Didaktik der Physik: Beiträge zur Frühjahrstagung der DPG - Augsburg 2003 3936427712, 9783936427714

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Table of contents :
Inhalt
1 Über die Beobachtung von Naturphänomenen und den Grund für dieses Buch
Farbtafeln
4 Luftspiegelungen
5 Regenbögen
6 Halos
7 Koronen
8 Glorien
9 Blauer Himmel
10 Dämmerung
11 Verschiedenes
1.1 Übersicht besonders empfohlener Bücher zur Vertiefung bzw. Ergänzung
2 Grundlegende Konzepte
2.1 Was ist Licht?
2.1.1 Definition
2.1.2 Farbe des Lichts und Wellenlänge
2.2 Was ist Sehen?
2.2.1 Licht muss ins Auge gelangen
2.2.2 Schwarzer oder blauer Himmel
2.2.3 Lichtstreuung im Alltag
2.2.4 Die Sonne als Lichtquelle
2.2.5 Empfindlichkeit des menschlichen Auges
2.2.6 Individuelle Farbwahrnehmung
2.3 Grundlagen der geometrischen Optik
2.3.1 Die Reflexion von Licht
2.3.2 Konzept der Materie: Der Brechungsindex
2.3.3 Die Brechung des Lichts und Totalreflexion
2.3.4 Der Einfluss des Brechungsindex auf optische Phänomene der Atmosphäre
2.4 Grundlagen der Wellenoptik
2.4.1 Was sind Wellen?
2.4.2 Ebene Wellen und Kugelwellen
2.4.3 Polarisation von Wellen
2.4.4 Interferenz von Wellen
2.4.5 Beugung von Wellen
2.5 Beschreibung von Wellenphänomenen des Lichts
2.5.1 Licht als harmonische Welle
2.5.2 Das Prinzip von Huygens
2.5.3 Exakte Lösungen der Beugungstheorie für Kugeln: Mie-Theorie
2.5.4 Alltagsbeispiele
2.5.5 Polarisationsabhängige Effekte bei Reflexion und Brechung: Fresnel-Gleichungen
2.6 Referenzen
3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik
3.1 Die Atmosphäre
3.1.1 Gasförmige Bestandteile der Luft
3.1.2 Wassertropfen
3.1.3 Eiskristalle
3.1.4 Aerosole
3.1.5 Der vertikale Aufbau der Atmosphäre
3.2 Physikalische Prozesse des Lichts mit den Bestandteilen der Atmosphäre
3.3 Klassifikation der Phänomene atmosphärischer Optik
3.3.1 Einteilung nach theoretischen Modellen
3.3.2 Einteilung nach Bestandteilen der Atmosphäre
3.3.3 Praktische Einteilung nach Phänomenen
3.4 Referenzen
4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana
4.1 Luftspiegelungen in Kultur und Gesellschaft
4.3 Verwandte Wahrnehmungstäuschungen
4.3.1 Abplattung des Himmelsgewölbes
4.3.2 Mondillusion
4.4 Luftspiegelungen: Qualitative Beschreibung und Beobachtungen
4.4.1 Untere Luftspiegelungen
4.4.2 Obere Spiegelungen
4.5 Quantitative Beschreibung von Luftspiegelungen
4.6 Simulationsexperimente von Luftspiegelungen
4.6.1 Untere Spiegelungen
4.6.2 Obere Spiegelungen
4.7 Referenzen
5 Regenbögen
5.1 Bemerkungen zur Kulturgeschichte des Regenbogens
5.1.1 Regenbogen im Christentum
5.1.2 Das Brückensymbol
5.1.3 Das Glückszeichen
5.1.4 Der Unglücksbote, Unglücksbringer
5.1.5 Darstellungen in der Kunst
5.1.6 Regenbogensymbole im 20. Jahrhundert
5.2 Beobachtungen zum Regenbogen
5.3 Einfache Erklärung des Regenbogens mithilfe der geometrischen Optik
5.3.1 Regentropfen
5.3.2 Der primäre Regenbogen
5.3.3 Der sekundäre und höhere Regenbögen
5.3.4 Mathematischer Einschub: Berechnung des Regenbogen-winkels nach Descartes
5.4 Besonderheiten durch die Wellennatur des Lichts
5.4.1 Polarisation des Regenbogens
5.4.2 Überzählige Bögen und Farben im Regenbogen
5.4.3 Weiße Nebelbögen
5.4.4 Mathematischer Einschub: Berechnung des Regenbogens nach Airy
5.4.5 Vollständige Beschreibung mithilfe der Elektrodynamik: Mie-Theorie
5.4.6 Weitere Besonderheiten
5.5 Übersicht über die Wissenschafts-geschichte des Regenbogens
5.6 Einfache Experimente
5.6.1 Experimente mit weißem Licht
5.6.2 Experimente mit einfarbigem Licht
5.7 Referenzen
6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?
6.1 Einleitung: Mythen und Aberglauben
6.2 Eiskristalle in der Atmosphäre
6.2.1 Geometrien
6.2.2 Orientierungen
6.3 Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen
6.3.1 Lichtablenkung durch zweimalige Brechung in Eiskristallen
6.3.2 Nebensonnen
6.3.3 Ringhalos
6.3.4 Mathematischer Einschub: Minimale Ablenkwinkel von Licht beim Durchgang durch Prismen
6.3.5 Zirkumzenitalund Zirkumhorizontalbogen
6.3.6 Umschriebener Halo und Berührungsbögen
6.4 Einfache Reflexionshalos
6.4.1 Horizontalkreis
6.4.2 120°-Nebensonnen
6.4.3 Untersonnen und Sonnensäulen
6.5 Kombinationen von Brechung und Reflexion
6.6 Überblick über in Mitteleuropa häufig beobachtbare Haloerscheinungen
6.7 Komplexe Haloerscheinungen und Himmelsarchäologie
6.8 Computersimulationen
6.9 Experimente
6.9.1 Drehbares Glasprisma: Bestimmung des Minimalwinkels
6.9.2 Rotierendes Glasprisma: Nebensonnen und Horizontalkreis
6.9.3 Rotierendes Hexagon: Nebensonnen, Horizontalkreis, Untersonne und Unternebensonnen
6.9.4 Demonstration des oberen Berührungsbogens
6.9.5 Historische Vorschläge zur Demonstrationen von Halos
6.10 Referenzen
7 Koronen, irisierende Wolken und Bishop’scher Ring
7.1 Koronen
7.1.1 Beschreibung der Beobachtungen
7.1.2 Koronaerscheinungen in der Kultur und die Bezeichnungs-weise von Koronen
7.1.3 Grundlegende Erklärung der Korona
7.1.4 Ausgewählte Details der Erklärung von Koronen
7.1.5 Gibt es nur Koronen von Wassertropfen?
7.2 Irisierende Wolken
7.3 Bishop’scher Ring
7.4 Einfache Experimente
7.5 Referenzen
8 Glorienerscheinungen: Das Brockengespenst
8.1 Entstehungsbedingungen und Beschreibung des Phänomens
8.2 Inspiration eines Nobelpreises
8.3 Grundlegende Erklärung der Glorien
8.3.1 Glorie als Beugungsphänomen: Die Hypothese von Van de Hulst
8.3.2 Probleme der Interpretation der Beugungstheorie
8.3.3 Bestätigung der Erklärung durch die Mie-Theorie
8.3.4 Ausgewählte Details der Erklärung von Glorien
8.4 Beobachtung von Glorien
8.5 Einfache Experimente
8.5.1 Nachweis leuchtender Kreisringe in Rückwärtsrichtung
8.5.2 Beugungsexperimente
8.5.3 Künstliche farbige Glorienbeobachtungen
8.5 Referenzen
9 Blauer Himmel
9.1 Geschichtliches
9.2 Rayleigh-Streuung
9.2.1 Farbabhängigkeit der Rayleigh-Streuung: Das Blau des klaren Himmels
9.2.2 Polarisation des Himmelslichts
9.2.3 Schwächung des Lichts durch die Atmosphäre: Die optische Dicke
9.2.4 Schwächung des Lichts als Funktion der Zenitdistanz: Der Air-Mass-Faktor
9.2.5 Weißer Horizont und Helligkeiten des Himmels bei Rayleigh-Streuung
9.2.6 Blaue Berge
9.2.7 Welche Farbe hat der Nachthimmel?
9.3 Ein einfaches Experiment
9.4 Referenzen
10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastell-farben und glutrotem Himmel
10.1 Ergebnisse der Mie-Streuung erläutert an Beispielen
10.1.1 Farbabhängigkeit der Mie-Streuung: Die blaue Sonne
10.1.2 Größenabhängigkeit bei der Mie-Streuung: Durch Regen sehen
10.1.3 Winkelabhängigkeit bei der Mie-Streuung: Die schmutzige Windschutzscheibe
10.1.4 Polarisation des Streulichts: Der tägliche Regenbogen in den Wolken
10.1.5 Schwächung des Lichts durch Mie-Streuung: Ab welcher Dicke sind Wolken undurchsichtig?
10.2 Anwendungen
10.2.1 Farben von Sonne/Mond
10.2.2 Himmelshelligkeit und Dämmerungsfarben
10.2.3 Wolkenfarben
10.2.4 Sichtweiten
10.3 Experimente zur Rayleighund Mie-Streuung
10.3.1 Reine Gase und Luft
10.3.2 Zigarettenrauch
10.3.3 Wasser
10.3.4 Teilchen definierter Größe
10.3.5 Teilchenwachstum bei chemischen Reaktionen
10.4 Das Rätsel des Spaceshuttle
10.5 Referenzen
11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene
11.1 Vorhersagen des Wetters aus optischen Phänomenen der Atmosphäre: Bauernregeln
11.2 Das grüne Leuchten
11.2.1 Die Atmosphäre als Prisma aufgrund der Refraktion
11.2.2 Abschwächung des Sonnenlichts durch Streuung und Absorption
11.2.3 Die Notwendigkeit von Luftspiegelungen beim grünen Leuchten
11.2.4 Physiologische Effekte
11.2.5 Grüne Säume bei Planetenbeobachtungen
11.3 Finsternisse im Sonnensystem
11.3.1 Ursachen von Finsternissen
11.3.2 Unterschiede zwischen Sonnenund Mondfinsternissen
11.3.3 Andere Finsterniskonstellationen
11.3.4 Sonnenfinsternisse in der Zukunft
11.3.5 Mondfinsternisse und Transits von Merkur und Venus
11.4 Schatten
11.5 Polarlichter
11.6 Elektrische Phänomene in der Atmosphäre: Blitze
11.7 Leuchtende Nachtwolken
11.8 Kometen und Sternschnuppen
11.8.1 Kometen
11.8.2 Meteore
11.9 Sternbeobachtungen am Tage und warum es nachts dunkel ist
11.9.1 Kann man Sterne auch tagsüber sehen ?
11.9.2 Warum ist es nachts dunkel ?
Epilog
11.10 Referenzen
Index
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Didaktik der Physik: Beiträge zur Frühjahrstagung der DPG - Augsburg 2003
 3936427712, 9783936427714

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Lichtspiele in der Luft

Michael Vollmer

Lichtspiele in der Luft Atmosphärische Optik für Einsteiger

Zuschriften und Kritik an: Elsevier GmbH, Spektrum Akademischer Verlag, Katharina Neuser-von Oettingen, Slevogtstraße 3–5, 69126 Heidelberg Autor Michael Vollmer Fachhochschule Brandenburg Magdeburger Str. 50 14470 Brandenburg Email: [email protected] Wichtiger Hinweis für den Benutzer Der Verlag und der Autor haben alle Sorgfalt walten lassen, um vollständige und akkurate Informationen in diesem Buch zu publizieren. Der Verlag übernimmt weder Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für die Nutzung dieser Informationen, für deren Wirtschaftlichkeit oder fehlerfreie Funktion für einen bestimmten Zweck. Der Verlag übernimmt keine Gewähr dafür, dass die beschriebenen Verfahren, Programme usw. frei von Schutzrechten Dritter sind. Der Verlag hat sich bemüht, sämtliche Rechteinhaber von Abbildungen zu ermitteln. Sollte dem Verlag gegenüber dennoch der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar gezahlt. Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2006, Softcover 2013 © Elsevier GmbH, München Spektrum Akademischer Verlag ist ein Imprint der Elsevier GmbH. 06

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Für Copyright in Bezug auf das verwendete Bildmaterial siehe Abbildungsnachweis. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Planung und Lektorat: Katharina Neuser-von Oettingen / Stefanie Adam Herstellung: Elke Littmann-Bähr Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu-Ulm Titelfotografie: NASA Layout/Gestaltung: TypoDesign Hecker, Leimen Satz: Mitterweger & Partner, Plankstadt Druck und Bindung: Krips b.v., Meppel Printed in The Netherlands

,6%1 +DUGFRYHU ,6%1 6RIWFRYHU Aktuelle Informationen finden Sie im Internet unter www.elsevier.de

Inhalt 1

Über die Beobachtung von Naturphänomenen und den Grund für dieses Buch 1 Farbtafeln I–XVI (nach Seite 8)

2

Grundlegende Konzepte 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

3

3.3 3.4

47

Die Atmosphäre 47 Physikalische Prozesse des Lichts mit den Bestandteilen der Atmosphäre 69 Klassifikation der Phänomene atmosphärischer Optik 71 Referenzen 73

Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana 75 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7

5

Was ist Licht? 9 Was ist Sehen? 11 Grundlagen der geometrischen Optik 17 Grundlagen der Wellenoptik 24 Beschreibung von Wellenphänomenen des Lichts 34 Referenzen 45

Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik 3.1 3.2

4

9

Luftspiegelungen in Kultur und Gesellschaft 75 Die astronomische Refraktion und Flimmern der Sterne 78 Verwandte Wahrnehmungstäuschungen 82 Luftspiegelungen: Qualitative Beschreibung und Beobachtungen Quantitative Beschreibung von Luftspiegelungen 92 Simulationsexperimente von Luftspiegelungen 93 Referenzen 97

Regenbögen 5.1 5.2 5.3

101

Bemerkungen zur Kulturgeschichte des Regenbogens 101 Beobachtungen zum Regenbogen 109 Einfache Erklärung des Regenbogens mithilfe der geometrischen Optik 111

85

VI

Inhalt

5.4 5.5 5.6 5.7 6

Besonderheiten durch die Wellennatur des Lichts 123 Übersicht über die Wissenschaftsgeschichte des Regenbogens 134 Einfache Experimente 140 Referenzen 148

Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung? 151 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6

Einleitung: Mythen und Aberglauben 151 Eiskristalle in der Atmosphäre 153 Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen 155 Einfache Reflexionshalos 174 Kombinationen von Brechung und Reflexion 178 Überblick über in Mitteleuropa häufig beobachtbare Haloerscheinungen 179 6.7 Komplexe Haloerscheinungen und Himmelsarchäologie 180 6.8 Computersimulationen 182 6.9 Experimente 185 6.10 Referenzen 191 7

Koronen, irisierende Wolken und Bishop’scher Ring 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5

8

Koronen 193 Irisierende Wolken 209 Bishop’scher Ring 211 Einfache Experimente 212 Referenzen 214

Glorienerscheinungen: Das Brockengespenst 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6

193

217

Entstehungsbedingungen und Beschreibung des Phänomens 217 Inspiration eines Nobelpreises 220 Grundlegende Erklärung der Glorien 220 Beobachtung von Glorien 232 Einfache Experimente 233 Referenzen 236

Inhalt

9

Blauer Himmel 9.1 9.2 9.3 9.4

237

Geschichtliches 237 Rayleigh-Streuung 239 Ein einfaches Experiment 255 Referenzen 257

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel 259 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5

Ergebnisse der Mie-Streuung erläutert an Beispielen Anwendungen 268 Experimente zur Rayleigh- und Mie-Streuung 297 Das Rätsel des Spaceshuttle 308 Referenzen 310

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

261

313

11.1 Vorhersagen des Wetters aus optischen Phänomenen der Atmosphäre: Bauernregeln 313 11.2 Das grüne Leuchten 315 11.3 Finsternisse im Sonnensystem 322 11.4 Schatten 334 11.5 Polarlichter 336 11.6 Elektrische Phänomene in der Atmosphäre: Blitze 340 11.7 Leuchtende Nachtwolken 345 11.8 Kometen und Sternschnuppen 346 11.9 Sternbeobachtungen am Tage und warum es nachts dunkel ist 350 11.10 Referenzen 356 Index

359

VII

1

Über die Beobachtung von Naturphänomenen und den Grund für dieses Buch

Unter Phänomen versteht man etwas, das in seiner Erscheinungsform auffällt, ungewöhnlich ist, eine Erscheinung bzw. das sich den Sinnen Zeigende. Ungewöhnliches kann verblüffen, faszinieren und zusätzlich vor allem auch zum Nachdenken anregen, zum Erforschen der Ursachen für die Beobachtung. Viele Phänomene der modernen Naturwissenschaft, seien es Physik, Chemie, Biologie oder andere Gebiete, erschließen sich nur den Fachleuten, da Experimente mit kontrollierbaren, häufig auch komplizierten Aufbauten genutzt werden, die dem Laien nicht verfügbar sind. Andererseits gibt es in unserer Umwelt, in der Natur und im Alltagsleben eine Fülle anderer, für jeden erlebbarer Phänomene. Dazu zählen die mit unseren Sinnen ohne große Hilfsmittel beobachtbaren physikalischen Naturphänomene sowie Erscheinungen, die in unserer Erfahrungswelt des täglichen Lebens – auch derjenigen der Technik – wahrgenommen werden können. Beispiele für Phänomene der Physik sind der freie Fall, d. h. die Schwerkraft, Trägheitskräfte bei Fahrten mit der Achterbahn, Wasserwellen, das Wetter, das Einfrieren von Gewässern, das Sieden und Verdampfen von Wasser, die Wärmeausdehnung aller Körper, der Wechsel der Jahreszeiten, das Feuer, die Anziehung oder Abstoßung elektrisch geladener oder magnetisierter Körper, die unterschiedliche Elektrizitätsleitung durch verschiedene Materialien, Licht und Schatten, die Farbe der Meere und die von Seifenblasen, Lichtbrechung, -beugung und -reflexion und viele mehr. Ein Phänomen kann auch erst durch eine Fragestellung offenbar werden. Warum ist beispielsweise Eis farblos und Schnee weiß? (Dieselbe Frage gilt z. B. auch für eine Fensterscheibe und zermahlenes Glas.) Und warum sind Regenbögen farbig, die Wolken häufig weiß und der klare Himmel blau? Oder wieso kann die Sonne manchmal grün aussehen? Offensichtlich führt eine allgemeine Beschäftigung mit solchen Fragen hinsichtlich physikalischer Phänomene zwangsweise zu einer Diskussion vieler Gebiete der Physik. Selbst wenn man sich auf einen kleinen Teil wie z. B. die vielfältigen optischen Naturphänomene beschränkt, würde dies bei einer ausführlichen Behandlung den Rahmen des vorliegenden Buchs sprengen. Daher soll hier nur eine kleine Untergruppe behandelt werden, und zwar optische Naturphänomene der Atmosphäre.

M. Vollmer, Lichtspiele in der Luft, DOI 10.1007/978-3-8274-3093-9_1, © Elsevier GmbH, München 2006

2

1 Über die Beobachtung von Naturphänomenen und den Grund für dieses Buch

Warum ein Buch über Phänomene atmosphärischer Optik? Ein Überleben in unserer technisierten Welt ist langfristig nur möglich, wenn mit Natur und Umwelt liebevoll umgegangen wird. Und wie ließe sich das besser erreichen als durch die Faszination einer direkten Wahrnehmung der Natur? Eine herausragende Rolle spielt dabei die Vielzahl möglicher optischer Naturphänomene, die neben oder gerade wegen ihrer Schönheit auch zum Nachdenken anregen, zum Grübeln über die zugrunde liegende Physik. Durch die vielen visuellen Einflüsse von Film, Video, Fernsehen und Internet werden faszinierende Naturerscheinungen leider häufig nur noch aus Sekundärquellen, gleichsam aus Konserven vermittelt. Ein direktes Beobachten von Naturphänomenen sollte in unserer von Technik überfluteten Welt deshalb wieder aktiviert werden. Denn: „Wer die Natur liebt, braucht das Beobachten ihrer Erscheinungen wie die Luft zum Atmen.“ So formulierte Marcel Minnaert das Bedürfnis der Naturbeobachtung im Vorwort seines berühmten Buchs Licht und Farbe in der Natur aus dem Jahr 1937, das kürzlich in deutscher Sprache neu aufgelegt wurde. Das vorliegende Buch möchte einen Beitrag in dieser Richtung leisten. Ohne die Faszination der Phänomene zu schmälern – sie sind in den Farbtafeln hinter Seite 8 zusammengestellt –, sollen auch das Zustandekommen der Erscheinungen beschrieben und die physikalischen Gesetzmäßigkeiten erläutert werden. Dabei ergibt sich unweigerlich ein Problem für den Autor, ein Problem das jeder Naturwissenschaftler hat, der über sein Steckenpferd, über sein liebstes Forschungsgebiet schreibt. Denn viele Phänomene sind für den wissenschaftlichen Beobachter nicht nur in der visuellen Wahrnehmung, sondern auch auf eine zweite Weise faszinierend, nämlich dadurch, dass es überhaupt eine einfache quantitative physikalische Beschreibung gibt. Und dies geschieht i. Allg. in der Sprache von physikalischen Modellen, Begriffen, Gleichungen und grafischen Darstellungen. Leider wirkt dies bei vielen Lesern abschreckend. Ein – sei es auch nur wenig mehr als qualitatives – Verständnis der Mathematik und Naturwissenschaften wird von manchem in Bezug auf das für das Leben und unsere Kultur notwendige Grundwissen sogar in modernen Bestsellern als unwichtig bezeichnet. Insofern sind Gleichungen wie y = sin(x) und I = I0 · e–x oder entsprechende grafische Darstellungen wie Abb. 1.1 oder Abb. 1.2 für manche Leser vielleicht sogar der Hauptgrund, ein Buch sofort wieder aus der Hand zu legen, und für Verlage, mit ihren Autoren halbpopulärer Bücher um jede Gleichung zu feilschen. Viele moderne populäre Darstellungen von Teilgebieten der Physik und der Naturwissenschaften versuchen mit vereinfachenden Bildern und Texten die Probleme zu umschiffen und dieses Dilemma zu vermeiden. Dies führt allerdings beim Leser, der sich weiterführend mit einem Thema auseinander setzen möchte, unweigerlich zu Frustration, wenn der Sprung des vorausgesetzten Verständnisses zur empfohlenen weiterführenden Literatur zu groß wird. Im vorliegenden Buch soll der Spagat versucht werden, einerseits mehr oder weniger populärwissenschaftlich die Phänomene anschaulich und einfach zu erläutern, andererseits aber auch in die Tiefe zu gehen. Ein wesentlicher Leitsatz dieses Buchs lautet deshalb einerseits: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Und aus diesem Grund gibt es auch sehr viele Abbildungen zur

1 Über die Beobachtung von Naturphänomenen und den Grund für dieses Buch

3

y 1

0

–1 0 a)

360 720 x (Winkel in Grad)

y y = sin(x) 1

0

–1 0 b) 0

360 2π

720 4π

1080

1.1 Die Darstellung der Funktion y = sin(x), wobei x als Winkel in Gradmaß angegeben wird, ist auf mehrfache Weise möglich. a) Die Achsen werden mit Pfeilen versehen, und gelegentlich werden vertikale und horizontale Hilfslinien eingezeichnet. b) Die Pfeile und Hilfslinien werden oft weggelassen, und der Winkel wird neben dem Gradmaß (°, obere Zahlen) manchmal auch in Bogenmaß (rad, untere 1080 x Zahlen) angegeben, wobei 2π = 360° ist. 6π

Illustration der Phänomene und insbesondere einige Farbtafeln zu den Naturphänomenen. Um aber andererseits auch in die Tiefe zu gehen, ist es an manchen Stellen, z. B. bei der quantitativen Diskussion der Sichtweite, erforderlich, einige mathematische Gleichungen zu diskutieren und Grafiken zu deren Veranschaulichung sowie quantitativen Beschreibung mit aufzunehmen. Dies soll dazu dienen, die sich ergebenden Zahlenwerte zu verstehen. Ein weiteres Beispiel: Praktisch alle Lehrbücher der Physik beschreiben den Regenbogen qualitativ mit denselben Bildern des Strahlverlaufs in einem Tropfen. Aber aus keinem dieser qualitativen Bilder ergibt sich der Zahlenwert des Regenbogenwinkels, der für Regentropfen überall auf der Erde gleich ist. Dieser Zahlenwert fällt aber nicht vom Himmel und ist auch nur insofern ein Wunder, als es an ein Wunder grenzt, dass wir in der Lage sind, viele Phänomene der Natur und auch den Regenbogen mit erstaunlich einfachen quantitativen Beziehungen in Form von Gleichungen zu beschreiben.

4

1 Über die Beobachtung von Naturphänomenen und den Grund für dieses Buch

10 y

y = 10 e–x 8 6 4 2 0

a)

0

2

4

6

8

10

x

10

x

102 y

y = 10 e–x

101

lg(y) = –x lg(e) + 1 100

= –0,434 x + 1

10–1 10–2 10–3 10–4 b) 0

2

4

6

8

1.2 Die Funktion I(x) = I0 ⋅ e–x fällt sehr schnell ab. Als Beispiel für die in der Mathematik übliche Schreibweise sei I = y und I0 = 10, d. h. y = 10 ⋅ e–x. In linearer Darstellung (a) ist ab x > 5 praktisch kein Unterschied zu Null mehr erkennbar. Dagegen zeigt eine logarithmische Auftragung (b), bei der die Hauptunterteilungen der vertikalen Achse sich jeweils um den gleichen Faktor 10 unterscheiden, eine Gerade bis hin zu großen x-Werten. Diese Auftragung empfiehlt sich, wenn sehr große Zahlenunterschiede auftreten. In dem vergrößerten Achsenabschnitt ist zu erkennen, dass diese Auftragung nichtlinear ist.

Henk Tennekes stand in seinem hervorragenden populären Buch über The Simple Science of Flight (MIT Press) vor einem ähnlichen Problem. Wie er habe ich beschlossen, einige einfache Gleichungen und auch Grafiken mit aufzunehmen. Und wie er möchte auch ich mich hierfür nicht entschuldigen, sondern ich hoffe, dass einige der Leser vielleicht mit dem Enthusiasmus, der sich aus dem Erfolg der von mir gerne genutzten und geliebten einfachen Abschätzungen ergibt, infiziert werden. Dazu ist es auch notwendig, sich mit den in den Naturwissenschaften üblichen Abkürzungen von Größenordnungen (Tab. 1.1) zu beschäftigen. Beispielsweise können Wassertropfen in der Atmosphäre Radien von wenigen Mikrometern bis hin zu einigen Millimetern aufweisen, das ist mehr als ein Faktor 1000 = 103 Unterschied. Bei der Lichtstreuung an Wassertropfen kann es dazu kommen, dass ein und derselbe Tropfen je nach Raumrichtung um sechs oder acht Größenordnungen, d. h. um den Faktor 1 Million = 106 oder 100 Millionen = 108, unterschiedliche Streueffizienzen aufweisen kann (Kapitel 5). Wenn solch große Unter-

1 Über die Beobachtung von Naturphänomenen und den Grund für dieses Buch Tabelle 1.1

5

Einige Größenordnungen und deren Bezeichnungen.

Name

Abkürzung

wissenschaftliche Schreibweise

Nanometer Mikrometer Millimeter Meter Kilometer Mikrosekunde Millisekunde

nm μm mm m km μs ms

10–9 m 10–6 m 10–3 m 100 m 103 m 10–6 s 10–3 s

schiede vorliegen, werden in grafischen Darstellungen gelegentlich auch sog. logarithmische Auftragungen verwendet (Abb. 1.2b, Abb.1.3). Dabei ist beispielsweise eine der Achsen (hier die vertikale Achse) nichtlinear unterteilt. Die Bedeutung ist einfach: Jeder dicke Teilstrich bedeutet hier einen Faktor 10 Unterschied. Solche Darstellungen kommen im Rahmen dieses Buchs gelegentlich zum Einsatz, und zwar immer dann, wenn für ein und dasselbe Phänomen sehr unterschiedliche Zahlenwerte eine Rolle spielen. Den nur an der qualitativen Beschreibung interessierten Leser soll dies nicht abschrecken, einige der mathematischen Einschübe und der eher quantitativen Diskussionen können ohne weiteres übersprungen werden. Letztlich ist es in den Naturwissenschaften üblich, viele verschiedene Größen einzuführen und auch mit Abkürzungen zu versehen. Und da für die Vielzahl der Größen das lateinische Alphabet nicht ausreicht, hat es sich eingebürgert, auch griechische Buchstaben als Abkürzungen zu verwenden, so wie man es von der Kennzeichnung der Winkel α, β oder γ aus der Schule kennt. Heute sind sie vielen

Maße für Lichtintensität

1013 Wassertropfen R = 300 μm λ = 650 nm

1010

107

104 0

30

60

90

120

Winkel in Grad

150

180

1.3 Eine auf den ersten Blick komplizierte Auftragung einer Funktion der atmosphärischen Optik. Hier ist y die Lichtintensität, die von einem einzelnen Wassertropfen gestreut wird. Das Argument x ist der Winkel, unter den das Licht gestreut wird. Die Auftragung erfolgt auch hier logarithmisch, da sehr große Unterschiede in den Zahlenwerten auftreten. (Details zu den physikalischen Ursachen dieses Funktionsverlaufs, der u. a. den Regenbogen zeigt, finden sich in Kapitel 5.)

6

1 Über die Beobachtung von Naturphänomenen und den Grund für dieses Buch

Tabelle 1.2 Lateinische (oben) sowie kleine (Mitte) und große (unten) griechische Buchstaben. Letztere werden in den Naturwissenschaften häufig als Abkürzungen verwendet. a b c d e

f

g h

i

j

α β χ

φ

γ

η

ι

ϕ κ λ μ ν

Α Β Χ Δ Ε Φ Γ Η

Ι

ϑ Κ Λ Μ Ν Ο Π Θ Ρ Σ Τ Υ ς Ω Ξ Ψ Ζ

δ

ε

k

l

m n o p q

ο π

θ

r

s

t

u

v w x

y

z

ρ σ

τ

υ ϖ ω ξ ψ

ζ

Menschen auch von Computertastaturen, wenn man auf Symbolschrift umstellt, geläufig. Tab. 1.2 gibt eine Übersicht der griechischen Buchstaben, von denen einige auch in diesem Buch verwendet werden. Die einzelnen Kapitel des Buchs sind i. Allg. unabhängig voneinander, denn es werden unterschiedliche Phänomene behandelt. Da viele der Erscheinungen aber auf dieselben physikalischen Gesetze zurückgeführt werden, ist es – je nach Kenntnisstand der Physik – zunächst sicher sinnvoll, die beiden einführenden Kapitel über die grundlegenden Konzepte und eine Übersicht der Phänomene zu lesen. Sodann werden nacheinander ausführlich Luftspiegelungen, Regenbögen, Haloerscheinungen, Koronen, Glorien, die Ursache für die blaue Farbe des Himmels und die sonstigen Himmelsfarben behandelt. In einem abschließenden Kapitel werden weitere verwandte Phänomene wie das grüne Leuchten, Polarlichter, Blitze sowie die Frage, warum der Himmel nicht auch nachts hell ist, etwas weniger detailliert beschrieben, und es wird außerdem auf weitere interessante Naturereignisse der nächsten Jahre, z. B. auch Sonnenfinsternisse wie die vom 29. März 2006, verwiesen. Um die Lesbarkeit der einzelnen Kapitel zu erhöhen, wurden bewusst alle benötigten Abbildungen mit aufgenommen, selbst wenn sie in gleicher oder ähnlicher Weise bereits in vorherigen Kapiteln gezeigt wurden. Ähnlich finden sich gelegentlich zusätzliche Schwarzweißabbildungen von Farbtafeln, um die behandelten Sachverhalte zu veranschaulichen. Wann immer jedoch die Farbigkeit eines Phänomens diskutiert wird, sollte man zu den entsprechenden Farbtafeln blättern. Für in der Physik Bewanderte ist noch eine Bemerkung zur Namensgebung der hier vorgestellten Phänomene angebracht. Es gibt eine Reihe von Phänomenen gleichen Namens in der Physik, die mit Optik der Atmosphäre nichts zu tun haben. Regenbögen und Glorien, also Bezeichnungen der atmosphärischen Optik, findet man auch in anderen Gebieten der Physik, z. B. in der Atom-, Molekül-, Kern- und Teilchenphysik. Dadurch werden fast immer Interferenzeffekte bei der Streuung von Teilchen an Teilchen beschrieben, ähnlich den Interferenzen beim Regenbogen und den Beugungsstrukturen der Glorien. Halos tauchen häufig in Artikeln über Astrophysik auf. Unter dem galaktischen Halo versteht man ein kugelförmiges System von Sternhaufen, Einzelsternen und interstellarem Gas, das die Milchstraße und andere Spiralnebel umgibt. Hier ist die Verwandtschaft zum atmosphärischen Halo schon etwas unklarer. Auf derartige Phänomene gleichen Namens aus anderen Wissenschaftsgebieten wird hier nicht eingegangen.

1 Über die Beobachtung von Naturphänomenen und den Grund für dieses Buch Tabelle 1.3 Optik.

7

Übersicht ausgewählter Internetseiten zu Phänomenen atmosphärischer

Autor

wesentliche Themen

Adresse

Les Cowley

allgemein http://www.sundog.clara.co.uk/atoptics/ atmosphärische Optik phenom.htm

Arbeitskreis Meteore (AKM)

allgemein http://www.meteoros.de/ atmosphärische Optik

C. und W. Hinz

allgemein http://www.glorie.de atmosphärische Optik

Till Credner, Sven Kohle

allgemein http://www.allthesky.com/atmosphere/ atmosphärische Optik atmosphere.html

Eva Seidenfaden

allgemein www.paraselene.de atmosphärische Optik

Pekka Parviainen

Polarlichter, Mirages u.a

www.polarimage.fi

Philip Laven

Koronen und Glorien

www.philiplaven.com

Andy Young

grünes Leuchten

http://mintaka.sdsu.edu/GF/

Nasa, Fred Espanak

Finsternisse

http://sunearth.gsfc.nasa.gov/eclipse/eclipse.html

Nasa

Blitze

http://thunder.msfc.nasa.gov/

ESA

Bilder Hubble Space Telescope

http://www.spacetelescope.org

Werner Schneider

Programme zur Optik

http://www.didaktik.physik.uni-erlangen.de/ download/window.htm

Phänomene der atmosphärischen Optik leben von der Faszination des Anblicks. Da aus Kostengründen nur eine begrenzte Anzahl an Farbabbildungen möglich war, soll an dieser Stelle zunächst eine Auswahl von sehr informativen Internetseiten mit unzähligen Farbabbildungen und weiterführenden Links aufgelistet werden (Tab. 1.3). Weitere Angaben finden sich in den Literaturangaben jedes Kapitels. Am Ende dieses Kapitels findet sich darüber hinaus eine Übersicht besonders empfohlener Bücher mit teilweise ebenfalls sehr schönen Farbabbildungen. Dieses Buch ist über einen Zeitraum mehrerer Jahre entstanden. Viele Menschen haben dazu beigetragen, sei es durch Überlassung von Fotos oder kritische Durchsicht einzelner Abschnitte. Ebenso hatte ich viele Diskussionen mit Mitgliedern der nationalen und internationalen Atmospheric Optics Community zu einzel-

8

1 Über die Beobachtung von Naturphänomenen und den Grund für dieses Buch

nen Phänomenen. Insbesondere möchte ich allen Bildautoren der Farbtafeln herzlich für die Bereitstellung ihrer Fotos danken sowie Thomas Bührke (Olbers’sches Paradoxon) und Jürgen Rendtel (Meteore) für das Lesen einzelner Textpassagen. Herr Christian Kramer half bei der Erstellung einiger Abbildungen. Meine Lektorin Katharina Neuser hatte sehr viel Geduld und war stets konstruktiv und hilfreich. Letztlich möchte ich insbesondere meiner Frau Ute und meinen Kindern Paul und Anna danken, ohne deren allgemeine Unterstützung und Verständnis dieses Projekt nicht hätte realisiert werden können.

1.1

Übersicht besonders empfohlener Bücher zur Vertiefung bzw. Ergänzung

A) Allgemeinverständlich zu vielen Phänomenen 1) M.G.J. Minnaert, Licht und Farbe in der Natur (1937), Neu: Birkhäuser (1992) – der Klassiker 2) R. Greenler, Rainbows, Halos, and Glories, Cambridge University Press (1980) – der moderne Klassiker 3) D.K. Lanch, W. Livingston, Color and Light in Nature, Cambridge University Press (1995) – farbig 4) K. Schlegel, Vom Regenbogen zum Polarlicht, Spektrum Heidelberg (1995) – durchgängig farbig B) Im Wesentlichen zu Einzelphänomenen oder zu wenigen Phänomenen 1) C.L. Boyer, The Rainbow – From Myth to Mathematics, Princeton University Press (1987) 2) K. Bullrich, Die farbigen Dämmerungserscheinungen, Birkhäuser, Basel (1982) 3) G. Hoeppe, Blau – Die Farbe des Himmels, Spektrum (1999) 4) M.Z. Jacobson, Atmospheric Pollution, Cambridge University Press (2002) 5) G.P. Können, Polarized Light in Nature, Cambridge University Press (1985); Erstauflage auf Holländisch 1980 6) A. Löw, Luftspiegelungen: Naturphänomen und Faszination, BI Wiss.Verlag, Mannheim (1990) 7) A. & M. Meinel, Sunsets, Twilights, and Evening Skies, Cambridge University Press (1983) 8) W. Tape, Atmospheric Halos, Am. Geophys. Soc., Washington D.C. (1994) C) Lehrbücher der atmosphärischen Optik 1) J.M. Pernter, F.M. Exner, Meterologische Optik, 2. Aufl., W. Braumüller, Wien (1922) – das klassische Lehrbuch 2) G. Dietze, Einführung in die Optik der Atmosphäre, Akad. Verlagsges., Leipzig (1957) – letztes Lehrbuch nur zur atmosphärischen Optik in deutscher Sprache 3) R.A.R. Tricker, Introduction to Meteorological Optics, Elsevier, New York (1970) D) Zur Optik allgemein 1) D.S. Falk, D.R. Brill, D.G. Stork, Ein Blick ins Licht, Birkhäuser (1990) – gut verständliches Optiklehrbuch mit vielen Anregungen zum Experimentieren 2) E. Hecht, Optik, 3. Aufl., Addison-Wesley, Bonn (2001) – Hochschullehrbuch, insbesondere auch Theorie zu geometrischer Optik und Wellenoptik E) Theorie der Lichtstreuung und wissenschaftliche Arbeiten zur atmosphärischen Optik 1) H.C. van de Hulst, Light Scattering by Small Particles, Dover; Neuauflage 1981 – Theoretische Behandlung der Mie-Streuung, insbesondere am Wassertropfen 2) Veröffentlichungen von wissenschaftlichen Tagungen zur atmosphärischen Optik in der wissenschaftlichen Zeitschrift Applied Optics: Appl. Opt. 30 (24/1991); Appl. Opt. 33 (21/1994); Appl. Opt. 37 (9/1998); Appl. Opt. 42 (3/2003); geplantes nächstes Themenheft Ende 2005. Die Beiträge bis 1998 sowie weitere sind auch auf einer CD-ROM zusammengestellt: On Minnaaerts Shoulders: Twenty Years of Light and Color Conferences, Chuck Adler (Hrsg.), OSA (2000)

Farbtafeln 4 Luftspiegelungen

F 4.1 stark abgeplattet aussehender Mond durch Refraktion beim Blick von der ISS zum Mond durch die Erdatmosphäre. (Foto: D. Pettit, ISS, NASA, 28.4.2003)

F 4.2 Untere Luftspiegelung von Motorradfahrern auf einer heißen Straße. (Foto: E. Tränkle).

F 4.3 Untere Luftspiegelung einer Warft auf einer Hallig aufgenommen an der Nordsee. (Foto: M. Engler)

II

a)

Farbtafeln

b)

F 4.4 Untere Luftspiegelung aufgenommen an der Nordsee. Die Kirche von Pellworm aufgenommen von Hooge bei sehr ruhigem Wasser mit f = 500 mm (a) sowie von der Sandbank Japsand bei Ebbe mit f = 1000 mm (b). Die Kirche spiegelt sich in der Luftschicht über dem trockengelegten Wattenmeer und man erkennt deutlich eine doppelte untere Spiegelung. (Fotos: M. Vollmer)

F 4.5 Untere Luftspiegelung am Wannsee nach einem Kaltlufteinbruch. (Foto: E.Tränkle)

F 4.6 Obere Luftspiegelung einer Insel in Kustavi in Südwest-Finnland. (Foto: P. Parviainen) fragen

Farbtafeln

III

5 Regenbögen

F 5.1 Regenbogen im Alpenvorland. Man erkennt deutlich, dass der Bogen vor den dahinter liegenden dunkleren Bergen entsteht. (Foto: W. Hinz)

F 5.2 Gespaltener Regenbogen aufgenommen im Pazifik, der gleichzeitig sowohl im oberen Bereich durch Süßwasser (Regen) als auch im unteren Bereich durch Salzwasser (Gischt) erzeugt wurde. (Foto: Dijkema/Können)

F 5.3 Primärer und sekundärer Regenbogen mit Alexanders dunklem Band. (Foto: C. Hinz).

IV

Farbtafeln

F 5.4 Ein Regenbogen mit seinem Spiegelbild in einem ruhigen See. (Foto: Paul Neiman)

F 5.5 Überzählige Regenbögen. (Foto: C. Hinz)

6 Halos

F 6.1 Bild eines vollständigen 22° -Halos. Es handelt sich um einen farbigen Ring mit der Spektralfarbe rot innen und blau außen. Die Farberscheinung und das Ringsystem können je nach den atmosphärischen Bedingungen mehr oder weniger vollständig sein. (Foto: W. B. Schneider)

Farbtafeln

V

a)

c)

b) F 6.2 Nebensonnen und Nebenmonde: Beispiele für die 22°-Nebensonnen ohne den Haloring um die Sonne (a) bzw. um den Mond (b) bei ansonsten gleichem Standpunkt. (Fotos: W. B. Schneider). (c) Vergrößerter Ausschnitt einer farblich aufgespaltenen Nebensonne. (Foto: C. Hinz)

F 6.3 Zirkumhorizontalbogen. (Foto: Herb Segars)

F 6.4 Foto einer seltenen Haloerscheinung mit Untersonne und Unternebensonne. (Foto: M. Theusner)

F 6.5 Foto eines komplexen Halo-Displays vom 2.1.1990 in der Antarktis. (Foto: G. Können)

VI

Farbtafeln

7 Koronen

F 7.1 Mondlichtkorona. (Foto: E. Seidenfaden) F 7.4 Nichtkreisförmige Korona aufgrund von in der Luft orientiert vorliegenden Pollen. (Foto: J. Piikki)

F 7.2 Zweigeteilte Korona aufgrund der gleichzeitigen Anwesenheit von Eiskristallen (unterer Bereich) und Wassertropfen (oberer Bereich) in einer Wolke. (Foto: P. Neiman)

F 7.5 Irisierende Wolken. (Foto: S. Gezelman)

F 7.3 Nichtkreisförmige Korona aufgrund von unterschiedlichen Tropfengrößen in verschiedenen Bereichen einer Wolke. (Foto: P. Neiman)

Farbtafeln

VII

a)

b)

c) F 7.6 Computersimulationen von Koronen als Tortendiagramm. (Simulationen: L. Cowley) (a) Der rechte obere Quadrant des Bilds entspricht einer natürlich beobachtbaren Korona bei Beleuchtung von Wassertropfen fester Größe mit Sonnenlicht. Die anderen Quadranten zeigen das Ergebnis bei einfarbiger Beleuchtung derselben Wassertröpfchen. (b) Variation der Größe der Wassertröpfchen. (c) Variation der Breite der Größenverteilung der Wassertröpfchen.

VIII

Farbtafeln

8 Glorien

F 8.1 Brockengespenst auf der Schneekoppe. (Foto: H. Lau)

a)

b)

F 8.2 Gleichzeitige Beobachtung einer Korona (a) und nach dem Umdrehen des Beobachters auch einer Glorie (b) in einem Wald auf Teneriffa. (Foto: T. Credner und S. Kohle)

Farbtafeln

IX

F 8.3 Glorienerscheinung über den Wolken aus einem Flugzeug beobachtet. (Foto: P. Laven)

F 8.4 Direkter Vergleich theoretischer Rechnungen für Glorien (untere Bildhälfte) und Koronen (obere Bildhälfte) für Tropfen mit R = 10μm. (Simulation: P. Laven).

F 8.5 Vergleich einer Flugzeugbeobachtung einer Glorie mit theoretischen Rechnungen (innerer Ausschnitt). (Simulation: P. Laven).

X

Farbtafeln

9 Blauer Himmel

F 9.3 Blauer Himmel und weisse Wolken mit der Skyline von New York im Hintergrund. (Foto M. Vollmer) F 9.1 Das Cyanometer nach H.C. de Saussure war eines der ersten Messinstrumente für das Blau des Himmels (Musée d’Histoire Naturelle, Genf)

a)

b)

F 9.2 Schwaerzer Mondhimmel beim Blick von Apolloastronauten zur Erde. (Foto: NASA) F 9.4 Der Blick auf den blauen Himmel beim Drehen eines Polarisationsfilters. (Foto M. Vollmer)

Farbtafeln

XI

F 9.5 Durch Rayleighstreuung in der Atmosphäre werden weiter entfernt liegende Landschaftsteile blau verfärbt wahrgenommen. (Foto: S. Gedzelman)

10 Dämmerung

F 10.2 Morgenrot auf dem Wendelstein. (Foto: C. Hinz)

F 10.1 Die Sonne in Horizontnähe kann tiefrot verfärbt sein. (Foto M. Vollmer)

F 10.3 Intensive Sonnenuntergangsfarben. (Foto: P. Neiman)

XII

Farbtafeln

F 10.4 Himmelsfarben nach Sonnenuntergang. (Foto: P. Parviainen)

F 10.5 Purpurlicht nach Sonnenuntergang. (Foto: W. Hinz)

F 10.6 Intensive Sonnenuntergangsfarben in Deutschland nach der Eruption des Pinatubo. (Foto: J. Peschl)

Farbtafeln

XIII

a)

b)

c)

F 10.7 Verteilung stratosphärischen Aerosols vor (a) kurz nach (b) und knapp zwei Jahre nach (c) der Eruption des Pinatubo. (Quelle: NASA)

F 10.8 Ramanstreuung von Laserlicht an Joddampf. (Foto: M. Vollmer)

F 10.9 Blauer Rauch einer Zigarette. (Foto: M. Vollmer)

XIV

Farbtafeln

11 Verschiedenes

F 11.1 Das grüne Leuchten des Oberrands der Sonne bei Anwesenheit von Luftspiegelungen. (Foto: A. Young)

F 11.4 Innere Korona während der Sonnenfinsternis vom 11.8.1999. (Foto: M. Aischinger)

F 11.2 Protuberanzen während der Sonnenfinsternis vom 11.8.1999. (Foto: G. Maschek)

F 11.5 Äußere Korona während der Sonnenfinsternis vom 11.8.1999. (Foto: M. Aischinger)

F 11.3 Diamantring während der Sonnenfinsternis vom 11.8.1999. (Foto: G. Maschek)

Farbtafeln

XV

F 11.6 Fotomontage von 5 Teilbildern einer Mondfinsternis. (Fotos: P. Parviainen)

F 11.7 Ein „Wolkenscheinwerfer“. (Foto: S. Gedzelman)

a)

b)

F 11.8

Polarlichter auf der Erde. (Fotos: (a) W. Hinz, (b) P. Parviainen)

XVI

Farbtafeln

a)

F 11.9 Das Polarlichtoval auf dem Jupiter. (Foto: NASA/ESO)

b)

F 11.10 Das Polarlichtoval auf dem Saturn. (Foto: NASA/ESO)

F 11.11 Wolke – zu – Boden – Blitze. Neben üblichen Blitzkanälen (a) kann es auch zu sog. Superbolts kommen (b), bei denen der Blitz Umwege läuft und manchmal erst kilometerweit vom Ausgangspunkt in der Wolke entfernt auf den Boden trifft. Die hellen gelben Lichter im Vordergrund sind überbelichtete Strassenlaternen. (Fotos: J. Peschl)

F 11.12 Leuchtende Nachtwolken und Nachthimmel. (Foto: P. Parviainen)

F 11.13 Der Komet Hale-Bopp mit seinen beiden Schweifen. (Foto: J. Peschl)

2

Grundlegende Konzepte

Warum sind die Wolken weiß und der Regenbogen farbig? Warum gibt es Regenbögen oder Nebensonnen nur an bestimmten Stellen des Himmels? Warum haben die Apolloastronauten den Himmel vom Mond aus schwarz gesehen, während er von der Erde aus blau aussieht? Warum erscheint die Straße an heißen Sommertagen nass? Wieso wird der Mond bei Mondfinsternissen rötlich braun (vgl. Farbtafel 11.6)? So selbstverständlich diese Fragen erscheinen, so verwirrend können einige der wissenschaftlich korrekten Antworten sein: Wolken müssen nicht weiß sein, der Himmel nicht blau und Regenbögen nicht farbig! Die Begründung dieser Aussagen führt häufig weit über das in der Schule vermittelte Allgemeinwissen hinaus, aber erfreulicherweise – vielleicht auch verblüffenderweise – lassen sich viele Phänomene in den Grundzügen schon durch einfache Modelle verstehen. Vor der Behandlung der Einzelphänomene sollen deshalb zu Beginn einige allgemeine Hintergrundinformationen gegeben werden. Die für das Verständnis der Erscheinungen in den folgenden Abschnitten benötigten Konzepte des Lichts, des Sehens und der Materie sowie die Grundlagen der geometrischen Optik und der Wellenoptik bis hin zur exakten elektrodynamischen Theorie werden präsentiert, wobei das Schwergewicht auf einfachen Modellen liegt.

2.1

Was ist Licht?

2.1.1

Definition

Unter Licht versteht man im täglichen Sprachgebrauch Helligkeit, d. h. das Gegenteil von Dunkelheit. Dies bedeutet natürlich, dass Licht etwas mit der Wahrnehmung durch unsere Augen zu tun hat. Gelegentlich spricht man sehr lax von sichtbarem Licht – das der obigen Definition entspricht –, aber auch von ultraviolettem oder infrarotem Licht. Physikalisch genauer (Abschnitte 2.3 und 2.4) bezeichnen Physiker Licht als elektromagnetische Welle, die durch ihre räumliche Periodizität, die Wellenlänge (abgekürzt durch das Symbol λ) oder ihre zeitliche Periodizität, ihre Frequenz (abgekürzt durch die Symbole ν oder f) beschrieben wird. Im Gesamtbereich aller elektromagnetischen Wellen (Abb. 2.1), die beispielsweise von den sehr kurzwelligen Gamma- und Röntgenstrahlen bis hin zu extrem langwelligen Radiowellen reichen, nimmt das sichtbare Licht – und nur darum wird es im vorliegenden

M. Vollmer, Lichtspiele in der Luft, DOI 10.1007/978-3-8274-3093-9_2, © Elsevier GmbH, München 2006

10

F R E Q U E N Z

2 Grundlegende Konzepte

1020

Gammastrahlung

10–11 = 10 pm W

1018

Röntgenstrahlung

10–9 = 1 nm

1016

Ultraviolett

1014 1012 1010

8 (s–1) 10

106

sichtbar Infrarot Mikrowellen Radar

TV, UKW

Rundfunk MW Radiofrequenz

E L L 10–7 = 0,1 μm E 10–5 = 10 μm N L 10–3 = 1 mm Ä N 10–1 = 10 cm G E 101 = 10 m 103 = 1 km

(m)

2.1 Der für Naturwissenschaften und Technik besonders wichtige Bereich der elektromagnetischen Wellen, beschrieben durch die Frequenz (links) oder die Wellenlänge (rechts), umfasst viele Größenordnungen von der Gammastrahlung bis zu den Radiowellen. Das sichtbare Licht ist darin nur ein winziger Ausschnitt.

Buch gehen – einen winzig kleinen Bereich von λ = 380 nm bis λ = 780 nm ein (1 nm ist ein milliardstel Meter). Im Folgenden werden mit Licht immer die so definierten elektromagnetischen Wellen verstanden.

2.1.2

Farbe des Lichts und Wellenlänge

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begann Isaac Newton seine berühmten Arbeiten zur Optik (Abb. 2.2), die er in der Veröffentlichung später mit folgenden Worten einleitete: „... in the beginning of the year 1666 ... I produced me a triangular glass prisme, to try therewith the celebrated phenomena of colors ...“ [New83].

a)

b) 2.2 Der berühmte Versuch Isaac Newtons (a) wurde auch durch eine Briefmarke der Deutschen Bundespost gewürdigt (b).

2.2 Was ist Sehen?

11

Tabelle 2.1 Zuordnung der sog. Spektralfarben zu Wellenlängen. (Der Farbeindruck kann individuell variieren.) Wellenlänge in nm (Nanometer, 1 nm = 10–9 m)

in etwa wahrgenommene Farbe bei einfarbigem Licht der gegebenen Wellenlänge

620 >780

unsichtbar: Ultraviolett Blauviolett dunkles Blau Blau Blaugrün zu Cyan (türkis) zu Grünblau Grün Übergang zu gelblichem Grün Gelb Orange Orangerot Rot, dann Tiefrot unsichtbar: Infrarot

Mit seinen Arbeiten bewies er, dass Sonnenstrahlung aus Licht verschiedener Spektralfarben (wir sagen heute Wellenlängen) zusammengesetzt ist, was ihn zu einer Theorie der Farben führte. Die Farben des zerlegten Sonnenlichts hängen mit den Wellenlängen gemäß Tab. 2.1 zusammen. Natürlich gibt es eine Vielzahl von Farbnuancen, dies ist als grobe Einteilung zu verstehen.

2.2

Was ist Sehen?

2.2.1

Licht muss ins Auge gelangen

Das Sehen mutet so selbstverständlich an, dass es müßig erscheinen mag, es näher zu erklären. Für das Verständnis vieler mit dem Auge wahrgenommener Erscheinungen, insbesondere aller optischen Erscheinungen der Atmosphäre, ist es jedoch notwendig, genau zu definieren, wie, wann und warum man etwas sieht. Sehen bedeutet, dass Licht ins Auge gelangen muss! Das Licht kann entweder direkt ins Auge fallen (Achtung: den Blick in die Sonne vermeiden!) oder aus anderen Raumrichtungen ins Auge gestreut werden (Abb. 2.3). Das bedeutet: Wir sehen, indem wir einen selbstleuchtenden Körper betrachten oder aber mithilfe einer Lichtquelle reflektiertes bzw. gestreutes Licht von Gegenständen wahrnehmen. Dies sei am Beispiel einer Tasse heißen Kaffees beschrieben. In einem völlig abgedunkelten Raum kann man den Kaffee zwar riechen, die Tasse aber selbst bei dunkel adaptiertem Auge nicht sehen, denn es gibt kein sichtbares Licht im Raum, das an der Kaffeetasse reflektiert (man sagt auch gestreut) werden kann, um in

12

a)

2 Grundlegende Konzepte

b) 2.3 Sehen setzt voraus, dass Licht ins Auge gelangt. Die Apolloastronauten auf dem atmosphärelosen Mond sahen am Tag-Mond-Himmel die Halberde (a) umgeben vom schwarzen Weltall (NASA Apollo 11, SW von Farbtafel). Die Erde reflektiert, d. h. streut das einfallende Sonnenlicht im Wesentlichen in den Halbraum, d. h. nicht in den Nachtbereich hinein (b). Der Astronaut auf dem Mond kann nur Licht wahrnehmen, das in den schmalen Winkelbereich gestreut wird, aus dem er die Erde sieht.

unser Auge zu fallen. Um die Tasse zu sehen, benötigen wir eine Lichtquelle, z. B. eine Kerze, Taschenlampe oder Glühbirne. Genauso wie wir andererseits eine Lichtquelle, etwa eine brennende Kerze, auch ohne zusätzliche Beleuchtung sehen, kann allerdings auch die heiße Kaffeetasse gesehen werden. Denn wie jeder Körper endlicher Temperatur sendet die Kaffeetasse elektromagnetische Wellen, sog. Temperaturstrahlung aus [Kar98, Kar99, Möl00]. Deren Wellenlängen liegen im infraroten Bereich der elektromagnetischen Wellen, d. h., sie sind nicht mit dem Auge wahrnehmbar, wohl aber mit Geräten, die infrarote Strahlung nachweisen können, wie z. B. Infrarotkamerasystemen. Wann immer Licht auf Gegenstände trifft, wird es gestreut. Der Streuprozess ist – abhängig von der Art der Gegenstände und der Wellenlänge des Lichts – durch physikalische Gesetze festgelegt. Genauer spricht man physikalisch nicht von Gegenständen, sondern allgemeiner von Materie. Diese kann nicht nur in fester Form vorliegen (typische Gegenstände sind ein Stück Holz, ein Fenster, Eiskristalle usw.), sondern auch in flüssiger (z. B. Wasser, Alkohole, Öle) oder in gasförmiger Form (unsere Atemluft, Wasserdampf, Treibhausgase usw.). Allgemein spricht man vom festen, flüssigen oder gasförmigen Aggregatszustand (Abb. 2.4), wobei gelegentlich als vierter Zustand ein sog. Plasma genannt wird, im Wesentlichen ein ionisiertes, d. h. elektrisch leitendes Gas. (Dieses gibt es z. B. in der höheren Atmosphä-

2.2 Was ist Sehen?

Plasma

Gas

Fest- Flüssigkörper keit

Aggregatzustände der Materie

Feuer

Luft

Erde

Wasser

die vier Elemente der Antike

13

2.4 Die vier Aggregatszustände der Materie ähneln den vier Elementen in der griechischen Naturphilosophie.

re, Abschnitt 3.1.1.) Materie in allen vier Aggregatszuständen ist verantwortlich für die Fülle der Phänomene atmosphärischer Optik. Mithilfe des Begriffs der Materie kann man nun sagen, dass Licht gestreut wird, wann immer es auf Materie trifft. Und wenn derart gestreutes Licht in unser Auge trifft, sehen wir die das Licht streuende Materie. Dies sei an einigen Beispielen illustriert.

2.2.2

Schwarzer oder blauer Himmel

Oben wurde bereits erwähnt, dass Apolloastronauten den Mondhimmel schwarz sahen (Abb. 2.3a und Farbtafel 9.2). Da der Mond aufgrund seiner kleinen Masse keine gasförmige Atmosphäre besitzt, gibt es keine Materie, die das Licht streuen könnte, d. h., er ist von Vakuum umgeben. Insofern kann das z. B. von der Sonne in Richtung Mond fallende Licht seine Richtung oberhalb des Mondbodens nicht durch Streuung ändern. Die Astronauten konnten nur die direkte Lichtquelle Sonne bzw. das von der Erde zurückgestreute Licht sehen – die Himmelsbereiche neben diesen Lichtquellen waren, bis auf Licht von Sternen, Planeten etc., schwarz. Den Anteil des zurückgestellten Sonnenlichts nennt man in der Astronomie Albedo, bei der Erde beträgt dieser etwa 0,3, d. h., die Erde samt ihrer Atmosphäre (insbesondere den Wolken) streut etwa 30 % des auf sie fallenden Sonnenlichts in Richtung Weltall zurück. Genau genommen gibt es auch um den Mond herum Materie, allerdings ist das Vakuum des Weltalls so gut (z. B. 1–10 Teilchen/cm3 im Vergleich zu ca. 1019 Teilchen/cm3 bei normalem Atmosphärendruck auf der Erde), dass das Licht viele Millionen Kilometer zurücklegen müsste, um effektiv gestreut zu werden. Im Gegensatz zum Mond besitzt die Erde wegen ihrer größeren Masse eine Atmosphäre. Deshalb kann das Licht der Sonne an den Bestandteilen der Luft gestreut werden. Aus diesem Grund sehen wir am Tag Licht aus beliebiger Richtung und, je nach Bedingungen, den Himmel und die Wolken in verschiedenen Farben (Farbtafeln 9.3, 9.5., 10.2 bis 10.4; siehe auch Kapitel 9 und 10).

14

2 Grundlegende Konzepte

2.2.3

Lichtstreuung im Alltag

Die Tatsache, dass man tagsüber Gegenstände, Menschen etc. wahrnimmt, bedeutet also, dass Licht von ihnen in unser Auge gestreut wird. Ein alltägliches Beispiel der Lichtstreuung ist gebündeltes Sonnenlicht, das in ein Zimmer fällt. Beim Aufwirbeln von Staub sieht man – insbesondere beim Blick unter kleinem Winkel zur Lichtquelle – sehr deutlich einzelne Staubteilchen in der Zimmerluft schweben (Abschnitt 2.5.4). Diese Tatsache macht man sich zunutze, um Laserstrahlen sichtbaren Lichts auch wirklich sichtbar zu machen. Strahlt man einen HeNe-Laser durch normale Zimmerluft, ist der Laserstrahl bei Beobachtung unter rechtem Winkel kaum zu sehen; bringt man dagegen Rauch oder Staub in den Weg des Strahls, lässt er sich sehr schön sichtbar machen: Es wird erheblich mehr Licht ins Auge gestreut. Ein weiteres Beispiel kommt aus dem Alltag des Auto- oder Fahrradfahrens bei Nacht. Bei Einschalten der Scheinwerfer kann man die Straße immer dann sehr gut vor sich erkennen, wenn der Belag rau ist, d. h. im trockenen Zustand. Ist die Straße dagegen nass, d. h. von einer glatten spiegelnden Flüssigkeitsoberfläche bedeckt, sieht man sie fast nicht, denn das eigene Scheinwerferlicht wird im Wesentlichen nach vorne reflektiert (Abb. 2.5). Allerdings wird die Straße durch entgegenkommende Fahrzeuge beleuchtet.

a)

Straße trocken

b)

Straße nass

2.5 Beleuchtet ein Autoscheinwerfer nachts eine trockene Straße, so wird auch Licht zum Fahrer zurückgestreut (a). Bei nasser Straße wirkt diese wie ein Spiegel, und man sieht sehr wenig (b) (nach Fal90]).

Bei allen im Folgenden erläuterten optischen Phänomenen muss ebenso das Licht der relevanten Lichtquellen (i. Allg. Sonne oder Mond) durch Bestandteile der Atmosphäre oder durch Gegenstände in unser Auge gestreut werden! Die Intensität dieser Lichtstreuung ist dabei häufig von der Wellenlänge, d. h. – in der Alltagssprache – der Farbe des Lichts, abhängig.

2.2.4

Die Sonne als Lichtquelle

Für die meisten Erscheinungen ist die Sonne die Lichtquelle. Das von der Sonne ausgestrahlte Licht kann je nach seiner Wellenlänge oder Frequenz in einer Häufigkeitsverteilung aufgetragen werden. Abb. 2.6 zeigt die Zusammensetzung des Son-

Bestrahlungsstärke der Sonne (willkürl. Einheiten)

2.2 Was ist Sehen?

außerhalb der Atmosphäre

am Erdboden

600

1200

1800

2400

3000

Wellenlänge in nm

15

2.6 Bestrahlungsstärke des Sonnenlichts in Abhängigkeit von der Wellenlänge außerhalb der Erdatmosphäre sowie am Erdboden (nach [Gra94]). Die Unterschiede kommen im Wesentlichen durch Streuung und Absorption des Lichts an den Bestandteilen O2, O3, H2O und CO2 der Erdatmosphäre zustande. Die gestrichelte Kurve entspricht einer einfachen Modellierung des Sonnenspektrums als sog. Temperaturstrahler.

nenlichts in Abhängigkeit von der Wellenlänge (Farbe). Man nennt diese Darstellung ein Spektrum. Diese Häufigkeitsverteilung bestimmt das auf Gegenstände einfallende Licht (vgl. Abb. 2.3). Offensichtlich kann der Farbeindruck, den man von einem Gegenstand bekommt oder der in Naturphänomenen beobachtet wird, davon abhängen, ob z. B. mehr rotes oder mehr blaues Licht in dem Spektrum des einfallenden Lichts vorliegt. Deshalb ist es für Beobachtungen auf der Erde wichtig, die Häufigkeitsverteilung, d. h. das Spektrum, des einfallenden Lichts zu kennen und zu wissen, inwieweit sich diese Zusammensetzung beim Durchgang des Lichts durch die Atmosphäre verändert. Dies wird im Detail in Abschnitt 10.2 über Dämmerungsfarben beschrieben, hier soll Abb. 2.6 nur andeuten, dass das für die Erscheinungen verantwortliche Licht eine von der Höhe über dem Erdboden charakteristische Verteilung hat, da Teile des Lichts in der Atmosphäre absorbiert werden.

2.2.5

Empfindlichkeit des menschlichen Auges

Naturphänomene werden mit dem Auge beobachtet. Hinsichtlich der Wiederholung bzw. Vergleichbarkeit von Beobachtungen sind deshalb verschiedene Dinge zu beachten. Erstens hat das menschliche Auge für Farb- und Schwarzweißsehen unterschiedliche Empfindlichkeiten. Da diese von Mensch zu Mensch auch noch individuell schwanken können, wurden aufgrund der Daten einer großen Zahl von Versuchspersonen standardisierte Empfindlichkeitskurven (Abb. 2.7) definiert [Fal90]. Diese sog. Vλ-Kurven unterschieden sich aufgrund der unterschiedlichen Sinneszellen für Hellsehen bei Tag (Zapfen) und Dunkel- bzw. Dämmerungssehen bei Nacht (Stäbchen). Man erkennt deutlich, dass die Vλ-Kurve für Hellsehen ihr Maxi-

relative Empfindlichkeit

16

2 Grundlegende Konzepte

1,0 Dunkelsehen: SW-Sehen

Hellsehen: Farbensehen

0,5

0,0 300

400

500

600

700

800

Wellenlänge in nm

2.7 Standardisierte Empfindlichkeitskurven des menschlichen Auges für Hellsehen, d. h. das Farbensehen, sowie Dunkelsehen, d. h. Schwarzweißsehen.

mum bei einer Wellenlänge von etwa 555 nm hat. Vielfach wurde hier der Bezug zur Darstellung des Sonnenspektrums (vgl. Abb. 2.6) hergestellt und argumentiert, die Lage beider Kurven in sehr ähnlichen Wellenlängenbereichen sei natürlich nicht zufällig, vielmehr habe sich die Augenempfindlichkeit aufgrund der Evolution dem Sonnenspektrum auf der Erdoberfläche angepasst. Diese Aussage mag logisch erscheinen, ist aber schlicht falsch. Die Gründe liegen in der unterschiedlichen Mathematik der Darstellung des Sonnenspektrums und der Augenempfindlichkeit (Näheres siehe [Sof99, Vol01]).

2.2.6

Individuelle Farbwahrnehmung

Der subjektiv von Menschen empfundene Farbeindruck eines beliebigen beobachteten Gegenstands oder Naturphänomens hängt somit von mindestens drei Faktoren ab (vgl. auch Kapitel 10): 1) von dem Spektrum des einfallenden Lichts, 2) von dem ggf. farbabhängigen Streuprozess, der dazu führt, dass das Licht in unser Auge gelangt, 3) von der Wahrnehmung mit unserem Auge, das durchaus vom Standardbeobachter abweichende Empfindlichkeiten aufweisen kann. Wenn verschiedene Personen Ihre Beobachtungen vergleichen, kann es also bei Änderung der drei Faktoren durchaus zu subjektiv verschiedenen Wahrnehmungen kommen. Ein anderes Problem kann beim Fotografieren optischer Naturphänomene auftauchen: Farbfilme haben eine filmartabhängig andere Empfindlichkeitskurve als

2.3 Grundlagen der geometrischen Optik

17

das Auge, sodass auf dem Foto oder Dia die Erscheinungen anders aussehen können als subjektiv in der Natur empfunden (zur Fotografierbarkeit der Phänomene siehe insbesondere den Anhang in [Min93]).

2.3

Grundlagen der geometrischen Optik

Es ist eine Alltagserfahrung, dass sich Licht geradlinig ausbreitet, denn wenn die Sonne scheint, kann man i. Allg. scharfe Schattenwürfe sehen (Abb. 2.8).

2.8 Licht breitet sich geradlinig aus: Ein beleuchteter rechteckiger Rahmen mit Öffnung wirft einen scharfen Schatten.

Auf dieser und ähnlichen Erfahrungen aufbauend kann man die Grundsätze der sog. geometrischen Optik verstehen: • Licht breitet sich geradlinig aus, d. h., es wird durch Lichtstrahlen beschrieben, deren Ausbreitung geometrischen Gesetzen folgt. Die Lichtstrahlen werden in Skizzen i. Allg. durch Pfeile symbolisiert. • An ebenen Grenzflächen zweier durchsichtiger Materialien werden Lichtstrahlen teils reflektiert und teils gebrochen (d. h., sie gehen unter Richtungsänderung in das angrenzende Material). Die geometrische Optik gilt näherungsweise immer dann, wenn die Gegenstände oder Strukturen der Gegenstände, auf die das Licht trifft, sehr viel größer sind als die Wellenlänge λ des Lichts, die kleiner als 1 μm ist.

18

2 Grundlegende Konzepte

2.3.1

Die Reflexion von Licht

Die Reflexion des Lichts, z. B. an einer Glasscheibe beim Blick aus dem Fenster, lässt sich auch einfach mathematisch formulieren. Beschreiben α1 und α1’ die Winkel des einfallenden und reflektierten Lichtstrahls gegen die Grenzflächennormale (Abb. 2.9), lautet das Reflexionsgesetz:

α1’ = α1

(2.1)

Dieses Gesetz ist die Grundlage aller Spiegel. Man kann sich selbst in einem Spiegel deshalb sehen (Abb. 2.10), weil z. B. das von der Stirn oder der Schulter gestreute Licht auf den Spiegel trifft und von dort ins Auge gelangt (siehe z. B. Schulbücher oder [Hec01, Fal90]).

Einfallswinkel α1

Reflexionswinkel α1‘

Medium 1

Medium 2

α2 Brechungswinkel

2.9 Trifft Licht auf eine Grenzfläche zwischen zwei verschiedenen Medien, so wird ein Teil reflektiert und ein anderer Teil unter Richtungsänderung ins 2. Medium eindringen. Die Beschreibung der Richtung der Lichtstrahlen erfolgt über die jeweiligen Winkel zum Lot auf der Grenzfläche.

2.10 Die Funktionsweise eines Spiegels lässt sich mit dem Reflexionsgesetz verstehen. Ein Mensch kann sich in einem ebenen Spiegel nur dann vollständig sehen, wenn der Spiegel mindestens halb so groß ist wie der Beobachter. Eingezeichnet sind die Richtungen der auf den Spiegel fallenden und reflektierten Lichtstrahlen gemäß dem Reflexionsgesetz.

2.3 Grundlagen der geometrischen Optik

2.3.2

19

Konzept der Materie: Der Brechungsindex

Um das Verhalten des Lichts bei der Brechung zu beschreiben, führt man eine materialabhängige Größe ein, den Brechungsindex bzw. die Brechzahl. Dabei wird angenommen, dass sich die optischen Eigenschaften jeglicher Materie näherungsweise durch eine einzige Zahl, eben den Brechungsindex, i. Allg. mit n abgekürzt, beschreiben lassen. In der Theorie der Materie ergibt sich n aus einer mikroskopischen Betrachtung, indem das Verhalten einzelner Bestandteile der Materie (Elektronen, Ionen, Atome usw.) mithilfe physikalischer Modelle beschrieben wird. Mathematisch betrachtet handelt es sich um eine komplexe Größe, im Folgenden wird allerdings unter Brechungsindex – falls nicht ausdrücklich anders vermerkt – immer nur der Realteil des Brechungsindex, in der Schule meist Brechzahl genannt, verstanden. (Kurzer weiterführender Exkurs: Komplexe Zahlen schreiben sich als Summe von Realteil und Imaginärteil, im Fall des Brechungsindex ist n = nRe + inIm. Dabei ist der Realteil nRe die Brechzahl, und der Imaginärteil nIm beschreibt die Absorption der Materie. i ist die imaginäre Einheit, definiert durch i = √ ⎯⎯–1). Für die optischen Phänomene ist im Wesentlichen die Brechzahl der Bestandteile unserer Atmosphäre wichtig (Tab. 2.2), d. h. diejenigen von Luft, Wasser, Eis und Aerosolen. Unter letzteren versteht man in der Atmosphäre schwebende Fremdteilchen unterschiedlichster Zusammensetzung (Kapitel 3). Wegen der Vielfalt der Aerosole kann man keine generellen Angaben zum Brechungsindex machen. Viele von ihnen haben einen Imaginärteil. Um die optischen Phänomene in der Atmosphäre zu erklären, reicht es völlig aus, von gemessenen und somit tabellierten Werten (s. u.) in Abhängigkeit von der Wellenlänge auszugehen. Tabelle 2.2

Mittlerer Brechungsindex einiger Materialien im Bereich sichtbaren Lichts.

Medium

Brechzahl

Vakuum Luft Eis Salzwasser (20 ºC, λ = 589,3 nm, Salzgehalt 35 ‰) Frischwasser (20 ºC, λ = 589,3 nm)

1,0 (exakt) 1,00028 1,31 1,3393 1,3334

(Exkurs zu Zahlenangaben: In Tab. 2.2 sind die Brechzahlen mit verschiedener Anzahl von Stellen hinter dem Komma angegeben. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Zahl signifikanter Stellen. Sie hängen vor allem von der Genauigkeit ab, mit der man die Brechzahl gemessen hat. Und dabei spielt das Runden der letzten Stelle eine Rolle. Bei Vakuum ist der Wert exakt angegeben, d. h. dass beliebig viele Nullen hinter dem Komma stehen. Üblich gibt man – wie beim Eis – den Zahlenwert auf zwei Stellen hinter dem Komma an. Das bedeutet, dass Eis eine Brechzahl haben kann, die irgendwo zwischen 1,3050 und 1,3149 liegt. Gerundet auf zwei Stellen hinter dem Komma kommt dabei dasselbe Ergebnis, nämlich

20

2 Grundlegende Konzepte

1,31, heraus. Die mögliche Unsicherheit von 1,3149 – 1,3050 = 0,0099 ≈ 0,01 bedeutet, dass die Zahlenangabe nur auf etwa 0,01/1,31 = 0,007, d. h. 0,7 % genau ist. Bei Luft sind zwar fünf Stellen hinter dem Komma angegeben, dies liegt aber daran, dass hier der physikalisch interessante Unterschied der von Luft zu Vakuum ist. Berechnet man diesen zu 1,00026 – 1,00000 = 2,6 ⋅ 10–4, so ist diese Zahl nur auf eine Stelle hinter dem Komma angegeben, also ungenauer als die Angabe beim Eis. Bei Wasser werden einfache und schnelle Abschätzungen meist mit n = 1,33 durchgeführt. In Tab. 2.2 sind deshalb vier Stellen hinter dem Komma angegeben, um den hier interessanten Unterschied zwischen Frischwasser und Salzwasser zu betonen. Dieser Unterschied beträgt 1,3393 – 1,3334 = 0,0059 = 5,9 ⋅ 10–3 und ist somit nur auf eine Stelle hinter dem Komma genau.)

2.3.3

Die Brechung des Lichts und Totalreflexion

Bei Kenntnis der Brechzahl lässt sich nun auch die Richtungsänderung des Lichts bei Eindringen in ein transparentes Material, die Brechung, durch ein einfaches physikalisches Gesetz beschreiben. Gibt α2 in Abb. 2.9 den Winkel des gebrochenen Strahls gegen die Grenzflächennormale an und sind n1 bzw. n2 die Brechzahlen der Medien, lautet das Snellius’sche Brechungsgesetz: n1 sinα1 = n2 sinα2 (2.2)

a)

b)

c)

2.11 Ein Metallstab wird schräg in ein teilweise mit Wasser gefülltes Aquarium eingetaucht, u. z. parallel zu einer Seitenfläche (siehe Versuchsaufbau a). Blickt man durch das Aquarium mit etwa 30 cm Wasser senkrecht zu dieser Seitenfläche, erscheint der Metallstab gerade (b), blickt man jedoch schräg, so führt Lichtbrechung dazu, dass der Stab abzuknicken scheint (c). Dies war auch im Aufbau (a) bereits zu erkennen.

2.3 Grundlagen der geometrischen Optik

21

Diese Winkeländerung, die somit bei einem Übergang von einem Material in ein anderes auftritt, ist ebenfalls aus dem Alltag bekannt. Man nehme beispielsweise einen geraden Gegenstand, z. B. einen Stab, und stellt diesen in Wasser (Abb. 2.11). Je nach Beobachtungsrichtung scheint er einen Knick zu haben. Mithilfe dieser beiden Gesetze kann in der geometrischen Optik der Weg eines Lichtstrahls auch in komplizierten Umgebungen mit sehr vielen aufeinander folgenden Grenzflächen zwischen verschiedenen Materialien verfolgt, d. h. beschrieben werden. Dazu muss man sukzessive für jede einzelne Grenzfläche immer diese Gesetze anwenden. Dieses Prinzip nutzen viele moderne Computerprogramme mit sog. Strahlverfolgungsmethoden (ray tracings), um den Strahlengang von Licht durch komplizierte Linsensysteme zu berechnen. Auch sehr viele optische Phänomene der Atmosphäre können in ihren Grundzügen schon durch Anwendung dieser beiden Gesetze erklärt werden. In Abb. 2.9 wurden zwei transparente Materialien angenommen. Für den Fall, dass ein oder vielleicht sogar beide Materialien Licht auch absorbieren (z. B. bei gefärbten Gläsern oder Flüssigkeiten), werden die Rechnungen etwas komplizierter. Üblicherweise nutzt man dazu die Wellenoptik, wobei der Brechungsindex dann vollständig als komplexe Zahl eingesetzt wird, deren Imaginärteil die Absorption beschreibt. Mithilfe des Brechungsindex soll noch einmal kurz auf das Konzept des Sehens eingegangen werden. Bei Lichtausbreitung innerhalb homogener Materialien, z. B. innerhalb von Glas, kann Licht nur dann gesehen werden, wenn das Glas, bedingt durch die Herstellung, einen örtlich schwankenden Brechungsindex aufweist. Man sagt, das Licht wird an Inhomogenitäten, d. h. räumlichen Änderungen des Brechungsindex gestreut. Überträgt man dies auf den Übergang des Lichts zwischen zwei Materialien, so wird klar, dass dieser Übergang – man denke z. B. an einen in eine Flüssigkeit eingetauchten Glasstab – unsichtbar wird, sofern der Brechungsindex der zwei Materialien gleich ist. Abb. 2.12 zeigt als Beispiel ein Stück Glas, einmal in Zedernholzöl und einmal in Wasser. Da das Öl etwa denselben Brechungsa)

b)

2.12 Sehen von Gegenständen in Flüssigkeiten erfordert Brechungsindexunterschiede. Ein Glasstab an Luft ist gut sichtbar (a), in Zedernholzöl ist er nahezu unsichtbar, während er in Wasser noch sichtbar ist (b).

22

2 Grundlegende Konzepte

index wie das Glas aufweist, ist dieses unsichtbar. Dieses Prinzip soll u. a. auch benutzt werden, um gefälschte Glasdiamanten (n ≈ 1,5 – 2) von echten Diamanten (n = 2,4) zu unterscheiden. Wie Newton bereits im 17. Jahrhundert erstmals zeigte, ist der Brechungsindex von praktisch aller Materie nicht für alle Lichtfarben gleich. In moderner physikalischer Sprache nennt man diesen Sachverhalt der Wellenlängenabhängigkeit des Brechungsindex Dispersion. Generell kann man für transparente Materialien im sichtbaren Bereich der elektromagnetischen Wellen fast immer eine Abhängigkeit beobachten, wie sie für Glas schematisch in Abb. 2.13 gezeigt ist. Der Brechungsindex fällt dabei i. Allg. kontinuierlich mit steigender Wellenlänge (von Blau nach Rot).

2.13 Der Brechungsindex, für transparente Materialien auch häufig Brechzahl genannt, hängt von der Wellenlänge ab, wie hier für ein typisches Glas gezeigt.

Mithilfe des Brechungsgesetzes (Gl. 2.2) kann man auch ein weiteres Phänomen verstehen, die sog. Totalreflexion. Fällt Licht von einem Material mit höherer Brechzahl, z. B. Wasser, auf ein Material mit kleinerer Brechzahl, z. B. Luft, so wird der Lichtstrahl vom Lot weg gebrochen, d. h., der Winkel des gebrochenen Strahls zum Lot wird größer (Abb. 2.14). Dies entspricht Abb. 2.9, wenn der Lichtstrahl von unten einfällt und oben austritt.

Luft mit n ≈ 1

1,G

90°

2,G n>1

3 in Grenzfläche

αtot.

3,R

3 2

1

1,R

2,R

2.14 Trifft Licht von einem dichten Medium wie z. B. Glas auf ein dünnes Medium wie z. B. Luft, so wird immer ein Teil reflektiert (R), aber nur bis zu dem Winkel αtot. auch etwas in das dünne Medium hinein gebrochen (G). Für Winkel ≥αtot. erfolgt Totalreflexion.

2.3 Grundlagen der geometrischen Optik

23

Wird der Winkel des einfallenden Strahls größer, so wächst der Winkel des gebrochenen Strahls ebenfalls weiter, bis er bei einem bestimmten Einfallswinkel αtot. (man nennt diesen den Grenzwinkel der Totalreflexion) 90° erreicht. Offensichtlich gibt es in diesem Fall, und auch bei größeren Einfallswinkeln, nach der geometrischen Optik keinen Lichtstrahl, der in das Material kleinerer Brechzahl eindringen kann. Dieses Phänomen spielt bei den Glorien (Kapitel 8) eine Rolle und wird im Rahmen der Wellenoptik (Abschnitt 2.5.5) noch genauer diskutiert.

2.3.4

Der Einfluss des Brechungsindex auf optische Phänomene der Atmosphäre

Drei Eigenschaften des Brechungsindex sind für die atmosphärische Optik besonders wichtig: 1) Bei Gasen ist der Brechungsindex abhängig von der Teilchenzahldichte und damit über die sog. ideale Gasgleichung von Luftdruck p und Temperatur T. Ein Zahlenbeispiel verdeutlicht den Effekt: Bei einem Hochdruckgebiet mit p = 1030 hPa (hPa bedeutet Hektopascal; diese Druckeinheit, die aus dem Wetterbericht bekannt ist, entspricht dem früher verwendeten Millibar, d.h. 1 hPa = 1 mb) und einer Temperatur von T = 27 °C findet man n = 1,000266, einen für Gase typischen Wert. Eine Temperaturerhöhung von 40 °C bei gleichem Druck (beispielsweise direkt über dem sich in der Sonne erwärmenden Erdboden) ergibt dagegen n = 1,000235. Solch winzige Änderungen von 3,1 · 10 –5 (das sind 31 Millionstel) sind verantwortlich für alle Arten von Luftspiegelungen. (Die Luftfeuchtigkeit hat nur einen sehr geringen Einfluss; der Unterschied der Brechzahlen von trockener zu feuchter Luft liegt in der Größenordnung 10–6 [Den93].) 2) Ähnlich zur Wellenlängenabhängigkeit der Brechzahl von Glas (Abb. 2.13) findet man auch für Luft, Eis und Wasser als wichtige Konstituenten der Atmosphäre Dispersion – wenngleich in anderen Zahlenwertbereichen. Die Werte für rotes und blaues Licht (charakterisiert durch λ = 400 nm für Blau und λ = 650 nm für Rot) sind in Tab. 2.3 aufgeführt. Tabelle 2.3 Die Abhängigkeit des Brechungsindex für Luft, Wasser und Eis von der Farbe des Lichts Material

nλ = 400 nm blaues Licht

nλ = 650 nm rotes Licht

Δn = nblau – nrot

Luft (15 °C) Wasser Eis

1,000282 1,343 1,317

1,000 276 1,331 1,307

0,000006 0,012 0,010

24

2 Grundlegende Konzepte

Diese kleinen Brechzahländerungen sind verantwortlich für die Farbenpracht von Regenbögen und Haloerscheinungen. Die Dispersion der Luft ist vernachlässigbar. 3) Bei Festkörpern mit vorgegebener Kristallsymmetrie kann Doppelbrechung vorliegen, wobei bei einachsigen Kristallen die zwei verschiedenen Brechzahlen no (o: ordentlich) und nao (ao: außerordentlich) auftreten. Dies ist z. B. bei Eiskristallen der Fall. Für gelbes Licht von λ = 589,3 nm (das Licht einer gelben Natriumdampflampe) findet man no = 1,309 und nao = 1,313. Dies führt zu beobachtbaren Konsequenzen bei Halos.

2.4

Grundlagen der Wellenoptik

Licht hält sich zwar häufig an die durch obige Gesetze definierte Ausbreitung, falls es auf ebene Flächen trifft. Allerdings erlauben Brechungs- und Reflexionsgesetz dann nur die Berechnung der Richtungen der Lichtstrahlen, nicht aber die der relativen Anteile des reflektierten und gebrochenen Lichts unter verschiedenen Einfallswinkeln. Wie verhält sich Licht zudem, wenn es auf nichtebene, d. h. raue Oberflächen trifft. Dies ist bei näherem Hinsehen in unserer Umwelt sogar der Regelfall. Licht fällt auf tapezierte Wände, auf menschliche Haut, Holz und viele andere nicht spiegelnde Gegenstände. In diesem Fall kommen die räumlichen Dimensionen der Objektstrukturen in die Größenordnung der Lichtwellenlänge, und die geometrische Optik versagt. In der Physik spricht man dann von diffuser Streuung (Abb. 2.15).

2.15 Fällt Licht auf raue nichttransparente Oberflächen, wird es diffus in alle Richtungen gestreut, auf einer glatten Oberfläche findet dagegen spiegelnde Reflexion satt.

In der Physik sind noch viele weitere Beispiele bekannt, bei denen Licht sich eben nicht geradlinig ausbreitet, sondern Eigenschaften zeigt, die uns auch von Wellen, z. B. Wasserwellen, bekannt sind. Deshalb wird Licht allgemein als Welle beschrieben.

2.4 Grundlagen der Wellenoptik

2.4.1

25

Was sind Wellen?

Wellen sind räumlich periodische Veränderungen physikalischer Größen, z. B. von Auslenkungen (Wasser- oder Seilwellen), Luftdruck (Schallwellen) oder elektromagnetischen Feldern (elektromagnetische Wellen), die sich als Funktion der Zeit im Raum ausbreiten. Alle Wellen werden durch ihre räumliche Periodizität, die Wellenlänge (abgekürzt durch das Symbol λ), oder ihre zeitliche Periodizität bzw. ihre Frequenz (abgekürzt durch die Symbole ν oder f) beschrieben. Beide hängen über die Ausbreitungsgeschwindigkeit c der Welle miteinander zusammen: c=ν⋅λ

(2.3)

Abb. 2.16 zeigt eine sich sinusförmig verändernde Größe (z. B. eine Luftdruckschwankung bei Schallwellen oder ein elektrisches Feld bei elektromagnetischen Wellen) als Funktion des Orts (hier symbolisiert durch eine Ausbreitungsrichtung der Welle) für drei verschiedene Zeitpunkte t = 0, t = T/2 und t = T. In jedem Schnappschuss zu fester Zeit ist die gleiche räumliche Periode, d. h. eine Wellenlänge, hervorgehoben. Zur Zeit T wurde eine weitere Wellenlänge gebildet, deshalb ist dies die zeitliche Periode. Diese hängt mit der Frequenz invers zusammen, d. h. ν = 1/T. Denn wenn T = 1/100 s beträgt, passen in eine Sekunde genau 100 Schwingungen, d. h., die Frequenz beträgt 100/s. Die Einheit 1/s der Frequenz wird i. Allg. als Hz (Hertz) abgekürzt, zu Ehren von Heinrich Hertz, der als Erster elektromagnetische Wellen nachwies.

t=T

t = T/2

t=0

λ

Ausbreitung

2.16 Eine sinusförmige Welle breitet sich von links nach rechts im Raum aus. Gezeigt sind drei Schnappschüsse zu den Zeiten t = 0 (Startzeitpunkt, unten), t = T, d. h. eine Schwingungsdauer T = 1/ν später (oben), sowie t = T/2. Ein Wellenzug mit der räumlichen Ausdehnung der Wellenlänge λ ist dicker hervorgehoben. Von t = 0 bis t = T hat sich dieser Wellenzug genau um eine Wellenlänge in Ausbreitungsrichtung bewegt (Darstellung nach [Hec01]).

Zwei Beispiele: Schallwellen haben in Luft bei Zimmertemperatur und Atmosphärendruck eine Schallgeschwindigkeit c = 340 m/s, sodass eine Stimmgabel einer Frequenz von ν = 440 Hz Wellen mit einer Wellenlänge von λ = 77,3 cm aussendet. Andererseits hat Licht im Vakuum und näherungsweise auch in Luft die Lichtgeschwindigkeit von etwa 300 000 km/s. Sichtbares rotes Licht, z. B. eines Halbleiterla-

26

2 Grundlegende Konzepte

sers, wie er in Laserpointern verwendet wird, hat eine Wellenlänge von z. B. 670 nm (d. h. 670 milliardstel Meter). Demzufolge liegt die Frequenz des roten Lichts bei etwa 4,5 ⋅ 1014 Hz. Mithilfe dieser Zahlenwerte wird die altbekannte Gewitterregel klar (siehe auch Abschnitt 11.6): Wenn man einen Blitz sieht, zählt man die Sekunden, bis man den Donner hört. Die Zahl der Sekunden geteilt durch drei gibt dann die Entfernung des Einschlags in Kilometern. Die Ursache: Das Licht benötigt für Entfernungen von z. B. 3 km nur etwa 10 μs (= 10–5 s), d. h. eine hunderttausendstel Sekunde, wir sehen es also praktisch zeitgleich zum Blitzeinschlag. Der Schall des Donners benötigt für dieselbe Entfernung jedoch wegen der viel kleineren Schallgeschwindigkeit etwa 9 s. In Flüssigkeiten oder festen Körpern ändern sich die Ausbreitungsgeschwindigkeiten von Schall und Licht übrigens gegenläufig. Während die Schallgeschwindigkeit anwächst, verringert sich die Lichtgeschwindigkeit für transparente Materialien von c = 300 000 km/s auf cMaterie = cVakuum/n, wobei n der Brechungsindex ist. Somit ist die Lichtgeschwindigkeit in Wassertropfen „nur“ etwa 225 000 km/s.

2.4.2

Ebene Wellen und Kugelwellen

Neben Wellenlänge und Frequenz werden Wellen auch noch durch verschiedene andere Eigenschaften charakterisiert. Man unterscheidet – je nachdem wie sich eine Welle im Raum ausbreitet – z. B. ebene Wellen oder Kugelwellen. Damit wird die geometrische Gestalt der Wellenausbreitung beschrieben. Wasserwellen in einer Pfütze laufen kreisförmig von der Anregungsstelle aus weg, sind also kreisförmige Wellen.

2.17 Kugelwellen zeichnen sich dadurch aus, dass die Flächen gleicher Auslenkung der Welle im Raum Kugeloberflächen darstellen. Die Maxima der Auslenkung sind hier jeweils durch übertrieben dick dargestellte Kugelschalen veranschaulicht. Der zweidimensionale Schnitt durch das Zentrum der Kugelschalen verdeutlicht den Abfall 1/r2 der Wellenauslenkung mit wachsender Entfernung r von der Quelle.

2.4 Grundlagen der Wellenoptik

27

2.18 Ebene Wellen zeichnen sich dadurch aus, dass die Flächen gleicher Auslenkung der Welle im Raum ebene Flächen darstellen.

Wird die Wellenanregung dagegen durch einen langen Stab realisiert, so liegen die resultierenden Wellenberge alle auf einer Linie. Im allgemeinen Fall von sich im dreidimensionalen Raum ausbreitenden Wellen sind die vergleichbaren Geometrien der Wellenberge Kugeln statt Kreise und Ebenen statt Linien. Dementsprechend nennt man solche Wellen Kugelwellen (Abb. 2.17) oder ebene Wellen (Abb. 2.18). Beispiele für dreidimensionale Wellen sind das Geräusch eines Lautsprechers, eines Musikinstruments oder eines Knallkörpers. Der Schall pflanzt sich i. Allg. nach allen Richtungen mit der gleichen Geschwindigkeit fort, d. h., der Ort, an dem derselbe Schalldruck wahrgenommen werden kann, befindet sich auf der Oberfläche einer Kugel. Analog sendet eine Lichtquelle, z. B. eine Kerze, ebenfalls Licht in alle Raumrichtungen aus. Auch diese Lichtwellen sind Kugelwellen. Ähnlich verhält es sich mit dem Licht der Sonne. Weil diese aber sehr weit weg ist, sind die Kugelflächen der Auslenkungen des elektrischen Felds praktisch eben (Abb. 2.19), d. h., die Lichtwellen der Sonne kommen auf der Erde als ebene Wellen an.

