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German Pages 259 [260] Year 2009
Angela Breitenbach Die Analogie von Vernunft und Natur
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Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Manfred Baum, Bernd Dörflinger, Heiner Klemme und Thomas M. Seebohm
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Walter de Gruyter · Berlin · New York
Die Analogie von Vernunft und Natur Eine Umweltphilosophie nach Kant von
Angela Breitenbach
Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-022006-3 ISSN 0340-6059 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandentwurf: Christopher Schneider, Laufen Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
Vorwort Dieses Buch ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2008 von der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen wurde. Danken möchte ich all denen, die mich bei der Entstehung dieser Arbeit unterstützt haben. An erster Stelle ist mein Betreuer, Volker Gerhardt, zu nennen, der mir die Möglichkeit zur Erarbeitung des vorliegenden Buches gegeben und wertvolle Denkanstöße und konstruktive Kritik geliefert hat. Andrea Esser und Beatrix Himmelmann haben die weiteren Gutachten übernommen und meine philosophische Arbeit durch ihre hilfreichen Anregungen und weiterführenden Ermunterungen gefördert. Großzügige Unterstützung habe ich zudem von Onora O’Neill, Nick Jardine und Marina Frasca-Spada erhalten. Sie haben meine philosophischen Vorhaben durch ihre intensive Auseinandersetzung mit den von mir vorgelegten Argumenten, durch ihre Anteilnahme und ihren langjährigen Einsatz entscheidend gefördert. Wertvolle Gesprächspartner in den letzten Jahren waren mir außerdem Freunde in Berlin und Cambridge, insbesondere die Teilnehmer der „Kant Reading Group“ am Department of History and Philosophy of Science der University of Cambridge, mit denen ich über viele der hier formulierten Gedanken diskutieren und streiten konnte. Christa und Wilhelm Breitenbach haben mit ihrer unbeirrbaren Hilfsbereitschaft und nicht zuletzt mit ökologischer Sachkenntnis einen wichtigen Beitrag geleistet. Schließlich ist Sebastian Kemmler zu nennen, der mit seiner anregenden Kritik, seinen Ermutigungen und seinem unermüdlichen Interesse einen großen Anteil gehabt hat. Die Entstehung dieser Arbeit wurde gefördert durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes. Ein Junior Research Fellowship am Sidney Sussex College, Cambridge, hat mir die Möglichkeit gegeben, das Buch zur Veröffentlichung vorzubereiten und meine philosophische Forschung fortzusetzen. Ihnen allen gilt mein Dank. Cambridge, im Frühling 2009
Angela Breitenbach
Inhalt Vorwort..................................................................................................... V Einleitung................................................................................................... 1 Kapitelübersicht ..............................................................................................4
1. Naturkausalität und ihre Grenzen .................................................. 13 1.1. Das transzendentale Prinzip der Verknüpfung von Ursache und Wirkung..........................................................................................16 1.2. Die ausnahmslose Gültigkeit der Kausalität ....................................21 1.3. Die Unbestimmtheit empirischer Kausalgesetze ............................24 1.4. Die systematische Einheit der empirischen Natur..........................28 1.5. Die Grenzen des Kausaldeterminismus ...........................................33
2. Die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung............................ 37 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5.
Naturmechanismus vs. Freiheit .........................................................39 Naturmechanismus vs. Leben ............................................................41 Naturmechanismus vs. Abhängigkeit der Teile vom Ganzen.......48 Mechanische Erklärungen: Ein Interpretationsvorschlag..............51 Die Grenzen mechanischer Naturerklärung ....................................56
3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen........................................................................................ 60 3.1. Die Unmöglichkeit der mechanischen Erklärung von Organismen ...........................................................................................61 3.2. Die Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken ......................66 3.3. Kants Analogiebegriff..........................................................................70 3.4. Kein Analogon der Kunst oder des Lebens ....................................76 3.5. Kein Analogon irgendeines uns bekannten Naturvermögens ......81
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Inhalt
4. Die Analogie von Organismus und Vernunft ............................... 84 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5.
Der Vergleich zwischen Vernunft und Organismus ......................85 Die Einheit der theoretischen und praktischen Vernunft .............89 Die systematische Einheit des gesamten Vernunftvermögens .....96 Die Organismus-Analogie mit der Vernunft des Menschen ...... 101 Die Interdependenz von Leben und Vernunft............................. 106
5. Mechanismus und Teleologie: Zwei Perspektiven auf die Natur ................................................................................................. 109 5.1. Zwei Antinomien in der Dialektik der teleologischen Urteilskraft .......................................................................................... 111 5.2. Die Unmöglichkeit konstitutiver und die Notwendigkeit regulativer Prinzipien der Urteilskraft ............................................ 114 5.3. Zwei Ebenen teleologischer Betrachtung: Notwendigkeit und Heuristik...................................................................................... 119 5.4. Die Vereinbarkeit der teleologischen mit der mechanischen Maxime................................................................................................ 124 5.5. Eine Auflösung der Antinomie für den Menschen ..................... 129
6. Äußere Zweckmäßigkeit und die Natur als System der Zwecke.............................................................................................. 132 6.1. Die Ausweitung der teleologischen Naturbetrachtung ............... 134 6.2. Notwendigkeit und heuristische Nützlichkeit des Prinzips der äußeren Zweckmäßigkeit........................................................... 137 6.3. Die Natur als System der Zwecke: Physische und moralische Teleologie............................................................................................ 141 6.4. Der übersinnliche Grund der Natur .............................................. 147 6.5. Die Natur als Zweck ihrer selbst .................................................... 151
7. Ganzheitliche Naturerfahrung nach Kant: Die Vermittlungsleistung der teleologischen Analogie ..................... 154 7.1. Reduktiv-mechanische Erklärung und analogischteleologische Betrachtung der Natur.............................................. 156 7.2. Metaphern: Substitution vs. Interaktion ........................................ 158 7.3. Kants teleologische Analogie: Interaktion statt Substitution ..... 162 7.4. Die Analogie als diskursive und notwendige Vermittlung von Natur und Vernunft .................................................................. 166 7.5. Die Deutlichkeit und Verständlichkeit der Natur ........................ 171
Inhalt
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften: Kant und die Philosophie der Biologie ................................................................ 173 8.1. Zwei Ansätze in der Philosophie der Biologie: Ätiologie und kausale Rollen..................................................................................... 175 8.2. Der Erkenntnisstatus der teleologischen Heuristik und Kants analogischer Ansatz ............................................................... 181 8.3. Kantische Teleologie und die Evolutionstheorie ......................... 187 8.4. Kantische Teleologie und die Systemtheorie ................................ 192 8.5. Kant und die Biologie....................................................................... 195
9. Umweltethik nach Kant: Ein analogischer Ansatz..................... 198 9.1. 9.2. 9.3. 9.4. 9.5.
Die Natur in Kants Moralphilosophie ........................................... 199 Eine biozentrische Alternative ........................................................ 205 Vorschlag zu einer Kantischen Umweltethik ............................... 210 Die analogische Begründung des Kantischen Ansatzes.............. 214 Umweltethik zwischen Anthropozentrismus und Biozentrismus..................................................................................... 218
Schluss.................................................................................................... 221 Abkürzungen......................................................................................... 224 Literaturverzeichnis.............................................................................. 226 Kants Schriften ........................................................................................... 226 Literatur ....................................................................................................... 226
Personenregister.................................................................................... 238 Sachregister............................................................................................ 241
Einleitung Einleitung
Diskussionen um die Natur und um die Stellung des Menschen in ihr haben höchste Aktualität. Die Reichweite technischer Eingriffe in die Natur hat heute die Möglichkeit eröffnet, einerseits die Eigenschaften der Lebewesen zu verändern und diese sogar neu zu schaffen, andererseits aber auch die Grundlage allen Lebens selbst zu manipulieren und vielleicht sogar gänzlich zu zerstören. So sind heute Meldungen von ökologischen Katastrophen, der fortschreitenden Zerstörung und der unwiderruflichen Veränderung unserer natürlichen Umwelt an der Tagesordnung. Forderungen nach einem schonenden Umgang mit der Natur sind mittlerweile zum Gemeinplatz geworden und selbst im Zentrum der Politik angekommen. Dennoch besteht Uneinigkeit nicht nur über die Mittel zur Realisierung dieser Forderungen, sondern auch darüber, in wie weit wir als Menschen mit Blick auf den Schutz der Natur tatsächlich in der Pflicht stehen. So gibt es viele praktische Vorschläge, wie mit der Natur umgegangen werden soll, jedoch kaum Versuche, diesen Ansprüchen eine theoretische Begründung zu liefern. Viele Fragen bleiben daher unbeantwortet: Können wir von einer Verantwortung des Menschen gegenüber dem Erhalt der Natur sprechen? Und wenn ja, worin besteht diese Verantwortung? Folgt sie aus der Verpflichtung gegenüber uns selbst und unseren Mitmenschen, die für ihr Überleben und Wohlergehen auf eine intakte Umwelt angewiesen sind? Oder sind wir tatsächlich nicht nur den Menschen, sondern auch der Natur verpflichtet? Ist Umweltschutz an den Nutzen für den Menschen gebunden oder stellt er einen grundsätzlichen Anspruch an unser Handeln dar? Zugleich sind die Fortschritte der Biowissenschaften unübersehbar und verweisen dadurch auf die Dringlichkeit einer Theorie des Lebendigen. Denn was genau verstehen wir unter der belebten Natur? Und wie begreifen wir uns selbst als lebendige Wesen in dieser Natur? Sind die Evolutionsbiologie und die Genetik in der Lage, uns auf diese Fragen eine endgültige Antwort zu geben? Oder bedarf es zur Klärung des Lebensbegriffs Überlegungen, die über die naturalistischen Voraussetzungen der Naturwissenschaften hinausgehen? In Bezug auf die Frage, worin die spezifische Besonderheit der lebendigen Natur im Gegensatz zur toten Mate-
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Einleitung
rie besteht und inwiefern die jüngsten Erkenntnisse der Biowissenschaften hierauf eine Antwort liefern können, herrscht bis jetzt keine Einigkeit. Für die Philosophie rücken diese aktuellen umweltpolitischen und naturwissenschaftlichen Rahmenbedingungen grundlegende Fragen zum Verhältnis von Mensch und Natur in den Blickpunkt: Worin genau besteht unser Verständnis von Natur? Welche Position nehmen wir als Menschen in dieser Natur ein? Und wie soll unser Umgang mit ihr aussehen? Diese Fragen sind selten selbst Gegenstand der Naturwissenschaften, geschweige denn der Politik. Sie erfordern eine vom Tagesgeschäft naturwissenschaftlicher Untersuchungen und umweltpolitischer Überlegungen unabhängige, grundsätzlichere Betrachtung. Die vorliegende Untersuchung ist der Versuch, die philosophischen Grundlagen zur Behandlung dieser Fragen aus dem Werk Immanuel Kants heraus zu beleuchten. Die Wahl Kants als Ausgangspunkt für eine Betrachtung des Verhältnisses von Mensch und Natur mag verwundern. Wird Kant doch oft als prototypischer Vertreter eines rein mechanistischen Naturverständnisses gelesen, der die Natur auf das reduziert, was mathematisch und physikalisch konstruierbar ist, und so die unmittelbare Erfahrung der Natur als einer Umwelt ausklammert, in die wir als Menschen notwendig eingebunden sind. Dem Lebendigen wird nach dieser Kritik in Kants Naturkonzeption kein Platz eingeräumt.1 Im gleichen Atemzug wird zudem eingewandt, dass Kants moralphilosophischer Ansatz eine anthropozentrische Begrenzung moralischer Wertschätzung auf den Menschen darstellt, die jegliche Einbeziehung der nicht-menschlichen Natur in unsere ethischen Überlegungen unmöglich macht. Unabhängig von ihrem Nutzen für den Menschen kann der Natur diesem Einwand zufolge nach dem Kantischen Ansatz kein Wert zugesprochen werden.2 Entgegen Interpretationen, die in Kant den Vertreter eines strikt mechanistischen Naturverständnisses und einer anthropozentrisch verkürzten Sicht auf die Natur zu erkennen meinen, bin ich der Ansicht, dass dem Kantischen Ansatz eine zentrale Bedeutung für die Bearbeitung aktueller Fragen über die Natur zukommt. Kants Naturverständnis beschränkt sich nicht auf den in der Transzendentalen Analytik der Kritik der reinen Vernunft entwickelten Ansatz, nach dem die Natur als Inbegriff der unter die Verstandesgesetze gebrachten Erscheinungen zu verstehen ist.3 Eine eingehende Betrachtung zeigt vielmehr, dass sich Kants Naturverständnis als um einiges komplexer und vielschichtiger herausstellt. Schon in der Kritik der reinen Vernunft, allen voran aber in der Kritik der Urteilskraft, stehen Ge_____________ 1 2 3
Ein bekanntes Beispiel einer solchen Kritik findet sich in Böhme und Böhme (1983). Vgl. z. B. Jonas’ (1989) Kritik an Kant. Vgl. Kants Definition des Naturbegriffs in KrV, A216/B263.
Einleitung
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danken zum systematisch organisierten und lebendigen Charakter der Natur im Fokus der Betrachtung. Zum einen wird hier ersichtlich, dass der Begriff der Natur als Objekt der Erfahrung Überlegungen voraussetzt, die über die materiellen und formellen Bedingungen der Erfahrung hinausgehen, welche durch die Sinnlichkeit und den Verstand des Menschen gegeben sind. Dadurch erweist sich die mechanistisch bestimmte Gesetzmäßigkeit der Natur als weniger weitreichend als zunächst vermutet. Zum anderen erfordert aber auch die Betrachtung einzelner Teile der Natur selbst, nämlich alles Lebendigen, eine Sichtweise, die in den kausalmechanistisch interpretierten Naturgesetzen nicht enthalten ist. Die Tiere und Pflanzen können Kant zufolge nicht nach mechanischen Prinzipien erklärt, sondern müssen nach einer Analogie mit der Vernunft des Menschen als systematisch geordnete und zweckgerichtete Einheiten beurteilt werden. Entgegen Kritikern, die in Kant den klassischen Vertreter einer strikt mechanistischen Naturkonzeption sehen, zeichnet sich sein Naturverständnis gerade durch zwei Perspektiven aus: eine mechanistische und eine teleologische, die notwendig nebeneinander bestehen und wechselseitig aufeinander angewiesen sind. Die vorliegende Erörterung untersucht die Begründungsmöglichkeit sowie die Vereinbarkeit und das Zusammenspiel dieser beiden Perspektiven und arbeitet die Konsequenzen heraus, die sich für das Verhältnis des Menschen zur Natur ergeben. Die Betrachtung macht deutlich, dass der Analogie zwischen der lebendigen Natur und dem Vernunftvermögen des Menschen eine zentrale Bedeutung nicht nur für unser Verständnis der Natur, sondern auch für die wissenschaftliche Erforschung von Lebendigem und für unser praktisches Verhältnis mit unserer natürlichen Umwelt zukommt. Auf diese Weise verfolgt die vorliegende Untersuchung das Ziel, Kants umfassendes Naturverständnis als philosophischen Ansatz darzulegen, der die Einschränkungen einer anthropozentrisch verkürzten Sicht auf die Natur überwinden und die Grundlage für eine moderne Umweltphilosophie bieten kann. Ausgangspunkt der Untersuchung ist somit das Werk Kants, wobei das Hauptinteresse in einer schlüssigen und nachvollziehbaren Auslegung der Kantischen Argumente liegt, um diese im Kontext heutiger umweltphilosophischer Fragestellungen fruchtbar zu machen. Dieses Verfahren kann als eine Rekonstruktion in systematischer Absicht beschrieben werden. Als Textgrundlage dienen überwiegend die kritischen Schriften, wobei der Kritik der teleologischen Urteilskraft, dem zweiten Teil der Kritik der Urteilskraft, eine Hauptrolle zukommt. Aber auch andere, kleinere Schriften Kants werden herangezogen, in denen sich seine vielseitigen Überle-
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Einleitung
gungen zu einem umfassenden Naturverständnis zeigen.4 Die Stellen, an denen ich zum Zweck der Entwicklung der Argumentation über den Kantischen Text hinausgehe, sind eindeutig gekennzeichnet. Diese Charakterisierung der Methode macht deutlich, dass das verfolgte Interesse kein historisches ist. Der Untersuchung geht es nicht um eine geschichtliche Einordnung der Kantischen Position in die Debatte um mechanistische und teleologische Naturbegriffe seiner Zeit.5 Und auch wenn hier die teleologische Betrachtung der Natur gegenüber dem mechanistischen Naturverständnis in den Vordergrund gerückt wird, strebt die vorliegende Betrachtung keine vollständige Untersuchung des Kantischen Teleologiebegriffs in allen seinen Facetten an. Zu diesem Zweck müssten auch andere Teile des Kantischen Werkes, wie beispielsweise seine Ausführungen zur Ästhetik, seine Geschichts- und seine Religionsphilosophie, näher beleuchtet werden.6 Diese sollen hier weitestgehend ausgeklammert und nur dort in die Diskussion einbezogen werden, wo eine Berücksichtigung unvermeidbar ist.7 Der Fokus der Untersuchung konzentriert sich so auf die Frage, wie mit Hilfe der Philosophie Kants ein Verständnis unseres Verhältnisses zur Natur begründet werden kann, wie sie uns in unserer Erfahrung gegenübertritt. Ziel der Untersuchung ist es also, Kants Überlegungen zu einem ganzheitlichen Naturverständnis herauszuarbeiten und deren Bedeutung und Konsequenzen für eine zeitgenössische Umweltphilosophie darzulegen.
Kapitelübersicht Die Untersuchung des vorliegenden Buches lässt sich in drei eng aneinander anknüpfende Teile gruppieren, die jeweils drei Kapitel umfassen. Die folgende Zusammenfassung soll vorab einen kurzen Überblick des Argumentationsgangs in den neun Kapiteln liefern. _____________ 4
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Bei der Erfassung der Sekundärliteratur erhebt diese Untersuchung keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern geht selektiv vor und zitiert die Literatur nur dort, wo sie die Argumentation direkt betrifft oder zu ihrer ergänzenden Erläuterung hilfreich ist. An Literatur zu dieser Fragestellung mangelt es nicht. Vgl. z. B. die Überblicke in Menzer (1911, Kapitel 2), Ungerer (1922), Roretz (1922, Kapitel 3), Löw (1980, Kapitel 2), McLaughlin (1989, Kapitel 1), Jardine (2000, Kapitel 2), Zammito (1992, Teil 2) und R. J. Richards (2002, Teil 2). Eine solche umfassendere Untersuchung der Teleologie bei Kant beabsichtigt z. B. Düsing (1968). Siehe hierzu insbesondere Kapitel 6.
Kapitelübersicht
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Kapitel 1-3 In seiner Kritik der reinen Vernunft präsentiert Kant den Grundsatz der kausalen Bestimmtheit der Natur als ein transzendentales Verstandesprinzip. Rein a priori können wir demnach wissen, dass die gesamte Natur durch Kausalzusammenhänge bedingt ist. In der Kritik der Urteilskraft behauptet Kant zudem, dass wir die Natur nur begreifen, wenn wir sie nach mechanischen Gesetzen erklären können. Erst indem wir bestimmte Erfahrungen den mechanischen Gesetzen unterordnen, sind uns demnach Erkenntnisse über die Natur möglich. Mit Blick auf diese Aussagen ist es nicht verwunderlich, dass viele Interpreten in Kant den Vertreter eines strikten kausal-mechanischen Naturdeterminismus gesehen haben. In der Kritik der Urteilskraft behauptet Kant jedoch auch, dass wir uns das Lebendige in der Natur nicht nach dem Prinzip der Kausalität der wirkenden Ursachen vorstellen können. Wie aber passen diese Aussagen mit Kants Auffassung zusammen, dass alle überhaupt erfahrbare Natur kausaler Bestimmung unterliegt und allein durch mechanische Gesetze erklärbar ist? Eine Beantwortung dieser Frage macht eine Untersuchung von Kants Kausalitäts- und Mechanismuskonzeptionen sowie eine Verortung der Grenzen und Einschränkungen dieser Begriffe unumgänglich. Im ersten Kapitel geht es mir daher zunächst darum, auf die Grenzen hinzuweisen, die nach Kant der kausalen Bestimmtheit der Natur gesetzt sind. Ziel ist es, drei Ebenen der Kantischen Herangehensweise mit unterschiedlichen Gewissheitsgraden herauszustellen. Zwar ist es erstens richtig, dass Kants kausales Naturverständnis auf der gesicherten kategorialen Erkenntnis beruht, dass alle Veränderungen in der Natur eine Ursache haben. Diese a priori erwiesene Erkenntnis sagt jedoch weder etwas über den konkreten Inhalt der kausalen Bedingungen empirisch erfahrener Naturprozesse aus, noch ob eine Erkenntnis solcher empirischer Kausalzusammenhänge überhaupt möglich ist. Empirische Kausalerkenntnisse setzen auf einer zweiten Ebene daher die regulative Beurteilung voraus, nach der wir die empirische Natur betrachten müssen, als stelle sie eine durch notwendige Gesetze geordnete und für unser Erkenntnisvermögen fassbare Einheit dar. Empirische Kausalaussagen, die also sowohl den transzendentalen Verstandesgrundsatz der Kausalität als auch das regulative Prinzip der Einheit der Natur voraussetzen, haben auf einer dritten Ebene den Status empirischer Erkenntnis durch Induktion. Eine objektive Aussage über die Erfahrungswelt anstrebend, können sie empirische Erkenntnisse begründen, ohne jedoch volle Gewissheit zu gewährleisten. So zeigt das erste Kapitel auf, dass Kants Ausführungen zur Kausalität in der Natur sich nicht allein auf eine Verstandesvorgabe in Form des transzendentalen Kausalprinzips stützen und dass die verbreitete Auffassung, Kant
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Einleitung
vertrete einen strikten kausalen Determinismus, gerade die Vielschichtigkeit des Kantischen Ansatzes außer Acht lässt. Wenn Kants Kausalverständnis nun jedoch keine durchgängige Determination der Natur begründet, wie haben wir dann seine Aussage zu verstehen, wir könnten die Natur nur anhand mechanischer Erklärungen begreifen? Warum betont Kant durch sein gesamtes Werk hindurch, dass eine Erklärung der Natur nur mit Verweis auf mechanische Gesetze möglich sei? Zur Beantwortung dieser Fragen muss zunächst untersucht werden, was wir uns überhaupt bei Kant unter dem Naturmechanismus und dessen Verhältnis zur Naturkausalität vorzustellen haben. Das zweite Kapitel entwickelt eine Interpretation des Kantischen Mechanismusbegriffs, der zufolge mechanische Gesetze eine spezielle Form von Kausalgesetzen in der materiellen Natur darstellen. Mechanische Gesetze verweisen demnach nicht auf Regelmäßigkeiten kausaler Beziehungen im Allgemeinen, sondern im Speziellen auf externe Kausalbeziehungen, die zwischen den bewegenden Kräften der Materieteile herrschen. Für die Notwendigkeit mechanischer Erklärungen bedeutet ihre Charakterisierung als eine besondere Form von Kausalerklärungen jedoch, dass erstere den gleichen Beschränkungen unterliegen wie letztere. Der Grundsatz, die gesamte Natur sei mechanisch erklärbar, beruht daher auf einem bloß regulativen Prinzip, nach dem wir die Natur betrachten müssen, als ob sie durchgängig mechanischen Gesetze unterläge. Nichts in Kants Philosophie bestätigt uns, dass unsere Hoffnung, die gesamte Natur als mechanisch determiniertes System begreifen zu können, sich auf Eigenschaften der Natur selbst bezieht und sich nicht vielmehr auf die spezifische Beschaffenheit unseres eigenen intellektuellen Vermögens gründet. Auch wenn die Erklärung der Natur nach dem kritischen Anspruch Kants nicht über die kausal-mechanischen Bedingungen der Natur hinausgeht, unterliegt die so begründete Naturerkenntnis wesentlichen Einschränkungen. Das zweite Kapitel zeigt, dass wir dem Kantischen Ansatz zufolge die mechanische Erklärung als einzige Erklärung der Natur zulassen können, ohne zugleich einem strikten mechanischen Naturdeterminismus zu verfallen. Nachdem die ersten beiden Kapitel herausgestellt haben, dass der Erkenntnisstatus empirischer Kausalaussagen und die Möglichkeit mechanischer Naturerklärungen bei Kant eingeschränkter sind, als oft vermutet wird, geht das dritte Kapitel auf eine Konsequenz dieser Einschränkungen ein. Insofern kausal-mechanische Gesetze sich nämlich auf die externen Einwirkungen der bewegenden Kräfte der toten Materie beziehen, stellt sich die Frage nach der Erklärbarkeit einer wichtigen Eigenschaft der uns umgebenden Natur, die durch diese Betrachtung vollkommen ausgeschlossen zu sein scheint: die spezifische Eigenschaft alles Lebendigen in der Natur. Ein Organismus scheint Kant zufolge gerade dadurch charak-
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terisiert zu sein, dass seine Teile eine Funktion innerhalb des Ganzen haben und alle Teile auf die Existenz und das Wohlergehen des gesamten Organismus ausgerichtet sind. So tragen beispielsweise die Beschaffenheit und die Anordnung der verschiedenen Organe eines Vogels dazu bei, dass der Vogel fliegen und in seiner Umgebung überleben kann. Kants Ausführungen in der Kritik der teleologischen Urteilskraft zufolge können Organismen daher nicht anhand von mechanischen Gesetzen erklärt, sondern müssen „nach einer entfernten Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken“ (KU, V 375) als zweckmäßig betrachtet werden. Eine genauere Erörterung der Kantischen Argumentation zeigt jedoch auch, dass es keinesfalls offensichtlich ist, was es mit Kants Organismus-Analogie genau auf sich hat. Deutlich wird nur die negative Einsicht, dass die allgemein akzeptierte Lesart der Analogie als einer Parallele zwischen Natur und Kunstwerk oder auch als der zwischen göttlichem Schöpfer und menschlichem Künstler zu kurz greift. Das dritte Kapitel schließt mit der Einsicht, dass eine adäquate Interpretation des analogischen Verständnisses von Organismen bei Kant über die Textgrundlage der dritten Kritik hinausgehen muss. Kapitel 4-6 Was genau macht also die Besonderheit unserer Betrachtung von Lebendigem aus? Um den umfassenden Charakter des Kantischen Naturverständnisses nachvollziehen zu können, muss der teleologische Naturbegriff, der ihm zufolge notwendig für eine Betrachtung der lebendigen und systematisch organisierten Natur ist, genauer erörtert werden. Im mittleren Teil der Untersuchung befasse ich mich daher mit dieser teleologischen Beurteilung, die Kant als Alternative zur kausal-mechanischen Betrachtung der Natur eingeführt hat, und erörtere ihre Vereinbarkeit mit den mechanischen Naturerklärungen. Ziel des vierten Kapitels ist es zunächst, eine Lesart der OrganismusAnalogie der Kritik der teleologischen Urteilskraft zu entwickeln. Interessanterweise führt Kant schon in der Kritik der reinen Vernunft einen Vergleich zwischen einem Organismus und dem Vernunftvermögen des Menschen ein, der die systematische Einheit der Vernunft erhellen soll. Setzt man diesen Vergleich der ersten Kritik mit der Analogie der dritten Kritik in Relation, so zeigt sich, dass auch die Analogie der Kritik der teleologischen Urteilskraft, welche die Grundlage für unser Verständnis des Lebendigen bildet, als Analogie zwischen einem Organismus und dem intellektuellen Vermögen des Menschen verstanden werden kann. Anstelle der Analogie zwischen Organismus und Kunstwerk schlägt das vierte Kapitel somit
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Einleitung
eine alternative Interpretation vor, nach der die organische Einheit eines Lebewesens in Analogie mit der systematischen Einheit des menschlichen Vernunftvermögens selbst zu verstehen ist. So wie die Vernunft in ihren zweckgerichteten Handlungen ihre eigene Realisierung und Vervollkommnung anstrebt, so ist auch ein Lebewesen, wie beispielsweise der Baum, in seinen Wachstumsprozessen, in der Regeneration verletzter Teile und in seinem Streben nach Überleben auf seine eigene Existenz und Einheit ausgerichtet. Diese wechselseitige Analogie erläutert nach dem Kantischen Ansatz nicht nur unser teleologisches Verständnis der organischen Natur mit Verweis auf die Eigenschaften der menschlichen Vernunft, sondern erhellt durch die Betrachtung der lebendigen Natur auch unsere Vernunftfähigkeit selbst. Unser Verständnis der Natur ist demzufolge wesentlich durch eine Analogie bestimmt, nach der wir menschliche Eigenschaften in die Natur hineinlesen und uns selbst in allem Lebendigen und organisch Geordneten wiedererkennen. Im Kontext der kausal-mechanischen Betrachtung der Natur, die im ersten Teil untersucht wurde, muss dieser teleologische Blickwinkel jedoch erstaunen. Denn wie ist die teleologische Betrachtung von Organismen anhand der Analogie mit unserer Vernunft mit Kants Auffassung zu vereinbaren, dass wir die Natur nur mechanisch erklären können? In der Kritik der teleologischen Urteilskraft setzt Kant sich mit dieser Frage in Form einer Antinomie auseinander: Wir müssen die Natur einerseits so betrachten, als wäre sie durchgängig nach mechanischen Gesetzen bestimmt; andererseits müssen wir aber auch davon ausgehen, dass wir mit Verweis auf diese Gesetze nicht alle Dinge in der Natur erklären können und stattdessen eine teleologische Beurteilung erforderlich ist. Das fünfte Kapitel schlägt eine Interpretation dieser Antinomie vor, nach der sie in einem zwar genuinen, aber lösbaren Konflikt zwischen zwei regulativen Maximen besteht. Ihre Auflösung gründet sich nach der zur Diskussion gestellten Lesart allerdings nicht in einer Vereinigung der beiden konfligierenden Sätze unter einem übergeordneten und übersinnlichen Prinzip, sondern in der Vereinbarung der beiden Prinzipien als zweier notwendigen, nicht aufeinander reduzierbaren, aber komplementären Perspektiven auf die Natur. Teleologische Beurteilungen und mechanische Erklärungen – so die These des fünften Kapitels – stellen zwei wechselseitig voneinander abhängige und sich ergänzende Betrachtungsweisen der Natur dar. Diese Lesart bringt zudem einen wesentlichen Aspekt der teleologischen Naturbetrachtung bei Kant zum Vorschein, der in der Literatur bisher zumeist übersehen wurde. Die regulative Maxime, nach der wir die lebendige Natur teleologisch beurteilen müssen, kann nicht einfach als ein heuristisch nützliches, optionales Hilfsmittel zur wissenschaftlichen Untersuchung der Natur verstanden werden. Vielmehr müssen wir der teleologischen Maxi-
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me eine grundlegendere Funktion zuschreiben, die sie notwendig für die Vorstellung und Erfahrung von Leben in der Natur überhaupt macht. Die Rolle eines heuristischen Werkzeugs für die Naturforschung und Naturerklärung kann dieser Maxime also erst auf einer zweiten Stufe beigemessen werden. Das fünfte Kapitel führt eine Unterscheidung zwischen zwei Stufen der teleologischen Naturbetrachtung ein, die Kant zwar nicht selbst explizit ausführt, die in seiner Argumentation jedoch bereits angelegt ist. In der Kritik der teleologischen Urteilskraft zeigt Kant außerdem, dass das Zusammenspiel von teleologischer und mechanischer Naturbetrachtung nicht nur für ein Verständnis einzelner Lebewesen, sondern auch für die Betrachtung des Verhältnisses zwischen Organismen und ihrer Umgebung von Relevanz ist. Die innere Zweckmäßigkeit, die wir an den Organismen erfahren, unterscheidet er von der äußeren Zweckmäßigkeit, der Nutzbarkeit eines Teils der Natur für einen anderen. Das sechste Kapitel widmet sich einer Untersuchung dieser Ausweitung der teleologischen Beurteilung, die uns Kant zufolge zu der Idee der gesamten Natur als eines Systems äußerer Zweckbeziehungen führt. Die Gültigkeit dieser Idee ist jedoch nicht unproblematisch, da die teleologische Beurteilung der Natur als Gesamtheit nicht auf gleiche Weise notwendig ist wie die der Organismen. Kant führt in diesem Zusammenhang eine wichtige Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Arten der teleologischen Naturbetrachtung ein – eine physisch-teleologische und eine moralisch-teleologische – und weist der Idee der Natur als System der Zwecke im Kontext dieser beiden Beurteilungsarten eine unterschiedliche Bedeutung zu. Das sechste Kapitel untersucht die Gegenüberstellung dieser beiden Methoden teleologischer Argumentation sowie Fragen, die sich aus diesem Gegensatz ergeben. Insbesondere muss auf Zweifel eingegangen werden, ob Kants Verständnis äußerer Zweckmäßigkeit nicht doch die Annahme eines intelligenten Schöpfers als eines Urhebers der Natur voraussetzt. Ziel der Untersuchung ist es, deutlich zu machen, dass das teleologische Naturverständnis zwar die Betrachtung der Natur als eines zweckmäßig organisierten Systems ermöglicht, jedoch keinen Schluss zu einer intelligenten Weltursache rechtfertigt. Auch die äußere Zweckmäßigkeit beschränkt sich – so die These des sechsten Kapitels – auf Zweckbeziehungen innerhalb der Natur. Kapitel 7-9 Die ersten sechs Kapitel machen deutlich, dass unserem Naturverständnis dem Kantischen Ansatz zufolge zwei Perspektiven zu Grunde liegen. Die Natur ist nicht nur als kausal bestimmtes Objekt unserer Erfahrung zu verstehen, sondern wir müssen sie auch nach der Analogie mit unserer
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Einleitung
Vernunft teleologisch beurteilen, um sie überhaupt als lebendig und systematisch organisiert erfahren zu können. Das Ziel der letzten drei Kapitel ist es, die Implikationen dieser Ergebnisse für das Verhältnis des Menschen zur Natur – im theoretischen wie im praktischen Sinne – herauszuarbeiten. So soll erörtert werden, was die zweifache Perspektive unserer Naturbetrachtung für ein ganzheitliches Verständnis der uns umgebenden Natur bedeutet, was die Implikationen für die wissenschaftliche Erforschung der lebendigen Natur sind und welche Konsequenzen sich schließlich für das moralische Verhältnis des Menschen mit seiner natürlichen Umwelt ergeben. Die teleologische Beurteilung, die von Kant als notwendige Voraussetzung zur Erfahrung von Lebendigem eingeführt worden ist, kann nicht mit der Erfahrung der Natur überhaupt, die uns Erkenntnis im kategorialen Sinne liefert, identifiziert werden. Das siebte Kapitel untersucht daher, was genau unter einer teleologischen Erfahrung der Natur zu verstehen und wie eine solche analogisch begründete Erfahrung mit der kausalmechanischen Erkenntnis der Natur zu vereinbaren ist. In Anlehnung an eine jüngere Debatte über den Metaphernbegriff soll der besondere Status der teleologisch-analogischen Naturbetrachtung herausgearbeitet werden. Der wesentliche Unterschied zwischen der teleologischen und der kausalmechanischen Naturbetrachtung liegt dabei in dem Unterschied zwischen Reduktion und Verbindung. Während die kausal-mechanische Erklärung die Natur auf allgemeine Begriffe und Gesetze reduziert, verbindet die teleologische Naturbetrachtung den Begriff der kausal bestimmten und mechanisch erklärbaren Natur mit der Idee der freien und zweckgerichteten Vernunfttätigkeit in einer Reflexion. Beide Arten der Naturbetrachtung können so auch als zwei Aspekte eines umfassenden Naturverständnisses begriffen werden: Während die mechanische Perspektive auf einem abstrahierenden, reduktiven Gedankengang beruht, erreicht die teleologische Betrachtung eine Verbindung unterschiedlicher Elemente in einer analogischen Reflexion und ermöglicht uns so ein ganzheitliches Naturverständnis. Welche Bedeutung hat das so konzipierte Kantische Naturverständnis nun für die moderne Naturwissenschaft? Was bedeutet es insbesondere für die Biologie, dass wir Organismen nur nach der Analogie mit unserem eigenen Vernunftvermögen verstehen können? Die teleologische Perspektive ist dem Kantischen Ansatz zufolge unausweichlich notwendig für eine Betrachtung der Natur. Und dennoch kann sie die Natur selbst nicht erklären. Inwiefern kann die teleologische Beurteilung dann einen Nutzen für die Erforschung der Natur erfüllen? Das achte Kapitel untersucht die Frage nach der Bedeutung des Kantischen Ansatzes für die Lebenswissenschaften in Auseinandersetzung mit einer zeitgenössischen Debatte: In-
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nerhalb des noch jungen Feldes der Philosophie der Biologie wird oft behauptet, dass teleologische Begriffe in den Wissenschaften sich auf nicht-teleologische, rein kausal-mechanische Ausdrücke reduzieren lassen. Nach dem Kantischen Ansatz ist eine solche vollständige Reduktion – so soll im achten Kapitel gezeigt werden – gerade deshalb unmöglich, weil die heuristische Rolle teleologischer Begriffe immer zurückverweist auf die grundlegende teleologische Betrachtungsweise, die Teil eines jeden umfassenden Naturverständnisses ist. Analogische Begriffe können nach dieser Vorstellung zwar als Hilfsmittel für die Auffindung von mechanischen Naturerklärungen verstanden werden, sie implizieren jedoch immer auch eine Analogie mit uns selbst. Die Auseinandersetzung mit jüngeren Diskussionen, insbesondere mit Einwänden von Seiten der Evolutions- und der Systemtheorie, soll deutlich machen, dass Kants Theorie nicht nur vereinbar mit den Ergebnissen der modernen Lebenswissenschaften ist, sondern auch einen wichtigen Beitrag zu einem besseren Verständnis des Verhältnisses von Biologie und Teleologie leisten kann. Dem Kantischen Ansatz zufolge ist unser Verständnis der Natur also wesentlich durch eine Analogie bestimmt, nach der wir unsere eigene, zweckgerichtete Vernunfttätigkeit in die Natur hineinlesen und uns selbst in der lebendigen Natur wiedererkennen. Diese Einsicht wirft im neunten Kapitel schließlich die Frage nach den Konsequenzen auf, die sich aus dem entwickelten Naturverständnis für unser praktisches Verhältnis mit der Natur ergeben. Wenn der Mensch die Natur nur durch eine Analogie mit seiner eigenen Vernunft betrachtet, inwiefern ist die Natur dem Menschen dann auch in seinen moralischen Betrachtungen analog? Das letzte Kapitel entwickelt Überlegungen zu einem umweltethischen Ansatz, der von Kants Analogie der Natur mit der menschlichen Vernunft ihren Ausgang nimmt. Nach diesem Ansatz können wir der Natur auf analogischem Wege einen Wert zuschreiben, der über ihren instrumentellen Nutzen für den Menschen hinausgeht, da wir die Natur bereits nach der Analogie mit unserer eigenen Vernunft als einen Zweck betrachten. Diese Wertzuschreibung besteht wesentlich in einer analogischen Übertragung und bindet die Gültigkeit des Wertes somit an die Beurteilung durch den Menschen. Eine solche Kantische Herangehensweise überschreitet die anthropozentrischen Einschränkungen, die der Kantischen Theorie üblicherweise zugeschrieben werden. Gleichzeitig vermeidet sie die Schwierigkeiten einer biozentrischen Herangehensweise, der zufolge der Natur ein intrinsischer, von der Beurteilung des Menschen unabhängiger Wert beigemessen wird. Das Ziel des letzten Kapitels ist es, einen Ausblick auf die Bedeutung der Kantischen Analogie für das praktische Verhältnis von Mensch und Natur zu geben und so auf die Möglichkeit einer analogisch begründeten Umweltethik hinzuweisen.
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Einleitung
Auf diese hier skizzierte Weise verfolgen die neun Kapitel das Ziel, einen Ansatz zu entwickeln, der die wesentlichen Einsichten des Kantischen Naturverständnisses für die Ausarbeitung einer Umweltphilosophie für die Gegenwart fruchtbar macht.
1. Naturkausalität und ihre Grenzen 1. Naturkausalität und ihre Grenzen
In seiner Kritik der reinen Vernunft führt Kant einen Kausalitätsbegriff ein, der in der Philosophiegeschichte Berühmtheit erlangt hat. Kant versteht den Grundsatz, dass die gesamte Natur kausal bestimmt ist, nicht als eine empirisch belegbare Tatsachenaussage, sondern als ein Verstandesprinzip. Rein a priori können wir demnach wissen, dass die Natur – verstanden als all das, was prinzipiell in der Erfahrung gegeben sein kann1 – durch kausale Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge bedingt ist. Dieser Kausalitätsgrundsatz gehört für Kant zu den transzendentalen Voraussetzungen, von denen unsere Erkenntnis der Natur in zweifacher Weise abhängig ist. So sind alle Vorstellungen, die wir überhaupt haben können, immer schon durch die Sinnlichkeit in den Formen von Raum und Zeit gegeben. Und erst indem diese räumlich-zeitlichen Wahrnehmungen unter die Grundsätze des Verstandes geordnet werden, sind sie auch als Vorstellungen von Gegenständen zu verstehen, die eine bestimmte Quantität und Qualität haben, in einer gewissen Relation zu anderen Dingen stehen und ihrer Modalität nach entweder als möglich, als wirklich oder als notwendig erkannt werden. Die Kausalität führt Kant in den „Analogien der Erfahrung“ (KrV, A176/B218) als einen von drei Grundsätzen der Relation von Gegenständen in der Zeit ein. Damit wir das Verhältnis zwischen zwei Zuständen als nacheinander erkennen können, müssen wir es nach der zweiten Analogie als kausal verursacht verstehen. Um zwei Zustände dagegen als gleichzeitig vorzustellen, sind sie nach der dritten Analogie als in ständiger Wechselwirkung zu begreifen. Beide Relationen der Zeitfolge und des Zugleichseins sind außerdem nur dann möglich, wenn wir in ihnen nach der ersten Analogie das Verhältnis von verschiedenen wechselnden oder aber zugleich existierenden Zuständen einer gleichbleibenden, beharrlichen Substanz sehen. Die Kausalität wird in der Kritik der reinen Vernunft somit als notwendige Voraussetzung für die Erfahrung der Natur eingeführt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Kant von vielen Autoren als der Vertreter eines strikten kausalen Naturdeterminismus gelesen worden ist. Denn wenn all das, was überhaupt Objekt der Erfahrung sein kann, auch als _____________ 1
Vgl. Kants Charakterisierung der Natur als „Objekt aller möglichen Erfahrung“ und als „Inbegriff von Erscheinungen“ (KrV, A114).
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1. Naturkausalität und ihre Grenzen
kausal verursacht erkannt werden muss, dann untersteht die Natur nach unserem Verständnis notwendig dem Kausalprinzip. In der Kritik der Urteilskraft argumentiert Kant nun jedoch auch, dass wir uns bestimmte Dinge in der Natur nicht „nach dem bloßen nexus effectivus“, das heißt nach der Kausalität der wirkenden Ursachen vorstellen können, sondern „noch eine besondere Art der Kausalität, nämlich die der Zwecke (nexus finalis), zu Hülfe [...] nehmen“ (KU, V 360) müssen. Alles Lebendige, die Tiere und Pflanzen, können Kant zufolge „nicht als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden“ (KU, V 387). Wie aber passen diese Aussagen mit Kants Auffassung zusammen, dass alle überhaupt erfahrbare Natur kausaler Bestimmung unterliegt? Wie kann insbesondere Kants Naturverständnis, das den apriorischen und notwendigen Charakter des Kausalprinzips impliziert, mit der These vereinbart werden, dass manche Teile der Natur nicht nach kausalen Begriffen beurteilt werden können? Diese erstaunliche Kombination von Aussagen macht deutlich, dass ein adäquates Verständnis der Naturkonzeption Kants eine genauere Untersuchung seines Kausalitätsbegriffs erfordert. Bevor ich mich in späteren Kapiteln dem Kantischen Verständnis von der lebendigen Natur zuwende,2 ist es daher das Ziel des ersten Kapitels, Kants Kausalitätsbegriff etwas genauer zu beleuchten. Zu untersuchen gilt es, inwiefern Kants Naturverständnis tatsächlich die kausale Bestimmtheit der Natur begründet, was genau seine Argumentation für das Kausalprinzip also eigentlich belegt. Der in der zweiten Analogie entwickelte Kausalitätsgrundsatz lautet: „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“ (KrV, B232). Im Beweis dieses Grundsatzes erklärt Kant zunächst, dass wir in jeder Erfahrung, sowohl von Ereignissen als auch von Gegenständen, mit einer Folge von Erscheinungen konfrontiert sind. Die Betrachtung eines Schiffes, das den Strom hinabtreibt, wie auch die eines Hauses, welches unbeweglich auf seinem Fundament steht, beruht auf der Sukzession von wechselnden Eindrücken auf unsere Sinne. Da Kant zufolge eine direkte Wahrnehmung der Zeit selbst unmöglich ist und unsere nacheinander gegebenen Wahrnehmungen somit nicht mit einer objektiven Zeitordnung abgeglichen werden können, gibt die Anschauung allein keinen Aufschluss über die tatsächliche Reihenfolge von Zuständen in der Welt. Das „objektive Verhältnis der einanderfolgenden Erscheinungen“ – so schließt Kant – „bleibt durch die bloße Wahrnehmung“ (KrV, B233 f.) unbestimmt. Und trotzdem können wir einen Unterschied zwischen der Ordnung wechselnder Zustände und den verschiedenen gleichzeitig vorhandenen _____________ 2
Vgl. Kapitel 3 und 4.
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Eigenschaften eines Gegenstandes feststellen. Denn im Gegensatz zu der Betrachtung eines Objekts ist bei der Erfahrung eines Geschehnisses die Chronologie der Wahrnehmungen notwendig geordnet. Während die Abfolge, in der wir die verschiedenen Teile eines Hauses betrachten, vollkommen beliebig ist, können die aufeinander folgenden Zustände eines Schiffes, das den Strom hinabtreibt, nicht in umgekehrter Reihenfolge wahrgenommen werden. Wir verstehen unsere Erfahrung eines Ereignisses, nicht aber die eines Gegenstandes, somit als festgelegte Folge wechselnder Zustände in der Welt, wobei diese objektive Reihe von dem rein subjektiven Nacheinander unserer Wahrnehmungen unterschieden wird. Kant zufolge kann die Grundlage für diese Unterscheidung zwischen der sukzessiven Wahrnehmung einer objektiven Folge von Zuständen eines Ereignisses einerseits und der sukzessiven Wahrnehmung verschiedener gleichzeitiger Aspekte eines Objekts andererseits daher nur ein reiner Verstandesbegriff sein, der nicht in der Wahrnehmung liegt, und das ist hier der Begriff des Verhältnisses der Ursache und Wirkung, wovon die erstere die letztere in der Zeit, als die Folge, und nicht als etwas, was bloß in der Einbildung vorhergehen (oder gar überall nicht wahrgenommen sein) könnte, bestimmt (KrV, B234).
Nach Kant verstehen wir ein Ereignis demnach als eine notwendig geordnete Folge in der Zeit, indem wir die verschiedenen Zustände des Ereignisses als kausal verknüpft vorstellen. Dieses Prinzip, nach dem jede Zustandsänderung kausal verursacht ist und das von Kant als transzendentales Verstandesprinzip eingeführt wird, ermöglicht uns demnach die Erfahrung einer objektiven Zeitfolge. Diese kurze Charakterisierung der Kantischen Argumentation für das Kausalprinzip lässt viele Fragen offen. Denn was genau ist unter dem Verstandesgrundsatz der Kausalität zu verstehen, wenn er, wie Kants Argumentation darlegt, die notwendige Folge von Ereigniszuständen sichern soll? Hat Kant mit diesem Prinzip einen Grundsatz der durchgängigen, kausalen Bestimmtheit der Natur eingeführt? Und inwiefern kann sein Kausalprinzip als Grundlage der Gültigkeit kausaler Naturgesetze verstanden werden? Diese Fragen deuten die drei Problemfelder an, an denen sich die Untersuchung des ersten Kapitels orientiert. Zunächst ist zu prüfen, was genau unter dem „Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“ zu verstehen ist: Wie genau ordnet die Bestimmung durch das Kausalprinzip unsere Wahrnehmungen so, dass diese als Vorstellungen von objektiven Abläufen in der Zeit verstanden werden können? Was also sind die transzendentalen Voraussetzungen, die durch dieses Gesetz zur Anwendung kommen? Hiervon zu unterscheiden ist die zweite Frage nach der Reichweite des Kausalprinzips: Können wir nach Kant die Natur als durchgängige Folge von kausal verknüpften Zuständen verstehen? Ist
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1. Naturkausalität und ihre Grenzen
mit anderen Worten die Gesamtheit aller Zustände in der Natur durch Kausalverhältnisse verbunden? Und ist jede Ursache deshalb selbst wiederum verursacht? Drittens ist zu beleuchten, was von dem Kausalitätsgrundsatz im Bezug auf empirische Aussagen abgeleitet werden kann: Welches Verhältnis besteht insbesondere zwischen dem Kausalprinzip und den speziellen Kausalgesetzen, die wir zur Erklärung der Natur heranziehen? Gibt es einen direkten Weg von Kants Kausalitätsgrundsatz zu den empirischen Naturgesetzen? Eine Behandlung dieser drei Problemkomplexe in den Abschnitten 1.1, 1.2 und 1.3-1.4 soll Aufschluss über Kants Verständnis der Natur als das kausal bestimmte Objekt möglicher Erfahrung geben. Hierbei wird sich zeigen, dass sich Kants Ausführungen zur Kausalität nicht allein auf eine Verstandesvorgabe in Form des transzendentalen Kausalprinzips stützen und dass die verbreitete Auffassung, Kant vertrete einen strikten, kausalen Determinismus, daher gerade die Vielschichtigkeit des Kantischen Ansatzes außer Acht lässt.
1.1. Das transzendentale Prinzip der Verknüpfung von Ursache und Wirkung 1.1. Das Prinzip der Verknüpfung von Ursache und Wirkung
Kant führt das Kausalprinzip, dem zufolge „[a]lle Veränderungen [...] nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“ (KrV, B232) geschehen, als Voraussetzung für die Möglichkeit der Erfahrung objektiver Zeitfolgen ein. Im Gegensatz zu dieser Formulierung des Kausalitätsgrundsatzes in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft hatte Kant in der ersten Version noch nicht explizit das Verhältnis von Ursache und Wirkung angesprochen. Der Grundsatz besagte dort: „Alles, was geschieht (anhebt zu sein), setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt“ (KrV, A189). Die Übereinstimmung des Subjekts der beiden Versionen ist eindeutig: Insofern Kant ein Ereignis als Eintreten eines Zustandes begreift, „der vorher nicht war“ (KrV, A191/B236), scheint er mit allen „Veränderungen“ gleichzeitig auf alles, „was geschieht“, zu verweisen. Die Bedeutung des „Gesetze[s] der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“ kann außerdem mit der „Regel“ der ersten Auflage identifiziert werden, nach der ein Ereignis auf etwas anderes folgt. Was genau jedoch unter diesem Gesetz bzw. unter der Regel zu verstehen ist, ist weniger ersichtlich. Kant zufolge ist es die „Verknüpfung der Ursache und Wirkung“, welche den Wahrnehmungen eine notwendige und unumkehrbare Ordnung verschafft und sie dadurch als Vorstellung eines sukzessiven Ereignisses identifiziert. Wie haben wir uns diese Verknüpfung nun aber vorzustellen? In welchem Sinne werden unsere Wahrnehmungen durch
1.1. Das Prinzip der Verknüpfung von Ursache und Wirkung
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das Gesetz der Kausalität bzw. durch die Regel, nach der etwas auf etwas anderes folgt, geordnet? In seiner Beweisführung der zweiten Analogie benutzt Kant durchweg den Begriff der „Regel“. Einige typische Beispiele sind die folgenden: [Die objektive Folge der Erscheinungen] wird in der Ordnung des Mannigfaltigen der Erscheinung bestehen, nach welcher die Apprehension des einen (was geschieht) auf die des andern (das vorhergeht) nach einer Regel folgt (KrV, A193/B238). Daher, weil es [d. h. die Begebenheit] doch etwas ist, was folgt, so muss ich es notwendig auf etwas anderes überhaupt beziehen, was vorhergeht, und worauf es nach einer Regel, d. i. notwendiger Weise, folgt, so dass die Begebenheit, als das Bedingte, auf irgend eine Bedingung sichere Anweisung gibt, diese aber die Begebenheit bestimmt (KrV, A194/B239; Hervorhebung von A. B.). Wenn ich also wahrnehme, dass etwas geschieht, so ist in dieser Vorstellung erstlich enthalten: dass etwas vorhergehe, weil eben in Beziehung auf dieses die Erscheinung ihre Zeitverhältnis bekommt, nämlich, nach einer vorhergehenden Zeit, in der sie nicht war, zu existieren. Aber ihre bestimmte Zeitstelle in diesem Verhältnisse kann sie nur dadurch bekommen, dass im vorhergehenden Zustande etwas vorausgesetzt wird, worauf es jederzeit, d. i. nach einer Regel, folgt (KrV, A198/B243; Hervorhebung von A. B.). Dass also etwas geschieht, ist eine Wahrnehmung, die zu einer möglichen Erfahrung gehöret, die dadurch wirklich wird, wenn ich die Erscheinung, ihrer Stelle nach, in der Zeit, als bestimmt, mithin als ein Objekt ansehe, welches nach einer Regel im Zusammenhange der Wahrnehmungen jederzeit gefunden werden kann. Diese Regel aber, etwas der Zeitfolge nach zu bestimmen, ist: dass in dem, was vorhergeht, die Bedingung anzutreffen sei, unter welcher die Begebenheit jederzeit (d. i. notwendiger Weise) folgt (KrV, A200/B245 f.; Hervorhebung von A. B.).
Inwiefern können diese Aussagen nun als Erläuterungen des Gesetzes der Verknüpfung von Ursache und Wirkung gelesen werden? Verschiedene Interpretationen sind in der Literatur vorgeschlagen worden. Zum einen könnte mit der Regel, „etwas der Zeitfolge nach zu bestimmen“ (ebd.), ein spezielles Kausalgesetz gemeint sein. Dieser Vorschlag fußt auf der epistemologischen These, der zufolge wir ein Ereignis nur als Ereignis erkennen können, wenn wir es als besonderen Fall eines Gesetzes bestimmter Kausalverhältnisse verstehen.3 Die Kenntnis von speziellen Kausalgesetzen und folglich auch von Typen von Kausalrelationen ist nach dieser These eine notwendige Voraussetzung für die Erkenntnis der objektiven Folge von Zuständen in der Zeit. Nur wenn wir Wissen von einem Gesetz haben, welches beispielsweise die Bewegung von Schiffen mit der Strömung des Flusses in kausale Verbindung setzt, können wir demnach das _____________ 3
Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Melnick (1973, S. 133 ff.). Auch einige Aussagen Guyers (1987, insbesondere S. 252) scheinen diese Lesart zu implizieren.
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1. Naturkausalität und ihre Grenzen
beobachtete Schiff als den Strom hinabtreibend erkennen. Diese Lesart ist indes wenig überzeugend. Denn ein solches spezifisches Kausalgesetz könnte doch selbst erst durch die Erfahrung von Vorgängen in der Natur belegt werden. Erst die Beobachtung von regelmäßig auftretenden Ereigniszusammenhängen würde die Gültigkeit eines empirischen Kausalgesetzes rechtfertigen. Der Vorschlag, die „Regel“ als besonderes Kausalgesetz aufzufassen, nähme demnach die Möglichkeit der Erfahrung von Vorgängen in der Natur bereits als gegeben an, obwohl gerade diese Möglichkeit erst durch das transzendentale Kausalprinzip begründet werden soll.4 Vielversprechender erscheinen dagegen zwei alternative Interpretationen, die in der Literatur zumeist als starke und schwache Lesarten voneinander unterschieden werden.5 Der starken Deutung zufolge vertritt Kant in der zweiten Analogie das Ziel, die kausale Gesetzmäßigkeit der Natur zu belegen. Um mit Lewis White Beck zu sprechen, behaupten Vertreter dieser Interpretation, dass Kants zweite Analogie sowohl das every-eventsome-cause-Prinzip als auch das same-cause-same-effect-Prinzip beweise.6 Kants Kausalitätsgrundsatz zeige demnach nicht nur, dass alle Ereignisse eine Ursache haben, sondern auch dass gleiche Ursachen gleiche Wirkungen nach sich ziehen. So ist Michael Friedman beispielsweise der Ansicht, dass die Regel, nach der eine Begebenheit auf etwas Vorhergehendes „jederzeit“ oder „notwendiger Weise“ folgt – wie Kant dies in den zitierten Passagen ausdrückt –, sich auf Typen oder Arten von Begebenheiten und deren Ursachen beziehen muss. Denn, so Friedman, „only types or kinds of events can follow one another always – that is, universally”.7 Friedman stimmt also insofern mit dem ersten Interpretationsvorschlag überein, als er die „Regel“ als Kausalgesetz begreift. Abweichend von der ersten Interpretation versteht er dieses Kausalgesetz jedoch nicht als ein spezielles, empirisch bestimmtes, sondern lediglich als das abstrakte und unbestimmte Gesetz, nach dem ein Ursachentyp a einen Wirkungstyp b nach sich zieht. Nach Friedman erfordert die Erkenntnis von objektiven Zustandsfolgen also nur dieses unbestimmtere Prinzip, dem zufolge jedes Ereignis unter irgendeinem Kausalgesetz steht. Kants Grundsatz der Kausalität besagt nach Friedmans Lesart, dass ein Ereignis insofern „nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“ geschieht, als die Folge von _____________ 4 5
6 7
Thöle (1991, S. 163 ff.) liefert eine ausführliche Darstellung dieses Zirkelproblems. Häufig zitiert werden z. B. Guyer (1987) und Friedman (1992a) als Vertreter der starken Lesart sowie Allison (1996 und 2004) und Buchdahl (1969 und 1992) als Befürworter der schwachen Lesart. Zur schwachen Interpretation vgl. auch Beck (1973). Vgl. Beck (1978, S. 120). Friedman (1992a, S. 163, Anm. 4).
1.1. Das Prinzip der Verknüpfung von Ursache und Wirkung
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Ursache und Wirkung der spezielle Fall eines allgemeineren Typs von Kausalverknüpfungen darstellt. Friedman scheint Recht zu haben, wenn er behauptet, dass nur Arten von Ereignissen, nicht aber einzelne Geschehnisse jederzeit auf eine bestimmte Ursache folgen können. Und tatsächlich erweckt Kants Rede von der Regel den Eindruck, als ginge es ihm in der Bestimmung der transzendentalen Voraussetzung von objektiven Zeitfolgen um den Grundsatz, dass jedes Ereignis ein spezieller Fall einer regelmäßigen UrsacheWirkungs-Verknüpfung sei. Trotzdem finden sich auch Hinweise auf eine weitere Interpretation, die so genannte schwache Lesart, nach der Kants zweite Analogie lediglich die moderatere These beweist, dass jede Veränderung in der Welt eine Ursache habe. Über regelmäßig auftretende Typen von Ursache-Wirkungs-Folgen werden nach dieser schwachen Deutung in der zweiten Analogie keine Aussagen gemacht: Es gehe ihr lediglich um die Rechtfertigung des every-event-some-cause-Prinzips. So können wir beispielsweise nach Ansicht Gerd Buchdahls aus der Tatsache, dass die Möglichkeit der Erfahrung einer objektiven Folge den abstrakten Begriff der Kausalität voraussetzt, keineswegs ableiten, dass die wahrgenommene Folge unter ein allgemeines Kausalgesetz fällt. Denn – so Buchdahl – “the logical strength of the concept [of causality] lies solely in […] its providing the model for the ‘thought’ that the erstwhile accidental (‘subjective’) sequence is really not under my control, but is guided by a rule of succession which prevents this succession [from] being different from what the judgment in fact expresses.”8 Der Begriff der Kausalität ermöglicht uns Buchdahl zufolge also lediglich die Vorstellung, dass eine Folge von Erscheinungen notwendig und eindeutig geordnet ist, nicht aber die Erkenntnis, dass sie einen Fall eines empirischen Kausalgesetzes darstellt. Zu letzterer Folgerung wären wir auf Grundlage von Kants Argumentation in der zweiten Analogie nach Buchdahls Ansicht nicht berechtigt. Unterstützung für seine Interpretation erhält Buchdahl durch die Art und Weise, in welcher der Verstandesbegriff der Kausalität als transzendentale Voraussetzung für die Erfahrung objektiver Zeitordnungen in Kants Argumentation eingeführt wird. Wie bereits dargestellt, ermöglicht uns erst unser Urteil, dass verschiedene Zustände kausal verknüpft sind, diese Zustände als in einer festgelegten Folge geordnet und somit als ein Ereignis zu erfahren. Die Eigenschaft, die uns dabei an dieser festgelegten Folge bewusst wird, ist ihre Irreversibilität. Die Erfahrung der Unumkehrbarkeit einer Abfolge von Wahrnehmungen ist somit das phänomenale Ergebnis der Anwendung des „Gesetzes der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“. Um dieses Ergebnis zu erreichen, so hat Buchdahl meines _____________ 8
Buchdahl (1969, S. 651).
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1. Naturkausalität und ihre Grenzen
Erachtens richtig erkannt, scheint es jedoch lediglich erforderlich, dass die Ursache-Wirkungs-Beziehung eine eindeutige und notwendige Verknüpfung zwischen den wahrgenommenen Zuständen herstellt. Denn solange A und B notwendig miteinander verbunden sind, so dass B auf A folgt, A jedoch nicht auf B, können wir die Folge A-B als objektiv geordnet betrachten. Um zu bestimmen, dass die Ordnung einer speziellen Wahrnehmungsfolge nicht umkehrbar ist und daher außerhalb meiner Kontrolle liegt, scheint der Verweis auf andere Erfahrungen desselben Typs überflüssig. Der Begriff der Kausalverknüpfung und mit ihm die Regel, nach welcher ein Ereignis notwendigerweise auf einen vorhergehenden Zustand folgt, scheint lediglich die Notwendigkeit und Bestimmtheit der Folge zu erfordern, nicht aber ihre Subsumtion unter ein spezielles Kausalgesetz, das auch für andere Fälle desselben Typs gültig wäre. Sowohl für Friedmans starken als auch für Buchdahls schwachen Interpretationsvorschlag lassen sich demnach Belege in Kants Text finden. Eine Vielzahl weiterer Argumente für und gegen die These, dass Kants Grundsatz der Kausalität die Regelmäßigkeit der Kausalverhältnisse voraussetzt, sind in diesem Zusammenhang ins Feld geführt worden.9 Unstrittig ist nur, dass Kants Text im Bezug auf diese Problematik nicht eindeutig ist. Zur Beantwortung der Frage, wie genau Kants transzendentales Kausalprinzip unsere Wahrnehmungen bestimmt und ob der Kausalitätsgrundsatz tatsächlich die Bestimmtheit der Natur nach empirischen Kausalgesetzen impliziert, müssen daher auch andere Stellen der Kantischen Argumentation hinzugezogen werden. Im dritten und vierten Teil des Kapitels komme ich deshalb auf das Verhältnis des Kausalprinzips zu der Vorstellung einer regelmäßigen Gesetzmäßigkeit der Natur zurück. Im nächsten Abschnitt soll unabhängig von der genauen Interpretation des transzendentalen Gehalts der „Verknüpfung der Ursache und Wirkung“ jedoch zuerst ein Blick auf die Frage nach der Reichweite des Kausalprinzips geworfen werden.10 _____________ 9
Longuenesse (2005, Kapitel 6) und Watkins (2005, Kapitel 4) sind beispielsweise der Meinung, dass die zweite Analogie nur in Verbindung mit anderen Passagen der Kritik der reinen Vernunft die Regelmäßigkeit kausaler Beziehungen garantieren kann. Während Watkins Kants Argumentation in der dritten Analogie heranzieht, verweist Longuenesse auf Kants Verständnis von Raum und Zeit als Formen der Anschauung in der Transzendentalen Ästhetik und der Transzendentalen Deduktion der Verstandesbegriffe. 10 Viele Beiträge zum Streit zwischen der starken und der schwachen Lesart orientieren sich wesentlich an der Frage nach dem Verhältnis der Kantischen Kausaltheorie zu der Humes. Vgl. Hume (1978, Buch 1, Teil 3). Alle in Anm. 5 genannten Autoren gehen auf das Verhältnis von Kant und Hume ein. Vgl. hierzu auch Beck (1978 und 1981) und Ward (1986). Hume hatte das Problem beschäftigt, dass wir in der Erfah-
1.2. Die ausnahmslose Gültigkeit der Kausalität
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1.2. Die ausnahmslose Gültigkeit der Kausalität Was kann nach der bisherigen Untersuchung über den Gültigkeitsbereich des Kausalprinzips geschlossen werden? Muss dem Kausalitätsgrundsatz eine ausnahmslose Gültigkeit zugeschrieben werden, so dass jede Ursache selbst wiederum verursacht ist? Zum Ende seiner Erörterung der zweiten Analogie führt Kant ein „Gesetz der Kontinuität aller Veränderungen“ (KrV, A209/B254) ein: Veränderung sei „nur durch eine kontinuierliche Handlung der Kausalität möglich“ (KrV, A208/B254). Der Übergang von einem Zustand A in einen ihm folgenden Zustand B, der durch „etwas“ in A verursacht wird, geschehe „nicht plötzlich (auf einmal oder in einem Augenblicke)“ (KrV, A208/B253), sondern stelle ein durchgängiges Kontinuum dar, welches immer weiter aufgeteilt werden könnte, ohne dass jemals ein kleinstes Element angetroffen würde.11 Die kausale Beziehung zwischen zwei Zuständen A und B versteht Kant also als lückenloses Verhältnis, in dem kein Eingriff einer fremden Ursache möglich ist. Diese durchgängige Kausalbeziehung scheint sich jedoch nur auf eine zeitlich begrenzte und in sich abgeschlossene Veränderung von A nach B zu beziehen. Könnte nicht trotzdem außerhalb dieser festgelegten Begrenzung eine Lücke der Kausalrelationen bestehen? Wäre es also nicht möglich, dass A durch etwas nicht wiederum selbst Verursachtes bedingt ist? Auch wenn ein Ereignis notwendigerweise nach einer Regel auf eine Ursache folgt, könnte doch offen gelassen sein, ob diese Ursache auf eine weitere Bedingung verweist oder aber selbst unbedingt ist. Bernhard Rang argumentiert für diese letztere Möglichkeit, indem er behauptet, dass das Kausalprinzip als notwendige Voraussetzung für unsere Erfahrung von Veränderungen immer nur auf zwei in der Sinnlichkeit _____________ rung keinen Hinweis auf die Notwendigkeit der Verknüpfung von Erscheinungen finden, die wir mit den Begriffen „Ursache“ und „Wirkung“ bezeichnen. Seine skeptische Reaktion auf diese Feststellung war die These, dass wir Erkenntnis lediglich über die regelmäßige Abfolge von bisher beobachteten Erscheinungstypen haben können, die Folgerung über eine notwendige kausale Verknüpfung jedoch lediglich auf einem Gewohnheitsschluss beruht. Der Fokus Humes lag dabei auf der Frage nach der Notwendigkeit einzelner Kausalverhältnisse bzw. Kausalgesetze, auf die sich daher oft auch die Deutung des Kantischen Kausalverständnisses konzentriert. Diese Schwerpunktsetzung lässt jedoch die für meine Untersuchung wichtige Problematik nach der Kontinuität der Gesamtheit kausaler Verhältnisse außer Acht, der sich der folgende Abschnitt widmet. 11 Gerhardt (1986) zeigt, wie diese „Handlung der Kausalität“ (KrV, A208/B254) und damit jeder Übergang von einer Ursache in eine Wirkung als Geschehen begriffen werden kann, in dem eine beharrliche Substanz durch die durchgängige Wirksamkeit einer Kraft von einem ersten Zustand in einen zweiten überführt wird.
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1. Naturkausalität und ihre Grenzen
gegebene Wahrnehmungen anwendbar sei.12 Die Frage, wie diese tatsächlich vollzogenen Wahrnehmungen selbst wiederum mit anderen möglichen Wahrnehmungen verbunden sind, was genau also die Ursache der wahrgenommenen Zustandsfolge darstellt, sei dabei irrelevant. Rang schließt, dass das Kausalprinzip keine Aussage über die Art aller möglichen Ursachen macht. Kants Kausalitätsgrundsatz könnte demnach also auch nicht die Möglichkeit der Verursachung durch eine vollkommen zufällige, nicht selbst verursachte, spontane Handlung oder aber durch die Intervention einer übernatürlichen Intelligenz ausschließen.13 Meines Erachtens ist an Rangs Lesart zwar richtig, dass Kant sich in seiner Untersuchung des Gesetzes der Kontinuität aller Veränderungen auf das Beispiel eines in sich geschlossenen Ursache-WirkungsVerhältnisses stützt. Trotzdem scheint Kant der Meinung zu sein, dass der durchgängige Charakter der Kausalbeziehung für die Gesamtheit aller Erfahrungen gilt. Zentraler Ansatzpunkt für den Nachvollzug dieser weiteren Auffassung ist Kants Verweis auf die Einheit objektiver Zeiterfahrung: Wenn es nun ein notwendiges Gesetz unserer Sinnlichkeit, mithin eine formale Bedingung aller Wahrnehmungen ist: dass die vorige Zeit die folgende notwendig bestimmt (indem ich zur folgenden nicht anders gelangen kann, als durch die vorhergehende); so ist es auch ein unentbehrliches Gesetz der empirischen Vorstellung der Zeitreihe, dass die Erscheinungen der vergangenen Zeit jedes Dasein in der folgenden bestimmen, und dass diese, als Begebenheiten, nicht stattfinden, als so fern jene ihnen ihr Dasein in der Zeit bestimmen, d. i. nach einer Regel festsetzen (KrV, A199/B244).
Das, was Kant hier als Voraussetzung von der Einheit der Zeiterfahrung präsentiert, ist ein Ergebnis der Transzendentalen Ästhetik der Kritik der reinen Vernunft. Dort hatte Kant die Zeit als „eine reine Form der sinnlichen Anschauung“ (KrV, A31/B47) vorgestellt, in der alle möglichen Wahrnehmungen gegeben sind. Nach Kant hat die Zeit nur eine Dimension: „verschiedene Zeiten sind nicht zugleich, sondern nach einander“ (ebd.). Folglich sind nicht nur alle unsere Vorstellungen zeitlich, sondern stehen auch „notwendiger Weise in Verhältnissen der Zeit“ (KrV, A34/B51). Wie Kants Argument für das Kausalprinzip bereits gezeigt hat, können wir von der Zeit, die als Form der Anschauung vorausgesetzt ist, keine direkte Erfahrung haben. Erst die Ordnung der Wahrnehmungen nach den Prinzipien des Verstandes macht eine Erfahrung des Vorher und Nachher bzw. des Zugleichseins möglich. Erst indem wir Zustände als _____________ 12 Rang (1990, S. 41 ff). 13 Vgl. hierzu auch Sans (2000, S. 105 ff.), dem zufolge Kants Argumentation in der zweiten Analogie die Möglichkeit der Verursachung durch spontane Handlung offen lässt.
1.2. Die ausnahmslose Gültigkeit der Kausalität
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kausal verknüpft bzw. als wechselwirkend erkennen, können wir sie auch zeitlich einordnen. In diesem Sinne ist Kants Behauptung zu verstehen, dass wir „nur an den Erscheinungen [...] diese Kontinuität im Zusammenhang der Zeiten empirisch erkennen“ (KrV, A199/B244) können. Das, was wir als das Verfließen oder Verstreichen der Zeit wahrnehmen, stützt sich somit nicht auf eine direkte Wahrnehmung der Zeit selbst, sondern immer auf die Erfahrung von Veränderung. Erst indem der Verstand mit Hilfe seiner Prinzipien „die Zeitordnung auf die Erscheinungen und deren Dasein überträgt“ (KrV, A199/B245), ist objektive Zeiterfahrung möglich. Kant schließt daraus, dass eben so, wie die Zeit die sinnliche Bedingung a priori von der Möglichkeit eines kontinuierlichen Fortganges des Existierenden zu dem Folgenden enthält, der Verstand, vermittelst der Einheit der Apperzeption, die Bedingung a priori der Möglichkeit einer kontinuierlichen Bestimmung aller Stellen für die Erscheinungen in dieser Zeit [ist], durch die Reihe von Ursachen und Wirkungen, deren die erstere der letzteren ihr Dasein unausbleiblich nach sich ziehen, und dadurch die empirische Erkenntnis der Zeitverhältnisse für jede Zeit (allgemein) mithin objektiv gültig machen (KrV, A210 f./B256).
Zwar liefert die apriorische Form der Zeit die sinnliche Bedingung für jede Zeiterfahrung, aber erst die Subsumtion von in der Zeit gegebenen Wahrnehmungen unter die Gesetze des Verstandes ermöglicht die Erfahrung objektiver Zeitverhältnisse. Alle in der sinnlichen Wahrnehmung als zeitlich gegebenen Vorstellungen müssen also durch die Verstandesprinzipien als Teil unserer objektiven Erfahrung von Dingen in der Zeit bestimmt werden. Aus diesem Grund schließt Kant die Möglichkeit der übernatürlichen Verursachung oder „Schöpfung“ aus, denn „ihre Möglichkeit allein [würde] schon die Einheit der Erfahrung aufheben“ (KrV, A206/B251). Ein Zustand, der entweder zufällig und daher gar nicht durch einen vorhergehenden Zustand oder durch eine übernatürliche Ursache bedingt wäre, könnte im Verhältnis zu anderen Erfahrungen zeitlich nicht zugeordnet werden und fiele so aus der räumlich-zeitlichen Einheit unserer Erfahrungen heraus. Die Wahrnehmung eines solchen Zustandes wäre kein Objekt einer möglichen Erfahrung. Auch wenn wir durch unsere Erfahrung die Natur in einem bestimmten Zustand erkennen, dessen Verursachung wir nicht tatsächlich wahrgenommen haben, ist gegen Rangs Interpretation daher einzuwenden, dass wir doch immer etwas in der Natur als die Ursache des Erfahrenen voraussetzen müssen. Auch der wahrgenommene Anfangszustand einer erfahrenen Veränderung muss so als etwas Bedingtes verstanden werden, welches auf „irgend eine Bedingung“ (KrV, A194/B239) hinweist, die prinzipiell wahrnehmbar sein muss. Der transzendentale Grundsatz unterstellt also nicht nur zwei bereits gegebenen Wahrnehmungen eine kausale Verknüpfung, sondern bezieht jeden Zustand in der Natur auf seine – wenn auch unbestimmte –
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1. Naturkausalität und ihre Grenzen
natürliche Ursache, die „in dem, was vorhergeht“ (KrV, A200/B246), vorausgesetzt wird. In der Natur lässt sich Kant zufolge daher nur eine Art der Kausalität erkennen. Zwar können wir uns neben der Naturkausalität auch eine „Kausalität durch Freiheit“ (KpV, V 47) vorstellen, die der Ursprung freier, unbedingter und spontaner Handlungen ist, trotzdem aber ist diese zweite Art der Kausalität nicht wirklich in der Natur aufzufinden. So gründlich wir auch suchen, die Zustandsänderungen, die wir erfahren können, weisen immer nur auf weitere natürliche Kausalverknüpfungen hin. In der Transzendentalen Dialektik bringt Kant diese lückenlose Gültigkeit der kausalen Beziehungen auf den Punkt: Es ist ein allgemeines Gesetz, selbst der Möglichkeit aller Erfahrung [...], dass alles, was geschieht, eine Ursache, mithin auch die Kausalität der Ursache, die selbst geschehen, oder entstanden, wiederum eine Ursache haben müsse; wodurch denn das ganze Feld der Erfahrung, so weit es sich erstrecken mag, in einen Inbegriff bloßer Natur verwandelt wird (KrV, A533/B561).
Nach Kants Verstandesprinzipien ist die Kausalität der Natur also durchgängig und ausnahmslos. Alles, was Teil der Natur ist, ist durch Anderes in der Natur verursacht und steht mit Anderem in der Natur in kausaler Beziehung. In diesem Sinne können wir Kants Aussage verstehen, dass der „Regel [...], dass alles, was geschieht, eine Ursache habe,“ nicht nur „Allgemeinheit und Notwendigkeit“, sondern auch eine „wahre allgemeine Gültigkeit“ (KrV, A196/B241) zukomme.
1.3. Die Unbestimmtheit empirischer Kausalgesetze Die Gültigkeit des Kausalitätsgrundsatzes erstreckt sich also auf die gesamte Natur und schließt Kausalbeziehungen zu außer- oder übernatürlichen Ursachen aus. Wenn wir nun auf die Problematik des ersten Abschnitts zurückkommen, so stellt sich die Frage, wie wir uns das Verhältnis des so verstandenen apriorischen Kausalprinzips zu dem regelmäßigen Auftreten von empirisch erfahrbaren Kausalverknüpfungen vorzustellen haben. Impliziert der Grundsatz der Kausalität auch die regelmäßige Gesetzmäßigkeit der Natur nach empirisch erforschbaren Kausalgesetzen? Friedman befürwortet diesen Schluss: To say that B has a cause A is [...], at the same time, to say that B is related to A by a uniformity or causal law; and it thereby follows that the universal causal principle must assert the existence of particular causal laws or uniformities as
1.3. Die Unbestimmtheit empirischer Kausalgesetze
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well. Moreover, if the universal causal principle asserts the existence of particular causal laws or uniformities, it must also assert their necessity. 14
Friedman zufolge bedeutet die begriffliche Verknüpfung des transzendentalen Kausalprinzips mit der Regelmäßigkeit von Kausalverhältnissen, dass es auch empirische Gesetze in der Natur geben muss. Diese empirischen Gesetze müssen darüber hinaus ebenso wie die Ursache-WirkungsVerknüpfungen notwendig sein. Sowohl die Existenz als auch die Notwendigkeit empirischer Gesetze wird Friedman zufolge durch den Grundsatz der Kausalität garantiert, indem die lediglich induktiv erkannten Regelmäßigkeiten in der Natur unter den Kausalitätsgrundsatz geordnet werden und ihnen dabei Notwendigkeit injiziert wird.15 Diese Unterordnung vollzieht sich nach Friedman in mehreren Schritten, in denen die transzendentale Voraussetzung auf empirische Vorgaben angewandt und das Kausalprinzip dabei immer weiter empirisch spezifiziert wird. Friedman zufolge können besondere Kausalgesetze so vom transzendentalen Grundsatz der Kausalität unter Hinzufügung empirischer Daten abgeleitet werden. Diese Einschätzung des Verhältnisses zwischen Kants Kausalprinzip und den empirisch begründbaren Kausalgesetzen ist meines Erachtens allerdings in zweierlei Weise mit Schwierigkeiten behaftet. Erstens muss die Annahme hinterfragt werden, dass tatsächlich jede induktiv gewonnene Aussage über die Regelmäßigkeiten in der Natur durch Unterordnung unter das Kausalprinzip den Status eines notwendigen Gesetzes erlangen kann. Friedmans Beispiel einer solchen Unterordnung betrifft das Erdanziehungsgesetz: Über den Umweg der reinen Naturgesetze, die Kant in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft vorstellt, könne das zunächst rein empirisch belegte Erdanziehungsgesetz in den transzendentalen Verstandesgesetzen begründet werden und dabei den Status eines notwendigen Naturgesetzes erlangen.16 Aber auch wenn wir Friedman die Plausibilität dieses Argumentationsgangs zugestehen sollten, so würde damit noch nicht gezeigt, dass eine ähnliche, transzendentale Begründung auch für andere induktiv erschlossene Kausalverhältnisse möglich ist, die nicht in ähnlicher Weise mathematisch-physikalisch beschrieben werden können.17 Demnach bleibt es fragwürdig, ob eine Subsumierung unter das transzendentale Kausalprinzip in gleicher Weise auch für Induktions_____________ 14 Friedman (1992a, S. 171). 15 Friedman (ebd., S. 174) schreibt: „[T]he principle of causality makes experience possible precisely by somehow injecting necessity (and thus strict universality) into particular causal laws.“ 16 Ebd., S. 175 ff. 17 Auf die Frage der mathematischen Konstruktion empirischer Begriffe und ihrer Unterordnung unter die transzendentalen Verstandesgesetze in den Metaphysischen Anfangsgründen werde ich im nächsten Kapitel zurückkommen (vgl. Abschnitt 2.2).
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1. Naturkausalität und ihre Grenzen
schlüsse über die kausalen Verhältnisse zwischen empirisch bestimmten Naturdingen möglich ist. Friedman selbst weist darauf hin, dass auch nach Kant der Versuch, alle in der Natur beobachteten Regelmäßigkeiten dem Kausalitätsgrundsatz unterzuordnen, lediglich ein anzustrebendes Ideal sei, das noch nicht in allen Bereichen der Naturwissenschaft, wie beispielsweise in der Chemie, erreicht worden ist. Es bleibt jedoch offen, worin der Optimismus begründet liegt, dass prinzipiell alle Induktionsschlüsse durch Unterordnung unter die Verstandesgesetze auf die Ebene notwendiger, allgemeiner Gesetze gehoben werden können. Kants Argumentation in der zweiten Analogie scheint für diese Annahme keine offensichtliche Rechtfertigung zu liefern. Darüber hinaus ist Friedmans Interpretation durch ein zweites, grundlegenderes Problem gefährdet, denn Friedman nimmt die Möglichkeit der Beobachtung empirischer Regelmäßigkeiten und somit die Gültigkeit von Induktionssätzen einfach als gegeben an. Auch wenn das transzendentale Verstandesprinzip die Kausalität jedoch als notwendige Verknüpfung zwischen Ursache- und Wirkungsarten präsentiert, ist hiermit noch nicht gewährleistet, dass die regelmäßig auftretenden Typen von UrsacheWirkungs-Verknüpfungen tatsächlich von uns in der Natur entdeckt werden können. Die Möglichkeit, dass dies nicht der Fall sein sollte scheint auch Kant gesehen zu haben. Und so weist er im Anhang zur Transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft auf die Vorstellung einer Natur hin, in der sich nicht die mindesten Ähnlichkeiten zwischen Gegenständen erkennen lassen: Wäre unter den Erscheinungen, die sich uns darbieten, eine so große Verschiedenheit, ich will nicht sagen der Form (denn darin mögen sie einander ähnlich sein), sondern dem Inhalte, d. i. der Mannigfaltigkeit existierender Wesen nach, dass auch der allerschärfste menschliche Verstand durch Vergleichung der einen mit der anderen nicht die mindeste Ähnlichkeit ausfündig machen könnte (ein Fall, der sich wohl denken lässt), so würde das logische Gesetz der Gattungen ganz und gar nicht stattfinden, und es würde selbst kein Begriff von Gattung, oder irgend ein allgemeiner Begriff, ja sogar kein Verstand stattfinden (KrV, A653 f./B681 f.; Hervorhebung von A. B.).
Zwar garantieren die Verstandesgesetze nach Kants Argumentation in der Transzendentalen Analytik der Kritik der reinen Vernunft, dass alle möglichen Erscheinungen als eine einheitliche Erfahrung eines einzigen Subjekts notwendig miteinander verbunden sind; jedoch ist mit dieser Darstellung der Gesetzmäßigkeit aller möglichen Erkenntnis noch keineswegs erwiesen, dass sich die empirisch erfahrenen und erfahrbaren Naturdinge und -prozesse auch zu einer lückenlosen Erfahrung der Natur als einer empirischen Einheit verknüpfen lassen. Selbst unter der Voraussetzung der Gültigkeit der Verstandesgesetze ist es Kant zufolge also vorstellbar, dass wir keine Übereinstimmung zwischen empirischen Erscheinungen ausfin-
1.3. Die Unbestimmtheit empirischer Kausalgesetze
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dig machen könnten. Insofern die transzendentalen Verstandesgrundsätze also keine Garantie dafür liefern, dass sich die Erscheinungen in der Natur nach Arten oder Typen klassifizieren lassen, gewährleisten sie daher auch nicht die Erkenntnis empirischer Regelmäßigkeiten. In der Einleitung der Kritik der Urteilskraft führt Kant dies weiter aus: [E]s lässt sich wohl denken: dass ungeachtet aller der Gleichförmigkeit der Naturdinge nach den allgemeinen Gesetzen, ohne welche die Form eines Erfahrungserkenntnisses überhaupt gar nicht Statt finden würde, die spezifische Verschiedenheit der empirischen Gesetze der Natur sammt ihren Wirkungen dennoch so groß sein könnte, dass es für unseren Verstand unmöglich wäre, in ihr eine fassliche Ordnung zu entdecken, ihre Produkte in Gattungen und Arten einzuteilen, um die Prinzipien der Erklärung und des Verständnisses des einen auch zur Erklärung und Begreifung des andern zu gebrauchen und aus einem für uns so verworrenen (eigentlich nur unendlich mannigfaltigen, unserer Fassungskraft nicht angemessenen) Stoffe eine zusammenhängende Erfahrung zu machen (KU, V 185).
Die transzendentalen Verstandesgesetze garantieren also nicht – so wiederholt Kant hier –, dass wir Regelmäßigkeiten in der Natur entdecken können. Stattdessen könnten die von uns erfahrenen Naturdinge so unterschiedlich sein, dass es uns unmöglich wäre, sie unter ein Klassifikationssystem und unter empirische Gesetzmäßigkeiten zu ordnen. Auch unter der Annahme der Gültigkeit des transzendentalen Kausalprinzips bleibt also die Möglichkeit bestehen, dass es so viele unterschiedliche Arten von Gegenständen in der Natur gäbe, dass unter ihnen niemals mehr als ein Fall einer Art entdeckt werden könnte bzw. dass jede Art von Kausalverhältnissen nur in einem einzigen beobachteten Fall ihre Realisierung fände.18 Auch wenn der Kausalitätsgrundsatz nach Friedman also bestimmt, dass wir eine objektive Ereignisfolge als Fall eines – wenn auch unbestimmten – Kausalgesetzes betrachten müssen, bedeutet dies noch lange nicht, dass wir dieses Kausalgesetz auch empirisch durch Beobachtung ähnlicher Ereignisfolgen desselben Typs bestimmen können. Henry Allison beschreibt diese Situation treffend als empirisches Chaos und unterscheidet dies von dem durch die transzendentalen Grundsätze ausgeschlossenen transzendentalen Chaos.19 Zwar garantieren die Verstandesgrundsätze eine formale Einheit der Erfahrung nach den Verstandesgesetzen, jedoch gewährleisten sie nicht notwendig die empirische Einheit der Erfahrung als die einer nach empirischen Gesetzen systematisch ge_____________ 18 Ähnlich stellt Allison (1996, S. 86) in Frage, ob die besonderen Kausalgesetze nach dem Kausalprinzip notwendigerweise mehr als einen Fall unter sich fassen und somit Regelmäßigkeiten in der Natur beschreiben müssen. Vgl. auch Paton (1951, Band 2, S. 275 ff.). 19 Vgl. Allison (2001, S. 38).
