Anhängern des Peter von Bruis, so 1148 die Reimser Synode unter dem Vorsitz Papst Eugens III. bei Eudo von Stella; auch die spöttische Abweisung der Waldenser auf dem Laterankonzil 1179 könnte man hier einordnen. - Bei alledem drohte jedoch das Damoklesschwert mit dem Dictum Gratians (C. 15.1.1., ed. F r i e d b e r g 1, Sp.745): Nullum eorum in suaperfidiaperseuerantem haec ignorantia excusat. 40

143

Anfänge der Inquisition in Deutschland

den Nonnen, den Anordnungen Bischof Konrads Folge zu leisten, wobei er ebenfalls die Vokabel Häresie aussparte, aber mit Zitierung von Matth. 5,29 und der alten, in Gratians Sammlung aufgenommenen Forderung, das faule Fleisch auszuschneiden, unmißverständlich an die Einstellung der Kirche zur Ketzerei erinnerte 45 . Gestützt auf den von Erzbischöfen, Bischöfen und einigen Kardinälen wohl noch in Ferentino eingeholten Rat hat der Hildesheimer Bischof nach seiner Heimkehr aus Italien zum ,Schutz' der Nonnen den ehemaligen Propst in Sicherheitsverwahrung nehmen lassen 46 . Dagegen ist von Seiten Heinrich Minnikes beim Papst Einspruch erhoben worden, weil der Propst hinsichtlich der Häresieunterstellungen weder verhört, noch überführt, noch geständig sei. Er forderte die päpstliche Anordnung, ihn über die Glaubensartikel zu examinieren und ihn in ewige Kerkerhaft schicken zu lassen, falls herausgefunden würde, daß er glaubenswidrig denke und trotz Aufforderung nicht zur Einheit der Kirche zurückkehre 47 . Diesem geschickt argumentierenden und Kenntnis der aktuellen Rechtslage beweisenden Antrag gab der Papst statt, damit kein Unschuldiger verurteilt und nur eine verdiente Strafe verhängt werde 48 . Dem Hildesheimer Bischof wurde mit Schreiben vom 23. Mai 1224 befohlen, den Goslarer Propst in Gegenwart des päpstlichen Legaten und nach Zusammenrufung bibelkundiger Prälaten sorgfältig zu examinieren und ihn dann entweder freizusprechen oder aber zu verurteilen 49 . Bischof Konrad gehorchte zwar dem Mandat, zeigte sich aber als gewiefter Taktiker, indem er zunächst die

45

membrumputridum

... abscindatur;

vgl. C I C , ed. F r i e d b e r g (wie Anm. 9) B d . l ,

Sp. 995; dazu Dietrich K u r z e , Häresie und Minderheit im Mittelalter, H Z 229 (1979) S. 532. 46

Aus der Urkunde des päpstlichen Legaten vom Herbst 1224 ( G U B N r . 436)

... ac ex illius doctrina personarum

et consorcio

infamia immineret;

Christi

fidelium

animarum

periculum

amplius

et

erster urkundlicher Beleg Bischof Konrads nach seinem

Italienaufenthalt in Goslar am 15. Juli 1223, U B Hildesheim 2, S. 36 N r . 77. 47

Aus der Narratio des päpstlichen Mandates vom 23. Mai 1224 ( G U B N r . 435).

48

Quia

queretur

vero

indignum

existeret,

debita fidei perversorem

Ketzer sehen vor c . l l

ut et innocens

dampnaretur

et pena

der Synode von Toulouse vom November

S e l g e , Texte (wie Anm. 5) S. 32 - und die Bulle Excommunicamus der noluerint/voluerint-Variante)

non

se-

... Dauernde Haft als kirchliche Höchststrafe für 1229 -

siehe

Gregors I X . (mit

vom Februar 1231, siehe S e l g e , Texte S . 4 1 ; dort

Anm. 136 auch weitere Literatur, besonders M a i s o n n e u v e , Etudes (wie Anm. 16) S. 2 4 5 - 2 4 8 ; zu ergänzen u.a. durch Κ ο 1 m e r , Ad capiendas vulpes (wie Anm. 7) S. 115f. 49

G U B N r . 435.

144

Dietrich Kurze

Anwesenheit des Legaten, des Bremer Erzbischofs sowie zehn weiterer Bischöfe und Abte auf dem Hoftag zu Bardowik im Herbst 1224 5 0 dazu nutzte, um sich die inhaltliche und formale Rechtmäßigkeit seines bisherigen Vorgehens bestätigen zu lassen51. Danach konnte von einem offenen Prozeßausgang - ad absolucionem vel condempnacionem nicht mehr ernsthaft die Rede sein. Auf einer Synode im Hildesheimer Dom fungierte am 22. Oktober 1224 der päpstliche Legat Konrad, Bischof von Porto und St. Rufina, selbst als Vorsitzender und Richter. Er ließ Heinrich Minnike aus dem Kerker holen und vor das Plenum stellen, wo dieser seine Kernthesen offen bekannte, nämlich: der Heilige Geist sei der Vater des Sohnes, und: im Himmel gebe es eine größere Herrin als die Jungfrau Maria. Außerdem fand der Legat in Minnikes Schriften, daß jener offenkundig die Ehe verwerfe und die Lehre vertrete, daß der Teufel wieder zur Gnade zurückkehren wolle. Nach einer Beratung, an der sich Bischof Konrad von Hildesheim, sein Vorgänger Siegfried sowie mehrere andere Prälaten und Rechtskundige beteiligten, verurteilte der Legat den anwesenden Heinrich als Ketzer, nahm ihm Amt und Stellung und degradierte ihn feierlich durch Wegnahme der priesterlichen Gewänder usw. In der Urkunde, die der Legat über den Vorgang ausstellen und besiegeln ließ52, wird die Häresie Minnikes nicht auf einen herkömmlichen 50 Zur Reichsversammlung zu Bardowik vgl. W i n k e l m a n n , Friedrich II. (wie Anm. 40) S.438f. 51 Durch den päpstlichen Legaten bei Blekede Ende September oder Anfang Oktober ausgestellt (GUB Nr. 436). 52 G U B Nr. 439. Da es in diesem Beitrag in erster Linie um das Inquisitionsverfahren geht, muß an dieser Stelle, so wünschenswert es angesichts der unbefriedigenden Forschungslage - zuletzt F i t ζ t h u m, Irrtümer (wie Anm. 20) - wäre, nicht erneut darzulegen versucht werden, welche „Irrtümer" Heinrich Minnike tatsächlich vertrat und wie sie sich theologisch und geistesgeschichtlich verstehen und einordnen lassen. Daß man den Propst „kaum als formalen Häretiker bezeichnen" kann (so F i t ζ t h u m, Irrtümer S. 131), dürfte zutreffen. Hier nur ein erster Hinweis: Der in Hildesheim häretisierte Satz quod major domina esset in coelis beata virgine, zu ergänzen aus dem Bericht von Bardowik/Blekede et hoc esset domina Sapientia, ließe sich vermutlich aus philosophischen Positionen des 11., 12. und 13. Jahrhunderts ableiten - vgl. u.a. Brian S t o c k , Myth and Science in the Twelfth Century. Α Study of Bernard Silvester (1972); Camille B e r u b e , De la philosophie ä la sagesse chez Saint Bonaventure et Roger Bacon (Bibliotheca Seraphico-Capuccina 26, 1976) - und sogar in Verbindung bringen mit Darstellungen wie der mit der Christus-Mandorla ausgezeichneten Sancta Sophia, die als Ursprung des Wissens der Philosophie ein Buch und der Mathematik eine Schriftrolle überreicht, so auf dem der Psychomachie des Prudentius vorgehefteten

Anfänge der Inquisition in Deutschland

145

Nenner gebracht, ebenso fehlt ein Hinweis darauf, was mit Minnike nach der Degradation geschehen sollte. Das unter den chronikalischen Berichten den Ereignissen zeitlich am nächsten stehende und am meisten Vertrauen verdienende Chronicon montis Sereni dürfte mit seiner Nachricht, der abgesetzte Goslarer Propst sei in dauernder Haft gehalten worden 5 3 , die Ausführungen der Legatenurkunde zutreffend ergänzt haben. Auch die allgemeine Nennung Bischof Konrads als den, der Heinrich Minnike seines Irrtums überführt habe, setzt den Akzent richtig, während die Bezeichnung der Ketzerei als heresi(s) Manichaeorum eine unzulässige Verkürzung darstellt. In ihrer eklektischen Einseitigkeit konnte sie die Tür öffnen für spätere Geschichtsschreiber, die von Auslieferung an den weltlichen Arm, Verbrennung und weiter von der Teilnahme Konrads von Marburg berichteten 54 . Sie gab aber auch schon einen Verdacht wieder, den Bischof Konrad bereits 1222 hegte und dessen Instrumentalisierung, gleich, ob gutgläubig oder aus vorwiegend taktischem Kalkül, in der damaligen Zeit als besonders erfolgversprechend gelten durfte 55 . Ist mithin auch der Mißbrauch des Ketzerverfahrens im Fall Minnike nicht auszuschließen und heben

Blatt aus dem letzten Viertel des 11. Jahrhunderts des Ms. Palais des Artes 22 der Bibliotheque Municipale Lyon; vgl. Abbildung 18 in: Ornamenta ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik 1. Katalog zur Ausstellung des Schnütgen-Museums in der JosefHaubrich-Kunsthalle, hg. von A. L e g n e r (1985) S. 74 mit der Beschreibung S. 70-72. Weiterführende Anregungen zur Sapientia-Thematik auch ebd. S. 64 in der Beschreibung einer Martianus Capella-Handschrift und der dort angegebenen Literatur. Mir scheint eine Suche in dieser Richtung, die - unter Beachtung der Tatsache, daß Konstantinopel mit ihrer Hauptkirche 1204 in lateinische Hand fiel - zu ergänzen wäre durch Fragen nach der besonders im ostkirchlichen Raum gepflegten Hagia-Sophia-Verehrung, für das Minnikeverständnis erfolgversprechender als die Annahme mehr oder weniger direkter gnostisch-dualistischer Einflüsse. Siehe den Text oben in Anm. 21. Vgl. die oben Anm. 22-25 genannten und zitierten Texte sowie die kritischen Bemerkungen von P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung (wie Anm.2) bes. S.690-693. 55 Die fast wörtliche Zitierung von Psalm 134,6 omnia quaecumque voluit Dominus feat, in caelo, in terra, in mari et in omnibus abyssis durch die Nonnen vor Bischof Konrad - siehe GUB Nr. 424 - klingt wie eine Antwort auf katharisch-dualistische Unterstellungen. Mit dem Manichäismusvorwurf konnte Bischof Konrad sich bequem und wirkungsvoll die Rezeption antiker Ketzergesetze nutzbar machen; vgl. dazu Lothar K o l m e r , Christus als beleidigte Majestät. Von der Lex „Quisquis" (397) bis zur Dekretale „Vergentis" (1199), in: Papsttum, Kirche und Recht im Mittelalter. Festschrift für Horst Fuhrmann zum 65. Geburtstag, hg.v. Hubert M o r d e k (1991) S. 1-13. 53

54

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die Stellung des Propstes sowie seine theologisch nicht leicht zu verortenden Ansichten seinen Prozeß von anderen Ketzerverfolgungen ab, so bleiben in unserem thematischen Zusammenhang doch die lange Dauer, die Gründlichkeit, die Instanzenvielfalt und die formale Fairneß seines Verfahrens als Folie dienlich, vor der sich nur wenige Jahre später und in einem ziemlich konstanten personellen Umfeld die vor allem mit dem Namen Konrads von Marburg 56 verbundene, Faszination und Schrecken verbreitende Häretikerjagd - als „Anfang" der Inquisition in Deutschland - deutlich abhebt. Wenn man die späteren Behauptungen von der Mitwirkung Konrads von Marburg am Minnikeprozeß als höchst unwahrscheinlich beiseite läßt und wenn man zwei weitere annalistische Notizen, die Konrads Ketzerverbrennungen zu 1214 bzw. zu 1216 zu melden scheinen, als

56 Aus der langen Forschungsgeschichte über Konrad von Marburg als Ketzerverfolger (nicht primär als Beichtvater der Elisabeth von Thüringen) sei verwiesen auf: Balthasar K a l t n e r , Konrad von Marburg und die Inquisition in Deutschland (1882); Paul B r a u n , Der Beichtvater der hl. Elisabeth und deutsche Inquisitor: Konrad von Marburg (Beiträge zur hessischen Kirchengeschichte N F Erg.3 u. 4, 1906-1911); L e a , Inquisition 2 (wie Anm. 20) bes. S. 370-392; F ö r g , Die Ketzerverfolgung in Deutschland unter Gregor IX. Ihre Herkunft, ihre Bedeutung und ihre rechtlichen Grundlagen (Historische Studien 218, 1932) bes. S. 71-90; M a i s o n n e u v e , Etudes (wie Anm. 16) S.257-264; Karl Hermann M a y , Zur Geschichte Konrads von Marburg, Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 1 (1951) S. 87-109; W.M. G r a u w e n , Was de inquisiteur Koenrad van Marburg (+ 1233) een premonstratenzer?, Analecta Praemonstratensia 52 (1976) S. 212-224; K o l m e r , Ad capiendas vulpes (wie Anm. 7) bes. S. 114-119; S e g l , Ketzer (wie Anm.2) bes. S.47-51; D e r s . , (Art.) Konrad von Marburg, in: N D B 12 (1980) S.544-546; Alexander P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung (wie Anm.2); D e r s . , Konrad von Marburg und die Ketzer seiner Zeit, in: Sankt Elisabeth. Fürstin, Dienerin, Heilige (1981) S. 70-77; D e r s . , (Art.) K. v. Marburg, in: LexMA 5 (1991) Sp.l360f.

Anfänge der Inquisition in Deutschland

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mißverständliche 57 bzw. irrige58 Formulierungen erkennt, dann bleibt als erste zuverlässige Quelle für seine antihäretischen Aktivitäten ein knappes, zehn Druckzeilen füllendes Mandat Papst Gregors IX. vom 12. Juni 122759. Adressiert wie ein Schreiben vom selben Tag, durch das eine vom Thüringer Landgrafen erteilte Pfründenvollmacht bestätigt wird, an Meister Konrad von Marburg, den Prediger des Wortes Gottes (Magistro Conrado de Marburg, predicatori verbi Dei)b0, soll sich das Mandat nach Auffassung des päpstlichen Registrators auf das ihm übertragene Predigtamt beziehen (eidem super officio predicationis sibi commisso). Tatsächlich ist jedoch lediglich in der Adresse, nicht aber im Text des Mandats von Predigt/Prediger die Rede, so daß der Registrator entweder flüchtig gearbeitet hat oder aber, was ebenso wahrscheinlich ist, Konrads Aufspüren von Ketzern als Teil des ihm übertragenen Predigtamtes verstanden wissen wollte. Einleitend begrüßt und bestätigt der Papst die eifernde Mühe, die Konrad zur 57 Annales breves Wormatienses, M G H SS 17 (1861) S. 75 Z.19f.: 1214. frater Conrardus de Marburg predicare incepit, et hereticos quoscumque volebat per totam Teutoniam nullo contradicente combussit, et sic decern et novis annis predieavit. Die Jahresangabe bezieht sich zunächst - annähernd korrekt - auf den Beginn der Predigttätigkeit Konrads. Da auch deren Dauer vermerkt wird, lag es wohl nahe, auf die Ketzerverbrennungen ebenfalls schon hier hinzuweisen, ohne damit der Nachwelt suggerieren zu wollen, daß Konrad bereits seit 1214 Häretiker dem Feuer überantwortete. Daß der Annalist mit Konrad vornehmlich Ketzerverbrennung assoziierte, geht auch aus seiner (einzigen) Eintragung zu 1233 (S. 75 Z.33f.) hervor: frater Conrardus qui hereticos combussit, a militibus qui de Derenbach vocabantur occiditur. Zur nicht beweisbaren Schuld oder Mitschuld der Derenbacher siehe zuletzt Joachim Η e i m a η η , Erschlugen die Dernbacher Ritter den Ketzermeister Konrad von Marburg?, Heimatbuch für das Land an der Dill 31 (1988) S. 170-175. 58

Annales Thuringici breves, M G H SS 24 (1879) S.41: Item 1216. Fridricus imperator ab Honorio III. consecratur. Eodem anno frater Chunradus cremavit hereticos. Was bei dem Wormser Annalisten noch pauschalisierende Ungenauigkeit gewesen sein könnte, ist hier zu einer falschen Datierung verdichtet. Auf das Jahr 1216 mag der Thüringer gekommen sein, weil in ihm Papst Innozenz III. Konrad mit einem Predigtauftrag versah, vgl. unten S. 148. 59 Regesten u.a. in Lucien A u v r a y (Hg.), Les Registres de Gregoire IX, Bd.l (Bibliotheque des Ecoles Francises d'Athenes et de Rome 2,3, 1896) S. 56 Nr. 109; P o t t h a s t 7931. Druck des genannten Textes bei Carolus R o d e n b e r g (Hg.), M G H Epp. saec. XIII, Bd.l (1883) S.277 Nr.362 und F r e d e r i c q , Corpus 1 (wie Anm.5) S. 71f. Nr. 72; Ubersetzung ins Deutsche bei F ö r g , Ketzerverfolgung (wie Anm. 56) S. 72f. 60 M G H Epp. saec. XIII 1, S. 276 N r . 361; Regesten bei A u v r a y , Registres Nr. 103 und P o t t h a s t 7930.

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Dietrich Kurze

Aufspürung von Ketzern in Deutschland anwendet 61 . Weil zur Effizienzsteigerung von Konrad berufene Helfer dienlich sein können, befiehlt ihm Gregor IX., nach solcher Verstärkung eifrig und wachsam Häresieinfizierte zu suchen, damit durch die, denen es zusteht (pertinet), das Unkraut aus dem Acker des Herrn ausgerissen wird. Wie kam der Papst dazu, ein solches Mandat nach Marburg zu schicken? Im Blick auf die gleichzeitige Bestätigung der Pfründenvollmacht, die auf eine entsprechende Bitte aus Thüringen rekurriert, liegt es nahe, in Konrad von Marburg selbst den eigentlichen Initiator, der in dem erst kaum drei Monate im Amt befindlichen Gregor IX. einen in Ketzerfragen gleichgestimmten Papst fand, zu sehen. Ist diese Annahme richtig, dann ginge die Nachricht von seiner schon vor dem Frühsommer 1227 begonnenen Ketzersuche auf den Prediger des Wortes Gottes selbst zurück, und er selbst hätte sich die Rolle gewählt, die er bis zu seinem Tod mit wachsender Perfektion bei der Aufdeckung, später auch bei der Ausrottung verborgener, vermeintlicher Glaubensfeinde spielen sollte. Auf die Idee mit den Helfern hätte Konrad gekommen sein können, indem er sich daran erinnerte, daß seine (erste) Bestellung zum Kreuzprediger und Kollektensammler durch Innozenz III. im Januar 1216 auch schon die Heranziehung geeigneter Männer vor Ort vorsah 62 . Für die Anfänge der Inquisition in Deutschland mindestens so wichtig wie die Vermutung, daß sich Konrad schon im Vorfeld selbst ins Spiel gebracht hat, ist die Erinnerung daran, daß das Mandat vom 12. Juni 1227 auch rechtlich eindeutig in das Vorfeld der eigentlichen Ketzerinquisition gehört: Der Papst gebrauchte das Verb inquirere

61

Sollicitudinem.

tonie pravitatis

tuam, quam diligenter

heretice

sectatores,

intendis ad investigandum

in Domino

comendamus.

in partibus

Thett-

F ö r g , Ketzerverfolgung

S. 72 übersetzte: „Deine Sorgfalt, durch die du geflissentlich beabsichtigest, häretische Sektierer in partibus

Teutonie ausfindig zu machen, preisen wir im H e r r n " . Abgesehen

davon, daß mir das in Domino sehe ich anders als F ö r g

comendamus

im intendis

zu schwach übersetzt zu sein scheint,

nicht eine, auch nur futurisch zu verstehende

Absicht, sondern eine, sich schon in der Gegenwart vollziehende Anwendung der sollicitudo. Dementsprechend sehe ich in dem folgenden Quia vero efficacius poteris

einen zukunftsbezogenen Komparativ, während F ö r g

procedere

übersetzt: „Damit du

aber wirklich durchgreifend ... auftreten kannst" (S. 73); vgl. auch schon

Kaltner,

Konrad von Marburg S. 106 u. 131. 62

Druck nach dem Original im Stader Archiv durch J.M. L a p p e n b e r g

(Hg.),

Hamburgisches Urkundenbuch 1 (1907) S . 3 4 6 - 3 4 8 N r . 3 9 4 , danach bei M i g n e 217, Sp.255-258 N r . 217, aber Sp.257 D mit dem sinnverkehrenden Druckfehler statt

volumus.

PL

nolumus

Anfänge der Inquisition in Deutschland

149

hier nicht im engeren prozeßtechnischen Sinne wie im Lateranense IV c. 8 63 , und der „Aufspürer" ist nicht identisch mit dem „Ausreißer", also mit dem eigentlichen Entscheidungsträger. Das Mandat ist mithin, wie schon Patschovsky die ältere Forschung resümierte, als Aufforderung zu verstehen, „per denuntiationem als ,Synodalzeuge' Ketzer vor das bischöfliche Sendgericht zu bringen" 64 . Ob, seit wann und wie Konrad diesen Auftrag wahrgenommen hat, ist im einzelnen nicht auszumachen. Die nächstfolgende einschlägige Quelle ist der eingangs zitierte Brief Papst Gregors an Konrad vom 11. Oktober 123165. Er liefert in seinem ersten Teil neue Informationen, die auf offenkundig schwarz-weiß-malenden Briefen der Erzbischöfe von Mainz und Trier beruhen: Ruhmvolles werde von ihm erzählt (gloriosa de tuis et fama dicuntur). Konrad habe im ketzerverseuchten Deutschland so eifrig, wie er konnte, gekämpft; nicht nur Häretiker, sondern auch viele Häresiarchen, von denen ein jeder einen abgegrenzten Bezirk gehabt habe, seien durch ihn vom Acker des Herrn ausgerottet. Kann man aus der Erwähnung der beiden Erzbischöfe schließen, daß Konrad bislang unter deren Verantwortung tätig war, so scheint der zweite Briefteil mit seinen jetzt unmittelbar auf Konrad übertragenen Vollmachten die Epoche der päpstlichen Ketzerinquisition einzuläuten. Die Tatsache freilich, daß der Brief nicht in das päpstliche Register übernommen wurde, warnt vor einer Uberschätzung seiner bewußt programmatischen Relevanz und fordert dazu auf, Gregors Anweisungen in den Zusammenhang seiner damaligen Ketzerpolitik zu stellen. Zuvor seien jedoch die Konrad übertragenen „inquisitorischen Vollmachten" und konkreten Handlungsanweisungen vom Oktober 1231 textnah in Erinnerung gebracht und erneut zu interpretieren versucht. Die erste - te a cognitionibus causarum habere volumus excusatum - ist nach sehr unterschiedlichen Deutungen in der früheren Forschung zuletzt von Patschovsky als „Freistellung vom prozessualen Vorgehen", was keine Lizenz zu schrankenloser Willkür bedeute, Wie oben Anm. 19. P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S. 643. - Zu der durch Ad abolendam eingeleiteten und mit c.15 des Konzils von Narbonne (1227) abgeschlossenen Entwicklung von Synodalzeugen im alten Sinne zu Synodalzeugen, die von einer Synode unabhängig Häretiker suchen und anzeigen sollten, siehe K o l m e r , A d capiendas vulpes (wie Anm. 7) S. 67f. 63

64

65

Uberlieferung und Text im Anhang zu diesem Beitrag.

