Dichtungen [4. verm. Aufl. Reprint 2019]
 9783111704821, 9783111315683

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Dichtungen von

Peru; Emil von Hchönaich-Eavolalh

vierte vermehrte Auflage.

Leipzig. G. I. Göschen'sche Berlagshandlung. 1898.

Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, von der Verlagshandlung Vorbehalten.

Inhalt. Seite

Angelina....................................................... 1 Die Sphinx............................................................... 39 Fatthüme 77-103 Sang des Türmers....................................................98

Don Juans Tod.....................................................105 Judas in Gethsemane............................................ 133 Requiem...................................................................... 145 Holunderblüten............................................................149 Genrebild...................................................................... 151 Kreuzfahrt ............................... 152 Merlin................................ 154 Eommerfest................................................................. 157 Der schwarze Hanns.................................................. J60 Mittagsgespenst............................................................ 168 Erscheinung................................................................. 170 Aus Junitagen............................................................ 171 Die Einkehr................................................................. 173 Verblühter Frühling..................................................175 Nach dem Gewitter..................................................177 Scherben.................................... 178 Borrüberreitend . . .................................................. 181 Albumblatt................................................................. 184 Nebeltag.............................. 185

IV Seite

Unvergeßliche Liebe................................................... 186 Lebensverneinung........................................................ 187 Aus alter Zeit..............................................................188 Eterna doglia............................................................. 192 Die Unbekannte. .........................................................193 Gruß an Deutschland................................................... 201 Ein Bild........................................................................ 205 Stella peregrina........................................................ 211 Beleuchtender Tag................................................... 212 Der Feldweg................................................................... 215 Abendlied........................................................................ 217 Bergpsalm..................................................... 219 Oktobersonne................................................................... 221 Letzter Sonnenlag........................................................ 223 Wanderfahrt.......................................................... 225—292

Der Taugenichts........................................................ 227 Spielmannslied............................................................. 230 Böse Heimkehr............................... 231 Lied des Gefangenen................................................... 233 Vom Scheiden............................................................. 235 Carmen................................................................ . 237 Gretchen im Winde................................................... 239 Spätherbst................................................................... 241 Desdemona ................................................................... 243 Hochmittag...................................................................244 Auch Du!................................................................... 246 An................................................................................... 248 Altes Bild................................................................... 249 Lied der Ghawaze........................................................ 250 Im Sonnenschein........................................................ 252 Meeresleuchten..................................................... . 254 Künstlerroman .............................................................. 256 Volkslied........................................................................ 257

V Seite

Dank........................................................................... 258 O Deutschland............................................................ 260 Gewitiernacht............................................................263 Letzter Tanz................................................................. 265 Allerseelen................................................................. 267 Und wenn dereinst.......................................................269 Wüstenweh................................................................. 271 Meerfahrt.................................................... 274 Bitte............................................................................275 Die verlassene Villa................................................. 276 Hinüber.............................................. 278 Am Südmeer............................................................ 280 Daheim...................................................................... 281 Traum...................................................................... 282 Letztes Blühen............................................................ 284 In der Fremde............................................................ 286 Herbst am Zürichberg................................................. 288 Heimwärts................................................................. 290 Herbstreise.......................................................... . 291 Abschied...................................................................... 293

Angelina.

Schönaich-Carolath, Dichtungen.

i

I.

Die Sonne sinkt, es stirbt im Tiberstrom

Ihr letztes Glühen.

Auf das heil'ge Rom

Lagert die Dämmrung sich mit dunklen Flügeln. Die Vögel schweigen, und ein Rauschen geht

Durch die Cypressen, in den Gassen weht Ein kühler Wind von den Sabinerhügeln.

Wo gehn wir hin? — Gleichviel, Ihr habt die Wahl,

Nur möcht' die Norma ich ein zehntes Mal

Nicht wieder hören, schaffet Rat, Signore!

Ins Kaffeehaus? Und später auf den Ball

Des Kunstvereins? Habt Dank, auf keinen Fall —

Doch kommt, ein Freund von mir wohnt dicht am Thore.

Er ist ein Künstler, der zu leben weiß, Und abendlich empfängt er einen Kreis Im Atelier bei seinen Idealen,

Der hoch des Frohsinns buntes Banner hält. Wohl wettet' ich, daß Euch dies Haus gefällt, Denn nicht allein spricht man daselbst vom Malen.

r

4 Wir traten ein.

Mit Gruß bot uns die Hand

Der Herr des Hauses, dann von Wand zu Wand Durchmaß mein Blick den Raum, den kerzenhellen.

Hier Skizzen, Waffen, eine Staffelei

Noch streng verhüllt, dann Stoffe mancherlei, Kostbar Gerät auf bunten Tigerfellen.

Und zwanglos um den breiten Tisch geschart

Saß die Gesellschaft wohlgemuter Art,

Und tauschte Scherz mit sprühnden Witzesflammen. Man sprach von Makarts Stil und Kolorit,

Von Wagner, von dem Nibelungenlied, Von Schopenhauer und Voltaire zusammen.

Es gab ein Streiten, wahrgemeint und derb,

Mit scharfen Waffen, ungestüm und herb, Ein frischer Geist war in dem jungen Volke;

Burgunder trank man hier, dort Marsala,

Der duftige Tabak von Denderah

Zog durch den Raum gleich einer Schleierwolke.

Es naht ein Zeitpunkt, wo bei Hochgelag

Des Herzens wahre Stimmung tritt zu Tag: Der Britte schwärmt von Jagd, von Turfeswirren,

Und Frankreichs. Sohn spricht unverblümt pikant Von Aventüren, die meist sehr galant — Der Spanier träumt von Mandolinenschwirren.

5 Zur Wehmut neigt dann meist des Deutschen Sinn.

Schon sang der Eine leise vor sich hin

Das traurig-reizende ma brunettina . . .

Da sprach der Hausherr: Freunde, Ihr vergeßt Der Fröhlichkeit! Zu krönen unser Fest

Wird Blumen uns bescheren Angelina! —

Wenn eine Glut, die sich verlöschend quält,

Man einem Strome Schirasöl vermählt, Loht neu sie auf zu stürmisch hellen Flammen.

So riß der Name, als ein Zauberwort,

Das Tischgespräch in frischem Schwünge fort, Der brausend ward, denn Alles sprach zusammen.

Umwölkte Züge schienen plötzlich jung,

Ein Zug von Frohsinn, von Begeisterung

Kam neubelebend über Aller Mienen, Und Beifall hob sich, als sein volles Glas Der Eine hob, und kühn das rote Naß Hinuntergoß zum Wohl von Angelinen.

Der Hausherr stand behaglich am Kamin

Und lächelte.

Doch ich trat zu ihm hin

Und frug: vergebt, wem ist der süße Name? Wohl einer Muse, die noch fremd mir war,

Und welche schwärmerisch die Künstlerschar

Verehrt als allgemeine Herzensdame? —

6 Und jener: Herr, seit Kurzem offenbart

Von Schönheit strahlend, fremd von Tracht und Art, Ein Mädchen sich in Romas Volksgedränge; Recht wie ein Lichtstrahl, flüchtig hier bald dort,

Mit Blumen handelnd und mit klugem Wort Eilt sie dahin, daß sie die Herzen zwänge.

Woher sie stammt — man weiß es nicht.

Sie kam

Gleich Sonnenschein zu guter Zeit, und nahm

Die Herzen Aller wie im Flug gefangen.

Daher kein Wunder, daß so alt wie jung Sie offen ansieht mit Begeisterung Und heimlich auch mit brennendem Verlangen.

Doch das vergebens.

Denn ob arm ob reich,

Ob alt ob jung — ein Jeder gilt ihr gleich,

Und Keiner darf sich je bevorzugt sagen. Nun denkt Euch selber, wie der Widerstand

Die Leute reizt, wie oft die linke Hand Und auch die rechte man ihr angetragen!

Das Köstlichste kam oft dabei zu Tag; Der spielte kühn va banque auf einen Schlag,

Verlor, und wandte sich, stolz wie ein Posa.

Der seufzte, schlug die Augen himmelwärts, Und schrieb Sonette ihr auf „Herz" und „Schmerz" —

Sie aber dankte kurz in guter Prosa.

7 Wer nicht geformt aus allzu grobem Holz, Versteht des Blickes kindlich reinen Stolz,

Der Lippen traurig-spöttisches Verschieben, Der Rede Art, die hübsch und freundlich klingt Und doch gar bald um jede Hoffnung bringt:

Ich könnte nie, so wie Ihr wolltet, lieben.

„Die Ihr mich seht, laßt alle Hoffnung sein," — So fiel aufseufzend hier ein zweiter ein, —

Das ist ihr Wahlspruch.

Beweisen es.

Viele Anekdoten

Zum Beispiel hat ein Lord

Erst kürzlich ihr mit manchem schönen Wort Für einen Kuß zwei Handvoll Gold geboten.

Sie nahm es an, dann keck und unverwandt

Gab sie zum Kusse ihm — die kleine Hand, Ließ den Verblüfften, dessen Zechgenossen

Sich kirschrot lachten ob des kalten Schlags, Und ging.

