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German Pages 100 [102] Year 1967
Sozialwissenschaftliche Abhandlungen Heft 11
Die Agrarpolitik Indiens Eine kritische Würdigung
Von
Krishan Lal
Duncker & Humblot · Berlin
Krishan Lai / Die Agrarpolitik Indiens
Sozial wissenschaftliche A b h a n d l u n g e n begründet von der Hochschule für Sozialwissenschaften, WiJhelmshaven-Rüstereiel
fortgeführt von Ernst-Rudolf Huber, Bruno Seidel, Bernt Spiegel
Heft 11
Die Agrarpolitik Indiens Eine kritische Würdigung
Von
Prof. Dr. Krishan Lai
DUNCKER
& HUMBLOT
/
BERLIN
Alle Redite vorbehalten © 1967 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1967 bei Alb. Sayfiaerth, Berlin 61 Printed In Germany
In memoriam Prof. D. Dr. Siegfried 1901
Mitbegründer
Wendt
-1966
und Mitherausgeber
der Sozialwissenschaftlichen
Abhandlungen
Vorwort des Herausgebers Der Verfasser behandelt i n der hier vorgelegten Untersuchung die Agrarpolitik seines Heimatlandes. Er gibt hierin bei aller Kürze seiner Darstellung ein umfassendes B i l d der von Seiten der indischen Regierung i n den letzten Jahren versuchten und veranlaßten Maßnahmen auf dem Gebiet der Agrarpolitik. Sein Urteil über ihre Wirkungen ist außerordentlich kritisch. Es w i r d jedoch angesichts des Materials, auf dem seine Untersuchungen aufgebaut sind, nicht leicht übergangen werden können. Der Verfasser selbst hat nach ökonomischen Studien i n Delhi, die er dort als Bachelor und Master of Arts abschloß, als Postgraduierter zunächst an der London School of Economics (University of London) seine ökonomischen Studien vertieft. Nach einem sozialwissenschaftlichen Zusatzstudium an der (ehemaligen) Hochschule für Sozialwissenschaften i n Wilhelmshaven-Rüstersiel wurde er dort 1960 zum Doktor der Sozialwissenschaften (Dr. disc, pol.) promoviert. Er lehrt heute als Assistant Professor of Economics ökonomische Theorie an der University of Saskatchewan, Saskatoon (Kanada), fühlt sich aber auch den deutschen Sozial- und Wirtschaftswissenschaften immer noch eng verbunden. I n seiner Untersuchung befaßt sich der Verfasser jedoch nicht mit der mit seinem Thema eng zusammenhängenden allgemeinen Entwicklungsproblematik und -theorie. Deshalb seien hier einige dieser allgemeinen Probleme angedeutet, die zu einem Zeitpunkt besondere Beachtung verdienen, an dem die Entwicklungshilfe einer grundsätzlichen Neuorientierung eigentlich kaum mehr ausweichen kann. Seine Untersuchungen bestätigen und unterstreichen Erfahrungen, die der Herausgeber 1965 als Gastprofessor und -dozent i n Ostasien selbst machen konnte. I n diesem Zusammenhang sei nur auf des Herausgebers Abhandlung „Voraussetzungen und Probleme einer politisch orientierten Theorie der Entwicklungshilfe" i n der Festschrift für Gerhard Leibholz (Tübingen 1966) verwiesen*. * Die moderne Demokratie u n d i h r Recht (Modern Constitutionalism and Democracy), 1. Band: Grundlagen, S. 245 ff.
6
Vorwort des Herausgebers
Die aus der hier vorliegenden Untersuchung sich ergebenden Schlußfolgerungen decken sich weitgehend m i t den Erfahrungen und Thesen des Herausgebers, die sich zu diesem Thema wie folgt zusammenfassen lassen: Es w i r d deutlich, daß es eine Einheit der Probleme von sogenannten Entwicklungsländern wohl kaum gibt. Z u dieser Annahme verleitet ja immer wieder die scheinbar so umfassende, an sich jedoch inhaltsleere Bezeichnung „Entwicklungsländer". M i t ihr w i r d ja nur i n negativer Definition einzig jenes Merkmal betont, daß es sich dabei um noch nicht industrialisierte Länder handelt, die i n sich selbst aber doch so differenziert sind, daß sie kaum auf einen Nenner gebracht werden können. Dies aber bedeutet, daß jedes der sogenannten Entwicklungsländer seine eigenen Probleme aufweist, die keineswegs nur von den sozialökonomischen Realfaktoren der Gegenwart bestimmt sind. Von den volkscharakteristischen, traditionsbestimmten Partialkonstanten des Verhaltens und der „Sitte" kann auch hier nicht abgesehen werden. Nur ein falsch verstandener Keynesianismus konnte sich versucht fühlen, gewisse ökonomische Erfahrungen, die man i n alten Industrieländern zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise vor dem Zweiten Weltkrieg gemacht hatte, ziemlich unbesehen auch auf Gesellschaften i m Übergang zu übertragen. Jedes Land w i r d dabei seine eigenen Wege i n dem i h m möglichen Tempo zu gehen haben, über die i h m keine noch so wohlgemeinten Manifeste hinweghelfen können! Damit ist aber auch jene von den großen Weltmächten noch zu Beginn dieses Jahrzehnts zum Teil ernsthaft vorgetragene oder auch wohlberechnete These als erledigt anzusehen, daß China oder Indien m i t den von ihnen beschrittenen Wegen die polaren Musterbeispiele für den großen Sprung nach vorn für alle Gesellschaften i m Stadium des Übergangs zur Modernität — zumindest aber für Asien — darböten. Nach dieser Ansicht hätte man ja nur lang genug zu warten brauchen, um die ökonomische Wirksamkeit dieser an sich so unterschiedlichen politischen Systeme demonstriert zu sehen. M i t der vorliegenden Untersuchung w i r d von dieser „Theorie der beispielhaften Bewährungsprobe", soweit es sich jedenfalls u m Indien handelt, auch endgültig Abschied genommen. Liest man diese Untersuchung, so treten auch die von den „Neoliberalen" i n aller Welt so liebevoll gepflegten ideologischen Vorurteile zurück, die uns unbedingt auf die extremen, freien oder zentralistischen Alternativen i n der politischen und wirtschaftlichen Grundverfassung der Menschheit festlegen wollten. Es bleiben demgegenüber die i m vorliegenden Falle nur sehr schwer (wenn überhaupt)
Vorwort des Herausgebers lösbaren Sachprobleme der Bevölkerungsdichte, der Agrarverfassung und der Bodennutzung, die jedoch darüber hinaus i n den Volksgruppen und den Gesellschaften, die den indischen Staat heute tragen, noch durch besondere regionale, vor allem religiöse Traditionen und andere soziokulturelle Residuen zur Zeit ungemein schwer belastet sind. Es ist dem Herausgeber eine besondere Freude, diesen Band i m Rahmen der vorliegenden Schriftenreihe erscheinen lassen zu können, die, von der (ehemaligen) Hochschule für Sozialwissenschaften einst begründet, auch nach ihrer 1962 erfolgten Eingliederung i n die GeorgAugust-Universität zu Göttingen weitergeführt wird. Auch sei an dieser Stelle dem Department of Economics der University of Saskatchewan gedankt, das auf eine i n heutiger Zeit geradezu vorbildlich unbürokratische Weise m i t einem ansehnlichen Druckkostenzuschuß das Erscheinen dieser Untersuchung ermöglichte, die ein Mitglied ihres Lehrkörpers i m Ausland und i n fremder Zunge abgefaßt erscheinen läßt. Seminar Wissenschaft von der Politik Universität Göttingen i m November 1966 Professor Dr. Bruno Seidel L i t t . D. h. c., Lie. sc. soc.
Inhalt Einleitung
11
Erstes K a p i t e l : Die Möglichkeiten zur Extensivierung
19
Zweites K a p i t e l : Zielsetzung einer geeigneten Bodenreform
32
Drittes K a p i t e l : Allgemeine K r i t i k der indischen Bodenreformen
33
I. Unzulänglichkeiten i n der Zielsetzung
33
I I . Zersplitterung i n der Bodenreformfrage
37
Viertes K a p i t e l : Spezifische K r i t i k der indischen Bodenreformen I. Verhältnis der Ziele zueinander I I . Die Bodenreformmaßnahmen I I I . Die Bodensysteme Indiens u n d deren Nachteile
42 42 44 45
I V . Eignung der Bodenreformmaßnahmen zur Erreichung der gesetzten Ziele u n d das Verhältnis der Ziele zueinander 53 V. Zusammenfassung Fünftes K a p i t e l : Determinanten eines Bodensystems I. Die Holle der Arbeitskraft I I . Die Rolle der Technik
74 75 76 83
I I I . Die Frage eines „economic holding"
84
I V . Zusammenfassung
87
Sechstes K a p i t e l : Die Frage der F o r m der zukünftigen indischen Bodensysteme 88 Ausgewähltes Schrifttum
94
Einleitung Seit über fünfzehn Jahren w i r d versucht, die wirtschaftliche Entwicklung Indiens m i t Hilfe einer umfassenden Planung voranzutreiben. Das Land hat sich viel, eigentlich sehr viel, von dieser Methode versprochen. Bekanntlich ist jedoch der bisher erzielte Erfolg sehr bescheiden (siehe Tabelle 1). Tabelle 1
Pro Kopf-Einkommen in Rupien per annum (1960—61 Preise) a) Prozentuale Wachstumsrate i n jeder Periode
Prozentuale Wachstumsrate über die ganze Periode
Jahr
Pro-KopfEinkommen
1950—51
284
1960—61
330
1,52
1965—66 (geplant)
385
3,16
2,05
(erwartet)
350
1,21
1,42
a) Government of India , Planning Commission, T h i r d F i v e Y e a r P l a n u n d das M e m o r a n d u m
on the Fourth Five Year Plan.
Noch mehr: Dieser kleine Erfolg hätte auch nicht erzielt werden können, wenn das Ausland nicht m i t ansehnlichen Beträgen Indien geholfen hätte. Die Auslandshilfe belief sich auf etwa 10 v. H. der Gesamtinvestitionen i m ersten Plan; sie machte ungefähr V4 der Investitionen für den zweiten und den dritten Plan aus. Für den vierten Plan ist eine Gesamthilfe von etwa 16 v. H. der Ausgaben vorgesehen 1 . Es ist die Meinung des Verfassers, daß die Gründe für das langsame Tempo hauptsächlich i n der Landwirtschaft zu finden sind. Der moderne Industriesektor funktioniert mehr oder minder reibungslos; die Landwirtschaft jedoch, die die Lebensquelle für 70 v. H. der Bevölkerung bildet, bleibt nicht nur verhältnismäßig zurück, sondern 1 F ü r den zweiten u n d die späteren Pläne werden die Prozentzahlen noch höher, falls m a n die amerikanischen P.-L.-480-Anleihen auch zur Auslandshilfe rechnen sollte. (Dies sind die i n Rupien bezahlten Gelder f ü r die amerikanischen Getreidelieferungen, welche der indischen Regierung als A n leihen zur Verfügung gestellt werden.)
12
Einleitung
gefährdet dadurch auch die industrielle Entwicklung des Landes. I n dieser Arbeit werden w i r prüfen, welche Rolle die Landwirtschaft bei der Industrialisierung eines Landes spielt. Weiter werden w i r die i n diesem Zusammenhang von der indischen Regierung getroffenen Maßnahmen analysieren. Es ist allgemein bekannt, daß die Arbeitskraft das Rückgrat der Industrialisierung bildet: U m die Naturgaben nutzbar zu machen, verwendet sie Hilfsmittel sachlicher und organisatorischer A r t . Die Arbeitskraft kann diese Aufgabe nur durch die Erweiterung (horizontale Veränderung) und Entfaltung (vertikale Veränderung) ihrer eigenen produktiven Kräfte (F. List) verrichten. Je schneller diese Veränderungen stattfinden, desto schneller kann der Industrialisierungsprozeß vor sich gehen. U m jedoch diesen Prozeß i n Gang setzen zu können, bedarf es einer Änderung i m Arbeitskrafteinsatz 2 . Eine an der Schwelle der Industrialisierung stehende Gesellschaft stellt Agrarprodukte her. Soll diese Volkswirtschaft industrialisiert werden, dann muß die Landwirtschaft die folgenden Aufgaben erfüllen. Ein Teil der Arbeitskraft muß der direkten landwirtschaftlichen Tätigkeit entzogen und i n den Dienst der Industrialisierung gestellt werden. Dabei muß die Landwirtschaft (einschl. des Handwerks) weiter die ganze Bevölkerung mindestens (besonders i m Falle einer Subsistenzwirtschaft) genauso m i t ihren Produkten versorgen wie vorher. Dies erheischt jedoch, daß das Gesamtagrarprodukt trotz der Verringerung i n der Zahl der Landarbeiter erhalten bleibt. Folglich muß also jeder Bauer mehr produzieren; andererseits darf er nicht mehr konsumieren, denn sollte er seine Konsumtion steigern, käme überhaupt kein oder nicht genug Überschuß zustande (hängt vom Ausmaß der Steigerung ab), um die der landwirtschaftlichen Tätigkeit entzogenen Arbeiter stetig auf ihrem ursprünglichen Standard zu halten 8 . U m die Industrialisierung i n Gang setzen zu können, muß also die Landwirtschaft einen Überschuß herstellen. 2 Vgl. Keirstead, B. S., Capital, Interest and Profits, Oxford, 1959, S. 10. Er sagt: „The transfer of labour from the direct production of subsistence goods to the m a k i n g of new tools (dadurch erreicht die Arbeitskraft die E n t faltung ihrer produktiven K r ä f t e — Κ . L.) is then the necessary condition of economic progress." Die Erweiterung ist ein Problem der Ausdehnung des Erziehungswesens. 3 Vgl. Nicholls, W. H., „ T h e Place of Agriculture i n Economic Development", i n : Eicher, C. K., u n d Witt, L . W., Agriculture I n Economic Development, M c G r a w - H i l l Book Company, N e w York, 1964. Siehe weiter: Rostow, W. W., Stages of Economic Growth, Cambridge, 1960, S. 22. Er sagt: » . . . a good part of the w o r k i n g capital for modernized industry must come from rapid increases i n output achieved b y higher productivity i n a g r i c u l t u r e . .
Einleitung Dies ist jedoch nicht genug. Es muß noch ein zusätzliches Problem gelöst werden. Da die der direkten landwirtschaftlichen Tätigkeit entzogenen Arbeiter an der Herstellung des Agrarproduktes nicht beteiligt gewesen sind, verfügen sie auch über dieses Produkt nicht. Hätten diese Arbeiter andere Güter, könnten sie sich durch den Handel mit den Bauern Erzeugnisse landwirtschaftlicher A r t verschaffen. Weil zu Beginn des Industrialisierungsprozesses sie über andere Erzeugnisse nicht verfügen können, denn diese müssen erst hergestellt werden, entsteht sofort ein neues Problem: Wie kann der landwirtschaftliche Überschuß den „nichtlandwirtschaftlichen" Arbeitern zur Verfügung gestellt werden? Also das Problem des Transfers des Überschusses. Über den freien M a r k t geht es, wie schon gezeigt, am Anfang nicht. Außerdem, wie immer die Lösung heißen mag, w i r d es zu Beginn des Prozesses immer ein Opfer seitens der Landwirtschaft erfordern, denn zu diesem Zeitpunkt können der Landwirtschaft keine anderen Güter angeboten werden. Es ist einfach, einzusehen, daß diesem Zustand ein Ende dann gesetzt werden kann, wenn Industrieerzeugnisse für den Austausch m i t der Landwirtschaft vorhanden sind. Bei der Herstellung und dem Transfer des Überschusses spielt das i n einer Volkswirtschaft herrschende Bodensystem (Sklaverei, Feudalismus, Latifundia, Minifundia, Kooperation, Kollektivierung) eine ungeheuer wichtige Rolle. Die Funktion des Bodensystems ist es, der Landwirtschaft bei der Erfüllung ihrer Aufgaben behilflich zu sein. Welches System zu einem gegebenen Zeitpunkt institutionalisiert werden muß, hängt ausschließlich von den objektiven Bedingungen oder Gegebenheiten ab. Bei dem Industrialisierungsvorgang muß auch das Problem der Verwendung dieses Überschusses gelöst werden. I n dieser Arbeit sind w i r jedoch an dieser Frage nicht interessiert. W i r beschäftigen uns nur mit der Landwirtschaft. Trotzdem sei bemerkt, daß eine gleichzeitige und einheitliche Lösung dieser Probleme (die Herstellung, der Transfer und die Verwendung des Überschusses) eine komplette Lösung des Industrialisierungsproblems darstellt. Ao sei das landwirtschaftliche Produkt zum Zeitpunkt to (die Schwelle der Industrialisierung); weiterhin sei die Gesamtbevölkerung Bo zum gleichen Zeitpunkt. Daher ist
die Produktivität pro Kopf der Be-
völkerung zum to. Setzen w i r Bo = co + do, wobei Co die landwirtschaftliche Bevölkerung und do die nicht-landwirtschaftliche Bevölkerung sei; und nehmen w i r weiter an, daß zum Zeitpunkt to Wo = αο + bo sei, wobei ao = landwirtschaftliche Arbeiter und bo = nicht-landwirtschaftliche Arbeiter
Einleitung
14
(d. h. Arbeiter, die von der direkten landwirtschaftlichen Tätigkeit zu entziehen sind), dann ist die landwirtschaftliche Produktivität zum Zeitpunkt to: A0 = A0 W0
a0 + b0'
U m die Industrialisierung i n Gang setzen zu können, muß die Pro-KopfProduktivität auf
B
o
konstant gehalten werden.
Ao darf dabei nicht sinken. Da keine technischen Verbesserungen getroffen worden sind, ist nicht einzusehen, warum Ao steigen soll. Nun ist aber — > , w e i l Wo > ao ist. Dabei nennen w i r die Difa0 W0 ferenz Ao ( — \ ao
w
\ = s. Je größer s wird, desto größer w i r d bo. o /
Der Gesamtüberschuß zum Zeitpunkt to ist dann
B
o
· d0.
Nun setzen w i r G = Gn + Gn-i + Gn-2 + . . . + G3 + G2 + Gr, hier stellt G den gesamten bebaubaren Boden dar. G n , Gn-1, Gn- 2 , . . . und so weiter stellen Böden verschiedener Qualitäten dar, die mit abnehmendem Suffix absinken. Der bebaute Boden g zum Zeitpunkt to ist dann 9 « Gn + Gn_i + Gn_2 + . . . + G n _ Ä ; Ο < , k bo, dann muß für (Uo — bo) Personen Beschäftigung i n ländlicher Tätigkeit gefunden werden. I n Indien ist dies zur Zeit der Fall. Den Überschuß können w i r auch auf die folgende Weise erhalten: hi sei der Bodenbesitz des i-ten Bauern. Diesen Boden kann der Bauer mit verschiedenen Erntearbeiten bepflanzen; er kann auch die Entscheidung treffen, nicht den ganzen, sondern nur einen Teil des Bodens zu bebauen. Also: m Σ — hi ^ Ο; wobei j die verschiedenen Erntearten 1, 2, . . ., m, j = 1 und weiter x^ die Größe des m i t j bebauten Bodens des i-ten Landwirts darstellen. Nehmen w i r an, daß die Kosten pro Bodeneinheit für verschiedene Erntearbeiten gleich sind. Es w i r d daher (ky · Xij) Geldeinheiten kosten, um Xij Einheiten zu bebauen (Je*/ stellt die Bebäuungskosten einer Bodeneinheit dar). Die Gesamtkosten (einschl. Unterhaltungskosten) wären dann die Summe der Kosten für alle Erntearten. Daher ist m =
k
V '
Σ
j = 1
X
V
Der Bauer verkauft den Ertrag jeder Bodeneinheit zu einem gegebenen Preis. Die Gesamtgeldeinnahme ist die Summe dieser Einnahmen. Es w i r d angenommen, daß der Ertrag jeder Bodeneinheit zum selben Preis veräußert wird, obgleich verschiedene Erntearten in Frage kommen. Daher ist m u
wobei pu = Preis pro Meßeinheit, und ya = Ertrag pro Bodeneinheit. Die Nettorendite des i-ten Bauern ist dann u
i
— vi =
R
i
=
m Σ i = 1
' XV'
w
°kei
z
a = Pu ' Va —
16
Einleitung η
2 Ri ist dann die Rendite für die gesamte Landwirtschaft, i = 1 η
Daher könnte man
R
^
i
Κ = = 1, 2 , . . . , η (die Zahl der Bauern)]
i=l
gleich p ^B- d o setzen (p ist der Durchschnittspreis). Da w i r an Realgrößen o interessiert sind, ist für unsere Zwecke φ - do von größerem Interesse. B
o
B i sei die Bevölkerung zum Zeitpunkt ti. Falls der Verbraucher konstant gehalten wird, dann muß zu diesem Zeitpunkt das Gesamtprodukt auf
Bn
· B1 gesteigert werden. Dabei ist die
Produktionssteigerung
— 1 . Diese Steigerung muß von den zusätzlichen Land-
gleich Ao
arbeitern hervorgebracht werden. Daher muß sich ihre Produktivität
auf
A) Β . " 1 — αι — α0
belaufen. Sollte die Konsumtion konstant auf
bleiben, und sollten - Ü - = —!L sowie - ^ L = b1 b0 dx
d0
— Β,ο bleiben (Bi > Bo),
Bi dann ist
Bn a0
at — a0
. Mit
anderen
Worten,
die
neuen
Landarbeiter [αϊ — αο] müssen i n der Lage sein, das zusätzliche Agrarprodukt von dem bebaubaren, aber noch nicht bebauten Boden G — g zu erzeugen. Sie mögen dies für Bodenart G n - ( * + i), Gn-(k+2), . . · usw. tun. Da aber die Produktivität dieses Bodens abnimmt, ist es durchaus möglich, daß die erforderliche Produktivitätshöhe bei den Bodenarten G w - ( ä + /), Gw_(A; + / + i), . . Gi nicht mehr erreicht werden kann. I n diesem Stadium muß zwangsläufig der Bodenertrag durch intensive Methode gesteigert werden, denn sonst kann der Bevölkerung (Bi) der ursprüngliche Lebensstandard nicht mehr garantiert werden. Die extensive Methode scheitert also nicht an dem Bevölkerungswachstum, sondern an der Begrenztheit des bebaubaren Bodens. Z u untersuchen wäre, ob i n Indien diese Grenze schon erreicht worden ist. Sollte der Lebensstandard der ganzen Bevölkerung u m r mal gesteigert werden, dann muß sich das Agrarprodukt auf
r A (
*Bi
belaufen.
B
o
Es w i r d von der Gesamtarbeiterschaft hergestellt werden müssen. Dies
Einleitung bedarf einer prozentualen Steigerung i n der Produktivität pro Landarbeiter, welche f
r a
oB i α
\
ι
α
ι Bo
B
o
ι
χ
^oo gleichkommt. Der Überschuß
J
als Verhältnis zur Gesamtproduktion bleibt hier konstant. Man kann auch diese Steigerung i n der Pro-Kopf-Produktivität der Verschiebung des Verhältnisses ^ - y - j zugunsten von bo zugute kommen lassen. U m das Verbrauchsniveau der erwachsenen Bevölkerung u m r mal steigern zu können, brauchen w i r eine zusätzliche Steigerung i n Α. Β
der landwirtschaftlichen Produktion von
0
B
o
1
(r — 1). Sollte man den
Λο Lebensstandard für die ganze Bevölkerung (B{j konstant auf -rp halten, B
o
könnte das zusätzliche Produkt dazu benutzt werden, B\ (r diesen
Personen
Standard zu garantieren. Da von je nicht-landwirtschaft-
liche Bevölkerung, bo nicht-landwirtschaftliche Arbeiter sind, w i r d sich B i bn
deren Zahl auf —3—- (r_ 1) belaufen. Bei gegebenem B i w i r d diese Zahl a0 b0 desto größer sein, je größer r ist, denn ist konstant. öo Welche Verschiebung i n I J kann durch die zusätzliche Steigerung erzielt werden? Der Lebensstandard w i r d hier konstant auf halten. Dann ist die Verschiebung α
Bi b 0
ι
^ f r do
Bi b 0
1
) Oi_ bi
B
o
ge-
B 1 (r — 1) αχ + bi) Bx b 0 (r — 1) + d o b i
Das negative Vorzeichen impliziert, daß das Verhältnis sich zuungunsten der Landarbeiter verändert hat. Wenn w i r den i n der indischen Landwirtschaft erzielten Fortschritt mit Hilfe dieser Formeln analysieren, werden w i r feststellen können, daß während des 2. Planes (die Statistiken für den 3. Plan sind noch nicht verfügbar) die Pro-Kopf-Produktivität i n der Landwirtschaft u m ungefähr 5,8 v. H. hätte gesteigert werden müssen, u m der wachsenden Bevölkerung eine 4prozentige jährliche Steigerung i m Lebensstandard 2 Lai
18
Einleitung
zu gewährleisten. Die tatsächliche Steigerung beträgt etwa 1,1 v. H. jährlich 4 . Halten w i r den Lebensstandard konstant a u f s o können w i r durch B o die Steigerung i n der Produktivität (r = 1,25 — Annahme) eine Verein Schiebung i n
ö
herbeiführen.
B e i den G e g e b e n h e i t e n ist sie gleich
o 0,3 v. H. jährlich zuungunsten von a 0 . Da r tatsächlich nicht gleich 1,25, sondern nur etwa gleich 1,01 gewesen ist, muß die Verschiebung noch kleiner gewesen sein. Da 70 v. H. der Arbeitskraft immer noch i n der Landwirtschaft tätig ist, scheint die Verschiebung nicht sehr eindrucksvoll zu sein 5 . Man sieht also, daß es i n der Landwirtschaft sehr langsam vorwärts geht. Ein solch geringer Fortschritt i n der Landwirtschaft bremst die industrielle Entwicklung des Landes, welche ihrerseits die Entwicklung i n der Landwirtschaft bremst. A u f diese Weise kann kein Land, auch Indien nicht, ein solches Tempo der Industrialisierung erreichen, daß es i n die Lage versetzt wird, sich aus eigener K r a f t zu industrialisieren. Tut Indien dies nicht, w i r d es immer rückständig und abhängig bleiben. U m der Landwirtschaft helfen zu können, müssen w i r herausfinden, worauf die Mängel zurückzuführen sind. Zu diesem Zwecke w i r d i n den folgenden Kapiteln die Agrarpolitik Indiens analysiert.
4
r
Bo A)
a0
*>o c0 d0
Ai Bi
=
= = = = = = = = =
*>i Cl
di 5
= = =
1,04 390 52 300 110 45 275 115 61 700 440 122 53 305 135
(Mill. (Mill. (Mill. (Mill. (Mill. (Mill. (Mill. (Mill. (Mill. (Mill. (Mill. (Mill.
i m Jahre 1955—56) Rupien i m Jahre 1955—56) i m Jahre 1955—56) i m Jahre 1955—56) i m Jahre 1955—56) i m Jahre 1955—56) Rupien i m Jahre 1960—61) i m Jahre 1960—61) i m Jahre 1960—61) i m Jahre 1960—61) i m Jahre 1960—61) i m Jahre 1960—61)
I n den U S A sind n u r 6—7 v. H. der Arbeiterschaft i n der Landwirtschaft tätig.