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verstanden worden. Patschovsky neigt „im Zusammenhang mit der ... folgenden Aufforderungen zur Beiziehung von Gehilfen ... dazu, darin die Erlaubnis zur Subdelegierung von ganzen Prozessen oder Verfahrensteilen zu sehen" 66 . Er ging dabei davon aus, daß der Ausdruck cognitio causae „von seiner Grundbedeutung im Rechtsleben" her interpretiert werden müsse. Das leuchtet ein, während die unmittelbare Schlußfolgerung „denn hier bezeichnete er den Prozeßablauf, die prozessuale Untersuchung in der Gesamtheit ihrer Verfahrensteile", zumal im Blick auf die Subdelegierung nicht recht überzeugt. Für den Sprachgebrauch verweist Patschovsky nämlich „am besten" auf Johannes Fasolus. Dieser verfaßte mehr als 40 Jahre nach unserem Papstbrief mit seinem „Tractatus brevis de summaris cognitionibus" die wahrscheinlich älteste Schrift über den summarischen Prozeß 67 . Wenn Fasolus danach fragte, in quibus plenissima, in quibus plena causae cognitio requiratur, in quibus summatim et in quibus extra ordinem procedatur ... postremo, qualiter in summariis procedendum est68, ging es ihm nicht um Verfahrensteile, sondern zunächst um Verfahrensarten 69 , die jedoch von ihm nicht mit der Weitergabe von richterlichen Befugnissen an Dritte verknüpft waren. Allenfalls könnte man erwägen, ob Gregor I X . mit seiner Formulierung α cognitionibus causarum ... excusatum die Assoziation zu römisch-rechtlichen Formeln wie citra causae cognitionem oder cognitio extra ordinem wachrief und damit auf das Instrument des summarischen Prozesses, für dessen Handbarmachung und Legitimierung sich die Kirche über die Päpste Clemens V. und Bonifaz VIII. dann viel Zeit nahm, hinwies 70 . Solcher verschlungener Pfade bedarf es jedoch zur InterP a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S. 643f. Anm. 4. K a l t n e r , Konrad von Marburg S. 135-137; Ludwig W a h r m u n d (Hg.), Johannes Fasolus: De summariis cognitionibus (Quellen zur Geschichte des römischkanonischen Prozesses im Mittelalter 4,5. Quellen zur Geschichte des Summarverfahrens, 1928, ND 1962); dort S.XII zur Entstehungszeit „ungefähr um die Mitte der Siebziger Jahre des 13. Jahrhunderts". 68 W a h r m u n d , Fasolus S. lf. 69 W a h r m u n d , Fasolus S.XIV. 70 Vgl. u.a. E. S e c k e l (Bearb.), Heumanns Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts ( 9 1907) S. 75f. (Cognitio und cognoscere); Adolf B e r g e r , Encyclopedic Dictionary of Roman Law (1953) S. 383 (Causae cognitio), S. 388 (Citra causae cognitionem), S. 394 (Cognitio extra ordinem) und die dort jeweils verzeichnete Literatur, besonders Hugo K r ü g e r , Das summatim cognoscere und das klassische Recht, ZRG Rom.45 (1925) S. 39-86, dort S. 53f. und 82f. zur cognitio causae. - Clemens V. Dekretale 66 67

Anfänge der Inquisition in Deutschland

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pretation unserer Textstelle nicht. Es gibt einen geraden, wenngleich im Quellengestrüpp etwas versteckten Weg, auf den bereits Albert Hauck hingewiesen hat, um zu seinem Ziel zu kommen. Und dieses ist (mit Haucks Worten): „Der Sinn des ,Satzes' ist ebenso einfach als unanstößig. Konrad war als päpstlicher Kommissär benutzt worden, vgl. Ep. pont. I S. 389 Nr. 484, und der Papst teilte ihm mit, das sollte fernerhin nicht mehr geschehen, damit er sich ganz der Inquisition widmen könne" 71 . Anscheinend hat Hauck durch sein „vgl. Ep. pont. I S. 389 Nr. 484" die Kritik an seiner Meinung so leicht gemacht, daß die Versuchung bestand, das Kind mit dem Bade auszuschütten. War es schon angreifbar genug, daß Hauck auf ein päpstliches Mandat hinwies, das mehr als ein Jahr nach unserem Brief ausging (am 12. Okt. 1232), so sprach erst recht die in ihm enthaltene und von Konrad ungeachtet seiner Inquisitionsaufgabe höchst engagiert wahrgenommene Verpflichtung, sich für Elisabeths Hospital in Marburg einzusetzen, gegen ihn. Aber gab es nicht andere Aufgaben, die der predicator verbi dei in Alamannia außer seiner Ketzerverfolgung wahrnahm und von denen er zu entlasten gewesen wäre? Hatte nicht schon im Juni 1227 Gregor IX. zum ersten Inquisitionsauftrag noch die Sorge für die landgräflichen Patronate in Thüringen und die Durchsetzung von Statuten gegen konkubinarische Kleriker in Deutschland hinzugefügt 72 ? Dürfte damit der sachbezogenen Kritik an Hauck der Boden entzogen sein, so gewinnt seine These noch größere Wahrscheinlichkeit, wenn man einem weiteren Fingerzeig von ihm nachgeht, der die oben zitierte Anmerkung abschließt: „vgl. zum Ausdruck z.B. Honor. III. ep. XI,54 S. 185". In dem gemeinten Brief Honorius' III. vom 26. Januar 1227 an den Abt des Zisterzienserklosters Heiligenkreuz bei Wien gewährt der Papst mit Rücksicht auf das contemplationis otium, daß er den Abt künftig mit Aufgaben vom apostolischen Stuhl weniger belasten werde: cum sepe contingat propter cognitionem causarum, que tibi frequenter a sede apostolica committuntur ... ut ... de causis

Saepe = Clem.V,ll,2 ( F r i e d b e r g 2 , Sp.1200); vgl. Hans Karl B r i e g l e b , Einführung in die Theorie des Summarischen Processes (1859) sowie die Ausführungen von T r u s e n oben S. 39-76. 71 H a u c k , Kirchengeschichte 4, S. 916 Anm. 2; sein Hinweis bezieht sich auf MGH Epp. saec.XIII 1, S. 389 Nr. 484. 72 MGH Epp. saec.XIII 1, S.276 Nr. 361 (Patronate); R i p o l l , Bullarium 1, S.21 Nr. 9; P o t t h a s t 7946 (Konkubinat).

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cognoscere non tenearis inuitus...7i. Und Gregor IX. wiederholt diese Indulgenz am 4. Mai 1230: ne auctoritate litterarum nostrarum de causis uobis a sede apostolica delegandis cognoscere, uel delegatorum sententias exequi compellamini...74. Demnach bedeutet hier causas oder de causis cognoscere die Durchführung von (Rechts-)Verfahren unter besonderer Berücksichtigung der Feststellung von Tatbeständen, die Streitfällen zugrunde liegen, und kann unterschieden werden von der Vollstreckung der Urteile. Blättert man die Registerüberlieferung durch, so kommt man für den hier greifbaren Sprachgebrauch von causa in Verbindung mit cognoscere, examinare o.ä. Gregors IX. und seiner Kanzlei zu ganz ähnlichen Ergebnissen, d.h. causa bedeutet eine rechtserhebliche Angelegenheit, oft ein Streitfall, der von Seiten des Papstes einer Person oder mehreren Personen zur vorläufigen oder endgültigen Klärung (cognitio, examinatio) ggf. auch zur Entscheidung übertragen werden konnte. Diese Fälle können prinzipiell alles betreffen, was zur kirchlichen Gerichtsbarkeit gehörte, Bischofs- und Abtswahlen ebenso wie Zehntstreitigkeiten, Ehe unter Verwandten, Provisionen, Witwengüter, Archidiakonatsrechte, Exkommunikationen usw. 75 . Die Konrad von Marburg, dem Abt von Heiligenkreuz und auch anderen zugesprochene 76 entschuldigte Freistellung (excusatio) von Untersuchungsaufträgen läßt sich mithin als ganz normale Entlastung

73

Johann Nepomuk W e i s (Hg.), Urkunden des Cistercienser-Stiftes Heiligenkreuz im Wiener Walde (Fontes rerum Austriacarum 9,1, 1856) S. 65f. Nr. 54; Regest bei P o t t h a s t 7657 und bei Petrus P r e s s u t t i , Regesta Honorii Papae III, 2 (1895, N D 1978) S.472 Nr.6201; H a u c k benutzte Cesar August H o r o y , Honorii III opera 5 (Medii Aevi Bibliotheca Patristica 5, 1882). - Schon am 4. Dezember 1226 hatte Honorius Abt und Prior des Zisterzienserklosters Ourscamp (bei Compiegne) konzediert, ut de causis cognoscere et esse indices in posterum minime teneantur; vgl. P o t t h a s t 7621 und P r e s s u t t i , Regesta Sp.450 Nr. 6080. 74 W e i s , Urkunden S. 74 Nr. 72; wie auch Nr. 54 nicht im päpstlichen Register. 75 Von Januar 1230 bis Januar 1235 vgl. A u v r a y , Registres (wie Anm. 59) Nrr.397, 443, 469, 484, 567, 592, 713, 781, 930, 1008, 1101, 1111, 1146, 1173, 1189, 1190, 1410, 1631, 1698, 1703, 1740, 1890, 2167, 2328, 2380; der Hinweis beansprucht keine Vollständigkeit. 76 Z.B. dem Dominikanerprior in Neapel am 8. März 1233, eodem priore ab ipsius cognitione legitime excusato; siehe A u v r a y , Registres Sp.665 Nr. 1173; vgl. auch Anm. 73 am Ende. - Auch der Entzug der causae cognitio kam vor; z.B. A u v r a y , Registres Sp.935f. Nr. 1698: predictis ... α cause cognitione penitus amotis, oder ebd. Sp.955 N r . 1740: ipsis α cause cognitione subductis.

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verstehen, hat als solche nichts mit Ketzerprozessen zu tun und legt keine Subdelegationserwägungen nahe77. Scheint die Durchsicht der Register Gregors IX. eine Einbettung der cognitio causae-Frage Konrads von Marburg in traditionelle Normen zu ergeben78, so stößt dem Leser gleichsam als Nebenfrucht auf, wie häufig statt cognitio oder examinatio jetzt inquisitio bzw. inquirere gebraucht wird, so daß man mit einer zugespitzten Formulierung Gregors Anweisung an Konrad interpretieren könnte, er habe den Marburger von allgemeinen Inquisitionsverpflichtungen entbunden, damit er sich ganz der Ketzerinquisition widme. Die zweite, in eine mit großem Pathos vorgetragene Bitte gekleidete Vollmacht war, nach freiem Ermessen geeignet erscheinende Mithelfer zur Ketzerausrottung zu berufen. Wie schon bemerkt, sieht Patschovsky darin das Recht zur Subdelegierung bestimmter Verfahrensteile. Er begründet seine Sicht zum einen aus dem Textzusammenhang mit der vorangehenden te a cognitionibus causarum habere volumus excusatum-Stelle und zum anderen aus dem historisch bezeugten „Wirken des Dominikaners Tors und des Laien Johannes"79. Da aus dem textlichen Nacheinander ein Sachzusammenhang nicht zwingend abzuleiten und eher eine Eigenständigkeit beider Anweisungen anzunehmen ist, und weil die Tätigkeit von Tors und Johannes allein nicht ausreicht, um eine päpstlich empfohlene Subdelegierung zu unterstellen, lassen sich Zweifel erneut nicht unterdrücken, zumal Patschovsky selbst darauf aufmerksam macht, daß der Terminus subdelegati nicht

77 Auszuschließen ist eine Subdelegation freilich auch nicht; der erste bei H a g e n e d e r , Geistliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 36) S. 35 genannte Fall datiert aber erst zu 1279 (Monumenta Boica 29,2, S. 533 N r . 133). Erst nachträglich sehe ich, daß meine Entlastungs- und Konzentrationsthese - freilich erst in der Spanischen Inquisition seit 1484 und damit so spät, daß es als Argument für die Interpretation des Schreibens von 1231 nicht genutzt werden darf - zum rechtlichen Prinzip der ausschließlichen Inquisitionstätigkeit erhoben wurde; vgl. mit Belegen Camillo H e n n e r , Beiträge zur Organisation und Competenz der päpstlichen Ketzergerichte (1890) S. 17f. 78

Das von P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung (wie A n m . 2 ) S.644 A n m . 4 erwar-

tete, aber fehlende aliis vor cognitionibus wäre mir eine zusätzliche Stütze für die hier vertretene These von der in unserem Satz schon angesprochenen päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit, die Patschovksy ablehnt. Einen gewissen Ersatz könnten die Indulgenzversprechen darstellen, die sowohl im Kontext der nach Heiligenkreuz adressierten Briefe als auch im Schreiben an Konrad von Marburg unmittelbar folgen. 79

P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S.644 A n m . 4 .

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in den Quellen steht 80 . Im Brief Gregors IX. lautet der gesamte Passus: prudentiam tuam rogamus attentius monentes, ac in remissionem tuorum peccaminum tibi iniungentes, quatenus coadiutoribus tibi, quos ad hoc videris idoneos, undecunque volueris advocatis ad extirpandam de partibus Ulis baereticam pravitatem. Der Papst benutzte also den, wie auch Patschovsky meint, eher unbestimmten Begriff coadiutor. Immerhin ist der Terminus um 1231 nicht grundsätzlich so vage, daß er zur Stützung der Subdelegierungsthese von vorneherein wegfiele. Innozenz III. hatte im Jahr 1204 in einem an den Erzbischof von Arles gerichteten Mandat, dessen Kernaussagen Gregor IX. in seine Dekretalensammlung übernahm, angeordnet, daß einem unheilbar kranken, amtsunfähigen Bischof ein Koadjutor beigeordnet werde (coadiutorem associes)81. Allerdings scheint die Stütze nicht hinreichend belastbar zu sein, denn die Voraussetzung, die Funktion und die Assoziierungsform des von Innozenz vorgesehenen Koadjutors wären nur mühsam in ein Subdelegiertenmodell zu pressen. In seiner Registerüberlieferung benutzt Gregor das Wort coadiutor fünfmal für Vertreter unfähiger Bischöfe 82 , zweimal im negativen Kontext für Leute, die Kirchenfeinde unterstützen 83 , und nur einmal ähnlich wie im Konradbrief für Geistliche, die überlasteten Pfarrern bei der Sakramentsverwaltung helfen sollen84. Erste Blicke auf vergleichbare, weil zeit- und sachnahe Äußerungen Gregors IX., die aber andere Vokabeln verwenden als coadiutor, führen ebenfalls zu keinen Erkenntnissen, die klar für die Subdelegierungsthese sprächen. Im Inquisitionsauftrag an den Dominikaner Robert le Bougre, den engsten tat- und geistesverwandten Ketzerverfolger Konrads von Marburg, vom April 1233 heißt es 85 : devotionem tuam rogantes attentius et monentes, et in remissionem P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S.648 Anm. 17. X 3,6,5 (ed. F r i e d b e r g 2 , Sp.482); zum Problem unter Einbeziehung der höheren Prälaten sodann im April 1296 auch Papst Bonifaz VIII., aufgenommen in das CIC: VI 0 3,2 c.un. ( F r i e d b e r g 2 , Sp.1034). 82 A u v r a y , Registres Nrr.3361, 4455, 4510, 4511, 5364. 83 A u v r a y Nrr.4981 u. 5412. 84 A u v r a y Nr. 1135; vgl. aber auch unten Anm. 174, wonach 1220 für Kreuzprediger adiutores vorgesehen waren. 85 A u v r a y Nr. 1253. Zu Konrads französischem Gegenstück siehe immer noch Charles Homer H a s k i n s , Studies in Medieval Culture (1929, ND 1965) S. 193-244 (Kap.10: Robert le Bougre and the beginnings of the inquisition in Northern France; Überarbeitung der Fassung in American Historical Review 7 [1902] S. 437-457 und 631-652). 80 81

Anfänge der Inquisition in Deutschland

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tibi peccaminum iniungentes, quatenus una cum dictis collegiis tuis vel eorum altero, si ambo non potuerint interesse, ac diocesanorum consilio, ad extirpandam ... hereticam pravitatem... Die hier genannten Kollegen (collegiis) - es handelt sich um den Prior von Besangon und um den einen Ordensbruder Wilhelm - sind freilich keine Subdelegierten des Inquisitors. Eher könnte man Robert als Subdelegierten des Priors bezeichnen, weil er für diesen stellvertretend handelt (prioris ipsius super biis vices fungens). Außerdem ist an diesem Text bemerkenswert, daß der Inquisitor nicht allein, sondern mindestens mit einem anderen Dominikaner gemeinsam tätig werden soll. Ist der Inquisitionsauftrag Gregors IX. an den Prior Burkard und den Bruder Theodorich des Regensburger Dominikanerkonvents vom 21. November 1231 hilfreicher86? Hier wird den beiden Ordensleuten u.a. befohlen, eine Generalpredigt zu halten, et adiunctis uobis discretis aliquibus ad bec sollicitius exequenda diligenti perquiratis sollicitudine de bereticis et etiam infamatis... Eine beabsichtige Beiziehung von geeigneten Inquisitionsgehilfen vor Ort ist damit gesichert, doch scheint es sich hier nicht um Subdelegierte für ganze Prozesse oder Verfahrensteile zu handeln, sondern wie im Mandat vom Juni 1227 um Personen, die eher im Sinne von Synodalzeugen brauchbar waren. Die folgenden Anweisungen an Konrad von Marburg vom Oktober 1231 brauchen nicht wie die beiden ersten neuerlichen Fragen und Zweifel ausgesetzt zu werden und bedürfen auch keiner näheren Erklärung. Sie betreffen die Unterstützung durch den weltlichen Arm, die Exkommunikation von Leuten, die Ketzern Unterschlupf gewähren, sie verteidigen oder begünstigen, das Interdikt über deren Land sowie die Behandlung von umkehrwilligen Häretikern. Mit dem neuesten Verordnungsstand könne sich Konrad durch Einsicht in die nach Deutschland geschickten Statuten vertraut machen87. Zur freieren und wirksameren Ausübung des übertragenen Amtes (officium tibi commissum) wird allen, die zu seinen Predigten kommen, ein zwanzigtägiger, und denen, die sich aktiv an der Ketzerbekämpfung beteiligen, ein dreijähriger Ablaß versprochen. Vollkommener Ablaß wird denen zugesagt, die um der Ketzerverfolgung willen sterben. Abschließend 86 Text bei F ö r g , Ketzerverfolgung (wie Anm. 59) S. 94-96 (bes. S. 95 Mitte); F e a r n s , Ketzer (wie Anm. 5) Nr. 27, S. 73-75 (bes. S. 74 unten) und S e l g e , Texte (wie A n m . 5) S. 45-47 (bes. S. 46 Mitte). 87

Es handelt sich um die sog. Statuta Annibaldi; vgl. unten S. 156.

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Dietrich Kurze

erhält Konrad, damit ihm an der Durchführung seiner Aufgabe (ad tarn dictum negocium prosequendum) nichts fehle, die Vollmacht, gegen Widerstand mit kirchlichen Strafmaßnahmen (censuram ecclesiasticam) ohne Appellationsmöglichkeit vorzugehen. Dieser für die Anfänge der päpstlichen Ketzerinquisition wichtige, wenn auch vielleicht in Einzelheiten überschätzte Brief Gregors IX. an Konrad von Marburg ist keine isolierte Maßnahme, sondern gleicht eher einem Glied in einer vom Papst ausgehenden und dank der politisch günstigen Konstellation nach den Friedensschlüssen von San Germano und Ceperano im Juli 1230 von den Staufern mitgeschmiedeten und deshalb zuerst in Deutschland besonders wirksamen Kette von Aktionen, mit denen das bereits vorhandene Waffenarsenal zur Ketzerbekämpfung vergrößert und qualitativ verbessert werden sollte, ohne daß sich hier schon ein klares Normierungs- und Standardisierungskonzept erkennen ließe. Zu erwähnen sind nach der Aufnahme der Verordnung Friedrichs II. vom März 1224 gegen die Ketzer der Lombardei Ende Januar 1231 in die päpstlichen Register 88 an erster Stelle Gregors IX. Statuten gegen die Ketzer vom Februar 1231 sowie die unmittelbar anschließenden Folgeerlasse des römischen Senators Annibaldo Annibaldi 89 . Bei aller bis zur Hinrichtung reichenden Schärfe der angeordneten Strafmaßnahmen geben die Texte für die Inquisitions- und Prozeßformalien wenig her: die allgemeine Anzeigepflicht und in den Capitula Annibaldi noch der Hinweis auf inquisitores datos ab ecclesia, also auf parochiale, als Sendzeugen verwendbare „Aufklärer", wie sie zuletzt

88

Constitutio

contra haereticos

Lombardiae;

Drucke u.a. in M G H Const.2 (1896)

S. 126f. N r . 100; S e l g e , Texte S.36f. Der Registereintrag steht zum vierten Pontifikatsjahr als c.103 zwischen c.102 vom 27. Januar und c.104 vom 31. Januar 1231; A u ν r a y , Registres N r r . 5 3 4 - 5 3 6 , Sp.346-349; schon Julius F i c k e r , Die gesetzliche Einführung der Todesstrafe für Ketzerei, M I Ö G 1 (1880) S. 177-226, hier S. 207f. setzte die Eintragung auf „Ende 1230 oder Anfang 1231" und wies auf den Zusammenhang mit den Februar-Statuten hin. 89

Sententia

Anibaldi

excommunicationis

senatoris et populi Romani

juramentum,

in: A u v r a y

a Gregorio

papa

contra

edita contra Patarenos;

haereticos

lata;

Quando

senator

Capitula exhibet

N r r . 5 3 9 - 5 4 1 , Sp.351-354; mit Angabe weiterer Druckorte

und Literaturhinweise auch bei S e l g e , Texte S . 4 1 - 4 4 .

