222 115 20MB
German Pages 195 [204] Year 1923
HANDBÜCHER DER STAATLICHEN MUSEEN ZU BERLIN
DIE MUSIKINSTRUMENTE INDIENS UND INDONESIENS Z U G L E I C H E I N E E I N F Ü H R U N G IN DIE I N S T R U M E N T E N K U N D E VON
CURT SACHS ZWEITE
AUFLAGE
MIT 117 A B B I L D U N G E N IM TEXT U N D EINER KARTE
BERLIN UND LEIPZIG 1923
VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER W A L T E R DE G R U Y T E R & CO.
VERLEGER
Druck der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co., Berlin W. 10.
Vorwort zur ersten Auflage as indische Musikinstrumentarium ist bisher weder von ethnologischer noch von musikwissenschaftlicher Seite im Zusammenhang erforscht und geschildert worden. Nur einzelne Ausschnitte haben eine mehr oder minder eingehende Behandlung erfahren; so — um nur die wichtigsten zu nennen — das südliche Vorderindien durch C. R. D a y , das französische Hinterindien durch G. K n o s p , Java durch J. G r o n e m a n undBengalen in kleineren Arbeiten durch S. M. T a g o r e , dem eine große Zahl europäischer Instrumenten- und Völkerkundesammlungen das Wesentliche der nordindischen Tonwerkzeuge zu verdanken hat. Da überdies von deutscher Seite überhaupt noch nicht das Wort ergriffen worden ist, hat die Generalverwaltung aer Königlichen Museen den unterzeichneten Vertreter der Musikwissenschaft mit der Bearbeitung der besonders reichen Sammlung indischer Instrumente im Berliner Völkerkundemuseum beauftragt. Der Verfasser folgte der Aufforderung zum Abfassen eines Handbuches um so lieber, als gerade die Instrumente der indischen Welt vom Fünfstromland bis hinüber zum Malaiischen Archipel das kulturgeschichtliche und ethnologische Bild dieser Ländermassen in hervorragender Weise vertiefen können, darüber hinaus aber auch einen orientierenden Überblick über die gesamte Instrumentenkunde zu geben vermögen. Die Bearbeitung des Materials konnte daher so gefaßt werden, daß sie zugleich eine — bisher fehlende — Einführung in die Instrumentenwissenschaft darstellt. Dies Handbuch stützt sich auf einen beschreibenden Katalog der indischen Instrumente im Kgl. Völkerkundemuseiam, der von mir ebenfalls im Auftrag der Generalverwaltung verfaßt ist und veröffentlicht werden wird, sobald es die politischen Umstände gestatten. Die doppelte Verwertung des gleichen Materials berechtigte und verpflich-
Vorwort
IV
tete mich zur grundsätzlichen Scheidung der Darstellungsarten. Im K a t a l o g ist von jedem Hinweis auf Zusammenhänge abgesehen und der T e x t auf reine Beschreibungen beschränkt; dafür ist das Handbuch, das ja auf einen weiteren Leserkreis rechnet, nach Möglichkeit mit Beschreibungen verschont worden. Die systematische Grundlage bildet hier wie dort die von mir gemeinsam mit E. M. v. H o r n b o s t e l (Zeitschrift für Ethnologie 1 9 1 4 , p. 553 ff.) aufgestellte Klassifikation der Musikinstumente. Meine Schreibung der einheimischen Namen weicht aus Gründen der möglichsten Gleichmäßigkeit und Unzweideutigkeit in einzelnen Punkten von den.meist üblichen Transkriptionen ab; der K u n d i g e muß sie ohne weiteres verstehen, der Unkundige mag sich an die beigegebenen Aussprachebezeichnungen halten. Der Verwaltung des Museums kann ich für die Förderung dieses Handbuchs nicht genug danken, vor allem dem Direktor der Asiatischen Abteilung, Herrn Prof. Dr. G r ü n w e d e l ; für stets gern und gründlich erteilte Auskünfte sprachwissenschaftlicher Natur bin ich den Herren Dr. S t ö n n e r und Dr. J ö r g e n s e n , beide an der gleichen Sammlung, verpflichtet. B e r l i n , im August 1 9 1 4
Dr. Curt Sachs
Vorwort zur zweiten Auflage ie vorliegende Auflage ist im wesentlichen unverändert.
D
Nur die Ergebnisse neuester Arbeiten, vor allem meiner Katalogisierung der birmanisch-assamischen Instrumente im Münchener Museum für Völkerkunde (Sachs, Die Musikinstrumente Birmas und Assams im K . Ethnographischen Museum zu München, Sitzungsberichte d. K g l . Bayer. Akad. d. Wissenschaften, Phil.-phil. u. hist. Klasse, München 1 9 1 7 ) sind einbezogen. B e r l i n , 30. Juni 1 9 2 1
Prof. Dr. Curt Sachs
Inhaltsverzeichnis Vorwort Abkürzungen der häufigsten Sprachennamen Einleitung Gepräge des indischen Instrumentenwesens S. i. — Orchester S. 2, .— Instrumentenbau S. 6. I. Idiophone Schlag-Idiophone Unmittelbar geschlagene Idiophone S. 13. — Mittelbar geschlagene Idiophone S. 43. Zupf-Idiophone (Maultrommeln) II. Membranophone (Trommeln) Schlagtrommeln Kesseltrommeln S. 57. — Rahmentrommeln S. 61 — Röhrentrommeln S. 65. Zupftrommeln Reibtrommeln (Waldteufel) Blastrommeln (Mirlitons) III. Chordophone Einfache Chordpphone (Zithern) Stabzithern S. 82. — Röhrenzithern S. 95. — Floßzithern S. 102. — Brettzithern S. 103. Zusammengesetzte Chordophone ! Lauten S. 106. — Harfen S. 138. IV. Aerophone. Flöten Ohne Kernspalte S. 142. — Mit Kernspalte S. 148. Schalmeien Oboen S. 153. — Klarinetten S. 157. — Schalmeien mit Durchschlagzungen und Freie Durchschlagzungen S. 161. Trompeten Schneckentrompeten S. 167. — Röhrentrompeten S. 169. Exkurse zur Beschreibung der indonesischen Metallophone, Gongs und Gongspiele Saron S. 174. — Gongs S. 174. — Bonnañ S. 175. Stimmungen der wichtigsten Saiteninstrumente Register
S a c h s , Musikinstrumente.
b
Seite III VI ι
13 13 50 54 54
77 79 80 82 82
105 141 141 152
i67
174 176 180
Abkürzungen der häufigsten Sprachennamen ann. bat. beng. birm. bojp. bug. day. U
g J· hind. jav. kamb kann. kä§m.
= = = = = = =
= =
=
= = =
annamitisch batakisch bengali birmanisch bojpuri buginesisch däyakisch gujarati hindüstäni javanisch kambojanisch kannaresisch (kanada) káámiri
läot. laotisch = mak. = makassarisch mal. = malaiisch malay. = malayäjam mar. maräthi = panj. = panjäbl präkr. = präkrit sanskr. = sanskrit sant. = santal! siam. = siamesisch tarn. tamil. tel. telugu.
Einleitung. Die Musikinstrumente entwickeln sich an allen Orten der Welt von rein gesellschaftlichen zu rein ästhetischen Faktoren. Der Grad dieser Entwicklung steht im umgekehrten Verhältnis zur K r a f t der Überlieferung. Bei uns selbst können wir noch aus recht neuer Zeit feststellen, wie etwa die Trompete nur im Dienst regierender Herren und freier Reichsstädte und ausschließlich von privilegierten, zunftmäßig zusammengeschlossenen, reitenden Bläsern gespielt werden durfte, wie sie nach der Aufhebung des Gewerbezwanges im Anfang des 19. Jahrhunderts immer noch kraft der Tradition das Signalinstrument der berittenen Truppen bleibt und von der Infanterie in gleicher Weise durch das Signalhorn ersetzt wird, wie in alten Zeiten von den Stadtpfeifern durch den Zinken; wir sehen sie aber daneben schon seit über zweihundert Jahren im großen Orchester sitzen, zunächst nur für besondere Prunkstücke als Gast zu dritt oder viert mit den Pauken auf einer besonderen Bühne über den gewöhnlichen, profanen Instrumenten, dann in allmählicher Einpassung als gleichgestelltes Glied des Orchesters unter dauerndem Verblassen der assoziativen und stetem Erstarken der rein ästhetischen Funktion: die Trompete ist aus einem »Instrument des Königs« ein »königlich klingendes Instrument« geworden. Das indische Instrumentenwesen steht in dem gleichen Zeichen; nur, da das Stammesgedächtnis lebhafter, das Volksleben unterschiedener ist, stehen die Tonwerkzeuge noch näher dem sozialen als dem ästhetischen Pol. Die unaufhaltbare Ästhetisierung, die gleichbedeutend ist mit der Zerstörung wertvoller Kulturgüter und der Verwischung eigenartiger Gepräge, wird der Kulturhistoriker um so mehr bedauern, als sie nicht die Frucht organischer Weiterbildung, sondern europäischer Aufpfropfung ist. Sie findet ihren peinlichsten Ausdruck in dem zunehmenden Einspringen schlechter abendländischer Instrumente für traditionelle einheimische; besonders im Süden macht die Sarañgí mehr und Sachs,
Musikinstrumente.
2. A u f l .
I
2
Einleitung.
mehr der Violine [Abb. 89], die Mukavina der Klarinette Platz, und nicht selten wartet die Mêla, das einheimische Blasorchester, statt mit Mukavina, Nägaäuram und Sruti mit abgelegten Klarinetten, Flöten und Piccoli auf. Im Vergleich fallen Spielereien wie die bengalischen Verbindungen einheimischer Lauten mit dem Resonanzkörper und dem Zubehör der Violine kaum ins Gewicht, und gar die Anleihen, die schon in älterer Zeit das Instrumentarium des malaiischen Archipels bei dem seiner spanischen und portugiesischen Herren gemacht hat, vermögen das Gesamtbild nicht zu trüben. Immerhin beweisen all diese Erscheinungen, daß bei dem großen Nachahmungstalent der Inder die vielgerühmte orientalische Zähigkeit nicht imstande sein wird, den so unendlich reichen Besitz an Musikinstrumenten zu wahren, und daß in nicht zu ferner Zeit der europäische Hobel auch hier alle Eigenzüge wird abgetragen haben. Vorläufig hat aber das indische Instrumentenwesen noch sein besonderes Gepräge, und das will sagen, die traditionelle B e d e u t u n g der indischen Instrumente steht noch mehr im Vordergrund als ihre musikalische L e i s t u n g s fähigkeit. Fast jedes Tonwerkzeug gehört zu gewissen Gegenden, Stämmen, Kasten, Ständen, Berufszweigen, Ämtern, Würden und Gelegenheiten und verhält sich in dieser Hinsicht zu den abendländischen nicht anders als die differenzierende indische Tracht zur nivellierenden europäischen. Die nordindische Vlnä hat nur wenig mit der südindischen zu tun, die pañjabischen Gegenschlagstäbe gehören ausschließlich der Suthrä-Kaste an, die anamitische Stieltrommel wird den Mandarinen voraufgetragen, der Nahabat kommt nur besonders privilegierten islamischen und Hindü-Edelleuten zu, die Sanduhrtrommel damaru und die Kürbis-Doppelklarinette nur Schlangenbändigern, die Handglocke und die Aufschlagplatte khämsya sind dem Gottesdienst vorbehalten. Hand in Hand hiermit geht die Zusammenfassung gewisser Instrumente zu Gruppen oder Orchestern, die ihrerseits — im Gegensatz zum einheitlichen abendländischen Orchester — streng auf besondere Stämme, Klassen und Gelegenheiten beschränkt sind. Man macht sich davon den richtigen Begriff, wenn man etwa an die Mandolinen-Guitarrenensembles der italienischen Wandermusikanten, an die nach bestimmten Überlieferungerj zusammengestellten K a pellen der einzelnen militärischen Waffengattungen und an die weihnachtlichen Pifferari-Runden Süditaliens denkt. Man vergleiche von vorderindischen Zusammenstellungen etwa
Einleitung.
SafardäT Nahabat Nahabat (1 Paar) SärangT oder Nägarä (2 Paar) Violine (2) eventuell noch an- Mrdañga oder dre Trommeln Tablä (1) Karnä (1) Sackpfeife (1) Türi (1 oder 2) Becken (1 Paar) Becken (1 oder 2 Paar) Nägasuram (1 oder 2) Sruti (1 oder 2) eventuell Schnabelflöte (1 Paar)
3 Ba Jana Tamburi (2) Sârangï oder Violine (2) Mädalä (1) Tamburi (1) Sârangï (1) Mädalä (1) [Abb. 89] Sruti (i) Sitär (1) Tablä (1 Paar)
Sitär (1) Täla (1 Paar) Tablä (1 Paar). Im Nahabat, der heute freilich arg verkleinerten R e präsentationsmusik der Großen, haben wir ausschließlich Blasinstrumente, Kesseltrommeln und Becken, westliche Einfuhrartikel, die wie alles Persische an den Höfen Indiens hoch im Kurs standen. Die Tonwerkzeuge der SafardäT, die den Nä£ (Bayaderen) als Begleitung dienen, sind dagegen überwiegend einheimisch; die fakultativ an Stelle des altehrwürdigen Mrdañga zugelassene westasiatische Tablä macht einen durchaus unzugehörigen Eindruck. Dazwischen sehen wir in den Bajänä's, denen die Musik bei den einzelnen Versammlungen der Kasten obliegt, Zusammenstellungen altindischer und persischer Instrumente mit dem Schwerpunkt bald nach der einen, bald nach der anderen Seite. Ahnliche Bilder entstehen in Hinterindien und Indonesien. Bei den hinterindischen Nationen, bei denen ja die alte Staatenbildung einheitlichere Kulturen begünstigt hat, nähert sich das Orchesterwesen dem europäischen. Die Zusammenstellungen sind für orientalische Verhältnisse sehr groß und unterscheiden sich im wesentlichen durch die Ausschließung oder Einbeziehung der Saiteninstrumente, je nachdem sie für Musiken im Freien oder im geschlossenen Raum bestimmt sind. Unsere Abbildungen birmanischer, siamesischer und kambojanischer Kapellen [Abb. 1—.j] vermitteln die Bekanntschaft mit den wesentlichsten Kombinationen. Im Archipel gibt es wieder eine Unzahl nach Stämmen und Gelegenheiten verschiedener Zusammenstellungen. So haben allein die Atjeh auf Sumätra vier verschiedene Orchesterarten: das Suliñ-Orchester, aus 1 Flöte, 1 Trommel
6
Einleitung.
und 2 Gongs, für die Stiergefechte, das Gôndëran-Orchester aus 2 Faßtrommeln und I Oboe, für die Züge zu den heiligen Gräbern, das Haröbab-Orchester, aus einem Rëbâb und 2 oder mehr Trommeln, für die Pan tun's (Heldengesänge) der Atjeh, und das Violinorchester, aus ι europäischen Violine, 5 oder 6 Rahmentrommeln und ι Gong, für die Begleitung der malaiischen Pantun's. Daneben begegnet aber auf J a v a die sonderbare Erscheinung eines umfangreichen Normalor^hesters, das in zwei Formen zwei Entwicklungsstufen des javanischen Tonsystems darstellt. Diese Formen sind der Gamëlan salèndro und der Gamëlan pèlog. Im ersten, archaischen, sind alle Instrumente, Xylophonstäbe, Flöten, Oboen usw., derart gestimmt, daß die Oktave in fünf gleiche Stufen zerfallt, im zweiten, moderneren, derart, daß auf die Oktave sieben ungleiche Stufen kommen; statt unserer wechselnden Ganzund Halbtöne finden wir also im pentatonischen Salèndro system durchweg 6¡¡l im heptatonischen Pèlogsystem kleinere Töne. Diese Trennung könnte für die vorliegende, grundsätzlich morphologiáche Arbeit bedeutungslos sein, wenn sie nicht eben auf die Gestalt der Instrumente Einfluß hätte : Pèlog-Xylophone haben mehr Stäbe, Pèlog-Flôten mehr Grifflöcher als Salèndro-Xylophone und Salèndro-Flôten usw. Es mag mit dem hohen Alter des javanischen Orchesters [Abb. 5, 6] zusammenhängen, daß eine besondere Tradition in der Verfertigung der Gamëlaninstrumente existiert. Auf Java gibt es Handwerker, die tatsächlich all diese Tonwerkzeuge —• mit Ausnahme der metallenen — herstellen, die also in einer Person die Gewerbe von Geigen-, Flöten-, Oboen-, Zithern- und Xylophonmachern vereinigen. Im übrigen kann von einem eigentlichen Instrumenten bau als selbständigem Gewerbe im modern-europäischen Sinne in Indien kaum die Rede sein Soweit es sich um Naturvölker handelt, schnitzt sich ein jeder selbst sein Gerät, und eine der ostbengalischen Zupf trommeln im Museum, deren 'Hauptbestandteil eine Konservenbüchse ist, zeigt, daß man mit den Mitteln nicht immer wählerisch ist. Diese Völker stehen auf der Stufe des Knaben, der sich im Weidengebüsch einen passenden Ast aussucht und aus dem abgehauenen Holz nach uraltem Rezept seine Pfeife schnitzt. Die vorderindischen Kulturvölker haben die Arbeitsteilung auch auf ihre Musikinstrumente ausgedehnt, und selbst so urwüchsige Lärmwerkzeuge wie die kleinen Korbrasseln aus Palmblättern entstehen nicht unter den Händen der Hindükinder, die sich ihrer bedienen, sondern werden schon fertig vom Stamme der Kaftjär geliefert. Freilich findet man auch
bei diesen Kulturvölkern kaum eigentliche Instrumenten·
8
Einleitung.
Spezialisten. Gerade wie in Europa noch im neunzehnten Jahrhundert der Instrumentenbau fast ausschließlich im Nebenfach von den Meistern verwandter Handwerke wahrgenommen wurde, der Flötenbau also von Drechslern, die Trompeten- und Paukenfabrikation von Schmieden und Klempnern, die Lautenerzeugung von Tischlern usw., so ist auch in Indien die Herstellung von Tonwerkzeugen kaum jemals von der Herstellung andrer Gegenstände des_gleiehen Materials verschieden. Die Topographie des Instrumenten baus ist daher von den besonderen Bedingungen des Handwerks durchaus abhängig, vor allem von den Rohstoffen, deren Gewinnung an bestimmte Gegenden gebunden ist, und von der hier und da etwa vorhandenen Tradition ihrer Bearbeitung. Wenn Tanjore für g m Südindien der Hauptplatz des Mrdañga- und Särindäbaus ist, so hat es das seinem Reichtum an Brotfruchtbäumen (Artocarpus integrifolia) zu verdanken; Channapatna versorgt als alte Pflegstätte der Drahtzieherei das ganze südliche Indien mit feinen Metallsaiten, und der schwunghafte Trommelfellexport der Kaftjär ist die moderne, ins Wirtschaftliche umgeschriebene Form eines uralten Trommelkultus. Metall ist das einzige Material, das eine eigene, oft als Geheimnis von Geschlecht zu Geschlecht überlieferte Kunst der Bearbeitung verlangt, um überhaupt einen musikalisch brauchbaren K l a n g herzugeben. Die Schwierigkeiten der richtigen Mischung, des ausreichenden Schlagens und des sorgfältigen Stimmens haben an vielen Orten zur Errichtung eigener Gießhütten, namentlich für Gongs, geführt [Abb. 19]. Birma und J a v a mit der berühmten Gongstadt Sémárañ stehen hier obenan. Asien ist in der Herstellung dieser Instrumente derartig leistungsfähig, daß es selbst der europäischen Industrie bisher nicht gelungen ist, in Wettbewerb zu treten; wer bei uns brauchbare Stücke haben will, muß sie sich aus dem Orient, aus Indien oder China, beschaffen. Die ideale Klangkraft, Klangschönheit und Stimmungsreinheit der Gongs wird freilich kaum von andern Instrumenten der indischen Welt, namentlich nicht von den Saitenund von den Luftinstrumenten, auch nur annähernd erreicht. E s ist j a klar, daß Nichtspezialisten selten ein eigenes Interesse für das rein musikalisch Erforderliche aufbringen. Der Drechsler wird sich mehr für das kunstgerechte Abdrehen, für das phantasievclle Ausschnitzen, der Tischler mehr für das untadelige Schneiden und Zusammenfügen der Holzteile als für das Aufsuchen der akustisch wirkungsvollsten Abmessungen einsetzen. Überall da, wo künstlerisch wirklich hohe Ansprüche gestellt werden, etwa bei der Vlnä, muß der
Musiker selbst nachhelfen.