Erstes
Kapitel
Die Möglichkeiten zur Extensivierung
I n der Einleitung haben w i r schon auf die ungeheuer wichtige Rolle der Landwirtschaft beim Ingangsetzen des Industrialisierungsprozesses hingewiesen; w i r haben gezeigt, daß ein ursprünglicher landwirtschaftlicher Überschuß für die Industrialisierung unentbehrlich ist. Diese Rolle fällt der Landwirtschaft zu, weil sie Nahrung für die Bevölkerung des zu industrialisierenden Landes und Rohstoffe für die heimische und wenn möglich auch für die ausländische Industrie liefert, als Arbeitskraftreservoir der heimischen Industrie dient und weil zu diesem Zeitpunkt nur sie i n der Lage ist, diese ursprüngliche Last zu tragen, also das erforderliche ursprüngliche Opfer auf sich zu nehmen. Dies setzt aber eine blühende und fortschreitende Landwirtschaft voraus; stagniert sie, so kann sie niemals die Grundlage einer Industrialisierung bilden, denn sie bedarf einer Steigerung der Pro-Kopf- und Pro-Hektar-Erträge i n der Landwirtschaft, um wenigstens fortlaufend das ursprüngliche Verbrauchsniveau der ganzen Bevölkerung sicherstellen zu können. Die Steigerung der Produktivität i n der Landwirtschaft pro Kopf der Landarbeiter (durch Mehrarbeit) ist die absolute Grundlage der Industrialisierung; die Möglichkeit einer Produktivitätssteigerung pro Bodeneinheit (die Intensivierung der Landwirtschaft) zu Beginn des Industrialisierungsprozesses wäre zu begrüßen, ist aber nicht unentbehrlich. Der letztere Fall t r i t t dann ein, wenn die Möglichkeiten zur Produktionssteigerung (durch Mehrarbeit) pro Kopf der Landarbeiter schon erschöpft sind. Ob mit der Produktivitätssteigerung pro Bodeneinheit auch eine Produktivitätssteigerung pro Kopf der Landarbeiter verbunden ist, hängt von den Veränderungen i n der Zahl der Landarbeiter ab. Verringert sich die Zahl der Landarbeiter, so w i r d natürlich auch die Pro-Kopf-Produktivität des Landarbeiters steigen; die Pro-Kopf-Produktivität des Landarbeiters kann sich aber auch dann vermehren, wenn die Bodenproduktivität überproportional i m Vergleich zur Zunahme der Landarbeiter wächst. Da die Steigerung der Produktivität i n der Landwirtschaft pro Landarbeiter die absolute Voraussetzung zur Industrialisierung ist, muß die Produktivität pro Bodeneinheit 2*
20
1. Kap.: Die Möglichkeiten zur Extensivierung
schneller steigen als die Zahl der Landarbeiter, falls diese Zahl, wie ζ. B. i n Indien, i m Steigen begriffen ist. Wie schnell die Produktivität pro Landarbeiter steigen muß, hängt von der Proportion Landarbeiter/ Gesamtbevölkerung ab. Bei gegebener Produktivitätssteigerung pro Kopf des Landarbeiters und bei gegebener prozentualer Änderung i n der Zahl der Landarbeiter w i r d somit auch die Höhe der prozentualen Steigerung der Produktivität pro Bodeneinheit festgelegt. Die Steigerung der Produktivität des Landarbeiters kann durch die extensive Methode erreicht werden; dagegen bedarf die Steigerung der Produktivität i n der Landwirtschaft pro Bodeneinheit der intensiven Methode (technische Verbesserungen usw.). Wie w i r schon i m ersten Kapitel gezeigt haben, muß aber die extensive Methode zu einem bestimmten Zeitpunkt (bestimmt durch das gewünschte Industrialisierungstempo, die Bevölkerungszuwachsrate, das Ausmaß des noch brachliegenden Bodens und die Erwartungen bezüglich der Produktivität des Bodens) zwangsläufig durch die intensive Methode abgelöst werden. Es hindert nichts daran, daß diese Ablösung schon früher als zu dem absolut notwendigen Zeitpunkt stattfindet. M i t der Ablösung der extensiven durch die intensive Methode beginnt die Zeit der Steigerung der Pro-Kopf- und Pro-Hektar-Erträge i n der Landwirtschaft. W i r haben schon dargestellt, daß die extensive Methode nicht am Bevölkerungswachstum, sondern an der Begrenztheit bzw. an der niedrigen (niedriger als das, was für das Existenzminimum der Bevölkerung erforderlich ist) Produktivität des noch nicht bebauten, aber für Bebauungszwecke geeigneten Bodens scheitert. Die Fragen, die w i r nun hier zu beantworten haben, betreffen die Anwendbarkeit der beiden obengenannten Methoden für die Produktivitätssteigerung auf die i n Indien herrschenden Verhältnisse. M i t anderen Worten, w i r müssen die Frage beantworten, ob i n Indien die extensive Produktivitätssteigerungsmethode i n der Landwirtschaft noch gangbar und sinnvoll ist oder ob sie jetzt schon durch die intensive Methode abgelöst werden muß. Das heißt, daß die Frage nach den Möglichkeiten zur Erweiterung der Anbaufläche als Grundlage der Pro-Kopf-Produktivitätssteigerung behandelt werden muß. Falls es sich herausstellt, daß die Möglichkeiten zur Ausdehnung der Anbaufläche i n Indien sehr begrenzt oder gar nicht vorhanden sind, w i r d Indien gezwungen sein, sich sofort der intensiven Produktivitätssteigerungsmethode zu bedienen. Die Erklärung, daß die extensive Methode endgültig an der Begrenztheit bzw. an der niedrigen Produktivität des noch nicht be-
1. Kap.: Die Möglichkeiten zur Extensivierung bauten Bodens und nicht am Bevölkerungszuwachs scheitert, bedarf einer Erläuterung. Wie bekannt, impliziert die extensive Methode Mehrarbeit. Von diesem Gesichtspunkt her gesehen, kann der Bevölkerungszuwachs nur gutgeheißen und begrüßt werden, denn mehr Hände können mehr Arbeit leisten als weniger Hände. Dies setzt aber voraus, daß den neuen Landarbeitern Boden für Bebauungszwecke zur Verfügung gestellt werden kann. Angenommen, die Proportionen Landarbeiter/Nicht-Landarbeiter und Landbevölkerung/NichtLandbevölkerung bleiben i m Zuge des Bevölkerungswachstums konstant, dann muß, unter der Voraussetzung, daß das ursprüngliche brauchsniveau immer gesichert ist, die Proportion des neu i n Bebauung genommenen Bodens/vorher bewirtschafteter Boden, also die „Bodenzuwachsrate", der Bevölkerungszuwachsrate entsprechen. Ist unter diesen Voraussetzungen die Zuwachsrate des Bodens kleiner als die Zuwachsrate der Bevölkerung, so muß die extensive Methode preisgegeben werden, denn das ursprüngliche Verbrauchsniveau ist damit nicht mehr garantiert. Dieser Zeitpunkt kann auch dann eintreten, wenn die Zuwachsrate des bebauten Bodens dem Bevölkerungswachstum entspricht, aber die Produktivittä des neu i n Bebauung genommenen Bodens trotz der Mehrarbeit nicht ausreicht, um das ursprüngliche Verbrauchsniveau zu gewährleisten. Dieser Zeitpunkt mag sogar noch früher eintreten, wenn sich die Proportionen Landarbeiter/Nicht-Landarbeiter und Landbevölkerung/NichtLandbevölkerung zuungunsten der Landarbeiter bzw. der Landbevölkerung ändern. I m konkreten Falle Indiens w i r d dieser Zeitpunkt durch folgende Faktoren determiniert: (1) die Bevölkerungszuwachsrate; (2) die Bodenzuwachsrate und ihre Produktivität; (3) das erwünschte Verbrauchsniveau (wichtig, wenn ein Land, wie Indien, sich nicht selbst ernähren kann); (4) das Landarbeiter/Nicht-Landarbeiter-Verhältnis und wie es sich i m Laufe des Industrialisierungsprozesses verhält; (5) das Landbevölkerung/Nicht-Landbevölkerungs-Verhältnis und die Änderungen i n diesem Verhältnis i m Zuge der Industrialisierung; (6) die Erschließungs- und Siedlungskosten der Landgewinnung (Häuser, Straßen, Schulen, Krankenhäuser, usw. für die neu angesiedelten Landarbeiter), Dies ist ein praktischer Gesichtspunkt. Angenommen, i n Indien würden i n den Punkten 3, 4 und 5 keine Veränderungen stattfinden und keine hohen Erschließungs- und Sied-
22
1. Kap. : Die Möglichkeiten zur Extensivierung
lungskosten bei der Nutzbarmachung des Bodens entstehen, dann würde i n Indien die extensive Methode so lange gangbar sein, wie die Bodenzuwachsrate dem Bevölkerungswachstum entspricht. Unter diesen Voraussetzungen muß i n Indien die Bodenzuwachsrate 2,4 v. H. pro Jahr betragen, da diese Zahl der Bevölkerungszuwachsrate des letzten Jahrzehnts gleichkommt. Die Nutzbarmachung des Bodens in dieser Höhe kann sich als unpraktisch erweisen, falls die Erschließungsund Siedlungskosten zu hoch sind. Diese Bodenzuwachsrate ist andererseits auch dann zu gering, wenn die unter 4 und 5 genannten und zunächst konstant gehaltenen Proportionen sich zuungunsten der Landarbeiter bzw. der Landbevölkerung ändern oder das unter 3 erwähnte Verbrauchsniveau sich als nicht ausreichend herausstellt. Wenn die Gegebenheiten so liegen, dann muß die extensive Methode durch die intensive ersetzt werden. Demnach haben w i r vor allem zwei Fragen zu prüfen; einmal die Frage nach den Möglichkeiten zur Erweiterung der Landbaufläche, zum anderen die Frage nach den Erschließungs- und Siedlungskosten. Die Möglichkeit zur Erweiterung der Landbaufläche hängt von dem Gesamtausmaß der nutzbaren Fläche i n Indien, von der für andere Zwecke erforderlichen Fläche und von dem Ausmaß des schon bebauten Bodens ab. Die Schätzungen bezüglich der Möglichkeiten der Landnutzbarmachung gehen i n Indien sehr weit auseinander 1 . U m uns darüber ein Urteil bilden zu können, müssen w i r uns einen Überblick über die Bodenbenutzung Indiens verschaffen. Für diesen Zweck sei die Tabelle 2 (siehe Ausschlagtafel) angeführt. Nach dieser Tabelle hätte Indien etwa 34 Millionen ha Fläche, die es theoretisch unter den Pflug bringen könnte. Ob es sich aber lohnt, diese gesamte Fläche nutzbar zu machen, steht noch nicht fest. U m zu einem endgültigen Urteil zu kommen, müssen w i r die Topographie dieser Fläche, ihre Verteilung und Qualität vor Augen haben, denn ohne Kenntnis dieser Faktoren kann man nicht zu einem abschließenden Ergebnis kommen. Die folgenden Tabellen und Karte zeigen uns die Topographie und Verteilung der Gesamtfläche; außerdem sind darin auch Informationen über die Bevölkerungsdichte i n den einzelnen Gebieten enthalten. Es sei schon hier darauf hingewiesen, daß nach dem „Census Report" von 1951 i n Indien kaum Statistiken über die Qualität der Flächen und deren Verteilung vor1 Vgl. Government of India , The Planning Commission, The Second Five Year Plan u n d The T h i r d Five Year Plan (A D r a f t Outline). S. 258 ff. bzw. S. 147 ff.; Thirumalai, S., Post-War A g r i c u l t u r a l Problems A n d Policies I n India, Bombay 1954, Chapters 5 u n d 10; Datta , B., The Economics Of I n d u strialisation, Calcutta 1957, Second Revised Edition, S. 112 f.; Mamoria , C. B., A g r i c u l t u r a l Problems Of India, K i t a b Mahal, Allahabad 1958, S. 46 ff.
1. Kap.: Die Möglichkeiten zur Extensivierung handen sind. Die darüber existierenden statistischen Unterlagen reichen nur aus, u m sich ein allgemeines Urteil bilden zu können; für genauere Ergebnisse genügt das statistische Material nicht 2 .
2 Über die Qualität der Fläche i n verschiedenen Teilen Indiens gibt uns der Census Report 1951, Vol. I, Part I — A , die folgende Information: A. Alluvial soils : They are by far the most productive. They are distributed over practically the whole of the Gangetic Plains i n U. P., West Bengal and extend to the Punjab and parts of Assam and Orissa. They are also found i n coastal tracts of India, especially at the mouths of the rivers where they are k n o w n as deltic alluvium. B. Black soils : They are loamy to clagy i n texture and v a r y i n depth; are generally suitable for cotton growing and are found i n the greater part of Bombay and Saurashtra, western parts of Madhya Pradesh, Madhya Bharat, Hyderabad and i n some parts of Madras including the districts of T i r u n e l v e l i and Ramnathapuram. C. Red soils : They are of medium to l o w fertility. They cover very large tracts of Madras, Mysore, South-East Bombay, East Hyderabad, and a strip of track r u n n i n g along the eastern part of Madhya Pradesh to Chhota Nagpur and Orissa. They also include the Santhal Parganas i n Bihar, the B i r b h u m district of West Bengal, the M i r j a p u r , Jhansi and H a m i r p u r d i stricts of U. P., northern portion of Madhya Bharat, the A r a w a l l i s and the eastern half of Rajasthan. D. Laterite and lateritic soils : They are found on the summits of the hills of Deccan, Madhya Bharat, Madhya Pradesh, of Rajmahal and of Eastern Ghats, certain parts of Orissa, Bombay, Malabar and Assam. E. Desert or arid soils: They occur i n the regions having l o w rainfall, e. g., A j m e r , Eastern Rajasthan. Marshy or peaty soils i n small areas of West Bengal, Orissa, Madras and Travancore Hills, which are generally sand or red loam and are also found i n the h i l l y regions of West Bengal, Punjab and Assam. Vgl. auch Mamoria, C. B., a. a. O., chapters 4 u n d 5.
1. Kap.: Die Möglichkeiten zur Extensivierung
24
Tabelle
3
Übersicht über die Gesamtfläche nach Bevölkerung Bevölkerungsdichte und Topographie a )
Sub-region
A. Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte 1. L o w e r Gangetic Plains 2. Upper Gangetic Plains 3. Malabar K o n kan 4. South Madras 5. N o r t h Madras and Orissa Coastal B. Gebiete mit mittlererBevölkerungsdichte 1. Trans Gangetic Plains 2. South Deccan 3. N o r t h Deccan 4. G u j r a t K a t h i a war b) C. Gebiete mit geringer Bevölkerungsdichte 1. The Desert 2. Western Himalayas 3. Eastern Himalayas 4. N o r t h West Hills 5. Ν . Central H i l l s and Plateau 6. N o r t h East Plateau
BsGesamtfläche pro Kopf völk.in Hundertstel dichte pro Qua- Ebene Pla- Hügel insGedratteaus birge gesamt meile
Gesamtfläche in 100 000 Acker
Bevölkerung in 100 000
538
700
832
74
3
—
—
77
366
389
681
93
1
—
—
94
239 355
238 307
638 554
40 76
3 11
56 28
—
100 115
293
211
461
108
2
29
—
139
499 817 621
259 315 239
332 247 246
124 43 30
61 175 184
8 41 46
—
193 259 260
456
161
226
255
1
27
—
283
482
46
61
971 c)
63
13
—
1047
852
90
68
20
10
150
380
560
674
124
118
165
3
260
114
542
409
104
163
42
296
—
56
394
537
138
164
90
226
70
3
389
967
290
192
97
125
110
1
— —
—
333
a) Lai, Κ., Dissertation: Probleme der Kapitalbildung in der wirtschaftlichen Entwicklung Indiens, 1959. Tabelle in teilweise varänderter Form übernommen. O r i g i n a l q u e l l e Vgl. Government of India, Censut Report, V o l . I . P a r t A — I , S. 5 ff.
b) 552 Hundertstel pro Kopf müssen wir ausschließen, da sie Wüstengebiet sind. c) 7,5 Mill. Acker können nicht benutzt werden, da sie Sumpfgebiet sind. Sie schließen auch Rann of Kutch mit ein.
1. Kap.: Die Möglichkeiten zur Extensivierung Tabelle 4 Topographische Komponenten der einzelnen Gebiete a ) Ausgedrückt i n Prozent der Gesamtfläche
A. Gebiete mit hoher rungsdichte Ebene Plateaus Hügel Gebirge
Einzelne Gebiete
Indien
80,0 3,0 17,0 0,0
43,0 28,0 18,0 11,0
39,0 48,0 13,0 0,0
43,0 28,0 18,0 11,0
29,0 26,0 23,0 22,0
43,0 28,0 18,0 11,0
Bevölke-
B. Gebiete mit mittlerer rungsdichte Ebene Plateaus Hügel Gebirge
Bevölke-
C. Gebiete mit geringer rungsdichte Ebene Plateaus Hügel Gebirge
Bevölke-
a) Lai, Κ., Dissertation: Probleme der Kapitalbildung in der wirtschaftlichen Entwicklung Indiens, 1959. Tabelle in teilweise veränderter Form übernommen. O r i g i n a l q u e l l e Vgl. Government of India , Censu» Report, V o l . I , P a r t A — I , S. 5 77.
Tabelle 5 Indices des Landgebrauchs der drei Gebiete a ) Gebiete tnit Gebiete mit Behoher Bevöl- mittlerer kerungsdichte völkerungsdichte
A n t e i l der netto besäten Fläche an der gesamten Fläche (in v. H.) A n t e i l der netto besäten Fläche an der topographisch bebaubaren Fläche (in v. H.) Brachliegende Fläche (in v. H.) Waldgebiete (in v. H.) Sonstige f ü r Bebauung ungeeignete Fläche (in v. H.) Ungenutzte Fläche (in v. H.)
Gebiete mit geringer Bevölkerungsdichte
Indien
50,0
50,0
19,0
35,0
62,0
70,0
40,0
56,0
18,0 11,0
26,0 11,0
22,0 22,0
22,0 15,0
17,0 12,0
15,0 8,0
16,0 27,0
16,0 17,0
a) Lai, Κ., Dissertation: Probleme der Kapitalbildung in der wirtschaftlichen Entwicklung Indiens, 1959. Tabelle in teilweise veränderter Form übernommen. O r i g i n a l q u e l l e Vgl. Government of India, Census Report, V o l . I , P a r t A — I , S. 5 ff.
26 Anmerkungen
1. Kap.: Die Möglichkeiten zur Extensivierung zu den Tabellen
3—5:
Die Sub-regions schließen folgende Gebiete ein: A. Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte: 1. Lower Gangetic Plains : Das ganze West Bengal m i t Ausnahme der drei Sub-Himalayan districts (Jalpaiguri, Darjeeling u n d Cooch-Bihar) ; das ganze B i h a r außer der Chhota Nagpur division, weiterhin Eastern U t t a r Pradesh, das sind die districts of Benaras, Ghazipur, Ballia, Gorakhpur, Deoria, Azamgarh, Gonda u n d Bahraich. 2. Upper Gangetic Plains : Es umschließt den Rest der U t t a r Pradesh, ausgenommen die fünf H i m a l a y a n districts of Garhwal, Teri Garhwal, N a i n i tal, A l m o r a u n d Dehra D u n ; weiter die fünf upland u n d h i l l y districts von Jhansi, Jalaun, Hamispur, Band u n d Mirzapur. 3. Malbar Konkan: Die gesamte Westküste Indiens südlich des DamanGanga-Flusses. Es setzt sich zusammen aus dem Greater Bombay, Bomb a y - K o n k a n (das sind die districts von Thana, Kolaba, Ratnagiri u n d Kanara), dem Westen Madras 1 (dazu gehören Malabar, South Kanara u n d die N i l g i r i districts) Coorg u n d Travancore Cochin. 4. South Madras: Es besteht hauptsächlich aus den Carnatic Plains. Es handelt sich u m einen ausgedehnten Trakt, flankiert i m Westen u n d Nordwesten von den Western u n d Eastern Ghats u n d i m Osten u n d Südosten begrenzt v o m Bay of Bengal u n d dem G u l f of Mannar; es umfaßt die folgenden districts: Tirunelvi, Ramanathapuram, Madurai, Tan j ore, Tiruchirapalli, South Arcot, Chingelput, Madras, N o r t h Arcot Chitoor, Salem u n d Coimbatore. 5. North Madras und Orissa Coastal: Dieses Gebiet schließt alle an der Ostküste liegenden districts Orissa's u n d Madras* von Balasore i m Norden bis zum Pulicat-See i m Süden ein. Dazu gehören die districts Balasore, Cuttock, Puri, ein T e i l von Ganjam, Visakhapatnam, S r i k a k u lam, East Godavari, West Godavari, Guntur, Krishna u n d Nellore. B. Gebiete mit mittlerer
Bevölkerungsdichte:
1. Trans Gangetic Plains: Das ganze Punjab außer den zwei Himalayan districts von Kangra u n d Simla, weiter PEPSU, Delhi, drei Flachlanddistrikte von Madhya Bharat (Gird, Bhind, Morena), acht östliche districts von Rajasthan (Jaipur, Tonk, Sawai, Madhopur, Bharatpur, A l w a r , Sikar, Bhilwara, J h u n j h u n u u n d A j m e r ) . 2. South Deccan: Es besteht aus vier divisions: Mysore, Madras Deccan, South Hyderabad u n d Bombay Deccan Southern. Die Madras districts sind Bellary, Anantpur, Cuddahpah u n d Kurnool. Die Bombay districts sind Belgaun, B i j a p u r u n d Dharwar. Weiter sind einzubeziehen alle districts von Hyderabad, außer Aurangabad, Parbhani, Nanded Bidar, B h i r u n d Osmanabad. 3. North Deccan: Dieses Gebiet hat drei subdivisions: South West Madhya Pradesh, N o r t h Hyderabad u n d Bombay Deccan North. Z u den Madhya Pradesh districts gehören Amraoti, Buldana, Akola, Yeotmal, Wardha u n d Nagpur, zu den Bombay districts West Khandesh, East Khandesh, Dangs, Nasik, Ahmednagar, Poona, Satra North, Satra South, K o h l a p u r u n d Sholapur. Die Hyderabad districts sind Aurangabad, Parbhani, Nanded, Bidar, B h i r u n d Osmanabad. 4. Gujerat Khathiawar: Dieses Gebiet besteht aus Kutch, Saurashtra u n d den districts of Bombay nördlich des Daman-Ganga-Flusses (dazu gehören: Banaskantha, Sabarkantha, Mehsana, Ahmedabad, Kaira, Panch Mahals, Baroda, Broach, Surat u n d A m r e l i ) ; die nordöstlichen Teile dieses Gebietes sind zusammengesetzt aus Teilen der Satpuras, aus den Vindhayas u n d den Gujerat-Malwa-Höhenzügen.
1. Kap.: Die Möglichkeiten zur Extensivierung C. Gebiete mit geringer
Bevölkerungsdichte:
1. The Desert : Diesem Gebiet gehören folgende districts Hajasthans an: Ganganagar, Bikaner, Churu, Jodhpur, Barmer, Jalore, Pali, Nagore u n d Jaisalmer. Der größere T e i l dieses Gebietes leidet unter Wassermangel. 2. Western Himalayas : Z u dieser sub-region gehören der Gliedstaat „ J a m m u and Kashmir", zwei districts des Punjabs (Kangra u n d Simla), Himachel Pradesh, Bilaspur u n d fünf districts von U t t a r Pradesh (Garhwal, Teri Garhwal, Nainital, A l m o r a u n d Dera Dun). 3. Eastern Himalayas : Dieses Gebiet schließt das ganze Assam, Manipur, T r i p u r a u n d Sikkim, weiter drei districts von Bengal (Darjeeling, J a l paiguri u n d Cooch-Bihar) ein. 4. North-West Hills: Das ganze Madhya Bharat ohne die drei Flachlanddistrikte Bhind, G i r d u n d Morena u n d acht districts von Südostrajasthan (Udaipur, Dungapur, Banswara, Sirohi, Chittorgarh, Kotah, B u n d i u n d Jhalwar. 5. North Central Hills and Plateau: F ü n f districts von U t t a r Pradesh (Jhansi, Jalaun, H a m i r p u r , Banda, Mirzapur), Vindhaya Pradesh, Bhopal u n d sieben nordöstliche districts von Madhya Pradesh (Mandla, Sagar, Jabelpur, Hoshangabad, Nimar, B e t u l u n d Chhindwara). 6. North-East Plateau: Chhota Nagpur division von Bihar, das ganze Orissa ohne die vier districts Balasore, Cuttack, P u r i u n d Ganjam Agency, weiter East Madhya Pradesh (Balghat, Bhandara, Chanda, Raipur, Bilaspur, Durg, Bastar, Raigarh u n d Surguja).
28
1. Kap.: Die Möglichkeiten zur Extensivierung
Eine Betrachtung der Tabellen 2 und 3, 4, 5 und der Karte läßt den Schluß zu, daß sich der überwiegende Teil (22 von 34 M i l l , ha oder etwa 67 v. H.) der für Bebauungszwecke geeigneten, aber nicht bebauten Fläche i n den Gebieten m i t geringer Bevölkerungsdichte befindet. I n diesen Gebieten ist die Produktivität des bebauten Bodens ohnehin schon wegen der schlechten Qualität niedrig (vgl. Fußnote 2). Es kann mit Sicherheit angenommen werden, daß die Produktivität der nutzbar zu machenden Fläche i n diesen Gebieten das allgemeine Produktivitätsniveau dieser Gebiete nicht übertreffen w i r d ; wahrscheinlich w i r d die Produktivität noch niedriger sein als das allgemeine Niveau dieser Gebiete, da die produktivere Fläche zuerst bebaut wird. Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß i n diesen Gebieten die Nutzbarmachung durch deren topographische Verhältnisse erschwert wird, denn i n diesen Gebieten beträgt das Flachland nur 29 v. H.
1. Kap.: Die Möglichkeiten zur Extensivierung der Gesamtfläche dieser Gebiete, während 19 v. H. der Gesamtfläche schon unter dem Pflug stehen. Diesen Zahlen und unseren Ausführungen ist zu entnehmen, daß der größte Teil der i n diesen Gebieten nutzbar zu machenden Fläche aus Plateaus und Hügeln besteht. Ein weiterer Teil der nutzbar zu machenden Fläche liegt an der Ostküste Indiens. Die Ostküste gehört schon zu den dichtbevölkerten Gegenden. Etwa 50 v. H. der Gesamtfläche dieser Gebiete w i r d schon bebaut. Ein verhältnismäßig großer Teil dieses Raumes ist hügelig (8 v. H. sind Plateaus und 30 v. H. sind Hügel). Da die verbleibenden 12 v. H. dieser Gebiete anderen Zwecken dienen (Siedlungen, Straßen, Fabriken, Flüsse usw.), ist m i t Sicherheit anzunehmen, daß der überwiegende Teil der nutzbar zu machenden Fläche hügelig sein wird. Die Produktivität der hügeligen Gebiete ist, wie i n der Fußnote 2 gesagt wurde, auf Grund der schlechten Qualität des Bodens niedrig. Die sich i m nördlichen und nordöstlichen Raum befindliche, nutzbar zu machende Fläche ist auch hügelig, wie aus den Tabellen 3, 4, 5 und der Karte zu sehen ist. I n dem Raum mit mittlerer Bevölkerungsdichte ist verhältnismäßig wenig nutzbar zu machende Fläche vorhanden. Aus unseren Ausführungen können w i r also den Schluß ziehen, daß die nutzbar zu machende Fläche zum größten Teil i n den Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte liegt, überwiegend hügelig und wegen der schlechten Bodenqualität von niedriger Produktivität ist. Bei der Beurteilung von Möglichkeiten zur Anwendung der extensiven Methode als Instrument der Pro-Kopf-Produktivitätssteigerung i n Indien muß das oben erzielte Ergebnis i m Auge behalten werden. Bei den konstant gehaltenen Bedingungen der Punkte 3, 4 und 5 (Seite 21) muß i n Indien eine Fläche von ca. 3,5 M i l l , ha (2,4 v. H. der bebauten Fläche) pro Jahr nutzbar gemacht werden, u m der Bevölkerungszuwachsrate entsprechen zu können. Diese Kalkulation beruht auf der Annahme, daß die Durchschnittsproduktivität der nutzbar zu machenden Fläche der Durchschnittsproduktivität des schon bebauten Bodens gleichkommt. Wenn die Durchschnittsproduktivität des nutzbar zu machenden Bodens von der Durchschnittsproduktivität des schon bebauten Bodens abweicht, so muß entsprechend mehr oder weniger Land neu unter den Pflug genommen werden. Wenn die von uns aufgestellte Rechnung aufgeht und w i r andere Schwierigkeiten außer acht lassen, w i r d i n Indien i n etwa zehn Jahren die noch nutzbar zu machende Fläche erschöpft sein. Zu diesem Zeitpunkt w i r d Indien gezwungen sein, zur intensiven Methode überzuwechseln. Dies ist die absolute Grenze (in zeitlicher Hinsicht); diese Grenze w i r d u m so näher rücken, je mehr die Bevölkerungszuwachsrate steigt, je mehr das Verbrauchsniveau der Bevölkerung gehoben wird, je mehr sich die Proportionen Land-
30
1. Kap.: Die Möglichkeiten zur Extensivierung
arbeiter/Nicht-Landarbeiter, Landbevölkerung/Nicht-Landbevölkerung zuungunsten der Landarbeiter bzw. der Landbevölkerung ändern. Diese Grenze kann dann zurückgeschoben werden, wenn die Bevölkerungszuwachsrate abnimmt 3 . Das Verbrauchsniveau i n Indien ist schon so niedrig, daß es nicht weiter sinken darf; vielmehr muß es gesteigert werden. Dies wiederum bedeutet, daß mehr als 3,5 Mill, ha an Fläche pro Jahr nutzbar gemacht werden muß, um der Situation Herr zu werden. I m Zuge der Industrialisierung können sich, wie schon i m ersten Kapitel dargestellt, die Proportionen Landarbeiter/Nicht-Landarbeiter, Landbevölkerung/Nicht-Landbevölkerung nur zuungunsten der Landarbeiter bzw. der Landbevölkerung ändern, so daß jeder Landarbeiter mehr produzieren muß, u m das Verbrauchsniveau der wachsenden Bevölkerung zu sichern. Dieses Ergebnis erzielt man unabhängig von den altersmäßigen Veränderungen i n der Zusammensetzung der Bevölkerung. Als Folge muß jeder Landarbeiter mehr, also länger arbeiten; daß eine solche Ausdehnung der Arbeitszeit i n Indien kaum möglich sein dürfte, wurde bereits erwähnt (s. Kapitel 1). Berücksichtigt man dabei auch die Tatsache, daß die Produktivität der nutzbar zu machenden Fläche sehr niedrig ist, so kommt man zu dem Schluß, daß die Landwirtschaft i n Indien durch bloße Mehrarbeit und Nutzbarmachung der Fläche die Bedingungen nicht erfüllen kann, die beim Ingangsetzen des Industrialisierungsprozesses unerläßlich sind. Außerdem haben w i r zu diesem Fragenkomplex einen praktischen Gesichtspunkt zu berücksichtigen. Da die nutzbar zu machende Fläche zum größten Teil i n den Gebieten m i t geringer Bevölkerungsdichte liegt, muß i m Zuge der Landgewinnung auch eine Umsiedlung der Bevölkerung stattfinden. Dies ist aber eine äußerst schwierige Sache, denn die Mobilität der ländlichen Bevölkerung ist bekanntlich immer sehr gering. Hinzu kommt der Kostenaufwand, der für die Erschließung der neuen Fläche und für die Ansiedlung der Bevölkerung notwendig wäre (Bau von Häusern, Schulen, Straßen, Krankenhäusern usw.). Bezüglich der Höhe dieses Kostenaufwandes können w i r keine genauen Aussagen machen; es liegt aber auf der Hand, daß die Er3 Möglichkeiten zur Abnahme der Bevölkerung sind nicht gegeben. Die bisherige Zuwachsrate hat die Aussagen aller Experten einschließlich der Planning Commission Lügen gestraft. Hierzu vergleiche: Das, N., Studies i n I n d i a n Economic Problems, Calcutta 1954, Chapter 12; Dantwala, M. L., Population A n d A g r i c u l t u r a l Productivity I n India, i n : The I n d i a n Economic Journal, January 1954; Biswas , A. K . u n d Mueller , M. G., Population G r o w t h A n d Economic Development I n India, i n : The I n d i a n Economic Journal, January 1955; Sinha , J. N., A Dynamic Approach To The Study Of Population G r o w t h W i t h Special Reference To India, i n : The I n d i a n Economic Journal, October 1955.
1. Kap.: Die Möglichkeiten zur Extensivierung schließungs- und Siedlungskosten außerordentlich hoch sein würden. Aus allen diesen Gründen ist ersichtlich, daß die Ausdehnung der Anbaufläche i n Indien als Grundlage der Pro-Kopf-Produktivitätssteigerung der indischen Landwirtschaft, wenn nicht ungangbar, so dennoch sehr schwierig, kostspielig und nicht sehr erfolgversprechend sein würde. I n Indien sind die Grenzen der extensiven Methode mehr oder weniger schon erreicht. Das Ergebnis unserer bisherigen Diskussion deutet darauf hin, daß Indien gut daran täte, sich der Produktivitätssteigerung sowohl pro Kopf der Bevölkerung als auch pro Bodeneinheit i n der Landwirtschaft zu bedienen, damit die Landwirtschaft die ihr auferlegte ursprüngliche Last der Industrialisierung überhaupt tragen kann. Die Steigerung der Produktivität pro Bodeneinheit i n genügendem Ausmaß ist also das zentrale Problem der indischen Landwirtschaft 4 . Die Steigerung der Produktivität pro Bodeneinheit i n der Landwirtschaft ist eine Frage der Bebauungstechnik und anderer Verbesserungsmaßnahmen, wie ζ. B. Bekämpfung der Pflanzenkrankheiten, bessere Düngung und Bewässerung der bebauten Fläche, Errichtung von landwirtschaftlichen Schulen und Musterfarmen usw. Dies sind die allgemeinen Methoden zur Steigerung der Hektarerträge, deren sich auch schon andere Länder bedient haben und deren sich die jetzt zu industrialisierenden Länder zu bedienen haben werden. Unterschiede können i m Schwerpunkt der jeweils anzuwendenden Methode vorhanden sein, da die praktischen Gegebenheiten (physikalische und klimatische Bedingungen, Qualität des Bodens, Wasservorräte, Stand der schon angewandten Technik i m In- und Ausland usw.) i n den einzelnen Ländern verschieden sein können.
4 Dies ist auch die Meinung der Planning Commission. Vgl. dazu: The First Five Year Plan u n d The Second Five Year Plan, S 155 bzw. S. 260.
Zweites
Kapitel
Zielsetzung einer geeigneten Bodenreform Die Frage der Verbesserungen sollte von uns an dieser Stelle behandelt werden. Aus praktischen Erwägungen werden w i r jedoch diese Frage zusammen m i t der Frage der Bodenreform behandeln, denn sie sind eng miteinander verbunden. Die Bodenreform hat jedoch noch eine andere Rolle zu spielen, und zwar i m Hinblick auf die Transferierung des landwirtschaftlichen Überschusses. Deshalb werden w i r auf die Frage eingehen müssen, welche Bodenreform Indien benötigt, damit die Hektarerträge gesteigert werden und die Transferierung des landwirtschaftlichen Überschusses erleichtert und gefördert wird. I n diesem Satz kommen schon die Ziele einer Bodenreform zum Ausdruck, denn die Bodenreform sollte nicht u m ihrer selbst w i l l e n geschehen, sondern müßte so gestaltet werden, daß die Landwirtschaft die ihr bei der Industrialisierung auferlegte Last tragen kann. Folglich können w i r feststellen, daß i n Indien nicht irgendeine, sondern eine bestimmt geartete Bodenreform notwendig ist. Die Nützlichkeit einer Reform w i r d dadurch bestimmt, ob sie der Landwirtschaft bei der Erfüllung ihrer Aufgabe behilflich ist. Unserer Beurteilung der indischen Bodenreformen liegt ausschließlich dieses K r i t e r i u m zugrunde; es sei darauf hingewiesen, daß unsere K r i t i k an den indischen Bodenreformen nur dann verständlich wird, wenn w i r diese Tatsache i m Auge behalten.