157

Anfänge der Inquisition in Deutschland

(1229) das Konzil von Toulouse gefordert hatte 90 . Am 14. Mai lobt der Papst in einem Schreiben an den Züricher Klerus die Dominikaner in Deutschland dafür, daß sie ihr Amt ( m i n i s t e r i u m ) sorgfältig ausübten, indem sie sich bemühen, aus dem Weinberg des Herrn nicht nur das lasterhafte Unkraut auszureißen, sondern auch die „kleinen Füchse", also die Ketzer wegzufangen 91 . Acht Tage später befiehlt er dem Mailänder Erzbischof und dessen Suffraganen sowie dem toskanischen Episkopat, seine Ketzerstatuten vom Februar allmonatlich zu publizieren und die Städte zur Übernahme der Capitula Annibaldi zu veranlassen92. Am 1. Juni läßt König Heinrich (VII.) von Speyer aus die weltlichen Gewalten wissen, daß er die Regensburger Predigerbrüder vornehmlich wegen ihrer Häretikerverfolgung in seinen Schutz genommen habe, und befiehlt, sie zu unterstützen und die von ihnen ertappten Ketzer unverzüglich vorzuführen; anderenfalls würden sie die königliche Majestät beleidigen und wie Häresiebeschützer behandelt werden 93 . Im letzten Junidrittel war wieder der Papst am Zuge, der nun auch den Erzbischöfen von Salzburg und Trier samt deren Suffraganen seine Statuten und die des römischen Senators vom Februar mit denselben Befehlen wie an den Mailänder schickte und in seinem Anschreiben auf die höchstgefährliche Kampfentschlossenheit

90

Gregor: Item si quis hereticos sc went...

eos studeat indicari confessori suo vel alii,

per quem credat ad prelati sui notitiam pervenire; Urbe sciverit hereticos in Urbe et non revelaverit,

Cap. Annibaldi: Item quicumque viginti librarum

pena mulctetur.

de -

Synode von Toulouse c.l; Text u.a. bei S e l g e , Texte S. 30. 91

A u v r a y , Registres Nr. 652 Sp.411f.: ... dum non solum vitiorum sentes de vinea

Domini

extirpare,

verum

etiam vulpes parvulas laborant sollicite capere ...; Druck u.a.

auch bei Johannes B e r n o u l l i , Acta Pontificum Helvetica (1891, N D 1977) S. 104f. N r . 150. Das Mandat gehört m.W. zu den ersten generellen Schlichtungsversuchen im Streit des lokalen Klerus mit den Bettelorden um die iura parrochialia

und ist

insofern nur mittelbar der Ketzerinquisition zuzuordnen. - Der Registereintrag hat den Nachtrag: In eundem

modum ... priori provinciali

etfratribus

ordinis

Predicatorum

in Teutonia", Gregor IX. bemüht sich also gleichsam flächendeckend um Anerkennung und um Verständnis für die Dominikaner. - Daß es auch im Raum Zürich tatsächlich zu (umstrittenen) Ketzerverfolgungen gekommen ist, könnte man daraus schließen, daß Gregor I X . am 8. Januar 1233 den Grafen Hartmann von Kyburg wegen seines besonderen Eifers bei der Ausrottung der Häresie lobt und ihn in den Schutz des heiligen Petrus nimmt; M G H Epp. saec. X I I I 1, S.403f. N r . 503. 92

A u v r a y , Registres N r . 659 Sp.419.

93

Text zuerst bei F ö r g , Ketzerverfolgung (wie Anm. 59) S. 93.

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Dietrich Kurze

der Ketzer hinwies 94 . Die Annahme liegt nahe, daß daraufhin die Erzbischöfe von Mainz und Trier ihren Bericht von dem ruhmreichen Wirken Konrads von Marburg nach Rom sandten 95 , auf den Gregor IX. mit seinem Brief an Konrad vom 11. Oktober 1231 reagierte. Nur sechs Wochen später erteilte der Papst dem Prior Burkard und dem Bruder Dietrich des Regensburger Dominikanerkonvents ähnliche, aber nicht identische Vollmachten wie zuvor dem Prediger des Wortes Gottes. Es war der 22. November 1231, den man, wenn nicht noch frühere Belege auftauchen, als dies annunciationis der Dominikanerinquisition bezeichnen könnte. Zwar ist auch dieses Mandat nicht in das päpstliche Register eingetragen worden und galt nur ad personas für die beiden Regensburger Ordensangehörigen, aber es scheint doch dasjenige zu sein, das die inquisitionsgeschichtlich wichtige Reihe der Ille humani generis-Schreiben eröffnete 96 . Nahezu wortgleich mit dem Schreiben an Konrad von Marburg sind die Passagen mit den Hinweisen auf die Möglichkeit der Absolution und der Verhängung üblicher Bußen bei abschwörwilligen Häretikern, auf die Einsichtnahme in die durch Bruder Hugo für Deutschland bestimmten Statuten sowie auf die Indulgenzen und 94 Das nach Salzburg adressierte Mandat ist nach dem Original ediert durch Joseph von Z a h n (Bearb.), U B des Herzogthums Steiermark 2 (1879) S. 378f. Nr. 282; es ist auf den 20. Juni (XII. kalendas Julii) datiert. Die noua statuta, auf die es Bezug nimmt, sind hier nicht angefügt. - Die Ausfertigung für Trier mit den Statuten ist nach der Uberlieferung im Bullarium des Prämonstratenserstifts Rommersdorf (vgl. unten S. 187 den Anhang) gedruckt bei Joh. Friedr. B ö h m e r , Acta imperii selecta (1870, N D 1967) Nr. 959, S. 665-667 sowie bei Leopold E l t e s t e r und Adam G o e r z (Hgg.), U B zur Geschichte der...mittelrheinischen Territorien 3 (1874) S. 339-342 Nr. 432 sowie (ohne die Statuten) bei F r e d e r i c q , Corpus 1 (wie Anm. 5) Nr. 81, S. 80f. Die Annahme von Fredericq S. 81 Anm., daß auch der Erzbischof von Köln und seine anderen Amtsgenossen dieselbe Bulle empfangen haben werden, halte ich für naheliegend, zumal sich anschließend der Mainzer Erzbischof gemeinsam mit dem Trierer an Gregor IX. wandte. Datiert ist die Trierer Ausfertigung auf den 25. Juni (VII. kal. Julii), falls der Abschreiber korrekt war und nicht das X des Salzburger Originals bei seiner Vorlage als V gelesen hat.

Siehe oben S. 148 f. mit Anm. 65 und unten S. 191 den Anhang. Erster Druck bei F ö r g , Ketzerverfolgung S.94-96, sodann bei S e l g e , Texte S.45-47, dort S.45 Anm. 145 weitere Hinweise auch auf die Literatur. - M a i s o n n e u v e , Etudes S.253 datiert die Schaffung eines wahrhaft monastischen (aber nicht auf Dominikaner beschränkten) Inquisitionstribunals unter Hinweis auf „L e a, I, pp.371-372" (in der deutschen Ausgabe [wie oben Anm. 20] S. 365f.) auf den 20. oder 21. Juni 1227. 95

96

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die kirchlichen Zensuren. Ausführungen zur cognitio causae und zu den Koadjutoren fehlen, jedoch sind andere Aufgaben und Rechte hier deutlicher formuliert: Die beiden Dominikaner sollen, wo es angemessen ist, nach Zusammenrufung von Prälaten, Klerus und Volk eine allgemeine Predigt (generalem predicationem) halten und unter Heranziehung anderer gebildeter und urteilsfähiger Männer (discretis aliquibus) sorgfältig Nachforschungen bzw. Untersuchungen anstellen (perquiratis) über Häretiker und Häresieverdächtige, und, wenn sie diese als schuldig oder höchstverdächtig befinden und diese nach dem Verhör den Geboten der Kirche nicht unbedingten Gehorsam leisten wollen, gegen sie gemäß den päpstlichen Statuten vorgehen (procedatis). Diesem „erste(n) nachweisliche(n) Auftrag zur Inquisition durch Dominikaner" 97 folgten Ille humani generis-Bullen vom 27. November 1231 an Prior und Subprior des Friesacher Predigerordens98, vom 3. Februar 1232 an Herzog Heinrich I. von Brabant 99 und einen Tag später an den Herzog Otto II. von Bayern 100 , jeweils mit der beachtenswerten Bemerkung, der Papst habe nach dem Vorbild der Apostelaussendung die Predigerbrüder zur Ketzerbekämpfung nach Deutschland geführt (dictos fratres contra haereticos in Alemanniam duximus destinandos), am 29. Oktober 1232 an Erzbischof Siegfried III. von Mainz, und zwar nicht, um dominikanische Inquisitoren zu

97

F ö r g , Ketzerverfolgung S. 60 Anm. 8.

98

Aufgrund der Uberlieferung in zwei Kopialbüchern des Dominikanerklosters

Friesach aus dem 15./16. Jahrhundert gedruckt bei Eduard W i n k e l m a n n (Hg.), Acta imperii 1 (1880) N r . 6 2 4 , S.499-501 und bei August von J a k s c h (Hg.), Monumenta historica ducatus Carinthiae. Die Kärntner Geschichtsquellen 4,1 (1906) N r . 2022, S. 193f.; vgl. F ö r g , Ketzerverfolgung S.58f. 99

Druck bei Thomas R i p o l l (Hg.), Bullarium ordinis Predicatorum 1 (Rom 1729)

S. 37 N r . 51 und danach - mit dem zusätzlichen Hinweis, daß sich die Bulle im Archiv des Dominikanerklosters in Luik befand - bei F r e d e r i c q , Corpus 1, S. 82f. N r . 83. 100

N a c h dem erhaltenen Original gedruckt bei F ö r g ,

Ketzerverfolgung S. 96-

98; ebd. S. 98 auch die, zuvor schon von Michael W i 11 m a η η (Hg.), Monumenta Wittelsbacensia. U B zur Geschichte des Hauses Wittelsbach (Quellen u. Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte 5, 1857) N r . 24, S. 55f. edierte, undatierte Folgeanweisung des Herzogs an die milites, ivdices (Förg irrig: indices) und officiates seiner Städte und Dörfer zur Unterstützung der Predigerbrüder bei der Ausrottung der Häresie.

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beschützen oder zu fördern, sondern mit der Maßgabe, nach Vorermittlung durch geeignete, in alle Teile seiner Diözese geschickte Männer seiner Wahl selbst die neuen Statuten anzuwenden 101 ; am 2.12.1232 an die Dominikaner in Straßburg102, später noch an die der Provence und für die Lombardei103. Die Bemühungen Gregors IX., nach der Beauftragung Konrads von Marburg vornehmlich mit Hilfe der Dominikaner ein möglichst enges Fangnetz zu knüpfen, wurden von dem damals mit ihm in Ketzerfragen kooperierenden Kaiser Friedrich II. in der ihm eigenen Strenge aufgegriffen und unterstützt. Hatte der Papst, wie schon bemerkt104, Ende Januar 1231 Friedrichs Verordnung gegen die lombardischen Häretiker in sein Register aufgenommen, so nutzte der Kaiser den Hoftag von Ravenna, um zunächst am 22. Februar 1232 seine anläßlich der römischen Krönung erlassene Konstitution gegen Katharer, Patarener usw. zu wiederholen und durch die Bestimmung zu ergänzen, daß ein Häretiker von einem anderen überführt werden könne 105 , und sodann im März sein Mandatum de 101

Ähnlich zuvor, am 21. Oktober 1233, schon an den Erzbischof von Trier, siehe F r e d e r i c q , Corpus 1, S. 93f. Nr. 92. - Regesten bei P o t t h a s t 9031 und A u v r a y , Registres Nr.936, Sp.559; ganzer Text bei Stephan Alexander W ü r d t w e i n , Nova subsidia diplomatica 6 (1785, N D 1969) S. 28-31 Nr. 10 und in M G H Epp. saec. XIII 1, S. 394-396 Nr. 490; der hier entscheidende Abschnitt lautet (S. 395 Z.25-30): ... mandantes, quatinus tarn per te quam pe alios de subditis tuis viros religiöses et in lege Domini eruditos, quos ad hoc idoneos esse noveris, ad omnes partes diocesis tue transmittas, qui diligenti perquirant sollicitudine de hereticis et etiam infamatis, et si quos culpabiles vel infamatos invenerint, nisi examinati velint absolute mandatis ecclesie obedire, procedas contra eos iuxta statuta nostra contra hereticos noviter promulgata ... Die Subdelegierungsmöglichkeit scheint sich hier bis zur Feststellung der Schuld bzw. der Infamie, aber nicht bis zum richterlichen Urteilsspruch zu erstrecken, doch ist eine eindeutige Interpretation, so sehr sie im Blick auf Konrad von Marburg erwünscht wäre, wegen der Einpassung in die Ille humani ge»ens-Formeln kaum zu verantworten. F ö r g , Ketzerverfolgung S. 79 meint: „Mit dieser Aufforderung an Sigfrid von Mainz allein schon ist es abgetan, daß Konrad ein päpstlicher Inquisitor gewesen sei". Diese Schlußfolgerung liegt auf der Linie der auch sonst von F ö r g ( z . B . S. 62) vertretenen, aber durch die Quellen m.E. nicht gedeckten These. Sie wurde übernommen von Richard K i e c k h e f e r , Repression of heresy in medieval Germany (1979) S. 15 und danach von Bernard H a m i l t o n , The Medieval Inquisition (1981) S.75. 102

Wilhelm W e i g a n d (Bearb.), UB der Stadt Strassburg 1 (1879) S. 179f. Nr. 230. Provence, 22. Apr. 1233: Regest bei P o t t h a s t 9155; Text bei R i p o l l , Bullarium 1, S. 47 Nr. 72. - Lombardei, 20. Mai 1237: Ρ ο 11 h a s t 10362; R i ρ ο 11, Bullarrum S. 95 Nr. 165. 104 Siehe oben Anm. 88. 105 M G H Const.2, S. 194f. N r . 157. 103

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haereticis Teutonicis persequendis zu verkünden106. Nunmehr drohte also auch in Deutschland den Ketzern und denen, die nur aus Furcht der Häresie abgeschworen hatten, die Todesstrafe, und mußten diejenigen, denen zwar Furcht, aber nicht Meineid nachzuweisen war, mit lebenslänglicher Kerkerhaft rechnen; „Bekehrte" wurden als Zeugen zugelassen, Verteidiger eingeschüchtert. Aus der Fülle der Bestimmungen ist unter verfahrensrechtlichem Gesichtspunkt noch besonders bemerkenswert, daß päpstliche Inquisitoren (inquisitores ab apostolica sede datos) genannt und damit anerkannt werden, ihre Aufgabe jedoch mit der verbindlichen Empfehlung der Gefangennahme zu enden scheint und von der iurisdictio unterschieden wird, und daß ebenso die zur Ketzerbekämpfung in Deutschland beauftragten Dominikaner (fratres ordinis Predicatorum ... pro fidei negotio in partibus Theotonie contra hereticos deputatos) nicht identisch sind mit denen, qui ad hereticos iudicandos accesserint, und auch in diesem Zusammenhang die Festsetzung der Ketzer von der ecclesiastica dammnatio deutlich abgehoben wird. Man wird aus diesen Formulierungen zu schließen haben, daß in Ravenna die geistliche Urteilsgewalt den Inquisitoren und Dominikanern noch nicht, jedenfalls nicht gleichsam automatisch zuerkannt wurde. Daß damit das neue Instrument stumpf gehalten werden sollte, wäre wohl ein anachronistischer Fehlschluß. Richtig war vielmehr, daß es zunächst darauf ankam, außer den neuen strengen Strafmaßnahmen das Auffinden von Häretikern zu verbessern, zu sichern und möglichst flächendeckend durchzuführen. Gezielt wurden deshalb Dominikanerkonvente von Nord- bis Süddeutschland mit Ausfertigungen des kaiserlichen Mandats, die ihren Standort nannten, versorgt, so in Bremen, Straßburg, Würzburg, Regensburg und Friesach107. Das Kärntner Dominikanerkloster, das ja schon im Besitz einer Ille humani generis-Bulle war, wurde über die doppelte päpstliche und kaiserliche Beauftragung hinaus auch noch durch die

106

Ebd. S. 195-197 N r . 158; auch bei S e l g e , Texte S . 3 7 - 4 0 . Aus den wissenschaft-

lichen Interpretationen dieser Konstitution seien hervorgehoben: F i c k e r , Todesstrafe (wie Anm. 88) S. 2 1 5 - 2 1 8 und besonders, wie für alle von ihm hier behandelten Fragen, Kurt-Victor S e l g e , Die Ketzerpolitik Friedrichs II., in: Josef F l e c k e n s t e i n

(Hg.),

Probleme um Friedrich II. (Vorträge u. Forschungen 16, 1974) S. 308-343, hier bes. S. 334ff.; danach S e g 1, Ketzer (wie Anm. 2) S. 45f. 107

Vgl. die Nachweise durch den Editor Ludwig W e i l a n d

in M G H

Const.2,

S. 195f., w o aber ein Hinweis auf den Druck des für Friesach bestimmten Exemplars bei J a k s c h , Monumenta (wie Anm. 98) S. 2 0 0 - 2 0 2 N r . 2 0 3 6 fehlt.

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regional zuständigen geistlichen und weltlichen Gewalten abgesichert. Erzbischof Eberhard II., der bei Friesach am 30. Mai 1232 urkundete108, befahl seinen Richtern und Amtleuten, Prior und Subprior bei der Ketzerverfolgung zu unterstützen109, und dasselbe tat Herzog Bernhard von Kärnten110. Wer freilich erwartet, daß der Inquisitionsapparat nun auch in Gang gesetzt worden wäre, wird von der Uberlieferung arg enttäuscht. Mit Sicherheit und eher zufällig weiß man nur, daß die Straßburger Dominikaner ihren Auftrag wahrgenommen haben, zudem anhand eines Falles, der die Predigerbrüder in einem freundlicheren Licht als ihr soziales Umfeld erscheinen läßt: Wie Papst Gregor IX. am 17. Oktober 1234 aus Perugia an den Bischof von Straßburg und die dortigen Predigerbrüder Heinrich und Volcnand schrieb111, habe ihm der Laie Bruno von Offenbach dargelegt, er sei vor den Dominikanern, denen Gregor die Inquisition (inquisitionis negotium) übertragen habe, angeklagt worden, habe öffentlich ein Geständnis abgelegt, sei zur Einheit der Kirche zurückgekehrt und habe von ihnen die Buße empfangen. Weil er das Kreuz genommen habe, um zur Hilfe in das Heilige Land aufzubrechen112, hätten sie vor einer nicht geringen Menge verkündet, er sei ein katholischer Mann. Nach diesem Muster - Anklage vor den Dominikanern, öffentliches 108

J a k s c h , Monumenta N r . 2 0 5 5 , S . 2 0 7 .

109

Undatierter

Eintrag

in die Friesacher

Kopialbücher,

Jaksch,

Monumenta

N r . 2 0 5 3 , S . 2 0 7 ; vgl. F ö r g , Ketzerverfolgung S.58f. 110

J a k s c h , Monumenta N r . 2 0 5 4 . - Herzog Bernhard war ebenso wie Erzbischof

Eberhard als Friedensvermittler zwischen Friedrich II. und Gregor I X . 1230 eingesetzt worden; vgl. J a k s c h , Monumenta S. 182 N r . 1981. 111

A u v r a y , Registres N r . 2133 Sp.l 147; W e ig a n d , U B Strassburg (wie Anm. 102)

Bd.4,1 (1898) N r . 47 S. 51f., ebenfalls aus dem päpstlichen Register, aber wohl besser lesend, z.B. S. 51 Z.30 Volcnand statt Volcuand und S. 51 Z.35 vobis statt nobis. 112

... ipsum,

assumpto

signo crucis assumpto,

in Terre

Sancte

subsidium

profecturum.

Das

scheint eher auf ein normales Kreuzfahrerzeichen als auf ein sogenanntes

Ketzerkreuz zu deuten. Beispielsweise wird von Gregor I X . in der Bulle Vox in Rama ( M G H Epp. saec. X I I I 1, N r . 537 S. 434 Z.37ff.) denen, die crucis assumpto

caractere

sich zum Ketzerkrieg rüsten, dieselbe Indulgenz wie Kreuzfahrern in das Heilige Land gewährt; andererseits ist die Rede von durch Konrad Infamierten atque crucem se ferentibus,

ante

Annales Erph., ed. H o l d e r - E g g e r , S. 86 Z.27f. - Zur „Erfindung" auf

die Kleidung genähter Kreuze bei bekehrten Häretikern durch Dominikaner (1206) sowie zur konziliaren Übernahme dieser Kennzeichnungspflicht in Toulouse (1229) und sodann in Beziers (1233) siehe K o l m e r , Ad capiendas vulpes (wie Anm. 7) S. 74 u. S. 137f.

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Geständnis, Bekehrung, Auferlegung einer Buße und öffentliche Bestätigung der Katholizität - mag auch sonst in minderschweren Häresiefällen, jedenfalls unmittelbar nach der Ermordung Konrads von Marburg, verfahren worden sein. Daß der Papst angerufen wurde, hatte einen anderen Grund, der nicht in die Verantwortung der Inquisitoren fiel, jedoch das allzumenschliche Terrain, auf dem sie sich bewegten, sichtbar macht. Wie es in dem Schreiben Gregors weiter heißt, hatten nämlich der Abt von Gengenbach, der Schultheiß von Hagenau113 und andere böswillige Kleriker und Laien den Bruno von Offenbach fast aller seiner Güter beraubt und ihn schwer bedrängt, und zwar mit der phantasieanregenden Begründung, weil Bruno auf die angegebene Weise zum katholischen Glauben zurückgekehrt sei {cum pro eo quod sie ad fidem catholicam est reversus). Sollten sie sich als eventuelle Denunziatoren um den erwarteten Konfiskationsanteil betrogen gefühlt haben? Oder sahen sie sich durch die Kreuznahme an der Wahrnehmung angeblich berechtigter Interessen gehindert? Der Papst hat jedenfalls die Rückgabe der weggenommenen Güter und Schadensersatz angeordnet sowie weitere Belästigungen verboten. Hinsichtlich des ebenfalls zur Debatte stehenden Interdikts über die Stadt Hagenau hat er ein besonderes Mandat angekündigt, das aber nicht überliefert ist. Förg hat gemeint, in Gregors Brief an den Straßburger Bischof und die beiden Dominikaner auch eine Antwort auf die inquisitionsgeschichtlich wichtige Frage nach dem Verhältnis der beiden Instanzen finden zu können. Aus der Doppeladressierung war für ihn klar, „daß also für diese Zeit eine eigenmäßige Dominikanerinquisition in Straßburg über den Bischof hinweg noch nicht stattgefunden haben kann". Mit der Formulierung „über den Bischof hinweg", statt problemgerecht „eigenständig neben dem Bischof", hat er sich zwar fast unangreifbar gemacht, aber doch in eine Richtung gedeutet, die sich aus dem Papstschreiben nicht zwingend ergibt. Dem Brief ist eher zu entnehmen, daß alle häresierelevanten Maßnahmen von den 113 Bei dem namentlich erwähnten Wolßelino de Agnovia sculteto handelte es sich um keinen anderen als um den wegen seiner rücksichtslosen Tüchtigkeit im Dienst Friedrichs II. bekannten und berüchtigten Reichsschultheiß Wölflin von Hagenau; vgl. Richeri Gesta Senonensis ecclesiae c. 6, hg. von Georg W a i t z , M G H SS 25 (1880) S. 302f.; Karl Β ο s 1, Die Reichsministerialität der Salier und Staufer (Schriften der M G H 16, 1950) S. 194-198; Philippe D o l l i n g e r , (Art.) Woelfel(in), Encyclopedie de l'Alsace 12 (1986) S. 7795.

