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German Pages 222 [223] Year 2020
Untersuchungen über das Spar-, Giro- und Kreditwesen Abteilung B: Rechtswissenschaft Herausgegeben von Peter O. Mülbert, Uwe H. Schneider und Dirk A. Verse
Band 217
Der Versammlungsleiter im Aktienrecht Mit Ausblick auf das GmbH-Recht
Von
Katharina Niemz
Duncker & Humblot · Berlin
KATHARINA NIEMZ
Der Versammlungsleiter im Aktienrecht
Un t e r s u c h u n g e n ü b e r d a s Spar-, Giro- und Kreditwes en Abteilung B: Rechtswissenschaft Schriften des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Herausgegeben von
Prof. Dr. Peter O. Mülbert, Prof. Dr. Dr. h. c. Uwe H. Schneider, Prof. Dr. Dirk A. Verse
Band 217
Der Versammlungsleiter im Aktienrecht Mit Ausblick auf das GmbH-Recht
Von
Katharina Niemz
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT. Der Fachbereich 03 Abteilung Rechtswissenschaften der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz hat diese Arbeit im Jahr 2019 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7352 ISBN 978-3-428-18002-8 (Print) ISBN 978-3-428-58002-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im September 2018 vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Peter O. Mülbert, der diese Arbeit nicht nur angeregt, sondern mich bei ihrer Erstellung auch durch wertvolle Denkanstöße und Anmerkungen unterstützt hat. Herzlich danken möchte ich zudem Herrn Prof. Dr. Roger Kiem für die Übernahme und zügige Erstattung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich außerdem Herrn Prof. Dr. Curt W. Hergenröder für seine Tätigkeit als Vorsitzender der Prüfungskommission. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Uwe H. Schneider, Herrn Prof. Dr. Dirk A. Verse sowie Herrn Prof. Dr. Mülbert danke ich für die Aufnahme dieser Arbeit in die Schriftenreihe des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ganz besonders danke ich meinen Eltern, Rolf und Roswitha Niemz, die mir meine Ausbildung ermöglicht haben. Selbst nicht Juristen, haben sie meine Arbeit stets mit großem inhaltlichem Interesse begleitet und mich unterstützt, wo sie nur konnten. Dafür und für den bedingungslosen Rückhalt in jeder Situation bin ich sehr dankbar. Von Herzen bedanken möchte ich mich außerdem bei Lukas Kranz, der mich durch meine gesamte Ausbildung begleitet hat. Ohne sein Verständnis und seine liebevolle Unterstützung hätte ich die vorliegende Arbeit nicht erstellen können. Danke! Frankfurt, im August 2020
Katharina Niemz
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Teil 1 Grundlagen
18
A. Die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Begriff der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. Die Hauptversammlung als Mitgliederzusammenkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 III. Die Hauptversammlung als Organ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Der Hauptversammlungsleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. (Rechtliche) Notwendigkeit eines Hauptversammlungsleiters . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Die Bedeutung einer rechtmäßigen Hauptversammlungsleitung . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Bedeutung für die mitgliedschaftliche Stellung des einzelnen Aktionärs . . . . . 26 2. Bedeutung für die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Auswirkungen einer erfolgreichen Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage 28 b) Auswirkungen einer rechtshängigen Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage
29
c) Auswirkungen auf die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . 30 d) Die Ausweitung der Hauptversammlungszuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 31 C. Die versammlungsleitenden Maßnahmen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Leitungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Von der Eröffnung zum Eintritt in die Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Erledigung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Die Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Die Behandlung von Beschlussanträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Das Abstimmungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 aa) Die Form der Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 bb) Die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 d) Die Beschlussfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 e) Das Wiederaufgreifen von Tagesordnungspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Die Schließung der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
8
Inhaltsverzeichnis II. Ordnungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Ordnungsmaßnahmen gegen die Teilnehmergesamtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a) Beschränkung der Redezeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 b) Schließung der Rednerliste und Schluss der Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Ordnungsmaßnahmen gegen einzelne Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 a) Beschränkung der Redezeit und Wortentzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Saalverweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Teil 2 Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
41
A. Kritischer Überblick über den Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 B. Die rechtliche Selbständigkeit des Hauptversammlungsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Möglichkeit einer satzungsmäßigen Kompetenzübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Konstruktion einer schuldvertraglichen Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 C. Die Definition des Organbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I. Der funktionelle Organbegriff der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Die Konkretisierung des Organbegriffs im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Die Bedeutung des Verbandszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Die Willensbildung und Willensumsetzung als spezifische Organtätigkeit . . . 52 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 III. Der institutionell-funktionelle Organbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Die institutionelle Komponente des Organbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Die funktionelle Komponente des Organbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 IV. Die rechtsdogmatische Bedeutung des Organhandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Die Fiktionstheorie nach von Savigny . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit nach von Gierke . . . . . . . . . . . 58 3. Neuere Entwicklungen: Die Auflösung des Theorienstreits? . . . . . . . . . . . . . . 59 V. Die handlungsfähige Rechtsperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Die Handlungsorganisation der juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Die organisatorische Gewaltenteilung und -verschränkung . . . . . . . . . . . . . . . 64 VI. Konsequenzen für den Organbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Die notwendige Unterscheidung zwischen Organ und Organwalter . . . . . . . . . 66 2. Die spezifische Aufgabe von Organen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 VII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Inhaltsverzeichnis
9
D. Folgerungen für die Rechtsstellung des Hauptversammlungsleiters . . . . . . . . . . . . . . . 69 I. Eingliederung in die Verbandsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. Der Hauptversammlungsleiter als selbständiger Kompetenzkomplex . . . . . . . . . 70 1. Organisatorische Selbständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Rechtliche Selbständigkeit im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 III. Die Tätigkeit des Hauptversammlungsleiters als Gegenstand organschaftlicher Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Die Realisierung des Verbandswillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2. Keine Tätigkeit für die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Die zweckdienliche Funktionenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 E. Der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Der Versammlungsleiter als fakultatives Gesellschaftsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Die Möglichkeit zur Einführung fakultativer Gesellschaftsorgane . . . . . . . . . . 79 2. Konsequenzen für den Versammlungsleiter in der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Eingliederung in die Verbandsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Organisatorische Selbständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Das Verhältnis des Versammlungsleiters zur Gesellschafterversammlung . . . . 83 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Teil 3 Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger
86
A. Gesetzliche Anforderungen an den Hauptversammlungsleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. Persönliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Ausschluss von der Versammlungsleitung wegen Inkompatibilität . . . . . . . . . 87 2. Zweckmäßigkeitserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Funktionale Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 B. Begründung der Amtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 I. Bestimmung durch die Satzung oder Geschäftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Unmittelbare Bestimmung durch die Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Bestimmung durch ein anderes Gremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II. Bestimmung durch Wahl der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 III. Bestimmung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 IV. Rechtslage im GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
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Inhaltsverzeichnis
C. Beendigung der Amtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 I. Abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Abberufung des durch die Satzung oder Geschäftsordnung bestimmten Hauptversammlungsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Anforderungen an den Abwahlantrag und Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Abberufung bei Wahl durch die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Abberufung des gerichtlich bestellten Hauptversammlungsleiters . . . . . . . . . . 107 II. Niederlegung des Amtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 D. Das Rechtsverhältnis des Hauptversammlungsleiters zur Gesellschaft . . . . . . . . . . . . 108 I. Das korporationsrechtliche Rechtsverhältnis und sein schuldrechtlicher Inhalt 108 1. Das Recht und die Pflicht zum Amt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Die Rechte und Pflichten im Amt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Die Rechte und Pflichten aus dem Amt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 II. Die Rechtsbeziehungen des Hauptversammlungsleiters zur Gesellschaft . . . . . . . 112
Teil 4 Das Amt des Hauptversammlungsleiters
114
A. Kompetenzabgrenzung zwischen Hauptversammlung und Versammlungsleiter . . . . . 114 I. Dogmatische Grundlage der Kompetenzabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Kompetenz der Hauptversammlung zu verfahrensleitenden Entscheidungen . . . . 115 III. Kompetenzregelungen in der Satzung oder einer Geschäftsordnung . . . . . . . . . . 118 B. Die rechtlichen Grundlagen für Maßnahmen der Versammlungsleitung . . . . . . . . . . . 119 I. Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Die Erforderlichkeit eines Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Maßnahmen gegenüber den Aktionären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Neutralitätsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Gleichbehandlungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Gebot der Sachdienlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 d) Verhältnismäßigkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Maßnahmen gegenüber den Mitgliedern der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Maßnahmen gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Inhaltsverzeichnis
11
C. Die Delegation von Aufgaben und Befugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Die Entscheidungsverantwortung des Hauptversammlungsleiters . . . . . . . . . . . . 130 1. Delegation von Ordnungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Delegation von Leitungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Die Unterstützung durch Rechtsberater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Teil 5 Die fehlerhafte Versammlungsleitung
134
A. Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 I. Grundsatz der inzidenten Rechtskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 II. Abwehrklage des Aktionärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 III. Nachträgliche Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 IV. Positive Beschlussfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 V. Sonstige Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 B. Der „falsche“ Hauptversammlungsleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 I. Die Folgen einer fehlerhaften Besetzung des Amtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 II. Der Scheinaufsichtsratsvorsitzende leitet die Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 III. Die fehlerhafte Organstellung des Hauptversammlungsleiters . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Die Lehre von der fehlerhaften Organstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Übertragbarkeit des Rechtsgedankens auf den Hauptversammlungsleiter . . . . 148 3. Anwendungsvoraussetzungen der Lehre von der fehlerhaften Organstellung 150 IV. Fehlerhafte Abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 V. Der faktische Hauptversammlungsleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
Teil 6 Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
154
A. Die Haftung gegenüber der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. Überblick über den Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Die Entscheidung des LG Ravensburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Kritischer Überblick über den Meinungsstand im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . 155 II. Haftungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Die Verletzung einer Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Die Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 aa) Die Pflicht zur Rechtsbefolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 bb) Die Pflicht zur Rechtsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
12
Inhaltsverzeichnis cc) Die Überwachungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Die Pflicht des Hauptversammlungsleiters zur Rechtskontrolle . . . . . . . . . 163 aa) Möglichkeit und Zumutbarkeit der Rechtskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Vorrang des Beschlussmängelrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 c) Die Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 d) Die Sorgfaltspflicht im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Das Verschulden des Hauptversammlungsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Der allgemeine Verschuldensmaßstab der Organmitglieder . . . . . . . . . . . . . 167 b) Einschränkung des Verschuldensmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Haftung nur für Abweichungen von der eigenüblichen Sorgfalt . . . . . . 168 bb) Haftungsbeschränkung wegen unentgeltlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . . . 169 cc) Haftungsbeschränkung aufgrund der „gespannten und hektischen Atmosphäre einer Hauptversammlung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Keine Zurechnung fremden Verschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Die Haftung unter Berücksichtigung rechtlicher Unsicherheiten . . . . . . . . . . . 172 a) Anforderungen an die Rechtsermittlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Anforderungen an die Entscheidungsfindung bei unsicherer Rechtslage . . 175 aa) Analoge Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . 175 bb) Übertragbarkeit der zivilrechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines entschuldigenden Rechtsirrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 cc) Die Kriterien der Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 dd) Ausschluss der Sorgfaltspflichtverletzung oder des Verschuldens? . . . 180 4. Kausaler Schaden der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 IV. Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 V. Die Verjährung des Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 VI. Die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 VII. Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Bedürfnis für eine Haftungsbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Abschluss einer D&O-Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 4. Haftungsbeschränkung ohne Satzungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
B. Die Haftung gegenüber den Aktionären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. Anspruch aus Organhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II. Anspruch aus allgemeinem Leistungsstörungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Deliktische Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Eingriff in den Schutzbereich der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Rechtswidrigkeit des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 3. Ersatzfähiger Schaden des Aktionärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Inhaltsverzeichnis
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C. Die Haftung für Schädigungen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 D. Übertragbarkeit auf den Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . . . . 196
Teil 7 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
Einleitung Der Versammlungsleiter ist die zentrale Figur der Hauptversammlung einer jeden Aktiengesellschaft. Er leitet die Hauptversammlung von der Eröffnung über die Erledigung der Tagesordnung bis hin zu deren Schließung. Er koordiniert nicht nur den Versammlungsablauf, sondern fungiert auch als Schnittstelle zwischen den unterschiedlichen Teilnehmergruppen und hat für einen geordneten Verhandlungsablauf zu sorgen. Dies stellt sich mitunter als schwierige Aufgabe dar. An den Hauptversammlungen der großen Aktiengesellschaften nehmen meist mehrere hundert Aktionäre teil, die ihr Rederecht immer extensiver wahrnehmen. Die Redebeiträge beziehen sich dabei nicht immer nur auf Punkte der Tagesordnung, sondern vielfach nutzen (Klein-)Aktionäre die Gelegenheit, um sich öffentlichkeitswirksam zu allgemeinpolitischen Themen zu äußern.1 Der Hauptversammlungsleiter muss in diesen Fällen eingreifen, um die Funktionsfähigkeit der Hauptversammlung sicherzustellen.2 Darüber hinaus kann es zu Zwischenrufen oder auch Auseinandersetzungen zwischen Aktionären oder Aktionärsgruppen und der Verwaltung kommen. Die Verwaltungsmitglieder werden auf Kritik von Seiten der Aktionäre schon deshalb eingehen, weil die Hauptversammlung nicht nur der Information der Aktionäre, sondern auch der Selbstdarstellung des Unternehmens in der Öffentlichkeit dient.3 Auch in diesen Fällen hängt es vom Geschick des Hauptversammlungsleiters ab, ob die Debatte koordiniert verläuft, oder ob es zu einer Konfrontation zwischen Aktionärsgruppen und der Verwaltung kommt.4 Aus der Aufgabe des Hauptversammlungsleiters, für die sachgemäße Abhandlung der Tagesordnung in angemessenem Zeitrahmen zu sorgen, leiten Rechtsprechung und Schrifttum umfangreiche Leitungs- und Ordnungsbefugnisse ab. Zu den vielfältigen Befugnissen des Hauptversammlungsleiters gehören unter anderem die Zulassung der Teilnehmer zur Hauptversammlung, die Durchführung von Sicherheitskontrollen, die Eröffnung der Hauptversammlung, die Leitung der Aussprache – gegebenenfalls mit Beschränkungen der Rede- und Fragezeit –, die Leitung des Abstimmungsverfahrens mit Feststellung des Abstimmungsergebnisses sowie die Schließung der Hauptversammlung. Die Anordnung all dieser Maßnahmen unterliegt häufig tatsächlichen oder rechtlichen Unsicherheiten. Eine (vermeintlich) rechtswidrige Maßnahme des Hauptversammlungsleiters begründet in der Regel die 1
Siehe dazu: Max, AG 1991, 77. Vgl. Begr. RegE zu § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG, BT-Drucks. 15/5092, S. 17; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 131, Rn. 42. 3 Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516, 516 ff.; Max, AG 1991, 77. 4 Butzke, ZIP 2005, 1164. 2
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Einleitung
Anfechtbarkeit der in der jeweiligen Hauptversammlung gefassten Beschlüsse. Denn der Hauptversammlungsleiter greift insbesondere mit der Anordnung von Ordnungsmaßnahmen in Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre ein. Insoweit bergen Fehler bei der Versammlungsleitung ein hohes Schadenspotential für die Gesellschaft. Höchstrichterliche Rechtsprechung zur verbandsrechtlichen Stellung des Hauptversammlungsleiters existiert gleichwohl nicht. Das LG Ravensburg hat in einem jüngeren Urteil ohne nähere Begründung festgestellt, dass der Hauptversammlungsleiter kein eigenständiges Organ der Aktiengesellschaft sei. Damit folgte es der herrschenden Auffassung im Schrifttum, die den Hauptversammlungsleiter als Funktionsgehilfen der Hauptversammlung kategorisiert. Erstaunlich ist, dass diese Einordnung grundsätzlich ohne dogmatische Untermauerung vorgenommen wird. Unbeantwortet bleibt insbesondere die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage der Hauptversammlungsleiter tätig wird. Eine nähere Betrachtung zeigt, dass die zum Hauptversammlungsleiter entwickelten Grundsätze nur schwerlich in Einklang zu bringen sind mit seiner Kategorisierung als Funktionsgehilfe der Hauptversammlung. Schon mit Blick auf den zulässigen Außeneinfluss in der Aktiengesellschaft stellt sich die Frage, aus welchem Grund der Hauptversammlungsleiter als (vermeintlich) außenstehender Dritter berechtigt sein soll, in Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre einzugreifen und – umgekehrt – die Aktionäre verpflichtet sind, seinen Anordnungen Folge zu leisten. Der schlichte Hinweis auf die Aufgabe des Hauptversammlungsleiters vermag insoweit keine Antwort zu liefern. Um ein dogmatisches Fundament zu schaffen, soll – nach einer grundsätzlichen Einführung – nachfolgend zunächst die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters untersucht werden. Nach einer Konturierung des Organbegriffs wird sich zeigen, dass der Hauptversammlungsleiter sämtliche Merkmale des Organbegriffs erfüllt. Dies gilt ganz unabhängig davon, dass seine Leitungs- und Ordnungsbefugnisse auf organisatorische Maßnahmen im Rahmen der Hauptversammlung beschränkt sind. Im Anschluss sollen die dogmatischen Konsequenzen aus dieser Klassifizierung – sowohl für das Amt als auch die konkrete Person des Hauptversammlungsleiters – gezogen werden. Dabei wird sich an verschiedenen Stellen zeigen, dass die Einordnung des Hauptversammlungsleiters als Gesellschaftsorgan auf einer Linie liegt mit den Grundsätzen, die in Rechtsprechung und Schrifttum bislang aus praktischen Erwägungen zum Hauptversammlungsleiter entwickelt worden sind. Darüber hinaus lassen sich auf Grundlage der organschaftlichen Qualifikation neue Ansätze für den Umgang mit einer fehlerhaften Versammlungsleitung entwickeln. Dies gilt sowohl für die rechtliche Überprüfung von Maßnahmen der Versammlungsleitung als auch für den Fall, dass der „falsche“ Hauptversammlungsleiter tätig wird. Zuletzt wird auf die Haftung des Hauptversammlungsleiters als Organwalter gegenüber der Gesellschaft, den Aktionären und Dritten eingegangen. Dabei werden nicht nur die Sorgfaltspflichten des Hauptversammlungsleiters diskutiert, sondern auch die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Haftungsbeschränkung angesprochen.
Einleitung
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Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung ist primär der Versammlungsleiter des Aktienrechts. Auf den Leiter der Gesellschafterversammlung einer GmbH wird im Rahmen dieser Arbeit nur eingegangen, soweit sich wesentliche Unterschiede zum Versammlungsleiter des Aktienrechts ergeben oder die Übertragung der zu ihm entwickelten Grundsätze ins GmbH-Recht einer näheren Begründung bedarf.
Teil 1
Grundlagen A. Die Hauptversammlung Als Grundlage der weiteren Untersuchung ist zunächst auf den Begriff und die Funktion der Hauptversammlung einzugehen. Das Aktiengesetz definiert den Begriff der Hauptversammlung nicht. Ihm lassen sich jedoch zwei unterschiedliche Bedeutungen entnehmen, zwischen denen im weiteren Verlauf stets zu unterscheiden ist.
I. Begriff der Hauptversammlung Zum einen ist mit der „Hauptversammlung“ ein tatsächliches Geschehen gemeint. Der Begriff umschreibt insoweit die Zusammenkunft der Aktionäre zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zwecks Ausübung ihrer Mitgliedschaftsrechte (Hauptversammlung im tatsächlichen Sinne).1 Dieses tatsächliche Geschehen wird vom Hauptversammlungsleiter „geleitet“. Darüber hinaus bezeichnet der Begriff der Hauptversammlung aber auch ein Rechtsgebilde, und zwar die Hauptversammlung als verbandsrechtliches Organ der Aktiengesellschaft (Hauptversammlung im organschaftlichen Sinne). Durch die so verstandene „Hauptversammlung“ betreiben die Aktionäre primär die Willensbildung der Gesellschaft und können sie unter Umständen auch vertreten.2 Die Organqualität kommt dabei weder den vorhandenen Aktionären noch den in der jeweiligen Hauptversammlung konkret erschienen Aktionären zu, sondern der Hauptversammlung als eigenständigem Rechtsgebilde des Aktienrechts.3 Über die §§ 118 und 119 AktG werden die Hauptversammlungsbegriffe im tatsächlichen und im organschaftlichen Sinne eng miteinander verschränkt: Gemäß § 119 AktG bildet das Organ Hauptversammlung seinen Willen durch Beschlussfassung. Die Beschlussfassung erfolgt durch Stimmabgabe zu einem Beschlussan1
Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 1. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 118, Rn. 6; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 1; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147, Rn. 15. 3 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147, Rn. 25; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 8; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 118, Rn. 2; Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, § 118, Rn. 5. 2
A. Die Hauptversammlung
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trag, setzt also die Ausübung des Stimmrechts durch die Aktionäre voraus. Nach § 118 Abs. 1 AktG ist die Ausübung des Stimmrechts wiederum versammlungsgebunden und erfordert somit die Abhaltung einer Hauptversammlung im tatsächlichen Sinne. Mit Blick auf die Willensbildung der Gesellschaft, die im Beschlusswege erfolgt, ist somit letztlich nur eine gedankliche, nicht aber eine funktionale Trennung der beiden Hauptversammlungsbegriffe möglich.
II. Die Hauptversammlung als Mitgliederzusammenkunft Das Vorliegen einer Hauptversammlung im tatsächlichen Sinne hängt nicht von der Einhaltung prozeduraler Förmlichkeiten ab. Zwar wird im Schrifttum zum Teil vertreten, dass die Zusammenkunft der Aktionäre im Anwendungsbereich der §§ 118 bis 147 AktG nur dann als Hauptversammlung qualifiziert werden könne, wenn sie unter der Bezeichnung als Hauptversammlung den §§ 121 ff. AktG entsprechend einberufen und unter Beachtung der §§ 129 ff. AktG durchgeführt worden sei.4 Konsequenz dieser Auffassung wäre allerdings, dass im Falle von Verfahrensfehlern, d. h. auch bei Fehlern im Zusammenhang mit der Versammlungsleitung, zwar eine Versammlung, nicht aber einer Hauptversammlung vorläge. Gegen ein solches Verständnis spricht jedoch schon § 121 Abs. 6 AktG, wonach eine Universalversammlung gerade auch bei Nichteinhaltung der Einberufungsvorschriften durchgeführt werden kann.5 Darüber hinaus zeigen die §§ 241 ff. AktG, dass die Verletzung von Verfahrensvorschriften die Nichtigkeit oder die Anfechtbarkeit der in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse zur Folge haben kann; sie knüpfen aber stets an das Vorliegen eines, wenn auch mangelbehafteten Beschlusses an.6 Dementsprechend wird das Vorliegen einer Hauptversammlung im tatsächlichen Sinne durch etwaige Verfahrensfehler gerade nicht in Frage gestellt. Entscheidend für das Vorliegen einer Hauptversammlung – und damit auch für die Anwendbarkeit der Regelungen zum Hauptversammlungsleiter – ist vielmehr, dass die Aktionäre zusammentreten, um gemeinsam ihre Mitgliedschaftsrechte auszuüben. Diese innere Verbindung ist notwendig und zugleich hinreichend, um dem Hauptversammlungsbegriff im tatsächlichen Sinne zu genügen. Den Aktionären steht es selbstverständlich frei, in einer sonstigen Versammlung zusammenzukom-
4 Ek, Praxisleitfaden für die Hauptversammlung, Rn 19; Zöllner, in: KK-AktG, § 118, Rn. 12. 5 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 118, Rn. 6; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147, Rn. 14. 6 Vgl. dazu die noch unter Geltung des HGB 1897 ergangene reichsgerichtliche Rechtsprechung: RGZ 75, 239, 242; 89, 367, 379.
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Teil 1: Grundlagen
men. Ob eine Hauptversammlung oder eine sonstige Zusammenkunft vorliegt, ist im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln.7 Die Aktionäre sind kraft ihrer Mitgliedschaft zur Teilnahme an der Hauptversammlung berechtigt, ohne dazu gleichzeitig verpflichtet zu sein.8 Das Teilnahmerecht umfasst neben der körperlichen Anwesenheit grundsätzlich auch das Recht zur aktiven Teilnahme an der Versammlung. Die Verwaltungsmitglieder sind gemäß § 118 Abs. 3 AktG zur Teilnahme an der Hauptversammlung berechtigt und grundsätzlich auch verpflichtet.9 Das Rederecht steht als Pflichtrecht unter der Einschränkung, dass sich das Verwaltungsmitglied in Erfüllung seiner organschaftlichen Pflichten äußert.10 Eine weitere Einschränkung besteht mit Blick auf das Beschlussantragsrecht. Dieses steht grundsätzlich nur den Aktionären sowie Vorstand und Aufsichtsrat als Organ – nicht aber den einzelnen Organmitgliedern – zu.11 Ein inhaltlich ähnlich ausgestaltetes Teilnahmerecht besitzen gemäß § 44 Abs. 5 KWG und § 306 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 5 VAG die Vertreter staatlicher Aufsichtsbehörden. Der Abschlussprüfer ist gemäß § 176 Abs. 2 Satz 1 AktG wiederum nur für den Ausnahmefall der Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung teilnahmeverpflichtet und damit – denklogisch – auch zur Teilnahme berechtigt.12 Der Hauptversammlungsleiter selbst besitzt ebenfalls ein Zugangs- und Anwesenheitsrecht, um seine versammlungsleitenden Befugnisse wahrnehmen zu können. Sämtliche sonstigen Dritte haben kein Teilnahmerecht.13 Ihre Anwesenheit kann in der Satzung oder einer Geschäftsordnung (§ 129 Abs. 1 Satz 1 AktG) geregelt werden. Im Übrigen liegt die Entscheidung über die Gestattung im freien Ermessen des Hauptversammlungsleiters.14 Dies gilt insbesondere auch gegenüber den Vertretern von Presse, Rundfunk und Fernsehen. Zwar ist deren Anwesenheit bei den Hauptversammlungen großer Publikumsgesellschaften mittlerweile üblich, ihnen kommt dadurch aber keine Sonderstellung gegenüber sonstigen Dritten zu.15 7
Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147, Rn. 63 weist darauf hin, dass die Einhaltung der in den §§ 121 ff., 129 f., 133 ff. AktG vorgesehenen Förmlichkeiten ein kaum zu widerlegendes Indiz für ein Handeln als Mitgliederversammlung und Beschlussorgan bieten wird. 8 Auch Inhaber stimmrechtsloser Vorzugsaktien (§ 140 Abs. 1 AktG), Inhaber nicht voll eingezahlter Aktien (§ 134 Abs. 2 AktG) oder von Stimmverboten (§ 136 Abs. 1 AktG) betroffene Aktionäre; siehe: Koch, in: Hüffer/Koch, § 118, Rn. 24. 9 Siehe nur: Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, § 118, Rn. 20. 10 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 118, Rn. 51; Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 100. 11 Ausgenommen hiervon sind Anträge zu Verfahrensbeschlüssen, insbesondere zur Geschäftsordnung; siehe: Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 100. 12 Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 105. 13 Dies gilt auch für den beurkundenden Notar; siehe: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 118, Rn. 91. 14 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 118, Rn. 93. 15 Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 109; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 118, Rn. 29; abw.: Zöllner, in: KK-AktG, § 119, 77; Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft,
A. Die Hauptversammlung
21
Da das Teilnahmerecht nur einem beschränkten Personenkreis zusteht, stellt die Hauptversammlung auch im Falle großer Publikumsgesellschaften eine zwingend nicht-öffentliche Verbandsveranstaltung dar.16 Rechtliche Bedeutung hat dies insbesondere mit Blick auf die Anwendbarkeit des Versammlungsgesetzes, dessen Regelungen ganz überwiegend nur für öffentliche Veranstaltungen gelten.17 Dies gilt – entgegen teilweise vertretener Ansicht im Schrifttum18 – auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer Bild- und Tonübertragung gemäß § 118 Abs. 4 AktG. Denn selbst die Übertragung des gesamten Hauptversammlungsablaufs führt nicht dazu, dass eine unbeschränkte Teilnahme an der Versammlung möglich wäre. Während es den Aktionären gemäß § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG unter Umständen ermöglicht werden kann, an der Versammlung teilzunehmen, ohne körperlich anwesend zu sein, existiert eine solche Regelung für sonstige Personen nicht. Die Teilnahme von Gästen erschöpft sich damit stets in der körperlichen Anwesenheit am Versammlungsort. Das passive Verfolgen der Bild- und Tonübertragung einer Hauptversammlung genügt demgegenüber nicht.
III. Die Hauptversammlung als Organ Als Rechtsgebilde entsteht die Hauptversammlung – ebenso wie Vorstand und Aufsichtsrat – mit Gründung der Aktiengesellschaft. Sie ist von einem Wechsel der einzelnen Aktionäre unabhängig und besteht selbst bei Wegfall sämtlicher Aktionäre fort. Da die Hauptversammlung in der Regel nur einmal jährlich (als ordentliche Hauptversammlung) zusammentritt, wird im Schrifttum vereinzelt vertreten, dass sie – anders als Vorstand und Aufsichtsrat – kein ständiges Organ der Aktiengesellschaft sei.19 Mit Blick auf den dualen Hauptversammlungsbegriff kann diese Auffassung jedoch nicht überzeugen. Denn nach den Regelungen des Aktiengesetzes ist zwischen der tatsächlichen Zusammenkunft der Verbandsmitglieder und der Hauptversammlung als Rechtsgebilde zu unterscheiden. Zwar kann das Organ Hauptversammlung nur durch eine tatsächliche Mitgliederzusammenkunft tätig werden; seine Existenz als reines Rechtsgebilde ist von einer solchen aber doch ganz unabhängig.20 Entgegen gängiger Praxis ist es gleichwohl überflüssig, die Hauptversammlung als ständiges Gesellschaftsorgan zu bezeichnen. Tatsächlich sind die Kapitel C., Rn. 34 (der Ausschluss der Pressevertreter bedarf eines Hauptversammlungsbeschlusses). 16 Zöllner, in: KK-AktG, § 118, Rn. 29, § 119, Rn. 75; a. A. wohl: LG Frankfurt a. M., NZG 2005, 520, 521. 17 Mit Ausnahme der für Hauptversammlungen nicht bedeutsamen §§ 3, 21, 23 und 28 VersammlG, siehe: Zöllner, in: KK-AktG, § 118, Rn. 29, § 119, 75. 18 Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 118; wohl auch: Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 118, Rn 64. 19 Binge/Thölke, in: Schüppen/Schaub, MAH Aktienrecht, § 25, Rn. 3. 20 Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 11; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147, Rn. 25.
22
Teil 1: Grundlagen
Organe der Aktiengesellschaft stets dauerhafte Rechtsgebilde, die unabhängig von einem tatsächlichen Geschehen (Mitgliederwechsel, Wegfall von Mitgliedern etc.) bestehen. Das Merkmal „ständig“ ist der Organeigenschaft somit immanent und liefert daher keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Als Organ ist die Hauptversammlung primäres Willensbildungsorgan der Aktiengesellschaft. Die §§ 78 und 112 AktG schließen eine rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis der Hauptversammlung im Außenverhältnis im Grundsatz aus. Eine Ausnahme ist allein bei der Bestellung der Sonderprüfer (§ 142 Abs. 1 AktG) anerkannt. Darüber hinaus besitzt die Hauptversammlung organschaftliche Vertretungsbefugnis im Innenverhältnis. Dies ist namentlich der Fall bei der Bestellung (§ 101 Abs. 1 AktG) und Abberufung (§ 103 Abs. 1 AktG) von Aufsichtsratsmitgliedern, der Bestellung von besonderen Vertretern zur Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft (§ 147 Abs. 2 Satz 1 AktG) sowie der Entlastung von Organmitgliedern (§ 120 AktG).21 Die Willensbildung erfolgt durch Beschlussfassung. Dies gilt auch bei der Entscheidung über organinterne Verfahrensfragen, welche allein Angelegenheiten der Hauptversammlung betreffen.22 Die Beschlüsse der Hauptversammlung kommen durch Abstimmung zustande und bedürfen nach § 133 Abs. 1 AktG im Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit. Nach einheitlicher Auffassung ist der so gebildete Wille der Hauptversammlung kraft organschaftlicher Zurechnung der Wille der Gesellschaft selbst.23 Darüber hinaus wird die Hauptversammlung beschlussvorbereitend tätig. Dazu gehört die Information der Aktionäre durch den Vorstand, die Diskussion und Beratung über die anstehenden Beschlussgegenstände sowie die Entgegennahme der Berichte von Vorstand und Aufsichtsrat.24 Setzt die Beschlussausführung eine innergesellschaftliche Willenserklärung voraus, ist die Hauptversammlung aufgrund ihrer organschaftlichen Vertretungsbefugnis auch für die Ausführung des von ihr gefassten Beschlusses zuständig.25 Eine beschlusslose Tätigkeit26 der Hauptversammlung ist nur in zwei Ausnahmefällen gesetzlich vorgesehen: Zum einen hat der Vorstand nach § 92 Abs. 1 AktG bei einem Verlust von (mindestens) der Hälfte des Grundkapitals „unverzüglich die 21 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 19; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 –147, Rn. 20 ff. 22 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147, Rn. 32, 48; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 3. 23 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 118, Rn. 3; Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 9; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147, Rn. 19 mit Verweis auf § 246 Abs. 2 Satz 1 AktG als Ausdruck der organschaftlichen Stellung der Hauptversammlung. 24 Zöllner, in: KK-AktG, § 119, Rn. 6. 25 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147, Rn. 38. 26 Gemeint ist hier eine geplant beschlusslose Tätigkeit, nicht hingegen Fälle, in denen eine Beschlussfassung zwar vorgesehen ist, es dazu aber nicht kommt, z. B. weil kein Aktionär zur Hauptversammlung im tatsächlichen Sinne erscheint; zu dieser Abgrenzung siehe: Huber, ZIP 1995, 1740.
B. Der Hauptversammlungsleiter
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Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen“. Die Aufgabe der Hauptversammlung besteht in diesem Fall grundsätzlich allein darin, die Verlustanzeige des Vorstands entgegenzunehmen.27 Darüber hinaus wird die Hauptversammlung beschlusslos tätig, wenn die Mitgliederzusammenkunft gemäß § 175 AktG zur Entgegennahme des von Vorstand und Aufsichtsrat festgestellten Jahresabschlusses und Lageberichts einberufen wird, eine Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns mangels Gewinns jedoch nicht vorgesehen ist.28 Nach ganz überwiegender Auffassung folgt aus einem Erstrecht-Schluss zu § 119 Abs. 2 AktG, dass der Vorstand die Hauptversammlung zudem jederzeit nach eigenem Ermessen zur beschlusslosen Information und Diskussion einberufen kann.29
B. Der Hauptversammlungsleiter I. (Rechtliche) Notwendigkeit eines Hauptversammlungsleiters Der Hauptversammlungsleiter wird im Aktiengesetz nur an wenigen Stellen erwähnt: Gemäß § 118 Abs. 4 AktG kann die Satzung oder die Geschäftsordnung den Hauptversammlungsleiter ermächtigen, die Bild- und Tonübertragung der Versammlung zuzulassen. Dasselbe gilt gemäß § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG für die Beschränkung des Frage- und Rederechts des Aktionärs. Erwähnung findet der Hauptversammlungsleiter darüber hinaus in der Ausnahmeregelung des § 122 Abs. 3 AktG. Danach kann das Gericht des Gesellschaftssitzes die Aktionäre unter bestimmten Voraussetzungen ermächtigen, die Hauptversammlung anstelle des Vorstands einzuberufen oder die vorhandene Tagesordnung zu ergänzen (§ 122 Abs. 3 Satz 1 AktG) und dabei zugleich den „Vorsitzenden der Versammlung“ bestimmen (§ 122 Abs. 3 Satz 2 AktG). Das Gesetz setzt die Existenz eines Hauptversammlungsleiters somit augenscheinlich voraus. Es knüpft dabei weder an die Stellung als Aktionär noch als Verwaltungsmitglied an, sondern weist etwa die Befugnis zur Beschränkung des Frage- und Rederechts nur abstrakt der Institution „Hauptversammlungsleiter“ zu, vgl. § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG. Darüber hinaus setzt das Aktiengesetz eine Besetzung dieses Amtes zwingend voraus. Denn gemäß § 130 Abs. 2 AktG muss die notarielle Niederschrift über die 27
Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147, Rn. 52. Huber, ZIP 1995, 1740, 1742 (mit Hinweis darauf, dass diese Fälle eher theoretischer Natur sind). 29 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 6; im Ergebnis ebenso: Bungert, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 36, Rn. 6; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147, Rn. 56. Dem Vorstand steht das Recht zur Einberufung einer beschlusslosen Hauptversammlung jedoch nicht „schrankenlos“ zu, sondern er hat sein Ermessen pflichtgemäß und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuüben, siehe dazu: Huber, ZIP 1995, 1740, 1743; a. A. wohl nur noch: Zöllner, in: KK-AktG, § 121, Rn. 6 und § 119 Rn. 8. 28
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Teil 1: Grundlagen
Beschlüsse der Hauptversammlung unter anderem die „Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlussfassung“ enthalten. Das Gesetz differenziert zwischen dem in der Niederschrift festgehaltenen Ergebnis der Abstimmung und der Feststellung der Beschlussfassung durch den Hauptversammlungsleiter. Während ersteres allein die tatsächliche Feststellung des Stimmenverhältnisses betrifft, geht es bei letzterem um eine für die Wirksamkeit des Beschlusses konstitutive Erklärung des Hauptversammlungsleiters.30 Der Hauptversammlungsleiter kann sich für die Wirksamkeit des gefassten Beschlusses somit nicht darauf beschränken, Art und Zahl der abgegebenen Stimmen bekanntzugeben. Vielmehr hat er zwingend festzustellen, dass ein Beschluss bestimmten Inhalts mit der dafür notwendigen Mehrheit gefasst wurde.31 Im Schrifttum wird zum Teil vertreten, dass die fehlende Beschlussfeststellung gemäß § 241 Nr. 2 AktG zur Nichtigkeit der betreffenden Hauptversammlungsbeschlüsse führe, da die Beurkundung der notariellen Niederschrift insofern fehlerhaft sei.32 Mit Blick auf die konstitutive Wirkung der Beschlussfeststellung liegt richtigerweise jedoch weder ein nichtiger noch ein anfechtbarer Beschluss vor, sondern es ist schon gar kein Beschluss zustande gekommen. Dies gilt selbst bei einstimmiger Beschlussfassung oder in anderen Fällen, in denen das Abstimmungsergebnis bekannt gegeben und die aus dem Ergebnis zu ziehenden Schlüsse eindeutig sind.33 Die Unwirksamkeit der betroffenen Hauptversammlungsbeschlüsse kann daher im Wege der allgemeinen Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO von jedermann geltend gemacht werden. Mit Blick auf das Rechtsschutzziel ist – beschränkt auf den in § 249 AktG genannten Personenkreis – jedoch zugleich die Nichtigkeitsklage zuzulassen.34 Die §§ 129, 130 AktG sind auch im Falle einer ad-hoc-Universalversammlung sowie dann anwendbar, wenn in einer Mehrpersonengesellschaft nur ein Aktionär erscheint.35 Ausgenommen von der Feststellungsnotwendigkeit im Sinne von § 130 Abs. 2 AktG sind jedoch die Beschlüsse einer Einpersonen-AG.36 Die Bestellung eines Hauptversammlungsleiters ist aber auch in diesem Fall nicht ohne Weiteres entbehrlich. Denn auch bei einer Einpersonen-AG sind die gefassten Beschlüsse in Gestalt der Erklärungen des einzigen Aktionärs zur eindeutigen Dokumentation ihres
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Hoffmann-Becking, MüHdb-GesR, Bd. 4, § 41, Rn. 11. BayObLG, NJW 1973, 250, 251; Hoffmann-Becking, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 40, Rn. 48. 32 Vgl. Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516, 519. 33 Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, § 241, Rn. 63 und 181; Kubis, in: MüKo-AktG, § 130, Rn. 61. 34 Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, § 241, Rn. 63 und 181 (mit Hinweis auf den Meistbegünstigungsgrundsatz); Kubis, in: MüKo-AktG, § 241, Rn. 8a. 35 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 106; abw.: Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516, 519 (bei Erscheinen nur eines Aktionärs). 36 Grundmann, in: GroßKomm-AktG, § 133, Rn. 132; Kubis, in: MüKo-AktG, § 130, Rn. 61; Austmann, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 40, Rn. 51. 31
B. Der Hauptversammlungsleiter
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Inhalts zu beurkunden.37 Gegenstand der Beurkundung ist gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG grundsätzlich die notarielle Niederschrift. Nach § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG kann die notarielle Niederschrift unter gewissen Voraussetzungen jedoch durch eine privatschriftliche Niederschrift ersetzt werden. Die privatschriftliche Niederschrift ist wiederum zwingend „vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats“ zu unterzeichnen. Nach ganz herrschender Auffassung geht § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG nur von dem Regelfall der deutschen Satzungspraxis aus, wonach der Aufsichtsratsvorsitzende zum Hauptversammlungsleiter bestimmt wird. Ist hingegen eine andere Person mit der Versammlungsleitung betraut, so muss diese die Niederschrift unterzeichnen.38 Fehlt es an der Unterzeichnung des privatschriftlichen Protokolls durch den (tatsächlichen) Hauptversammlungsleiter, führt dies gemäß § 241 Nr. 2 AktG – auch in der Einpersonen-AG – zur Nichtigkeit der in der jeweiligen Hauptversammlung gefassten Beschlüsse.39 Bei einer rein informierenden Hauptversammlung ist die Protokollierung hingegen gänzlich entbehrlich, da es am Beschluss als Gegenstand der Beurkundung gerade fehlt.40 Eine Versammlungsleitung kann aber freilich auch im Falle einer rein informierenden Hauptversammlung zweckmäßig sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die Entgegennahme der Verlustanzeige nach § 92 Abs. 1 AktG oder eine ähnlich kritische Situation geht, welche ausnahmsweise eine Einberufungspflicht nach § 121 Abs. 1 AktG begründet. Im Übrigen wird das Fehlen eines Hauptversammlungsleiters im Falle einer beschlusslosen Hauptversammlung zwar nicht sanktioniert, mangels einer Differenzierung nach den verschiedenen Tätigkeitsformen der Hauptversammlung ist der Hauptversammlungsleiter aber gleichwohl auch für diesen Fall gesetzlich vorgesehen.
II. Die Bedeutung einer rechtmäßigen Hauptversammlungsleitung Neben der Existenz eines Hauptversammlungsleiters kommt auch der Rechtmäßigkeit der von ihm zu treffenden Entscheidungen erhebliche Bedeutung zu. Grund dafür ist insbesondere, dass der Hauptversammlungsleiter auf Grundlage der ihm zugesprochenen Befugnisse in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre eingreifen kann. Dies hat zunächst Bedeutung für die mitgliedschaftliche Stellung jedes einzelnen Aktionärs. Darüber hinaus begründen rechtswidrige Maßnahmen der Versammlungsleitung in der Regel die Anfechtbarkeit der in der jeweiligen 37
Kubis, in: MüKo-AktG, § 130, Rn. 3. OLG Karlsruhe, NZG 2013, 1261, 1265; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 130, Rn. 14e; Kubis, in: MüKo-AktG, § 130, Rn. 33; siehe auch: OLG Köln, NZG 2008, 635, 636 m. w. N.; a. A.: Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG, Rn. 48. 39 OLG Köln, NZG 2008, 635. 40 Kubis, in: MüKo-AktG, § 130, Rn. 3; Hoffmann-Becking, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 41, Rn. 5; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 130, Rn. 2. 38
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Teil 1: Grundlagen
Hauptversammlung gefassten Beschlüsse, was wiederum zu weitreichenden wirtschaftlichen Folgen für die Gesellschaft führen kann. 1. Bedeutung für die mitgliedschaftliche Stellung des einzelnen Aktionärs Die Entscheidungsfindung in der Aktiengesellschaft beruht auf dem Mehrheitsprinzip. Insofern bezeichnet K. Schmidt die Hauptversammlung als „Sitz der Aktionärsdemokratie“.41 Jeder Aktionär ist allein aufgrund seiner Mitgliedschaft zur Teilnahme an der Hauptversammlung berechtigt. Erst durch das Teilnahmerecht aller lässt sich das Mehrheitsprinzip als „Kompromiss zwischen der individuellen Entscheidungsfreiheit und der überindividuellen Funktionsgerechtigkeit“42 rechtfertigen.43 Die versammlungsgebundenen Mitgliedschaftsrechte unterliegen zudem einem besonderen Schutz. Als Individualrechte sind sie im Kern unentziehbar. Darüber hinaus gewährt jede Aktie – von zulässigen Vorzugsaktien abgesehen – das Stimmrecht, und dessen Ausübung ist nur in bestimmten Ausnahmefällen44 beschränkbar.45 Die Funktion der Hauptversammlung ist aber nicht auf die Willensbildung, d. h. das Beschlussergebnis, beschränkt.46 Auch der Prozess der Entscheidungsfindung, d. h. die Durchführung der Hauptversammlung im tatsächlichen Sinne, hat eine Funktion: die Information und Kommunikation der Aktionäre. Das BVerfG bezeichnet das Recht des Aktionärs, Informationen über die Angelegenheiten der Gesellschaft, an der er beteiligt ist, zu erhalten, als wesentlichen Bestandteil des Mitgliedschaftsrechts.47 K. Schmidt spricht sogar von einem „mitgliedschaftlichen Grundrecht“.48 Vergleichbar mit den verfassungsrechtlichen Grundrechten werden die Mitverwaltungsrechte der Aktionäre auch durch Verfahrensregelungen geschützt. Allein dadurch rechtfertigt sich die Tatsache, dass ihre Ausübung an die Durchführung einer Hauptversammlung gebunden ist. Das Verfahren umfasst neben dem Beschlussvorgang auch die Einberufung und Durchführung der Versammlung.49 Dementsprechend kann etwa das Frage- und Rederecht des Aktionärs nur innerhalb der von § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG vorgesehenen Grenzen eingeschränkt werden. 41
K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 IV. 1. a), S. 837. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 I. 2. b) S. 451 f. 43 Ding, Missbräuchliche Anfechtungsklage im Aktienrecht, S. 125. 44 Bsp.: Höchststimmrechte bei nichtbörsennotierten Gesellschaften (§ 134 Abs. 1 Satz 2 AktG), Verletzung von Mitteilungspflichten nach §§ 20 Abs. 7 Satz 1, 21 Abs. 4 AktG, Stimmverbot für eigene Aktien (§ 71b AktG sowie Interessenkollision (§ 136 AktG). 45 Ding, Missbräuchliche Anfechtungsklage im Aktienrecht, S. 126. 46 Zur Abgrenzung von Beschlussergebnis und Entscheidungsprozess siehe: Ding, Missbräuchliche Anfechtungsklage im Aktienrecht, S. 124 (mit Fn. 615). 47 BVerfG, NJW 2000, 349. 48 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 III. 1. a), S. 624. 49 Hüffer/Schäfer, in: MüKo-AktG, § 243, Rn. 26. 42
B. Der Hauptversammlungsleiter
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Die Zustimmung und Mitwirkung eines jeden Aktionärs sowie der besondere Schutz durch Verfahrensregelungen kann somit als innerliche Rechtfertigung für die Hauptversammlung bezeichnet werden.50 Aus diesem Grund hat die Rechtsprechung auch die Kausalitätstheorie aufgegeben (siehe dazu noch unter 2.): Erst durch die Relevanztheorie wird die Berücksichtigung der hinter den Verfahrensbestimmungen stehenden individuellen Mitwirkungsrechte der Aktionäre ermöglicht.51 Im Hinblick auf die demokratische Funktion der Hauptversammlung verletzen Fehler bei der Versammlungsleitung somit die Mitverwaltungsrechte des betreffenden Aktionärs und beeinträchtigen damit auch – und gerade – die darauf basierende Legitimation der Hauptversammlung.52 2. Bedeutung für die Gesellschaft Für die Gesellschaft ist eine rechtmäßige Versammlungsleitung insbesondere mit Blick auf das Risiko von Beschlussmängelklagen von Bedeutung. Die Anfechtungsklage gemäß § 246 AktG kann von jedem Aktionär, der gegen den Beschluss seinen Widerspruch erklärt hat, unabhängig von der Höhe seiner Beteiligung erhoben werden. Es besteht allerdings Einigkeit, dass nicht jeder Verfahrensfehler zur Anfechtung berechtigt, sondern der Wortlaut des § 243 Abs. 1 AktG teleologisch zu reduzieren ist. Die ältere Rechtsprechung stellte insoweit zunächst auf die „potentielle Kausalität“ des Mangels für das Beschlussergebnis ab.53 Im Falle von Informationspflichtverletzungen wurde dieses Erfordernis später um eine wertende Betrachtung ergänzt: Die Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses hängt davon ab, ob ein objektiv urteilender Aktionär in Kenntnis der Umstände anders abgestimmt hätte, als es ohne die Erteilung der Auskunft tatsächlich geschehen ist.54 Die sogenannte Relevanztheorie wird mittlerweile auch bei sonstigen Verfahrensfehlern angewandt.55 Das Risiko erfolgreicher Anfechtungsklagen wird bei verfahrensleitenden Maßnahmen durch die Relevanztheorie jedoch nur sehr begrenzt eingeschränkt. Denn Fehler bei der Versammlungsleitung bedeuten in aller Regel einen rechtswidrigen Eingriff in versammlungsgebundene Mitgliedschaftsrechte. Verweigert der Hauptversammlungsleiter einem Aktionär etwa zu Unrecht die Zulassung zur Hauptversammlung56 oder spricht er einen unverhältnismäßigen Saalverweis aus57, 50
Vgl. Ding, Missbräuchliche Anfechtungsklage im Aktienrecht, S. 127. Ding, Missbräuchliche Anfechtungsklage im Aktienrecht, S. 127. 52 Vgl. Ding, Missbräuchliche Anfechtungsklage im Aktienrecht, S. 127. 53 BGH, NJW 1973, 235, 236; NJW 1968, 543, 544; NJW 1962, 104, 108. 54 So bereits: BGH, NJW 1962, 104, 108; ferner: BGH, NJW 1995, 3115, 3115 f.; NJW 1993, 1976, 1982; NJW 1992, 2760, 2765; NJW 1989, 2689, 2691. 55 Vgl. BGH, NZG 2008, 309, 310, NJW 2004, 3561, 3562, NJW 2003, 970, 971; dazu umfassend: Hüffer/Schäfer, in: MüKo-AktG, § 243, Rn. 27 ff. m. w. N. 56 OLG München, NZG 2000, 553, 555. 51
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Teil 1: Grundlagen
stellt dies einen rechtswidrigen Eingriff in das Teilnahmerecht des Aktionärs dar. Entzieht der Hauptversammlungsleiter einem Aktionär zu Unrecht das Wort58, greift er rechtswidrig in das Rederecht des jeweiligen Aktionärs ein. Aufgrund der Bedeutung des Verfahrensfehlers für die Mitgliedschaft kann ihm die Relevanz grundsätzlich nicht abgesprochen werden. Dies gilt unabhängig davon, ob der Fehler im Einzelfall als gravierend anzusehen ist, oder welche Bedeutung er für die Durchführung der Hauptversammlung als solche hat. Damit können selbst kleinste Fehler bei der Versammlungsleitung die Anfechtbarkeit der jeweils betroffenen Hauptversammlungsbeschlüsse begründen.59 a) Auswirkungen einer erfolgreichen Anfechtungsoder Nichtigkeitsklage Kommt es infolge einer rechtswidrigen versammlungsleitenden Maßnahme zur Anfechtungsklage und ist diese erfolgreich, erklärt das angerufene Gericht die Hauptversammlungsbeschlüsse, die von der rechtswidrigen Maßnahme betroffen sind, gemäß § 241 Abs. 1 Nr. 5 und § 248 AktG für nichtig. Bei erfolgreicher Nichtigkeitsklage stellt das Gericht die Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses fest. In beiden Fällen kann die mit dem Beschluss bezweckte Maßnahme nicht umgesetzt werden. Dies kann zu Folgeproblemen führen: War Gegenstand der Beschlussfassung etwa eine Kapitalerhöhung, so kann nicht nur diese, sondern auch die mit ihr bezweckte Maßnahme zunächst nicht umgesetzt werden.60 Wurde mit der Umsetzung bereits begonnen, muss die Maßnahme rückabgewickelt werden. Insbesondere im Falle von Strukturänderungen ist eine Rückabwicklung – auch unter Berücksichtigung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft61 – oft nur unter großem Aufwand und mit wirtschaftlichen Nachteilen für die Gesellschaft möglich. Will die Gesellschaft die Beschlussfassung erneut vornehmen, muss die Hauptversammlung wiederholt werden, was insbesondere bei großen Publikumsgesellschaften nicht nur mit erheblichem Organisations-, sondern auch Kostenaufwand verbunden ist. Gravierende Fehler bei der Versammlungsleitung belasten zudem das Ansehen der Gesellschaft und können daher auch zu Imageschäden für die Gesellschaft führen. Dieser Umstand kann sich negativ auf den Börsenkurs auswirken und in der Folge auch die Aufnahme von Fremdkapital erschweren.62 Darüber hinaus sind die gerichtlichen Kosten des Anfechtungsverfahrens zu berücksichtigen. Denn im Falle 57
BGH, NJW 1966, 43, 45 f. Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 134. 59 Vgl. mit Beispielen: Hüffer/Schäfer, in: MüKo-AktG, § 243, Rn. 37; Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 134. 60 Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 46. 61 Dazu näher: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 248, Rn. 7a. 62 Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 648. 58
B. Der Hauptversammlungsleiter
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einer erfolgreichen Beschlussmängelklage hat die Gesellschaft sowohl die eigenen Kosten des Verfahrens als auch die Kosten des Klägers zu tragen.63 b) Auswirkungen einer rechtshängigen Anfechtungsoder Nichtigkeitsklage Die negativen Folgen einer fehlerhaften Versammlungsleitung beschränken sich nicht auf den Fall einer erfolgreichen Anfechtungsklage. Bereits eine rechtshängige Beschlussmängelklage führt zu einem nachteiligen „Schwebezustand“. Denn der Vorstand muss in diesem Fall entscheiden, ob er die beschlossene Maßnahme gleichwohl umsetzt oder – aus Gründen der Vorsicht – bis zum Ausgang der Beschlussmängelklage zuwartet. Er steht dabei insofern vor einem Dilemma, als beide Alternativen zu Schäden für die Gesellschaft führen können: Wird die Maßnahme umgesetzt und hat die Beschlussmängelklage später Erfolg, kommt es zu den bereits erläuterten Rückabwicklungsschwierigkeiten. Entschließt sich der Vorstand hingegen für ein Zuwarten, können der Gesellschaft wertvolle Geschäftschancen entgehen. Die finanziellen Schäden lassen sich in diesem Fall auch dann nicht rückgängig machen, wenn die Gesellschaft im späteren Anfechtungsprozess obsiegt.64 Hängt die Wirksamkeit des Beschlusses von der Eintragung ins Handelsregister ab, kann die Beschlussmängelklage auch zu einer zwingenden Handelsregistersperre führen, wenn der Vorstand eine gesetzlich vorgesehene Negativerklärung (§§ 319 Abs. 5, 320 Abs. 1 Satz 3 AktG, § 16 Abs. 2 UmwG, § 327e Abs. 2 AktG) nicht abgeben kann. Selbst dann, wenn die Abgabe einer Negativerklärung gesetzlich nicht vorgesehen ist, bewirkt die Erhebung einer Anfechtungsklage in der Regel zumindest eine faktische Registersperre. Denn der Registerrichter kann die Entscheidung über den Eintragungsantrag bis zur Entscheidung über die Anfechtungsklage aussetzen65 und wird von dieser Möglichkeit grundsätzlich auch Gebrauch machen, um eine unrichtige Eintragung zu vermeiden.66 Bereits die zeitliche Verzögerung kann dazu führen, dass die Maßnahme obsolet wird, weil sie später aus rechtlichen oder aus tatsächlichen Gründen nicht mehr umsetzbar ist.67 „Räuberische Aktionäre“ nutzen die Probleme, die sich aus einer rechtshängigen Anfechtungsklage ergeben, bekanntlich aus, um Anfechtungsklage zu erheben und sich den Lästigkeitswert, z. B. im Wege eines Vergleichs, von der Gesellschaft „abkaufen“ zu lassen.68 Im Falle einer formellen oder faktischen Registersperre hat 63
Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 46. Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 648. 65 §§ 21, 381 FamFG. 66 Nach Ansicht von Harbarth, GmbHR 2005, 966, 967 (noch zu § 127 FGG a. F.), darf der Registerrichter die Eintragung allerdings dann nicht aussetzen, wenn die Anfechtungsklage offenbar unbegründet ist und ein erhebliches Interesse an einer baldigen Eintragung besteht. 67 Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 648. 68 Verse, NZG 2009, 1127, 1128. 64
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Teil 1: Grundlagen
die Gesellschaft zwar die Möglichkeit, das Freigabeverfahren zu durchlaufen. Dieses ist jedoch mit erheblichem zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand verbunden. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass zahlreiche Hauptversammlungsbeschlüsse, insbesondere einfache Satzungsänderungen, von den gesetzlich vorgesehenen Freigabeverfahren nicht erfasst werden. Dasselbe gilt für nicht eintragungsbedürftige Beschlüsse, wie beispielsweise die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat.69 Darüber hinaus sind die Leitungs- und Ordnungsmaßnahmen des Hauptversammlungsleiters auch nicht per se vom Freigabeverfahren erfasst. Außerhalb des gesetzlich vorgesehenen Anwendungsbereichs können daher unter Umständen auch kleinste Fehler weitreichende Folgen haben.70 Dies gilt nicht nur mit Blick auf die Beschlussmängelklagen von „räuberischen Aktionären“, sondern auch bei der Anfechtung durch Aktionärsvereinigungen oder einzelne Aktionäre, die sich durch die Versammlungsleitung in ihren mitgliedschaftlichen Rechten verletzt fühlen. Denn die Anfechtung infolge einer (vermeintlich) rechtswidrigen Maßnahme des Hauptversammlungsleiters kann auch ein wirksames Mittel sein, um der Umsetzung einer unliebsamen Maßnahme entgegenzuwirken. c) Auswirkungen auf die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats Mit Blick auf die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern können Fehler bei der Versammlungsleitung zudem Auswirkungen auf die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats haben. Im Schrifttum wurde bislang zwar überwiegend die Meinung vertreten, dass die Aufsichtsratsmitglieder auch nach erfolgreicher Anfechtung des Wahlbeschlusses der Hauptversammlung nach der Lehre vom fehlerhaften Organ bei ihrer Stimmabgabe wie wirksam bestellte Mitglieder zu behandeln seien.71 Die Frage nach den Auswirkungen der Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses wurde in einer jüngeren Entscheidung jedoch höchstrichterlich geklärt.72 Darin hat der BGH der Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Organ zwar nicht generell eine Absage erteilt, er will an ihr aber nur dann festhalten, wenn ein schützenswertes Vertrauen unbeteiligter Dritter in die ordnungsgemäße Wahl des Aufsichtsratsmitglieds besteht. Im Übrigen sei das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird, für die Stimmabgabe und Beschlussfassung wie ein Nichtmitglied zu behandeln. War die Stimme des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds für die 69
Die Nichtigerklärung eines Entlastungsbeschlusses hat zwar keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen, gleichwohl legen viele Gesellschaften großen Wert darauf, dass die Tätigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat von der Hauptversammlung wirksam gebilligt wird; siehe: Marsch-Barner, FS Brambring, 2012, S. 267, 268. 70 Marsch-Barner, FS Brambring, 2012, S. 267, 268. 71 Siehe nur: Bayer/Lieder, NZG, 2012, 1, 6; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 288 f.; ders., NZG 2008, 609, 610; Habersack, in: MüKo-AktG, § 101, Rn. 70. 72 BGH, NZG 2013, 456.
B. Der Hauptversammlungsleiter
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Beschlussfassung ursächlich, ist der entsprechende Beschluss daher nicht gefasst oder kommt sogar eine Umkehrung des Beschlussergebnisses in Frage.73 Infolge dieser Rechtsprechung kann ein mitunter jahrelanger Schwebezustand über die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrates entstehen. Dies ist gerade auch mit Blick auf Fehler bei der Versammlungsleitung relevant, da diese besonders häufig die Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen begründen. d) Die Ausweitung der Hauptversammlungszuständigkeiten Das Schadenspotential von Fehlern bei der Versammlungsleitung erhöht sich zudem mit jeder Erweiterung der Hauptversammlungszuständigkeiten. Der Allmacht der Generalversammlung wurde zwar bereits mit dem AktG von 1937 eine Absage erteilt und das Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit auch ins AktG 1965 übernommen. Es gibt jedoch immer wieder vereinzelte Reformvorschläge, die darauf zielen, die Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft zugunsten der Aktionäre zu verschieben.74 Ein gravierender Eingriff in das Kompetenzgefüge der Aktiengesellschaft fand bekanntlich mit der „Holzmüller“-Entscheidung75 des BGH im Jahr 1982 statt. Doch auch an anderen Stellen wird die Tendenz zu einer stärker an den Bedürfnissen des Aktionärsschutzes orientierten Kompetenzordnung deutlich. So verlagert der Gesetzgeber vereinzelt dort Kompetenzen auf die Hauptversammlung zurück, wo er Defizite bei der Aufgabenwahrnehmung durch andere Gesellschaftsorgane sieht. Dies verdeutlicht etwa die im Jahr 2009 angefügte Regelung in § 120 Abs. 4 AktG76, wonach die Hauptversammlung einer börsennotierten Aktiengesellschaft über die Billigung des Systems zur Vorstandsvergütung beschließen kann. Mit der Umsetzung der Richtlinie zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie vom 17. Mai 201777 wird der Einfluss der Hauptversammlung auf die Vergütung der Unternehmensleitung weiter gestärkt. Die Hauptversammlung wird in Zukunft bei jeder wesentlichen Änderung der Vergütungspolitik in Bezug auf die Mitglieder der Unternehmensleitung, mindestens jedoch alle vier Jahre, über das Vergütungssystem abstimmen (say on pay).78 Darüber hinaus müssen wesentliche Transaktionen mit nahestehenden Unternehmen oder Personen (related party transactions) von der Hauptversammlung oder dem Aufsichtsrat genehmigt werden.79 73
BGH, NZG 2013, 456, 458. Siehe dazu: Hoffmann-Becking, Die missverstandene Hauptversammlung, in: Corporate Governance, S. 254, 258. 75 BGH, NJW 1982, 1703 – „Holzmüller“. 76 Angefügt durch Art. 1 Nr. 6b VorstAG vom 31. 7. 2009 (BGBl. I, S. 2509). 77 Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre. 78 Vgl. Artikel 9a und 9b der Richtlinie (EU) 2017/828. 79 Vgl. Artikel 9c der Richtlinie (EU) 2017/828. 74
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Teil 1: Grundlagen
Auch diese Regelungen verdeutlichen die Tendenz zu einer Erweiterung der Hauptversammlungskompetenzen mit Blick auf unternehmerische Entscheidungen. In der Folge steigt auch die Bedeutung einer rechtmäßigen Versammlungsleitung.80
C. Die versammlungsleitenden Maßnahmen im Überblick Nachfolgend soll ein Überblick über die wichtigsten Maßnahmen der Versammlungsleitung gegeben werden. Nach einhelliger Auffassung kann der Hauptversammlungsleiter innerhalb seines Aufgabenbereichs sowohl Leitungs- als auch Ordnungsmaßnahmen anordnen. Die Anordnung erfolgt nicht durch Beschluss, sondern durch „verfahrensleitende Verfügung“.81 Auf den anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab, die Kompetenzabgrenzung zur Hauptversammlung sowie etwaige Delegationsbefugnisse des Hauptversammlungsleiters wird – auch soweit diese Punkte hier bereits angesprochen werden – an späterer Stelle noch näher einzugehen sein.
I. Leitungsmaßnahmen Die Leitungsmaßnahmen des Hauptversammlungsleiters sind darauf gerichtet, für die sachgemäße Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung zu sorgen. Ihre Anordnung kommt in jedem Stadium des Versammlungsverlaufs in Betracht – von der Eröffnung der Hauptversammlung über die Erledigung der Tagesordnung bis hin zu deren Schließung. 1. Von der Eröffnung zum Eintritt in die Tagesordnung Der Hauptversammlungsleiter hat die Hauptversammlung an dem in der Einberufung angegebenen Tag und Ort und frühestens zu der darin angegebenen Uhrzeit zu eröffnen. Eine frühere Eröffnung kann die Anfechtbarkeit der nachfolgenden Hauptversammlungsbeschlüsse begründen.82 Die Eröffnung legt den Ausgangspunkt
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Siehe: Theusinger/Schilha, BB 2015, 131. K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 45, Rn. 20 (zum Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung). 82 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 133; Wicke, in: Spindler/Stilz, Anh. § 119, Rn. 7. 81
C. Die versammlungsleitenden Maßnahmen im Überblick
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für das aktienrechtliche relevante Vorbringen sowohl der Verwaltung als auch der Aktionäre während der Hauptversammlung fest.83 Nach der Eröffnung hat der Hauptversammlungsleiter das Vorliegen der Einberufungsvoraussetzungen und die Teilnahmeberechtigung der erschienenen Personen zu überprüfen.84 Die Prüfungspflicht ist jedoch auf das Vorliegen offensichtlicher Mängel beschränkt. Bleiben Zweifel, ist die betreffende Person zuzulassen.85 Eine Delegation der Zulassungsentscheidung an die Hauptversammlung ist unzulässig. Im Schrifttum wird dies zum Teil damit begründet, dass anderenfalls die Hauptversammlung durch Mehrheitsbeschluss selbst über die Voraussetzungen der Teilnahme bestimmen könnte.86 Der Hauptversammlungsleiter hat zudem Vorkehrungen für die Sicherheit der Versammlung zu treffen. Er ist berechtigt, Sicherheitskontrollen, d. h. sowohl Personen- als auch Gepäckkontrollen, im Zugangsbereich zum Versammlungsraum durchzuführen.87 Im Vorfeld der Versammlung sind derartige Kontrollen auch unabhängig vom Vorliegen einer konkreten Gefahr zulässig.88 Bei konkreten Anzeichen für eine Gefahr sind die Kontrollen sogar zwingend durchzuführen.89 Der Hauptversammlungsleiter hat bei der Durchführung der Sicherheitskontrollen den Gleichbehandlungsgrundsatz einzuhalten und das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu wahren. Die quantitative oder qualitative Überspannung der Sicherheitskontrollen stellt eine Verletzung des Teilnahmerechts dar und kann zur Anfechtung sämtlicher Hauptversammlungsbeschlüsse führen.90 Zu den weiteren Aufgaben des Hauptversammlungsleiters vor dem Eintritt in die Tagesordnung gehört die Entscheidung über die Zulassung von Gästen. Der Hauptversammlungsleiter hat die Entscheidung bekanntzugeben, was auch konkludent, etwa im Rahmen der Begrüßung der Aktionäre bzw. ihrer Vertreter, erfolgen kann. Der Hauptversammlungsleiter erklärt zu Beginn der Versammlung zudem regelmäßig, welche Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat anwesend sind, entschuldigt die abwesenden Verwaltungsmitglieder und stellt den beurkundenden Notar vor. Darüber hinaus leitet er (sofern nicht bereits geschehen) die ordnungs-
83 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 133; Ek, Praxisleitfaden für die Hauptversammlung, 2005, Rn. 394. 84 Steiner, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, § 6, Rn. 10. 85 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 137 f. 86 Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 23; Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 23. 87 OLG Frankfurt, WM 2007, 1123; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 132; Koch, in: Hüffer/Koch, § 129, Rn. 22; Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, Anh. § 119, Rn. 6. 88 Während der Versammlung bedarf es einer konkreten Gefahr im Sinne polizeirechtlicher Vorschriften; siehe: Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 132. 89 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 140. 90 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 132.
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Teil 1: Grundlagen
gemäße Anfertigung und spätere Auslegung des Teilnehmerverzeichnisses in die Wege.91 2. Erledigung der Tagesordnung Ein wesentlicher Bestandteil der Leitungsaufgabe des Hauptversammlungsleiters ist die Sorge für die ordnungsgemäße Erledigung der Tagesordnung. Danach müssen alle angekündigten Punkte aufgerufen und sachlich erschöpfend erörtert werden (sogenannte Aussprache). a) Die Aussprache Der Eintritt in die Tagesordnung erfolgt durch Aufruf eines Tagesordnungspunktes durch den Hauptversammlungsleiter.92 Bei der Abhandlung der Tagesordnungspunkte ist der Hauptversammlungsleiter nicht an die in der Einberufung angegebene Reihenfolge gebunden. Er kann von ihr abweichen, wenn ihm dies aus Sachgründen zweckmäßig erscheint.93 Der Hauptversammlungsleiter hat zudem nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob über jeden Tagesordnungspunkt einzeln diskutiert und nach der jeweiligen Debatte abgestimmt wird (Einzeldebatte), oder ob über mehrere Tagesordnungspunkte zusammen diskutiert und sodann unmittelbar hintereinander über diese abgestimmt wird (Generaldebatte). Möglich ist auch ein Mittelweg, d. h. dass über mehrere oder alle Gegenstände der Tagesordnung zunächst nacheinander diskutiert und danach unmittelbar hintereinander über die einzelnen Tagesordnungspunkte abgestimmt wird.94 Der Hauptversammlungsleiter hat den Aktionären sowohl Gelegenheit zur Diskussion als auch zur Ausübung ihres Fragerechts zu geben. Bei der Erledigung von Wortmeldungen ist er nicht an die Reihenfolge der Meldungen gebunden. Will er davon abweichen, hat er jedoch nach objektiven Kriterien vorzugehen.95 Die Absetzung und Vertagung von Tagesordnungspunkten fällt nach herrschender Auffassung nicht in die Kompetenz des Hauptversammlungsleiters, sondern ist einer 91 Das Teilnehmerverzeichnis muss gemäß § 129 Abs. 4 Satz 1 AktG spätestens zum Zeitpunkt der ersten Abstimmung fertiggestellt sein; siehe: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 143 f.; Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, § 9, Rn. 120 f. 92 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 145. 93 Koch, in: Hüffer/Koch, § 129, Rn. 22; Martens, Leitfaden, S. 46; Steiner, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, § 7, Rn. 2. 94 Eingeschränkt wird das Ermessen des Hauptversammlungsleiters durch gesetzliche Verbindungsverbote (§§ 175 Abs. 3 Satz 2, 120 Abs. 3 Satz 1 AktG) sowie die Pflicht, den verfügbaren Zeitrahmen sachgerecht zu verteilen; siehe: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 149; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 138. 95 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 150; Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 24.
C. Die versammlungsleitenden Maßnahmen im Überblick
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Entscheidung der Hauptversammlung vorbehalten.96 Der Hauptversammlungsleiter kann die Hauptversammlung jedoch unterbrechen, sofern er dies für erforderlich hält.97 Nach der Aussprache schließt der Hauptversammlungsleiter die Debatte, falls die gestellten Fragen durch den Vorstand beantwortet wurden und keine weiteren Wortbeiträge angemeldet oder Antworten zu ergänzen sind.98 b) Die Behandlung von Beschlussanträgen Der Hauptversammlungsleiter hat sodann die Möglichkeit zu geben, Beschlussanträge zu stellen. Er ist dabei grundsätzlich verpflichtet, alle wirksam gestellten Anträge zur Abstimmung zu stellen. Die Zurückweisungsbefugnis des Hauptversammlungsleiters beschränkt sich nach überwiegender Auffassung auf offenkundig gesetzwidrige, sinnlose oder missbräuchliche Beschlussanträge.99 Eine Abstimmungsreihenfolge legt das Aktiengesetz nur für die Wahlen zum Aufsichtsrat fest, § 137 AktG. Im Übrigen steht die Festlegung der Abstimmungsreihenfolge im pflichtgemäßen Ermessen des Hauptversammlungsleiters.100 Aus Gründen der Sachdienlichkeit ist über Verfahrensfragen jedoch im Grundsatz vor der jeweiligen Sachfrage abzustimmen.101 Über den Antrag auf Abwahl des Hauptversammlungsleiters muss stets sofort abgestimmt werden.102 c) Das Abstimmungsverfahren Der Hauptversammlungsleiter hat sodann die Abstimmung über die Beschlussanträge durchzuführen, das Abstimmungsergebnis zu ermitteln sowie schließlich das Beschlussergebnis festzustellen.103 96 Steiner, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, § 7, Rn. 4; Max, AG 1991, 77, 91; zur Vertagung bei einer Einberufung nach § 122 AktG vgl. Stüzle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), S. 516, 538. 97 Steiner, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, § 7, Rn. 6; Kubis, in: MüKoAktG, § 119, Rn. 140. 98 Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, Kapitel D., Rn. 38. 99 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 155 f. (an der Offenkundigkeit fehlt es, wenn die Einschätzung des Hauptversammlungsleiters aus dem Aktionärskreis nachvollziehbar begründeten Widerspruch erfährt); Wicke, in: Spindler/Stilz, Anh. § 119, Rn. 8; ders., NZG 2007, 772; Schatz, AG 2015, 696, 699 (unter Beschränkung auf tatsächliche Fragen). 100 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 157. 101 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 152; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 159; Austmann, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 40, Rn. 17. 102 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 158; Austmann, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 40, Rn. 16; Max, AG 1991, 77, 86. 103 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 147; Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 23.
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Teil 1: Grundlagen
aa) Die Form der Abstimmung Die Form der Abstimmung richtet sich gemäß § 134 Abs. 4 AktG nach der Satzung. In Betracht kommt eine Abstimmung durch Handzeichen, mittels Stimmkarten, Zuruf etc. Die Satzungen der großen Aktiengesellschaften enthalten in der Praxis zumeist eine Regelung, wonach der Hauptversammlungsleiter über die Form der Abstimmung entscheidet. Aber auch wenn die Satzung schweigt, fällt die Entscheidung über die Form der Abstimmung in die Kompetenz des Hauptversammlungsleiters.104 bb) Die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses Der Hauptversammlungsleiter entscheidet darüber hinaus über die Art der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses. In Betracht kommen sowohl das Additionsals auch das Subtraktionsverfahren: Beim Additionsverfahren werden die abgegebenen Ja- und Nein-Stimmen gezählt und die Zahl der abgegebenen Stimmen durch Addition ermittelt. Auf Enthaltungen kommt es für die Ermittlung der Mehrheit nicht an.105 Beim Subtraktionsverfahren lässt der Hauptversammlungsleiter nur die Stimmen zählen, die seiner Erwartung nach den geringeren Teil der insgesamt vertretenen Stimmen ausmachen werden. Erwartet er etwa die Zustimmung zu einem Beschlussantrag, werden nur Nein-Stimmen, Enthaltungen sowie ungültige Stimmen gezählt. Durch Abzug von der Gesamtstimmenzahl ergibt sich dann die Anzahl der Ja-Stimmen.106 Bei der Entgegennahme und Auszählung der Stimmen kann der Hauptversammlungsleiter Hilfspersonen einsetzen. Eine höchstpersönliche Prüfungspflicht trifft ihn nur dann, wenn Zweifel an der Richtigkeit der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses bestehen.107 d) Die Beschlussfeststellung Das Abstimmungsverfahren endet mit der gemäß § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG vorgesehen Beschlussfeststellung durch den Hauptversammlungsleiter. Inhaltlich besteht die Beschlussfeststellung in der Angabe, ob der zur Abstimmung gestellte Antrag angenommen oder abgelehnt wurde, sowie – im Fall der Annahme – in der Beschreibung des materiellen Beschlussinhalts.108 Die Beschlussfeststellung ist eine 104 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 168; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 156; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 134, Rn. 34. 105 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 133, Rn. 23; Austmann, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 40, Rn. 35. 106 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 133, Rn. 24; Austmann, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 40, Rn. 36. 107 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 157; Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, Kapitel D., Rn. 48. 108 Austmann, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 40, Rn. 48.