Man fand die Münzen andern Tags

In einer Kirche Opferstock geflossen. —

Sie ist ein Rätsel! rief begeistrungsvoll

Der Eine. — Ach, ein süßer Klang aus Moll, Ein' Rose rot, ein Stern in lichten Schimmern . .

So schwärmt' ein Andrer.

Doch ein tiefer Baß

Rief mit Entrüstung: Blondkopf, lasse das, Erspare uns Dein lyrisch Sehnsuchtswimmern.

8 Ihr Alle seid auf einer falschen Spur, Ein Diplomat könnt' Auskunft geben nur, Und glaubt es mir, die schöne Vielgenannte, Die wenig spricht und doch so vieles hört,

Die Euch so gründlich nasführt und bethört,

Ist auf der Botschaft eine gut Gekannte! —

* Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied, So rief ein Dritter, dessen Laune schied, Gedanke würdig einer Midasstirne! Der Lyriker, nachdem er vollgeschenkt

Sein leeres Glas, sprach: Thorheit, was Ihr denkt, Es schaffe Gott Erleuchtung Euerem Hirne,

Und knet' es besser um als Ihr den Thon . . . Bravo, erscholl es, bravo, Musensohn, Das Schwert heraus! Du wirst befrein hienieden

Prinzeß Dornröschen! — Dornenrose? Nein —

Das Mädchen aus der Fremde soll sie sein, Und mit uns allen bleibe lang der Frieden!

Tas thäte. Not, rief laut ein Andrer da,

Das schöne Kind ist eine Helena,

Die Zwietracht sät, o Helena, moderne! Glaubt mir, dies Auge, das so fromm Ihr nennt, Birgt heimlich ein dämonisch Element — Ich kenn das Leuchten solcher dunklen Sterne.

9 Und ein Gedanke steigt mir heiß zu Haupt.

Wir Alle haben gern und oft geraubt Schuldlose Blumen, unentweihte Herzen;

Was wir getrieben, war meist glattes Spiel — Auf unsrem Wege liegen schon zu viel

Zerrissne Schleier und begrabne Schmerzen.

Gesteht, Ihr Herrn: hieß es Vergeltung nicht Käm einst herab zu Strafe, zu Gericht Ein Weib, das irgendwo ihr Herz vergessen,

Die blendend schön, der unsre Qualen Spaß, Und die uns mäße nach demselben Maß,

Mit welchem wir einst frevelhaft gemessen? —

Beim Himmel, Deine mystische Idee, Rief schnell ein andrer, schafft mir Sorg und Weh,

Sie streift an meine!

Gebt das Wort mir Armen,

Und dünkt mein Lied bekannt Euch in der That, So denkt daran, daß oft ein Plagiat Manch hochberühmtes, vielgepriesnes Carmen. —

Heraus damit! erklang's in muntrem Ton, Heraus mit Deiner Improvisation, Tannhäuser spricht!

So ging es bunt im Chore

Und frei sich schwingend auf des Tisches Rand,

Blitzenden Aug's, den Becher in der Hand, Begann sein Lied der lockige Pittore:

10 Als einst Tannhäuser, mein hoher Ahn, Zu beten kam und zu büßen,

Zog er den Weg nach Rom hinan

Auf müden, blutenden Füßen.

Er war am appischen Wege schon,

Da grüßte Roma bella Doch er hielt Rast am Grabe von Cäeila Metella.

Es schritt vorüber ein blasses Kind, Und brach sich Rosen vom Zaune,

Es wehte im frischen Frühlingswind

Ihr Haar, das dunkelbraune,

Aus weiter Ferne kam Glockenklang, Das Kornfeld durchlief ein Schimmer, Und in der Luft eine Lerche sang —

Tannhäuser rastete nimmer.

Er dachte nicht mehr an Acht und Bann, Und nicht an den Dom Sankt Peter,

Es wurde lvieder zum Rittersmann Der blasse bußfertige Beter.

11 O wollet vergeben, schöne Frau,

Daß ich so tief Euch gegrüßet, Daß ich Euch noch tiefer ins Antlitz schau — Schon hat es mein Herz gebüßet.

Mir ist es, als säh> ich ein fremdes Licht In Euern Augen brennen,

Das tragen irdische Frauen nicht — Doch glaub ich, es zu kennen.

Es flammt ein weicher, rosiger Schein

Auf Euren tiefdunklen Haaren, Der kann nicht von dieser Erde sein . .

Doch sah ich ihn schon vor Jahren.

Es liegt mir ein altes Lied im Ohr, Das klingt wie Jubel mit Thränen —

Auch sah ich schon einmal Euch zuvor Lachen mit schimmernden Zähnen.

O sprecht — seid Ihr die Waldessee

Egeria Philomele, Oder seid Ihr das Fräulein, das Fräulein vom See

Mit der verlornen Seele?

12 Seid Ihr ein Engel, der leuchtend kam Ins schmerzende, lastende Leben,

Um einer Welt voll Weh und Gram Die Liebe zurück zu geben? Es neigt sich lächelnd das schöne Kind Und spricht: Der romantische Flitter,

Mit dem Ihr huldvoll mich umspinnt, Geziemt mir gut, Herr Ritter.

Ich trage der Schönheit Kronengeflecht, Bin Lilith, bin Melusina,

Und nur ein entgöttertes Menschengeschlecht Nennt mich Angelina.

Der Sänger schwieg, doch herzhaft schwang im Chor Sich Beifallswort und Gläserklang empor: Tannhäuser hoch!

Mit siegesstolzer Miene

Stieg er vom Tische, plötzlich blieb gebannt

Sein heller Blick, am Vorhang lächelnd stand

Mit einem Korb voll Rosen Angeline!

So sah ich sie.

Die reizende Gestalt

Schien, von des Vorhangs Faltenwurf umwallt, Ein lichtes Bild auf sammetfinstrem Grunde,

Deß wunderfeines, sinnendes Profil Ein großer Künstler schuf in flüchtgem Stil

3ii gottbegnadeter, geweihter Stunde.

13 Wie war sie schön!

Ihr Haupt, halb abgewandt

Erschien mir fremd und dennoch wohlbekannt, Fast wie ein Klang aus lieber Kindersage.

Ihr Aug war dunkel, dabei wunderbar Groß und betrübt, als ob es immerdar Nach etwas Süßem, ewig Fernem frage.

Das braune Haar umschmiegte -voll und weich Die schöne Stirn, und die war seltsam bleich,

Doch wenn die Lippen sich zum Lächeln gaben

Umflog das Köpfchen zarter Heiligenschein :—

Den konnte nur ein totes Mütterlein In Angst und Schmerz darum gebetet haben.

Ein Hauch — vorbei — das holde Bild zerrann,

Die Gäste drängten stürmisch sich heran,

Daß sie ihr Teil an bunten Gaben fänden, Die Angelina freundlich lächelnd bot. Glück bringt ja immer eine Rose rot,

Die man empfängt aus schönen Frauenhänden.

Ich aber blieb, weil ich ein Träumer bin,

Am Fenster stehn.

Da trat zu mir sie hin:

Das Körbchen leer! So schnell — wer konnt es wissen .. Wie schlimm, Signore!

Plötzlich hell und klar

Lachte sie auf; aus ihrem dunklen HaarGab sie mir hin das Sträußchen von Narcissen.

14 Dann aber führte seinen schönen Gast Zu Tisch der Hausherr, übereilig fast, Und bot ihr Früchte dar von unsrem Mahle;

Datteln vom Nil und Trauben frisch vom Rhein. Sie nippte leicht auch am Falernerwein,

Der glutrot perlte in krystallner Schale.

Und munter scherzte man ohn Unterlaß, Des Kindes Antlitz, sonst so marmorblaß, Durchzog ein warmer, rosig matter Schimmer; Und zu dem Hausherrn sagte sie leichthin:

Ihr ahnt es nicht, wie sehr ich fröhlich bin, Es ist bei Euch so schön und traulich immer.

Doch eine Bitte nochmals wag ich sie: Singt mir, Signor, die deutsche Melodie, So gerne hört ich wieder sie und wieder.

Ein Meister, sagt Ihr, der die Zeit durchragt, Hat einst in ihr sein Liebesleid geklagt —

Sie sind so traurig, Eure deutschen Lieder!

Doch jener trat zum Flügel, der lag breit Im Kerzenglanze, prunkend, klangbereit.

Ein Mollakkord begann empor zu schwellen, Ein großer Heimruf, Schuberts Lied am Meer.

Und machtvoll zog das Meisterwerk einher Wie Schwanensang hoch über Nordseewellen.

15 Durchs Fenster brach, ein flutend Nebelbild,

Fahlhelles Mondlicht, südwärts jagte wild Ein Dunstgewölk. Die murrenden Cypressen Durchstob der warme, regenfeuchte Wind;

Ich aber sah auf jenes fremde Kind;

Sie stand in tiefem, tiefem Selbstvergessen.

Das bleiche Köpfchen wie aus Leidenschaft Gemeißelt.

Regungslos, statuenhaft

Der schlanke Leib; von Thränen und von Flammen Der Blick durchschossen, während unruhvoll Ein de profundis reich an Schmerz und Groll

Die Prachtakkorde schwül vorüberschwammen.