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1. Naturkausalität und ihre Grenzen
ordneten Natur. Diese Differenzierung macht deutlich, dass auch unter der Voraussetzung der von Friedman angenommenen stärkeren Deutung des Kausalprinzips ein Unterschied zwischen der transzendentalen und der empirischen Bedeutung des Kausalitätsbegriffs gemacht werden muss. Auch wenn wir das Kausalprinzip als einen transzendentalen Grundsatz verstehen, der auf die notwendige Verbindung von Zustandstypen verweist, so ist trotzdem nicht gewährleistet, dass wir auch regelmäßig vorkommende Typen von Kausalverbindungen in der Natur aufzudecken in der Lage sind. Wir können daher mit Buchdahl von zwei Kontexten der Rede von Kausalität in der Natur sprechen: dem Kontext der Kausalität als transzendentaler Voraussetzung der Erfahrung auf der einen Seite und dem der Kausalität als durch Erfahrung aufzudeckende empirische Bestimmung der Natur auf der anderen Seite.20 Wenn nun aber durch die transzendentalen Verstandesvorgaben die Möglichkeit des empirischen Chaos nicht ausgeschlossen ist, so wirft dies eine wichtige Frage auf: Inwiefern könnten wir uns überhaupt in einer Welt orientieren, in der empirisches Chaos herrschte? Würden wir uns in einer solchen Welt zurechtfinden, wenn wir uns niemals sicher wären, welche Folgen zum Beispiel das Verspeisen eines Brötchens, das Einsteigen in die U-Bahn oder das Einschlafen am Abend hätte? Eine Welt, in der nicht zumindest eine gewisse Regelmäßigkeit der Ursache-WirkungsBeziehungen unseren Handlungen eine verlässliche Grundlage böte, scheint eine praktische Unmöglichkeit zu sein, denn tatsächlich verlassen wir uns in jeder Minute auf eine Unzahl von Gesetzmäßigkeiten, die unsere Umwelt bestimmen. Wenn nun aber selbst durch die transzendentalen Voraussetzungen des Verstandes die Möglichkeit des empirischen Chaos offen gelassen wird, inwiefern können wir bei Kant dann trotzdem von der Gültigkeit empirischer Gesetzmäßigkeiten in der Natur ausgehen?
1.4. Die systematische Einheit der empirischen Natur Um empirische Gesetzmäßigkeiten in der Natur erkennen zu können, bedarf es nach Kant einer Annahme: Wir müssen unterstellen, dass die Natur durch Gesetze bestimmt werden kann, die für uns eine nachvollziehbare, systematisch geordnete Einheit bilden, und dass insbesondere „die Natur der Dinge selbst zur Vernunfteinheit Stoff darbiete“ (KrV, A652/B680). Um die Natur als regelmäßig und nicht chaotisch betrachten zu können, müssen wir also voraussetzen, dass die Natur selbst so verfasst sei, dass sie nach Gesetzen bestimmt werden kann. Wie aber soll mit Hilfe _____________ 20 Vgl. Buchdahl (1992, S. 195 ff.).
1.4. Die systematische Einheit der empirischen Natur
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einer bloßen Annahme das Problem der Unbestimmtheit der empirischen Natur überwunden werden? Kant zufolge ist diese Annahme besonderer Art: Zwar stellt sie keine gesicherte Erkenntnis dar, trotzdem aber hat sie transzendentalen Status und ist eine notwendige Voraussetzung, die unsere Betrachtung und Untersuchung der Natur anleitet. Ihre Notwendigkeit liegt nach Kant in den Eigenschaften unseres intellektuellen Vermögens begründet. Um Kants Charakterisierung der Annahme von der systematischen Geordnetheit der Natur nachvollziehen zu können, gilt es daher, diese besondere Eigenschaft unseres intellektuellen Vermögens genauer zu betrachten. Zu diesem Zweck ist zunächst Kants Unterscheidung der Vernunft als das Vermögen der Prinzipien vom Verstand, dem Vermögen der Regeln, zu beachten. In der Transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft beschreibt Kant das Vernunftvermögen als die „oberste [...] Erkenntniskraft“ (KrV, A299/B355). Während wir in unseren Verstandesurteilen die in der Sinnlichkeit gegebenen Erscheinungen unter die Verstandesregeln, die allgemeinen Verstandesbegriffe und -gesetze, subsumieren und dadurch zu Erkenntnissen über die uns umgebende Natur kommen, können diese Verstandeserkenntnisse in unseren Vernunftschlüssen noch einmal unter höhere Prinzipien geordnet werden. Vernunftschlüsse beziehen sich also nicht direkt auf Wahrnehmungen, sondern immer schon auf Verstandeserkenntnisse von wahrnehmbaren Gegenständen. Mit dem Vernunftvermögen ist daher die Fähigkeit bezeichnet, aus gegebenen Erkenntnissen Schlussfolgerungen zu ziehen und dadurch verschiedene Einzelerkenntnisse in einer übergeordneten, die diversen Erkenntnisse umfassenden Aussage zusammenzubringen: Die Vernunft beschreibt Kant daher auch als „das Vermögen mittelbar zu schließen“ (ebd.). Da wir außerdem in unseren Vernunftschlüssen versuchen können, die Prinzipien, mit Hilfe derer wir unsere Erkenntnisse ordnen, selbst unter eine noch allgemeinere Regel zu bringen und letztere wiederum unter eine noch allgemeinere Regel und so weiter, kann das Vernunftvermögen auch als die Fähigkeit bezeichnet werden, zu immer höheren und allgemeineren Prinzipien fortzuschreiten und immer umfassendere Erkenntniseinheiten zu schaffen. In den Vernunftschlüssen geht es Kant zufolge somit darum, „die große Mannigfaltigkeit der Erkenntnis des Verstandes auf die kleinste Zahl der Prinzipien (allgemeiner Bedingungen) zu bringen und dadurch die höchste Einheit derselben zu bewirken“ (KrV, A305/B361): Alle unsere Erkenntnis hebt von den Sinnen an, geht von da zum Verstande, und endigt bei der Vernunft, über welche nichts Höheres in uns angetroffen wird, den Stoff der Anschauung zu bearbeiten und unter die höchste Einheit des Denkens zu bringen (KrV, A298 f./B355).
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1. Naturkausalität und ihre Grenzen
Das oberste Prinzip, die Idee welche dabei durch alle Vernunftschlüsse vorausgesetzt wird, ist die Idee der durch nichts weiter bedingten, vollkommenen Einheit aller Erkenntnisse. Sie ist die Idee von der Form eines Ganzen der Erkenntnis, welches vor der bestimmten Erkenntnis der Teile vorhergeht und die Bedingungen enthält, jedem Teile seine Stelle und Verhältnis zu den übrigen a priori zu bestimmen. Diese Idee postuliert demnach vollständige Einheit der Verstandeserkenntnis, wodurch diese nicht bloß ein zufälliges Aggregat, sondern ein nach notwendigen Gesetzen zusammenhangendes System wird (KrV, A645/B673).
Die Schlüsse der Vernunft zielen also auf eine Einheit, die keine lediglich wahllose und unbestimmt ausdehnbare Anhäufung verschiedener Erkenntnisse darstellt, sondern systematisch nach Prinzipien geordnet und eine „Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee“ (KrV, A832/B860) ist. Die von der Vernunft angestrebte gedankliche Einheit aller Erkenntnisse soll eine in sich vollkommene Totalität ausmachen, in der unterschiedliche Naturerkenntnisse als notwendig untereinander verknüpft, wechselseitig voneinander abhängig und aufeinander bezogen vorgestellt werden. Die einzelnen Verstandeserkenntnisse werden als Teile eines geordneten und nach Gesetzen verbundenen Ganzen verstanden, in dem jeder Teil in einem eindeutigen Verhältnis zu allen anderen Teilen steht. Insofern die Vernunftschlüsse nun aber auf eine Ganzheit abzielen, die alle möglichen Naturerkenntnisse vereinen soll, setzen sie eine Idee von etwas voraus, das selbst nicht Gegenstand der Erfahrung sein kann. Die Idee einer unbedingten Einheit bestimmt unsere Erfahrung daher nicht als ein Prinzip, das Erkenntnis konstituiert, wie dies die Verstandesbegriffe tun, sondern gibt als regulatives Prinzip Anleitung, wie die Erkenntnisse der Erfahrungswelt als miteinander verknüpft gedacht werden müssen. Die Idee der Einheit liefert keine Bedingung für die Erkenntnis von Gegenständen, sondern gibt vor, wie wir mit allen möglichen Erfahrungen weiter zu verfahren haben. Insofern dem Vernunftvermögen des Schließens also die Idee der unbedingten Einheit zu Grunde liegt, gibt dieses Vermögen das Ziel vor. Die Möglichkeit der systematischen Einheit aller Verstandeserkenntnisse ist nichts in der Natur Vorgefundenes, sondern etwas von der Vernunft Gefordertes und an die Natur Herangetragenes. Sie ist nach Kant „lediglich nur projektierte Einheit“ (KrV, A647/B675). Diese Projektion der Einheit bedeutet, dass wir die Natur in unseren Untersuchungen als etwas betrachten, das die Ordnung verschiedener Naturerfahrungen nach notwendigen und systematisch verknüpften Gesetzen möglich macht. Kant spezifiziert diese Annahme der Möglichkeit einer einheitlich erfahrbaren Natur anhand von drei untergeordneten Prinzipien genauer. Demnach ist unsere Naturbetrachtung bestimmt durch ein
1.4. Die systematische Einheit der empirischen Natur
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„Prinzip der Gleichartigkeit“, das verschiedene Naturdinge unter höhere Gattungen ordnet, durch einen „Grundsatz der Varietät“, der die Dinge einer Gattung nach verschiedenen Unterarten ausdifferenziert, und durch ein „Gesetz der Affinität“ (KrV, A657/B685), nach dem alle Arten kontinuierlich ineinander übergehen.21 In der ersten, zunächst unveröffentlicht gebliebenen wie auch in der zweiten, publizierten Einleitung der Kritik der Urteilskraft vertieft Kant seine Überlegungen zur Annahme der systematischen Einheit der Natur. Kants Fokus hat sich seit der Dialektik der ersten Kritik jedoch verschoben. Nun ist es nicht die Vernunft, sondern die reflektierende Urteilskraft, welche die gegebenen Verstandeserkenntnisse unter Prinzipien zu subsumieren und dabei zu einer systematischen Einheit zu gliedern sucht. In analoger Weise, in der Kant in der ersten Kritik einen „apodiktischen“ und einen „hypothetischen Gebrauch der Vernunft“ (KrV, A646 f./B674 f.) differenziert hatte, unterscheidet er in der dritten Kritik die bestimmende von der reflektierenden Urteilskraft. Der bestimmende oder auch subsumierende Gebrauch der Urteilskraft ordnet gegebene Wahrnehmungen unter die vom Verstand a priori aufgestellten Grundsätze. Sind allerdings keine spezifischeren Prinzipien wie die empirischen Naturgesetze gegeben und müssen diese zunächst aufgesucht werden, so kommt die Urteilskraft in ihrer reflektierenden Funktion zum Einsatz. Denn „Reflektieren (Überlegen) [...] ist: gegebene Vorstellungen entweder mit andern, oder mit seinem Erkenntnisvermögen, in Beziehung auf einen dadurch möglichen Begriff, zu vergleichen und zusammen zu halten“ (EEKU, XX 211). Durch das Gegenüberstellen und Nebeneinanderhalten von verschiedenen gegebenen Erfahrungen soll so für die besonderen Naturdinge ein allgemeines Gesetz gefunden werden. Um nun aber überhaupt Grund zur Hoffnung zu haben, dass durch den Vergleich verschiedener Erfahrungen empirische Begriffe und Gesetze aufgefunden werden können, müssen wir die systematische Einheit der Natur annehmen. Das Prinzip der Einheit leitet uns an, bestimmte Übereinstimmungen in der Natur als Regelmäßigkeiten anzuerkennen und gibt der immer weiter fortzuführenden Suche nach Gesetzmäßigkeiten ihren Sinn. Die Annahme, dass die Natur nach Gesetzen geordnet sei, die einerseits speziellere Gesetze unter sich fassen, andererseits selbst unter allgemeinere Gesetze fallen und so eine systematische Einheit bilden, ist nach der dritten Kritik daher ein notwendiges Prinzip der reflektierenden Urteilskraft: _____________ 21 Mit diesen drei Prinzipien nimmt Kant Grundsätze der Naturforschung seiner Zeit auf. Eine eindrückliche Darstellung der Geschichte dieser Prinzipien findet sich bei Lovejoy (1936).
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1. Naturkausalität und ihre Grenzen
[S]o muss die Urteilskraft für ihren eigenen Gebrauch es als Prinzip a priori annehmen, dass das für die menschliche Einsicht Zufällige in den besonderen (empirischen) Naturgesetzen dennoch eine für uns zwar nicht zu ergründende, aber doch denkbare gesetzliche Einheit in der Verbindung ihres Mannigfaltigen zu einer an sich möglichen Erfahrung enthalte (KU, V 183 f.).
In der Literatur ist die Frage, inwiefern die Rolle der nach Einheit strebenden Vernunft der ersten Kritik mit der Funktion der reflektierenden Urteilskraft der dritten Kritik zusammenhängt, oder sogar von ihr ersetzt wird, kontrovers diskutiert worden.22 Für den Zweck des vorliegenden Kapitels reicht es an dieser Stelle, darauf hinzuweisen, dass die Idee der systematischen Einheit und Vollkommenheit auch in der Kritik der Urteilskraft weiterhin als Vernunftidee begriffen werden kann, welche die reflektierende Urteilskraft in ihren Urteilen auf die Natur projiziert. Unter Berücksichtigung der Vernunftidee der systematischen Einheit, sucht die Urteilskraft so nach empirischen Gesetzmäßigkeiten, die unsere verschiedenen Erfahrungen zu einem systematischen Naturganzen verbinden. Obwohl also durch die transzendentalen Voraussetzungen des Verstandes die Möglichkeit des empirischen Chaos offen gelassen wird, können, ja müssen wir von empirischen Regelmäßigkeiten in der Natur ausgehen. Die Beschaffenheit unserer intellektuellen Vermögen macht es für uns subjektiv notwendig, die systematische Organisiertheit der Natur anzunehmen, auch wenn diese nicht a priori erkannt werden kann. Wie wir am Beispiel des Kausalprinzips gesehen haben, ist die für uns erfahrbare Natur durch die transzendentalen Grundsätze des Verstandes bestimmt, die jedoch nichts über den speziellen empirischen Charakter bestimmter Naturdinge aussagen. Dieser Charakter ist a priori nicht einsehbar und daher für den menschlichen Verstand „zufällig“ (KU, V 180). Folglich erscheint uns auch die mögliche Übereinstimmung der Natur mit der Idee einer systematischen und nach empirischen Gesetzen geordneten Einheit als zufällig. Und trotzdem ist diese Übereinstimmung ein Prinzip, das unsere Betrachtung der Natur leitet und das zwar lediglich regulativ, trotzdem aber notwendig für unser Verständnis der Natur ist. Diese doppelte Charakterisierung der empirisch geordneten Natur, nach der sie einerseits für unser Verstandesvermögen zufällig und nicht einsehbar oder beweisbar ist, andererseits für unsere Urteilskraft aber auch notwendigerweise als eine systematische Einheit betrachtet werden muss, verbindet Kant im Begriff der „Zweckmäßigkeit der Natur“ (KU, V 181): [D]ie besondern empirischen Gesetze in Ansehung dessen, was in ihnen durch jene [d. i. die transzendentalen Verstandesgesetze] unbestimmt gelassen ist, [müssen] nach einer solchen Einheit betrachtet werden [...], als ob gleichfalls ein
_____________ 22 Vgl. z. B. Brandt (1989), Peter (1992, Teil 1 und 2), Horstmann (1997, Kapitel 6 und 7), Guyer (2005a, 2005b und 2005c) und Rajiva (2006).
1.5. Die Grenzen des Kausaldeterminismus
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Verstand (wenn gleich nicht der unsrige) sie zum Behuf unserer Erkenntnisvermögen, um ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen, gegeben hätte (KU, V 180).
Kant zufolge wird die Natur durch dieses Prinzip der Urteilskraft so betrachtet, als ob sie in der Idee eines Verstandes gründete und so auch in ihren verschiedenen Variationen und Ausformungen für uns erkennbar sei. Die Natur wird beurteilt, als stünde sie unter einer Einheit, die Wesen mit einem Erkenntnisvermögen wie dem unseren eine systematische Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen ermögliche. Sie wird betrachtet, als sei sie zweckmäßig für unsere kognitiven Fähigkeiten eingerichtet. Kant macht die Einschränkung, der diese Beurteilung unterliegt, sofort deutlich: Nicht als wenn auf diese Art wirklich ein solcher Verstand angenommen werden müsste (denn es ist nur die reflektierende Urteilskraft, der diese Idee zum Prinzip dient, zum Reflektieren, nicht zum Bestimmen); sondern dieses Vermögen giebt sich dadurch nur selbst und nicht der Natur ein Gesetz (ebd.).
Das apriorische Prinzip der Urteilskraft, nach der wir die Ordnung der Natur als zweckmäßig für unsere eigene Erkenntnis betrachten, ist lediglich subjektiv notwendig, da seine Notwendigkeit in der spezifischen Eigenart unserer Erkenntnisvermögen gründet. In diesem Sinne bezeichnet Kant das Prinzip der Urteilskraft in der ersten Einleitung auch als „subjektiv-notwendige transzendentale Voraussetzung“ (EEKU, XX 209). Es macht keine eindeutige Aussage über die Natur selbst, sondern nur über die Art und Weise, in der wir die Natur betrachten müssen, und trotzdem ist es notwendig für unsere Erkenntnis der Natur nach empirischen Begriffen und Gesetzen.
1.5. Die Grenzen des Kausaldeterminismus Kants zweiter Analogie zufolge können wir a priori wissen – dies haben die Abschnitte 1.1 und 1.2 gezeigt –, dass alles in der Natur eine Ursache hat. Jede Veränderung zu einem zuvor nicht existierenden Zustand erfordert nach dem Kausalprinzip eine vorhergehende Bedingung, die den Folgezustand notwendig bestimmt. Dieser transzendentale Grundsatz ist konstitutiv, insofern nach ihm jede mögliche Erfahrung kausal bestimmt ist. Etwas, das selbst nicht kausal verursacht ist, kann also auch kein Gegenstand unserer Erfahrung sein. Die apriorische Erkenntnis des Kausalprinzips – so hat Abschnitt 1.3 dargelegt – garantiert uns jedoch nicht, dass wir kausale Regelmäßigkeiten in der Natur erfahren können, die den Beweis dafür liefern, dass die empirische Natur durch kausale Gesetzmäßigkeiten geordnet ist. Dies hatte die Frage aufgeworfen, inwiefern wir überhaupt davon ausgehen können, dass Erkenntnisse über kausale Ge-
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1. Naturkausalität und ihre Grenzen
setzmäßigkeiten möglich sind. Dass wir diese Möglichkeit Kant zufolge voraussetzen – so hat nun Abschnitt 1.4 gezeigt – liegt an der Eigenschaft unseres Vernunftvermögens, die Natur notwendig so zu betrachten, als ob sie eine systematisch organisierte Einheit darstelle, die durch notwendige und untereinander systematisch geordnete Gesetze bestimmt sei. Anhand des durch die Idee der Einheit geleiteten, regulativen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen können und müssen wir Kant zufolge annehmen, dass es empirische Gesetzmäßigkeiten in der Natur zu entdecken gibt. Was bedeutet dies nun für den Status empirischer Kausalgesetze? Nehmen wir eine empirische Aussage von der Form „A ist die Ursache von B“, wobei A und B in der Natur beobachtet werden. Apodiktisch gewiss an dieser Aussage ist lediglich, dass es irgendeine Ursache X geben muss, die B verursacht hat. Trotz der Unsicherheit, ob A tatsächlich dieses X ist, können wir uns also sicher sein, dass B durch irgendein kausales Merkmal bestimmt ist. Allein durch empirische Untersuchung können wir dagegen herausfinden, worin die genaue Ursache für die beobachtete Wirkung besteht. Wie also kann der empirische Beweis erbracht werden, dass A das gesuchte X ist? Für den beobachteten Fall der Folge von A und B, kann dies nur geschehen, indem andere, ähnliche Fälle zum Vergleich herangezogen werden. Nur indem wir induktiv von mehreren Fällen des Folgetyps a-b auf das Gesetz „alle Zustände des Typs a verursachen Zustände des Typs b“ schließen, können wir einen empirischen Beweis für die spezielle Aussage „A ist die Ursache von B“ erbringen. Ob eine solche Gesetzmäßigkeit jedoch von uns erkannt werden kann, ist durch den Kausalitätsgrundsatz nicht garantiert. Dass das Merkmal, welches B bestimmt, auch anderen Geschehnissen zugeschrieben werden kann und somit einen Typ von erfahrbaren Naturereignissen zusammenfasst, ist lediglich eine regulative Annahme, deren Gültigkeit wir niemals beweisen können, die wir aber auf Grund des Wesens unseres intellektuellen Vermögens anstellen müssen. Kant hat an verschiedenen Stellen deutlich gemacht, „dass man durch ein bestimmtes Prinzip geleitet werden müsse, um bloß zu beobachten“ (ÜGTP, VIII 164). Denn Kant zufolge findet man in der Erfahrung „was man bedarf, nur alsdann, wenn man vorher weiß, wonach man suchen soll“ (BBM, VIII 91). Im Falle der Suche nach Kausalgesetzen sind wir also durch das Prinzip geleitet, dass die Natur nach für uns erkennbaren Gesetzen eingerichtet sei. Die Annahme der Regelmäßigkeit leitet unsere Untersuchung der Natur, insofern erst mit Blick auf sie bestimmte Übereinstimmungen in der Natur als Regelmäßigkeiten anerkannt werden können. Nur durch die Befolgung dieses Prinzips können wir bestimmte Erfahrungen als Erfahrungen eines Typs von Ereignissen und als Regelmä-
1.5. Die Grenzen des Kausaldeterminismus
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ßigkeit der Natur beurteilen und so letztlich auch kausale Gesetze begründen. Erst wenn wir auf diese Weise bestimmte Gesetze in der empirischen Natur festgestellt haben, können wir auch die singuläre Kausalaussage rechtfertigen, dass A die Ursache von B ist. Für den Status empirischer Kausalaussagen hat dies wichtige Implikationen. Da wir uns einerseits sicher sein können, dass es irgendein Merkmal gibt, welches ein bestimmtes Ereignis bestimmt, wir in unseren empirischen Kausalzuschreibungen also einen transzendentalen Verstandesbegriff anwenden, können wir von einer Art Erkenntnis sprechen. Andererseits kann diese Erkenntnis immer nur empirische Gewissheit begründen, insofern wir uns in den kausalen Ursachen irren können, die wir gegebenen Ereignissen zu Grunde legen. Durch weitere Beobachtungen und Experimente könnten wir zum Beispiel herausfinden, dass die angenommenen, allgemeinen Eigenschaften einer Gruppe von Ereignissen tatsächlich nur auf einen Teil dieser Gruppe zutreffen und dass stattdessen ein anderes Merkmal das ähnliche Verhalten der verschiedenen Vorkommnisse erklärt. Die durch einen Induktionsschluss erreichte empirische Erkenntnis, die immer auch eine regulative Naturbetrachtung voraussetzt, ist daher zu jeder Zeit potentiell falsifizierbar und erlangt somit niemals unbedingte Gewissheit. Jedoch stellt sie den einzigen uns möglichen Weg zu Aussagen über die Kausalzusammenhänge in der Natur dar. Die Unsicherheit, dass ein auf Beobachtung gegründetes Kausalgesetz durch zukünftige Erfahrung widerlegt werden könnte, bleibt daher stets bestehen. Und doch verwerfen wir die Suche nach Kausalgesetzen nicht als sinnlos, sondern verstehen sie als Aufgabe und einzige Möglichkeit, zu Erkenntnissen über die Natur zu gelangen. Das, was bei Kant empirische Kausalerkenntnisse darstellen, ergibt sich also nicht einfach aus der Subsumtion empirischer Wahrnehmungen unter den transzendentalen Kausalitätsgrundsatz. Das Kausalprinzip sichert somit auch keine a priori gewisse Bestimmtheit der Natur nach empirischen Kausalgesetzen.23 Wie nun deutlich geworden ist, ist Kants Position zur Problematik der Naturkausalität um einiges komplexer und enthält drei wesentliche Aspekte mit unterschiedlichen Gewissheitsgraden. Kants kausales Naturverständnis beruht erstens auf der gesicherten apriorischen Erkenntnis, dass alle Veränderungen in der Natur eine Ursache _____________ 23 Im Unterschied zur Ansicht Thöles (2000) denke ich nicht, dass wir aus dem transzendentalen Charakter des regulativen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur folgern müssen, dass die Analogien der Erfahrung ihren konstitutiven Charakter einbüßen. Die Konsequenz ist meines Erachtens lediglich eine eingeschränktere Auffassung dessen, was durch das Kausalprinzip konstituiert wird: Der Kausalitätsgrundsatz sichert nicht die Gültigkeit empirisch erfahrbarer, kausaler Regelmäßigkeiten, sondern nur die der prinzipiell durchgängigen, kausalen Verknüpftheit der Natur.
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1. Naturkausalität und ihre Grenzen
haben. Zweitens setzt es jedoch auch die lediglich regulative Beurteilung voraus, nach der wir die Natur betrachten müssen, als stelle sie eine durch notwendige Kausalgesetze geordnete Einheit dar. Kausale Erklärungen selbst, die auf diese empirischen Gesetze verweisen, haben dabei drittens den Status einer empirischen Erkenntnis durch Induktion. Eine objektive Aussage über die Erfahrungswelt anstrebend, können sie empirische Erkenntnis gewährleisten, ohne dabei jedoch volle Gewissheit zu garantieren.
2. Die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung In der Kritik der Urteilskraft behauptet Kant, dass wir die Natur nur begreifen, wenn wir sie nach mechanischen Gesetzen erklären können. „Erklären heißt“ für Kant „von einem Prinzip ableiten, welches man also deutlich muss erkennen und angeben können“ (KU, V 412). Was er sich unter einem solchen Prinzip vorstellt, präzisiert er auf folgende Weise: Es liegt der Vernunft unendlich viel daran, den Mechanism der Natur in ihren Erzeugungen nicht fallen zu lassen und in der Erklärung derselben nicht vorbei zu gehen: weil ohne diesen keine Einsicht in die Natur der Dinge erlangt werden kann (KU, V 410).
Ohne das „Prinzip des Mechanismus der Natur“, so behauptet Kant hier, kann „es überhaupt keine Naturwissenschaft geben“ (KU, V 418), denn unser Wissen von der Natur gründet sich auf Erkenntnisse von den die Naturprozesse bestimmenden, mechanischen Gesetzen. Eine Naturerkenntnis ist also immer schon mit der mechanischen Erklärung der Natur verknüpft, denn – so erklärt Kant auch in der Metaphysik der Sitten – „nur die Begebenheiten nach dem Mechanism der Natur sind erklärungsfähig“ (MS, VI 320, Anm.). Ziel der Naturwissenschaften ist es deshalb, das Studium der Natur nach ihrem Mechanism an demjenigen fest zu halten, was wir unserer Beobachtung oder den Experimenten so unterwerfen können, dass wir es gleich der Natur wenigstens der Ähnlichkeit der Gesetze nach selbst hervorbringen könnten; denn nur soviel sieht man vollständig ein, als man nach Begriffen selbst machen und zu Stande bringen kann (KU, V 383 f.).
Da wir also nur das erklären können, was durch mechanische Gesetze bestimmt ist, können wir Kant zufolge auch nur das erkennen, was durch unser Wissen über diese Gesetze prinzipiell reproduzierbar wäre. Erklärungen der Natur ordnen Kant zufolge also besondere Naturerfahrungen einem mechanischen Gesetz unter und machen dadurch wissenschaftliche Erkenntnis möglich. Diese Aussagen Kants werfen zweierlei Art Fragen auf. Erstens ist nicht unmittelbar ersichtlich, was Kant eigentlich unter dem Begriff des Naturmechanismus versteht. In der Kritik der reinen Vernunft hatte er von Kausalzusammenhängen und kausalen Gesetzen gesprochen. Sind diese Kausalgesetze nun identisch mit den mechanischen Gesetzen, die Kant in der Kritik der Urteilskraft als notwendige Voraussetzung für eine wissenschaftliche Erklärung der Natur fordert? Und wenn es doch Unterschiede
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2. Die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung
zwischen den beiden Arten von Naturgesetzen gibt, worin besteht dann das Verhältnis von Mechanismus und Kausalität? Zweitens stellen sich Fragen hinsichtlich der im ersten Kapitel ausgearbeiteten Einschränkungen eines kausalen Naturdeterminismus. Inwiefern verbirgt sich hinter Kants Forderung nach einer mechanischen Erklärung der Natur nicht doch wieder ein Naturverständnis, welches von einer durchgehenden – mechanischen – Bestimmtheit der Natur ausgeht? Bedeutet Kants Aussage, nach der wir die Natur nur mechanisch erklären können, dass die gesamte Natur mechanischen Gesetzen unterliegt? Nach den zitierten Äußerungen zu schließen, ist es nicht verwunderlich, dass Kant immer wieder als Newtonscher Philosoph charakterisiert wurde, als Denker, der Newtons Physik eine philosophische Grundlage zu geben beabsichtigte.1 Was aber folgt aus den im letzten Kapitel deutlich gewordenen, grundlegenden Einschränkungen des kausalen Naturdeterminismus für eine mechanistische Interpretation des Kantischen Naturbegriffs, der in den hier zitierten Passagen zu Tage tritt? Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, diese beiden Fragestellungen genauer zu beleuchten. Allerdings wird die Untersuchung des Kantischen Mechanismusbegriffs dadurch erschwert, dass Kant in der Kritik der Urteilskraft, in der er die mechanische als die einzig mögliche Art der Naturerklärung verteidigt, sich nicht explizit zur Definition seines Mechanismusbegriffs äußert. Andere Texte Kants müssen daher zur Erläuterung herangezogen werden. Hierbei wird ersichtlich, dass Kant den Mechanismusbegriff in seinen Schriften auf sehr unterschiedliche Weise verwendet.2 Im Folgenden sollen daher zunächst verschiedene Bedeutungsstränge voneinander differenziert werden. Drei Aspekte sind dabei von besonderer Wichtigkeit, denn Kant charakterisiert den Mechanismus der Natur durch drei Gegensätze: Die mechanische Determiniertheit der Natur wird erstens der Freiheit und Unabhängigkeit von kausalen Bestimmungen, zweitens der Lebendigkeit natürlicher Wesen und drittens der Bestimmtheit der Teile eines Körpers durch den Körper als Ganzen entgegengestellt. Diese drei Kontraste sind als Begründung verschiedener Interpretationen herangezogen worden. Demnach wird der Mechanismusbegriff zum Ersten mit der Naturkausalität identifiziert, er wird zum Zweiten in wesentlicher Hinsicht von der Kausalität unterschieden und zum Dritten als eine Unterart des Kausalitätsbegriffs verstanden. Abschnitte 2.1, 2.2 _____________ 1 2
Vgl. z. B. Watkins (1998, S. 567): „One of Kant’s most fundamental aims is to justify Newtonian science.“ Vgl. Ginsborgs (2001, S. 238 ff.) Unterscheidung verschiedener Konzeptionen des Mechanismusbegriffs bei Kant.
2.1. Naturmechanismus vs. Freiheit
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und 2.3 widmen sich einer Untersuchung dieser drei Ansätze und diskutieren die Implikationen und Schwierigkeiten, die sich aus ihnen ergeben. Im vierten Teil des Kapitels möchte ich zeigen, dass die drei Arten, in denen Kant den Mechanismusbegriff gebraucht, nicht auf verschiedenen, miteinander konkurrierenden Mechanismuskonzeptionen beruhen, sondern als einander ergänzende Aspekte des Kantischen Mechanismusbegriffs vereinbart werden können. Die drei betrachteten Lesarten können demnach als unterschiedliche Stränge innerhalb eines kohärenten Mechanismusbegriffs verstanden werden.3 Aus diesem Interpretationsvorschlag sollen schließlich einige Schlussfolgerungen für die Beantwortung der Frage nach der mechanischen Bestimmtheit der Natur abgeleitet werden. Es wird sich zeigen, dass es nach Kants Ansatz möglich ist, die mechanische Erklärung als einzig mögliche Naturerklärung zuzulassen, ohne zugleich einem strikten, mechanischen Naturdeterminismus zu verfallen.
2.1. Naturmechanismus vs. Freiheit Kant charakterisiert den „Mechanism der Natur“ in der Kritik der Urteilskraft als eine „Kausalverbindung“ (KU, V 406), die „durch ihre wirkenden Ursachen“ (KU, V 417) die natürlichen Phänomene bestimmt und so vom teleologischen Verhältnis einer Zweck-Mittel-Beziehung unterschieden ist. Der Begriff des Naturmechanismus ist somit offensichtlich eng verbunden mit dem der Naturkausalität, der im vorangegangenen Kapitel untersucht wurde. Nun hat das letzte Kapitel gezeigt, dass wir dem Kantischen Verständnis zufolge a priori wissen können, dass alle möglichen erfahrbaren Naturphänomene durch Ursache-Wirkungs-Verhältnisse bestimmt sind. Trotzdem, so wurde deutlich, können nur empirische Beobachtungen und Experimente Einsicht in die besonderen Kausalgesetze geben, welche die von uns erfahrene Natur beherrschen. Bedeutet dies also, dass die in der Kritik der Urteilskraft für eine Erklärung der Natur geforderten, mechanischen Gesetze die besonderen Kausalgesetzen darstellen, die von uns zwar nicht a priori eingesehen, doch aber empirisch erkannt werden können? Lässt sich schließen, dass die für unsere Naturerkenntnis notwendige, mechanische Erklärung auf die empirischen Kausalgesetze verweist, deren Suche uns durch das regulative Prinzip der systematischen Einheit für ein Verständnis der Natur aufgegeben ist? In der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft und in Kants Schriften zur Moralphilosophie findet sich ein Gebrauch des Me_____________ 3
Eine erste Untersuchung des Kantischen Mechanismusbegriffs in der Kritik der Urteilskraft habe ich in Breitenbach (2006) unternommen.
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2. Die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung
chanismusbegriffs, der eine positive Antwort auf diese Fragen nahe legt. Der Mechanismus der Natur wird hier durch den Kontrastbegriff der Freiheit charakterisiert. Die Freiheit des Willens, welche die notwendige Voraussetzung für die Möglichkeit moralischer Handlung darstellt, wird als das Gegenstück zum Naturmechanismus präsentiert, der alle Handlungen durch wirkende Ursachen bestimmt.4 In der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten entwickelt Kant diesen Gegensatz weiter zu seinem Modell der zwei Standpunkte, die wir als vernunftbegabte, körperliche Wesen notwendigerweise einnehmen müssen. Einerseits sind wir Teil einer durch den Mechanismus bestimmten Natur, der „Sinnenwelt“; andererseits müssen wir uns auch als Glieder einer „intelligibelen Welt“ (GMS, IV 458) denken, in der wir die Freiheit haben, nach den Grundsätzen unserer eigenen Vernunft zu handeln. Mechanismus – so spezifiziert Kant in der Kritik der praktischen Vernunft – steht im Gegensatz zur Freiheit für Naturnotwendigkeit, für die kausale Bedingtheit aller Erscheinungen in der Natur. Kants Verständnis des Mechanismusbegriffs ist hier eindeutig: man [kann...] alle Notwendigkeit der Begebenheiten in der Zeit nach dem Naturgesetze der Kausalität den Mechanismus der Natur nennen [...]. Hier wird nur auf die Notwendigkeit der Verknüpfung der Begebenheiten in einer Zeitreihe, so wie sie sich nach dem Naturgesetze entwickelt, gesehen (KpV, V 97).
Kants Mechanismusbegriff ist in den erwähnten Werken somit stark an den Begriff der Kausalität angelehnt. Der Naturmechanismus im Gegensatz zur Freiheit gilt als die Übereinstimmung der Natur mit den Gesetzen der Kausalität. Die Möglichkeit freier Handlung zu verneinen und sich somit als durch natürliche Ursache-Wirkungs-Beziehungen bestimmt zu verstehen, würde deshalb bedeuten, „sich seinen Grundsätzen nach mit den übrigen Tierklassen in einen gleichen Mechanism der Natur geworfen anzusehen“ (MS, VI 355). So wie die Tiere, die über keine Vernunftbegabung verfügen, allein durch den natürlichen Instinkt bestimmt sind, würden auch die Handlungen der Menschen ohne die Möglichkeit der Freiheit allein unter dem Mechanismus der Natur stehen. In seinen Ausführungen zur Pädagogik nennt Kant daher auch die Erziehung eines Kindes mit Hilfe von Zwang und Dressur, die auf Unterwürfigkeit, passiven Gehorsam und auf Nachahmung vorgegebener Verhaltensregeln abzielt, eine mechanische Unterweisung, die im Gegensatz steht zur Aufklärung und zum freien Gebrauch der Vernunft: „Der Mensch kann entweder bloß dressiert, abgerichtet, mechanisch unterwiesen, oder wirklich aufgeklärt werden. [...] Mit dem Dressieren aber ist es noch nicht ausgerichtet, sondern es kommt vorzüglich darauf an, dass Kinder denken lernen“ (Päd, IX 450). Eine Erziehung zum „Mechanism der Vernunft“ (Log, IX 76), wie _____________ 4
Vgl. KrV, BXXVIII f.
2.2. Naturmechanismus vs. Leben
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Kant es in seinen Logikvorlesungen ausdrückt, wäre lediglich an festgelegten Reaktionen auf gegebene Reize interessiert, an einem blinden Befolgen vorgegebener Verhaltensmaßregeln. Ein solches Verhalten aber stünde im Widerspruch zur „Spontaneität“ (ebd.) der Vernunft, das heißt zur freien Handlung nach vernünftigen Überzeugungen und selbst gesetzten Zielen. Der Mechanismus der Natur, auch in seiner Anwendung auf die Handlungen des vernunftfähigen Menschen betrachtet, steht damit insbesondere in Kants Werken zur Moralphilosophie für die notwendige, kausale Bedingtheit der Natur. Es ist daher naheliegend, unter dem Begriff des Naturmechanismus „nichts anderes als durchgängige Geltung des Kausalgesetzes“ zu verstehen.5 Insofern nach den Ergebnissen des letzten Kapitels jedes Naturphänomen kausal bestimmt ist und in kausaler Wechselwirkung mit anderen Naturphänomenen steht, können wir eine bestimmte Naturerfahrung auch nur mit Verweis auf die für das erfahrene Phänomen geltenden Kausalgesetze erklären. Diese Charakterisierung mechanischer Gesetze als empirische Kausalgesetze erhellt somit Kants Forderung nach den mechanischen Erklärungen als einzige Möglichkeit wissenschaftlicher Naturerklärungen. In den erwähnten Schriften zur Moralphilosophie geht es Kant nun aber um die allgemeine Entgegensetzung von Freiheit auf der einen Seite und der Bedingtheit von sinnlich erfahrbaren Naturprozessen auf der anderen Seite. Kant setzt sich in diesem Zusammenhang hauptsächlich mit der Frage nach der Denkmöglichkeit freier Handlung auseinander, es geht ihm dagegen weniger um die Frage nach der Erklärbarkeit der Natur mit Hilfe des Naturmechanismus. Das betrachtete Mechanismusverständnis unterscheidet sich daher stark von der Auseinandersetzung mit dem Mechanismusbegriff in anderen Schriften Kants – allen voran den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft. In diesem sehr viel mehr an den Zielen der Naturwissenschaft interessierten Werk entwickelt Kant drei Gesetze der Mechanik, die er als apodiktisch gewissen und a priori einsehbaren Teil der Naturwissenschaft darstellt. Inwiefern sich diese zweite Bedeutung des Mechanismusbegriffs von dem ersten, dem Begriff der Freiheit entgegengesetzten Verständnis unterscheidet, soll nun näher untersucht werden.
2.2. Naturmechanismus vs. Leben In den Metaphysischen Anfangsgründen behauptet Kant, dass jede „eigentliche Naturwissenschaft“ (MAN, IV 469) einen reinen Teil enthalten müsse, _____________ 5
Keil (1993, S. 307).
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2. Die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung
der apodiktisch gewiss und a priori einsehbar sei und der eine Grundlage für alle weiteren empirischen Aussagen innerhalb dieser Wissenschaft darstelle. Die Konzeption eines a priori erkennbaren Teils als Grundlage der Naturwissenschaft knüpft ohne Zweifel an die transzendentalen Verstandesprinzipien an, die Kant in der Kritik der reinen Vernunft als Grundlage jeglicher Naturerfahrung eingeführt hat. Jedoch geht es Kant in den Metaphysischen Anfangsgründen nicht um diesen „transzendentale[n] Teil der Metaphysik der Natur“ (MAN, IV 469 f.), welcher sich auf die unbestimmte Natur an sich oder auch auf die Natur lediglich als Objekt aller möglichen Erfahrungen bezieht. Vielmehr unterscheidet Kant von dieser „allgemeine[n]“ Metaphysik, die sich unabhängig von den speziellen Eigenschaften der Erfahrungsgegenstände auf die Natur richtet, eine „besondere metaphysische Naturwissenschaft“, welche sich mit der Natur beschäftigt, insofern von ihr eine speziellere Charakterisierung durch Erfahrung und somit auch „ein empirischer Begriff gegeben ist“ (MAN, IV 470). Dieser empirische Begriff ist Kant zufolge der der Materie, und die Metaphysischen Anfangsgründe behandeln folglich die Grundlagen unserer Erkenntnis der materiellen oder körperlichen Natur. Um die apriorischen Prinzipien der Wissenschaft von dieser körperlichen Natur aufzudecken, müssen wir Kant zufolge untersuchen, was a priori über den Begriff der Materie herausgefunden werden kann. Die besondere Metaphysik der Natur erfordert, so erklärt Kant, „eine vollständige Zergliederung des Begriffs von einer Materie überhaupt“ (MAN, IV 372). Insofern der Begriff der Materie selbst kein Begriff a priori, sondern uns aus der Erfahrung bekannt ist, muss die Untersuchung des reinen Teils der Wissenschaft von den spezifischen Charakteristika verschiedener Ausformungen der Materie abstrahieren. Es gilt also zu beleuchten, was a priori über den Begriff der Materie – lediglich als Gegenstand äußerer Sinne verstanden – erkannt werden kann. Die Vollständigkeit dieser Analyse wird Kant zufolge durch eine Untersuchung dessen gewährleistet, wie die transzendentalen Verstandesbegriffe auf den empirischen Begriff der Materie angewandt werden können. Rein a priori soll auf diese Weise gezeigt werden, was der Begriff eines Gegenstands äußerer Sinne, also eines körperlichen Gegenstands im Raum, enthält.6 Die drei Gesetze der Mechanik, die Kant in den Metaphysischen Anfangsgründen als Komponenten des reinen Teils der Naturwissenschaft vorstellt, ergeben sich aus der Anwendung der drei Verstandesgrundsätze der _____________ 6
Der Frage, wie genau Kant sich diese apriorische Bestimmung des Begriffs der Materie mit Hilfe der Verstandeskategorien vorstellt, soll hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden. Vgl. hierzu z. B. die Ausführungen von Plaass (1965), Falkenburg (2000, Kapitel 6), Friedman (2001) und Pollok (2001, Kapitel 3.4).
2.2. Naturmechanismus vs. Leben
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Relation, die in der Kritik der reinen Vernunft unter dem Titel der Analogien der Erfahrung vorgestellt wurden. Die resultierenden mechanischen Gesetze ähneln in ihrem Inhalt und ihrer Formulierung stark den Bewegungsgesetzen Newtons: Das erste Gesetz konstatiert die Erhaltung der Masse: „Bei allen Veränderungen der körperlichen Natur bleibt die Quantität der Materie im Ganzen dieselbe, unvermehrt und unvermindert“ (MAN, IV 541). Das zweite Gesetz der Mechanik bezeichnet Kant auch als Trägheitsgesetz: „Alle Veränderung der Materie hat eine äußere Ursache. (Ein jeder Körper beharrt in seinem Zustande der Ruhe oder Bewegung, in derselben Richtung und mit derselben Geschwindigkeit, wenn er nicht durch eine äußere Ursache genötigt wird, diesen Zustand zu verlassen.)“ (MAN, IV 543). Und dem dritten Gesetz zufolge sind „[i]n aller Mitteilung der Bewegung [...] Wirkung und Gegenwirkung einander jederzeit gleich“ (MAN, IV 544). Während die Analogien der Erfahrung gezeigt haben, dass wir die Veränderung von Zuständen bzw. deren Koexistenz nur unter der Voraussetzung der Kausalverknüpfung bzw. der Wechselwirkung erfahren, spezifiziert Kant im Mechanismus-Kapitel der Metaphysischen Anfangsgründe nun, dass sinnlich erfahrbare Gegenstände in Raum und Zeit nur durch äußere Ursachen Veränderung erfahren und dass sie in jeder Veränderung wechselweise aufeinander einwirken. Und während Kant in der ersten Kritik die Möglichkeit der Zustandsänderung bzw. der Koexistenz verschiedener Zustände durch die Beharrlichkeit einer gleichbleibenden Substanz begründet, so zeigt er in den Metaphysischen Anfangsgründen, dass jegliche Veränderung der Materie durch die wechselseitige Einwirkung verschiedener Materieteile aufeinander die Quantität der Materie unverändert lässt.7 Die drei Gesetze der Mechanik, so wird hier deutlich, beziehen sich auf die Veränderung von Materie, genauer gesagt auf die Veränderung durch Mitteilung von Bewegung zwischen verschiedenen Materien und somit auf das Verhältnis verschiedener Materieteile zueinander. Bewegung kann Kant zufolge dabei nur im Sinne der dynamischen Kräfte der Materie verstanden werden, die er im Dynamik-Kapitel der Metaphysischen An_____________ 7
Zwei sehr unterschiedliche Interpretationen des Verhältnisses zwischen den Verstandesgrundsätzen der Kritik der reinen Vernunft und dem reinen Teil der Naturwissenschaften der Metaphysischen Anfangsgründe finden sich bei Buchdahl (1992, S. 231 ff.) und bei Friedman (1992b, Kapitel 3 und 5). In Übereinstimmung mit seiner schwachen Interpretation des Kausalprinzips sieht Buchdahl im Gegensatz zu Friedman zwischen den transzendentalen Verstandesprinzipien und den Gesetzen der Mechanik eine Kluft, die nicht deduktiv, sondern nur mit Hilfe einer Analogie überbrückt werden kann. In Abschnitt 2.5 werde ich weniger auf diese, als vielmehr auf eine zweite argumentative Kluft zwischen den reinen Gesetzen der Mechanik und den empirischen mechanischen Erklärungen eingehen.
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fangsgründe darlegt. So gibt es Kant zufolge zwei „ursprünglich-bewegende Kräfte“ (MAN, IV 536), die Anziehungs- und die Abstoßungskraft, durch welche die Materie überhaupt erst eine Ausdehnung im Raum hat und Bewegung an andere Materien weitergeben kann. Die mechanischen Gesetze der Metaphysischen Anfangsgründe befassen sich also mit dem Verhältnis und der Einwirkung der bewegenden Kräfte verschiedener Materieteile aufeinander. Im Gegensatz zum allgemeineren Verständnis vom Mechanismus der Natur, mit dem die Bedingtheit der Natur nach empirischen Kausalgesetzen gemeint war, ist der engere Mechanismusbegriff der Metaphysischen Anfangsgründe offensichtlich relevant für die Frage nach der Erklärbarkeit der Natur. Denn die reinen Gesetze der Mechanik liegen Kants Argumentation zufolge jeglicher Erforschung der körperlichen Natur zu Grunde. Dies könnte bedeuten, dass Kant auf die Gesetze der Metaphysischen Anfangsgründe verweist, wenn er von der Notwendigkeit mechanischer Erklärungen für die Erkenntnis der Natur spricht. So geht es Kant auch in der Kritik der Urteilskraft in den Naturerklärungen um die „Wirkungen von einem bloßen Mechanism der rohen Materie“ (KU, V 478), und den Naturmechanismus identifiziert er als „das Bewegungsvermögen allein“ (KU, V 374) oder auch als das Vermögen der Materie „nach bloßen Bewegungsgesetzen“ (KU, V 390). Wie in den Metaphysischen Anfangsgründen scheint Kant sich also auch in der dritten Kritik auf Gesetze zu beziehen, welche die Bewegungskräfte der Materie behandeln. Diese Annahme wirft jedoch ein Problem auf, denn in den eingangs zitierten Passagen, in denen Kant die mechanische Erklärung der Natur als notwendig für die Naturwissenschaft erachtet, scheint er sich auf die Erklärungen von speziellen empirischen Sachverhalten in der Natur zu beziehen. Auch wenn er bisweilen auf die „allgemeine[n] mechanische[n] Gesetze“ (KU, V 382) der Metaphysischen Anfangsgründe verweist, scheint er sich weniger mit den reinen Bewegungsgesetzen a priori, als vielmehr mit den in der Erfahrung gegebenen, empirisch bestimmten Naturgegenständen wie beispielsweise den Organismen und den anorganischen Naturdingen auseinanderzusetzen. Wenn er von „Beobachtung[en]“ und „Experimenten“ (KU, V 384) zur Erforschung der Natur spricht, so kann nur die Natur gemeint sein, mit der wir uns in der Erfahrung konfrontiert sehen. Eine Erklärung der spezifischen Eigenschaften empirischer Natur scheint jedoch selbst wiederum eine Erklärung durch empirische Gesetze zu verlangen. Insofern die reinen Gesetze der Metaphysischen Anfangsgründe nicht den besonderen Charakter bestimmter, empirisch beobachteter Naturphänomene erklären können, ist es daher wenig überzeugend, dass Kant sich in seiner Forderung nach der mechanischen Erklärung der Natur auf die reinen Gesetze der Mechanik bezieht.
2.2. Naturmechanismus vs. Leben
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In den Metaphysischen Anfangsgründen führt Kant nun eine wichtige Unterscheidung zwischen zwei Teilen der Naturwissenschaft ein: „[S]o ist die Naturwissenschaft durchgängig eine entweder reine oder angewandte Bewegungslehre“ (MAN, IV 477). Die Schlussfolgerung liegt deshalb nahe, dass es sich in den für eine Erkenntnis der Natur geforderten mechanischen Naturerklärungen um eine Anwendung der apriorischen Gesetze der Mechanik handelt. Diese Lesart findet in der Kritik der Urteilskraft Unterstützung durch Kants wechselnde Verwendung der Begriffe „mechanisch“ auf der einen Seite und „physisch“ oder auch „physisch-mechanisch“ auf der anderen Seite. So spricht Kant ohne Unterschied sowohl von den mechanischen Ursachen und Erklärungen als auch von „physischmechanische[n] Ursachen“ (EEKU, XX 236) und „der eigentlich physischen (mechanischen) [...] Erklärungsart“ (KU, V 389). Die „physischmechanischen Erklärungen der Eräugnisse in der körperlichen Welt“ charakterisiert Kant außerdem als Erklärungen, „die ihre Prinzipien zum Teil in der allgemeinen (rationalen) Naturwissenschaft, zum Teil auch in derjenigen antreffen, welche die empirische Bewegungsgesetze enthält“ (EEKU, XX 237). Mechanische Erklärungen beziehen sich hier also sowohl auf die reinen Gesetze a priori als auch auf empirische Gesetze von den Bewegungseigenschaften der Materie. Die physisch-mechanischen – oder auch einfach mechanischen Erklärungen – die für unsere Erkenntnis der empirischen Natur verlangt werden, scheinen somit auf eine angewandte Bewegungslehre zurückzugreifen.8 Eine ähnliche Charakterisierung mechanischer Gesetze findet sich auch schon in früheren Schriften Kants. In der Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels von 1755, dem Einzig möglichen Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes von 1763 und den Träumen eines Geistersehers aus dem Jahre 1766 diskutiert Kant die Möglichkeit der mechanischen Erklärung anorganischer im Gegensatz zu der organischer Natur. In diesen Schriften charakterisiert Kant auf eine explizitere Weise als in der Kritik der Urteilskraft die für eine solche Erklärung erforderlichen Gesetze unter Bezug auf die Eigenschaften der bewegenden Kräfte der Materie.9 _____________ 8
9
Auf diese Gegenüberstellung der reinen Gesetze der Mechanik und der angewandten Gesetze der Physik kommt Kant im Opus Postumum zurück. Vgl. OP, XXI 474. Verschiedene Interpreten haben außerdem dargelegt, dass die empirischen Prinzipien sich nicht nur auf strikt physikalische, sondern auch auf chemische Prozesse beziehen. Vgl. z. B. die Behandlung des Verhältnisses von Physik und Chemie bei Kant in Friedman (1992b, S. 216) und Emundts (2004, S. 12 f.). Allerdings kommt Kant in diesen frühen Schriften zu anderen Ergebnissen bezüglich der mechanischen Erklärbarkeit der Natur als in der Kritik der Urteilskraft. Eine detaillierte Studie der Entwicklung von Kants Argumentation in diesen Schriften findet sich bei Ferrini (2000).
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2. Die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung
In der Allgemeinen Naturgeschichte behauptet Kant beispielsweise, dass die rein mechanische Entwicklung des Universums „keine andere[n] Kräfte als die Anziehungs- und Zurückstoßungskraft“ (NTH, I 234) anwendet, und auch im Beweisgrund beschreibt er die Bewegungskräfte der Materie als „gewisse allgemeine Regeln, nach denen die Wirkungen der Natur geschehen“ (BDG, II 129). Während „die freie Bewegung“ das „ungezweifelte Merkmal des Lebens“ (TG, II 330) darstellt – so Kant in den Träumen – ist [d]ie tote Materie, welche den Weltraum erfüllt, [...] ihrer eigentümlichen Natur nach im Stande der Trägheit und der Beharrlichkeit in einerlei Zustande, sie hat Solidität, Ausdehnung und Figur, und ihre Erscheinungen, die auf allen diesen Gründen beruhen, lassen eine physische Erklärung zu, die zugleich mathematisch ist, und zusammen mechanisch genannt wird (TG, II 329).
Die mechanischen Gesetze erklären diesen Aussagen Kants zufolge also die in der Erfahrung gegebene Natur unter Bezug auf die bewegenden Kräfte der toten Materie. Insofern die mechanischen Gesetze so zur Erklärung der Natur herangezogen werden, steht für sie nicht der Kontrast zur transzendentalen Freiheit als Voraussetzung für die von den Naturgesetzen unbedingten Handlungen im Vordergrund, sondern der Gegensatz zum Lebendigen und Organischen. Es ist allein die „rohe“ (KU, V 419) und „leblose Materie“, die durch den Naturmechanismus „zur Kausalität bestimmt wird“ (KU, V 172). Im Gegensatz zu der auf das Leben ausgerichteten und organisierten Natur ist die „bloß mechanisch wirkende“ (KU, V 370) Natur von einem „blinden“ (KU, V 377) und „gänzlich unabsichtlichen Mechanism“ (KU, V 428) abhängig: „Die Trägheit der Materie ist und bedeutet nichts anders, als ihre Leblosigkeit als Materie an sich selbst“ (MAN, IV 544). Ist dies nun die gesuchte Charakterisierung der mechanischen Erklärungen, die wir Kant zufolge für eine Erkenntnis der Natur benötigen? Eine positive Antwort auf diese Frage gibt Hannah Ginsborg. Ihr zufolge erklären die mechanischen Gesetze im Kantischen Sinne die Natur mit Hilfe der anziehenden und abstoßenden Kräfte der Materie an sich: „[W]e explain something mechanically when we explain its production as a result of the unaided powers of matter as such.”10 Diesem Ansatz zufolge können wir die materielle Natur daher nur soweit erkennen, als es uns möglich ist, sie mit Verweis auf ihre ursprünglichen, bewegenden Kräfte darzustellen. Stimmen wir also Ginsborgs Interpretation zu und verstehen die mechanisch erklärbare Natur bei Kant als das Resultat allein der bewegenden Kräfte der Materie, so liefert dies außerdem eine Antwort auf die Frage, warum eine so charakterisierte mechanische Erklärung Kant zufol_____________ 10 Ginsborg (2004, S. 42).
2.2. Naturmechanismus vs. Leben
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ge der einzig mögliche Weg zur Erkenntnis der empirischen Natur ist. Denn wenn jede Erfahrung der körperlichen Natur die von Kant dargelegten apriorischen Gesetze über die Bewegungskräfte der Materie voraussetzt, so muss auch eine Erklärung besonderer Natur auf diese Gesetze verweisen. Jede Erklärung der von uns erfahrenen Natur muss sich somit auf Gesetze beziehen, die selbst unter die allgemeinen Bewegungsgesetze der Materie fallen. Jede Naturerklärung ist demnach notwendigerweise mechanisch. Schon in den Träumen hatte Kant sich ausdrücklich gegen jegliche andere Art der Erklärung verwehrt: Übrigens ist die Berufung auf immaterielle Prinzipien eine Zuflucht der faulen Philosophie und darum auch die Erklärungsart in diesem Geschmacke nach aller Möglichkeit zu vermeiden, damit diejenigen Gründe der Welterscheinungen, welche auf den Bewegungsgesetzen der bloßen Materie beruhen, und welche auch einzig und allein der Begreiflichkeit fähig sind, in ihrem ganzen Umfange erkannt werden (TG, II 331).
Ginsborgs Ansicht nach folgt hieraus nun aber auch, dass die das Kapitel einleitende Vermutung, mechanische Erklärungen bezögen sich auf kausale Gesetze, falsch liegen müsse. Denn der die Natur beherrschende Mechanismus stelle keine spezielle Form von Kausalität dar, wie wir sie von Kants Kausalitätsgrundsatz kennen. Dies zeige sich Ginsborg zufolge insbesondere darin, dass der Begriff der Kausalität der zweiten Analogie sich mit dem Verhältnis von Ereignissen in der Zeit auseinandersetzt, während die Konzeption des Naturmechanismus auf die Beziehung zwischen Gegenständen im Raum verweist. Die mechanische Erklärung der Natur befasse sich nicht mit den Veränderungen von Zuständen einer Substanz, sondern mit der Frage nach der Existenz von bestimmten Körpern in der Natur. Ginsborg schließt, dass die mechanischen Erklärungen, die wir Kant zufolge für ein Verständnis der materiellen Natur benötigen, nicht auf Kausalgesetze im Sinne der ersten Kritik, sondern vielmehr auf die Eigenschaften und Relationen der ursprünglichen Bewegungskräfte der Materie bezogen seien. Sollten wir dieser Schlussfolgerung Ginsborgs zustimmen, der zufolge die mechanischen Naturerklärungen nichts mit der Naturkausalität zu tun haben, wie wir sie aus der ersten Kritik kennen? Warum aber sollte Kant den Naturmechanismus dann wiederholt als „Kausalverbindung“ (KU, V 406) und die mechanisch bedingte Natur außerdem als Produkt der „wirkenden Ursachen“ (KU, V 417) charakterisieren?
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2. Die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung
2.3. Naturmechanismus vs. Abhängigkeit der Teile vom Ganzen Ginsborg präsentiert ihre Lesart als Alternative zu Peter McLaughlins Interpretation mechanischer Erklärungen bei Kant.11 Beide Autoren stimmen insoweit miteinander überein, als sie einen Unterschied zwischen Kants Kausalitätsbegriff im Sinne des transzendentalen Kausalprinzips und seinem Begriff des Naturmechanismus erkennen. Während es bei der Kausalität um eine Folge in der Zeit geht, behandelt der Mechanismus – so sieht auch McLaughlin – das Verhältnis von Dingen im Raum. Der Unterschied zwischen den beiden Interpretationen liegt jedoch darin, dass McLaughlin im Gegensatz zu Ginsborg den Mechanismus als speziellen Typ der Naturkausalität versteht. Die mechanische Erklärung der Natur ist McLaughlin zufolge eine genauer bestimmte Unterart der übergeordneten Gattung kausaler Erklärung. Die spezifische Differenz zwischen mechanischen und kausalen Naturerklärungen wird McLaughlin zufolge unter anderem in folgender Passage aus der Kritik der Urteilskraft deutlich: Wenn wir nun ein Ganzes der Materie seiner Form nach als ein Produkt der Teile und ihrer Kräfte und Vermögen sich von selbst zu verbinden (andere Materien, die diese einander zuführen, hinzugedacht) betrachten: so stellen wir uns eine mechanische Erzeugungsart desselben vor (KU, V 408).
Die spezifische Bestimmung, die den Mechanismus der Natur von Kausalgesetzen unterscheidet, liegt nach McLaughlin in einem besonderen Verhältnis von Teilen und Ganzem begründet. Dem Naturmechanismus zufolge bedingen die Teile eines Dinges das Ganze, während die Eigenschaften der Teile nicht wiederum von denen des Ganzen bedingt sein können. Ein Naturding ist bei Kant somit „nur als Wirkung der konkurrierenden bewegenden Kräfte der Teile anzusehen“ (KU, V 407). Nach McLaughlins Lesart heißt eine mechanische Erklärung „also bei Kant die Reduktion eines Ganzen auf die Eigenschaften (Vermögen und Kräfte), die die Teile ‚von selbst’ haben, also unabhängig von dem Ganzen.“12 McLaughlin stellt fest, dass diese spezielle Interpretation kausaler Beziehungen in der Natur als mechanische Beziehungen von einem Ganzem und seinen Teilen nicht selbst im Begriff der Kausalität enthalten ist. Insofern das Kausalprinzip das Bedingtheitsverhältnis von Zuständen in der Zeit ordnet, besagt es nichts über die kausale Priorität von Teilen und Ganzem aus. Allein unter Voraussetzung des Kausalitätsgrundsatzes wäre es deshalb kein Widerspruch zu sagen, dass die Teile vom Ganzen _____________ 11 McLaughlin (1989). 12 Ebd., S. 139.
2.3. Naturmechanismus vs. Abhängigkeit der Teile vom Ganzen
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es deshalb kein Widerspruch zu sagen, dass die Teile vom Ganzen abhingen. Gerade dieses Abhängigkeitsverhältnis ist McLaughlin zufolge jedoch durch den Naturmechanismus ausgeschlossen. In diesem Sinne erklärt Kant in der ersten Einleitung der Kritik der Urteilskraft: Es ist nun ganz wider die Natur physisch-mechanischer Ursachen [...], dass das Ganze die Ursache der Möglichkeit der Kausalität der Teile sei, vielmehr [müssen] diese vorher gegeben werden [...], um die Möglichkeit eines Ganzen daraus zu begreifen (EEKU, XX 236).
Wenn der Mechanismus der Natur nun aber nicht notwendigerweise aus der kausalen Bedingtheit der Natur folgt, was veranlasst uns dann dazu, kausale Beziehungen in der Natur als mechanisch anzusehen? Und was macht die mechanischen Erklärungen darüber hinaus notwendig für die Erkenntnis der Natur? McLaughlin ist der Ansicht, dass die Notwendigkeit mechanischer Naturerklärung einzig aus der eigentümlichen Verfasstheit des menschlichen Verstandes zu erklären sei. Er verweist dabei auf zwei Aspekte, die Kant als spezifische Eigenschaften unseres Verstandesvermögens anführt. Zunächst ist unser Verstand dadurch charakterisiert, „dass er in seinem Erkenntnisse, z. B. der Ursache eines Produkts, vom Analytisch-Allgemeinen (von Begriffen) zum Besonderen (der gegebenen empirischen Anschauung) gehen muss“ (KU, V 407). Um zur Erkenntnis von etwas zu gelangen, subsumiert unser Verstand die in der Sinnlichkeit gegebenen Anschauungen unter einen Begriff. Diese Eigenschaft des Verstandes hatte Kant schon in der Kritik der reinen Vernunft dargelegt: Erst die Ordnung der speziellen gegebenen Anschauungen in der Sinnlichkeit durch die allgemeinen Begriffe des Verstandes ermöglicht Erfahrung und Erkenntnis der Natur. Der Begriff ist dabei immer allgemeiner als die unter ihn subsumierte, besondere Anschauung. Als das Allgemeine fasst er viele spezifische Anschauungen unter sich. Hieraus folgt, „dass im Erkenntnis durch denselben [den Verstand] durch das Allgemeine das Besondere nicht bestimmt wird, und dieses also von jenem allein nicht abgeleitet werden kann“ (KU, V 406). Die besondere Erfahrung muss immer weiter durch weniger allgemeine, empirische Begriffe und Gesetze bestimmt werden und erst mit Hilfe dieser spezifischeren, empirischen Begriffe und Gesetze ist eine Erklärung der in der Erfahrung gegebenen Natur möglich. Soweit sind wir mit der Eigenschaft des menschlichen Verstandes bereits vertraut. Die Art und Weise, in der die Erkenntnis der Natur von der Subsumtion gegebener Anschauungen unter empirische Begriffe abhängig ist, hatte schon im ersten Kapitel die Notwendigkeit empirischer Kausalgesetze für unsere Erkenntnis der Natur erläutert. McLaughlin ist allerdings der Auffassung, dass der menschliche Verstand bei Kant durch eine weitere Eigentümlichkeit ausgezeichnet ist. So liegt es McLaughlin zufolge
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2. Die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung
an der spezifischen Beschaffenheit unseres Verstandesvermögens, dass wir das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem mit der Beziehung zwischen Teilen und Ganzem gleichsetzen. Die Eigenschaften der Teile werden somit als das Allgemeine betrachtet, die Eigenschaften des Ganzen dagegen als das durch die Kombination der Teile bestimmte Besondere. Und genauso wie das Allgemeine das Besondere nicht eindeutig bestimmen kann, lassen auch die Eigenschaften der Teile die Beschaffenheit des Ganzen unterbestimmt, insofern verschiedene Kombinationen der Teile zu einem Ganzen möglich sind. Zur Erklärung der bestimmten in der Erfahrung gegebenen Naturdinge müssen deshalb spezifische, empirische Gesetze gefunden werden, die den Charakter des Ganzen mit Hilfe der Eigenschaften seiner Teile erklären. McLaughlin zufolge liegt der Grund für die Notwendigkeit mechanischer Naturerklärungen bei Kant also in der reduktionistisch verfassten Beschaffenheit des menschlichen Verstandes. Die Notwendigkeit mechanischer Erklärung der Natur folgt aus dem Fehlen einer Alternative: Nach McLaughlins Interpretation können wir einfach nicht anders, als die kausalen Beziehungen in der Natur mechanistisch zu interpretieren; wir müssen ein Ganzes in der Natur als durch seine Teile bedingt betrachten. Aber inwiefern können wir nicht anders? Warum ist keine andere Interpretation der kausalen Bedingtheit der Natur möglich? Zwar ist es richtig, dass Kant die von McLaughlin beschriebene Gleichsetzung zwischen dem Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem mit der Beziehung zwischen Teil und Ganzem tatsächlich vollzieht: So sagt Kant, dass unser Verstand „von den Teilen als allgemeingedachten Gründen zu verschiedenen darunter zu subsumierenden möglichen Formen als Folgen fortgehen muss“ (KU, V 407).13 Die Beziehung zwischen allgemeinen Gründen und den verschiedenen möglichen und besonderen Folgen wird hier mit dem Verhältnis zwischen den Teilen eines Ganzen und seiner Form als Ganzes identifiziert. Und trotzdem stellt sich die Frage, was uns dazu veranlasst, die beiden Relationstypen gleichzusetzen. Nach McLaughlins Ansicht gibt es in Kants Auseinandersetzung mit dem Naturmechanismus keine weitere Begründung für die mechanische Betrachtung der Natur durch unseren Verstand. Die Notwendigkeit, die Natur mechanisch zu erklären, sei eine rein subjektive Notwendigkeit, die unser Verstandesvermögen auszeichne, ohne jedoch eine Aussage über die Beschaffenheit der mechanisch beurteilten Natur selbst zu treffen. Entsprechend beurteilt McLaughlin die mechanische Erklärung als rein regu_____________ 13 Rang (1993, S. 64 f.) wirft Kant deshalb vor, das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem mit dem von Teil und Ganzem zu verwechseln. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, halte ich diesen Vorwurf für unbegründet.
2.4. Mechanische Erklärungen: Ein Interpretationsvorschlag
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lativ; konstitutive Erkenntnis könne nur die Kausalität im Allgemeinen liefern. Zwar weist McLaughlin in einem späteren Artikel selbst darauf hin, wie unbefriedigend diese reine Feststellung der Eigentümlichkeit unseres Verstandes durch Kant ist; sein Versuch, dieser Behauptung eine Begründung zu geben, bleibt jedoch äußerst spekulativ. 14 So argumentiert er, dass Kant sich in der Charakterisierung des menschlichen Verstandes an der tatsächlichen Methode mechanischer Wissenschaft seiner Zeit orientiert habe sowie an deren Ideal, die Natur in ihre Bestandteile zu zerlegen und durch die Untersuchung ihrer Teile zu erklären. Meines Erachtens ist es jedoch wenig einleuchtend, wie die Arbeitsweise der Wissenschaftler die Beschaffenheit unseres Verstandesvermögens erläutern soll. Da Kant mit der Notwendigkeit einer Bedingung der Erkenntnis normalerweise eine a priori einsehbare Voraussetzung meint, bleibt unklar, warum Kant sich in diesem Zusammenhang an der empirisch feststellbaren, wissenschaftlichen Methode seiner Zeit orientiert haben soll, um die Notwendigkeit mechanischer Naturerklärung zu erhellen. Obwohl McLaughlin im Gegensatz zu Ginsborg die Ansicht vertritt, dass die mechanische Erklärung der Natur als eine Unterart der allgemeineren Gattung der Kausalerklärungen zu verstehen ist, lässt also auch seine Lesart wichtige Fragen offen. Der Ansatz lässt unbeantwortet, warum die kausale Bedingtheit der Natur von uns mechanistisch interpretiert werden muss, warum es für uns also notwendig ist, die Natur mechanisch zu erklären. Hatte Ginsborg also doch Recht mit ihrer Behauptung, dass der Mechanismus der Natur nicht mit der Naturkausalität verwechselt werden darf? Und wie würde sich dies wiederum mit Kants erster, in Abschnitt 2.1 behandelter Charakterisierung des Mechanismus als Bedingtheit der Natur durch kausale Gesetze vertragen? Welche Schlussfolgerung haben wir aus den untersuchten Ansätzen zu ziehen?
2.4. Mechanische Erklärungen: Ein Interpretationsvorschlag Drei alternative Interpretationen des Mechanismusbegriffs in Kants Philosophie sind nun vorgestellt worden. Nach dem ersten Ansatz, welcher den Begriff des Mechanismus mit dem der Freiheit kontrastiert, verweisen die mechanischen Erklärungen in Kants Philosophie auf empirische Kausalgesetze. Mechanische Gesetze sind nach dieser Lesart identisch mit den empirischen Gesetzen der Kausalität. Einer zweiten, expliziter an der Möglichkeit der Naturerklärung orientierten Untersuchung zufolge bezieht sich die mechanische Naturerklärung bei Kant dagegen auf „ange_____________ 14 McLaughlin (2003, S. 215 f.).
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2. Die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung
wandte Bewegungsgesetze.“ Nach dieser Lesart, die den Mechanismus der lebendigen Natur gegenüberstellt, muss die von uns erfahrbare materielle Natur mechanisch erklärt werden, weil alle körperliche Natur durch allgemeine Gesetze der bewegenden Kräfte der Materie bestimmt ist. Dieser zweite Mechanismusbegriff ist ausdrücklich von Kants Kausalitätsverständnis unterschieden worden. Ein dritter Ansatz stellt den Mechanismus als spezielle Unterart der Kausalrelation dar, die das Verhältnis von allgemeinen Begriffen und speziellen Anschauungen mit den Eigenschaften der Teile und dem Charakter des Ganzen identifiziert. Ein mechanisches Verhältnis von Teilen und Ganzem wird hier kontrastiert mit der Abhängigkeit der Teile vom Ganzen. Keiner dieser drei Ansätze war jedoch ohne Schwierigkeiten. Während die erste Lesart Kants spezifischere Charakterisierung des Naturmechanismus unbeachtet ließ, welche diesen von der Naturkausalität unterscheidet, konnte durch die zweite Interpretation zwar Kants spezielleres Mechanismusverständnis herausgearbeitet werden, gerade das Verhältnis zwischen Mechanismus und kausaler Bedingtheit der Natur blieb dabei jedoch ungeklärt. Dagegen konnte der dritte Ansatz, der das Verhältnis von Teilen und Ganzem zwar als spezifische Interpretation der Naturkausalität einführte, trotzdem nicht erklären, warum diese Interpretation notwendig für die Erkenntnis der Natur sein sollte. Welcher Schluss ist nun aus der Betrachtung dieser drei Ansätze für die Beantwortung der Frage nach dem Begriff mechanischer Naturerklärung bei Kant zu ziehen? Meines Erachtens lässt sich zeigen, dass die Ansätze keine konkurrierenden Auslegungen des Kantischen Mechanismusbegriffs darstellen, sondern als drei verschiedene, einander ergänzende Aspekte dieses Begriffs miteinander vereinbart werden können. Im Folgenden soll daher genauer beleuchtet werden, wie sich die verschiedenen Lesarten als Momente eines kohärenten Mechanismusbegriffs zusammenfügen lassen. Kehren wir zunächst zum zweiten Interpretationsvorschlag zurück. Ginsborgs These, mechanische Erklärungen der empirischen Natur verwiesen Kants Ansicht nach auf die bewegenden Kräfte der Materie, wird durch eine Vielzahl textlicher Belege bestätigt. Ginsborg scheint Recht zu behalten, wenn sie behauptet, dass die mechanischen Erklärungen der materiellen Natur sich bei Kant auf die Anziehungs- und Abstoßungskräfte der Materie beziehen. Was ist nun aber von ihrer weiteren These zu halten, der zufolge der Naturmechanismus nicht im Sinne des Kausalbegriffs der Kritik der reinen Vernunft verstanden werden dürfe? Als Beleg für die Behauptung, in den mechanischen Erklärungen ginge es um die bewegenden Kräfte der Materie, nicht aber um kausale Verhältnisse, führt Ginsborg Passagen aus Kants frühen Schriften und aus der Kritik der Urteilskraft an. Kants Beschreibung der mechanischen Planetenbildung in der
2.4. Mechanische Erklärungen: Ein Interpretationsvorschlag
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Allgemeinen Naturgeschichte charakterisiert Ginsborg beispielsweise folgendermaßen: [T]he attractive force causes clumps of matter to form, producing stars and planets; at the same time, the repulsive force generates lateral motions in the matter, which, combined with those motions generated by the attractive forces, cause these bodies to rotate around one another. In this way both the existence of the celestial bodies themselves, and their motions, can be accounted for in terms solely of the fundamental forces of matter (Hervorhebung von A. B.).15
Ginsborg erklärt außerdem, Kant setze in der Kritik der Urteilskraft die (Kants Ansicht nach verfehlte) Annahme, dass eine Made „als Produkt des bloßen Mechanismus der Materie“ anzusehen sei, mit der Beurteilung dieser Made als ein Produkt „der neuen Bildung [gleich], die sie für sich selbst bewerkstelligt, wenn ihre Elemente durch Fäulnis in Freiheit gesetzt werden“ (KU, V 411; Hervorhebung von A. B.). Eine Betrachtung dieser Beispiele macht jedoch deutlich, dass die zitierte Passage aus der dritten Kritik sowie Ginsborgs eigene Beschreibung von Kants Argumentation in der Allgemeinen Naturgeschichte gerade den kausalen Charakter mechanischer Erklärungen betonen. Die mechanische Erklärung der Himmelskörper sowie die versuchte mechanische Erklärung einer Made verweisen auf temporale Vorgänge, in denen die Kräfte der Natur die Bildung von komplexen Körpern verursachen. Dies deutet nun aber darauf hin, dass es in der Erklärung eines Naturgegenstandes nicht – wie Ginsborg betont – lediglich auf die Erklärung der Existenz eines Naturdinges ankommt, sondern dass es auch um die Art und Weise geht, in der sich der betrachtete Gegenstand entwickelt und in der seine Entstehung „bewerkstelligt“ (ebd.) wird. Genauso wie Kant das Kausalprinzip in der Kritik der reinen Vernunft als „Grundsatz der Erzeugung“ (KrV, A189) bezeichnet, so geht es ihm auch im Zusammenhang des Naturmechanismus um die Erklärung der Erzeugung von Körpern in der Natur. „Hat wohl jemals einer das Vermögen des Hefens seines gleichen zu erzeugen mechanisch begreiflich gemacht?“ (BDG, II 115; Hervorhebung von A. B.) fragt Kant im Beweisgrund auf rhetorische Art, denn mechanische Erzeugung und somit Verursachung von Organismen hält Kant schon hier für unerklärlich. Diese Textstellen scheinen also zu belegen, dass es Kant in den mechanischen Erklärungen der uns umgebenden Natur nicht ganz allgemein um „die fundamentalen Kräfte der Materie an sich“ geht, sondern im Speziellen um die externen Kausalbeziehungen, die durch die Relationen der Kräfte verschiedener Materieteile zueinander die Veränderungen innerhalb der materiellen Natur bestimmen.16 _____________ 15 Ginsborg (2004, S. 41). 16 Ebd., S.43.
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2. Die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung
Die Tatsache, dass Kant im Bezug auf mechanische Naturerklärung von dem Verhältnis materieller Gegenstände spricht, in seiner Diskussion des Kausalprinzips in der Kritik der reinen Vernunft dagegen von dem Verhältnis sich verändernder Zustände in der Zeit, sollte uns deshalb nicht zu der Schlussfolgerung verleiten, Kant ginge es im ersteren Falle nicht um kausale Verhältnisse. Vielmehr kann die von Ginsborg vorgeschlagene Lesart mechanischer Erklärungen mit der ersten Interpretation vereinbart werden, wenn deren Bedeutung auf den Bereich der materiellen Natur eingeschränkt wird. Denn insofern Kant sich in seinen Ausführungen zum Mechanismus mit der Natur als Objekt des äußeren Sinnes, das heißt der materiellen, in der Erfahrung gegebenen Natur beschäftigt, scheint es ihm auch um empirische Kausalbeziehungen zu gehen, also um kausale Vorgänge in der körperlichen Welt. Kants mechanische Naturerklärungen beziehen sich demnach auf kausale Veränderungen in der materiellen Natur, die als das Objekt des äußeren Sinnes verstanden wird, das nicht allein im Raum, sondern immer auch in der Zeit gegeben ist. Was bedeutet dies nun für die von McLaughlin vorgetragene dritte Interpretation? Wie verhält sich die gerade behandelte Charakterisierung mechanischer Erklärungen, in denen es um die bewegenden Kräfte der Materie und ihre wechselseitigen Einwirkungen geht, zu McLaughlins Lesart, der zufolge eine mechanische Erklärung der Natur sich mit der Beziehung von Teilen und Ganzem auseinandersetzt? McLaughlins Ansatz scheint insofern korrekt, als Kant in einigen Passagen der Kritik der Urteilskraft tatsächlich den Mechanismus als das Abhängigkeitsverhältnis zwischen den materiellen Teilen und dem aus ihnen zusammengesetzten Ganzen versteht. Dennoch ist es nicht wirklich überzeugend, wenn McLaughlin den von ihm als mechanistisch-reduktionistisch beschriebenen Charakter unseres Verstandesvermögens, der eine mechanische Erklärung der Natur erfordert, lediglich als unerklärliche und subjektive Eigenschaft unserer menschlichen Natur darstellt. Vielmehr muss es einen Grund geben, der Kant dazu veranlasst hat, die mechanische Erklärung der von uns erfahrbaren kausal bestimmten Natur als notwendig zu postulieren. Dieser Grund liegt meines Erachtens darin, dass Kausalbeziehungen in der materiellen Natur Kants Ansicht nach als externe Kausalverhältnisse interpretiert werden müssen. Wie bereits dargelegt, argumentiert Kant in den Metaphysischen Anfangsgründen, dass das Kausalprinzip in seiner Anwendung auf den Begriff der Materie als der Grundsatz zu verstehen ist, nach dem alle Veränderungen in der materiellen Natur externe Ursachen haben. Diese externen Ursachen sind im Sinne der beiden Fundamentalkräfte der Materie, ihrer Anziehungs- und Abstoßungskräfte, zu verstehen. Die Veränderungen in der Materie beziehen sich daher auf den externen Einfluss der Kräfte eines
2.4. Mechanische Erklärungen: Ein Interpretationsvorschlag
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Teils der Materie auf die eines anderen Teils. Eine so verstandene Veränderung der körperlichen Natur kann nun auf zweierlei Weise erklärt werden. Einerseits kann von einer Einwirkung der Kräfte eines materiellen Dinges auf die eines anderen ausgegangen werden. So hat die Bewegung einer ersten Billardkugel, die eine zweite trifft, als Ursache für die Veränderung der Bewegung der zweiten Kugel zu gelten. Andererseits kann in einer mechanischen Erklärung aber auch auf die wechselseitigen Einwirkungen der Kräfte einfacherer Teile eines komplexeren, materiellen Ganzen verwiesen werden. So können die Teile eines als Einheit betrachteten Naturgegenstandes, wie beispielsweise eines Kristalls, durch externe Krafteinwirkung aufeinander ihre Bewegungen und Positionen im Raum beeinflussen. In beiden Fällen geht es um externe Kausalität, um die Veränderung der Materie durch die äußere Einwirkung bewegender Kräfte. Im Opus Postumum unterscheidet Kant diese beiden Arten der Beziehung der bewegenden Kräfte als äußeren und inneren Einfluss eines Teils der Materie auf einen anderen: Die bewegenden Kräfte der Materie sind hinsichtlich ihrer Relation „[n]ach Gesetzen des äußeren Einflusses der Körper auf einander oder des inneren der Körperbildenden Materie auf einander“ (OP, XXI 182) zu beurteilen. Während es im Falle des äußeren Einflusses um die Einwirkung der Kräfte von äußerlich zueinander stehenden Naturgegenständen oder Körpern geht, besteht die Beziehung im zweiten Falle in der wechselseitigen Einwirkung der bewegenden Kräfte der einfacheren Teile eines einzelnen Körpers aufeinander. Beide voneinander unterschiedenen Relationstypen beziehen sich dabei auf die Betrachtung externer Krafteinwirkungen, denn auch im Falle des „inneren“ Einflusses geht es um die wechselseitige Wirkung verschiedener Materieteile, wobei diese Materieteile zwar Teile desselben Ganzen sind, trotzdem aber zueinander in einem äußerlichen Verhältnis stehen. Hieran wird meines Erachtens deutlich, warum Kant das Verhältnis der Teile zum Ganzen in der Kritik der Urteilskraft als zentral für die mechanische Erklärung der Natur erachtet. Denn im Kontext der dritten Kritik geht es Kant weniger um die mechanische Erklärung des Verhältnisses zwischen verschiedenen Körpern, sondern vielmehr um die Erklärung der Bildung und Entwicklung von Körpern sowie der Vorgänge und Prozesse, die sich innerhalb dieser Körper abspielen. Für die Erklärung der Beziehung zwischen verschiedenen einander äußerlichen Körpern stünde das Verhältnis von Teilen und Ganzem nicht zur Debatte. Denn in der Beziehung der bewegenden Kräfte von äußerlichen Körpern aufeinander gibt es kein Ganzes, das die verschiedenen Körper als Teile verbinden könnte. Hinsichtlich der Frage, wie verschiedene Materieteile sich zu einem Ganzen fügen und in diesem Ganzen aufeinander einwirken, stehen die Dinge dagegen anders. Denn hier ist das Ganze, dessen Teile aufein-
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2. Die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung
ander „Einfluss“ ausüben, gegeben, und das Verhältnis der Teile zum Ganzen kann nur als Abhängigkeit des Ganzen von den Teilen, nicht aber als Abhängigkeit der Teile vom Ganzen verstanden werden. In diesem Sinne spricht Kant im Bezug auf den „inneren“ Einfluss der bewegenden Kräfte der Materie auch von einer Körper bildenden Materie und beschreibt die Kräfte der Materie auch in der Kritik der Urteilskraft als eine „ihr allgemein beiwohnende [...] bloß mechanische [...] Bildungskraft“ (KU, V 424). Kants Mechanismusbegriff, der zur Erklärung der Natur herangezogen werden muss, kann folglich mit Blick auf alle drei betrachteten Aspekte – die empirischen Kausalbeziehungen, die bewegenden Kräfte der Materie und die Beziehung zwischen Teilen und Ganzem – verstanden werden. Die mechanischen Naturerklärungen beziehen sich auf Gesetze, die nicht identisch mit den Kausalgesetzen im Allgemeinen sind, sondern eine spezielle Unterart dieser Gesetze darstellen. Diese speziellere Form kausal-mechanischer Gesetze verweist auf die externen Kausalbeziehungen, die zwischen den bewegenden Kräften der Materieteile bestehen. In einer mechanischen Erklärung kann so die Entstehung und Veränderung eines Körpers im Bezug auf die Eigenschaften und die Interaktion seiner Teile verstanden werden. Aus diesem Grund muss die Veränderung in der Materie „als ein Produkt der Teile und ihrer Kräfte und Vermögen sich von selbst zu verbinden (andere Materien, die diese einander zuführen, hinzugedacht)“ (KU, V 408) betrachtet werden. Und auch die von Ginsborg angeführten Beispiele der Erklärung von Himmelskörpern auf der einen und von Organismen auf der anderen Seite sind in diesem Sinne zu verstehen: Der Versuch, sie mechanisch zu erklären, bezieht sich auf die Vorgänge, in denen verschiedene Materieteile durch ihre bewegenden Kräfte aufeinander einwirken und sich dadurch zu einem komplexen Ganzen verbinden. Isoliert betrachtet stellen die drei untersuchten Interpretationen jeweils eine unvollständige Charakterisierung der mechanischen Naturerklärung dar. Zusammen genommen sind sie dagegen drei wichtige Aspekte des Kantischen Mechanismusbegriffs.