C. Die versammlungsleitenden Maßnahmen im Überblick
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für die Wirksamkeit des Beschlusses konstitutive Erklärung des Hauptversammlungsleiters.109 e) Das Wiederaufgreifen von Tagesordnungspunkten Ist die Verhandlung über einen Tagesordnungspunkt abgeschlossen, ohne dass darüber bereits Beschluss gefasst worden ist, kann der Hauptversammlungsleiter den Tagesordnungspunkt nach einhelliger Auffassung erneut aufrufen, sofern er dies für sachdienlich hält.110 Ist der Tagesordnungspunkt durch Beschlussfassung bereits erledigt, wird die Möglichkeit zum Wiederaufgreifen aus Gründen der Rechtssicherheit zum Teil abgelehnt.111 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Hauptversammlungsbeschlüsse zu ihrer Wirksamkeit der notariellen bzw. privatschriftlichen Beurkundung in der Verhandlungsniederschrift bedürfen, vgl. §§ 130 Abs. 1, 241 Nr. 2 AktG. Bereits verkündete, aber noch nicht protokollierte Beschlüsse sind daher noch nicht wirksam. Insoweit ist kein Grund ersichtlich, der Hauptversammlung das Wiederaufgreifen zu verwehren.112 3. Die Schließung der Hauptversammlung Sind alle Tagesordnungspunkte – durch erschöpfende Diskussion und Beschlussfassung oder auch aufgrund ihrer Vertagung – erledigt, kann und muss der Hauptversammlungsleiter die Hauptversammlung schließen. Eine Pflicht zur vorzeitigen Schließung der Hauptversammlung besteht insbesondere dann, wenn anderenfalls die zulässige Höchstdauer der Versammlung überschritten würde.113 Wenn der Hauptversammlungsleiter die Hauptversammlung aus anderen Gründen als Zeitablauf vorzeitig schließt, kann die Hauptversammlung auf Antrag eines oder mehrerer Aktionäre durch Mehrheitsbeschluss die Fortsetzung beschließen.114
II. Ordnungsmaßnahmen Neben der sachgemäßen Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung hat der Hauptversammlungsleiter für einen geordneten Verfahrensablauf zu sorgen. Zu diesem Zweck stehen ihm Ordnungsbefugnisse zu, die sich sowohl gegen die Gesamtheit der Versammlungsteilnehmer als auch gegen einzelne Teilnehmer richten können. 109 110 111 112 113 114
Hoffmann-Becking, MüHdb-GesR, Bd. 4, § 41, Rn. 11. Statt aller: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 172 m. w. N. Steiner, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, § 7, Rn. 5. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 173; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 139. Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 160; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 179. Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 160; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 180.
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Teil 1: Grundlagen
1. Ordnungsmaßnahmen gegen die Teilnehmergesamtheit a) Beschränkung der Redezeit Zu den Ordnungsbefugnissen des Hauptversammlungsleiters gehört insbesondere die generelle Beschränkung der Redezeit. Bereits vor Inkrafttreten des § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG115 war anerkannt, dass der Hauptversammlungsleiter zur generellen Beschränkung der Redezeit berechtigt ist. Ein abweichender Hauptversammlungsbeschluss ist nicht möglich.116 Der Eingriff in das Rederecht der Aktionäre rechtfertigt sich durch das berechtigte Interesse an einer Durchführung der Hauptversammlung in angemessenem zeitlichen Rahmen sowie mit dem Rede- und Fragerecht der anderen Hauptversammlungsteilnehmer.117 Eine generelle Beschränkung der Redezeit ist vor diesem Hintergrund jedenfalls dann zulässig, wenn aufgrund der zu erwartenden oder bereits erfolgten Wortmeldungen absehbar ist, dass die rechtlich zulässige Dauer der Hauptversammlung überschritten würde.118 Die Absehbarkeit ist nach überwiegender Auffassung jedenfalls dann zu bejahen, wenn so viele Wortmeldungen vorliegen, dass eine Beendigung der Hauptversammlung vor Mitternacht nicht zu erwarten ist oder die Gesamtverhandlungsdauer voraussichtlich zwölf Stunden überschreiten wird.119 Stets erforderlich ist eine auf Tatsachen gestützte Zeitprognose des Hauptversammlungsleiters. Eine rein vorsorgliche Beschränkung der Redezeit ist unzulässig.120 In der Praxis wird eine generelle Redezeitbeschränkung auf 10 bis 15 Minuten und zu einem späteren Zeitpunkt auf 5 Minuten regelmäßig als zulässig angesehen.121 Die jeweilige Redezeitbeschränkung ist im Sinne der Gleichbehandlung gegenüber allen nachfolgenden Rednern anzuwenden. Wird die Redezeit im Laufe der Verhandlung verkürzt, ist darin allerdings kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu sehen.122 b) Schließung der Rednerliste und Schluss der Debatte Dem Hauptversammlungsleiter kommt nach überwiegender Auffassung auch die Befugnis zu, bezüglich einzelner Tagesordnungspunkte die Schließung der Red115
Eingefügt durch Art. 1 Nr. 9a UMAG vom 22. 9. 2005 (BGBl. I, 2802, 2802). Herrler, DNotZ 2010, 331, 332; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 162. 117 BVerfG, NJW 2000, 349, 351. 118 Herrler, DNotZ 2010, 331, 332; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 165; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 205. 119 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 165; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 205. 120 Herrler, DNotZ 2010, 331, 333. 121 OLG Stuttgart, AG 2015, 163, 169; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, Anh. § 129, Rn. 29. 122 BGH, NJW 2010, 1604, 1606; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 206. 116
C. Die versammlungsleitenden Maßnahmen im Überblick
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nerliste und den Schluss der Debatte anzuordnen.123 Im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kommt eine Schließung der Rednerliste, d. h. die Verweigerung der Annahme weiterer Wortmeldungen, jedoch nur dann in Betracht, wenn zu erwarten ist, dass auch eine weitere Beschränkung der Redezeit die Überschreitung der rechtlich zulässigen Dauer der Hauptversammlung nicht verhindern kann.124 Noch enger sind die Voraussetzungen für die Anordnung des Debattenschlusses, d. h. die Abweisung auch bereits angenommener Wortmeldungen im Hinblick auf den jeweiligen Tagesordnungspunkt. Der Debattenschluss ist nur als äußerste Maßnahme zulässig. Seine Anordnung setzt mithin voraus, dass weder eine weitere Redezeitbeschränkung noch die Schließung der Rednerliste eine Beendigung der Hauptversammlung innerhalb des rechtlich zulässigen Zeitrahmens ermöglichen.125 2. Ordnungsmaßnahmen gegen einzelne Teilnehmer a) Beschränkung der Redezeit und Wortentzug Die Zulässigkeit einer individuellen Redezeitbeschränkung richtet sich nach dem Verhalten des betroffenen Aktionärs im Einzelfall. Sie kommt etwa in Betracht, wenn der Aktionär sich mehrfach wiederholende Ausführungen macht.126 Der Hauptversammlungsleiter kann einem Redner auch das Wort entziehen, wenn dieser sich nicht an eine generelle oder individuelle Redezeitbeschränkung hält. Im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat dem Wortentzug jedoch regelmäßig ein Ordnungsruf oder eine Abmahnung vorauszugehen.127 Mit einer Redezeitverkürzung oder dem Wortentzug ist nicht zugleich das Fragerecht beschränkt oder entzogen. Es kann aber gesondert entzogen werden, wenn der jeweilige Versammlungsteilnehmer hiervon missbräuchlich Gebrauch macht oder beispielsweise eine Vielzahl von Fragen stellt, die nicht im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG erforderlich sind.128 b) Saalverweis Der Hauptversammlungsleiter besitzt zudem die Befugnis, einzelne Versammlungsteilnehmer des Saales zu verweisen. Der Saalverweis muss als ultima ratio 123 Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, Kapitel D., Rn. 63; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 168; Martens, Leitfaden, S. 68 f.; Koch, in: Hüffer /Koch, AktG, Anh. § 129, Rn. 30. 124 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 168. 125 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 168; Koch, in: Hüffer /Koch, AktG, Anh. § 129, Rn. 30. 126 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 216; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 170. 127 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 217. 128 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 218.
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Teil 1: Grundlagen
jedoch den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen. Bei Rednern setzt die Anordnung eines Saalverweises daher beispielsweise voraus, dass ein Wortentzug nicht möglich oder erfolglos geblieben ist. Der Saalverweis muss dem Aktionär zudem angedroht worden sein.129 Im Übrigen ist ein Saalverweis nur bei einem erheblich störenden Verhalten des Aktionärs möglich. Dies ist etwa der Fall bei übermäßigen Zwischenrufen oder sonstiger Lärmerzeugung, die ein Verständnis der übrigen Wortbeiträge unmöglich macht.130 Unter denselben Voraussetzungen können auch Verwaltungsmitglieder des Saales verwiesen werden.131
129 130 131
Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 173. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 220; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 174. Vgl. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 220.
Teil 2
Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters Höchstrichterliche Rechtsprechung zur verbandsrechtlichen Stellung des Hauptversammlungsleiters existiert bislang nicht. Untergerichtlich hat das LG Ravensburg in seiner Entscheidung vom 8. Mai 20141 zur Haftung des Hauptversammlungsleiters für Schäden aufgrund von Fehlern bei der Versammlungsleitung Stellung genommen und in diesem Zusammenhang festgestellt, dass der Hauptversammlungsleiter kein eigenständiges Organ der Aktiengesellschaft ist. Die Entscheidung entspricht der überwiegenden Auffassung im Schrifttum, wonach der Hauptversammlungsleiter als sogenannter Funktionsgehilfe des Organs Hauptversammlung einzuordnen ist.2 Eine abweichende Auffassung wird nur vereinzelt – insbesondere von Mülbert3 und Schürnbrand4 – vertreten. Wenngleich die Klassifizierung des Hauptversammlungsleiters als „Funktionsgehilfe“ zumeist ohne nähere Auseinandersetzung mit dem Organbegriff vorgenommen wird, so zeichnen sich doch unterschiedliche Begründungsansätze ab.
A. Kritischer Überblick über den Meinungsstand Theusinger/Schilha5 verweisen für die dogmatische Einordnung des Hauptversammlungsleiters als Funktionsgehilfe der Hauptversammlung auf einen Beschluss des OLG München vom 29. Februar 2008.6 Zugrunde lag der Fall, dass sich der Aufsichtsratsvorsitzende entgegen seiner satzungsmäßigen Bestimmung bereits im Vorfeld der Hauptversammlung geweigert hatte, die Versammlungsleitung wahrzunehmen. Wie zuvor das LG7 lehnte auch das OLG die Anwendung des § 107 1
LG Ravensburg, Urteil vom 8. Mai 2014 – 7 O 51/13 KfH1, NZG 2014, 1233. Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 766; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 184; Bachmann, AG 1999, 210, 211 (mit Fn. 24); ders., EWiR 2000, 157, 158; Marsch-Barner, in: FS Brambring 2012, 267, 271, 281; von der Linden, NZG 2013, 208, 209 f. 3 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 124. 4 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 145 f. 5 Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 137. 6 OLG München, BeckRS 2008, 07260. 7 LG München I, BeckRS 2007, 06524. 2
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
Abs. 1 Satz 3 AktG in dieser Konstellation ab, da die Leitung der Hauptversammlung keine Funktion im Rahmen des Vorsitzes des Aufsichtsrates darstelle.8 Tatsächlich ist die Abgrenzung zwischen der Funktion des Hauptversammlungsleiters und der des Aufsichtsratsvorsitzenden mittlerweile gefestigter Bestandteil der obergerichtlichen Rechtsprechung.9 Aus der Feststellung, dass eine Tätigkeit nicht zu den originären Aufgaben eines Organs gehört, kann jedoch nicht gefolgert werden, dass diese nicht den originären Aufgaben eines anderen Organs zugewiesen ist. Auch das OLG München hat allein eine negative Abgrenzung zur Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden vorgenommen. Von Bedeutung könnte allenfalls der weitere Hinweis sein, dass es sich bei der Versammlungsleitung um „eine zusätzliche Aufgabe für ein anderes Organ der Aktiengesellschaft“ handelt.10 Denn Organe werden weder für sich selbst noch füreinander, sondern zur Verwirklichung des Verbandszwecks tätig. Eine Begründung für die verwendete Formulierung lieferte das OLG München allerdings nicht. Auch von der Linden verweist zunächst auf den Grundsatz, dass das Amt des Hauptversammlungsleiters von dem Mandat im Aufsichtsrat zu unterscheiden ist. Im Übrigen sei der Hauptversammlungsleiter weder Organ noch Organmitglied, da seine Befugnisse nur dann zum Einsatz kommen, wenn die Aktionäre in der Hauptversammlung zusammentreten.11 Diese Argumentation kann jedoch schon deshalb nicht überzeugen, weil die Befugnisse der Hauptversammlung ebenfalls „versammlungsgebunden“ sind. Wenig überzeugend ist auch die Argumentation von Marsch-Barner, wonach der Hauptversammlungsleiter nur eine sachlich und zeitlich begrenzte Aufgabe zu erfüllen habe.12 Denn es bleibt offen, aus welchem Grund ein Zusammenhang zwischen der sachlichen und zeitlichen Beanspruchung und der Frage nach der Organqualität bestehen soll. Ziemons geht einen Schritt weiter, indem sie nicht nur eine negative Abgrenzung zu den Aufgaben des Aufsichtsrats, sondern zugleich eine positive Zuweisung zu den Aufgaben der Hauptversammlung vornimmt: Dem Hauptversammlungsleiter sei eine Funktion in Bezug auf das Organ Hauptversammlung zugewiesen.13 Zu den Befugnissen des Hauptversammlungsleiters führt sie sodann – folgerichtig – aus, dass diese sich aus der Funktion der Hauptversammlung herleiten. So solle die Tagesordnung durch erschöpfende Beratung, an der alle Aktionäre teilnehmen können, in angemessener Zeit sachgerecht erledigt werden. Damit die Hauptversammlung diesem Anspruch gerecht werden könne, würden ihrem Vorsitzenden die 8 Für die Anwendbarkeit von § 107 Abs. 1 Satz 3 AktG hingegen: Marsch-Barner, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 33, Rn. 21. 9 Siehe: OLG Frankfurt, BeckRS 2009, 16636; OLG Köln, NZG 2013, 548, 551; KG, NZG 2011, 305. 10 OLG München, BeckRS 2008, 07260. 11 Von der Linden, NZG 2013, 208, 210. 12 Marsch-Barner, in: FS Brambring, 2012, S. 276, 271. 13 Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 129, Rn. 51.
B. Die rechtliche Selbständigkeit des Hauptversammlungsleiters
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entsprechenden Leitungs- und Ordnungsbefugnisse an die Hand gegeben.14 Fehl geht indes der Verweis auf das Urteil des BGH vom 11. November 196515. Der BGH hat in diesem Urteil allein festgestellt, dass sich die Befugnisse des Hauptversammlungsleiters aus seiner Aufgabe ergeben. Der Hauptversammlungsleiter habe „alle Rechte, die er braucht, um einen ordnungsgemäßen Ablauf der Hauptversammlung herbeizuführen“. An die „Funktion der Hauptversammlung“ hat der BGH zur Ableitung der versammlungsleitenden Befugnisse nicht angeknüpft. Soweit die Klassifizierung des Hauptversammlungsleiters im Zusammenhang mit seiner etwaigen Haftung angesprochen wird, ist zu bedenken, dass der Hauptversammlungsleiter von einer persönlichen Inanspruchnahme nach überwiegender Meinung weitgehend freigehalten werden soll.16 Anhaltspunkte für die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters lassen sich daraus aber nicht herleiten. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Zweifel an der Organqualität nicht genügen können, um – umgekehrt – die dogmatische Einordnung als Funktionsgehilfe positiv zu begründen.
B. Die rechtliche Selbständigkeit des Hauptversammlungsleiters Entgegen der von Ziemons angedeuteten Tendenz besteht im Schrifttum weitgehend Einigkeit, dass dem Hauptversammlungsleiter die versammlungsleitenden Befugnisse aus eigenem Recht zustehen.17 Dies wird zumeist auch dann vertreten, wenn dem Hauptversammlungsleiter die Organqualität ausdrücklich abgesprochen wird.18 Tatsächlich leitet der Hauptversammlungsleiter seine Kompetenzen weder vom Aufsichtsrat noch von der Hauptversammlung ab. Mit Blick auf den Aufsichtsrat gilt dies schon deshalb, weil die Tätigkeit als Hauptversammlungsleiter keine Aufgabe im Rahmen des Aufsichtsratsmandats ist.19 Ein Aufsichtsratsmitglied, das zum Hauptversammlungsleiter bestimmt worden ist, nimmt diese Aufgabe somit nicht als Teil seiner Aufsichtsratsfunktionen wahr. Dies gilt auch dann, wenn das Aufsichtsratsmitglied satzungsmäßig zum Hauptversammlungsleiter bestimmt worden ist. Auch in diesem Fall werden die Aufgaben des Hauptversammlungsleiters nicht zu solchen im Rahmen des Aufsichtsratsmandats. 14
Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 129, Rn. 62. BGH, NJW 1966, 43. 16 Siehe nur: Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 184. 17 Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, Anh. § 119, Rn. 5; Marsch-Barner, in: Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 33, Rn. 24; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 124; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 129, Rn. 22. 18 Bei Wicke und Koch fehlt eine Stellungnahme zur Organqualität. 19 So auch: OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. Juni 2009 – 23 W 3/09, BeckRS 2009, 16636; OLG Köln, NZG 2013, 548, 551; KG, NZG 2011, 305. 15
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Satzungsstrenge gemäß § 23 Abs. 5 AktG, wonach Abweichungen von den Vorschriften des Aktiengesetzes grundsätzlich nur erlaubt sind, wenn das Gesetz sie ausdrücklich zulässt. Auch Ergänzungen sind nur zulässig, soweit das Gesetz nicht eine abschließende Regelung enthält.20 Die Aufgaben des Aufsichtsrats sind im Aktiengesetz jedoch abschließend geregelt und können daher – abgesehen von § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG – durch Satzungsregelung weder eingeschränkt noch erweitert werden.21 Auf den ersten Blick weniger eindeutig stellt sich die Situation im Verhältnis zur Hauptversammlung dar. Denn auch die Vorsitzenden von Vorstand und Aufsichtsrat leiten ihre versammlungsleitenden Befugnisse von dem Organ ab, dem sie vorsitzen. Anders als der Hauptversammlungsleiter gehören jedoch sowohl der Vorstands- als auch der Aufsichtsratsvorsitzende dem Kollegialorgan, dessen Versammlungen sie leiten, als Mitglieder notwendig an. Sie sind damit bereits kraft ihrer Organmitgliedschaft dazu berechtigt und verpflichtet, die dem Organ als solchem zustehenden Kompetenzen durch ihr Handeln wahrzunehmen. Darüber hinaus stehen dem Vorstands- bzw. Aufsichtsratsvorsitzenden grundsätzlich keine weiterreichenden Kompetenzen zu als den sonstigen Mitgliedern des Kollegialorgans.22 Aus diesem Grund werden sie als primus inter pares bezeichnet.23 Der Hauptversammlungsleiter hingegen muss nicht Mitglied der Hauptversammlung sein. Er ist nicht bereits kraft seiner Mitgliedschaft zur Wahrnehmung etwaiger Kompetenzen der Hauptversammlung berechtigt und verpflichtet. Gleichwohl kann er Entscheidungen treffen, die nicht nur in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre eingreifen, sondern zudem unmittelbar verbindlich sind. Vor diesem Hintergrund geht Pliquett davon aus, dass die Hauptversammlung dem Hauptversammlungsleiter „die ihm von Gesetz wegen zustehenden Rechte […] verleiht“.24 In dieser Aussage findet sich jedoch ein Widerspruch. Denn die versammlungsleitenden Befugnisse können dem Hauptversammlungsleiter entweder „verliehen“ werden, oder sie stehen ihm bereits kraft Gesetzes zu. Der Begriff der „Verleihung“ kann somit nur dahingehend verstanden werden, dass dem Hauptversammlungsleiter Kompetenzen übertragen werden, welche ursprünglich der Hauptversammlung zustehen. Pliquett lässt allerdings offen, wie eine solche Kompetenzübertragung (zulässigerweise) stattfinden soll. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.
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Limmer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 23, Rn. 28a. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 111, Rn. 1; Poelzig, AG 2015, 476, 478; a. A.: Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 65. 22 Aus diesem Grund besteht auch kein Weisungsrecht gegenüber den anderen Mitgliedern des Kollegialorgans, siehe: Spindler, in: MüKo-AktG, § 84, Rn. 116; Wiesner, in: MüHdbGesR, Bd. 4, § 24, Rn. 4. 23 Nach Auffassung von Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 60 f. ist der Aufsichtsratsvorsitzende als eigenständiges Gesellschaftsorgan anzusehen, soweit ihm unmittelbar selbst Kompetenzen kraft Gesetzes übertragen werden. 24 Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 100. 21
B. Die rechtliche Selbständigkeit des Hauptversammlungsleiters
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I. Möglichkeit einer satzungsmäßigen Kompetenzübertragung Unterstellt man, dass die Versammlungsleitung zum Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung gehört, könnte eine konkludente Kompetenzübertragung – wie sie von Pliquett angedeutet wird – unter Umständen in der satzungsmäßigen Bestimmung der Person des Hauptversammlungsleiters gesehen werden. Gemäß § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG sind Abweichungen von der gesetzlich vorgesehenen Organisationsstruktur in Ermangelung einer ausdrücklichen Zulassung jedoch verboten.25 Einer satzungsmäßen Kompetenzübertragung steht somit schon der Grundsatz der Satzungsstrenge entgegen. Ohne die Kompetenz selbst zu übertragen, könnte der Hauptversammlungsleiter jedoch unter Umständen mit der Ausübung bzw. Erfüllung der versammlungsleitenden Berechtigungen und Verpflichtungen beauftragt werden. Gegen eine solche Konstruktion spricht allerdings, dass sich die Hauptversammlung in diesem Fall ein umfassendes Einflussnahmerecht beibehalten müsste. Denn aus der Tatsache, dass die Gesellschafter untereinander einen Interessenverband bilden und zur Teilhabe am Willensbildungsprozess nur deren Mitglieder berufen sind, werden Grenzen für den Außeneinfluss abgeleitet.26 Nach ganz überwiegender Auffassung stehen diese einer freiwilligen Einbeziehung von Nichtgesellschaftern in die gesellschaftsinterne Willensbildung entgegen. Einer Ansicht nach wird jeder Nichtgesellschafter, der Aufgaben innerhalb der Gesellschaftsorganisation ausübt, zum Organ der Gesellschaft und ist daher automatisch auf die Wahrung der Gesellschaftsinteressen verpflichtet.27 Nach anderer Ansicht ist statutarischer Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht grundsätzlich nicht erlaubt.28 Näheren Details ist im vorliegenden Zusammenhang nicht nachzugehen. Denn keinesfalls kann ein außenstehender Dritter durch Satzungsregelung als bloßer Funktionsgehilfe eingesetzt werden, der versammlungsleitende Maßnahmen ohne eine weitere Einflussmöglichkeit des originären Kompetenzträgers anordnen kann.
II. Konstruktion einer schuldvertraglichen Vereinbarung Nachdem festgestellt werden konnte, dass eine satzungsmäßige Kompetenzübertragung nicht möglich ist, stellt sich die Frage, ob der Hauptversammlungsleiter schuldvertraglich mit der Versammlungsleitung beauftragt werden kann. Es stellt sich aber schon die Frage, wie eine solche Vereinbarung überhaupt zustande kommen kann. 25
Siehe nur: Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 53. Weber, Privatautonomie und Außeneinfluß im Gesellschaftsrecht, S. 156. 27 Statt aller: Beuthien/Gätsch, ZHR 156 (1992), 459, 470 (mit Fn. 54); Raiser, in: Hachenburg, GmbHG, § 52, Rn. 318. 28 Grundlegend: Ulmer, FS Werner, 1984, S. 911 ff. 26
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
Die Hauptversammlung selbst kann den Hauptversammlungsleiter nicht beauftragen. Denn als Organ ist sie weder rechts- noch geschäftsfähig, vermag also selbst nicht am Rechtsverkehr teilzunehmen.29 Ein Vertragsschluss zwischen dem Hauptversammlungsleiter und der Aktiengesellschaft, diese wiederum vertreten durch die Hauptversammlung, kommt ebenfalls nicht in Betracht. Zwar besitzt die Hauptversammlung organschaftliche Vertretungsmacht für bestimmte körperschaftliche Organisationsakte, eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht kommt ihr nach herrschender Auffassung jedoch nur bei der Bestellung der Sonderprüfer (§ 142 Abs. 1 AktG) zu.30 Die Hauptversammlung wäre somit auch dann, wenn sie den Hauptversammlungsleiter ad hoc wählt, nicht zum rechtsgeschäftlichen Vertragsschluss mit ihm berechtigt, sondern nur materiell zur Entscheidung berufen. Den Geschäftsbesorgungsvertrag bzw. das Auftragsverhältnis könnte gemäß § 78 Abs. 1 AktG allein der Vorstand im Namen der Gesellschaft begründen.31 Ein (konkludenter) Vertragsschluss zwischen vertretungsberechtigtem Vorstand und Hauptversammlungsleiter ließe sich in dem – freilich praxisüblichen – Fall konstruieren, dass der Aufsichtsratsvorsitzende satzungsmäßig zum Hauptversammlungsleiter berufen ist. Denn im Rahmen der Vorbereitung der Hauptversammlung stimmen sich die Vertreter der Gesellschaft mit diesem üblicherweise ab und fragen ihn, ob er die Versammlungsleitung übernimmt.32 Problematisch erscheint der Vertragsschluss aber bereits dann, wenn der satzungsmäßig vorgesehene Hauptversammlungsleiter verhindert ist und daher eine andere Person die Versammlungsleitung übernimmt.33 Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich für den – ebenfalls praxisüblichen – Fall, dass der Hauptversammlungsleiter aufgrund entsprechender Satzungsregelung durch ein anderes Gremium, insbesondere den Aufsichtsrat, bestimmt wird. Noch zweifelhafter erscheint die Vertragskonstruktion im Fall des § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG. Das Gericht wird allein hoheitlich tätig, sodass ein Geschäftsbesorgungs- oder Auftragsverhältnis unzweifelhaft nicht bereits mit der gerichtlichen Bestellung des Hauptversammlungsleiters begründet wird.34 Doch auch ein Vertragsschluss zwischen Hauptversammlungsleiter und vertretungsberechtigtem Vorstand lässt sich nur schwer konstruieren. Denn bei der gerichtlichen
29 Vgl. Beuthien, FS Zöllner, 1998, S. 87, 96 (das Vereinsorgan ist weder rechts- noch geschäftsfähig). 30 H. M., siehe dazu ausführlich: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 142, Rn. 11. 31 Es ließe sich unter Umständen argumentieren, dass Auswahl und Beauftragung – wie beim Sonderprüfer – einheitlich erfolgen sollen, sodass die Hauptversammlung auch in diesem Fall ausnahmsweise rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht besitzt. Dies ist aber letztlich schon deshalb nicht weiterführend, weil die Wahl durch die Hauptversammlung nur eine von mehreren Bestellungsmöglichkeiten ist. 32 Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 137. 33 Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 137. 34 Ebenso bei der gerichtlichen Bestellung des Vorstands, siehe: Thüsing, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4, Rn. 36.
B. Die rechtliche Selbständigkeit des Hauptversammlungsleiters
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Bestellung, die dem Vorstand aufgezwungen wird, wird es an einem Willen desselben zur Beauftragung des Hauptversammlungsleiters in der Regel gerade fehlen.35 Neben der Schwierigkeit, das Zustandekommen einer schuldvertraglichen Vereinbarung zu begründen, ist zu berücksichtigen, dass schuldrechtliche Vereinbarungen keine unmittelbar bindende Wirkung für die Gesellschaftsorgane entfalten können. Durch schuldrechtliche Vereinbarung wird eine Einrichtung daher nicht Teil der Handlungsorganisation, sondern ihre Rechte und Pflichten ergeben sich allein aus dem zugrundeliegenden Schuldverhältnis.36 Das bedeutet, dass die Entscheidungen des Hauptversammlungsleiters im Falle einer schuldrechtlichen Vereinbarung ohne gesellschaftsrechtliche Sanktion übergangen werden könnten. Sie müssten nicht einmal aufgehoben werden, sondern im Falle der Nichtbeachtung käme allenfalls eine Schadensersatzpflicht der Gesellschaft in Betracht.37 Die Anordnungen des Hauptversammlungsleiters haben im gesellschaftsinternen Prozess jedoch unmittelbare Auswirkungen. Dies gilt nicht nur für die Feststellung des Beschlussergebnisses, deren Erforderlichkeit sich aus den Regelungen des Aktiengesetzes ergibt. Die Anordnungen des Hauptversammlungsleiters sind auch im Übrigen verbindlich. Im Schrifttum wird sogar einhellig vertreten, dass die Verbindlichkeit nicht nur vorläufig ist, sondern dass die Entscheidungen des Hauptversammlungsleiters grundsätzlich auch nicht durch Mehrheitsbeschluss der Hauptversammlung revidiert werden können.38 Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich aus einer zweckmäßigen Auslegung des materiellen Rechts: Das Aktiengesetz geht von dem Leitbild der großen Publikumsgesellschaft aus. Im Falle großer Publikumsgesellschaften mit mehreren hundert Versammlungsteilnehmern ist ein „Letztentscheidungsrecht“ auf Seiten des Plenums nicht sachgerecht. Dies würde nämlich bedeuten, dass der Hauptversammlungsleiter auf Antrag (auch nur) eines Aktionärs die Hauptversammlung über eine von ihm angeordnete Maßnahme abstimmen lassen müsste.39 Durch zahlreiche Geschäftsordnungsanträge könnte die Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung in erheblichem Maße behindert werden. Denn vorbehaltlich der allgemeinen Grenze des Rechtsmissbrauchs müsste über jeden Antrag abgestimmt werden.40 Insbesondere die Wirkung von Ordnungsmaßnahmen, bei denen es um eine Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung in zeitlich angemessenem Rahmen geht, könnte durch wiederkehrende Geschäftsordnungsanträge damit praktisch ausgehebelt werden. 35
Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 137. Vgl. zum schuldrechtlichen Beirat: Voormann, Der Beirat im Gesellschaftsrecht, S. 52. 37 Semrau, Dritteinflussnahme, S. 153. 38 Vgl. Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 124; Hoffmann-Becking, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 37, Rn. 43; Dietrich, NZG 1998, 921, 923; Martens, WM 1981, 1010, 1012. 39 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 143; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 130. 40 Fandrich, in: Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG, § 43, Rn. 15 (zum Versammlungsleiter der Generalversammlung einer Genossenschaft). 36
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
Darüber hinaus ist die Notwendigkeit einer Gewaltentrennung zu berücksichtigen. Denn sähe man die versammlungsleitenden Befugnisse vom Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung umfasst, lägen die versammlungsleitenden Befugnisse faktisch in den Händen der Mehrheit. Der Hauptversammlungsleiter wird aber auch im Interesse der Minderheit tätig.41 Denn die innerliche Rechtfertigung für die Durchführung der Hauptversammlung liegt in der Mitwirkung eines jeden Aktionärs sowie darin, ihm eine informierte Entscheidung zu ermöglichen. Die Ausübung der Mitverwaltungsrechte wird im Grundsatz auf die Hauptversammlung konzentriert und dort durch Verfahrensvorschriften besonders geschützt (siehe oben Teil 1 B. II. 1.). Könnten sämtliche Entscheidungen des Hauptversammlungsleiters durch eine Mehrheitsentscheidung des Plenums revidiert werden, würde der Zweck, den die Verfahrensregelungen verfolgen, nicht erreicht. Zwar müsste sich der Beschluss des Plenums an denselben materiellen Maßstäben messen lassen wie eine Entscheidung des Hauptversammlungsleiters.42 Die Abkehr der Rechtsprechung vom Kausalitätserfordernis hat jedoch gezeigt, dass die Mehrheitsverhältnisse auf eine Verfahrensentscheidung, welche in Mitgliedschaftsrechte eingreift, gerade keinen Einfluss nehmen sollen. Diese Wertung darf nicht erst bei der Überprüfung des Entscheidungsergebnisses im Rahmen einer Anfechtungsklage zum Tragen kommen, sondern muss bereits bei der Entscheidungsfindung selbst eingreifen.43 Dies ergibt sich insbesondere mit Blick darauf, dass der Hauptversammlungsleiter nicht lediglich gebundene Entscheidungen trifft, sondern dass ihm bei der Ausübung seiner Befugnisse ein weiter Ermessensspielraum zugebilligt ist. Neben dem Entscheidungsergebnis ist auch dieser Ermessensspielraum von einer Einflussnahme der Mehrheit freizuhalten.
III. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis lässt sich zunächst festhalten, dass der Hauptversammlungsleiter aus eigenem Recht tätig wird.44 Entgegen der überwiegenden Auffassung im Schrifttum schließt Heidel bereits daraus unmittelbar auf die Organstellung des Hauptversammlungsleiters.45 Tatsächlich zeigt sich bereits an dieser Stelle, dass die Einordnung des Hauptversammlungsleiters als Funktionsgehilfe der Hauptversammlung nicht erklären kann, in welchem Rechtsverhältnis dieser zur Gesellschaft 41
Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 143 f. So die Argumentation von Bachmann, AG 1999, 210, 211, der sich im Ergebnis (stets) für eine Letztentscheidungskompetenz des Plenums ausspricht. 43 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 143 f. (der Hauptversammlungsleiter darf nicht zum Spielball des Mehrheitswillens der Hauptversammlung werden). 44 Siehe nur: BGH, NJW 1966, 43, 44. 45 Abw. insoweit Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 18, der vom Handeln aus eigenem Recht umittelbar auf die Organstellung schließt. 42
C. Die Definition des Organbegriffs
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steht und – insbesondere – aus welchem Grund er befugt sein soll, in Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre einzugreifen. Die Organstellung des Hauptversammlungsleiters soll im Folgenden anhand der Merkmale eines Gesellschaftsorgans gleichwohl positiv begründet werden.
C. Die Definition des Organbegriffs Die Einordnung des Hauptversammlungsleiters als Gesellschaftsorgan setzt zunächst eine Definition des Organbegriffs voraus. Das Gesetz verwendet den Organbegriff zwar gelegentlich (vgl. §§ 32 Abs. 1 Satz 1, 45 Abs. 2 Satz 1 BGB), definiert diesen aber nicht. In Rechtsprechung und Schrifttum werden unterschiedliche Definitionen des Organbegriffs vertreten.
I. Der funktionelle Organbegriff der Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat zum Organbegriff bislang nur vereinzelt Stellung genommen. In einer Entscheidung zum Abschlussprüfer stellte der BGH fest: „Der Abschlußprüfer übt seine Tätigkeit unabhängig von Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung aus und leistet Arbeit, die an sich der Aufsichtsrat leisten müßte, jedoch zumeist nicht leisten kann. Er ist in die Organisation der Gesellschaft eingegliedert (§§ 138, 139 AktG). Aus alledem ergibt sich, daß der Abschlußprüfer Organ der Gesellschaft ist.“46 Zum besonderen Vertreter im Sinne von § 147 Abs. 2 AktG führte der BGH wiederum aus, dass dessen Befugnis, Ersatzansprüche gegen Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats im Namen der Gesellschaft zu verfolgen, „als ein abgespaltener Teil der umfassenden gesetzlichen Vertretungsmacht des Vorstandes betrachtet werden muss“.47 Das LG München leitete daraus ab, dass dem besonderen Vertreter „nicht nur eine zumindest organähnliche Stellung zukomme,48 sondern dass er im Rahmen seiner Kompetenz tatsächlich Organ ist und insoweit den Vorstand und den Aufsichtsrat verdrängt“.49 Zum Aufsichtsrat in der mitbestimmten GmbH heißt es in einem weiteren Urteil des BGH, „dass er im Verhältnis zur Gesellschaft kein außenstehender Dritter ist, sondern für sie als deren Organ, eingebunden in die Verfassung der GmbH, bestimmte gesetzlich festgelegte Aufgaben wahrzunehmen hat“.50 46
BGH, NJW 1955, 499, 500; vgl. auch: BGH, NJW 1980, 1689, 1690. BGH, NJW 1981, 1097, 1098. 48 So noch: OLG München, BeckRS 2008, 19102. 49 LG München I, NJW 2009, 3794, 3795; siehe auch: Mock, in: Spindler/Stilz, AktG, § 147, Rn. 91; Schröer, in: MüKo-AktG, § 147, Rn. 47. 50 BGH, NJW 1997, 1985, 1986. 47
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
Aus den voranstehenden Entscheidungen lässt sich ableiten, dass die Rechtsprechung die Einordnung als Gesellschaftsorgan von der Zuweisung eines bestimmten Aufgabenbereichs innerhalb der Verbandsverfassung abhängig macht. Die Verfassung des Verbandes ergibt sich aus dem Gesetz und den Regelungen der Satzung.51 Die Organe, die für das Funktionieren des Verbandes zwingend notwendig sind, sind bereits gesetzlich vorgesehen.52 Dementsprechend heißt es bei H. P. Westermann: „Mit der Einrichtung eines Organs hat die Rechtsordnung das ihrige getan, die von ihr als rechtsfähig anerkannte Wirkungseinheit auch handlungsfähig zu machen, […].“53 Die Einführung fakultativer Organe ist wiederum nur durch eine Satzungsänderung möglich, die unter den dafür vorgesehenen Voraussetzungen vorgenommen werden muss. Die gesetzlich oder satzungsmäßig verankerten Befugnisse nimmt das Organ nach Auffassung der Rechtsprechung „unabhängig“ wahr. Dies kann nur dahingehend verstanden werden, dass Organe ihre Kompetenzen nicht von anderen Organen ableiten, sondern vielmehr aus eigenem Recht tätig werden. Wie bereits dargelegt, herrscht weitgehend Einigkeit, dass auch der Hauptversammlungsleiter aus eigenem Recht handelt. Wenn die Rechtsprechung ihn gleichwohl nicht als Organ qualifiziert, kann dies allein darin begründet liegen, dass seine Handlungen nicht als spezifische Organtätigkeit angesehen werden. Wann eine Aufgabe spezifische Organtätigkeit ist, beantwortet der funktionelle Organbegriff der Rechtsprechung allerdings nicht. Diese Frage kann selbstverständlich nicht allein mit der Organqualität des jeweiligen Aufgabenträgers begründet werden. Im Schrifttum wird der Organbegriff insoweit auf unterschiedliche Weise konkretisiert.
II. Die Konkretisierung des Organbegriffs im Schrifttum Zur Konkretisierung des Organbegriffs wird im Schrifttum zum Teil der spezifische Zweck von Organen herausgehoben, aus dem ein zwingender Verhaltensmaßstab abgeleitet wird. Andere Stimmen schränken den Organbegriff dahingehend ein, dass nur ganz bestimmte Aufgaben als Organtätigkeit in Betracht kommen. 1. Die Bedeutung des Verbandszwecks Beuthien/Gätsch gehen davon aus, dass Organe diejenigen Einrichtungen des Verbandes sind, „denen durch Gesetz oder Satzung Funktionen, die der Erreichung 51 So hat der BGH ein von den Gesellschaftern einer GmbH gesellschaftsvertraglich vorgesehenes Schiedsgericht als Gesellschaftsorgan qualifiziert, da dieses „in die Organisation der Gesellschaft eingebaut ist“; siehe: BGH, NJW 1965, 1378. 52 Semrau, Dritteinflussnahme, S. 82; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 49 und 53. 53 Westermann, Vertragsfreiheit, S. 150.
C. Die Definition des Organbegriffs
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des Verbandszwecks dienen, zugewiesen worden sind“.54 Auch Semrau stellt den spezifischen Zweck von Organen heraus. Ihrer Auffassung nach ist ein Organ eine Einrichtung der Gesellschaft, der durch Gesetz oder im Rahmen des gesetzlich Zulässigen durch das Statut Aufgaben zugewiesen werden, deren Verhalten der Gesellschaft zugerechnet wird, und die der Ausgestaltung und Verwirklichung des Verbandszwecks dient.55 Die Vertreter eines materiellen Organbegriffs leiten aus diesem Zweckmoment einen Verhaltensmaßstab ab. So sind nach Ansicht von Schäfer unter Organen solche Einzelpersonen oder Personenmehrheiten zu verstehen, „die kraft Verbandsverfassung dazu berufen sind, an der Willensbildung, der Geschäftsführung und Vertretung oder an der Kontrolle des Verbandshandelns mitzuwirken, und die ihre Tätigkeit am Verbandsinteresse auszurichten haben“.56 Ulmer stellt in ähnlicher Weise fest, dass „Organrechte von Nichtgesellschaftern keinen eigennützigen Inhalt für diese haben dürfen, sondern der Verfolgung des Gesellschaftsinteresses dienen müssen“.57 Der Anknüpfung an Zielsetzung und Verhaltensmaßstab widersprechen die Verfechter eines formellen Organbegriffs. Zwar entspreche die Bindung der Organe an das Verbandsinteresse dem gesetzlich vorgesehenen Normalfall, ein notwendiges Merkmal des Organbegriffs sei sie aber nicht. Dies gelte insbesondere bei der Schaffung zusätzlicher Organe: Ob und wieweit sich die Gesellschafter dem Einfluss von Fremdinteressen öffnen dürfen, sei eine Frage der Grenzen der Privatautonomie, nicht hingegen des Organbegriffs.58 Dementsprechend kommt es nach Auffassung von Wiedemann für die Einordnung als Organ allein darauf an, ob einer Person oder Personengruppe kraft Gesetzes oder Satzung die gebündelte Wahrnehmung von Rechten im Rahmen der Verbandsorganisation zugewiesen sei.59 Auch Voormann geht davon aus, dass sich Organe bereits durch die „Eingliederung“ in die Verbandsverfassung von Gesellschaftern oder sonstigen Dritten unterscheiden, die Rechte in der Gesellschaft als Privatperson ausüben.60 Ulmer hält diese formelle Sichtweise für eine „uferlose Ausweitung des Organbegriffs“. Schließlich werde ein Kreditinstitut nicht etwa dadurch zum GmbHOrgan, dass es sich in der Satzung der GmbH ein Recht auf Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern mit Blick auf seine Stellung als „Hausbank“ zusichern lasse.61 Auch Maulbetsch wendet im Zusammenhang mit dem Beirat einer Publikumsper54
Beuthien/Gätsch, ZHR 156 (1992), 459, 468. Semrau, Dritteinflussnahme, S. 114 f., weist zudem darauf hin, dass die Existenz von Organen personenunabhängig ist und sie ihre Aufgaben mittels geborener oder gekorener Organmitglieder erfüllen. 56 Schäfer, in: Staub, HGB, Bd. 3, § 109, Rn. 41. 57 Ulmer, FS Wiedemann, 2002, S. 1297, 1304 f. 58 Weber, Außeneinfluss, S. 165. 59 Wiedemann, in: FS Schilling, 1973, S. 105, 109. 60 Voormann, Der Beirat im Gesellschaftsrecht, S. 66. 61 Ulmer, FS Werner, 1984, S. 911, 923. 55
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
sonengesellschaft ein, dass jeder Gesellschafter und auch jeder Vertreter eines Gesellschafters, wenn er für die Gesellschaft tätig ist, im Rahmen der Gesellschaftsorganisation in gesellschaftlichen Angelegenheiten entscheide. Der Beirat könne daher nur dann als Gesellschaftsorgan angesehen werden, wenn er auf die Förderung des Gesellschaftsganzen verpflichtet ist.62 2. Die Willensbildung und Willensumsetzung als spezifische Organtätigkeit Andere Stimmen im Schrifttum gehen davon aus, dass von vornherein nur ganz bestimmte Aufgaben als Organtätigkeit in Betracht kommen. Von Tuhr ist etwa der Auffassung, dass unter einem Organ nur diejenigen Personengruppen zu verstehen sind, deren Willensentscheidungen für die Gesellschaft maßgeblich sind, also nicht die reinen Aufsichts- und Kontrollorgane.63 Dementsprechend geht auch Wieland davon aus, dass Organe „die durch Gesetz vorgesehenen Personen oder Mehrheiten von solchen sind, die die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen haben und bei der Führung der Geschäfte tätig sind“.64 Als Organhandeln soll mithin nur solches Handeln in Betracht kommen, welches nicht allein intern wirkt, sondern welches den Verbandswillen gegenüber Dritten rechtsverbindlich zum Ausdruck bringt. Ulmer/Schäfer hingegen betonen mit Blick auf die interne Willensbildung der Gesellschaft, dass sich das Organhandeln nicht auf die Vertretung nach außen beschränke, sondern dass als Organ auch diejenigen verbandsinternen Einrichtungen oder Personen angesehen werden müssen, „die auf Grund der Verbandsverfassung befugt sind, den Willen einer als (teil-)rechtsfähig anerkannten Einheit oder Gruppe zu bilden oder in die Tat umzusetzen“.65 Flume stellt noch weitergehend fest, dass als Organ jede Person oder die Mehrzahl von Personen anzusehen ist, welche nach der Verfassung der juristischen Person deren Handlungsfähigkeit begründet.66 3. Stellungnahme Als gesicherter Ausgangspunkt kann zunächst gelten, dass nicht jede Erwähnung im Gesetz oder in der Satzung bzw. dem Gesellschaftsvertrag die Organeigenschaft begründen kann. Dies gilt auch dann, wenn die vorgesehene Tätigkeit ein Recht oder
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Maulbetsch, Beirat und Treuhand in der Publikumspersonengesellschaft, S. 55 f. Von Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. 1, § 32 II., S. 460. 64 Wieland, Handelsrecht, Bd. 2, § 98, S. 87 unter Bezugnahme auf von Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 614 ff. 65 Ulmer/Schäfer, in: MüKo-BGB, § 705, Rn. 256; ähnlich: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 14 II. 1., S. 408. 66 Flume, Juristische Person, § 11 I., S. 377; ähnlich: Hadding, in: Soergel, BGB § 26, Rn. 3. 63
C. Die Definition des Organbegriffs
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eine Pflicht statuiert. Denn anderenfalls wäre jeder, der eine Rechtspflicht im Zusammenhang mit der Gesellschaft erfüllt, als Organ der Gesellschaft anzusehen. Was sodann die Einschränkung des Organbegriffs über ein Zweckmoment angeht, erscheint dies aus mehreren Gründen nicht sachgerecht. Zum einen ist der anzuwendende Verhaltensmaßstab Rechtsfolge, nicht Tatbestandsvoraussetzung des Organbegriffs. Denn private Verbände werden von der Rechtsordnung nicht um ihrer selbst willen, sondern stets nur als Zweckgebilde anerkannt.67 Da Organe ein Teil des Verbandes sind, verfolgen sie notwendig den von den Gründern festgelegten Zweck.68 Zum anderen erscheint die Orientierung an einem Zweckmoment von vornherein nicht geeignet, den Organbegriff einzuschränken. Denn die Tätigkeit sämtlicher gesetzlich oder satzungsmäßig vorgesehener Einrichtungen verfolgt einen Zweck. Letztlich kann jede Tätigkeit, die nicht gegen den Verband gerichtet ist, als Tätigkeit für den Verband betrachtet werden.69 Es spricht mehr dafür, an die spezifische Tätigkeit von Organen anzuknüpfen. Diese kann aber nicht allein darin gesehen werden, den Verbandswillen gegenüber Dritten rechtsverbindlich zum Ausdruck zu bringen. Denn danach könnten weder die Hauptversammlung noch der Aufsichtsrat als Organe der Gesellschaft angesehen werden. Doch auch dann, wenn man die Willensbildung der Gesellschaft als spezifische Organtätigkeit miteinbezieht, kann darin nur eine Umschreibung, nicht hingegen eine Definition des Organbegriffs gesehen werden. Die Hauptversammlung bildet den Willen der Gesellschaft nach allgemeiner Auffassung kraft organschaftlicher Zurechnung. Entscheidend für den Organbegriff ist aber gerade die Frage, welche Eigenschaften eine Handlung haben muss, damit sie der Gesellschaft zugerechnet wird.70 Diese Frage beantwortet das Schrifttum in der Regel nicht.
III. Der institutionell-funktionelle Organbegriff Die organschaftliche Zurechnung ist Gegenstand des institutionell-funktionellen Organbegriffs. Dieser wird – unter Rückgriff auf die Lehre von Wolff71 – insbesondere im neueren Schrifttum vertreten. Ausgangspunkt des institutionell-funktionellen Organbegriffs ist die Aufgabenwahrnehmung innerhalb der Verbandsverfassung. Insofern stimmt sie mit dem funktionellen Organbegriff der Rechtsprechung überein. Gleichwohl wird zwischen einer institutionellen und einer funktionellen 67
Mülbert, Aktiengesellschaft, S.139. Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 157; Beuthien/Gätsch, ZHR 1992, 459, 468. 69 Vgl. Kelsen, in: Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 2, S. 601 (zum Begriff des Staatsorgans). 70 Vgl. Kelsen, in: Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 2, S. 594 (zum Begriff des Staatsorgans). 71 Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 224 ff. 68
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
Komponente unterschieden: Erstere betrifft die Eingliederung des Organs in die Verbandsverfassung, letztere die spezifische Organtätigkeit. 1. Die institutionelle Komponente des Organbegriffs Zur institutionellen Komponente des Organbegriffs formuliert Beuthien anschaulich: „Das Organ ist Bestandteil der Körperschaft. Es ist innerhalb des Systems der Normativbestimmungen als genetischer Baustein der betreffenden gesellschaftsrechtlich zugelassenen Vereinigung im Gesetz vorgeformt und entsteht mit der Gründung der Körperschaft“.72 Dies entspricht der Organdefinition des BGH, wonach ein Organ „eingebunden in die Verfassung der GmbH, bestimmte gesetzlich festgelegte Aufgaben wahrzunehmen hat“.73 In ähnlicher Weise spricht das Schrifttum von der Wahrnehmung von Rechten und Pflichten im Rahmen der „Verfassung“ des Verbandes.74 Das bedeutet, dass die Aufgaben und Befugnisse dem Organ durch Gesetz oder Satzung zugewiesen sind, nicht durch andere Stellen innerhalb des Verbandes.75 Zur institutionellen Komponente gehört es auch, dass das Organ zwar in die Verbandsverfassung eingegliedert, organisatorisch aber dennoch eine selbständige Einrichtung ist. Das Organ ist nicht deckungsgleich mit der Summe seiner Mitglieder, sondern unabhängig sowohl vom Wechsel der Organwalter als auch von deren Beisammensein.76 Daraus ergibt sich zugleich, dass die Organkompetenzen dem Organ selbst zustehen, nicht etwa den Organmitgliedern. Geschäftsführungsbefugt und vertretungsberechtigt sind der Vorstand oder der bzw. die Geschäftsführer als Organ, nicht hingegen die zu Vorstandsmitgliedern oder zu Geschäftsführern bestellten Organmitglieder.77 Verselbständigt ist das Organ jedoch zunächst nur in organisatorischer, nicht hingegen in rechtlicher Hinsicht. Dieser Aspekt betrifft die organschaftliche Zurechnung: Das Handeln des Organmitglieds wird nicht ihm selbst, sondern stets dem Organ und – in einem zweiten Schritt – der Gesellschaft zugerechnet. Weil demnach sämtliches Organhandeln als Handeln des Verbandes gilt, lassen sich Organe als „Durchgangssubjekte der Zurechnung“ bezeichnen.78 Es gelten dieselben Grundsätze wie bei den Organen des öffentlichen Rechts: Die Behörde hat als Organ die bloße Wahrnehmungs-, der Rechtsträger die Endzu72 Beuthien, FS Zöllner, 1998, S. 87, 98; ders., NJW 1999, 1142, 1144; ganz ähnlich: Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 44. 73 BGH, NJW 1997, 1985, 1986; zum Abschlussprüfer siehe: BGH, NJW 1955, 499, 500. 74 So: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 14 III. 1. a), S. 415; von Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. 1, § 32 II., S. 460; Flume, Juristische Person, § 11 I., S. 377; abw.: Westermann, Vertragsfreiheit, S. 150 (Organe nehmen die dem Verband von der Rechtsordnung verliehenen Rechte und Pflichten wahr). 75 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 37. 76 Beuthien, FS Zöllner, 1998, S. 87, 98. 77 Beuthien, FS Zöllner, 1998, S. 87, 98. 78 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 57 f.
C. Die Definition des Organbegriffs
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ständigkeit.79 Die „transitorische Wahrnehmungszuständigkeit“ der Organe ist allerdings auf den Außenbereich beschränkt. Im Innenverhältnis geht es nicht um die Zurechnung des Organhandelns zur juristischen Person80, sondern um die Innenbeziehungen zwischen den Organen selbst.81 Nach der Lehre von Wolff können Organe im Verhältnis zueinander sowie im Anwendungsbereich der dieses Verhältnis betreffenden Normen auch selbst berechtigt und verpflichtet werden. Das Organhandeln wird dann – aber auch nur dann – den Organen selbst, nicht der juristischen Person zugerechnet. Insoweit besitzen Organe „Zurechnungsendsubjektivität“.82 2. Die funktionelle Komponente des Organbegriffs Im Rahmen der funktionellen Komponente des Organbegriffs wird die Aufgabenwahrnehmung durch Organe dahingehend konkretisiert, dass diese grundsätzlich nicht für sich selbst, sondern als Teil des Verbandes nur für diesen tätig werden. Organe haben demnach dienende Funktion.83 Nach Auffassung von Schürnbrand kommt es dabei nicht auf die unmittelbar verbindliche Wirkung des Organhandelns im Außenverhältnis an. Auch gesellschaftsinternes Handeln komme als spezifische Organtätigkeit in Betracht, und zwar selbst dann, wenn das Handeln im gesellschaftsinternen Prozess keine unmittelbaren Rechtsfolgen auslöst. Aus diesem Grund sollen auch lediglich beratende oder kontrollierende Tätigkeiten als Organtätigkeit angesehen werden können.84 Die entscheidende Abgrenzung finde bereits im Rahmen der institutionellen Komponente statt: Beratende oder kontrollierende Tätigkeiten auf schuldrechtlicher Grundlage sind nicht Teil der Organisationsverfassung. Ein beratendes Gremium kann daher ohne gesellschaftsinterne Sanktion übergangen werden. Sofern das Gremium in die Verbandsverfassung „eingegliedert“ ist, ist seine Entscheidung zwar ebenfalls nicht unmittelbar verbindlich. Der gesellschaftsinterne Willensbildungsprozess ist aber fehlerhaft, sofern das Gremium überhaupt nicht angehört wird oder seine Auffassung bei der Entscheidungsfindung gänzlich unberücksichtigt bleibt.85 3. Stellungnahme Der institutionell-funktionelle Organbegriff stimmt im Ausgangspunkt mit dem funktionellen Organbegriff überein: Organe sind ein Aufgabenbereich innerhalb der 79
Schnapp, NZS 2010, 241, 242; siehe auch: Fleischer, NJW 2006, 3239, 3243. Schnapp, Jura 1980, 68, 74; anders offenbar: Flume, Juristische Person, § 11 V, S. 407 (insb. Fn. 145). 81 Bork, ZGR 1989, 1, 14. 82 Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 250. 83 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 44. 84 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 72 ff. 85 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 76. 80
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Verbandsverfassung. Ihre Aufgaben und Befugnisse können nicht durch schuldrechtliche Vereinbarung begründet werden. Dies ergibt sich schon daraus, dass Änderungen der Verbandsverfassung nicht von den Geschäftsleitern im Rahmen ihrer Geschäftsführungsbefugnis vorgenommen werden können. Zuständig für Grundlagen- und Strukturentscheidungen sind bei der Gründung der Gesellschaft die Gesellschafter, später die Gesellschafterversammlung. Eine schuldrechtliche Einrichtung, die durch die vertretungsberechtigten Geschäftsleiter begründet wird, steht daher stets außerhalb des gesellschaftsrechtlichen Organisationsgefüges.86 Im Rahmen des institutionell-funktionellen Organbegriffs erlangt die organschaftliche Zurechnung insofern Bedeutung, als es um die „transitorische Wahrnehmungszuständigkeit“ geht. Zutreffend ist, dass Organwalter im Außenverhältnis nicht im eigenen Namen mit Wirkung für sich selbst tätig werden.87 Offen bleibt jedoch die Frage, welche Handlungen es sind, die nicht dem physisch handelnden Menschen, sondern – durch das Organ – der Gesellschaft zuzurechnen sind. Das Kriterium der Zurechnung beantwortet der institutionell-funktionelle Organbegriff nicht. Dies führt notwendig zu einem Zirkelschluss. Denn die Frage, warum eine Handlung der Gesellschaft zugerechnet wird, wird mit der Organeigenschaft begründet. Andererseits wird eine Einrichtung als Gesellschaftsorgan qualifiziert, weil die Handlungen ihrer Organwalter nicht ihnen selbst oder dem Organ, dem sie angehören, zugerechnet werden, sondern der Gesellschaft.88 Im Innenverhältnis soll schließlich bereits das Merkmal der „Eingliederung“ die entscheidende Abgrenzung zu außenstehenden Dritten liefern. Es soll nicht bestritten werden, dass die Entscheidungen von Organen – anders als die von außenstehenden Dritten – auch dann, wenn sie keine unmittelbaren Rechtsfolgen auslösen, nicht ohne gesellschaftsinterne Sanktion übergangen werden können. Auch hier stellt sich aber wiederum die Frage, welche Handlungen es sind, die eine solche gesellschaftsinterne Wirkung auslösen. Dies kann aber nicht allein mit Blick auf die „Eingliederung“ begründet werden. Die spezifische Organtätigkeit erschließt sich nach dem institutionell-funktionellen Organbegriff auch mit Blick auf die funktionelle Komponente nicht. Denn mit dieser wird erneut an einen Verhaltensmaßstab angeknüpft. Im Übrigen werden Organe nicht „für“ die Gesellschaft tätig, sondern sie sind ein Teil derselben. Insofern ist ihr Handeln stets auf die Verwirklichung des Verbandszwecks gerichtet.
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Vgl. zum schuldrechtlichen Beirat: Voormann, Der Beirat im Gesellschaftsrecht, S. 52. Vgl. Jacoby, Das private Amt, S. 163. 88 Vgl. Kelsen, in: Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 2, S. 607 (zum Begriff des Staatsorgans). 87
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IV. Die rechtsdogmatische Bedeutung des Organhandelns Die Frage, welche Tätigkeit als spezifische Organtätigkeit anzusehen ist, lässt sich nach hiesiger Auffassung nicht ohne die Berücksichtigung der rechtsdogmatischen Bedeutung des Organhandelns ermitteln. Diese ist Gegenstand des historischen Streits zwischen Vertreter- und Organtheorie. Ausgangspunkt sowohl der Vertreter- als auch der Organtheorie ist eine simple, wenngleich grundlegende Feststellung: Ein Rechtssubjekt, das Träger von Rechten und Pflichten sein kann, muss auch in der Lage sein, diese Rechte und Pflichten zu erwerben. Natürliche Personen können Rechte und Pflichten ohne Weiteres durch eigenes Verhalten begründen (sogenannte Handlungsfähigkeit). Die Geschäfts- und Deliktsfähigkeit werden als Regelfall vorausgesetzt, das Gesetz sieht nur Ausnahmen davon vor (siehe die §§ 104 ff., §§ 827 ff. BGB). Ohne Zweifel kann die juristische Person – ebenso wie die natürliche Person – Bevollmächtigte, Erfüllungsgehilfen, Verrichtungsgehilfen und Besitzdiener für sich handeln lassen.89 Es stellt sich jedoch die Frage, ob die juristische Person durch ihre Organe auch selbstverantwortlich wissen, wollen und handeln kann.90 1. Die Fiktionstheorie nach von Savigny Nach der von Savigny vertretenen Fiktionstheorie kommt nur dem Menschen „natürliche Rechtsfähigkeit“ zu. Die Rechtsfähigkeit beschränkt sich gleichwohl nicht auf den Menschen, sondern kann auch juristischen Personen – wie Stiftungen oder Gesellschaften – verliehen werden. Diese Gebilde besitzen die Rechtsfähigkeit aber nicht „ursprünglich“, sondern sie muss ihnen erst durch staatliche Genehmigung verliehen werden.91 Der Akt der Verleihung überträgt „die natürliche Rechtsfähigkeit des einzelnen Menschen durch Fiction auf ein ideales Subject“.92 Die Rechtssubjektivität wird Verbänden nach Ansicht von Savignys allein aus rechtspolitischen Gründen verliehen. Da sie ihnen nicht auf natürliche Weise zukommt, bezeichnet er diese Verbände als „künstliche, durch bloße Fiktion angenommene Subjekte“. Diese „materielle Fiktion“ beschränkte von Savigny jedoch von vornherein auf die Vermögensfähigkeit. Die Deliktshaftung juristischer Personen lehnte er ab: „Denn jedes wahre Delikt setzt dolus oder culpa voraus, mithin Gesinnung und Zurechnung, kann also bei juristischen Personen eben so wenig angenommen 89 Semrau, Dritteinflussnahme, S. 47, weist im Hinblick auf den Streit um die Rechtsnatur der juristischen Person darauf hin, dass die Vorschriften der §§ 164, 278, 831, 855 BGB auch für Rechtsträger ohne natürliche Rechtsfähigkeit gelten. 90 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 10 I. 1. a), S. 247. 91 Das Erfordernis der staatlichen Genehmigung führt von Savigny neben „politischen und staatswirtschaftlichen Gründen“ insbesondere auf das Bedürfnis nach Rechtssicherheit zurück; siehe: von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 2, S. 277 ff. 92 Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 2, S. 278.
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werden, als bei Unmündigen oder Wahnsinnigen.“93 Doch auch beim Erwerb von Vermögensrechten identifizierte von Savigny eine Diskrepanz. Denn Vermögensrechte werden grundsätzlich durch Handlungen erworben, setzen also ein „denkendes und wollendes Wesen, einen einzelnen Menschen voraus, was eben die juristischen Personen als bloße Fiktionen nicht sind“.94 Daraus ergibt sich „der innere Widerspruch eines der Vermögensrechte fähigen Subjekts, welches doch die Bedingungen zum Erwerb derselben nicht erfüllen kann“.95 Dieser Widerspruch kann freilich nicht unaufgelöst bleiben. Ebenso wie die Rechtsfähigkeit der juristischen Person „verliehen“ werden muss, bedarf es nach Ansicht von Savignys daher der Vermittlung von Handlungsfähigkeit an die a priori handlungsunfähige juristische Person.96 Dies geschieht durch die Verfassung der juristischen Person, indem die Handlungsfähigkeit durch die Vertretung als „künstliche Anstalt“ begründet wird.97 Das Vertreterhandeln wird der juristischen Person nach der Fiktionstheorie allerdings nur „angerechnet“, ist aber nicht Eigenhandeln der juristischen Person, sondern Eigenhandeln der für die juristische Person handelnden Organe.98 2. Die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit nach von Gierke Nach der Lehre von Otto von Gierke ist die juristische Person nicht bloß ein künstliches Gebilde, sondern als sozialer Organismus ohne Weiteres existent und damit auch rechtlich als reale Verbandsperson anzusehen. Zwar ist auch nach Auffassung von Gierkes eine gesetzliche Regelung zur Rechtsfähigkeit der juristischen Person erforderlich; entgegen der Auffassung von Savignys muss die Rechtsfähigkeit der juristischen Person aber nicht „verliehen“, sondern von der Rechtsordnung lediglich anerkannt werden. Denn so wenig wie die Einzelperson sei die Verbandsperson „eine Schöpfung des objektiven Rechts“, jedoch bestehe sie „so gut wie die Einzelperson nur insoweit, als das objektive Recht sie anerkennt“.99 von Gierke beschreibt die Verbandsperson dementsprechend „als die von der Rechtsordnung anerkannte Fähigkeit eines menschlichen Verbandes, als ein von der Summe der verbundenen Personen unterschiedliches einheitliches Ganzes Subjekt von Rechten und Pflichten zu sein“.100
93 Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 2, S. 317; siehe dazu umfassend: Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, S. 172 f. 94 Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 2, S. 282. 95 Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 2, S. 282. 96 Vgl. dazu: Jacoby, Das private Amt, S. 264. 97 Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 2, S. 282 f. 98 Siehe auch: Flume, Juristische Person, § 11 I., S. 377. 99 Von Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, S. 471. 100 Von Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, S. 469.
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Nach der Theorie der realen Verbandspersönlichkeit ist die Verbandsperson demnach eine gelebte Institution, die nach innen und außen tatsächlich in Erscheinung tritt.101 Die Geschäftsführer sind „Organe“, also körperliche Werkzeuge der körperlosen, aber realen Verbandspersönlichkeit. Die Organe begreift von Gierke nicht als außerhalb der Verbandsperson stehende Fremde, sondern vielmehr als Teile des Ganzen. Das Organhandeln soll keine Stellvertretung des einen für den anderen sein, sondern die Darstellung des Ganzen durch ein Teil.102 Dementsprechend bejahte von Gierke auch die Willens-, Handlungs- und Deliktsfähigkeit der Verbandsperson: Die Organe handeln nicht als Dritte für die juristische Person, sondern das Organhandeln ist das der juristischen Person.103 Daraus ergibt sich die Abgrenzung zum Handeln durch Stellvertreter: Zwar kann die juristische Person auch Stellvertreter für sich handeln lassen, das Handeln eines Stellvertreters ist – anders als das Organhandeln – aber kein Eigenhandeln der juristischen Person.104 Das Organhandeln wird der juristischen Person somit nicht „angerechnet“, sondern vielmehr „zugerechnet“. 3. Neuere Entwicklungen: Die Auflösung des Theorienstreits? Die unterschiedlichen Positionen der Fiktions- sowie der Realitätstheorien werden heute nicht mehr als streng gegensätzlich angesehen. Bydlinski105 weist beispielsweise darauf hin, dass die Fiktionstheorie und die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit sich schon deshalb nicht ausschließen, weil sie auf die Beantwortung unterschiedlicher Fragen gerichtet sind. So antworte von Savigny nicht auf die Frage der Beschaffenheit der Organisation, die rechtlich anerkannt und verselbständigt werde, sondern allein auf die Frage nach der rechtlichen Technik. Die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit hingegen nehme sich der Frage nach dem „Was“ der rechtlichen Anerkennung an. Erst dadurch werde der Verband der Handlungsfähigkeit zugänglich.106 Im Hinblick auf die Wirkungen des Organhandelns ist das Schrifttum weit überwiegend der Organtheorie gefolgt.107 Gleichwohl wurde die Darstellung des Organhandelns als Eigenhandeln der juristischen Person insbesondere aufgrund der 101
Beuthien, FS Zöllner, 1998, S. 87, 94. Von Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, S. 472; siehe dazu umfassend: Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, S. 173 f. 103 Von Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 624 f. 104 Von Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, S. 519. 105 Bydlinski, FS Koppensteiner, 2001, S. 569. 106 Bydlinski, FS Koppensteiner, 2001, S. 569, 571 f. 107 Siehe nur: Wiedemann, Gesellschaftsrecht, § 4 II.3.a), S. 212; Beuthien, FS Zöllner, 1998, S. 87, 92 ff., 97; Arnold, in: MüKo-BGB, § 26, Rn. 11; Ellenberger, in: Palandt, BGB, § 26, Rn. 2; Hadding, in: Soergel, BGB, § 26, Rn. 2 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 10 I 2, S. 250 ff. (das Handeln der Verbandsorgane ist dem Verband als Eigenhandeln zuzurechnen, ohne doch rechtsethisch verantwortlich Eigenhandeln im natürlichen Sinne zu sein). 102
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verwendeten Metaphorik oftmals kritisiert. So führte von Gierke beispielsweise aus, die juristische Person komme in ihren Organen ebenso „unmittelbar“ zur Erscheinung „wie die Einzelperson in der Rede des Mundes oder der Bewegung der Hand“.108 Selbstverständlich war aber auch von Gierke bewusst, dass nur „Menschen wie Menschen verantwortlich handeln“ können.109 Bydlinski weist dementsprechend darauf hin, die Behauptung von Gierkes, wonach der Verband selbst als „reale Wirkungseinheit“ handelt, sei nicht als „realistisch gemeinte Tatsachenbehauptung“ zu verstehen. Es gehe allein darum, dass das Handeln der Organpersonen wie das Handeln der juristischen Person selbst zu behandeln ist, dieser also letztlich zugerechnet wird.110 Tatsächlich hat sich von Gierke weder gegen die Notwendigkeit einer Zurechnung noch gegen die Bezeichnung des Organverhältnisses als Vertretungsverhältnis ausgesprochen.111 Es kam ihm mit seiner bildhaften Sprache vielmehr darauf an, den Unterschied zwischen den Organen der juristischen Person und Stellvertretern zu verdeutlichen. In funktionaler Hinsicht ist dieser Unterschied freilich offenbar. Denn während die Möglichkeit der Stellvertretung die Privatautonomie des Vertretenen erweitert, dieser also auch ohne den Vertreter handeln kann, eröffnet die organschaftliche Vertretung dem Vertretenen überhaupt erst die Möglichkeit, rechtswirksam zu handeln.112 Das hat aber auch von Savigny erkannt, wie sein Vergleich von Organen mit gesetzlichen Vertretern zeigt. So stellte er zu der von ihm postulierten Diskrepanz zwischen Rechtsfähigkeit und Handlungsunfähigkeit der juristischen Person fest: „Ein ähnlicher Widerspruch findet sich auch bei vielen natürlichen Personen, insbesondere bei Unmündigen und Wahnsinnigen; denn auch diese haben die ausgedehnte Rechtsfähigkeit neben gänzlicher Handlungsunfähigkeit.“113 von Gierke hat jedoch eine weitere, organisatorische Abgrenzung vorgenommen: Während sich bei der Stellvertretung verschiedene Rechtspersonen gegenüberstehen, handeln Organe als „rechtlich organisatorischer“ Bestandteil der juristischen Person.114 Diese organisatorische Abgrenzung wird – wie schon der funktionelle Organbegriff zeigt – auch von den neueren Befürwortern der Vertretertheorie anerkannt. So ist nach Auffassung von Flume die organschaftliche Vertretung der juristischen Person zwar 108
Von Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, S. 472. K. Schmidt hingegen sieht in dieser „Erkenntnis“ den Verdienst der Savignyschen Lehre; siehe: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 10 I. 2., S. 252. 110 Bydlinski, FS Koppensteiner, 2001, S. 569, 572 f. (alles andere sei eine „evident realitätswidrige Behauptung“). 111 Die Bezeichnung der Organfunktion als „Stellvertretung“ werde hingegen besser vermieden; siehe: von Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 623 (mit Fn. 1). 112 Vgl. Bergmann, Die fremdorganschaftlich verfasste OHG, S. 39; Jacoby, Das private Amt, S. 273; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, S. 178; dem entspricht die von John, Die organisierte Rechtsperson, S. 231 f., getroffene Unterscheidung zwischen „möglicher“ und „notwendiger“ Handlungsorganisation. 113 Von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 2, S. 282. 114 Vgl. Preuß, Jherings Jahrb. 44 (1902), 429, 454. 109
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„in gleicher Weise Stellvertretung wie das Stellvertretungshandeln des gesetzlichen Vertreters oder des Bevollmächtigten“. Die Besonderheit der Stellvertretungsorgane der juristischen Person bestehe aber darin, „daß sie der juristischen Person nicht als Fremde gegenüberstehen, sondern ihr zugehörig sind, indem sie durch die Verfassung der juristischen Person berufen sind und wie die Mitglieder zu der juristischen Person als „dem idealen Ganzen“ gehören“.115 Das Schrifttum geht vor diesem Hintergrund teilweise davon aus, dass sich der Unterschied zwischen Vertreter- und Organtheorie auf reine Begrifflichkeiten beschränke. Entscheidend sei nicht die Art und Weise der Zurechnung, sondern allein, dass zugerechnet wird.116 Im Übrigen sei mittlerweile unstreitig, dass die Zurechnung des Organhandelns nach anderen Grundsätzen zu erfolgen habe als die Zurechnung der Handlungen von (gewillkürten oder gesetzlichen) Stellvertretern. Dies verdeutliche nicht nur die globale Verhaltenszurechnung gemäß § 31 BGB, sondern auch die Anerkennung der Rechtsfigur des Organbesitzes. Die Unterscheidung zwischen „Anrechnung“ (Vertretertheorie) und „Zurechnung“ (Organtheorie) sei insoweit ein bloßer „Streit um Worte“.117 Von Bedeutung ist allerdings, aus welchem Grund sich Vertreter- und Organtheorie bei der Art und Weise der Zurechnung unterscheiden. Dieser ist darin zu sehen, dass die Vertretertheorie von der Willenstheorie geprägt ist. Danach wirkt eine rechtsgeschäftliche Erklärung nur für und gegen den Erklärenden, wenn und weil dieser den zugrundeliegenden Geschäftswillen selbst gebildet hat. Eine Stellvertretung im Willen wird für unmöglich gehalten.118 Wenngleich das personale Willensdogma schon lange aufgegeben worden ist, wird im Stellvertretungsrecht bis heute zwischen dem Erklärungsakt und dem Erklärungsergebnis unterschieden. Danach drückt sich in der Willenserklärung allein der rechtsgeschäftliche Willen des Stellvertreters aus. Dieser leitet nur die Rechtsfolgen auf den Vertretenen über.119 Dementsprechend unterscheidet die Vertretertheorie auch bei der organschaftlichen Vertretung zwischen der Handlung des Organs und den Wirkungen dieser Handlung. So soll die Handlung des Vorstands allein seine eigene Handlung sein, nicht die der juristischen Person, „nur dass die Wirkungen dieser Handlung, vermöge des Rechtssatzes, der ihn zum Organ macht, nicht ihn selbst, sondern die juristische Person treffen“.120 Erstaunlicherweise hat von Savigny im Stellvertretungsrecht einen anderen Ansatz vertreten. Danach sollen den Vertretenen nicht nur die Rechtswirkungen der 115
Flume, Juristische Person, § 11 I, S. 379. So: Semrau, Dritteinflussnahme, S. 51. 117 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 20 f.; ähnlich: Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, S. 171 (kein sachlicher Unterschied); Bydlinski, FS Koppensteiner, 2001, S. 569, 574 („Wortmagie“). 118 Beuthien, FS Medicus, 1999, S. 1, 2. 119 Siehe: Beuthien, FS Medicus, 1999, S. 1, 2. 120 Von Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. 1, § 32 II., S. 461. 116
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Willenserklärung des Vertreters treffen, sondern der Vertretene gibt die Willenserklärung selbst mittels des Vertreters ab. Die Stellvertretung ist demnach nicht drittwirkendes Fremdhandeln des Vertreters, sondern mittelbares Eigenhandeln des Vertretenen.121 Genau das ist der Denkansatz, den die Organtheorie für die organschaftliche Vertretung aufgreift: Organe handeln nicht für die Gesellschaft, sondern diese handelt selbst mittels der Organe. Von Savigny hat diesen Ansatz aber deshalb nicht auf die organschaftliche Vertretung übertragen, da man im 19. Jahrhundert davon ausging, dass nur Menschen in der Lage sind, einen rechtsgeschäftlichen Willen zu bilden und diesen mittels einer Willenserklärung zu äußern.122 Das „Wollen“ wurde mithin als Eigenschaft angesehen, die nur ein Mensch haben kann. Vor diesem Hintergrund ist der Meinungsstreit zwischen Vertreter- und Organtheorie nicht ein bloßer Streit um Worte. Es werden vielmehr – gerade umgekehrt – formal dieselben Worte verwendet, ohne eine begriffliche Unterscheidung vorzunehmen, welche die Abkehr vom personalen Willensdogma verdeutlicht.