Drittes
Kapitel
Allgemeine Kritik der indischen Bodenreformen I n seiner Stellungnahme zu den Gesetzen, die seit dem Ende des 2. Weltkrieges i n Indien zu der Frage der Bodenreformen erlassen worden sind, meint Thorner, daß „the sum total of land reform laws enacted i n India since 1947 constitutes... the largest body of agrarian legislation to have been passed i n so brief a span of years i n any country whose history has been recorded" 1 . Dies veranlaßte G. D. Patel, zu fragen, „whether the laws are for men or the men for laws" 2 . Wenn w i r jedoch nach dem Erfolg dieser Reformgesetze fragen, w i r d man trotz ihrer Flut feststellen können, daß die gesetzten Ziele nicht erreicht worden sind oder i m günstigsten Falle einen bedingten Erfolg aufweisen. Noch bedauerlicher ist die Tatsache, daß bei der Zielsetzung der Bodenreformen i n Indien die Frage der Transferierung eines ursprünglichen landwirtschaftlichen Überschusses gar nicht berücksichtigt wurde, obgleich, wie von uns schon geschildert, ein solcher Überschuß eine unerläßliche Voraussetzung zur Industrialisierung ist. U m der Gefahr einer einseitigen Einschätzung der Bodenreformen vorzubeugen, werden w i r diese Frage auf zwei verschiedenen Ebenen behandeln. Z u m einen soll die Unzulänglichkeit i n der Zielsetzung der bisherigen indischen Reformen i n bezug auf die Erzielung eines landwirtschaftlichen Überschusses aufgezeigt werden. Zum anderen soll der Frage nachgegangen werden, ob die gesetzten Ziele einen einheitlichen Charakter trugen, das heißt, ob die getroffenen Maßnahmen sich überhaupt miteinander vertrugen.
I. Unzulänglichkeiten in der Zielsetzung Zuerst werden w i r auf die Unzulänglichkeiten i n der Zielsetzung der indischen Bodenreformen eingehen. Die indischen Bodenreformen haben zwei Ziele i m Auge: 1. ein wirtschaftliches Ziel: Die Steigerung 1 Thorner, D., The A g r a r i a n Prospect I n India, University Of Delhi, D e l h i 1956, S. 15. 2 Patel, G. D., The I n d i a n L a n d Problem A n d Legislation, Bombay 1954, S. 503.
3 Lai
34
. Kap.:
e
e
Kritik der indischen Bodenreformen
der Produktion, die nicht so sehr auf Grund der Erweiterung der Anbaufläche, sondern auf Grund der Steigerung der Hektarerträge erreicht werden sollte. Aus dem oben Gesagten ist ersichtlich, daß diese Betonung richtig ist. 2. ein gesellschaftspolitisches Ziel: Verminderung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten i n der Gesellschaft. Der indischen „Planning Commission " ist die Bedeutung der Landwirtschaft für die Industrialisierung des Landes wohl bekannt. Dies ist an den verschiedensten Stellen zum Ausdruck gekommen, wie z. B. i n dem folgenden Satz aus dem „Draft Outline" des ersten Planes: „ I n its significance for the future, the land problem overshadows all other problems. I n the measure i n which a satisfactory answer can be found to this problem, the economy as a whole w i l l advance 3 ." Die Schwierigkeit lag also nicht i n der Einschätzung der Rolle der Landwirtschaft, sondern nur i n dem Versäumnis, daraus die richtigen Folgerungen zu ziehen. A u f Grund ihrer „pre-occupation" mit dem Problem der Produktionssteigerung und ihres Glaubens an den Marktautomatismus wurde das an sich selbständige Problem der Transferierung eines landwirtschaftlichen Überschusses übersehen. Man beschäftigte sich lediglich m i t dem Problem der Produktionssteigerung, ohne sich dabei Gedanken darüber zu machen, wie diese Produktion der Industrialisierung zugute kommen sollte. Es ist erstaunlich, daß die Bereitstellung der Industrialisierungsmittel landwirtschaftlicher A r t nicht als das wahre Verbindungselement zwischen der Notwendigkeit der Bodenreformen und ihrer Ziele und Formen angesehen wurde. Das
„Committee
On
Tenancy
Reform"
mußte
1956 d e n
Vorschlag
machen, daß „the new pattern of ownership and cultivation" die weitere Entwicklung bestimmen solle, womit implizite gleichzeitig zum Ausdruck kam, daß dies bis dahin nicht der Fall war 4 . W i r haben schon darauf hingewiesen, daß beim Ingangsetzen und i m Zuge der Industrialisierung eine Änderung der Einsatzrichtung der Arbeitskraft stattfinden muß. Die Reformen i n Indien sind an diesem Problem völlig vorbeigegangen. Sie haben sich mit der Frage der Arbeitslosigkeit der Landarbeiter beschäftigt, aber ihre Behandlung der Frage ist sehr sprunghaft und dürftig gewesen. Eigentlich bestand und besteht hier die Politik mehr aus Hoffnungen und Erwartungen als aus konkreten Vorstellungen und Maßnahmen. Es ist bemerkenswert, daß diese Frage nicht als ein wesentlicher Bestandteil der Agrarfrage behandelt und angesehen wurde, denn hätte man das 3 Government Of India , The Planning Commission, The Draft Outline of The First Five Year Plan, S. 94. 4 Vgl. Report of The Committee On Tenancy Reform , S. 36 ff.
. Kap. :
e
e
K r i t i k der indischen Bodenreformen
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getan, so w ä r e d i e F r a g e d e r B o d e n r e f o r m e n n i c h t ohne B e r ü c k s i c h t i g u n g des T r a n s f e r i e r u n g s p r o b l e m s b e h a n d e l t w o r d e n . M a n h a t i n I n d i e n einfach m i t d e r V o r s t e l l u n g gearbeitet, daß d i e S t e i g e r u n g der P r o d u k t i o n als oberstes u n d einziges Z i e l d e r B o d e n r e f o r m e n ausreiche. I n d e r S t e i g e r u n g d e r P r o d u k t i o n w u r d e auch d e r W e g z u r E r r e i c h u n g des gesellschaftspolitischen Zieles d e r B o d e n r e f o r m e n gesehen. M a n h o f f t e , daß sich das T r a n s f e r i e r u n g s p r o b l e m a u f d e m M a r k t w e g r e g e l n w ü r d e . Diese R e c h n u n g i s t a n u n d f ü r sich n i c h t falsch u n d w ä r e auch aufgegangen, w e n n d i e l a n d w i r t s c h a f t l i c h e P r o d u k t i o n i n e i n e m g r o ß e n A u s m a ß gestiegen w ä r e . W e g e n d e r i n I n d i e n herrschenden B o d e n s y s t e m e (eine M i s c h u n g v o n l a t i f u n d i e n ä h n l i c h e n G r o ß b e t r i e b e n u n d K l e i n b a u e r n t u m ) b l i e b aber d i e P r o d u k t i o n s s t e i g e r u n g i n e i n e m solchen A u s m a ß aus. H i e r sei a u f d i e K o l l e k t i v i e r u n g u n d i h r Z i e l i n R u ß l a n d h i n g e wiesen. M a n c h e A u t o r e n m e i n e n , daß das Z i e l d e r K o l l e k t i v i e r u n g i n d e r S o w j e t u n i o n n i c h t so sehr d i e S t e i g e r u n g d e r P r o d u k t i o n , sondern die Bereitstellung v o n Agrarerzeugnissen f ü r die I n d u s t r i a l i s i e r u n g des L a n d e s w a r 5 . 5 Vgl. hierzu: Hof mann, W., Die Arbeitsverfassung der Sowjetunion, Berl i n 1956, 1. Kapitel. I n Japan wurde das Transferierungsproblem durch die Errichtung von „ L a t i f u n d i e n " gelöst. I n W i r k l i c h k e i t w u r d e aber der Boden an die einzelnen Bauern verpachtet. Unter den japanischen Verhältnissen bedeutete dies aber kleinbäuerliche Bestellung des Bodens. Das besondere M e r k m a l des j a p a n i schen Systems lag i n der A r t u n d Weise der Bezahlung des Pachtzinses, welcher von den Bauern an die Grundherren i n Naturalform gezahlt wurde. I n der Regel betrug er 50—60 v. H. der gesamten Ernte. Dagegen mußten die Großgrundbesitzer ihre Pflichten gegenüber dem Staat i n Geld erfüllen. A u f diese Weise erzielte der Staat den doppelten Effekt: E i n m a l eine w e i t gehende Ausschaltung der Bauern von dem M a r k t , da die Bauern n u r 40 bis 50 v. H. der gesamten Ernte behielten, was gerade f ü r ihren Grundbedarf ausreichte. Der Zwang, Konsumgüter herzustellen, u m ein Gleichgewicht zwischen dem Angebot von Agrarerzeugnissen von Seiten der Bauern u n d der Nachfrage der Bauern nach Konsumgütern zu erreichen, verminderte sich, so daß der Staat i n den anderen Zweigen der Wirtschaft „investieren" konnte. Außerdem wurde die Bereitstellung der M i t t e l f ü r die Industrialisierung des Landes durch die Verpflichtung der Großgrundbesitzer gegenüber dem Staat sichergestellt. Da der Grundherr seine Steuern i n Geld bezahlen mußte, w a r er gezwungen, die von i h m als Pachtzins erhobenen Agrarerzeugnisse auf den M a r k t zu bringen. A u f diese Weise gelang es dem Meiji-Japan, den K o n s u m der Bevölkerung niedrig zu halten u n d A g r a r m i t t e l f ü r die Industrialisierung des Landes bereitzustellen. Vgl. Lockwood, W. W., The Economic Development of Japan, Princeton 1954, Chapter 1; vgl. auch Dore, R. P., L a n d Reform i n Japan, Oxford 1959, Chapters 1 u n d 5. Dore weist auch darauf hin, daß zwischen 1880 u n d 1939 die Größe der bebauten Bodeneinheit pro Familie als Folge der Steigerung der Agrarbevölkerung auf ein Cho (2,45 „acres") konstant blieb, obgleich sich die bestellte Fläche u m 40 v. H. vergrößert hat. 1955 waren 41 v. H. der Japaner i n der Landwirtschaft tätig. Die Großgrundbesitzer (im Gegensatz zu den Bauern) mußten Steuern i n Höhe von 3. v. H. des geschätzten Wertes ihrer Grundstücke an den Staat abführen.
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Nach der Einführung der Kollektivierung i n Rußland ging sogar die landwirtschaftliche Gesamtproduktion zurück. Die Gründung der Volkskommunen i n China ist i m wesentlichen auf das Transferierungsproblem zurückzuführen, denn der größte Teil der Steigerung der Agrarproduktion i n China fand bereits i n den Jahren 1950/54 statt, während die Einführung des kooperativen Prinzips und der Volkskommunen später erfolgte. Außerdem sieht die „Planning Commission" keine Verminderung i n der Zahl der Landarbeiter vor. I m 3. Plan (siehe Draft Outline S. 85) sowie auch i m vierten (siehe Memorandum on the Fourth Plan S. 24) ist sogar eine Steigerung i n deren Zahl i n Höhe von 3,5 M i l l , eingeplant worden. Es w i r d weiterhin gehofft, daß der prozentuale A n t e i l der Bevölkerung, der von der Landwirtschaft lebt, am Ende des 5. Planes von 70 v. H. auf 60 v. H. sinken w i r d (siehe Draft Outline des 3. Planes, S. 4). Wenn man aber dem heutigen Trend Glauben schenken darf, bestehen auf Verwirklichung des obigen Zieles keine Aussichten. I m Draft Outline des 1. Planes gab man der Hoffnung Ausdruck, daß auf dem Lande Arbeitsmöglichkeiten für mehr Landarbeiter bestehen würden. Abgesehen davon, daß ein schnelleres Industrialisierungstempo nicht eine Erhöhung, sondern eine Verminderung i n der Zahl der Landarbeiter erfordert, blieb es offen, wie mehr Landarbeiter auf dem Lande beschäftigt werden könnten. I n diesem Zusammenhang wurde die Anwendung des „Minimum Wages Act" von 1948 zur Lösung dieses Problems vorgeschlagen. Der darin liegende Fehler fällt aber sofort ins Auge, denn die Anwendung des Gesetzes von 1948 bedeutet nur die Sicherung eines Mindestlohnes, nicht aber die Beschaffung von zusätzlichen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Lande für die arbeitslosen Landarbeiter. Das „Congress
Agrarian
Reforms
Committee "
m e i n t e z w a r , daß
„to
leave out the problem of agricultural labour i n any scheme of agricultural reforms . . . is to leave unattended a weeping wound i n the Agrarian system of the country"; seine Vorschläge gingen aber i m wesentlichen i n die gleiche Richtung wie die bereits erwähnten der „Planning Commission"®. Dieses Komitee hatte die Erlassung von positiven und prohibitiven Gesetzen vorgeschlagen (Sicherung des Mindestlohnes bzw. die Abschaffung der Leibeigenschaft) i n der Erwartung, daß damit das Problem der Arbeitslosigkeit auf dem Lande sein Ende finden würde. Wie schon bemerkt, schaffen diese Gesetze keine neuen Arbeitsplätze; sie können nur das Ziel haben, die Lohnbedingungen derer zu verbessern, die auf Grund der Gesetze des Landes nicht hätten diskriminiert werden dürfen. Der einzige positive Vorschlag bezüglich der Beschaffung von Arbeitsplätzen auf dem
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Vgl. Report Of The Congress Agrarian
Reforms
Committee,
1949, S. 112.
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Lande ist die Errichtung von „cottage industries". A u f dieses Thema werden w i r später i n einem anderen Zusammenhang näher eingehen.
II. Zersplitterung in der Bodenreformfrage A n dieser Stelle möchten w i r die Aufmerksamkeit des Lesers auf die seltsame Handlungsweise der indischen Regierung lenken, die den Zweck der Bodenreformen (nämlich der Industrialisierung Indiens dienlich zu sein) weitgehend verfehlte. Es ist i n der Einleitung schon erwähnt worden, daß das Industrialisierungsproblem ein unteilbares Ganzes ist und deshalb auch als solches angepackt werden muß. Darunter verstehen w i r die koordinierte Indienststellung aller Kräfte des Landes zum Zwecke der Industrialisierung. Es sei darauf hingewiesen, daß es für uns auf diese Koordination, nicht aber auf die Instanzen, die diese Koordination herbeiführen, ankommt. Die Durchführung der Bodenreformen durch die Gliedstaaten wäre nicht schädlich, solange diese Durchführung i n einer koordinierten, dem Industrialisierungsprogramm dienlichen Weise erfolgt. A u f der anderen Seite wäre eine solche Durchführung der Bodenreformen durch die Gliedstaaten, die diese Koordination gefährdet, für die Industrialisierung des Landes verhängnisvoll, denn hier w i r d das Problem nicht mehr als Ganzes betrachtet oder behandelt, sondern den verschiedenen Regierungsinstanzen die Möglichkeit gegeben, jede beliebige Richtung einzuschlagen. Beauftragt man z. B. die verschiedenen Gliedstaaten (wie es i n Indien der Fall ist) m i t der Durchführung der Bodenreformen, so t r i t t man damit zunächst nur für eine dezentralisierte Erfüllung der Aufgabe ein. Dadurch gefährdet man noch nicht den einheitlichen und koordinierten Charakter der Lösung, denn die Dezentralisation betrifft nur die A r t der Durchführung, nicht aber den grundsätzlichen Charakter des Problems und seiner Lösung. Problematisch w i r d es erst dann, wenn die Gliedstaaten unabhängig voneinander (wie es i n Indien der Fall ist) Bodenreformgesetze erlassen und Maßnahmen treffen können, die zur Zerstückelung und Aufteilung des unteilbaren Problems und seiner Lösung führen. Unter solchen Umständen w i r d die Industrialisierung des Landes gefährdet, da die Inanspruchnahme aller Kräfte des Landes zum Zwecke der Industrialisierung nicht gleichzeitig und koordiniert stattfindet 7 . U m Mißverständnissen vorzubeugen, sei festgestellt, daß w i r uns nicht gegen eine Dezentralisierung des 7 Vgl. Srinivasan , Μ . Α., A Critical Review Of L a n d Reform Legislation Since 1945 I n Various States, i n : I n d i a n Journal of A g r i c u l t u r a l Economics, Vol. 8, March 1953, S. 119; er kommentiert, daß „ a regional or provincial remedy for a national disease has led to a lack of u n i f o r m i t y and an appearance of t i n k e r i n g w i t h the problem".
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Problems und seiner Lösung wenden; vielmehr richtet sich unser Protest gegen eine Dezentralisierung, die unkoordiniert ist. W i r sind schon zu dem Schluß gekommen, daß die Landwirtschaft in den Dienst der Industrialisierung eingespannt werden muß. Je früher und besser dies geschieht, desto günstiger ist es für die Industrialisierung des Landes. Fehlt diese Indienststellung oder ist sie unkoordiniert, so ist dies für die Industrialisierung des Landes fatal bzw. nachteilig und gefährlich. Daraus kann gefolgert werden, daß eine solche Entwicklung unter allen Umständen vermieden werden sollte. I n Indien ist aber genau das Gegenteil geschehen. Die Frage der Bodenreformen hätte unter Berücksichtigung der klimatischen und geographischen Bedingungen des Landes als Ganzes behandelt werden müssen. Durch die Zentralregierung ist aber dieses einheitliche Element zerstört worden. Zu Gunsten der Zentralregierung sei hervorgehoben, daß ihre Ansichten und Motive sehr lobenswert waren. Der Verfassung folgend, beauftragte die indische Regierung die Gliedstaaten mit dem Erlaß und der Durchführung von Bodenreformgesetzen und beging damit einen entscheidenden Fehler, denn die Gliedstaaten haben das ganze Problem nicht seiner großen Bedeutung entsprechend behandelt. Außerdem wurden für die Gliedstaaten keine verbindlichen Richtlinien von der Zentralregierung festgelegt. Dies hatte eben diese von uns beklagte Zersplitterung, Zerstückelung und Aufteilung des Problems und seiner Lösung zur Folge. Die Zentralregierung, die das ganze Problem sehen und beurteilen konnte, mußte den Erlaß der Bodenreformgesetze und deren Ausführung den Landesregierungen überlassen, die das ganze Problem weder übersehen noch beurteilen konnten. Man stelle sich vor, was dies bedeutet! Die Gliedstaaten sind m i t dem Erlaß von Bodenreformgesetzen und ihrer Durchführung beauftragt, sind aber der „Planning Commission" keine Rechenschaft schuldig; auf der anderen Seite plant die „Planning Commission", u m die Industrialisierung des Landes herbeizuführen, ist aber nicht i n der Lage, die Bodenreformen durchzuführen oder durchführen zu lassen, die sie i m Interesse der Industrialisierung des Landes für geeignet hält. Es ist ein Wunder, daß die „Planning Commission" unter diesen Umständen die ihr auferlegte Verantwortung bezüglich der Industrialisierung des Landes nicht ablehnt oder nicht darauf besteht, daß die Gliedstaaten nur solche Bodenreformen durchführen, die sie i m Interesse der Industrialisierung des Landes für notwendig hält. Da es sogar an Richtlinien für die Gliedstaaten fehlte, ist festzustellen, daß heute, also nach dem Erlaß und einer teilweisen Durchführung der Bodenreformen, i n Indien die Pachtverhältnisse genauso kompliziert, verwirrend und uneinheitlich sind wie zuvor. Die Frage der Bodenreformen hätte schon zu Beginn des Industrialisierungsprozesses
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(1951 wurde m i t dem ersten Plan begonnen) entschieden werden müssen. Was ist aber geschehen? Noch i m Jahre 1958 mußte die Regierungspartei, die Kongreßpartei, auf ihrem jährlichen Parteitag i n Nagpur die Gliedstaaten aufrufen, bis Ende des Jahres 1958 m i t den Bodenreformen fertig zu werden. Dieser Aufruf hat neben vielen anderen bisher noch keine Erfolge gezeitigt. Unter diesen Umständen wäre es verwunderlich, wenn die Planer i n Indien nicht so viele Schwierigkeiten mit ihren Plänen gehabt hätten, denn die zur Überwindung der Schwierigkeiten erforderlichen Voraussetzungen haben gefehlt. I n dem Memorandum über den 4. Plan hat man wieder die Schwierigkeiten bei der Durchführung der Bodenreform geprüft. Dort ist auch ein Aufruf zur Beseitigung der Schwierigkeiten enthalten. 1949 wurden die Gliedstaaten von dem „Congress Agrarian Reforms Committee" aufgefordert, Landnutzungsstatistiken aufzustellen, da ohne diese Statistiken keine Bodenreformen durchgeführt werden konnten. Laut Thorner traf aber diesen Aufruf ein seltsames Schicksal 8 . Als er nämlich an die Gliedstaaten ging, geschah zunächst nichts. 1953 unternahm Ministerpräsident Nehru eine Reise durch das Land. Auf dieser Reise erfuhr er von den Bauern, wie sie i n Erwartung der bevorstehenden Bodenreformen von den Großgrundbesitzern vertrieben wurden. Darauf intervenierte Nehru bei der „Planning Commission" und dem Landwirtschaftsministerium. Daraufhin schickten die „Planning Commission" und das Landwirtschaftsministerium „vorläufige Vorschläge" zur Erhebung der Landnutzungsstatistiken an die Gliedstaaten und baten sie u m ihre Stellungnahme. Diese „vorläufigen Vorschläge" sind ihrem Zweck nach (nämlich zu ergründen, wer wieviel Boden bebaut und wem der bebaute Boden gehört) von Thorner als „singularly i l l framed" bezeichnet worden 9 . Es folgten Konferenzen zwischen den Vertretern der „Planning Commission", des Landwirtschaftsministeriums und der Gliedstaaten. A u f diesen Konferenzen wurde der von Thorner als „singularly i l l framed" bezeichnete Fragebogen weiter vereinfacht, so daß die Aufgabe der Erhebung der Landnutzungsstatistiken bis Mai 1955 vollendet werden konnte. Trotz dieser Erleichterung der Aufgabe spottete das Ergebnis jeder Beschreibung: Einige Gliedstaaten unternahmen nichts, andere wiederum benutzten die unvollständigen Katasterangaben, u m Informationen zu sammeln, und die restlichen führten eine partielle, unvollständige und wahllose Erhebung durch 10 . 8
Vgl. Thorner y D., a. a. O., S. 62. Ebenda, S. 65. 10 Vgl. Thorner , D., a. a. O., S. 68: „Even this modest goal was not achieved. What has, i n fact, taken place can scarcely be called a nation w i d e census of land holding. Hyderabad has gone ahead to complete the best framed β
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Da i n Indien die meisten Bauern des Lesens und Schreibens unkundig sind, hat die „Planning Commission" i n ihrem Interesse die Gliedstaaten gebeten, nicht sehr komplizierte Bodenreformen zu erlassen, weil die Bauern sie sonst nicht verstehen würden. I n diesem Zusammenhang sprach „The Congress Agrarian Reforms Committee" die Warnung aus, daß „the illiteracy of the cultivating class as w e l l as the dishonesty of the land-owning peasantry and the corruption of officials together have produced a situation under which i t may be extremely difficult to prove the status of a tenant on a plot of land, though he and his family may have been cultivating that plot of land even for generations" 11 . A l l dies wurde aber von den Gliedstaaten ignoriert; sie erließen i m Gegenteil sehr komplizierte Bodenreformgesetze, die G. D. Patel zu der von uns schon erwähnten ironischen Bemerkung veranlaßten. Ein weiterer Nachteil dieser Handlungsweise war, daß auf Gliedstaatenebene die Großgrundbesitzer bei den Beratungen einen sehr großen Einfluß nehmen konnten. Wenn sich die Zentralregierung mit dem Bodenreformkomplex befaßt hätte, wäre der Einfluß der Großgrundbesitzer auf die Geschehnisse i m schlimmsten Fall sehr beschränkt gewesen. A u f Gliedstaatenebene sah die Sache wesentlich anders aus, denn die betroffenen politischen Parteien, Minister und die Landesgesetzgeber wollten alle wiedergewählt werden und waren som i t eher zu Konzessionen gegenüber den Großgrundbesitzern, deren Einfluß i m Dorf immer noch sehr groß ist, bereit als die Mitglieder der Zentralregierung und des Parlaments, da diese letzteren eher auf die Sympathien der Großgrundbesitzer verzichten konnten. Die Kompliziertheit der Bodenreformgesetze und ihre zum Teil vagen Formulierungen (ζ. B. die Definition des Begriffes „tiller"), was nicht zuletzt auf die Einflußnahme der Großgrundbesitzer zurückgeht, hatten Rechtsand most comprehensive census i n the country. Bombay, Bhopal, Madras and Madhya Pradesh have prepared complete returns from the p a t w a r i papers, using the January, 1954 schedules. Punjab, Pepsu, Delhi, Himachel Pradesh and V i n d h y a Pradesh have sent i n returns for a l l holdings over ten acres i n size. K a s h m i r has not participated, giving the argument that since ceilings had already been fixed and l a n d redistributed there was no need for a census. The U. P. refused to do anything at all. TravancoreCchoin, after much pressure f r o m the centre, agreed to tke a census cover i n g one out of every ten villages. Rajasthan consented to obtain complete returns for a number of tehsils. I n Orissa one random sampele survey has been launched; i t may be supplemented b y additional sample surveys. A c t i o n i n A n d h r a was being deferred u n t i l after the recent elections. Assam, West Bengal and B i h a r have made proposals i n v o l v i n g the National Sample Survey . . 11 Vgl. The Congress Agrarian Reforms Committee , Report of 1949, S. 49; vgl. auch Report of The Committee On Teancy Reform (Panel On Land Reforms), S. 38.
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Streitigkeiten zwischen ihnen und den Bauern zur Folge, wobei meistens die Bauern den kürzeren zogen, da sie nicht über so viele Kampfmittel verfügten wie ihre Gegner 12 . Dadurch ist vor allem die Durchführung der von den Gliedstaaten selber erlassenen Bodenreformgesetze verzögert worden. 12 I n I n d i e n ist das Verfahren bezüglich des Erlasses von Bodenreformgesetzen sehr langwierig. Zuerst w i r d von demjenigen Gliedstaat, der die Absicht hat, Bodenreformen durchzuführen, ein Komitee ernannt, das über die Lage berät u n d schließlich der Landesregierung Vorschläge macht. A u f G r u n d dieser Vorschläge legt die Landesregierung dem Landtag einen Gesetzesentwurf vor. Der Landtag debattiert über diesen E n t w u r f ; i n dieser Debatte kommen die Sprecher der Großgrundbesitzer zu W o r t u n d machen ihren Einfluß geltend. Falls an dem E n t w u r f den Landtagsabgeordneten etwas nicht gefällt u n d er deshalb geändert werden soll, w i r d die ganze Sache dem Komitee zurückgeschickt. Das Komitee berät nochmals u n d u n t e r breitet neue Vorschläge. Darauf w i r d i m Landtag eine neue Debatte über den geänderten Gesetzesentwurf veranstaltet. Vorausgesetzt, daß der Landtag diesen E n t w u r f b i l l i g t (er k a n n i h n aber noch ein weiteres M a l ablehnen, so daß die ganze Prozedur wiederholt werden muß), w i r d er dem Staatsoberhaupt zwecks seiner Zustimmung vorgelegt. Das Staatsoberhaupt seinerseits kann, falls es verfassungsrechtliche Zweifel an dem v o m Landtag v e r abschiedeten Gesetzesentwurf oder an irgendwelchen i n diesem E n t w u r f enthaltenen Bestimmungen hegt, den „Supreme Court" einschalten, u m die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes feststellen zu lassen. H ä l t der „Supreme Court" das Gesetz f ü r verfassungswidrig, so w i r d es v o m Staatsoberhaupt dem betreffenden Gliedstaat zur nochmaligen Überarbeitung zugestellt. Sind dagegen n u r einzelne Abschnitte verfassungswidrig, dann werden sie gestrichen, u n d der Gesetzesentwurf w i r d v o m Staatsoberhaupt unterzeichnet. D a m i t k a n n natürlich die Einheitlichkeit des Gesetzes so stark gefährdet werden, daß i m Endeffekt das ganze Gesetzt nicht v i e l bedeutet, da durch das Streichen verschiedener Abschnitte das Gesetz lückenhaft w i r d . Bei einem vorbehaltlosen positiven U r t e i l des „Supreme Court" treten keine Schwierigkeiten auf; der Gesetzesentwurf w i r d v o m Staatsoberhaupt ohne (abgesehen von einem formellen) Kommentar gebilligt. Dies ist jedoch nicht das Ende des Vorganges, denn jetzt taucht die komplizierte u n d f ü r manche Leute m i t Schmerzen verbundene Frage der Durchführung des Gesetzes auf. I m Zuge dieser Durchführung treten Rechtsstreitigkeiten zwischen den Beteiligten auf, so daß die E x e k u t i v e u n d die Justizgewalt nochmals eingeschaltet werden müssen. Bei diesen Auseinandersetzungen ist der arme, des Lesens u n d Schreibens unkundige Bauer, f ü r den dies alles angeblich getan worden ist, den Rechtsanwälten u n d Großgrundbesitzern ausgeliefert. Er k a n n nicht kämpfen, da i h m die erforderlichen K a m p f m i t t e l fehlen. So k a m es z. B., daß acht Jahre nach dem E i l a ß von Bodenreformgesetzen durch den Landtag des Gliedstaates Bihar die Mehrheit der Großgrundbesitzer immer noch i m legalen Besitz aller ihrer Ländereien war.
Bei der Behandlung von Rechtsstreitigkeiten fällte der „Supreme Court" einige f ü r die Zentralregierung u n d Gliedstaatenregierungen ungünstige Urteile. Darauf mußte die Verfassung geändert werden, u n d anläßlich dieser Änderung beschwerte sich Nehru i m indischen Parlament über die Rechtsanwälte u n d w a r f ihnen die „ „ p u r l o i n i n g " der prächtigen indischen Verfassung vor. (Vgl. dazu Venkatasubbiah, H., I n d i a n Economy Since I n d e pendence, Bombay 1958, S. 61). A l s Folge dieser Versäumnisse u n d Verzögerungen sind die Bodenreformen i n ein solches Durcheinander geraten, daß sie nicht die Grundlage u n d Voraussetzung zur Industrialisierung bilden konnten.