Das Lied vergrollte.

Angelina war

Zuerst gefaßt, jetzt allzu ruhig gar;

Das griff mich an.

Weh, dem das Herz durchschlagen

Der Sturm des Schönen bis zum tiefsten Kern! Es bleib ihm selbst ein Sturm nur selten fern, Denn wer den Blitz liebt, muß den Schlag ertragen.

Da stand sie auf, mit plötzlichem Entschluß:

Felice notte — einen leichten Gruß — Der Hausherr suchte freundlich sie zu halten;

Ich blieb schon lang, fast über die Gebühr . . .

Da gab Geleit er bis zur Gartenthür,

Schlug fest um sie des weichen Mantels Falten.

16 Und die Gesellschaft blieb beisammen noch Bei schwerem Trünke.

Mir erschien es doch

Als ob der Frohsinn von dem Kreis gewichen, Als ob gelähmt sei der Gedankenslug, Als ob ein häßlicher, ein bittrer Zug

In das Gespräch sich plötzlich eingeschlichen.

Vom Flügel klangen, etwas überfroh,

Die Walzerweisen aus Madame Angot,

Lecoqs geistreich-salopper Operette; Herbduftend fleckte reich vergossner Wein Das Tafeltuch; die Zecher stimmten ein In den Refrain der muntern Chansonette.

So ging es fort.

Da plötzlich trat zu mir

Ein Maler hin, den am Guadalquivir Ich einst gekannt, und den bei Stiergefechten Ich in Madrid zuweilen wiedersah,

Und einmal auch im Dom zu Cordova,

Heut schien er nüchtern, während Jene zechten.

Don Gaston war von edler Art, er glich Dem Kämpfer Cid auf altem Kupferstich;

Er galt als Held der tollsten Abenteuer. Mir war er Freund.

Sein leichtgesenktes Haupt,

Vom Lebenszugwind zeitig überstaubt, Barg des Genies dreimal geheiligt Feuer.

17 Jetzt stand er vor mir, lässig abgewandt

Vom Schwarm der Andern.

Er erhob die Hand

Und sagte leicht, hindeutend zur Terrasse:

Die Schöne ging — gottlob, wir haben Ruh. Dann gab er rasch mit scharfem Spott hinzu: Dir folgt, o Kind, der frommen Wünsche Masse.

Mich aber treibt es, seh ich Dein Geschick

Dich überschatten, einen düstern Blick, Einen entgötterten, Dir nachzusenden.

Du bist ja schön! Dein Herz ist stolzgeschwellt,

Und Du bist gut! Genug — es hat die Welt Dein Los besiegelt.

Du wirst elend enden.

O Schönheit, Schönheit, Danaergeschenk!

Weh jedem, dem Dein leuchtend Stirngehenk Als blitzend Stigma ward ums Haupt geschlagen!

Weh ihm, dem Kind, das ausgesendet ward, Ein reiches Kleinod wunderseltner Art

Durch einen Wald, einsam bei Nacht, zu tragen!

Wohl zieht es aus, singend im Abendrot, Es kehrt nicht heim.

Am Morgen liegt es tot,

Erwürgt, beraubt, im fröstelnden Gehege.

Auf blassem Mund sein letztes Seufzen starb:

Ihr gabt ein Gut mir, das mich früh verdarb — So muß ich enden nun seitab vom Wege! Schönaich-Carolath, Dichtungen. 2

18 O Schönheit, Schönheit, goldnes Samenkorn

Von Gott gestreut, daß über Sand und Dorn Die Saat des Guten segensvoll erstünde;

Wie kommt's, daß Schmerz als dunklen Keim Du hegst. Die Massen nur zu finstrer Gärung regst, Zu Aufruhr, Leidenschaft, Begier und Sünde?

Und doch — was ist's, das uns so tief bewegt,

Wenn Schönheit facht die goldnen Schwingen regt, Lichtschüttend wandernd über Erdenfluren?

Was soll der Schauer, was das süße Weh,

Des Herzenssturmes jubelnd Kyrie, Das fort «ns reißt, zu folgen Deinen Spure«?

O Schönheit, Schönheit, letzter Wiederschein,

Abglanz des Edens! Ach, Du bliebst allein Der Erde treu! Du konntest von dem Weibe,

Von Edens blauer Blume lassen nicht, Du folgtest ihr und wardst das Tempellicht,

Das ewge Licht im staubentkeimten Leibe.

Wir aber, der Verdammten blasse Schar, Schlingen nach Dir, sinnlos, unwandelbar,

Den Totentanz! In schattenhaftem Zuge, Als Deine Schatten, treiben wir die Bahn

Im Fieberrausch, int ew'gen Sehnsuchtswahn,

Hinstammelnd die uralte Liebesfuge.

19 Du wirfft Dich vom Altar

Und nicht umsonst.

In unsre Arme, Kind mit blondem Haar, Schön wie einst Eva! Göttin halb, halb Dirne

Neigst Du das Haupt, in Sehnsucht, glutbedeckt —

Wir aber mit den Lippen staubbefleckt Küssen die Gottheit fort Dir von der Stirne.

Ganz plötzlich zog sein Mund

Gaston brach ab.

Sich leicht und herb: Seit einer halben Stund^ Langweil ich Euch.

Nehmt einen Rat in Gnaden:

Falls flüchtiger Reiz Euch wünschenswert erscheint,

So trinkt Champagner, es ist wohlgemeint — Nie reinen Rum — es bringt den Nerven Schaden! —

Ich kannt' ihn gut.

Das war der alte Hohn,

Der helle Blick, dabei der Stimme Ton So trostlos rniib7, so hoffnungslos gelassen ...

Ich wandte mich und mochte reden nicht, Es schwieg auch er und starrte trüb ins Licht, Die Tramontana wehte durch die Gaffen.

Da plötzlich wies, aufhorchend, mit der Hand

Er nach den Zechern.

Stumm, vom Trunk gebannt,

Umlehnten sie den Eichentisch halb wachend; Ein dichter Qualm, blaugelber Kerzenschein, Ein herbes Duften von vergossnem Wein —

Und einer sprach im Schlaf ingrimmig lachend: 2*

20 He, Angelina! Stör' ich Deinen Schatz? Nur aufgethan! Ich weiß, er ist im Platz,

Und ich hab's satt, zum Narren Euch zu taugen. Fort mit dem Schuft — Die Reihe ist nun mein,

Ich werf Dir sonst die Fensterscheiben ein, Du Tugendspiegel mit den schwarzen Augen! —

Er rief noch mehr.

Gaston ward flüchtig blaß,

Und sprach bei sich: in vino veritas Zu lange blieben wir, das ist die Strafe.

Er raffte Hut und Mantel vom Kamin,

Schüttelte sich und sprach leis vor sich hin: Dies Volk ist doch unmöglich, selbst im Schlafe.

Dann lauter: Freund, Euch hat sich offenbart

Wie hoch, wie rein, wie ideal, wie zart

Apollos Jünger heimlich von Gemüte. Und doch — der Bursche, überschwer bezecht

Und widerlich, behält am Ende recht — Der Wurm sitzt jetzt vielleicht schon in der Blüte.

Ihr Schicksal ist es.

Daß die Sichel mäht

Dies holde Wesen früher oder spät,

Im Lauf von Jahren, Wochen oder Tagen Ist vorbestimmt.

Wohl jetzt schon wär' es Zeit

Mit wenig Aufwand von Geschicklichkeit Und Spürersinn, dem Preise nachzufragen.

21 Seht, werter Freund, mich nicht so strafend an —

Ihr glaubt mir nicht? Nun wohl, so käm es an Auf den Beweis, und der toär' leicht zu führen. Zwar ist es Nacht, es regnet und es weht, Doch können wir, wohin die Schöne geht, Heut Abend noch mit Leichtigkeit erspüren.

Wie sehr sie eilt — wir kommen ihr zuvor, Denn Unser harrend vor dem Villenthor Steht eine graue Orlowtraberstute, .

Die Preise mir ein gutes Teil gewann

Und Englands Traber schmählich niederrann — Sie ist von wildem, reinem Steppenblute,

Und außerdem ein menschenfeindlich Vieh.

Vor wenig Tagen, glaubt mir, hätte sie Fast meinen Groom mit Haut und Haar gefressen, Den kleinen Kerl, der kaum zwei Ellen mißt

Und obendrein vom Hause Neger ist,

Wie schwärzer ihn kein Jnderprinz besessen. —

So gingen wir.

Ein russisches Gespann

Hielt hart am Thor, das Pferd sah wild uns an Reglosen Hauptes, mit geblähten Nüstern,

Ein böser Satz dann — Gaston aber riß

Es rasch herum, da warfs sich ins Gebiß Zu traben durch die Gassen hin, die düstern.

22 Das war kein Trab mehr! Gaston lachte hell, Als hinter uns gespenstisch, überschnell

Die Gärten und die Villen all versanken. Hin stoben wir in einem wilden Flug, Die Schollen flogen um des Tieres Bug, Schaumstreifen scheckten seine feuchten Flanken.