2.5. Die Grenzen mechanischer Naturerklärung Der hier vertretenen Lesart zufolge stellt die mechanistische Interpretation der Kausalität im Bezug auf die körperliche Natur keine – wie McLaughlin behauptet – lediglich subjektive Notwendigkeit dar, die allein auf der eigentümlichen Beschaffenheit unseres Verstandes beruht, sondern ist objektiv notwendig. Was genau bedeutet dies nun für Kants Verständnis mechanischer Naturerklärung? Impliziert dieses Verständnis nun doch die deterministische Konsequenz, dass alle Natur notwendigerweise
2.5. Die Grenzen mechanischer Naturerklärung
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durch empirisch belegbare, mechanische Gesetze bestimmt ist? Gegen eine positive Antwort spricht die Tatsache, dass bei genauerer Betrachtung wichtige Grenzen der mechanischen Naturerklärung deutlich werden, die sich analog zu den im vorigen Kapitel ausgearbeiteten Einschränkungen der kausalen Bestimmtheit der Natur verhalten. Insofern die mechanischen Erklärungen einen Typ kausaler Erklärungen darstellen, können – wie im Falle der Naturkausalität – daher auch im Bezug auf den Naturmechanismus drei Betrachtungsebenen voneinander unterschieden werden. Erstens wissen wir Kants Metaphysischen Anfangsgründen zufolge a priori, dass alle Veränderungen in der körperlichen Natur externe Ursachen haben. Insofern wir etwas in der materiellen Natur überhaupt erklären können, muss es also mit Verweis auf seine externen Ursachen erklärt werden. Trotzdem können wir keine apriorische Erkenntnis über die speziellen Gesetze haben, welche die empirische Natur näher bestimmen. Wie die kausalen Naturgesetze im Allgemeinen beschreiben auch die mechanischen Gesetze im Besonderen bestimmte Regelmäßigkeiten in der Natur. Und genau wie das transzendentale Kausalprinzip keine Aussage über die speziellen empirischen Kausalgesetze trifft, so können auch von den reinen Gesetzen der Mechanik keine Schlussfolgerungen über die empirischen Regelmäßigkeiten mechanischer Kausalverhältnisse gezogen werden. Rein a priori ist es daher unmöglich, herauszufinden, auf welche Weise die bewegenden Kräfte der Materie mit den speziellen Veränderungen der besonderen Naturgegenstände zusammenhängen. Unabhängig von der Naturerfahrung können wir weder wissen, was die speziellen mechanischen Gesetze sind, die einer bestimmten Erfahrung zu Grunde liegen, noch ob das in der Erfahrung Gegebene überhaupt unter ein allgemeines, auch für andere Fälle gültiges Gesetz gebracht werden kann. Allein die Beobachtung der Natur und das Durchführen von Experimenten können uns also Aufschluss über die empirischen mechanischen Gesetze geben und eine Erklärung der Natur ermöglichen. Dabei spielt zweitens wiederum die regulative Annahme der Urteilskraft, das Prinzip der für unsere Erkenntnis zweckmäßig nach Gesetzen geordneten Natur, eine wichtige Rolle. Demnach nehmen wir es als Maxime an, dass die Natur so nach notwendigen Gesetzen geordnet ist, dass sie von uns erkannt werden kann. Nur indem wir dieser Annahme zufolge von der systematischen Einheit der Natur ausgehen, können wir bestimmte Eigenschaften der Natur überhaupt als Regelmäßigkeiten und damit als empirischen Beweis für bestimmte mechanische Gesetze anerkennen. Die so aufgestellten mechanischen Naturgesetze erreichen dabei drittens den Status empirischer Erkenntnis, die den gleichen Einschränkungen unterliegt wie die empirische Kausalerkenntnis. Während wir zwar a priori wissen, dass es irgendeine externe Ursache für die Veränderungen der
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2. Die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung
Materie gibt, insbesondere für die Bildung von Körpern und die Veränderungen, die sich in ihnen abspielen, können wir uns niemals absolut sicher sein, tatsächlich die richtige externe Ursache für diese Vorgänge in der materiellen Natur gefunden zu haben. Die Möglichkeit, dass die mutmaßlichen Gesetze falsifiziert und durch vor dem Hintergrund weiterer Erfahrungen plausibler erscheinende Gesetze ausgetauscht werden, kann Kant zufolge niemals ausgeschlossen werden. In den Metaphysischen Anfangsgründen schreibt er deshalb: Wenn aber diese Gründe oder Prinzipien in ihr [der Wissenschaft], wie z. B. in der Chemie, doch zuletzt bloß empirisch sind, und die Gesetze, aus denen die gegebene Facta durch die Vernunft erklärt werden, bloß Erfahrungsgesetze sind, so führen sie kein Bewusstsein ihrer Notwendigkeit bei sich (sind nicht apodiktischgewiss) (MAN, IV 468).
McLaughlin behält meines Erachtens also Recht, wenn er die Identität zwischen Kausalität und Mechanismus leugnet, und doch liegt er falsch, wenn er die Differenz zwischen Kausalität und Mechanismus als die zwischen konstitutiver und regulativer Voraussetzung unserer Naturerkenntnis charakterisiert. Die Untersuchungen machen vielmehr deutlich, dass es sowohl im Kontext der Kausalität als auch in dem des Mechanismus einen konstitutiven und einen regulativen Aspekt gibt. Während der konstitutive Aspekt einerseits in den transzendentalen Verstandesgrundsätzen der Relation und andererseits in den reinen Gesetzen der Mechanik besteht, kommen dagegen sowohl dem Prinzip, alle Natur sei durch empirische Kausalgesetze bestimmt, wie auch der Maxime, alle Natur sei mechanisch erklärbar, ein bloß regulativer Status zu. Naturkausalität und Naturmechanismus unterscheiden sich darin, dass erstere die Natur überhaupt betrifft, letzterer dagegen im spezielleren Bereich der materiellen Natur seine Anwendung findet. Welche Konsequenzen folgen hieraus nun für Kants Behauptung, die Natur könne nur mechanisch erklärt werden? Verbirgt sich hinter dieser Auffassung nicht doch ein mechanischer Determinismus? Ganz im Gegenteil zeigt die vorliegende Untersuchung zwar, dass die mechanistische Interpretation der Naturkausalität im Bezug auf die körperliche Natur objektiv gefordert und in dieser Hinsicht auch Kants Aussage zu verstehen ist, die Natur könne nur mit Hilfe kausal-mechanischer Erklärungen erkannt werden. Die Behauptung, dass die gesamte Natur empirisch belegbaren mechanischen Gesetzen unterstehe und somit durch einen strikten Mechanismus bestimmt sei, ist dagegen eine Annahme, die nur durch das regulative Prinzip der Urteilskraft gestützt ist, nach dem die Natur eine für unser Erkenntnisvermögen zweckmäßige, systematische Einheit ausmacht. Dass die Gesamtheit der Natur mechanischen Gesetzen unterliegt, kann durch keine Erfahrung jemals belegt werden und wird von uns ledig-
2.5. Die Grenzen mechanischer Naturerklärung
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lich als ein regulatives Prinzip vorausgesetzt. Die Auffassung, die gesamte Natur sei mechanisch erklärbar und die körperliche Natur durch einen „allgemeinwaltende[n] Mechanism“ (KU, V 428) bestimmt, ist aufgrund der spezifischen Verfasstheit unserer Vernunftvermögen lediglich subjektiv gerechtfertigt. Dies zeigt nun aber, dass das, was auf den ersten Blick wie ein grundlegender mechanischer Determinismus der Natur aussehen mochte, sich bei genauerer Betrachtung als eine nur sehr eingeschränkt mechanistische Sicht auf die Natur entpuppt. Nichts in Kants Philosophie bestätigt uns somit, dass unsere Hoffnung, die gesamte Natur als ein durch notwendige mechanische Gesetze determiniertes System zu begreifen, sich auf einer Eigenschaft der Natur selbst begründet. Vielmehr beruht diese Annahme auf der spezifischen Beschaffenheit unserer intellektuellen Vermögen. Und trotzdem müssen wir auf Grund unserer eigenen menschlichen Verfasstheit nach solchen mechanischen Naturerklärungen suchen. Denn abgesehen von ihrem unsicheren Status bieten die empirischen mechanischen Gesetze die einzige Möglichkeit, Erkenntnis über die Eigenschaften der körperlichen Natur zu erlangen. Kant spricht der durch diese Gesetze erreichten Einsicht daher auch nicht den Status der Erkenntnis ab, sondern charakterisiert sie vielmehr als eine „angewandte Vernunfterkenntnis“ (MAN, IV 468).
3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen Das letzte Kapitel hat gezeigt, dass die Möglichkeit der mechanischen Naturerklärung bei Kant eingeschränkter ist, als es manche seiner Äußerungen vermuten lassen. Die Vorstellung der Natur als eine durchgängig nach notwendigen mechanischen Gesetzen bestimmte und nach diesen Gesetzen erklärbare Einheit hat sich als eine nur subjektiv gültige Annahme herausgestellt und damit als ein lediglich anzustrebendes Ideal. Unbeachtet blieb bis jetzt jedoch eine Einschränkung des mechanischen Naturverständnisses, welche weniger den Status der mechanischen Erklärungen betrifft als vielmehr deren Geltungsbereich. Denn insofern mechanische Gesetze sich auf die bewegenden Kräfte der toten Materie beziehen, stellt sich die Frage nach der Erklärbarkeit des gesamten Bereichs der lebendigen Natur, der durch diese Betrachtung ausgeschlossen zu sein scheint. Worin aber besteht die Besonderheit der Erfahrung von lebendiger im Gegensatz zur Kenntnis anorganischer Natur? Was unterscheidet zum Beispiel unser Verständnis eines Knospen treibenden Baumes oder eines Vogels, der in ihm nistet, von dem einer Gesteinsgruppierung? Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, zu untersuchen, was es mit unserer Erfahrung von Lebendigem in der Natur auf sich hat. Zu diesem Zweck wird in Abschnitt 3.1 zunächst erörtert, inwiefern unsere Erfahrung von Organismen durch das bisher geprüfte, mechanische Naturverständnis unberücksichtigt bleibt. Hierzu werden insbesondere Kants Überlegungen zur Besonderheit unserer Erfahrung von Organismen in der Kritik der teleologischen Urteilskraft beleuchtet.1 Abschnitt 3.2 wendet sich dann der Folgerung zu, die Kant aus der Unmöglichkeit mechanischer Erklärung von Organismen zieht: seiner These, dass unsere Betrachtung von Organismen auf einer Analogie beruht. Insofern die lebendige Natur sich nicht mit Hilfe mechanischer Gesetze erklären lässt, erfordert sie nach Kant eine analogische Beurteilung mit „unserer Kausalität nach Zwecken“ (KU, V 375). Eine genauere Untersuchung der Kanti_____________ 1
Kant selbst spricht in der Kritik der Urteilskraft nicht von „Organismen,“ sondern von „organisierten Wesen.“ Da eindeutig ist, dass er mit Letzteren das meint, was wir heute als Organismen bezeichnen, werde ich mich im Folgenden an diesen Ausdruck halten.
3.1. Die Unmöglichkeit der mechanischen Erklärung von Organismen
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schen Betrachtung unserer Erfahrung von Organismen wird jedoch gleichermaßen darlegen, dass es keinesfalls offensichtlich ist, was mit dieser Analogie genau gemeint ist. Nach einer Analyse des Kantischen Analogiebegriffs in Abschnitt 3.3 werde ich in den letzten beiden Teilen des Kapitels daher auf einige Probleme in der Interpretation der Kantischen Organismus-Analogie hinweisen, die in der Literatur bisher noch keine gebührende Beachtung gefunden haben. So wird sich zeigen, dass Kant genau die Analogie zurückweist, die ihm viele Kommentatoren zuschreiben: die Analogie zwischen Organismen und Kunstprodukten oder auch zwischen dem Ursprung von Organismen und einem zweckgerichtet handelnden Künstler. Worin aber besteht Kants Analogie in der Kritik der teleologischen Urteilskraft, wenn er trotzdem von „einer entfernten Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken“ (KU, V 375) spricht? Im vorliegenden Kapitel wird nur eine vorläufige Antwort auf diese Frage entwickelt. Vielmehr sollen zunächst die Schwierigkeiten der gängigen Deutung der Organismus-Analogie Kants herausgearbeitet werden, um so Raum für eine alternative Interpretation zu schaffen, die es im folgenden Kapitel zu entwickeln gilt.
3.1. Die Unmöglichkeit der mechanischen Erklärung von Organismen Seine Diskussion unserer Erfahrung von Organismen beginnt Kant in der Kritik der teleologischen Urteilskraft mit der Betrachtung eines Beispiels: [W]enn man z. B. den Bau eines Vogels, die Höhlung in seinen Knochen, die Lage seiner Flügel zur Bewegung und des Schwanzes zum Steuern u.s.w. anführt: so sagt man, dass dieses alles nach dem bloßen nexus effectivus in der Natur, ohne noch eine besondere Art der Kausalität, nämlich die der Zwecke (nexus finalis), zu Hülfe zu nehmen, im höchsten Grade zufällig sei (KU, V 360).
Der Bau eines Vogels, hierauf deutet Kant in seinem Beispiel hin, weist eine erstaunlich zweckmäßige Organisation auf. Die dünnwandigen und mit Luft gefüllten Knochen machen den Vogelkörper leicht genug, um ihn auch bei längeren Flügen in der Luft zu halten. Durch die Position der Flügel und ihre komplizierten Bewegungen, die Auftrieb und Vortrieb ermöglichen, kann er sich in der Luft fortbewegen, und die Bewegungen des Schwanzes ermöglichen die Steuerung der Flugrichtung. Alle beschriebenen Teile des Tieres, die Knochen, die Flügel und der Schwanz, tragen dazu bei, dass der Vogel fliegen kann, und sind mit Bezug auf diese Funktion innerhalb des gesamten Organismus charakterisiert. Dieses zweckmäßige Zusammenspiel der Organe, die erst gemeinsam bestimmte Fähigkeiten des Organismus ermöglichen und dadurch die Existenz und
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3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen
das Überleben des gesamten Lebewesens sichern, bringt die besondere Eigenschaft von Organismen zum Ausdruck: Die Teile eines Organismus scheinen gerade dadurch ausgezeichnet zu sein, dass sie eine Funktion innerhalb des Organismus als Ganzes haben und auf die Existenz und das Wohlergehen des gesamten Organismus ausgerichtet sind. Unsere Erfahrung von Leben in der Natur ist dadurch gekennzeichnet, dass die Organe eines Lebewesens in einer erstaunlich zweckmäßigen Weise eingerichtet und innerhalb des Körpers angeordnet sind und so ihren Teil zur Erhaltung des gesamten Lebewesens beisteuern. Allein mit Verweis auf den nexus effectivus, das heißt die wirkenden Ursachen in der Natur, können wir diese funktionale Einheit der einzelnen Teile des Vogels jedoch nicht erklären. Die zweckmäßige Einheit organischer Natur wäre anhand mechanischer Naturgesetze – so führt Kant sein Beispiel weiter aus – „im höchsten Grade zufällig“ (ebd.). Worin genau besteht nun aber diese Zufälligkeit? In den beiden vorangehenden Kapiteln haben wir gesehen, dass die Beschaffenheit des menschlichen Verstandes von Kant in gewisser Hinsicht als eigentümlich charakterisiert wird. So ist unser Verstand zunächst dadurch gekennzeichnet, dass er eine besondere, in der Anschauung gegebene Vorstellung erst durch die Subsumtion unter einen allgemeinen Begriff erkennen kann. Die zwei Bedingungen, die der Möglichkeit menschlicher Erkenntnis zu Grunde liegen – die Gegebenheit von sinnlichen Anschauungen auf der einen Seite und von Begriffen, denen der Verstand die gegebenen Anschauungen unterordnet, auf der anderen Seite – haben zur Folge, dass wir von allgemeinen Begriffen zu besonderen Vorstellungen fortschreiten müssen, um überhaupt Erkenntnis der in uns oder außer uns liegenden Natur erlangen zu können.2 Diese spezifische Charakteristik des menschlichen Verstandes ist eng mit der Fähigkeit verknüpft, zwischen der Möglichkeit und der Wirklichkeit von Dingen zu unterscheiden. Denn insofern wir allgemeine Begriffe haben können, die sich nicht notwendigerweise auf etwas in der Anschauung Gegebenes beziehen, können wir auch zwischen der Möglichkeit eines Dinges, das unter diesen Begriff fällt, und seiner tatsächlichen Existenz unterscheiden. Kant erklärt: Es ist dem menschlichen Verstande unumgänglich notwendig, Möglichkeit und Wirklichkeit der Dinge zu unterscheiden. Der Grund davon liegt im Subjekte und der Natur seiner Erkenntnisvermögen. Denn wären zu dieser ihrer Ausübung nicht zwei ganz heterogene Stücke, Verstand für Begriffe und sinnliche Anschauung für Objekte, die ihnen korrespondieren, erforderlich: so würde es keine sol-
_____________ 2
In der Kritik der reinen Vernunft bezieht Kant diese zwei Bedingungen auf die „zwei Grundquellen des Gemüts“: die „Rezeptivität der Eindrücke“ einerseits und die „Spontaneität der Begriffe“ andererseits (KrV, A50/B74).
3.1. Die Unmöglichkeit der mechanischen Erklärung von Organismen
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che Unterscheidung (zwischen dem Möglichen und Wirklichen) geben (KU, V 401 f.).
Dass die Fähigkeit (und die mit ihr einhergehende Notwendigkeit), zwischen der Möglichkeit und Wirklichkeit eines Dinges zu unterscheiden, eine spezifische Besonderheit des menschlichen Verstandes ist, macht Kant anhand eines Vergleichs mit einem möglichen Verstand deutlich, der sich von dem unseren in relevanter Hinsicht unterscheidet. Dieser Vergleichsverstand ist nicht wie der menschliche diskursiv, also durch begriffliches Denken ausgezeichnet, sondern er ist intuitiv und erlangt seine Erkenntnisse daher nicht erst durch die Subsumtion gegebener Anschauungen unter allgemeine Begriffe. Vielmehr erkennt der intuitive Verstand alles, was er überhaupt anschaut, zugleich als wirklich, und jegliche Vorstellung ist somit auch ein Objekt seiner Erkenntnis. Insofern es für den intuitiven Intellekt also keine Differenzierung der Erkenntnisvermögen in Sinnlichkeit und Verstand gibt, ist folglich auch keine Unterscheidung zwischen der Möglichkeit und der Wirklichkeit eines Dinges in der Natur möglich. Wäre auf diese Weise auch der menschliche Verstand anschauend, „so hätte er keine Gegenstände als das Wirkliche“ (KU, V 402). Die spezifisch diskursive Natur des menschlichen Verstandes hat Konsequenzen für den Charakter der Zufälligkeit, durch den unsere Erfahrungen Kants Ansicht nach gekennzeichnet sind. Wie wir bereits im ersten Kapitel gesehen haben, ist die besondere Beschaffenheit der erfahrbaren Dinge in der Natur durch die von uns a priori einsehbaren, allgemeinen Begriffe unterbestimmt, und es erscheint daher zufällig, welche besonderen Eigenschaften die Dinge, die unter die allgemeinen Begriffe fallen, tatsächlich haben. Ähnlich müsste es somit dem Zufall zugesprochen werden, welche von der durch die allgemeinen Begriffe unbestimmt gelassenen Vielzahl aller möglichen Dinge wirklich in der Natur vorkommen. Insofern wir zwischen der Möglichkeit und Wirklichkeit von Naturgegenständen differenzieren können, bleibt es unbestimmt, dass ein spezifischer Gegenstand nicht nur möglich ist, sondern auch existiert, ein anderer dagegen zwar vorstellbar ist, in der Wirklichkeit jedoch keine Realisierung findet. Für unseren Verstand stellt sich daher die Frage, warum es gerade diese und nicht andere Dinge sind, die in der Natur existieren und die als besondere Fälle allgemeiner Begriffe gezählt werden können. Während sich eine vergleichbare Frage für den intuitiven Intellekt gar nicht erst stellt, ist es für den menschlichen Verstand immer eine offene Frage, warum gerade die tatsächlich erfahrenen, nicht jedoch andere mögliche Dinge in der Natur vorkommen. Der Kontrast zwischen einem diskursiven und einem intuitiven Verstand macht also deutlich, warum alles in der Natur Erfahrbare von Kant als zufällig charakterisiert wird. Die Unterscheidung erklärt jedoch
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3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen
noch nicht, warum diese Zufälligkeit Kant zufolge ein besonderes Problem für die Erfahrung und Erkenntnis von lebendiger Natur darstellen soll. Insofern alles, womit wir uns in der Natur konfrontiert sehen, hinsichtlich seiner Eigenschaften durch die allgemeinen Begriffe und bezüglich seiner Existenz durch die vorgestellte Möglichkeit unterbestimmt ist, scheint die Zufälligkeit der Organismen im Vergleich mit der Zufälligkeit anorganischer Natur keine besondere Schwierigkeit zu enthalten. Warum aber spricht Kant dann insbesondere von der von uns als organisch erfahrenen Natur nach mechanischen Gesetzen als „im höchsten Grade zufällig“ (KU, V 360)? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir auf Kants Begriff der mechanischen Naturerklärung zurückkommen. Wie im zweiten Kapitel dargelegt wurde, kann eine Erklärung der materiellen Natur dem Kantischen Ansatz zufolge nur mechanisch ausfallen. Die empirische Natur, die durch die allgemeinen Verstandesbegriffe unbestimmt gelassen ist, wird durch genauer bestimmte, mechanische Gesetze erklärt. Um Licht auf die besonderen Eigenschaften und Ausformungen der materiellen Natur zu werfen, müssen wir demnach Kenntnis von den allgemeinen Gesetzen haben, welche die Veränderungen in der Materie auf die wechselseitigen, externen Wirkungen verschiedener Materieteile beziehen. Dem Naturmechanismus zufolge sind die Entstehung eines materiellen Ganzen in der Natur sowie Veränderungen innerhalb dieses Ganzen demnach immer mit Verweis auf die Kräfte einfacherer materieller Komponenten des Ganzen zu erklären. Was bei der Zusammensetzung aus den einzelnen Teilen herauskommt, ist einzig durch den externen Einfluss bestimmt, den die Teile durch ihre bewegenden Kräfte aufeinander ausüben. Dies bedeutet jedoch, dass das Besondere, die Erfahrung komplexer Gegenstände und Vorgänge in der Natur, durch das Allgemeine, die Eigenschaften einfacherer materieller Komponenten erklärt wird. Das Besondere wird nach dem Naturmechanismus mit den Eigenschaften komplexer Materie, das Allgemeine mit denen von einfachen Materiekomponenten identifiziert. Hier wird nun die spezielle Zufälligkeit der lebendigen Natur deutlich. Denn der Versuch, die Eigenschaften und Funktionsweise der Teile eines Ganzen mit Bezug auf dieses Ganze zu erklären, ist für unseren Verstand unmöglich, weil er in dem für uns widersprüchlichen Bemühen bestehen würde, das Allgemeine – die Eigenschaften der Teile – durch das Besondere – das komplexe, aus den Teilen zusammengesetzte Ganze – zu erklären. Unser diskursiver Verstand kann anhand mechanischer Erklärungen zwar eine Aussage darüber machen, wie die wechselseitigen Einwirkungen der Kräfte verschiedener Materieteile die Entstehung eines komplexen Ganzen dieser Teile bedingen, nicht aber, wie die Wirkungen der einzelnen Materieteile von dem komplexen Ganzen abhängen, von dem sie ein
3.1. Die Unmöglichkeit der mechanischen Erklärung von Organismen
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Teil sind. Kant schließt deshalb: „Nach der Beschaffenheit unseres Verstandes ist [...] ein reales Ganze der Natur nur als Wirkung der konkurrierenden bewegenden Kräfte der Teile anzusehen“ (KU, V 407; Hervorhebung von A. B.). In den zweckmäßig anmutenden Organismen scheint das Ganze jedoch nicht allein Wirkung der Eigenschaften und Kräfte der Teile zu sein, sondern selbst Ziel der Veränderungen, die sich innerhalb der Materie abspielen. Die Entstehung eines Lebewesens und die Veränderungen innerhalb seines Körpers scheinen nicht das Resultat extern aufeinander einwirkender Teile zu sein, sondern intern durch die Einheit des gesamten Organismus bestimmt. Wir erfahren den Organismus somit nicht einfach als durch die Eigenschaften der Materie und ihre zufällige Zusammensetzung determiniert, sondern als selbst bestimmend und zielangebend. Die Teile von Organismen sind gerade dadurch charakterisiert, dass sie für das Ganze dieses Organismus da und auf den Zweck der Existenz des Ganzen gerichtet sind. Diese Gerichtetheit der Teile eines Lebewesens auf das Ganze kann durch die auf die bewegenden Kräfte der Materieteile verweisenden, mechanischen Gesetze nicht einmal angesprochen werden.3 Dass diese Unmöglichkeit mechanischer Erklärung der lebendigen Natur wiederum von der spezifischen Beschaffenheit des menschlichen Verstandes abhängt, wird noch einmal mit Verweis auf den intuitiven Vergleichsverstand deutlich gemacht: Nun können wir uns aber auch einen Verstand denken, der, weil er nicht wie der unsrige diskursiv, sondern intuitiv ist, vom Synthetisch-Allgemeinen (der Anschauung eines Ganzen als eines solchen) zum Besondern geht, d. i. vom Ganzen zu den Teilen; der also und dessen Vorstellung des Ganzen die Zufälligkeit der Verbindung der Teile nicht in sich enthält, um eine bestimmte Form des Ganzen möglich zu machen, die unser Verstand bedarf, welcher von den Teilen als allgemein gedachten Gründen zu verschiedenen darunter zu subsumierenden möglichen Formen als Folgen fortgehen muss (KU, V 407).
Ein intuitiver Verstand, der jedes vorgestellte Ding in der Natur zugleich als wirklich anschaut, müsste sich also nicht das Ding als Ganzes durch seine Teile bedingt vorstellen, sondern würde die Teile selbst nur als Teile des Ganzen anschauen. Die Idee, dass die Teile eines Organismus also zum Ganzen beitragen und somit auf den Zweck des Ganzen ausgerichtet sind, ist für den intuitiven, nicht aber unseren diskursiven Verstand fassbar. Der Anschein der Zufälligkeit der tatsächlichen und nicht nur möglichen Organisation der Teile im Ganzen ist bei Organismen daher umso dringlicher, als die scheinbare Zweckmäßigkeit der Einrichtung lebendiger Natur gerade im Gegensatz zu der – so Kant – blinden Verursachung be_____________ 3
Zur Problematik der „Vorstellung einer Selbstorganisation der Materie“ siehe auch Heinen (1986).
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3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen
wegender Kräfte steht. Die Frage, die sich im Bezug auf die Erfahrung von Organismen stellt, ist demnach nicht lediglich die, welche sich gleichermaßen auf alle, also auch auf die anorganische Natur bezieht und die sich folgendermaßen formulieren ließe: Wie kommt es, dass sich die Teile der Materie anhand ihrer bewegenden Kräfte gerade zu diesem bestimmten Ganzen zusammengefügt haben und nicht etwa zu einem ganz anderen? Vielmehr muss die Frage, die sich im speziellen Fall der lebendigen Natur stellt, einen Verweis auf die spezifisch organische Zweckmäßigkeit enthalten, welche die Anordnung der Teile im Organismus so funktional auf das Leben und Überleben des gesamten Organismus ausrichtet: Wie also kommt es, dass die bewegenden Kräfte der Materie Ursache dafür sind, dass sich bestimmte Teile der Materie zu einem so zweckmäßig eingerichteten Ganzen zusammenfügen? Das Problem ist demnach nicht nur, „dass sich die Natur, als bloßer Mechanism betrachtet, auf tausendfache Art habe anders bilden können“ (KU, V 360), denn dieses Problem stellt sich in gleicher Weise auch für die anorganische Natur. Das spezifische Problem der Organismen liegt vielmehr darin, dass prinzipiell nicht einsehbar ist, wie die Natur nach mechanischen Gesetzen überhaupt auf „die Einheit nach einem solchen Prinzip [der Organisation...] stoßen“ (ebd.) konnte. Über die Art und Weise, in der die Eigenschaften der Teile gerade auf die Existenz des Ganzen ausgerichtet sind, das Ganze also nicht nur Wirkung, sondern auch Ziel für die Art und Verknüpfung der Teile ist, können die rein mechanischen Gesetze keinen Aufschluss geben. In diesem Sinne sollte deshalb Kants Aussage verstanden werden, dass Organismen durch mechanische Gesetze nicht zu erklären sind und es vielmehr als zufällig erscheinen muss, dass rein mechanische Vorgänge eine offensichtlich zweckmäßig organisierte Einheit als Ergebnis haben, in der alles auf diese Einheit ausgerichtet ist.
3.2. Die Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken Unsere Erfahrung von den Organismen ist also durch etwas ausgezeichnet, das sie von der Erfahrung anorganischer Dinge in der Natur unterscheidet. Diese besondere Beschaffenheit ist bisher hauptsächlich negativ charakterisiert worden: Lebewesen sind dadurch gekennzeichnet, dass ihre spezifisch organischen Eigenschaften nicht wie die der toten Natur anhand mechanischer Gesetze erklärt werden können. Wie genau haben wir uns jedoch diese besondere Beschaffenheit in ihrer positiven Bestimmung vorzustellen? Was bedeutet es, die Teile eines Organismus so anzusehen, als wären sie für das Ganze da, als wäre ihre Form und Verknüpfung untereinander von der Form des Ganzen abhängig?
3.2. Die Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken
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Kant beantwortet diese Frage mit Verweis auf die „Kausalität nach Zwecken“ (KU, V 375), die uns von unseren eigenen, zweckgerichteten Handlungen bekannt ist. Ein Zweck, so erklärt Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, „ist das, was dem Willen zum objektiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient“ (GMS, IV 427). Den Willen auf einen Zweck zu richten und nach diesem Zweck zu handeln, bedeutet demnach, ein bestimmtes, in einem Begriff antizipiertes Ergebnis anzustreben. Der Zweck ist nach dieser Vorstellung die objektive Realisierung des den Willen bestimmenden Begriffs: „[S]o ist der Zweck der Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Möglichkeit) angesehen wird“ (KU, V 220). Als mit Vernunft ausgestattete Wesen können wir uns Kant zufolge demnach Zwecke setzen, auf die wir unser Handeln ausrichten und die wir durch unsere Handlungen in der Welt zu realisieren suchen.4 Zum Beispiel ist uns der Gedanke, dass ein Teil für das Ganze da sein soll, von der Arbeit eines Künstlers oder Handwerkers vertraut, der sein Kunstwerk oder Artefakt nach einem Plan konzipiert. Durch seine Handlungen realisiert er seine Vorstellung des geplanten Produkts, indem er bestimmte Teile so anordnet, dass sie sich zu dem bezweckten Ergebnis zusammenfügen. Wenn die zweckgerichtete Handlung des Künstlers erfolgreich ist, resultiert sie in einem komplexen Erzeugnis, welches sich aus zweckmäßig angeordneten Teilen zusammensetzt. Es ist die Vorstellung eines solchen zweckmäßigen Verhältnisses der Teile zum Ganzen, in dem die Teile auf den Zweck des Ganzen ausgerichtet sind, welche Kant nun auch mit unserer Erfahrung eines Organismus als zweckmäßig organisierter Einheit in Verbindung bringt. Um einzusehen, warum die Einheit des Organismus nicht zufällig, sondern notwendig so geordnet ist, wie sie es ist, können wir uns das Verhältnis der Ursache zur Wirkung, das heißt der Ursache des Organismus zu seiner tatsächlichen Form, analog zum Fall des Kunstwerks vorstellen. Auch wenn es uns auf Grund der Beschaffenheit unseres Verstandes unmöglich ist, die Teile des Organismus durch das Organismusganze bedingt zu denken, können wir uns doch in Anlehnung an unsere eigene Fähigkeit, nach Zwecken zu handeln und Zwecke zu realisieren, die Vorstellung des Organismus als Bedingung für die zweckmäßige Form des Ganzen und die Verknüpfung seiner Teile denken: Wollen wir uns also nicht die Möglichkeit des Ganzen als von den Teilen, wie es unserm diskursiven Verstande gemäß ist, sondern nach Maßgabe des intuitiven
_____________ 4
Diese Konzeption der Kausalität nach Zwecken setzt das Zusammenspiel zwischen der Zwecke setzenden Vernunft und dem Verstand voraus, welcher die Kenntnis der Mittel zur Realisierung der Zwecke liefert. Zum Begriff der zwecktätigen Handlung siehe auch Gutterer (1968, Kapitel 3).
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3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen
(urbildlichen) die Möglichkeit der Teile (ihrer Beschaffenheit und Verbindung nach) als vom Ganzen abhängend vorstellen: so kann dieses nach eben derselben Eigentümlichkeit unseres Verstandes nicht so geschehen, dass das Ganze den Grund der Möglichkeit der Verknüpfung der Teile (welches in der diskursiven Erkenntnisart Widerspruch sein würde), sondern nur dass die Vorstellung eines Ganzen den Grund der Möglichkeit der Form desselben und der dazu gehörigen Verknüpfung der Teile enthalte (KU, V 407 f.).
Erst durch die Anwendung des Zweckbegriffs auf unsere Erfahrung von Organismen ist es somit möglich, organische Wesen nicht nur als lediglich zufällige Gebilde, sondern als Einheiten zu verstehen, deren Teile vom Ganzen abhängig und auf das Ganze gerichtet sind. Nach dieser Auffassung Kants können wir Organismen in der Natur nicht durch mechanische Gesetze erklären, sondern müssen ihre Möglichkeit mit Verweis auf die Wirkung finaler Kausalität erläutern. Erst die Vorstellung von lebendiger Natur als Produkt zweckgerichteter Kausalität kann die scheinbare Zufälligkeit des Lebendigen überwinden. Insofern also die mechanische Erklärung von Leben in der Natur unmöglich, eine Beurteilung dieser Natur für unser Naturverständnis aber trotzdem notwendig ist, ist für den menschlichen Verstand die teleologische Betrachtung der Natur erforderlich. Tatsächlich aber können wir weder den Zweck eines Verstandes, der in der Natur wirkt, noch einen Zweck der Natur selbst erkennen. Weder haben wir Erfahrung von einer die Natur nach Zwecken hervorbringenden Intelligenz, noch erkennen wir eine der Natur selbst innewohnende und nach Zwecken handelnde Vernunft. Wie Kant es in seiner Schrift Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie ausdrückt, haben Zwecke „eine gerade Beziehung auf die Vernunft“ (ÜGTP, VIII 182) und können nur als Zwecke einer Vernunft gedacht werden. Folglich „kann kein Mensch a priori einsehen“, dass „es in der Natur Zwecke geben müsse [...]; dagegen er a priori ganz wohl einsehen kann, dass es darin eine Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen geben müsse“ (ebd.). Insofern es uns also unmöglich ist, nachzuweisen, dass dem Begriff des Zwecks tatsächlich etwas in der Natur korrespondiert, bedeutet die Betrachtung von Organismen als Zwecke nicht – so betont Kant wiederholt –, dass das Prinzip der Zweckmäßigkeit objektiven Status hat und eine Art der zweckgerichteten Kausalität in der Natur beweist. Kant zufolge nennen wir Gegenstände auch dann „zweckmäßig“, wenn sie nicht wirklich durch eine Zwecke setzende Vernunft hervorgebracht wurden, sondern wenn „ihre Möglichkeit von uns nur erklärt und begriffen werden kann, sofern wir eine Kausalität nach Zwecken, d. i. einen Willen, der sie nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet hätte, zum Grunde derselben annehmen“ (KU, V 220). Auch dann, wenn ein komplexes Ganzes in der Natur uns nur so erscheint, als ob es allein durch eine zweckgerichtet handelnde Intelligenz verursacht sein könnte, bietet sich also der Begriff des
3.2. Die Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken
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Zwecks an. In diesem Sinne wird der Zweckbegriff jedoch lediglich nach einer Analogie mit der Zweckmäßigkeit einer tatsächlich Zwecke setzenden Intelligenz betrachtet. Organismen werden so beurteilt, als ob sie zweckmäßig wären. Die Betrachtung von Organismen nach der „Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken“ (KU, V 375) kann folglich nicht mit einer Erkenntnis der Natur gleichgesetzt werden. Da der Zweckbegriff lediglich anhand einer Analogie auf die Betrachtung der organischen Natur angewandt wird, kann mit seiner Hilfe nach Kant keine Erklärung, sondern lediglich eine Erörterung der Natur geliefert werden. Denn in einer Erklärung – so haben die vorangehenden Kapitel gezeigt – muss das zu Erklärende durch gegebene Gesetze, genauer gesagt durch die kausalen bzw. mechanischen Naturgesetze bestimmt werden. Dass dies bei den Organismen jedoch nicht möglich ist, haben wir bereits gesehen. Wo aber kein Gesetz, „welches man also deutlich muss erkennen und angeben können“ (KU, V 412), verfügbar ist, kann auch keine Erklärung möglich sein. Die Betrachtung der Natur als lebendig liegt somit im Bereich der reflektierenden und nicht der bestimmenden Urteilskraft. Genau wie die im ersten Kapitel eingeführte Naturbetrachtung, nach der wir die gesamte Natur als für unser intellektuelles Vermögen zweckmäßig eingerichtet beurteilen müssen, ist auch die teleologische Betrachtung der lebendigen Natur keine Bestimmung der Natur anhand eines Begriffs, sondern lediglich eine Reflexion über die Natur mit Hilfe einer Analogie. Sowohl das im ersten Kapitel untersuchte Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur wie auch die in diesem Kapitel erörterte, analogische Betrachtungsform der Lebewesen stellen lediglich subjektive Prinzipien dar, denn ihre Notwendigkeit hängt von der eigentümlichen Beschaffenheit des menschlichen Verstandes ab. Beiden Prinzipien geht es darum, etwas in der Erfahrung Gegebenes für den menschlichen Verstand begreifbar zu machen. Dennoch unterscheiden sie sich in der Verortung des Zwecks, auf den die Natur nach dem jeweiligen Prinzip gerichtet ist. So geht es bei dem ersten Prinzip um die allgemeine Zweckmäßigkeit der Natur für das menschliche Erkenntnisvermögen. Nach dieser Vorstellung ist die Natur zweckmäßig für unsere Erkenntnis eingerichtet. Bei dem zweiten Prinzip handelt es sich dagegen um eine Zweckmäßigkeit der Natur, die sich auf die Existenz, das Überleben und die Entwicklung der lebendigen Natur selbst bezieht.5 Während die Natur im ersten Falle also auf das reflektierende Sub_____________ 5
Insofern es beiden Prinzipien um die Ordnung der Natur nach begrifflichen Einheiten geht, bezeichnet Stadler (1874, S. 123) das Prinzip der objektiven Zweckmäßigkeit als „Spezialfall, als empirische Anwendung der formalen [oder subjektiven] Zweckmäßigkeit“. Auf die Spezifikation des Prinzips der subjektiven Zweckmäßigkeit an-
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3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen
jekt, das heißt den Menschen, gerichtet ist, liegt ihr Zweck im zweiten Falle im Objekt, das ist in der lebendigen Natur selbst. Die beiden so voneinander unterschiedenen regulativen Prinzipien können demnach auch als ein subjektives Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit und als ein subjektives Prinzip der objektiven Zweckmäßigkeit verstanden werden. Kants „Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken“ (KU, V 375), auf der das für die Betrachtung der Organismen eingeführte Prinzip der objektiven Zweckmäßigkeit beruht, wird in der Sekundärliteratur zumeist übernommen, um das interpretative Moment unserer Erfahrung von Organismen deutlich zu machen, welche nicht erkannt, sondern lediglich analogisch oder hypothetisch erörtert werden können.6 Kants Präsentation dieser Analogie ist jedoch weniger eindeutig, als es in der Literatur zumeist dargestellt wird. So wird üblicherweise vorausgesetzt, dass die Kritik der teleologischen Urteilskraft die Analogie als Vergleich von Organismen und Artefakten vorstellt. Meines Erachtens wird aus Kants Text jedoch nicht eindeutig ersichtlich, was in der Analogie eigentlich miteinander verglichen wird, worin genau also der Zweck besteht, der mit den Organismen in eine analogische Verbindung gesetzt wird. Bevor ich im verbleibenden Teil des vorliegenden Kapitels zu einer genaueren Betrachtung dieser Frage komme und einige Probleme bezüglich der Interpretation von Kants Organismus-Analogie aufwerfe, soll zunächst der Analogiebegriff etwas näher beleuchtet werden, der in der Untersuchung des Kantischen Arguments vorausgesetzt wird.
3.3. Kants Analogiebegriff Betrachtet man zunächst den heute verbreiteten Analogiebegriff, so wird deutlich, dass er durch mindestens zwei verschiedene Bedeutungsaspekte gekennzeichnet ist.7 Zum einen verstehen wir unter einer Analogie eine Ähnlichkeitsbeziehung im weitesten Sinne, zu der auch Vergleiche, Bilder, Metaphern und Gleichnisse gezählt werden. Zum anderen ist aber auch ein strengerer, mathematischer Analogiebegriff im Gebrauch, dem zufolge beispielsweise in der Analogie 2:4 = 4:8 das Verhältnis zwischen 2 und 4 als identisch mit dem zwischen 4 und 8 behauptet wird. In Kants direkten Ausführungen zum Analogiebegriff und zur Form von Analogieschlüssen finden sich diese beiden Bedeutungsebenen wieder. In der Analogie _____________ 6 7
hand des Prinzips der objektiven Zweckmäßigkeit komme ich in Abschnitt 5.2 zurück. Vgl. Löw (1980, S. 192). Zur Geschichte des Analogiebegriffs siehe Kluxen (1971).
3.3. Kants Analogiebegriff
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schließt die Urteilskraft erstens „von vielen Bestimmungen und Eigenschaften, worin Dinge von einerlei Art übereinstimmen, auf die übrigen, sofern sie zu demselben Prinzip gehören“ (Log, IX 132). Der Analogieschluss behauptet somit, dass Dinge einer Art, von denen viele übereinstimmende Eigenschaften bekannt sind, auch in anderen Aspekten übereinkommen, die jedoch nur bei manchen, nicht aber bei anderen Fällen dieser Art erkannt worden sind.8 Ähnlich den induktiven Schlussfolgerungen nennt Kant diese Art des Schließens eine „Krücke [...] der Menschlichen Ratiocination“, da sie keine sichere Erkenntnis, sondern lediglich „ein bloßer Versuch“ (V-Lo/Busolt, XXIV 680) sei, zur Erkenntnis zu gelangen. Kant präzisiert jedoch die Funktion, welche die Analogie seiner Ansicht nach insbesondere in der Philosophie übernimmt, wenn er sie zweitens als „Gleichheit zweener philosophischen Verhältnisse, [...] sehr konform den mathematischen Verhältnissen“ (V-Lo/Philippi, XXIV 478) beschreibt. Hier wird deutlich, dass Kant sein Verständnis des speziell für die Philosophie relevanten Analogiebegriffs an dem strengeren Begriff der mathematischen Analogie orientiert, ersteren gleichzeitig aber auch von letzterem differenziert. In der Kritik der reinen Vernunft unterscheidet Kant Analogien in der Philosophie von Analogien in der Mathematik, insofern letztere Formeln, welche die Gleichheit zweener Größenverhältnisse aussagen, und jederzeit konstitutiv [sind], so, dass, wenn drei Glieder der Proportion gegeben sind, auch das vierte dadurch gegeben wird, d. i. konstruiert werden kann (KrV, A179/B222).
Sind in der Gleichung 2:4 = 4:X beispielsweise die ersten drei Glieder gegeben, so lässt sich das vierte Glied X errechnen oder – so Kant – konstruieren. Analogien in der Philosophie dagegen bestehen in der Gleichheit von zwei qualitativen Verhältnisse[n], wo ich aus drei gegebenen Gliedern nur das Verhältnis zu einem vierten, nicht aber dieses vierte Glied selbst erkennen, und a priori geben kann (KrV, A179 f./B222).
In Anlehnung an das mathematische Modell zielen auch philosophische Analogien auf die Ähnlichkeit der Verhältnisse, welche die miteinander verglichenen Analoga unter sich aufweisen. Kants engerer Analogiebegriff steht somit in der Tradition der so genannten Proportionalitätsanalogie, in der unterschiedliche Gegenstände auf beiden Seiten der Gleichung einander gegenübergestellt werden, während die Beziehung zwischen ihnen als dieselbe ausgesagt wird. _____________ 8
Vgl. z. B. V-Lo/Blomberg, XXIV 287, V-Lo/Philippi, XXIV 478, und V-Lo/Busolt, XXIV 679 f.
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3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen
Der Unterschied zwischen den Analogien der Mathematik und denen der Philosophie besteht Kant zufolge allerdings nicht primär in ihrer äußeren Form, sondern in ihrem Erkenntnisstatus. Während es in der Mathematik möglich ist, von der Erkenntnis der drei gegebenen Glieder der Analogie auf das vierte, ursprünglich unbekannte Glied zu schließen, kann in der Philosophie anhand einer Analogie lediglich das Verhältnis zu dem unbekannten vierten Glied geklärt, nicht jedoch das Wesen des vierten Gliedes selbst erkannt werden.9 Der Kantischen Auffassung zufolge gründet sich diese Differenz in dem grundlegenden Unterschied, den Kant zwischen der Methode der Mathematik und der Vorgehensweise der Philosophie sieht. Denn während die Philosophie mit gegebenen Begriffen arbeitet, aus denen sie ihre Einsichten gewinnt, geht es in der Mathematik darum, Begriffe zu konstruieren und dadurch sinnlich zu veranschaulichen: Die philosophische Erkenntnis ist die Vernunfterkenntnis aus Begriffen, die mathematische aus der Konstruktion der Begriffe. Einen Begriff aber konstruieren, heißt: die ihm korrespondierende Anschauung a priori darstellen (KrV, A713/B741).10
Da sich nur Begriffe von Größen a priori konstruieren lassen, allerdings nur die mathematische, nicht aber die philosophische Erkenntnis sich lediglich auf Quanta bezieht, folgt, dass der Philosophie eine ähnliche Konstruktion ihrer Begriffen verwährt ist.11 Die Konstruktion von Begriffen anhand einer Analogie ist Kant zufolge deshalb nicht in der Philosophie, sondern nur in der Mathematik möglich. Nichtsdestotrotz haben Analogien in der Philosophie Kants eine wichtige Aufgabe: Sie sind die einzige Möglichkeit der sinnlichen Darstellung all derer Begriffe, die nicht auf direktem Wege veranschaulicht wer_____________ 9
Diese Charakterisierung von Analogien mag die Frage aufwerfen, warum Kant die in Kapitel 1 betrachteten Verstandesgrundsätze der Relation als Analogien der Erfahrung vorstellt, obwohl sie doch die Erfahrung konstituieren und also etwas über die Erfahrung selbst aussagen sollen. Kants Antwort ist, dass „[d]iese Grundsätze [...] das Besondere an sich [haben], dass sie nicht die Erscheinungen, und die Synthesis ihrer empirischen Anschauung, sondern bloß das Dasein, und ihr Verhältnis unter einander in Ansehung dieses ihres Daseins, erwägen“ (KrV, A178/B220). Durch die Analogie kann also nicht die Erscheinung selbst, wohl aber das Verhältnis einer gegebenen Erscheinung zu einer anderen nach der Analogie mit den kategorialen Begriffen der Relation konstruiert werden. Vgl. auch die detailliertere Behandlung des Status der Analogien der Erfahrung bei Lakebrink (1960), Pieper (1996) und Callanan (2008). 10 Vgl. auch Kants Unterscheidung zwischen Mathematik und Philosophie in seinen Logikvorlesungen (Log, IX 23, und V-Lo/Blomberg, XXIV 153). 11 Vgl. KrV, A714 f./B742 f., und V-Lo/Wiener, XXIV 797 f. Wie genau es möglich sein soll, dass dem Kantischen Konstruktionsbegriff zufolge in der Mathematik ein Einzelnes in der Anschauung die allgemeinen und notwendigen Eigenschaften eines Begriffes darstellen kann, wird in der Sekundärliteratur kontrovers diskutiert. Vgl. z. B. von Wolff-Metternich (1995) und Koriako (1999).
3.3. Kants Analogiebegriff
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den können. Dies ist insofern wichtig, als wir einen Begriff Kant zufolge nur dann in seinem Gehalt erfassen können, wenn es uns möglich ist, ihn zu versinnlichen, das heißt ihn in der Anschauung darzustellen. 12 Ohne jegliche Einsicht darein, was unter einem Begriff vorzustellen ist, können wir auch nicht davon ausgehen, den Begriff wirklich verstanden zu haben. Verschiedene Begriffe können jedoch auf unterschiedliche Weise versinnlicht werden. So ist es beispielsweise möglich, einen empirischen Begriff wie den des Hundes anhand eines Beispiels zu veranschaulichen; problematischer ist dagegen die Darstellung von Begriffen, deren Erkenntnis nicht auf der Erfahrung beruht, sondern a priori ist, und für die folglich auch keine konkreten Beispiele aus der Erfahrung herangezogen werden können. Eine sinnliche Darstellung solcher Begriffe a priori ist Kant zufolge „zwiefach“: Sie ist entweder schematisch, da einem Begriffe, den der Verstand fasst, die korrespondierende Anschauung a priori gegeben wird; oder symbolisch, da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche untergelegt wird, mit welcher das Verfahren der Urteilskraft demjenigen, was sie im Schematisieren beobachtet, bloß analogisch ist, d. i. mit ihm bloß der Regel dieses Verfahrens, nicht der Anschauung selbst, mithin bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalte nach übereinkommt (KU, V 351).
Im Falle der Verstandesbegriffe muss die Rolle des konkreten Beispiels also ein Schema übernehmen, welches die Bedingungen enthält, unter denen der Begriff auf bestimmte Fälle in der Erfahrung angewandt werden kann. Ein solches Schema kann als Darstellung einer Anleitung oder auch Regel verstanden werden, wie ein Begriff auf die sinnlich erfahrbare Welt anzuwenden sei. Das Schema liefert Kant zufolge eine Vorstellung von dem „allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen“ (KrV, A141/B179 f.). Von den reinen Verstandesbegriffen müssen nun solche Begriffe unterschieden werden, die zwar wie die Verstandesbegriffe a priori sind, die sich jedoch nicht auf die Erfahrung anwenden lassen, sondern sich vielmehr auf Gegenstände beziehen, welche niemals in der Erfahrung gegeben werden können. Zu diesen Begriffen gehören beispielsweise die Vernunftidee der unbedingten Einheit, mit der sich die vorhergehenden Kapitel beschäftigt haben, sowie die oben eingeführte Konzeption der inneren Zweckmäßigkeit der lebendigen Natur. Diese Ideen sind dadurch ausgezeichnet, dass sie nicht theoretisch erkannt werden können, weil ihnen „schlechterdings keine Anschauung angemessen gegeben werden kann“ (KU, V 351). Nichts in der sinnlich erfahrbaren Natur könnte daher die Bedeutung eines solchen Begriffs darstellen. Hier hat nun die analogische Betrachtung ihre Funktion. Denn _____________ 12 Vgl. z. B. FM, XX 279 f.
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3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen
im Gegensatz zu der direkten Darstellung eines Verstandesbegriffs anhand eines Schemas können Ideen wie die der unbedingten Einheit, aber auch der Begriff der Zweckmäßigkeit, der „nur nach einem Vernunftprinzip“ (KU, V 390) zur Beurteilung der Natur gebraucht werden kann, nur indirekt mittels Symbolen in einer analogischen Darstellung versinnlicht werden. Das Analogieverfahren kommt in der Kantischen Philosophie somit immer dort zum Einsatz, wo Kant etwas verstehbar zu machen sucht, das nicht selbst in der Anschauung erkannt werden kann.13 Ein Beispiel einer solchen Analogie, das Kant in verschiedenen Werken immer wieder anführt, ist die Analogie zwischen Rechtsgesetzen und mechanischen Gesetzen.14 So wie ich mir die wechselseitige Anziehung und Abstoßung von Körpern nach dem mechanischen Gesetz der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung denken kann, so ist Kant zufolge nach einer Analogie auch das Verhältnis der einzelnen Glieder innerhalb eines Rechtssystems zu denken. Die Analogie vergleicht also das mechanische Verhältnis der bewegenden Kräfte materieller Körper mit dem rechtmäßigen Verhältnis menschlicher Handlungen: „[E]ben so wie kein Körper auf einen andern mit seiner bewegenden Kraft wirken kann, ohne dadurch zu verursachen, dass der andre ihm eben so viel entgegen wirke,“ so kann ich nach Kants Verständnis des Rechts „gegen einen andern niemals etwas tun, ohne ihm ein Recht zu geben, unter den nämlichen Bedingungen eben dasselbe gegen mich zu tun“ (Prol, IV 357, Anm.). Sobald ich mich in ein Rechtsverhältnis mit einer anderen Person begebe, muss ich ihr nach der Analogie mit der Gleichheit der aufeinander einwirkenden Kräfte von Attraktion und Repulsion die gleiche Freiheit zugestehen, die ich mir auch selbst gegenüber dieser Person herauszunehmen gedenke. Gegeben sind in dieser Analogie die drei Glieder A = die bewegende Kraft eines Körpers, die auf einen anderen Körper einwirkt, B = die Gegenwirkung des zweiten Körpers nach dem Gesetz der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung, und C = die Handlung einer Person gegenüber einer anderen unter Rechtsgesetzen. So, wie sich A zu B verhält, so wird nun in der Analogie behauptet, verhält sich auch C zu einem vierten Glied D = dem Recht der zweiten Person, gegenüber der ersten genau so zu handeln wie die erste Person gegenüber der zweiten. Obwohl die Glieder der Analogie A und B den Gliedern C und D gänzlich unähnlich sind, werden doch die beiden Verhältnisse dieser Glieder durch die Analogie als gleich dargestellt. Eine _____________ 13 Pieper (1996) gibt eine hilfreiche Übersicht über die Bereiche, in denen das Verfahren der Analogie für Kants Philosophie eine Rolle spielt. 14 Vgl. Prol, IV 357, Anm., KU, V 464 f., und MS, VI 232 f. Vgl. auch Kants Analogie zwischen dem Sittengesetz und den Naturgesetzen in der Typik der reinen praktischen Vernunft (KpV, V 69 f.).
3.3. Kants Analogiebegriff
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Analogie in der Philosophie bedeutet nämlich, so führt Kant in den Prolegomena aus, „nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge, sondern eine vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen“ (Prol, IV 357).15 Durch die skizzierte Analogie wird also ausgedrückt, wie wir uns das Verhältnis von vernünftigen Wesen unter Rechtsgesetzen vorzustellen haben, nämlich so, als ob sich die Handlungen dieser Wesen – wie die mechanischen Kräfte materieller Körper – wechselseitig auf die gleiche Weise einschränkten. Was das Recht an sich selbst sei, wird durch die Analogie jedoch keineswegs festgestellt. Obwohl die Analogie zwar das Verhältnis von C zu D aufklärt, sagt sie nichts über D, das vierte Glied der Analogie selbst, aus. D wird durch die Analogie also nicht erkannt; es könnte vielmehr als das unbekannte Glied X bezeichnet werden. Indem sein Verhältnis zu einem gegebenen Dritten spezifiziert wird, gibt die Analogie lediglich „eine Regel,“ dieses Glied „in der Erfahrung zu suchen“ (KrV, A180/B222). In diesem Sinne sind Analogien in der Philosophie nicht wie in der Mathematik konstitutiv, sondern regulativ für das Verständnis eines Gegenstandes. Sie „bestimmen [...] nicht das Objekt, sondern nur die Art der Reflexion über dasselbe“ (Log, IX 132). Dies geschieht Kant zufolge, indem die Urteilskraft in Analogieschlüssen „ein doppeltes Geschäft verrichtet, erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung und dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz andern Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden“ (KU, V 352). Im obigen Beispiel wird somit zunächst der Begriff der Anziehung und Abstoßung der Materie auf den Gegenstand der materiellen Körper angewandt, bevor mittels des so bestimmten Verhältnisses über die Relation der Glieder eines Rechtssystems reflektiert werden kann. Durch diese indirekte Weise können also auch Begriffe veranschaulicht werden, denen keine direkte Anschauung entspricht. Kommen wir nach dieser kurzen Untersuchung des Kantischen Analogiebegriffs zurück zu unserer Ursprungsfrage: Worin besteht die Organismus-Analogie der Kritik der teleologischen Urteilskraft? Welche Glieder sind in ihr enthalten? Und welche Eigenschaften des Organismus werden mit Hilfe welcher Anschauung versinnlicht?
_____________ 15 Vgl. KU, V 464, Anm.
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3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen
3.4. Kein Analogon der Kunst oder des Lebens Nach seiner Charakterisierung von Organismen als scheinbar zweckmäßig organisierten Einheiten kommt Kant im § 65 der Kritik der Urteilskraft zu dem konsequenten Schluss, man sage „von der Natur und ihrem Vermögen in organisierten Produkten bei weitem zu wenig, wenn man dieses ein Analogon der Kunst nennt“ (KU, V 374). Zwar lässt sich eine gewisse Parallele ziehen zwischen der von Kant charakterisierten Erfahrung von Organismen auf der einen Seite und der Wahrnehmung von Kunstobjekten auf der anderen Seite. Der Ursprung einer „geometrische[n] Figur“, gefunden in einem „unbewohnt scheinenden Lande“ (KU, V 370), wäre schwerlich auf die mechanischen Gesetze der Natur zurückzuführen, denn dass natürliche Gesetzmäßigkeiten eine solche Figur zustande bringen sollten, erschiene uns als vollkommen zufällig. Stattdessen wäre der Ursprung der Figur überzeugender von der Kausalität einer Vernunft herzuleiten, und genauso, wie in diesem Beispiel ein Kunstprodukt als ein durch eine Vernunft gesetzter Zweck betrachtet würde, so müssten wir Kant zufolge auch lebendige Wesen als Zwecke ansehen. Hier jedoch laufen die Parallelen auseinander. Ein Kunstwerk ist nämlich gerade dadurch ausgezeichnet, dass es ein „Produkt einer von der Materie (den Teilen) desselben unterschiedenen vernünftigen Ursache [ist], deren Kausalität (in Herbeischaffung und Verbindung der Teile) durch ihre Idee von einem dadurch möglichen Ganzen [...] bestimmt wird“ (KU, V 373). Ein Kunstwerk ist der materiell realisierte Zweck eines Künstlers und somit ein der zwecksetzenden Ursache externer Zweck. Während Künstler und Kunstwerk voneinander unterschieden sind, können Organismen dagegen nicht als Zwecke einer außer ihnen waltenden Vernunft angesehen werden. Ein Lebewesen scheint sich vielmehr selbst zu erzeugen, und der Zweck, auf den hin gerichtet die Funktion der Teile zu beurteilen ist, scheint in der Erhaltung des eigenen Lebens des Organismus zu bestehen. Der Zweck, um den es im Kontext der Betrachtung von Organismen geht, ist folglich ein der lebendigen Natur interner Zweck, und Organismen sind nach Kant nicht einfach allgemein als Zwecke, sondern spezieller als Naturzwecke zu verstehen. Nach seiner ersten Kennzeichnung von Organismen als Dingen, dessen Teile auf das Organismusganze gerichtet und somit von der Idee dieses Ganzen abhängig sind, kommt Kant daher zu einer zweiten Stufe seiner Charakterisierung, indem er betont, dass „ein Ding [...] als Naturzweck [existiert], wenn es von sich selbst [...] Ursache und Wirkung ist“ (KU, V 370). Ein Baum – so Kants Beispiel – ist in dreifacher Hinsicht Ursache und Wirkung seiner selbst. Erstens „erzeugt er sich selbst der Gattung nach“ (KU, V 371), indem er sich fortpflanzt. Während dieses sich Erzeugen bei
3.4. Kein Analogon der Kunst oder des Lebens
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ungeschlechtlicher Fortpflanzung unmittelbar aus dem eigenen Gewebe des Organismus erfolgt, ist bei geschlechtlicher Fortpflanzung dagegen ein Artgenosse als Sexualpartner beteiligt. In beiden Fällen aber wird das Leben oder Überleben der Art durch die Individuen dieser Art garantiert. Zweitens erzeugt der Baum sich in seinem Wachstum auch selbst „als Individuum“ (ebd.). Diese Ontogenese ist vor allem bei einem Jahrhunderte alten Baum gut nachvollziehbar, dessen Entwicklung und Wachstum über die Jahre sich an den Ringen seines Stammes ablesen lassen. Drittens erzeugt der Baum sich selbst, indem seine Teile sich wechselseitig erhalten. So ist das Blatt etwa auf Grund seiner Ausstattung mit Chlorophyll in der Lage, die Lichtenergie der Sonne für den Aufbau energiereicher, organischer Substanzen zu nutzen, die den anderen Organen des Baumes zur Verfügung gestellt werden. Auf der anderen Seite ziehen die Wurzeln Wasser und Mineralien aus dem Boden, die wiederum von den photosynthetischen Zellen und Geweben in den Blättern benötigt werden. Diese wechselseitige Abhängigkeit der einzelnen Organe dient dabei nicht nur dem Wachstum, das ist der Größenzunahme des Organismus, sondern häufig auch seiner Regeneration. So kann das Lebewesen Verletzungen, Zerstörungen, Verschleißerscheinungen oder sogar ererbte Fehler selbst ausgleichen. In den hier beschriebenen drei Momenten des sich selbst Erzeugens unterscheidet sich der Organismus daher von einem Kunstprodukt wie zum Beispiel einer Uhr, die dadurch bestimmt ist, dass so wenig wie „ein Rad in der Uhr das andere, noch weniger eine Uhr andere Uhren hervor[bringt]“, geschweige denn, dass sie „sich etwa selbst aus[bessert], wenn sie in Unordnung geraten ist“ (KU, V 374). Das System eines Organismus unterscheidet sich von dem einer Maschine, indem es Kant zufolge nicht nur eine „bewegende“, sondern auch eine „sich fortpflanzende bildende Kraft“ (ebd.) hat. Es ist diese bildende Kraft, die Fähigkeit der Lebewesen zur Organisation, zur eigenen Erzeugung und daher zur Selbstorganisation, die Kant der bewegenden Kraft der toten Materie entgegensetzt. Die Beurteilung eines Dinges in der Natur als Naturzweck bedeutet somit zweierlei: Erstens betrachten wir seine Teile als bestimmt durch ihre Beziehung zum Ganzen. Erst die Teile ergeben in ihrer Verbindung ein Ganzes, und doch ist die Form dieser Verbindung wechselseitig vom Ganzen abhängig. Zweitens beurteilen wir die Teile des Dinges als in dieser Beziehung voneinander wechselseitig Ursache und Wirkung. Die Teile eines lebendigen Wesens sind Organe, welche sowohl durch die anderen Teile hervorgebracht werden, als auch diese Teile selbst hervorbringen und sich somit in ihrer Ausrichtung auf das Ganze gegenseitig ermögli-
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3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen
chen und erhalten.16 Diese beiden Bedingungen zusammengenommen ergeben Kants Prinzip der Beurteilung von Organismen: „Ein organisiertes Produkt der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist“ (KU, V 376). Insofern alles in einem Organismus auf den Zweck des Organismus ausgerichtet ist und sich in dieser Ausrichtung wechselseitig verursacht und erhält, sind alle Teile des Organismus wechselseitig Zweck und Mittel füreinander. Wir sehen in Organismen also nach Kant eine Kausalität „der Endursachen“, die nicht, wie die Kausalität der „wirkenden Ursachen“ (KU, V 372), auf eine Richtung beschränkt, sondern in der die Ursache der Wirkung gleichzeitig von dieser Wirkung abhängig ist. Die Zweckmäßigkeit, welche wir den Teilen für das Ganze zusprechen, ist deshalb auch als eine dem Organismus innere Zweckmäßigkeit zu verstehen.17 Organisierte Wesen können Kant zufolge daher nicht nach der Analogie mit der Kunst betrachtet werden, denn dies würde die den Organismus auszeichnende Selbstorganisation unbeachtet lassen und lediglich die erste Stufe der Charakterisierung von Organismen abdecken.18 In seiner Behandlung der besonderen Eigenschaft von Organismen geht es Kant folglich auch nicht um die zu seiner Zeit als Gottesbeweis verbreitete Analogie zwischen dem Verhältnis von Kunst und Künstler einerseits und dem zwischen der Natur und einer sie hervorbringenden Ursache andererseits.19 Zwar ist sich Kant ohne Zweifel dieser Analogie bewusst, und auch das von ihm gewählte Beispiel einer Uhr, die mit einem Organismus verglichen wird, ist paradigmatisch für die Analogie, die Grundlage des _____________ 16 Insofern sich Kants Charakterisierung der Organismen auf zwei Aspekte des spezifisch Lebendigen bezieht, können wir auch Ginsborgs (2004) These verstehen, dass wir bei Kant zwischen „zwei Arten der mechanischen Unerklärbarkeit“ unterscheiden müssen. 17 Bartuschat (1972, S. 178) beschreibt diese doppelte Charakterisierung von Lebewesen mit Verweis auf den „Selbstbezug des Organismus.“ Demnach „besteht der Organismus aus Teilen, die in ihrem Zusammenwirken, indem sie sich wechselseitig tragen, den Organismus bewirken (in diesem Wirken also Ursache einer Wirkung sind), dies aber nur deshalb, weil sie von dem Organismus als dem die Teile übergreifenden Ganzen bestimmt sind, dieser also zugleich umgekehrt Ursache für das Wirkenkönnen der Teile ist.“ 18 Kant erklärt daher, ein Naturding, dem wir einen Zweck zusprechen, der über das Ding hinausgeht, und dem wir eine Ursache zuschreiben, die außerhalb des Naturdings selbst liegt, könnte nicht mehr als ein „Naturprodukt“ oder auch „Naturzweck“ betrachtet werden (KU, V 378). 19 Eine ausführliche Darstellung dieses Arguments für die Existenz Gottes wurde z. B. von Paley (1802) in seiner Schrift Natural Theology entwickelt. Humes (1990) Dialogues Concerning Natural Religion aus dem Jahre 1779 stellen eine ebenso detaillierte Widerlegung dieses Arguments dar.
3.4. Kein Analogon der Kunst oder des Lebens
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Design-Arguments für die Existenz Gottes ist.20 Doch obwohl Kant an anderer Stelle auch von der Fruchtbarkeit der Analogie von Natur und Kunst gesprochen hatte, scheint er diese Analogie in Bezug auf unser Verständnis von Organismen gerade zurückzuweisen.21 Es ist daher erstaunlich, dass sich die Analogie zwischen dem Lebendigen in der Natur und den Produkten menschlicher Kunst durch die Kant-Literatur hindurch getragen hat und Kant entgegen seiner expliziten Ablehnung dieser theologischen Analogie immer wieder so dargestellt wird, als befände er sich „im Griff der Design-Designer-Analogie.“22 Nimmt man Kants Aussagen jedoch ernst, so kann der Unterschied zwischen der von ihm gemeinten Analogie und der des Gottesarguments nicht lediglich darin bestehen, dass Kant seiner Analogie keinen die Erkenntnis der Natur begründenden Status zuspricht. Der Unterschied muss grundlegender sein. Aber auch ein zweiter Versuch, die den Organismus auszeichnende Selbstorganisation als ein „Analogon des Lebens“ (KU, V 374) zu begreifen, schlägt Kant zufolge fehl. Nach dieser These wäre das den Organismus zweckmäßig organisierende Vermögen nicht als externe, absichtlich handelnde Vernunft, sondern als ein der Natur internes Lebensprinzip zu betrachten. Zwecke in der Natur sollen auf diese Weise nach dem Analogon eines zweckgerichtet handelnden Vermögens der Natur selbst begründet werden, also nach dem Analogon des „Leben[s] der Materie (in ihr, oder auch durch ein belebendes inneres Prinzip, eine Weltseele)“ (KU, V 392). Um aber durch eine Analogie mit dem Lebensprinzip eines Wesens seine Organisiertheit erhellen zu können, müsste dieses Prinzip Kant zufolge schon als eine dieses Wesen auszeichnende, organisierende Eigenschaft verstanden werden. Dazu müsste man „entweder die Materie als bloße Materie mit einer Eigenschaft (Hylozoism) begaben, die ihrem Wesen widerstreitet,“ oder aber das Leben der Materie als ein ihr „fremdartiges _____________ 20 Das gleiche Beispiel findet sich auch bei den in Anm. 19 genannten Autoren. 21 In der Kritik der reinen Vernunft sagt Kant z. B.: „Dieser Beweis verdient jederzeit mit Achtung genannt zu werden. Er ist der älteste, kläreste und der gemeinen Menschenvernunft am meisten angemessene. Er belebt das Studium der Natur“ (KrV, A623/B651). Vgl. auch Kants Ausführungen zur Physiko-Theologie im Beweisgrund (BDG, II 63 ff.). 22 So behauptet McFarland (1970, S. 111): Kant „is [...] still in the grip of the designdesigner analogy.“ Vgl. auch McLaughlin (1989, S. 39) und Guyer (2001, S. 265 ff.). Baumanns (1965, S. 110 f.) bringt diese Auffassung auf den Punkt, wenn er die These aufstellt, dass im Bezug auf die Frage nach dem Verständnis von Organismen für Kant „nur eine Antwort“ in Betracht komme: „die Einführung der Naturteleologie, d. h. eines ursprünglichen Verstandes als Weltursache.“ Aus demselben Grund spricht Sutter (1988, S. 163) von einer „Kantische[n] Apologie des Maschinenmodells.“ Auf Kants Auseinandersetzung mit der Analogie des Design-Arguments werde ich in Kapitel 6 zurückkommen.
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3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen
mit ihr in Gemeinschaft stehendes“ (KU, V 374) und also immaterielles Prinzip verstehen. Nach der ersten Alternative wäre das Lebensprinzip als materiell, das Vermögen der Selbstorganisation also als Eigenschaft der Materie selbst zu begreifen. Dies ist nach Kant jedoch ein Widerspruch in sich, denn die Materie ist für ihn – wie im letzten Kapitel deutlich wurde – gerade durch ihre Leblosigkeit ausgezeichnet. So definiert Kant das Leben in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft als „das Vermögen einer Substanz, sich aus einem inneren Prinzip zum Handeln, einer endlichen Substanz, sich zur Veränderung, und einer materiellen Substanz, sich zur Bewegung oder Ruhe als Veränderung ihres Zustandes zu bestimmen“ (MAN, IV 544). Kant stellt das Leben hier gerade in Kontrast mit der Trägheit und Leblosigkeit der Materie: „[D]ie Möglichkeit einer lebenden Materie (deren Begriff ein Widerspruch enthält, weil Leblosigkeit, inertia, den wesentlichen Charakter derselben ausmacht) lässt sich nicht einmal denken“ (KU, V 394). Aber auch die dualistische Alternative, das Leben als ein von der Materie unterschiedenes, immaterielles Prinzip zu verstehen, das in der Natur mit der Materie in Verbindung steht, kann Kant zufolge nicht plausibel gemacht werden. Denn es wäre weder klar, wie man sich ein von der Materie unabhängiges Prinzip, eine „Seele“ der Natur, überhaupt vorzustellen hätte, noch wie eine solche Seele die Materie organisieren könnte. In seiner Rezension von Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit kritisiert Kant die Annahme geistiger Kräfte, welche „die belebende Kraft enthalte[n], die alles organisiert“ (RezHerder, VIII 52), deshalb wie folgt: Allein was soll man überhaupt von der Hypothese unsichtbarer, die Organisation bewirkender Kräfte, mithin von dem Anschlage, das, was man nicht begreift [also die Organisation], aus demjenigen erklären zu wollen, was man noch weniger begreift [nämlich die lebendigen Kräfte], denken? Von jenem können wir doch wenigstens die Gesetze durch Erfahrung kennen lernen, obgleich freilich die Ursachen derselben unbekannt bleiben; von diesem ist uns sogar alle Erfahrung benommen (RezHerder, VIII 53 f.).
Da das Prinzip des Lebens nicht in der Natur erkannt oder erfahren wird, kann es der Erläuterung der Organisation von Naturprodukten auch nicht vorangehen.23 Auch der Verweis auf ein die Natur organisierendes Prinzip scheint folglich kein Licht auf die besondere lebendige Eigenschaft von Organismen zu werfen.
_____________ 23 Auf Kants Konzeption des Lebens komme ich im Abschnitt 4.5 zurück.
3.5. Kein Analogon irgendeines uns bekannten Naturvermögens
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3.5. Kein Analogon irgendeines uns bekannten Naturvermögens Nach Kant sind organisierte Wesen also weder nach der Analogie mit der Kunst noch nach der mit einem Prinzip des Lebens zu verstehen. „Genau zu reden“ – so erklärt Kant sogar – ist die innere Naturvollkommenheit, wie sie diejenigen Dinge besitzen, welche nur als Naturzwecke möglich sind und darum organisierte Wesen heißen, [...] nach keiner Analogie irgend eines uns bekannten physischen, d. i. Naturvermögens, ja, da wir selbst zur Natur im weitesten Verstande gehören, selbst nicht einmal durch eine genau angemessene Analogie mit menschlicher Kunst denkbar und erklärlich (KU, V 375).
Und trotzdem behauptet Kant nur wenige Zeilen später, dass wir den Begriff eines Naturzwecks „nach einer entfernten Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken“ (ebd.) zumindest denken, wenn wir ihn auch nicht in der Natur erkennen können. Ist aber nicht gerade diese Kausalität nach Zwecken als das zwecktätige Handlungsvermögen des Menschen zu verstehen? Und warum kommt Kant dann auf eine Analogie mit dem zwecktätigen Handeln des Menschen zurück, obwohl doch – wie er gerade gezeigt hat – die Analogie mit einem Kunstwerk, also mit dem bezweckten Ergebnis zwecktätigen Handelns, unzureichend ist? Dies wäre nur dann plausibel, wenn Kant einen Unterschied zwischen der ersten Analogie mit der Kunst und jener zweiten Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken machte. Die erste Analogie könnte verstanden werden als Illustration des Organismus anhand eines Kunstwerks. Diese Analogie würde die Gleichheit des Verhältnisses von A = dem Kunstwerk zu B = dem vernünftigen Künstler, welcher das Kunstwerk nach der Vorstellung dieses Kunstwerks hervorgebracht hat, mit dem Verhältnis von C = einem Organismus zu D = einem unbekannten, vernünftigen Urheber dieses Organismus behaupten. Die praktische, auf Zwecke gerichtete Vernunft würde zwar eine Rolle innerhalb dieser Analogie spielen, jedoch nicht im direkten Vergleich mit dem Organismus selbst, sondern nur mit seiner Ursache. Die zweite Analogie zwischen Organismus und unserer Kausalität nach Zwecken dagegen könnte als Illustration des Organismus durch die zwecktätig handelnde Vernunft selbst verstanden werden. Im Gegensatz zur ersten Analogie würde die zwecksetzende, praktische Vernunft nicht mit dem Ursprung des Organismus, sondern mit dem Lebewesen selbst in Analogie gesetzt. Das unbekannte Glied X der Analogie müsste hier also durch den Organismus ersetzt werden. Eine erste Betrachtung der untersuchten Passagen in der Kritik der teleologischen Urteilskraft gibt jedoch keinen eindeutigen Hinweis auf diese Unterscheidung der beiden Analogien. Denn auch im Zusammenhang mit
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3. Die Problematik der menschlichen Erfahrung von Organismen
der Analogie zwischen Organismen und unserer Kausalität nach Zwecken verweist Kant zuweilen auf die Ursache der Zweckmäßigkeit eines Organismus. In der Kritik der teleologischen Urteilskraft scheint er uns daher keinen eindeutigen Aufschluss darüber zu geben, warum er die Analogie zwischen organisierter Natur und Kunstwerken verwirft, sich gleichzeitig aber auf eine Analogie zwischen Organismen und unserer Kausalität nach Zwecken stützt. Die Frage, nach welcher Analogie das Besondere der organischen Natur zu verstehen ist, bleibt hier offen. Darüber hinaus stellt sich außerdem ein weiteres Problem bei der genaueren Betrachtung der folgenden Passage aus dem § 65: Der Begriff eines Dinges, als an sich Naturzwecks, ist also kein konstitutiver Begriff des Verstandes oder der Vernunft, kann aber doch ein regulativer Begriff für die reflektierende Urteilskraft sein, nach einer entfernten Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken überhaupt die Nachforschung über Gegenstände dieser Art zu leiten und über ihren obersten Grund nachzudenken; das letztere zwar nicht zum Behuf der Kenntnis der Natur, oder jenes Urgrundes derselben, sondern vielmehr eben desselben praktischen Vernunftvermögens in uns, mit welchem wir die Ursache jener Zweckmäßigkeit in Analogie betrachteten (KU, V 375; Hervorhebung von A. B.).
Kant behauptet hier, dass die betrachtete Analogie uns zwar keine Erkenntnis im vollständigen Sinne des Wortes über Organismen verschafft, wohl aber über das praktische Vernunftvermögen in uns. Die Analogie zwischen Organismen als Naturzwecken und unseren Vernunfthandlungen soll uns, so wird hier behauptet, Aufschluss über unsere eigene, praktische Vernunft geben. Diese Aussage mag erstaunen, da dieselbe Analogie mit unserer eigenen, zweckgerichteten Vernunfttätigkeit ja gerade eingeführt wurde, um die Beurteilung von Organismen überhaupt erst zu ermöglichen. Nur indem wir die Art von Kausalität, die uns zunächst von unserer eigenen Kausalität nach Zwecken vertraut ist, auch der Natur zuschreiben, sollen wir uns doch das Verhältnis der Teile eines Organismus zu seinem Ganzen begreiflich machen können. Nun wird hier aber die umgekehrte These aufgestellt, dass die teleologische Beurteilung, welche den Organismen die Eigenschaft der Zweckmäßigkeit zuschreibt, gleichzeitig die Erkenntnis unseres eigenen Vernunftvermögens erhellen soll. Welche Seite der Analogie ist nun hier die Erläuternde, welche die zu Erläuternde? Eine genauere Betrachtung der zentralen Passagen der Kantischen Organismus-Analogie in der Kritik der teleologischen Urteilskraft scheint mehr Fragen aufzuwerfen, als sie beantwortet. Um eine zufriedenstellende Interpretation der Analogie zu entwickeln, müssen daher auch andere Textstücke der Kantischen Philosophie mit in Betracht gezogen werden. Im nächsten Kapitel soll Kants Aussage, dass sich aus der hier diskutierten Analogie auch Einsichten für unser Vernunftverständnis gewinnen lassen, daher als Hinweis auf andere Textstellen in Kants Werk aufgegriffen wer-
3.5. Kein Analogon irgendeines uns bekannten Naturvermögens
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den, die den Vergleich zwischen Vernunft und Organismus zur Erläuterung unseres eigenen intellektuellen Vermögens heranziehen.
4. Die Analogie von Organismus und Vernunft In der Kritik der teleologischen Urteilskraft soll das Verständnis von Organismen durch eine „Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken“ (KU, V 375) erhellt werden. Dabei ist bis jetzt unklar geblieben, worin genau diese Analogie besteht. Das letzte Kapitel hat gezeigt, dass die zu Kants Zeiten verbreitete und vor allem in der Theologie diskutierte Analogie mit den von Menschenhand gefertigten Artefakten für ein Verständnis von Organismen ungenügend ist. Anhand welcher Analogie kann die lebendige Natur dann aber betrachtet werden? Auch Kants Aussage, die Organismus-Analogie sei gleichzeitig aufschlussreich für ein Verständnis unserer eigenen Vernunft, wird in der Kritik der teleologischen Urteilskraft nicht zufriedenstellend erklärt. Schon in der Kritik der reinen Vernunft steht allerdings ein Vergleich mit einem Organismus im Vordergrund, der die systematische Einheit der Vernunft erhellen soll. In der Vorrede zur zweiten Auflage schreibt Kant beispielsweise, dass die Vernunft in Ansehung der Erkenntnisprinzipien eine ganz abgesonderte für sich bestehende Einheit ist, in welcher ein jedes Glied, wie in einem organisierten Körper, um aller anderen und alle um eines willen dasind, und kein Prinzip mit Sicherheit in einer Beziehung genommen werden kann, ohne es zugleich in der durchgängigen Beziehung zum ganzen reinen Vernunftgebrauch untersucht zu haben (KrV, BXXIII; erste Hervorhebung von A. B.).
Nach der Analogie mit einem Lebewesen werden die einzelnen Teile der Vernunft von Kant hier beschrieben, als seien sie von der Gesamtheit der Vernunft abhängig und auf diese Gesamtheit ausgerichtet. Die Glieder der Vernunft, die in ihr gefassten Erkenntnisprinzipien, wirken Kant zufolge wie Organe erst zusammen und in Beziehung auf das Ganze als Prinzipien der Erkenntnis. Diese Charakterisierung der Vernunft erinnert ohne Zweifel an Kants im vorigen Kapitel betrachtete Beschreibung von Organismen als systematisch und zweckmäßig organisierte Wesen. Wie verhält sich dieser Vergleich der menschlichen Vernunft mit einem Organismus in der ersten Kritik nun zu Kants Organismus-Analogie in der dritten Kritik? Wie kann uns die Darstellung des Vernunftvermögens als einer organismischen Einheit mit unserer Ausgangsfrage nach einem adäquaten Verständnis der lebendigen Natur weiterhelfen? Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, eine Interpretation der Organismus-Analogie der Kritik der teleologischen Urteilskraft zu formulieren, die
4.1. Der Vergleich zwischen Vernunft und Organismus
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Kants Ausführungen zum lebendigen Charakter des menschlichen Vernunftvermögens berücksichtigt. Gezeigt werden soll insbesondere, dass unser Verständnis von Organismen auf einer Analogie mit unserer eigenen Vernunft beruht, die ihrerseits als ein praktisches, auf Zwecke gerichtetes Vermögen verstanden werden muss. Zur Erläuterung dieser These gehe ich in Abschnitt 4.1 zunächst etwas näher auf Kants Vergleich der Vernunft mit einem Organismus ein. Zwar beziehen sich Kants explizite Ausführungen in der Kritik der reinen Vernunft zunächst nur auf die theoretische Vernunft, jedoch gehen seine Aussagen in späteren Schriften von einer umfangreicheren Vernunfteinheit aus, die auch den praktischen Vernunftgebrauch betrifft. Wie genau haben wir uns diese als lebendig charakterisierte, umfassendere Einheit des menschlichen Vernunftvermögens also vorzustellen? Ziel des zweiten und dritten Abschnittes ist es, eine Interpretation dieser Einheit des Vernunftvermögens herauszuarbeiten. Es ist diese Interpretation der als lebendig charakterisierten Vernunfteinheit – so soll schließlich in Abschnitt 4.4 gezeigt werden –, anhand derer auch die Organismus-Analogie der Kritik der teleologischen Urteilskraft verstanden werden muss. Ein wesentliches Ergebnis dieser Interpretation besteht in der wechselseitigen Bezogenheit unserer Kenntnis der eigenen Vernunft und unseres Verständnisses der lebendigen Natur.
4.1. Der Vergleich zwischen Vernunft und Organismus In der Kritik der reinen Vernunft erklärt Kant, dass das Vernunftvermögen „einen wahren Gliederbau enthält, worin alles Organ ist, nämlich Alles um Eines willen und ein jedes Einzelne um aller willen“ (KrV, BXXXVII f.). Erst innerhalb der Vernunft als Ganzer und somit auch erst in ihrem organisierten und systematisch auf Erkenntnis gerichteten Zusammenspiel erfüllen die Teile der Vernunft ihre Funktion als Erkenntnisprinzipien, welche sie einzeln betrachtet und abgeschnitten von der Struktur der Gesamtheit des Vernunftvermögens verlieren würden. Die Vernunft wird so als eine organisierte Einheit dargestellt, deren Teile wechselseitig voneinander abhängig und nur im Bezug auf das Ganze zu verstehen sind. Eine ähnliche Beschreibung liefert Kant in den Prolegomena. Allein reine Vernunft ist eine so abgesonderte, in ihr selbst so durchgängig verknüpfte Sphäre, dass man keinen Teil derselben antasten kann, ohne alle übrige zu berühren, und nichts ausrichten kann, ohne vorher jedem seine Stelle und seinen Einfluss auf den andern bestimmt zu haben: weil, da nichts außer derselben ist, was unser Urteil innerhalb berichtigen könnte, jedes Teiles Gültigkeit und Gebrauch von dem Verhältnisse abhängt, darin er gegen die übrige in der Vernunft selbst steht, und wie bei dem Gliederbau eines organisierten Körpers der Zweck je-
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4. Die Analogie von Organismus und Vernunft
des Gliedes nur aus dem vollständigen Begriff des Ganzen abgeleitet werden kann (Prol, IV 263; Hervorhebung von A. B.).
Das Vernunftvermögen des Menschen, so behauptet Kant hier, stellt eine systematisch geordnete Ganzheit dar, in welcher der Charakter jedes einzelnen Teils von seinen Beziehungen zu allen übrigen Teilen abhängt. Erst wenn wir einem Teil des Vernunftvermögens seine Stelle im Ganzen zugeordnet haben, können wir daher von der wahren Kenntnis dieses Teils sprechen. Kant geht es in den zitierten Passagen um die Aufgabe einer „Kritik der reinen spekulativen Vernunft“, um den Versuch, die Möglichkeit des Wissens oder – wie er erklärt – die Methode der Wissenschaft zu umreißen „so wohl in Ansehung ihrer Grenzen, als auch den ganzen inneren Gliederbau derselben“ (KrV, BXXII f.). Die Charakterisierung der Vernunft anhand derselben Eigenschaften, die Kant in der Kritik der teleologischen Urteilskraft dem Organismus zuschreibt, soll an dieser Stelle also keinen Aufschluss über den Organismus, sondern über die Vernunft selbst geben. Hieran wird außerdem deutlich, dass Kant sich nicht lediglich auf das Vermögen der Ideen bezieht, welches er ebenfalls unter dem im ersten Kapitel eingeführten Begriff der Vernunft behandelt.1 Vielmehr wird das, was zuvor als Vernunft vom Verstand unterschieden wurde, nun als ein intellektuelles Vermögen unter anderen zur Vernunft in einem übergeordneten Sinne gezählt. Das, was hier als lebendig charakterisiert wird, ist folglich die auf Erkenntnis gerichtete Vernunft im weitesten Sinne, welche die gesamten Erkenntnisvermögen, den Verstand, die Vernunft im engeren Sinne und auch die Urteilskraft unter sich fasst: Die so verstandene Vernunft stellt das „ganze obere Erkenntnisvermögen“ (KrV, A835/ B863) dar. Trotz der Unterscheidung zwischen der Vernunft in einem weiteren und einem engeren Sinne ist auffällig, wie sehr diese beiden Vermögen hier im Bezug auf die Idee der Einheit zugleich untereinander verknüpft sind. Denn genau die Art von Einheit, die Kant der Vernunft im weiteren Sinne zuschreibt, strebt die Vernunft im engeren Sinne in ihren Schlüssen durch Ordnung verschiedener Erkenntnisse unter eine zusammenfassende Idee an. So erklärt Kant im Zusammenhang seiner Untersuchung in der Architektonik der reinen Vernunft: Unter der Regierung der Vernunft dürfen unsere Erkenntnisse überhaupt keine Rhapsodie, sondern sie müssen ein System ausmachen, in welchem sie allein die wesentlichen Zwecke derselben unterstützen und befördern können. Ich verstehe aber unter einem Systeme die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee. Diese ist der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, so fern
_____________ 1
Vgl. Abschnitt 1.4.
4.1. Der Vergleich zwischen Vernunft und Organismus
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durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen so wohl, als die Stelle der Teile unter einander, a priori bestimmt wird. Der szientifische Vernunftbegriff enthält also den Zweck und die Form des Ganzen, das mit demselben kongruiert. [...] Das Ganze ist also gegliedert (articulatio) und nicht gehäuft (coacervatio); es kann zwar innerlich (per intus susceptionem), aber nicht äußerlich (per appositionem) wachsen, wie ein tierischer Körper, dessen Wachstum kein Glied hinzusetzt, sondern, ohne Veränderung der Proportion, ein jedes zu seinen Zwecken stärker und tüchtiger macht (KrV, A832 f./B860 f.; Hervorhebung von A. B.).