Viertes
Kapitel
Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen I n unserer bisherigen Behandlung der Frage der Bodenreformen sind w i r von einer bestimmten Perspektive ausgegangen, nämlich von der Frage, welche Ziele die Bodenreformen i n Indien i m Hinblick auf die Industrialisierung des Landes hätten haben müssen. Von diesem Standpunkt ausgehend, haben w i r auf die Unzulänglichkeiten i n den Zielen der indischen Bodenreformen hingewiesen. A n dieser Stelle könnte man das gewichtige Argument anführen, daß durch diese Unzulänglichkeiten i n der Zielsetzung die Behandlung der Frage der Bodenreformen auf der zweiten Ebene (s. Kapitel 3) überflüssig geworden sei. Dafür aber, daß w i r trotz dieser Bedenken jetzt auf diese Frage eingehen, sind folgende Gründe maßgebend. Einmal die Tatsache, daß die Ziele, wenn auch unzureichend, dennoch nicht völlig verfehlt waren. Z u m anderen werden w i r durch eine solche Behandlung i m einzelnen m i t den sehr verwickelten und schwierigen Problemen der Bodenreformen i n Indien vertraut gemacht. Die Erlangung dieser Kenntnisse w i r d uns später sehr nützlich sein. Bei der Behandlung der Frage der Bodenreformen auf der zweiten Ebene handelt es sich, u m zu wiederholen, u m die folgenden drei Punkte: (A) Das Verhältnis der Ziele zueinander; (B) Eignung der getroffenen Maßnahmen zur Erreichung der Ziele; (C) die Übereinstimmung der Maßnahmen untereinander.
I. Verhältnis der Ziele zueinander A u f Seite 33 haben w i r schon die Ziele der indischen Bodenreformen aufgezählt. W i r haben hier die Frage des Verhältnisses zwischen den zwei Zielen zu klären. Es sei jetzt schon festgestellt, daß bei den indischen Verhältnissen zwischen den zwei Zielen der Bodenreformen eine gewisse Spannung besteht. Die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion, welche praktisch die Steigerung der Hektarerträge impliziert, setzt u. a. eine Bebauungseinheit von einer bestimmten
4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen Größe voraus. Diese Größe hängt von der Bodenbeschaffenheit, den Bewässerungsmöglichkeiten, dem Ausmaß der Düngung, der Bebauungstechnik, der A r t der Ernte usw. ab. I n Indien ist man der Meinung, daß diese Größe mindestens 4 ha betragen muß; i n Gebieten mit schlechteren Bewässerungsmöglichkeiten muß sich dagegen diese Zahl auf 10 ha erhöhen. Es sei angedeutet, daß diese Kalkulationen auf der sogenannten durchschnittlichen Familie m i t durchschnittlicher Ausstattung basieren. Es fehlt nicht an anderen Schätzungen, die andere Maßstäbe zugrunde legen 1 . A u f diese Frage werden w i r später noch eingehen. Eines der Merkmale der indischen Landwirtschaft ist jedoch die Knappheit des Bodens i m Verhältnis zur Agrarbevölkerung. Schon die Errichtung von Bauernhöfen m i t einer durchschnittlichen Anbaufläche von 4 ha w i r d infolge des knapp vorhandenen Bodens zu einer katastrophalen Steigerung der Zahl der landlosen Arbeiter führen, ganz abgesehen von den Wirkungen der Errichtung von Bauernhöfen m i t einer durchschnittlichen Anbaufläche von 10 ha. Als landlose Arbeiter werden sie zu einkommenslosen Arbeitern, da auf dem Lande kaum alternative Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden sind und der Bedarf der Stadt an Arbeitskraft durch den Zuwachs der Stadtbevölkerung gedeckt wird. Eine Steigerung der Zahl der landlosen Arbeiter, die ja wegen des Fehlens von Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Lande auch arbeitslos sein würden, w i r d sich sofort i n ein soziales Problem umwandeln und Unruhe und Unordnung m i t sich bringen. Außerdem gerät sie i n Konflikt mit dem zweiten Ziel, denn durch die Arbeitslosigkeit und infolgedessen durch die Einkommenslosigkeit einer großen Zahl von Landarbeitern (es gibt i n Indien keine Arbeitslosenversicherung) und durch eine Verbesserung der Einkommenslage derjenigen, die jetzt eine größere Fläche bewirtschaften, w i r d die Ungleichheit nur noch größer. Die Regierung könnte dieser Situation durch die Erhebung einer Einkommenssteuer von den Besitzenden begegnen. M i t diesem M i t t e l wäre sie auch i n der Lage, die landlosen Arbeiter zu unterstützen, da als Folge der Vergrößerung der Bebauungseinheit die landwirtschaftliche Produktion gestiegen sein wird. Da die Regierung m i t einem großen Landhunger rechnet, scheute sie sich vor diesem Weg und schlug einen anderen ein. Sie hoffte, die Ungleichheit durch die Verteilung von Boden an alle Landarbeiter vermindern zu können. Wie aber schon angedeutet, bringt dieser Weg die Verkleinerung 1
Vgl. Report Of The U. P. Zamindari Abolition Committee , Vol. I, A l l a habad 1948, Chapter I ; Report Of The Congress Agrarian Reforms Committee, 1949, S. 9, 21 ff.; Reports Of The Committees Of The Panel On Land Reforms (Report of The Committee on Size of Holdings), Delhi 1959, S. 95 ff.; Jathar , G. B., u n d Jathar, K . G., I n d i a n Economics, Oxford University Press 1957, S. 59 ff.
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4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen
der Bebauungseinheit m i t sich, welche sich auf die Produktion ungünstig auswirkt. I n diesem Zusammenhang hat die Regierung eine unglückliche Wahl getroffen; sie hätte besser daran getan, den ersten Weg zu beschreiten, da dieser immer noch das kleinere Übel bedeutet hätte. I m übrigen ist festzustellen, daß bei einer solchen Zielsetzung ein gewisser Konflikt unvermeidlich ist. Es kommt lediglich darauf an, einen solchen Weg einzuschlagen, der diesen Konflikt möglichst klein hält. Der Fehler der indischen Regierung lag nicht so sehr i n der Zielsetzung, sondern vielmehr i n der Wahl des Weges zur Erreichung der Ziele. Warum aber schlug die indische Regierung den zweiten Weg ein? Der Grund für diese Entscheidung ist auf das Mißverständnis bezüglich der Ursache des heute i n Indien bestehenden Landhungers zurückzuführen. Die Regierung hat geglaubt, daß der Landhunger Ausdruck inhärenten Willens des Landvolks ist. Durch die Verteilung von Land erhoffte die Regierung, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, nämlich die Befriedigung der ländlichen Nachfrage nach Boden und die Verminderung der Ungleichheit, da durch die Verteilung des Bodens jeder Landarbeiter zu einem selbständigen Bauern würde. Hierbei übersah sie jedoch die Tatsache, daß es i n Indien an Boden mangelt. Und wie ist es m i t dem Landhunger? W i r vermuten, daß die Nachfrage nach Boden nicht mehr als das Bestreben nach Sicherheit verkörpert, denn i n indischen Verhältnissen kann der einzelne auf dem Lande nur auf diese Weise seine und die Versorgung seiner Angehörigen sicherstellen. Beim Vorhandensein von alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Lande w i r d aller Wahrscheinlichkeit nach die Nachfrage nach Boden zurückgehen. Diese Tendenz wäre durchaus i n unserem Sinne, da w i r die Verminderung des prozentualen Anteils der Landarbeiter an der gesamten Arbeiterschaft als erstrebenswert ansehen.
I I . Die Bodenreformmaßnahmen Die Erörterung des Punktes B, die jetzt folgen soll, werden w i r m i t der i n Punkt C vornehmen müssen, da sie sehr eng miteinander verbunden sind. U m eine solche Erörterung vornehmen zu können, ist es erforderlich, daß w i r uns einen Überblick über die vorgesehenen Maßnahmen verschaffen. Die Maßnahmen zur Erreichung der Ziele sind selbstverständlich die Bodenreformen selbst. Obgleich jeder Gliedstaat i n Indien seine eigenen Bodenreformgesetze erlassen hat, ist es dennoch nicht zu bestreiten, daß sie gewisse gemeinsame Merkmale aufweisen. Bevor w i r diese Merkmale aufzählen, sei hervorgehoben, daß i n den Details Unterschiede bestehen, so ζ. B. bei der Frage der Festlegung einer oberen Grenze des Landbesitzes (die sogen, „ceilings
4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen question"), bei der Frage der Wiederaufnahme der Bebauungstätigkeit durch den Großgrundbesitzer (die Wiederinbesitznahme des gepachteten Bodens durch den Großgrundbesitzer), bei der Frage der Entschädigungssätze usw. Die indischen Bodenreformen enthalten folgende Grundmerkmale: (1) Abschaffung der Institution der Mittelsmänner. (2) Reform der Pachtverhältnisse. Hierunter hat man sich folgendes vorgestellt: (a) Sicherung der Dauer des Pachtbesitzes, (b) Sicherung eines gerechten Pachtzinses, (c) Verleihung des Rechtes an die Bauern, den gepachteten Boden zu kaufen. U m die eben genannten Ziele der Reform der Pachtverhältnisse zu erreichen, hat man folgende Maßnahmen ins Auge gefaßt: (α) Verleihung des Besitzrechtes an alle Pächter, vorbehaltlich des Rechtes des Pachtherrn (Großgrundbesitzer), eine bestimmte Fläche zwecks Selbstbebauung wieder i n seinen Besitz zu nehmen, (ß) Beschränkung der Fläche, die der Pachtherr zwecks Selbstbebauung i n seinen Besitz nehmen kann, auf eine bestimmte Höhe. (V) Beschränkung der Zeit, innerhalb welcher der Grundherr von dem Recht, Boden zwecks Selbstbebauung wieder i n seinen Besitz zu nehmen, Gebrauch machen kann. Es wurde vorgesehen, daß nach Ablauf dieser Zeit das Recht des Grundherrn erlöschen sollte. Danach konnte der Bauer die Fläche gegen Einzahlung eines bestimmten Preises kaufen. (3) Festlegung einer oberen Grenze i n bezug auf den Landbesitz. (4) Verteilung von überschüssigen Ländereien an die landlosen Landarbeiter bzw. an die Bauern m i t wenig Land. (5) Einführung des kooperativen Prinzips m i t dem Endziel, das „ V i l lage Cooperative Management" anzustreben. Dies ist mehr ein fernes als ein unmittelbares Ziel.
I I I . Die Bodensysteme Indiens und deren Nachteile Jetzt, da w i r wissen, welche Maßnahmen zur Erreichung der Ziele ins Auge gefaßt wurden, können w i r sie i m Hinblick auf die Punkte Β und C der Diskussion prüfen. Die Engländer wurden von zwei Motiven
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4. Kap. : Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen
— Steuern für die Kompanie und später die Krone und die Sicherung der engl. Herrschaft — geleitet, als sie das alte indische Dorfgemeinschaftssystem durch die drei Systeme Zamindari, Ryotwari und Mahalw a r i ersetzten. W i r sind der Meinung, daß diese Einrichtungen sich für Indien als schädlich erwiesen haben; sie haben die indische Landwirtschaft jahrhundertelang i n Schach gehalten und die Industrialisierung des Landes weitgehend gehemmt. U m diese Aussage untermauern zu können, werden w i r uns an dieser Stelle m i t den verschiedenen Bodensystemen Indiens beschäftigen. Von jeher hat i n Indien das Dorfgemeinschaftssystem existiert 2 . Das Land galt nicht als Eigentum des Königs, sondern der Dorfgemeinschaft. Innerhalb der Dorfgemeinschaft wurde das Land unter die einzelnen Bauern verteilt und als solches bebaut. Die ganze Gemeinschaft war aber verpflichtet, den Steuerzahlungen nachzukommen, die i n Naturalform geleistet werden mußten und Ve der gesamten Ernte ausmachten. Dieses System wurde von den mohammedanischen Herrschern Indiens m i t einigen Änderungen übernommen. Die wesentlichste Änderung fand i n der Zeit des Moghulkönigs Akbar (1556 bis 1605) unter der Leitung seines Finanzministers Todar Mall statt. Geändert wurden die Zahlungsform, die Zahlungsweise und die Höhe der zu zahlenden Steuern, ungeändert blieb dagegen das Eigentumsrecht der Dorfgemeinschaft. Durch eine Landvermessung wurde die Beschaffenheit des Bodens festgestellt und die Höhe der Steuerpflicht nach der jeweiligen Bodenbeschaffenheit berechnet. Die Grundsteuer wurde auf Vs der gesamten Ernte erhöht und mußte jetzt i n Geld erbracht werden. Während i n früheren Zeiten die Dorfgemeinschaft die Grundsteuern direkt an den König zahlte, mußte sie diese jetzt an die von der Regierung ernannten Steuereinnehmer zahlen. Diese ihrerseits waren der Autorität des Königs unterworfen; sie konnten von i h m jederzeit abgesetzt werden und ihr A m t war nicht erblich. I m Laufe der Zeit und nicht zuletzt wegen der Schwächung der zentralen Autorität trat die Tendenz ein, daß die Steuereinnehmer versuchten, sich der Autorität des Königs zu entziehen. Als die ostindische Kompanie i n Indien nach und nach an die Macht kam, übernahm sie zuerst das bestehende Bodensystem. Als Aktiengesellschaft hatte sie jedoch vor allem zwei Interessen. Einmal die Erzielung von hohem Gewinn, zum anderen die Sicherung der Dauer dieses Gewinnes, was praktisch die Festigung der Herrschaft der Kompanie erforderte. Dies waren die Gründe und Motive, die Lord Corn wallis 1793 zu der Einführung des „Zamindari-Sy stems" zuerst i n Ben2
Vgl.: Datta, B. N., Dialectics of Land-Economics of India, Calcutta, 1952.
4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen gal veranlaßten 3 . Die früheren Steuereinnehmer wurden als Eigentümer des von ihnen steuermäßig verwalteten Bodens anerkannt 4 . Als Gegenleistung mußten sie sich verpflichten, Steuern i n einer bestimmten Höhe an die Kompanie zu zahlen, welche ein für allemal fixiert wurden. Daher ist dieses System auch als „Permanent Settlement" bezeichnet worden. I m Laufe der Zeit dehnte sich dieses System auf weitere Gebiete Indiens aus, nämlich auf Banaras, Nord Madras, Teile von U. P., Bihar, Orissa, Assam. Den Zamindars wurde das Recht verliehen, den Boden selber zu bestellen oder i h n bebauen zu lassen. I n den meisten Fällen machten sie von dem letztgenannten Recht Gebrauch und ließen den Boden von den Pächtern bestellen, von denen sie auch einen Pachtzins verlangten. Die von ihnen zu entrichtenden Steuern wurden auf eine Höhe, die 1 0 /ii des von ihnen damals erhobenen Pachtzinses ausmachte, für alle Zeiten festgelegt. Die Höhe des Pachtzinses, den sie von den Bauern erhoben, wurde aber nicht fixiert, so daß i m Laufe der Zeit die Zamindars den Pachtzins erhöhen konnten, obgleich ihre Verpflichtungen gegenüber der Kompanie konstant geblieben waren 5 . Da die Ostindische Kompanie auf diese Weise an den Pachtzinserhöhungen nicht beteiligt sein konnte, wurde eine Variante des „Zamindari-Systems" i n Teilen von U. P., West Bengal, Orissa eingeführt. Der grundsätzliche Unterschied bestand darin, daß man jetzt auch die Steuern, die die Zamindars zu zahlen hatten, erhöhen konnte. Die Revision der Steuern konnte nach zwanzig Jahren i n Madhya Pradesh, nach dreißig Jahren i n Madras, U. P. und Bombay und nach vierzig Jahren i n Punjab vorgenommen werden. Man nennt dieses System wegen der Tatsache, daß die von allen Steuerpflichtigen an die Kompanie bzw. später an den Staat zu zahlenden Steuern geändert werden konnten, auch das „Temporary Settlement System". I n dieses System wurden auch die folgenden Kategorien von Landbesitzern einbezogen: (1) die Taluqdars von Avadh; (2) die Landbesitzer i n Agra und (3) die Malguzars von U. P. 8 Nach Sir Richard Temple stellt das Zamindari-System i n Bengal „a measure which was effected to naturalise the landed institutions of England among the natives of Bengal" dar. Zit. i n Mamoria, C. B., a. a. O., S. 547. 4 Manche Juristen meinen, daß m a n die Zamindars (die ehemaligen Steuereinnehmer) ohne Entschädigung enteignen könne, da sie ohne Bezahlung Bodenbesitzer geworden seien. 5 Es w i r d geschätzt, daß der prozentuale A n t e i l der Steuern an dem Pachtzins von ca. 90 v. H. i m Jahre 1793 auf 19 v. H. i m Jahre 1927/28 gesunken ist u n d seither zurückgegangen ist. Siehe Driver , P. Ν., Problems Of Zamindari A n d L a n d Tennre Reconstruction I n India, Bombay 1949, zit. i n : Jathar , G. B., u n d Jathar, K . G., I n d i a n Economics, Oxford University Press 1957, S. 97.
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Das zweite, i n Indien herrschende Bodensystem trägt den Namen „Ryotwari SystemEs wurde zuerst i m Baramahal „district" v o n Madras durch Munro eingeführt u n d dehnte sich später auch auf Bombay, auf die meisten Teile v o n Madras, auf Coorg u n d auf Assam aus. Hier wurde eine direkte Verbindung zwischen der Kompanie bzw. zwischen dem späteren Staat u n d den Bauern hergestellt. Ihnen wurde ein „occupancy r i g h t " zugestanden, d . h . das Recht, den bisher v o n ihnen bebauten Boden verkaufen, verpfänden u n d vererben zu dürfen. Als Gegenleistung mußten sie eine Grundrente an die Kompanie bezahlen. Da die Bauern i n diesem System statt einer Grundsteuer eine Grundrente zahlen mußten, hat man daraus den Schluß gezogen, daß i m Gegensatz zum „Zamindari-System" i m „Ryotwari-System" das L a n d der Kompanie gehörte. I n Indien ist darüber, ob die Bauern Eigentümer des von ihnen bebauten Bodens sind, ein heftiger Streit ausgebrochen, der von Baden-Powell als ein „profitless w a r of words" bezeichnet w o r den ist. Dieser Streit geht zurück auf terminologische Unterschiede. Es geht darum, ob derjenige, der die Grundrente bezahlt, ebenso Eigentümer des Bodens ist w i e der Steuerzahler (implizite w i r d gemeint, daß man Steuern dann zahlt, w e n n man Eigentümer ist). Manche Autoren verneinen diese Frage, andere wiederum sind nicht sicher. Wadia und Merchant , die der ersten Gruppe angehören, meinen, daß schon die Tatsache, daß die Bauern i m „Ryotwari-System" eine Grundrente u n d nicht Grundsteuer zahlen, genügt, u m den Schluß zuzulassen, daß die Bauern nicht die Eigentümer des Bodens seien, denn sonst hätten sie eine Grundsteuer bezahlt®. Ihnen w i r d entgegengehalten, daß sie sich auf ein formelles Argument stützen. Es w i r d darauf hingewiesen, daß die Grundrente zahlenden Bauern alle diejenigen Rechte besäßen, die sie auch als Eigentümer besäßen. Sie könnten ζ. B. den Boden bebauen oder brachliegen lassen, verkaufen, verpachten, verpfänden u n d vererben u n d i h r „occupancy r i g h t " sei so lange gesichert, bis sie ihren Verpflichtungen gegenüber der Kompanie bzw. der späteren Regierung nachgekommen seien, was auch i m „Zamindari-System" der F a l l gewesen sei. G. B. Jathar u n d K . G. Jathar kommen zu dem Schluß, daß „ i t is impossible to arrive at any definite, unqualified conclusion about i t . . ." 7 . Die Eigentumsfrage i n den „Ryotwari-Gebieten" ist nach u n serer Meinung nicht so wichtig w i e die Frage der Festlegung der zu zahlenden Grundrente. Wie i m „Zamindari-System" richtet sie sich nicht nach der Gesamtproduktion, sondern nach der Fläche, über die ein Bauer als „ H o l d e r " verfügte. I m Gegensatz zu den „permanent settlement-Gebieten" w a r jedoch hier die Möglichkeit gegeben, diese 6 Vgl. Wadia , Ρ. Α., u n d Merchant, Κ . T., Our Economic Problem, Bombay 1957, S. 327. 7 Jathar, G. B., u n d Jathar, K . G., a. a. O., S. 95.
4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen Grundrente auf Grund einer Landvermessung periodisch (einmal i n zwanzig bis vierzig Jahren — je nachdem, i n welchem Gebiet) zu revidieren. Ein drittes Landsystem ist das „Mahalwari-System", das zuerst i n Agra und Oudh und später i n Punjab eingeführt wurde. Nach diesem System sind die Bewohner des Dorfes, die i n den meisten Fällen gemeinsamer Abstammung sind, zusammen die Eigentümer des von ihnen bebauten Bodens 8 . Das Grundstück (genannt Mahal) w i r d als Ganzes zur Festlegung der Grundsteuer herangezogen. Sie richtet sich auch nach der Größe der Fläche, nicht aber nach dem Ertrag. Die Beteiligten sind gemeinsam und als einzelne für die Aufbringung der ganzen Steuer verantwortlich. Gewöhnlich regeln die Beteiligten die Sache zuerst unter sich — und zwar folgendermaßen: Der einzelne bezahlt eine Steuer, deren prozentuale Höhe an der gesamten Steuersumme dem prozentualen A n t e i l dieses Mitgliedes an dem gesamten Grundstück entspricht. Innerhalb des Dorfes w i r d der einzelne für die A u f bringung seines Anteils an Steuern verantwortlich gemacht. Er muß diese Summe notfalls durch Verschuldung aufbringen, da die anderen i h m nicht automatisch zu Hilfe kommen, denn sie warten schon darauf, daß der i n Schwierigkeiten geratene Miteigentümer seinen A n teil an sie verkauft, u m seinen Verpflichtungen nachkommen zu können. Jedes Mitglied hat das Recht, seinen A n t e i l am gesamten Grundstück zu bebauen, brachliegen zu lassen, zu verkaufen, zu verpfänden, zu verpachten und zu vererben. I n diesem System w i r d die Grundsteuer nach den Prinzipien des „temporary settlement system" geregelt, also nur periodisch und nach einer Landvermessung revidiert. I n Punjab w i r d sie zum Beispiel nach einer Periode von vierzig Jahren revidiert. Die brachliegenden Ländereien i n diesen Gebieten gehören ebenfalls den dörflichen Bauernfamilien, so daß die anderen Dorfmitglieder (z.B. der Dorfschmied und der Dorffriseur) Land von den Bauern kaufen oder mieten müssen, u m sich nur ein Obdach beschaffen zu können — von der Beschaffung von Land zu Anbauzwecken ganz zu schweigen. Somit waren die Landlosen i m Dorfe praktisch den Landbesitzern ausgeliefert, was zu sozialen Spannungen geführt hat. Die Aufteilung des Grundstückes unter die Mitglieder wurde nach einem der folgenden Prinzipien vorgenommen: (1) Das Stammsystem. Hiernach wurde der A n t e i l eines Mitgliedes am gesamten Grundstück durch seine Stellung innerhalb der Sippe bestimmt. 8
Solche Dorfbewohner w i e z. B. der Dorfschmied, der Friseur u n d die Pariahas w u r d e n nicht berücksichtigt, so daß die meisten landlos sind. 4 Lai
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4. Kap. : Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen
(2) Das Sieger-System. Dieses System herrscht i n solchen Dörfern, i n denen Siegerstämme leben. Bei der Aufteilung des Grundstückes legten sie eines der folgenden Prinzipien zugrunde: (a) Unter Berücksichtigung der Bodenbeschaffenheit mäßige Verteilung des Bodens an alle Familien.
eine gleich-
(b) Verteilung nach der Zahl der Familienpflüge. (c) Verteilung nach dem Anteil einer Familie an den Wasserressourcen des Dorfes. (3) Das De-facto-System. I n diesen Dörfern fand eigentlich keine Verteilung statt. Hier wurde die faktische Aneignung des Besitzes anerkannt. Es sind wahrscheinlich die Dörfer, i n denen viel Land vorhanden war, und jedes Mitglied so viel Land i n seinen Besitz nehmen konnte, wie es zu bebauen i n der Lage war. Die Nachteile dieser Bodensysteme liegen auf der Hand. Die Festlegung der Grundsteuer oder der Grundrente ist nicht nach der Fähigkeit der einzelnen Bauern, sondern willkürlich erfolgt. Die Auferlegung der Grundsteuer oder Grundrente nach der Größe der Fläche erwies sich als diskriminierend gegenüber den Ländereien mit geringerer Produktivität. I m „Permanent Settlement System" blieben sogar die Veränderungen i n den wirtschaftlichen Verhältnissen unberücksichtigt, da die Steuer oder Rente für alle Zeiten bestimmt wurde. I n den „temporarily settled" Gebieten war die Revisionsperiode zu lang, u m sich an die ständig ändernden wirtschaftlichen Verhältnisse i n einer geeigneten Weise anpassen zu können. Die auferlegte Grundsteuer oder Grundrente erwies sich für Ländereien mit geringerer Produktivität als verhältnismäßig hoch, was eine Begünstigung der Inhaber der produktiveren Ländereien zur Folge hatte. Diese Tatsache führte dazu, daß i n den hochproduktiven Gebieten, wie ζ. B. i n Bengal, der Pachtzins und die Zahl der Mittelsmänner unverhältnismäßig stieg. Infolge des hohen Pachtzinses und der hohen Grundrente wurden keine Verbesserungen auf dem Lande vorgenommen, weil es immer leichter war, durch Verpachtung zu Geld zu kommen. Die diskriminierende Grundsteuer oder Grundrente begrenzte die Fähigkeiten derjenigen, die geneigt gewesen wären, Verbesserungen auf dem landwirtschaftlichen Sektor zu treffen; diejenigen, die i n der Lage waren, Verbesserungen auf dem landwirtschaftlichen Sektor zu treffen, verzichteten darauf, da kein unmittelbarer Zwang vorhanden war, und sie ihr persönliches Einkommen durch die Erhöhung des Pachtzinses steigern konnten. Das Ergebnis war, daß sich niemand für die Landwirtschaft interessierte — infolgedessen stagnierte sie weiter. Als Folge des Bevölkerungswachstums bei gleichzeitig fehlender Industrie wuchs i m Laufe der Zeit der Bevölkerungsdruck auf die Land-
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Wirtschaft. Die Nachfrage nach Boden stieg, was eine Steigerung des Bodenpreises zur Folge hatte. Ein anderer Effekt des Bevölkerungsdruckes auf die Landwirtschaft war die Entstehung der Institution der Mittelsmänner. Es sei darauf hingewiesen, daß i n allen Bodensystemen eine Verpachtungsmöglichkeit gegeben war; sie war nicht allein auf das „Zamindari-System" beschränkt. Da die Nachfrage nach Boden i m Steigen begriffen war, folgte ihr auch der Pachtzins. Zuerst kam zwischen den Grundherren und Pächtern eine direkte Verbindung zustande. Als aber die Nachfrage nach Boden stieg, wurde es möglich, daß ein einmal gepachteter Boden immer weiter verpachtet werden konnte, da immer jemand zu finden war, der einen höheren Pachtzins aufzubringen bereit war. Auf diese Weise entstand die Institution der Mittelsmänner. Die Mittelsmänner lebten davon, daß jeder von dem i h m untergeordneten Mittelsmann einen Tribut einholte; eine produktive Rolle haben sie i n der Landwirtschaft nie gespielt. Letzten Endes mußte aber der Tribut von den eigentlichen Bewirtschaften! erbracht werden 9 . Da dieser Tribut immer höher wurde, sank das Einkommen der Bauern, womit sich ihre Fähigkeit, Verbesserungen auf dem landwirtschaftlichen Sektor zu treffen, verminderte. Die Mittelsmänner waren nicht an Verbesserungen interessiert, da ihr Tribut gesichert war. Z u der Steigerung des Pachtzinses trug auch noch eine andere Tatsache bei, obgleich sie selbst Ausdruck der Zunahme des Bevölkerungsdruckes auf die Landwirtschaft war. Z u Beginn des Erlasses von BodensystemGesetzen wurden keine Richtlinien bezüglich der Pachtdauer festgelegt. Dies hatte zur Folge, daß der Pächter vom Grundherrn jederzeit vertrieben werden konnte. Unter dieser Drohung erzwangen sie einen höheren Pachtzins, da der Bewirtschafter keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten hatte und deshalb auf dem Lande bleiben mußte. I n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Maßnahmen getroffen, die die Regulierung des Vertreibungsrechtes vorsahen. Diese Maßnahmen hatten nur einen bedingten Erfolg aufzuweisen, da die Grundherren immer i n der Lage waren, die Pächter mit legalen oder illegalen Methoden zu vertreiben. Hinzu kam, daß i n den meisten Fällen der Pächter des Lesens und Schreibens unkundig war und i h m die entsprechenden Kampfmittel fehlten. Da grundsätzlich i n keinem der Systeme eine Verpachtung verboten war, entstanden die Institutionen 9 Vgl. Mamoria, C. B., a. a. O., S. 550. E r sagt: „ I t has been estimated that almost 50 to 60 per cent of the gross produce on an average is handed over by the cultivator to the landlords towards the payment of rent. A survey of 27 farms under tenancy i n the Punjab indicated that of the net income of cultivation less than 18 per cent is enjoyed by the w o r k e r and the rest goes to the n o n - w o r k i n g owner of the land." Es sei darauf hingewiesen, daß der Bewirtschafter die Bebauungskosten selbst zu tragen hatte.
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der Verpachtung und der Mittelsmänner i n allen Systemen einschließlich des „Ryotwari-Systems". Die Institution der Mittelsmänner wäre für Indien nicht schädlich gewesen, wenn sie die Industrialisierung des Landes i n die Wege geleitet hätten. Dies hätte bedeutet, daß die Landwirtschaft den erforderlichen Überschuß bereitgestellt und die Mittelsmänner die zur Industrialisierung notwendigen komplementären Bedingungen verwirklicht hätten. Diese Zusammenarbeit kam aber nicht zustande. Es blieb bei dem Opfer seitens der Landwirtschaft; die komplementären Bedingungen wurden nicht geschaffen. Die Folge dieser Ereignisse ist, daß die Bürde der Landwirtschaft immer mehr gewachsen ist und heute so hoch ist, daß die Landwirtschaft kaum i n der Lage ist, sie zu tragen. Z u dem Katalog der Schwierigkeiten der indischen Landwirtschaft trug noch das i n Indien herrschende Erbrecht der Gleichteilbarkeit bei. Nach diesem Recht w i r d die Erbschaft nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ unter den Erben gleichmäßig aufgeteilt. U m die quantitäts- und qualitätsmäßige Aufteilung der Erbschaft zu sichern, haben die Erben jedes Stück Boden unter sich aufgeteilt, anstatt einen entsprechenden Ausgleich herbeizuführen. Diese A r t der Aufteilung hat zu den Problemen der „sub-division" bzw. der „fragmentation" des Bodens geführt. Heute sind i n Indien 87 v. H. aller Bauernhöfe unter 4 ha und verfügen nur über 36 v. H. der gesamten Anbaufläche. Außerdem liegt die zu einem Bauernhof gehörige Anbaufläche verstreut. Die Nachteile der „sub-division" und „fragmentation" sind hinreichend bekannt und bedürfen hier keiner weiteren Erläuterung. Eine andere Schwierigkeit der Bauern ist sozialen Ursprungs. Sie entsprang dem Zwang, daß die Bauern ihren angeblichen gesellschaftlichen Verpflichtungen, wie ζ. B. die m i t „pomp and show" zu feiernden Hochzeiten ihrer Töchter und Söhne, die sie finanziell kaum tragen konnten, nachkommen mußten. Weigerten sie sich, so setzte man sie gesellschaftlich herab. Dieser gesellschaftliche Zwang führte zu ihrer Verschuldung gegenüber den i n den Dörfern lebenden Geldverleihern (den „Banias"), da sie von den Banken kaum Geld leihen konnten, weil ihnen dafür die notwendige Sicherheit fehlte. Was die „Banias" m i t den Bauern gemacht haben, gehört zu den schlimmsten Abschnitten der Geschichte der indischen Landwirtschaft. Das Geldgeschäft m i t den „Banias" bedeutete für die Bauern fast ihren Ruin, denn der Mindestzinssatz betrug gewöhnlich 24 v. H. pro Jahr. Hinzu kam der von den Banias ausgeübte Betrug. Bei ihren Betrügereien kam den „Banias" die Tatsache zu Hilfe, daß die Bauern des Lesens und Schreibens unkundig waren und deshalb nicht unterscheiden konnten, ob sie ζ. B. eine Anleihe von 500 oder 1500 Rupien „ m i t dem Daumen besiegelten4*'.