V. Die handlungsfähige Rechtsperson Nach der Abkehr vom personalen Willensdogma gibt es keinen Grund mehr, sich die juristische Person als handlungsunfähig vorzustellen. Die Organtheorie liefert jedoch nur eine Rechtfertigung, nicht aber eine Begründung für die Handlungsfähigkeit der juristischen Person.123 Diese ist darin zu sehen, dass die juristische Person der natürlichen Person rechtlich gleichzustellen ist. Aus diesem Grund wird mittlerweile auch deliktisches Organhandeln zugerechnet: Die Rechtsordnung erkennt die Rechtssubjektivität von juristischen Personen an und ermöglicht ihnen dadurch die Teilnahme am Rechtsverkehr. Ebenso wie natürliche Personen müssen sie sowohl die Vorteile als auch die Lasten derselben tragen.124 Umgekehrt ist auch eine Schlechterstellung der juristischen Person zu vermeiden. Die juristische Peron ist daher – wie die natürliche Person – nicht nur als rechts-, sondern vor allem auch als handlungsfähig anzusehen.125 Die Handlungsfähigkeit wird durch eine Zurechnung des Organhandelns als Eigenhandeln hergestellt. Zurechnung und Eigenhandeln sind keineswegs als Gegensatz anzusehen. Selbstverständlich kann eine juristische Person nicht im natürlichen Sinne wollen und handeln. Die juristische Person ist aber nicht mit dem Menschen, sondern mit der natürlichen Person zu vergleichen.126 Der Mensch ist allein das „personale Substrat“, 121
Beuthien, FS Zöllner, S. 87, 100 f.; umfassend: Beuthien, FS Medicus, 1999, S. 1, 6 f. Beuthien, FS Medicus, 1999, S. 1, 2. 123 So das Ergebnis der Untersuchung von Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, S. 477 f. 124 Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, S. 478. 125 Beuthien, FS Zöllner, 1998, S. 87, 92. 126 So bereits: Beuthien, FS Zöllner, 1998, S. 87, 92. 122
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das hinter beidem steht. Dass die juristische Person der Zurechnung des natürlichen Verhaltens von Menschen bedarf, um am Rechtsverkehr teilzunehmen, schließt ihre Handlungsfähigkeit im rechtlichen Sinne nicht aus. Tatsächlich bedarf das menschliche Verhalten stets einer rechtlichen Wertung, um Rechtswirkungen auszulösen.127 Dies gilt nicht nur im Falle juristischer Personen, sondern auch bei den Handlungen einer natürlichen Person. Zwar erschöpft sich die Rechtsperson in diesem Fall in einem konkreten Menschen. Das natürliche Wollen und Handeln dieses Menschen löst aber nicht etwa deshalb Rechtswirkungen für die natürliche Person aus, weil es realpsychisch ist, sondern weil es der natürlichen Person auf rechtlicher Ebene „zugerechnet“ wird.128 1. Die Handlungsorganisation der juristischen Person Von maßgeblicher Bedeutung für den Organbegriff ist, dass die juristische mit der natürlichen Person nicht nur in rechtlicher, sondern auch in organisatorischer Hinsicht gleichzustellen ist.129 Dementsprechend sind sowohl die natürliche als auch die juristische Rechtsperson einheitlich als Entscheidungsträger und damit als organisatorische Wirkungseinheit zu behandeln. Diese Wirkungseinheit kann sich (wie bei natürlichen Personen) in einem konkreten Menschen erschöpfen. Möglich ist aber auch, dass die Funktion des „rechtlichen Handelns“ (wie bei juristischen Personen) im Rahmen einer Handlungsorganisation auf einzelne Menschen übertragen wird.130 Innerhalb der Handlungsorganisation handeln die einzelnen Menschen nicht für sich selbst, sondern für die juristische Person. Die Handlungsorganisation sorgt bei der juristischen Person somit dafür, dass sie ebenso rechtlich handeln kann wie die natürliche Person. Sie verleiht der juristischen Person zum einen den nach außen in Erscheinung tretenden (rechtsgeschäftlichen) Willen und stellt zum anderen das eigene Funktionieren, ihre Aufrechterhaltung und andere Aufgaben sicher.131 Das Organhandeln ist schon deshalb nicht auf die Willensbildung und -umsetzung im Außenverhältnis beschränkt, weil der Verbandswille keine realpsychische Tatsache ist. Er besteht vielmehr dauerhaft und ist ganz unabhängig davon, ob überhaupt ein psychischer Willensakt nach außen in Erscheinung tritt.132 Auch im öffentlichen Recht ist der Erlass eines Verwaltungsakts zwar hinreichende, nicht aber notwendige 127
Vgl. Jacoby, Das private Amt, S. 272. John, Die organisierte Rechtsperson, S. 72. 129 Denn Einheitlichkeit ist ein Grundprinzip der Systematisierung, welche das Anliegen aller Rechtsvorschriften ist, siehe: John, Die organisierte Rechtsperson, S. 69. 130 So: John, Die organisierte Rechtsperson, S. 72, der die Organisation der juristischen Person allerdings gleichstellt mit der Organisation bei der gesetzlichen Vertretung. Dagegen spricht, dass der gesetzliche Vertreter gerade nicht „im Rahmen der Organisation“ tätig wird. 131 John, Die organisierte Rechtsperson, S. 76. 132 Vgl. Kelsen, in: Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 2, S. 604 f. (zum Begriff des Staatsorgans). 128
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Bedingung für die Behördeneigenschaft.133 Darüber hinaus erfolgt die Willensbildung und -umsetzung bei juristischen Personen nicht durch einen einzelnen Menschen, der einen natürlichen Willen zu bilden und entsprechend zu handeln vermag. Die Handlungsfähigkeit der juristischen Person wird vielmehr durch einen komplexen Apparat – die Handlungsorganisation – hergestellt.134 2. Die organisatorische Gewaltenteilung und -verschränkung Im Innenverhältnis ist die Handlungsorganisation juristischer Personen durch den Grundsatz der organisatorischen Gewaltenteilung geprägt. Das Aktiengesetz sieht größtenteils keine Eingriffsmöglichkeiten eines Organs in den Entscheidungsbereich eines anderen Organs vor. So kann beispielsweise der Aufsichtsrat dem Vorstand keine Weisungen erteilen, sondern bei pflichtwidrigem Verhalten allenfalls mit der Abberufung reagieren.135 Aus Regelungen dieser Art lässt sich ableiten, dass jedes Organ im Grundsatz auf den eigenen Kompetenzbereich beschränkt ist und nicht in fremde Kompetenzbereiche eingreifen darf.136 Um Eingriffe in den eigenen Kompetenzbereich abzuwehren, stehen den Organen sogenannte Kompetenzschutzrechte zu. Insoweit geht es um den Schutz des organschaftlichen Ermessensspielraums. Zwar ist sämtliches Organhandeln auf die Verwirklichung des Verbandszwecks gerichtet. Den Organen stehen aber oftmals mehrere Handlungsalternativen zur Verfügungen, die alle dem Verbandszweck dienen, und zwischen denen das Organ nach pflichtgemäßem Ermessen auswählen kann.137 Das Organ ist bei der Ermessensausübung somit allein an den Verbandszweck, nicht hingegen an die Entscheidungen anderer Organe gebunden. Die Gewaltenteilung führt aber gleichwohl nicht dazu, dass die Organe nur isoliert nebeneinander agieren. Vielmehr sind die Organtätigkeiten auf unterschiedliche Weise miteinander verschränkt.138 Denn die Gewaltenteilung ist – wie andere Organisationsprinzipien – kein bloßer Selbstzweck, sondern es geht um die Herstellung einer Machtbalance. Im Aktienrecht wird das Prinzip der Gewaltenverschränkung insbesondere mit Blick auf die Überwachung der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat (§ 111 AktG) deutlich. Es kann aber auch die Einwirkung auf die 133
Schnapp, NZS 2010, 241, 244. Vgl. Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 73; John, Die organisierte Rechtsperson, S. 72 f. 135 § 84 Abs. 2 AktG; siehe dazu: Bork, ZGR 1989, 1, 18. 136 Bork, ZGR 1989, 1, 18 f. (es besteht ein allgemeines innerorganisatorisches Störungsverbot); vgl. auch: Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 376. 137 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 376 f.; die Gewaltenteilung kann nicht nur zwischen den verschiedenen Gesellschaftsorganen auf interorganisatorischer Ebene, sondern auch innerhalb eines Handlungsorgans auf intraorganisatorischer Ebene wirken, siehe: Bergmann, Die fremdorganschaftlich verfasste OHG, S. 209 f. 138 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 14 IV. 1., S. 421. 134
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Willensbildung eines anderen Organs umfassen. So ist im GmbH-Recht die Geschäftsführung nicht nur der Kontrolle, sondern auch den Weisungen der Gesellschafter unterworfen.139 Im Aktienrecht leitet der Vorstand die Gesellschaft zwar unter eigener Verantwortung (§ 76 Abs. 1 AktG). Die klare Aufgabentrennung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat wird jedoch durch die Zuweisung eigener Geschäftsführungsaufgaben an den Aufsichtsrat (§§ 111 Abs. 2 Satz 3, 112, 161 AktG) sowie die Einführung von Zustimmungsvorbehalten (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) relativiert.140 Auf welche Weise die Machtbalance im Einzelfall ausgestaltet ist, wird durch das Leitbild der jeweiligen Körperschaft bestimmt. Neben der Herstellung einer Machtbalance verfolgt die Gewaltenteilung den Zweck einer funktionsadäquaten Aufgabenverteilung. So geht es auch in der staatsrechtlichen Gewaltenteilungslehre darum, „dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen“.141 Dementsprechend hat der Gesetzgeber der früheren Allmachtstellung der Generalversammlung (auch) deshalb eine Absage erteilt, weil diese schon aus strukturellen Gründen nicht in der Lage ist, Entscheidungen über Geschäftsführungsfragen – insbesondere im Hinblick auf das Tagesgeschäft – zu treffen. Gleichwohl kann der Vorstand bei Grundlagengeschäften verpflichtet sein, vorab die Zustimmung der Hauptversammlung einzuholen. Zu berücksichtigen ist, dass Verhaltensweisen, die den organisatorischen Berechtigungen und Verpflichtungen nicht entsprechen, zwar rechtswidrig, aber gleichwohl „wirksames“ Organhandeln sind.142 Ein Organhandeln des Vorstands kann also auch darin liegen, dass er ein zustimmungspflichtiges Rechtsgeschäft ohne die erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats vornimmt oder eine ungeschriebene Kompetenz der Hauptversammlung übergeht.
VI. Konsequenzen für den Organbegriff Aus dem Umstand, dass die juristische Person durch ihre Organe selbst rechtlich handlungsfähig ist, ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen für den Organbegriff.
139 140 141 142
K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 14 IV. 1., S. 421. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 111, Rn. 33. BVerfG, NJW 1998, 2515, 2520; NJW 1997, 383; NJW 1985, 603, 605. Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 277 f.
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1. Die notwendige Unterscheidung zwischen Organ und Organwalter Da die rechtliche Handlungsfähigkeit der juristischen Person durch die Handlungsorganisation und nicht durch einzelne Menschen hergestellt wird, ist zwischen den Organen und den konkret handelnden Personen zu unterscheiden. Dementsprechend ist nach der grundlegenden Definition von Wolff Organ „ein durch die Organisation objektiv eingeräumter, durch seine Bezogenheit auf ein oder mehrere organisatorisch verbundene Pflichtsubjekte (die Organwalter) geeinter aber unter Abstraktion von deren Individualität (abstrakt, institutionell) bestimmter Komplex von Berechtigungen und Verpflichtungen“.143 Organwalter hingegen sind die – meist natürlichen144 – Personen, die nach der Verbandsverfassung oder aufgrund von Wahlen zu Mitgliedern des jeweiligen Organs berufen sind und die dem Organ zugeordneten Kompetenzen wahrnehmen.145 Wenngleich die notwendige Unterscheidung zwischen Organen und Organwaltern im Grundsatz anerkannt ist, erschließt sie sich nach hiesiger Auffassung doch erst mit Blick auf die Handlungsfähigkeit der juristischen Person. Die Vertretertheorie, welche die juristische Person für handlungsunfähig hält, kann diese Unterscheidung nicht leisten. Denn sie versteht die Handlungsfähigkeit im natürlichen Sinne und knüpft damit stets an die Handlungen konkreter Menschen an. Aus der Unterscheidung zwischen Organ und Organwalter folgt wiederum, dass bei juristischen Personen zwei Zurechnungen stattfinden: die zum Organ und die zur juristischen Person.146 Die Zurechnung endet grundsätzlich nicht auf der Organebene, sondern erst bei der Rechtsperson, in deren Namen und für die das Organ handelt. Die Organe werden daher auch als „Durchgangssubjekte der Zurechnung“ bezeichnet. Etwas anderes gilt nur im Verhältnis der Organe zueinander sowie im Anwendungsbereich der dieses Verhältnis betreffenden Normen. Insoweit kann die Zurechnung auch beim Organ selbst enden, sodass das Organ ausnahmsweise als „Zurechnungsendsubjekt“ anzusehen ist.147 Der Mechanismus der „doppelten Zurechnung“ bedeutet nicht, dass die beiden Zurechnungen qualitativ übereinstimmen. Die natürliche Handlung des Organwalters ist vielmehr stets vom Organhandeln abzugrenzen. Das Organ handelt allein 143
Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 236. Entgegen der häufig anderslautenden Formulierung ist die Organwaltertätigkeit nicht auf natürliche Personen beschränkt; siehe: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 14 III. 1., S. 415; Jacoby, Das private Amt, S. 272 (der Organwalter kann ein Mensch sein oder eine sonstige durch einen Menschen repräsentierte rechtsfähige Organisation); a. A.: Schäfer, in: Staub, HGB, Bd. 3, § 109, Rn. 43. 145 Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 229. 146 Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 243 (mit Fn. 2); siehe dazu auch: Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 45. 147 Grundlegend: Wolff, Organschaft und Juristische Person, Bd. 2, S. 250; ausführlich zu den Organrechten: Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 374 ff. 144
C. Die Definition des Organbegriffs
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rechtlich und zwar, indem es eine rechtliche Entscheidung trifft. Dies wird insbesondere mit Blick auf kollegiale Organe deutlich: Während hinter den Erklärungen der einzelnen Organmitglieder noch ein natürlicher Wille steht, entsteht ein Beschluss erst durch das Zusammenwirken seiner Mitglieder. Durch den Beschluss handelt das Kollegialorgan rechtlich. Beim Einzelorgan kann der „Organwille“ zwar mit einem realpsychischen Willen zusammenfallen. Der Wille des Organwalters ist aber auch in diesem Fall von der Willenserklärung des Organs abzugrenzen.148 2. Die spezifische Aufgabe von Organen Mit Blick auf die Handlungsfähigkeit der juristischen Person lässt sich auch die spezifische Aufgabe von Organen ermitteln. Diese liegt nicht darin, gleichsam „natürlich“ für die juristische Person zu handeln. Vielmehr sind Organe ein Teil der Handlungsorganisation, durch welche die rechtliche Handlungsfähigkeit der juristischen Person selbst hergestellt wird. Daraus ergibt sich der grundlegende Unterschied zwischen Organen und außenstehenden Dritten: Organe „dienen“ nicht der Verwirklichung des Verbandszwecks, sondern sie „realisieren“ diesen. Es geht nicht um die Befolgung einer Rechtsvorschrift, sondern darum, den in ihr enthaltenen Verbandswillen zur Tat der Gesellschaft zu machen.149 Welche Einrichtungen den Verbandszweck realisieren, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern ist stets aus rechtlichen Bestimmungen abzuleiten.150 Der Verbandszweck ist „alles das, was den Bestand, die Funktionsfähigkeit und die Aufgabenerfüllung des Verbands im Hinblick auf den Zweck des Verbands begünstigt und gewährleistet“.151 Entscheidend ist somit eine zweckmäßige Auslegung des materiellen Rechts. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass nicht sämtliches Handeln eines Organs auf die Verwirklichung des Verbandszweck gerichtet sein muss. Dies zeigen bereits die Informationsbefugnisse des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand, die nicht unmittelbar der Realisierung des Verbandszwecks dienen, sondern dem Aufsichtsrat die Wahrnehmung seiner Aufgabe ermöglichen und erleichtern. Die Tätigkeit einer Einrichtung kann allerdings dann nicht mehr als Organhandeln angesehen werden, wenn sie in keiner Weise unmittelbar der Verwirklichung des Verbandszwecks dient.152 Im Innenverhältnis, d. h. im Verhältnis der Organe zueinander, können sich Organe als eigenständige Rechtssubjekte gegenüberstehen. Die gesetzlichen oder 148
Wolff, Organschaft und Juristische Person, Bd. 2, S. 247. Vgl. dazu: Kelsen, in: Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 2, S. 608 (zum Begriff des Staatsorgans). 150 Ganz ähnlich: Kelsen, in: Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 2, S. 607 f. (zum Begriff des Staatsorgans). 151 Zöllner, in: KK-AktG, Einleitungs-Band, Rn. 107. 152 Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn einer Einrichtung ausschließlich Informationsrechte zugewiesen sind, siehe: Semrau, Dritteinflussnahme, S. 83. 149
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
satzungsmäßigen Vorschriften sind im Innenverhältnis somit auf die Verwirklichung der organisatorischen Gewaltenteilung und -verschränkung verpflichtet. Dies korrespondiert mit der Feststellung von Schürnbrand, wonach als Organe auch solche Gremien in Betracht kommen, die zwar keine unmittelbar verbindlichen Entscheidungen treffen, aber nicht ohne gesellschaftsinterne Wirkungen übergangen werden können.
VII. Zwischenergebnis Organe sind ein Aufgabenbereich innerhalb der Verbandsverfassung. Sie werden aus eigenem Recht tätig, leiten ihre Aufgaben und Befugnisse also nicht von anderen Organen ab. Sie sind zudem organisatorisch selbständig, d. h. unabhängig von einem Wechsel ihrer Mitglieder oder auch nur deren aktuellem Beisammensein. Die Selbständigkeit besteht zunächst aber nur in organisatorischer Hinsicht. Im Außenverhältnis sind Organe bloße Funktionseinheiten. Denn das Organhandeln wird der Gesellschaft stets als Eigenhandeln zugerechnet. Der Grund für die Zurechnung als Eigenhandeln liegt darin, dass die juristische Person der natürlichen Person gleichzustellen ist. Dies gilt nicht nur in rechtlicher, sondern auch in organisatorischer Hinsicht. Dementsprechend sind sowohl die natürliche als auch die juristische Rechtsperson einheitlich als Entscheidungsträger und damit als organisatorische Wirkungseinheit zu behandeln. Diese Wirkungseinheit kann sich (wie bei natürlichen Personen) in einem konkreten Menschen erschöpfen. Möglich ist aber auch, dass die Funktion des „rechtlichen Handelns“ (wie bei juristischen Personen) im Rahmen einer Handlungsorganisation auf einzelne Menschen übertragen wird. Die Handlungsorganisation verleiht der juristischen Person den nach außen in Erscheinung tretenden (rechtsgeschäftlichen) Willen, stellt aber zugleich das eigene Funktionieren, ihre Aufrechterhaltung und andere Aufgaben sicher. Aus der Anerkennung der Handlungsfähigkeit der juristischen Person folgt zugleich, dass die Aufgabe von Organen nicht darin liegt, gleichsam „natürlich“ für sie zu handeln. Vielmehr sind Organe ein Teil der Handlungsorganisation, durch welche die rechtliche Handlungsfähigkeit der juristischen Person selbst hergestellt wird. Als spezifische Organtätigkeit können daher im Grundsatz all jene Handlungen angesehen werden, die sich als Realisierung des in einer gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vorschrift ausgesprochenen Verbandswillens darstellen. Im Innenverhältnis sind die gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorschriften zu Organen auf die Verwirklichung der organisatorischen Gewaltenteilung und -verschränkung verpflichtet. Entscheidend ist daher, ob das Handeln der Herstellung einer Machtbalance bzw. dem Zweck einer funktionsadäquaten Aufgabenverteilung dient.
D. Folgerungen für die Rechtsstellung des Hauptversammlungsleiters
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D. Folgerungen für die Rechtsstellung des Hauptversammlungsleiters Die voranstehenden Überlegungen sind nun auf den Hauptversammlungsleiter zu übertragen. Ausgangspunkt ist zunächst der funktionelle Organbegriff, d. h. die Frage, ob dem Hauptversammlungsleiter ein Aufgabenbereich innerhalb der Verbandsverfassung zugewiesen ist. Mithilfe des institutionell-funktionellen Organbegriffs werden sodann einzelne Merkmale näher konkretisiert. Es wird zudem danach gefragt, ob die Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters als spezifisches Organhandeln anzusehen sind.
I. Eingliederung in die Verbandsverfassung Um dem Organbegriff zu genügen, müsste der Hauptversammlungsleiter zunächst in die Verbandsverfassung eingegliedert sein. Als gesicherter Ausgangspunkt kann insoweit gelten, dass der Hauptversammlungsleiter in den Regelungen des Aktiengesetzes unmittelbar verankert ist. Denn die – privatschriftlich oder notariell aufgenommene – Niederschrift über einen Hauptversammlungsbeschluss muss stets die „Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlussfassung“ enthalten, vgl. § 130 Abs. 2 AktG. Eine Beschlussfassung der Hauptversammlung ohne konstitutive Beschlussfeststellung durch den Hauptversammlungsleiter ist nicht nur fehlerhaft, sondern rechtlich nicht existent (dazu bereits oben Teil 1 B. I.). Fest steht allerdings auch, dass nicht jede gesetzliche Verankerung einer Einrichtung die Organeigenschaft begründet. Erforderlich ist vielmehr, dass die Aufgabe des Hauptversammlungsleiters ein Teil der Organisationsverfassung ist. Insofern ließe sich argumentieren, dass sich aus dem Gesetz allein die prozedurale Notwendigkeit der Beschlussfeststellung durch einen Hauptversammlungsleiter ergibt, die Versammlungsleitung selbst aber nicht Teil der Organisationsverfassung ist.153 Die gesetzlichen Bestimmungen wären dann dahingehend zu verstehen, dass – ebenso wie ein Notar im Falle des § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG von der Gesellschaft beauftragt werden muss154 – (zwingend) eine Person mit der Versammlungsleitung zu beauftragen ist. Ein Unterschied zwischen Hauptversammlungsleiter und Notar ist freilich offenbar: Der Notar übt die ihm zugewiesenen (hoheitlichen) Aufgaben im eigenen Namen aus. Der Hauptversammlungsleiter hingegen ist allein innerhalb der Handlungsorganisation der Aktiengesellschaft tätig. Darüber hinaus geht es bei der Versammlungsleitung nicht allein um die Befolgung von Rechtsvorschriften; denn 153 In diese Richtung argumentiert Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 100. 154 Der Notar wird im Rahmen von § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht von Amts wegen tätig, sondern bedarf eines Auftrags durch die Gesellschaft, siehe: Kubis, in: MüKo-AktG, § 130, Rn. 17.
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der Hauptversammlungsleiter hat nicht nur das Beschlussergebnisses festzustellen. Es besteht vielmehr Einigkeit, dass er die Aufgabe hat, für eine sachgemäße Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung sowie einen geordneten Verfahrensablauf zu sorgen. Letzteres lässt sich unmittelbar aus gesetzlichen Regelungen, insbesondere § 118 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 und § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG, ableiten.155 Mit Blick auf diese Aufgabe werden dem Hauptversammlungsleiter umfangreiche Leitungs- und Ordnungsbefugnisse zugesprochen.156 Diese werden ihm nicht durch schuldrechtliche oder satzungsmäßige Regelung übertragen, sondern sie stehen ihm unmittelbar kraft Gesetzes zu. Die versammlungsleitenden Maßnahmen sind insofern nicht auf eine prozedurale Notwendigkeit beschränkt. Der Hauptversammlungsleiter ist vielmehr als Aufgabenbereich in die Verbandsverfassung eingegliedert.
II. Der Hauptversammlungsleiter als selbständiger Kompetenzkomplex Die Selbständigkeit des Hauptversammlungsleiters wird im Schrifttum vereinzelt mit dem Argument in Frage gestellt, dass er seine Befugnisse nicht „ohne Beteiligung der anderen Gesellschaftsorgane und jederzeit“ einsetzen könne, sondern auf die Einberufung der Hauptversammlung durch den Vorstand angewiesen sei. Darüber hinaus sei er hinsichtlich der Tagesordnungspunkte und des äußeren Rahmens der Versammlung gebunden.157 Der Einwand, dass die Befugnisse des Hauptversammlungsleiters nur dann zum Einsatz kommen, wenn die Aktionäre in der Hauptversammlung zusammentreten,158 kann jedoch schon deshalb nicht verfangen, weil die Befugnisse der Hauptversammlung ebenfalls „versammlungsgebunden“ sind. Im Übrigen hat die Kompetenzausübung durch Organe stets gesellschaftsinterne Voraussetzungen. Nach dem institutionell-funktionellen Organbegriff betrifft die Selbständigkeit von Organen zudem einen ganz anderen Punkt: Organe sind organisatorisch, im Innenverhältnis zudem rechtlich selbständig. Beides trifft auf den Hauptversammlungsleiter zu. 1. Organisatorische Selbständigkeit In organisatorischer Hinsicht kann die Selbständigkeit des Hauptversammlungsleiters ohne Weiteres bejaht werden. Die Vorschrift des § 130 Abs. 2 AktG 155
Zu gesetzlich vorgesehenen Satzungsregelungen siehe: Stein, in: MüKo-AktG, § 179, Rn. 13. 156 Zur Ableitung der Befugnisse des Hauptversammlungsleiters aus seiner Aufgabe siehe: BGH, NJW 1966, 43. 157 Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 101. 158 So auch: von der Linden, NZG 2013, 208, 210.
D. Folgerungen für die Rechtsstellung des Hauptversammlungsleiters
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kommt nicht erst dann zur Anwendung, wenn eine konkrete Person zum Hauptversammlungsleiter bestellt worden ist. Das Gesetz sieht den Hauptversammlungsleiter vielmehr als „Institution“ vor. Dementsprechend führt die Abberufung der konkreten Person des Hauptversammlungsleiters nicht dazu, dass diese Institution entfällt. Die Aktiengesellschaft hat einen Hauptversammlungsleiter. Es geht mithin um ein Amt, das mit einer konkreten Person zu besetzen ist. Eine satzungsmäßige Regelung, der zufolge das Amt des Hauptversammlungsleiters abgeschafft wird, würde dazu führen, dass die Gesellschaft (partiell) handlungsunfähig wird. Denn – insbesondere – die Kompetenz zur Feststellung des Beschlussergebnisses fiele nicht einem anderen Organ oder Organteil zu, sondern sie ist an das Amt des Hauptversammlungsleiters gebunden. Auch die Besetzung des Amtes ist von den sonstigen Organen der Aktiengesellschaft unabhängig. Der Hauptversammlungsleiter muss insbesondere kein Aktionär, d. h. kein Mitglied der Hauptversammlung, sein.159 Organisatorisch selbständig ist der Hauptversammlungsleiter auch im Verhältnis zum Aufsichtsrat, und zwar unabhängig von der üblichen Satzungspraxis großer Publikumsgesellschaften, wonach regelmäßig der Aufsichtsratsvorsitzende zum Hauptversammlungsleiter bestellt wird. Der Hauptversammlungsleiter muss keineswegs zwingend Aufsichtsratsmitglied, geschweige denn Aufsichtsratsvorsitzender, sein.160 Nach einhelliger Auffassung kann vielmehr auch jeder außenstehende Dritte als Hauptversammlungsleiter fungieren. 2. Rechtliche Selbständigkeit im Innenverhältnis Der Hauptversammlungsleiter ist im Innenverhältnis auch rechtlich selbständig. In Rechtsprechung und Schrifttum ist weitgehend anerkannt, dass der Hauptversammlungsleiter aus eigenem Recht tätig wird. Er leitet seine Kompetenzen weder von der Hauptversammlung noch vom Aufsichtsrat ab. Seine Befugnisse ergeben sich auch nicht aus einer schuldvertraglichen Regelung mit der Gesellschaft. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Entscheidungen des Hauptversammlungsleiters im gesellschaftsinternen Entscheidungsprozess unmittelbar verbindlich sind (siehe dazu oben Teil 2 B. II.). Im Übrigen steht nicht in Frage, dass selbst rechtswidriges Handeln des Hauptversammlungsleiters wirksam ist.
159 160
Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 110. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 110.
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III. Die Tätigkeit des Hauptversammlungsleiters als Gegenstand organschaftlicher Kompetenz Die Tätigkeit des Hauptversammlungsleiters kann auch als spezifische Organtätigkeit angesehen werden. Entgegen teilweise vertretener Auffassung161 ist insoweit unerheblich, dass der Hauptversammlungsleiter nur eine zeitlich begrenzte Aufgabe zu erfüllen hat. Im öffentlichen Recht zeigt schon das Beispiel der Bundesversammlung, dass die Qualifikation als Organ nicht von der zeitlichen Beanspruchung abhängen kann.162 Tatsächlich gehört es nicht zum Wesen der Organe, dass sie dauernd für den Verband handeln. Auch diejenigen Einrichtungen, die nur in einem konkreten Fall und vorübergehend tätig werden, können Verbandsorgan sein.163 Entscheidend ist im Falle des Hauptversammlungsleiters allein, dass auch rein organisatorische Kompetenzen im Innenverhältnis Gegenstand einer Organtätigkeit sein können. 1. Die Realisierung des Verbandswillens Die juristische Person ist, wie bereits dargelegt, nicht mit dem Menschen, sondern mit der natürlichen Person zu vergleichen (siehe oben Teil 2 C. VI. 1.). Beide Rechtspersonen sind als eigenständige Wirkungseinheiten zu begreifen, die rechtlich handlungsfähig sind. Während sich diese Wirkungseinheit bei der natürlichen Person in einem Menschen erschöpft, wird die Handlungsfähigkeit der juristischen Person durch eine komplexe Handlungsorganisation hergestellt. Die Handlungsorganisation betrifft nicht nur den nach außen in Erscheinung tretenden (rechtsgeschäftlichen) Willen. Sie betrifft vielmehr auch das eigene Funktionieren, die Aufrechterhaltung und andere Aufgaben der juristischen Person (siehe oben Teil 2 C. V. 1.). Entscheidend ist daher nicht, welche Handlung letztlich als Handlung des Verbandes nach außen in Erscheinung tritt. Es kommt vielmehr jede Tätigkeit als Organhandeln in Betracht, welche Teil der für die juristische Person vorgesehenen Handlungsorganisation ist. Entscheidend dafür, ob eine Tätigkeit als Teil der Handlungsorganisation anzusehen ist, ist wiederum die Frage, ob das damit verbundene Handeln der juristischen Person als Eigenhandeln zugerechnet wird. Die Zurechnung von Organhandeln beschränkt sich nicht auf das Verhältnis der Aktiengesellschaft zu außenstehenden Dritten. Zwar sind die Aktionäre die Anteilseigner der Gesellschaft. Die Gesellschaft steht ihnen aber gleichwohl als verselbständigte juristische Rechtsperson gegenüber. Sie ist das Zurechnungsendsubjekt für die Rechte, die den Aktionären aus der Mitgliedschaft erwachsen.164 Dies gilt insbesondere auch für die versammlungsgebundenen Rechte, in die der Hauptver161 162 163 164
Marsch-Barner, in: FS Brambring, 2012, S. 276, 271. Reuter, in: FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, S 631, 634. Schmidt, Allgemeine Staatslehre, S. 136. Brondics, Die Aktionärsklage, S. 101.
D. Folgerungen für die Rechtsstellung des Hauptversammlungsleiters
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sammlungsleiter durch die Anordnung von Leitungs- und Ordnungsmaßnahmen eingreifen kann. Ein Eingriff in fremde Rechte ist nach der Rechtsordnung grundsätzlich untersagt. Im Hinblick auf Eingriffe in Mitgliedschaftsrechte könnte zwar die Ansicht vertreten werden, dass diese aufgrund eines besonderen Rechtfertigungsgrundes erlaubt sind. Diese Rechtfertigung kann aber nicht allein in der gesetzlichen Verankerung des Hauptversammlungsleiters gesehen werden. Denn die Institution „Hauptversammlungsleiter“ ist kein Selbstzweck. So darf er das Frageund Rederecht der Aktionäre nicht etwa willkürlich, sondern nur zeitlich „angemessen“ beschränken. Grund dafür ist, dass sich die Aktionäre mit dem Beitritt zur Gesellschaft nicht mit beliebigen Eingriffen einverstanden erklärt haben, sondern nur insoweit, als die Bindung durch den von der Gesellschaft verfolgten Zweck reicht.165 Die Ausübung der versammlungsleitenden Befugnisse hat sich mithin am Verbandszweck zu orientieren. Aus dem Verbandszweck leitet sich das Verbandsinteresse ab. Das Verbandsinteresse ist „alles das, was den Bestand, die Funktionsfähigkeit und die Aufgabenerfüllung des Verbands im Hinblick auf den Zweck des Verbands begünstigt und gewährleistet“.166 Die Ausübung der versammlungsgebundenen Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre endet dort, wo die Funktionsfähigkeit der Hauptversammlung in Frage gestellt wird.167 Die Versammlungsleitung durch den Hauptversammlungsleiter dient damit der Realisierung des insbesondere in § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG ausgesprochenen Gesellschaftswillens. Insoweit stellt sich das Handeln des Hauptversammlungsleiters als Realisierung des in einem Rechtssatz ausgesprochenen Gesellschaftswillens dar. Mülbert weist zutreffend darauf hin, dass der Hauptversammlungsleiter bei der Anordnung versammlungsleitender Maßnahmen als internes Willensbildungs- und zugleich externes Vertretungsorgan der Gesellschaft tätig wird.168 Dies gilt nicht nur bei Anordnungen gegenüber einzelnen Aktionären, sondern auch im Hinblick auf Maßnahmen, die sich an die Gesamtheit der Aktionäre richten. Denn die verfahrensleitenden Maßnahmen, welche die Durchführung der Hauptversammlung als Mitgliederzusammenkunft betreffen, haben stets mitgliedschaftliche Relevanz. Das Zurechnungsendsubjekt für die Rechte, die den Aktionären aus der Mitgliedschaft erwachsen, ist aber die Gesellschaft.169 Es findet mithin stets eine Zurechnung zur Gesellschaft statt. Der Hauptversammlungsleiter kann schon deshalb kein außenstehender Dritter sein, weil ein Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre nur mit Blick auf den Verbandszweck gestattet ist. Den Verbandszweck realisieren aber die Organe.
165
Füchsel, BB 1972, 1533, 1536 (zum Bezugsrechtsausschluss). Zöllner, in: KK-AktG, Einleitungs-Band, Rn. 107. 167 BVerfG, NJW 2000, 349, 350 f.; vgl. dazu: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 197 f. 168 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 124. 169 Brondics, Die Aktionärsklage, S. 101. 166
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Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Aufgabe des Hauptversammlungsleiters auf organisatorische Maßnahmen beschränkt. Entscheidend ist allein, dass der Hauptversammlungsleiter insbesondere mit der Anordnung von Ordnungsmaßnahmen den Verbandswillen realisiert. Mit Blick auf dieses Kriterium wird der Kreis der möglichen Organe keineswegs überspannt.170 Der Hauptversammlungsleiter ist als eigenständiger Kompetenzträger gesetzlich vorgesehen. Seine Entscheidungen können nach allgemeiner Auffassung nicht revidiert, geschweige denn übergangen werden. Darüber hinaus löst die Beschlussfassung durch die Hauptversammlung nur dann Rechtswirkungen aus, wenn das Beschlussergebnis durch den Hauptversammlungsleiter festgestellt worden ist.
2. Keine Tätigkeit für die Hauptversammlung Unabhängig davon, dass die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptversammlung als Realisierung des in gesetzlichen Vorschriften zum Ausdruck kommenden Gesellschaftsinteresses angesehen werden kann, wendet das Schrifttum teilweise ein, dass dem Hauptversammlungsleiter diese Aufgabe in Bezug auf das Organ Hauptversammlung – nicht die Gesellschaft – zugewiesen sei.171 Auch Pliquett sieht es als entscheidend an, dass der Hauptversammlungsleiter nicht „für oder anstatt der Gesellschaft“ handele, sondern dass er für das Organ Hauptversammlung tätig werde.172 Für diese Auffassung scheint zunächst zu sprechen, dass sich die Tätigkeit des Hauptversammlungsleiters auf organisatorische Maßnahmen im Rahmen der Mitgliederversammlung beschränkt. Zudem gehört es im Grundsatz zum Selbstorganisationsrecht eines Kollegialorgans, seine Organisation und sein Verfahren selbst zu regeln. Die Versammlungsleitung kann dementsprechend auch als Tätigkeit für das jeweilige Kollegialorgan einzuordnen sein, dessen Handlungen sich wiederum als Eigenhandeln des Verbandes darstellen. Wenn man den Hauptversammlungsleiter aber als eigenständigen Kompetenzkomplex begreift, stellt sich die Situation bei der Hauptversammlungsleitung von vornherein anders dar. Denn die Frage, ob eine Tätigkeit „für“ die Hauptversammlung erfolgt, lässt sich nur mit Blick auf die Aufgabe der Hauptversammlung beurteilen. Die Sorge für die sachgemäße Abhandlung der Tagesordnung in angemessenem Zeitrahmen ist nach den Regelungen des Aktiengesetzes aber gerade nicht der Hauptversammlung, sondern dem Hauptversammlungsleiter zugewiesen. Die Versammlungsleitung gehört somit nicht zum Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung, sondern sie ist ein eigenständiger Kompetenzkomplex. Insoweit geht es nicht um die Selbstorganisation innerhalb der Hauptversammlung, sondern die Versammlungsleitung ist eine eigenständige Funktion.173 Die Eingliederung des 170 171 172 173
A. A.: Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 100. Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 129, Rn. 51. Pliquett, in: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 99. Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 146.
D. Folgerungen für die Rechtsstellung des Hauptversammlungsleiters
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Hauptversammlungsleiters in die Verbandsverfassung sowie seine organisatorische und rechtliche Selbständigkeit zeigen, dass bestimmte Verfahrensaspekte dem Kompetenzbereich der Hauptversammlung von vornherein entzogen sind. Der Hauptversammlungsleiter wird auch nicht „für“ die Gesellschaft tätig, sondern sein Handeln wird der Gesellschaft zugerechnet. Denn der Hauptversammlungsleiter realisiert den Verbandszweck, der auch das Funktionieren der Hauptversammlung im tatsächlichen Sinne, d. h. die sachgemäße Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung sowie ihren geordneten Ablauf, umfasst. 3. Die zweckdienliche Funktionenteilung Die Eingliederung des Hauptversammlungsleiters in das Organisationsgefüge darf auch nicht dahingehend verstanden werden, dass seine Befugnisse das Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung verkürzen. Denn zum einen stehen diese Befugnisse der Hauptversammlung nach dem hier vertretenen Verständnis gar nicht zu – der Hauptversammlungsleiter steht vielmehr als eigenständiger Entscheidungsträger neben ihr. Zum anderen soll dadurch gerade sichergestellt werden, dass die Hauptversammlung die ihr selbst zugewiesenen Kompetenzen ordnungsgemäß wahrnehmen kann. Gerade dafür ist eine organisatorische Trennung dieser beiden Bereiche notwendig. Die Gewaltentrennung dient neben der Herstellung einer Machtbalance auch einer zweckdienlichen Funktionenteilung. Durch die Trennung von Gewalten kann es – wie das Beispiel des Hauptversammlungsleiters zeigt – einem anderen Organ auch gerade erst ermöglicht werden, funktionsadäquat zu handeln. Das funktionsadäquate Handeln liegt aber nicht im eigenen Interesse der Hauptversammlung, sondern ist auf die Gesellschaft als solche bezogen. Der Hauptversammlungsleiter wird damit nicht im Interesse der Hauptversammlung tätig. Dies zeigt sich schon daran, dass er nach allgemeiner Auffassung auch vom Mehrheitswillen abweichende Entscheidungen treffen kann. Dieser Aspekt steht in Einklang damit, dass im Schrifttum ganz überwiegend eine Kompetenzabgrenzung zwischen Hauptversammlung und Hauptversammlungsleiter vorgenommen wird. Denn eine solche Kompetenzabgrenzung setzt – worauf Mülbert zu Recht hinweist – notwendig voraus, dass es sich um grundsätzlich austauschbare (eigenständige) Entscheidungsträger handelt.174 Der Hauptversammlungsleiter muss somit einen eigenen, von der Hauptversammlung abzugrenzenden Kompetenzbereich besitzen. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass sich seine Aufgabe auf organisatorische Maßnahmen beschränkt. Denn der Hauptversammlungsleiter wird nicht im Interesse der Hauptversammlung tätig. Zum einen ist die Hauptversammlung kein Selbstzweck, sondern als Organ ebenfalls auf die Realisierung des Verbandszwecks gerichtet. Zum anderen ist die Rechtfertigung für die Hauptversammlung im tatsächlichen Sinne in dem gesetzgeberisch ausgestal174 Vgl. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 124; ähnlich: Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 146.
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
teten Entscheidungsprozess zu sehen. Dieser hängt gerade nicht vom Mehrheitswillen der Hauptversammlung ab, sondern liegt vielmehr im Gesellschaftsinteresse.
IV. Zwischenergebnis Der Hauptversammlungsleiter erfüllt sämtliche Merkmale des Organbegriffs: Das Gesetz setzt die Existenz eines Hauptversammlungsleiters zwingend voraus. Die ihn betreffenden Regelungen greifen auch dann ein, wenn keine konkrete Person zum Hauptversammlungsleiter bestellt worden ist. Er ist mithin als „Institution“ vorgesehen. Durch die Bestellung wird die konkrete Person des Hauptversammlungsleiters mit der Wahrnehmung der Rechte und Pflichten beauftragt, die an das abstrakte Rechtsgebilde „Hauptversammlungsleiter“ anknüpfen. Die versammlungsleitenden Befugnisse werden ihm weder von der Hauptversammlung noch vom Aufsichtsrat „übertragen“. Der Hauptversammlungsleiter ist daher als eigenständiger Entscheidungsträger anzusehen, der seine Kompetenzen unmittelbar aus dem Gesetz bzw. satzungsmäßigen Regelungen ableitet. Dem lässt sich nicht ein etwaiger Eingriff in das Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung entgegenhalten. Denn sieht man den Hauptversammlungsleiter als eigenständigen Entscheidungsträger an, geht es gerade nicht um die Selbstorganisation innerhalb des Organs Hauptversammlung, sondern um eine Frage der Gewaltentrennung zwischen zwei Organen. Dem Hauptversammlungsleiter kann die Organqualität auch nicht etwa mit Blick auf seine Aufgaben abgesprochen werden. Unerheblich ist insoweit zunächst, dass sich die Tätigkeit des Hauptversammlungsleiters auf organisatorische Maßnahmen beschränkt. Denn auch solche Maßnahmen werden ohne Weiteres von der Handlungsorganisation der Gesellschaft umfasst. Durch diese, nicht erst durch die Handlungen einzelner Organe oder Organmitglieder, die nach außen in Erscheinung treten, wird die Handlungsfähigkeit der juristischen Person hergestellt. Darüber hinaus entscheidet der Hauptversammlungsleiter schon deshalb nicht als außenstehender Dritter, weil er rechtmäßig in Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre eingreifen kann. Denn die Aktionäre haben sich mit dem Beitritt zur Gesellschaft nur insoweit mit Eingriffen in ihre Mitgliedschaftsrechte einverstanden erklärt, als die Bindung durch den von der Gesellschaft verfolgten Zweck reicht. Dementsprechend endet die Ausübung der versammlungsgebundenen Mitgliedschaftsrechte dort, wo die Funktionsfähigkeit der Hauptversammlung in Frage gestellt wird. Die Funktionsfähigkeit des Verbandes betrifft das Gesellschaftsinteresse. Die versammlungsleitenden Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters stellen sich mithin als Realisierung des insbesondere in § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG zum Ausdruck kommenden Gesellschaftswillens dar. Da der Hauptversammlungsleiter aus eigenem Recht handelt, wird er auch nicht für die Hauptversammlung, sondern als eigenständiger Kompetenzträger tätig. Auf dieser Grundlage kommt die Kompetenzabgrenzung zwischen Hauptversammlung
E. Der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung
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und Hauptversammlungsleiter, wie sie im Schrifttum diskutiert wird, überhaupt erst in Betracht.
E. Der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung I. Einführung Auf den Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung lassen sich die vorangehenden Überlegungen zum Hauptversammlungsleiter der Aktiengesellschaft nicht ohne Weiteres übertragen. Die Vorschrift des § 48 Abs. 1 GmbHG sieht zwar als Grundsatzregelung vor, dass Beschlüsse der Gesellschafter in einer Gesellschafterversammlung getroffen werden. Anders als das AktG (§§ 118 Abs. 4, 131 Abs. 2 Satz 2, 122 Abs. 3, 130 Abs. 1 und 2 AktG) enthält das GmbHG jedoch keine Regelung, ob und von wem die Versammlung zu leiten ist. Dies wird nach allgemeiner Auffassung dahingehend verstanden, dass die Gesellschafterbeschlüsse weder durch einen Versammlungsleiter festgestellt werden müssen,175 noch überhaupt ein Versammlungsleiter erforderlich ist.176 Etwas anderes gilt nur für den Fall, dass eine förmliche Beschlussfeststellung im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist.177 Die unterschiedliche Ausgangslage bei der Versammlungsleitung ist Ausfluss der strukturellen Unterschiede zwischen Aktiengesellschaft und GmbH: Während das Aktiengesetz die große Publikumsgesellschaft mit weit gestreutem Aktionärskreis vor Augen hat, geht das GmbH-Gesetz von einer kleinen Kapitalgesellschaft mit geringer Gesellschafterzahl aus. Insofern wird ein gewisses Einvernehmen über die zu fassenden Beschlüsse unterstellt und ein Versammlungsleiter nicht als zwingend notwendig erachtet.178 In der Praxis empfiehlt sich die Bestellung eines Versammlungsleiters aber jedenfalls dann, wenn die Gesellschaft vom gesetzlichen Leitbild des GmbH-Gesetzes abweicht. Dies gilt etwa ab einer bestimmten Größe des Gesellschafterkreises179 oder im Falle der Gruppenbildung. Kontroverse Diskussionen sind mitunter auch dann zu erwarten, wenn der Gesellschafterkreis – wie in der Praxis häufig – aus rivalisierenden Familienstämmen besteht.180 Der Gesellschaftsvertrag oder die Geschäftsordnung für Gesellschafterversammlungen kann in diesem Fall vorsehen, dass die Gesellschafterversammlung 175
BGH, NJW 1980, 1527; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 47, Rn. 11. Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 48, Rn. 14; Hüffer/Schürnbrand, in: GroßKomm-GmbHG, § 48, Rn. 29. 177 Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 47, Rn. 27; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 45, Rn. 21. 178 Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086, 1087; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 137. 179 Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086, 1087. 180 Liebscher, in: MüKo-GmbHG, § 48, Rn. 105. 176
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
einen Versammlungsleiter zu wählen hat, oder die Versammlungsleitung durch eine bestimmte Person unmittelbar selbst bestimmen.181 Darüber hinaus steht es den in der Gesellschafterversammlung zusammengekommenen Gesellschaftern auch ohne eine Regelung im Gesellschaftsvertrag oder in der Geschäftsordnung nach einhelliger Auffassung frei, einen Versammlungsleiter ad hoc mit einfacher Stimmenmehrheit182 zu wählen.183 Es stellt sich mithin die Frage, ob der Versammlungsleiter in diesen Fällen auch in der GmbH als Gesellschaftsorgan einzuordnen ist.
II. Der Versammlungsleiter als fakultatives Gesellschaftsorgan Da ein Versammlungsleiter im GmbH-Recht nicht zwingend notwendig ist, fällt die Versammlungsorganisation grundsätzlich in die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung. Vor diesem Hintergrund geht das Schrifttum davon aus, dass eine Person, die zum Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung bestellt worden ist, ihre Kompetenzen stets von der Gesellschafterversammlung ableitet.184 Aus der Tatsache, dass keine rechtliche Notwendigkeit zur Bestellung eines Versammlungsleiters besteht, lässt sich zunächst aber allein der Schluss ziehen, dass dieser kein notwendiges Gesellschaftsorgan sein kann. Über die Kategorisierung als fakultatives Gesellschaftsorgan ist insoweit noch keine Entscheidung getroffen. Bevor auf diese Frage näher eingegangen werden kann, ist jedoch zunächst zu klären, ob und inwieweit im GmbH-Recht überhaupt die Möglichkeit zur Einführung fakultativer Organe besteht.
181
Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 48, Rn. 16; zu einer Musterbestimmung siehe Seibt, in: Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht, § 2, Rn. 130: „Die Versammlung wählt vor Eintritt in die Tagesordnung unter Leitung des ältesten Gesellschafters mit Mehrheit der abgegebenen Stimmen einen Vorsitzenden, der die Versammlung leitet. [Hat die Gesellschaft einen Aufsichtsrat, obliegt dessen Vorsitzendem die Versammlungsleitung]. Der Hauptversammlungsleiter stellt die Beschlussfähigkeit der Gesellschafterversammlung und die Fassung von Gesellschafterbeschlüssen fest und entscheidet über die Art der Abstimmung, sofern die Gesellschafterversammlung nicht etwas anderes beschließt.“ 182 Ganz h. M., siehe: BGH, NZG 2009, 1309; OLG München, BeckRS 2005 30348776; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, § 48, Rn. 16; Römermann, in: Michalski u. a., GmbHG, § 48, Rn 93; Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086, 1089; a. A. OLG Frankfurt a. M., NZG 1999, 406 (Einverständnis aller anwesenden Gesellschafter). 183 Seibt, in: Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht, § 2, Rn. 130. 184 Hüffer/Schürnbrand, in: GroßKomm-GmbHG, § 48, Rn. 28; Hillmann, in: Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 48 GmbHG, Rn. 16; K. Schmidt/Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 48, Rn. 32, 37.
E. Der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung
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1. Die Möglichkeit zur Einführung fakultativer Gesellschaftsorgane Die Einführung fakultativer Gesellschaftsorgane wird im GmbH-Recht vereinzelt nur dann als zulässig angesehen, wenn eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage existiert. Dieser Auffassung liegt die Annahme zugrunde, dass Organe Funktionsträger mit verdrängender Zuständigkeit sind. Da die Möglichkeit, andere mit verdrängender Zuständigkeit zum Handeln im eigenen Rechtskreis auszustatten, nicht von der Privatautonomie gedeckt ist, könne sich diese allein aus einer gesetzlichen Regelung ergeben.185 Im GmbH-Recht findet sich eine solche Ermächtigung in den Bestimmungen des § 52 GmbHG für den fakultativen Aufsichtsrat. Nach Auffassung von Reuter soll sich die Vorschrift nicht auf den Fall beschränken, dass ein Aufsichtsrat nach aktienrechtlichem Vorbild errichtet worden ist. Die Vorschrift sei vielmehr immer dann anwendbar, wenn der Gesellschaftsvertrag neben Gesellschafterversammlung und Geschäftsführung einen weiteren Kompetenzträger vorsehe. Daraus ergebe sich zugleich, dass es ein viertes Organ in der GmbH nicht geben könne, sodass ein gleichwohl errichtetes Gremium nur der vertretungsweisen Ausübung von Gesellschafterrechten dienen könne.186 Richtig ist, dass die verdrängende Ermächtigung eines anderen nach allgemeinem Zivilrecht nicht möglich ist. Dadurch soll verhindert werden, dass sich eine Rechtsperson ihrer rechtlichen Handlungsfähigkeit begibt. Bei der Errichtung fakultativer Organe geht es aber nicht um die Preisgabe von Handlungsfähigkeit, sondern um eine Modifikation der gesellschaftsinternen Organisationsverfassung, die – als abstrakte Handlungsorganisation – die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft begründet.187 Durch die Einführung fakultativer Organe begibt sich die Gesellschaft ihrer Handlungsfähigkeit nicht, sondern sie verlagert Kompetenzen nur punktuell auf ein anderes Organ. Im Übrigen ist die Vorschrift des § 137 BGB, in welcher das Verbot verdrängender Vollmachten verankert ist, nach herrschender Auffassung nicht als „freiheitliche Grundnorm“ des Inhalts zu verstehen, dass die Verfügungsmacht des Rechtsinhabers schlechthin unbeschränkbar ist.188 Der Grund dafür, dass die Rechtszuständigkeit nicht von der Handlungsbefugnis abgespalten werden darf, ist vielmehr im Verkehrsschutz zu sehen. Der Rechtsgedanke des § 137 BGB lässt sich damit nicht auf das Innenverhältnis juristischer Personen übertragen. Denn die interne Organisationsstruktur betrifft außenstehende Dritte grundsätzlich nicht.189 185
Reuter, FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 631, 633. Reuter, FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 631, 632 ff., 636 f. 187 Ähnlich: Müller/Wolff, NZG 2003, 751, 752; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 51. 188 Armbrüster, in: MüKo-BGB, § 137, Rn. 3 f. (§ 137 Satz 2 BGB lässt die schuldrechtliche Wirkung von Beschränkungen der Verfügungsfreiheit gerade zu). 189 Die berechtigten Interessen des Rechtsverkehrs werden bereits dadurch geschützt, dass die Vertretungsmacht der Geschäftsführer nach den §§ 35 und 37 GmbHG im Außenverhältnis unbeschränkt und unbeschränkbar ist; siehe: Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 52. 186
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
Die herrschende Meinung geht daher zutreffend davon aus, dass § 52 GmbHG keine abschließende Regelung trifft. Die Gesellschafter sind aufgrund ihrer Gestaltungsfreiheit (§ 45 Abs. 1 GmbHG) vielmehr grundsätzlich befugt, Befugnisse der Gesellschafterversammlung auf ein zusätzliches Organ zu übertragen.190 Die Kompetenzübertragung kann aber freilich nicht schrankenlos erfolgen. So kann ein fakultatives Organ jedenfalls dort nicht tätig werden, wo das Gesetz einzelne Aufgaben zwingend einem bestimmten Organ zuweist.191 Im Gegensatz zur aktienrechtlichen Satzungsstrenge enthält das GmbH-Recht insoweit jedoch weitgehenden Regelungsspielraum.192 Ihre allgemeine Grenze findet die Kompetenzverlagerung auf fakultative Organe erst dort, wo sie den Status der Gesellschafterversammlung als oberstes Organ der GmbH in Frage stellt.193 Die Versammlungsleitung, die sich auf organisatorische Fragen beschränkt, berührt diesen Grundsatz nicht. Sie kann daher ohne Weiteres auf ein fakultatives Organ übertragen werden. 2. Konsequenzen für den Versammlungsleiter in der GmbH Trotz der Möglichkeit zur Einführung fakultativer Organe im GmbH-Recht soll der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung nach Auffassung von Schürnbrand nicht als Gesellschaftsorgan zu qualifizieren sein. Der ad hoc gewählte Versammlungsleiter komme schon deshalb nicht als Gesellschaftsorgan in Betracht, weil weder eine gesetzliche noch eine gesellschaftsvertragliche Grundlage für seine Tätigkeit bestehe. Die Gesellschafterversammlung könne die Entscheidungen des Versammlungsleiters zudem jederzeit revidieren und – was nach Auffassung von Schürnbrand entscheidend ist – die gewünschten Maßnahmen auch von sich aus ergreifen. Daraus ergebe sich, dass der Versammlungsleiter in Ermangelung einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung seine Kompetenzen von der Gesellschafterversammlung ableite.194 a) Eingliederung in die Verbandsverfassung Die Stellung als fakultatives Organ kann unstreitig nicht durch schuldrechtliche Vereinbarung begründet werden. Dies ist unmittelbarer Ausfluss der Verbandssou190 BGH, NJW 1965, 1378; Hüffer/Schürnbrand, in: GroßKomm-GmbHG, § 45, Rn. 14; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 45, Rn. 17; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 52, Rn. 69. 191 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 50. 192 Müller/Wolff, NZG 2003, 751, 751. 193 Allerdings unter der Annahme, dass die Gesamtheit der Gesellschafter das oberste Organ der GmbH ist: K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 45, Rn. 5, 10; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG § 45, Rn. 11; abweichend: Liebscher, in: MüKo-GmbHG, § 45, Rn. 107 f. (die Grenzen sind aus dem Strukturbild der GmbH abzuleiten). 194 Hüffer/Schürnbrand, in: GroßKomm-GmbHG, § 48, Rn. 28; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 139.
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veränität. Denn danach müssen alle Herrschaftsbefugnisse im Verband auf eine mitgliedschaftliche Legitimation zurückgeführt werden können (siehe oben Teil 2 C. III. 3.).195 Der Versammlungsleiter kommt aber dann als fakultatives Organ in Betracht, wenn er gesellschaftsvertraglich bestimmt ist. Dasselbe gilt für den Fall, dass nicht die konkrete Person, wohl aber die Wahl eines Versammlungsleiters gesellschaftsvertraglich vorgesehen ist. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine Eingliederung in die Verbandsverfassung auch dann gegeben ist, wenn eine solche Regelung nicht besteht, sondern der Versammlungsleiter ad hoc durch einfachen Beschluss der Gesellschafterversammlung gewählt wird. Zum Beirat einer GmbH wird vertreten, dass dessen Organstellung nicht durch einfachen Gesellschafterbeschluss begründet werden kann. Es handele sich in diesem Fall vielmehr um einen „schuldrechtlichen“ Beirat, der außerhalb des gesellschaftsrechtlichen Organisationsgefüges stehe. Daraus folge wiederum notwendigerweise, dass die Entscheidungen des Beirats ohne gesellschaftsinterne Sanktion übergangen werden können.196 Letzteres wird im Falle des Versammlungsleiters aber gerade nicht vertreten: Seine Entscheidungen haben vielmehr auch im Fall einer Adhoc-Bestellung unmittelbare gesellschaftsinterne Rechtswirkungen. Dies gilt zunächst für die Befugnis des Versammlungsleiters zur Feststellung des Beschlussergebnisses. Denn die Unwirksamkeit von Beschlüssen kann in diesem Fall nicht mehr mittels einfacher Feststellungsklage geltend gemacht werden, sondern die Feststellung bewirkt, dass die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung nur noch mittels fristgebundener Anfechtungsklage angegriffen werden können.197 Darüber hinaus kann der Versammlungsleiter durch spezielle Ordnungsmaßnahmen wie die Beschränkung der Redezeit oder einen Saalverweis – ebenso wie sein aktienrechtliches Pendant – unmittelbar den Willen der Gesellschaft bilden. Zwar soll die Gesellschafterversammlung die Entscheidungen des Versammlungsleiters jederzeit korrigieren können.198 Dabei werden die Entscheidungen des Versammlungsleiters aber lediglich aufgehoben oder ersetzt. Erforderlich sind stets ein Geschäftsordnungsantrag sowie ein entsprechender Beschluss der Gesellschafterversammlung. Anders als die Entscheidungen eines „schuldrechtlichen“ Beirats können die Entscheidungen des Versammlungsleiters von den betroffenen Gesellschaftern daher nicht einfach übergangen werden. Mithin steht der Leiter einer GmbH-Gesellschafterversammlung unter Berücksichtigung der Befugnisse, die ihm nach einhelliger Auffassung zustehen, gerade innerhalb, nicht außerhalb des gesellschaftsrechtlichen Organisationsgefüges. Seine Entscheidungen haben unmittelbare Auswirkung auf den Willensbildungsprozess der Gesellschaft. Es stellt sich daher weniger die Frage, ob der Versammlungsleiter in die Verfassung der GmbH eingegliedert ist, sondern vielmehr, aus welchem Grund die Eingliederung – anders 195 196 197 198
Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 14 II. 2. a), S. 410. Vgl. Spindler, in: MüKo-GmbHG, § 52, Rn. 723 ff. Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 140. Hüffer/Schürnbrand, in: GroßKomm-GmbHG, § 48, Rn. 31, 36.
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
als bei einem organschaftlichen Beirat – beim Versammlungsleiter der GmbH-Gesellschafterversammlung auch durch einfache Beschlussfassung erfolgen kann. Zwar hat der Versammlungsleiter im GmbH-Gesetz keine ausdrückliche Erwähnung gefunden, seine Aufgaben werden aber – ebenso wie im Aktienrecht – weder (ausschließlich) aus dem Gesellschaftsvertrag noch aus einer schuldvertraglichen Regelung abgeleitet. Sie ergeben sich vielmehr aus dem Institut der Versammlungsleitung, welche auch im Aktienrecht überwiegend ungeschriebenen gesetzlichen Regelungen folgt. Die Tatsache, dass der Hauptversammlungsleiter im Aktienrecht zwingend vorgesehen ist, ist auf das Leitbild der Aktiengesellschaft zurückzuführen. Dieses weicht vom Leitbild des GmbH-Gesetzes ab. Eine GmbH kann im Hinblick auf die Zusammensetzung des Gesellschafterkreises unter Umständen aber eher dem Leitbild der Aktiengesellschaft entsprechen. Es ist sodann zweckmäßig und zugleich möglich, diesem Leitbild entsprechend einen Versammlungsleiter auch in der GmbH einzusetzen. Insoweit greifen die Gesellschafter auf ein gesetzlich vorgesehenes Institut, und zwar die Versammlungsleitung, zurück. Die Bestellung des Versammlungsleiters ist damit von vornherein kein die Verbandsverfassung ändernder Beschluss. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Versammlungsleiter im GmbH-Recht zwar nicht als notwendiges, wohl aber als fakultatives Gesellschaftsorgan bereits gesetzlich vorgesehen ist. Denn seine Kompetenzen ergeben sich – ebenso wie im Aktienrecht – im Grundsatz aus ungeschriebenen gesetzlichen Regelungen. Diese Regelungen können auch durch Adhoc-Beschluss zur Anwendung gebracht werden. Die rechtliche Stellung des Versammlungsleiters ist auch in diesem Fall in Parallele zum Aktienrecht zu entwickeln. b) Organisatorische Selbständigkeit Es stellt sich jedoch die Frage, ob die im Schrifttum vertretene Auffassung, wonach die Entscheidungen des Versammlungsleiters stets durch Beschluss der Gesellschafterversammlung revidiert werden können, der organisatorischen Selbständigkeit des Versammlungsleiters entgegensteht. Schürnbrand weist zutreffend darauf hin, dass aus der Möglichkeit, die Maßnahmen des Versammlungsleiters zu revidieren, nicht zwingend auf die fehlende Organeigenschaft geschlossen werden könne. Dies verdeutliche schon ein Blick auf den Geschäftsführer der GmbH, der unzweifelhaft ein Gesellschaftsorgan ist, aber gleichwohl den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegt.199 Die fehlende Organeigenschaft des Versammlungsleiters soll sich nach Auffassung von Schürnbrand aber daraus ableiten lassen, dass die Gesellschafterversammlung die Entscheidungen des Versammlungsleiters nicht nur revidieren, sondern über Maßnahmen der Versammlungsleitung stets auch selbst entscheiden kann. Sie müsse sich somit nicht – wie etwa beim Geschäftsführer – des Versammlungs-
199
Vgl. dazu: Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 37, Rn. 20.
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leiters „wie eines Werkzeugs“ bedienen.200 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung – im Gegensatz zum Geschäftsführer – nur fakultatives Gesellschaftsorgan sein kann. Während der Kompetenzbereich eines notwendigen Organs von vornherein nur diesem zugewiesen ist, werden bei einem fakultativen Organ nur Kompetenzen übertragen, die originär einem anderen Organ zugewiesen sind. Die Frage, ob der bisherige Kompetenzträger noch immer selbst entscheiden kann, betrifft die Zuständigkeitsregelung zwischen dem fakultativen Organ und dem bisherigen Kompetenzträger. Von der Befugnis der Gesellschafterversammlung, Maßnahmen der Versammlungsleitung selbst anzuordnen, kann daher nicht auf die fehlende Organeigenschaft des Versammlungsleiters geschlossen werden. Von Bedeutung ist vielmehr, dass der Leiter der Gesellschafterversammlung in der GmbH – ebenso wie sein aktienrechtliches Pendant – für die Funktionsfähigkeit des internen Willensbildungsorgans zu sorgen hat und insoweit das Verbandsinteresse realisiert. Dies verdeutlicht, dass der Versammlungsleiter in die Organisationsverfassung eingegliedert und zudem organisatorisch selbständig ist. Die Gesellschafter sind nur deshalb (vorläufig) an die Entscheidungen des Versammlungsleiters gebunden, weil das Handeln des Versammlungsleiters auch im GmbHRecht der Gesellschaft zugerechnet wird. 3. Das Verhältnis des Versammlungsleiters zur Gesellschafterversammlung Welche Zuständigkeitsregelung zwischen Gesellschafterversammlung und Versammlungsleiter besteht, hängt davon ab, wie der Versammlungsleiter in sein Amt gelangt ist. Im Falle einer Ad-hoc-Bestellung wäre die Gesellschafterversammlung jederzeit berechtigt, den Versammlungsleiter mit einfacher Stimmenmehrheit abzuwählen. Schon deshalb ist ihr in diesem Fall grundsätzlich ein Revisionsrecht gegenüber dem Versammlungsleiter zuzugestehen. Ist das Amt des Versammlungsleiters hingegen gesellschaftsvertraglich verankert, stellt sich die Frage, ob im Grundsatz von einer konkurrierenden oder verdrängenden Zuständigkeitsregelung auszugehen ist.201 Bei Vereinbarung einer konkurrierenden Zuständigkeit kann das fakultative Organ alternativ neben dem bisherigen Kompetenzträger entscheiden. Sofern eine verdrängende Kompetenzregelung getroffen wird, ist der bisherige Kompetenzträger von einer Entscheidung in dem das fakultative Organ betreffenden Kompetenzbe-
200
Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 138. Darüber hinaus kommt die Vereinbarung einer kumulativen Zuständigkeit in Betracht, die allerdings nur in begrenzten Ausnahmefällen, wie z. B. bei Zustimmungsrechten zur Geschäftsführung, sinnvoll erscheinen mag, vgl. dazu umfassend: Semrau, Dritteinflussnahme, S. 138 ff. 201
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Teil 2: Die verbandsrechtliche Stellung des Hauptversammlungsleiters
reich grundsätzlich ausgeschlossen.202 Teile des Schrifttums gehen davon aus, dass im Zweifel eine verdrängende Kompetenzverlagerung anzunehmen sei. Denn eine Kompetenzverdoppelung sei unzweckmäßig und führe nur zu Kompetenzstreitigkeiten sowie einer unklaren Beschlusslage.203 Andere Stimmen wenden ein, dass regelmäßig nur ein Minimaleingriff in die GmbH-Verfassung gewollt sei. In Ermangelung einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung sei daher grundsätzlich von einer konkurrierenden Zuständigkeitsregelung auszugehen.204 Im Schrifttum wird der Gesellschafterversammlung mit Blick auf die Versammlungsleitung stets ein „Letztentscheidungsrecht“ zu gesprochen. Dies gelte unabhängig davon, ob der Versammlungsleiter ad hoc oder gesellschaftsvertraglich bestellt worden ist.205 Ausgangspunkt ist insoweit die Überlegung, dass die Gesellschafter die „Herren“ der GmbH sind, sodass sie jede die Gesellschaft betreffende Entscheidung an sich ziehen können.206 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die „Allzuständigkeit“ der Gesellschafterversammlung gerade nur so weit reicht, wie die Gesellschafter ihre Kompetenzen nicht zur eigenständigen Entscheidung auf ein fakultatives Organ übertragen haben. Von dieser Möglichkeit machen die Gesellschafter durch gesellschaftsvertragliche Verankerung des Versammlungsleiters jedoch Gebrauch. Auch die zugunsten einer konkurrierenden Zuständigkeitsregelung vorgebrachte Vermutung, wonach die Gesellschafterversammlung ihr Entscheidungsrecht im Zweifel behalten will, überzeugt im Zusammenhang mit dem Versammlungsleiter nicht. Denn wenn die Gesellschafter die Versammlungsleitung auf ein eigenständiges Organ übertragen, wird dahinter typischerweise der Gedanke stehen, dass der Gesellschafterkreis groß ist oder zwischen den Gesellschaftern kein Einvernehmen über die zu fassenden Beschlussgegenstände besteht. Der Sinn und Zweck der gesellschaftsvertraglichen Regelung liegt somit typischerweise gerade darin, die Gesellschafter von Entscheidungen zum Verfahren der Gesellschafterversammlung zu befreien, weil nur auf diese Weise ein ordnungsgemäßer Verlauf der Verhandlung sichergestellt werden kann.207 Vor diesem Hintergrund ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Versammlungsleitung einem eigenständigen Entscheidungsträger überlassen werden soll. Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass Größe und Zusammensetzung des Gesellschafterkreises dem Leitbild des GmbH-Gesetzes nicht 202
Liebscher, in: MüKo-GmbHG, § 45, Rn. 93. Liebscher, in: MüKo-GmbHG, § 45, Rn. 94; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 45, Rn. 9; Römermann, in: Michalski u. a., GmbHG, § 45, Rn. 51. 204 Für das Verhältnis zum Beirat: Marsch-Barner/Diekmann, in: MüHdb-GesR, Bd. 3, § 49, Rn. 18; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 45, Rn. 19. 205 Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 48, Rn. 8; Römermann, in: Michalski u. a., GmbHG, § 48, Rn. 162; Hüffer, in: GroßKomm, GmbHG, § 48, Rn. 32, 37; Eickhoff, Praxis der Gesellschafterversammlung, Rn. 262; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 48, Rn. 32. 206 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 138. 207 In ähnlicher Weise argumentiert Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 52, Rn. 79. Danach ist beim organschaftlich verfassten Beirat von einer verdrängenden Kompetenz auszugehen, wenn die Ausschaltung des Gesellschafterwillens gerade der Sinn der Beiratsverfassung war. 203
E. Der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung
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entsprechen. Davon abweichend steht es den Gesellschaftern aber selbstverständlich frei, sich gesellschaftsvertraglich ein „Letztentscheidungsrecht“ vorzubehalten.
III. Zwischenergebnis Der Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung ist sowohl in die Organisationsverfassung der GmbH eingegliedert als auch organisatorisch selbständig. Im Hinblick auf die übrigen Merkmale des Organbegriffs kann auf die Ausführungen zum Hauptversammlungsleiter der Aktiengesellschaft verwiesen werden. Der Versammlungsleiter ist mithin, unabhängig davon, ob er durch gesellschaftsvertragliche Regelung oder durch Ad-hoc-Beschluss eingesetzt wird, auch im GmbH-Recht als – fakultatives – Gesellschaftsorgan anzusehen.
Teil 3
Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger Der Begriff Hauptversammlungsleiter beschreibt nach den vorangehenden Darlegungen zum einen ein Organ, zum anderen den konkreten Organwalter. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welche Anforderungen an die Person des Hauptversammlungsleiters zu stellen sind, wie die Amtsstellung begründet und aufgehoben wird, und in welchem Rechtsverhältnis der Hauptversammlungsleiter als Organwalter zur Gesellschaft steht.
A. Gesetzliche Anforderungen an den Hauptversammlungsleiter Zum Organwalter können nur solche Personen bestellt werden, die den Anforderungen der Organisationsverfassung entsprechen. Für die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat enthält das Aktiengesetz ausdrückliche Vorgaben: Gemäß § 76 Abs. 3 Satz 1 AktG können nur natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Personen zu Vorstandsmitgliedern bestellt werden. Entsprechendes ist für die Aufsichtsratsmitglieder in § 100 Abs. 1 Satz 1 AktG vorgesehen. In § 76 Abs. 3 Satz 2 und 3 AktG sowie § 100 Abs. 2 und 3 AktG sind zudem bestimmte Bestellungshindernisse normiert. Für den Hauptversammlungsleiter sieht das Aktiengesetz keine ausdrücklichen persönlichen oder funktionalen Anforderungen vor.
I. Persönliche Anforderungen In den Satzungen der großen deutschen Aktiengesellschaften ist zumeist der Aufsichtsratsvorsitzende zum Hauptversammlungsleiter bestimmt. Rechtlich notwendig ist eine solche Regelung allerdings nicht. Der Hauptversammlungsleiter muss nach einhelliger Auffassung weder Aktionär noch Mitglied des Aufsichtsrats sein.1 Vielmehr kann auch jede sonstige Person zum Hauptversammlungsleiter bestellt werden.
1 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 110; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 129, Rn. 18; Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 646.