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Dietrich Kurze

Dominikanern durchgeführt wurden, und daß der Bischof mit einbezogen werden mußte, weil es um das unrechtmäßige Verhalten von Nichthäretikern gegenüber einem ehemaligen Ketzer, der wieder in den Schoß der Kirche zurückgekehrt war, ging114. Wie schon gesagt, ist über die Nutzung des vom Papst durch die Bulle Ille humani generis und vom Kaiser durch sein Ravennater Mandat eröffneten Weges zur Dominikanerinquisition in Deutschland bis auf die Straßburg betreffende Notiz vom Oktober 1234 nichts über Einzelverfahren und persönlich Mitwirkende oder Betroffene bekannt. Die Szene und die Berichterstattung wurden beherrscht vom anfänglich Zustimmung, bald aber Empörung auslösenden Wirken Konrads von Marburg nebst seiner Helfer. Das ging so weit, daß in der Chronistik die Prediger nur als Mitarbeiter Konrads und seiner Helfer Erwähnung fanden115. Aber auch unter diesen Helfern (ministri) befanden sich neben dem Franziskaner Gerhard Lützelkolb, der 114 F ö r g , Ketzerverfolgung S. 62. - Der Güterschutz von angeklagten und büß willigen Ketzern entsprach genau dem auch für Straßburg geltenden c. 3 des Mainzer Provinzialstatuts von 1233; siehe F.J. Μ ο η e, Kirchenverordnungen der Bistümer Mainz und Straßburg aus dem 13. Jahrhundert, Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 3 (1852) S. 129-150, hier S. 135: ... aut errorem suum confitens, ab ecclesia recipiatur, bona sua retineat universa ... Quisquis autem medio tempore bona ipsius rapere aut distrahere presumpserit, excommunicetur, donec restituat ... . Für eine eigenständige Ketzerinquisition durch die Straßburger Dominikaner um 1235 scheint auch die, leider nur durch Daniel Specklin (1. Hälfte 16. Jahrhundert) überlieferte Aufforderung des Magistrats zu sprechen, die Brüder sollten durch Predigt auf die Häretiker einwirken, aber „nit stracks unverhörrt die leutt zu verbrennen"; vgl. K a l t η e r , Konrad von Marburg S. 173. 115 Gesta Treverorum Continuatio IV c. 4, hg. von Georg W a i t z , M G H SS 24 (1879) hier S. 400 Z.44f.: Cooperabantur autem ei et ministris suis prefatis Predicatores per singulas civitates. - Zum Wert der Continuatio als der „bei weitem beste(n) Quelle" siehe P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S.646. - Das hier wohl besonders fragwürdige Chronicon Wormatiense (Wormser Bischofschronik), hg. von Heinrich B o o s , Monumenta Wormatiensia. Annalen und Chroniken (Quellen zur Geschichte der Stadt Worms 3, 1893) S. 168 Z.31-34 oder als Annales Wormatienses, ed. Georg Heinrich P e r t z , M G H SS 17, S. 39 Z.31-34 sieht Dominikaner und Franziskaner lediglich als abhängige Erfüllungsgehilfen: Quidam de Predicatoribus et de fratribus Minoribus totaliter adheserunt eis, quod ipsi ab eis mandata recipientes ... et obedierunt eis et combusserunt sicut et illi. - Zur immer noch ungenügend geklärten Rolle der Dominikaner bei den Anfängen der Ketzerinquisition in Deutschland vgl. Heribert Christian S c h e e b e n , Beiträge zur Geschichte Jordans von Sachsen (Quellen u. Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 35, 1938) S. 145 Anm. 18, der in der Bezeichnung laicus totalis auch nur einen Ausdruck für „ungebildeter Mensch" sieht. Im übrigen setzt er mit guten Gründen der Angabe, Tors sei Predigerbruder

165

Anfänge der Inquisition in Deutschland allerdings n i c h t minister,

s o n d e r n socius

genannt wird116, was nach

d e r seit 1 2 6 1 gültigen T e r m i n o l o g i e eine selbständige V e r t r e t u n g ausschließt 1 1 7 , D o m i n i k a n e r , jedenfalls d e r P r e d i g e r b r u d e r K o n r a d T o r s . W i e dieser z u s e i n e m A m t k a m , geht aus d e n e r z ä h l e n d e n Q u e l l e n n i c h t deutlich h e r v o r . D i e Sächsische W e l t c h r o n i k b e r i c h t e t jeden H i n w e i s auf K o n r a d v o n M a r b u r g ! -

im A n s c h l u ß

ohne

an das

B e g r ä b n i s d e r E l i s a b e t h v o n T h ü r i n g e n v o n vielen K e t z e r n a u c h in Dudischem

lande;

de het Conrad

da worden

Torsus, unde

gebrant

wol dusent

oc van anderen

ludenm.

van eneme

brodere,

Die W o r m s e r Bi-

s c h o f s c h r o n i k will s o g a r wissen, T o r s u n d in seiner B e g l e i t u n g ein v e r k r ü p p e l t e r L a i e n a m e n s J o h a n n e s hätten, weil sie angeblich H ä r e t i k e r e r k e n n e n k o n n t e n , eigenständig m i t d e r K e t z e r v e r f o l g u n g b e g o n n e n u n d weltliche R i c h t e r e r b a r m u n g s l o s z u V e r b r e n n u n g e n a u f g e f o r d e r t u n d sich erst, n a c h d e m K r i t i k laut w u r d e , in einer z w e i t e n Phase,

gewesen, „stärkstes Mißtrauen" entgegen, u.a. deshalb, weil er in den Quellen über den Predigerorden überhaupt nicht vorkomme; er übersah dabei jedoch die Annales Erphordenses fratres Praedicatorum, ed. H o l d e r - E g g e r , S. 86 Z.4, bes. S. 143-145. 116 Gesta (wie Anm. 115) S. 402 Z.28f.: cum socio suo Gerardo quodam; Chronicon Wormatiense, ed. B o o s , S. 169 Z.30f. bzw. ed. P e r t z , S.40 Z.8: et frater Gerhardus Lutzelkolbo de ordine Minorum suus socius (jeweils im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Tod). Die Annales Erphordenses Fratrum Praedicatorum, hg. von Oswald H o l d e r - E g g e r , Monumenta Erphesfurtensia saec. XII, XIII, XIV (MGH SS rer. Germ. [42] 1899) S. 84 Z.20f. schreiben nur: una cum Gerharde minoris ordinis fratre, lassen also die joa«j-Bezeichnung weg. Alberichs von Troisfontaines Weltchronik, Chronica Alberici monachi Trium Fontium, hg. von Paul S c h e f f e r - B o i c h o r s t , MGH SS 23 (1874) S. 931 Z.22 läßt Konrad et cum eo duo Minores ohne Namensoder Funktionsbezeichnung ermordet werden. Als langjährigen Helfer bei Konrads Predigttätigkeit schildert ihn der gut unterrichtete Caesarius von Heisterbach in seiner Vita Sancte Elyzabeth, hg. von Alfons Η i 1 k a, Die Wundergeschichten des Caesarius von Heisterbach 3 (Publikationen der Gesellschaft für Rhein. Geschichtskunde 43, 1937) S. 353: Occisus est cum illo homo quidam religiosus de ordine fratrum Minorum Gerardus nomine, qui eidem Cunrado in opere predicationis per aliquot annos devote ministraverat. Papst Gregor IX. bezeichnet ihn in seiner Klage über Konrads Tod nur als fratrem Gerardum, MGH Epp. saec. XIII 1, S.455 Z.22 Nr. 561. Vgl. unter Hinweis auf P o t t h a s t 18032 (7. Februar 1261), 18418 und 18419 (26. u. 28. Okt. 1262) und auf Clem.5,3,2 ( F r i e d b e r g 2, Sp.ll82f.) Camillo H e n n e r , Beiträge zur Organisation und Competenz der päpstlichen Ketzergerichte (1890) S. 103106. 118 Ludwig W e i l a n d (Hg.), Sächsische Weltchronik, MGH Dt. Chron.2 (1877) S. 249 Z.4-6; vgl. zu dieser nach März 1237 abgeschlossenen Quelle mit weiteren Literaturhinweisen Rolf Κ ö h η, Die Stedinger in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung, Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 63 (1991) S. 139-201, hier S. 188f. 117

166

Dietrich Kurze

um noch kraftvoller zu wirken, dem wie ein Prophet geschätzten Konrad von Marburg angeschlossen119. Das könnte eine nachträgliche Behauptung zum Schutz des Marburger Predigers gewesen sein, würde freilich dessen Ansehen kaum weniger beschädigen, als wenn er sie, der Anweisung Gregors IX. folgend, von vornherein als Subdelegierte beauftragt hätte, wie es die neueste Forschung unterstellt120. Selbst wenn die Anweisung bestanden hätte, würde Konrads Wahl mehr als problematisch gewesen sein. Das gilt nicht nur im Blick auf den Charakter des merkwürdigen Gespannes, sondern auch aus rechtlichen Gründen. Beide waren nämlich, wenn in diesem Fall der Wormser Bischofschronik zu vertrauen wäre, gar nicht delegandenfähig. Das leuchtet bei dem einäugigen und einhändigen Weltlichen (saecularem) Johannes unmittelbar ein, und für Konrad Tors dürfte es zutreffen, weil auch er - obwohl angeblich dem Predigerorden angehörend nicht geweiht gewesen sein soll (erat laicus totalis), also nicht die Eignung zum selbständigen Subdelegierten für so schwerwiegende Aufgaben besaß121. Derlei Schlußfolgerungen wurden freilich in den überlieferten Quellen nicht gezogen. Ihnen ging es nicht um die Frage, wie Konrads Mitrichter (coniudices 122 ) zu ihrem Amt gekommen waren, ob durch autorisierte und formgerechte Subdelegation oder auf andere Weise, sondern darum, wie Konrad von Marburg, Konrad Tors und Johannes als Richter amtierten, denn nicht das Daß, sondern 119

Chron. Wormatiense, ed. B o o s (wie Anm. 115) S. 167 Z.31f.: dicentes se noscere

hereticos; fortiores reputatur;

S. 168 Z . l 7 : Videns fierent,

accesserunt

hoc populus

ad fratrem

misertus

Conradum

et timens ... Z.20ff.: Illi duo, de Marburg,

qui...

quasi

ut

propheta

ed. P e r t z (wie Anm. 115) S . 3 9 . - P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S . 6 4 7

spricht der Wormser Bischofschronik nur einen äußerst geringen Quellenwert zu und hält (S. 649) die zunächst führende Rolle von Tors und Johannes für „sicher falsch". Die Sächsische Weltchronik hat er nicht berücksichtigt. 120

P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S. 648, aber mit dem Hinweis, daß der Termi-

nus subdelegati 121

nicht in den Quellen steht.

Chron. Worm., ed. B o o s , S. 167; ed. P e r t z , S. 38f. - Daß Laien nicht zum A m t

eines delegierten Richters befähigt waren, geht hervor aus X , 2 , l , 2 Sp.240), X,2,2,18 122

(Friedberg

2,

( F r i e d b e r g 2, Sp.225) u.a.; vgl. H e n n e r , Beiträge S. 125f.

Chron. Worm., ed. B o o s , S. 169 Z.9 und ed. P e r t z , S. 39 Z.43: Quo [i.e. Mainz]

tunc accessit frater

Conradus

de Marburg

ist es nicht ganz sicher, ob sie coniudices beispielsweise in X , 1 , 3 , 2 2

(Friedberg

et sui coniudices. als Terminus

Bei der Art der Quelle

technicus

benutzte, wie er

2, bes. Sp.27f.) gebraucht wird; vgl. zum

Problem den Abschnitt „Von der Anzahl der Richter" bei H e n n e r , Beiträge S. 106-111. Keine Belege bei Timothy R e u t e r und Gabriel S i 1 a g i (Bearb.), Wortkonkordanz zum Decretum Gratiani 1 ( M G H Hilfsmittel 10,1, 1990).

167

Anfänge der Inquisition in Deutschland

das Wie entsetzte sie. Die wissenschaftliche Diskussion über den Ketzerverfolger Konrad von Marburg und seine Helfer hat sich begreiflicherweise dieses Entsetzen zu eigen gemacht, aber dennoch zwei sich ausschließende Begründungen vorgelegt. Während beispielsweise Peter Segl wie vor ihm und mit ihm die opinio communis dem Inquisitor „ungeregeltes Gerichtsverfahren" und „Rechtsbrüche" anlastet 123 , hat Alexander Patschovsky ihn von diesem Vorwurf freigesprochen, weil sein Verfahren nur neu, aber nicht irregulär gewesen sei, er „die Regeln des neuen, prozessualisch noch unerprobten Ketzerinquisitionsverfahrens konsequent angewandt" habe, aber über die Grenzen der prozeßrechtlichen Möglichkeiten nicht hinausgegangen sei, die Furchtbarkeit also in der Ketzerinquisition als solcher liege 124 . Unter Zurückstellung der Frage, welche Position mit den besseren Argumenten vertreten wird, ist es vielleicht hilfreich, daran zu erinnern, daß Papst Gregor IX. auf das Schreiben des Erzbischofs von Mainz und des Dominikaners Bernhard vom April 1234, in dem diese über Konrads Verfahrensweise kritisch berichteten 125 , nicht mit einem juristischen Bescheid reagierte, jedenfalls ist ein solcher nicht erhalten 126 , sondern geäußert haben soll, es reue ihn, dem Magister Konrad eine Machtfülle übertragen zu haben, die eine solche Verwirrung stiftete 127 . In der Tat scheinen die Anfänge der vom Papst geforderten und geförderten Ketzerinquisition in Deutschland in den Jahren 1231 123

S e g l , Konrad (wie A n m . 5 6 ) bes. S . 5 4 5 ; D e r s . ,

Ketzer (wie A n m . 2 ) S . 4 9 :

„keinerlei kanonische Verfahrensregeln"; K o l m e r , Ad capiendas vulpes (wie Anm. 7) S. 117:

„hielt er sich kaum an ein geregeltes Verfahren";

ebd. S. 118:

„jegliches

Maß verloren"; Winfried T r u s e n , Die Bedeutung des geistlichen F o r u m internum und externum für die spätmittelalterliche Gesellschaft, Z R G Kan.76 (1990) S. 254-285, hier S. 281: „weithin ohne rechtliche Grundlagen"; aus dem englischen Sprachraum im selben Sinne zuletzt Edward P e t e r s , Inquisition ( 2 1 9 8 9 ) S. 55. 124

P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung bes. S . 6 6 6 und 690.

125

Nicht ganz wortgetreu, aber doch wohl inhaltlich korrekt überliefert durch

Alberich von Troisfontaines, Chronica Alberici monachi Trium Fontium a monacho Novi Monasterii Hoiensis interpolata, hg. von Paul S c h e f f e r - B o i c h o r s t , M G H SS 23 (1874) S. 931 Z.25 - S . 9 3 2 Z.12. 126

Chron. Alberici, ed. S c h e f f e r - B o i c h o r s t , S . 9 3 2 Z . l l f . : Quod ad hoc

papa rescripserit, nondum

domnus

scimus ... - Es fehlt allerdings nicht an anderen Berichten über

die angebliche Reaktion des Papstes auf die Nachrichten von Konrads Verfahrensweise und von seinem Tod, siehe unten Anm. 168. 127

Chron. Alberici, ed. S c h e f f e r - B o i c h o r s t ,

Anschluß an Anm. 126): nisi quod Conrado

potestatem

permiserit,

penitet

eum

S . 9 3 2 Z.12f. (im unmittelbaren

satis, quod

unde talis confusio emerserit.

tantam

dicto

Der Ausdruck

magistro confusio

168

Dietrich Kurze

bis 1233/34 mit dem Leitbegriff Konfusion recht treffend gekennzeichnet. Verwirrt scheinen nach heutigen Maßstäben nicht nur die Gemüter bis hinauf zum Papst in ihrer religiösen Erregung und Verunsicherung gewesen zu sein, so daß sich Furcht vor Ketzern in dem Sinne radikalisierte, daß der Sämann des Unkrautes, der Teufel selbst, als vermeintliches Kultobjekt der Häretiker die Einbildungskraft der Ketzerbekämpfer - voran Konrad von Marburg - besetzte und Luziferianismus (wieder)entdecken ließ 128 . Verwirrend scheint daneben die angebliche Vielzahl der Sekten und der Glaubensirrtümer gewesen zu sein, so daß man nur noch aufzählte, ohne zu strukturieren 129 , oder Vorwürfe verbreitete, die nach der Methode der „stillen Post" an das Ohr Leichtgläubiger gelangt sein könnten 130 . Konfus, weil verschiedenen Prinzipien verpflichtet, waren aber vor allem auch die in unserem Zusammenhang vornehmlich interessierenden prozessualen Arten der Ketzerbekämpfung. Die „Luziferianerin" Lucardis wurde beispielsweise von dem bischöflichen Sendgericht in Trier verurteilt 131 . Und es war wohl dieselbe Synode, auf der der Erzbischof über die Täuschungen der Ketzer informierte und auf der von drei vorgeführten Häretikern nur einer verbrannt, zwei aber entlassen worden sein sollen 132 . Das kann Konrad und seinen Helfern nicht unbekannt geblieben sein, hinderte sie aber nicht daran, unter Berufung auf

ist aus dem Anschreiben (S. 932 Z.lf.: ... et facta

est confusio

a seculis

inaudita)

übernommen. 128

Zu diesem

Komplex sehr erhellend P a t s c h o v s k y ,

Ketzerverfolgung

bes.

S.660ff. und zuletzt wieder Alexander P a t s c h o v s k y , Der Ketzer als Teufelsdiener, in: Papsttum, Kirche und Recht im Mittelalter. Festschrift für Horst Fuhrmann (1991) S. 317-334. 129

Hatte der im Chron. Alberici überlieferte Brief Konrads Zielgruppe mit dem

Hinweis auf Waldensertum als angeblicher Tochterhäresie der Manichäer noch halbwegs richtig auf einen Nenner gebracht, so beließen es beispielsweise die Gesta Treverorum, ed. W a i t ζ (wie oben Anm. 115) S. 401 mit einer Aufreihung von zehn Glaubensirrtümern. 130

Das vermute ich beim Chron. Wormatiense, ed. Β ο ο s, S. 169, demzufolge Konrad

von Marburg und seine Genossen versichert haben sollen, der Graf von Sayn reite auf einem Krebs (equitasse in cancro).

Ein solcher Vorwurf ist mir sonst aus der

Ketzergeschichte nicht bekannt, wohl aber gehörte es zum Standardvokabular, Häresie als krebsartigen Schaden zu bezeichnen. 131

Gesta Treverorum (wie Anm. 115) S. 401 Z.15ff.; dazu der klärende Hinweis von

P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S. 662 Anm. 58. 132

Gesta Treverorum S. 402 Z . l f .

Anfänge der Inquisition in Deutschland

169

die apostolische Autorität 133 bei eigenständigem Vorgehen gegebene oder auch nur beanspruchte neue Prozeßmöglichkeiten auszuschöpfen, was wiederum angeklagten Ketzern die Chance bot, durch gezielte Falschaussagen auch noch ihrerseits zur Konfusion beizutragen 134 . Papst Gregor hätte wohl Anlaß zur Reue haben können, aber nicht nur wegen zu großzügiger Bevollmächtigung Konrads von Marburg oder wegen der unkritischen Kenntnisnahme der Berichte über die angeblichen wüsten Ketzerpraktiken mit widerlichem Teufelskult, die sein Herz fast stillstehen ließen, seine Seele verwirrten, ihn umnebelten und seinen Verstand mit Bitternis erfüllten 135 , auch nicht nur, weil er übersehen hatte, daß seinem Beauftragten bei aller funktionalen Tüchtigkeit die für einen christlichen Richter unentbehrliche Voraussetzung der misericordia abging, sondern weil, als er mit dem Schreiben an Konrad vom Oktober 1231 und den bald folgenden Ille humani generis-Bullen an Dominikaner, Erzbischöfe, Bischöfe und weltliche Große zur Ketzervernichtung blies, die dabei anzuwendenden Regeln nicht hinreichend präzisierte bzw. vereinheitlichte und das Versäumte auch bei späterer Gelegenheit - z.B. Mitte Juni 1233 bei der Versendung von Vox in Rama136 - nicht nachholte, vielmehr das eigentlich ,Inquisitorische' völlig überging und nur noch den Ausrottungswillen anstachelte. So begründbar der Vorwurf der Fahrlässigkeit ex post erscheinen mag, so wenig ist er bei näherer Betrachtung der Zeitumstände und der konkreten Situation geeignet, die Anfänge der päpstlichen Ketzerinquisition in Deutschland mit einer neuen Sündenbocktheorie zu verbinden. Das würde die Akzente falsch setzen und unsere Fragen auf 133

Das auctoritate apostolica betonen z.B. die Annales Erphordenses (wie Anm. 116)

S. 82. 134

Chron. Alberici (wie Anm. 116) S.931 Z.30ff.

135

So seine eigenen Worte in der Bulle Vox in Rama, M G H Epp. saec. X I I I 1, S. 432

Z.37f. 136

Vox in Rama war (mutatis mutandis) an vier Adressaten bzw. Adressatengruppen

gerichtet: 1. (13. Juni 1233) an den Erzbischof von Mainz, den Bischof von Hildesheim und Konrad von Marburg, die mit ihrem Teufelskultbericht (littere vestre),

für den

Konrad die Hauptverantwortung getragen haben dürfte, den Papst aufschreckten und seine den heutigen Leser befremdende Reaktion provozierten; 2. (14. Juni) an die Bischöfe der Mainzer Kirchenprovinz, ein Haupttätigkeitsfeld Konrads; 3. und 4. (bereits am 11. Juni 1233) an Friedrich II. und König Heinrich (VII.), über die auch alle Fürsten in Deutschland in die Pflicht genommen werden sollten. Druck: M G H Epp. saec. X I I I 1, S. 5 3 2 - 5 3 5 N r . 537 I-IV.