4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen Diese Möglichkeit wurde von den „Banias" hemmungslos ausgenutzt. Da i n den meisten Fällen das Geld für Konsumationszwecke (im Gegensatz zum Zwecke der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion) geliehen wurde, geriet der Bauer m i t der Rückzahlung i n Schwierigkeiten, denn i h m fehlten die Zahlungsmittel. Zahlte er die Schulden nicht rechtzeitig, so wurde sein Land beschlagnahmt und es ging i n das Eigentum des „Banias" über, der seinerseits diesen Boden von seinem inzwischen landlos gewordenen ehemaligen Eigentümer für einen lächerlich geringen Lohn bebauen ließ. Als Folge davon verarmte der Bauer noch mehr. Hier sei der klassische Fall, der sich i n Bengal ereignet hat, erwähnt: Nach der Rückzahlung von 900 Rupien schuldete ein Bauer dem „Bania" immer noch die von i h m vor zehn Jahren geliehene Originalsumme von 100 Rupien, und wer weiß, wie lange der „Bania" i h n ausgebeutet hätte, wenn der Fall nicht bekanntgeworden wäre. Man kann sich leicht vorstellen, daß es i n Indien viele solcher Fälle gegeben hat, die gar nicht bekanntgeworden sind. Abgesehen von der Verwerflichkeit dieser Handlungsweise, bedeutet der Ruin eines Bauern auch den Ruin der Landwirtschaft, was wiederum die Industrialisierung des Landes gefährdet. Die „Banias" kamen selten auf die Idee, Verbesserungen auf dem landwirtschaftlichen Sektor zu treffen, da wegen des geringen von ihnen an die Landarbeiter (früher Eigentümer) gezahlten Lohnes i h r eigenes Einkommen noch recht ansehnlich war, an dessen Steigerung sie w o h l interessiert waren, nicht aber an „Investitionen" i n der Landwirtschaft. Die wirklichen Landarbeiter, die an Verbesserungen interessiert gewesen wären, hatten nicht die M i t t e l dazu. Da auf dem Lande keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten gegeben waren, verschlechterte sich die Einkommenslage der Bauern, was auch eine Verarmung anderer Dorfbewohner m i t sich brachte. I m Zuge dieser Verarmung des Dorfes wuchsen die sozialen Spannungen ebenfalls.
IV. Eignung der Bodenreformmaßnahmen zur Erreichung der gesetzten Ziele und das Verhältnis der Ziele zueinander Nachdem w i r nun wissen, welche Maßnahmen (Bodenreformen) zur Verbesserung der i n Indien herrschenden schädlichen Bodensysteme getroffen wurden, können w i r sie endlich i m Hinblick auf die Punkte Β und C (Seite 42) prüfen. Die Abschaffung der Institution der Mittelsmänner stimmte m i t den zwei Zielen der Bodenreformen überein. Da die Mittelsmänner i n der indischen Landwirtschaft keine produktive Funktion erfüllt haben und erfüllen, kann sich ihre Abschaffung kaum nachteilig auf die Landwirtschaft auswirken. I m Gegenteil: Die Abschaffung der Institution der Mittelsmänner hilft der Landwirtschaft,
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denn infolge ihrer Abschaffung muß das Interesse der Bauern an Verbesserungen steigen, da sie nicht mehr verpflichtet sind, einen Tribut aufzubringen. Außerdem w i r d durch die Abschaffung dieser Institution ein Wucherelement auf dem Lande beseitigt, welches zur Verminderung der sozialen Ungleichheiten und Spannungen beiträgt. Die Abschaffung der Institution der Mittelsmänner ist ganz i m Sinne der Ziele der Bodenreformen gewesen. W i r müssen uns jedoch davor hüten, die Abschaffung der Institution der Mittelsmänner mit der Beseitigung des Zamindari-Systems gleichzusetzen. Die Bodenreformen hatten das Ziel, die nicht selbst wirtschaftenden Steuereinnehmer zu beseitigen; diejenigen, die beweisen konnten, daß sie Bewirtschafter waren, was sie, wie w i r später sehen werden, mit Leichtigkeit t u n konnten, blieben dagegen unbehelligt. Die Zamindars haben von dieser Lücke i m Gesetz Gebrauch gemacht, und daher ist es ihnen gelungen, sich und das Zamindari-System weiter zu behaupten. Schon ein Blick auf Punkt 2 der Bodenreformen (Reform der Pachtverhältnisse, s. oben Seite 45) genügt, unsere Aussage zu untermauern. Die Betrachtung dieses Punktes läßt den Schluß zu, daß die Absicht zur Beseitigung des Zamindari-Systems nicht vorhanden war, da das Fortbestehen des Pächtertums (nach Punkt 2 Seite 45 sollte das Pächtertum reformiert, nicht aber abgeschafft werden) ohne sein Gegenstück (das Zamindari-System) unvorstellbar ist. Es ist deshalb falsch, die i n Indien erlassenen Bodenreformgesetze als Gesetze zur Abschaffung des Zamindari-Systems zu bezeichnen. I n dieser Hinsicht tragen die indischen Bodenreformgesetze einen falschen Namen, da sie sich ausnahmslos (abgesehen von sprachlichen Unterschieden) „Gesetz zur Abschaffung des Zamindari-Systems" nennen 10 . Worauf ist dieser Fehler zurückzuführen? Nach unserer Meinung ist die Unklarheit der Definition des Begriffes der Bewirtschafter („tiller", „cultivator") die Quelle dieser Konfusion. A u f Anregung des „Congress Agrarian Reforms Committee" wurde das Besitzer-Bewirtschafter-System („owner cultivator system") von der indischen Regierung als die zukünftige Form des Bodensystems akzeptiert. Die Bodenreformgesetze sollten m i t einem Blick auf dieses Ziel erlassen werden. Alsbald tauchten aber Schwierigkeiten auf, und zwar i m Zusammenhang mit der Definition des Begriffes „Bewirtschafter". Das „U. P. 10 Sivaswamy, K . G. („Reforms of L a n d Tenures i n I n d i a Since 1945", i n : I n d i a n Journal of A g r i c u l t u r a l Economics, Vol. 8, 1953, S. 137) hat die über das Radio gegebene E r k l ä r u n g des „Chief Minister" des Gliedstaates Madras, daß die Abschaffung des Zamindari-Systems L a n d u n d Boden f ü r die Bewirtschafter frei gemacht macht, als eine „deliberate misstatement" bezeichnet.
4. Kap. : Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen Zamindari Abolition Committee" und das „Committee on Tenancy Reform" haben die Frage der Definition i n einem funktionellen Sinne zu lösen versucht 11 . Nach ihrer Meinung sollte derjenige als Bewirtschafter gelten, der i n der Landwirtschaft die folgenden Funktionen ausfüllt: (1) Übernahme des Bebauungsrisikos, einschließlich der Finanzierung, (2) persönliche Überwachung und Leitung des Bebauungsvorhabens und (3) persönliche körperliche Arbeit auf dem Lande. Die Festlegung der obigen Bedingungen läßt aber immer noch die Frage nach ihrer Bedeutung offen. Ist die Bedeutung der einzelnen Bedingungen unklar, so w i r d damit die Möglichkeit gegeben, daß Konfusion, Unexaktheit und Fehler i n der Bedeutung des Wortes „Bewirtschafter" auftreten, welche auch Konfusion i n der Konzipierung und Durchführung der Bodenreformen zur Folge haben. Das Zentralproblem ist hier die Erklärung der letzten Bedingung, denn von ihrer Bedeutung hängt auch der Sinn der anderen zwei Bedingungen ab. D. h., daß eine Konfusion i n den Bodenreformen und eine Verwechslung zwischen der Abschaffung der Institution der Mittelsmänner und der Beseitigung des Zamindari-Systems letzten Endes auf Unklarheit i n der Bedeutung der Bedingung 3 zurückzuführen sind. Es muß also die folgende Frage geklärt werden: Wann und wie leistet man körperliche Arbeit auf dem Lande? I m Rahmen dieser Feststellung muß geklärt werden, ob landwirtschaftliche Tätigkeit der tatsächliche Beruf des Betroffenen sein soll, ob er auf dem Lande leben soll, ob er selbst bebauen soll. Die Antworten auf diese Fragen sind unterschiedlicher A r t . Das „Congress Agrarian Reforms Committee" vertritt die Meinung, daß i n einem indischen Bodensystem die Mittelsmänner keine Rolle zu spielen haben. Obgleich das Komitee sich i n diesem Zusammenhang des Wortes „Mittelsmänner" bedient hat, meinte es damit aber auch die Beseitigung des Zamindari-Systems, denn es hat weiterhin erklärt, daß „the non-cultivating owner discharging the function of the entrepreneur has no place i n our scheme. The fruits of all the toil must go to the tiller" 1 2 . Außerdem sah das Komitee das Verbot der Weitervermietung vor. Bei diesem Generalverbot sollten Ausnahmen nur i n Fällen von Minderjährigen, Witwen und Schwerbeschädigten Personen gemacht werden. I n diesem Zusammenhang 11 Vgl. Report of The U. P. Z. A. Committee , Vol. I , Allahabad 1948, Ch. 14 u n d Government of India, Planning Commission Reports Of The Committees Of The Panel On L a n d Reforms: (Report of The Committee On Tenancy Reform) 1956, S. 63. 12 Vgl. Report of The Congress Agrarian Reforms Committee, 1949, S. 39.
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wurde sogar Kautilya zitiert, der bei einer Weitervermietung des Grundstückes seine Beschlagnahme befürwortet hatte. Dies beweist aber nur die guten Absichten dieses Komitees. Aus seinen Ausführungen geht nicht hervor, wer ein Bewirtschafter ist. Die von dem Komitee gegebenen Definitionen führen nicht zur Klarheit. A u f S. 7 des „Reports" w i r d ζ. B. angedeutet, daß „only those who put i n a m i n i m u m amount of physical labour and participate i n actual agricultural operations would be deemed to cultivate land personally"; demgegenüber w i r d auf S. 35 der Bewirtschafter „as one who puts i n a certain amount of annual labour i n cultivation" definiert. Darüber aber, was die Ausdrücke „a m i n i m u m amount of labour" und „a certain amount of labour" bedeuten sollen, w i r d keine Auskunft gegeben. Die Annahme, daß die Ausdrücke keine unterschiedliche Bedeutung haben, sondern nur sprachliche Nuancierungen darstellen, h i l f t auch nicht, denn w i r wissen weder, was der eine, noch, was der andere Ausdruck tatsächlich bedeutet. Das „U. P. Zamindari Abolition Committee", welches auch an der funktionellen Lösung des Problems beteiligt gewesen ist, schaffte es schließlich noch, sich zu kompromittieren, indem es die Bedingung 3, das Herzstück des Ganzen, rückgängig machte und persönliche körperliche Arbeit auf dem Lande als einen Bestandteil der Definition des Bewirtschaften für nicht erforderlich und entbehrlich erklärte. Wie es auch immer m i t der Definition des Begriffes „Bewirtschafter" stehen mag, die Ursache dieser völligen Abkehr vom ursprünglichen Konzept ist so beschämend wie die face volte selbst. Das Komitee weist darauf hin, daß auf Grund ihres sozialen Status die Brahamin und die Kashattriya, die, wie es meint, immer als Bewirtschafter betrachtet worden sind, auf dem Lande persönliche körperliche Arbeit zu leisten nicht verpflichtet sind 18 . Es ist unglaublich, daß ein Komitee, das von einem demokratischen Regime ernannt wurde und i n dessen Herrschaftsbereich amtierte, sich solchen Unfug zu eigen gemacht hat und, was noch schlimmer ist, aus diesen verfänglichen Gründen handelte. Ob die Brahamins und die Kashattriyas von den anderen Dorfbewohnern als Bewirtschafter anerkannt wurden, kann nicht ohne weiteres behauptet werden, zumal die Landwirtschaft nie i n ihrem traditionellen Funktionsbereich lag. Das einzige, was für diese Behauptung spricht, ist der von dem Komitee selbst genannte Status des Brahamins und des Kashattriyas, auf Grund dessen sie von den anderen Dorfbewohnern jedes mögliche Zugeständnis erzwingen konnten. Da es bei den Bodenreformen u m die Abschaffung der Privilegien 18 Vgl. Report of The U. P. Z a m i n d a r i A b o l i t i o n Committee, Allahabad 1948, S. 365.
4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen geht, kann man unmöglich von der Aufrechterhaltung des besseren Status sprechen. Das „Committee On Tenancy Reform", das ebenfalls bei der Erarbeitung der Definition des Begriffes des Bewirtschafters mitgewirkt hat, distanzierte sich auch von den von i h m selbst festgestellten Grundbedingungen. Es meinte: „ W i t h regard to future arrangements, while the three conditions described above represent the goal which should gradually be achieved, i t is not necessary at this stage to insist upon the performance of minimum labour provided the owner meets the entire risk of cultivation, resides i n the village and personally supervises agricultural operations." (Vgl. S. 63 des Reports.) M i t dieser A u f lockerung der Grundbedingungen setzte es jedoch die Katze unter die Tauben, denn „ i n Indian conditions if you do not totally reject the principle of non-working cultivators you cannot prevent the village oligarchs from acting as landlords. As soon as you leave the door barely open for property income to non-working proprietors — which you do when you permit landownership to exist unassociated w i t h labour i n the fields — you allow all the evils of concentration of power at the village level to come trotting back in. As long as some peasants are without land or very short of land, they w i l l be at the mercy of those who are allowed to have land without working it. The whole world of organised subterfuge w i t h which so many villages are already replete, w i l l continue unabated" 14 . Daraus kann gefolgert werden, daß man i n Indien eine Ungenauigkeit i n der Definition und eine A u f lockerung der Grundbedingungen unbedingt vermeiden mußte. Was aber ist i n Indien geschehen? Genau gesagt: das Gegenteil. Da die Frage der Definition nicht eindeutig gelöst wurde und keine allgemeinen Richtlinien für die Gliedstaaten, die laut indischer Verfassung m i t dem Erlaß von Bodenreformgesetzen beauftragt worden sind, festgelegt wurden, blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Frage selbst zu lösen. W i r haben schon darauf hingewiesen, wie auf Landesebene die Großgrundbesitzer ihren Einfluß geltend gemacht haben; hier ist keine nähere Erläuterung erforderlich. Der Inaktivität der Zentralregierung und dem Handeln der Gliedstaaten haben w i r es zu verdanken, daß die Definition eines Bewirtschafters u. a. auch folgende Merkmale auf weist: (a) I n allen Fällen heißt Selbstbebauung auch Bebauung durch Diener und/oder durch Angestellte. I n Bombay, Mysore, Madhya Bharat, Saurashtra, Ajmer, Hyderabad, Madhya Pradesh und Vindhya Pradesh w i r d es den Grundherren untersagt, die Diener und/oder Angestellten 14
Thorner,
D., a. a. O., S. 82.
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i n Form von „crop-shares" zu bezahlen; dagegen durften sie i n Geld oder in Form von festgelegten Naturalien bezahlt werden. Dieser Versuch hat also zum Ziel, daß die Grundherren das Risiko tragen. Weiterhin muß te der Grundherr oder ein Mitglied seiner Familie (welches Mitglied w i r d nicht gesagt) als Leiter fungieren. (b) I n Rajasthan ist dagegen weder persönliche noch durch ein anderes Mitglied der Familie betriebene Aufsicht notwendig. I n diesem Falle durfte der Grundherr die Leitung des Bebauungsvorhabens an einen Verwalter übertragen. Es versteht sich von selbst, daß hier „absenteelandlordism" par excellence möglich ist und praktiziert wird; d. h. also, daß sich der Grundherr trotz allem „Bewirtschafter" nennen kann, und Rajasthan kann sich m i t anderen Gliedstaaten darüber freuen, das Zamindari-System beseitigt zu haben. (c) I n Punjab ist sogar Bezahlung i n „crop-shares" gestattet, so daß hier das Risiko teilweise auf die Pächter abgewälzt werden kann. Jedoch muß der Grundherr selbst als Leiter i n A k t i o n treten. Damit w i l l man bezwecken, daß der Grundherr auf dem Lande lebt. Er kann aber diese Absicht der Reformer ohne Schwierigkeiten umgehen, indem er i n der Stadt lebt, aber i m Dorf gemeldet ist. I n P. E. P. S. U. dagegen ist auch keine persönliche oder sonstige Aufsicht oder Leitung von Gesetzes wegen erforderlich. Aus obigem kann man ohne Schwierigkeiten den richtigen Schluß ziehen, daß es i n Indien jedem Großgrundbesitzer gelingen kann, sich als „Bewirtschafter" zu bezeichnen. Gelang es einem Großgrundbesitzer, sich „Bewirtschafter" zu nennen, so hatte er nichts zu befürchten, denn die Bodenreformgesetze sind zum Wohle der Bewirtschafter erlassen worden. Zum größten Teil ist es den Großgrundbesitzern auch gelungen, sich als Bewirtschafter auszugeben 15 . Ausgestattet m i t einer solchen Definition eines Bewirtschafters, gingen die Gliedstaaten ans Werk und erließen Gesetze, die sie „Gesetz zur Abschaffung des Zamindari-Systems" nennen. Der Erlaß solcher Gesetze bereitete für sie keine großen Schwierigkeiten, denn die Definition des Begriffes „Bewirtschafter" war so allgemein und so unpräzis, daß praktisch jeder Zamindar sich Bewirtschafter nennen konnte. Da per definitionem die Zamindars Bewirtschafter geworden waren, gab es für die Gliedstaaten kein Problem der Zamindars mehr, und man konnte mit Stolz deren Abschaffung verkünden. Das Ganze ist eigentlich nur ein definitorischer „Trick". Zugunsten der Glied15 So hat es z. B. i n U. P. 2 M i l l i o n e n Zamindars gegeben, u n d ungefähr 2 M i l l i o n e n sollen von dem Recht Gebrauch gemacht haben, sich Bhoomidars („cultivating land owners") zu nennen.
4. Kap. : Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen Staaten sei angeführt, daß sie diesen „Trick" nicht absichtlich angewandt haben. A u f Grund der Definition eines Bewirtschafters wurden die Zamindars, ihre Sklaven, Halbsklaven und die „ryots" (Bauern) zu Bewirtschaften! verschiedener Typen erklärt. Auf diese Weise gelang den Gliedstaaten das Kunststück, das Zamindari-System abgeschafft und an dessen Stelle „peasant-proprietorship" errichtet zu haben. Hier sei darauf hingewiesen, daß i n diesem Zusammenhang nur Kashmir, das zur Zeit des Erlasses von Bodenreformgesetzen der indischen Verfassung nicht unterworfen war, der Definition eines Bewirtschafters den gesunden Menschenverstand zugrunde gelegt hat. Der Bewirtschafter w i r d als „a person who tills land w i t h his own hand" definiert. A u f Grund dieser Definition ist es Kashmir gelungen, das Zamindari-System abzuschaffen und dem Titel der Bodenreformen „Jammu and Kashmir Big Landlords Estates Abolition A c t " gerecht zu werden. Die anderen Gliedstaaten haben dagegen Gesetze, die nur zur Abschaffung der Institution der Mittelsmänner geeignet sind. Hier liegt ein böser, schwerwiegender und fundamentaler Fehler vor, der unbedingt beseitigt werden muß. I n der Tat hat die „Planning Commission" i m „Draft Outline" des 2. Planes (S. 76) zugegeben, daß die Schwierigkeiten, i n die der Plan geriet, i m wesentlichen auf die Definition des Ausdruckes „personal cultivation" zurückzuführen seien. Man muß sich fragen, warum die Zentralregierung nicht i n A k t i o n tritt. A u f diese Frage können w i r keine Antwort geben, da eine vernünftige Erklärung fehlt. Da das Zamindari-System auf eine unerwartete Weise die Bodenreformen überlebt hat, sah man sich genötigt, es zu reformieren. I n diesem Zusammenhang demonstrierten die Gliedstaaten dadurch eine bewundernswerte Folgerichtigkeit, daß sie die Reformen der Pachtverhältnisse als Punkt 2 des Bodenreformprogramms behandelten. Denn, wie bereits erwähnt, existiert das Zamindari-System nur als Gegenstück zum Pächtertum. Da diese beiden Institutionen erhalten geblieben sind und große Verschiedenheiten aufweisen, wurde es für notwendig gehalten, die Pachtverhältnisse zu reformieren und regulieren, um diese Verschiedenheiten zu beseitigen. Die Reform der Pachtverhältnisse umfaßt drei Ziele, die sich untereinander vertragen. M i t der Sicherung der Pachtdauer w i r d es für den Zamindar schwierig, den Pachtzins zu erhöhen, da er den Pächtern nicht mehr mit Vertreibungen drohen kann. Der hohe Pachtzins ist auf die hohe Nachfrage nach Boden zurückzuführen, welche ja Ausdruck der allgemeinen Wirtschaftslage Indiens ist. Sicherung der Dauer des Pachtbesitzes kommt dem Versuch gleich, die Wirkungen der hohen Nachfrage zu kontrollieren. Dies ist zu begrüßen; es beinhaltet aber ein beunruhigendes Element. Die Ursache dieser Beunruhigung ist die Tatsache, daß
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4. Kap. : Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen
die Sicherung der Dauer des Pachtbesitzes unterschiedlich geregelt ist. I n U. P. sind z.B. nur die Pächter von dieser Maßnahme betroffen worden, die ununterbrochen mindestens sechs Jahre lang Pächter eines bestimmten Bodenstückes gewesen sind; denjenigen, die diesen Nachweis nicht erbringen konnten, w i r d dagegen kein Schutz gewährt. Dies hat zur Folge, daß die Nachfrage sich nach solchen Böden verschiebt, von denen die Pächter immer noch vertrieben werden können. Da hier wegen der Zusammenballung der Nachfrage ein hoher Druck erzeugt wird, profitieren die Grundherren dadurch, daß sie unter Androhung der Vertreibung den Pachtzins ihrer Pächter erhöhen. I m Endeffekt ist es durchaus möglich, daß das, was die ersten Pächter an Pachtzinsen sparen, von den letzteren mehr als bezahlt wird. Außerdem sei darauf hingewiesen, daß es für einen Pächter sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist, zu beweisen, daß er ein bestimmtes Stück Boden für mehr als sechs Jahre als Pächter bebaut hat, da i n den meisten Fällen kein Pachtvertrag vorhanden ist. Die beiden ersten Ziele der Reform der Pachtverhältnisse sind, obgleich sie sich untereinander vertragen, schwer m i t den zu ihrer Erreichung vorgesehenen Maßnahmen zu vereinbaren. Die Verleihung des Rechts an die Großgrundbesitzer, Boden zwecks Selbstbebauung i n ihren Besitz zurückzunehmen, gefährdet die Sicherung der Dauer des Pachtbesitzes und somit die Sicherung eines gerechten Pachtzinses, denn die Wiederinbesitznahme (bzw. das Vorhandensein einer solchen Möglichkeit) des Bodens seitens der Grundherren bedeutet Vertreibung (bzw. eine mögliche Vertreibung) der Pächter. Ist aber einmal eine Vertreibungsmöglichkeit gegeben, so w i r d es auch möglich sein, den Pachtzins zu erhöhen. Es scheint so, daß die Gliedstaatsregierungen sich dessen bewußt waren, denn sie beschränkten dieses Recht der Pachtherren flächenmäßig und i n zeitlicher Hinsicht. Da aber der Pächter i n Indien meistens des Lesens und Schreibens unkundig ist, gelingt es i h m kaum, aus diesen Beschränkungen Nutzen zu ziehen. Das dritte Ziel der Reform der Pachtverhältnisse, nämlich die Verleihung des Rechtes an die Pächter, den gepachteten Boden zu kaufen, ist m i t dem Geiste der ersten zwei Ziele vereinbar. Außerdem kann das Schlagwort „land to the tiller" nur dann eine praktische Bedeutung erlangen, wenn die Pächter i n den Besitz der von ihnen bebauten Böden kommen können. Die Pächter i n Indien müssen den Boden kaufen; er w i r d ihnen nicht gratis gegeben. Diese Bedingung ist aber i n Indien schwer zu erfüllen. Es tauchen zwei Fragen auf: erstens, ist der zu zahlende Preis gerecht; und zweitens, ist der Pächter i n der Lage, diese erforderliche Geldsumme aufzubringen?
4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen I n U. P. ist der Kaufpreis auf das Zehnfache des Pachtzinses festgelegt worden. Als Eigentümer des Bodens bezahlt der Bauer dem Staate nur halb soviel Pachtsteuer, wie er zur Zeit als Pachtzins zahlt. Außerdem hat sich die Regierung i n U. P. verpflichtet, die Pachtsteuer für 40 Jahre nicht zu revidieren (vgl. oben die Nachteile einer Fixierung der Pachtsteuer auf eine längere Zeit). I m Jahre 1945/46 haben die Pächter i n Agra und Avadh z. B. i m Durchschnitt 5,5 Rupien pro „acre" als Pachtzins bezahlt 16 . A u f Grund dieser Zinssätze und der anderen Bestimmungen kann der Kaufpreis von 10 „acres" Boden (ein „economic holding") wie folgt berechnet werden: Der Preis f ü r 10 „acre" Boden: 5,5 · 10 · 10 = 550 Rupien. Die entgangene Zinssumme zu 5°/o f ü r 40 Jahre: 550 · 5 · 40 — = 1100 Rupien der Gesamtpreis = 1100 + 550 = 1650 Rupien, Pachtzins i n 40 Jahren: 5,5 · 10 · 40 = 2200 Rupien, Pachtsteuer, die der Pächter als Eigentümer an den Staat zu zahlen hat: 2200
- γ - = 1100 Rupien Ersparnis: 2200 — 1100 = 1100 Rupien.
Aus der Berechnung geht hervor, daß der Pächter zusätzlich eine Summe von 550 Rupien (1650 —1100) aufbringen muß, u m Eigentümer von 10 „acres" Boden zu werden. K . G. Sivaswamy findet diesen Preis ungerecht, da nach seiner Meinung der Pächter keine zusätzlichen Rechte als Eigentümer bekommt. Dies stimmt nur teilweise, und zwar für die Pächter, die eigentumsähnliche Rechte an dem von ihnen bebauten Boden haben. Die anderen Pächter, deren Rechte begrenzt sind, zahlen die Summe von 550 Rupien nicht umsonst, denn sie erlangen Eigentumsrecht am Boden. Es scheint uns, daß K. G. Sivaswamy hier hauptsächlich an die ersten Pächter gedacht hat. Außerdem stört i h n die Tatsache, daß mit dieser Geldsumme der Entschädigungsanspruch beglichen werden sollte. Er ist der Meinung, daß Entschädigungen aus dem Haushalt des betreffenden Gliedstaates bezahlt werden müssen und nicht den Pächtern auferlegt werden sollten 17 . Wie es m i t der Gerechtigkeitsfrage auch immer steht, es bleibt noch das Problem, ob der Pächter i n Indien i n der Lage ist, die hohe Summe von 550 Rupien aufzubringen, wenn w i r berücksichtigen, daß das ie v g i # The U. P. Zamindari S. 89.
Abolition
Committee ,
a. a. Ο., Tabelle 22 (I),
17 Vgl. Sivaswamy, K . G., „Reforms of L a n d Tenures i n I n d i a since 1945", i n : The I n d i a n Journal Of A g r i c u l t u r a l Economics, Vol. 8, March 1953.
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4. Kap. : Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen
Jahreseinkommen einer 5-köpfigen Bauernfamilie nach unseren Berechnungen durchschnittlich 950 Rupien beträgt. Dabei dürfen w i r nicht außer acht lassen, daß dieses Durchschnittseinkommen uns über die wirklichen Verhältnisse hinwegtäuscht; diese grobe Einschätzung reicht aber für unseren Zweck. Ob der Pächter, dessen Einkommen höchstwahrscheinlich unter dem genannten Durchschnitt liegt, i n der Lage sein wird, eine Geldsumme i n Höhe von 550 Rupien aufzubringen, ist fragwürdig, denn er muß sich selbst und seine Familie ernähren und seinen sonstigen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen. Es w i r d geschätzt, daß die von der bäuerlichen Bevölkerung aufgenommenen Kredite schon eine Höhe von 900 Millionen Rupien erreicht haben. Es darf also ohne weiteres gesagt werden, daß es einem Pächter schwerfallen wird, diese Summe aufzubringen. Damit entfällt für ihn die Möglichkeit, vom Pächter zum Eigentümer des von i h m bebauten Bodens aufzusteigen. I n Bombay sollen ζ. B. nur 2 v. H. der Pächter i n der Lage gewesen sein, den gepachteten Boden zu kaufen. Das dritte Grundmerkmal der indischen Bodenreformen (s. oben S. 45) umfaßt die Frage der Festlegung einer oberen Landbesitzgrenze („ceiling question"). Nun haben w i r bereits gesehen, daß die Festlegung einer solchen Grenze schon bei Punkt 2 der Reformen eine sehr bedeutende Rolle spielt. I n der Tat ist ohne diese Grenze der Punkt 2 nur noch eine Farce, denn beim Fehlen dieser Beschränkung kann bei der gegebenen Möglichkeit der Wiederinbesitznahme des Bodens seitens der Grundherren für Selbstbebauung keine Sicherung der Dauer der Pacht und somit des gerechten Pachtzinses zustande kommen. Außerdem ist die Festlegung einer oberen Landbesitzgrenze notwendig, da dies wegen der i n Indien herrschenden Knappheit des Bodens den einzigen Weg darstellt, das Schlagwort „Boden an die Bewirtschafter" wahr zu machen 18 . I n Indien sind aber ganz andere Gründe für und gegen die Festlegung einer solchen Grenze angeführt worden. Die Befürworter der Festlegung einer oberen Landbesitzgrenze verlangen sie der sozialen Gerechtigkeit wegen (siehe z. B. S. 9 des „Reports of The Congress Agrarian Reforms Committee"). Nach ihrer Meinung wäre diese 18
Vgl. Rao, Ν . P., M i t g l i e d des indischen Parlaments, M i t g l i e d des „Committee On Size Of Holdings" (Reports Of The Comittees Of The Panel On L a n d Reforms), teilt unsere Meinung u n d f ü h r t i n seinem „ M i n u t e Of Dissent" (S. 146) des Reports an: „. . . The only criterion i n deciding the l i m i t at which the ceiling should be put is whether i t helps eliminating landlordism and gives land to the poor landowners, tenants and agricultural labourers thereby releasing the productive forces i n agriculture from the schackles of landlordism and developing the purchasing power of the masses and expanding the home market or not. I f i t is not for this purpose, there is no purpose i n p u t t i n g a ceiling on land holdings except to put i t i n the show-room of land reforms and boast about it." A n einer anderen Stelle weist Ν. P. Rao darauf hin, daß soziale Gerechtigkeit besser durch eine E i n kommensteuer als durch einen „ceiling" herbeigeführt werden könne.