Da plötzlich halt — ein Zügelruck, ein Pfiff -—

Hoch stieg das Pferd, und funkensprühend griff

Ins Pflaster es mit stahlbeschlagnen Hufen. Sie ist's, rief Gaston, und die Zügel gab

Er aus der Hand.

Folgt mir, sie steigt herab

So schnell sie kann der Piazza Treppenstufen.

Die Nacht war still, die Gassen menschenleer, Vom Himmel hingen schwarz und regenschwer Herab die Wolken, manchmal scholl von Ferne Ein Wächterrufen.

Um die Ecken zog

Ein kalter Wind, dann flackerte und flog

Das Gaslicht in der ächzenden Laterne.

Und er lief weiter an den Häuserreihn,

In die Kamine schnob er wild hinein, Riß am Gebälk in ungestümem Neide, Dann wieder warf er, recht wie toll und blind

Die dunklen Flügel um das flüch'tge Kind, Und wuchtete an ihrem seidnen Kleide.

23 So stand sie hilflos und auf, gutes Glück Ankämpfend still, dann sah sie scheu zurück Und bog rasch ab in eine Seitenstraße, Doch mein Begleiter raunte mir ins Ohr

Lautlos und hastig: jetzt habt Acht, Senor, Es naht der Anfang schon von unsrem Spaße.

Denn jene Gasse, die bedenklich hohl, Führt nach Trastevere.

Bald sehn wir wohl

Des Nachtmotives nächtiges Finale, Wenn anders nicht, wie manchmal es passiret,

Wir totgeschlagen oder garottiert,

Was eine Sitte, eine sehr banale

Der heiligen Stadt.

Mir folgt auf Schritt und Tritt

Mein Kester Helfer stillverschwiegen mit,

Denn wir sind Menschen von geringem Werte,

Und, uns begleitet, zu besondern: Schutz, Den Bösen doch ein Ärgernis und Trutz, Kein,guter Engel mit geschärftem Schwerte.

So redend wog in kunsterprobter Hand

Er einen Dolch.

Er hielt ihn fest umspannt,

Und prüfte hastig ihn bei einem leisen Reflex, der blaß sich in der Klinge brach. War schärfer als der Spott, mit dem er sprach,

Das stoßbereite, hohlgeschliffne Eisen?

24 Wir gingen weiter, langsam, dicht entlang An dunklen Häusern. Und lautes Fluchen.

Drinnen tönte Sang Manchmal wich der Schieber

Von einer Thür, ein Weib trat breit ins Licht, So grell geschminkt das knochige Gesicht,

Als nage heimlich ihr am Mark das Fieber.

Indessen wichen Lärm wie Lichterschein,

Der Weg verlief an Häusern, ländlich klein,

Im Dunkel hob sich ein Olivengarten Mit einem Hüttlein schlichter Art, von Rohr; Doch Angelina schlug ans Gartenthor, Das that sich auf — man schien auf sie zu warten.

Ein Weib erschien, so hastig sie's vermocht,

In welker Hand ein mühsam qualmend Docht, Sie murmelte gesprächig viele Worte,

Verneigte sich und rief ins Haus hinein: Madonna kommt! Dann losch des Lämpchens Schein Und Stille ward.

Es schloß sich fest die Pforte,

Und Gaston lachte.

Seht, mein Freund, hier haust

Frau Marthe Schwerdtlein. Und Gretchen kam.

Drinnen sitzt Herr Faust,

Die schönste Mondscheinscene!

Ja, Meister Goethe, großer Realist, Du weißt, was Wahrheit, weißt, was Leben ist, Du maltest gut! Ich aber, Freund, ich sehne

25 Mich heimwärts nun.

Wenn immer ich entdeckt

Im Schauspielhaus den Kern, den Nutzeffekt

Etwelchen Lustspiels, gehe sonder Frage Ich meines Weges.

Die Gewohnheit blieb,

So daß ich jetzt seit lange dies Prinzip Dem vollen Leben praktisch übertrage.

Und dieses Leben bleibt ein Bacchanal,

Ein Daseinskampf, der nüchtern und brutal; Hinweg, mein Freund, wir dürfen nicht mehr bleiben. Er trat zum Hause, reglos stand er dort,

Dann fiel sein Haupt schwer auf des Fensters Bort... Ich sprang hinzu und blickte durch die Scheiben —

Auf dürftigem Lager, spärlich zugedeckt Lag still ein Kind, die Wangen rotgefleckt

Von Fieberglut; die Stirn, drinn Schauer rasten, Hatte zur Stütze mühsam es gelegt Ins dürre Händchen.

Bittend, unentwegt

Hingen die großen Augen, die verglasten

An Angelina.

Sie doch stand im Schein

Des armen Lämpchens.

Früchte, Arzenein

Packte sie aus, des Segens war kein Ende.

Zum Korbgeflechte drängte sich heraus Ein frisch gepflückter Frühlingsblumenstrauß,

Als bunte Krone liebevoller Spende.

26 Das Kind doch lächelte, als hielte Traum Es hold umfangen.

An des Lagers Saum

Ließ Angelina still sich niedergleiten. Die Mutter schlief, erschöpft, von Thränen blind,

Sie aber wachte, und begann dem Kind Ein Lied zu summen aus vergangnen Zeiten.

Das währte lang, dann trat ich still beiseit, Bis unsre Blicke, wie von Bann befreit Noch einmal voll das holde Wesen trafen.

Sie saß am Bette, wachte, sang und sann, Das Lämpchen flackerte, der Regen rann,

Das kranke Kind war eingeschlafen. —

Wir gingen.

Plötzlich blieb Don Gaston stehn.

Ich hatte niemals ihn wie jetzt gesehn, Es log solch Weh auf seinen schönen Zügen,

Den früh verlebten, daß mich's schier gegraust. Vor seine Augen schlug er wild. die Faust

Und ließ sie schwer dann auf der Pforte liegen.

Er sprach: Mein Freund — Jhr seid noch gut und .. jung, Geht heim, und nehmt von hier Begeisterung

Fürs Leben mit.

Mög' sie Euch reichen immer!

Ich doch bin alt.

Ich schaue fremd hinein

In dieses Leben.

Ach, sein Sonnenschein

Er wird Dir, Angelina, lächeln nimmer. —

27 Ich wollte gern, daß dieses Lebens Wirrn

Dir ferne wären, daß die Kinderstirn Der Tod Dir küßte, still, mit dunklem Flügel,

Ich wollte, daß Du heimgingst wie ein Kind, Das, müd' vom Spiel, einschläft im Frühlingswind,

Bom Gras umflüstert, fern am Saum der Hügel;

Daß Du dahingingst so Du's wüßtest kaum, Daß Engel Dich einwiegten in den Traum

@iy Gram und Weh Dein schönes Aug' getrübet,

Daß Du Dich löstest aus dem Erdenthal

Wie Glockenklang, eh' dieses Dasein Qual An Dir die plumpe Henkersfaust geübet.

Du wirst es nicht.

Eh' Schollen Dich und Staub

Mitleidig decken, eh' ihr welkes Laub

Auf Dich hinabwirft eine Kirchhofslinde Mußt leben Du.

Dein blumenhafter Leib

Muß in die Goffe — dann, verblühtes Weib,

Magst Du verwehn, vergehn im Erdenwinde.

Auf Deinen Scheitel wird den Judaskuß Das Laster pressen, straucheln wird Dein Fuß In Schlamm und Asche.

Du wirst früh verderben.

Es muß der Schönheit buntes Nessustuch Durch Götterneid Verkehren sich zum Fluch —

Dies Los erfülle, Kind, dann magst Du sterben.

28 Wie gerne möcht' ich, müb' zwar und verstimmt Im Herzensgründe — wie man Kindern nimmt

Rasch aus der Hand ein scharfgeschliffnes Messer, Dein SIIT Dir nehmen, Dich nach stillem Rat Ans Herz zu ziehn in rettungsvoller That —

Doch ich bin alt; Du stürbest einsam besser.

So leb' denn wohl.

Nur lasse dann und wann

Dein Kinderauge, das noch lächeln kann,

Ins Herz mir gießen einen Traum von Frieden. Tief in dies Herz, des Pfade, armes Kind,

Für Dich auf Erden viel zu dunkel sind,

Das nicht mehr beten kann für Dich hienieden.

Und doch — ich will's. — Am Weg, an einem Stein,

Hing des Erlösers mageres Gebein,

Verrenkt und blutig.

Gaston kniete nieder,

Zum Haupt des Mannes mit der Dornenkron'

Sah er empor . . . still wandt' er sich davon Und sprach: vergebens — niemals wag ich's wieder.

Seht, Freund, wir sind die Kinder einer Zeit,

Die welk im Kern. Da gähnt das tiefe Leid. Es giebt Ölbäume noch und weiße Tauben, Noch ruft der Menschheit flammender Trabant,

Der heil'ge Geist — doch wir stehn leergebrannt

Und hoffnungsarm — wir können nicht mehr „glauben"!

29 Er schwieg, lächelte trüb und ging dahin.

Der Morgen graute überm Aventin, Versunken war die Nacht mit ihren Schatten. Frisch ging der Wind, der junge Tag brach an,

Zur Arbeit trieb ein Pflüger sein Gespann, Weinberge dehnten sich und grüne Matten, —

Auf, starke Menschheit! Laß ab vom Träumen!