170

Dietrich Kurze

einen Irrweg leiten. Vorrangiges Ziel Gregors IX. war es offenkundig nicht, die „päpstliche Inquisition" einzuführen, sondern sicherzustellen, daß das als hochgefährlich eingeschätzte Ketzerwesen mit großer Entschlossenheit wirkungsvoller als bislang bekämpft werde. Dafür boten sich mit Konrad von Marburg eine einmalige Persönlichkeit und mit den Dominikanern ein neuer, instrumentalisierbarer Orden an. Grob fahrlässig wäre es aber gewesen, an den bestehenden kirchlichen Machtstrukturen in Deutschland vorbei zu operieren, zumal sie in der Regel repräsentiert wurden durch verantwortungsbereite, vor allem aber starke und selbstbewußte Erzbischöfe und Bischöfe. Die Hirten der Mainzer und Trierer Kirchenprovinzen hatten selbst Gregor IX. auf Konrad von Marburg hingewiesen 137 , sie blieben für die Häresiefrage verantwortlich, nahmen die Verantwortung auch weiterhin wahr138 und erhielten sogar im Oktober und November 1232 für die Degradation ketzerischer Geistlicher größere Vollmachten als bisher139. Allem Anschein nach war die Beauftragung Konrads und der Dominikaner als Hilfe bei der Ketzerbekämpfung in Deutschland und nicht als alternatives Kampfmittel gedacht und so auch vom Episkopat zunächst angenommen. Erst als Konrad und seine Genossen trotz der Mahnung der rheinischen Erzbischöfe bei ihren Methoden

137

Siehe oben S. 157 f. So der Trierer Erzbischof beim Sendgerichtsverfahren gegen die Lucardis und bei seinen synodalen Anordnungen; siehe oben S. 168; besonders beachtenswert auch die Mainzer Provinzialstatuten, Einleitung und c.1-3: M o n e , Kirchenordnungen (wie Anm. 114) bes. S. 135. 139 Zuerst an Bischof Berthold von Straßburg am 19. Okt. 1232, M G H Epp. saec. XIII 1, S. 390 N r . 585; sodann am 12. November an den Erzbischof von Bremen, P o t t h a s t 9042 und am 22. November an den Erzbischof von Salzburg, P o t t h a s t 9046; vgl. auch F ö r g , Ketzerverfolgung S. 50f. - Das Mandat ist in mehrfacher Weise erhellend: Es zeigt, gerade im Vergleich mit dem Verfahren gegen Heinrich Minnike, wie auch bei der Klerikerdegradation die formalen Hürden immer weiter abgebaut wurden, und läßt darauf schließen, daß auch Geistliche in beträchtlicher Zahl häresiebefleckt waren, aber zur Empörung der Laien untertauchen konnten oder nur zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Leider versagt uns der Text ebenso wie die Chronistik eine Antwort auf die Frage nach der Rolle Konrads von Marburg bei der Uberführung häresieverdächtiger Kleriker. Auch hätte man gerne Sicherheit darüber, ob der Straßburger Bischof den Papst direkt mit dem Problem konfrontiert hat, oder ob Gregor IX. gleichsam hinter seinem Rücken informiert wurde. Zur dominikanischen Inquisition in Straßburg spätestens 1234 siehe oben S. 162 f. 138

171

Anfänge der Inquisition in Deutschland

blieben 140 , und als schließlich der Graf von Sayn den Prediger dadurch ausmanövrierte, daß er seiner Zitation nicht folgte, sondern sich einem Akkusationsverfahren stellte 141 , erwies sich vor aller Augen, daß das ketzerpolitische Programm Gregors IX. für Deutschland so nicht weiter durchführbar war. Die Ermordung Konrads auf dem Heimweg vom Frankfurter Hoftag nach Marburg und bald darauf (wahrscheinlich) auch die seiner Gesinnungs- und Tatgenossen Tors und Johannes 142 traf die Aktivsten unter den päpstlichen Sonderbeauftragten, und der nach sorgfältiger Untersuchung (diligenti facta inquisitione) von Erzbischof Siegfried III. von Mainz und dem Dominikaner Bernhard, einem ehemaligen päpstlichen Pönitentiar, wohl im Auftrag des Mainzer Hoftages vom April 1234 an Gregor I X . gesandte Brief 143 verwarf in kaum zu überbietender Deutlichkeit das von Konrad praktizierte Prozeßverfahren. Dabei wurde als Maßstab für die empörte Ablehnung sowohl die rechtsförmliche Unzulässigkeit der Methoden genannt als auch die katastrophalen Folgen für das Leben, das Gewissen und das Rechtsempfinden vieler betroffener Unschuldiger sowie für das gesamte soziale Gefüge. Nur mitgeteilt wird dem Papst in dem Schreiben schließlich, daß der Graf von Sayn und andere nach durchgeführter Untersuchung ihren guten Ruf (fama) und ihre Besitzungen zurückerhalten haben, daß meineidigen Notlügnern 140

Ego archiepiscopus

[i.e. Maguntinus] magistrum

duobus archiepiscopis Coloniensi et Treverensi negotio se gereret,

Conradum

primo solus, postea cum

mortui, ut moderatius

et discretius in tanto

heißt es in dem im Chron. Alberici überlieferten Brief (wie Anm. 116)

S. 932 Z.2-4. - Wieweit allerdings der Kölner Erzbischof als Person noch die Autorität hatte, um Konrad ernsthaft ermahnen zu können, ist angesichts des seit Ende 1231 gegen ihn laufenden und bis in den Sommer 1233 erwähnten Inquisitionsverfahrens wegen seiner Exzesse wohl keine rhetorische Frage; vgl. M G H Epp. saec.XIII 1, S. 369f. N r . 459 u.ö. bis S . 4 3 8 N r . 550; Richard K n i p p i n g

(Bearb.), Die Regesten

der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter 3,1 (Publikationen der Gesellschaft für Rhein. Geschichtskunde 21, 1909) N r r . 7 4 6 u.ö. bis 782. - Immerhin hat im Zusammenhang mit Konrads von Marburg Inquisition in Köln der Ketzer Lepzet in iudicio publico ,Luziferianer'-Geständnis abgelegt; vgl. dazu ausführlich P a t s c h o v s k y ,

sein

Ketzerver-

folgung S. 65 Iff. 141

Alles Nähere bei P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S.684ff.

142

Chron. Wormatiense, ed. B o o s , S. 169 Z.33f.: Frater

apud Argentinam,

et lohannes

suspensus apud Frideberg;

vero

Dorso fuit

occisus

zur Glaubwürdigkeit dieser

Nachricht siehe P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S . 6 4 9 . 143

Vgl. Anm. 125. S c h e e b e n ,

Beiträge (wie Anm. 115) S. 145 Anm. 18 sieht in

der Beteiligung Bernhards die Verurteilung Konrads von Marburg in Kreisen des Dominikanerordens.

172

Dietrich Kurze

eine siebenjährige B u ß e auferlegt w u r d e u n d die M ö r d e r K o n r a d s e x k o m m u n i z i e r t w o r d e n sind, w ä h r e n d m a n diejenigen, die U n s c h u l d i g e angeklagt hätten, z u m P a p s t schickte u n d die E n t s c h e i d u n g ü b e r die Irregularität v o n Schuljungen, die z u K e t z e r v e r b r e n n u n g e n

gelaufen

w a r e n 1 4 4 , i h m e b e n s o überließ wie die A n t w o r t auf das P r o b l e m d e r unschuldig Gestorbenen145. In D e u t s c h l a n d blieb K o n r a d v o n M a r b u r g a u c h n a c h seinem gew a l t s a m e n T o d u m s t r i t t e n . Einerseits gab es „gewisse A n s ä t z e z u ein e m lokalen K u l t " 1 4 6 , andererseits soll ein P r ä l a t gesagt haben, K o n r a d verdiene es a u s g e g r a b e n u n d w i e ein K e t z e r v e r b r a n n t z u w e r d e n , u n d kursierte das G e r ü c h t v o n seiner V e r d a m m u n g 1 4 7 . K a n n der H i s t o riker d e n damaligen Streit einer h ö h e r e n I n s t a n z z u r

Entscheidung

überlassen, so ist der g e g e n w ä r t i g e n K o n t r o v e r s e u m geregeltes o d e r ungeregeltes Verfahren seitens K o n r a d s v o n M a r b u r g nicht

durch

bloßes R e f e r i e r e n der v e r s c h i e d e n e n S t a n d p u n k t e a u s z u w e i c h e n , w e n n es u m die A n f ä n g e der Inquisition in D e u t s c h l a n d geht. Wenigstens erste H i n w e i s e m ü s s e n g e w a g t , vielleicht k a n n s o g a r z u einem s p ä t e r e n B r ü c k e n s c h l a g beigetragen w e r d e n . Die Diskrepanz, die in unseren Augen darin besteht, daß die Kirche durch ihre Vertreter Ketzer zur Verbrennung an den weltlichen Arm überlieferte, so daß die Chronistik verkürzend berichten konnte, die Inquisitoren hätten Häretiker verbrannt, und daß andererseits ein Weihehindernis in der Beteiligung am Feuermachen als Schulkind gesehen wurde, hatte ihren kirchenrechtlichen Grund im strikten Tötungsverbot. Wie sensibel hier die Gewissen sein konnten, zeigt u.a. der - erfolgreiche - Dispensantrag eines Zisterziensers, der, als er noch Weltkleriker war, bei einer Judenverbrennung aus Glaubenseifer mit anderen Holzscheite in das Feuer warf, aber nicht wußte, ob die Juden zu diesem Zeitpunkt schon tot waren oder nicht; siehe Shlomo S i m o n s o h n , The apostolic See and the Jews. Documents 1 (Pontifical Institute for Medieval Studies. Studies and Texts 94, 2 1991) S.366f. Nr. 348 zu 1322 Jan. 13; ein ganz ähnlicher Fall ebd. S. 386 Nr. 350 zu 1335; ein analoges, aber auch für die Alltagsgeschichte der Jugend interessantes Beispiel bietet ein Brief Innozenz III. an den Bischof von Zamora vom 21. Mai 1204, M i g n e PL 115, Sp.353. - Kurz vor der Anfrage aus Mainz hatte übrigens Gregor IX. mit Schreiben vom 12. Mai 1234 angeordnet, daß ein Subdiakon, der aus Glaubenseifer (utpote zelator fidei orthodoxe) Brennholz in eine Grube warf, bevor der Ketzer dort hineingestoßen wurde, nicht zum Altardienst zugelassen werden dürfe, A u v r a y , Registres Sp.l053f. Nr. 1930. 144

Das zielte darauf, daß Konrad von Marburg denen das Martyrium versprochen hatte, die lieber unschuldig sterben als durch eine Lüge dem Scheiterhaufen entgehen wollten. 146 P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S.650. 147 Annal. Erph., ed. H o l g e r - E g g e r , S. 86 Z.24f., bzw. Chron. Alberici, ed. S c h e f f e r - B o i c h o r s t , S.932 Z.14f. 145

Anfänge der Inquisition in Deutschland

173

Zunächst ist auf die Quellenmisere hinzuweisen. Ganz anders als im Minnike-Fall gibt es für Konrad von Marburg als Ketzerverfolger und sein inquisitorisches Umfeld nur mehr oder weniger summarische Berichte, die kaum etwas aussagen über Ort, Zeit, beteiligte Personen, Vorverfahren, Verfahren usw. Als Texte kommen, teils wegen ihres offiziellen Charakters, teils wegen der dort ebenfalls gebrauchten juristischen Fachterminologie (excusatio, recusatio, exceptio, testimonium, defendi locus, inducie deliberationis, in continenti), nur der Brief des Mainzer Erzbischofs und des Dominikaners Bernhard an Gregor IX. sowie die Continuatio Gesta Treverorum in Frage148. Beide Texte gehen von dem Schaden, den Konrad in seinem Eifer angerichtet hat, aus und lassen erkennen, daß Konrads Methoden zu dem Schaden geführt haben. Sie vermeiden die in anderen Quellen benutzten Worte iustus oder iniustus149. Ihre Mißbilligung wird, wie es scheint, kategorial anders, aber damit nicht weniger hart ausgedrückt, indem sie zusammenfassen: et facta est confusio a seculis inaudita150. Auch wenn sodann Erzbischof Siegfried fortfährt, er habe zunächst alleine und später mit den beiden Erzbischöfen von Köln und Trier Konrad ermahnt, er möge sich zurückhaltender und mit mehr Unterscheidungsvermögen aufführen (ut moderatius et discretius in tanto negotio se gererei), beschränkt sich die Schelte des Verfahrens auf das Wie seiner Anwendung. Insofern dürfte also die Bezeichnung „ungeregelt"151 nicht glücklich gewählt sein. Aber auch die Gegenthese, Konrad habe die Regeln des neuen Ketzerinquisitionsverfahrens konsequent angewandt, scheint in ihrer Zuspitzung, Konrad sei „wohl bis an die Grenzen von dessen prozeßrechtlichen Möglichkeiten, aber nicht darüber hinaus" gegangen, mehr zu versprechen, als wirklich beweisbar ist152. Die Belege

148 Chron. Alberici S. 931 Z.25 - S . 932 Z.12; GestaTrev., ed. W a i t z , bes. S. 400 Z.43401 Z.14. Zu der genannten Rechtsterminologie gibt P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S. 668ff. die notwendige Auskunft. 149 Z.B. Chronica Regia Coloniensis, Continuatio IV, hg. von Georg W a i t z , M G H SS rer. Germ. [18] 1880, S. 264; der Tendenz nach auch das Chron. Wormat., ed. Β ο ο s, S. 167ff.

Chron. Alberici, S.932 Z.lf. S e g l , Konrad von Marburg (wie Anm. 56) Sp.545, dort auch „Rechtsbrüche"; vgl. auch oben Anm. 123. 152 P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung, passim, bes. S.665ff. (auch zur früheren Forschungslage, die hier nicht rekapituliert werden soll) und S. 690. 150 151

174

Dietrich Kurze

stammen z u m großen Teil aus der Zeit nach Konrads Wirken, so daß ex post von dem vollentwickelten Verfahren aus rückwärts geschlossen werden muß. Das ist methodisch nicht unproblematisch, m u ß jedoch zu keinen falschen Ergebnissen führen. Der springende Punkt aber, der Konrad nun doch mit einer größeren persönlichen „Schuld" belastet, die nicht in ihrer Gänze auf das „System" abgewälzt werden kann, ist der Mangel an moderatio und discretio. Dieser Mangel ist gewiß von denen, die das ordentlich römisch-kanonische Prozeßverfahren als Maßstab anlegten 153 , besonders krass empfunden worden, aber auch die Vertreter der neuen Regeln waren für ihn nicht blind. Könnte es nicht sein, daß gerade aus diesem Grunde sich der ehemalige päpstliche Pönitentiar, der Dominikaner Bernhard Teuto, als Mitverfasser des Mainzer Schreibens in den Protest einbinden ließ? Erwünscht wäre eine authentisch überlieferte Reaktion Papst Gregors IX. auf den Brief, aber die gibt es nicht, wenngleich seine bissige Bemerkung „die Deutschen waren immer rasend, und deshalb haben sie jetzt rasende Richter", vom Verfasser des Chronicon Wormatiense zumindest gut erfunden zu sein scheint 154 . Mittelbar hatte der Papst jedoch schon am 21. O k t o b e r 1233 von sich aus die versäumte Regelanweisung nachgeholt, und zwar in einer Weise, die erheblichen Zweifel daran erweckt, ob Konrad von Marburg zur Anwendung der „neuen" Verfahrensweisen überhaupt autorisiert war, und gewiß macht, daß Vox in Rama präzisiert und ergänzt werden sollte 155 . Gerichtet war das Schreiben an Erzbischof Siegfried III. von

153 Der von P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S. 666 Anm. 73 konstatierte „Zusammenprall zweier Rechtsvorstellungen" wird von mir nicht bestritten, doch scheint mir aus der bewußt vorsichtigen Ausdrucksweise im Chron. Alberici und in den Gesta Trev. hervorzugehen, daß man das neue Verfahren nicht prinzipiell, sondern über die Art seiner Handhabung ablehnen wollte. - Zu fragen bliebe noch, ob nicht auch das kaiserliche Mandatum de hereticis Teutonicis persequendis (oben Anm. 106) einen „Zusammenprall" auslösen mußte. 154 Chron. Worm., ed. B o o s , S. 170 Z.3: Ecce Alemanni semper erant furiosi, et ideo nunc habebant iudices furioses. Insgesamt ist das Chron. Wormat. eher eine Quelle für die Erwartungen, die man in Deutschland an Gregor IX. richtete, als für dessen tatsächliches Reagieren. - Aus späterer Sicht schildern die Annales Erphordenses, ed. H o l d e r - E g g e r , S. 85f. zum Jahr 1234 den dramatischen Stimmungswechsel Gregors IX., der zunächst den Auftrag an Konrad habe zurückziehen wollen, dann aber beim Eintreffen der Mordnachricht litteras contra formam magistri Cunradi nuper scriptas zerrissen habe; vgl. auch unten Anm. 168. 155 M G H Epp. saec. XIII 1, S.451f. Nr. 558.

Anfänge der Inquisition in Deutschland

175

Mainz, Bischof Konrad II. von Hildesheim und an den Provinzialprior der Dominikaner in Deutschland, der ebenfalls Konrad hieß. Es wird befohlen, unter Heranziehung frommer, gottesfürchtiger und rechtskundiger Männer bei der Untersuchung, Verurteilung und Versöhnung sich an die Vorschriften des Lateranense IV und an die neu erlassenen Ketzerstatuten zu halten; gestraft werden soll so, daß die Reinheit der Unschuld nicht verletzt wird 156 . Ganz ähnlich äußerte sich der Papst etwas später anläßlich analoger und fast zeitgleicher Vorgänge in Frankreich 157 und untermauert damit die Vermutung, daß Gregor IX. zwar mit ganzem Herzen hinter der Konrad gestellten Aufgabe stand, aber die Rigorosität des von jenem angewandten Verfahrens nicht zu decken bereit war. Schon als der Papst unter Hinweis auf die neu erlassenen Ketzerstatuten im Januar 1233 den Bischof von Auxerre und einen Archidiakon gegen einen häresieverdächtigen Ritter ansetzte oder als er den Dominikaner Robert le Bougre im April 1233 mit der Ketzerverfolgung beauftragte, hatte er auf sorgfältige Untersuchung gedrungen 158 . Könnte man das noch als formelhaft abtun, so muß doch seiner Mahnung zur discretio, die er im November 1234 seinen Legaten und mehreren südfranzösischen Bischöfen zukommen ließ, großes prinzipielles Gewicht zugestanden werden 159 . Sie ist das Leit- und 156 S. 452 Z.4-7: ... mandamus, quatinus assumptis vobiscum viris religiosis et Deum timentibus ac in iure peritis, in examinatione, condempnatione et reconciliatione secundum formam concilii generalis et statuta nuper a nobis edita procedatis, attentius provisuri ut puniatur sic temeritas perversorum, quod innocentie puritas non ledatur... 157 A u v r a y , Registres S. 1192f. Nr.2218, zu 1234 November 18. Anlaß war eine Beschwerde des Grafen Raymund von Toulouse; die Analogie geht bis in die Wortwahl bei der Beschreibung der Auswirkungen der Inquisitionsmethode: Mainz: confusio; Toulouse: turbatio. 158 A u v r a y , Registres S. 607 Nr. 1044 (... si supradictus Colinus de prefato crimine hereseos noscitur infamatus, et, inquisitione super hoc habita diligenti, fuerit inventus culpabilis, procedatis ...); S. 707-709 Nr. 1253 (... perquireris diligenti sollicitudine veritatem ...). 159 A u v r a y , Registres S. 1192f. Nr.2218: ... illos tarnen, quibus hoc injungitur, cum ea volumus discretione procedere, ut in facto puritas intentionis existat, ne deficiat virtus discretionis in modo, cum quod iustum est, juste fieri requiratur; mandamus quatenus, iniquis processibus provide obviantes ...; ... cum ea cautela et discretionis Providentia ... procedatis, quod innocentia non ledatur et iniquitas non remaneat impunita ... Nachträglich sehe ich, daß der Mangel an discretio zum Richteramt unfähig machen kann, so nach Meinung des zwischen 1210 und 1215 schreibenden Damasus; siehe Ludwig W a h r m u n d (Hg.), Die „Summa de ordine iudicario" des Magister Damasus (Quellen zur Geschichte des römisch-kanonischen Prozesses im Mittelalter 4,4, 1926,

176

Dietrich K u r z e

Rahmenmotiv, mit der Gregor IX. Beschwerden, die sich weithin mit den Vorwürfen gegen die Methoden Konrads von Marburg decken, abstellen möchte. Discretio gewährleistet die Reinheit der Intention beim Ausrotten der Häresie. Sie darf nicht fehlen, wenn das, was gerecht ist, auch als gerecht ins Werk gesetzt empfunden werden soll. Regelwidrigen Inquisitionsprozessen soll begegnet werden. Vorsicht und discretio dienen dem doppelten Ziel, Unschuld nicht zu verletzen und Unrecht nicht ungestraft zu lassen 160 . Beachtet man beides, die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten und die von Konrads Auftraggeber erwartete Einhaltung der discretio, dann kann man zwar Konrad von absichtlicher Rechtsbeugung freisprechen, sollte aber zugleich Anklage erwägen wegen Ermessensmißbrauch aus ungezügeltem Glaubenseifer 161 , einem Tatbestand, der nur schwer justiziabel zu machen ist, aber, wie gerade an Konrad von Marburg deutlich wird, von beträchtlicher historischer Wirksamkeit sein kann. Wenn man dem Bericht und dem Vokabular der Continuatio Gestorum Treverorum folgen darf, dann endete der dreijährige Feuersturm, die Ketzerverfolgung durch Konrad von Marburg und seine Helfer, endeten die höchstgefährlichen Zeiten, die ihresgleichen seit den Tagen des Ketzerkaisers Konstantius und des abtrünnigen Julian nicht gehabt hatten, mit der Ermordung Konrads (30. Juli 1233), um nun in heiterer Milde aufzuatmen 162 . Der von mir meteorologisch

N D 1 9 6 2 ) S. 4 4 (aus c.67): Discretio, repellendus, c.l).

Ob

sicut ab officio allerdings G r e g o r

quia furiosus

iudicandi, IX.

at III.

q.

et mente VII,

captus

§tria

(Grat,

mit seinen discretio-Hinweisen

a testimonio ad

und

est

C.III,

qu.7

mit der

ihm

unterstellten / « n o s K S - B e m e r k u n g (oben A n m . 154) für K o n r a d v o n Marburg zu diesem Schluß g e k o m m e n ist, scheint mir fraglich. 160

D e r Vorrang der Maxime, U n r e c h t nicht ungestraft zu lassen, - schon 1 2 0 9 bei

der E r o b e r u n g v o n Beziers (vgl. P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S. 667f. A n m . 7 7 ) praktiziert, von K o n r a d v o n M a r b u r g in sein Martyriumsversprechen integriert ( C h r o n . Alberici, S. 391 Z.45f.) und von Tors und Johannes angeblich mit den W o r t e n comburere

centum

innocentes

W o r m a t . , ed. B o o s ,

inter

quos

S. 168 Z.19f.) -

esset unus

reus

Vellemus

drastisch bestätigt ( C h r o n .

müßte demnach in Gregors A u g e n nicht z u

rechtfertigen gewesen sein. 161

C h r o n . Alberici S. 931 Z . 3 4 : nimis ei crediderit;

Z . 3 8 : indicium fulminante;

ähnlich

auch in der C h r o n i c a regia Coloniensis (wie A n m . 149) S. 64: nimis precipiti

sententia.

D e r K o n r a d von allen Seiten bestätigte zelus fidei entbindet nicht v o m Kirchenrecht. 162

Gesta Treverorum, ed. W a i t z , S. 4 0 2 Z.31f.: Exbincprocella

et periculissima

tempora,

apostate nulla alia fuere

quibus

a diebus

similia, sereniori

Constantii

ceperunt

spirare

iliapersecutio

imperatoris dementia.

heretici

cessavit et

Juliani

Anfänge der Inquisition in Deutschland

177

noch zugespitzte Vergleich ist insofern zutreffend, als Konrads Persönlichkeit den wie ein Paukenschlag ohne nachfolgend einsetzendes großes Orchester wirkenden Anfang der Inquisition in Deutschland am nachhaltigsten und auffallendsten geprägt hat. Aber er war, um im wetterkundlichen Bild zu bleiben, kein Blitz aus heiterem Himmel. Zum besseren und sachgerechteren Verständnis der Inquisitionsanfänge bedarf es also eines weiteren Blickes auf die Großwetterlage, auf die Rahmenbedingungen, auf individuelle und überindividuelle Förderungen, Wegbereitungen und Hemmnisse. Andeutungen, Stichworte müssen an dieser Stelle genügen. Auf die politische Situation, auf das durch die Friedensschlüsse von S. Germano und Ceperano wieder geordnete Verhältnis zwischen Kaisertum und Papsttum mit seinen Auswirkungen auf den alpinen und nordalpinen Raum gleichsam als Voraussetzung für einen realitätsnahen päpstlichen Auftrag zur Ketzerinquisition neuen Stils in Deutschland ist schon hingewiesen worden, ebenso auf die gleichgerichteten weltlichen und geistlichen Ketzererlasse 1231/33. Andererseits sind das Scheitern Konrads von Marburg und der Erfolg des Grafen von Sayn auf dem Tag zu Mainz im Juli 1233 sowie die anschließend an die Kurie geschickte Delegation, sodann die Entscheidungen auf dem Frankfurter Tag Anfang Februar 1234, d.h. die Zulassung der Grafen von Sayn und Solms und anderer zum Reinigungseid und die Konstitution, die bei Ketzerverfahren sorgfältige Regelbeachtung und aequitas anmahnte, und endlich auch das Mainzer Synodalgericht vom 2. April 1234163, dessen kritische Ergebnisse das oben vorgestellte Schreiben zusammenfaßt, nicht ohne die immer stärker bremsende Politik König Heinrichs (VII.) zu verstehen164. Hatte Friedrich II. in den Jahren 1238 und 1239 wenigstens noch für Cremona, Verona und Padua sein Ketzergesetz von 1232 verschärfend in Erinnerung gebracht165, so mußte die erneut aufgipfelnde Spannung zwischen den beiden Universalgewalten eine päpstliche Inquisition in Deutschland lahmlegen, wie denn - gleichsam 163

Die Daten und Fakten mit den notwendigen Quellenhinweisen finden sich bequem bei P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S.684-689. 164 Vgl. auch - wenig befriedigend - Emil F r a n z e l , König Heinrich VII. von Hohenstaufen. Studien zur Geschichte des „Staates" in Deutschland (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte 7,1929) bes. S. 114-118; ohne ketzerpolitischen Bezug: Eugen R o s e n s t o c k , Über „Reich", „Staat" und „Stadt" in Deutschland von 1230-1235. Bemerkungen zu Emil Franzel ..., MIÖG 44 (1930) S. 401-416. 165 F ö r g , Ketzerverfolgung S. 56.