Einleitung.
Bis zu einem gewissen Grade fehlt auch in den Gegenden, die uns hier beschäftigen, das Bedürfnis für Qualität. Die Instrumentalmusik hat längst nicht die Bedeutung der unseren, da sie theoretisch wie praktisch hinter dem Gesang· zurücktritt; sie ist im wesentlichen —soweit es sich um Innenräume handelt — auf Begleitung und im Freien auf derbere Wirkungen beschränkt. Es ist aber vielleicht noch ein tieferer Grund da : je größer die Fähigkeit desSpielers, um so nebensächlicher die Qualität des Instruments. Das erscheint widersinnig, trifft aber für die Verhältnisse exotischer Natur- und Kulturvölker allgemein zu. Jede technische Vervollkommnung steht in Wechselwirkung mit einem Nachlassen der Kunstfertigkeit. Man sieht den primitiven Flötisten auf dem, einfachen, un-
12
Einleitung.
bearbeiteten Rohr dasselbe, ja häufig mehr erreichen als den kultivierteren auf der sorgsam geschnitzten Schnabelflöte und den jüngeren Sackpfeifer kaum das gleiche wie den urwüchsigeren Schalmeier, der noch den Mund als Windsack gebrauchen muß. Ebenso begreift der heutige Klarinettist mit seinen Dutzenden von Klappen, Rollwalzen, Brillen und Hilfshebeln kaum recht, wie vor 130 Jahren Mozarts Konzert auf der damaligen Klarinette überhaupt hat ausgeführt Werden können. Der indische Bläser braucht keine peinlich abgestimmte oder genau gebohrte Flöte. Wie falsch die roh eingebrannten oder eingeschnittenen Grifflöcher sein mögen, die Mundstellung una Atemdosierung kompensieren von selbst alle Fehler, und der geschickte Spieler vermag auf dem minderwertigsten Instrument rein zu blasen. Im Gegenteil: wenn die Inder eine Zeitlang — wie es heute bereits geschieht — moderne europäische Tonwerkzeuge, Klarinetten, Oboen u. dgl. geblasen haben werden, muß es sich zeigen, daß die Benutzung dieser durch ihre verhältnismäßige Güte den Spieler bevormundenden Instrumente die eigentliche orientalische Blaskunst mit ihren feinen melodischen Nuancen, ihren Vierteltönen und kaum wahrnehmbaren »Bebungen« vernichtet. Die nationale Kunst all dieser exotischen Natur- und Kulturvölker verlangt Instrumente, die — darf man sagen — schlecht genug sind, um sich in allem dem spontanen Willen des Spielers unterzuordnen und ihn nie durch den Willen des Verfertigers einzuengen.
I. Idiophone. Schlag-Idiophone. Die Instrumentalmusik nimmt ihren Ausgang vom menschlichen Körper selbst: die Hände, die bei Tanz und Gesang im Rhythmus klatschend zusammenschlagen, sind das urwüchsigste Klangwerkzeug. Im Weißen Y a j u r v e d a werden die Händeklatscher (pänighna) sogar als eigene indische Musikantengruppe aufgeführt. A u f einer höheren Stufe der Entwicklung wird die Hand durch ein Gerät ersetzt: wie für die arbeitende Hand das Werkzeug, für die kämpfende die W a f f e einspringt, so für die musizierende das Instrument. Es entsteht das. was unsere Wissenschaft als G e g e n s c h l a g s t ä b e bezeichnet. Jede Hand hält einen kurzen Stab aus geeignetem Holz, der taktmäßig gegen seinen Zwilling geschlagen wird, so daß ein kurzer, trockener, aber durch seine Präzision für rhythmische Zwecke gut brauchbarer Klang entsteht. Gegenschlagstäbe sind noch heut bei vielen Naturvölkern in Mikronesien, Australien, im Kongogebiet und am Senegal und selbst bei den indischen Kulturnationen erhalten. Maläka (sok yet)1 und Annam (cai cac [sprich kai tschak]) 2, seltener das südliche Vorderindien haben den Stäben ihre ursprüngliche Bestimmung, das rhythmische Begleiten der altüberlieferten Tänze und Gesänge gelassen. Soweit hier Kulturvölker in Betracht kommen, also bei den Annamiten und den Drävida, sieht man die Stabpaare noch in den Händen der ausübenden Tänzerinnen selbst, so wie sie von den Gopl im Reigen zu Kräna's Flötenspiel geschlagen werden. Das nördliche Vorderindien hat sie aus dem tätigen Leben verstoßen; sie sind in der Ebene des Ganges und der 1 W. W. S k e a t & C. 0. B l a g d e n , Pagan Races of the Malay Peninsula, London 1906, II 121, 126, 131, 134. — Zeitschrift für Ethnologie X X V I , 172. 2 V. Ch. M a h i l l o n , Catalogue descriptif et analytique du Musée instrumental du Conservatoire royal de Musique de Bruxelles, vol. III. Gand 1900, p. 242.
I. Idiophone.
14
Y a m u n a in diejenigen Daseinsformen übergegangen, die für ausgediente Kulturgegenstände bezeichnend sind, in Faqlrgeräte und Kinderspielzeuge ; der pafijäbische Name ist geradezu dandä suthrät d. h. »Stock der Suthrä (Bettelmönche)«. Dieser zweihändige Stabtypus ist in Vorderindien 25—45 cm lang, gleichmäßig rund oder ausgedrechselt und schwarz gebeizt oder bunt nach A r t unserer KrocketZielstäbe gestrichen. Aus ihm haben sich jüngere, einhändige Formen entwickelt. Die Hindu haben vierkantige, beiderseits zugeschärfte und verspitzte Eisenstäbchen in Wetzsteinform 1 (sanskr. beng. khattäli [spr. k'attali]), 15—20 cm lang und 1—-2 cm dick, die wie unsere Kastagnetten paarweise in einer Hand" gehalten und zusammengeschlagen werden; in geschickten Händen sind sie sehr wirksam. Die Siamesen verbinden dagegen schlanke, fußlange Rundhölzer durch eine Schnur. Die Treffebene runder Gegenschlagstäbe ist, geometrisch ausgedrückt, nur ein Punkt. Eine Vergrößerung der Angriffsfläche zweier Hölzer muß den K l a n g naturgemäß ausgiebiger machen ; das wird erreicht, wenn für die Stöcke Plättchen eintreten. Wörtliche Übersetzungen der Gegenschlagstäbe in Geg e n s c h l a g p l a t t e n , wie sie heute namentlich das chinesische Instrumentak o m m e n auf b a ' er f k Í T ^ u a Í ) r i u m b i e t e t ' indischem apper { tappuanj. ß 0 ( j e n n^jjt vor. Alle Lösungen sind hier phantasievoll und zum größten Teil besonders elegant. Hierher gehört die geschmackvolle Plattenbündelklapper der Siamesen 2 (krap puañ [spr. puang]): zwei dicke, plankonvexe Außenhölzer mit beiderseits auswärts geschweiften Enden und vie dünne, flache Holzplättchen zwischen ihnen sind auf eine gemeinsame Schnur gereiht [Abb. 7]. Diese Entwicklungslinie zweigt dann in eine Sackgasse ab, die zum annamitisch-tonkinesischen Cat ban ñac3 [spr. njak] (»Tafelklapper«) führt: drei rot und golden lackierte Hartholzplatten sind durch Scharniere verbunden; die mittelste, fast einen Meter lange, stellt den Leib, den Kopf und den Schwanz eines Drachens dar; die äußeren, etwas kürzeren bilden die Flügel und sind in Vertiefungen der Mittelplatte eingepaßt; beim Aneinanderschlagen der Teile unterstützt 1 2 3
Schrank 19. Schrank 54. Schrank 57.
Schlag-Idiophone.
15
das G e k l i n g e l außen, a n g e b r a c h t e r Schellen' den K o n k u s s i o n s k l a n g [ A b b . 8], V o r d e r i n d i e n h a t diese Entwicklung nicht mitgemacht. Seine B r e t t k l a p p e r n sind u n g e f ü g e , z w e i h ä n d i g e , v o n der eigentlichen Kunstübung längst weggestellte Faqirgeräte, meist in F o r m hölzerner Hobel mit Handhabe und 2 — 1 0 Paar eingelassener K l i n g p l ä t t c h e n (sanskr. b e n g . karatäla »Handklapper«, m a r ä t h l hindüst. pari], kartäl, t e l u g u citikelu [spr. t s c h i t t i k e l u ] , k a n n , citikè), die b i s ins T e l u g u gebiet hinab nachgewiesen werden können [ A b b . 9]. W e i t a b e n t e u e r l i c h e r i s t v eine ' V V e r w a n d t e bei den M u n d ä r i in C h ö t ä Nägpur, die »Dapla« (populär-hindüst. dhaplâ, dafll, daflf p a ñ j . dafrl, da fri, daphla, » R a h m e n t r o m m e l « ) : an den b e i d e n E n d e n Jt¿) pW eines H o l z b ü g e l s sind r u n d e H o l z p l a t t e n CU b e f e s t i g t ; z w e i gleiche, d u r c h einen H a n d griff v e r b u n d e n e sind d a r ü b e r d e r a r t a u f den B ü g e l gereiht, d a ß der Spieler d a s I n s t r u m e n t oben a m B ü g e l h a l t e n u n d m i t d e m b e w e g l i c h e n P l a t t e n p a a r d a s feste schlagen k a n n x . S c h o n f r ü h m u ß eine z u f ä l l i g eing e s p a l t e n e B a m b u s r ö h r e ihre besondere L ä r m k r a f t gezeigt haben; wird die eine H ä l f t e a b g e b o g e n , so schnellt sie vermöge ihrer E l a s t i z i t ä t m i t großer G e w a l t zurück, R a n d schlägt gegen R a n d , u n d die in der R ö h r e eingeschlossene L u f t s ä u l e unters t ü t z t das k n a l l a r t i g e G e r ä u s c h als R e s o n a t o r . Diese E r f a h r u n g h a b e n die B i r m a n e n in ihrem Vä-letk-yot* (»BambusH a n d - K l a p p e r « ) [Abb. I, 2 ] Abb. 9. VorAbb. 8. Tonkinev e r w e r t e t . D e r unterste Teil derindische sische Rasselklapeines B a m b u s i n t e r n o d i u m s ist Klapper (kaper (cai ban ñac). u n v e r s e h r t , der f o l g e n d e bis r a t a l a ) · 1 : 1 *· e t w a z u r M i t t e des G a n z e n g a b e l a r t i g a u s g e s c h n i t t e n u n d der R e s t g e s p a l t e n , der Spieler
J
1 2
Schrank 17. Schrank 43.
I. Idiophone.
faßt das Instrument an der ausgeschnittenen Stelle mit beiden Händen oder auch Füßen 1 , zieht die abgespaltenen Rinnen auseinander und läßt sie wieder zusammenschlagen. Auch Läo kennt es 2. In ganz ähnlicher Weise befestigen die jungen Mädchen von Süla-Bési (Molukken) am Webstuhl, also wohl am Rietblatt (Schlagbaum), Bambussegmente {aufèia) 3, bei denen nur ein schmaler Ring in der Mitte unversehrt ist, die Wände aber bis fast an die Enden ausgeschnitten und im letzten Teil gespalten sind; jeder Schlag löst dann einen Knall aus. Es ist also eine Signalvorrichtung wie das schrille Glöckchen, das bei der Schreibmaschine das Zeilenende angibt. Gute Kenner von Land und Leuten wissen über ihren Zweck Belustigendes zu sagen. Nach ihren Berichten wird sie als Gradmesser des weiblichen Fleißes gewertet; je tüchtiger ..die Weberin, um so rascher die Folge der Signale, und heiratslustige Mädchen versäumen nicht, durch Hinzufügen einer Schelle ihre Arbeitskraft noch eindringlicher zu empfehlen 4 . Diese Rinnenklapper hat einst auch in Europa eine gewisse Rolle gespielt. Das Altertum kannte Crotala aus eingespaltenen Rohren, und in Miniaturen des spanischen Mittelalters, das ja an asiatischen Rudimenten reich ist, begegnet öfter ein sonderbares Instrument, das sich am ehesten als eine Art doppelseitiger Rinnenklapper von der Art der Aufeda deuten ließe. Die höchste Stufe erreicht die Klapper in der besonderen Form der Gefäßklapper. An Stelle der Stäbe, Platten und Rinnen schlagen hier zwei Hohlgefäße mit oder ohne Tellerrand gegeneinander. Sie bieten zwei ununterbrochene Schlagflächen mit ausgiebigen Resonanzräumen. Jedermann kennt die Hauptgruppe dieser Klangwerkzeuge von unserm europäischen Orchester her als B e c k e n . Es wäre verlockend, auch sie als die Artefizierung, als die künstliche Nachahmung und Weiterbildung eines Naturerzeugnisses anzusprechen. Nirgends auf der Welt aber existiert ein natürliches Beckenpaar, etwa aus den. Hälften einer Kokosnußschale, aus Schädeldecken oder Schildkrötenpanzern. Die malaiischen und melanesischen Fischer locken zwar die Haie mit großen gabel- oder tennisschlägerartigen Sistren an, auf deren eingeklemmter Querstange 1 J. N i s b e t , Burma under British Rule — and before, Westminster, 1901, II 304. — C. S a c h s , Die Musikinstrumente Birmas und Assams im K . Ethnographischen Museum zu München (Sitzungsberichte d. K . Bayer. Ak. d. Wiss., Phil.-phil. u hist. Klasse), München 1917, S. 6. 2 A. R a q u e z , Pages laotiennes, Hanoi 1902, p. 153. 3 Schrank 105. 4 J. A. L o e b è r , Het weven, 1901, p. 4.
Scblag-Idiophone.
17
oder Bügel die Hälften von Kokosnußschalen gegeneinander schlagen [Abb. 10]. Allein einen organischen Zusammenhang zwischen diesen Apparaten und den stets metallenen Becken zu konstruieren, darf man vor der Hand nicht wagen. In diesem Falle spricht manches dafür, daß die Schale erst mit der Herstellung aus Metall die Schwelle zum Musikinstrumentarium überschritten hat. Es ist nämlich zu beachten, daß die Becken überhaupt nur einem beschränkten Völkerkreis angehört haben und angehören, demjenigen nämlich, der im Altertum den gemeinsamen zentralen Komplex mythologischer Vorstellungen hatte, also den Anliegern des Mittelländischen Meers, den Vorderasiaten, Indern und Ostasiaten. In der Kosmogonie all dieser Nationen fallen Becken und Becher als Symbole zusammen, und das Wesen dieser Symbole, auf das hier im einzelnen einzugehen zu weit führen würde, macht es recht wahrscheinlich, daß die Trinkschale älter ist als die Klangschale. Im indischen Mythos schlägt sie ViSnu zu Brahmä's Trommel, wenn Isvara, der Vernichter, in Chidambaram mit der Todesgöttin Bhadrakäll um die Wette tanzt 1 , Rävana, der Oberste der Nachtgeister, hält sie in der unheilbringenden H a n d 2 , und die sirenenhaften A b b . 1 0 . Malaiische HaiKinnarl's locken mit ihrem Klingelrassei. 1 :11. ton ins Verderben 3. Nacht und Zerstörung, alles Böse und Feindliche kleidet sich in den Klang der Becken; daher denn auch die Becken zu ihrer Abwehr die rechte Waffe sind; mit ihnen entzaubern die Griechen die Seele der abgeschiedenen Gerechten von der Gewalt übelwollender Dämonen, mit ihnen befreien sie bei Mondfinsternissen die mit den bösen Mächten ringende Selene und im Frühling die von Pluton ins Totenreich entführte Persephone, so wie die Phrygier den Lenzgott Attys 1
B . Z i e g e n b a l g , Genealogie der malabarischen Gottheiten, M a dras 1 8 6 7 , p. 2 8 3 . 2 1. c., ρ 1 9 1 . 3 V g l . die Darstellungen v o n K i n n a r l ' s in den a l t b u d d h i s t i s c h e n Höhlen v o n A î a n t â , ed. G r i f f i t h s , L o n d o n 1 8 9 6 , I 1 1 u n d plate 60. S a c h s , Musikinstrumente.
2. Aufl.
2
ι8
I. Idiophone.
mit Hörnern und Becken r u f e n U n d wie Persephone durch die Becken aus dem Dunkel erlöst wird, so kehrt im indischen Mythos die schöne Sita, von dem Beckengeist Rävana in die Nacht gerissen, am Wintersende strahlend zurück. Die Annamiten, die von ihren großen, halbmeterweiten Nao bat das eine künstlich einreißen, um deii Ton noch grauenhafter und höllischer zu machen 2, führen nur ein Mystisches greifbar in den ästhetischen Aggregatzustand über. Angesichts dieser innigen Beziehung zum indischen Geistesleben ist den Becken in der musikalischen Praxis ein bevorzugter Platz geblieben. Fast alle Aufwartungen stehen ihnen offen; aber dem aufmerksamen Auge wird nicht entgehen, daß sie ihre »Kaste« haben; namentlich das nördliche Vorderindien hat sie noch ausschließlich religiösen Gelegenheiten vorbehalten, die Simhalesen auf Ceylon zählen sie unter die fünf heiligen, den Hëvisi-kâraya anvertrauten Tempelinstrumente 3 , und die Drävida wie die Hinterinder haben sie größtenteils, wenn nicht dem Tempel, so dem ihm in gewissem Sinne verwandten Theater überwiesen; die eigentlichen profanen, nach festen Regeln zusammengestellten Orchester, wie das annamitische und das kambojanische (mohori), schließen sie meist nicht ein. Bezeichnenderweise fehlen sie trotz zum Teil sehr hochstehender Bronzetechnik in Maläka und Indonesien, da die Malaien erst spät und nur in geringem Umfang dem oben umschriebenen Kulturkreis angeschlossen wurden. Den Europäer, der mit den Becken kaum anderes als Lärmeffekte der gröbsten A r t . zu erzielen vermag, dürfte die außerordentliche Mannigfaltigkeit rhythmischer und dynamischer Möglichkeiten überraschen, die sich dem Inder aus der Fülle der Größen, der Formen und der Handhabungsarten erschließen. Die Verschiedenheit der Wirkungen läßt sich im wesentlichen auf zwei Spielmanieren zurückführen, auf das 'eirhte 1 F. A . L a m p e , D e cymbalis veterum, Trajecti ad Rhenum 1703. — [R. E l l y s ] Fortuita sacra, Rotterodami 1727. — F . N o r k , E t y mologisch-symbolisch-mythologisches Real-Wörterbuch, Stuttgart 1843, I 232. 2 G. K n o s p , Über annamitische Musik, Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft V I I I 151. 3 A . K . C o o m a r a s w a m y , Mediaeval Sinhalese art, BroadCampden 1908, p. 26. — D i e kanonische F ü n f z a h l der Instrumente — wohl im Anschluß an die fünf G r u n d k r ä f t e der Welt — spielt im ganzen Vorderindien eine gewisse Rolle; allerdings ( v g l . z. B . M. A . M a c a u l i f f e , The Sikhs Religion, Oxford 1909, I 99) handelt es sich' häufig nicht um T y p e n , sondern um Klassen, und zwar um die menschliche Stimme, Wind-, Saiten-, Leder- und Metallinstrumente.
Schlag-Idiophone.