3tecF dich auf vom Schlaf,

Was dein Herz auch traf

An Gram und Weh, wirf's zu den Nachtgestalten! Den Pflug zur Hand — und zieh' im Morgenlicht

Mit festem Sinn die große Schrift der Pflicht, Dann wird der Friede sein bei deinem Walten.

Und sorgt nicht mehr! Das Leben schön.

Der Himmel ist noch blau,

Sein holder Preis, die Frau,

Lächelt Euch zu — noch treibt Euch Dichtersage

Begeisternd auf zu Thaten groß und hehr, Noch brandet ja um Eure Brust das Meer In heiligem, urew'gem Wellenschläge---------

Glaubt, liebt, seid glücklich!

Rastlosen Strebens.

Folgt dem großen Zug

Euern Erdenflug

Soll Gottes Hauch, soll Thatensturm nur treiben. Seid fest, seid wahr, seid frei und großgesinnt,

Dann wird das Leben rauschen in den Wind, Ihr selber aber werdet ewig bleiben.

30 Und Du, o Kind, die Du aus Zweifels Nacht

Den Morgen mir ins junge Herz gelacht, Nimm diesen Blick, den letzten, dankbefeuchtet. Du warst die Taube mit dem Ölblatt mein —

Drum möge stets auf Deinem Pfade sein

Die Sonne, die den guten Menschen leuchtet.

II. Der Abendschein lag auf der Stadt der Toten, Und gen Neapel fuhren wir im Trabe,

Die Sonne ging mit einem schieferroten Dunstigen Schein bei Ischia zu Grabe; Die Rosse trollten ihren Schaukelgang,

weltverdrossnes, müdes Hufgeschlenker,

Indes der braune, schlanke Rosselenker Halblaut die Bella Sorrentina sang.

Hier eine Thorfahrt, palmenüberdacht,

Und Fensterreihen fiebernd durch die Nacht,

Halt, Vetturin, wir sind vor Villa d'Este — Windlichter schwelen farbig durch den Park;

Willkommen, Freunde, zum Bacchantenfeste, Es rinnt der Wein, die Rosen duften stark.

Hoch leb' die Lust! Im Walzertakt.

Zum Saal!

Die Paare flogen

Marietta, Wein vom Rhein . . .

Ein schmuckes Kind, und reizend angezogen,

Der Atlas kracht bei ihres Busens Wogen, Die schwarzen Augen schaun verliebt darein. Trinkt aus, Signor, dem Rosenfest zu Ehren!

32 Stürzt Euern Kelch, daß jeder böse Stern

Versinken mög' im dunklen, letheschweren Rubindurchsonnten Weine von Falern.

Stoßt an mit Lust und lebensfrohem Triebe,

Die-Welt ist weit — begrabt das alte Weh: Auf Eure böse deutsche Jugendliebe Ein' Handvoll Rosen und ein Evoe. —

Er lachte laut und goß den Wein hinunter, Dann an den Zöpfen fing er eine Dirne

Und tauchte im Gewühl der Tänzer unter Lachenden Mundes, mit erhobner Stirne,

Bald kam er wieder: Freund, Euch zu belehren Vermag nur Eins — ein Mittel nur, ich sag' es,

Kommt mit — Euch frommt ein Mädchen andren Schlages

Die Angelina wird Euch rasch bekehren. Das ist ein Weib!

Ein echtes Kind des Tiber,

Blaß, wild und stolz, wenn unter Euern Küssen

Sie Worte stammelt, wild als wie im Fieber, Und mit der Locken dunklen Finsternissen

Die Stirn verhüllt und wütend Euch umkrallt. So küßt den Jäger wohl, der endlich Sieger,

Der halberwürgte schmeid'ge Königstiger, Indes er röchelnd sich zu Tode lallt. Es gilt ihr Wohl!

Freund, Euer Glas?

Was fällt Euch jäh zu Scherben, Ihr schaut, daß Gott erbarm',

So seltsam drein, als schritten wir zum Sterben, Und nicht in eines schönen Mädchens Arm.

Was schauert Ihr?

Griff Euch aus alten Tagen

33 Ein Schatten an? Freund, da hilft nur der Wein,

Durch Rausch das schale Leben totzuschlagen,

Bon welkem Reiz zu frischer Lust zu jagen, Das ist das Heil, das ist der Weisen Stein.

Die Welt ist Traum — dem rasch verstobnen Truge Sei Nichtbeachtung, Übertänbung Lohn: Die heiße Stirn bekränzt mit kühlem Mohn Und mischt Euch Wein im dunklen Aschenkruge, Daß dieses Lebens Mühsal und Beschwerde

Mit Mut verlacht, mit Mnt vergessen werde

Es zog dahin der Zecher wüster Schwarm,

Die Nacht erfüllend mit Baechantenliedern. In ihrer Mitte ging ich selber, stumm,

Mit kühlem Haupt und leerer Brust, die Blicke Forschend und still.

Ein Auge, das im Leben

Blendende Hohen, große Tiefen maß Birgt stillen Blick, es richtet unverwandt Sich nach des Glückes sinkenden Gestaden

Boll tiefer Wehmut. Jahre kommen, gehn, Die Jugend schwindet. Über Bimini,

Dem blauen Land, geht rot die Sonne unter, Auf ewig unter.

Auch das Auge wird

Dann still auf ewig.

Doch ihm blieb ein Strahl,

Ein kalter Abglanz früh erstarrter Gluten,

Der an Skalpelle mahnt.

Drum sucht es auch

Fortab der Dinge tiefgeheimsten Kern, Schönaich-Carolath, Dichtungen.

3

34 Und will Erkenntnis, dieser Welt zum Heil. In Rosen wühlt es und in tiefen Wunden,

Es rastet nicht, bis selbstlos es gethan Der Heilung Werk.

So senkt der Arzt, der bleiche.

Tastend den Stahl, und setzt ihn an die Weiche, Die qualvoll kreißende, der Menschheit an.

Der Weg war endlos und die Nacht war leer.

Hin an den Gossen taumelte die Rotte Schwankenden Fußes, hier ein freches Wort

In eine Hausthür schleudernd, dort ein Lied

Mißtönig singend, oder einen Witz Heiser belachend.

Allgemach verschwand

Auch Einer wohl, wegstolpernd, um die Nacht Würdig zu enden in gemiednen Häusern.

Der Regen rann, und es begann der Wind Naßkalt zu wehen, hin und wieder flog

Ein Licht auf aus verlöschenden Laternen,

Wankte und starb, sein letzter Schein ertrank

In schwarzen Pfützen.

Auf die Dächer kam

Ein schmaler Streif, der Dunst, der brütend lag.

Begann zu brauen, über all dem Wust Von Schmutz und Nebel brach der Morgen an, Der Ostermorgen.

Wo die Straße jäh

Zum Meere wendet, taumelte die Schar Dicht vor ein Haus.

He, munter, Angelina,

Es kommt Besuch! Gelächter scholl und Schreib,

35 Die Klingel gellte, schrillend riß der Strang,

Und Stöße wuchteten schwer an der Pforte. Zum Teufel, drauf! Mit Krachen wich die Thür, Im leeren Raume stand ein Weib.

Ihr Haar,

Das graugesträhnte, hing zerwirrt ums Haupt, An ihrem Leib, dem knochig-hagren, floß Ein Leintuch nieder.

Sachte, schöne Herrn,

Gemach, gemach — sie rief's mit einer Stimme

Die blechern klang — Ihr sucht wohl Angelina? Ja, die zog aus! Sie wohnt da drüben, drüben,

Ihr schönen Herren, hinter jener Thür, Sie wird sich freuen! Wünsch Euch viel Vergnügen,

Viel Unterhaltung . . . Herren, schöne Herrn, Ach, schenkt mir was! Ich bin ein altes armes Verlassnes Weib. — Zwei Handvoll Münzen warf Ihr Einer lachend an die magren Beine,

Da hockte sie, unstet, mit Gier und Hast

Die Münzen sammelnd, plötzlich sielen schlaff

Die Arme nieder, und sie sah uns an Mit bösen Augen, daraus Elend, Hohn Und Abscheu sprühten. — Macht die Hexe zahm! Schrie brüllend Einer.

Laßt, sie hat das Fieber,

Satan, ihr Oheim, holt sie früh genug —

Zur Angelina, fort! — Wünsch viel Vergnügen, Herrn, schöne Herrn! Die Alte rief es laut Und schrecklich lachend, dann, ani qualm gen Docht

Des Lämpchens stochernd, zählte sie das Geld Mit finstrer Freude, eins-vier-fünf-sechs-sieben — 3*

36 Da fiel ihr Haupt schief auf die dürre Brüst,

Und sie begann zu lallen monoton Ein Paternoster.

Doch die Rotte stob

Mit Lachen auf die morgentrübe Gasse Dem Endziel zu.

Und plötzlich: Gottes Tod!

Schrie Einer auf, vors Haupt die Hände schlagend, Die Vettel log — wir find am Hospitale, Ich kenn es gut! Zurück, es herrscht das Fieber Bös in der Stadt! Possen — nur auf die Thür,

Mit den Schultern warf

Du selbst hast Fieber.