4. Kap. : Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen Gerechtigkeit durch Umverteilung des Bodens zu erreichen. Diese Umverteilung konnte aber nur dann von Bedeutung sein, wenn sie Hand in Hand mit der Festlegung der erforderlichen Landbesitzgrenze vor sich ginge. Daher sah sich das Komitee gezwungen, den Vorschlag der Festlegung einer oberen Landbesitzgrenze zu machen. Dieser Argumentation w i r d aber entgegengehalten, daß die Umverteilung des Bodens und die Festlegung eines „ceiling" zur Zerstückelung und Zersplitterung des Bodens und somit zum Rückgang der Produktion führen w ü r den (siehe den „Draft Outline" des 1. Planes und den 1. Plan selbst). Man stellte fest, daß das Gerechtigkeitsargument als solches nicht angefochten werden kann, der Kampf müsse aber von einer anderen, nämlich der Produktionsseite her, geführt werden. Man kann sich dieser Argumentation der „Planning Commission" nicht ohne weiteres anschließen. Die Zersplitterung eines Bodenstückes kann nur dann zum Produktionsrückgang führen, (1) wenn dieses Bodenstück bis zu seiner Zersplitterung als eine Einheit bebaut und bewirtschaftet worden ist und (2) der Zamindar selbst einen Beitrag zur Produktion geleistet hat. Wie sieht es i n Indien mit diesen zwei Bedingungen aus? W i r wissen, daß die Zamindars i n Indien ihre Ländereien an viele kleine Pächter mit der Folge verpachten, daß für Bebauungsund Bewirtschaftungszwecke diese Ländereien praktisch schon geteilt gewesen sind. Sind sie aber bisher isoliert bewirtschaftet worden, so kann jetzt keine Rede davon sein, daß als Folge der Umverteilung des Bodeneigentums (die praktisch nur eine Bestätigung der bereits herrschenden Zersplitterung ist) die Produktion zurückgehen wird. Ein Produktionsrückgang kann aber auch in den Fällen eintreten, in denen der Zamindar sich selbst als Bewirtschafter betätigt. Solche Fälle sind aber nur Ausnahmen. I n der Regel sind die Zamindars „absentee-landlords" und tragen zur landwirtschaftlichen Produktion nichts bei. Ihre Abschaffung und die Übertragung des Bodens an die wirklichen Bewirtschafter (die Pächter) können sich also unmöglich negativ auf die Landwirtschaft auswirken. Daher kann die von der „Planning Commission" vorgebrachte Argumentation einer kritischen Analyse nicht standhalten; mit dieser Argumentation kann man nicht beweisen, daß infolge der Umverteilung des Bodens und der Festlegung eines „ceiling" die Produktion zurückgehen würde. Nur die Tee- und Kaffeeplantagen werden einheitlich bebaut und bewirtschaftet. Falls diese Flächen i m Zuge der Fixierung eines „ceiling" umverteilt werden, w i r d allerdings ein Produktionsrückgang i n Kauf zu nehmen sein. Niemand hat aber vorgeschlagen, daß die Plantagen diesen Bedingungen unterworfen werden sollten. Das „U. P. Zamindari Abolition Committee" gibt zwar zu, daß eine Umverteilung des Bodens zur sozialen Gerechtigkeit beiträgt, hegt aber
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4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen
Zweifel am praktischen Wert dieses Vorgehens 19 . Es stützt sich hier auf das statistische Argument, daß i n Anbetracht der i n Indien vorhandenen Bodenknappheit eine gründliche und sehr weitgehende Umverteilung des Bodens für diejenigen, die wenig oder keinen Boden besitzen, von geringem Nutzen sein wird. Hier steht das Komitee auf festem Boden. Würde man ζ. B. versuchen, jeder der etwa 65 Millionen dörflichen Familien i n Indien nur 10 „acres" Anbaufläche (das ist ein „economic holding") zukommen zu lassen, so würde man 650 Millionen „acres" Boden benötigen. Die ζ. Z. bebaute Fäche beträgt etwa 300 Millionen „acres" (mit der Möglichkeit, evtl. noch 85 Millionen „acres" nutzbar zu machen), so daß eine Lücke von 350 Millionen „acres" bleibt. Fixiert man dagegen die obere Landbesitzgrenze auf 25 „acres" und versucht, den so freigemachten Boden nur an diejenigen Familien zu verteilen, die weniger als 10 „acres" Fläche bebauen, dann werden 49 Millionen „acres" gegen die erforderlichen 460 Millionen „acres" für diesen Zweck frei. W i r d man das Schlagwort „Boden an die Bewirtschafter" i n die Wirklichkeit umsetzen, so müßte man die obere Landbesitzgrenze auf 4,25 „acres" pro Haushalt festlegen. I n Anbetracht der Tatsache, daß die hier angeführte Zahl der dörflichen Haushalte alle Haushalte einschließt (ζ. B. Dorfschmied und Friseure, die sich ja gar nicht m i t der Bebauung beschäftigen), kann diese obere Grenze vielleicht auf 5 „acres" erhöht werden. A l l e diese Komitees einschließlich der „Planning Commission" haben aber die Rolle der Fixierung einer oberen Landbesitzgrenze hinsichtlich des Punktes 2 des Bodenreformprogramms unbeachtet gelassen. Wenn w i r einen Blick auf die wirklich festgelegten Grenzen werfen, so stellen w i r fest, daß nur minimale Veränderungen i n den Besitzverhältnissen stattgefunden haben können. Dem Vorschlag der „Planning Commission" zufolge soll die obere Grenze das Dreifache eines „family holding" betragen. Man ist sich aber über die Größe eines „family holding" gar nicht einig, da man immer von verschiedenen Gesichtspunkten (wie ζ. B. Zahl der Ochsen, Bestand an Werkzeugen, Zahl der Familienmitglieder, einen Minimal-Lebensstandard usw.) ausgegangen ist. So bemißt sich ζ. B. i n Hyderabad ein „family holding" auf 6 bis 72 „acres", je nach der Bodenbeschaffenheit und den Wasserverhältnissen. Die Anwendung des von der „Planning Commission" vorgeschlagenen Prinzips würde zur Folge haben, daß i n diesem Falle der „ceiling" zwischen 18 und 216 „acres" variieren würde. A u f diese Weise w i r d es i n Hyderabad kaum möglich sein, eine wesentliche Veränderung i n den Besitzverhältnissen zu erreichen. Es sei denn, i n Hyderabad lebten Großgrundbesitzer m i t unermeßlichem Bodenbesitz. 19
Vgl. The U. P. Zamindari
Abolition
Committee,
a. a. O., S. 386.
4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen Nach unserer Meinung ist ein solcher „ceiling" für Umverteilungszwecke zu hoch. I m übrigen variiert i n Indien der „ceiling" zwischen 223/4 „acres" i n Kashmir und 50 „acres" i n Bombay. Für indische Verhältnisse sind diese zwei Grenzen auch hoch, denn damit wird, wie bereits gezeigt, keine große Umverteilung des Bodens zustande kommen. Das Schlagwort „Boden an die Bewirtschafter" w i r d unerfüllt i n die Agrargeschichte Indiens eingehen. I n der Tat war dieses Schlagwort von Anfang an zu diesem Schicksal verdammt, denn die Grundschwierigkeit der indischen Landwirtschaft „zu wenig Boden und zu viele Menschen" ist nicht ohne Industrialisierung zu beseitigen. Die Umverteilung kann als Instrument nur die Unterschiede i m Besitz kontrollieren bzw. korrigieren; sie kann aber das fundamentale Ungleichgewicht zwischen der Nachfrage nach und dem Angebot an Boden nicht beseitigen. Ein letzter Versuch, eine Veränderung i n den Besitzerverhältnissen herbeizuführen, ist von Vinoba Bhave unternommen worden („The Bhoodan
Movement"
— D i e L a n d s c h e n k u n g s b e w e g u n g ) . V o n der E n t -
stehungsgeschichte dieser Bewegung werden w i r hier absehen. Das Ziel Vinobas ist es, sich Ve des Bodens schenken zu lassen, u m dann durch Verteilung dieses Bodens die Besitzverhältnisse zu ändern. A u f diese Weise hofft er, etwa 50 Millionen „acres" Boden (Ve der i n Indien unter dem Pflug stehenden 300 Millionen „acres") zu bekommen. Es sei schon hier hervorgehoben, daß es auch m i t Hilfe dieser Bewegung nicht gelingen wird, das fundamentale Ungleichgewicht zwischen der Nachfrage nach und dem Angebot an Boden zu korrigieren, denn sie stellt nichts anderes dar als eine neue Umverteilungstechnik. Als solche wäre sie u. U. einem besonderen Verteilungsproblem gewachsen, nicht aber einem Ungleichgewichtsproblem, dessen Determinanten gar nicht durch die Umverteilung beeinflußt werden können. Abgesehen von dieser Einschränkung und abgesehen davon, daß der verschenkte Boden meistens von mangelhafter Qualität ist, daß die Verteilung dieses Bodens an die unzähligen Anwärter ein sehr langwieriger und komplizierter Prozeß ist, daß m i t der Verteilung des Bodens allein das Problem nicht gelöst werden kann 2 0 , ist darauf hinzuweisen, daß die der Bewegung zugrunde liegende Berechnungsgrundlage falsch ist. Sie ignoriert die gegebenen Verteilungsverhältnisse und legt statt dessen eine einheitliche, i n Indien jedoch nicht vorhandene Verteilung zugrunde, weil andernfalls keine 50 Millionen „acres" zusammenkommen. Betrachtet man dagegen die vorhandenen Verteilungsverhältnisse, so w i r d man zu dem Schluß gezwungen, daß die Gesamtanbaufläche von 20 Es sind z. B. noch landwirtschaftliche Geräte, Zugtiere, Samengut usw. nötig. M a n hat dieses Problem auch erkannt u n d entsprechende „Bewegungen" ins Leben gerufen.
5 Lai
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4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen
300 Millionen „acres" gar nicht als Verschenkungsgrundlage akzeptiert werden kann, da „holdings" m i t 10 „acres" und darunter ausgeklammert werden müssen. Die weitere Verkleinerung solcher „holdings" w i r d nur zur Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit führen. Wenn man sich aber trotz dieser Bedenken Ve des Bodenbesitzes von jedem Besitzer schenken läßt, erreicht man dadurch nur eine Verkleinerung i n den absoluten Größen i n Höhe von Ve ihres ursprünglichen Wertes, dagegen bleiben die proportionalen Unterschiede i n den Besitzverhältnissen bestehen. Ist dies der Fall, so kann man wohl kaum von einer egalitären Umverteilung reden. Klammert man 10 „acres" und kleinere Bauernhöfe aus, so bleiben als Verschenkungsgrundlage nur noch etwa 190 Millionen „acres". Dadurch w i r d die Zahl von 50 Millionen schon auf 32 Millionen „acres" reduziert. A u f der anderen Seite gibt es i n Indien etwa 30 Millionen dörflicher Haushalte, die über eine Fläche von 1 „acre" und weniger verfügen. Bei einer reibungslosen Verteilung w i r d aber jeder dieser Haushalte etwa 1 „acre" Fläche bekommen. Trotzdem w i r d aber keiner dieser Haushalte über mehr als 2 „acres" Boden verfügen können; zur Vollbeschäftigung dieser Haushalte w i r d auch das nicht ausreichen. A u f diese Weise w i r d also auch i n den Besitzverhältnissen keine umwälzende Änderung stattfinden. Alles i n allem scheint es, daß wahrscheinlich auch die „Bhoodan Movement" als Umverteilungsinstrument fehlschlagen wird. I n der Tat erhebt sich der Verdacht, daß man i n Indien den Grundtatsachen, dem Mangel an Boden, dem großen Ausmaß der Nachfrage nach Boden und dem daraus resultierenden Ungleichgewicht, nicht i n die Augen sehen w i l l . Sollte man mit der Umverteilung des Bodens bei gleichzeitiger Fixierung einer oberen Landbesitzgrenze Erfolg haben, w i r d man gezwungen sein, eine A n t w o r t auf die Frage zu geben, ob i m Interesse einer egalitären Einkommensverteilung das Ceilingsprinzip nicht auch auf andere Sektoren der Volkswirtschaft, besonders auf den Industriesektor, ausgedehnt werden sollte. Das „Congress Agrarian Reforms Committee" trat der sozialen Gerechtigkeit wegen für eine allgemeine Anwendung dieses Prinzips ein. Auch das „Committee On Size Of Holdings" schlug die Ausdehnung dieses Prinzips auf andere Sektoren der Wirtschaft vor, da als Folge einer solchen Verallgemeinerung des Prinzips sich der Widerstand der Großgrundbesitzer vermindern und die Aufgabe der Fixierung eines „ceiling" i n der Landwirtschaft erleichtert würde. Dagegen geriet das „Committee On Tenancy Reform" i n Schwierigkeiten. Es sah das Problem einmal als Produktionsproblem, zum anderen als ein Problem der sozialen Gerechtigkeit. Vom ersten Standpunkt ausgehend, hat es die Forderung nach Verallgemeinerung des Ceilingsprinzips zurückgewiesen. Es stimmte dem Argument, daß die Fixierung eines „ceiling" nur dann gerechtfertigt sei, wenn das Ceilingsprinzip verallgemeinert würde, aus zweierlei Erwägungen nicht zu. Einmal hat
4. Kap. : Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen
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es auf die praktische Schwierigkeit eines solchen Vorhabens hingewiesen, zum anderen meinte es, daß zwar das Landmonopol für die Landwirtschaft schädlich sei, größere Betriebseinheiten für die Industrie demgegenüber jedoch zweckmäßig seien. Daraus w i r d gefolgert, daß die Anwendung des Ceilingsprinzips auf die Industrie schädlich sei und deshalb zu unterbleiben habe. Während man nun für das erste Argument Verständnis aufbringen kann, kann man das zweite Argument nicht ohne weiteres hinnehmen. Warum sollen die „large-scale economies" nicht auch i n der Landwirtschaft auftreten? Das Komitee hat nicht erklärt, warum ein Landmonopol der Landwirtschaft Schaden zufügen soll. W i r vermuten, daß es auf Grund einer Verwechslung des Wesens der Einkommen eines indischen Großgrundbesitzers und eines Industriellen zu einem solchen Schluß gekommen ist. Der Großgrundbesitzer i n Indien bezieht eine unverdiente Grundrente (im Millschen Sinne); er ist ein „absentee-landlord" und betätigt sich nicht als Unternehmer; er verpachtet den Boden und verdient sozusagen die Grundrente i m „Schlaf"; zur Landwirtschaft steuert er nichts bei. Das Einkommen eines Industriellen dagegen ist unternehmerischer A r t ; der Industrielle kann nicht stillsitzen oder „schlafen". U m Einkommen zu erzielen, muß er produzieren. Als Produzent w i r d er „large-scale economies" ernten, wenn der Betrieb groß genug ist. Diese „large-scale economies" könnte auch der Großgrundbesitzer i n der Landwirtschaft erzielen, falls er sich als Landwirt betätigte. Er tut es aber nicht; er nutzt das Monopol nur dazu aus, u m durch Verpachtung möglichst viel Grundrente zu verdienen. Daß die Pächter dem Grundherrn eine hohe Grundrente abgeben müssen, h i l f t der Landwirtschaft nicht, denn dadurch w i r d nur die Initiative der Pächter, Verbesserungen auf dem Lande vorzunehmen, erstickt. Es ist daher möglich, daß sich die A b schaffung der Großgrundbesitzer für die Landwirtschaft unschädlich erweist, derselbe Vorgang für die Industrie aber schädliche Konsequenzen hat. Dieser Grund und nicht die Behauptung, daß i n der Landwirtschaft grundsätzlich „economies of large scale" unmöglich seien, spricht gegen die Verallgemeinerung des Ceilingsprinzips. Nachdem sich das „Committee On Tenancy Reform" gegen die Verallgemeinerung des Ceilingsprinzips ausgesprochen hatte, bekam es, obgleich dies aus einem falschen Grunde geschah, Gewissensbisse. Es hob hervor, daß die Großgrundbesitzer sich verletzt fühlen würden, falls das Ceilingsprinzip nicht verallgemeinert werde. Hier taucht also wieder das Gerechtigkeitsargument auf. Das Komitee fand dieses Argument gewichtig und kam zu dem Schluß, daß „ a l l that we would like to stress here is that our objectives of social justice should be universally applied and social change i n the land sector would be greatly facilititated and the resistance to such a change would be overcome if 5·
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4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen
i t is accompanied or immediately followed by similar actions i n other spheres" 21 . Es enthielt sich aber einer genauen Beschreibung der i n diesem Zusammenhang zu unternehmenden einzelnen Schritte. I m Endeffekt scheint aber auch dieses Komitee die Meinung der anderen zwei akzeptiert zu haben. Das Gerechtigkeitsargument hat den Sieg davongetragen. Obgleich i n dieser Debatte das Gerechtigkeitsargument die Oberhand behielt, ist dabei der Widerspruch zwischen diesem und dem Produktionsargument ungelöst geblieben. Dieser K o n f l i k t ist nur theoretischer Natur; praktisch besteht er für Indien nicht, da die Opposition derer, die von der Fixierung einer „ceiling" betroffen werden sollten, nie akut zu werden brauchte. Angesichts dieser Tatsache unternahm die Regierung auch nichts und sah davon ab, das Ceilingsprinzip zu verallgemeinern. Sie ließ, wie es so schön heißt, die schlafenden Hunde schlafen. Und da man die Verbindung zwischen der Ceilingsfrage sowie der Sicherung der Pachtdauer und eines gerechten Pachtzinses übersehen und den „ceiling" für indische Verhältnisse zu hoch fixiert hatte, konnten Vertreibungen und Pachtzinserhöhungen vorgenommen werden. Manche Großgrundbesitzer haben diese Vertreibungen sogar als eine „freiwillige Aufgabe" des Bodens seitens der Pächter deklariert. Der Ausdruck „freiwillige Aufgabe" scheint uns nur zum Zwecke der Irreführung der breiten Öffentlichkeit i n die Debatte geworfen worden zu sein; man kann nämlich auf der einen Seite nicht behaupten, daß i n Indien ein großer Landhunger bestehe und auf der anderen Seite feststellen, der Boden sei von den Pächtern freiwillig aufgegeben worden. Die Beschränkung des Rechtes der Großgrundbesitzer, den verpachteten Boden zum Zwecke der Selbstbebauung wieder i n ihren Besitz zu nehmen, i n zeitlicher Hinsicht (das „Tenancy Committee" hatte eine dreijährige Frist vorgeschlagen, die „Planning Commission" dagegen wollte 5 Jahre erlauben — die wirkliche gesetzliche Frist beträgt i n den meisten Fällen mindestens 6 Jahre —) ist ein Schritt i n die gewünschte Richtung. Ob aber auch m i t Hilfe dieser Maßnahme Vertreibungen und Pachtzinserhöhungen kontrolliert und korrigiert werden können, ist fraglich, denn diese Erscheinungen sind nur Ausdruck des fundamentalen Ungleichgewichts zwischen der Nachfrage nach und dem Angebot an Boden. Die wirkliche Aufgabe Indiens ist es, diesen Ungleichgewichtszustand zu beseitigen, was es i m Endeffekt nur durch Industrialisierung t u n kann; denn auf die Dauer ist nur die Industrie i n der Lage, die „überschüssigen" Arbeitskräfte zu absorbieren. 21 Vgl. Report Of The Tenancy Committee The Panel on L a n d Reforms), S. 46.
(Reports Of The Committees Of
4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen Die vierte Maßnahme bzw. Zielsetzung des indischen Bodenreformprogramms, nämlich die Verteilung der durch den „ceiling" freigemachten Ländereien an die landlosen Landarbeiter und an die m i t wenig Boden, werden w i r nicht i m Detail erörtern, da w i r uns m i t dieser Frage schon bei der Behandlung der anderen Punkte beschäftigt haben. Angesichts des fundamentalen Ungleichgewichtes i n der indischen Landwirtschaft sei aber nochmals betont, daß eine nennenswerte U m verteilung des Bodens nicht zu erreichen ist. A n diesem Tatbestand w i r d auch eine eventuelle neue Landgewinnung keine beträchtlichen Veränderungen hervorrufen können. Die Frage der Möglichkeiten und der Bedeutung der Nutzbarmachung des neu gewonnenen Bodens i n Indien haben w i r schon diskutiert (s. oben Kapitel 2). I n der Tat hat die „Planning Commission" selbst die praktische Begrenztheit dieser Maßnahme eingesehen, allerdings erst i m „Draft Outline" des 3. Planes (s. S. 93). Sie meint: „ W i t h the existing pattern of distribution of agricultural holdings and the predominance of small farms, redistribution of land i n excess of any level of ceilings was not likely to make available any large results i n shape of surplus land for distribution." Sie ist zu diesem Schluß gekommen, w e i l angeblich die gegenwärtigen Verteilungsverhältnisse die Erzielung eines positiven Ergebnisses unmöglich machen. Der eigentlichen Ursache, nämlich dem fundamentalen Ungleichgewicht, ist auch sie bedauerlicherweise nicht auf die Spur gekommen. I n Anbetracht der richtigen, von i h r gezogenen Schlußfolgerungen wäre ihre Argumentation bedeutungslos, wenn nicht die Gefahr bestünde, daß sie diese Argumentation auch anderen Schlußfolgerungen zugrunde legen würde. Die letzte vorgesehene Maßnahme der indischen Bodenreformen ist die Einführung des kooperativen Prinzips. Es verträgt sich m i t den anderen Maßnahmen. I n Indien hat man zunächst die Anwendung dieses Prinzips auf alle Bereiche des dörflichen Lebens ins Auge gefaßt. Seine Ausdehnung auf andere Bereiche des dörflichen Lebens sollte jedoch nur schrittweise vonstatten gehen. Das Endziel dürfte die Erreichung des „village cooperative management" sein, welches gemeinsames Handeln i n allen Fragen seitens der Dorfbewohner impliziert. Nach diesen Vorstellungen sollte das Dorf ein einziges Gebilde sein und auch als solches funktionieren. Die Anwendung des Prinzips auf die Bebauung des Landes soll i n diesem allgemeinen Rahmen geschehen. Conditio sine qua non zur Einführung der Kooperation und wesentliches Merkmal soll das Freiwilligkeitsprinzip sein. U m dieses Ziel zu erreichen, müssen die Dorfbewohner selbst die Initiative ergreifen. Dabei werden sie von der Regierung durch den „National Extension Service" unterstützt. Trotz dieser Hilfe hat jedoch das Kooperationsprinzip keinen erheblichen Fortschritt zu verzeichnen; selbst die „Plan-
70
4. Kap. : Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen
ning Commission" hat den bisher erzielten Erfolg als „meagre" bezeichnet (vgl. S. 201 bis 223 f. des 2. Planes). Warum ist aber der Erfolg auf diesem Gebiet so bescheiden? Es sei betont, daß die Einführung des kooperativen Prinzips i m Rahmen der Bodenreformen nur e i n e Berechtigung haben könnte, nämlich die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Die Kooperation müßte eine produktive Funktion erfüllen; sie müßte zur Produktionssteigerung beitragen. Sie sollte kein Selbstzweck, sondern nur ein Instrument zu einem Ziel (die Industrialisierung Indiens) sein. Da dies die einzig bedeutsame Rechtfertigung der Kooperation ist, müßte sie, u m die ihr auferlegte produktive Rolle spielen zu können, i m Produktionsbereich stattfinden, anderfalls kann sie keinen nennenswerten Beitrag zur Produktionssteigerung leisten. Kooperation im Produktionsbereich heißt aber hauptsächlich kooperative Bebauung des Bodens. Die anderen Kooperationsmöglichkeiten und Formen müssen sich i m Rahmen dieser kooperativen Bebauung abspielen, da ihre funktionelle Rolle nur i m Rahmen der kooperativen Bebauung ihre volle Entfaltung erlangt. Daraus kann gefolgert werden, daß, wenn in diesem Zusammenhang von einem kleinen Fortschritt gesprochen wird, dies nur heißen kann, daß sich die kooperative Bebauung nicht allzusehr verbreitet hat. Diese Tatsache bedarf einer Erklärung. Das kooperative Element, das vor dem Erscheinen der Engländer i n Indien herrschte, wurde zuerst von Lord Cornwallis zugunsten des Individualitätsprinzips nach englischem Muster zerstört. Ein Teil des kooperativen Elementes wurde 1904 i n Indien wieder eingeführt, und zwar in Form eines Erlasses des „Cooperative Credit Societies Act, 1904". Dieses Gesetz sah die Gründung von Genossenschaften vor, um der steigenden Verschuldung der landwirtschaftlichen Bevölkerung entgegenzuwirken, nicht zuletzt aber auch i m Interesse der Steuereinnahmen der Regierung. Bis 1912 blieb das landwirtschaftliche Kreditwesen das hauptsächliche Anwendungsgebiet dieses Gesetzes. I n diesem Jahre wurde jedoch noch ein anderes Gesetz erlassen, das die allgemeine Erweiterung des Tätigkeitsbereiches der Kreditgenossenschaften zum Ziel hatte. Es wurden Marketing-Genossenschaften, Konsumgenossenschaften, Handarbeitervereine und Baugenossenschaften ins Leben gerufen. Keine dieser Genossenschaften hat jedoch beträchtliche Erfolge zu verzeichnen gehabt (vgl. 2. Plan, S. 223 f.) 22 . Der Hauptgrund dafür ist, daß diese Genossenschaften auf sich gestellt waren. Unter solchen Umständen konnten sie nichts anderes, als die A r m u t ihrer Mitglieder widerzuspiegeln. Erst 1956 hat der „Rural Credit 22 Siehe auch: Hough , Ε. M., The Co-operative Movement i n India, etc., T h i r d Edition, Oxford University Press, 1953.
4. Kap. : Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen Survey" den Vorschlag gemacht, daß sich die Gliedstaaten an diesen Genossenschaften beteiligen sollten, um dadurch ihre Wirksamkeit zu erhöhen. Bei den Kreditgenossenschaften gab es noch zusätzliche Schwierigkeiten. Vorbedingung für einen Kredit war die Aufbringung einer Sicherheit i n Form von Vermögen. Wegen ihrer A r m u t konnten die Bauern diese Sicherheit weder beibringen noch „produzieren"; infolgedessen entfalteten sich diese Genossenschaften auch nicht. 1954 betrug ihre Mitgliederzahl nur 5,8 Millionen m i t 710 Millionen Rupien als Depositen. Trotz dieser Umstände sind die Kreditgenossenschaften am besten entwickelt 2 3 . Noch mehr: sie sind der Ursprung aller moderner Kooperationsformen und Institutionen Indiens. Da die Bauern zu arm sind, eine Sicherheit i n Form von Vermögen aufzubringen, hat man i m 2. Plan eine Erleichterung dieser Bedingung vorgeschlagen. Nach diesem Vorschlag sollte eine i n Form von zu erwartendem Einkommen aufgebrachte Sicherheit genügen, u m dem Aufbringer einer solchen Sicherheit die Möglichkeit einer Kreditaufnahme zu verschaffen. Man kann an der Wirksamkeit dieser Erleichterung immer noch Zweifel hegen, da das Einkommen derer, die relativ hohe Anleihen brauchen, immer klein sein wird. Zur Bestätigung braucht man nur einen Blick auf die „Taccavi Loans" (zwischen 1947 und 1953/54) i n Punjab zu werfen 24 . Tatsächlich hat das „Committee of Direction" bemerkt, daß „the total solution of the problems of many classes of farmers may not be found w i t h i n the limits of their existing circumstances by any measure of reorganization of the credit system" 25 . Die Grundprobleme Indiens liegen i m Produktionsbereich. Versucht man mit Hilfe des Genossenschaftsprinzips die Probleme Indiens zu lösen, so muß man es auf den Produktionsbereich anwenden. Ein ernsthafter Versuch dazu ist aber nicht vorgenommen worden, von einzelnen Fällen abgesehen. So kam es z.B., daß es heute i n Indien nur etwa 1000 „cooperative farming sociétés" gibt (vgl. 2. Plan, S. 203). Sie verteilen sich i n der Hauptsache auf Punjab, Bombay und Uttar Pradesh. I n diesem Zusammenhang ist angedeutet worden, daß eine Anzahl die23 Vgl. Government Of India , Planning Commission, The Second Five Year Plan, S. 222: „Because of historical circumstances i n I n d i a agricultural credit accounts for the greater part of development i n the field of cooperation d u r i n g the past f i f t y years." Diese historischen Gründe waren nichts anderes als die A r m u t der Bauern u n d die dadurch entstandene Bedrohung des Einkommens der damaligen Regierung. 24 Vgl. Rao, Ν. P., M i n u t e Of Dissent, Report Of The Committee On Size Of Holdings (Reports Of The Committees Of The Panel On L a n d Reforms), S. 47 f f ; vgl. auch All-India Rural Credit Survey , Vol. I, Part I, Bombay 1956, Tabelle 6.6. 25
Vgl. All-India
Rural Credit
Survey , Vol. I , Part I, Bombay 1956, S. 1014.
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4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen
ser „cooperative farming societies" von den Grundherren gegründet worden ist, u m sich den Bodenreformen zu entziehen 28 . Über die Notwendigkeit der Einführung und Verbreitung der kooperativen Bebauung des Landes besteht i n Indien eine allgemeine Übereinstimmung. Von der „Planning Commission" w i r d zu Recht darauf hingewiesen, daß kooperative Bebauung immer die Zusammenlegung des Bodens bedeutet (vgl. 2. Plan, S. 201). Dies kann auf verschiedene A r t und Weise zustande kommen; es kann sogar unter Beibehaltung des Eigentumsrechtes an einer bestimmten Fläche verwirklicht werden. Es ist von der Regierung festgelegt worden, daß bei jeder Zusammenlegung das Freiwilligkeitsprinzip respektiert werden muß. A n dieser Stelle tauchen die ersten Schwierigkeiten auf. Für den Eigentümer erbringt Privateigentum an Grund und Boden eine Grundrente, die wegen der starken Nachfrage nach Boden sehr hoch ist. Ein freiwilliger Beitritt zu einer „cooperative farming society" bedeutet jedoch einen freiwilligen Verzicht auf diese Rente! Es ist kaum zu erwarten, daß die Großgrundbesitzer dieses „Opfer" auf sich nehmen würden, denn: wenn sie zu einem solchen Schritt bereit gewesen wären, wäre vielleicht die indische Landwirtschaft gar nicht i n die Schwierigkeiten geraten, die zur Zeit ihr Los sind. Außerdem würde m i t dem Zusammenschluß des Bodens die Autorität, das Prestige und der soziale Status der Großgrundbesitzer sinken. Die Autorität und der soziale Status der Großgrundbesitzer stehen und fallen mit dem überdurchschnittlichen Besitz an Grund und Boden, d . h . sie hängen von den gegenwärtigen Besitzverhältnissen ab. Ohne einem niedrigen „ceiling" sind auf der anderen Seite die Besitzverhältnisse an Grund und Boden nicht merklich zu ändern, da i n Indien Bodenknappheit herrscht. Für eine egalisierende Umverteilung ist der „ceiling" zu hoch. I n diesem Zusammenhang hat P. N. Driver die folgende Warnung ausgesprochen: „ . . . voluntary cooperation on the principles of a continuance of private ownership of land is an utter impossibility" 2 7 . Eben zu diesem Thema hat Thorner gemeint, daß „ u n t i l property rights are ended, cooperatives would not stand a chance of working out successfully. Either they w i l l fail or they w i l l be dominated by the maliks (Eigentümer — Κ . L.) and their friends" 2 8 . Nach der indischen Verfassung darf aber das Eigentumsrecht nicht angetastet werden. Daher ist die kooperative Bebauung nur ein Traum geblieben. 26 Vgl. Government Of India , Planning Commission, Report Of The Indian Delegation To China On Agrarian Co-operatives , New Delhi, M a y 1957, S. 124. 27 Driver , P. N., Problems Of Z a m i n d a r i A n d L a n d Tenure Reconstruction I n India, Bombay 1949, S. 245. 28
Thorner , D., a. a. O., S. 83.