Kugelwelle weit entfernt: ≈ ebene Welle 2.19 Eine punktförmige Lichtquelle sendet Kugelwellen aus. In großer Entfernung verhalten sich diese aber wie ebene Wellen, da die Krümmung der Kugeloberflächen mit der Entfernung abnimmt.

28

2 Grundlegende Konzepte

2.4.3

Polarisation von Wellen

Eine sehr wichtige Welleneigenschaft ist die Polarisation. Sie beschreibt, wie sich die Auslenkung einer Welle in Bezug auf die Ausbreitungsrichtung verhält. Man unterscheidet Longitudinalwellen (Längswellen) und Transversalwellen (Querwellen). Bei einer gespannten Spiralfeder sind leicht beide Arten anregbar (Abb. 2.20).

a)

b)

2.20 Längswellen (a) und Querwellen (b) können mit langen Spiralfedern einfach angeregt werden, indem die Feder kurzzeitig entweder in Längsrichtung zusammengezogen oder quer ausgelenkt wird (nach [Hec01]).

Schallwellen in Luft können als Luftdruckschwankung nur longitudinale Wellen sein. Elektromagnetische Wellen (und damit auch das Licht) sind transversale Wellen. Dabei sind die Auslenkungen elektrische und magnetische Felder, die jeweils senkrecht aufeinander und auch senkrecht zur Ausbreitungsrichtung stehen (Abb. 2.21). Die mathematische Beschreibung von Richtungen geschieht mit sog. Vektoren, die durch einen Pfeil symbolisiert werden. So schreibt man für den Vektor des elek-

2.21 Licht wird als elektromagnetische Welle beschrieben, wobei das elektrische ᠬ , das magnetische Feld B ᠬ sowie die Feld E Ausbreitungsrichtung der Welle (hier in z-Richtung) jeweils senkrecht aufeinander stehen. Dargestellt ist eine Momentaufnahme (nach [Hec01].)

2.4 Grundlagen der Wellenoptik

29

trischen Felds Eᠬ, wobei die Länge von Eᠬ die Auslenkung angibt und die Richtung des Pfeils die Auslenkungsrichtung. Die Art und Weise, wie Licht sich beim Auftreffen auf eine Grenzfläche zwischen zwei Materialien verhält, hängt entscheidend davon ab, wie der Auslenkungsvektor des elektrischen Felds in Bezug auf die Grenzfläche orientiert ist (Abschnitt 2.5.5). Praktisch kann man sehr einfach Polarisatoren für transversale Wellen einer Feder oder eines Seils bauen (Abb. 2.22). Diese bestehen aus einem Gitter. Es werden nur die Wellen hindurchgelassen, deren Auslenkung parallel zum Gitter schwingen. Ganz ähnlich funktionieren einige Polarisatoren für elektromagnetische Wellen. Bei Mikrowellen mit Wellenlängen im Zentimeterbereich kann man ebenfalls einfache Metallgitter mit Drahtabständen im Millimeterbereich verwenden. Für Licht mit kleineren Wellenlängen verwendet man u. a. die vom Aufbau ähnlichen Polaroidfolien. Auch in ihnen ist ein mikroskopisches Gitter. Im Gegensatz zu den Seilwellen lassen diese Gitterpolarisatoren bei Licht und Mikrowellen nur Wellen durch, deren Auslenkung, also die elektrischen Felder, senkrecht zum Gitter orientiert sind (Details siehe [Hec01]). Viele Phänomene atmosphärischer Optik hängen in charakteristischer Weise von der Polarisation des einfallenden Lichts ab.

2.22 Gitterpolarisatoren würden bei Seilwellen die Auslenkungen parallel zum Gitter durchlassen. Bei elektromagnetischen Wellen schwingt das elektrische Feld der polarisierten Welle senkrecht zum Gitter (nach [Hec01]).

2.4.4

Interferenz von Wellen

Die bekanntesten Welleneigenschaften sind Interferenz und Beugung. Beide sind in ihrer mathematischen Beschreibung eng miteinander verwoben [Hec01], obgleich sich die ursprünglichen Phänomene durchaus unterscheiden. Unter Interferenz versteht man die Tatsache, dass sich Wellen verstärken und auch auslöschen können. Abb. 2.23 zeigt dies am Beispiel von Wasserwellen, ähnlich der Situation, wenn man zwei kleine Steine gleichzeitig an benachbarten Stellen in eine ruhige Flüssigkeits-

30

2 Grundlegende Konzepte

a)

b)

2.23 Interferenz von Wellen lässt sich selbst an zweidimensionalen kreisförmigen Wasserwellen in einer flachen Wanne demonstrieren. Eine Punktquelle erzeugt ein kreisförmiges Muster der wellenförmigen Auslenkungen der Wasseroberfläche (a). Die Überlagerung zweier benachbarter Punktquellen erzeugt ein Interferenzmuster (b).

oberfläche (See oder Pfütze) wirft. Von jedem Stein gehen kreisförmige Wellen in Form von Auslenkungen der Flüssigkeitsoberfläche aus. Wenn sich diese wegen der Ausbreitung der Wellen treffen, tritt das faszinierende Phänomen der Interferenz auf: Es ergibt sich ein charakteristisches Muster der Flüssigkeitsauslenkung, wobei auffällt, dass an einigen Orten überhaupt keine Auslenkung auftritt, während an anderen Stellen die Auslenkung doppelt so groß ist. Im theoretischen Modell wird die Auslenkung durch die schlangenlinienähnliche Sinuskurve beschrieben. Abb. 2.24 zeigt die zwei Sinuskurven der beiden Flüssigkeitsauslenkungen zu einem festen Zeitpunkt an zwei verschiedenen Orten. Die Auslenkungen der beiden Wellen können sich in einem Fall addieren, d. h. verstärken, und im anderen Fall auslöschen. Bekannte Alltagsbeispiele aus der Optik, bei denen der schillernde Farbeindruck durch Interferenz hervorgerufen wird, sind Farben dünner Filme, z. B. von Ölpfützen oder Seifenblasen bei Tageslichtbeleuchtung. In einfarbiger Beleuchtung zeigt sich die Interferenz in Form heller und dunkler Bereiche deutlicher. In der atmosphärischen Optik wird Interferenz beispielsweise bei den überzähligen Regenbögen wichtig.

2.4.5

Beugung von Wellen

Unter Beugung versteht man die Tatsache, dass eine Welle Abweichungen von der geradlinigen Ausbreitung aufweist. Abb. 2.25 zeigt dies wieder am Beispiel von Wasserwellen, die durch periodisches Eintauchen eines langen Blechs in Wasser erzeugt wurden. Die Wellen treffen auf ein Hindernis in Form einer Blende variabler Brei-

2.4 Grundlagen der Wellenoptik

31

von oben Quelle 1

Quelle 2 von der Seite

c)

b)

Auslenkung an festem Ort

Auslenkung an festem Ort

a)

1 2

1+2

Zeit

d)

1 2 1+2

Zeit

2.24 Verstärkung und Auslöschung von Wellen bei Überlagerung. a) Momentaufnahme einer sich kreisförmig ausbreitenden Welle (z. B. Wasserwelle) von oben und der Seite gesehen. Durchgezogene Linien entsprechen Wellenbergen, gestrichelte Linien Wellentälern. b) Momentaufnahme der kreisförmigen Wellen von zwei Quellen, die sich zu einem komplexen Muster überlagern. c) An den Schnittpunkten der durchgezogenen Linien weisen beide Wellen jeweils gleichzeitig Berge, Täler oder z. B. Nulldurchgänge auf. Die Wellen schwingen im Takt, man sagt, sie sind in Phase. Die Überlagerung dieser Wellen an einem solchen Ort führt zur Verstärkung der Welle, man spricht auch von konstruktiver Interferenz. d) An den Schnittpunkten von jeweils einer durchgezogenen und einer gestrichelten Linie schwingen beide Wellen jeweils im Gegentakt, d. h., ein Wellenberg der einen Welle trifft auf ein Wellental der anderen Welle usw. Die Überlagerung dieser Wellen an einem solchen Ort führt zur Auslöschung der Welle, man spricht auch von destruktiver Interferenz.

32

a)

c)

2 Grundlegende Konzepte

b) 2.25 Demonstration der Beugung von Wasserwellen in einer flachen Wanne. Ebene Wellenfronten fallen in Pfeilrichtung auf Blenden, die verschieden groß im Vergleich zur Wellenlänge sind. Bei großer Blende (a) erscheint ein geometrischer Schattenwurf, bei Verkleinerung der Blende tritt die Welle in das Schattengebiet ein (b), und bei sehr engem Spalt (c) entsteht eine neue kreisförmige Elementarwelle, die den ganzen Raum hinter der Blende ausfüllt.

te. Man erkennt deutlich, dass sich für eine weit geöffnete Blende die Wasserwellen wie mit einem scharfen Schattenwurf hinter der Blende fortbewegen. Wird dagegen die Blende verkleinert, sodass sie etwa so groß wie die Wellenlänge ist (der Abstand zweier aufeinander folgender Wellenberge), so stellt man fest, dass sich die Wellen hinter der Blende auch in den seitlichen Bereich, der geometrisch als Schattenbereich verboten wäre, bewegen. Offensichtlich ist die Beugung dann einfach beobachtbar, wenn die Wellenlänge in ähnlicher Größe oder kleiner ist als die Abmessungen der beteiligten Körper. Insofern wird klar, dass die Beugung von Licht sehr kleine Körper voraussetzt, d. h., sie wird i. Allg. schwierig zu beobachten sein. Abb. 2.26 zeigt die Ausbreitung eines Lichtstrahls (hier eines Lasers), der durch eine kleine kreisförmige Öffnung mit einem Durchmesser von 120 μm strahlt. Deutlich erkennt man anstelle des ursprünglichen kreisrunden Lichtflecks ein System kreisförmiger Ringe, ein sog. Beugungsmuster. Für gegebene Körper hängen die Beugungsmuster eindeutig von der Geometrie der Öffnung bzw. des beugenden Körpers ab. In der atmosphärischen Optik sind die beugenden Körper beispielsweise kleine Wassertropfen. Das Wesen der Beugung lässt sich auch mit einem einfachen Experiment demonstrieren. Man stelle auf eine Seite einer Litfaßsäule übereinander eine Schallquelle sowie eine Lichtquelle (man kann z. B. einen Kassettenrekorder mit Leuchtanzeige verwenden). Dann stelle man sowohl die Schallquelle als auch die Lichtquelle an und gehe auf die andere Seite der Säule, sodass man keinen Blickkontakt

2.4 Grundlagen der Wellenoptik

33

2.26 Beugungsbild von rotem Laserlicht an einer kreisförmigen Blende mit Radius 120 μm.

mehr mit dem Gerät hat (Abb. 2.27). Ergebnis: Man kann zwar das Licht der Leuchtanzeige nicht mehr sehen, wohl aber die Musik hören, d. h. dass für die Dimension der Litfaßsäule im Bereich von einem Meter Schallwellen mit λ ≈ 1 m (Abschnitt 2.4.1) um die Säule gebeugt werden, nicht aber die Lichtwellen, da deren Wellenlänge von λ < 1 μm viel zu klein ist. Schall muss hier als Wellenphänomen beschrieben werden, während sich das Licht als Lichtstrahlen im Sinne der geometrischen Optik ausbreitet.

a)

b)

2.27 Beugung tritt bei allen Wellen auf, deren Wellenlänge vergleichbar zur Größe des Objekts wird. Licht mit Wellenlängen kleiner als 1 μm wirft einen scharfen Schatten des Objekts (hier eine Litfaßsäule von etwa 1,5 m Durchmesser), d. h., ein Beobachter kann nichts auf der anderen Seite der Säule sehen. Dagegen hat hörbarer Schall Wellenlängen in der Größenordnung von einem Meter, weshalb die Schallwellen um das Hindernis herum gebeugt werden und gehört werden können.

34

2 Grundlegende Konzepte

2.5

Beschreibung von Wellenphänomenen des Lichts

Interferenz und Beugung lassen sich mithilfe von physikalischen Modellen unter vereinfachenden Annahmen näherungsweise beschreiben. Die Interferenz von Lichtwellen sowie die Behandlung von Beugung für verschiedene Geometrien finden sich in praktisch allen Optiklehrbüchern (z. B. [Hec01]). Für die vorliegenden Phänomene reicht i. Allg. eine qualitative Diskussion aus.

2.5.1

Licht als harmonische Welle

Funktionswert: y

Die theoretische Beschreibung von Wellen erfolgt praktisch immer in Form sog. harmonischer Wellen. Darunter versteht man Wellen, deren Auslenkungen entweder durch eine Sinus- oder Kosinusfunktion beschrieben werden (Abb. 2.28). Mathematisch beschreibt man diese Funktionen durch die Gleichungen y = sin(x) und y = cos(x).

y = sin(x)

y = cos(x)

Argument der Funktion: x

2.28 Die harmonischen Funktionen Sinus und Kosinus sind sich sehr ähnlich. Sie gehen auseinander hervor, indem man sie längs der horizontalen Achse um eine viertel Periode verschiebt.

Sinus und Kosinus (bzw. die daraus zusammengesetzte komplexe Exponentialfunktion) tauchen in der Physik sehr häufig auf, z. B. auch bei der Beschreibung von Schwingungen. Die Theorie ergibt als Ansatz für das elektrische Feld Eᠬ einer elektromagnetischen Welle (Analoges gilt für das magnetische Feld), die sich in x-Richtung im dreidimensionalen Raum ausbreitet:   ⎛ 2π n x ⎞ E = E0 ⋅ sin ⎜ − 2π ν t⎟ ⎝ λ ⎠

(2.4)

2.5 Beschreibung von Wellenphänomenen des Lichts

35

In Bezug auf die in der Mathematik übliche Schreibweise wird somit y durch das elektrische Feld ersetzt und das allgemeine Argument x der Funktion durch den Ausdruck in Klammern in Gl. 2.4. Dann ist Eᠬ0 die maximale Auslenkung des elektrischen Feldes, ν die Frequenz und λ die Wellenlänge des Lichts im Vakuum, n der Brechungsindex des Materials, in dem die Welle sich bewegt, x der Ort und t die Zeit. Der Grund, warum für Wellen immer harmonische Wellen angesetzt werden, ist einfach: Es lässt sich zeigen, dass alle beliebigen Wellen sich immer als eine Überlagerung von harmonischen Wellen beschreiben lassen (sog. Fourier-Reihen und Fourier-Integrale). Aus diesem Grund werden auch in den unten beschriebenen Theorien immer Ansätze mit harmonischen Wellen gemacht.

2.5.2

Das Prinzip von Huygens

Eine sehr anschauliche Erklärung sowie einfache mathematische Beschreibung von Interferenz und Beugung sind möglich mithilfe des in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entwickelten Huygens´schen Prinzips. Demnach kann die Ausbreitung einer Lichtwelle wie folgt verstanden werden (Abb. 2.29): Jeder Punkt der Welle

sich ausbreitende Wellen zu den Zeitpunkten t0 t1 t2

a)

t3

t4

Prinzip von Huygens

b)

2.29 Das Huygens’sche Prinzip: a) Viele punktförmige Quellen auf einer Linie senden kreisförmige Elementarwellen aus, die sich mit der Geschwindigkeit c ausbreiten. In der Zeit Δt legen sie den Weg Δs = c Δt zurück. Gezeigt sind verschiedene Zeitpunkte nach Aussendung der Wellenberge. Durch Überlagerung aller Wellenberge zu einem festen Zeitpunkt erhält man die Wellenfront zu diesem Zeitpunkt. In großer Entfernung von den Quellen wird die Überlagerung wieder eine Linie ergeben, im dreidimensionalen Fall eine ebene Welle. b) Trifft eine ebene Welle schräg auf ein anderes Material, charakterisiert durch einen anderen Brechungsindex, so breitet sich die Welle dort mit einer anderen Geschwindigkeit aus. Dies führt zur Brechung des Lichts.

36

2 Grundlegende Konzepte

kann als Ausgangspunkt einer neuen kugelförmigen Welle, einer sog. Elementarwelle, betrachtet werden. Alle Elementarwellen breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus. Die Welle zu einem späteren Zeitpunkt ergibt sich dann durch Überlagern, mathematisch dem Aufsummieren, aller Elementarwellen. Berücksichtigt man ferner die unterschiedlichen Ausbreitungsgeschwindigkeiten von Licht in verschiedenen Materialien, so lässt sich auch sehr einfach die Brechung verstehen, da sich die Wellen in dem Material mit größerem Brechungsindex, d. h. kleinerer Lichtgeschwindigkeit, in denselben Zeitabständen weniger weit bewegen. Insofern entsteht automatisch ein Abknicken der Bewegung (Abb. 2.29). Mit diesem Prinzip sowie der Überlagerung von Wellen (Interferenz) kann auch leicht das Phänomen der Beugung halbquantitativ verstanden werden. Abb. 2.30 zeigt einen Querschnitt durch einen Schirm, der einen schmalen Spalt enthält (nach [Hec01]). Der Spalt verläuft senkrecht zur Zeichenebene und hat die Breite b. Die Richtungen der Lichtwellen, die auf diesen Spalt fallen, sind durch Pfeile gekennzeichnet; senkrecht dazu sind die Positionen der eben angenommenen Wellenberge eingetragen. Deren Abstand entspricht der Wellenlänge. In Abb. 2.30a breitet sich das von links einfallende Licht geradlinig aus. Das Licht von den jeweiligen Spaltpositionen kann man sich gemäß dem Huygens’schen aufsummieren. Dies führt zum zentralen Maximum des Beugungsbilds und würde Anlass zu einem scharfen Schat-

λ

λ

b

a)

b

θ1

b sinθ1 = λ: Auslöschung

b)

θ2

b sinθ2 = 2λ: Auslöschung

2.30 Trifft eine ebene Welle auf einen Spalt der Breite b, so denkt man sich über seine gesamte Breite Elementarwellen angeregt, die sich wieder überlagern. a) In der eingezeichneten Richtung ist die Welle am unteren Rand um genau eine und die in der Mitte des Spalts um genau eine halbe Wellenlänge gegen die Welle am oberen Rand verschoben; dies führt zur Auslöschung. b) In der eingezeichneten Richtung ist die Welle am unteren Rand nun um zwei, die bei drei Viertel um 3/2, die in der Mitte um eine und die bei einem Viertel Abstand vom oberen Rand um 1/2 Wellenlänge gegen die Welle am oberen Rand verschoben (nur oben, Mitte und unten eingetragen); dies führt wieder zur Auslöschung (Details siehe Text).

2.5 Beschreibung von Wellenphänomenen des Lichts

37

tenwurf geben, wenn die Spaltbreite sehr groß gegen die Wellenlänge wäre. Da im gezeichneten Beispiel aber λ ≈ 0,3 b ist, wird sich das Licht auch unter verschiedenen Winkeln θ > 0 hinter dem Spalt ausbreiten. In Abb. 2.30a sind die Lichtwellen und deren Wellenberge hinter dem Spalt u. a. in einer bestimmten Richtung θ1 nach oben hin eingetragen. Wenn man hierfür die elektrischen Felder der verschiedenen Elementarwellen aufsummiert, dann fällt auf, dass das Licht, das den Spalt am oberen Rand verlässt (oberste Linie), genau eine halbe Wellenlänge Verschiebung aufweist zu dazu parallelem Licht, das von der Mitte des Spalts kommt. Offensichtlich können sich diese beiden Elementarwellen paarweise auslöschen, wie es in Abb. 2.24d angedeutet ist. Für zwei ein kleines Stück nach unten verschobene Elementarwellen bleibt diese Verschiebung von λ/2 erhalten, d. h. dass sich letztlich über die gesamte Spaltbreite immer jeweils zwei zueinander passende Elementarwellen finden lassen, eine aus der oberen Hälfte und eine um die halbe Spaltbreite vertikal verschobene aus der unteren Hälfte, bei denen die Verschiebung λ/2 beträgt. Folglich löschen sich alle Elementarwellen, die Licht in der Richtung θ1 ausstrahlen, gegenseitig aus, d. h., in dieser Richtung wird kein Licht nachgewiesen. Hier liegt das 1. Minimum vor (vgl. Abb. 2.26, dort allerdings für Kreis- anstelle für Spaltblende). Aus der Skizze erkennt man – aufgrund der allgemeinen Winkelbeziehungen in einem rechtwinkligen Dreieck – für dieses 1. Minimum eine einfache Winkelbeziehung (Gl. 2.5) zwischen Spaltbreite, Wellenlänge und Auslöschungswinkel θ1. b sin (θ1) = λ

(2.5)

In Abb. 2.30b wird dieselbe Betrachtung für den größeren Winkel θ2 durchgeführt. Diesmal gibt es zu jeder Elementarwelle des obersten ersten Spaltviertels eine auslöschende Elementarwelle des zweiten Viertels. Entsprechend löschen sich alle Elementarwellen des 3. und 4. Viertels aus, weshalb wiederum keine Lichtintensität in dieser Richtung wahrgenommen werden kann. Hier liegt gerade das 2. Minimum vor (vgl. wieder Abb. 2.26). Offensichtlich gibt es zwischen diesen beiden Winkeln einen bevorzugten Winkel, in den Licht ausgestrahlt wird. Die maximale Lichtabstrahlung erfolgt ungefähr bei dem Winkel, bei dem sich die Elementarwellen des oberen Drittels mit denen des mittleren Drittels auslöschen. Für die Elementarwellen des unteren Drittels gibt es dann keine Möglichkeit der völligen Auslöschung mehr, also wird das 1. Nebenmaximum beobachtet.

2.5.3

Exakte Lösungen der Beugungstheorie für Kugeln: Mie-Theorie

Eine genaue quantitative Lösung für Beugung ergibt sich aus einer theoretischen Beschreibung von elektromagnetischen Wellen aus der, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollständig entwickelten, Theorie des Elektromagnetismus in Form

38

2 Grundlegende Konzepte

der sog. Maxwell’schen Gleichungen (siehe Lehrbücher der Physik und Optik für Hochschulen, z. B. auch [Hec01]). Diese vier Differenzial- bzw. Integralgleichungen werden häufig als eine der Krönungen der klassischen Physik angesehen, da man aus ihnen alle Phänomene des Elektromagnetismus und somit auch der elektromagnetischen Wellen berechnen kann. So lässt sich z. B. zeigen, dass die geometrische Optik mit ihren Gesetzen nur eine Näherungslösung der exakten Theorie ist. Die geometrieabhängigen Lösungen der Maxwell’schen Gleichungen führen begrifflich und mathematisch weit über den Rahmen dieses Buchs hinaus. Daher sollen an dieser Stelle nur einige Ergebnisse der Wellenoptik dargestellt werden, soweit sie für das spätere Verständnis optischer Naturphänomene der Atmosphäre erforderlich sind. Als ein wichtiges Beispiel sei die nach Gustav Mie benannte Mie-Theorie erwähnt, die es erlaubt, Wellenphänomene, die durch Regentropfen zustande kommen, zu berechnen. Es handelt sich dabei um eine Lösung der Maxwell-Gleichungen für das Problem einer einfallenden Lichtwelle auf kugelförmige Materie, charakterisiert durch ihren Brechungsindex. Im Folgenden seien Wassertropfen angenommen. Die Lösung für die Lichtstreuung und Lichtabsorption schreiben sich nach Gl. 2.6 jeweils als Reihenentwicklungen der Form ∞

2 2 Streuung ∝ ∑ (2L + 1) ⋅ ⎛⎝ aL + bL ⎞⎠

(2.6)

L= 1

wobei die Koeffizienten aL und bL über die in der Mathematik definierten und auch tabellierten Bessel- und Hankel-Funktionen von den Brechungsindizes des Streukörpers, der Umgebung, einem Größenparameter (Verhältnis von Streukörpergröße zu Wellenlänge) und der Wellenlänge λ der einlaufenden Lichtwelle abhängen [Hul57, Boh83, Krei95]. Insbesondere gibt der Größenparameter an, wie viele Glieder der Reihenentwicklung für die Berechnung gebraucht werden. Für Wassertröpfchen von einigen Millimeter Durchmesser müssen einige 1000 Terme berechnet werden, was nur mit Computern möglich ist. Die Theorie gestattet es auch, winkelabhängig die Intensität des durch einen Wassertropfen abgelenkten Lichts zu berechnen, d. h. die Winkelverteilung des gestreuten (aus seiner Richtung abgelenkten) Lichts (siehe z. B. [Hul57, Boh83]). Ein Beispiel für Ergebnisse solcher Rechnungen zeigt schematisch Abb. 2.31. Wird Licht an Teilchen gestreut, die sehr klein gegen die Wellenlänge des Lichts sind, wird das Licht gleichermaßen nach vorne und hinten gestreut – man spricht in diesem Grenzfall von der Rayleigh-Streuung. Dagegen sagt die Mie-Theorie bei Teilchen, die größer als die Wellenlänge sind, eine mit der Teilchengröße rasch anwachsende Vorwärtsstreuung voraus – schon bei Teilchengrößen von fünffacher Wellenlänge beträgt das Verhältnis von vorwärts zu rückwärts gestreutem Licht gut 2000 zu 1. Weitere Beispiele werden in Kapitel 5, 7, 8 und 10 diskutiert.

2.5 Beschreibung von Wellenphänomenen des Lichts

RayleighStreuung

2.31 Schematische Darstellung der Winkelverteilungen von an kleinen Teilchen gestreutem Licht als Funktion der Teilchengröße in Bezug auf die Lichtwellenlänge. Kleinste Teilchen werden durch den Grenzfall der Rayleigh-Streuung beschrieben, bei dem Licht in alle Richtungen etwa gleich wahrscheinlich gestreut wird. Große Teilchen werden durch Mie-Streuung beschrieben, bei der die Vorwärtsstreuung dominiert.

R ≤ 0,01 λ: Ivorne/Ihinten = 1 : 1 R ≈ 0,25 λ: Ivorne/Ihinten = 2,5 : 1 R ≈ 5 λ: Ivorne/Ihinten = 2000 : 1 MieStreuung

2.5.4

39

Alltagsbeispiele

Das Phänomen starker Vorwärtsstreuung kennt man aus dem Alltag beim Autofahren gegen die tief stehende Sonne oder nachts. Befindet sich viel Schmutz auf der Windschutzscheibe, so wird man von der Sonne oder entgegenkommenden Fahrzeugen stark geblendet. Dieser Blendeffekt reduziert sich drastisch beim Reinigen der Scheibe. Umgekehrt führt eine von hinten auf dieselbe Scheibe fallende helle Lichtquelle kaum zur Blendung. a)

b) 2.32 Ein Laserstrahl streut Licht an Staubteilchen unter verschiedenen Winkeln. a) Ein Laser wird an einem Spiegel reflektiert. Der sich entfernende Strahl streut weniger Licht als der auf den Beobachter zulaufende Strahl. b) Intensiver Laser in Raumluft von der Seite.

40

2 Grundlegende Konzepte

Derselbe Effekt tritt auf, wenn Sonnenstrahlen den Staub der Zimmerluft beleuchten. Gegen die Lichtstrahlen ist der Staub viel besser zu sehen als beim Blick mit den Strahlen. Abb. 2.32 zeigt dieses Phänomen im Experiment mit einem Laser als Lichtquelle. Der von Mitte unten nach rechts oben laufende Strahl entfernt sich vom Beobachter. Der vom Spiegel am oberen rechten Rand nach links unten reflektierte Strahl läuft dagegen auf den Beobachter zu (Abb. 2.32a). Während der Laserstrahl von hinten oder der Seite fast nicht zu sehen ist, wird er aufgrund der starken Vorwärtsstreuung gut erkennbar. Von der Seite sieht man im Foto die Spuren größerer Staubteilchen (Abb. 2.32b). Ähnliches kann man beobachten, wenn man einen Lichtstrahl durch sehr reines (destilliertes) Wasser strahlt. Er ist mit bloßem Auge von hinten oder der Seite kaum sichtbar, wohl aber von vorne. Durch starkes Erhöhen der Konzentration von das Licht streuenden Teilchen, z. B. durch Zugabe von normalem Salz, wird der Lichtstrahl sofort sichtbar.

2.5.5

Polarisationsabhängige Effekte bei Reflexion und Brechung: Fresnel-Gleichungen

In Abschnitt 2.3 wurde mit dem Brechungsgesetz die Möglichkeit gegeben, die Richtungen von reflektierten und gebrochenen Lichtstrahlen beim Auftreffen auf eine Grenzfläche zu berechnen. Mithilfe der Wellenoptik lassen sich nun auch die relativen Intensitätsanteile in Abhängigkeit des Einfallswinkels berechnen. Dazu müssen die Maxwell-Gleichungen für die beteiligten elektrischen und magnetischen Felder auf der Grenzfläche gelöst werden. Im Folgenden werden immer transparente Materialien angenommen. (Eine Verallgemeinerung auf absorbierende Materialien ist möglich, wenn auch beschwerlicher.) Aus der Rechnung (z. B. [Hec01]) folgen – in Ergänzung zum Reflexions- und Brechungsgesetz, die nur die Richtungsinformation beinhalten – die sog. Fresnel’schen Gleichungen, das sind Aussagen über die Intensitäten von reflektiertem und transmittiertem Licht abhängig vom Brechungsindex der Materialien, vom Polarisationszustand und vom Einfallswinkel αeinf. des Lichts. Insbesondere unterscheidet man senkrecht (⊥) und parallel (||) polarisiertes Licht, je nachdem ob der Vektor Eᠬ des elektrischen Felds senkrecht oder parallel in Bezug auf die Einfallsebene schwingt. Diese ist ihrerseits definiert durch die Oberflächennormale und die Ausbreitungsrichtung der einfallenden Welle. In Abb. 2.33 ist die Grenzfläche senkrecht zur Zeichenebene, d. h., die Oberflächennormale zeigt in der Zeichenebene nach oben. Auch die Ausbreitungsrichtung des Lichts (bezeichnet durch k) liegt in der Zeichenebene. Insofern ist die Einfallsebene hier identisch mit der Zeichenebene. In Abb. 2.33b schwingt Eᠬ in der Einfallsebene, in Abb. 2.33a senkrecht zur Einfallsebene. Dies sind die beiden verschiedenen Polarisationsrichtungen des Lichts. Hier sollen für den in der atmosphärischen Optik wichtigen Fall der Lichtreflexion beim Übergang von Luft nach Wasser (sog. externe Reflexion) bzw. beim Über-

2.5 Beschreibung von Wellenphänomenen des Lichts

41

a)

b)

2.33 Die Polarisation des Lichts wird in Bezug auf die sog. Einfallsebene beschrieben. In der Abbildung ist die Einfallsebene die Zeichenebene. Sie ist definiert durch zwei Richtungen, und zwar den Normalenvektor n ᠬ der Grenzfläche sowie die Ausbreitungsrichtung kᠬ der einfallenden Lichtwelle. Das elektrische Feld Eᠬ der Lichtwelle kann nun entweder parallel zur Einfallsebene schwingen – symbolisiert durch  bzw. Eᠬ II in (a) – oder senkrecht dazu – symbolisiert durch Eᠬ ⊥ in (b).

gang von Wasser nach Luft (sog. interne Reflexion) die Konsequenzen diskutiert werden. Abb. 2.34 und 2.35 zeigen die jeweiligen reflektierten Intensitäten für sowohl senkrechte als auch parallele Polarisation. Es fällt sofort auf, dass bei externer Reflexion (z. B. dem Übergang von Luft zu Wasser) ein Winkel ausgezeichnet ist, der Brewster-Winkel αBr. Bei interner Reflexion tritt noch der kritische Winkel der Totalreflexion αtot. hinzu. Bei dem BrewsterWinkel αBr, definiert durch Gl. 2.7 tan(αBr) = sin(αBr)/cos(αBr) = n2/n1

(2.7)

wird Licht (einfallend von Medium 1) mit einer Polarisation parallel zur Einfallsebene (an der Grenzfläche zu Medium 2) überhaupt nicht reflektiert. Bei interner Reflexion, z. B. dem Übergang von Wasser zu Luft, erfolgt für Einfallswinkel αeinf. ≥ αtot. Totalreflexion, wobei sin(αtot.) = n1/n2. Das Licht wird vollständig reflektiert, d. h., es wird im zeitlichen Mittel keine Energie ins optisch dich-

42

2 Grundlegende Konzepte

Reflektivität in %

100 von Luft (n = 1,0) nach Wasser (n = 1,33)

80 60

α

40 Rσ

αBr

20

Rπ 0 0

30

60

90

Einfallswinkel in Grad

a)

Reflektivität in %

20 von Luft (n = 1,0) nach Wasser (n = 1,33)



10



αBr 0 40

b)

50

60

70

Einfallswinkel in Grad

2.34 Reflektivität von Licht an der Grenzfläche zwischen Luft und Wasser als Funktion des Einfallswinkels für parallele (π) und senkrechte (σ) Polarisation (a) sowie Ausschnittsvergrößerung (b). Beim Brewster-Winkel αBr wird die parallele Polarisation nicht reflektiert.

tere Medium eintreten. (Eine genauere Analyse zeigt, dass Grenzflächenwellen als Lösung existieren; Kapitel 8). Für die Übergänge von Luft (n = 1,0) zu Wasser (n = 1,33) bzw. umgekehrt ergeben sich die folgenden Winkel: Ext. Reflexion: Int. Reflexion: Int. Reflexion:

Einfall von Luft zu Wasser: Einfall von Wasser zu Luft: Einfall von Wasser zu Luft:

αBr = 53,06° αBr = 36,94° αtot. = 48,75°

Für den speziellen Fall senkrechten Einfalls (αeinf. = 0) findet man beim Übergang von einem transparenten Material mit Brechungsindex n1 zu einem zweiten mit Brechungsindex n2 unabhängig von der Polarisation immer folgende Formel für den Anteil reflektierten Lichts:

2.5 Beschreibung von Wellenphänomenen des Lichts

43

Reflektivität in %

100 von Wasser (n = 1,33) nach Luft (n = 1,0)

80

α

60 40



αBr

20

Rπ 0 0

30

a)

αtot.

60

90

Einfallswinkel

Reflektivität in %

20 von Wasser (n = 1,33) nach Luft (n = 1,0)

10 Rπ

αtot.

αBr 0 20

b)



30

40

50

Einfallswinkel in Grad

⎛ n − n2 ⎞ R( n1 , n2 ) = ⎜ 1 ⎟ ⎝ n1 + n2 ⎠

2.35 Reflektivität von Licht an der Grenzfläche zwischen Wasser und Luft als Funktion des Einfallswinkels für parallele (π) und senkrechte (σ) Polarisation (a) sowie Ausschnittsvergrößerung (b). Zusätzlich zum BrewsterWinkel αBr tritt der Grenzwinkel αtot. der Totalreflexion auf.

2

(2.8)

Für das Beispiel von Luft (n = 1) und Wasser (n = 1,33) findet man R ≈ 0,02, d. h. etwa 2 %. Für den vielleicht etwas bekannteren Fall von Luft und Glas (n = 1,5) ergibt sich dagegen der doppelte Wert von 4 %. Einige Auswirkungen der Fresnel’schen Gleichungen, die später auch für Phänomene der atmosphärischen Optik wichtig werden, sind auch aus dem Alltag wohl bekannt: 1) Bei großen Einfallswinkeln nahe 90°, d. h. nahezu streifendem Einfall, steigt R unabhängig von der Polarisation auf 100 %. Das bedeutet, dass aber kein Licht mehr ins zweite Material dringen kann. Blickt man beispielsweise unter flachem

44

2 Grundlegende Konzepte

Winkel auf eine Glasscheibe, so kann man nicht mehr hindurchsehen, weil alles Licht reflektiert wird. Andererseits werden auch andere glatte, aber sehr schwach reflektierende Gegenstände wie z. B. Bucheinbände aus Plastik bei streifendem Einfall nahezu perfekte Spiegel. 2) Bei kleinen Einfallswinkeln, d. h. nahezu senkrechtem Einfall nahe 0°, ergibt sich bei Glas wie oben erwähnt R = 4 % bei Reflexion an einer Grenzfläche. Blickt man durch eine Scheibe hindurch, wird das Licht zweimal, nämlich an Vorderund Rückseite reflektiert. Dementsprechend werden insgesamt etwa 8 % reflektiert. Dies kann bei Brillenträgern zu unerwünschten Reflexen im Gesichtsfeld führen, weshalb man Brillengläser durch Aufdampfen von dünnen Schichten häufig entspiegelt, d. h. die Reflektivität senkt. Die altbekannte Tatsache, dass bei ruhigem Wasser einer Pfütze oder eines Sees die etwa 2 % Reflektivität sehr wohl ausreichen, um das eigene Spiegelbild zu sehen (normale Badezimmerspiegel haben um 90 %), liegt im Wesentlichen daran, dass aus dem Inneren der Pfütze oder des Sees nur wenig Licht nach außen dringt. Deshalb werden die 2 % Reflexion nicht durch Störlicht überdeckt, wie es z. B. am helllichten Tag der Fall ist, wenn man in einem Zimmer sein Spiegelbild in einem Fenster sucht. Erst wenn es dunkel wird und der Störlichtuntergrund von draußen sinkt, kann man sich gut erkennen. (Es dringen ja etwa 92 % Tageslicht von außen ins Zimmer, während von dem Licht des dunkleren Zimmers nur etwa 8 % zurückreflektiert werden.) 3) Die Totalreflexion wird heutzutage großtechnisch genutzt in den Lichtleitern (Abb. 2. 36). Wird Licht in eine Glasfaser – für Demonstrationszwecke kann man auch einen Wasserstrahl nehmen – gelenkt, so kann es bei ideal glatten Wänden, idealen Materialien und sauberen Oberflächen nicht mehr hinaus. Es wird immer hin und her reflektiert und kann so über große Entfernungen verlustfrei transportiert werden, z. B. in der Telekommunikation. 4) Der Brewster-Winkel hat viele Anwendungen in der Technik. Seine Bedeutung liegt vor allem darin, dass Licht, das parallel zur Einfallsebene polarisiert ist, beim Brewster-Winkel überhaupt nicht reflektiert wird. Das bedeutet, dass es beim

2.36 Funktionsweise eines Lichtleiters, z. B. einer Glasfaser: Ein Lichtstrahl fällt auf den Leiter und wird gemäß dem Brechungsgesetz unter Richtungsänderung in die Faser gebrochen. Dort fällt der Strahl unter größeren Winkeln als αtot. auf die Grenzfläche und wird total reflektiert. Am Ende der Faser kann der Lichtstrahl wieder unter Brechung austreten.

2.5 Beschreibung von Wellenphänomenen des Lichts

45

a)

b)

c)

2.37 Die Polarisationsabhängigkeit der Reflexion wird u. a. in der Fotografie zur Unterdrückung unerwünschter Reflexe eingesetzt. Dies kann in einem Aufbau (a) mit einer Lampe als Störlichtquelle demonstriert werden. Man beobachtet in Pfeilrichtung (von unten rechts) einen Gegenstand (hier ein Glas) durch eine Glasscheibe hindurch. Der Reflex der Lampe kann das Bild des Gegenstands überdecken (b). Beobachtet man die Anordnung unter dem Brewster-Winkel durch ein Polarisationsfilter, so kann das störende reflektierte Licht der Lampe, das polarisiert ist, stark unterdrückt werden (c).

46

2 Grundlegende Konzepte

Durchgang des Lichts durch die Grenzfläche keinerlei Lichtverlust gibt. Deshalb werden in vielen Laseraufbauten optische Bauteile unter dem Brewster-Winkel eingebaut, viele Laser senden deshalb automatisch polarisiertes Licht aus. Umgekehrt wird unpolarisiertes Licht, das unter dem Brewster-Winkel auf eine Fläche einfällt, senkrecht zur Einfallsebene polarisiert, da der Anteil parallel zur Einfallsebene ja ohne Reflexionsverlust ins Material transmittiert wurde. Wenn man solchermaßen polarisierte Lichtreflexe durch einen Polarisator betrachtet, so stellt man fest, dass der polarisierte Lichtreflex bei Drehen des Polarisators in eine Position, die nur parallel polarisiertes Licht hindurchlässt, unterdrückt wird. Dies ist das Grundprinzip der Polarisationsfilter, die beim Fotografieren zur Reflexunterdrückung von spiegelnden Flächen eingesetzt werden (Abb. 2.37). Allerdings liegen i. Allg. alle Einfallswinkel vor, weshalb es immer nur eine teilweise Unterdrückung von Reflexen geben kann.

2.6

Referenzen

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3

Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

Ganz allgemein lassen sich alle optischen Erscheinungen in der Atmosphäre auf die grundlegenden physikalischen Wechselwirkungen des Lichts mit der Materie der Atmosphäre zurückführen. Im Folgenden soll zunächst die Zusammensetzung der Atmosphäre beschrieben werden, bevor eine Klassifikation der physikalischen Prozesse des Lichts mit diesen Bestandteilen diskutiert wird.

3.1

Die Atmosphäre

Die Atmosphäre besteht aus elektrisch neutralen Gasen, geladenen Teilchen sowie Inhomogenitäten wie Wassertropfen, Eiskristallen und Aerosolen (Abb. 3.1). Letztere sind dabei sowohl natürlichen als auch anthropogenen, d. h. menschlichen Ursprungs.

3.1 Die Atmosphäre enthält Atome, Moleküle, Wassertropfen, Eiskristalle sowie Aerosole. In größeren Höhen liegt das Gas teilweise ionisiert als sog. Plasma vor.

M. Vollmer, Lichtspiele in der Luft, DOI 10.1007/978-3-8274-3093-9_3, © Elsevier GmbH, München 2006

48

3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

3.1.1

Gasförmige Bestandteile der Luft

Homogene trockene Luft Homogene, d. h. reine Luft setzt sich aus Gasatomen und Molekülen in unterschiedlichen Konzentrationen zusammen, die bis auf einige (wenngleich für den Treibhauseffekt sehr bedeutsame) Spurengase wie Kohlendioxid, Methan und Ozon zeitlich und räumlich in etwa konstant sind (Tab. 3.1). Zum Vergleich: Die die Ozonschicht gefährdenden FCKWs (Fluorchlorkohlenwasserstoffe) und andere Chlorverbindungen haben zurzeit Volumenkonzentrationen von 3 ppb (1 ppb = 1 part per billion = 1 Milliardstel). Tabelle 3.1 Gemittelte Zusammensetzung von reiner, trockener Luft (Stand CO2: 2002). Gas

Abkürzung

Volumenprozent

Konzentration in ppm (Millionstel)

Stickstoff Sauerstoff Argon Kohlendioxid Neon Helium Methan

N2 O2 Ar CO2 Ne He CH4

78,09 20,95 0,95 0,0371 0,0018 0,0005 0,0002

371 18 5 0,18

Zusätzlich gibt es noch Gase geringerer Konzentration wie Krypton (Kr), Wasserstoff (H2), Stickoxide (N2O), Xenon (Xe), Ozon (O3) usw. Die genaue Zusammensetzung hängt von der Höhe über dem Erdboden ab. Die derzeitige Zunahme bei CO2 beträgt etwa 1,5 ppm/Jahr, bei Methan etwa 7 ppb/Jahr. [IPC 01]

Wasserdampf In der Realität ändert sich die Luftzusammensetzung räumlich und zeitlich sehr stark aufgrund des Wasserdampfgehalts. Mit Wasserdampf ist im Folgenden immer ein Gas aus Wassermolekülen gemeint und nicht etwa kleine Wassertröpfchen. Die ihn beschreibende relative Feuchte, üblicherweise in Prozent angegeben, bezieht sich dabei auf den sog. Sättigungsdampfdruck des Wassers. Sättigungsdampfdruck Unter Sättigungsdampfdruck versteht man die Tatsache, dass aus Wasser wie auch aus jeder anderen Flüssigkeit permanent Wassermoleküle verdampfen, d. h. in die Gasphase übergehen (Abb. 3.2). Umgekehrt treffen aus der Umgebungsluft auch laufend Wassermoleküle auf die Wasseroberfläche und werden wieder eingefangen, d. h., sie kondensieren. Wenn die Teilchenströme (aus der Flüssigkeit verdampfend und in die Flüssigkeit kondensierend) gleich groß sind, hat sich

3.1 Die Atmosphäre

49

3.2 Das Verdampfen und Kondensieren von Molekülen bestimmen den Sättigungsdampfdruck über einer Flüssigkeit.

p(T) = p0 e–(E /kT)

Dampfdruck in hPa

v

p(100 °C) = 1013,25 hPa



Temperatur in °C

3.3 Abhängigkeit des Sättigungsdampfdrucks über einer ebenen Wasseroberfläche als Funktion der Temperatur. Bei 100 °C erreicht er den normalen Atmosphärendruck von etwa 1000 hPa.

ein Gleichgewicht eingestellt. Die Wassermolekülkonzentration über der Flüssigkeit entspricht dann einem bestimmten Druck, dem Sättigungsdampfdruck. Dieser steigt mit der Temperatur, da die Wärmebewegung der Wassermoleküle eine Verdampfung begünstigt. Abb. 3.3 zeigt die Abhängigkeit des Sättigungsdampfdrucks über ebenen Wasseroberflächen als Funktion der Temperatur. Für Werte von 0 °C, 20 °C und 50 °C erreicht der Sättigungsdampfdruck Werte von etwa 6,11 hPa, 23,4 hPa und immerhin 123 hPa [Lil84]. Bezogen auf einen typischen Luftdruck von 1000 hPa entspricht dies immerhin 0,6 %, 2,3 % bis zu sogar 12 % Anteil. Bei nichtebenen Wasseroberflächen, z. B. Wassertropfen, ändert sich der Sättigungsdampfdruck aufgrund der veränderten Bindungskräfte der Moleküle; dasselbe passiert auch bei Lösung von Salzen etc. im Wasser [Lil84]. Relative Feuchte Der Wasserdampfgehalt der Luft wird durch die relative Feuchte (RF) beschrieben. Diese ist definiert als Verhältnis des herrschenden Dampfdrucks p des Wassers in der Luft zum Sättigungsdampfdruck ps: RF = 100 * p/ps

(3.1)

50

3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

Eine relative Luftfeuchte von 50 % bei 20 °C entspricht somit einem Wasserdampfdruck von etwa 11,7 hPa. Absolute Feuchte Unter absoluter Feuchte versteht man die Dichte des Wasserdampfs in der Luft. Mithilfe der idealen Gasgleichung lässt sich die absolute Feuchte berechnen zu

ρ=

p ⋅ M Mol R ⋅T

(3.2)

Dabei ist p der Dampfdruck, MMol die Masse eines Mols Wasser, das sind 18,016 g/Mol, R die universelle Gaskonstante mit dem Wert 8,314 J/(Mol · K) und T die Temperatur. T muss dabei in der Temperatureinheit Kelvin angegeben werden; es gilt T(K) = T(°C) + 273,15. Durch Einsetzen findet man beispielsweise bei einer Temperatur von 20 °C und 100 % relativer Feuchte, d. h. p = 23,4 hPa, eine absolute Feuchte von 17,3 g/m3 Luft. Taupunkt und Kondensation Wird Luft mit vorgegebenem Dampfdruck abgekühlt, so steigt mit fallender Temperatur die relative Feuchte, da bei tieferen Temperaturen ein niedrigerer Sättigungsdampfdruck vorliegt. Erreicht die relative Feuchte 100 % – die entsprechende Temperatur wird als Taupunkt bezeichnet – und wird die Temperatur weiter gesenkt, setzt Kondensation des gasförmigen Wasserdampfs zu Wassertropfen (Wolken, Tau etc.) ein. Voraussetzung hierfür ist allerdings das Vorhandensein von Kondensationskeimen, z. B. Ionen oder Aerosolen. Im Inneren von Wohnungen ist eine Unterschreitung des Taupunkts immer unerwünscht, da bei einsetzender Kondensation i. Allg. Schimmelbildung erfolgt. In der Natur dagegen führen die entstehenden Tau- oder Regentropfen zu einer Vielfalt faszinierender optischer Phänomene. Zusammenfassend lässt sich für reale Luft festhalten, dass sie ein Gasgemisch ist, in dem es immer die variable Komponente Wasserdampf gibt. Viele physikalische Größen, z. B. der Brechungsindex, hängen von der Zusammensetzung der Luft, d. h. vom Wasserdampfgehalt ab. Feuchte Luft – als Gasgemisch von Wasserdampf mit trockener Luft – hat eine niedrigere Dichte (Wassermoleküle wiegen weniger als Sauerstoff- und Stickstoffmoleküle) und daher auch einen geringfügig niedrigeren Brechungsindex als trockene Luft.

Geladene Teilchen Insbesondere in der höheren Atmosphäre sind Gasatome und Moleküle einer erhöhten ultravioletten Sonneneinstrahlung, einem Teilchenbombardement durch den Sonnenwind aus Elektronen und Protonen sowie auch hochenergetischer kosmischer Strahlung ausgesetzt. Von diesen drei Effekten wirkt die UV-Strahlung der

3.1 Die Atmosphäre

51

a)

b)

c)

3.4 Die UV-Strahlung der Sonne kann Gasatome bzw. -moleküle anregen (a), dissoziieren (b) und ionisieren (c). Eine Anregung eines Atoms/Moleküls führt zu einer geänderten Elektronenverteilung. Im Allg. führt dies nach kurzer Zeit auch wieder zur Abregung unter Aussendung von Strahlung.

Sonne am effektivsten auf die Atome und Moleküle der Atmosphäre. Die Einstrahlung kann die Moleküle erstens aufspalten, man sagt auch dissoziieren, zweitens kann sie sowohl Atome als auch Moleküle elektronisch anregen, und drittens können die Atome und Moleküle auch ionisiert, d. h. in den elektrisch geladenen Zustand versetzt werden (Abb. 3.4). Demzufolge gibt es in der höheren Atmosphäre, man spricht hier auch von der Ionosphäre, sehr viele geladene Teilchen in Form von Elektronen und positiv geladenen Ionen. Da die Dichte der Atmosphäre einerseits in etwa exponentiell mit der Höhe sinkt, wird es in sehr großen Höhen nicht viele geladene Teilchen geben. Andererseits wird durch Absorptionsprozesse immer weniger UV-Strahlung in tiefere Schichten der Atmosphäre gelangen, weshalb es dort ebenfalls wenige geladene Teilchen gibt. Zudem kann es bei hoher Teilchenkonzentration durch Stöße auch wieder zur Rückvereinigung (man nennt dies Rekombination) der Ionen mit den Elektronen zu Atomen bzw. Molekülen kommen. Insofern stellt sich eine hohe Elektronen- und Ionendichte nur in einem definierten Höhenbereich ein (Abb. 3.5) – diesen Bereich nennt man Ionosphäre.

52

3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

3.5 Typische Elektronendichteverteilung in der Ionosphäre: Die Dichte hängt von der Sonneneinstrahlung ab, d. h., es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen Tag und Nacht.

Genau genommen besteht die Ionosphäre aus mehreren Schichten. Sie beginnt bei etwa 60 km Höhe über dem Erdboden, zeigt ein Maximum bei etwa 300 km Höhe und fällt dann langsam ab. Da die Ionenerzeugung auf die Sonnenstrahlung angewiesen ist, finden sich die höchsten Konzentrationen von 106 bis maximal 107 Elektronen/cm3 auf der Tagseite. Dies bedeutet, dass etwa 1 von 1000 Atomen/ Molekülen ionisiert ist. Nachts finden Rekombinationsprozesse statt. Wegen der geringen Dichte und damit geringen Zahl von Rekombinationsstößen fallen die Werte allerdings nur auf 105 bis 106 Elektronen/cm3 ab. Die Ionosphäre hat große Bedeutung für die Kommunikationstechnik, weil durch sie Radiowellen zur Erde zurückreflektiert und so über große Entfernungen übertragen werden. Für den Bereich der atmosphärischen Optik spielt die Ionosphäre keine direkte Rolle, da fast alle Phänomene in Höhen unter 10 km angesiedelt sind; allerdings sind ähnliche Ionisierungsprozesse verantwortlich für die Entstehung der Polarlichter (Abschnitt 11.5).

3.1.2

Wassertropfen

Entstehung und typische Größen Wasser kommt in der Atmosphäre als Wasserdampf, d. h. als Gas, aber auch als Wassertropfen vor (Abb. 3.6).

3.1 Die Atmosphäre

53

3.6 Relative Größen von Kondensationskeimen, Wolkentropfen und Regentropfen in der Atmosphäre.

Die Wassertropfen in Wolken entstehen durch Kondensation, wenn der Taupunkt unterschritten wird und Kondensationskeime vorhanden sind. Ohne Kondensationskeime wären relative Feuchtigkeiten von über 100 % nötig, da Wassermoleküle von gekrümmten Oberflächen der Tropfen leichter verdampfen können als von ebenen Flächen. Tropfen von 1 μm Durchmesser würden z. B. 101 % relative Feuchte benötigen, was selbst in Wolken selten erreicht wird. Insofern sind die Kondensationskeime, die praktisch immer vorhanden sind, mit typischen Größen um 0,2 μm für das anfängliche Wachstum notwendig. In Wolken wachsen die Tropfen bis zu einer typischen mittleren Größe von etwa 20 μm. Bei dieser Größe sind die Tropfen im Gleichgewicht mit ihrer Umgebung, d. h., die Größe ändert sich nicht weiter, da immer genauso viel Wassermoleküle vom Tropfen verdampfen wie von dem umgebenden Gas auf dem Tropfen kondensieren. Diese kleinen Tropfen können nicht als Regen zur Erde fallen, da schon geringe aufwärts gerichtete Luftströmungen sie in einem Gleichgewicht halten können. Dennoch nach unten fallende Tröpfchen verdampfen direkt unterhalb der Wolke und erreichen den Boden nicht. Wie entstehen nun die erforderlichen größeren Regentropfen mit Durchmessern von einigen Millimetern? Die Tropfen können einerseits in warmen Wolken durch Kollisionen miteinander zusammenwachsen (Koaleszenz), wobei auch die Ladung der Tröpfchen eine Rolle spielt, anderseits spielen in kalten Wolken Eiskristalle eine Rolle. • Große Tropfen entstehen in warmen (d. h. Nicht-Eis-)Wolken durch Kollisionen, beispielsweise indem kleine Wolkentröpfchen in aufsteigenden Luftmassen kleinere Tropfen einholen und mit ihnen verschmelzen. Dabei wachsen sie an, bis sie im oberen Wolkenbereich – je nach Luftströmung – Größen um z. B. 1 mm haben. Wachsen diese Tropfen durch Zusammenstöße etwas weiter an, fallen sie wieder nach unten. Große Tropfen haben größere Fallgeschwindigkeiten als kleine Tropfen (s. u.), weshalb die fallenden Tropfen mit vielen kleineren Tröpfchen zusammenstoßen und so weiter wachsen können und z. B. Durchmesser bis 5 mm

54

3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

1 mm

100 μm 5 mm

3.7 Schema der Entstehung von Regentropfen in warmen Wolken.

erreichen (Abb. 3.7) Diese Größe reicht aus, um ein Verdampfen zu verhindern, bevor der Tropfen den Erdboden erreicht. • In kalten Wolken gibt es Zwischenschritte über die Eisphase. Dieser Mechanismus tritt häufig in höheren Breiten auf, bei denen die Wolken in Höhen reichen, in denen der Gefrierpunkt unterschritten wird. Am Beispiel einer Kumulunimbuswolke (Abb. 3.8) soll eine imaginäre Reise von unten nach oben durch die Wolke stattfinden.

3.8 In einer Kumulunimbuswolke gibt es, bestimmt durch die Temperatur, drei Bereiche: Im unteren Bereich liegt nur Wasser, im mittleren sowohl Eis als auch Wasser und im oberen nur Eis vor.

• Unterhalb der „Gefrierhöhe“ trifft man nur Tropfen an, die nach dem Kollisionsmechanismus wachsen. Aber auch oberhalb des 0-°C-Niveaus trifft man praktisch zunächst nur Wassertropfen an. Diese nennt man unterkühlt (super cooled). Bei –10 °C gibt es etwa einen Eiskristall auf eine Million flüssige Tropfen, mit sinkender Temperatur steigt der Anteil der Eiskristalle. Bei –20 °C bestehen nur noch etwa 10 % der Wolken aus unterkühlten Tropfen, aber schon 90 % aus Eiskristallen, und bei unterhalb von –40 °C liegen praktisch keine flüssigen Tropfen, sondern nur noch Eis vor [Pru97]. Dazwischen gibt es in diesen sog. gemischten Wolken je nach Auf- und Abströmungen unterschiedliche Konzentrationen. • Unterkühlte Tropfen können immer dann auftreten, wenn keine Nukleationskeime vorhanden sind, d. h. wenn reines Wasser vorliegt. Die dann auftretende spontane (homogene) Nukleation zu Eis findet für Tropfen mit 25 μm Durchmesser beispielsweise bei etwa –36 °C statt. Bei höheren Temperaturen, z. B. –10 °C, ist die thermische Bewegung im Tropfen noch groß genug, um zu verhindern, dass die für das Gefrieren erforderliche kritische Größe eines Eiskeims überschritten wird. Die Tatsache, dass in hohen Wolken sowohl Wassertropfen als auch Eiskris-

3.1 Die Atmosphäre

55

talle vorliegen, spielt bei der Erklärung von Koronen und Glorien eine Rolle (Näheres siehe Kapitel 7 und 8). • Das Zusammenspiel von Eiskristallen und Tropfen kann nun zur Entstehung von großen Eiskristallen (Dendriten), aber auch Regentropfen führen. Dabei ist wichtig, dass der Dampfdruck über Wassertropfen bei derselben Temperatur höher ist als über Eiskristallen [Lil84, Pru97, Ahr91]. Insofern können in den mittleren Bereichen der kalten Wolken die Eiskristalle rasch aufgrund der verdampfenden Tropfen wachsen. Ab einer kritischen Größe werden die Eiskristalle so schwer, dass sie trotz Aufwärtsströmungen zu fallen beginnen. Treffen sie dabei unterkühlte Tropfen, gefrieren diese sofort und bilden Graupel. Fallender Graupel in der Wolke kann zerbrechen und wieder viele kleine Eiskristalle bilden, die denselben Prozess durchlaufen. Offensichtlich ist eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, bei der viele Eiskristalle gebildet werden. Treffen Eiskristalle andere Eiskristalle, bilden sich Dendriten aus, d. h. Schneeflocken (Abb. 3.9).

3.9 Eiskristalle in Wolken können durch Anfrieren unterkühlter Wassertröpfchen wachsen (links), beim Stoß zweier Eisteilchen können sie auseinander brechen und viele kleine Kristalle erzeugen (Mitte), und in einer Wolke fallende Kristalle können aneinander hängen bleiben und so Dendriten, d. h. Schneeflocken bilden (rechts) (nach [Ahr91]).

• Falls die Schneeflocken schmelzen, bevor sie auf dem Boden auftreffen, fallen sie als Regentropfen. Durch diesen Mechanismus entstehen viele Regentropfen in mittleren nördlichen Breiten auch im Sommer über den Zwischenschritt Eis. Falls die Kristalle nicht schmelzen, können sie, je nach Bedingungen in der Wolke, als Schneeflocken, Graupel oder – bei großen Gewitterwolken mit starken inneren Strömungen – als Hagel auf die Erde gelangen. Das bislang größte dokumentierte Hagelkorn wurde am 3.9.1970 in Kansas gefunden: Es hatte ein Gewicht von 757 g und einen maximalen Durchmesser von 14 cm [Ahr91]! Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Wassertropfen in der Atmosphäre einen Größenbereich von wenigen Mikrometern (Nebel, Wolken) bis hin zu vielen Millimetern (dicke Regentropfen) umfassen. Wolkentröpfchen haben im Durch-

56

3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

Tabelle 3.2

Typische Größen von Wassertropfen (nach [Lil84, Jac02, Pru97, Roe94]).

Art

2R (μm])

Anzahl (cm3)

typische Dichte (g/m3)

vFall (m/s)

Nebel Wolkentropfen Nieselregen Regentropfen

10–20 10–100 100–500 500–5000

1–500 1–1000 0,01–1 0,001–0,01

0,1–0,5 1–2 0,1–10 0,1–10

0,25–2 2–9

schnitt einen Radius bis 10 μm, Nieselregentropfen etwa 100 μm und gewöhnliche Regentropfen etwa 1 mm (Tab. 3.2). Abb. 3.10 zeigt zwei typische Tropfenverteilungen in Nebel, Abb. 3.11 eine von maritimen Cumuluswolken. In Abb. 3.12 werden Tropfenverteilungen von Regenschauern mit Niederschlägen von weniger als etwa 20 mm/h dargestellt, und Abb. 3.13 schließlich zeigt ein Beispiel eines tropischen Sturms mit Niederschlägen

3.10 Größenverteilungen von Wassertropfen in Nebel (nach [Pru97]).

3.11 Größenverteilungen von Wassertropfen in maritimen Kumuluswolken (nach [Pru97]).

3.1 Die Atmosphäre

57

3.12 Größenverteilungen von Wassertropfen bei Niederschlägen mit Regenmengen unter 21 mm/h (nach [Pru97]).

3.13 Größenverteilungen von Wassertropfen bei Niederschlägen von tropischen Stürmen mit Regenmengen über 225 mm/h (nach [Pru97]).

von mehr als 225 mm/h. Hier treten deutlich Tropfen von über 5 mm Durchmesser auf. Allgemein lässt sich feststellen, dass in normalen Regenfällen mit unter 20 mm/h selten Tropfengrößen von über 3 mm auftreten! (Weitere Details zu Wolken und Regen, beispielsweise in Bezug auf Sichtweiten, finden sich in Abschnitt 10.2.)

Tropfenformen Regentropfen fallen von der Wolke durch die Atmosphäre zum Erdboden. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Form der fallenden Regentropfen dabei von der Tropfengröße abhängt und es zu Oszillationen kommen kann [Pru97, Don54,

58

3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

3.14 Schematische Darstellung der Form von Regentropfen als Funktion der Größe.

Bea89]. Im Gegensatz zu vielen populären grafischen Darstellungen fallen kleine Tropfen im Wesentlichen als Kugeln. Insbesondere die großen Tropfen im Millimeter-Bereich verformen sich im Fall zur Erde aber durch ihre Oberflächenspannung im Wechselspiel mit Gravitation und aerodynamischem Druck zu pfannkuchenähnlichen Gebilden [Don54] (Abb. 3.14). Dies hat Konsequenzen für einige Details bei Regenbögen (Kapitel 5). Beschreibt man die Tropfen durch einen äquivalenten Durchmesser Dä – darunter versteht man den Durchmesser einer Kugel mit demselben Volumen wie der ggf. deformierte Wassertropfen –, so findet man, dass Regentropfen nur für Dä ≤ 280 μm nahezu perfekte Kugelform haben. Größere Tropfen bis etwa 1 mm sind leicht verformt und können als oblate (eher pfannkuchen- als zigarrenähnliche) Sphäroide beschrieben werden. Noch größere Tropfen sind weiterhin sphäroidähnlich, haben aber zusätzlich stark abgeflachte Bodenflächen. Tropfen mit Durchmessern größer als etwa 10 mm sind instabil und können selbst in laminaren Strömungen (keine Turbulenzen) auseinander brechen. Dies erklärt auch die Seltenheit der Beobachtung großer Tropfen.

Fallgeschwindigkeiten Die Fallgeschwindigkeiten der Tropfen hängen von deren Größe ab [Lil84, Ahr91, Pru97], da diese entscheidend dafür ist, ob die sie umgebende Luft während des Falls gleichmäßig, d. h. laminar, oder turbulent vorbeiströmt. Aus der Theorie ergibt sich wegen der Reibungskräfte durch den Luftwiderstand eine Endgeschwindigkeit, die i. Allg. für Regentropfen innerhalb eines Fallwegs von wenigen Metern erreicht wird. Abb. 3.15 zeigt die Endgeschwindigkeiten

3.1 Die Atmosphäre

59

3.15 Endgeschwindigkeiten fallender Wassertropfen als Funktion der Tropfengröße (nach [Pru97]).

von Regentropfen als Funktion des äquivalenten Durchmessers. Man erkennt, dass die Endgeschwindigkeiten bei Regentropfen mit Radien von 0,25–3 mm im Bereich von 2–9 m/s und bei kleineren Tropfen des Nieselregens zwischen 0,25 und 2 m/s liegen. Diese Geschwindigkeiten sind abhängig vom Luftdruck bzw. der Dichte. In der Abbildung sind Werte für die sog. Normalbedingungen mit einem Luftdruck am Erdboden von 1’013 hPa und einer Temperatur von 20 °C angegeben.

3.1.3 Eiskristalle Entstehung Genauso wie es über Wasser einen Sättigungsdampfdruck gibt, der den Übergang von Wasser in Wasserdampf (Verdampfung) bzw. dessen Kondensation zu Wasser charakterisiert, gibt es auch über Eis einen Sättigungsdampfdruck, der den direkten Übergang vom Festkörper in die Gasphase, d. h. in Wasserdampf charakterisiert. In der Physik bezeichnet man den Übergang von fest zu gasförmig und umgekehrt von der gasförmigen in die feste Phase als Sublimation. (Anmerkung: In der Chemie wird häufig nur die Richtung von fest zu gasförmig mit Sublimation bezeichnet.) Da im Eis die Wassermoleküle anders angeordnet sind als im Wasser, ist die Bindung der Moleküle größer, d. h., es muss mehr Energie zugeführt werden, um ein Molekül in die Gasphase übergehen zu lassen. Insofern werden bei ansonsten gleichen Bedingungen weniger Moleküle vom Eis verdunsten als über Wasser, d. h., der Sättigungsdampfdruck über Eis ist etwas kleiner als der von Wasser. Dies gilt natürlich nur für Temperaturen unterhalb von null Grad und berücksichtigt, dass bei Abwesenheit von Gefrierkeimen Wasser auch unterkühlt als Flüssigkeit existieren kann.

60

3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

3.16 Der Sättigungsdampfdruck über Wassertropfen ist größer als über Eis. Daher wachsen Eiskristalle, während die unterkühlten Wassertröpfchen in gemischten Eis-Wasser-Wolken verdunsten.

Die verschiedenen Dampfdrücke gestatten, dass Wasserdampf bzgl. des Wassers ungesättigt sein kann, bzgl. des Eises aber gesättigt. Beispielsweise haben Eis und Wasser für T = –10 °C Sättigungsdampfdrücke von ps(Eis) = 2,597 hPa und ps(Wasser) = 2,863 hPa. Folglich liegt bei einem Wasserdampfdruck von 2,597 hPa Sättigung bzgl. des Eises vor, aber nur 90,7 % relative Feuchte bezogen auf Wasser. Als Konsequenz kann Wasserdampf von Tropfen verdunsten und gleichzeitig auf Eiskristallen sublimieren (Abb. 3.16). In der Realität existieren in Wolken bei Minusgraden daher Wassertropfen und Eiskristalle nebeneinander, wobei die Temperatur und der Grad der Übersättigung die genaue Zusammensetzung ergeben (s. o.: Regentropfenentstehung in kalten Wolken).

Formen und Größen Eiskristalle weisen eine hexagonale, d. h. sechszählige, Symmetrie auf. Diese ist durch die Anordnung der Wassermoleküle im Kristallgitter bestimmt. Die einfachste Kristallform besteht aus hexagonalen Platten oder Säulen (Abb. 3.17). Je nach der

hexagonale Platten

Säulen

3.17 Eiskristalle liegen häufig in Form von hexagonalen Platten oder Säulen vor.

3.1 Die Atmosphäre

3.18 Verschiedene Schnee- und Eiskristalle mit vielen Verzweigungen, aufgenommen 1902 in Jericho/Vermont (USA) von Wilson Bentley, Quelle: www.photolib.noaa.gov/ historic/nws/wea02087.htm, mit freundlicher Genehmigung der National Oceanic and Atmospheric Administration/Dptm. of Commerce.

61

62

3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

Wachstumsgeschwindigkeit der Kristalle entstehen homogene und wohl definierte Oberflächen (langsamer Aufbau), oder es bilden sich dendritische Formen mit vielen Verzweigungen (Abb. 3.18) aus (schneller Aufbau). Berücksichtigt man, dass ein durch die Atmosphäre fallender Eiskristall durch Luftschichten verschiedener Temperatur und Übersättigung fällt, können während des Falls unterschiedliche Kristallformen wachsen und beispielsweise Schneeflocken großer Vielfalt entstehen. In der Literatur (siehe z. B. [Ben62, Kni73, Tap94]) sind eine Vielzahl verschiedener Eiskristallformen bekannt (Abb. 3.19). Eines der Klassifikationsschemas umfasst beispielsweise 78 verschiedene Formen [Pru97].

3.19 Ausschnitt aus dem Magano-Lee-Klassifikationsschema für natürlich vorkommende Eis- bzw. Schneekristalle (nach [Pru97]).

Erfreulicherweise sind für die wichtigsten und schönsten durch Eiskristalle verursachten optischen Phänomene nur zwei Eiskristalltypen verantwortlich, und zwar hexagonale Platten und hexagonale Säulen. Ihre Entstehungsbedingungen liegen in der Atmosphäre recht häufig vor (Abb. 3.20). Während Schneeflocken leicht Durchmesser von vielen Millimetern erreichen können, liegen die typischen Größen der Platten und Säulen in Eiswolken bei etwa 10–100 μm. Sie haben somit ähnliche Größen wie Wolkentröpfchen. Solche Eiskristalle können auch an heißen Sommertagen in unseren Breiten in den in einigen Kilometer Höhe befindlichen Cirruswolken auftreten.

3.1 Die Atmosphäre

63

3.20 Entstehungsbedingungen für hexagonale Eiskristalle in der Atmosphäre (nach [Kni73]).

Die Konzentrationen der Kristalle in Wolken liegen meist im Bereich von 0,1 bis maximal etwa 104/l [Pru97]. Abb. 3.21 zeigt die Konzentrationen von Eiskristallen als Funktion der Größe für verschiedene Cirrusstratuswolken über Nordamerika.

3.21 Typische Größenverteilungen von Eiskristallen in Cirrusstratuswolken (nach [Pru97]). Die Verteilungen hängen stark von der Temperatur ab.

Orientierungen und Fallgeschwindigkeiten Eiskristalle liegen in der Atmosphäre nicht immer statistisch verteilt vor. Es gibt auch atmosphärische Bedingungen mit wenigen Turbulenzen, die zu einer Ausrichtung der Kristalle führen. Hexagonale Platten orientieren sich manchmal so, dass sie

64

3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

3.22 Schematische Darstellung der Umströmung hexagonaler Plattenkristalle, die mit ihrer Endgeschwindigkeit fallen. Die Symmetrieachse steht dabei vertikal. Oberhalb der Kristalle bilden sich Wirbel aus. Die Art der Wirbel hängt von der sog. Reynolds-Zahl ab. Für kleine Zahlen (10 μm gibt und dass in der höheren Atmosphäre erstens weniger und zweitens viel kleinere Teilchen vorliegen. Abb. 3.26 verdeutlicht die Größenskalen für verschiedene Aerosole. Aerosolteilchen dienen auch – wie oben erwähnt – als Kondensationskeime für Wassertropfen. Tab. 3.3 vergleicht die typischen Größen und Anzahldichten von Kondensationskeimen und Wassertropfen.

3.25 Repräsentative Größenverteilung von kontinentalen Aerosolen über städtischen und ländlichen Gebieten sowie vor und nach einem Vulkanausbruch des El Chichón in Mexiko in der Stratosphäre (nach [Gra94]). Tabelle 3.3

Typische Größen atmosphärischen Aerosols (nach [Ahr91, Gud00]).

Bezeichnung

Radiusbereich (μm)

typische Dichte (cm–3)

ultrafeine Partikel Aitken-Partikel große Partikel Riesenpartikel zum Vergleich: Wolkentropfen

1 >10

1000–10 000 1000–10 000 100 1 300

3.1 Die Atmosphäre

67

3.26 Größenbereiche verschiedener Aerosole im Vergleich zu typischen Moleküldurchmessern (nach [Gra94]).

Typische Verweildauern der Aerosole in der Atmosphäre sind abhängig von der Teilchengröße. In der untersten Atmosphäre betragen sie Tage bis Wochen, in der Stratosphäre Monate bis Jahre. Dies spielt insbesondere bei den Himmelsfarben nach Vulkanausbrüchen eine Rolle. (Weitere Details zu Aerosolen findet man in der Literatur [Gra94, Gud00, Fei93, Jac02])

3.1.5

Der vertikale Aufbau der Atmosphäre

Abb. 3.27 zeigt den vertikalen Aufbau der Atmosphäre. Der Druck und die Dichte nehmen in etwa exponentiell mit der Höhe über dem Erdboden ab. Einfache theoretische Modelle, deren Annahmen wie z. B. konstante Temperatur in der Natur i. Allg. nicht vollständig realisiert sind, die aber dennoch Abschätzungen erlauben, führen auf die barometrische Höhenformel. Ihr zufolge lässt sich der Druck als Funktion der Höhe beschreiben als: p = p0 ⋅ e



h H

(3.3)

Dabei ist H eine Skalenhöhe und p0 der Druck bei der Höhe h = 0 (Abb. 3.28). In einem isothermen Modell, d. h. unter der Annahme, die Temperatur T sei in allen Höhen gleich groß, ist H = (RT)/(gMMol)

(3.4)

wobei g die Gravitationsbeschleunigung und R die universelle Gaskonstante ist. Je nach Temperatur findet man Werte zwischen 7 und 9 km. Für T = 15°C, d.h. 288,15 K,

68

3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

3.27 Vertikaler Aufbau der Atmosphäre und zugehöriger Temperaturverlauf. Die Druckachse (rechts) ist logarithmisch unterteilt.

3.28 Druckverlauf (links) und Temperaturverlauf (rechts) in der sog. Standardatmosphäre als Funktion der Höhe über dem Erdboden. Die Druckachse (links) ist logarithmisch unterteilt, die Temperatur ist in Kelvin angegeben; es gilt T (°C) = (K) –273,15, d. h., 271,15 K entspricht 0 °C.

g = 9,8 m/s2 und MMol = 28,969g/Mol ergibt Gl. 3.4 H = 8,44 km. Demzufolge wäre der Luftdruck in der Höhe des Mount Everest bzw. in 20 km oder 30 km Höhe nur noch etwa 35 % bzw. 9 % oder 3 % des Luftdrucks auf Meereshöhe, was in etwa stimmt. Offensichtlich ist die Temperatur in der Atmosphäre nicht konstant, weshalb Berechnungen mit Gl. 3.3 nur als grobe Abschätzung verstanden werden sollen,

3.2 Physikalische Prozesse des Lichts mit den Bestandteilen der Atmosphäre

69

selbst wenn man einen Mittelwert für T einsetzt. Weiterführende Theorien berücksichtigen vertikale Temperaturgefälle sowie die Abhängigkeit der Erdbeschleunigung von der Höhe und der geografischen Breite. Bis in Höhen von etwa 10 km wird häufig ein lineares Temperaturgefälle von +15 °C am Erdboden bis etwa –60 °C angesetzt. Der Verlauf der Temperaturen und des Drucks der Standardatmosphäre als Funktion der Höhe sind in Abb. 3.27 und 3.28 eingetragen. Der starke Abfall des Drucks und damit auch der Luftdichte hat wichtige Konsequenzen für die Phänomene atmosphärischer Optik. Wegen der geringen Dichten oberhalb von 10 km finden nahezu alle optischen Phänomene sowie das Wetter unterhalb dieser Höhe, d. h. in der Troposphäre, statt. Ausnahmen sind leuchtende Nachtwolken, Polarlichter, Meteore und Einflüsse der Ozonabsorption für die Dämmerungsfarben. Die Ozonschicht befindet sich in der Stratosphäre. Ihre Hauptwirkung ist die Abschirmung vor der UV-Strahlung der Sonne. In den letzten Jahren ist diese Bedeutung klarer geworden, insbesondere weil die – durch chemische Reaktionen mit FCKWs hervorgerufenen – Konzentrationsschwankungen zum Ozonloch führen.

3.2

Physikalische Prozesse des Lichts mit den Bestandteilen der Atmosphäre

Licht kann bei Anwesenheit von Materie absorbiert, reflektiert, gebrochen, gebeugt oder gestreut (sowie bei vorheriger Anregung emittiert) werden. Lichtquellen außerhalb der Atmosphäre sind dabei die Sonne, der Mond oder die Sterne. Licht kann innerhalb der Atmosphäre durch Stoßanregung bzw. UV-Lichtabsorption von Atomen/Molekülen mit nachfolgender Emission bzw. durch Temperaturstrahlung bei Entladungen entstehen. Abb. 3.29 zeigt eine schematische Übersicht über die verschiedenen Prozesse des Lichts mit Materie.

70

3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

a)

b)

Anregung

Abregung

c) 3.29 Verschiedene Prozesse, die bei Einfallen von Licht auf Materie auftreten: Das Licht kann an glatten Oberflächen reflektiert und unter Brechung transmittiert werden. Der durchgelassene Anteil kann auch absorbiert werden (a). An rauen Oberflächen tritt diffuse Lichtstreuung auf. Kleine Teilchen streuen Licht i. Allg. asymmetrisch nach der MieStreuung, Moleküle dagegen symmetrisch gemäß der Rayleigh-Streuung (b). Licht kann auch elektronische Übergänge anregen, wobei es bei der nachfolgenden Abregung wieder zur Aussendung von Licht kommen kann (c).

3.3 Klassifikation der Phänomene atmosphärischer Optik

3.3

71

Klassifikation der Phänomene atmosphärischer Optik

Es ist offensichtlich, dass bei Kombination der verschiedenen Prozesse, die das Licht an den Bestandteilen der Atmosphäre machen kann, eine Vielzahl verschiedener optischer Phänomene möglich sind. Es gibt insofern auch verschiedene Möglichkeiten, sie zu klassifizieren. Einerseits bietet es sich an, eine Unterscheidung hinsichtlich der für das Verständnis der Phänomene benötigten physikalischen Modelle vorzunehmen, andererseits kann man eine etwas größere Systematik erreichen, indem man eine Unterteilung nach den Bestandteilen der Luft, mit denen das Licht wechselwirkt, wählt. Beide Methoden sollen im Folgenden skizziert werden. Zusätzlich wird kurz auf die in diesem Buch aus praktischen Gründen realisierte Auflistung nach Phänomenen eingegangen.

3.3.1

Einteilung nach theoretischen Modellen

Tab. 3.4 unterscheidet die Phänomene atmosphärischer Optik nach den verwendeten theoretischen Ansätzen geometrische Optik und Wellenoptik. Unter den Theorien sind jeweils Beispiele von Phänomenen aufgelistet, deren Wesenszüge sich entweder schon oder aber nur durch diese Theorien verstehen lassen. Man erkennt, dass Luftspiegelungen, Regenbögen und Haloerscheinungen sich in ihren Grundzügen erfreulicherweise schon durch die einfache geometrische Optik beschreiben lassen. Es ist natürlich vollkommen klar, dass alle diese Erscheinungen für Details auch die Wellenoptik benötigen, insbesondere der Regenbogen. Genau genommen lassen sich natürlich alle Phänomene vollständig mit der Wellenoptik erklären, allerdings teilweise auf Kosten der Anschaulichkeit, weshalb – wo immer es möglich ist – in diesem Buch das Konzept der geometrischen Optik verwendet wird. Wo es hingegen notwendig ist, die Wellenoptik heranzuziehen, wird dieser der Vorzug gegeben. So lassen sich z. B. Beugungserscheinungen wie Koronen oder Glorien sowie die durch Streuprozesse entstehenden Himmelsfärbungen nur sinnvoll durch die Wellenoptik erklären. Tabelle 3.4 Erscheinungen atmosphärischer Optik unterteilt nach theoretischer Beschreibung. Theorie

im Wesentlichen geometrische Optik

im Wesentlichen Wellenoptik

Beispiele

Refraktion und Luftspiegelungen Verzerrungen von Sonne oder Mond Regenbögen Haloerscheinungen …

blauer Himmel Verfärbungen von Sonne oder Mond Koronen um Sonne oder Mond Glorien …

72

3 Übersicht über Phänomene atmosphärischer Optik

Ein Vorgehen nach dieser Unterteilung, zuerst die geometrische Optik und nachträglich die Wellenoptik, bietet sich beispielsweise für das Lernen in der Schule an. In einem ersten Unterrichtsstadium (z. B. in der Sekundarstufe I) kann man den Regenbogen zunächst auf dem einfachen Niveau der geometrischen Optik unterrichten. In einem späteren Unterrichtsstadium (z. B. Sekundarstufe II) kann nach Einführung der Wellentheorie auf zuvor unverstandene Details (überzählige Bögen etc. ) eingegangen werden.

3.3.2

Einteilung nach Bestandteilen der Atmosphäre

In Tab. 3.5 findet sich eine Unterteilung atmosphärisch optischer Phänomene nach den Bestandteilen der Atmosphäre. Offensichtlich gibt es auch hier eine Steigerung der Komplexität und somit auch des theoretischen Schwierigkeitsgrads, indem man bei dem homogenen Medium Luft, d. h. einem reinen Gas, beginnt und dann sukzessive Wolken und Niederschlagspartikel (Regentropfen, Eiskristalle) sowie letztlich auch die – bzgl. ihrer Eigenschaften sehr heterogenen – Aerosole mit hinzunimmt. Bei jeder Luftkomponente gibt es eine weitere Unterteilung gemäß der physikalischen Prozesse des Lichts mit der Materie – auch hier sind Beispiele genannt.

Tabelle 3.5 Erscheinungen atmosphärischer Optik unterteilt nach Bestandteilen der Atmosphäre. 1) homogenes Medium Luft a) Brechung (Luftspiegelungen, Verzerrungen Sonne/Mond) b) Streuung ( blauer Himmel, Verfärbungen Sonne/Mond, grüner Strahl) c) Absorption (Ozon in höherer Atmosphäre) 2) inhomogenes Medium Luft mit Wassertropfen a) Vorwärtsstreuung, Beugung (Höfe) b) Brechung und Reflexion (Regenbogen) c) Rückwärtsstreuung (Glorien) 3) inhomogenes Medium Luft mit Eiskristallen a) Vorwärtsstreuung, Beugung (Koronen) b) Brechung und Reflexion (Halos) c) Streuung (leuchtende Nachtwolken) 4) inhomogenes Medium Luft mit Aerosolen a) Absorption (Verfärbungen Sonne/Mond) b) Streuung (Dämmerungsfarben) 5) ionisierte Luft a) höhere Atmosphäre: Emission (Polarlichter) b) Nähe Erdboden: Emission (Elmsfeuer, Blitze)

3.4 Referenzen

73

Etwas aus der Reihe fällt die ionisierte Luft, da die entsprechenden Phänomene sich, im Gegensatz zu den darüber aufgezählten Beispielen, durch den Prozess der Lichtemission auszeichnen.

3.3.3

Praktische Einteilung nach Phänomenen

Die Unterteilung der Phänomene nach Theorien oder Bestandteilen der Atmosphäre eignet sich zwar für eine Systematik aller Erscheinungen atmosphärischer Optik, für dieses Buch erscheint es aber sinnvoller, eine praktische Einteilung vorzunehmen, die sich an den Einzelphänomenen orientiert. So bietet sich eher die Möglichkeit, ein bestimmtes Naturphänomen nachzuschlagen. Da, wie erwähnt, häufig verschiedene theoretische Ansätze zum Gesamtverständnis erforderlich sind, wird im Rahmen jedes Abschnitts über ein Phänomen immer der Weg von den einfachen und intuitiven zu den vollständigeren, aber theoretisch weiterführenden Erklärungen beschritten. So kann jeder Leser für sich entscheiden, ob ein einfaches Grundverständnis reicht oder alle Facetten einer Erscheinung verstanden werden sollen.

3.4

Referenzen

[Ahr91] C.D. Ahrens, Meteorology Today, 4. Aufl., West Publ. Company St. Paul, New York (1991) [Bea89] K.V. Beard, H.T. Ochs III, R.J. Kubesh, Natural Oscillations of Small Raindrops, Nature 342, 408–410 (1989) [Ben62] W.A. Bentley, W.J. Humphreys, Snow Crystals, Dover Publications (1962): Nachdruck der Erstauflage von 1931 [Don54] J.E. McDonald, The Shape and Aerodynamics of Large Raindrops, J. Meteorology 11, 478–494 (1954); siehe auch Sci. Am., Februar 1954, S. 64–68, The Shape of Raindrops [Fei03] J. Feichter, Aerosole und das Klimasystem, Physik in unserer Zeit 34/2, 72–79 (2003) [Gra94] T.E. Graedel, P.J. Crutzen, Chemie der Atmosphäre, Spektrum (1994) [Gud00] R. Guderian (Hrsg.), Handbuch der Umweltveränderungen und Ökotoxikologie, Bd. 1b: Atmosphäre, Springer (2000) [IPC01] IPCC2001: Climate Change 2001: The Scientific Basis, Contribution of WG 1 to the report of the IPCC, Cambridge University Press (2001) [Jac02] M.Z. Jacobson, Atmospheric Pollution, Cambridge University Press (2002) [Kni73] C. and N. Knight, Snow Crystals, Sci. Am., 100ff. (Januar 1973) [Lil84] G.H. Liljeqvist, K. Cedak, Allgemeine Meteorologie, Vieweg (1984) [Pru97] H.R. Pruppacher, J.D. Klett, Microphysics of Clouds and Precipitation, 2. Aufl., Kluwer Academic Publishers, Dordrecht (1997) [Roe94] W. Roedel, Physik unserer Umwelt, 2. Aufl., Springer (1994) [Tap94] W. Tape, Atmospheric Halos, Am. Geophys. Soc., Washington D.C. (1994 )

4

Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

Eine Luftspiegelung ist das vielleicht alltäglichste Beispiel einer Naturerscheinung in der Atmosphäre, obgleich sie i. Allg. selten bewusst wahrgenommen wird. Dieses optische Phänomen bietet nicht nur faszinierende Anblicke, sondern gibt viele Anregungen für interessante Physik [Min92, Gre80, Per22, Lyn95] und ist überdies auch Gegenstand aktueller Forschungen [Proc].

4.1

Luftspiegelungen in Kultur und Gesellschaft

Luftspiegelungen sind vielen Menschen, wenn auch nicht bewusst durch persönliche Beobachtungen, so doch indirekt durch die Literatur bekannt. Viele Kinder kennen beispielsweise die Bücher von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer, die durch die Aufführungen der Augsburger Puppenkiste berühmt wurden. Sie wissen, dass Reisende in der Wüste gar seltsame Trugbilder sehen, die Lukas mit dem Spiegelkabinett der Fata Morgana erklärt. Auf der Suche nach der entführten Tochter des Kaisers von Mandala fahren Jim Knopf, Lukas und Emma durch eine Wüstengegend [Ende]. Dort lässt die Hitze die Luft über der Wüste flimmern, und alsbald spielt die Natur für die drei verrückt. Gebirge tauchen schwebend auf und verschwinden wieder, stehen dann plötzlich auf dem Kopf, ein Meeresstrand mit Palmen verheißt Erfrischung, sogar Eisberge schwimmen über den Himmel, was angesichts der Hitze besonders befremdlich wirkt. Neben dem Eiffelturm, einem Indianerlager, einem Segelschiff und vielem mehr taucht letztlich auch das heimatliche Lummerland auf. Doch beim Nähern verschwindet alles wieder. Sogar sich selbst sehen die Reisenden plötzlich gespiegelt neben sich fahren bzw. stehen. Endlich dämmert es Lukas, dass diese Phänomene etwas mit dem „Spiegelkabinett der Fata Morgana“ zu tun haben. Ähnlich zu den Spiegelkabinetten auf Jahrmärkten, so erklärt Lukas, sei das mit der Fata Morgana. Glühend heiße Luft fange zu spiegeln an wie ein Badezimmerspiegel, allerdings Dinge, die viele Meilen entfernt sind. Die kuriosen beobachtbaren Erscheinungen

M. Vollmer, Lichtspiele in der Luft, DOI 10.1007/978-3-8274-3093-9_4, © Elsevier GmbH, München 2006

76

4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

kommen gemäß Lukas dadurch zustande, dass die Spiegelbilder bei dem weiten Weg durch die Wüste ein bisschen durcheinander geraten. Die Reisenden machen schließlich das einzig vernünftige: Sie warten die kühlere Nacht ab, um weiterzureisen. Auf diese Weise hat Michael Ende (heute vielleicht eher bekannt durch Momo oder Die Unendliche Geschichte) in seinem Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer mit märchenhaften Vorgängen und fantasievollen Erklärungen Luftspiegelungen und insbesondere die sog. Fata Morgana einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Kindern nahe gebracht. Oft wird in der Schule auch Goethes Faust II gelesen, in dem es heißt: Vernahmst Du nichts von Nebelstreifen, Die auf Siziliens Küsten schweifen? Dort, schwankend klar, im Tageslicht, Erhoben zu den Mittellüften, Gespiegelt in besondern Düften, Erscheint ein seltsames Gesicht: Da schwanken Städte hin und nieder, Wie Bild um Bild den Äther bricht. Offensichtlich nutzt Goethe in der Tragödie 2. Teil [Goethe] neben anderen Erscheinungen der Atmosphäre wie blutrotem Himmel und Elmsfeuern auch eine Luftspiegelung, die der Kaiser als ahnungsvollen Vorboten vor der Schlacht ansieht. Die Bezeichnung Fata Morgana für die Luftspiegelungen lässt sich nach einer Legende auf Morgana, eine Fee und Halbschwester des sagenumwobenen König Artus zurückführen, die ihre Macht durch Luftspiegelungen ausübte. Italienische Dichter beschrieben sie als in einem Palast nahe den Meereswogen wohnend. Wahrscheinlich wurden ihr deshalb auch die komplizierten Spiegelungen zugeschrieben, die gelegentlich in der Straße von Messina auftauchen, wobei Felsen und Klippen in wunderbare Säulen und Mauern eines scheinbar riesigen Palasts gedehnt wurden. Seit Goethe ist die Bezeichnung Fata Morgana im deutschen Sprachgebrauch bekannt, und vielfach werden Luftspiegelungen im Volksmund schlechthin als Fata Morgana bezeichnet. Dabei gibt es verschiedene Arten der Spiegelungen, was sich in den wissenschaftlichen Erklärungen widerspiegelt, wobei vielfach unter Fata Morgana nur die kompliziertesten Spiegelungen verstanden werden. Es gibt noch viele Beschreibungen von Luftspiegelungen in der Literatur, z. B. bei Karl May in Unter Geiern oder in Theodor Storms Schimmelreiter. Luftspiegelungen waren bereits im antiken Griechenland und in Italien bekannt, allerdings in Wüstengegenden (Asien und Afrika) noch geläufiger (Abb. 4.1). Heute kennt man sie als Kimmung (Hebung des Horizonts durch Refraktion, seemännischer Sprachgebrauch) oder Seeteufel (Spiegelung von Schiffen am Horizont) an praktisch allen Küsten, insbesondere auch in kälteren Regionen wie an der Nordsee. Im Landesinneren sind sie z. B. in Ungarn als das früher häufig beobachtete Steppengesicht bekannt.

4.1 Luftspiegelungen in Kultur und Gesellschaft

4.1

77

Künstlerische Darstellung einer Luftspiegelung in der Wüste (aus [Mül56]).

Es liegt nahe, dass viele Luftspiegelungen auch mit Aberglauben verknüpft sind. Ein Beispiel [Lehn81b, Vol97b] stammt aus dem Kings Mirror, einer Sammlung mittelalterlicher Geschichten aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. In dem Kapitel über den Nordatlantik wird u. a. auf den sog. Wassergeist (merman) eingegangen, der folgendermaßen beschrieben ist: „Dieses Ungeheuer ist lang, sehr groß und es erhebt sich gerade aus dem Wasser heraus ... Es hat Schultern wie ein Mann, aber keine Hände. Sein Körper verengt sich von den Schultern herunter. Je weiter man es nach unten beobachten konnte, desto schlanker hat es ausgesehen. Aber niemand hat jemals gesehen, wie das untere Ende geformt ist. ... Wann immer das Ungeheuer sich gezeigt hat, konnte man sicher sein, dass ein Sturm folgen würde.“ Eine ähnliche Beschreibung findet sich in einer 1170 verfassten norwegischen Geschichte. Diese mittelalterlichen Beschreibungen von Seeungeheuern lassen sich mit Kenntnis von Luftspiegelungen zwanglos erklären. All diese märchenhaften Beschreibungen führen unweigerlich zu der Frage, ob das nicht alles Hirngespinste sind, von verrückt gewordenen Verdurstenden, Seefahrern und und und ... – oder gibt es sie doch, die Oasen in der Wüste, die Fata Morgana mit ihrem Palast? Um diese Fragen zu beantworten, sollen im Folgenden zunächst Brechungseffekte in der Atmosphäre im Rahmen der geometrischen Optik und darauf aufbauend die eigentlichen Luftspiegelungen mit qualitativen Erklärun-

78

4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

gen diskutiert werden, bevor letztlich einfache Versuche zu Luftspiegelungen und gekrümmten Lichtstrahlen vorgestellt werden. Weitere historische Anmerkungen zu Luftspiegelungen und zur Etymologie des Begriffs finden sich in [Löw90]. Schöne Bild- und Informationsquellen zu diesem Thema sind die Filme Fata Morganen – Zauberspiegel am Horizont bzw. Fata Morgana – Naturwunder und Zauberspuk [Engler] sowie Bücher und Zeitschriftenartikel [Gre80, Löw90, Fra78, Vol95, Eng92].