Hier sind es unsere Erkenntnisse, die ausdrücklich mit einem tierischen Körper, einem Organismus, verglichen werden. Der Grund der systematisch organisierten Einheit dieser Erkenntnisse besteht darin, dass sie durch die Einheitsidee der Vernunft geordnet sind. Nicht nur das intellektuelle Vermögen des Menschen selbst, sondern auch seine Erkenntnisse werden nach der Analogie mit einem tierischen Körper als eine lebendige Einheit charakterisiert. Es ist also dieselbe Idee, unter welche hier einerseits die Vernunft im engeren Sinne alle Erkenntnisse zu subsumieren sucht und die andererseits auch dem gesamten Vernunftvermögen selbst zugeschrieben wird. Kann dieser Vergleich des menschlichen Vernunftvermögens mit einem Organismus nun Aufschluss über das Verständnis der OrganismusAnalogie in der Kritik der teleologischen Urteilskraft geben? Können wir den Vergleich der ersten Kritik als den Gedanken hinter der Analogie im § 65 der dritten Kritik ansehen? Eine positive Beantwortung dieser Fragen wäre sogleich mit einer Schwierigkeit konfrontiert. Denn wenn mit dem Verweis in der dritten Kritik auf die „Kausalität nach Zwecken“ als dem „praktischen Vernunftvermögen“ (KU, V 375) tatsächlich, wie in der ersten Kritik, eine Analogie zwischen Organismus und Vernunft gemeint ist, dann scheint diese Vernunft keinesfalls die reine spekulative Vernunft der ersten Kritik zu sein. Denn letztere wird von Kant ausdrücklich als theoretische von der praktischen Vernunft unterschieden: Als Vermögen, das sich auf die Erkenntnis von Dingen bezieht, beschäftigt sich die reine spekulative Vernunft mit dem, was ist, und nicht mit dem, „was zu tun sei“ (KrV, A800/B828). Während der Vergleich der ersten Kritik sich somit auf die theoretische Vernunft, das Vermögen der Erkenntnis, bezieht, verweist die Analogie der dritten Kritik ausdrücklich auf unser praktisches Vernunftvermögen und somit auf die Fähigkeit, nach Absichten zu handeln. Kants Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft scheint vor diesem Hintergrund eine Gleichsetzung der beiden Vergleiche unplausibel zu machen. Kann die Parallele zwischen Vernunft und Organismus in der Kritik der reinen Vernunft dennoch aufschlussreich für eine Interpretation der Organismus-Analogie in der Kritik der teleologischen Urteilskraft sein?
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4. Die Analogie von Organismus und Vernunft
Der Vergleich der ersten Kritik könnte uns möglicherweise für unsere Fragestellung weiterhelfen, wenn er als die vorläufige Formulierung einer Einsicht verstanden wird, die Kant erst in der darauffolgenden Entfaltung seiner kritischen Philosophie weiter entwickelt hat. Denn offenbar hat Kant seine Konzeption der Vernunft, die einer transzendentalen Kritik bedarf, im Laufe seiner Arbeit an den drei Kritiken ausgeweitet. Zwar unterscheidet Kant schon in der ersten Kritik einen theoretischen von einem praktischen Vernunftgebrauch, tatsächlich geht es ihm dort jedoch nur um die theoretische Vernunft als gesamtes Erkenntnisvermögen. Die Transzendentalphilosophie – so macht es Kant an einer Stelle sogar explizit – hat „lediglich mit reinen Erkenntnissen a priori zu tun“ (KrV A801/B829, Anm.). Und da sich die praktische Vernunft „wenigstens indirekt“ auch auf das Gefühl bezieht, welches nicht in den Bereich der Erkenntnis fällt, gehört sie für Kant in der ersten Kritik „nicht in den Inbegriff der Transzendentalphilosophie“ (ebd.). Diese Einstellung Kants hat sich in der Kritik der praktischen Vernunft und in seinen weiteren Schriften zur praktischen Philosophie offensichtlich geändert, denn dort unterzieht Kant das praktische Vernunftvermögen ja gerade einer transzendentalen Vernunftkritik.2 Darüber hinaus ist es in der dritten Kritik Kants erklärtes Ziel, die Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft transzendentalphilosophisch darzulegen.3 Kants frühere Überzeugung, dass eine kritikfähige und kritikbedürftige Vernunft lediglich die theoretisch-spekulative umfasst, scheint also erst in den darauffolgenden Arbeiten durch die Einsicht ersetzt zu werden, dass zu einer kritischen Untersuchung des menschlichen Vernunftvermögens auch die Kritik des Handlungsvermögens zählt. Zum „ganzen Umfang der reinen Vernunft“ (Prol, IV 261), den Kant in seiner Transzendentalkritik untersuchen möchte, gehört folglich nicht nur die theoretische, sondern auch die praktische Vernunft. Wenn Kants Vergleich der systematischen Einheit der Vernunft mit der Einheit eines Organismus, ein Vergleich, der zunächst lediglich auf die theoretische Vernunft eingeschränkt war, nun gleichermaßen auf das gesamte Vernunftvermögen ausgeweitet werden könnte, dann würde die _____________ 2
3
Dass sich Kant im Nachhinein darüber bewusst wurde, dass die Untersuchung der ersten Kritik sich auf die theoretische Vernunft beschränkt und damit wichtige Fragestellungen bezüglich der Fähigkeit vernünftiger Wesen, nach Zwecken zu handeln, ausklammert, wird auch in einem Brief an Reinhold vom Dezember 1787 deutlich. Kant spricht von der ersten Kritik dort nicht mehr allgemein als der „Kritik der reinen Vernunft“, sondern spezieller als einer „Kritik der reinen (theoretischen) [...] Vernunft“ (Br, X 514). Hutters (2003, S. 86) Schlussfolgerung ist aus diesem Grund, dass sich „[e]rst am Ende, in der Kritik der Urteilskraft, [...] der systematische Gesamtzusammenhang der Kantischen Vernunftkritik ganz übersehen und angemessen bestimmen“ lässt.
4.2. Die Einheit der theoretischen und praktischen Vernunft
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Charakterisierung der Vernunft als organische Einheit nicht lediglich das Erkenntnisvermögen, sondern auch das praktische Vernunftvermögen in uns umfassen. Zwar wiederholt Kant den Vergleich der Gesamtheit der Vernunft mit einem Organismus in seinen späteren Schriften nicht in der gleichen Ausdrücklichkeit; tatsächlich aber macht seine Argumentation insbesondere in den beiden Einleitungen zur Kritik der Urteilskraft klar, dass er das gesamte Vermögen der Vernunft als eine systematische Einheit auffasst, welche von einer rein zufälligen Akkumulation von intellektuellen Fähigkeiten zu unterscheiden und als eine organismische Einheit zu verstehen ist.4 Das so konzipierte Vernunftsystem enthält nun nicht mehr nur die theoretische, auf Erkenntnis ausgerichtete, sondern auch die praktische, auf Handlung bezogene Vernunft sowie die Urteilskraft in ihrer bestimmenden wie auch reflektierenden Funktion. In seinem Werk kommt Kant immer wieder auf die Idee der Vernunfteinheit zurück. Allerdings müssen in Kants Schriften zwei Aussagen über diese Einheit voneinander unterschieden werden. Zum einen beschreibt Kant das gesamte Vernunftvermögen im weitesten Sinne nach der Analogie mit einem Organismus als eine systematisch organisierte, lebendige Einheit. Zum anderen geht es ihm aber auch spezieller um die Einheit der beiden Arten des Vernunftgebrauchs im engeren Sinne, die Einheit der theoretischen und praktischen Vernunft. Beide Vorstellungen der Vernunfteinheit müssen zunächst voneinander unterschieden werden und sind doch in wesentlicher Hinsicht wieder aufeinander bezogen. Denn erst die Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft im engeren Sinne macht die Vorstellung der Vernunft im weiteren Sinne als organische Gesamtheit aller intellektuellen Fähigkeiten möglich. Bevor ich also näher auf diese Idee der Vernunft als einer lebendigen Einheit eingehe, soll im nächsten Abschnitt daher zuerst Kants Idee der Einheit des theoretischen und praktischen Vernunftgebrauchs vorgestellt werden.
4.2. Die Einheit der theoretischen und praktischen Vernunft In seiner Schrift Was heißt: Sich im Denken orientieren? differenziert Kant zwischen der theoretischen und praktischen Vernunft mit Blick auf ihr unterschiedliches „Bedürfnis“. „Man kann aber das Bedürfnis der Vernunft als zwiefach ansehen: erstlich in ihrem theoretischen, zweitens in ihrem praktischen Gebrauch“ (WDO, VIII 139). Die in den ersten beiden Kapiteln untersuchte Erkenntnis der Natur als kausal verursachter und mechanisch erklärbarer Gegenstand möglicher Erfahrung liegt für Kant im Be_____________ 4
Vgl. z. B. EEKU, XX 201 ff., und KU, V 195 ff.
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4. Die Analogie von Organismus und Vernunft
reich der theoretischen Vernunft. Mit Hilfe der Idee der Einheit ermöglicht uns die Vernunft in ihrem theoretischen Gebrauch die Vorstellung der Natur als systematisch nach Naturgesetzen geordnete Ganzheit und gibt dadurch unserer Suche nach kausalen Zusammenhängen in der Natur einen Sinn. Insofern die Vernunft die Idee der Einheit aller Erkenntnisse der Natur voraussetzt und ihre Schlüsse auf diese Einheit ausrichtet, wird ihr von Kant das „Bedürfnis“ und in einem verwandten Sinne auch das „Interesse“ zugeschrieben, dass sich die Summe aller Erkenntnisse zu einer systematischen Einheit zusammenfüge.5 Der Begriff eines Vernunftbedürfnisses oder -interesses ist für Kant eng mit dem Bewusstsein verknüpft, dass wir nicht immer das nötige Wissen haben, um ein Urteil über einen bestimmten Begriff fällen zu können. Kant zufolge ist die prinzipielle Möglichkeit der Erfahrung eines dem Begriff entsprechenden Objekts Voraussetzung für ein Urteil über das Objekt und somit für seine Erkenntnis. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben und ist ein Urteil trotzdem notwendig für unser übriges Denken oder Handeln, so spricht Kant daher von einem Bedürfnis der Vernunft, dass dieses Urteil trotz allem Wissensmangel gefällt werde.6 So ist es Kant zufolge nicht möglich, empirisch zu entscheiden, ob die Welt als Ganze eine nach Kausalgesetzen geordnete, systematische Einheit sei. Gerade die Idee eines Weltganzen, einer Totalität aller Natur, kann nicht in der Erfahrung erkannt werden. Jegliche Erkenntnisse über die Natur verweisen immer wieder auf natürliche Ursachen und bleiben somit stets durch etwas anderes in der Welt bedingt. Obwohl also nicht empirisch entschieden werden kann, ob die Natur eine nach notwendigen Gesetzen geordnete, systematische Einheit darstellt, ist die Annahme dieser Einheit trotzdem erforderlich. Denn – so haben die ersten beiden Kapitel gezeigt – erst die Voraussetzung einer systematischen Natureinheit gibt der Betrachtung der Natur als einer nach empirischen Gesetzen geordneten Ganzheit und der Suche nach mechanischen Naturerklärungen überhaupt einen Sinn. Da eine solche Vorstellung der Natur notwendig für die Möglichkeit ist, sich in der Welt zurechtzufinden, sich auf Regelmäßigkeiten in den Naturvorgängen zu verlassen und überhaupt von dem Erfolg der eigenen Handlungen auszugehen, können wir Kant zufolge annehmen, dass die Vernunft ein Interesse an der systematischen Einheit aller Natur habe und dass sie _____________ 5 6
Zu den Begriffen des Vernunftbedürfnisses und -interesses siehe WDO, VIII 136-147, sowie KrV, A462/B490 und A666/B694. In seinem Buch zum Interesse der Vernunft betont Hutter (2003, S. 64 ff.) diesen notwendigen Bezug des Vernunftinteresses zu der Problematik der Endlichkeit und Begrenztheit unserer Verstandeserkenntnis. Vgl. auch die Betrachtungen zu Kants Begriff des Vernunftbedürfnisses bei Zammito (1992, S. 237 ff.) und Kleingeld (1995, S. 90 ff.).
4.2. Die Einheit der theoretischen und praktischen Vernunft
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eines Urteils über diese systematische Einheit bedürfe. Es ist – so Kant – das „Recht des Bedürfnisses der Vernunft [...], als eines subjektiven Grundes etwas vorauszusetzen und anzunehmen, was sie durch objektive Gründe zu wissen sich nicht anmaßen darf“ (WDO, VIII 137). Anhand ihrer nicht in der Erfahrung verifizierbaren, trotzdem aber für das menschliche Vernunftvermögen notwendigen Annahmen übernimmt es die Vernunft, uns Orientierung „im Denken“ (ebd.) zu verschaffen und uns ein Ziel, nämlich die systematische Einheit der Naturerkenntnisse, vorzugeben, das uns in unserer Erschließung der Wirklichkeit leitet. Durch sein gesamtes Werk hindurch legt Kant die Betonung immer wieder darauf, dass der Mensch nicht nur ein erkennendes, sondern vor allem auch ein handelndes Wesen ist. Unser Leben als Menschen ist nicht nur dadurch bestimmt, dass wir Erfahrungen von der Welt machen und sie zu begreifen versuchen, sondern auch dadurch, dass wir uns in ihr bewegen, Handlungen vollziehen und selbst auf die Welt Einfluss nehmen. Das Bewusstsein, ein handelndes Wesen zu sein, setzt Kant zufolge nun aber voraus, dass wir uns selbst als frei denken. Handlungsfähigkeit zeichnet sich dadurch aus, dass bestimmte Bewegungen frei von äußeren Zwängen und nach eigener Absicht ausgeführt werden können. Eine Handlung ist demzufolge nicht lediglich eine kausal determinierte Bewegung, sondern sie ist auf einen durch ein Bewusstsein gesetzten Zweck gerichtet. Der Zweck einer Handlung ist dabei – dies macht Kant in der Kritik der Urteilskraft deutlich – „die vorgestellte Wirkung, deren Vorstellung zugleich der Bestimmungsgrund der verständig wirkenden Ursache zu ihrer Hervorbringung ist“ (KU, V 426). Zu handeln heißt demnach, eigene Absichten in der Welt zu realisieren oder dies zumindest zu versuchen, und es ist dieser freie und gerichtete Charakter der Handlung, den Kant immer wieder mit den Ausdrücken der „Kausalität aus Freiheit“, der „Kausalität nach Zwecken“ oder auch der „Kausalität der Endursachen“ belegt. In der Idee der freien Handlung kommt Kants Verständnis des praktischen Vernunftgebrauchs zum Vorschein. Wirklich frei handeln, also frei Zwecke setzen und Absichten nachgehen, bedeutet für Kant, seine Vernunft praktisch gebrauchen. Freiheit ist für Kant demnach nicht nur negativ als die Unabhängigkeit von fremden Ursachen bestimmt, sondern auch positiv als Selbstbestimmtheit im eigenen Handeln. Eine Handlung, die auf sinnlichen Gefühlen oder Neigungen beruht, kann Kant zufolge niemals frei sein, denn Gefühle und Neigungen sind als Teil der Natur immer durch vorhergehende, natürliche Bedingungen verursacht. Handlungen, die lediglich sinnlich gegebenen Neigungen folgen, wären somit niemals unabhängig von den Bedingungen der Natur, sondern immer durch gerade die Gesetze determiniert, von denen sie sich als frei emanzipieren woll-
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4. Die Analogie von Organismus und Vernunft
ten. Kant zufolge bleiben lediglich Vernunftgründe als Bestimmungsgrund für autonome Handlungen übrig – Gründe also, die von allen Vernunftwesen nachvollzogen werden können. Eine selbstbestimmte Handlung kann daher nur auf Maximen beruhen, denen grundsätzlich alle vernünftigen Wesen folgen könnten, welche individuellen Neigungen oder Präferenzen sie auch immer besitzen mögen. Es ist dieser Schritt zu der Bestimmung durch allgemeingültige Vernunftgründe, welcher uns zu Kants Formulierung des kategorischen Imperativs führt: „[H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ (GMS, IV 421). Frei und selbstbestimmt ist nach Kant nur die Handlung, die dem Grundsatz folgt, nach dem die Maxime der Handlung prinzipiell von allen vernünftigen Wesen befolgt werden könnte.7 Um deutlich zu machen, dass wir neben dem theoretischen Vernunftgebrauch auch die Möglichkeit der Freiheit und der praktischen Vernunft voraussetzen müssen, unterscheidet Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten zwischen zwei Standpunkten: Ein vernünftiges Wesen – so erklärt Kant – hat zwei Standpunkte, daraus es sich selbst betrachten und Gesetze des Gebrauchs seiner Kräfte, folglich aller seiner Handlungen erkennen kann, einmal, so fern es zur Sinnenwelt gehört, unter Naturgesetzen (Heteronomie), zweitens, als zur intelligibelen Welt gehörig, unter Gesetzen, die, von der Natur unabhängig, nicht empirisch, sondern bloß in der Vernunft gegründet sind (GMS, IV 452).
Vom theoretischen Standpunkt aus müssen wir uns als Naturwesen verstehen und sind somit selbst Teil der Natur. Vom praktischen Standpunkt müssen wir uns dagegen als freie Akteure verstehen, die unabhängig von der Bestimmung durch die natürlichen Bedingungen und rein aus Vernunftgründen handeln können. Die zwei Standpunkte, die den Unterschied im theoretischen und praktischen Vernunftgebrauch erklären, bedingen nun auch die zweifache Natur des Vernunftinteresses. Denn während die theoretisch gebrauchte Vernunft die Idee der Einheit aller Erkenntnisse voraussetzt und in ihren Schlüssen anstrebt, geht es im praktischen Vernunftgebrauch darum, alle Handlungen nach dem kategorischen Imperativ zu vollziehen. Auch hier kann also von einem Bedürfnis nach Einheit oder auch einem Interesse an Einheit gesprochen werden: Nach der praktisch gebrauchten Vernunft müssen alle Handlungen unter dem kategorischen Imperativ miteinander vereinbar sein. Die praktische Ver_____________ 7
Der Zusammenhang von Freiheit und Vernunft kann hier nur angesprochen werden. Zu einer ausführlicheren Diskussion siehe O’Neill (1989, Teil 1), an deren Darstellung ich mich hier in groben Zügen anlehne. Vgl. außerdem die Untersuchungen zur praktischen Vernunft und Freiheit bei Kant in Willaschek (1992) und Timmermann (2003).
4.2. Die Einheit der theoretischen und praktischen Vernunft
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nunft ist auf den „letzten und vollständigen“ Zweck der Bestimmung aller Handlungen durch den Imperativ der Vernunft ausgerichtet: Das Interesse ihres spekulativen Gebrauchs besteht in der Erkenntnis des Objekts bis zu den höchsten Prinzipien a priori, das des praktischen Gebrauchs in der Bestimmung des Willens in Ansehung des letzten und vollständigen Zwecks (KpV, V 120).
Auch im praktischen Gebrauch spielt die Vernunft somit die Rolle des Orientierung bietenden, Richtung weisenden Vermögens. Anhand des kategorischen Imperativs gibt sie Anweisung, nach welchem Grundsatz wir als vernünftige Akteure unsere Handlungen auszurichten haben. Nach Kant ist der Mensch also sowohl ein erkennendes als auch handelndes Wesen. Seine Vernunft kann er theoretisch zur Erkenntnis der Welt wie auch praktisch zur selbstbestimmten Handlung aus Vernunftgründen gebrauchen. Beide Standpunkte, der theoretische und der praktische, müssen demnach „nicht allein gar wohl beisammen stehen können, sondern auch als notwendig vereinigt in demselben Subjekt gedacht werden“ (GMS, IV 456). Wie aber haben wir uns diese notwendige Vereinigung des theoretischen und praktischen Vernunftgebrauchs vorzustellen? Kant selbst hält eine Beantwortung dieser Frage für überaus dringlich. Theoretische und praktische Vernunft müssen ihm zufolge eine Einheit bilden, „weil es doch am Ende nur eine und dieselbe Vernunft sein kann, die bloß in der Anwendung unterschieden sein muss“ (GMS, IV 391). In dem Versuch, diese Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft zu erläutern, wird oft darauf verwiesen, dass die theoretische Vernunft selbst in gewissem Sinne praktisch tätig ist. Verstandesakte wie das Denken oder Erkennen können ebenso wie beabsichtigte Bewegungen im Raum als Handlungen mit einem bestimmten Zweck, genauer gesagt dem Zweck der Erkenntnis, verstanden werden. Das, was Kant den theoretischen Gebrauch der Vernunft nennt, könnte daher so wie der genuin praktische Vernunftgebrauch als aktiv handelnd und als praktisch bezeichnet werden. Bestünde die Einheit der theoretischen und praktischen Vernunft jedoch ausschließlich in einer solchen Ähnlichkeitsbeziehung, so bliebe ungeklärt, wie der auf Erkenntnis ausgerichtete Akt und die auf Befolgung des kategorischen Imperativs abzielende Tat als Handlungen ein und derselben Vernunft verstanden werden könnten. Kant bekräftigt deshalb nicht nur die praktische Seite beider Arten des Vernunftgebrauchs, sondern betont darüber hinaus, dass die Einheit der praktischen und theoretischen Vernunft auf einer gewissen Vorrangstellung des praktischen Vernunftgebrauchs beruht, dass der Gebrauch der theoretischen abhängig von der praktischen Vernunft und durch letztere bedingt ist. Beide Interessen der Vernunft – so erklärt Kant in der Kritik der praktischen Vernunft – sind insofern zu vereinbaren, als der theoretische Ver-
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4. Die Analogie von Organismus und Vernunft
nunftgebrauch den praktischen voraussetzt und ihm untergeordnet ist: In „der Verbindung [...] der reinen spekulativen mit der reinen praktischen Vernunft“ führt Kant zufolge „die letztere das Primat“ (KpV, V 121). Implizit wurde bereits auf die Vorrangstellung des Praktischen eingegangen. Wir schon im ersten Kapitel deutlich geworden ist, unterliegt der theoretische Vernunftgebrauch und mit ihm die Möglichkeit der Erkenntnis der Welt zentralen Einschränkungen. Die transzendentalen Verstandesgesetze garantieren demnach nicht, dass wir empirische Gesetzmäßigkeiten in der Natur entdecken können, und schließen daher auch nicht die Möglichkeit des empirischen Chaos aus. Gleichzeitig ist deutlich geworden, dass wir die Regelmäßigkeit der Natur dennoch anhand eines regulativen Prinzips annehmen müssen.8 In einer Welt, in der keinerlei Gleichförmigkeit zu entdecken wäre, könnten wir uns niemals zurechtfinden. Die Vorstellung einer Natur, in der wir uns nicht zumindest auf gewisse Regelmäßigkeiten der Ursache-Wirkungs-Verhältnisse verlassen könnten, stellt eine praktische Unmöglichkeit dar und muss daher durch die Annahme der Einheit der Natur zurückgewiesen werden. Dieser Argumentationsgang setzt selbst im Kontext theoretischer Untersuchungen einen praktischen Zweck unserer regulativen Annahmen voraus. Nur weil wir von dem praktischen Ziel der Möglichkeit selbstbestimmter Handlungen in einer kausal bestimmten Natur ausgehen, diese Handlungen aber nur möglich sind, wenn wir uns auch auf die Gleichförmigkeit der Natur verlassen können, müssen wir auch die Ordnung der Natur nach empirischen Gesetzen annehmen. Nur indem wir in dieser Argumentation also das Interesse an unserer eigenen praktischen Handlungsfähigkeit zu Grunde legen, müssen wir auch theoretisch von einer notwendigen Annahme der empirischen Gesetzmäßigkeit der Natur ausgehen.9 Insofern der theoretische Gebrauch der Vernunft die Frage nach der gesetzmäßigen Bestimmtheit der Natur unbeantwortet lässt, muss die Vernunft sich also an ihrem praktischen Handlungsinteresse orientieren. Sie muss auch im Kontext theoretischer Überlegungen praktisch tätig werden und entscheiden, wie zu handeln und in diesem Falle genauer wie zu denken sei. Indem die Vernunft sich den regulativen Grundsatz der Einheit der Natur zum Prinzip macht, fällt sie eine Entscheidung und handelt nach Gründen, die über die theoretischen Vorgaben des Verstandes hinausgehen, denen aber trotzdem alle anderen vernünftigen Wesen gleichermaßen folgen können. Auch in ihrem theoretischen Gebrauch stützt _____________ 8 9
Vgl. Abschnitt 1.3-1.4. In seinem Buch The Actor and the Spectator drückt Beck (1975) diesen Gedanken durch seine These aus, dass die Perspektive des Handelnden notwendig für die des Beobachters ist.
4.2. Die Einheit der theoretischen und praktischen Vernunft
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sich die Vernunft daher auf ihre Handlungsfähigkeit und beweist praktische Freiheit, und zwar Freiheit im Denken, welches „die Unterwerfung der Vernunft unter keine anderen Gesetze [ist,] als: die sie sich selbst gibt“ (WDO, VIII 145). Sowohl der praktische als auch der theoretische Gebrauch der Vernunft folgt somit letztlich Grundsätzen der Vernunft selbst. Onora O’Neill kommt daher zu dem überzeugenden Schluss, dass der kategorische Imperativ das höchste Prinzip nicht nur der praktischen, sondern auch der theoretischen Vernunft ist.10 Indem sich die Vernunft auch im theoretischen Gebrauch ihre eigenen Prinzipien setzt und so durch das höchste Vernunftgesetz geleitet ist, sind sowohl theoretische wie auch praktische Vernunft als Funktionen ein und desselben Vermögens zu verstehen. Dies erhellt nun auch, warum Kant zufolge „alles Interesse zuletzt praktisch ist, und selbst das der spekulativen Vernunft nur bedingt und im praktischen Gebrauche allein vollständig ist“ (KpV, V 121). Das Interesse der theoretischen Vernunft an der Einheit aller Erkenntnisse ist selbst durch das praktische Interesse bestimmt, alle Handlungen unter dem höchsten Prinzip der Vernunft zu vereinen. Das theoretische Vernunftbedürfnis kann daher als bedingt beschrieben werden, während das praktische Interesse bereits das Interesse selbstbestimmten Vernunftgebrauchs ist und keine weiteren Bedingungen oder Gründe voraussetzt.11 Es besteht in dem vollkommen unbedingten Vernunftprinzip des kategorischen Imperativs, auf das sich letztlich auch der theoretische Vernunftgebrauch gründet. „Das logische Interesse der Vernunft (ihre Einsichten zu befördern),“ so führt Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten deshalb aus, „ist niemals unmittelbar, sondern setzt Absichten ihres Gebrauchs voraus“ (GMS, IV 459, Anm.). Theoretische und praktische Vernunft bilden eine Einheit, da das Interesse der theoretischen letztlich auf das der praktischen Vernunft hinausläuft. Die Vernunft – so hatte es Kant schon in der _____________ 10 O’Neill (1992, S. 296) schließt: “Kant views the fundamental principle of reason as that of governing both thinking and doing by principles that others too can adopt and follow.” 11 Neiman (1994) bezieht den Gegensatz zwischen der Bedingtheit des theoretischen und der Unbedingtheit des praktischen Vernunftgebrauchs auf die Möglichkeit der Realisierung des jeweiligen Vernunftgegenstands. Während die Realisierung des Objekts der theoretischen Vernunft, die Erkenntnis der Welt, immer bedingt bleibt durch die Erfahrungen von der Welt, ist die Realisierung des Objekts praktischer Vernunft dagegen lediglich von uns selbst abhängig. Insofern letztere in der Befolgung des kategorischen Imperativs besteht, muss sie sich zwar auf die äußeren Bedingungen der Welt beziehen, ist jedoch allein abhängig von den Maximen, die unseren Handlungen zu Grunde liegen. Neiman kommt zu dem überraschenden Schluss: „Practical reason’s objects […] are breathtakingly simple to realise” (S. 129).
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4. Die Analogie von Organismus und Vernunft
Kritik der reinen Vernunft dargestellt – hat „nur ein einiges Interesse“ (KrV, A666/B694).
4.3. Die systematische Einheit des gesamten Vernunftvermögens Der letzte Abschnitt hat einen Hinweis darauf gegeben, wie die Einheit der Vernunft im engeren Sinne als die Vereinbarung des theoretischen mit dem praktischen Vernunftgebrauch durch den Vorrang der praktisch zweckgerichteten Handlungsfähigkeit zu verstehen ist. In welcher Beziehung steht dies nun zu der Vorstellung der Vernunft im weiteren Sinne als einer systematisch organisierten, lebendigen Einheit? Die Einheit der Vernunft im engeren Sinne stellt eine grundlegende Voraussetzung für ein Verständnis der Vernunfteinheit in einem umfassenderen Sinne dar. Nach Kants Einheitsthese ist das Vernunftvermögen im engeren Sinne auf die Vereinbarung aller Handlungen unter dem kategorischen Imperativ ausgerichtet. Zugleich stellt die so verstandene Vernunft auch das oberste intellektuelle Vermögen dar, welches den übrigen Vermögen durch seine Prinzipien die Richtung weist. Indem die Vernunft im engeren Sinne alle anderen intellektuellen Vermögen „zu einem gewissen Ziele“ (KrV, A644/B672) richtet, kann sie diese zu einer umfassenden Einheit unter dem Prinzip des kategorischen Imperativs vereinbaren. Der Richtung weisende und Orientierung bietende Charakter der auf selbstbestimmte Handlung ausgerichteten Vernunft macht es auf diese Weise möglich, die Gesamtheit der verschiedenen intellektuellen Fähigkeiten nach der Analogie mit einem Organismus als eine praktisch zweckgerichtete, systematische Einheit zu verstehen. Die Einheit, nach der die Vernunft im engeren Sinne in ihren Handlungen strebt, wird so auf das Vernunftganze übertragen. Wie zu Beginn des Kapitels deutlich wurde, charakterisiert Kant die Vernunft wie einen Organismus als komplexe Einheit aus Teilen, die nur im Zusammenhang und in Beziehung auf das Ganze ihre Funktion haben und deshalb auch nur in dieser Beziehung begriffen werden können. Diese Charakterisierung kann nun zunächst an den beiden voneinander unterschiedenen Bereichen der theoretischen und praktischen Vernunft verdeutlicht werden. So sind erstens im Kontext der theoretischen Vernunft die Arbeit des Begriffe liefernden Verstandes und die Funktion der Urteilskraft, gegebene Erscheinungen unter diese Begriffe zu ordnen, erst mit Verweis auf das Ziel zu verstehen, Erscheinungen für uns als Erfahrungen einer einheitlich erkennbaren Welt vorstellbar zu machen. Dieses Ziel ist wiederum erst durch die Vernunftideen und die Prinzipien der
4.3. Die systematische Einheit des gesamten Vernunftvermögens
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reflektierenden Urteilskraft vorgegeben. Wie das erste Kapitel gezeigt hat, wäre es ohne diese Vorgabe möglich, dass die Verstandeserkenntnisse lediglich eine verwirrende Rhapsodie, nicht aber eine systematisch miteinander zu vereinbarende Ganzheit ausmachten. Die Funktionen des auf Erkenntnis gerichteten Verstandes, der die Verstandesurteile ermöglichenden, bestimmenden Urteilskraft sowie der diese Urteile regulierenden, reflektierenden Urteilskraft und letztlich auch der Richtung weisenden, spekulativen Vernunft sind somit nur im Kontext dieser wechselseitig sich bedingenden Einheit von Teilen zu verstehen. Zweitens können auch die Funktionen der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch zusammen mit denen der Urteilskraft und des Verstandes nur als reziprok aufeinander bezogene Bestandteile einer größeren Gesamtheit betrachtet werden. Während die Urteilskraft bestimmte Handlungssituationen einer durch den kategorischen Imperativ geleiteten Handlungsmaxime zuordnet, stellt der Verstand die Mittel zur Realisierung einer Handlungsoption zur Verfügung. Sowohl die Funktionen der Urteilskraft wie auch die des Verstandes sind dabei nicht nur wechselseitig voneinander abhängig, sondern außerdem durch die Vorgaben der Vernunft bedingt. Diese beiden voneinander unterschiedenen Einheiten des theoretischen und praktischen Gebrauchs unserer intellektuellen Vermögen bleiben nun nicht abgetrennt nebeneinander stehen, sondern haben erst in ihrer gemeinsamen Bezogenheit auf das höchste Vernunftprinzip ihren Sinn. Die vorangehende Erläuterung des Zusammenspiels und der Vereinbarkeit von theoretischer und praktischer Vernunft macht verständlich, was mit der Einheit dieser verschiedenen Vernunftvermögen genauer gemeint sein könnte. Denn erst die Idee der Einheit aller Handlungen nach dem kategorischen Imperativ bedingt auch das Ziel der Einheit aller Erfahrungen als Erkenntnisse einer einzigen Natur. Die aufeinander bezogenen Funktionen des Verstandes, der Urteilskraft und der Vernunft in ihrem theoretischen Gebrauch können so als Funktionen innerhalb einer noch größeren Einheit von Teilen angesehen werden, der Einheit des gesamten, auch die praktische Vernunft einschließenden Vernunftvermögens des Menschen, welches letztlich auf die Vereinbarkeit aller Handlungen als selbstbestimmte, freie Akte unter dem höchsten Vernunftprinzip gerichtet ist. Die gesamte Leistung der einzelnen Vernunftvermögen ist daher nur mit Blick auf den höchsten praktischen Zweck zu verstehen – den Zweck, alle Erkenntnisse und Handlungen nach allein in der Vernunft begründeten Maximen auszurichten, welche die Selbstbestimmtheit der Vernunft realisieren und die prinzipiell von allen Vernunftwesen befolgt werden können. Der Zweck, auf den die praktische Vernunft im engeren Sinne gerichtet ist, die Einheit aller Handlungen unter dem kategorischen Imperativ, ist somit zugleich auch der Zweck, nach dem die verschiedenen
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4. Die Analogie von Organismus und Vernunft
Vernunftvermögen zu einer systematischen Gesamtheit organisiert werden. Die Gesamtheit der intellektuellen Vermögen des Menschen kann folglich betrachtet werden, als sei sie auf die Einheit aller Handlungen nach dem Prinzip der Selbstbestimmung ausgerichtet. Die Vernunft stellt auf diese Weise eine Einheit dar, die durch eine Vielheit von Teilen konstituiert und deren innere Differenzierung Kant zufolge nicht aggregiert, sondern artikuliert ist.12 Die Einheit ist keine wahllose Ansammlung von Teilen, sondern systematisch und duldet wie ein Organismus „keine zufällige Hinzusetzung“ (KrV, A833/B861) weiterer Komponenten. Zwar sind die einzelnen Teile des Vernunftganzen insofern selbständig, als sie eine eigene Funktion ausüben, trotzdem aber grenzt diese Funktion sie nicht nur von den anderen Teilen ab, sondern verweist auch auf diese, indem sie einerseits die anderen Teile und deren Funktionieren ermöglicht und andererseits innerhalb des Ganzen selbst erst als Funktion des Teils bestehen kann. Die unterschiedlichen Vernunftvermögen bilden so wie die Organe eines Lebewesens eine Einheit, in der sie wechselseitig voneinander abhängig und auf einen gemeinsamen Zweck gerichtet sind. Dieser gemeinsame Zweck – die Einheit aller Handlungen nach dem höchsten Vernunftprinzip – bedeutet zugleich das Streben nach Realisierung der Freiheit und damit nach Aufrechterhaltung der Möglichkeit, allein aus Vernunft zu handeln, zu denken, zu entscheiden. Die Vernunft als Ganze strebt somit letztlich nach ihrer eigenen Selbstbestimmtheit und verfolgt das Ziel, sich als freies Vermögen selbst zu erhalten: Sie ist ihr eigener Zweck. Die Einheit aller Handlungen nach dem Vernunftprinzip und folglich auch die Einheit der Vernunft selbst ist dabei eine Idee, der wir uns zwar unendlich annähern, die wir in unseren Handlungen jedoch immer wieder neu realisieren müssen. Die Vernunft bleibt so ihrer Gerichtetheit auf ihre eigene Selbstbestimmtheit und damit auch ihrer eigenen Selbstverwirklichung beständig verhaftet. Im letzten Kapitel haben wir gesehen, dass sich Kants Charakterisierung von Organismen in der Kritik der teleologischen Urteilskraft durch zwei Aspekte auszeichnet: nicht nur durch die Abhängigkeit der einzelnen Teile von dem Organismus als Ganzem, sondern auch durch die gegenseitige Bedingung und kausale Hervorbringung der einzelnen Teile untereinander. Umfasst der Vergleich der Vernunft mit einem Organismus auch diesen zweiten Aspekt der Charakterisierung von Organismen? Können wir uns die Vernunft also wiederum im Vergleich mit einem Organismus so vorstellen, als verursachten auch ihre Teile, die unterschiedlichen Vermögen des Intellekts, sich in dieser Abhängigkeit gegenseitig? Alberto Rosales bestreitet eine positive Beantwortung dieser Frage. Zwar habe die _____________ 12 Vgl. EEKU, XX 241 ff.
4.3. Die systematische Einheit des gesamten Vernunftvermögens
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Vernunft eine den Organismen analoge Struktur, da sie eine ähnliche Ganzheit von funktionalen Teilen ausmacht; in anderer Hinsicht unterscheide sie sich jedoch wesentlich von den Organismen, insofern sich die einzelnen Teile der Vernunft nicht gegenseitig hervorbringen.13 Stößt der Vergleich zwischen Vernunft und Organismus hier also an seine Grenzen? Meines Erachtens hat Rosales Recht, wenn er behauptet, dass die Teile der Vernunft, die einzelnen Vernunftvermögen, sich nicht wie die Teile eines Organismus in einem physischen Sinne hervorbringen. Und doch, so denke ich, kann die wechselseitige Abhängigkeit der Vernunftteile in einem analogen Sinne als gegenseitige Hervorbringung und die einzelnen Vernunftvermögen als wechselseitig voneinander „Ursache und Wirkung“ betrachtet werden. Denn insofern die einzelnen Vernunftvermögen nur gleichzeitig funktionieren, können sie als Vermögen auch nur gleichzeitig existieren. Um zu sehen, wie diese gegenseitige Hervorbringung der einzelnen Teile des Vernunftganzen zu verstehen ist, betrachten wir noch einmal die wechselseitige Abhängigkeit der Vernunftprinzipien. So gäbe es ohne die Arbeit des Begriffe liefernden Verstandes auch keine Urteilskraft, die diesen Begriffen gegebene Erscheinungen unterordnete. Gleichzeitig hätten aber auch die Verstandesbegriffe, die ja erst in ihrer Anwendung auf sinnlich gegebene Anschauungen ihre Bedeutung haben, ohne die Subsumtionsleistung der Urteilskraft einerseits und ihre Reflexionsleistung andererseits keine Funktion. Die Funktionen des Verstandes und der Urteilskraft sowie die durch diese vollbrachten Erkenntnisurteile sind darüber hinaus notwendig für die Möglichkeit der theoretischen Vernunft, Schlüsse zu ziehen und bestimmte Erkenntnisse allgemeinen Ideen unterzuordnen. Und andersherum sind auch die Verstandeserkenntnisse von der Natur als einer systematisch geordneten und durch Gesetze bestimmten Einheit von der Einheitsidee der Vernunft und den regulativen Prinzipien der reflektierenden Urteilskraft abhängig. Diese Beschreibung der verflochtenen Abhängigkeitsverhältnisse der einzelnen Vernunftfunktionen könnte noch weiter ausgedehnt werden. Denn auch die praktische Vernunft kann nur im Zusammenspiel mit der Urteilskraft und den Verstandeserkenntnissen überhaupt als Vermögen betrachtet werden, welches die Fähigkeit hat, Handlungen in der Welt zu bestimmen. Und noch einmal könnte gezeigt werden, wie auch die Funktionen der erkenntnis- und handlungsbestimmenden Vernunftvermögen wechselseitig voneinander abhängig sind. Genau diese Abhängigkeit zwischen den einzelnen Vernunftvermögen, die _____________ 13 Rosales (2000, S. 185 ff.) spricht nicht ausdrücklich von der Vernunft, sondern vom Subjekt. Er bezieht sich damit jedoch auf das erkennende und auf praktische Zwecke gerichtete Subjekt.
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4. Die Analogie von Organismus und Vernunft
notwendig sind, um jede einzelne ihrer Funktionen ausüben zu können, ist es, welche den Charakter ihrer gegenseitigen Hervorbringung ausmacht: Als Vermögen können die Vernunftprinzipien nur in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander funktionieren und bringen sich in ihrer Interdependenz gegenseitig hervor. Diese Darstellung relativiert auch einen weiteren Einwand von Rosales, dem zufolge die verschiedenen Teile der Vernunft nicht auf gleicher Ebene voneinander abhängig, sondern als eine aufsteigende Ordnung von der Mannigfaltigkeit zur Einheit hin orientiert sind. Nicht jedes Vermögen begründet nach Rosales’ Ansicht jedes beliebige andere, sondern ermöglicht unmittelbar nur eines auf der nächst höheren Ebene. Nach Rosales bilden die Vernunftvermögen somit eine hierarchisch geordnete Reihe, in der jedes Glied seinen festen Platz hat und in dem die Vernunft im engeren Sinne als das höchste Vermögen angesehen werden kann, dem die Vermögen der Urteilskraft und des Verstandes untergeordnet sind. 14 Meines Erachtens ist es zwar richtig, dass Kant von der Vernunft im engeren Sinne als höchstem Vernunftvermögen spricht; trotzdem erscheint es mir unpassend, von einer einfachen, linearen Hierarchie auszugehen, denn unter den verschiedenen Vernunftvermögen gibt es keines, dass auch ohne die anderen funktionieren könnte. Sogar das von Kant explizit als höchstes gekennzeichnete Vernunftvermögen ist in gleichem Maße von den anderen intellektuellen Vermögen abhängig, als es Voraussetzung für diese ist. Wenn Kant an anderer Stelle die Vernunft im engeren Sinne somit als „Organ“ (KrV, B XXXVI) bezeichnet, so kann diese Vernunft auch als Teil der organismischen Gesamtheit der Vernunftvermögen im weiteren Sinne verstanden werden, der seine Funktion erst innerhalb dieses größeren Ganzen erfüllt.15 Als Organ der Ideen spielt die Vernunft zwar eine besondere Rolle innerhalb des gesamten Vernunftvermögens, sie hängt jedoch zugleich auch von den Funktionsweisen der anderen Vermögen ab. In der Einheit der verschiedenen Vernunftvermögen gibt es demnach keine mehr oder weniger unabhängigen Prinzipien; jedes einzelne von ihnen ist immer wieder auf die Gesamtheit und Einheit der Vernunft bezogen. Nach der Analogie mit einem Organismus kann das Vernunftvermögen des Menschen folglich als systematisch gegliedertes System charakteri_____________ 14 Rosales’ Erläuterung dieser These unterscheidet sich insofern vom Fokus der vorliegenden Betrachtung, als er sich lediglich auf die theoretische Vernunft der ersten Kritik bezieht. Aber auch für diese eingeschränktere Lesart halte ich die hierarchische Charakterisierung für unpassend. Vgl. ebd., S. 189. 15 Wohlers (2000, S. 238) beschreibt die Vernunft in passender Weise als ein Organ oder Werkzeug, „das sich selbst gebraucht.“
4.4. Die Organismus-Analogie mit der Vernunft des Menschen
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siert werden. Als eine in sich organisierte Ganzheit von Teilen weist die Vernunft eine „innersubjektive Teleologie“ auf.16 In ihrer inneren, systematischen Gliederung ist sie auf das Ziel der Einheit ihrer Erkenntnisse und Handlungen unter dem höchsten Vernunftprinzip gerichtet und strebt dadurch letztlich ihre eigene, systematische Einheit an. Es ist daher kein Zufall, dass Kant dieselbe Einheit, welche die Vernunft im engeren Sinne in ihren Schlüssen zu verwirklichen sucht, auch dem Vernunftvermögen im weiteren Sinne zuschreibt. Denn angeleitet durch die Einheitsidee der Vernunft im engeren Sinne strebt das gesamte Vernunftvermögen selbst nach seiner eigenen systematisch organisierten und zweckgerichteten Einheit. Kants Vergleich der Vernunft mit einem Organismus, der in der ersten Kritik lediglich auf das erkennende Vernunftvermögen eingeschränkt war, kann so auch auf das in seiner Philosophie entwickelte, gesamte theoretische und praktische Vernunftvermögen bezogen werden. Die Vernunft als Ganze kann demnach als praktisch tätiges und zweckgerichtetes Vermögen betrachtet werden. Was bedeutet dies nun aber für unser Verständnis der Organismus-Analogie in der Kritik der teleologischen Urteilskraft?
4.4. Die Organismus-Analogie mit der Vernunft des Menschen Die systematische Organisiertheit und die Fähigkeit des Organismus zur Selbstorganisation kann nun nach der Analogie mit der Systematizität und Zweckgerichtetheit des gesamten Vernunftvermögens begriffen werden. Die Kausalität nach Zwecken, das praktische Vernunftvermögen in uns, welches in der Analogie die Organisation von lebendiger Natur erhellen soll, kann verstanden werden als die allgemeine Fähigkeit der Vernunft, sich auf einen selbstgesetzten Zweck zu richten: den Zweck ihrer eigenen, selbstbestimmten Einheit. In diesem Sinne muss daher auch Kants Aussage aufgefasst werden, dass die „innere Zweckmäßigkeit“ organischer Wesen „nach keiner Analogie irgend eines uns bekannten physischen, d. i. Naturvermögens, ja, da wir selbst zur Natur im weitesten Verstande gehören, selbst nicht einmal durch eine genau angemessene Analogie mit menschlicher Kunst denkbar und erklärlich“ (ebd.; Hervorhebung von A. B.) ist. Sogar das in die Natur hineinwirkende Vermögen, Kunstwerke nach einer Idee hervorzubringen, kann die besondere Organisation und Selbstorganisation der Lebewesen nicht zu fassen kriegen. Stattdessen ist es die Gerichtetheit der Vernunft auf das Ziel der Einheit ihrer Handlungen nach dem höchsten Vernunftprinzip, welches für die Organismus-Analogie der _____________ 16 Henrich (1955, S. 40).
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4. Die Analogie von Organismus und Vernunft
dritten Kritik in Betracht kommt. Dieses Vermögen kann als Vernunftvermögen von einem Naturvermögen unterschieden werden. Es ist die innere Vollkommenheit und Übereinstimmung mit sich selbst, welche von der Vernunft angestrebt wird, die Kant auch in den Organismen wiedererkennt als „innere Naturvollkommenheit, wie sie diejenigen Dinge besitzen, welche nur als Naturzwecke möglich sind und darum organisierte Wesen heißen“ (ebd.). Die Kritik der teleologischen Urteilskraft entwickelt die OrganismusAnalogie in zwei Schritten, die der zweifachen Charakterisierung von Organismen zu Grunde liegen.17 Der erste Schritt verweist auf die Abhängigkeit der Beschaffenheit und Verknüpfung der Teile eines Organismus von seinem Ganzen. Da wir uns diese Abhängigkeit Kant zufolge nur als Abhängigkeit der Teile eines Organismus von der Idee seines Ganzen vorstellen können, stellen wir hier zunächst eine Analogie zwischen Organismen und Kunstwerken auf. Die erste Analogie verweist also auf die Gleichheit des Verhältnisses zwischen A = der Zwecke setzenden Vernunft eines Künstlers und B = dem Kunstwerk als realisiertem Zweck dieser Vernunft mit dem Verhältnis zwischen C = einer zweckgerichtet handelnden Vernunft als Ursprung des Organismus und D = dem Organismus selbst als realisiertem Zweck dieser Vernunfthandlung. Wie deutlich geworden ist, reicht dieser erste Schritt der Charakterisierung von Organismen anhand der Analogie mit der menschlichen Kunst für ein Verständnis der spezifischen Eigenschaft von Organismen jedoch nicht aus. Über den Verweis auf die Kritik der reinen Vernunft kann die Analogie, die Kant zur vollständigen Charakterisierung von Organismen in einem zweiten Schritt einführt, nun aber als Analogie mit der Vernunft im weiteren Sinne verstanden werden. Nach dieser Auffassung besagt die Analogie die Gleichheit des Verhältnisses von A = den Teilen der Vernunft im weiteren Sinne zu B = dem gesamten Vernunftvermögen, das in der wechselseitigen Abhängigkeit seiner Glieder auf den Zweck der Selbstbestimmung und Erhaltung des gesamten Vernunftvermögens gerichtet ist, mit dem Verhältnis zwischen C = den Teilen des Organismus zu D = dem Organismusganzen, das seinerseits in der wechselseitigen Abhängigkeit seiner Organe auf das Ziel der Existenz und Erhaltung des Ganzen ausgerichtet ist. Zu dem ersten Schritt der Charakterisierung von Organismen durch die Analogie mit einem Kunstprodukt muss also ein zweiter Schritt hinzukommen. Das erste Moment, die Abhängigkeit der Teile vom Ganzen, wird erst durch das zweite Moment, die wechselseitige Hervorbringung der Teile innerhalb des Ganzen, vollständig bestimmt. Denn erst durch diese zweite Bestimmung, nach der die Teile nicht in _____________ 17 Diese zweifache Charakterisierung behandelt der Abschnitt 3.4.
4.4. Die Organismus-Analogie mit der Vernunft des Menschen
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einer fertigen und unveränderbaren Form gegeben sind, sondern sich wechselseitig verursachen und erst in dieser wechselseitigen Verursachung auf das Ganze ausgerichtet sind, wird klar, dass auch das Ganze, auf das der Organismus selbst hinstrebt, nicht vollständig bestimmt ist. Das Ganze ist niemals vollkommen realisiert, wie es von einer korrekten Befolgung der Konstruktionsanleitung eines Artefakts erwartet würde, sondern bleibt immer zumindest teilweise unbestimmt. Genau wie die Vernunft immer weiter versucht, sich selbst zu entwickeln, zu realisieren und sich ihrer vollkommen selbstbestimmten Einheit anzunähern, so bleibt auch das Ganze des Organismus, das die sich gegenseitig hervorbringenden Teile umfasst und auf das die einzelnen Teile des Organismus gerichtet sind, stets ein angestrebtes, niemals aber vollkommen realisiertes Ziel. Der Organismus als Ganzer wächst, entwickelt sich und reagiert mit ausgleichenden Veränderungen auf die Modifikationen seiner Umgebung. Das erste Moment einer zielgerichteten Kausalität wird so erst durch das zweite Moment der wechselseitigen Hervorbringung der einzelnen Teile als innere Zweckmäßigkeit des Organismus bestimmt. Und genau wie die Vernunft den Zweck ihrer eigenen Einheit und Selbstbestimmtheit verfolgt, so hat auch der Organismus seine eigene selbstverwirklichende Einheit als Ziel. Die lebendige Natur ist so nach der Analogie mit der praktisch tätigen Vernunft zu verstehen. Nach dieser Lesart erübrigt sich nun auch die Frage, ob Kants teleologische Reflexion im Horizont eines technisch eingeschränkten Begriffs des Praktischen steht. Diese Frage könnte aufkommen, wenn man beachtet, dass Kant die in der Analogie thematisierte Vernunft als eine technische charakterisiert.18 In den Einleitungen der Kritik der Urteilskraft hatte er die technisch-praktische Vernunft von der moralisch-praktischen unterschieden und erstere im Gegensatz zu letzterer der theoretischen Philosophie zugeordnet.19 Technische Imperative wurden hier lediglich als Vorschriften verstanden, die besagen, was nach Naturgesetzen getan werden muss, um einen schon festgelegten Zweck zu erreichen. In der Kritik der teleologischen Urteilskraft scheint Kant den Begriff des Technischen jedoch mit einem anderen Ziel zu verwenden. Denn hier geht es ihm darum, auszudrücken, dass etwas mit einer Absicht, also zu einem bestimmten Zweck getan wird. Zwar wird im Falle des Technischen die gegenständliche Hervorbringung akzentuiert, während es im Moralisch-Praktischen allein um eine nach Vernunftbegriffen qualifizierbare Tat geht. Gemeinsam ist beiden Formen des Praktischen jedoch, dass sie eine zweckgerichtete Handlung darstellen. Zur Realisierung einer solchen Absicht im Technischen ist zwar immer die Kenntnis von theoretischen Na_____________ 18 Vgl. z. B. KU, V 360, sowie EEKU, XX 204 und 219. 19 Vgl. KU, V 172, und EEKU, XX 199 ff.
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4. Die Analogie von Organismus und Vernunft
turgesetzen nötig, trotzdem aber ist die Realisierung nicht allein als Wirkung von Naturgesetzen zu verstehen, sondern als praktische und zweckgerichtete Handlung.20 Die hier skizzierte Analogie besteht somit zwischen einem Organismus und der freien, nicht instrumentell eingeschränkten Vernunft. Das Verständnis der organismischen Gesamtheit des freien, praktischen Vernunftvermögens erläutert so nach einer Analogie das Verständnis von Organismen als zweckgerichteten und systematisch organisierten Ganzheiten. Diese Interpretation der Organismus-Analogie wirft nun eine wichtige Frage auf: Denn inwiefern kann ein Organismus mit Verweis auf die Eigenschaften der Vernunft erläutert werden, wenn diese – wie der Vergleich der ersten Kritik gezeigt hat – selbst wiederum nur nach der Analogie mit einem Organismus verstanden werden kann? Während nach der dritten Kritik überhaupt nur eine analogische Betrachtung von Organismen möglich ist, scheint die Analogie der ersten Kritik zu implizieren, dass die Einheit des Vernunftvermögens selbst durch den Vergleich mit einem Lebewesen betrachtet werden muss. Um aber einer Analogie überhaupt einen Erkenntnisgewinn zugestehen zu können – so hatte die Untersuchung des Kantischen Analogiebegriffs im letzten Kapitel deutlich gemacht – muss doch zumindest über ein Analogon etwas gewusst werden, damit es auf die andere Seite der Analogie übertragen werden kann. Welche Seite der Analogie kann dann aber als das sinnliche Symbol der gegenüberliegenden Seite verstanden werden? Bewegen wir uns nicht im Kreis, insofern in den verglichenen Analogien die Seite, auf der etwas erkannt und auf die andere Seite übertragen wird, gegensätzlich bestimmt ist? Bernd Dörflinger, der sich in seinem Buch über das Leben theoretischer Vernunft mit dem Vergleich des spekulativen Vernunftvermögens mit einem Organismus beschäftigt, zieht folgenden Schluss: Ihm zufolge macht Kant in seiner dritten Kritik deutlich, dass die systematisch organisierte Einheit des Organismus nicht erkannt werden und der Organismus daher auch nicht das „realitätsversichernde Analogon“ der Vernunft sein könne.21 Vielmehr, so argumentiert Dörflinger, können wir das Prinzip des Lebens, die praktische Zweckgerichtetheit einer systematischen Gesamtheit, lediglich bei der eigenen Vernunft erkennen: Da „die Vernunft in reflexiver Selbstthematisierung ihrem Gegenstand nicht im Fremdverhältnis gegenübersteht“, so Dörflinger, ist hier „der Zugang zum Lebens_____________ 20 Hier stimme ich Reckis (2001, S. 102 ff.) Deutung zu, wende mich allerdings gegen McLaughlin (1989, S. 36), dem zufolge es bei Kants Teleologie um „Technik, nicht um Moral“ geht. 21 Dörflinger (2000, S. 29).
4.4. Die Organismus-Analogie mit der Vernunft des Menschen
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prinzip möglich.“22 Der Vergleich der Vernunft mit einem Organismus in der ersten Kritik hat Dörflinger zufolge somit lediglich auf den ersten Blick die Funktion, uns Einsichten über die Eigenschaften unserer Vernunft zu verschaffen. Tatsächlich seien es aber die Lebendigkeit und die systematische Einheit der Vernunft selbst, die erkannt und erst durch eine Analogie auf andere Lebewesen übertragen werden können. Der Mensch wisse somit allein von sich selbst und seiner eigenen vernünftigen Zwecktätigkeit, was es bedeutet, ein Lebewesen zu sein. Sein Verständnis von Organismen rühre von einer Übertragung dieses Wissens von sich selbst auf die lebendige Natur. Dörflingers These kann meines Erachtens nur in modifizierter Form akzeptiert werden. Denn zwar scheint es richtig, dass wir uns einer zweckgerichteten Vernunftfähigkeit nur an uns selbst bewusst sein können und eine ähnliche Zweckgerichtetheit auf Organismen erst übertragen werden muss; jedoch erklärt dies nicht, warum Kant die systematische Einheit unserer Vernunftvermögen in so auffälliger Weise mit Blick auf organische Eigenschaften charakterisiert. Wären wir uns aller Eigenschaften unserer Vernunft durch Introspektion direkt bewusst, so benötigten wir keinen Umweg über den Vergleich der Vernunft mit einem Organismus. Die Analogie zwischen Organismus und Vernunft weist daher vielmehr eine gewisse Wechselseitigkeit auf, die nicht nur eine Erläuterung unseres Verständnisses von Organismen, sondern auch unserer eigenen Vernunft bieten soll. Zwar ist uns die Idee einer organisierten Einheit zunächst von der Vernunft bekannt und wird erst im zweiten Schritt auf den Organismus übertragen, trotzdem kann sie uns im dritten Schritt wiederum Aufschluss über unsere Vernunft selbst geben und Teil des Projekts einer Selbsterkenntnis der Vernunft sein. Während uns auf der einen Seite die zwecktätige Gerichtetheit, die Aktivität und Spontaneität von der Vernunft bekannt sind und das Wesen organischer Natur erläutern sollen, scheinen es auf der Seite der Organismen ihre anschauliche Hervorbringung und wechselseitige Beeinflussung der einzelnen Organe zu sein, die wiederum das Wesen der Vernunft aufklären. Einerseits ist die praktisch zweckgerichtete Vernunftfähigkeit somit eine ursprüngliche Eigenschaft unserer Vernunft, andererseits kann sie in ihrer inneren Differenzierung und systematischen Organisiertheit nur durch unsere Interaktion mit der Welt verstanden werden. Erst indem wir diese Art der Vernunfttätigkeit in unserer Betrachtung von Organismen in die Natur hineinlesen, können wir uns somit eine Eigenschaft unserer selbst als körperliches Vernunftwesen veranschaulichen. Wie Kant dies auch zum Ende des § 65 der Kritik der teleologischen Urteilskraft anspricht, können wir durch die Übertragung _____________ 22 Ebd., S. 19.
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4. Die Analogie von Organismus und Vernunft
der Idee eines zweckgerichteten Vernunftvermögens auf den Organismus gleichzeitig auch eine Eigenschaft der Vernunft beleuchten, indem wir in der konkreten, uns umgebenden Natur etwas über uns selbst und von uns selbst auf die Natur Übertragenes wiedererkennen. Vernunft und Organismus erhellen sich somit gegenseitig.23
4.5. Die Interdependenz von Leben und Vernunft Unser Verständnis von Organismen scheint sich somit auf eine gänzlich andere Betrachtungsweise als die kategoriale Erfahrung der Natur zu gründen. Im vorhergehenden Kapitel wurde deutlich, dass es an der eigentümlichen Beschaffenheit unseres Verstandes liegt, dass wir die Gerichtetheit der Teile des Organismus auf den Zweck und das Ziel der Existenz des Ganzen nicht als solche in der Natur erkennen, sondern uns das spezifisch Lebendige nur anhand einer Analogie überhaupt verständlich machen können. Diese Analogie, das hat die vorliegende Untersuchung gezeigt, kann als Analogie des Organismus mit unserem eigenen, zwecktätigen Vernunftvermögen betrachtet werden. Mittels der so verstandenen Organismus-Analogie kann nun auch Kants Lebensbegriff eingeordnet werden, den er im § 65 der Kritik der teleologischen Urteilskraft als Erklärung der charakteristischen Eigenschaft von Organismen abgelehnt hatte.24 Das Prinzip des Lebens – so lautete Kants Kritik – kann nicht in der Natur erkannt werden und ist deshalb zur Erläuterung der spezifischen Eigenschaft organischer Wesen ungeeignet. Leben kennzeichnet Kant als das Vermögen, „sich aus einem inneren Prinzip zum Handeln [...] zu bestimmen“ (MAN, IV 544). Diese Erläuterung des Lebensbegriffs führt Kant mit dem Hinweis fort, dass wir kein anderes inneres Prinzip einer Substanz [kennen], ihren Zustand zu verändern, als das Begehren und überhaupt keine andere innere Tätigkeit als Denken mit dem, was davon abhängt, Gefühl der Lust und Unlust und Begierde oder Willen (ebd.).
In der Kritik der praktischen Vernunft definiert Kant Leben außerdem als das Vermögen eines Wesens, nach Gesetzen des Begehrungsvermögens zu handeln. Das Begehrungsvermögen ist das Vermögen desselben, durch seine Vorstel-
_____________ 23 Der Organismus kann deshalb auch nicht als das „‚Schema’ des Vernunftsystems“ (Mertens, 1975, S. 26) bezeichnet werden, da keine Regel verfügbar ist, die Vernunft in der Natur zu erkennen. Sowohl Vernunft als auch Organismus können gerade nicht schematisiert, sondern nur symbolisiert werden. Auf die spezifische Symmetrie der Analogie von Organismus und Vernunft komme ich in Kapitel 7 zurück. 24 Vgl. Abschnitt 3.4.
4.5. Die Interdependenz von Leben und Vernunft
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lungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein (KpV, V 9, Anm.).
Denken, das Gefühl der Lust und Unlust und das Begehrungsvermögen oder den Willen kennen wir nun aber von unserer eigenen, inneren Erfahrung. Die verschiedenen Funktionen unseres Vernunftvermögens sind uns von uns selbst bekannt, und Leben ist somit erst durch die Erfahrung der eigenen, zweckgerichteten Kausalität unserer Handlungen erklärbar. Nun ist diese Kausalität nach Zwecken, insbesondere die Gerichtetheit unserer Vernunft auf den Zweck der eigenen Einheit, das, womit wir die Selbstorganisation von organischer Natur nach einer Analogie erklären. Dies bedeutet, dass wir dort, wo wir von organischer Natur sprechen, auch Leben entdecken. Durch den umgekehrten Versuch, diese Organisiertheit durch den Begriff des Lebens verständlich machen zu wollen, würde deshalb „ein Zirkel im Erklären begangen“ (KU, V 394). Denn man würde „die Zweckmäßigkeit der Natur an organisierten Wesen aus dem Leben der Materie ableiten [... wollen, obwohl man doch] dieses Leben wiederum nicht anders als in organisierten Wesen kennt, also ohne dergleichen Erfahrung sich keinen Begriff von der Möglichkeit derselben machen kann“ (KU, V 394 f.). Reinhard Löw bezeichnet Kant daher als „eher angetan vom agnostischen, negativ erschlossenen Begriff [der Lebenskraft] als von der potentiellen ‚Erklärungskraft im Bereich des Lebendigen.’“25 Leben in der Natur kann also erst durch die Erfahrung von Organisation und Selbstorganisation in der Natur abgeleitet werden, die wiederum anhand der Analogie mit unserem eigenen, zwecktätigen Vernunftvermögen verstanden wird. Die Übertragung des von unserer Vernunft bekannten Prinzips einer inneren Zweckmäßigkeit auf Produkte der Natur bringt somit gleichzeitig die Zuschreibung des Prinzips des Lebens mit sich.26 Die spezifische Zweckmäßigkeit und Zweckgerichtetheit von Lebendigem in der Natur kann also nicht kategorial erkannt, sondern nur analogisch, mit Blick auf unsere eigene Vernunftfähigkeit betrachtet werden.27 Erst indem wir uns unserer selbst als vernunftfähige, zwecktätige _____________ 25 Löw (1980, S. 160 f.). Zu Kants Begriff des Lebens siehe auch Gerhardt (2002, S. 309 ff.). 26 Vgl. Makkreel (1990, S. 89), dem zufolge der Kantische Lebensbegriff sich im „Gefühl des mentalen Lebens gründet.“ Gerhardt (2006, S. 64) nennt die Vernunft auch ein „Organ des Lebens.“ Vgl. auch ders. (1999, Kapitel 4). 27 Die von Sans (2000, S. 84 f.) vertretene Behauptung, die spezifische Organisation der lebendigen Natur sei durch die Kategorie der Gemeinschaft erkennbar, erscheint mir deshalb verfehlt. Organismen sind nicht nur durch den wechselseitigen Einfluss der einzelnen Glieder aufeinander, sondern gerade auch durch die zweckmäßige Gerichtetheit auf den Organismus als Ganzen ausgezeichnet, durch eine Eigenschaft also,
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4. Die Analogie von Organismus und Vernunft
Wesen bewusst sind, die als lebendige Wesen ein Teil der Natur sind, können wir auch die Natur als lebendig erfahren. Unser Verständnis von Lebendigem stützt sich auf die Analogie mit unserer eigenen freien und zwecktätigen Vernunft.
_____________ welche durch die Kategorie der Gemeinschaft und das durch sie begründete Prinzip der Wechselwirkung nicht angesprochen wird.
5. Mechanismus und Teleologie: Zwei Perspektiven auf die Natur In den vorangegangenen Kapiteln ist deutlich geworden, dass die Betrachtung der lebendigen Natur durch ein regulatives Prinzip der objektiven Zweckmäßigkeit geleitet ist. Bestimmte Dinge in der Natur, die lebendigen, „organisierten Wesen“, müssen demnach in Analogie mit der systematischen Einheit und Zwecktätigkeit unserer eigenen Vernunft beurteilt werden. Sie werden als Naturzwecke vorgestellt. Im Kontext der kausalmechanischen Betrachtung der Natur, die in den ersten beiden Kapiteln untersucht wurde, mag dieser teleologische Blickwinkel erstaunen. Denn wie passt eine Beurteilung der Natur als zweckgerichtet mit dem Anspruch zusammen, dass dieselbe Natur nach mechanischen Gesetzmäßigkeiten erklärt werden muss? Zwar hatte die Auseinandersetzung in den ersten beiden Kapiteln gezeigt, dass Kants Philosophie nur ein sehr eingeschränktes mechanisches Naturverständnis rechtfertigt, dennoch ist die Erklärung der Natur nur mit Hilfe mechanischer Naturgesetze möglich. Wie also lässt sich ein explizit teleologisches Verständnis von Lebewesen mit dieser, wenn auch begrenzten, mechanistischen Sicht auf die Natur vereinbaren? Kant widmet sich dieser Frage in der Dialektik der teleologischen Urteilskraft, in der er sich mit der Antinomie zwischen einer mechanischen und einer teleologischen Maxime auseinandersetzt. Diese Antinomie ist in der Literatur auf unterschiedlichste Weise ausgelegt worden. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, eine genauere Untersuchung der beiden einander entgegengestellten Maximen, des Widerspruchs, den sie generieren, und einer möglichen Auflösung dieses Gegensatzes zu liefern. So soll eine Antwort auf die Frage entwickelt werden, wie der Anspruch der mechanischen Erklärbarkeit der gesamten Natur mit dem der teleologischen Betrachtung des Lebendigen zu vereinbaren sein könnte.1 Eine Interpretation der Kantischen Antinomie zwischen den Prinzipien des Mechanismus und der Teleologie wird dadurch erschwert, dass Kant in der „Vorstellung dieser Antinomie“ (KU, V 386) eigentlich zwei verschiedene Konflikte präsentiert: einen ersten zwischen zwei regulativen _____________ 1
Zu einer ersten Untersuchung von Kants Antinomie der Urteilskraft siehe Breitenbach (2008).
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5. Mechanismus und Teleologie
Maximen, anhand derer die Natur beurteilt wird, und einen zweiten zwischen zwei konstitutiven Grundsätzen, welche Aussagen über die Beschaffenheit der Natur selbst treffen. Diese doppelte Antinomie hat in der Literatur für einigen Diskussionsstoff gesorgt. Im ersten Abschnitt werde ich mich daher zunächst mit dem Verhältnis der beiden Gegensatzpaare beschäftigen. Nach Kant – so wird sich zeigen – kann nur der Konflikt zwischen den ersten beiden, regulativen Maximen als Antinomie der Urteilskraft verstanden werden. Dieser Konflikt muss darüber hinaus als ein genuiner Widerspruch begriffen werden, den es in Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft aufzulösen gilt. Dies wirft allerdings zwei Fragen auf, die es für ein Verständnis von Kants Argumentation in der Dialektik der teleologischen Urteilskraft zu beantworten gilt. Erstens muss erklärt werden, warum Kant der Meinung ist, dass wir lediglich regulative, nicht aber konstitutive Urteile über die Möglichkeit der mechanischen Erklärung der gesamten Natur einerseits und das Wirken von Endursachen in der Natur andererseits fällen können. Zur Beantwortung dieser ersten Frage beschäftigt sich Abschnitt 5.2 mit dem Verhältnis der regulativen Prinzipien zu den konstitutiven Grundsätzen. Für den Status der teleologischen Maxime ergibt sich aus dieser Untersuchung in Abschnitt 5.3 eine wichtige Folgerung: Als regulatives Prinzip kann dieser Maxime nicht nur eine heuristische Nützlichkeit zum Auffinden mechanischer Gesetzmäßigkeiten zugesprochen werden, sondern sie scheint für uns darüber hinaus notwendig, um überhaupt Leben in der Natur erfahren zu können. Sowohl die mechanische als auch die teleologische Maxime stellen nach dieser Auffassung zwar regulative, gleichzeitig aber auch notwendige Prinzipien für unser Verständnis der Natur dar. Hieran schließt sich eine zweite Frage nach der Vereinbarkeit der so verstandenen, lediglich regulativen Maximen an. Der Ausarbeitung eines Vorschlags, wie Kants Ausweg aus der Antinomie zwischen der mechanischen und teleologischen Maxime der Urteilskraft zu verstehen sein könnte, widmen sich die Abschnitte 5.4 und 5.5. Die Lösung der Antinomie – so wird hier argumentiert – erfordert keine Vereinigung der beiden Prinzipien unter einem höheren Grundsatz, sondern bezieht sich vielmehr auf eine Vereinbarung zweier irreduzibler Perspektiven auf die Natur in der Erfahrungswelt des Menschen. Diese Interpretation der Auflösung des antinomischen Widerspruchs zwischen Mechanismus und Teleologie ermöglicht eine wichtige Einsicht in die Vorstellung davon, was Natur eigentlich ausmacht: Sowohl eine mechanische als auch eine teleologische Perspektive müssen notwendig in unserem Verständnis der Natur miteinander verbunden werden.
5.1. Zwei Antinomien in der Dialektik der teleologischen Urteilskraft
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5.1. Zwei Antinomien in der Dialektik der teleologischen Urteilskraft Zu Beginn der Dialektik der teleologischen Urteilskraft erinnert uns Kant an die beiden Gesetzestypen, auf denen jede Erkenntnis „der Natur als Inbegriff der Gegenstände äußerer Sinne“ (KU, V 386) beruht. Erstens begründet sich unsere Naturerkenntnis in den allgemeinen Gesetzen der Natur überhaupt, welche der Verstand vorschreibt. Dass Kant an dieser Stelle von Gesetzen „der allgemeinen [...] materiellen Natur“ (ebd.) spricht, lässt darauf schließen, dass er die reinen Naturgesetze der Metaphysischen Anfangsgründe meint, die sich im Gegensatz zu den transzendentalen Verstandesgesetzen im Speziellen auf die materielle Natur beziehen. Diese Gesetze werden anhand der bestimmenden Urteilskraft auf die Natur angewandt und gelten für alles, was überhaupt Teil unserer Erfahrung materieller Natur sein kann. Gesetze dieser ersten Art – so hat das erste Kapitel festgestellt – sind jedoch nicht ausreichend für die Erfahrung der Natur, da sie weder den speziellen Charakter einzelner Naturgegenstände bestimmen noch die spezifischen Regelmäßigkeiten, denen diese Gegenstände unterstehen. Es ist deshalb die Aufgabe der Urteilskraft in ihrer reflektierenden Funktion, genauere Naturgesetze aufzuspüren, denen die einzelnen Gegenstände unserer Erfahrung untergeordnet werden können. Naturerfahrung beruht also zweitens auf empirischen Bestimmungen, die unsere Naturerkenntnis über das a priori Erkennbare hinaus „erweitern“ (ebd.). Jegliche Naturerfahrung setzt somit a priori erkennbare Verstandesgesetze sowie empirisch auffindbare Naturgesetze voraus. Nun haben wir jedoch bereits gesehen, dass wir über diese beiden Gesetzesarten hinaus noch ein „Prinzip“ oder auch einen „Leitfaden“ benötigen, mit dessen Hilfe wir die Natur untersuchen und nach empirischen Gesetzen forschen müssen, wenn wir „ein zusammenhängendes Erfahrungserkenntnis nach einer durchgängigen Gesetzmäßigkeit der Natur, die Einheit derselben nach empirischen Gesetzen, auch nur hoffen“ (ebd.) sollen. Dieser Leitfaden wurde im ersten Kapitel als das regulative Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen eingeführt. In der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft hatte Kant bereits gezeigt, dass die Urteilskraft in ihrer Suche nach empirischen Naturgesetzen dem Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit folgt. Anhand dieses Leitfadens reflektiert die Urteilskraft über die Natur, als ob diese derart eingerichtet und strukturiert sei, dass sie unter systematisch miteinander zusammenhängende und von uns erkennbare Gesetze geordnet werden könne. Dieser Leitfaden macht eine Aussage darüber, wie wir uns die Natur als Ganze vorstellen und uns ihr in unseren Nachforschungen nähern müssen. Er besagt jedoch nichts über den speziellen Charakter der Gesetze, nach
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5. Mechanismus und Teleologie
denen die so betrachtete Natur bestimmt werden soll. In der Kritik der teleologischen Urteilskraft argumentiert Kant daher, dass die reflektierende Urteilskraft neben dem allgemeineren Prinzip der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur noch spezifischere Grundsätze befolgt. In diesem Zusammenhang kann jedoch ein Widerstreit, mithin eine Antinomie Statt finden, worauf sich eine Dialektik gründet, die, wenn jede von zwei einander widerstreitenden Maximen in der Natur der Erkenntnisvermögen ihren Grund hat, eine natürliche Dialektik genannt werden kann und ein unvermeidlicher Schein, den man in der Kritik entblößen und auflösen muss, damit er nicht betrüge (ebd.).
Im § 70 der Dialektik erklärt Kant, dass ein solcher Widerspruch in der Auseinandersetzung der Urteilskraft mit der körperlichen, insbesondere der lebendigen Natur auftritt. Die Urteilskraft sieht sich mit einer Antinomie konfrontiert, da sie zwei sich widerstreitenden Prinzipien folgt: Die erste Maxime derselben ist der Satz: Alle Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen muss als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden. Die zweite Maxime ist der Gegensatz: Einige Produkte der materiellen Natur können nicht als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden (ihre Beurteilung erfordert ein ganz anderes Gesetz der Kausalität, nämlich das der Endursachen) (KU, V 387).
Die Urteilskraft verfällt demnach in einen Widerspruch zwischen einem mechanischen und einem teleologischen Prinzip. Bevor Kant uns jedoch darüber aufklärt, warum diese Antinomie auftritt, in welchem Sinne die beiden Maximen also „in der Natur der Erkenntnisvermögen ihren Grund“ (KU, V 386) haben und ob der Widerspruch zwischen diesen Maximen aufgelöst werden kann, stellt er eine zweite Antinomie vor: Satz: Alle Erzeugung materieller Dinge ist nach bloß mechanischen Gesetzen möglich. Gegensatz: Einige Erzeugung derselben ist nach bloß mechanischen Gesetzen nicht möglich (KU, V 387).
Diese zweite Antinomie tritt auf, so erklärt Kant, „[w]enn man die [...] regulativen Grundsätze für die Nachforschung nun in konstitutive der Möglichkeit der Objekte selbst verwandelte“ (ebd.). Kant stellt sogleich fest, dass diese Grundsätze „als objektive Prinzipien für die bestimmende Urteilskraft [...] einander widersprechen“ (ebd.) und allein die Maximen der ersten Antinomie miteinander versöhnt werden können. Dies hat einige Interpreten zu der Schlussfolgerung geführt, dass der wahre Konflikt, die Dialektik der teleologischen Urteilskraft, zwischen den konstitu-
5.1. Zwei Antinomien in der Dialektik der teleologischen Urteilskraft
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tiven Prinzipien der zweiten Antinomie bestehe.2 Dieser Lesart zufolge stellt die erste Antinomie gar keinen genuinen Widerspruch, sondern lediglich den „Anschein einer Antinomie“ (KU, V 389) dar. Die Auflösung dieser Antinomie beruhe lediglich auf der Erkenntnis, dass die sich scheinbar widersprechenden Prinzipien nicht konstitutive, sondern regulative Maximen für den reflektierenden Gebrauch der Urteilskraft seien. In der Literatur ist bereits auf die Schwierigkeiten dieser Interpretation hingewiesen worden.3 Insbesondere zwei Probleme ergeben sich: Sowohl die Behauptung, dass die Dialektik der Urteilskraft zwischen Satz und Gegensatz der zweiten Antinomie auftrete, wie auch die Aussage, dass die erste Antinomie die Auflösung des Widerspruchs enthalte, sind bei genauerer Betrachtung nicht haltbar. Gegen die erste Annahme ist einzuwenden, dass Satz und Gegensatz der zweiten Antinomie nicht als Maximen des autonomen Gebrauchs der reflektierenden Urteilskraft verstanden werden können. Im Gegensatz zu den ersten beiden Prinzipien, stellen die letzteren beiden keine subjektiven Leitfäden für die reflektierende Urteilskraft, sondern „objektive Prinzipien für die bestimmende Urteilskraft“ (KU, V 387) dar. Sie bieten keine subjektiven Grundsätze für unsere Betrachtung der Natur, sondern treffen bestimmende Aussagen über die Naturgegenstände selbst. Da die Prinzipien ihren Grund nicht in der Urteilskraft selbst haben, sondern durch die „Gesetzgebung der Vernunft“ (ebd.) vorgegeben werden, können sie demnach keine „natürliche Dialektik“ (KU, V 386) im Vermögen der Urteilskraft verursachen. Die zweite Antinomie kann deshalb auch nicht den „unvermeidliche[n] Schein“ (ebd.) enthalten, mit dem Kant sich in der Dialektik der teleologischen Urteilskraft auseinandersetzt. Die zweite Behauptung der untersuchten Lesart, der zufolge die Antinomie zwischen den regulativen Maximen bereits die Auflösung des Konflikts zwischen den konstitutiven Prinzipien enthält, wird außerdem dadurch in Zweifel gezogen, dass auch die erste Antinomie einen ernsthaften Widerspruch zu enthalten scheint. Die These besagt zum einen, dass wir alle Naturdinge, sowohl hinsichtlich ihrer Erzeugung als auch ihrer Formen, als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilen müssen. Die Gegenthese leugnet jedoch genau dies: Ihr zufolge können wir nicht alle Natur als nach mechanischen Gesetzen möglich betrachten. Stattdessen müssen wir auf „ein ganz anderes Gesetz der Kausalität“ (KU, V 387), das Gesetz der Endursachen, zurückgreifen. Wie kann es jedoch sein, dass _____________ 2
3
Diese Interpretation wurde z. B. von E. Cassirer (1921, S. 369) und Adickes (19241925, Band 2, S. 473 ff.) vertreten. In jüngerer Zeit haben sich ihr u. a. Löw (1980, S. 204 ff.), Butts (1990, S. 4 ff.) und Gfeller (1998, S. 218 ff.) angeschlossen. Vgl. z. B. McLaughlin (1989, S. 135 ff.).
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5. Mechanismus und Teleologie
wir alles in der Natur mechanisch verstehen müssen, wenn wir dies nicht in allen Fällen können? Wie können wir in unserer Naturbetrachtung sowohl von der allgemeinen und umfassenden Gültigkeit mechanischer Gesetze als auch von deren Unzulänglichkeit für bestimmte Teile der Natur ausgehen? Wie kann die Urteilskraft mit anderen Worten die Aufgabe der Suche nach empirischen Naturgesetzen erfüllen, indem sie beiden sich widersprechenden Maximen folgt? Eine Antwort auf diese Fragen ist nicht unmittelbar ersichtlich, denn auch als regulative Maximen scheinen die Prinzipien der ersten Antinomie einen ernstzunehmenden Konflikt darzustellen. Zur Auflösung der Antinomie der Urteilskraft ist daher mehr erfordert als der Hinweis, dass Satz und Gegensatz lediglich regulative Maximen sind. Wenn die hier untersuchte Lesart, die unter der Antinomie der teleologischen Urteilskraft nichts weiter als den Anschein eines Widerspruchs versteht, nun aber zurückgewiesen wird, wie erklären wir dann die Tatsache, dass Kant überhaupt zwei verschiedene Antinomien zur Betrachtung vorlegt? Kant scheint sich für den Kontrast zwischen den beiden Konflikten zu interessieren: Denn gerade durch diese Gegenüberstellung wird deutlich, dass nur die regulativen, nicht aber die konstitutiven Prinzipien Maximen darstellen können, die einen Widerstreit innerhalb der Urteilskraft verursachen. Allein eine Aussage über die Betrachtung der Natur durch den Menschen, nicht aber über die Natur selbst ist demnach als Prinzip der Urteilskraft zu rechtfertigen. Diesen Gegensatz zwischen der Unmöglichkeit konstitutiver Prinzipien und der Notwendigkeit regulativer Prinzipien gilt es für ein angemessenes Verständnis der Antinomie der Urteilskraft daher genauer zu beleuchten.
5.2. Die Unmöglichkeit konstitutiver und die Notwendigkeit regulativer Prinzipien der Urteilskraft 5.2. Konstitutive und regulative Prinzipien
Nach Kant können wir lediglich regulative, nicht aber konstitutive Urteile über die Möglichkeit der mechanischen Erklärung der gesamten Natur einerseits und das Wirken von Endursachen in der Natur andererseits fällen. Insbesondere die Infragestellung des konstitutiven Status der Mechanismusmaxime mag erstaunen und hat zu den unterschiedlichsten Interpretationen veranlasst. Widerspricht Kant hier nicht seiner eigenen Argumentation in der Kritik der reinen Vernunft, in der er das Kausalprinzip als objektiv gültigen, die Erfahrung konstituierenden Grundsatz darstellt? Ändert Kant in der Kritik der Urteilskraft gar seine Meinung und versteht das Kausalprinzip hier nur noch als regulativen Grundsatz, nach dem die
5.2. Konstitutive und regulative Prinzipien
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Natur zwar betrachtet wird, das jedoch nichts über die erfahrbare Natur selbst aussagt?4 Dass Kant sich zwischen der ersten und dritten Kritik weder widerspricht, noch seine Auffassung zum Status des Kausalitätsgrundsatzes ändert, belegen meines Erachtens die in den ersten beiden Kapiteln entwickelten Einsichten zum Kantischen Kausalitäts- und Mechanismusbegriff. Zwei wichtige Unterschiede lassen sich nach dieser Darstellung zwischen dem transzendentalen Kausalprinzip der ersten Kritik und der Mechanismusmaxime der dritten Kritik erkennen. Zum Ersten liegt ihre Differenz darin begründet, dass mechanische Gesetze für Kant eine spezielle Unterart von Kausalgesetzen im Allgemeinen darstellen, die nicht für die Natur im weitesten Sinne als Objekt jeder möglichen Erfahrung, sondern speziell für die materielle Natur gültig sind. Mechanische Gesetze beziehen sich nach dieser Auffassung nicht auf den Begriff einer Kausalverbindung überhaupt, sondern spezieller auf externe Ursachen in der körperlichen Natur. Zum Zweiten beruht der Unterschied zwischen dem transzendentalen Kausalgesetz und der Mechanismusmaxime aber auch auf der grundlegenden Tatsache, dass beide Prinzipien auf verschiedenen epistemologischen Stufen stehen. Aus den vorangegangenen Untersuchungen ist klar geworden, dass es Kant in der Kritik der teleologischen Urteilskraft nicht um die reinen Gesetze der Mechanik geht, die er in den Metaphysischen Anfangsgründen behandelt hat, sondern dass er vielmehr an der empirisch bestimmten, materiellen Natur und ihren Gesetzmäßigkeiten interessiert ist. Wenn Kant im Satz der Antinomie der Urteilskraft also behauptet, dass „[a]lle Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen [...] als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden“ (ebd.) muss, so ist dies eine Aussage über die Notwendigkeit, jegliche erfahrbare, materielle Natur als durch empirische, mechanische Gesetze bestimmt zu betrachten. Die erste Maxime der Antinomie ist also keine Aussage über den reinen und a priori erkennbaren Teil der mechanischen Bestimmtheit der Natur. Sie ist weder identisch mit dem transzendentalen Kausalprinzip noch mit den reinen Gesetzen der Mechanik. Indem sie eine Aussage über die Art der Gesetze trifft, nach denen die gesamte Natur als bestimmt betrachtet werden soll, stellt die Mechanismusmaxime vielmehr eine spezielle Interpretation des regulativen Prinzips der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur für unser _____________ 4
Dies scheint z. B. Löw (1980, S. 231) zu vermuten und kommt deshalb zu dem Schluss, dass die Metaphysischen Anfangsgründe nach Kants Sinneswandel „nicht mehr die metaphysische Basis für seinen Begriff der Naturwissenschaften abgeben konnten.“ Eine ähnliche Interpretation wurde auch schon von Ernst (1909, S. 64) und H. W. Cassirer (1938, S. 347 f.) vorgeschlagen.
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5. Mechanismus und Teleologie
Erkenntnisvermögen dar. Nach dieser spezielleren Maxime müssen wir annehmen, dass die gesamte Natur nach empirischen Gesetzen geordnet ist und dass diese Gesetze mechanischer Art sind. Als Interpretation des regulativen Prinzips der Urteilskraft ist die Mechanismusmaxime nicht objektiv zu legitimieren und ist lediglich eine Annahme, die wir für die Betrachtung der empirischen Natur zu machen genötigt sind. Über diese subjektive Voraussetzung hinaus ist kein objektives Urteil möglich, „weil wir von [der] Möglichkeit der Dinge nach bloß empirischen Gesetzen der Natur kein bestimmendes Prinzip a priori haben können“ (ebd.). Die allgemeine Behauptung, alle Gegenstände möglicher Naturerfahrung könnten unter empirische mechanische Gesetze gebracht werden, die gesamte Natur sei also durch empirisch belegbare Gesetze bestimmt, ist daher eine rein regulative Annahme. Als Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ist die Behauptung für unser Verständnis der empirischen Natur notwendig; als objektives, die Natur konstituierendes Prinzip im Sinne des Satzes der zweiten Antinomie ist sie hingegen unmöglich. Die Mechanismusmaxime liefert demnach ein Prinzip, mit dessen Hilfe wir über die Natur reflektieren müssen, bevor wir überhaupt nach Erklärungen konkreter Naturgegenstände und -ereignisse suchen können. Sie bietet in erster Linie einen Grundsatz, den wir annehmen müssen, um die Natur verstehen und erklären zu können, und stellt daher mehr als einen Appell an den Naturwissenschaftler dar, sich auf die Suche nach mechanischen Gesetzmäßigkeiten zu begeben.5 Wenn Kant daher erklärt, ich soll jederzeit über dieselben [d. i. alle Ereignisse, Formen und Produkte der materiellen Natur] nach dem Prinzip des bloßen Mechanisms der Natur reflektieren und mithin diesem, soweit ich kann, nachforschen (ebd.),
so scheint er genau diese zweifache Rolle der mechanischen Maxime vorauszusetzen. Denn nur wenn wir erstens über die Natur als mechanisch bestimmt reflektieren, können wir sie zweitens nach konkreten mechanischen Gesetzen erforschen. Zwar ist eine bestimmende Aussage über die Gültigkeit einer solchen mechanistischen Sicht auf die gesamte, empirische Natur unmöglich und es ist daher niemals zu garantieren, dass wir in unseren mechanischen Naturforschungen erfolgreich sein werden. Trotzdem ist die erste Maxime der Antinomie der Urteilskraft grundlegend für unsere Naturbetrachtung: Nur weil über die Natur bereits aus einer me-
_____________ 5
Als eine solche rein methodologische Forderung für den Naturforscher, die Natur so weit wie möglich mechanisch zu erklären, wird die Mechanismusmaxime z. B. von McFarland (1970, S. 118 ff.) vorgestellt.