Dietrich Kurze

178 spiegelbildlich -

P s e u d o - D a v i d v o n A u g s b u r g d e n Streit

zwischen

I n n o z e n z IV. u n d F r i e d r i c h II. als b e s o n d e r s k e t z e r b e g ü n s t i g e n d schildert166. H e r v o r z u h e b e n ist das g r o ß e p e r s ö n l i c h e E n g a g e m e n t ,

aus

dem

heraus P a p s t G r e g o r nicht n u r s c h o n bald n a c h seiner K o n s e k r a t i o n d e n a u c h sonst g e s c h ä t z t e n 1 6 7 M a r b u r g e r M a g i s t e r u n d P r e d i g e r des Wortes

G o t t e s m i t d e m A u f s p ü r e n v o n K e t z e r n beauftragte,

ihm

s o w i e d e n D o m i n i k a n e r n v e r s c h i e d e n e r O r t e seit 1 2 3 1 inquisitorische V o l l m a c h t e n erteilte u n d d u r c h Schreiben an kirchliche u n d weltliche G r o ß e F l a n k e n s c h u t z z u e r r i c h t e n suchte, s o n d e r n die Sache K o n r a d s a u c h ü b e r dessen T o d hinaus m i t h o h e r A u f m e r k s a m k e i t , ja B e t r o f fenheit, verfolgte u n d m i t allen K r ä f t e n u n t e r s t ü t z t e 1 6 8 . M a n m ö c h t e Wilhelm P r e g e r , Der Tractat des David von Augsburg über die Waldesier (Abh. München 14,2, 1878) c.26, S. 219. Aus dem personellen Umfeld der deutschen Ketzerverfolger paßt hierzu gut die Notiz, Bischof Konrad II. von Hildesheim habe sich 1247 von seinem Amt entbinden lassen tum propter senium, tum propter scisma quod fuit inter sedem apostolicam et imperium, Chronicon Hildesheimense, ed. Georg Heinrich P e r t z , MGH SS 7, S. 861 Z.28. Die Resignationsabsicht bestätigte Papst Innozenz IV. bereits am 7. Juli 1246 von Lyon aus, MGH Epp. saec. XIII 2, S. 162 Nr. 215, auch UB Hochstift Hildesheim 2, S. 384 Nr. 758. Die Wahl des Nachfolgers offenbarte ein „Schisma" innerhalb des Domkapitels; vgl. UB Hochstift Hildesheim 2, S. 398f. Nr. 788, zu 1247 April 29. 166

167 Z.B. beim Einsatz gegen konkubinare Priester (1227 Juni 20), A u v r a y , Registres S. 57f. Nr. 113; weitere Beispiele in MGH Epp. saec. XIII 1, S.276 Nr. 361, S. 389f. Nr. 484 und S. 400f. Nr. 503. 168 An erster Stelle ist natürlich zu erinnern an Gregors IX. leidenschaftliche Reaktion auf die Nachricht von Konrads Ermordung in dem an alle Prälaten Deutschlands gerichteten Mandat vom 23. Oktober 1233, wo er sich kaum eine angemessene weltliche Strafe für die Mörder vorstellen kann sowie Exkommunikation und Interdikt an allen Sonn- und Feiertagen zu verkünden befiehlt, nachdem er einleitend den Toten mit fast peinlich wirkendem Überschwang gelobt und betrauert hatte, Druck u.a. MGH Epp. saec. XIII 1, S.453ff. Nr.560; R i p o l l , Bullarium 1 (wie Anm.99) S.63 Nr. 102. Die in der Literatur vielbeachtete Bezeichnung des Marburgers als Brautführer der Kirche (ecclesie paranymphum) hatte er übrigens spätestens am 28. Februar 1233 in sein Vokabular anläßlich eines Schreibens an die französische Kirche und den Kanzler der Pariser Universität aufgenommen (dormientibus paranimphis), siehe H. D e n i f l e / A . C h a t e l a i n , Chartülarium Universitatis Parisiensis 1 (1899, N D 1964) S. 149f. Nr.97. Weiter ist zu denken an Gregors Ketzerkreuzzugsaufforderung vom 31. Oktober 1233, MGH Epp. saec. XIII 1, S.455f. Nr. 561, die ganz auf Konrads, jedoch von den rheinischen Erzbischöfen gar nicht goutierten Linie lag, bis hin zur Schelte der im Februar 1234 in Frankfurt eingenommenen Haltung und Anweisung, welche Bußen den Mördern auferlegt werden, in den Schreiben vom 26. und 31. Juli 1235 (MGH Epp. saec. XIII 1, S. 544-547 Nr. 647 I.u.II.).

179

Anfänge der Inquisition in Deutschland

geradezu von einer „päpstlichen" Inquisition im doppelten Wortsinne sprechen. Zu den unmittelbar fördernden Rahmenbedingungen zählt zudem die Kooperationsbereitschaft jedenfalls von Teilen des deutschen Hochklerus. Gewiß gab es Spannungen und Abwehrreaktionen gegen Beauftragte, die von außen in den Bereich der episkopalen Jurisdiktionsgewalt eindrangen, visitierten, reformierten, Geld sammelten oder sich auch in Ketzerfragen als kompetent erachteten 169 , aber insgesamt war der Episkopat in Deutschland doch zu mächtig und selbstbewußt - erinnert sei nur an die Confoederatio cum principibus ecclesiasticis von 1220 und an das Statutum in favorem principum von 1232 um etwa die Hilfe der Dominikaner bei der Ketzerbekämpfung als essentielle Gefährdung der eigenen Autorität zu empfinden, zumal wohl nicht abzusehen oder noch nicht zu erkennen war, daß sich mit der Ketzerinquisition eine dauerhafte Institution etablieren könnte, und zumal der Papst sich bemühte, Konrad und die Dominikaner nicht gegen den Willen der Bischöfe, sondern im Einvernehmen mit ihnen Fuß fassen zu lassen. Beispiel und Exponent besonders förderlicher Haltung war Bischof Konrad II. von Hildesheim, der es verdient, wenn man nach den Anfängen der Inquisition in Deutschland fragt, von der Forschung noch stärker berücksichtigt zu werden. Hier nur eine knappe, den häresiologischen Aspekt betonende Porträtskizze 170 : Konrad, der viel169

Zu den mit der Kreuzzugspredigt Hand in Hand gehenden Versuchen direkterer

Einflußnahme der Kurie vgl. u.a. Paul B. P i x t o n , Anwerber des Heeres Christi: Prediger des Fünften Kreuzzuges in Deutschland, D A 34 (1978) S. 166-191.

Ein

schönes Beispiel für die Zurückweisung äußerer Einflüsse ist die Mitteilung des Kölner Erzbischofs Heinrich I. an eine Soester Priorin von 1226/28, sie solle nur Gott und dem Erzbischof (Deo et nobis) gehorchen, nicht aber den Weisungen des magister predicator

(Konrad von Höxter oder gar der spätere Bischof von

Conradus

Hildesheim?),

Westfälisches Urkunden-Buch 7 (1908) S. 120 N r . 284. Kritik scheint auch durch bei der Charakterisierung des Marburger Predigers in den Gesta Trever., ed. W a i t z , S. 400 Z.39-42: Iste est magister signatis, famosus, clericorum artare 170

Conradus,

auctoritatem

ac monalium

qui in multis predicationibus,

magnam

se intromittens,

sibi comparaverat eos ad observantiam

et maxime

in populis, qui de regulärem

et ad

de cruce visitatione continuam

voluit. Für den folgenden Abriß stützte ich mich besonders auf Paul

Hoogeweg,

Konrad II. (wie Anm. 28), auf Paul Brewer Ρ i x t o η, Konrad von Reifenberg, eine talentierte Persönlichkeit der deutschen Kirche des 13. Jahrhunderts, mittelrhein. Kirchengeschichte 34 (1982) S . 4 3 - 8 1 und auf, P i x t o n korrigierend, C r u s i u s , Konrad II. (wie Anm. 30).

Archiv

für

kritisierend und

180

Dietrich Kurze

leicht aus der Ministerialenfamilie von Erbach stammte, gehörte zu der vom Papsttum gern und gezielt in Dienst genommenen kirchlichen Reformelite mit besonderer Offenheit und Zuneigung für die neuen Orden in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Er studierte und lehrte in Paris Theologie, von wo aus er schon vor 1209 gegen die häretischen Albigenser das Kreuz predigte 171 . Bis 1216 ist er dann Domdekan in Speyer. In diese Zeit fallen (1213) seine Berufung durch Papst Innozenz III. zum Kreuzzugsprediger in der Erzdiözese Mainz (übrigens mit der auch anderen Kreuzpredigern sowie später auch Konrad von Marburg gegebenen Erlaubnis, sich Gehilfen suchen zu dürfen! 172 ) und seine Predigt bei der Krönung Friedrichs II. in Aachen, die u.a. die Kreuznahrrie des Staufers und vieler anderer Herren zur Folge hatte 173 . Seit 1216 erscheint er als Mainzer Domscholaster. Papst Honorius III. macht ihn zum päpstlichen Kaplan und zum Pönitentiar, bittet ihn 1220 - wieder mit der Möglichkeit, sich in ganz Deutschland geeignete Helfer heranzuziehen - , Tag und Nacht für die Sache des Kreuzzugs zu arbeiten 174 , und beauftragt ihn im folgenden Jahr, in den Erzbistümern Köln und Bremen die Gelder für Kreuzfahrerschiffe einzusammeln 175 . Seine Erfolge scheinen beträchtlich gewesen zu sein. Auch sonst mit päpstlichen Aufträgen geehrt und belastet, soll er (wie ein Legat) im Frühsommer 1221 die Resignation des Hildesheimer Bischofs Siegfried entgegennehmen

171

Chron. Hild. (wie Anm. 166) S. 860, Z.14f.: ... quia postquam

pagina

laudabiliter

rexer at, et crucem

contra Avienses praedicarat;

Parisius in

divina

C r u s i u s , Konrad

S. 434; vgl. auch U d o S t a η e 11 e, Die Hildesheimer Bischofschronik des Hans Wildefuer (Veröff. des Instituts für Historische Landesforschung der Univ. Göttingen 25, 1986) S. 124. 172

Migne

P L 216, Sp.821 N r . 2 8 : ... qui ascitis secum

auctoritate nostra statuant...;

viris providis

et

bonestis,

vgl. Ρ i x t o n , Anwerber (wie Anm. 169) S. 173f. mit dem

interessanten Hinweis, daß dem Bischof von Regensburg fünf Monate später gestattet wurde, ubi personaliter prout

negotium

ipse cogitasti, committas

exsequi

nequiveris

memoratum,

viris honestis et provides

auctoritate

vices tuas ( M i g n e

nostra P L 216,

Sp.907 N r . 111), daß also hier eine echte Subdelegationsmöglichkeit vorlag. 173

Annales Marbacenses,

hg.v. Roger W i l m a n s ,

MGH

SS 17 (1861)

S.173;

C r u s i u s , Konrad S . 4 3 4 . 174

B ö h m e r , Acta Imperii selecta S. 653 N r . 943 zu 1220 Juli 28: ... ad quod si non

potes solus sufficere, Alimanniam 175

alios de quorum

circumspectione

confidas, tui constituas per

totam

in eodem negotio adiutores ...; C r u s i u s , Konrad S . 4 3 5 .

M G H Epp. saec. X I I I 1, S. 116f. N r . 166, zu 1221 März 2; Regest auch bei

P r e s s u t i , Regesta 1, S . 5 1 3 N r . 3153.

Anfänge der Inquisition in Deutschland

181

und wird in diesem Zusammenhang selbst (wenn auch nicht ganz unstrittig) zum neuen Bischof gewählt176. Daß er sich sehr bald mit Zähigkeit, Eifer und Strenge dem Fall des Goslarer Propstes Heinrich Minnike annahm und dessen mindestens bis zur Degradation und lebenslänglicher Kerkerhaft gehende Verurteilung als Ketzer bewirkte, und daß ihn ein Teil der Chronistik schon damals in Zusammenhang mit Konrad von Marburg brachte, ist schon berichtet worden177. Trotz aller Unterschiede in der klerikalen Laufbahn der beiden springen funktionale Parallelen spätestens seit der 1216, noch unter Innozenz III. bezeugten Kreuzzugspredigt Konrads von Marburg, sodann durch mancherlei Reform-, Visitations- und Verwaltungsaufträge seitens Honorius III. ins Auge178. Zur Konvergenz in Ketzerfragen kommt es durch die Inquisitorentätigkeit des Marburger Predigers. Zusammen mit dem Erzbischof von Mainz sind es die beiden Konrade, die mit ihrem Brief über die angeblichen wüsten Ketzerpraktiken mit widerlichem Teufelskult Papst Gregors Vox in Rama-Bullen provozieren179. Wenig später im Oktober 1233, offenbar in ganz frischer Kenntnis von der Ermordung seines Inquisitors, beauftragt der Papst den Hildesheimer Bischof dafür zu sorgen, daß der Thüringer Landgraf bei seiner Verteidigung des katholischen Glaubens gegen die Ketzer

176

C r u s i u s , Konrad S. 435f., auch mit Hinweis auf die einschlägige Literatur zur

Pönitentiar- und Legatenfrage. 177

Siehe oben S. 139 ff. Nachgetragen sei noch, daß Konrad aus ihm sehr nahegehen-

der Erfahrung wissen mußte, wie leicht man zu Unrecht als Ketzer verdächtigt werden konnte. Es wird von Jordan von Giano berichtet, daß sein Schüler, der später hochverehrte Franziskaner Caesar von Speyer, in seiner Heimatstadt beinahe als Häretiker auf dem Scheiterhaufen gebracht worden wäre, wenn ihn Konrad nicht befreit hätte; siehe Lothar Η a r d i c k , N a c h Deutschland und England. Die Chroniken der Minderbrüder Jordan von Giano und Thomas von Eccleston (Franziskanische Quellenschriften 6, 1957) S. 45 (c.9); zu dieser Chronik vgl. Kajetan E s s e r , Eine vollständige Handschrift der Chronik des Fr. Jordanus von Giano, in: Studia historico - ecclesiastica. Festgabe für L . G . Spätling (Bibliotheca Pontificum Athenaei Antoniani 19, 1977) S. 4 1 9 - 4 5 1 . 178

Innozenz

III.: siehe oben Anm. 172. Honorius

III., der ihn wegen

seiner

Verdienste zu seinem Kaplan und Pönitentiar ernannt hatte, setzte ihn - wie später auch Konrad von Marburg! - gegen konkubinäre Priester ein, B ö h m e r , Regesta Imperii 5,2, S. 1136 N r . 6361, zu 1220 Jan. 16. 179

Siehe oben S. 169 Anm. 136.

182

Dietrich Kurze

nicht gehindert und belästigt wird180. Mit dem Erzbischof von Mainz und dem Dominikanerordensprovinzial für Deutschland ist Konrad II. unter den Adressaten des Schreibens, in dem der Papst zwar die Ketzerausrottung (besonders durch Dominikaner) lobt, zugleich aber die Einhaltung der Examinationsvorschriften des Lateranense IV und der jüngeren Statuten fordert, damit bei der Bestrafung der Übeltäter die Reinheit der Unschuld nicht verletzt wird181. Mitadressat ist zehn Tage später Konrad II. ebenfalls bei dem päpstlichen Kreuzzugsaufruf gegen die Mörder Konrads von Marburg vom 31. Oktober 1233 182 . Hingegen ist es bezeichnend, daß unser Bischof nicht zu den Verfassern des Schreibens zählt, das den Papst über die Mainzer Synode vom April 1234 und über die dort formulierte Mißbilligung der Methoden Konrads von Marburg unterrichtet183, obwohl er auf dem vergangenen Frankfurter Hoftag nach der Freisprechung des Grafen von Sayn diesen gebeten hatte, seinen Beschuldigern zu verzeihen184. Wohl aber wird der Hildesheimer Bischof ersatzweise für ihren Beichtvater zum Inquisitionsbericht über die Wunder der Elisabeth von Thüringen aufgefordert (Okt. 1234) 185 , wird er mit anderen über die Prozeßform gegen die Mörder Konrads von Marburg informiert (Juli 1235)186 und erhält - der Kreis seiner Aufgaben scheint sich zu schließen - im September 1235 das officium predicationis in der Provinz Mainz für

180 M G H Epp. saec. XIII 1, S. 450f. Nr. 557 I. und II., zu 1233 Oktober 20 und 23; die Mordnachricht scheint am 22. oder erst am 23. Oktober in Rom eingetroffen zu sein, denn in seinem Schreiben vom 21. Oktober (S. 451f. Nr. 558) bezieht sich der Papst, obwohl es nahegelegen hätte, noch nicht auf Konrads Tod. - Päpstliche Schutzaufträge für Herzog Otto von Braunschweig und Landgraf Heinrich von Thüringen, die aufgrund der Predigt Konrads II. das Kreuz genommen hatten, u.a. an den Hildesheimer Bischof folgten am 11. Februar 1234, U B Hochstift Hildesheim 2, S. 178f. Nr. 385 u. 386.

Siehe oben S. 174 f. mit Anm. 155 und 156. M G H Epp. saec. XIII 1, S.455f. Nr. 561; vgl. auch oben Anm. 168. 183 Wie Anm. 125. 184 Gesta Trever., ed. W a i t z , S.402. Der Bischof war dieser Quelle zufolge als päpstlicher Legat (ex parte domini pape) anwesend. Es muß für ihn eine besondere Demütigung gewesen sein, diese Bitte auszusprechen, denn er galt ja als Verteidiger des Inquisitors und soll ja auch in Frankfurt wegen seiner Kreuzbezeichnungen von Heinrich (VII.) zur Rede gestellt worden sein; vgl. B ö h m e r , Regesta Imperii 5,1, S. 779f. Nr. 4299 a und oben Anm. 180. 185 M G H Epp. saec. XIII 1, S.486 Nr. 599, zu 1234 Oktober 11. 186 Epp., S. 544-547 Nr. 647; vgl. oben S. 174 f. 181

182

Anfänge der Inquisition in Deutschland

183

den Kreuzzug in das Heilige Land187, dem Papst Gregor nun wieder Vorrang einräumt. Die offenkundige persönliche und sachliche Nähe des Hildesheimer Bischofs zu Konrad von Marburg als Inquisitor ist in doppelter Hinsicht erkenntnisfördernd. Zum einen beleuchtet sie - wenn vielleicht auch überscharf - die Akzeptanz in Teilen des deutschen Episkopats, ohne die der Inquisitor wohl kaum so lange hätte wirken können 188 .

187

Epp., S. 561f. Nr. 664, zu 1235 September 28. - Zu Bischof Konrad II. von Hildesheim und seine Kreuzpredigten nach dem Tod Konrads von Marburg verdienen die Thesen und Beobachtungen, daß sich Konrad II. und Dominikaner um eine Fortsetzung der Ketzerverfolgung des Marburgers bemüht haben und daß in diesem Zusammenhang auch die Fuldaer Judenverfolgung vom Dezember 1235 gehört, Beachtung; siehe Bernhard D i e s t e l k a m p , Der Vorwurf des Ritualmords gegen Juden vor dem Hofgericht Kaiser Friedrichs II. im Jahr 1236, in: Dieter S i m o n (Hg.), Religiöse Devianz. U n tersuchungen zur sozialen, rechtlichen und religiösen Abweichung im westlichen und östlichen Mittelalter (Ius commune, Sonderheft 48, 1990) S. 19-39, hier bes. S. 31-34. 188 Bei näherer Betrachtung dürften sich die Verhaltensfronten gegenüber Konrad von Marburg ziemlich genau beschreiben lassen. Am wenigsten Sympathie ist von dem Kölner Erzbischof zu erwarten (vgl. oben Anm. 140 u.169), während die Erzbischöfe von Mainz und Trier den Marburger verhältnismäßig lange gewähren ließen, um ihn dann doch, wenn auch ohne Erfolg, zur Zurückhaltung zu mahnen. Zu den Mainzern vgl. Wilhelm S a n t e , Siegfried II. von Eppstein, Erzbischof von Mainz, in: Nassauische Lebensbilder 1 (Veröff. der Historischen Kommission für Nassau 10,1, 1940) S. 1-16; D e r s . , Siegfried III. von Eppstein, ebd. S. 17-32; zu Trier: Karl P e l l e n s , Der Trierer Erzbischof Dietrich II. von Wied (1212-1242) (1960) bes. S. 45-54 u. 102-109, Kap.5: Die „Ketzer" und ihre Bekämpfung in Trier; für unsere Frage weniger hilfreich: Paul Brewer Ρ ix t o η , Dietrich von Wied: Geistlicher Ehrgeiz und politischer Opportunismus im frühen dreizehnten Jahrhundert, Archiv für mittelrhein. Kirchengeschichte 26 (1974) S. 49-73. Konrad II. von Hildesheim könnte von den Bischöfen, die aus seinem Domkapitel hervorgegangen waren, nicht ohne Erfolg Unterstützung erwartet haben, also von Paderborn, Osnabrück, Utrecht, Magdeburg u.a.; vgl. die Namen bei C r u s i u s , Konrad II. S.460. - Ein weiteres, mittelbares Kriterium zur Einstellung gegenüber den in Konrad von Marburg personifizierten Anfängen der Inquisition in Deutschland wäre die Haltung zu den Bettelorden, wie denn Bischof Konrad II. gewiß nicht zufällig als besonderer Förderer der Dominikaner, Franziskaner, Reuerinnen usw. galt; vgl. nur seine Erwähnung in der Chronik des Minoriten Jordanus von Giano, H a r d i c k , Nach Deutschland (wie Anm. 177) S. 69f. (c.35). Schließlich könnten die Prälaten, die sich am Kreuzzug gegen die Stedinger vorbereitend und aktiv beteiligten, aus Interessenüberschneidung ebenfalls die beiden Konrade haben gewähren lassen, zumal der Hildesheimer selbst zur Unterstützung der Kreuzzugspredigt von Papst Gregor IX. aufgefordert wurde; Druck des Mandats vom 19. Januar 1233 u.a. bei F. P h i l i p p i (Bearb.), Osnabrücker Urkundenbuch 2 (1896) S. 242 Nr. 306; Regest im UB Hochstift Hildesheim 2 (1901) S. 168 Nr. 358 mit weiteren