4.2

Die astronomische Refraktion und Flimmern der Sterne

Luftspiegelungen lassen sich auf physikalische Wechselwirkungen von Licht mit den Atomen und Molekülen der Atmosphäre zurückführen (siehe [Vol97] und Kapitel 3). Die Lichtquellen können hierbei innerhalb oder außerhalb der Atmosphäre liegen. In erster Näherung lassen sich Luftspiegelungen im Strahlenmodell der geometrischen Optik mithilfe des Brechungsgesetzes (Abschnitt 2.3) erklären. Als Vorstufe zur Deutung der Luftspiegelungen werden zunächst gekrümmte Lichtwege diskutiert, die zu der aus der Astronomie bekannten atmosphärischen Refraktion führen [Mah62, Wit97, Kri98]. Die optischen Eigenschaften der Atmosphäre werden durch den Brechungsindex n Abschnitt 2.3) der für den jeweiligen Vorgang verantwortlichen Materieschicht beschrieben. Bei den meisten Gasen wie auch bei Luft hängt n im sichtbaren Spektralbereich von der Teilchenzahldichte ab, die durch Druck p und Temperatur T mitbestimmt wird. Ein Zahlenbeispiel verdeutlicht dies: Bei p = 1030 hP und einer Temperatur von T = 27 °C ergibt sich für trockene Luft n ≈ 1,000266; eine Temperaturerhöhung von 40 °C bei gleichem Druck (beispielsweise direkt über dem sich in der Sonne erwärmenden Erdboden) ergibt dagegen n ≈ 1,000235. Solch winzige Änderungen um ∆n ≈ 3 · 10 –5 sind verantwortlich für alle Arten von Luftspiegelungen. In einer ersten Modellannahme soll die Atmosphäre aus einer Gasschicht konstanter Dichte und somit auch konstantem Brechungsindex bestehen. Umgäbe diese die Erde als homogene Schicht, so würde sie bis zu einer Höhe von etwa 8 km reichen. Für einfallendes Licht gäbe es in dieser Höhe eine wohl definierte Grenzfläche zwischen Vakuum und der Atmosphäre. Die Lichtbrechung würde für einen Brechungsindex n = 1,000266 der Gasschicht zu einer Winkelablenkung zwischen 0° (Lichtquelle im Zenit) und 1,32° (Lichtquelle am Horizont) führen (Abb. 4.2a). Das heißt, ein Beobachter würde einen Stern im Zenit in der tatsächlichen Richtung des Sterns beobachten, während ein Stern am Horizont um 1,32° abgelenkt wäre. In Wirklichkeit nimmt die Dichte der Atmosphäre und damit auch der Brechungsindex mit der Höhe ab. Im Modell, einer isothermen Atmosphäre im Gravitationsfeld (dabei wird die Temperatur als konstant angenommen), nimmt die Dich-

4.2 Die astronomische Refraktion und Flimmern der Sterne

79

ϕ a)

ϕ

scheinbare Richtung Refraktion

tatsächliche Richtung

n1 n2 > n1 n3 > n2 Δx b)

n4 > n3 n5 > n4

c)

4.2 Prinzip atmosphärischer Refraktion: a) Lichtstrahlen werden nur an einer einzigen gedachten Grenzschicht von Vakuum (dem Weltall) und Luft bei Normaldruck gebrochen. b) Lichtstrahlen werden sukzessive an Luftschichten verschiedener Dichte gebrochen. c) Für eine kontinuierliche Änderung der Dichte, d. h. auch des Brechungsindex n, führt dies zu gekrümmten Lichtstrahlen. Die Abweichung zwischen ϕeinf. und ϕbeob. bezeichnet man als Refraktion.

te exponentiell mit der Höhe über dem Erdboden ab (vgl. Gl. 3.3 und Abb. 3.28). Entsprechend nimmt auch der Brechungsindex kontinuierlich mit zunehmender Höhe ab. Lichtstrahlen werden in einer solchen Atmosphäre nicht mehr nur an einer festen Grenzfläche gebrochen wie in Abb. 4.2a, sondern sie durchlaufen gekrümmte Lichtwege. Zur Erläuterung dieses Verhaltens denkt man sich die Atmosphäre in Luftschichten der Dicke Δx mit jeweils konstanter Dichte und damit gleichem Brechungsindex unterteilt (Abb. 4.2b). Einfallende Lichtstrahlen erfahren an jeder Grenzfläche eine Brechung, was zu den Sprüngen in der Ausbreitungsrichtung führt. Der Grenzübergang zu einem Medium mit kontinuierlicher Brechungsindexänderung führt zu den erwähnten gekrümmten Lichtstrahlen (Abb. 4.2c). In der Astronomie nennt man den Winkel zwischen der ursprünglichen Richtung und der tatsächlichen Beobachtungsrichtung einer Lichtquelle Refraktion (neben den Konsequenzen für die Astronomie hat die Refraktion übrigens auch große Bedeutung in der Geodäsie). Bei senkrechtem Einfall (Lichtquelle im Zenit) beträgt sie 0°, bei 45°-

80

4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

4.3 Berechnete Refraktionen als Funktion der Sonnenhöhe bzw. Zenitdistanz nach [Tri70]).

Einfall immerhin schon 1 ( 1 = 1 Bogenminute = 1/60°) und bei exakt tangentialem Einfall (Lichtquelle am Horizont) etwa 35. Die Refraktion hängt ab von Luftdruck und Temperatur; für 10 °C und 998,7 hP ist sie z. B. tabelliert in [Tri70] (Abb. 4.3). Ferner gibt es Näherungsformeln [Wit97, Kri98]. Eine ausführliche Untersuchung zeigt, dass die relativen Anteile der unteren bzw. der oberen Atmosphäre zur Refraktion, insbesondere für flachen Lichteinfall, sehr stark vom Einfallswinkel abhängen [You04]. Die Refraktion hat zwei Konsequenzen. Da die Winkeldurchmesser von Sonne und Mond mit jeweils etwa 30, d. h. einem halben Grad, kleiner sind als die Ablenkung bei 90°-Einfall, bedeutet dies, dass Sonne oder Mond in geometrischer Projektion schon (oder noch) unter dem Horizont sind, wenn wir sie noch (schon) über dem Horizont sehen. Die Abhängigkeit der Refraktion vom Einfallswinkel führt zweitens zu einer Verformung mit Abplattung. Der Oberrand der Sonne (89,5°-Einfall) erleidet eine um 6 geringere Refraktion als der Unterrand (90°-Einfall). Dementsprechend verformt sich die Sonne ähnlich einer Ellipse, sodass die vertikale Ausdehnung etwa 1/5 kleiner ist als die horizontale (Abb. 4.4). (In Reinkultur tritt dies nur bei normal temperaturgeschichteten Atmosphären ohne Inversion auf, s. u.) Mit Teleskopen erkennt man diesen Effekt auch bei Planeten. Allerdings gibt es zwei wesentliche Unterschiede, die – im Vergleich zum Erdmond oder der Sonne – zu verschiedenen Ergebnissen führen. Erstens sind die maximalen Winkeldurchmesser der Planeten deutlich niedriger, den größten weist die Venus mit maximal 64 auf, das ist etwa einen Faktor 30 geringer als bei Sonne und Mond. Demzufolge ist der die nichtrunde Form verursachende Unterschied der Refraktion von Oberund Unterkante des Planeten deutlich kleiner. Planeten werden wegen der geringeren scheinbaren Helligkeit meist erst einige Grad über dem Horizont beobachtet. Bei 10° Höhe über dem Horizont (Zenitdistanz 80°) ergibt sich aufgrund der Refraktionsunterschiede, dass der Oberrand der Venus eine um 1/2 geringere Refraktion als der Unterrand erleidet. Bezogen auf den Durchmesser ist die vertikale Ausdehnung etwa 1/130 kleiner als die horizontale, was praktisch nicht zu sehen ist. Zweitens spielt bei Planeten die Dispersion der Luft bei der Lichtbrechung in

4.2 Die astronomische Refraktion und Flimmern der Sterne

81

a)

b)

4.4 Sonne (oder Mond) bei Auf- oder Untergang: Durch die Refraktion wird das Bild der Sonne angehoben und abgeplattet verformt. a) Wahrgenommenes Bild; b) schematischer Strahlverlauf von der Sonne zum Beobachter.

der Atmosphäre eine größere Rolle [Roth98]. Diese führt dazu, dass die Refraktion selbst wellenlängenabhängig ist. Die Änderungen im Brechungsindex sind zwar klein (Δn400/600 nm = 6 · 10–6), führen aber zu beobachtbaren Änderungen der Refraktionen. Man definiert i. Allg. die Refraktionsänderung ΔR zwischen blauem (λ = 400 nm) und orangerotem (λ = 600 nm) Licht. Bei 10° Höhe über dem Horizont (Zenitdistanz 80°) findet man ΔR = 6,8, d. h., diese chromatische Verschmierung wäre im Fall der Venus im obigen Beispiel etwa 14fach größer als die diskutierte Formänderung. Als Konsequenz werden Planeten in farbige Scheibchen aufgeschmiert, wobei der obere Rand (zum Zenit) immer blau und der unterer Rand (zum Horizont) immer rötlich gefärbt ist (schöne Farbabbildung der Venus in [Gre80]). Das grüne Leuchten ist ein hiermit verwandtes Phänomen (Abschnitt 11.2). Die Verformung von Sonne und Mond durch eine homogene Atmosphäre kann von der Erde aus in Reinkultur sehr selten beobachtet werden. Einerseits erfordert sie die wolkenfreie Beobachtbarkeit des Horizonts, z. B. am Meer, andererseits wird der Effekt häufig durch andere Phänomene verdeckt, beispielsweise wenn vertikale Luftströmungen und/oder Inversionsschichten auftreten. Eine optimale Beobachtbarkeit ergibt sich dagegen aus dem Weltraum. Durch das zweimalige Durchqueren der Atmosphäre verdoppelt sich der Effekt. Eine Serie schöner Fotos (z. B. Mondaufgang) wurde von Astronauten aus dem Skylab [Heimat] sowie kürzlich aus der ISS (Farbtafel 4.1) aufgenommen [Pet03]. Leider lassen sich nicht alle optischen Phänomene in der Atmosphäre derart einfach mit einer idealisierten Atmosphäre beschreiben. Real ist die Erdatmosphäre weder homogen (sie weist lokale Dichteschwankungen (Turbulenzen) auf), noch lässt sie sich immer durch eine monoton abfallende Dichte mit der Höhe beschrei-

82

4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

ben. Die daraus resultierenden Effekte führen einerseits zum Flimmern der Sterne, andererseits zu den Luftspiegelungen, zu denen auch die Fata Morgana zählt. Sternbeobachtern, aber auch jedem, der zufällig für längere Zeit in den Nachthimmel sieht, fällt auf, dass das Licht von Sternen flimmert. Man erkennt kleine Ortswechsel, Helligkeitsunterschiede und mit dem Fernglas ggf. sogar Farbwechsel [Min92]. Turbulente Luftströmungen, die Temperatur- und Dichtefluktuationen in der Atmosphäre bewirken, führen zu diesen Effekten. Sterne in Horizontnähe flimmern stärker als solche in Zenitnähe, da deren Licht einfach eine größere Luftschicht durchdringen muss und dadurch eine größere Wahrscheinlichkeit gegeben ist, durch Schlieren, d. h. Dichtefluktuationen, abgelenkt zu werden. Im Labor oder auch im eigenen Wohnzimmer lässt sich derselbe Effekt an einer Kerzenflamme beobachten. Blickt man oberhalb von der Flamme auf hinter der Kerze befindliche Gegenstände, so führen die aufsteigenden Gase zu Luftbewegungen und Temperaturunterschieden der Gase, die das Bild verschmieren. Man kann auch einen Laserpointer über der Flamme justieren: Das tanzende Strahlprofil beobachtet man am besten in einigen Meter Entfernung. Die Lösung für dieses Problem der Astronomen bestand früher darin, Teleskope auf möglichst hohe Berge zu bauen, wo klare und ruhige Luft viel häufiger ist als auf Meereshöhe. Dies reduziert die Effekte schon, eine weitaus bessere Lösung besteht in einer aktiven Kompensation der Störungen der Lichtwellen durch deformierbare Spiegel in Teleskopen. Dies ist unter der Bezeichnung adaptive Optik bekannt [Mer91].

4.3

Verwandte Wahrnehmungstäuschungen

4.3.1

Abplattung des Himmelsgewölbes

Eine häufig im Zusammenhang mit der Refraktion diskutierte Wahrnehmung ist die scheinbare Abplattung des Himmelsgewölbes, ein vielen Naturbeobachtern ebenfalls vertrautes Phänomen [Min92, Per22]. Es handelt sich dabei allerdings um eine Täuschung unserer Wahrnehmung. Ein Beobachter nimmt – selbst bei ebenem Horizont – um sich herum nicht etwa eine Halbkugel, sondern ein abgeplattetes Himmelsgewölbe wahr. Der Himmel stülpt sich quasi wie eine Art kegelstumpfähnliche Haube über die Landschaft (Abb. 4.5). Dabei scheint der Zenit näher und der 4.5 Beobachter nehmen eine scheinbare Abplattung des Himmelsgewölbes wahr, so als wäre eine kegelstumpfähnliche Haube über die Landschaft gestülpt

4.3 Verwandte Wahrnehmungstäuschungen

83

Horizont weiter entfernt zu sein. Damit einher geht eine Fehlschätzung von Höhenwinkeln. Praktisch jeder untrainierte Beobachter überschätzt Höhenwinkel, teilweise sogar dramatisch. So werden Sonnenstände im Sommer, die real bei etwa 61° Höhe liegen, als fast im Zenit empfunden (nach [Die57] mindestens bei 75°) und maximale Sonnenstände im Dezember, die real bei etwa 14° liegen, deutlich überschätzt (nach [Die57] mindestens bei 30°). Minnaert vermutet, dass Beobachter die Bogenlänge der abgeplatteten Haube mit dem Winkel verwechseln (Abb. 4.6) und so Höhen über dem Horizont immer überschätzen.

4.6 Höhenwinkel werden fast immer überschätzt. Eine Vermutung erklärt dies dadurch, dass Beobachter nicht den Winkel, sondern den empfundenen Bogen der Haube (Abb. 4.5) halbieren (nach [Min92]).

4.3.2

Mondillusion

Die Abplattung von Sonne oder Mond in Horizontnähe durch Refraktion hat übrigens auch nichts mit einer weiteren Wahrnehmungstäuschung, der sog. Mondillusion [Nasa03, McCr99, Ros02], zu tun. Was ist die grundlegende Aussage der Mondillusion? Die meisten Menschen sagen, der Mond in Horizontnähe sehe größer aus, habe also einen größeren – im Mittel etwa 1,5fachen – Winkeldurchmesser (Abb. 4.7b), und sei zudem näher als der Mond im Zenit. Fotografische Aufnahmen belegen natürlich, dass dies nicht der Fall ist. Der Mond auf Fotos weist immer dieselbe Größe auf (Abb. 4.7a), und insofern bleibt auch im Auge die vom Mond beleuchtete Fläche auf der Netzhaut immer gleich groß. Dabei sind natürlich Aufnahmen bezogen auf eine Nacht gemeint und nicht solche, die bei einer unterschiedlichen Entfernung Mond–Erde, die ja zwischen etwa 356 400 km und 406 700 km schwanken kann, entstanden. Abb. 4.7b zeigt quasi die Erwartung vieler Beobachter, wie ein Foto aussehen sollte. Es gibt zwar eine Reihe wissenschaftlicher Erklärungen, aber bis heute noch keine allgemein und alleinig akzeptierte Theorie. Eine Zusammenfassung verschiedener Theorien und der Stand der Diskussionen finden sich in der Literatur [Her89, Ros02] sowie im Internet. Die Mondillusion ist eines der wenigen Wahrnehmungsphänomene, das zu seiner Erklärung ein breites Spektrum an Wissenschaften benötigt. Dazu zählen die Astronomie, Physik, insbesondere Optik, Physiologie, Psychologie und die Philosophie [Ros02]. Eine einfache, doch vielfach abgelehnte Erklärung beruht auf der scheinbaren Abplattung des Himmelsgewölbes. Der Zenit scheint näher und der Horizont wei-

84

4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

a)

b)

4.7 Schematische Darstellung der Wahrnehmungstäuschung Mondillusion: Obwohl der Mond direkt über dem Horizont oder bei höherem Stand auf Fotos jeweils genauso groß ist wie in dieser Montage (a), schätzten viele Beobachter die Größe des Monds in Horizontnähe als typisch etwa 1,5- bis zweimal so groß ein wie die bei höherem Stand (b) (nach [McCr99]).

ter entfernt zu sein. Deshalb würde der Mond in Horizontnähe als weiter entfernt wahrgenommen. Etwas weiter Entferntes müsse aber sehr groß sein, um die tatsächlich gesehene Winkelgröße von 0,5 Grad am Himmel zu überdecken, weshalb unser Gehirn den Mond entsprechend aufbläst. Diese und andere einfache Erklärungen werden heute von vielen Fachleuten verworfen, und eine befriedigende Theorie muss tiefer in verschiedene Wahrnehmungstäuschungen eindringen, als es im Rahmen dieses Buchs möglich ist (siehe [Ros02, McCr99]]. Für Beobachter ist es im Prinzip unerheblich, wodurch die Illusion zustande kommt; wesentlich und immer wieder überraschend ist, dass sie als real interpretiert wird und ein außergewöhnliches Erlebnis ist.

4.4 Luftspiegelungen: Qualitative Beschreibung und Beobachtungen

4.4

85

Luftspiegelungen: Qualitative Beschreibung und Beobachtungen

Luftspiegelungen treten allgemein dann auf, wenn große Temperatur- und somit Dichteunterschiede in der Atmosphäre vorliegen. Analog zur Refraktion kommt es durch die daraus resultierende kontinuierliche Änderung des Brechungsindex zu gekrümmten Lichtstrahlen. Je nachdem, ob der Boden wärmer als die darüber befindliche Luft ist oder ob es in der Atmosphäre eine Inversionsschicht, d. h. eine Region warmer über kälterer Luft gibt, unterscheidet man untere und obere Luftspiegelungen. In der Kopplung beider Phänomene liegen kompliziertere Erscheinungen. Des Weiteren gibt es bei vertikal orientierten sonnenbeschienenen Flächen auch die Möglichkeit, dass sich warme Luft seitlich neben kälterer Luft befindet, was zu seitlichen Spiegelungen führen kann. Die Feinstruktur der Luftspiegelungen, die sich durch Flimmern und zeitlich verändernde Bildstruktur auszeichnet, kommt durch lokale Dichtefluktuationen (Turbulenzen) zustande. Es gibt eine Vielzahl von Veröffentlichungen über Luftspiegelungen (z. B. [Weg18, Fra78, Leh81a, Mer82, Leh85, Tap85, Löw90, Vol97b, Trä97, Vol98a, Trä98, Leh98, Vol02a]), und das Prinzip der Lichtablenkung durch erwärmte Luft hat auch eine messtechnische Anwendung in der Mirage-Spektroskopie an Oberflächen gefunden. Hierbei wird ein Lichtstrahl parallel zu einer Oberfläche eingestrahlt. Wird die Oberfläche erwärmt (z. B. lokal mit einem Laser), erwärmt sich das umliegende Gas und der Lichtstrahl wird abgelenkt. Dadurch lassen sich u. a. thermische Eigenschaften von Proben sehr genau bestimmen.

4.4.1

Untere Luftspiegelungen

Erklärung Abb. 4.8 zeigt das Entstehungsprinzip für untere Luftspiegelungen. Von der Spitze einer Palme in der Wüste wird Sonnenlicht in alle Richtungen gestreut. Der Boden hat die direkt darüber befindliche Luftschicht erwärmt, dort liegt deshalb ein niedrigerer Brechungsindex vor als in Augenhöhe eines Beobachters. Lichtstrahlen, die von der Spitze der Palme ausgehen, durchlaufen daher unterschiedlich stark gekrümmte Wege. Der obere von der Palme zum Auge des Beobachters eingezeichnete Lichtstrahl steht dabei für ein ganzes Strahlbündel. Die Lichtstrahlen dieses Bündels durchlaufen alle ähnliche Lichtwege und treten alle durch die Augenlinse des Beobachters und erzeugen so auf der Netzhaut das Bild der Palme. Im Beispiel kann der Beobachter so die Spitze der Palme direkt sehen. Andererseits trifft auch ein in der bodennahen Luftschicht gespiegelter Lichtstrahl (der wieder für ein ganzes Strahlenbündel steht) ins Auge des Beobachters. (Weitere von der Spitze der Palme ausgehende Lichtstrahlen, die das Auge des Beobachters ver-

86

4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

a)

b)

c)

4.8 Untere Luftspiegelungen: a) Lichtstrahlen eines Gegendstands können direkt ins Auge eines Beobachters fallen oder nachdem sie in Bodennähe an der heißen Luftschicht reflektiert wurden. Ein Beobachter interpretiert das Bild der von unten kommenden Lichtstrahlen als Spiegelbild. b) Je nach Höhe eines Objekts kann es zu Teilen oder ganz einem Beobachter verborgen bleiben, wenn tiefer ausgesendetes Streulicht durch Spiegelung an der bodennahen Luftschicht über den Beobachter abgelenkt wird. Die Grenzlinie, im Beispiel durch den Vogel dargestellt, heißt vanishing line. c) Ein Beobachter sieht keine Objektteile unterhalb der vanishing line.

fehlen, sind aus Gründen der Übersichtlichkeit weggelassen.) Da der Beobachter nichts von den gekrümmten Lichtstrahlen weiß, vermutet er den Gegenstand in der Verlängerung der sein Auge treffenden Lichtstrahlen. Folglich sieht er zusätzlich zur realen Palme das Bild einer auf dem Kopf stehenden Palme. In der Konstruktion der Lichtstrahlen im Rahmen der geometrischen Optik lässt sich dieser Sachverhalt vereinfacht durch ein Ersatzbild einer einzigen Totalreflexion an einem optischen dünneren Medium darstellen.

4.4 Luftspiegelungen: Qualitative Beschreibung und Beobachtungen

87

Je nach Bedingungen werden oft auch nur Teile von Gegenständen gespiegelt, d. h., es gibt eine sog. vanishing line, unterhalb derer keine Gegenstände mehr sichtbar sind. Verfolgt man – von der Palmenspitze nach unten gehend – die von der Palme ausgesendeten und ins Auge treffenden Lichtstrahlenbündel, so stellt man fest, dass es für einen durch Entfernung und Blickhöhe definierten Punkt (in Abb. 4.8b in Höhe des Vogels) nur noch einen erlaubten Lichtweg gibt. Von der Palme gestreutes Licht, das unterhalb dieses Punkts ausgesendet wird, muss aufgrund der möglichen Lichtwege das Auge des Beobachters verfehlen. Diese Gegenstandsteile sind somit nicht sichtbar, dementsprechend wird ein Beobachter der Palme das Teilbild 4.8c sehen. Aufgrund der Lichtwegdiskussion ist klar, dass die Lage der vanishing line sowohl von der Entfernung als auch von der Augenhöhe abhängt. Für einen sich bückenden Beobachter steigt die vanishing line an; in Abb. 4.8 würde er den Vogel somit nicht mehr sehen. Ein Detail der Interpretation von Abb. 4.8 offenbart eine Schwäche dieser einfachen Erklärung. Etwa in der Mitte zwischen Beobachter und Gegenstand verlaufen die Lichtstrahlen parallel zum Boden. In der geometrischen Optik ist unverständlich, wieso ein solcher Lichtstrahl, der in definierter Höhe parallel zum Boden verläuft, überhaupt seine Richtung ändern sollte. Um dieses scheinbare Paradoxon zu erklären, muss die endliche Ausdehnung der Lichtbündel berücksichtigt werden. Als Wellen haben sie immer eine endliche Ausdehnung, d. h., verschiedene Teile erfahren verschiedene Brechungsindizes. Ist unten ein kleinerer Brechungsindex, so bedeutet dies eine höhere Ausbreitungsgeschwindigkeit im Vergleich zu weiter oben liegenden Teilen des Lichtbündels. Dies führt zu einer Krümmung der sog. Phasenflächen (das sind z. B. die Positionen der Wellenberge oder Wellentäler nach Abschnitt 2.4) und somit zu der erwarteten Richtungsänderung (Abb. 4.9).

a)

b) 4.9 Ein Lichtstrahl ist real ein ausgedehntes Lichtbündel und wird als elektromagnetische Welle beschrieben. Die Ebenen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung nennt man Phasenflächen. Ist der Brechungsindex unabhängig von der Höhe, d. h. ist er über die Ausdehnung des Bündels konstant (a), verläuft der Strahl parallel. Ändert er sich dagegen mit der Höhe (b), so erfahren die Lichtanteile bei kleinerem n eine größere Ausbreitungsgeschwindigkeit, was zu einer Krümmung der Phasenflächen führt. Als Konsequenz ändert sich die darauf senkrecht stehende Ausbreitungsrichtung.

88

4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

Beobachtungen Die für Mitteleuropäer bekannteste Form einer unteren Luftspiegelung ist die Illusion einer nassen Straße an einem heißen Sommertag. Die Straße sieht nass aus, weil sich entweder der Himmel oder Teile der Landschaft darin spiegeln. Der Eindruck der Nässe ist eine Interpretation unseres Gehirns, das Spiegelbilder in der Natur zumeist mit spiegelnden Wasserflächen in Verbindung bringt (Farbtafel 4.2). Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Wahrnehmung davon abhängig ist, was einen die visuelle Erfahrung gelehrt hat. Die Farbtafeln 4.3 und 4.4 zeigen Beispiele einer unteren Luftspiegelung, aufgenommen im Hochsommer in der Nähe der Hallig Hooge in der Nordsee südlich von Sylt. Im Wattenmeer erwärmt sich bei Ebbe das vom Wasser freigelegte Watt, und in einem Höhenbereich von 20–50 cm über dem Boden sinkt die Lufttemperatur um mehr als 2°. Über Sandbänken ist die Temperaturdifferenz noch größer. Damit sind ideale Bedingungen für Luftspiegelungen gegeben. Farbtafel 4.4a zeigt das Objekt, die Kirche von Pellworm, bei extrem ruhigem Wasser (gerade einlaufender Flut), aufgenommen von Hooge aus einer Entfernung von etwa 7,5 km. Man erkennt eine leichte Wasserspiegelung, die bei Wellenbewegungen vollständig verschwindet. Dieselbe Kirche ist in Farbtafel 4.4b zu sehen, aufgenommen aus einer Entfernung von etwa 11,2 km von der Sandbank Japsand aus. Deutlich erkennt man die Folgen der vanishing line: Im Wesentlichen sind nur noch das Kirchenschiff und der Turm sowie die Dächer der niedrigeren benachbarten Gebäude – nicht aber die Küste Pellworms – zu sehen. Außerdem offenbaren die Bilder als Besonderheit eine doppelte untere Luftspiegelung, was leicht am zweifach auftauchenden Kirchenschiff zu erkennen ist. Da es für das Zustandekommen der unteren Spiegelungen nur auf Brechungsindexunterschiede, d. h. auf Temperaturunterschiede ankommt, kann man sie auch im Winter beobachten. Dies ist immer dann möglich, z. B. bei Gewässern, wenn diese eine höhere Temperatur haben als die umgebende Luft (vgl. Farbtafel 4.5 eines Schiffs auf dem Wannsee, das durchaus Assoziationen eines Seeungeheuers hervorrufen kann, aufgenommen im Frühjahr 1997 nach einem plötzlichen Kaltlufteinbruch; siehe auch Abb. 6 in [Vol98a]).

4.4.2

Obere Spiegelungen

Erklärungen Liegen in der Atmosphäre Inversionsschichten vor, d. h. ist die Luft in einer bestimmten Höhe wärmer und weist somit einen kleineren Brechungsindex auf als darunter und auch darüber (Abb. 4.10), so können durch die gekrümmten Lichtwege obere Luftspiegelungen entstehen. Durch Konstruieren der möglichen optischen Lichtwege in einer Inversionsschicht wird klar, dass kleine Gegenstände extrem

4.4 Luftspiegelungen: Qualitative Beschreibung und Beobachtungen

89

a)

b)

c)

4.10 Obere Luftspiegelungen: a) An einer Inversionsschicht (oder im Experiment (s. u.) durch eine geschichtete Lösung) sinkt der Brechungsindex mit der Höhe. Lichtstrahlen, die von unten kommend auf die Grenzschicht auftreffen, können wieder nach unten reflektiert werden. b) In der Natur kann dies dazu führen, dass Gegenstände stark vertikal verzerrt werden. c) Bei günstigen Bedingungen können Dreifachbilder entstehen, wie hier anhand des Verlaufs von fünf Lichtstrahlbündeln dargestellt.

stark vertikal gedehnt und verzerrt werden können (Abb. 4.10b). Gelegentlich entstehen sogar Dreifachbilder. In Abb. 4.10c sieht man, wie ein Gegenstand – hier der Buchstabe F – drei Bilder erzeugen kann: das unterste direkte (von dem auch schon Teile fehlen können), darüber ein gespiegeltes auf dem Kopf stehendes Bild, worauf

90

4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

wiederum ein aufrechtes drittes Bild auftauchen kann (jeder Lichtstrahl steht wieder für ein Strahlenbündel, das im Auge ein Bild erzeugt). Eine sehr interessante Beobachtung ist der sog. Novaya-Zemlya-Effekt. Er wurde zuerst 1596 beschrieben und ist nach der arktischen Insel gleichen Namens benannt, auf der eine Expedition, die auf der Suche nach der Nord-Ost-Passage war, notgedrungen überwintern musste [Gre80, Leh81a]. Im Frühling wurde plötzlich ein verzerrtes Sonnenbild über dem Horizont gesehen, obwohl – der geografischen Lage nach – die Sonne noch etwa 5° unter dem Horizont stand und ihre Rückkehr und damit ein Ende des arktischen Winters erst zwei Wochen später erwartet wurde! Die Beobachtung erfordert eine stabile Inversionsschicht über flachem Gelände mit Ausdehnungen von um 400 km. In diesem Fall können sich die durch die Inversion in Richtung Erde reflektierten Lichtstrahlen allein aufgrund der Erdkrümmung wieder nach oben bewegen und so zu wellenförmiger Ausbreitung über große Entfernungen führen.

a)

b)

4.11 Bildsequenz einer möglichen Verformung der Sonne durch Inversionsschichten in der Atmosphäre (nach [Vol95]).

4.4 Luftspiegelungen: Qualitative Beschreibung und Beobachtungen

91

Beobachtungen Farbtafel 4.6 zeigt eine Aufnahme aus dem finnischen Schärengebiet, in der sich kleine Inseln zu Mauern und Brücken auftürmen. Ähnliche wunderschöne Abbildungen, bei denen sich kleine Eisbrocken in riesige Wälle und Türme ausdehnen, gibt es aus der Arktis (in [Gre80]). Eine der häufigsten Beobachtungen komplizierter Luftspiegelungen durch Inversionsschichten sind Verzerrungen von Sonne und Mond bei Auf- und Untergang. Abb. 4.11 (siehe [Vol95] für Farbabbildung) zeigt jeweils die Umrisse der Sonne aus einer Serie eines Sonnenuntergangs mit schönen Spiegelungseffekten. Diese können ohne weiteres durch Computersimulation mithilfe eines einfachen Modells für Luftspiegelungen [Weg18] berechnet und quantitativ verstanden werden (siehe Abschnitt 4.5). Auch Dreifachbilder sind in der Tat beobachtet worden. Reverend S. Vince blickte am 1.8.1798 von Ramsgate (Südostengland) auf die Nordsee und beobachtete seltsame Luftspiegelungen von Segelschiffen in der Nähe des Horizonts, die er aufzeichnete (Abb. 4.12).

a)

b)

4.12 Zwei- und Dreifachbilder von Segelschiffen durch eine obere Luftspiegelung, beobachtet am 1.8.1798 von S. Vince in Ramsgate/Südostengland (nach [Per22]).

92

4.5

4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

Quantitative Beschreibung von Luftspiegelungen

Um Luftspiegelungen quantitativ zu beschreiben, verwendet man Computerprogramme, die die Ausbreitung von Lichtstrahlen in von Modellen vorgegebenen Atmosphären gemäß dem Brechungsgesetz berechnen (ray tracing-Methoden). Eines der Hauptprobleme der Modelle liegt in der Wahl der Temperaturverteilung in der Atmosphäre, mit der die räumliche Verteilung des Brechungsindex berechnet wird. In den meisten Fällen liegen keine oder bestenfalls punktuelle Messungen über die großen Entfernungen entlang der Beobachtungsrichtung (d. h. des sog. Sehstrahls) vor. Als Lösung werden deshalb i. Allg.. Temperaturprofile T(z) angenommen, die nur von der Höhe abhängen. Daraus wird ein höhenabhängiger Brechungsindex n(z) abgeleitet, der in die ray tracing-Methoden eingeht. Die verschiedenen theoretischen Modelle (z. B. [Weg18, Leh85, Trä98, Leh98, Trä97, You99]) unterscheiden sich im Wesentlichen nur durch die Wahl von n(z). Viele Modelle nehmen konzentrische Kugelschalen an, wobei auf den Oberflächen isotherme Bedingungen vorliegen und zwischen den Oberflächen geeignet approximiert wird. An weiteren Entwicklungen gibt es z. B. Ansätze, lokale Effekte mit einzubeziehen, d. h. n(x,z) vorzugeben [Trä98] bzw. komplexe Atmosphären für langreichweitige Spiegelungen (Entfernungen >70 km) zu berechnen [Leh98]. Bei großen Entfernungen muss die Erdkrümmung immer berücksichtigt werden; bei Spiegelungen mit Entfernungen im Bereich bis zu wenigen Kilometern wird gelegentlich auch ein kartesisches System als erste Näherung verwendet. Abb. 4.13 zeigt eine Simulation von Tränkle [Trä98] (das Temperaturprofil besteht aus einer Überlagerung eines linearen und eines exponentiellen Abfalls). Gezeigt ist ein Bild eines Autos, wie es bei Bedingungen für Luftspiegelungen über erwärmten Straßen beobachtet werden kann. Deutlich erkennt man die Folgen des vanishing line-Effekts: Ab Entfernungen von 1,2 km sind die Reifen nicht mehr sichtbar, und ab 2,2 km verschwinden auch die Scheinwerfer, d. h., die Lage der vanishing line verschiebt sich mit der Entfernung zwischen Beobachter und Objekt.

4.13 Theoretische untere Luftspiegelung eines Autos (Simulation E. Tränkle). Das linke Bild zeigt das verwendete Objekt, ein Auto. Die Entfernung zum Beobachter beträgt bei den rechts daneben befindlichen Bildern zwischen 0,6 km und 2,5 km. Die vanishing line hebt sich mit steigender Entfernung an, bis das Auto bei mehr als 3 km ganz verschwindet.

4.6 Simulationsexperimente von Luftspiegelungen

93

Mit derartigen Simulationen lassen sich auch allgemeine Aussagen gewinnen, z. B. sollten doppelte untere Luftspiegelungen ein Brechungsindexprofil mit einem Wendepunkt als Funktion der Höhe aufweisen [Trä98]. Physikalisch kann man diese z. B. verstehen, wenn durch Wind von einer Sandbank eine stabile warme Luftmasse auf das etwas kühlere trocken gelegte Watt geschoben wurde. Bilder mit horizontalen Streifen im Wattenmeer lassen sich simulieren, wenn ein Temperaturprofil T(x,z) angesetzt wird, wobei es in Beobachtungsrichtung x genau dort ein lokales Minimum gibt – z. B. bedingt durch einen mit kaltem Wasser gefüllten Priel –, wo die Lichtstrahlen für die Spiegelung verlaufen. Mit derartigen Simulationen lassen sich viele allgemeine Aussagen gewinnen, und man kann z. B. auch die manchmal kompliziert anmutenden Sonnenuntergänge verstehen (vgl. Abb. 4.11 und Abb. 11.5), bei denen die Scheibe sich aufspaltet und sogar über dem Horizont unterzugehen scheint [Trä97, You99].

4.6

Simulationsexperimente von Luftspiegelungen

Neben Beobachtungen und theoretischen Modellen erlauben auch einfache Experimente ein tieferes Verständnis von Luftspiegelungen [Vol98b, Gre87, Tap00, Möl93, Vol03a].

4.6.1

Untere Spiegelungen

Eine Realisierung unterer Luftspiegelungen ist möglich mithilfe heißer Herdplatten, allerdings muss bei den erforderlichen flachen Winkeln die Plattengröße angepasst werden. In einer Anordnung nach Wood wird eine 2–3 m lange und 10–20 cm breite Metallplatte von unten durch Gasflammen gleichmäßig geheizt [Gre87, Woo99]. Um Reflexion an der Metallfläche auszuschließen, sollte sie aufgeraut berußt oder mit einer dünnen Sandschicht bedeckt werden (was auch den Wüsteneindruck hervorhebt). Durch die Heizung von unten liegt der Fall vor, der für die Palme in der Wüste diskutiert wurde. Die warmen Luftschichten in der Nähe der Platte führen zu einer Krümmung der schräg auf die Platte einfallenden Lichtstrahlen und somit zu einer unteren Spiegelung. Abb. 4.14 zeigt ein mit einem solchen Aufbau fotografiertes Spielzeugauto. Allgemein können Objekte mit einer Größe von wenigen Zentimetern gut beobachtet werden. Auch die Ablenkung des Lichts kann so – sogar schon mit einer einzelnen normalen Herdplatte – für einen streifend einfallenden Lichtstrahl demonstriert werden [Möl93, Vol03a]. Hierbei ist zu beachten, dass normalerweise über einer geheizten Platte praktisch immer Turbulenzen auftreten, die die Beobachtung einer Licht-

94

4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

4.14 Untere Luftspiegelung eines Spielzeugautos, aufgenommen an einer beheizten Metallschiene.

strahlablenkung bzw. einer wohl definierten unteren Spiegelung erschweren. Bläst man jedoch auf die Platte, wird die warme Luftschicht weggeblasen und es kann sich eine bessere homogene erwärmte Grenzschicht ausbilden, die schon bei kurzen Heizplatten zu einer Spiegelung, d. h. Ablenkung des Lichtstrahls in Plattennähe führt (Abb. 4.15).

4.15 Prinzip der Ablenkung eines Licht-(Laser-)Strahls durch eine beheizte Herdplatte.

Ähnlich den langen flachen Schienen kann man auch durch lange U-förmig gebogene, berußte und beheizte Schienen Gegenstände beobachten. Abb. 4.16 zeigt eine Spielzeugfigur, die sich durch die seitlichen Spiegelungen zumindest verdreifacht.

4.16 Seitliche Luftspiegelung einer Spielzeugfigur, aufgenommen durch eine beheizte U-förmige Metallschiene mit rauen und geschwärzten Wänden.

4.6 Simulationsexperimente von Luftspiegelungen

4.6.2

95

Obere Spiegelungen

Ein anderes einfaches Experiment (Abb. 4.17) zeigt die gekrümmten Lichtwege in einer geschichteten Salz-(oder Zucker-)lösung, d. h. einer Lösung, bei der der Brechungsindex mit der Höhe variiert [Ber78, Str72, Vol98b, Gre87, Tap00]. Hierzu wird Leitungswasser mit einer Salzlösung höherer Dichte in einem Aquarium (z. B. 5–10 cm × 30 cm × 20 cm Höhe) unterschichtet. Es gibt verschiedene Herstellungsverfahren für geschichtete Lösungen. Am einfachsten wird zuerst das Wasser eingefüllt. Parallel wird durch Einrühren von Salz in Wasser eine gesättigte Kochsalzlösung hergestellt. Diese kann dann aus einem Vorratsgefäß durch einen dünnen Schlauch mit Ventil dem Wasser im Aquarium unterschichtet werden. Der Schlauch sollte – um Verwirbelungen der Flüssigkeiten zu vermeiden – vorsichtig in einer Ecke eingeführt und später entfernt werden. Beim Einlaufen kann sehr schön die Ausbildung einer Schichtgrenze gesehen werden. In beiden Fällen wird sich durch Diffusion allmählich ein Brechungsindexgradient zwischen der konzentrierten Salzlösung (nMittel = 1,364) und dem darüber befindlichen reinen Wasser (nMittel = 1,333) ausbilden. Nach der Herstellung sollte das Gefäß möglichst erschütterungsfrei stehen und nicht mehr transportiert werden, da eine zu starke Durchmischung den Brechungsindexgradienten und damit den zu zeigenden Effekt verringert und ggf. zerstört. Ohne Transport hält die Lösung mehrere Stunden, ggf. sogar über Nacht, d. h., so lange sind Spiegelungen beobachtbar. 4.17 Versuchsaufbau zur Beobachtung von Spiegelungen an geschichteten Systemen. In einem Aquarium befindet sich eine gesättigte Salzlösung unter Leitungswasser. Mit solch einer Lösung können obere Luftspiegelungen simuliert werden.

Nach der Präparation liegt der Fall einer künstlichen Inversionsschicht vor, ähnlich der obigen Betrachtung von Inversionsschichten in der Atmosphäre (dort war Luft mit kleinerem Brechungsindex über Luft mit höherem Brechungsindex). Der wesentliche Unterschied: Durch den um ca. 1000 höheren Unterschied im Brechungsindex werden die Spiegelungen schon in Entfernungen von Metern beobachtbar – im Gegensatz zu den üblichen Kilometern bei Naturbeobachtungen. Ein Lichtstrahl, z. B. eines HeNe-Lasers, der unter flachen Winkeln eingestrahlt wird, verläuft auf einer gekrümmten Bahn und wird unter geeigneten Bedingungen total reflektiert (Abb. 4.18). Damit sind die Voraussetzungen zur Beobachtung von oberen Luftspiegelungen (im Versuch eigentlich Salzlösungsspiegelungen) gegeben. Ein kleiner Gegenstand wird hinter das Aquarium gestellt, und man beobachtet aus Entfernungen von

96

4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

4.18 Foto eines gekrümmten Laserstrahls in einer geschichteten Salzlösung.

etwa 1 m vor dem Aquarium. Bei einer stark gesättigten Lösung sollte die Trogdicke für die Beobachtung nicht größer als 20 cm werden, da sonst die Trübheit der Lösung die Beobachtung erschwert. Mit dem Auge werden der Einfallswinkel und die Höhe variiert. Je nach Qualität der Lösung, Zeit nach Herstellung und Wahl der Beobachtungsparameter (Orientierung Objekt bzgl. der künstlichen Inversionsschicht, Augenhöhe und Blickwinkel) kann man entweder Dreifachbilder (Abb. 4.19) oder nur vertikale Verzerrungen erkennen. Bewegt man den oberen Wasserspiegel durch leichtes Rühren, führen die Bilder wellenförmige seitliche sowie vertikale Bewegungen aus. Dabei können Bildteile periodisch verschwinden und wieder erscheinen (siehe Filmbeispiele in [Engler]). a)

b)

c)

4.19 Ergebnis einer Beobachtung durch das Aquarium der Abb. 4.17. a) Objekt in Form eines Schriftzugs sowie zweier Spielzeugkreisel. b) und c) Je nach Augenhöhe und Beobachtungswinkel ergeben sich getrennte oder zusammenhängende Bildteile, wobei ohne weiteres Dreifachbilder gesehen werden.

4.7 Referenzen

97

Diese Beobachtung spiegelt die realen Gegebenheiten in der Natur gut wider, wo aufgrund von Luftfluktuationen andauernd Bildveränderungen stattfinden. Mit diesem Aufbau kann man auch ein in der Natur sehr selten beobachtetes Phänomen, nämlich eine Farbaufspaltung bei den oberen sich berührenden Bildern durch Dispersionseffekte, demonstrieren (vgl. Farbabbildung 11 in [Vol98a]). Ein fotografisches und filmisches Problem offenbart etwas mehr physikalischen Hintergrund. Beim Scharfstellen des Gegenstands und der Bilder fällt auf, dass es schwer ist, alles gleichzeitig scharf zu bekommen. Die Bilder liegen offensichtlich nicht in derselben Entfernung wie der Gegenstand! Dies kann man kompensieren, indem man die Blende möglichst schließt und so die Schärfentiefe erhöht, um alles scharf abzubilden. Dieses Problem tritt beim Beobachten mit dem Auge nicht auf. Das Auge akkommodiert und bildet daher automatisch scharf ab. Es gibt noch eine Reihe alternativer, teils komplizierterer Rezepte für die Herstellung von Brechungsindexgradienten, z. B. nach Robert Wichard Pohl [Pohl54]. Dabei ist es auch möglich, ein Brechungsindexprofil mit einem Maximum in der Mitte zu erzeugen, sodass wellenförmige Ausbreitung von Lichtstrahlen gezeigt werden kann, die für die Übertragung von Spiegelungen über große Distanzen relevant ist, z. B. den oben erwähnten Novaya-Zemlya-Effekt.

4.7

Referenzen

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98

4 Luftspiegelungen: Oasen, Seeungeheuer und weitere Spielereien der Fata Morgana

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4.7 Referenzen

99

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5

Regenbögen

Regenbögen haben schon seit Urzeiten die Menschen begleitet. Auf vielfältige Weise erfuhr diese faszinierende atmosphärische Erscheinung Interpretationen in Religion und Aberglauben, Musik, Literatur und Malerei. Parallel hierzu begann die Suche nach wissenschaftlichen Erklärungen, die im Laufe der Jahrhunderte verworfen, ersetzt und verbessert wurden. Nach einführenden Bemerkungen zur Kulturgeschichte des Regenbogens werden im Folgenden Beobachtungen zusammengestellt, die durch einfache Theorien der geometrischen Optik und weiterführende Erklärungen der Wellenoptik verständlich werden. Im Anschluss an einen kurzen Überblick über die Wissenschaftsgeschichte des Regenbogens werden auch Experimente vorgestellt, mit denen die Erklärungen einfach überprüfbar sind.

5.1

Bemerkungen zur Kulturgeschichte des Regenbogens

Wie unsere Vorfahren das Naturphänomen Regenbogen wahrgenommen, interpretiert und in ihr Weltbild einbezogen haben, lässt sich nur anhand kultureller Zeugnisse sagen, die uns in Form bildlicher Darstellungen und insbesondere schriftlicher Überlieferung bekannt sind. Die älteste Abbildung eines Regenbogens ist etwa 5500 Jahre alt und wurde in der Zentralsahara gefunden [Ged91]. Felsmalereien indianischen Ursprungs in Nordamerika mit Regenbogenmotiven sind bis etwa 2000 Jahre alt [Sas91]. In den indianischen Abbildungen sind Regenbögen meist in Verbindung mit menschenähnlichen zeremoniellen Figuren sowie mit Tieren, Wolken, Regen oder Blitzen gezeichnet. Zu den ältesten schriftlichen Quellen, die den Regenbogen erwähnen, zählt Homer, der in seiner Ilias (etwa 8. Jh. v. Chr.) die Regenbogengöttin Iris erwähnt, sowie das 1. Buch Moses (Entstehungszeit vermutlich zwischen 10. und 5. Jh. v. Chr.).

5.1.1

Regenbogen im Christentum

Der Regenbogen hat in vielen Religionen eine Bedeutung erhalten. Im Christentum ist der Regenbogen ein uraltes biblisches Symbol, das primär den Einklang von Gott, Mensch und Natur versinnbildlicht. Er kommt hauptsächlich in drei Bedeutungen vor: als Zeichen des Friedensbunds Gottes mit den Menschen, als Thron Got-

M. Vollmer, Lichtspiele in der Luft, DOI 10.1007/978-3-8274-3093-9_5, © Elsevier GmbH, München 2006

102

5 Regenbögen

tes beim Jüngsten Gericht und als Symbol der Verherrlichung von Gott, Maria, Priestern und den Heiligen.

Friedenszeichen In der Genesis (1. Buch Moses 9, Verse 8–17) stellt der Regenbogen im Anschluss an die Sintflut das Symbol des Friedensbunds zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Noah dar (siehe Abb. 1 in [Vol00]). ... Gott sprach zu Noe und seinen Söhnen: „Wohlan denn, ich errichte meinen Bund mit euch und euren Nachkommen und mit allen lebenden Wesen bei euch, mit Vögeln, Vieh und jeglichem Wild des Feldes, mit all denen, die die Arche verlassen haben. Meinen Bund errichte ich mit euch: Es soll niemals wieder alles Leben von den Wassern der Flut ausgerottet werden, ja es soll keine Flut mehr kommen, die Erde zu verderben !“ Weiter sprach Gott: „Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich zwischen mir und euch stifte und zwischen jeglichem Lebewesen bei euch für immerwährende Geschlechter: Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll ein Bundeszeichen zwischen mir und der Erde sein ...“ Dass der Regenbogen zum Symbol gewählt wurde, hängt vielleicht mit der uralten Vorstellung von dem in die Wolken versetzten und damit seiner feindlichen Wirkungen beraubten Bogen des Kriegsgottes zusammen. Der Regenbogen ist im Alten Testament ein Teil der Waffenrüstung Gottes. Ursprünglich ist es der Bogen, mit dem Jahwe im Unwetter schießt und den er danach an den Wolken aufhängt. In der poetischen Sprache der Bibel steht Gott als Bogenschütze da, der seine Pfeile aussendet. Nun legt er den Bogen fort, die Waffe erscheint im Gewölk als Bogen des Friedens, als Regenbogen. Die Idee des Regenbogens als Gnadenzeichen hat sich bis in die Neuzeit hinein gehalten. Zum Gedenken an die gerade überstandene Pestepidemie prägte die Hansestadt Hamburg 1714 eine Pestmedaille aus Silber, die eine Landschaftsszene mit Regenbogen zeigt unter dem Motto: nach dem Unheil die Gaben des Himmels (in den Worten der Zeit: nach den Leichen, Gnaden-Zeichen) [Kun77]. Bildliche Darstellungen des Dankopfer Noahs unter dem Regenbogen sind vielfältig, sei es in Form von Wandmalereien (z. B. Dom Monreale, ca. 1185/1190), Holzschnitten (z. B. Lukas Cranach d. Ä.) oder Gemälden (z B. Johann König, Joseph Anton Koch 1803) [Kun77, Rot92]. In unübertroffener Weise greift auch Goethe dieses Thema auf [Goe26]:

5.1 Bemerkungen zur Kulturgeschichte des Regenbogens

103

Grau und trüb und immer trüber Kommt ein Wetter angezogen; Blitz und Donner sind vorüber, Euch erquickt ein Regenbogen. Frohe Zeichen zu gewahren, Wird der Erdkreis nimmer müde; Schon seit vielen tausend Jahren Spricht der Himmelsbogen: Friede ...

Das jüngste Gericht In der Offenbarung des Johannes (4,3; Apokalypse) fungiert der Regenbogen bei der Beschreibung des Jüngsten Gerichts als Thron des Richters beim Kampf und Endsieg des Gottesreichs: ... und siehe, ein Thron stand im Himmel und auf dem Thron saß einer, und der darauf saß, war wie Jaspis- und Sardisstein anzusehen, und ein farbenreicher Strahlenbogen war rings um den Thron, anzusehen wie Smaragd. Der Regenbogen als Thron deutet auf überirdischen Glanz hin. Bei dem eigentlichen Gericht wird der Regenbogen nicht explizit erwähnt, allerdings haben spätere mittelalterliche Kommentare diesen Zusammenhang hergestellt. In bildlichen Darstellungen der Apokalypse thront Christus auf mittelalterlichen Weltgerichtsbildern demzufolge auf einem Regenbogen. Zwei der bekanntesten Darstellungen stammen von Hieronymus Bosch (Weltgerichts-Altar, Mitteltafel, Wien, Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste) und Albrecht Dürer (Holzschnitt Die Vision von den Sieben Leuchtern; das Schema der Komposition wurde direkt aus der Quentell-Koberger-Bibel übernommen [Pan77] (siehe Abb. 2 in [Vol00]). In Zedlers großem Universallexikon aus der Mitte des 18. Jahrhunderts findet man auch eine einleuchtende religiöse Erklärung, warum auf der Erde nur ein halber Bogen zu beobachten ist: „Der Regenbogen macht nie oder doch selten einen vollen Kreis oder Circkel, sondern allzeit einen halben; so ist auch das Reich Christi in der Kirche wie ein runder Circkel oder Ring ... aber so lange hier die Kirche unvollkommen, und deren Unterdrückungen auf Erden sind, ist der Ring nur halb voll, bis sie am Jüngsten tage in den Himmel wird gebracht werden, da der Ring voll, und Gott alles in allem seyn wird“ [Zed41]. Es gibt außerdem eine Vielzahl volkstümlicher Sprüche und Reime, die eine ähnliche Verbindung zum Jüngsten Gericht ausdrücken (siehe [Vol00]).

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5 Regenbögen

Symbol der Verherrlichung Neben dem Erweis der göttlichen Gnade ist der Regenbogen im Alten Testament auch ein Erweis der göttlichen Herrlichkeit (Ezechiel 1,28, auch Sirach 43,11 und 50,7) [Kit33]. Bei Ezechiel 1,27–28, wird z. B. von der Berufung des Propheten berichtet: ... auf dem thronähnlichen Gebilde war oben darauf eine Gestalt, die einem Menschen glich. Dann schaute ich etwas wie blinkendes Glanzerz, das wie Feuer aussah, von einem Lichtkreis umrandet; es reichte von der Stelle, die seinen Hüften gleichsah, nach aufwärts. Von der Stelle, die seinen Hüften gleichsah, nach abwärts sah ich etwas, das wie Feuer aussah. So war er ringsum von Lichtglanz umgeben. Gleich dem Bogen im Gewölk an Regentagen sah der Glanz rings um ihn aus. Dies war der Anblick von dem, was der Herrlichkeit des Herrn glich ...

5.1.2

Das Brückensymbol

In verschiedenen vorchristlichen und nichtchristlichen Kulturen symbolisiert der Regenbogen eine Brücke zwischen Göttern und Menschen [Lur73]. In einigen Fällen verbindet sich das Symbol mit der dinglichen Welt, wie in der Rainbow Bridge im Arches-Nationalpark (Utah, USA), einer natürlich entstandenen Felsbrücke. Im Shintoismus steigen auf dem Regenbogen die Götter zur Erde hernieder, ebenso bei den Germanen, wo er von Odins (Wotans) Sohn Heimdall bewacht wird. Der Regenbogen symbolisierte für einige Völker die Brücke der Seelen ins Paradies (Inder,Araber, Finnen, Sibirer), galt aber zugleich als Schwert oder Bogen einer göttlichen Macht. Auf unsere mitteleuropäische Kultur hatte vor allem die Vorstellungswelt der alten Griechen prägenden Einfluss. In Homers Ilias wurde Iris noch zum einen als Botin, zum anderen als Personifikation des Regenbogens erwähnt. In der Zeit nach Homer (z. B. bei Hesoid, 700 v. Chr.) wurde beides verbunden und der Regenbogen als Bahn der Götterbotin Iris angesehen. Diese Mythologie fand sich später auch bei den Römern; so beschreibt Ovid (um die Zeitenwende) in seinen Metamorphosen: „Und Iris, des Auftrags entledigt, enteilte ... kehrte zurück auf dem Bogen, auf dem sie soeben gekommen.“ In Schwaben wurde der Regenbogen als Brücke angesehen, auf dem die Engel vom Himmel zur Erde steigen [Hof27]. Zigeuner glaubten hingegen, dass derjenige, der zu Pfingsten das Ende eines Regenbogens findet, an ihm in den Himmel steigen und sich ewige Schönheit und Gesundheit holen könne. Volkstümliche Vorstellungen des Jüngsten Gerichts führten zu dem Glauben, die Toten müssten über den Regenbogen als Brücke in den Himmel einziehen. Unter den Bösen würde die Brücke zusammenbrechen. Ähnlich ist der Regenbogen bei Wilhelm Rabe in seiner gleichnamigen Erzählung die Brücke, auf der der Teufel sein Opfer holt.

5.1 Bemerkungen zur Kulturgeschichte des Regenbogens

105

Die Brückenvorstellung findet sich auch in der alten germanischen Dichtung der Edda [Kun77]. Der Regenbogen ist eine von den Göttern gemachte Brücke vom Himmel zur Erde. Sie besteht aus drei Farben, wobei das Rot von brennendem Feuer herrührt – ein Hindernis für diejenigen, die die Brücke besteigen wollen. So stark sie aber auch sein mag, wenn die Götter sich für den letzten Kampf rüsten (die Götterdämmerung) und über die Himmelsbrücke ziehen, so wird sie brechen [Edda]. Diese Idee hat Richard Wagner in Rheingold aufgegriffen, dem ersten Werk des Rings der Nibelungen [Wagner]. Die Handlung endet damit, dass die Götter, die sich durch den Raub des Rheingolds schuldig gemacht haben, ihre neu errichtete Burg Walhall über eine Regenbogenbrücke beschreiten. Während die Rheintöchter den Raub beklagen, fällt – musikalisch vom „Regenbogenmotiv“ begleitet – der Vorhang.

5.1.3

Das Glückszeichen

Nach vielen Sagen und Legenden soll der Regenbogen Reichtum und Glück bringen [Hof27]. Ein Glückszeichen war der Regenbogen z. B. für Zigeuner bei der Geburt von Kindern, falls derjenige Teil, der die Erde berührt, über den Menschen hinweg scheint: Es wird ein tüchtiger oder auffallend schöner Mensch werden. Ferner soll ein über den Regenbogen geworfener Hut mit Gold gefüllt wieder herabfallen. In den Bogen geworfene Stücke aus Metall oder sogar aus Stein werden ebenfalls zu Gold. Die Verbindung zwischen Regenbögen und einem Schatz findet sich sehr häufig. In Böhmen soll dort ein Schatz verborgen sein, wo an drei Sonnentagen hintereinander ein Regenbogen aufliegt. Dieser Aberglaube könnte darauf zurückzuführen sein, dass man nach Regengüssen aus dem Boden herausgespülte prähistorische Münzen fand, und zwar ostkeltische und römische Goldmünzen.

5.1.4

Der Unglücksbote, Unglücksbringer

Das farbenprächtige Schauspiel des Regenbogens hat aber auch menschenfeindliche Deutungen hervorgerufen, so z. B. den Aberglauben, der Regenbogen würde alles, was in den Bereich seiner Enden gelangt, Wasser, Fische oder sogar Kinder, in die Höhe ziehen. Eine Siebenbürger Sage erzählt von einem Hirtenjungen, der beim Weiden seiner Schafe einen Regenbogen sah und sich näher ansehen wollte, wie das Wasser an den Enden des Bogens angezogen wird. Deshalb trieb er seine Herde zum Fluss und wurde dort samt seinen Schafen aufgesogen. Seither weiden seine Schafe ewig am Himmel. Entsprechend der mythischen Erklärungen des Regenbogens verbindet der Volksglaube einige schadens- oder segensbringende Begleiterscheinungen. In Westböhmen war es für ein noch nicht siebenjähriges Mädchen gefährlich, unter einem Regenbogen hinwegzuspringen, denn es könnte ein Knabe werden.

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5 Regenbögen

Aus Bern ist folgender Aberglaube bekannt: Wenn es bei Sonnenschein regnet und keinen Regenbogen gibt, so geht die Welt unter, weil etwas Widernatürliches vorgefallen ist. Auch astrologische und wahrsagerische Deutungen sind mit dem Regenbogen verknüpft: So hat Luther einen Regenbogen mit dem Tod des Kurfürsten Friedrichs des Weisen in Verbindung gebracht: „Das Zeichen seines Todes war ein Regenbogen, den wir, Philips und ich sahen ...“ (Brief an Joh. Rühel 23.5.1525). Bekanntlich achtete Luther die Himmelserscheinungen als Zeichen, die Gott den Menschen gegeben hat.

5.1.5

Darstellungen in der Kunst

Es ist nicht verwunderlich, dass sich die Malerei – und hier insbesondere die der Romantik – dem Regenbogen gewidmet hat. William Turner stellte in vielen seiner Bilder meteorologische Kunstwerke wie Wolken, Nebel oder Sonnenaufgänge dar. Etliche seiner Bilder spiegeln Farbschauspiele des Himmels mit einer unvergleichbaren Farbenpracht wider, wie Fighting Temeraire, Landschaft mit Regenbogen oder Das Sklavenschiff. Bei fast aquarellartiger Wirkung hat Caspar David Friedrich feinste Farbtonabstufungen erreicht und dadurch atmosphärische Situationen in einer Differenzierung wiederzugeben vermocht wie kaum ein Künstler je zuvor. Er begeisterte sich für die Wettererscheinungen, für die von Nebel, Wolken und Licht der nordischen Natur hervorgebrachten Stimmungen und ihre Veränderungen im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten. Dabei stellte er alle optischen Phänomene der Atmosphäre in den Dienst der christlichen Tradition – zur Hervorhebung christlicher Werte. In seiner Gebirgslandschaft mit Regenbogen (Museum Folkwang Essen) stellt Friedrich sogar einen Mondregenbogen in einer Gebirgslandschaft dar. Mondregenbögen galten als wunderbares Zeichen, wie Friedrich Schiller in einer Szene des Wilhelm Tell verewigte [Schi04]: Winkelried: Ha seht! Seht dorthin! Seht ihr nichts? Meier: Was denn? – Ja wahrlich! Ein Regenbogen mitten in der Nacht! Melchtal: Es ist das Licht des Mondes, das ihn bildet. Von der Flüe: Das ist ein seltsam wunderbares Zeichen! Es leben viele, die das nicht gesehn. Sewa: Er ist doppelt, seht, ein blässerer steht drüber. Unter der Vielzahl bildlicher Darstellungen von Regenbögen seien einige weitere genannt: Jean François Millet stellte in seinem Bild Der Frühling eine Landschaft mit doppeltem Regenbogen dar. Weitere Beispiele sind John Constables Landschaft mit doppeltem Regenbogen (1812) sowie Joseph Anton Kochs Landschaft nach einem Gewitter. Koch scheint allerdings nicht so sehr auf die Natur geachtet zu haben – die Form erscheint etwas seltsam, und auch die Farbreihenfol-

5.1 Bemerkungen zur Kulturgeschichte des Regenbogens

107

ge des sekundären Bogens ist fälschlicherweise identisch zu der des primären Bogens gemalt (nicht nur auf diesem Bild!). Falsche bzw. ungenaue Darstellungen des Regenbogens sind recht häufig. Da Künstler i. Allg. sehr gut beobachten, dürften sie die Komposition in vielen Fällen bewusst verändert haben. Ein markantes Beispiel hierfür ist Frederick Church, ein bekannter amerikanischer Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts. In seinem Gemälde Rainy Season in the Tropics (siehe Abb. 5 in [Vol00]) entwirft er ein Bild einer fantastischen Welt, die durch das Tor eines doppelten Regenbogens zugänglich ist. Der Winkelabstand zwischen Haupt- zu Nebenregenbogen ist halbiert, wahrscheinlich, um den Eindruck eines Tors für die Bildkomposition besser hervorzuheben. (In ersten Skizzen hatte Church noch den korrekten Winkelabstand eingezeichnet [Ged91].) Auch Max Beckmann zeigte in seiner Eisenbahnlandschaft mit Regenbogen von 1942 eine veränderte Farbreihenfolge (siehe Abb. 6 in [Vol00]). Vermutlich stimmte er die Farben auf die übrige Komposition des Bilds ab (zur Interpretation siehe [Rot92]). Weitere Informationen zum Thema Regenbogen in Malerei und Kunst finden sich in der Literatur [Kun77, Rot92, Ged91,Rös60, Vol00].

5.1.6

Regenbogensymbole im 20. Jahrhundert

Ähnlich den Luftspiegelungen mag so manches Kind dem Regenbogen literarisch zum ersten Mal bei Michael Ende in seinem Buch Jim Knopf und die Wilde 13 begegnet sein [Ende62]. Die Helden Jim und Lukas sind mit ihrem „Perpetumobil“ den Gesetzen der Schwerkraft enthoben und nähern sich im Flug der Grenze zwischen gutem und schlechtem Wetter (Abb. 5.1):

5.1 Die Reise mit dem Perpetumobil durch den Regenbogen bei Michael Endes Jim Knopf und die Wilde 13 (nach [Ende62]).

108

5 Regenbögen

Lautlos und feierlich schwebte das „Perpetumobil“ mit seinen beiden Passagieren auf dieses wunderbare Tor aus Farben und Licht zu und flog ganz dicht unter ihm hindurch, so nah, daß Jim seine Hand in das sanfte Glänzen und Leuchten halten konnte. Ein weiteres Beispiel aus der Kinderliteratur ist in einem Donald-Duck-Comic zu finden (siehe Abb. 4 in [Vol00]). So stehen Tick, Trick und Track staunend und an einen Schatz glaubend vor einem Regenbogen, was Donald zu einer (wissenschaftlich nicht völlig korrekten) Erklärung des Phänomens nötigt. Der Regenbogen ist heute vorwiegend mit positiven Werten besetzt. Dutzende Erzählungen und Romane führen den Regenbogen in ihrem Titel, und die Textilindustrie hat die Bezeichnung Regenbogenfarben in den Sprachgebrauch übernommen. 1902 wurde der Regenbogen als Zierde einer kunstvollen sächsischen Anerkennungsurkunde für Ernst Abbe genutzt. Regenbögen zieren Briefmarken [Kun77] und sogar eine Banknote [Vol99]. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat den Regenbogen zum Symbol gegen die Umweltzerstörung erkoren, ihr Schiff Rainbow Warrior ist weltweit genauso bekannt wie der Spruch „you can’t sink a rainbow“. Weniger im Sinne des Marketing spricht man auch von der Regenbogenpresse, die ihren Namen primär wegen der bunten Kopfleisten, nicht wegen ihres schillernden Inhalts erhielt. Auch die wissenschaftliche Werbung setzt auf den Regenbogen, allerdings – physikalisch betrachtet – oft inkorrekt. Wenn z. B. von Regenbogenfarben statt von Spektralfarben gesprochen wird, aber letztere gemeint sind, stimmt die Position im internationalen Farbdiagramm nicht mit den eigentlich anzupreisenden Eigenschaften des Produkts, z. B. denen eines Lasers, überein. Ein Zitat aus Goethes Faust II soll die kulturgeschichtliche Reise abrunden [Goe90]: So bleibe denn die Sonne mir im Rücken Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend, Ihn schau ich an mit wachsendem Entzücken. Von Sturz zu Sturzen wälzt er jetzt in tausend, Dann aber tausend Strömen sich ergießend, Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend. Allein wie herrlich, diesem Sturm ersprießend, Wölbt sich des bunten Bogens Wechseldauer, Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend, Umher verbreitend duftig kühle Schauer. Der spiegelt ab das menschliche Bestreben. Ihm sinne nach, und du begreifst genauer: Am farbigen Abglanz haben wir das Leben. Goethes poetische Beschreibung enthält manche Aspekte der physikalischen Erklärung, so das ständige Wechseln der Wassertropfen, während das von ihnen

5.2 Beobachtungen zum Regenbogen

109

reflektierte Licht – das wir als Regenbogen wahrnehmen – fortdauert. Goethe war sich der Besonderheit des Phänomens bewusst. Der Reiz liegt in seiner Vergänglichkeit: Einen Regenbogen, der eine Viertelstunde steht, sieht man nicht mehr an.

5.2

Beobachtungen zum Regenbogen

Bei der Frage, welche Farbe beim einfachen (primären) Regenbogen außen ist, Rot oder Blau, ergibt sich erstaunlicherweise, dass die meisten Menschen, obwohl sie schon einmal einen Regenbogen gesehen haben, ihn häufig nicht bewusst wahrnehmen, d. h. die Farbordnung nicht kennen. Bevor auf die Erklärung eingegangen wird, sollen kurz die verschiedenen Beobachtungen zusammengefasst werden. Voraussetzungen, einen Regenbogen beobachten zu können, sind zum einen ein Regenschauer (Wassertropfen) und zum anderen die Beleuchtung des Schauers durch die Sonne (Lichtquelle), die hinter dem Rücken eines Beobachters steht. Unter geeigneten Bedingungen können dann die folgenden Beobachtungen gemacht werden (siehe auch Farbtafel 5.1 bis 5.5): • Man sieht den primären (Haupt-)Regenbogen am Himmel in der Regenwolke als Kreisausschnitt mit einem Öffnungswinkel von etwa 42° (Abb. 5.2). Das Auge eines Beobachters ist quasi die Spitze eines Kegels mit Öffnungswinkel 42°, wobei der Regenbogen in Richtung des Kegelmantels beobachtet wird.

5.2 Entstehung eines Regenbogens in der Natur: Der Betrachter sieht den Regenbogen in einem Teil eines Kegelmantels, der einen Öffnungswinkel von 42° hat.

• Die Breite dieses primären Regenbogens in Winkelmaß beträgt etwa 2°. • Die Farbreihenfolge verändert sich von Blau (innen) nach Rot (außen). • Manchmal beobachtet man einen lichtschwächeren sekundären (Neben-)Regenbogen. Er steht höher am Himmel und entspricht einem Öffnungswinkel von etwa 51°. Abb. 5.3 zeigt ein Schemabild der Entstehung und Beobachtungsbedin-

110

5 Regenbögen

5.3 Die gedachten Linien Sonne – Regentropfen und Regentropfen – Auge des Beobachters bilden beim primären Regenbogen einen Winkel von 42°. Ein schwächerer sekundärer Regenbogen kann unter dem Winkel von 51° sichtbar sein. Dazwischen liegt Alexanders dunkles Band (nach [New04]).

• • • • • • • • •

gungen für einen Regenbogen (entnommen aus einem Nachdruck von Newtons Optik [New04]). Die Breite des sekundären Bogens beträgt etwa 4°. Die Farbreihenfolge zwischen primärem und sekundärem Bogen ist vertauscht. Der Bereich zwischen primärem und sekundärem Bogen ist dunkler als außerhalb der Bögen. Man nennt ihn Alexanders dunkles Band. Untersucht man die Regenbögen mit einem Polarisationsfilter, so stellt man fest, dass das Licht der Bögen stark polarisiert ist. Manchmal kann man pink- bzw. andersfarbige Strukturen innerhalb des primären Bogens sehen. Diese nennt man überzählige, manchmal auch innere Bögen (Farbtafel 5.5). Ähnliche Beobachtungen sind in der Natur auch möglich in der Meeresbrandung, an Wasserfällen, Springbrunnen, Rasensprengern etc. Die Bögen von Regen und Salzwassergischt haben leicht unterschiedliche Öffnungswinkel (Farbtafel 5.2). Gelegentlich, aber viel seltener als am Tag werden bei Vollmond Regenbögen beobachtet. Steht der Beobachter auf der Erde, kann er bestenfalls einen Halbkreis sehen, wenn die Sonne in der Nähe des Horizonts steht. Bei einem Sonnenstand über 42° ist kein Bogen beobachtbar. Von hohen Bergen oder aus dem Flugzeug lassen sich bei geeigneten Bedingungen auch ganze Ringe beobachten. Leichter gelingt dies bei künstlichen Regenbögen mit Rasensprengern.

Experten sehen auch noch weitere Details (s. u.). Jede Erklärung des Regenbogens muss die genannten Beobachtungen begründen können.

5.3 Einfache Erklärung des Regenbogens mithilfe der geometrischen Optik

5.3

111

Einfache Erklärung des Regenbogens mithilfe der geometrischen Optik

In diesem und dem nächsten Abschnitt wird zunächst auf die heutige naturwissenschaftliche Erklärung [Die57, Hul57, Tri70, Gre80, Lil84, Lyn95, Min92, Per22, Vol97a, Vol97c, Lee01, Dit02, Ada02, Vol05] ohne Berücksichtigung der vielen Irrwege in der Vergangenheit eingegangen. Im Anschluss wird dann ein kurzer Überblick über die Wissenschaftsgeschichte gegeben, der sich fast wie ein who is who der im Bereich Optik tätigen namhaften Physiker der letzten Jahrhunderte liest.

5.3.1

Regentropfen

Wasser kommt in der Atmosphäre als Wasserdampf, d. h. als Gas, aber auch als Wassertropfen vor (Abschnitt 3.1.2). Die Durchmesser der durch Kondensation entstehenden Tropfen reichen dabei von Mikrometer bis einige Millimeter. Die kleinen Tropfen im Größenbereich bis 50 μm findet man im Nebel sowie in Wolken. Durch Zusammenwachsen von kleinen Tropfen (Koagulation) oder Zwischenschritte über die Eisphase können größere Tropfen heranwachsen, die Niederschlag in Form von Regen bringen. Die Regentropfen können dabei sehr unterschiedliche Größen aufweisen. Bei Nieselregen liegen die Radien zwischen etwa 50 und 250 μm und die Fallgeschwindigkeiten zwischen 0,25 und 2 m/s. Bei normalen Regenfällen treten üblicherweise Radien von 0,25–3 mm auf [Lil84] mit Fallgeschwindigkeiten zwischen 2 und 9 m/s (Abb. 3.15). Abb. 3.12 zeigte einige typische auf der Erdoberfläche gemessene Häufigkeitsverteilungen von Regentropfen. Die großen Tropfen im Millimeterbereich können sich im Fall zur Erde durch ihre Oberflächenspannung im Wechselspiel mit Gravitation und aerodynamischem Druck zu pfannkuchenähnlichen Gebilden [Don54] verformen (Abb. 3.14). Dies hat Auswirkungen auf einige Details des Regenbogens (s. u.).

5.3.2

Der primäre Regenbogen

Das erste und offensichtlichste Problem des Regenbogens betrifft die Frage, wieso es überhaupt eine kreisbogenförmige Leuchterscheinung – charakterisiert durch den Öffnungswinkel von ca. 42° – gibt; oder allgemeiner: Warum wird in einem bestimmten Winkelbereich mehr Licht beobachtet als in anderen Richtungen?

112

5 Regenbögen

Leuchterscheinung beim Regenbogenwinkel Die folgende Erklärung geht in den Wesenszügen auf Descartes zurück, der zwar die Position, nicht jedoch die Farben des Regenbogens erklärte. Die grundlegende Idee ist, zunächst nur die Wirkung eines einzigen Regentropfens auf die Ausbreitung des Sonnenlichts zu untersuchen. Der Regentropfen sei so klein, dass Abweichungen von der Kugelform durch die Schwerkraft zunächst ausgeschlossen sind. Im Folgenden wird der für den primären Regenbogen relevante Prozess behandelt (Abb. 5.4). Der Lichtstrahl wird gebrochen und einmal im Tropfen reflektiert, ehe er den Tropfen durch eine zweite Brechung wieder verlässt. Andere Lichtwege sind zunächst der Einfachheit halber vernachlässigt. Nun lässt man viele parallele Lichtstrahlen (1 bis 8) auf den Tropfen einfallen (Abb. 5.5). Jeder Lichtstrahl kann entweder reflektiert oder gebrochen werden.

5.4 Prinzipieller Strahlverlauf des Lichts, der für die Entstehung des Regenbogens verantwortlich ist. Die nichtrelevanten Anteile reflektierten und transmittierten Lichts sind der Übersichtlichkeit wegen weggelassen. αeinf. bzw. δ sind der Einfalls- bzw. der Ablenkwinkel, und b ist der Stoßparameter (s. Text).

5.5 Zur Erklärung des Regenbogenwinkels nach Descartes: Die Lichtstrahlen 1 bis 8 fallen parallel auf einen kugelförmigen Wassertropfen und werden durch Brechung, Reflexion und nochmalige Brechung aus ihrer ursprünglichen Richtung abgelenkt. Strahl 5 hat den geringsten Ablenkwinkel (138°), er entspricht dem häufig allein gezeichneten Regenbogenstrahl (nach [Gre80]).

5.3 Einfache Erklärung des Regenbogens mithilfe der geometrischen Optik

113

Ablenkwinkel δ in Grad

Strahl 1 geht durch den Tropfenmittelpunkt, fällt senkrecht ein und wird nicht gebrochen. Bei der Reflexion wird er in sich selbst überführt und verlässt den Tropfen exakt antiparallel zu seiner Einfallsrichtung. Anders ausgedrückt sagt man, Strahl 1 ist um 180° abgelenkt worden. Der Strahlengang anderer Lichtstrahlen kann als Funktion des Einfallswinkels αeinf. bei der ersten Brechung beschrieben werden. Abb. 5.6a zeigt den Ablenkwinkel δ als Funktion des Einfallswinkels αeinf.. Bei parallel einfallendem Sonnenlicht ändert sich jedoch die einfallende Lichtintensität pro Einfallswinkelintervall auf dem Tropfen. Um dem Rechnung zu tragen, wird üblicherweise der Ablenkwinkel als Funktion des Stoßparameters b = R · sinαeinf., d. h. des Abstands vom zentralen Strahl 1 aufgetragen. Abb. 5.6b zeigt das Ergebnis der Ablenkung als Funktion des Stoßparameters. Beide Beschreibungen (Abb. 5.6a und 5.6b) sind äquivalent. Vergleicht man Abb. 5.5 und 5.6b, so stellt man fest, dass für nWasser = 1,33 der Ablenkwinkel bei steigendem Einfallswinkel von den 180° bei Strahl 1 bis zu einem Winkel von etwa 138° bei Strahl 5 sinkt. Bei größeren Einfallswinkeln steigt der

Ablenkwinkel δ in Grad

a)

b)

Einfallswinkel αeinf. in Grad

δmin (n = 1,33) = 137,48° bR (n = 1,33) = 0,86 R

normiertes Stoßparameter b/R

5.6 Ablenkwinkel δ des Lichts durch einen Wassertropfen als Funktion des Einfallswinkels (a) bzw. des Stoßparameters (b). Bei einem Brechungsindex von n = 1,33 ergibt sich ein Minimum für δ ≈138°. Die Zahlen entsprechen den Werten der eingetragenen Lichtstrahlen in Abb. 5.5.

114

5 Regenbögen

Intensität gestreuten Lichts

Ablenkwinkel wieder, d. h., er durchläuft ein Minimum. Es liegt für n = 1,33 bei b ≈ 0,86 R und beträgt δ = 137,48°. In den meisten Erklärungen wird nur dieser eine Strahl in Skizzen eingezeichnet, obwohl alle anderen Strahlen denselben Prozess der Transmission, Reflexion und Transmission erleiden und dabei zu anderen Ablenkwinkeln führen. Abb. 5.7 beinhaltet die Erklärung, warum es überhaupt eine Leuchterscheinung bei genau diesem Winkel um 138° gibt. Die zentrale Frage ist: Wie viele Lichtstrahlen werden in einen bestimmten Winkelbereich abgelenkt? Die Antwort lautet: Viele Strahlen in der Nähe des Minimums (d. h. Strahl 5) tragen zum ungefähr gleichen Ablenkwinkel von 137,5°–138,5° bei, während ein Ablenkwinkel von z. B. 150°–151° nur von vergleichsweise wenigen Lichtstrahlen erzeugt wird. Grafisch kann man die Winkelbereiche 137,5°–138,5°, 150°–151° etc. gemäß Abb. 5.7a gewissen Stoßparameterbereichen zuordnen. Diese Bereiche markieren im unteren Teil der Abb. 5.7a Kreisringe unterschiedlicher Dicke auf dem Querschnitt des Wassertropfens. Die Fläche der Kreisringe ist dann ein Maß für die in die zugehörigen Winkelbereiche gestreuten Lichtanteile; sie sind in Abb. 5.7b aufgetragen gegen den Ablenkwinkel. (Vereinfachend wurde hier angenommen, dass die durch die Fresnel‘schen Gleichungen der Wellenoptik (Abschnitt 2.5.5) bestimmten Transmissionen der Regenbogenstrahlen etwa konstant sind, bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass das Maximum noch schärfer ausfällt, vgl. auch [Wal77].) Man erkennt aus Abb. 5.7b, dass in die Winkelbereiche um 138° deutlich mehr Licht abgelenkt wird als in andere Bereiche, d. h., bei diesem Winkel – in dreidimensionaler Darstellung einem Kreisbogen – wird eine besondere Leuchterschei-

a)

b)

primärer Regenbogen: Theorie nach Descartes

Ablenkwinkel δ in Grad

5.7 Quantitative Erklärung des Regenbogenwinkels nach Descartes. a) Ablenkwinkel eines Wassertropfens als Funktion des auf den Tropfenradius normierten Stoßparameters (b/R) sowie Stoßparameterbereiche auf dem Querschnitt eines Tropfens, die zu den Ablenkwinkeln 137,5°–138,5° bzw. 150°–151° führen. b) Daraus resultierende durch einen Wassertropfen gestreute Lichtintensität als Funktion des Ablenkwinkels. Die Position des Maximums wird als Regenbogenwinkel bezeichnet.

5.3 Einfache Erklärung des Regenbogens mithilfe der geometrischen Optik

115

nung auftreten. Ein einziger kugelförmiger Wassertropfen, der von parallelem Licht beleuchtet wird, streut das Licht demzufolge bevorzugt in einen Kegelmantel, wobei der Öffnungswinkel 42° (= 180°–138°) beträgt. Dieser Winkel ist, abgesehen von Beugungseffekten, die in den umfassenderen Airy- und Mie-Theorien (s. u.) berücksichtigt werden, unabhängig von der Größe des Tropfens. Abb. 5.8 zeigt – ähnlich zu Abb. 5.2 – das Entstehen des Regenbogens durch sehr viele Wassertropfen in einem von der Sonne beschienenen Regenschauer. Ein Beobachter mit dem Rücken zur Sonne blickt auf die Regentropfen. Hinter dem Beobachter muss Wolken- und Regenfreiheit sein! Diejenigen Tropfen, für die die Linien Sonne–Regentropfen/Regentropfen–Beobachter einen Winkel von 42° bilden, streuen offensichtlich mehr Licht in Richtung des Beobachters als benachbarte Tropfen bei anderen Winkeln. In diesem Fall blickt der Beobachter genau in Richtung der (beispielhaft für zwei Tropfen eingezeichneten) Kegelmäntel, in die besonders viel Licht abgelenkt wird. Bei einem ausgedehnten Regenschauer sind sehr viele Tropfen vorhanden, d. h., es wird in vielen Beobachtungsrichtungen passende Tropfen geben, deren 42°-Kegelmäntel genau auf den Beobachter weisen. Geometrisch liegen diese alle auf einem Kreisausschnitt, dessen Öffnungswinkel

5.8 Entstehung eines Regenbogens in der Natur. Jeder Wassertropfen lenkt mehr Sonnenlicht in den Bereich des Regenbogenwinkels von 138° als in andere Winkelbereiche ab. Legt man jeweils einen Kegel mit Öffnungswinkel 42° mit seiner Spitze in einen Tropfen (nur für zwei Tropfen eingezeichnet), so wird mehr Licht in Richtung des Kegelmantels gestreut im Vergleich zu anderen Ablenkwinkeln. Für einen Beobachter, der in die von der Sonne beschienene Regenwolke blickt, kann man in Bezug auf jeden Tropfen einen individuellen Beobachtungswinkel definieren, der durch die Linien Sonne – Regentropfen sowie Regentropfen – Beobachter gegeben ist. Wenn dieser Beobachtungswinkel mit dem Regenbogenwinkel übereinstimmt, wird er vom jeweiligen Wassertropfen mehr Licht empfangen als bei anderen Beobachtungswinkeln. Als Konsequenz sieht ein Betrachter mehr Licht aus einer Richtung, die durch einen Kegelmantel mit Öffnungswinkel von 42° definiert ist.

116

5 Regenbögen

gerade wieder 42° beträgt. Diesen kann man darstellen als Schnittpunkt eines entsprechenden Kegels von 42° Öffnungswinkel, dessen Achse parallel zur Richtung der Lichtstrahlen verläuft und dessen Spitze im Auge des Beobachters liegt. Die Regentropfen im Mantelbereich dieses Kegels erfüllen dann automatisch die Bedingung, mehr Licht zum Beobachter zu streuen als benachbarte Tropfen. Obwohl die Tropfen bei einer ausgedehnten Regenwolke den Kegel in unterschiedlichen Entfernungen schneiden, sieht ein Beobachter die zweidimensionale Projektion, und dies ist dann ein Kreisbogen – der Regenbogen. Die Höhe des Bogens über dem Horizont hängt gemäß Abb. 5.8 vom Sonnenstand ab: Je tiefer die Sonne steht, desto höher steht der Bogen. Auf der Erde kann man wegen des Horizonts i. Allg. höchstens einen Halbkreis sehen; es ist aber möglich, von einem Flugzeug oder einer Bergspitze bei geeigneten Bedingungen einen Vollkreis zu sehen. Aufgrund dieser Erklärung ist klar, dass zwei nebeneinander stehende Beobachter, die einen Regenbogen sehen, jeweils Licht von verschiedenen Tropfen sehen, da es eine Winkeldifferenz von einem Tropfen zu den Beobachtern gibt. Sobald diese den Winkelbereich überschreitet, in den nach Abb. 5.7c mehr Licht gestreut wird, kann ein zweiter Beobachter vom selben Tropfen keine Leuchterscheinung sehen, wohl aber von benachbarten Tropfen. Insofern sieht jeder Beobachter seinen eigenen individuellen Bogen.

Die Farben des Regenbogens und räumliche Ausdehnung Die Farben des Regenbogens wurden erstmals von Newton richtig erklärt. Sie sind auf die Wellenlängenabhängigkeit des Brechungsindex, d. h. auf die Dispersion des Wassers zurückzuführen. Diese bewirkt im Zusammenspiel mit der internen Reflexion Ablenkwinkel von δ (λ = 400 nm) = 139,4° und δ (λ = 650 nm) = 137,6°, d. h., die Dispersion bewirkt eine Winkeldifferenz von etwa 1,8° zwischen Rot und Blau (Abb. 5.9a). Dies ist ein Abstand, der sehr gut mit dem menschlichen Auge aufgelöst werden kann. Da die Breite jeder Farbe deutlich unter der Aufspaltung durch Dispersion liegt, zeigt sich dem Beobachter eine relativ reine rote Farbe, während die anderen Farben durch Überlagerung ungesättigter werden (Abb. 5.9b). Andererseits hat bereits die Intensitätsverteilung für jede Farbe eine Breite von etwa 0,5°. Dies kommt daher, dass die Sonne keine Punktlichtquelle ist, sondern von der Erde aus gesehen eine räumliche Ausdehnung von ungefähr 0,5° hat. Kombiniert man die Einflüsse der endlichen Sonnenausdehnung und der Dispersion, beträgt die Gesamtbreite des Hauptregenbogens nach der geometrischen Optik etwa 2,2°. Einflüsse der Beugung auf die Farben werden in den Abschnitten 5.4.2 und 5.4.3 diskutiert.

5.3 Einfache Erklärung des Regenbogens mithilfe der geometrischen Optik

117

n650 nm = 1,331 n400 nm = 1,343

blaues Licht λ = 400 nm a)

rotes Licht λ = 650 nm

b)

δ

5.9 a) Die Dispersion bewirkt Änderungen des Strahlverlaufs, der für die Entstehung des Regenbogens verantwortlich ist: Der Ablenkwinkel hängt ab von der Wellenlänge, d. h. der Farbe des einfallenden Lichts. b) Schematische Darstellung des Zustandekommens der Farben durch Überlagerung der Lichtintensitäten der einzelnen Farben gemäß der Descartes’schen Theorie, hier gezeigt für zwei Farben.

Andauerndes Wechselspiel Aufgrund der Breite des Regenbogens ergibt sich nun auch, dass der Regenbogen durch sich ständig abwechselnde Regentropfen zustande kommt. Sobald die einen den Beobachtungskegel verlassen, übernehmen neue, in diesen Bereich hineinfliegende Tropfen ihre Rolle: Der Regenbogen ist somit ein fortdauerndes Wechselspiel. Ist ein Regenschauer etwa 1 km entfernt, so entspricht die Winkelausdehnung von etwa 2° einer Strecke von ungefähr 35 m. Bei Tropfengrößen um 1 mm und Fallgeschwindigkeiten um 5 m/s lässt sich die Verweildauer eines Regentropfens im vom Beobachter wahrgenommenen Regenbogen damit zu etwa 7 s abschätzen. Während dem Fallen wird derselbe Tropfen dabei von Rot bis Blau zu allen Farben beitragen. Ist der Regenschauer näher, verkürzen sich diese Zeiten.

5.3.3

Der sekundäre und höhere Regenbögen

Gelegentlich, insbesondere bei starker Beleuchtung, sieht man in der Natur einen zweiten lichtschwächeren Bogen mit umgekehrter Farbreihenfolge bei kleinerem Streuwinkel (δ < 138°), d. h. größerem Winkel gegen den Horizont (vgl. Abb. 5.3). Dieser sekundäre Bogen kommt auf völlig analoge Weise zustande wie der primäre Bogen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass der Lichtstrahl zweimal intern reflektiert wird, bevor er den Tropfen wieder verlässt. Die zweite Reflexion führt zur Umkehr der Farbreihenfolge von innen nach außen im Vergleich zum primären Bogen.

118

5 Regenbögen

Ablenkwinkel δ in Grad

Die Ergebnisse δ(b) als Funktion des Stoßparameters b für primären und sekundären Regenbogen inklusive der Dispersion sind in Abb. 5.10 gezeigt. Für den sekundären Bogen gilt, dass der Mittelpunktstrahl 1 durch die Reflexionen um 2 · 180° = 360° abgelenkt wird (als Konsequenz wird er also überhaupt nicht abgelenkt), danach wird mit wachsendem Stoßparameter der Ablenkwinkel bis etwa 231° (bei n = 1,33) abfallen, um für größere Stoßparameter wieder abzusteigen. Beobachtbar sind real allerdings nur Winkel im Bereich von 0°–180°, weshalb in Abb. 5.10 jeweils 360° minus dem eigentlichen Ablenkwinkel als δ (b) aufgetragen ist. Es ergibt sich ein flaches Maximum des Ablenkwinkels bei 129°, das zu einem Maximum der Lichtintensität in diesem Bereich führt. Größere Ablenkwinkel sind bei doppelter Reflexion nicht möglich. Andererseits waren Winkel kleiner als 138° bei einfacher innerer Reflexion verboten. So ergibt sich zwischen dem primären und dem sekundären Bogen ein verbotener Winkelbereich, in den sehr wenig Licht gestreut werden kann (nur kleine Beiträge äußerer Reflexion bzw. höherer Bögen). Dieser Bereich heißt Alexanders dunkles Band zu Ehren von Alexander von Aphrodisias (ca. 200 n. Chr.), einem Philosophen und Kommentator Aristoteles’. Deutlich ist auch der Einfluss der Dispersion mit Farbumkehr zu sehen. Offensichtlich ist auch für den sekundären Regenbogen eine Betrachtung ähnlich Abb. 5.7 möglich.

b

δ

b

δ

normierter Stoßparameter b/R

5.10 Ablenkwinkel von Lichtstrahlen durch einen Wassertropfen als Funktion des Stoßparameters für primären und sekundären Bogen mit Berücksichtigung der Dispersion. Die Zahlen geben die jeweiligen minimalen bzw. maximalen Ablenkwinkel an.

Es ist nur ein kleiner Schritt zur Verallgemeinerung: Sollten neben den beiden ersten in Rückwärtsrichtungen von etwa 42° und 51° beobachteten Bögen nicht auch Regenbögen beobachtbar sein mit N = 3, N = 4 und noch mehr inneren Reflexionen? Abb. 5.11 zeigt schematisch die entsprechenden Strahlwege im Inneren eines Regentropfens. Um das Bild möglichst einfach zu gestalten, wurden erstens nur Lichtstrahlen eingezeichnet, die in etwa zum richtigen Regenbogenwinkel führen, und zweitens von diesen auch nur ein einzelner, sodass in der Zeichnung das als höherer Regenbogenstrahl austretende Licht nach unten zum Beobachter abgelenkt wird.