5.2. Konstitutive und regulative Prinzipien
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chanistischen Perspektive reflektiert wird, kann sie auch in der wissenschaftlichen Forschung mechanisch erklärt werden.6 Wenn Kant also behauptet, dass die Mechanismusmaxime der Urteilskraft durch den „bloße[n] Verstand a priori an die Hand“ (KU, V 386) gegeben wird, so weist er darauf hin, dass die Konzeption der mechanischen Verursachung ein Verstandesbegriff ist, der von der Urteilskraft aufgenommen wird. Dem a priori erkennbaren Prinzip, dass alle mögliche Naturerfahrung die reinen Gesetze der Mechanik voraussetzt, fügt die Maxime der Urteilskraft hinzu, dass wir aller erfahrbaren Natur auch die Möglichkeit unterstellen müssen, durch empirische mechanische Gesetze bestimmt zu sein. Dies macht den epistemologischen Unterschied zwischen dem transzendentalen Kausalitätsgrundsatz und der regulativen Mechanismusmaxime aus. Der regulative Status der mechanischen Maxime bedeutet folglich keine Widerlegung des konstitutiven Status des Kausalprinzips: Während auch in der dritten Kritik das Kausalprinzip weiterhin als transzendentale Voraussetzung für jede Art der Erfahrung seine Gültigkeit bewahrt, erreicht die im „Satz“ der Antinomie enthaltene Mechanismusmaxime lediglich den Status eines regulativen und dennoch notwendigen Prinzips der reflektierenden Urteilskraft.7 Kommen wir nun zur zweiten, teleologischen Maxime, dem „Gegensatz“ der Antinomie: „Einige Produkte der materiellen Natur können nicht als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden (ihre Beurteilung erfordert ein ganz anderes Gesetz der Kausalität, nämlich das der Endursachen)“ (KU, V 387). Wie die Kapitel 3 und 4 gezeigt haben, sind diese „Produkte der materiellen Natur“ (ebd.) die Organismen. Wir erfahren sie als scheinbar zweckmäßig organisiert, als auf ihre eigene Existenz und ihr Überleben ausgerichtet. Diese den Organismus auszeichnende Gerichtetheit steht im Gegensatz zu der blinden Verursachung bewegen_____________ 6
7
Diese Auslegung unterscheidet sich von McFarlands (1970, S. 31 f.) These: „[A]lthough the mechanical categories are constitutive of nature, the idea of a mechanical explanation is not, but is merely regulative of our inquiries into nature.” Im Gegensatz zu McFarland, halte ich die allgemeine Annahme, die gesamte Natur sei durch mechanische Gesetze bestimmt, für regulativ, nicht aber einzelne mechanische Naturerklärungen selbst. Letztere beruhen zwar auf der regulativen Annahme der Urteilskraft, haben jedoch den Status empirischer Erkenntnisse. Vgl. hierzu Kapitel 2. Die hier vorgeschlagene Interpretation umgeht daher auch Zammitos (1992, S. 223) Kritik an McFarland. Entgegen der allgemeinen Vorstellung der in Anm. 4 genannten Autoren bin ich also nicht der Ansicht, dass das Kausalprinzip im Laufe der Entwicklung der Kantischen Philosophie seinen Status als transzendentalen Grundsatz verliert. Vielmehr denke ich, dass seine Gültigkeit bereits in der ersten Kritik so weit eingeschränkt ist, dass es auch hier schon die Mechanismusmaxime nicht als einen konstitutiven Grundsatz begründen kann.
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5. Mechanismus und Teleologie
der Kräfte, die in den mechanischen Gesetzen angesprochen wird. Denn insofern mechanische Gesetze zwar erklären können, warum ein Ereignis auf ein anderes folgen muss, nicht jedoch inwiefern die Veränderungen in der Materie auf ein bestimmtes Ziel hin gerichtet sein können, scheinen sie den spezifischen Charakter der organischen Natur unerklärt zu lassen und die charakteristische Organisiertheit und Gerichtetheit von Organismen als gänzlich zufälliges Produkt der Natur darzustellen. Erst durch die Anwendung des Zweckbegriffs auf unsere Erfahrung von Organismen ist es möglich, lebendige Wesen nicht nur als zufällige Gebilde, sondern als auf das Ziel der Existenz und das Überleben des ganzen Organismus gerichtet zu verstehen. Diese Zweckzuschreibung kann nur nach einer Analogie geschehen, die – so ist im vorigen Kapitel entwickelt worden – als Analogie des Organismus mit unserem eigenen zweckgerichtet tätigen Vernunftvermögen zu konzipieren ist. Der Zweckbegriff, der uns von der Vernunft bekannt ist, wird so in einer analogischen Reflexion durch die Urteilskraft auf die Natur übertragen: Die zweite Maxime der Antinomie, so Kant, ist „ein subjektiver Grundsatz bloß für die reflektierende Urteilskraft, mithin eine Maxime derselben, die ihr die Vernunft auferlegt“ (KU, V 398).8 Genau wie die Betrachtung der gesamten Natur als einer durchgängig nach empirischen mechanischen Gesetzen geordneten Einheit, ist auch die teleologische Beurteilung bestimmter Teile der Natur keine objektive Bestimmung, sondern lediglich eine Reflexion über die Natur. Eine konstitutive Aussage über die Gerichtetheit der materiellen Natur auf Endursachen ist uns daher unmöglich. Die teleologische Maxime hat also genau wie die mechanische rein regulativen Status. Nun musste das mechanische Prinzip zusätzlich als notwendig konzipiert werden, da nur unter der Voraussetzung dieses Prinzips eine empirische Erkenntnis der Natur möglich ist. Im Falle der teleologischen Maxime geht es jedoch nicht um die Erkenntnis der Natur. Auch wenn wir der regulativen Annahme folgen, nach der bestimmte Teile der Natur nur teleologisch zu beurteilen sind, so ist es für unser Erkenntnisvermögen dennoch nicht möglich, bejahende oder verneinende Aussagen über die Existenz teleologischer Kausalität zu treffen. Inwiefern kann es für dasselbe Vermögen dann aber trotzdem notwendig sein, so zu urteilen, als sei diese Kausalität in der Natur realisiert? _____________ 8
Steigerwald (2006, S. 719) drückt diesen Gedanken mit Verweis auf die Bewegung der Urteilskraft aus: „It is thus by moving between the observation of particular natural objects and the concept of purpose as a concept of reason that the reflecting power of judgment arrives at the concept of natural purpose and the notion of intrinsic purposiveness.”
5.3. Zwei Ebenen teleologischer Betrachtung
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5.3. Zwei Ebenen teleologischer Betrachtung: Notwendigkeit und Heuristik Eine Beantwortung dieser Frage muss sich meines Erachtens auf die Einsicht stützen, dass die verbreitete Darstellung des teleologischen Prinzips als eines rein heuristischen Hilfsmittels zu kurz greift. Die Vorstellung der Teleologie als einer nützlichen Heuristik für die Naturforschung scheint davon auszugehen, dass wir die Organismen bereits als lebendig erfahren haben, bevor wir sie überhaupt teleologisch beurteilen. Entgegen dieser Auffassung scheint das Bild, welches sich aus der vorangehenden Untersuchung ergeben hat, jedoch zu implizieren, dass wir einen Teil der Natur bereits dann schon teleologisch beurteilen, wenn wir ihn einfach als einen lebendigen Organismus wahrnehmen. Indem wir zum Beispiel einen Baum als lebendige Einheit begreifen, betrachten wir seine Teile als Teile eines systematisch organisierten Ganzen, die zum Überleben und zur Entwicklung des Ganzen beitragen. Und wenn wir das Auge eines Vogels als Auge verstehen, so betrachten wir es als Teil einer größeren Einheit, von der die Existenz des Auges abhängt und innerhalb derer das Auge die Funktion hat, dem Vogel das Sehen zu ermöglichen. Unser Verständnis lebendiger Natur scheint unausweichlich teleologische Vorstellungen vorauszusetzen, so dass bereits die Möglichkeit von Organismen anhand teleologischer Begrifflichkeiten verstanden werden muss. Schon auf der Ebene unserer Erfahrung von lebendiger Natur ist die teleologische Perspektive unverzichtbar. Sie ist notwendig für den Menschen, der ohne sie keine Erfahrung von Leben in der Natur hätte. Die verbreitete Lesart der teleologischen Maxime als einer heuristischen Aufforderung, die Natur anhand teleologischer Annahmen und Fragestellungen zu erforschen, kann meines Erachtens also erst mit Rückbezug auf diese grundsätzliche Notwendigkeit der teleologischen Perspektive für die Erfahrung der organischen Natur verstanden werden. Gerade weil wir Lebendiges in der Natur nicht anders als teleologisch verstehen können, ist es nicht verwunderlich, dass wir uns in unseren Nachforschungen auch auf ausdrücklich teleologische Begrifflichkeiten beziehen. So können wir beispielsweise nach dem Zweck eines bestimmten Organs oder der Funktion einer spezifischen Eigenschaft des Organismus fragen und auf diese Weise teleologische Begriffe wie „Zweck“ und „Zweckmäßigkeit“ als heuristische Werkzeuge zur Erforschung der Natur nutzen. Diese Unterscheidung zwischen zwei Stufen der teleologischen Naturbetrachtung bei Kant hat in der Literatur noch keine gebührende Beachtung gefunden. Die Unterscheidung impliziert, dass die Rolle der Teleologie als einer heuristischen Anleitung erst auf einer zweiten Stufe von Belang ist, die selbst wiederum eine erste, grundlegendere Stufe voraussetzt: Bevor die Natur
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5. Mechanismus und Teleologie
mit Rückgriff auf teleologische Begrifflichkeiten näher untersucht werden kann, muss sie zunächst anhand einer Analogie mit unserem Vernunftvermögen als teleologisch betrachtet und somit als lebendig erfahren werden. Dass die teleologische Beurteilung der Natur bereits unsere Erfahrung der lebendigen Natur begründet, bedeutet dabei meines Erachtens nicht, dass die Maxime der Teleologie zu einem konstitutiven Prinzip im Sinne der Verstandesgesetze aufsteigt. Vielmehr behält die teleologische Betrachtung ihren regulativ analogischen Charakter und begründet so eine Erfahrung und ein Verständnis der Natur, das von der kategorial konstituierten Erfahrung im strengen Sinne unterschieden werden muss. Die teleologische Beurteilung ist demnach auf beiden Stufen regulativ. Sie ist jedoch nur auf der zweiten Stufe als heuristisches Hilfsmittel für die Naturforschung zu verstehen, während sie auf der ersten Stufe eine notwendige Voraussetzung für die reflektierende und interpretative Erfahrung von lebendiger Natur überhaupt darstellt.9 Zugegebenermaßen weist Kant selbst auf diese Unterscheidung nicht ausdrücklich hin. Dennoch sind beide Stufen in der Kritik der teleologischen Urteilskraft angelegt und lassen sich am Gang der Kantischen Argumentation festmachen. In der Analytik der teleologischen Urteilskraft geht es Kant zu Beginn um die Besonderheit unserer Erfahrung von Organismen. Nachdem er den Organismus als etwas eingeführt hat, das nicht mechanisch erklärt werden kann, stellt sich die Frage, wie ein solches Ding überhaupt zu denken ist. Kant setzt sich deshalb zunächst mit der äußerst dringlichen Frage nach der Fasslichkeit von Lebewesen für unseren Verstand auseinander: Wie kann das Lebendige vor dem Hintergrund des Naturbegriffs der ersten Kritik verständlich gemacht werden? Die Notwendigkeit, ein Lebewesen zu betrachten, als sei es zweckmäßig auf seine eigene Existenz ausgerichtet, ergibt sich demnach im Hinblick auf die „inner[e] Möglichkeit“ (KU, V 373) des Organismus und die „Möglichkeit der Form“ (KU, V 408) des Lebendigen. Wir müssen erkennen, dass ein Organismus „nur als Zweck möglich sei“ (KU, V 369), und ihn „seiner innern Form halber als Naturzweck beurteilen“ (KU, V 378). Kant be_____________ 9
Diese Deutung stimmt mit Quarfoods (2006) These überein, dass die teleologische Betrachtung notwendig ist, um den Gegenstand der Biologie überhaupt erfahren zu können. Für nicht überzeugend halte ich dagegen Quarfoods weitere Behauptung, der zufolge die teleologische Beurteilung auf der Objektebene der Biologie konstitutiv ist, während ihr nur auf der philosophischen Ebene der Metabetrachtung teleologischer Urteile eine regulative Funktion zugeschrieben werden muss. Meines Erachtens können wir auch eingeschränkt auf die spezielle Erfahrung der lebendigen Natur nicht von einer konstitutiven Funktion der Teleologie sprechen, da dies den besonderen analogisch reflektierenden Charakter dieser Erfahrung unberücksichtigt lassen würde. Vgl. ders. (2004, S. 148 ff.).
5.3. Zwei Ebenen teleologischer Betrachtung
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schließt, dass Organismen, die lebendigen „Produkte“ der Natur, „nur nach dem Begriffe der Endursachen von uns gedacht werden können“ (KU, V 380). In der Dialektik der teleologischen Urteilskraft erweitert Kant seinen Fokus: Hier wird nun die Unterscheidung zwischen einem grundsätzlichen Verständnis der Möglichkeit lebendiger Wesen in der Natur und einer teleologischen Erklärung ihres spezifischen Charakters, das heißt einer Erklärung mit Hilfe teleologischer Begrifflichkeiten relevant. Zwar geht es Kant hier immer noch um den „Begriff eines Dinges, dessen Existenz oder Form wir uns unter der Bedingung eines Zwecks als möglich vorstellen“ (KU, V 398), trotzdem beschäftigt er sich nun aber verstärkt mit der „Kausalität durch Zwecke [als Erzeugungsgrund], für die Möglichkeit eines solchen Produkts“ (KU, V 409). Diese Ausweitung der Betrachtung ist nicht verwunderlich, denn in der Dialektik, in der es insbesondere um die Vereinbarkeit der teleologischen mit der mechanischen Naturbetrachtung geht, wird nun auch die Frage nach den Naturerklärungen relevant. Es geht hier nicht mehr bloß darum, wie sich ein Lebewesen überhaupt als möglich vorstellen lässt, sondern außerdem um die Frage, wie ein so verstandenes Wesen als Teil einer durch Gesetze geordneten Natur erklärt werden kann. Der Gegensatz zwischen einem teleologischen und einem mechanischen Naturverständnis ist also nicht nur an der grundsätzlichen Möglichkeit der Erfahrung der spezifisch organischen Form von Lebewesen, sondern auch an der Unterscheidung zwischen der Art und Weise der Erklärung von Naturdingen festzumachen.10 Diese Unterscheidung zwischen zwei Funktionen der teleologischen Naturbetrachtung mag an eine andere Gegenüberstellung erinnern, auf die in der Literatur zu Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft hingewiesen worden ist. Dies ist die Unterscheidung zwischen der Erklärung der besonderen Funktionsweise eines Organismus auf der einen Seite und der Erklärung seiner Entstehung anhand besonderer Gesetze auf der anderen Seite.11 Der Fokus liegt hier einerseits auf der spezifischen Beschaffenheit und Wirkungsweise von Organismen und andererseits auf ihrer Entwicklung zu einem ausgewachsenen Lebewesen. Meines Erachtens deckt sich diese zweite Art der Differenzierung jedoch nicht gänzlich mit der hier betonten Abgrenzung zwischen zwei Stufen teleologischer Naturbetrach_____________ 10 Mit einer solchen explizit teleologischen Erklärung der Natur befasst Kant sich z. B. in seinen Schriften zum Begriff und zur Entwicklung der Menschenrasse (vgl. BBM und ÜGTP). Allerdings darf auch diese Erklärung nicht als Erklärung im herkömmlichen Sinne verstanden werden, da sie keine Kenntnis von Zwecken begründet. 11 Die Wichtigkeit dieser Unterscheidung wird z. B. von Emundts (2001, S. 504 f.) betont.
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tung. Die zweite Unterscheidung ist meines Erachtens auch nicht in voller Schärfe aufrechtzuerhalten. Dies wird dadurch ersichtlich, dass Kant in der Kritik der teleologischen Urteilskraft sowohl auf die Möglichkeit und Beschaffenheit als auch auf die Entstehung und Entwicklung von Organismen eingeht, ohne einen klaren Unterschied zwischen diesen beiden Merkmalen des teleologischen Charakters der Natur herauszustellen. So erklärt Kant beispielsweise, dass „gewisse Naturprodukte [...] nach der besonderen Beschaffenheit unseres Verstandes von uns ihrer Möglichkeit nach als absichtlich und als Zwecke erzeugt betrachtet werden“ (KU, V 405; Hervorhebung von A. B.) müssen. Die innere Möglichkeit eines Organismus wird hier von Kant in einem Satz mit der Art seiner Erzeugung genannt. Dass Kant keine Differenzierung vornimmt, muss nun nicht einfach als eine Ungenauigkeit seiner Argumentation interpretiert werden. Vielmehr scheint es gar nicht möglich zu sein, die selbstverursachende und innerlich zweckgerichtete Beschaffenheit und Wirkungsweise eines Organismus eindeutig von seiner Entwicklung zu unterscheiden. Wie Ginsborg meines Erachtens treffend betont, umfasst die Funktionsweise von Organismen nicht nur die Eigenschaften und Aktivitäten, mit Hilfe derer sich der Organismus in seinem ausgewachsenen Stadium selbst erhält, sondern darüber hinaus auch sein Wachstum und seine Entwicklung.12 Gerade diese Wachstums- und Entwicklungsprozesse sind Teile dessen, was unter der Entstehung eines Organismus verstanden wird. Die Entstehung und Entwicklung von Lebewesen muss daher als ein besonderer Aspekt der spezifisch zweckmäßigen Gerichtetheit verstanden werden, welche die innere Beschaffenheit des Organismus für den Menschen charakterisiert.13 Unser Verständnis der Möglichkeit von Organismen, so kann das letzte Zitat verstanden werden, besteht zu einem wesentlich Teil darin, dass Organismen betrachtet werden, als seien sie als Zwecke erzeugt. Die Differenzierung zwischen zwei Stufen der teleologischen Beurteilung erschöpft sich folglich nicht in der Unterscheidung zwischen der spezifischen Beschaffenheit und Wirkungsweise von Organismen auf der einen Seite und ihrer Entwicklung und Entstehung auf der anderen Seite. Vielmehr ist es gerade die zweifache epistemologische Funktion – die Notwendigkeit der teleologischen Perspektive für die analogische Erfahrung der Natur einerseits und ihre _____________ 12 Ginsborg (2004, S. 50). 13 Die Entwicklung, um die es hier geht, ist die eines individuellen Organismus. Hiervon kann die erste Entstehung von Organismen überhaupt unterschieden werden. Letztere lässt sich nicht in gleicher Weise als Kontinuum der inneren Form von Organismen darstellen. Kant geht daher davon aus, dass wir uns die Entstehung eines ersten Organismus von etwas, das selbst kein Lebewesen ist, gar nicht vorstellen können. Vgl. KU, V 417 ff. Vgl. hierzu auch Shell (1996, Kapitel 8).
5.3. Zwei Ebenen teleologischer Betrachtung
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heuristische Rolle für Naturerklärungen andererseits –, welche der teleologischen Perspektive eine so zentrale Bedeutung für das Kantische Naturverständnis einräumt. Nicht nur die mechanische, sondern auch die teleologische Maxime kann nach dieser Deutung als ein regulatives, aber notwendiges Prinzip für die Urteilskraft verstanden werden.14 Zwar besteht zwischen beiden Maximen insofern ein Unterschied, als es im Falle der ersten Maxime der Verstand war, welcher der Urteilskraft das mechanische Prinzip „an die Hand“ gab, während die teleologische Maxime durch „die Vernunft ins Spiel“ (KU, V 386) gebracht wurde. Und trotzdem kann weder die allgemeine Anwendung von Gesetzen der externen Kausalität auf die empirische Natur durch den Satz der Antinomie noch die Übertragung des Zweckbegriffs auf die Natur durch ihren Gegensatz objektiv bewiesen werden. Kein philosophisches System, welches behauptet, bejahende oder verneinende Aussagen über die Existenz oder Nichtexistenz von Endursachen in der Natur machen zu können, ist Kant zufolge jemals zu rechtfertigen.15 Und trotzdem sind beide Maximen notwendige Annahmen für die Betrachtung der Natur. Beide „einander widerstreitenden Maximen“ haben „in der Natur der Erkenntnisvermögen ihren Grund“ (ebd.) und sind wegen der besonderen Beschaffenheit seines Intellekts für den Menschen unvermeidlich. Die Gegenüberstellung der Antinomie der Urteilskraft mit dem Widerstreit zwischen den beiden konstitutiven Prinzipien hebt gerade diesen besonderen Status der Maximen der reflektierenden Urteilskraft hervor.
_____________ 14 Mit dieser Interpretation wende ich mich gegen die Annahme, die zwei Maximen stellten lediglich optional anwendbare Prinzipien dar. Vgl. z. B. Butts (1984, S. 272): „[A]s regulative principles, they cannot logically conflict. They are adopted or not, as is the case for any rules.” Meine These ist dagegen, dass beide Prinzipien von uns befolgt werden müssen. 15 In den Paragraphen 72-73 der Kritik der teleologischen Urteilskraft diskutiert Kant vier Theorien der lebendigen Natur, die er als idealistische bzw. realistische Ansätze klassifiziert. Die idealistische Position, welche mit dem Satz der zweiten Antinomie übereinstimmt, versteht die scheinbare Zweckmäßigkeit von lebendiger Natur als von den Absichten eines Intellekts unabhängig und als auf mechanische Gesetze reduzierbar. Die realistische Position, welche den Standpunkt des Gegensatzes der zweiten Antinomie übernimmt, sieht in der lebendigen Natur beabsichtigte Zwecke wirken und versteht die lebendige Natur daher als wesentlich von dem mechanischen Charakter der unbelebten Natur unterschieden. Beide Positionen stehen sich diametral gegenüber und können daher als dogmatisch konstitutive Aussagen nicht miteinander versöhnt werden.
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5. Mechanismus und Teleologie
5.4. Die Vereinbarkeit der teleologischen mit der mechanischen Maxime Die Natur muss Kants Ansatz zufolge also einerseits nach einer Analogie betrachtet werden, als sei sie (zumindest teilweise) zweckmäßig eingerichtet, andererseits aber auch beurteilt werden, als sei sie gänzlich durch mechanische Gesetze bestimmt. Trotz ihres regulativen Status widersprechen sich die beiden Maximen und gründen zusammen eine „natürliche Dialektik“, die man – so Kant – „in der Kritik entblößen und auflösen muss“ (ebd.). Wie haben wir uns aber diesen Ausweg aus der Dialektik vorzustellen? Meines Erachtens muss eine Antwort auf diese Frage die in Absatz 5.1 zurückgewiesene Lesart, welche Kants Antinomie der Urteilskraft als nichts mehr als den Anschein eines Widerspruchs versteht, teilweise aufnehmen, gleichzeitig aber auch über sie hinausgehen. So ist die Feststellung, dass es sich bei den beiden Maximen um zwei regulative, nicht aber um konstitutive Prinzipien handelt, zwar ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Auflösung der Antinomie;16 trotzdem aber reicht diese Feststellung für sich allein noch nicht aus, um zu zeigen, wie die beiden Maximen ohne Widerspruch nebeneinander bestehen können. Weitere Überlegungen sind daher erforderlich. Um einzusehen, wie die beiden regulativen Prinzipien miteinander vereinbart werden können, hilft es, sich zunächst folgende Möglichkeit vor Augen zu führen: Es ist denkbar, dass wir anhand empirisch erforschter, mechanischer Gesetzmäßigkeiten einen lebendigen Körper erklären können, ohne dass wir dadurch die für den Organismus charakteristischen Eigenschaften begreifbar machen, die ihn von der toten Natur unterscheiden. Es ist also möglich, mechanische Gesetze zu entdecken, welche die dem Organismus zu Grunde liegende Materie bestimmen, gleichzeitig aber genau das an dem Organismus unerklärt lassen, was ihn als ein Lebewesen auszeichnet. Über lebendige Körper, insbesondere auch den menschlichen Körper, für den wir – wie Kant immer wieder betont – wegen seiner scheinbar zweckmäßigen Organisation und Gerichtetheit tiefe „Bewunderung“ empfinden, sagt Kant in seiner frühen Schrift Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes deshalb: _____________ 16 Dies ist meines Erachtens auch der Grund für die folgende Behauptung Kants, die oft zur Unterstützung der im Abschnitt 5.1 zurückgewiesenen Interpretation der Antinomie herangezogenen wird: „Aller Anschein einer Antinomie zwischen den Maximen der eigentlich physischen (mechanischen) und der teleologischen (technischen) Erklärungsart beruht also darauf: dass man einen Grundsatz der reflektierenden Urteilskraft mit dem der bestimmenden [...] verwechselt“ (KU, V 389).
5.4. Die Vereinbarkeit der teleologischen mit der mechanischen Maxime
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Und wenn ich gleich alle Federn und Röhren, alle Nervengefäße, Hebel und mechanische Einrichtung desselben völlig einsehen könnte, so bliebe doch immer Bewunderung übrig, wie es möglich sei, dass so vielfältige Verrichtungen in einem Bau vereinigt worden, wie sich die Geschäfte zu einem Zwecke mit denen, wodurch ein anderer erreicht wird, so wohl paaren lassen, wie eben dieselbe Zusammenfügung außerdem noch dazu dient die Maschine zu erhalten und die Folgen aus zufälligen Verletzungen wieder zu verbessern, und wie es möglich war, dass ein Mensch konnte ein so feines Gewebe sein und unerachtet so vieler Gründe des Verderbens noch so lange dauren (BDG, II 152).
Auch wenn die materiellen Zusammenhänge eines Organismus mechanisch – wie eine „Maschine“ – erklärt sind, scheint dies dennoch die wesentlich lebendige Eigenschaft, die Organisation und Selbstorganisation des Lebewesens, unberührt zu lassen. Unabhängig davon, wie weit unsere mechanischen Erklärungen gingen, es bliebe immer ein unerklärlicher Zufall und daher für uns Anlass zur Verwunderung, dass die mechanischen Gesetze gerade zu dem von uns erfahrenen Organismus geführt haben und dass dieser in so scheinbar zweckmäßiger Weise nach seiner Entwicklung und seinem eigenen Überleben strebt. Wenn wir dagegen Dinge in der Natur nach teleologischen Gesetzen betrachten – so erklärt Kant in der Kritik der teleologischen Urteilskraft – dann wird aber auch die Reflexion nach der ersten Maxime [...] dadurch nicht aufgehoben, vielmehr wird es geboten, sie, so weit man kann, zu verfolgen; auch wird dadurch nicht gesagt, dass nach dem Mechanism der Natur jene Formen nicht möglich wären. Nur wird behauptet, dass die menschliche Vernunft in Befolgung derselben und auf diese Art niemals von dem, was das Spezifische eines Naturzwecks ausmacht, den mindesten Grund, wohl aber andere Erkenntnisse von Naturgesetzen wird auffinden können (KU, V 388; Hervorhebung von A. B.).
Das, was wir also als „das Spezifische eines Naturzwecks“ verstehen, wird durch die mechanischen Gesetzmäßigkeiten niemals erklärt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es unmöglich ist, mechanische Erklärungen für den materiellen Körper eines Organismus zu geben. Vielmehr scheint es mit dieser Lesart der Kantischen Position vereinbar, dass die Struktur und Funktionsweise eines lebendigen Körpers anhand seiner anorganischen Teile und ihrer Gesetzmäßigkeiten erklärt werden können, insofern eine solche Erklärung sich lediglich auf die Prozesse bezieht, die den materiellen Körper auszeichnen. Als Erklärung der charakteristisch lebendigen Fähigkeit des Organismus wäre der Verweis auf die mechanischen Zusammenhänge der anorganischen Teile eines Organismus dagegen unzulänglich. Dies macht deutlich, dass mit dem mechanisch erklärbaren Kör-
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per noch nicht alles abgedeckt ist, was wir unter einem Organismus verstehen.17 Es folgt, so schließt Kant, dass zwar das Prinzip einer mechanischen Ableitung zweckmäßiger Naturprodukte neben dem teleologischen bestehen, dieses letztere aber keinesweges entbehrlich machen könnte: d. i. man kann an einem Dinge, welches wir als Naturzweck beurteilen müssen (einem organisierten Wesen), zwar alle bekannte und noch zu entdeckende Gesetze der mechanischen Erzeugung versuchen und auch hoffen dürfen damit guten Fortgang zu haben, niemals aber der Berufung auf einen davon ganz unterschiedenen Erzeugungsgrund, nämlich der Kausalität durch Zwecke, für die Möglichkeit eines solchen Produkts überhoben sein (KU, V 409; Hervorhebung von A. B.).
Einerseits müssen wir die Natur also so betrachten als sei sie durchgängig anhand mechanischer Gesetze erklärbar. Andererseits müssen wir jedoch trotzdem davon ausgehen, dass diese mechanischen Gesetze niemals in der Lage sein werden, den spezifischen, scheinbar zweckmäßigen Charakter der lebendigen Natur zu erklären. Diese Lesart der beiden regulativen Maximen liefert eine Lösung für die Antinomie der Urteilskraft, indem sie zwei verschiedene Arten eines Verständnisses der Natur impliziert. Zum einen sprechen wir von einer Natur, die wir für wissenschaftlich erforschbar halten und von der wir nachprüfbares und verifizierbares Wissen erlangen können. Zum anderen verstehen wir die Natur aber auch als etwas, das uns in unseren Erfahrungen gegenübertritt und dem wir einen Sinn zusprechen, der über die quantifizierbaren Aussagen der Wissenschaft hinausgeht. So verstanden widerspricht die zweite Maxime der ersten nicht, sondern fügt ihr lediglich hinzu, dass es etwas in unserer Erfahrung der Natur gibt, das den Rahmen des wissenschaftlich Erforschbaren sprengt. Die teleologische Maxime stellt fest, dass wir die lebendige Natur als etwas wahrnehmen, das wir nicht vollständig anhand von Gesetzen erklären, sondern lediglich analogisch erörtern und erläutern können. Meines Erachtens ist es deshalb falsch, zu behaupten, wir bräuchten den Begriff des Naturzwecks „nicht um einen Organismus zu erfahren, _____________ 17 Ähnlich argumentiert Zumbach (1984, S. 87 ff.), Kant verfolge keinen ontologischen, sondern einen explanativen Anti-Reduktionismus. Kant leugne nicht, dass lebendige Prozesse einfach nur komplexe Zusammensetzungen aus physischen und chemischen Prozessen seien, sondern nur, dass wir die teleologische Erklärung lebendiger Natur auf mechanische Erklärungen reduzieren könnten. Zumbachs Ansatz unterscheidet sich jedoch von der hier vorgestellten Lesart, insofern er erstens die im Gegensatz der Antinomie geforderte teleologische Naturbetrachtung als eine Erklärung der Natur versteht und zweitens meint, eine bestimmende Aussage darüber treffen zu können, was lebendige Prozesse tatsächlich seien. Der hier vorgeschlagenen Interpretation zufolge sind Organismen nicht einfach Dinge, die mechanischen Gesetzen unterstehen, sondern sie müssen als solche betrachtet werden, wie sie auch als zweckmäßig organisierte und sich selbst organisierende Wesen beurteilt werden müssen.
5.4. Die Vereinbarkeit der teleologischen mit der mechanischen Maxime
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sondern um ihn nach unseren Maßstäben wissenschaftlich erklären zu können.“18 Ganz im Gegenteil können wir anhand dieses Begriffs gar nichts erklären, denn „die Unerklärlichkeit eines Naturzwecks“ (KU, V 395) besteht ja gerade darin, dass wir seinen Begriff nur als Regulativ in unserer Naturbetrachtung verwenden können. Überzeugender wäre es daher, die Aussage umzudrehen: Der Begriff des Naturzwecks ist Voraussetzung für unsere reflektierende Erfahrung von Organismen; anhand dieses Begriffs selbst wird der Organismus jedoch nicht wissenschaftlich erklärt. Genau dies ist der Grund, warum wir die mechanische Erklärung der Natur durch die teleologische Maxime nicht einschränken können, die teleologische Maxime der mechanischen daher auch nicht widerspricht. Die teleologische Perspektive auf die Natur bietet keine alternative Erklärungskategorie, welche die mechanische ersetzen könnte, sondern eine alternative Weise, die Natur zu beurteilen. Dies bedeutet, dass die teleologische Naturbetrachtung auf der zweiten Stufe als lediglich heuristisches Hilfsmittel zum Auffinden mechanischer Erklärungen, nicht aber selbst als teleologische Erklärung der Natur verstanden werden kann. Die beiden Maximen der Urteilskraft ermöglichen somit zwei verschiedene Perspektiven auf ein und dasselbe Objekt. Obwohl eine Betrachtung der lebendigen Natur die teleologische Konzeption erfordert, ist gleichzeitig eine nicht-teleologische, rein mechanische Betrachtung möglich und notwendig. Denn auch ein Organismus ist Teil der mechanisch erklärbaren, materiellen Natur. Der hier vertretenen Lesart der Kantischen Antinomie zufolge sind die beiden Maximen miteinander vereinbar als zwei unausweichlich notwendige, wechselseitig irreduzible Perspektiven auf die Natur. Insofern beide Maximen miteinander kompatibel sind, folgt die Auflösung der Antinomie der Urteilskraft der einer subkonträren Entgegensetzung von Satz und Gegensatz. Kant beschreibt diese Art der Antinomie wie folgt: Satz und Gegensatz [können] auch weniger enthalten, als zur logischen Entgegensetzung erfordert wird, und so beide wahr sein, [...] wenn nämlich das Subjekt der entgegengesetzten Urteile in beiden in verschiedener Bedeutung genommen wird (FM, XX 291).
Im Falle der Antinomie der Urteilskraft ist das Subjekt, welches in beiden Maximen in unterschiedlicher Bedeutung verstanden wird, die Natur. Beide sich widerstreitenden Maximen können als zulässige Prinzipien der Urteilskraft akzeptiert werden, wenn nachvollzogen wird, dass sie sich auf unterschiedliche Naturverständnisse beziehen. Darüber hinaus kann gezeigt werden, dass die Maximen nicht nur zwei verschiedene, miteinander zu vereinbarende Betrachtungsweisen der _____________ 18 McLaughlin (1989, S. 156).
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5. Mechanismus und Teleologie
Natur enthalten, sondern dass sie außerdem wechselseitig voneinander abhängig sind. Auf der einen Seite erzwingt die teleologische Beurteilung gegebener Dinge in der Natur gleichzeitig eine mechanische Betrachtung derselben Dinge: Auch wenn wir einen Organismus als einen Naturzweck beurteilen, dessen Teile durch ihre Funktionen innerhalb des Ganzen ausgezeichnet sind, müssen wir die Wirkung mechanischer Gesetze für die Möglichkeit voraussetzen, dass die Teile des Organismus ihre Funktion ausführen und ihren Zweck erfüllen: Denn wo Zwecke als Gründe der Möglichkeit gewisser Dinge gedacht werden, da muss man auch Mittel annehmen, deren Wirkungsgesetz für sich nichts einen Zweck Voraussetzendes bedarf, mithin mechanisch und doch eine untergeordnete Ursache absichtlicher Wirkungen sein kann (KU, V 414).
Insofern wir den Organismus in seiner zweckmäßigen Wirksamkeit als Teil der Natur begreifen, müssen seine Zwecke in der Natur ausgeführt sein, und diese Ausführung somit mechanischen Naturgesetzen unterstehen. Kant folgert, dass der bloße teleologische Grund eines solchen [organisierten] Wesens [... allein nicht hinlänglich ist], es zugleich als ein Produkt der Natur zu betrachten und zu beurteilen, wenn nicht der Mechanism der letzteren dem ersteren beigesellt wird, gleichsam als das Werkzeug einer absichtlich wirkenden Ursache, deren Zwecke die Natur in ihren mechanischen Gesetzen gleichwohl untergeordnet ist (KU, V 422).
Die teleologische Beurteilung erfordert demnach eine mechanische Perspektive auf die Natur. Wir müssen den mechanischen Zusammenhang aller Natur als grundsätzliche Voraussetzung unterstellen, um auch die als lebendig verstandene Natur als Teil der materiellen Welt begreifen zu können. Und gleichzeitig verweist diese grundsätzliche Voraussetzung auch auf die konkretere Aufforderung, die empirischen mechanischen Gesetzmäßigkeiten der Natur zu erforschen, um verstehen zu können, mit welchen konkreten Mitteln die lebendige Natur die ihr unterstellten Zwecke realisiert. Nun erfordert nicht nur die teleologische Perspektive eine mechanische Naturbetrachtung, sondern erstere liegt gleichzeitig auch der Möglichkeit letzterer zu Grunde. Um einen Organismus überhaupt mechanisch untersuchen zu können, müssen wir ihn zunächst als Organismus identifiziert und als Individuum von seiner Umgebung abgegrenzt haben. Hierfür aber ist die allgemeine teleologische Naturbetrachtung notwendig, die den Organismus als individuelles Ganzes und seine Teile als Teile einer Einheit darstellt. Um überhaupt mit einer mechanischen Untersuchung der Natur beginnen zu können, müssen wir diese bereits aus der teleologischen Perspektive betrachtet und einzelne Dinge als Organismen individuiert haben. Um also generell die mechanischen Gesetzmäßigkeiten
5.5. Eine Auflösung der Antinomie für den Menschen
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erforschen zu können, die beispielsweise die Fähigkeit eines Vogels auszeichnen, seine Flügel zum fliegen zu benutzen, müssen wir den Vogel bereits als Vogel und seine Flügel als Teile innerhalb des Vogelorganismus begriffen haben. Kant zufolge dürfen wir daher niemals aus den Augen [...] verlieren, dass wir die [Produkte und Ereignisse der Natur], welche wir allein unter dem Begriffe vom Zwecke der Vernunft zur Untersuchung selbst auch nur aufstellen können, der wesentlichen Beschaffenheit unserer Vernunft gemäß, jene mechanischen Ursachen ungeachtet, doch zuletzt der Kausalität nach Zwecken unterordnen müssen (KU, V 415).
Die Befolgung der teleologischen Maxime ist für die Möglichkeit mechanischer Naturerklärung in diesem grundlegenden Sinne erforderlich. Darüber hinaus ist die Verwendung teleologischer Begrifflichkeiten in der Erforschung der lebendigen Natur auch ein heuristisches Hilfsmittel zur Auffindung mechanischer Naturerklärungen. So können wir uns die mechanische Untersuchung der Organismen insofern erleichtern, als wir beispielsweise nach der Funktion oder dem Zweck eines bestimmten Organs fragen. In diesem Sinne ist das Prinzip der Zwecke [...], wenn es gleich die Entstehungsart derselben uns eben nicht begreiflicher macht, doch ein heuristisches Prinzip [...], den besondern Gesetzen der Natur nachzuforschen (KU, V 411).
Die als konkrete Aufforderung zur mechanischen Erforschung der Natur verstandene Mechanismusmaxime verweist also gleichzeitig auf das heuristische Werkzeug einer teleologischen Herangehensweise, die nach den Zwecken fragt, welche die uns umgebende Natur auszeichnen. Die Mechanismusmaxime und das teleologische Prinzip der Urteilskraft sind also nicht nur miteinander vereinbar, ohne sich zu widersprechen, sondern sie sind auch wechselseitig aufeinander angewiesen.
5.5. Eine Auflösung der Antinomie für den Menschen Die beiden Maximen der Urteilskraft liefern somit zwei verschiedene, nicht nur miteinander kompatible, sondern sich ergänzende, komplementäre Perspektiven auf die Natur. Eine Betrachtungsweise kann und muss neben der anderen bestehen. Dies bedeutet nun jedoch nicht, dass die beiden Perspektiven unter einem Prinzip vereinigt werden können: Die Möglichkeit einer solchen Vereinigung zweier ganz verschiedener Arten von Kausalität, der Natur in ihrer allgemeinen Gesetzmäßigkeit mit einer Idee, welche jene auf eine besondere Form einschränkt, wozu sie für sich gar keinen Grund enthält, begreift unsere Vernunft nicht (KU, V 422).
Was es bedeutet, dass etwas durch mechanische Ursachen zugleich aber auch durch die Idee eines teleologischen Ganzen bestimmt wird, ist für
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5. Mechanismus und Teleologie
uns nicht einsehbar. Es müsste hierzu ein Prinzip vorausgesetzt werden, welches beide Arten der Verursachung unter sich zusammenfasst und in dem, was außerhalb beiden (mithin auch außer der möglichen empirischen Naturvorstellung) liegt, von dieser aber doch den Grund enthält, d. i. im Übersinnlichen, gesetzt und eine jede beider Erklärungsarten darauf bezogen werden (KU, V 412).
Nach Kants Auffassung können wir uns die Vereinigung der mechanischen mit der teleologischen Maxime also nur im Übersinnlichen vorstellen. Das Übersinnliche ist für uns jedoch eine transzendente Idee, die auf Grund der Begrenztheit unseres Verstandesvermögens nicht theoretisch erkannt werden kann. Die Vereinigung der beiden regulativen Grundsätze bleibt daher letztlich unerreichbar und beide Prinzipien behalten ihren Status als zwei voneinander verschiedene, trotzdem aber notwendige Betrachtungsweisen der Natur. Einige Interpreten haben daher den Schluss gezogen, dass es für Kants Antinomie zwischen Mechanismus und Teleologie gar keine adäquate Lösung geben kann. Kants eigene und einzige Lösung des antinomischen Widerspruchs, so ist behauptet worden, geht nicht über den Verweis auf eine Vereinigung der beiden Prinzipien im Übersinnlichen hinaus.19 Da die Idee des Übersinnlichen für uns unerreichbar sei, müsse auch der Versuch einer Auflösung des Konflikts zwischen den beiden Sätzen der Antinomie aussichtslos bleiben. Der hier vertretenen Lesart zufolge kann jedoch ein zweiter Lösungsansatz von diesem ersteren unterschieden werden. Denn auch wenn es für den Menschen unmöglich ist, die beiden sich widersprechenden Maximen unter einem Grundsatz zu vereinigen, so bleibt ihm doch die Möglichkeit, sie als zwei zwar wechselseitig irreduzible, trotzdem aber notwendige und sich ergänzende Betrachtungsweisen der Natur miteinander zu vereinbaren. Diese Art der Auflösung der Antinomie, so hat die Untersuchung gezeigt, setzt zwei Schritte voraus. Erstens müssen die beiden antinomischen Prinzipien als regulative Maximen für die Betrachtung der Natur, nicht aber als Aussagen über den Charakter der Natur selbst verstanden werden. Und zweitens gilt, dass die beiden Maximen sich auf zwei verschiedene Verständnisse der Natur beziehen, die quantifizierbare und wissenschaftlich erforschbare Natur auf der einen Seite und die lebendige Natur, wie sie uns in unserer analogisch reflektierenden Naturerfahrung gegenübertritt auf der anderen Seite. Meines Erachtens kann es nur dieser weniger ehrgeizige Lösungsversuch sein, der für den Menschen und sein Naturverständnis von Belang ist und den Kant uns in der Dialektik der teleologischen Urteilskraft einräumt. Die _____________ 19 Diese Position wird z. B. von McFarland (1970, S. 129 ff.), Allison (1991, S. 38 f.) und Zanetti (1993) vertreten.
5.5. Eine Auflösung der Antinomie für den Menschen
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Lösung zeigt auf, dass das Naturverständnis des Menschen wesentlich von zwei Beurteilungsprinzipien – dem mechanischen und dem teleologischen – abhängt. Die letzten Ausführungen haben außerdem deutlich gemacht, dass das Verhältnis der mechanischen mit der teleologischen Maxime für unser Verständnis der Natur wesentliche Parallelen zu dem Verhältnis der Standpunkte von Natur und Freiheit aufzeigt, die Kant als die beiden Standpunkte der theoretischen und praktischen Vernunft voneinander unterscheidet. Auf das Verhältnis der teleologischen Naturbetrachtung mit den Voraussetzungen theoretischer und praktischer Vernunft werde ich in den folgenden Kapiteln näher eingehen. Zuvor soll jedoch eine Frage untersucht werden, die in der vorangehenden Untersuchung noch nicht beachtet worden ist. Denn bisher haben wir die teleologische Beurteilung der Natur nur im Hinblick auf die innere Beschaffenheit von Organismen bezogen. Die teleologische Betrachtung scheint jedoch auch für die Relationen zwischen verschiedenen Organismen und für das Verhältnis zwischen Lebewesen und ihrer anorganischen Umgebung von Relevanz zu sein. Dieser Aspekt des teleologischen Naturverständnisses soll im nächsten Kapitel mit Blick auf Kants Begriff einer äußeren oder auch relativen Zweckmäßigkeit näher untersucht werden.
6. Äußere Zweckmäßigkeit und die Natur als System der Zwecke 6. Äußere Zweckmäßigkeit
Im § 63 der Kritik der teleologischen Urteilskraft schreibt Kant von „der relativen Zweckmäßigkeit der Natur zum Unterschiede von der innern:“ Es ist kein Boden den Fichten gedeihlicher, als ein Sandboden. Nun hat das alte Meer, ehe es sich vom Lande zurückzog, so viele Sandstriche in unsern nordlichen Gegenden zurückgelassen, dass auf diesem für alle Kultur sonst so unbrauchbaren Boden weitläufige Fichtenwälder haben ausschlagen können, wegen deren unvernünftiger Ausrottung wir häufig unsere Vorfahren anklagen; und da kann man fragen, ob diese uralte Absetzung der Sandschichten ein Zweck der Natur war zum Behuf der darauf möglichen Fichtenwälder (KU, V 367).
Schon zu Beginn der Kritik der teleologischen Urteilskraft unterscheidet Kant hier die innere Zweckmäßigkeit, die wir an den lebendigen Organismen erfahren, von einer äußeren Zweckmäßigkeit, der „Nutzbarkeit“ oder auch „Zuträglichkeit“ (KU, V 367) eines Teils der Natur für einen anderen. So ist der Sandboden, der durch die Bewegung des Meeres an den Küsten des Nordens angehäuft worden ist, zuträglich und somit äußerlich zweckmäßig für die auf ihm wachsenden Fichtenwälder. Diese äußere Zweckmäßigkeit unterscheidet sich von der inneren Zweckmäßigkeit eines organisierten Lebewesens, da der Zweck außerhalb und nicht innerhalb des Dinges liegt, welches die Mittel und somit das zuträgliche Material zur Erreichung des Zwecks enthält. Die äußere Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes in der Natur beschreibt Kant daher auch als „eine bloß relative, dem Dinge selbst, dem sie beigelegt wird, bloß zufällige Zweckmäßigkeit“ (KU, V 368). Diese Gegenüberstellung zwischen einer internen und einer externen Zweckmäßigkeit verweist auf eine zweite, verwandte Unterscheidung zwischen der Zweckmäßigkeit der inneren Form eines Dinges und der seines Daseins. Die Untersuchung unserer Erfahrung von Organismen in den Kapiteln 3 und 4 hat gezeigt, dass Lebewesen durch eine spezifisch zweckmäßige Organisation und Selbstorganisation charakterisiert sind. Die Art, in der die Teile innerhalb des Lebewesens angeordnet sind, stellt eine eigenartige Gerichtetheit auf die Existenz und das Überleben des gesamten Organismus zur Schau. Die innere Zweckmäßigkeit eines Lebewesens kann daher auch als die Zweckmäßigkeit seiner inneren Einrichtung und Funktionsweise oder auch einfach als die Zweckmäßigkeit seiner
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inneren Form beschrieben werden. Etwas gänzlich anderes ist es jedoch, das Dasein des Lebewesens selbst als zweckmäßig für etwas anderes zu betrachten. Denn auch wenn die innere Form eines Organismus als zweckmäßig für seine eigene Entwicklung und sein Überleben gehalten werden muss, bedeutet dies noch nicht, dass der Organismus zusätzlich für einen über ihn hinausgehenden Zweck existiert. Im vorliegenden Kapitel möchte ich den von Kant eingeführten Begriff der äußeren Zweckmäßigkeit einer genaueren Betrachtung unterziehen. Dafür werde ich im ersten Abschnitt zunächst untersuchen, wie das Prinzip der äußeren mit dem der inneren Zweckmäßigkeit verknüpft ist und wie ersteres aus letzterem folgt. Der zweite Abschnitt führt diese Nachforschung weiter, indem er sich der Frage widmet, inwiefern die Betrachtung äußerer Zweckmäßigkeit eine notwendige Voraussetzung für unser Naturverständnis darstellt. Die Ausweitung der teleologischen Naturbetrachtung von der inneren Zweckmäßigkeit lebendiger Wesen auf die äußere Zweckmäßigkeit zwischen verschiedenen Dingen in der Natur führt im dritten Abschnitt auf die von Kant eingeführte Idee der gesamten Natur als eines Systems äußerer Zweckbeziehungen. Die Gültigkeit dieser Idee ist für ein Naturverständnis auf Kantischer Grundlage jedoch nicht unproblematisch. Im Kontext der teleologischen Naturbetrachtung, die Kant in der Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft auch als eine „physische Teleologie“ bezeichnet, weist er ihr daher auch eine eingeschränktere Bedeutung zu als im Zusammenhang der „moralische[n] Teleologie“ (KU, V 447). Die Gegenüberstellung dieser beiden Methoden teleologischer Argumentation wirft jedoch einige Fragen auf, an denen sich die bisher entwickelte Interpretation des teleologischen Naturverständnisses Kants zu beweisen hat. Insbesondere muss auf Zweifel eingegangen werden, ob Kants Verständnis äußerer Zweckmäßigkeit nicht doch die Annahme eines intelligenten Schöpfers der Natur voraussetzt und ob die physisch-teleologische Betrachtung nicht doch zu ähnlichen Ergebnissen kommen muss wie ein Argument, das moralische Zwecke voraussetzt. Die letzten beiden Abschnitte haben das Ziel, diese Fragen im Einklang mit der vorgeschlagenen Interpretation zu beantworten. Die Analogie mit unserer eigenen, zweckgerichteten und nach Einheit strebenden Vernunft – so soll hier deutlich werden – stellt nicht nur eine notwendige Voraussetzung für die Betrachtung einzelner Lebewesen und der Beziehung zwischen diesen Lebewesen und ihrer Umgebung dar; sie führt außerdem zu der Idee der Gesamtheit der Natur als ein auf die eigene Einheit ausgerichtetes System der Zwecke, ohne dabei der Voraussetzung einer externen, zwecktätig handelnden Ursache zu bedürfen.
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6. Äußere Zweckmäßigkeit
6.1. Die Ausweitung der teleologischen Naturbetrachtung In seiner Auseinandersetzung mit der teleologischen Naturkonzeption wird für Kant deutlich, dass die innere Zweckmäßigkeit der Natur von einer äußeren Zweckmäßigkeit unterschieden werden muss. Trotz dieser Gegenüberstellung sind beide Arten der Zweckbeziehung eng miteinander verknüpft, denn die Idee der inneren Zweckmäßigkeit eines Lebewesens impliziert für uns zugleich den Begriff einer äußeren Zweckmäßigkeit und damit den Begriff der Nutzbarkeit oder auch Zuträglichkeit der Existenz eines Teils der Natur für einen anderen. So erklärt Kant, dass die Ursache, welche die [... einem lebendigen Körper] schickliche Materie herbeischafft, diese so modifiziert, formt und an ihren gehörigen Stellen absetzt, immer teleologisch beurteilt werden [muss], so dass alles in ihm als organisiert betrachtet werden muss, und alles auch in gewisser Beziehung auf das Ding selbst wiederum Organ ist (KU, V 377; Hervorhebung von A. B.).
In einem Organismus erscheinen alle Teile als organisiert und als zweckmäßig für die Existenz des Organismus eingerichtet. Diese Vorstellung ist uns bereits von Kants Organismusbegriff geläufig. Hier wird jedoch deutlich, dass Organismen außerdem durch eine weitere Eigenschaft ausgezeichnet sind: Ein Lebewesen ist kein von seiner Umgebung unabhängiges System, sondern ist vielmehr von äußerem Material abhängig, welches selbst wiederum als ein „Organ“, das heißt als zweckmäßig für den Organismus beurteilt werden muss. Die Fichten in den Küstenwäldern des Nordens beispielsweise benötigen wie jede andere Baumart Wasser, Luft und Sonnenlicht; und auch die Nährstoffe, welche dem sandigen Küstenboden entnommen werden, sind notwendig für das Wachstum und Überleben der Bäume. Insofern ein Organismus einen Teil der Natur darstellt, ist seine innere, zweckmäßig eingerichtete Form abhängig von der Zuträglichkeit äußerer Materialien. Die Idee der inneren Zweckmäßigkeit antizipiert also bereits die Vorstellung, dass äußere Teile der Natur in einer relativen Zweckbeziehung zu den Organismen stehen müssen. Der Begriff der inneren führt so zum Begriff der äußeren Zweckmäßigkeit. 1 Zu der zweifachen Charakterisierung von Organismen, wie sie im vierten Kapitel vorgestellt wurde, kommt daher ein dritter Faktor hinzu. Lebewesen – so ist dort erstens deutlich geworden – sind aus Teilen zusammengesetzt, die beurteilt werden müssen, als seien sie vom Ganzen abhängig und auf das Ganze ausgerichtet. Der Charakter dieser Teile des Organismus kann nur hinsichtlich ihrer Funktion innerhalb des gesamten _____________ 1
Düsing (1968, S. 121) bringt dies auf den Punkt, wenn er schreibt: „Ein Naturzweck kann also nicht innerlich organisiert sein, ohne sich zugleich auf andere Dinge zu beziehen, die ihm ‚Organ’ und Mittel sind, um zu existieren und sich zu erhalten.“
6.1. Die Ausweitung der teleologischen Naturbetrachtung
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Organismus begriffen werden. Die Blätter eines Baumes sind beispielsweise nur insofern als Teile des Baumes zu verstehen, als sie in ihm eine Funktion erfüllen und auf das Überleben des gesamten Baumes gerichtet sind. Zweitens ist klar geworden, dass die Teile des Organismus auch voneinander wechselseitig abhängig sind und sich gegenseitig hervorbringen. Kant hatte den Organismus daher auch als Ursache und Wirkung seiner selbst beschrieben. So versorgen einerseits die Blätter durch ihre Fähigkeit zur Photosynthese die anderen Teile des Baumes mit energiereichen, organischen Substanzen; andererseits werden den Blättern selbst die für die photosynthetischen Zellen und Gewebe benötigten Mineralien zur Verfügung gestellt, welche die Wurzeln dem Boden entziehen. Dieser Darstellung muss nun drittens hinzugefügt werden, dass der Organismus auch in äußeren Zweckzusammenhängen steht. Er benötigt Materialien, die zu seinem eigenen Überleben und seiner Entwicklung zuträglich sind. Erst die Zweckmäßigkeit äußerer Natur wie beispielsweise eines nährstoffreichen Bodens ermöglicht die inneren Zweckbeziehungen eines Lebewesens, die zum Beispiel die Entwicklung und das Wachstum eines Baumes kennzeichnen. Und da dieses äußere Material häufig wieder in der lebendigen Natur besteht, ist ein Organismus umgekehrt auch selbst, etwa in Form von Nahrung, zuträglich für die Existenz anderer Lebewesen. So ist der Baum zweckmäßig für die Insekten, die seine Blätter fressen, für die Vögel, die in seinen Zweigen nisten, für den Specht, der in seinen Stamm eine Höhle meißelt, oder für den Rehbock, der an der Rinde des Baumes sein Geweih fegt. Ein Organismus zeichnet sich also nicht nur durch die innere Zweckmäßigkeit seiner Form aus, sondern auch durch das Geflecht von äußeren Zweckbeziehungen, welche den Lebensraum charakterisieren, den er mit anderen Lebewesen teilt. Der Organismus steht somit im dynamischen Austausch mit der ihn umgebenden Natur, auf die er für sein Überleben angewiesen und für deren Existenz er selbst wiederum zuträglich ist. Wenn wir die teleologische Betrachtung der Natur auf diese Weise auf äußere Beziehungen zwischen verschiedenen Teilen der Natur übertragen, so können wir von ganzen Reihen von zweckmäßig verbundenen Dingen in der Natur sprechen. Beispielsweise ist der sandige Boden zuträglich für die Existenz der Fichtenwälder, die auf ihm wachsen. Diese Zuträglichkeit ist eine indirekte, da auf dem nährstoffarmen Sandboden nicht viele andere Baumarten gedeihen können und die Fichten sich daher gegen wenige Konkurrenten durchzusetzen haben. Die Fichten selbst sind außerdem zweckmäßig für das Überleben der Insekten, die ihre Nadeln fressen und die wiederum als Nahrung für bestimmte Vogelarten dienen. Sowohl die Lebewesen, als auch die anorganischen Komponenten wie der
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6. Äußere Zweckmäßigkeit
Sand des Bodens sind so in das Geflecht von äußerlichen Zweckverhältnissen eingebunden. Hier ist es jedoch wichtig, eine wesentliche Einschränkung dieser Vorstellung äußerer Zweckverhältnisse nicht zu übersehen. Denn – so macht Kant wieder und wieder deutlich – Urteile über relative Zweckbeziehungen stellen keine absoluten teleologischen Urteile dar, sondern sind lediglich hypothetischer Natur. Dies liegt daran, dass wir einen Teil der Natur nur dann als absolut zweckmäßig für einen anderen Teil beurteilen können, wenn klar ist, dass der letztere Teil selbst ein unbedingter Zweck ist. Um sagen zu können, dass der Sandboden an den Küsten des Nordens tatsächlich zweckmäßig für die Existenz der Fichtenwälder sei, muss gezeigt werden, dass diese Fichtenwälder an den Küsten wachsen sollten, dass ihre Existenz also selbst als Zweck betrachtet werden kann. Ein solches absolutes und unbedingtes teleologisches Urteil kann nach Kant jedoch niemals nur in der empirischen Beobachtung der Natur begründet sein. Denn für jeden Teil der Natur kann die Frage formuliert werden, zu welchem Zweck dieser Teil existiere. Eine Antwort auf die Frage, zu welchem Zweck es beispielsweise Vögel gebe, wirft sofort die weitere Frage auf, zu welchem Zweck dieser Zweck der Vögel selbst da sei. Und sogar mit Verweis auf den Menschen können wir fragen, warum er überhaupt existieren sollte: „Nur wenn man annimmt, Menschen haben auf Erden leben sollen, so müssen doch wenigstens die Mittel, ohne die sie als Tiere und selbst als vernünftige Tiere (in wie niedrigem Grade es auch sei) nicht bestehen konnten, auch nicht fehlen“ (KU, V 368). Da wir innerhalb der Grenzen der Naturbetrachtung jedoch zu keinem unbedingten Zweck kommen können, ist auch kein kategorisches Urteil über die äußeren Zweckbeziehungen zwischen verschiedenen Teilen der Natur möglich. Ohne ein solches kategorisches Urteil über einen unbedingten Zweck können äußere Zweckverhältnisse Kant zufolge deshalb auch in entgegengesetzter Richtung gelesen werden: Man könnte auch [...] den dem Scheine nach umgekehrten Weg gehen und sagen: Die gewächsfressenden Tiere sind da, um den üppigen Wuchs des Pflanzenreichs, wodurch viele Spezies derselben erstickt werden würden, zu mäßigen; die Raubtiere, um der Gefräßigkeit jener Grenzen zu setzen; endlich der Mensch, damit, indem er diese verfolgt und vermindert, ein gewisses Gleichgewicht unter den vorbringenden und den zerstörenden Kräften der Natur gestiftet werde. Und so würde der Mensch, so sehr er auch in gewisser Beziehung als Zweck gewürdigt sein möchte, doch in anderer wiederum nur den Rang eines Mittels haben (KU, V 427).
Für den Status der äußerlich teleologischen Naturbetrachtung bedeutet dies, dass sie genau wie die Beurteilung innerer Zweckmäßigkeit rein regulativ, nicht aber konstitutiv für unsere Naturerkenntnis ist. Es wird dadurch, so Kant, „keineswegs ausgemacht, ob irgend etwas [...] absichtlich
6.2. Notwendigkeit und heuristische Nützlichkeit
137
Zweck der Natur sei“ (KU, V 379). Die Natur wird lediglich so betrachtet, als ob ihre Komponenten durch äußere Beziehungen zweckmäßig miteinander verknüpft seien. Kants Standpunkt ist in dieser Hinsicht eindeutig und wird von ihm bereits in früheren Schriften auf den Punkt gebracht: Mit Voltairen sagen: Gott, der das Renntier in Lappland schuf, um das Moos dieser kalten Gegenden zu verzehren, der schuf auch daselbst den Lappländer, um dieses Renntier zu essen, ist kein übler Einfall für einen Dichter, aber ein schlechter Behelf für den Philosophen (VvRM, II 440).
Deshalb hüte [man] sich, dass man die Spötterei eines Voltaire nicht mit Recht auf sich ziehe, der [...] sagt: sehet da, warum wir Nasen haben; ohne Zweifel damit wir Brillen darauf stecken könnten (BDG, II 131).
Kategorische Aussagen über äußere Zweckbeziehungen in der Natur sind nach Kant folglich genauso zurückzuweisen wie bestimmende Urteile über die innere Zweckmäßigkeit von Lebendigem.
6.2. Notwendigkeit und heuristische Nützlichkeit des Prinzips der äußeren Zweckmäßigkeit Urteile sowohl über interne wie auch externe teleologische Beziehungen sind also lediglich regulative Urteile, die sich nicht darauf beziehen, wie die Natur tatsächlich konstituiert ist, sondern vielmehr darauf, wie sie von uns betrachtet werden muss. Hinsichtlich der inneren Zweckmäßigkeit – so ist bereits deutlich geworden – ist diese Art der Naturbetrachtung unumgänglich notwendig. Ohne eine teleologische Betrachtung nach der Analogie mit unserer eigenen zwecktätigen Vernunft ist es uns nicht möglich, etwas überhaupt als einen lebenden Teil der Natur anzusehen. Auf der konkreteren Ebene der Naturerklärung kann die teleologische Betrachtungsweise außerdem als ein heuristisches Hilfsmittel zur Erforschung mechanischer Gesetzmäßigkeiten verstanden werden. Teleologische Begrifflichkeiten, Erklärungsmuster und Fragestellungen können so in der Naturforschung als Werkzeuge dienen, die dazu beitragen, Erkenntnisse über die Natur aufzudecken. Darüber hinaus lässt sich zeigen, dass auch hinsichtlich der externen Zweckbeziehungen von einer Unterscheidung zwischen zwei Stufen der teleologischen Betrachtungsweise gesprochen werden kann. Denn auch hier können wir zwischen der Notwendigkeit der teleologischen Beurteilung auf der Stufe unserer analogischen Erfahrung einerseits und der Heuristik der teleologischen Betrachtung innerhalb der naturwissenschaftlichen Erklärung andererseits differenzieren.
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6. Äußere Zweckmäßigkeit
Zunächst kann der Begriff der äußeren Zweckmäßigkeit auf der Ebene der Naturforschung als heuristisches Hilfsmittel dienlich werden, insofern uns eine solche zweckmäßige Betrachtung der Natur „eine unterhaltende, bisweilen auch belehrende Aussicht in eine teleologische Ordnung der Dinge“ (KU, V 379) gibt. Unterhaltend mag diese Art der Naturbetrachtung sein, wenn sie auch unangenehme und scheinbar zweckwidrige Dinge in einem anderen Licht darstellt. So könnten wir mit Kant zum Beispiel schließen, das Ungeziefer, welches die Menschen in ihren Kleidern, Haaren oder Bettstellen plagt, sei nach einer weisen Naturanstalt ein Antrieb zur Reinlichkeit, die für sich schon ein wichtiges Mittel der Erhaltung der Gesundheit ist (ebd.).
Diese Art der Beurteilung natürlicher Gegebenheiten als äußerlich zweckmäßig kann Kant zufolge außerdem lehrreich sein, insofern sie uns dazu anleitet, die mechanisch erklärbaren Gesetzlichkeiten, welche die Mittel zu einem vorausgesetzten Zweck darstellen, aufzuspüren und so einer Erklärung der Natur näher zu kommen. Indem wir bestimmte Teile der Natur als zweckmäßig für andere Teile betrachten, können wir mechanisch erklärbare Abhängigkeiten aufdecken, auf die wir über eine rein mechanische Naturbetrachtung möglicherweise niemals gekommen wären. Indem wir das Ungeziefer in der Kleidung der Menschen als zweckmäßig für ihre Reinlichkeit betrachten, kommen wir beispielsweise überhaupt erst auf die Idee, nach kausalen Zusammenhängen zwischen dem Ungeziefer, der Hygiene und der Gesundheit des Menschen zu forschen. Und auch wenn sich nicht jede Eigenschaft eines jeden organischen oder auch anorganischen Teils der Natur als zuträglich für einen anderen Teil der Natur herausstellen sollte, kann eine teleologische Herangehensweise dennoch bei der Auffindung so mancher mechanischer Naturerklärungen helfen. Genau wie die Maxime der inneren Zweckmäßigkeit kann so auch die Betrachtung der äußerlich zweckmäßigen Einrichtung der Natur ein heuristisches Hilfsmittel für die mechanische Erklärung der Natur darstellen.2 Die Beurteilung der äußeren Zweckmäßigkeit liefert nun aber nicht nur ein nützliches Werkzeug zur Erforschung der Natur, sondern ist darüber hinaus eine notwendige Bedingung für die allgemeiner verstandene teleologische Naturbetrachtung. Denn genauso wie wir eine innere Ge_____________ 2
Seine Vorlesungen über physische Geographie leitete Kant somit auch mit dem Anspruch ein, eine „Idee“, oder auch „Propädeutik in der Erkenntnis der Welt“ zu liefern (PG, IX 157 f.). Dieser „Vorbegriff“ soll demjenigen, der die Welt erforscht, helfen, seine Erkenntnisse nicht nur wahllos anzusammeln (als ein „Aggregat“), sondern zu einer systematischen Wissenschaft zu ordnen (ebd.). Kants Beschreibungen der Tier- und Pflanzenwelt lassen annehmen, dass dieses System als ein teleologisch geordnetes verstanden werden muss.
6.2. Notwendigkeit und heuristische Nützlichkeit
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richtetheit der Teile eines Organismus auf das Überleben des gesamten Lebewesens erfahren und die Teile selbst als wechselseitig abhängig wahrnehmen, so scheinen die Teile des Organismus außerdem einer äußeren Natur zu bedürfen. Ebenso wie die innere Zweckmäßigkeit nicht anhand mechanischer Gesetze erklärt werden kann, bleiben auch die äußeren Zweckbeziehungen zwischen den teleologisch verstandenen Lebewesen und ihrer externen Umgebung durch solche Gesetze unerklärt. Wie oben deutlich geworden ist, besteht die Schwierigkeit darin, dass mechanische Gesetze zwar erklären können, warum ein Ereignis auf ein anderes folgen muss, nicht jedoch, inwiefern bestimmte Veränderungen in der Materie auf ein bestimmtes Ziel hin gerichtet sein können.3 Mechanische Gesetze gehen von bestimmten allgemeinen Kräften aus, die jedem materiellen Teil der Natur zukommen. Die Veränderungen innerhalb der Materie sind dem Naturmechanismus zufolge also immer mit Verweis auf die Kräfte der Materieteile zu erklären. Was bei der Zusammensetzung aus den einzelnen Teilen herauskommt, ist einzig und allein durch die Teile und ihre bewegenden Kräfte bestimmt. In den zweckmäßig anmutenden Organismen und ihrer für sie offenbar so zuträglich organisierten Umgebung scheint es jedoch nicht allein um die Wirkungen der Eigenschaften und Kräfte bestimmter Teile der Natur zu gehen, sondern die Veränderungen innerhalb der Natur scheinen selbst auf ein Ziel gerichtet zu sein. Die Analogie mit der zweckgerichteten Tätigkeit unserer eigenen Vernunft, anhand derer wir die Natur als zweckmäßig ansehen, spielt somit nicht nur für die Betrachtung einzelner Lebewesen, sondern auch für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen den Organismen und ihrer Umgebung eine Rolle. Ein weiterer Aspekt dieser Analogie wird dabei deutlich. Denn ebenso wie die Vernunft des Menschen eine verkörperte Vernunft ist, kann auch der Organismus nur als Teil einer umfassenderen Natur verstanden werden, auf die er sich bezieht und von der er selbst abhängig ist. So wie die Vernunft in ihrem Streben nach Einheit über sich selbst hinausgeht, Urteile über etwas außerhalb ihrer selbst Liegendes fällt und die Welt in ihre Handlungen einbezieht, so sind auch die Organismen keine rein nach innen und auf sich selbst gerichteten Wesen. Auch sie setzen eine Umwelt voraus und sind auf eine externe Natur angewiesen. Die Analogie, anhand derer wir Organismen als lebendig betrachten, ist somit wesentlich nicht nur für die Betrachtung teleologischer Beziehungen innerhalb des Lebewesens, sondern auch für die Relationen zwischen Organismen und der sie umgebenden, belebten und unbelebten Natur. In dieser Art der Betrachtung externer Zweckverhältnisse können wir das erkennen, was wir heute unter den Begriff ökologischer Beziehungen _____________ 3
Vgl. Abschnitt 3.1.
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6. Äußere Zweckmäßigkeit
fassen würden. Insofern wir von Leben in der Natur ausgehen, müssen wir auch einsehen, dass dieses Leben in einen ökologischen Zusammenhang eingebunden ist. Auch den zu Kants Zeiten noch nicht geläufigen Begriff eines Ökosystems kann man sich nur unter Voraussetzung dieser externen Zweckbeziehungen vorstellen. Ein Ökosystem ist demnach als eine Einheit von Teilen vorzustellen, die durch äußere Zweckbeziehungen verbunden sind. Die Beurteilung der Natur als äußerlich zweckmäßig ist folglich nicht nur für die Betrachtung von Organismen und deren Beziehung zur Umgebung notwendig, sondern auch für ein Verständnis größerer Zusammenhänge von lebendiger und toter Natur. Einen Wald beispielsweise als einen Lebensraum anzusehen, der Bäume, aber auch Vögel, Insekten, Rehe und viele weitere Lebewesen umfasst, setzt bereits voraus, dass wir uns den Wald vorstellen, als sei er nach Zweckverhältnissen geordnet. Nur indem wir die teleologische Betrachtung auch auf äußere Beziehungen zwischen Teilen der Natur übertragen, indem wir uns Teile der Natur als voneinander abhängig und aufeinander bezogen vorstellen, können wir von Zusammenhängen organischer und anorganischer Natur sprechen, die eine größere systematisch geordnete Einheit ausmachen. Auch für ein Verständnis von umfassenderen Naturzusammenhängen ist die teleologische Betrachtung somit notwendig. Ausgehend von den als innerlich zweckmäßig beurteilten Organismen kann die teleologische Perspektive nicht nur auf einzelne Beziehungen zwischen Lebewesen und ihrer Umgebung ausgeweitet werden, sondern sie ermöglicht uns auch erst die Betrachtung von Einheiten systematisch untereinander verknüpfter Teile der belebten und unbelebten Natur. Diese Untersuchung unserer Naturerfahrung zeigt, dass die teleologische Beurteilung von Lebewesen auch eine teleologische Betrachtung der sie umgebenden Natur erfordert. Sobald wir dem Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit eine Rolle für unser Naturverständnis zusprechen, müssen wir das Gleiche auch für das Prinzip der äußeren Zweckmäßigkeit tun. Wie im Falle der inneren Zweckmäßigkeit müssen also auch hinsichtlich der Beurteilung äußerer Beziehungen zwischen Organismen und ihrer Umgebung zweierlei Stufen voneinander unterschieden werden: Auf der Stufe der konkreten Erforschung und Erklärung der Natur kann die teleologische Betrachtung äußerer Zweckbeziehungen als heuristisches Hilfsmittel zur Auffindung kausal-mechanischer Naturerklärungen angewandt werden. Auf einer grundlegenderen Stufe der Erfahrung von Leben ist die äußere teleologische Betrachtung darüber hinaus notwendig, um Teile der Natur als lebendig und um Zusammenhänge von organischer und anorganischer Natur als wechselseitig sich bedingende, komplexe Systeme verstehen zu können.
6.3. Die Natur als System der Zwecke
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6.3. Die Natur als System der Zwecke: Physische und moralische Teleologie Ausgehend von der teleologischen Betrachtung einzelner Dinge in der Natur – so zeigt Kant in der Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft – erweitern wir die teleologische Beurteilung nicht lediglich auf äußere Zweckverhältnisse zwischen bestimmten Teilen der Natur, sondern letztlich auch auf die Natur als Ganze. Der Begriff des Naturzwecks führt uns Kant zufolge notwendig auf die Idee der gesamten Natur „als eines Systems nach der Regel der Zwecke:“ Alles in der Welt ist irgend wozu gut; nichts ist in ihr umsonst; und man ist durch das Beispiel, das die Natur an ihren organischen Produkten gibt, berechtigt, ja berufen, von ihr und ihren Gesetzen nichts, als was im Ganzen zweckmäßig ist, zu erwarten (KU, V 379).
Die Natur wird von Kant als Gesamtheit vorgestellt, deren Teile hier durch äußere Zweckbeziehungen untereinander verbunden sind. Sie wird betrachtet, als sei sie eine systematisch nach Zwecken geordnete Einheit, die „im Ganzen zweckmäßig ist“ (ebd.). Diese Betrachtung geht über die externen, von der Beurteilung des Organismus ausgehenden und an ihn geknüpften Zweckbeziehungen, wie sie bisher eingeführt wurden, hinaus. Denn die Betrachtung der äußeren Zweckmäßigkeit mag uns zwar zu einer unendlichen Reihe von Zweckverhältnissen führen, nicht aber zu der Idee, dass die Gesamtheit alles Erfahrbaren eine systematisch eingerichtete Einheit ausmacht, die nach Zweck-Mittel-Verhältnissen geordnet ist. Die Idee einer solchen systematischen Einheit enthält die zusätzliche Vorstellung, dass die Natur ein vollständiges Ganzes ausmacht und dass sie als System der Zwecke unter einem absoluten Zweck oder „Endzweck“ (KU, V 378) steht, der nicht selbst wiederum ein Mittel zu einem weiteren Zweck darstellt. Eine teleologische Betrachtung der externen Beziehungen zwischen Teilen der Natur bleibt jedoch stets bedingt, und Zusammenhänge von Zweckverhältnissen können daher niemals als vollständig und unbedingt erachtet werden. Allein ausgehend von solchen teleologischen Betrachtungen über die Natur können wir daher niemals zu einem Begriff der Welt als abgeschlossener und von weiteren Bedingungen unabhängiger Einheit kommen: „[D]iese zweckmäßige Beziehung beruht auf einer immer weiter hinauszusetzenden Bedingung, die als unbedingt (das Dasein eines Dinges als Endzweck) ganz außerhalb der physisch-teleologischen Weltbetrachtung liegt“ (ebd.).
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6. Äußere Zweckmäßigkeit
Kant erklärt diese Ausweitung der teleologischen Naturbetrachtung daher auch nicht allein mit Verweis auf das Prinzip der Urteilskraft, sondern mit Blick auf das Einheitsstreben der Vernunft.4 Nur weil die Vernunft danach strebt, die gesamte Natur einem einheitlichen Grundsatz unterzuordnen, weitet sie das Prinzip der Urteilskraft, welches zur Betrachtung der lebendigen Natur legitimiert ist, auf die gesamte Natur aus. „Eine Idee soll der Möglichkeit des Naturprodukts zum Grunde liegen“, und deshalb muss „der Zweck der Natur auf Alles, was in ihrem Produkte liegt, erstreckt werden“ (KU, V 377; erste Hervorhebung von A. B.). Genau wie es die Einheitsidee der Vernunft in der Dialektik der ersten Kritik veranlasst, die Natur als eine nach mechanischen Gesetzen geordnete Einheit zu verstehen, so wird hier auch das Prinzip der teleologischen Beurteilung durch die Vernunft auf die Gesamtheit der Natur angewandt.5 Auch wenn die Idee der Natur als System der Zwecke also nicht direkt in der Beurteilung externer Zweckzusammenhänge enthalten ist, sind wir dennoch durch das Einheitsstreben der Vernunft indirekt dazu veranlasst, das teleologische Beurteilungsprinzip auf die gesamte Natur anzuwenden und sie als zweckmäßig verknüpfte, systematische Einheit zu betrachten. Insofern diese Ausweitung der teleologischen Beurteilung also die Betrachtung nach der Analogie mit unserer eigenen Vernunft auf die gesamte Natur überträgt, fällt die Vorstellung der Natur als systematische Einheit in analoger Weise zu der Vorstellung lebendiger Wesen aus. „[D]urch das Beispiel, das die Natur an ihren organischen Produkten gibt“ (KU, V 379), können wir auch die Natur als Ganze als eine komplexe Einheit von Teilen betrachten, die voneinander wechselseitig abhängig und in ihrer Abhängigkeit auf die Existenz und die Einheit der Natur als Ganze ausgerichtet sind. Unter der Idee der Natur als System der Zwecke verstehen wir somit eine Einheit, die sich selbst zum Zweck hat, die also nicht weiter auf einen über sie selbst hinausgehenden Zweck ausgerichtet ist. Der die Einheit der Natur garantierende Zweck ist ihr folglich immanent: Er liegt in der Einheit der Natur selbst.6 Wie ist vor diesem Hintergrund jedoch Kants Behauptung nachzuvollziehen, die Idee der Natur als System der Zwecke sei „zwar nützlich _____________ 4
5 6
Peter (1992, S. 197) betont daher, dass diese Ausweitung von Kant nicht als „rechtmäßiges Verfahren vorgestellt“ wird. Das Prinzip der Urteilskraft wird ihm zufolge erst durch die Tendenz der Vernunft zur „Verabsolutierung“ ausgeweitet. Was genau dies für ein „rechtmäßiges“ Verständnis der Natur bedeutet, gilt es im Folgenden genauer auszuarbeiten. Vgl. Abschnitt 1.4. Hier stimme ich Düsing (1968, S. 124) zu, der erklärt: „So denken wir uns die zweckmäßige Ordnung in der Natur ebenso wie in einem Organismus, d. h. wir fassen den Begriff eines organischen, innerlich zweckmäßigen Weltganzen.“
6.3. Die Natur als System der Zwecke
143
aber nicht unentbehrlich“ (KU, V 398)? Widerspricht diese Aussage nicht der gerade aufgestellten Behauptung, die Annahme äußerer Zweckbeziehungen sei durch das Einheitsstreben der Vernunft notwendig für unser Naturverständnis? Meines Erachtens kann Kant einen Widerspruch vermeiden, da die Idee der Natur als System der Zwecke nur indirekt für die Betrachtung der Natur als Ganze notwendig, für unsere Beurteilung der empirisch gegebenen Natur dagegen nicht direkt unentbehrlich ist. Der Schlüssel zu dieser Problematik liegt in Kants Zusatz, dass „uns die Natur im Ganzen als organisiert [...] nicht gegeben ist“ (ebd.). Insofern die Natur als Gesamtheit für uns nicht sinnlich erfahrbar ist, besteht auch keine unmittelbare Notwendigkeit, die Natur als Ganze nach Zweck-MittelBeziehungen zu beurteilen. Im Falle der Erfahrung von Organismen steht es dagegen anders. Denn gerade die sinnliche Wahrnehmung, die wir von Lebendigem in der Natur haben, erfordert eine teleologische Betrachtung. Die teleologische Beurteilung ist hier notwendig, weil uns etwas in der Erfahrung gegeben ist, das wir nicht mechanisch konzeptionalisieren, sondern über das wir nur nach einer Analogie teleologisch reflektieren können. Da wir dagegen keine solche sinnliche Wahrnehmung von der Natur als Ganzer haben, ist eine teleologische Beurteilung der Natur als Gesamtheit auch nicht in gleicher Weise „unentbehrlich“. Erst die Vernunftidee von der Einheit der Natur bringt daher die Notwendigkeit mit sich, über die Natur als Ganze teleologisch zu reflektieren. In der Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft präzisiert Kant den Status dieser Idee der Natur als System der Zwecke, indem er zwei Arten der teleologischen Beurteilung unterscheidet. Die gesamte bisher erörterte, teleologische Sicht der Natur nennt Kant eine „physischteleologische [...] Weltbetrachtung“ (KU, V 378). Als „physisch“ bezeichnet er sie deshalb, weil sie sich auf Zwecke bezieht, die in der Natur – anhand der Analogie mit unserem Vernunftvermögen – erfahren werden. Dieser Art der Naturbetrachtung stellt Kant nun eine andere teleologische Methode entgegen: die moralisch-teleologische Herangehensweise, welche uns letztlich zu einer „Moraltheologie“ (KU, V 436) führt. Diese „Moraltheologie“ unterscheidet Kant von einer „Physikotheologie“ auf folgende Weise: Die Physikotheologie ist der Versuch der Vernunft, aus den Zwecken der Natur (die nur empirisch erkannt werden können) auf die oberste Ursache der Natur und ihre Eigenschaften zu schließen. Eine Moraltheologie (Ethikotheologie) wäre der Versuch, aus dem moralischen Zwecke vernünftiger Wesen in der Natur (der a priori erkannt werden kann) auf jene Ursache und ihre Eigenschaften zu schließen (ebd.).
Das, was Kant hier als die empirisch erkennbaren Zwecke der physikotheologischen Argumentation bezeichnet, sind die inneren und äußeren
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6. Äußere Zweckmäßigkeit
Zwecke, die wir den Organismen sowie den Beziehungen zwischen organischer und anorganischer Natur zuschreiben. Das ethikotheologische Argument geht dagegen von einem a priori vorauszusetzenden Zweck, der Moralität vernünftiger Wesen, aus. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang Kants These, dass die moralische im Gegensatz zur physischen Teleologie die unmittelbare Notwendigkeit der Idee der Natur als einer zweckmäßigen Einheit begründen kann. Der Versuch einer Physikotheologie, so macht Kant im § 85 der Methodenlehre deutlich, kann niemals ans Ziel führen. Denn wie bereits deutlich geworden ist, kann mit Hilfe physisch-teleologischer Untersuchungen keine Schlussfolgerung über den Endzweck der Natur gezogen werden. Eine „Physikotheologie, so weit sie auch getrieben werden mag“, behauptet Kant daher, „kann uns doch nichts von einem Endzwecke der Schöpfung eröffnen; denn sie reicht nicht einmal bis zur Frage nach demselben“ (KU, V 437). Insofern wir auf Grundlage der Naturerfahrung nichts über einen höchsten und unbedingten Zweck der Natur aussagen können, ist auch keine Schlussfolgerung über einen Schöpfer möglich. Denn wenn nicht klar ist, zu welchem Zweck die Natur existiert oder ob sie überhaupt auf einen Endzweck gerichtet ist, kann auch keine Aussage über eine die Natur zu einer „Endabsicht“ (KU, V 441) hervorbringenden, ersten Ursache getroffen werden. Allein auf Grundlage physischteleologischer Betrachtungen ist es daher unmöglich, eine Theologie zu entwickeln. Ausgehend von dem „moralischen Zwecke vernünftiger Wesen in der Natur“ (KU, V 436) – so argumentiert Kant nun aber – können sehr wohl Aussagen über einen Endzweck der Natur und letztlich auch über ihre erste Ursache getroffen werden. Reinhard Löw führt in diesem Zusammenhang die hilfreiche Unterscheidung zwischen der „horizontalen“ Ausweitung des teleologischen Prinzips innerhalb der physischteleologischen Argumentation und seiner „vertikalen“ Ausweitung innerhalb der moralisch-teleologischen Herangehensweise ein.7 Während die physische Teleologie immer nur von relativen Zwecken sprechen kann, die Zweckmäßigkeit eines Teils der Natur also immer nur horizontal in Beziehung auf einen anderen Teil gilt, geht es in der moralischen Teleologie darum, den höchsten Zweck oder auch Endzweck zu identifizieren und zu untersuchen, auf welche Weise der Rest der Natur auf diesen Zweck gerichtet und ihm somit vertikal untergeordnet ist. Den Ergebnissen der Kantischen Moralphilosophie zufolge kann es lediglich einen Kandidaten für diesen Endzweck geben: den Menschen als freies und moralisches Vernunftwesen. Als von Naturzwängen unabhängiger Akteur hat der Mensch die Fähigkeit, rein nach Vernunftgründen _____________ 7
Löw (1980, S. 217).