19
Gegeneinanderzitternlassen der Ränder, mit einem stetigen Klang wie dem der elektrischen Klingel, und auf das wirkliche Zusammenschlagen. Daraus ergeben sich für die äußere Form zwei Typen. Die Klingeltechnik braucht Flächen, die ausgiebig zusammentreffen können; die Klingelbecken werden daher am liebsten mit Buckel und plattem Rand gemacht. Aufeinanderschlagende Flächen können dagegen nicht recht klingen, weil sie sich gegenseitig in der freien Schwingung behindern; die eigentlichen Schlagbecken werden folglich nach Möglichkeit Flächen vermeiden, Randschärfe gegen Randschärfe schlagen lassen und durchaus gewölbt sein. Diese Zweiteilung geht unbeschadet aller Varianten durch ganz Indien. Die Klingelbecken sind in Vorderindien (sanskr. beng. hindüst. hindi maräthl pañjabl jhänflia, Jhäüjh, JhänJ [spr. dschandsch], sanskr. beng. täla [tali = Händeklatschen], pali tälo, hindüst. hindi maräthl täl, tamij malay. tälam, telugu tälaniu, kannaresisch täla, simhal. taliya) bald ganz plattrandig mit starkem Buckel, bald leichtgewölbt mit zentraler Spitze; in Hinterindien schließen sich Asäm (gäro kakva) 1 und Siam [cap [spr. tschap]) an, während Birma (ya gvin) und Annam-Tonkin (cai nao bat) Becken mit Buckel und aufgebogenem Rand haben, die in Ostasien den herrschenden Typus bilden und nach chinesischer Überlieferung 2 aus Indien stammen. Die eigentlichen Schlagbecken haben in Vorderindien (sanskr. beng. maniirä, augment, mahämandirä »große Mandirä«, piallavi, hindüstanl hindi manßrä [spr. mandschira], maßrä, pañjabí me/ra3 [spr. medschra], maräthl Jhallri, kann. tel. fhallari, tam. callari malay. fhalli) gleichmäßig konische Wölbung mit oder ohne Buckel, in Siam {ciA [spr. tsching]), ebenfalls konische Wölbung mit buckelartigem Profil, in Asäm (gäro neñilsi)4, in Birma (than Ivin) und in Kamboja (¿luñ) 5 Halbkugelform [Abb.i u. 2]. Den Gegenschlagstäben, die den ersten Abschnitt eingeleitet haben, stehen am Anfang dieses zweiten die A u f s c h l a g s t ä b e gegenüber. Jene waren wie die beiden Hände A. P l a y f a i r , The Garos, London 1909, p. 44. A. C. M o u l e , A List of the Musical and other Sound-Producing Instruments of the Chinese, Jour. North China Branch R. A . S. 1908, X X X I X 24. — S a c h s , Die Musikinstrumente Birmas und Assams im Κ . Ethnographischen Museum zu München, München 1917, S. 7 f. 3 Β. H. B a d e n P o w e l l , Hand-Book of the Manufactures and Arts of the Punjab, Lahore 18'2, II 278. 4 P l a y f a i r , a. a. 0 . 45. 5 G. K n o s p , Rapport sur une Mission officielle d'Étude musicale en Indochine, Leiden (1911), p. 118. 1
2
2*
I. Idiophone.
20
paarweise a n e i n a n d e r g e s c h l a g e n w o r d e n . U n t e r Aufsch'.ags t ä b e n v e r s t e h e n w i r H o l z s t ä b e , die n i c h t p a a r w e i s e a u f t r e t e n und sich n i c h t in die K l a n g b i l d u n g m i t einem Z w i l l i n g teilen, sondern einzeln d u r c h A u f s c h l a g e n z u m T ö n e n g e b r a c h t w e r d e n . D a s k a n n auf die v e r s c h i e d e n s t e A r t u n d W e i s e geschehen. E i n i g e V ö l k e r , die Melanesier v o n N e u g u i n e a ζ. B . , schlagen sie auf die H a n d f l ä c h e , andere, wie die J a p a n e r , auf den B o d e n ; in der R e g e l a b e r b e a r b e i t e t m a n sie s e l b s t m i t einem kleinen Schlägel. In allen F ä l l e n ist also der eine der b e i d e n z u s a m m e n t r e f f e n d e n K ö r p e r b e w e g t , der a n d r e u n b e w e g t , der eine klingend, der andre n i c h t k l i n g e n d . D a der Spieler s t e t s n u r einen einzigen G e g e n s t a n d z u b e w e g e n h a t , so lassen sich die A u f s c h l a g s t ä b e leichter u n d geläufiger h a n d h a b e n als die G e g e n s c h l a g s t ä b e ; da ferner beim Z u s a m m e n t r e f f e n z w e i e r K ö r p e r u n t e r allen U m s t ä n d e n ein klarerer, eindeutigerer K l a n g erzielt w e r d e n m u ß , w e n n n u r der e i n e k l i n g e n d ist, so h a t a u c h darin der A u f s c h l a g s t a b v o r d e m G e g e n s c h l a g s t a b einen V o r s p r u n g . D a r a u s e r g i b t sich f ü r beide A r t e n eine v e r s c h i e d e n e Laufbahn. Jene kommen ü b e r d a s S t a d i u m der rein r h y t h m i s c h e n K l a n g w e r k z e u g e n i c h t heraus, diese d a g e g e n h a b e n sich einen e h r e n v o l l e n P l a t z u n t e r den M u s i k instrumenten höherer Art erobert. Eine lange E n t w i c k l u n g f ü h r t schließlich zu den reifen Xylophonen. s t e h t auf einer der ersten S t u f e n Abb Ii Asá mische SchlagS c h l a g r u t e , die m a n ihrem Ä u ß e r e n n a c h rute. i s i i . k a u m f ü r e i n _ M u s i k i n s t r u m e n t halten w ü r d e [ A b b . 11]. A s ä m , im N o r d w e s t e n Hinterindiens, k e n n t ein r u t e n a r t i g im g r ö ß e r e n T e i l seiner L ä n g e fein z e r s p a l t e n e s B a m b u s s e g m e n t , e t w a eine Elle l a n g x , d a s v e r m u t l i c h gegen den K ö r p e r des Spielers oder a u c h paarweise g e g e n e i n a n d e r g e s c h l a g e n w i r d . D a s ents t e h e n d e G e r ä u s c h s e t z t sich a u s z w e i v e r s c h i e d e n e n , in der W i r k u n g allerdings z i e m l i c h z u s a m m e n f a l l e n d e n E i n z e l g e räuschen z u s a m m e n : d e m der u n m i t t e l b a r a u f s c h l a g e n d e n S t ä b e u n d d e m der m i t t e l b a r infolge der B e w e g u n g gegeneinandergeschlagenen. E i n e solche R u t e , deren e i n f a c h e r B a u eine einst g r o ß e V e r b r e i t u n g v o r a u s s e t z e n l ä ß t , ist h e u t e n u r noch a n w e n i g e n S t e l l e n einer s ü d ö s t l i c h v o n A s ä m abgehenden Linie zu Haus. Im Zentrum steht das südliche Celébes; die R u t e erreicht hier eine L ä n g e v o n 1
Schrank 38.
Schlag-Idiophone.
21
w e i t ü b e r z w e i M e t e r n ( m a k a s s a r i s c h bülo sïya-sïya, buginesisch bülo pasëya-sëya) u n d w i r d bei K r a n k h e i t e n , B e s c h w ö r u n g e n , k u r z überall, w o es böse D ä m o n e n z u v e r t r e i b e n gilt, g e b r a u c h t , in der R e g e l als A u f s c h l a g - , hier u n d da, ζ. B . in V a j o , als Gegenschlaginstrument. A m Ostende der Linie steht Hawai (püili) ; a u c h d o r t in P o l y nesien kommen beide S c h l a g a r t e n , einzeln gegen den Körper und paarweise gegeneinander, v o r Übrigens ist die.Schlagrute im A b e n d l a n d nicht unbekannt. Minoriten und K a puziner wurden noch im 18. J a h r h u n d e r t m i t einer derartigen Holzrute durch Schläge gegen die T ü r gew e c k t 2 ; die G r o ß e T r o m m e l h a t t e im gleichen J a h r h u n dert eine R u t e als linken Schlägel; K o m p o n i s t e n unserer Zeit, u. a. S t r a u ß und M a h ler, lassen f ü r besondere Wirkungen eine B i r k e n rute gegen die Z a r g e der G r o ß e n Abb Trommel schlagen. · I 2 · Toradja-Mädchen mit Rerré. E i n e raffinierNach Grubauer, Unter K o p f j ä g e r n . tere Abart mag als A u f s c h l a g g a b e l . b e z e i c h n e t w e r d e n
[ A b b . 1 2 ] ; das B a m -
1 C. S a c h s , Real-Lexikon der Musikinstrumente, Berlin 1913, p. 307 b. 2 F. B o n a n n i , Gabinetto armonico, Roma 1722, p. 159.
I. Idiophone.
22
bussegment wird nicht fein zerspalten, sondern im größeren Teil seiner Länge gabelartig ausgeschnitten; in dem nichtausgeschnittenen, zum Anfassen bestimmten Teil sind einander gegenüber zwei Löcher eingebohrt; der Apparat wird wie eine Stimmgabel gegen die Handwurzel geschlagen und der K l a n g durch Decken der beiden Grifflöcher nach Wunsch vertieft. Es handelt sich also um eine sehr interessante Kombination : nicht nur der aufschlagende Bambus klingt, sondern auch der mitschwingende Luftraum, der im Griff eingeschlossen ist; dieser wiederum erfährt durch Öffnen oder Schließen seiner Löcher eine Änderung des Volumens und demgemäß der Tonhöhe. Durch die Mitwirkung schwingender L u f t wird die Klangfarbe ein wenig flötenartig und die Tondauer größer, als wenn nur der Bambus klänge. Das seltsame Instrument wird in einem rechten Winkel angetroffen, der von Maläka (geñgoA sakai)1 über Tonapuh (tulumpe), Zentral-Celébes (:rerré), Buton (ore-orê) 2 , Talaut, Bañgai (ta uto) 3 zu den Philippinen (buncácan) zieht. Stehen diese zweitönigen Gabeln auf der Schwelle zwischen den rein rhythmischen und den melodischen Instrumenten, so wird diese Schwelle, wenn auch zaghaft, überschritten durch die Art, wie man in Maläka und andernorts jene Stäbe oder Röhren verwendet, die auf den Boden geschlagen oder gestoßen werden. Die Eingeborenen Maläka's schneiden sich aus Bambus Sätze von dreimal zwei einseitig durch die Wachstumsknoten geschlossenen Stampftrommeln oder — wissenschaftlich korrekter ausgedrückt — Aufschlagröhren, denen sie den heiteren Namen »Zankbambusse« (din teñkhiñ) geben. Das größte Paar, die Bässe, sind die männlichen (límol) oder Väter (kuyn), die mittleren die weiblichen (këdol) oder Mütter (gendê'); die kleinen Soprane, die in der heutigen Musikübung meist keine Stelle mehr haben und höchstens für einen beschädigten Verwandten einspringen, sind die Kinder (kgnoñ). Die vier Röhren werden auf zwei Spieler verteilt; jeder nimmt in die linke Hand einen Vater, in die rechte eine Mutter und stößt sie mit dem verschlossenen Ende gegen einen Holzklotz oder gegen den nackten Boden. In einfachen Rhythmen, in viertönigen Melodien begleiten sie den Gesang 4 . Ähnliche Aufschlagröhren, von den Ethnologen häufig »Tapzstäbe« genannt, sind auf melanesischem, 1 H. B a l f o u r , Report on a Collection of Musical Instruments from the Siamese Malay States and Perak. Fasciculi Malayenses, Anthropology II a, p. 14. 2 E l b e r t , Die Sunda-Expedition, Frankfurt a. M.. 1911, I 268. 3 Schrank 106. 4
ôkeat
& B l a g d e n , 1. c. i j i ,
34,141.
Schlag-Idiophone.
23
polynesischem, nordwestbrasilischem und ostafrikanischem Boden in Gebrauch. Im Norden bei den Laoten stehen solche Aufschlagröhren im Mittelpunkt eines sonderbaren Orchesters. Der Anführer stößt mit jeder Hand ein unten geschlossenes Bambussegment gegen den Boden. Um die ernsten und vollen Klänge dieser großen Stampfröhren ranken sich die leichten Tonarabesken eines Geläuts von etwa zwanzig kleineren, abgestimmten Bambussen, die auf ebensoviel Männer verteilt sind und mit Hartholzstäbchen geschlagen werden 1 . Dieser Chor von Bambusabschnitten führt in die dritte und wichtigste Handhabungsart der Aufschlagstäbe und -röhren. Nachdem wir sie gegen den Körper schlagen und gegen den Erdboden haben stoßen sehen, zeigt er uns Hölzer mit Schlägelperkussion. Es gibt da eine Unzahl Varianten: den einfachen Bambusstab (cai sin [spr. sinj]), den der annamitische Bettler zwischen den Zehen hält, um ihn mit einem Hartholzstäbchen in jeder Hand zu schlagen 2 ; die meterlangen Bambusabschnitte der Sion Sémañ in Maläka, deren offenes Ende Abb. 13. »Holztrommel« mit dem zusammengefalteten Blatt v o n (kol-kola), mit der Palaspalme (licúala) geschlagen Schlägel. 1 : 7. w i r d 3 usw. Auf all diese Dinge kann hier um so weniger eingegangen werden, als sie unter den Beständen des Museums nicht vertreten sind. Selbst die sogenannte Holztrommel (malaiisch kalah, Dialekt von Kisser kol-kola), eine an beiden Enden geschlossene Schlagröhre mit einem Schallschlitz in der Wand, kann nur nebenbei erwähnt werden, da sie innerhalb Indiens in keiner Weise die dominierende Stellung einnimmt, die ihr in der Südsee, in Amerika und in Afrika zufällt. Eine Schlitztrommel v. d. Nord-Philippinen bildet Jagor ab. Die Malaien verwenden sie, aber auch nur als Signalinstrument der Nachtwächter und Feldhüter. Die Mehrzahl ist daher nur aus einem etwa fußlangen Bambusinternodium geschnitten [Abb. 13]. In Birma wird eine kleine hölzern*3 Schlitztrommel mit angeschnitztem Griff benutzt 4 . Ausgehöhlte Baumstämme wie in jenen andern Erdteilen kommen seltener 1 2 3 4
R a q u e z , 1. c. K n o s p , Rapport etc. p. 63. S k e a t & B l a g d e n , 1. c. 122. S a c h s , Musikinstrumente Birmas S. 9.
I. Idiophone.
24
vor. D a s Museum besitzt einen solchen maläkischer H e r k u n f t m i t den charakteristischen Nasen an den E n d e n 1 . Diese ganze Gruppe tritt endlich in die Familie der vollgültigen, melodischen Z w e c k e n dienstbaren Musikinstrumente über. Genau wie wir später beobachten werden, daß verschieden abgestimmte, aber nur eines einzigen Tones fähige Pfeifen nebeneinandergebunden und nun in der H a n d eines einzigen Spielers als Panpfeifen zu einem vieltonigen, melodisch v e r w e r t b a r e n Instrument werden, so bindet m a n schließlich die a b g e s t i m m t e n Bambussegmente, die w i r im laotischen Orchester ein jedes v o n einem eigenen Spieler bedient sahen, leiterförmig nebeneinander und läßt sie wie die T a s t e n des K l a v i e r s v o n einer einzigen Person anschlagen. Diese Vereinigung mehrerer a b g e s t i m m t é r Holzstäbe oder -röhren nennen w i r X y l o p h o n . D a s Tjaluñ der J a v a n e n 2 kann uns als ausgezeichnete Illustration dienen: elf bis vierzehn bis fast zur Mitte rinnenartig ausgeschnittene B a m b u s s e g m e n t e — genau wie sie in L ä o einzeln geschlagen werden — sind wie die Sprossen einer Strickleiter in zwei Schnüre g e k n o t e t [Abb. 14]. D e r Spieler bindet das eine Ende der L e i t e r unten an einen B a u m , das andere an sein K n i e . Freilich, so anschaulich an diesem Beispiel die Zusammenschließung einzelner Hölzer z u m X y l o p h o n ist, die A n f ä n g e des T y p s liegen nicht hier." D a s T j a l u ñ mit seinen zahlreichen, sorgfältig abgestimmten und verschnürten Röhren steht auf einer nichts weniger als primitiven Stufe. W i l l m a n die Anfänge aufsuchen, so k o m m e n Gebilde wie das Koñkoñ der Oràrt B ë l ë n d a s und der Oran Mëntëra auf M a l ä k a in Frage. E s werden aus W e i c h h o l z vier ungefüge, p l a n k o n v e x e Bohlen geschnitten, an den Enden k u r z v e r s p i t z t und v o n zwei auf dem B o d e n einander gegenübersitzenden Spielern auf den ausgestreckten Beinen g e h a l t e n 3 . V o n einer B e f e s t i g u n g der K l a n g s t ä b e und v o n einem künstlichen Resonator ist noch keine Rede. D e r nächste Schritt ist die S c h a f f u n g einer künstlichen Unterlage. D a s Krotoñ der L a n d - D ä y a k auf Borneo wird bald auf die Knie, bald auf einen Weichholzblock gelegt 4 und das Tudü-kat der Mëntâvei-Insulaner auf zwei verschieden große ausgehöhlte B a u m s t ü m p f e . Mit dieser A u s höhlung ist bereits eine L ö s u n g der Schallverstärkungsfragc versucht. Die A r t , wie man auf Nias das X y l o p h o n (doliFrei in Saal V . S c h r a n k 129. 3 Schrank 52. 4 R. S h e l f o r d , A n I l l u s t r a t e d C a t a l o g u e of the E t h n o g r a p h i c a l C o l l e c t i o n of t h e S a r a w a k M u s e u m . S t r a i t s B r . , R . A . S . N r . 4.0, p. 1
2
Schlag-Idiophone.
25
26
I. Idiophone.
doli) spielt, zeigt eine andere, häufigere Lösung des gleichen Problems: die Frauen legen ihre Beine mit den zu schlagenden Bohlen über ein in die Erde gegrabenes Loch 1 . Daß auf Nias das Xylophon ein Fraueninstrument ist, muß hervorgehoben werden; ein durchaus gleichartiges Tonwerkzeug von Neupommern darf von Frauen nicht einmal gesehen werden. Die ganze Entwicklung führt schließlich über die fünftönigen Batak-Instrumente zu den beiden höchststehenden Gruppen der hinterindischen und javanischen Trogxylophone. Die Angehörigen der hinterindischen Gruppe (birm. pattala 2 [von sanskr. pafaha, »Trommel«?], siam. ränat3, kamboj. ronêat) sind Reihen von 17—23 platten Stäben aus Riesenbambus (Bambusa gigantea), die durch den Auftrag von mehr oder minder großen Wachsklümpchen auf der Unterseite sorgfältig abgestimmt und durch zwei, ihre Enden je zweimal durchlaufende Schnüre zusammengehalten werden; die ganze jalousieartige Vorrichtung wird auf die betuchten, konkaven Ränder eines eleganten Tiekholzkastens 4 in Trogoder Wiegenform mit Sockel gebettet [Abb. 4]. Den hinterindischen Xylophonen sind die javanischen [gâmbâA [spr. gómbong]) — von dem schon beschriebenen Tjaluft abgesehen — fast völlig gleich [Abb. 5, 6] : 16, 18 oder 20 plankonvexe Stäbe (vilah) aus Djembir-, Ravan-, Tiek(malai. djati) oder Lankin-Holz im Tonumfang von dreieinhalb bis vier Oktaven, nach oben zu runder und heller, ruhen auf dem Rand des hölzernen Resonanztrogs (grobog), in dessen Innern gewöhnlich ein paar Auswechselstäbe (soroggan) für andere Stimmungen aufbewahrt werden. Die beiden Schlägel (tabuh) mit scheibenartigem Kopf faßt der Spieler zwischen Daumen und Zeigefinger; ein Abdämpfen ist bei dem kurzen, trockenen Ton des Holzes unnötig 5 . Die Befestigungsart weicht indessen von der der hinterindischen X y lophone ab. Die Schnüre bleiben ganz fort, und auf eine Verbindung der Stäbe wird verzichtet; diese sind vielmehr auf dem Rand des Kastens in der Weise fixiert, daß immer zwei Stifte das eine Ende festklemmen und ein dritter durch ein Loch im andern Ende lose hindurchgeht 6 . Auch das japanische Mokkin, offenbar ein verschlepptes Gâmbàft, ist in gleicher Anordnung gestiftet. Florenz, Museo etnografico, N r . 10002, 10003. Schrank 43. 3 Schrank 55. 4 N i s b e t , I. c. 5 Encyclopaedic van Nederlandsch Indië, ed. v. d. Lith, 's Gravenhage-Leiden s. a., II 624. 8 Schrank 74. 1
2
Schlag-Idiophone.