Er sich ans Thor, es wich, und taumelnd rollte

Er auf den Estrich.

Weichlich-süßer Duft

Quoll schwül entgegen; eine Kirche war's In die sie brachen, an dem Hochaltar

Stand breit, von Dämmrung unbestimmt umflossen Ein offner Sarg.

Da griff Entsetzen an

Die blassen Zecher, und verstoben war Der wüste Schwarm.

Erbarmend sah herab

Der Jungfrau Bild aus goldgeschmückten Rahmen, Mit Augen, welche seltsam tief und schön,

Echt menschlich klagend.

An die stille Brust

Von Angelina schmiegte sich ein Strauß Tiefbunter Blumen, und ein Schimmer lag

Auf dem geschlossnen blütenroten Munde, Als hab' der Tod mitleidig fortgeküßt

Das letzte Zucken und das letzte Weh,

Die letzten Schlacken.

Doch das Antlitz war

Entsetzlich fragend, so wie ein Gebet,

37 Das glücklich anhub, und geendet ward

In einem Aufschrei, — ein Gedankenstrich, Ein Fragezeichen, angstvoll hingemalt

Am Schluß eines gewaltigen Gedichts. Mich zwang es nieder, und die tote Stirn

Mit ihrem Zug von ungelöster Frage

Schlaf wohl in diesem Kusse,

Streifte mein Mund. Verblühtes Kind.

Es müssen Blumen sein,

Im Scharlachschmuck der Schönheit aufzuflammen

Am Straßenrande.

Dir wird Gott verzechn.

Uns Andre doch, mög' er uns nicht verdammen. *

Ich hob das Haupt.

*

*

Der Frühlingsmorgen brach

Hell durch die Scheiben, rote Lichter wanden

Sich um die Säulen, hoch am Kirchendach Zwitscherten Schwalben.

Eine Kinderschar

In weißen Kleidern nahte, sie umbanden Mit Frühlingsblumen festlich den Altar.

Die Glocken gingen.

Mit gewaltigen Klängen

Brach aus der Orgel dunklen Tastengängen

Das Osterlied: Christus ist auferstanden.

Die Sphinx.

In einer Stadt voll Glanz und Sonnenschein Steht ein Palast, des weiße Marmortreppe

Das Meer umschmiegt, wie einen Frauenfuß Umschließt die wallende blauseidne Schleppe; Zwei' Löwen recken steinern sich empor Und blicken schläfrig nach der Gatterlage

Und nach der Zackenkrone überm Thor. Blühende Gärten dehnen sich, die Schatten Der Blutorangen breiten sich vermessen Aufs bunte Gras, und alles überragt

Das dunkle Grün der flüsternden Cypressen; Verschwiegen rieseln ihren feinen Staub Tritonen über Grottennacht und Becken,

Daß Rauschen nur und Vögelstimmen wecken Ein Echo im tiefkühlen dunklen Laub. Dies Schloß, das so ein Sommertag umbettet,

Trägt stolzen Namen, und sein letzter Sproß

Heißt Donna Santa.

Sie ist schön.

Es weiß

Des Volkes Stimme, daß ein Stamm, der edel, Meist im Verblühen bringt sein bestes Reis.

42 Ihr Haupt war blond, um ihren Scheitel schmiegte

Ein Goldstrahl sich, den ihr herabgesandt

Als Liebesgruß aus einem bessren Land Ein Engel wohl, der sich im Lichte wiegte. Doch da — sie selbst.

Sie lief im weißen Kleide,

Ein fröhlich Kind, sorglos durch Busch und Gras,

Frei flog ihr Haar, und aus dem Antlitz blaß Blitzten so selig ihre Augen beide, Wo bist Du, Guy? Versteckst Du Dich? O Schlimmer, Die Hüterin wähnt mich fein still im Zimmer,

Und Du läßt warten! Schlecht bekomm' Dir das:

Ich küss' Dich niemehr.

Warte! Niemehr — niemehr

Hallte das Echo über weiten Wiesen, Und tiefe Stille.

Fernhin: niemehr — niemehr . . .

Der Mittag schwieg; ihr Heller Kinderblick

Umflorte sich . . Dann warf sie zum Genick

Die blonden Locken . . und das Waldthal schlief, Aus weiter Ferne nur der Kuckuck rief Wohl hundertmal.

Sprich, werd' ich leben lang?

Kuckuck, Kuckuck! Sie raffte, plötzlich bang, Ihr Kleid zusammen, und im Sonnenscheine

Flog sie dahin.

Da löste sich ein Schatten

Vom lichten Grün, und aus dem Myrtenhaine Trat rasch ein Jüngling; seine Augen hatten

Glückhellen Glanz.

Guy, rief sie froh herüber,

Was säumst Du so? Ich fürchte mich, Du lieber, Du böser Guy! Er breitete die Arme Rasch nach ihr aus, sie lachte froh und voll,

43 An seine Brust, die heftig atmend schwoll, Barg sich ihr Haupt, das blonde, sonnenwarme . .

Hast Du mich lieb? — Santina, wie mein Leben,

Sie sah ihn schelmisch an:

Und viel mehr noch!

Jst's auch ganz sicher?

Wenn Du es wagst!

Nun — so küss' mich dann,

Er beugte tief erschrocken

Sich zu ihr hin; doch sie, gleich einer Schlange Entwand sich rasch, daß nur die blonden Locken Im Fluge streiften seine heiße Wange.

Dann ward sie ernst: wann droht uns Trennung? — Heute. —

Was?

Heute schon?

Von Thränen dunkel. Was that ich Dir?

Sie schwieg, ihr Auge ward Guy, wie bist Du hart,

Ihn überkam ein Schauer:

Du liebst mich, Santa — glaub', nie lachte blauer

Der Himmel mir im Rausche goldner Tage,

Doch trägt, indes ich Liebesworte sage,

Mein Vaterland in Sack und Asche Trauer. Sähst Du mich an, wenn ich's verraten hätte?

Du thätest's nicht — ich hab' es längst erkannt!

Deß Menschen Herz ist eine Scherbenstätte, Dem Eigenglück mehr als sein Vaterland.

Und, sollt es sein, will Deiner wert ich fallen — Doch Du, mein Lieb, sei stark, sei stark und still, Es lebt ja Gott, der unser Bestes will,

Hoch über uns und unsern Schmerzen allen. Sei stark, Santina!

Sah sie empor.

Halb mit Weinen kämpfend

Ach, Guy, ich hab' Dich lieb,

44 Hauchte sie träumend; dann auf einen Stein

Sank leicht sie nieder, müde fiel ihr Haupt Auf seine Kniee.

Sommerfäden zogen

Still durch das Blau, es kam ein schläfrig Wogen Vom Meere her, gemischt mit Blütenduft.

Wildschwäne segelten fern durch die Luft Mit leise singendem, fremdhellem Tone; Da rief er aus: Sieh da, mein Wappen ist Ein wilder Schwan mit einer Fürstenkrone —

Grüßt mir mein Hochtand!

Und heißftimmernd lag

Die Stille brütend über schwülem Grunde, Es schwieg der Wald, als fürchte sich die Runde Dein Glück zu stören, heilige Jugendstunde,

Die du des Lebens reinster Herzensschlag.

Er strich das Haar ihr endlich wie im Traume Sanft aus der Stirn, sie schlug beglückt empor

Die sehnsuchtstiefen, blumenhaften Augen Und lächelte.

Aus seinem Herzen rang

Sich wild ein Wort: Wirst Du mir treu sein? — Ewig, Sprach sie ganz ernst, und wunderseltsam klang

Aus ihrem Kindermunde dieses — ewig. Sie schwiegen wieder.

Rötlich fiel ein Strahl

Der Spätnachmittagssonne durch die Hecken Auf ihre Stirnen.

Er schien aufzuschrecken:

Santina, bat er, sing zum letztenmal

Mir noch ein Lied!

Ich weiß eins, das Du sagtest

Vor langer Zeit — es spricht von Glück die Weise

45 Und Wiedersehn — wie geht doch jenes Lied?

Und sie, da rot die Abendsonne schied, Begann zu singen .... Fern im Duste schwammen Zarthelle Wolken; ihre Hände fanden

Sich unbewußt und wie von selbst zusammen; Der Abend sank, auf dämmerbraunen Landen

Ausblutend lag ein schattenhaftes Rot.

Noch einmal hielt der Tag, der glückdurchsonnte Verzögernd Rast und strahlte letzten Frieden

Auf jene Kinder, deren Glück hienieden

Versank am dunklen Lebenshorizonte.

* Herbstnacht.

*

* Im Feindesland.

Die Halfterketten

Die Pferde klirren; neben seinem Tiere Schläft der Dragoner.

Schallt Losungsruf.

Von den Wachtpiketten

Es sitzen Offiziere

Am Lagerfeuer, Kinder jeder Zone.

Der lacht und prahlt, der schaut schon schläfrig drein, Rotwein verzapft ein lauernder Wallone;

Da plötzlich richtet sich im Feuerschein Ein Reiter auf, und nestelt am Kollette Nach einem Briefe.