6.3. Die Natur als System der Zwecke
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und somit moralisch zu handeln. Nur in diesem Sinne ist er als ein unbedingter Zweck und somit als Zweck an sich zu verstehen. Wenn Kant demnach vom Menschen als dem Endzweck der Natur spricht, so geht es ihm nicht um den Menschen als Teil der Welt mit all seinen natürlichen Eigenschaften, wie wir ihn im Allgemeinen verstehen. Auch hebt Kant den Menschen nicht auf Grund seiner Fähigkeit zur theoretischen Vernunft oder seines Vermögens, sich überhaupt Zwecke zu setzen, vom Rest der Natur ab. Vielmehr geht es ihm um die speziellere Fähigkeit eines vernünftigen Wesens, sich nicht lediglich pragmatische, sondern freie Zwecke zu setzen und seine Vernunft praktisch zu gebrauchen. Die Frage nach einem höheren Zweck, für den selbst der Mensch wiederum als Mittel dient, wird erst dann überflüssig, wenn wir den Menschen als ein selbstbestimmtes, der moralischen Handlung fähiges Wesen verstehen, das einen Zweck an sich selbst darstellt. In diesem Sinne ist der Mensch als Endzweck der Natur jedoch lediglich ein Ideal, das der Mensch im üblichen Sinne, der ja immer auch Teil der Natur ist, zwar anstreben, niemals aber vollkommen erreichen kann. Wenn die Natur also einen unbedingten Endzweck hat, so schließt Kant, dann kann dieser nur im moralischen Wesen liegen: Die „Existenz einer solchen Vernunft, die in der Zweckbeziehung ihr selbst das oberste Gesetz sein kann, mit andern Worten die Existenz vernünftiger Wesen unter moralischen Gesetzen, kann also allein als Endzweck vom Dasein einer Welt gedacht werden“ (KU, V 449 f.). Wird dieses moralische Wesen nun also als Endzweck der Natur vorausgesetzt, so kann die gesamte Natur als eine Einheit betrachtet werden, die anhand äußerer Zweckbeziehungen geordnet ist, welche letztlich Mittel zu der Existenz des Endzwecks darstellen. Innerhalb der Natur können wir so von vertikalen Zweckbeziehungen ausgehen, welche die Natur hierarchisch auf den Endzweck, das heißt auf die Existenz moralischer Wesen, ausrichten.8 Dass allein ein guter Wille unbedingten Wert hat und dass somit allein ein vernünftiges Wesen, das eines guten Willens fähig ist, ein Zweck an _____________ 8
Von dem Endzweck der Natur, der selbst über die Natur hinausgeht, unterscheidet Kant einen „letzten Zwecke“ (KU, V 429), welcher noch innerhalb der Natur liegt, der selbst aber Mittel zu keinem weiteren Zweck in der Natur, sondern lediglich auf den über die Natur hinausgehenden Endzweck gerichtet ist. Dieser letzte Zweck, so erklärt Kant, besteht in der Ermöglichung eines freien Willens, in den natürlichen Bedingungen also, welche es dem Willen vernünftiger Wesen möglich machen, unabhängig von sinnlichen Begierden und Trieben zu wirken. Diese Bedingungen erkennt Kant in der Kultur (vgl. KU, V 429 ff.), auf deren Begriff er insbesondere in seinen Schriften zur Geschichtsphilosophie näher eingeht. Siehe z. B. SF, IaG, MAM und TP. Vgl. auch die Diskussionen in Düsing (1968, S. 212 ff.), Yovel (1980, S. 181 ff.) und Kleingeld (1995, S. 44 ff.).
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6. Äußere Zweckmäßigkeit
sich selbst sein kann, hatte Kant schon in seiner Moralphilosophie gezeigt. In der Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft geht es ihm nun aber spezieller um die Frage nach dem Endzweck der Natur. Dies fügt den moralphilosophischen Überlegungen eine neue Dimension hinzu. Denn indem Kant nach dem Endzweck der Natur fragt, geht es ihm zugleich um die Bedingungen der Natur, die einen Zweck ermöglichen, der selbst über die Natur hinausgeht. Kants Frage nach dem Endzweck der Natur, auf den hin gerichtet die Natur als System der Zwecke verstanden werden kann, ist somit zugleich die Frage, inwiefern die Natur einen wirksamen Beitrag zu der Möglichkeit von freier, moralischer Handlung liefern kann. Die Natur selbst – so wird hier angenommen – muss so eingerichtet sein, dass sie die Existenz moralischer Wesen ermöglicht. Wie aber kann die Natur einen Einfluss auf die Möglichkeit der Moralität haben? Kant zufolge verweist uns diese Frage auf eine weitere Annahme, die wir innerhalb der Moralteleologie anstellen müssen: Dies ist die Annahme einer moralischen Weltursache, welche die Natur zu dem Zwecke moralischer Wesen hervorgebracht hat. Der Mensch als moralisches Wesen – so Kants Überlegung – kann nur dann Endzweck der Natur sein, wenn die Natur zu der Absicht eines moralischen Endzwecks hervorgebracht worden ist. Es müsste daher eine intelligente, nach moralischen Absichten handelnde Ursache der Welt angenommen werden, welche die Natur so einrichtet, dass sie die Existenz moralischer Wesen ermöglicht:9 Da wir nun den Menschen nur als moralisches Wesen für den Zweck der Schöpfung anerkennen: so haben wir erstlich einen Grund, wenigstens die Hauptbedingung, die Welt als ein nach Zwecken zusammenhängendes Ganze und als System von Endursachen anzusehen; vornehmlich aber für die nach Beschaffenheit unserer Vernunft uns notwendige Beziehung der Naturzwecke auf eine verständige Weltursache ein Prinzip, die Natur und Eigenschaften dieser ersten Ursache als obersten Grundes im Reiche der Zwecke zu denken und so den Begriff derselben zu bestimmen (KU, V 444).
Durch Hinzuziehung von Erwägungen der praktischen Vernunft wird so die Idee der Natur als ein System der Zwecke „unentbehrlich“. Denn sie führt innerhalb der moralischen Teleologie zur Idee der Natur als System der Zwecke, welches einerseits als zweckmäßiges Produkt einer intentional handelnden Ursache, andererseits selbst wiederum als Mittel zu dem höheren Zweck des moralischen Wesens verstanden werden muss. Gehen wir also davon aus, dass die Natur einen übernatürlichen Zweck hat, so müssen wir auch folgern, dass sie in ihrer Gesamtheit begriffen eine _____________ 9
In diesen Zusammenhang fallen auch Kants Aussagen über die „Vorsehung“ oder auch „Vorsorge“ der Natur, welche den Menschen zur Entwicklung seiner moralischen Fähigkeiten treiben. Vgl. die unter Anm. 8 angeführten Werke Kants sowie Anth und ZeF.
6.4. Der übersinnliche Grund der Natur
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Zweckmäßigkeit aufweist, die nicht rein immanent, sondern über sie selbst hinaus gerichtet ist.
6.4. Der übersinnliche Grund der Natur Kants Gegenüberstellung von physischer und moralischer Teleologie bringt somit eine Unterscheidung zwischen zwei Vorstellungen der Natur als System der Zwecke mit sich. Die physisch-teleologische Argumentation führt uns auf die durch die Einheitsidee der Vernunft bedingte Vorstellung, dass die gesamte Natur wie ein Organismus eine innerlich zweckmäßige Einheit ausmacht, die auf den Zweck ihrer eigenen Einheit gerichtet und von der Idee einer externen Vernunft unabhängig ist. Nach der moralisch-teleologischen Vorstellung dagegen müssen wir uns die Natur als eine durch einen intelligenten Schöpfer hervorgebrachte Einheit vorstellen, die auf das Ziel der Existenz moralischer Vernunftwesen ausgerichtet ist. Bei genauerer Überlegung wirft diese Gegenüberstellung jedoch Fragen auf, die möglicherweise Zweifel an der vorgestellten Interpretation aufkommen lassen und in den beiden verbleibenden Abschnitten des Kapitels genauer beleuchtet werden sollen. Eine erste Frage betrifft die Verwendung des Gottesbegriffs in Kants teleologischer Argumentation. Der physisch- und der moralisch-teleologische Ansatz wurden unter anderem dadurch voneinander differenziert, dass allein die moralische Teleologie zu der Annahme eines intelligenten Schöpfers als übernatürlichen Urgrunds der Natur führen konnte. Wie erklärt sich vor diesem Hintergrund nun aber die Tatsache, dass Kant auch innerhalb der physisch-teleologischen Diskussion bisweilen von einem übersinnlichen Grund der Natur spricht? In § 85 über die „Physikotheologie“ behauptet Kant zum Beispiel, dass diese den Begriff einer verständigen Weltursache als einen subjektiv für die Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens allein tauglichen Begriff von der Möglichkeit der Dinge, die wir uns nach Zwecken verständlich machen können, rechtfertigen [kann] (KU, V 437).
Wir können also bei aller möglichen Erweiterung der physischen Teleologie [...] wohl sagen: dass wir nach der Beschaffenheit und den Prinzipien unseres Erkenntnisvermögens die Natur in ihren uns bekannt gewordenen zweckmäßigen Anordnungen nicht anders denn als das Produkt eines Verstandes, dem diese untergeworfen ist, denken können (KU, V 441).
Widersprechen diese Aussagen nicht der hier entwickelten Lesart, der zufolge wir nach einer rein physisch-teleologischen Betrachtungsweise
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6. Äußere Zweckmäßigkeit
nicht von einer absichtlich die Natur hervorbringenden, verständigen Ursache als notwendiger Voraussetzung unserer Naturbetrachtung ausgehen können? Natürlich betont Kant wieder und wieder, dass die Idee der Natur, vorgestellt „als das Produkt eines Verstandes“, lediglich regulativ ist; und trotzdem scheint dies im Widerspruch zu der Behauptung zu stehen, dass wir allein anhand der Betrachtung von lebendigen Naturzwecken auch im regulativen Sinne nicht zu der Annahme einer ersten Ursache und eines obersten Zwecks der Natur gelangen können. Bedeutet dies, dass Kant im Zusammenhang seiner physisch-teleologischen Betrachtung doch auf eine intelligente Ursache der Natur verweist? Und lässt dies nicht auch Zweifel an der in den Kapiteln 3 und 4 entwickelten Interpretation der Organismus-Analogie aufkommen, die dort explizit von der theologischen Analogie differenziert wurde? Einige Autoren gehen davon aus, dass die physisch- und die moralisch-teleologischen Herangehensweisen trotz der Unterscheidung, die Kant zwischen ihnen zieht, zu denselben Ergebnissen kommen.10 Unabhängig davon, ob wir von der empirischen Erforschung der Natur oder von der apriorischen Untersuchung moralischen Handelns ausgehen, auf beiden Wegen kommen wir nach dieser Lesart zu der Vorstellung einer systematisch nach Zweckbeziehungen geordneten Natur, welche durch eine übersinnliche, erste Ursache zu dem Endzweck, der Existenz moralischer Wesen, hervorgebracht ist. Zentrale Prämisse dieser Argumentation ist dabei, dass wir nur dann von empirisch erfahrbaren Zwecken in der Natur ausgehen können, wenn wir diese Zwecke auch als Zwecke eines zwecktätigen Wesens betrachten. Insofern Zwecke nach dieser Ansicht einen Schöpfer voraussetzen, müssen wir auch eine nach Zwecken handelnde Ursache der Natur annehmen. Die Ausweitung der teleologischen Naturbetrachtung führt nach dieser Interpretation also zu der Idee der gesamten Natur als Produkt eines intelligenten Schöpfers. Und insofern wir einen intelligenten Schöpfer als zwecktätig betrachten, müssen wir auch davon ausgehen, dass er die Natur zu einem bestimmten Endzweck hervorgebracht hat. Die Interpretation kommt zu dem Ergebnis, dass uns auch Kants physisch-teleologische Herangehensweise zu der Annahme einer intelligenten Weltursache und eines Endzwecks der Natur führt. Müssen wir also davon ausgehen, dass die Betrachtung der lebendigen Natur als innerlich zweckmäßig und der gesamten Natur als durch äußere Zweckbeziehungen geordnet sich letztlich auf die Annahme eines intelligenten Welturhebers stützt, der die Natur zu einem Endzweck hervorgebracht hat? _____________ 10 Vgl. Freudiger (1996) und Guyer (2005d).
6.4. Der übersinnliche Grund der Natur
149
Diese Schlussfolgerung wäre meines Erachtens verfehlt. Vielmehr gilt es hier eine wichtige Unterscheidung hinsichtlich der Idee des Urgrundes der Natur zu beachten. Dies ist die Unterscheidung zwischen zwei Begriffen der Naturursache, die mit den zwei in dieser Untersuchung einander gegenübergestellten Interpretationen der Organismus-Analogie assoziiert werden können. Die gerade skizzierte Deutung stellt die Natur in Analogie mit einem Kunstwerk als Produkt eines Künstlers dar. Der übersinnliche Urgrund der Natur muss nach dieser Vorstellung als Schöpfer verstanden werden, der die Natur nach einem Plan erschaffen hat; er muss als intentionaler, nach Zwecken handelnder Urgrund begriffen werden.11 Nach der im vierten Kapitel entwickelten Lesart ist die Natur dagegen nicht nach der Analogie mit einem Kunstwerk, sondern nach der mit unserer eigenen Vernunft als zweckmäßig zu betrachten. Eine alternative Interpretation der Idee eines übersinnlichen Urgrundes dieser so verstandenen Natur ist außerdem im letzten Kapitel angesprochen worden.12 Betrachten wir Dinge in der Natur als innerlich zweckmäßig und somit in Analogie mit unserer eigenen Vernunft als auf ihre eigene Einheit als Zweck gerichtet, so müssen wir davon ausgehen, dass unser Verständnis der Natur zwei verschiedene, aber gleichberechtigte Standpunkte enthält: die teleologische und die mechanistische Perspektive. Im fünften Kapitel ist deutlich geworden, dass eine Vereinigung der beiden Perspektiven für den menschlichen Verstand nicht vorstellbar ist und lediglich im Übersinnlichen für möglich angenommen, niemals aber erkannt werden kann. Dieser Begriff des Übersinnlichen kann nun als eine zweite mögliche Lesart der Idee eines intelligenten Urgrundes der Natur verstanden werden, wenn er mit der Idee eines intuitiven Verstandes identifiziert wird.13 Dieser kann sich im Gegensatz zum menschlichen, diskursiven Verstand die teleologische und mechanische Naturbetrachtung als vereint und die Natur anhand eines einheitlichen Prinzips vorstellen. Insofern alles, was der intuitive Verstand sich als möglich vorstellt, gleichzeitig auch wirklich ist, kann er mit der Idee eines Grundes der Natur identifiziert werden. So verstanden ist der intelligible Urgrund der Natur keine nach Zwecken handelnde, intelligente Ursache, welche die Natur – wie ein Künstler sein Kunstwerk – nach einem Plan herstellt. Wenn Kant also _____________ 11 Sowohl Freudiger (1996) als auch Guyer (2005d) begründen ihre These, auch die physisch-teleologische Naturbetrachtung führe zum Begriff einer intelligenten und nach Zwecken handelnden Naturursache, mit Verweis auf die theologisch interpretierte Organismus-Analogie. 12 Vgl. Abschnitt 5.5. 13 Hiervon scheint auch Aquila (1991, S. 139) auszugehen, wenn er behauptet, dass Naturzwecke als Produkte, d. h. „Vorstellung[en]“ eines intuitiven Verstandes begriffen werde müssen.
150
6. Äußere Zweckmäßigkeit
behauptet, dass „wir nach der Beschaffenheit und den Prinzipien unseres Erkenntnisvermögens die Natur in ihren uns bekannt gewordenen zweckmäßigen Anordnungen nicht anders denn als das Produkt eines Verstandes, dem diese unterworfen ist, denken können“ (KU, V 441), so scheint er sich nicht auf einen intentional handelnden Schöpfer zu beziehen, sondern vielmehr auf die abstrakte Idee eines intuitiven Verstandes, dem die Vereinigung von Mechanismus und Teleologie möglich ist. Denn ob dieser Verstand mit dem Ganzen derselben [der Natur] und dessen Hervorbringung noch eine Endabsicht gehabt haben möge (die alsdann nicht in der Natur der Sinnenwelt liegen würde): das kann uns die theoretische Naturforschung nie eröffnen (ebd.).
Während Kants moralisch-teleologische Argumentation also den Glauben an ein übersinnliches Wesen zu rechtfertigen sucht, welches die Natur zu einem höchsten Zweck geschaffen hat, können wir mit Verweis auf die analogisch erfahrbaren Zwecke in der Natur nicht einmal den Begriff eines solchen Wesens begründen.14 Die physisch-teleologische Naturbetrachtung führt uns lediglich zu der Idee eines intuitiven Verstandes als eines übersinnlichen Grundes der Natur, welchen wir voraussetzen müssen, wenn wir die Vereinigung der teleologischen und mechanischen Perspektiven zumindest für möglich annehmen wollen. Für die Beantwortung der oben angeführten Frage bedeutet dies nun Folgendes: Obwohl Kant auch im Kontext seiner physischen Teleologie von einer ersten Weltursache spricht, kann er damit keine übersinnliche Ursache gemeint haben, die selbst in äußeren Zweckverhältnissen zur Natur steht. Die Idee eines intelligiblen Weltgrundes verweist nicht auf eine nach Zwecken handelnde Vernunft, sondern vielmehr auf ein übersinnliches Etwas, das wir uns zwar nicht als vollständig bestimmt vorstellen können, das wir aber trotzdem annehmen, um das Bedürfnis unserer eigenen Vernunft nach Einheit der mechanischen und teleologischen Prinzipien zu befriedigen. Wie Kant in seiner Schrift Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie erklärt, folgt aus diesen Erörterungen, dass die Vernunft in der Metaphysik auf dem theoretischen Naturwege (in Ansehung der Erkenntnis Gottes) ihre ganze Absicht nicht nach Wunsch erreichen könne, und ihr also nur noch der teleologische übrig sei; so doch, dass nicht die Naturzwecke, die nur auf Beweisgründen der Erfahrung beruhen, sondern ein a priori durch reine praktische Vernunft bestimmt gegebener Zweck [...] den Mangel der unzulänglichen Theorie ergänzen müsse (ÜGTP, VIII 159).
_____________ 14 Vgl. auch KrV, A 628 f./B656 f.
6.5. Die Natur als Zweck ihrer selbst
151
Erst die Annahme moralischer Zwecke führt Kant zufolge also auf die Idee einer höchsten Ursache und eines letzten Zwecks der Natur. Wollten wir auch in der physisch-teleologischen Argumentation einen Beleg für die notwendige Annahme einer intentional handelnden Weltursache erkennen, so hätten wir nach Kant nicht mit aller Vorsicht zwischen den beiden Arten teleologischer Beweisführung unterschieden: Dass also der physisch-teleologische Beweis, gleich als ob er zugleich ein theologischer wäre, überzeugt, rührt nicht von der Benützung der Ideen von Zwecken der Natur als so viel empirischen Beweisgründen eines höchsten Verstandes her; sondern es mischt sich unvermerkt der jedem Menschen beiwohnende und ihn so innigst bewegende moralische Beweisgrund in den Schluss mit ein (KU, V 477).
6.5. Die Natur als Zweck ihrer selbst Die Frage, warum Kant auch innerhalb seiner physisch-teleologischen Naturbetrachtung auf einen Verstand als Grund der Natur verweist, lässt sich also auch im Sinne der hier vorgestellten Interpretation beantworten. Eine zweite Frage, die mit dieser ersten eng verknüpft ist, stellt sich nun hinsichtlich des Verhältnisses der beiden teleologischen Argumentationstypen. Kant hatte diese mit Verweis auf ihre Ausgangsvoraussetzungen unterschieden: Während die physische Teleologie von Zwecken ausgeht, die von uns in der Natur anhand einer Analogie erfahren werden, beschäftigt sich die moralische Teleologie mit dem a priori vorauszusetzenden Zweck eines moralischen Wesens. Sieht man sich diese Unterscheidung jedoch genauer an, so mag sie einem weniger einleuchten, als es zunächst erschien. Denn auch die physisch-teleologische Naturbetrachtung beruht ja bereits auf der Voraussetzung einer freien und zu moralischer Handlung fähigen Vernunft. Um Zwecke in der Natur überhaupt erfahren zu können, müssen wir die Natur nach der Analogie mit unserer eigenen, nach freien Zwecken tätigen Vernunft betrachten. Auch die physischteleologische Naturbetrachtung enthält also bereits die Annahme einer zur Moralität fähigen Vernunft, auf deren Voraussetzung doch auch die moralisch-teleologische Herangehensweise beruht. Ist es dann nicht erstaunlich, dass die beiden Arten der Naturbetrachtung zu solch unterschiedlichen Schlüssen kommen? Beide teleologischen Argumentationsansätze versuchen, Voraussetzungen der theoretischen und praktischen Vernunft miteinander zu verknüpfen. Und doch geschieht diese Verknüpfung in den beiden teleologischen Argumentationsgängen auf unterschiedliche Weise. Wie wir gesehen haben, wird die Natur durch die physisch-teleologische Beurteilung nach
152
6. Äußere Zweckmäßigkeit
der Analogie mit der inneren Zweckmäßigkeit der Vernunft, das heißt also mit der wechselseitigen Abhängigkeit der Teile und ihrem Streben nach der Einheit der Vernunft als Ganzer betrachtet. Ziel dieser Beurteilung ist es, ein Verständnis der Natur zu erlangen, das auch solche Aspekte einbezieht, die nicht mit Hilfe mechanischer Gesetze erklärt werden können. Die physisch-teleologische Naturbetrachtung gründet sich also in der Analogie mit der Freiheit und der zweckmäßigen Handlungsfähigkeit der Vernunft als Grundlage eines umfassenden Naturverständnisses. Auch im Falle des moralisch-teleologischen Arguments wird die Möglichkeit freier und zu moralischer Handlung fähiger Vernunft vorausgesetzt. Allerdings geht es hierbei nicht um eine analogische Betrachtung der Natur, sondern um die Frage, inwiefern Freiheit – und damit die Fähigkeit zur Moralität – in der Natur möglich ist und inwiefern insbesondere die Natur ein Mittel zum Zweck der Freiheit und Moralfähigkeit vernünftiger Wesen sein kann. Kant macht hier eine zusätzliche Annahme, die in der praktischen Voraussetzung der Freiheit noch nicht enthalten ist: Kant geht nicht nur davon aus, dass wir freie, handlungsfähige Wesen sind, sondern nimmt außerdem an, dass die Natur einen Zweck hat, der über sie selbst hinausgeht. Nur wenn wir davon ausgehen, dass die Natur selbst auf einen über sie hinausgehenden, übernatürlichen Zweck ausgerichtet ist, müssen wir auch folgern, dass die Natur die Existenz der zur moralischen Handlung fähigen, vernünftigen Wesen als Zweck hat.15 Die zwei Arten der teleologischen Herangehensweise kommen so zu verschiedenen Ergebnissen, als sie von Standpunkten mit unterschiedlichen Zielen ausgehen. Während die Natur unter Voraussetzung der moralisch-teleologischen Betrachtung auf den übersinnlichen Zweck der selbstbestimmten Vernunftfähigkeit und somit der Moralfähigkeit gerichtet ist, kann nach dem physisch-teleologischen Argument der Zweck der Natur allein in ihr selbst liegen. Die Unterscheidung zwischen dem physisch-teleologischen und dem moralisch-teleologischen Beweisgang liefert somit keine direkte Überbrückung der Kluft zwischen theoretischer und praktischer Vernunft im Sinne einer Vereinigung dieser beiden Arten des Vernunftgebrauchs. Und dennoch wird gerade in dieser Unterscheidung der beiden teleologischen Herangehensweisen die komplexe Verquickung von theoretischen und praktischen Prinzipien in Kants Naturverständnis sichtbar. Denn nach der physisch-teleologischen Argumentation wird die Natur nur insofern als auf den Zweck ihrer eigenen Einheit ausgerichtet _____________ 15 Dass Kant hier eine über die zentrale Argumentation seiner Moralphilosophie hinausgehende Annahme macht, wird dadurch belegt, dass er die These vertritt, die Gültigkeit des moralischen Gesetzes sei von dieser Annahme unabhängig. Vgl. KU, V 450 ff.
6.5. Die Natur als Zweck ihrer selbst
153
betrachtet, als sie mit der freien und zweckgerichtet tätigen Vernunft in Analogie gesetzt wird. Betrachten wir die Natur auf diese Weise nach der Analogie mit unserer eigenen selbstbestimmten Vernunftfähigkeit, so können wir den Zweck der Natur nur in ihr selbst finden. Beurteilen wir sie dagegen nach der Analogie mit dem Produkt einer externen intelligenten Ursache, so müssen wir ihren Zweck in einem über die Natur hinausgehenden, unbedingten Zweck, der Fähigkeit zum freien Vernunftgebrauch erkennen. Auch wenn diese beiden Beurteilungsarten nicht als eine Art der Naturbetrachtung miteinander zu vereinen sind, ist ihre analoge Struktur hier unübersehbar. Während die Natur nach der moralisch-teleologischen Argumentation auf die selbstbestimmt tätige Vernunft ausgerichtet ist, besteht der Zweck der Natur nach der physischteleologischen Betrachtung in einem Analogon dieser Vernunft. Diese Verknüpfung von theoretischen und praktischen Betrachtungen hat weitreichende Konsequenzen zum einen für das, was gemeinhin als theoretische Naturbetrachtung bezeichnet wird, zum anderen aber auch für unser praktisches Verhältnis mit der Natur. Auf die erste Fragestellung werde ich in den folgenden zwei Kapiteln näher eingehen. Die zweite wird das Thema des letzten Kapitels sein.
7. Ganzheitliche Naturerfahrung nach Kant: Die Vermittlungsleistung der teleologischen Analogie 7. Ganzheitliche Naturerfahrung
In den vorangegangenen Kapiteln ist deutlich geworden, dass unserem Naturverständnis nach Kants Ansatz zwei Perspektiven zu Grunde liegen – die mechanistische und die teleologische. Während die ersten drei Kapitel auf die kausal-mechanische Erklärung der Natur eingegangen sind und deren Einschränkungen und Grenzen insbesondere für die Erforschung der lebendigen Natur aufgezeigt haben, ging es im mittleren Drittel der vorliegenden Untersuchung um die teleologische Betrachtung der Natur. Die teleologische Perspektive, so ist dort deutlich geworden, ist Kant zufolge nicht nur vereinbar mit der mechanistischen Naturbetrachtung, sondern außerdem notwendig für ein Verständnis des spezifisch lebendigen und organisierten Charakters der Natur. Das Ziel der letzten drei Kapitel ist es nun, die Bedeutung dieser Ergebnisse für das Verhältnis des Menschen zur Natur – im theoretischen wie im praktischen Sinne – herauszuarbeiten. Zu untersuchen ist, was die zweifache Perspektive unserer Naturbetrachtung erstens für ein ganzheitliches Verständnis der uns umgebenden Natur bedeutet (Kapitel 7), welche Implikationen dies zweitens für die wissenschaftliche Erforschung der lebendigen Natur mit sich bringt (Kapitel 8) und welche Konsequenzen sich drittens für das praktische Verhältnis des Menschen mit seiner natürlichen Umwelt ergeben (Kapitel 9). Ein wesentliches Resultat der bisher entwickelten Interpretation ist die Unterscheidung zwischen zwei Stufen der teleologischen Betrachtung.1 Auf einer ersten, allgemeineren Stufe ist die Analogie nach dieser Auffassung notwendige und unvermeidliche Voraussetzung für die Möglichkeit, die Natur überhaupt als lebendig und als systematisch organisiert zu erfahren. In dieser Hinsicht spielt die Analogie mit unserer Vernunft eine Rolle für die Beurteilung der Natur als zumindest teilweise lebendig und in systematischen Zusammenhängen organisiert. Auf einer zweiten Ebene ist die teleologische Analogie ein wichtiges Hilfsmittel für den Versuch, die so erfahrene Natur zu erklären. So kann der Verweis auf Zwecke in der Natur als heuristisches Werkzeug dienen, Zusammenhänge zwischen Tei_____________ 1
Vgl. die Abschnitte 5.3 und 6.2.
7. Ganzheitliche Naturerfahrung
155
len der Natur zur Untersuchung herauszugreifen, um in ihnen mechanische Gesetzmäßigkeiten aufzudecken. Obwohl sich Hinweise zu einer solchen Unterscheidung in Kants Text finden lassen, führt Kant diese Differenzierung nicht explizit aus. Im vorliegenden Kapitel möchte ich daher insbesondere auf die erste Stufe der teleologischen Naturerfahrung näher eingehen und untersuchen, wie wir uns dieses grundlegende Moment der teleologischen Naturbetrachtung vorzustellen haben.2 Bisher habe ich in diesem Zusammenhang von der Beurteilung, Betrachtung oder auch Erfahrung der lebendigen Natur nach der Analogie mit der zwecktätigen Vernunft gesprochen. Diese Betrachtung kann nicht mit der Erfahrung der Natur überhaupt, der Erfahrung, die uns Erkenntnis im kategorialen Sinne liefert, identifiziert werden. Trotzdem ist sie mehr als eine lediglich heuristische Beurteilung der Natur zum Zwecke der Naturforschung. Wie genau ist der Status einer solchen analogischen Naturbetrachtung nun also zu verstehen? Und welchen Platz nimmt sie in unserer alltäglichen Erfahrung der Natur ein? Zur Beantwortung dieser Fragen werde ich im ersten Abschnitt zunächst noch einmal auf die Gegenüberstellung der mechanischen und teleologischen Perspektive eingehen. Auf der einen Seite haben wir den Anspruch, die Natur nach mechanischen Gesetzen zu erklären, und stützen uns dabei im Wesentlichen auf eine reduktive Methode. Auf der anderen Seite verstehen wir die Natur jedoch in regulativer Hinsicht auch als zweckmäßig und gründen unsere Betrachtung dabei auf eine Analogie. Um den Erkenntnisstatus dieser zweiten Art der Beurteilung und ihre Rolle für ein Naturverständnis, welches auch die erstere, reduktive Naturerklärung enthält, genauer zu beleuchten, wende ich mich in Abschnitt 7.2 einer verwandten Diskussion in einem etwas anderen Feld zu: der Auseinandersetzung zwischen der Substitutions- und der Interaktionstheorie der Metapher. Die Substitutionstheorie charakterisiert die Metapher als unterdrückten Vergleich, welcher durch Umformulierung in einen nichtmetaphorischen Ausdruck ersetzt werden kann. Die Aussage der Metapher – so die Behauptung der Substitutionstheorie – kann somit auch ohne metaphorische Rede wiedergegeben werden. Die Interaktionstheorie hält dagegen, dass eine Metapher mehr ausdrückt, als durch eine nichtmetaphorische Übersetzung dargestellt werden kann. Dieses Mehr an Bedeutung ist nach der Interaktionstheorie das Resultat eines Gedankenganges, der die beiden in einer Metapher enthaltenen Begriffsbereiche miteinander in Verbindung setzt. _____________ 2
Das nächste Kapitel wird sich auch mit der zweiten, heuristischen Stufe der Teleologie als Hilfsmittel für die Naturwissenschaft auseinandersetzen.
156
7. Ganzheitliche Naturerfahrung
Inwiefern diese Unterscheidung zwischen einer substitutions- und einer interaktionstheoretischen Interpretation der Metapher Aufschluss über das Verständnis der Kantischen Analogie geben kann, führe ich in den Paragraphen 7.3 und 7.4 aus. Die Kantische Analogie selbst, so möchte ich zeigen, kann im Sinne der zweiten Theorie als „interaktionistisch“ verstanden, ihr Gehalt daher auch nicht unabhängig von einer analogischen Betrachtung ausgedrückt werden. Diese Interpretation der Kantischen Analogie hat wichtige Implikationen für den Erkenntnisstatus der teleologischen Naturbetrachtung. Insbesondere wird sich zeigen, dass die als kreativ vorgestellte analogische Denkform, welche innerhalb der Literatur zur Kantischen Ästhetik bereits einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, auch für die Betrachtung der Natur eine wesentliche Rolle spielt. Als Ergebnis dieser Untersuchungen möchte ich in Abschnitt 7.5 schließlich die im fünften Kapitel aufgenommenen Überlegungen darüber vertiefen, inwiefern die beiden Arten der Naturbetrachtung, die mechanische und die teleologische, als zwei Aspekte unseres Naturverständnisses begriffen werden können. Während die mechanische Perspektive auf einem abstrahierenden, reduktiven Gedankengang beruht, erreicht die teleologische Betrachtung eine Verbindung unterschiedlicher Elemente in einer analogischen Reflexion und ermöglicht uns so ein ganzheitliches Naturverständnis.
7.1. Reduktiv-mechanische Erklärung und analogischteleologische Betrachtung der Natur 7.1. Reduktive Erklärung und analogische Betrachtung
Kant zufolge können wir die Natur nur mit Verweis auf mechanische Gesetze erklären. Das zweite Kapitel hat gezeigt, dass mechanische Naturerklärungen eine besondere Art von Kausalerklärungen darstellen, welche die körperliche Natur mit Blick auf einfachere Materieteile und deren bewegende Kräfte begreiflich machen. Eine mechanische Erklärung der Natur verweist demnach auf Gesetze, welche die Interaktionen zwischen den verschiedenen Materieteilen bestimmen. Die so verstandenen mechanischen Erklärungen der Natur sind dabei in zweierlei Weise als reduktiv gekennzeichnet. Sie stützen sich erstens auf die Annahme, dass empirische Veränderungen durch die Eigenschaften der einfacheren Materieteile und ihrer Beziehungen untereinander determiniert sind. Allein die Art, in der die bewegenden Kräfte der verschiedenen Materieteile aufeinander einwirken, bestimmt nach dieser Auffassung die Eigenschaften komplexer Naturdinge sowie ihrer Verhältnisse zu anderen Teilen der Natur. Zweitens kann die Reduktion auf die bewegenden Kräfte der Materie außerdem als Reduktion eines bestimmten Vorgangs auf ein allgemeines Prinzip
7.1. Reduktive Erklärung und analogische Betrachtung
157
charakterisiert werden. Ein empirisch gegebenes Ereignis kann so als konkreter Fall eines allgemeinen Gesetzes begriffen werden. Eine spezielle Veränderung von einem ersten Zustand A zu einem zweiten Zustand B wird unter ein allgemeines Prinzip gebracht, das auch andere, ähnliche empirische Vorkommnisse unter sich fasst. Dies kann nur dadurch geschehen, dass ein Merkmal herausgegriffen wird, in dem alle diese sich ähnelnden Geschehnisse übereinstimmen. Ziel der mechanischen Naturerklärung ist es also, einen allgemeinen Aspekt ausfindig zu machen, der verschiedenen Vorkommnissen in der Natur zu Grunde liegt, um – wie Kant es formuliert – „die Prinzipien der Erklärung und des Verständnisses des einen auch zur Erklärung und Begreifung des andern zu gebrauchen” (KU, V 185). Diese Zurückführung eines bestimmten Ereignisses auf ein allgemeines Gesetz bedeutet die gleichzeitige Abstraktion von allen über dieses allgemeine Gesetz hinausgehenden Besonderheiten: Mechanische Erklärungen der Natur bestehen daher auch in der Reduktion von speziellen auf allgemeine Eigenschaften. Wie wir gesehen haben, grenzt Kant die Möglichkeit, die Natur mechanisch zu erklären, von der teleologischen Betrachtung als einer zweiten Perspektive auf die Natur ab. Die Charakterisierung alles dessen, was wir als lebendig in der Natur ausmachen, kann Kant zufolge nicht auf mechanische Gesetzmäßigkeiten reduziert werden, sondern erfordert die teleologische Beurteilung nach einer Analogie: Wir betrachten Lebewesen, als ob sie wie das Vernunftvermögen des Menschen zweckmäßig organisiert und auf den Zweck ihrer eigenen Existenz ausgerichtet seien. Während die Teile der Natur, die wir als Organismen erfahren, zwar sinnlich in der Natur wahrgenommen werden, wird somit gerade das spezifisch Lebendige an ihnen erst mit Hilfe der Analogie mit unserer eigenen Vernunft verdeutlicht. Gleichzeitig ist das Vermögen der menschlichen Vernunft als Gesamtes kein Objekt unserer sinnlichen Erfahrung und wird in der Kritik der reinen Vernunft selbst erst durch die Analogie mit einem Organismus erhellt. Die Analogie zwischen Vernunft und Natur zeigt folglich eine gewisse Wechselseitigkeit auf; sie ist notwendig – so wurde im vierten Kapitel argumentiert – für ein Verständnis sowohl der Natur wie auch unserer eigenen Vernunft. Wie aber ist es möglich, etwas nach einer Analogie zu erfahren? Wie kann die Analogie selbst notwendig für die Erfahrung bestimmter, spezifisch lebendiger Eigenschaften der Natur und unseres eigenen Vernunftvermögens sein? Muss das, was nach der Analogie als Parallele zwischen Natur und Vernunft beurteilt wird, nicht zunächst einmal an den Eigenschaften der Natur oder der Vernunft erkannt werden, bevor es im analogischen Vergleich als Parallele herausgehoben wird? Oder kann uns die Analogie tatsächlich selbst eine Erfahrung bestimmter Parallelen zwischen Natur
158
7. Ganzheitliche Naturerfahrung
und Vernunft ermöglichen? Wie also haben wir uns im Gegensatz zum reduktiv verfahrenden Gedankengang des mechanischen Naturverständnisses den Gedankenprozess vorzustellen, welcher der teleologischen Betrachtung der Natur zu Grunde liegt?
7.2. Metaphern: Substitution vs. Interaktion Zur Untersuchung dieser Fragen möchte ich auf eine Diskussion zurückgreifen, die ihre Ursprünge schon in der Antike hat, der jedoch insbesondere in jüngerer Zeit wieder neue Aufmerksamkeit zugekommen ist. Dies ist die Auseinandersetzung um ein adäquates Verständnis von Metaphern. Zwar geht es hier nicht direkt um Analogien, sondern um eine rhetorische Figur, die oft als Unterform der Analogie begriffen wird, dennoch kann eine Behandlung der Fragen zu den Interpretationsmöglichkeiten von Metaphern sich als hilfreich für das Verständnis der teleologischen Analogie Kants erweisen. Es ist hier daher weniger das Ziel, eine ausführliche Behandlung der Metapherntheorie zu liefern, als vielmehr eine Tendenz aufzuzeigen, die uns Aufschluss über das Verständnis der Kantischen Analogie zwischen Natur und Vernunft geben kann. Verdeutlichen lässt sich diese Tendenz an der Auseinandersetzung zwischen der Substitutions- und der Interaktionstheorie der Metapher. Eine Metapher – so die verbreitete Auffassung – ist eine rhetorische Figur, in der ein Wort in einer übertragenen Bedeutung in einem fremden Kontext verwendet wird und dabei eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen dem ursprünglichen und dem übertragenen Kontext herstellt. So bezeichnen wir beispielsweise mit dem Begriff „Rabeneltern“ nicht wirklich Eltern der Spezies Rabe, sondern menschliche Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, genau so wie dies nach altem Volksglauben den Eltern von Rabenjungen unterstellt wird. Die menschlichen Eltern werden auf diese Weise hinsichtlich ihres Mangels an Fürsorglichkeit mit den Eltern von Raben verglichen, ohne dass der Vergleich als solcher deutlich gemacht wird. Wie genau vermittelt nun dieser unterdrückte Vergleich die Bedeutung, die wir in ihm zu finden scheinen? Der Substitutionstheorie zufolge wird ein metaphorischer Ausdruck anstelle eines nicht-metaphorischen Begriffs verwandt; jener kann daher auch durch diesen ersetzt werden. Die Annahme ist also, dass die gleiche Bedeutung, die mit dem Begriff „Rabeneltern“ ausgedrückt wird, auch wörtlich und ohne die Verwendung einer Metapher vermittelt werden kann. Wir könnten ganz einfach von lieblosen und hartherzigen Eltern sprechen, die ihre Kinder vernachlässigen. Die Ähnlichkeit, auf die mit der Metapher als unausgesprochenem Vergleich verwiesen wird, ist somit
7.2. Metaphern: Substitution vs. Interaktion
159
unabhängig von der Formulierung des metaphorischen Ausdrucks gegeben und ermöglicht diesen Ausdruck erst: Nur weil die menschlichen Eltern eine Gemeinsamkeit mit Eltern der Vogelart Rabe haben, können wir sie mit der Metapher „Rabeneltern“ bezeichnen. Die These der Substitutionstheorie ist daher, dass Metaphern lediglich zu stilistischen Zwecken genutzt werden und jederzeit durch einen nicht-metaphorischen Ausdruck, das heißt durch einen ausdrücklichen Vergleich, ersetzt werden könnten. Zwar würde durch eine solche Übersetzung die stilistische Lebhaftigkeit und Kreativität der Aussage verloren gehen, die durch die Metapher bezweckt war, nicht aber ihre wortwörtliche Bedeutung und der kognitive Inhalt, auf den die Metapher verweist. Der Substitutionstheorie zufolge hat die Metapher daher eine lediglich dekorative Funktion.3 Eine Alternative zur Substitutionstheorie stellt die Interaktionstheorie der Metapher dar.4 Dieser Theorie zufolge können Metaphern nicht durch einen buchstäblichen Vergleich ersetzt werden, sondern haben eine eigene Bedeutung, die durch kein wortwörtliches Substitut ausgedrückt werden kann. So behauptet Max Black: „Metaphorical statement is not a substitute for a formal comparison or any other kind of literal statement, but has its distinctive capacities and achievements.”5 Wenn die Metapher also nicht durch einen nicht-metaphorischen Ausdruck ersetzt werden kann, was zeichnet dann ihre unverwechselbaren Funktionen und Leistungen aus? Black zufolge greift die Metapher nicht lediglich auf zuvor existierende Ähnlichkeiten zwischen zwei Kontexten zurück, sondern stellt selbst erst Ähnlichkeitsbeziehungen her: „[I]t would be more illuminating in some cases to say that the metaphor creates the similarity than to say that it formulates some similarity antecedently existing.”6 Wie aber schafft es eine rhetorische Figur, Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen zwei verschiedenen Kontexten nicht nur auszudrücken, sondern selbst zu erzeugen? Black zufolge besteht die Metapher aus einem Haupt- und einem Nebensubjekt, wobei das Hauptsubjekt den „Fokus“ der Analogie darstellt, der durch die Verbindung mit dem Nebensubjekt oder auch „Rahmen“ _____________ 3
4
5 6
Es ist unwahrscheinlich, dass die Substitutionstheorie in der reinen Form, in der sie hier skizziert wird, viele Anhänger fände. Sie wird hier lediglich schattenschnittartig wiedergegeben, um die wesentlichen Elemente der Interaktionstheorie von ihr abgrenzen zu können. Als Vertreter der Interaktionstheorie gelten z. B. I. A. Richards (1936), Black (1962 und 1977), Ricœur (1975), Lakoff und Johnson (1980), Hausman (1989) und Goodman (1969 und 1978). Auch E. Cassirer (1923-1929) kann zu den Ursprüngen dieser Tradition gezählt werden. Im Folgenden werde ich mich aus Gründen der Übersichtlichkeit auf Blacks Ansatz konzentrieren. Black (1962, S. 37). Ebd.
160
7. Ganzheitliche Naturerfahrung
der Analogie betrachtet wird. Den Gedankengang, der zum Verständnis einer Metapher führt, charakterisiert Black als „Interaktion“ zwischen den Assoziationen von Haupt- und Nebensubjekt. Diese Interaktion kann in drei Schritten skizziert werden.7 Zunächst wird der Rezipient der Metapher durch die Verbindung der beiden Kontexte des Haupt- und Nebensubjekts dazu angeregt, bestimmte Aspekte des Rahmens oder Nebensubjekts herauszugreifen. So könnten wir uns in unserem Beispiel der Rabeneltern die folgenden Fragen stellen: Was zeichnet Rabeneltern typischerweise aus? Welche Eigenschaft der Eltern von Rabenjungen könnte das beschriebene menschliche Elternpaar charakterisieren? Die Antwort wäre beispielsweise, dass Rabeneltern sich durch wenig Fürsorge für ihre Jungen auszeichnen. Zweitens werden die herausgefilterten Merkmale auf das Hauptsubjekt übertragen. Diese Projektion führt dazu, dass wir die mit dem Nebensubjekt assoziierten Aspekte im Hauptsubjekt wiedererkennen: Durch die Metapher werden auch die menschlichen Eltern dargestellt, als wären sie ihren Kindern gegenüber wenig fürsorglich. Bis hierhin führt die Interaktion also dazu, dass bestimmte Assoziationen, die wir mit dem Nebensubjekt verknüpfen, ausgewählt und auf das Hauptsubjekt übertragen werden. Das Ergebnis dieses Prozesses ist, dass wir das Hauptsubjekt auf eine andere Weise betrachten als zuvor, es sozusagen durch den Rahmen der Metapher hindurch sehen. Black zufolge ist der Prozess, den wir beim Verstehen einer Metapher durchlaufen, hiermit aber noch nicht vollendet. Denn die Betrachtung des Hauptsubjekts durch den „Filter“ des Nebensubjekts verändert nach seiner Darstellung drittens auch die Wahrnehmung des Nebensubjekts selbst. Indem wir die fehlende Fürsorge der Rabeneltern mit der der menschlichen Eltern in Verbindung bringen, erscheint nun auch die Vernachlässigung der Rabenjungen in neuem Licht. So mag es uns nun beispielsweise vorkommen, als würden die Rabeneltern absichtlich und durch egoistische Motive ihre Jungen sich selbst überlassen. Während die Menscheneltern durch die Metapher so mit bestimmten Raben-Eigenschaften assoziiert werden, erscheinen die Rabeneltern selbst, als könnten ihnen menschliche Charakteristika zugeschrieben werden. Der Interaktionstheorie zufolge verstehen wir eine Metapher also, indem wir in einem kreativen Akt bestimmte Assoziationen, die wir zuvor mit jeweils einem der beiden in der Metapher enthaltenen Kontexten verknüpft haben, miteinander verbinden. Mehrere Fragen drängen sich jedoch im Bezug auf diese Theorie auf. Zunächst ist unklar, warum es entgegen der dargestellten Auffassung der Unübersetzbarkeit und somit Unentbehrlichkeit von Metaphern anhand des Beispiels der Rabeneltern _____________ 7
Vgl. Black (1977, S. 442).
7.2. Metaphern: Substitution vs. Interaktion
161
überhaupt möglich war, eine nicht-metaphorische Erklärung dessen zu geben, was sich hinter Blacks interaktivem Verständnis der Metapher verbirgt. Diese erste Unklarheit kann jedoch schnell behoben werden, indem wir die angeführten Erklärungen lediglich als eine erste Annäherung an das begreifen, was durch die Metapher ausgesagt wird. So behauptet Black, dass wir Metaphern zwar zu einem gewissen Grad umformulieren können, eine wortwörtliche Übersetzung, wie ich sie oben zu geben versucht habe, dabei jedoch immer begrenzt bleiben muss und niemals die vollständige Bedeutung einer Metapher ausdrücken kann. Was durch die Umformulierung ausgelassen wird, ist dabei nicht lediglich ein bestimmtes Gefühl, das wir mit einer Metapher verbinden, sondern es sind kognitive Inhalte, die durch eine buchstäbliche Wiedergabe nicht in derselben Feinheit dargestellt werden können, in der es die Metapher vermag: Suppose we try to state the cognitive content of an interaction-metaphor in “plain language“. Up to a point, we may succeed in stating a number of the relevant relations between the two subjects […]. But the set of literal statements so obtained will not have the same power to inform and enlighten as the original. For one thing, the implications, previously left for a suitable reader to educe for himself, with a nice feeling for their relative priorities and degrees of importance, are now presented explicitly as though having equal weight. The literal paraphrase inevitably says too much – and with the wrong emphasis. […] [T]he loss in such cases is a loss in cognitive content […]. 8
Wenn die Bedeutung einer Metapher nun aber nicht umformuliert, sondern allein in metaphorischer Sprache ausgedrückt werden kann, so wirft dies weitere Fragen auf. Es muss untersucht werden, inwiefern die Metapher dann überhaupt auf einen kognitiven Inhalt verweist. Wäre es nicht plausibler, Metaphern als Figuren zu verstehen, die auf nicht-kognitive Inhalte referieren und gerade deshalb nicht durch wortwörtliche Erklärungen ersetzt werden können? Was genau bedeutet es also, die Dinge nach dem Verständnis der Metapher in einem anderen Licht zu betrachten als zuvor? Außerdem stellt sich eine weitere Frage in Bezug auf die Eignung interaktionistischer Metaphern. Wenn nämlich eine jede Metapher Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen zuvor gänzlich unähnlichen Kontexten herstellen kann, so wirft dies die Frage auf, ob es Kriterien dafür gibt, dass manche Metaphern passender oder in irgendeinem Sinne besser sind als andere. Wenn die Ähnlichkeiten, die eine Metapher ausdrückt, durch sie auch zugleich erst erzeugt werden, so scheint es keine Möglichkeit zu geben, eine Metapher an den bereits existierenden Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen dem Haupt- und Nebensubjekt zu messen. Macht es für einen Vertreter der so verstandenen Interaktionstheorie dann aber überhaupt noch einen Sinn, bestimmte Metaphern als unpassend abzutun? _____________ 8
Black (1962, S. 46).
162
7. Ganzheitliche Naturerfahrung
Und würde dies nicht bedeuten, dass wir durch die Verwendung von Metaphern beliebig viele Beziehungen zwischen gegebenen Kontexten erzeugen könnten? Die aufgeworfenen Fragen zeigen, dass eine zufriedenstellende Darstellung der Interaktionstheorie zum einen beantworten müsste, ob sich die Interaktion zwischen Haupt- und Nebensubjekt lediglich auf emotionale, oder auch auf kognitive Elemente bezieht. Zum anderen müsste sie außerdem erklären, wie mit einer Metapher Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen zwei Dingen erzeugt werden können, ohne dass diese Beziehungen uns gänzlich willkürlich erscheinen. Wie für diese Position argumentiert werden könnte, soll hier nicht für die interaktionistische Theorie im Allgemeinen, sondern insbesondere für den Kantischen Ansatz diskutiert werden. Zu diesem Zweck muss zunächst die besondere Bedeutung der Interaktionstheorie für die Kantische Herangehensweise herausgearbeitet werden.
7.3. Kants teleologische Analogie: Interaktion statt Substitution Die im vorigen Abschnitt dargestellte Auseinandersetzung um eine adäquate Metapherntheorie kann meines Erachtens in aufschlussreicher Weise auf die Betrachtung des Kantischen Analogieverständnisses übertragen werden. Denn so wie wir fragen können, was es heißt, bestimmte Assoziationen, die wir mit einem ersten Gegenstand verbinden, auf einen zweiten anzuwenden, so können wir in gleicher Weise überlegen, was es bedeutet, die Beziehung zwischen zwei Dingen A und B genauso zu betrachten wie die zwischen zwei anderen Gegenständen C und D. Auch auf letztere Frage kann die Unterscheidung zwischen einer substitutions- und einer interaktionstheoretischen Interpretation angewandt werden. Diese Unterscheidung kann uns außerdem helfen, die wesentlichen Merkmale der teleologischen Analogie Kants herauszukristallisieren und so die Vorstellung einer analogischen Naturerfahrung zu erläutern. Im Vorigen ist deutlich geworden, dass wir die Natur nach Kant nur mit Hilfe der Analogie zwischen Natur und Vernunft als organisch und systematisch geordnet betrachten können. Die strukturellen Ähnlichkeiten, die mit der Analogie ausgedrückt werden, können demnach durch diese Analogie überhaupt erst eingesehen werden. Dies bedeutet, dass unsere Erfahrung von Organisation und Selbstorganisation vor einer analogischen Betrachtung der Natur nicht bereits stattgefunden haben kann. Vielmehr sind die Merkmale, die wir der Natur durch die Analogie mit der Vernunft zuschreiben, ohne diese Analogie gar nicht zu finden und ma-
7.3. Kants teleologische Analogie: Interaktion statt Substitution
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chen die Analogie somit für eine Betrachtung der Natur als lebendig und organisiert unverzichtbar. Erst mit Hilfe der Analogie werden Assoziationen, die wir mit der Vernunft verbinden, auf die Natur übertragen. In Übereinstimmung mit der interaktionistischen und im Gegensatz zur substitutionstheoretischen Auffassung kann die teleologische Analogie Kants Argumentation zufolge nicht durch eine nicht-analogische Betrachtung der Natur ersetzt werden: Als Analogie ist sie irreduzibel. Woran aber liegt es, dass die Analogie selbst eine Betrachtung der Natur ermöglicht, die uns ohne sie verwehrt geblieben wäre? Auch der Verständnisprozess der Analogie zwischen Natur und Vernunft weist wichtige Gemeinsamkeiten mit dem interaktionistischen Nachvollzug einer Metapher auf. Wie wir gesehen haben, hat die Urteilskraft Kant zufolge im Analogieschluss „ein doppeltes Geschäft“ (KU, V 352) zu verrichten. In einem ersten Schritt muss über das bereits bekannte Verhältnis zwischen A und B reflektiert werden, um dann in einem zweiten Schritt diese Reflexion auf das noch unbekannte Verhältnis zwischen C und D zu übertragen. Erst nachdem die Relation zwischen A und B bestimmt ist, kann also das Verhältnis zwischen C und D erörtert werden. Im Kontext der Analogie zwischen Natur und Vernunft bedeutet dies, dass wir erst das Verhältnis zwischen den einzelnen Vernunftvermögen als ausgerichtet auf die Einheit der Vernunft und als nach Einheit strebend betrachten müssen, bevor wir die Reflexion über eben dieses Verhältnis auf die Betrachtung von Lebendigem und von komplexeren Naturzusammenhängen übertragen können. Im Sinne der Interaktionstheorie können wir daher von einer Übertragung bestimmter Assoziationen von der einen auf die andere Seite der Analogie sprechen. In diesem Zusammenhang erscheint nun auch die Wechselseitigkeit der teleologischen Analogie Kants weniger erstaunlich. So mag es zunächst verwundert haben, dass Kant dieselbe Analogie zwischen Natur und Vernunft verwendet, um sowohl Licht in die lebendige Natur als auch in das Wesen der Vernunft selbst zu bringen. Genauso wie wir die Natur nach der Analogie mit der Vernunft betrachten, so wird auch unser Verständnis der Vernunft selbst durch die Analogie mit dem Organismus erhellt. Die Interaktionstheorie macht deutlich, dass diese Wechselseitigkeit keine Schwierigkeit darstellen muss. Denn bei der Gegenüberstellung von zwei Verhältnissen zwischen unterschiedlichen Dingen und der Reflexion über das eine Verhältnis durch den „Filter“ des anderen ist es natürlich, dass auch die zunächst gegebene Seite der Analogie durch die Verbindung mit der zu erläuternden Seite in einem anderen Licht gesehen wird. Diese wechselseitige Symbolisierung ist im Falle der teleologischen Analogie Kants nun aber nicht lediglich ein zufälliges Nebenprodukt der Übertragung von Assoziationen von der einen Seite der Analogie auf die
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7. Ganzheitliche Naturerfahrung
andere. Die Analogie zwischen Natur und Vernunft ist insofern von anderen Analogien zu unterscheiden, als beide Seiten sich auf etwas beziehen, das selbst nicht in der Erfahrung gegeben sein kann. Der Begriff des Organismus und ihm analog auch die Idee eines Systems von wechselseitig abhängigen Teilen der Natur stellen keine empirischen Begriffe dar, die als solche in der Natur realisiert sind. In der Dialektik der teleologischen Urteilskraft schreibt Kant: „Der Begriff eines Dinges als Naturzwecks ist [...] zwar ein empirisch bedingter, d. i. nur unter gewissen in der Erfahrung gegebenen Bedingungen möglicher, aber doch von derselben nicht zu abstrahierender, sondern nur nach einem Vernunftprinzip in der Beurteilung des Gegenstandes möglicher Begriff“ (KU, V 396). Die Idee eines Organismus als Naturzweck kann somit allein anhand einer Analogie, nämlich der Analogie mit unserer eigenen, zweckgerichtet handelnden Vernunft, versinnlicht werden. Gleiches gilt außerdem für die Vernunft selbst, die allein durch ein Symbol, nicht aber durch ein Beispiel oder Schema verdeutlicht werden kann. So ist es der Vernunft nicht möglich, sich selbst als ein Objekt zu erfahren, sondern sie muss sich vielmehr ihrer selbst anhand einer Analogie klar werden. 9 Hier mag nun eingewandt werden, dass die erste Seite der Analogie die zweite Seite nur dann erläutern könne, wenn in ihr tatsächlich etwas gewusst wird, was auf die zweite Seite zu übertragen ist. Diese Voraussetzung scheint nun aber nicht erfüllt zu sein, wenn die erste Seite in umgekehrter Richtung selbst erst durch die zweite Seite erhellt werden soll. Wie kann uns eine Analogie dann in symmetrischer Weise Aufschluss über die beiden einander gegenübergestellten Gegenstandsrelationen geben? Die Antwort liegt meines Erachtens darin begründet, dass wir mit beiden Seiten unterschiedliche Assoziationen verbinden, die auf die jeweils andere Seite der Analogie übertragen werden. Während es auf Seiten der Vernunft die zwecktätige Gerichtetheit sein mag, die das Wesen der Organismen erläutern soll, sind es auf Seiten der Organismen etwa ihre anschauliche Verkörperung und die wechselseitige Hervorbringung der einzelnen Teile, die wiederum das Wesen der Vernunft erörtern. Deutlich wird bei diesem Versuch, das analogische Verständnis von Natur und Vernunft genauer zu definieren, dass keine eindeutige Analyse dieser verschiedenen Aspekte auf eine nicht-analogische Weise möglich ist, dass unsere Vorstel-
_____________ 9
Kleingeld (1998) zeigt in überzeugender Weise, wie sich das Verständnis des „konativen Charakters“ der Vernunft auf einer nicht zu übersetzenden, irreduziblen Analogie gründet.
7.3. Kants teleologische Analogie: Interaktion statt Substitution
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lungen von Organismus und Vernunft sich also nur wechselseitig erhellen können.10 Kants teleologische Analogie kann folglich als interaktionistische Analogie bezeichnet werden. Sie gründet sich nicht auf bereits gegebene Ähnlichkeiten zwischen der von uns erfahrenen Natur und unserer eigenen Vernunft, sondern bringt diese Ähnlichkeiten selbst hervor und macht sie dadurch für uns überhaupt erst erfahrbar. Insofern Kant also davon ausgeht, dass wir einen Begriff nur dann vollständig verstehen und in seinem Gehalt begreifen, wenn wir ihn uns veranschaulichen können, bedeutet dies, dass wir die Ideen und Vorstellungen, deren Veranschaulichung auf einer Analogie beruht, auch allein anhand dieser Analogie begreifen können. Erst die teleologische Reflexion macht die lebendige Natur für uns im epistemischen Akt der Analogie von Natur und Vernunft erfahrbar. Erst die Analogie zwischen Natur und Vernunft ermöglicht uns folglich durch ihre interaktive Übertragung verschiedener Vorstellungen und Assoziationen ein adäquates Verständnis lebendiger und voneinander wechselseitig abhängiger Natur sowie ein Verständnis unserer Fähigkeit der nach Einheit strebenden Vernunft, dem Vermögen, das uns als Menschen auszeichnet.11 Nun stellen sich aber, angewandt auf den speziellen Fall der Kantischen Analogie, die gleichen Fragen, die oben im Hinblick auf die Bedeutung von Metaphern im Allgemeinen offen geblieben sind. Denn wenn die Bedeutung der Analogie nicht umformuliert, sondern allein durch die Analogie ausgedrückt werden kann, so muss zum Ersten die Frage beantwortet werden, inwiefern das, was durch die Analogie mitgeteilt wird, als ein kognitiver Gehalt verstanden werden kann. In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits deutlich, dass Kant der analogischen Naturbetrachtung nicht den Status einer Erkenntnis beimisst, sondern lediglich von einer reflektierenden Betrachtung spricht. Was genau unterscheidet _____________ 10 Makkreels (1990, S. 122 ff.) hermeneutische Interpretation reflexiver Urteile, welche das Ziel haben, Vernunftideen anhand ästhetischer Ideen zu erhellen, kann somit auch auf die teleologische Beurteilung der Natur übertragen werden. 11 Pillow (2000, S. 254 ff.), der die interaktiv-metaphorische Bedeutung betont, die den ästhetischen Ideen bei Kant beigemessen werden kann, spricht den nicht-ästhetischen Analogien dagegen jegliche Fähigkeit zur Erzeugung von Ähnlichkeiten ab und unterscheidet die ästhetischen Urteile dadurch gerade von der teleologischen Beurteilung der Natur. Meines Erachtens müssen wir eine entgegengesetzte Schlussfolgerung ziehen: Die interaktive Kreativität der teleologischen Naturbetrachtung bei Kant zeigt gerade ihre Nähe zur ästhetischen Beurteilung der Natur und kann daher auch als ein verbindendes Element der beiden Teile der Kritik der Urteilskraft gelesen werden. Ähnlich betont auch Zuckert (2007) die strukturelle Nähe teleologischer und ästhetischer Reflexionsurteile.
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7. Ganzheitliche Naturerfahrung
die als interaktiv charakterisierte Reflexion nun also von einem bestimmenden Erkenntnisurteil? Zum Zweiten stellt sich erneut die Frage, was das Kriterium dafür ist, dass die Ähnlichkeiten erzeugende Analogie nicht beliebig oder willkürlich, sondern in irgendeinem Sinne passender ist als andere. Können wir hier überhaupt von der Adäquatheit der teleologischen Analogie sprechen, oder wäre jede andere Analogie und folglich auch jedes andere Verständnis der Natur bzw. der Vernunft mit ihr austauschbar?
7.4. Die Analogie als diskursive und notwendige Vermittlung von Natur und Vernunft Beginnen wir mit der Frage nach dem kognitiven Status der Analogie zwischen Natur und Vernunft. Die analogische Betrachtung ist der Versuch, die sinnliche Anschauung, die nicht vollständig anhand der Verstandesprinzipien und den auf ihnen basierenden empirischen Gesetzen erklärbar ist, dennoch zu konzeptionalisieren. Insofern der Begriff des Zwecks seine legitime Anwendung jedoch nur im Bereich der Handlung und bei Kant somit im Bereich der praktischen Vernunft hat, ist seine Anwendung auf die Natur nur eine Übertragung. Sie kann nicht wortwörtlich verstanden werden, da wir Zwecke in der Natur nicht erkennen können. Die Bestimmung der Natur durch den Begriff des Zwecks kann daher niemals erfolgreich sein: Die Natur ist nicht unter den Zweckbegriff zu subsumieren. Stattdessen erreicht die analogische Betrachtung die Ebene einer Reflexion, welche sowohl die Anschauung der Natur als auch den Vernunftbegriff des Zwecks miteinander in analogische Verknüpfung bringt. Die sinnliche Anschauung, die unserer Erfahrung von Organismen zu Grunde liegt, und der Begriff des Zwecks werden dabei nicht in einem Objekt vereinigt, trotzdem aber in einer Reflexion miteinander verbunden. Beide Analoga bleiben in ihrer Differenz nebeneinander bestehen und werden doch so miteinander verknüpft, dass sie sich gegenseitig erhellen. Diese teleologische Reflexion, welche die Kantische Analogie zwischen Natur und Vernunft auszeichnet, vollführt nun eine wichtige Vermittlungsleistung. Denn in der Analogie werden die voneinander verschiedenen, in Kants Philosophie einander zunächst entgegengesetzten Bereiche von Natur und Freiheit miteinander in Verbindung gebracht. Der Begriff der Zweckmäßigkeit, der uns aus dem Bereich der praktisch tätigen und freien Vernunft bekannt ist, wird auf die durch Kausalgesetze bestimmte Natur übertragen. In der Reflexion über die Natur als einer zweckmäßig eingerichteten und auf den eigenen Zweck ausgerichteten Einheit findet so eine Verbindung von fremdbestimmter Natürlichkeit auf der einen
7.4. Die Analogie als diskursive und notwendige Vermittlung
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Seite und selbstbestimmter, freier Handlungsfähigkeit auf der anderen Seite statt. Die analogische Vermittlung von Natur und Vernunft muss dabei selbst als ein aktiver Vorgang der Verbindung verstanden werden. Was genau dies bedeutet, muss etwas näher beleuchtet werden. Wie bereits im vierten Kapitel herausgearbeitet wurde, wird das Interesse der praktischen Vernunft auch für die theoretische Erkenntnis der Natur als notwendig vorausgesetzt. Um die Natur als eine systematische Einheit unter der Ordnung empirischer Gesetze betrachten zu können, müssen wir von unserer eigenen, freien Handlungsfähigkeit ausgehen. 12 Zwischen dieser notwendigen Annahme der praktischen Vernunft als Voraussetzung theoretischer Naturerkenntnis auf der einen Seite und der analogischen Beurteilung der Natur auf der anderen Seite, für die ebenfalls die Annahme der praktischen Vernunftfähigkeit notwendig ist, besteht nun aber ein wesentlicher Unterschied. Denn die Fähigkeit des freien Vernunftgebrauchs, die im ersten Falle dem Menschen selbst zugeschrieben wurde, wird in der Beurteilung lebendiger und organisierter Natur auf diese Natur übertragen. Die Natur wird also nicht wie bei ihrer theoretischen Erkenntnis als ein Gegensatz zur freien und zwecktätigen Vernunft dargestellt, deren Annahme sie zwar voraussetzt, von der sie sich aber in zentraler Hinsicht unterscheidet, sondern die Natur wird gerade nach der Analogie mit der Vernunft überhaupt erst verstanden. Dies bedeutet, dass die Möglichkeit der praktischen Vernunft nicht nur von der des theoretischen Vernunftgebrauchs vorausgesetzt wird, sondern auch, dass die beiden Standpunkte von Natur und Freiheit zu zwei Perspektiven innerhalb dessen führen, was üblicherweise für die theoretische Sphäre der Natur gehalten wird. Neben das mechanische Naturverständnis tritt die Möglichkeit einer teleologischen Betrachtung, die zwar von dem theoretischen Anspruch eines Naturverständnisses ausgeht, diesen Anspruch jedoch nur über den Weg der analogischen Verknüpfung der Natur mit der praktischen Fähigkeit der zwecktätigen Vernunft erreichen kann. Hierbei werden die beiden Sphären der kausal bestimmten Natur und der frei und nach Zwecken handelnden Vernunft zwar nicht auf einen Begriff gebracht und somit auch nicht in einer Erkenntnis vereinigt, jedoch werden sie in einer Reflexion miteinander verbunden.13 Die ge_____________ 12 Vgl. Abschnitt 4.2. 13 Für Düsing (1968, S. 60) bedeutet dieser besondere Charakter der teleologischen Naturbetrachtung, dass der Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur ein „Zwischenfeld zwischen Natur und Freiheit“ eröffnet. Nach der hier vorgestellten Interpretation kann diese Metapher eines Zwischenfeldes nun jedoch nicht so verstanden werden, dass sie ein von beiden Bereichen der Natur und Freiheit abgetrenntes Feld darstellt, in denen die theoretischen und praktischen Begriffe unter einem Prinzip vereint sind,
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meinsame Wurzel von Natur und Freiheit, so könnte man es ausdrücken, kann auch in der teleologischen Naturbetrachtung nicht erkannt werden. Und doch stellt die Beurteilung der Natur nach der Analogie mit der uns von uns selbst vertrauten Vernunft eine Vermittlung dar, welche uns die beiden Seiten der Unterscheidung in einer Reflexion erfahren lassen. 14 Erst in der analogischen Reflexion des Menschen, der selbst sowohl den Standpunkt der Natur wie auch den der Freiheit einnehmen kann, lässt sich so die Verbindung von Natur und Freiheit denken. Diese Vermittlungsleistung begründet den wesentlichen Aspekt, der die teleologische Naturbetrachtung von der mechanischen Naturerklärung unterscheidet. Oben haben wir gesehen, dass eine mechanische Erklärung die Reduktion von gegebenen Erfahrungsinhalten auf ein allgemeines Merkmal ist, das auch anderen tatsächlich gemachten oder auch nur möglichen Erfahrungen zu Grunde liegt. Der entscheidende Unterschied zwischen mechanischer Erklärung und teleologischer Betrachtung besteht folglich darin, dass im ersten Falle die Natur auf etwas reduziert und dabei auf ein allgemeines Gesetz verwiesen wird, das auch anderen Erfahrungen von Natur notwendig zu Grunde liegt, im zweiten Falle dagegen unsere Naturerfahrung mit etwas anderem verbunden wird, wovon in einer mechanischen Naturbetrachtung auch wieder abstrahiert werden kann. Der spezifische Unterschied zwischen mechanischer Erklärung und teleologischer Betrachtung der Natur liegt somit in der Gegenüberstellung von Reduktion und Verbindung. Dieser Unterschied zwischen der reduktiven, mechanischen Naturerklärung und der verbindenden, teleologischen Naturbetrachtung erhellt, warum Kant nur im Bezug auf erstere, nicht aber auf letztere von einer konstitutiven Beurteilung und von Erkenntnis spricht. Denn nur im Zusammenhang der mechanischen Naturbetrachtung wird ein Begriff, der Begriff der externen Ursache, subsumierend an die Natur angelegt. Nur hier wird tatsächlich etwas durch einen Begriff bestimmt. Zwar ist deutlich geworden, dass diese Charakterisierung des mechanischen Naturverständnisses differenziert betrachtet werden muss, denn auch die Erklärung der Natur anhand empirischer, mechanischer Gesetze stützt sich bereits auf eine regulative, analogische Naturbetrachtung. Trotzdem unterscheidet sich der Status der mechanischen Naturbetrachtung von dem der teleolo_____________ sondern dass sie vielmehr den Bereich kennzeichnet, in dem die Begriffe der Natur mit den Ideen der Freiheit in unseren Urteilen verbunden werden. 14 In diesem Sinne können wir meines Erachtens auch Hutters (2003, S. 181) These verstehen, der Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur sei wegen seines eigentümlichen Status zwischen Natur und Freiheit „geeignet, auf die verborgene Einheit der Kantischen Vernunftkritik zu verweisen.“ Die Einheit ist insofern „verborgen,“ als sie nicht erkannt, sondern nur über sie reflektiert werden kann.
7.4. Die Analogie als diskursive und notwendige Vermittlung
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gischen, denn obwohl die induktive Suche nach mechanischen Erklärungen auf regulativen Prinzipien beruht, können wir doch wissen, dass es irgendeine mechanische Ursache für ein bestimmtes Ereignis in der Natur geben muss.15 Obgleich also auch im Hinblick auf mechanische Erklärungen nur von Hypothesen gesprochen werden kann, die durch weitere Erfahrung und Erforschung der Natur immer auch widerlegt werden könnten, geht es in diesen Hypothesen doch um die Erklärung der Natur selbst. Für die teleologische Naturbetrachtung ist der Begriff der Hypothese dagegen unpassend, denn im Bezug auf diese Art der Beurteilung gibt es keinen Begriff, der subsumierend auf die Natur angewandt wird.16 Insofern es in der teleologischen Beurteilung um eine analogische Verbindung zweier Gegenstandsbereiche geht, deren empirische Wahrheit auch prinzipiell nicht ermittelt werden kann, können wir hier weder von transzendentaler noch von empirischer Erkenntnis sprechen. Die teleologische Beurteilung hat also deshalb einen regulativen Status, weil sie dort, wo sie zur Anwendung kommt, nicht in der Subsumtion von Wahrnehmungen unter einen Begriff, sondern in der reflexiven Verbindung zweier Begriffsbereiche besteht. Eine Antwort auf die erste, oben aufgeworfene Frage nach dem kognitiven Status der teleologischen Analogie muss folglich zwischen verschiedenen Aspekten differenzieren. Zum einen darf die analogische Naturbetrachtung bei Kant nicht als Erkenntnis der Natur selbst, sondern muss als eine für unseren Verstand spezifische Art der Reflexion über die Natur betrachtet werden. Diese spezifische Betrachtungsweise verbindet Begriffe der praktischen Vernunft mit denen der theoretischen. Zum anderen ist die Analogie als diskursiv einzustufen, weil sie die Verbindung der anschaulichen wie auch begrifflichen Komponenten in einer reflexiven Urteilsleistung darstellt.17 Sie begründet also nicht lediglich eine Übertragung verschiedener emotionaler Assoziationen von der einen Seite der _____________ 15 Vaihinger (1911) liefert eine Analyse, nach der die gesamte Kantische Philosophie, sowohl die theoretische als auch die praktische, wesentlich auf Analogien basiert. Meines Erachtens müsste hier genauer zwischen den verschiedenen analogischen Denktypen bei Kant unterschieden werden, so dass die teleologische Analogie nicht auf gleicher Ebene mit den Verstandeskategorien als „Fiktion“ abgehandelt würde. Die Ansicht, dass auch Kants theoretische Verstandesbegriffe im Sinne einer Analogie verstanden werden müssen, findet sich auch bei anderen Autoren wieder. Vgl. z. B. Buchdahl (1969 und 1992) und Ricœur (1978). 16 Aus diesem Grund halte ich Quarfoods (2006) Charakterisierung der teleologischen Beurteilung als konstitutiv für die Objekt-Ebene der Biologie für ungeeignet. Vgl. hierzu Kapitel 5, Anm. 9. 17 Vgl. auch Gloys (2002, S. 216 f.) Analyse der Analogie als einer diskursiven Denkform.
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7. Ganzheitliche Naturerfahrung
Analogie auf die andere, sondern stellt eine Art der Reflexion dar, die Grundlage unseres Naturverständnisses ist. Diese Erörterungen helfen nun auch bei der Beantwortung der zweiten, oben gestellten Frage: Was garantiert uns, dass die durch die Analogie hergestellte Verknüpfung nicht vollständig willkürlich oder beliebig ist und auch eine Verknüpfung mit einem jeden anderen Ding unser Verständnis von lebendiger Natur erläutert haben könnte? Ähnlich wie bei der Beantwortung der ersten Frage müssen auch bei der Auseinandersetzung mit dieser zweiten Frage zwei gegenläufige Tendenzen unterschieden werden. Zum einen hat die vorangegangene Diskussion deutlich gezeigt, dass die regulative Betrachtung der Natur in Analogie mit der Zwecktätigkeit unseres Vernunftvermögens keineswegs beliebig ist. Vielmehr füllt sie eine Lücke, die durch die rein mechanische Betrachtung der Natur offen geblieben ist und die auf Grund der spezifischen Beschaffenheit unseres diskursiven Verstandesvermögens allein durch die teleologische Analogie geschlossen werden kann. Dort, wo die mechanistische Perspektive nicht ausreicht, welche die Ideen der theoretischen Vernunft in die Natur hineinliest, kommt die teleologische Perspektive zum Einsatz, die von der Zweckidee der praktischen Vernunft ausgeht. Die analogische Betrachtung der Natur ist folglich für die vernünftigen Wesen, die wir Menschen sind, allgemein notwendig. Zum anderen muss aber auch auf einen zweiten Aspekt hingewiesen werden, der belegt, dass die teleologische Art der Naturbetrachtung zwar universell notwendig ist, letztlich jedoch niemals mit Verweis auf etwas gerechtfertigt werden kann, das von unserer Erfahrung der lebendigen Natur unabhängig ist. Denn gerade dies zeichnet ja die Rolle regulativer Prinzipien aus: Sie beziehen sich nicht auf objektiv erfahrbare Dinge in der Natur, sondern lediglich auf die Art und Weise, in der diese Dinge von uns betrachtet werden. Wäre es demgegenüber möglich, mit Verweis auf die Natur einen Beleg für diese Prinzipien zu erbringen, so läge uns damit gleichzeitig auch ein Beweis über den Charakter der Natur selbst vor; die regulativen Prinzipien stellten sich letztlich als konstitutive Prinzipien heraus. Die Rechtfertigung, dass die teleologische Analogie für das Naturverständnis des Menschen adäquat oder passend ist, kann sich somit niemals auf objektive, externe Gründe stützen. Sie konnte in den vorangegangenen Kapiteln daher einzig durch interne, die menschliche Eigenart der Naturerfahrung betreffende Gründe gerechtfertigt werden.
7.5. Die Deutlichkeit und Verständlichkeit der Natur
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7.5. Die Deutlichkeit und Verständlichkeit der Natur Die interaktionstheoretische Charakterisierung der teleologischen Analogie erläutert den Gedankengang, welcher der analogischen Naturbetrachtung zu Grunde liegt. Zum Abschluss möchte ich nun auf die Frage zurückkommen, wie wir uns ein Naturverständnis vorzustellen haben, das eine solche analogische Naturbetrachtung mit den mechanischen Naturerklärungen vereinbart. Wie wir gesehen haben, bezieht sich das teleologische Naturverständnis auf eine Natur, die nach einer analogischen Verknüpfung mit der Zwecktätigkeit unserer eigenen Vernunft betrachtet wird. Die teleologische Beurteilung der Natur ist die analogische Betrachtung der Natur als lebendig und organisiert, wie sie uns in unserer alltäglichen Erfahrung erscheint. Die mechanische Erklärung dagegen ist eine Reduktion dieses volleren Naturbegriffs auf die ihm zu Grunde liegenden Begriffe – eine Naturbetrachtung, die von den wesentlichen Merkmalen der lebendigen und organisierten Natur abstrahiert. Dieser Unterschied in der Herangehensweise der beiden Sichtweisen auf die Natur, der hier als Unterschied zwischen einer verbindenden und einer reduktiven Methode gekennzeichnet wurde, kann durch Kants Unterscheidung zwischen einer logischen und einer ästhetischen Deutlichkeit näher charakterisiert werden: Während durch die reduktionistische Methode der mechanischen Erklärung eine „logische Deutlichkeit“, eine „Klarheit durch Begriffe“, erzielt wird, können wir uns die analogische Methode so vorstellen, als führte sie zu einer „ästhetische[n] Deutlichkeit“, einer „Klarheit durch Anschauung“ oder auch „Lebhaftigkeit und Verständlichkeit“ (Log, IX 62). Die logische Klarheit erreichen wir Kant zufolge, wenn wir einen Gegenstand unter allgemeine Begriffe bringen, indem wir „die Merkmale von den Merkmalen aufsuchen“ und nur die „höchsten Merkmale“ (V-Lo/Dohna, XXIV 729) betrachten. Logische Klarheit erfordert somit Abstraktion. Ästhetische Klarheit hingegen besteht in der „Verbindung“ (V-Lo/Blomberg, XXIV 126) der verschiedenen Merkmale eines Dinges in einer Anschauung. Diese Anschauung kann im Falle einer Analogie nicht direkt „durch Beispiele in concreto“ (Log, IX 62) geliefert werden. Sie erfordert jedoch auch hier Sinnlichkeit, insofern sie Begriffe und Anschauungen reflexiv miteinander verknüpft. Durch die analogische Betrachtung kann so zwar keine theoretische Erkenntnis, doch aber eine sinnliche Deutlichkeit und – allgemeiner – eine Verständlichkeit erreicht werden. Dieser Kontrast von ästhetischer und logischer Klarheit zeigt auf, wie wir die beiden Sichtweisen auf die Natur als zwei Aspekte unserer Beurteilung der Natur verstehen können. Denn erst in der Verbindung der beiden Arten von Deutlichkeit liegt Kant zufolge die „angemessene [...] Dar-
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7. Ganzheitliche Naturerfahrung
stellung abstrakter und gründlicher Erkenntnisse“ (Log, IX 62). Erst in der Vereinbarung der beiden Sichtweisen in einem holistischen Naturverständnis kann die Natur vollständig verstanden werden. Diese Darstellung der analogischen Naturbetrachtung und der reduktiven Naturerklärung als zwei notwendig verknüpfte Perspektiven macht außerdem deutlich, dass keine dieser Betrachtungsweisen in irgendeiner Weise irrational oder auch einfach nur weniger wichtig für unsere Erfahrung der Natur ist. Beide spielen eine wesentliche Rolle in unserem Verständnis dessen, was wir als Natur erfahren. Der Unterschied zwischen einer mechanischen und einer teleologischen Naturbetrachtung bildet keinen Gegensatz von Rationalität und Irrationalität, sondern vielmehr eine Opposition zwischen Abstraktion und analogischer Verbindung.18 Kein Absolutheits- oder Alleinheitsanspruch der logischen Deutlichkeit und des mechanischen Denkens über die Natur kann daher mit Kant gerechtfertigt werden. Die teleologische Betrachtung der Natur begründet lediglich eine andere Art der Naturerfahrung, eine Erfahrung im weiteren Sinne, in der wir die Natur anhand teleologischer Begriffe in einem neuen Licht sehen.19 Die beiden Sichtweisen auf die Natur, die sich aus der Kantischen Argumentation ergeben, verweisen – so möchte ich schließen – auf eine umfassende, ganzheitliche Naturvorstellung, deren wesentlicher Charakter nicht nur mechanische Erklärungen, sondern außerdem eine Identifikation mit unserer eigenen Vernunftfähigkeit voraussetzt.
_____________ 18 Ähnlich behauptet Gloy (2001, S. 327), dass es hinsichtlich des Gegensatzes zwischen dem mathematisch-naturwissenschaftlichen und dem analogischen Denken, „nicht bloß um ein Verhältnis zwischen Rationalität und Irrationalität bzw. zwischen Verstand und Sinnlichkeit [geht], sondern auch um ein Verhältnis zwischen einem reduktionistischen Rationalitätsbegriff und einem nicht reduktionistischen.“ 19 Die Vorstellung, dass wir der Natur anhand der Analogie mit unserer eigenen Vernunft Sinn zu geben versuchen, zeigt wiederum die Nähe der teleologischen Naturbetrachtung zur Kantischen Ästhetik auf. Auch anhand Kants ästhetischer Ideen, so betont z. B. Nuyen (1989, S. 105 ff.), sehen wir die Welt in einem neuen Licht. Von dieser Auffassung der teleologischen Betrachtung muss Lakebrinks (1960, S. 257) Darstellung abgegrenzt werden, der zufolge die Analogie innerhalb der Welt des Organischen „zur Ermöglichung der Erfahrung selbst nichts beiträgt.“
8. Teleologie in den Lebenswissenschaften: Kant und die Philosophie der Biologie Welche Bedeutung hat das Kantische Naturverständnis, das in der vorliegenden Untersuchung entwickelt worden ist, für die moderne Naturwissenschaft? Was heißt es insbesondere für die Wissenschaft der lebendigen Natur, dass wir Organismen nur nach der Analogie mit unserem eigenen Vernunftvermögen verstehen können? Die teleologische Perspektive ist dem Kantischen Ansatz zufolge unausweichlich notwendig für eine Betrachtung von Organismen und ökologischen Zusammenhängen in der Natur. Dennoch kann sie die Natur selbst nicht erklären. Welcher Nutzen kann ihr dann überhaupt für die Erforschung der Natur zugeschrieben werden? Was also sind die Konsequenzen der Kantischen Naturteleologie für die moderne Biologie? Ähnliche Fragen nach der Bedeutung teleologischer Begrifflichkeiten in den Lebenswissenschaften bestimmen auch eine Diskussion, die in der modernen Philosophie der Biologie geführt wird. Für dieses relativ junge Feld, das sich in seiner heutigen Form erst seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts etabliert hat, stellt die Debatte um die Teleologie in den Biowissenschaften eines der zentralen Probleme dar. Denn innerhalb der Naturwissenschaften zeichnet sich die Biologie auch heute noch durch die Verwendung von Begriffen aus, die in der Physik und Chemie schon lange tabu sind: Mit Verweis auf die Biologie wird von den Funktionen organischer Eigenschaften gesprochen, von genetischen Programmen, welche bestimmte biologische Prozesse steuern, oder sogar zuweilen von Zwecken, die ein Organ in einem Lebewesen erfüllt. Begriffe wie diese haben eindeutig teleologischen Klang; sie sind uns vertraut von der Beschreibung unseres eigenen Handelns. So sprechen wir beispielsweise davon, dass eine Person nach einem Zweck handelt, dass sie einen Gegenstand zu einer bestimmten Funktion verwendet, oder dass sie ein Programm entwirft, nach dem ein bestimmter Handlungsablauf stattfinden soll. Was aber bedeuten dieselben Begriffe im Kontext der Biologie? Ist ihre Verwendung in wissenschaftlicher Hinsicht legitimiert? Und warum sind sie in der Biologie, nicht aber in der Physik oder Chemie zu finden? Die Philosophie der Biologie versucht Antworten für diese Fragen zu liefern, die mit unserem heutigen Verständnis der Naturwissenschaften vereinbar
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften
sind. Demzufolge ist es die Aufgabe der Naturwissenschaft, Erklärungen von Naturphänomenen zu liefern, ohne dabei auf übernatürliche Intentionen oder Zwecke zu verweisen. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, die Bedeutung des Kantischen Teleologieverständnisses für die moderne Naturwissenschaft in Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Beiträgen aus dem Feld der Philosophie der Biologie zu erörtern.1 Zu diesem Zweck gibt der erste Abschnitt zunächst einen kurzen Einblick in die zwei vorherrschenden Ansätze, die in der Philosophie der Biologie derzeit diskutiert werden: die ätiologische Analyse, welche teleologische Begriffe mit Verweis auf evolutionstheoretische Überlegungen erklärt, und der systemtheoretische Ansatz, der teleologische Ausdrücke mit Blick auf die kausalen Rollen interpretiert, die ein Teil innerhalb eines übergeordneten biologischen Systems spielt.2 Bei dieser Darstellung wird deutlich, dass die meisten Autoren im Bereich der Philosophie der Biologie eine Übersetzung teleologischer in nichtteleologische Begrifflichkeiten anstreben. Dieses Ziel ist nach dem Kantischen Ansatz – so wird im zweiten Abschnitt ausgeführt – jedoch niemals vollkommen zu erreichen. Die Kantische Herangehensweise zeigt nämlich nicht nur, dass wir teleologische Beschreibungen als heuristische Werkzeuge begreifen müssen, sondern auch, warum die Verwendung solcher Werkzeuge überhaupt notwendig ist. Erst Kants Unterscheidung zwischen zwei Stufen der teleologischen Naturbetrachtung kann nach der vorgeschlagenen Lesart die heuristische Funktion der Naturteleologie erklären. Die im zweiten Abschnitt entwickelte Kantische Betrachtung der heuristischen Nützlichkeit teleologischer Begriffe in der Biologie muss sich jedoch mit Einwänden aus zwei Richtungen auseinandersetzen: der Evolutionstheorie zum einen und der Systemtheorie zum anderen. Diese Kritikpunkte werden in den Abschnitten 8.3 und 8.4 untersucht. Hier möchte ich zeigen, dass Kants Theorie nicht nur mit den Ansprüchen und Ergebnissen der modernen Biowissenschaften vereinbar ist, sondern auch einen bislang eher unbeachtet gebliebenen Blickwinkel auf die Frage nach der Teleologie in der Biologie bietet. Der Kantische Ansatz macht deutlich, dass eine vollständige Naturalisierung teleologischer Begrifflichkeiten _____________ 1
2
Eine erste Untersuchung zum Verhältnis des Kantischen Teleologiebegriffs und zeitgenössischen Debatten in der Philosophie der Biologie habe ich in Breitenbach (2009a) entwickelt. Die kurze Darstellung in Abschnitt 8.1 hat lediglich den Anspruch, einen Überblick über die Hauptthesen der Debatte zu liefern. Hilfreiche Einführungen zu dem Problem der Teleologie in der Biologie finden sich in den englischsprachigen Sammelbänden von Allen, Bekoff und Lauder (1998) und Buller (1999a) und in der deutschen Kollektion von Krohs und Toepfer (2005). Eine detailliertere Darstellung der Problematik bietet außerdem Toepfer (2004).
8.1. Zwei Ansätze in der Philosophie der Biologie
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genau die Aspekte unberücksichtigt lässt, die wir mit Verweis auf die scheinbare Zweckmäßigkeit der Natur zu fassen versuchen: ihre spezifisch lebendigen Eigenschaften.