27
E s wäre verlockend, die Frage nach der Priorität beider Befestigungsarten aufzuwerfen. H a t die SJinürung oder die Stiftung das höhere Alter? Für beide Möglichkeiten lassen sich Gründe anführen, deren Erörterung freilich den Rahmen dieses Handbuchs durchbrechen würde. Das Auge, das hier klar sehen möchte, wendet sich naturgemäß hinüber nach Afrika, wo, abgesehen von der Lösung des Resonatorenproblems, ganz auffällig alle Arten des südostasiatischen Xylophons wiederkehren, von den lose aufgehängten oder aufgelegten Bohlen bis zu den sorgfältig aufgezogenen oder angestifteten Stäben. Die weitere Frage, ob Afrika seine Schlagstabspiele — meist unter dem Shuna-Namen marimba bekannt — selbständig geschaffen oder von Asien übernommen hat, ist wiederholt angeschnitten worden; heute, wo wir wissen, daß selbst die Stimmung hüben und drüben identisch ist, wird an einem unmittelbaren Zusammenhang nicht mehr gezweifelt werden können. Auch das europäische Xylophon, das aus der Volksmusik ziemlich verschwunden ist. aber hier und da für besondere Zwecke (Totentänze u. dgl.) im Orchester verwendet wird, ist sicher von Hinterindien abhängig. Schon der alte deutsche Name Hölzernes Gelächter, von oberdeutsch klächel = Klöppel, weist auf den über die östlichen Alpen führenden Zufahrtsweg v o m Morgenland. M e t a l l o p h o n e aus sorgsam abgestimmten bronzenen Schlagplättchen sind mit den Xylophonen eng verschwistert. Ihre Verbreitungsgebiete decken sich, mit der Einschränkung, daß Birma ausfällt; dafür ist Vorderindien mit seinem gelegentlich aus Platten hergestellten Siebenglockenspiel (sanskr. sapta ghanhkä, beng. sabdaghanfikä)1 einzustellen; auch der japanische Ableger (iekkin) kehrt wieder. Wirklich primitive Typen gibt es diesmal nicht; die Bronzeplatte setzt erst da ein, wo die ungefügen, schlecht intonierten Bohlen schon einer Reihe schlanker, gutgestimmter Bambusabschnitte Platz gemacht haben. Das urwüchsigste Metallophon ist vielleicht, wenn es sich nicht um eine Rückbildung handelt, das mir unbekannte Bisak betoñ der D ä y a k auf Borneo, aus sieben Kupferstäben (?) auf einer länglichen Resonanzkiste 2. Die Javanen geben ihrem Saron 3 ebenfalls sieben schwach gewölbte Bronzeplättchen, wenn es für den Gamëlan pèlog bestimmt ist. und sogar nur sechs — wie auch die Zentral1 C. R. D a y , The Music and Musical Instruments of Southern India and t h e Deccan, London 1891, p. 106. 2 A. H a r d e l a n d , Dajakisch-deutsches Wörterbuch, Amsterdam 1859. p. 69· 3 Glaskasten 75.
28
I. Idiophone.
S u m a t r e r (ktlèntoû) — wenn es ein Salèndro-Instrument sein soll [Abb. 5, 6], Die P l a t t e n sind in abnehmender Größe und zunehmender Tonhöhe auf den R a n d des Schallkastens in der Weise gestiftet, wie sie auch bei den j a v a n i s c h e n X y l o p h o n e n ' ü b l i c h ist; als Isolierkissen dienen kleine R o t a n ringe, die m a n über die Nägel gestreift hat. D e r R e s o n a t o r ist entweder ein bemalter H o l z t r o g mit Endlehnen oder ein phantastisches Fabeltier, in der Regel ein liegender D r a c h e . E s ergibt sich daraus eine B e z i e h u n g nicht nur zu den birmanisch-siamesisch-kambojanischen Alligatorzithern, von denen später die Rede sein wird, sondern v o r allem zu den merkwürdigen Schraptigern Chinas u n d J a p a n s (chines. yü, j a p a n . jyo [spr. d s c h j o j ) , hölzernen Instrumenten in F o r m eines liegenden Tigers, dessen Wirbelsäulen-Dornfortsätze m i t einem aufgesplitterten B a m b u s s t ü c k geschrapt werden. Die chinesischen Quellen wissen zu berichten, d a ß die B a m b u s schraper erst aus der Zeit der T ' a ñ - D y n a s t i e ( 6 i 8 — 9 0 7 ) datieren, d a ß früher s t a t t des Tigers ein einfacher, umgekehrter K a s t e n dagewesen und d a ß die j e t z t hölzernen Dornfortsätze früher aus Metall u n d in sechs T ö n e n g e s t i m m t gewesen seien 1 . D a r a u s folgt z w a r nicht m i t Sicherheit, d a ß das Y ü früher ein Schlagplattenspiel war, w o h l aber, d a ß es mit dem Saron eng v e r w a n d t ist. Die J a v a n e n stimmen ihre Saron-Platten höher, indem sie die Enden befeilen; die Befeilung der Mitte ergibt einen tieferen Ton. W i e beim X y l o phon pflegen auch hier ein paar R e s e r v e p l ä t t c h e n im K a s t e n zu liegen, um das Instrument nach Bedarf in das andere Tongeschlecht umzustimmen, d. h. in einen andern G a m ë l a n einzuführen. Im Zusammenspiel geht das Saron m i t der Melodie; durch die Präzision seines Tones s t ü t z t es sie vorzüglich. Die D ä m p f u n g — mit D a u m e n und Zeigefinger der linken H a n d — wird selten v o r g e n o m m e n . D a s Saron k o m m t in vier Tonlagen v o r : B a ß (slënfêm) mit B u c k e l n auf den P l a t t e n , T e n o r (dtmuñ), der in schnellen S t ü c k e n v o n zwei einander gegenübersitzenden Männern gespielt wird, A l t (.saron) und D i s k a n t (selènio). Sie liegen im wesentlichen in unserer großen, kleinen, ein- und zweigestrichenen O k t a v e 2 . Eine zweite' Gruppe s t e h t den reifen X y l o p h o n e n a m nächsten: die siamesischen mit 21 Bronzeplättchen (ränat thofi) oder 17 eisernen (rânàt lek) 3 , das k a m b o j a n i s c h e (•ronéat dec) mit meist 21 Eisenplatten [Abb. 4] und ein 1 A . C. M o u l e , A List of the Musical and other Sound-Producing Instruments of the Chinese. Jour. North China Branch R . A . S. 1908, X X X I X i l f. 2 Encyclopaedic v a n Nederlandsch Indië 1. c. — J. Groneman, D e Gamëlan te Jogjakarta, Amsterdam 1890. 3 Notes on Siamese Musical Instruments, London 1885, P' ^5·
Schlag-Idiophone.
29
j a v a n i s c h e s , d e m S a r o n ähnliches (gâmbâii gáñsá [spr. g ó m b o n g góngso]). Dieses h a t 6 — 1 8 , in der R e g e l 15 plank o n v e x e B r o n z e p l a t t e n in a b n e h m e n d e r G r ö ß e — im G a m ë l a n pèlog m i t B u c k e l — , die auf d e m O b e r r a n d eines hölzernen R e s o n a n z k a s t e n s a n g e s t i f t e t sind, m i t z w e i h a m m e r f ö r m i g e n S a r o n - T a b u h ' s g e s c h l a g e n u n d selten g e d ä m p f t w e r d e n . D a s B e i w o r t gáñsá »Glockenspeise« e n t s p r i c h t als L e h n w o r t d e m g l e i c h b e d e u t e n d e n sanskr. kämsä. I n s t r u m e n t e n t e c h n i s c h a m i n t e r e s s a n t e s t e n ist ein a n d e r e r j a v a n i s c h e r T y p u s (gëndér). 11 oder 12 s a l è n d r o m â f i i g oder 12 b i s 13 p è l o g m â B i g g e s t i m m t e , in seltenen F ä l l e n s o g a r nur 6 besonders d ü n n e B r o n z e p l a t t e n ruhen auf S c h n ü r e n i n n e r h a l b eines H o l z gestells. U n t e r j e d e r hängt aufrecht ein gleichgestimmter Bambusresonator (bunbuA), der den T o n erheblich kräftigt ; ä u ß e r l i c h sind diese R ö h r e n gleich lang, innerlich nicht, da sie SO g e s c h n i t t e n Sind, Vorderindische und birmanische A b b . 25. daß das abschließende Schlagplatte. 1:9. N o d i u m mit zunehmender Tonhöhe auch h ö h e r r ü c k t [ A b b . 5, 6], D a s schöne I n s t r u m e n t b e g l e i t e t paraphrasierend; jede H a n d hält zwischen dem zweiten u n d d r i t t e n F i n g e r ein G à m b â n - T a b u h ; die a n d e r e n F i n g e r werden zum D ä m p f e n herangezogen. D a eine b e s o n d e r s g r o ß e G e l e n k t e c h n i k in F r a g e k o m m t , s i e h t m a n h ä u f i g w e i b l i c h e Spieler. A u c h das G ë n d é r w i r d in m e h r e r e n G r ö ß e n g e b a u t : tiefe L a g e (pinimbuA), m i t t l e r e (barufi) u n d hohe L a g e (pingrus). V i e l l e i c h t h a b e n w i r im G ë n d é r das V o r b i l d f ü r die e n t w i c k e l t e r e n X y l o p h o n e A f r i k a s m i t ihren sorgf ä l t i g e i n g e s t i m m t e n R e s o n a n z k a l e b a s s e n z u sehen. A u c h das M e t a l l o p h o n h a t v o n Indien den W e g n a c h E u r o p a g e f u n d e n ; die s o g e n a n n t e n Glockenspiele der Militärk a p e l l e n , a u s S t a h l p l a t t e n auf einem l y r a f ö r m i g e n R a h m e n , der Sinfonie- u n d O p e r n o r c h e s t e r , m i t K l a v i a t u r u n d D ä m p f u n g , u n d der K i n d e r s t u b e n , in k l e i n e m F o r m a t , sind w o h l k a u m v o n Indien u n a b h ä n g i g zu d e n k e n . W i e den X y l o p h o n e n einzelne K l a n g h ö l z e r als P r o t o t y p e n entsprechen, so den M e t a l l o p h o n e n einzelne Metallp l a t t e n [Abb. 15]. In allen P a g o d e n V o r d e r i n d i e n s h ä n g t a n einer S c h n u r eine S c h l a g p l a t t e , die z u r A d o r a t i o n ( p ü j ä ) m i t einem H o l z h a m m e r gespielt w i r d (sanskr. beng. gharï.
I. IdiophoDe.
3o
hind, ghariyâl, ghariyäval, bhojpurï ghariyär, tamil segandi [spr. schégandi], telugu )êganta [spr. dséganta] kann, légate, jâgafë [spr. dschägate]). Sie wird in F o r m einer kreisrunden Scheibe mit konzentrischen Liniengravierungen nahe dem R a n d in einer W e i t e v o n 20—30 und einer Dicke v o n einem halben Zentimeter aus guter Glockenspeise gegossen. D a n k der Güte ihres Materials und ihrer verhältnismäßig beträchtlichen Dicke gibt sie einen wundervollen hellen und klaren T o n ; schon aus diesem Grunde tut man der Platte unrecht, wenn man sie, wie es allgemein geschieht, als Gong bezeichnet; dieser Name k o m m t nur den verschleierter klingenden, zur Schale gebogenen Blechen zu. In Hinterindien wird die Kreisplatte (birm. kyè tsi, annam. cai cieñ [spr. tschjeng]) seltener angetroffen. Im allgemeinen herrscht ebenso wie in T i b e t ein ungefähr dreieckiger, phantastisch zerrissener K o n t u r vor, den die Eingeborenen selbst mit einem B e r g oder einem Halbmond v e r g l e i c h e n d e r Name ist in A n n a m cai khan [spr. kanj]. Die Schlagplatte wird hier sehr hoch eingeschätzt; all die ethischen Eigenschaften, die die alten K u l t u r v ö l k e r der Musik beilegen, die Erheiterung betrübter Seelen, die Aufhellung blöder Gehirne und ähnliche Tugenden, werden diesem Instrument im besonderen zugeschrieben. Indochina h a t das Urbild dieser Metallplatte bewahrt; es ist ein oft metergroßer und dezimeterdicker Steinblock mit dem gleichen geschweiften Umriß, mit Flachreliefschmuck, farbiger Inschrift und Steinkopfschlägel, das Ganze ebenso wie die größeren Metallplatten in einem Galgen aufgehängt 2 {cai khan [spr. kanj]). Die klangliche A u s n u t z u n g gewisser Steinarten ist in Ostasien uralt; in China hat man sogar abgestimmte Steintafeln in derselben Weise zu Lithophonen verbunden wie andernorts Holzstäbe und Metallplatten zu X y l o - und zu Metallophonen. Ein solches Steinplattenspiel (kromo) soll auch bei den Seedäyak auf Borneo vorkommen. Den W e g nach Europa, wie ihre hölzernen und bronzenen Verwandten, haben sie nicht gefunden, weil die außerordentlichen Schwierigkeiten der Steinbeschaffung und des Transports sowie die Höhe der K o s t e n in keinem Verhältnis zum musikalischen W e r t stehen. Dagegen sind sie in Europa v o n Zeit zu Zeit spontan »erfunden« worden. So schnitt sich 1837 F r a n z W e b e r in W i e n aus Alabasterscheiben ein Lithokymbalon; vier Jahre später wurde ein Steinmetz Richardson, der in den Steinbrüchen Cumberlands arbeitete, auf die K l a n g k r a f t des Basalts aufmerksam und schlug eine Reihe 1 2
Schrank 43. Schrank 57.
Schlag-Idiophone.
von Blöcken zu einer Felsenharmonika zurecht. 1880 konnte man im damaligen Berliner Walhallatheater die fünf Brüder Bozza mit ihren abgestimmten Pflastersteinen bewundern, und drei Jahre darauf führte auf der Amsterdamer Kolonialausstellung der Franzose Baudre sein Feuersteinklavier vor, dem er Gehirn und Lebenskraft zum Opfer gebracht hat. Die hölzerne Schlagplatte, der in Westasien und in Europa eine gewisse Rolle zugefallen ist, hat sich in ihrer eigentlichen Form nirgends im indischen Gebiet erhalten. Dagegen kommt sie an einer einzigen Stelle in etwas veränderter Form vor, und zwar bei den Minkopie auf den Andamanen, unter dem Namen pákuda (»Ohr«)Sie ist ein anderthalb Meter langes Brett in starkgewölbter Lanzettform (wie das , Schuhhorn') mit einem Strick durch das spitze und zwei augenartigen Löchern nahe dem abgerundeten Ende; der Spieler steht vor diesem, auf Pfeil und Bogen gestützt, und stampft mit den Füßen den T a k t [Abb. 16]. Dies äußerst urwüchsige, unmittelbar auf das einfache Takttreten zurückgehende Klangwerkzeug ist das einzige Musikinstrument der schwarzen Andamanesen, die auf der niedrigsten Kulturstufe innerhalb der indischen Welt stehen. Die melanesischen SalomoinsuSchrank 49.
31
marâthï dámru, malayälam údukka, indische S a n d - tamil údukkei, telugu úduka, simhal. údekuhrtrommel kiya, kannar. davane) spielt in der indischen (damarti). 1 : n . Mythologie eine bedeutsame Rolle als At1 2
S c h r a n k 57. A u f S c h r a n k 82.
76
II. Membranophone.
tribut zahlreicher Persönlichkeiten des Pantheon. Brahma's gelehrtes Weib Sarasvati, die Todesgöttin BhadraKâlî, der vierzehnhändige Zornesgott Aghöra, die Schutzgöttin Pidäri, Isvara in der Form des T s ä n a S i v a , die Gana's und DäkinT's (Hexen), sie alle tragen in der Hand die Trommel Damaru, umwunden mit der Schlange, dem Symbol des Heils wie des Todes. Der Zusammenhang mit Mythos und Mystik hat für die Sanduhrtrommel im modernen Indien fast ganz aufgehört. Bei den Tibetern, die den Buddhismus erhalten haben, ist sie noch Kultinstrument; in Indien haben ihr nur die Bhütapriester des Südens zum Teufelzitieren eine religiöse Stellung bewahrt. Im übrigen Land ist sie zu den Ausrufern, Bettlern und Schlangenbändigern hinabgesunken. Der Körper der vorderindischen Sanduhrtrommel, aus Ton, Holz oder gelegentlich selbst Bronze, hat die Form zweier etwa halbkugeliger Schalen, die an den Scheiteln ineinander übergehen; die beiden Membranen sind durch eine Zickzackschnürung verbunden und diese ihrerseits ist in der Mitte durch eine Umwicklung gestrafft. Verschiedener Druck auf diese Spannvorrichtung vermag die Tonhöhe augenblicklich im Bereich einer Sexte zu verändern 2 . Die Mehrzahl der Sanduhrtrommeln wird unmittelbar — in der Regel mit der Hand — geschlagen. Kleinere Stücke haben dagegen oft an der mittleren Umschnürung eine oder zwei kurze Riemen mit Leder- oder Korkkügelchen an den Enden hängen; der Spieler faßt die Trommel mit Daumen und Zeigefinger um die Taille und schwenkt sie derart herum, daß die Kugeln gegen die Felle schlagen. Offenbar ist diese Rasseltrommel älter als die gewöhnliche Sanduhrtrommel; denn überall sonst in der indischen Welt sind Trommeln mit einer derartigen Einrichtung — beng. patpafi, käsmirl cankela, birm. palototan, javan. terbañ usw. — zu Kinderspielzeugen oder Bettlerinstrumenten geworden. Die Frage nach der Entstehung einer so seltsamen Bildung wie der Sanduhrtrommel kann nicht leicht beantwortet werden. Am zwanglosesten wäre die Voraussetzung, daß es sich zunächst um eine Verbindung zweier menschlicher Schädeldecken handle. In der Tat besteht die Sanduhrtrommel Tibets (cañ teu) noch heut aus zwei durch eine Holzplatte verbundenen Schädeldecken. Da diese nun einerseits mit dem erwähnten Rasselmechanismus versehen, also wohl sehr alt ist, und da andrerseits die mit den Tibetern ver1 B. Z i e g e n b a l g , Genealogie M a d r a s 1 8 6 7 , p. 1 4 1 , 1 7 0 , 1 7 5 , 244. 2 S t r a n g w a y s 43.
der
malabarischen
Gottheiten
Schlagtrommeln.
77
wandten indochinesischen Völker sanduhrförmige Trommeln nicht haben, eine Landeszugehörigkeit des Typus demnach für Tibet unwahrscheinlich ist, so wäre es nicht unmöglich, daß die heutige tibetische Form die älteste vorderindische repräsentiert; irgendwann müßten die Schädel der hinduistischen Scheu vor Leichen und Leichenteilen zum Opfer gefallen sein. Dagegen spricht aber eins: die älteste mir bekannte Darstellung einer vorderindischen Sanduhrtrommel — auf den Malereien der ersten Höhle von Ajantä in Khandesh, ca. 700 n. Chr. — stellt ein langgezogenes, nur wenig eingeschnürtes Holzinstrument dar, entfernt sich also von der tibetischen Schädeltrommel noch mehr als die heutige. Ein Derivat des Damaru ist offenbar das japanische Tsuzumi, das unmittelbar vom chinesischen Can ku abgeleitet ist. Dieses wieder ist nach alten chinesischen Quellen fremden Ursprungs; es soll tausend Jahre vor Konfuzius von den Barbaren zur Begleitung des Gottesdienstes eingeführt worden sein \ ist also jedenfalls mit dem Buddhismus eingedrungen. Von dem Damaru unterscheidet es sich in seiner modernen Form zunächst durch eine zwischen die Schalen gesetzte Röhre und durch einen für die meisten ostasiatischen Trommeln charakteristischen überstehenden Scheibenrand, der die Offnungen umgibt, vielleicht um die Reibung der Membran an dem scharfen Rand des Körpers zu vermeiden. Der gleiche Scheibenrand ist der Sanduhrtrommel von Ceylon eigen, was hier ohne weitere Schlußfolgerung festgestellt sei. Ebenso mag das Vorkommen tsuzumiähnlicher Sanduhrtrommeln vor allem in West- und in Ostafrika nur als Tatsache mitgeteilt werden. Die Sanduhrtrommel strenger Form, von der bisher die Rede war, ist innerhalb Indiens durchaus auf Vorderindien beschränkt. Im weiteren Sinne kommt die Sanduhrtrommel auch auf Celébes vor. Die Berliner Sammlung hat ein auffallendes Stück von Tabarano im Südosten der Insel, dessen Felle derart geschnitten sind, daß zwischen den einzelnen Spannbändern überschüssige Lappen am Rande herausspringen 2 . Die nur geringe Einziehung des Körpers weist nach der Südsee hin. Dagegen deutet die seltsame Anordnung des Spannapparats auf die Herkunft von der Bechertrommel; 1
F . P i g g o t t , The Music and Musical Instruments of Japan, 2¿ ed., Yokohama-London 1909, p. 170. — M a t u a n l i n , Wen Hsien T'ung K'ao (ca. 1300). — A. C. M o u l e , A List of the Musical an other Sound Producing Instruments of the Chinese, in Jour. North-China Branch R . A . S . X X X I X (1908) p. 148. 2 Schrank 104.