4. Kap.: Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen Die „Planning Commission" sah alle diese Schwierigkeiten und revidierte ihre Vorschläge. Nach ihrem neuen Vorschlag sollte das kooperative Prinzip auf den Verwaltungsbereich angewandt werden. Sie meinte, daß „land reform has hitherto been enforced mainly through the revenue agency. But the success of the drastic (!) reform now envisaged, depends on popular enthusiasm and the participation of the people. Village Panchayats thus have a vital role to play i n the implementation of land reform, and the commission has suggested that these be utilised für this purpose" 29 . Implizite wurde dadurch die Anwendung des kooperativen Prinzips auf den Produktionsbereich nun endgültig als ein fernes Ziel deklariert (s. Draft Outline des 2. Planes S. 68). I m „chapter" X I des 2. Planes w i r d diese Meinung bestätigt. Ob aber die Panchayats die ihnen zugedachte Aufgabe verrichten können, ist zweifelhaft, da „a Panchayat elected on manhood suffrage w i l l lead to conflict between the landless labourers and the small tenants on the one side and the more substantial tenants on the other. Moreover, as most of the voters and Panchas w i l l be illiterate and torn by factions and personal animosities, the Panchayat administration w i l l be both corrupt and oppressive" 30 . Man kann hinzufügen, daß auch Konflikte zwischen den Pächtern und den Grundherren auf der Tagesordnung stehen und daß dabei die Grundherren die Panchayats beherrschen werden. Thorner hat diese Gefahr gesehen und davor gewarnt: „They (die Großgrundbesitzer — K . L.) also supply the core of the Indian National Congress membership. No matter what high sounding policies may be announced at the centre by the national leadership of the Congress Party, the carrying out of such policies has to be done, i n the last analysis, at the state and district level. The Pakkahaveliwalle (hier — die Großgrundbesitzer — Κ . L.) stand i n strength, quite capable of blocking or crippling any measure that runs counter to their interests 31 ." Man kann natürlich versuchen, m i t Hilfe des kooperativen Prinzips die verschiedenen Probleme zu lösen. Ohne die Anwendung des Prinzips auf den Produktionsbereich bleibt aber das übrige von geringer Wirkung. Sinn und Rolle und Bedeutung des kooperativen Prinzips ändern sich schlagartig, wenn es auf den Produktionsbereich angewandt wird. Für die indischen Verhältnisse kann es seine Bedeutung nur dann erlangen, wenn man es zu einem aktiven Instrument zur Steigerung der Produktion macht, d. h. nur dann, wenn es zur Entfaltung der produktiven Kräfte des Landes beiträgt. 29 Government Of India , M i n i s t r y Of Progress of L a n d Reforms, 1955, S. 22 ff.
Information
And
Broadcasting,
30 Begum Aizaz Rasul , Member U. P. Z. A . C., i n i h r e m „Note of Dissent" zu dem obigen Report, S. 609. 31
Thorner , D., a. a. O., S. 49 ff.
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4. Kap. : Spezifische Kritik der indischen Bodenreformen V. Zusammenfassung
Aus unseren Ausführungen geht klar hervor, daß die Bodenreformen i n Indien fehlgeschlagen sind, weil die Maßnahmen ζ. T. sich miteinander nicht vertrugen und weil die Verwaltung versagte, vor allem aber wegen der mangelnden Bereitschaft der Regierung, der fundamentalen Tatsache „zu viel Leute und zu wenig Boden" ins Auge zu sehen. Diese Ignorierung verlieh den Reformmaßnahmen eine A r t jenseitigen Charakter, während die Probleme auf dieser Seite lagen 32 . Eine Steigerung i n der landwirtschaftlichen Produktion ist jedoch festzustellen. Worauf ist diese Steigerung zurückzuführen? Sie ist dem „National Extension Service", der sich i m Rahmen der „Community Projects" entwickelt hat, zu verdanken. Diese Institution hat unabhängig von den Bodenreformen funktioniert. Sie stellt den Bauern Fachkräfte zur Verfügung, die ihnen durch ihr Beispiel beibringen, wie man durch bessere Bewirtschaftung, Bewässerung, Düngung und Modernisierung den Ertrag der Landwirtschaft steigern kann. Die „Community Projects" und der „National Extension Service" sind Einrichtungen der Zentralregierung, die außerhalb der Bodenreformen und unabhängig von ihnen ihre Tätigkeit ausüben. Ohne eine Bodenreform kann aber ihre Tätigkeit nicht zur vollen Entfaltung kommen, da i n den gegenwärtigen Verhältnissen das Interesse und die Fähigkeit der Bauern, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, beschränkt sind. Ein rückständiges Bodensystem w i r d immer ein Hindernis auf dem Wege zur vollen Entfaltung der produktiven Kräfte des Landes sein. W i r dürfen also nicht die falsche Vorstellung haben, daß das Problem der Landwirtschaft (Steigerung der Produktion und die Bereitstellung eines landwirtschaftlichen Überschusses zum Zwecke der Industrialisierung) auch ohne eine geeignete Bodenreform zu lösen sei. Eine geeignete Bodenreform ist eine unerläßliche Voraussetzung zur Industrialisierung.
32 Vgl. Thorner , D., a. a. O., S. 78 ff. E r meint: „ L a n d reform laws ostensibly passed for the benefit of the underprivileged have not basically altered India's village structure. The small m i n o r i t y of oligarchs have had w i t and resource to get around these laws i n which, i n any event, the loopholes were so large, as to give t h e m ample manoeuvring ground. B y passing themselves off, whether legally or illegally, as tillers and cultivators, the village oligarchies have gone on r u n n i n g India's r u r a l life. Their uninterrupted presence i n power means that the forces of the »depressor 4 continue to operate strongly i n the countryside." Der „Depressor" ist der Inbegriff der j u u r i s t i schen, wirtschaftlichen u n d sozialen Verhältnisse auf dem Lande u n d ihre schädlichen W i r k u n g e n auf die Landwirtschaft.
Fünftes
Kapitel
Determinanten eine9 Bodensystems Nun drängt sich die Frage auf, wie Indiens zukünftiges Bodensystem aussehen soll. Die A n t w o r t auf diese Frage kann sich nicht auf die Vorliebe für irgendein Bodensystem irgendwelcher A r t gründen (Sklaverei, Feudalismus, Großbauerntum, „peasant-farming", das kooperative und das kollektive System), sondern kann nur auf Grund der Betrachtung der folgenden zwei Gesichtspunkte gegeben werden: (A) Die Rolle, die die Landwirtschaft beim Industrialisierungsprozesses zu spielen hat;
Ingangsetzen
des
(B) die objektiven indischen Verhältnisse (ζ. B. Arbeitskraft/Boden — Relation, Bodenbeschaffenheit, Wasserverhältnisse usw.). Die Aufgabe der Bodenreformen wäre es, die Bedingungen zu schaffen, unter denen die Landwirtschaft die ihr auferlegte Aufgabe bei gleichzeitiger Berücksichtigung der indischen Verhältnisse erfüllen kann. Das reformierte Bodensystem muß also die Verrichtung der Aufgabe der Landwirtschaft erleichtern und fördern. Die Frage der Rolle der Landwirtschaft bei der Industrialisierung eines Landes haben w i r schon erörtert (vgl. Einleitung). Konkret gesagt, ist es die Aufgabe der indischen Landwirtschaft, einen ursprünglichen Überschuß nicht nur her-, sondern auch bereitzustellen. Die Herstellung des Überschusses ist ein Problem der Produktion bzw. der Produktionssteigerung, während seine Bereitstellung ein Transferierungsproblem ist und damit i m Verteilungsbereich der Volkswirtschaft liegt. Bei der Behandlung der Frage des Überschusses werden also zwei verschiedene Bereiche der Volkswirtschaft berührt. Dabei sind w i r gehalten, die Zusammenhänge zwischen den beiden Bereichen festzustellen, um den Effekt der einen oder der anderen Lösung auf die beiden Bereiche studieren, schätzen und beachten zu können. Die grundsätzlichen Methoden zur Produktionssteigerung und die Möglichkeit ihrer Anwendung haben w i r ebenfalls schon erläutert. Hier haben w i r die konkretere Aufgabe, festzustellen, welches Bodensystem für die Anwendung der i n Frage kommenden Produktionssteigerungs-
76
5. Kap.: Determinanten eines Bodensystems
methode geeignet ist. Das ist eine Frage der Alternativen. W i r haben schon darauf hingewiesen, daß es i n Indien auf die Produktionssteigerung pro Bodeneinheit und pro Landarbeiter bzw. pro Kopf der Gesamtbevölkerung ankommt. Bei der Lösung dieses Produktionsproblems muß man die objektiven Bedingungen, denen die indische Volkswirtschaft unterworfen ist, stets i m Auge behalten. Da außerdem die Landwirtschaft die ursprüngliche Last der Industrialisierung zu tragen hat, ist sie zum Zwecke dieser Produktionssteigerung auf ihre eigenen Ressourcen angewiesen; m i t anderen Worten, sie muß sich aus sich selbst heraus entwickeln, u m M i t t e l für die Industrialisierung bereitstellen zu können. Sollte i m Lande selbst oder durch das Ausland die Möglichkeit vorhanden sein, die Aufgabe der Landwirtschaft durch „Zufuhr" von Industrieerzeugnissen zu erleichtern, so muß sie ausgenutzt werden. Dies t r i f f t besonders auf solche Situationen zu, i n denen die Landwirtschaft sich selbst nicht helfen kann, wie ζ. B. beim Bau von Staudämmen, bei der Bereitstellung von chemischen M i t t e l n zur Bekämpfung der Pflanzenkrankheiten, bei der Herstellung von künstlichen Düngemitteln usw. I. Die Rolle der Arbeitskraft Landwirtschaftliche Produktion heißt unter indischen Verhältnissen vor allem Ackerbau. Die Arbeitskraft bedient sich einer bestimmten Technik, u m den Boden zu bewirtschaften. Soll die Produktion gesteigert werden, dann muß eine entsprechende Veränderung i n einem dieser drei oder i n allen der an der Produktion beteiligten Elementen herbeigeführt werden. Was kann oder soll sich aber hier verändern? Was die Arbeitskraft anbetrifft, so kann sich sowohl ihr mengenmäßiger Einsatz als auch ihre geschlechts- und altersmäßige Zusammensetzung verändern. Diese Veränderungen sind wiederum eine Frage der Bevölkerungspolitik, der Erziehungspolitik und des gewünschten Industrialisierungstempos. A u f die bevölkerungspolitischen Probleme werden w i r hier nicht näher eingehen, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Es sei darauf hingewiesen, daß w i r unserer Arbeit die Bevölkerungswachstumsrate des letzten Jahrzehnts (2,4% pro Jahr) zugrunde legen, w e i l die Aussichten auf eine Verminderung dieser Rate nicht sehr groß sind. Für unsere Zwecke stehen die Erziehungspolitik des Landes und das Industrialisierungstempo i n unmittelbarem Zusammenhang. Die Frage des Industrialisierungstempos ist aber wiederum eine Frage der jeweiligen Präferenz gegenüber der Schwer- oder Leichtindustrie, der anzuwendenden Technik, der vorhandenen Industriekapazität, des gegebenen Konsumniveaus und dessen eingeplanten Veränderungen. A u f die Frage des Industriali-
5. Kap.: Determinanten eines Bodensystems
77
sierungstempos werden w i r auch nicht näher eingehen, denn es liegt grundsätzlich außerhalb des Rahmens dieser Arbeit. Hier sei betont, daß für die Landwirtschaft dieses Tempo grundlegende Bedeutung hat, denn dadurch w i r d die Frage des herzustellenden und bereitzustellenden landwirtschaftlichen Überschusses entschieden. Abgesehen davon schadet es aber gar nicht, wenn die Landwirtschaft einen möglichst hohen Überschuß bereitstellt, da dies nur zur Erhöhung des Tempos beitragen kann. Man kommt also zu dem Schluß, daß die Landwirtschaft einen möglichst hohen Überschuß bereitstellen soll. Dies bedeutet aber eine größtmöglichste Produktionssteigerung, zu deren Realisierung die Erziehungspolitik i n erheblichem Maße beiträgt. Die Frage, die w i r zu entscheiden haben, bezieht sich auf die Rolle der Arbeitskraft bei dieser Praduktionssteigerung. Die Arbeitskraft ist die Trägerin aller Produktion. Produktionssteigerung pro Kopf sowie pro Bodeneinheit i n der Landwirtschaft kann auch nur auf Grund der Erhöhung der produktiven K r a f t jedes einzelnen Arbeiters erzielt werden. Dies bedeutet wiederum: (1) Abschaffung der Arbeitslosigkeit bzw. Unterbeschäftigung auf dem Lande, da die Produktivität der Arbeitslosen oder Unterbeschäftigten gleich n u l l bzw. sehr gering ist und m i t ihrer Beschäftigung erhöht w i r d ; (2) Vermehrung des Wissens, vor allem des technischen Wissens der Landarbeiter; und (3) Verbesserung der Technik. Die Abschaffung der Arbeitslosigkeit bzw. der Unterbeschäftigung ist ein Problem der Nachfrage nach und des Angebots an Arbeitskraft schlechthin. Ihre Existenz erleichtert die Aufgabe der Freimachung der Arbeitskraft für die Industrie, denn die Zurückziehung der überschüssigen Arbeitskräfte bleibt ohne negativen Einfluß auf die landwirtschaftliche Produktion. Jedoch bleibt die Frage der Unterstützung dieser Arbeitskräfte immer noch bestehen. I n Indien ist die Arbeitslosigkeit trotz der 3 Fünfjahrespläne i m Steigen begriffen 1 . Dies 1
Nach den Berechnungen der „Planning Commission", die auf dem „National Sample Survey Report" f ü r den städtischen Sektor u n d dem Report des „Agricultural Labour Enquiry Committee " f ü r den dörflichen Sektor basieren, müßten i n Indien 15 M i l l . Arbeitsplätze neu geschaffen werden, u m das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen. Nach der „ P l a n n i n g Commission" werden aber n u r 8 M i l l . Stellen neu zu schaffen sein, so daß a m Ende des 2. Planes die Arbeitslosigkeit sich auf etwa 7 M i l l , belaufen w i r d . ( I m 1. Plan betrug sie 5,3 M i l l . ; vgl. 2. Plan S. 109 ff.). I m „ D r a f t Outline" des 3. Planes (s. S. 84) w i r d darauf hingewiesen, daß die Leistung i n bezug auf die Schaf-
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5. Kap.: Determinanten eines Bodensystems
bedeutet, daß das Angebot an Arbeitskräften ständig die Nachfrage nach ihnen übertrifft. Das Problem der Arbeitslosigkeit auf dem Lande w i r d noch dadurch kompliziert, daß die Arbeitslosen aus den Städten i n der Erwartung, von ihren Verwandten unterstützt zu werden, auf die Dörfer zurückströmen. Die anderen Sektoren wälzen ihre Arbeitslosen sozusagen auf die Landwirtschaft ab. Dadurch w i r d die Landwirtschaft gezwungen, zumindest das Problem der Arbeitslosigkeit i m landwirtschaftlichen Sektor irgendwie auf dem Lande zu lösen. Da man das Problem der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung i n der Landwirtschaft auf dem Lande lösen muß, wäre es für die Landwirtschaft sehr vorteilhaft, das Problem sinnvoll, etwa i n dem Sinne anzugehen, daß dabei auch die landwirtschaftliche Produktion steigt. Die Frage ist, was diese Arbeitslosen auf dem Lande tun können. I n Indien ist der Ackerbau die Haupterwerbsquelle auf dem Lande. Es liegt auf der Hand, die Arbeitslosen auf dem Lande so zu beschäftigen, daß sie dadurch der Landwirtschaft direkt behilflich sein können. Hier kommen besonders der Bau von Kanälen, von Wirtschaftswegen und die Modernisierung des Dorfes i n Frage. Dabei sei festgestellt, daß keine großen „Kapitalinvestitionen" notwendig sind; vielmehr kann die Arbeit m i t Hilfe der einfachsten Geräte geleistet werden. Maschinen sollten nur dann eingesetzt werden, wenn die Aufgabe ohne ihre Hilfe nicht zu verrichten ist. W i r müssen diesen Weg gehen, da die Landwirtschaft die Produktionssteigerung soweit wie möglich selbständig erreichen muß 2 . Wie dieses Programm des Kanalbaus usw. i n der Wirklichkeit zu organisieren wäre, hängt von dem Überschuß an Arbeitskraft, ihrer regionalen Verteilung, den Wasserressourcen und ihrer regionalen fung von Arbeitsplätzen u m etwa 2 M i l l . Arbeitsplätze zurückbleiben w i r d , so daß die Arbeitslosigkeit von 1,3 M i l l , zu Beginn des 1. Planes auf 9 M i l l , zu Beginn des 3. Planes gestiegen sein w i r d . I n diesem „ D r a f t Outline" des 3. Planes w i r d die Z a h l der neuen Arbeiter auf 15 M i l l , geschätzt, so daß, u m das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen, 24 M i l l . Arbeitsplätze geschaffen werden müßten. I m 3. Plan hofft (!) man, 14 M i l l . Arbeitslose unterbringen zu können, so daß — w e n n sich diese Hoffnung erfüllt — die Arbeitslosigkeit von 9 M i l l , i m Jahre 1961 auf 10 M i l l , i m Jahre 1966 gestiegen sein w i r d . Nach dem Memorandum über den 4. Plan w i r d die Arbeitslosigkeit auf diesem Gebiet i m Jahre 1965—66 auf etwa 12 M i l l , gestiegen sein (s. S. 24 f.). I m zweiten Plan hat man die Z a h l der Unterbeschäftigten auf 15 M i l l , geschätzt. I m „ D r a f t Outline" des 3. Planes w i r d angeführt, daß die „Planning Commission" nicht wisse, w i e viele von diesen vollbeschäftigt werden k ö n nen (s. S. 85). 2 Vgl. Draft Outline des 3. Planes, S. 66: „ I n the m a i n i t is through the participation of millions of peasant families i n the village production plans and i n large-scale programmes of irrigation, soil conservation, d r y farming and the development of local m a n u r i a l resources that the major agricultural objectives are to be realized." Vgl. weiter S. 67 ff.
5. Kap.: Determinanten eines Bodensystems
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Verteilung und von den Erfordernissen der einzelnen Regionen ab. Das Bauprogramm w i r d erst auf Grund dieser Verhältnisse näher bestimmt werden können. Für das Bodensystem des Landes hat aber die Aufstellung eines solchen Programmes besondere Konsequenzen. Die Erfassung der Arbeitskräfte i m Rahmen eines solchen Programms kann nur auf gesamtwirtschaftlicher Basis erfolgen; sie kann nicht einen individualwirtschaftlichen Charakter haben. Individualwirtschaftlich ist man i n erster Linie am Gewinn interessiert. Kein Unternehmer w i r d Kanäle bauen, wenn sie sich nicht rentieren. Außerdem können die Privatunternehmer beim Bau von Kanälen usw. Maschinen verwenden, was den gegenwärtigen objektiven Bedingungen Indiens nicht entsprechen würde. Der Bau von Kanälen kann nur dann mit der Industrialisierung des Landes in Einklang gebracht werden, wenn er gemeinwirtschaftlich erfolgt. Die Bezahlung dieser Arbeitskräfte stellt nur ein organisatorisches Problem dar, da das ursprüngliche Produktionsniveau erhalten geblieben ist. Eine andere Möglichkeit, die überschüssigen Arbeitskräfte auf dem Lande unterzubringen, wäre durch die Errichtung von „cottage industries" gegeben. Der „Planning Commission" zufolge haben sie noch eine zusätzliche Aufgabe, nämlich die Dezentralisierung der Volkswirtschaft. Das Industrialisierungsphänomen ist eine gesamtwirtschaftliche Erscheinung; eine Dezentralisierung darf diesen gesamtwirtschaftlichen Charakter des Prozesses niemals beeinträchtigen. Bei der Gründung von „cottage industries" tauchen die Probleme des Vorhandenseins ausgebildeter Arbeitskräfte sowie die Frage der Lebensfähigkeit dieser Industrien auf. Das erste spielt sich hauptsächlich i m Rahmen der Erhöhung des Niveaus des technischen Wissens der Bevölkerung ab. Das zweite ist eine Frage der „Kosten" und „Preise" der Produkte dieser Industrien, was wiederum von der A r t dieser Produkte abhängt 8 . I n Indien können sich diese Industrien 3 Vgl. dazu Government Of India , Ministry of Finance , First Report of The National Income Committee, New Delhi, A p r i l 1951, S. 30: „Some of the problems associated w i t h the integration of handicrafts into a more advanced industrial economy may be illustrated by reference to the position of cottage industries i n India, where i n 1948/49 they are estimated to have contributed almost twice as much to the net domestic product as conventional factory establishments. Since more t h a n six times as many workers were engaged i n cottage industries as i n factories, the average productivity was less than one-third that of the factory employee — and only 10 to 15 per cent above that of the agriculturists. A l t h o u g h average wages i n the cottage textile industry were not much more than half those i n the mills, u n i t cost of production was substantially higher. I n these circumstances, i t is not surprising that i n the face of competition — first from imports and subsequently f r o m the output of indigenous fac-
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5. Kap.: Determinanten eines Bodensystems
nur dann behaupten, wenn ihre Produkte m i t den Produkten der Großindustrie nicht i n Konkurrenz — sondern i n komplementären Beziehungen stehen. Da die modernen Industriebetriebe über alle Vorteile der Technik und Größe verfügen, w i r d es ihnen leichtfallen, die Konkurrenzprodukte der „cottage industries" vom Markte zu verdrängen. I n einer solchen Situation kann man die „cottage industries" nur durch Subventionierung oder Kontingentierung am Leben erhalten. Geht man aber diesen Weg, so hindert man den Fortschritt der Großbetriebe; man hemmt die Entfaltung der produktiven Kräfte des Landes. Außerdem werden durch diese künstlich gesetzten Schranken manche Großbetriebe hinsichtlich des internationalen Wettbewerbs konkurrenzunfähig gemacht. W i r sind z. B. von der Zweckmäßigkeit der indischen Politik der Kontingentierung und/oder der Auferlegung eines Zolles auf fabrikmäßig hergestellte Textilien nicht überzeugt. Dies ist auch der Grund dafür, daß i n Indien die Förderung der Handweberei ein umstrittenes Thema ist und auch keinen großen Erfolg zu verzeichnen hat. Dagegen sind solche „cottage industries", die Nähmaschinen, Fahrräder, Ventilatoren usw. herstellen, sehr erfolgreich gewesen, da ihre Produkte m i t den Produkten der Großindustrie nicht i n einem Konkurrenz-, sondern i n einem komplementären Verhältnis stehen 4 . Für den Erfolg dieser „Industrien" ist weiterhin die günstige Beschaffung von geeigneten Rohstoffen und den erforderlichen Werkzeugen sowie die Verbesserung der Transportmöglichkeiten zu den Märkten erforderlich. I n diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß der Erfolg der japanischen „cottage industries" auf den soeben angeführten Grundbedingungen beruht. Die Verlegung der Industrie i n die Dörfer ist eine dritte Möglichkeit zur Beschaffung von Arbeitsplätzen auf dem Lande. Dies ist jedoch nicht nur eine Frage der Unterbringung der Arbeitslosen auf dem Lande, sondern vor allem auch eine Frage der Standortwahl der Industrie. I n diesem Zusammenhang werden w i r zuerst zwischen der Schwerindustrie und der Leichtindustrie unterscheiden. Es herrscht eine allgemeine Übereinstimmung darüber, daß bei der Standortwahl der Schwerindustrie die Rohstofflager und Transportverbindungen zu den anderen Industriezentren ausschlaggebend sind. Die Verlegung tories — cottage industries, i n general, have gradually been falling into decay. I n recent years, for example, less t h a n one-third of the available hand loom capacity has i n fact been utilized, and where production has been m a i n tained this has been made possible only b y the acceptance of extremely l o w rewards by the factors engaged. Cottage weaving units, which employ about four-fifths of a l l cotton textile workers, produce l i t t l e more t h a n one-fifth of I n d i a n cloth output." 4 Vgl. Government 3. Planes, S. 195 ff.
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der Leichtindustrie i n die Dörfer bedarf geschulter Arbeitskräfte, des Vorhandenseins von Energie (besonders Elektrizität) und eines Eisenbahn- und Straßennetzes. Fehlt Energie auf dem Lande, so kann aus verständlichen Gründen keine Industrie dorthin verlegt werden. Ein Mangel an geschulten Arbeitskräften auf dem Lande entmutigt die Unternehmer, eine Verlegung ihrer Betriebe vorzunehmen, w e i l eine Schulung der Arbeitskräfte ihre Kosten erhöhen und den Gewinn vermindern würde. Werden Arbeitskräfte aus der Stadt geholt, so w i r d dadurch der eigentliche Zweck der Verlegung, nämlich die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten für die Arbeitslosen auf dem Lande, verfehlt. I n diesem Stadium sind die niedrigen Löhne auf dem Lande keine besondere Attraktion, da zuerst die Arbeitskräfte geschult werden müssen. Das Fehlen eines Eisenbahn- und Straßennetzes erschwert den Transport überhaupt. Falls aber Transportmöglichkeiten vorhanden sind, bedeutet die Verlegung der Leichtindustriebetriebe aufs Land immerhin die Vergrößerung der Entfernung dieser Betriebe von ihren Absatzmärkten, denn diese liegen ausschließlich oder fast ausschließlich i n den Städten. Infolgedessen muß die Erhöhung der Transportkosten i n den Preisen zum Ausdruck kommen. Dies kann die Konkurrenzfähigkeit eines Betriebes beeinträchtigen, falls die Konkurrenzbetriebe weiterhin i n ihren ursprünglichen Standorten operieren. Die Schulung der Arbeitskräfte, die Errichtung eines Verkehrsnetzes usw. sind wiederum gesamtwirtschaftliche Aufgaben, die kein Unternehmer (abgesehen von spezifischen, für den Betrieb notwendigen Aufgaben) übernehmen w i l l . Nur der Staat oder staatsähnliche Institutionen sind i n solchen Fällen i n der Lage, diese Aufgabe auf sich zu nehmen. Da aber der Staat i m Rahmen eines großen Planes handelt, kann er sich auf Besonderheiten nicht einlassen. Er muß Entscheidungen zwischen alternativen „Investitionsmöglichkeiten" treffen und kann nur auf Grund dieser Entscheidungen i n die Erweiterung des Verkehrsnetzes, i n die Schulung der Arbeitskräfte, i n die Bereitstellung von Energie usw. „investieren". Von diesen „Investitionen" hängt es ab, ob die Unternehmer es attraktiv genug finden, ihre Betriebe aufs Land zu verlegen. Angesichts der Notwendigkeit dieser Verlegung und ihrer Unfähigkeit, diese Erleichterungen auf dem Lande allgemein zu ermöglichen, schlug die Regierung die Errichtung von „Industrial Development Areas" vor. Diese Erleichterungen sind i n besonderen Landstrichen m i t der Hoffnung beabsichtigt, daß eine Verlegung der Leichtindustrie i n diese Gebiete erfolgen wird. Durch „spread" oder „linkage effects" sollen sich diese Industriezentren auf die übrigen ländlichen Gebiete günstig auswirken. 0 Lai
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I n diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß dieser Ausweg nur eine Notlösung darstellt; er kann sich niemals zu einer allgemeinen Lösung erweitern. Dafür gibt es folgende Gründe: (1) Wegen des Fehlens dieser Erleichterungen außerhalb der neu gegründeten Industriezentren werden die „spread" oder „linkage effects" auf das übrige Gebiet nicht sehr groß sein. Damit w i r d die Entwicklung auf diesem Gebiete beschränkt bleiben. (2) Der Staat w i r d der Aufgabe einer Ausdehnung dieser Erleichterungen nie entgehen können, da die Unternehmer diese nach aller Erfahrung nicht vornehmen werden. Trotz dieser Bedenken ist die Errichtung von „Industrial Development Areas" zu begrüßen, denn schon das Vorhandensein solcher Gebiete hat hinsichtlich der Schulung und Verbreitung des Wissens eine — wenn auch beschränkte — günstige Wirkung auf die Landbevölkerung 5 . Die Vermehrung des Wissens der ländlichen sowie der städtischen Bevölkerung ist vor allem eine Frage der Erziehungspolitik eines Landes. I n bezug auf die Landwirtschaft bedeutet es die Gründung von Schulen (besonders landwirtschaftlicher Schulen), die Gründung von Musterfarmen und -betrieben und die Verbreitung dieses Wissens durch Propagandamittel (Radio, Fernsehen, Kinos und Presse). I m Rahmen dieses Programms sollte die Schulpflicht sofort eingeführt werden. Bisher ist nur die Grundschule obligatorisch (6—11 Jahre) und auch nur i n manchen Gliedstaaten. Erst i m „Draft Outline" des 3. Planes ist von der „Planning Commission" vorgeschlagen worden, daß während des 3. Planes i n ganz Indien für die Kinder der Altersstufe von 6 bis 11 Jahren der Schulbesuch obligatorisch werden sollte. Für die „elementary schools" (bis zum 14. Lebensjahr) sieht die „Planning Commission" die Erhöhung der Ausgaben von 920 Millionen Rupien auf 1800 M i l lionen Rupien vor. Für die Periode 1961/66 hat man eine Geburtenrate von etwa 4% der gesamten Bevölkerung vorausgesagt (s. „Draft Outline" des 3. Planes, S. 5). Von diesen Neugeborenen sterben etwa 12 bis 18 v. H. bis zum 6. Lebensjahr, so daß von den i n dieser Periode geborenen 90 Millionen Kindern etwa 74 Millionen schulpflichtig sein würden, was besagt, daß während des 3. Planes für jedes schulpflichtige K i n d nur die lächerliche Summe von etwa 2,5 Rupien ausgegeben wird. Daran w i r d die Sterblichkeit zwischen dem 6. und dem 14. Lebensjahr auch nicht viel ändern können. Die Durchführung der allgemeinen Schulpflicht für die Altersgruppe der 6—11jährigen w i r d sich kaum 5 Vgl. Government 3. Planes S. 73 ff.