5.3 Einfache Erklärung des Regenbogens mithilfe der geometrischen Optik

N=1

N=2

N=3

N=4

N=5

N=6

119

5.11 Schematische Darstellung der Lichtwege des 1. bis 6. Regenbogens in Wassertropfen (nach [Per22]).

Nach Abb. 5.11 ist klar, dass prinzipiell auch höhere Regenbögen möglich sein sollten. In der Natur wurden bislang allerdings keine Bögen mit N > 2 dokumentiert und glaubhaft nachgewiesen, während dies im Labor (s. u.) ohne weiteres möglich ist. Dafür sind im Wesentlichen drei Faktoren verantwortlich. Erstens wird bei jeder weiteren inneren Reflexion weniger Licht zur Verfügung stehen, da das im Tropfen umlaufende Licht durch die Auskopplung als Regenbogenlicht niedrigerer Ordnung immer weiter abgeschwächt wird. Aus Rechnungen findet man, dass die Intensität der höheren Bögen sukzessive abnimmt und nach der geometrischen Optik ab N = 5 bestenfalls noch etwa ein Zehntel derjenigen des primären Bogens aufweist. Zweitens wird sich dieses Licht jeweils auf einen größeren Winkelbereich verteilen, da die Breite der Bögen mit wachsendem N stetig zunimmt. Drittens muss das dadurch immer schwächer werdende Licht der höheren Bögen gegen die Hintergrundstrahlung des Himmels wahrgenommen werden, zu der insbesondere auch das direkt transmittierte Licht durch die Regentropfen beiträgt. Abb. 5.12 zeigt

5.12 Im Allgemeinen werden bei der Diskussion des Regenbogens andere Lichtwege wie z. B. direkt reflektiertes oder nach zweimaliger Brechung transmittiertes Licht vernachlässigt.

120

5 Regenbögen

Intensität gestreuten Lichts

das durch einen beleuchteten Regentropfen gestreute Licht mit allen möglichen Lichtanteilen bis zu N = 2 inneren Reflexionen. Man erkennt, dass es durch einfache Reflexion und zweimalige Brechung einen großen Anteil von in Vorwärtsrichtung gestreutem Licht gibt. Trägt man die theoretisch ermittelte Streulichtintensität für alle möglichen Lichtwege gegen den Ablenkwinkel auf, so ergibt sich für Tropfen mit etwa 0,6 mm Durchmesser und blaues Licht Abb. 5.13. Im Bereich der Vorwärtsrichtung von 0° bis etwa 70° beobachtet man einen starken, im Wesentlichen monotonen Abfall, bevor sich bei größeren Winkeln die Strukturen des primären und sekundären Regenbogens deutlich herausheben.

= 300 μm, λ = 450 nm Regenbögen: sekundär primär

Ablenkwinkel δ in Grad

5.13 Theoretische Intensität des durch einen Wassertropfen von ca. 0,6 mm Durchmesser gestreuten blauen Lichts als Funktion des Ablenkwinkels. Achtung: Die Intensitätsachse hat eine logarithmische Unterteilung, d. h., es gibt sehr große Intensitätsunterschiede.

Die Intensitäten des dritten und vierten Bogens bei Ablenkwinkeln um 40°–45° in Richtung zur Sonne sind also aus drei Gründen nicht sichtbar. Erstens sind die Intensitäten noch geringer als die des sekundären Bogens, zweitens teilt sich dieses Licht auf einen größeren Winkelbereich auf, und drittens ist der Untergrund des direkt transmittierten Lichts in dieser Richtung bereits vergleichbar oder höher als die Lichtintensität des primären Bogens. Zudem dürfte bei einer Beobachtung eines Regenbogens in Sonnennähe der Regenschauer nur sehr dünn sein, damit er vom Sonnenlicht ganz durchdrungen werden kann, denn sonst würde man nur eine dunkle Regenwolke sehen. In diesem Fall wird die auch bereits ohne Regentropfen vorhandene stärkere Untergrundstrahlung des Himmels in Sonnennähe, verursacht durch die Streuung an Partikeln/Aerosolen, eine Beobachtung in Sonnennähe erschweren (Kapitel 10). Die Beobachtungswinkel für den fünften und sechsten Bogen liegen zwar wieder in ähnlichen Richtungen wie der primäre und sekundäre Bogen bei Winkeln um 50° bzw. 35°, durch die Ausschmierung der ohnehin geringeren Intensitäten sind sie in der Natur allerdings nicht mehr wahrnehmbar. Einfache Laborbeobachtungen der höheren Bögen werden in Abschnitt 5.6 beschrieben (siehe auch weiter unten Diskussion zu Abb. 5. 23).

5.3 Einfache Erklärung des Regenbogens mithilfe der geometrischen Optik

5.3.4

121

Mathematischer Einschub: Berechnung des Regenbogenwinkels nach Descartes

Der Ablenkwinkel δ als Funktion des Einfallswinkel α einf. des Lichts lässt sich berechnen mithilfe einfacher geometrischen Überlegungen entsprechend Abb. 5.14. Bei einmaliger innerer Reflexion durch einen Wassertropfen ergibt sich:

δ (1)(α einf. ) = ϕ 1 + ϕ 2 + ϕ 3 + ϕ 4 − π = 2α einf. − 4α gebr. + π

(5.1)

wenn αeinf. = ϕ1 der Einfallswinkel auf den Tropfen und αgebr. der Winkel des gebrochenen Strahls ist, welche über das Brechungsgesetz (siehe auch Kapitel 2) sin(α einf. ) = n ⋅ sin(α gebr. )

(5.2)

zusammenhängen. n ist hier der Brechungsindex von Wasser. Aus Symmetriegründen ist ϕ2 = ϕ3 = π – 2 αgebr. und ϕ4 = αeinf.. δ lässt sich aus Gl. 5.1 und 5.2 mit einem einfachen Computerprogramm für eine beliebige Anzahl von Winkeln berechnen. Analog zu Gl. 5.1 ergibt sich für den sekundären Regenbogen mit zweimaliger innerer Reflexion bzw. allgemein bei N inneren Reflexionen:

δ ( N )(α einf. ) = 2α einf. + ( N + 1) ⋅ (π − 2α gebr. ) − π

(5.3)

Die Abhängigkeit der Regenbogenwinkel vom Brechungsindex n und der Zahl innerer Reflexionen N ergibt sich mathematisch durch Berechnen des Minimums von δ als Funktion des Einfallswinkels (dδ/dαeinf. = 0). Man findet allgemein für N innere Reflexionen: cos( N )α einf. =

n2 − 1 2 ( N + 1) − 1

(5.4)

ϕ1 b

ϕ2 ϕ3

ϕ4

5.14 Geometrie für die Berechnung des Ablenkwinkels durch einen Regentropfen.

122

5 Regenbögen

Tabelle 5.1 Nach der Descartes’schen Theorie errechnete Öffnungswinkel, Breiten, Orientierung und einfach abgeschätzte, relative Intensitäten (nach [Wal76] für die ersten sechs Regenbögen bei rotem (nrot = 1,31) und blauem (nblau = 1,343) Licht. Für die Gesamtbreite muss zusätzlich noch die Ausdehnung der Sonne (ca. 0,5°) berücksichtigt werden. Nach der Wellentheorie ändern sich die relativen Intensitäten. Zahl Reflexionen

δ (rot)

δ (blau)

mittlerer Öffnungswinkel

Breite

relative Intensität

N=1

137,6°

139,4°

41,5°

1,8°

1

Sonne im Rücken/ rot außen

2

230,4°

233,5°

51,9°

3,1°

0,43

Sonne im Rücken/ blau außen

3

317,5°

321,9°

40,3°

4,4°

0,24

um Sonne/rot außen

4

402,8°

408,3°

45,6°

5,6°

0,15

um Sonne/blau außen

5

487,1°

493,9°

49,5°

6,8°

0,1

Sonne im Rücken/ rot außen

6

570,9°

578,9°

34,9°

8,0°

0,08

Sonne im Rücken/ blau außen

Richtung/Farben

Diese Einfallswinkel ergeben gemäß Brechungsgesetz (Gl. 5.2) den Winkel αgebr. und daraus gemäß Gl. 5.1 (bzw. Gl. 5.3) die Ablenkwinkel. Tab. 5.1gibt die zahlenmäßigen Werte für die ersten sechs Bögen. Die Berechnung der Intensität als Funktion des Streuwinkels ist zwar langwierig, aber aus einfachen Einzelschritten zusammengesetzt. Die in ein Ablenkwinkelintervall gestreute Lichtintensität ist gemäß Abb. 5.7 proportional zur Fläche der Kreisringe mit dem entsprechenden Stoßparameterintervall. Dabei ergeben sich für die Ablenkwinkelintervalle (bis auf dasjenige des Minimums) immer zwei Beiträge bei unterschiedlichen Stoßparametern und somit unterschiedlichen Einfallswinkeln. Mithilfe der Fresnel´schen Gleichungen (Abschnitt 2.5.5) werden für die jeweiligen Einfallswinkelbereiche die Reflexions- bzw. Transmissionskoeffizienten ermittelt. Bis zu Winkeln von etwa 50° ändern sich diese für unpolarisiertes Licht nur wenig. Bei großen Einfallswinkeln (d. h. großen Stoßparametern) wachsen jedoch die Reflexionsverluste bei der 1. Reflexion stark an, sodass der weiter außen liegende Ring jeweils weniger zum Regenbogen beiträgt. Insgesamt ergibt sich keine einfache Formel, obwohl die Intensität für größere Winkeldifferenzen in etwa wie 1/(δ – δ Regenbogen)1/2 abfällt. Die Breite der so berechneten Ablenkkurven würden von der gewählten Winkelauflösung Δδ abhängen und auch etwa in dieser Größenordnung liegen. Berücksichtigt man jedoch die Nichtparallelität der Sonnenstrahlen durch die endliche Ausdehnung der Sonne, so ergibt sich eine Halbwertsbreite des

5.4 Besonderheiten durch die Wellennatur des Lichts

123

Intensitätsverlaufs, der in etwa der Winkelausdehnung der Sonne von ungefähr einem halben Grad entspricht.

5.4

Besonderheiten durch die Wellennatur des Lichts

Mithilfe der geometrischen Strahlenoptik vermag man die Richtungen der Leuchterscheinungen, also die Geometrie des Regenbogens und das prinzipielle Zustandekommen der Farben zu erklären, allerdings versagt sie schon bei Fragen nach der relativen Intensität der Bögen. Andere Eigenschaften, die sich ebenfalls nur mit der Wellenoptik verstehen lassen, sind z. B. die Polarisation des Lichts von Regenbögen, verschiedene Nuancen der Farbgebung, Feinstrukturen, Nebelbögen etc.

5.4.1

Polarisation des Regenbogens

Fällt Licht auf eine Grenzfläche, z. B. zwischen Luft und Wasser, so hängen die Anteile reflektierter und transmittierter Intensität vom Einfallswinkel und der Polarisation des Lichts ab. In der klassischen Elektrodynamik wird das Verhalten von Licht beim Auftreffen auf Grenzflächen durch die Fresnel-Gleichungen (Abschnitt 2.5.5) beschrieben, die Reflexions- und Transmissionskoeffizienten als Funktion der Polarisation und des Einfallswinkels berechnen (vgl. Abb. 2.33 und 2.34). Insbesondere findet man beim sog. Brewster-Winkel, dass das reflektierte Licht senkrecht zur Einfallsebene polarisiert ist (Abschnitt 2.5.5). Fällt unpolarisiertes Sonnenlicht auf einen Wassertropfen, so kann sich der Polarisationszustand bei allen den Regenbogen verursachenden Prozessen, d. h. die erste Transmission, die innere Reflexion und die zweite Transmission, ändern. Das den Regenbogen verursachende Licht hat Einfallswinkel für die erste Transmission im Bereich von 55°–65° sowie für die innere Reflexion und zweite Transmission im Bereich von etwa 37°–43°. Beim Eintritt des Lichts in den Tropfen wird gemäß Abb. 2.33 fast überhaupt kein parallel polarisiertes Licht und ca. 10 % senkrecht polarisiertes Licht reflektiert, da der Einfallswinkel in der Nähe des Brewster-Winkels von ca. 53° für Lichteinfall von Luft nach Wasser liegt. Dieses fehlt im transmittierten Licht, das demzufolge eine schwache parallele Polarisation aufweist. Das weiterhin nahezu unpolarisierte transmittierte Licht fällt im Tropfen von innen auf die Grenzfläche zur Luft. Gemäß Abb. 2.34 liegt der Einfallswinkel gerade wieder in der Nähe des Brewster-Winkels von ca. 37° für Lichteinfall von Wasser zu Luft. Demzufolge wird praktisch weniger als 1 %, d. h. fast überhaupt kein parallel polarisiertes Licht, wohl aber um 10 % senkrecht polarisiertes Licht reflektiert. Entsprechend besitzt das intern reflektierte Licht jetzt

124

5 Regenbögen

eine stark senkrecht polarisierte Komponente. Von diesem Licht wird nun bei der zweiten Transmission wieder die senkrechte Polarisation um ca. 10 % geschwächt, während die parallele Komponente nahezu ungeschwächt durchgelassen wird. Insgesamt dominiert der Einfluss der internen Reflexion, weshalb Licht des primären Regenbogens eine starke Polarisation senkrecht zur Einfallsebene aufweist. Offensichtlich kann das Argument auch auf die höheren Bögen ausgedehnt werden, die allesamt eine starke senkrechte Polarisation zeigen (siehe auch [Nus77]). Dieses Phänomen ist dem bloßen Auge zwar nicht zugänglich, lässt sich aber durch einen Polarisationsfilter leicht beobachten. Abhängig von der Stellung des Filters sind verschiedene Segmente des Bogens heller oder dunkler. Bei einem halbkreisförmigen Bogen ist die Polarisationsebene des Lichts eines Bogenendes, verglichen mit der am Scheitelpunkt des Bogens, um genau 90° verschoben, d. h., bei Rotieren eines Filters ist es je nach Orientierung möglich, einmal den seitlichen Rand gut und den oberen Rand unterdrückt zu sehen oder auch umgekehrt. Da die Polarisation auch bei kleineren Tropfen, wie sie in Wolken vorliegen, auftritt, kann man bei Beobachtung von durch die Sonne beleuchteten Wolken durch ein rotierendes Polarisationsfilter ebenfalls einen starken Polarisationsanteil unter dem Regenbogenwinkel sehen. Insofern kann man Regenbögen fast jeden Tag ohne Regenschauer, aber dafür in den Wolken sehen, wenn man diese durch ein Polarisationsfilter beobachtet [Kön85]. Dabei ist allerdings die kleinere Tropfengröße zu berücksichtigen (Abschnitt 5.4.3).

5.4.2

Überzählige Bögen und Farben im Regenbogen

Ein Grundphänomen der Wellentheorie ist die Interferenz, d. h. die Überlagerung von Wellen, die zur Verstärkung, aber auch zur Auslöschung von Intensität führen kann (Abschnitt 2.4). Schon in dem Modell der geometrischen Optik lässt sich plausibel machen, dass Interferenz auch für die Lichtwege in Regentropfen möglich ist. Abb. 5.15 zeigt zwei parallel einfallende Lichtstrahlen, die bei verschiedenen Stoßparametern (in der Nähe des Regenbogenstoßparameters) auf einen kugelförmigen Tropfen fallen. Wie aus Abb. 5.5 hervorgeht, ist es leicht möglich, Lichtstrahlen zu wählen, die im austretenden Licht ebenfalls parallel sind. Stellt man sich diese Lichtstrahlen als Wellen vor, die vor Eintritt in den Tropfen eine feste Phasenbeziehung zueinander hatten, so kann man über die verschiedenen optischen Lichtwege die Phasendifferenz dieser Lichtwellen nach Austritt berechnen. Dabei ergibt sich die Möglichkeit der konstruktiven oder destruktiven Interferenz. Dies führt gemäß Thomas Young zu Strukturen im Regenbogen, auch überzählige Bögen genannt. Dieser qualitativen Erklärung der überzähligen Bögen folgte 1838 die erste quantitative Formulierung des Regenbogenproblems mit der Wellentheorie durch George Airy. (Da dabei eine kontinuierliche Verteilung und nicht nur zwei Wellen wie in Abb. 5.15 überlagert werden, spricht man hier oft von Beugung anstelle von Interferenz und bezeichnet die Theorie als Beugungstheorie.) Ein wesentlicher

5.4 Besonderheiten durch die Wellennatur des Lichts

125

5.15 Schematische Darstellung der Entstehung von Interferenzen (überzähligen Bögen) beim Regenbogen.

Aspekt seiner Theorie war, dass die einfallenden ebenen Wellen durch die unterschiedlichen Lichtwege im Tropfen in nichtebene ausfallende Wellen übergehen. In erster Näherung kann die ausfallende Wellenfront in Abb. 5.16 durch eine kubische Verzerrung beschrieben werden [Hul81, Air38]. Die Überlagerung der zugehörigen Elementarwellen ergibt dann die Intensitätsverteilung des Regenbogens, wobei für einfarbiges Licht sog. Airy-Ringe als Feinstrukturen auftreten (Abb. 5.17). Es zeigt

Intensität gestreuten Lichts

5.16 Entstehung von Interferenzen beim Regenbogen durch Verzerrung der Phasenflächen ebener Wellen (nach [Hul81]).

Descartes

Airy

Ablenkwinkel δ in Grad

5.17 Schematische Darstellung der Unterschiede des Regenbogens zwischen der einfachen Erklärung der geometrischen Optik nach Descartes und der Wellentheorie nach Airy.

5 Regenbögen

Intensität gestreuten Lichts

126

Ablenkwinkel δ in Grad

5.18 Berechnung der Interferenzringe für rotes, orangefarbenes, grünes und blaues Licht (λ = 700 nm, 600 nm, 500 nm, 400 nm) für einen Wassertropfen von 1 mm Durchmesser nach der Airy-Theorie. Die Kurven wurden vertikal gegeneinander verschoben.

Position der Maxima in Grad

sich eine leichte Verschiebung des 1. Maximums gegenüber den Positionen aus der Theorie nach Descartes (s. o.), wobei es gleichzeitig möglich wird, dass etwas Licht in den verbotenen Bereich von Alexanders dunklem Band fällt. In der Natur fällt „weißes“ Sonnenlicht verschiedener Farben auf die Tropfen ein. Abb. 5.18 zeigt die errechneten Airy-Ringe eines Tropfens von 1 mm Radius für rotes, orangefarbenes, grünes und blaues Licht. Diese verschiedenen Ringsysteme führen in ihrer Überlagerung nun zu den überzähligen Bögen. Gemäß den Gesetzen der additiven Farbmischung ist plausibel, dass die Überlagerung der gut ausgeprägten roten Nebenmaxima mit dem blauen Licht zu pinkfarbenen überzähligen Ringen führen kann. Im Detail ist die Berechnung der wahrgenommenen Farbe allerdings etwas komplizierter, da die Augenempfindlichkeiten von der Farbe abhängen (zur Farbwahrnehmung siehe z. B. [Farbe, Fal90]). Gemäß Airys Theorie sind die Positionen der Maxima, d. h. der Regenbogenwinkel, leicht größenabhängig. Abb. 5.19 zeigt die theoretische Erwartung nach Airy für die Positionen des Hauptbogens sowie der ersten zwei überzähligen Bögen bei einer Wellenlänge von 550 nm (berechnet nach [Hul81, Fra83]). Die Positionen soll-

λ

Tropfenradius (μm)

5.19 Berechnung der Winkelabhängigkeit der Maxima des Hauptregenbogens sowie der ersten beiden überzähligen Regenbögen nach der AiryTheorie für grünes Licht von λ = 550 nm.

5.4 Besonderheiten durch die Wellennatur des Lichts

127

ten für Tropfen mit Durchmessern >100 μm gültig sein. Schon aufgrund dieser Abhängigkeit ist klar, dass überzählige Bögen, die an den einzelnen Wassertropfen in Abb. 5.18 auftreten, nur unter günstigen Bedingungen in der Natur beobachtbar, d. h. bei vielen Regenbögen nicht sichtbar sind, denn die überzähligen Bögen liegen je nach Größe an verschiedenen Positionen. Gibt es eine Vielzahl von Tropfen verschiedener Größe, so führt die Überlagerung der überzähligen Bögen aller Tropfen zu einem Verwischen der pinkfarbenen Strukturen. Das Beobachtungskriterium ist somit: Überzählige Bögen sollten dann gut zu beobachten sein, wenn eine sehr homogene Regentropfengrößenverteilung vorliegt. Bei realen Regenschauern wirkt sich allerdings zusätzlich die unterschiedliche Tropfenform aus: Während kleine Tropfen kugelförmig sind, verformen sich große Tropfen zu Rotationsellipsoiden (ähnlich einem dicken, liegenden Pfannkuchen [Don54]). Daher kann auch eine breitere Tropfengrößenverteilung zur Ausbildung überzähliger Bögen – im Scheitel der Bögen – führen. Voraussetzung ist allerdings, dass Tropfen der Größe um 0,25 mm vorhanden sind [Fra83, Kön87]. Aufgrund der endlichen Kohärenzlänge des auf der Erde eintreffenden Sonnenlichts sind nur typisch maximal zwei oder drei überzählige Bögen beobachtbar [Loc89]. (Die Kohärenzlänge ist ein Maß für die Interferenzfähigkeit von zwei verschiedenen Wellen; ist der Wegunterschied zweier Wellen größer als die Kohärenzlänge, können die Wellen nicht mehr miteinander interferieren.) Farbtafel 5.5 zeigt als Beispiel eine Fotografie eines primären Regenbogens. Am unteren Rand des Bogens sind überzählige Bögen zu erkennen. Der Bereich im Inneren des Bogens ist deutlich heller als der dunklere Bereich außen in Alexanders dunklem Band. Beim Vergleich vieler Beobachtungen von Regenbögen fällt auf, dass die Intensität und Winkelbreite einzelner Farben und allgemein die Farbnuancen sich durchaus von Bogen zu Bogen verändern können. Auch dieses Phänomen lässt sich mit der Airy’schen Beugungstheorie erklären. Für jede Farbe gibt es Intensitätsverläufe wie in Abb. 5.18 gezeigt, und zwar je nach Wellenlänge bei unterschiedlichen Winkelpositionen. Die ersten und somit stärksten Hauptmaxima – immer in der Nähe der Descartes’schen Erwartung (Abb. 5.17) – dominieren in der Überlagerung, weshalb die Farben in etwa der Erwartung der geometrischen Optik entsprechen. Allerdings wird aus Abb. 5.18 auch klar, dass diese Farben, bis auf Teile des roten Lichts, praktisch immer eine Überlagerung verschiedener Wellenlängen darstellen, also immer ungesättigt und somit keine reinen Spektralfarben sind. Dazu kommt zum einen, dass die Sonne durch ihre endliche Größe von etwa 0,5° die Überlagerung weiter über diesen Winkelbereich verschmiert. Zum anderen tragen auch Wellen in der Nähe des Regenbogenstrahls bei, die nicht alle parallel, sondern leicht divergierend aus dem Tropfen austreten. Bedenkt man letztlich, dass die Airy-Ringe in ihrer Position (Abb. 5.19) und Breite von der Größe der Tropfen abhängig sind, wird verständlich, dass unterschiedliche Tropfengrößen zu anderen Farben führen können. Da die Tropfengrößenverteilungen von der Art der Wolke und allgemein von den meteorologischen Bedingungen abhängen, ist klar, dass jeder Regenbogen für sich ein Unikum darstellt.

128

5 Regenbögen

5.4.3

Weiße Nebelbögen

Intensität gestreuten Lichts

Werden Tropfengrößen unterhalb von etwa 100 μm erreicht, führt die Airy-Theorie auf sehr breite Airy-Ringe der einzelnen Farben, die zudem in ihren Positionen dicht beieinander liegen. Abb. 5.20 zeigt die jeweils ersten Airy-Ringe für Licht von 400 nm, 500 nm, 600 nm und 700 nm für Tropfenradien von 1 mm und 50 μm. Die bei größeren Winkeln liegenden weiteren Interferenzringe sind der Übersichtlichkeit wegen weggelassen.

je von links R = 1 mm R = 50 μm nach rechts:

λ = 700 nm 600 nm 500 nm 400 nm

Ablenkwinkel δ in Grad

5.20 Die jeweils ersten Airy-Ringe für verschiedene Wellenlängen bei einem Tropfenradius von 1 mm und 50 μm. Bei kleinen Tropfen führt eine Überlagerung dieses Lichts zu weißen Nebelbögen.

Während die einzelnen Farben für große Radien gut getrennt sind, überlagern sie sich für 50-μm-Tropfen. Die additive Farbmischung aller Wellenlängen führt dann zu weißem Licht. Demzufolge erwartet man bei Beleuchtung sehr kleiner Regentropfen, wie sie beispielsweise in der feinen Gischt von Wasserfällen oder in Nebelfeldern auftreten können, zwar einen Regenbogen, allerdings durch Überlagerung der Anteile der einzelnen Spektralfarben aus weißem Licht. In der Tat spricht man bei weißen Regenbögen häufig von Nebelbögen. Hierzu zählen auch die durch Polarisation nachweisbaren Wolkenbögen; dort liegen ebenfalls sehr kleine Tropfen vor.

5.4.4

Mathematischer Einschub: Berechnung des Regenbogens nach Airy

Verfolgt man die Ausbreitung der auf einen Regentropfen einfallenden Wellen gemäß Abb. 5.16, so erhält man eine kubische Verzerrung der Wellenfront, d. h., die optischen Lichtwege von Wellen, die unter verschiedenen Stoßparametern auf den Tropfen einfallen, unterscheiden sich in wohl definierter Weise. Überlagert man alle zum Regenbogen beitragenden Wellen dieser Wellenfront, so erhält man letztlich als Ergebnis, dass die in einen bestimmten Winkelbereich um δ gestreute Lichtintensität

5.4 Besonderheiten durch die Wellennatur des Lichts

129

proportional ist zum Quadrat des sog. Regenbogenintegrals f(z), welches sich schreibt als

(

)

∞ ⎛1 ⎞ f (z) = ∫ cos ⎜ π zt − t 3 ⎟ dt 2 ⎝ ⎠ 0

(5.5)

Das nicht ganz einfache Integral f(z) wurde von Airy erstmals für verschiedene Werte des Parameters z berechnet [Airy38]. Daraus lässt sich dann der Streuwinkel berechnen gemäß

δ = δD +

⎛ 3λR 2 ⎞ z⋅ λ mit l = ⎜ ⎟ 4l ⎝ 4h ⎠

1/ 3

(5.6)

Intensität gestreuten Lichts

Hierin ist δD der Regenbogenwinkel nach der Descartes’schen Theorie (Tab. 5.1), λ die Wellenlänge, R der Tropfenradius und h eine von der Ordnung des Bogens abhängige Konstante. Sie beträgt für den primären Bogen 4,89 und für den sekundären Bogen 27,86 [Hul81]. Das Hauptproblem in der Berechnung besteht in der Auswertung des Regenbogenintegrals Gl. 5.5. Ist dies geschehen, kann man (f(z))2 gegen δ(z) auftragen und erhält die Airy-Ringsysteme wie in Abb. 5.18 oder 5.20 gezeigt. Abb. 5.21 veranschaulicht das Ergebnis der Airy-Theorie für den primären und sekundären Bogen im Überblick für rotes Licht.

Ablenkwinkel δ in Grad

5.4.5

5.21 Komplettes Airy-Ringmuster des primären und sekundären Bogens für R = 1 mm und λ = 700 nm.

Vollständige Beschreibung mithilfe der Elektrodynamik: Mie-Theorie

Die theoretische Behandlung der Beugung im Rahmen der elektrodynamischen Wellentheorie für Kugeln (für die Fachleute: die Anwendung der Maxwell-Gleichungen auf sphärische Geometrie) wurde erstmals von Gustav Mie durchgeführt. Die Mie-Theorie angewendet auf Wassertropfen stellt sozusagen die Krönung aller

Intensität gestreuten Lichts

130

5 Regenbögen

lognormal: FWHM = 0,1 λ = 450 nm = 300 μm = 20 μm

= 5 μm

Ablenkwinkel in Grad

5. 22 Ergebnis einer theoretischen Berechnung der Intensität einfarbigen Lichts (λ = 450 nm) in Abhängigkeit vom Streuwinkel und von unterschiedlichen Tropfengrößen. Es wurden LognormalGrößenverteilungen mit Halbwertsbreiten von 10 % des mittleren Radius gewählt. Achtung: Die Intensitätsachse hat eine logarithmische Unterteilung, d. h., es gibt sehr große Intensitätsunterschiede.

Theorien des Regenbogens dar [Hul81, Boh83]. Solche Rechnungen werden heute mit Computern durchgeführt [Hul81, Boh83] (vgl. auch Abschnitt 2.5.3). Als ein Beispiel zeigt Abb. 5.22 das Ergebnis einer theoretischen Rechnung. (Alle theoretischen Mie-Rechnungen wurden mit dem kommerziellen Programm MQMie durchgeführt [MQMie].) Hier wurden kugelförmige Wassertropfen mit mittleren Radien von 5 μm–0,3 mm mit einfarbigem blauen Licht (λ = 450nm) beleuchtet. Da in der Natur i. Allg. nicht nur Tropfen einer Größe vorliegen, wurde eine Tropfengrößenverteilung kleiner Breite – die Halbwertsbreite betrug 10 % des mittleren Radius – angenommen. (Hier wurde eine Lognormal-Verteilung verwendet, die gegenüber einer Normalverteilung asymmetrisch zu etwas größeren Radien verschoben ist; mehr Details zu Tropfengrößenverteilungen siehe z. B. [Pru97].) Bei einem Streuwinkel von etwa 140° bzw. 130° sind für Tropfen von 0,3 mm Durchmesser ein Haupt- bzw. ein Nebenregenbogen sowie dazwischen ein Intensitätsabfall um etwa den Faktor 10 (Alexanders dunkles Band) deutlich ausgeprägt. Man erkennt deutlich Interferenzstrukturen, d. h. überzählige Bögen beim Hauptund Nebenregenbogen. Eine Verringerung der Tropfengröße führt zur Verschmierung der Regenbögen und auch des dunklen Bands durch Beugungseffekte. Bei Radien unter 2 μm ist die Verschmierung so stark, dass der Regenbogen mit bloßem Auge nicht mehr sichtbar ist. Etwas größere Tropfen führen zu den Nebelbögen. Bei Streuwinkeln nahe 0° und 180° sind weitere optische Erscheinungen zu sehen, die durch Interferenz zustande kommen: Glorien und Koronen (Kapitel 7 und 8). In der Ausschnittsvergrößerung (Abb. 5.23) erkennt man, dass im Bereich von Alexanders dunklem Band ebenfalls zwei Strukturen zu sehen sind; sie gehören zu dem in diesem Winkelbereich erwarteten höheren Regenbogen mit fünf inneren Reflexionen des Lichts im Tropfen (Regenbogen 5. Ordnung). Interessant ist ein Vergleich zwischen Airy- und Mie-Theorie. In Abb. 5.24 finden sich Ergebnisse beider Theorien für Radien von 1 mm und rotes Licht (λ = 700 nm) der Übersichtlichkeit wegen vertikal gegeneinander verschoben. Offensichtlich gibt bereits die Airy-Theorie für große Tropfen die Positionen der Ringsysteme sehr gut wieder. Natürlich lassen sich auch die Nebelbögen durch die Mie-

Intensität gestreuten Lichts

5.4 Besonderheiten durch die Wellennatur des Lichts

lognormal: FWHM = 0,1 = 300 μm, λ = 450 nm

sekundärer Bogen

fünfter Bogen

primärer Bogen

Intensität gestreuten Lichts

Ablenkwinkel in Grad

5.23 Ausschnittsvergrößerung von primärem und sekundärem Bogen aus Abb. 5.22. Im Bereich von Alexanders dunklem Band liegt der höhere Regenbogen 5. Ordnung.

R = 1 mm, λ = 700 nm oben: Airy-Theorie unten: Mie-Theorie

Ablenkwinkel δ in Grad Intensität gestreuten Lichts

131

Normalverteilung von oben aus:

5.24 Vergleich der Ergebnisse von Airy- und Mie-Theorie für große Tropfen (R = 1 mm) bei λ = 700 nm. Beide Theorien liefern praktisch dieselben Positionen der Airy-Ringe, allerdings leicht verschiedene Intensitäten der Nebenmaxima.

= 20 μm σ = 1 μm

λ = 700 nm 600 nm 500 nm 400 nm

Ablenkwinkel δ in Grad

5.25 Die Interferenzringe des primären Regenbogens für verschiedene Wellenlängen, berechnet mit der Mie-Theorie für R = 20 μm, überlagern sich zu weißem Licht von Nebelbögen.

Theorie verstehen. Abb. 5.25 zeigt, dass sich die Interferenzringe für die verschiedenen Farben bei Tropfen von 20 μm Radius sowohl in Haupt- als auch Nebenmaxima überlagern. Letztlich demonstriert Abb. 5.26 den Einfluss der Breite der Tropfengrößenverteilung auf die Interferenzen. Der Übersichtlichkeit wegen wurden die Kurven ver-

Intensität gestreuten Lichts

132

5 Regenbögen Variation der Tropfengrößenverteilung = 300 μm, λ = 450 nm FWHM = 300 μm = 150 μm = 90 μm = 30 μm

Ablenkwinkel δ in Grad

5.26 Mit zunehmender Breite (FWHM) der Tropfengrößenverteilung verwischen die Interferenzen, sodass überzählige Bögen nicht mehr beobachtbar sind.

tikal gegeneinander verschoben. Bei ansonsten gleichen Parametern (mittlere Größe des Tropfens 300 μm, Wellenlänge blauen Lichts λ = 450 nm) wurde nur die Breite der Verteilung von 10%–100% der mittleren Größe variiert. Je breiter die Verteilung wird, desto weniger Ringstrukturen sind sichtbar.

5.4.6

Weitere Besonderheiten

Es gibt eine Vielzahl weiterer Aspekte, von denen aus Platzgründen nur wenige erwähnt werden sollen. Zunächst einmal ist der Nachweis eines Regenbogens nicht auf den sichtbaren Spektralbereich beschränkt. Mit entsprechenden Detektoren kann auch im Infrarot [Gre80] oder im UV [Lyn95] ein Bogen beobachtet werden. Einschränkend gilt nur, dass die Wellenlänge nicht mit Absorptionsbereichen des Wassers zusammenfallen sollte. Die entsprechenden Regenbogenwinkel verschieben sich wegen der Dispersion des Wassers. Ergibt sich die seltene Möglichkeit, gleichzeitig Bögen von Regentropfen und Salzwassertropfen, z. B. in der Brandung, zu beobachten (Farbtafel 5.2), kann man einen zweigeteilten Bogen mit um etwa 1° gegeneinander verschobenen Winkeln sehen. Dies ist auf die unterschiedlichen Brechzahlen von Frisch- und Salzwasser zurückzuführen. Des Weiteren können komplizierte Regenbogenerscheinungen gesehen werden (Abb. 5.27), wenn z. B. zwischen Sonne und Rücken des Beobachters eine spiegelnde Wasserfläche ist, sodass die Regentropfen von der Sonne sowie deren Spiegelbild und somit aus zwei verschiedenen Richtungen beleuchtet werden (Abb. 5.28 [Per22, Gre80, Min92], siehe auch Farbtafel 5.3). Sehr reizvoll sind auch Beobachtungen, wenn sich ein Regenbogen in sehr ruhigen Wasserflächen, z.B. eines Sees, spiegelt (Farbtafel 5.4). Offensichtlich kann das Licht des Vollmonds ebenfalls Regenbögen erzeugen, allerdings werden diese sehr selten beobachtet. Die Gründe hierfür [Hum38] sind erstens die weit geringere Lichtintensität des Mondlichts, zweitens die Tatsache, dass

5.4 Besonderheiten durch die Wellennatur des Lichts

133

5.27 Skizze eines komplizierten Regenbogenbilds aufgrund von gespiegeltem Sonnenlicht (nach [Per22]).

ϑ

ϑ

a)

b)

5.28 Erklärung der komplizierten Regenbögen durch an Wasserflächen gespiegeltes Sonnenlicht. Das Licht fällt sowohl von der Sonne – also von oben – als auch vom See – also von unten – kommend auf die Wassertropfen (a). Dies führt zur Bildung von zwei primären Regenbögen in Form von Kreisringen, die um die jeweilige Ausbreitungsrichtung der Strahlen zentriert sind (b).

die Sonne prinzipiell jeden Tag verfügbar ist, der Mond aber nur in zeitlicher Nähe zum Vollmond genug Licht für eine Beobachtung bereitstellt, sowie drittens, dass die Voraussetzungen, nämlich ein nächtlicher Regenschauer bei gleichzeitig freiem Himmel, für die Beleuchtung seltener vorkommen als am Tage. Wird dennoch einmal ein Mondregenbogen beobachtet, so ist das Auge meist dunkeladaptiert und wird ihn weiß wahrnehmen, obwohl er auf einem gut belichteten Foto natürlich auch Farben wie am Tage aufweist. Häufig sieht man auch primäre Bögen, bei denen die seitlich gelegene Basis deutlich heller erscheint als das obere Ende des Bogens. Dies ist auf größere Was-

134

5 Regenbögen

sertropfen zurückzuführen, die durch die Schwerkraft von Kugeln in Ellipsoide verformt sind. Licht von der Basis des Regenbogens durchläuft im Tropfen eine horizontale kreisförmige Bahn, während Licht vom oberen Ende eine vertikale elliptische Bahn zurücklegt. Die unterschiedlichen Geometrien führen zu Intensitätsunterschieden. Ähnlich lässt sich auch erklären, dass überzählige Bögen am oberen Ende häufiger beobachtbar sind und weshalb es seltener überzählige Bögen beim sekundären Bogen gibt. Weitere Untersuchungen betreffen die Oszillation von Regentropfen und den Einfluss starker elektrischer Felder. Den aktuellen Stand der Forschung findet man in Konferenzberichten [Proc].

5.5

Übersicht über die Wissenschaftsgeschichte des Regenbogens

Der Regenbogen ist nicht nur ein ästhetisch ansprechendes, sondern auch ein äußerst komplexes Naturphänomen, das sogar im 20. Jahrhundert noch zu neuen Theorien Anlass gab. Die Forschungsgeschichte lässt sich nicht linear beschreiben, vielmehr sind verschiedene Entwicklungsstränge zu erkennen. Die Einzelaspekte, die beschrieben, erforscht, entdeckt und erklärt wurden, hingen in starkem Maße von den Fortschritten in der Physik (insbesondere der Optik), der Mathematik, der Messtechnik und nicht zuletzt der Computertechnik ab. Zusätzlich spielten gerade in früheren Jahrhunderten philosophische Denktraditionen eine starke, oftmals hemmende Rolle. Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte herausgegriffen, und Tab. 5.2 gibt einen Überblick über wichtige Forscher und ihre Leistungen (siehe auch [Vol00]; dem wissenschaftsgeschichtlich Interessierten sei das äußerst lesenswerte Buch von C. L. Boyer empfohlen [Boy59]).

Tabelle 5.2

Die Erforschung des Regenbogens.

Von den ersten Theorien der Griechen bis zum Niedergang des Römischen Reiches Anaximenes (585–525v. Chr.)

beschrieb Beziehung zwischen Sonne und Bogen; Sonnenstrahlen fallen auf verdickte Luft, Farben durch Mischung des Sonnenlichts mit der Dunkelheit der Wolke

Anaxagoras (500–428v. Chr.)

Reflexion der Sonne von sphärischer Wolke, ähnlich einem Spiegel

Aristoteles (384–322 v. Chr.)

jeder Tropfen ist ein Spiegel, die Form des Bogens kommt durch Reflexion an einer sphärischen Wolke zustande, drei Farben (Grün, Rot, Violett) durch Mischung von Schwarz mit Weiß, nur zwei Bögen gleichzeitig möglich, Mondregenbogen möglich, aber selten, je tiefer der Bogen, desto kleiner der Kreis

5.5 Übersicht über die Wissenschaftsgeschichte des Regenbogens Tabelle 5.2

135

Die Erforschung des Regenbogens. (Fortsetzung)

Seneca (3 v.–65 n. Chr.)

erklärte den Regenbogen wie Aristoteles, schrieb allerdings von unzähligen Farben

A. v. Aphrodisias (ca. 200 n. Chr.)

wies auf das Problem des dunklen Bands zwischen dem primären und sekundären Bogen hin (Alexanders dunkles Band)

Zeit der Araber Avicenna (980–1037)

Licht fällt vom Objekt ins Auge, Regenbogen durch Reflexion in kleinen Tröpfchen, je tiefer der Bogen, desto kleiner der Kreis

Alhazen (965–1038)

sein Werk der Optik wurde Standard für die arabische und lateinische Welt; Arbeiten zur Lichtbrechung, allerdings kein Bezug auf Regenbogen

Averroes (1126–1198)

erhob die Lehre des Aristoteles zum Dogma

Von der „Wiedergeburt des Aristoteles“ im Abendland (13. Jh.) bis Descartes R. Grosseteste (1168–1253)

neben neuen (falschen) Erklärungen wies er zu Recht auf die Bedeutung der Lichtbrechung hin

Alb. Magnus (ca. 1200–1280)

Werk mit 29 Kapiteln über den Regenbogen, die nichts Eigenes und Neues enthielten; mit Grosseteste sorgte er für Verbreitung des Problems

R. Bacon (1214–1292)

erste quantitative Messung des Regenbogenwinkels (42°), der Bogen entsteht durch unendlich viele Brechungen und Reflexionen in unzähligen Wassertropfen

Witelo (1230–1275)

Buch über Optik, Überlegungen zum Regenbogen ähnlich wie Grosseteste und Araber

T. D. v. Freiberg (gest. 1311)

erste Experimente mit Wasserkugel, erste qualitativ richtige Erklärung der Lichtwege für die Entstehung des Regenbogens; gleiche qualitative Erklärung etwa zeitgleich durch Al Farisi (gest. ca. 1311) und Al Shirazi (1236–1311). Alle diese Arbeiten waren jedoch nicht weit verbreitet.

J. Kepler (1571–1630)

Erklärung ähnlich wie bei Freiberg, aber aus „Harmoniegründen“ Bogen bei 45° (90°/2)

De Dominis (1562–1624)

Erklärung ähnlich wie Freiberg und Kepler, aber ungenauer

W. Snellius (1581–1625)

Brechungsgesetz (1621) schuf Voraussetzung einer quantitativen Theorie

R. Descartes (1596–1650)

erste quantitative Erklärung der Leuchterscheinung (1637) beim Regenbogenwinkel

136

5 Regenbögen

Tabelle 5.2

Die Erforschung des Regenbogens. (Fortsetzung)

Von Isaac Newton bis Gustav Mie I. Newton (1642–1727)

1666 Prismenexperimente und erste richtige Erklärung der Farbgebung des Regenbogens (1704 veröffentlicht)

C. Huygens (1629–1695)

Wellentheorie des Lichts (1679, 1690 publiziert)

I. Newton, E. Halley, Neumann, Bernoulli

um 1700 parallele Arbeiten zur Theorie höherer Regenbögen; ab ca. 1722 Problem der überzähligen Bögen bekannt

T. Young (1773–1829)

entdeckte die Interferenz von Wellen (1802), erste Erklärung überzähliger Regenbögen (1804); Youngs Arbeiten blieben selbst in England nahezu unbekannt

D. Brewster (1781–1868)

Regenbogenlicht ist polarisiert (1812), (bereits früher von Jean-Baptiste Biot erkannt)

R. Potter (1799–1886)

Gegner der Wellentheorie, aus überzähligen Bögen Rückschluss auf Tropfengröße

G. B. Airy (1801–1892)

Näherung einer Wellentheorie (Airy-Theorie) des Regenbogens (1836): Intensität als Funktion des Winkels, Maximum der Intensität nicht bei Descartes’schem Strahl mit Ablenkwinkel von ca. 138°

W. H. Miller (1801–1892)

1842: erster experimenteller Test der Airy-Theorie: bis zu 30 überzählige Bögen beim primären, 25 beim sekundären Bogen! Ausgiebige Messungen an dünnen Wasserfäden

F. Billet (1808–1882)

untersuchte 1863–1868 höhere Regenbögen bis zur 19. Ordnung, Experimente auch von J. Babinet

C. Pulfrich (1858–1927) Mascart (1837–1908)

experimentelle Verifikation von höheren Regenbögen mit Glaszylindern Analysen der Experimente von Miller und Mascart: Die AiryTheorie kann nicht alle Feinheiten erklären, sie ist nur eine erste recht gute Näherung!

J. Pernter (1848–1908)

erste Berechnung der Farbmetrik (1897)

K. Aiichi/A. Tanakadate Überlegungen zu den Konsequenzen der endlichen Größe der Sonne auf den Regenbogen (1904) G. Mie (1868–1957)

Lösung der elektrodynamischen Maxwell-Gleichungen für sphärische Geometrie (1908, etwa zeitgleich mit Lorentz und Debye), heute bekannt als Mie’sche Theorie

5.5 Übersicht über die Wissenschaftsgeschichte des Regenbogens

137

Die Anfänge einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Regenbogen lassen sich bis ins 6. Jh. v. Chr. verfolgen. Die ersten, die sich nach heutigem Verständnis wissenschaftlich mit diesem Naturphänomen beschäftigten, waren die Vorsokratiker in Griechenland. Die frühesten Überlegungen galten der Suche nach allgemeinen Prinzipien, mit denen sich der Regenbogen beschreiben und seine Entstehung erklären lässt. Auf die Position des Regenbogens in Bezug zur Sonne wies bereits Anaximenes im 6. Jahrhundert hin, doch erst Jahrhunderte später gab Roger Bacon (1214–1292) den Regenbogenwinkel mit 42° richtig an. Dennoch dauerte es auch dann noch Jahrhunderte, bevor dieser Winkel allgemein anerkannt wurde. So gab kein Geringerer als Johannes Kepler (1571–1630) aus „Harmoniegründen“ einen Winkel von 45° an – ein bemerkenswertes Beispiel, wie vorgefasste Ideen unser Denken beeinflussen können. Die Suche nach Gesetzmäßigkeiten des Regenbogenwinkels lassen sich kaum von Überlegungen zur Entstehung der Form und der Farbigkeit des Regenbogens lösen. Hierüber existierten über Jahrhunderte hinweg widersprüchliche und oft fehlerbehaftete Vorstellungen: Anaximenes (585–526 v. Chr.) ging davon aus, dass die Sonnenstrahlen auf dicke Wolken fallen und dabei zurückgebogen werden. Die Farben entstanden ihm zufolge durch Mischung des Sonnenlichts mit der Dunkelheit der Wolke. Anaxagoras (500–428 v. Chr.) führte den Bogen auf Reflexion des Sonnenlichts an einer sphärischen Wolke zurück. Ähnlich sah Aristoteles eine Vielzahl kleiner Spiegel, in moderner Sprache wohl die Wassertropfen, als Ursache des Regenbogens. Genau drei Farben, und zwar Grün, Rot und Violett, sollten durch Mischung entstehen. Aristoteles erkannte übrigens richtig, dass bei zu hohem Sonnenstand keine Regenbögen beobachtbar sind. Die aristotelische Vorstellung blieb bis in die frühe Neuzeit vorherrschend, nicht zuletzt weil die Lehren des großen Naturforschers zum Dogma erhoben wurden. Erst allmählich brach sich die Vorstellung Bahn, dass nicht nur irgendeine Reflexion, sondern auch die Lichtbrechung für die Entstehung des Regenbogens entscheidend ist. Diese Idee – die richtige mathematische Formulierung des Gesetzes erfolgte erst 400 Jahre später – wurde erstmals von Robert Grosseteste (1168–1253) formuliert. Zusammen mit dem weniger originären denn enzyklopädischen Werk von Albertus Magnus (ca. 1200–1280) wurde dieses Wissen weiterverbreitet, auch wenn die Brechung von beiden nicht weiter ausgeführt wurde. Roger Bacon führte den Bogen schließlich auf unendlich viele Brechungen und Reflexionen in unzähligen Wassertropfen zurück. Neben die vergleichende und messende Naturbeobachtung sollte auch das Experiment treten. Als bemerkenswerter Pionier ist Theoderich (Dietrich von Freiberg; gest. 1311) zu nennen, der Versuche mit einer Wasserkugel durchführte und eine erste qualitativ richtige Erklärung der Lichtwege für die Entstehung des Regenbogens vorlegte. Eine vergleichbare qualitative Erklärung soll etwa zeitgleich durch Al Farisi (gest. etwa 1311) und Al Shirazi (1236–1311) gefunden worden sein, deren Arbeiten allerdings kaum Verbreitung fanden und deshalb wirkungslos blieben.

138

5 Regenbögen

Erst über 300 Jahre später schuf Willebrord Snellius mit seinem Brechungsgesetz (1621) die Grundlage für eine quantitative Theorie der Lichtbrechung. Mithilfe dieses Gesetzes gelang 1637 René Descartes der große Durchbruch: Zum ersten Mal konnte die Entstehung einer Leuchterscheinung beim Regenbogenwinkel berechnet werden. Dadurch wurde auch eine Erklärung der geringeren Lichtintensität zwischen primärem und sekundärem Bogen möglich. Dieses Phänomen, Alexanders dunkles Band, ist benannt nach Alexander von Aphrodisias, einem Kommentator Aristoteles’ (um 200 n. Chr.), der es nicht etwa erklärte, sondern darauf hinwies, dass es nicht in Einklang mit der aristotelischen Erklärung stand. Descartes’ Überlegungen blieben zunächst unbeachtet, weil sie im Anhang seines philosophischen Werks versteckt waren und in Nachdrucken die Anhänge häufig weggelassen wurden. Isaac Newton gelang es schließlich 1666 mit Prismenexperimenten, die Zerlegung des weißen Himmelslichts in die Spektralfarben darzustellen und die Farbigkeit des Regenbogens in zutreffender Weise zu erklären. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts legten dann gleich mehrere Wissenschaftler (Isaac Newton, Edward Halley, Johann Bernoulli und Jacob Neumann) eine Theorie der höheren Regenbögen vor. Vermochte die geometrische Optik die Richtungen der Strahlen, also die Geometrie des Regenbogens, zu erklären, so versagte sie bereits bei Fragen nach der relativen Intensität, der Polarisation und Feinstruktur der Bögen sowie der Erklärung von Nebelbögen. Die weitere Forschung hing deshalb von theoretischen und experimentellen Fortschritten in der Physik ab. Richtungsweisend waren die Arbeiten von Christian Huygens zur Wellentheorie des Lichts (1679, 1690 publiziert) und die Entdeckung der Interferenz durch Thomas Young. Mit dem Nachweis der Polarisation des Regenbogenlichts durch David Brewster (1812) öffneten sich der Forschung weitere neue Aspekte. Interferenz, d. h. hier die Überlagerung von Lichtwellen, die zur Verstärkung, aber auch zur Auslöschung von Lichtintensität führen kann, bildet den Schlüssel zum Verständnis überzähliger Regenbögen, für die Young bereits 1802 (1804 publiziert) eine – damals kaum beachtete – Erklärung vorlegte. Youngs Ansatz erlaubte zwar schon eine qualitative Beschreibung, der Durchbruch und die Abkehr von der geometrisch optischen Vorstellung Descartes’ gelangen allerdings erst einige Jahrzehnte später durch Richard Potter, William Miller und insbesondere 1838 durch George B. Airy. Airys mathematisch fundierte Wellentheorie des Regenbogens erlaubte die Berechnung der Lichtintensität als Funktion des Ablenkwinkels durch einen Wassertropfen. Die wesentlichen neuen Ergebnisse waren eine leichte Verschiebung der Regenbogenwinkel gegenüber den Positionen aus der geometrischen Optik, das Eintreten eines kleinen Anteils des Lichts in Alexanders dunklem Band (nach der Descartes’schen Erklärung des Regenbogens war dies unmöglich) sowie die Abhängigkeit des Regenbogenwinkels von der Tropfengröße. Die hohe Genauigkeit der Vorhersagen erlaubte quantitative Vergleiche mit Experimenten. William Miller war einer der Experimentatoren, der die Lichtstreuung an langen Zylindern aus Glas bzw. Wasser untersuchte und dabei viele höhere

5.5 Übersicht über die Wissenschaftsgeschichte des Regenbogens

139

Regenbögen und – wegen Verwendung nur einer Zylindergröße – auch viele überzählige Bögen beobachtete. Etliche weitere herausragende Forscher beschäftigten sich mit dem Regenbogen und bearbeiteten Feinheiten wie die Farbmetrik oder den Einfluss der endlichen Sonnengröße. Im Hinblick auf die Theorie gab es nochmals einen Sprung, als es 1908 Gustav Mie gelang, die elektrodynamischen Gleichungen von Maxwell auf Systeme mit Kugelgeometrie zu übertragen. Alle bislang vorgelegten Theorien des Regenbogens, auch die Airy-Theorie, waren Näherungslösungen. Erst die Mie-Theorie basierte auf fundamentalen Gleichungen und erlaubte prinzipiell die Berechnung der Lichtstreuung an kugelförmigen Wassertropfen. Sie ist umfassend und beinhaltet damit sämtliche Näherungsverfahren. Die Anwendung auf Wassertropfen in einem realistischen Größenbereich führte jedoch bald zu großen praktischen mathematischen Problemen. Erst die Entwicklung der Computertechnik brachte weitere Fortschritte. Langwierige Rechenschritte wurden automatisch durchgeführt, und plötzlich zeigte sich der Regenbogen – abhängig von der verfügbaren Rechenzeit und Sorgfalt bei Erstellung des Programms – in seiner ganzen Vielfalt und Schönheit. Die Mie-Theorie – noch stärker als die Airy-Theorie nur Fachleuten zugänglich – gilt für kugelförmige Tropfen. Neuere Erkenntnisse zeigen, dass große Regentropfen als abgeplattete Rotationsellipsoide fallen und dass es schwingende Tropfen geben kann, was weitere Feinheiten im Regenbogen zur Folge hat. Die Erforschung des Regenbogens zeigt exemplarisch, wie an einem Phänomen wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden: Entwicklung einer Theorie, Überprüfung durch Beobachtung der Natur und durch Experimente sowie – im Falle einer Widerlegung (Falsifikation) – Entwicklung einer besseren Theorie. Insgesamt lassen sich vier Entwicklungsstufen erkennen: • Die alten Griechen stellten eine falsche Theorie auf, die im Wesentlichen Aristoteles zugeschrieben wird, von dem am meisten überliefert ist. Diese Vorstellungen hatten in ihren Grundzügen etwa 2000 Jahre Bestand. Die Zeit des „dunklen Mittelalters“ wurde durch die Araber überbrückt, deren Übersetzungen später wieder ins christliche Abendland zurückkamen. • Mit dem Beginn der Neuzeit legte Descartes seine Theorie der geometrischen Optik vor, die später durch Newton um den Aspekt der Dispersion „farblich bereichert“ wurde. Diese Erklärung des Regenbogens hatte etwa 200 Jahre Bestand. • Die Mängel von Descartes‘ und Newtons Theorie wurden durch die Wellentheorie von Airy beseitigt. Mangels mathematischer Fähigkeiten blieb diese umfassendere und die Natur genauer beschreibende Theorie vielen Gebildeten unzugänglich, ja sie ist es bis auf eine Untergruppe der Physiker wohl auch heute noch. Man mag sich fragen, warum die vorgenannten Theorien so lange Bestand hatten. Ein Grund liegt darin, dass lange Zeit subjektive Naturbeobachtungen durchgeführt wurden, aber keine Messungen. Erst im 19. Jahrhundert gab es erste Experimente an Wasserstrahlen sowie Glaszylindern und -kugeln. Auch die Mängel der Airy-Theorie wurden letztlich anhand von Experimenten erkannt.

140

5 Regenbögen

• Die bislang letzte Theorie bezieht grundlegende physikalische Prinzipien ein: die zurzeit als gesichert angesehenen Maxwell-Gleichungen der Elektrodynamik. Die darauf aufbauende Mie’sche Theorie stellt die gegenwärtige Krönung der Optik von kugelförmigen Wassertropfen dar. Auch sie ist nur Fachleuten verständlich. Heute scheint es aufgrund der Übereinstimmung experimenteller Untersuchungen mit der Mie’schen Theorie in Bezug auf den in der Natur beobachtbaren Regenbogen keinen Bedarf an einer besseren Theorie zu geben. Im Bereich makroskopischer Wassertropfen werden Quanteneffekte nicht vermutet, und auch die Fallgeschwindigkeiten in Regenschauern sind weit von der Lichtgeschwindigkeit entfernt. Insofern erscheinen Erweiterungen im Hinblick auf die „moderne Physik“ unnötig. Ist damit die lange „Wissenschaftsgeschichte des Regenbogens“ zu Ende? Wer weiß, was die Zukunft noch an Überraschungen zu bieten hat. Und eines ist gewiss: Der Regenbogen und andere optische Phänomene der Atmosphäre werden immer Anhänger finden, auch solche, die sich wissenschaftlich damit auseinander setzen.

5.6

Einfache Experimente

Mit einfachen Mitteln ist es auch möglich, Regenbögen experimentell zu Hause, in der Schule oder im Labor zu untersuchen. Dabei lassen sich viele der theoretischen Erklärungen einfach nachvollziehen. Die Experimente sind möglich sowohl mit weißem, d. h. natürlichem, als auch mit einfarbigem Licht, beispielsweise von Laserpointern. Als Tropfen finden neben einzelnen Wassertropfen auch mit Wasser gefüllte Glaskugeln oder Vollglaskugeln Verwendung. Des Weiteren lassen sich andere transparente Flüssigkeiten untersuchen.

5.6.1

Experimente mit weißem Licht

Wassertropfen aus dem Gartenschlauch Die naturähnlichsten Experimente sind möglich im Freien, indem man mit einem Gartenschlauch Wassertropfen fein versprüht. Bei richtiger Stellung zur Sonne sollte es kein Problem sein, Teile von Regenbögen und ggf. sogar ganze Ringe zu sehen. So sagte schon Newton in seiner Optik [New04]: „Der Regenbogen ist nur sichtbar, wenn es bei Sonnenschein regnet, und kann künstlich hergestellt werden, wenn man Wasser empor springen lässt, welches dann in Tropfen zersprengt, wie Regen herabfällt.“

5.6 Einfache Experimente

141

„Regenbogen“ von einer großen Glaskugel Will man den Regenbogen im Labor erzeugen, benötigt man als Minimalausstattung eine Lichtquelle, die die Sonne ersetzt. Hierfür eignen sich Bogen- oder Halogenlampen, die mit Linsen in etwa paralleles Licht erzeugen. Alternativ können qualitativ aber auch bereits Lichtquellen nichtparallelen Lichts wie z. B. ein langbrennweitiger Diaprojektor oder sogar ein Overheadprojektor verwendet werden. Obwohl ein Regenbogen sehr viele Tropfen voraussetzt, sollen hier die Leuchterscheinungen jeweils eines Tropfens als „Regenbogen“ bezeichnet werden. Eigentlich ergibt erst die Überlagerung sehr vieler solcher Tropfen den natürlichen Bogen (vgl. Abb. 5.8). Als großer Wassertropfen wird zunächst eine homogene Glaskugel ohne Schlieren verwendet. Wird sie, wie schematisch in Abb. 5.29 gezeigt, durch einen Schirm, z. B. einen Karton mit Beleuchtungsöffnung, bestrahlt, kann man auf dem Karton das Licht des Regenbogens auffangen. Der Regenbogenwinkel hängt dabei vom Brechungsindex des Glases ab. Die zu erwartenden Regenbogenwinkel sind in Abb. 5.30 aufgetragen. Zusätzlich verschieben sich gemäß den Fresnel’schen Gleichungen

Minimalablenkwinkel in Grad

5.29 Grundlegender Aufbau für Beobachtung der „Regenbögen“ von einzelnen „Wassertropfen“.

sekundärer Bogen δ (n = 1,33) = 231°

primärer Bogen δ (n = 1,33) = 138°

Brechungsindex

5.30 Winkel des primären und sekundären Regenbogens in der geometrischen Optik als Funktion des Brechungsindex.

142

5 Regenbögen

die Intensitätsverhältnisse von reflektiertem zu transmittiertem Strahl (Glas reflektiert mehr!). Zur Beobachtung empfiehlt sich ein abgedunkelter Raum.

Minimalablenkung an der Glaskugel im Experiment Mit dem Aufbau in Abb. 5.29 kann man nun auch die theoretische Ablenkkurve in Abb. 5.6b veranschaulichen. Dazu muss man den Stoßparameter des einfallenden Lichts durch seitliche Verschiebung des Lichtstrahls verändern. Am einfachsten stellt man eine zusätzliche kleine Lochblende, die geradlinig durch die Kugelmitte verschiebbar ist (Abb. 5.31), vor die Kugel und untersucht das durchgehende Licht. Alternativ verwendet man einen einzigen Schirm mit einer Blende, die klein gegen den Kugeldurchmesser ist.

a)

b)

5.31 Aufbau für experimentelle Untersuchung der Minimalablenkung des Lichts durch einen großen „Wassertropfen“. a) Während ein lichtundurchlässiger Schirm (z. B. Karton) mit einer gegen den Tropfen kleinen Blende axial verschoben wird, werden die wandernden Lichtreflexe beobachtet. b) Ansicht des Aufbaus von oben.

5.6 Einfache Experimente

143

Von der Achse nach außen verschiebend, sieht man zwei Lichtflecken in unterschiedliche Richtungen wandern: direkt reflektiertes Licht und das beim Eintritt gebrochene, im Inneren des Tropfens reflektierte und dann wieder beim Austritt gebrochene Licht. Beide Flecken sind recht breit und weiß. Nähert man sich größeren Stoßparametern (Außenbereiche der Kugel), so wandert man langsam in Richtung Minimum in Abb. 5.6b, und sobald man in den Bereich der Regenbogenbedingung kommt, zeigt sich für den Regenbogenstrahl plötzlich ein scharfes, aufgrund der Dispersion farblich aufgespaltenes Maximum. Der Fleck durch Reflexion bleibt unverändert weiß. Wandert die Blende noch weiter nach außen, verschwindet das Spektrum wieder, der Lichtfleck wird weiß und wandert wieder zurück. Somit hat der Ablenkwinkel ein Minimum durchlaufen, und nur dort ergibt sich der farblich aufgespaltene Regenbogen. Dieser Versuch fährt sozusagen die Minimalkurven in Abb. 5.6b ab, d. h., im Prinzip ist dadurch die Messung der Minimalstoßparameter und damit auch der entsprechenden Einfallswinkel möglich.

„Regenbogen“ von einem einzelnen Wassertropfen Für Experimente mit einem einzelnen Wassertropfen benötigt man eine kleine Spritze [Wal76, Wal77, Vol97c, Vol98b], die vertikal gehaltert wird. Damit lassen sich Tropfen von z. B. 0,5–2 mm Durchmesser problemlos herstellen. Wird ein solcher Tropfen in einem vollständig abgedunkelten Raum durch eine kleine Lochblende beleuchtet (in einem Aufbau ähnlich zu Abb. 5.29), so kann man wieder farbige Leuchterscheinungen beobachten. Da der hängende Tropfen i. Allg. nicht mehr kugelförmig ist, entstehen komplizierte Muster, Kaustiken genannt. Nur in der horizontalen Ebene, in der der Tropfen eine kreisförmige Querschnittsfläche hat, liegen die Farbmuster bei den Regenbogenwinkeln. So lassen sich sehr schön der primäre und sekundäre Bogen sowie Alexanders dunkles Band beobachten (Farbabbildungen in [Vol98b]). Für die Beobachtung höherer Bögen stört der starke Streulichtuntergrund, insbesondere in Vorwärtsrichtung (vgl. Abb. 5.13). Aus diesem Grund schiebt man langsam eine Blende von innen nach außen [Wal76], sodass nur noch die weit außen – bei großen Stoßparametern einfallenden – Lichtanteile den Tropfen beleuchten. Dadurch wird der Untergrund drastisch verringert und die Beobachtung der lichtschwachen höheren Bögen möglich. Zwar sind die Intensitäten zu schwach, um das Licht auf einem Schirm aufzufangen, aber das Auge als äußerst empfindlicher Lichtdetektor sieht beim Blick unter den entsprechenden Regenbogenwinkeln auf den Tropfen die farbigen Reflexe.

Polarisation des Regenbogens Mithilfe einer Polarisationsfolie lässt sich die Polarisation des Regenbogens untersuchen. Dazu wird eine Polarisationsfolie entweder zwischen Glaskugel und Schirm

144

5 Regenbögen

oder zwischen Wassertropfen und Schirm gehalten und gedreht, wobei sich ein eindeutiger Intensitätsunterschied zeigt. Untersucht man den Effekt am gesamten Bogen, so stellt man fest, dass die Polarisation abhängig von der Position im Bogen ist. Der Grund ist klar: Die Polarisation ist immer auf die Einfallsebene bezogen, die sich entsprechend der Kugelgestalt dreht. Also sollte das Licht am oberen Rand um 90° gegen dasjenige von den Seiten polarisiert sein.

5.6.2

Experimente mit einfarbigem Licht

In Ergänzung zu Versuchen mit weißem Licht kann man Wassertropfen auch mit einfarbigem Licht, insbesondere Laserlicht, z. B. von Laserpointern, beleuchten. Neben Wiederholung der Weißlichtversuche eignen sich solche Experimente auch zu quantitativen Messungen, beispielsweise der Intensitätsverteilung der AiryRinge. Der große Vorteil des Lasers als Lichtquelle liegt darin, dass er paralleles, sog. kohärentes Licht aussendet, wodurch die Beobachtung von Interferenzen einfach möglich wird.

Demonstration der Airy-Ringe bei einfarbiger Beleuchtung Der an einer Spritze hängende kleine (0,5–2 mm) Wassertropfen wird durch einen roten Laser beleuchtet (entweder HeNe- oder Halbleiterdioden-Laserpointer). In einem abgedunkelten Raum lässt man den Laser auf den Tropfen fallen (Abb. 5.32). Da Laser i. Allg. gut räumlich gebündelt sind – typische Strahldurchmesser liegen um 1 mm –, ist es möglich, schon ohne zusätzliche Blende das Licht nur einseitig auf einen Tropfen einfallen zu lassen. Alternativ kann der Laser durch Linsen aufgeweitet den ganzen Tropfen ausleuchten.

5.32 Aufbau für Beobachtung der Airy-Ringe eines an einer Spritze hängenden Wassertropfens von 0,5–2 mm Durchmesser bei Beleuchtung mit Laserlicht. Der Beobachtungsschirm kann durch eine (weiße) Wand ersetzt werden.

5.6 Einfache Experimente

N=2

N=1 N=6

N=5

145

5.33 Schwarzweißabbildung eines Fotos des Airy-Musters eines Wassertropfens bei Beleuchtung mit einem roten HeNe-Laser. Im abgedunkelten Labor konnten gleichzeitig Interferenzringsysteme (einfarbige überzählige Bögen) des ersten, zweiten, fünften und sechsten Regenbogens auf eine Wand projiziert werden.

Bei einseitiger Beleuchtung liegt die Situation der in Abb. 5.11 eingetragenen Strahlengänge vor, und man erhält auf dem Schirm sofort und sehr deutlich jeweils einseitig bogenförmige Ausschnitte der Airy-Interferenzringsysteme, die seitlich von den Grenzwinkeln (42° und 51°) sichtbar sind. In Abb. 5.33 kann man auf der Wand als Projektionsfläche die Ringmuster des ersten (Hauptregenbogen, rechts innen), zweiten (Nebenregenbogen, links außen), fünften (rechts außen) und sechsten (links innen) Bogens erkennen. Durch das Haften des Tropfens an der Spritze sowie durch die Gravitation bei größeren Tropfen treten wieder Abweichungen von der Kugelform auf, die im Ringmuster sichtbar werden. Mithilfe eines weißen Kartons kann man in der horizontalen Ebene viele weitere höhere Regenbögen einfach sichtbar machen, insbesondere den dritten und vierten in Vorwärtsrichtung [Wal76, Wal80, Vol97c].

Ausmessung der Winkelverteilungen der Ringsysteme Zum Test der Theorie lassen sich die Airy-Ringe auch quantitativ ausmessen. Dabei werden entweder die Muster einzelner Tropfen (Abb. 5.34) vermessen oder alternativ „Regenbögen“ in der horizontalen Ebene von vertikal auslaufenden Wasserstrahlen untersucht (Abb. 5.35) [Vol98b, Dit02]. Die Wasserstrahlgeometrie hat die Vorteile, dass sie sich erstens bei Luftbewegungen nicht so schnell ändert und zweitens der Tropfen nicht verdampft. Ist eine zweite andersfarbige Lichtquelle vorhanden, z. B. ein grüner Laser, kann man auch die Unterschiede der Airy-Muster ausmessen und mit der Theorie vergleichen. Abb. 8 in [Vol98b] zeigt als Beispiel einen Ausschnitt des Airy-Musters des primären Regenbogens eines etwa 1 mm großen, an einer Spritze hängenden Wassertropfens, der gleichzeitig von parallel einfallendem roten und grünen Licht von HeNe-Lasern beleuchtet wird. Bei dieser zweifarbigen Beleuchtung ergibt sich sehr schön die additive Mischfarbe Gelb, so ähnlich wie sich aus Rot und Blau das in der Natur beobachtete Pink der überzähligen Bögen ergeben kann.

146

5 Regenbögen

λ

5.34 Gemessenes Airy-Ringmuster des primären Regenbogens für einen Wassertropfen von etwa 1 mm Radius und Beleuchtung mit rotem Laserlicht.

5.35 Gemessene Airy-Ringmuster des primären und sekundären Regenbogens für einen auslaufenden Wasserstrahl von etwa 0,47 mm Durchmesser und Beleuchtung mit rotem Laserlicht.

Lichtwege im „Tropfen“ und höhere Regenbögen Laser bieten sich auch an, die Lichtwege (ähnlich Abb. 5.11) im Inneren eines Tropfens sichtbar zu machen. Dabei nutzt man aus, dass der Tropfen innen nicht vollständig homogen ist, sondern etwas Licht streut und dadurch den Lichtweg markiert. Bei kleinen Tropfen im Millimeterbereich gelingt dies ohne weitere Fokussierung auch mit Lasern nicht, für große Tropfen im Bereich einiger Zentimeter sind die Laser mit Durchmessern von Millimetern aber gut geeignet. Im Versuch wurden die Lichtwege in der horizontalen Ebene sichtbar gemacht. Abb. 5.36 zeigt ein Foto des umlaufenden Laserstrahls mit einer Leistung von etwa 5 mW in einem dünnwandigen Glas (Sektkelch) mit Leitungswasser. Durch Verfolgen der Lichtstrahlen kann man die entsprechenden austretenden Lichtstrahlen zuordnen und bei Variation des Stoßparameters die höheren Regenbögen nachvollziehen. Die entsprechenden Regenbögen liegen allerdings wegen Winkelverschie-

5.6 Einfache Experimente

147

5.36 Foto der Lichtwege eines 5-mW-HeNe-Lasers in einem dünnwandigen Wasserglas bei Stoßparametern, die zu höheren Regenbögen führen. Die Punkte der ersten acht inneren Reflexionen sind markiert.

bungen durch die Glaswandung nicht exakt bei den für freie Wassertropfen berechneten.

Regenbögen anderer Flüssigkeiten Natürlich gelten die theoretischen Betrachtungen zum Regenbogen für beliebige Flüssigkeiten. Je nach Brechungsindex wird sich die Lage der Bögen (vgl. Abb. 5.30) und je nach Dispersion die Farbaufspaltung verändern. In der Natur auf der Erde sind nur Bögen von Süß- oder Salzwasser beobachtbar. Im Labor kann man jedoch leicht beliebige Flüssigkeitstropfen sowohl in Luft als auch in anderen Flüssigkeiten untersuchen. Die Abhängigkeit der Airy-Ringe von der geometrischen Form gestatten es dabei, geringste Abweichungen von der Kugelgestalt zu detektieren [Loh99].

148

5.7

5 Regenbögen

Referenzen

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5.7 Referenzen

149

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6

Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

6.1

Einleitung: Mythen und Aberglauben

Und wie wol von den Astronomis natürliche ursachen angezeigt und vermeldet werden / woher / wie / und warumb solche un dergleichen gesicht in der Luft und Wolcken erscheinen: So bezeuget doch die gewisse erfarung / das solche zeiche auch heimliche und in der Natur verborgene bedeutungen haben / und allezeit etwas schröcklichs darauf erfolget ist ... Ist derwegen kein zweifel / das dis gegenwertige Wunderzeichen / ob man wol desselbe auch natürliche ursachen haben kan / nicht vergeblich oder umb sonst von Gott dem Almechtigen in die Lufft gesetzt worden ... Darumb ein jeder Mensch / wes stands oder wesens der selbig ist / in ansehung und betrachtung dises und anderer mehr schröcklichen zeiche ... sich von Sünden zubekehre / den Almechtigen Gott umb gnad und vergebung der Sünden zubitten / und in ein recht Christliches und bußfertiges Leben zutreten. Dieser Text eines Einblattdrucks (Abb. 6.1) ist eine beispielhafte Quelle populären Volksglaubens aus dem Spätmittelalter [Web72]. Solche Einblattdrucke (heutigen Flugblättern gleich) fesselten mit sensationellen polemischen Darstellungen (oftmals auch unverstandener) atmosphärischer Phänomene die Bevölkerung eines allmählich lesenden, aber noch mehr bildergläubigen Publikums (vgl. auch [Vol97]). Auch in unserer von den Naturwissenschaften geprägten Gegenwart werden seltene Himmelserscheinungen häufig nur gefühlsmäßig interpretiert: „Es sieht so aus, als müsse es etwas bedeuten. Ich weiß nicht was, ein starker Sturm oder das Ende der Welt ...“ (Erscheinung vom 25.2.1988 in New Mexico, Zitat aus [Tap94]). Die zwei Zitate zeigen einen kleinen Ausschnitt möglicher Reaktionen auf das Himmelsspektakel, das Eiskristalle bei Sonnen- oder Mondschein in Form von Halos für Beobachter bereithalten. Halos sind helle, häufig farbige Flecken, Ringe und/oder Bögen, die man in Cirruswolken oder Eisnebel beobachten kann. Obwohl mit der Bezeichnung Halos vielfach Ringe assoziiert werden (Farbtafel 6.1), sind nur wenige Halos kreisförmig, die meisten haben komplizierte bogenförmige Geometrien. Sie entstehen durch Brechung und Reflexion des Lichts an Eiskristallen. Inso-

M. Vollmer, Lichtspiele in der Luft, DOI 10.1007/978-3-8274-3093-9_6, © Elsevier GmbH, München 2006

152

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

6.1 Einblattdruck einer Haloerscheinung vom 12.1.1580, beobachtet in der Nähe von Nürnberg (aus [Web72]).

fern sind sie auch dem Regenbogen verwandt, der ebenfalls durch Brechung und Reflexion von Licht, in diesem Fall allerdings an Wassertropfen, entsteht. Einige der Erscheinungen haben im Volksmund Sondernamen wie Lichtsäulen oder Sonnenhunde (Farbtafel 6.2) erhalten. Sonnenhunde, auch Nebensonnen (parhelia) genannt (Abschnitt 6.3.3), sind Musikliebhabern vielleicht durch die Vertonung der Gedichte von Wilhelm Müller in Schuberts Winterreise bekannt [Schu]. Hintergrund der Gedichte: Ein enttäuschter abgewiesener Liebhaber verlässt die Stadt. Seine Trauergefühle werden in den Gedichten beschrieben, entsprechend ist auch die Grundstimmung bei der Beschreibung der Nebensonnen: Drei Sonnen sah ich am Himmel stehen, hab’ lang und fest sie angesehn; und sie auch standen da so stier, als wollten sie nicht weg von mir. Ach meine Sonnen seid ihr nicht! Schaut andern doch ins Angesicht! Ja neulich hatt’ich auch wohl drei: nun sind hinab die besten zwei. Ging’nur die dritt’ erst hinterdrein! Im Dunkeln wird mir wohler sein.

6.2 Eiskristalle in der Atmosphäre

153

Ohne weiter auf historische Prioritäten einzugehen, sei erwähnt, dass Haloerscheinungen um Sonne und Mond schon von Descartes durch Reflexion und Brechung des Lichts an Eisnadeln in hohen Schichten der Atmosphäre erklärt wurden [Sch81]. Im Folgenden sollen zunächst die für diese Erscheinung verantwortlichen Eiskristalle in der Atmosphäre im Hinblick auf ihre optischen Eigenschaften beschrieben und daraus folgende Naturerscheinungen an einfachen Beispielen erklärt werden. Nach einem qualitativen Überblick über kompliziertere, mit Eiskristallen der Atmosphäre verbundenen Haloerscheinungen sowie deren Computersimulationen (ausführlichere Darstellungen siehe [Tap94, Gre80, Lil84, Min92, Vol95, Vol97, Lyn95, Gre98, Tap99, Vol02]) werden einige einfache Demonstrationsexperimente, mit denen die Erscheinungen statt am Himmel auch im Labor oder Wohnzimmer demonstriert werden können [Vol97, Vol98, Vol03], erläutert.

6.2

Eiskristalle in der Atmosphäre

6.2.1

Geometrien

Je nach Wetterbedingungen, insbesondere Luftfeuchtigkeit und Temperatur, gibt es in der Atmosphäre eine Vielzahl von Eiskristallformen, die von einfachen hexagonalen Platten und Säulen über Hohlsäulen, angeschnittene Hexagone und pyramidale Strukturen bis hin zur schier unübersehbaren Vielfalt von Dendriten, den Schneeflocken, reicht [Per22, Kni73, Tap94] (Abschnitt 3.1.3). Da Hexagone relativ oft entstehen, lassen sich die am häufigsten beobachtbaren Haloerscheinungen auf einfache hexagonale Platten oder hexagonale Säulen zurückführen (Abb. 6.2). Die typischen Abmessungen der Kristalle liegen im Bereich von 10–200 μm. Solche Eiskristalle können selbst an heißen Sommertagen, z. B. in den in einigen Kilometer Höhe befindlichen Cirruswolken, auftreten. Die Tatsache, dass nur hexagonale Kristallformen für die am häufigsten auftretenden Halos verantwortlich sind, ist insofern auf den ersten Blick verblüffend, als Eis in einer fast unendlichen Vielfalt von Kristallformen auftreten kann [Kni73, Per22]. Die wesentlichen Parameter sind dabei Temperatur und Übersättigung des

6.2

Hexagonale Platten und Säulen im Schema.

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

Wasserdampfgehalt in der Luft in Prozent

154

Temperatur in Grad Celsius

6.3 Entstehung von Eiskristallen als Funktion von Wasserdampfübersättigung und Temperatur der Luft (nach [Kni73]).

Wasserdampfs in der Luft (Abb. 6.3). Man erkennt, dass Hexagone in relativ großen Parameterbereichen auftreten. Dies ergibt sich aus der thermodynamischen Stabilität der Hexagone, weshalb anfängliche Abweichungen von dieser Kristallform verschwinden.

6.2.2

Orientierungen

Um die Lichtablenkung durch Eiskristalle zu verstehen, muss neben der Geometrie auch die Orientierung der Kristalle in der Atmosphäre bekannt sein. Hierfür müssen Eiskristalle mit allen relevanten Kräften modelliert bzw. experimentell untersucht werden. Dies stellt ein komplexes aerodynamisches Problem dar, bei dem neben der Kristallform und -größe auch die sog. Reynolds-Zahl eingeht, die neben der charakteristischen Größe der Kristalle und ihrer Geschwindigkeit auch die Dichte und Viskosität (Zähigkeit) der Luft beinhaltet. Als Ergebnis findet man, dass Eiskristalle sich beim Fall in der Atmosphäre, ähnlich fallenden Blättern, ausrichten können. Es kann, abhängig von der Größe der Kristalle, verschiedene Orientierungen geben und sie können natürlich auch rotieren [Fra79, Gre80, Lyn95, Pru97]. Zur Charakterisierung der Orientierung definiert man die Symmetrieachse c sowie eine kurze und eine lange Achse a und a in der hexagonalen Ebene (Abb. 6.4a). Sehr kleine Kristalle mit Dimensionen unter 25 μm orientieren sich (bis auf den Fall langer dünner Nadeln) i. Allg. nicht. Im Größenbereich zwischen 25 und 250 μm orientieren sie sich teilweise oder ganz. Hexagonale Platten orientieren sich mit ihrer Symmetrieachse vertikal (Abb. 6.4a), bei Säulen liegt sie dagegen horizontal, sodass zwei verschiedene Orientierungen möglich sind, je nachdem ob a oder a (Abb. 6.4b) vertikal liegt. Sehr große Kristalle können auch noch um ihre jeweils

6.3 Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen

a) 6.4

155

b) Orientierungen hexagonaler Kristalle (nach [Lyn95]).

längste Achse rotieren. Säulenkristalle, bei denen Durchmesser und Höhe in etwa gleich sind, orientieren sich praktisch nicht. Einzelne Haloerscheinungen erfordern orientierte Kristalle, andere wieder eine statistische Verteilung der Orientierung. Insofern bestimmt die Physik der Eiswolke, welche Erscheinungen sichtbar werden. Gelegentlich treten in Cirruswolken viele verschieden große und daher auch unterschiedlich orientierte Kristalle gleichzeitig auf. Diese können dann die komplexen Halo-Displays erzeugen, die früher zu Mythologie und Aberglauben führten und heute immer noch faszinieren.

6.3

Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen

Im Gegensatz zum rotationssymmetrischen Regentropfen sind bei den hexagonalen Eiskristallen (8-Flächner) wesentlich mehr unterschiedliche Wege für die Lichtstrahlen bei der Wechselwirkung mit dem Kristall gegeben. Je nach Orientierung des Kristalls und der Einfallsrichtung des Lichts ergeben sich viele charakteristische Erscheinungen, während es beim Regenbogen in der Natur nur den Haupt- und Nebenregenbogen gibt. Selbst bei Betrachtung eines der einfachsten Prozesse, Eintritt mit Brechung und Austritt mit zweiter Brechung, können bereits viele verschiedene Lichterscheinungen auftreten. So können die Kristalle (mit oder ohne Vorzugsachse) rotieren, was drastische Konsequenzen für die beobachtbare Erscheinung mit sich bringt. Zudem ist Eis – im Gegensatz zu Wasser – doppelbrechend, sodass man für eine genauere Deutung der durch Brechung verursachten Halos auch die Polarisation des Lichts berücksichtigen muss [Kön83, Kön85].

156

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

Im Folgenden sollen die in Deutschland am häufigsten beobachtbaren Haloerscheinungen diskutiert werden. Die einfachsten Erscheinungen beruhen dabei im Wesentlichen nur auf der Lichtbrechung in den Eiskristallen.

6.3.1

Lichtablenkung durch zweimalige Brechung in Eiskristallen

Die im Zusammenhang mit den Eiskristallen am Himmel beobachtbaren Phänomene lassen sich für die Nebensonnen besonders einfach und übersichtlich darstellen. Hier fällt Licht auf eine Seitenfläche eines hexagonalen Plättchens und verlässt den Kristall nach zweimaliger Brechung an der übernächsten Seitenfläche (Abb. 6.5). (Der Austritt des Lichts an der nächsten Seitenfläche kann wegen Totalreflexion überhaupt nicht erfolgen, derartig abgelenkte Lichtstrahlen führen zu anderen Halos.)

6.5 Strahlengang in einem Hexagon bei zweimaliger Brechung, wenn Ein- und Austritt an den Seitenflächen erfolgen.

In diesem Fall verhält sich das Eisblättchen in Bezug auf die Lichtablenkung genauso wie ein 60°-Prisma (Abb. 6.6). Besonders einfach wird die Situation, wenn sich das Licht zudem in einer Ebene komplanar zur Deck- und Bodenfläche eines solchen Kristalls ausbreitet. Sind zwei Ebenen komplanar, so bedeutet das in der

Luft n=1

γ

α einf.

δ

n>1

6.6 Geometrie für die Berechnung des Ablenkwinkels durch ein γ °-Prisma.

6.3 Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen

157

Ablenkwinkel δ in Grad

Mathematik, dass die Ebenen exakt parallel zueinander sind, sich also nicht schneiden. Ein Lichtstrahl, der sich komplanar zur Deckfläche ausbreitet, wird diese also niemals schneiden können, unabhängig von der Größe des Kristalls. Ähnlich dem Regenbogen findet man in diesem Fall für die Lichtablenkung als Funktion des Einfallswinkels ein flaches Minimum (Abb. 6.7).

δ min(γ = 90°) ≈ 46°

δ min(γ = 60°) ≈ 22°

Einfallswinkel in Grad

6.7 Die Lichtablenkung durch zweimalige Brechung an den Seitenflächen eines hexagonalen Eiskristalls führt analog zur Brechung in einem 60°-Prisma zu einem flachen Minimum des Ablenkwinkels als Funktion des Einfallswinkels. (Es ist auch die Lösung für Brechung am 90°-Winkel zwischen Deckund Seitenfläche eingezeichnet.) Der 60°-Winkel führt zum 22°-Halo, der 90°-Winkel zum 46°-Halo.

Dieses Minimum zeigt an, dass für alle Einfallswinkel kein kleinerer Ablenkwinkel als δmin auftreten kann. Für einen mittleren Brechungsindex von Eis nEis = 1,31 erhält man für den brechenden Winkel von 60° ein δmin = 21,84° ≈ 22°. Licht mit Einfallswinkeln unter etwa 14° trifft bei Eis (n = 1,31) so flach auf die gegenüberliegende Seite, dass es total reflektiert wird und nicht austreten kann. Deshalb beginnt die Kurve erst bei größeren Winkeln. Wie schon beim Regenbogen bestimmt die Position des Minimums die Lage der Haloerscheinung am Himmel.

6.3.2

Nebensonnen

Die theoretisch am einfachsten erklärbare Haloerscheinung sind die sog. Nebensonnen (Farbtafel 6.2), wissenschaftlich parhelia genannt. Im angloamerikanischen Bereich wird auch häufig von mock suns oder sun dogs, den Sonnenhunden, gesprochen. Die Sonne geht quasi mit zwei Begleitern über den Himmel spazieren. Bei dieser Haloerscheinung befindet sich jeweils rechts bzw. links der Sonne in einem Mindestabstand von etwa 22° eine farblich aufgespaltene Leuchterscheinung mit einem nach außen verschmierten Anteil.

158

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

Sonne am Horizont (Sonnenhöhe 0°) Im Folgenden soll zunächst der einfachste Fall diskutiert werden, bei dem zwischen Beobachter und tief stehender Sonne eine Eiswolke mit besonderen Eigenschaften ist. Die Eiskristalle sollen in Form hexagonaler Plättchen vorliegen, deren Deckund Bodenflächen horizontal liegen (d. h., ihre Kristallachse steht vertikal) und deren Größen oberhalb von etwa 40 μm sind. Dies stellt sich in der Natur recht häufig ein, da sich oblate, pfannkuchenähnliche Gebilde (eine theoretische Näherung der hexagonalen Kristalle) in laminaren Luftströmungen, die in der Atmosphäre häufig auftreten, bevorzugt so orientieren, dass sie ihren Luftwiderstand maximieren, d. h. ihre Symmetrieachse c vertikal steht. (Vergleiche Abb. 3.22, man denke z.B. auch an fallende Blätter, die ebenfalls mit maximalem Luftwiderstand zu Boden trudeln.) Die anderen Achsen a und a sind hierbei keinerlei Beschränkungen unterworfen, d. h., für deren Orientierung kann in der Wolke eine statistische Verteilung angenommen werden. Fällt Sonnenlicht auf solche Kristalle, so bedeutet die statistische Verteilung der a- und a-Achsen, dass alle Einfallswinkel zwischen 0° und 90° mit gleicher Häufigkeit auftreten. (In der Geometrie nennt man diesen Winkel in der horizontalen Ebene auch Azimutwinkel; ähnlich ist die Definition in der Astronomie.) Insofern liegt der oben diskutierte Fall der Lichtablenkung durch ein 60°-Prisma bei Veränderung des Einfallswinkels vor. Das Sonnenlicht kann dann nur nach rechts oder links von der Sonne abgelenkt werden (Abb. 6.8a). Das flache Minimum des Ablenkwinkels als Funktion des Einfallswinkels in Abb. 6.7 führt – ähnlich dem Regenbogen – dazu, dass Licht, das unter vielen verschiedenen Einfallswinkeln in der Nähe des Minimums den Kristall trifft, ihn unter demselben Ablenkwinkel verlässt. Das bedeutet, dass in diese Richtung mehr Licht gestreut werden kann als in die anderen möglichen Winkelbereiche. Ein einziger Eiskristall streut das Licht also

a)

b)

6.8 a) Ansicht eines hexagonalen Eiskristalls von oben (Achse c senkrecht zur Zeichenebene). Fällt Licht parallel zur Boden- und Deckplatte ein, kann es nur nach rechts oder links abgelenkt werden. b) Schema zur Beobachtung der 22°-Nebensonnen. Der Beobachter schaut in Richtung Sonne durch die Eiskristalle.

6.3 Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen

159

bevorzugt in einen Bereich mit einem Ablenkwinkel von 22°. Durch die vielen Kristalle mit unterschiedlichen horizontalen Orientierungen der a-Achse in einer Eiswolke wird es immer auch genügend Kristalle geben, deren bevorzugte 22°-Lichtablenkung genau in Richtung des Beobachters erfolgt. Abb. 6.8b zeigt schematisch das Entstehen von Nebensonnen durch eine solche Minimalablenkung an orientierten (c-Achse vertikal) Eiskristallen bei statistischer Verteilung der azimutalen Ausrichtung. (Die Erklärung ähnelt derjenigen der Entstehung des Regenbogens.) Ein Beobachter blickt durch eine Wolke mit passenden hexagonalen Eiskristallen zur Lichtquelle, z. B. Sonne oder Mond. Diejenigen Kristalle, für die die Linien Sonne–Eiskristall und Eiskristall–Beobachter einen Winkel von etwa 22° bilden, können – wenn die Orientierung des Kristalls gerade passt – offensichtlich mehr Licht in Richtung des Beobachters streuen als benachbarte Eiskristalle. In diesem Fall blickt der Beobachter genau in Richtung der Minimalablenkung dieser Kristalle, in die besonders viel Licht abgelenkt wird. Geometrisch liegen diese eine Leuchterscheinung verursachenden Eiskristalle nur rechts bzw. links von der Sonne. Es entsteht eine Lichterscheinung, die sich als Aufhellung am Himmel bemerkbar macht. Falls sich nur auf einer Seite der Sonne eine Eiswolke befindet, ist auch nur eine Nebensonne zu sehen. Von Nachteil für die Beobachtung ist die Sonnennähe. Nur bei sehr klarer Luft lassen sich scharfe Konturen ausmachen, bei viel Streuung in der Atmosphäre tritt ein diffuser Streulichtuntergrund auf, über dem die Haloerscheinung wahrgenommen wird. Man kann schnell abschätzen, ob eine Leuchterscheinung am Himmel etwa 22° Winkelabstand zur Sonne aufweist. Dazu streckt man einen Arm weit von sich und spreizt die Finger der Hand. Der Winkel, der durch Daumen und kleinen Finger aufgespannt wird (Abb. 6.9), beträgt meistens um 20° (z. B. beim Autor: Abstand Auge–Finger ≈ 60 cm, Spreizung zwischen Daumen und kleinem Finger ≈ 22 cm ergab gemäß tanφ = (22/70) ein φ ≈ 20,1°). Peilt man die Sonne direkt neben dem Daumen an, so sollte eine Nebensonne sich gerade knapp seitlich des kleinen Fingers befinden.

6.9

Methode zur schnellen Abschätzung eines 20°-Winkels.

160

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

Ablenkwinkel δ in Grad

Nebensonnen sind sehr lichtstarke und farbige Erscheinungen. Sie erstrecken sich – je nach Sonnenhöhe – über mehrere Winkelgrade und haben innen einen recht scharfen Rand mit rötlicher und dann gelblicher Farbe. Weiter nach außen wird die Erscheinung diffuser und ist im Wesentlichen weiß mit gelegentlich schwachen bläulichen Farbtönen. Ähnlich zum Regenbogen, bei dem die Dispersion des Wassers zur Farbaufspaltung führt, liegt die Ursache der Farbe der Nebensonnen in der Wellenlängenabhängigkeit des Brechungsindex der Eiskristalle (also der Dispersion) in Kombination mit der Breite der Intensitätsverteilung der Nebensonne für eine einzige Farbe. Von blauem (λ = 400 nm) zu rotem (λ = 650 nm) Licht ändert sich der Brechungsindex von n400 nm = 1,317 zu n650 nm = 1,307. Dies führt analog zu Abb. 6.7 zu einer Farbaufspaltung von ca. 0,8°, wobei Rot bei einem kleineren Winkel auftritt als Blau (Abb. 6.10a). Abb. 6.10b zeigt den minimalen Ablenkwinkel als Funktion des Brechungsindex über einen größeren Bereich.