8.1. Zwei Ansätze in der Philosophie der Biologie: Ätiologie und kausale Rollen Die meisten Ansätze zum Problem der Teleologie in der zeitgenössischen Philosophie der Biologie können einem von zwei Lagern zugeteilt werden. Während die ätiologische Analyse die Funktion eines biologischen Merkmals mit Verweis auf seine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte erklärt, hängt die Funktionalität eines biologischen Merkmals dem systemtheoretischen Ansatz zufolge von den kausalen Rollen ab, die dieses Merkmal innerhalb seines zugehörigen Gesamtsystems spielt. Beiden Ansätzen scheinen plausible Vorstellungen von der Funktionalität organischer Merkmale zu Grunde zu liegen und sollen daher hier kurz vorgestellt werden. Der ätiologische Ansatz versteht Funktionen aus einer historischen Perspektive: Durch die Betrachtung der Entstehungsgeschichte eines Gegenstands sollen seine Existenz oder auch seine spezifischen Merkmale erklärt werden. Der ätiologische Funktionsbegriff kann daher auch als rückwärtsgerichtete Analyse funktionaler Eigenschaften bezeichnet werden. Larry Wright, einer der Hauptdarsteller dieser Theorie, bringt diese Analyse auf folgende Formel: The function of X is Z means, (a) X is there because it does Z, (b) Z is a consequence (or result) of X’s being there.3
Die zweite Bedingung (b) besagt, dass Z eine Konsequenz des Merkmals oder Verhaltens X ist. Die erste Bedingung (a) spezifiziert außerdem, dass Z nicht irgendeine Konsequenz sein kann, sondern dass die Hervorbringung von Z durch X den Grund für die Existenz von X selbst darstellt. Ein Merkmal eines Organismus ist nach der Auffassung Wrights also genau dann als teleologisch zu betrachten, wenn es einem Organismus anhaftet, weil seine Anwesenheit innerhalb dieses organischen Systems selbst eine bestimmte Wirkung nach sich zieht. Es ist diese Wirkung, welche dem Merkmal des Organismus als Funktion oder auch Zweck zugeschrieben wird. _____________ 3
Wright (1973, S. 161).
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften
Wrights Schema artikuliert die Überzeugung, dass teleologische Beschreibungen nicht auf eine von kausalen Erklärungen zu unterscheidende, spezifische Ursachenart verweisen. Auch der funktionalen Betrachtung von Lebewesen geht es Wrights Ansicht nach lediglich um die Folgen wirkender Ursachen, denn die Tatsache, dass Z eine Folge von X ist, wird zu den wirkenden Ursachen von X selbst gezählt. Wie darüber hinaus deutlich geworden ist, geht es nicht um irgendwelche Folgen wirkender Ursachen, sondern um solche Folgen, die selbst wiederum auf ihre Ursachen zurückwirken. Die ätiologische Deutung teleologischer Begriffe in der Biologie ist somit wesentlich durch einen Aspekt gekennzeichnet, der unter den Namen „feedback“ oder „Rückwirkung“ fällt: Die Anwesenheit eines Organs oder das Vorkommen eines Merkmals ist die Folge der Wirkung seiner eigenen Existenz und Aktivität.4 Die Fähigkeit des Herzens, Blut zu pumpen, ist selbst Ursache davon, dass das Herz als Teil eines Organismus vorkommt. Zwar ist das Pumpen des Blutes eine Konsequenz der Anwesenheit des Herzens, trotzdem ist diese Anwesenheit selbst wiederum eine Folge der Aktivität des Blut pumpenden Herzens. Folgt man Wrights Analyse, so ist dies der Grund dafür, dass das BlutPumpen als Funktion des Herzens betrachtet werden kann. Diese Darstellung wirft allerdings eine wichtige Frage auf, denn wie kann die Anwesenheit des Herzens eine Folge der Aktivität sein, welche durch das Herz selbst erst ermöglicht wird? Sprechen wir hier gar von der Selbstverursachung des Herzens? Um diese Schlussfolgerung zu vermeiden, wird Wrights Schema zumeist durch die Unterscheidung zwischen Individuen und Typen ergänzt. Als Typ verstanden kann Z in Bedingung (a) als die wirkende Ursache der Anwesenheit des Individuums X gelten, insofern andere Individuen des Typs X bereits andere Beispiele der Folge Z hervorgebracht haben. Als Individuum betrachtet kann Z dagegen in Bedingung (b) als die Folge der Existenz des Individuums X gelesen werden. Die Anwesenheit des Individuums X, welches selbst Z bewirkt, wird so durch die Vorgeschichte erklärt, in der andere Individuen desselben Typs X andere Instanzen des Typs Z hervorgebracht haben. Für das Beispiel des Blut pumpenden Herzens bedeutet dies, dass es die Funktion eines bestimmten Herzens H ist, Blut zu pumpen, weil schon andere Herzen Blut gepumpt haben und weil diese Aktivität des Blut-Pumpens Ursache für die Existenz des spezifischen Herzens H war. _____________ 4
Damit nimmt Wright einen Begriff auf, der in der Kybernetik eine wichtige Rolle spielt. Als wichtige Vertreter dieser Forschungsrichtung in der Mitte des letzten Jahrhunderts gelten z. B. Rosenblueth, Wiener and Bigelow (1943), Russell (1945), Wiener (1948), Sommerhoff (1950), und von Bertalanffy (1952).
8.1. Zwei Ansätze in der Philosophie der Biologie
177
Von dieser Auslegung des ätiologischen Funktionsbegriffs ist es ein direkter Schritt zu der Einführung evolutionstheoretischer Überlegungen. So legt beispielsweise Karen Neander Wrights erste Bedingung (a) auf folgende Art aus: Die Aussage, dass das Merkmal X eines (organischen) Systems S die Funktion Z hat, bedeutet erstens, dass Vorfahren derselben reproduktiven Familie, zu der auch S gehört, ein Merkmal des Typs X hatten, das eine Wirkung des Typs Z nach sich zog, und zweitens, dass die Hervorbringung dieser Wirkung dazu beigetragen hat, dass die reproduktive Familie, zu der S gehört, sich vermehren konnte und dadurch auch S mit X hervorgebracht hat.5 Ähnlich bezeichnet auch Ruth Millikan einen bestimmten Aspekt eines Merkmals X als „proper function“, wenn dieser Aspekt die natürliche Auslese von X positiv beeinflusst hat.6 So kann zum Beispiel den dunklen Pigmenten der Flügel des Birkenspanners die Funktion der Tarnung zugeschrieben werden, da die dunkleren Schmetterlinge auf den infolge der Industrialisierung zunehmend verrußten Birkenstämmen einen Selektionsvorteil gegenüber den helleren Formen dieser Art hatten. Wie bei diesem Beispiel können wir der ätiologischen Lesart zufolge demnach die Funktion eines Organs oder Merkmals im Sinne seiner Selektionsgeschichte verstehen. Auch wenn sich diese ätiologische Deutung in den letzten Jahrzehnten verbreiteter Zustimmung erfreut hat,7 ist sie dennoch mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert. Zwei von ihnen möchte ich hier kurz ansprechen. Dies sind die entgegengesetzt verlaufenden Vorwürfe, der Verweis auf den Selektionsprozess eines Merkmals sei für verschiedene denkbare Arten der Funktionszuschreibung weder hinreichend noch notwendig. Erstens kann es vorkommen, dass ein Merkmal zwar in der Vergangenheit eine Wirkung gehabt hat, die für die natürliche Selektion seines Trägers relevant war, dass es diese Wirkung jedoch in der Gegenwart nicht mehr ausübt. Der menschliche Blinddarm wurde beispielsweise in der Vergangenheit bei den pflanzenfressenden Vorfahren des Menschen wegen seiner Fähigkeit selektiert, schwer verdauliche Pflanzenkost mit Hilfe besonderer Enzyme und unter Beteiligung symbiotischer Bakterien zu zerlegen und die darin enthaltenen Nährstoffe freizusetzen. Er erfüllt jedoch heute – so würden die meisten sagen – keine Funktion mehr. Für diese Art rudimentärer Merkmale eines Organismus scheint der ätiologische Verweis auf _____________ 5 6 7
Vgl. Neander (1991a und 1991b). Millikan (1984, S. 17). Vgl. auch dies. (1989). Buller (1999b, S. 1) geht beispielsweise von einem „near-consensus” und einem „core agreement“ aus, während Allen und Bekoff (1995, S. 612) die ätiologische Analyse als „standard line“ charakterisieren.
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften
den Selektionsprozess dieses Merkmals somit keine hinreichende Bedingung für eine überzeugende Funktionszuschreibung zu liefern.8 Zweitens spricht die ätiologische Lesart außerdem bestimmten Merkmalen, die wir üblicherweise als zweckmäßig betrachten würden, ihren funktionalen Charakter ab. So ist in der Literatur auf die Denkmöglichkeit plötzlich auftretender Organismen hingewiesen worden. Diese imaginären Kreaturen sollen wir uns einerseits als Organismen mit exakt den gleichen strukturellen und materiellen Eigenschaften vorstellen, wie sie auch andere Organismen auszeichnen. Ihr einziger Unterschied besteht darin, dass sie als Lebewesen vorgestellt werden, die nicht das Produkt einer evolutionären Geschichte sind.9 Kennte man ihre Vergangenheit nicht, so würden sich diese Organismen also in keinster Weise von den uns bekannten Tieren und Pflanzen unterscheiden. Und trotzdem müssten wir, der ätiologischen Analyse folgend, den Organen und Merkmalen dieser Kreaturen jegliche Funktionalität absprechen. Natürlich könnte gegen diese Kritik eingewandt werden, dass sie auf gänzlich unrealistischen Annahmen beruht; jedoch hätte dieser Einwand gegen einen ähnlichen Kritikpunkt keine Gültigkeit. Denn nicht nur diese imaginären, sondern auch wirkliche Merkmale, die plötzlich als Mutationen in bestimmten Organismen auftreten, können zuträglich oder funktional für die Überlebens- und Fortpflanzungsfähigkeit der Organismen sein. Die Selektionsgeschichte eines Merkmals scheint demnach weder hinreichend noch notwendig für biologische Funktionszuschreibungen zu sein. Beiden Einwänden gegen die ätiologische Auslegung der Teleologie in der Biologie liegt die Ansicht zu Grunde, dass die Funktionalität eines biologischen Merkmals nicht allein mit seiner Selektionsgeschichte zusammenhängt, sondern außerdem auf die Rolle verweist, welche dieses Merkmal innerhalb des zugehörigen Organismus spielt. Diese letztere Überlegung kann als systemtheoretische oder auch organisationstheoretische Herangehensweise an den Funktionsbegriff in der Biologie bezeichnet werden, eine Herangehensweise also, die sich auf die kausalen Rollen einzelner Teile oder Merkmale innerhalb des Organismusganzen bezieht. 10 Im _____________ 8
Andere Vertreter der ätiologischen Analyse haben deshalb versucht, die Selektionsgeschichte, die in die teleologische Analyse einbezogen werden soll, auf die jüngste Vergangenheit zu beschränken. Vgl. z. B. Godfrey-Smith (1994). Meines Erachtens kann diese modifizierte Analyse die hier vorgebrachte Kritik vielleicht etwas eingrenzen, das aufgeworfene Problem im Grunde jedoch nicht lösen. 9 Vgl. Neanders (1991a, S. 179) „instant lions“ und McLaughlins (2001, S. 89) „swamp mule”. 10 Angesichts der erörterten Probleme argumentieren einige Vertreter der ätiologischen Theorie für einen pluralistischen Ansatz, der den Fokus auf die Ätiologie von Funktionen mit der Frage nach ihren kausalen Rollen innerhalb eines übergeordneten Sys-
8.1. Zwei Ansätze in der Philosophie der Biologie
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Gegensatz zur ätiologischen Lesart lässt sich eine solche systemtheoretische Interpretation als vorwärtsgerichtet charakterisieren, denn ihr geht es nicht darum, die Anwesenheit des Merkmals eines bestimmten Organismus anhand seiner Entwicklungsgeschichte zu erklären, sondern um die Erläuterung der spezifischen Leistung, die das Merkmal eines organischen Systems in diesem Gesamtsystem vollbringt. Eine so verstandene, teleologische Analyse bezieht sich daher immer wesentlich auf komplexe Systeme, deren Teile zum Systemganzen beitragen, von diesem Ganzen aber auch unterschieden werden können. Die systemtheoretische Deutung des Funktionsbegriffs wird primär mit Robert Cummins’ Analyse von Funktionen als kausalen Rollen innerhalb komplexer Systeme assoziiert.11 Cummins identifiziert die Funktion eines Merkmals mit dessen Beitrag zu der Wirkungsweise eines übergeordneten Gesamtsystems. Cummins geht also davon aus, dass funktionale Erklärungen nur für komplexe Systeme von Bedeutung sind, deren Teile sich in Charakter und Wirkungsweise vom zugehörigen Gesamtsystem unterscheiden. Cummins’ Analyse ist insofern bemerkenswert, als nach ihr Funktionszuschreibungen immer implizit von einem analytischen Kontext abhängig sind, der durch die Interessen der jeweiligen Forschung bedingt ist. Einem bestimmten Merkmal eine Funktion zuschreiben bedeutet somit, ihm ein spezifisches Vermögen beilegen, das wegen seines Beitrags zur Wirkungsweise eines komplexeren Systems im Blickfeld des Forschers liegt. Die Wirkungsweisen eines solchen Systems, für die sich einzelne Merkmale funktional erweisen, müssen nach Cummins’ Ansicht also nicht als vorgegeben betrachtet, sondern können mit Bezug auf die analytischen Interessen des Forschers ausgewählt werden. Cummins’ Fokussierung auf die Leistung, die ein Systemteil zu der Wirkungsweise des Systemganzen beiträgt, hat den Vorteil, die beiden oben erwähnten Schwierigkeiten der ätiologischen Interpretation zu umgehen. Merkmale, die in der Vergangenheit zwar wegen ihrer spezifischen Fähigkeit selektiert wurden, jedoch längst keinen Beitrag zu der Wirkungsweise des Gesamtsystems mehr leisten, sind nach Ansicht Cummins’ auch nicht als funktional zu beurteilen. Dagegen können anderen Merkmalen, die zwar keiner Selektionsgeschichte unterliegen, trotzdem aber für die Gesamtleistung des Systems notwendig sind, Funktionen zugeschrieben werden. Hiermit verbindet sich jedoch zugleich eine andere Schwie_____________ tems verbindet. Vgl. z. B. Millikan (1989), Griffiths (1993) und Godfrey-Smith (1994). Auch McLaughlins (2001) These, dass nützliche Merkmale eines Organismus eine Funktion haben, weil sie zu seiner Selbstreproduktion beitragen, kann in diesem Kontext verstanden werden. 11 Vgl. Cummins (1975).
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften
rigkeit, mit der sich Cummins’ Deutung von Funktionsaussagen auseinandersetzen muss: ihre zu große Permissivität. Kausale Rollen von Merkmalen eines Systems, die an sich betrachtet eine weniger komplexe Leistung vollbringen als das sie umfassende System, zu dessen Wirkungsweise sie beitragen, lassen sich in vielen sowohl organischen als auch anorganischen Systemen finden, die wir nach herkömmlichem Verständnis nicht als funktional bezeichnen würden. Von den Atomen bis zu den Sternen enthält die Welt Beispiele von Systemen komplex angeordneter Bestandteile, denen nach Cummins’ Ansatz Funktionalität zugeschrieben werden müsste.12 Hinzu kommt, dass Cummins die Normativität von Funktionsaussagen in seiner rein deskriptiven Analyse unberücksichtigt lässt. So können wir seiner Deutung folgend weder zwischen zufälligen und nichtzufälligen Beiträgen zu der Wirkung eines komplexen Systems unterscheiden, noch sagen, ob ein bestimmtes Merkmal eines solchen komplexen Systems auf eine bestimmte Weise wirken sollte. Solange eine Systemkomponente zu der Realisierung einer uns interessierenden Systemleistung beiträgt, ist es für Cummins’ Analyse irrelevant, ob dies zufälligerweise geschieht oder ob die untersuchte Systemkomponente nicht eigentlich eine andere Wirkung haben sollte. Trotz dieser Einwände, hat die allgemeine Stoßrichtung der Interpretation Cummins’ insbesondere in jüngster Zeit einige Zustimmung erhalten. Eine modifizierte Analyse nach Cummins’ Vorbild wird beispielsweise von Tim Lewens als der so genannte „naïve fitness account“ vorgeschlagen: The function of a trait t is F iff traits of type T, of which t is a token, make a significant contribution to fitness by performing F. 13
Die Funktion eines Merkmals t wird auch von Lewens mit dessen Beitrag zu einem Ziel des zugehörigen Gesamtsystems verstanden. Dieses Ziel ist überdies spezifiziert als die Fitness – das heißt für den Fall organischer Systeme ihre Überlebens- und Fortpflanzungsfähigkeit. Hinzu kommt außerdem eine weitere Konkretisierung: Einem Merkmal kann nur dann eine Funktion zugeschrieben werden, wenn es ein Beispiel eines in verschiedener Realisierung auftretenden Merkmaltyps ist. Dieser Typ wird dabei nicht lediglich als äußere Ähnlichkeit verstanden, sondern vielmehr als so genannter Homologie-Typ: Zwei Merkmale gehören in diesem Sinne zu ein und demselben Typ, wenn sie sich von dem gleichen Merkmal in einem gemeinsamen Vorfahren ableiten lassen – wie dies beispielsweise bei den Flügeln der Fledermaus und den Armen des Menschen der Fall _____________ 12 Vgl. Toepfers (2004, S. 215 f.) Diskussion solcher Beispiele der anorganischen wie auch organischen Natur. 13 Lewens (2004, S. 102).
8.2. Der Erkenntnisstatus der teleologischen Heuristik
181
ist. Mit dieser Spezifizierung von Cummins’ Ansatz kann Lewens’ Interpretationsvorschlag die Probleme umgehen, die oben aufgeworfen wurden: Seine modifizierte Analyse kann sowohl zufällige von typischen Beiträgen zu der Fitness eines Systems unterscheiden, als auch eine Aussage darüber machen, auf welche Weise ein bestimmter Teil eines Systems normalerweise zu der Wirkungsweise des Gesamtsystems beitragen sollte. Lewens’ systemtheoretische Modifizierung des Cumminsschen Ansatzes unterscheidet sich von diesem auch insofern, als Lewens die Funktionalität eines Merkmals nicht an die analytischen Interessen der Forschungsgemeinschaft bindet, sondern vielmehr an die Fitness des zu untersuchenden Systems. Trotzdem enthält auch Lewens’ Ansatz eine pragmatische Komponente. Funktionszuschreibungen spielen dort eine Rolle, wo sich für uns eine Analogie mit einem funktional verstandenen Artefakt und folglich eine teleologische Beurteilung scheinbar aufdrängt: „Talk of functions, problems, and purposes appears in contexts where artefact thinking is both practical and psychologically attractive.“14 Letztlich ist die teleologische Beurteilung eines Systems nach Lewens’ Ansicht also überall dort angebracht, wo sie für uns pragmatisch gerechtfertigt und psychologisch erstrebenswert ist.
8.2. Der Erkenntnisstatus der teleologischen Heuristik und Kants analogischer Ansatz Die im letzten Abschnitt skizzierten Theorien geben unterschiedliche Antworten auf die Frage, wie wir die teleologischen Begriffe zu verstehen haben, die noch immer in der Biologie verwendet werden. Für welchen dieser beiden Ansätze sollten wir uns nun entscheiden? Bevor ich im Folgenden näher auf diese Frage eingehen werde, ist es zunächst hilfreich, eine wichtige Gemeinsamkeit der beiden Herangehensweisen hervorzuheben. Trotz der Differenzen teilen viele Vertreter sowohl der ätiologischen Analyse wie auch der Systemtheorie die Überzeugung, dass teleologische Aussagen in der Biologie weder die Existenz einer intelligenten Ursache noch einer Endursache voraussetzen und dass ihre Bedeutung daher auch in Form nicht-teleologischer Aussagen wiedergegeben werden kann. So nehmen viele der zitierten Autoren an, dass Biologen, die mit Hilfe teleologischer Ausdrücke von der lebendigen Natur sprechen, sich auf Dinge oder Prozesse beziehen, die letztlich auch ohne die Hilfe teleologischen Vokabulars geschildert werden könnten. Ausdrücke wie „die Funktion _____________ 14 Ebd., S. 122 f.
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften
eines Organs“ beziehen sich demnach auf kausale Vorgänge, die in der Natur stattfinden. Diese Übereinkunft zwischen vielen Autoren der Philosophie der Biologie lässt sich auf den gemeinsamen Nenner der Naturalisierung der Teleologie bringen. Den vorgestellten Ansätzen geht es also um eine naturalistische Erklärung teleologischer Begrifflichkeiten, und dennoch scheinen die meisten von ihnen eine vollständige Gleichsetzung der teleologischen mit nichtteleologischen Aussagen abzulehnen. Vielmehr ist die allgemeine Auffassung, dass die Verwendung teleologischer Konzepte, die zwar kausal erklärt werden können, dennoch einen Nutzen habe, der durch eine Übersetzung in nicht-teleologische Aussagen verloren ginge. Wright spricht beispielsweise vom veränderten Fokus der teleologischen im Gegensatz zur kausalen Erklärung: Der Blickpunkt der ersteren im Unterschied zur letzteren liege nicht auf den ursächlichen Bedingungen, sondern vielmehr auf den Wirkungen oder Konsequenzen eines zu erklärenden Merkmals.15 Ähnlich geht auch Cummins davon aus, dass teleologische Begriffe, die sich zwar auf rein kausal erklärbare Prozesse beziehen, den Fokus dennoch auf die spezifischen kausalen Rollen richten, die das zu untersuchende Merkmal zu einem übergeordneten Gesamtsystem beiträgt: Eine teleologische Erklärung sei demnach lediglich geeignet für eine spezielle Form von kausalen Prozessen innerhalb bestimmter Systeme. Teleologische Aussagen haben nach Auffassung dieser Autoren folglich Implikationen, die sich von denen rein kausaler und mechanischer Erklärungen unterscheiden. Dennoch ist ihr Status objektiv und sie beziehen sich auf natürliche Prozesse, auf die verwiesen werden kann, um die Bedeutung teleologischer Äußerungen zu erklären. Doch auch wenn – wie die erwähnten Autoren behaupten – eine Übersetzung der teleologischen in kausal erklärbare Aussagen die zusätzlichen Implikationen der teleologischen Behauptungen unberücksichtigt ließe, könnten diese Konnotationen trotzdem in einer anderen, nichtteleologischen Weise expliziert werden. Dies wirft die Frage auf, warum sich in der Biologie noch immer Ausdrücke finden lassen, die auf den ersten Blick vernünftige Zwecktätigkeit zu implizieren scheinen. Wäre es nicht schon längst an der Zeit gewesen, sie gegen neutralere Begriffe auszutauschen? Warum also scheinen sich teleologische Konzepte in den Lebenswissenschaften so hartnäckig zu halten? Wright zufolge stellen teleologische Begriffe in der Biologie „dead anthropomorphic metaphors“ dar.16 Sie wurden durch eine metaphorische _____________ 15 Wright (1976, S. 56) spricht daher von der “consequence-etiolog[y] as fundamental to teleological explanation.” 16 Ebd., S. 21.
8.2. Der Erkenntnisstatus der teleologischen Heuristik
183
Ausweitung von Begriffen, die uns zunächst aus dem Bereich menschlicher Handlung bekannt waren, auf die Natur übertragen. Erst im Laufe der Zeit verlor diese Übertragung ihren ursprünglichen Sinn und nahm eine wortwörtliche, nicht-metaphorische Bedeutung an. Warum aber – so schließt sich die weitere Frage an – wurden diese mittlerweile toten Metaphern überhaupt eingeführt? Warum wurden sie in der Biologie, nicht aber in der Physik oder Chemie verwandt? Cummins spricht in diesem Zusammenhang von der Eignung oder Angemessenheit teleologischer Ausdrücke. Warum aber ist die Verwendung teleologischer Begriffe für manche (lebendige), nicht aber für andere (tote) Systeme adäquat? Was ist der Grund dafür, dass sich Cummins’ Erklärung mit Blick auf die kausalen Rollen bestimmter Merkmale für manche, nicht aber für andere Systeme eignet? Meines Erachtens verdeutlichen diese offenen Fragen, dass es für eine Untersuchung des Problems, das die Verwendung teleologischer Begrifflichkeiten in der Biologie für die Philosophie aufgibt, nicht zufriedenstellend sein kann, ausschließlich an einer Naturalisierung dieser Begriffe zu arbeiten. Denn diese Art der Untersuchung lässt die Frage nach dem Spezifischen der Biologie unberücksichtigt, das die Verwendung dieser Begriffe scheinbar erforderlich macht. Zwar mag es hilfreich für die biologische Praxis sein, auf präzise definierte, teleologische Konzepte wie beispielsweise „Funktion“ oder „Programm“ zurückgreifen zu können; allerdings ist dadurch noch nichts über das Verhältnis der so explizierten, nun als Fachtermini ausgezeichneten Begriffe und ihrer alltagssprachlichen Verwendung ausgesagt. Das Ziel, eine klare Definition für die teleologischen Ausdrücke darzulegen, scheint keine Antwort auf die Frage zu geben, warum solche uns aus dem Alltag bekannten Begriffe von Biologen, nicht aber von Physikern oder Chemikern verwendet werden.17 Eine etwas andere Antwort auf die Frage nach der Austauschbarkeit von teleologischen und nicht-teleologischen Begriffen wird durch den Ansatz impliziert, der zum Ende des vorigen Abschnitts vorgestellt wurde. Lewens geht davon aus, dass eine teleologische Betrachtung der Phänomene nur bei solchen natürlichen Systemen adäquat ist, für die eine Analogie mit einem Artefakt zutreffend erscheint. Auch wenn teleologische Formulierungen in der Biologie sich auf eine Natur beziehen, die letztlich in nicht-teleologischer Terminologie erklärt werden kann, implizieren diese Formulierungen doch eine Analogie mit einem künstlich gefertigten Gegenstand. Lewens ist nicht der einzige Vertreter eines solchen analogischen Verständnisses teleologischer Begriffe innerhalb der Debatte der _____________ 17 Vgl. auch Lewens’ (2000 und 2001) Kritik an dem Projekt, eine theoretische Definition teleologischer Ausdrücke zu geben.
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften
Philosophie der Biologie. Ähnlich argumentiert beispielsweise auch Michael Ruse, ein Vertreter der ätiologischen Lesart, wenn er behauptet, dass wir die lebendige Natur mit teleologischen Begriffen erklären, gerade weil sie uns so erscheint, als sei sie nach Zwecken hergestellt: [O]rganisms seem as if designed; [...] It is for this reason that teleological thought is appropriate in the biological sciences; and because nonorganisms do not seem as if designed, teleological thought is inappropriate in the nonbiological, physical sciences. 18
Nach dieser alternativen Auffassung beschreiben wir die lebendige Natur anhand teleologischer Konzepte, weil sie uns vorkommt, als sei sie von einem Handwerker oder Designer geplant und hergestellt. Wir erfahren die Natur demnach auf eine Art, die Ähnlichkeiten mit den Produkten eines intelligenten Schöpfers aufweist und uns deshalb veranlasst, Begriffe wie „Zweck“ oder „Funktion“ auch auf die Natur anzuwenden.19 Diese zweite Herangehensweise stellt die These auf, dass die Erklärung der Natur anhand teleologischer Begriffe eine anthropomorphe Projektion von Vorstellungen auf die Natur impliziert – Vorstellungen, die ihren legitimen Ort lediglich im Bereich menschlichen Handelns haben. Teleologische Begriffe innerhalb der biologischen Wissenschaft, so die Schlussfolgerung dieser zweiten Position, sind daher lediglich metaphorisch zu verstehen. Dennoch gehen die Befürworter dieses Ansatzes zumeist davon aus, dass gerade die teleologische Metaphorik überaus hilfreich und fruchtbar für den Erfolg der biologischen Forschung sei und daher beibehalten werden müsse.20 Die Vertreter dieser Position stimmen darin überein, dass der dargestellte erste Lösungsansatz – die These, dass sich jegliche teleologische Begriffe auf nicht-teleologische reduzieren lassen – insofern falsch liegt, als er in seiner naturalistischen Analyse in der Biologie ohne Hinterfragen voraussetzt, dass sich teleologische Ausdrücke auf reale Vorgänge in der Natur beziehen. Funktionen, Zwecke oder Programme gibt es dieser zweiten Position zufolge aber nicht wirklich in der Natur, sondern nur im Kontext unserer metaphorischen Betrachtung der Natur. Teleologische Erklärungen sind demnach nicht als objektive Aussagen aufzufassen, sondern können lediglich als „als ob“-Äußerungen verstanden werden. Dieser zweite Lösungsansatz setzt sich meines Erachtens mit der Frage nach der Begründung der teleologischen Heuristik auf eine vielversprechendere Weise auseinander als der naturalistische Ansatz. Trotzdem blei_____________ 18 Ruse (2000, S. 230 f.). Vgl. auch ders. (1981). 19 Wie hier deutlich wird, gehen Lewens und Ruse von der Analogie mit einem Artefakt aus, die von der in der vorliegenden Untersuchung entwickelten Kantischen Analogie mit der menschlichen Vernunft unterschieden werden muss. Vgl. Kapitel 4. 20 Vgl. Ratcliffe (2000) und Ruse (2000).
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ben auch hier wichtige Fragen unbeantwortet. Denn warum erscheint uns die Natur denn, als sei sie nach einem Plan hervorgebracht? Was ist der besondere Charakter unserer Erfahrung der lebendigen Natur, der die Annahme intelligenter Schöpfung erfordert? Und was macht die Analogie mit einem Artefakt für uns „praktisch und psychologisch attraktiv?“21 Hat es etwas mit der Natur selbst zu tun, dass sie uns wie ein Kunstprodukt vorkommt? Oder beruhen Funktionszuschreibungen auf einer menschlichen Eigenart, die in mancherlei Hinsicht hilfreich, in anderer aber auch überwindbar ist? Eine zufriedenstellende Behandlung der aufgeworfenen Fragen scheint eine detailliertere Ausarbeitung des hier angesprochenen analogischen Ansatzes zum Problem der Teleologie in der Biologie zu erfordern. Das in der vorliegenden Betrachtung untersuchte, Kantische Teleologieverständnis mit seiner Unterscheidung zwischen zwei Stufen der teleologischen Naturbetrachtung bietet meines Erachtens eine vielversprechende Grundlage für einen solchen differenzierteren, analogischen Ansatz. Aus Kantischer Perspektive beschäftigen sich die Autoren der Philosophie der Biologie ausschließlich mit der zweiten Stufe der teleologischen Betrachtung. Wenn Wright oder Cummins, aber auch Lewens oder Ruse von teleologischen Ausdrücken innerhalb der biologischen Wissenschaft sprechen, so geht es ihnen um die Frage, wie wir diese ausdrücklich teleologischen Begrifflichkeiten innerhalb der naturwissenschaftlichen Forschung zu verstehen haben. Sie setzen sich mit der Verwendung teleologischer Begriffe wie „Zweck“, „Funktion“ oder Programm“ auseinander, nicht aber mit der Frage nach den teleologischen Voraussetzungen für die Erfahrung der lebendigen Natur im Allgemeinen. Gerade dieser ausschließliche Fokus auf die hier als zweite Ebene gekennzeichnete Funktion der Teleologie scheint jedoch die Problematik unbeachtet zu lassen, warum teleologische Begriffe in der Biologie überhaupt eingeführt wurden. Die Kantische Unterscheidung zwischen zwei Stufen der teleologischen Beurteilung ermöglicht in diesem Zusammenhang eine Erklärung der im Vergleich mit anderen Naturwissenschaften ungewöhnlichen Verwendung ausdrücklich teleologischer Begriffe in der Biologie. Denn insofern wir die lebendige Natur aus einer teleologischen Perspektive beurteilen müssen, ist es nur natürlich, dass wir unsere wissenschaftlichen Untersuchungen dieser Natur auch mit Hilfe explizit teleologischer Begriffe strukturieren. Da wir Organismen, aber auch komplexere Zusammenhänge von organischer und anorganischer Natur notwendig als systematisch geordnete und zweckmäßige Einheiten betrachten, stützt sich auch eine nähere Erforschung dieser Einheiten auf explizit teleologische Be_____________ 21 Vgl. Lewens (2004, S. 123).
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften
grifflichkeiten: Indem wir nach den Zwecken eines Organs oder nach der Funktion eines bestimmten biologischen Merkmals fragen, richten wir unsere Forschung auf die lebendige Natur. Die Verwendung teleologischen Vokabulars hängt nach dieser Auffassung also mit der Unausweichlichkeit einer teleologischen Analogie als Grundlage der Erfahrung von Organismen und ökologischen Systemen in der Natur zusammen. So ist es in der Biologie, nicht aber in der Physik oder Chemie üblich, von Funktionen und Programmen zu sprechen. Der Grund besteht darin, dass wir es in der Biologie, nicht jedoch in der Physik oder Chemie mit Organismen und Ökosystemen zu tun haben, welche wiederum teleologisch beurteilt werden müssen. Die zweite Stufe teleologischer Betrachtung wird durch die erste begründet; die implizit teleologische Erfahrung der Natur erklärt ihre explizit teleologische Beschreibung. Diese Verknüpfung der beiden Ebenen teleologischer Naturbetrachtung erhellt somit auch Ruses oben zitierte Aussage: „[O]rganisms seem as if designed“ – auf der grundlegenden Ebene der Erfahrung. „It is for this reason that teleological thought is appropriate in the biological sciences“ – auf der konkreteren Ebene der biologischen Forschung.22 Diese Kantische Interpretation der teleologischen Heuristik hat wichtige Implikationen für die im letzten Abschnitt diskutierte Frage, ob teleologische Begriffe in der Biologie nach der ätiologischen Analyse mit Blick auf die Selektionsgeschichte eines Merkmals oder doch lieber nach der systemtheoretischen Rolle dieses Merkmals innerhalb eines komplexen Systems verstanden werden sollten. Denn die zweite Stufe der explizit teleologischen Begriffsverwendung kann nach dem Kantischen Ansatz zwar einen analogischen, nicht jedoch einen für die Erfahrung grundlegenden Charakter haben. Ihr kann deshalb auch die Rolle eines rein heuristischen Hilfsmittels zugeschrieben werden: Wir können von Zwecken und Funktionen in der Natur als heuristisch nützlichen Annahmen zur Erforschung der kausalen und mechanischen Gesetzmäßigkeiten sprechen. Dies bedeutet, dass eine teleologische Beurteilung der Natur legitim ist, wenn sie uns bei der Suche nach mechanischen Naturerklärungen nützt; ihre Anwendung ist berechtigt, solange sie der Forschung weiterhilft. Hieraus folgt, dass wir uns nicht notwendigerweise zwischen den beiden oben einander entgegengestellten Ansätzen entscheiden müssen, wenn vorausgesetzt wird, dass beide ein heuristisches Werkzeug zur Aufdeckung von Naturerklärungen liefern. Sowohl die ätiologische als auch die systemtheoretische Analyse können akzeptiert werden, wenn sich die Forschung sowohl für die selektionsgeschichtliche Entwicklung eines Merkmals als auch für seine kausalen Rollen innerhalb eines komplexen _____________ 22 Ruse (2000, S. 230 f.).
8.3. Kantische Teleologie und die Evolutionstheorie
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Systems interessiert. Sie kann nach den Zwecken eines biologischen Merkmals fragen und damit die Erforschung der Selektionsgeschichte einer bestimmten evolutionären Anpassung einfordern. Oder sie kann die Funktion eines Organs erforschen und sich damit auf die spezielle Rolle beziehen, welche dieses Organ innerhalb des gesamten Organismus spielt. Beide Blickwinkel können uns so durch explizit teleologische Fragestellungen bei der Suche nach Kausalerklärungen dienlich sein. Nach dieser Kantischen Analyse können teleologische Konzepte in den Lebenswissenschaften folglich als ein hilfreiches Mittel verstanden werden, um Forschungsfragen zu strukturieren und Forschungsprojekte zu fokussieren. Sie können biologische Untersuchungen natürlicher Prozesse leiten, ohne selbst gänzlich auf diese Vorgänge in der Natur reduziert zu werden.23 Einerseits müssen teleologische Aussagen daher als implizite Analogien verstanden werden, nach denen die lebendige Natur nur mit Verweis auf unser eigenes Vernunftvermögen zu begreifen ist. Andererseits erfordern sie dennoch die wissenschaftliche Untersuchung kausaler Prozesse – sowohl der sich gegenwärtig vollziehenden Prozesse, auf die sich die systemtheoretische Analyse bezieht, als auch der in der Vergangenheit bereits stattgefundenen, für die sich die ätiologische Analyse interessiert. Verstehen wir teleologische Begrifflichkeiten nach dieser Kantischen Interpretation ohne sie einer naturalistischen Deutung zu unterwerfen, so muss weder die systemtheoretische noch die ätiologische Analyse als die einzig legitime herausgegriffen werden.
8.3. Kantische Teleologie und die Evolutionstheorie Die vorangegangene Diskussion teleologischer Begriffe in der Biologie wirft eine wichtige Frage auf. Denn könnte nicht auch die grundlegende teleologische Perspektive, die eine Betrachtung der lebendigen Natur nach dem Kantischen Ansatz überhaupt erst möglich macht, ganz einfach mit Hilfe der Evolutionstheorie erklärt werden? Natürlich konnte Kant nichts von Charles Darwins Theorie wissen, die dieser 55 Jahre nach Kants Tod _____________ 23 Hier stimme ich Ratcliffe (2000, S. 132) zu, der sich gegen eine naturalistische Interpretation der Teleologie wendet und teleologische Begriffsverwendungen als heuristische Hilfsmittel ohne ontologische Verpflichtungen versteht. Ratcliffes ausdrücklich Kantischer Ansatz geht meines Erachtens jedoch nicht weit genug in die Kantische Richtung, insofern er die Notwendigkeit einer grundlegenden teleologischen Perspektive zwar anspricht, diese jedoch anhand einer evolutionstheoretischen Erklärung auf die natürlichen Voraussetzungen unseres kognitiven Apparats bezieht. Vgl. auch ders. (2001, S. 46 f.).
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften
in seinem Werk On the Origin of Species vorlegte.24 Allein dies, so könnte eingewandt werden, sei aber der Grund dafür, dass Kant die Erklärung von organischer Natur für unmöglich hielt. „Unglücklicherweise“, so erklärt beispielsweise Ernst Mayr, „vertrat er [Kant] die zu seiner Zeit vorherrschende Lehre, derzufolge die einzigen legitimen Erklärungen rein mechanischer (‚Newtonscher’) Art waren, was ihm die Möglichkeit nahm, eine Erklärung für teleologische Phänomene zu finden.“25 Kants Theorie übersieht Mayrs Ansicht nach die für uns heute offensichtliche Möglichkeit, dass die organische Natur zwar nicht mechanisch, doch aber evolutionstheoretisch erklärt werden kann. Die Sonderstellung von Lebewesen, so erklärt Mayr, liegt darin begründet, dass sie im Gegensatz zu der anorganischen Natur durch eine „doppelte Kausalität“ ausgezeichnet sind.26 Zwar unterstehen die Organismen Mayrs Ansicht nach den physikalischen, das heißt also mechanischen Gesetzen, jedoch können sie erst mit Hilfe einer zweiten Art der Kausalität erklärt werden: einer historischen Analyse ihrer evolutionären Entstehung. Dies aber würde bedeuten, dass Darwin als der von Kant für prinzipiell unmöglich gehaltene Newton des Grashalms gelten müsste.27 Wären Kant also schon die biologischen Erkenntnisse von heute zugänglich gewesen, so der Einwand, so hätte er nicht schlussfolgern müssen, dass wir die organische Natur nur von einer teleologischen Perspektive als lebendig erfahren können.28 Dieser Einwand lässt sich von dem Verweis der ätiologischen Analyse auf die Evolutionstheorie unterscheiden. Denn er stützt sich nicht auf die Idee der Evolution durch natürliche Auslese für die Erklärung der Bedeutung oder für die Definition explizit teleologischer Begrifflichkeiten, sondern führt die Evolutionstheorie als empirische Erklärung des scheinbar teleologischen Charakters an, den wir an den Organismen erfahren. Die moderne Evolutionstheorie in Kombination mit den neusten Erkenntnissen der Molekularbiologie könnte nach dieser Vorstellung eine naturalistische Darstellung der Charakteristika geben, die in der Kantischen Theorie teleologisch beschrieben werden. Erstens könnte die scheinbar zweckmäßige Anordnung der Teile eines Organismus als Anpassung durch die sich _____________ 24 Darwin (1985). 25 Mayr (1991, S. 78). Engels (1982, S. 120) bezeichnet Kants Teleologiekonzeption in ähnlichem Sinne als „Verlegenheitslösung, aus Unkenntnis erst später gemachter Entdeckungen natürlicher Gesetzmäßigkeiten der belebten Natur.“ 26 Mayr (2002). 27 Vgl. KU, V 400. 28 Der Einwand, Kants Teleologieverständnis sei durch die Ergebnisse moderner Biologie widerlegt, ist in der Literatur gängig und wird selbst von einigen Interpreten der Kantischen Philosophie akzeptiert. Kleingeld (1995, S. 130) behauptet z. B., die Evolutionstheorie habe „in der Biologie die Teleologie ersetzt.“
8.3. Kantische Teleologie und die Evolutionstheorie
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über einen langen Zeitraum erstreckende natürliche Auslese erklärt werden. Diese natürliche Selektion, die von Richard Dawkins als ein „blinder Uhrmacher“ bezeichnet wird, ist nicht auf einen bestimmten Zweck gerichtet sondern blind, „because it does not see ahead, does not plan consequences, has no purpose in view.“29 Und trotzdem kann diese Auslese Organismen hervorbringen, die scheinbar zweckmäßig organisiert und an ihre Umwelt angepasst sind. Zweitens könnte auch die zielgerichtete Entwicklung und Erhaltung eines Lebewesens und die dazu beitragende, zweckmäßige Interaktion seiner Teile mit Hilfe eines historisch entstandenen, genetischen Programms in Wechselwirkung mit anderen externen und internen Einflüssen erklärt werden. Da dieses genetische Programm selbst wiederum mit Hilfe physikalischer und chemischer Gesetze expliziert werden könnte, wäre also keine teleologische Perspektive notwendig, um die lebendige Natur zu verstehen. Ruses oben angeführte Behauptung, dass wir die Natur teleologisch beschreiben, weil sie uns zweckmäßig erscheint, könnte demnach durch den Hinweis erklärt werden, dass uns die Natur zweckmäßig erscheint, weil sie evolutionär entstanden ist. Nach dieser Ansicht würden die Erkenntnisse der modernen Biologie die These Kants von der Unvermeidbarkeit einer grundsätzlichen teleologischen Perspektive auf die lebendige Natur widerlegen. In diesem Sinne schließt Mayr: Darwin beseitigte das große Hindernis, die Absicht, und die moderne Genetik führte den Begriff des genetischen Programms ein. Durch diese beiden bedeutenden Vorstöße hat das Problem der Teleologie nunmehr ein völlig neues Aussehen.30
Was bedeutet dies nun aber für die in dieser Untersuchung entwickelte Lesart der Kantischen Teleologie? Müssen wir folgern, dass Kant von den neusten Erkenntnissen der Biowissenschaften überholt worden ist? Um deutlich zu machen, dass diese Kritik an der Kantischen Theorie vorbeigeht, ist die Unterscheidung zwischen zwei Teleologiebegriffen zu beachten, auf die in der vorliegenden Untersuchung wiederholt eingegangen worden ist. Darwins Theorie wendet sich zwar gegen einen metaphysisch interpretierten Teleologiebegriff, welcher die Welt als Produkt einer intelligenten und nach Zwecken handelnden Ursache vorstellt, nicht jedoch gegen die Idee einer inneren, den Organismus kennzeichnenden Zweckmäßigkeit. Georg Toepfer hat in diesem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, dass die Evolutionstheorie kein Primat gegenüber der Theo_____________ 29 Dawkins (1988, S. 21). 30 Mayr (1991, S. 79). Als Ersatz für den Begriff der Teleologie bevorzugt Mayr aus diesem Grund den zuerst von Pittendrigh (1958) eingeführten, alternativen Ausdruck „Teleonomie,“ der jegliche anthropomorphe Assoziationen ausschließen soll. Vgl. hierzu die kritische Diskussion in Spaemann (1988).
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften
rie des Organismus haben kann, da das Konzept der Evolution durch Variation und natürliche Selektion den Begriff des Organismus selbst voraussetzt.31 Um nachvollziehen zu können, worin Evolution besteht, muss demnach immer schon zuvor gewusst werden, was ein Organismus ist. Kant dagegen geht es um die Frage, wie wir die zweckmäßig organisierten und zweckgerichtet strebenden Wesen sowie komplexere Einheiten von belebter und unbelebter Natur überhaupt verstehen sollen. Die Evolutionstheorie, die eine Antwort auf diese Frage bereits unterstellt, kann Kants Teleologiekonzeption deshalb auch nicht ersetzen. Toepfer argumentiert daher, dass der Funktionsbegriff – und, so könnte hinzugefügt werden, andere teleologische Begriffe wie „Zweck“, „Zweckmäßigkeit“ und das mit diesen Begriffen einhergehende Konzept des Organismus – ursprüngliche Begriffe in der Biologie sind und eine methodologisch fundierende Rolle einnehmen. Toepfer schließt daher, dass „sich das zerstörerische Werk der Theorie Darwins allein auf die externe Teleologie [bezieht], die gerade in dem Jahrhundert vor Darwin in den physikotheologischen Theorien ihre Blüten trieb.“32 Allein die Idee eines Gottes, der die Organismen mit den lebenswichtigen Organen ausstattet und sie so ihrer Umgebung anpasst, ist also durch Darwins Theorie widerlegt worden, nicht aber die eines durch innere Zweckmäßigkeit ausgezeichneten Lebewesens. Toepfers Replik auf die Kritik des Kantischen Teleologieverständnisses bezieht sich nur auf die Evolutionstheorie, nicht aber im Speziellen auf die Erkenntnisse der Genetik. Nun könnte beanstandet werden, dass zwar Darwin selbst noch nicht wusste, wie Leben entsteht und was die Entwicklung eines Organismus auszeichnet, dass die Molekularbiologie der jüngsten Vergangenheit jedoch erhebliche Fortschritte in diese Richtung verzeichnen konnte. Nicht Darwins Theorie allein, sondern ihre Kombination mit den Ergebnissen der Genetik – so könnte eingewandt werden – liefert eine Erklärung des Organismusbegriffs. Dieser weiterführenden Kritik zufolge naturalisiert der Begriff der Evolution durch Variation und Selektion also die scheinbar zweckmäßige Anpassung eines Organismus an seine Umwelt, während mit Verweis auf das genetische Programm dieses Organismus auch seine so anscheinend zielgerichtete Entwicklung, die Erhaltung seiner Einheit und ihre Wiederherstellung bei Verletzungen einer naturalistischen Analyse unterzogen wird. Aber auch mit Blick auf diesen weiteren Einwand behält Toepfers These über die fundierende Rolle der teleologischen Organismuskonzeption meines Erachtens ihre Gültigkeit. Denn auch wenn es möglich wäre, die Organisation und die scheinbar zielgerichtete Aktivität eines Lebewesens mit Hilfe genetischer Ursachen _____________ 31 Toepfer (2004, S. 310 ff.). 32 Ebd., S. 313.
8.3. Kantische Teleologie und die Evolutionstheorie
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zu erklären – eine Auffassung genetischer Determiniertheit, die heute wahrscheinlich nur wenige in dieser reinen Form vertreten würden –, änderte dies nichts daran, dass wir zunächst einen Organismus als lebendiges Individuum identifizieren müssten. Bevor wir die Entwicklung eines individuellen Lebewesens mit Blick auf genetische Ursachen aufklären könnten, müssten wir bereits von der Möglichkeit ausgehen, Lebewesen als solche von ihrer Umgebung abgrenzen zu können. Es ist aber gerade diese Identifizierung, die durch die von Kant erläuterte teleologische Perspektive ermöglicht wird. Ein Organismus wird also auch für diese Untersuchungen als eine teleologische Einheit beurteilt werden müssen. Teleologische Begriffe wie „Programm“ oder „Information“ die im Zentrum der Genetik stehen, mögen auf naturalistische Erklärungen verweisen; die teleologischen Assoziationen anhand der Analogie mit dem zweckgerichteten Handeln der menschlichen Vernunft werden aber auch sie nicht los.33 Meines Erachtens macht diese Diskussion deutlich, dass Verweise auf die Evolutionstheorie, die ja eine wesentlich empirische Theorie ist, immer auf der Ebene konkreter empirischer Erklärungen bleiben müssen. Die Ergänzung zu der Aussage von Ruse, dass wir die Natur teleologisch beschreiben, weil sie uns zweckmäßig erscheint, kann deshalb auch nur eine nachgeordnete, empirische Erklärung unserer teleologischen Erfahrung der Natur sein. Sie kann deutlich machen, welche natürlichen Prozesse sich hinter dem von uns als zweckmäßig erfahrenen Organismus verbergen. Aber sie kann nichts über die epistemologischen Gründe sagen, die uns überhaupt erst einen bestimmten Teil der Natur als zweckmäßig organisierte Einheit herausheben lassen. Es sind jedoch diese letzteren Gründe, auf welche sich Kants Ausarbeitungen beziehen. In diesem Sinne kann daher auch Ginsborgs These gelesen werden, die Evolutionstheorie „would offer an empirical answer to what is, in effect, a conceptual problem.“34
_____________ 33 Das gleiche gilt für ganze Ökosysteme, die dem Kantischen Ansatz nach ebenfalls teleologisch beurteilt werden müssen. Vgl. Kapitel 6. Bei ihnen wird die Unabhängigkeit ihres teleologischen Charakters von den Ergebnissen der Evolutionstheorie noch deutlicher: Als Ökosysteme wurden sie weder selektiert, noch werden sie durch ein genetisches Programm gesteuert. Vgl. auch Toepfers (2004, S. 316) Hinweis zur teleologischen Beurteilung von Ökosystemen. 34 Ginsborg (2006, S. 467).
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften
8.4. Kantische Teleologie und die Systemtheorie Wäre es nun aber nicht möglich gegen den hier vertretenen Kantischen Ansatz einzuwenden, dass es die systemtheoretische Charakterisierung von Organismen sei, welche unsere Erfahrung eines Lebewesens als eines lebendigen Systems möglich macht? Könnte nicht die Systemtheorie die Aufgabe der Identifizierung von lebendigen und ökologischen Einheiten in der Natur übernehmen? In seiner Studie Zweckbegriff und Organismus entwickelt Toepfer eine Interpretation teleologischer Begriffe in den Biowissenschaften, die explizit am Teleologieverständnis Kants angelehnt ist und die er als eine systemtheoretische Analyse auslegt.35 Mit Cummins stimmt Toepfer insofern überein, als er eine Funktionalanalyse mit Verweis auf die Leistungen eines Teils innerhalb eines Systemganzen interpretiert. Jedoch unterscheidet sich seine Analyse von den oben vorgestellten systemtheoretischen Ansätzen, da er die Zuschreibung von Zwecken oder Funktionen nicht als Erklärung eines bestimmten Teils der Natur versteht, sondern als Identifizierung eines zweckmäßig oder funktional wirkenden Systems. An erster Stelle – so Toepfer – stehe im Kontext der teleologischen Analyse die „Aufdeckung der besonderen kausalen Struktur eines Systems.“36 Erst das Bloßlegen dieser Struktur ermögliche uns, ein System als ein funktionales zu erkennen. Ein solches teleologisch bestimmtes System sei dadurch ausgezeichnet, dass jeder Teil nur durch seine Wirkung auf die anderen Teile und damit nur durch seine Rolle innerhalb des gesamten Systems verstanden wird. Anstelle der linearen Kausalzusammenhänge, mit denen sich die Physik beschäftige, greife die teleologische Analyse Systeme heraus, die durch zirkuläre Kausalprozesse bestimmt sind.37 Es seien die so identifizierten Systeme, die wir nach Toepfers Auffassung als Organismen erkennen. Primäres Ziel der Verwendung teleologischer Begriffe in der Biologie ist Toepfer zufolge demnach nicht die Erklärung, sondern vielmehr die grundlegendere Beschreibung eines lebendigen Systems. Eine Erklärung davon, wie die organischen Strukturen zustande gekommen seien, was also ihre Entwicklungs- bzw. Selektionsgeschichte ausmache, möchte Toepfer nicht unter dem Titel der Teleologie verstanden wissen: Die ätiologische Analyse sei ein nachgeordnetes, nicht im strikten Sinne teleologi_____________ 35 Toepfer (2004, Kapitel 4). 36 Ebd., S. 347. 37 Diese zirkulären Prozesse könnten sowohl die wechselseitige Abhängigkeit der Teile innerhalb eines Organismus betreffen, als auch, wie beim Stoffwechsel, äußere Materialien mit einbeziehen.
8.4. Kantische Teleologie und die Systemtheorie
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sches Unterfangen. Die „vorzügliche wissenschaftstheoretische Aufgabe der Teleologie“ – so erklärt er – besteht dagegen „in der Identifizierung und Ausgliederung einer besonderen Klasse von Gegenständen.“38 Ruses oben angeführte These, dass wir Lebewesen in der Natur teleologisch beschreiben, weil sie uns zweckmäßig erscheinen, könnte demnach durch den Hinweis erklärt werden, dass uns diese Lebewesen als zweckmäßig erscheinen, weil wir sie als durch zirkuläre Kausalprozesse bestimmte Einheiten identifizieren. Die Nähe Toepfers zum Kantischen Teleologieverständnis ist nicht zu übersehen: Auch nach dem hier entwickelten Kantischen Ansatz wird die teleologische Beurteilung der Natur als notwendige Voraussetzung für die Identifikation von Organismen, nicht aber als Erklärung ihrer Existenz verstanden: Diese Vorstellung war es, die oben als grundlegende teleologische Voraussetzung der Erfahrung von belebter Natur vorgestellt wurde. Insbesondere Toepfers Begriff der Ausgliederung ist daher überaus hilfreich, um deutlich zu machen, inwiefern bereits unser Verständnis von der Natur als lebendige eine teleologische Beurteilung voraussetzt. Nur indem wir etwas als teleologisches System betrachten, können wir es überhaupt erst als ein Auge, einen Vogel, einen Baum beurteilen. Auch wenn wir lediglich darauf aus sind, die mechanischen Prozesse zu ergründen, die sich innerhalb eines Auges abspielen, müssen wir es zugleich als teleologisch betrachten, um es als Auge identifizieren zu können. Das Konzept der Teleologie als Prinzip der Ausgliederung bringt eben diesen Gedanken auf den Punkt. Bedeutet dies nun, dass die systemtheoretische Ausgliederung von Organismen Kants analogische Betrachtung der lebendigen Natur überflüssig macht? Meines Erachtens scheint es einerseits richtig, dass der systemtheoretische Ansatz die kausalen Strukturen solcher Dinge erklären kann, die wir als Lebewesen erfahren. Andererseits impliziert unsere Erfahrung von lebendiger Natur jedoch noch mehr, als die Erkenntnis zirkulärer Kausalprozesse. Die systemtheoretische Untersuchung könnte zwar erklären, inwiefern die einzelnen Teile des Organismus einen wechselseitigen Einfluss aufeinander haben. Es ist jedoch unklar, inwiefern die Aufdeckung zirkulärer Prozesse uns die Identifizierung der spezifischen Gerichtetheit ermöglichen würde, die wir mit Lebendigem, nicht aber mit der unbelebten Natur assoziieren. Toepfers Lesart unterscheidet sich von der hier entwickelten Kantischen Interpretation daher insofern, als das systemtheoretische Verständnis eines Organismus für Toepfer kein analogisches ist. Ihm zufolge ist dieses Verständnis vielmehr durch die wechselseitige Abhängigkeit und Bedingtheit, die Interdetermination seiner Teile _____________ 38 Toepfer (2004, S. 347).
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften
bestimmt. Nach Toepfer ließe sich die charakteristisch organische Eigenschaft eines solchen Systems daher auch mit Verweis auf die sich wechselseitig bedingenden Kausalzusammenhänge erklären. Die Identifikation von Organismen wäre demnach eine Verstandesleistung: Wir könnten die spezifisch lebendige Eigenschaft tatsächlich als objektives Merkmal in der Natur erkennen. Toepfers systemtheoretische Identifikation von Organismen ist demzufolge gleichbedeutend mit der Untersuchung der kausalen Rollen, die ein Teil oder Merkmal eines Systems zu der Wirkungsweise des Systemganzen beiträgt. Die teleologische Beurteilung als Prinzip der Ausgliederung bestimmter Gegenstände wird so zwar von der Erklärung ihrer Entstehung unterschieden, nicht aber von der empirischen Erforschung ihrer kausalen Strukturen, die in der Natur erfahren werden können. Nach Toepfers Ansatz steht die systemtheoretische Beschreibung damit auf der gleichen epistemologischen Stufe wie die naturwissenschaftliche Erforschung von zirkulären Kausalzusammenhängen.39 Die teleologische Beurteilung von Organismen als systematisch organisierte Wesen ist zwar auch für Kant genau wie für Toepfer eine grundlegende Voraussetzung für unsere Erforschung von Lebendigem in der Natur. Sie ist jedoch nicht selbst eine Erkenntnis ihrer kausalen Strukturen, sondern wurde im letzten Kapitel als eine analogische, interpretative Betrachtung charakterisiert. Die grundlegende teleologische Beurteilung muss daher von der Untersuchung und Beschreibung der kausalen Rollen unterschieden werden. Der Grund hierfür ist wiederum, dass wir dem Kantischen Ansatz zufolge etwas überhaupt erst als ein Lebewesen identifizieren müssen, bevor wir die in ihm ablaufenden Kausalprozesse empirisch analysieren können. Die teleologische Ausgliederung als eine interpretative Reflexion ermöglicht dem Kantischen Ansatz zufolge überhaupt erst die Erforschung der kausalen Prozesse als Vorgänge in einem Organismus. Insofern die analogisch teleologische Betrachtung demnach eine Voraussetzung für die empirische Untersuchung ist, stehen beide auf unterschiedlichen epistemologischen Stufen. Das hier entwickelte Kantische Teleologieverständnis führt somit einen Blickpunkt ein, der von keiner empirischen Herangehensweise erfasst wird: Dies ist die Betrachtung der grundsätzlichen Möglichkeit, der Denkbarkeit oder auch Erfahrbarkeit von Leben in der Natur.
_____________ 39 Toepfer (ebd., Kapitel 5) kommt daher auch zu dem Schluss, dass Naturteleologie und Handlungsintentionalität nichts miteinander zu tun haben.
8.5. Kant und die Biologie
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8.5. Kant und die Biologie Der Kantische Ansatz zum Problem der Teleologie in der Biologie macht deutlich, dass jeder Versuch, die teleologische Beschreibung der organischen Natur in den Biowissenschaften kausal-mechanisch zu erklären, nur als nachgeordnete, empirische Klärung der bereits mit Hilfe einer Analogie teleologisch verstandenen Natur gelten kann. Dieses Kantische Naturverständnis ist mit den Ergebnissen der modernen Biowissenschaften vereinbar und kann darüber hinaus Licht auf die Diskussion innerhalb der zeitgenössischen Philosophie der Biologie werfen. Das erste Ergebnis – Kants Vereinbarkeit mit der modernen Biologie – stellt keine historische Behauptung dar: Es sagt nichts darüber aus, ob Kant als Vorgänger Darwins oder einer anderen biologischen Forschungsrichtung gelesen werden sollte – eine Fragestellung, an der sich so manche Geister scheiden.40 Vielmehr ist Kants teleologischer Ansatz insofern mit den Biowissenschaften vereinbar, als er keine realistisch konzipierten Zwecke in der Natur verortet, sondern eine analogisch teleologische Naturbetrachtung voraussetzt, welche die Möglichkeit mechanistischer Naturerklärung nicht nur zulässt, sondern sogar auf diese angewiesen ist. Kants Teleologie ist keine Ethikotheologie, dies haben die Untersuchungen der Organismus-Analogie im vierten Kapitel wie auch des Begriffs der äußeren Zweckmäßigkeit im sechsten Kapitel gezeigt. Kant wendet sich gegen den Verweis auf einen Schöpfer als Erklärung von Organismen, nicht jedoch gegen die Möglichkeit naturwissenschaftlicher Erforschung der scheinbar so zweckmäßig geordneten und zielgerichtet strebenden, lebendigen Natur. Das zweite Ergebnis der Betrachtung besteht in dem spezifisch Kantischen Beitrag zur zeitgenössischen Philosophie der Biologie. Teleologische Begrifflichkeiten in der Biologie stellen nach der Kantischen Lesart einerseits ein heuristisches Hilfsmittel zur Auffindung naturalistischer Kausalerklärungen dar; andererseits sind sie niemals gänzlich auf diese naturalistischen Erklärungen zu reduzieren, da wir die Natur immer schon teleologisch beurteilen müssen, um sie überhaupt als lebendig oder organisiert verstehen zu können. Auch wenn die teleologische Analogie nach dem Kantischen Ansatz also keine empirische Erklärung der Natur zulässt, hat sie trotzdem eine zentrale Relevanz für die Biologie, insofern diese ihre Wissenschaft als Erforschung der lebendigen Natur versteht. Bevor die Biologen beispielsweise die Struktur und Entwicklung eines _____________ 40 Haeckel (1889, S. 89 f.), der Begründer der Ökologie, zählt besonders den früheren Kant zu den Vorfahren Darwins. Eine gründliche Widerlegung dieser Auffassung liefert dagegen Lovejoy (1959).
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8. Teleologie in den Lebenswissenschaften
Lebewesens untersuchen, müssen sie dieses auch als solches identifizieren und von seiner Umgebung abgrenzen können. Die implizit teleologische Reflexion über die Natur mit Hilfe der Analogie mit unserer eigenen Zwecktätigkeit muss jeglicher wissenschaftlicher Untersuchung vorhergehen, wenn man davon ausgehen will, dass eine solche Untersuchung sich tatsächlich auf etwas bezieht, das wir als „Lebewesen“ bezeichnen würden. Dies heißt nun nicht, dass wir in der biologischen Forschung nicht auch von dieser teleologischen Perspektive abstrahieren können. Gerade dies tut beispielsweise eine Biologin, die die Entwicklung bestimmter Zellen untersucht. Und doch setzen wir die teleologische Perspektive voraus, wenn wir davon ausgehen, dass die Ergebnisse dieser Untersuchung eine Aussage über die Entwicklung gewisser Lebewesen machen. Die Kantische Einsicht, dass neben einem mechanistischen Naturbegriff auch eine teleologische Perspektive notwendig für unser Verständnis von der Natur ist, hat somit auch für die Biologie zentrale Relevanz. Entgegen Äußerungen, Kant könnte keine Hilfe für die moderne Debatte der Philosophie der Biologie bieten, weil er teleologische Begrifflichkeiten nicht naturalistisch interpretiere,41 bin ich daher der Ansicht, dass Kant diese Debatte gerade deshalb voranbringen kann, weil er aufzeigt, dass eine vollständige Naturalisierung der Teleologie für unsere Erfahrung der Natur unmöglich ist. Er macht deutlich, dass wir die Erforschung von Organismen naturalistisch verstehen können, ohne den Lebensbegriff gänzlich auf kausal-mechanische Prozesse reduzieren zu müssen. Denn einerseits können wir davon ausgehen, dass die Natur auch in der Biologie nur mit Verweis auf natürliche Prozesse erklärbar ist, die letztlich kausaler Art sind. Allein die empirische Erkenntnis von Kausalzusammenhängen kann somit eine Klärung der Gesetzmäßigkeiten liefern, die auch die lebendige Natur bestimmen. Andererseits müssen wir aber auch von der Unentbehrlichkeit einer teleologischen Perspektive ausgehen, von der aus wir über die Natur nach der Analogie mit unserer eigenen zweckgerichteten Handlungsfähigkeit reflektieren. Es ist diese teleologische Analogie, die uns überhaupt erst einen bestimmten Teil der Natur als lebendige Einheit aus seiner Umgebung herausheben und die uns etwas nach der Analogie mit unserer eigenen Zwecktätigkeit als lebendig erfahren lässt. Die naturalistischen Voraussetzungen der Biowissenschaften sind folglich mit der grundsätzlichen teleologischen Perspektive des Kantischen Ansatzes _____________ 41 Vgl. Zammito (2006, S. 766): „If biology must conceptualise self-organisation as actual in the world, Kant’s regulative/constitutive distinction is pointless in practice and the (naturalist) philosophy of biology has urgent work to undertake for which Kant turns out not to be very useful.“
8.5. Kant und die Biologie
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vereinbar, ohne dessen Notwendigkeit aufzuheben.42 Auch wenn wir heute mehr über die mechanischen Kausalzusammenhänge wissen, welche die natürlichen Prozesse bestimmen, denen auch die Organismen unterliegen, widerlegt dies nicht die Notwendigkeit einer teleologischen Betrachtung der lebendigen Natur: Auch der moderne Biologe versteht die lebendige Natur implizit immer in Analogie mit sich selbst und erkennt seine eigene Lebendigkeit erst in dieser Interaktion mit der Natur.
_____________ 42 Ähnlich argumentiert Keil (1993, S. 312): „Unsere Kenntnis der Mechanismen ist heute profunder, aber sobald wir uns auf sie beschränken, entgleitet uns, was Organismen als zweckmäßige auszeichnet.“ Gerhardt (2000, S. 99) bringt dies auf den Punkt, wenn er behauptet: „Der Biologe muss so tun, als würde er mit seinen Begriffen nur gegebene Sachverhalte benennen; tatsächlich aber geht er über eine Gegenstandsbeschreibung weit hinaus, weil er unentwegt Elemente seiner Selbstbeschreibung einmischt.“ Vgl. auch ders. (1999, S. 153 ff.).
9. Umweltethik nach Kant: Ein analogischer Ansatz Ein umfassendes Naturverständnis, das hat die vorliegende Untersuchung gezeigt, erfordert nicht nur die mechanische Erklärung, sondern auch die teleologische Betrachtung der Natur. Eine teleologische Beurteilung nach der Analogie mit dem menschlichen Vernunftvermögen ist notwendig sowohl für ein ganzheitliches Naturverständnis, als auch für die wissenschaftliche Erforschung der Natur. Unsere Erfahrung und unsere Beurteilung von der uns umgebenden Natur sind somit wesentlich durch eine Analogie bestimmt, nach der wir menschliche Eigenschaften in die Natur hineinlesen und uns selbst in allem Lebendigen und organisch Geordneten wiedererkennen. Diese Einsicht wirft im letzten Kapitel der Untersuchung eine Frage auf, die sich über die Erörterung unseres Naturverständnisses hinaus auf die Betrachtung unseres praktischen Verhältnisses mit der Natur bezieht: Was bedeutet es für das menschliche Handeln, dass wir uns selbst als freie und zwecktätige Wesen betrachten müssen, um die Natur als lebendig und systematisch organisiert verstehen zu können? Was sind mit anderen Worten die ethischen Konsequenzen des hier entwickelten Naturverständnisses, das die Analogie mit einem freien und zweckgerichtet handelnden Wesen erfordert? Können wir von der Zweckmäßigkeit, die wir der Natur nach der Analogie mit uns selbst beimessen, auf die Natur als einen Zweck schließen, den es in unseren Handlungen zu befolgen gilt? Nach Kants Moralphilosophie sind nur vernünftige Wesen auf Grund ihrer Vernunftfähigkeit Zwecke an sich selbst. Nur vernünftigen Wesen gegenüber sind wir daher moralisch verpflichtet. Wegen dieser Begrenzung auf Pflichten gegen den Menschen ist Kants Moraltheorie oft dafür kritisiert worden, dass sie nicht den Erfordernissen einer Ethik genüge, welche auch die nicht-menschliche Natur in ihre Überlegungen einbezieht. Diesem Einwand zufolge bringe insbesondere Kants strikte Trennung eines Bereichs der kausal bestimmten und mechanisch erklärbaren Natur einerseits und einer Sphäre des freien Vernunftgebrauchs und der autonomen Zwecksetzung andererseits die Konsequenz mit sich, dass der Natur kein Platz in der Kantischen Moralphilosophie zukomme. Im ersten Abschnitt des vorliegenden Kapitels möchte ich diese Kritik am Kanti-
9.1. Die Natur in Kants Moralphilosophie
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schen Ansatz genauer beleuchten, die sich insbesondere an seinem Anthropozentrismus, an seiner Orientierung an der moralischen Verpflichtung gegenüber dem Menschen festmacht. Im zweiten Abschnitt komme ich dann auf eine biozentrische Theorie zu sprechen, die als Alternative zur anthropozentrischen Herangehensweise vorgeschlagen worden ist. Dies wird am Beispiel von Hans Jonas’ Theorie der Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur entwickelt.1 Jonas beschreibt seinen Ansatz als eine neue Ethik, welche der Natur intrinsische Werte und dem Menschen eine direkte Verpflichtung gegenüber der Natur zuspricht. Doch obwohl die von Jonas angestrebten Ergebnisse die zentralen Einschränkungen der anthropozentrischen Herangehensweise umgehen, wird sich zeigen, dass auch die biozentrische Alternative einigen ernsthaften Schwierigkeiten ausgesetzt ist. In den Abschnitten 9.3 bis 9.5 möchte ich daher der Frage nachgehen, ob sich ausgehend von dem in dieser Untersuchung ausgearbeiteten Kantischen Naturverständnis nicht doch ein Ansatz zu einer Ethik entwickeln ließe, der die Einschränkungen eines reinen Anthropozentrismus überwinden könnte, ohne den Schwierigkeiten eines Jonasschen Biozentrismus ausgeliefert zu sein. Untersucht werden soll daher, ob wir nach dem Kantischen Ansatz der Natur einen Wert zuschreiben können, der über ihren instrumentellen Nutzen für den Menschen hinausgeht, ohne jedoch die Gültigkeit dieses Wertes von der Beurteilung des Menschen abzukoppeln. Auf Grundlage der Kantischen Analogie zwischen Natur und Vernunft soll so die Möglichkeit eines moralischen Verhältnisses von Mensch und Natur erörtert werden, das einen Mittelweg zwischen Anthropozentrismus und Biozentrismus geht.2 Das Ziel dieses letzten Kapitels ist es somit, einen Ausblick auf die möglichen Implikationen für das praktische Verhältnis von Mensch und Natur zu geben, das von Kants Analogie der Natur mit der menschlichen Vernunft seinen Ausgangspunkt nimmt.
9.1. Die Natur in Kants Moralphilosophie In Kants Moralphilosophie stellt die Natur den Kontrastbegriff zu der Eigenschaft dar, die Grundlage aller Wertzuschreibung ist: der Fähigkeit zur Freiheit, allein aus Vernunftgründen zu handeln. Wie in den ersten Kapiteln der vorliegenden Untersuchung deutlich geworden ist, untersteht _____________ 1 2
Jonas (1989). Zu einem ersten Versuch, die Vorstellung eines analogischen Verständnisses vom Wert der Natur als Grundlage einer Kantischen Umweltethik darzulegen, siehe auch Breitenbach (2009b).
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9. Umweltethik nach Kant
die Natur, verstanden als all das, was prinzipiell erfahren werden kann, nach Kants Ansicht den Verstandesgrundsätzen: Die gesamte Natur einschließlich unserer eigenen Körperlichkeit ist für uns erfahrbar und als kausal verursacht erkennbar. Über die Möglichkeit der Freiheit kann dagegen prinzipiell kein Wissen erlangt werden. Insofern wir uns selbst nun aber als vernunftbegabte Akteure verstehen, müssen wir uns in unserem Handeln aber dennoch als Wesen denken, welche die Möglichkeit haben, unabhängig von Kausalzwängen eigens gesetzte Zwecke zu verfolgen. Allein vernünftigen Wesen können wir auf diese Weise freie Handlungsfähigkeit zuschreiben. Kants Unterscheidung zwischen zwei Standpunkten – dem Standpunkt der Natur und dem der Freiheit – scheint somit eine Grenze zu ziehen zwischen der theoretischen Sphäre der erkennbaren und kausal bestimmten Natur auf der einen Seite und der praktischen Sphäre der freien und auf Vernunft gründenden Handlung auf der anderen Seite. Der durch Ursache-Wirkungsketten determinierten Natur steht der vernunftbegabte und zur selbstbestimmten Handlung fähige Mensch gegenüber.3 Diese Unterscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die Vorstellung davon, was nach dem Kantischen Ansatz ein Wert zugeschrieben werden kann. Dinge, die wir üblicherweise für gut erachten, wie beispielsweise „Macht, Reichtum, Ehre, selbst Gesundheit und [...] Glückseligkeit“ (GMS, IV 393), sind Kant zufolge nur bedingt gut. Ihr Wert ist abhängig von den Zielen und Intentionen des handelnden Individuums und von den Umständen, in denen seine Handlungen stattfinden. Die Glückseligkeit beispielsweise – so eine wichtige Einsicht Kants – kann für jeden etwas anderes bedeuten. Ob eine Person Glückseligkeit gefunden hat, hängt daher von den Ausgangsbedingungen und Zielen des Einzelnen ab. Einen unbedingten Wert hat nach Kant dagegen nur ein „guter Wille“ (ebd.), da er unabhängig von allen zufälligen Neigungen und Zielen einem nur auf seine eigene vernünftige Einsicht gegründeten, unbedingten Zweck folgt. Nach Kants Auffassung liegen den Zwecken eines Willens, der sich von allen idiosynkratischen Interessen und vorgegebenen Glaubenssätzen freimacht, die für alle Personen zugänglichen Einsichten der Vernunft zu Grunde. Denn das, was weder durch zufällige Neigungen noch durch lediglich von äußeren Autoritäten festgesetzte Normen bedingt ist, was also prinzipiell von allen Personen akzeptiert und befolgt werden könnte, ist zugleich das universell für alle vernünftigen Wesen Verfügbare: Der gute Wille ist nach Kant die praktisch tätige Vernunft. Einen unbedingten Wert hat für Kant daher nur ein nach allgemeinen Vernunftgründen han_____________ 3
Vgl. Kants Unterscheidung zwischen dem Standpunkt der Natur und dem der Freiheit in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (GMS, IV 450 ff.).
9.1. Die Natur in Kants Moralphilosophie
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delnder Wille, und genau zur so verstandenen, moralisch wertvollen Handlung fordert Kants höchstes Moralprinzip, der kategorische Imperativ, jeden einzelnen von uns auf: „[H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ (GMS, IV 421). Nur die Befähigung zur Vernunft, die sich allein auf ihre eigenen Gründe bezieht und frei von Bestimmungen durch äußere Autoritäten bleibt, kann Kant zufolge daher auch als ein Zweck an sich betrachtet werden. Für die Welt, in der wir leben, bedeutet dies, dass lediglich Menschen ein Vermögen zugesprochen werden kann, das unbedingt gut ist. Nur Menschen, verstanden als endliche, aber vernunftfähige Wesen, kann ein innerer Wert oder, so Kant, eine „Würde“ (GMS, IV 434) zugeschrieben werden. Alles andere hat lediglich relativen Wert, also nur „einen Preis [...], an dessen Stelle [...] auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden“ (ebd.) könnte. Für Kant bedeutet dies zugleich, dass wir die Pflicht haben, vernünftige Wesen stets als Zwecke und niemals nur als Mittel zu behandeln. Dies bringt er in einer zweiten Formulierung seines kategorischen Imperativs auf den Punkt: „[H]andle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel gebrauchst“ (GMS, IV 429). Wir haben die Pflicht, andere Menschen nicht lediglich als Mittel zur Erreichung unserer eigenen Zwecke zu benutzen, sondern sie immer auch als Zwecke zu behandeln und dadurch ihre Vernunft- und freie Handlungsfähigkeit zu respektieren. Allein vernunftbegabten Wesen können wir demnach einen unbedingten Wert zuschreiben und sind ihnen als Zwecke an sich moralisch verpflichtet. Wie aber steht es um die Natur? Was ist ihr Platz in unseren moralischen Überlegungen? Da das Überleben und die Handlungsfähigkeit des Menschen von seiner natürlichen Umwelt abhängig sind, lassen sich auf Grundlage der Kantischen Moraltheorie Pflichten des Menschen für den Erhalt der Natur ableiten. Insofern beispielsweise verschiedenste ökologische Systeme die Grundlage für alles menschliche Leben bilden, ist ihr Schutz deshalb eine Pflicht, weil der Erhalt der natürlichen Bedingungen auch das Leben der Menschen sichert. Die Rodung von Wäldern und die landwirtschaftliche Nutzung der gewonnenen Flächen ist demnach zu verurteilen, wenn dies mit dem Preis des dauerhaften Auslöschens ganzer Lebensräume und Arten einhergeht und diese Zerstörung wiederum das Überleben der Menschen bedroht, die von den Lebensräumen und Arten abhängig sind. Und auch die Nutzung von industriellen Prozessen ist nicht zu rechtfertigen, wenn diese beispielsweise durch CO2-Ausstoß oder die Verunreinigung des Grundwassers die notwendigen Lebensbedingun-
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9. Umweltethik nach Kant
gen des Menschen verletzen.4 Unsere moralische Verpflichtung gegenüber Vernunftwesen – sei es gegenüber der eigenen Person oder anderen Menschen – begründet somit indirekt eine Verpflichtung zum Erhalt der nicht-menschlichen Natur. Darüber hinaus ist der Schutz der Natur nach Kants Theorie nicht allein zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlage des Menschen eine Pflicht, sondern er folgt auch aus unserer Verpflichtung gegenüber der „moralische[n] Selbsterhaltung“ (MS, VI 419). Kant entwickelt diesen Gedanken in seiner Tugendlehre, dem zweiten Teil der Metaphysik der Sitten. Dort behauptet er, dass der Mensch keine Pflichten „gegen“, sondern nur „in Ansehung“ (MS, VI 442) der Natur habe, dass ihm mit anderen Worten keine direkten, sondern allein indirekte Pflichten gegenüber der nichtmenschlichen Natur obliegen. Kants These, dass wir keine Pflichten gegen die Natur selbst haben, folgt aus seiner Ansicht, dass nur der Mensch ein Zweck an sich selbst sei. Insofern die nicht-menschliche Natur lediglich einen Preis habe, ihr Wert also immer nur relativ zu den Zwecken einer handelnden und wertenden Person sei, könne die Natur uns auch keine direkten moralischen Pflichten auferlegen. Die indirekten Pflichten des Menschen in Ansehung der Natur sind Kant zufolge daher eigentlich wieder Pflichten gegen sich selbst: In Ansehung des lebenden, obgleich vernunftlosen Teils der Geschöpfe ist die Pflicht der Enthaltung von gewaltsamer und zugleich grausamer Behandlung der Tiere der Pflicht des Menschen gegen sich selbst [...] entgegengesetzt, weil dadurch das Mitgefühl an ihrem Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität im Verhältnisse zu anderen Menschen sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird; obgleich ihre behende (ohne Qual verrichtete) Tötung, oder auch ihre, nur nicht bis über Vermögen angestrengte Arbeit (dergleichen auch wohl Menschen sich gefallen lassen müssen) unter die Befugnisse des Menschen gehören; da hingegen die martervolle physische Versuche zum bloßen Behuf der Spekulation, wenn auch ohne sie der Zweck erreicht werden könnte, zu verabscheuen sind (MS, VI 443).
Kant verurteilt die grausame Behandlung von Tieren in diesem Abschnitt nicht wegen der Schmerzen und Verletzungen, die dem Tier zugefügt würden, sondern wegen des negativen Einflusses, die eine solche Behandlung auf den Charakter des Menschen hätte. Der brutale Umgang mit Tieren, auch wenn er selbst nicht moralisch verurteilt werden kann, hätte Kant zufolge nachteilige Auswirkungen auf die Fähigkeit des Menschen, Mitgefühl am Leiden anderer zu empfinden. Vorausgesetzt ist hier, dass wir Tiere in gewisser Weise als den Menschen ähnlich erfahren. In seinen Vorlesungen zur Moralphilosophie sagt Kant deshalb: „Weil die Tiere Analoga der Menschheit sind, so beobachten wir Pflichten gegen die Menschheit, _____________ 4
Vgl. die Argumentation in O’Neill (1997).
9.1. Die Natur in Kants Moralphilosophie
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wenn wir solche gegen Analoga beobachten und dadurch befördern wir unsere Pflicht gegen die Menschheit“ (V-Mo/Kaehler(Stark), 345). Gerade diese Fähigkeit, die uns hilft, anderen gutherzig und hilfsbereit zu begegnen und somit unsere direkten moralischen Pflichten gegenüber ihnen zu erfüllen, würde nach Kant durch die gewalttätige Misshandlung von Tieren geschwächt und auf Dauer möglicherweise gänzlich „ausgetilgt“ (ebd.). Kant schließt daher: Selbst Dankbarkeit für lang geleistete Dienste eines alten Pferdes oder Hundes (gleich als ob sie Hausgenossen wären) gehört indirekt zur Pflicht des Menschen, nämlich in Ansehung dieser Tiere, direkt aber betrachtet ist sie immer nur Pflicht des Menschen gegen sich selbst (MS, VI 443).
Eine ähnliche Auswirkung – so erklärt Kant – hätte außerdem die sinnlose Zerstörung „des Schönen, obgleich Leblosen in der Natur“ (ebd.).5 Nicht das Mitgefühl am Leiden Anderer, doch aber die Fähigkeit, „etwas auch ohne Absicht auf Nutzen zu lieben“ (ebd.), würde durch die absichtliche und unnötige Zerstörung der Natur untergraben. Und da diese Einstellung des Gefühls der Sympathie gegenüber schönen, wenn auch nicht nützlichen Dingen nach Kant ebenfalls vorteilhaft für die Ausübung moralischer Pflichten ist, widerspricht auch die Zerstörung und Misshandlung der nicht-tierischen Natur der Pflicht des Menschen gegenüber seiner eigenen moralischen Verfassung. Für die gegenwärtigen Umstände impliziert diese Auffassung beispielsweise, dass die Haltung von Hennen in Legebatterien oder die Zucht von Rindern in der Massentierhaltung, nicht deshalb zu verurteilen sei, weil Tieren eine solche Quälerei erspart werden sollte, sondern weil diese Art der Tierhaltung einen negativen Effekt auf die moralischen Fähigkeiten der beteiligten Menschen hätte. In ähnlicher Weise wäre auch die Rodung eines Waldes und die damit einhergehende Zerstörung ästhetisch wertvoller Landstriche nicht deshalb falsch, weil dadurch etwas von Wert ausgelöscht würde, sondern weil die Abholzung einen nachteiligen Einfluss auf die Erhaltung der menschlichen Fähigkeit zur Moralität hätte. Obwohl Kant also sieht, dass wir üblicherweise so denken und reden, als hätten wir moralische Pflichten auch gegenüber der nicht-menschlichen Natur, hält er dies bei genauerer Betrachtung für bloßen Schein. Die Annahme, dass wir Pflichten gegenüber der Natur hätten, beruht nach Kant auf einer „Amphibolie“: Wir sind geneigt, „das, was Pflicht des Menschen gegen sich selbst ist, für Pflicht gegen Andere zu halten“ (MS, VI 442). Auch wenn Kant also gewisse Analogien zwischen Mensch und Natur anerkennt, beruht der Grund für den Schutz der Natur seiner Ansicht _____________ 5
Zum Leblosen zählt Kant hier allerdings auch das „Gewächsreich“ (MS, VI 443).
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9. Umweltethik nach Kant
nach letztendlich nicht auf einer moralischen Verpflichtung gegenüber der Natur, sondern auf Pflichten gegenüber dem Menschen selbst. Diese Kantische Auffassung zur Rechtfertigung des Schutzes der Natur ist in zweierlei Hinsicht überzeugend. Zum einen scheint die moralische Verpflichtung gegenüber dem Menschen in vielen Fällen auszureichen, um Forderungen nach dem Erhalt der Natur zu begründen. 6 So erscheinen uns ökologische Probleme umso bedrohlicher, je mehr sie das Wohlbefinden und Überleben des Menschen beeinträchtigen. Zum anderen ist aber auch Kants Annahme, dass die gewaltsame Behandlung von Tieren und die unnötige Zerstörung der nicht-tierischen Natur den Pflichten gegenüber einem selbst widersprechen, nicht gänzlich abwegig. Beispielsweise könnte die grausame Behandlung von Tieren bei manchen Personen Hemmungen abbauen, sich ähnlich gewalttätig gegenüber anderen Menschen zu verhalten. Dennoch wirft Kants Ansatz einige Fragen auf. Denn seine Argumentation für einen schonenden Umgang mit der Natur stützt sich letztlich auf Gründe, welche die Natur gar nicht selbst betreffen und ihren Erhalt nur indirekt rechtfertigen. So wäre es einerseits prinzipiell vorstellbar, dass wir unsere Lebensgrundlage auch gänzlich unabhängig von der aktuell gegebenen, natürlichen Umwelt sichern könnten. In diesem Falle ließe sich mit Verweis auf die Verpflichtung, die wir gegenüber dem Menschen haben, nun aber keine moralische Pflicht zum Schutz der Natur begründen. Andererseits wäre es, wie Allen Wood anmerkt, außerdem denkbar, dass sich die menschliche Psyche so veränderte, dass unsere Fähigkeit zur moralischen Handlung durch die grausame Behandlung von Tieren oder die Zerstörung der Natur nicht geschwächt, sondern vielmehr gefördert würde.7 Durch das Quälen von Tieren oder das Auslöschen anderer Teile der nicht-menschlichen Natur könnten sich Personen möglicherweise ihrer angestauten Aggressivität entledigen, ohne sich an anderen Menschen vergreifen zu müssen. Der Erhalt unserer natürlichen Umwelt ließe sich also auch nicht mit Verweis auf die Pflichten gegenüber uns selbst begründen. Nun könnte eingewandt werden, dass diese Vorstellungen gänzlich unrealistisch sind und dass der Erhalt der Natur doch zumindest unter den gegebenen, realen Umständen aus der Pflicht des Menschen gegen _____________ 6
7
In unterschiedlicher Weise argumentieren z. B. Gerhardt (1992), O’Neill (1997 und 1998), Esser (2004, S. 348 ff.) und Timmermann (2005) für diesen Standpunkt. Die These, dass Kants Verständnis von rechtmäßigem Eigentum als Verhältnis zwischen Personen den Schutz vor der Ausbeutung natürlicher Ressourcen begründen kann, habe ich in Breitenbach (2005) untersucht. Wood (1998, S. 194 f.).