II. Membranophone.
78
nicht wie sonst bei zweifelligen Trommeln werden beide Membranen durch die Bänder verbunden, sondern von jedem Fell laufen kurze R ö t a n f ü h r u n g e n längs zu einem durch Keile gehobenen Abschlußring, genau wie bei den indonesischen Bechertrommeln.
Zupftrommeln. Vorderindien h a t eine ganz eigenartige Gruppe von Instrumenten geschaffen, die einzig dazustehen scheint. Ihr Prinzip
Abb.
55.
Nordindische Zupftrommel (ânanda lahari).
N a c h Mahillon, Catalog-ue.
Abb. 56. Nordindische Zupftrommel (gôpîyanlra). N a c h Mahillon, C a t a l o g u e .
läßt sich so umschreiben: eine ausgespannte Saite ist durch eine Membran gezogen und hinter ihr v e r k n o t e t ; beim Zupfen der Saite werden die Schwingungen auf die Membran übertragen, so daß der Ton nach Höhe und Qualität von der Saite und der Membran und schließlich auch von dem die Membran umgebenden Trommelkörper abhängig ist. Der Anteil dieser Faktoren an der Tonbildung m ü ß t e einmal im einzelnen von der Akustik bestimmt werden. Nach
Zupftrommeln.
79
Analogie der Schlag- und der R e i b t r o m m e l n wollen w i r diese T o n w e r k z e u g e »Zupftrommeln« nennen; obgleich die S a i t e das primär schwingende ist, rechnen wir sie zu den Membranophonen, weil v o n jenen F a k t o r e n die M e m b r a n der wesentliche ist, w i e j a auch die v e r w a n d t e n Reibtrommeln, bei denen zunächst die Saite fringiert wird, v o n der Instrumentenkunde nicht den Chordophonen z u g e z ä h l t werden. Ananda-lahart, »Woge der Wonne«, nennen die Bengalen die doppelte Zupf trommel [Abb. 55]. Eine Darmsaite verbindet die Felle zweier verschiedengroßer hölzerner Trommeln, v o n denen die größere ein Fell auf der a b g e w a n d t e n Seite h a t , die kleinere dagegen zweifeilig ist. Jene wird unter dem linken A r m , diese m i t der linken H a n d gehalten; ihre mehr oder minder große E n t f e r n u n g f ü h r t diejenige S p a n n u n g der Saite und Höhe des T o n s herbei, die der S t i m m l a g e des begleiteten B e t t e l m ö n c h s entspricht; zum Anreißen wird ein Plekt r u m v e r w e n d e t x. Verbreiteter ist eine andere bengalische Form, das Goplyantra, »[Krána's] Hirtinneninstrumeñt« [Abb. 56]. Eine gegabelte, biegsame Bambusröhre sitzt mit den Z i n k e n auf dem R a n d einer F a ß t r o m m e l aus Holz oder Kürbis, auf deren entgegengesetzte Ö f f n u n g ein Fell geklebt, g e p f l ö c k t oder geschnürt ist; v o n der Mitte dieses Fells, zwischen den Gabelzinken hindurch, l ä u f t eine Stahlsaite zu einem Wirbel in dem ungespaltenen Teil der Bambusröhre. W ä h r e n d die rechte H a n d m i t einem P i e k t r u m die Saite anreißt, kann die linke durch mehr oder weniger starkes Z u s a m m e n d r ü c k e n der Gabelzinken die S p a n n u n g der Saite lockern und ihren T o n vertiefen. In etwas anderer Weise b a u t das mittlere Indien und der Süden seine Zupf trommel (yektar oder tuntuni). Sie besteht aus einem oben offenen, unten durch eine Membran geschlossenen G e f ä ß und einem v o n seiner Seite aus schräg ansteigenden B a m b u s s t i e l m i t einem Wirbel im Oberende, den die einzige Saite m i t der M e m b r a n m i t t e v e r b i n d e t . Diese F o r m ist im D e k k a n und in den Zentralprovinzen sehr verbreitet; ein Y e k t a r - und ein Trommelspieler führen eine A r t eintönigen Dialog über aktuelle Gegenstände und anwesende H a u p t p e r s o n e n und begleiten sich dann und w a n n durch einen S c h l a g auf ihren Instrumenten. In Malabär wird das Prinzip m i t dem G h a t a v e r b u n d e n : die Saite ist an der Membran über dem Bodenloch eines irdenen Topfes einerseits und an einer kleinen Kalebassenh ä l f t e andrerseits f e s t g e k n ü p f t und wird durch einen gegen1 1
Schrank iR. D a y 1. c. p. 130f.
II. Membranophone.
8o
Abb. 57.
Malabarischer Zupftrommel-Spieler.
geklemmten, am Topf angebundenen Stock in Spannung gehalten [Abb. 57]. Der einheimische Name ist púlavan kúdam1.
Waldteufel. Reibtrommeln, d. h. Membranophone, deren Fell oder deren das Fell durchbohrende Saite durch Friktion in Schwingung versetzt wird, kommen in Indien nur in Form des auch unsern und den chinesischen Kindern bekannten, wahrscheinlich von Indien importierten Waldteufels vor. Das Prinzip lautet hier: durch die Membran einer Trommel ist ein Faden gezogen, am einen Ende mit einem Knoten ge1 H. B a l f o u r , The Friction Drum, in Jour. Roy. Anthropol. Inst. X X X V I I (1907) p. 84. — Ann. Rep. Madras Governm. Mus. 1902/3 p. 4. — E . T h u r s t o n , Ethnogr. Notes in South. India, Madras 1906, pl. X V I / X V I I . -— Exempl. im Pitt Rivers Museum zu Oxford.
Mirlitons.
8l
sichert und am andern um die kolophoniumbestrichene Ringkerbe eines Handgriffs geschlungen; durch die Bewegung dieses Griffs wird die Trommel herumgeschleudert und der Faden, sekundär auch die Membran, in Schwingung versetzt« ' Das Instrument brummt ziemlich stark und ist musikalisch reizlos. Das Museum besitzt zwei Stücke aus Indien, eins aus Benäres (mëgha [»Wolke«]) 1 und eins aus Äsikä in Orissa (dkurki) 2. Das aus Benäres, ein Kinderspielzeug, hat eine halbkugelige Kèsseltrommel mit übergeklebter Membran, das aus Orissa, das von den niederen Kasten benutzt wird, eine Walzentrommel mit angepflöckter Membran.
Mirlitons. Das Mirliton, für das ein volkstümlicher deutscher Ausdruck leider fehlt — die Instrumentenkunde müßte es im Gegensatz zu den vorhergehenden Gruppen Blastrommel nennen —, beruht auf den Schwingungen einer Membran unter dem Einfluß periodisch verdichteter Luft. Im Vergleich zu andern Ländern bedient sich Indien dieses Prinzips äußerst selten. Vorderindien zumal hat nur ein einziges Instrument der Art herausgestellt, das freilich an Originalität alle anderen der Gruppe weit hinter sich läßt. Dieses seiner schwierigen Handhabung wegen sehr Abb. 58. Nyastarai'iga-Spieler. Nach Mahillon, Catalogue. seltene Tonwerkzeug (beng. nyástarañga) 3 hat äußerlich die Form eines Paars kurzer Trompeten aus Messing in konischer, allmählich erweiterter Form mit Schallbechern und Mundstücken; im Mundstück aber ist die zähe Schutzhaut verborgen, mit der gewisse Spinnen ihre Eier umgeben. Setzt man die Röhren beim Singen rechts und links vom Kehlkopf an bestimmte Stellen des Halses, so teilen sich die Kehlkopfschwingungen den Spinnweben mit, und diese übertragen 1 2 3
Schrank 1 2 1 . Schrank 19. Schrank 19.
S a c h s , Musikinstrumente.
2. Aufl«
6
82
II. Membranophone,
sie wiederum den in den Trompeten eingeschlossenen Luftsäulen. Die Folge ist eine intensiv oboenartige Färbung der Singstimme [Abb. 58]. Hinterindien verwendet das Mirlitonprinzip nur sekundär. Nach ostasiatischem Brauch gibt es einem Teil seiner Blasinstrumente oberhalb der Grifflöcher ein weiteres Loch und verklebt es mit einem feinen Goldschlägerhäutchen, das beim Blasen mitschwingt und den Klang nasal färbt. So eingerichtet finden wir in Annam und Tonkin die Querflöten (cai δή die) wie -die Schnabelflöten (cai sao), in Läo die Schalmeien mit durchschlagender Zunge (khüt) und einen Teil der niederbirmanischen und siamesischen Schnabelflöten. Eigentliche Musikinstrumente sind die Mirlitons nicht, da sie keine selbständigen Töne hervorbringen, sondern nur fremde Klänge färben.
III. Chordophone. Zithern. Die Hellenen haben eine alte Sage, die bis ins 19. Jahrhundert hinein in der Einleitung einer jeden Musikgeschichte steht: Einst wandelt Hermes am Ufer des Nils, da berührt sein Fuß den K a d a v e r einer angespülten Schildkröte; die Sonne hat alle Fleischteile ausgedörrt, und nur Panzer und Sehnen sind übrig. Diese erklingen, als der Gott anstößt, und, betroffen von dem unerwarteten Ton, nimmt er das Tier auf und schafft nach seinem Vorbild das erste Saiteninstrument, die L y r a Ich will nicht davon sprechen, daß die Legende ebenso akustisch wie zoologisch der Kritik nicht standhält. Die L y r a aber — das muß gesagt werden — ist ein so kompliziertes, ein so reifes Instrument, daß es ohne eine lange Ahnenreihe nicht gedacht werden kann. Indes gibt es ein andres Bild, das die griechische Göttergeschichte vor uns aufrollt, ein um so wahreres vielleicht, als es weniger lehrhaft, weniger beabsichtigt ist: das Bild vom Apollon Kitharodos. Die Kithara als Attribut des göttlichen Bogenschützen — das heißt weitsinniger ausgedrückt: Vater des Saitenspiels ist der Gott des Schießbogens, derjenige, der nie den unfehlbaren Pfeil absenden konnte, ohne das feine Tönen der zurückschwingenden Saite zu vernehmen. Und wie auf dem Olymp der Bogenschütze Phöbus das Saitenspiel im Arm hält, so ist im indischen Pantheon der vielgestaltige Siva Herr des Musikbogens 2, d. h. des als Musikinstrument beApollodor lib. II. S. M. T a g o r e , Short Notices of Hindu Musical Instruments, Calcutta 1877, p. 29 f. — Von der Erfindung des Musikbogens durch Siva habe ich freilich nichts in den Quellen gesehen. Doch hat RudraSivas Schießbogen in den Itihäsas und Puränas nicht nur die gewöhnliche Bezeichnung dhanu oder dhant', sondern den eigenen Namen tinäka, Vgl. z. B. die Rudra-Legenden in J. M u i r , Original Sanskrit Texts. London 1863, IV 312 ff. und Visnupuräna 1. I c. 9. 6* 1
2
84
III. Chordophone.
nutzten Schießbogens. Und drittens: die Japaner haben noch heute eine Zither mit sechs Saiten; nach ihrer Auslegung wäre dies Yamato koto aus sechs Schießbögen zusammengesetzt, und der Gott Ameno Ramato hätte ihm das Leben gegeben, um mit seinen Klängen die Sonnenkönigin Amaterasu aus ihrem Versteck zu locken. Dreimal hat hier eine große und alte Kulturnation in ein mythologisches Gewand die Erinnerung an die Entstehung des ältesten Saiteninstruments gekleidet. Die Instrumentenkunde hat keinen Anlaß, diesen Dokumenten zu widersprechen. Auch sie steht auf dem Standpunkt, daß dem Bogen des Jägers in der Geschichte der Saiteninstrumente die Rolle eines Stammvaters zukommt, ja, die moderne Völkerkunde neigt dazu, den Schießbogen aus dem Musikbogen entstehen zu lassen. Es muß indessen betont werden, daß er nicht der einzige gewesen ist; die indische Typologie selbst wird zeigen, inwieweit andre Entwicklungslinien in Frage kommen. Indien gehört neben Melanesien, der südlichen Hälfte Afrikas und einigen Gegenden Mittel- und Südamerikas zu den wenigen Ländern, die den einst wohl fast universal verbreiteten Musikbogen beibehalten haben. Der nordindische Bogen (pinäka oder pinäkivmä), den schon die Veden nennen, gehört mit seinem Bambusspahn als Stange und seiner Darmsaite als Sehne zum einfachsten T y p u s D i e Resonanzkalebasse entwickelterer Instrumente, die den äußerst kleinen Ton verstärkt, und die Stimmschlinge, die ein besseres Intonieren ermöglicht, fehlen. Im Pinäka ist die Loslösung vom Schießbogen noch nicht vollzogen; der zupfende Finger vermag der Saite nur einen einzigen schwachen Ton abzugewinnen. Im Archipel, auf Timor und Timorlaut, sollen ebenso einfache Musikbögen mit Holzstange und Drahtsaite zur Gesang- und Tanzbegleitung mit einem Schlägel gespielt werden. Die schon angedeutete normale Weiterentwicklung des Musikbogens mit Annahme der Resonanzkalebasse und der Stimmschlinge ist merkwürdigerweise in der ganzen indischen Welt kaum vorgenommen worden. Angeblich benutzen die Hö oder Kolh im nordöstlichen Vorderindien Bögen mit zugehöriger Kalebasse an der Stange oder an der Saite. Freilich haben weder der Verfasser noch H. Balfour, der die Notiz bringt, ein derartiges Stück gesehen. Oberst Samuels hat seinerzeit an Balfour eine Skizze geschickt, nach der diese Bogenzither manchmal mit einem rohen Geigenbogen gestrichen würde 2 . Das ist interessant ge1
Schrank 18. H. B a l f o u r , The Natural History of the Musical Bow, Oxford 1899, p. 66. 2
Zithern.
85
nug, da Streichbögen recht selten sind; wir finden sie in Patagonien, in L i t a u e n und auf einer Miniatur des spanischen Mittelalters. Es liegt indes so nahe, die F r i k t i o n auf einen schon bestehenden Musikbogen zu übertragen, daß die A n n a h m e irgendwelcher Zu-' sammenhänge v e r f r ü h t wäre. In der Regel wird eine K l a n g v e r s t ä r k u n g erzielt, indem der Spieler die S t a n g e des Bogens auf ein G e f ä ß stützt. W i r konnten das bereits bei den Schrapbögen beobachten, die oben unter den Idiophonen besprochen werden m u ß t e n ; wir können es weiter in S a r a v a k im Norden Borneos sehen, wenn die T a n j o ñ v o n R e j a n ihren einfachen B o g e n (•busoi) mit der Stange auf eine Holzscheibe (aran) und diese auf die Ö f f n u n g eines irdenen oder metallenen T o p f e s legen, so daß die mit einem Hölzchen geschlagene .Saite ihre Schwingungen einem ausgiebigen Resonator mitteilen kann 1 . Dem, der von der Geschichte des Musikbogens aus auf Indien blickt, müssen sich all die dortigen Spezimina als sonderbare Außenseiter darstellen. Hier wird statt eines angehängten Resonators ein abgetrennter benutzt, dort bleibt die Saite aus dem Spiel, während die gekerbte S t a n g e geschrapt wird, und in einem dritten Falle wieder wird die Saite mit einem zweiten Bogen gestrichen.
i
A l l e Besonderheiten aber verblassen v o r dem groteskmonumentalen Riesenbogen v o n T r a v a n c o r e und Tinnevelly, der ebenso eine Mischung v o n ungebändigter, überwuchernder Phantasie und verwilderter K u l t u r ist, wie der Teufelstanz selbst, zu dem ihn die Sänär spielen [Abb. 59]. D a sind die heterogensten Elemente gemischt: der alte Bogen, auf eine L ä n g e v o n zwei Metern ausgereckt, ein mitklingelnder Schellenbehang und ein Resonator als S t ü t z e ; aber nicht der übliche Resonator, keine Kalebasse oder dergleichen, sondern 1 R. S h e l f o r d , A n Illustrated Catalogue of the Ethnographical Collection of t h e S a r a w a k Museum — P a r t I, Musical Instruments, in Jour, of the S t r a i t s B r a n c h R . A . S. Nr. 40, 1904, p. 5.
86
III. Chordophone,
jener irdene Schlagtopf Ghäta, den wir in Südindien haben als Einzelinstrument spielen sehen und den auch hier ein besonderer Spieler mit der Hand bearbeitet, während ein zweiter in raschestem Zeitmaß mit zwei Stöckchen die Saite schlägt 1 . Sucht man nach Vorbildern für das hypertrophe Instrument, so gerät man in eine Gruppe altertümlicher Apparate, die noch heute im südlichen Hinterindien und auf Madagaskar begegnen und hier auf Seite 106 als »Erdj" zithern« besprochen sind. All diesen Musikbögen ist ein Grund· fehler gemeinsam, nämlich die Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, die Saite auf einen bestimmten Ton zu bringen. Es bedeutet einen ungeheuren Fortschritt, wenn der Bogen halbstarr wird, d. h. nur am einen Ende elastisch genug bleibt, um die Saite in Spannung zu halten, am andern, steifen Ende dagegen einen Wirbel annimmt für die eigentliche Stimmung. Auf dieser Stufe steht die hinterindische Stabzither mit ihrer im wesentlichen geraden, aber nach unten verjüngten und aufgebogenen Stange und ihrer ResonanzKürbishälfte unterhalb des Wirbels [Abb. 60]. Das Museum zeigt ein paar kambojanische Stücke (sadiu) mit einer Drahtsaite und langem, hinterständigem Wirbel 2 und eins aus Läo (piah) mit schon vier Drahtsaiten und gekreuzten Wirbeln 3 . Der Spieler hält die Stange mit der linken Hand schräg vor den Körper, so daß das Oberende mit dem Wirbel der linken Abb. 60. Kambo- Schulter, das Unterende dem rechten Knie janische Stabzither nahekommt; die Kürbishälfte wird gegen (sadiu,) ι : 11. die linke Brust gedrückt, so daß der Spieler selbst noch als Resonator mitwirkt. Wenn wir die halbstarren Stabzithernais die nächste Stufe des Bogens bezeichnet haben, so gilt das natürlich nur vom Prinzip. Die hinterindischen Stücke, die heute noch am Leben sind, stehen durch die Sorgfalt ihrer Arbeit, durch ihren Saitenbezug und ihre Wirbelanlage unendlich höher, während sich umgekehrt aus einem jüngeren Zustand Typen 1 S. M a t e e r , Native Life in Travancore, 1883, p. 107. — Exemplar im Ethnologischen Museum zu Leipzig Nr. SAs 3823. 2 Schrank 58. 3 Schrank 59.
Zithern.