Herr Kamerad!

LiebesLand, ich wette,

Bei tausend Ungewittern!

Ihr liebt es wohl, die Brust Euch einzugittern

Mit Liebesbriefen?

Glaubt mir: soll es sein,

46 Kehrt keine Kugel sich an Amulette, Und bohrt ein Loch durch all die Faselein.

Und jener: Geh' wie stand' mir Aberglaube? Ich glaub' an nichts.

Just ward mir überbracht,

Daß Eine noch, von der ich's kaum gedacht, Durch Trug gewann des Ehstands Perlenhaube.

Das schöne Kind in meiner Vaterstadt

Bricht jenem Treu, dem sie verlobt sich hat, Und freit dafür — der Papst sieht's also gern,

Cesare Balbi, Oberkammerherrn,

Der zwar bejahrt schon, doch an Gütern reich. Der Glanz bestach die schöne Maid sogleich Das ist der Grund, wie man das Ding auch wende:

Ein jedes Weib hat ihren Preis am Ende, Selbst Donna Santa; Lauf der Welt ist so —

Und wie er's sagte, bäumte sich vom Stroh

Ein Schläfer auf: Das lügst Du, Fähnrich, keuchte

Er totenfahl — sag', daß Du lügst, ich leuchte Dir sonst zur Hölle!

Und die Klinge trieb

Er wild hervor, daß einen Lichtstrahl schrieb

Surrend das Eisen.

Doch der andre sprang

Hoch auf vom Feuer: Das wär' Teufelsdank,

Herr Kamerad!

Eh' daß wir uns zerfetzen

Vergönnt's, den Brief vor Augen Euch zu setzen: Er sagt noch mehr, er kündet sonnenklar,

Daß Santas Hochzeit grade heute war. Es ist kein Irrtum — heute, grade heute Führt Cesar Balbi heim die süße Beute:

47 Nehmt und lest selbst. — Beim Höllenelement,

Was greift Euch an?

Welch' Schauer überrennt

Euch jäh den Leib? . . So fahlen Angesichts Sahn wir Dich nie! Was fehlt Dir? — Mir? O — nichts,

Nichts, gar nichts mehr ... glaubt, es war nur der Name, Der schlimm mich täuschte.

Wirklich, jene Dame

Ich kenn . . . sie nicht . . . Hochzeit, sagt Ihr, war heut? Da wär' ja Brautnacht . . . Brautnacht jetzt----------

Bringt Wein, Und Würfel her!

Wir wollen lustig sein, Kommt, wir halten Feier

Ihr Kriegsgenossen!

Nach unsrer Art.

Wir selber sind die Freier

Im Eisenharnisch, und die Braut heißt Tod. — Den Becher hob er, den ihm einer bot:

Aufs Wohl der Brautnacht und aufs Wohl der Braut! Da plötzlich warf, als ob ihm jäh gegraut,

Das volle Glas er in die Lagerflammen, Taumelte, reckte sich und sank zusammen

An einem Pfosten.

Pfui, der Wein war schal,

Sprach stöhnend er, bis in die Lippen fahl;

Verdorbner Wein, und wie der Wein die Braut — Da trink' der Teufel!

Plötzlich wild und laut:

Wo bleibt mein Fähnlein?

Von der nassen Erde

Aufreckten sich die Reiter und die Pferde In dunklem Knäul, die Rotten traten an,

Hinaus ins Dunkel schnoben laut die Tiere . . . Wo steht der Feind?

Da trüben?

Dort seine Nachtquartiere.

Auf! — Beim Himmel, Guy, halt' an:

48 Wohin? — Ins Brautbett? Singt mir Hochzeitslieder — Auf dieser Welt sehn wir uns nicht mehr wieder. *

*

*

Am Fuß des Stadtwalls, wo Geröll und Scherben.

Abfall und Schutt von einem Nesselwald

Umsponnen liegen, steht ein niedres Haus, Darin ein Greis, der in dem Mund des Volkes

Rabbi Zephanja heißt, der „große Arzt",

In seiner Nachbarschaft

Seit langem wohnt.

Haust auch der Henker.

Beide stieß die Stadt,

Den weisen Mann, und jenen, deß Gemeinschaft Unehrlich macht, gleich scheu aus ihrem Bann.

Nacht ist's, der Jude sitzt bei Lampenschein Im düstren Zimmer.

Vor ihm liegt ein Buch,

Das prüft er emsig; auf dem Kachelherd Verglinlmt ein Häuflein aufgetürmter Kohlen, Daran ein Tiegel.

Aus dem ruß'gen Bauch

Des lang Durchglühten ballt sich Dampf, der weißlich

Wie Svmmernebel nach dem Schlote zieht, Ein feiner Schleier.

Hüstelnd wendet sich

Der Greis zum Feuer.

Bäumst Du tückisch noch,

Empörter Geist, den ich durch Zwang gebunden, Dich züngelnd auf?

Behagt Dir's nicht im Topfe,

Drin ich Dich fing?

Nun wart', ich helf zum Frieden

Dir allsogleich; Du sprengtest sonst die Wandung, Die Dich umzwingt. Wohl wär' Dein Trieb, Dein wilder

49 Jählings gesättigt, doch dem Meister bliebe,

Dem großen Meister, der so gern versucht, Ein Häuflein Scherben — und das wäre ihm,

Dem großen Meister, wenig angenehm, Denn eitel sind fast immer große Meister . . .

Er kicherte, dann goß er ins Gefäß,

Sacht einen Tropfen.

Schlucke den — hab' Ruh,

Kühl fein Dich ab. — Du schäumst, wallst auf? Genügt Dir

Die Gabe nicht?

Schwer sättliches Gebräu,

Nimm diesen noch!

Und wisse, meine Kunst

Hast bald erschöpft Du.

Wohl, es klärt Dein Grund

Sich wolkig auf; der Kampf, der Dich durchtobte, Siehe, Dich bezwang

Wogt aus allmählich.

Ich nach der Regel; in Dir trugst Du Schaden,

Nun wirst Du heilsam.

Auf, bequeme Dich,

Den welken Leib erstärkend mir zu baden. —

Den Raum durchirren Stoffe, die sich wild, Begehrlich suchen.

Blinder Einigung

Gilt ihr Bestreben, stets doch hängen schwer An ihnen Kräfte, die den freien Flug

Dieser Erde saugt

Zu lähmen trachten.

Ein Kitt sie an — denn Nichterfüllung nur,

Des großen Wunsches Nichterreichen bildet

Die Lebensmöglichkeit.

Der Kitt ist Zwang,

Ein Fesselring, der seine Wandung eisern Um alles preßt, was in gewaltigem Fluge

Zur Freiheit will.

Weisheit heißt dieser Kitt 4

Schönaich-Carolath, Dichrrmgen.

50 Wie der Meister ihn

In Menschensprache.

Benennen mag — ich weiß es nicht.

Mir scheint

Das Gleichnis mit dem Tiegel doch bequem.

Siegt jener Zug, der große unleugbare, Dir aber bliebe nichts,

So springt der Topf.

Du großer Meister — und so ganz geheuer

Erscheint dir selber keineswegs dies: Nichts. —

Er lachte heiser.

Plötzlich zu dem Herd

Wandt' er sich um. Du immer noch?

Verdammter Kessel, siedest

Schläfert die Arzenei,

Die zweimal ich in Deinen Schlund geschüttet,

Dich noch nicht ein?

Mir trotzt zum erstenmale Beizt Dich Höllenglut?

Solch starkes Fieber!

Willst Du den dritten meiner Tropfen schlucken,

Das letzte Mittel?

Sei's denn — Weh', es hebt

Ein Glutball zischend sich aus Deiner Höhle,

Die Wandung bebt ... Du trägst es nicht . . halt' an .. Weh' mir! Vernichtung — da!

Du liegst in Scherben'.

Ich bin betrogen! — Im Kamine fing

Sich jäh ein Windstoß.

Pfeifend angefaßt

Sprühten die Kohlen, eine Flamme lief Schräg drüber hin, und höhnisch knisternd stoben Zum Schlot die Funken.

An das Thürgebälk

Wuchteten Schläge. Meister!

Aufgethan!

— Wer ruft so spät? — Ein Wandrer, krank und müde. Verirrt im Schoß der Nacht.—Was sucht Ihr? Frieden—

51 Seid Ihr allein?

Ich bin's. — Es wich der Riegel, Sein schönes Antlitz war

Ein Mann trat ein.

Frühzeitig alt, um seine hohe Stirne

Fiel wirr das braune regenfeuchte Haar. Er schwieg und harrte.

Messerscharfen Blicks

Maß ihn der Rabbi. Seid Ihr krank? — Zum Tod. — Dies Leiden beichtet. — Einen Sessel bot

Er seinem Gaste, und der stützte düster

Sich auf die Lehne.