Dietrich Kurze

184

Z u m a n d e r e n reißt die Tatsache, d a ß K o n r a d II., dieser B u n d e s - u n d G e s i n n u n g s g e n o s s e des M a r b u r g e r s , z u d e n gebildetsten, d i p l o m a t i s c h versiertesten u n d p a p s t n ä c h s t e n R e f o r m b i s c h ö f e n seiner Zeit zählte u n d selbst m i t zahlreichen w i c h t i g e n , w e n n a u c h , n o r m a l e n ' Inquisitio n s a u f t r ä g e n b e d a c h t w u r d e 1 8 9 , d e n K e t z e r i n q u i s i t o r , dessen K l u g h e i t und praktische U m s i c h t

m a n ja a u c h z u r ü h m e n w u ß t e ,

aus

der

I s o l a t i o n der Perversität, in die m a n ihn aus heutiger Sicht so gerne verbannen möchte. K o n r a d v o n S p e y e r - o d e r , wie er später hieß, K o n r a d v o n H i l desheim,

erlaubt den H i n w e i s

(mehr

soll es nicht sein) auf

eine

w e i t e r e „ R a h m e n b e d i n g u n g " : den personellen, sachlichen u n d w o h l a u c h strukturellen Z u s a m m e n h a n g v o n K r e u z z u g ins Heilige

Land

u n d K r e u z z u g gegen K e t z e r m i t den A n f ä n g e n der Inquisition. D a m i t m a g w i e d e r u m z u s a m m e n h ä n g e n , w a s i m einzelnen a u f z u z e i g e n u n d aufzuarbeiten n o c h z u leisten bleibt: D a s Wechselspiel v o n

Fasci-

n o s u m u n d T r e m e n d u m der Inquisition in d e n Seelen breiter, aber sozial d u r c h a u s differenzierter B e v ö l k e r u n g s g r u p p e n 1 9 0 ; eine v e r ä n g stigte E k k l e s i o l o g i e mit der M ö g l i c h k e i t , K e t z e r z u sehen, w o

gar

Drucknachweisen. Auf der subepiskopalen Ebene wäre Vernetzungen nachzuspüren, die denen bei der Kreuzzugspredigt ähnelten oder gar mit ihnen identisch waren; an dieser Stelle sei nur verwiesen auf das Prämonstratenserstift Rommersdorf, deren Abte als Kreuzprediger wirkten, in dessen Bullar ein Briefbuch des späteren Hildesheimer Bischofs Konrad II. und wichtige Mandate für die Ketzerverfolgung aufgenommen wurden, das Konrad von Marburg in sein Totenbuch eintrug usw.; vgl. zu Rommersdorf auch den Anhang. 189 Z.B. über den Bischof von Naumburg, der durch den päpstlichen Legaten Otto schwer beschuldigt worden war (graviter infamatus ... mandamus, quatinus inquisita ... veritate), MGH Epp. saec. XIII 1, S. 399 Nr. 496 zu 1232 Dezember 6; oder (1234 Okt. 11) über die Wunder der heiligen Elisabeth (mandamus, quatinus inquisitionem, quam de miraculis ...), ebd. S. 486 Z.14; oder über Prälaten, die eideswidrig Heinrich (VII.) unterstützt haben sollen (ut inquisita super hiis diligentius veritate), ebd. S. 558 Z.36 Nr. 659, zu 1235 Sept. 24. 190 Für eine ernsthafte Psychohistorie bleiben Konrad von Marburg und die von ihm zu Lebzeiten sowie nach seinem Tod ausgelösten Emotionen ein lohnendes Studienobjekt, bei dem auch die Frage nach pathologischen Zügen erlaubt bleiben sollte. - Vorbildliche „Quellenkunde", an der sich eine entsprechende Ubersicht zu Konrad von Marburg, seinem Umfeld und zur Wirkungsgeschichte orientieren könnte, jetzt bei K ö h n , Stedinger (wie Anm. 118) bes. S. 188-202. - Der u.a. von H a u c k , Kirchengeschichte 4, S.917; S e g l , Ketzer (wie Anm.2) S.49 und K o l m e r , Ad capiendas vulpes (wie Anm. 7) S. 118 recht eindeutig bejahten, von P a t s c h o v s k y , Ketzerverfolgung S. 666 („das war nicht das Werk eines Verrückten") zurückgewiesenen Pathologiefrage bei Konrad von Marburg habe ich mich bewußt nicht gestellt. Zu ihrer

Anfänge der Inquisition in Deutschland

185

keine Ketzer sind, also aus Angst vor dem Teufel Teufelsdiener erst zu produzieren 1 9 1 ; schließlich auch die von religiöser Betroffenheit lösbare Bereitschaft, wie Häretikerfurcht und Kreuzzugsidee 192 auch die Ketzerinquisition seit ihren Anfängen pretextu caritatis zu instrumentalisieren 193 .

Beantwortung müßte nicht nur der gesamte, von mir ausgesparte Elisabeth-Komplex mit aufgearbeitet, sondern auch die Frömmigkeitsgeschichte im 12. und 13. Jahrhundert gemustert werden. Leicht fiele eine Antwort, wenn man sich darauf einigen könnte, daß jeglicher Fanatismus und jegliche religiöse Radikalität pathologische Züge trägt. Konrads Zeitgenossen, für Probleme des Wahns und der Besessenheit keineswegs blind, haben m.W. jedenfalls weder als Berichterstatter noch als hochgestellte Kritiker oder Verteidiger die Pathologiekarte ausgespielt. Vielleicht hat ihn die heilige Elisabeth davor bewahrt, weil anders auch ihr Ansehen beschädigt worden wäre. 191 Zum gegenwärtigen Forschungsstand vgl. P a t s c h o v s k y , Teufelsdiener (wie Anm. 128). 192 Die Verketzerung der Stedinger und der Kreuzzug gegen sie sind, obwohl zeitgleich mit den „Anfängen" der Inquisition und mit ihnen auch sonst mannigfach motivgeschichtlich (Teufelsglaube) sowie personell verknüpft, in diesem, vornehmlich Fragen des Prozeßverfahrens gewidmeten Beitrag ausgeklammert worden. Umfassende Information bei Rolf Κ ö h η, Die Verketzerung der Stedinger durch die Bremer Fastensynode, Bremisches Jahrbuch 57 (1979) S. 15-85; D e r s . , Die Teilnehmer an den Kreuzzügen gegen die Stedinger, Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 53 (1981) S. 139-206; D e r s . , Stedinger (wie Anm. 118); Ingo U1 ρ t s, Zur Rolle der Mendikanten in städtischen Konflikten des Mittelalters. Ausgewählte Beispiele aus Bremen, Hamburg und Lübeck, in: Dieter B e r g (Hg.), Bettelorden und Stadt. Bettelorden und städtisches Leben im Mittelalter und in der Neuzeit (Saxonia Franciscana 1, 1992) S. 131-152, bes. S. 146-149.

pretextu caritatis soll nach Ansicht der Goslarer Nonnen (1223) Bischof Konrad II. gegen Minnike vorgegangen sein, siehe oben S. 141; vgl. auch die analoge Formulierung - sub bereticorum pretextu - in dem bekannten Schreiben Gregors IX. an Friedrich II. vom 15. Juli 1233, MGH Epp. saec. XIII 1, Nr. 550 S. 444 Z.34. Daß Konrad von Marburg, dem persönlich wohl keine second motivs zu unterstellen sind, sich hat täuschen und mißbrauchen lassen, ist gut bezeugt; vgl. nur Chron. Alberici (wie Anm. 116) S. 930 Z.30ff. Erinnert sei zudem an die Straßburger Vorgänge um Bruno von Offenbach, oben S. 162 ff. 193

186

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A n h a n g : Der Brief Papst Gregors IX. an Konrad von Marburg vom 11. Oktober 1231. Hinweis auf eine übersehene Überlieferung und Editionsversuch. Das für die Geschichte der Ketzerverfolgung in Deutschland und allgemein für die Anfänge der päpstlichen Inquisition wichtige Schreiben Gregors IX. an Konrad von Marburg, in dessen ersten Teil er diesen für seine bisherige Häretikerbekämpfung lobt, um ihm im zweiten Teil mit weiteren Vollmachten zu versehen und mit Anweisungen auszustatten, die auf die päpstlichen Ketzerstatuten vom Februar 1231 Bezug nehmen und zum großen Teil wörtlich in die seit 22. November 1231 vornehmlich an Dominikaner geschickten Ille humani generisBullen aufgenommen wurden, war bislang lediglich durch einen Druck aus dem Jahr 1730 bekannt 1 . Dessen ungenannte handschriftliche Vorlage ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Der Editor, Johann Georg Estor (1699-1773) - ein in seiner Zeit angesehener, vielgefragter und besonders schreibfreudiger Rechtsgelehrter 2 -, scheint sie durch Vermittlung des bekannten Johann Friedrich Schannat (1683-1739), der als fürstlicher Hofhistoriograph und Bibliothekar in Fulda und anschließend im Auftrag des Erzbischofs von Trier und des Bischofs von Worms bis 1735 tätig war 3 , erhalten zu haben 4 . Estors durch eine selbstgekennzeichnete Auslassung sowie durch ,modernisierte' Orthographie nur bedingt taugliche Textwiedergabe mußte der bisherigen Forschung genügen. Es gibt jedoch eine ganz zeitnahe Uberlieferung

1

E s t o r , Supplementa (wie im Vorspann zur anschließenden Edition). Vgl. Johann Christoph A d e l u n g , Fortsetzung und Ergänzungen zu Christian Gottlieb J ö c h e r s allgemeinem Gelehrten-Lexicon 2 (Leipzig 1787, N D 1960) Sp.947953 oder M u t h e r , (Art.) Estor, Johann Georg, ADB 6 (1877, N D 1968) S. 390-392. 3 Christian Gottlieb J ö c h e r , Allgemeines Gelehrten-Lexicon 4 (1751, N D 1961) Sp.218f. oder (z.T. wörtlich aus Jöcher) v. S c h u l t e , (Art.) Schannat, Johann Friedrich S„ ADB 30 (1890, N D 1970) S. 571f. 4 E s t o r , Supplementa S. 72 berichtet einleitend, er wolle nachweisen, daß Konrad von Marburg dem Dominikanerorden angehörte, bezieht sich dabei auf Schannat und fährt fort: qui mihi hoc multis est coram testatus, ac litteras vetustatem olentens, me cum beneuole communicauit hoc manifeste loquentes. Iuuat easdem, quum adprime vitam Conradi inlustrent, ex manuscripto erutas, primum expromere. Tabulae vero, quas dixi, hae sunt·, es folgt dann seine Briefedition. 2

Anfänge der Inquisition in Deutschland

187

des Briefes im Kopiar des ehemaligen Prämonstratenserstiftes Rommersdorf bei Heimbach-Weis, heute einem Stadtteil von Neuwied 5 , das schon lange als wichtige Sammlung von Kaiser- und Papstbriefen sowie von Texten zur Ketzergeschichte, zu Elisabeth von Thüringen und Konrad von Marburg bekannt war 6 . Friedrich Kempf hat das Kopiar 1933 genau beschrieben und analysiert 7 . Dabei registrierte er auch als Nr. 68 (fol. 71 a -71 b ): „Rieti, 1231, Okt. 11. Derselbe [i.e. Gregor IX.] erweitert Meister Konrad von Marburg, dem Prediger in Deutschland, seine Vollmachten als Inquisitor" 8 . Nach der Zuordnung von Kempf gehört unser Brief zu Teil D, „der kurz nach 1227 Okt. 1 begonnen und kurz nach 1241 Juli 19 abgeschlossen wurde" 9 und für den der bedeutende Abt Bruno von Braunsberg als geistiger Urheber gelten kann 10 . Da Bruno 1236 starb - der von ihm angeregte Teil D wurde nur noch durch zwei Briefe von 1239 und einen von 1241 ergänzt - und er offenkundig nicht aus historischem, sondern aus aktuellem Interesse kopieren ließ, ist Gregors IX. Brief an Konrad vielleicht schon bald, nachdem er seinen Adressaten erreicht hatte, in Rommersdorf abgeschrieben worden, möglicherweise aus einem Exemplar, das der erzbischöflichen Kanzlei in Trier oder der in Mainz

5 Vgl. Julius W e g l e r , Die Praemonstratenserabtei Rommersdorf (1882); Heiko K.L. S c h u l z e , Die ehemalige Praemonstratenser-Abtei Rommersdorf. Untersuchungen zur Baugeschichte unter besonderer Berücksichtigung des 12. u. 13. Jahrhunderts (Quellen und Abh. Mittelrhein. Kirchengesch. 44, 1983); Bruno K r i n g s , Zur Geschichte des Prämonstratenserstiftes Rommersdorf im 12. Jahrhundert, Archiv für mittelrhein. Kirchengeschichte 36 (1984) S. 11-34. 6 Vgl. u.a. B ö h m e r , Acta imperii selecta (1870, N D 1967) Nrr. 297, 300, 303, 929, 943, 946, 959-961; Georgine T a n g l , Studien zum Register Innocenz III. (1929) S. 46 f.; Albert H u y s k e n s , Quellenstudien zur Geschichte der hl. Elisabeth, Landgräfin von Thüringen (1908) bes. S. 80f. Erinnert sei bei dieser Gelegenheit auch daran, daß Konrad von Marburg in das Nekrolog von Rommersdorf aufgenommen wurde; vgl. M a u , Zur Geschichte (wie oben Anm. 56) S. 87 Anm. 4. 7 Das Rommersdorfer Briefbuch des 13. Jahrhunderts ( M I Ö G Erg.-Bd.12, 1933) S. 502-571. - Herrn Archivdirektor Dr. Borck bin ich für die überaus kurzfristige Zusendung von Kopien der Blätter 69 v -74 r zu größtem Dank verpflichtet. 8 9 10

K e m p f , Briefbuch (wie Anm. 7) S.528. K e m p f , Briefbuch S . 5 6 1 . K e m p f , BriefbuchS.541.

188

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zur Verfügung stand 11 . Der Schreiber unserer Kopie ist in dem Briefbuch nur mit diesem Stück vertreten. Unmittelbar vor ihm hat eine andere Hand die Ubersendung der Ketzerstatuten an den Erzbischof von Trier und dessen Suffragane durch Gregor IX. vom 25. Juni 1231 eingetragen12. Wieder eine andere Hand hat unmittelbar anschließend den Bericht Erzbischof Siegfrieds von Mainz, Konrads von Marburg und anderer über die Wunder am Grabe der heiligen Elisabeth an den Papst vom 11. Aug. 1232 abgeschrieben 13 . Unser Schreiber stellt sich auf seinen insgesamt 51 Zeilen mit einer kräftigen, sauberen Buchschrift vor, die allerdings kaum zwischen c und t unterscheidet. Die Verwendung von Abbreviaturen hält sich im üblichen Rahmen und bereitet keine Leseschwierigkeiten. Der folgende Editionsversuch hält sich möglichst eng an die Vorlage, insbesondere werden u und ν nicht auf ihre vokalische oder konsonantische Funktion hin normalisiert. Die Kürzungen werden stillschweigend aufgelöst, jedoch Unsicherheiten angemerkt. Personen-, Ortsund Gebietsnamen werden grundsätzlich groß geschrieben. Zwei Schreibfehler sind korrigiert, aber in den Anmerkungen verzeichnet. Abweichungen des Druckes durch Estor von unserer Vorlage sind in den Fußnoten mit „E." nachgewiesen. Nicht berücksichtigt wurden dabei Abweichungen in der Groß- und Kleinschreibung, der Interpunktion, der Schreibung von e/ae und u/v sowie der Übertragung der verschiedenen ei-Auflösungen. Die wörtlichen Ubereinstimmungen im zweiten Teil des Briefes mit entsprechenden Passagen im zweiten Teil der Bulle Ille humani generis in der Fassung vom 22. November

11

Zur Beziehung von Rommersdorf zur Trierer Kanzlei siehe K e m p f , Briefbuch

S. 5 4 8 - 5 5 2 . Auch eine unmittelbare Bekanntschaft von Abt Bruno, der sich zweimal als Kreuzzugsprediger betätigte, mit Konrad von Marburg ist gut vorstellbar. Wahrscheinlich war es ja auch Bruno, der Konrad in das Totenbuch von Rommersdorf eintragen ließ. 12

Auf fol. 69 v -71 r ; Druck nach dieser Uberlieferung u.a. bei B ö h m e r , Acta imperii

(wie A n m . 6 ) S . 6 6 5 - 6 6 7 N r . 9 5 9 und bei L. E l t e s t e r u. A. G o e r z , U B mittelrhein. Territorien 3 (1874) S. 339-342 N r . 432, später u.a. bei S e i g e , Texte (wie oben Anm. 5) S. 44f. 13

Auf fol. 72 r -73 r ; Druck nach dieser Uberlieferung bei Arthur W y s s , Hessisches

U B 1,1 (Publ. a. d. K. Preuß. Staatsarch. 3, 1879) S. 2 5 - 2 9 N r . 28. Dieselbe Hand trug übrigens auf fol. 4 1 r - 4 2 v auch ein Excerptum

de Manichaeis

ex S. Augustino

(Migne P L

195, Sp.97-102) des Ekbert von Schönau in das Briefbuch ein; siehe K e m p f , Briefbuch S. 514-524.

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189

1231 an Prior Burkard und Bruder Dietrich des Regensburger Dominikanerkonvents sind kursiv gesetzt14.

14 Erster Druck nach dem Original im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München, Regensburg, Dominikanerkloster, Faszikel 1 (Nachträge) bei F ö r g , Ketzerverfolgung (wie oben S. 146 Anm.56) S.94-96; danach bei S e l g e , Texte S.45-47.

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Papst Gregor IX. würdigt die Verdienste Konrads von Marburg bei der Ketzerbekämpfung in Deutschland und erteilt ihm weitere Vollmachten. 1231 Oktober 11, Rieti. Vorlage: fol. 71 r -72 r des Rommersdorfer Briefbuchs (Bullars); Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 162 N r . 1401 (ehem. A VII 1 Nr. 124). Früherer Druck nach anderer, unbekannter Vorlage: Johann Georg E s t o r , Supplementa vitam Conradi de Marburg illustrantia, in: Johann Philipp K u c h e n b e c k e r , Analecta Hassiaca, darinnen allerhand zur Hessischen Historie, Iurisprudentz und Litteratur behörige Urkunden, Abhandlungen und Nachrichten mitgetheilet werden, Coli. 3, Marburg 1730, S. 73-75; danach teilweise, mit leichter Veränderung der Orthographie und Zeichensetzung bei Alexander P a t s c h o v s k y , Zur Ketzerverfolgung Konrads von Marburg, D A 37 (1981) S. 643 Anm. 4. - Z.T. problematische Ubersetzung bei Balthasar K a l t n e r , Konrad von Marburg und die Inquisition in Deutschland (1882) S. 134-136. (fol. 71r) Gregorivs episcopus seruus seruorum dei dilecto magistro Conrado de Marburg 3 predicatori uerbi dei in Alamannia salutem et apostolicam benedictionem. Cum de summo munere Christi ueniat, ut sibi a fidelibus suis digne ac b laudabiliter seruiatur, lavdes quas possumus referimus creatori, qui tibi gratie sue dona multiplicans acceptabilem sibi filium te elegit deuotionem tuam in operibus sibi placitis exercendo, ut munerum copiam premiorum copiositas comitetur. Tu enim seruens fidei orthodoxe zelator hereticos profligare c de finibus Alamanie iam cepisti d et eosdem abhominans e ipsos ex animo non desinis inpugnare f . Tu pietatis sectator conspicuus sacre religionis nutricius g sedulus es effectus. Quare gloriosa de tuis et fama

" Das Kürzel hinter Marb. ließe sich auch als urc auflösen; ich habe mich an Estor angelehnt, der MARBVRG überliefert. Vgl. M G H Epp. saec. XIII 1, S.276 N r . 361. Am Rand von späterer Hand: Conrado de Marpurg. » E. &. c Hs. proligare. E. profligare. d E. coepisti. ° E. abominans. 1 E. impugnare. g E. nutritius.

Anfänge der Inquisition in Deutschland

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dicunturh et nos de tuis profectibus in domino delectamur. Indeque1 fit, quod speciali prerogatiua dilectionis et gratie te in Christi uisceribus amplexantes specialem nobis de tua sinceritate fiduciam uendicamus requirendo te in hiis', que ad deum pertinent, confidenter, ut quo paratior tibi materia exercende uirtutis offertur eo tibi auctior crescat cu//(fol. 7l v ) mulus meritorum. Presentatek siquidem nobis venerabilium fratrum nostrorum Treuerensis1 et Maguntinim archiepiscoporum littere continebant, quod inimicus homo super bonum semen fidei fere per totam Alamaniam zyzania seminauit" adeo, quod non solum ciuitates sed et castra et uille uicio sunt0 heretice prauitatis? infecte. Sed tu, vnde gratias quantas possumus bonorum omnium referimus largitori sinceritatem tuam dignis in domino lavdibus commendantes, omni*! quar potes sollicitudine prefatam prauitatem inpugnass in tantum, quod non solum heretici sed etiam' multi heresiarche", quorum quilibet suos ad subuertendam fidem catholicam sibi habebatv terminos in Teutonia deputatos, per te suntw de agrox dominico exstirpati. Vt igitur ad huiusmodi wlpeculas capiendas que tortuosis anfractibus uineam domini Sabaoth demoliri nituntur, insistere liberius valeas, te a cognitionibus causarum habere uolumus excusatum, et prudentiam tuam rogamus attentius e f monentes ac in remissionem tibi 2 peccaminumaa iniungentes, quatinusab coadiutoribus tibi, quos ad hoc uideris idoneos h

E. gloriosa de te dicuntur

' E.

(bessere Überlieferung?).

undeque.

j

E. his.

k

N a c h -ta- ein Buchstabe gestrichen.

I

E.

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E.

" E. ° p q

Moguntini. seminaret.

sunt fehlt in E. E. prauitatis

sint.

omni fehlt in E.

' E. s

Trevirensis.

E.

quanta. impugnas.

' E. et. II

H s . beresidiarche.

v

E.

w

E.

haeresiarchae.

habeat.

E. sint.

x

χ r korrigiert.

y

y et fehlt in E.

z

E. tuorum. Vgl. folgende Anmerkung.

" In E. folgt tibi. ab

E.

quatenus.

192

Dietrich Kurze

vndecumque ac uolueris, aduocatis ad exstirpandam de partibus illis hereticas prauitates ad , aduocato etiam ad hoc si necesse fuerit brachio seculari, des diligens Studium et operam efficacem in receptatores, defensores et fautores eorum excomunicationis et in terram eorum interdict! sententias promulgando et alias contra eos, prout expedire

uideris procedendo. Si uero aliqui heretica labe penitus abiurata ad ecclesiasticam redire voluerintM vnitatem, ipsis iuxta formam ecclesie beneficium absolutionis inpendasaf et iniungas eis, quod*s talibus consueuit iniungi prouisurus attentius ne, qui uidentur reuertiah, moliantur grauius vineam

domini demoliri.