87
erhalten haben, die weit primitiver als die jetzigen halbstarren sind. Dieser jüngste Zustand hat den biegsamen Saitenträger durch, einen ganzstarren ersetzt. Sein einfachstes Schema ist ein etwa meterlanger Bambusstock mit Saite und Resonanzkürbis; um die Saite von der Stange abzuheben, ihr also ein freies Schwinger zu ermöglichen, mag man zum Anknüpfen des Unterendes — wie es in Afrika noch vorkommt — einen Astansatz benutzt haben; in Indien ist statt dessen bereits ein Holzhaken eingeführt [Abb. 61]. Das ist die Form der aborigenen starren Stabzither, wie sie noch heute in Chötä Nägpur und Orissa unter den Namen tuila tohila -, bajah3 gespielt wird. Beim Spielen wird der Stab mit dem Haken nach unten vor die rechte Körperhälfte gehalten und der Kürbis gegen die Brust gedrückt; während die Finger der rechten Hand nahe dem Unter' ende zupfen, verkürzt die zum Halten bestimmte Linke gleichzeitig die Saite durch Fingeraufsatz, so daß einfache Melodien — Oberst Samuels spricht sogar von christlichen Weihnachtsliedern — recht gut gespielt werden können. In Parenthese möge darauf aufmerksam gemacht werden, daß der Resonanzkürbis über der Öffnung einen losen Kragen aus gleichem Material hat, und daß diese Einrichtung auch bei afrikanischen Resonanz- A b b . 61. Stabzither (pikalebassen angetroffen wird 4 , wie denn ¿/a)-Spieler von Chötädas ganze Instrument an der ostNägpur. afrikanischen Küste Analoga hat. Nach Balfour, Nat. Hist, of the Mus. Bow. Die entwickeltere, typische Form der ostafrikanischen Stabzither, die im allgemeinen mit dem Suahelinamen zeze bezeichnet wird, hat statt des Rundstabes ein überkant gestelltes Brett. Auch diese Besonderheit bleibt Indien nicht schuldig [Abb. 62]. B a l f o u r , The Natural History p. 63. Oräö-Name nach F. H a h n , Kurukh-English Dictionary, vol. I, Calcutta 1903, p. 171. 3 Nach Col. Samuels bei B a l f o u r 1. c. p· 65. 4 Vgl. B. A n k e r m a n n , Die afrikanischen Musikinstrumente, Leipziger Dissertation o. J., p. 6. 1
2
88
HI. Choidophone.
Eine Gruppe, die auf Celébes (Posso tunde, Kageróva sosánru), Halmahëra in den Molukken (sulêppe) und Ternate (·tutalo) belegt ist, hat als Saitenträger ein kurzes, Überkantgestelltes Holzbrett mit geraden oder geschweiften Enden; diesmal hängt der Resonanzkürbis oder vielmehr die Kürbishälfte nicht frei nahe dem einen Ende, sondern in der Mitte oder ganz in ihrer Nähe, und zwar an einer Bambusgabel, die das Brett einklemmt und der Saite als Steg dient Weder der Archipel mit seiner brettartigen, noch Hinterindien mit seiner halbstarren Stabzither sind in der Entwicklung weitergekommen. Einzig Vorderindien hat höhere Stufen hervorbringen können. Der höchste Gipfel innerhalb der Stabzithernfamilie, die Mahat! vînâ des nördlichen Vorderindiens, stammt von jenen einfachen vorderindischen Stäben ab, deren kunstlose Form sich noch heute, wie wir sahen, in Chötä Nägpur und Orissa erhalten hat. Es ist eine gute Strecke Weges zwischen diesen beiden Entwicklungsstadien, ein Weg, den der feine musikalische Sinn des Inders vorgezeichnet A b b . 62. Stab- und den seine Handwerkskunst hat zurückzither von Cele- legen können. Leider ist es nicht mehr bes {tunde). möglich, ihr Schritt auf Schritt nachzugehen. ι : 11. Aber die wichtigsten Versuche, vorwärtszukommen, sind in dieser oder jener Gegend des Landes versteinert und dem Blick des Beobachters erreichbar. Für die älteste Zeit ist eine Roßhaarsaite als Bezug anzunehmen. Die allgemein gültige Erfahrung, daß Haarbündel den Darm- und Seidenschnüren und den Metalldrähten als Saitenmaterial vorausgehen, wird für die Stabzither durch eine hübsche, im MähäräStri-Dialekt geschriebene MüladevaLegende bestätigt, auf deren Mitteilung ich nicht verzichten möchte. »Bald darauf trat ein Vïnâ-Spieler ein und spielte die Vlnä; und Devadattä war entzückt von seinem Spiel und rief: »Bravo! Ausgezeichnet gespielt! Bravo! Deine Kunst ist schön!« Aber Müladeva sagte: »Ja, die Leute von Ujjayinl sind kunstverständig; sie kennen den Unterschied von schön und unschön.« Devadattä fragte: »Was für einen Fehler findest du daran ? « Müladeva antwortete: »Die Resonanzröhre ist unrein, und die Saite ist fehlerhaft.« Schrank
104.
Zithern.
89
»Woran kann man das erkennen?« »Ich werde es zeigen.« »Die VTnä wurde ihm überreicht; er zog ein Steinchen aus der Röhre und a u s d e r S a i t e e i n H a a r . Als er [das Instrument] in Ordnung gebracht hatte, fing er selbst an zu spielen. Der Sinn der Devadattä und ihrer Umgebung [Dienerschaft] wurde hingerissen, und ein in der Nähe stehendes Elefantenweibchen, das die Gewohnheit hatte, immer zu schreien, blieb ganz still stehen und bewegte den Kopf mit herabhängenden Ohren hin und her« 1 . Das Pañjab hat uns in seinem King 2 das Stadium der Stabzither bewahrt, in dem zwar bereits Draht verwendet
Abb. 63.
Panjâbische Stabzither {king).
1:11.
wurde, aber noch nicht das Bedürfnis vorlag, Zusammenklänge zu bringen [Abb. 63]. Der Bezug besteht also nach wie vor aus einer einzigen Saite. Man hat indessen bereits einen Wirbel eingeführt, um die Stimmung genau regeln zu können, man hat sieben Bundstege auf den Stab gesetzt, um dem Spieler eine größere Sicherheit zu geben, wenn er durch Niederdrücken der Saite an dieser oder jener Stelle ihre Länge und damit die Tonhöhe verändert, und man hat endlich statt des einen Resonanzkürbisses deren zwei angehängt, um einen kräftigeren K l a n g zu erzielen. Die Stabzither, die unser Museum von den aborigenen K h â n d â im Ghumsârâ-Distrikt besitzt 3, bedeutet demgegenüber trotz ihrer rohen Machart einen Fortschritt [Abb. 64]. Statt sieben sind bereits acht Bundstege aufgeklebt, und die Zahl der Saiten ist auf zwei erhöht. Das Bedürfnis, der 1 H. J a c o b i , Ausgewählte Erzählungen in MähärästrI, Leipzig 1886, p. 56. — Herr Dr. H ü t t e m a n n hatte die große Freundlichkeit, mir eine Übersetzung herzustellen. 2 B. H. B a d e n P o w e l l , Hand-Book of the Manufactures and Arts of the Punjab, Lahore 1872, II 274. — Schrank 28. 3 Schrank 11.
9°
IH. Chordophone.
Melodie weitere Grenzen zu stecken, hat sich herausgebildet, und die zweite Saite, die nicht über die Bünde, sondern nebenher läuft, zeugt bereits von der Praxis des hohen indischen Saitenspiels, die Melodie mit dem feinen Klingeln einer hohen, in unveränderter Lage tönenden Stahlsaite zu begleiten. Die beiden Resonanzkürbisse haben wieder den eigenartigen, bereits oben besprochenen Kragen. Die Bengalen stellen heute noch mit großer Sorgfalt eine Stabzither, die Kairäta vinä 1 d. h. »Viiiä der [aborigenen] Kiräta [am Himalaya]« her, die mit ihrer einzigen Kalebasse auf die unvollkommenen Ahnen zurückweise. Dagegen sind diesmal drei oder vier Drahtsaiten aufgezogen, aber nicht um Zusammenklänge zu ermöglichen, sondern um sie — ein in Indien unerhörter ... , Fall — in gegenseiA b b . 64.
Stabzither der Khandä.
1 : II.
fcjger
Ergänzung
d e m
Melodiespiel dienstbar zu machen, so wie wir es mit den Saiten unserer Violine tun. Ganz andere Rassenelemente machen sich bei der südindischen Stabzither fühlbar. Das Kinnarï 2 (sanskr. malay. tamil (auch kinnaram); kann, kinnari, telugu kinnära), das noch heute namentlich vom Landvolk in Süd-Kannära und Mysore gespielt wird, fällt nicht sowohl durch die größere Zahl seiner Kalebassen — drei oder vier — , als durch die ganz merkwürdige Anordnung des Bezuges auf. Die zwei oder vier Drahtsaiten laufen nämlich nicht wie sonst immer nebeneinander, sondern übereinander, und um das möglich zu machen, steht auf dem Bambusstab ein hoher, ausgezahnter Steg; in den Kerben ruhen die Saiten [Abb. 65]. Im heutigen Indien stellt diese Disposition eine Ausnahme dar: die D ä y a k auf Borneo verwenden sie bei ihrer altertümlichen, an ein Telegraphengestänge erinnernden Harfenzither (ñkratoñ) 3 ; bei den Harfenlauten und mehrsaitigen 1 V.-Ch. M a h i l l o n , Catalogue descriptif & analytique du Musée instrumental du Conservatoire royal de Musique de Bruxelles, 2 e ed., G a n d 1893, I Ι 5 ° · — S c h r a n k 18. 2 C. R . D a y , The Music and Musical Instruments of Southern India and the Deccan, London 1891, pi. 9. 3 Ling R o t h , The Natives of Sarawak and British North Borneo, p. 261.
Zithern.
91
Bogenzithern von Westafrika sind sie häufig. Die Einstellung in einen größeren organologischen Zusammenhang darf heut noch nicht gewagt werden; das Instrument steht vorläufig isoliert da. Einstweilen mag sich die vergleichende Sprachwissenschaft mit ihm auseinandersetzen. Denn es genügt nicht, nach dem Beispiel der gelehrten Hindu zur Erklärung des Namens kinnari die gleichnamigen Fabelwesen der indischen Mythologie heranzuziehen. Vor allem muß einmal die keinesfalls akzidentelle Ähnlichkeit mit der semitischen Sippe arabisch kinnäre und kannäre (plur. kanänir) und hebräisch kinnor sowie griechisch kinyra untersucht werden. Bisher scheint das indische Wort niemals Eingang in die Bibelforschung gefunden zu haben. Vielleicht würde die sog. Harfe König Davids, deren Natur wir immer
A b b . 65.
S ü d i n d i s c h e Stabzither
N a c h D a y , M u s i c and M u s i c a l
(kinnari).
Instruments.
noch nicht recht kennen, sich ebenso wie manche andere Realien der Heiligen Schrift als ein Derivat alttamilischer Kultur herausstellen. Die unter dem Namen kinnari vinä in Nordindien bekannte Vînâ hat mit den Stabzithern nichts zu tun und wird später unter den Lauten besprochen werden. Der Gipfelpunkt der ganzen Entwicklung, das Ergebnis all der Versuche, die alte Stabzither den wachsenden Anforderungen eines immer reicher erblühenden musikalischen Lebens dienstbar zu machen, ist die Mahatï vinä x, die »große Vmä«, die in Nordindien vinä schlechthin genannt wird [Abb. 66}. Das Sanskritwort vinä mit seinen Ableitungen (pâli vinä, beng. blnä, hindi hindüst. pañj. marâthï bin, märväri blnä, malayälam vina, telugu vina, tamil vlnei, kannaresisch vine) ist zum allgemeinen Ausdruck für Saiteninstrumente geworden, gleichviel ob sie zu den Zithern oder zu den Lauten rechnen, in ähnlicher Weise, wie etwa im Deutschen das einst 1
Schrank
18,
19.
III. Chordophone.
eng begrenzte W o r t geige eine über das ganze Reich der Saiteninstrumente ausgedehnte Begriffserweiterung erfahren h a t ; wie der Deutsche von Kniegeige (Viola da gamba), Nonnengeige (Trumscheit), Großer und Kleiner Zupfgeige (bair. = H a r f e und Gitarre) und Nagelgeige (Eisenstabspiel) sprach und spricht, so der Inder von äläpint vïnâ, bhârata-vïnâ, saradïyâ vïnâ und Dutzenden derartiger Zusammensetzungen. Aber selbst in seiner engsten Fassung ist der Begriff vtnä zweideutig, je nachdem der Nordenoder der Süden des Landes den Namen stellt; daher denn in der Literatur das Wort meist mißverständlich angewendet wird. Die nordindische Vïnâ, von vielen Schriftstellern der Unterscheidung wegen mit dem hindüstanischen Namen bin, von uns mit dem Wissenschaft-
Zithern.
93
liehen mahatï vtnä bezeichnet, ist der wichtigere Typus der beiden. Sie wird in der Regel als »eine Art Guitarre« angeführt, hat indessen mit dieser Familie nichts zu tun und muß organologisch zu den Stabzithern gezählt werden, weil auch sie deren charakteristische Merkmale hat, den Stab als Saitenträger und Kalebassen als Resonatoren. Wenn wir die Große Vinä als den Gipfel der Stabzitherentwicklung bezeichneten) so geschah es, weil die Summe ihrer musikalischen Eigenschaften trotz ihres dünnen Tons von keiner andern Stabzither erreicht und —• können wir hinzufügen — von keinem außereuropäischen Saiteninstrument übertroffen wird. Die vier oder fünf Drahtsaiten oben auf dem Stab geben die Melodie nebst gelegentlichen Begleitakkorden mit zarter, klarer Stimme; zwei oder drei dünne Stahlsaiten an deii Flanken setzen mit ihren silbrig-feinen, unveränderlichen Tönen in der Höhe Glanzlichter auf, und dieses ganze Klingen und Klingeln erhält durch die beiden großen Resonanzkürbisse Charakter und Fülle. Die Melodieführung selbst genießt eine außerordentliche Freiheit. Die etwa zwanzig oder mehr Bundstege, die sich auf dem Stabe wie die Dornfortsätze einer Wirbelsäule ausmachen, gestatten, der melodischen Linie die weitesten Grenzen zu geben; ihre bequeme Befestigung mit Darmsaiten erlaubt dem Spieler, in kürzester Zeit ihre Stellung zu wechseln, wenn ein neues Stück neue Intervalle braucht, und ihre Höhe, zugleich mit der Feinheit der Saiten, setzt ihn instand, willkürlich ihren Zwang zu brechen und zum Ausdruck besonderer Affekte jene irrationalen Tonhöheveränderungen vorzunehmen, deren die orientalische Musik nicht entraten mag. Es leuchtet ein, daß ein solches Instrument nicht leicht zu spielen ist. Der Spieler muß am Boden kauern, die den Wirbeln nahe Kalebasse auf die linke Schulter und die andre unter den rechten Arm nehmen, so daß der Stab quer vor der Brust mit den Saiten nach außen ruht. Die linke Hand soll mit Zeige- und Mittelfinger die Saiten auf die Bünde drücken und mit dem kleinen Finger nach Bedarf die linke Bordunsaite anreißen; Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand, mit dem Stahldrahtplektrum mizräb bewaffnet, haben die Hauptsaiten zu zupfen, Kleinfinger und Daumen der gleichen Hand die übrigen Bordune. Die Vïnâ ist dieser komplizierten Technik wegen ausschließlich Soloinstrument der höchststehenden Musiker. Schon im alten Hindüpantheon nimmt sie eine privilegierte Stellung ein: Brahmas Sohn Närada selbst, der Gott der Musik, hat sie erfunden und spielt auf ihr den Himmlischen v o r 1 . 1
V g l , W . J o n e s , Über die Musik der Indier, Erfurt 1802.
—
94
III. Chordophone.
Näheres über Stimmung usw. findet sich in den Beilagen am Ende des Buchs. Von den Varianten der Mahatï vïnâ hat das Museum zwei : den Tamburä von B o m b a y 1 und die bengalische Ranjanî vïnâ 2 (spr. randschani). Der Tamburä ist im wesentlichen mit dem Urbild identisch, aber bedeutend roher gearbeitet. Von seinem der Marâthï-Sprache angehörenden Namen wird später die Rede sein. Der bengalische Name der andern Variante ist der indischen Musiktheorie entnommen und bedeutet die sechste Vierteltonstufe der Skala. Kennzeichnender ist jedenfalls ihr Hindüstänlname bvn-sitär. In der Tat ist sie eine Verschmelzung dieser beiden Instrumente; von der Bin hat sie den Bau, von dem später ?u behandelnden Sitär die sieben Drahtsaiten und die sechzehn Messingbünde. An dem Berliner Exemplar interessiert am meisten die sonderbare Form des Saitenträgers. Statt eines Stabes bildet er eine Rinne, so daß die Bünde nicht aufliegen, sondern als Brücken frei über das Tal laufen. Bei einer modernen Laute, dem Survähära, kehrt diese Form wieder. Die wichtigste Variante ist im Museum leider nicht vertreten; es ist die südindische Vïçâ, die bis Bombay hinauf die ältere hindüstänische Bin völlig verdrängt hat [Abb. 67]. Aus der Stabzither ist bis zu einem gewissen Grade eine Laute geworden. Der hohle Saitenträger, der Bezug aus vier Hauptund drei Nebensaiten und die obere, den dickköpfigen Wirbeln nahe Kalebasse sind beibehalten, wenn auch dieser Stab plankonvex geworden ist, alle Nebensaiten rechts von den Hauptsaiten liegen und die Kalebasse an Größe zurücktritt. Dagegen hat die untere Kalebasse einem tief gewölbten oft reich geschnitzten Lautenkörper Platz machen müssen, die Pergamentdecke ist durch eine dünne Holzplatte ersetzt und die Saiten sind über einen Steg geführt. Für die Klangqualität wird in sehr origineller Weise gesorgt. Der Steg erhält zwei Auflagen aus Metall, eine aus gewöhnlichem für die vier unteren Saiten und eine aus poliertem Stahl oder Glockenmetall für die oberste; in der Stellung, in der die Saiten den klarsten Ton hergeben, werden diese Auflagen mit Zement befestigt. Die Spieler legen auf diese Vorrichtung großes Gewicht, und tatsächlich wird auf der Vxçâ ein wundervoller, weicher und nuancenreicher Klang erzielt. F. F o w k e , On the Vina or Indian Lyre, Asiatic Researchtes vol. I, abgedruckt in S. M. T a g o r e , Hindu Music, Calcutta 1882, p. 193. — D a y 1. c. p. 109, pl. I. 1 Schrank 20. s Schrank 18.
95
Auch der Bezug und die Bünde werden mit großer Sorgfalt behandelt. Der Stahldraht kommt aus Channapatna 1 oder Bareilly; dort gibt es eine Spezialindustrie mit geheimem Verfahren in den Händen einer besonderen Kaste, die ihn für den hohen Preis von sechs Rupien (acht Mark) für das Kilogramm (.sïr) verkauft. Die Bünde (tamil telugu mettu) setzt der Spieler am liebsten selbst mit kleinen Nägeln auf und sichert sie mit einem harzigen Zement. Für das Spiel kommen drei verschiedene Stellungen in Frage. Der Spieler sitzt stets mit gekreuzten Beinen auf dem Boden; die kleine Kalebasse ruht auf dem linken Schenkel und das Korpus halb auf dem rechten, halb auf dem Boden, oder das rechte Knie wird hochgezogen, so daß der Schallkörper am Boden liegt und nur gegen das Bein gelehnt ist, oder endlich das ganze Instrument wird aufrecht im Schoß gehalten. Die Spieltechnik ist sehr eigenartig: die Hauptsaiten werden mit den langgewachsenen Nägeln [von Zeige- und Mittelfinger abwärts, d. h. nach der rechten Instrumentenseite hin angerissen, die Nebensaiten dagegen mit denen des vierten und des fünften Fingers in der entgegengesetzten 1
Abb. 67. Südindische Vînâ. Nach Day, Music and Musical Instruments,
The Imperial Gazetteer of India X V I I I 220, Oxf. 1908.