A. Gesetzliche Anforderungen an den Hauptversammlungsleiter
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1. Ausschluss von der Versammlungsleitung wegen Inkompatibilität In bestimmten Fällen kommt jedoch ein Ausschluss von der Versammlungsleitung wegen Inkompatibilität in Betracht. Dies gilt unstreitig für den gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG mit der Niederschrift betrauten Notar. Denn die Niederschrift des Hauptversammlungsverlaufs ist eine Form der Tatsachenbeurkundung im Sinne von § 36 BeurkG. Die Dokumentation der Hauptversammlungsbeschlüsse unter öffentlichem Glauben schließt es aus, dass der Notar an dem zu beurkundenden Geschehen selbst mitwirkt.2 Umgekehrt führt die Mitwirkung an der Hauptversammlung zu einer Vorbefassung, die dem Notar die Beurkundung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BeurkG untersagt.3 Darüber hinaus sollen nach vorherrschender Ansicht im Schrifttum sowohl der Vorstandsvorsitzende als auch einfache Vorstandsmitglieder von der Hauptversammlungsleitung ausgeschlossen sein.4 Im Vereinsrecht ist die Versammlungsleitung durch Vorstandsmitglieder hingegen grundsätzlich anerkannt und zudem eine Art Auffangzuständigkeit vorgesehen: In Ermangelung einer statutarischen Regelung zur Person des Hauptversammlungsleiters wird dieser ad hoc von der Mitgliederversammlung gewählt. Geschieht auch dies nicht, obliegt die Versammlungsleitung dem Vorstandsvorsitzenden oder einem durch Vorstandsbeschluss bestimmten Vorstandsmitglied.5 Im Aktienrecht wird jedoch mitunter darauf verwiesen, dass sich die Versammlungsleitung durch ein Vorstandsmitglied nicht mit der „Kontrollfunktion“ der Hauptversammlung vertrage.6 So stellte das OLG Hamburg in einem Urteil aus dem Jahr 1990 fest, dass „die Verquickung der Funktionen als Vorstand und als Repräsentant des gesellschaftlichen Kontroll- und Beschlußorgans in einer Person im allgemeinen zu einer rechtlichen Fehlerhaftigkeit in der Verfahrensweise bei der jeweiligen Beschlußfassung führen [dürfte], die dann auch eine Anfechtbarkeit der Beschlüsse begründen kann“.7 Nach vorliegendem Verständnis ist der Hauptversammlungsleiter ein eigenständiges Organ der Aktiengesellschaft, sodass er schon aus diesem Grund nicht als „Repräsentant“ der Hauptversammlung angesehen werden kann. Im Übrigen wird der Vorstand gemäß § 111 Abs. 1 AktG allein vom Aufsichtsrat überwacht, nicht (auch) von der Hauptversammlung.8 2
Kanzleiter, DNotZ 2007, 804, 807. Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 645. 4 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 110; Eckardt, in: Geßler, AktG, Vor § 118, Rn. 24; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 129, Rn. 20; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 106; Reichard, NZG 2011, 775, 776 f.; Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 644 f.; HoffmannBecking, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 37, Rn. 35. 5 Schöpflin, in: BeckOK-BGB, § 32, Rn. 18. 6 AG Frankfurt, WM 1988, 304; Eckardt, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Vor § 118 Rn. 34. 7 OLG Hamburg, NJW 1990, 1120, 1121; siehe auch: AG Frankfurt, AG 1989, 38. 8 Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 645. 3
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Teil 3: Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger
Der Grundsatz der Gewaltenteilung bedeutet zudem nicht zwingend, dass ein und dieselbe Person nicht Aufgaben in mehreren Gesellschaftsorganen wahrnehmen kann. Inkompatibilität liegt vielmehr erst dann vor, „wenn die personenidentische Bewältigung der unterschiedlichen Funktionen dem durch Auslegung zu ermittelnden Sinn und Zweck der konkreten Aufgabennormen widerspricht“9. Andere Stimmen im Schrifttum gehen davon aus, dass die Vorstandsmitglieder bei der Versammlungsleitung keine neutrale Verhandlungsführung gewährleisten können.10 Diese Argumentation wirft jedoch die Frage auf, weshalb die Mitglieder des Aufsichtsrats nicht ebenfalls aus Inkompatibilitätsgründen von der Versammlungsleitung ausgeschlossen sind. Denn auch ein Aufsichtsratsmitglied, das zum Versammlungsleiter bestellt worden ist, bleibt – ebenso wie die Vorstandsmitglieder in Bezug auf den Gesamtvorstand – Repräsentant des Gesamtaufsichtsrates. Die Berichts- und Erläuterungspflicht des Aufsichtsrats bzw. des Aufsichtsratsvorsitzenden nach den §§ 171 Abs. 2 Satz 1, 176 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 AktG erfordern nicht weniger an Neutralität als die entsprechenden Erörterungen der Vorstandstätigkeit.11 Tatsächlich kann die Gefahr fehlender Neutralität allein die Zweckmäßigkeit der Bestellung des Organwalters in Frage stellen. Solange sie sich nicht rechtlich konkretisiert, vermag sie aber kein rechtliches Bestellungshindernis zu begründen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass Art und Reichweite der Erläuterungen für den Aufsichtsratsvorsitzenden in seinem freien Ermessen stehen.12 Die Aktionäre haben keinen Anspruch auf weitergehende Auskünfte, sondern können allenfalls ihr Auskunftsrecht geltend machen.13 Für die Auskunftserteilung ist stets der Vorstand zuständig. Entgegen teilweise anderslautender Auffassung im Schrifttum gilt dies nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG auch dann, wenn die Aktionäre Fragen stellen, die den Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats betreffen.14 Selbst dann, wenn der Aufsichtsrat bzw. der Aufsichtsratsvorsitzende seine Berichts- und Erläuterungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt, können die Aktionäre allein mit den Sanktionen für Pflichtverletzungen durch den Aufsichtsrat reagieren. Eine Pflicht des Aufsichtsrats zur Erteilung von Auskünften ergibt sich daraus nicht.15 Die Befugnisse des Hauptversammlungsleiters können die Pflichten als Aufsichtsratsvorsitzender daher nicht beschränken. Anders stellt sich die Situation für die Mitglieder des Vorstands dar: Während der Vorstand über die Angelegenheiten der Gesellschaft nach § 131 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 9
Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 644. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 110; a. A.: Reinicke: Rechtsstellung, Rechte und Pflichten des Vorsitzenden einer Hauptversammlung, S. 124 ff. (keinerlei Inkompatibilität). 11 Siehe dazu: Max, AG 1991, 77, 79. 12 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 176, Rn. 4. 13 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 176, Rn. 6; Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 646. 14 A. A.: Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, Kapitel G., Rn. 27. 15 Kubis, in: MüKo-AktG, § 131, Rn. 22. 10
A. Gesetzliche Anforderungen an den Hauptversammlungsleiter
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Satz 1 AktG gewissenhaft Rechenschaft abzulegen hat, ist es dem Hauptversammlungsleiter grundsätzlich gestattet, das Frage- und Rederecht der Aktionäre zu beschränken. Dem auskunftspflichtigen Vorstandsmitglied wäre als Hauptversammlungsleiter somit die Möglichkeit eröffnet, unerwünschte Fragen unter Berufung auf den zur Verfügung stehenden Zeitrahmen der Versammlung von vornherein zu unterbinden.16 Mithin ergibt sich aus § 131 AktG das rechtliche Spannungsverhältnis, das zwischen den Rechten und Pflichten der Vorstandsmitglieder und denen des Hauptversammlungsleiters besteht. Da dieses auf Rechtsvorschriften, nicht auf tatsächlichen Erwägungen beruht, können Vorstandsmitglieder entgegen teilweise vertretener Auffassung17 auch im Einzelfall, etwa bei Hauptversammlungen mit kleinem Teilnehmerkreis, nicht als Hauptversammlungsleiter fungieren. 2. Zweckmäßigkeitserwägungen Bei der Besetzung des Amtes des Hauptversammlungsleiters sind zudem Zweckmäßigkeitserwägungen zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die übliche Satzungspraxis der großen Aktiengesellschaften, wonach der Aufsichtsratsvorsitzende oder ein einfaches Aufsichtsratsmitglied die Hauptversammlungsleitung übernimmt. Derartigen Regelungen liegt zumeist die (berechtigte) Erwartung zugrunde, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats erfahrene Geschäftsmänner sind, die mit dem Unternehmen in besonderer Weise vertraut sind.18 Demgegenüber ist freilich zu bedenken, dass die Kenntnis wirtschaftlicher Einzelheiten der Gesellschaft zwar für die Mitglieder der Verwaltung von maßgeblicher Bedeutung ist. Die Aufgabe des Hauptversammlungsleiters besteht jedoch (allein) darin, die sachgemäße Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung in organisatorischer Hinsicht sicherzustellen. Eine inhaltliche Einflussnahme auf die Versammlung, bei der es auf die Kenntnisse eines erfahrenen Geschäftsmannes ankäme, ist dem Hauptversammlungsleiter hingegen gerade untersagt (siehe dazu noch unten Teil 4 A. II.). Hinzu kommt, dass der Hauptversammlungsleiter ein eigenständiger Kompetenzkomplex ist, der eine von der Verwaltung unabhängige Funktion zu erfüllen hat. Insoweit kann es durchaus sinnvoll sein, die rechtlich voneinander abzugrenzenden Aufgabenbereiche auch personell zu trennen. Die Berichts- und Erläuterungspflicht des Aufsichtsrats bzw. des Aufsichtsratsvorsitzenden nach den §§ 171 Abs. 2 Satz 1, 176 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 AktG mag zwar kein rechtliches Bestellungshindernis begründen. Gleichwohl kann es insoweit zu Konflikten zwischen den Aktionären und den Mitgliedern des Aufsichtsrats kommen, die sich negativ auf die für die Ver-
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Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 645. OLG Hamburg, NJW 1990, 1120, 1121; Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, Anh. §§ 118 – 120, Rn. 2. 18 Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 649. 17
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Teil 3: Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger
sammlungsleitung erforderliche Neutralität auswirken.19 Mit Blick darauf, dass der Aufsichtsrat die Mitglieder des Vorstandes wählt, ist eine gewisse Befangenheit zudem für den Fall nicht von der Hand zu weisen, dass es im Rahmen der Hauptversammlung zu Konflikten zwischen Aktionären und Vorstandsmitgliedern kommt.20 Ein externer Hauptversammlungsleiter kann – gerade bei konfliktträchtigen Hauptversammlungen – zu einer neutralen Versammlungsleitung eher in der Lage sein, als ein Verwaltungsmitglied, das von der Diskussion persönlich betroffen ist.21 Die Bestellung von professionell agierenden Personen zum Hauptversammlungsleiter kann sich zudem mit Blick auf die für das Amt erforderliche Sachkunde als zweckmäßig erweisen. Fehler bei der Versammlungsleitung bergen ein hohes Schadenspotential für die Gesellschaft. Der Hauptversammlungsleiter hat im Rahmen der Versammlungsleitung gleichwohl rechtliche Entscheidungen zu treffen, die oft mit Unsicherheiten belastet sind. Der (vermeintlich) rechtswidrige Eingriff in Mitgliedschaftsrechte wird in aller Regel die Anfechtbarkeit der in der jeweiligen Hauptversammlung gefassten Beschlüsse begründen (siehe oben Teil 1 B. II. 2.). Trotz dieses Schadensrisikos ist der Hauptversammlungsleiter in der Praxis regelmäßig kein Jurist, sondern wird von Rechtsberatern auf die Versammlungsleitung vorbereitet und mit Leitfäden ausgestattet.22 Da der Aufsichtsratsvorsitzende in der Regel noch einem Hauptberuf nachgeht, ist die zur Verfügung stehende Vorbereitungszeit freilich begrenzt.23 Dem Hauptversammlungsleiter stehen daher regelmäßig auch während der laufenden Veranstaltung Rechtsberater im sogenannten Backoffice zur Verfügung.24 Neben der damit verbundenen Zeitersparnis könnte auch das Risiko von etwaigen Kommunikationsfehlern zwischen Backoffice und Hauptversammlungsleiter reduziert werden, würde die Hauptversammlungsleitung einem Rechtsberater unmittelbar übertragen. Im Übrigen würde den Aktionären insoweit eine professionelle Versammlungsleitung signalisiert, was unter Umständen zu einer Verminderung des Anfechtungsrisikos führen kann.25 Ein professioneller Berater wird – anders als ein Aufsichtsratsmitglied – für die Tätigkeit als Hauptversammlungsleiter zwar grundsätzlich eine Vergütung verlangen. Angesichts der ohnehin anfallenden Kosten für die Durchführung der Hauptversammlung dürfte dies aber nicht entscheidend ins Gewicht fallen.26 Im Übrigen 19
Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 649. Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 30. 21 So z. B. Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 30; Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 646 ff. 22 Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 649. 23 Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 30 (hinzu kommt unter Umständen das Sprachproblem, falls der Aufsichtsratsvorsitzende nicht der deutschen Sprache mächtig ist). 24 Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 649. 25 Siehe: Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 649. 26 Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 30. 20
A. Gesetzliche Anforderungen an den Hauptversammlungsleiter
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würden die Kosten durch den wirtschaftlichen Nutzen für die Gesellschaft aufgewogen, den eine professionelle Versammlungsleitung im Hinblick auf die Vermeidung möglicher Anfechtungsrisiken mit sich bringt. Zumindest bei großen Publikumsgesellschaften ist daher – entgegen der üblichen Satzungspraxis – die Bestellung eines unternehmensfremden und zudem rechtskundigen Dritten zum Hauptversammlungsleiter zu empfehlen.
II. Funktionale Anforderungen Mit Blick darauf, dass die Versammlungsleitung durch einen Unternehmensfremden unter Umständen zweckmäßig ist, stellt sich weiterhin die Frage, inwieweit funktionale Anforderungen an die Person des Hauptversammlungsleiters zu stellen sind. Das Schrifttum geht meist ohne nähere Begründung davon aus, dass der Hauptversammlungsleiter eine natürliche Person sein muss.27 Butzke führt dazu aus, dass nur eine natürliche Person in der Lage sei, dem Verlauf der Hauptversammlung zu folgen, sodass nur auf diese Weise der Zweck der Versammlungsleitung, einen ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung zu ermöglichen, erreicht werden könne.28 Die Erforderlichkeit eines natürlich handelnden Menschen schließt es jedoch nicht aus, eine juristische Person zum Hauptversammlungsleiter zu bestellen. Denn diese würde in der konkreten Hauptversammlung durch ihre Geschäftsleiter vertreten, welche dem Verlauf der Versammlung als natürlich handlungsfähige Personen ohne Weiteres folgen können. Zudem überzeugt die Beschränkung auf eine natürliche Person noch weniger, soweit der Hauptversammlungsleiter – wie von der herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum – als Funktionsgehilfe der Hauptversammlung angesehen wird. Denn die Funktion der Hauptversammlung wird grundsätzlich durch die Aktionäre wahrgenommen. Bei diesen kann es sich aber unzweifelhaft auch um juristische Personen, Personenhandelsgesellschaften, GbRs und vergleichbare Gesamthandsgemeinschaften, und nach überwiegender Auffassung sogar um Erbengemeinschaften, handeln.29 Da die Person des Hauptversammlungsleiters nach vorliegendem Verständnis als Organwalter anzusehen ist, stellt sich jedoch die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen juristische Personen als Organmitglieder in Frage kommen. Für die Mitgliedschaft im Vorstand wurde bereits im AktG 1937 vorgesehen, dass juristische Personen nicht zu Vorstandsmitgliedern bestellt werden können.30 Heute ist in § 76 27 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 106; Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, Anh. § 119, Rn. 2; ders., NZG 2007, 771; Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 129, Rn. 42; für die GmbH: Liebscher, in: MüKo-GmbHG, § 48, Rn. 109. 28 Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, Kapitel D., Rn. 4. 29 Siehe: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 2, Rn. 1 ff. 30 Vgl. Amtl. Begr. zu § 75 AktG 1937 bei Klausing S. 61: „Juristische Personen können keine Vorstandsmitglieder sein, da die Tätigkeit eines Vorstandsmitglieds eine persönliche Tätigkeit voraussetzt.“
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Teil 3: Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger
Abs. 3 Satz 1 AktG geregelt, dass nur natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person Vorstandsmitglieder werden können. Ausweislich der Gesetzesmaterialien soll diese Voraussetzung dem Wesen des Vorstandsamts geschuldet sein, welches ein persönliches Tätigwerden voraussetze.31 Die eigene Verantwortung, die mit der unternehmerischen Tätigkeit eines Vorstandsmitglieds verbunden sei, könne nur eine natürliche Person tragen.32 Die Organträgerschaft juristischer Personen ist aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. So können beispielsweise Abschlussprüfer (§ 319 Abs. 1 Satz 1 HGB) und Abwickler (§ 265 Abs. 2 Satz 3 AktG) auch juristische Personen sein. Darüber hinaus hat das BayObLG bereits im Jahr 1912 die Geschäftsführung durch juristische Personen in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft & Co gebilligt.33 Zehn Jahre später wurde dies auch höchstrichterlich anerkannt.34 Im Jahr 1997 stellte der BGH schließlich fest, dass eine juristische Person auch Komplementär einer KGaA sein kann.35 Der bloße Hinweis, „das Wesen des Amts“ erfordere ein persönliches Tätigwerden, ist somit nicht geeignet, das Verbot der juristischen Organperson zu begründen. Für die Geschäftsleitungsorgane liegt der Ausschlussgrund vielmehr darin begründet, dass im Falle juristischer Organpersonen der Einfluss der Gesellschafter bzw. des Aufsichtsorgans auf die Auswahl der tatsächlich handelnden Personen schwindet. Denn die juristische Person bestellt ihre Geschäftsleiter – und damit die im Rahmen der Organwaltertätigkeit tatsächlich handelnden Personen – selbst. Darüber hinaus steht es der juristischen Person frei, die (mittelbaren) Geschäftsleiter beliebig auszuwechseln, worauf die Gesellschafter bzw. das Aufsichtsorgan ebenfalls keinen Einfluss haben. Schließlich kann die juristische Person wiederum selbst eine juristische Person zum Geschäftsführungsorgan bestellen, was die Organisationsverfassung ersichtlich intransparent macht.36 Diese Überlegungen können jedoch nicht ohne Weiteres auf den Hauptversammlungsleiter übertragen werden. Während der unmittelbare Einfluss der Gesellschafter bzw. des Aufsichtsorgans auf die Geschäftsleiter von Bedeutung ist, gilt dies für den Hauptversammlungsleiter, der rechtliche, nicht unternehmerische 31
Begr. RegE Kropff, S. 97. Spindler, in: MüKo-AktG, § 76, Rn. 105. 33 BayObLG, OLGE 27, 331. 34 RGZ 105, 101. 35 BGH, NJW 1997, 1923; siehe dazu: Fleischer, RIW 2004, 16, 19 f., der allerdings darauf hinweist, dass die Anerkennung der Organträgerschaft juristischer Personen in diesen Fällen weniger Ausdruck eines eigenständigen Unbedenklichkeitsurteils ist als vielmehr Ausfluss des Grundsatzes der Selbstorganschaft. 36 Ein weiterer Problembereich ergibt sich aus drohenden Steuerungsverlusten bei der gesellschaftsrechtlichen Verantwortlichkeit der Geschäftsleiter, da diese unmittelbar nur ihrer eigenen Gesellschaft gegenüber verantwortlich sind, nicht hingegen der Gesellschaft, für die sie die Organtätigkeit ausüben, siehe: Fleischer, RIW 2004, 16, 20 f.; ders., in: Spindler/Stilz, AktG, § 76, Rn. 120. 32
B. Begründung der Amtsstellung
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Entscheidungen trifft, nicht gleichermaßen. Zu berücksichtigen ist vielmehr, dass das Amt eine besondere (rechtliche) Sachkunde erfordert. Im Falle des Abschlussprüfers und der Liquidatoren verfolgt die Anerkennung der juristischen Organperson gerade den Sinn und Zweck, die besondere Sachkunde der juristischen Personen nutzbar zu machen.37 Auch beim Hauptversammlungsleiter kommt der (rechtlichen) Sachkunde größere Bedeutung zu als den Erwägungen, auf denen im Falle der Geschäftsleitungsorgane die Ablehnung der juristischen Organperson beruht. Nach vorliegendem Verständnis kann daher auch eine juristische Person zum Hauptversammlungsleiter bestellt werden. Darüber hinaus besteht – ebenso wie im Falle der Abwickler – kein Sachgrund gegen die Zulassung von Personenhandelsgesellschaften, Partnerschaften oder der Außen-GbR zum Hauptversammlungsleiter. Mit Blick auf die für das Amt erforderliche Rechtskunde kann daher insbesondere auch eine Rechtsberatungsgesellschaft zum Hauptversammlungsleiter bestellt werden.
B. Begründung der Amtsstellung Das Gesetz schweigt nicht nur über die Anforderungen an die Person des Hauptversammlungsleiters, sondern enthält mit Ausnahme des § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG auch keine Regelungen dazu, wer für die Bestellung des Hauptversammlungsleiters zuständig ist und wie das Verfahren der Bestellung abläuft. Insofern sind unterschiedliche Konstellationen zu unterscheiden.
I. Bestimmung durch die Satzung oder Geschäftsordnung In der Praxis ist eine Regelung zur Versammlungsleitung meist in der Satzung enthalten, um den Aufwand einer Wahlentscheidung gleich zu Beginn der Hauptversammlung zu vermeiden. Möglich ist darüber hinaus, dass sich die Hauptversammlung eine Geschäftsordnung gibt (§ 129 Abs. 1 Satz 1 AktG), in der unter anderem Regelungen zur Person des Hauptversammlungsleiters enthalten sind.38 1. Unmittelbare Bestimmung durch die Satzung Die Satzung bzw. Geschäftsordnung kann den Hauptversammlungsleiter originär selbst bestimmen, und zwar indem sie ihn namentlich benennt oder auch nur der Funktion nach eindeutig bestimmt. Eines zusätzlichen Bestellungsaktes bedarf es in 37
Siehe: J. Koch, in: MüKo-AktG, § 265, Rn. 11. Siehe: Begr. RegE zum KonTraG, BR-Drucks. 872/97, S. 49; in der Praxis spielen Geschäftsordnungen der Hauptversammlung bisher kaum eine Rolle, siehe: Butzke, ZIP 2005, 1164, 1165; Kubis, in: MüKo-AktG, § 129, Rn. 3; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 129, Rn. 1a. 38
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Teil 3: Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger
diesem Fall nicht.39 Das Organwalterverhältnis kann jedoch nicht gegen den Willen des Benannten zustande kommen, sodass es einer Annahmeerklärung der betreffenden Person bedarf. Die Annahme kann auch konkludent durch Aufnahme der Tätigkeit erfolgen.40 Eine Pflicht zur Annahme besteht grundsätzlich nicht. Etwas anderes gilt für den Fall, dass bereits in anderer Weise eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft begründet worden ist. So sind etwa Aufsichtsratsmitglieder aufgrund ihrer organschaftlichen Treuepflicht im Grundsatz dazu verpflichtet, die Versammlungsleitung zu übernehmen.41 Dies gilt unabhängig davon, dass die Versammlungsleitung keine Aufgabe im Rahmen des Aufsichtsratsmandates ist. 2. Bestimmung durch ein anderes Gremium Die Satzung kann zudem eine Regelung enthalten, wonach die Auswahl des Hauptversammlungsleiters einem anderen Gremium überlassen wird.42 In der Praxis ist eine solche Vorgehensweise meist für den Fall der Verhinderung des Aufsichtsratsvorsitzenden vorgesehen. Die Auswahl des Hauptversammlungsleiters wird dann dem Gesamtaufsichtsrat oder den Vertretern der Anteilseignerseite überlassen.43 Eine solche (flexible) Satzungsregelung wird im Schrifttum ohne Weiteres als zulässig angesehen. Insofern bestätigt sich wiederum die Erkenntnis, dass die Versammlungsleitung ein eigenständiger Kompetenzkomplex ist. Denn ginge man davon aus, dass die Versammlungsorganisation zum Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung gehört, müsste dies konsequenterweise auch für die Bestellung des Hauptversammlungsleiters gelten.44 Dementsprechend wäre eine satzungsmäßig vorgesehene Wahl durch den Aufsichtsrat oder ein anderes Gremium als Delegation einer zum Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung gehörenden Befugnis anzusehen.45 Daraus erklärt sich die Auffassung von Kubis, wonach die Hauptversammlung eine vom Aufsichtsrat bestimmte Person jederzeit, d. h. unabhängig vom Vorliegen eines wichtigen Grundes, aus dem Amt des Hauptversammlungsleiters abberufen können muss.46 Es stellt sich jedoch die Frage, aus welchem Grund es der 39 Vgl. K. Schmidt, in: GroßKomm-AktG, § 265, Rn. 18; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 265, Rn. 4 (zur unmittelbaren Bestellung des Liquidators durch die Satzung). 40 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 84, Rn. 5 (zur Bestellung von Vorstandsmitgliedern). 41 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 117; a. A.: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 129, Rn. 18. 42 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 129, Rn. 18; von der Linden, NZG 2013, 208, 209. 43 Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 758. 44 Dementsprechend hält Dietrich, NZG 1998, 921, 924 eine satzungsmäßige Regelung, wonach sich die Hauptversammlung selbst einen Vorsitzenden gibt, für bloß deklaratorisch. 45 So auch: Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 116. 46 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 116 (aufgrund der satzungsmäßigen Verankerung soll jedoch ein Beschluss mit Drei-Viertel-Kapitalmehrheit erforderlich sein); hingegen geht Butzke, ZIP 2005, 1164, 1166 davon aus, dass die Möglichkeit zur willkürlichen Abberufung
B. Begründung der Amtsstellung
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Hauptversammlung in diesem Fall überhaupt gestattet sein sollte, die Bestellung des Hauptversammlungsleiters auf ein anderes Gremium zu delegieren. Denn die Kompetenzen der Organe sind gemäß § 23 Abs. 5 AktG grundsätzlich zwingend.47 Aus diesem Grund ist auch eine satzungsmäßige Delegation der Auswahlentscheidung im Hinblick auf die Bestellung der Abwickler nicht möglich: Nach § 265 Abs. 1 AktG besorgen grundsätzlich die Vorstandsmitglieder die Abwicklung als Abwickler. Zwar kann die Satzung oder ein Beschluss der Hauptversammlung gemäß § 265 Abs. 2 Satz 1 AktG auch andere Personen als Abwickler bestellen.48 Unzulässig ist jedoch eine Regelung, wonach die Abwickler durch Dritte bestimmt werden. Denn mit § 265 Abs. 2 AktG ist eine gesetzliche Zuständigkeitsentscheidung getroffen worden.49 Nichts anderes könnte gelten, wollte man die Versammlungsleitung vom Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung umfasst sehen. Denn die Hauptversammlung müsste in diesem Fall – konsequenterweise – auch originär für die Wahl des Hauptversammlungsleiters zuständig sein. Ordnet man den Hauptversammlungsleiter hingegen als eigenständigen Entscheidungsträger ein, ist die Zuständigkeit der Hauptversammlung zur Bestellung desselben nicht zwingend. Da das Gesetz keine Zuständigkeit für die Bestellung der Person des Hauptversammlungsleiters bestimmt, besteht insoweit Regelungsfreiheit des Satzungsgebers.50 Demnach kann die Satzung ohne Weiteres bestimmen, dass der Aufsichtsrat oder ein anderes Gremium für die Bestellung zuständig ist.
II. Bestimmung durch Wahl der Hauptversammlung Ist weder in der Satzung noch in der Geschäftsordnung ein Hauptversammlungsleiter bestimmt, ist nach ganz überwiegender Auffassung die Hauptversammlung dazu berechtigt, ad hoc einen Hauptversammlungsleiter zu wählen.51 Für den Wahlbeschluss genügt gemäß § 133 Abs. 1 und 2 AktG die einfache Stimmenmehrheit.
dem Zweck der Satzungsregelung nicht gerecht werde. Denn die Delegation der Entscheidung auf ein anderes Gremium soll gerade dazu dienen, die Entscheidung zur Versammlungsleitung außer Streit zu stellen. 47 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 23, Rn. 36; dies gilt nicht nur im Hinblick auf die unmittelbar im Aktiengesetz geregelten Kompetenzen, sondern auch für ungeschriebene Kompetenzen, siehe: Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, § 119, Rn. 50. 48 So kann die Satzung etwa alle oder einzelne Vorstandsmitglieder von der Abwicklung ausschließen. 49 Sethe, ZIP 1998, 770, 771. 50 Vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 23, Rn. 37. 51 Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 3; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 129, Rn. 20; Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, Kapitel D., Rn. 10; Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, Anh. § 119, Rn. 3.
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Diese „Auffangkompetenz“ wird mitunter aus dem Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung abgeleitet.52 Nach vorliegendem Verständnis besitzt die Hauptversammlung zwar ebenfalls eine Kompetenz für die Bestimmung des Hauptversammlungsleiters. Diese ist jedoch aus einer ungeschriebenen gesetzlichen Zuständigkeit abzuleiten. Die Bestimmung eines Hauptversammlungsleiters muss stets – also auch ohne entsprechende Satzungsregelung – möglich sein. Für die Frage, welches Organ insoweit zuständig ist, lässt sich zunächst die Überlegung heranziehen, dass alle Herrschaftsbefugnisse im Verband einer mitgliedschaftlichen Legitimation bedürfen.53 Zwar sind sowohl die Mitglieder des Aufsichtsrats als auch (mittelbar) die Mitglieder des Vorstands durch die Verbandsmitglieder legitimiert. Da die Mitglieder des Vorstands aus Gründen der Inkompatibilität von der Versammlungsleitung ausgeschlossen sind, erscheint es jedoch wenig sachgerecht, ihnen durch die Bestimmung des Hauptversammlungsleiters mittelbaren Einfluss auf das Amt einzuräumen. Zwar ließe sich an eine Kompetenz des Aufsichtsrats denken. Die Bestellung von Organwaltern ist jedoch ein Grundlagengeschäft, für das – vorbehaltlich einer abweichenden gesetzlichen oder satzungsmäßigen Regelung – die Hauptversammlung zuständig ist. Die Vorschrift des § 119 Abs. 1 AktG steht einer ungeschriebenen Zuständigkeit der Hauptversammlung nicht entgegen. Zum einen handelt es sich bei der Wahl des Hauptversammlungsleiters um eine ungeschriebene gesetzliche Zuständigkeit. Zum anderen geht es der Vorschrift des § 119 Abs. 1 AktG vornehmlich darum, die Hauptversammlungsbefugnisse von der Geschäftsführungskompetenz abzugrenzen.54 Um eine Geschäftsführungsmaßnahme geht es bei der Wahl des Hauptversammlungsleiters aber nicht. Wird der Hauptversammlungsleiter satzungsmäßig bestimmt, kommt die ungeschriebene gesetzliche Zuständigkeit der Hauptversammlung zur Wahl des Hauptversammlungsleiters nur dann zum Zuge, wenn alle nach der Satzung oder Geschäftsordnung berufenen Personen verhindert sind, oder wenn der Hauptversammlungsleiter in einer laufenden Versammlung ausfällt und keine Vertretungsregelung vorgesehen ist, oder wenn der hiernach Berufene nicht in der Versammlung anwesend ist.55 Andernfalls liegt ein satzungs- bzw. geschäftsordnungsdurchbrechender Beschluss vor, welcher für seine Rechtmäßigkeit der Einhaltung der für eine Satzungsänderung geltenden Erfordernisse bedürfte. Diese Anforderungen können in der konkreten Versammlung jedoch nicht eingehalten werden (siehe dazu noch unten Teil 3 C. I. 1. a)).56
52 So ausdrücklich Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 66, der eine originäre Kompetenz der Hauptversammlung zur Bestimmung des Hauptversammlungsleiters gleichwohl ablehnt. 53 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 14 II. 2. a), S. 410. 54 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 1; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 119, Rn. 1. 55 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 113. 56 Ganz ähnlich liegt es, wenn die Bestellung der Geschäftsordnung widerspricht. Denn auch wenn der Bestellungsbeschluss mit der für eine Änderung der Geschäftsordnung erfor-
B. Begründung der Amtsstellung
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Um die Wahl des Hauptversammlungsleiters durchführen zu können, muss ein provisorischer Hauptversammlungsleiter die Wahlleitung übernehmen. Nach ganz überwiegender Ansicht kommt dafür der Einberufende – in der Regel also der Vorstand – in Betracht. Der Vorstand betraut zweckmäßigerweise ein Vorstandsmitglied, meist den Vorstandsvorsitzenden, mit der provisorischen Versammlungsleitung.57 Dem provisorischen Hauptversammlungsleiter stehen bis zur Wahl des tatsächlichen Hauptversammlungsleiters sämtliche versammlungsleitenden Leitungs- und Ordnungsbefugnisse zu.58
III. Bestimmung durch das Gericht Eine Bestellung von Organwaltern kann auch durch ein Gericht erfolgen, wie bereits die Regelungen in § 85 Abs. 1 AktG und § 104 Abs. 1 AktG zeigen. Der für die Begründung der Organstellung notwendige Rechtsakt59 ist in diesem Fall der Beschluss des jeweils zuständigen Gerichts. Für den Hauptversammlungsleiter ist die gerichtliche Bestellung in § 122 AktG vorgesehen: Nach § 122 Abs. 3 AktG kann das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen Aktionäre ermächtigen, an Stelle des Vorstands die Hauptversammlung einzuberufen oder die vorhandene Tagesordnung zu ergänzen (§ 122 Abs. 3 Satz 1 AktG) und damit zugleich den Vorsitzenden der Versammlung bestimmen (§ 122 Abs. 3 Satz 2 AktG). Zuständig ist das Amtsgericht60 des Gesellschaftssitzes61. Die Vorschrift des § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG ist zwar primär auf den Fall der Ermächtigung zur Einberufung der Hauptversammlung zugeschnitten, sie ist nach überwiegender Ansicht aber auch bei einer Ermächtigung zur Ergänzung der Tagesordnung anwendbar.62 Die gerichtliche Bestimmung des Hauptversammlungsleiters beschränkt sich insoweit auf die Gegenstände des Ergänzungsverlangens. Mit Blick auf eine möglichst einheitliche Versammlungsleitung wird die gerichtliche Bestimmung des Hauptversammlungsleiters in diesem Fall jedoch nur selten in Betracht kommen.63 derlichen Drei-Viertel-Kapitalmehrheit erfolgt, bedürfte die Änderung jedenfalls der vorherigen Bekanntmachung, siehe: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147, Rn. 79. 57 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 129, Rn. 20; allgemein: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 114. 58 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 114; Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, Anh. § 119, Rn. 3. 59 Siehe dazu: Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 267. 60 § 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 4 GVG i. V. m. § 375 Nr. 3 FamFG. 61 § 14 AktG i. V. m. § 377 FamFG. 62 Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 122, Rn. 56; Werner, in: GroßKomm-AktG, § 122, Rn. 61; a. A.: Kubis, in: MüKo-AktG, § 122, Rn. 60 (Leitung muss für die gesamte Hauptversammlung einheitlich sein). 63 Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 122, Rn. 56.
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Teil 3: Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger
Entgegen dem Wortlaut des § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG kann die gerichtliche Bestimmung des Hauptversammlungsleiters zeitlich auch noch nach der Ermächtigung erfolgen.64 Die Vorschrift ist nach allgemeiner Meinung auch dann anwendbar, wenn der Vorstand dem Minderheitsverlangen zwar nachkommt, aber die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem satzungsmäßig vorgesehenen Hauptversammlungsleiter besteht.65 Das Gericht muss von seiner Befugnis Gebrauch machen, wenn es der Überzeugung ist, dass der satzungsmäßig bestimmte Hauptversammlungsleiter dem Anliegen der Minderheit nicht in gebührender Weise gerecht werden kann.66 Es ist dabei an keinerlei Satzungsvorgaben gebunden oder auf den Kreis der Teilnahmeberechtigten beschränkt. Anstelle der Bestimmung einer namentlich genannten Person kann das Gericht auch eine negative Bestimmung treffen und beispielsweise anordnen, dass der satzungsmäßig bestimmte Hauptversammlungsleiter den Vorsitz in der Hauptversammlung nicht führen darf.67
IV. Rechtslage im GmbH-Recht Auch im GmbH-Recht kann die Satzung oder eine Geschäftsordnung den Versammlungsleiter unmittelbar bestimmen oder der Funktion nach bestimmbar bezeichnen. Es kann auch vorgesehen werden, dass der Versammlungsleiter von der Gesellschafterversammlung gewählt oder anderweitig – etwa durch ein anderes Gremium – bestimmt wird. Fehlt eine entsprechende Satzungs- oder Geschäftsordnungsregelung, steht es der Gesellschafterversammlung – ebenso wie der Hauptversammlung im Aktienrecht – frei, ad hoc einen Versammlungsleiter zu bestellen.68 Die Kompetenz zur Wahl des Versammlungsleiters lässt sich in Ermangelung einer gesellschaftsvertraglichen Regelung im GmbH-Recht bereits mit der Allzuständigkeit der Gesellschafterversammlung begründen. Bei der Wahl wird mit Blick auf die Beschlussfeststellungskompetenz des Versammlungsleiters zum Teil das Einverständnis aller anwesenden Gesellschafter gefordert.69 Denn – anders als im Aktienrecht – ist eine förmliche Beschlussfeststellung im GmbH-Recht nicht zwingend vorgeschrieben. Aus diesem Grund kann 64
OLG Hamburg AG 2012, 294, 295; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 122, Rn. 11. OLG Hamburg AG 2012, 294; AG Frankfurt, AG 1987, 38; Kubis, in: MüKo-AktG, § 122, Rn. 60; Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 122, Rn. 57. 66 Kubis, in: MüKo-AktG, § 122, Rn. 60; Koch, in: Hüffer/Koch, § 122, Rn. 11. 67 Kubis, in: MüKo-AktG, § 122, Rn. 60; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 116; Rieckers, in: Spindler/Stilz, § 122, Rn. 57. 68 Ganz h. M., siehe: BGH, NZG 2009, 1309; OLG München, BeckRS 2005 30348776; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 48, Rn. 106; Römermann, in: Michalski u. a., GmbHG, § 48, Rn. 92; Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086, 1088. 69 OLG Frankfurt, NZG 1999, 406; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, § 48, Rn. 16 (die Kompetenz zur Feststellung des Beschlussergebnisses kann nur bei Einverständnis aller anwesenden Gesellschafter übertragen werden). 65
C. Beendigung der Amtsstellung
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die Unwirksamkeit eines Beschlusses grundsätzlich im Rahmen einer Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO geltend gemacht werden, die zeitlich unbegrenzt erhoben werden kann. Die förmliche Beschlussfeststellung durch einen Versammlungsleiter führt hingegen dazu, dass der Beschluss nur noch mittels fristgebundener Anfechtungsklage angegriffen werden kann.70 Die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum geht vor dem Hintergrund von § 47 Abs. 1 GmbHG jedoch davon aus, dass der Versammlungsleiter mit einfacher Mehrheit gewählt werden kann, sofern der Gesellschaftsvertrag keine anderweitige Regelung enthält.71 Zur Begründung wies das OLG Celle darauf hin, dass die Feststellung des Beschlussergebnisses zunächst nur die Konsequenz hat, dass ein solches vorläufig verbindlich wird, aber selbstverständlich der gerichtlichen Überprüfung offensteht.72 Der BGH wies zudem darauf hin, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen der Beschlussfassung ohne und mit Versammlungsleiter besteht: Ohne Beschlussfeststellung durch einen Versammlungsleiter steht für die Gesellschafter nicht fest und ist häufig auch nicht erkennbar, ob ein Beschluss eines bestimmten Inhalts überhaupt gefasst worden ist.73 Hat ein Versammlungsleiter das Abstimmungs- und Beschlussergebnis hingegen vorläufig verbindlich festgestellt, besteht diese Unsicherheit gerade nicht.74 Insofern rechtfertigt sich auch das Erfordernis zur Erhebung der fristgebundenen Anfechtungsklage. Im Übrigen erscheint das Einstimmigkeitserfordernis unzweckmäßig. Denn die Feststellung des Beschlussergebnisses durch einen Versammlungsleiter und die damit verbundene Notwendigkeit zur Erhebung einer Anfechtungsklage sollen die Rechtssicherheit fördern.75 Das ist insbesondere dann erforderlich, wenn Streit zwischen den Gesellschaftern besteht. In diesen Fällen wird es vielfach aber auch nicht zu einer Einigung über die Person des Versammlungsleiters kommen. Konsequenz des Einstimmigkeitserfordernisses wäre somit, dass ein Versammlungsleiter mit Beschlussfeststellungskompetenz gerade dann nicht gewählt werden kann, wenn ein besonderes Bedürfnis dafür besteht.76
C. Beendigung der Amtsstellung Gesetzliche Vorschriften zur Beendigung der Amtsstellung des Hauptversammlungsleiters existieren nicht. Auch die Satzungen deutscher Aktiengesellschaften 70
Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 140. Siehe nur: BGH, NZG 2009, 1309; Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 48, Rn. 8. 72 OLG Celle, BeckRS 1997, 13136. 73 BGH, DNotZ 1996, 689, 690. 74 OLG Celle, BeckRS 1997, 13136; siehe auch: Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086, 1089. 75 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 141; Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086, 1089. 76 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 141. 71
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Teil 3: Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger
enthalten insoweit grundsätzlich keine Regelungen. Ebenso wie bei der Begründung sind bei der Beendigung der Amtsstellung verschiedene Konstellationen zu unterscheiden.
I. Abberufung Möglich ist zunächst die Abberufung des Hauptversammlungsleiters. Im Hinblick auf die Zulässigkeit und die Voraussetzungen der Abberufung ist danach zu differenzieren, auf welche Weise der Hauptversammlungsleiter in das Amt gelangt ist. 1. Abberufung des durch die Satzung oder Geschäftsordnung bestimmten Hauptversammlungsleiters Die Abberufung des satzungsmäßig bestimmten Hauptversammlungsleiters ist unproblematisch, sofern diese in der Satzung selbst geregelt ist. Die meisten Satzungen deutscher Aktiengesellschaften sehen insoweit jedoch keine Regelung vor.77 Für diesen Fall ist äußert umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen der durch die Satzung bestimmte Hauptversammlungsleiter abberufen werden kann. a) Meinungsstand Die Abberufung des statutarisch bestimmten Hauptversammlungsleiters stellt grundsätzlich eine Satzungsänderung dar. Die Voraussetzungen einer Satzungsänderung können in der konkreten Hauptversammlung jedoch nicht eingehalten werden. Denn die Hauptversammlung kann über eine Satzungsänderung nur dann abstimmen, wenn sie zuvor als Gegenstand der Tagesordnung bekannt gemacht worden ist (§ 124 Abs. 2 Satz 2 AktG). Zwar sieht die Vorschrift des § 124 Abs. 4 Satz 2 für Verfahrensanträge – im Gegensatz zu Sachanträgen – vor, dass diese ankündigungsfrei zulässig sind.78 Im Falle eines Antrags auf Abwahl des Hauptversammlungsleiters gilt diese Regelung allerdings nur dann, wenn der Hauptversammlungsleiter gerade nicht satzungsmäßig bestimmt worden ist.79 Darüber hinaus wird eine von der Hauptversammlung beschlossene Satzungsänderung erst mit der Eintragung in das Handelsregister wirksam (§ 181 Abs. 3 AktG), sodass eine Ad-hocSatzungsänderung im Rahmen der konkreten Hauptversammlung auch aus diesem Grund nicht möglich ist.80 77
Krieger, AG 2006, 355, 356; Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2327. Denn die entsprechenden Hauptversammlungsbeschlüsse betreffen die Rechtsverhältnisse nur der Hauptversammlungsteilnehmer bis zum Ende der konkreten Hauptversammlung, reichen aber nicht darüber hinaus; siehe: Austmann, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 40, Rn. 8. 79 Kubis, in: MüKo-AktG, § 124, Rn. 63. 80 Siehe dazu: Krieger, AG 2006, 355, 356. 78
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Gleichwohl wird zum Teil vertreten, dass der satzungsmäßig bestimmte Hauptversammlungsleiter jedenfalls durch einstimmigen Hauptversammlungsbeschluss abgewählt werden kann.81 Andere Stimmen im Schrifttum gehen davon aus, dass eine Abwahl auch mit satzungsändernder Mehrheit möglich ist.82 Allein durch die satzungsmäßige Festlegung des Hauptversammlungsleiters werde nicht hinreichend deutlich, dass die Hauptversammlung auf ihr originäres Recht zur anderweitigen Vergabe habe verzichten wollen.83 Das Fehlen einer satzungsmäßig vorgesehenen Abberufungsmöglichkeit kann jedoch auch dahingehend verstanden werden, dass der Satzungsgeber den Hauptversammlungsleiter mit einer hinreichend stabilen Amtsstellung versehen wollte.84 Darüber hinaus führt der Verweis auf das Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung zu einem Zirkelschluss. Denn es ist gerade die Frage, ob die Hauptversammlung auch dort eine Entscheidung treffen kann, wo sich dies aus dem Wortlaut der Satzungsregelung nicht ergibt.85 Im Übrigen kann diese Argumentation vor dem Hintergrund des vorliegenden Verständnisses, wonach der Hauptversammlungsleiter als Organwalter anzusehen ist, von vornherein nicht überzeugen. Denn die Bestimmung des Hauptversammlungsleiters gehört ebenso wenig wie die Versammlungsleitung selbst zum Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung. Andere Ansichten in der Literatur wollen die Abwahl des Hauptversammlungsleiters als satzungsdurchbrechenden Beschluss rechtfertigen. Denn es wird verbreitet zwischen zustandsbegründenden und punktuellen Satzungsdurchbrechungen unterschieden. Eine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung soll vorliegen, wenn der Hauptversammlungsbeschluss dauerhafte Wirkung entfaltet. Bleibt die Wirkung auf den Einzelakt beschränkt, wird von einer sogenannten punktuellen Satzungsdurchbrechung gesprochen.86 Während die zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung stets eine rechtswidrige Satzungsverletzung darstellt, wird die Zulässigkeit einer Satzungsdurchbrechung mit punktueller Auswirkung ohne Einhaltung der formellen Anforderungen zum Teil bejaht.87 Insbesondere das Eintragungserfordernis lasse sich in diesem Fall nicht mit Hinweis auf die Regis81
1015.
Zöllner, in: KK-AktG, § 119, Rn. 48; Max, AG 1991, 77, 86; Martens, WM 1981, 1010,
82 So noch: Fischer, in: Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 2. Aufl., § 11, Rn. 24 ff.; mittlerweile anders: Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 4. Aufl., § 9, Rn. 28 ff. (Abwahlmöglichkeit muss satzungsmäßig vorgesehen sein). 83 Fischer, in: Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 2. Aufl. § 11, Rn. 25. 84 So auch: Rose, NZG 2007, 241, 242. 85 Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2328. 86 Holzborn, in: Spindler/Stilz, AktG, § 179, Rn. 49; erstmals wurde der Begriff verwendet von Priester, ZHR 151 (1987), 40, 43. 87 Priester, ZHR 151 (1987), 40, 53 ff.; ders., in: Scholz, GmbHG, § 53, Rn. 26 ff., 30a; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53, Rn. 31; Leuschner, ZHR 180 (2016), 422, 453 f. (sofern nicht die Regelungsgegenstände der §§ 39 AktG, 10 GmbHG betroffen sind).
102
Teil 3: Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger
terpublizität rechtfertigen. Denn diese diene allein der Information und dem Schutz des Rechtsverkehrs. Bei einer punktuellen Satzungsdurchbrechung würde der Rechtsverkehr aber allenfalls Auskunft über eine historische Frage – die punktuelle Ausnahme von der Satzung – erhalten.88 Dementsprechend ließe sich auch mit Blick auf den Hauptversammlungsleiter argumentieren, dass seine Abwahl die Satzung nicht generell ändert, sondern nur im Einzelfall von ihr abweicht.89 Die herrschende Lehre geht jedoch davon aus, dass im Aktienrecht jede Abweichung von der Satzung nur unter den Voraussetzungen einer wirksamen Satzungsänderung zulässig ist. Denn eine trennscharfe Abgrenzung zwischen zustandsbegründenden und punktuellen Maßnahmen ist kaum möglich.90 Die Zulassung satzungsdurchbrechender Beschlüsse würde daher die Rechtssicherheit gefährden und liefe zudem dem Prinzip der aktienrechtlichen Formstrenge zuwider.91 Darüber hinaus ist auch im Falle einer Satzungsdurchbrechung zumindest eine ordnungsgemäße Ankündigung erforderlich.92 Auch der nicht zur Hauptversammlung erschienene Aktionär muss sich darauf verlassen können, dass die Hauptversammlungsbeschlüsse im Rahmen der Satzung getroffen werden, über deren Einschränkungen er mit der Bekanntmachung der Tagesordnung zu informieren gewesen wäre.93 Die Satzungsklausel zur Bestimmung des Hauptversammlungsleiters soll gleichwohl unter dem stillschweigenden Vorbehalt stehen, dass er aus wichtigem Grund wieder abberufen werden kann. Anderenfalls führe die Satzungsklausel zu einer so weitreichenden Bindung der Hauptversammlung, dass ihr wegen Verstoßes gegen die §§ 138, 242 BGB die Anerkennung versagt werden müsse.94 Gegen diese Auffassung wird zum Teil vorgebracht, dass – auch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes – kein schutzwürdiges Interesse der Aktionäre an der Abwahl des Hauptversammlungsleiters besteht. Denn sofern der Hauptversammlungsleiter seine Leitungsfunktion fehlerhaft ausübe, seien die Aktionäre durch die Möglichkeit der Anfechtungsklage hinreichend geschützt. Die Abberufung des Hauptversammlungsleiters soll Anfechtungsrisiken auch nicht vorbeugen können und im Übrigen zur Preisgabe der Rechtssicherheit führen. Es liege jedoch im ureigensten Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre, die Person des Hauptversammlungsleiters gerade in konfliktträchtigen Hauptversammlungen außer Streit zu stellen.95 88
Priester, ZHR 151 (1987), 40, 53. So: Martens, Leitfaden für die Leitung der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, S. 47 f.; Ek, Praxisleitfaden für die Hauptversammlung, § 10, Rn. 242; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 112; grundsätzlich zustimmend: Kuhnt, in: FS Lieberknecht, 1997, S. 45, S. 61 f. 90 Holzborn, in: Spindler/Stilz, AktG, § 179, Rn. 50; Stein, in: MüKo-AktG, § 179, Rn. 40. 91 Krieger, AG 2006, 355, 357; Holzborn, in: Spindler/Stilz, AktG, § 179, Rn. 50. 92 So bereits: Priester, ZHR 151 (1987), 40, 45. 93 OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2007, 12657; Stein, in: MüKo-AktG, § 179, Rn. 40; ähnlich: Krieger, AG 2006, 355, 358 f. 94 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 119; Butzke, ZIP 2005, 1164, 1166. 95 Krieger, AG 2006, 355, 359 ff.; Wilsing/von der Linden, ZIP 2010, 2321, 2327 f. 89
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b) Stellungnahme Der herrschenden Meinung ist bereits insofern zuzustimmen, als der Frage nach dem Vorliegen einer Satzungsdurchbrechung stets die Auslegung der jeweiligen Klausel vorangehen muss. Es ist somit danach zu fragen, ob der Satzungsklausel eine Abwahlmöglichkeit aus wichtigem Grund entnommen werden kann. Die Befürworter dieser Auffassung verweisen darauf, dass eine Satzungsregelung nicht an der Person des unzumutbaren Hauptversammlungsleiters festhalten wollen kann.96 Nach vorliegendem Verständnis ist zudem zu berücksichtigen, dass bei Organwaltern stets ein Abwahlrecht bestehen muss. Grund dafür ist die organisatorische Selbständigkeit des Organs. Ist ein freies Abwahlrecht mit der Funktion des Organs nicht zu vereinbaren, mag die Abberufung zwar an das Vorliegen zusätzlicher Voraussetzungen geknüpft werden. Der Vorschrift des § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG ist jedoch die allgemeine Wertung zu entnehmen, dass eine Abberufung aus wichtigem Grund – auch durch Satzungsregelung – nicht ausgeschlossen werden kann. Das freie Abwahlrecht mag durch satzungsmäßige Bestimmung (etwa) des Aufsichtsratsvorsitzenden zum Hauptversammlungsleiter zwar eingeschränkt werden. Doch auch dann ist ihm diese Position nicht ad personam eingeräumt. Schon aus diesem Grund muss er zumindest bei Vorliegen eines wichtigen Grundes durch einen mit einfacher Mehrheit gefassten Beschluss der Hauptversammlung wieder abberufen werden können. Die organisatorische Selbständigkeit des Organs würde praktisch aufgegeben, ließe man eine Abberufung des Organwalters auch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht zu. Die Möglichkeit der Satzungsänderung führt insoweit zu keinem anderen Ergebnis. Denn weil sich die Tätigkeit des Hauptversammlungsleiters grundsätzlich auf eine Sitzung beschränkt, die Voraussetzungen der §§ 179 AktG in der konkreten Hauptversammlung aber nicht eingehalten werden können, wäre die Abberufung eines unzumutbaren Hauptversammlungsleiters damit zumindest faktisch ausgeschlossen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit der nachträglichen Anfechtungsklage. Argumentieren ließe sich allenfalls, dass die Hauptversammlung für die Abwahl nicht zuständig ist, wenn ein anderes Gremium den Hauptversammlungsleiter bestellt hat. Da die Zuständigkeit der Hauptversammlung insoweit aber ohnehin ungeschriebenen gesetzlichen Regelungen folgt (siehe oben Teil 3 B. II.), kann auch dieses Argument schwerlich durchgreifen. c) Anforderungen an den Abwahlantrag und Wirkungen Da die Abwahl des Hauptversammlungsleiters nur bei einem wichtigen Grund zulässig ist, muss über einen entsprechenden Antrag auch nur in diesem Fall abgestimmt werden. Der Hauptversammlungsleiter kann darüber aber nicht selbst 96
Butzke, ZIP 2005, 1164, 1167.
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Teil 3: Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger
entscheiden, sondern muss den Antrag bereits immer dann zur Abstimmung zulassen, wenn der Antragsteller einen wichtigen Grund substantiiert vorträgt.97 Es stellt sich sodann die Frage, welche Rechtsfolgen eine fehlerhafte Behandlung des Abwahlantrags durch den Hauptversammlungsleiter hat. Insoweit haben zwei Urteile der Landgerichte Frankfurt a. M.98 und Köln99 aus dem Jahr 2005 zu umfangreichen Diskussion geführt. In beiden Fällen hatte ein Aktionär einen Antrag auf Abberufung des satzungsmäßig bestimmten Hauptversammlungsleiters aus wichtigem Grund gestellt. Während der Antrag im Falle des LG Köln mit unzulässigen versammlungsleitenden Maßnahmen begründet wurde, stützte sich der Aktionär in dem vom LG Frankfurt a. M. entschiedenen Fall auf länger zurückliegende Vorgänge außerhalb der Gesellschaft. In beiden Fällen lehnte der Hauptversammlungsleiter bereits die Abstimmung über seine Abberufung mit Hinweis auf die jeweilige Satzungsbestimmung ab. Das LG Köln stellte zunächst fest, dass über einen sachlich begründeten Antrag auf Abwahl des Hauptversammlungsleiters abgestimmt werden muss. Weigert sich der Hauptversammlungsleiter, den Antrag zur Abstimmung zu stellen, führe dies dazu, dass nicht feststeht, ob er ordnungsgemäßer Hauptversammlungsleiter war. Das Gericht leitete daraus ab, dass der Hauptversammlungsleiter nicht mehr berechtigt war, die nach § 130 Abs. 2 AktG erforderlichen Feststellungen zu treffen.100 Dementsprechend ging auch das LG Frankfurt a. M. davon aus, dass alle nachfolgenden Beschlüsse nicht ordnungsgemäß beurkundet waren, was gemäß § 241 Nr. 2 i. V. m. § 130 Abs. 2 AktG zur Nichtigkeit führen soll. Die in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse seien jeweils durch eine Person festgestellt worden, von der nicht feststehe, ob sie zum Zeitpunkt der Feststellung zulässigerweise Hauptversammlungsleiter war. Diese Unklarheit gehe zu Lasten der Gesellschaft, da sie durch die pflichtwidrige Handlung einer Person – des Hauptversammlungsleiters – herbeigeführt worden sei, welcher Mitglied auch eines ihrer anderen Organe – nämlich des Aufsichtsrates – ist.101 Die Frage, ob ein wichtiger Grund tatsächlich vorlag, ließen die Landgerichte jeweils dahingestellt. Allein das Unterlassen der Abstimmung führe zur Nichtigkeit der folgenden Sachbeschlüsse. Diese Auffassung kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen. Zum einen ist der wichtige Grund auf grobe Pflichtwidrigkeiten bei der Leitung der Hauptversammlung zu beschränken. In Betracht kommen beispielsweise die Nichtzulassung zweifelsfrei legitimierter Aktionäre, die grundlose Nichtzulassung erstmals gestellter Fragen, die Nichtberücksichtigung von Stimmen ohne Anhaltspunkt für ein
97
Von Falkenhausen/Kocher, BB 2005, 1068, 1069. LG Frankfurt, Urteil vom 11. Januar 2005 – 3 – 5 O 100/04, ZIP 2005, 1176. 99 LG Köln, Urteil vom 6. Juli 2005 – 82 O 150/04, BeckRS 2005, 08759. 100 LG Köln, Urteil vom 6. Juli 2005 – 82 O 150/04, BeckRS 2005, 08759. 101 LG Frankfurt, Urteil vom 11. Januar 2005 – 3 – 5 O 100/04, ZIP 2005, 1176. 98
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Stimmverbot oder eine offensichtlich falsche Ergebnisfeststellung.102 Umstände, die nichts mit der Funktion der Versammlungsleitung zu tun haben, sind – entgegen der Auffassung des LG Frankfurt a. M. – von vornherein nicht geeignet, eine Abberufung zu begründen.103 Zum anderen kann der Verstoß gegen die Abstimmungspflicht nicht ohne Weiteres zur Nichtigkeit der durch den Hauptversammlungsleiter festgestellten Beschlüsse führen. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der Hauptversammlungsleiter sein Amt auch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes erst mit Verkündung des Abwahlbeschlusses verliert. Es kann daher selbst bei fehlerhaft unterlassener Abstimmung nicht behauptet werden, dass die Beschlüsse mangels ordnungsgemäßer Feststellung nichtig bzw. – nach vorliegendem Verständnis (siehe oben Teil 1 B. I.) – nicht existent sind.104 Darüber hinaus wies das OLG Bremen in einem ähnlich gelagerten Fall aus dem Jahr 2010 zutreffend darauf hin, dass der Aufsichtsratsvorsitzende jedenfalls satzungsgemäß Hauptversammlungsleiter war. Ob er es bleiben durfte, hätte die Hauptversammlung entscheiden müssen, wobei sich nicht feststellen lasse, wie sie tatsächlich im Falle einer Abstimmung entschieden hätte. Diese Unklarheit führe aber nicht zu der Vermutung, dem Aufsichtsratsvorsitzenden habe die Kompetenz gefehlt, als Hauptversammlungsleiter nach § 130 Abs. 2 AktG die Feststellungen über die Beschlussfassungen zu treffen.105 Die Nichtdurchführung einer gebotenen Abstimmung über einen Abberufungsantrag kann allein als Verfahrensfehler angesehen werden, der zur Anfechtbarkeit der nachfolgenden Beschlüsse führt.106 Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass ein wichtiger Grund tatsächlich vorlag. Auch bei einer Kündigung aus wichtigem Grund im Arbeits- oder Mietrecht ist die Kündigung nur dann wirksam, wenn ein wichtiger Grund tatsächlich vorlag.107 Dies muss auch für das Vorliegen eines wichtigen Grundes bei der Abberufung des statutarisch bestimmten Hauptversammlungsleiters gelten. Es liegt schon kein Verstoß gegen die Abstimmungspflicht vor, wenn ein wichtiger Grund für die Abberufung nicht vorlag. Denn es gab in diesem Fall keinen Anlass, die Abstimmung durchzuführen. Allein der Wille der Hauptversammlung zur Abstimmung kann insoweit nicht entscheidend sein. Denn das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist – anders als bei anderen Beschlüssen – keine Zweckmäßigkeits-, sondern eine Rechtsfrage, die endgültig weder vom Hauptversammlungsleiter noch der Hauptversammlung, sondern allein von einem Gericht im Rahmen der Anfechtungsklage entschieden 102 Siehe: Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 113; Butzke, ZIP 2005, 1164, 1165; Rose, NZG 2007, 241, 243. 103 Krieger, AG 2006, 355, 359; einschränkend: Rose, NZG 2007, 241, 243 f. (Abberufung kommt in Betracht, wenn die außerhalb der Hauptversammlung liegenden Umstände dazu führen, dass die sachgerechte Durchführung der Hauptversammlung durch den Hauptversammlungsleiter nicht mehr möglich ist). 104 So auch: Rose, NZG 2007, 241, 244. 105 OLG Bremen, BeckRS 2010, 00281. 106 Rose, NZG 2007, 241, 244. 107 Butzke, ZIP 2005, 1164, 1167.
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werden kann.108 Ist dies der Fall, so kann der Hauptversammlungsleiter abberufen werden. Wird der Abwahlantrag in diesem Fall nicht zur Abstimmung gestellt, sind die nachfolgend gefassten Beschlüsse anfechtbar. Liegt ein wichtiger Grund hingegen nicht vor, so darf der Hauptversammlungsleiter nicht abberufen werden. Eine zu Unrecht erfolgte Abberufung führt damit grundsätzlich ebenfalls zur Anfechtbarkeit der nachfolgend gefassten Beschlüsse. Im Schrifttum wird zum Teil vertreten, dass die Anfechtung in diesem Fall an der erforderlichen Beschlussrelevanz scheitert. Richtigerweise sind diese Fälle aber nicht durch eine pauschale Verneinung der Relevanz zu lösen, sondern vielmehr durch die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Abberufung (dazu unten Teil 5 B. IV.). 2. Abberufung bei Wahl durch die Hauptversammlung Darüber hinaus besteht weitgehend Einigkeit, dass der ad hoc durch die Hauptversammlung gewählte Hauptversammlungsleiter von dieser jederzeit wieder abberufen werden kann.109 Ebenso wie für die Bestellung genügt auch für die Abberufung die einfache Stimmenmehrheit.110 Die Abstimmung zum Abwahlantrag wird von dem abzuberufenden Hauptversammlungsleiter oder – sofern dieser dazu nicht bereit ist – vom Vorstandsvorsitzenden geleitet.111 Eines wichtigen Grundes für die Abberufung des ad hoc gewählten Hauptversammlungsleiters bedarf es nicht. Im Schrifttum wird dem zum Teil das praktische Bedürfnis entgegengehalten, den Hauptversammlungsleiter mit einem möglichst robusten Amt auszustatten und damit eine stabile Versammlungsleitung sicherzustellen. Sachfremde, fortgesetzte Abberufungsanträge müssten vermieden werden.112 Andere Stimmen halten den Abwahlantrag mit ähnlicher Begründung nur dann für zulässig, wenn gleichzeitig ein Wahlvorschlag für einen künftigen Hauptversammlungsleiter unterbreitet wird. Nur auf diese Weise lasse sich der ordnungsgemäße Fortgang der Hauptversammlung sicherstellen.113 Beide Auffassungen können sich jedoch allein auf Praktikabilitätserwägungen stützen.114 Ein rechtlicher Ansatzpunkt, weshalb die Hauptversammlung einen von ihr frei gewählten Hauptversammlungsleiter nicht auch im Laufe der Hauptversammlung wieder abberufen können sollte, ist nicht ersichtlich.115 Im Hinblick auf die Organstellung des Hauptversammlungsleiters ist zudem zu berücksichtigen, dass 108
Von Falkenhausen/Kocher, BB 2005, 1068, 1070. Heidel, in: Heidel, AktG, Vor §§ 129 – 132, Rn. 7; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 118; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 119. 110 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 119. 111 Hoffmann-Becking, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 37, Rn. 38. 112 Zöllner, in: KK-AktG, § 119, Rn. 47; Kuhnt, in: FS Lieberknecht, 1997, 45, 58 f. 113 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 119. 114 Vgl. Ek, Praxisleitfaden für die Hauptversammlung, § 10, Rn. 243. 115 Heidel, in: Heidel, AktG, Vor §§ 129 – 132, Rn. 7 (mit Fn. 25). 109
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gekorene Organwalter im Grundsatz jederzeit wieder abberufen werden können. Der Vorschrift des § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG kann entnommen werden, dass ein qualifiziertes Erfordernis für die Abberufung eines frei gewählten Organwalters einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung bedarf.116 Eine allgemeine Grenze für die Zulässigkeit des Abwahlantrags bildet daher lediglich der Einwand des Rechtsmissbrauchs.117 3. Abberufung des gerichtlich bestellten Hauptversammlungsleiters Ist der Hauptversammlungsleiter vom Gericht bestellt worden, kann er nur durch das Gericht wieder abberufen werden. Eine Abberufung durch die Hauptversammlung ist stets ausgeschlossen.118 Denn die gerichtliche Entscheidung nach § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG dient dem Minderheitenschutz und kann daher notwendig nicht zur Disposition der Hauptversammlungsmehrheit stehen.119 Den Aktionären, die sich gegen die gerichtliche Bestellung des Hauptversammlungsleiters wehren wollen, steht mit der Beschwerde nach § 122 Abs. 3 Satz 4 AktG ein ausreichendes Rechtsmittel zur Verfügung.120
II. Niederlegung des Amtes Dem Recht, die Annahme des Amtes abzulehnen, entspricht das ungeschriebene Recht des Hauptversammlungsleiters zur Amtsniederlegung. Die Niederlegung hat durch eine Erklärung gegenüber der Gesellschaft zu erfolgen, die vom Vorstand vertreten wird.121 Bei gerichtlicher Bestellung erfolgt sie gegenüber dem Gericht.122 Die Amtsniederlegung stellt einen Verhinderungsfall dar, sodass die Versammlungsleitung entweder dem satzungsmäßig bestimmten Stellvertreter zufällt oder – in Ermangelung einer solchen Regelung – die Hauptversammlung einen neuen Hauptversammlungsleiter zu wählen hat.123 Die Stellvertretungsregelung des § 107 Abs. 1 Satz 3 AktG ist auf das Amt des Hauptversammlungsleiters zwar nicht unmittelbar anwendbar. Eine Satzungsregelung, die den Vorsitzenden des Aufsichtsrats zum Hauptversammlungsleiter bestimmt, kann in der Regel aber dahingehend 116
Zum Sinn und Zweck dieser Regelung siehe: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 84, Rn. 34. Butzke, ZIP 2005, 1164, 1165. 118 Hoffmann-Becking, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 37, Rn. 39. 119 Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, Kapitel D., Rn. 13. 120 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 118. 121 A. A.: Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 120 (Erklärung gegenüber der Hauptversammlung). 122 Zur ähnlich gelagerten Situation des Liquidators siehe: Bachmann, in: Spindler/Stilz, in: AktG, § 265, Rn. 18. 123 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 120. 117
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Teil 3: Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger
ausgelegt werden, dass bei einer Verhinderung des Aufsichtsratsvorsitzenden dessen Stellvertreter zur Hauptversammlungsleitung berufen ist.124 Um die Funktionsfähigkeit des Organs Hauptversammlung zu sichern, ist das Vorliegen des Verhinderungsfalles – anders als bei § 107 Abs. 1 Satz 3 AktG – allerdings schon dann anzunehmen, wenn sich der Aufsichtsratsvorsitzende weigert, die Hauptversammlungsleitung zu übernehmen.125 Die Amtsniederlegung kann jederzeit erfolgen. Ihre Wirksamkeit hängt insbesondere nicht vom Vorliegen eines wichtigen Grundes ab. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage der Rechtmäßigkeit. So darf die Amtsniederlegung – wie bei allen Organwaltern – nicht rechtsmissbräuchlich erfolgen. Beim Hauptversammlungsleiter kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Niederlegung in der konkreten Hauptversammlung immer dann pflichtwidrig ist, wenn sie ohne wichtigen Grund erfolgt.126
D. Das Rechtsverhältnis des Hauptversammlungsleiters zur Gesellschaft Nachdem festgestellt werden konnte, dass der Hauptversammlungsleiter ein eigenständiges Organ der Aktiengesellschaft ist, stellt sich die Frage nach den bestehenden Rechtsbeziehungen zwischen dem einzelnen Organwalter und der Gesellschaft.
I. Das korporationsrechtliche Rechtsverhältnis und sein schuldrechtlicher Inhalt Von den Rechtsbeziehungen zwischen Organwalter und Gesellschaft ist zunächst das Organverhältnis abzugrenzen. Dieses betrifft nicht den Organwalter, sondern das Organ, dem dieser angehört. Es geht dabei um die Rechte und Pflichten des Organs an bzw. zu den Kompetenzen.127 So sind etwa die gesetzlichen Befugnisse des Aufsichtsrats dem Organ, nicht seinen Mitgliedern zugewiesen. Zwischen Organwalter und Gesellschaft wird durch die Bestellung ein korporationsrechtliches Rechtsverhältnis zur Gesellschaft begründet. Ohne eine Aussage über dessen Rechtsnatur zu treffen, kann dieses Verhältnis als Organwalterverhältnis bezeichnet werden. Das Organwalterverhältnis ermächtigt den Organwalter, die dem Organ 124
Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 111. OLG München, Beschluss vom 29. Februar 2008 – 7 U 3037/07, BeckRS 2008, 07260. 126 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 122; zur pflichtwidrigen Amtsniederlegung durch Vorstandsmitglieder siehe: Wiesner, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 20, Rn. 67. 127 Hüttenbrink, DVBl. 1981, 989, 991 (zu öffentlich-rechtlichen Organwaltern). 125
D. Das Rechtsverhältnis des Hauptversammlungsleiters zur Gesellschaft
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zugewiesenen Kompetenzen wahrzunehmen.128 Vom Organwalterverhältnis abzugrenzen ist ein etwaig bestehendes Anstellungsverhältnis zwischen Organwalter und Gesellschaft. Dabei handelt es sich um ein Verhältnis, das die allgemeine Beziehung des Organwalters zur Gesellschaft betrifft, „die mit der Stellung als Organwalter nicht zusammenfällt, ihr vielmehr regelmäßig vorausgeht“.129 Das Anstellungsverhältnis, das unabhängig vom Organwalterverhältnis besteht, kann unterschiedlicher Rechtsnatur sein (Dienstvertrag, Auftrag etc.) oder auch gänzlich fehlen.130 Während die Abgrenzung zwischen Organwalterverhältnis und Anstellungsverhältnis für die Mitglieder des Vorstands in § 84 Abs. 3 Satz 5 AktG bereits gesetzlich angelegt ist, wurde diese Unterscheidung bei den Mitgliedern des Aufsichtsrats zunächst nicht vorgenommen. Mittlerweile ist sogar anerkannt, dass durch Wahl und Annahme kein Anstellungsvertrag mit dem Aufsichtsratsmitglied geschlossen wird. Gleichwohl herrscht Uneinigkeit, ob neben dem korporationsrechtlichen Rechtsverhältnis ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Aufsichtsratsmitglied begründet wird.131 Koch geht – in Übereinstimmung mit der von Hüffer vertretenen Auffassung – vom Vorliegen eines einzelnen Rechtsverhältnisses mit korporations- und schuldrechtlichem Inhalt aus.132 Die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum qualifiziert das Rechtsverhältnis hingegen als rein korporationsrechtlich.133 Auch persönliche Rechte und Pflichten des Aufsichtsratsmitglieds, wie z. B. der Vergütungsanspruch, sollen der korporationsrechtlichen Beziehung zuzuordnen sein.134 Tatsächlich darf die Unterscheidung zwischen Organwalterverhältnis und Anstellungsverhältnis nicht dahingehend verstanden werden, dass dem korporationsrechtlichen Rechtsverhältnis ein schuldrechtlicher Inhalt fehle. Schon begrifflich bedarf es einer solchen Annahme nicht, denn das Rechtsverhältnis bildet gegenüber dem Schuldverhältnis den Oberbegriff. Zwar stehen die Rechte und Pflichten an bzw. zu den Kompetenzen dem Organ, nicht dem Organwalter zu.135 Daraus folgt aber nicht zugleich, dass die Rechtsbeziehung zwischen Organwalter und Gesellschaft (Organwalterverhältnis) nicht auch Elemente enthielte, die die persönliche 128
Hüttenbrink, DVBl. 1981, 989, 991 (zu öffentlich-rechtlichen Organwaltern). Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 231. 130 Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 233; Hüttenbrink, DVBl. 1981, 989, 990 (zu öffentlich-rechtlichen Organwaltern). 131 Dafür: E. Vetter, in: Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29, Rn. 2; Hopt/Roth, in: GroßKomm-AktG, § 101, Rn. 91 f. 132 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 101, Rn. 2. 133 Siehe nur: Hopt/Roth, in: GroßKomm-AktG, § 101, Rn. 92; Habersack, in: MüKoAktG, § 101, Rn. 67; Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, § 101, Rn. 8; Simons, in: Hölters, AktG, § 101, Rn. 7. 134 LG München I, NZG 2013, 182; Habersack, in: MüKo-AktG, § 101 Rn. 67; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 101, Rn. 2. 135 Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 272.; von Einem, NJW 1987, 112, 113. 129
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Teil 3: Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger
Rechtsstellung des Organwalters betreffen.136 Während die gesetzlichen Befugnisse beispielsweise des Aufsichtsrats grundsätzlich dem Organ und nicht seinen einzelnen Mitgliedern zustehen, obliegen die der Ausübung dieser Befugnisse korrespondierenden Organpflichten dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied.137 Auch der Ablauf der Bestellung des Organwalters zeigt, dass diese potentiell Grundlage eines subjektiven Rechts sein kann.138 Denn unabhängig von der rechtsdogmatischen Einordnung des Bestellungsvorgangs steht fest, dass eine Mitwirkung des Organwalters in Form einer Einverständnis- oder Zustimmungserklärung erfolgen muss. Die Mitwirkung ist gerade deshalb unerlässlich, weil dem Organwalter persönliche Pflichten auferlegt werden. Dass das Organwalterverhältnis einen schuldrechtlichen Inhalt aufweist, ergibt sich zudem bereits aus der Existenz der Organhaftungsregeln in den §§ 116, 93 Abs. 2 AktG. Denn die Haftung für eine Pflichtverletzung kommt nur in Betracht, wenn und soweit schuldrechtliche Pflichten bestehen.139 Zu klären ist gleichwohl, inwieweit das Organwalterverhältnis persönliche Rechte und Pflichten des Organwalters begründet. Nach der grundlegenden Darstellung von Wolff ist dabei zu unterscheiden zwischen dem Recht und der Pflicht zum Amt, den Rechten und Pflichten im Amt sowie denen aus dem Amt. 1. Das Recht und die Pflicht zum Amt Die erste Kategorie betrifft das Recht und die Pflicht zur Wahrnehmung des Amtes. Wolff beschreibt dies wie folgt: „Kraft dieses Rechtes und dieser Pflicht hat der Organwalter erst die Macht des Amtes und die Berechtigungen und Verpflichtungen durch das Amt. Kraft ihrer ist er mit dem Amt verknüpft und kraft ihrer kann das Organ (Amt) allererst funktionieren, weil sie ihm erst das willens- und handlungsfähige Subjekt verschaffen, auf das seine Kompetenzen apersonal abgestellt sind.“140 Das Recht und die Pflicht zum Amt darf nicht verwechselt werden mit dem Recht und der Pflicht auf das Amt. Letzteres kann sich erst aus einem unterliegenden Rechtsverhältnis (dem Anstellungsverhältnis) oder aus einer besonderen Norm ergeben.141 So ergibt sich das Recht auf Übernahme des Vorstandsmandats bei den Mitgliedern des Vorstands aus dem Anstellungsvertrag. Das Recht und die Pflicht zum Amt hingegen betrifft das Organwalterverhältnis und wird durch den Akt der 136
Vgl. Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 346. Mülbert, Die Stellung der Aufsichtsratsmitglieder, in: Feddersen/Hommelhoff/ Schneider, Corporate Governance, S. 99, 102 (mit Fn. 13). 138 Für das öffentliche Recht: von Einem, NJW 1987, 112, 117. 139 So wörtlich: von Einem, NJW 1987, 112, 116. 140 Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 265. 141 Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 265. 137
D. Das Rechtsverhältnis des Hauptversammlungsleiters zur Gesellschaft
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Bestellung begründet. Es ist ein subjektives Recht des Organwalters gegenüber der Gesellschaft und gegenüber außenstehenden Dritten, ihn als solchen zu dulden. Die juristische Person ist zudem verpflichtet, das kompetenzgemäße Verhalten des Organwalters für und gegen sich gelten zu lassen.142 Der Organwalter wiederum hat die „Fremdwirkung“ seines amtlichen Handelns zu dulden und ist der juristischen Person gegenüber verpflichtet, von den ihm zustehenden Kompetenzen Gebrauch zu machen.143 2. Die Rechte und Pflichten im Amt Im Hinblick auf die Rechte und Pflichten im Amt kommt der Unterscheidung zwischen dem Organverhältnis und dem Organwalterverhältnis besondere Bedeutung zu. Denn die Kompetenzen stehen nicht dem Organwalter, sondern dem Organ selbst zu. Durch die Bestellung wird der Organwalter nicht Träger dieser Rechte und Pflichten, sondern sie werden ihm zur Ausübung bzw. Erfüllung übertragen.144 Das subjektive Recht des Organwalters im Amt geht damit auf die „Waltung“ der Kompetenz.145 Er hat darauf hinzuwirken, dass das Organ seine gesetzlich zugewiesene Aufgabe sachgerecht erfüllt und die Befugnisse wahrnimmt, die ihm zur Erfüllung seiner Aufgaben zugewiesen sind. Daraus ergibt sich eine persönliche Verpflichtung, für die ordnungsgemäße Funktion des Organs zu sorgen.146 Diese Verpflichtung besteht auch im Falle eines Einzelorgans, d. h. dann, wenn das Organ mit nur einem Organwalter besetzt ist. 3. Die Rechte und Pflichten aus dem Amt Bei den Rechten und Pflichten aus dem Amt geht es schließlich um solche, die sich auf die Ausübung der Kompetenzen beziehen.147 Im Innenverhältnis ist damit das „rechtliche Dürfen“ gemeint. Dieses wird vielfach von der Einhaltung organisatorischer Verpflichtungen abhängig gemacht, die als Zurechnungsendsubjekt an das Organ gerichtet sind. Die Rechte und Pflichten des Organwalters aus dem Amt gehen damit im Innenverhältnis auf die Wahrnehmung der organisatorischen Berechtigungen und Verpflichtungen des Organs. Im Außenverhältnis betreffen die Rechte und Pflichten aus dem Amt das „rechtliche Können“, das sich nach Maßgabe der allgemeinen Rechtsordnung bemisst. Zurechnungsendsubjekt im Außenverhältnis ist weder der Organwalter noch das Organ, sondern vielmehr die juristische 142
Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 267. Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 270 f. 144 Vgl. RGZ 144, 348, 356; 161, 129, 133. 145 Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 272. 146 Mülbert, Die Stellung der Aufsichtsratsmitglieder, in: Feddersen/Hommelhoff/ Schneider, Corporate Governance, S. 99, 102 f. 147 Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 277. 143
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Teil 3: Der Hauptversammlungsleiter als Amtsträger
Person selbst. Damit sind die Rechte und Pflichten des Organwalters aus dem Amt im Außenverhältnis auf die Wahrnehmung der Berechtigungen und Verpflichtungen gerichtet, welche die allgemeine Rechtsordnung der juristischen Person auferlegt.148 4. Zwischenergebnis Der uneinheitliche Meinungsstand zu den Rechtsbeziehungen zwischen Organwaltern und Gesellschaft beruht insbesondere bei den Mitgliedern des Aufsichtsrats auf der vermeintlichen Notwendigkeit, die persönlichen Rechte und Pflichten des Organwalters einem Schuldverhältnis zuzuordnen, das von der korporationsrechtlichen Beziehung des Organmitglieds zu unterscheiden ist. Fest steht, dass zwischen dem Organverhältnis und dem Organwalterverhältnis zu unterscheiden ist. Die Rechte und Pflichten im Amt und aus dem Amt stehen nicht dem individuellen Organwalter, sondern dem Organ selbst zu. Umgekehrt ist zwischen dem Organwalterverhältnis und dem Anstellungsverhältnis zu unterscheiden. Das Anstellungsverhältnis betrifft allein die allgemeine Beziehung des Organwalters zur Gesellschaft, vermittelt diesem also weder die Organstellung, noch setzt die Bestellung zum Organwalter den Abschluss eines Anstellungsvertrages voraus. Daraus, dass die Kompetenzen aus dem Organverhältnis dem Organ zustehen und subjektive Rechte des Organwalters gegenüber der Gesellschaft vertraglich vereinbart werden können, kann aber nicht gefolgert werden, dass das Organwalterverhältnis zwischen Organwalter und Gesellschaft nicht auch schuldrechtliche Elemente enthielte.149 Das Recht und die Pflicht zum Amt stehen dem Organwalter vielmehr unmittelbar selbst zu. Darüber hinaus hat der Organwalter die Berechtigungen und Verpflichtungen wahrzunehmen, welche die Organisation oder die allgemeine Rechtsordnung an seine Kompetenzausübung knüpfen. Auch insoweit handelt es sich um persönliche Rechte bzw. Pflichten. Das korporationsrechtliche Rechtsverhältnis hat damit stets schuldrechtlichen Inhalt.