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auf der Basis dieses Betrages von 2,5 Rupien pro K i n d während des ganzen 3. Planes verwirklichen lassen. Die Durchführung w i r d zusätzlich dadurch erschwert, daß das Erziehungswesen nach der indischen Verfassung zum Verantwortungsbereich der Gliedstaaten gehört. Diese Dezentralisierung hat sich bis jetzt mangels Koordinierung, welche hinsichtlich des gesamtwirtschaftlichen Charakters des zu lösenden Problems not t u n würde, als nachteilig erwiesen. I n der Tat hat die Planning Commission selbst festgestellt, daß „ . . . i n relation to the size of the problem and the need to develop the country's human resources and to create conditions of equal opportunity for all, more rapid development is considered essential"®. Die Schulung der Arbeitskräfte ist überhaupt einer der Grundsteine der Industrialisierung eines Landes. Diese Aufgabe der Erziehung des Volkes kann aber auf privatwirtschaftlicher Basis nicht erfüllt werden, da die Verwendung von Privatmitteln sich nach Gewinnmöglichkeiten ausrichtet, welche i m Schulwesen kaum vorhanden sind. Die durch private Stiftungen gegründeten Schulen sind dem Problem kaum gewachsen, weil sie nur Ausnahmen bilden. I m übrigen ist darauf hinzuweisen, daß schon jetzt die privaten Schulen durch die Gliedstaaten bis zu 90%> finanziert werden. Schon aus diesen Gründen w i r d der gesamtwirtschaftliche Charakter der Aufgabe klar, abgesehen von der Notwendigkeit der Indienststellung des Erziehungswesens für Industrialisierungszwecke. Die Erziehung des Volkes fällt aber schon i n den Bereich der Erfassung der Arbeitskräfte, zu welcher auch das Thema Bodenreform gehört. Dies bedeutet wiederum, daß das Bodensystem gesamtwirtschaftlicher Natur sein muß, u m der Landwirtschaft und der Industrialisierung des Landes helfen zu können. I I . Die Rolle der Technik Die Frage der Erhöhung des technischen Wissens der Arbeitskraft w i r d hier zusammen m i t der Frage der Technik i n der Landwirtschaft behandelt. Durch die Verbreitung des Wissens kann man das Interesse der einzelnen an der Technik wecken. I n der Landwirtschaft würde das heißen, daß die Bauern bereit sind, technische Erneuerungen vorzunehmen. Was bedeutet aber Verbesserung der Technik i n der Landwirtschaft? Sie betrifft die Verbesserungen von Werkzeugen und Maschinen, Verwendung von Düngemitteln, bessere Bewässerung und Bekämpfung der Pflanzenkrankheiten, die Bebauung des Bodens nach seiner Eignung, die Vergrößerung oder Verkleinerung der Bebauungseinheit auf eine den Verhältnissen entsprechende Größe isw. 6
Vgl. Government 3. Planes, S. 98. 6·
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I n diesem Zusammenhang taucht jedoch die Frage nach der Fähigkeit der Industrie, der Landwirtschaft diese Erzeugnisse zu liefern, auf. Ist die heimische Industrie dieser Aufgabe nicht gewachsen, müssen die Erzeugnisse importiert werden. Gleichzeitig ist damit aber ein Ansatzpunkt für die Verwendung des landwirtschaftlichen Überschusses vorhanden. Für indische Verhältnisse darf unter Verbesserung der Geräte nicht die Mechanisierung der Landwirtschaft verstanden werden. Zur Mechanisierung der Landwirtschaft müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein, nämlich das Vorhandensein bestellbaren Bodens i n großem Ausmaß und Knappheit an Arbeitskraft. I n Indien ist es gerade umgekehrt. Angesichts dieser Tatsache befürworten w i r eine Mechanisierung der indischen Landwirtschaft nicht, was nicht damit zu verwechseln ist, daß manche speziellen Aufgaben nur mit Hilfe der Maschinen erledigt werden können und sollen. Die technischen Verbesserungen, die w i r vorsehen, müssen unter Berücksichtigung der indischen Verhältnisse und ihrer Eignung zur Lösung des Problems getroffen werden. Für die Form des zukünftigen Bodensystems hat die Feststellung, daß die Landwirtschaft Indiens nicht mechanisiert werden sollte, sehr schwerwiegende Folgerungen. Angesichts der oben getroffenen Entscheidung ist nämlich die Errichtung eines individual-orientierten Bodensystems unratsam. Bei einem individualistisch orientierten Bodensystem wäre es ζ. B. nicht zu verhindern, daß manche Eigentümer eine Mechanisierung vornehmen würden. Die auf eine solche A r t herbeigeführte Mechanisierung ignoriert jedoch die Grundbedingungen der indischen Landwirtschaft; sie bleibt ständig i n Konflikt m i t ihnen und den Erfordernissen der Industrialisierung des Landes. Der einzelne Grundbesitzer ist an der Gewinnmaximierung interessiert, welche eine Frage der Preisbildung ist. Die Industrialisierung erfordert dagegen die Entfaltung der produktiven Kräfte des Landes, was mit der Preisbildung wenig zu t u n hat. Die Mechanisierung der Landwirtschaft i n Indien ist eine Frage der fernen Zukunft; von unmittelbarem Interesse ist nur die Reorganisation der Landwirtschaft, welche die Änderung i n der Einsatzrichtung der Arbeitskraft ermöglicht. I m späteren Stadium der Industrialisierung w i r d diese Aufgabe von der Industrie selbst übernommen. I I I . Die Frage eines „economic holding" Eine andere Möglichkeit, technische Verbesserungen auf dem Lande vorzunehmen, wäre die Verkleinerung oder Vergrößerung der Bebauungseinheit, um die „diseconomies of too large a scale" zu vermeiden
5. Kap. : Determinanten eines Bodensystems
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bzw. die „economies of large scale" zu ernten. Dieser Gedanke ist an und für sich richtig, denn nur bei der Bewirtschaftung einer Fläche bestimmter Größe (die von Bodenbeschaffenheit, Bewässerungs- und Düngungsmöglichkeiten, technischer Ausrüstung, A r t der Ernte usw. abhängt) kommen die verschiedenen von uns vorgeschlagenen und überall i n der Welt praktizierten Verbesserungsmaßnahmen zur vollen Entfaltung. Nach der Ansicht von Agrarsachverständigen und W i r t schaftlern ist i n Indien der typische Bauernhof zu klein (87°/o aller Bauernhöfe sind unter 2,5 ha und verfügen nur über 36°/o der gesamten bebauten Fläche; 75 v. H. aller Bauernhöfe sind unter 1,25 ha und verfügen nur über etwa 17 v. H. der gesamten bebauten Fläche), um eben eine solche Entfaltung zu ermöglichen. Da aber die Möglichkeiten zur Nutzbarmachung nicht sehr rosig sind, bedeutet eine Vergrößerung der Bebauungseinheit Zusammenschluß vieler kleiner Einheiten. Ein solcher Zusammenschluß wird, wenn er auf der Grundlage des unbeschränkten Eigentumsrechtes an Grund und Boden zustande käme (was sehr unwahrscheinlich ist, denn die bisherigen Versuche haben sich als erfolglos erwiesen), das Problem der Unterbringung der überschüssigen Arbeitskräfte aufwerfen, da infolge des Zusammenschlusses die Dienste mancher Bauern sich erübrigen würden. Ohne die Lösung des Problems der überschüssigen Arbeitskräfte ist aber ein Zusammenschluß unmöglich, denn nur m i t Hilfe dieser Lösung ist die Versorgung dieser Arbeiter gesichert. Dies bringt uns aber zum Hauptthema Indiens, der Industrialisierung, zurück. I n Indien ist die Diskussion bezüglich der Größe des Bauernhofes unter dem Schlagwort „economic holding" auf der Grundlage eines individualistisch orientierten Bodensystems geführt worden. Zur Festlegung der Größe eines „economic holding" werden zwei Gesichtspunkte herangezogen. Einmal geht es um die Vollbeschäftigung eines Bewirtschafters, seiner Familie (5V2 Mitglieder der Familie, mit 2 bis 2V2 Arbeitsfähigen) und seiner „technischen Ausrüstung" (mindestens ein Pflug) — das ist der sogenannte „plough unit approach" —, zum anderen w i l l man den Beteiligten einen angemessenen Lebensstandard („a reasonable standard of living") sichern. Das „Congress Agrarian Reforms Committee" hat ein „economic holding" auf 4 ha geschätzt. Bei dieser Einschätzung ließ es sich hauptsächlich von dem „plough u n i t " Argument beeinflussen. Nach seiner Ansicht reicht ein 4-ha-Bauernhof aus, um einem Bewirtschafter, seiner Familie und der „technischen Ausrüstung" das ganze Jahr hindurch „Vollbeschäftigung" zu gewährleisten. Es hat jedoch eingesehen, daß Vollbeschäftigung nicht automatisch einen angemessenen Lebensstandard zur Folge hat; dieser hängt von der Bodenbeschaffenheit, der Bewässerung und Düngung, der A r t der Ernte und von den Preisen ab. Das „Congress Agrarian
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5. Kap.: Determinanten eines Bodensystems
Reforms Committee" unterließ es aber, eine Lösung dieses Konflikts herbeizuführen. Statt dessen beschäftigte es sich m i t einer unfruchtbaren, fehlerhaften und konfliktreichen Diskussion der Begriffe „suitable holding", „palpably uneconomic holding" und „basic holding". Eine Auseinandersetzung m i t diesen Begriffen ist hier nicht angebracht; w i r verweisen den Leser auf die S. 9, 21 und 22 des Reports dieses Komitees. Das „U. P. Zamindari Abolition Committee", welches sich zu diesem „plough unit"-Annäherungsversuch bekennt, hat bezüglich des obenerwähnten Konflikts eine klare Stellung zugunsten der Vollbeschäftigung bezogen, und zwar m i t der Behauptung, vom Standpunkt eines angemessenen Lebensstandards sei es nicht möglich, zu sagen „ . . . what area of land constitutes an economic holding" (s. S. 21 des Reports). Dieses Argument des Komitees ist nicht sehr überzeugend; es ist durchaus möglich, einen angemessenen Lebensstandard für die Bevölkerung eines Landes unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse dieses Landes festzulegen. Die Nichtberücksichtigung des Lebensstandardarguments kommt der Vernachlässigung des Effizienzeffektes der Beschäftigung gleich, was für ein industrialisierendes Land sehr gefährlich ist, w e i l die Industrialisierung auf Effizienzsteigerung beruht. I n der Tat w i r d auf diese Weise nie die Industrialisierung des Landes herbeigeführt werden können, da infolge ihres „niedrigen" Lebensstandards die Bauern freiwillig nie die erforderlichen agrarischen Industrialisierungsmittel aufbringen werden. Ein „economic holding", das Vollbeschäftigung ohne Effizienzerhöhung garantiert, ist vom Standpunkt der Industrialisierung des Landes nicht sehr sinnvoll. Zum Unterschied von den bisher genannten Komitees bestand das „Committee On Size Holdings" auf der Erfüllung beider Bedingungen bei der Festlegung der Größe eines „economic holding". Dies sollte uns jedoch nicht irreführen, denn diese Abweichung erfolgte nicht i m Interesse einer klaren Definition und V e r w i r k lichung von „economic holdings", sondern diente einem anderen Zweck. Ein solches „holding" interessierte dieses Komitee nur theoretisch, und zwar insofern, als es die Grundlage eines „ceiling" bilden sollte 7 . Das wahre Problem der Landwirtschaft, nämlich die Tatsache, daß sie die ihr auferlegte Rolle beim Ingangsetzen des Industrialisierungsprozesses nur unter bestimmten Bedingungen erfüllen kann, wurde von allen 7 M . B. Desai f ü h r t einen zusätzlichen G r u n d an, w a r u m dieser Versuch nicht geglückt ist. Er sagt: „The concept of an economic holding has not emerged sufficiently clearly largely because the discussions on the topic are overshadowed more b y w h a t is practical and expedient rather t h a n w h a t is appropriate for efficient agriculture and a reasonable standard of life for the peasants". Vergi. Technical Change I n I n d i a n Ariculture-Problems A n d Possibilities, i n : The I n d i a n Economic Journal, Vol. I l l , No. 3, January 1956, S. 279.
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Komitees übersehen. Ein gesamtwirtschaftliches Problem ist i n Indien als individualwirtschaftliches angesehen und behandelt worden, was eine Verlangsamung des Industrialisierungsprozesses zur Folge hat. Keines dieser Komitees kam auf die Idee, daß angesichts des fundamentalen Ungleichgewichts i n der Landwirtschaft Indiens die „economic holdings" auch i n der Größe von 4 ha nicht zu errichten sind. Würde man dies trotzdem versuchen, so müßte man Millionen von Bauern enteignen, ohne zu wissen, wo und wie man sie unterbringen könnte.
IV. Zusammenfassung Unsere bisherige Diskussion befaßte sich m i t der Frage der objektiven Bedingungen und Möglichkeiten zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Gleichzeitig wurde der Versuch unternommen, klar herauszustellen, was diese Bedingungen bezüglich des zukünftigen Bodensystems implizieren. Zusammenfassend können w i r sagen, daß für Indien nur der gemeinwirtschaftliche Weg i n Frage kommt, da auf diese Weise dem gesamtwirtschaftlichen Charakter des zu lösenden Problems am besten entsprochen wird. W i r d dieser Fragenkomplex weiter unter dem Gesichtspunkt des Transferierungsproblems betrachtet, so w i r d dadurch dieser Schluß nur noch bestätigt und verstärkt, denn ohne die Wirkung der öffentlichen Hand ist das Transferierungsproblem (wie z.B. durch Naturalabgabe, Preisschere) nicht zu lösen. Die Einflußnahme der öffentlichen Hand kollidiert aber m i t dem individualwirtschaftlichen Prinzip. W i r werden also zu prüfen haben, welches Bodensystem für Indien angesichts unserer Analyse geeignet ist.
Sechstes
Kapitel
Die Frage der Form der zukünftigen indischen Bodensysteme
Sklaverei und Feudalismus sind i n einer „socialistically patterned society" und dazu i m 20. Jahrhundert undenkbar, unmöglich und unzumutbar. Die Einführung solcher Systeme bedeutet nur noch einen Rückschritt i n das A l t e r t u m und Mittelalter, einen Schritt, den w i r nicht nur Indien, sondern allen Entwicklungsländern ersparen wollen. Außerdem stehen diese Systeme i m Widerspruch zum gemeinwirtschaftlichen Prinzip. Eine Transferierung des Überschusses kommt hier nicht zustande, da die Sklavenhalter und die Feudalherren ihn einfach aufzehren würden. Die Errichtung des Großbauerntums ist ebenfalls unratsam, und zwar aus folgenden Gründen: (a) Das Großbauerntum ist auch ein privatwirtschaftliches System und steht als solches i m Widerspruch zum gemeinwirtschaftlichen Prinzip. U m die „economies of scale" zu ernten, kann der Großgrundbesitzer eine Mechanisierung vornehmen, obgleich, wie w i r schon festgestellt haben, sie unter den gegenwärtigen Verhältnissen Indiens nicht zu verantworten ist. Den Großgrundbesitzer geht aber das Ganze nichts an; er ist nur an seiner Gewinnerzielung interessiert und w i r d von diesem Motiv geleitet. Das Argument, daß die Mechanisierung eine leistungsfähige Industrie voraussetzt und daß beim Fehlen dieser Industrie die Landwirtschaft nicht mechanisiert werden kann, h i l f t uns nicht, denn der Grundherr kann seinen Bedarf an landwirtschaftlichen Maschinen durch Import decken. Eine Verpachtung des Bodens an die einzelnen Bewirtschafter wäre möglich, aber nicht empfehlenswert, da sie i n Indien alle Übel des Zamindari-Systems wiederholen würde. Eine Regulierung und Reform des Verpachtungssystems wird, wie auch schon oben angeführt, nicht gelingen. Außerdem kommt es darauf an, die Verpachtungsinstitution zu beseitigen, den Boden an die Bewirtschafter zu verteilen und nicht diese Institution noch einmal sozusagen durch die Hintertür einzuführen.
6. Kap.: Die Frage der Form der zukünftigen indischen Bodensysteme (b) Durch die Errichtung des Großbauerntums w i r d die Zahl der landlosen Arbeiter auf dem Lande steigen. A u f dem Lande landlos zu sein bedeutet aber unter den jetzigen Verhältnissen i n den meisten Fällen auch, arbeitslos zu sein. M i t der Arbeitslosigkeit w i r d das Problem der Versorgung dieser Leute auftauchen. Privatwirtschaftlich — etwa durch die Großgrundbesitzer — ist diese Aufgabe nicht zu lösen, da dadurch der Gewinn sinken würde. Sie können nur durch die öffentliche Hand versorgt werden, dem Staate fehlen aber die M i t t e l dazu. (c) Die Errichtung des Großbauerntums w i r d eine Verstärkung der bereits i n hohem Maße bestehenden sozialen Spannungen m i t sich bringen, da dadurch die Zahl der Besitzlosen erhöht würde. Nicht die Verschärfung dieser Spannungen, sondern ihre Verminderung, die Beseitigung der Zwietracht und Uneinigkeit und die Herbeiführung der Harmonie auf dem Lande soll das Ziel einer Bodenreform sein. (d) Die Errichtung des Großbauerntums erleichtert auch das Transferierungsproblem nicht, denn i n den meisten Fällen w i r d der Überschuß nicht für produktive, sondern für konsumtive Zwecke verwendet. Es ist bekannt, daß die Zamindars i n Indien nicht sehr „investitions"freudig gewesen sind. Außerdem besteht die Gefahr der Wiederentstehung des Weiterverpachtungssystems und der Institution der M i t telsmänner, die den Überschuß verzehren, ohne dabei etwas Produktives getan zu haben. Die Abschaffung dieser Institution ist i n Indien angesichts des kleinen Angebots an und der hohen Nachfrage nach Boden sehr schwierig. Die reale Gefahr, daß der Überschuß einfach verzehrt wird, würde m i t der Errichtung des Großbauerntums in Indien heraufbeschworen. Unter indischen Verhältnissen ist die Einführung von Bauerntum auch undenkbar, da sie notwendigerweise Kleinbauerntum bedeutet. Dieses Ziel haben die indischen Bodenreformen auch i m Auge gehabt. Schon die A r m u t der heute i n Indien lebenden Bauern läßt aber Zweifel an der Ratsamkeit dieses Systems entstehen. Da man sich auch für eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion interessierte und die Bauern zu arm sind, die Verbesserungsmaßnahmen selbst zu treffen, war man gezwungen, verschiedene Hilfsaktionen (wie ζ. B. der Appell an die Bauern, ihre Werkzeuge zu verbessern, die Qualität des Saatgutes zu steigern, für eine bessere Düngung und Bewässerung zu sorgen, Pflanzenkrankheiten zu bekämpfen usw.) zu organisieren. Diese Versuche scheiterten aber an der A r m u t der indischen Bauern. Der von der indischen Regierung erdachte Ausweg des Kredits konnte laut der offiziellen „ R u r a l Credit Survey" niemals die Probleme der Bauern oder der Landwirtschaft lösen. A l l dies ist oben zur Sprache gekommen und braucht nicht wiederholt zu werden. Selbst wenn diese
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6. Kap.: Die Frage der Form der zukünftigen indischen Bodensysteme
Maßnahmen m i t Erfolg durchgeführt worden wären, wäre angesichts der „Größe" der Bebauungseinheit i n Indien (60 v. H. aller indischen Bauernhöfe sind Betriebe mit einer Höchstfläche von 1 ha) ihr Effekt sehr bescheiden gewesen, denn auf solchen kleinen Bauernhöfen kommen sie nicht zu ihrer vollen Entfaltung 1 . Es ist auch angeführt worden, daß die Versuche zum Zusammenschluß dieser Bauernhöfe auf der Grundlage der Aufrechterhaltung des Eigentumsrechtes keine Erfolgsaussichten haben. Wegen der Notwendigkeit, das Interesse der einzelnen an der Bebauung zu sichern, erscheint uns die Einführung des Bauerntums zwar am zweckmäßigsten; sie scheitert aber an den Gegebenheiten Indiens. Ein weiterer Nachteil des Bauerntums ist es, daß seine Einführung das Transferierungsproblem nicht erleichtert. Unter diesem System kann der Überschuß entweder durch Einkommensteuer oder durch eine Preisschere oder durch eine Kombination dieser beiden Methoden transferiert werden. Prüft man aber die praktischen Möglichkeiten zur Anwendung einer dieser Methoden, so muß man feststellen, daß die Aussichten nicht sehr günstig sind. Zur Anwendung dieser Methoden ist es nämlich notwendig, daß das Produkt auf den M a r k t gebracht und dort verkauft wird. Diese Voraussetzung fehlt aber i n Indien, denn die Bauern bringen nur das Notwendigste auf den Markt. Angesichts der Steuerfreigrenze (3000 bis 3600 Rupien pro Familie pro Jahr) ist jedoch das Fehlen dieser Vorbedingung belanglos, da das Einkommen des überwiegenden Teils der Bauernschaft ohnehin schon unter dieser Grenze liegt. Vom Einkommensteuergesetz werden die meisten Bauern gar nicht erfaßt. Man könnte aber auch den Weg der Preisschere gehen. Dazu ist jedoch zu bemerken, daß, wenn die Preisschere zu sehr zuungunsten der Bauern geöffnet wird, die Bauern sofort m i t Produktionseinstellung bzw. Produktionsminderung antworten würden, da für sie zur Produktionssteigerung kein Anreiz mehr vorhanden wäre. Ohne Produktionssteigerung ist aber i n Indien kein landwirtschaftlicher Uberschuß zu erzielen. Hinzu kommt die Tatsache, daß zur willkürlichen Öffnung der „Schere" ein Eingriff des Staates i n das w i r t schaftliche Geschehen notwendig w i r d ; die Preisbildung kann also nicht mehr den Regeln des Angebots und der Nachfrage unterworfen sein. Ohne Kontingentierung w i r d ein solcher Eingriff i n Indien keinen 1
Vgl. dazu Driver , P. Ν., a.a.O., S. 185 bzw. S. 212. E r sagt: „. . . to accept peasant proprietorship to-day is to h u g illusions and ignore the stark realities of the economic situation." A u f S. 212 heißt es weiter: „ I f our end is material prosperity our means cannot be peasant proprietorship or the theoretical t a l k of l i b e r t y w h i c h i n a poor country is nothing more than the l i b e r t y to die of starvation." E r ist der Meinung, daß n u r kooperative Bebauung einen Ausweg aus dem Dilemma bietet. Vgl. S. 230 u n d chapters X I und X I I .
6. Kap.: Die Frage der Form der zukünftigen indischen Bodensysteme Erfolg haben. Diese Kontingentierung muß mindestens auf die Produkte ausgedehnt werden, die die Bauern benötigen, denn sonst w ü r den sie direkt m i t den Verkäufern dieser anderen Güter handeln. Außerdem muß die Tendenz berücksichtigt werden, daß eine am Rande des Hungers lebende Bevölkerung eine große Neigung zur Steigerung des Verbrauchs zeigt, so daß unter diesen Umständen kaum noch Hoffnung auf die Lösung des Transferierungsproblems besteht. I n der Tat scheint uns das Bauerntum das am wenigsten geeignete Bodensystem zur Lösung des landwirtschaftlichen Problems Indiens zu sein, denn bei diesem System fehlen nicht nur die objektiven Bedingungen zur Produktionssteigerung, sondern auch die Voraussetzungen zur Transferierung des Überschusses. Die anderen zwei Arten von Bodensystemen (das kooperative und das kollektive) sind beide zur Lösung des Problems geeignet. Durch diese Methoden werden die bisher festgelegten objektiven Bedingungen zur Produktionssteigerung unter indischen Verhältnissen am besten erfüllt: sie sind gemeinwirtschaftlicher A r t , beide bieten Vorteile des Großbetriebes und des gemeinsamen Handelns, i n beiden ist die Möglichkeit der W i r k u n g der öffentlichen Hand größer als i n allen anderen Systemen, was das Transferierungsproblem erheblich erleichtert. Wenn dies aber so ist, dann wäre zu entscheiden, welche von diesen Methoden die geeignetere zur Lösung des Problems Indiens ist. Die A n t w o r t auf diese Frage hängt vom Grad des Opfers ab, den die Landwirtschaft i m Dienste der Industrialisierung auf sich nehmen soll. Die Kollektivierung ist der Weg des größt- und höchstmöglichen Opfers, die kooperative Methode dagegen nicht. Falls die indischen Bauern dazu verpflichtet oder verdammt werden sollten, das größtmögliche Opfer auf sich zu nehmen, dann w i r d die Kollektivierung unvermeidlich. Trifft das aber nicht zu, so reicht möglicherweise schon die kooperative Methode. Die Frage, w o r i n das Opfer besteht, haben w i r schon diskutiert. Hier ist nur die A n t w o r t auf die Frage fällig, was den Grad des Opfers bestimmt. Die A n t w o r t ist u. a. von folgenden Bedingungen abhängig: (1) vom Ausmaß des schon erbrachten Überschusses; (2) vom geplanten Tempo der Industrialisierung; (3) vom Ausmaß der auswärtigen Hilfe, gleichgültig, wie sie geleistet w i r d (in Geld- oder Naturalform, über Handel oder durch Geschenke). Es w i r d nun vielleicht erwartet, daß w i r auf Grund der Betrachtung dieser Punkte festlegen können, ob i n Indien ein größtmögliches Opfer
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6. Kap. : Die Frage der Form der zukünftigen indischen Bodensysteme
erforderlich ist oder nicht. Dazu sind w i r aber nicht i n der Lage, da w i r über den erforderlichen Maßstab für eine solche Entscheidung nicht verfügen. I n diesem Zusammenhang wäre ein Vergleich dieser Punkte mit der Ausgangssituation jenes Landes, das die Kollektivierung zuerst einführte, von Nutzen. Indien ist heute etwas besser industrialisiert als die Sowjetunion i m Jahre 1917. Das Problem des Industrialisierungstempos i n Indien ist von dem Problem des Tempos i n der Sowjetunion verschieden, und zwar i n zweierlei Hinsicht. Während die Sowjetunion seinerzeit einen kleineren Vorsprung der bereits industrialisierten Länder als heute Indien einzuholen hat (trotz der Rückständigkeit der Sowjetunion von 1918 gegenüber Indien der fünfziger Jahre), kann sich Indien jetzt einer besseren Technik als damals die Sowjetunion bedienen. Der Vorsprung ist größer, die Möglichkeit der Erzielung eines größeren Tempos ist aber auch gestiegen. Ausschlaggebend für die Sowjetunion war jedoch die totale Isolierung des Landes; es fehlte ausländische Unterstützung. Als Folge dieser Isolierung mußte die ganze Wucht der Mittelaufbringung auf die einheimischen Arbeitskräfte, besonders auf die Bauern, fallen. M i t der Isolierung wurde für die Sowjetunion die Kollektivierung zu einer historischen Notwendigkeit. I m Falle Indiens sind aber die Tore der meisten Länder geöffnet; das Ausland ist bereit, zur Verringerung der ursprünglichen Last der Industrialisierung beizutragen. Es ist deshalb nicht notwendig (wie es i n der Sowjetunion der Fall war), das Äußerste von den Arbeitenden, besonders von den Bauern, zu verlangen und zu erzwingen. Hinzu kommt, daß ein so großes Opfer nicht mehr zumutbar ist, ja sogar vom indischen Staat nicht verlangt werden darf, weil er sich zur Humanität bekennt und i m Begriff ist, ein Wohlfahrtsstaat und eine „socialistically patterned society" zu werden. Aus diesen Gründen kommt für Indien eine Kollektivierung nicht i n Betracht. A n dieser Schlußfolgerung ändert auch der Umstand nichts, daß heute i n der Sowjetunion der Kolkhozniki etwas Land besitzt und es bewirtschaftet. Jedoch möchten w i r etwas über das Wesen der Kooperation sagen. Eine echte Kooperation bedeutet den Zusammenschluß der i m Eigentum verschiedener Personen befindlichen Bodeneinheiten und deren gemeinsame Bewirtschaftung. Alle anderen Arten von Kooperation — etwa auf dem Gebiet des A n - und Verkaufs von Getreide, von Samengut, von Düngemitteln, von Werkzeugen, auf dem Kreditgebiet usw. — werden nur dann wirksam sein, wenn gleichzeitig das kooperative Prinzip auch i m Bereich der eigentlichen Bewirtschaftung verwirklicht wird. P. N. Driver hat schon i m Jahre 1949 darauf hingewiesen; auch die Geschichte der „cooperative movement" i n Indien bestätigt und beweist das Gesagte. Ein Zusammenschluß der Fläche ist aber ohne Beschränkung des Eigentumsrechtes (etwa die Entziehung des Ver-
6. Kap. : Die Frage der Form der zukünftigen indischen Bodensysteme fügungsrechtes) nicht möglich. Eine Beschränkung des Eigentumsrechtes bedeutet aber nicht seine Aufhebung. Die von uns hier i n Aussicht genommene Beschränkung w i r d freilich etwas weitgehender sein als ζ. B. die Beschränkung des Eigentumsrechtes der Bauern i n Deutschland laut § 1018 BGB. A u f der Grundlage des Freiwilligkeitsprinzips ist i n Indien weder der Zusammenschluß der Fläche noch eine gemeinsame Bewirtschaftung zu erreichen 2 . Die von O. Schiller i n Indien und Pakistan mit Erfolg durchgeführten Experimente sind einzelne Musterexemplare, denen alle möglichen Erleichterungen zugrunde lagen 3 . Diese Experimente gelangen unter Bedingungen, die nicht allgemein vorhanden sind. Die Regierungen dieser Länder sind nicht i n der Lage, die Erleichterungen, die sie den Bauern bei diesen Experimenten gewährten und welche die Grundlage der Schillerschen Erfolge bildeten, auf einer breiten Basis, d. h. allen Bauern, zur Verfügung zu stellen; denn, wären sie i n einer solchen Lage, so gäbe es kaum ein landwirtschaftliches Problem. Die M i t t e l und der Boden sind i n Indien sehr knapp; durch vereinzelte Experimente ist diese Knappheit nicht abzuschaffen. Die Kooperation selbst ist auch nur eine Notlösung; eine echte Lösung des Problems bietet nur die Industrialisierung des Landes. Zum Schluß möchten w i r noch darauf hinweisen, daß w i r absichtlich auf eine nähere Beschreibung der kooperativen Methode verzichten, da nach der Festlegung der allgemeinen theoretischen Bedingungen die Aufgabe nur noch praktischer A r t ist. Bei der Organisation von „co-operative farms" w i r d man freilich gezwungen, die regionalen Verhältnisse bezüglich der Bodenbeschaffenheit, der Topographie, der Wasserversorgung, des Vorrates an Werkzeugen und Geräten, der Bevölkerungsdichte, des Druckes der Bevölkerung auf die Landwirtschaft und sonstiger ähnlicher Bedingungen Rücksicht zu nehmen. Dies ist immer eine ziemlich differenzierte Angelegenheit; eine Gleichmacherei ist weder von uns beabsichtigt, noch wäre sie angesichts der regionalen Verhältnisse ratsam.
2 Vgl. dazu Driver , P. Ν., a. a. O., S. 254. E r sagt: „ V o l u n t a r y cooperative farming on the principles of a continuance of private ownership of land is an utter impossibility." Vgl. weiter Thorner , D., a.a.O., S. 83. Er meint: „ U n t i l property rights are ended, co-operatives won't stand a chance of w o r k i n g out successfully. Either they w i l l fail or they w i l l be dominated by the maliks (Eigentümer — Κ . L.) and their friends." M. L . Dantwala w i r d dagegen n u r dann kooperative Bebauung einführen lassen, w e n n sie f r e i w i l l i g ist. Vgl. Co-operative Farming: Views A n d Reviews, i n : The I n d i a n Economic Journal, Vol. V, No. 1, J u l y 1957. 3 Vgl. Schiller , O., Co-operative F a r m i n g and I n d i v i d u a l Farming on Cooperative Lines, New Delhi 1957; Agrarverfassung u n d Agrarreform i n I n dien, i n : Berichte über Landwirtschaft, Ν . F. Bd. 37, Heft 2.
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