96
III. Chordophone.
Richtung. Das gleichzeitige Greifen einer Haupt- und einer Nebensaite ist der Ausgangspunkt des Studiums und schwierig genug zu lernen; das Repetieren auf der gleichen Saite mit Fingerweuhsel ist die zweite Etappe; endlich lernt der Sch'.ilcr die dritte Spielart, das Stakkato, bei dem der Mittelfinger die vom Zeigefinger'angerissene Saite rasch abdämpft. Obgleich die Bünde einem präziseren Einhalten der Tonleiterstufen entgegenkommen, werden die Freiheiten, die der bundfreie Hals gewährte, beibehalten; die linke Hand drückt zwar die Saiten gegen die feststehenden Bünde, zieht sie aber oft gleichzeitig nach der Seite hin aus und gewinnt hierdurch wie durch andre Praktiken all die »Bebungen«, Glissandi usw. der bundfreien Lauten. Entwicklungsgeschichtlich gehört diese südindische Vlnä sicher in die neuere Zeit, nicht nur des hohen Standes ihrer instrumententechnischen und kunstgewerblichen Durchbildung wegen, sondern weil sie eine Verschmelzung mindestens zweier heterogener Instrumentengattungen darstellt. Als Basis ist die noch in Nordindien erhaltene MahatI vînâ, die große Stabzither, anzusehen; dagegen ist der untere Resonator nach dem Vorbild der Laute organisch mit dem Saitenträger verbunden worden, so daß das Instrument tatsächlich aus der Familie der Zithern ausgesehieden und der der Lauten beigetreten ist. R ö h r e n z i t h e r n nennen wir Zithern, bei denen eine Röhre oder ein Röhrensegment zugleich Saitenträger und Resonator ist. Auch die Stabzither ist oft aus einer Röhre gebaut; bei ihr aber ist der Hohlraum im wesentlichen belanglos, zufällig; die Röhrenzither nutzt ihn bewußt aus. Die einfachste Form einer solchen Röhrenzither ist ein Bambusinternodium, d. h. ein durch zwei Wachstumsknoten begrenztes Stück eines Bambusstammes, aus dessen Schale ein schmales, längslaufendes Band losgelöst und nahe seinen noch haftenden Enden durch untergeschobene Hölzchen gehoben und gespannt wird, so daß das Ganze ein Saiteninstrument bildet [Abb. 68]. Hier ist ein anderer Erzvater der Saiteninstrumente; an Alter und Nachkommenschaft steht er dem Musikbogen sicher nicht nach. Die Familie der idiochorden, _d. h. mit solchen stammeigenen Saiten versehenen Röhrenzithern kommt außerhalb Indiens namentlich in Madagaskar und Westafrika vor; Rückbildungen zu Kinderinstrumenten, wie sie u. a. in Ostturkistän und sogar , auf der Balkanhalbinsel begegnen, erweisen ihre einst universale Verbreitung. Vorderindien beherbergt sie heute nicht mehr; daß es früher aer Fall war,
Zithern.
97
läßt sich aus der Existenz der aborigenen Floßzither entnehmen, von der später die Rede sein wird. Die westliche Grenze innerhalb der indischen Welt läuft heute durch den Distrikt von Chittagong in Ostbengalen, Die dort ansässigen Luäai haben eine besondere Geschicklichkeit in der Herstellung dieser Tonwerkzeuge; in wenigen Minuten ist ein geeignetes Bambusstück geschnitten, ein schmaler Streif mit dem Messer abgelöst und ein paar Hölzchen untergeschoben; ein anderes Bambussegment, von dem wohl auch eine Saite abgetrennt ist, muß als Streichbogen herhalten 1 . Das ist sehr ungewöhnlich; soweit wir sehen, werden sonst nur in Zentralamerika und auf der Balkanhalbinsel Röhrenzithern gestrichen. Da das Vergleichsmaterial also äußerst späilich ist, müssen die Fragen, ob der Bogen später hinzugefügt worden, und ob das ganze Instrument autochthon ist, offenbleiben. Die eigentliche Heimat der echten, größeren Röhrenzither sind jetzt das südliche Hinterindien, Kamboja und Maläka, und der malaiische Archipel. Trotz der Einförmigkeit des Typus lassen sich gewisse Gruppen zusammenstellen, deren Merkmale wiederum die Identifizierung unbezeichneter Stücke zu erleichtern vermögen. Das Grundgesetz ist, daß die Saitenzahl im Archipel nach Osten hin zunimmt. Ein und zwei Saiten kommen nur auf Sumatra und Abb. 68. Idio- seinen Trabanteninseln vor (batak. gettuñ-gettuñ, chorde Röhren- Nord-Sumatra gendañ-gendañ 2, Nias gonra 3) ; zither des ma- weiter nach Osten hin wächst ihre Zahl ständig, laiischen Archi- bis sie auf der Insel Etar [Wetterl (agiht) pels, ι : 11. z e h n erreicht. Charakteristisch heben sich diejenigen heraus, deren Saiten so eng nebeneinander liegen, wie es ohne Gefährdung des Spiels denkbar ist. Diese Gruppe umtaßt die Anlieger der Bandasee nebst Timor (Buru tagbuan, tabuan, Barique a. Timor lakado, Laga auf Timor be-orla, Etar agïht). Nur im Osten finden sich Stücke, die statt Löchern in den Nodien oder in der Wand die ganze den Saiten abgewandte Wandfläc.he von oben bis unten aufgeschlitzt tragen; wenn bei den philippinischen Exemplaren (togo) dieser Schlitz noch eine bescheidene Breite hat, so haben die von Etar fast die ganze Wandhälfte zwischen den Endknoten verloren. Hier schließen dann in 1 2 3
J . S h a k e s p e a r , The Lushei Kuki Clans, London 1912, p. 28. H e i n t z e in Volz, Nord-Sumatra I 374. Exemplar im Rijks Ethnograph. Museum zu Leiden Nr. 1002/101.
S a c h s , Musikinstrumente.
2· Aufl·
7
III. Chordophone.
98
der Entwicklung die nachher zu besprechenden Halbröhrenzithern an. Ebenfalls für den Osten bezeichnend sind die Wandüberstände jenseits der Nodien; wir haben sie westlich von Flores nicht beobachtet. Auf den Philippinen werden diese Überstände gelegentlich kreneliert, d. h. zinnenartig ausgeschnitten. Von dieser ganzen Synopsis ist Borneo ausgenommen. Hier kommen dreisaitige Röhrenzithern vor (ton-ton)1, bei den Dusun fünfsaitige (tañkuñañ) 2 und bei den Loft kiput sechssaitige (pagan, kantom), zum Teil mit, zum Teil ohne Wandüberstände jenseits der Nodien. Hier ist die Brücke zwischen dem östlichen Archipel und Hinterindien; die borneotischen Röhrenzithern vermitteln zwischen denen der Philippinen und den sechs- bis achtsaitigen der Moi Kao in Kamboja (diñlye). Ein Seitenweg führt zu einem merkwürdigen Verschmelzungsprodukt, das ich der Einfachheit halber Trommelzither nennen möchte. Man klemmt zwischen zwei ein Wandloch einrahmende Saiten ein ausgefrästes Holzplättchen derart ein, daß es das Loch überdeckt, ohne freilich die Wand berühren zu dürfen; abwechselnd werden der freie Teil der Saiten und die Holzplatte geschlagen. Der Typus konnte bisher belegt werden auf Borneo (dayak. gandan bavoi, »Schweinetrommel«), auf Halmahêra, als Kinderspielzeug (tattabua), Süla-Besi (tuban iotla), Philippinen (agoA), Nias (krumba), also im ganzen Archipel. Das Bedürfnis, Saitenklänge rhythmisch mit Schlägen auf das Holz zu begleiten, ist ja allgemein, und daß der Instrumentenkörper beim Spiel mit der Hand geklopft wird, erleben wir fast auf der ganzen Welt bis herüber nach Spanien; für die indonesische Röhrenzither im besonderen haben wir den Beleg auf den Molukken ; Martin erzählt einmal, beim Vortrag auf dem fünfsaitigen Tatabuan kavan schlage die Linke die Saiten, während die Rechte auf der Kopfseite des Instruments trommle 3. Von dieser idiochorden Röhrenzither geht es nach zwei Richtungen hin weiter, einmal nach der eben schon berührten Halbröhrenzither hin, dann nach der heterochorden Röhrenzither, derjenigen also, welche die stammeigenen, leicht ausund abreißenden Saiten durch stammfremde, aufgezogene ersetzt. Es lassen sich unter den heterochorden drei Stufen unterscheiden. Auf der ersten wird die Saite zwar aufgezogen, aber vom gleichen Material, Bambus, genommen. Bei der 1 2 3
Exemplare im Museum zu Sarawak Nr. 1295, 1296. Exemplar ebenda Nr. 775. M a r t i n , Reisen in den Molukken p. 354; Abb. Taf. 29, Fig. 18.
Zithern.
99
Röhrenzither der Nikobaren (danäA) ζ. B. ist eine solche Bambussaite auf die Endzapfen des Instruments geschnürt; man hat sie aus einem Bambusspahn derart herausgeschnitzt, daß die Extremitäten noch vollholzig sind 1 . Die zweite Stufe zeichnet sich durch größere Praktikabilität und Eleganz aus; sie behält zwar Rohr als Saitenmaterial bei, nimmt es aber nicht v o m Bambus, sondern v o m R o t a ñ . Nur die Halbinsel Maläka kennt sie. Die Oberenden der zwei oder drei Saiten werden sorgfältig um den Instrumentenkörper geschlungen, volutenartig eingerollt und verknotet; die Unterenden werden bei den Oran Semañ (ti)
ein Loch gemeinsam i^ns
SKj^jg^ * *
WS
' •>
y
zithern. τ
λ
L·
ι r
- j
A b b . 6q.
Resonator-Röhrenzither.
7 Im Archipel A wird .ι überall, wo man die stammeigene Saite zu ersetzen wünscht, unmittelbar zu dünnem D r a h t übergegangen. A m radikalsten ist hier wieder der Südosten vor angeschritten, den wir schon früher gelernt haben. Timor mit Einschluß seiner nächsten Nachbarinseln hat einen ganz eigenen T y p u s ausgebildet. Die Saiten werden auf 10, j a selbst auf 20 vermehrt; jede hat am Oberende ihren pfeilspitzenförmigen Wirbel, läuft über einen zahnartigen Steg und wird unten im Innern verknotet; die ganze Zither ist in den Durchmesser einer halbkugeligen Resonanzschale eingepaßt, die ein geschickt zusammengefaltetes Palmyra-Palmblatt (Borassus flabelliformis) hergegeben hat [Abb. 69]. Die besonders hochstehenden Zwanzigsaiter werden poliert 48. und aSchrank m Oberende mit einer flaschenartigen Holzbekleidung
7*
III. Chordophone.
100
versehen, w i e sie a u c h auf M a l ä k a (kerantiA) — a u s g r ü n g l a s i e r t e m T o n •— v o r k o m m t 1 . D i e s e R e s o n a t o r - R ö h r e n z i t h e r m u ß als ein abseits liegendes K u r i o s u m angesehen w e r d e n . D i e eigentliche E n t w i c k l u n g s s t r a ß e h a t schon v o r h e r a b g e z w e i g t . D e n G a b l u n g s p u n k t scheint m i r daä oben schon e r w ä h n t e D a n ä n der N i k o baresen z u bezeichnen. N e b e n der F r e m d s a i t i g k e i t z e i g t es z w e i g a n z neue G e d a n k e n ; e i n m a l die einseitige O r i e n t i e r u n g d u r c h die b e i d e n a n g e s c h n i t z t e n Z a p f e n f ü r die Saitenenden, im G e g e n s a t z z u der ü b e r w i e g e n d peri' es·'· ire al?: pherischen O r i e n t i e r u n g der a n d e r e n R ö h r e n •Î SS»·" zithern, u n d d a n n die w i l l k ü r l i c h e V e r k ü r z u n g der S a i t e z u m Z w e c k e der T o n h ö h e n v e r ä n d e r u n g , die hier d u r c h A n b r i n g u n g dreier B l e c h sa¿ m a r k e n g e b o t e n u n d die bei den V e r w a n d t e n iZm* f n i c h t v o r g e n o m m e n wird. Solche I n t e r v a l l a n z e i c h n u n g e n — aus H o l z oder M a r k — k o m m e n schon bei den S a k a i v o n K i n t a u n d B a t a n P a d a n auf M a l ä k a v o r 2 . H i n t e r i n d i e n v e r f o l g t diese neuen G e d a n k e n weiter. D a s M u s e u m b e s i t z t eine a l t e r t ü m l i c h e Z i t h e r a u s B i r m a 3 , deren Z u s a m m e n h a n g m i t d e m D a n ä n schon der b l o ß e A u g e n s c h e i n lehrt. D i e R ö h r e ist a b e r aus der A u s h ö h l u n g eines H o l z b l o c k s g e w o n n e n und die B e s a i t u n g , v o n der sich n u r spärliche D r a h t r e s t e erhalten h a b e n , . * -Λ" an s e i t e n s t ä n d i g e W i r b e l g e h ä n g t ; die Z i t h e r liegt v o r d e m Spieler, so d a ß die V o r d e r f l ä c h e m i t d e m B e z u g n a c h oben k o m m t . D a m i t d a s m ö g l i c h ist, m u ß t e die s t r e n g runde F o r m der a l t e n B a m b u s z i t h e r a u f g e g e b e n w e r d e n ; die W ä n d e sind leicht a b g e f l a c h t und der v i e r k a n t i g e n F o r m a n g e n ä h e r t , u n d u n t e r die o f f e n e Abb. 70. AltR ü c k s e i t e sind F ü ß c h e n gesetzt. N e u e r e E x e m birmanische Krokod'nzither p l a r e ähneln in der V e r f o l g u n g dieser F o r m (mi gyauñ). g r u n d s ä t z e m e h r oder w e n i g e r einem K r o k o d i l , ι : it. so d a ß das I n s t r u m e n t den N a m e n mi gyauñ, »Alligator«, erhalten h a t [ A b b . 70]. O b die F o r m den A n s t o ß z u dieser T a u f e gegeben h a t oder ob u m g e k e h r t die f e s t w u r z e l n d e T i e r s y m b o l i k der A s i a t e n
m
PC?;
' Schrank 82. * Vgl. S k e a t & B l a g d e n , Pagan Races of the Malay Peninsula, London 1906, II 134. 3 Schrank 43,
Zithern.
ΙΟΙ
die Formgebung beeinflußt hat, muß vorläufig dahingestellt bleiben. Auch diese reifen Krokodilzithern 1 — in Birma, Siam (,cakhè [spr. tschak-he]) und Kamboja (takhè) — haben das Schicksal, von den europäischen Beobachtern mit einer Fülle der verschiedensten unpassenden Bezeichnungen versehen zu werden. A m häufigsten laufen sie als Gitarren, und man muß zugeben, daß tatsächlich die Art, wie der feinpolierte Tiekholzkörper 2 im größeren Teil seiner Länge halsartig schlank, im andern rumpfartig ausgebuchtet ist, wie zwischen Decke und Boden durch gerade Seitenwände vermittelt wird und wie die monumentalen Elfenbeinwirbel seitlich in einem richtigen Wirbelkasten stecken, an den Bau unserer Gitarre anklingt [Abb. 4]. Das sind aber ganz äußerliche Ähnlichkeiten, die das Wesen der Sache nicht treffen. Die Gitarre ist ein hohler Schallkörper mit angeschnitztem Hals, die Krokodilzither dagegen ein einheitlich ausgehöhlter Klotz, der eben mit der Lautenfamilie nichts zu tun hat und eine Weiterbildung, einen Gipfelpunkt der Röhrenzither darstellt. Die Krokodilzither bedeutet demnach für die Röhrenzither das, was die Vlijä für die Stabzither ist. Und weiter: die Krokodilzithef nimmt in Hinterindien in gewissem Sinn die Stellung ein, die der Vlnä in Vorderindien zukommt. Die Länge ihrer drei Saiten und der geräumige, durch kleine Füßchen gegen den Boden isolierte Schallkörper geben den Tönen einen besonderen Wohlklang, eine bei aller Zartheit große Fülle und Wärme. Elf Bundstege, die allen drei Saiten gleichmäßig zugute kommen, ermöglichen einen sehr bedeutenden Melodieumfang. Und dennoch fehlt dem Instrument der Nimbus des mythischen Alters, und es geht ihm die schwierige, jede Profanierung auschsließende Spielart der andern ab. Der komplizierten Haltung und Handhabung der V l ç â gegenüber ist die Krokodilzither kein schweres Instrument. Sie liegt ruhig auf dem Boden vor dem kauernden Spieler; die linke Hand drückt die Saiten nieder wie die Tasten eines Klaviers, und die rechte bringt sie mit einem Elfenbein- oder Holzstäbchen zum Tönen. Es scheint übrigens, als ob die Spielart in den verschiedenen Ländern voneinander abwiche: die Siamesen fahren mit dem Stäbchen rasch über die Saiten hin und her 3 , wie es unsere Mandolinisten tun; die Kambojaner — nach Knosp — schlagen sie i . Schrank 55. J. N i s b e t , Burma under British Rule — and before, Westminster 1901, II 304. 3 Notes on Siamese Musical Instruments, London 1885, p. 16. 4 Eine sehr ausführliche Beschreibung mit Schhittskizzen bei 1
2
III. Chordophone.
I02
Die K r o k o d i l z i t h e r ist also nicht in dem Maße ein besonderes Instrument, wie die V ï n â . Daher wird sie nicht nur solistisch b e n u t z t ; in K a m b o j a ist die Zusammenstellung mit einem Geigeninstrument (tro-u) und dem chinesischen Y a n g ¿'in, der trapezförmigen Zither, sehr beliebt; auch in den großen Orchestern Birmas, Siams und K a m b o j a s darf sie als tiefstes Saiteninstrument nicht fehlen.
m
Einer anderen A b z w e i g u n g begegneten wir bereits, als v o n den hinten geschlitzten Röhrenzithern' des östlichen Archipels d i e . R e d e war. W i r bemerken, daß auf E t a r die ganze Wandhälfte zwischen den W a c h s t u m s k n o t e n abgetragen wird, und deuteten die dort einsetzende A b z w e i g u n g der Halbröhrenzithern an. In der T a t bedarf es nur der D u r c h f ü h r u n g des Schnittes durch die Nodien hindurch, um zu den Zithern v o n Flores {santo) zu kommen, die aus einem halbierten Bambusinternodium mit geringen W a n d ü b e r s t ä n d e n und sieben oder a c h t mit einem Hölzchen zu schlagenden stammeigenen Saiten b e s t e h e n 1 . Diese A b a r t ist heute äußerst selten, m u ß aber einst eine größere Verbreitung g e h a b t haben, da eine bedeutungsvolle Gruppe reiferer Instrumente ohne Zweifel in ihnen ihre S t a m m u t t e r zu verehren hat. E s ist die Gruppe, die in China cHn, in J a p a n koto genannt wird und die dem Ostasiaten die vornehmsten Instrumente stellt. A u f indischem Boden k o m m t diese v e r v o l l k o m m n e t e Halbröhrenzither nur in einer einzigen Form vor, der des annamitischen Cai dön trañ Qder Cai -dan thap bue·, die H ä l f t e eines langen, liegenden K e g e l s t u m p f s auf zwei F ü ß c h e n und 16 Messingsaiten in der L ä n g s r i c h t u n g 2 . Gleich den Chinesen nennen die A n n a G. K n o s p , Rapport sur une Mission officielle d'Étude musicale en Indochine, L e y d e (1911), p. 106 ff. 1 Schrank 82. 2 Schrank 57.
Zithern.
miten als Einführer oder Erfinder den chinesischen Kaiser Fu-hi, dessen Regierungszeit in die, Jahre 2852—2737 v. Chr. fällt. Mit dem Instrument selbst und mit dieser Überlieferung haben sie vom Reich der Mitte auch die andere Tradition übernommen, wonach diese Zither des Weltall symbolisiert: der flache Boden ist die Erde, der gewölbte Saitenträger das Himmelszelt; die Länge von 3 thuc, 6 tac und ι phan entspricht den 361 himmlischen Gängen, die größte Breite von 8 ta.c spiegelt die acht Halbtrimester des Jahres und die kleinste Breite von 4 tac die vier Jahreszeiten usw. [Abb. 71]. Mit seinen beweglichen Einzelstegen und seinen 16 Saiten fällt das Dön traft unmittelbar mit demjenigen Glied der chinesischen C'in-Familie zusammen, die als Ceng bezeichnet wird. Und gerade vom Cêng sagt eine alte chinesische Quelle daß es einst aus Bambus hergestellt worden sei; ein Stützpunkt mehr für unsere Anschauung, daß die C'in-, Kotound Dön traft-Sippe von der noch im Archipel in ursprünglicher Form erhaltenen Halbröhrenzither abstammt.