II. Die Rechtsbeziehungen des Hauptversammlungsleiters zur Gesellschaft Durch die Bestellung wird der Hauptversammlungsleiter mit dem Amt verknüpft und damit ein korporationsrechtliches Rechtsverhältnis zur Gesellschaft begründet. Durch dieses Rechtsverhältnis wird der Hauptversammlungsleiter auf unterschiedliche Weise persönlich berechtigt und verpflichtet. Zum einen stehen ihm das Recht und die Pflicht zum Amt zu. Demnach hat die Gesellschaft sein kompetenzgemäßes Verhalten zu dulden und gegen sich gelten zu lassen, und umgekehrt einen Anspruch 148 149
Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 278 f. Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 346.
D. Das Rechtsverhältnis des Hauptversammlungsleiters zur Gesellschaft
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auf die Erfüllung der organwalterlichen Pflichten.150 Aus diesem Grund sind die Aktionäre kraft ihrer Mitgliedschaftsstellung dazu verpflichtet, rechtmäßige Ordnungsmaßnahmen des Hauptversammlungsleiters hinzunehmen. Die Rechte und Pflichten im Amt stehen dem Hauptversammlungsleiter nicht persönlich zu. Sein subjektives Recht geht vielmehr auf die Wahrnehmung der Kompetenzen, die dem Hauptversammlungsleiter als Organ apersonal zugewiesen sind. Der Hauptversammlungsleiter ist daher kraft seiner Organstellung dazu berechtigt, versammlungsleitende Maßnahmen wahrzunehmen. Er hat insoweit jedoch die Berechtigungen und Verpflichtungen zu beachten, welche die Organisation oder die allgemeine Rechtsordnung an seine Kompetenzausübung knüpfen. Auch insoweit handelt es sich um subjektive Rechte, die unmittelbar mit der Bestellung begründet werden. Der Hauptversammlungsleiter kann daher nur insoweit in Mitgliedschaftsrechte eingreifen, als dies im Gesellschaftsinteresse liegt. Darüber hinaus hat er bei Maßnahmen gegenüber Dritten das allgemeine Zivilrecht zu beachten. Der Abschluss eines Anstellungsvertrages ist möglich, für die Begründung der Organstellung aber keineswegs notwendig. Sofern – etwa beim Einsatz eines professionellen Beraters – ausnahmsweise ein Anstellungsvertrag mit dem Hauptversammlungsleiter geschlossen wird, ist das Anstellungsverhältnis (wie bei anderen Organwaltern auch) als nachrangig zum Organwalterverhältnis anzusehen. Dies bedeutet, dass keine von zwingenden gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vorgaben abweichenden Vereinbarungen getroffen werden können. Im Falle des Hauptversammlungsleiters besteht aufgrund der fragmentarischen gesetzlichen Regelungen freilich ein großer Spielraum.
150
Wolff, Organschaft und juristische Person, Bd. 2, S. 271 f.
Teil 4
Das Amt des Hauptversammlungsleiters Vom Amtsträger abzugrenzen ist das Amt „Hauptversammlungsleiter“. Wie bereits dargelegt, stehen die Kompetenzen, die sich aus dem Gesetz oder – im Rahmen des gesetzlich Zulässigen – aus der Satzung ergeben, nicht dem Organwalter selbst, sondern dem Organ, dem er angehört, zu. Um die Kompetenzen, die dem Organ Hauptversammlungsleiter zustehen, näher zu umschreiben, ist zunächst eine Kompetenzabgrenzung zum Organ Hauptversammlung notwendig. Sodann soll der Frage nachgegangen werden, was die Rechtsgrundlage für die Anordnung versammlungsleitender Maßnahmen gegenüber den Aktionären, den Verwaltungsmitgliedern oder sonstigen Dritten ist.
A. Kompetenzabgrenzung zwischen Hauptversammlung und Versammlungsleiter I. Dogmatische Grundlage der Kompetenzabgrenzung Im Schrifttum wird ganz überwiegend eine Kompetenzabgrenzung zwischen Hauptversammlung und Versammlungsleiter vorgenommen. Dies verwundert, soweit der Hauptversammlungsleiter als bloßer Funktionsgehilfe der Hauptversammlung eingeordnet wird. Denn erst die Anerkennung der Organqualität des Hauptversammlungsleiters schafft die dogmatische Grundlage für eine Kompetenzabgrenzung: Bei dem Hauptversammlungsleiter als Gesellschaftsorgan handelt es sich um einen eigenständigen Entscheidungsträger, dessen Kompetenzbereich innerhalb der Verbandsverfassung vom Kompetenzbereich anderer Organe abgegrenzt werden kann.1 Die Diskussion um die Abgrenzung der Kompetenzen des Hauptversammlungsleiters von denen der Hauptversammlung liegt somit auf einer Linie mit der Einordnung des Hauptversammlungsleiters als Gesellschaftsorgan. Festgestellt werden kann zunächst, dass die Hauptversammlung die Kompetenz zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten besitzt. Dazu gehört im Grundsatz auch die Befugnis zur Regelung des Verfahrens.2 Das Aktiengesetz ermächtigt die Hauptversammlung an verschiedenen Stellen ausdrücklich, Verfahrensregelungen in 1 Ganz ähnlich: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 124; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 146. 2 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 127.
A. Kompetenzabgrenzung zwischen Hauptversammlung und Versammlungsleiter 115
der Satzung oder einer Geschäftsordnung nach § 129 Abs. 1 AktG vorzusehen (so insbesondere die §§ 118 Abs. 4, 123 Abs. 2, 131 Abs. 2 Satz 2 AktG). Unabhängig von einer solchen Ermächtigung ist es der Hauptversammlung zudem gemäß § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG möglich, Regelungen in der Satzung oder einer Geschäftsordnung vorzusehen, welche das in den §§ 129 ff. AktG vorgesehene Verfahren ergänzen. Darüber hinaus wird der Hauptversammlung in Teilen des Schrifttums eine ungeschriebene Kompetenz zur Ad-hoc-Entscheidung über verfahrensleitende Maßnahmen zuerkannt.3 Insoweit sind die Entscheidungsbefugnisse der Hauptversammlung jedoch durch den Kompetenzbereich des Hauptversammlungsleiters begrenzt. Bei der Kompetenzabgrenzung dient die Einordnung des Hauptversammlungsleiters als Gesellschaftsorgan nicht nur als notwendige dogmatische Grundlage, sondern sie ermöglicht zugleich eine Orientierung an der funktionellen Komponente der Gewaltenteilung: Der Hauptversammlungsleiter hat für die sachgemäße Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung sowie ihren geordneten Ablauf zu sorgen. Die Funktionenteilung dient dem Schutz der Minderheit und soll zudem sicherstellen, dass die Hauptversammlung die ihr selbst zugewiesenen Kompetenzen ordnungsgemäß wahrnehmen kann.
II. Kompetenz der Hauptversammlung zu verfahrensleitenden Entscheidungen Schon aus der Funktion als „Leiter“ lässt sich ableiten, dass dem Hauptversammlungsleiter rein organisatorische Kompetenzen zugewiesen sind.4 Bei der Kompetenzabgrenzung zwischen Hauptversammlungsleiter und Hauptversammlung ist daher im Grundsatz zwischen der organisatorischen und der inhaltlichen Einflussnahme auf die Verhandlung zu unterscheiden. Eine strikte Abgrenzung ist dabei jedoch nicht immer möglich. Denn verfahrensleitende Entscheidungen können zugleich (mittelbaren) Einfluss auf die Entscheidung in der Sache selbst nehmen. Im Zweifel muss eine Kompetenzabgrenzung daher anhand des Schwerpunkts der Maßnahme vorgenommen werden. Der Absetzung und Vertagung von Tagesordnungspunkten kommt etwa vornehmlich inhaltliche Bedeutung zu, namentlich dahingehend, dass eine Verhandlung und Beschlussfassung zu den betreffenden Tagesordnungspunkten nicht stattfindet. Aus diesem Grund fällt die Entscheidung über die Absetzung oder Vertagung von Tagesordnungspunkten nach einhelliger Auf-
3
Soweit eine Kompetenz der Hauptversammlung zur Ad-hoc-Entscheidung über verfahrensleitende Maßnahmen besteht, können diese auch – ohne Verstoß gegen § 23 Abs. 5 AktG – in der Satzung oder Geschäftsordnung näher ausgestaltet werden, siehe: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147, Rn. 183. 4 Vgl. Reinicke, Rechtsstellung, Rechte und Pflichten des Vorsitzenden der Hauptversammlung, S. 21 f. (dem Begriff „Leiter“ ist eine Funktionsbestimmung zu entnehmen).
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Teil 4: Das Amt des Hauptversammlungsleiters
fassung in die Kompetenz der Hauptversammlung.5 Zum Schutz der Minderheit darf eine Modifizierung der Tagesordnung gleichwohl nicht willkürlich erfolgen. Denn anderenfalls könnte die Mehrheit das Verlangen der Minderheit auf Behandlung bestimmter Tagesordnungspunkte (§ 122 Abs. 1 und 2 AktG) stets auf einfache Weise abwehren. Der Hauptversammlungsleiter muss einen Antrag auf Absetzung oder Vertagung daher nur dann zur Abstimmung stellen, wenn die Antragsbegründung einen objektiv nachvollziehbaren Sachgrund nennt.6 Auch bei anderen verfahrensleitenden Entscheidungen wird der Hauptversammlung mitunter zwar keine ausschließliche, wohl aber eine „Kompetenz zur Letztentscheidung“ eingeräumt. Danach soll der Hauptversammlungsleiter zwar zuerst entscheiden, er muss auf Antrag eines oder mehrerer Aktionäre jedoch die Hauptversammlung über die von ihm angeordnete Maßnahme abstimmen lassen. Eine so verstandene Kompetenz der Hauptversammlung wird ganz überwiegend für die vorzeitige Schließung der Hauptversammlung7 sowie zum Teil auch für die Entscheidung über eine Unterbrechung der Hauptversammlung8 bejaht. In Ermangelung einer satzungsmäßigen Regelung soll die Hauptversammlung darüber hinaus zur Letztentscheidung über die Art und Weise des Abstimmungsvorgangs,9 die Reihenfolge der zu behandelnden Tagesordnungspunkte10 sowie die Wiederaufnahme der Verhandlung über bereits abgeschlossene Tagesordnungspunkte11 berechtigt sein. Im Hinblick auf die Organqualität des Hauptversammlungsleiters greift jedoch die organisatorische Gewaltenteilung des Aktienrechts ein. Danach stehen sich die Organe als eigenständige Rechtssubjekte gegenüber und ihre Aufgabenbereiche sind streng voneinander abgegrenzt. In Ermangelung einer abweichenden gesetzlichen Regelung ist jedes Organ auf den eigenen Kompetenzbereich beschränkt und darf nicht in fremde Kompetenzbereiche eingreifen (siehe oben Teil 2 C. V. 2.).12 Vor diesem Hintergrund kann die Hauptversammlung keine „konkurrierende“ Kompe5 Siehe nur: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 175; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 141; Koch, in: Hüffer/Koch, § 129, Rn. 23; Wicke, in: Spindler/Stilz, Anh. § 119, Rn. 8; Zöllner, in: KK-AktG, § 119, Rn. 65. 6 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 175; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 129, Rn. 23; Zöllner, in: KK, § 119, Rn. 66; Kuhnt in: FS Lieberknecht, 1997, S 45, 53 (für die Absetzung); a. A.: Hoffmann-Becking, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 37, Rn. 46. 7 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 180; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 160; Wicke, in: Spindler/Stilz, Anh. § 119, Rn. 8; Zöllner, in: KK-AktG, § 119, Rn. 69. 8 Zöllner, in: KK-AktG, § 119, Rn. 68. 9 Zöllner, in: KK-AktG, § 119, Rn. 59; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 134, Rn. 34; Martens, WM 1981, 1010, 1014; Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516, 534 f.; Max, AG 1991, 77, 87. 10 Zöllner, in: KK-AktG, § 119, Rn. 54; Max, AG 1991, 77, 86; Martens, WM 1981, 1010, 1014. 11 Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516, 537 (mit gewissen Einschränkungen). 12 Bork, ZGR 1989, 1, 18 f. (es besteht ein allgemeines innerorganisatorisches Störungsverbot); vgl. auch: Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 376.
A. Kompetenzabgrenzung zwischen Hauptversammlung und Versammlungsleiter 117
tenz zur Entscheidung über versammlungsleitende Maßnahmen besitzen. Möglich ist allenfalls, dass die betreffende Maßnahme zwar in den originären Kompetenzbereich der Hauptversammlung fällt, der Hauptversammlungsleiter jedoch eine Art Initiativrecht besitzt. Das bedeutet, dass die Aktionäre an die verfahrensleitende Verfügung des Hauptversammlungsleiters nicht gebunden sind, sondern die Wahl haben, ob sie seine Entscheidung dulden oder die Hauptversammlung ihre Kompetenz vielmehr selbst wahrnehmen soll. Die Hauptversammlung muss die Entscheidung des Hauptversammlungsleiters nicht widerrufen, sondern sie kann die konträre Maßnahme unmittelbar beschließen. Im Hinblick auf die Funktion des Hauptversammlungsleiters kann eine solche Konstruktion jedoch allenfalls in Ausnahmefällen anerkannt werden.13 Ein solcher lässt sich etwa für die Schließung der Hauptversammlung begründen, sofern diese aus anderen Gründen als Zeitablauf angeordnet wird. Denn in diesem Fall ist die Schließung unmittelbar mit einer inhaltlichen Entscheidung verbunden. Schließt der Hauptversammlungsleiter die Hauptversammlung somit aus anderen Gründen als Zeitablauf vorzeitig, kann das Plenum auf Antrag eines oder mehrerer Aktionäre die Fortsetzung beschließen. Dies gilt unabhängig davon, ob die vorzeitige Schließung durch den Hauptversammlungsleiter (offenbar) willkürlich erfolgte oder nicht.14 Denn die Hauptversammlung hat nicht lediglich ein etwaiges „Letztentscheidungsrecht“, sondern die Maßnahme fällt in ihren originären Kompetenzbereich. Hingegen besitzt der Hauptversammlungsleiter für das Wiederaufgreifen eines bereits abgeschlossenen Tagesordnungspunktes, die Unterbrechung der Hauptversammlung, die Festlegung der Art und Weise des Abstimmungsvorgangs sowie die Reihenfolge der zu behandelnden Tagesordnungspunkte die alleinige Entscheidungskompetenz. Denn insoweit stehen organisatorische Gesichtspunkte im Vordergrund. Einen Antrag, wonach die Hauptversammlung über die Maßnahme zu entscheiden hat, kann der Hauptversammlungsleiter daher ohne Weiteres zurückweisen. Er ist weder verpflichtet, eine Diskussion über die Anordnung der Maßnahme zu eröffnen, geschweige denn, eine Mehrheitsentscheidung der Hauptversammlung darüber einzuholen.15 Selbstverständlich steht es dem Hauptversammlungsleiter gleichwohl frei, im Wege einer Meinungsumfrage unverbindlich zu ermitteln, wie ein betreffender Antrag nach der Mehrheitsmeinung des Plenums zu behandeln ist.16 An das Ergebnis einer solchen Umfrage ist der Hauptversammlungsleiter aber nicht gebunden und trägt deshalb weiterhin die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit des weiteren Verfahrens.17 Auch dann, wenn er die Hauptver13 Zu berücksichtigen ist dabei auch der organisatorische und zeitliche Aufwand, der – insbesondere bei großen Hauptversammlungen – mit jeder Abstimmung verbunden ist, siehe: Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516, 529. 14 Siehe dazu: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 180. 15 Martens, WM 1981, 1010, 1012. 16 BGH, NJW 1966, 43, 44; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 124; Wicke, in: Spindler/ Stilz, AktG, Anh. § 119, Rn. 5; Martens, WM 1981, 1010, 1012. 17 Martens, WM 1981, 1010, 1012.
118
Teil 4: Das Amt des Hauptversammlungsleiters
sammlung zu einer verfahrensleitenden Frage abstimmen lässt, trifft er die verbindliche Entscheidung über die Maßnahme somit selbst. Ob der Hauptversammlungsleiter im Einzelfall berechtigt ist, der Hauptversammlung die verbindliche Entscheidung über eine verfahrensleitende Maßnahme zu überlassen, hat der BGH bislang ausdrücklich offengelassen.18 Im Schrifttum wird sowohl die Möglichkeit zur Delegation sämtlicher Entscheidungen an die Hauptversammlung bejaht19 als auch die vollständige Ablehnung einer Delegationsbefugnis des Hauptversammlungsleiters vertreten20. Im Falle einer Delegation wäre der Hauptversammlungsleiter an den Mehrheitsbeschluss des Plenums gebunden.21 Als Organwalter hat der Hauptversammlungsleiter seine Entscheidungen jedoch höchstpersönlich zu treffen. Eine Delegation versammlungsleitender Befugnisse kommt, soweit über ihre Anordnung zu entscheiden ist, daher grundsätzlich nicht in Betracht. In Einzelfällen mögen praktische Erwägungen zwar eine Entscheidungsdelegation an Hilfspersonen rechtfertigen. Das Delegationsverbot im Verhältnis zur Hauptversammlung ist davon aber nicht betroffen und muss im Übrigen schon deshalb umfassend sein, weil insoweit auch die organisatorische Gewaltentrennung zu beachten ist (siehe dazu noch unten Teil 4 C.).
III. Kompetenzregelungen in der Satzung oder einer Geschäftsordnung Die Kompetenzen des Hauptversammlungsleiters können durch eine Regelung in der Satzung oder einer Geschäftsordnung weder beschränkt noch erweitert werden. Zwar sind die Aufgaben und Befugnisse des Hauptversammlungsleiters nur an wenigen Stellen ausdrücklich im Gesetz geregelt. Ungeschriebene Kompetenzen sind jedoch ebenfalls ein Teil der gesetzlichen Kompetenzordnung im Sinne von § 23 Abs. 5 AktG. Die Leitungs- und Ordnungsbefugnisse des Hauptversammlungsleiters sind daher satzungs-22 und (damit) auch geschäftsordnungsfest23. Dies betrifft sowohl die inhaltliche Reichweite seiner Befugnisse als auch die Kompetenzabgrenzung zwischen 18
BGH, NJW 1966, 43, 44. Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 124; Martens, WM 1981, 1010, 1012 f.; so auch noch: Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 3. Aufl., § 9, Rn. 72 (Delegation aus Gründen der Verfahrensökonomie aber zumeist unzweckmäßig). 20 Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, Anh. § 119, Rn. 5; Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 129, Rn. 65; Hoffmann-Beckung, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 37, Rn. 44. 21 Martens, WM 1981, 1010, 1012. 22 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 275; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 125; Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, Anh. § 119, Rn. 5; Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516, 521 f. 23 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 275; Kubis, in: MüKo-AktG, § 129, Rn. 6; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 129, Rn. 1c; Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, § 129, Rn. 7. 19
B. Die rechtlichen Grundlagen für Maßnahmen der Versammlungsleitung
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Hauptversammlungsleiter und Hauptversammlung.24 Der Regelungsspielraum des Satzungsgebers ist im Hinblick auf das Verfahren der Hauptversammlung daher im Grundsatz auf Bestimmungen zur Person des Hauptversammlungsleiters sowie die nähere Ausgestaltung der – nur in Ausnahmefällen anzuerkennenden – versammlungsleitenden Entscheidungsbefugnisse der Hauptversammlung beschränkt. Darüber hinaus sind Satzungs- oder Geschäftsordnungsregelungen selbstverständlich möglich, wenn und soweit das Gesetz diese Möglichkeit ausdrücklich eröffnet (§ 118 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 und 4, § 123 Abs. 2, § 131 Abs. 2 Satz 2 sowie § 134 Abs. 4 AktG).25
B. Die rechtlichen Grundlagen für Maßnahmen der Versammlungsleitung Der Kompetenzbereich des Hauptversammlungsleiters bestimmt sich unter Berücksichtigung seiner Aufgabe, für die sachgemäße Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung und den hierzu erforderlichen geordneten Verfahrensablauf zu sorgen. In diesem Kompetenzbereich kann er sowohl Leitungs- als auch Ordnungsmaßnahmen anordnen. Wenngleich diese Maßnahmen nur bruchstückhaft gesetzlich geregelt sind, herrscht über sie im Grundsatz dennoch Einvernehmen. Nicht geklärt ist allerdings die Frage, was die rechtlichen Grundlagen für Maßnahmen der Versammlungsleitung sind.
I. Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum In der früheren Rechtsprechung wurde die Auffassung vertreten, dass Ordnungsmaßnahmen des Hauptversammlungsleiters gegenüber Aktionären auf das zivilrechtliche Notwehrrecht zu stützen seien. Derjenige, der die Hauptversammlung störe, übe einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff auf die anderen Versammlungsteilnehmer aus. Diesen Angriff dürfe der Hauptversammlungsleiter auf Grundlage des Notwehrrechts gemäß § 227 Abs. 2 BGB durch Ordnungsmaßnahmen abwehren.26 In einer Grundlagenentscheidung aus dem Jahr 1965 gab der BGH diese Konstruktion auf und stellte zur Begründung fest: „Der Hauptversammlungsleiter könnte seiner Aufgabe nicht gerecht werden, wenn er von den Versammlungsteilnehmern nur gegenwärtige rechtswidrige Angriffe abwehren könnte. Der sachgemäße Ablauf einer Hauptversammlung kann auch durch ein anderes Verhalten als durch gegenwärtige rechtswidrige Angriffe auf Versammlungsteilnehmer gestört werden, etwa durch sinnloses Lärmen, übermäßige Zurufe, Ein24
Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 125. Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 125. 26 Vgl. dazu: Reinicke, Rechtsstellung, Rechte und Pflichten des Vorsitzenden der Hauptversammlung, 1982, S. 29. 25
120
Teil 4: Das Amt des Hauptversammlungsleiters
schalten von Musik- oder Sprechapparaten oder durch Obstruktionsreden (Filibustern).“27 Tatsächlich kommt die Einordnung sämtlicher störender Verhaltensweisen als gegenwärtige, rechtswidrige Angriffe schon deshalb nicht in Betracht, weil in diesem Fall nicht nur der Hauptversammlungsleiter, sondern auch alle anderen Anwesenden zur Notwehr berechtigt wären.28 Gleichwohl lehnte der BGH in seiner Entscheidung auch eine im Schrifttum zum Teil befürwortete Ableitung der Befugnisse des Hauptversammlungsleiters aus dem Hausrecht ab. Die Bezeichnung sei „irreführend“, da unter dem Hausrecht im Allgemeinen „die Befugnisse verstanden werden, die der Hauseigentümer oder der über einen Raum Verfügungsberechtigte auf Grund seines Eigentums- oder Gebrauchsrechts vornehmlich gegenüber Außenstehenden hat“.29 Tatsächlich ist das Hausrecht als Rechtsgrundlage für die Anordnung versammlungsleitender Maßnahmen jedenfalls gegenüber Aktionären, Verwaltungsmitgliedern oder Dritten, die zur Teilnahme an der Hauptversammlung berechtigt sind, nicht geeignet: Das Hausrecht dient zunächst der Wahrung der äußeren Ordnung in dem Gebäude oder der Örtlichkeit, auf die es sich erstreckt. Darüber hinaus ermöglicht es seinem Inhaber auch, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt zu der Örtlichkeit gestattet und wem er ihn verweigert.30 Zivilrechtlich ist das Hausrecht jedoch nicht mehr oder etwas anderes als seine Grundlagen, welche insbesondere in den §§ 858 ff. und § 1004 BGB zu sehen sind.31 Erforderlich ist damit stets die Beeinträchtigung von Eigentum oder berechtigtem Besitz. Eine Störung des ordnungsgemäßen Ablaufs der Hauptversammlung stellt aber nicht in jedem Fall zugleich eine Beeinträchtigung von Eigentum oder Besitz an dem Versammlungsraum dar.32 Nach Auffassung des BGH sollen die Befugnisse des Hauptversammlungsleiters und deren Grenzen letztlich weder aus dem Notwehrrecht noch aus dem Hausrecht abzuleiten sein, sondern sich vielmehr aus seiner Aufgabe ergeben, für die sachgemäße Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung zu sorgen. Der Hauptversammlungsleiter habe alle Rechte, die er braucht, um einen ordnungsgemäßen Ablauf der Hauptversammlung zu gewährleisten.33 Die Ableitung der Befugnisse des Hauptversammlungsleiters aus seiner Aufgabe wird zum Teil als Ausfluss eines allgemeinen Rechtsgedankens angesehen, wie er bereits in § 89 der Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht Ausdruck gefunden hat. Dort heißt es: „Wem 27
BGH, NJW 1966, 43, 45. Denn Verteidiger i. S. v. § 227 BGB kann nicht nur der Angegriffene selbst, sondern auch jeder beliebige Dritte sein (Nothilfe), siehe: Grothe, in: MüKo-BGB, § 227, Rn. 15; vgl. zu diesem Argument bereits: Reinicke, Rechtsstellung, Rechte und Pflichten des Vorsitzenden der Hauptversammlung, 1982, S. 30. 29 BGH, NJW 1966, 43, 45 mit Nachweisen im Schrifttum. 30 BGH, NJW 2006, 377, 379. 31 Baldus, in: MüKo-BGB, § 1004, Rn. 23. 32 Reinicke, Rechtsstellung, Rechte und Pflichten des Vorsitzenden der Hauptversammlung, 1982, S. 27. 33 BGH, NJW 1966, 43, 44. 28
B. Die rechtlichen Grundlagen für Maßnahmen der Versammlungsleitung
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die Gesetze ein Recht geben, dem geben sie auch die Mittel, ohne welche dasselbe nicht ausgeübt werden kann.“ In ähnlicher Weise weist Reinicke darauf hin, dass es sich bei dem Hauptversammlungsleiter um einen Funktionsträger handelt, dem ein ganz bestimmter Aufgabenbereich zugewiesen ist. Eine Funktionsbestimmung könne sich aber nicht auf eine Aufgabenbeschreibung beschränken, sondern in ihr müssten stets auch die Befugnisse zur Durchsetzung derjenigen Maßnahmen enthalten sein, die zur Erfüllung der Aufgabe notwendig sind.34 Auch Kubis stellt ohne nähere Begründung fest: „Die Hauptversammlung als Zusammenkunft der Aktionäre bedarf einer Leitungs- und Ordnungsgewalt, die mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet ist.“35 Diese Argumentation kann jedoch nicht überzeugen.
II. Die Erforderlichkeit eines Rechtsverhältnisses Nicht in Frage gestellt werden soll zunächst, dass der Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis im Aktienrecht – anders als im öffentlichen Recht – grundsätzlich zulässig ist. Ein solcher Schluss ist sogar üblich, um Lücken des gesetzlich vorgesehenen Organisationsrechts zu schließen. So ist etwa dem Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG die Aufgabe zur Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer zugewiesen, ohne dass er zugleich zur rechtsgeschäftlichen Vertretung der Gesellschaft ermächtigt wird. Die Vertretungsbefugnis wird daher – entgegen der Grundsatzregelung in § 112 AktG – aus der Aufgabenzuweisung in § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG selbst abgeleitet.36 Wenngleich jede Befugnis eine hintergründige Aufgabenkomponente hat, und die Ableitung der Befugnisse aus der Aufgabe im Aktienrecht keinen grundsätzlichen Bedenken begegnet, so ist dies gleichwohl mit einer Einschränkung zu versehen. Denn es muss zunächst ein Rechtsverhältnis ermittelt werden, aus dem sich die Aufgabe, die gegenüber der Gesellschaft zu erfüllen ist, ableiten lässt. Auch insoweit fügt sich die Qualifikation des Hauptversammlungsleiters als Organwalter in die zu ihm entwickelten Grundsätze ein. Denn bei einer Einordnung des Hauptversammlungsleiters als Funktionsgehilfe der Hauptversammlung lässt sich ein solches Rechtsverhältnis regelmäßig nicht begründen. Insbesondere die Konstruktion einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen Hauptversammlungsleiter und Gesellschaft kommt allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht. Das bedeutet, dass sämtliche verfahrensleitenden Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters ohne rechtliche Grundlage angeordnet würden. Nichts anderes ergibt sich aus der Ableitung der Befugnisse aus der Aufgabe, denn auch der BGH benennt kein Rechtsverhältnis, aus 34 Reinicke, Rechtsstellung, Rechte und Pflichten des Vorsitzenden der Hauptversammlung, 1982, S. 22. 35 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 122. 36 Dieses Verständnis hat sich ebenso für § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG und die Auftragsvergabe an Sachverständige durchgesetzt; siehe: Leyens, Information des Aufsichtsrats: ökonomischfunktionale Analyse und Rechtsvergleich zum englischen Board, S. 187.
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Teil 4: Das Amt des Hauptversammlungsleiters
dem sich diese Aufgabe ergibt. Die Versammlungsteilnehmer würden die versammlungsleitenden Maßnahmen demnach nur dulden, ohne dass sie rechtlich dazu verpflichtet wären, den Anordnungen des Hauptversammlungsleiters Folge zu leisten.37 Dies gilt unabhängig davon, dass der Hauptversammlungsleiter gesetzlich vorgesehen ist. Denn daraus allein ergibt sich noch kein Rechtsgrund für sein Tätigwerden. Ordnet man den Hauptversammlungsleiter hingegen zutreffend als Gesellschaftsorgan ein, so wird ersichtlich, dass er auf Grundlage eines korporationsrechtlichen Rechtsverhältnisses tätig wird, das durch die Bestellung zwischen ihm und der Gesellschaft begründet wird. Erst daraus ergibt sich die Aufgabe, für die sachgemäße Erledigung der Geschäfte der Hauptversammlung und den hierzu erforderlichen geordneten Verfahrensablauf zu sorgen.38 Es handelt sich dabei um eine allgemeine Pflicht gegenüber der Gesellschaft, aus der sich wiederum die relativen Befugnisse des Hauptversammlungsleiters gegenüber den Versammlungsteilnehmern ableiten lassen. Erst durch die Bestellung hat der Hauptversammlungsleiter die Macht des Amtes und die Berechtigungen und Verpflichtungen durch das Amt (Recht zum Amt). Die Befugnisse, die sich sodann aus der Aufgabe des Hauptversammlungsleiters ergeben, stehen richtigerweise nicht dem Hauptversammlungsleiter als Amtsträger, sondern dem Organ „Hauptversammlungsleiter“ zu (Rechte und Pflichten im Amt). Durch die Bestellung werden sie der konkreten Person des Hauptversammlungsleiters zur Ausübung übertragen (vgl. oben Teil 3 D. I. 2.). Der Hauptversammlungsleiter hat demnach darauf hinzuwirken, dass das Organ „Hauptversammlungsleiter“ seine gesetzlich zugewiesene Aufgabe sachgerecht erfüllt und die Befugnisse wahrnimmt, die ihm zur Erfüllung seiner Aufgaben zugewiesen sind. Aus der Verknüpfung der Befugnisse mit dem Amt ergibt sich zugleich, dass sich Umfang und Grenzen derselben nach dem Rechtsverhältnis zu bemessen haben, in dem der von einer Maßnahme betroffene Versammlungsteilnehmer zur Gesellschaft steht. 1. Maßnahmen gegenüber den Aktionären Die Aktionäre stehen zur Gesellschaft in einem mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnis. Der Aktionär hat aufgrund seiner Mitgliedschaft zwar ein Recht zur Entscheidungsteilhabe, er unterliegt kraft seiner Mitgliedschaft aber auch den Leitungs- und Ordnungsbefugnissen des Hauptversammlungsleiters. Insofern sind die Aktionäre kraft ihrer Mitgliedschaft dazu verpflichtet, rechtmäßige Ordnungsmaßnahmen des Hauptversammlungsleiters hinzunehmen.39 Die Duldungspflicht beruht gerade darauf, dass der Hauptversammlungsleiter ein Organ der Aktiengesellschaft 37 Zu „Beiräten“ ohne vertragliche Grundlage siehe: Hofbauer, Die Kompetenzen des (GmbH-)Beirats, S. 53 f. 38 A. A.: Hüffer, in: ZHR 174 (2010), 642, 673 f. (zum besonderen Vertreter). 39 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 198.
B. Die rechtlichen Grundlagen für Maßnahmen der Versammlungsleitung
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ist. Denn Zurechnungsendsubjekt für versammlungsleitende Maßnahmen ist demnach die Gesellschaft. Die Rechtsprechung des BGH bedarf insoweit einer weiteren Einschränkung. Denn die Grenzen der Befugnisse des Hauptversammlungsleiters ergeben sich nicht allein aus seiner Aufgabe. Bliebe man bei der Feststellung stehen, dass der Hauptversammlungsleiter alle Rechte hat, die er zur Erfüllung seiner Aufgabe benötigt, dann würde der Ausübung versammlungsleitender Befugnisse eine Grenze allein durch den Missbrauchsgedanken bzw. die Treuepflicht des Hauptversammlungsleiters gezogen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Hauptversammlungsleiter mit den versammlungsleitenden Befugnissen des Organs in versammlungsgebundene Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre eingreifen kann. Das Teilnahmerecht, das Stimmrecht, das Auskunftsrecht etc. sind Teil der Mitgliedschaft und stehen den Aktionären als Individualrechte zu. Ihre Rechtfertigung finden sie darin, dass der Aktionär mit dem Beitritt zur Gesellschaft ein Stück seiner persönlichen Freiheit sowie einen Teil seines Vermögens aufgibt und sich einer unter Umständen weitreichenden Verbandsmacht unterstellt.40 Die Mitgliedschaft kompensiert diesen Verlust, indem sie dem Aktionär die Verfolgung und Gestaltung des nunmehr vergemeinschafteten Zwecks ermöglicht.41 Ordnungsmaßnahmen des Hauptversammlungsleiters sind gleichwohl erlaubt, „wenn sie im Dienst einer ordnungsgemäßen Versammlungsdurchführung stehen“.42 Starre Ausübungsschranken lassen sich insoweit aber auch mit Blick auf die Funktionsfähigkeit der Hauptversammlung nicht ableiten.43 Für die Frage, inwieweit der Hauptversammlungsleiter rechtmäßige Anordnungen treffen kann, kann vielmehr ein Vergleich zwischen den individuellen Mitgliedschaftsrechten der Aktionäre und den Grundrechten des Verfassungsrechts gezogen werden.44 Auch der BGH vertritt ein korporationsrechtliches Verständnis der Satzung, die, sobald sie ins Leben getreten ist, „nicht mehr als Vertrag, sondern als […] Verfassung“ Wirkung entfaltet, „der sich die Mitglieder unterworfen haben und die für sie kraft Korporationsrecht gilt“.45 Bei den Grundrechten geht es – ebenso wie bei den individuellen Mitgliedschaftsrechten – im Grundsatz um die Bewahrung des status negativus. Darüber hinaus ziehen die Grundrechte der Ausübung hoheitlicher Gewalt Grenzen.46 Die Aktionäre haben einerseits ein Recht auf Verwaltung, andererseits aber auch ein
40 41 42 43 44 45 46
Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, S. 18. Habersack, Die Mitgliedschaft: subjektives und „sonstiges“ Recht, S. 142. BVerfG, NJW 2000, 349, 351. So auch: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 197. Vgl. dazu: Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, § 7 IV. 2., S. 358. BGH, NJW 1956, 1793; vgl. auch: BGH, NJW 1967, 1268. Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, S. 18 f.
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Teil 4: Das Amt des Hauptversammlungsleiters
Abwehrrecht gegen Eingriffe in ihre mitgliedschaftlichen Rechte.47 Zwischen den Befugnissen des Hauptversammlungsleiters, die sich aus dem korporationsrechtlichen Rechtsverhältnis zur Gesellschaft ergeben, und den mitgliedschaftlichen Rechten des Aktionärs ist mithin eine Art praktische Konkordanz herbeizuführen.48 Im Verfassungsrecht beinhaltet der Grundsatz praktischer Konkordanz, dass Eingriffe in ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht gerechtfertigt sind, soweit sie der Verwirklichung eines damit kollidierenden Verfassungsbelangs dienen und sich in einer Verhältnismäßigkeitsprüfung als geeignet, erforderlich und angemessen erweisen.49 Dieser Grundsatz lässt sich zur Konkretisierung der Eingriffsbefugnisse des Hauptversammlungsleiters ins Aktienrecht übertragen. Er kommt jedoch nur dann zur Anwendung, wenn das Verhalten des Aktionärs tatbestandlich einem versammlungsgebundenen Mitgliedschaftsrecht unterfällt. So setzt das Rederecht etwa voraus, dass ein Bezug zu einem Gegenstand der Tagesordnung besteht und der Beitrag für den Verhandlungsgegenstand erforderlich ist. Andernfalls ist der Hauptversammlungsleiter nicht dazu verpflichtet, auf eine praktische Konkordanz hinzuwirken, sondern kann sofort eine Abmahnung erteilen. Dies gilt nicht nur für Ausführungen, die keinen Bezug zur Tagesordnung haben, sondern auch für Redebeiträge mit beleidigendem Inhalt. Kommt der Aktionär der Aufforderung des Hauptversammlungsleiters nicht nach, kann dieser eine sehr kurze Frist zur Rückkehr in die Tagesordnung setzen und dem Aktionär bei erneuter Zuwiderhandlung ohne Weiteres das Wort entziehen.50 In ähnlicher Weise unterfällt eine Frage ohne rechtlichen oder tatsächlichen Bezug zum Unternehmen schon nicht dem Tatbestand des Auskunftsrechts gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 und 2 AktG.51 Sind die Anforderungen eines versammlungsgebundenen Mitgliedschaftsrechts jedoch erfüllt, lassen sich aus dem Grundsatz praktischer Konkordanz verschiedene Schranken für rechtmäßige Eingriffe in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre durch den Hauptversammlungsleiter ableiten. Diese Schranken lassen sich wie folgt näher konkretisieren.
47 Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, S. 80; zu dem Vergleich zwischen Staatsverfassung und dem organisatorischen Aufbau der Aktiengesellschaft siehe U. H. Schneider, FS Fischer, 1979, S. 727, 734 ff. (m. w. N.). 48 Vgl. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 105, 198 (zu den immanenten Schranken des Rede- und Auskunftsrechts). 49 Germann, BeckOK-GG, Art. 4, Rn. 48 (zu den Schranken der Religions- und Weltanschauungsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG). 50 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 170. 51 An einem Eingriff in mitgliedschaftliche Rechte fehlt es selbstverständlich auch dann, wenn der Aktionär im Einzelfall kein Teilnahmerecht an der Hauptversammlung besitzt. So vermitteln insbesondere eigene Aktien (§ 71 b AktG) und Aktien, die wegen Verletzung von Mitteilungspflichten für die Zeit der Verletzung keine Rechte vermitteln (§ 28 WpHG), kein Teilnahmerecht; vgl.: Hoffmann-Becking, in: MüKoHbdGesR, Bd. 4, § 37, Rn. 6.
B. Die rechtlichen Grundlagen für Maßnahmen der Versammlungsleitung
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a) Neutralitätsgebot Der Hauptversammlungsleiter hat nach einhelliger Auffassung das Neutralitätsgebot zu beachten. Dies bedeutet, dass er sich jeder einseitigen Einflussnahme auf die Verhandlung hinsichtlich des Beschlussergebnisses52 sowie des Abstimmungsvorgangs selbst53 zu enthalten hat. Das Neutralitätsgebot lässt sich bereits daraus ableiten, dass sich die Aufgabe des Hauptversammlungsleiters auf organisatorische Maßnahmen beschränkt. Es gilt sowohl im Verhältnis zwischen Aktionären und Verwaltung als auch im Verhältnis der Aktionäre untereinander.54 Der Hauptversammlungsleiter darf inhaltlichen Einfluss auf die Verhandlung weder zugunsten einzelner Aktionäre noch der Verwaltung nehmen. Sofern der Hauptversammlungsleiter zugleich Aufsichtsratsmitglied oder Aktionär ist, steht es ihm aber selbstverständlich frei, sich in dieser Eigenschaft an der Verhandlung zu beteiligen und insoweit auch inhaltlich Einfluss zu nehmen.55 Darüber hinaus liegt eine unzulässige inhaltliche Einflussnahme des Hauptversammlungsleiters nicht vor, soweit er das Zustandekommen nichtiger oder anfechtbarer Beschlüsse verhindert. Entsprechende Einwirkungsbefugnisse bestehen allerdings nur innerhalb enger Grenzen (dazu unten Teil 6 A. III. 1. b)). Erforderlich ist grundsätzlich, dass der vom Hauptversammlungsleiter identifizierte Mangel offensichtlich ist. Anderenfalls ist der Hauptversammlungsleiter weder befugt, geschweige denn verpflichtet, die Beschlussfassung zur Diskussion zu stellen oder gar zu verhindern.56 b) Gleichbehandlungsgebot Bei der Anordnung von Ordnungsmaßnahmen hat der Hauptversammlungsleiter zudem das Gleichbehandlungsgebot zu beachten. Dieses gebietet – abweichend von § 53a AktG – eine Gleichbehandlung der Aktionäre nach Köpfen.57 Auch insoweit ist eine Anlehnung an verfassungsrechtliche Maßstäbe möglich: Im Verfassungsrecht beinhaltet der Gleichbehandlungsgrundsatz das Verbot, sachlich nicht gerechtfertigter Differenzierung. Übertragen auf die Anordnung versammlungsleitender Maßnahmen bedeutet dies, dass damit verbundene Eingriffe in Mitgliedschaftsrechte nicht nach freiem Belieben des Hauptversammlungsleiters erfolgen dürfen.
52 53 54 55 56 57
Zöllner, in: KK-AktG, § 119, Rn. 57. RGZ 119, 243, 246 (Genossenschaft). Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 122; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 133. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 135. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 134. Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 122; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 187.
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Teil 4: Das Amt des Hauptversammlungsleiters
c) Gebot der Sachdienlichkeit Anerkannt ist zudem, dass sich der Hauptversammlungsleiter bei der Anordnung von Ordnungsmaßnahmen an dem Gebot der Sachdienlichkeit zu orientieren hat. Ordnungsmaßnahmen dürfen demnach nicht grundlos angeordnet werden, sondern bedürfen eines sachlichen Grundes als tatbestandliche Voraussetzung.58 Der sachliche Grund leitet sich wiederum aus dem Gesellschaftsinteresse ab. Denn die Aktionäre haben sich mit dem Beitritt zur Gesellschaft nur insoweit der Verbandsmacht unterstellt, als die Bindung durch den von der Gesellschaft verfolgten Zweck reicht.59 Das Gesellschaftsinteresse umfasst „alles das, was den Bestand, die Funktionsfähigkeit und die Aufgabenerfüllung des Verbands im Hinblick auf den Zweck des Verbands begünstigt und gewährleistet“.60 Dazu gehört auch die Funktionsfähigkeit der Hauptversammlung als primäres Willensbildungsorgan der Gesellschaft. Die Ausübung der versammlungsgebundenen Mitgliedschaftsrechte endet somit dort (aber auch erst dort), wo die Funktionsfähigkeit der Hauptversammlung in Frage gestellt wird.61 d) Verhältnismäßigkeitsgebot Bei der Wahrnehmung von Ordnungsbefugnissen muss der Hauptversammlungsleiter zudem das Verhältnismäßigkeitsprinzip i. w. S. wahren.62 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip beinhaltet die Erforderlichkeit sowie die Angemessenheit der betreffenden Maßnahme (Verhältnismäßigkeit i. e. S.). Der Hauptversammlungsleiter hat daher aus mehreren erfolgversprechenden Maßnahmen die mildeste auszuwählen, d. h. diejenige, welche die Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs am wenigsten beeinträchtigt.63 Erst wenn das mildeste Mittel keinen Erfolg verspricht, kann das nächst schärfere Ordnungsmittel angedroht und durchgesetzt werden.64 Da auch eine im Prinzip erforderliche Maßnahme zu einer unverhältnismäßig schweren Beeinträchtigung des Aktionärs führen kann, muss die Sanktion des Hauptversammlungsleiters zudem in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Anlass stehen.65
58
Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 186. Füchsel, BB 1972, 1533, 1536 f. 60 Zöllner, in: KK-AktG, Einleitungs-Band, Rn. 107. 61 BVerfG, NJW 2000, 349, 350 f.; Mülbert, in: GroßKomm-AktG, Vor §§118 – 147, Rn. 189. 62 BGH, NJW 2010, 1604, 1606. 63 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 188. 64 Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, § 9, Rn. 250 f. 65 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 188. 59
B. Die rechtlichen Grundlagen für Maßnahmen der Versammlungsleitung
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2. Maßnahmen gegenüber den Mitgliedern der Verwaltung Die Mitglieder der Verwaltung sind kraft ihres eigenen korporationsrechtlichen Verhältnisses zur Gesellschaft verpflichtet, rechtmäßige Ordnungsmaßnahmen des Hauptversammlungsleiters hinzunehmen.66 Die Duldungspflicht setzt somit auch hier die Anerkennung der Organeigenschaft des Hauptversammlungsleiters und die Zurechnung seiner Handlungen zur Gesellschaft voraus. Auch gegenüber den Mitgliedern der Verwaltung unterliegen die Eingriffsbefugnisse des Hauptversammlungsleiters gewissen Schranken. Denn die Verwaltungsmitglieder besitzen einerseits gemäß § 118 Abs. 3 AktG ein (Pflicht-)Recht zur Teilnahme an der Hauptversammlung und haben andererseits ein Abwehrrecht gegen Eingriffe in ihre Organrechte. Neben der körperlichen Anwesenheit sind die Verwaltungsmitglieder zur aktiven Teilnahme an der Verhandlung berechtigt. Anwendungsvoraussetzung für den Grundsatz praktischer Konkordanz ist allerdings stets, dass das Verhalten des betreffenden Verwaltungsmitglieds tatbestandlich einem Organrecht unterfällt. Das Rederecht ist etwa dadurch eingeschränkt, dass sich das Verwaltungsmitglied in Erfüllung seiner organschaftlichen Pflichten äußert.67 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Teilnahmerecht der Verwaltungsmitglieder von vornherein kein Beschlussantragsrecht beinhaltet. Dieses steht grundsätzlich nur den Aktionären sowie Vorstand und Aufsichtsrat als Organ – nicht aber den einzelnen Organmitgliedern – zu.68 Insoweit unterliegen die Verwaltungsmitglieder der uneingeschränkten Ordnungsbefugnis des Hauptversammlungsleiters. Umgekehrt sind seine Eingriffsmöglichkeiten weitgehend eingeschränkt, soweit die Erläuterungs-, Unterrichtungs- und Auskunftspflichten der Verwaltungsmitglieder reichen. 3. Maßnahmen gegenüber Dritten Als Organwalter ist der Hauptversammlungsleiter kraft seines korporationsrechtlichen Verhältnisses zudem berechtigt, die Rechte der Gesellschaft wahrzunehmen, die ihr gegenüber Dritten zustehen. Maßgeblich ist insoweit das jeweils bestehende Rechtsverhältnis des Versammlungsteilnehmers zur Gesellschaft. Der Hauptversammlungsleiter hat aber umgekehrt auch die Verpflichtungen der Gesellschaft wahrzunehmen, die das jeweilige Rechtsverhältnis bzw. die allgemeine Rechtsordnung der Gesellschaft auferlegt. Die Anordnungsbefugnisse des Hauptversammlungsleiters werden aber nur insoweit beschränkt, als dem Dritten versammlungsbezogene Rechte gegenüber der Gesellschaft zustehen. So vermittelt der zwischen Gesellschaft und Abschlussprüfer geschlossene Prüfungsvertrag (nur) im 66
Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 225. Vgl. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 118, Rn. 51; Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 100. 68 Ausgenommen hiervon sind Anträge zu Verfahrensbeschlüssen, insbesondere zur Geschäftsordnung; siehe: Kubis, in: MüKo-AktG, § 118, Rn. 100. 67
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Teil 4: Das Amt des Hauptversammlungsleiters
Ausnahmefall des § 176 Abs. 2 Satz 1 AktG ein Teilnahmerecht an der Hauptversammlung. Der zwischen Gesellschaft und Notar geschlossene Vertrag über die Tätigkeit als Urkundsperson vermittelt hingegen nicht einmal ein Recht zur körperlichen Anwesenheit. Damit korrespondieren umfassende Anordnungsbefugnisse des Hauptversammlungsleiters. Das gilt erst recht gegenüber sonstigen Dritten, die in keinem schuldvertraglichen Rechtsverhältnis zur Gesellschaft stehen. Der Hauptversammlungsleiter kann ihnen gegenüber auf Grundlage des Hausrechts der Gesellschaft vorgehen. Das Hausrecht ist von der Rechtsgrundlage her ein von dem Ordnungsrecht des Hauptversammlungsleiters zu unterscheidendes und unabhängiges Recht.69 Inhaber des Hausrechts am Versammlungsraum ist die Gesellschaft. Reinicke geht davon aus, dass dem Hauptversammlungsleiter das Hausrecht nicht kraft seiner Stellung zusteht, sondern dass die Gesellschaft es ihm rechtsgeschäftlich übertragen muss. Auch im Versammlungsrecht sei anerkannt, dass es einer rechtsgeschäftlichen Übertragung des Hausrechts an den Versammlungsleiter bedarf.70 Es erscheint jedoch bereits fraglich, wie ein solcher Übertragungsakt im Falle des Hauptversammlungsleiters konstruiert werden soll. Ordnet man den Hauptversammlungsleiter zutreffend als Gesellschaftsorgan ein, bedarf es einer solchen Konstruktion freilich nicht. Es gilt vielmehr der Grundsatz, dass die Gesellschaft nur durch ihre Organe handelt. Aus diesem Grund ist die Ausübung des Hausrechts dem Hauptversammlungsleiter überantwortet, der den ordnungsgemäßen Ablauf der Hauptversammlung sicherzustellen hat. Der Hauptversammlungsleiter ist somit bereits kraft seiner Organstellung dazu berechtigt, das Hausrecht der Gesellschaft wahrzunehmen. Der private Hausrechtsinhaber ist in der Ausübung seines Hausrechts grundsätzlich frei. Auch der Grundsatz praktischer Konkordanz ist gegenüber Gästen nicht anwendbar, da ihnen keine subjektiven Rechte gegenüber der Gesellschaft zustehen. Der Hauptversammlungsleiter kann somit auf Grundlage des Hausrechts vorgehen und sie bei Störungen unmittelbar des Saales verweisen.71 Ausfluss des Hausrechts ist zudem das Recht, ausgeschlossene Personen aus dem Versammlungsraum zu entfernen.72 Eine Schranke des Hausrechts kann sich allenfalls daraus ergeben, dass der Inhaber seine Räumlichkeit der Öffentlichkeit zugänglich macht. Die Hauptversammlung ist jedoch – auch im Hinblick auf § 118 Abs. 4 AktG – stets als nichtöffentliche Verbandsveranstaltung anzusehen (siehe oben Teil 1 A. II.). Sieht die Satzung oder die Geschäftsordnung keine Regelungen über die Anwesenheit nicht 69
Reinicke, Rechtsstellung, Rechte und Pflichten des Vorsitzenden der Hauptversammlung, S. 26 f. 70 Siehe dazu: Reinicke, Rechtsstellung, Rechte und Pflichten des Vorsitzenden der Hauptversammlung, S. 28 (mit Fn. 2); siehe auch: Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 7 VersammlG, Rn. 6. 71 Fischer/Pickert, in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, § 9, Rn. 244, 262. 72 Den erforderlichen Strafschutz gewähren die §§ 123, 124 StGB, vgl.: Wache, in: Erbs/ Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 7 VersammlG, Rn. 7.
B. Die rechtlichen Grundlagen für Maßnahmen der Versammlungsleitung
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teilnahmeberechtigter Dritter vor, entscheidet der Hauptversammlungsleiter somit nach freiem Ermessen. Er ist gegenüber Dritten weder zur Gleichbehandlung verpflichtet noch an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden.73 Allerdings kann der Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber den Aktionären eine Rolle spielen, wenn es um die Zulassung von Aktionärsbegleitern geht.74
III. Zwischenergebnis Die Befugnisse des Hauptversammlungsleiters werden nach allgemeiner Auffassung aus seiner Aufgabe abgeleitet. Auch wenn der Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis im Aktienrecht grundsätzlich möglich ist, ist gleichwohl eine Rechtsgrundlage erforderlich, aus der sich die allgemeine Aufgabe des Hauptversammlungsleiters im Verhältnis zur Gesellschaft ergibt. Sieht man den Hauptversammlungsleiter als Funktionsgehilfen der Hauptversammlung an, käme allenfalls ein Vertragsverhältnis mit der Gesellschaft in Betracht. An einem solchen wird es in der Praxis aber regelmäßig fehlen. Geht man hingegen von der Organstellung des Hauptversammlungsleiters aus, ist das korporationsrechtliche Rechtsverhältnis des Hauptversammlungsleiters maßgeblich, das kraft seiner Bestellung zwischen ihm und der Gesellschaft entsteht. Erst dadurch wird der Hauptversammlungsleiter mit dem Amt verknüpft und ist berechtigt und verpflichtet, die dem Organ „Hauptversammlungsleiter“ zustehenden Befugnisse wahrzunehmen. Die Ausübung der versammlungsleitenden Befugnisse wird nicht allein durch den Missbrauchsgedanken bzw. die Treuepflicht, sondern vielmehr durch die Mitgliedschaft der Aktionäre begrenzt. Die Aktionäre haben auf Grundlage des mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnisses zur Gesellschaft ein Recht zur Entscheidungsteilhabe. Sie unterliegen kraft ihrer Mitgliedschaft aber auch den Leitungs- und Ordnungsbefugnissen des Hauptversammlungsleiters, und zwar, weil dieser Organ der Aktiengesellschaft ist. Der Hauptversammlungsleiter, der das Gesellschaftsinteresse realisiert, hat eine Art praktische Konkordanz zwischen den Individualrechten der Aktionäre und dem Gesellschaftsinteresse herzustellen. Neben dem Neutralitäts- und Gleichbehandlungsgebot hat der Hauptversammlungsleiter daher insbesondere das Gebot der Sachdienlichkeit sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren. Ähnliche Schranken bestehen beim Eingriff in die Organrechte der Verwaltungsmitglieder. Gegenüber sonstigen Dritten, die in keinem besonderen (korporationsrechtlichen oder schuldrechtlichen) Rechtsverhältnis zur Gesellschaft stehen, wird der Hauptversammlungsleiter auf Grundlage des Hausrechts tätig. Dieses ist ein von dem Ordnungsrecht des Hauptversammlungsleiters zu unterscheidendes und unabhängiges Recht, das der Gesellschaft zusteht und vom Hauptversammlungsleiter wahrgenommen wird. Mangels aktienrechtlicher Nor73 74
Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 49. Vgl. Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 113 (unter Ablehnung der Organstellung).
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menkollision findet der Grundsatz praktischer Konkordanz insoweit keine Anwendung. Der Hauptversammlungsleiter kann Gäste im Falle von Störungen daher unmittelbar des Saales verweisen.
C. Die Delegation von Aufgaben und Befugnissen I. Die Entscheidungsverantwortung des Hauptversammlungsleiters Als Organwalter ist dem Hauptversammlungsleiter die Amtsführung höchstpersönlich anvertraut. Eine Delegation ist daher grundsätzlich unzulässig (siehe dazu bereits oben Teil 4 A. II.). Dies bedeutet allerdings nicht, dass er sämtliche Aufgaben der Versammlungsorganisation höchstpersönlich erledigen müsste. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich das höchstpersönliche Element der Amtsführung auf die Entscheidungsverantwortung beschränkt. Von der Entscheidung über die Anordnung einer Leitungs- oder Ordnungsmaßnahme ist deren Ausführung oder Erläuterung abzugrenzen. Ausführende Tätigkeiten können daher stets delegiert werden.75 Die Einschaltung von Hilfspersonen ist ohne Weiteres beim Einsammeln und Auszählen von Stimmzetteln, bei der Durchführung von Sicherheitskontrollen oder beim Erstellen des Teilnehmerverzeichnisses möglich. Im Übrigen ist für die Frage einer Delegationsmöglichkeit zwischen Ordnungs- und Leitungsmaßnahmen zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang soll bereits darauf hingewiesen werden, dass die Sorgfaltspflicht des Amtswalters auch im Falle einer zulässigen Delegation nicht entfällt, sondern lediglich einen anderen Inhalt erhält: Der Delegierende hat in diesem Fall bei der Auswahl, Einweisung und Überwachung seiner Hilfspersonen die erforderliche Sorgfalt walten zu lassen (siehe dazu noch unten Teil 6 A. III. 1. a) cc)).76 1. Delegation von Ordnungsmaßnahmen Die Entscheidung über die Anordnung von Ordnungsmaßnahmen kann der Hauptversammlungsleiter nach überwiegender Auffassung im Schrifttum nicht
75 Vgl. zur Delegation von Amtspflichten allgemein: Jacoby, Das private Amt, S. 576; zur Delegation von Aufgaben und Befugnissen des Aufsichtsrats: Mülbert, Die Stellung der Aufsichtsratsmitglieder, in: Feddersen/Hommelhoff/Schneider, Corporate Governance, S. 99, 105 f. 76 Spindler, in: MüKo-AktG, § 76, Rn. 18 (zu Hilfspersonen des Vorstands).
C. Die Delegation von Aufgaben und Befugnissen
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delegieren.77 Begründet wird dies unter anderem damit, dass Ordnungsmaßnahmen mit einem Eingriff in Mitgliedschaftsrechte verbunden sind.78 Wenngleich dieser Auffassung im Ergebnis gefolgt wird, so erschließt sich ihre Begründung doch nur mit Blick auf die Organqualität des Hauptversammlungsleiters. Als Ausgangspunkt kann insoweit der Gedanke dienen, dass sich die Aktionäre mit ihrem Beitritt zur Gesellschaft in gewissem Umfang der Verbandsmacht unterworfen und damit auch mit Eingriffen in ihre Rechte einverstanden erklärt haben. Ordnet man den Hauptversammlungsleiter als bloßen Funktionsgehilfen ein, könnte sich ein Verbot zur Delegation von Ordnungsmaßnahmen nur daraus ergeben, dass die Aktionäre das soeben erwähnte Einverständnis zum Eingriff in ihre Mitgliedschaftsrechte (nur) in Bezug auf den konkreten Versammlungsleiter erteilt haben. Das ist selbstverständlich nicht der Fall. Das Einverständnis steht allerdings unter der Voraussetzung, dass der Eingriff in ihre Mitgliedschaftsrechte der Verwirklichung des Verbandszwecks dient.79 Die Verwirklichung des Verbandszwecks obliegt aber den Gesellschaftsorganen. Die Organe werden wiederum mit Organwaltern besetzt, welche als Amtsträger zur höchstpersönlichen Aufgabenwahrnehmung verpflichtet sind. Erst daraus folgt für den konkreten Hauptversammlungsleiter als Organwalter ein Delegationsverbot. Insofern korrespondiert die Auffassung, die ein Delegationsverbot unmittelbar aus der mitgliedschaftlichen Relevanz von Ordnungsmaßnahmen ableitet, notwendig mit der Qualifikation des Hauptversammlungsleiters als Gesellschaftsorgan. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass bei der Anordnung von Ordnungsmaßnahmen stets die Entscheidungsverantwortung des Hauptversammlungsleiters betroffen ist. Der Hauptversammlungsleiter entscheidet über die Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der Grundsätze der Neutralität, der Sachdienlichkeit, der Gleichbehandlung sowie der Verhältnismäßigkeit. Als Organwalter hat der Hauptversammlungsleiter diese Ermessensentscheidungen nicht nur sorgfältig, sondern zudem in eigener Verantwortung zu treffen. Dementsprechend kommt auch eine Delegation von Ordnungsmaßnahmen an die Hauptversammlung nicht in Betracht.80
2. Delegation von Leitungsmaßnahmen Bei der Anordnung von Leitungsmaßnahmen ist jedenfalls dann die Entscheidungsverantwortung des Hauptversammlungsleiters betroffen, wenn er zwischen verschiedenen Handlungsalternativen auswählen kann bzw. muss. Bei vielen Lei77
Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 131 und 184; Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 129, Rn. 83; Hoffmann-Becking, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 37, Rn. 72; Koch, in: Hüffer/Koch, § 129, Rn. 22. 78 So: Kocher/Feigen, NZG 2015, 620, 622. 79 Siehe dazu: Füchsel, BB 1972, 1533, 1536 f. (zum Bezugsrechtsausschluss). 80 So auch: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 184.
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Teil 4: Das Amt des Hauptversammlungsleiters
tungsmaßnahmen ist der Hauptversammlungsleiter nicht rechtlich gebunden, sondern hat sie als Organwalter nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Dies ist etwa der Fall bei der Festlegung der Reihenfolge der Tagesordnungspunkte, bei der Unterbrechung der Hauptversammlung oder bei der Festlegung des Abstimmungsverfahrens. Eine Delegation solcher Ermessensentscheidungen ist unzulässig.81 Dies gilt auch für eine Delegation an die Hauptversammlung. Denn der Hauptversammlungsleiter ist gerade deshalb als eigenständiger Kompetenzkomplex vorgesehen, um seinen Ermessensspielraum von einer Entscheidung der Mehrheit freizuhalten (siehe oben Teil 2 B. II.). Sofern ein Ermessensspielraum des Hauptversammlungsleiters nicht besteht, erfordert die Anordnung einer Leitungsmaßnahme zwar ebenfalls eine Entscheidung des Hauptversammlungsleiters. Insoweit muss sich die Delegationsbefugnis jedoch an praktischen Bedürfnissen orientieren. Die Einschaltung von Hilfspersonen ist bei den Hauptversammlungen der großen Aktiengesellschaften nicht nur üblich, sondern geradezu unentbehrlich. So würde etwa eine höchstpersönliche Einlasskontrolle durch den Hauptversammlungsleiter die Durchführung der Hauptversammlung praktisch unmöglich machen. Eine Delegation an Hilfspersonen kann aber dann nicht mehr zugelassen werden, wenn Unsicherheiten bestehen. Dementsprechend gehen Kocher/Feigen jedenfalls im Falle tatsächlicher Unsicherheiten von einer eigenen Befassungspflicht des Hauptversammlungsleiters aus.82 Als Beispiel führen sie die Prüfung der Teilnahmeberechtigung der Aktionäre an: Wenngleich jeder Aktionär, der die dafür geltenden Voraussetzungen erfüllt, ein Teilnahmerecht an der Hauptversammlung besitzt und daher zuzulassen ist, können im Einzelfall Zweifel an der Aktionärseigenschaft und/oder der Erfüllung der Teilnahmevoraussetzungen bestehen. Wenn diese anhand von Leitfäden nicht ausgeräumt werden können, hat der Hauptversammlungsleiter über die Zulassung selbst zu entscheiden.83 Darüber hinaus muss eine eigene Befassungspflicht auch im Falle rechtlicher Unsicherheiten – etwa bezüglich der Aktionärseigenschaft – bestehen. Denn auch insoweit ist die Entscheidungsverantwortung des Hauptversammlungsleiters betroffen. Der Hauptversammlungsleiter muss zudem immer dann höchstpersönlich tätig werden, wenn es um eine Handlung geht, die auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist. So hat der Hauptversammlungsleiter insbesondere die Beschlussfeststellung stets selbst vorzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn keine rechtlichen oder tatsächlichen Zweifel über das Beschlussergebnis bestehen. Denn die Beschlussfeststellung schließt die Beschlussfassung nicht nur förmlich ab, sondern sie bewirkt zugleich die rechtliche Existenz des Beschlusses, hat also konstitutive Wirkung.84 Nur der Hauptversammlungsleiter als Organwalter ist dazu berechtigt, die nach § 130 Abs. 2 AktG erforderlichen Feststellungen zu treffen. Aus 81 82 83 84
Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 132; Kocher/Feigen, NZG 2015, 620, 622. Kocher/Freigen, NZG 2015, 620, 621. Kocher/Feigen, NZG 2015, 620, 622. Schröer, in: MüKo-AktG, § 133, Rn. 65.
C. Die Delegation von Aufgaben und Befugnissen
133
demselben Grund ist ein höchstpersönliches Tätigwerden des Hauptversammlungsleiters auch im Hinblick auf die Eröffnung und den Schluss der Versammlung erforderlich.85 Im Verhältnis zur Hauptversammlung besteht ein umfassendes Delegationsverbot schon mit Blick auf die Notwendigkeit einer Gewaltentrennung. Denn der Hauptversammlungsleiter ist gerade deshalb als eigenständiger Kompetenzkomplex vorgesehen, um verfahrensleitende Entscheidungen von einer Einflussnahme der Mehrheit freizuhalten. Die verfahrensleitenden Befugnisse sollen gerade nicht in den Händen der Mehrheit liegen (siehe oben Teil 2 B. II.). Eine Delegation kann allenfalls dann zugelassen werden, wenn bereits aufgrund der Natur der Maßnahme nicht anzunehmen ist, dass die Mehrheit eine die Minderheit benachteiligende Entscheidung treffen wird, wie etwa bei der Zulassung von Gästen.86 Im Hinblick auf die Entscheidungsverantwortung des Hauptversammlungsleiters als Organwalter ist im Zweifel jedoch von einem Delegationsverbot auszugehen.
II. Die Unterstützung durch Rechtsberater In der Praxis schaltet die Gesellschaft regelmäßig Rechtsberater ein, die den Hauptversammlungsleiter auf die Versammlungsleitung vorbereiten und ihm während der laufenden Veranstaltung im Backoffice zur Verfügung stehen.87 Die Unterstützung durch Rechtsberater ist eine Form der Aufgabendelegation, die sich jedoch allein auf die Rechtsermittlung bezieht. Über die Anordnung der versammlungsleitenden Maßnahmen entscheidet der Hauptversammlungsleiter – auch unter Berücksichtigung des eingeholten Rechtsrats – weiterhin selbst. Im Hinblick auf das höchstpersönliche Element der Amtsführung hat er die Vorschläge der Rechtsberater zudem nachzuvollziehen und sich ein eigenes Bild über die betreffende Frage zu machen.88 Darüber hinaus hat sich der Hauptversammlungsleiter grundsätzlich auch selbst auf die Hauptversammlung vorzubereiten. Mit Blick auf die dafür erforderliche Zeit und Sachkunde erscheint die Bestellung professioneller Berater zumindest bei großen Aktiengesellschaften zweckmäßig (siehe dazu oben Teil 3 A. I. 2.).
85
Kocher/Feigen, NZG 2015, 620, 623. So etwa: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 131. 87 Wilsing/von der Linden, ZIP 2009, 641, 649. 88 Diekmann/Wurst, NZG 2014, 121, 124 (zur Einschaltung von Beratern im Rahmen der Aufsichtsratsarbeit). 86
Teil 5
Die fehlerhafte Versammlungsleitung Mit Blick auf die mitgliedschaftliche Relevanz versammlungsleitender Maßnahmen stellt sich die Frage, ob und wie Aktionäre gegen Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters, die sie für rechtswidrig halten, vorgehen können. Im Schrifttum wird insoweit primär der Grundsatz der inzidenten Rechtskontrolle betont. Aus der Einordnung des Hauptversammlungsleiters als Organwalter ergeben sich jedoch weitergehende Rechtsschutzmöglichkeiten, auf die im Folgenden eingegangen werden soll. Im Anschluss werden mit Blick auf die Organstellung Möglichkeiten aufgezeigt, wie auf die Versammlungsleitung durch den falschen Hauptversammlungsleiter reagiert werden kann.
A. Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters I. Grundsatz der inzidenten Rechtskontrolle Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters können nach einhelliger Auffassung nicht selbständig mit der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage angegriffen werden.1 Der direkte Anwendungsbereich der §§ 241 ff. AktG betrifft allein Beschlüsse, und zwar solche der Hauptversammlung.2 Der Hauptversammlungsleiter ordnet Leitungs- oder Ordnungsmaßnahmen aber nicht durch Beschluss, sondern durch verfahrensleitende Verfügung an.3 Aus teleologischen Erwägungen kommt auch eine (doppelt) analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG nicht in Betracht. Insoweit kann die Begründung herangezogen werden, mit welcher der BGH4 eine analoge Anwendung auch bei den Beschlüssen von Vorstand und Aufsichtsrat abgelehnt hat. Denn danach liefe „die Zulassung einer Anfechtungsklage, durch die der einzelne Aktionär mit unmittelbarer Gestaltungswirkung gemäß § 248 AktG in eine Handlung der Verwaltung eingreifen könnte, […] auf einen Systembruch des geltenden 1
BGH, NJW 1966, 43, 44; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 177; Hoffmann-Becking, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 37, Rn. 42; Marsch-Barner, FS Brambring, 2012, S. 267, 270. 2 Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 68. 3 K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 45, Rn. 20 (zum Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung). 4 BGH, NJW 2006, 374; siehe auch: Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 243, Rn. 4.
A. Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters
135
Aktienrechts hinaus“. Das Aktiengesetz hat das Recht und die Pflicht zur eigenverantwortlichen, an objektiven Sorgfaltsmaßstäben orientierten Geschäftsführung allein dem Vorstand zugewiesen. Der Hauptversammlung dagegen ist die Mitwirkung an und die Einflussnahme auf Geschäftsführungsmaßnahmen – von den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen abgesehen – grundsätzlich versagt.5 Der Grundsatz der Gewaltenteilung greift auch im Verhältnis zwischen Hauptversammlung und Hauptversammlungsleiter ein. Das Aktienrecht hat versammlungsleitende Maßnahmen der Einflussnahme durch die Hauptversammlung entzogen. Dogmatische Grundlage dieser Kompetenzabgrenzung ist freilich die Einordnung des Hauptversammlungsleiters als eigenständiges Organ der Aktiengesellschaft. Die fehlende Anwendbarkeit der §§ 241 ff. AktG bedeutet aber nicht, dass Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters einer rechtlichen Überprüfung grundsätzlich entzogen sind. Eine solche findet unstreitig inzidenter statt, wenn der betroffene Aktionär einen oder mehrere Hauptversammlungsbeschlüsse wegen eines Fehlers bei der Versammlungsleitung mit der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage angreift.6 Mit Blick auf die Organstellung des Hauptversammlungsleiters kommen jedoch noch weitere Rechtsschutzmöglichkeiten in Betracht, welche von der Rechtsprechung in anderem Zusammenhang bereits anerkannt sind.
II. Abwehrklage des Aktionärs Nach der Rechtsprechung des BGH steht den Aktionären im Grundsatz eine Abwehrklage zu, wenn durch rechtswidriges Organhandeln in ihre Mitgliedschaftsrechte eingegriffen wird. Rechtswidriges Organhandeln kann somit im Wege einer vorbeugenden Unterlassungsklage abgewehrt werden. Klagegegner ist nicht der Vorstand, sondern die Gesellschaft, da das mitgliedschaftliche Rechtsverhältnis des Aktionärs allein zu dieser besteht.7 Der Unterlassungsanspruch kann darüber hinaus auch im Wege einer einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden. Dogmatisch handelt es dabei um die Geltendmachung eines Sekundäranspruchs, der seine Grundlage im mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnis zur Gesellschaft hat.8 Denn der Aktionär hat „einen verbandsrechtlichen Anspruch darauf, dass die Gesellschaft seine Mitgliedsrechte achtet und alles unterlässt, was sie über das durch Gesetz und Satzung gedeckte Maß hinaus beeinträchtigt“.9 Er kann auf diese Weise 5
BGH, NJW 2006, 374. BGH, NZG 2010, 423, 426; Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 765; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 177; Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, Kapitel D., Rn. 90 f.; Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516, 543; Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132 AktG, Rn. 67 f. 7 Hölters, in: Hölters, AktG, § 93, Rn. 384. 8 Schürnbrand, ZHR 171 (2007), 731, 734 (zum Rechtsschutz beim genehmigten Kapital). 9 BGH, NJW 1982, 1703, 1706 – „Holzmüller“. 6
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Teil 5: Die fehlerhafte Versammlungsleitung
nicht nur sein Recht auf Entscheidungsteilhabe sichern, sondern auch die Verletzung anderer konkreter Mitgliedschaftsrechte abwehren.10 Vor diesem Hintergrund hat der BGH in seiner „Holzmüller“-Entscheidung die Möglichkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage anerkannt, wenn Vorstand oder Aufsichtsrat in den Kompetenzbereich der Hauptversammlung eingreifen.11 Dahinter steht der Gedanke, dass die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gemäß den §§ 241 ff. AktG auch einer objektiven Kontrolle des gesetzes- und satzungskonformen Verhaltens der Hauptversammlung dienen. Dies zeigt sich bereits daran, dass die Klagebefugnis des Aktionärs nicht davon abhängig ist, ob er in eigenen Rechten verletzt ist. Dem Aktionär kommt insoweit eine „objektive Wächterrolle“ im Hinblick auf die Beschlüsse der Hauptversammlung zu.12 Verletzen die Verwaltungsorgane jedoch die Kompetenzen der Hauptversammlung, indem sie ihr grundlegende Strukturentscheidungen als zustimmungspflichtige Maßnahmen nicht zur Entscheidung vorlegen, kann der Aktionär seiner Kontrollaufgabe nicht gerecht werden.13 Das Aktiengesetz sieht hier zwar Schadensersatzansprüche der Gesellschaft (§ 93 Abs. 2 Satz 1 AktG) oder – in Ausnahmefällen – der Aktionäre selbst (§ 117 Abs. 1 Satz 2 AktG) vor. Der Aktionär wäre insofern aber auf nachträglichen Rechtsschutz beschränkt. Um diese Schutzlücke zu schließen, hat der BGH die Klagebefugnis des Aktionärs damit begründet, dass er „durch eine unzulässige Ausschaltung der Hauptversammlung in seiner eigenen Mitgliedsstellung betroffen“ ist.14 In der „Siemens/Nold“-Entscheidung15 hat der BGH die Möglichkeit einer Unterlassungsklage auch bei der rechtswidrigen Ausnutzung einer Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss beim genehmigten Kapital anerkannt. Der Vorstand darf von der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss im Rahmen des genehmigten Kapitals nur dann Gebrauch machen, wenn die Durchführung im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt. Macht er von einer ihm erteilten Ermächtigung Gebrauch, obwohl diese Voraussetzung nicht vorliegt, so verletzt er eine aktionärsschützende Vorschrift, die der einzelne Aktionär mittels der Aktionärsklage abwehren kann.16 In der Entscheidung „Mangusta/Commerzbank II“17 hat der BGH diesen Grundsatz erneut klargestellt. Im Hinblick auf die mitgliedschaftliche Relevanz versammlungsleitender Maßnahmen wird im Schrifttum eine Abwehrklage – insbesondere im einstweiligen 10
Schürnbrand, ZHR 171 (2007), 731, 734 (zum Rechtsschutz beim genehmigten Kapital). BGH, NJW 1982, 1703, 1706 – „Holzmüller“; siehe auch: BGH, NZG 2004, 571, 574 und NZG 2004, 575, 578 – „Gelatine“. 12 Rieckers, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 18, Rn. 8. 13 Rieckers, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 18, Rn. 8. 14 BGH, NJW 1982, 1703, 1706 – „Holzmüller“. 15 BGH, NJW 1997, 2815 – „Siemens/Nold“. 16 BGH, NJW 1997, 2815, 2816 – „Siemens/Nold“. 17 BGH, NZG 2006, 20 – „Mangusta/Commerzbank II“ 11
A. Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters
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Verfügungsverfahren – auch bei rechtswidrigen Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters für möglich gehalten.18 Wenngleich dieser Auffassung im Ergebnis gefolgt wird, so lässt sich die Möglichkeit einer Abwehrklage doch nur mit Blick auf die Organstellung des Hauptversammlungsleiters begründen: Ordnet man den Versammlungsleiter als bloßen Funktionsgehilfen der Hauptversammlung ein, müsste sich der entsprechende Antrag gegen die konkrete Person des Hauptversammlungsleiters richten. Denn es ginge insoweit gerade nicht um eine Organhandlung der Gesellschaft. Wird der Abwehranspruch des Aktionärs dann gleichwohl auf das mitgliedschaftliche Rechtsverhältnis zur Gesellschaft gestützt, wäre der Hauptversammlungsleiter schon nicht passivlegitimiert.19 Qualifiziert man den Hauptversammlungsleiter hingegen als Organwalter, ist Antragsgegner die Gesellschaft, der sein organschaftliches Handeln zugerechnet wird.20 Als sicherbarer Anspruch kommt sodann ohne Weiteres der verbandsrechtliche Abwehranspruch des Aktionärs in Betracht. Gleichwohl ist die praktische Bedeutung dieses Abwehranspruchs schon aus Zeitgründen gering.21 Denn während der Hauptversammlung ist gerichtlicher Rechtsschutz regelmäßig nicht zu erlangen. Denkbar ist daher allenfalls, dass der Hauptversammlungsleiter die Anordnung der betreffenden Maßnahme bereits vor der Hauptversammlung ankündigt, etwa wenn Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Hauptversammlungsleiter und einem Aktionär im Hinblick auf sein Teilnahmerecht bestehen. Teilt der Hauptversammlungsleiter darauf mit, den Aktionär nicht zur Teilnahme an der Hauptversammlung zuzulassen oder seine Stimmabgabe nicht zu berücksichtigen, kann der Aktionär diese Maßnahme grundsätzlich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes abwehren.22 Zu berücksichtigen ist allerdings zweierlei: Zum einen bestimmt sich das Beweismaß im einstweiligen Verfügungsverfahren im Rahmen einer Interessenabwägung. Abgewogen werden die Nachteile, die dem Aktionär bei einer Abweisung des Antrags drohen, mit denen, die der Gesellschaft im Falle einer unberechtigten einstweiligen Verfügung erwachsen. Im Einzelfall werden an die Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs und des Verfügungsgrundes daher hohe Anforderungen gestellt.23 Zum anderen dürfte der Antrag im einstweiligen Verfügungsverfahren jedenfalls bei Ordnungsmaßnahmen regelmäßig daran scheitern, dass der Ablauf der Versammlung 18
Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132 AktG, Rn. 67; Marsch-Barner, in: FS Brambring, 2012, S 267, 271 f.; gegen die Möglichkeit einstweiligen Rechtschutzes: Wicke, in: Spindler/Stilz, Anh. § 119, Rn. 5. 19 Die Passivlegitimation des Hauptversammlungsleiters bezweifelnd, aber offengelassen: LG München I, BeckRS 2008, 17263. 20 Vgl. BGH, NJW 1997, 2815, 2816 – „Siemens/Nold“, wonach die Feststellungs- oder Unterlassungsklage bei rechtswidrigem Organhandeln gegen die Gesellschaft zu richten ist. 21 Statt aller: Marsch-Barner, in: FS Brambring, 2012, S 267, 272. 22 Marsch-Barner, in: FS Brambring, 2012, S 267, 272. 23 Schürnbrand, ZHR 171 (2007), 731, 735 f. (zur Unterlassungsklage beim genehmigten Kapital).