Ablenkwinkel δ min in Grad

a)

b)

n = 1,317 (λ = 400 nm)

n = 1,307

(λ = 650 nm)

Einfallswinkel in Grad

60°-Prisma

Brechungsindex

6.10 Ablenkwinkel als Funktion des Einfallswinkels für Lichtbrechung am 60°-Winkel von Eiskristallen für rotes und blaues Licht (a) sowie Minimalablenkung als Funktion des Brechungsindex (b).

6.3 Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen

161

Es gibt nun mehrere Ursachen für die – im Vergleich zum Regenbogen – im Allg. blasseren ungesättigten Farben sowie deren reduzierte Anzahl. Zum einen ist eine Nebensonne schon für eine fest definierte Wellenlänge in einen kurzen Bogen verschmiert, da gemäß Abb. 6.7 die Ablenkkurve über einen sehr großen Winkelbereich sehr flach ist. Das bedeutet, dass nicht nur der minimale Ablenkwinkel von etwa 22°, sondern auch benachbarte Winkel noch zu einer beobachtbaren Erscheinung beitragen können. Wie beim Regenbogen führt auch die endliche Ausdehnung der Sonnen- oder Mondscheibe von etwa 1/2° zu einer zusätzlichen Verbreiterung. Eine Berechnung der Intensitäten als Funktion des Einfallswinkels ist kompliziert: Dabei müssen insbesondere die polarisationsabhängigen Reflexions- und Transmissionskoeffizienten gemäß den Fresnel’schen Gleichungen berücksichtigt werden. Rechnungen mit vereinfachenden Näherungen, die in Übereinstimmung mit Computersimulationen Abschnitt 6.8) sind, zeigen, dass Nebensonnen ähnliche Intensitätsverläufe als Funktion des Streuwinkels aufweisen wie Regenbögen (Abschnitt 6.3.4). Insbesondere liegen die typischen Halbwertsbreiten des Intensitätsverlaufs für eine einzige Farbe ebenfalls bei etwa 0,5°. Abb. 6.11 zeigt schematisch die Ergebnisse für verschiedene Wellenlängen.

Intensität

Farbaufspaltung bei Nebensonnen

Ablenkwinkel δ in Grad

6.11 Die Farbaufspaltung bei den Nebensonnen ist möglich, weil die Intensitätsverläufe für jeweils eine Farbe mit etwa 0,5° schmäler sind als die Ausschmierung von 0,8° durch die Dispersion.

Überlagert man die Nebensonnen für verschiedene Farben, wird klar, dass für die innen liegenden Winkel nur die Rotanteile beitragen können. Je weiter nach außen man geht, desto mehr Farben können sich überlagern, was weiter außen zu einem weißen Seheindruck führt. Eine Verbreiterung der Bögen durch Beugung spielt bei den betrachteten Kristallgrößen von über 40 μm praktisch kaum eine Rolle [Lyn95]. Die tatsächlich wahrgenommene Bogenlänge hängt auch vom Kontrast gegen den Streulichtuntergrund ab. Kristalle mit Dimensionen von 5 μm würden zum Beispiel allein durch Beugung bei einer festen Wellenlänge zu Verbreiterungen der Nebensonnen von über 5° füh-

162

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

ren, d. h. den Bogen immer breiter ausschmieren, bis er gegen die Hintergrundhelligkeit nicht mehr sichtbar wäre. Zum anderen ist der Himmelshintergrund i. Allg. auch bläulich, weshalb sich rot viel besser abhebt – einen stärkeren Kontrast hat – als beispielsweise der blaue Anteil der Nebensonne. Zudem ist ggf. noch die Doppelbrechung der Eiskristalle zu berücksichtigen. Für eine feste Wellenlänge kann Eis, je nachdem wie die Polarisationsebene des Lichts in Bezug auf die Achse des Eiskristalls orientiert ist, zwei unterschiedliche Brechzahlen no (für ordentlich) und nao (für außerordentlich) aufweisen. Bei gelbem Licht von λ = 589,3 nm findet man z. B. no = 1,309 und nao = 1,313. Bei den Nebensonnen sind für eine feste Wellenlänge die beiden Polarisationskomponenten daher um etwa 0,3° gegeneinander verschoben. Das Auge nimmt unpolarisiertes Licht, d. h. eine Überlagerung beider Komponenten wahr, was zum Auftreten von Mischfarben führt, d. h. die Farben ungesättigter erscheinen lässt. Die zwei aufgrund der Doppelbrechung auftretenden Haloanteile kann man experimentell nachweisen, indem man Nebensonnen durch Polarisationsfilter hindurch beobachtet. Die Analyse des polarisierten Lichts von Halos gestattet viele weitere interessante Analysen, z. B. den Nachweis von hexagonalen Kristallen in anderen Planetenatmosphären [Kön83]. Diese Haloerscheinungen lassen sich übrigens auch sehr schön im Licht des Vollmonds beobachten, wobei dann allerdings der Name Nebensonne irreführend ist und durch Nebenmond ersetzt werden sollte (Farbtafel 6.2).

Sonne am Himmel (Sonnenhöhe >0°) Der oben diskutierte Strahlverlauf – ein Lichtstrahl tritt senkrecht zur Symmetrieachse auf die orientierten hexagonalen Plättchen ein – ist nur dann realisiert, wenn die Sonne tief am Horizont steht, d. h. bei Sonnenauf- oder -untergang. Für höhere Sonnenstände verläuft der Lichtstrahl im Kristall nicht mehr in einer Ebene senkrecht zur Symmetrieachse. Falls der Winkel der Sonnenhöhe kleiner als etwa 60° bleibt, ist es immer noch möglich, dass Licht aus der übernächsten Seitenfläche austritt. Allerdings ändern sich die Einfallswinkel in Bezug auf die Seitenflächen. Der Strahlverlauf im Kristall kann dabei auch innere Totalreflexionen an den Boden- und Deckenflächen beinhalten (Abb. 6.12a), diese Reflexionen spielen aber keine weitere Rolle für das Zustandekommen der Erscheinungen. Abb. 6.12b zeigt die theoretische Abhängigkeit des minimalen Ablenkwinkels der Nebensonnen von der Sonnenhöhe über dem Horizont (berechnet nach [Tri70]). Durch die Verschmierung auf einen größeren Winkelbereich werden die Nebensonnen lichtschwächer im Vergleich zu denen bei niedrigem Sonnenstand. Der Winkel der Minimalablenkung lässt sich zwar noch analytisch berechnen [Tri70], bei den Intensitäten wird die Rechnung aber schnell sehr kompliziert. Üblicherweise greift man daher zur Visualisierung auf das Werkzeug der Computersi-

6.3 Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen

163

Ablenkwinkel δ min in Grad

a)

b)

Sonnenhöhe in Grad

6.12 Strahlverlauf für die Entstehung von Nebensonnen bei endlicher Sonnenhöhe (a) und Abhängigkeit des minimalen Ablenkwinkels als Funktion der Sonnenhöhe (b).

mulation zurück. Dabei wird die Ablenkung einer großen Zahl von Lichtstrahlen mit einer statistischen Verteilung der Einfallswinkel aufgrund der geometrischen Optik berechnet. Im Vorgriff auf die Erläuterung der Methode der Simulationen zeigt Abb. 6.13 Nebensonnen als Funktion der Sonnenhöhe. Man erkennt die aus Abb. 6.12b erwartete Vergrößerung des Ablenkwinkels δ mit wachsender Sonnenhöhe sowie die Ausbildung eines kurzen Bogens nach außen (Abschnitt 6.8 sowie [Tap94, Gre80, Vol97, Trä87, Trä97]).

6.3.3

Ringhalos

Nachdem man Nebensonnen durch die Minimalablenkung an vertikal orientierten hexagonalen Kristallen erklärt, stellt sich die Frage, welche optische Erscheinung sich bei Kristallen zeigt, die in statistischer Verteilung in einer Eiswolke vorliegen.

164

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

a)

6.13 a) Computersimulation von Nebensonnen als Funktion der Sonnenhöhe und horizontaler Ausrichtung der Platten mit ±3° (nach [Gre80]). Der Kreis entspricht einem Winkelabstand von 22° zur Sonne, die Dichte der Punkte ist ein Maß für die Intensität des gestreuten Lichts. b) Simulation bei Sonnenhöhe 0° mit sehr vielen Lichtstrahlen vor dunklem Hintergrund (Simulation E. Tränkle).

b)

22°-Ringe Bei Beleuchtung einer solchen Wolke mit Licht von Sonne oder Mond wird es unabhängig von der Sonnenhöhe immer Kristalle geben, für die die obige Bedingung bei niedrigem Sonnenstand realisiert ist, d. h. das Licht in einer komplanaren Ebene zu Deck- und Bodenfläche im Kristall verläuft. Ganz analog zur Erklärung der Nebensonnen werden einfallende Lichtstrahlen viele derartig orientierte Kristalle unter demselben minimalen Ablenkwinkel verlassen. Jeder einzelne solcher Eiskristalle streut das Licht deshalb bevorzugt in einen Bereich um 22° Ablenkwinkel, und zwar in einer Ebene senkrecht zu seiner Symmetrieachse c.

6.3 Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen

165

Natürlich wird es auch immer Kristalle geben, deren Orientierungen einer Sonnenhöhe >0 entsprechen. Diese führen dann aber, wie oben diskutiert, zu größeren Ablenkwinkeln und verbreiterten Bögen geringerer Intensität. Sie erzeugen praktisch eine Art Untergrundhelligkeit bei größeren Winkeln. Abb. 6.14a zeigt schematisch, welche Haloerscheinung durch eine solche Minimalablenkung an statistisch orientierten Eiskristallen auftritt. (Die Erklärung ähnelt derjenigen der Nebensonnen.) Ein Beobachter blickt durch eine Wolke mit statistisch orientierten hexagonalen Eiskristallen zur Lichtquelle, z. B. Sonne oder Mond. Diejenigen Kristalle, für die die Linien Sonne–Eiskristall und Eiskristall–Beobachter einen Winkel von etwa 22° bilden, können – wenn die Orientierung des Krisa)

b)

c)

6.14 Ringhalos: a) Schema zur Beobachtung der 22°-Ringhalos. Der Beobachter schaut in Richtung Sonne durch statistisch orientierte Eiskristalle (nach [Gre80]). b) Computersimulation des 22°-Ringhalos (nach [Gre80]). Der Kreis entspricht einem Winkelabstand von 22° zur Sonne, die Dichte der Punkte ist ein Maß für die Intensität des gestreuten Lichts. c) Simulation bei niedriger Sonnenhöhe mit sehr vielen Lichtstrahlen vor dunklem Hintergrund (Simulation E. Tränkle).

166

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

talls gerade passt – offensichtlich mehr Licht in Richtung des Beobachters streuen als benachbarte Eiskristalle. In diesem Fall blickt der Beobachter genau in Richtung der Minimalablenkung dieser Kristalle, in die besonders viel Licht abgelenkt wird. Einzelne Kristalle lenken, je nach ihrer Orientierung, das Licht zwar immer nur in einer Richtung ab, aber natürlich gibt es in Blickrichtung des Beobachters auch Kristalle mit nicht passender Orientierung, d. h. solche, die Licht nicht in Richtung des Beobachters streuen. Allerdings sind bei einer ausgedehnten Wolke i. Allg. genug Eiskristalle unterschiedlicher Orientierung vorhanden, d. h., es wird in vielen Beobachtungsrichtungen passende Eiskristalle geben, deren um 22° abgelenktes Licht genau auf den Beobachter weist. Geometrisch liegen diese eine Leuchterscheinung verursachenden Eiskristalle alle auf einem Kreis. Diesen kann man sich geometrisch wieder als Schnittpunkt eines Kegels mit Öffnungswinkel 22° mit der Eiswolke vorstellen. Die Kegelachse liegt in Richtung der Sonnenstrahlen und seine Spitze im Auge des Beobachters. Die Eiskristalle im Mantelbereich des Kegels erfüllen dann automatisch die Bedingung, mehr Licht zum Beobachter streuen zu können als benachbarte Kristalle. Es entsteht eine Lichterscheinung, die sich als Aufhellung am Himmel bemerkbar macht. Obwohl die Kristalle in einer ausgedehnten Eiswolke den Kegel in unterschiedlichen Entfernungen schneiden, sieht ein Beobachter die zweidimensionale Projektion, und dies ist ein Kreisbogen. Abb. 6.14b und 6.14c zeigen Computersimulationen der 22°-Ringhalos. Es hat sich eingebürgert, Ringhalos durch ihren halben Öffnungswinkel zu charakterisieren; insofern nennt man den erhaltenen Kreisring 22°-Halo (Farbtafel 6.1). Er hat eine Breite von typisch einigen Grad (siehe Erklärung bei Nebensonnen, Abschnitt 6.3.2). Er ist i. Allg. lichtschwächer als die Nebensonnen, bei denen alle Kristalle dieselbe Orientierung aufweisen und das Licht konzentriert in den beobachteten Winkelbereich streuen, da jeweils weniger, eben nur die zufällig in ihrer Orientierung passenden Kristalle zum beobachteten Bogen des Halos beitragen. Viele Kristalle weisen zudem auch Orientierungen für Sonnenhöhen > 0° auf und führen somit zu größeren Ablenkungen. Selbst wenn die gleiche Anzahl von Eiskristallen Licht zum Beobachter ablenken würden, wäre der 22°-Ringhalo dennoch lichtschwächer als die Nebensonnen, da das Licht in einen viel größeren Raumwinkelbereich des Kreisrings verteilt wird. Ringhalos haben, wie Nebensonnen, innen einen recht scharfen Rand mit im Vergleich zu den Nebensonnen schwächerer rötlicher oder bräunlicher Farbe. Nach außen wird die Erscheinung diffuser und ist im Wesentlichen weiß, d. h., die Farben sind weniger gut wahrnehmbar als bei den Nebensonnen. Die Erklärung hierfür erfolgt analog zu den Nebensonnen. Allerdings führt die unterschiedliche Geometrie zu Intensitätsverläufen als Funktion des Ablenkwinkels, die zwar einen relativ steilen Anstieg aufweisen, dann aber sehr flach verlaufen [Kön83]. Abb. 6.15 demonstriert die Konsequenz für die Wahrnehmung von Farben: Der flache Verlauf nach dem Anstieg hat zur Folge, dass nur die unterschiedlichen Anstiegswinkel zu Farbe führen können. Sobald dagegen alle Farben möglich sind, führt die Überlagerung zu weiß.

6.3 Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen

167

Intensität

Farbaufspaltung beim 22°-Ringhalo

Ablenkwinkel δ in Grad

6.15 Eine Farbaufspaltung bei den 22°-Ringhalos ist nur im Innenbereich möglich, weil die Intensitätsverläufe für jeweils eine Farbe zu größeren Winkeln nur wenig abnehmen und sich die Farben dort zu Weiß überlagern.

Besonders schöne Beobachtungen gelingen gelegentlich bei Vollmond. Aufgrund der niedrigeren Helligkeit sind dann, wie schon beim Regenbogen, die Farben sehr viel schwerer wahrzunehmen. Ein erstes Resümee könnte somit lauten: Die Lichtablenkung durch zweimalige Brechung führt bei statistischer Verteilung hexagonaler Kristalle zum 22°-Ringhalo, falls der brechende Winkel 60° beträgt. Hier ist allerdings Vorsicht geboten: Es wurde darauf hingewiesen [Fra79], dass zufällige Orientierung eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung für Ringhalos darstellt. Es ist durchaus möglich, diese Halos auch mit nur teilweiser Orientierung von Kristallen zu erklären bzw. nicht nur durch Einzelkristalle, sondern auch durch Ansammlungen aneinander hängender Säulen [Tap94]. Die Beobachtung von 22°-Halos ist übrigens nicht an Eiswolken gebunden. Bei geeigneten Bedingungen lassen sich 22°-Halos nach frisch gefallenem Schnee oder Reif auch auf dem Boden beobachten [Lyn95, Min92].

46°-Ringe Bei einer statistischen Orientierung der Kristalle ist es auch möglich, dass das Licht über die Deckseite der Kristalle eintritt und nach einer Brechung aus den Seitenflächen austritt. In diesem Fall entsprechen die Kristalle 90°-Prismen, was zu einem Minimum der Ablenkung bei 46° führt (vgl. Abb. 6.7). Es ist also ein zweiter Kreis um die Sonne mit einem halben Öffnungswinkel von 46° zu erwarten, der 46°-Halo. Im Vergleich zum 22°-Ring tritt er deutlich seltener auf und ist auch lichtschwächer. Dafür gibt es mehrere Gründe [Gre80]: Gemäß Abb. 6.7 tragen nur Lichtstrahlen aus einem deutlich kleineren Einfallswinkelbereich zum 46°-Halo bei. Ein Teil des Lichts geht durch Reflexion an den Ein- bzw. Austrittsflächen verloren. Da im Ver-

Ablenkwinkel δ in Grad

168

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

n = 1,317 (λ = 400 nm)

n = 1,307

(λ = 650 nm)

Einfallswinkel in Grad

6.16 Minimalablenkungen für Lichtbrechung am 90°-Winkel von Eiskristallen für rotes und blaues Licht.

gleich zum 22°-Halo deutlich größere Einfallswinkel auftreten, sind gemäß den Fresnel´schen Gleichungen die Reflexionsverluste entsprechend größer. Außerdem wird allein durch Dispersion die Farbaufspaltung beim 46°-Halo um etwa 1,5° breiter als beim 22°-Halo (Abb. 6.16). Da er sich zudem wegen des größeren Winkels auf eine viel größere Fläche verteilt, muss – gleiche Zahl von Eiskristallen vorausgesetzt – die Intensität sinken, was bei Berücksichtigung des Untergrundlichts auch zu noch ungesättigteren Farben als beim 22°-Halo führt. Häufig werden Farben deshalb beim 46°-Ring gar nicht mehr wahrgenommen.

Gibt es auch Nebensonnen zum 46°-Halo? Der 22°-Ringhalo und die Nebensonnen bei 22° kommen letztlich durch denselben Mechanismus, die Brechung am 60°-Winkel, zustande, der einzige Unterschied ist die verschiedene Orientierung der beteiligten Kristalle. Da es nun auch einen 46°Ringhalo durch Brechung am 90°-Winkel gibt, stellt sich die Frage, ob es für geeignet orientierte Kristalle nicht auch 46°-Nebensonnen geben sollte. Vorweg: Es gibt nur sehr wenige Beobachtungen von hellen, Nebensonnen ähnlichen Lichterscheinungen bei Winkeln um 46°, z. B. das dokumentierte SaskatoonDisplay aus dem Jahr 1970. Zurzeit diskutiert man zwei alternative Erklärungen für diese sog. 46°-Nebensonnen. Erstens wäre analog zur Erklärung der 22°-Nebensonnen eine Voraussetzung Kristalle, bei denen der 90°-Winkel zu einer horizontalen Ablenkung führt; insofern muss die Symmetrieachse c der Kristalle horizontal liegen. Hexagonale Säulen dieser Orientierung gibt es natürlich. Zusätzlich müsste aber gewährleistet sein, dass die Seitenflächen vertikal stehen, d. h. die Achse a horizontal liegt. Zweitens erlaubt eine Computersimulation des Saskatoon-Displays auch eine alternative Interpretation: Das bereits einmal in 22°-Nebensonnen abgelenkte Licht fungiert in einer ausgedehnten Eiswolke als Lichtquelle und bildet damit sozusagen

6.3 Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen

169

die Nebensonnen der Nebensonnen. Für Sonnenstände über dem Horizont können so leicht Haloerscheinungen bei 46° erzeugt werden [Tap94].

6.3.4

Mathematischer Einschub: Minimale Ablenkwinkel von Licht beim Durchgang durch Prismen

Die Lichtablenkung durch zweimalige Brechung an einem 60°-Prisma ist in vielen Physikbüchern beschrieben. Sie wird i. Allg. gemäß Abb. 6.6 für den Fall berechnet, dass sich das einfallende Licht in einer Ebene senkrecht zur Prismenachse ausbreitet. (Dies entspricht dem Fall von vertikal orientierten Prismen in der Atmosphäre bei Sonnenhöhe 0°, also z. B. bei Sonnenauf- oder -untergang). Unter Berücksichtigung des Brechungsgesetzes Abschnitt 2.3) sowie Winkelbeziehungen am Dreieck findet man für den Ablenkwinkel δ als Funktion des Einfallswinkels [Hec01] (vgl. Abb. 6.6):

(

)

δ (α einf. ) = α einf. − γ + arcsin ⎡ sinγ ⋅ n2 − sin 2α einf. − cosγ ⋅ sinα einf. ⎤ ⎣⎢ ⎦⎥

(6.1)

Abb. 6.7 zeigt die so berechnete Strahlablenkung δ als Funktion des Einfallswinkels αeinf. für brechende Winkel von 60° und 90°. Durch Differenzieren von δ nach αeinf. erhält man nach einiger Rechnerei (siehe z. B. [Haf94)] für den minimalen Ablenkwinkel δmin für Sonnenstand h = 0° ⎡ ⎛ γ ⎞⎤ δ min = 2arcsin ⎢n ⋅ sin ⎜ ⎟ ⎥ − γ ⎝ 2 ⎠⎦ ⎣

(6.2)

wobei ein symmetrischer Strahlengang vorliegt, d. h., der Strahl verläuft im Inneren des Kristalls (für die zum gewählten n-Wert passende Wellenlänge) parallel zur Basisfläche, und somit sind Einfallswinkel und Ausfallswinkel gleich groß. Unterhalb eines kritischen Einfallswinkels (beim 60°-Prisma und n = 1,31 etwa bei αeinf. = 13,5°) wird Licht an der zweiten Prismenfläche total reflektiert. Der maximale Ablenkwinkel ist aus Gründen der Symmetrie der Strahlengänge für αeinf. = 13,5° und αeinf. = 90° jeweils gleich und beträgt etwa 43,5°. Breitet sich das Licht nicht mehr in einer Ebene senkrecht zur Prismenachse aus, liegt der Fall endlicher Sonnenhöhe h vor. Die geometrischen Verhältnisse werden komplizierter, und man findet letztlich [Tri70] für den minimalen Ablenkwinkel Δmin als Funktion der Sonnenhöhe h: ⎡ ⎛ δ ⎞⎤ Δmin ( h) = 2arcsin ⎢cos( h ) ⋅ sin ⎜ min ⎟ ⎥ ⎝ 2 ⎠⎦ ⎣

(6.3)

wobei sich δmin = Δ min (n = 0°) analog zu Gl. 6.2 berechnet. Allerdings wird der Brechungsindex n dabei ersetzt durch

170

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

n′ =

n2 − sin 2 ( h) cos( h)

(6.4)

Die Intensitätsverläufe als Funktion des Streuwinkels einiger einfacher Halos lassen sich näherungsweise berechnen [Kön83]. Bei den Nebensonnen ergibt sich für eine punktförmige Lichtquelle und Sonnenhöhe h = 0° die Intensität als Funktion des Streuwinkels als I ∝

1 δ − δH

(6.5)

Diese Funktion hat eine Unendlichkeitsstelle (Divergenz) beim erwarteten Halowinkel δH der geometrischen Optik. Real ist die Sonne allerdings keine Punktlichtquelle, sondern ein Körper von etwa 0,5° Winkelausdehnung. Um die dadurch möglichen unterschiedlichen Einfallswinkel zu berücksichtigen, muss über die Sonnenscheibe gemittelt werden. Dadurch verschwindet die Divergenz, und man findet eine ausgeschmierte Verteilung mit einer Halbwertsbreite von etwa 0,5°. Ähnliche Rechnungen wurden auch für den 22°-Halo, die Berührungsbögen sowie den Zirkumzenital- und Zirkumhorizontalbogen angestellt [Kön83]. Die Ergebnisse, grafisch in Abb. 6.11, 6.15 und 6.19 dargestellt, haben große Bedeutung für die Wahrnehmung von Farbe bei diesen Haloerscheinungen.

6.3.5

Zirkumzenital- und Zirkumhorizontalbogen

Die vielleicht farbenprächtigsten Haloerscheinungen sind der Zirkumzenital- und der Zirkumhorizontalbogen (Farbtafel 6.3). Der Zirkumzenitalbogen hat die Form eines – in maximaler Ausdehnung – Viertelkreises um das Zenit, weist zur Sonne hin und ist nur für Sonnenhöhen zwischen 0 und 32,2° sichtbar. Er erscheint am lichtstärksten bei Sonnenhöhen um 22° und weist dann einen Zenitabstand von ebenfalls etwa 22° bei einer Breite von etwa 3° auf. Blau liegt zum Zenit hin, Rot nach außen. Er ist oft gleichzeitig mit 22°-Nebensonnen zu sehen. Falls der 46°-Halo sichtbar ist, wird er vom Zirkumzenitalbogen i. Allg. berührt. Der Zenitabstand (Abb. 6.17) und die Sichtbarkeit variieren mit der Sonnenhöhe. Der Zirkumhorizontalbogen hat die Form eines parallel zum Horizont verlaufenden brillant farblich aufgespaltenen Lichtbands auf derselben Himmelsseite wie die Sonne. Er ist nur für Sonnenhöhen >57,8° sichtbar und ist am lichtstärksten bei Sonnenhöhen um 68°. Die Höhe des Bogens über dem Horizont variiert spiegelbildlich zu der des Zirkumzenitalbogens (Abb. 6.17). Beide Phänomene sind vom Entstehungsprinzip eng miteinander verwandt, obgleich sie wegen der unterschiedlichen Anforderungen der Sonnenstände niemals zugleich beobachtet werden können. Die Bögen entstehen durch Brechung an 90°-

6.3 Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen

171

6.17 Zenitabstand von Zirkumzenital- und Zirkumhorizontalbogen als Funktion der Sonnenhöhe

Prismen bei vertikal orientierten Kristallen. Im Prinzip gibt es hierfür jeweils zwei mögliche Kristalltypen, entweder hexagonale Platten (c vertikal) oder hexagonale Säulen (c horizontal und a vertikal, sodass Deck- und Bodenflächen jeweils horizontal liegen). Abb. 6.18 zeigt als Beispiel die Entstehung eines Zirkumzenitalbogens an einer Platte bzw. eines Zirkumhorizontalbogens an einem Säulenkristall. In beiden Fällen ist klar, dass der Einfallswinkel durch die Sonnenhöhe genau vorgegeben ist. Insofern ist auch der Ausfallswinkel (Abb. 6.18) genau definiert und kann einfach berechnet werden. Die Begrenzungen der Sonnenstände ergeben sich durch einfache geometrische Überlegungen, beispielsweise führt ein Sonnenstand >32,2° beim Strahlverlauf des Zirkumzenitalbogens dazu, dass der Strahlaustritt an der Seitenfläche durch Totalreflexion verhindert wird. Die räumliche Ausdehnung als Kreisbogen kommt dadurch zustande, dass die Kristalle um ihre vertikale Achse rotieren können, sodass die Seitenflächen, durch die der Lichtstrahl austreten muss, in alle Himmelsrichtungen weisen können. Dabei

a)

b)

6.18 Strahlverläufe in Eiskristallen, die zum Zirkumzenital- und Zirkumhorizontalbogen führen.

172

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

bleibt der Ablenkwinkel zur Vertikalen gleich, es ändert sich nur die Ausfallrichtung in der horizontalen Ebene. Als Konsequenz vieler statistisch vorkommender Kristallorientierungen der a-Achse wird sich der abgelenkte Lichtstrahl auf einem Kegelmantel mit definiertem Öffnungswinkel, gegeben durch den Zenitabstand, bewegen. Da bei den orientierten Kristallen immer ein fester Einfallswinkel vorliegt, haben diese Halobögen überhaupt nichts mit Minimalablenkung zu tun, wie dies bei den Nebensonnen bzw. Ringhalos der Fall war! Die brillanten Farben, insbesondere im Vergleich zu den Nebensonnen und den Ringhalos, lassen sich wieder einfach verstehen durch den Vergleich der Dispersion und der Intensitätsverteilung für einzelne Farben. Da 90°-Brechung verantwortlich ist, führt die Dispersion einerseits zu einer Aufspaltung des Halos zwischen Rot und Blau von etwa 2°. Andererseits ist der Intensitätsverlauf einer einzelnen Farbe in einem Winkelbereich von einem halben Grad konzentriert (Abb. 6.19) [Kön83]. Außerhalb dieses Bereichs gibt es auch keine schwach abfallenden Ausläufer der Intensitätsverteilung, wie dies z. B. beim Regenbogen und bei den Nebensonnen der Fall ist. Folglich sind die Farben hier noch besser voneinander getrennt, überlagern sich noch weniger und ergeben somit gesättigtere Farbtöne. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Reinheit der Farben oftmals als höher als beim Regenbogen angesehen wird.

6.19 Zirkumzenital- und Zirkumhorizontalbogen haben brillante Farben, weil die Intensitätsverläufe noch stärker als bei den Nebensonnen für jeweils eine Farbe auf 0,5° begrenzt und deutlich schmäler sind als die Ausschmierung durch die Dispersion von etwa 2°.

6.3.6

Umschriebener Halo und Berührungsbögen

Die übliche Erklärung des 22°-Halos (s. o.) benutzt statistisch orientierte Achsen hexagonaler Eiskristalle, die der Nebensonnen vertikal orientierte Kristalle. In beiden Fällen erfolgte Brechung am 60°-Winkel. Eine weitere Erscheinung, die auf der 60°-Brechung und Minimalablenkung beruht, sind die sog. Berührungsbögen (tangent arcs), die – abhängig vom Sonnenstand – auch umschriebener Halo (circumscribed halo) genannt werden. Die Namen kommen daher, dass diese Bögen bei nie-

6.3 Haloerscheinungen durch Lichtbrechung in Eiskristallen

173

drigem Sonnenstand nur als kurze Bögen auftreten, die wie Tangenten den 22°-Halo berühren; bei hohem Sonnenstand wird der 22°-Halo dagegen von einem elliptischähnlichen Halo, der nur oberhalb und unterhalb der Sonne den 22°-Ring berührt, umgeben. Die Erscheinungen kommen durch hexagonale Säulenkristalle zustande, deren Symmetrieachsen in der horizontalen Ebene liegen (Abb. 6.20). Ihre c-Symmetrieachse kann in der horizontalen Ebene rotieren und die Kristalle können um die cAchse selbst rotieren (spinning crystals). Werden sie dann beleuchtet, ergeben sich die beobachteten Erscheinungen. Die Geometrie wird dadurch schnell kompliziert und Rechnungen werden unübersichtlich, weshalb man auch hier wieder auf Computersimulationen zurückgreift (s. u.).

6.20 Lichtwege in Eiskristallen, die für die Berührungsbögen und umschriebenen Halos verantwortlich sind.

Die Berührungsbögen bei niedrigem Sonnenstand lassen sich jedoch noch einfach verstehen [Tap94]. Dazu betrachtet man zunächst nur eine Unterklasse der Säulenkristalle, und zwar jene, bei denen die c-Achsen genau senkrecht zum einfallenden Sonnenlicht liegen. Somit liegt eine völlig äquivalente Situation wie bei den Nebensonnen vor, nur ist die Geometrie um 90° gedreht. Folglich müssen diese Kristalle oberhalb und unterhalb der Sonne in 22° Winkelabstand Nebensonnen erzeugen. Die nächste Unterklasse der Säulenkristalle habe nun die c-Achsen um einen definierten Winkel α gedreht, dem entspricht bei der Behandlung der Nebensonnen eine Sonnenhöhe α. Wieder sollten Nebensonnen entstehen, allerdings bei größerem Winkelabstand und ausgeschmiert in einen kurzen Bogen. Führt man dieselbe Betrachtung für beliebige Winkel α durch, kann man durch Aufaddieren der verschiedenen Nebensonnen das gesamte Muster erzeugen. Dabei ergeben sich die oben erwähnten oberen und unteren Berührungsbögen. Ein kleiner Überblick über die Abhängigkeit dieser Halos vom Sonnenstand wird in Abschnitt 6.8 gegeben (siehe auch Abb. 6.30). Es gibt noch viele weitere Halos, die ähnliche Kristallorientierungen erfordern, z. B. gibt es bei den Parry-Bögen die weitere Einschränkung, dass die a-Achse vertikal orientiert ist. Die Lowitz-Bögen werden durch Platten verursacht, die um ihre lange horizontale a-Achse rotieren. Da die damit verbundenen Erscheinungen in

174

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

Mitteleuropa sehr selten beobachtbar sind, sei hierzu auf die Literatur verwiesen (z. B. [Tap94, Gre80, Lyn95]).

6.4

Einfache Reflexionshalos

Brechungshalos sind i. Allg. aufgrund der Dispersion der Eiskristalle farbige Erscheinungen. Daneben gibt es eine Vielzahl von Halos, die schlicht weiß sind. Diese werden durch Reflexion an äußeren und inneren Flächen der Eiskristalle verursacht. Es ist dabei zwar durchaus möglich, dass zusätzlich Lichtbrechung auftritt, allerdings dergestalt, dass es nicht zur Farbaufspaltung kommt. Auch bei den Reflexionshalos liegt der einfachste Fall vor, wenn die reflektierenden Flächen (Seiten-, Ober- oder Unterflächen) orientiert sind.

6.4.1

Horizontalkreis

Eine äußerst markante Erscheinung ist der sog. Horizontalkreis (parhelic circle). Dabei handelt es sich im Idealfall um einen weißen 360°-Ring, der durch die Sonne geht und auf Höhe der Sonne parallel zum Horizont verläuft. Falls vorhanden geht der Ring dann auch durch die Nebensonnen. Real sind häufig nur Fragmente erkennbar, je nachdem in welchem Maß der Himmel mit Cirren bedeckt ist. Der Horizontalkreis entsteht, wenn Licht auf orientierte Eiskristalle fällt und an vertikalen Kristallflächen reflektiert wird. Offensichtlich erfüllen vertikal orientierte Platten (c vertikal) mit ihren Seitenflächen diese Bedingung genauso wie horizontal orientierte Säulen, insbesondere wenn a vertikal liegt, d. h. wenn vertikale Seitenflächen vorliegen. Abb. 6.21a zeigt zwei mögliche Strahlverläufe, zum einen eine direkte Reflexion an der äußeren Seitenfläche und zum anderen den Strahleintritt durch die obere und Strahlaustritt aus der unteren Fläche, während die Reflexion jetzt innen erfolgt. Da die Brechung ähnlich dem Lichtdurchgang durch eine planparallele Platte ist, heben sich die Farbaufspaltungen bei Ein- und Austritt aus dem Kristall auf. Derartige Strahlverläufe zeigen also netto keine Farbaufspaltung trotz zweimaliger Brechung. Für die effektive Richtungsänderung ist somit nur die Reflexion verantwortlich. Da die Seitenflächen vertikal stehen, ändern sich die Neigungswinkel nicht. Allerdings führen die unterschiedlichen Orientierungen der Seitenflächen zu einer Ablenkung in der horizontalen Ebene. Als Konsequenz der Reflexion wird das Licht so abgelenkt (Abb. 6.21c), dass es unter demselben Neigungswinkel wie das Sonnenlicht beim Beobachter eintrifft. Der Beobachter sieht ein Spiegelbild der Sonne in dieser Richtung. Die verschiedenen Orientierungen der Seitenflächen führen jedoch dazu, dass das Licht aus unter-

6.4 Einfache Reflexionshalos

a)

175

b)

c)

θs θs

6.21 Zwei verschiedene Lichtwege für den Horizontalkreis (a und b) sowie Schema für die Beobachtung des Horizontalkreises (c). Der Beobachter sieht die Sonne an den Seitenflächen von Eisplättchen gespiegelt.

schiedlichen azimutalen Richtungen zum Beobachter gelangt. Folglich sieht ein Beobachter einen weißen Lichtbogen in konstanter Winkelhöhe der Sonne über dem Horizont, der sich aus sehr vielen Spiegelbildern der Sonne von den Seitenflächen der einzelnen Kristalle zusammensetzt.

6.4.2

120°-Nebensonnen

Gelegentlich kann man in jeweils 120° Winkelabstand zur Sonne zwei helle weiße Leuchtpunkte auf dem Horizontalkreis beobachten. Diese heißen etwas unglücklich 120°-Nebensonnen (120° parhelia, paranthelia), denn die Bezeichnung Nebensonne lässt eigentlich eine farbige Erscheinung erwarten. Einer der Strahlengänge, der für diese Erscheinungen verantwortlich ist, ist in Abb. 6.22 gezeigt. Licht tritt durch die Deckfläche ein, wird nun – im Unterschied zum Lichtweg des Horizontalkreises in Abb. 6.21a – zweimal intern an benachbarten (oder auch übernächsten) Seitenflächen reflektiert, bevor es durch die Bodenplatte den Kristall verlässt. Der Ein- und Austritt durch parallele Flächen ändert den Neigungswinkel nicht, d. h., die Erscheinung muss auf dem Horizontalkreis liegen. Die zweimalige Reflexion bewirkt eine

6.22 Lichtwege für die Entstehung der 120°-Nebensonnen.

176

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

azimutale Winkeländerung um 120°. Bemerkenswert ist, dass diese 120°-Ablenkung unabhängig von der azimutalen Kristallorientierung ist, d. h., unabhängig von der Ausrichtung der a-Achse werden alle Lichtstrahlen, die an benachbarten oder übernächsten Seitenflächen reflektiert werden, um 120° abgelenkt. Ein Grund für die seltene Beobachtung mag darin liegen, dass das Licht den Kristall schon wieder verlassen kann, ehe es die zweite Seitenfläche trifft, wenn die Platten zu dünn werden.

6.4.3

Untersonnen und Sonnensäulen

Interpretiert man den Horizontalkreis als Überlagerung aller Spiegelbilder der Sonne von senkrecht orientierten Flächen orientierter Kristalle, so sollte es zwangsläufig auch Spiegelbilder von den horizontalen Kristallflächen geben. Die bekanntesten dieser Erscheinungen sind Untersonnen und Sonnensäulen. Untersonnen sind weiße, leicht vertikal gedehnte elliptische Leuchterscheinungen, die direkt unterhalb der Sonne gesehen werden können, wenn sich der Beobachter oberhalb von Eiswolken befindet. Typischerweise ist dies auf hohen Bergen der Fall oder beim Blick aus dem Flugzeugfenster. Sie entstehen als Spiegelbilder der Sonne an horizontalen Kristallflächen orientierter Kristalle, z. B. hexagonalen Platten mit vertikaler c-Achse (Abb. 6.23). Sie entsprechen somit den beobachtbaren Spiegelbildern der Sonne von sehr glatten Wasseroberflächen, z. B. Pfützen oder Seen. Offensichtlich kann es neben der einfachen Reflexion von der Deckfläche auch hier wieder als alternativen Strahlweg den Eintritt durch eine Seitenfläche, die Reflexion an der Bodenplatte und den Austritt durch eine zweite Seitenfläche geben. Die zusätzliche zweimalige Brechung ist für die Erscheinung wieder ohne Belang, wenn die Eintrittsfläche parallel zur Austrittsfläche liegt.

6.23 Lichtwege für die Entstehung der Untersonne.

Die vertikale räumliche Ausdehnung der Untersonne bis hin zu einer kleinen Säule hängt ab vom Grad der Orientierung, d. h. den möglichen Kippwinkeln. Dies ist völlig äquivalent zu den Glitzerpfaden, die auf leicht bewegten Wasseroberflächen entstehen, wenn sie von der tief stehenden Sonne beschienen werden. Die

6.4 Einfache Reflexionshalos

177

6.24 Ein Glitzerpfad der Sonne auf leicht bewegtem Wasser (Foto: H. J. Schlichting) ist ganz ähnlich zu Untersonnensäulen.

Kippwinkel auf dem Wasser werden durch leichte Wellenbewegungen realisiert, die die Untersonne in eine Untersonnensäule, in diesem Fall den Glitzerpfad, ausschmieren (Abb. 6.24). Ähnlich kann die Sonne orientierte Eiskristalle von unten beleuchten. In diesem Fall wird das Licht an den horizontalen Flächen reflektiert, und man nennt das entsprechende Spiegelbild der Sonne eine Übersonne. Da die Eisplättchen meistens nicht vollständig vertikal orientiert sind, sondern kleine Kippwinkel auftreten, wird sich der Reflexionspunkt zu Bögen oder Säulen ausschmieren (Abb. 6.25a). Ein Kippwinkel α von z. B. 5° führt dann zu einer Winkelausdehnung von etwa 10°.

a)

b)

6.25 Entstehung von Sonnensäulen durch Eiskristalle in der Atmosphäre mit (a) oder ohne (b) Kippwinkel.

178

6 Haloerscheinungen am Himmel: Natürliche Ursache oder göttliche Warnung?

Das interessante an diesen Sonnensäulen (sun pillars) ist ihr Auftreten, auch wenn die Sonne schon unter dem Horizont verschwunden ist. Da das an Eiskristallen reflektierte Licht sich bei den Sonnensäulen in einen großen Winkelbereich verschmiert, fällt es aber häufig schwer, den Halo gegen die Untergrundhelligkeit des Taghimmels wahrzunehmen. Wird eine nahe Eiswolke von divergentem Licht, z. B. einer Straßenlaterne, beleuchtet, können sehr schöne Säulen auch bei nahezu vollständiger Orientierung ohne Kippwinkel entstehen (Abb. 6.25b).

6.5

Kombinationen von Brechung und Reflexion

Bislang wurden die Phänomene behandelt, die sich im Wesentlichen nur durch Brechung (z. B. farbige Nebensonnen) bzw. nur durch Reflexion (z. B. weiße Untersonne) erklären ließen. Für das Beispiel der Reflexionshalos bedeutet „im Wesentlichen“ dabei, dass bei den für die Phänomene verantwortlichen Strahlengängen eine zweimalige Brechung durchaus erlaubt war, sofern Ein- und Austrittsflächen parallel waren, sodass sich die Farbe verursachenden Dispersionseffekte wieder heraushoben. Offensichtlich gibt es bei orientierten Kristallen aber auch weitere Strahlengänge, bei denen Reflexionen mit Lichtbrechung gekoppelt sind, wobei Ein- und Austrittsflächen aber Prismenwinkel von z. B. 60° aufweisen können. Das einfachste Phänomen sind die Unternebensonnen. Unternebensonnen (subparhelia, subsundogs) sind Nebensonnen zu der Untersonne. Sie können – wie schon die Untersonnen – von hohen Bergen oder aus dem Flugzeug als farblich aufgespaltene Halos in etwa 22° Winkelabstand zur Untersonne beobachtet werden. Abb. 6.26 zeigt einen typischen Strahlengang des Lichts in orientierten hexagonalen Platten (c-Achse vertikal). Ähnlich zum zweiten Strahlengang der Untersonne tritt Licht durch eine Seitenfläche ein und wird an der Bodenplatte reflektiert, ehe es den Kristall wieder durch eine Seitenfläche verlässt. Der einzige Unterschied zur Untersonne besteht darin, dass die Austrittsfläche zur Eintrittsfläche ein Prisma mit 60°-Winkel bildet. Ein Beispiel für eine Flugzeugbeobachtung einer Untersonne und Unternebensonne zeigt Farbtafel 6.4.

6.26 Lichtwege für die Entstehung der Unternebensonne.

6.6 Überblick über in Mitteleuropa häufig beobachtbare Haloerscheinungen

6.6

179

Überblick über in Mitteleuropa häufig beobachtbare Haloerscheinungen

In vielen Ländern gibt es mittlerweile aktive Halobeobachter, insbesondere in Finnland und Deutschland [AKM, FIN]. Die deutsche Gruppe, organisiert im Arbeitskreis Meteore [AKM], hat in den vergangenen 15 bis 20 Jahren viele tausend Haloerscheinungen beobachtet und statistisch ausgewertet. Dabei wurden von den geübten Beobachtern an über 100 Tagen im Jahr Sonnenhalos gesichtet! Ungeübte Gelegenheitsbeobachter, die viele lichtschwache Himmelsphänomene schlicht übersehen, sind häufig froh, wenn sie z. B. ein- oder zweimal im Monat eine Erscheinung sehen. In Tab. 6.1 sind die Beobachtungshäufigkeiten verschiedener Halotypen aufgeführt. Eine Möglichkeit der räumlich geometrischen Darstellung des Orts dieser Haloerscheinungen zeigt Abb. 6.27. Es handelt sich um ein Koordinatensystem in Form einer Halbkugel mit dem Beobachter im Zentrum, der in Richtung Sonne blickt. Man erkennt deutlich die genannten sieben Haloerscheinungen, die am häufigsten gesichtet werden. Die Darstellung soll nur einen Überblick geben; die tatsächlichen Haloformen, beispielsweise des umschriebenen Halos, können stark mit der Sonnenhöhe variieren! Für Mondlichthalos sind Häufigkeitsverteilungen nicht bekannt, wohl auch deshalb, weil diese Erscheinungen sehr viel seltener als Sonnenhalos auftreten (vgl. Diskussion des Mondregenbogens). Gerade die Seltenheit macht Mondhalos allerdings zu einzigartigen persönlichen Erlebnissen. Auch hier gilt wieder, dass – wenn überhaupt – insbesondere 22°-Halos und Nebenmonde beobachtet werden.

Tabelle 6.1 Beobachtungshäufigkeiten verschiedener Halos in Deutschland (Analyse vom Januar 2005). Es wurden 84’000 Beobachtungen von Sonnenhalos von 1986–2003 berücksichtigt (mit freundlicher Genehmigung von W. Hinz, AKM [AKM]). Halotyp

Häufigkeit

22°-Halo 22°-Nebensonnen Berührungsbögen (umschriebener Halo) Sonnensäulen Zirkumzenitalbogen 46°-Halo Horizontalkreis 120°-Nebensonnen Lowitz-Bögen Parry-Bögen weitere diverse seltene Erscheinungen

36,1 % 33,9 % 11,3 % 7,4 % 5,8 % 1,5 % 1,5 % 0,5 % 0,5 % 0,5 % 1,0 % (jeweils pro Typ k · R treffen den Tropfen nicht mehr.

8.12 Erklärung der Glorie mithilfe der Mie-Theorie: Die Rückstreuintensität als Funktion der Zahl der Terme in der Reihenentwicklung, d. h. des Stoßparameters. Randstrahlen tragen wesentlich bei (nach [Bry66]).

Ergebnis einer solchen Rechnung (nach [Bry66]). Der Tropfenradius für blaues Licht für die Termzahl von 500 beträgt etwa 32 μm. Man erkennt ein Ansteigen der Rückstreuintensität schon bei sehr kleinen Termzahlen auf einen mittleren Wert von 104 in der angegebenen Skala. Die Intensität fluktuiert um diesen Wert, bis sie in den letzten Termen um etwa L = 500 sprunghaft nochmals um knapp zwei Größenordnungen ansteigt. Nach dem Lokalisationsprinzip interpretiert man dies wie folgt: Der Beitrag der schon bei kleinem L auftritt, entspricht im Wesentlichen dem axialen Beitrag der Mittelpunktstrahlen. Das drastische Ansteigen für große L kommt von Licht am Tropfenrand. Hieraus ergibt sich das Modell leuchtender Kreisringe. Damit ist die Hypothese von Van de Hulst theoretisch untermauert. Als krönendes Ergebnis der Mie-Theorie zeigt Abb. 8.13 einen Vergleich der Winkelabhängigkeiten gestreuten Lichts für verschieden große Wassertropfen. Je nach Größe sind sowohl Koronen und Glorien als auch Regenbögen sichtbar (siehe auch Abb. 8.3). Für R = 5 μm sind deutlich Strukturen bei Streuwinkeln in Rückwärtsrichtung, d. h. nahe 180° zu sehen. Dies sind die Glorien. Entsprechend sind die Strukturen in Vorwärtsrichtung nahe 0° Koronen. Für diese kleinen Tröpfchen sind die Regenbögen stark ausgeschmiert, sie sind in Abb. 8.13 erst für größere Tropfen von 300 μm Radius ausgeprägt, bei denen die Koronen und Glorien nicht mehr sichtbar sind.

Intensität gestreuten Lichts

228

8 Glorienerscheinungen: Das Brockengespenst

lognormal: FWHM = 0,1 λ = 450 nm = 300 μm

= 20 μm

= 5 μm

Ablenkwinkel in Grad 8.13 Ergebnis der Mie-Theorie für die Intensität einfarbigen gestreuten Lichts in Abhängigkeit vom Streuwinkel für unterschiedliche Größen von Wassertropfen. Es wurden Lognormal-Größenverteilungen mit Halbwertsbreiten von 10 % des mittleren Radius gewählt. Für kleine Tropfen zeigen sich bei kleinen Winkeln Koronen und bei Winkeln nahe 180° Glorien. Regenbögen treten erst für größere Tropfen im Winkelbereich zwischen 125° und 145° auf (vgl. auch Abb. 8.3). Achtung: Die Intensitätsachse hat eine logarithmische Unterteilung, d. h., es gibt sehr große Intensitätsunterschiede.

8.3.4

Ausgewählte Details der Erklärung von Glorien

Wie kommt die Farbe der Ringe zustande? Da die Glorien ähnlich den Koronen im Wesentlichen als Beugungserscheinung – in diesem Fall von Kreisringen – gedeutet werden, ist klar, dass analog zu Abb. 7.6 und Farbtafel 7.6a bei den Koronen auch für Glorien die Ablenkung des Lichts abhängig von der Wellenlänge, d. h. der Farbe des Lichts, ist (Abb. 8.14). Ähnlich zu den Koronen wird sich innen durch Überlagerung aller Farben Weiß ergeben, woran sich außen ein roter Ring anschließt usw. (Außen und innen beziehen sich auf den Gegensonnenpunkt, insofern bedeutet außen größere Glorienöffnungswinkel von z. B. 5° mit entsprechend kleineren Ablenkwinkeln von 175°, während innen entsprechend z. B. 3° bzw. 177° sein können.)

8.3 Grundlegende Erklärung der Glorien

229

Kreisringe: Ra = 10 μm, Ri = 9,8 μm Intensität

λ = 650 nm λ = 400 nm

Winkel in Grad

8.14 Glorien zeigen, ähnlich den Koronen, eine Abhängigkeit der Ablenkung des Lichts von der Wellenlänge. Dies ergibt sich bereits mit dem einfachen Beugungsmodell von Kreisringen.

Wie hängen die Öffnungswinkel der farbigen Ringe mit der Tropfengröße zusammen? Glorien sind zwar den Koronen verwandt, aufgrund der komplizierteren Entstehung der Glorien ist es allerdings nicht möglich, eine einfache analytische Formel anzugeben, um aus den Winkelabständen auf die Tropfengröße zu schließen. Aus Simulationen mithilfe der Mie-Theorie lassen sich aber näherungsweise Lösungen angeben. Erstens ist die Farbreihenfolge praktisch unabhängig von der Tropfengröße. Zweitens sind die Winkelabstände zum Gegensonnenpunkt, d. h. die Öffnungswinkel der Glorien, in erster Näherung umgekehrt proportional zur Tropfengröße 2 R. So wurden folgende Näherungsformeln für die Winkelabstände θi der vier ersten roten Ringe angegeben [Lav03]: θ1 = 24/R

θ2 = 37/R

θ3 = 56/R

θ4 = 75/R

wobei die Winkel in Gradmaß und die Radien in Mikrometern angegeben sind. Die sich ergebenden Winkel sind ähnlich, aber alle etwas größer als die entsprechenden Winkel der Koronen. Dies ist in Farbtafel 8.4 im direkten Vergleich der theoretischen Rechnungen für Glorien und Koronen von R = 10-μm-Tropfen (nach [Lav03]) gezeigt. Die Ringstruktur der Glorien fällt nach außen hin sehr viel langsamer ab, und die Winkel sind zu leicht größeren Werten verschoben. Das Vertrauen in die theoretischen Ergebnisse basiert u. a. auf guten Übereinstimmungen von Simulationen mit Beobachtungen von Glorien. Farbtafel 8.5 zeigt den direkten Vergleich einer Flugzeugbeobachtung mit einer Simulation (nach [Lav03]). Tropfenradien von 4,8 μm ergaben eine sehr gute Übereinstimmung. Glorien sind in der Natur seltener zu beobachten als Koronen. Dies liegt daran, dass der Größenbereich der sie verursachenden Tropfen auf Radien < 20 μm einge-

230

8 Glorienerscheinungen: Das Brockengespenst

schränkt ist, der wahrscheinlichste Größenbereich liegt bei Radien zwischen 5 und 12 μm. Diese im Vergleich zu den Koronen zusätzliche Beschränkung der Tropfengröße kommt im Wesentlichen durch die sog. räumliche Kohärenzlänge des auf der Erde eintreffenden Sonnenlichts zustande (Details siehe [Loc89]).

Welchen Einfluss hat die Breite der Tropfengrößenverteilung? Wie schon bei den Koronen, so führt auch bei den Glorien eine breite Tropfengrößenverteilung zu einer Überlagerung der verschiedenfarbigen Anteile und damit zu einer Verringerung des Kontrasts. Abb. 8.15 zeigt als Beispiel Glorien für einfarbiges rotes Licht und Tropfen mit mittleren Radien von 10 μm, aber unterschiedlichen Breiten der Tropfengrößenverteilung. Offensichtlich ergibt sich bei einer Verteilung mit σ = 2 μm, entsprechend einer Halbwertsbreite der Verteilung von etwa 4,7 μm, nur noch ein Ring, während eine schmälere Verteilung mit σ = 0,5 μm, entsprechend einer Halbwertsbreite der Verteilung von etwa 1,2 μm, deutlich mehrere Ringe zeigt. Eine Darstellung der Formen dieser bzw. ähnlicher Größenverteilungen findet sich in Abb. 7.10.

Intensität

Abhängigkeit von der Größenverteilung der Tropfen: = 10 μm, λ = 650 nm

σ = 2 μm

σ = 0,5 μm

Winkel in Grad

8.15 Abhängigkeit der Glorien von der Größenverteilung der Wassertröpfchen, berechnet mit der Mie-Theorie.

Offensichtlich erfordert die Beobachtung mehrerer Ringe eine sehr schmale Größenverteilung. Dies mag auch erklären, weshalb selten mehr als zwei oder drei Ringe beobachtet werden. Den veröffentlichten Rekord dürfte eine Beobachtung mit fünf Ringen bzw. Teilringen darstellen [Bra68].

Polarisation Beobachtet man Glorien durch Polarisationsfilter, so stellt man (im Gegensatz zu Koronen) eine starke Abhängigkeit bei Drehen des Filters fest. Dies ist nicht ver-

8.3 Grundlegende Erklärung der Glorien

231

wunderlich, da zur Glorie auch Regenbogenstrahlen mit mehreren internen Reflexionen beitragen, die zu einer Polarisation des Lichts senkrecht zur Einfallsebene führen (siehe hierzu die Erklärung beim Regenbogen, Abschnitt 5.4.1). Zusätzlich tritt bei Glorien aber noch der Effekt der Oberflächenwellen auf. Ähnlich den Wellen auf Seen und Gewässern sind die Oberflächenwellen senkrecht zur Grenzfläche polarisiert. In Bezug auf die Geometrie eines Wassertropfens (vgl. Abb. 8.10) entspricht dies einer Polarisation in der Einfallsebene. Die Gesamtpolarisation wird somit bestimmt durch die gegeneinander wirkenden Anteile von einerseits den Regenbogenstrahlen und andererseits den Oberflächenwellen. Das Verhältnis beider Anteile ändert sich mit der Tropfengröße, weshalb es keine wohl definierte Polarisation gibt. Bei kleinen Tropfen dominiert der Beitrag der Oberflächenwellen, bei größeren Tropfen der Beitrag der Regenbogenstrahlen [Kön85].

Beobachtungen an Wolken mit Eiskristallen: Gibt es nur Glorien von Wassertropfen? Die meisten Beobachtungen von Glorien gibt es an Wolken bzw. Nebelschwaden, die aus Wassertröpfchen bestehen. Allerdings wurde auch nachgewiesen, dass Wolken aus Eiskristallen Glorien verursachen können. Dies ist auf den ersten Blick verwunderlich, da die oben erwähnten Erklärungen der Glorien eine kugelförmige Geometrie der streuenden Teilchen erfordern. Eis wächst normalerweise in hexagonalen Kristallformen, jedoch gibt es unter seltenen Bedingungen auch amorphe, kugelähnliche Eisteilchen an den Rändern einiger Eiswolken [Sas98]. An solchen Teilchen mit Durchmessern im Bereich von 9–15 μm wurden einfache Glorien beobachtet. Man könnte vermuten, dass auch andere nahezu kugelförmige Aerosolteilchen in der Atmosphäre, z. B. vulkanischer Staub etc., Glorien verursachen können. Hierbei gibt es allerdings einen wesentlichen Unterschied zu Koronen, bei denen dies z. B. in Form von Pollenkoronen oder dem Bishop’schen Ring möglich ist. Koronen sind eine reine Beugungserscheinung, d. h., die Art der beugenden kugelförmigen Teilchen, sei es Wasser oder vulkanischer Staub, spielt praktisch keine Rolle. Bei Glorien benötigt man jedoch die Oberflächenwellen. Bei absorbierenden Materialien, z. B. Staub- oder Rußteilchen, werden diese Wellen stark gedämpft, weshalb darauf aufbauende Erscheinungen wie die Glorien stark unterdrückt werden bzw. nicht mehr sichtbar sind [Vol05]. Allerdings sind Glorien für schwach absorbierende Flüssigkeitströpfchen noch sichtbar. So wurden Glorien mit entsprechenden Detektoren auch aus hoch fliegenden Forschungsflugzeugen im nahen Infrarot bei Wellenlängen bis 3,74 μm beobachtet, bei denen Wasser schon deutlich stärker absorbiert als im sichtbaren Spektralbereich [Spi94].

232

8.4

8 Glorienerscheinungen: Das Brockengespenst

Beobachtung von Glorien

Glorien lassen sich in der Natur in zwei prinzipiell verschiedenen Varianten beobachten. Zum einen gibt es die erdgebundenen Beobachtungen, zum anderen die von Fluggeräten. Beide Varianten wurden kurz zu Eingang dieses Kapitels beschrieben. Häufig kann man parallel zu den Glorien auch Nebelbögen beobachten. Zweifellos sind Bergwanderungen an sich für viele eine faszinierende Erfahrung, lassen sich dann auch noch Glorien beobachten, bleiben sie sicher als einzigartiges Erlebnis im Gedächtnis haften. Ähnliches gilt sicherlich auch für Ballonfahrten und das Drachenfliegen. Heutzutage werden Glorien am häufigsten von Flugzeugen aus beobachtet. Aus diesem Grund sollte man sich – will man Glorien beobachten – beim Einchecken immer überlegen, auf welcher Seite des Flugzeugs man sitzen möchte. Zudem sollten Plätze über den Flügeln vermieden werden. Bei Start oder Landung tritt häufig der Fall ein, dass der Schatten des Flugzeugs recht groß auf die Oberseite von Wolken fällt und so grob den Gegensonnenpunkt definiert. Ist dann die Bedingung nahezu einheitlicher Tropfengröße gegeben, kann man um den Gegensonnenpunkt des Beobachters herum zentriert das farbige Ringsystem der Glorie sehen (Farbtafel 8.3). Aus Fotos verschiedener Beobachter lässt sich dann durchaus schließen, ob der Fotograf erster Klasse (Ringsystem vorne zentriert) oder Touristenklasse (Ringsystem hinten zentriert) geflogen ist. Befindet sich das Flugzeug sehr hoch über den Wolken, lässt sich zwar der Flugzeugschatten nicht mehr beobachten, wohl aber noch das Ringsystem der Glorie. Eine einfache Methode zum Auffinden des Gegensonnenpunkts ist die folgende: Man sucht den Schatten, den der Kondensstreifen des Flugzeugs auf die Wolkendecke wirft. Er sollte als langer, dünner Strich zu sehen sein. Dort, wo er auf der Wolke endet, ist der Gegensonnenpunkt, d. h. das Zentrum der Glorienringe. Ein Hinweis: Viele schwach ausgeprägte Farberscheinungen lassen sich sehr schlecht fotografieren [Min92]. Auch hier gilt die Regel: Übung, sprich Erfahrung, macht den Meister. Man sollte empfindliche Diafilme verwenden, ggf. mit Teleobjektiv arbeiten und Belichtungszeitserien aufnehmen, denn ansonsten kann es passieren, dass auf den Fotos nur viele weiße Wolken statt wunderschöner, wenngleich blasser Glorien zu sehen sind. Unter zehn oder 20 veröffentlichten Fotos dieser Naturphänomene findet sich meist nur ein wirklich gutes.

8.5 Einfache Experimente

8.5

Einfache Experimente

8.5.1

Nachweis leuchtender Kreisringe in Rückwärtsrichtung

233

Gemäß der Erklärung sollen Glorien durch Rückwärtsstreuung zustande kommen, wobei insbesondere der Beitrag der Randstrahlen wichtig ist. Insofern kann man diese Randstrahlen, die sich in Rückwärtsrichtung als leuchtende Kreisringe zeigen sollten, sichtbar machen. Es ist allerdings recht schwierig, dies direkt an Wassertropfen zu verdeutlichen (z. B. [Sau70, Bry74]). In Abb. 8.16a wurde ein an einer Glasfaser hängender Wassertropfen mit Laserlicht, das streifend auf den Tropfen fällt, beleuchtet [Bry74]. Das Experiment demonstriert eindeutig, dass Licht um 180° zurückgestreut wird. Da dies nur mithilfe von Oberflächenwellen möglich ist (s. o.), beweist dieses Experiment insofern indirekt deren Existenz. Abb. 8.16b zeigt einen an einer Spinnwebe hängenden Wassertropfen, der mit weißem Licht beleuchtet wurde (Belichtungszeit 10 Minuten!). Deutlich ist neben dem axialen Beitrag zur Rückreflexion auch der Beitrag des Kreisrings zu sehen.

Glasfaser Wassertropfen (R = 1 mm)

a)

b)

8.16 a) An einer Glasfaser hängender Wassertropfen, der mit Laserlicht, das tangential, d. h. streifend am Umfang des Tropfens einfiel, beleuchtet wurde (nach [Bry74]). b) An einer Spinnwebe hängender Wassertropfen von 0,616 mm Durchmesser, der mit weißem Licht beleuchtet wurde (nach [Sau70]).

Einfacher als mit Wassertropfen lässt sich dieser Effekt an größeren Glaskugeln von z. B. 10 cm Durchmesser demonstrieren, allerdings ist bei Glas der Brechungsindex >√ ⎯ 2; somit ist man dabei nicht mehr auf die Existenz von Oberflächenwellen angewiesen (Abschnitt 8.3.2). Als Lichtquelle kann man eine Halogenlampe und eine Linse verwenden, um paralleles Licht auf die Kugel fallen zu lassen (Abb. 8.17).

234

8 Glorienerscheinungen: Das Brockengespenst

a)

b)

8.17 Experimenteller Aufbau (a) für die Beobachtung der leuchtenden Kreisringe (b) entlang des Umfangs einer Glaskugel.

Die Rückwärtsstreuung lässt sich beobachten, indem man eine Glasscheibe leicht schräg in den Strahlengang zwischen Linse und Kugel stellt. Das Reflexionsvermögen der Scheibe von einigen Prozent reicht aus, um das Bild der Kugel einfach zu beobachten. Sofern das Glas schlierenfrei ist, sieht man neben der axialen Reflexion auch schön die leuchtenden Kreisringe am Umfang der Kugel. Man kann mit diesem Aufbau außerdem leicht demonstrieren, dass das Licht der Kreisringe vom eintretenden Licht auf der jeweils gegenüberliegenden Kugelseite kommt. Dazu bringt man beispielsweise an der Stelle der Rückseite der Kugel, an der die interne Reflexion stattfindet, einen kleinen Wassertropfen auf. Da nun die Totalreflexion gestört ist, wird das Licht des Kreisrings verschwinden.

8.5.2

Beugungsexperimente

Nachdem nun experimentell demonstriert ist, dass Wassertropfen, wie sie in Wolken vorliegen, kreisringartige Lichtquellen in Rückwärtsrichtung darstellen, kann man die dadurch erzeugten Beugungserscheinungen des Lichts durch Experimente an Ringblenden simulieren (z. B. [Schn02, Bry74]). Abb. 8.18b und 8.18d zeigen die Intensitätsverteilungen von Laserlicht, das Kreisblenden (Abb. 8.18a) sowie Kreisringblenden (Abb. 8.18c) mit gleichem Außenradius durchlaufen haben. Das typische Beugungsbild von Kreisblenden fällt mit zunehmender Ringnummer schnell ab. Dagegen führen die Kreisringblenden zu einem sehr viel langsameren Abfall zu größeren Winkeln hin (vgl. auch Abb. 8.4).

8.5 Einfache Experimente

a)

b)

c)

d)

235

8.18 Bei Beleuchtung einer Vielzahl statistisch verteilter Kreis- (a) bzw. Kreisringblenden (c) mit Laserlicht ergeben sich die entsprechenden charakteristischen Beugungsmuster (b) bzw. (d) (vgl. Abb. 8.4) (Fotos W. Schneider, Methode [Schn05]).

8.5.3

Künstliche farbige Glorienbeobachtungen

Letztlich lassen sich Glorien auch als farbige Ringe, d. h. in ihrer ganzen Pracht, sichtbar machen. Dazu kann man kleine Tröpfchen herstellen, entweder durch einen künstlichen Nebel oder durch einen Dampferzeuger (z. B. indem man Wasser kocht und den Dampf durch ein Ventil ausströmen lässt). Da die Beobachtungsbedingungen bzgl. der Tropfengröße für Glorien und Koronen ähnlich ist, sollte man zunächst versuchen, eine Lichtquelle durch den Dampf hindurch zu betrachten und farbige Koronen zu sehen. Ist dies der Fall, beleuchtet man den Dampf und blickt auf ihn aus Richtung der Lichtquelle, um das 180° zurückgestreute Licht der Glorie zu sehen.

236

8.5

8 Glorienerscheinungen: Das Brockengespenst

Referenzen

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9

Blauer Himmel

Warum ist der Himmel blau, warum sind Wolken weiß, und warum verfärben sich Himmel und Sonne bei Auf- oder Untergang? Warum verursachen Vulkanausbrüche solch prächtige Farbspektakel am Himmel? Was bestimmt die Sichtweite, und warum kann man durch Regenschauer weiter hindurchsehen als durch die sie erzeugenden Wolken? Diese Fragen lassen sich beantworten, indem man die physikalische Ursache dieser Naturphänomene näher betrachtet, insbesondere die Lichtstreuung an den Bestandteilen der Atmosphäre (Abschnitt 3.2). Je nach Größe der streuenden Materie zur Lichtwellenlänge unterscheidet man Rayleigh- oder Mie-Streuung mit ganz charakteristischen Eigenschaften wie z. B. Winkelverteilung, Frequenzabhängigkeit und Polarisation. In diesem Kapitel wird zunächst nach einem kurzen historischen Abriss – vertiefend zu Abschnitt 2.5 – auf die Lichtstreuung an den Luftmolekülen (Rayleigh-Streuung) und deren Konsequenzen für die Erzeugung des blauen Himmels eingegangen. Die Lichtstreuung an kleinen Teilchen als wesentliche Ursache für weiße Wolkenfarben und die Vielfalt der Farberscheinungen von Sonne und Mond bei Auf- und Untergang sowie die Dämmerungsfarben des Himmels werden in Kapitel 10 beschrieben.

9.1

Geschichtliches

Die Zusammensetzung der Atmosphäre mag sich im Laufe der Jahrtausende durchaus leicht geändert haben, insbesondere auch wegen der anthropogenen (von Menschen gemachten) Emissionen, dennoch kann man sicherlich zu Recht annehmen, dass an sehr klaren Tagen der Himmel über dem antiken Griechenland oder Rom eine ähnliche blaue Farbe hatte wie heute. Und da auch heute noch fast jedes Kind irgendwann einmal seine Eltern fragt, warum der Himmel blau ist, erscheint es verständlich, dass nach großen antiken Gelehrten auch viele bekannte Naturforscher und Physiker der Neuzeit sich mit dieser Frage beschäftigt haben. (Hierzu gibt es eine sehr schöne geschichtliche Übersicht von Hoeppe [Hoe99] über Blau, die Farbe des Himmels.) Das Problem ließ sich allerdings nicht durch reines Nachdenken lösen, vielmehr waren quantitative Experimente gefragt. Erste Messungen wurden möglich durch das von Horace-Benedict Saussure (1740–1799) entwickelte sog. Cyanometer. Es war eine kreisförmige Scheibe mit 52 durchnummerierten Sektoren, die jeweils einen verschiedenen Blaufarbton aufwiesen (Farbtafel 9.1). Messungen erfolgten durch subjektiven Farbvergleich der Himmelsfarbe mit einem Sektor der Scheibe.

M. Vollmer, Lichtspiele in der Luft, DOI 10.1007/978-3-8274-3093-9_9, © Elsevier GmbH, München 2006

238

9 Blauer Himmel

Mit dieser Methode wurde beispielsweise die Änderung der Himmelsfarbe mit der Höhe bei Besteigung eines Bergs untersucht. Auch Alexander von Humboldt (1769–1859) nutzte ein Cyanometer auf seinen Andenexpeditionen, bemängelte aber dessen Ungenauigkeiten. Das 19. Jahrhundert brachte schließlich große Fortschritte. Einen wichtigen Beitrag lieferte beispielsweise Arago, der 1809 entdeckte, dass das blaue Licht des klaren Himmels polarisiert ist. Dies inspirierte ihn, gemeinsam mit seinem Zeitgenossen Biot, die Polarisation anderer Naturphänomene wie von Regenbögen oder Polarlichtern zu studieren. Um 1850 führten dann der Physiologe Ernst Wilhelm von Brücke (1819–1892) und später der Physiker John Tyndall (1820–1893) Laborexperimente zur Farbe von Rauch, trüben Flüssigkeiten und diversen Dämpfen (Salzsäure = HCl, Benzol etc.) durch. Insbesondere Tyndall bemerkte 1869, dass Salzsäuredampf ähnliche Farbtöne und Polarisationserscheinungen wie Luft zeigt. Glücklicherweise enthält unsere Luft kein HCl, und außerdem zeigten die theoretischen Erklärungen Tyndalls mithilfe der geometrischen Optik noch Mängel. Insofern blieb der Ruhm für die erste richtige wissenschaftliche Erklärung des blauen Himmels John William Strutt (1842–1919) vorbehalten, der im Alter von 31 Jahren 1873 zum Lord Rayleigh ernannt wurde. Er konnte Tyndalls Experimente im Jahr 1871 mithilfe der Wellenoptik erklären und damit zum ersten Mal eine überprüfbare Theorie des Himmelsblau geben. In seiner Veröffentlichung On the Light of the Sky, Its Polarization and Color nahm Lord Rayleigh an, dass die Lichtstreuung auf kleine Teilchen in der Luft zurückzuführen sei, doch erst 28 Jahre später postulierte er, dass man keine fremden Teilchen benötigt, dass vielmehr auch reine Luft durch Streuung einen blauen Himmel verursacht. Und erst weitere 19 Jahre später, d. h. 1918, gelang es seinem Sohn Robert John Strutt (1875–1947), das Himmelsblau im Versuch nachzuweisen. Er untersuchte die Lichtstreuung an reiner Luft in Abhängigkeit von der Wellenlänge mit verschiedenen Farbfiltern sowie als Funktion der Polarisation. Damit war endgültig der Beweis erbracht, dass die Streuung an den Luftmolekülen für die blaue Farbe und Polarisation des Himmelslichts verantwortlich ist. Lord Rayleigh zu Ehren wird seine Theorie heute unter dem Namen Rayleigh-Streuung zusammengefasst. Sie wird immer dann wichtig, wenn die das Licht streuenden Teilchen klein gegen die Wellenlänge des Lichts sind. Noch bevor Robert Strutt seine Experimente durchführte, legte Gustav Mie mit seiner Arbeit zur Optik trüber Medien 1908 den Grundstein für moderne Streuberechnungsmethoden in der atmosphärischen Optik. Ihm zu Ehren spricht man von der Mie-Theorie, selbst wenn man anstelle der von ihm gewählten Kugelgeometrie verallgemeinert zu anderen Formen übergeht. Die Mie-Theorie wird immer dann wichtig, wenn die Größe der das Licht streuenden Teilchen in der Größenordnung der Lichtwellenlänge oder größer ist (Abschnitt 2.5.3 und Kapitel 10).

9.2 Rayleigh-Streuung

9.2

239

Rayleigh-Streuung

Menschen können sehen, weil Licht in die Augen gelangt. Wie in Abschnitt 2.2 erläutert wird das Licht dabei i. Allg. auf dem Weg von der Lichtquelle ins Auge in seiner Richtung beeinflusst, d. h. abgelenkt oder – in üblicher physikalischer Sprechweise – gestreut. Die Lichtstreuung wird mikroskopisch auf die Wechselwirkung von Licht mit Materie zurückgeführt (Abschnitt 3.2). Die Atmosphäre besteht aus Molekülen (N2, O2, H2O, Spuren von Edelgasen, CO2 etc.), Wassertropfen, Eiskristallen, Dendriten sowie Aerosolen. Da diese Bestandteile sowohl verschiedene Größen als auch verschiedene Geometrien haben, ergeben sich sehr unterschiedliche Streuprozesse. Grob lassen sich zwei Streumechanismen unterscheiden: Die Elektronen der Moleküle und Atome verursachen Rayleigh-Streuung, während Aerosole und Regentropfen je nach Größe entweder durch Rayleigh- oder durch Mie-Streuung beschrieben werden. Dass die Materie der Atmosphäre für die Himmelsfarbe verantwortlich ist, wurde eindrucksvoll durch Aufnahmen der Apolloastronauten auf dem Mond belegt, die zeigen, dass der atmosphärelose Mond einen schwarzen Himmel hat (Farbtafel 9.2) im Gegensatz zum Himmel auf der Erde (Farbtafel 9.3) Die Wechselwirkung von Licht mit Materie lässt sich im einfachsten Festkörpermodell, dem Drude-Lorentz-Modell, als erzwungene Schwingung von harmonisch gebundenen Elektronen verstehen. Die elektrisch geladenen Elektronen erfahren dabei durch das elektrische Feld Eᠬ der Lichtwelle eine periodische Kraft. Die resultierende periodische Beschleunigung führt zur Abstrahlung elektromagnetischer Wellen, wobei jedes Elektron als kleine Antenne, einem sog. Hertz’schen Dipol mit einer charakteristischen Winkelverteilung gemäß sin2ϑ (Abbildung 9.1) angesehen wird. Ganz analog geht man bei der klassischen Erklärung der RayleighStreuung vor. Das Eᠬ -Feld der Lichtwelle (Abschnitt 2.5.1) regt die gebundenen Elektronen der Luftmoleküle zu erzwungenen Schwingungen an. Den Prozess der Abstrahlung in die verschiedenen Raumrichtungen nach Abb. 9.1 durch die kleinen Dipole nennt man Rayleigh-Streuung.

ϑ

9.1 Winkelabhängigkeit der Abstrahlung eines Hertz´schen Dipols. Die Schwingung erfolgt in der vertikalen Richtung.

240

9.2.1

9 Blauer Himmel

Farbabhängigkeit der Rayleigh-Streuung: Das Blau des klaren Himmels

Die Anwendung der Rayleigh’schen Theorie auf einzelne Elektronen von Luftatomen und Molekülen, deren Durchmesser wesentlich kleiner als die Lichtwellenlänge sind, ergibt für die gesamte, d. h. über alle Winkel aufsummierte Intensität des Streulichts als Funktion der Wellenlänge (für einfarbiges Licht ist die Wellenlänge ein direktes Maß für die wahrgenommene Farbe, vgl. Abschnitt 2.1.2) I(λ) ∝ 1/λ4

(9.1)

Dieser Zusammenhang ist auch in Abb. 9.2 dargestellt. (Bei genauerer Analyse führt die Dispersion dazu, dass der Exponent im Streugesetz für reine RayleighStreuung von 4,00 auf den Wert 4,08 steigt [Boh95, You82].) Blaues Licht wird demnach viel stärker gestreut als rotes. Geht man von den theoretischen Sichtbarkeitsgrenzen für das menschliche Auge aus (380–780nm), dann beträgt der Unterschied zwischen Rot und Blau etwa einen Faktor von 16, die realistischeren Werte 450 nm und 700 nm ergeben immerhin noch einen Faktor von 6.

I = k/λ4

9.2 Wellenlängenabhängigkeit bei der Rayleigh-Streuung.

Diese Tatsache – blaues Licht wird sehr viel stärker gestreut als rotes Licht – erklärt anschaulich, warum der klare Himmel blau ist. Das von der Sonne auf die Erdatmosphäre einfallende Licht erscheint bei direkter Beobachtung der Sonne weiß. Es besteht aus Licht vieler verschiedener Wellenlängen, die zusammen ein breites kontinuierliches Spektrum erzeugen (vgl. Abb. 2.6). Geht man in erster Näherung davon aus, dass alle Farben von Blau nach Rot etwa gleich stark im Sonnenlicht vertreten sind, so werden die blauen Anteile gemäß Abb. 9.2 stärker gestreut als die roten Anteile. Dies bedeutet, dass blaues Licht häufiger an den Elektronen der Luftmoleküle gestreut wird und somit seine Richtung gemäß Abb. 9.1 ändert. Dieser Sachverhalt ist schematisch in Abb. 9.3 angedeutet.

9.2 Rayleigh-Streuung

241

9.3 Streuung des Sonnenlichts in der Erdatmosphäre (nach [Hec01]). Die Dicke der Atmosphäre ist stark übertrieben.

Das auf die Erdatmosphäre einfallende Licht besteht aus unzähligen einzelnen Lichtwellen verschiedener Wellenlängen. Diese werden je nach Wellenlänge unterschiedlich häufig gestreut. Blicken wir – abgesehen von der Richtung der Sonne – in eine beliebige Richtung am klaren Himmel (wir nennen die Linie in dieser Richtung Sehstrahl), sehen wir die Überlagerung des Streulichts von allen Streuprozessen, die entlang dieses Sehstrahls in der Atmosphäre vorkommen (Abb. 9.4). Da blaues Licht häufiger gestreut wird als rotes Licht, wird entlang beliebiger Richtungen – d. h. Sehstrahlen – mehr blaues als rotes Licht gesehen. Dies bedeutet, dass das ins Auge einfallende Spektrum des Streulichts gegenüber dem direkten und weiß erscheinenden Sonnenlicht verstärkt Blauanteile aufweist (Abb. 9.5) und somit als ungesättigte Farbe blau wahrgenommen wird. Mithilfe der Rayleigh-Streuung kann man auch die Dämmerungsfarben bei sauberer, sehr klarer Atmosphäre verstehen. Diese Erscheinungen werden jedoch erst im Zusammenhang aller Himmelsfarben in Kapitel 10 behandelt.

9.4 Das Licht aus einer bestimmten Himmelsrichtung entlang des Sehstrahls setzt sich zusammen aus Anteilen, die durch Streuung von Sonnenlicht in verschiedenen Höhen zustande kommen.

242

9 Blauer Himmel

9.5 Qualitativer Vergleich der Spektren der direkten Sonnenstrahlung sowie des gestreuten Himmelslichts.

9.2.2

Polarisation des Himmelslichts

Da sich die Streuung von Licht an den Elektronen der Luftmoleküle durch Hertz´sche Dipole beschreiben lässt, ergibt sich aus der Winkelverteilung in Abb. 9.1 sofort, dass die Dipole, die man quasi als kleine Sendeantennen auffasst, bevorzugt Strahlung senkrecht zur Schwingungsrichtung aussenden, aber überhaupt keine Strahlung in Schwingungsrichtung. Dies gilt allgemein für Dipolantennen: In Schwingungsrichtung werden keine Wellen abgestrahlt. Aufgrund dieser Tatsache wird nun auch verständlich, warum das Streulicht des blauen Himmels teilweise polarisiert ist. Licht als elektromagnetische Welle zeichnet sich dadurch aus, dass das elektrische Feld senkrecht zur Ausbreitungsrichtung schwingt. Beim Sonnenlicht bleibt die Ebene, in der das elektrische Feld schwingt, zeitlich konstant (vgl. Abb. 2.21). Solche sog. ebenen Wellen zeichnen sich durch eine Polarisationsebene aus, die durch die Ausbreitungsrichtung und die Richtung des elektrischen Felds definiert wird. Für derartige polarisierte Wellen, d. h. linear polarisiertes Licht, hängt die Lichtintensität hinter einem Polarisator (vgl. Abb. 2.22) empfindlich von der Orientierung des Polarisators zur Polarisationsebene des Lichts ab. Natürliches Sonnenlicht ist aber unpolarisiert. Dies hängt mit der Aussendung des Lichts zusammen. Die Lichtemission lässt sich mikroskopisch auf die Abregung von angeregten Atomen zurückführen. Jedes angeregte Atom sendet für kurze Zeit (in der Regel z. B. innerhalb von 10–8 s) polarisiertes Licht aus, wobei sich die Polarisationsebene i. Allg. zufällig einstellt. Alle Wellen, die von verschiedenen Atomen ausgesendet werden, überlagern sich zu einer einzigen Welle. Da ständig neue Atome neue Wellen mit zufällig orientierter Polarisationsebene emittieren, ergibt sich in zeitlicher Abfolge eine so schnelle Änderung der Polarisation, dass diese nicht mehr nachweisbar ist [Hec01]. Bei ausgedehnten Lichtquellen wie der Sonne kommt hinzu, dass ausgesendetes Licht räumlich benachbarter Atome verschiedene Polarisationsebenen aufweisen kann. Die für Beobachtungen resultierende Konsequenz: Dreht man ein Polarisationsfilter, das mit Sonnenlicht beleuchtet wird, so gibt es für jede beliebige Orientierung des Filters hindurchtretendes Licht.

9.2 Rayleigh-Streuung

243

Es stellt sich die Frage, wie unpolarisiertes Sonnenlicht, das auf die Erdatmosphäre einfällt, zu der 1809 von Arago entdeckten teilweisen Polarisation des blauen Himmelslichts führen kann. Hierzu stellt man sich das einfallende unpolarisierte ᠬ in jeder beliebigen Richtung Sonnenlicht vor als Welle, deren elektrisches Feld E senkrecht zur Ausbreitungsrichtung schwingen kann. Zur Vereinfachung betrachtet man zunächst Licht, dessen Vektor Eᠬ ver in Abb. 9.6a in der Vertikalen schwingt. In der Mitte der Abbildung erkennt man die Ebene senkrecht zur Ausbreitungsrichtung des Sonnenlichts, in der das Elektron eines Luftmoleküls sich bewegen kann. Das einfallende elektrische Feld übt auf das Elektron eine Kraft aus, sodass sich dieses mit der Frequenz der Lichtwelle ebenfalls in der Vertikalen periodisch auf- und abbewegt. Dadurch stellt das Elektron einen Hertz’schen Dipol dar, d. h. eine Sendeantenne für Licht. Als Konsequenz wird das Sonnenlicht aus seiner ursprünglichen Ausbreitungsrichtung abgelenkt, was man als Streuung bezeichnet. Nach Abb. 9.1 kann das Elektron allerdings nicht in alle Raumrichtungen gleichmäßig abstrahlen. Bevorzugt wird senkrecht zur Schwin-

a)

b)

c) 9.6 Erklärung der Entstehung polarisierten Streulichts in der Atmosphäre. a) und b) Einfall linear polarisierten Lichts mit vertikaler bzw. horizontaler Orientierung des elektrischen Felds; c) Zerlegung eines beliebig orientierten Feldvektors in senkrechte bzw. horizontale Komponenten; d) Lichtstreuung einer unpolarisierten Lichtwelle.

d)

244

9 Blauer Himmel

Polarisationsgrad in Prozent

gungsrichtung abgestrahlt, und in Schwingungsrichtung findet überhaupt keine Streuung statt. Folglich fällt die Streuung in der horizontalen Ebene (Positionen 1–3) stark aus, in eine Richtung schräg nach oben (Position 4) wird nur noch ein Teil des Lichts gestreut, während in die Richtung senkrecht über dem Elektron, d. h. in Schwingungsrichtung des Dipols (Position 5), überhaupt kein Licht gestreut wird. Als Nächstes betrachtet man nun Licht, das unter ansonsten gleichen Bedingungen in der horizontalen Ebene (Eᠬ hor) polarisiert ist (Abb. 9.6b). Das Elektron bewegt sich analog zum eben diskutierten Fall periodisch in der horizontalen Ebene. Nun befinden sich die Positionen 3–5 jeweils senkrecht zur Schwingungsrichtung: In diese Richtungen tritt eine starke Lichtstreuung auf. In Richtung der Position 2 wird nur ein Teil des Lichts gestreut, und in Richtung der Position 1 tritt überhaupt keine Streustrahlung auf. Das unpolarisierte Sonnenlicht kann natürlich auch andere Polarisationsrichtungen aufweisen. Allerdings lässt sich jede beliebige Polarisation durch Kombination (mathematisch genauer eine Vektoraddition) der beiden eben diskutierten Fälle realisieren (Abbildung 9.6c), d. h., jede beliebige Polarisationsrichtung kann genauso beschrieben werden, wenn man nur die relativen Anteile der beiden bereits diskutierten Komponenten (Abb. 9.6a und 9.6b) addiert. Führt man die obigen Betrachtungen für unpolarisiertes Licht analog durch, so ergibt sich für das gestreute Licht die in Abb. 9.6d dargestellte Situation. Im Ergebnis sieht man, dass nur in den Raumrichtungen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung des Lichts (Position 1 und 5) jeweils polarisiertes Licht vorliegt, in allen anderen Richtungen liegt entweder teilweise polarisiertes (Position 2 und 4) oder vollständig unpolarisiertes Licht (Position 3) vor. Ein quantitatives Maß für die Polarisation ist der Polarisationsgrad. Dreht man einen Polarisator in einer gewählten Richtung und misst die maximale (Imax) und die minimale (Imin) Intensität hinter dem Filter, so lässt sich der Polarisationsgrad [Hec01] P berechnen und für den Spezialfall der Rayleigh-Streuung an einem kugelsymmetrischen Streuer als Funktion des Streuwinkels ϕ gegen die Ausbreitungsrichtung angeben:

Streuwinkel in Grad

9.7 Polarisationsgrad als Funktion des Streuwinkels für Rayleigh-Streuung.

9.2 Rayleigh-Streuung

P(ϕ ) =

I max − I min 1 − cos 2ϕ = I max + I min 1 + cos 2ϕ

245

(9.2)

Abb. 9.7 zeigt den Polarisationsgrad für Rayleigh-Streuung. Als Extremfälle erwartet man für den Streuwinkel von 90° (Position 1 und 5 in Abb. 9.6) P = 1, d. h. vollständig polarisiertes Licht, sowie für reine Vorwärts- (Position 3 in Abb. 9.6) bzw. Rückwärtsstreuung P = 0, d. h. vollständig unpolarisiertes Licht. In Bezug auf die Beobachtung des Himmelsblau bedeutet der Streuwinkel von 90°, dass man beim Blick in diese Richtungen gemäß Abb. 9.8 beim Drehen eines Polarisationsfilters die Streustrahlung vollständig unterdrücken sollte. Farbtafel 9.4 sowie Abb. 9.9 zeigen ein Beispiel einer tatsächlichen Beobachtung. Dargestellt sind die Positionen minimal hindurchtretender Lichtintensität sowie die dazu senkrech-

9.8 Geometrie für Beobachtung (B: Beobachter) des Himmelslichts. Sämtliche Richtungen innerhalb der schraffierten Fläche haben einen Streuwinkel von 90°, d. h., die Strahlung aus diesen Richtungen ist stark polarisiert.

a)

b)

9.9 Der Blick auf den blauen Himmel beim Drehen eines Polarisationsfilters.

246

9 Blauer Himmel

te Orientierung des Polarisationsfilters. Im Minimum tritt zwar eine recht starke Unterdrückung auf, allerdings ist diese nicht vollständig. Diese unvollständige Polarisation ist – neben hier vernachlässigbaren Unvollkommenheit des Filters – auf mehrere Ursachen zurückzuführen. Erstens stellt man bei genauerer Betrachtung fest, dass die Luftmoleküle (im Wesentlichen O2 und N2) nicht sphärisch sind, sondern eher durch eine längliche zigarrenähnliche Form (Rotationsellipsoide) beschrieben werden können. Liegen diese Formen in statistischer Orientierung vor, wird bei dem 90°-Streuwinkel eine maximale Polarisation von nur etwa 94 % erreicht [Boh95,You82]. Zweitens – und dies ist in der Realität von größerem Einfluss – ist die Luft nie völlig frei von Schwebeteilchen (Aerosolen). Diese können ebenfalls das Licht streuen, allerdings bei größeren Dimensionen nicht mehr entsprechend der Rayleigh-, sondern gemäß der Mie-Streuung. Drittens kann das Sonnenlicht in der Atmosphäre auch mehrfach gestreut werden, bevor es das Auge eines Beobachters erreicht. Insbesondere kommt das Licht aus einer Himmelsrichtung mit 90°-Streuwinkel nicht nur durch einen Einfach-Streuprozess zustande, sondern zu einem gewissen Bruchteil auch durch Mehrfachstreuung. Dabei wird der Polarisationsgrad verringert. Insofern verwundert nicht, dass der maximal beobachtbare Polarisationsgrad P unter 90°-Streuwinkel meist Werte um 80 % erreicht. (P ist umso höher, je klarer die Atmosphäre ist, eine eindeutige Korrelation mit der vertikalen Transmission wurde nachgewiesen (siehe Rozenberg in [Boh89].) Übrigens kommen andere Polarisationszustände des Lichts (wie z. B. zirkular polarisiertes Licht) in der Natur sehr selten vor [Kön85]. Genau genommen gibt es am Himmelsgewölbe noch drei besondere neutrale Punkte im Abstand von etwa 15°–20° über bzw. unter der Sonne bzw. dem Gegensonnenpunkt, an denen das Himmelslicht unpolarisiert ist, obwohl dies gemäß der Einfachstreuung nach Rayleigh nicht der Fall sein dürfte. Diese Punkte, benannt nach ihren Entdeckern Arago, Babinet und Brewster, kommen durch Mehrfachstreuung in der Atmosphäre zustande, insbesondere durch das Himmelsstreulicht in Horizontnähe [Lyn95, Die57].

9.2.3

Schwächung des Lichts durch die Atmosphäre: Die optische Dicke

Beim Durchqueren der Erdatmosphäre wird das Sonnenlicht durch die Streuprozesse aus seiner ursprünglichen Ausbreitungsrichtung entfernt (Abb. 9.10a), d. h., die Intensität des Lichts entlang einer vorgegebenen Richtung wird mit zunehmender Zahl von Streuprozessen immer geringer (Abb. 9.10b). Mathematisch wird dies durch das sog. Lambert-Beer’sche Gesetz beschrieben. Dabei geht man von einem Lichtstrahl aus, der mit der Intensität I(0) auf die Atmosphäre trifft. Das Licht denkt man sich als aus einzelnen Lichtquanten, Photonen genannt, bestehend. Jedes Photon kann durch Streuung aus seiner Richtung abge-

9.2 Rayleigh-Streuung

247

a)

b)

9.10 Qualitative Darstellung der Lichtschwächung in Ausbreitungsrichtung durch Streuung (a) sowie die sich ergebende Intensität nach dem Lambert-Beer’schen Gesetz (Gl. 9.3).

lenkt, d. h. aus der ursprünglichen Richtung entfernt werden. Demzufolge sinkt die Intensität in der ursprünglichen Ausbreitungsrichtung, die proportional zur Zahl der Photonen ist, nach Durchlaufen der Strecke L auf den Wert I(L). Wenn typischerweise nach einer Strecke xe, der sog. mittleren freien Weglänge der Photonen in der Atmosphäre, ein Streuprozess stattfindet, findet man für I(L): I (L) = I (0) ⋅ e

− L/x e

= I (0) ⋅ e

−τ

(9.3)

Häufig wird der Quotient aus tatsächlichem Weg L und der mittleren freien Weglänge xe als optische Dicke τ bezeichnet. Für τ = 1 ist die Intensität des Lichts auf den Wert 1/e = 0,37, d. h. 37 % abgefallen, bei τ = 3 auf 5 % und nach τ = 5 auf unter 1 %. Die optische Dicke wird als sinnvolles Maß benutzt, um die Schwächung von Licht durch Materie zu beschreiben. (Die Lichtschwächung in der Atmosphäre ist übrigens ganz ähnlich zu vielen anderen Prozessen in der Physik, beispielsweise zur Schwächung von Röntgenstrahlung durch eine Bleiabschirmung beim Arzt. Dort soll die optische Dicke einen möglichst hohen Wert haben, sodass nur der nicht von Blei abgeschirmte und zu untersuchende Körperteil durchstrahlt wird.) Analysiert man die Schwächung des Lichts durch Rayleigh-Streuung in der Atmosphäre, so wird die Beschreibung etwas komplizierter. Erstens nimmt die Dichte der Luft (und damit die Anzahl der streuenden Luftmoleküle) mit der Höhe ab, zweitens hängt die Wahrscheinlichkeit für die Streuung von der Farbe, d. h. der Wellenlänge des Lichts ab (vgl. Gl. 9.1), und drittens hängt die vom Licht durchquerte Luftmasse vom Einfallswinkel des Lichts auf die Erdatmosphäre ab.