Vnde statuta sedis apostolice, que

super huiusmodiai duximus promulganda, per fratrem Hvgonem predicatorem uerbi dei in Teutoniamai destinata inspicere poteris et ab eorum insidiis secundum sapientiam tibi datam a domino precauere. Adak hec, ut super premissis omnibusal officium tibi commissum liberius et efficacius valeas exercere,

omnibus,

qui ad

predicationem

tuam accesserint in singulis ciuitatibus, dies, illis uero, qui ad inpugnanduman hereticosao fautores, receptatores et defensores eorum in munitionibus et castellis uel aliasaP contra ecclesiam rebellantes tibi ex animo auxilium et^ consiliumar prestiterintas uel fauorem de omnipotentis dei misericordia et beatorum Petri et Pavli apostolorum eius auctoritate confisi, tres annos de iniuncta sibi penitentia relaxamus. Et si qui ex hiisM iniU prosecutione huius negotii forte //(fol. 72r) vigintiim

E. vndecunque. E. haereticam pravitatem. ae ν korrigiert. af E. impendas. ag E. quae. ^ Für qui uideretur reuerti in E. nur drei Punkte. ai Ε. his. aj Ε. Teutonia. ak d korrigiert. al omnibus fehlt in E. am Ε. XX. ac

ad

Nach der üblichen Verwendung aufgelöst; Ε. In Ε. folgt nec non. ap In E. aliis. "· et nicht in der Hs. " In E. consilium et auxilium. as E. praestiterunt. a' E. his. au Statt in hat E. pro. m

ao

impugnandum.

A n f ä n g e der Inquisition in Deutschland

193

decesserint, eis omnium peccatorum, de quibus corde contriti ac oreiW confessi sunt™, plenam ueniam indulgemus. Ne uero aliquid tibi desit ad iam dictum negotium prosequendum, ut contradictores et rebelles per censuramax ecclesiasticam^ appellatione remota compescere ualeas, auctoritate tibi az presentium liberam concedimus facultatem. Datum Reati V Idvs Octobris pontificatus nostri anno quinto.

av

Von späterer H a n d korrigiert aus corde.

aw

Statt contriti ac ore confessi sunt hat E. nur contriti

"

E. censuras.

ay

ecclesiasticam

"

tibi fehlt in E.

fehlt in E.

fuerunt.

KRONE U N D INQUISITION. DAS ARAGONESISCHE KÖNIGTUM U N D DIE A N F Ä N G E DER KIRCHLICHEN KETZERVERFOLGUNG IN D E N L Ä N D E R N DER KRONE A R A G O N Von Ludwig Vones

Odilo Engels als Homenatge zum 24. April 1993 zugeeignet Als Papst Gregor IX. durch das Privileg Declinante iam mundi am 26. Mai 1232 Espärrec de la Barca, den als Reformer bekannten Erzbischof von Tarragona, und seine Suffraganbischöfe angesichts der zunehmenden Verbreitung häretischer Strömungen innerhalb seiner Kirchenprovinz aufforderte, capere vulpeculas demolientes vineam, und sie unter Hinzuziehung der Dominikaner sowie unter Zugrundlegung der päpstlichen Ketzererlasse der Jahre 1230/31 ermächtigte, gegen die Häretiker, die der Ketzerei Verdächtigen sowie in receptatores, defensores et fautores hereticorum vorzugehen, war die entscheidende Grundlage zur Einrichtung einer Inquisition in den Ländern der Krone Aragon gelegt1. Primär sollte die wichtige all1

Bernardino LI o r e a (Hg.), Bulario Pontificio de la Inquisicion espanola en su periodo constitucional (1478-1525) segün los fondos del Archivo Historico Nacional de Madrid (Miscellanea Historiae Pontificiae 15, 1949) S. 41-44, N r . 1; Raymundiana seu documenta quae pertinent ad S. Raymundi de Pennaforti vitam et scripta, hg.v. Franciscus B a l m e / Ceslaus Ρ a b a n / Joachim C o l l o m b , in: Monumenta Ordinis Fratrum Praedicatorum Historica, Bd. VI/2 ( 1901) S. 14-16, N r . IX; P o t t h a s t 8932. Die Literatur zur Geschichte der Inquisition im Mittelalter ist kaum noch zu übersehen. Einen Anlauf zur bibliographischen Erfassung unternahm bereits vor 30 Jahren Emil van der V e k e n e , Bibliographie der Inquisition. Ein Versuch (1963); zwanzig Jahre später ließ er dann seine ,Bibliotheca bibliographica Historiae Sanctae Inquisitionis', Teil 1-2 (1982-1983) nachfolgen. Für das Umfeld unserer Ausführungen ist darüber hinaus zu verweisen immer noch auf Jean G u i r a u d , Histoire de l'Inquisition, 2 Bde. (1935-1938) sowie auf Albert Clement S h a n n o n , The Popes and Heresy in the Thirteenth Century (1949) bes. S.48ff.; Christine T h o u z e l l i e r ,

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gemeine Ketzerkonstitution von Februar 1231 zur Geltung gebracht werden, durch die alle Häretiker, insonderheit die Katharer, Patarener, Waldenser, Passaginer, Josephiner, Arnoldisten und Speronisten, verurteilt worden waren2. Obwohl der aragonesische König Jakob I. nicht eigens angesprochen wird, kann davon ausgegangen werden, daß die Ausstellung des Privilegs, das die Durchführung des inquisitorialen Verfahrens in erster Linie zu einer Angelegenheit der Bischöfe machte, nicht ohne sein Einverständnis, wahrscheinlich sogar auf seine Bitte hin erfolgte3. Ein Indiz für das starke monarchische Interesse stellen die Ausführungsbestimmungen dar, die dann 1234 durch den König auf einem Provinzialkonzil in Tarragona erlassen wurden und die Häresieverdächtigen ebenso wie ihre Begünstiger mit Ämter- und

La repression de l'heresie et les debuts de l'Inquisition, in: Augustin F l i e h e - Victor M a r t i n (Hgg.), Histoire de l'Eglise, Bd.10 (1950) S.291-340; D i e s . , Catharisme et Valdeisme en Languedoc ä la fin du XII e et au debut du XIII e siecle (1965, N D 1982); Arno B o r s t , Die Katharer (1953, N D 1991); Yves D o s s a t , Les crises de l'Inquisition toulousaine (1959); Henri M a i s o n n e u v e , Etudes sur les origines de l'Inquisition (L'Eglise et l'Etat au Moyen Age 7, 2 1960); Elie G r i f f e , Le Languedoc cathare et l'inquisition (1229-1329) (1980); Malcolm D. L a m b e r t , Ketzerei im Mittelalter. Häresien von Bogumil bis H u s (1981) sowie neuerdings Lothar K o l m e r , Ad capiendas vulpes. Die Ketzerbekämpfung in Südfrankreich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und die Ausbildung des Inquisitionsverfahrens (Pariser Historische Studien 19, 1982). Immer noch von besonderem Wert: Cartulaire de Notre-Dame de Prouille, precede d'une etude sur l'Albigeisme languedocien aux XII e & XIII e siecles, hg.v. Jean G u i r a u d , 2 Bde. (1907). Speziell zu Aragon: Johannes V i n c k e , Zur Vorgeschichte der Spanischen Inquisition. Die Inquisition in Aragon, Katalonien, Mallorca und Valencia während des 13. und 14. Jahrhunderts (Beiträge zur Kirchenund Rechtsgeschichte 2, 1941); D e r s . , Staat und Kirche in Katalonien und Aragon während des Mittelalters, Bd.l (1931; mehr nicht erschienen); Eufemiä F o r t i C o g u l , Catalunya i la Inquisicio. Assaig d'un coneixement desapassionat de la institucio (1973); Joaquin P e r e z V i l l a n u e v a - Bartolome E s c a n d e l l B o n e t (Hgg.), Historia de la Inquisicion en Espana y America, Bd.l: El conocimiento cientifico y el proceso historico de la Institucion (1478-1834) (1984) bes. S.249ff. [Luis S u a r e z F e r n a n d e z , Los antecedentes medievales de la institucion]. 2

Lucien A u v r a y (Hg.), Les Registres de Gregoire IX (1896-1955) Nr.539. Paul F r e d e r i c q (Hg.), Corpus documentorum inquisitionis haereticae pravitatis Neerlandicae, Bd.l (1889) S. 76-78, Nr. 79; vgl. auch S. 75, Nr. 76 zu 1229 um Aug. 20. 3

V i n c k e , Vorgeschichte (wie Anm. 1) S. 14f. Zur Entstehung der Inquisition in diesem Raum vgl. auch F o r t i C o g u l , Catalunya i la Inquisicio (wie Anm. 1) bes. S. 37ff.

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Besitzverlust bedrohten 4 . Bemerkenswert ist die Zusammensetzung einer allen Verfahren vorgeschalteten Untersuchungskommission: der zuständige Bischof durfte einen Priester oder Kleriker bestimmen, während - und hier bestand ein entscheidender Unterschied ζ. B. zu den Bestimmungen des für den okzitanischen Süden so bedeutsamen Konzils von Toulouse von 1229 - zwei oder drei Laien durch den König selbst, seinen Veguer oder den lokalen Batlle gewählt werden sollten, wodurch die königliche Mitsprache und Kontrolle gesichert war, voraussichtlich sogar ein Ubergewicht erhielt5. Bei Vernachlässigung der Amtspflichten wurde der Geistliche durch seinen Bischof mit Pfründenverlust bestraft, die Laien hingegen entweder durch den Batlle oder den Veguer mit einer Geldstrafe belegt6. Diese „betonte Mitwirkung" der Königsgewalt bei der Ketzerbekämpfung hatte bereits Johannes Vincke als Besonderheit der aragonesischen Verhältnisse gekennzeichnet und geltend gemacht, daß ähnliche Kommissionen zwar auch im Languedoc vorgesehen waren, ihre Besetzung dort aber als alleinige Sache des Episkopats betrachtet wurde7.

4 Ambrosio H u i c i M i r a n d a - Maria Desamparados C a b a n e s P e c o u r t , Documentos de Jaime I de Aragon, Bd.l: 1216-1236 (1976) Nr. 212. 5 Huici-Cabanes, Documentos 1, Nr.212, S.350: Item statuimus ut in locis suspectis de heresi, in quibus episcopus viderit expedite, unus sacerdos vel clericus ab episcopo, et duo vel tres a nobis laid vel nostro vicario vel baiulo eligantur, qui hereticos vel credentes et receptatores eorum in suis parrochiis perquirere teneantur. Auf der Synode von Toulouse, die unter Vorsitz des päpstlichen Legaten und unter Teilnahme der Erzbischöfe von Bordeaux, Auch und Narbonne sowie in Anwesenheit des Grafen von Toulouse und des Seneschalls von Carcassonne durchgeführt worden war, hatte die entsprechende Passage folgenden Wortlaut erhalten: Statuimus itaque ut archiepiscopi et episcopi in singulis parochiis, tarn in civitatibus, quam extra, sacerdotem unum, et duos vel tres bonae opinionis laicos, vel plures, si opus fuerit, sacramento constringant, qui diligenter, fideliter, et frequenter, inquirant haereticos in eisdem parochiis ..., in: Sacrorum Conciliorum nova et amplissima collectio, hg.v. Joannes Dominicus M a n s i , Bd.23 (1779) Sp.l94C-D, c. I. Zur Mitwirkung weltlicher Machtträger heißt es dort: Soliciti etiam sicut domini terrarum area inquisitionem haereticorum in vlllis, domibus, et nemoribus faciendam: et area hujusmodi appensa, adjuneta, seu subterranea latibula, destruenda (ebd. Sp.l94E, c. III). Vgl. zu den Verhandlungsergebnissen des Konzils von Toulouse K o l m e r , Ad capiendas vulpes (wie Anm. 1) S. 64ff.; zu den Befugnissen der Batlles und Veguers als Vertreter des Königtums zu dieser Zeit siehe Jesus L a 1 i η d e A b a d i a , La jurisdiccion real inferior en Cataluna („Corts, Veguers, Batlles") (1966). 6 7

H u i c i - C a b a n e s , Documentos 1 (wie Anm.4) Nr.212, S.350. V i n c k e , Vorgeschichte S. 15 mit Anm. 22 (dort das Zitat).

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Das Bestreben des aragonesischen Königtums, bei der Ketzerverfolgung eine führende Rolle zu spielen, war nicht neu. Unabhängig von der viel diskutierten Frage, ob bereits um 1167 eine albigensische Kirchenorganisation im Vall d'Aran postuliert werden kann 8 , muß als sicher gelten, daß die pyrenäischen Grenzräume und -täler sowie vor allem der Bereich der Diözese Urgell seit der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von häretischen Strömungen berührt worden waren 9 . Verstärkt wurde diese Tendenz, als die Grafschaft Roussillon, deren kirchliches Zentrum die der Metropole Narbonne unterstellte Diözese Eine war, 1172 dem Haus Barcelona inkorporiert wurde und schließlich verwaltungsmäßig mit den Grafschaften Cerdanya und Conflent zusammenwuchs 10 , wodurch auch eine weitere Annäherung zwischen dem nördlich und südlich der Pyrenäen ansässigen katalanischen Adel bewirkt wurde. Ein deutliches Zeichen für die Zunahme des Ketzerproblems war jene perpetua constitutio, durch die König

Antoine D ο η d a ί η e, Les actes du concile albigeois de Saint-Felix de Caraman. Essai de critique d'authenticite d'un document medieval, in: Miscellanea Giovanni Mercati, Bd.5: Storia ecclesiastica - Diritto (Studi e Testi 125, 1946) S. 324-355 (Druck der Akten S. 326f.; danach wird zit.); die Authentizität der Akten ablehnend: Louis de L a c g e r , L'Albigeois pendant la crise de l'Albigeisme. L'episcopat de Guilhem Peire, 1185-1227, R H E 29 (1933) S. 272-315, 586-633, 849-904; skeptisch bis hin zur Ablehnung: Yves D o s s a t , Remarques sur un pretendu eveque cathare du Val d'Aran en 1167, in: Bulletin Philologique (1955-1956; ersch. 1957) S. 339-347; D e r s . , Α propos du concile cathare de Saint-Felix: les Milingues, in: Cathares en Languedoc (Cahiers de Fanjeaux 3, 1968) S.201-214; Franjo S a n j e k , Le rassemblement heretique de SaintFelix-de-Caraman (1167) et les eglises cathares au X I I I e siecle, R H E 67 (1972) S. 767-799 (Druck der Akten mit frz. Übers. S. 771-779 nach Guillaume B e s s e , Histoire des dues, marquis et comtes de Narbonne, 1660, S.483-486); R. I. M o o r e , Nicetas, Emissaire de Dragovitch, a-t-il traverse les Alpes?, Annales du Midi 85 (1973) S. 85-90. Entschieden für die Echtheit der Konzilsakten tritt ein Bernard H a m i l t o n , The Cathar Council of Saint-Felix reconsidered, Archivum Fratrum Praedicatorum 48 (1978) S. 23-53; er bietet S. 51-53 ebenfalls einen Abdruck der Akten (nach B e s s e ) . 8

9 Jordi V e n t u r a i S u b i r a t s , La Valdesia de Cataluna, Boletin de la Real Academia de Buenas Letras [Barcelona] 29 (1961-1962) S. 275-317. 10 Vgl. die grundlegenden Studien zur verfassungsrechtlichen Entwicklung des östlichen Pyrenäenraums von Odilo E n g e l s , Abhängigkeit und Unabhängigkeit der Spanischen Mark, in: D e r s . , Reconquista und Landesherrschaft. Studien zur Rechtsund Verfassungsgeschichte Spaniens im Mittelalter (1989) S. 3-49, bes. S. 43ff.; D e r s . , Schutzgedanke und Landesherrschaft im östlichen Pyrenäenraum (9.-13. Jahrhundert) (1970) S. 286.

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Alfons II. im Oktober 1194, also zehn Jahre nachdem Papst Lucius III. seine bekannte Dekretale Ad abolendam promulgiert hatte 11 , nach dem Vorbild seiner Vorgänger, unter Beachtung der kanonischen Rechtsbestimmungen und vielleicht mit der Formulierungshilfe des päpstlichen Kardinallegaten Gregor von Sant'Angelo alle Häretiker, insbesondere die Waldenser sive sabatatos, qui et alio nomine se vocant pauperes de Lugduno, als öffentliche Feinde bis zum kommenden Allerheiligenfest seiner Kronländer verwies 12 , die zu dieser Zeit im Kern das Königreich Aragon und die Grafschaft Barcelona umfaßten. Aufnahme und Begünstigung sollten ebenso wie der Besuch der Ketzerpredigten durch Konfiskation des Besitzes geahndet und wie ein Majestätsverbrechen behandelt werden, Aktionen gegen die Häretiker straflos bleiben, wenn sie nicht zum Tode oder zur Verstümmelung führten 13 . Bereits vier Jahre später sah sich allerdings König Peter II. als Nachfolger seines Vaters gezwungen, die Ketzerkonstitution unter Verwendung und Verschärfung des alten Textes zu erneuern und im Februar 1198 die Vertreibung aller Häretiker bis zum Ostersonntag zu verfügen, da offensichtlich die Maßnahmen Alfons II. nicht gegriffen hatten 14 . Besitzkonfiskation und Verbrennung wurden als Strafen

11 Zu Ad abolendam siehe außer Helmut G. W a l t h e r , Häresie und päpstliche Politik: Ketzerbegriff und Ketzergesetzgebung in der Ubergangsphase von der Dekretistik zur Dekretalistik, in: The Concept of Heresy in the Middle Ages (ll t h -13 t h Century). Proceedings of the international conference Louvain, may 13-16, 1973, hg.v. W. L o u r d a u x / D . V e r h e l s t (Medievalia Lovaniensia I 4, 1976) S. 104-143, bes. S. 124ff. neuerdings Peter D i e h l , ,Ad abolendam' (X 5.7.9) and imperial legislation against heresy, Bulletin of Medieval Canon Law N.S. 19 (1989) S. 1-11. 12 Jaime M a r q u e s C a s a n o v a s , Alfonso II el Casto y la Seo de Gerona, in: VII Congreso de Historia de la Corona de Aragon. Cronica, Ponencias y Comunicaciones, Bd.2: Comunicaciones a las Ponencias I a VII (1962) S. 218-219, Nr.IV. Zur Anwesenheit des Gregor von Sant'Angelo siehe Pietro Z e r b i , Papato, Impero e „Respublica Christiana" dal 1187 al 1198 (Pubblicazioni dell'Universitä Cattolica del S. Cuore, Nuova Serie 55, 1955) S. 153f. Zur Sache vgl. auch Hermann T h e l o e , Die Ketzerverfolgungen im 11. und 12. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Entstehung des päpstlichen Ketzerinquisitionsgerichts (Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte 48,1913) S. 143-145; F o r t i C o g u l , Catalunya (wie Anm. 1) S.31f.; T h o u z e l l i e r , Catharisme (wie Anm. 1) S. 134f. 13

M a r q u e s C a s a n o v a s , Alfonso II (wie Anm. 12) S.218. Petrus d e Μ a r e a , Marca Hispanica sive Limes Hispanicus, hg.v. Stephanus B a l u z i u s (1688, N D 1972) Sp.1384-1385, N r . C C C C L X X X V I I . Zur Datierung der Urkunde, die von vielen Autoren im Anschluß an Μ a r c a auf das Jahr 1197 gelegt wird, s i e h e F o r t i C o g u l , Catalunya S. 282 Anm. 17, der sich Jordi V e n t u ra i S u b i r a t s , 14

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angedroht, Denuntiation durch die Übertragung eines Drittels der beschlagnahmten Güter belohnt, Begünstigung hingegen noch härter als bisher verfolgt. Dennoch scheint auch diesmal den Aktionen kein durchschlagender Erfolg beschieden gewesen zu sein, da eine weitere königliche Konstitution von 1210 die Bestimmungen von 1198 erneut einschärfen mußte 15 , was vielleicht als Reaktion auf eine Ermahnung Innocenz III. zurückzuführen ist, die sacra lex, d.h. die Kaisergesetze, gegen die Häretiker zur Anwendung zu bringen16. Von nicht geringer Bedeutung war dabei, daß sich der Papst in der Zwischenzeit durch die Dekretale Vergentis den Standpunkt zueigen gemacht hatte, Schützer und Helfer der Ketzer in Analogie zur römischen Kaisergesetzgebung wie Majestätsverb recher zu behandeln und mit Güterkonfiskation zu bestrafen17. Gerade dem aragonesischen König hatte Innocenz III. 1206 ausdrücklich die darauf gegründete Besitzeinziehung erlaubt18. Da sich diese Ansicht zur fraglichen Zeit auch auf die Fürsten und ihre Herrschaft erstreckte, eine Revision der Dekretale im Sinne ihrer Einschränkung auf die Ketzerbesitzungen selbst erst im Umkreis des IV. Laterankonzils und infolge der Vorgänge um Toulouse ins Auge

Els heretges Catalans (1963) S. 82, anschließt und die Entscheidung von Joaquim M i r e t i S a n s , Boletin de la Real Academia de Buenas Letras 3 (1905-1906) S. 85, für das Jahr 1198 übernimmt. Vgl. zur Sache auch T h e l o e , Ketzerverfolgungen S. 145f.; F o r t i C o g u l , Catalunya S.32f.; T h o u z e l l i e r , Catharisme S. 135f. 15 Constitucions de Cathalunya, tit. 9, lib. I: En nom de Jesu Christ ..., zit. nach Jordi V e n t u r a i S u b i r a t s , E l Catarismo en Catalufia, Boletin de la Real Academia de Buenas Letras [Barcelona] 28 (1959-1960) S. 114 (= Constitucions de Catalunya. Incunable de 1495 [1988] S. 93-95 [Lib. I, Cap. XIV] zu 1210 März 21). 16 M i g n e PL 216, Sp.l54BC zu 1209 Nov. Allgemein zu diesen Vorstellungen siehe Ernst H. K a n t o r o w i c z , The King's Two Bodies. A Study in Medieval Political Theology (1957, N D 1981) und zusammenfassend Quentin S k i n n e r , Political Philosophy, in: Charles B . S m i t h - Quentin S k i n n e r (Hgg.), The Cambridge History of Renaissance Philosophy (1988) S.393ff.; Kenneth P e n n i n g t o n , Law, legislative authority and theories of government, 1150-1300, in: James Henderson B u r n s (Hg.), The Cambridge History of Medieval Political Thought, c.350-c,1450 (1988) S.432ff. sowie J. P. C a n n i n g , Law, sovereignty and corporation theory, 1300-1450, ebd. S. 464ff. 17 Othmar H a g e n e d e r , Studien zur Dekretale „Vergentis" (X. V,7,10). Ein Beitrag zur Häretikergesetzgebung Innocenz' III., Z R G Kan.49 (1963) S. 138-173, bes. S. 145149. 18 Demetrio M a n s i l l a , La documentacion pontificia hasta Inocencio III (965-1216) (1955) S.367-368, Nr.343; P o t t h a s t 2799.

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gefaßt wurde19, eröffneten die Bestimmungen von 1194, 1197 und 1210, verstärkt durch die kirchliche Gesetzgebung, eine rechtliche Möglichkeit, gegen gesellschaftliche Schichten vorzugehen, die mit häretischen Kreisen in Kontakt standen. Eine weitere Möglichkeit, solche Schichten zu eliminieren, bestand darin, sie aus der herrschenden Rechts- und Gesellschaftsordnung auszuschließen. Die Grundlage einer verfassungsrechtlichen Ordnung bildete für Katalonien jedoch die Landfriedensgesetzgebung mit ihren P