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Teil 5: Die fehlerhafte Versammlungsleitung
nicht vorausgesehen werden kann.24 So ist auch eine Abwehrklage auf Unterlassung einer zu erwartenden rechtswidrigen Beschlussfassung der Hauptversammlung regelmäßig nicht begründet. Denn erforderlich dafür wäre, dass anderenfalls effektiver Rechtsschutz fehlt, der Antragsteller ein besonderes Schutzbedürfnis hat, die Rechtslage eindeutig sowie das Gebot des geringstmöglichen Eingriffs beachtet ist.25 Dem Aktionär ist es aber regelmäßig zumutbar, den Verlauf der Hauptversammlung abzuwarten und sodann Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage zu erheben.
III. Nachträgliche Feststellungsklage Im nachträglichen Rechtsschutz gegen rechtswidrige Maßnahmen der Versammlungsleitung kommt neben einer inzidenten Rechtskontrolle im Wege einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage die allgemeine Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO in Betracht. Der BGH hat in der „Holzmüller“-Entscheidung anerkannt, dass die Vorschriften der §§ 241 ff. AktG die allgemeine Feststellungsklage nicht ausschließen, sofern ein Rechtsinteresse an der Feststellung besteht.26 Das sei insbesondere dann der Fall, wenn Vorstand oder Aufsichtsrat in den Kompetenzbereich der Hauptversammlung eingreifen.27 Die allgemeine Feststellungsklage wird auch für den Fall als zulässig angesehen, dass die rechtswidrige Ausnutzung einer Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss beim genehmigten Kapital geltend gemacht wird.28 In der „Mangusta/Commerzbank-II“-Entscheidung hat der BGH zudem festgestellt, dass der Grundsatz der Subsidiarität der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegensteht. Denn im Falle einer erfolgreichen Klage habe der Aktionär die begründete Aussicht, dass die Gesellschaftsorgane hieraus die notwendigen Folgerungen ziehen, namentlich entweder eine (erneute) rechtswidrige Ausnutzung des noch fortbestehenden genehmigten Kapitals unterlassen oder den bereits eingetretenen Schaden kompensieren werden.29 Auch nach Wirksamwerden der Kapitalerhöhung soll noch ein legitimes Rechtsinteresse an der Feststellung bestehen. Denn das Feststellungsurteil könne für die Aktionäre die Grundlage für die Geltendmachung konkreter Sekundäransprüche bilden sowie Anträge auf Versagung der Entlastung, auf Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern oder auf Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in der Hauptversammlung rechtfertigen.30 24
Liebscher, in: MüKo-GmbHG, § 48, Rn. 126. Marsch-Barner, in: FS Brambring, 2012, S. 267, 273. 26 BGH, NJW 1982, 1703, 1704 – „Holzmüller“. 27 BGH, NJW 1982, 1703 – „Holzmüller“; BGH, NZG 2004, 571, 574 und NZG 2004, 575, 578 – „Gelatine“. 28 BGH, NZG 2006, 20, 21 f. – „Mangusta/Commerzbank II“; BGH, NJW 1997, 2815 – „Siemens/Nold“. 29 BGH, NZG 2006, 20, 21 f. – „Mangusta/Commerzbank II“; siehe dazu: Bungert, BB 2005, 2757, 2758. 30 BGH, NZG 2006, 20, 22 f. – „Mangusta/Commerzbank II“. 25
A. Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters
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Das Schrifttum hat die Rechtsprechung des BGH zum Teil dahingehend kritisiert, dass damit eine im Zivilprozessrecht nicht vorgesehene Fortsetzungsfeststellungsklage geschaffen werde.31 Darüber hinaus überzeuge die Außerachtlassung des Subsidiaritätsgrundsatzes nicht. Denn der Aktionär, der meint, einen eigenen Schaden erlitten zu haben, könne sogleich Leistungsklage erheben, ohne zuvor gesondert die Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns klären lassen zu müssen.32 Eine Aktionärsklage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von Organhandeln ist – trotz aller Begründungsschwierigkeiten – aber jedenfalls dort zuzulassen, wo anderenfalls eine Schutzlücke bestünde. Bei der Ausnutzung genehmigten Kapitals stehen dem Aktionär etwa keine speziellen aktienrechtlichen Klagemöglichkeiten zur Verfügung. Zwar wird der Vorstand – unabhängig von den Klagemöglichkeiten der Aktionäre – grundsätzlich durch den Aufsichtsrat kontrolliert, da aber Vorstand und Aufsichtsrat bei der Ausnutzung genehmigten Kapitals zusammenwirken müssen, ist die Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat strukturell weniger wirksam.33 Die Übertragbarkeit der Rechtsprechung des BGH auf eine fehlerhafte Versammlungsleitung setzt somit voraus, dass auch im Hinblick auf die Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters eine aktienrechtliche Schutzlücke besteht. Greift der Hauptversammlungsleiter in die Kompetenzen der Hauptversammlung ein, etwa wenn er die Absetzung oder Vertagung eines Tagesordnungspunktes anordnet, so kann die Kompetenzüberschreitung jedoch regelmäßig im Rahmen einer Beschlussmängelklage geklärt werden. Dasselbe gilt für den Fall, dass der betroffene Aktionär die Rechtswidrigkeit einer lediglich für die Dauer der Hauptversammlung wirkenden Maßnahme des Hauptversammlungsleiters geltend macht. Eine Schutzlücke besteht allerdings dann, wenn die rechtswidrige Maßnahme des Hauptversammlungsleiters über die Beschlussfassung in der Hauptversammlung hinauswirkt, was etwa bei einer Beleidigung von Aktionären der Fall sein wird.34 Darüber hinaus hat der Aktionär auch dann ein Rechtsinteresse, die Rechtswidrigkeit einer versammlungsleitenden Maßnahme feststellen zu lassen, wenn Wiederholungsgefahr besteht.35 Dies kommt etwa bei zu Unrecht angenommenen Stimmverboten durch den Hauptversammlungsleiter in Betracht. Eine Rechtsschutzlücke besteht auch dann, wenn die Möglichkeit einer inzidenten Rechtskontrolle schon mangels Vorliegens eines Hauptversammlungsbeschlusses nicht möglich ist.36 Jede Beschlussfassung in der Hauptversammlung setzt einen Beschlussantrag sowie dessen Annahme durch die Hauptversammlung vor31
Rieckers, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 18, Rn. 9; Bungert, BB 2005, 2757, 2758. Rieckers, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 18, Rn. 9; Schürnbrand, ZHR 171 (2007), 731, 736; Busch, NZG 2006, 81, 85. 33 BGH, NZG 2006, 20, 21 – „Mangusta/Commerzbank II“. 34 Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 765; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 177. 35 Marsch-Barner, FS Brambring, 2012, S. 267, 271. 36 Heidel, in: Heidel, AktG, Vor §§ 129 – 132, Rn. 68. 32
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Teil 5: Die fehlerhafte Versammlungsleitung
aus.37 Abgestimmt werden kann über einen Beschlussantrag allerdings nur dann, wenn der Hauptversammlungsleiter diesen zur Abstimmung zugelassen hat.38 Eine Beschlussfassung durch die Hauptversammlung fehlt mithin dann, wenn der Hauptversammlungsleiter den betreffenden Beschlussantrag erst gar nicht zur Abstimmung stellt.39 Ist der Beschlussantrag nicht offenkundig gesetzwidrig, sinnlos oder missbräuchlich, ist die Zurückweisung durch den Hauptversammlungsleiter zwar rechtswidrig, mangels angreifbaren Hauptversammlungsbeschlusses besteht jedoch keine Möglichkeit, diese Maßnahme inzident im Wege der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage überprüfen zu lassen. Der Aktionär kann allenfalls über § 122 AktG vorgehen und die Ergänzung der Tagesordnung der nächsten ordentlichen Hauptversammlung oder die unverzügliche Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung mit dem entsprechenden Tagesordnungspunkt vom Vorstand verlangen.40 Wenn der Hauptversammlungsleiter einen Beschlussantrag als rechtswidrig zurückgewiesen hat, ist jedoch davon auszugehen, dass auch der Vorstand dem Einberufungs- bzw. Ergänzungsverlangen des Aktionärs nicht nachkommt. In diesem Fall bleibt dem Aktionär nur die Möglichkeit, eine gerichtliche Ermächtigung nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG zu erwirken. Auch damit ist aber nicht sichergestellt, dass es zu einer Abstimmung über seinen Beschlussantrag kommt. Denn der satzungsmäßig bestimmte Hauptversammlungsleiter kann den Beschlussantrag ohne Weiteres erneut zurückweisen. Der Aktionär müsste über § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG somit zugleich die gerichtliche Bestellung eines neutralen Hauptversammlungsleiters erreichen.41 Mit Blick auf eine möglichst einheitliche Versammlungsleitung wird die gerichtliche Bestimmung des Hauptversammlungsleiters in diesem Fall jedoch nur selten in Betracht kommen.42 Das Feststellungsurteil hingegen schafft eine Grundlage, um zu erreichen, dass der Hauptversammlungsleiter den Antrag zur Abstimmung stellt.43 Auch dann, wenn es dem Aktionär auf die weitere Befassung der Hauptversammlung mit dem Beschlussantrag nicht ankommt (etwa weil Erledigung eingetreten ist oder sich die Mehrheitsverhältnisse in der Hauptversammlung verschoben haben), ist die allgemeine Feststellungsklage zuzulassen. Denn anderenfalls würde die Nichtzulassung des Beschlussantrags einer gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle vollends entzogen. 37
Austmann, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 40, Rn. 6. Austmann, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 40, Rn. 13. 39 Siehe zur Beschlussvereitelung durch den Hauptversammlungsleiter ausführlich: Schatz, AG 2015, 696. 40 Schatz, AG 2015, 696, 703. 41 Die gerichtliche Bestimmung des Hauptversammlungsleiters kommt nicht nur im Falle einer gerichtlichen Ermächtigung nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG in Betracht, sondern auch dann, wenn der Vorstand einem Verlangen nach § 122 Abs. 1 oder 2 AktG stattgegeben hat; siehe: Schatz, AG 2015, 696, 706 f. 42 Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 122, Rn. 56. 43 Ein Vorgehen über § 122 AktG setzt zudem voraus, dass das erforderliche Quorum erreicht wird. 38
A. Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters
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IV. Positive Beschlussfeststellungsklage Hat der Hauptversammlungsleiter zu Unrecht die Ablehnung eines Beschlussantrags festgestellt, stellt sich zudem die Frage, ob der Aktionär neben der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage zugleich positive Beschlussfeststellungsklage erheben kann. Denn mit der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage kann der Aktionär den fehlerhaften (negativen) Beschluss zwar aus der Welt schaffen, aufgrund seiner negativen Wirkung kann das Urteil aber nicht zugleich den wirklich gefassten Beschluss feststellen. Für den Aktionär liegt es daher nahe, im Wege einer zusätzlichen Klage die Feststellung zu begehren, dass sein Beschlussantrag von der Hauptversammlung angenommen worden ist.44 Im Falle einer fehlerhaften Beschlussfeststellung durch den Hauptversammlungsleiter erkennt der BGH eine positive Beschlussfeststellungklage grundsätzlich an. Dies schaffe den notwendigen Ausgleich „zu der einem Hauptversammlungsleiter aus Gründen der Rechtssicherheit eingeräumten Macht, das Beschlußergebnis mit vorläufiger Bestandskraft festzulegen“. Die Feststellung des Hauptversammlungsleiters ist konstitutiv. Sie bewirkt nicht nur die Wirksamkeit, sondern legt auch den Inhalt des Beschlusses fest, und zwar auch dann, wenn die Feststellung sachlich unzutreffend ist.45 Ohne die Möglichkeit einer positiven Beschlussfeststellungsklage wäre ein Aktionär, dessen Antrag der Hauptversammlungsleiter zu Unrecht als abgelehnt bezeichnet hat, weitgehend schutzlos. Zwar bliebe ihm wiederum die Möglichkeit, über § 122 AktG vorzugehen und seinen Antrag in einer neuen Hauptversammlung zu wiederholen, er hätte damit aber noch immer nicht die Gewähr einer zustimmenden Entscheidung. Möglich ist nämlich, dass sich die Mehrheitsverhältnisse inzwischen verschoben haben oder dass der Hauptversammlungsleiter wiederum ein unrichtiges Ergebnis verkündet. Nach der Rechtsprechung des BGH kann ihm diese Gewähr nur ein positives Feststellungsurteil geben.46 Neben der unrichtigen Stimmzählung hält der BGH eine positive Beschlussfeststellung auch in solchen Fällen für möglich, in denen die Ablehnung des beantragten Beschlusses darauf beruht, dass Gegenstimmen missbräuchlich unter Verletzung von gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten abgegeben worden sind.47 Heidel spricht sich im Falle einer Beschlussvereitelung durch den Hauptversammlungsleiter ebenfalls für die Möglichkeit einer positiven Beschlussfeststellungsklage aus.48 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es bei einer Beschlussvereitelung durch den Hauptversammlungsleiter an einem anfechtbaren Hauptversammlungsbeschluss gerade fehlt, sodass die Beschlussfeststellungsklage nur isoliert erhoben werden könnte. Darüber hinaus wäre die positive Beschlussfeststellungsklage im Falle einer Be44 45 46 47 48
Hüffer/Schäfer, in: MüKo-AktG, § 246, Rn. 84. Kubis, in: MüKo-AktG, § 130, Rn. 62. BGH, NJW 1980, 1465, 1467. BGH, NJW 1984, 489, 491 f. Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 246, Rn. 12a.
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Teil 5: Die fehlerhafte Versammlungsleitung
schlussvereitelung nicht auf die „korrekte“ Feststellung eines tatsächlich gefassten Beschlusses gerichtet, sondern darauf, einen Beschluss, der niemals gefasst wurde, festzustellen. Das Urteil würde somit nicht allein die Feststellung dessen ersetzen, was tatsächlich beschlossen worden ist, sondern die Beschlussfassung selbst.49 Vor diesem Hintergrund geht die Rechtsprechung einhellig davon aus, dass die positive Beschlussfeststellungsklage unzulässig ist, sofern eine Abstimmung nicht tatsächlich stattgefunden hat.50 Nach Auffassung des OLG Köln folgt dies zwingend auch daraus, „dass ein fiktives Abstimmungsergebnis nicht vorhersehbar ist, und zwar weder mit absoluter noch mit einer dem Beweismaß des § 286 ZPO genügenden Sicherheit“.51 Dementsprechend muss es im Falle einer Beschlussvereitelung durch den Hauptversammlungsleiter bei der Möglichkeit der allgemeinen Feststellungsklage nach § 246 ZPO verbleiben.
V. Sonstige Rechtsschutzmöglichkeiten Neben den vorgenannten Rechtsschutzmöglichkeiten verbleibt dem Aktionär im Falle einer rechtswidrigen Maßnahme der Versammlungsleitung zudem die Möglichkeit, die Abwahl des Hauptversammlungsleiters zu beantragen. Auch der satzungsmäßige Hauptversammlungsleiter kann aus wichtigem Grund abgewählt werden (siehe oben Teil 3 C. I. 1.). Der wichtige Grund kann insbesondere in einer rechtswidrigen Leitungs- oder Ordnungsmaßnahme liegen.52 Darüber hinaus hat der Aktionär die Möglichkeit, die Ausführung eines Hauptversammlungsbeschlusses im Wege einer einstweiligen Verfügung zu verhindern. Die Verfügung richtet sich in diesem Fall gegen den Vorstand.53 Die Möglichkeit, die Beschlussdurchführung per einstweiliger Verfügung vorläufig zu verhindern, muss auch dann bestehen, wenn der Hauptversammlungsbeschluss aufgrund einer fehlerhaften Maßnahme des Hauptversammlungsleiters (vermeintlich) rechtswidrig ist. Derartige Verfügungen richten sich oftmals gegen Beschlüsse, die zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung in das Handelsregister bedürfen.54 Bei Beschlüssen, für die ein Freigabeverfahren in Betracht kommt, ist ein Verfügungsantrag allerdings unzulässig, wenn das Freigabeverfahren bereits eingeleitet ist.55 Sofern die Gesellschaft den Freigabeantrag nachträglich stellt, verdrängt dieser gegebenenfalls sogar eine 49
Schatz, AG 2015, 696, 702. OLG Köln, NZG 2012, 946, 950; LG Köln, BeckRS 2013, 09069; LG Dortmund, BeckRS 2012, 00096. 51 OLG Köln, NZG 2012, 946, 950; ähnlich bereits: LG Köln, BeckRS 2013, 09069. 52 Schatz, AG 2015, 696, 701 weist allerdings zutreffend darauf hin, dass der Abwahlantrag eines Minderheitsaktionärs regelmäßig keine Mehrheit finden wird. 53 Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 766. 54 Buchta, DB 2008, 913, 917. 55 Kort, NZG 2007, 169, 171. 50
B. Der „falsche“ Hauptversammlungsleiter
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frühere Verfügung.56 Der Aktionär muss in diesen Fällen somit den Nutzen einer einstweiligen Verfügung mit dem drohenden Schadensersatzrisiko nach § 945 ZPO abwägen.57
B. Der „falsche“ Hauptversammlungsleiter Maßnahmen der Versammlungsleitung sind nicht nur dann fehlerhaft, wenn der Hauptversammlungsleiter in den Kompetenzbereich der Hauptversammlung eingreift oder die angeordnete Maßnahme inhaltlich fehlerhaft ist. Möglich ist auch, dass der „falsche“ Hauptversammlungsleiter das Amt übernimmt. Insofern kommen unterschiedliche Konstellationen in Betracht: Sofern – wie in der Praxis üblich – die Satzung den Aufsichtsratsvorsitzenden oder ein anderes vom Aufsichtsrat zu wählendes Aufsichtsratsmitglied zum Hauptversammlungsleiter bestimmt, kann die Wahl des jeweiligen Mitglieds in den Aufsichtsrat angefochten worden oder nichtig sein. Der „falsche“ Hauptversammlungsleiter wird auch dann tätig, wenn der Hauptversammlungsleiter zwar ad hoc gewählt wird, der Wahlbeschluss der Hauptversammlung aber fehlerhaft ist. Möglich ist zudem, dass die Wahl an sich zwar fehlerfrei ist, der Hauptversammlungsleiter sein Amt aber aufgrund einer fehlerhaften Abwahl seines Vorgängers angetreten hat. Auch dies führt zu einer Leitung der Hauptversammlung durch eine unzuständige Person.
I. Die Folgen einer fehlerhaften Besetzung des Amtes Die Folgen, die sich aus der Versammlungsleitung durch den „falschen“ Hauptversammlungsleiter ergeben, sind bislang weitgehend ungeklärt. Im Schrifttum wird zum Teil vertreten, dass die Versammlungsleitung durch einen unerkannt fehlerhaften Hauptversammlungsleiter jedenfalls im Hinblick auf § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG zur Nichtigkeit der von ihm festgestellten Hauptversammlungsbeschlüsse führe.58 Nach zwei Entscheidungen der Landgerichte Frankfurt a. M.59 und Köln60 aus dem Jahr 2005 sind Hauptversammlungsbeschlüsse mangels ordnungsgemäßer Feststellung des Beschlussergebnisses bereits dann nichtig, wenn diese von einer Person 56
Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 246a, Rn. 27; Koch, in: GroßKomm-HGB. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 243, Rn. 68; Hüffer/Schäfer, MüKo-AktG, § 243, Rn. 155. 58 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 130, Rn. 30 (mit dem Hinweis, dass der Mangel bei eintragungsbedürftigen Beschlüssen gem. § 242 Abs. 1 AktG durch Eintragung in das Handelsregister geheilt werden kann). 59 LG Frankfurt a. M., BeckRS 2005, 10225. 60 LG Köln, BeckRS 2005, 08759. 57
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Teil 5: Die fehlerhafte Versammlungsleitung
festgestellt worden sind, von der nicht feststeht, ob sie ordnungsgemäßer Hauptversammlungsleiter war. Dies müsste – folgerichtig – erst recht gelten, wenn feststeht, dass der falsche Hauptversammlungsleiter gehandelt hat. Nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum regelt die Vorschrift des § 130 Abs. 2 AktG jedoch nur den Mindestinhalt der notariellen Niederschrift. Es gehe der Norm vornehmlich um Beurkundungsmängel und nicht um die Frage, welche Rechtsfolgen eine Beschlussfeststellung durch eine falsche Person hat.61 Die Feststellung und Verkündung des Beschlussergebnisses durch den Scheinaufsichtsratsvorsitzenden oder ein anderes, vom Aufsichtsrat gewähltes Scheinmitglied solle daher nicht zur Nichtigkeit führen, sondern lediglich einen Satzungsverstoß darstellen, der gemäß § 243 AktG die Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse begründet.62 Darüber hinaus hafte der Versammlungsleitung durch eine unzuständige Person zwar ein Legitimationsdefizit an,63 der Verfahrensfehler sei für das Beschlussergebnis aber regelmäßig nicht „relevant“. Das OLG Frankfurt a. M. wies in einem Urteil aus dem Jahr 200864 beispielsweise darauf hin, dass die satzungsmäßige Bestimmung des Aufsichtsratsvorsitzenden zum Hauptversammlungsleiter den Zweck verfolge, eine Person zu benennen, die bei der Hauptversammlung hohes Ansehen genießt und zu dem übertragenen Amt auch regelmäßig ausreichend befähigt erscheint. Selbst wenn der Aufsichtsratsvorsitzende unwirksam zum Aufsichtsratsmitglied bestellt worden sei, würde dies weder sein Ansehen noch seine Befähigung zur Wahrnehmung der Aufgaben des Hauptversammlungsleiters in Frage stellen. Die Anfechtung eines Beschlusses, welcher unter der Leitung eines unzuständigen Hauptversammlungsleiters zustande gekommen ist, sei daher nur dann möglich, wenn sich konkrete, die Teilnahmerechte der Aktionäre beeinträchtigende Maßnahmen des an sich unzuständigen Hauptversammlungsleiters auf den angefochtenen Beschluss ausgewirkt haben.65 Hiergegen lässt sich allerdings einwenden, dass es Voraussetzung für die konstitutive Wirkung der Beschlussfeststellung ist, dass sie vom richtigen Hauptversammlungsleiter vorgenommen wird. Bei einer Feststellung durch den falschen Hauptversammlungsleiter ist somit richtigerweise schon kein wirksamer Hauptversammlungsbeschluss zustande gekommen. Auch kann die pauschale Verneinung 61
OLG Bremen, BeckRS 2010, 00281; von Falkenhausen/Kocher, BB 2005, 1068, 1069; Rose, NZG 2007, 241, 244. 62 So: Heller, AG 2008, 493, 494. Seiner Ansicht nach soll die Unterzeichnung der Niederschrift durch den Scheinaufsichtsratsvorsitzenden hingegen zur Nichtigkeit der auf der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse führen. Dagegen spricht jedoch, dass § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG nur den Regelfall – die Leitung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden – betrifft, die Vorschrift aber den Hauptversammlungsleiter als solchen meint. 63 Rose, in: Gärtner/Rose/Reul, Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe im Aktienrecht, S. 139 (unter Verweis auf OLG Bremen, BeckRS 2010, 00281). 64 OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 18. März 2008 – 5 U 171/06; NZG 2008, 429. 65 OLG Frankfurt a. M., NZG 2008, 429, 430; siehe auch: OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2013, 19282; NZG 2012, 942; BeckRS 2010, 09493.
B. Der „falsche“ Hauptversammlungsleiter
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der Beschlussrelevanz nicht überzeugen. Die Auffassung des OLG Frankfurt a. M. führt letztlich dazu, dass die Maßnahmen eines unzuständigen Hauptversammlungsleiters nur dann rechtswidrig sind, wenn sie inhaltliche Fehler aufweisen. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass sich die Rechtswidrigkeit einer versammlungsleitenden Maßnahme nicht allein aus inhaltlichen Fehlern, sondern auch aus fehlender Kompetenz ergeben kann.66 Im Schrifttum wird insoweit meist der Fall angesprochen, dass der Hauptversammlungsleiter tätig wird, obgleich die Hauptversammlung zur alleinigen Entscheidung berufen ist. Der Person, die die Hauptversammlung leitet, fehlt jedoch auch dann die Entscheidungskompetenz, wenn sie nicht wirksam zum Hauptversammlungsleiter bestellt worden ist. Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf den Ermessensspielraum, der dem Hauptversammlungsleiter – etwa mit Blick auf § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG – eingeräumt ist. Insoweit wären sämtliche Maßnahmen des falschen Hauptversammlungsleiters rechtswidrig, und zwar unabhängig davon, ob sie inhaltliche Mängel aufweisen. Ebenso ist zu beachten, dass Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters in der Regel mit einem Eingriff in Mitgliedschaftsrechte verbunden sind. Die Aktionäre haben sich einem Eingriff in ihre Mitgliedschaftsrechte aber nur insoweit geöffnet, als dies der Verwirklichung des Verbandszwecks dient.67 Die Verwirklichung des Verbandszwecks obliegt jedoch den Organen, die mit Organwaltern besetzt sind. Der falsche Hauptversammlungsleiter ist mangels Organwalterverhältnis zur Gesellschaft grundsätzlich nicht zu einem Eingriff in Mitgliedschaftsrechte berechtigt. Die Rechte und Pflichten des Hauptversammlungsleiters beruhen auf dem korporationsrechtlichen Rechtsverhältnis zur Gesellschaft. Dementsprechend führt etwa auch die Einberufung der Hauptversammlung durch ein fehlerhaft bestelltes Vorstandsmitglied gemäß § 241 Nr. 1 AktG nach herrschender Auffassung zur Nichtigkeit der nachfolgenden Hauptversammlungsbeschlüsse. Dann müssen auch die Maßnahmen des falschen Hauptversammlungsleiters unwirksam sein. Entgegen der Auffassung der Landgerichte Frankfurt a. M. und Köln gilt dies aber freilich nur dann, wenn tatsächlich der falsche Hauptversammlungsleiter gehandelt hat. Festgehalten werden kann somit, dass mit der Tätigkeit des falschen Hauptversammlungsleiters grundsätzlich schwerwiegende Sanktionen verbunden sind. Diese sind auch nicht dadurch zu lösen, dass inhaltlich fehlerfreien Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters pauschal die Relevanz abgesprochen wird.
II. Der Scheinaufsichtsratsvorsitzende leitet die Versammlung Die Unwirksamkeit bzw. Rechtswidrigkeit sämtlicher unter der Leitung eines falschen Hauptversammlungsleiters gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse wurde bei 66 67
Siehe nur: Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 177. Siehe dazu: Füchsel, BB 1972, 1533, 1536 f. (zum Bezugsrechtsausschluss).
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Teil 5: Die fehlerhafte Versammlungsleitung
der Versammlungsleitung durch den Scheinaufsichtsratsvorsitzenden oder ein anderes vom Aufsichtsrat gewähltes Scheinaufsichtsratsmitglied bislang unter Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung vermieden.68 Der BGH69 hat der pauschalen Anwendbarkeit dieser Lehre auf Aufsichtsratsmitglieder mittlerweile jedoch eine Absage erteilt. So hat er in seinem Urteil vom 19. Februar 2013 entschieden, dass das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl durch die Hauptversammlung rechtskräftig für nichtig erklärt wird, im Grundsatz ex tunc als Nichtmitglied zu behandeln ist. Der BGH möchte aber nicht generell von der Lehre vom fehlerhaften Organmitglied abweichen, sondern lässt vereinzelte Ausnahmen von der ex tunc-Wirkung zu. Dies gelte zum einen für Beschlüsse des Aufsichtsrats, die den Anknüpfungspunkt für einen Beschluss der Hauptversammlung bilden, wie die Beschlussvorschläge nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG. Entsprechende Überlegungen sollen für die Zuständigkeiten von Aufsichtsratsmitgliedern gelten, bei denen „wie bei der satzungsmäßigen Bestimmung des Aufsichtsratsvorsitzenden zum Hauptversammlungsleiter an die jeweils aktuelle Funktion als Aufsichtsrat angeknüpft wird“. Der von einer Anfechtungsklage betroffene Aufsichtsratsvorsitzende soll seine satzungsmäßige Aufgabe als Hauptversammlungsleiter mithin bis zur rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit seiner Wahl uneingeschränkt ausüben können.70 Die von ihm getroffenen Maßnahmen haben auch dann Bestand, wenn seine Wahl nachträglich für unwirksam erklärt wird.71 Der BGH begründet die Ausnahme somit – genau genommen – nicht mit der Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organbestellung, sondern er verweist auf die Satzung, die mit der Zuweisung der Versammlungsleitung an den Aufsichtsratsvorsitzenden nur an dessen aktuelle Funktion anknüpft. Dabei geht es aber nicht allein um die Satzung, sondern um die Übernahme des Vorsitzes, nachdem der Aufsichtsratsvorsitzende vom Aufsichtsrat gewählt worden ist. Wenngleich dies vom BGH nicht ausdrücklich bestätigt wurde, leitet das Schrifttum daraus ab, dass die Versammlungsleitung auch dann geschützt ist, wenn der Aufsichtsrat durch Beschluss ein anderes Aufsichtsratsmitglied oder einen Dritten zum Hauptversammlungsleiter bestellt.72 Im Übrigen wird die Reichweite der Entscheidung des BGH in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Zum Teil werden die Ausführungen dahingehend verstanden, dass die Ausnahme von der ex tunc-Behandlung nur bei anfechtbaren, nicht auch bei nichtigen Wahlen eingreifen kann.73 In diesem Fall sei von der Anfechtbarkeit der gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse auszugehen, wobei wiederum erforderlich sein soll, dass sich eine konkrete Maßnahme des an sich unzuständigen 68
OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2010, 25449; BeckRS 2012, 15341. BGH, NZG 2013, 456. 70 So auch schon: OLG Frankfurt, NZG 2008, 429, 430. 71 BGH, NZG 2013, 456, 459. 72 Arnold/Gayk, DB 2013, 1830,1833; Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 769; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 129, Rn. 19. 73 Schürnbrand, NZG 2013, 481, 483; Arnold/Gayk, DB 2013, 1830, 1833. 69
B. Der „falsche“ Hauptversammlungsleiter
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Hauptversammlungsleiters im Sinne der Relevanz auf den angefochtenen Beschluss ausgewirkt hat.74 Andere Stimmen sind der Auffassung, der BGH habe die ex tuncUnwirksamkeit auf die Stimmabgabe und Beschlussfassung im Aufsichtsrat beschränkt. Da die Leitung der Hauptversammlung nicht zu den Mitgliedschaftsrechten im Aufsichtsrat gehöre, bestehe der Vertrauensschutz auch dann, wenn die Wahl des Hauptversammlungsleiters in den Aufsichtsrat nicht nur anfechtbar, sondern nichtig ist.75 Letztlich ist sowohl die Nichtanwendbarkeit der Lehre von der fehlerhaften Organstellung als auch die dogmatische Begründung der vom BGH festgestellten Ausnahmen derselben umstritten.
III. Die fehlerhafte Organstellung des Hauptversammlungsleiters Unter Berücksichtigung der Organstellung des Hauptversammlungsleiters kann die Lehre von der fehlerhaften Organstellung jedoch – ohne dogmatische Umwege – auf die unerkannt fehlerhafte Bestellung des Hauptversammlungsleiters selbst angewendet werden. So ist auch für Geschäftsleiter im Kapitalgesellschaftsrecht im Grundsatz anerkannt, dass bei Wirksamkeitsmängeln der Bestellung von einer zwar fehlerhaft begründeten, aber vorläufig wirksamen Organstellung auszugehen ist. Haben sie ihr Amt angenommen und tatsächlich ausgeübt, stehen sie einem wirksam bestellten Organmitglied gleich bis die Unwirksamkeit geltend gemacht wird.76 1. Die Lehre von der fehlerhaften Organstellung Dogmatische Grundlage zur Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung sind die Wertungsgesichtspunkte, die auch der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft zugrunde liegen.77 Danach sollen die Rückabwicklungsschwierigkeiten, die sich aus einer rückwirkenden Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages ergeben würden, vermieden werden.78 Zwar wird im Zusammenhang mit der Bestellung von Organwaltern zum Teil argumentiert, dass die Lehre vom fehlerhaften Verband keine taugliche Grundlage bieten könne, da im reinen Organverhältnis kein Leistungsaustausch stattfinde.79 Der Begriff der Rückabwicklungsschwierigkeiten ist jedoch nicht im engen Sinne zu verstehen. Zwar geht es primär um die Untauglichkeit des Bereicherungsrechts als Rückabwicklungsprogramm. 74
Wicke, in: Spindler/Stilz, AktG, § 130, Rn. 65. Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 769. 76 Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, S. 481; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 84, Rn. 12; Weber, in: Hölters, AktG, § 84, Rn. 29 ff. 77 Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 2 m. w. N. 78 Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, S. 70 f. 79 Stein, Das faktische Organ, S. 62. 75
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Teil 5: Die fehlerhafte Versammlungsleitung
Unter den Begriff der „Rückabwicklungsschwierigkeiten“ fallen jedoch auch die Schwierigkeiten im Innenverhältnis.80 Denn dort sind im Grundsatz all diejenigen Rechtshandlungen von einer rückwirkenden Unwirksamkeit bedroht, die an die Organstellung anknüpfen. Dies betrifft vor allem Beschlüsse oder sonstige Handlungen des Organwalters, an deren Unwirksamkeit das Gesetz unter Umständen weitere Nichtigkeitsfolgen knüpft.81 Gemäß § 241 Nr. 1 AktG ist an die Einberufung der Hauptversammlung durch eine unzuständige Person etwa die Nichtigkeit aller in der Versammlung gefassten Beschlüsse geknüpft. Bei der förmlichen Einberufung geht es jedoch primär darum, allen Aktionären die Teilnahme an der Hauptversammlung zu ermöglichen. Der Person des Ladenden kommt im Grundsatz aber keine besondere Bedeutung zu.82 Der Gesetzgeber hat daher die Regelung des § 121 Abs. 2 Satz 2 AktG eingeführt, mit welcher die Einberufungsbefugnis der im Handelsregister eingetragenen Vorstandsmitglieder fingiert wird. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf eingetragene Vorstandsmitglieder mildert die Rechtsfolge aber lediglich ab, sodass noch immer ein Bedürfnis für weiterreichenden Bestandsschutz besteht. Unabhängig von der Vorschrift des § 121 Abs. 2 Satz 2 AktG besteht zudem ein Interesse der Gesellschaft, dass der fehlerhaft bestellte Geschäftsleiter an die organschaftlichen Sorgfalts- und Treuepflichten gebunden ist, die sich ohne Rückgriff auf die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis nur schwer begründen lassen.83 Im Hinblick auf derartige Schutzlücken wird die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung auf die fehlerhafte Bestellung von Geschäftsleitern ganz überwiegend bejaht.84 Es ist zudem im Grundsatz anerkannt, dass die Lehre von der fehlerhaften Organstellung auch auf die fehlerhafte Besetzung anderer Organe angewandt werden kann, wenn sich die zugrundeliegenden Rechtsgedanken auf die spezifische Rechtsstellung des jeweiligen Organwalters übertragen lassen.85 2. Übertragbarkeit des Rechtsgedankens auf den Hauptversammlungsleiter Nach Ansicht von Schürnbrand soll die Lehre von der fehlerhaften Organstellung auf den Hauptversammlungsleiter aufgrund seiner nur auf eine Sitzung beschränkten Tätigkeit nicht übertragbar sein.86 Sofern von einzelnen Beschlussgegenständen, wie Satzungsänderungen oder der Wahl des Aufsichtsrats, erhebliche Folgewirkungen 80
Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, S. 70 f. und 496 ff. Dazu ausführlich: Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, S. 474 f. 82 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 270 f. 83 Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 2. 84 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 270 f.; Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, S. 474. 85 Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 2; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 286. 86 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 293. 81
B. Der „falsche“ Hauptversammlungsleiter
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ausgingen, sei hierbei anzusetzen und mittels der Lehre von der fehlerhaften Strukturänderung Abhilfe zu schaffen. Im Übrigen habe es bei dem Grundsatz sein Bewenden, dass nur einem wirksam berufenen Hauptversammlungsleiter die Rechtsmacht zukomme, einen Hauptversammlungsbeschluss rechtsgestaltend festzustellen.87 Jedoch lassen sich die Probleme, die sich aus einer fehlerhaften Versammlungsleitung ergeben, mit einem Verweis auf die Lehre von der fehlerhaften Strukturänderung nicht sachgerecht lösen. Denn die betreffenden Strukturänderungen sind in diesem Fall zwar (vorläufig) wirksam, aber eben doch fehlerhaft. Wendet man die Lehre vom fehlerhaften Organverhältnis hingegen auf den unwirksam bestellten Hauptversammlungsleiter an, so ist dieser bis zur Geltendmachung der Unwirksamkeit als wirksam bestelltes Organmitglied anzusehen. Der Rechtsgedanke, welcher der Lehre von der fehlerhaften Organstellung zugrunde liegt, lässt sich auf die Tätigkeit des falschen Hauptversammlungsleiters auch ohne Weiteres übertragen. Denn es sind die – von Schürnbrand erwähnten – „erheblichen Folgewirkungen“, die abgemildert werden sollen. Die Rechtsfolgen einer Tätigkeit des falschen Hauptversammlungsleiters sind nach vorliegendem Verständnis zudem schwerwiegender als in Rechtsprechung und Schrifttum bislang angenommen. So wurde bereits festgestellt, dass sämtliche Maßnahmen eines unwirksam bestellten Hauptversammlungsleiters, die in Mitgliedschaftsrechte eingreifen, rechtswidrig sind. Die überwiegende Meinung versucht dieses Ergebnis abzumildern, indem sie der Leitung der Hauptversammlung durch den falschen Hauptversammlungsleiter als solcher die Relevanz abspricht. Es wurde aber bereits gezeigt, dass sich ein Eingriff in Mitgliedschaftsrechte bereits aus fehlender Zuständigkeit – nicht erst inhaltlichen Fehlern – ergeben kann. Mithin ist eine sachgerechte Lösung nur über die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung möglich. Im Übrigen überschneiden sich die Schutzlücken mit denen, die bei der fehlerhaften Bestellung eines Vorstandsmitglieds bestehen. Dort wird eine Einschränkung der Nichtigkeitsfolge nach § 241 Nr. 1 AktG bei Einberufung der Hauptversammlung durch eine unzuständige Person für erforderlich gehalten und über die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung gelöst. Im Falle des Hauptversammlungsleiters wird zum Teil argumentiert, dass es der Vorschrift des § 130 Abs. 2 AktG nur um Beurkundungsmängel und nicht um die Frage gehe, welche Rechtsfolgen eine Beschlussfeststellung durch eine falsche Person hat.88 Erkennt man die Beschlussfeststellung jedoch als organschaftliche Pflicht und steht zudem fest, dass der falsche Hauptversammlungsleiter gehandelt hat, kann diese Argumentation die Unwirksamkeit bzw. Rechtswidrigkeit der unter seiner Leitung gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse nicht ausschließen. Mithin kann ein 87
Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 293 unter Verweis auf OLG Dresden, ZIP 2005, 573, 577. 88 OLG Bremen, BeckRS 2010, 00281; von Falkenhausen/Kocher, BB 2005, 1068, 1069; Rose, NZG 2007, 241, 244.
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Teil 5: Die fehlerhafte Versammlungsleitung
sachgerechtes Ergebnis auch hier allein über die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung erzielt werden. Eine Ausnahme ist allenfalls in Extremfällen geboten. Bei der Versammlungsleitung durch den Scheinaufsichtsratsvorsitzenden kann dies etwa beim Fehlen der persönlichen Amtsvoraussetzungen nach den §§ 100, 105 AktG oder einer Wahlnichtigkeit im Sinne von § 250 Abs. 1 AktG der Fall sein.89 3. Anwendungsvoraussetzungen der Lehre von der fehlerhaften Organstellung Die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung setzt nach allgemeiner Auffassung das Vorliegen eines auf Bestellung gerichteten, wenngleich fehlerhaften Willensaktes auf Seiten des Bestellungsorgans voraus. Hinzukommen muss die Annahmeerklärung des designierten Organwalters.90 Im Falle des Hauptversammlungsleiters liegt ein Willensakt des Bestellungsorgans jedenfalls dann vor, wenn der Hauptversammlungsleiter ad hoc durch die Hauptversammlung oder – in Abhängigkeit von der jeweiligen Satzungsbestimmung – durch ein anderes Gremium bestimmt wird. Doch auch dann, wenn der Hauptversammlungsleiter unmittelbar durch die Satzung bestimmt wird, sind die Mindestanforderungen zur Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung erfüllt. Zwar ist ein besonderer Bestellungsakt in diesem Fall nicht erforderlich, das Bestellungserfordernis kann jedoch nicht ohne Blick auf seinen Sinn und Zweck angewendet werden. Dieser liegt darin, von bloß schlüssigem Verhalten in Form eines Einverständnisses oder einer Duldung der Tätigkeit abzugrenzen.91 In diesen Fällen fehlt eine rechtserhebliche Willensbildung der Gesellschaft, sodass schon gar kein Rechtsverhältnis besteht, innerhalb dessen Nichtigkeitsfolgen eingeschränkt werden könnten.92 Diese Voraussetzungen sind bei unmittelbarer Bestimmung des Hauptversammlungsleiters durch die Satzung jedoch gewahrt. Der Satzungsgeber, dem eine zusätzliche Regelung offensteht, hat seinen Willen durch die Satzungsregelung eindeutig bekundet. Der Aufsichtsratsvorsitzende ist bei satzungsmäßiger Bestellung als „geborener“ Hauptversammlungsleiter93 anzusehen. Die Annahme 89
Vgl. Kubis, in: MüKo-AktG, § 130, Rn. 85 (mit Fn. 255), der die Organstellung des Hauptversammlungsleiters zwar ausdrücklich ablehnt, das Amt des Versammlungsvorsitzenden jedoch als „organschaftliche Pflicht“ bezeichnet und die Lehre von der fehlerhaften Organstellung daher sowohl auf den Scheinaufsichtsratsvorsitzenden als auch auf alle anderen Fälle (!) fehlerhafter Bestellung anwenden will. 90 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 274; Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 3. 91 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 274; Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 3. 92 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 274. 93 Kubis, in: MüKo-AktG, § 130, Rn. 85 bezeichnet den Aufsichtsratsvorsitzenden als satzungsmäßig geborenen Hauptversammlungsleiter.
B. Der „falsche“ Hauptversammlungsleiter
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durch den designierten Hauptversammlungsleiter kann wiederum konkludent, etwa durch Aufnahme der Tätigkeit als Hauptversammlungsleiter, erfolgen (siehe oben Teil 3 B. I. 1.). Es liegt somit unzweifelhaft ein für die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung erforderliches Rechtsverhältnis zwischen dem fehlerhaft bestellten Hauptversammlungsleiter und der Gesellschaft vor. Erforderlich ist jedoch stets, dass dieses Bestellungsverhältnis tatsächlich in Vollzug gesetzt worden ist. Nur in diesem Fall sind die beschriebenen Schutzlücken zu besorgen, die durch die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung vermieden werden sollen.94 Der Hauptversammlungsleiter muss seine Tätigkeit somit aufgenommen und tatsächlich verfahrensleitende Entscheidungen getroffen haben. Liegen diese Voraussetzungen vor, führt die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung dazu, dass der designierte Hauptversammlungsleiter vorläufig wie ein fehlerfrei bestellter Organwalter zu behandeln ist. Die von ihm vorgenommenen Leitungs- und Ordnungsmaßnahmen genießen im Innen- wie auch im Außenverhältnis uneingeschränkte Wirksamkeit.95 Seine Organstellung kann nur mit Wirkung für die Zukunft beendet werden.
IV. Fehlerhafte Abberufung Probleme können zudem bei der unberechtigten Entziehung der Organstellung auftreten. Stellt sich beispielsweise bei der Abwahl des satzungsmäßig bestimmten Hauptversammlungsleiters nachträglich heraus, dass ein wichtiger Grund für die Abberufung nicht vorlag, ist die Abberufungsentscheidung fehlerhaft. Um damit verbundene Schwierigkeiten zu vermeiden, werden in der Literatur verschiedene Lösungswege vorgeschlagen. Zum Teil wird davon ausgegangen, dass der Hauptversammlungsleiter sein Amt analog § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG zunächst verliere, wenn er ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes die Abstimmung über die Abberufung zulässt und die Mehrheit sich gegen ihn als Hauptversammlungsleiter entscheidet.96 Andere weisen darauf hin, dass die Entscheidung der Hauptversammlung trotz allem rechtswidrig bleibe, sodass sämtliche nach der Abberufung von der Hauptversammlung gefassten Sachbeschlüsse anfechtbar sind.97 Der Hauptversammlungsleiter solle daher im Fall eines erfolgreichen Abwahlantrags zusätzlich sein Amt niederlegen, da dann entweder die Abwahl oder die Amtsniederlegung wirksam ist.98 94 Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 3; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 276. 95 Vgl. Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 5. 96 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 121; Kubis, in: MüKo-AktG, § 19, Rn. 115. 97 Ek, Praxisleitfaden für die Hauptversammlung, Rn. 245; Butzke, ZIP 2005, 1164, 1167. 98 Ek, Praxisleitfaden für die Hauptversammlung, Rn. 246.
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Teil 5: Die fehlerhafte Versammlungsleitung
Da nach der Abwahl des satzungsmäßig bestimmten Hauptversammlungsleiters eine andere Person zum Hauptversammlungsleiter bestellt werden muss, lässt sich die Anfechtbarkeit der nachfolgend von der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse bereits durch die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organbestellung auf den neuen Hauptversammlungsleiter vermeiden. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass den abberufenen Organwalter im Grundsatz weiterhin die Pflichten treffen, die ihm angesichts der Unwirksamkeit seiner Abberufung als Hauptversammlungsleiter obliegen. Der BGH stellte zwar fest, dass es der Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft insoweit nicht bedürfe, da eine Haftung wegen der Verletzung nur vermeintlich erloschener Pflichten mangels Verschuldens ohnehin regelmäßig ausscheide.99 Es erscheint jedoch wenig sachgerecht, dem Organwalter wegen seiner fortbestehenden Pflichtenstellung zahlreiche Pflichtverstöße vorzuwerfen und ihn darauf zu verweisen, sich hinsichtlich des Verschuldens zu exkulpieren.100 Darüber hinaus trägt die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auf die fehlerhafte Abberufung dazu bei, etwaige Meinungsverschiedenheiten zwischen Aktionären und/oder Verwaltungsmitgliedern über die Berechtigung des Hauptversammlungsleiters außer Streit zu stellen, und dient damit der Rechtssicherheit. Die Abberufung des Hauptversammlungsleiters ist daher als vorläufig wirksam anzusehen.101 Die fehlerhafte Entziehung der Organstellung ist als Anwendungsfall der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft jedoch auf Fälle unerkannter Nichtigkeit zu beschränken. Eine fehlerhafte Abberufung liegt daher nur dann vor, wenn der Hauptversammlungsleiter seine Tätigkeit zunächst widerspruchslos einstellt. Übt er sein Amt dagegen weiterhin aus, fehlt es schon tatsächlich an einem Vollzug der Abberufung. Besteht im Rahmen der Hauptversammlung von Anfang an Streit über die Wirksamkeit der Abberufung und wird der Hauptversammlungsleiter gegen seinen Willen an der Wahrnehmung der Versammlungsleitung gehindert, kann ihm der Vollzugsakt zudem nicht zugerechnet werden.102
V. Der faktische Hauptversammlungsleiter Vom falschen Hauptversammlungsleiter zu unterscheiden ist der faktische Hauptversammlungsleiter. Dabei handelt es sich um eine Person, die nicht – auch 99
BGH, NJW 1974, 498 (unter Andeutung eines Vorbehalts für den Fall der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis). 100 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 283. 101 Zur Anerkennung der fehlerhaften Abberufung der Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft als Anwendungsfall der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft siehe: Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 283; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 38, Rn. 57. 102 Siehe dazu allgemein: Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 283 f.
B. Der „falsche“ Hauptversammlungsleiter
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nicht unwirksam – zum Hauptversammlungsleiter bestellt worden ist, das Amt aber ganz oder teilweise ausübt. Im Gegensatz zum falschen Hauptversammlungsleiter fehlt es in diesem Fall somit schon am Vorliegen eines (fehlerhaften) Bestellungsaktes. Im Falle eines faktischen Geschäftsleiters ist anerkannt, dass sich seine Rechte und Pflichten im Außenverhältnis nach § 15 Abs. 3 HGB und ergänzend nach den Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht richten. Im Innenverhältnis hingegen hat er keinerlei Rechte.103 Er hat jedoch die gleichen Pflichten wie der formell bestellte Geschäftsleiter.104 Diese Grundsätze sind auch im Falle eines faktischen Hauptversammlungsleiters anzuwenden. Allein die faktische Übernahme der Versammlungsleitung führt nicht dazu, dass der Person die organschaftlichen Rechte eines Hauptversammlungsleiters zustehen.105 Die Lehre von der fehlerhaften Organstellung ist mangels Bestellungsbeschlusses bzw. ausdrücklicher Willensbekundung des Satzungsgebers nicht anwendbar. Gleiches gilt für die vom BGH entwickelten Grundsätze zum Scheinaufsichtsratsvorsitzenden. Sämtliche unter der Leitung des faktischen Hauptversammlungsleiters gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse sind daher mangels konstitutiver Feststellung im Sinne von § 130 Abs. 2 AktG unwirksam.106
103
Zum faktischen Geschäftsleiter: Strohn, DB 2011, 158, 164. Strohn, DB 2011, 158, 160, 165. 105 A. A.: Zöllner, in: KK-AktG, § 119, Rn. 47 (Person ist rechtmäßiger Vorsitzender, bis einer der Anwesenden widerspricht). 106 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 114, 231. 104
Teil 6
Die Haftung des Hauptversammlungsleiters Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob und unter welchen Voraussetzungen der Hauptversammlungsleiter für Schäden, die infolge einer rechtswidrigen Versammlungsleitung entstehen, haftet. Dabei wird zunächst auf eine Haftung gegenüber der Gesellschaft eingegangen. Im Anschluss wird danach gefragt, ob der Hauptversammlungsleiter auch unmittelbar von Aktionären oder außenstehenden Dritten in Anspruch genommen werden kann.
A. Die Haftung gegenüber der Gesellschaft I. Überblick über den Meinungsstand Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Haftung des Hauptversammlungsleiters existiert bislang nicht. Untergerichtlich hat das LG Ravensburg zur Haftung des Hauptversammlungsleiters in einer Entscheidung vom 8. Mai 20141 erstmals Stellung genommen. Das Schrifttum hat darauf in unterschiedlicher Weise reagiert. 1. Die Entscheidung des LG Ravensburg Das LG Ravensburg stellte in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2014 fest, dass der Hauptversammlungsleiter für Schäden, die infolge einer rechtswidrigen Versammlungsleitung entstehen, nicht gegenüber der Aktiengesellschaft haftet. Eine Organhaftung scheitere daran, dass der Hauptversammlungsleiter nach den Regelungen des Aktiengesetzes nicht als Organ der Aktiengesellschaft angesehen werden könne. Selbst wenn ein Aufsichtsratsmitglied die Aufgabe der Versammlungsleitung übernehme, könne es nicht gemäß § 116 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 AktG in Anspruch genommen werden. Denn die Leitung der Versammlung sei eine zusätzliche, vom Amt des Aufsichtsrats nicht umfasste Aufgabe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass sich das Aufsichtsratsmitglied – wie im entschiedenen Fall – bereits durch die Mitwirkung an der Entscheidung über seine Auswahl zum Hauptversammlungsleiter pflichtwidrig verhalten habe. Denn die Auswahl eines Mitglieds des Aufsichtsrats zum Hauptversammlungsleiter falle nicht in den in § 111 AktG definierten Aufgabenbereich des Aufsichtsrats. 1
LG Ravensburg, NZG 2014, 1233.
A. Die Haftung gegenüber der Gesellschaft
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Das LG Ravensburg ging weiter davon aus, dass durch die Übernahme der Hauptversammlungsleitung auch kein Schuldverhältnis im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB begründet werde. Eine nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich in Betracht kommende deliktische Haftung gemäß § 826 BGB war im konkreten Fall ebenfalls zu verneinen, da die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht substantiiert dargelegt worden waren. 2. Kritischer Überblick über den Meinungsstand im Schrifttum Im Schrifttum divergieren die Auffassungen zur Haftung des Hauptversammlungsleiters erheblich. Einigkeit besteht allein dahingehend, dass eine deliktische Haftung in Betracht kommen kann. Ein Anspruch der Aktiengesellschaft aus § 823 Abs. 1 BGB scheitert allerdings daran, dass bei der Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses lediglich Vermögensschäden entstehen.2 Vereinzelt wird ein Schadensersatzanspruch der Aktiengesellschaft aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB in Betracht gezogen.3 Der Hauptversammlungsleiter unterliegt jedoch keiner Vermögensbetreuungspflicht, wie sie von § 266 StGB vorausgesetzt wird.4 Deliktische Ansprüche können zwar grundsätzlich auf § 826 BGB gestützt werden. An dem dafür erforderlichen doppelten Vorsatz des Hauptversammlungsleiters im Hinblick auf die Pflichtverletzung einerseits und den Schaden andererseits wird es aber regelmäßig fehlen. Zumindest wird er für die Gesellschaft in der Praxis kaum je nachweisbar sein.5 Eine Organhaftung des Hauptversammlungsleiters lehnen die Stimmen im Schrifttum, die ihn als Funktionsgehilfen der Hauptversammlung qualifizieren, ab.6 Kubis hält darüber hinaus auch eine rechtsgeschäftliche Haftung des Hauptversammlungsleiters für verfehlt, solange dieser nicht „professionell“, d. h. gegen gesonderte Vergütung, für die Gesellschaft tätig werde.7 Zwar sieht das Gesetz bei anderen unentgeltlichen Rechtsgeschäften, etwa der Schenkung, der Leihe und der regelmäßigen Verwahrung, gewisse Haftungsmilderungen vor (dazu noch unter Teil 6 A. III. 2. b) bb)). Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass die un2 Von der Linden, NZG 2013, 208, 212; Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 136; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 186. 3 Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 768; Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 71. 4 Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 136; vgl. auch: Poelzig, AG 2015, 476, 479 (die Versammlungsleitung hat nicht die treuhänderische Verwaltung des Vermögens der Gesellschaft zum Gegenstand). 5 So auch: Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 186; von der Linden, NZG 2013, 208, 212; Heidel, in: Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 71. 6 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 184; Marsch-Barner, in: FS Brambring, 2012, S. 267, 271, 281; von der Linden, NZG 2013, 208, 209 f.; Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 137. 7 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 185.
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Teil 6: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
entgeltliche Tätigkeit im fremden Interesse stets haftungsfrei ist, lässt sich jedoch weder dem Aktiengesetz noch den Regelungen des allgemeinen Schuldrechts entnehmen. Nach Auffassung von Rose soll ein Aufsichtsratsmitglied, welches die Versammlungsleitung übernimmt, einer Organhaftung als Aufsichtsratsmitglied unterliegen.8 Auch Pliquett geht davon aus, dass ein Aufsichtsratsmitglied als Hauptversammlungsleiter nach den §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 2 AktG in Anspruch genommen werden kann. Dies soll sich aber auf den Fall beschränken, dass das Aufsichtsratsmitglied satzungsmäßig zum Versammlungsleiter bestellt worden ist.9 Die §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 2 AktG befassen sich jedoch – worauf das LG Ravensburg zutreffend hingewiesen hat – ausschließlich mit der Sorgfalt und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder in eben dieser Eigenschaft.10 Ein Aufsichtsratsmitglied, das zum Hauptversammlungsleiter bestimmt worden ist, nimmt diese Aufgabe aber nicht als Teil seiner Aufsichtsratsfunktionen wahr. Dies gilt auch dann, wenn das Aufsichtsratsmitglied satzungsmäßig zum Hauptversammlungsleiter bestimmt worden ist. Nach dem Grundsatz der Satzungsstrenge können die Kompetenzen des Aufsichtsrats – abgesehen von § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG – weder eingeschränkt noch erweitert werden (dazu bereits oben Teil 2 B.).11 Im Übrigen müssen die Aufgaben des Hauptversammlungsleiters nach vorliegendem Verständnis schon deshalb vom Aufsichtsratsmandat abgegrenzt werden, weil der Hauptversammlungsleiter ein eigenständiges Organ der Aktiengesellschaft ist.12 Marsch-Barner vertritt wiederum die Auffassung, dass sich die Haftung des Hauptversammlungsleiters stets nach dem Rechtsverhältnis richtet, „das der Bestellung tatsächlich zugrunde liegt“. Beim Aufsichtsratsvorsitzenden sei dies ein unentgeltlicher Auftrag im Sinne der §§ 662 ff. BGB. Werde die Hauptversammlung von einem unternehmensfremden Dritten geleitet, komme ein entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne von § 675 BGB in Betracht.13 Abgesehen von der Bestellung professioneller Berater wird es an einem ausdrücklichen Vertragsschluss zwischen Hauptversammlungsleiter und Gesellschaft in der Praxis aber regelmäßig fehlen. Es erscheint auch wenig sachgerecht, die Frage der Haftung davon abhängig zu machen, ob sich im Einzelfall ein konkludenter Vertragsschluss zwischen Hauptversammlungsleiter und vertretungsberechtigtem Vorstand konstruieren lässt. Für den Fall, dass der Hauptversammlungsleiter ad hoc gewählt oder nach § 122
8
Rose, NZG 2007, 241, 245. Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 59 ff. 10 Von der Linden, EWiR 2014, 551, 552. 11 Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 111, Rn. 1; Poelzig, AG 2015, 476, 478; a. A.: Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 65. 12 So auch: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 247. 13 Marsch-Barner, in: FS Brambring, 2012, S. 267, 281; siehe auch: Drinhausen/MarschBarner, AG 2014, 757, 767. 9
A. Die Haftung gegenüber der Gesellschaft
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Abs. 3 Satz 2 AktG gerichtlich bestimmt wird, kommt dies ohnehin nicht in Betracht (siehe oben Teil 2 B. II.). Bachmann hält – ohne dies näher zu konkretisieren – sowohl eine korporationsrechtliche als auch eine auftragsähnliche Haftung für „evident rechtswidrige Maßnahmen“ des Hauptversammlungsleiters für „nicht undenkbar“.14 Theusinger/ Schilha sind der Auffassung, dass mit der Annahme des Amtes jedenfalls ein gesetzliches bzw. korporatives Schuldverhältnis zwischen Gesellschaft und Hauptversammlungsleiter begründet werde.15 Auch von der Linden geht davon aus, dass der Hauptversammlungsleiter eine sorgfältige und rechtmäßige Versammlungsleitung schon kraft Übernahme seines Amtes schulde und daher auf Grundlage von § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB gegenüber der Gesellschaft hafte.16 Erstaunlich daran ist, dass sowohl Theusinger/Schilha als auch von der Linden eine Organstellung des Hauptversammlungsleiters ablehnen.17 Der Begriff des „Amtes“ kann im organisationsrechtlichen Zusammenhang aber nicht anders verstanden werden als ein Aufgabenbereich innerhalb einer Handlungsorganisation.18 Dies ist nichts anderes als eine Umschreibung des Organbegriffs. Eine Haftung kraft Amtes ist daher Organhaftung. Als solche setzt sie aber selbstverständlich die Organstellung des in Anspruch Genommenen voraus. Doch selbst unter den Stimmen im Schrifttum, die den Hauptversammlungsleiter als Organwalter qualifizieren, gehen nur Mülbert und Schürnbrand von einer Organhaftung desselben aus.19 Heidel und Poelzig lehnen eine solche – trotz Bejahung der Organstellung – ab. Denn der Gesetzgeber habe die Haftung von Organen, sofern er sie will, ausdrücklich gesetzlich angeordnet. Am Beispiel der Hauptversammlung stellt Heidel fest: „Das Gesetz normiert für die anderen Organe Vorstand, Aufsichtsrat und Abschlussprüfer die Haftung ausdrücklich (§§ 93, 116 AktG, § 323 HGB), während es für die Haftung des weiteren Organs Hauptversammlung keine Haftungsnorm bereithält; vielmehr belässt das Gesetz es beim Grundsatz der Haftung einzelner Aktionäre. Daraus folgt der Umkehrschluss, dass die Hauptversammlung als solche nicht haften soll.“20 Dem ist entgegenzuhalten, dass Haftungsadressat der §§ 93, 116 AktG nicht der Vorstand bzw. Aufsichtsrat, sondern die Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmitglieder als Organwalter sind. Eine Haftung der Hauptversammlung als Organ scheidet nicht mangels gesetzlicher Normierung, sondern schon deshalb aus, weil ihr die dafür erforderliche Rechtspersönlichkeit 14
Bachmann, EWiR 2000, 157, 158. Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 136 f. 16 Von der Linden, NZG 2013, 208, 210 f.; ders., EWiR 2014, 551, 552. 17 Von der Linden, NZG 2013, 208, 209 f. 18 Vgl. Jacoby, Das private Amt, S. 475. 19 So zutreffend: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 248; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 146. 20 Heidel, in: Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 71; ähnlich: Poelzig, AG 2015, 476, 478 f. 15
158
Teil 6: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
fehlt.21 Darüber hinaus erscheint die Argumentation von Heidel und Poelzig auch nicht konsequent. Denn sie gehen trotz Ablehnung einer Organhaftung davon aus, dass der Hauptversammlungsleiter einer korporationsrechtlichen Haftung unterliegt. Es erscheint allerdings fraglich, inwiefern ein – über Begrifflichkeiten hinausgehender – Unterschied zwischen einer korporationsrechtlichen Haftung des Hauptversammlungsleiters und einer Organhaftung besteht. Tatsächlich wendet Heidel im Falle des Hauptversammlungsleiters – im Ergebnis zutreffend – einen Sorgfaltsmaßstab an, der erkennbar dem allgemeinen Rechtsgedanken der §§ 93 Abs. 2, 116 Satz 1 AktG entnommen ist.
II. Haftungsgrundlage Ausgangspunkt für die Ermittlung einer Haftungsgrundlage ist, dass der Hauptversammlungsleiter nach vorliegendem Verständnis Organwalter eines eigenständigen Organs der Aktiengesellschaft ist. Eine unmittelbare Anwendung der §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 2 AktG scheidet daher aus, und zwar auch dann, wenn ein Verwaltungsmitglied die Versammlungsleitung übernimmt. Dies gilt allerdings nur für Fehler, die dem Hauptversammlungsleiter „in Ausübung“ seiner Aufgabe unterlaufen. Ein Aufsichtsratsmitglied, das sich bereits im Zusammenhang mit der Übernahme der Versammlungsleitung pflichtwidrig verhält, kann – entgegen der Auffassung des LG Ravensburg – durchaus auf Grundlage von §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 2 AktG gegenüber der Aktiengesellschaft haften. In Betracht kommt etwa eine Verletzung der Treuepflicht, welche die Mitglieder des Aufsichtsrats auch dazu verpflichtet, die recht- und satzungsmäßige Konstituierung der Hauptversammlung nicht zu behindern.22 Abzugrenzen ist darüber hinaus der Fall, dass ein Vorstandsmitglied die provisorische Versammlungsleitung bis zur Wahl des endgültigen Hauptversammlungsleiters übernimmt. Denn der Vorstand ist als Einberufungsorgan für die provisorische Versammlungsleitung originär zuständig, sodass ein die Leitung wahrnehmendes Vorstandsmitglied für seine Tätigkeit nach § 93 Abs. 2 AktG haftet.23 Der (endgültige) Hauptversammlungsleiter hingegen unterliegt als Organwalter einer eigenständigen Haftung. Entgegen der von Heidel vertretenen Auffassung bedarf die Haftung von Organmitgliedern keiner ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Denn die Organhaftung wird durch gesetzliche Vorschriften – wie die §§ 93 Abs. 2, 116 Satz 1 AktG – nicht erst begründet, sondern lediglich konkretisiert.
21 Die Gesellschaftergesamtheit bzw. -mehrheit kann allerdings Haftungsadressat von § 311 AktG sein, siehe: Mock, Die Heilung fehlerhafter Rechtsgeschäfte, S. 510. 22 Siehe: von der Linden, EWiR 2014, 551, 552. 23 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 247; Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 137.
A. Die Haftung gegenüber der Gesellschaft
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Es entspricht mittlerweile der herrschenden Meinung, dass § 93 AktG einen korporationsrechtlichen Haftungstatbestand enthält.24 Das korporationsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen Aktiengesellschaft und Organwalter wird durch den Akt der Bestellung begründet. Dieses Rechtsverhältnis hat auch schuldrechtlichen Inhalt. So ist der Organwalter zur Wahrnehmung der dem Organ zustehenden Kompetenzen sowie der organisatorischen Berechtigungen und Verpflichtungen bzw. der allgemeinen Rechtsordnung berechtigt und verpflichtet (siehe oben Teil 3 D. I.). Der durch das korporationsrechtliche Rechtsverhältnis begründeten Schuld korrespondiert notwendig eine Haftung. Bei einer Qualifikation des Hauptversammlungsleiters als Organwalter hängt seine Haftung somit nicht von einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung ab. Es bedürfte – gerade umgekehrt – einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung für den Fall, dass eine Haftung des Hauptversammlungsleiters trotz seiner Stellung als Organwalter ausgeschlossen sein sollte. Da die Haftung des Hauptversammlungsleiters auf dem korporationsrechtlichen Rechtsverhältnis zur Gesellschaft beruht, sollte ein Rückgriff auf § 280 Abs. 1 BGB schon deshalb vermieden werden, um von einer etwaigen schuldvertraglichen Haftung abzugrenzen.25 Im Übrigen lässt sich die Frage, was unter einer „Pflicht aus dem Schuldverhältnis“ zu verstehen ist, ohnehin nur aus den für das jeweilige Schuldverhältnis maßgebenden Normen ermitteln. Im Aktienrecht geben die §§ 93, 116 AktG einen speziellen Sorgfaltsmaßstab vor, der nach herrschender Auffassung zugleich die Verhaltenspflichten der Organmitglieder umschreibt. Insofern sprechen sie etwas Allgemeingültiges aus: Alle Organmitglieder müssen – jeweils bezogen auf ihre in Gesetz und Satzung festgelegten Aufgaben – ihr Amt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Organmitglieds ausführen.26 Die Haftung für sorgfaltswidriges Verhalten ist ein allgemeiner Rechtsgedanke der Organhaftung, der auch dann anzuwenden ist, wenn die Organbeziehung keine ausdrückliche gesetzliche Regelung erfahren hat.27 Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, die auf dem korporationsrechtlichen Rechtsverhältnis beruht, orientiert sich in ihrer Ausgestaltung somit an den allgemeinen Grundsätzen der Organhaftung, die sich in einer Gesamtanalogie zu den §§ 93, 116 AktG ermitteln lassen.28 Auf das Bestehen eines unterliegenden Rechtsverhältnisses kommt es für die Organhaftung des Hauptversammlungsleiters nicht an. Soweit ein solches im Einzelfall vorliegt, stellen schuldhafte Pflichtverletzungen des Hauptversammlungs24
Statt aller: U. H. Schneider, FS Werner 1984, 795, 803 m. w. N. Vgl. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 248; a. A.: Poelzig, AG 2015, 476, 479; Schürnbrand, NZG 2014, 1211, 1212. 26 Siehe: Bayer, FS U. H. Schneider, 2011, S. 75, 78 ff. mit Bsp. aus der Rspr. 27 So wird auch die Haftung der Mitglieder eines fakultativen (organschaftlichen) Beirats nach den allgemeinen Grundsätzen der Organhaftung bestimmt; siehe: Altmeppen, in: Roth/ Altmeppen, GmbHG § 52, Rn. 82; Giedinghagen, in: Michalski u. a., GmbHG, § 52, Rn. 422; Spindler, in: MüKo-GmbHG, § 52, Rn. 762. 28 So auch: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 248; ähnlich: Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 146. 25
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Teil 6: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
leiters jedoch zugleich eine Vertragsverletzung dar. Dem Anspruch der Aktiengesellschaft aus § 280 Abs. 1 BGB kommt neben dem Anspruch aus Organhaftung aber keine eigenständige Bedeutung zu. Vielmehr geht die schuldvertragliche Haftung grundsätzlich in der Organhaftung des Hauptversammlungsleiters auf.29
III. Haftungsvoraussetzungen Nachfolgend sollen die Voraussetzungen der Organhaftung des Hauptversammlungsleiters untersucht werden. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Organhaftung kommt eine Ersatzpflicht gegenüber der Aktiengesellschaft in Betracht, wenn das Organmitglied schuldhaft eine Sorgfaltspflicht verletzt hat und der Gesellschaft dadurch ein kausaler Schaden entstanden ist. 1. Die Verletzung einer Sorgfaltspflicht Grundvoraussetzung eines organschaftlichen Schadensersatzanspruchs der Gesellschaft ist das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung. Die Sorgfaltspflichten begrenzen den Handlungsspielraum, der den Organwaltern bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zugewiesen ist. Der Hauptversammlungsleiter hat für die sachgerechte Abhandlung der Tagesordnung in angemessenem Zeitrahmen zu sorgen. Bei der Anordnung versammlungsleitender Maßnahmen ist ihm grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum zugebilligt. Dieser wird jedoch auf unterschiedliche Weise begrenzt. a) Die Legalitätspflicht Der Hauptversammlungsleiter hat sich bei der Erfüllung seiner Aufgaben zunächst gesetzestreu zu verhalten. Die Legalitätspflicht umfasst unterschiedliche Aspekte:30 die Pflicht zur Rechtsbefolgung, die Pflicht zur Rechtsermittlung sowie eine Überwachungspflicht. aa) Die Pflicht zur Rechtsbefolgung Bei der Pflicht zur Rechtsbefolgung wird üblicherweise zwischen einer internen und einer externen Pflichtenbindung unterschieden.31 Im Innenverhältnis müssen 29
BGH, NJW 1997, 741; NJW-RR 1989, 1255 (zur Haftung des GmbH-Geschäftsführers). Siehe dazu umfassend: Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 17 ff. 31 Zu dieser Strukturierung bei der Legalitätspflicht der Vorstandsmitglieder siehe: Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 14 ff.; ders., ZIP 2005, 141, 142; Habersack, FS U. H. Schneider, 2011, S. 426, 431; Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 73 f.; enger Thole, ZHR 173 (2009), 504, 506 ff. 30
A. Die Haftung gegenüber der Gesellschaft
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Organwalter die durch Gesetz und Satzung vorgegebene Kompetenzordnung wahren. Kompetenzüberschreitungen stellen stets einen Verstoß gegen die Legalitätspflicht dar.32 Die Absetzung oder Vertagung von Tagesordnungspunkten durch den Hauptversammlungsleiter ist daher pflichtwidrig, da diese Entscheidung in den originären Kompetenzbereich der Hauptversammlung fällt (siehe oben Teil 4 A. II.). Darüber hinaus sind Organwalter im Innenverhältnis gehalten, alle Verhaltensgebote zu erfüllen, welche ihnen das Aktiengesetz, die Satzung oder eine Geschäftsordnung auferlegen.33 Die Vorschrift des § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG verpflichtet den Hauptversammlungsleiter etwa dazu, das Abstimmungsergebnis förmlich festzustellen, wenn es zahlenmäßig vorliegt und die Abstimmung seiner Überzeugung nach ordnungsgemäß verlief.34 Verweigert der Hauptversammlungsleiter die Beschlussfeststellung grundlos, verstößt er gegen dieses unmittelbare Verhaltensgebot und damit gegen seine Legalitätspflicht gegenüber der Aktiengesellschaft. Im Außenverhältnis müssen Organwalter sämtliche Rechtsbindungen beachten, welche der Gesellschaft als juristischer Person obliegen.35 Rechtsbindungen unterliegt die Gesellschaft insbesondere bei einem Eingriff in Mitgliedschaftsrechte. Die Aktionäre haben einerseits ein Recht auf Verwaltung, andererseits aber auch ein Abwehrrecht gegen Eingriffe in ihre mitgliedschaftlichen Rechte (siehe dazu oben Teil 4 B. II. 1). Zwischen den Befugnissen des Hauptversammlungsleiters, die sich aus dem korporationsrechtlichen Rechtsverhältnis zur Gesellschaft ergeben, und den mitgliedschaftlichen Rechten des Aktionärs ist daher eine Art praktische Konkordanz herbeizuführen.36 Der Hauptversammlungsleiter hat bei der Anordnung von Ordnungsmaßnahmen das Neutralitäts- und Gleichbehandlungsgebot, das Gebot der Sachdienlichkeit sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren. Ignoriert der Hauptversammlungsleiter diese Grundsätze und entscheidet sich für eine Maßnahme, die aus ex ante-Sicht eindeutig unverhältnismäßig ist, haftet er für etwaige Schäden gegenüber der Gesellschaft.
32
Vgl. OLG Saarbrücken, NZG 2014, 343; OLG Stuttgart, BeckRS 2013, 12075; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 20; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 18 ff.; Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn 73 (für die Vorstandsmitglieder). 33 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 15; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 22 ff. (für die Vorstandsmitglieder). 34 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 170. 35 Vgl. BGH, NJW 2012, 3439, 3441; NJW 2011, 88, 92; NZG 2010, 1190, 1192; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 23; ders., ZIP 2005, 141, 148; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, § 93, Rn. 133; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93, Rn. 67; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, S. 24 f. 36 Vgl. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 105, 198 (zu den immanenten Schranken des Rede- und Auskunftsrechts).