248

9 Blauer Himmel

9.11 Optische Dicke für einen aus dem Zenit einfallenden Lichtstrahl als Funktion der Wellenlänge des Lichts.

Im Folgenden wird zunächst der Fall betrachtet, bei dem das Licht aus dem Zenit einfällt; man spricht in diesem Fall auch von der vertikalen Atmosphäre. Abb. 9.11 zeigt die Abhängigkeit der optischen Dicke eines Lichtstrahls als Funktion seiner Wellenlänge. Der Abfall von Blau nach Rot spiegelt die bereits oben diskutierte Wellenlängenabhängigkeit wider. Die optische Dicke erreicht im blauen Licht (λ = 400 nm) maximal τ = 0,4 und fällt über Grün (λ = 550 nm, τ ≈ 0,1) zu Rot (λ = 700 nm) auf etwa τ = 0,04 ab. Gemäß Gl. 9.3 bedeutet dies für die von der Atmosphäre transmittierten Intensitäten (λ = 400 nm) ≈ 0,67 · I(0), I(λ = 550 nm) ≈ 0,90 · I(0) und I(λ = 700 nm) ≈ 0,96 · I(0). Offensichtlich sind für grünes und rotes Licht nur weniger als 10 % der Photonen gestreut worden. Selbst für blaues Licht an der Sichtbarkeitsgrenze von 400 nm beträgt die Schwächung nur etwa 1/3. Die Konsequenzen dieses Verhaltens für die Farbwahrnehmung der Sonne bzw. des Monds werden im nächsten Kapitel diskutiert. Die Tatsache, dass die optische Dicke der vertikalen Atmosphäre für den gesamten Bereich sichtbaren Lichts unter eins liegt, bedeutet ferner, dass die mittlere freie Weglänge des Lichts immer kleiner ist als der tatsächliche Weg durch die Atmosphäre. Mit anderen Worten: Der Weg ist so kurz, dass ein Photon – wenn überhaupt – im Mittel nur einmal gestreut wird. Insofern dominiert in diesem Fall Einfachstreuung.

9.2.4

Schwächung des Lichts als Funktion der Zenitdistanz: Der Air-Mass-Faktor

Schon aus der Alltagserfahrung ist bekannt, dass man nicht direkt in die hoch am Himmel stehende Sonne blicken sollte, da es ansonsten zu Schädigungen des Auges kommen kann. Solche irreparablen Augenschäden, die trotz aller Warnungen immer

9.2 Rayleigh-Streuung

249

wieder bei Sonnenfinsternissen auftreten, sind auf die sehr hohe Intensität der Sonnenstrahlung zurückzuführen. Wird das Bild der Sonne mit der Augenlinse auf die Netzhaut fokussiert, führt die hohe Bestrahlungsstärke zu irreversiblen Veränderungen. (Eine sichere Beobachtung der Sonne mit bloßem Auge erfordert i. Allg. eine Abschwächung durch eine Sonnenfinsternisbrille um den Faktor 105). Andererseits ist ebenfalls bekannt, dass die Sonne bei Auf- oder Untergang, d. h. wenn sie sich in Horizontnähe befindet, zum einen stark verfärbt (Abschnitt 10.2.1) und zum anderen viel schwächer leuchtet. Je nach atmosphärischen Bedingungen kann man sie sogar für einige Sekunden mit bloßem Auge beobachten. (Achtung: Dies ist immer noch gefährlich, da der natürliche Reflex, bei hohen Intensitäten des Lichts wegzuschauen, hier nicht so stark ausgeprägt ist!) Die Ursache für die Schwächung der Sonnenstrahlung nahe dem Horizont liegt darin, dass die Sonne einen längeren Weg durch die Atmosphäre zurücklegen muss, ehe sie das Auge eines Beobachters erreicht. Demzufolge wird auch mehr Sonnenlicht aus der ursprünglichen Ausbreitungsrichtung herausgestreut. Quantitativ beschreibt man dies durch den Air-Mass-Faktor (AM-Faktor). Er ist ein Maß für die Dicke der Luftschicht (genauer die durchstrahlte Menge von Materie) entlang des Sehstrahls zum Beobachter. Je größer der AM-Faktor ist, desto mehr Licht wird durch Streuung und/oder Absorption aus dem Strahl entfernt. Der AM-Faktor ist als Funktion der Zenitdistanz berechenbar bzw. tabelliert[Kas89, You94, Kri98, Ged05]. (Dieser AM-Faktor ist definiert für eine homogene Atmosphäre, er beinhaltet somit nicht Inhomogenitäten, z. B. in Form von Aerosolwolken.) Unter der Zenitdistanz φZ (Abb. 9.12) versteht man den Winkel der Sonne zum Zenit, d. h., Zenitdistanz und Sonnenhöhe φS ergeben als Summe 90°.

φ φ 9.12

Definition des Zenitwinkels.

Abb. 9.13a zeigt als einfaches Modell eine in der Dicke stark übertriebene Atmosphäre. Für die vertikale Atmosphäre (φZ = 0°) ist der Air-Mass-Faktor definitionsgemäß eins (AM = 1), d. h., alle Vergleiche beziehen sich immer auf die vertikale Atmosphäre. Offensichtlich hat das Licht bei schrägem Einfall (φZ > 0°) einen längeren Weg durch die Atmosphäre, d. h. einen größeren Air-Mass-Faktor. Für den φz > 0:

φz > 0: φz

9.13 Qualitative Darstellung zum Air-Mass-Faktor für a) eine kugelförmige Erde und b) eine flache Erde.

250

9 Blauer Himmel

unrealistischen, aber instruktiven Fall einer ebenen Erde, bei der die Atmosphäre überall gleich dicht sei bis zu einer bestimmten Höhe (Abb. 9.13b), lässt sich der AirMass-Faktor einfach berechnen zu AM = 1/cos φZ. Als Näherung gilt dies allerdings nur bis zu Zenitdistanzen von maximal 60°. Abb. 9.14 zeigt Berechnungen für den AM-Faktor der kugelförmigen Erde. Man erkennt, dass insbesondere für niedrige Sonnenstände der AM-Faktor Werte von über 38 annehmen kann, d. h., das Licht muss durch eine über 38-mal so dicke Luftschicht verglichen mit dem Einfall vom Zenit, bevor es den Erdboden trifft. Dadurch wird die Schwächung des Lichts so groß, dass beispielsweise bei Sternbeobachtungen lichtschwache Sterne schon oberhalb des Horizonts nicht mehr wahrgenommen werden können [Bra83].

9.14 Der Air-Mass-Faktor als Funktion der Zenitdistanz bezogen auf den Wert AM = 1 im Zenit (nach [Kas89]).

Mit dem AM-Faktor schreibt sich die optische Dicke allgemein als

τ (φ Z) = AM(φ Z) · τ N

(9.4)

Damit lässt sich die Abschwächung des Lichts recht einfach abschätzen. Beispielsweise führt ein AM = 3 für grünes Licht von λ = 550 nm mit einer normalen optischen Dicke von τN = 0,1 zu einer resultierenden optischen Dicke τ (φZ) von 0,3. Gemäß Gl. 9.3 betrug die von der vertikalen Atmosphäre transmittierte Intensität I(λ = 550 nm, AM = 1) ≈ 0,90 · I(0). Im Falle schrägen Einfalls mit AM = 3 ergibt sich daraus I(λ = 550 nm, AM = 3) ≈ 0,74 · I(0). Neben der Auswirkung für die Himmelsfarben (Abschnitt 10.2) ist der AM-Faktor beispielsweise von großer Bedeutung für die Berechnung der Bestrahlungsstärke auf Photovoltaik- oder Solarthermikanlagen [Qua03]. Hier stellt sich die Frage, wie groß die minimalen AM-Faktoren für die Zenitstände der Sonne in Deutschland eigentlich sind. Dies hängt natürlich von der Jahreszeit ab, da die Sonnenhöhe jahreszeitlich stark schwankt. In Berlin betragen die minimalen Zenitdistanzen φZ und damit korrelierte minimale AM-Faktoren φZ = 29,2° und AM = 1,15 am 21.6., φZ = 48,2° und AM = 1,5 am 1.4. und 12.9, aber bereits φZ = 75,9° und AM = 3 am 30.1. bzw. 13.11. eines jeden Jahres. Im jeweiligen Tagesgang sind die für Bestrahlung

9.2 Rayleigh-Streuung

251

von Kollektoren wirksamen mittleren AM-Faktoren natürlich niedriger. Insofern fällt im Winter für die meisten Solaranlagen zu wenig Strahlung ein.

9.2.5

Weißer Horizont und Helligkeiten des Himmels bei Rayleigh-Streuung

Der Himmel sieht tagsüber, d. h. abgesehen von Dämmerungsbedingungen, in Horizontnähe meist nicht blau, sondern weißlich aus. Diese Farbgebung ist auf die große optische Dicke der Atmosphäre für Blickrichtungen in Horizontnähe zurückzuführen. Abb. 9.15 zeigt Sonnenlicht, das auf die Erdatmosphäre einfällt und entlang einer bestimmten Richtung in Horizontnähe entlang eines Sehstrahls zu einem Beobachter gestreut wird. Bei hoch stehender Sonne durchläuft das Licht bis zum Sehstrahl nur eine geringe Atmosphärendicke , d. h. die spektrale Zusammensetzung des Sonnenlichts hat sich praktisch nicht geändert.

9.15 Zur Entstehung des weißen Horizonts durch RayleighStreuung (Details siehe Text).

Gemäß Rayleigh-Streuung wird nun überall entlang des Sehstrahls bevorzugt blaues Licht zum Beobachter hingestreut. Der Beobachter empfängt allerdings Licht, das aus unterschiedlichen Bereichen des Sehstrahls, d. h. aus unterschiedlichen Entfernungen, in seine Richtung gestreut wird. Das Licht, das aus unmittelbarer Nähe den Beobachter erreicht, ist gemäß Rayleigh-Streuung im Wesentlichen blau. Das Licht aber, das aus entfernteren Bereichen des Sehstrahls zum Beobachter gestreut wird, muss einen sehr weiten Weg zurücklegen. Der AM-Faktor, der in Horizontnähe Werte deutlich größer als 10 annehmen kann (vgl. Abb. 9.14), führt zu optischen Dicken des Sehstrahls – vor allem im blauen und grünen Spektralbereich (vgl. Abb. 9.11) – von deutlich über 1. Demzufolge wird weit außen in Richtung Sehstrahl gestreutes Licht mit großer Wahrscheinlichkeit nochmals gestreut, d. h. wieder aus dem Sehstrahl herausgestreut, bevor es den Beobachter erreicht. Hierdurch wird einerseits die Intensität abgeschwächt, andererseits ändert sich die spektrale Zusammensetzung des Lichts, da bei diesen Streuprozessen bevorzugt blaues Licht

252

9 Blauer Himmel

aus dem Strahl entfernt wird. Qualitativ bedeutet dies, dass in Beobachternähe blaues Licht in den Sehstrahl gelangt. In Beobachterferne wird zwar ebenfalls bevorzugt blaues Licht zum Beobachter gelenkt, auf dem Weg entlang des Sehstrahls wird es aber abgeschwächt und sein Spektrum zum Roten hin verschoben. Dieses Verhalten gilt für alle in den Sehstrahl eines Beobachters gestreuten Lichtanteile. Von der tiefen Atmosphäre dominieren Blauanteile, von den höheren Schichten mehr Rotanteile. Aufsummieren über den Sehstrahl ergibt in der Nähe des Horizonts eine weiße Farbe (Abb. 9.15). Durch diese Betrachtung wird auch klar, dass die empfangene Lichtintensität einem Grenzwert zustrebt, da beim Berechnen der Gesamtintensität die Anteile von höheren Schichten immer geringere Beiträge leisten. Die Helligkeit des Himmels wird physikalisch i. Allg. durch die Strahldichte L (das ist die pro Fläche des Senders in den Raumwinkel des Empfängers ausgestrahlte Leistung) gekennzeichnet. Wenn keine direkte Lichtquelle vorliegt (wir blicken nicht in die Richtung von Sonne oder Mond), wird die Helligkeit allein durch Lichtstreuung verursacht. Vereinfacht schreibt sich die von der Wellenlänge abhängige Strahldichte L(λ, φZ) durch Streulicht entlang eines Sehstrahls unter dem Zenitwinkel φZ als [Boh95]

(

L(λ ,φZ ) = G ⋅ LSonne(λ ) ⋅ 1 − e

−τ ( λ ,φZ )

)

(9.5)

wobei LSonne die Strahldichte der direkten Sonnenstrahlung und G ≈ 10–5 ein Geometriefaktor ist. Gl. 9.5 ergibt zwanglos den erwähnten Grenzwert der Himmelshelligkeit in Horizontnähe. Dort ist die optische Dicke groß, weshalb LHorizont(λ) ≈ 10–5 · LSonne(λ) ist, also auch in etwa die spektrale Zusammensetzung des „weißen“ Sonnenlichts aufweist. Mehr zum Zenit hin liegen kleine Werte der optischen Dicke vor, weshalb die Strahldichte LZenit(λ) ≈ 10–5 · LSonne(λ) · τ (λ) ist. Insofern ist zum einen wegen τ < 1 die Helligkeit im Zenit geringer als am Horizont. Gl. 9.5 erklärt somit zwanglos die Helligkeitsänderungen im blauen Himmelsgewölbe. Zum anderen entsteht durch die Wellenlängenabhängigkeit der optischen Dicke τ(λ) (vgl. Abb. 9.11) die ungesättigte blaue Farbe des Himmels. Gl. 9.5 erklärt überdies, warum der Himmel im Hochgebirge deutlich dunkler erscheint. Die optische Dicke aus Abb. 9.11 bezog sich auf eine Beobachterhöhe auf Meeresniveau. In großen Höhen befindet sich deutlich weniger Atmosphäre über dem Beobachter (Abschnitt 3.1.5), d. h., die optische Dicke τ sinkt rasch ab mit steigender Höhe. Da die Strahldichte proportional mit τ sinkt, erscheint der Himmel sehr viel dunkler als von Meereshöhe aus.

9.2.6

Blaue Berge

Eine hinsichtlich der Erklärung dem weißen Horizont verwandte Naturerscheinung ist bekannt als das Phänomen der blauen Berge. Darunter versteht man die Tatsache, dass mehrere hintereinander liegende Bergrücken mit jeweils gleicher Vegeta-

9.2 Rayleigh-Streuung

253

9.16 Weit entfernte Vegetation wird bläulich verfärbt durch die Lichtstreuung entlang des Sehstrahls.

tion und bei gleicher Beleuchtung durch die hoch stehende Sonne verschieden wahrgenommen werden. Die weiter entfernt liegenden Wälder erscheinen bläulich verfärbt gegenüber den näher liegenden grünlichen Wäldern. Je weiter entfernt die Wälder sind, desto ungesättigter, d. h. weißlicher wird das Blau. Farbtafel 9.5 und Abb. 9.16 illustrieren das Phänomen. Ursache ist, ganz analog zur Erklärung des weißen Horizonts, die über den Sehstrahl aufsummierte Intensität des durch Rayleigh-Streuung in Richtung des Beobachters abgelenkten Sonnenlichts. Diese überlagert sich dem direkten Streulicht der Wälder. Befindet man sich nahe an grüner Vegetation, so überwiegt das direkt von den Bäumen ins Auge gestreute Licht, das im Frühjahr und Sommer bevorzugt grün ist, den Anteil des durch Rayleigh-Streuung zusätzlich in den Sehstrahl gestreuten bevorzugt blauen Lichts. Die Intensität dieses blauen Lichts nimmt mit der Entfernung, d. h. der Länge des Sehstrahls, zu, sodass weiter entfernte Wälder einen bläulichen Schimmer erhalten. Andererseits führt eine immer größere Entfernung auch dazu, dass – wie beim weißen Horizont – Mehrfachstreuung auftritt, die die blaue Färbung allmählich ins Weiße verschiebt. Die optische Dicke der vertikalen Atmosphäre (vgl. Abb. 9.11) entspricht auf dem Erdboden bei Normaldruck einer Entfernung von etwa 8 km (Abschnitt 3.1.5). Um eine effektive Mehrfachstreuung und damit eine weißliche Färbung zu beobachten, muss die Entfernung mindestens das Drei- bis Vierfache dieses Werts betragen. Die obige Betrachtung gilt zunächst nur für reine Rayleigh-Streuung. Real tritt zusätzlich Streuung an kleinen Teilchen auf, wodurch einerseits die spektrale Verteilung des Lichts entlang des Sehstrahls geändert wird und andererseits auch die Sichtweite häufig deutlich unter 30 km liegt. Viele Menschen haben sich an das Phänomen der blauen Berge gewöhnt und nutzen sowohl die Helligkeit als auch die Farbtöne entfernter Objekte, um deren Entfernungen abzuschätzen. Diese Methode kann allerdings versagen, wenn man sich in unbekannten Gegenden befindet, in denen z. B. erheblich weniger streuende Teilchen vorliegen (vgl. Diskussion der Sichtweiten in Abschnitt 10.2.4).

254

9.2.7

9 Blauer Himmel

Welche Farbe hat der Nachthimmel?

Bei idealen Bedingungen (d. h. klarer Luft und Wolkenfreiheit) ist der Himmel tagsüber blau. Welche Farbe hat der Himmel denn eigentlich nachts? Tagsüber entsteht das Himmelsblau durch Streuung des Sonnenlichts. Nachts nehmen Menschen wegen der geringen Intensität des ins Auge fallenden Lichts zunächst einmal alles in Schwarzweiß wahr, insofern wird der dunkle Himmel als schwarz interpretiert. Die Tatsache, dass das menschliche Auge – abhängig von der Beleuchtungsstärke – vom Zapfen-Farbsehen auf das Stäbchen-Schwarzweiß-Sehen umschaltet, bedeutet aber noch lange nicht, dass sich die Farbe ändert, denn sonst würde beispielsweise auch ein roter Pullover nachts seine Farbe verlieren und sie mysteriöserweise am nächsten Morgen wiedererlangen. Das scheinbare Problem klärt sich sofort bei Unterscheidung zwischen Farbe im physikalisch-technischen Sinn und der Farbwahrnehmung durch das Auge. Die wahrnehmbare Farbe eines Gegenstands ergibt sich eindeutig aus der spektralen Zusammensetzung des von ihm ausgesandten bzw. gestreuten Lichts. Allgemein werden Farben durch drei Parameter beschrieben: den Farbton (z. B. Rot, Grün, Gelb oder Blau), die Sättigung (diese gibt an, wie viel Weiß beigemischt ist, Rosa oder Rot) sowie letztlich die Helligkeit (sie gibt an, wie viel Strahlung empfangen wird). Die im üblichen Sprachgebrauch benutzte Farbe ist häufig das Ergebnis des Farbtons sowie der Sättigung. Die Umschaltung vom Farbsehen zum SchwarzweißSehen im Auge wird durch die Helligkeit gesteuert mit dem bekannten Ergebnis, dass nachts alle Katzen grau sind. Physikalisch sagt dies aber nichts über den Farbton und die Sättigung aus (siehe auch [Fal90]). Diese kann man aber recht einfach durch eine lange fotografische Belichtung sichtbar machen, die die niedrige Helligkeit kompensiert. Im Ergebnis ist der Nachthimmel ebenfalls blau, wenn er durch ein etwa sonnenähnliches Spektrum weißen Lichts niedriger Intensität beleuchtet wird (Farbfoto in [Gre80]). Dies ist für Beleuchtung durch den Vollmond automatisch erfüllt, da der Mond das Sonnenlicht etwa wellenlängenunabhängig zur Erde reflektiert. Vergleicht man die typische Beleuchtungsstärke des blauen Taghimmels von einigen 1000 Lux (das Lux ist eine lichttechnische Einheit, die ein Maß für die Beleuchtungsstärke von Gegenständen darstellt; vgl. auch Abschnitt 10.2.2 und Abb. 10.16) mit denen einer klaren Nacht (Größenordnung 10–3 lx), so ergibt sich ein Unterschied von einigen Millionen, d. h., die Belichtung dauert nachts etwa 106- bis 107mal so lang wie tagsüber und liegt somit durchaus in der Größenordnung einer Stunde. Entsprechende Fotos zeigen dann auch die kreisförmigen Spuren der sich während dieser Zeit bewegenden Sterne [Gre80].

9.3 Ein einfaches Experiment

9.3

255

Ein einfaches Experiment

Es gibt eine ganze Reihe sowohl einfacher als auch etwas komplizierterer Experimente zur Rayleigh-Streuung. Einige Versuche sind in den Originalarbeiten in [Boh89] bzw. in [Hoe99, Boh87, Tyn69, Min92, Woo20] beschrieben. Es gibt Experimente mit Rauch, Lichtstreuung an Luft und Wasser als auch solche an wässrigen Lösungen mit Milch und kleinen Teilchen oder chemischen Reaktionen, bei denen Teilchen in Zeitskalen von Minuten vom Rayleigh- ins Mie-Regime wachsen. Da bei vielen dieser Experimente neben Rayleigh- auch gleichzeitig Mie-Streuung an kleinen Teilchen auftritt, sollen die meisten qualitativen Experimente im Zusammenhang mit Abschnitt 10.3 beschrieben werden. An dieser Stelle soll nur ein unbekannteres Experiment genauer beschrieben werden, welches es gestattet, die Dicke der Atmosphäre über Rayleigh-Streuung grob abzuschätzen [Vol03b]. Die zugrunde liegende Idee ist, die Farbe von gestreutem Himmelslicht (Sehstrahl unter 90° zur Sonne) mit gestreutem Licht in der Atmosphäre in Höhe des Erdbodens (Bodenlicht, Orientierung ebenfalls 90° zur Sonne) zu vergleichen. Abb. 9.17 zeigt die grundlegende Geometrie. Die beiden Sehstrahlen sammeln jeweils unter 90° zur Sonne das Rayleigh-Streulicht auf. Damit keine weitere Strahlung einfällt, sollte der Hintergrund der Sehstrahlen schwarz sein. Für das Himmelslicht ist dies erfüllt durch das Weltall, für den irdischen Sehstrahl sollte ein absolut schwarzer Hintergrund vorliegen. Am besten lässt sich dies durch einen Hohlraum, z. B. ein geöffnetes entferntes Fenster in einem ansonsten abgeschlossenen großen Raum, realisieren. (Solche Hohlräume werden auch für Hohlraumstrahlung verwendet, da sie sich durch Absorption von nahezu 100 % der einfallenden sichtbaren Strahlung auszeichnen.) Im vorliegenden Experiment wurde eine Fensteröffnung von etwa 1,2 m × 1,8 m verwendet.

9.17 Grundlegende Geometrie für ein Experiment zur Abschätzung der Atmosphärendicke (Details siehe Text).

256

9 Blauer Himmel

Um eine gleichzeitige Beobachtung entlang der beiden Sehstrahlen zu ermöglichen und seitlich einfallendes Streulicht zu minimieren, benötigt man je ein langes Rohr mit Blenden (z. B. aus Pappe) für die beiden Strahlen. Die beiden Rohre sollten unter 90° miteinander verbunden sein. Mittels eines Strahlteilers, der nur das halbe Gesichtsfeld überdeckt und hinten abgedeckt ist, kann gleichzeitig in beiden Richtungen beobachtet werden. Eine Anzahl schwarzer Blenden ist in den Pappröhren eingesetzt, um Streulichteffekte zu minimieren. Über den Strahlteiler wird das Himmelslicht und über den daneben liegenden freien Weg das horizontal einfallende Bodenlicht beobachtet (Abb. 9.18). Befindet sich der Beobachter nahe an der Öffnung, findet wenig Streuung statt und das Bodenlicht erscheint dunkler als das Himmelslicht. Der umgekehrte Fall tritt auf, wenn die Entfernung d sehr groß wird. Dann ergibt sich eine Aufhellung des Bodenlichts gegenüber dem Himmelslicht (Abb. 9.19). Das Messprinzip besteht in einer Variation der Länge des Bodenlichtstrahls, d. h. der Entfernung von Messrohr und Öffnung. Gesucht wird die Entfernung d, für die eine gleiche Helligkeit beider Strahlen beobachtet wird. Da der Strahlteiler nur wenige Prozent des Himmelslichts reflektiert, ist die Entfernung auf der Erde, die zum selben Helligkeitseindruck wie der detektierte Bruchteil des Himmelslichts führt, sehr viel kleiner als die Atmosphärendicke. Die Entfernung d kann auf etwa 10 % genau bestimmt werden, da das menschliche Auge recht empfindlich ist.

9.18

Messprinzip zur Abschätzung der Atmosphärendicke.

9.19 Schematischer Vergleich der Farbe und Intensität von Boden- und Himmelslicht für verschiedene Entfernungen zur Öffnung.

9.4 Referenzen

257

Um aus der Position gleicher Helligkeit auf die Atmosphärendicke zu schließen, muss der Streuprozess entlang beider Strahlen genauer beschrieben werden. Die quantitative Auswertung, die auch den Polarisationsgrad des Himmelslichts berücksichtigt [Vol03b], geht aus von der Annahme einer Atmosphäre, bei der sich der Luftdruck exponentiell mit der Höhe ändert (barometrische Höhenformel, Abschnitt 3.1.5):

{

p( h) = p0 ⋅ exp − h

H

}

(9.6)

Dabei ist p0 der Druck auf Messhöhe und H eine äquivalente Dicke der Atmosphäre von etwa 8000 m. Genau diese äquivalente Dicke ergibt sich aus dem Experiment. Aus Gl. 9.6 folgt die recht realistische Abschätzung, dass der Luftdruck auf dem Mt. Blanc mit etwa 4800 m Höhe ungefähr 55 % des Drucks auf Meereshöhe und auf dem Mt. Everest nur noch etwa 33 % des normalen Luftdrucks beträgt. Letztlich ergibt sich für die äquivalente Atmosphärendicke [Vol03b] H = d/(x ⋅ AM)

(9.7)

wobei d die gemessene Entfernung, AM der Air-Mass-Faktor in Beobachtungsrichtung des Himmelslichts und x ein apparativer Parameter ist, der von dem Polarisationsgrad des Himmelslichts sowie dem Reflexionsvermögen des Strahlteilers herrührt. Beispielsweise führen x = 0,047 und AM = 1,15 für Entfernungen d von einigen hundert Metern auf einen akzeptablen Wert von H.

9.4

Referenzen

[Boh87] C.F. Bohren, Clouds in a Glass of Beer, Wiley (1987) [Boh89] Selected Papers on Scattering in the Atmosphere, Hrsg. C. F. Bohren, SPIE Milestone Series Vol. MS7, SPIE (1989) [Boh95] C.F. Bohren, Atmospheric Optics, Encyclopedia of Applied Physics 12, 405–434 (1995) [Bra83] R. Brandt, B. Müller, E. Splittgerber, Himmelsbeobachtungen mit dem Fernglas, Barth (1983) [Die57] G. Dietze, Einführung in die Optik der Atmosphäre, Akad. Verlagsges., Leipzig (1957) [Fal90] D.S. Falk, D.R. Brill, D.G. Stork, Ein Blick ins Licht, Birkhäuser und Springer (1990) [Ged05]S. Gedzelman, M. Vollmer, The Air Mass Factor: Light Transmission through the Atmosphere, erscheint voraussichtlich 2006 [Gre80] R. Greenler, Rainbows, Halos, and Glories, Cambridge University Press (1980) [Hec01] E. Hecht, Optik, 3. Aufl., Oldenbourg (2001) [Hoe99] G. Hoeppe, Blau – Die Farbe des Himmels, Spektrum Akademischer Verlag (1999) [Kas89] F. Kasten, A.T. Young, Revised Optical Air Mass Tables and Approximation Formula, Appl. Opt. 28/22, 4735–4738 (1989) [Kön85] G.P. Können, Polarized Light in Nature, Cambridge University Press (1985)

258

9 Blauer Himmel

[Kri98] L.K. Kristensen, Astronomical Refraction and Airmass, Astron. Nachr. 319/3, 193–198 (1998) [Lyn95] D.K. Lynch, W. Livingston, Color and Light in Nature, Cambridge University Press (1995) [Min92] M.G.J. Minnaert, Light and Color in the Outdoors, Springer, Heidelberg, Berlin (1993); deutsche Ausgabe: Licht und Farbe in der Natur; Birkhäuser (1992) [Qua03] V. Quaschning, Regenerative Energiesysteme, 3. Aufl., Hanser , München (2003) [Tyn69] J. Tyndall, On the Blue Colour of the Sky, the Polarization of Skylight and on the Polarization of Light by Cloudy Matter Generally, Phil. Mag. S. 4, Vol. 37, No. 250, 384–394 (Mai 1869) [Vol03b] M. Vollmer, Estimating the Thickness of the Atmosphere by Rayleigh Scattering, Am. J. Phys. 71/10, 979–983 (2003) [Woo20] R.W. Wood, Light Scattering by Air and the Blue Colour of the Sky, Phil. Mag. Ser. 6, Vol. 39, No. 232 , 423–433 (1920); siehe auch R.W. Wood, Physical Optics, 3. Aufl., Macmillan, New York (1934) [You82] A.T. Young, Phys. Today, 2–8 (Januar 1982) [You94] A.T. Young, Air Mass and Refraction, Appl. Opt. 33, 1108–1110 (1994)

10

Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

Viele Maler, insbesondere Romantiker wie z. B. William Turner und Caspar David Friedrich, haben Wolken, Sonnen- und allgemein Himmelsfarben am Tage und in der Dämmerung in ihren Kompositionen integriert und so fantastische Farbenspiele der Natur in ihren Bildern eingefangen (vgl. auch [Ged91]). Die wissenschaftliche Erklärung gerade dieser alltäglichen Naturphänomene ist leider nicht immer einfach, zumindest wenn man über eine rein qualitative Beschreibung hinausgehen möchte. Einen Anhaltspunkt über die Ursache von farbenprächtigen Sonnenunterbzw. -aufgängen bietet beispielsweise folgender historische Bericht: Am 27. August 1883 explodierte mit der Kraft von 7’000 Hiroshimabomben (etwa 100–150 Megatonnen TNT) der Vulkan Krakatau zwischen Sumatra und Java. Wenige Stunden nach dem großen Ausbruch ist es gegen 11.00 Uhr vormittags in Djakarta (etwa 150 km Luftlinie) dunkel wie in der Nacht. Anstelle der sonst üblichen 29 °C sind es nur 22 °C. Was in 100 km Umkreis schwarze Nacht ... verbreitet hat, teilt sich Europäern und Amerikanern, Asiaten und Australiern monate-, ja jahrelang als lodernder Abendhimmel in allen Farben des Regenbogens mit – vor allem in Rubinrot, Blutrot, Purpur, Lila, Lachs- und Bernsteinfarben. Bedrohlich finden das die einen, hingerissen sind die anderen, und oft bleibt umstritten, ob es der Widerschein eines nahen Feuers ist oder ein rätselhaftes kosmisches Ereignis ... [Geo95] In der Tat waren die Auswirkungen des Ausbruchs phänomenal. Etwa 300 Millionen Tonnen Asche flogen in die Atmosphäre in durchschnittlich 10 km Höhe. Sie blieb mehr als drei Jahre dort. Die Wirkungen dieser Asche konnten von etwa drei Viertel aller damals lebenden Menschen gesehen werden. Die New York Times berichtete am 28.11.1883, also drei Monate nach dem Ausbruch: „Kurz nach 17.00 Uhr entzündete sich der westliche Horizont zu einem leuchtenden Scharlachrot. Die Menschen auf den Straßen waren bestürzt über diesen unglaublichen Anblick, versammelten sich in kleinen Gruppen an allen Ecken und starrten nach Westen.Viele glaubten, das sei eine Feuersbrunst, die gerade Staten Island oder die Küste von New Jersey verwüstete. Die Wolken verfärbten sich langsam ins Blutrote und mit ihnen das Meer. Schließlich gingen die leuchtenden Farben in ein mattes Rosa über, das langsam in der Dunkelheit

M. Vollmer, Lichtspiele in der Luft, DOI 10.1007/978-3-8274-3093-9_10, © Elsevier GmbH, München 2006

260

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

verschwand“. In Poughkeepsie, nördlich von New York, leuteten bei Sonnenuntergang die Feuerglocken: Der Himmel glühte fast bis zum Zenit. Auch in New Haven galoppierte die Feuerwehr dem flammenden Horizont entgegen. Im Herbst 1883 war noch nicht klar, dass diese Schauspiele auf die Asche des Krakatau zurückzuführen war. Erst am 20. Dezember wurde dieser Zusammenhang in der renommierten naturwissenschaftlichen Zeitschrift Nature bestätigt. Etwa 20 Kubikkilometer Bimsstein und Asche wurden in die Atmosphäre geschleudert [Spe84]. In einem 492 Seiten starken Bericht der Royal Society of London wurden insbesondere die atmosphärischen Auswirkungen behandelt. So berichten 312 der 492 Seiten von ungewöhnlichen optischen Himmelsphänomenen zwischen 1883 und 1886, darunter Dämmerungskorona, Dunsterscheinungen, Verfärbungen von Sonne, Mond etc. Natürlich hat es auch vor der Explosion des Krakatau Vulkanausbrüche sowie brillante Sonnenuntergänge gegeben. Aber die Korrelation eines farbenprächtigen Sonnenuntergangs in England mit der Explosion eines etliche tausend Kilometer entfernten Vulkans war wohl zuvor nicht glaubwürdig nachgewiesen. Der Krakatau färbte nicht nur den Himmel, sondern führte auch zu seltenen Farberscheinungen von Sonne und Mond. Am Tag des Ausbruchs sah die Sonne auf Ceylon am Morgen grün und am Mittag gar blau aus. Eine ähnliche Farbgebung wurde Ende September 1950 vermeldet, als riesige Waldbrände in Kanada wüteten. Die Aerosolteilchen der Rauchmassen gelangten binnen kurzer Zeit auch nach Europa und erzeugten durch ihre spezielle Größenverteilung mit Radien im Bereich der Lichtwellenlänge Blauverfärbungen von Sonne und Mond [Vol54]. Dies sind Beispiele natürlicher Katastrophen, die brillante Farbschauspiele in der Atmosphäre bereithalten, sofern sich unter den Umständen überhaupt jemand daran erfreuen kann. Aber auch die normalen Leuchterscheinungen der Atmosphäre können faszinierende Farbschauspiele bieten [MetKal], teilweise im Volksmund mit Bauernregeln verknüpft [Mal93]. Alle diese Farberscheinungen von Sonne, Mond, Himmel und die Dämmerungsfarben lassen sich auf Lichtstreuung an den verschiedenen Bestandteilen der Atmosphäre zurückführen [Bul82, Mei83]. Ein eindrucksvolles Beispiel stellt das Titelbild dieses Buchs dar. Gezeigt ist der Start eines Spaceshuttles am 7.2.2001 bei Vollmond. Die Ursachen der vielfältigen Farben werden am Ende dieses Kapitels diskutiert. Weitere Beispiele zeigen die Farbtafeln 10.1 bis 10.6. Im Folgenden soll insbesondere die Erklärung von Farberscheinungen durch Streuung an Hydrometeoren (darunter versteht man im Wesentlichen Wassertropfen und Eiskristalle) oder Aerosolen diskutiert werden. Typische Aerosole sind Seesalze, Staub, biologisches Material, Sulfate, Nitrate etc. aus Verdampfung, Feuern und Waldbränden, Vulkanausbrüchen sowie Industrie. Mittlere Durchmesser reichen von etwa 10–2 bis 102 μm mit einem Mittelwert um 1 μm (Abschnitt 3.1.4). Zusätzlich zur Rayleigh-Streuung an den Elektronen der reinen Luft (Kapitel 9) tritt für kugelsymmetrische Aerosole Mie-Streuung auf. Einige ausgewählte Ergebnisse hiervon wurden bereits bei den Feinstrukturen des Regenbogens sowie Koronen und Glorien behandelt. Da das Entstehen der Dämmerungserscheinungen kompliziert ist und die Phänomene nicht nur rein qualitativ behandelt werden, kann Kapitel 10 stellenweise für das Verständnis etwas schwieriger ausfallen. In Abschnitt

10.1 Ergebnisse der Mie-Streuung erläutert an Beispielen

261

10.1 sollen zunächst die relevanten Ergebnisse der Mie-Theorie anhand von ausgewählten Beispielen erläutert werden, bevor die Ergebnisse allgemein auf die Farberscheinungen von Sonne, Mond, Wolken und Himmel angewandt werden.

10.1

Ergebnisse der Mie-Streuung erläutert an Beispielen

Im Folgenden sollen Ergebnisse der bereits in Abschnitt 2.5 eingeführten und in Auszügen in den Abschnitten 5.4 (Regenbogen), 7.1 (Koronen) und 8.3 (Glorien) diskutierten Mie-Theorie [Hul81, Boh83, Krei95] für Streuung von Sonnenlicht an Wassertropfen und kugelsymmetrischen Aerosolen vorgestellt werden. Erweiterungen der Theorie für nichtsphärische Teilchen sind möglich. Eingangsparameter sind jeweils der Brechungsindex des Wassers bzw. des Aerosols.

10.1.1

Farbabhängigkeit der Mie-Streuung: Die blaue Sonne

Quantitativ führt die winkelintegrierte Streuung an schwachen Dunstschleiern in der Atmosphäre zu Abweichungen vom λ–4 –Gesetz. Gelegentlich wird das Verhalten angenähert beschrieben durch Istreu ~ λ–n mit 1 < n < 2 [Hul81]; dies gilt allerdings nur für spezielle Tröpfchen. Die Abhängigkeit der Mie-Streuung von der Wellenlänge der Strahlung lässt sich anhand der Lichtstreuung an einem einzelnen Wassertropfen verstehen. Abb. 10.1 zeigt die winkelintegrierte Lichtstreuung als Funktion der Wellenlänge für einen sehr kleinen Tropfen von 0,01 μm Radius (Rayleigh-Streuung) sowie Wassertropfen von 0,5 μm, 1 μm und 5 μm Radius (Mie-

Maß für Streueffizienz

R = 0,5 μm R = 1 μm

R = 5 μm R = 10 μm

Wellenlänge in μm

10.1 Streuung von Wassertropfen verschiedener Größe als Funktion der Wellenlänge. Die Streueffizienzen wurden willkürlich bei λ = 300 nm auf 1 normiert.

262

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

Streuung). Die Streueffizienz wurde willkürlich bei λ = 300 nm auf 1 normiert, um die Kurven besser vergleichen zu können (zur Größenabhängigkeit der Streuung s. u.). Die 10-nm-Tropfen folgen der Rayleigh-Streuung (vgl. Abb. 9.2), d. h., die MieTheorie reproduziert natürlich im Grenzfall sehr kleiner Teilchen die Ergebnisse der Rayleigh’schen Streutheorie. Sehr große Wassertropfen mit Radien über 5 μm weisen zwar kleine Oszillationen auf, streuen aber im Wesentlichen wellenlängenunabhängig. Dagegen streuen Tropfen mit 0,5 μm Radius bevorzugt blaues und grünes Licht, während Tropfen mit 1 μm Radius stärker rotes Licht streuen. Abb. 10.1 zeigt, dass Farbgebung durch Streuung an Wassertropfen um 1 μm sehr empfindlich von der Größe der Streuer abhängen. Insofern werden breite Größenverteilungen Farbeffekte verwischen. Als Beispiel für den Effekt einer schmalen Größenverteilung in der Natur sei die Farbgebung der Sonne Ende September 1950 diskutiert. Damals wüteten riesige Waldbrände in Kanada. Die Aerosolteilchen der Rauchmassen gelangten binnen kurzer Zeit auch nach Europa. Neben einer starken Abschwächung der direkten Sonnenstrahlung um mehr als einen Faktor 10 000 erzeugten sie durch ihre spezielle Größenverteilung Blauverfärbungen von Sonne und Mond [Vol54, Hul81, sowie Wilson in Boh89]. Aus Messungen wurde geschlossen, dass die Teilchen eine sehr enge Größenverteilung mit Radien um 0,5 μm und einen Brechungsindex um n = 1,5 aufwiesen. Diese Werte erklären gemäß der Mie-Theorie zwanglos die blaue Färbung. In Abb. 10.2 ist das Ergebnis einer Rechnung dargestellt. Die Streuung zeigt ein Minimum für blaue Wellenlängen um λ = 440 nm. Folglich wird im direkten Sonnenlicht Blau weniger häufig aus dem Sehstrahl gestreut als beispielsweise Grün oder Rot (vgl. auch Abschnitt 10.2.2). Ein weiteres Beispiel für die Wellenlängenabhängigkeit wird im Zusammenhang mit den Winkelverteilungen des Streulichts diskutiert.

10.2 Lichtstreuung von Öltröpfchen mit sehr enger Größenverteilung. Blaues Licht (Pfeil) wird im Vergleich zu rotem Licht deutlich weniger gestreut.

10.1 Ergebnisse der Mie-Streuung erläutert an Beispielen

10.1.2

263

Größenabhängigkeit bei der Mie-Streuung: Durch Regen sehen

Wie stark ein Teilchen Licht streuen kann, hängt in großem Maße von der Größe der streuenden Teilchen ab. Isolierte Moleküle streuen das Licht gemäß der RayleighStreuung. In einem kleinen Wassertröpfchen mit R = 1 μm befinden sich etwa 1011 Moleküle. Wären alle Wassermoleküle im Tröpfchen unabhängig voneinander, so würde dieses Tröpfchen das Licht nun um einen Faktor 1011 stärker streuen als ein einzelnes Molekül. Da die Moleküle im Tropfen aber sehr dicht gepackt sind, beeinflussen sie sich auch gegenseitig. Deshalb wird ein Wassertropfen das Licht praktisch immer anders streuen als eine gleich große Zahl voneinander unabhängiger Wassermoleküle (genau dies wird in der Mie-Theorie ja quantitativ berechnet). Um den Einfluss der Größe eines Tropfens auf die Streueffizienz zu veranschaulichen, ist in Abb. 10.3a die Streuung pro Molekül für Wassertröpfchen als

a)

b)

10.3 a) Streuvermögen pro Molekül als Funktion der Größe eines Wassertropfens. b) Zahl der Moleküle in einem Wassertropfen gegebener Größe. Achtung: Die Auftragungen sind logarithmisch, also nicht linear.

264

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

Funktion der Größe aufgetragen. Abb. 10.3b zeigt die Zahl von Wassermolekülen in Tropfen als Funktion der Tropfengröße. Diese Zahl ergibt sich einfach aus der Masse eines Tropfens (Masse = Dichte × Volumen) sowie der Tatsache, dass 18 g Wasser einem Mol, d. h. etwa 6 · 1023 Molekülen, entsprechen. Man erkennt, dass Wassertropfen mit 0,5 μm Radius das Licht am besten streuen. Im Vergleich zu der gleichen Anzahl freier Moleküle streut ein einzelner Tropfen etwa 109-mal so stark! Allerdings fällt das Streuvermögen pro Molekül mit wachsender Größe wieder ab. Typische Nebel- bzw. Wolkentropfen mit Durchmessern um 10 μm streuen bereits nur noch etwa 1/10 so stark wie im Maximum. Bei Regentropfen von 1 mm Radius ist das Streuvermögen nochmals um über einen Faktor 100 abgefallen. Die Kurve in Abb. 10.3a erklärt auch, weshalb man sehr wohl durch viele Kilometer Luft sehen kann, welche Wasserdampf, d. h. molekulares Wasser, enthält. In Wasserdampf ist die Streuung pro Molekül verschwindend gering im Vergleich zur selben Menge Wasser in kleinen Tropfen in Nebel oder einer Wolke. Bei Wolken reichen oft schon wenige Meter, um die Sonne als Lichtquelle abzudecken (Abschnitt 10.1.5 und 10.2.4). Fällt andererseits aus einer Wolke Regen, der durch Verschmelzen vieler kleiner Tröpfchen entsteht, und ist wieder dieselbe Menge Wasser in den Tropfen kondensiert, so wird wegen des geringeren Streuvermögens der größeren Regentropfen die Sichtweite durch den Regenschauer viel größer sein als die durch die darüber befindlichen Wolke (Details siehe Abschnitt 10.2.4).

10.1.3

Winkelabhängigkeit bei der Mie-Streuung: Die schmutzige Windschutzscheibe

Die wesentlichen Ergebnisse bezüglich der Streucharakteristik der Strahlung zeigt Abb. 10.4 (sie entspricht Abb. 2.31). Für Teilchen, die klein gegen die Wellenlänge sind, entspricht die Winkelverteilung der der Rayleigh-Streuung, d. h. symmetrisch in Vorwärts- und Rückwärtsrichtung. Mit steigender Teilchengröße verschiebt sich die Streucharakteristik stark zugunsten der Vorwärtsrichtung. Die starke Ausprägung der Vorwärtsstreuung kleiner Teilchen ist auch aus dem täglichen Leben bekannt. Fällt die Sonne in ein staubiges Zimmer, kann man beim Blick in die ungefähre Richtung der Sonne die Streuung des Sonnenlichts an einzelnen Staubteilchen sehen. Wendet man jedoch den Kopf und schaut den Sonnenstrahlen hinterher, so ist die Streuung deutlich schwächer. Ähnliches kann man beim Autofahren mit verschmutzter Windschutzscheibe feststellen, wenn man gegen die tief stehende Sonne fährt oder von einem entgegenkommenden Fahrzeug geblendet wird. Für Dämmerungserscheinungen ist insbesondere die Winkelabhängigkeit der Streuung für verschiedenfarbiges Licht wichtig. Abb. 10.5 zeigt in einem Polardiagramm die Streucharakteristik eines typischen Luftpakets mit vielen Aerosolteilchen. Rotes Licht wird im Wesentlichen vorwärts gestreut, während blaues in Seitund Rückwärtsrichtung dominiert.

10.1 Ergebnisse der Mie-Streuung erläutert an Beispielen

265

RayleighStreuung R ≤ 0,01 λ : Ivorne/Ihinten = 1 : 1

R ≈ 0,25 λ : Ivorne/Ihinten = 2,5 : 1 R ≈ 5 λ: Ivorne/Ihinten = 2000 : 1 MieStreuung 10.4 Beim Übergang von Rayleigh- zu Mie-Streuung mit steigender Teilchengröße beginnt die Vorwärtsstreuung zu dominieren.

λ

10.5 Winkelabhängigkeit der Mie-Streuung eines typischen Luftpakets mit Aerosolen (nach [Bul82]) für verschiedene Farben sichtbaren Lichts. In diesem Polardiagramm entspricht der Abstand vom Zentrum der Intensität des Streulichts. Die Halbkreise sind Linien gleicher Streuintensität. In Vorwärtsrichtungen dominiert rotes, seitlich und rückwärts blaues Licht.

266

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

10.1.4

Polarisation des Streulichts: Der tägliche Regenbogen in den Wolken

Polarisation

Das Streulicht des blauen Himmels zeigt wegen der Rayleigh-Streuung an den Luftmolekülen eine ausgeprägte Polarisation bei einem Beobachtungswinkel von 90° zur Sonne (Abb. 9.6 und 9.7 sowie Farbtafel 9.4). Bei der Mie-Streuung gibt es ausgeprägte Größenabhängigkeiten [Boh83], und diese wirken sich auch auf die Polarisation aus. Grob gesagt zeigen Wolken eine Polarisation ähnlich der des Himmels, doch i. Allg. nicht so stark ausgeprägt [Kön85]. Dies liegt u. a. daran, dass auch mehrfach gestreutes Licht aus tieferen Wolkenschichten ausgesendet wird. Abb. 10.6 zeigt die Änderung des Polarisationsgrads bei Mie-Streuung im Bereich kleiner Tropfen (R = 10 μm) bis hin zu kleinen Nieselregentropfen (R = 100 μm). Es wurden jeweils recht breite Größenverteilungen für monochromatisches rotes Licht gerechnet. Offensichtlich variiert der Polarisationsgrad stark als Funktion des Streuwinkels.

R = 10 μm σ = 7 μm λ = 633 nm

Winkel in Grad

Polarisation

a)

b)

R = 100 μm σ = 70 μm λ = 633 nm

Winkel in Grad

10.6 Polarisation von Wassertropfen breiter Verteilung und mittlerer Größen um 10 μm bzw. 100 μm.

10.1 Ergebnisse der Mie-Streuung erläutert an Beispielen

267

Die kleinen Wolkentröpfchen zeigen deutlich eine Polarisation von über 40 % bei einem Streuwinkel um 90°. Darüber hinaus sieht man Strukturen noch höherer Polarisation von bis zu 85 % bei den Regenbogenwinkeln um 130° und 140°. Dreht man bei Beobachtung einer Wolke unter diesem Winkel einen Polarisationsfilter, so beobachtet man, dass die Wolke wie bei einem „Regenbogen“ entweder heller oder dunkler wird. Dieses Phänomen ist in der Tat auf die Regenbogenstreuung an den Wolkentröpfchen zurückzuführen. Da letztere aber sehr klein sind, entspricht das Phänomen dem Nebelbogen, d. h., der Bogen ist weiß. Auf diese Weise kann man fast täglich durch Rotieren eines Filters einen Regenbogen in den Wolken sehen. Die größeren Topfen in Abb. 10.6 zeigen neben der sehr ausgeprägten Polarisation bei 90° die polarisierten Regenbögen bei den Regenbogenwinkeln deutlich schärfer im Vergleich zu den kleinen Tropfen.

10.1.5

Schwächung des Lichts durch Mie-Streuung: Ab welcher Dicke sind Wolken undurchsichtig?

Für die Rayleigh-Streuung gab es eine einfache Beschreibung der Schwächung des Lichts durch die optische Dicke, wobei der Bezugspunkt eine vertikale Luftsäule war (vgl. Abb. 9.11). Ähnlich kann man auch die Abschwächung des Lichts durch Mie-Streuung beschreiben (vgl. Gl. 9.3), z. B. für eine Wolke, in der sich n Tröpfchen/cm3 mit mittleren Radien R befinden. Die Intensität I(0) von Licht in der exakten Vorwärtsrichtung verringert sich nach Durchlaufen einer Strecke L auf den Wert I (L) = I (0) ⋅ e

− L/x e

(10.1)

Die mittlere freie Weglänge xe für Licht ergibt sich zu xe = 1/(n · σext)

(10.2)

wobei n die erwähnte Dichte der streuenden Teilchen und σext der sog. Extinktionswirkungsquerschnitt ist – ein Maß für die Wahrscheinlichkeit eines Streuprozesses. Dieser Wirkungsquerschnitt wird in der Mie-Theorie berechnet, man kann ihn aber auch einfach abschätzen. σ tritt auch in anderen Bereichen der Physik auf, z. B. beim Stoß zweier starrer Billardkugeln. Bewegt sich eine Kugel in Richtung der zweiten gleich großen ruhenden Kugel (Abb. 10.7), so hängt die Wahrscheinlichkeit für die Streuung, d. h. den Stoß, offensichtlich von der Querschnittsfläche ab. In diesem Beispiel wird ein Stoß immer dann erfolgen, wenn sich das Zentrum der bewegenden Kugel innerhalb einer Kreisfläche π (2 R)2 befindet. Die Fläche ist ein Maß für die Stoßwahrscheinlichkeit und heißt Wirkungsquerschnitt. Ähnlich kann man σ auch für beliebige andere Streuprozesse berechnen. Für Lichtstreuung an kleinen Teilchen liegt sein Wert ebenfalls nahe der geometrischen

268

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

10.7 Zum Begriff des Streuquerschnitts. Eine starre Kugel fliegt in Richtung einer gleichen ruhenden Kugel. Ein Stoß erfolgt nur dann, wenn der Mittelpunkt der stoßenden Kugel in der schraffierten Fläche liegt.

Querschnittsfläche des streuenden Teilchens. Aufgrund des sog. Extinktionsparadoxons [Boh83] nähert er sich für Teilchen, die groß gegen die Wellenlänge des Lichts sind, der zweifachen geometrischen Querschnittsfläche. Insofern erwartet man z. B. für Wassertropfen von 10 μm Radius etwa 2π · (102 μm)2 = 628,3 μm2. Aus der MieTheorie findet man für solche Tropfen – je nach Wellenlänge – bis auf wenige Prozent dieselben Werte. Damit lässt sich nun für typische Wolken abschätzen, ab welcher Dicke sie optisch undurchsichtig werden. Nach Tab. 3.2 könnte eine Wolke beispielsweise aus Tropfen von 10 μm Radius, d. h. σext = 630 μm2, und einer Dichte von etwa 200/cm3 bestehen. Daraus ergibt sich eine mittlere freie Weglänge des Lichts von xe ≈ 8m. Ab welcher Dicke wird eine derartige Wolke Sonnenlicht in direkter Vorwärtsrichtung so stark abschwächen, dass die Sonnenscheibe nicht mehr gesehen werden kann? Bei Sonnenfinsternissen sowie für Sonnenbeobachtungen wie z. B. beim Venustransit werden Schutzbrillen verkauft, die das Licht etwa um einen Faktor 105 = 100 000 abschwächen. Damit ist der Umriss der Sonne noch zu erkennen, bei weiterer Schwächung verschwindet die Sonne ganz. Eine Abschwächung um 105 erfordert nach Gl. 10.1 eine Strecke von etwa 12 xe. Insofern sollte eine Wolke von 100 m Dicke ausreichen, um die Sonnenscheibe vollständig zu verdecken. (vgl. auch Diskussion der Wolken in Abschnitt 10.2.3).

10.2

Anwendungen

Im Folgenden werden eine Reihe von Konsequenzen der Rayleigh- und der MieStreuung für weitere Phänomene der atmosphärischen Optik beschrieben. Es gibt sicher noch viele weitere Beispiele (siehe auch [Min92, Bul82]), hier sollen nur beispielhaft die prinzipiellen Herangehensweisen zur Erklärung dieser recht komplexen optischen Phänomene erläutert werden.

10.2 Anwendungen

10.2.1

269

Farben von Sonne/Mond

Ein alltägliches Schauspiel fasziniert jung und alt immer wieder aufs Neue. Bei Sonnenauf- oder -untergang verfärbt sich die im Tagesverlauf grellweiße Scheibe, deren hohe Intensität eine Beobachtung mit bloßem Auge nicht zulässt, in eine lampionähnliche Scheibe mit – je nach atmosphärischen Bedingungen – Pastell- oder kräftigeren Farben, die nahe dem Horizont kurzzeitig sogar mit bloßem Auge beobachtbar sind. Direkt am Horizont überwiegen Rottöne, etwas höher Orange- und Gelbtöne. Häufig sind über den vertikalen Sonnendurchmesser selbst Farbunterschiede feststellbar. Farbtafel 10.1 zeigt ein Bild der Sonne in Horizontnähe, aufgenommen mit einem Zoomobjektiv. Am unteren Ende ist die Sonnenscheibe deutlich rot gefärbt, was nach oben hin in Orange übergeht. In Farbtafel 11.1 zum grünen Strahl (s. u.) ist ebenfalls deutlich ein Farbübergang von Rot nach Gelb zu sehen. Ähnlich verhält es sich in Horizontnähe mit der Verfärbung der Vollmondscheibe, die manchmal einer riesigen kupferfarbenen Laterne gleicht. Die Tatsache, dass das Phänomen bei dem Mond nicht so häufig beobachtet wird, liegt zum einen daran, dass es besonders gut nur wenige Tage im Monat um den Vollmond herum auftritt. Da sich Mondauf- oder -untergang zudem nicht mit so spektakulären Himmelsfarben wie der Sonnenauf- oder -untergang ankündigen, wird der günstige Moment für Beobachtungen häufig schlicht verpasst. Zum anderen ist die Verfärbung des Monds wegen der geringeren Helligkeit am besten bei dunklem Himmel, d. h. in der kälteren Jahreszeit beobachtbar. Die Erklärung für die Verfärbung von Sonne oder Mond beruht auf der Lichtstreuung. Zunächst soll der einfache Fall reiner Rayleigh-Streuung behandelt werden, d. h. wenn eine äußerst reine Atmosphäre ohne Wassertröpfchen oder sonstige Schwebeteilchen (Aerosole) vorliegt.

Farben bei klarer Atmosphäre: Rayleigh-Streuung Das Licht der Sonne am Taghimmel wird i. Allg. als weiß wahrgenommen. In erster Näherung sendet die Sonne das Spektrum eines sog. Temperaturstrahlers aus mit einer Temperatur von etwa 5700 °C (Abb.10.8, vgl. auch Abb. 2.6). Fällt Licht auf ein Auge, entsteht ein Farbeindruck, der vom einfallenden Spektrum und der Augenempfindlichkeit für Licht der verschiedenen Wellenlängen abhängt. Ein sonnenähnliches breites Spektrum wie das in Abb. 10.8 wird als weiß wahrgenommen. Fällt jeweils nur Licht enger Wellenlängenbereiche auf das Auge, wird eine reine Farbe wahrgenommen. Dabei gilt in etwa die Übersetzungsregel in Tab. 2.1. Fällt nun ein etwas breiteres Spektrum ein, welches aber immer noch deutlich schmäler ist als das Sonnenspektrum, wird eine ungesättigte Farbe wahrgenommen. Das ist eine blassere Farbe, quasi eine Überlagerung von einer Farbe mit Weiß; man denke z. B. an die Farbmischung von Rot mit Weiß, die Rosa ergibt. Im Folgenden werden in Bezug auf die Farbwahrnehmung nur qualitative Aussagen getroffen (für

270

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

10.8 Sonnenähnliches Spektrum eines Temperaturstrahlers von T ≈ 5700 °C.

detaillierte Informationen einer quantitativen Beschreibung zum Thema Farbe siehe z. B. [Zol99, OSA73]). Das Spektrum des Sonnenlichts, z. B. ein ähnliches zu Abb. 10.8, wird beim Durchgang durch die Atmosphäre durch Absorption und Streuung geändert. Für die Verfärbung von Sonne oder Mond aufgrund der Rayleigh-Streuung kann Absorption vernachlässigt werden. Gemäß Gl. 9.3 und 9.4 kann man die Transmission T der Atmosphäre als Funktion des Zenitwinkels φZ (Abschnitt 9.2.4, Abb. 9.11) einfach berechnen zu T (φ z ) =

I (φ z ) − AM(φ z ) ⋅ τ N =e I (0)

(10.3)

wobei AM der Air-Mass-Faktor (Abb. 9.13 und 9.14) und τN die optische Dicke in Richtung des Zenits darstellt (vgl. Abb. 9.11). Abb. 10.9 zeigt das Ergebnis für die Transmission der Atmosphäre aufgrund von Rayleigh-Streuung als Funktion der

10.9 Transmission der Atmosphäre im sichtbaren Spektralbereich gemäß Rayleigh-Streuung in Richtung des Zenits.

10.2 Anwendungen

271

φ z = 0°

10.10 Transmission der Transmission der Atmosphäre im sichtbaren Spektralbereich gemäß Rayleigh-Streuung für verschiedene Zenitwinkel.

φ z = 0°

10.11 Änderung des Spektrums eines sonnenähnlichen Strahlers aufgrund von Rayleigh-Streuung beim Durchgang durch die Atmosphäre als Funktion der Zenitdistanz.

Wellenlänge sichtbaren Lichts in Richtung des Zenits, d. h. für den Zenitwinkel φZ = 0°. Abb. 10.10 gibt einen Überblick für verschiedene Zenitwinkel bis 90°, d. h. eine Position am Horizont. Offensichtlich sind große Änderungen erst für Zenitwinkel über 80°, d. h. Sonnenstände unter 10°, also in Horizontnähe, zu erwarten. Abb. 10.11 ist eine Kombination des sonnenähnlichen – als weiß wahrgenommenen – Spektrums in Abb. 10.8 mit den Transmissionen durch die Atmosphäre (Abb. 10.9 und 10.10). Es sind die durch Rayleigh-Streuung veränderten Spektren als Funktion des Zenitwinkels dargestellt. Während das Spektrum der Sonne im Zenit als weiß angesehen wird, ändert es sich dramatisch in Horizontnähe. Die Blautöne werden praktisch vollständig unterdrückt, und auch die grünen Anteile erreichen allenfalls wenige Prozent. Als Konsequenz sind im Spektrum – übersetzt als Farbtöne – noch einige Gelb und Orangefarbtöne enthalten, es dominieren aber im Wesentlichen rote Farben. Berechnet

272

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

man gemäß der Farbtheorie die Farborte solcher Spektren, das entspricht im Wesentlichen den wahrgenommenen Farbtönen, so erhält man in der Tat am Horizont Rot, was mit steigendem Winkel über dem Horizont erst in Orange- und dann in Gelbtöne übergeht. Abb. 10.11 zeigt auch, dass man in einer Atmosphäre, bei der das Sonnenlicht sich nur durch Rayleigh-Streuung ändert, selbst bei einem Sonnenstand direkt am Horizont (φZ = 90) nicht direkt in die Sonne blicken könnte. Gefahrlos ist dies (s. o.) erst bei einer Abschwächung von etwa 105 möglich. Anschaulich zeigt sich die Abschwächung im sichtbaren Spektralbereich (λ ≈ 400–800 nm) durch das Verhältnis der Flächen unter der Kurve für φZ = 0° und φZ = 90°. Dieses beträgt nur etwa einen Faktor 10, d. h., die so abgeschwächte Sonnenstrahlung ist immer noch viel zu intensiv, um sie direkt mit bloßem Auge zu beobachten. Aus diesem Grund wird, selbst wenn bei kurzzeitigem Blick noch keine Schädigung des Auges auftritt, der wahrgenommene Farbeindruck nicht dem berechneten rot am Horizont, sondern eher wieder einem hellen Weiß entsprechen, da die Sehzellen von der eingestrahlten Intensität hoffnungslos übersättigt sind. Insofern muss die Lichtabschwächung sehr viel stärker sein, d. h. zusätzlich Mie-Streuung und auch Absorption an kleinen Teilchen (Dunst, Aerosolen) auftreten, um schöne rote Sonnenuntergänge zu sehen. Bei Mondbeobachtungen ist diese Einschränkung nicht gegeben.

Farben bei zusätzlicher Streuung an Aerosolen Bei Vorliegen von Aerosolen in der Atmosphäre tritt im Exponenten der Gl. 10.3 zusätzlich ein Summand auf, der die Mie-Streuung an den Aerosolen berücksichtigt. Der Einfluss auf die Abschwächung und Farbänderungen des Sonnenlichts hängt allerdings nicht nur von der Größe und Art eines Teilchens, sondern auch von der Teilchenkonzentration ab (Gl. 10.2). Da zudem Aerosole immer auch Größenverteilungen aufweisen, sind allgemeine Aussagen nicht einfach möglich. Beispielsweise zeigen Abb. 10.1 und 10.2, dass erstens die Streueffizienz als Funktion der Wellenlänge stark von der Teilchengröße abhängt und zweitens selbst etwa gleich große Tröpfchen aus verschiedenen Materialien, d. h. Tröpfchen mit unterschiedlichen optischen Eigenschaften, ein völlig unterschiedliches Verhalten als Funktion der Wellenlänge aufweisen. Insofern muss für grobe qualitative Aussagen auf empirische Ergebnisse an typischen Aerosolen zurückgegriffen werden. Häufig wird dabei eine Wellenlängenabhängigkeit gemäß Istreu ~ λ–n mit 1 < n < 2 [Hul81, Die57], angenommen. Die Intensität der Streuung variiert stark. Man weiß aus vielen Untersuchungen, z. B. hinsichtlich der Berechnung von Solaranlagen [Qua03], dass die Mie-Streuung eine gegenüber der Rayleigh-Streuung höhere Abschwächung verursachen kann. Um die Effekte qualitativ zu veranschaulichen, wird ein ungewöhnlich stark streuendes Aerosol angenommen, das für grünes Licht eine etwa dreifach größere optische Dicke (für die Zenitrichtung) hat als bei Rayleigh-Streuung und gleichzei-

10.2 Anwendungen

273

λ

10.12 Modellannahme für die optische Dicke eines Aerosols bei Mie-Streuung.

tig eine Wellenlängenabhängigkeit mit 1/λ (Abb.10.12). Ebenso wurde angenommen, dass die bekannten Air-Mass-Faktoren gelten. Berechnet man hiermit die Transmissionen für verschiedene Zenitdistanzen, so stellt man im Vergleich zur reinen Rayleigh-Streuung schnell fest, dass die Abschwächung sehr groß werden kann (Abb. 10.13). Im Vergleich der Spektren aus Rayleighund Mie-Streuung zur reinen Rayleigh-Streuung ist der Unterschied für den Zenit nicht dramatisch (Abb. 10.14); anders sieht dies in Horizontnähe aus (Abb. 10.15). Hier müssen die Spektren halblogarithmisch aufgetragen werden, um die starke Abschwächung bei Vergrößerung des Zenitwinkels darstellen zu können.

φ z = 0°

10.13 Mit dem Modellaerosol berechnete Transmission der Atmosphäre für verschiedene Zenitwinkel (man vergleiche dies zu Abb. 10.10 für reine Rayleigh-Streuung).

274

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

10.14 Vergleich der Strahlung des Modellaerosols mit reiner Rayleigh-Streuung für die Zenitrichtung.

φ z = 0°

10.15 Änderung des Spektrums eines sonnenähnlichen Strahlers aufgrund von MieStreuung am Modellaerosol beim Durchgang durch die Atmosphäre als Funktion der Zenitdistanz (man vergleiche dies zu Abb. 10.11 für reine Rayleigh-Streuung).

Offensichtlich ist die Abschwächung für Winkel von 89,5° bzw. 90° jetzt erstens so groß, dass ein gefahrloses Beobachten mit dem bloßen Auge möglich wird. Die Intensitäten über den gesamten sichtbaren Bereich sind auf einige 10–5 abgeschwächt. Zweitens führt diese niedrige Intensität dazu, dass die Sehzellen nicht übersättigt, d. h. dass die Farben auch als solche wahrgenommen werden. Beobachtungen des Monds sind bei solch dichten Aerosolschichten übrigens am Horizont fast nicht mehr möglich. Hier würde die Verfärbung bei deutlich kleineren Zenitwinkeln beobachtbar sein. (Nebenbemerkung als Begründung: Der Vollmond hat als sehr helles Objekt eine scheinbare Helligkeit von mVollmond = –12,7 in dem in der Astronomie üblichen Größenklassensystem. Eine Abschwächung um den Faktor 104 = 10 000 bedeutet einen Größenklassenunterschied Δm = 10, ein Faktor 108 = 100 000 000 sogar Δm = 20, d. h. dass die scheinbare Helligkeit des Monds in

10.2 Anwendungen

275

Horizontnähe für obiges Beispiel insofern im Bereich m = –2,7 (noch sichtbar; zum Vergleich: der Sirius hat m = –1,5!) bzw. m = 7,3 (nicht mehr sichtbar) liegen würde. Letztlich sei nochmals erwähnt, dass Mie-Streuung an Teilchen mit sehr schmaler Größenverteilung zu seltenen Farben wie z. B. einer blauen Sonne führen kann (Abschnitt 10.1.1).

10.2.2

Himmelshelligkeit und Dämmerungsfarben

Während die Farben von Sonne (oder Mond) sich einfach durch wellenlängenabhängige Abschwächung der Strahlung ergeben, ist die Situation bei den Himmelsfarben in vorgegebenen Winkelabständen zur Sonne etwas komplizierter. Im einfachsten Fall des blauen Himmels (Kapitel 9) wird das Sonnenlicht an den Luftmolekülen in Richtung des Beobachters gestreut. Wenn sich die Sonne dem Horizont nähert, kann dies wegen der dann großen optischen Dicke der Atmosphäre zu Farbänderungen führen (vgl. die Diskussion des weißen Horizonts in Abschnitt 9.2.5). Hier soll der allgemeine Fall diskutiert werden, insbesondere im Fall der Dämmerung (d. h. kurz vor oder nach Sonnenauf- bzw. -untergang). Je nach Bewölkung und Jahreszeit dauert die Dämmerung, d. h. die Zeit, bis es richtig dunkel bzw. hell wird, mindestens eine Stunde. Im Folgenden wird der sprachlichen Einfachheit halber (sowie aufgrund der Tatsache, dass es weniger Frühaufsteher als Frühschläfer gibt und somit die Abenddämmerung häufiger wahrgenommen wird) immer die Abenddämmerung behandelt. Man unterscheidet die bürgerliche Dämmerung (früher definiert durch die Möglichkeit, noch im Freien lesen zu können), die bei Sonnentiefen von 6°– 8° (unter dem Horizont) endet, sowie die astronomische Dämmerung, die bei Sonnentiefen von 18° erreicht wird. Farbenprächtige Himmelserscheinungen treten nur bis zur bürgerlichen Dämmerung auf. Ab dem Zeitpunkt der astronomischen Dämmerung ändert sich die Leuchtdichte des Himmels nicht mehr und Sterne der 5. Größe werden sichtbar. Abb. 10.16

10.16 Abnahme der Beleuchtungsstärke des Himmels auf einer waagerechten Fläche als Funktion des Sonnenstands. Negative Winkel bedeuten, dass die Sonne sich unter dem Horizont befindet.

276

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

gibt einen Überblick über die mittlere Beleuchtungsstärke des Himmels auf einer waagerechten Fläche als Funktion der Sonnenhöhe in Lux, üblicherweise abgekürzt als lx. Das Lux ist eine lichttechnische Einheit, die ein Maß für die Beleuchtung von Gegenständen darstellt. Zum Vergleich: Direkte Sonnenstrahlung im Sommer führt zu Beleuchtungsstärken bis zu 70 000 lx, die Grenze der Farbwahrnehmung liegt bei etwa 3 lx, der Vollmond erreicht um 0,25 lx, eine Arbeitsplatzbeleuchtung mit hohen Ansprüchen weist etwa 1000 lx auf, eine typische Wohnzimmerbeleuchtung etwa 120 lx und Straßenbeleuchtungen etwa 1–16 lx (nach [Her89]). Abbildung 10.17 skizziert die Situation einer sauberen Atmosphäre kurz nach Sonnenuntergang. Das Verfolgen eines einzelnen Lichtstrahls von der Sonne über den Streuprozess im Punkt P in den Sehstrahl zum Auge des Beobachters zeigt, dass schon für Einfachstreuung der beobachtete Farbeindruck von mehreren Parametern abhängt: θ

ϕ 10.17 Geometrische Vorstellung von Sonne, Beobachter und Atmosphäre nach Sonnenuntergang. Ein Sonnenstrahl wird im Punkt P des Sehstrahls zum Beobachter gestreut.

1) Die optische Dicke des von der Sonne bis zu P in der Atmosphäre zurückgelegten Wegs bestimmt die farbabhängige Abschwächung durch Streuung and Absorption, d. h. die spektrale Zusammensetzung des Lichts in P. Die entsprechenden Streuprozesse sind Rayleigh- (saubere Atmosphäre) oder Rayleighplus Mie-Streuung (Atmosphäre mit Wassertröpfchen oder Aerosolen). 2) Man berechnet den Anteil der Lichtstreuung in P, der in Richtung des Sehstrahls, definiert durch den Streuwinkel ϕ, erfolgt. Je nach Atmosphäre muss wieder Rayleigh- oder Mie-Theorie angewandt werden. 3) Die Intensität des Lichts in Richtung des Sehstrahls wird durch die Höhe h(P) des Streuprozesses, d. h. die Höhe von P über dem Erdboden, bestimmt. In Bezug auf Rayleigh-Streuung an Luftmolekülen nimmt die Dichte, d. h. die Zahl der Streuer und damit auch die Wahrscheinlichkeit für den Streuprozess exponentiell mit der Höhe ab (Abschnitt 3.1.5). Konsequenz: Je höher P liegt, desto geringer ist der Anteil des Streulichts unter demselben Streuwinkel ϕ. Bei Vorliegen von Aerosolen muss deren vertikale Häufigkeitsverteilung bekannt sein oder zumindest angenähert werden. 4) Das von P in Richtung des Auges eines Beobachters gestreute Licht kann wiederum auf seinem Weg gestreut und absorbiert werden. Wie bei Punkt 1 ist die optische Dicke entlang des Wegs von P zum Beobachter wirksam, die je nach Atmosphäre durch Rayleigh- oder Rayleigh- plus Mie-Streuung beschrieben wird.

10.2 Anwendungen

277

10.18 Erklärung der Himmelsfarbe nach Sonnenuntergang: Der wahrgenommene Farbeindruck für einen Beobachtungswinkel φ über dem Horizont hängt von allen entlang des Sehstrahls zum Beobachter gestreuten Lichtstrahlen ab.

5) Licht wird entlang des gesamten Sehstrahls ins Auge des Beobachters gestreut, d. h., man muss sehr viele von der Sonne ausgehende parallele Lichtstrahlen berücksichtigen, die jeweils den Sehstrahl in unterschiedlichen Höhen treffen (Abb. 10.18). Aufsummieren über das gesamte Streulicht entlang des Sehstrahls führt zu einem ins Auge fallenden Spektrum, das den Farbeindruck hervorruft. Das unter Punkt 3 diskutierte Problem der Intensität der Streuung als Funktion der Höhe über dem Erdboden tritt natürlich auch in den beiden optischen Dicken unter Punkt 1 und 4 auf, da die nahezu geraden Lichtstrahlen auf ihrem Weg unterschiedliche Höhen durchlaufen. In der Berechnung müssen somit die Anteile bei verschiedenen Höhen aufsummiert werden. Offensichtlich sind die Berechnungen sehr komplex; im Weiteren soll eine qualitative Beschreibung anhand der obigen fünf Punkte für den Fall eines Sonnenstands unter dem Horizont gegeben werden.

Dämmerungsfarben in Horizontnähe bei klarer Atmosphäre ohne Wolken: Rayleigh-Streuung Zunächst sei die spektrale Veränderung des weißen Sonnenlichts nach Durchlaufen der Atmosphäre bis zum Punkt P des Sehstrahls diskutiert. Je tiefer der Strahl läuft, desto dicker ist die durchlaufene Luftschicht. Insofern wird der Weg des den Erdboden knapp verfehlenden Lichts eine sehr große optische Dicke aufweisen. Da die Sonne unter dem Horizont ist, kann der Air-Mass-Faktor für Strahl 1 in Abb. 10.18 gemäß der Geometrie sogar über dem bisher erwähnten Maximalwert von 38 liegen. (Das Licht legt den zusätzlichen Weg vom Fast-Berührpunkt der Erdkugel bis zum Sehstrahl bei P1 zurück.) Dieses Licht kann daher durch Rayleigh-Streuung sehr effektiv geschwächt werden, und das Spektrum des Lichts wird sich ähnlich zu Abb. 10.11 sehr stark zu langen Wellenlängen, d. h. ins Rote, verschieben. Die höher einfallenden Lichtstrahlen (sie treffen den Sehstrahl bei P2, P3 und P4) werden entsprechend weniger geschwächt, und ihr Spektrum wird mit zuneh-

278

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

10.19 Erklärung der Himmelsfarbe nach Sonnenuntergang: Aufgrund des unterschiedlichen Luftdrucks liegen in verschiedenen Höhen des Sehstrahls verschiedene Streuerdichten vor. Zudem werden diese wegen der zuvor erfolgten Streuung des Lichts von Strahlung mit unterschiedlichen Spektren beleuchtet.

mender Höhe von Rot über Orange und Gelb immer weißer. Als Resultat hat das auf den Sehstrahl einfallende Licht je nach Entfernung vom Beobachter, d. h. Höhe über dem Erdboden, eine verschiedene spektrale Zusammensetzung (Abb. 10.19). Generell gilt: Je tiefer der Strahl, desto niedriger ist die Intensität des den Sehstrahls treffenden Lichts, aber desto röter ist dieses Licht aufgrund der Rayleigh-Streuung. Der relative Anteil der Lichtstreuung als Funktion der Wellenlänge unter dem Streuwinkel ϕ in Richtung des Sehstrahls ist für alle Strahlen gleich, allerdings tragen große Höhen entsprechend der geringeren Teilchenzahl weniger bei, d. h., der niedrigste und schwächste rote Lichtstrahl wird einen größeren Anteil des in P1 einfallenden Lichts zum Beobachter streuen als der nächsthöhere Lichtstrahl in P2 usw. (Abb. 10.19). Letztlich wird das zum Beobachter gestreute Licht wieder aus dem Sehstrahl gestreut. Jetzt ist die optische Dicke für den tiefsten Punkt P1 am kleinsten, während Anteile aus höheren Atmosphäreschichten (P2 und P3) stärker geschwächt werden. Verringert man den Beobachtungswinkel φ, so wird sich für Beobachtung in Horizontrichtung die größte optische Dicke, d. h. die größten Abschwächungen der Intensitäten, ergeben. Damit einher gehen die größten Verschiebungen der Spektren ins Rote. Fasst man alle Prozesse zusammen, so ergeben sich bei φ = 0 Rottöne, die sich bei steigendem Beobachtungswinkel φ über Orange zu Gelb usw. verschieben. Die jeweiligen Intensitäten hängen stark vom Sonnenstand ab. In Abb. 10.18 ist der Bereich des Sehstrahls unterhalb von P1 bereits im Erdschatten, d. h., aus diesem Bereich des Sehstrahls kann kein zusätzliches Licht zum Beobachter gestreut werden. Da dieser Bereich größer wird, je tiefer die Sonne steht, sinkt die Intensität entsprechend rasch ab.

10.2 Anwendungen

279

Dämmerungsfarben in Horizontnähe ohne Wolken bei zusätzlicher Streuung an Aerosolen

Höhe in km

Offensichtlich ist schon für Rayleigh-Streuung die quantitative Erklärung der Dämmerungsfarben rechnerisch aufwendig. Für Mie-Streuung an Aerosolen müssen zusätzlich die Zusammensetzung, die vertikale Verteilung sowie die Größenverteilung der Streuteilchen berücksichtigt werden, wodurch die Rechnungen komplizierter werden. Aufgrund der starken Vorwärtsstreuung werden dabei alle Farben intensiviert. In Europa befinden sich Aerosolschichten üblicherweise in der Stratosphäre in Höhen von etwa 15–23 km. Diese sind starken regionalen und zeitlichen Variationen unterworfen. Einerseits führen Vulkanausbrüche zum Neueintrag von Aerosolen in die Stratosphäre. Andererseits werden vulkanische Aerosole nach typischen Verweildauern von zwei Jahren durch Ablagerungsprozesse auch wieder aus der Atmosphäre entfernt.Abb. 10.20 zeigt als Beispiel Aerosolkonzentrationen, die vom 15.6 bis 14.7.1980, also einige Wochen nach dem Ausbruch des Mount St. Helens, im Mai und Juni im US Bundesstaat Washington gemessen wurden. Man erkennt deutlich zwei ausgeprägte Aerosolschichten in 15 km bzw. 23 km Höhe (vgl. auch Farbtafel 10.6).

Streuverhältnis 10.20 Aerosolverteilung in der unteren Stratosphäre nach dem Ausbruch des Mount St. Helens im Jahr 1980 (nach [Bul82]). Das Streuverhältnis ist das Verhältnis von Aerosolrückstreuung zur Rückstreuung von reiner Luft, d. h. solcher von O2- und N2-Molekülen.

Die folgende kurze qualitative Beschreibung der Einflüsse einer Aerosolschicht in der Atmosphäre auf die Dämmerungsfarben geht aus von Abb. 10.21, die eine ähnliche Dämmerungssituation zeigt wie Abb. 10.17 bzw. 10.18 für Rayleigh-Streuung. Allerdings ist jetzt zusätzlich eine Aerosolschicht in der Atmosphäre. Zur Vereinfachung sei wieder nur Einfachstreuung von Licht betrachtet, das letztlich das Auge eines Beobachters trifft. In Wirklichkeit können auch Mehrfachstreuprozesse

280

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

10.21 Zustandekommen der Himmelsfarben nach Sonnenuntergang bei Vorhandensein von Aerosolen.

auftreten, d. h. Licht, kann mehrfach, z. B. an der Erdoberfläche sowie an Molekülen und Aerosolen, abgelenkt worden sein, ehe es den Beobachter erreicht. Zur Erklärung sei ein einzelner Lichtstrahl der Sonne herausgegriffen, der auf die Atmosphäre einfällt. Er wird durch Rayleigh-Streuung geschwächt, bevor er zum ersten Mal auf die Aerosolschicht fällt. Die Aerosole streuen das Licht sehr viel stärker als die Luftmoleküle, wobei insbesondere Vorwärtsrichtung in den Winkelbereich bis etwa 30° dominiert. Dabei wird gemäß Abb. 10.5 rotes Licht deutlich stärker gestreut als grünes oder blaues Licht. In der Abbildung trifft das Sonnenlicht die Aerosolschicht zunächst unterhalb des Sehhorizonts. Das von dort vorwärts gestreute Licht kann den Beobachter nicht erreichen, führt aber zu einer weiteren farbabhängigen Schwächung des durchgehenden Lichts. Wenn das Licht den Sehstrahl erreicht, ist es wie im Fall der Dämmerung mit reiner Rayleigh-Streuung geschwächt. Das ursprüngliche Spektrum ist bereits in den rötlichen Bereich hineinverschoben, ggf. wegen der ersten Streuung in der Aerosolschicht nicht ganz so stark wie bei reiner Rayleigh-Streuung. Wie bei der Rayleigh-Streuung ist das Licht am stärksten geschwächt und rötlich verfärbt, wenn das Sonnenlicht einen großen optischen Lichtweg zurückgelegt hat, d. h. wenn es einen Weg sehr nahe der Erdoberfläche genommen hat. Dieses Licht fällt nun im Schnittpunkt mit dem Sehstrahl auf die Aerosolschicht. Da gemäß Abb. 10.5 rotes Licht deutlich stärker vorwärts gestreut wird als grünes oder blaues Licht, wird sich das Spektrum weiter ins Rote verschieben. Zusätzlich führt die im Vergleich zur Rayleigh-Streuung sehr viel stärkere Vorwärtsstreuung (vgl. Abb. 10.4) zu einer hohen Intensität dieser Rottöne. Tiefer oder höher auf den Sehstrahl fallendes Licht paralleler Sonnenstrahlen wird unterhalb bzw. oberhalb der Aerosolschicht durch die viel schwächere Rayleigh-Streuung in den Sehstrahl gestreut. Als Konsequenz wird im Sehstrahl der Lichtanteil der Aerosolschicht dominieren, d. h., letztlich kommt es zu einer starken Intensivierung der rötlichen Farbtöne. Vergrößert man bei ansonsten gleicher Geometrie der Abb. 10.21 den Beobachtungswinkel, d. h. fällt der die Aerosolschicht treffende Sonnenstrahl näher zur Erdoberfläche ein, so ändert sich zum einen dessen spektrale Zusammensetzung in Richtung Rot, da er einen längeren Weg durch die Atmosphäre zurücklegt, zum anderen erfolgt allerdings von der Aerosolschicht die Streuung zum Beobachter bei größeren Winkeln. Je größer der Winkel, desto stärker wird die Streuung grünen

10.2 Anwendungen

281

Lichts nach Abb. 10.5, d. h., das ursprünglich auf den Sehstrahl einfallende Spektrum wird sich wieder ins Gelbe zurückverschieben. Dieses Verhalten erklärt die besonders farbenprächtigen Sonnenuntergänge in Regionen mit tätigen Vulkanen wie z. B. auf Hawaii.

Das Purpurlicht Gelegentlich tritt bei Sonnenständen von etwa 2°–6° unter dem Horizont das sog. Purpurlicht auf (Farbtafel 10.5). Dabei erscheint am Himmel etwa 25° über dem Horizont ein roter Fleck, der bei einem Sonnenstand von etwa –4° in ein Purpur übergeht, das am intensivsten im Winkelbereich um 15°–20° auftritt. Purpurlicht erfordert eine Aerosolschicht wie in Abb. 10.21. Purpur ist eine Mischung aus Rot und Blau. Das Blau kommt aus Bereichen des Sehstrahls, die oberhalb der Aerosolschicht liegen, das Rot ergibt sich analog zu den obigen Erklärungen der normalen Dämmerungsfarben. Damit beide etwa gleich große Anteile aufweisen, muss das Rot auch die richtige Intensität aufweisen. Das Purpurlicht entsteht erst bei Sonnenständen von etwa –4°, weil dann das Licht, das an der 15–25 km hohen Aerosolschicht zum Beobachter gestreut wird, auf seinem vorherigen Weg durch die Atmosphäre bis zum Sehstrahl auch bodennahe Schichten durchlaufen konnte und so auf das richtige Intensitätsniveau abgeschwächt wurde. Das Purpurlicht führt übrigens in den Bergen zu einem Nachglühen, d. h. einer zweiten Phase des Alpenglühens. Das Hauptglühen, eine rötliche Färbung, entsteht, wenn die Berggipfel noch direkt von durch den langen Weg in der Atmosphäre rötlich gefärbtem Sonnenlicht beleuchtet werden. Bei Auftreten des Purpurlichts wird dessen Widerschein, insbesondere auf gut streuenden Schneeflächen, sichtbar als rosa bis purpurrote Farbe.

Dämmerungsfarben in Zenitnähe Es gibt umfangreiche Untersuchungen zu Himmelsfarben und Himmelshelligkeiten während der Dämmerung. Insbesondere die Farbe des Zenithimmels für eine saubere Atmosphäre während des Sonnenuntergangs bzw. während der Dämmerung gab früher Anlass zu einem Problem, das erst vor gut 50 Jahren durch den amerikanischen Physiker Edward Hulburt gelöst wurde [Hul53]. In einer reinen RayleighAtmosphäre ist der Himmel während des Tags blau (Kapitel 9). Bei Sonnenuntergang, wenn das Sonnenlicht bereits eine starke farbabhängige Schwächung erleidet, sollte der Zenithimmel grünblau werden, um bei sinkender Sonne sogar eine gelbliche Farbe anzunehmen. Abb. 10.22 verdeutlicht die Situation nach Sonnenuntergang. Das nahe dem Erdboden verlaufende Licht ist rötlich verfärbt und trifft den Sehstrahl noch in niedrigen Höhen. Dazu paralleles Licht, das durch höhere Atmo-

282

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

10.22 Zur Erklärung der Farbe des Zenithimmels nach Sonnenuntergang.

sphärenschichten zum Sehstrahl gelangt, ist weniger stark farblich (spektral) verschoben und trifft den Sehstrahl in größeren Höhen. Ein Beobachter sieht das über den Sehstrahl aufsummierte Streulicht (Rayleigh-Streuung). Dabei führen die bodennahen Lichtstrahlen wieder zu stärkeren Rotanteilen. Insgesamt erwartet man nach den Berechnungen die oben erwähnte grünblaue (Sonne am Horizont) bzw. eine gelbliche Farbe (Sonne unter Horizont). Offensichtlich widersprechen diese Erwartungen eindeutig der alltäglichen Beobachtung, nach der der Zenithimmel auch während der Dämmerung seine blaue Farbe beibehält. Die Lösung dieses Rätsels liegt im stratosphärischen Ozon, das in Höhen zwischen 20 und 30 km über dem Erdboden vorliegt. Dieses stellt nicht nur durch seine UV-Absorption bei Wellenlängen unter 350 nm eine Schutzhülle dar, d. h. einen UV-strahlungsfreien Lebensraum auf der Erde, sondern es führt überdies zum Himmelsblau in der Dämmerung. Abb. 10.23 zeigt qualitativ die Absorptionsbande des Ozons im Bereich der sog. Chappuis-Bande im gelborangefarbenen Bereich des Sonnenlichtspektrums.

Mass für Absorption

Chappuis-Band Ozonabsorption

Wellenlänge in nm

10.23 Die sog. ChappuisBänder der Ozonabsorption im sichtbaren Teil des Spektrums.

Die Wirkung dieser Absorption ist bei steilem Einfall des Sonnenlichts wegen der geringen Ozonkonzentration sehr gering. Bei Sonnenuntergang fällt das Licht aber sehr flach auf die Atmosphäre ein, weshalb effektiv eine sehr viel dickere

10.2 Anwendungen

283

Ozonschicht durchquert wird (vgl. Diskussion des Air-Mass-Faktors in Abschnitt 9.2.4). Da ferner die Gesamtintensität der bereits abgeschwächten Strahlung geringer ist als am Tag, erhöht sich deren Einfluss. Die ohne Ozonabsorption dominierenden Rotanteile des Lichts aus Zenitrichtung in Abb. 10.22 werden effektiv herausgefiltert, weshalb letztlich wie erwartet das Himmelsblau übrig bleibt. Nach Hulburt ist das Himmelsblau des Zenits bei Sonnenstand 0° nur zu 1/3 auf Rayleigh-Streuung und zu 2/3 auf das Herausfiltern des Rot durch Ozonabsorption zu erklären [Hul53]. Bei fortschreitender Dämmerung ist die Ozonabsorption allein verantwortlich für die blaue Farbe. Somit kann man die stratosphärische Ozonschicht fast alltäglich am blauen Zenithimmel bei Sonnenuntergang sehen. Die Chappuis-Absorptionsbanden des Ozons werden heutzutage benutzt, um satellitengestützt Ozonkonzentrationen zu messen. Vielleicht lässt sich auf diese Weise auch einmal das Ozonloch optisch nachweisen, wenn in der Dämmerung des arktischen bzw. antarktischen Frühlings die Himmelsfarben vom bekannten Blau abweichen!

Himmelsfarben als Funktion der Winkeldistanz zur Sonne

Intensität gestreuten Lichts

Der Himmel ändert seine Farbe deutlich von einem hellen Weiß in Sonnennähe zu einem bei klarem Himmel tiefen Blau bei einem Winkel von 90° zur Sonne. Bei Anwesenheit von Aerosolen und Wassertröpfchen ändern sich aufgrund des Streuverhaltens i. Allg. sowohl die Intensität als auch die Farbe. Abb. 10.24 (nach [Hul81,

λ = 450 nm λ = 570 nm

Winkelabstand von Sonne in Grad

10.24 Intensitätsverteilungen der Himmelsstrahlung für blaues und gelbes Licht als Funktion des Winkelabstands von der Sonne für reine Polarluft (Typ A) und nach Auflösung ausgedehnter Stratuswolken (Typ B).

284

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

Vol54]) zeigt typische Intensitätsmessungen des Sonnenlichts in Abhängigkeit des Winkelabstands zur Sonne. Von den verschiedenen Luftmassentypen sind hier zwei wiedergegeben. Frische kalte Polarluft (die wenige Aerosole enthält) (Typ A im Bild) erzeugt einen schönen blauen Himmel, der bei Winkeln >30° tiefblau wird. Zur Sonne hin findet ein langsamer gradueller Übergang zu Weiß auf, das auf einen Bereich von maximal 10° beschränkt ist. Aus der Messung erkennt man deutlich das Dominieren der Rayleigh-Streuung bei größeren Winkeln. Dagegen erzeugt der Typ B im Bild, der nach Auflösung ausgedehnter Stratuswolken auftritt, d. h., es sind sehr viele kleine Wassertröpfchen als Streuer in der Luft, eine milchig weiße Atmosphäre über sehr große Winkelbereiche. Nur bei Winkeln >60° lässt sich ein Blau erkennen.

10.2.3

Wolkenfarben

Warum sind die Wolken weiß? Viele Lehrer, Väter oder Mütter sehen sich mit diesen oder ähnlichen Fragen alltäglich konfrontiert. Hat man sich durch eine Antwort dieser physikalisch wirklich nicht einfachen Frage gekämpft, stellt man vielleicht dummerweise am nächsten Abend schon fest, dass Wolken gar nicht immer weiß sein müssen; sie können viele verschiedene Farbtöne annehmen, insbesondere in der Dämmerung. Im Folgenden soll zunächst erklärt werden, warum Wolken meistens weiß sind, bevor auf ihre vielfältigen Farben eingegangen wird.