Wir sahen die Röhrenzither sich zur Kunstform der hinterindischen Krokodilzither auswachsen, wir lernten in ihr die Ahne der ostasiatischen C'inFamilie kennen; sie wird sich nun noch als die Urform einer dritten Zithernfamilie zeigen. Wie man vor der Erfindung die Grifflöcher einzelne, nur eines einzigen Tones fähige Pfeifen zusammenband und so in der Gestalt der Panpfeife ein melodiefähiges Instrument erhielt, hat man in entsprechender Weise eine Anzahl einsaitiger, idiochorder Röhrenzithern floßartig nebeneinandergebunden, »w πι Λ ... um Melodien spielen zu können, was j a Abb. 72. Floßzither der Khándá 1 · 1 1
,
el
. ...
c er
,
'
c
J
-
dünnen, ' Ablösung mehrerer bai' ' ' ' ' ten nicht fähigen Einzelrohren unmöglich wäre. Diesen urwüchsigen Typus der F l o ß z i t h e r haben die Khândâ und die Magh (Chittagong-Distrikt) in schöner, sorgfältiger Ausführung erhalten 2 . 30—40 und mehr schlanke Rohrabschnitte sind mit peinlicher Sauberkeit unter Vermittlung von Quer1
m.
Shuo Wen; vgl. M o u l e In North-China Branch R . A . S. X X X I X
2 Schrank 1 1 . — E . R i e b e c k , Die Hügelstämme von Chittagong, Berlin 1885, neben Taf. 15.
104
III. Chordophone.
stützen nebeneinandergebunden; von ihnen sind vorn wie hinten Saiten abgetrennt, so daß auf beiden Seiten ein vollständiger Bezug mit je zwei durchgehenden Steghölzehen entsteht; der hintere dient freilich nur als Gegenhalt, um einem Verbiegen nach vorn zu begegnen [Abb. 72]. Floßzithern sind heute recht selten geworden. Ihr Hauptgebiet ist das westliche Afrika zwischen Benuë und Kongo. Aber es ist kein Zweifel, daß es sich hier nur um den spärlichen Rest eines umfangreichen Länderbesitzes handelt; Depravationen zu Kinderspielsachen aus zwei Sorghumhalmen, wie sie ζ. B . die Turfanexpeditionen aus Ostturkistän mitgebracht haben, und wie sie auch an andern Orten gelegentlich auftauchen, führen eine beredte Sprache. Die Entwicklung dieses Röhrenzitherkomplexes läuft derjenigen der Einzelzithern parallel. Zunächst werden die stammeigenen Saiten durch stammfremde ersetzt; Belege liefert Ostafrika zwischen den Victoria-Nyansa-See und dem Royuma-Fluß1. Dann wird das Rohrhalmfloß durch ein festes Holzbrett ersetzt und damit die Brettzither geschaffen.
Den Übergang von der Floß- zur B r e t t ζ i t h e r illustriert am deutlichsten ein kleines Stück von Südost-Borneo im Leidener Ethnographischen Museum 2 : acht Rohrsaiten, von zwei durchgehenden Bambusstegen gestützt, laufen über ein einfaches Holzbrett. Die vorderindische Brettzither ist unter mehreren Namen bekannt. Die Sanskritwerke nennen sie nach einem Weisen {risi) kâtyàyana-vlnâ oder nach der Größe ihres Bezuges satatantrl vinä, die »Hundertsaitige«; häufig hört man sie als svaramandala oder surmandal (maräthl särmandal, tamil curamanfalam) bezeichnen. A m gebräuchlichsten ist indessen die arabisch-hindüstänische Benennung qänün, populär kanün; aus ihr ergibt sich bereits die eigentliche Heimat des Instruments. Dem arabischen Qänün gegenüber stellt die indische Kastenzither allerdings nur eine Rückbildung dar. Der flache Holzkasten mit seiner übergreifenden Decke in der Form eines rechtwinkligen Trapezes ist beiden gemeinsam; aber die zwei oder drei Schallöcher mit ihrem feingeschnitzten Maßwerk werden unterdrückt; statt der 75 oder gar 78 Saiten des Vorbildes nimmt man gewöhnlich nur 22, höchstens 36, und da durch diese Beschränkung die Zugkraft erheblich 1 B. A n k e r m a n n , Leipzig o. J., p. 29. 2 Nr. 37/555.
Die afrikanischen Musikinstrumente,
Diss.
Zithern.
v e r m i n d e r t ist, k a n n m a n den besonderen, a u ß e r h a l b a m K a s t e n b e f e s t i g t e n S t i m m s t o c k e n t b e h r e n u n d die S p a n n w i r b e l u n m i t t e l b a r in die S c h r ä g s e i t e s t e c k e n . Immerhin sind die A n s c h a f f u n g s k o s t e n n o c h h o c h g e n u g , u n d d a a u c h die T e c h n i k des g a n z auf V e r z i e r u n g e n , T r i l l e r u n d dergleichen g e s t e l l t e n S p i e l s sehr s c h w i e r i g ist, k o m m t d a s I n s t r u m e n t t r o t z seines sehr süßen, ein w e n i g n ä s e l n d e n T o n s selten v o r , a m ehesten n o c h i m , P a f l j ä b , in der u n m i t t e l b a r e n N a c h b a r s c h a f t der persischen L ä n d e r 1 . D a s B r ü s s e l e r I n s t r u m e n t e n m u s e u m b e s i t z t eine kleinere A b a r t a u s B e n g a l e n m i t d e m D i m i n u t i v n a m e n ksudrä kätyäyana-vtnä [spr. k s c h ú d r a k a t j á j a n a ] m i t einer flachen K a l e basse als K ö r p e r , einer ü b e r w i e g e n d k r e i s f ö r m i g e n D e c k e u n d a c h t z e h n S t a h l s a i t e n 2 . Sie ä h n e l t in ihrer F o r m den ä l t e r e n oberbayrischen Zithern v o m Mittenwalder Typus. V o n g a n z a n d e r e m S c h l a g e ist die B r e t t z i t h e r J a v a s . W i e so v i e l e a n d e r e I n s t r u m e n t e der G e g e n d n i m m t sie ä u ß e r l i c h die F o r m einer niedrigen B a n k m i t L e h n e n a n den S c h m a l s e i t e n an. D i e ältere F o r m , m i t der n o c h die a l t e n H e l d e n e r z ä h l u n g « n b e g l e i t e t w e r d e n , — m a n k a n n ein bez e i c h n e n d e s S t ü c k im L e i p z i g e r E t h n o l o g i s c h e n M u s e u m sehen — h a t in der R e g e l n u r 6 — 8 S a i t e n a u s K u p f e r 3 . Ihr N a m e ketjápi k o m m t v o n sanskr. kacchapa u n d ist o f f e n b a r auf die Z e i t der H i n d ü h e r r s c h a f t z u r ü c k z u f ü h r e n . W i r w e r d e n n o c h a n d e r e n E n t l e h n u n g e n des gleichen W o r t s im A r c h i p e l begegnen. D i e größere F o r m ( t j e l e m p u ñ ) , ein I n s t r u m e n t des G a m ë l a n , h a t g e w ö h n l i c h 26 S a i t e n . E s ist n i c h t z w e i f e l h a f t , d a ß z w i s c h e n dieser j a v a n i s c h e n B r e t t z i t h e r u n d der ostasiatischen H a l b r ö h r e n z i t h e r B e z i e h u n g e n v o r h a n d e n sind. S c h o n die A r t , w i e die S a i t e n s t e g e e n t s p r e c h e n d der v e r schiedenen S a i t e n l ä n g e eine s c h r ä g e L i n i e bilden, erinnert l e b h a f t an das C a i d ö n t r a ñ ; ebenso die schmale, k o n v e r g i e r e n d e F o r m u n d die f ü n f s t u f i g e S t i m m u n g der Salèndroinstrumente. Ein Zwischenglied zwischen K ë t j a p i und T j ë l ë m p u n , bei uns im M u s e u m v e r t r e t e n 4 , b r i n g t d a n n g e n a u die 16 S a i t e n des a n n a m i t i s c h e n I n s t r u m e n t s , u n d z u allem Ü b e r f l u ß b i l d e t C r a w f u r d in seiner H i s t o r y of t h e I n d i a n A r c h i p e l a g o 5 ein T j ë l ë m p u n m i t g e w ö l b t e r F l ä c h e u n d ohne L e h n e n ab. 1 2 3 4 6
Abb. bei D a y 1. c. pl. VIII. Brüssel, Musée instrumental Nr. 98. Encyclopaedie van Nederlandsch Indie II 631. Schrank 74. Edinburgh 1820. — N a c h i h m hat das »Chälempung« 10—15 Saiten
(P· 335)·
III. Chordophone,
ιο6
E i n e sehr m e r k w ü r d i g e A b a r t der B r e t t z i t h e r e n t s t e h t , w e n n die S a i t e n n i c h t z w i s c h e n h o r i z o n t a l e n , sondern z w i s c h e n v e r t i k a l e n T r ä g e r n a u s g e s p a n n t w e r d e n , so d a ß bei P o l y c h o r d e n die S a i t e n e b e n e s e n k r e c h t z u m B r e t t steht. Da diese besondere S t e l l u n g u n t e r den Z u s a m m e n g e s e t z t e n C h o r d o p h o n e n das K e n n z e i c h e n der H a r f e bildet, so w o l l e n w i r diese Z i t h e r n H a r f e n z i t h e r n nennen. W i e die A n f ä n g e dieses T y p s aussehen, z e i g t das sonderb a r e S p i e l z e u g , das sich m a l a i i s c h e K i n d e r in der G e g e n d v o n J a l o r u n d R h a m a n a u f M a l ä k a b a u e n . Sie g r a b e n ein t o p f f ö r m i g e s L o c h in die E r d e u n d b e d e c k e n es m i t einer B l ü t e n s c h e i d e der A r e c a p a l m e ; z w e i w e i t a u s e i n a n d e r s t e h e n d e in die E r d e g e r a m m t e P f l ö c k e w e r d e n d u r c h eine R o h r s a i t e v e r b u n d e n ; diese, m i t ein p a a r S c h l ä g e l n a u s H o l z o d e r R o h r geschlagen, ü b e r t r ä g t ihre S c h w i n g u n g e n d u r c h einen a u f r e c h t e n , s t a b f ö r m i g e n S t e g auf die B l ü t e n s c h e i d e 1 . A h n liche I n s t r u m e n t e k o m m e n in A n n a m u n d T o n k i n (troñ quan) 2 sowie auf M a d a g a s k a r v o r . A l s eine W e i t e r e n t w i c k l u n g dieser E r d z i t h e r n h a b e n w i r die B r e t t z i t h e r der D ä y a k auf B o r n e o (ñkratoñ) a n z u sehen. D a s I n s t r u m e n t ist t r a g b a r g e w o r d e n ; f ü r clas E r d l o c h m i t der B l ü t e n s c h e i d e t r i t t ein H o l z k a s t e n m i t g e s c h n i t z t e n A n s ä t z e n ein; d a r a u f s t e h e n w i e ein T e l e g r a p h e n g e s t ä n g e z w e i E c k s t ä b e u n d z w e i g e s ä g t e M i t t e l s t ö c k e , ü b e r deren Z ä h n e ü b e r e i n a n d e r v i e r S a i t e n l a u f e n 3 . W i r sind diesem a u c h sonst b e l e g t e n S ä g e s t e g bereits bei der K i n n a r i begegnet.
Zusammengesetzte Chordophone W i r h a t t e n u n s bisher m i t Z i t h e r n b e f a ß t , die w i r als E i n f a c h e S a i t e n i n s t r u m e n t e ansehen, weil a u ß e r dem B e z u g ihr einziger w e s e n t l i c h e r B e s t a n d t e i l der S a i t e n t r ä g e r , ein S t a b , eine R ö h r e , ein B r e t t oder dgl. ist. W o h l t r i t t in den m e i s t e n F ä l l e n ein s c h a l l v e r s t ä r k e n d e r R e s o n a n z k ö r p e r hinz u ; er g e h t a b e r m i t dem S a i t e n t r ä g e r n u r eine u n o r g a n i s c h e V e r b i n d u n g ein, die j e d e r z e i t ohne Z e r s t ö r u n g des K l a n g a p p a r a t e s l ö s b a r ist. D i e z w e i t e U n t e r k l a s s e der S a i t e n i n s t r u m e n t e u m f a ß t d a g e g e n diejenigen T y p e n , bei denen S a i t e n t r ä g e r u n d R e s o n a n z k ö r p e r eine innige, organische V e r b i n d u n g e i n g e g a n g e n sind, deren L ö s u n g ohne w e i t e r e s d a s I n s t r u m e n t als T o n w e r k z e u g v e r n i c h t e n w ü r d e . Die 1 2 3
B a l f o u r , Report usw. p. 16. K n o s p , 1. c., p. 64. Ling
Roth,
1. c., p.
261.
Zusammengesetzte Chordophone,
107
S t ä r k e des rein handwerklichen V e r b a n d e s ist dabei natürlich gleichgültig. D e c k e und Schallkasten einer B r e t t z i t h e r m ö g e n b e t r ä c h t l i c h solider miteinander v e r b u n d e n sein als die R e s o n a n z s c h a l e und der lässig hindurchgestreckte Stiel einer rohgefügten L a u t e . D e n n o c h bleibt jene nach A b t r e n n u n g des K a s t e n s eine gebrauchsfertige Z i t h e r ; diese aber k a n n nach W e g n a h m e des K ö r p e r s nicht mehr b e n u t z t werden. In der indischen W e l t sind die z u s a m m e n gesetzten Saiteninstrumente f a s t ausschließlich auf die L a u t e beschränkt. W i r verstehen unter diesen N a m e n ein T o n w e r k z e u g aus Stiel und R e s o n a n z k ö r p e r in organischer V e r b i n d u n g und einem Saitenbezug, dessen E b e n e parallel zu der D e c k e liegt. J e n a c h d e m dieser Stiel durch den R e s o n a n z k ö r p e r hindurch g e s t e c k t ist, ihn also aufspießt, oder halsartig angeschnitzt oder angesetzt ist, unterscheiden w i r den urwüchsigeren T y p u s der Spießlaute und den entwickelteren der Halslaute. S p i e ß l a u t e n einfacher und einfachster F o r m k o m m e n noch heute in der ganzen indischen W e l t vor. W e n n bengalische B e t t e l mönche z u r B e g l e i t u n g ihrer einförmigen Psalmodie eine K o k o s n u ß - oder K ü r b i s s c h a l e nehmen, eine K a l o t t e abschneiden und durch mm ein S t ü c k H a u t ersetzen, w e n n sie dann diametral einen B a m b u s s t o c k durchspießen und eine R o ß h a a r s a i t e aufspannen, so geben sie m i t diesem »Einsaiter« (ëkatâra, U m g a n g s sprache ektär, p a ñ j a b l yaktära) ein gutes Bild des p r i m i t i v s t e n V e r f a h r e n s [Abb. 721. A b b . 73. Nord- Freilich, der irbel, m i t dem sie heute die indische SpießSaite in die T o n h ö h e ihrer S t i m m e bringen, laute (ëkatâra). ist schon nicht m e h r ganz naiv. E s ist ein ι : 11. S t a d i u m v o r a u f g e g e a n g e n , in dem, w i e w i r es beim Geso-Geso v o n Celebes s e h e n 1 , die Saite oben an den Hals geschnürt wurde. S c h o n in sehr ferner Z e i t m u ß bei diesen p r i m i t i v e n S p i e ß l a u t e n der Ü b e r g a n g v o m Z u p f e n z u m Streichen der S a i t e vollzogen w o r d e n sein. Die ganze B o g e n f r a g e h a t v o n j e im B r e n n p u n k t der Instrumentengeschichte gestanden, und die F o r s c h u n g e n v o n J a h r z e h n t e n , j a v o n J a h r h u n d e r t e n haben eine völlige G e w i ß h e i t weder über die H e i m a t des 1
Schrank 104.
ro8
III. Chordophone.
Streichbogens, noch über die A r t seiner Entstehung gebracht 1 . Wie der Bogen entstanden ist, ob durch die Kombination zweier einfacher Saiteninstrumente — man denke an den doppelten Musikbogen der Hö, von dem oben die Rede war — oder durch eine Umbildung des Schrapstöckchens, das geht aus dem indischen Material nicht hervor, und wir haben nicht die Absicht, die Zahl der Spekulationen zu vermehren. Die Frage nach der Heimat aber, die schon von F é t i s 2 mit Indien beantwortet worden ist, und die heute — nach einem vorübergehenden Sinken der Wage zugunsten der nordgermanischen Länder — in gleichem Sinn gelöst wird, können auch wir mit Indien beantworten. Da ist ζ. B. die bengalische Behälä oder Beyälä (von viola)3, eine unscheinbare kleine Laute, aus einer roh gebrannten Tonschale mit Hautdecke und Bambusspieß; ein kurzer Rohrbogen mit Roßhaarbezug streicht die beiden Darmsaiten. Angesichts der beispiellosen Zähigkeit indischer Gewohnheiten ist es eine gewichtige Stütze der Bogentheorie, wenn gerade auf indischem Boden Lauten mit den Merkmalen eines nach Jahrtausenden zählenden Alters gestrichen werden. Noch eins ist seltsam an der Behälä. Der Dvitära, eine zweisaitige Variante des vorhin genannten Ekatära, hatte seine Saiten an Wirbel gehängt, die an der Vorderseite des Spießes untereinander angebracht waren. Die beiden Wirbel der Behälä stehen nicht mehr in einer Reihe, geben den Saiten also eine größere Distanz. Sie sind halb von der Flanke eingesteckt, die eine von rechts, die andere von links, so daß sich ihre Achsen rechtwinklig schneiden. Diese Disposition ist nicht isoliert; sie wird von vielen wilden Stämmen Indiens getroffen, ζ. B. von den K h á n d á im GhumsârâDistrikt und von den Laoten bei ihren Stabzithern. Auch nach Norden und Westen strahlt sie weithin aus: die Balalaiken der zentralasiatischen, die Tanbure der südslavischen Völker und die einfachen Lauten des afrikanischen Nordens haben die gleiche Kreuzstellung der Wirbel. Jünger noch sind die eigentlichen Flankenwirbel. Sie mögen in Zeiten entstanden sein, in denen man zuerst mehr als zwei Saiten verwendete und einmal den stärkeren Zug nicht einseitig nach vorn wirken lassen durfte, dann aber auch den nötigen Saitenabstand wahren mußte. Natürlich wird die ganze Anlage komplizierter, da die Saiten in 1 Vgl. C. S a c h s , Die Streichbogenfrage. Arch. f.Musikwissenschaft I Heft I. 2 Histoire générale de la Musique, Paris 1869, H· 3 Schrank 19.
Zusammengesetzte Chordophone.
109
der Achsenrichtung über den Stiel laufen müssen und daher nicht von den Stielflanken aus unmittelbar zum Steg gehen können. Es gibt verschiedene Lösungen. Die gebräuchlichste ist die Herstellung eines sogenannten Wirbelkastens, d. h., wie noch heute bei der europäischen Violine, die Ausstechung des Stiels an der Stelle, wo er von den Wirbeln durchbohrt wird; die Saiten sind dann nicht O " " " " " draußen, sondern innerhalb des Stiels um die Wirbel gerollt. Das südöstliche Celébes und die Mo· lukken haben sich eine andre Lösung vorbehalten. Von der Spießflanke, vom Wirbeleintritt aus wird schräg durch den Spieß nach vorn hin ein enger Kanal gebohrt und durch ihn der seitlich aufgerollte Draht in die Mitte geleitet. Die große Mehrzahl aller indischen Spießlauten dürfte westasiatisches Gut sein. Auszunehmen wären nur die aus China stammenden Typen des östlichen Hinterindiens, das zweisaitige KokosnußTro-u der Kambojaner und das dreisaitige, schlangenhautgedeckte Cai tarn der Annamiten, das dem chinesischen San-hsien entspricht. Vor allem hat die persische Kemänge a'güz einen bedeutenden Einfluß bis hinüber in den östlichen Archipel gewonnen. Der Einfluß ist natürlich am stärksten im nordwestlichen Vorderindien, in der unmittelbaren Nachbarschaft der persischen Länder. Eine Streichlaute (säz, eigentlich »machen, Vorrichtung, Instrument«, wie έργον, όργανον), die mit ihrer reizvollen Einlegearbeit eine Zierde des Kasmïr-Schrankes 1 in unserm Museum bildet, ist mit der Kemänge völlig identisch [Abb. 74]. Der kleine Kaie- Abb. 74. Kasmirische bassenkörper mit der aufgeklebten Haut- Spießlaute (¿5, ¿
^S'ju ^ j ï |\ |||| 11 f\ IgjB 1 \ I S ; W
¿t ·