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Teil 6: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
bb) Die Pflicht zur Rechtsermittlung Der Pflicht zur Rechtsbefolgung ist eine Pflicht zur Rechtsermittlung vorgelagert. Bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme, ist der Hauptversammlungsleiter verpflichtet, die Rechtslage zu prüfen und bei fehlender eigener Sachkunde Rechtsrat einzuholen.37 Das Ausmaß der Rechtsermittlungspflicht hängt allerdings von den Erkenntnismöglichkeiten im Einzelfall ab.38 Im Vorfeld der Veranstaltung hat sich der Hauptversammlungsleiter mit den rechtlichen Rahmenbedingungen der Versammlungsleitung vertraut zu machen und sich auf typischerweise auftauchende Rechtsfragen vorzubereiten. In der Praxis wird er dabei regelmäßig von Rechtsberatern unterstützt. Diese statten den Hauptversammlungsleiter mit Leitfäden aus, die ihm nicht nur helfen, durch die Verhandlung zu führen, sondern auch auf besondere Situationen, wie z. B. Abwahlanträge oder Störungen, zu reagieren. Der tatsächliche Verlauf der Hauptversammlung kann aber nicht in allen Einzelheiten vorausgesehen werden. So kann es im Laufe der Veranstaltung immer wieder zu Situationen kommen, in denen sich ein unbekanntes Rechtsproblem stellt. Insofern dürfen keine überzogenen Anforderungen an die Rechtsermittlungspflicht des Hauptversammlungsleiters gestellt werden. Denn er muss im Rahmen der laufenden Veranstaltung häufig schnell und mit äußerst kurzer Zeit für eigene Überlegungen oder die Einholung von Rechtsrat entscheiden, um den Ablauf der Hauptversammlung nicht zu verzögern.39 Insofern kann grundsätzlich nur eine summarische Rechtsprüfung verlangt werden kann.40 Noch nicht beantwortet ist damit freilich die Frage, wie sich der Hauptversammlungsleiter zu verhalten hat, wenn die Rechtslage nach einer so verstandenen Rechtsermittlung aus ex ante-Sicht unklar ist (siehe dazu unten Teil 6 A. III. 3. b)). cc) Die Überwachungspflicht Aus der Legalitätspflicht der Organwalter folgt weiterhin eine Überwachungspflicht. Während die Pflicht zur organinternen Überwachung nur bei Kollegialorganen zur Anwendung kommt, gilt die Pflicht zur Überwachung der nachgeordneten Unternehmensebenen auch im Falle des Hauptversammlungsleiters.41 Demnach
37 Für die Geschäftsleiter: Verse, ZGR 2017, 174, 176; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 29; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 93, Rn. 44a; U. H. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43, Rn. 79. 38 Vgl. Verse, ZGR 2017, 174, 177. 39 Heidel, in: Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 72. 40 So auch für die Geschäftsleiter: Verse, ZGR 2017, 174, 177; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 29; Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 29; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256. 41 Zur Einteilung der Überwachungspflichten der Vorstandsmitglieder siehe: Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 94 ff.
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muss er Hilfspersonen grundsätzlich auch selbst auswählen, einweisen und überwachen.42 Die Anforderungen an die Überwachungspflicht hängen allerdings von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist stets, was von einem ordentlichen und gewissenhaften Versammlungsleiter in der konkreten Situation erwartet werden kann. Bei den Hauptversammlungen der großen Aktiengesellschaften ist es dem Hauptversammlungsleiter schon aus organisatorischen Gründen nicht möglich, sämtliche Hilfspersonen persönlich auszuwählen und einzuweisen. In der Praxis wird die Auswahl und Einweisung von Hilfspersonen daher regelmäßig von der Gesellschaft übernommen.43 Bei der Stimmauszählung herrscht weitgehend Einigkeit, dass der Hauptversammlungsleiter die – in der Regel von der Geschäftsleitung vorbereiteten – organisatorischen Maßnahmen zu überprüfen und den Ablauf der Stimmauszählung zu überwachen hat.44 An anderen Stellen, etwa im Einlassbereich, ist eine laufende Überwachung sämtlicher Hilfspersonen hingegen praktisch unmöglich. Der Hauptversammlungsleiter ist auf Grundlage seiner Überwachungspflicht aber jedenfalls verpflichtet, Hinweisen auf Gesetzesverletzungen nachzugehen sowie einzuschreiten, wenn greifbare Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der eingesetzten Hilfspersonen vorliegen.45 b) Die Pflicht des Hauptversammlungsleiters zur Rechtskontrolle Im Schrifttum wird zum Teil vertreten, der Hauptversammlungsleiter habe aufgrund seiner Funktion zudem dafür zu sorgen, dass in der Hauptversammlung nur rechtmäßige Beschlüsse gefasst werden.46 Er wird demnach als eine Art präventive Rechtskontrollinstanz für die Beschlüsse der Hauptversammlung angesehen. Zwar hat der Hauptversammlungsleiter im Rahmen der Legalitätspflicht nicht nur selbst die einschlägigen Gesetze zu beachten, sondern im Grundsatz auch für die Einhaltung des Gesetzes im Rahmen der Hauptversammlung zu sorgen. Die Pflicht des Hauptversammlungsleiters zur Rechtskontrolle ist jedoch weitgehend eingeschränkt. aa) Möglichkeit und Zumutbarkeit der Rechtskontrolle Es versteht sich zunächst von selbst, dass sich etwaige Kontrollpflichten des Hauptversammlungsleiters nur auf das Verfahren, nicht inhaltliche Mängel der je42
Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 47. Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 140. 44 Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 133, Rn. 24; Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516, 535. 45 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 107 (für die Vorstandsmitglieder). 46 Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 151; Bayer/Scholz/Weiß, AG 2013, 742, 748. 43
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weiligen Hauptversammlungsbeschlüsse beziehen können. Denn eine inhaltliche Einflussnahme auf die Beschlussfassung ist dem Hauptversammlungsleiter untersagt (siehe oben Teil 4 A. II.). Darüber hinaus können von einem Organwalter nur solche Handlungen verlangt werden, die ihm in der konkreten Situation möglich und zumutbar sind. Für eine eingehende Rechtmäßigkeitsprüfung sämtlicher verfahrensrelevanter Vorgänge ist während der laufenden Veranstaltung aber zumeist schon gar keine Zeit. Das gilt auch dann, wenn dem Hauptversammlungsleiter Rechtsberater im Backoffice zur Verfügung stehen. Im Übrigen ist eine Rechtsprüfung jedenfalls insoweit nicht möglich, als dem Hauptversammlungsleiter die dafür notwendigen Informationen fehlen. So liegt es etwa bei der Prüfung von Stimmverboten. Denn die Aktionäre sind dem Hauptversammlungsleiter weder zur Auskunft noch zur Vorlage der insoweit relevanten Unterlagen verpflichtet.47 Zwar wird bei konkreten Anhaltspunkten für das Eingreifen eines Stimmverbots eine Pflicht des Hauptversammlungsleiters zur Nachfrage angenommen.48 Eine solche Nachfrage begründet aber keine Auskunftspflicht. Der Hauptversammlungsleiter genügt seiner Sorgfaltspflicht somit schon dann, wenn er auf ein mögliches Stimmverbot hinweist. Im Übrigen ist er auf Grundlage der Legalitätspflicht lediglich verpflichtet, evident verbotswidrige Stimmen unberücksichtigt zu lassen.49 bb) Vorrang des Beschlussmängelrechts Bei der Pflicht des Hauptversammlungsleiters zur Rechtskontrolle ist weiterhin zu berücksichtigen, dass die Rechtmäßigkeitsprüfung von Hauptversammlungsbeschlüssen nach der Konzeption des Aktiengesetzes grundsätzlich im Beschlussmängelprozess stattfinden soll. Dies setzt voraus, dass überhaupt ein Hauptversammlungsbeschluss als tauglicher Gegenstand einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage zustande gekommen ist. Lehnt der Hauptversammlungsleiter die Beschlussfassung unter Berufung auf (vermeintliche) Einberufungsmängel ab oder stellt er einen Beschlussantrag nicht zur Abstimmung, den er aufgrund eigener Rechtskontrolle für rechtswidrig hält, verhindert er bereits das Zustandekommen eines solchen Beschlusses. Damit setzt er seine eigene Bewertung der Rechtswidrigkeit an die Stelle des zur verbindlichen Klärung dieser Frage berufenen Gerichts.50 Ein solches Vorgehen ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Erfolg einer etwaigen Beschlussmängelklage außer Zweifel steht. Dies setzt voraus, dass der betreffende Mangel offensichtlich ist. Daran fehlt es etwa dann, wenn das Vorliegen des Mangels aus dem Aktionärskreis nachvollziehbar begründeten Widerspruch erfährt.51 Besteht 47
Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 761. Rieckers, in: Spindler/Stilz, AktG, § 136, Rn. 41; Schröer, in: MüKo-AktG, § 136, Rn. 57. 49 Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 761; Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 139; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 159. 50 Vgl. Schatz, AG 2015, 696, 697 f. (zur Prüfung von Beschlussanträgen). 51 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 137 und 155. 48
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ein offensichtlicher Einberufungsmangel und würde dieser zur Nichtigkeit der geplanten Hauptversammlungsbeschlüsse führen, darf der Hauptversammlungsleiter die Versammlung nicht eröffnen bzw. hat die eröffnete Hauptversammlung wieder zu schließen.52 Bei der Prüfung von Beschlussanträgen ist der Hauptversammlungsleiter in ähnlicher Weise dazu verpflichtet, Anträge zurückzuweisen, die auf die Herbeiführung eines offensichtlich nichtigen Beschlusses im Sinne von § 241 AktG gerichtet sind.53 Begründet der offensichtliche Mangel hingegen lediglich einen Anfechtungsgrund, sind die Pflichten des Hauptversammlungsleiters umstritten.54 Koch geht davon aus, dass der Hauptversammlungsleiter die Beschlussfassung vornehmen lassen kann, wenn der Gesetzesverstoß wenig gravierend ist und eine Anfechtungsklage wegen des Einverständnisses der Aktionäre mit der beschlossenen Maßnahme nicht zu erwarten ist.55 Werner hingegen ist der Auffassung, dass der Hauptversammlungsleiter bei geringfügigen Verstößen das Anfechtungsrisiko und die Nachteile, die das Abstandnehmen von einer Beschlussfassung zur Folge hätte, gegeneinander abzuwägen habe.56 Beide Auffassungen lassen unberücksichtigt, dass die Vernichtung lediglich anfechtbarer Beschlüsse in das Belieben der Aktionäre gestellt ist.57 Wenn die Aktionäre auf die Einhaltung der Einberufungsvorschriften keinen Wert legen, steht es ihnen frei, auf die Anfechtung zu verzichten. Die Legalitätspflicht des Hauptversammlungsleiters erfordert es in diesem Fall nicht, dass er die Beschlussfassung verhindert.58 Richtigerweise stellt sich daher nicht die Frage, ob der Hauptversammlungsleiter die Beschlussfassung trotz eines Mangels, der zur Anfechtbarkeit führt, vornehmen lassen kann, sondern – gerade umgekehrt – unter welchen Umständen er ausnahmsweise davon absehen darf. Eine solche Befugnis wird man allenfalls bei Widerspruch eines Aktionärs sowie für den Fall annehmen können, dass es sich bei dem offensichtlichen Anfechtungsgrund um einen gravierenden Mangel handelt. Denn nur unter diesen Voraussetzungen ist ein Anfechtungsprozess absehbar, dessen erfolgreicher Ausgang aufgrund der Offenkundigkeit
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Da Verstöße gegen § 121 Abs 4 Satz 2 AktG einer Heilung nach § 242 Abs 2 Satz 4 AktG zugänglich sind, ist dieser Fall wie der eines lediglich einen Anfechtungsgrund darstellenden Mangels zu behandeln; siehe: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 137. 53 Nach dem voranstehend Gesagten wird der Hauptversammlungsleiter bei Verstößen gegen § 241 Nr. 1 AktG in der Regel bereits die Eröffnung der Hauptversammlung ablehnen; siehe dazu: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 155. 54 Zum Streitstand siehe: Steiner, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, § 6, Rn. 11. 55 Dies sei beispielsweise der Fall, wenn in einem Wahlvorschlag (§ 124 Abs. 3 Satz 3 AktG) Wohnort und Dienstsitz verwechselt werden oder irrtümlich ein früherer Beruf angegeben wird oder die Angaben zum ausgeübten Beruf ungenau sind; siehe: Koch, in: Hüffer/ Koch, AktG, § 124, Rn. 28. 56 Werner, in: GroßKomm-AktG, § 124, Rn. 101. 57 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 155; Kubis, in: MüKo-AktG, § 119, Rn. 152. 58 Vgl. von Falkenhausen, NZG 2016, 601, 603 (zur Anfechtungspflicht des Vorstands).
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sowie der Relevanz des Mangels ohnehin feststünde.59 Ein darüberhinausgehendes Recht zur Verhinderung der Beschlussfassung besteht nicht. Nicht zur Abstimmung zu stellen sind jedoch Beschlussanträge, die offenkundig gesetzwidrig, sinnlos oder missbräuchlich sind.60 Denn in einem solchen Falle des Rechtsmissbrauchs liegt schon keine wirksame Antragstellung vor.61 Zurückweisen darf der Hauptversammlungsleiter zudem Beschlussanträge, die zu nicht ordnungsgemäß bekanntgemachten Tagesordnungspunkten gestellt werden, vgl. § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG. Denn der Hauptversammlungsleiter hat gerade die Aufgabe, für die sachgerechte Abhandlung der Tagesordnung in angemessenem Zeitrahmen zu sorgen. Er kann einen solchen Antrag insbesondere dann zurückweisen, wenn anderenfalls die zulässige Hauptversammlungsdauer überschritten würde.62 Im Übrigen hat der Hauptversammlungsleiter die Beschlussfassung zuzulassen und verstößt – insofern denknotwendig – auch dann nicht gegen eine Sorgfaltspflicht, wenn der betreffende Mangel im späteren Beschlussmängelprozess die Anfechtbarkeit begründet. c) Die Treuepflicht Neben der Legalitätspflicht unterliegen Organwalter einer Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft. Denn das Organwalterverhältnis, das zwischen Gesellschaft und Organwalter besteht, basiert stets auf einem Vertrauensverhältnis. Bei den Mitgliedern des Vorstands vertraut die Gesellschaft darauf, dass die Vorstandsmitglieder ihre Einwirkungsmöglichkeiten auf das treuhänderisch verwaltete Vermögen im Unternehmensinteresse ausüben. Die Vorstandsmitglieder haben daher immer im Interesse der Gesellschaft zu handeln und sie vor Nachteilen zu schützen.63 Die Treuepflicht des Hauptversammlungsleiters ist dementsprechend als Gegenstück zu den versammlungsleitenden Befugnissen zu sehen. Die Aktiengesellschaft überträgt ihm die Ausübung der Leitungs- und Ordnungsbefugnisse und vertraut im Gegenzug darauf, dass er diese im Gesellschaftsinteresse wahrnimmt und die Aktionäre vor unverhältnismäßigen Eingriffen in ihre Mitgliedschaftsrechte bewahrt. Denn die Aktionäre haben sich solchen Eingriffen nur insoweit geöffnet, als dies im wohlabgewogenen Interesse der Gesellschaft liegt. Willkürliche Eingriffe des Hauptversammlungsleiters sind daher stets treuwidrig und stellen eine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft dar.
59 Vgl. Schatz, AG 2015, 696, 699 (zur Prüfung von Beschlussanträgen); ähnlich: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 137 (zur Prüfung der Einberufungsvoraussetzungen). 60 Schatz, AG 2015, 696, 698; ähnlich: Austmann, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 40, Rn. 13. 61 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 156. 62 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 156. 63 Hölters, in: Hölters, AktG, § 93, Rn. 114.
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d) Die Sorgfaltspflicht im engeren Sinne Der zunächst nur durch die Legalitäts- und Treuepflicht begrenzte Handlungsrahmen der Organwalter wird durch die Sorgfaltspflicht im engeren Sinne weiter konturiert. Den §§ 93, 116 AktG ist der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, dass Organwalter ihr Amt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Organmitglieds auszuführen haben.64 Aus dieser generalklauselartigen Umschreibung lassen sich verschiedene, nicht abschließend formulierbare Einzelpflichten ableiten. Entscheidend ist stets, wie sich ein ordentlicher und gewissenhafter Organwalter einer Gesellschaft vergleichbarer Art und Größe in der konkreten Situation verhalten hätte. Die Sorgfaltspflicht im engeren Sinne verpflichtet den Hauptversammlungsleiter somit dazu, seine Aufgabe mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Hauptversammlungsleiters wahrzunehmen. Stehen ihm mehrere Handlungsvarianten zur Verfügung, hat er diejenige Variante auszuwählen, die seiner Aufgabe, für die sachgemäße Abhandlung der Tagesordnung in angemessenem Zeitrahmen zu sorgen, am besten zu dienen verspricht. Bei der Prüfung, ob er diesen Anforderungen nachgekommen ist, ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Organhaftung stets eine Betrachtungsweise ex ante anzulegen.65 2. Das Verschulden des Hauptversammlungsleiters Hat der Hauptversammlungsleiter unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze eine Sorgfaltspflicht verletzt, setzt seine Haftung gegenüber der Gesellschaft weiter voraus, dass ihm die Sorgfaltspflichtverletzung auch persönlich vorwerfbar ist. a) Der allgemeine Verschuldensmaßstab der Organmitglieder Die §§ 93 Abs. 1, 116 Satz 1 AktG legen nach herrschender Auffassung nicht nur die Sorgfaltspflichten der Organmitglieder fest, sondern sie umschreiben zugleich den anzuwendenden Verschuldensmaßstab.66 Dieser ist – ebenso wie nach § 276 Abs. 1 AktG – ein typisierter. Individuelle Unfähigkeit wirkt daher nicht exkulpierend.67 Nach den allgemeinen Grundsätzen der Organhaftung ist eine Sorgfalts64
Siehe: Bayer, FS U. H. Schneider, 2011, S. 75, 78 ff. mit Bsp. aus der Rspr. AllgM: LG Essen, NZG 2012, 1307 – „Arcandor“; Krieger/Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 93, Rn. 7; Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 25; Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 93 AktG, Rn. 7 (für die Vorstandsmitglieder). 66 Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 20; Hopt/Roth, in: GroßKomm-AktG, § 93, Rn. 43; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 10; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93, Rn. 11; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 93, Rn. 5; Krieger/Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 93, Rn. 6. 67 Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 93 AktG, Rn. 32; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 93, Rn. 43. 65
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pflichtverletzung des Hauptversammlungsleiters demnach verschuldet, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Versammlungsleiters nicht beachtet hat, mithin schon bei leicht fahrlässigem Verhalten. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob der konkrete Organwalter die notwendigen Kenntnisse zur Hauptversammlungsleitung hatte.68 Entscheidend ist vielmehr, was von einem umsichtigen und gewissenhaft agierenden durchschnittlichen Versammlungsleiter in der jeweiligen Situation erwartet werden konnte. b) Einschränkung des Verschuldensmaßstabs Soweit das Schrifttum eine Haftung des Hauptversammlungsleiters bejaht, wird eine Haftung für jeden Fahrlässigkeitsgrad häufig als nicht sachgerecht empfunden. Begründet wird dies insbesondere damit, dass der Hauptversammlungsleiter in der Praxis zumeist unentgeltlich und im fremden Interesse tätig wird. Es stellt sich allerdings die Frage, ob eine gesetzliche Grundlage für eine allgemeine Herabsetzung des Verschuldensmaßstabs existiert. aa) Haftung nur für Abweichungen von der eigenüblichen Sorgfalt Zum Teil wird befürwortet, die Verantwortlichkeit des Hauptversammlungsleiters auf Abweichungen von der eigenüblichen Sorgfalt zu beschränken.69 Der Maßstab eigenüblicher Sorgfalt rechtfertigt sich – etwa im Falle der §§ 708, 1359, 1664 BGB – jedoch allein mit der engen (persönlichen) Beziehung zwischen den Beteiligten. So beruht die gesellschaftsrechtliche Vorschrift des § 708 BGB auf dem Gedanken, dass Personen, die miteinander einen Gesellschaftsvertrag eingehen und damit ein persönliches Vertrauensverhältnis begründen, sich gegenseitig so nehmen wollen, wie sie allgemein sind. Jeder Teil darf deshalb nur erwarten, dass er in den gemeinschaftlichen Angelegenheiten die gleiche Sorgfalt übt wie in seinen eigenen.70 Im Falle eines Gesellschafters, der zugleich Aufsichtsratsmitglied in einer Publikumspersonengesellschaft ist, hat der BGH die Anwendung des § 708 BGB hingegen abgelehnt. Der gebotene Schutz der Anlagegesellschafter bestehe „nur dann, wenn die Überwachungstätigkeit, durch die insbesondere fehlerhafte Maßnahmen und Unredlichkeiten der Geschäftsführungsorgane festgestellt und verhindert werden sollen, unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auszuüben ist und das einzelne Verwaltungsratsmitglied schon dann haftet, wenn es bei der Erfüllung seiner Pflichten diese Sorgfalt außer Acht lässt.“71
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Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 77. Mutter, AG 2013, R 161. Mugdan, Bd. II S. 985. BGH, NJW 1977, 2311, 2312.
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Der Maßstab eigenüblicher Sorgfalt, der schon bei Publikumspersonengesellschaft nicht gilt, ist auf die Organmitglieder einer Aktiengesellschaft erst recht nicht anzuwenden. Dies gilt umso mehr, als im Aktienrecht der Grundsatz der Fremdorganschaft gilt. Zum Schutz der Interessen der Aktiengesellschaft und der Aktionäre muss vielmehr für jeden Organwalter ein gleicher objektiver Maßstab gelten. Eine Ausnahme ist auch im Falle des Hauptversammlungsleiters nicht anzuerkennen.72 bb) Haftungsbeschränkung wegen unentgeltlicher Tätigkeit Eine Haftungsbeschränkung könnte sich jedoch aus dem Umstand ableiten lassen, dass die Versammlungsleitung in der Regel unentgeltlich übernommen wird. Von einer unentgeltlichen Tätigkeit des Hauptversammlungsleiters ist auch dann auszugehen, wenn ein Mitglied des Aufsichtsrats die Versammlungsleitung übernimmt und keine über § 113 Abs. 1 Satz 1 AktG hinausgehende Vergütung erhält.73 Denn bei der Vergütung nach § 113 Abs. 1 AktG handelt es sich um ein Entgelt nur für die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied.74 Zwar sieht das Gesetz bei anderen unentgeltlichen Rechtsgeschäften, etwa der Schenkung, der Leihe und der regelmäßigen Verwahrung, gewisse Haftungsmilderungen vor. Eine Haftungsbeschränkung in Gesamtanalogie zu den §§ 521, 599 BGB und §§ 690, 277 BGB auf grobe Fahrlässigkeit bzw. eigenübliche Sorgfalt kommt aber schon deshalb nicht in Betracht, weil die Organhaftung auf einem korporationsrechtlichem, nicht auf einem vertragsrechtlichem Verhältnis beruht.75 Darüber hinaus ist den Vorschriften auch kein allgemeiner Rechtsgrundsatz dahingehend zu entnehmen, dass die unentgeltliche Tätigkeit im fremden Interesse stets zu einer Haftungserleichterung führt.76 Dies belegt schon das Auftragsrecht, bei dem der Gesetzgeber bewusst von einem allgemeinen Verschuldensmaßstab auch für den Beauftragten ausgegangen ist.77 Aus diesem Grund wird in der Rechtsprechung eine Gesamtanalogie zu den §§ 521, 599 BGB und §§ 690, 277 BGB auch weder für Gefälligkeiten noch für das Auftragsrecht anerkannt.78 Eine Haftungsprivilegierung des Hauptversammlungsleiters lässt sich auch nicht aus § 31a BGB ableiten. Nach dieser im Jahr 2009 eingeführten Vorschrift haften Organmitglieder, die unentgeltlich tätig sind oder für ihre Tätigkeit eine Vergütung 72
So auch: Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 140; Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 71. 73 Poelzig, AG 2015, 476, 480. 74 Habersack, in: MüKo-AktG, § 113, Rn. 9. 75 Poelzig, AG 2015, 476, 481; a. A.: Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 767; i. E. auch Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 72. 76 Reuter, NZG 2009, 1368, 1370. 77 Mot. II S. 530, 531. 78 RGZ 145, 390, 394; BGHZ 21, 102, 110; BGHZ 30, 40, 46; siehe dazu: Seiler, in: MüKoBGB, § 662, Rn. 68.
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von nicht mehr als 720 Euro jährlich erhalten, dem Verein für einen bei der Wahrnehmung ihrer Pflichten verursachten Schaden nur bei Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.79 Im Schrifttum wird vereinzelt vertreten, dass die Vorschrift des § 31a BGB als lex generalis für jede Form der Kapitalgesellschaft Anwendung finde.80 Der Entstehungsgeschichte der vereinsrechtlichen Normen ist jedoch zu entnehmen, dass das Vereinsrecht kein allgemeiner Teil für das Recht der juristischen Personen ist.81 Die Vorschriften des allgemeinen Vereinsrechts sind auf die Aktiengesellschaft, die GmbH und die Genossenschaft vielmehr nur dann anwendbar, wenn die Analogievoraussetzungen vorliegen.82 In der Gesetzesbegründung zu § 31a BGB wird jedoch ausdrücklich der Gegensatz zur GmbH hervorgehoben83 und zudem festgestellt, dass nur Vorstandsmitglieder von Vereinen, nicht andere private Ämter vom Anwendungsbereich erfasst sind.84 Insofern fehlt es schon am Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. cc) Haftungsbeschränkung aufgrund der „gespannten und hektischen Atmosphäre einer Hauptversammlung“ Drinhausen und Marsch-Barner halten es unter Verweis auf die „Girmes“-Entscheidung des BGH85 gleichwohl für geboten, die Haftung des Hauptversammlungsleiters auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu beschränken.86 Der BGH stellte in dieser Entscheidung fest, dass auch Minderheits- oder Kleinaktionäre einer Treuepflicht gegenüber der Mehrheit unterliegen können. Aufgrund der „häufig gespannten und hektischen Atmosphäre einer Hauptversammlung“ sei eine Haftung der Aktionäre wegen treupflichtwidriger Stimmabgabe jedoch auf Vorsatz zu beschränken.87 Ausschlaggebend war dabei aber vor allem die Überlegung, dass Kleinaktionäre nicht durch schwer überschaubare Haftungsrisiken von der Ausübung ihres Stimmrechts abgehalten werden sollen. Auf Organwalter lässt sich dieser Ansatz ersichtlich nicht übertragen.88 Der BGH hat zudem ausdrücklich of79 Die Vorschrift des § 31a BGB beschränkte ihrem Wortlaut nach ursprünglich allein die Haftung der Vorstandsmitglieder. Mit dem Ehrenamtsstärkungsgesetz (BT-Drucks. 17/11316, S. 16) hat der Gesetzgeber allerdings klargestellt, dass die Haftungsprivilegierung allgemein für „Organmitglieder“ gilt; siehe: Arnold, in: MüKo-BGB, § 31a, Rn. 4. 80 Piper, WM 2011, 2211, 2214. 81 Während in dem ursprünglichen Entwurf des BGB noch eine allgemeine Regelung für die juristische Person vorgesehen war, hat bereits die zweite Kommission diesen Plan verworfen; siehe dazu: Weick, in: Staudinger, BGB, Einl. zu §§ 21 ff., Rn. 2 sowie Vor §§ 21 ff., Rn. 58. 82 Weick, in: Staudinger, BGB, Vor §§ 21 ff., Rn. 58. 83 Begr RegE, BT-Drucks. 16/10120, S. 6. 84 Stellungnahme der BReg, BT-Drucks. 16/10120, S. 10. 85 BGH, NJW 1995, 1739 – „Girmes“. 86 Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 767. 87 BGH, NJW 1995, 1739, 1746 – „Girmes“. 88 Schürnbrand, NZG 2014, 1211, 1213.
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fengelassen, ob der Verschuldensmaßstab für die Haftung aus Treuepflichtverletzung generell, d. h. auch in anderen Fällen als der treupflichtwidrigen Stimmabgabe, zu beschränken ist.89 Darüber hinaus ist es gerade die Aufgabe des Hauptversammlungsleiters, die mitunter „gespannte und hektische Atmosphäre“ einer Hauptversammlung durch die Anordnung von Leitungs- und Ordnungsmaßnahmen zu bewältigen.90 Eine generelle Absenkung des Verschuldensmaßstabs auf Vorsatz (und grobe Fahrlässigkeit) lässt sich mit dieser Aufgabe nur schwerlich in Einklang bringen.91 dd) Zwischenergebnis Der Hauptversammlungsleiter haftet – wie jeder Organwalter – im Grundsatz für jeden Fahrlässigkeitsgrad. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass er in der Praxis regelmäßig unentgeltlich im Interesse der Gesellschaft tätig wird. Zwar ist der Hauptversammlungsleiter bei der Anordnung versammlungsleitender Maßnahmen stets dem Risiko ausgesetzt, eine rechtliche Fehlentscheidung zu treffen (dazu unten Teil 6 A. III. 3.). Eine Haftungsbeschränkung lässt sich jedoch nicht über eine generelle Absenkung des Verschuldensmaßstabs erreichen, da insoweit keine rechtliche Grundlage besteht. c) Keine Zurechnung fremden Verschuldens Der Hauptversammlungsleiter hat nur für eigenes Verschulden einzustehen. Das Fehlverhalten von Hilfspersonen ist ihm grundsätzlich nicht zuzurechnen. Eine Zurechnung gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1 BGB scheidet aus, da der Hauptversammlungsleiter die Hilfspersonen nicht zur Erfüllung eigener Verbindlichkeiten einsetzt.92 Sie werden ausschließlich im Pflichtenkreis der Gesellschaft tätig.93 Darüber hinaus lässt die Organstellung den Hauptversammlungsleiter auch nicht in die Pflichtenstellung des § 831 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 BGB einrücken.94 Geschäftsherr ist vielmehr stets die Gesellschaft. Im Zusammenhang mit der Aufgabendelegation kann den Hauptversammlungsleiter aber unter Umständen ein eigenes Verschulden treffen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Delegation der Aufgabe schon als solche unzulässig 89
BGH, NJW 1995, 1739, 1746 – „Girmes“. Von der Linden, NZG 2013, 208, 211; Rose, NZG 2013, 208, 211. 91 A. A. Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 72; eine Haftungsbeschränkung auf Vorsatz für denkbar haltend: Bachmann, EWiR 2000, 157, 158. 92 A. A.: Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 140 (der Gesellschaft soll unter Berufung auf die Wertung des § 254 BGB jedoch ein Mitverschulden aufgrund der Auswahl und Ausbildung der Hilfskräfte zugesprochen werden). 93 BGH, NZG 2011, 1271, 1273 (zur Zurechnung des Verschuldens von beauftragten Rechtsanwälten an Vorstandsmitglieder). 94 BGH, NJW 1994, 1801, 1803 (zur Haftung von GmbH-Gesellschaftern). 90
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Teil 6: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
war. Der Hauptversammlungsleiter macht sich daher unter Umständen ersatzpflichtig, wenn er – vorsätzlich oder fahrlässig – eine Aufgabe delegiert, die seine Entscheidungsverantwortung als Organwalter betrifft (vgl. dazu oben Teil 4 C.). Ist die Delegation zulässig, lässt dies die Verantwortung des Hauptversammlungsleiters zudem nicht gänzlich entfallen, sondern sie erhält nur einen anderen Inhalt. So muss der Hauptversammlungsleiter bei der Auswahl, Einweisung und Überwachung von Hilfspersonen die erforderliche Sorgfalt walten lassen.95 Die Anforderungen an die Überwachungspflicht hängen jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei den Hauptversammlungen der großen Aktiengesellschaften wird es häufig bereits an einer Sorgfaltspflichtverletzung des Hauptversammlungsleiters fehlen, soweit keine greifbaren Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der eingesetzten Hilfspersonen vorlagen (dazu unter Teil 6 A. III. 1. a) cc)). 3. Die Haftung unter Berücksichtigung rechtlicher Unsicherheiten Eine uneingeschränkte Haftung des Hauptversammlungsleiters gegenüber der Aktiengesellschaft wird im Schrifttum, das haben die vorangegangenen Ausführungen bereits gezeigt, häufig als nicht sachgerecht empfunden. Das Haftungsrisiko des Hauptversammlungsleiters ergibt sich insbesondere daraus, dass er bei der Anordnung versammlungsleitender Maßnahmen rechtliche Entscheidungen trifft, die stets mit Unsicherheit behaftet sind. Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Hauptversammlungsleiter unter Berücksichtigung des bislang ermittelten Handlungsrahmens tatsächlich für jede Fehleinschätzung der Rechtslage haftet. Pliquett geht davon aus, dass eine „Reflexwirkung“ zwischen der Feststellung eines Verfahrensfehlers im Beschlussmängelprozess und dem Vorliegen einer individuellen Sorgfaltspflichtverletzung des Hauptversammlungsleiters besteht. Zwar stehe dem Hauptversammlungsleiter bei der Anordnung versammlungsleitender Maßnahmen ein Ermessensspielraum zu. Dieser werde aber auch im Rahmen der Beschlussmängelklage berücksichtigt. Denn das Gericht dürfe das Ermessen des Hauptversammlungsleiters nicht durch eigenes Ermessen ersetzen, sondern habe allein zu überprüfen, ob sich die angeordnete Maßnahme „nach den zum damaligen Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Umständen in den Grenzen der das Ermessen des Hauptversammlungsleiters einschränkenden Grundprinzipien bewegte“.96 Im Rahmen einer Anfechtungsklage dient das Ermessen allerdings nicht dazu, Haftungsfragen zu entscheiden, sondern die Rechtmäßigkeit einer Leitungs- oder Ordnungsmaßnahme zu beurteilen. Überprüft wird somit das Entscheidungsergebnis. Organwalter schulden aber nicht die „richtige“, sondern lediglich eine sorgfältig getroffene Entscheidung. Das Pflichtenprogramm der Organwalter ist – wie die 95
Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 98 (für die Vorstandsmitglieder). Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 70 f.; ähnlich wohl: von der Linden, NZG 2013, 208, 211. 96
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§§ 93, 116 AktG zeigen – stets tätigkeits- und nicht erfolgsbezogen.97 Es handelt sich insofern um einen allgemeinen Grundsatz der Organhaftung, der in Gesamtanalogie zu den §§ 93, 116 AktG auch auf den Hauptversammlungsleiter anzuwenden ist. Eine Sorgfaltspflichtverletzung kann daher nicht bereits in der Anordnung einer rechtswidrigen Maßnahme der Versammlungsleitung gesehen werden. Maßgebend ist vielmehr, ob der Hauptversammlungsleiter seinen Sorgfaltsanforderungen im Rahmen der Entscheidungsfindung nachgekommen ist. Festgestellt werden kann insoweit zunächst, dass die Entscheidungsfindung aus ex ante-Sicht zu beurteilen ist. Denn der Hauptversammlungsleiter muss stets ex ante prüfen, ob eine Maßnahme vorgenommen oder unterlassen wird. Keiner näheren Erörterung bedarf sodann der Fall, dass die fragliche Maßnahme aus ex ante-Sicht rechtswidrig war. Dem Hauptversammlungsleiter steht in einem solchen Fall kein Ermessensspielraum zu, sondern er hat die Maßnahme schlicht zu unterlassen. Im Übrigen ist danach zu unterscheiden, ob der Hauptversammlungsleiter die fragliche Maßnahme aus ex ante-Sicht für rechtmäßig gehalten hat oder ob sie unter rechtlicher Unsicherheit angeordnet worden ist. a) Anforderungen an die Rechtsermittlungspflicht Beurteilt ein Gericht eine versammlungsleitende Maßnahme im Beschlussmängelprozess als rechtswidrig, die der Hauptversammlungsleiter ex ante für rechtmäßig hielt, stellt sich bei der Haftung des Hauptversammlungsleiters die Frage, ob diese Sichtweise aus ex ante-Sicht gerechtfertigt war, d. h. ob der Hauptversammlungsleiter seiner Pflicht zur Rechtsermittlung nachgekommen ist. Der Hauptversammlungsleiter, der in der Praxis regelmäßig kein Jurist ist, wird die Rechtmäßigkeit einer versammlungsleitenden Maßnahme im Zweifel nur selten zuverlässig beurteilen können. Er kann sich aber unter Umständen darauf berufen, dass er Rechtsrat eingeholt und der Berater ihm die Rechtmäßigkeit der Maßnahme bescheinigt hat. Für die Mitglieder des Vorstands hat der BGH bereits in mehreren Entscheidungen, vor allem im „ISION“-Urteil98, festgelegt, unter welchen Voraussetzungen sie sich unter Berufung auf eingeholten Rechtsrat exkulpieren können. Entscheidend ist danach, ob der Rat von einem über den Sachverhalt zutreffend informierten, sachlich unabhängigen und fachlich qualifizierten Berufsträger stammt und einer Plausibilitätskontrolle standhält.99 Als fachlich unabhängig ist ein Berater nach dem BGH anzusehen, wenn er seine Rechtsauskunft unbeeinflusst von unmittelbaren oder mittelbaren Vorgaben hinsichtlich des Ergebnisses erteilt hat.100 Zwar ist bei der Frage der fachlichen Qualifikation umstritten, ob eine formale 97
Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 (für die Vorstandsmitglieder). BGH, NZG 2011, 1271 – „ISION“. 99 BGH, NZG 2011, 1271, 1273 – „ISION“; siehe auch: BGH, NZG 2015, 792, 794; NZG 2012, 672, 673; NZG 2007, 545, 547. 100 BGH, NZG 2015, 792, 795. 98
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Qualifikation, etwa die Zulassung als Rechtsanwalt, ausreicht,101 oder ob es auf eine spezielle Sachkunde gerade bezogen auf die zu begutachtende Frage ankommt.102 Bei den Hauptversammlungen der großen Aktiengesellschaften wird dieser Streit aber in der Regel nicht entscheidend sein. Denn mit der Unterstützung des Hauptversammlungsleiters werden gerade solche Juristen betraut, deren fachliche Qualifikation, etwa aufgrund der Tätigkeit in einer großen Wirtschaftskanzlei, außer Zweifel steht.103 Die vom BGH geforderte umfassende Information des Beraters kann im Rahmen der Hauptversammlung etwa dadurch sichergestellt werden, dass sich das Backoffice in der Beschallungszone befindet, die Berater das Geschehen per Videoübertragung verfolgen oder ein Berater sogar mit auf dem Podium sitzt. Nach den „ISION“-Grundsätzen muss der Hauptversammlungsleiter schließlich eine Plausibilitätskontrolle durchgeführt haben. Das Schrifttum geht davon aus, dass an dieses Merkmal auch bei Geschäftsleitern keine hohen Anforderungen zu stellen sind.104 Denn die Einholung von Rechtsrat ist eine Form der Aufgabendelegation. Bei dieser obliegt dem Organwalter die sorgfältige Auswahl und Überwachung des Beraters. Eine eigene Befassungspflicht besteht hingegen nur dann, wenn besondere Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Beraters vorliegen.105 Diese können sich insbesondere aus der erforderlichen Begründung des Rechtsrats ergeben. Im Falle des Hauptversammlungsleiters ist insoweit allerdings die besondere Entscheidungssituation im Rahmen der laufenden Veranstaltung zu berücksichtigen. Die Berater erstellen hier selbstverständlich kein schriftliches Gutachten, sondern es kommt nur mündlicher Rat in Betracht. Darüber hinaus müssen die Berater eilbedürftige Fragen möglichst klar und kurz beantworten, um den Ablauf der Hauptversammlung nicht zu verzögern. Bei Rechtsrat im Rahmen der laufenden Veranstaltung wird man dem Hauptversammlungsleiter daher letztlich nur dann einen Vorwurf machen können, wenn die Kurzantwort aus dem Backoffice zu einer offensichtlich überzogenen Maßnahme rät. Ist dies nicht der Fall, kann sich der Hauptversammlungsleiter auf den eingeholten Rechtsrat verlassen und haftet auch dann nicht gegenüber der Gesellschaft, wenn sich die von ihm angeordnete Leitungsoder Ordnungsmaßnahme im Rahmen eines späteren Beschlussmängelprozesses als rechtswidrig erweist.
101
So: Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1403. So: Krieger, ZGR 2012, 496, 499; Strohn, CCZ 2013, 177, 181; ders., ZHR 176 (2012), 137, 141; Müller, DB 2014, 1301, 1302. 103 Vgl. Graewe/Freiherr von Harder, BB 2017, 707, 708; Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 500 f. 104 Siehe: Strohn, CCZ 2013, 177, 183; ders., ZHR 176 (2012), 137, 141 f.; Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 500; Graewe/Freiherr von Harder, BB 2017, 707, 709. 105 Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 500; Binder, AG 2008, 274, 286. 102
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b) Anforderungen an die Entscheidungsfindung bei unsicherer Rechtslage Die vorgenannten Grundsätze gelten nur dann, wenn der Rechtsberater dem Hauptversammlungsleiter eine eindeutige Rechtslage bescheinigt hat. Im Rahmen der laufenden Veranstaltung kann es aber häufig zu Situationen kommen, in denen die Rechtslage nicht sicher beurteilt werden kann. Es stellt sich insoweit die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Hauptversammlungsleiter die fragliche Maßnahme anordnen kann, ohne sich einem Haftungsrisiko auszusetzen. aa) Analoge Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG In Betracht kommt zunächst, dem Hauptversammlungsleiter bei unklarer Rechtslage einen haftungsfreien Ermessensspielraum analog § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zuzugestehen. Nach dieser Vorschrift verstößt ein Vorstandsmitglied nicht gegen seine Sorgfaltspflicht, wenn es bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Bei den Leitungs- und Ordnungsmaßnahmen des Hauptversammlungsleiters handelt es sich aber nicht um unternehmerische Entscheidungen, sondern um rechtlich gebundene.106 Einer doppelt analogen Anwendung steht grundsätzlich die Begründung des Gesetzgebers entgegen, wonach zwischen unternehmerischen Entscheidungen und sonstigen Pflichten zu differenzieren ist. Insbesondere soll es für „illegales Verhalten […] keinen sicheren Hafen“ geben.107 Bei der Vorstandshaftung wird im Schrifttum gleichwohl die Anwendung einer Legal Judgment Rule analog § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG vertreten.108 Zur Begründung wird unter anderem vorgebracht, dass sich die Gesetzesbegründung nur auf Fälle bewussten Rechtsbruchs109 oder offenkundigen Rechtsverstoßes110 beziehe. Andere Stimmen weisen darauf hin, dass einer Entscheidung bei unsicherer Rechtslage ebenso wie einer unternehmerischen Entscheidung prognostische Elemente innewohnen.111 Eine rechtlich gebundene Entscheidung könne es genau genommen nur dann geben, wenn sich aus der betreffenden Norm lediglich ein rechtlich zutreffendes 106
Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437, weist im Zusammenhang mit der Legalitätspflicht der Vorstandsmitglieder ausdrücklich darauf hin, dass deren Entscheidung ungeachtet aller rechtlicher Unsicherheiten rechtlich gebunden ist und bleibt. 107 Begr. RegE zum UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 108 Spindler, in: FS Canaris, 2007, S. 403, 413 ff.; W. Müller, in: Liber amicorum Wilhelm Happ, 2006, S. 179, 190 ff. 109 Habersack, Managerhaftung, in: Lorenz, Karlsruher Forum 2009, 2010, S. 5. 29. 110 Goette, in: Hommelhoff/Hopt/von Werder, Handbuch Corporate Governance, S. 713, 728. 111 Spindler, in: FS Canaris, 2007, S. 403, 411, 414; einschränkend: Thole, ZHR 173 (2009), 504, 523.
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Teil 6: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
Auslegungsergebnis ableiten lässt. Auf eine Rechtsfrage gibt es jedoch regelmäßig nicht nur eine „richtige“ Antwort. Die Rechtslage kann oft nur durch die Entscheidung eines Gerichts abschließend geklärt werden.112 Das Vorstandsmitglied, das unter Unsicherheit entscheiden muss, befinde sich in keiner anderen Situation als derjenigen, die von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG vorausgesetzt wird.113 Gegen die Anwendung einer Legal Judgment Rule wird eingewandt, dass der Sinn und Zweck des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG darin liege, die Risikobereitschaft der Vorstandsmitglieder zu fördern und risikoaverses Verhalten einzuschränken.114 Darum gehe es bei den Entscheidungen unter rechtlicher Unsicherheit nicht. Im Übrigen erfordere die Entscheidung bei unsicherer Rechtslage keinen unternehmerischen Sachverstand, sodass die Gefahr von Rückschaufehlern weniger ausgeprägt sei.115 Das entscheidende Argument gegen eine analoge Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG liegt allerdings darin, dass bei Entscheidungen unter rechtlicher Unsicherheit stets auch das Interesse außenstehender Dritter an der Einhaltung der Rechtsordnung betroffen ist.116 Im Falle des Hauptversammlungsleiters verdeutlicht dies insbesondere seine Befugnis zum Eingriff in Mitgliedschaftsrechte. Denn die Aktionäre haben ein berechtigtes Interesse daran, dass der Hauptversammlungsleiter nur rechtmäßige Anordnungen trifft. Insofern können nicht dieselben Freiräume gewährt werden, wie bei Entscheidungen, bei denen lediglich die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit einer Handlung in Frage steht.117 bb) Übertragbarkeit der zivilrechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines entschuldigenden Rechtsirrtums Der Hauptversammlungsleiter, der eine rechtswidrige Maßnahme angeordnet hat, kann sich gegenüber Schadensersatzansprüchen der Aktiengesellschaft aber unter Umständen auf einen entschuldigenden Rechtsirrtum berufen. Nach der Rechtsprechung des BGH sind die Anforderungen an das Vorliegen eines entschuldigenden Rechtsirrtums sowohl im Leistungsstörungs- als auch im Deliktsrecht al-
112 Bürkle, VersR 2013, 792, 794; Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 8; Cahn/Müchler, BKR 2013, 45, 52 113 Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 8; ähnlich: Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93, Rn. 17; Thole, ZHR 171 (2009), 504, 523. 114 Begr. RegE zum UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 115 Binder, AG 2008, 274, 284; speziell zum Hauptversammlungsleiter: Poelzig, AG 2015, 476, 484. 116 Zu diesem zentralen Unterschied siehe: Verse, ZGR 2017, 174, 189 (mit Fn. 48); ähnlich: Holle, AG 2011, 778, 782: Bei der Erfüllung gesetzlicher Pflichtaufgaben werden die Leitungsorgane nicht im Interesse des Prinzipals tätig, sondern sie schulden die Pflichterfüllung dem Gesetzgeber. 117 Verse, ZGR 2017, 174, 189 (mit Fn. 48).
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lerdings sehr streng.118 Der Schuldner handelt grundsätzlich bereits dann schuldhaft, wenn er nur mit der Möglichkeit einer von seinem Rechtsstandpunkt abweichenden Entscheidung des zuständigen Gerichts rechnen musste.119 Unverschuldet ist ein Rechtsirrtum nur, wenn der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen braucht.120 Bestanden Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer versammlungsleitenden Maßnahme, wird es an diesen Voraussetzungen gerade fehlen. Die strengen Anforderungen an das Vorliegen eines entschuldigenden Rechtsirrtums sind allerdings für die zivilrechtliche Haftung im Außenverhältnis entwickelt worden. Das Außenverhältnis ist im Falle des Hauptversammlungsleiters nicht nur dann betroffen, wenn er Anordnungen gegenüber außenstehenden Dritten trifft. Vielmehr wird er auch dann im Außenverhältnis tätig, wenn er versammlungsleitende Maßnahmen gegenüber den Aktionären – einzeln oder in ihrer Gesamtheit – anordnet. Denn das Recht der Aktionäre zur Entscheidungsteilhabe beruht auf dem mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnis, das zwischen ihnen und der Gesellschaft besteht (siehe oben Teil 2 D. III. 1.). Die Aktiengesellschaft muss den Aktionären die Teilnahme an der Hauptversammlung ermöglichen und darf das Teilnahmerecht nur insoweit beschränken, als es der ordnungsgemäße Ablauf der Hauptversammlung erfordert. Der Hauptversammlungsleiter ist schlicht das Organ, dessen sich die Gesellschaft zur Erfüllung ihrer Pflichten bedient. Als Organwalter hat der Hauptversammlungsleiter bei der Aufgabenwahrnehmung zwar die Rechtsbindung der Gesellschaft zu wahren. Davon zu trennen ist jedoch die Frage, ob und wie der Hauptversammlungsleiter für die Verletzung dieser Rechtsbindungen im Innenverhältnis verantwortlich ist.121 Die strengen Voraussetzungen, welche die Rechtsprechung an die Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums des Schuldners stellt, gehen auf die Überlegung zurück, dass derjenige schuldhaft handelt, der seine Interessen trotz zweifelhafter Rechtslage auf Kosten fremder Rechte wahrnimmt.122 In einer Entscheidung zur Haftung des Verwalters einer Wohnungseigentümergemeinschaft hat der BGH eine Übertragung dieser Anforderungen auf das Innenverhältnis bereits abgelehnt. Der BGH begründete dies damit, dass der Verwalter seine Entscheidung nicht im eigenen Interesse trifft; er nimmt vielmehr die Interessen Dritter wahr, deren Geschäfte er besorgt. Bei zweifelhafter Rechtslage besteht der Konflikt, dass der Verwalter nicht weiß, wie er nach Ansicht der Gerichte entscheiden soll. Er gerät damit in einen Pflichtenwiderstreit.123 Der Hauptversammlungsleiter befindet sich bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit einer versammlungsleitenden Maßnahme in einem ähnlichen 118 119 120 121 122 123
Siehe: BGH, NJW-Spezial 2012, 47, 48; NJW 2001, 3114, 3115; NJW 1994, 2754, 2755. BGH, NZG 2010, 873; NJW 1996, 1216, 1218. BGH, NJW-RR 2007, 382, 383; NJW 1951, 398. Vgl. Spindler, in: FS Canaris, 2007, S. 403, 412 (zur Haftung der Vorstandsmitglieder). BGH, NJW 1996, 1216, 1218 mit Verweis auf BGH, NJW 1972, 1045. BGH, NJW 1996, 1216, 1218.
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Dilemma. Denn er kann sich seiner Pflicht häufig nicht dadurch entziehen, dass er eine Entscheidung in der Hauptversammlung unterlässt.124 Damit kann er sich entweder wegen seines Handelns oder aber wegen seines Unterlassens schadensersatzpflichtig machen.125 Vor diesem Hintergrund ist der BGH im Falle des Verwalters zu dem Ergebnis gelangt, dass ihm bei zweifelhafter Rechtslage ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen ist. In der Entscheidung heißt es ausdrücklich: „Hat er [der Verwalter] sein Urteil, die rechtlichen Voraussetzungen der beantragten Zustimmung seien nicht erfüllt, mit Sorgfalt gebildet, kann ihm nicht angelastet werden, wenn er gleichwohl irrt und aus diesem Grunde die Zustimmung verweigert.“126 Diese Erwägungen können auf das Innenverhältnis zwischen Hauptversammlungsleiter und Gesellschaft übertragen werden. Denn bei der Frage der Haftung geht es stets um eine sachgerechte Verteilung des rechtlichen Irrtumsrisikos.127 Im Außenverhältnis stellen Maßnahmen der Versammlungsleitung einen Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre dar. Den Aktionären, die dadurch in ihrer subjektiven Rechtsstellung betroffen sind, darf nicht das Risiko einer rechtlichen Fehleinschätzung zugeschoben werden. Im Innenverhältnis hingegen kommt dieser Gedanke nicht zum Tragen. Der Hauptversammlungsleiter handelt nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse der Gesellschaft. Allein diese profitiert von der Versammlungsleitung und damit auch den Vorteilen, die sich aus seinen Anordnungen ergeben.128 Wenn sich Rechtszweifel auch nach sorgfältigster Rechtsermittlung nicht ausräumen lassen, ist dem Hauptversammlungsleiter im Innenverhältnis daher ein geschützter Handlungsspielraum zuzubilligen. Eine abweichende Beurteilung würde eine objektive Erfolgshaftung des Hauptversammlungsleiters für die Rechtsbefolgung statuieren. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Organhaftung haften Organmitglieder aber nicht für den Erfolg, sondern für eine sorgfältig getroffene Entscheidung.129 Dieser allgemeine Rechtsgedanke gilt auch für den Hauptversammlungsleiter.
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Poelzig, AG 2015, 476, 485. So zum Geschäftsleiter: Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2253. 126 BGH, NJW 1996, 1216, 1218. 127 Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2254; Verse, ZGR 2017, 174, 187. 128 Zu diesen Erwägungen bezüglich der Haftung von Geschäftsleitern bei unklarer Rechtslage siehe: Verse, ZGR 2017, 174, 186 ff. 129 Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 f.; siehe auch: von Falkenhausen, NZG 2012, 644, 649 (zur Haftung der Vorstandsmitglieder). 125
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cc) Die Kriterien der Entscheidungsfindung Nachdem festgestellt werden konnte, dass dem Hauptversammlungsleiter ein geschützter Handlungsspielraum zuzubilligen ist, stellt sich die Frage, anhand welcher Kriterien er seine Entscheidung bei unklarer Rechtslage zu treffen hat. Thole will die Vorschrift des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zwar nicht analog anwenden, er schlägt aber gleichwohl vor, deren Wertungen heranzuziehen, um greifbare Kriterien für die Entscheidungsfindung bei rechtlicher Unsicherheit zu erhalten. Die Informationseinholung sei dabei auf die Einholung von Rechtsrat anzupassen.130 Unberücksichtigt lässt Thole, dass Organwalter bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme ohnehin zur Rechtsermittlung verpflichtet sind. Bei eilbedürftigen Entscheidungen im Rahmen der laufenden Veranstaltung kann vom Hauptversammlungsleiter grundsätzlich nur eine summarische Rechtsprüfung verlangt werden. Eine Orientierung an den Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG würde somit dazu führen, dass der Hauptversammlungsleiter, dessen summarische Rechtsprüfung im Rahmen der laufenden Veranstaltung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, seine Entscheidung stets „zum Wohle der Gesellschaft“ ausüben kann. Dies würde unabhängig von der Wahrscheinlichkeit der Rechtmäßigkeit sowie unabhängig von der Schwere des damit verbundenen Eingriffs in Mitgliedschaftsrechte gelten. Die Aktionäre haben jedoch ein berechtigtes Interesse daran, dass nicht rechtswidrig in ihre subjektiven Mitgliedschaftsrechte eingegriffen wird (dazu bereits oben Teil 6 A. III. 3. b) aa)). Unter den Stimmen im Schrifttum, die einen geschützten Handlungsspielraum der Geschäftsleiter bei unklarer Rechtslage anerkennen, herrscht daher weitgehend Einigkeit, dass in die Entscheidungsfindung zunächst das Ausmaß der Rechtsunsicherheit einzubeziehen ist.131 Der Geschäftsleiter habe sodann die Chancen seines Handelns mit den Nachteilen abzuwägen, die der Gesellschaft drohen, falls ein Gericht sein Verhalten später als rechtswidrig beurteilt.132 Schließlich sei zu berücksichtigen, ob ihm ein Zuwarten bei unsicherer Rechtslage zumutbar ist, oder ob ein Entscheidungs- oder Handlungszwang besteht.133 Verse weist zutreffend darauf hin, dass auch die Schwere der möglichen Rechtsgutsverletzung berücksichtigt werden muss. Er greift insofern auf die Anforderungen zurück, welche im Straf- und Bußgeldrecht für den Umgang mit einer unklaren Rechtslage herangezogen werden.134 Für den geschützten Handlungsspielraum der Geschäftsleiter leitet Verse 130
Vgl. Thole, ZHR 173 (2009), 504, 522 f. (zur Legalitätspflicht der Vorstandsmitglieder). Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 23; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 31. 132 Buck-Heeb, BB 2013, 2247; 2255; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43, Rn. 23c; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 31; ders., BB 2008, 1070, 1071; Hopt, in: GroßKomm-AktG, § 93, Rn. 99; Haertlein, ZHR 168 (2004), 437, 463; Bank, in: Patzina/Bank/ Schimmer/Simon-Widman, Haftung von Unternehmensorganen, Kap. 6, Rn. 99. 133 Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 31. 134 Verse, ZGR 2017, 174, 188 f. 131
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daraus folgende Eckpunkte ab: Ist die fragliche Handlung mit annähernd gleicher oder überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtmäßig, kann der Geschäftsleiter sie grundsätzlich vornehmen, ohne sich einem Haftungsrisiko auszusetzen. Etwas anderes gilt für den Fall, dass überragend wichtige Rechtsgüter auf dem Spiel stehen. Ist dagegen mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass ein Gericht die Maßnahme ex post als rechtswidrig beurteilt, muss der Geschäftsleiter die Handlung unterlassen. Eine Ausnahme ist wiederum dann anzuerkennen, wenn einerseits kein überragend wichtiges Rechtsgut verletzt zu werden droht, andererseits aber die Gesellschaft durch den Verzicht auf die Handlung besonders gravierend getroffen würde.135 Vergleichbare Kriterien gelten bei der Entscheidungsfindung des Hauptversammlungsleiters. Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeitsbeurteilung kann sich der Hauptversammlungsleiter auf die Beurteilung eines Rechtsberaters verlassen, wenn diese plausibel ist und die sonstigen „ISION“-Kriterien vorliegen. Das notwendige Korrektiv stellt im Falle des Hauptversammlungsleiters die Intensität des mit der fraglichen Maßnahme verbundenen Eingriffs in Mitgliedschaftsrechte dar. Steht etwa die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme in Frage, die zu einer unmittelbaren Beeinträchtigung des Teilnahmerechts führt, wie namentlich die Zugangsverweigerung oder ein Saalverweis, genügt die annähernd gleiche Wahrscheinlichkeit der Rechtmäßigkeit nicht. Andererseits ist der Hauptversammlungsleiter nicht verpflichtet, stets nur solche Maßnahmen anzuordnen, die sicher rechtmäßig sind. Vielmehr kann er zwischen einer Maßnahme, die sicher rechtmäßig ist, und einer solchen, die sich innerhalb des geschützten Handlungsspielraums bewegt, mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Versammlungsleiters auswählen.136 Entscheidend ist somit, welche Handlungsalternative der Aufgabe des Hauptversammlungsleiters, für die sachgemäße Abhandlung der Tagesordnung in angemessenem Zeitrahmen zu sorgen, am besten zu dienen verspricht. dd) Ausschluss der Sorgfaltspflichtverletzung oder des Verschuldens? Hat der Hauptversammlungsleiter die vorgenannten Grundsätze beachtet, ist er der Gesellschaft nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Unter Berücksichtigung der dogmatischen Herleitung des geschützten Handlungsspielraums stellt sich allerdings die Frage, ob dieser auf Ebene der Sorgfaltspflichtverletzung oder erst im Rahmen des Verschuldens zu berücksichtigen ist. Im Falle der Vorstandsmitglieder sprechen sich verschiedene Stimmen für eine Berücksichtigung des geschützten Handlungsspielraums auf Ebene der Sorgfalts-
135
Verse, ZGR 2017, 174, 190. Vgl. Verse, ZGR 2017, 174, 192 f. (zum geschützten Handlungsspielraum der Geschäftsleiter). 136
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pflichtverletzung aus.137 Zur Begründung wird insbesondere auf die Vorschrift des § 84 Abs. 3 AktG verwiesen. Danach kann der Aufsichtsrat die Bestellung zum Vorstandsmitglied widerrufen, wenn dieses grob pflichtwidrig gehandelt hat. Bei einer Verortung auf Verschuldensebene sei das Vorstandsmitglied zwar von einer Haftung freigestellt, infolge der Pflichtverletzung müsse es aber gleichwohl eine Abberufung durch den Aufsichtsrat befürchten.138 Andere Stimmen wenden ein, dass eine solche Gefahr nicht bestehe. Denn es sei nicht als grob pflichtwidrig im Sinne von § 84 Abs. 3 AktG anzusehen, wenn das Vorstandsmitglied unter Einhaltung der geforderten Kriterien Rechtsrat eingeholt und auch im Übrigen eine sorgfältige Entscheidung getroffen hat.139 Im Übrigen ergebe sich die Anerkennung des geschützten Handlungsspielraums aus einer Relativierung der strengen Rechtsprechung zum Rechtsirrtum. Ein Rechtsirrtum lasse aber nicht bereits den Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens entfallen, sondern erst das Verschulden.140 Für den Hauptversammlungsleiter erscheint die Gefahr einer Abberufung zwar ohnehin weniger gravierend als bei den Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat.141 Nach vorliegendem Verständnis muss gleichwohl bereits die Sorgfaltspflichtverletzung, nicht erst das Verschulden entfallen. Zwar ist und bleibt die Entscheidung des Hauptversammlungsleiters rein objektiv betrachtet rechtswidrig.142 Die Anerkennung eines geschützten Handlungsspielraums rechtfertigt sich aber gerade damit, dass das korporationsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen Aktiengesellschaft und Organwalter stets tätigkeits- und nicht erfolgsbezogen ist. Aus diesem Grund haften Organwalter nicht für den Erfolg der Rechtsbefolgung, sondern für eine sorgfältige Rechtsermittlung und Rechtsanwendung.143 Der Organwalter, der seine Entscheidung bei unklarer Rechtslage anhand der bereits genannten Kriterien trifft, hat seine Sorgfaltsanforderungen im Innenverhältnis somit erfüllt. Es geht daher – worauf Fleischer zutreffend hinweist – nicht um eine „Durchbrechung“, sondern um eine sachgerechte Anwendung des Legalitätsprinzips.144
137 Bürkle, VersR 2013, 792, 796; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437; Dreher, FS Konzen, 2006, S. 85, 97; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 32; Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 83; Thole, ZHR 171 (2009), 504, 523 f. 138 Bürkle, VersR 2013, 792, 796; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 437. 139 Verse, ZGR 2017, 174, 192; Graewe/Freiherr von Hader, BB 2017, 707, 711. 140 Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2254; siehe auch: Holle, AG 2016, 270, 279; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 93, Rn. 19; Paefgen, AG 2014, 554, 560; Verse, ZGR 2017, 174, 192. 141 So: Poelzig, AG 2015, 476, 484. 142 So das Gegenargument von Verse, ZGR 2017, 174, 192 (für die Geschäftsleiter). 143 Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 f. 144 So: Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 28 f. (zur Haftung der Vorstandsmitglieder).
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4. Kausaler Schaden der Gesellschaft Die Haftung des Hauptversammlungsleiters setzt weiter voraus, dass der Gesellschaft ein kausaler Schaden entstanden ist. Der Umfang des Schadensersatzes wird nach den allgemeinen Grundsätzen der Organhaftung durch die §§ 249 ff. BGB bestimmt.145 Verglichen wird nach der Differenzhypothese die tatsächlich eingetretene mit der hypothetischen Vermögenslage der Gesellschaft, die ohne das haftungsbegründende Ereignis eingetreten wäre.146 Ersatzfähig sind der unmittelbar durch die Pflichtverletzung eingetretene Schaden sowie der mittelbare Schaden.147 Kommt es infolge einer rechtswidrigen versammlungsleitenden Maßnahme zur Anfechtungsklage, sind daher die Kosten, die im Rahmen des Anfechtungs- sowie eines etwaigen Freigabeverfahrens entstehen, als mittelbare Schäden ersatzfähig. Zu den mittelbaren Schäden der Gesellschaft gehören außerdem die Kosten, die bei einer Wiederholung der Hauptversammlung aufgewendet werden müssen. Nach § 252 BGB kann die Aktiengesellschaft im Grundsatz auch den Ersatz entgangenen Gewinns verlangen, wenn ihr durch die verzögerte Umsetzbarkeit der beschlossenen Maßnahme Geschäftschancen entgangen sind (vgl. oben Teil 1 B. II. 2. a)).148 Ist der Anspruch dem Grunde nach gerechtfertigt, kommt zudem eine Schadensschätzung gemäß § 287 Abs. 1 ZPO in Betracht.149 Sollte der Hauptversammlungsbeschluss noch an einem weiteren – vom Hauptversammlungsleiter nicht verursachten – Fehler leiden, ist dies für die Haftung des Hauptversammlungsleiters im Grundsatz unerheblich. Denn nach allgemeinem Schadensrecht haftet jeder Verursacher auf den vollen Schaden, sofern nur die sonstigen Haftungsvoraussetzungen vorliegen.150
IV. Beweislastverteilung Für die Organhaftung des Hauptversammlungsleiters gelten die allgemeinen Grundsätze der Beweislastverteilung. Die §§ 93 Abs. 2 Satz 2, 116 Satz 1 AktG sind nicht analog anzuwenden. Die weitreichende Beweislastumkehr bei der Organhaftung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder stellt keinen allgemeinen Grundsatz der Organhaftung dar, 145 Die §§ 93, 116 AktG sind nur haftungsbegründende Normen; siehe mit ausführlicher Begründung: Fischer, Existenzvernichtende Vorstandshaftung, S. 138 ff. 146 BGH, NJW 2015, 1373, 1374; Oetker, in: MüKo-BGB, § 249, Rn. 18. 147 Hölters, in: Hölters, AktG, § 93, Rn. 252 (zum Schadensbegriff des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG). 148 Pliquett, Die Haftung des Hauptversammlungsleiters, S. 80. 149 Vgl. OLG München, BeckRS 2010, 18258 (zur Haftung der Vorstandsmitglieder). 150 Oetker, in: MüKo-BGB, § 249, Rn. 135.
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sondern beruht allein auf der größeren Sachnähe der Verwaltungsmitglieder.151 Denn Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder können die Verwaltung besser überblicken und damit auch die Pflichtmäßigkeit ihres Verhaltens besser nachweisen als die geschädigte Gesellschaft, die – ohne Zugriff auf die notwendigen Unterlagen zu besitzen – regelmäßig in Beweisnot geraten würde.152 Auf den Hauptversammlungsleiter lässt sich dieser Gedanke nicht übertragen.153 Denn er verkündet seine Leitungs- und Ordnungsmaßnahmen in der laufenden Hauptversammlung, sodass jeder Versammlungsteilnehmer sowohl die Maßnahme als auch ihre Rahmenbedingungen unmittelbar beobachten kann.154 Zu den Hauptversammlungsteilnehmern gehören neben den Aktionären und Aktionärsvertretern auch die Vorstandsmitglieder, welche die Gesellschaft bei der späteren Durchsetzung von Schadensansprüchen vertreten. Darüber hinaus werden die Leitungs- und Ordnungsmaßnahmen des Hauptversammlungsleiters in der notariellen Niederschrift gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG protokolliert, sodass eine vergleichbare Beweisnot der Gesellschaft im Streitfall nicht besteht.155
V. Die Verjährung des Schadensersatzanspruchs Ansprüche der Aktiengesellschaft gegen den Hauptversammlungsleiter aus Organhaftung unterliegen der Verjährung. Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber vorgegebene Verjährungsfrist von fünf Jahren für Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder in der Aktiengesellschaft, der GmbH und der Genossenschaft (§§ 93 Abs. 6, 116 AktG, 43 Abs. 4, 52 Abs. 3 GmbHG, 34 Abs. 6, 41 GenG) spricht nichts dagegen, auch für Schadensersatzansprüche gegen den Hauptversammlungsleiter eine fünfjährige Verjährungsfrist anzuwenden. Die Verjährungsfrist gilt sowohl für Ansprüche aus Organhaftung als auch für etwaige Ansprüche gemäß § 280 Abs. 1 BGB aus einem unterliegenden Rechtsverhältnis.
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Siehe nur: Hopt/Roth, in: GroßKomm-AktG, § 93, Rn. 426 ff. m. w. N. Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 180. 153 So auch: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 123, Rn. 251; Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 137; Poelzig, AG 2015, 476, 479; von der Linden, NZG 2013, 208, 210; Schürnbrand, NZG 2014, 1211, 1212 f. 154 Von der Linden, NZG 2013, 208, 210. 155 Theusinger/Schilha, BB 2015, 131, 137.; von der Linden, NZG 2013, 208, 210. 152
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VI. Die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs Der Schadensersatzanspruch gegen den Hauptversammlungsleiter ist von der Aktiengesellschaft selbst, vertreten durch den Vorstand, geltend zu machen.156 Es stellt sich insoweit die Frage, ob der Vorstand zur Geltendmachung verpflichtet ist, oder ob er von der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen den Hauptversammlungsleiter nach pflichtgemäßem Ermessen absehen kann. In der „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung157 stellte der BGH fest, dass der Aufsichtsrat grundsätzlich verpflichtet ist, bestehende Schadensersatzansprüche gegen die Vorstandsmitglieder geltend zu machen. Von dieser Verpflichtung könne nur ausnahmsweise abgesehen werden, „wenn gewichtige Interessen und Belange der Gesellschaft dafür sprechen, den ihr entstandenen Schaden ersatzlos hinzunehmen“. Zur Begründung wies der BGH darauf hin, dass die Nichtverfolgung einem Verzicht nahekommt, der gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nur nach Ablauf von drei Jahren mit Zustimmung der Hauptversammlung möglich ist. Die Vorschrift des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG ist auf die Organhaftung des Hauptversammlungsleiters allerdings nicht anwendbar. Vielmehr kann die Aktiengesellschaft auf ihr zustehende Schadensersatzansprüche auch ohne die Einhaltung einer Frist verzichten.158 Schon ein Vergleich mit den §§ 43, 52 GmbHG, 34, 41 GenG zeigt, dass die Drei-Jahres-Frist kein allgemeiner Rechtsgrundsatz der Organhaftung ist. Dasselbe gilt für das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses. Denn durch die Zustimmung der Hauptversammlung nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG soll insbesondere verhindert werden, dass die beiden in der Aktiengesellschaft wechselseitig für die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen originär zuständigen Organe – Vorstand und Aufsichtsrat – ihre jeweiligen Mitglieder gegenseitig von einer etwaigen Haftung befreien.159 Bei der Verfolgung von Ansprüchen gegen Mitglieder sonstiger Organe der Aktiengesellschaft besteht eine solche Gefahr nicht. Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG ist zudem anerkannt, dass der Vorstand von der Geltendmachung von Ansprüchen nach pflichtgemäßem Ermessen absehen kann, wenn es dafür im Einzelfall vernünftige Gründe gibt.160 Ein vernünftiger Grund kann etwa dann vorliegen, wenn die Anspruchsdurchsetzung aus wirtschaftlichen Gründen nicht sinnvoll ist, etwa weil die Kosten der Rechtsdrucksetzung den auszugleichenden Schaden übersteigen
156 Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft durch einzelne Gesellschafter kommt im Aktienrecht nach allgemeiner Auffassung grundsätzlich nicht in Betracht; siehe statt aller: Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, Vor §§ 241 ff., Rn. 29 m. w. N. 157 BGH, NJW 1997, 1926 – „ARAG/Garmenbeck“. 158 Im Ergebnis ebenso: Poelzig, AG 2015, 476, 487. 159 Statt aller: Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 93, Rn. 278. 160 Fleischer, in: Spindler/Stilz, § 93, Rn. 88; Hopt/Roth, in: GroßKomm-AktG, § 93, Rn. 199; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93, Rn. 89; U. Schmidt, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 93, Rn. 49.
A. Die Haftung gegenüber der Gesellschaft
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oder eine Vollstreckung von vornherein nicht erfolgversprechend ist.161 Allein die Schonung des Hauptversammlungsleiters dürfte als vernünftiger Grund allerdings nicht genügen, um von der Durchsetzung bestehender Schadensersatzansprüche gegen ihn abzusehen.162
VII. Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung Im Folgenden soll untersucht werden, welche Möglichkeiten zur Begrenzung der Organhaftung des Hauptversammlungsleiters bestehen. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob unter Berücksichtigung der vorangegangenen Ausführungen überhaupt ein Bedürfnis für eine solche Haftungsbegrenzung besteht. 1. Bedürfnis für eine Haftungsbegrenzung Im Ausgangspunkt lässt sich festhalten, dass das Haftungsrisiko des Hauptversammlungsleiters nicht derart weitgehend ist, wie dies im Schrifttum anscheinend befürchtet wird. Zum einen hat der Hauptversammlungsleiter nicht uneingeschränkt dafür zu sorgen, dass in der Hauptversammlung nur fehlerfreie Beschlüsse gefasst werden (siehe oben Teil 6 A. III. 1. b)). Es besteht auch keine „Reflexwirkung“ zwischen der Feststellung eines Verfahrensfehlers im Beschlussmängelprozess und dem Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung. Vielmehr kann sich der Hauptversammlungsleiter auf eingeholten Rechtsrat verlassen, wenn dieser einer Plausibilitätsprüfung standhält und die sonstigen „ISION“-Kriterien vorliegen. Darüber hinaus ist ihm bei zweifelhafter Rechtslage ein geschützter Handlungsrahmen zuzubilligen (siehe oben Teil 6 A. III. 3.). Letzteres setzt allerdings voraus, dass der Hauptversammlungsleiter überhaupt erkennt, dass die Rechtslage zweifelhaft ist. Insofern sind die allgemeinen Kriterien an das Vorliegen eines entschuldigenden Rechtsirrtums anzulegen. Bei komplexen juristischen Fragen wird man dem Hauptversammlungsleiter zwar keinen Vorwurf machen können. Man wird von ihm aber verlangen können, dass er ein Gefühl dafür entwickelt, an welchen Stellen es zu juristischen Problemen kommen kann.163 Des Weiteren besteht die Gefahr, dass der Hauptversammlungsleiter die Kriterien, anhand derer er seine Entscheidung im Falle einer unklaren Rechtslage zu treffen hat, verkennt. Es ist somit keineswegs ausgeschlossen, dass es zu einer Haftung des Hauptversammlungsleiters kommt, und zwar auch dann, wenn er im Einzelfall nur leicht fahrlässig gehandelt hat. Dabei kann es ohne Weiteres zu Schäden kommen, 161
Hopt/Roth, in: GroßKomm-AktG, § 93, Rn. 199; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93, Rn. 89. 162 Weitergehend: Poelzig, AG 2015, 476, 487. 163 So auch für die Vorstandsmitglieder: Strohn, CCZ 2013, 177, 180; Binder, AG 2008, 274, 283.