Warum sind Wolken im Allgemeinen weiß? Wolken sind sichtbare Gebilde aus Wassertropfen oder Eiskristallen, die in der Atmosphäre schweben. Hier sollen der Einfachheit halber nur Wassertröpfchen behandelt werden. Die einzelnen Tropfen wachsen um Kondensationskeime und haben typischerweise Tropfengrößen um 10 –20 μm mit Dichten zwischen 10 und 1000 Tropfen pro cm3. Im Mittel werden im Folgenden für Abschätzungen n = 300 Tropfen/cm3 angenommen. Daraus ergibt sich der sog. Füllfaktor f, der angibt, wie viel Flüssigkeit tatsächlich in einem Volumen der Wolke vorhanden ist: f = n⋅

4π 3 R 3

(10.4)

Tropfen mit Radien von 10 μm entsprechen einem Füllfaktor f von etwa 10–6, d. h. einem Millionstel. Das bedeutet, dass in einem Volumen von 1 m3 Wolke das tatsächliche Flüssigkeitsvolumen aller Tropfen in diesem Volumen nur etwa 1 cm3 beträgt, die Wolke also im Wesentlichen aus Luft besteht. Diese Zahl mag klein erscheinen, sie führt aber dazu, dass das Gewicht der Flüssigkeit in einer kleinen

10.2 Anwendungen

285

Maß für Streuung

Wolke von z. B. 100 m · 100 m · 100 m immerhin schon eine Tonne beträgt. Gewitterwolken bestehen aus Hunderten von Tonnen Wasser bzw. Eis! Eine Wolke wird nur dann weiß erscheinen, wenn sie mit weißem Licht beleuchtet wird. Weiß ist dabei als Farbton zu verstehen, d. h., die ganze Sequenz aller Grautöne von Schwarz nach Weiß wird durch denselben Farbton Weiß bezeichnet. Die Grautöne unterscheiden sich dabei nur durch die Helligkeit. Bei Wolken bedeutet dies, dass graue Wolken ebenfalls als weiß bezeichnet werden, sie werfen nur weniger Licht zum Beobachter. Dies kann z. B. dadurch kommen, dass einige Wolken im Schatten anderer Wolken oder Berge etc. liegen und nur indirekt durch Streulicht von anderen Wolken oder dem Erdboden beleuchtet werden. Daher erscheinen sie dunkler als direkt von der Sonne bestrahlte Wolken. Ebenso ist die Unterseite von dicken Cumulonimbus-Wolken (den Gewitterwolken) meist sehr dunkel, da praktisch kein Licht die Wolke durchdringen kann und sie daher von Streulicht beleuchtet wird. Für den Farbton Weiß von Wolken gibt es zwei miteinander verwobene Ursachen. Zum einen muss man die Lichtstreuung an einem einzelnen Tröpfchen studieren, zum anderen das Auftreten von Mehrfachstreuung (vgl. [Boh95, Boh87]). Wie in Abb. 10.1 gezeigt, streuen Wassertropfen von 10 μm Durchmesser abgesehen von kleinen Schwankungen das Licht aller sichtbarer Wellenlängen λ etwa gleich stark. Liegt noch dazu eine Tropfengrößenverteilung vor, wird die Lichtstreuung praktisch vollkommen unabhängig von λ (Abb. 10.25). Aufgetragen ist die Streuung bezogen auf die Querschnittsfläche der Tropfen. Es ergibt sich näherungsweise der Wert 2, dies spiegelt das Extinktionsparadoxon wider (vgl. Abschnitt 10.1.5). Schon ab 10 % Halbwertsbreite der Verteilung – dies sind noch recht schmale Verteilungen, die z. B. die Beobachtung von Koronen oder Glorien gestatten –, verschwinden die Oszillationen, und nur ein sehr schwacher, für die Farbwahrnehmung unbedeutender, Anstieg mit wachsender Wellenlänge bleibt übrig.

Wellenlänge in nm

10.25 Die Lichtstreuung an Tropfen mit 10 μm Durchmesser ist nahezu unabhängig von der Wellenlänge.

286

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

Diese farbunabhängige Streuung wird häufig als alleinige Ursache für die weißen Wolken genannt, andererseits ist dies nur eine ausreichende, keinesfalls aber eine notwendige Bedingung hierfür. Beispielsweise können auch sehr kleine Teilchen von z. B. 10 nm Radius die Rayleigh-Streuung aufweisen, also eine sehr starke Wellenlängenabhängigkeit zeigen (vgl. Abb. 10.1), ein weißes Aussehen haben. Bedingung hierfür ist, dass die Tropfen erstens nicht absorbieren und zweitens die entsprechende Wolke optisch dick ist, d. h. dass Mehrfachstreuung auftritt. Im praktischen Leben kennt man dies von Milch. Milch ist eine Suspension mit kleinen, nicht absorbierenden Fetttröpfchen in Wasser. In dünner Schicht ist Milch transparent, sobald die Schichtdicke aber, wie z. B. in einem Glas Milch, zu groß wird, sieht Milch weiß aus. Ähnlich würde eine Wolke aus Rayleigh-Streuern in der Atmosphäre ebenfalls weiß erscheinen. Mehrfachstreuung bedeutet hier, dass Licht auf dem Weg von der Sonne zum Beobachter von mehr als einem Wolkentröpfchen gestreut wird (Abb. 10.26). In der Praxis können einige hundert Streuprozesse auftreten, bevor ein Photon eine Wolke wieder verlässt. Die Messung der effektiven Wege des Lichts in Wolken ist von großem Interesse für eine genaue Beschreibung der Strahlungsbilanz der Erde und damit für ein Verständnis des Treibhauseffekts [Pfe00].

10.26 Licht wird in Wolken bei genügender Dicke mehrfach gestreut, bevor es das Auge eines Beobachters erreicht.

Damit Mehrfachstreuung auftritt, muss die in Abschnitt 9.2.3 eingeführte optische Dicke τ größer als 1 werden. Im Beispiel in Abschnitt 10.1.5 ergab sich für n = 300/cm3 und Tropfenradien von R = 10 μm bereits für Wolkendimensionen von 8 m eine optische Dicke 1! Allgemein lässt sich durch Betrachtungen wie die in Abschnitt 10.1.5 die optische Dicke einer Wolke der Ausdehnung L mit Tröpfchen des Durchmessers D = 2 R (die größer als etwa 3 μm sind) bei einem Füllfaktor f näherungsweise abschätzen zu

τ⯝

3f ⋅ L D

(10.5)

was bei D = 20 μm, f = 10–6 und τ = 1 zu einem L ≈ 7 m nahe bei dem oben abgeschätzten Wert führt. Offensichtlich entspricht die optische Dicke einer Wolke von nur etwa 1 m Durchmesser bereits derjenigen der gesamten Rayleigh-Atmosphäre!

10.2 Anwendungen

287

Da die meisten Wolken deutlich dicker sind, tritt praktisch in allen Wolken Mehrfachstreuung auf. Betrachtet man der Einfachheit halber eine weit ausgedehnte dicke Wolke, so wird die von oben einfallende Sonnenstrahlung entweder transmittiert oder zurückgestreut, d. h. diffus reflektiert. Bei großer optischer Dicke wird die transmittierte Strahlung gemäß Gl. 10.1 praktisch verschwinden. Dies bedeutet bei nicht absorbierenden Tröpfchen, dass praktisch die gesamte Strahlung zurückgestreut wird. (Dies gilt natürlich auch, wenn die Wolken durch irdisches Streulicht von der Seite oder unten beleuchtet werden.) Fällt weißes Licht ein, so wird auch weißes Licht reflektiert. Dies ist unabhängig davon, ob 10-μm-Tröpfchen einzeln wellenlängenunabhängig streuen oder 10-nm-Teilchen einzeln Rayleigh-Streuung bewirken. Im Falle unserer irdischen Wolken mit Wassertröpfchen kommen somit zwei Faktoren zusammen, um die Farbe Weiß zu erzeugen. Zum einen streuen einzelne Tropfen unabhängig von der Farbe, zum anderen führt die große optische Dicke zu Mehrfachstreuung, die ihrerseits allein ebenfalls schon zu wellenlängenunabhängiger Rückstreuung führt. Es ist übrigens verblüffend, dass einzelne Tropfen im Wesentlichen Licht nach vorne streuen, eine dicke Wolke als ganzes aber das Licht wieder zurückstreut. Offensichtlich führt die Mehrfachstreuung dazu, dass das bei jedem einzelnen Streuprozess nur wenig abgelenkte Licht nach vielen Streuprozessen letztlich die Wolke wieder am oberen Rand verlassen kann. Da hierfür aber sehr viele Streuprozesse nötig sind, verwundert es nicht, dass selbst bei Wolken mit τ = 50 – für obiges Beispiel mit 10-μm-Teilchen entspricht dies einer Wolkendicke von etwa 400 m – immer noch ein Anteil von etwa 20 % der einfallenden Lichtintensität diffus nach unten aus der Basis der Wolke herausgestreut werden kann [Boh95]. Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass Mehrfachstreuung eines großen Systems vieler Teilchen sich deutlich vom Verhalten der Einzelstreuung eines einzigen Tropfens unterscheidet. Die durch Gl. 10.5 beschriebene Abhängigkeit der optischen Dicke vom Tropfenradius zeigt sich übrigens im Abfall des Streuvermögens von Wassermolekülen in Wassertropfen für Radien ab einigen Mikrometern in Abb. 10.3a. Dies führte in Abschnitt 10.1.2 zur Erklärung, warum man durch Regenschauer viel weiter sehen kann als durch Wolken gleichen Wasserinhalts. Die eben diskutierte Konsequenz der Mehrfachstreuung bei optisch dicken Wolken ist übrigens enorm wichtig für Berechnungen des Strahlungsgleichgewichts auf der Erde und damit des Treibhauseffekts. Die Rückstreuung des Sonnenlichts von der Erde, die Albedo, kommt zu einem großen Teil durch die Rückstreuung von Wolken zustande. Da dicke Wolken fast nichts transmittieren, reflektieren sie einen Großteil der einfallenden Strahlung zurück ins Weltall. Insofern müssen alle Klimamodelle insbesondere auch mögliche Veränderungen des Wolkenbedeckungsgrads in den Simulationen mit berücksichtigen.

288

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

Wann können dicke Wolken auch farbig sein? Nachdem nun klar ist, dass dicke Wolken das auf sie einfallende Licht mehr oder weniger vollständig diffus zurückstreuen, d. h. das Spektrum der einfallenden Strahlung nicht verändern, lässt sich einfach verstehen, warum bzw. wann solche Wolken auch farbig sein können (zu Farberscheinungen dünner Wolken siehe Kapitel 7 und 8). Wolken sind i. Allg. dann farbig, wenn sie mit farbigem Licht beleuchtet werden. Dies ist in der Regel nur zu den Morgen- und Abendstunden, d. h. bei tief stehender Sonne der Fall (Abb. 10.27). Gemäß der obigen Diskussion über die Farberscheinungen des Himmels während der Dämmerung ist klar, dass die spektakulärsten rötlichen Farben dann zu erwarten sind, wenn Aerosole vorhanden sind.

10.27 Rötliches Licht nach Sonnenuntergang beleuchtet Wolken und färbt diese rot.

10.2.4

Sichtweiten

Die Sichtweite ist ein Maß dafür, wie weit man – i. Allg. horizontal – durch die Atmosphäre, d. h. die Luft, sehen kann. Offensichtlich hängt diese Größe von der Reinheit der Luft ab. Für eine saubere Rayleigh-Atmosphäre, d. h. eine, bei der das Licht nur durch Rayleigh-Streuung abgelenkt wird (Absorptionen seien vernachlässigt), sollte sie am größten sein, für eine mit vielen Aerosolen bedeutend geringer, und letztlich ist die Sichtweite in Wolken oder Nebel am geringsten. Entsprechend rangieren Sichtweiten zwischen wenigen Metern (im früher legendären Londoner Nebel) bis hin zu einigen hundert Kilometern. Tab. 10.1 gibt eine Übersicht über übliche Bezeichnungsweisen bei vorgegebenen Sichtweiten. Als Rekord für die größte bisher angegebene Sichtweite wurde übrigens bereits 1948 die aus 4’000 m Höhe über Köln beobachtete Sichtung des Mt. Blanc in 530 km Entfernung angegeben [Berg48]. Hierbei war das Ziel wegen der Erdkrümmung nicht geradlinig beobachtbar (s. u.), sondern nur wegen der nichtgeradlinigen Lichtausbreitung in der Atmosphäre (Kapitel 4) überhaupt sichtbar. Was sind – abgesehen von solchen Extremwerten – sinnvolle Angaben für die Sichtweite, und wie kann man sie aus Angaben über die Qualität der Luft, d. h. deren Aerosolgehalt bzw. der Dichte von Wassertröpfchen, abschätzen?

10.2 Anwendungen Tabelle 10.1

289

Grobe Klassifizierung von Sichtweiten.

Sichtweite

Beschreibung

bis 50 m bis 500 m bis 1 km bis 4 km bis 10 km bis 20 km 50 km über 50 km

sehr dichter Nebel dichter bis mäßig dichter Nebel leichter Nebel sehr starker bis starker Dunst mäßig starker Dunst mäßig gute Sicht sehr gute Sicht außergewöhnlich gute Sicht

Geometrisch bedingte maximale Sichtweiten Zunächst hängt die maximale Sichtweite von geometrischen Faktoren ab. Ein Beobachter auf dem flachen Land bzw. auf See kann – bei Vernachlässigung von optischen Hebungen (Kapitel 4) – wegen der Erdkrümmung nur Objekte bis zu einer Entfernung sehen, die häufig unter der möglichen maximalen Sichtweite liegen. Dies ist in Abb. 10.28 verdeutlicht, wobei – um die Geometrie deutlich zu machen – der Erdradius viel zu klein gezeichnet wurde. Ein Beobachter mit der Augenhöhe hBeob blickt zum Horizont. Die Sichtweite für ein Objekt auf Bodenhöhe wird durch einen Lichtstrahl charakterisiert, der die Erdoberfläche tangential trifft. Dieser Punkt bildet mit dem Auge des Beobachters und dem Erdmittelpunkt ein rechtwinkliges Dreieck, für das der Satz des Pythagoras gilt:

(RErde + hBeob )2 = RErde 2 + x 2

a)

(10.6)

b)

10.28 a) Geometrie für maximale Sichtweite im flachen Land oder auf der See für Objekte auf Bodenhöhe. b) Geometrie für maximale Sichtweite im flachen Land oder auf der See für Objekte endlicher Höhe.

290

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

Mit dem Erdradius von etwa 6370 km, der sehr viel größer als die Augenhöhe eines Beobachters von z. B. 1,6 m ist, findet man näherungsweise für die Sichtweite x: x ≈ 2RErde ⋅ hBeob

(10.7)

Da die Höhe des Beobachters leicht variieren kann (Blick aus dem Fenster, von einer Leiter, von einem Baum etc.), gibt Tab. 10.2 eine kleine Übersicht über die Sichtweiten x als Funktion der Höhe hBeob. Tabelle 10.2 Geometrisch bedingte Sichtweiten eines Beobachters auf einer flachen Erdkugel als Funktion der Augenhöhe. hBeob in Meter

1,6

5

10

20

x in Kilometer

4,5

8

11,3

16

Haben die Objekte in der Entfernung eine endliche Höhe hObj, so kann ein Beobachter weiter sehen (Abb. 10.28b). Die maximale Sichtweite ergibt sich wieder, wenn der Lichtstrahl zwischen Objekt und Auge die Erde tangential streift. Insofern entstehen rechts und links dieses Punkts zwei rechtwinklige Dreiecke, für die jeweils die obige Betrachtung durchgeführt wird. Man findet x ≈ 2RErde ⋅ hBeob + 2RErde ⋅ hObj

(10.8)

Somit verdoppelt sich die Sichtweite ungefähr für Objekte mit Höhen ähnlich zur Augenhöhe. Alles in allem liegen die derart nur durch die Geometrie eingeschränkten Sichtweiten für Gegenstände bis 10 m Höhe im Bereich unter 20 km. Für den oben diskutierten Fall von hBeob = 4 km (im Flugzeug über Köln) und hObj = 4,8 km (Mt. Blanc) ergibt sich rein geometrisch x = 226 km + 247 km = 473 km. Alle derart geometrisch berechneten Sichtweiten beziehen sich auf geradlinige Lichtausbreitung. Sie können einerseits durch gekrümmte Lichtwege in der Atmosphäre ansteigen (Kapitel 4), andererseits werden sie durch atmosphärische Trübung häufig weiter eingeschränkt (s. u.).

Definition der meteorologischen Sichtweite Die für Wettermeldungen übliche meteorologische Sichtweite wird häufig qualitativ definiert als größte horizontale Entfernung, in der dunkle Objekte bzw. Sichtziele in Erdbodennähe mit einer scheinbaren Größe von 0,5°–5° vor einem hellen Horizont bzw. ggf. gegen einen weißen Nebelhintergrund gerade noch erkannt werden können. Diese Definition der Tagessicht ist ungenau, da sie auf einer subjektiven Wahr-

10.2 Anwendungen

291

nehmung beruht und somit vom Individuum abhängt. Bei Nacht – man denke an Flugzeuge im Landeanflug – wird die Sichtweite definiert durch die sog. Feuersicht. Einfach gesprochen ist die Sichtweite dann die Entfernung, aus der eine Lichtquelle noch gesehen werden kann. Hier hängt das Ergebnis von der Leuchtkraft der Lichtquelle ab. Tagessichtweite Um quantitative Aussagen zur Tagessichtweite machen zu können (siehe z. B. [Roe94]), muss obige Definition objektiver gestaltet werden. Dies erfolgt i. Allg. in Anlehnung an eine Theorie von Koschmieder aus dem Jahre 1924. Darin wird der Kontrast Kt zwischen der vom Auge wahrgenommenen Helligkeit des Objekts H und der Helligkeit des Hintergrunds bzw. der Umgebung H0 eingeführt als Quotient: Kt = (H – H0)/H0

(10.9)

Diese Definition geht zurück auf das Weber-Fechner’sche Gesetz der Wahrnehmung (z. B. [Berg3]), das den Zusammenhang zwischen Sinnesreiz (hier ins Auge fallendes Licht) und Empfindung beschreibt. Demnach ist ein gerade noch wahrnehmbarer Helligkeitsunterschied zwischen zwei Flächen proportional zu deren relativen Leuchtdichteunterschieden ΔH/H. Diese Größe wurde deshalb als Kontrast definiert. Die Helligkeit wird bestimmt durch die vom Objekt ausgehende Strahlung, die durch Streuung und Absorption auf dem Weg zum Auge des Beobachters geschwächt wird. Dies wird beschrieben durch das Gesetz der Gl. 10.1 und 10.2. Das heißt, die Zahl und Größe der streuenden Teilchen bestimmt die mittlere freie Weglänge xe des Lichts bzw. deren Kehrwert, den man häufig auch Extinktionskoeffizienten β nennt. Durch die Schwächung der Objekthelligkeit nähert sich diese mit steigender Entfernung x immer mehr der Helligkeit des Hintergrunds an. Der Kontrast wird somit entfernungsabhängig: Kt = e−β ⋅ x

(10.10)

Eine objektive Aussage zur Sichtweite ist nur möglich, wenn bekannt ist, welcher Kontrast erforderlich ist, um zwei ähnlich helle Objekte noch voneinander zu unterscheiden. Hier greift man auf Erfahrungswerte zurück: Bei ausreichender Helligkeit und guter Verfassung des Auges können Objekte i. Allg. dann noch getrennt von der Umgebung wahrgenommen werden, wenn der Kontrast Kt < 0,02 ist, d. h. wenn sich die vom Auge empfundenen Helligkeiten des Objekts gegenüber dem Hintergrund um mehr als 2 % unterscheiden. Die Entfernung x, die zu diesem Kontrast gehört gemäß Gl. 10.10, wird häufig auch als praktische Sichtweite, Normsichtweite oder Kontrastsichtweite Rs bezeichnet: RS ≈

3,9 ≈ 3 ,9 ⋅ xe β

(10.11)

292

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

Diese Sichtweite beträgt also knapp vier mittlere freie Weglängen des Lichts in der Atmosphäre. (Wenn man für den Kontrastgrenzwert 5 % angenommen hätte, wäre der Zahlenwert in Gl. 10.11 von 3,9 übrigens nur auf etwa 3 gefallen.) Da die mittlere freie Weglänge von der Wellenlänge des Lichts abhängt, man andererseits meist nur einen Wert für die Sichtweite angeben möchte, hat sich eingebürgert, Gl. 10.11 für eine Wellenlänge von λ = 555 nm, d. h. bei der maximalen Empfindlichkeit des menschlichen Auges, auszuwerten. Nachtsicht Die World Meteorological Organization (WMO) empfahl 1957 die Einführung der meteorologischen Sichtweite (MOR = meteorological optical range), die auch bzw. vor allem für Nachtsicht wichtig ist [Mas01]. Diese MOR-Sichtweite ist objektiv als die Strecke in der Atmosphäre definiert, nach der die Leuchtdichte eines kollimierten Strahls einer monochromatischen Lichtquelle auf 5 % der ursprünglichen Leuchtdichte abgefallen ist. Dies ergibt ganz analog zu Gl. 10.11 eine Definition, bei der die Zahl 3,9 durch 3 ersetzt wird. Der Vorteil dieser Definition: Es gibt einfache Messvorschriften. So werden z. B. auf Flughäfen mehrere Lampen von z. B.15 W, 60 W bzw. 100 W aus vorgegebenen Entfernungen von 100 m, 450 m bzw. 1350 m beobachtet. In den Messgeräten wird ein variabler Lichtabschwächer (sog. Verlaufsneutralglasfilter) vor den Detektor gestellt, bis die Grenze des MOR erreicht ist. Aus dem Wert der Abschwächung kann dann der MOR berechnet werden. Andererseits gibt die derart berechnete meteorologische Sichtweite nicht unbedingt die tatsächliche maximale Sichtweite bei Nacht an, denn eine Lichtquelle kann bei Nacht auch noch bei größeren Entfernungen wahrgenommen werden. Unabhängig davon, welche Definition der Sichtweite benutzt wird: In allen Fällen wird sie durch den Extinktionskoeffizienten β bestimmt (Gl. 10.11). β setzt sich zusammen aus Rayleigh-Streuung und molekularer Absorption sowie Streuung an Aerosolen und Hydrometeoren (d. h. Wassertropfen und Eiskristallen). Entsprechend unterscheiden sich die Sichtweiten für saubere Rayleigh-Atmosphären von solchen mit Aerosolen oder Wassertröpfchen in Form von Nebel oder Wolken.

Sichtweiten für eine saubere und wassertropfenfreie Atmosphäre durch Rayleigh-Streuung Für eine saubere Atmosphäre tritt nur Rayleigh-Streuuung auf, d. h., die Sichtweite wird bestimmt durch den Extinktionskoeffizienten nach Rayleigh (Gasabsorptionen, siehe folgenden Abschnitt). Abb. 9.11 zeigt die optische Dicke für die normale Atmosphäre. Zunächst ist offensichtlich, dass die vertikale Atmosphäre optisch dünn ist. Deshalb ist die Tageslichtsichtweite vertikal deutlich größer als die Atmosphärendicke. Da die Nachtsicht definiert durch Lichtquellen i. Allg. noch größer ist, können wir auf jeden Fall durch eine klare Atmosphäre ins Weltall schauen und nachts Sterne sehen.

10.2 Anwendungen

293

Aus der optischen Dicke τ = L · β und der äquivalenten Dicke der normalen Atmosphäre L = 8000 m (Abschnitt 3.1.5) ergibt sich der Extinktionskoeffizient zu βRayl(λ = 555 nm) ≈ 0,012 km–1. Dem entspricht eine mittlere freie Weglänge des Lichts von über 80 km und eine Kontrastsichtweite von etwa 330 km! Offensichtlich sind solch große Sichtweiten praktisch äußerst selten realisiert, wenn überhaupt, dann fernab von Luftverunreinigungen (z. B. in der Antarktis; in der Nähe des Südpols soll die reinste Luft auf unserer Erde vorliegen).

Beeinträchtigung von Sichtweiten durch Absorption von Gasen Neben Rayleigh-Streuung tritt bei Gasen auch Absorption auf. Die Hauptbestandteile der Luft, Sauerstoff (O2) und Stickstoff (N2), absorbieren im Ultraviolett (UV), Wasserdampf (H2O) und Kohlendioxid (CO2) sowohl im UV (elektronische Anregungen) als auch im Infrarot (Schwingungs-Rotationsanregungen), jedoch nicht im sichtbaren Teil des Spektrums. Ozon (O3) absorbiert stark im UV, jedoch auch bei den Chappuis-Banden im sichtbaren Spektralbereich (vgl. Abb 10.23). Das stratosphärische Ozon hat jedoch fast keinen Einfluss auf die horizontale Sichtweite, ggf. kann bei Luftverunreinigungen und photochemischem Smog das troposphärische bodennahe Ozon eine Rolle spielen. Die Grenzwerte bodennahen Ozons von 0,24 mg/m3 entsprechen etwa Volumenkonzentrationen von 10–7, in wissenschaftlicher Schreibweise sind das 0,1 ppmv. Bildlich kommt dabei auf 10 000 000 Luftmoleküle ein Ozonmolekül. Selbst wenn diese Grenzwerte um den Faktor 2,5 überschritten werden, liegen die maximalen Extinktionskoeffizienten gasförmigen Ozons bei βOzonabs(λ = 555 nm) ≈ 0,003 km–1 [Jac02]. Die daraus rechnerisch resultierende Verringerung der Sichtweite der Rayleigh-Atmosphäre beträgt nur wenige Kilometer, ist also i. Allg. vernachlässigbar. Natürlich ist hier die Gesundheitsbeeinträchtigung viel wichtiger als minimale Einschränkungen der Sichtweite. In städtischen Gebieten gibt es neben der Emission von Aerosolen auch Freisetzung weiterer gasförmiger Verunreinigungen. Das einzige üblich auftretende Gas, das im sichtbaren Spektralbereich so stark absorbiert, dass es die Sichtweite beeinflusst, ist NO2. Hohe Konzentrationen von Stickoxiden sind eine der Voraussetzungen für die Entstehung photochemischen Smogs. Ein berühmtes Beispiel ist der LosAngeles-Smog, der die Sichtweiten drastisch reduzierte [Jac02]. Bei ähnlichen Volumenkonzentrationen wie den oben abgeschätzten für Ozon von 0,25 ppmv – das ist ebenfalls etwa 2,5fach höher als der erlaubte Mittelwert über eine halbe Stunde – weist NO2 einen deutlich höheren Extinktionskoeffizienten von etwa 0,3 km–1 bei λ = 400 nm und etwa 0,06 km–1 bei λ = 555 nm auf. Dieser würde allein aufgrund der Absorption zu einer Sichtweite von etwa 65 km führen, zusammen mit der zusätzlichen Rayleigh-Streuung ergibt sich eine Sichtweite von etwa 54 km. Diese Werte sind natürlich immer noch unrealistisch, da die Hauptquelle für Extinktion, die Mie-Streuung an Aerosolen (bzw. an Wassertropfen), noch nicht berücksichtigt wurde.

294

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

Sichtweiten für eine Atmosphäre mit Aerosolen und/oder Wassertröpfchen Aerosole haben zwei verschiedene Einflüsse auf die Sichtweite. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass sie selbst sichtbares Licht absorbieren, zum anderen wirken sie als Kondensationskeime für Wassertröpfchen, die ihrerseits das Licht streuen. Insofern hängt die Sichtweite bei Vorhandensein von Aerosolen immer stark von der relativen Luftfeuchte ab. Absorption und Streuung durch Aerosole (ohne kondensiertes Wasser) Der stärkste Aerosolabsorber sichtbarer Strahlung ist Ruß, auch als black carbon (BC) bezeichnet. Darunter versteht man Teilchen aus einem Gemisch von Kohlenstoffatomen mit organischen Verbindungen. Des Weiteren absorbieren auch Hematit und Aluminiumoxid, allerdings schwächer als BC. Die meisten anderen Teilchen absorbieren jedoch im sichtbaren und ultravioletten Teil des Spektrums nur wenig. Dichte Rußwolken können bei 0,1 μm kleinen Rußaerosolen mit Anzahldichten von z. B.105 Teilchen/cm3 zu Extinktionskoeffizienten von 8 km–1 führen, die entsprechenden Sichtweiten liegen bei 500 m. Schon 106 Teilchen/cm3 führen zu Sichtweiten von nur noch 50 m! Größere Teilchen mit Radien um 1 μm streuen und absorbieren zwar stärker, sind allerdings i. Allg. in geringerer Konzentration vorhanden. 102 Teilchen bzw. 103 Teilchen pro cm3 von 1 μm Radius würden zu Extinktionskoeffizienten von 0,7 km–1 bzw. 7 km–1 führen mit Sichtweiten von etwa 5,5 km bzw. 600 m. Derartige Bedingungen sind Extreme, die sehr selten lokal auftreten. Absorption und Streuung durch Aerosole als Funktion der Luftfeuchtigkeit Üblicherweise liegen bei trockener Luft (Luftfeuchten unter 50 %) die Extinktionskoeffizienten grünen Lichts (λ ≈ 550nm) für Aerosole in ländlichen Gebieten bei etwa 0,1km–1 bzw. für maritime Aerosole bei etwa 0,08 km–1 ([Hand1]). Dem entsprechen Sichtweiten von ungefähr 40 km bzw. 50 km. Dies ändert sich dramatisch bei steigender Luftfeuchtigkeit, selbst wenn diese noch unter 100 % liegt. Wassermoleküle lagern sich an die Aerosole an und streuen das Licht zunehmend, selbst wenn die Teilchengröße noch unter der Tropfengröße in Wolken liegt. Als Ergebnis entsteht noch vor der Bildung von Wolken (was eine Feuchte von mindestens 100 % voraussetzt) eine weißliche Dunstschicht (Abschnitt 10.2.3). Dieser weißliche Schleier (haze) reduziert die Sichtweite stark. In Industriegebieten mit starker Emission von Aerosolen ist es manchmal sogar schwierig, diesen weißen Dunst von Nebel oder Wolken zu unterscheiden. Abb. 10.29 zeigt Extinktionskoeffizienten für ein maritimes Aerosol als Funktion der Wellenlänge für verschiedene Luftfeuchtigkeiten (nach [Hand1]). Die Lichtabschwächung steigt für Luftfeuchten über 50 % stark an. Entsprechend sinken nach Gl. 10.11 die Sichtweiten von etwa 50 km (Feuchte 0,5 μm. Die Qualität von Reinräumen wird direkt über das Streulicht gemessen. Dazu wird die Luft kontrolliert angesaugt und das Streulicht von einzelnen Staubteilchen analysiert. Die Anzahl der Streulichtblitze ergibt die Anzahl der Teilchen in der angesaugten Luft. Die Information über die Größe der Teilchen erhält man aus der Intensität der einzelnen Pulse, da kleine Teilchen weniger Licht streuen als große Teilchen.

Reine Gase, beleuchtet mit Lasern: Raman-Streuung Beleuchtet man reine Gase (ohne Staubteilchen) mit Laserlicht, so bedeutet Rayleigh-Streuung, dass ein gewisser Anteil des Lichts auch zur Seite gestreut wird. Je nach Gas und Wellenlänge des Lasers kann aber auch ein weiteres Phänomen auftreten, die sog. Raman-Streuung. Dabei beobachtet man bei Einstrahlung von z. B. blauem Licht andersfarbiges Streulicht. Diese Farbänderung des Streulichts tritt nur bei Molekülen auf. Sie wird zurückgeführt auf Anregungen der Moleküle zu Rotationen bzw. Schwingungen (Details zur Raman-Streuung siehe z. B. [Gün96, Schm94]). Eine mit Joddampf niedrigen Drucks gefüllte Glasküvette wird vom blauen Licht eines Ar+-Lasers (λ = 488 nm) durchstrahlt. Ist die Intensität des Lasers hoch genug, sieht man plötzlich einen blaugrünen (ins längerwellige verschobenen) Strich entlang des Laserstrahls in der Küvette (Farbtafel 10.8a). Die Streuung ist so intensiv, dass man bei der benutzten kurzen Belichtung mit in etwa farbechter Wiedergabe des Streulichts den blauen Laserstrahl außerhalb der Küvette praktisch nicht sieht (mit dem Auge allerdings wahrnimmt). Bei längerer Belichtung (Farbtafel 10.8b) wird auch das anregende Licht auf dem Foto sichtbar, allerdings ist dann das Raman-Streulicht derart intensiv, dass wegen Überbelichtung die Farbwiedergabe ins Gelbe verschoben wird. Bei Anregung mit einem durchstimmbaren Farbstofflaser kann man auch leicht ins kürzerwellige verschobene Linien sichtbar machen. Die Diskussion von Stokes- und Anti-Stokes-Linien hat übrigens tatsächlich etwas mit der Streuung des Sonnenlichts in der Atmosphäre zu tun. Denn rotierende Luftmoleküle führen zu Stokes- und Anti-Stokes-Linien bei der Streuung [You82]. Diese inelastischen Streuanteile machen insgesamt etwa 3 % der Gesamtstreuung aus.

302

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

10.3.2

Zigarettenrauch

Im täglichen Leben kennt man Zigarettenrauch, der, je nachdem ob er von der glimmenden Zigarettenspitze aufsteigt oder nach Inhalieren ausgeatmet wird, entweder blau oder weiß erscheint.

Blauer Rauch Im aufsteigenden Rauch von Zigaretten, Zigarillos oder Räucherstäbchen befinden sich viele kleine Teilchen, u. a. auch solche, die klein gegen die Wellenlänge des anregenden Lichts sind. Ein kleiner Restanteil größerer Teilchen, d. h. ein Beitrag von Mie-Streuung, lässt sich i. Allg. aber nicht vollständig vermeiden. Insofern wird dieser Rauch völlig zu Recht als blauer Dunst bezeichnet. Aufgrund der dominierenden Rayleigh-Streuung kleiner Teilchen sowie der Mie-Streuung größerer Teilchen wird Blau seitlich stärker gestreut als Rot. Dies lässt sich im Freihandversuch einfach zeigen, indem z. B. brennende Zigaretten mit weißem Licht beleuchtet werden. Bei Beobachtung unter 90° sieht man eine deutliche Blaufärbung (Farbtafel 10.9). Beobachtet man durch Polarisationsfolien und dreht diese, fällt eine starke Unterdrückung des Streulichts bei Rotation um 90° auf. Abb. 10.34 zeigt dies in einer Schwarzweißabbildung. Ein Zigarillo (links) erzeugt feinen bläulichen Rauch, der durch das oben gekreuzte Polarisationsfilter fast vollständig unterdrückt wird; dies deutet auf sehr kleine Teilchen hin, an denen Rayleigh-Streuung stattfindet. Die rechts daneben befindliche Zigarette enthält im vergleichsweise dichteren weißlicheren Rauch auch größere Teilchen, weshalb die Unterdrückung nicht vollständig ist. Der relative Anteil zwischen Rayleigh- und

10.34 Das Streulicht an Zigarettenrauch ist polarisiert (Details siehe Text).

10.3 Experimente zur Rayleigh- und Mie-Streuung

303

Mie-Streuung bei diesem Experiment hängt von der Beschaffenheit des Zigarettenpapiers sowie der Dichte und Konsistenz des Tabaks ab.

Weißer Rauch Wird die Zigarette nicht nur abgebrannt, sondern geraucht (gelegentlich stellen sich auch Nichtraucher in den Dienst der Wissenschaft), lässt sich bei dem wieder ausgestoßenen Rauch nach Inhalieren ein deutlicher Unterschied feststellen. In der Atemluft sind viele Wassertröpfchen unterschiedlicher Größe, sodass die MieStreuung wirksamer wird. Die Folge: Der ausgeatmete Rauch erscheint auch von der Seite weiß und zeigt eine sehr viel schwächer ausgeprägte Polarisation. In der Literatur wird auch ein Experiment beschrieben [Boh87], bei dem der Zigarettenrauch mit Strohhalm in ein auf einem Overheadprojektor stehendes umgedrehtes Becherglas geleitet wird. Das auf einen weißen Schirm projizierte Licht ist rötlich, wenn Rayleigh-Streuung kleiner Teilchen dominiert; dies ist der Fall beim nicht inhalierten Rauch sowie – nach empirischen Untersuchungen von Craig Bohren – wenn man nach dem Inhalieren sehr schnell den Rauch ausstößt. Dies begünstigt kleinere Teilchen. Im Gegensatz hierzu führt längeres Inhalieren zu größeren Tröpfchen im ausgeatmeten Rauch. Wenn diese Teilchen dann auch eine sehr schmale Größenverteilung aufweisen, ist es möglich, dass sie (vgl. Abb. 10.2) bevorzugt rotes Licht streuen, sodass das projizierte Durchlicht einen blauen Schimmer erhält. Dies ist eine Veranschaulichung des Phänomens der blauen Sonne (Abschnitt 10.1.1).

10.3.3

Wasser

Im Vergleich zu Gasen haben Flüssigkeiten etwa tausendfach höhere Dichten. Daher sollte man um denselben Faktor deutlich erhöhte Streuraten erwarten. Allerdings überlagert sich die große Zahl der an den Molekülen durch Streuung erzeugten Elementarwellen dergestalt, dass die Streuung in Seitwärtsrichtung durch destruktive Interferenz stark unterdrückt wird [Hec01]. Grob gesprochen: Je dichter der Stoff wird, desto bedeutungsloser wird die seitliche Streuung, vorausgesetzt, der Stoff ist homogen, d. h. es gibt keine räumlichen Fluktuationen des Brechungsindex. In Flüssigkeiten führt dies dazu, dass letztendlich doch nur etwa fünf- bis50-mal mehr Licht als in Gasen seitlich gestreut wird. (Geht man von Flüssigkeiten zu geordneten transparenten Kristallen über, wird noch weniger Licht seitlich gestreut.) Insgesamt eignen sich Flüssigkeiten daher sehr wohl für Streuexperimente, allerdings tritt wegen der hohen Dichte auch Mehrfachstreuung auf. Im Folgenden werden im Wesentlichen Wasser bzw. wässrige Lösungen diskutiert, bei denen Absorption (wie sie z. B. in Tinten auftritt) als Ursache für Farbeffekte ausgeschlossen sind.

304

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

Destilliertes Wasser oder Leitungswasser Strahlt man gebündeltes weißes Licht oder Laserlicht durch destilliertes Wasser oder Leitungswasser, kann man – je nach Reinheit des Wassers – weniger oder mehr Streulicht unter 90° beobachten. Es ist eindrucksvoll, den deutlichen Unterschied zwischen destilliertem und Leitungswasser mit bloßem Auge zu beobachten. Ebenso kann man in destilliertes Wasser Verunreinigungen, beispielsweise in Form von Kochsalz, geben und umrühren. Sofort steigt die Streuung stark an (siehe z. B. Abschnitt 4.6.2 und Abb. 4.18 bei den Experimenten zu Luftspiegelungen mit Salzwasserlösungen). Im rein qualitativen Demonstrationsexperiment wird das Licht eines Diaprojektors durch ein mit Leitungswasser gefülltes Aquarium gerichtet. Man beobachtet das Streulicht unter 90° für verschiedene Orientierungen eines vor dem Auge oder der Kamera befindlichen Polarisationsfilters. Abb. 10.35 zeigt zwei Aufnahmen (F4, 1000ASA) mit je drei Sekunden Belichtungszeit für die zwei zueinander senkrechten Polarisationsrichtungen. Ohne Polarisationsfilter sieht man im Wesentlichen weißes Streulicht, d. h., es tritt sowohl Rayleigh- als auch Mie-Streuung auf. Wegen der starken Polarisation der Rayleigh- und teilweisen Polarisation der Mie-Streuung tritt deutlich abgeschwächtes Licht durch den gekreuzten Polarisationsfilter. Dieses Restlicht ist zudem eindeutig blau gefärbt. Zusätzlich erkennt man wegen der langen Belichtungszeit einige durch Mie-Streuung sichtbare Spuren größerer Teilchen.

a)

b)

10.35 Das Streulicht von weißem Licht in Leitungswasser unter 90° ist teilweise polarisiert.

10.3 Experimente zur Rayleigh- und Mie-Streuung

305

Für die Blaufärbung gibt es zwei mögliche Ursachen. Zum einen könnte sie, ähnlich wie oben bei der Luft diskutiert, dadurch zustande kommen, dass in der Flüssigkeit durch die erheblich höhere Dichte als in der Atmosphäre schon auf diesen kurzen Strecken Mehrfachstreuung auftritt. Der Polarisator unterdrückt zwar das einfach gestreute polarisierte Licht, lässt aber das mehrfach gestreute Licht, bei dem die Polarisation verloren gegangen ist, hindurchtreten. Da Letzteres aber bzgl. seiner Farbabhängigkeit wieder den Gesetzen der Rayleigh-Streuung folgt, wird in ihm Blau dominieren. Die Mehrfachstreuung kann allerdings noch nicht sehr stark ausgeprägt sein, da ansonsten das durch das Aquarium hindurchlaufende Lichtbündel sich deutlicher auffächern müsste. Ggf. muss eine zweite Erklärung berücksichtigt werden. Es können z. B. biologische Hydrosole mit sehr geringen Brechzahlunterschieden zum Wasser vorhanden sein. Wegen ihrer Größe wird Mie-Streuung auftreten, die – sofern die Streuer nicht sphärisch sind – zu einer Absenkung des Polarisationsgrads führt. Da auch in der Mie-Streuung blaues Licht stärker seitlich gestreut wird, kommt die blaue Farbe zustande. Ohne Zweifel lässt sich durch gezielte Experimente die Ursache der Blaufärbung eindeutig klären.

Kleine Fetttröpfchen in Wasser Ein bekanntes Demonstrationsexperiment (z. B. [Boh87]) nutzt aus, dass Zugabe von etwas Kondensmilch in Wasser zur Tröpfchenbildung führt. (Milch ist eine Emulsion, d. h., kleine Fetttröpfchen sind fein verteilt im Wasser, bei Zugabe in ein großes Wassergefäß ergibt sich eine Verdünnung.) Diese schwach absorbierenden Tröpfchen haben Größen, die vom Fettgehalt und Homogenisierungsprozess der Milch abhängen und das Licht im Wesentlichen durch Mie-Streuung abschwächen. Bei geeigneter Dosierung ist es möglich, Abendroterscheinungen einfach zu simulieren. Man blicke z. B. durch den Glasbehälter (z. B. das Aquarium) mit der Emulsion auf eine dahinter liegende matte Glühlampe, deren Farbe sich je nach Konzentration von Weiß über Orange nach Rot verändert. Alternativ kann ein Becherglas oder ein Glaszylinder direkt auf den Overheadprojektor gestellt werden, der dann das transmittierte Licht vergrößert auf einen Schirm projiziert. Das seitlich gestreute Licht durch Mie-Streuung ist i. Allg. weiß. Es kann aber auf seinem Weg durch die Lösung auch die Farbe ändern (siehe auch unten bei chemischen Reaktionen). Man kann übrigens dieselbe rötliche Farbe in Transmission auch mit absorbierenden Flüssigkeiten, z. B. einer Tinte, erreichen, allerdings würde diese seitlich dunkel aussehen [Boh87]. Mit steigender Konzentration kann man auch den Übergang zur Mehrfachstreuung beobachten: solange das Lichtbündel wohl begrenzt ist, überwiegt Einfachstreuung, bei hoher Konzentration führt Mehrfachstreuung dann zu einem Auffächern des Strahls. Letztlich können Milchstreuexperimente auch dazu dienen, endliche Sichtweiten aufgrund von Streuung zu simulieren [GreVid]. Dazu wird entweder die Entfernung eines z. B. schräg von oben beleuchteten Objekts vom vorderen Fenster des

306

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

10.36 Zur experimentellen Untersuchung von Sichtweiten (Details siehe Text).

Glasbehälters variiert oder bei fester Entfernung die Milchkonzentration verändert (Abb. 10.36). Das beobachtete Licht enthält neben dem durch Streuung abgeschwächten Streulicht H des Objekts zusätzlich das Streulicht H0 der Flüssigkeit. Daraus ergibt sich eine Erniedrigung des Kontrasts. Sinkt der Wert unter 2 %, wird die Sichtbarkeitsgrenze erreicht.

10.3.4

Teilchen definierter Größe

Für quantitative Messungen zur Rayleigh- und Mie-Streuung verwendet man sinnvollerweise Teilchen wohl definierter Größe. Sie eigenen sich auch für qualitative Demonstrationen. Im Folgenden werden zwei Versuche mit kommerziell erhältlichen Latexteilchen mit Größen von 90,7 ± 17,7 μm sowie 6,9 nm beschrieben. Die wässrigen Lösungen wurden mit Volumenkonzentrationen um 10–5 in kleine Glasküvetten eingefüllt und von der Seite beleuchtet. Abb. 10.37 zeigt große (90,7 μm) Teilchen, die mit dem bloßen Auge über ihr weißes Streulicht sichtbar sind, wobei die Positionen bei langen Belichtungszeiten ver-

10.37 Streuung an Latexteilchen fester Größe von 2 R = 90,7 μm in destilliertem Wasser.

10.3 Experimente zur Rayleigh- und Mie-Streuung

307

schmieren. Bei den kleinen Teilchen dominiert dagegen die Rayleigh-Streuung. Sie sind mit dem bloßen Auge nicht mehr sichtbar, verursachen aber seitlich eine starke Blaufärbung und in Transmission je nach Konzentration eine Gelb- oder Rotfärbung. Das Drehen des Polarisationsfilters führt zu deutlicher Unterdrückung des Streulichts.

10.3.5

Teilchenwachstum bei chemischen Reaktionen

Alle bislang genannten Experimente beruhen auf Lichtstreuung an Teilchen, deren Größe während des Experiments unverändert bleibt. Um Lichtstreuung in der Atmosphäre, beispielsweise die Verfärbung der Sonne beim Untergang, auch zeitabhängig zu simulieren, benötigt man Teilchen, deren Zahl und/oder Größe sich als Funktion der Zeit verändert. Dies ist relativ einfach möglich mithilfe chemischer Reaktionen. Nach Backe [Bac87] wurde ein schönes Demonstrationsexperiment zum Abendrot bereits um die Jahrhundertwende von B. Schwalbe und H. Hahn angegeben. (In Variationen findet man immer ähnliche Rezepte in der Literatur, z. B. Hul81, Woo20, Woo34.) Der experimentelle Aufbau besteht aus der Lichtquelle, die ein mit einer Lösung gefülltes Aquarium oder sonstiges Gefäß durchstrahlt. Alternativ wird wieder ein Glaszylinder auf einen Overheadprojektor gestellt. Der Trick der Abendroterzeugung und Darstellung der Rayleigh-Streuung beruht auf dem Wachstum kleiner aus der Lösung ausgefällter Schwefelteilchen aufgrund chemischer Reaktionen. Die Aufbauten ermöglichen das gleichzeitige Beobachten des Streulichts sowie des transmittierten Lichts auf einem weißen Schirm. Die Präparation in unserem Versuch ist wie folgt: Man gebe etwa 15 g gewöhnliches Fixiersalz (Natriumthiosulfat, Na2S2O3*5H2O) in 2 l Wasser in Lösung, z. B. in ein Aquarium. Zu dieser farblosen Flüssigkeit werden sodann vorsichtig und langsam etwa 10 ml 5 %ige Schwefelsäure (manche Autoren [Hul81] erwähnen 5 %ige Salzsäure) zugegeben. Durch anfängliches Umrühren wird die Reaktion besser in Gang gesetzt, und es beginnt innerhalb einer Zeitskala von wenigen Minuten (ausprobieren) Schwefel auszufällen. Ohne Kondensationskeime ist hierzu eine bestimmte Übersättigung erforderlich. Anfängliche Radien der Tröpfchen liegen dann bei etwa 10 nm, d. h. bei einfallendem sichtbaren Licht ist man im Regime der Rayleigh-Streuung. Wegen des Wachsens der Schwefelteilchen ändert sich die Farbe im Laufe der Zeit, und es gibt den Übergang vom Rayleigh- zum Mie-Regime. Die Zeitdauer für das Wachsen der Teilchen vom Rayleigh- ins Mie-Regime kann je nach gewählten Konzentrationen von Sekunden bis Stunden dauern, für Beobachtungen sind Zeiten von ein bis zwei Minuten sinnvoll, diese müssen ggf. nach dem trial and error-Prinzip eingestellt werden. In Abb. 10.38 sind zwei mögliche Versuchsaufbauten dargestellt. Abb. 10.38a zeigt eine Schwarzweißaufnahme eines von unten beleuchteten Becherglases, Abb.10.38b ein von der Seite durchstrahltes Aquarium. Zu Beginn des Experiments beobachtet man zunächst eine starke Blaufärbung, wenn kleine Teilchen vorliegen. Liegen nach

308

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

a)

b)

10.38 Durch chemische Reaktionen können Teilchen vom Nanometer- ins MikrometerRegime wachsen und dabei Sonnenuntergangsfarben simulieren.

einer bestimmten Zeit genug kleine (und noch keine großen) Streuer vor, führt allein schon die Rayleigh-Streuung dazu, dass sich mit wachsender Entfernung von der Lichtquelle das seitliche Streulicht über Gelb nach Rot verfärbt bei gleichzeitig sinkender Intensität. Ursache: Der Blauanteil wird vorne effektiv entfernt, sodass gelbliches bzw. rötliches Licht die weiter hinten befindlichen Teilchen beleuchtet. Diese streuen vom einfallenden gelben bzw. roten Licht bevorzugt wieder den kurzwelligen Anteil, der dann als gelbes bzw. rotes Licht geringer Intensität seitlich beobachtet wird. Damit einher geht natürlich eine entsprechende Verfärbung des transmittierten Lichts. Andererseits wachsen im Laufe des Experiments auch größere Teilchen. Dann verändert sich beim Übergang von der Rayleigh- zur Mie-Streuung die Farbe ebenfalls von Blau über Gelb nach Rot. Wegen der zusätzlichen Streuung wird das Medium optisch immer dicker, d. h., es kann Mehrfachstreuung einsetzen, die die Konturen des Lichtbündels verwischen. Das Streulicht wird mit wachsender Teilchengröße immer weißer und sehr intensiv. Gleichzeitig sinkt die transmittierte Intensität immer weiter. Beobachtet man eine matte Glühbirne durch die Lösung, kann man dabei sämtliche Sonnenfarben von Gelb bis Tiefrot simulieren. Blickt man während des Teilchenwachstums durch ein Polarisationsfilter, erkennt man – wie schon beim Wasser – zunächst eine starke Abschwächung bei gekreuztem Filter. Das Streulicht der kleinen Teilchen ist stark polarisiert. Nach dem Übergang zu großen Teilchen ist die Unterdrückung geringer, d. h. die Polarisation sinkt. Zudem verfärbt sich durch die Mehrfachstreuung das Restlicht – wie oben schon diskutiert – wieder bläulich.

10.4

Das Rätsel des Spaceshuttle

Am Ende dieses Kapitels soll noch einmal auf das Rätsel des Spaceshuttle-Starts vom 7.2.2001 (vgl. Titelseite sowie Abb. 10.39) eingegangen werden. Betrachtet man das Bild genau, erkennt man viele der in diesem Kapitel diskutierten Phänomene.

10.4 Das Rätsel des Spaceshuttle

309

10.39 Erfolgreicher Start des Spaceshuttle vom 7.2.2001.

Das Shuttle startete offensichtlich nach Sonnenuntergang, da der untere Teil der Abgas- und Rauchfahne bereits im Erdschatten liegt. Die Fahne ist optisch dick, d. h. nicht transparent, und wurde je nach Höhe durch Winde in verschiedene Richtungen auseinander geweht. Beim Start flog das Spaceshuttle wieder in das Sonnenlicht. In der Rauchfahne kann man sehr schön alle Dämmerungsfarben erkennen. Im oberen Teil ist der Rauch noch im direkten Sonnenlicht mit Sonnenständen deutlich über dem Horizont. Nach unten hin erkennt man zunächst Gelb und dann Orangerot-Farbtöne. Diese kommen durch Sonnenlicht zustande, das lange Wege durch die Atmosphäre zurücklegen musste und sich dementsprechend verfärbt hat. Ein Beobachter, der in Höhe dieses Teils der Rauchfahne die Sonne beobachten würde, sähe sie mit gelber bzw. orangeroter Farbe gerade am Horizont stehen. Am markantesten sticht aus diesem Foto ein dunkler Strahl hervor, der in Richtung des Vollmonds weist. Oder weist er vom Mond zum Shuttle? Die Erklärung ist einfach: Die Rauchfahne ist erstens stark ausgedehnt und zweitens optisch dick. Deshalb kann sie einen Schatten werfen. Warum ist dieser Schatten in der Atmosphäre sichtbar? In den benachbarten Teilen wird die Atmosphäre noch von der Sonne beleuchtet und kann durch Rayleigh- bzw. Mie-Streuung an Luftmolekülen oder kleinen Teilchen Licht zum Beobachter streuen. Im Schattenbereich fehlt dieses Streulicht, weshalb die entsprechende Stelle am Himmel dunkler erscheint. Der Schatten weist zum Mond, da dieser beinahe voll ist und ihm die Sonne somit fast gegenübersteht. Tatsächlich weist der Schatten bei näherem Blick ein bisschen über den Mond hinaus zum Gegensonnenpunkt. Dieser würde nur bei einer Mondfinsternis mit dem Mond zusammenfallen.

310

10 Farbenpracht am Himmel: Von Pastellfarben und glutrotem Himmel

10.5

Referenzen

[Bac87] H. Backe, Das Physik-Experimentierbuch, Verlag Harri Deutsch (1987) [Berg48] H. Berg, Allgemeine Meteorologie, F. Dümmler Verlag, Bonn (1948) [Berg3] Bergmann-Schäfer Lehrbuch der Experimentalphysik, Bd. 3: Optik, 9. Aufl., de Gruyter (1993) [Boh83] C.F. Bohren, D.R. Huffman, Absorption and Scattering of Light by Small Particles, Wiley (1983) [Boh87] C.F. Bohren, Clouds in a Glass of Beer, Wiley (1987) [Boh89] C.F. Bohren (Hrsg.), Selected Papers on Scattering in the Atmosphere, SPIE Milestone Series Vol. MS 7, SPIE Optical Engineering Press, Bellingham/Washington (1989) [Boh95] C.F. Bohren, Atmospheric Optics, Encyclopedia of Applied Physics 12, 405–434 (1995) [Bul82] K. Bullrich, Die farbigen Dämmerungserscheinungen, Birkhäuser, Basel (1982) [Die57] G. Dietze, Einführung in die Optik der Atmosphäre, Akad. Verlagsges., Leipzig (1957) [EOS] http://eospso.gsfc.nasa.gov/eos_homepage/for_educators/eos_edu_pack/p37.php [Ged91] J.D. Gedzelmann, Atmospheric Optics in Art, Appl. Opt. 30, 3514–3522 (1991) [Geo95] W. Schneider, Die längste Nacht, GEO 7,, 139–154 (1995) [GreVid] Video von R. Greenler, Red Sunsets, Black Clouds and the Blue Moon: Light Scattering in the Atmosphere, Blue Sky Associates, Grafton Wisconsin [Gün96] H. Günzler, H.M. Heise, IR-Spektroskopie, VCH, Weinheim (1996) [Hand1] M. Bass (Hrsg.), Handbook of Optics, Vol. 1, unterstützt durch Opt. Soc. of America, McGraw Hill (1995) [Hec01] E. Hecht, Optik, 3. Aufl., Oldenbourg (2001) [Her89] E. Hering, R. Martin, M. Stohrer, Physik für Ingenieure, VDI-Verlag Düsseldorf (1989) [HITRAN] http://cfa-www.harvard.edu/HITRAN/docs.html [Hoe99] G. Hoeppe, Blau – Die Farbe des Himmels, Spektrum Akademischer Verlag (1999) [Hul53] E.O. Hulburt, Explanation of the Brightness and Color of the Sky, Particularly the Twilight Sky, J. Opt. Soc. Am. 43, 113–118 (1953) [Hul81] H.C. van de Hulst, Light Scattering by Small Particles, Dover (1981), Erstauflage 1957 [Jac02] M.Z. Jacobson, Atmospheric Pollution, Cambridge University Press (2002) [Kön85] G.P. Können, Polarized Light in Nature, Cambridge University Press (1985) [Krei95] U. Kreibig, M. Vollmer, Optical Properties of Metal Clusters, Springer Ser. Mat. Sci. 25 (1995) [Mal93] H. Malberg, Bauernregeln, 2. Aufl., Springer (1993) [Mas01] N. Mason, P. Hughes, Introduction to Environmental Physics, Taylor and Francis (2001) [Mei83] A. & M. Meinel, Sunsets, Twilights, and Evening Skies, Cambridge University Press, Cambridge (1983) [MetKal] Meteorologische Kalender 1985, 1995 und 2000, Deutsche Meteorologische Gesellschaft, Institut für Meteorologie, FU Berlin [Min92] M.G.J. Minnaert, Light and Color in the Outdoors, Springer, Heidelberg, Berlin (1993); deutsche Ausgabe: Licht und Farbe in der Natur, Birkhäuser (1992) [OSA73] Committee on Colorimetry, Opt. Soc. of Am., The Science of Color, 8th printing, OSA (1973) [Pfe00] K. Pfeilsticker, O. Funk, Irrwege des Sonnenlichts, Physik in unserer Zeit 31, 152–158 (2000) [Qua03] V. Quaschning, Regenerative Energiesysteme, 2. Aufl., Hanser (1999) [Roe94] W. Roedel, Physik unserer Umwelt: die Atmosphäre, 2. Aufl., Springer (1994) [Schm94] W. Schmidt, Optische Spektroskopie, VCH, Weinheim (1994)

10.5 Referenzen

311

[Spe84] P. Francis, S. Self, Der Ausbruch des Karkatau, Spektrum der Wiss., 106–118 (Januar 1984) [Str18] R.J. Strutt, Scattering of Light by Dust-Free Air with Artificial Reproduction of the Blue Sky, Porc. Roy. Soc. Londonk Ser. A, 94, 453–459 (1918) [Tyn69] J. Tyndall, On the Blue Colour of the Sky, the Polarization of Skylight and on the Polarization of Light by Cloudy Matter Generally, Phil. Mag. S. 4, Vol. 37, No. 250, 384–394 (Mai 1869) [Tyn95] J. Tyndall, Das Licht, 2. Aufl., Vieweg (1895) [Vol54] F. Volz, Die Optik und Meteorologie der atmosphärischen Trübung, Berichte des deutschen Wetterdienstes Nr. 13, Bd. 2 (1954) [Woo20] R.W. Wood, Light Scattering by Air and the Blue Colour of the Sky, Phil. Mag. Ser. 6, Vol. 39, No. 232 , 423–433 (1920) [Woo34] R.W. Wood, Physical Optics, 3. Aufl., Macmillan, New York (1934) [You82] A. T. Young, Phys. Today, 2–8 (Januar 1982) [Zol99] H. Zollinger, Color – A Multidisciplinary Approach, Wiley-VCH (1999)

11

Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

Es gibt noch eine Vielzahl weiterer optischer Phänomene in der Atmosphäre. An dieser Stelle sollen einige erläutert werden, z. B. das grüne Leuchten oder die Farbphänomene bei Mondfinsternissen, andere werden der Vollständigkeit halber aufgeführt, aus Platzgründen aber nur kurz mit weiterführenden Literaturangaben erwähnt.

11.1

Vorhersagen des Wetters aus optischen Phänomenen der Atmosphäre: Bauernregeln

Ein leuchtend roter Abendhimmel wurde früher als Zeichen für Krieg angesehen – eine antike Interpretation, der beispielsweise auch Schiller folgte [Schi]: Am Himmel geschehen Zeichen und Wunder, und aus den Wolken blutigrot Hängt der Herrgott den Kriegsmantel runter. Während Deutungen im Sinne von schicksalhaften Himmelszeichen heutzutage im naturwissenschaftlich geprägten Zeitalter als Aberglauben verpönt sind und kaum noch jemand einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Himmelsfärbung und Gang der Geschichte vermutet, haben sich andere Voraussagen aus optischen Leuchterscheinungen der Atmosphäre hartnäckig gehalten und sind auch heutzutage fast jedermann bekannt: Dies sind die Bauernregeln wie „Abendrot – gut Wetterbot. Morgenrot – schlecht Wetter droht“. Die meisten Bauernregeln, die mit atmosphärisch-optischen Phänomenen wie Regenbögen, Halos und Koronen oder Himmelsfarben verknüpft sind (siehe [Mal93, Vol97]), gelten oft nur regional. So sind die oben genannten Regeln (Morgenrot kündigt schlechtes und Abendrot gutes Wetter an) allgemein in den nördlich der Alpen gelegenen Landstrichen verbreitet, insbesondere in ganz Deutschland [Han27]. Südlich der Alpen wird Abendrot dagegen nie mit Wetterregeln verknüpft!

M. Vollmer, Lichtspiele in der Luft, DOI 10.1007/978-3-8274-3093-9_11, © Elsevier GmbH, München 2006

314

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

Morgenrot tritt meistens dann auf, wenn sich von Westen her ein Niederschlagsgebiet nähert. In der Höhe hat der Wind meist schon auf Südwest gedreht und mehr oder weniger dichte Wolken mitgebracht, die vor Sonnenaufgang aus dem noch wolkenfreien Osten von unten angestrahlt werden. Die Rotfärbung ist in erster Linie auf den bereits erhöhten Wasserdampfgehalt der Luft zurückzuführen. Zudem fällt nicht selten Virga (d. h. Niederschlag, der infolge Verdunstung in der Atmosphäre den Erdboden noch nicht erreicht) aus, wodurch der Wasserdampfgehalt auch unterhalb der Wolken bereits deutlich angestiegen ist. Die Rotlichtstreuung wird hierdurch ebenfalls verstärkt. Nähert sich kein kompaktes Niederschlagsgebiet und tritt dennoch ein feuriges Morgenrot im Osten auf, muss (falls nicht gerade ein Vulkan in der Nähe viel Asche und Staub in die Atmosphäre geblasen hat oder durch Industrieemissionen viel Aerosol in der Luft ist) viel Wasserdampf in den unteren Luftschichten sein. Diese werden bei verschiedenen möglichen Windrichtungen herangetragen und können sich zu Schauerwolken zusammenballen, d. h., es ergibt sich wiederum „schlechtes Wetter“. Keine Regel ohne Ausnahme – diese Aussage scheint besonders für Bauernregeln zu gelten. Es gibt auch eine stille (pastellfarbene) Morgenröte, die auf gutes Wetter hindeutet, insbesondere bei Westwind, der normalerweise Wasserdampf vom Atlantik her transportiert. Dieser Wasserdampf bleibt in der Nacht in Bodennähe. Durch Abkühlung der bodennahen Luftschichten tritt Übersättigung der Luft ein, und der Wasserdampf wird durch Kondensation als Tau abgeschieden. Ein Wiederverdunsten kann frühestens am nächsten Morgen nach Sonneneinstrahlung stattfinden. Dabei wird durch Erwärmung und Aufsteigen der Luft der Wasserdampf in die Höhe transportiert, wo durch Kondensation Wolken entstehen können. Nur wenn viel Wasserdampf in der Luft ist, können diese mächtig genug werden, um Regenschauer zu verursachen (normale Morgenröte). Ist jedoch nur wenig Wasserdampf in der Luft, so kann man eine stille Morgenröte oder gar golden aufgehende Sonne sehen. Die Entstehungsbedingung hierfür ist i. Allg. windschwaches, klares Hochdruckwetter (ggf. ein Zwischenhoch), das trockene Luft (häufig Polarluft) nach Deutschland bringt. Je klarer die Luft, d. h. je wolkenfreier der Himmel, desto kälter sind die Nächte durch die Abstrahlung vom Boden ins Weltall, denn rückstreuende Wolken oder Wasserdampf, die normal einen Teil der Abstrahlung wieder zur Erde zurückwerfen, können bei klarer Nacht nicht wirken. Dadurch kühlt sich die bodennahe Luftschicht stärker ab, als es feuchtere Luftmassen tun, und es wird viel Tau abgeschieden. Bei Erwärmung nach Sonnenaufgang kann die Luftschicht dann bestenfalls den Feuchtigkeitsgehalt des vergangenen Tags haben. Bodennah wird es i. Allg. sogar weniger sein, da ein Teil der Feuchtigkeit ins Erdreich abgesickert ist. Also bestrahlt die Sonne eine relativ trockene Luftmasse, was die stille Morgenröte erzeugt. Diese Erklärung führt übrigens auf eine weitere Wetterregel: Morgendlicher Tau in den Wiesen ist ein gutes Wetterzeichen, d. h. ein Hinweis auf niederschlagsfreies Wetter. Analog dazu könnte man auch eine stille Abendröte definieren, die bei trockener Luft pastellfarbene Sonnenuntergangsfarben erzeugt, z. B. wenn in Nordwest-

11.2 Das grüne Leuchten

315

deutschland ein stabiles Hochdruckgebiet liegt (Ähnliches gilt für die Prärien des kanadischen mittleren Westens). Im normalen Sprachgebrauch versteht man unter Morgen- und Abendrot allerdings die intensive Beleuchtung von Wolken, z. B. das Auftreten typisch intensiv rot leuchtender Cirrusschleier. Insofern entsteht normales Abendrot, wenn der für Länder nördlich der Alpen auftretende feuchtigkeitsfreie Ostwind gegen Westen Nebelmassen und Dunstteile stark zusammenballt. Wenn diese sich bei Sonnenuntergang der Sonne vorlagern und mehr Absorption erzeugen, erscheint die Sonne rot. Da der feuchtigkeitsfreie Wind aus Osten kommt, wo keine Wolken sind, folgt gutes Wetter. Abendrot kann (ähnlich wie die stille Morgenröte) ebenfalls als falsches Abendrot erscheinen. Denn wenn einmal – zwar selten vorkommend, aber immer wieder zu beobachten – ein Schlechtwettergebiet von Osten aufzieht, dann gelten im Grunde dieselben Bedingungen wie beim Morgenrot, nur hinsichtlich der Himmelsrichtungen eben umgekehrt. Folglich kann Abendrot bei einer östlichen Höhenströmung (am Boden meist Nordwind) manchmal auch ein Schlechtwetterbote sein.

11.2

Das grüne Leuchten

Haben Sie auch schon öfter einen Sonnenuntergang über dem Meer beobachtet? ... Haben Sie das Geschehen bis zu dem Zeitpunkt verfolgt, wo die Scheibe der Sonne kurz vor ihrem Versinken mit ihrem oberen Rand die Wasserlinie am Horizont zu berühren scheint ? ... Haben Sie auch die Erscheinung bemerkt, die sich – vorausgesetzt, der Himmel ist frei von Dunst, also vollkommen klar – genau in dem Augenblick einstellt, in dem das strahlende Gestirn sein letztes Leuchten aussendet ? ... sobald sich Ihnen die Gelegenheit zu dieser Beobachtung bietet – was sehr selten der Fall ist –, wird nicht etwa ein rotes Leuchten auf die Netzhaut Ihres Auges treffen, sondern ein grünes. Doch das Grün dieses Leuchtens wird wunderbar sein, ein Grün, das kein Maler auf seine Palette zaubern kann, ein Grün, dessen Nuance die Natur nicht noch einmal geschaffen hat … Können Sie sich vorstellen, dass die Sonne derart grün aussehen kann? Jules Verne beschrieb nicht nur dies in seinem 1882 erschienenen romantischen Roman Le Rayon Vert [Verne], er erfand dafür auch eine alte Legende: „Sie war in den Hochlanden entstanden und besagte folgendes: das grüne Leuchten bewirke Gutes. Derjenige, der es gesehen habe, könne sich nicht mehr täuschen, wenn er der Stimme seines Herzens folge ...“ Und in der Folge versucht eine junge Dame genau aus diesem Grund dieses Leuchten zu sehen, bevor sie sich in den Hafen der Ehe wagt. Was hat es mit diesem Leuchten auf sich? Kann die Sonne dem menschlichen Auge grün erscheinen? Die Antwort lautet Ja, aber nur unter geeigneten Beobachtungsbedingungen (Aufnahmen hierzu siehe Farbtafel 11.1 und [You99]). Genau ge-

316

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

nommen unterscheidet man zwei Beobachtungsvarianten. Erstens gibt es das von Jules Verne beschriebene Phänomen, d. h. dass für die letzten ein bis zwei Sekunden vor Sonnenuntergang (alternativ die ersten ein bis zwei Sekunden bei Sonnenaufgang) der gerade noch (schon) über dem Horizont befindliche Sonnenrand grün erscheint. Dies sei in Anlehnung an Minnaert [Min92] im Folgenden als grüner Strahl oder grünes Segment bezeichnet. Zweitens kann der Oberrand der Sonne auch manchmal grün aussehen, wenn die Sonne noch etwas über dem Horizont steht, aber durch Luftspiegelungen stark verformt ist. Dies sei im Folgenden als grüner Saum bezeichnet, der durchaus bis zu Minuten beobachtet werden kann. Der grüne Strahl kann näherungsweise als Kombination mehrerer einfacher atmosphärischer Phänomene verstanden werden: erstens der Refraktion der Atmosphäre, zweitens der Lichtschwächung durch Streuung und Absorption sowie drittens der Luftspiegelungen.

11.2.1

Die Atmosphäre als Prisma aufgrund der Refraktion

Das auf die Atmosphäre fallende Sonnenlicht durchläuft – wegen des als Funktion der Höhe sich verändernden Brechungsindex – gekrümmte Wege (Kapitel 4). Die resultierende Winkelablenkung, die Refraktion, hängt vom Brechungsindex der Luft ab. Abb. 11.1 zeigt die Situation für eine übertrieben stark gekrümmte Erde; die Atmosphäre ist der Übersichtlichkeit wegen weggelassen. Die Sonne ist für einen Beobachter (gekennzeichnet durch das horizontal blickende Auge) in geometrischer Projektion zwar schon untergegangen, wird aber durch Refraktion für den Beobachter durch die leicht gekrümmten Lichtwege (dünne Linien) gerade noch über den Horizont gehoben (Kapitel 4). Von der Sonne ausgehende steilere Lichtstrahlen erleiden geringere Krümmung, verlaufen also fast geradlinig und gestatten die Beobachtung der Sonne aus größerer Höhe, z. B. von einem Berg oder Flugzeug aus.

11.1 Die Sonne und deren Beobachtung beim Untergang: Wenn sie geometrisch gerade unter dem Horizont liegt, wird sie durch Refraktion angehoben und somit noch über dem Horizont gesehen.

11.2 Das grüne Leuchten

317

11.2 Die Sonne nach dem Untergang: Wenn sie geometrisch tiefer als die maximale Refraktion unter dem Horizont steht, ist sie für einen ebenerdigen Beobachter untergegangen.

Für einen dort befindlichen Beobachter ist die Sonne auch noch deutlich über dem Horizont sichtbar. Sinkt die Sonne weiter unter den Horizont (Abb. 11.2), wird sie für den Beobachter auf Meereshöhe untergehen, sobald sich der Oberrand der Sonne geometrisch niedriger als die maximale Refraktion von ca. 38 Bogenminuten befindet. Dies ist dadurch angedeutet, dass die Sonnenstrahlen über dem Auge des Beobachters verlaufen. Die Refraktion hängt nicht nur von Luftdruck und Temperatur, sondern – wegen der Dispersion der Luft – auch von der Wellenlänge des Lichts ab. Die Änderungen im Brechungsindex sind zwar klein (Δn400/600 nm = 6 · 10–6), führen aber zu beobachtbaren Änderungen der Refraktionsdifferenzen ΔR. Bei 10° Höhe über dem Horizont (Zenitdistanz 80°) findet man ΔR = 6,8 Bogensekunden zwischen blauem (λ = 400 nm) und orangerotem (λ = 600 nm) Licht. Für Zenitdistanzen von 90° wächst dieses ΔR auf 30 Bogensekunden, d. h. etwa 1/60 des Sonnendurchmessers. Wegen des größeren Brechungsindex wird blaues Licht dabei etwas stärker in der Atmosphäre abgelenkt. Abb. 11.3 symbolisiert dies stark übertrieben für von der Sonne ausgehendes rotes und blaues Licht (oben). In der Atmosphäre wird das blaue Licht stärker gebrochen. Als Konsequenz ergibt sich in dem Moment, in dem der Oberrand der Sonne gerade für den Beobachter verschwindet (in Abb. 11.3 unten), dass das blaue Licht gerade noch das Auge des Beobachters treffen kann, während sich das rote Licht bereits über seinem Kopf befindet. Aus der Analyse der Strahlverfolgungen der möglichen Lichtwege von der Sonne zum Beobachter ergibt sich leicht das von einem Beobachter wahrgenommene Bild der Sonne während des Untergangs. Abb.11.4 zeigt stark übertrieben das Resultat: Ein Beobachter sieht die verschiedenfarbigen Sonnenbilder vertikal gegeneinander verschoben. Die maximale Verschiebung ergibt sich zwischen Rot und Blau mit etwa 30 Bogensekunden, d. h. etwa 1/60 des Sonnendurchmessers. Der Bereich der Überlagerung führt zum bekannten Farbeindruck der Sonne beim Untergang. Die beiden Segmente oben und unten sollten daher blau bzw. rot gefärbt sein.

318

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

a)

b)

11.3 Die Refraktion hängt von der Farbe des Lichts ab, d. h., die Atmosphäre wirkt wie ein Prisma.

11.4 Beobachtetes Sonnenbild für einen Beobachter aufgrund der farbabhängigen Refraktion.

In der Natur wird sehr selten tatsächlich ein blauer Strahl bei Sonnenuntergang beobachtet, im Allg. aber eben grün. Offensichtlich ist die Schwächung des Lichts wichtig.

11.2.2

Abschwächung des Sonnenlichts durch Streuung und Absorption

Das bei Sonnenunter- oder Sonnenaufgang auf die Atmosphäre treffende Sonnenlicht wird durch den langen Lichtweg über Rayleigh- und Aerosolstreuung vor allem im blauen und violetten Spektralbereich stark abgeschwächt. Das Herausfiltern des blauen Lichts funktioniert umso besser, je sauberer die Atmosphäre ist, da Aerosolstreuung i. Allg. eine schwächere Wellenlängenabhängigkeit aufweist (Kapitel 10).

11.2 Das grüne Leuchten

319

Zur Streuung kommt noch die Absorption im grüngelben Bereich durch das Ozon (vgl. Abb. 10.23). Als Konsequenz ist der blaue Oberrand der Sonne so stark abgeschwächt, dass er nicht mehr wahrgenommen werden kann. Die Intensität des grünen Segments ist dagegen noch ausreichend für eine Wahrnehmung. Allerdings ist dieses nur noch etwa 20 Bogensekunden breit, d. h. etwa 1/90 des Sonnendurchmessers [You99]. Reicht diese Aufspaltung aus, sofern sich die Sonne noch knapp über dem Horizont befindet? Die Antwort lautet eindeutig Nein. Die Winkelauflösung des menschlichen Auges beträgt bestenfalls etwa eine Bogenminute, d. h., sie ist etwa dreifach größer als die erwartete Aufspaltung. Folglich würde das grüne Segment gemeinsam mit darunter befindlichen viel lichtstärkeren gelben, orangefarbenen sowie roten Segmenten gesehen. Somit wäre kein Grün wahrnehmbar. Früher wurde häufig angenommen, man könne den grünen Strahl nur dann sehen, wenn der Rest der Sonne durch den Horizont abgeblockt ist. Diese Annahme wird unterstützt durch die Tatsache, dass die Sonne beim Untergang etwa zwei Minuten braucht, um einen Winkel entsprechend ihrem eigenen Durchmesser zurückzulegen. Auch wenn der Untergang nicht senkrecht zum Horizont erfolgt, sollten die Zeiten in dieser Größenordnung liegen. Die 20 Bogensekunden Aufspaltung, 1/90 des Sonnendurchmessers, würden somit zwanglos zu einer Zeit von ein bis zwei Sekunden führen. Da es einerseits viele Beobachtungen gibt, bei der lichtstarke grüne Säume (Sonne noch über dem Horizont) mit bis zu 15 Sekunden Dauer beobachtet wurden, und da andererseits die grünen Strahlen in der Geometrie von Jules Verne in enormer Vielfalt und Intensität auftreten, muss neben der Refraktion und der Abschwächung des Lichts eine weitere Zutat in die Erklärung aufgenommen werden.

11.2.3

Die Notwendigkeit von Luftspiegelungen beim grünen Leuchten

In einer sehr schönen Zusammenfassung über den Zusammenhang zwischen grünem Leuchten und Luftspiegelungen beschreibt Andrew Young [You99], dass die meisten grünen Strahlen, die von Meereshöhe – vor allem über warmen Ozeanen, z. B. auf Hawaii oder in der Karibik – aus gesehen werden, durch untere Luftspiegelungen verursacht werden, wenn die Lufttemperatur unter die des Meers sinkt. Ebenso kann man sie beobachten in Gegenden, wo warme Meeresströmungen in höheren geografischen Breiten auftreten, beispielsweise in den Wintermonaten in Südkalifornien. Diese Luftspiegelungen führen zu einer Aufspaltung der Sonne am Horizont. Abb. 11.5 zeigt die Simulation eines Sonnenuntergangs aus Strahlverfolgungsrechnungen. Das wahrgenommene Bild der Sonne schnürt sich ein, und kurz vor dem Verschwinden taucht ein ellipsenförmiges Segment auf. Kurz bevor dieser letzte ellipsenförmige Rest der Sonne innerhalb von etwa zwei Sekunden unter den Hori-

320

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene 30

Winkel gegen den Horizont in Bogenminuten

20 10 0 –10

–15

–18

–21

–24

–27

–30

–33

–36

–39

–42

–45

–48

–51

–54

–57

–16

–20

–24

–28

–32

–36

20 10 0 –10 10 0 –10 10 0 –10 0

Winkel gegen den Horizont in Bogenminuten

–10

11.5 Simulation eines grünen Strahls aufgrund von unteren Luftspiegelungen. Der geometrische Horizont ist gestrichelt eingetragen. Die Zahlen unter jedem Bild geben die geometrische Position des Sonnenzentrums in Bogenminuten an (nach [You99]).

30 20 10 0 –10 20 10 0 –10 10 0 –10 –40

–44

–48

–52

–56

–60

–64

–68

–72

0 –10 0 –10

11.6 Simulation eines grünen Strahls aufgrund einer oberen Luftspiegelung an einer Inversionsschicht. Der geometrische Horizont ist gestrichelt eingetragen. Die Zahlen unter jedem Bild geben die geometrische Position des Sonnenzentrums in Bogenminuten an (nach [You99]).

11.2 Das grüne Leuchten

321

zont sinkt, verfärbt er sich grün. Dies ist auf eine starke vertikale Verzerrung zurückzuführen, die das normalerweise nur 20 Bogensekunden breite Segment auf einige Bogenminuten ausdehnt. Das Leuchten ist umso ausgeprägter, je intensiver die Luftspiegelung ist, die Dauer ändert sich jedoch nicht. Eine zweite Art von Luftspiegelung, die grüne Strahlen erzeugt, beruht auf der Wirkung von Inversionsschichten (mock mirage flashes), wenn sich der Beobachter oberhalb dieser Schichten befindet. Die die Atmosphäre durchlaufenden Lichtstrahlen werden quasi durch eine atmosphärische Linse mit chromatischen Fehlern abgelenkt, die zu starken Verzerrungen der Sonnenscheibe (Abb. 11.6) und grünen Säumen mit Beobachtungsdauern von bis zu 15 Sekunden führen kann. Weitere Phänomene treten auf, wenn der Beobachter unter der Inversionsschicht ist.

11.2.4

Physiologische Effekte

Es kann leicht passieren, dass ein Beobachter mit dem Auge ein wunderschönes grünes Leuchten sieht, die gleichzeitig betätigte Kamera aber nur ein gelbes Sonnensegment aufnimmt. Dies führte früher zu der Annahme, Nachbilder bzw. Kontrasteffekte des Auges seien wichtig bzw. die gegenüber dem Auge unterschiedliche Empfindlichkeit des Films sei verantwortlich. Heute weiß man, dass dies nicht der Fall ist. Insbesondere bei Beobachtungen des Sonnenuntergangs kommt es häufig vor, dass die rotsensitiven Fotopigmente auf der Netzhaut eines Beobachters durch das abwartende Beobachten der Sonne ausbleichen. (Achtung: Meist reicht die Abschwächung durch die Atmosphäre nicht aus, um lange gefahrlos in die Sonne zu blicken, vgl. Abschnitt 10.2.1!) Für den Grünanteil ist dies wegen der stärkeren Abschwächung nicht der Fall, d. h., die grünsensitiven Pigmente sind nicht ausgebleicht. So wird möglicherweise ein eigentlich gelbes Segment vom Auge als grün wahrgenommen, während eine Kamera es objektiv als gelb abbildet. Dies trifft sicher für einen nicht unbeträchtlichen Anteil der Untergangsbeobachtungen zu. Bei grünem Leuchten bei Sonnenaufgang entfällt dieser Mechanismus natürlich, da das Auge zuvor nicht von der Sonne beleuchtet wird.

11.2.5

Grüne Säume bei Planetenbeobachtungen

Wie bereits in Kapitel 4 erwähnt, führt die wellenlängenabhängige Refraktion auch schon in endlichem Horizontabstand von einigen Winkelgraden dazu, dass Planeten immer in farbige Scheibchen aufgeschmiert werden. Da bei derartigen Winkeln die Schwächung blauen Lichts bei weitem nicht so effektiv ist wie in Horizontnähe, kann man hier in der Tat erwarten und beobachten, dass der Refraktionsunterschied den oberen Rand (zum Zenit) blau und den unteren Rand (zum Horizont) rötlich färbt.

322

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

Die Winkelauflösung von sieben Bogensekunden bei 10° Höhe über dem Horizont ist mit Teleskopen ohne weiteres erreichbar.

11.3

Finsternisse im Sonnensystem

Am 11.8.1999 gab es in Deutschland eine totale Sonnenfinsternis (z. B. [Vol00]). Die beiden vorhergehenden totalen Finsternisse in Deutschland waren am 19.8.1887 und am 12.5.1706. Die nächste in Deutschland beobachtbare totale Sonnenfinsternis ist am 3.9.2081 in Lörrach und am Bodensee und danach erst wieder am 7.10.2135 über Nord- sowie am 14.6.2151 in Süddeutschland. Aus diesen erwähnten sechs Finsternissen ergibt sich ein mittlerer Abstand von 89 Jahren. Offensichtlich besteht eine Möglichkeit der Beobachtung aus Deutschland – wenn überhaupt – für jeden lebenden Deutschen nur einmal während seines Lebens. Eine totale Sonnenfinsternis ist für einen festen Ort sozusagen ein once in a lifetime-Ereignis. Und bei klarem Himmel hält sie auch alles, was man sich von ihr an atmosphärisch optischen Phänomenen versprechen kann. Was aber, wenn das Wetter nicht mitspielt, wie in weiten Teilen Europas und auch Deutschlands am 11.8.1999? Für Liebhaber seltener optischer Phänomene empfiehlt sich auf jeden Fall ein Blick in den Kalender – und dann gilt es, die Koffer zu packen. Im Folgenden soll insofern ein kleiner Ausblick auf interessante astronomische Ereignisse der nächsten Jahre gegeben werden. Dazu zählen neben Sonnen- und Mondfinsternissen auch Transits der inneren Planeten des Sonnensystems vor der Sonne.

11.3.1

Ursachen von Finsternissen

Eine Sonnen- oder Mondfinsternis tritt immer dann auf, wenn Sonne–Mond–Erde bzw. Sonne–Erde–Mond auf einer Linie stehen. Sonnenfinsternisse können nur bei Neumond und Mondfinsternisse nur bei Vollmond auftreten. Aufgrund der endlichen Ausdehnung aller drei Körper (RS = 696 000 km, RE = 6378 km, RM = 1738 km) sowie der Entfernungen kann man die Länge der Kern- und Halbschattenbereiche berechnen (Abb. 11.7). Neben partiellen, ringförmigen und totalen Finsternissen gibt es noch den seltenen Spezialfall einer ringförmig totalen Finsternis, wobei durch die Erdkrümmung von einigen Teilen der Erde eine totale, von anderen nur eine ringförmige Finsternis beobachtet werden kann, wenn die Mondkernschattenlänge die Erde nur knapp erreicht. Da die Entfernung von Sonne zu Erde und von Erde zu Mond aufgrund der elliptischen Umlaufbahnen variieren, ergeben sich unterschiedliche Winkeldurchmesser von Sonne und Mond und auch unterschiedliche Kernschattenlängen von Erde oder Mond je nach gerade vorliegender Geometrie. So ergeben sich die in

11.3 Finsternisse im Sonnensystem

323

11.7 Geometrie (links) für die Beobachtung (rechts) von partiellen (oben), ringförmigen (Mitte) und totalen (unten) Sonnenfinsternissen. Die Größen und Entfernungen sind nicht maßstäblich.

Tabelle 11.1

Einige Daten zu Sonne, Erde und Mond.

Entfernung Erde–Mond in km maximal Mittelwert minimal

406 740 384 000 356 410

entsprechender Entfernung entsprechender Winkeldurch- Erde–Sonne Winkeldurchmesser von der in km messer von der Erde aus Erde aus 2922 3105 3330

152 100 000 149 600 000 147 100 000

3132 3159 3236

Mondkernschattenlängen in km 381 000 372 000 365 000

Tab. 11.1 ermittelten maximalen, mittleren und minimalen Winkeldurchmesser der Sonne und des Monds. Im zeitlichen Mittel ist der Winkeldurchmesser des Monds kleiner als der der Sonne, weshalb totale Sonnenfinsternisse nicht so häufig auftreten wie ringförmige Finsternisse. Aufgrund der geometrischen Bedingungen und der Bahnbewegungen von Erde, Mond und Sonne kann man die Häufigkeit von Finsternistypen ausrechnen (Tab. 11.2). Der Bereich der Totalität, d. h. die Fläche auf der Erde, die im Kernschatten des Monds liegt, hat häufig nur Durchmesser in der Größenordnung von 100 km, und die Dauer der Totalität beträgt auch nur wenige Minuten. Deshalb sind totale Finsternisse für jeden Punkt auf der Erde sehr seltene Ereignisse. Da der Mond keine Atmosphäre hat, ist der Bereich des Kernschattens recht genau abgegrenzt. Die Fluktuationen in den Häufigkeiten sind zunächst überraschend, genauso aber auch deren Zahl. In der einfachsten Abschätzung könnte man annehmen, eine Finsternis wäre alle 29,5 Tage, d. h. etwa zwölfmal pro Jahr möglich, da der Mond in etwa 29,5 Tagen um die Erde läuft und jedes Mal die in Abb. 11.7 gezeigte Situation auftreten kann. Dies trifft aber nicht zu, weil die Ebene der Mondumlaufbahn um

324

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

Tabelle 11.2

Daten zu Sonnenfinsternissen (nach [Lit91]).

Häufigkeiten:

partiell 35,2 %, ringförmig 33,2 %, total 26,9 %, ringförmig-total 4,8 %

Anzahl pro Jahr:

minimal zwei, maximal fünf Sonnenfinsternisse (alle Typen) minimal null, maximal drei totale Sonnenfinsternisse

mittlere Zahl pro 100 Jahre:

237,8

Häufigkeit für beliebige Stadt: im Mittel alle 410 Jahre eine totale Finsternis maximale Dauer:

total: 7 min 31 s (im 21. Jahrhundert keine mit t > 7 Minuten) ringförmig: 12 min 30 s

Totalitätszonendurchmesser max. 269 km Geschwindigkeit des Mondschattens auf der Erde: ca. 940m/s, das sind etwa 3380 km/h

die Erde um etwa 5° geneigt ist gegen die Ebene der Erdumlaufbahn um die Sonne, die sog. Ekliptik (Abb. 11.8). So ist verständlich, dass in der linken und rechten Position des Erde-Mond-Systems in Abb. 11.8 der Erdschatten den Mond verfehlt und entsprechend einen halben Mondumlauf später der Mondschatten die Erde (Abb. 11.9). Zweimal pro Umlauf schneidet die Mondbahn allerdings die Erdbahnebene in den sog. Knotenpunkten, die die Richtungen der in Abb. 11.8 gestrichelten Linien

11.8 Die Ebene der Mondumlaufbahn um die Erde ist gegen die Ebene der Erdumlaufbahn um die Sonne, die Ekliptik, um etwa 5° geneigt. Voraussetzung für eine Sonnenoder Mondfinsternis ist, dass die gestrichelt eingezeichneten Knotenlinien der Mondbahn in Richtung der Sonne zeigen, was zu zwei Zeiten pro Jahr möglich ist.

11.3 Finsternisse im Sonnensystem

325

11.9 Befindet sich der Mond außerhalb der Ekliptik, sind keine Finsternisse möglich: Die Schatten von Mond bzw. Erde verfehlen die Erde bzw. den Mond.

definieren. Eine Finsternis kann nur auftreten, wenn die Sonne in der Nähe dieser Knotenlinien ist, während der Mond den Knoten passiert, und dies ist gemäß Abb. 11.8 nur halbjährlich in der oberen und unteren Position möglich. Hätten Sonne, Mond und Erde keine Ausdehnung, wären sie somit punktförmig, dann müssten sie exakt auf der Knotenlinie stehen, und dies wäre nur äußerst selten der Fall. Wegen der endlichen Ausdehnung von Sonne, Mond und Erde wird diese Bedingung aber deutlich aufgeweicht. Die Sonne muss nur in der Nähe der Knotenlinie sein, damit der Kernschatten des Monds eine Sonnenfinsternis oder der der Erde eine Mondfinsternis verursachen kann. Diese halbjährlich auftretende Gefahrenzone beginnt und endet etwa in einem Winkelabstand vom Knoten von etwa 15,3°, d. h. während die Sonne scheinbar etwa 30,6° zurücklegt. Ein Jahr entspricht einer 360°-Drehung. Die Dauer der potenziellen Finsterniskonstellation beträgt somit etwa 30,6/360 Jahre, das sind etwa 31 Tage. Andererseits wandert der Mond in 29,53 Tagen einmal um die Erde, weshalb es mindestens einmal während dieser Phase zu einer Finsternis kommt, ggf. aber auch zweimal. Somit würde man mindestens zwei bis maximal fünf Finsternisse pro Jahr erwarten. Fünf Finsternisse sind möglich, wenn es im Januar bzw. Dezember sowie um die Jahresmitte je zwei und Ende Dezember bzw. Anfang Januar eine weitere Finsternis gibt. Aus der Analyse vieler Finsternisse – insbesondere von Mondfinsternissen – fand man weitere Regelmäßigkeiten, die bekannteste heißt Saros-Zyklus: Nach 18 Jahren und 111/3 Tagen wiederholt sich eine Finsternis. Da es in diesem Zeitraum von 18 Jahren ca. 40 Finsternisse gibt, existieren immer etwa 40 Saros-Serien gleichzeitig (im Zeitraum der Finsternis vom 11.8.1999 bis zum Saros-Nachfolger derselben Serie 145 am 21.8.2017 gibt es 40 Serien von Saros 117 bis Saros 156). Jede Saros-Serie produziert etwa 70 bis 80 Finsternisse über einen Zeitraum von ca. 1400 Jahren, bevor sie durch eine neue Serie abgelöst wird. Dabei wandern die Finsterniszonen – je nachdem ob die Finsternis im auf- oder absteigenden Knoten der Mondbahn stattfindet – sukzessive vom Südpol zum Nordpol bzw. umgekehrt. Das Problem der früheren Vorhersage von Sonnenfinsternissen beruhte – selbst die Kenntnis des Saros-Zyklus von Mondfinsternissen als bekannt vorausgesetzt – auf dem drittel Tag, denn acht Stunden bedeuten eine Verschiebung des Längengrads um 120°. Abb. 11.10 (nach [Lit91]) zeigt die Totalitätspfade von sechs Finsternissen desselben Saros-Zyklus 136. Dieser Zyklus produziert sehr lange Totalitätsphasen mit zuletzt sechs Minuten und 54 Sekunden im Jahr 1991. Selten überschneiden sich zwei aufeinander folgende Finsternisse, und erst nach drei Perioden, d. h. über 54 Jahren, kommt man in ähnliche geografische Längen zurück, dann allerdings bei höheren geografischen Breiten. Man kann aus einer Weiterführung von

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

Breitengrade in Grad

326

Längengrade in Grad 11.10 Pfade der Totalität von sechs aufeinander folgenden Finsternissen der Saros-Serie 136 (nach [Lit91]).

Abb. 11.10 vielleicht erahnen, dass auch die nächste deutsche Finsternis im Jahr 2081 zu diesem Zyklus gehört und dann immerhin noch über 5 1/2 Minuten Totalität mit sich bringt. Wichtig für das Verständnis des Saros-Zyklus sind zwei verschiedene Monatslängen: der synodische Monat von 29,53 Tagen (Umlauf von Vollmond zu Vollmond bzw. Neumond zu Neumond) und der drakonitische Monat von 27,21 Tagen (Umlauf des Monds von einem Knoten zum selben Knoten zurück). Es gibt daneben noch weitere Monatslängen, z. B. den siderischen Monat (T = 27,32 Tage, Umlauf relativ zu den Fixsternen) sowie den anomalistischen Monat (T = 27,55 Tage, Umlauf des Monds von Erdnähe zu Erdnähe bzw. Erdferne zu Erdferne auf seiner Ellipsenbahn). Findet zu einem bestimmten Zeitpunkt eine totale Sonnenfinsternis statt, folgt die nächste genau dann, wenn eine Zeit verstrichen ist, die sowohl einer ganzen Zahl synodischer als auch drakonitischer Monate entspricht, denn dann ist die geometrische Konstellation identisch. Dies ist nach 242 drakonitischen und 223 synodischen Monaten der Fall. Da nach diesen 18 Jahren und 111/3 Tagen des Saros-Zyklus zufällig auch annähernd 239 anomalistische Monate verstrichen sind, befindet sich der Mond in ähnlicher Erdentfernung, d. h., der Grad der Bedeckung und somit die Dauer der Finsternis bleibt ähnlich. Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen partiellen und totalen Finsternissen, die das Phänomen so faszinierend machen, dass einige Menschen gar süchtig danach werden und als eclipse tourists den Finsternissen vorherreisen? Es sind viele Phänomene, die nur bei Totalität auftreten: der Diamantring, die Perlschnur, die Sonnenkorona und die rötlichen Protuberanzen (Farbtafeln 11.2 bis 11.5). (Bei letzteren kann man direkt eine atomare Spektroskopie am Himmel beobachten, da die rote Farbe durch das Licht angeregter Wasserstoffatome zustande kommt.) Interessant sind die Polarisation des Lichts der Korona und vor allem auch Dämmerungsphänomene. So werden z. B. kurz vor der Totalität die Schatten in einer Richtung unscharf, während sie in der dazu senkrechten Richtung scharf bleiben.