9.2. Eine biozentrische Alternative
205
andere und sich selbst folgt. Aber auch unter den aktuellen Bedingungen könnte Kants Moraltheorie dafür kritisiert werden, dass sie einen wichtigen Gedanken unbeachtet lässt, der sich bei der Betrachtung der voranschreitenden Zerstörung der Natur geradezu aufdrängt: der Gedanke, dass es auch Überlegungen zur Natur selbst sein könnten, die den Grund dafür liefern, diese Natur vor störenden und zerstörenden Eingriffen durch den Menschen zu schützen. Müssen wir den Grund für eine nachhaltige Behandlung der Natur vielleicht nicht allein in den Bedürfnissen und im Charakter des Menschen, sondern auch in der Natur selbst suchen? Diese Frage an die Moraltheorie Kants bezieht sich letztlich auf den anthropozentrischen Charakter seiner Position. So wird Kants Theorie nach verbreiteter Auffassung als Prototyp des Anthropozentrismus verstanden, insofern sich seine Ethik auf der Überzeugung gründet, dass allein das mit der Fähigkeit zur Vernunft ausgestattete, menschliche Wesen moralisches Subjekt wie auch moralisches Objekt sein kann: „Das verpflichtete sowohl als das verpflichtende Subjekt ist immer nur der Mensch“ (MS, VI 418 f.). Da nur das vernunftfähige, menschliche Wesen Zweck moralischer Handlung sein kann und damit allein im Zentrum moralischer Verpflichtungen steht, scheint die nicht-menschliche Natur lediglich eine Nebenrolle im Kontext der Kantischen Moralphilosophie zu spielen. Kants Trennung zwischen der kausal bestimmten, erkennbaren Natur einerseits und der freien Vernunftfähigkeit menschlicher Wesen andererseits scheint die weitreichende Konsequenz nach sich zu ziehen, dass der Natur kein zentraler Platz in seiner Moraltheorie zukommt.8
9.2. Eine biozentrische Alternative Als alternative Theorien der Ethik, die auch die nicht-menschliche Natur in ihre Überlegungen einbeziehen, haben verschiedene Autoren biozentrische bzw. öko- oder physiozentrische Ansätze vorgeschlagen. 9 Diese Ansätze nehmen nicht nur den Menschen, sondern alles Lebendige, ganze Ökosysteme oder sogar die gesamte, auch anorganische Natur ins Blickfeld ihrer ethischen Untersuchungen. Einer der einflussreichsten Vertreter _____________ 8
9
Kritik an Kant wird nicht nur von Vertretern der so genannten neuen Ethik geäußert, die den herkömmlichen Moraltheorien die Fähigkeit abspricht, auf naturethische Probleme eingehen zu können (vgl. Abschnitt 9.2), sondern auch von Seiten anderer herkömmlicher Theorien, wie beispielsweise des Utilitarismus (vgl. z. B. Birnbacher (1980)). Eine Übersicht dieser verschiedenen Bereiche des naturethischen Denkens bietet Brenner (1996, S. 10 ff.).
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9. Umweltethik nach Kant
einer solchen nicht-anthropozentrischen Herangehensweise in der deutschsprachigen Literatur ist Hans Jonas, der in seinem einschlägigen Werk Das Prinzip Verantwortung den „Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“ entwickelt.10 Der wesentliche Unterschied zwischen Jonas’ Ansatz und der Kantischen Moraltheorie besteht darin, dass Jonas im Gegensatz zu Kant nicht nur einen instrumentellen, sondern einen intrinsischen Wert in der Natur anerkennt und für den Menschen hieraus eine direkte und nicht lediglich indirekte Pflicht gegenüber der Natur ableitet. Jonas’ Argumentation für seine „neuartige Ethik“ – wie er sie selbst beschreibt – lässt sich grob in drei Schritten vorstellen. 11 Zunächst geht Jonas davon aus, dass die Natur Zwecke enthält und sich elementar durch ihr zweckhaftes Wesen auszeichnet. Die intentionale Zwecktätigkeit des Menschen ist nach Jonas nur eine besonders offensichtliche Erscheinung des die gesamte, sowohl bewusste als auch unbewusste, lebendige Natur durchziehenden, teleologischen Charakters. Sie ist die „Spitze eines viel größeren Eisbergs“, den Jonas sich als das zweckhafte „Innere“ der Natur vorstellt.12 Dieser zweckhafte Charakter der Natur, so argumentiert Jonas zweitens, ist ein Zeichen ihres absoluten Wertes: Durch ihre Zweckhaftigkeit verkörpert die Natur ein unbedingtes, von instrumentellen Zwecken unabhängiges Gut; sie ist ein Wert in sich. Als absolutes Gut aber stellt die Natur drittens Forderungen an den Menschen: Sie verpflichtet ihn zur Verantwortung gegenüber der dauerhaften Existenz der Natur und damit zugleich auch gegenüber seinem eigenen Fortbestand. Wenn Jonas’ Ausarbeitung dieser drei Schritte nun tatsächlich überzeugen sollte, dann könnte sein Ansatz die Schwierigkeit überwinden, die oben an der Moraltheorie Kants bemängelt wurde. Jonas könnte die an Kants Herangehensweise monierte Problematik umgehen, nach der die moralische Verpflichtung des Menschen gegenüber der Natur lediglich in den Interessen des Menschen begründet, die Rechtfertigung dieser Verpflichtung also nicht an den Überlegungen zur Natur selbst festgemacht werden. Insofern Jonas im Gegensatz zu Kant die Verantwortung gegenüber der Natur an den intrinsischen Wert der Natur selbst knüpft, unterstellt er damit, dass wir die Natur auch wegen ihrer selbst schützen müssen. Zur Begründung der menschlichen Verpflichtung gegenüber der Natur stützt sich Jonas also nicht auf gewisse Eigenschaften des menschlichen _____________ 10 Jonas (1989). Andere einflussreiche, biozentrische Ansätze sind z. B. bei Spaemann (1980), Attfield (1983), Taylor (1986), Rolston (1988), Naess (1989) und Meyer-Abich (1997) zu finden. 11 Jonas (1989, S. 58). 12 Ebd., S. 139.
9.2. Eine biozentrische Alternative
207
Wesens, sondern untermauert sein Prinzip der Verantwortung durch die Annahme eines notwendigen und inhärenten Wertes der Natur selbst. Dieser Wert impliziert Jonas zufolge, dass wir die Natur auch dann vor Verletzungen und Zerstörungen bewahren müssten, wenn der Mensch in einer gänzlich technisch hergestellten und aus menschlichen Artefakten bestehenden Umwelt überleben könnte. Auf diese Weise trägt Jonas der Auffassung Rechnung, dass der Schutz der Natur sich nicht allein auf den Schutz des Menschen zurückführen lässt. Jonas’ Fokus auf einen unbedingten Wert der Natur setzt außerdem voraus, dass seine Theorie die Dichotomie zwischen kausal bestimmter Natur auf der einen Seite und frei handelnden, vernünftig zwecktätigen Menschen auf der anderen Seite ablehnt. Die Vorstellung einer strikten Unterscheidung zwischen der kausalen Bestimmtheit der Natur und der freien Selbstbestimmung des Menschen ersetzt Jonas durch seine These einer gänzlich zweckhaft charakterisierten Natur, von welcher der Mensch als offensichtlich zweckgerichtet handelndes Wesen selbst ein Teil ist. Der Mensch steht nach dieser Auffassung der Natur nicht als Fremder gegenüber, sondern ist ein Glied innerhalb ihrer zweckhaften Einheit, und stellt selbst nur das offenbarste „Zeugnis“ ihres zweckgerichteten Charakters dar.13 Diese holistische Sicht des Zusammenhangs von Mensch und Natur könnte eine Ethik begründen, welche die Frage nach dem menschlichen Umgang mit der Natur nicht an den sich möglicherweise widerstreitenden Interessen des Menschen einerseits und der nicht-menschlichen Natur andererseits festmacht, sondern die Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur als Verantwortung für die Integrität und Stabilität ganzer Ökosysteme versteht, von denen auch der Mensch ein Teil ist. Allerdings ist Jonas’ Versuch, einen intrinsischen, von der Beurteilung des Menschen unabhängigen und absoluten Wert der Natur von ihrem zwecktätigen Charakter abzuleiten, auch mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert. Einen wesentlichen Konfliktpunkt stellt der Status dar, den Jonas seiner ersten These – der Immanenz von Zwecken in der Natur – zuschreibt. Die Behauptung, dass es Zwecke in der Natur gibt, dass „Zweck überhaupt in der Natur beheimatet ist“, stellt Jonas nicht wie Kant als eine analogische als ob-Beurteilung vor, sondern als eine Aussage darüber, was die Natur tatsächlich ausmacht.14 Jonas’ Aussage über die Zweckhaftigkeit der Natur, darf daher nicht als eine Behauptung über die spezifische Art der menschlichen Naturbetrachtung, sondern muss als eine Beschreibung der Natur selbst verstanden werden. Dieser erste Schritt ist für Jonas’ Argumentation überaus wichtig, seine Plausibilität _____________ 13 Ebd., S. 136. 14 Ebd., S. 142.
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9. Umweltethik nach Kant
jedoch nicht in gleichem Maße ersichtlich. Meines Erachtens kann Jonas’ These in zweierlei Hinsicht interpretiert werden, die allerdings auch mit zweierlei Art Schwierigkeiten konfrontiert ist. Zwar scheint es richtig, dass wir in einem gewissen Sinne von Zwecken in der Natur sprechen können: Gerade dies war die Motivation für Kants Untersuchung über die Zweckmäßigkeit der Natur. Einzelne Organismen erwecken zum Beispiel den Eindruck, als strebten sie nach dem Zweck ihres eigenen Überlebens, und sogar größere Zusammenhänge von belebter und unbelebter Natur scheinen auf den Zweck der Erhaltung des Lebens ausgerichtet zu sein. Wie aber ist diese Schilderung zu verstehen, wenn sie keine analogische Betrachtung darstellen soll, die sich am Verständnis der intentionalen Zwecktätigkeit des Menschen anlehnt? Eine erste Interpretationsmöglichkeit wäre die, mit der sich schon das letzte Kapitel auseinanderzusetzen hatte: die Vorstellung, dass sich der zweckhafte Charakter auf rein naturalistisch erklärbare Naturvorgänge bezieht. Das teleologische Wesen der Natur bestünde demnach in den lediglich mit Hilfe teleologischer Begriffe beschriebenen, eigentlich aber mechanisch erklärbaren Kausalprozessen, die sich in der Natur abspielen. Wäre dies nun aber die Bedeutung, die Jonas der für sein Argument zentralen Zweckhaftigkeit der Natur zuschriebe, so müsste sich sofort die nächste Frage anschließen, wie nämlich unter dieser Bedingung der Schritt vom zweckhaften Charakter der Natur zu ihrem unbedingten Wert vollzogen werden sollte. Es ist offensichtlich, dass der scheinbar strebende Charakter der Natur, verstanden als eine teleologische Beschreibung bestimmter natürlicher Vorgänge und Kausalprozesse, noch keinerlei Aussage über den Wert der Natur mit sich bringt. Es bliebe somit unbeantwortet, warum wir die als zweckhaft dargestellten, uns umgebenden natürlichen Vorgänge als Zwecke an sich verstehen sollten. Diese reduktive Interpretation der Zweckhaftigkeit der Natur scheint jedoch nicht die von Jonas gemeinte zu sein. Denn Jonas selbst sieht ein, dass sich Werte nicht einfach aus der Beobachtung von Zwecken erschließen, da Zwecke und Werte „keineswegs dasselbe sind.“15 Wie kann der teleologische Charakter der Natur nach seiner Interpretation dann also verstanden werden? Wenn Jonas von der „Immanenz von Zwecken im Sein“ spricht, so meint er damit nicht lediglich eine teleologische Beschreibung von kausal erklärbaren Vorgängen in der Natur, sondern bezieht sich auf teleologische Eigenschaften der Natur selbst.16 Das, was wir als strebenden Charakter von Organismen gekennzeichnet haben, beschreibt er als den Ausdruck einer Subjektivität, die der gesamten organi_____________ 15 Ebd., S. 105. 16 Ebd., S. 150.
9.2. Eine biozentrische Alternative
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schen Natur innewohnt. Alles Lebendige, auch die unbewussten Teile von Organismen, sind nach Jonas durch eine „Innerlichkeit“ ausgezeichnet, die sich in ihrem zweckgerichteten Streben offenbart.17 Diese Auffassung, für die er selbst den Titel eines „Panpsychismus“18 oder auch eines „integralen Monismus“19 verwendet, hat den Anspruch, der Unterscheidung von Sein und Sollen eine in der Ontologie der Natur angelegte Verbindung dieser beiden Bereiche entgegenzusetzen. Diese teleologische Charakterisierung der Natur ist für Jonas der zentrale Punkt in seiner Argumentation: Mit dem Nachweis der Zweckhaftigkeit der Natur ist seiner Ansicht nach „für die Theorie der Ethik schon die entscheidende Schlacht gewonnen.“20 Denn der zweite und dritte Schritt seines Arguments, die Entwicklung der Thesen, dass der Natur ein absoluter Wert zukommt und dass wir deshalb Verantwortung für ihren Erhalt tragen, besteht ihm zufolge nur noch in einer Auslegung des bereits normativ verstandenen Naturbegriffs. Die Natur – oder in Jonas’ Worten: das Sein – stellt insofern einen Wert an sich dar, als die Natur ihr eigenes Sein durch ihre Fähigkeit der Zwecksetzung beständig selbst fordert. Jonas spricht hier von der „Selbstbejahung des Seins [...], die es absolut als das Bessere gegenüber dem Nichtsein setzt.“21 Insofern die Natur nach dieser normativen Deutung also „nicht indifferent gegen sich selbst“ und ihre eigene Existenz ist, muss ihr nach Jonas’ Auffassung auch ein absoluter, intrinsischer Wert zugeschrieben werden – ein Wert, der nicht von der Wertung des Betrachters, sondern von der Eigenschaft der Natur selbst abhängt.22 Die Erkenntnis eines solchen absoluten Wertes ist Jonas zufolge nun aber ausreichend, um den menschlichen Willen zu verpflichten. Denn entgegen Kant geht Jonas davon aus, dass erst das An-sich-Gute in der Welt einen moralischen Appell begründen kann: Die Dinge, dessen Existenz ein absolutes Gut darstellen, legen nach Jonas’ Auslegung dem Menschen die Pflicht auf, diese Existenz zu erhalten und zu befördern, also Verantwortung für sie zu tragen. In dieser Deutung des Dreischritts von der Zweckhaftigkeit der Natur über ihren intrinsischen Wert zur Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur ist die Normativität, welche die Konklusion des Arguments kennzeichnet, bereits in der Prämisse angelegt: Der Wert der Natur und mit ihm das Prinzip der Verantwortung gegenüber der Natur werden _____________ 17 18 19 20 21 22
Vgl. hierzu auch Jonas (1973, S. 107 ff.). Jonas (1989, S. 142). Jonas (1973, S. 33). Jonas (1989, S. 150). Ebd., S. 155. Ebd.
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9. Umweltethik nach Kant
zwar auch hier von dem Charakter der Natur abgeleitet, jedoch von einem Charakter, der selbst schon durch ein inneres Sollen, das heißt also durch Normativität ausgezeichnet ist. Angesichts dieser Argumentation stellt sich jedoch sogleich die Frage des Zirkularitätsverdachts. Denn wenn es das Ziel der Jonasschen Argumentation ist, eine Pflicht gegenüber der Natur zu begründen, wie kann die Normativität dieser Pflicht dann bereits in der Prämisse seines Arguments angelegt sein? Die grundlegende Problematik dieser zweiten Lesart des Jonasschen Ansatzes liegt in der Vorstellung, dass die Natur durch die Fähigkeit der Zwecksetzung und durch eine innere Forderung ihrer eigenen Existenz ausgezeichnet ist. Was genau soll es aber bedeuten, dass der gesamten Natur eine nach Zwecken strebende Innerlichkeit zukommt, die ihre eigene Existenz bejaht? Jonas’ normative Interpretation der Natur scheint sich letztlich auf eine metaphysische Konzeption zu stützen, welcher derselbe Vorwurf gemacht werden kann, den Kant schon gegen die Theorie des Hylozoismus erhoben hatte: der Einwand, dass wir über die Idee eines die Natur durchziehenden, strebenden Prinzips zwar spekulieren, aber keine gesicherte Erkenntnis erreichen können. 23 Die Idee eines Zwecks, der von keiner Person gesetzt wurde, und die Vorstellung eines Wertes, der nicht aus dem Blickpunkt eines wertenden Subjekts beurteilt wird, liefern meines Erachtens daher keine wirklich überzeugende Alternative zum eingangs skizzierten Ansatz der Kantischen Moralphilosophie.
9.3. Vorschlag zu einer Kantischen Umweltethik Sowohl die an Kant orientierte, anthropozentrische Herangehensweise wie auch der durch Jonas exemplifizierte, biozentrische Ansatz werfen Schwierigkeiten auf, mit denen sich eine nachvollziehbare umweltethische Theorie auseinandersetzen muss. Die im ersten Abschnitt untersuchte, anthropozentrische Herangehensweise ist als Begründung einer Ethik der Natur kritisiert worden, da sie den Schutz der Natur ausschließlich von seinem Nutzen für den Menschen abhängig macht. Der zweite, von Jonas vorgestellte, biozentrische Ansatz hat zwar den Anspruch, diese Einschränkung der ersten Herangehensweise zu überwinden, jedoch hat sich auch Jonas’ Argumentation als nicht unanfechtbar herausgestellt. Bedeutet dies, dass eine rechtfertigbare Moraltheorie der Natur einen lediglich instrumentellen Wert zuschreiben kann? Müssen wir einsehen, dass morali_____________ 23 Vgl. die Ausführungen zu Kants Kritik an der Theorie des Hylozoismus in Abschnitt 3.4. Vgl. auch Hirsch Hadorns (2000, Kapitel 2) Kritik an Jonas.
9.3. Vorschlag zu einer Kantischen Umweltethik
211
sche Verpflichtungen immer nur gegenüber dem Menschen, nicht aber gegenüber der Natur zu begründen sind? Als Gegenentwurf zu einer positiven Beantwortung dieser Fragen möchte ich hier einen alternativen Vorschlag ins Feld führen. Im Folgenden soll daher entgegen der so klar erscheinenden Dichotomie von Anthropozentrismus und Biozentrismus ein Argumentationsgang entwickelt werden, der den Wert der Natur weder auf einen instrumentellen Nutzen für den Menschen beschränkt, noch als intrinsischen und von der Beurteilung des Menschen unabhängigen Wert interpretiert. Der Schlüssel zu einem solchen Ansatz lässt sich in Kants teleologischem Naturverständnis finden, das in der vorliegenden Untersuchung ausgearbeitet worden ist. Den systematischen Ausgangspunkt für einen solchen alternativen Argumentationsvorschlag liefert das Kantische Naturverständnis mit der Einsicht, dass die im ersten Abschnitt dargestellte Dichotomie zwischen den zwei Standpunkten von Natur und Freiheit eines differenzierteren Verständnisses bedarf. Wie im Laufe der Betrachtung deutlich geworden ist, sind die beiden Bereiche des theoretischen und des praktischen Vernunftgebrauchs nicht nur in gleicher Weise notwendig und irreduzibel, sondern sie sind auch miteinander vereinbar, wechselseitig voneinander abhängig und führen zu einer Art der Naturbetrachtung, die eine analogische Verknüpfung der beiden Bereiche herstellt. Der praktische Standpunkt des freien Vernunftgebrauchs ist demnach nicht nur eine notwendige Voraussetzung für eine theoretische Erkenntnis der kausal bestimmten Natur, sondern er stellt außerdem das unumgängliche Analogon für unsere reflexive Beurteilung der lebendigen und systematisch organisierten Natur selbst dar.24 Die theoretisch erkennbare, kausal bestimmte Natur auf der einen Seite und die freie, praktische Vernunftfähigkeit auf der anderen Seite werden so zwar voneinander unterschieden, in der teleologischen Betrachtung der Natur aber auch wieder miteinander in Verbindung gesetzt. Wenn die strikte Dichotomie zwischen der theoretisch erkennbaren Natur und der praktischen Fähigkeit zum freien Vernunftgebrauch nun aber nicht aufrechterhalten werden kann, dann stellt sich die Frage, ob nicht auch die Stellung der Natur in unseren moralischen Überlegungen neu überdacht werden muss. Der zentrale Gedanke ist der, dass die Analogie, anhand derer wir die Natur überhaupt erst als lebendig und systematisch organisiert begreifen, auch für die Ethik von Relevanz ist. Das, was bei der teleologischen Beurteilung auf die Natur projiziert wird, besteht in der freien und zweckgerichteten Tätigkeit der menschlichen Vernunft. Dieser Vernunftfähigkeit wird in Kants Moraltheorie wiederum der Status _____________ 24 Vgl. die Abschnitte 4.2 und 7.4.
212
9. Umweltethik nach Kant
eines Zwecks an sich und eines unbedingten Wertes zugesprochen. Wenn wir die Natur also nach der Analogie mit der zweckgerichtet handelnden Vernunft betrachten, und diese Vernunft wiederum die Grundlage aller Wertzuschreibung ist, so beurteilen wir die lebendige Natur nach der Analogie mit etwas, das für uns einen Zweck an sich darstellt. Insofern wir in unserer Reflexion über die lebendige und organisierte Natur von einer Analogie mit der freien Vernunft des Menschen ausgehen, beziehen wir uns also gleichzeitig auf eine Analogie mit etwas, das unbedingten Wert besitzt. Der Natur selbst werden durch diese Analogie zwar keine normativen Eigenschaften zugeschrieben, jedoch wird sie immer schon mit Blick auf ein als Zweck an sich beurteiltes Analogon betrachtet. Es drängt sich also die Schlussfolgerung auf, dass wir auf Grundlage der teleologischen Analogie die Natur beurteilen müssen, als ob sie ein Zweck an sich sei. Im Einklang mit dieser Folgerung ist es nicht überraschend, dass Kants Beschreibung von Organismen in der Kritik der teleologischen Urteilskraft eine nicht zu übersehende Parallele zum kategorischen Imperativ in seiner Zweck-Mittel-Formulierung aufweist.25 Kant verdeutlicht hier zum einen, dass ein „organisiertes Wesen [...] nicht bloß Maschine“ (KU, V 374) sei. Zum anderen weist er darauf hin, dass ein „organisiertes Produkt der Natur [...] das [darstellt], in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist“ (KU, V 376). Kant zufolge müssen wir Lebendiges in der Natur also nicht lediglich als mechanisch bestimmte Maschinen, sondern immer auch als Zwecke betrachten. Der direkte Zusammenhang zwischen einem Verständnis der Natur und der Analogie mit unserem eigenen Vernunftvermögen bedeutet, dass die analogisch verstandene Zweckhaftigkeit der Natur einen wiederum analogisch konzipierten Wert der Natur impliziert. Wenn wir die Natur nun aber immer schon nach der Analogie mit etwas betrachten, das als ein Zweck an sich und als ein unbedingter Wert beurteilt wird, so hat dies direkte, praktische Konsequenzen. Denn wollen wir in unserem Denken und Handeln konsequent sein, so müssen wir mit der Natur auch nach der Analogie mit der menschlichen Vernunft wie mit einem Zweck an sich umgehen. Die Analogie mit dem Vernunftvermögen des Menschen hat folglich auch als Grundlage unseres praktischen Umgangs mit der Natur zu gelten. Wie wir die lebendige Natur niemals bloß aus der mechanistischen Perspektive als Maschine, sondern immer auch aus der teleologischen Perspektive als Naturzweck betrachten müssen, so haben wir sie auch „jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel“ (GMS, IV _____________ 25 Auf diese Parallele ist von verschiedenen Autoren hingewiesen worden. Vgl. z. B. Sommer (1977, S. 148), Gerhardt (2002, S. 316) und Hutter (2003, S. 181). Zur Zweck-Mittel-Formulierung des kategorischen Imperativs siehe Abschnitt 9.1.
9.3. Vorschlag zu einer Kantischen Umweltethik
213
429) zu behandeln. Die teleologische Naturbetrachtung ist nicht nur für unser Verständnis, sondern gleichermaßen für unser praktisches Verhältnis mit der Natur gültig.26 Kants teleologisches Naturverständnis kann so die Grundlage für eine analogische Übertragung unserer Verpflichtung gegenüber dem Menschen auf die lebendige Natur bieten. Gegenüber der oben dargestellten anthropozentrischen Herangehensweise hat dieser analogische Kantische Ansatz den Vorteil, dass er für den Menschen eine Betrachtung der Natur als einen Zweck an sich begründet und den Erhalt der Natur nicht allein an die Interessen des Menschen bindet. Aber auch gegenüber Jonas’ biozentrischem Ansatz weist die hier vorgeschlagene Herangehensweise einen wesentlichen Vorteil auf, denn im Gegensatz zu Jonas verfolgt Kants analogische Konzeption der Zweckmäßigkeit nicht das problematische Ziel, der lebendigen Natur einen realistisch konzipierten Zweck zuzuschreiben. Wie wir gesehen haben, können wir nach Kant die Zweckhaftigkeit als spezifische Eigenschaft der Natur nicht erkennen, geschweige denn in einer faktischen Beschreibung wiedergeben. Kant geht es also weniger um eine ontologisch konzipierte Zweckzuschreibung, als vielmehr um eine interpretative Betrachtung der Natur als zweckgerichtet. Und ebenso wie die Kantische Argumentation keine bestimmenden Aussagen über Zwecke in der Natur zulässt, so ist auch die Zuschreibung eines unbedingten Wertes keine faktische Aussage, sondern eine analogischreflexive Beurteilung der Natur. Das skizzierte Argument kann also lediglich den Schluss rechtfertigen, dass wir der Natur nach der Analogie mit der freien Vernunftfähigkeit als einem Zweck an sich, und folglich als einem Objekt moralischer Verpflichtung begegnen müssen. Es könnte dagegen nichts über einen von der Beurteilung des Menschen unabhängigen Wert der Natur aussagen. Die Analogie zwischen Natur und Vernunft, von welcher der Kantische Argumentationsgang seinen Ausgang _____________ 26 Ähnlich argumentiert Wood (1998 und 2008, Kapitel 5), dass sich nach der Analogie mit der Vernunft des Menschen auch Teile, Spuren oder notwendige Bedingungen der Vernunftfähigkeit in anderen Lebewesen erkennen lassen (als Beispiele führt er das scheinbar zweckgerichtete Verhalten und die Kommunikationsfähigkeit von Tieren an). Auch diesen Lebewesen müssen wir Wood zufolge einen Wert zuschreiben und sind ihnen als „Personen im weiteren Sinne“ (2008, S. 97) moralisch verpflichtet. Meines Erachtens lässt Woods Analyse jedoch die Fragen offen, warum sich Vorstufen und Teilaspekte der Vernunftfähigkeit überhaupt an den Tieren erkennen lassen und warum wir diesen Vorstufen und Teilaspekten der Vernunft einen Wert zuschreiben sollten. Die grundlegende Analogie zwischen der Vernunft des Menschen und der lebendigen Natur bietet hierauf eine Antwort, insofern wir die Natur notwendigerweise erst nach der Analogie mit der Vernunft als lebendig erfahren können und dies zugleich die Analogie mit einem Zweck an sich impliziert.
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9. Umweltethik nach Kant
nimmt, wird durch die Beweisführung daher nicht aufgehoben, sondern bestimmt auch ihren Schluss. Der entscheidende Unterschied dieses weniger ehrgeizigen Ziels im Gegensatz zum skizzierten biozentrischen Ansatz besteht darin, dass die Kantische Herangehensweise nicht den Anspruch verfolgt, einen absoluten Wert in der Natur zu verankern, sondern eine analogische und nach Kantischer Charakterisierung somit regulative Aussage über den Wert der nicht-menschlichen Natur zu begründen.
9.4. Die analogische Begründung des Kantischen Ansatzes Mit Hilfe der analogischen Argumentation kann der vorgestellte Kantische Ansatz der Natur einen nicht-instrumentellen, unbedingten Wert beimessen, der seine Begründung in der Übertragung dieses Wertes vom Menschen auf die Natur findet. Dieser Ansatz wirft jedoch einige Fragen bezüglich seines analogischen Status auf. Lässt sich unsere moralische Verpflichtung zum Schutz der Natur tatsächlich mit Hilfe einer Analogie rechtfertigen? Und ist eine analogisch begründete Umweltethik nicht insbesondere dann unzureichend, wenn sie sich auch mit Konflikten zwischen den Interessen und Bedürfnissen der Menschen und denen der Natur auseinandersetzen muss? Der Mensch würde ja weiterhin als ein Zweck an sich selbst betrachtet und ein intrinsischer Wert würde ihm auch direkt und nicht nur indirekt mit Hilfe einer Analogie zugeschrieben werden. Wenn der Mensch nun aber tatsächlich, die Natur jedoch nur analogisch als ein unbedingter Wert beurteilt werden kann, hätte die auf einer Analogie beruhende Ethik dann nicht aber ihren Zweck verfehlt, die Natur als ernstzunehmenden Gegenstand moralischer Verpflichtung in unsere Überlegungen einzubinden? Und wäre der analogische Charakter dieses Ansatzes, der hier als seine besondere Stärke vorgestellt wurde, nicht eigentlich sein spezifischer Schwachpunkt? Eine Antwort auf diese Frage sollte zunächst eine etwas differenziertere Betrachtung des Status der zwischenmenschlichen Pflicht- und Wertzuschreibung in Betracht ziehen. Denn es lässt sich zeigen, dass auch die zwischenmenschliche Ethik in verschiedener Hinsicht auf Analogien beruht. Einerseits können wir nicht in den Kopf anderer Menschen blicken, um herauszufinden, ob sie Vernunft haben und nach Gründen handeln können. Vielmehr scheinen wir die Fähigkeit einer Person, nach Vernunftgründen und für eigens gesetzte Zwecke zu handeln, von ihrem Verhalten abzuleiten. Wir betrachten ihre Handlungen als zweckgerichtet und als vernünftig, insofern wir sie mit unseren eigenen Handlungen und
9.4. Die analogische Begründung des Kantischen Ansatzes
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Gründen vergleichen.27 Andererseits scheint es uns aber auch nicht möglich, unser eigenes Vernunftvermögen direkt zu erkennen. Auch in diesem Zusammenhang spielt der Austausch mit anderen vernunftfähigen Wesen und die Auseinandersetzung mit dem, was von anderen erkannt, gedacht und akzeptiert werden kann, eine zentrale Rolle für die Möglichkeit der Einsicht in das eigene Vernunftvermögen.28 Auch die analogische Betrachtung von mir selbst und anderen Personen ist somit Grundlage eines Verständnisses dessen, was es mit dem den Menschen auszeichnenden Vernunftvermögen auf sich hat. Dies macht Kant in der Kritik der reinen Vernunft anhand verschiedener politischer Metaphern wie beispielsweise der eines „Gerichtshof[s]“ (KrV, AXI) der Vernunft deutlich. Die Kritik der Vernunft, die Rechtfertigung ihrer Grundsätze und Prinzipien und damit auch die Einsicht darein, was Vernunft eigentlich ist, stellt demnach ein „politisches Unterfangen“ dar, das eine Gemeinschaft von Vernunftwesen voraussetzt.29 Auch die Vernunftfähigkeit des Menschen ist demnach nicht introspektiv erkennbar oder als faktische Grundlage von Wert beurteilbar, sondern wird dem Menschen nur im wechselseitigen Vergleich mit anderen zugeschrieben. Das, was wir unter dem zweckgerichteten Vernunftvermögen des Menschen verstehen, ist allein in Auseinandersetzung mit anderen zu erörtern.30 Auch die von Kant als praktisch beschriebene Charakterisierung des vernunftfähigen Menschen als eines Zwecks an sich erfordert somit analogische Überlegungen. Es ist daher wenig überzeugend, von einer Gegenüberstellung zwischen dem tatsächlichen Wert eines Menschen und einem lediglich analogisch beurteilten Wert der Natur zu sprechen. Die grundsätzliche Kritik an einer analogischen Begründung ethischer Pflichten ist unplausibel, wenn sie sich nur auf unsere Verpflichtung zum Schutz der Natur bezieht. Diese allgemeine Kritik an der analogischen Rechtfertigung moralischer Prinzipien lässt sich nun aber konkretisieren. Denn zwar mag auch _____________ 27 Vgl. hierzu z. B. Kants Ausführungen in den Paralogismen der reinen Vernunft (KrV A346 f./B404 f.). 28 Kants Ausführungen zum „Gemeinsinn“ im Sinne eines sensus communis machen den politischen und gemeinschaftlichen Anspruch der Vernunfterkenntnis und der Vernunftzuschreibung deutlich. Vgl. z. B. KrV, A820 f./B848 f., KU, V238 f., und Anth, VII 219. 29 O’Neill (1989, S. 9) beschreibt die Vernunftkritik deshalb als „reflexive and political task.“ 30 Vgl. z. B. Kleingelds Ausführungen zum konativen Charakter der Vernunft (1998). Wie in Kapitel 4 deutlich wurde, könnte weitergehend argumentiert werden, dass unsere Einsicht in unser eigenes Vernunftvermögen nicht nur von der Interaktion mit anderen Menschen, sondern auch allgemeiner von der Analogie mit der lebendigen Natur abhängt.
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9. Umweltethik nach Kant
die Charakterisierung der Menschen als Vernunftwesen auf Analogien beruhen, jedoch erscheint die Analogie zwischen Mensch und Mensch um einiges enger als die zwischen Mensch und Natur. Für die Rechtfertigung moralischer Pflichten gegenüber dem Menschen ist daher auch eine andere Begründung möglich als für die Rechtfertigung der Verpflichtung zum Erhalt der Natur. So beruht die Gültigkeit zwischenmenschlicher Pflichten nach Kants Theorie auf der Erkenntnis, dass wir nur dann moralisch handeln, wenn wir auch allen anderen die prinzipielle Möglichkeit zusprechen können, die gleiche Handlungsmaxime zu befolgen. Die Gültigkeit moralischer Prinzipien ist daran geknüpft, dass all diejenigen, denen wir verpflichtet sind, den gleichen Gesetzen unterstehen wie wir. Jedoch zählen wir die Natur auch nach der dargestellten Analogie nicht zu „allen anderen“, die in gleicher Weise verpflichtet sind wie wir selbst. So können wir der Natur keine Maximen zuschreiben, nach denen sie ihre Handlungen ausrichtet, und wir können sie folglich auch nicht zu den Wesen zählen, die dem kategorischen Imperativ unterstehen. Wenn der Natur jedoch keine Verpflichtung zukommt, kann dann überhaupt von einer Pflicht des Menschen gegenüber der Natur gesprochen werden? Können wir der Natur den Status eines moralischen Objekts zuschreiben, wenn es uns nicht möglich ist, sie als ein moralisches Subjekt anzuerkennen? Zur Beantwortung dieser Fragen muss die Struktur analogischer Wertzuschreibungen genauer beleuchtet werden. Die Verpflichtung gegenüber der Natur ergibt sich nicht daraus, dass wir die Natur, wie den Menschen, als ein der Moralität fähiges Wesen betrachten. Dies bedeutet zwar, dass wir der Natur nicht auf dieselbe Weise verpflichtet sind wie den Menschen; es zeigt jedoch nicht, dass sich nach der analogischen Argumentation gar keine Pflichten zum Schutz der Natur rechtfertigen lassen. Vielmehr beurteilen wir die Natur immer schon als einen Zweck an sich, wenn wir sie nach der Analogie mit der menschlichen Vernunft als eine auf ihren eigenen Zweck gerichtete, systematisch organisierte Einheit ansehen. Der Wert eines Zwecks an sich und die moralische Verpflichtung, die wir ihm gegenüber haben, ist uns demnach zunächst von der Auseinandersetzung mit der menschlichen Vernunft bekannt und wird von dieser auf die nicht-menschliche Natur übertragen.31 Wie die Untersu_____________ 31 In dieser Hinsicht unterscheidet sich die hier entwickelte Argumentation von Habermas’ (1997) Antwort auf die „Herausforderung der ökologischen Ethik für eine anthropozentrisch ansetzende Konzeption.“ Für Habermas setzt die Gültigkeit einer moralischen Pflicht voraus, dass sie die Zustimmung aller finden könnte. Insofern unser Verhältnis mit den Tieren aber auch „von der Art einer inter-subjektiven Beziehung“ sein kann, bringt dies „moralanaloge“ Verpflichtungen gegenüber den Tieren mit sich (ebd., S. 97). Abgesehen davon, dass sich Habermas’ Argument wahrscheinlich nur auf die höheren (und am plausibelsten auf die domestizierten) Tiere bezieht,
9.4. Die analogische Begründung des Kantischen Ansatzes
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chung gezeigt hat, ist diese Übertragung nicht willkürlich, sondern notwendig in unserer Betrachtung der Natur angelegt. Die analogische Wertzuschreibung beruht demnach auf dem Charakter des menschlichen Vernunftvermögens und seiner Art, die Natur als lebendig und systematisch organisiert zu beurteilen. Dies bedeutet, dass der Wert, welcher der Natur nach der Analogie mit der menschlichen Vernunft zugeschrieben wird, abhängig von dem wertenden Vernunftwesen ist, das der Natur diesen Wert notwendigerweise beimisst. Der Wert wird durch die analogische Reflexion des beurteilenden Akteurs konstruiert und der Natur auf diesem indirekten Weg zugerechnet. Die Betrachtung der Natur als eines Zwecks an sich beruht demnach wesentlich auf der Perspektive des menschlichen Vernunftwesens, das sich selbst in der Natur wiedererkennt und der Natur nach der Analogie mit sich selbst den Status eines Zwecks an sich beilegt. In dieser Hinsicht bleibt der vorgeschlagene Ansatz im Wesen ein anthropozentrischer: Der unbedingte Wert der Natur ist kein von der Beurteilung der wertenden Person unabhängiger und kann nur nach der Analogie mit der freien Vernunftfähigkeit der Person selbst verstanden werden. Insofern der Bezug auf den Menschen nach dieser Herangehensweise notwendig ist, um die Natur überhaupt als wertvoll konzeptionalisieren zu können, ließe diese Herangehensweise sich auch genauer als ein epistemischer Anthropozentrismus beschreiben. Der vorgestellte, Kantische Ansatz geht jedoch auch über einen reinen Anthropozentrismus, wie er Kant üblicherweise zugeschrieben wird, hinaus. Denn ihm zufolge können wir die Natur nicht lediglich als ein Ding mit einem gewissen Preis betrachten, eine Ressource, deren Wert sich an ihrem relativen Nutzen für den Menschen bemisst. Vielmehr müssen wir die Natur gleichzeitig nach der Analogie mit der Vernunft des Menschen als einen Zweck an sich mit einem von den Interessen des Menschen unabhängigen, unbedingten Wert verstehen. Praktisch bedeutet dies, dass wir uns selbst eine Pflicht zuschreiben müssen, die Natur niemals nur als Mittel, sondern immer auch als einen Zweck zu behandeln. In dieser zweiten Hinsicht kann dem vorgeschlagenen Ansatz also auch ein biozentrischer Charakter zugeschrieben werden. Als moralischem Biozentrismus geht es ihm nicht darum, den Wert der Natur in einer von der Betrachtung des Menschen unabhängigen Charakteristik der Natur selbst zu verankern, sondern die Natur –
_____________ ist meines Erachtens jedoch unklar, ob die Analogie zwischen Mensch und Tier den Ansprüchen an die notwendige Kommunikationsfähigkeit entspricht, die Habermas als Voraussetzung für die Gültigkeit von Normen ansieht.
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9. Umweltethik nach Kant
abhängig von der analogischen Betrachtung des Menschen – als einen Träger moralischer Werte geltend zu machen. 32 Auch wenn wir die Natur nicht zu den Wesen zählen können, die den gleichen Gesetzen unterstehen wie wir selbst, müssen wir uns somit eine Pflicht zuschreiben, mit der Natur immer auch als einen Zweck an sich umzugehen.33 Diese differenziertere Kantische Herangehensweise an das Problem einer Ethik, die auch die Natur in unsere moralischen Überlegungen mit einbezieht, kommt somit zu dem Schluss, dass der Natur ein Wert zugeschrieben werden muss, der zwar von der analogischen Beurteilung des Menschen abhängt, der jedoch über den instrumentellen Wert eines Nutzens für den Menschen hinausgeht. Mensch und Natur gehören nach dieser Auffassung nicht zu zwei einander entgegengesetzten Sphären, von denen nur die eine für wertvoll erachtet werden kann, sondern sind auch im Kontext unseres praktischen Verhältnisses zur Natur in Analogie miteinander zu verstehen. Gerade die Analogie von Vernunft und Natur ist es also, die dem Kantischen Ansatz die Möglichkeit verleiht, dem auf die Natur projizierten Wert eine überzeugende Begründung zu geben.
9.5. Umweltethik zwischen Anthropozentrismus und Biozentrismus Diese differenziertere Kantische Herangehensweise an das Problem einer Ethik, die auch die Natur in unsere moralischen Überlegungen einbezieht, geht einen Mittelweg zwischen Anthropozentrismus und Biozentrismus. Dieser Mittelweg kann die Schwierigkeiten der anthropozentrischen und biozentrischen Herangehensweisen umgehen, indem er den Wert der Natur an die reflektierende Beurteilung des Menschen bindet, ohne ihn auf einen instrumentellen Nutzen für den Menschen zu reduzieren. Der Kantische Ansatz vereinbart somit die Vorteile von anthropozentrischer und biozentrischer Denkart, insofern er der Natur erst nach der analogischen _____________ 32 Vgl. Krebs’ (1997, S. 343) Unterscheidung zwischen einer epistemischen und einer moralischen Version der Unterscheidung zwischen Anthropozentrismus und Biozentrismus. 33 In diesem Punkt stimme ich Korsgaard (1996, Vorlesung 4, und 2004) zu. Allerdings begründet Korsgaard diese These mit dem Hinweis, dass auch nicht-menschliche Lebewesen „ihr eigenes Gut“ haben und aus diesem Grund von uns als Zwecke an sich verstanden werden müssen (2004, S. 108). Im Gegensatz zu Korsgaard bin ich jedoch der Meinung, dass dieses „Gut“ der nicht-menschlichen Natur immer schon nach der Analogie mit dem Vernunftvermögen des Menschen verstanden werden müsste, damit es die Charakterisierung der Natur als eines Zwecks an sich begründen könnte.
9.5. Umweltethik zwischen Anthropozentrismus und Biozentrismus
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Beurteilung durch den Menschen den Status eines Zwecks an sich zuschreibt. Dieser Anspruch, die Natur in unseren Handlungen als einen Zweck zu betrachten, ist außerdem mit der plausiblen Auffassung zu vereinbaren, dass es rein anthropozentrische Gründe für den Schutz der Natur gibt. Denn natürlich impliziert die moralische Verpflichtung, die wir gegenüber anderen Menschen und uns selbst haben, gleichzeitig auch die Sicherung der natürlichen Lebensbedingungen dieser Menschen. Der hier entwickelte, analogische Ansatz widerspricht dieser Forderung nicht, sondern fügt ihr lediglich eine Rechtfertigung der intuitiven Auffassung hinzu, dass es auch unsere (analogischen) Überlegungen zur Natur selbst sind, die uns Pflichten zum Schutz der Natur auferlegen. Auch wenn die Natur als Ressource betrachtet das Leben von Menschen sichert, so folgt daher nicht, dass sie allein als ein Mittel für die Zwecke der Menschen behandelt werden kann. Es gibt viele verschiedene Arten, in denen das Leben der Menschen sichergestellt werden kann, ohne dass dabei die Natur lediglich als Mittel gebraucht wird. Beispielsweise können wir die Meere als Ressource nutzen, ohne sie so weit leer zu fischen, dass das Überleben der Fischstände gefährdet und damit gesamte Ökosysteme bedroht werden. Und wir können unsere Energieproduktion sichern, ohne dass dies die Gefahr eines nuklearen Störfalls oder die Bedrohung des Weltklimas mit sich bringt. Nach den Ergebnissen des vorgelegten Ansatzes müssen wir in unseren Versuchen, unser eigenes Überleben und das unserer Mitmenschen sicherzustellen, folglich immer solche Handlungsoption wählen, die auch den Schutz der Natur als Ziel haben. Auch wenn eine genauere Erörterung konkreter Pflichten zum Schutz der Natur über den Rahmen der vorliegenden Betrachtung hinausgeht, kann die vorangehende Untersuchung einen Hinweis darauf geben, dass unsere Pflichten zum Schutz der Natur immer mit Verweis darauf zu erörtern sind, dass wir die Natur in unseren Handlungen nicht allein als ein Mittel, sondern immer auch als einen Zweck zu beurteilen haben. Die hier entwickelte Kantische Analogie zwischen der Natur und der Vernunft des Menschen setzt dabei grundlegend an: Sie bezieht sich auf das allgemeine Merkmal des Lebens überhaupt und gilt daher für jede Form von Organismen. Darüber hinaus müssen nicht nur individuelle Organismen, sondern ganze Ökosysteme nach dieser Argumentation als Einheiten moralischen Wertes betrachtet werden. Zwar wurde die Analogie mit der Vernunft – wie das vierte Kapitel gezeigt hat – zunächst zur Erörterung von Organismen eingeführt. Jedoch – so wurde im sechsten Kapitel entwickelt – muss diese Analogie auch auf die Beurteilung komplexerer Einheiten von belebter und unbelebter Natur sowie letztlich auf das gesamte System der Natur übertragen werden. Insofern wir diese verschiedenen
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9. Umweltethik nach Kant
natürlichen Systeme in Analogie mit der menschlichen Vernunft als teleologische Einheiten betrachten, müssen wir ihnen dem vorgeschlagenen Ansatz folgend in unseren Handlungen auch als Zwecke an sich begegnen. Kants Analogie zwischen Natur und Vernunft dehnt die Reichweite unserer moralischen Überlegungen somit auf den Bereich der Tiere und Pflanzen, gesamter Ökosysteme und letztlich der Natur als Ganzer aus. Auch dem analogischen Kantischen Ansatz kann daher der Vorteil einer holistischen Betrachtung des Zusammenhangs von Mensch und Natur zugesprochen werden.34 Das Ergebnis dieser Untersuchung ist eine philosophische Begründung für eine zutiefst menschliche Regung: die Identifikation mit der uns umgebenden, natürlichen Umwelt. Nach dem hier entwickelten Ansatz ist eine solche Identifikation nicht nur intuitiv richtig, sondern sie lässt sich auch theoretisch rechtfertigen. Das heißt, dass unsere Verantwortung gegenüber der Natur nicht nur auf einem rein subjektiven Mitgefühl beruht, sondern auf einer sachlich begründeten Verpflichtung, die wir uns gegenüber dem Erhalt der Natur selbst zuschreiben müssen. Diese Einsicht bringt eine konkrete, gesellschaftliche Forderung mit sich: Umweltschutz ist als eine grundlegende Anforderung an unser Handeln zu verstehen, nach der wir unseren Umgang mit der Natur zu prüfen haben. Der Erhalt unserer natürlichen Umwelt muss so als ein beständiger, zeitloser Anspruch an unser praktisches Verhältnis mit der Natur begriffen werden.
_____________ 34 In dieser Hinsicht unterscheidet sich der hier entwickelte Vorschlag zu einer Kantischen Umweltethik auch von den in den Anm. 26, 31 und 33 genannten Ansätzen von Wood, Habermas und Korsgaard, die sich fast ausschließlich auf die tierische Natur beziehen.
Schluss Durch eine Untersuchung des Kantischen Naturverständnisses hat sich gezeigt, dass das Verhältnis des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt nicht auf dem unvereinbaren Gegensatz von Natur und Vernunft beruht, sondern sich wesentlich auf die Analogie zwischen der den Menschen umgebenden Natur und seiner eigenen Vernunft gründet. Erst mit Blick auf diese Analogie lässt sich ein umfassendes Verständnis der Natur begründen und letztlich auch das Problem einer Ethik für die Natur nachvollziehen. Die vorliegende Untersuchung zeichnet ein Naturverständnis auf Grundlage der Texte Kants, das der eingangs erwähnten Auffassung widerspricht, der Kantische Naturbegriff beziehe sich allein auf die kausal bestimmten Objekte der kategorialen Erfahrung. Die vorgelegte Erörterung zeigt stattdessen, dass die von Kant vorgestellte mechanistische Sicht auf die Natur begrenzter ist, als es manche Darstellung der Philosophie Kants erwarten ließe. Demnach ist die These, die gesamte Natur sei notwendig durch empirische Kausalgesetze bestimmt und nach mechanischen Gesetzen erklärbar, mit Kant nur als ein anzustrebendes Ideal zu rechtfertigen. Aber auch als ein solches Ideal kann die mechanische Erklärbarkeit der Natur niemals ausreichend für ein umfassendes Verständnis der uns umgebenden Natur sein. Denn gleichzeitig wird eine teleologische Beurteilung benötigt, um Teile der Natur als lebendig zu erfahren, um organische und anorganische Natur als durch ökologische Beziehungen geordnet und aufeinander bezogen zu verstehen und um die gesamte Natur als eine systematische Einheit denken zu können, die auch Lebendiges enthält. Neben der mechanischen Beurteilung ist diesem Kantischen Ansatz zufolge die teleologische Perspektive grundlegend notwendig, um der Natur, wie sie uns in unseren Erfahrungen gegenübertritt, überhaupt einen Sinn geben zu können. Das wesentliche Spezifikum dieser für unser Naturverständnis so zentralen Kantischen Teleologiekonzeption liegt – so hat die Untersuchung gezeigt – in ihrem besonderen analogischen Status. Nach Kant erfahren wir die Natur erst als lebendig und organisiert, indem wir sie nach der Analogie mit dem Vermögen betrachten, das uns als Menschen auszeichnet: unserer zwecktätigen und nach Einheit strebenden Vernunft. Durch diese Analogie, die das Herzstück unserer teleologischen Beurtei-
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Schluss
lung des Lebendigen und systematisch Organisierten in der Natur ausmacht, zeichnet sich die fundamentale Originalität des Kantischen Naturverständnisses aus: Der Kantische Standpunkt bietet eine Betrachtung, die als Alternative sowohl zu einem mechanistisch verkürzten Naturbegriff als auch zu einer metaphysisch spekulativen, teleologischen Naturvorstellung verstanden werden kann. Durch die Betonung der Notwendigkeit einer analogisch teleologischen Naturbetrachtung geht dieser Ansatz über die rein mechanistische Sicht hinaus, ohne jedoch einen zwecktätigen, intelligenten Schöpfer als Urheber der Natur zu postulieren. Mechanismus und Teleologie werden so als zwei für die Erfahrungswelt des Menschen miteinander zu vereinbarende Perspektiven auf die Natur dargestellt, die nicht nur notwendig, sondern auch voneinander abhängig und aufeinander bezogen sind. Hinweise auf die weiterführenden Konsequenzen, die aus diesem Kantischen Naturverständnis für das Verhältnis des Menschen mit der ihn umgebenden Natur folgen, haben insbesondere die letzten drei Kapitel gegeben. Insofern sich die Erfahrung von Dingen in der Natur als lebendige und systematisch organisierte Einheiten auf eine Betrachtung nach der Analogie mit der menschlichen Vernunft stützt, kommt zu den kategorialen Voraussetzungen der Erfahrung ein interpretativer Aspekt hinzu, der auf einer reflektierenden, analogisch verfahrenden Tätigkeit unserer Urteilskraft beruht. Gleichzeitig können wir auch eine Einsicht in unser eigenes, systematisch organisiertes und zwecktätig auf Einheit ausgerichtetes Vernunftvermögen nur nach der Analogie mit der uns umgebenden Natur erlangen. Gerade in der lebendigen Natur erkennen wir das wieder, was uns selbst auszeichnet. Für eine moderne Philosophie der Natur hat dieses mit der Einsicht in unsere eigene Vernunft verwobene Naturverständnis fundamentale Bedeutung. Denn die analogische Betrachtung der Natur mit unserem eigenen Vernunftvermögen bedeutet zugleich die Erfahrung einer notwendigen Nähe, eines notgedrungenen Zusammenhangs zwischen Mensch und Natur. Auch wenn das spezifisch Lebendige in der Natur für den Menschen nicht kausal-mechanisch erklärt werden kann, ist es ihm dennoch – oder gerade deshalb – vertrauter und näher, als es eine Naturerklärung nach mechanischen Gesetzen jemals sein könnte. Dieser Ansatz hilft nun auch, die Bedeutung der Biowissenschaften für unser Verständnis des Lebens besser nachvollziehen zu können. Selbst heute wird die Evolutionsbiologie dafür kritisiert, die Besonderheit des Lebendigen durch ihre wissenschaftlichen Ermittlungen wegerklären zu wollen. Der hier entwickelte Ansatz zeigt dagegen, dass die spezifische Besonderheit des Lebendigen sehr wohl auch im Kontext der modernen Biologie zugestanden werden kann, ohne die Naturwissenschaft durch den Verweis auf einen intelligenten Schöpfer als empirische Erklärungsalterna-
Schluss
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tive ersetzen zu müssen. Die Besonderheit alles Lebendigen wird vielmehr im Menschen selbst verortet, der in einer analogischen Denkbewegung das ihm von ihm selbst vertraute, zwecktätige Streben in die Natur hineinliest. Wir können folglich Naturalisten sein, ohne das charakteristische Merkmal alles Lebendigen auf die Eigenschaften toter Materie zurückführen zu müssen. Denn solange die Wissenschaft sich mit der lebendigen Natur beschäftigt, bleibt eine teleologische Perspektive nach der Analogie mit unserer eigenen Vernunftfähigkeit auch für sie unumgänglich. Eine Natur, in der wir uns selbst wiedererkennen und die sich gerade durch ihre Verwandtschaft mit und Vertrautheit für uns auszeichnet, kann schwerlich als Gegenstand begriffen werden, dessen Wert sich lediglich aus seinem Nutzen für den Menschen ergibt. Wollen wir in unseren Überlegungen und in unserem Verhalten gegenüber der Natur konsequent sein, so müssen wir auch unser praktisches Verhältnis mit der Natur nach der Analogie mit der menschlichen Vernunft ausrichten. Der Kantische Ansatz nimmt auch in diesem Zusammenhang eine maßgeblich originelle Position ein: Er geht über einen reinen Anthropozentrismus hinaus, der den Schutz der Natur nur insoweit rechtfertigen kann, als er dem Menschen einen Vorteil verspricht. Trotzdem verfällt er nicht den Schwierigkeiten eines Biozentrismus, welcher behauptet, der Natur einen intrinsischen und von der Beurteilung des Menschen unabhängigen Wert zuschreiben zu können. Denn menschliche Wertvorstellungen von der Natur beruhen immer auf der analogischen Betrachtung mit unserem eigenen, zwecktätigen Vernunftvermögen. Als Ergebnis der vorliegenden Untersuchung zeigt sich, dass gerade die Analogie zwischen der Natur und dem nach Zwecken handelnden und auf Einheit ausgerichteten freien Vernunftvermögen des Menschen eine entscheidende Grundlage für eine moderne Philosophie der Natur liefern kann. Natur und Vernunft stellen keinen Gegensatz dar: Sie zeigen sich als ein wechselseitig aufeinander verweisendes und selbst in unseren Wertzuschreibungen aufeinander angewiesenes Paar. Die Natur erweist sich so als eine Umwelt, in die wir Menschen nicht nur als Naturwesen, sondern auch und besonders als vernunftbegabte Akteure eingebettet sind.
Abkürzungen Anth BBM BDG Br EEKU FM GMS IaG KpV KrV KU Log MAM MAN MS NTH OP Päd PG Prol RezHerder SF TG TP
Anthropologie in pragmatischer Hinsicht Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes Briefe Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft Welches sind die Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolff’s Zeiten in Deutschland gemacht hat? Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht Kritik der praktischen Vernunft Kritik der reinen Vernunft Kritik der Urteilskraft Logik Mutmaßlicher Anfang der Menschheitsgeschichte Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaften Metaphysik der Sitten Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels Opus Postumum Pädagogik Physische Geographie Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik Rezensionen von J. G. Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit Der Streit der Fakultäten Träume eines Geistersehers, erläutert durch die Träume der Metaphysik Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis
Abkürzungen
ÜGTP V-Lo/Blomberg V-Lo/Busolt V-Lo/Dohna V-Lo/Philippi V-Lo/Wiener V-Mo/Kaehler(Stark) VvRM WDO ZeF
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Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie Logik Blomberg Logik Busolt Logik Dohna-Wundlacken Logik Philippi Wiener Logik Vorlesung zur Moralphilosophie Von den verschiedenen Rassen der Menschen Was heißt: sich im Denken orientieren? Zum ewigen Frieden
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Personenregister Personenregister
Adickes, Erich, 113
Düsing, Klaus, 4, 134, 142, 145, 167
Allen, Colin, 174, 177 Allison, Henry E., 18, 27, 130
Emundts, Dina, 45, 121
Aquila, Richard E., 149
Engels, Eve-Marie, 188
Attfield, Robin, 206
Ernst, Wilhelm, 115 Esser, Andrea Marlen, 204
Bartuschat, Wolfgang, 78 Baumanns, Peter, 79
Falkenburg, Brigitte, 42
Beck, Lewis White, 18, 20, 94
Ferrini, Cinzia, 45
Bekoff, Marc, 174, 177
Freudiger, Jürg, 148, 149
Bertalanffy, Ludwig von, 176
Friedman, Michael, 18-20, 24-28, 42, 43, 45
Bigelow, Julian, 176 Birnbacher, Dieter, 205
Gerhardt, Volker, 21, 107, 196, 204, 212
Black, Max, 159-161
Gfeller, Thomas, 113
Böhme, Gernot, 2 Böhme, Hartmut, 2
Ginsborg, Hannah, 38, 46-47, 48, 51, 52-56, 78, 122, 191
Brandt, Reinhard, 32
Gloy, Karen, 169, 172
Breitenbach, Angela, 39, 109, 174, 199, 204
Godfrey-Smith, Peter, 178f.
Brenner, Andreas, 205
Goodman, Nelson, 159
Buchdahl, Gerd, 18-20, 28, 43, 169
Griffiths, Paul E., 179
Buller, David J., 174, 177
Gutterer, Dietrich, 67
Butts, Robert E., 113, 123
Guyer, Paul, 17, 18, 32, 79, 148f.
Callanan, John J., 72
Habermas, Jürgen, 216, 220
Cassirer, Ernst, 113, 159
Haeckel, Ernst, 195
Cassirer, Heinrich Walter, 115
Hausman, Carl R., 159
Cummins, Robert, 179-185, 192
Heinen, Peter, 65 Henrich, Dieter, 101
Darwin, Charles, 187-191, 195
Hirsch Hadorn, Gertrude, 210
Dawkins, Richard, 189
Horstmann, Rolf-Peter, 32
Dörflinger, Bernd, 104-105
Hume, David, 20, 78
Personenregister Hutter, Axel, 88, 90, 168, 212
O’Neill, Onora, 92, 95, 202, 204, 215
Jardine, Nicholas, 4
Paley, William, 78
Johnson, Mark, 159
Paton, Herbert James, 27
Jonas, Hans, 2, 199, 206-210, 213
Peter, Joachim, 32, 142 Pieper, Annemarie, 72, 74
Keil, Geert, 41, 196
Pillow, Kirk, 165
Kleingeld, Pauline, 90, 145, 164, 188, 215
Pittendrigh, Colin S., 189
Kluxen, Wolfgang, 70
Plaass, Peter, 42
Koriako, Darius, 72
Pollok, Konstantin, 42
Korsgaard, Christine M., 218, 220 Krebs, Angelika, 218
Quarfood, Marcel, 120, 169
Krohs, Ulrich, 174 Rajiva, Suma, 32 Lakebrink, Bernhard, 72, 172
Rang, Bernhard, 21-23, 50
Lakoff, George, 159
Ratcliffe, Matthew, 184, 187
Lauder, George, 174
Recki, Birgit, 104
Lewens, Tim, 180f., 183-185
Reinhold, Karl Leonhard, 88
Longuenesse, Béatrice, 20
Richards, Ivor Armstrong, 159
Lovejoy, Arthur, O. 31, 195
Richards, Robert J., 4
Löw, Reinhard, 4, 70, 107, 113, 115, 144
Ricœur, Paul, 159, 169 Rolston, Holmes, 206
Makkreel, Rudolf A., 107, 165
Roretz, Karl, 4
Mayr, Ernst, 188f.
Rosales, Alberto, 98-100
McFarland, John D., 79, 116f., 130
Rosenblueth, Arturo, 176
McLaughlin, Peter, 4, 48-51, 54, 56, 58, 79, 104, 113, 126f., 178f.
Ruse, Michael, 184-186, 189, 191, 193 Russell, Edward Stuart, 176
Melnick, Arthur, 17 Menzer, Paul, 4
Sans, Georg, 22, 107
Mertens, Helga, 106
Shell, Susan Meld, 122
Meyer-Abich, Klaus Michael, 206
Sommer, Manfred, 212
Millikan, Ruth Garrett, 177f.
Sommerhoff, Gerd, 176 Spaemann, Robert, 189, 206
Naess, Arne, 206
Stadler, August, 69
Neander, Karen, 177f.
Steigerwald, Joan, 118
Neiman, Susan, 95 Newton, Isaac, 38, 43, 188
Sutter, Alex, 79
Nuyen, Anh Tuan, 172
239
240 Taylor, Paul W., 206 Thöle, Bernhard, 18, 35 Timmermann, Jens, 92, 204 Toepfer, Georg, 174, 180, 189-194
Personenregister Willaschek, Marcus, 92 Wohlers, Christian, 100 Wolff-Metternich, Brigitta-Sophie, 72 Wood, Allen, 204, 213, 220 Wright, Larry, 175-177, 182, 185
Ungerer, Emil, 4 Yovel, Yirmiahu, 145 Vaihinger, Hans, 169 Ward, Andrew, 20 Watkins, Eric, 20, 38 Wiener, Norbert, 176
Zammito, John H., 4, 90, 117, 196 Zanetti, Véronique, 130 Zuckert, Rachel, 165 Zumbach, Clark, 126
Sachregister Sachregister
Absicht Absicht als Begriff in der Biologie, 189 Absicht der Vernunft, 150 Endabsicht der Natur, 144, 150 nach Absichten handeln, 87, 91, 93, 95, 103 nach Absichten handelnde Weltursache, 146-150 Natur als absichtlich erzeugt, 122f., 128, 136f. Abstraktion, 157, 171f. Affinität, Gesetz der, 31 Aggregat vs. System, 30, 138 Ähnlichkeit Ähnlichkeit von theoretischer und praktischer Vernunft, 93 Ähnlichkeitsbeziehungen in der Analogie, 70-75, 158-166 Problematik der Erkenntnis/Erklärung von Ähnlichkeiten in der Natur 26f., 34f. Allgemeines Analytisch-Allgemeines vs. Synthetisch-Allgemeines, 49, 65 Unterordnung von besonderen Erfahrungen unter allgemeine Begriffe/ Prinzipien/Gesetze, 26-36, 49, 57, 6265, 99, 156f., 168, 171 Verhältnis von Allgemeinem und Besonderen vs. Verhältnis von Teil und Ganzem, 50, 52, 64 Allgemeingültigkeit von Vernunftgründen, 92, 200f.
als ob „als ob“-Betrachtung der Natur als Einheit, 6, 32-24, 111 „als ob“-Betrachtung von Zwecken in der Natur, 68f., 137, 157, 212 teleologische Äußerungen in der Biologie als „als ob“-Äußerungen, 184 Amphibolie, 203 Analogie Analogie zwischen der Gesamtheit der Natur und Vernunft, 141f., 151-153 Analogie zwischen mechanischen Gesetzen und Rechtsgesetzen, 74f. Analogie zwischen Organismus und Kunstprodukt/Artefakt, 7, 67, 70, 7679, 81, 102, 118, 149, 153 Analogie zwischen Organismus und Leben, 79f. Analogie zwischen Organismus und Vernunft, 3, 7f., 81, 84-89, 101-108, 109, 222 Analogiebegriff, 70-75 Analogien der Erfahrung, 13, 35, 43, 72 Analogien in der Biologie, 11, 181, 183-187, 191, 195-197, 222f. Analogien in der Umweltethik, 11, 198f., 203, 211-220, 223 analogischer Status der teleologischen Maxime, 118, 124 mathematische vs. philosophische Analogie, 71f. Notwendigkeit der analogischen Betrachtung von Organismen, 66-70
242
Sachregister
Status der analogischen Erfahrung der Natur, 10, 154-172 zwei Funktionen der analogischen Betrachtung der Natur, 119-123, 137-140 zweite Analogie, 13-28, 33-36, 47 Anpassung eines Organismus an seine Umwelt, 187-190 Anschauung, 14, 20, 22, 29, 49, 52, 62f., 65, 72-75, 99, 166, 171 Anthropozentrismus, 2f., 11, 199, 205f., 210-219, 223 epistemischer vs. moralischer Anthropozentrismus 217f. Antinomie, 8, 109-131 Artefakt, 67, 70, 84, 103, 181, 183-185, 207 Ästhetik, 4, 156, 172 ästhetische Urteile, 165 Ätiologie, 175-179, 181, 184, 186f., 188, 192 Bedürfnis der Vernunft, 89-95, 150 Begehrungsvermögen, 106f. Beobachtung, 18, 26f., 35, 37, 39, 44, 57, 136 Bewegung Bewegung der Materie, 43-46, 55 Bewegung der Urteilskraft, 118 Bewegungsgesetzte, 43-47, 52 Bewegungskräfte, 44-47 Bewegungslehre, 45 Denkbewegung, 223 Handlung als freie, beabsichtigte Bewegung im Raum, 91, 93 Biologie, 1, 10f., 173-197, 222 Gegenstand der Biologie, 120, 169 Biowissenschaften, 1f., 173f., 189, 192, 195f., 222, siehe auch Biologie Biozentrismus, 11, 199, 205-219, 223 epistemischer vs. moralischer Biozentrismus, 217f. Bildungskraft, 56
Chaos, empirisches vs. transzendentales, 27f., 32, 94 Chemie, 26, 45, 58, 173, 183, 186 Design-Argument, 79, 184, 186 Determinismus, kausal-mechanischer, 5f., 13, 16, 33, 38f., 58f. Deutlichkeit, logische vs. ästhetische, 171f. Dialektik der teleologischen Urteilskraft, 109-113, 121, 124, 130, 164 Einbildungskraft, 73 Einheit Einheit aller Erfahrungen in der Zeit, 22f. Einheit der Natur als System der Zwecke, 133, 140-153, 207, 216 Einheit der Natur/Totalität der Natur/des Weltganzen, 5, 7, 28-36, 39, 57f., 60, 90, 111, 118, 141, 146, 167, 221 Einheit der theoretischen und praktischen Vernunft, 88-96 Einheit der Vernunft, 84-108, 163-166, 221-223 Einheit der Vernunftkritik, 168 Einheit des Organismus, 3, 8, 62, 6569, 101-108, 119, 128, 185, 190-196, 219-222 Einheitsidee der Vernunft, 30-34, 73f., 76, 86f., 101, 105, 142f., 147 Einheitsstreben der Vernunft, 32, 139, 142f., 152, 163-166 ökologische Einheiten, 140, 190-196, 219-222 transzendentale vs. empirische Einheit der Erfahrung, 26f. Einwirkung, externe/der Materie, 6, 43f., 54f., 64 Endursache, 78, 91, 110, 112-114, 117f., 121, 123, 146, 181 Entwicklung Entwicklung von Körpern, 55
Sachregister Entwicklung von Organismen/lebendiger Natur, 69, 77, 119, 121f., 125, 133, 135, 189-191, 195f. Entwicklungsgeschichte, 175, 179, 186, 192 mechanische Entwicklung des Universums, 46 Erfahrung Erfahrung von Organismen/lebendiger Natur, 60-83, 101-108, 119-123, 127, 130, 185f., 191-197, 198, 222 kategoriale vs. reflektierende/analogische Erfahrung, 10, 106, 120, 221f. Kausalprinzip als transzendentale Bedingung objektiver Erfahrung, 13-28 Problematik der Bestimmtheit/Einheit der Erfahrung, 24-36, 111 Status der reflektierenden/analogischen Erfahrung, 154-172 transzendentale Voraussetzungen der Erfahrung, 13f. Erklärung Erklärung vs. Erörterung von Organismen, 69, 126 Erklärungen in der Biologie, 173-197 mechanische Erklärungen, 6, 37-39, siehe auch reduktiver Anspruch mechanischer Erklärungen teleologische Erklärungen, 121 Unmöglichkeit mechanischer Erklärung von Organismen, 60-66 Vereinbarkeit mechanischer Erklärung mit teleologischer Beurteilung, 124131, 171f. Evolutionstheorie/Evolutionsbiologie, 1, 11, 174, 177f., 187-191, 222 Experiment, 35, 37, 39, 44, 57 Feedback, 176 Formen der Anschauung/Sinnlichkeit, 13, 20, 22f. Freiheit
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Freiheit als Selbstbestimmung und Handlung aus Vernunftgründen, 91f., 98, 199 Freiheit als Unabhängigkeit von natürlichen Bestimmungen, 38-41, 46, 51 Freiheit im Denken, 95 Problematik der Möglichkeit von Freiheit in der Natur, 152 Standpunkt der Freiheit vs. Natur, 131, 166-168, 200, 211 Unerkennbarkeit der Freiheit, 24, 200 Funktion Funktion als Begriff in der Biologie, 173, 175-192 Funktion der Teile innerhalb eines lebendigen Ganzen, 7, 61-66, 76, 119, 128f., 134f. Funktion der Vernunftvermögen innerhalb des Vernunftganzen, 85, 96100 ganzheitliches/holistisches Naturverständnis, 4, 10, 154, 156, 172, 198, 207, 220 Gattung, 26f., 31, 76 Gemeinschaft Kategorie der Gemeinschaft, 107 politische Gemeinschaft, 215 Gemeinsinn, 215 Genetik, 1, 189-191 Gesetz empirische Gesetze vs. Gesetze a priori, 24-36, 111, 115-117 Gesetz der Verknüpfung von Ursache und Wirkung, 14-19 Gesetzmäßigkeit der Natur, 3, 24-36, 94, 111 kausale Gesetze, 15-36 mechanische Gesetze, 5-8, 37-59 Verhältnis von kausalen und mechanischen Gesetzen, 37-41, 47-56 Gewissheit, empirische vs. unbedingte Gewissheit, 5, 35f.
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Sachregister
Gleichartigkeit, Prinzip der, 31 Gleichförmigkeit der Natur, 27, 94, siehe auch Regelmäßigkeit der Natur Gott/göttlicher Schöpfer, 7, 78f., 137, 147, 150, 190, siehe auch Schöpfer, Welturheber Gottesargument/Gottesbeweis, 78f. Gut bedingtes vs. unbedingtes/relatives vs. absolutes Gut, 200f., 206, 209 Gut der Natur, 206, 218 guter Wille, 145, 200 Handlung Denken und Erkennen als Handlung, 93 freie/spontane Handlung, 22, 24, 40f., 46, 91, 200f. Handlung als Anwendungsbereich des Zweckbegriffs, 166 Handlung der Kausalität, 21 Handlungen der Vernunft, 8, 82, 89, 93, 95f., 102, 139 Handlungen unter dem kategorischen Imperativ, 92f., 95-98, 101, 201 Handlungsintentionalität vs. Naturteleologie, 194 moralische Handlung, 40, 145f., 151f., 204f. rechtmäßige Handlung, 74f. Verhältnis von Handlung und Regelmäßigkeit der Natur, 28, 90, 94 zweckgerichtete Handlung, 67, 81, 91f., 103f., 107, 214f. Hylozoismus, 79, 210 Induktion, 5, 25f., 34-36, 71, 169 Intelligibles intelligible Welt, 40, 92 intelligibler Weltgrund/Urgrund, 149f., siehe auch übersinnlicher Grund Interaktionstheorie, 155-171 Interesse der Vernunft, 90-96, 167
Kategorien, 42, 72, 107, 169 kategorischer Imperativ, 92-97, 201, 212, 216 Kausalität ausnahmslose Gültigkeit der Kausalität, 21-24 externe Kausalität, 53-56, 123 finale Kausalität, 68 kausale Gesetze, siehe Gesetze kausale Rollen, 175, 178-186, 194 Kausalität aus/durch Freiheit, 24, 91 Kausalität der Endursachen, 91 Kausalität nach Zwecken, 7, 60f., 6670, 81f., 84, 87, 91, 101, 107, 129 lineare vs. zirkuläre Kausalität, 192194 transzendentales Prinzip der Kausalität, 13-36 wirkende Ursachen, 5, 14, 39f., 47, 62, 78, 91, 128, 176 Klarheit, 171 Konstruktion in der Mathematik, 72 Körper körperliche Natur, 42-47, 52-59, 112, 115 mechanisch bestimmter Körper, 74f. organisierter/tierischer/lebendiger Körper, 62, 65, 84, 87, 124f., 134, 156 Kräfte bewegende Kräfte der Materie, 6, 4348, 52-58, 64-66, 74f., 77, 117f., 139, 156 bildende Kräfte, 77 geistige Kräfte, 80 lebendige/belebende Kräfte, 80 vorbringende und zerstörende Kräfte der Natur, 136 Kultur, 145 Kunst/Kunstprodukt, 76, siehe auch Analogie zwischen Organismus und Kunstprodukt
Sachregister Leben Charakter des Lebendigen, 60-70, 7683, 101-108 Erfahrung von lebendiger Natur, siehe Erfahrung Lebensbegriff, 106-108 Lebensprinzip, 79f., 106 Lebensraum, 135, 140, 201 Lebenswissenschaften, 10f., 173, 182, 187, siehe auch Biologie Lebewesen, siehe Organismus Leblosigkeit der Materie, 46, 80 teleologische Betrachtung der lebendigen Natur, siehe Teleologie Logik, 41, 72 Materie Begriff der Materie, 42-47 Körper bildende Materie, 55f. Materie/materielle Natur als mechanisch bestimmt, 6, 42-48, 52-58, 64-66, 74f., 111f., 115-117, 139, 156 Materie vs. vernünftige Ursache eines Künstlers, 76 tote Materie vs. lebendige Natur, 2, 46, 60, 64-66, 77, 79f., 117f., 124f., 127f., 223 Mathematik, 71f., 75 Maximen Handlungsmaximen, 92, 95, 97, 201, 216 Maxime der systematischen Einheit der Natur, 57f. mechanische und teleologische Maximen, 8f., 57f., 109-131 Mechanik, reine Gesetze der, 41-45, 75f., 115, 117 Mechanismus mechanische Bildungskraft, 56 mechanische Erklärungen, siehe Erklärung mechanische Gesetze, siehe Gesetze
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mechanische Maxime, 112, 114-117, 124-131 Mechanismus als blinde Verursachung, 46, 56f., 117f. Mechanismus der Vernunft, 40 Mechanismusbegriff, 37-59 Mensch Mensch als Endzweck der Natur, 144148 Mensch als erkennendes und handelndes Wesen, 91-93 Mensch als körperliches Vernunftwesen, 105 Mensch als körperliches Wesen/Naturwesen, 40, 92 Mensch als lebendiges Wesen, 108 Mensch als moralisches Wesen, 144146, 205 Mensch als vernunftbegabtes Wesen, 40, 67, 92, 107f., 170, 200-202 Mensch als Zweck an sich, 198 Metapher Metaphernbegriff, 70, 155f., 158-163, 156, 157 politische Metaphern, 215 tote Metaphern, 183 Metaphysik der Natur, 42, 150 Möglichkeit vs. Wirklichkeit, 62f. moralische Selbsterhaltung, 202 moralische Teleologie, siehe Teleologie moralisches Objekt vs. moralisches Subjekt, 205, 216 Moralität, 144, 146, 151f., 202f., 216 Moralphilosophie, 39, 41, 144, 146, 152, 198f., 205, 210 Nacheinander, 13-15 Natur lebendige Natur, siehe Leben, Organismus Natur als Einheit, siehe Einheit
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Sachregister
Natur als Objekt möglicher Erfahrung, 13, 16, 42, 111 Natur als System, siehe System Naturdeterminismus, 33-36, 56-59 Naturethik, siehe Umweltethik Umgang mit der Natur, 1f., 202, 204, 207, 212, 220 Unbestimmtheit der Natur, 24-33 Zerstörung der Natur, 1, 201, 203-205, 207 Naturalisierung, 174, 182f., 196 Naturwissenschaft, 1f., 10, 26, 37, 41-45, 115f., 137, 155, 172, 173f., 185, 194f., 22 Naturwissenschaft als reine oder angewandte Bewegungslehre, 45 Newton des Grashalms, 188 Normativität, 180, 209f. Nutzbarkeit, 9, 132, 134, siehe auch (äußere) Zweckmäßigkeit Ökologie, 195 ökologische Beziehung, 139f., 173, 221 ökologische Katastrophen/Probleme, 1, 209 Ökosystem, 140, 186, 191f., 201, 205, 207, 219f. Organ, 61f., 77, 84f., 98, 100, 102, 105, 107, 129, 134, 173, 176-178, 182, 186f., 190 Organisationstheorie, 178 organisiertes Wesen, 60, 78, 81, 84, 102, 107, 109, 126, 128, 132, 194, 212, siehe auch Organismus Organisiertheit der Natur, 32, 34, 46, 82, 142f., 154, 157, 163, 167, 171, 195, 198, 211f., 217, 221f. Organismus analogische Beurteilung von Organismen, 66-70, 76-83, 101-108, 119-129, 185-197, 211-214 Form und Funktionsweise vs. Entstehung von Organismen, 121f.
mechanische Unerklärbarkeit von Organismen, 61-66, 124-126, 139 Verhältnis des Organismus zu seiner Umgebung, 134-140 Paralogismen der reinen Vernunft, 215 Perspektive teleologische Perspektive in der Biologie, 173, 185, 187-189, 191, 196 zweifache, mechanistische und teleologische Perspektive auf die Natur, 3, 8-10, 109f., 117, 119, 122f., 127-129, 140, 149f., 154-157, 167, 170, 172, 222f. Pflanzen, 3, 14, 136, 138, 177f., 220 Pflicht direkte vs. indirekte Pflichten, 202-205 Pflichten zum Schutz der Natur, 198220 Philosophie der Biologie, 10, 173-197 Physik, 38, 45, 173, 183, 186, 192 physische Teleologie, siehe Teleologie Primat der praktischen Vernunft, 94 Projektion anthropomorphe Projektion in der Biologie, 184 Projektion der Einheit, 30, 32 Projektion in der Analogie, 160 Projektion von Wertvorstellungen auf die Natur, 211, 218 Raum, 13, 20, 42-44, 47f., 54f., 93 Reduktion ontologischer vs. explanativer AntiReduktionismus, 126 Reduktion eines Ganzen auf seine Teile, 48, 50 Reduktion teleologischer auf kausalmechanische Begrifflichkeiten, 11, 184, 187, 195f., 208 reduktiver Anspruch mechanischer Erklärungen, 10, 155-158, 168, 171f.
Sachregister Recht/Rechtsgesetze, 74f. Reflektieren, 31 Reflexion, 69, 73, 75, 99, 103, 118, 156, 163, 165-171, 212, 217 Regel der Kausalität, 16-24 Regelmäßigkeit der Natur, 24-36, 57, 90, 94 regulative vs. konstitutive Naturbetrachtung, 30-35, 58f., 75, 82, 94, 110-118, 136f., 196 Relation Kategorien/Grundsätze der Relation, 13, 43, 58, 72 Kausalrelation, 17, 21, 52 Relationen der Materie, 47, 53, 55 Schema, 73f., 106, 164 Schlüsse der Vernunft, 29, 86, 90, 92, 99, 101 Schönes, 203 Schöpfer, 7, 9, 133, 144, 147-150, 184, 195, 222, siehe auch Gott, Welturheber Sein und Sollen, 209f. Selbstbestimmtheit/Selbstbestimmung, 67, 91-98, 101-103, 145, 152f., 167, 200, 207 Selbstorganisation, 65, 77-80, 101, 107, 125, 132, 162, 196 Selektion, natürliche, 177-179, 186-192 Sensus communis, 215 Sinnenwelt, 40, 92, 150 sinnliche Darstellung, 72-74 Sinnlichkeit, 3, 13, 21f., 29, 49, 63, 171f. Sittengesetz, 74, siehe auch kategorischer Imperativ Spezies, 36 Spontaneität Spontaneität der Begriffe, 62 Spontaneität der Vernunft, 41, 105 Standpunkt mechanistischer vs. teleologischer Standpunkt, 149
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theoretischer vs. praktischer Standpunkt/Standpunkt der Natur vs. Freiheit, 40, 92f., 131, 167f., 200, 211 Streben Streben der Natur, 8, 190, 195, 208210, 223 Streben der Vernunft, 32, 98, 133, 139, 142f., 152, 163, 165, 221 subjektive Notwendigkeit, 32f., 50, 56 Substanz, 13, 21, 43, 47, 80, 106 Substitutionstheorie, 155f., 158f., 162f. Symbol, 73-75, 104, 106, 163f. System Natur als nach empirischen Gesetzen geordnetes System, 6, 28-33, 57-59, 111, 167 Natur als System der Zwecke, 9, 132, 141-148 Rechtssystem, 74f. systematische Einheit der Organismen, 3, 77, 101-106, 119, 164 systematische Einheit der Vernunft, 7f., 84-106 systematische Einheit von organischer und anorganischer Natur, 140, siehe auch Ökosystem Systemtheorie, 11, 174f., 178-181, 186f., 192-194 Teil und Ganzes Verhältnis der Teile eines mechanisch bestimmten Körpers zum Ganzen, 38, 48-51, 54-56 Verhältnis der Teile eines Ökosystems zum Ganzen, 140 Verhältnis der Teile eines Organismus zum Ganzen, 64-68, 77f. Verhältnis der Teile des Vernunftvermögens zum Ganzen, 84-87, 96-101 Teleologie physische vs. moralische Teleologie, 143-153
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Sachregister
Rolle der teleologischen Naturbetrachtung für die Umweltethik, 210-220 Status der teleologischen Naturbetrachtung, 154-172 Teleologie als Heuristik, 110, 119-123, 127, 129, 137-140, 154f., 174, 181-187, 195 teleologische Begriffe in der Biologie, 173-197 teleologische Betrachtung der gesamten Natur, 132-153 teleologische Betrachtung von Organismen/lebendiger Natur, 66-70, 101106, 119-123 teleologische Maxime, 112, 117f., 124131 zwei Stufen teleologischer Naturbetrachtung, 119-123, 137-140 Theologie, 79, 84, 143f., 147-151, 190, 195 Tiere, 3, 14, 40, 61, 136-138, 178 Tiere als Analoga der Menschheit, 202f. tierischer Körper, 87 Umgang mit Tieren, 202-204, 213, 216, 220 Totalität, 30, 90 Transzendentale Ästhetik, 20, 22 Transzendentale Dialektik, 24, 26, 29, 31, 142 Überlegen, 31 Übernatürliches übernatürliche Intelligenz, 22 übernatürliche Ursache/Verursachung, 23f. übernatürlicher Urgrund, 147 übernatürlicher Zweck, 146, 152, 174 Übersinnliches, 130, 149 übersinnliche Ursache, 148, 150 übersinnlicher Grund der Natur, 147, 149f. übersinnlicher Zweck, 152
übersinnliches Prinzip, 8 übersinnliches Wesen, 150 Umwelt, 1, 10, 28, 139, 154, 189f., 204, 207, 220f., 223 Umweltethik/Umweltphilosophie, 3f., 11f., 198-220 Umweltpolitik, 2 Umweltschutz, 1, 220 Urteilskraft analogisches Verfahren der Urteilskraft, 71, 75, 163, 222 reflektierende vs. bestimmende Urteilskraft, 31-33, 69 regulative Prinzipien/Maximen der Urteilskraft, 33, 57f., 82, 109-131, 142 Urteilskraft als Teil der Vernunft im weiten Sinne, 86, 89, 96f., 99f. Varietät, Prinzip der, 31 Veranschaulichung, 72f., 75, 165 Verantwortung für die Natur, 1, 199, 206209, 220 Vereinbarkeit/Vereinbarung Vereinbarkeit/Vereinbarung des theoretischen mit dem praktischen Vernunftgebrauch, 93-97, 211 Vereinbarkeit/Vereinbarung von Mechanismus und Teleologie, 8, 109f., 124-131, 171f. Vereinigung von Mechanismus und Teleologie, 8, 110, 129f., 149-152 Vermittlung von Natur und Vernunft in der Analogie, 154, 166-168 Vernunft Analogie von Vernunft und Natur, siehe Analogie apodiktischer vs. hypothetischer Gebrauch der Vernunft, 31 Einheit der Vernunft, siehe Einheit Gesetze/Grundsätze/Prinzipien der Vernunft, 40, 74, 92, 94f., 97-101, 215 hypothetische Vernunft vs. reflektierende Urteilkraft, 32
Sachregister organismische Einheit des gesamten Vernunftvermögens, 85-89, 96-108 technisch-praktische vs. moralischpraktische Vernunft, 103 theoretische vs. praktische Vernunft, 89-96, 131, 145, 151f. Vernunft als Organ der Ideen, 100 Vernunft als Vermögen der Prinzipien, 29-31 Vernunft im engeren vs. weiteren Sinne, 86 Vernunft und Moralität, 199-205, 210220 Vernunfterkenntnis, 59, 72, 215 angewandte Vernunfterkenntnis, 59 Vernunftgründe, 199f., 214 Vernunftideen, 32, 73, 99, 142f., 165 Vernunftkritik, 86-88, 168, 215 Versinnlichung, 73-75, 164 Verstand diskursiver vs. intuitiver Verstand, 6365, 67f., 149f. Eigentümlichkeit des menschlichen Verstandes, 33, 49-51, 54, 56, 62-65, 67-69, 106 Verstand als Teil der Vernunft im weiten Sinne, 86, 96-100 Verstand vs. Vernunft, 29f. Verstandesbegriffe/Verstandesgesetze/Verstandesgrundsätze/Verstandesprinzipien, 13-36, 42f., 58, 7274, 94, 99, 169 Verstandeserkenntnis, 29-31, 97, 99 Wachstum, 8, 77, 87, 122, 134f. Welt Weltganzes, 90, 142 Weltklima, 219 Weltraum, 46 Weltseele, 79
249 Welturheber, 148, siehe auch Gott, Schöpfer Weltursache, 9, 79, 146-151
Wert Wert der Natur, 2, 11, 199, 201-203, 206-220, 223 unbedingter/innerer vs. bedingter/relativer Wert, 145, 200-202 Widerstreit, 112, 114, 123, 127, siehe auch Antinomie Zeit, 13-23, 40, 43, 47f., 54 Ziel Ziel vorgebender/zielgerichteter Charakter der Vernunft, 30, 41, 91, 96-98, 101 Ziel vorgebender/zielgerichteter Charakter des Organismus, 65f., 102f., 106, 118, 139, 189f., 195 Zufälligkeit Einheit der Vernunft vs. zufällige Akkumulation von Fähigkeiten, 89, 98 zufälliger Vorgang, 22f. Zufälligkeit der Organismen nach mechanischen Gesetzen, 61-68, 76, 118, 125 Zufälligkeit des empirischen Charakters der Natur, 30, 32 Zugleichsein, 13, 22 Zuträglichkeit, 132, 134f., siehe auch (äußere) Zweckmäßigkeit Zweck Endzweck, 141, 144-148 letzter Zweck, 145, 151 Natur als Zweck ihrer selbst, 151-153 Naturzweck, 76-78, 81f., 102, 109, 120, 125-128, 134, 141, 146, 148-150, 164, 212 realistisches Verständnis von Zwecken, 123, 207-210 Zweck an sich, 98, 201f., 212-220 Zweckbegriff, 67f.
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Sachregister
Zweckbegriff in der Biologie, 173-197 Zweckgerichtetheit Zweckgerichtetheit der Vernunft, 98, 101, 104-106, 164 Zweckgerichtetheit des Organismus, 65, 105-107, 117f., 122, 124, 132, 164, 193 Zweckmäßigkeit innere/interne vs. äußere/externe Zweckmäßigkeit, 9, 76-79, 134-140
objektive vs. subjektive Zweckmäßigkeit, 69f. Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen, 32-35, 57f. Zweckmäßigkeit der Organismen, 6170, 101-108 Zweckmäßigkeit/Zwecktätigkeit der Vernunft, 85-108 Zwecktätigkeit der Vernunft, 199-205