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Teil 6: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
die die individuelle Leistungsfähigkeit des Hauptversammlungsleiters übersteigen. Denn nach allgemeinem Schadensrecht sind sowohl unmittelbare als auch mittelbare Schäden zu ersetzen. Davon sind sämtliche Schäden umfasst, die der Aktiengesellschaft durch die Anfechtbarkeit der betreffenden Hauptversammlungsbeschlüsse entstehen (siehe oben Teil 6 A. III. 4). 2. Abschluss einer D&O-Versicherung Als haftungsbegrenzende Maßnahme kommt zunächst der Abschluss einer Versicherung in Betracht. Neben einer Rechtsschutzversicherung bietet sich insbesondere der Abschluss einer D&O-Versicherung an.164 Die D&O-Versicherung ist eine Versicherung für fremde Rechnung gemäß den §§ 43 ff. VVG. Versicherungsnehmer ist die Aktiengesellschaft, versicherte und unmittelbar begünstigte Person ist das jeweilige Organmitglied.165 Das bedeutet allerdings nicht, dass die Gesellschaft nicht ein bedeutsames Eigeninteresse am Abschluss einer D&O-Versicherung hat. Denn zum einen erhält sie durch den Abschluss einer D&O-Versicherung im Haftungsfall einen zusätzlichen, solventen Schuldner. Zum anderen kann sie unter Umständen erst auf diese Weise einen tauglichen Hauptversammlungsleiter gewinnen.166 Wird die Versammlungsleitung vom Aufsichtsratsvorsitzenden oder einem sonstigen Mitglied des Aufsichtsrats übernommen, ist die Ausübung der Versammlungsleitung nicht bereits vom Versicherungsschutz der D&O-Versicherung des Aufsichtsratsmitglieds umfasst. Denn der Versicherungsschutz bezieht sich allein auf die Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds in eben dieser Funktion.167 Heidel geht gleichwohl davon aus, dass der Hauptversammlungsleiter als Organwalter auch ohne ausdrückliche Vereinbarung vom Versicherungsschutz umfasst sei. Dies gelte auch dann, wenn die Versicherungsbedingungen als versicherte Personen gegenwärtige oder ehemalige Mitglieder „des Aufsichtsrates, Vorstandes oder der Geschäftsführung der Versicherungsnehmerin“ explizit benennen.168 Denn die D&OVersicherung bezwecke die Absicherung der Organmitglieder und leitenden Angestellten der Aktiengesellschaft, sodass sich die Einbeziehung des Hauptversammlungsleiters jedenfalls bei Auslegung der Versicherungsbedingungen nach ihrem Sinn und Zweck ergebe.169 Schon allein um Streitigkeiten vorzubeugen, empfiehlt es sich jedoch, den Hauptversammlungsleiter beim Abschluss einer ent164
Vgl. Huber, Der Beirat, S. 176 (für die Mitglieder eines organschaftlichen Beirats). Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93, Rn. 241 f.; Beckmann, in: Beckmann/MatuscheBeckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, § 28, Rn. 21. 166 Von der Linden, NZG 2013, 208, 212. 167 A. A.: Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757, 768; Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 74. 168 Siehe: Nr. 1.1 der Musterbedingungen (AVB-AVG) des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV), abgedruckt bei: Ihlas, D&O – Directors & Officers Liability, S. 656 ff. 169 Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 75. 165
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sprechenden Versicherung ausdrücklich in die Organklausel mit aufzunehmen. Gegebenenfalls sollten auch die versicherten Risiken ausdrücklich vereinbart werden.170 Eine persönliche Inanspruchnahme des Hauptversammlungsleiters kann durch den Abschluss einer D&O-Versicherung aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Denn der Versicherungsschutz ist in den Versicherungsbedingungen regelmäßig durch eine Deckungssumme begrenzt. Den über die Deckungssumme hinausgehenden Betrag hat der Hauptversammlungsleiter im Grundsatz allein zu tragen.171 3. Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung Mit Blick darauf, dass der Versicherungsschutz einer D&O-Versicherung unter Umständen unzureichend ist, stellt sich die Frage, ob Möglichkeiten einer Haftungsbeschränkung für den Hauptversammlungsleiter bestehen. Die individuelle Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung ist bei der Organhaftung nicht möglich.172 Die Haftung aus einem etwaig unterliegenden Rechtsverhältnis sowie die deliktische Haftung sind zwar ohne Weiteres beschränkbar. Das Haftungsrisiko des Hauptversammlungsleiters wird dadurch aber nicht eingeschränkt, da sich aus demselben Tatbestand regelmäßig auch eine Organhaftung ergeben wird.173 Um den Hauptversammlungsleiter vor übermäßigen Haftungsrisiken zu schützen, kommt jedoch eine satzungsmäßige Regelung in Betracht. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine satzungsmäßige Beschränkung der Organhaftung möglich ist, wird für die Mitglieder des Vorstands eingehend diskutiert. Streitig ist dabei insbesondere die Frage, ob und inwieweit § 23 Abs. 5 AktG wegen der ausdrücklichen Regelung in den §§ 93, 116 AktG einem Haftungsausschluss entgegensteht. Einigkeit besteht zunächst dahingehend, dass eine Modifikation des den Vorstandsmitgliedern gesetzlich auferlegten Pflichtenprogramms eine nach § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG unzulässige Abweichung vom Aktiengesetz darstellt.174 Dasselbe gilt nach überwiegender Auffassung für eine Herabsetzung des Verschuldensmaßstabs.175 170
So für Beiratsmitglieder: Huber, Der Beirat, S. 176 f. Ihlas, in: MüKo-VVG, Bd. 3, Nr. 320 D&O, Rn. 506. 172 Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 254; Heidel, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129 – 132, Rn. 73. 173 Hölters, Der Beirat der GmbH und GmbH & Co. KG, S. 51 (für die Haftung der Beiratsmitglieder). 174 Dauner/Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 93 AktG, Rn. 3; Grunewald, AG 2013, 813, 815; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93, Rn. 13; Hopt/Roth, in: GroßKomm-AktG, § 93, Rn. 47 f.; Krieger/Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 93, Rn. 3; Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 27; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 3 f. 175 Hopt, in: GroßKomm-AktG, § 93, Rn. 47 f.; Grunewald, AG 2013, 813, 815; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 4; Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 27; Dauner-Lieb, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 93 AktG, Rn. 3; a. A.: Hoffmann, NJW 2012, 1393, 1395. 171
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Teil 6: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
Denn die Vorschrift des § 93 Abs. 1 AktG legt nicht nur die Verhaltenspflichten der Vorstandsmitglieder fest, sondern sie umschreibt zugleich den anzuwendenden Verschuldensmaßstab.176 Da die Sorgfaltspflichten und der Verschuldensmaßstab des Hauptversammlungsleiters aus den allgemeinen Grundsätzen der Organhaftung abgeleitet werden, kann insoweit nichts anderes gelten. Eine satzungsmäßige Modifikation der Sorgfaltspflichten oder des Verschuldensmaßstabs des Hauptversammlungsleiters ist daher nicht möglich.177 In Betracht kommt jedoch die Zulassung einer satzungsmäßigen Haftungshöchstgrenze. Bei der Organhaftung der Vorstandsmitglieder wird dies insbesondere von Grunewald und Fischer befürwortet. Zutreffend ist zunächst, dass die Vorschrift des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG einer satzungsmäßigen Haftungshöchstgrenze nicht entgegensteht. Denn der Umfang des Schadensersatzes wird allein durch die allgemeinen Vorschriften der §§ 249 ff. BGB bestimmt.178 Nach überwiegender Auffassung im Schrifttum steht einer satzungsmäßigen Haftungsbeschränkung jedoch die Vorschrift des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG entgegen.179 Aus den für einen Verzicht oder einen Vergleich über bereits entstandene Ansprüche normierten Voraussetzungen des § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG folge erst recht, dass im Voraus vereinbarte Haftungsmilderungen unzulässig sind.180 Der Frage, ob und inwiefern die Vorschrift des § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG einer satzungsmäßigen Haftungshöchstgrenze entgegensteht, muss hier allerdings nicht näher nachgegangen werden. Denn diese Vorschrift ist auf die Organhaftung des Hauptversammlungsleiters nicht anwendbar (siehe bereits oben Teil 6 A. VI.). Da die Organhaftung des Hauptversammlungsleiters keine gesetzliche Regelung erfahren hat, kann § 23 Abs. 5 AktG aber nur insoweit eine Sperrwirkung entfalten, als die in einer Gesamtanalogie zu den §§ 93, 116 AktG ableitbaren Grundsätze der Organhaftung betroffen sind. Die Vorschrift des § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG ist davon nicht umfasst. Eine satzungsmäßige Haftungshöchstgrenze ist im Falle des Hauptversammlungsleiters daher zulässig.181 Wie sich aus § 276 Abs. 3 BGB ergibt, darf sich die Haftungshöchstgrenze allerdings nur
176 Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 20; Hopt/Roth, in: GroßKomm-AktG, § 93, Rn. 43; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93, Rn. 10; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93, Rn. 11; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 93, Rn. 5; Krieger/Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 93, Rn. 6. 177 A. A.: Poelzig, AG 2015, 476, 483 (trotz Bejahung der Organstellung). 178 Fischer, Existenzvernichtende Vorstandshaftung, S. 138 ff.; Grunewald, AG 2013, 813, 815. 179 Siehe nur: Krieger, in: Handbuch Managerhaftung, § 3, Rn. 46; Reese, DStR 1995, 532, 535 f.; U. H. Schneider, in: FS Werner, 1984, S. 795, 802 f. 180 Bauer/Krets, DB 2003, 811, 813; U. H. Schneider, in: FS Werner, S. 795, 802 f.; zu den Gegenargumenten siehe: Grunewald, AG 2013, 813, 816; Fischer, Die existenzvernichtende Vorstandshaftung, S. 135 ff. 181 Im Ergebnis ebenso: Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 254; Poelzig, AG 2015, 476, 487 f.
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auf fahrlässiges Verhalten beziehen. Eine satzungsmäßige Beschränkung bei vorsätzlichem Handeln des Hauptversammlungsleiters scheidet daher aus.182 4. Haftungsbeschränkung ohne Satzungsregelung Dass eine Haftungsbeschränkung auch ohne satzungsmäßige Vereinbarung in Betracht kommt, wird von Teilen des Schrifttums mit durchaus unterschiedlichen Begründungen bejaht. Zur Begrenzung der Vorstandshaftung wird etwa eine Haftungsbeschränkung in Anlehnung an die Grundsätze der Haftung bei betrieblich veranlasster Tätigkeit vertreten. Auch Vorstandsmitgliedern könne ein Haftungsrisiko, das außer Verhältnis zu ihrer Vergütung stehe, nicht zugemutet werden, zumal die Chancen des unternehmerischen Handelns sich im Vermögen der Gesellschaft realisieren.183 Dieser Ansatz wurde dahingehend kritisiert, dass die Schutzbedürftigkeit von Arbeitnehmern und Organmitgliedern grundverschieden sei. Auch lege § 93 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG die Voraussetzungen der Vorstandshaftung fest und diese könnten nicht durch den Rückgriff auf die Abwägungen der betrieblich veranlassten Tätigkeit überspielt werden.184 Andere Stimmen gehen davon aus, dass die gesetzliche Haftungsanordnung nur einem Haftungsausschluss entgegenstehe, nicht hingegen einer Haftungsbegrenzung.185 Eine gesellschaftsrechtliche Haftungsbeschränkung soll insbesondere dann zur Anwendung kommen, wenn es „um originär unternehmerische Risiken geht, die sich aufgrund von Fahrlässigkeit realisiert haben und ihr besonderes Ausmaß gerade aus der schadensmultiplizierenden Wirkung des Unternehmenskontextes erhalten“.186 Derartige Belastungen sollen diejenigen tragen, die auch von den unternehmerischen Chancen profitieren, d. h. die Aktionäre in ihrer organisatorischen Zusammenfassung zum Unternehmen.187 Die Haftungsbeschränkung soll sich einerseits aus der Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Organen ergeben und andererseits aus dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleiten sein.188 Im Falle des Hauptversammlungsleiters wird gegen eine Haftungsbeschränkung aufgrund der Treuepflicht zum Teil vorgebracht, dass dieser als Organwalter – anders als die Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats – nicht dauerhaft, sondern nur 182
Grunewald, AG 2013, 813, 815 f.; Fischer, Existenzvernichtende Vorstandshaftung, S. 180. 183 Casper, ZHR 176 (2012), 617, 637 f.; Koch, in: Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 327, 338; ders., AG 2012, 429, 435; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93, Rn. 38. 184 Schöne/Petersen, AG 2012, 700, 704. 185 Bayer, NJW 2014, 2546 ff.; Bayer/Scholz, NZG 2014, 926 ff.; J. Koch, AG 2012, 429 ff.; Hopt/Roth, in: GroßKomm-AktG, § 93, Rn. 398 ff.; Mertens/Cahn, in: KK-AktG, § 93, Rn. 38. 186 J. Koch, AG 2014, 513, 518. 187 Koch, in: Hüffer/Koch, § 93, Rn. 51. 188 Bayer, NJW 2014, 2546, 2548; Bayer/Scholz, NZG 2014, 926, 928.
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Teil 6: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
gelegentlich für die Gesellschaft tätig wird. Darüber hinaus könnten Fehler bei der Versammlungsleitung zwar auch existenzbedrohende Schadensersatzforderungen zur Folge haben, dies sei aber nicht typischerweise der Fall.189 Bei der Versammlungsleitung mag sich die Schadensgeneigtheit zwar nicht aus der dauerhaften Tätigkeit für das Unternehmen ergeben. Die Tätigkeit des Hauptversammlungsleiters ist aber gleichwohl ein „Minenfeld“, in dem es nahezu zwangsläufig zu Fehlern kommt.190 Mit Blick auf die Beschlussrelevanz versammlungsleitender Maßnahmen kann es zudem ohne Weiteres zu Schäden kommen, die die individuelle Leistungsfähigkeit des Hauptversammlungsleiters übersteigen. Insofern lassen sich die für die Vorstandsmitglieder entwickelten Erwägungen durchaus auf die Tätigkeit des Hauptversammlungsleiters übertragen. Eine Haftungsbeschränkung aufgrund der Treuepflicht vermag aber jedenfalls praktisch keinen verlässlichen Schutz zu bieten. Denn zum einen wurde eine derartige Konstruktion von der Rechtsprechung bislang nicht anerkannt.191 Zum anderen kann die Entscheidung, ob der Organwalter leicht fahrlässig oder mit mittlerer Fahrlässigkeit gehandelt hat, in der Regel nur schwer getroffen werden.192 Schließlich wird eine Haftungsbeschränkung aufgrund der Treuepflicht auch bei den Vorstandsmitgliedern nur dann in Betracht gezogen, wenn diese nicht bereits anderweitig von übermäßigen Haftungsansprüchen freigehalten werden können. Die Haftungsbeschränkung soll daher insbesondere bei solchen Schadensfällen greifen, die sich nicht versichern lassen. Dies gilt namentlich für Schäden infolge von Strafen, Geldbußen oder Entschädigungen mit Strafcharakter.193 Im Falle des Hauptversammlungsleiters werden derartige Haftungsfälle keine Rolle spielen. Darüber hinaus ist nach vorliegendem Verständnis die Vereinbarung einer satzungsmäßigen Höchstgrenze bei der Haftung des Hauptversammlungsleiters zulässig. Die Aktiengesellschaft kann die Haftungshöchstsumme zudem auf die Fälle beschränken, in denen die D&O-Versicherung nicht oder nur teilweise greift.194 Vor diesem Hintergrund wird ein Bedürfnis für eine Haftungsbeschränkung aufgrund der Treuepflicht im Falle des Hauptversammlungsleiters regelmäßig abzulehnen sein.
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Poelzig, AG 2015, 476, 482. So die eigene Formulierung von Poelzig, AG 2015, 476, 477. 191 Dies wäre schon deshalb notwendig, weil es sich bei einer Haftungsbeschränkung aufgrund der Treuepflicht letztlich um einen Akt der Rechtsfortbildung handelt; siehe: Scholz, Existenzvernichtende Haftung, S. 272 ff.; Fischer, Existenzvernichtende Vorstandshaftung, S. 231; Bayer/Scholz, NZG 2014, 926, 928; Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1307 f. 192 Grunewald, AG 2013, 813, 815; Casper, ZHR 176 (2012), 617, 642; Koch, AG 2012, 429, 439. 193 Vgl. Nr. 5.10 der Musterbedingungen (AVB-AVG) des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV), abgedruckt bei: Ihlas, D&O – Directors & Officers Liability, S. 656 ff.; zur Beschränkung der Vorstandshaftung bei Bußgeldzahlungen siehe: Koch, in: Liber amicorum für Martin Winter, 2011, S. 327, 331. 194 Fischer, Existenzvernichtende Vorstandshaftung, S. 205. 190
B. Die Haftung gegenüber den Aktionären
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B. Die Haftung gegenüber den Aktionären Voranstehend konnte festgestellt werden, dass der Hauptversammlungsleiter einer Organhaftung gegenüber der Aktiengesellschaft unterliegt. Es stellt sich nun die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen auch einzelnen Aktionären Schadensersatzansprüche gegen den Hauptversammlungsleiter zustehen können.
I. Anspruch aus Organhaftung Die Ansprüche aus Organhaftung stehen allein der Aktiengesellschaft, nicht den einzelnen Aktionären zu.195 Denn das korporationsrechtliche Rechtsverhältnis des Hauptversammlungsleiters als Organwalter besteht allein zur Gesellschaft. Die Aktionäre können etwaige Ersatzansprüche, die sich aus einer fehlerhaften Versammlungsleitung ergeben, daher nicht auf eine Gesamtanalogie zu den §§ 93, 116 AktG stützen.
II. Anspruch aus allgemeinem Leistungsstörungsrecht Die Leitungsaufgabe des Hauptversammlungsleiters begründet kein Rechtsverhältnis zu den Aktionären, auf Grundlage dessen sie Ansprüche aus allgemeinem Leistungsstörungsrecht geltend machen könnten.196 Auch ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen über den Vertrag zugunsten Dritter aufgrund einer schuldhaften Vertragsverletzung des Hauptversammlungsleiters gegenüber der Aktiengesellschaft scheidet grundsätzlich aus. Zum einen wird es an einem Schuldvertrag zwischen Hauptversammlungsleiter und Gesellschaft in der Praxis regelmäßig fehlen. Zum anderen wäre ein solcher auch kein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Denn der Schaden der Aktionäre, der durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des Hauptversammlungsleiters gegenüber der Gesellschaft entsteht, ist in der Regel nur ein Reflexschaden. Insofern fehlt es an einem besonderen Schutzbedürfnis der Aktionäre hinsichtlich der Einbeziehung in dieses Vertragsverhältnis.197
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Vgl. Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 302 (zur Haftung der Vorstandsmitglieder gegenüber Aktionären). 196 Vgl. Mülbert, in: GroßKomm-AktG, § 129, Rn. 104 (mit Fn. 326). 197 Vgl. Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 300 (zur Haftung der Vorstandsmitglieder gegenüber Aktionären).
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Teil 6: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
III. Deliktische Ansprüche Denkbar sind hingegen deliktische Ansprüche der Aktionäre gegen den Hauptversammlungsleiter. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB setzt allerdings voraus, dass der Hauptversammlungsleiter gegen ein die Aktionäre schützendes Gesetz verstoßen hat. Die §§ 93, 116 AktG bezwecken allein den Schutz der Gesellschaft, sodass ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB nicht auf eine Sorgfaltspflichtverletzung des Hauptversammlungsleiters gegenüber der Aktiengesellschaft gestützt werden kann.198 Zwar mag unter Umständen der Vorschrift des § 131 AktG die Eigenschaft eines Schutzgesetzes beigemessen werden. Dies wird bislang aber nur für die Auskunftspflicht der Gesellschaft nach § 131 Abs. 1 AktG199, nicht aber für die den Hauptversammlungsleiter betreffende Vorschrift des § 131 Abs. 2 AktG vertreten. Es ist mittlerweile jedoch ganz überwiegend anerkannt, dass die Mitgliedschaft ein sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB ist.200 Geht man mit dem BGH davon aus, dass sich der Schutz der Mitgliedschaft auch auf das Verbandsinnenverhältnis erstreckt,201 kommt somit grundsätzlich ein Anspruch der Aktionäre gegen den Hauptversammlungsleiter aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht. Noch nicht beantwortet ist damit freilich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen rechtswidrige Maßnahmen der Versammlungsleitung einen schadensersatzpflichtigen Eingriff in die Mitgliedschaft der Aktionäre begründen können. 1. Eingriff in den Schutzbereich der Mitgliedschaft Es stellt sich zunächst die Frage, auf welche Weise der Hauptversammlungsleiter in Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre eingreifen kann. Als gesicherter Ausgangspunkt kann zunächst gelten, dass die Aktionäre nach § 823 Abs. 1 BGB Schutz gegen Einwirkungen auf die Mitgliedschaft selbst genießen.202 Ein Entzug der Mitgliedschaft durch den Hauptversammlungsleiter kommt aber freilich nicht in Betracht. Die Mitgliedschaft genießt jedoch auch insoweit deliktischen Schutz, als es um die Verletzung einzelner mitgliedschaftlicher Befugnisse geht. Bereits das RG hat eine Verletzung der Mitgliedschaft unter der Voraussetzung bejaht, dass der Aktionär „um
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Vgl. Bürgers/Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, § 93, Rn. 55. Decher, in: GroßKomm-AktG, § 131, Rn. 407; Spindler, in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 131, Rn. 117; einschränkend: Kubis, in: MüKo-AktG, § 131, Rn. 177. 200 BGH, NJW 1990, 2877, 2879; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93, Rn. 353; Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 303; Wiesner, in: MüHdb-GesR, Bd. 4, § 26, Rn. 64; a. A.: Hadding, FS Kellermann, 1991, S. 91, 102 ff. 201 BGH, NJW 1990, 2877 – „Schärenkreuzer“; siehe auch: Habersack, Die Mitgliedschaft, S. 117 ff., 171 ff. 202 Mertens, FS R. Fischer, 1979, S. 461, 468 ff.; Wiedemann, FS Goette, 2011, S. 617, 618 f.; Habersack, Die Mitgliedschaft, S. 143 ff.; K. Schmidt, JZ 1991, 157, 158. 199
B. Die Haftung gegenüber den Aktionären
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die Aktienrechte selbst ganz oder teilweise gebracht wird“.203 Nicht nur die Entziehung der Mitgliedschaft als solcher, sondern auch der Eingriff in einzelne mitgliedschaftliche Befugnisse kann somit den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB erfüllen.204 Demnach sind sowohl mitgliedschaftliche Vermögensrechte als auch mitgliedschaftliche Schutz- und Teilhaberechte vom Schutzbereich der Mitgliedschaft umfasst. Verweigert der Hauptversammlungsleiter einem Aktionär etwa die Zulassung zur Hauptversammlung oder spricht er einen Saalverweis aus, stellt dies einen Eingriff in die Mitgliedschaft dar. Der Hauptversammlungsleiter greift mit der Anordnung versammlungsleitender Maßnahmen allerdings nur in die Mitgliedschaftsrechte derjenigen Aktionäre ein, die als Adressat von der jeweiligen Maßnahme unmittelbar betroffen sind. Dies gilt auch dann, wenn die fehlerhafte Maßnahme zur Anfechtbarkeit der betreffenden Hauptversammlungsbeschlüsse und – in der Folge – zu einem Schaden der Gesellschaft führt. Denn es entspricht nahezu einhelliger Auffassung, dass eine durch die Schädigung der Gesellschaft vermittelte Wertminderung der Aktie keine Verletzung der Mitgliedschaft darstellt.205 Die Schädigung der Aktiengesellschaft durch eine rechtswidrige Maßnahme der Versammlungsleitung stellt somit keinen Eingriff in die Mitgliedschaft sämtlicher von der Maßnahme nicht betroffener Aktionäre dar. 2. Rechtswidrigkeit des Eingriffs Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in die Mitgliedschaft beurteilt sich nach denselben Grundsätzen wie im Beschlussmängelprozess. Einen geschützten Handlungsspielraum kann der Hauptversammlungsleiter im Außenverhältnis zu den Aktionären nicht für sich in Anspruch nehmen (siehe oben Teil 6 A. III. 3.). 3. Ersatzfähiger Schaden des Aktionärs Ein Schadensersatzanspruch des einzelnen Aktionärs kommt gleichwohl nur dann in Betracht, wenn ihm durch die rechtswidrige Maßnahme der Versammlungsleitung ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist. Ersatzfähig sind im Grundsatz sowohl unmittelbare als auch mittelbare Schäden. Ein unmittelbarer Schaden wird sich aus rechtswidrigen Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters aber regelmäßig nicht ergeben. Entzieht der Hauptversammlungsleiter einem Aktionär etwa zu Unrecht das Wort, greift er damit zwar rechtswidrig in das Rederecht des jeweiligen Aktionärs ein. Einen (materiellen oder immateriellen) Schaden erleidet der Aktionär dadurch aber nicht. 203
RGZ 158, 248, 255. Habersack, Die Mitgliedschaft, S. 161. 205 RGZ 158, 248, 255; Hopt/Roth, in: GroßKomm-AktG, § 93, Rn. 626; Spindler, in: MüKo-AktG, § 93, Rn. 304; Habersack, Die Mitgliedschaft, S. 156 ff.; a. A. OLG München, NJW-RR 1991, 928, 929 (für GmbH), wohl ohne die Frage zu erkennen. 204
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Teil 6: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
In Betracht kommt daher allein der Eintritt mittelbarer Schäden. Denkbar sind zunächst nutzlose Aufwendungen, wie etwa die Fahrtkosten eines Aktionärs, der rechtswidrig nicht zur Teilnahme an der Hauptversammlung zugelassenen worden ist.206 Einen mittelbaren Schaden erleidet der Aktionär grundsätzlich auch dann, wenn der rechtswidrige Eingriff in sein Mitgliedschaftsrecht zur Anfechtbarkeit des betreffenden Hauptversammlungsbeschlusses und in der Folge zu einer Schädigung der Gesellschaft führt. Zwar stellt die Schädigung der Gesellschaft keinen Eingriff in die Mitgliedschaft des Aktionärs dar (siehe oben Teil 6 B. III. 1.). Hier geht es jedoch um den Fall, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB bereits erfüllt sind, der Aktionär also einen eigenen individuellen Schadensersatzanspruch hat, der nur zugleich zu einer Schädigung der Gesellschaft führt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kommt der Ausgleich solcher mittelbarer Schäden jedoch generell, also auch bei Bestehen eines eigenen Schadensersatzanspruchs des Gesellschafters, in sein Privatvermögen nicht in Betracht.207 Denn die Wertminderung der Beteiligung, die aus einer Schädigung der Gesellschaft resultiert, wird bereits durch einen Ausgleich des Schadenersatzanspruchs der Gesellschaft in das Gesellschaftsvermögen kompensiert. Der Aktionär kann auf Grundlage von § 823 Abs. 1 BGB somit stets nur einen Individualschaden ersetzt verlangen, d. h. einen Schaden, der nicht durch die Wertminderung der Beteiligung vermittelt wird. Individuelle Schadensersatzansprüche der Aktionäre werden etwa im Zusammenhang mit einem rechtswidrigen Hauptversammlungsbeschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts diskutiert.208 Zwar mag die Verwässerung des Anteilswerts durch einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft ausgeglichen werden. Ein Individualschaden, der auch durch die Erhebung einer Anfechtungsklage nicht abgewendet werden kann,209 kann aber darin liegen, dass die Kosten einer Ersatzbeschaffung über dem Bezugspreis liegen.210 Insofern ließe sich erwägen, den Aktionären einen Schadensersatzanspruch gegen den Hauptversammlungsleiter zuzugestehen, wenn der Hauptversammlungsbeschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts (auch) aufgrund einer fehlerhaften Leitungs- oder Ordnungsmaßnahme rechtswidrig ist. Die Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB erfordert allerdings einen doppelten Kausalzusammenhang. Es genügt nicht, dass der Schaden kausal durch die Rechtsgutsverletzung eingetreten ist. Die Rechtsgutsverletzung muss vielmehr auch kausal auf der Handlung des Schädigers beruhen. Im Falle eines rechtswidrigen Bezugsrechtsausschlusses liegt die Rechtsgutsverletzung aber nicht in einer Be206 Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG, § 118, Rn. 18 (zur Haftung der Vorstandsmitglieder gegenüber Aktionären). 207 BGH, NJW 2013, 1434, 1436 f.; NJW 1988, 413, 414; NJW 1987, 1077, 1079. 208 Habersack, Die Mitgliedschaft, S. 232 ff., ders., DStR 1998, 533, 537; Bayer, NJW 2000, 2609, 2612; ders., in: MüKo-AktG, § 203, Rn. 173; a. A. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 204, Rn. 9. 209 Zum Vorrang verbandsrechtlicher Rechtsbehelfe siehe: Habersack, Die Mitgliedschaft, S. 232 ff. 210 Siehe: Habersack, Die Mitgliedschaft, S. 232 (mit Fn. 29).
C. Die Haftung für Schädigungen Dritter
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einträchtigung von Teilnahme-, sondern vielmehr von Vermögensrechten der Aktionäre. Für diese Beeinträchtigung sind die Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters aber regelmäßig nicht kausal. Denn die Rechtsgutsverletzung beruht nicht darauf, dass der betreffende Hauptversammlungsbeschluss aufgrund einer fehlerhaften Maßnahme der Versammlungsleitung rechtswidrig ist, sondern vielmehr darauf, dass der rechtswidrige Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts überhaupt zustande gekommen bzw. inhaltlich rechtswidrig ist. Die Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters haben im Grundsatz aber weder Einfluss auf das Zustandekommen noch auf die materielle Rechtmäßigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen. Ein haftungsbegründender Kausalzusammenhang ließe sich daher allenfalls in dem Fall konstruieren, dass der betreffende Hauptversammlungsbeschluss ohne die fehlerhafte Maßnahme der Versammlungsleitung nicht zustande gekommen wäre. Denkbar erscheint dies allenfalls bei einer fehlerhaften Stimmauszählung bzw. einer rechtswidrigen Nichtberücksichtigung von Stimmrechten. Insoweit dürfte es sich aber um derart begrenzte Ausnahmefälle handeln, dass ihnen praktisch keine Relevanz zukommen wird.
C. Die Haftung für Schädigungen Dritter Außenstehenden Dritten stehen gegen den Hauptversammlungsleiter keine unmittelbaren Schadensersatzansprüche nach den allgemeinen Grundsätzen der Organhaftung zu. Denn der Hauptversammlungsleiter steht als Organwalter in einem Pflichtverhältnis ausschließlich zur Gesellschaft.211 Die an die Organstellung anknüpfenden Schadensersatznormen stellen auch keine Schutzgesetze im Sinne vom § 823 Abs. 2 BGB dar. Ein Anspruch Dritter gegen den Hauptversammlungsleiter kann sich neben § 826 BGB daher allenfalls aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben. Ein Eingriff in absolut geschützte Rechte wird bei der Ausübung des Hausrechts durch den Versammlungsleiter jedoch regelmäßig nicht vorliegen. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass Medienvertreter oder sonstige Dritte kein eigenes Teilnahmerecht an der Hauptversammlung besitzen, in das der Hauptversammlungsleiter durch die Anordnung von rechtswidrigen versammlungsleitenden Maßnahmen eingreifen könnte. Spricht der Hauptversammlungsleiter einen rechtswidrigen Saalverweis aus, käme allenfalls die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB in Betracht. Die Ausübung des Hausrechts betrifft aber grundsätzlich allein die Sozialsphäre. Diese ist im Gegensatz zur Privat- oder Intimsphäre nur in geringerem Umfang geschützt.212 Allein die unberechtigte Geltendmachung von Ansprüchen stellt nach
211 Vgl. Bank, in: Patzina/Bank/Schimmer/Simon-Widmann, Haftung von Unternehmensorganen, Kapitel 3 III. 3., Rn. 114 ff. (zur Haftung von Vorstandsmitgliedern). 212 Sprau, in: Palandt, BGB, § 823, Rn. 87.
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Teil 6: Die Haftung des Hauptversammlungsleiters
Auffassung des BGH noch keine Verletzung der Sozialsphäre dar.213 Erforderlich für das Vorliegen eines Eingriffs im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB wäre vielmehr eine Beeinträchtigung des sozialen Geltungsanspruchs, d. h. mit der Ausübung des Hausrechts müsste eine „öffentliche Herabwürdigung“ des Dritten verbunden sein.214 Im Rahmen der Hauptversammlung wird dies regelmäßig nicht zutreffen, und zwar auch dann nicht, wenn der Hauptversammlungsleiter das Hausrecht vor den Teilnehmern der Hauptversammlung ausübt. Durch ein rechtswidriges Hausverbot wird mithin nur die allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG berührt. Diese wird durch § 823 Abs. 1 BGB jedoch nicht geschützt.215 Im Übrigen wird es regelmäßig auch an einem ersatzfähigen Schaden des Dritten fehlen.
D. Übertragbarkeit auf den Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung Für den Hauptversammlungsleiter der Aktiengesellschaft wurde festgestellt, dass er für Schäden der Gesellschaft, die aufgrund von Fehlern bei der Versammlungsleitung entstehen, nach den allgemeinen Grundsätzen der Organhaftung haftet. Es stellt sich die Frage, ob diese Grundsätze auf den Versammlungsleiter der Gesellschafterversammlung in der GmbH übertragen werden können. Denn der Leiter der Gesellschafterversammlung ist im GmbH-Recht nur als fakultatives – nicht als notwendiges – Gesellschaftsorgan gesetzlich vorgesehen (siehe oben Teil 2 E. II. 2. a)). Die Tätigkeit als Organ und die Organhaftung stehen jedoch in so engem funktionalem Zusammenhang, dass die Schaffung fakultativer Organe ohne Organhaftung nicht möglich ist.216 Auch fakultative Organe unterliegen daher notwendig einer Organhaftung, die auf dem korporationsrechtlichen Rechtsverhältnis zur Gesellschaft basiert. Die Einordnung als fakultatives Gesellschaftsorgan bedeutet auch keineswegs, dass die Haftung zur unbeschränkten Disposition der Gesellschafter stünde. Nach Auffassung des BGH bestätigt dies schon die Vorschrift des § 52 GmbHG. So stellte er in einer Entscheidung zum Aufsichtsrat einer PublikumsKommanditgesellschaft fest: „Obwohl die Einrichtung eines GmbH-Aufsichtsrats grundsätzlich fakultativ ist und seine Einzelausgestaltung weitgehend der Disposition der Gesellschafter unterliegt, ist für die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder eine zwingende fünfjährige Verjährungsfrist vorgesehen. Für den Aufsichtsrat einer Publikums-Kommanditgesellschaft kann nichts anderes gelten. Nimmt dieser, wie hier, Funktionen in der Geschäftsführung wahr – teils an Stelle, teils im Zusammenwirken mit der Komplementär-GmbH – sowie Gesellschafterrechte und -pflichten, die den Kommanditisten genommen sind, so ist die Übertragung einer so 213 214 215 216
BGH, NJW 2007, 1458, 1459. Sprau, in: Palandt, BGB, § 823, Rn. 93. Sprau, in: Palandt, BGB, § 823, Rn. 19. Voormann, Der Beirat im Gesellschaftsrecht, S. 189.
D. Übertragbarkeit auf den Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung
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weitgehenden Verantwortung ohne entsprechende Haftung nicht tragbar.“217 Voormann stellte für die Haftung eines fakultativen Beirats fest, dass diese Überlegung nicht nur für den Umfang, sondern gleichermaßen für den Grund der Haftung gilt. Auch bei statutarischen Organen dürfe die Haftung der Organmitglieder für Sorgfaltspflichtverletzungen nicht von dem in diesem Zusammenhang „belanglosen“ Abschluss eines Anstellungsvertrages abhängen.218 Diese Ausführungen lassen sich auf den Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung übertragen. Auch er haftet auf Grundlage des korporationsrechtlichen Rechtsverhältnisses zur Gesellschaft zwingend nach den allgemeinen Grundsätzen der Organhaftung. Im Hinblick auf die Haftungsvoraussetzungen sowie die Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung kann auf die Ausführungen zur Haftung des Hauptversammlungsleiters der Aktiengesellschaft verwiesen werden. Dasselbe gilt für die Haftung des Versammlungsleiters gegenüber den Gesellschaftern sowie gegenüber außenstehenden Dritten.
217 218
BGH, NJW 1975, 1318, 1320. Voormann, Der Beirat im Gesellschaftsrecht, S. 189 f.
Teil 7
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1. Der Versammlungsleiter ist für die Durchführung einer Hauptversammlung unerlässlich. Bei den Hauptversammlungen der großen Aktiengesellschaften leuchtet dies bereits aus praktischen Gründen ein. Denn es bedarf es einer Person, die durch die Verhandlung führt und auf besondere Situationen, wie etwa Abwahlanträge oder Störungen, reagiert. Unabhängig davon, ob es sich bei dieser Person um einen Aktionär, ein Verwaltungsmitglied oder einen sonstigen Dritten handelt, weist das Gesetz die jeweiligen Befugnisse der Institution „Hauptversammlungsleiter“ zu. Das Aktiengesetz setzt die Besetzung dieses Amtes zudem zwingend voraus. Denn eine Beschlussfassung der Hauptversammlung ohne konstitutive Beschlussfeststellung durch den Hauptversammlungsleiter ist nicht nur fehlerhaft, sondern rechtlich nicht existent. Selbst im Falle einer Einpersonen-AG, bei der eine Beschlussfeststellung im Sinne von § 130 Abs. 2 AktG nicht zwingend erforderlich ist, kann das Fehlen eines Hauptversammlungsleiters zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse gemäß § 241 Nr. 2 AktG führen. Dies ist der Fall, wenn die notarielle Niederschrift gemäß § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG durch ein privatschriftliches Protokoll ersetzt wird, bei dem es an der Unterzeichnung durch den (tatsächlichen) Hauptversammlungsleiter fehlt. 2. Neben der Existenz eines Hauptversammlungsleiters kommt auch der Rechtmäßigkeit der von ihm zu treffenden Entscheidungen erhebliche Bedeutung zu. Grund dafür ist insbesondere, dass der Hauptversammlungsleiter mittels der ihm zugesprochenen Befugnisse in Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre eingreifen kann. Dies hat zunächst Bedeutung für die mitgliedschaftliche Stellung jedes einzelnen Aktionärs. Die Mitwirkung sämtlicher Aktionäre sowie der besondere Schutz durch Verfahrensregelungen sind zudem als innerliche Rechtfertigung für die Durchführung der Hauptversammlung anzusehen. Darüber hinaus begründen rechtswidrige Maßnahmen der Versammlungsleitung in der Regel die Anfechtbarkeit der in der jeweiligen Hauptversammlung gefassten Beschlüsse. Dies kann zu weitreichenden wirtschaftlichen Folgen für die Gesellschaft führen, und zwar bereits dann, wenn eine Beschlussmängelklage rechtshängig wird. 3. In Rechtsprechung und Schrifttum ist weitgehend anerkannt, dass der Hauptversammlungsleiter aus eigenem Recht tätig wird. Er leitet seine Befugnisse insbesondere nicht von der Hauptversammlung ab. Einer satzungsmäßigen Kompetenzübertragung stünde schon der Grundsatz der Satzungsstrenge gemäß § 23 Abs. 5 AktG entgegen. Im Falle einer schuldrechtlichen Kompetenzübertragung
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könnten die Entscheidungen des Hauptversammlungsleiters zudem ohne gesellschaftsinterne Sanktion übergangen werden. Es wird jedoch einhellig vertreten, dass die Entscheidungen des Hauptversammlungsleiters verbindlich sind und durch Mehrheitsbeschluss der Hauptversammlung grundsätzlich auch nicht revidiert werden können. Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich aus einer zweckmäßigen Auslegung des materiellen Rechts: Im Falle großer Publikumsgesellschaften mit mehreren hundert Versammlungsteilnehmern ist ein „Letztentscheidungsrecht“ auf Seiten des Plenums nicht sachgerecht. Zudem hat die Abkehr der Rechtsprechung von der Kausalitätstheorie gezeigt, dass Mehrheitsverhältnisse auf eine Verfahrensentscheidung, welche in Mitgliedschaftsrechte eingreift, gerade keinen Einfluss nehmen sollen. Diese Wertung darf nicht erst bei der Überprüfung des Entscheidungsergebnisses im Rahmen einer Anfechtungsklage zum Tragen kommen, sondern muss bereits bei der Entscheidungsfindung selbst eingreifen. Daher ist auch der Ermessensspielraum des Hauptversammlungsleiters von einer Einflussnahme der Mehrheit freizuhalten. 4. Soweit der Hauptversammlungsleiter gleichwohl als Funktionsgehilfe der Hauptversammlung eingeordnet wird, kann dies allein darin begründet liegen, dass seine Handlungen nicht als spezifische Organtätigkeit angesehen werden. Die spezifische Aufgabe von Organen lässt sich nicht ohne Berücksichtigung der rechtsdogmatischen Bedeutung des Organhandelns ermitteln. Ausgangspunkt ist insoweit die Handlungsfähigkeit der juristischen Person. Denn die juristische Person ist mit der natürlichen Person rechtlich gleichzustellen. Die Handlungsfähigkeit wird durch eine Zurechnung des Organhandelns als Eigenhandeln hergestellt. In organisatorischer Hinsicht sind sowohl die natürliche als auch die juristische Rechtsperson einheitlich als Entscheidungsträger und damit als organisatorische Wirkungseinheit zu behandeln. Diese Wirkungseinheit kann sich (wie bei natürlichen Personen) in einem konkreten Menschen erschöpfen. Möglich ist aber auch, dass die Funktion des „rechtlichen Handelns“ (wie bei juristischen Personen) im Rahmen einer Handlungsorganisation auf einzelne Menschen übertragen wird. Da Organe ein Teil der Handlungsorganisation der juristischen Person sind, „dienen“ sie nicht der Verwirklichung des Verbandszwecks, sondern sie „realisieren“ diesen. Im Grundsatz können daher all jene Handlungen als spezifische Organtätigkeit angesehen werden, die sich als Realisierung des in einer gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vorschrift ausgesprochenen Verbandswillens darstellen. Im Innenverhältnis sind die Rechtsvorschriften zu Organen auf die Verwirklichung der organisatorischen Gewaltenteilung und -verschränkung verpflichtet. Entscheidend ist daher, ob das Handeln der Herstellung einer Machtbalance bzw. dem Zweck einer funktionsadäquaten Aufgabenverteilung dient. 5. Der Hauptversammlungsleiter erfüllt sämtliche Merkmale des Organbegriffs. Das Aktiengesetz setzt seine Existenz zwingend voraus. Die ihn betreffenden Regelungen greifen auch dann ein, wenn keine konkrete Person zum Hauptversammlungsleiter bestellt worden ist. Die Versammlungsleitung ist mithin als „Institution“ vorgesehen. Durch die Bestellung wird die konkrete Person des Haupt-
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versammlungsleiters mit der Wahrnehmung der Rechte und Pflichten beauftragt, die an das abstrakte Rechtsgebilde „Hauptversammlungsleiter“ anknüpfen. Er leitet seine Befugnisse weder von der Hauptversammlung noch vom Aufsichtsrat ab, sondern unmittelbar aus dem Gesetz bzw. der Satzung. Dem lässt sich nicht ein etwaiger Eingriff in das Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung entgegenhalten. Denn sieht man den Hauptversammlungsleiter als eigenständigen Entscheidungsträger an, geht es gerade nicht um die Selbstorganisation innerhalb des Organs Hauptversammlung, sondern um eine Frage der Gewaltentrennung zwischen zwei Organen. Dem Hauptversammlungsleiter kann die Organqualität auch nicht mit Blick auf seine Aufgaben abgesprochen werden. Unerheblich ist insoweit zunächst, dass sich die Tätigkeit des Hauptversammlungsleiters auf organisatorische Maßnahmen beschränkt. Denn auch solche Maßnahmen werden ohne Weiteres von der Handlungsorganisation der Gesellschaft umfasst. Darüber hinaus muss das Handeln des Hauptversammlungsleiters schon mit Blick auf die mitgliedschaftliche Relevanz versammlungsleitender Maßnahmen als Eigenhandeln der Gesellschaft angesehen werden: Die Ausübung der versammlungsgebundenen Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs endet insbesondere dort, wo die Funktionsfähigkeit der Hauptversammlung in Frage gestellt wird. Die Funktionsfähigkeit des Verbandes betrifft aber das Gesellschaftsinteresse. Die versammlungsleitenden Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters stellen sich mithin als Realisierung des insbesondere in § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG zum Ausdruck kommenden Gesellschaftswillens dar. 6. Der Versammlungsleiter ist im GmbH-Recht zwar kein notwendiges, wohl aber ein fakultatives Gesellschaftsorgan. Seine Bestellung ist insbesondere dann zweckmäßig, wenn der Gesellschafterkreis groß ist oder zwischen den Gesellschaftern kein Einvernehmen über die zu fassenden Beschlussgegenstände besteht. Die Gesellschafter können in diesem Fall auf ein gesetzlich vorgesehenes Institut – die Versammlungsleitung – zurückgreifen. Es geht insoweit nicht um eine Änderung der Verbandsverfassung; vielmehr ist der Versammlungsleiter im GmbH-Recht als fakultatives Gesellschaftsorgan bereits gesetzlich vorgesehen. Aus diesem Grund ist auch eine Bestellung durch Ad-hoc-Beschluss möglich. Die Kompetenzen des Versammlungsleiters ergeben sich im GmbH-Recht – ebenso wie im Aktienrecht – im Grundsatz aus ungeschriebenen gesetzlichen Regelungen. Das Revisionsrecht der Gesellschafterversammlung sowie die Tatsache, dass diese die Maßnahmen der Versammlungsleitung unter Umständen auch selbst wahrnehmen kann, ändern nichts an der Organstellung des Versammlungsleiters. Denn diese Merkmale resultieren allein aus der Stellung als fakultatives Gesellschaftsorgan und ergeben sich im Übrigen aus der im Einzelfall vereinbarten Zuständigkeitsregelung zwischen Gesellschafterversammlung und Versammlungsleiter. 7. Das Aktiengesetz stellt keine ausdrücklichen persönlichen Anforderungen an die Person des Hauptversammlungsleiters. Aus Inkompatibilitätsgründen sind nur der mit der Niederschrift betraute Notar sowie die Mitglieder des Vorstands von der
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Hauptversammlungsleitung ausgeschlossen. Zweckmäßigkeitserwägungen sprechen allerdings dafür, professionelle Berater zum Hauptversammlungsleiter zu bestellen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die übliche Satzungspraxis der großen Aktiengesellschaften, wonach der Aufsichtsratsvorsitzende oder ein einfaches Aufsichtsratsmitglied als Hauptversammlungsleiter fungiert. Denn der Hauptversammlungsleiter hat im Rahmen der Versammlungsleitung stets rechtliche Entscheidungen zu treffen, die oft mit Unsicherheiten belastet sind. Eine inhaltliche Einflussnahme auf die Versammlung, bei der es auf die Kenntnisse eines erfahrenen Geschäftsmannes ankäme, ist dem Hauptversammlungsleiter hingegen grundsätzlich untersagt. Auch juristische Personen können zum Hauptversammlungsleiter bestellt werden. Der bloße Hinweis, „das Wesen des Amts“ erfordere ein persönliches Tätigwerden, ist nicht geeignet, ein Verbot der juristischen Organperson zu begründen. Für die Geschäftsleitungsorgane liegt der Ausschlussgrund vielmehr darin begründet, dass im Falle juristischer Organpersonen der Einfluss der Gesellschafter bzw. des Aufsichtsorgans auf die Auswahl der tatsächlich handelnden Personen schwindet. Diese Erwägungen greifen im Falle des Hauptversammlungsleiters nicht durch. Zu berücksichtigen ist vielmehr, dass das Amt eine besondere (rechtliche) Sachkunde erfordert. Insoweit besteht – ebenso wie im Falle der Abwickler – auch kein Sachgrund gegen die Zulassung von Personenhandelsgesellschaften, Partnerschaften oder der Außen-GbR zum Hauptversammlungsleiter. Mit Blick auf die für das Amt erforderliche Rechtskunde kann daher insbesondere auch eine Rechtsberatungsgesellschaft zum Hauptversammlungsleiter bestellt werden. 8. Die Befugnis der Hauptversammlung, einen Hauptversammlungsleiter ad hoc zu wählen, ist nicht aus dem Selbstorganisationsrecht abzuleiten, sondern ergibt sich aus einer ungeschriebenen gesetzlichen Zuständigkeit. Neben einer Ad-hoc-Bestellung kann der Hauptversammlungsleiter auch durch Satzungsregelung unmittelbar bestimmt oder seine Auswahl auf ein anderes Gremium übertragen werden. Dies liegt auf einer Linie mit der Qualifikation des Hauptversammlungsleiters als eigenständiges Gesellschaftsorgan. Denn ginge man davon aus, dass die Versammlungsorganisation zum Selbstorganisationsrecht der Hauptversammlung gehört, müsste dies konsequenterweise auch für die Bestellung des Hauptversammlungsleiters gelten. Vor dem Hintergrund der Satzungsstrenge wäre nicht ersichtlich, weshalb es der Hauptversammlung in diesem Fall gestattet sein sollte, die Entscheidung über die Person des Hauptversammlungsleiters auf ein anderes Gremium zu übertragen. 9. Der satzungsmäßig bestimmte Hauptversammlungsleiter kann bei Vorliegen eines wichtigen Grundes durch einfachen Mehrheitsbeschluss der Hauptversammlung wieder abberufen werden. Da sich die Tätigkeit des Hauptversammlungsleiters grundsätzlich auf eine Sitzung beschränkt, die Voraussetzungen der §§ 179 AktG in der konkreten Hauptversammlung aber nicht eingehalten werden können, wäre die Abberufung eines unzumutbaren Hauptversammlungsleiters anderenfalls zumindest
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faktisch ausgeschlossen. Bei Organwaltern muss aber stets ein Abwahlrecht bestehen. Grund dafür ist die organisatorische Selbständigkeit der Organe. Zwar mag die Abberufung an das Vorliegen zusätzlicher Voraussetzungen geknüpft werden, wenn ein freies Abwahlrecht mit der Funktion des Organs nicht zu vereinbaren ist. Der Vorschrift des § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG ist jedoch die allgemeine Wertung zu entnehmen, dass eine Abberufung aus wichtigem Grund – auch durch Satzungsregelung – nicht ausgeschlossen oder, wie im Falle des Hauptversammlungsleiters, faktisch unmöglich gemacht werden kann. Der Hauptversammlungsleiter muss einen Abwahlantrag zur Abstimmung stellen, wenn ein wichtiger Grund substantiiert vorgetragen wird. Ein Verstoß gegen die Abstimmungspflicht führt aber nur dann zur Anfechtbarkeit der nachfolgend gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse, wenn der wichtige Grund tatsächlich vorlag. 10. Der Hauptversammlungsleiter steht in einem korporationsrechtlichen Rechtsverhältnis zur Gesellschaft, das mit der Bestellung begründet wird. Daneben kann ein unterliegendes Rechtsverhältnis in Form eines Auftrags oder Geschäftsbesorgungsvertrages geschlossen werden. Notwendig ist dies allerdings nicht. Bereits das korporationsrechtliche Rechtsverhältnis hat schuldrechtlichen Inhalt: Der Hauptversammlungsleiter hat ein subjektives Recht gegenüber der Gesellschaft und außenstehenden Dritten, ihn als solchen zu dulden. Die juristische Person ist zudem verpflichtet, kompetenzgemäßes Verhalten des Hauptversammlungsleiters für und gegen sich gelten zu lassen. Zwar stehen die versammlungsleitenden Kompetenzen dem Organ, nicht der konkret handelnden Person zu. Der Hauptversammlungsleiter als Organwalter hat jedoch ein subjektives Recht auf die Waltung dieser Kompetenz. Er ist zudem verpflichtet, für die ordnungsgemäße Funktion des mit ihm besetzten Organs zu sorgen. Darüber hinaus hat er im Innenverhältnis die organisatorischen Berechtigungen und Verpflichtungen des Organs sowie im Außenverhältnis die Berechtigungen und Verpflichtungen wahrzunehmen, welche die allgemeine Rechtsordnung der Gesellschaft auferlegt. 11. Die Anerkennung der Organstellung des Hauptversammlungsleiters ist dogmatische Grundlage für eine Kompetenzabgrenzung zwischen ihm und der Hauptversammlung. Sie ermöglicht zudem eine Orientierung an der organisatorischen Gewaltenteilung: Da der Hauptversammlungsleiter für die sach- und ordnungsgemäße Durchführung der Hauptversammlung zu sorgen hat, sind seine Einflussmöglichkeiten grundsätzlich auf organisatorische Maßnahmen beschränkt. Diese sind von Maßnahmen abzugrenzen, welche inhaltlichen Einfluss auf die Entscheidungen der Hauptversammlung nehmen. Im Zweifel ist eine Kompetenzabgrenzung anhand des Schwerpunkts der Maßnahme vorzunehmen. 12. Die versammlungsleitenden Befugnisse können nicht allein auf die Aufgabe des Hauptversammlungsleiters gestützt werden. Rechtsgrundlage für Maßnahmen der Versammlungsleitung ist vielmehr das korporationsrechtliche Rechtsverhältnis zur Gesellschaft. Auch wenn der Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis im Aktienrecht grundsätzlich möglich ist, so ist gleichwohl eine Rechtsgrundlage er-
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forderlich, aus der sich die allgemeine Aufgabe des Hauptversammlungsleiters im Verhältnis zur Aktiengesellschaft ergibt. Diese kann allein in dem korporationsrechtlichen Rechtsverhältnis gesehen werden, das mit der Bestellung des Hauptversammlungsleiters zwischen ihm und der Gesellschaft begründet wird. Daraus lassen sich wiederum die relativen Befugnisse des Hauptversammlungsleiters gegenüber den Versammlungsteilnehmern ableiten. 13. Die Aktionäre haben auf Grundlage des mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnisses zur Gesellschaft ein Recht zur Entscheidungsteilhabe, sie unterliegen kraft ihrer Mitgliedschaft aber auch den Leitungs- und Ordnungsbefugnissen des Hauptversammlungsleiters. Die Duldungspflicht beruht gerade darauf, dass der Hauptversammlungsleiter Gesellschaftsorgan ist – Zurechnungsendsubjekt für die versammlungsleitenden Maßnahmen ist somit die Gesellschaft. Der Hauptversammlungsleiter, der das Gesellschaftsinteresse realisiert, hat eine Art praktische Konkordanz zwischen den Individualrechten der Aktionäre und dem Gesellschaftsinteresse herzustellen. Neben dem Neutralitäts- und Gleichbehandlungsgebot hat er daher insbesondere das Gebot der Sachdienlichkeit sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren. 14. Als Organwalter ist dem Hauptversammlungsleiter die Amtsführung höchstpersönlich anvertraut. Das höchstpersönliche Element der Amtsführung bezieht sich jedoch allein auf die Entscheidungsverantwortung. Ausführende Tätigkeiten können stets delegiert werden. Darüber hinaus muss eine Delegation von Leitungsmaßnahmen zum Teil aus praktischen Gründen zugelassen werden. So kann der Hauptversammlungsleiter Hilfspersonen insbesondere im Rahmen der Einlasskontrolle einsetzen. Die Delegationsmöglichkeit ist aber auf Fälle beschränkt, in denen weder tatsächliche noch rechtliche Unsicherheiten bestehen. Im Verhältnis zur Hauptversammlung besteht ein umfassendes Delegationsverbot schon mit Blick auf die Notwendigkeit einer Gewaltentrennung. Eine Delegation kann allenfalls dann zugelassen werden, wenn bereits aufgrund der Natur der Maßnahme nicht anzunehmen ist, dass die Mehrheit eine die Minderheit benachteiligende Entscheidung treffen wird, wie etwa bei der Zulassung von Gästen. 15. Neben einer inzidenten Rechtskontrolle im Beschlussmängelprozess können Aktionäre die Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters mit der allgemeinen Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO überprüfen lassen, wenn andernfalls eine Rechtsschutzlücke bestünde. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine Maßnahme über die Hauptversammlung hinauswirkt oder Wiederholungsgefahr besteht. Darüber hinaus kommt die Erhebung einer allgemeinen Feststellungsklage insbesondere dann in Betracht, wenn der Hauptversammlungsleiter einen Beschlussantrag rechtswidrig zurückweist und daher die Möglichkeit einer inzidenten Rechtskontrolle schon mangels anfechtbaren Hauptversammlungsbeschlusses nicht besteht. Die Aktionäre können rechtwidrige Maßnahmen der Versammlungsleitung zudem mit einer vorbeugenden Unterlassungsklage oder auch im Wege einer einstweiligen Verfügung abwehren. Denn die Aktionäre haben einen verbands-
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rechtlichen Anspruch darauf, dass die Gesellschaft ihre Mitgliedschaftsrechte achtet und alles unterlässt, was sie über das durch Gesetz und Satzung gedeckte Maß hinaus beeinträchtigt. Die praktische Bedeutung des mitgliedschaftlichen Abwehranspruchs ist bei Maßnahmen der Versammlungsleitung jedoch schon aus Zeitgründen nur gering. Darüber hinaus dürfte der Antrag im einstweiligen Verfügungsverfahren jedenfalls bei Ordnungsmaßnahmen regelmäßig daran scheitern, dass der Ablauf der Versammlung nicht vorausgesehen werden kann. Dem Aktionär ist es daher zumutbar, den Verlauf der Hauptversammlung abzuwarten und sodann Anfechtungsoder Nichtigkeitsklage zu erheben. 16. Die Versammlungsleitung durch einen fehlerhaft bestellten Hauptversammlungsleiter kann gravierende Folgen haben. Denn die konstitutive Wirkung der Beschlussfeststellung setzt grundsätzlich voraus, dass sie vom richtigen Hauptversammlungsleiter vorgenommen worden ist. Entgegen der herrschenden Auffassung kann Anordnungen des falschen Hauptversammlungsleiters auch nicht pauschal die Relevanz abgesprochen werden. Dies gilt schon mit Blick darauf, dass versammlungsleitende Maßnahmen zumeist mit einem Eingriff in Mitgliedschaftsrechte verbunden sind. Die Aktionäre haben sich einem Eingriff in ihre Mitgliedschaftsrechte aber nur insoweit geöffnet, als dies der Verwirklichung des Verbandszwecks dient. Die Verwirklichung des Verbandszwecks obliegt allein den Organen, die mit Organwaltern besetzt sind. Mangels Organwalterverhältnis zur Gesellschaft ist der „falsche“ Hauptversammlungsleiter nicht zu einem Eingriff in Mitgliedschaftsrechte berechtigt. 17. Dem Interesse am Bestandsschutz der Hauptversammlungsbeschlüsse, die – bis auf das Tätigwerden eines falschen Hauptversammlungsleiters – fehlerfrei sind, kann durch die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung Rechnung getragen werden. Der dafür erforderliche Bestellungsakt kann neben einem Ad-hocBestellungsbeschluss der Hauptversammlung oder eines anderen Gremiums auch in einer Satzungsregelung gesehen werden. Denn auch letztere stellt eine eindeutige Willensbekundung der Aktiengesellschaft dar. Die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Organstellung setzt weiter voraus, dass der Hauptversammlungsleiter seine Tätigkeit aufgenommen und tatsächlich verfahrensleitende Entscheidungen getroffen hat. Bei fehlerhafter Entziehung der Organstellung ist zudem die Lehre von der fehlerhaften Abberufung anzuwenden. Hingegen sind sämtliche Hauptversammlungsbeschlüsse, die unter der Leitung eines faktischen Hautpversammlungsleiters zustande gekommen sind, mangels konstitutiver Feststellung im Sinne von § 130 Abs. 2 AktG unwirksam. 18. Der Hauptversammlungsleiter unterliegt einer Organhaftung gegenüber der Gesellschaft. Denn der durch das korporationsrechtliche Rechtsverhältnis begründeten Schuld korrespondiert notwendig eine Haftung. Bei einer Qualifikation des Hauptversammlungsleiters als Organwalter hängt seine Haftung nicht von einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung ab. Es bedürfte – gerade umgekehrt – einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung für den Fall, dass eine Haftung des Haupt-
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versammlungsleiters trotz seiner Stellung als Organwalter ausgeschlossen sein sollte. Die Organhaftung gründet auf dem korporationsrechtlichen Rechtsverhältnis zur Gesellschaft und orientiert sich in ihrer Ausgestaltung an den vom Gesetzgeber vorgegebenen allgemeinen Grundsätzen der Organhaftung. Der Hauptversammlungsleiter hat sich bei der Erfüllung seiner Aufgaben gesetzestreu zu verhalten und bei der Anordnung versammlungsleitender Maßnahmen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Versammlungsleiters anzuwenden. Entgegen teilweise vertretener Auffassung im Schrifttum hat der Hauptversammlungsleiter jedoch nicht uneingeschränkt dafür zu sorgen, dass in der Hauptversammlung nur fehlerfreie Beschlüsse gefasst werden. Denn die Rechtmäßigkeitsprüfung von Hauptversammlungsbeschlüssen soll nach der Konzeption des Aktiengesetzes grundsätzlich im Beschlussmängelprozess stattfinden. Es besteht auch keine „Reflexwirkung“ zwischen der Feststellung eines Verfahrensfehlers und dem Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung des Hauptversammlungsleiters. Vielmehr kann sich der Hauptversammlungsleiter auf eingeholten Rechtsrat verlassen, wenn dieser einer Plausibilitätsprüfung standhält und die sonstigen „ISION“Kriterien vorliegen. Darüber hinaus ist ihm bei zweifelhafter Rechtslage ein geschützter Handlungsrahmen zuzubilligen. Der Hauptversammlungsleiter haftet – wie alle Organmitglieder – grundsätzlich für sämtliche Verschuldensgrade. Fremdes Verschulden ist ihm weder über § 278 Abs. 1 BGB noch über § 831 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 BGB zuzurechnen. Delegiert der Hauptversammlungsleiter eine Maßnahme, die seine Entscheidungsverantwortung betrifft, ist ihm allerdings ein eigenes Verschulden vorzuwerfen. Dasselbe gilt bei einem Verstoß gegen Überwachungspflichten. 19. Das Haftungsrisiko des Hauptversammlungsleiters kann durch den Abschluss einer D&O-Versicherung begrenzt werden. Schon um Streitigkeiten über das Bestehen des Versicherungsschutzes vorzubeugen, empfiehlt es sich, den Hauptversammlungsleiter – trotz Organstellung – ausdrücklich in die Organklausel mit aufzunehmen. Gegebenenfalls sollten auch die versicherten Risiken ausdrücklich vereinbart werden. Darüber hinaus ist die satzungsmäßige Vereinbarung einer Haftungshöchstgrenze möglich. Unabhängig von der Rechtslage bei den Verwaltungsmitgliedern steht die Regelung des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG einer solchen Satzungsregelung im Falle des Hauptversammlungsleiters nicht entgegen. Denn es handelt sich bei dieser Vorschrift nicht um einen allgemeinen Grundsatz der Organhaftung. Da die Organhaftung des Hauptversammlungsleiters keine gesetzliche Regelung erfahren hat, kann § 23 Abs. 5 AktG aber nur insoweit eine Sperrwirkung entfalten, als die in einer Gesamtanalogie zu den §§ 93, 116 AktG ableitbaren Grundsätze der Organhaftung betroffen sind. 20. Die Aktionäre können Schadensersatzansprüche gegen den Hauptversammlungsleiter im Grundsatz auf § 823 Abs. 1 BGB stützen. Denn rechtswidrige Maßnahmen der Versammlungsleitung stellen einen Eingriff in die Mitgliedschaft der
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Teil 7: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
jeweils betroffenen Aktionäre dar. In der Regel wird es aber an einem kausal durch die Rechtsverletzung verursachten Schaden fehlen. Denkbar ist allein der Ersatz nutzloser Aufwendungen, wie etwa die Fahrtkosten eines Aktionärs, der unberechtigt nicht zur Teilnahme an der Hauptversammlung zugelassen worden ist. Den Ausgleich von (mittelbaren) Reflexschäden kann der Aktionär hingegen auch dann nicht in sein Privatvermögen ersetzt verlangen, wenn er von der rechtswidrigen Maßnahme der Versammlungsleitung selbst betroffen ist – ihm also dem Grunde nach ein eigener Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB zusteht. Ein ersatzfähiger Individualschaden kann zwar dann entstehen, wenn der betreffende Hauptversammlungsbeschluss zugleich Vermögensrechte des Aktionärs verletzt. Für diese Rechtsgutsverletzung sind rechtswidrige Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters aber regelmäßig nicht kausal. Denn sie haben im Grundsatz weder Einfluss auf das Zustandekommen noch auf die materielle Rechtmäßigkeit des jeweiligen Beschlusses. 21. Gegenüber außenstehenden Dritten kommt im Grundsatz zwar ebenfalls eine deliktische Haftung des Hauptversammlungsleiters in Betracht. Ein Eingriff in absolut geschützte Rechte des Dritten wird bei der Ausübung des Hausrechts durch den Hauptversammlungsleiter jedoch regelmäßig nicht vorliegen. Im Übrigen wird es auch an einem ersatzfähigen Schaden fehlen.
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Sachverzeichnis Abwahl – Anforderungen an den Abwahlantrag, 102 ff. – fehlerhafte, 151 f. – Mehrheit, 101, 103, 106 f. – Satzungsänderung, 100, 102 f. – Satzungsdurchbrechung, 101 ff. Abwehrklage, 135 ff. Amtsniederlegung, 107 f., 151 Amtspflichten – Recht und Pflicht zum Amt, 110 f. – Rechte und Pflichten aus dem Amt, 111 f. – Rechte und Pflichten im Amt, 111 ff., 122 Anstellungsverhältnis, 109 f., 113 Beendigung der Amtsstellung – Abberufung, 100 ff. – Amtsniederlegung, 107 f., 151 Befugnisse des Versammlungsleiters – siehe Leitungsmaßnahmen – siehe Ordnungsmaßnahmen Begründung der Amtsstellung, siehe Bestellung Beschlussfeststellung – falscher Hauptversammlungsleiter, 143 f. – fehlende, 24, 69 – konstitutive Wirkung, 24, 36 f., 132, 141 Beschlussvereitelung, 139 ff. Bestellung – Bestimmung durch das Gericht, 97 f. – Bestimmung durch die Satzung oder Geschäftsordnung, 93 f. – Bestimmung durch ein anderes Gremium, 94 f. – fehlerhafte, 143 – Wahl durch die Hauptversammlung, 95 ff. D&O-Versicherung, 186 f. Delegation – Leitungsmaßnahmen, 131 ff. – Ordnungsmaßnahmen, 130 f.
– Unterstützung durch Rechtsberater, 133 – Verbot, 131, 133 Eingriff in Mitgliedschaftsrechte – Einverständnis der Aktionäre, 73, 76, 131 – Relevanztheorie, 27 f. Einschränkung des Verschuldensmaßstabs – Girmes-Entscheidung, 170 f. – Maßstab eigenüblicher Sorgfalt, 168 f. – Unentgeltlichkeit, 155, 169 Einstweiliger Rechtsschutz – Beschlussausführung, 142 f. – Versammlungsleitende Maßnahmen, 135 ff. Entscheidungsverantwortung des Hauptversammlungsleiters, 130 – siehe auch Höchstpersönlichkeit der Amtsführung Entschuldigender Rechtsirrtum, 176 ff., 181, 185 Erfolgshaftung, 172, 178, 181 Ermessensspielraum – analog § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, 175 f. – des Hauptversammlungsleiters, 48, 131 f., 145, 160, 172 f. – organschaftlicher, 64 Faktischer Versammlungsleiter, 152 f. Fakultative Organe, 79 f. Falscher Versammlungsleiter – Beschlussrelevanz, 143 ff. – Lehre von der fehlerhaften Organstellung, 147 ff. – Scheinaufsichtsratsvorsitzender, 145 ff. Fehlende Beschlussfeststellung, siehe Beschlussfeststellung Fehler bei der Versammlungsleitung – Bedeutung für die Gesellschaft, 27 ff. – Bedeutung für die Mitgliedschaft, 26 f. – Beschlussfähigkeit des Aussichtsrats, 30 f. Fehlerhafte Abberufung, siehe Abberufung
Sachverzeichnis Fehlerhafte Bestellung, siehe Bestellung Feststellungsklage, 138 ff., 142 Fiktionstheorie, 57 f. Funktionale Anforderungen an den Hauptversammlungsleiter, 91 ff. – siehe auch Versammlungsleitung durch eine juristische Person Funktioneller Organbegriff, 49 f., 69 Funktionenteilung, 75 f., 115 – siehe auch Gewaltenteilung Funktionsgehilfe, siehe Klassifizierung als Funktionsgehilfe Gebot der Sachdienlichkeit, 126, 161 Geschützter Handlungsspielraum, 178 ff., 185 Gewaltenteilung, 64 f., 115 f., 135 – siehe auch Funktionenteilung Gleichbehandlungsgebot, 125, 161 GmbH-Recht, siehe Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung Grenzen versammlungsleitender Maßnahmen, 123 ff. Haftung des Hauptversammlungsleiters – Allgemeines Leistungsstörungsrecht, 159 f., 191 – Deliktsrecht, 192 ff., 195 f. – Organhaftung, 158 ff., 191, 195 Haftung gegenüber den Aktionären – Eingriff in den Schutzbereich der Mitgliedschaft, 192 – Haftungsgrundlage, 191 f. – Individualschaden, 194 – Reflexschaden, 191 Haftung gegenüber der Gesellschaft – Beweislast, 182 f. – Durchsetzung, 184 f. – Haftungsgrundlage, 158 ff. – Kausaler Schaden, 182 – Sorgfaltspflichtverletzung, 160 ff. – Verjährung, 183 – Verschuldensmaßstab, 167 ff. Haftung gegenüber Dritten, 195 f. Haftungsbegrenzung – Bedürfnis, 185 f. – Betrieblich veranlasste Tätigkeit, 189 – D&O-Versicherung, 186 f.
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– Haftungsbeschränkung in der Satzung, 187 ff. – Treuepflicht der Gesellschaft, 189 f. Haftungsbeschränkung in der Satzung, 187 ff. Handlungsorganisation, 47, 63 f., 66 ff., 72 Hauptversammlung – Ausweitung der Zuständigkeiten, 31 f. – Begriff, 18 f. – demokratische Funktion, 26 f., 48 – Mitgliederzusammenkunft, 19 ff. – Organ, 21 ff. Hausrecht, 120, 128 f., 195 f. Höchstpersönlichkeit der Amtsführung, 118, 130 ff. Individualschaden, 194 Inkompatibilität, 87 ff., 96 Institutionell-funktioneller Organbegriff, 53 ff., 69 Inzidente Rechtskontrolle – Grundsatz, 134 f. – Rechtsschutzlücke, 139 f. ISION-Grundsätze, 173 f., 180, 185 Juristische Organperson, 91 ff. Juristische Person – Eigenhandeln, 58 f., 62, 72, 74 – Fiktionstheorie, 57 f. – Gleichstellung mit der natürlichen Person, 62 f., 68 – Handlungsorganisation, 47, 63 f., 66 ff., 72 – Theorie der realen Verbandspersönlichkeit, 58 f. Klassifizierung als Funktionsgehilfe – Abwehrklage, 137 – Delegationsverbot, 131 – Dogmatische Einordnung, 41, 43 – Funktionale Anforderungen, 91 – Haftung, 155 – Kompetenzabgrenzung zur Hauptversammlung, 114 – Kompetenzübertragung, 45 – Rechtsverhältnis zur Gesellschaft, 121 Kompetenzabgrenzung zur Hauptversammlung, 75 f., 114 ff., 135
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Sachverzeichnis
Konstitutive Wirkung des Beschlussfeststellung, siehe Beschlussfeststellung Korporationsrechtliches Rechtsverhältnis zur Gesellschaft, 108 ff. Legal Judgment Rule, 175 f. Legalitätspflicht – Geschützter Handlungsspielraum, 178 f., 185 – Pflicht zur Rechtskontrolle, 163 f. – Rechtsbefolgungspflicht, 160 f. – Rechtsermittlungspflicht, 162, 173 f., 179, 181 – Überwachungspflicht, 162 f., 172, 174 Lehre von der fehlerhaften Organstellung, 147 ff. Leiter der GmbH-Gesellschafterversammlung – Bestellung, 81 ff., 98 f. – Eingliederung in die Verbandsverfassung, 80 ff. – fakultatives Organ, 78, 80 ff., 196 – Haftung, 196 f. – organisatorische Selbständigkeit, 82 f. – Zuständigkeitsregelung im Verhältnis zur Gesellschafterversammlung, 83 ff. Leitungsmaßnahmen – Beschlussfeststellung, 36 f. – Delegation, 131 ff. – Entscheidung über Beschlussanträge, 35, 165 – Eröffnung der Hauptversammlung, 32 f. – Leitung der Aussprache, 34 – Leitung des Abstimmungsverfahrens, 35 ff. – Prüfung der Einberufungsvoraussetzungen, 33, 164 f. – Schließung der Hauptversammlung, 37 – Sicherheitskontrollen, 33, 130 – Wiederaufgreifen von Tagesordnungspunkten, 37 – Zulassung von Teilnehmern, 27, 33, 132 f. Materieller Organbegriff, 49 ff. Neutralitätsgebot, 125, 161 Notwehrrecht, 119 f.
Ordnungsmaßnahmen – Beschränkung der Redezeit und Wortentzug, 38 f. – Delegation, 130 f. – Saalverweis, 40 – Schließung der Rednerliste, 39 – Schluss der Debatte, 39 Organ – Aufgabe, 67 ff. – Eingliederung, 51, 54, 56 – fakultatives, 79 ff. – organisatorische Selbständigkeit, 54 – Organtheorie, 57, 59, 61 f. – spezifische Aufgabe, 67 – Vertretertheorie, 57, 60 f., 66 Organbegriff – funktioneller, 49 f., 69 – institutionell-funktioneller, 53 ff., 69 – materieller, 51 Organhaftung – Allgemeine Grundsätze, 159, 173, 188 – Haftungsgrundlage, 158 f. – Sorgfaltsmaßstab, 159, 167 Organschaftliche Zurechnung, 53 ff., 66, 72 f. Organstellung des Hauptversammlungsleiters – Eingliederung, 69, 74 f. – Funktionenteilung, 75, 115 – organisatorische Selbständigkeit, 70 f. – Realisierung des Verbandswillens, 72 ff. – rechtliche Selbständigkeit, 43 f., 71 Organverhältnis, 108, 111 f. Organwalterverhältnis, 94, 108 ff., 145, 166 Persönliche Anforderungen an den Hauptversammlungsleiter – Inkompatibilität, 87 ff., 96 – Neutralität, 89 f. – Sachkunde, 90 f., 133 Pflicht zur Rechtskontrolle – Möglichkeit und Zumutbarkeit, 163 f. – offensichtliche Mängel, 33, 125, 164 f. – Vorrang des Beschlussmängelrechts, 164 ff. Positive Beschlussfeststellungsklage, 141 f. Praktische Konkordanz, 124, 127 f., 129 f., 161 Professionelle Versammlungsleitung, 89 ff.
Sachverzeichnis Provisorische Versammlungsleitung, 97, 158 Prüfung durch den Hauptversammlungsleiter – Beschlussanträge, 35, 165 f. – Einberufungsvoraussetzungen, 33, 164 f. – Stimmverbote, 164 Realisierung des Verbandswillens durch den Hauptversammlungsleiter, 72 ff. Rechtsbefolgungspflicht, 160 f. Rechtsermittlungspflicht, 162, 173 f., 179, 181 Rechtsgrundlage für Maßnahmen der Versammlungsleitung – Erforderlichkeit, 121 f. – Hausrecht, 120, 128 f., 195 f. – Korporationsrechtliches Rechtsverhältnis, 122 ff., 127 – Notwehrrecht, 119 f. Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters – Abwehrklage/Unterlassungsklage, 135 ff. – Einstweiliger Rechtsschutz, 135 ff., 142 f. – Feststellungsklage, 138 ff., 142 – Grundsatz der inzidenten Rechtskontrolle, 134 f. – Positive Beschlussfeststellungsklage, 141 f. Rechtsverhältnis zur Gesellschaft – Anstellungsverhältnis, 109 f., 113 – Korporationsrechtliches Rechtsverhältnis, 108 ff. – Schuldvertragliche Vereinbarung, 45 ff., 80 Rechtszweifel – Beurteilungsspielraum, 178 – Entschuldigender Rechtsirrtum, 176 ff., 181, 185 – Ermessensspielraum analog § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, 175 f. – Kriterien der Entscheidungsfindung, 179 f. Reflexschaden, 191 Satzungsstrenge, 44 f., 80, 156 Schuldvertragliche Vereinbarung mit der Gesellschaft, 45 ff., 80 Schutzbereich der Mitgliedschaft, 192 f. Sorgfaltsmaßstab, allgemeiner, 159, 167, 188 Sorgfaltspflicht im engeren Sinne, 167
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Sorgfaltspflichten des Hauptversammlungsleiters – Aufgabendelegation, 171 f. – Legalitätspflicht, 160 ff. – Sorgfaltspflicht im engeren Sinne, 167 – Treuepflicht, 166 Theorie der realen Verbandspersönlichkeit, 58 f. Treuepflicht des Hauptversammlungsleiters, 166 Überwachungspflicht, 162 f., 172, 174 Unterlassungsklage, siehe Abwehrklage Unterstützung durch Rechtsberater, 133, 162, 164, 175, 180 Verbandsinteresse, siehe Verbandszweck Verbandszweck – Definition, 67, 73, 126 – Realisierung durch Organe, 67 f. – Realisierung durch versammlungsleitende Maßnahmen, 72 ff. Verbindlichkeit versammlungsleitender Maßnahmen, 44, 47, 71 Verfahrensfehler, siehe Fehlerhafte Versammlungsleitung Verhältnismäßigkeitsgebot, 126, 129, 161 Versammlungsleitende Befugnisse – Delegation, 130 ff. – Grenzen, 123 ff. – Versammlungsgebundenheit, 42, 70 Versammlungsleitende Maßnahmen – Rechtsgrundlage, 120 ff., 127 ff. – Verbindlichkeit, 44, 47, 71 Versammlungsleitung – durch den beurkundenden Notar, 87, siehe auch Inkompatibilität – durch ein Aufsichtsratsmitglied, 43, 94, 156 – durch ein Vorstandsmitglied, 87 ff., siehe auch Inkompatibilität – durch eine juristische Person, 91 ff., siehe auch juristische Organperson – fehlerhafte, 23 ff., 143 ff. – professionelle, 89 ff. – provisorische, 97, 158
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Sachverzeichnis
Verschuldensmaßstab, allgemeiner 167 f., 188 Vorrang des Beschlussmängelrechts, 164 ff.
Zurechnung fremden Verschuldens, 171 f.