11.3 Finsternisse im Sonnensystem

327

Dieses Phänomen tritt auch bei Schattenprojektionen mit länglichen Lichtquellen wie Leuchtstofflampen auf. Während der Totalität fällt von außerhalb der Totalitätszone Streulicht ein, das sich durch Rayleigh- und Mie-Streuung weiter abschwächt. Daher erscheint der Horizont – je nach Entfernung zum Rand der Totalität – rötlich gefärbt. Dazu kommt das Auftauchen der Planeten und hellsten Sterne am abgedunkelten Himmel, Wetteränderungen, das Verhalten der Tier- und Pflanzenwelt, das Entstehen von Sonnentalern [Schli95], fliegenden Schatten usw. (Bücher zu diesem Thema siehe [Lit91, Kip99, Mau98, Har97]). Wissenschaftlich liefern totale Sonnenfinsternisse heute kaum noch neue Erkenntnisse. Dies war Anfang des 20. Jahrhunderts noch anders. So ist bzgl. der Naturwissenschaft eine der berühmtesten Sonnenfinsternisse aller Zeiten sicher diejenige vom 29.3.1919, bei der zum ersten Mal Aussagen der Einstein’schen allgemeinen Relativitätstheorie quantitativ bestätigt werden konnten. Wichtig ist bei allen Sonnenbeobachtungen vor allem eins: Man darf vor der Totalität nur durch entsprechende Filter (z. B. die üblichen Sonnenfinsternisbrillen [Baader], die das infrarote und sichtbare Licht um mindestens den Faktor 100 000 abschwächen) auf die Sonne blicken. Während der Totalität braucht man keine Filter. Das Phänomen einer totalen Sonnenfinsternis ist übrigens so faszinierend und leider gleichzeitig so kurz, dass man besser keine Fotos macht. Man sollte vielmehr die Schönheit des Augenblicks genießen, indem man das eigentliche Phänomen mit bloßem Auge beobachtet und nicht durch den kleinen Sucher oder das Display einer Kamera.

11.3.2

Unterschiede zwischen Sonnen- und Mondfinsternissen

Nun zu den Mondfinsternissen. Die Erde nimmt vom Mond aus gesehen einen viel größeren Winkeldurchmesser ein als die Sonne. Daher ragt der Kernschatten der Erde mit etwa 1,4 Millionen Kilometer Länge deutlich über die Mondbahn hinaus, und die Totalität, während der der Mond im Kernschattenbereich ist, dauert meist länger als eine Stunde, maximal sogar 104 Minuten. Abgesehen davon sind Sonnen- und Mondfinsternisse zwar sehr ähnlich, aber es gibt auch einige wesentliche Unterschiede. Der erste und verblüffendste ist die Häufigkeit: Auf drei Sonnenfinsternisse treffen im Mittel nur zwei totale Mondfinsternisse, d. h., sie treten seltener auf als Sonnenfinsternisse. (Dabei sind alle Typen von Sonnenfinsternissen, aber ausschließlich totale Mondfinsternisse gemeint, denn reine Halbschatten-Mondfinsternisse sind nur schwierig wahrnehmbar.) Die Verblüffung mag daher rühren, dass zwar viele Menschen schon eine totale Mondfinsternis, aber nur wenige eine totale Sonnenfinsternis gesehen haben. Und dies liegt natürlich daran, dass die Zone der Beobachtbarkeit der Totalität auf der Erde bei einer Sonnenfinsternis mit Durchmessern der Größenordnung von 100 km sehr klein und das Phänomen nach wenigen Minuten vorüber ist. Bei einer Mondfinsternis tritt der Mond in den längeren Kernschatten der Erde ein. Während er ihn z. B.

328

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

im Laufe einer Stunde durchquert, ist eine totale Mondfinsternis von allen Punkten der Erde aus sichtbar, von denen der Mond gesehen werden kann, und das ist nahezu die halbe Erdkugel. Die Ursache für die unterschiedlichen Häufigkeiten ergibt sich wieder aus der Geometrie (Abb. 11.11). Sonnenfinsternisse können entstehen, wenn sich der Mondmittelpunkt auf seiner Bahn um die Erde zwischen den Positionen 1 und 2 bewegt. Diese Strecke entspricht etwa zwei Erdradien. Totale Mondfinsternisse treten dagegen auf, wenn der Mond vollständig in den Kernschatten der Erde getreten ist, wie in den Positionen 3 und 4 dargestellt. Die entsprechende Strecke lässt sich leicht über den Öffnungswinkel der Kernschattenkegel von Erde und Mond (etwa 0,5°) abschätzen. Man findet für das Verhältnis der Strecken 1–2 zu 3–4 wie erwartet etwa den Faktor 1,5.

11.11 Zur Ursache der verschiedenen Häufigkeiten von Sonnen- und Mondfinsternissen (Details siehe Text).

Der zweite prinzipielle Unterschied zwischen Sonnen- und Mondfinsternissen hängt damit zusammen, dass der Mond im Gegensatz zur Erde keine Atmosphäre hat. Dies verursacht ein weiteres atmosphärisch optisches Phänomen. Bei Sonnenfinsternissen wirft der Mond einen recht scharfen Kernschatten. Schiebt sich der Mond vor die Sonne, gibt es keine Einflüsse der Mondatmosphäre, deshalb wird es im Kernschattenbereich einer irdischen Sonnenfinsternis recht dunkel. Andererseits ist aus vielen Beobachtungen bekannt, dass der Vollmond selbst während einer totalen Mondfinsternis noch sichtbar bleibt. Er kann, je nach Gehalt unserer Atmosphäre an Aerosolen, eine mehr oder weniger helle rötlich-orangefarbene Färbung bekommen (Farbtafel 11.6), was u. a. den großen Reiz von Mondfinsternissen erklärt. Die Erklärung hierfür liefert Abb. 11.12. Die nahezu tangential einfallenden Lichtstrahlen von der Sonne werden in der Erdatmosphäre leicht gebrochen, d. h. in Bezug auf die einfache geometrische Schattenprojektion abgelenkt. Deshalb wird der Mond auch während der Totalität noch durch dieses um die Erde gebogene, gebrochene Licht beleuchtet, d. h. dass die Mondscheibe noch sichtbar bleibt. Andererseits wird das Licht auf seinem langen Weg durch die Atmosphäre durch Streu-

11.3 Finsternisse im Sonnensystem

329

11.12 Der Mond nimmt während einer Mondfinsternis eine kupferne Farbe an. Dies kommt durch die Kopplung von Lichtbrechung und farbabhängiger Abschwächung in der Atmosphäre.

ung an Luftmolekülen und kleinen Teilchen stark geschwächt (Kapitel 10). Dabei wird die Streuung bevorzugt das blaue Licht entfernen, sodass der Mond während der Totalität von rötlichem Licht beleuchtet wird. Man spricht deshalb auch vom Kupfermond. Hier sei auch auf ein anderes Phänomen hingewiesen, das um den Neumond herum auftritt. Man kann beispielsweise bei sichelförmigem Mond häufig auch den Rest der Mondscheibe erahnen, obwohl sie für das direkte Sonnenlicht im Schatten des Monds selbst liegt. Zu diesem Zeitpunkt herrscht für den Mond sozusagen Vollerde. Und genau wie bei Vollmond unsere nächtliche Umgebung in ein fahles silbriges Mondlicht getaucht wird, wirft auch bei Vollerde die Erde einen Teil des Sonnenlichts zum Mond zurück. Klarerweise kann von diesem auf den Mond fallenden Licht auch wieder ein gewisser Bruchteil zur Erde zurückreflektiert werden, weshalb sich doch die Umrisse des eigentlich unsichtbaren Neumonds erahnen lassen. Im Englischen nennt man dieses Phänomen bezeichnenderweise earth shine. Bei größer werdender Mondsichel nimmt die Intensität des Phänomens ab, da dann vom Mond aus nur noch eine kleiner werdende Erdsichel das Licht zurückwerfen kann. Außerdem hängt die Helligkeit zudem von der Wolkenbedeckung ab. Bislang wurde noch nie während einer irdischen Mondfinsternis dasselbe Phänomen vom Mond aus beobachtet. Für einen dortigen Beobachter wäre es eine Sonnenfinsternis, bei der die Erde die Sonne abblockt. Aufgrund der im Vergleich zur Sonne viel größeren Erdscheibe wäre das Phänomen dort aber wahrscheinlich bei weitem nicht so faszinierend wie eine Sonnenfinsternis auf der Erde. Zwar würde ein Beobachter auf dem Mond wohl während einer solchen Finsternis in ein fahles rötlich orangefarbenes Licht gehüllt und würde einen ebenso farbigen hauchdünnen rötlichen Saum um die Erdscheibe erblicken. Allerdings und das ist der nächste gravierende Unterschied zur irdischen Sonnenfinsternis, würde man – wenn wegen des Reststreulichts überhaupt – nur für kurze Augenblicke bei Ein- und Austritt aus dem Kernschatten Protuberanzen aufblitzen sehen. Die Korona der Sonne wäre wahrscheinlich zu lichtschwach, um gesehen zu werden. Letztlich müsste sich ein Beobachter auf dem Mond auch auf größere Temperaturschwankungen gefasst machen. Der auf der Erde moderate Temperaturabfall von wenigen Grad während einer Finsternis beträgt bei der viel länger dauernden Finsternis auf dem Mond über 200 K (von 130 °C der Tagseite auf etwa –90 °C !).

330

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

11.3.3

Andere Finsterniskonstellationen

Finsternisse sind im Sonnensystem natürlich keine Seltenheit: Viele Planeten haben Monde, sodass Finsternisbedingungen oft gegeben sind [Kip99]. Allerdings hat die Erde eine Sonderstellung, da nur von der Erde aus der Winkeldurchmesser des Monds und der Sonne etwa gleich groß erscheinen, d. h., die Beobachtung der Protuberanzen und Korona wird nur auf der Erde während der ganzen Zeit der Totalität möglich. Den Sonnen- und Mondfinsternissen sehr verwandte – obgleich bei weitem nicht so eindrucksvolle – von der Erde aus beobachtbare Naturschauspiele sind Transits (also Vorübergänge) von Merkur oder Venus vor der Sonne. Sie lassen sich mit den üblichen Sonnenfinsternisbrillen leicht beobachten und demonstrieren eindrucksvoll – obgleich nicht spektakulär – die Gesetzmäßigkeiten unseres Sonnensystems. Als innere Planeten gelangen Merkur und Venus auch zwischen Sonne und Erde. Wenn sie zu diesem Zeitpunkt zufällig auch noch in der Ekliptik liegen, was aufgrund der Umlaufdauern (siderische Umlaufzeit 0,24 Jahre bzw. 0,62 Jahre) und Bahnneigungen (7° bzw. 3,4°) seltener ist als beim Mond, kommt es zu Transits vor der Sonnenscheibe (vgl. Tab. 11.5). Beim Merkur wandert dann ein kleiner Punkt von etwa 1/200 (genauer 1/194) der Sonnengröße vor der Sonnenscheibe, d. h., Merkur ist kleiner als die meisten Sonnenflecken. Transits des Merkurs finden etwa 13-mal pro Jahrhundert statt. Venustransits sind aufgrund des größeren Durchmessers und des kleineren Erdabstands eindrucksvoller. Die schwarzen Flecken erreichen immerhin Größen von etwa 1/30 des Sonnendurchmessers (61 Bogensekunden). Transits der Venus finden nur etwa zweimal pro Jahrhundert statt. Die Intervalle zwischen Transits betragen 8; 121,5; 8 und 105,5 Jahre. Viele weitere nützliche und sehr ausführliche Informationen zur Entstehung und den Gesetzmäßigkeiten von Finsternissen finden sich auf der hervorragenden, immer aktuellen Homepage der NASA [Espanak] sowie bei [Kip99, Lit91, Mau98, Har97, BdW99].

11.3.4

Sonnenfinsternisse in der Zukunft

Innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre gibt es eine ganze Reihe von totalen und ringförmigen Sonnenfinsternissen. Abb. 11.13 zeigt die jeweiligen Pfade für totale Finsternisse bis 2025. Man kann bei einigen Ereignissen sehr schön die zugehörigen Saros-Nachfolger erkennen. Die bis 2025 geografisch von Deutschland aus naheste beobachtbare totale Finsternis über dem Festland findet am 29.3.2006 statt. Abb 11.14 gibt einen Eindruck von ihrem Verlauf. Neben dem schmalen Totalitätsbereich ist auch eingetragen, in welchen Regionen man eine mindestens 80 %ige, 60 %ige, 40 %ige und 20 %ige

11.3 Finsternisse im Sonnensystem

331

11.13 Pfade der Totalität bei totalen Sonnenfinsternissen im Zeitraum von 2001 bis 2025 (nach [Espanak]).

11.14 Übersicht über den globalen Verlauf der totalen Sonnenfinsternis am 29.3.2006 (nach [Espanak]).

Abdeckung der Sonne, d. h. eine entsprechende partielle Finsternis sehen kann. Abb. 11.15 zeigt als Beispiel einen Ausschnitt der Totalitätszone in der Südtürkei. Die Dauer der Totalität, in Afrika über vier Minuten, beträgt bei Antalya noch etwa drei Minuten und 46 Sekunden. Vom Zentrum der Zone nach außen sinkt die Dauer

332

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

11.15 Pfad der totalen Sonnenfinsternis vom 29.3.2006 in der Südtürkei (nach [Espanak]).

11.16 Sternhimmel während der totalen Sonnenfinsternis vom 29.3.2006 (nach [Espanak]).

der Totalität ab. Wie weiter unten in Abschnitt 11.9 ausgeführt, wird es während der Totalität so dunkel, dass man in der Lage sein sollte, auch einige Sterne zu sehen. In Abb. 11.16 sind die erwarteten Stern- und Planetenkonstellationen während der Totalität in Lybien zu sehen.

11.3 Finsternisse im Sonnensystem Tabelle 11.3 aus.

333

Beobachtbarkeit von Sonnenfinsternissen bis incl. 2010 von Deutschland

Beobachtbarkeit von Deutschland: Datum

Berlin

Hamburg

München

Köln

maximale Bedeckung (ortsabhängig!)

3.10.2005

51 %

52 %

62 %

62 %

zwischen 10:06–10:13 Uhr, ringförmig

29.3.2006

44 %

38 %

48 %

37 %

zwischen 11:39–11:48 Uhr, total

1.8.2008

29 %

31 %

16 %

21 %

zwischen 10:27–10:37 Uhr, total

Der Grad der Verfinsterung (in % des Durchmessers) sowie Uhrzeit (MEZ) wurde berechnet nach Programm auf [BdW99]. Ergebnisse nach [Mon99] sind bis auf 1 % identisch. Die Daten vom 3.10.2005 gehören zur ringförmigen Finsternis, die u. a. in Portugal, Spanien, Algerien, Libyen, im Sudan und in Kenia beobachtbar ist.

Tab. 11.3 gibt einen Überblick über die beobachtbaren Bedeckungsgrade der Sonne bei den kommenden Finsternissen bis 2010 für verschiedene Orte in Deutschland. Am 21.8.2017 wird übrigens zum ersten Mal nach 1979, d. h. nach über 38 Jahren, auch wieder eine totale Finsternis vom Festland der USA aus zu sehen sein. (In den USA gab es allerdings dazwischen noch die Finsternis vom 11.7. 1991 über Hawaii.)

11.3.5

Mondfinsternisse und Transits von Merkur und Venus

Die nächste von Deutschland aus beobachtbare totale Mondfinsternis (nach dem 28.10.2004) findet erst 2007 statt. Bei einigen der kommenden Mondfinsternisse wird aufgrund der ungünstigen Zeit der Finsternis nur ein Teil zu sehen sein (siehe Spalte Bemerkungen in Tab. 11.4). In Tab. 11.4 sind die Zeiten in UT (universal time) angegeben; diese vor allem auch in der Astronomie international übliche Zeitangabe ist identisch zu GMT (Greenwich mean time). Die in Deutschland geltende Zeit berechnet sich daraus für Winterzeit zu UT + 1 h und für Sommerzeit zu UT + 2 h. Den Sonnenfinsternissen vergleichbare partielle Finsternisse beim Eintritt des Monds nur in den Halbschatten der Erde sind fast nicht detektierbar. Tab. 11.5 zeigt beobachtbare Transits von Merkur und Venus in den kommenden Jahren, die leider, im Gegensatz zu den jeweils letzten Transits, nicht von Deutschland zu beobachten sein werden.

334

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

Tabelle 11.4 Von Deutschland aus beobachtbare totale Mondfinsternisse von Oktober 2005–2015 (alle Zeiten in UT); zum Vergleich die letzte totale Finsternis im Jahr 2004. Datum

Zeit Eintritt Kernschatten

Austritt Kernschatten

Dauer in min

2:24

3:45

81

bei Monduntergang, Winterzeit!

3.3.2007

22:44

23:58

74

gut sichtbar, Winterzeit!

21.2.2008

3:00

3:51

51

bei Monduntergang, Winterzeit!

21.12.2010

7:40

8:53

73

bei Monduntergang, Winterzeit!

15.6.2011

19:22

21:03

101

28.9.2015

2:10

3:23

73

28.10.2004

Bemerkungen

bei Mondaufgang, Sommerzeit bei Monduntergang, Sommerzeit

Es gibt für Beobachtung von Deutschland aus immer wieder mehrjährige Beobachtungspausen! Tabelle 11.5 Transits (Durchgänge) von Merkur und Venus [Espanak] bis 2012, zum Vergleich die jeweils letzten Transits. Planet

Datum

Zeit für Zentrum des Durchgangs

Merkur Venus Merkur Venus

7.5.2003 8.6.2004 8.11.2006 6.6.2012

7:52 UT (Sommerzeit) 8:19 UT (Sommerzeit) 21:41 UT (Winterzeit; nicht sichtbar von D) 1:28 UT (Sommerzeit; nicht sichtbar von D)

11.4

Schatten

Im täglichen Leben gehören Licht und Schatten eng zusammen. Wo Licht auf Objekte fällt, entstehen Schattenwürfe. Im Vergleich zu direkt beleuchteten Flächen sind Schatten dunkle Bereiche, und das Entstehen ihrer scharfen Begrenzungslinien ist eng verwoben mit dem Modell der geradlinigen Ausbreitung von Licht, der geometrischen Optik. Im Alltag sind Schatten meist auf dem Boden, auf Hauswänden oder sonstigen festen Objekten zu beobachten, sie können aber auch zu besonderen Phänomenen in der Atmosphäre führen. Dort ist ein Schattenbereich dadurch

11.4 Schatten

335

gekennzeichnet, dass ein Teil der Atmosphäre nicht direkt von der Sonne beleuchtet wird, beispielsweise weil sie im Abdeckungsbereich dicker Wolken liegt. Dies kann zu spektakulären Phänomenen führen, die im wissenschaftlichen Sprachgebrauch als crepescular rays bezeichnet werden, in der Alltagssprache mit Schattenstrahlen, Lichtvorhang, Wolkenscheinwerfer oder Ähnlichem umschrieben werden [Lyn95, Min92, Gre80, Lyn87, Lyn80, Liv79]. Darunter versteht man Phänomene, bei denen die Sonne z. B. eine Wolkenschicht mit einigen Löchern bestrahlt. Das durch die Löcher zur Erde fallende Licht beleuchtet in etwa in geradliniger Ausbreitung nur eng begrenzte Luftbündel, die sich durch die Lichtstreuung an den Molekülen bzw. Aerosolen deutlich von den im Schattenbereich befindlichen Luftpaketen abheben. Je nach Verteilung der Wolkenlöcher bzw. der Verteilung vieler kleinerer Wolken oder der Strukturierung des Wolkenrands größerer Wolken beleuchten viele parallele Lichtbündel nur Teile der Atmosphäre. Dies kann aufgrund perspektivischer Effekte zu spektakulären scheinwerferähnlichen Phänomenen führen, bei denen aus Sonnenrichtung ein für einen Beobachter weit ausgebreiteter Fächer von divergierenden Lichtstrahlen die Atmosphäre beleuchtet (Farbtafel 11.7). In Gegensonnenrichtung kann manchmal ein entsprechend zusammenlaufender, d.h. konvergierender Fächer von Lichtstrahlen, die sog. anticrepescular rays, beobachtet werden. Diese perspektivische Wirkung eines Fächers trotz parallel einfallendem Sonnenlicht kann man sich einfach klarmachen. Man denke sich in der Nähe eines Bahnhofs eine große Zahl von parallelen Eisenbahngleisen, über die sich eine Brücke spannt (Abb. 11.17). Stellt man sich in die Mitte der Brücke und blickt parallel zu den Gleisen in die Ferne, scheinen alle Gleise aus einem Punkt zu kommen, d. h., die eigentlich parallelen Gleise werden perspektivisch aufgefächert.

11.17 Schematische Erklärung von Sonnenstrahlfächern über die perspektivische Ansicht paralleleler Linien.

Dies erklärt übrigens auch das altbekannte Suchscheinwerferphänomen. Ein Suchscheinwerfer – in neuerer Zeit wurden häufig Laser benutzt – der in den Himmel strahlt, scheint auch bei klarem Himmel irgendwann ganz abrupt zu enden. Wie lässt sich diese abrupte Sichtgrenze erklären? Abb. 11.18 zeigt, dass ein Beobachter nur Streulicht vom Strahl sehen kann, wenn er schräg auf ihn blickt (Richtungen 1–3). Sobald er parallel zum Strahl blickt (Richtung 4), kann er ihn natürlich nicht

336

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

11.18 Ein Beobachter (als Stern gekennzeichnet) betrachtet einen ungefähr parallelen Lichtstrahl von der Seite. Dieser scheint abrupt zu enden (Details siehe Text).

mehr sehen. Andererseits scheinen exakt parallele Linien alle aus einem Punkt zu kommen (vgl. Abb. 11.17), weshalb dieser Punkt die Sichtbarkeitsgrenze definiert. Ähnliche Schattenwurfphänomene kann man auch in Wäldern bei schräg einfallender Sonnenstrahlung beobachten, wenn Teile des Sonnenlichts durch dichtes Laubwerk abgedeckt werden. Eindrucksvoll sind Schattenphänomene insbesondere bei tief stehender Sonne, d. h. wenn die Schatten sehr lang werden. Wieder führt die Perspektive dazu, dass praktisch jeder große Gegenstand, unabhängig von seiner Form, einen dreiecksförmigen Schatten wirft, was vor allem bei Bergspitzen besonders eindrucksvoll ist [Lyn95].

11.5

Polarlichter

Ähnlich den in Deutschland seltenen großen Halohimmelsspektakeln (Abschnitt 6.1) haben auch Polarlichter (Farbtafel 11.8) in Deutschland eher Seltenheitswert. Viel bekannter sind sie in den skandinavischen Ländern, in den nördlichen Regionen der USA und Kanadas sowie in den südlichen Regionen Australiens und Neuseelands. Bekannt sind Polarlichter schon seit etwa 2400 Jahren. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch werden diejenigen auf der Nordhalbkugel aurora borealis, diejenigen auf der Südhalbkugel dagegen aurora australis genannt. Halley vermutete bereits Anfang des 18. Jahrhunderts einen Zusammenhang zum Erdmagnetfeld, und 1807 stellte Biot aus Untersuchungen der Polarisation der Polarlichter fest, dass sie nicht auf einfache Streuung des Sonnenlichts zurückgeführt werden können. Es sollte aber noch über 200 Jahre dauern, bis die wesentlichen Fragen zur Polarlichtentstehung befriedigend geklärt wurden [Schle95, Schrö84, Aka89, Wha85]. Schöne Abbildungen finden sich im Internet [Aurora]. Kurz gesagt versteht man heutzutage unter auroras die Leuchterscheinungen, die entstehen, wenn Elektronen und Protonen in tiefere Schichten der Erdatmosphäre eindringen. Ursache hierfür ist der sog. Sonnenwind, ein stetiger Teilchenstrom von der Sonne weg. Bei einer typischen Dichte von 10 Teilchen/cm3 und Geschwindigkeiten im Bereich einiger hundert km/Stunde strömen im Wesentlichen Protonen, d. h. ionisierte Wasserstoffionen, aber teilweise auch Elektronen von der Sonne mehr oder

11.5 Polarlichter

337

weniger radial weg. Der Sonnenwind strömt nicht gleichmäßig. Insbesondere bei verstärkter eruptiver Sonnenaktivität kann sich zum einen die Zahl der Teilchen und zum anderen ihre Energie und damit ihre Geschwindigkeit drastisch erhöhen. Dies wurde eindrucksvoll durch Messungen mit dem Soho-Satelliten gezeigt. Dieser Sonnenwind trifft nun auf die Erdatmosphäre, genauer gesagt auf das weit ins Weltall hinausragende Magnetfeld der Erde, die Magnetosphäre. Das Erdmagnetfeld wird – bei Vernachlässigung des Einflusses des Sonnenwinds – häufig näherungsweise als sog. Dipolfeld dargestellt (Abb. 11.19), wie es auch ein Stabmagnet erzeugt. Dieses wird allerdings dramatisch verzerrt durch den Einfluss des Sonnenwinds. Man kann sich – und daher kommt auch die Bezeichnung Sonnenwind – das Erdmagnetfeld als im Wind der Sonne flatternd vorstellen. Das Erdmagnetfeld wird dabei stark verformt und auf der sonnenzugewandten Seite eingedrückt (Abb. 11.20). Ursache hierfür sind teilweise äußerst komplizierte magnetohydrody-

11.19 Dipolähnliches Magnetfeld der Erde.

11.20 Das Magnetfeld der Erde wird durch den Sonnenwind verzerrt. Dabei können geladene Teilchen auf der sonnenabgewandten Seite in die Magnetosphäre eindringen (nach [Schle95]).

338

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

namische Vorgänge. Diese führen dazu, dass auf der sonnenabgewandten Seite des Erdmagnetfelds geladene Teilchen des Sonnenwinds in die Magnetosphäre eindringen können und durch elektrische Felder zur Erde hin beschleunigt werden. Betrachtet man nun ein einzelnes Elektron, das aus erdfernen Bereichen in Richtung Erde fliegt, erklärt sich auch zwanglos, weshalb Polarlichter nur in hohen geografischen Breiten beobachtbar sind. Ein geladenes Teilchen, das sich in einem Magnetfeld bewegt, wird aufgrund der Lorentz-Kraft abgelenkt, und zwar stets senkrecht zum Magnetfeld und auch senkrecht zur Bewegungsrichtung (Abb. 11.21a). Dies führt dazu, dass das Teilchen immer eine Spiralbahn um die Magnetfeldlinien beschreibt (falls es senkrecht zum Feld einfällt, ist es eine reine Kreisbahn), es kann aber nie eine Magnetfeldlinie kreuzen. Da das Erdmagnetfeld einem Dipolfeld ähnelt (vgl. Abb. 11.19) und die meisten Feldlinien in Polnähe auf die Erde treffen, müssen die einmal um die Feldlinien rotierenden Elektronen dieser Feldlinie folgen und sich den polnahen Gebieten nähern. Nun tritt zusätzlich ein zweiter Effekt auf, der verhindert, dass die Elektronen die Erdoberfläche erreichen. Die sich in Polnähe zusammenschnürenden Feldlinien führen zu einer sog. magnetischen Flasche, d. h. dass auf die Elektronen eine Kraft entgegen ihrer hauptsächlichen Bewegungsrichtung entlang der Feldlinie auftritt. Die Elektronen werden in dieser Bewegungsrichtung abgebremst und wieder in Richtung Weltall zurück beschleunigt (Abb. 11.21b). Dabei können sie abhängig von ihrer Energie aber relativ tief in die Erdatmosphäre eindringen. In Höhen von 100–500 km über dem Erdboden ist die Gasdichte zwar gering (in 100 km Höhe herrscht etwa ein Millionstel des Drucks am Erdboden), aber immer noch groß genug, um Stoßprozesse zwischen den Elektronen und den Bestandteilen der Atmosphäre, im Wesentlichen Sauerstoff und Stickstoff, zu ermöglichen. Elektronen, die auf Sauerstoff oder Stickstoff treffen, können Moleküle auseinander reißen (dissoziieren), ionisieren oder einfach anregen, bei Atomen ist entweder Ionisation oder Anregung möglich (Abb. 3.4). Durch die Ionisation entstehen a)

b)

ᠬ 11.21 a) Geladene Teilchen werden in magnetischen Feldern stets senkrecht zum Feld B und ihrer Bewegungsrichtung, gegeben durch die Geschwindigkeit vᠬ, abgelenkt. Dies führt in homogenen Feldern zu spiralförmigen Bahnen. b) Ein inhomogenes Magnetfeld bewirkt eine Reflexion des Teilchens. Bei Verengung der Magnetfeldlinien ergibt sich eine bremsende Kraft, die das Teilchen letztlich wieder zurückwirft. Befinden sich auf beiden Seiten Verengungen, spricht man von einer magnetischen Flasche (nach Tipler]).

11.5 Polarlichter

339

viele weitere Elektronen, die ihrerseits stoßen können. Eine Anregung durch Stoß führt nach einer gewissen Zeit auch wieder zu einer Abregung, diesmal allerdings bevorzugt durch Emission von Licht. Die genaue Farbe des ausgestrahlten Lichts hängt dabei von der Atom- bzw. Molekülsorte ab [Wha85]. Sauerstoff liefert die charakteristische rote (λ ≈ 630 nm) und grüne Farbe (λ = 557,7 nm), Stickstoffmoleküle emittieren dagegen etwas breitbandiger mehr blaues und violettes Licht (z. B. λ = 427,8 nm). Die für die rote Emission verantwortlichen Zustände können durch Stöße mit N2-Molekülen entvölkert werden, weshalb rote Färbungen nur in Höhen von über 300 km erzeugt werden. Geografisch liegen die Beobachtungsgebiete von Polarlichtern auf ringähnlichen Gebilden um die magnetischen Pole; man nennt diese Polarlichtovale (Abb. 11.22).

11.22 Zustandekommen der sog. Polarlichtovale, d. h. den ringählichen Regionen auf der Erde oder anderen Planeten, von denen aus Polarlichter gesehen werden können (nach [Schle95]).

Die dort endenden Magnetfeldlinien entsprechen weiter draußen in der Magnetosphäre der Erde den Regionen, in denen die Sonnenwindteilchen am effektivsten eingekoppelt werden. Die Feldlinien, die direkt in Polnähe enden, führen an diesen Einkoppelregionen vorbei in den Weltraum, d. h., am magnetischen Nordund Südpol kann man keine Polarlichter beobachten! In Richtung Äquator schließen sich die Feldlinien ebenfalls weit entfernt von den Einkoppelregionen, sodass in niedrigen Breiten, d. h. in diesem Fall auch in der Region von Deutschland, i. Allg. ebenfalls keine Sichtungen möglich sind. Die Breite der Polarlichtoval-Ringe hängt allerdings von der Sonnenaktivität ab. Bei Sonneneruptionen gibt es starke Schwankungen in der Intensität des Sonnenwinds. Dadurch flattert der Erdmagnetfeldschweif sehr stark, wobei die Einkoppelbereiche jetzt auch näher an der Erde liegen können. Bei solch starken Störungen können auch in äquatornahen Gebieten Polarlichter gesichtet werden, so beispielsweise im südlichen Florida (24° nördlicher Breite, 1989) oder in Samoa (14° südlicher Breite, 1921). Die Vorhersage von möglichen Polarlichtsichtungen hängt insofern stark vom Weltraumwetter ab, d. h. der Wirkung des Sonnenwinds auf die Magnetosphäre bzw. allgemein den Einflüssen der Sonne auf den erdnahen Weltraum. Wegen der relativ

340

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

niedrigen Ausbreitungsgeschwindigkeiten des Sonnenwinds hat man nach Aktivitäten auf der Sonne meist mehrere Tage Zeit, um sich auf Beobachtungen vorzubereiten. Weltraumwettervorhersagen sind täglich aktualisiert im Internet verfügbar ([Space], s. a. [Astro]), nicht zuletzt weil sie Auswirkungen auf Satelliten und Kommunikationstechnologien haben [Jak04, Schle98]. Last not least: Polarlichter treten übrigens auch auf anderen Planeten mit Magnetfeldern, wie z. B. dem Jupiter und Saturn auf (siehe die wunderschönen Aufnahmen des Polarlichtovals auf den Farbtafeln 11.9 und 11.10 [ESA, Jup]).

11.6

Elektrische Phänomene in der Atmosphäre: Blitze

Blitze sind eines der bekanntesten und zugleich spektakulärsten optischen Naturphänomene (Farbtafel 11.11). Sie wurden früher häufig mit Göttern in Verbindung gebracht, so z. B. mit dem altnordischen Gott Thor, der bei den Germanen zum Donar wurde, sowie Zeus bei den Griechen. Die Faszination ist häufig auch zu Recht mit Angst bzw. zumindest mit Respekt vor diesem gewaltigen Naturphänomen verbunden. Jedes Jahr sterben immer noch Hunderte von Menschen und Tieren durch direkten Blitzschlag [NasaBli] und entstehen Sachschäden von vielen Millionen Euro. Dazu kommt die Gefährdung technischer Geräte. So traten 1969 während des Starts von Apollo 12 nach einem Blitzeinschlag kurzzeitig Probleme mit der Elektronik auf. Am 26.3.1987 wurde die unbemannte Rakete Atlas Centaur 67, die Kommunikationssatelliten aussetzen sollte, getroffen. Dabei änderte sich wahrscheinlich eine Memory-Einstellung im Bordcomputer, was letztlich zum Absturz führte [NasaBli]. Blitze treten immer im Zusammenhang mit starken elektrischen Aufladungen in den riesigen Gewitterwolken (Cumulonimbus) auf. Gelegentlich wurden Blitze auch als nahezu kontinuierlich stattfindende Entladungen bei Vulkanausbrüchen beobachtet [Lyn95]. Es ist wohl neben dem kurzen Blitz auch das Warten auf den Donner, der dann sehr schnell mit ohrenbetäubendem scharfen Knall oder viel später als dumpfes Grollen zu hören ist, was die Faszination des Phänomens, insbesondere für Kinder, erhöht. Und Gewitter erlauben mit einfachsten Mitteln eine Messung durchzuführen, muss man doch nur die Sekunden zwischen Blitz und Donner abzählen, um die Entfernung des Blitzeinschlags in Kilometern abzuschätzen – nach der alten Regel Entfernung in Kilometern ist gleich Zeit in Sekunden geteilt durch 3 (z. B. entsprechen zehn Sekunden etwa 3,3 km). Diese ergibt sich einfach aus der Schallgeschwindigkeit, die etwa 1/3 km pro Sekunde ist. (Im Detail hängt sie von Luftdruck und Temperatur ab.) Hier sollen nur kurz das optische Phänomen Blitz sowie neuere Entwicklungen in der Gewitterforschung vorgestellt werden (siehe auch [Schle95, Lyn95, Lil84, Pru97, Uma69, Baz00, Her02, Mül94, Wil88, Die97, Men97, Rod02, Lyo00] sowie im Internet [NasaBli, Blitze]).

11.6 Elektrische Phänomene in der Atmosphäre: Blitze

341

Die wissenschaftliche Erforschung von Blitzen wird i. Allg. mit dem amerikanischen Physiker und Präsidenten Benjamin Franklin verbunden. Er führte 1752 als Erster Experimente mit Drachen durch, die zeigten, dass Blitze im Prinzip den im Labor erzeugten elektrischen Funken gleichen. Solche Versuche, die Blitze anzuzapfen und die elektrischen Ladungen zur Erde abzuleiten, sind äußerst gefährlich. So wurde der schwedische Physiker G. W. Richmann bei entsprechenden Experimenten in Russland im Juli 1753 durch Blitzschlag getötet. Große Fortschritte erlebte die Gewitterforschung vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Messungen der Stromstärken der Blitze wurden über die damit einhergehenden magnetischen Felder möglich, dazu kamen zeitaufgelöste Fotografie und Spektroskopie. C. T. R. Wilson, der sich auch für Glorien interessierte und später den Nobelpreis für die Entwicklung der Nebelkammer erhielt, arbeitete in der Blitzforschung und nutzte Messungen elektrischer Felder, um etwas über die Ladungsverteilung in Gewitterwolken zu erfahren. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stieg das Interesse weiter stark an, zum einen wegen der Bedeutung von Blitzeinschlägen für Passagierflugzeuge und die bemannte Raumfahrt sowie der Anfälligkeit moderner Mikroelektronik; zum anderen war es durch moderne Technologien möglich geworden, nicht nur regional, sondern auch global erheblich genauere Untersuchungsmethoden zu entwickeln. Insbesondere in den letzten 15 Jahren haben die sog. Stratosphärenblitze Interesse geweckt. Bevor auf die Physik von Blitzen eingegangen wird, soll zunächst die Rolle von Gewittern im globalen Elektrizitätshaushalt der Erde beleuchtet werden (Abb. 11.23). Auch bei absolut wolkenfreiem Himmel gibt es in der Atmosphäre permanent elektrische Felder. Zwischen Erdboden und Ionosphäre in z. B. 100–200 km Höhe liegt eine Potenzialdifferenz, d. h. eine Spannung von normal etwa 200 000–500 000 V. Ganz allgemein, so lernt man in der Schule in der Elektrizitätslehre, treiben Spannungsdifferenzen Ströme an, sobald die Pole einer Spannungsquelle mit leitfähigen Materialien miteinander verbunden sind. Auch die Atmosphäre ist ein elektrischer Leiter, wenngleich bei weitem ein schlechterer als Metalle. Beispielsweise fließt durch eine 100-W-Glühlampe beim Anschließen an eine 220-V-Steckdose ein Strom von etwa 0,45 A (A = Ampere). Der Strom, der zwischen Stratosphäre und Erdboden fließt, wird üblich auf eine Fläche von 1 m2 bezogen – man spricht dann von einer Stromdichte in A/m2. Typisch werden in der Atmosphäre vertikale Stromdichten von nur etwa 2 · 10–12 A/m2 gemessen. Bezogen auf die gesamte Erdoberfläche 4π RE2 fließen damit insgesamt etwa 1000 A zwischen Ionosphäre und Erdoberfläche. Damit das Potenzialgefälle und somit dieser Strom erhalten bleibt (was gemäß den Beobachtungen so ist), muss per-

11.23 Globaler Elektrizitätshaushalt der Erde mit ihrer Atmosphäre.

342

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

manent Ladung in die Stratosphäre transportiert werden. Der Mechanismus, sozusagen ein Dynamo, sind die Gewitter [Feyn63, NasaBli]. Messungen globaler Gewitternetzwerke sowie Satellitenbeobachtungen aus dem Weltall haben gezeigt, dass pro starkem Gewitter etwa 1 A in die Stratosphäre eingebracht wird. Somit müssen weltweit permanent etwa 2000 Gewitter mit etwa 100 Blitzen pro Sekunde aktiv sein. Grob vereinfacht sind für das Entstehen von Blitzen verschiedene atmosphärische Prozesse wichtig: Es gibt nach heutigem Verständnis eine ganze Reihe von Aufladungsmechanismen in Gewitterwolken [Pru97]; dazu zählt u. a. das Entstehen von geladenen Fragmenten beim Zerbrechen von auch elektrisch neutralen Tropfen oder Eiskristallen. Die kleineren Teilchen laden sich i. Allg. positiv, die größeren negativ auf. Durch die Schwerkraft und starke Aufwärtsströmungen mit über 100 km/h im Inneren einer Gewitterwolke trennen sich die verschiedenen Teilchen mit ihren unterschiedlichen Ladungen voneinander, bis in der Regel die oberen Teile der Wolke positiv und die unteren Bereiche negativ geladen sind. Dadurch entstehen enorme elektrische Felder sowohl in der Wolke als auch zwischen Wolke und Erdboden. Die Spannungen können dabei einige Millionen Volt erreichen. Wird die Durchbruchfeldstärke der Luft (etwa 3 · 106 V/m) lokal überschritten, kann eine Entladung in Form eines Blitzes beginnen (Abb. 11.24). Blitze sind somit nichts anderes als elektrische Entladungen als Folge der Ladungstrennungen innerhalb einer Gewitterwolke. Der eigentliche Blitz entsteht dadurch, dass sich im Vorblitz die Entladung von der Unterkante der Wolke ausgehend in jeweils etwa 50 m langen Teilstücken nach unten bewegt und von einem zum nächsten Teilstück aufgrund von Änderungen des elektrischen Felds die Richtung ändert. Nähert sich dieser Vorblitz der Erde, so bewegt sich ihm von der Erde – zumeist von erhöhten Objekten, z. B. Baumspitzen, Türmen etc. – eine Entladung entgegen. Sobald der ganze Entladungskanal leitend ist (vom Beginn der Entladung aus gemessen sind das meist 20 ms), erfolgt die

11.24 Schematische Ladungsverhältnisse in Gewitterwolken und verschiedeneTypen von Blitzen (nach [Lyo00]).

11.6 Elektrische Phänomene in der Atmosphäre: Blitze

343

Hauptentladung von der Erde zur Wolke. Diese erfolgt in Zeiten von nur ca. 30 μs; dem entspricht bei einer in Europa typischen Unterkante der Wolke von 3 km immerhin eine Geschwindigkeit von 100 000 km/s – das ist ein Drittel der Lichtgeschwindigkeit [Schle95]! Dabei treten Stromstärken von meist 30 000 A bis maximal 250 000 A auf [Baz00]; die elektrische Spitzenleistung einer Entladung kann 1012 W betragen ! Die Luft erwärmt sich während der Entladung in dem Blitzkanal extrem schnell auf gut 20 000–30 000 °C, dabei steigt der Druck kurzzeitig auf etwa 100 bar, d. h. 100fachen Luftdruck. Um den Druckausgleich wiederherzustellen, dehnt sich das Gas aus, wodurch sich vom Entladungskanal eine Druckwelle als Donner mit Schallgeschwindigkeit ausbreitet. Die Druckamplitude und damit auch die wahrgenommene Lautstärke des Donners sinkt mit der Entfernung rasch ab: Donner ist ab etwa 25 km nicht mehr hörbar. Auch die Art des Donners verändert sich vom scharfen Knall in der Nähe zum dumpfen Grollen in großer Entfernung. Dies liegt im Wesentlichen an der frequenzabhängigen Ausbreitung der Schallwellen in der Atmosphäre. Da die Lichtgeschwindigkeit viel höher als die Schallgeschwindigkeit ist, sehen wir natürlich zuerst den Blitz und hören dann den Donner. Treten beide nahezu gleichzeitig auf, ist die Situation extrem gefährlich! Die stark erwärmte Luft im Blitzkanal führt auch zur Ionisation und Dissoziation der Luftmoleküle, d. h., im Blitzkanal liegen neben O2- und N2-Molekülen auch Sauerstoff- und Stickstoffatome sowie deren Ionen vor. Dies ist ganz ähnlich den Vorgängen in Gasentladungslampen, die heutzutage als Leuchtstofflampen weit verbreitet sind. Durch Stöße der Elektronen des Entladungsstroms können die Gasatome oder Moleküle entweder angeregt, ionisiert oder dissoziiert werden (vgl. Abb. 3.4). Insofern sollte sich das Licht der Blitze aus den erlaubten elektronischen Übergängen von Sauerstoff- und Stickstoffatomen, -ionen und -molekülen zusammensetzen. Dies wurde durch Spektroskopie des Lichts von Blitzen auch eindrucksvoll bestätigt (siehe [Uma69] für umfangreiche Tabellen der nachgewiesenen Spektrallinien). Im Anschluss an den ersten Hauptblitz kommt es nach einer kurzen Pause zu weiteren Entladungen. Diese enden innerhalb von 0,2 Sekunden, wenn durch den Ladungsausgleich aufgrund der Blitze die Feldstärke genügend gesunken ist. Diese Zeiten sind so kurz, dass entfernte Beobachter i. Allg. nur einen Blitz pro Blitzkanal wahrnehmen. Man unterscheidet im Wesentlichen drei verschiedene Blitztypen (Abb. 11.24): 1) Wolke-Boden-Blitze: Sie sind die für Menschen gefährlichste Art, obwohl sie nicht am häufigsten auftreten. Sie tragen i. Allg. negative Ladung zur Erde. 2) Wolke-Wolke-Blitze: Dabei treten innerhalb einer Wolke zwischen verschieden geladenen Teilen Entladungen auf. Ebenso können zwischen zwei benachbarten Gewitterwolken Blitze auftreten. 3) Wolke-Stratosphären-Blitze: Dabei treten von der Oberkante der Gewitterwolken Blitze bis in Höhen von 85 km auf.

344

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

Manchmal werden als vierter Blitztyp Kugelblitze genannt. Die sehr seltenen Berichte über Kugelblitze gelten immer noch als sehr mysteriös, allerdings gibt es auch wissenschaftliche Untersuchungen [Sin71, Schle95]. Die Stratosphärenblitze [Lyo00] wurden erst in jüngster Vergangenheit fundiert nachgewiesen und erfreuen sich zurzeit eines großen wissenschaftlichen Interesses. Solche Blitze über Gewitterwolken wurden schon vor über 100 Jahren beobachtet, und auch Wilson spekulierte über die mögliche Entstehung, aber erst 1989 setzten Wissenschaftler in einem Raketenexperiment auch eine Kamera für extrem niedrige Lichtintensitäten ein und beobachteten zwei sog. Sprites. In den folgenden Jahren setzten umfangreiche Forschungsaktivitäten ein, nicht zuletzt weil solche Blitze potenzielle Gefahren für die bemannte Raumfahrt mit sich bringen. Man unterscheidet heute (Abb. 11.24, vgl. auch Abb. 3.27) u. a. direkt über den Wolken in der unteren Stratosphäre die blauen Jets (blue jets), darüber die rötlichen Kobolde (red sprites) mit bläulichen Tentakeln und in den größten Höhen um 90 km die ebenfalls wieder rötlichen Elfen (elves), die sich ring- bzw. scheibenförmig ausbreiten. Diese Phänomene sind in ihrer Leuchtkraft etwa so schwach wie Polarlichter und daher für ungeübte Beobachter praktisch nicht erkennbar. Erschwert wird die Beobachtung sowohl durch die Notwendigkeit der Beobachtung aus der Ferne, z. B. aus einem Flugzeug, als auch durch die kurze Dauer der Erscheinungen von nur Bruchteilen einer Sekunde. Moderne Methoden zur Untersuchung von Blitzen nutzen Raketen mit Drahtschwänzen (ähnlich den Drachenexperimenten von Franklin), die in die Wolken geschossen werden. Bei einem Blitzeinschlag verdampft der Draht, aber man kann kurz vor und während des Blitzes wichtige Daten sammeln. Zudem gibt es große Netzwerke bodengestützter Messstationen, die neben optischen Messungen z. B. auch elektrische und magnetische Felder detektieren. Die Oberkante von Gewitterwolken wird durch spezielle Stratosphärenflugzeuge (und auch das Spaceshuttle) untersucht, die in Höhen von bis zu 20 km über den Wolken fliegen. Seit den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts werden auch verstärkt Videokameras eingesetzt, um die Phänomene zeitaufgelöst zu beobachten. Und wie soll man sich nun verhalten, wenn man im Freien von einem Gewitter überrascht wird? Bei aller Faszination, die in der Beobachtung liegt, darf man den Respekt vor dem Phänomen niemals verlieren. Wird ein Mensch von einem Blitz getroffen, ist dies in den meisten Fällen tödlich. Bei einem Gewitter sollte man sich auf keinen Fall im offenen Gelände aufhalten, auf offenen Gewässern mit Booten fahren oder gar schwimmen. Wird man von einem Gewitter überrascht, sollte man nicht Zuflucht unter allein stehenden hohen Bäumen suchen, egal ob Buche oder Eiche, die beide gleichermaßen getroffen werden können. Auf freiem Feld wird empfohlen, sich mit zusammengepressten Füßen hinzukauern und den Kopf einzuziehen, keinesfalls aber breitbeinig zu stehen oder sich hinzulegen. Denn bei einem Blitzeinschlag in der Nähe fließen vom Einschlagsort radial hohe elektrische Ströme. Damit verbunden sind Potenzialunterschiede, d. h. Spannungen zwischen zwei verschieden weit entfernten Punkten, die bei breitbeinigem Stehen oder Liegen noch gesundheitsschädlich sein können. So wurden beispielsweise die Spannungen

11.7 Leuchtende Nachtwolken

345

abgeschätzt [Hop03], die ein Blitz mit einer Stromstärke von 25’000 A, der auf nassem Erdboden (bei nassem Boden ist die elektrische Leitfähigkeit besser, hier wurde 0,02(Ωm)–1 angesetzt) niedergeht, zwischen den Füßen breitbeinig stehender Lebewesen erzeugt. Für einen Menschen beträgt sie bei einer Schrittweite von 0,5 m in 10 m Abstand vom Einschlag immerhin noch 1000 V, während eine Kuh mit 2 m Fußabstand unangenehmere 3300 V ertragen muss. Dieser Wert würde bei einem Fußabstand von nur 10 cm deutlich auf etwa nur noch 200 V sinken. In 30 m Abstand ergäben sich für eine Kuh immerhin noch 400 V, bei einem breitbeinigen Menschen etwa 100 V, bei 10 cm Fußabstand nur noch ungefährliche 20 V. Die Zahlenwerte können sich bei kleinerer Leitfähigkeit des Bodens allerdings noch erhöhen. Es lag nahe, dass Menschen schon frühzeitig nach Schutzmaßnahmen vor den verheerenden Auswirkungen von Blitzen, z. B. den durch sie ausgelösten Bränden von Gebäuden, suchten. Die Blitzhäufigkeiten in Europa hängen von der Topografie ab: Über ebenem Gelände beträgt sie etwa zwei bis fünf Blitzeinschläge pro Quadtratkilometer und Jahr und bis zu zehn für Gebirgsregionen. Türme mit einer Höhe von 100 m über dem Erdboden werden im Mittel etwa einmal pro Jahr getroffen [Baz00]. Wie lassen sich hohe Gebäude gegen Blitzeinschlag schützen? Da hohe Gegenstände und Spitzen häufiger getroffen werden als tiefer liegende Objekte, empfiehlt es sich, metallene Drähte mit großem Querschnitt und guter Leitfähigkeit an den höchsten Punkten eines Gebäudes zu befestigen und diese Leiter bis ins Erdreich zu verlegen, um bei einem Einschlag den Strom gezielt abzuleiten. Als Erfinder dieses Blitzableiterprinzips gilt Benjamin Franklin. Allerdings kommt es gerade bei Türmen vor, dass nicht immer die höchsten Spitzen getroffen werden. Aus Forschungen zur Wahrscheinlichkeit von Blitzeinschlag ergibt sich, dass es sinnvoll ist, mehrere Drahtspitzen auf einem miteinander verbundenen grobmaschigen Gitter zu nutzen [Baz00]. Neben diesen passiven Methoden, die beim Gebäudeschutz eingesetzt werden, werden schon seit längerem auch aktive Methoden diskutiert. Beispielsweise sollen empfindliche Objekte wie große Fabriken oder Flughäfen von direktem Einschlag oder den damit verknüpften elektromagnetischen Störungen geschützt werden. So hat z. B. die sehr viel versprechende Idee, Entladungen durch gepulste Laser gezielt auszulösen und abzuleiten, durch die Entwicklung von Femtosekunden-Lasersystemen (1 fs = 10–15 s) neuen Aufschwung erhalten [Rod02, Kas03].

11.7

Leuchtende Nachtwolken

Die meisten Wolken befinden sich in der Troposphäre, d. h. in Höhen unter etwa 10 km. Insofern liegen diese meist schon kurz nach Sonnenuntergang im Erdschatten und heben sich dunkel vor dem noch hellen Abendhimmel ab. Dennoch kann man gelegentlich auch noch bis zu zwei Stunden nach Sonnenuntergang helle, silbern

346

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

11.25 Leuchtende Nachtwolken entstehen durch Beleuchtung hoch liegender Wolken nach Sonnenuntergang.

glänzende dünne Wolkenschleier beobachten (Farbtafel 11.12). Diese Wolken werden als leuchtende Nachtwolken bezeichnet (noctilucent clouds) [Schle95]. Sie kommen durch die Beleuchtung von Wolken in der Stratosphäre in Höhen von etwa 80 km zustande (Abb. 11.25; viele schöne Bilder finden sich im Internet, z. B. [Colo]). Diese Wolken aus Eiskristallen bei Temperaturen von etwa –100 °C stellen die mit Abstand höchsten Wolken auf der Erde dar. Sie sind nur in bestimmten geografischen Breitenbereichen um 60° beobachtbar (beispielsweise in Skandinavien) und treten auch nur zu bestimmten Jahreszeiten bevorzugt auf, in Norddeutschland etwa im Juni und Juli. Neben diesen sehr hoch liegenden Wolken gibt es noch eine weitere Art von Stratosphärenwolken in Höhen zwischen 15 und 25 km, die im Englischen nacreous clouds genannt werden [Cowley]. Es ist mir unbekannt, ob es einen feststehenden deutschen Begriff für diese Wolken gibt; man könnte sie vielleicht Perlmuttwolken nennen, da sie häufig irisierende Wolkenfarben zeigen, aber eben im Gegensatz zu den entsprechenden Troposphärenwolken (Abschnitt 7.2) viel höher liegen.

11.8 11.8.1

Kometen und Sternschnuppen Kometen

Ein weiteres von der Erde häufig mit bloßem Auge beobachtbares spektakuläres Phänomen sind Kometen. Diese haben zwar mit der Atmosphäre der Erde überhaupt nichts zu tun, sollen der Vollständigkeit halber dennoch kurz beschrieben werden. Unter Kometen versteht man Leuchterscheinungen, auch als Schweifsterne bezeichnet, die für jeweils einige Wochen den Nachthimmel dominieren können. Sie kommen durch kleine i. Allg. unregelmäßig geformte Körper von bis zu 10 km Durchmesser zustande, die aus Eis, gefrorenen Gasen und Staub (man spricht auch von schmutzigen Schneebällen) bestehen und sich auf stark exzentrischen Ellipsenbahnen bewegen. Die Sonne steht in einem Brennpunkt der Ellipse, das andere Ende der Bahn liegt meist weit draußen im Sonnensystem, beim Halley’schen Kometen z. B. außerhalb der Neptunbahn. Bei Annäherung eines Kometen an die Sonne verdampfen Substanzen wie H2O, NH3, CH4 usw. Dadurch bildet sich um den Kern eine sog. Koma aus, eine diffuse

11.8 Kometen und Sternschnuppen

11.26

347

Geometrie der Kometenschweife.

neblige Hülle mit Durchmessern von 104–105 km. Kern und Koma zusammen nennt man auch Kometenkopf. Die Koma wird etwa innerhalb der Jupiterbahn durch Streuung des Sonnenlichts und Fluoreszenzprozesse sichtbar. Bei weiterer Annäherung an die Sonne findet eine verstärkte Verdampfung statt, die ab etwa der Marsbahn zur Entwicklung des bekannten Kometenschweifs führt, den man als von der Sonne fortgeblasene Materie auffassen kann. Schweiflängen bis 108 km und Moleküldichten im Schweif von 100 bis1000 Molekülen/cm3 sind möglich. Man unterscheidet zwei Schweiftypen (Abb. 11.26), zum einen lang gestreckte schmale, exakt von der Sonne geradlinig weg gerichtete Schweife, die aus Ionen wie CO+ etc. bestehen. Diese werden durch den Sonnenwind, der bereits für die Polarlichter verantwortlich ist, regelrecht vom Kometen weggeblasen. Zum anderen gibt es den sog. Staubschweif, der breit und diffus sowie häufig leicht gekrümmt ist. Dieser Schweif besteht i. Allg. aus kleinen Teilchen in der Größenordnung von Mikrometern, die das Sonnenlicht streuen. Er wird von der Sonne durch den Strahlungsdruck des Lichts weggeblasen. Darunter versteht man die Tatsache, dass Licht bei der Streuung bzw. Absorption auch einen Impuls auf die Teilchen übertragen, der natürlich auch von der Sonne weggerichtet ist. Diese Tatsache war der Schweizer Nationalbank anscheinend nicht bewusst, als sie auf einer älteren 10-Franken-Note aus dem Jahr 1979 Leonard Euler ehrte. Auf der Rückseite der Note ist u. a. das Sonnensystem mit einer Kometenbahn abgebildet, allein der Kometenschweif ist in eine recht willkürliche Richtung eingezeichnet [Vol99]. Leider sind die bekannten periodischen und damit in ihrem beobachtbaren Auftreten vorhersagbaren Kometen bis auf den Halley’schen Kometen recht lichtschwach, sodass es genauer Kenntnisse der Bahn bedarf, um den Schweif aufzuspüren. Und der Halley’sche Komet hat leider eine recht lange Periode von etwa 76 Jahren und wird seinen sonnennächsten Punkt erst wieder am 29.7.2061 erreichen. Die übliche astronomische Nomenklatur für ihn ist Komet 1P/Halley.

348

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

Man kann für die nächsten Jahre nur auf neue Entdeckungen hoffen wie z. B. HaleBopp, der 1997 viele Wochen den Nachthimmel dominierte (Farbtafel 11.13). Von den lichtschwachen periodischen Kometen ist in näherer Zukunft insbesondere der Encke’sche Komet beobachtbar. Er zählt zu den kurzperiodischen Kometen (genau genommen ist es der Komet mit der kürzesten bekannten Umlaufzeit von nur 3,3 Jahren) und wird im Jahr 2007 wieder in Sonnennähe gelangen; sein Schweif war in der Vergangenheit allerdings nur maximal 2°–3° lang, und es sind maximale Helligkeiten von m = 6 oder m = 7 zu erwarten, d. h., Beobachtungen mit dem Fernglas sollten möglich sein. Helligkeitsangaben sind allerdings nur grobe Richtwerte (Kometen verhalten sich gelegentlich unberechenbar, z. B. durch Ausbrüche oder Teilung) und sagen noch nichts über die Situation von Deutschland aus, da für die Sichtbarkeit auch die Himmelsstellung berücksichtigt werden muss. Um Kometen am Sternhimmel zu finden, empfiehlt es sich, Bahnberechnungen auf einer Sternkarte zu studieren, z. B. in astronomischen Führern oder den Monatsvorhersagen für Sternfreunde in Tageszeitungen. Aktuell beobachtbare Kometen werden immer auf der Internetseite der Fachgruppe Kometen der Vereinigung der Sternfreunde aufgelistet [Meyer] sowie auf weiteren kometenbezogenen Seiten behandelt [NasaKomet, AMS, Harvard].

11.8.2

Meteore

Eng mit den Kometen verknüpft sind die Meteore, d. h. die Leuchterscheinungen – im Volksmund Sternschnuppen genannt –, die ein aus dem Weltraum in die Erdatmosphäre eindringender Kleinkörper erzeugt. (Die Kleinkörper selbst nennt man Meteorite.) Hier findet also im Gegensatz zu den Kometen die Leuchterscheinung tatsächlich in der Atmosphäre statt. Warum haben Sternschnuppen etwas mit Kometen zu tun? Man kann sie das ganze Jahr über sehen, aber mehrmals im Jahr gibt es sog. Meteorschauer. Zu diesen Zeiten kann man besonders viele Meteore sehen. Die Häufung in den Schauern rührt daher, dass die Erde dann durch die Trümmerbahnen ehemaliger Kometen fliegt. Die Orioniden werden beispielsweise auf den Halley’schen Kometen zurückgeführt. (Wer sich über Meteore informieren will bzw. seine Beobachtungen in ein Netzwerk einbringen will, sollte Kontakt zum Arbeitskreis Meteore e.V. (AKM) der Amateurbeobachter in Deutschland nehmen [AKM].) Die Leuchterscheinung kommt dadurch zustande, dass die Kleinkörper mit Größen im Mittel von einigen Millimetern (Gewicht im Milligramm-Bereich) und Geschwindigkeiten oberhalb von 10 km/s beim Eintritt in die Erdatmosphäre durch die Reibung i. Allg. vollständig verdampfen. Bei Kollision mit Luftmolekülen können sie diese in einem hinter dem Meteoriten liegenden Luftschlauch ionisieren. Bei der folgenden Rekombination der Elektronen mit den Ionen wird das beobachtete Licht ausgesendet. Die Leuchterscheinung stammt aus Höhen zwischen 60 und 120 km mit Mittelwerten um 100 km. Die Helligkeiten der Meteore liegen i. Allg. bei m = 2 bis m = 5; extrem helle Meteore ab m = –4 bezeichnet man als Feuerkugeln.

11.8 Kometen und Sternschnuppen Tabelle 11.6 s. a. [AKM]).

349

Bekannteste Meteorschauer (zusammengestellt von J. Rendtel, AKM,

Name

Radiant im Sternbild

Sichtbarkeit von bis

Aktivitätsmaximum

max. ZHR

max. beob. Rate

Quadrantiden Lyriden Eta-Aquariden Perseiden Orioniden Leoniden Geminiden Ursiden

Bootes Leier Wassermann Perseus Orion Löwe Zwillinge Kl. Bärin

2.–5. Jan. 18.–24. April 1.–10. Mai 25. Juli–17. Aug. 5.–30. Okt. 14.–19. Nov. 10.–16. Dez. 20.–23. Dez.

3./4. Jan 22. Apr. 5. Mai 12./13. Aug. 22. Okt. 17./18. Nov. 13./14. Dez. 22. Dez.

100 15 50 100 20 50 110 20

90 10 2 80 15 30 100 15

In Tab. 11.6 finden sich die zurzeit aktivsten permanenten Meteorströme. Aufgeführt sind jeweils der Name, der sich durch die Beobachtungsgeometrie ergebende scheinbare Herkunftsort am Himmel (Radiant) zur Zeit des Aktivitätsmaximums (Verlagerung je nach Position ≤1° pro Tag), die Daten für die Sichtbarkeitsgrenzen und das Aktivitätsmaximum sowie Beobachtungsraten. Die zwei aufgeführten Raten sind jeweils auf Standardbedingungen reduzierte Beobachtungsraten, d. h. Anzahl pro Beobachter und Stunde bezogen auf ein Gesichtsfeld von 50° Radius und eine Grenzhelligkeit von m = 6,5. Die Spalte „max. ZHR“ bezieht sich auf einen Radianten im Zenit, die Spalte „max. beob. Rate“ auf die Bedingungen in Deutschland. Die sich ergebenden Unterschiede kommen im Wesentlichen durch die ungünstige Position des Radianten zustande. Dies ist z. B. bei den Eta-Aquariden sehr ausgeprägt, da der Radiant in Deutschland zu dieser Zeit nur etwa 5° über dem Horizont steht. Staubspuren der Leoniden mit Umlaufzeiten bei 33 Jahren verursachen in einigen Jahren (zuletzt 1998– 2002) Raten, die zwei bis drei Größenordnungen über den hier angegebenen Werten liegen. Die nächste Wiederkehr dichterer Teilchenwolken mit entsprechend höheren Zählraten ist ab 2032 zu erwarten (weitere Informationen zu Meteoren siehe [Imo, Schle95]). In der Weltraumfahrt gibt es einige verwandte Phänomene zu den Meteoren. Beim Wiedereintreten von Weltraumfahrzeugen wie beispielsweise den Apollokapseln in die Erdatmosphäre treten enorme Erwärmungen auf, die auch ein Hitzeschild erforderlich machten. Ähnliches gilt für Raumgleiter wie das Spaceshuttle, die sich in typischen Höhen um 300 km bewegen. Das Spaceshuttle bewegt sich dabei mit Geschwindigkeiten von etwa 8 km/s durch ein Gas mit 109 Teilchen/cm3. Dabei wurde beobachtet [Hun89], dass in einer etwa 20 cm dicken Schicht über der Oberfläche das Shuttle während des Flugs orange leuchtete. Dies ging einher mit Erosion der verwendeten Materialien durch hochreaktiven atomaren Sauerstoff.

350

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

11.9

Sternbeobachtungen am Tage und warum es nachts dunkel ist

Eine Selbstverständlichkeit unseres Lebens, die selten in Frage gestellt wird, ist der dunkle Nachthimmel, an dem wir ohne störende Wolken bis zu etwa 3000 verschiedene Sterne mit scheinbaren Helligkeiten bis m = 6 mit bloßem Auge sehen können. Die Verwendung eines Fernglases mit einer Licht sammelnden Öffnung von 50 mm Durchmesser – im Vergleich zu den 7 mm des Auges – erlaubt eine um (502/72) ≈ 50fach höhere Lichtausbeute, d. h., Lichtquellen mit 50fach geringerer Helligkeit sind mit einem Fernglas noch sichtbar, das entspricht Sternen mit bis zu m = 10, was die Zahl beobachtbarer Sterne vervielfacht [Bra83]. Zum Ende dieses Buchs sollen in diesem Zusammenhang zwei Fragen gestellt und deren Antworten diskutiert werden. Während die erste Frage „Können Sterne eigentlich auch tagsüber gesehen werden und wenn ja unter welchen Bedingungen?“ noch halbwegs einfach erscheint, führt die zweite „Warum ist der Himmel nachts eigentlich dunkel?“ zu dem Gefühl, eine schwierige Antwort zu bekommen, insbesondere wenn die Frage gleich als Olbers´sches Paradoxon bezeichnet wird.

11.9.1

Kann man Sterne auch tagsüber sehen ?

Seit Aristoteles soll es das Gerücht geben, man wäre in der Lage, aus tiefen Schächten, Brunnen oder Schornsteinen – kurz, aus tiefen Röhren –, auch tagsüber hellere Sterne zu beobachten, da dann das störende Himmelslicht stark reduziert wäre (Abb. 11.27). Dies ist ein Mythos, wie auch neuere Untersuchungen demonstrieren: Es gibt keine einzige glaubwürdige Beobachtung dieser Art [Min92, Smi55, Lyn95, Hug83]. Physikalisch ist auch klar, dass dies gar nicht funktionieren kann, denn in Blickrich-

11.27 Vorgeschlagene Geometrie, um tagsüber Sterne zu sehen.

11.9 Sternbeobachtungen am Tage und warum es nachts dunkel wird

351

tung der Röhre, d. h. entlang des Sehstrahls in Richtung eines realen Sterns, wird man immer auch die von der Sonne beleuchtete Atmosphäre sehen. Betrachten wir der Einfachheit halber nur Einfachstreuung an Luftmolekülen. Das Licht durch Rayleigh-Streuung entlang des Sehstrahls in Richtung des Beobachters entspricht für diesen – wenn auch winzigen – Himmelsausschnitt der Strahlung, die in Abschnitt 9.2.6 im Zusammenhang mit den blauen Bergen diskutiert und im Experiment in Abschnitt 9.3 näher untersucht wurde. Einzig das schräg einfallende Licht wird stark unterdrückt, und wegen des kleinen Raumwinkels des Himmelsausschnitts fällt insgesamt nur wenig Licht ein; in Beobachtungsrichtung ist der Himmel aber immer noch viel heller als die hellsten Sterne. Zudem engen hohe Schächte das Blickfeld stark ein, sodass die Wahrscheinlichkeit, überhaupt einen mit bloßem Auge wahrnehmbaren Stern in Blickrichtung zu haben, sehr gering ist. Konsequenz: Man sollte keinesfalls durch enge Schächte oder Schornsteine blicken, wenn man Sterne beobachten möchte [Hug83]. Dennoch: Es gibt einige seltene Bedingungen, bei denen es möglich ist, tagsüber Sterne bzw. was man dafür hält zu sehen. In Abschnitt 10.2.1 wurde die Helligkeitsskala der Sterne diskutiert. Der hellste Stern ist Sirius mit m = –1,5. Im Jahr 1984 wurde berichtet, dass Sirius einmal etwa 20 Minuten vor Sonnenuntergang beobachtet wurde; dies setzt allerdings exzellente Bobachtungsbedingungen und exzellente Augen des Beobachters voraus. In der Regel ist Sirius nicht am Tag, d. h. vor Sonnenuntergang, sichtbar. Andere Beobachtungen beziehen sich wahrscheinlich häufig auf drei mit bloßem Auge beobachtbare Planeten, insbesondere die als Morgen- oder Abendstern bekannte Venus, die eine maximale Helligkeit von mmax = –4,3 erreichen kann. Andere Kandidaten für falsche Sternsichtungen sind Mars und Jupiter, die beide etwa mmax = –2,8 erreichen können. Ist die erwähnte Sichtung des Sirius dann wirklich die einzige verlässliche Sternbeobachtung am Tage? Die Antwort ist wieder Nein. Bei totalen Sonnenfinsternissen (Abschnitt 11.3) sinkt die Helligkeit des Himmels stark ab. Die in der Totalität sichtbaren Protuberanzen haben Helligkeiten von weniger als 1/100 000 der Sonnenscheibe, die äußere Korona ist nochmals einen Faktor 100 dunkler. In Bezug auf die Sonnenscheibe entspricht dies schon einer Abnahme der scheinbaren Helligkeit von etwa 18 Magnituden auf etwa m = –9. In einiger Entfernung von der Korona ist die Himmelshelligkeit nochmals bis um etwa den Faktor 10 000 auf m = 1 bis m = 2 abgesunken, sodass neben den fünf hellsten Planeten (neben Venus, Mars und Jupiter auch Saturn und der wegen seiner Sonnennähe ansonsten selten beobachtbare Merkur) auch helle Sterne gesichtet werden können. Für die totale Sonnenfinsternis vom 29.3.2006 (Abb. 11.16) wird vorhergesagt [Espanak], dass folgende Planeten und Sterne sichtbar sein sollen (visuelle Helligkeiten in Klammern): Venus (–4,2), Merkur (0,9), Mars (1,2), Wega (0,03), Altair (0,76), Deneb (1,25 ), Capella (0,08 ), Aldebaran (0,87), Beteigeuze (0,45) und Rigel (0,18) (vgl. Abb.11.16).

352

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

11.9.2

Warum ist es nachts dunkel ?

Der Frage des dunklen Nachthimmels widmeten sich in den vergangenen Jahrhunderten viele Gelehrte, aber bekannt ist sie unter dem Namen Olbers´sches Paradoxon. Olbers war nicht der erste Forscher, der sich diese Frage stellte (so haben sich z. B. schon Kepler oder Halley vergeblich mit dem Problem auseinander gesetzt), aber seine Formulierung von 1823 hat ihn diesbezüglich verewigt. Er war übrigens auch nicht der letzte; viele bedeutende Astronomen und Kosmologen haben sich mit dieser Frage bis in die heutige Zeit hinein beschäftigt [Kip84, Har87, Oregon, Bremen, Lot95]. Demzufolge gibt es auch viele Antworten, von denen auch viele falsch sind. Hier soll nur kurz das Problem geschildert und Hinweise auf die heute von den meisten Forschern anerkannte Erklärung gegeben werden. Halley nahm im 18. Jahrhundert an, das Weltall sei unendlich, da es ansonsten unter der Anziehung der Sterne in sich zusammenstürzen müsste. Entsprechend muss es auch unendlich viele Sterne geben. Diese Annahmen führen aber dazu, dass der Nachthimmel hell sein muss (Abb. 11.28). Dies sieht man wie folgt ein: Man lege um die Erde in beliebigem Abstand R eine Kugelschale mit Dicke d, wobei d « R (Abb. 11.29). Deren Volumen ist dann 4π ⋅ R2 ⋅ d. Ist die Zahl der Sterne pro Rauminhalt gleich n, so sind in der Kugelschale NSterne = 4π ⋅ R2 ⋅ d ⋅ n Sterne.

11.28 Schematische Darstellung der Voraussetzung des Olbers’schen Paradoxons. Wäre das Universum unendlich, so würde der Blick in jede beliebige Richtung irgendwann einen Stern treffen.

11.29 Einfache Geometrie zur Erklärung der Formulierung des Olbers’schen Paradoxons.

11.9 Sternbeobachtungen am Tage und warum es nachts dunkel wird

353

11.30 Beim stark vergrößerten Blick in ein helles, sternerleuchtetes Weltall bedecken Sterne jeden Teil des Himmels ohne Ausnahme (nach [Har87]).

Das Licht, das die Erde von einem einzigen Stern der mittleren Leuchtkraft ᐉ empfängt, entspricht ᐉ/4π⋅R2, da sich das Licht eines Sterns im Abstand R auf die Oberfläche einer Kugel verteilt. Folglich empfängt die Erde von den NSterne Sternen der Kugelschale insgesamt die Lichtmenge L = d ⋅ n ⋅ ᐉ. In diesem Ergebnis ist der Abstand der Kugelschale nicht mehr enthalten. Aufsummieren über alle Kugelschalen bis ins Unendliche führt dann auch für kleine Werte von n zu einer unendlichen auf die Erde einfallenden Lichtmenge. Als Korrektur muss zwar noch berücksichtigt werden, dass sich einige Sterne abdecken, dies führt letztlich aber nur dazu, dass eben der ganze Himmel von Sternen überdeckt wäre (Abb. 11.30). Wenn diese eine typische Oberflächentemperatur wie die Sonne hätten, wäre also der ganze Himmel so hell wie die Sonnenoberfläche – und Leben wäre unmöglich auf der dann ungemütlich heißen Erde. Olbers sah einen Ausweg, indem er zwischen den Sternen optisch dicke Gasund Staubmassen annahm, die das Sternenlicht stark abschwächen würden. Dummerweise müssten sich diese Gaswolken im Laufe der Zeit durch die Absorption ebenfalls stark aufheizen und daher auch wieder Strahlung aussenden. Dies ist also keine Lösung, da nur der Ursprung des Lichts von den Sternen auf die Gaswolken verschoben wird. In einem unendlichen Universum, das schon immer existiert, kann es keine dunkle Nacht geben. Soweit zum Problem. Die heute von den meisten Forschern anerkannte Lösung (es muss natürlich nicht die richtige sein, sie scheint zur Zeit am ehesten mit kosmologischen Modellen in Einklang zu stehen) setzt sich aus mehreren Teilen zusammen [Wes87, Har87]. Kurz formuliert: Es ist nicht genug Energie vorhanden. Zum Ersten hat die Expansion des Weltalls Einfluss, diese führt einerseits zu einer Verringerung der Photonendichte (d. h. der Lichtenergie pro Volumen) wegen des sich vergrößernden Volumens, andererseits wird die beobachtete Lichtenergie durch die Rotverschiebung gesenkt. Zum Zweiten – und dieser Effekt dominiert – gibt es zu wenig Energie. Eine andere Art, dies auszudrücken, ist folgende: Das sichtbare Universum ist nicht

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11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

unendlich, sondern hat wegen seines endlichen Alters nur eine endliche Ausdehnung, weshalb bei den vorliegenden Sterndichten nicht der ganze Himmel von Sternen überdeckt sein kann. Da auch die Sterne enthaltenden Galaxien nur eine endliche Lebensdauer haben – man geht davon aus, dass die Galaxien in der Frühphase des Universums entstanden sind –, ist die Zahl der insgesamt verfügbaren Photonen, d. h. des ausgesendeten Lichts, begrenzt. Etwas ausführlicher: 1) Unserem heutigen kosmologischen Modell zufolge dehnt sich das Universum seit dem Urknall vor etwa 14 Milliarden Jahren aus. Die Ausdehnung des beobachtbaren Universums beträgt daher zur Zeit 14 Milliarden Lichtjahre. (1 Lichtjahr ist die Entfernung, die das Licht in einem Jahr bei der Lichtgeschwindigkeit von 300 000 km/s zurücklegt, das sind etwa 1013 km!) 2) Das Licht von Sternen, die sich von uns durch die Expansion des Raums entfernen, wird durch den Doppler-Effekt rot verschoben. Der Effekt ist ähnlich zu den Frequenzverschiebungen der Sirenen von Kranken- oder Polizeiwagen, wenn sie sich zunächst auf uns zu und dann von uns weg bewegen. Beim Entfernen wird die Frequenz erniedrigt, d. h., die Wellenlängen der empfangenen Schallwellen verlängern sich. Bei sichtbarem Licht hat rotes eine größere Wellenlänge als blaues Licht, deshalb spricht man in diesem Fall von Rotverschiebung. Die Energie des Lichts ist proportional zur Frequenz ν: Man beschreibt Licht i. Allg. auch durch Lichtquanten, die jeweils eine Energie E = h ⋅ ν haben. Wird die Frequenz ν bei der Rotverschiebung des Lichts erniedrigt, wird ein Beobachter weniger Lichtenergie empfangen als ausgesendet wird. Im Teilchenbild des Lichts versteht man dies wie folgt: Sendet ein Stern in festen Zeitabständen Lichtquanten aus, so wird ein Beobachter auf der Erde diese Lichtquanten in größeren Zeitabständen detektieren, wenn der Stern sich entfernt, da die später ausgesendeten Quanten einen größeren Weg zur Erde zurücklegen müssen. Folglich ist auch die auf der Erde empfangene Leistung, d. h. die Zahl der detektierten Lichtquanten pro Zeiteinheit geringer, als sie vom Stern ausgesendet wurde. Dieser Effekt erniedrigt somit die von entfernten Sternen zur Erde gerichtete Strahlungsleistung, d. h., er kann zumindest teilweise eine Erklärung des Olbers’schen Paradoxons liefern. Die quantitative Beschreibung des Einflusses der Rotverschiebung setzt die Wahl eines kosmologischen Modells voraus. Dies führt hier zu weit und ist auch nicht erforderlich, denn 3) dominiert letztlich, so Harrison [Har87], die Tatsache, dass schlicht zu wenig Energie im Universum vorhanden ist. Dies lässt sich auf zwei Arten abschätzen. Astronomen gehen aufgrund von Untersuchungen der Verteilung von Galaxien davon aus, dass die durchschnittliche Massendichte im gesamten Universum bei einem Wasserstoffatom pro Kubikmeter liegt. Würde man diese gesamte Masse gemäß der Einstein’schen Beziehung E = mc2 in thermische Strahlung überführen, so würde diese Strahlung nur einer Temperatur von etwa 23 K (–250 °C) entsprechen und somit deutlich unter den geforderten 6000 K liegen. Um thermische Strahlung von 6000 K zu erzeugen, bräuchte man etwa 10 Milliarden Mal mehr Masse, d. h. Energie. Bedenkt man ferner, dass nur ein Bruchteil der Materie in

11.9 Sternbeobachtungen am Tage und warum es nachts dunkel wird

355

Form von Strahlung vorliegt (Sterne verwandeln während ihrer Lebensdauer nur etwa ein Tausendstel ihrer Materie in Strahlung), müssten heutzutage mindestens 1013-mal mehr Sterne am Nachthimmel leuchten als heute beobachtet, damit der gesamte Nachthimmel taghell wäre. Die zweite Abschätzung geht anders vor. Da das Universum nicht unendlich ist, wie beim Paradoxon angenommen, sondern wegen des endlichen Alters auch nur eine endliche Ausdehnung hat, kann man abschätzen, ob es überhaupt genug Sterne gibt, um den Himmel lückenlos zu füllen. Dazu benutzen wir die Abschätzung der obigen Einführung des Paradoxons (vgl. Abb. 11.29). Ein typischer Stern mit Radius rS sei in der oben gewählten Kugelschale mit dem Abstand des Radius R von der Erde. Dieser Stern deckt dann in der Kugelschale die Fläche π ⋅ rS2 ab. Sind NSterne = 4π ⋅ R2 ⋅ d ⋅ n Sterne in der Schale, so wird durch diese Sterne insgesamt der Himmelsbruchteil NSterne ⋅ π ⋅ rS2/4π ⋅ R2 = π ⋅ rS2 ⋅ d ⋅ n abgedeckt. Wie viele Schalen Nschale der Dicke d sind nun erforderlich, um den gesamten Himmel abzudecken? In erster Näherung ist dies erfüllt, wenn der abgedeckte Himmelsbruchteil 100 %, also eins wird, d. h. wenn Nschale ⋅ π ⋅ rS2 ⋅ d ⋅ n ≈ 1. Dann ist die Gesamtdicke Dgesamt aller die Erde umgebenden Sternschalen, die nötig ist, um den Erdhimmel völlig mit Sternen zu bedecken Dgesamt = Nschale ⋅ d ≈ 1/(π ⋅ rS2 ⋅ n) Jetzt müssen nur noch sinnvolle Zahlenwerte für rs und n eingesetzt werden. Im Folgenden wird die Sonne mit ihrem Radius rS ≈ 700’000 km als typischer Stern angesehen. Für die Dichte setzen wir einen eher großen Wert an, wie er in etwa für unsere Milchstraße gilt, nämlich n ≈ 1 Stern/pc3 (dem würden, wenn ansonsten keine Materie in diesem Volumen wäre, etwa 2 ⋅ 107 Atome/m3 entsprechen). Dabei ist das Parsec eine in der Astronomie übliche Längeneinheit. Sie entspricht 3,26 Lichtjahren oder etwa 3 ⋅ 1013 km. Wir gehen hier der Einfachheit halber davon aus, dass dies die Gleichgewichtskonzentration von aktiven Sternen ist, d. h., die endliche Lebensdauer der Sterne sei hiermit berücksichtigt. Drückt man den Sonnenradius entsprechend als rS ≈ 2,3 ⋅ 10–8 Parsec aus, so findet man eine erforderliche Gesamtdicke von ca. 6 ⋅ 1014 Parsec entsprechend etwa 2 ⋅ 1015 Lichtjahren. Die Sterndichte auf das ganze Weltall bezogen ist eher niedriger als der gewählte Wert, was die abgeschätzte Entfernung noch weiter vergrößern würde. Vergleicht man die erforderliche Dicke von 2 ⋅ 1015 Lichtjahren mit der heute angenommenen maximalen Ausdehnung des Universums nach dem Urknall von etwa 1,4 ⋅ 1010 Lichtjahren, wird sofort klar, dass das Universum einfach noch nicht alt genug ist (etwa 105fach zu jung), um den Nachthimmel zu erhellen. Hätte man eine Sterndichte gewählt, die der obigen Materiedichte von 1 Atom/m3 entspricht, wäre die Dichte also um gut einen Faktor 107 bis 108 kleiner, dann wäre die erforderliche Dicke des Universums um einen entsprechenden Faktor höher, was wieder auf den oben abgeschätzten fehlenden Faktor von etwa 1012 bis 1013 führen würde.

356

11 Bauernregeln, grüne Sonne und weitere Phänomene

Wäre der Himmel viel heller in einem sich nicht ausdehnenden unendlichen Universum, wäre aufgrund der hohen Temperaturen Leben auf der Erde wahrscheinlich nicht möglich. Selbst wenn dies – aus welchen Gründen auch immer – doch der Fall sein sollte, wäre uns wahrscheinlich die Beobachtung einer Vielzahl der faszinierenden optischen Phänomene der Tagesatmosphäre aufgrund der großen Untergrundhelligkeit verwehrt. Und gäbe es keine dunkle Nacht, hätten wir auch nicht die Möglichkeit der Beobachtung vieler faszinierender atmosphärisch optischer Phänomene wie leuchtender Nachtwolken, Meteore und Kometen sowie z. B. Mondkoronen. Wir wüssten auch nichts von Sternen. Ein Großteil unseres kosmologischen Weltbilds hängt aber an der Dunkelheit des Nachthimmels, der erst unser gesamtes Wissen über Sternspektren ermöglicht und damit unsere Theorien der Sternentstehung, der Galaxien und des sichtbaren Weltalls befördert hat. Und so sind letztlich auch die faszinierenden Phänomene der atmosphärischen Optik verwoben mit der Kosmologie, mit den Ursprüngen des Universums.

Epilog So wie in der Einführung Marcel Minnaert zu Wort kam, soll dieses Buch auch mit einem Zitat von ihm enden [Min92]: Glauben Sie nur nicht, die unendlich verschiedenen Stimmungen der Natur verlören für den wissenschaftlichen Beobachter etwas von ihrer Poesie. Nein! Indem uns das Beobachten zur Gewohnheit geworden ist, ist unser Gespür für Schönheit geschärft …

11.10

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Index

Chappuisbanden, siehe Ozonabsorption Corona, siehe Korona Dispersion 23

Abplattung Himmelsgewölbe 82f Sonne oder Mond 80f Aerosole Größenverteilungen 66f Quellen 65f Verweildauern in Atmosphäre 67 Aggregatzustand 12f Air-Mass-Faktor 248 Airy-Theorie 124ff Atmosphäre vertikaler Aufbau 67–69 Transmission, siehe Transmission, Atmosphäre Zusammensetzung 47ff Augenempfindlichkeit 15 Bauernregeln 313–315 Beugung 30, 32f am Spalt 36f Bishop’scher Ring 211 Blauer Himmel 237ff, 283 abhängig von Winkelabstand zur Sonne 283f Air-Mass-Faktor 248 blaue Berge 252 Experimente 255, 297ff Geschichte 237f Helligkeit 252 Hertz’scher Dipol 239 mittlere freie Weglänge von Photonen 247 Nachthimmel 254 optische Dicke 246–248 Polarisation 242–246 Polarisationsgrund 244f Rayleigh-Streuung 239ff Sehstrahl 241 weißer Horizont 251 Blitze 340ff Blitzschutz 344f Donner 343 Elektrizitätshaushalt der Erde 341 Lichtemission 343 Stratosphärenblitze 344 Typen 342f Brechung Brechungsgesetz 20 Brechungsindex 19ff Brewster-Winkel 41ff

Ebene Wellen 26f Eiskristalle Entstehung 59f Fallgeschwindigkeiten 64 Formen und Größen 60–63, 153–155, 207–209 Orientierung 63–65 elektromagnetische Wellen 9f Feuchte 49f Frequenz 9f Fresner-Gleichung 40ff geometrische Optik 17ff Glorien 217ff Beobachtungen 217–219, 232 Erklärung mit Beugung 221–226 Experimente 233ff Farbe 228 Grenzflächenwellen/Oberflächenwellen 225f Lichtwege im Tropfen 224 Mie-Theorie 226ff Öffnungswinkel 229 Polarisation 230 Totalreflexion 225 Tropfengröße 229f Tropfengrößenverteilung 230 von Eiskristallen 231 Größenanordnungen 4f Grünes Leuchten, grüner Strahl/Saum 315–322 bei Planeten 321 Lichtstreuung 318f Luftspiegelungen 319 Refraktion und Dispersion 316–318 Halos 151ff Aberglauben, Mythen 151–153 Beobachtungen Mitteleuropa, Übersicht 179f Berührungsbögen, umschriebener Halo 172–174, 189f Computersimulationen 164f, 182–185 Eiskristalle, Typen 153–155

Experimente 185ff Himmelsarchäologie 181f Horizontalkreis 174f, 187–189 komplexe Erscheinungen 180ff Minimalablenkung 156f, 160, 169 Nebensonnen (22°, 44°, 120°) 157–163, 175f, 187–189 Ringe (22°, 46°) 163–168 Unternebensonnen 178, 189 Untersonnen und Sonnensäulen 176–178, 189 verursacht durch Brechung 155ff verursacht durch Reflexion 174ff Zirkumzenital- und -horizontalbogen 170–172, 189 Himmelsblau, siehe blauer Himmel Himmelsfarben 259ff blaue Sonne 261f Dämmerungsfarben Aerosolstreuung 279ff Dämmerungsfarben Rayleigh-Streuung 277ff Experimente 297ff grüne Sonne, siehe grünes Leuchten Helligkeit 275f Lichtabschwächung 267f Mie-Streuung 261ff Ozonabsorption 282 Purpurlicht 281 Verfärbung von Sonne und Mond 269ff, 318f Wolken 284ff Zenithimmel 281ff Hitran, siehe Transmission, Atmosphäre Huygens, Prinzip von 35ff Interferenz 29f Internetseiten 7 Ionosphäre 51f irisierende Wolken 209–211 Kometen 346–348 Kondensation 50 Koronen 193ff Beobachtungen 193f Bishop’scher Ring 211 Eiskristalle 207–209 Erklärung mit Beugung 195–201

M. Vollmer, Lichtspiele in der Luft, DOI 10.1007/978-3-8274-3093-9, © Elsevier GmbH, München 2006

360

Index

Experimente 212–214 Farbigkeit 201f irisierende Wolken 209–211 Mie-Theorie 204–207 Pollen 209 Tropfengröße 202–205 Tropfengrößenverteilung 205f Kosmologie 352–356 Kugelwellen 26f Leuchtende Nachtwolken 345f Lichtgeschwindigkeit 25f Lichtstrahlen, Krümmung von 79, 96 Lichtstreuung 11ff, 21, 24, 69 Lowtran, siehe Transmission, Atmosphäre Luftspiegelungen 75ff Computersimulationen 92, 319 Experimente 93ff grünes Leuchten 319 obere 88–91 quantitative Beschreibung 92 untere 85–88 Mehrfachstreuung in Wolken 286 Meteore 348f Mie-Theorie 37–39, 129ff, 204–207, 226ff, 261ff Polarisation 266 Tropfengrößenabhängigkeit 263–265 Winkelverteilung 39, 264f Mondfinsternis 322ff Unterschied zu Sonnenfinsternis 327 Ursachen 322 zukünftige Ereignisse 333f Mondillusion 83f Nachthimmel blaue Farbe 254 Dunkelheit 352–356 Nachtwolken, siehe leuchtende Nachtwolken Novaya-Zemlya-Effekt 90 Olbers’sches Paradoxon 352–356 optische Dicke 246–248 optische Phänomene, Klassifikation 71–73 Ozonabsorption 282

Planeten Beobachtung bei Sonnenfinsternissen 332 grünes Leuchten 321 Polarlichter 340 Transits 330, 333f Polarisation 28f, 40ff, 123, 143 Polarlichter 336ff bei Planeten 340 Erdmagnetfeld 337 Lichtentstehung 339 Polarlichtoval 339 Sonnenwind 336 Raman-Streuung 301 Rayleigh-Streuung 239ff Reflexion, Reflexionsgesetz 18 Refraktion, astronomische 78ff Regenbogen 101ff Airy-Theorie, Airy-Ringe 124ff, 128ff, 144ff Beobachtungen 109f Breite 116 Erklärung, geometrische Optik 111ff Erklärung, Wellenoptik 123ff Experimente 140ff Farbentstehung 116f gespiegeltes Licht 132f Kulturgeschichte 101ff Mie-Theorie 129ff nach Descartes 114, 121–123 Nebelbögen 128, 131 Öffnungswinkel 122 Polarisation 123f, 143 primärer 111ff sekundärer, höherer 117–120 überzählige Bögen 124 Wissenschaftsgeschichte 134ff Regentropfen Entstehung 53–55 Fallgeschwindigkeiten 58f Formen 57f Größenverteilungen 56f Reinräume 299–301 Saros-Zyklus, siehe Sonnenfinsternis Sättigungsdampfdruck 48f Schattenphänomene 334–336

Sehen 11ff, 21 Sichtweiten 288ff bei Absorption 293 bei Aerosolen/Wassertropfen 294f bei Rayleigh-Streuung 292f Geometrie 289f in Regenschauern 263f in Wolken 263, 295 Klassifikation 289 Messungen 296 Nachtsicht 292 Tagessichtweite 291 Sonnenfinsternis 322ff Planeten- und Sternbeobachtungen 332 Saros-Zyklus 325f Unterschied zu Mondfinsternis 327 Ursachen 322 zukünftige Ereignisse 330–332 Sonnenwind, siehe Polarlichter Spaceshuttle 308f Spektralfarbe 11 Spektrum, Sonnenlicht 15 Sterne Beobachtung am Tag 350f Beobachtung bei Sonnenfinsternissen 332 Taupunkt 50 Totalreflexion 22, 41ff, 225 Transits von Merkur und Venus 330, 333f Transmission, Atmosphäre 270ff bei Aerosolstreuung 272ff bei Rayleigh-Streuung 270 Computersimulationen, HITRAN, LOWTRAN 296ff Vulkanausbrüche Krakatau 259 Mount St. Helens 279 Pinatubo 296 Wasserdampf 48ff Wassertropfen 52ff siehe auch Regentropfen Wellen Beschreibung von 25ff Wellenlänge 9f, 25 Wellenoptik 24ff Wirkungsquerschnitt 267f Wolkenfarben 284ff