Meister, hub er an,

Noch jung bin ich, und doch ein alter Mann,

Noch gestern war ich frisch und lebensstark Und heut schon nagen Würmer mir am Mark. Reich, vornehm, jung trat ich hinaus ins Leben,

Mit festem Sinn, mit Lust an ernstem Streben, Mein Herz war groß, war liebevoll und weich,

An Träumen und an Idealen reich . . Oft schwang sich's auf vor Sehnsucht und vor Wonne

Bei ferner Glocken festlich frommen Klang, Und Thränen fand es, wenn der Abendsonne

Ihr zirpend Lied am Dach die Schwalbe sang. Es wollte nichts, als Gutes thun auf Erden,

In fremdem Glücke selber glücklich werden, Es wollte glauben ohne Grübelein; Bewahren wollt' es seinen Schatz an Liebe

Für jene Frau, die einst ins Weltgetriebe Gott senden sollte, Alles ihm zu sein —

Der erste Kuß, dem ich das Haupt gebogen, Hat mich nun frech belogen und betrogen;

52 Im ersten Lenz, den meine Seele fand, Ward sie verdorrt, vernichtet, leergebrannt;

Es hat die Frau, die meine Treu besessen Um Gold und Perlen ihres Schwurs vergessen,

Ob sie auch war die Holdeste von allen, Ob mir auch galt ihr erstes Liebeslallen, Obwohl die Glut, die lodernd uns umflammt, Ein Liebesfeuer echt und gottentstammt —

Ich sah zu früh, daß Weib und Liebe narrten . .

Nun sage mir: was sendet Gott ein Kind,

Das durstig ist, in einen weiten Garten, Darin die Brunnen rings vergiftet sind?

In diesen Tiegel, sprach der Jude rauh, That ich drei Tropfen.

Dämpfen wollte ich

Den Kampf der Massen, die in ihn gebannt.

Beim dritten sprang der Topf. — Mir gelten auch Drei Mittel für jedwede Menschenbrust,

Die fiebernd wogt.

Der Mittel erste sind

Wollust und Macht. Genügen sie.

Der Menschheit insgemein

Nicht Dir.

Mein letztes doch,

Mein bestes Mittel — man erträgt es schwer, Erkenntnis heißt es.

Sieh, da liegt der Topf,

Der Topf in Scherben.

Spät ist's fremder, Gast,

Zieh' Deines Weges. Wär ein mordend Schwert Nur Deine Wahrheit!

Füllte sie, als Strom

Tilgender Glut, mit berstenden Gewalten

53 Mir Haupt und Herz, die daseinsmüde Form Könnt' ich schlafen, ruhn

Zu Scherben schmetternd!

Vom Fiebertraum des Lebens, könnt' ich sehn In Nacht begraben Alles, was mein Herz

Durchgrollt, durchschüttert!

Deckte mich das Nichts,

Ein sich'res Nichts, das kein Erwachen trübte Und keine Furcht vor neuem Morgenrot . . . Du siehst es wohl: ich fürchte nicht den Tod,

Gieb mir die Wahrheit!

In des Juden Auge Stieg fahles Glühen.

Wohl, mich reizt der Fall,

Sprach er unhörbar.

Selten bietet sich

Dem Anatom ein Herz, das frei von Schuld Und weich wie dieses.

Und stolz im Kern.

Edel ist's zudem Laßt uns die Wirkung sehn

Die drauf das beste, schärfste der Skalpelle, Die Wahrheit, übt.

Einschneidend bringt sie Tod

Oder Genesung; spannend ist daher

Der Vorgang immer. — Dann, zum Gast gewandt:

Ich will's versuchen.

Siehe, was am Mark

Zunächst Dir nagt, ist Selbstverachtung.

Feig

Nennst Du Dich oft, obwohl des Wortes Klang

Dir in die Schläfe treibt ein fliegend Rot. Laß ab und schweig!

Das Weib, das Dich verraten,

Das falsch wie Judas Dich und sich verkauft,

Du liebst sie dennoch. Ja, sprach eisig der,

Ich liebe sie!

54 Wohl, so laß ab vom Kampfe,

Der aussichtslos.

Nicht kämpft sein Lieben nieder

Ein Menschherz.

Man ist nicht Herr im Haus.

Und wie vermöchte wohl das Fünkchen Ehre,

Das Körnchen Mut, die Dosis Mannesstolz Den Krampf, die Liebeszuckung zu bezähmen,

Der Menschheit Veitstanz?

Gegen Tod und Liebe

Nenn mir die Gewalt,

Giebt es kein Mittel.

Die mächtiger als das Weib?

Denk' an Judith

Und Delila, denk' an Herodias

Und Helena!

Noch keiner hat erschlossen

Des Weibes Wesen; (Salomo erfand

Sieh, es ist die Frau

Es freilich bitter).

Der Sauerteig im großen Brei der Schöpfung, Ein Reiz, ein allbelebend Element,

Das, gleich dem Feuer, segensvoll erwärmt Oder vernichtet.

Jenem ist die Frau

Ein tödlich Gift, Dem wieder Arzenei;

Dem Weisen, welcher mäßig von ihr zehrt, Ein Arcanum; dem wilden Lebensgast,

Der hastvoll, fessellos, in einem Zuge

Den Becher leert . . . Sein Los — ich kenn's genau;

Zur Sache, Meister.

Wisse, noch verspüre

Ich wenig Beischmack werter Arzenei In Deinem Wort.

An einem Sterbebette

Stehst Du als Arzt; gieb Deine Tropfen her,

Die besten Tropfen: warum ist die Frau

55 Urfalsch und treulos? Hüstelnd rieb der Jude

Die dürren Hände: Wenn sein lechzend Roß Mit Wasser tränkt der kluge Beduine

Wirft ins Gefäß er eine Handvoll Sand,

Das Naß zu trüben.

Allzu tiefer Trunk

Schadet dem Tiere.

Sieh, dasselbe that

Der weise Schöpfer.

In den klarsten Quell

Der Lebenswüste that er emsig Schlamm Mit vollen Händen; in den schönen Leib, Den süßen, sinnbethörenden des Weibes

Goß er Gemeinheit.

Ja, der Schöpfer ist

Ein guter Hirte: allzutiefer Trunk

Schadet dem Tiere . . .

Aus des Fremden Auge

Brach fahles Leuchten.

Wenn er Gluten gab,

Der weise Hirt, dem abgehetzten Tiere,

Die überheiß, so wird giervollen Zuges Die Kreatur todspottend Schlamm und Trübung Todachtlos schlingen.

Ist der Sündenpfuhl

Dann leer zu Grunde, mag der Hirt erwägen,

Ob klug es war, daß Flammen er erschuf,

Die nicht ertragbar.

Eins weiß ich genau:

Daß Qualen mir am Mark verzehrend nagen, Daß nichts mir blieb als aller Bettlerplagen

Verzehrendste: der Durst.

Ob trüb ob lau,

Ob schaal der Quell, ob immer jene Frau Verdorben bis zum Mark der Seele sei;

56 Trinken will ich mit dem Empörungsschrei: Mich dürstet — dürstet! —

Ein Gelächter gellte

Laut durch den Raum, scharf wie der Sterbeton

Gesprungnen Glases; aus dem Sessel schnellte Der Greis sich auf: Dich dürstet, Erdensohn?

Wen dürstet nicht?

Des Weltalls dunkler Zug

Ist das Verlechzen, und es lechzt wer lebt. Das Leben ist ein großer Wanderflug Nach der Begierden endlicher Erfüllung, Und was die Welt erschüttert und durchbebt

Der Notschrei ist's nach tiefer Durstesstillung. Frag' Du das Meer, warum es schäumt und rollt

In schwerbewegtem ew'gem Wogenschlage,

Frag' Du den Sturm, um tocß er ringt und grollt

Die Riesenhymne niegestillter Klage; Es schwillt und ebbt der dunle Ocean, Daß Höhn mit Tiefen bräutlich er vermähle,

Daß einer Welt vom Frühling er erzähle Zieht singend hin der feuchte Märzorkan,

Bis er ob rieselnden, erwachten Landen

In schwülem Hauch befruchtend mag Verbranden. Was ist es, das in mächtigem Bewegen Des Erdballs Adern schwellend-voll durchkreist, Die Ackerkrume auseinanderreißt Und preis sie giebt dem kräft'gen Frühlingsregen?

Was ist es, das durchs frische Grün der Bäume Lind und herbduftend wie ein Schauer weht

57 Das durch der Menschheit tiefste Herzensträume Süßquälend, bang, als junge Liebe geht? — Die Liebe birgt ein brünstig Überhasten, Halb Lebenssehnsucht und halb Todesdrang, Denn dieses Leben ist ein Übergang

Voll Schmerz und Schatten; drin nicht gut zu rasten.

Rastlose Neugeburt — das ist das Heil, Ist Trieb und Endziel aller Selbsterhaltung,

Drum ist Natur im tiefsten Wesen geil, Drum ringt die Menschheit toll nach Neugestaltung. Daß im Genuß den ew'gen Durst sie stille

Ist all ihr Sinnen, ist ihr einziger Wille, Und als ein liebes Schicksal wird sie's sehn

Im Weiblichen verlodernd aufzugehn. Dann freilich heißt es mehr noch, als dies Leben Dem großen Kreislauf still zurückzugeben,

Denn, ist verhallt der letzte Wollustschrei,

— Hier liegt die Falle — geht der Tod vorbei.

Und zwar kein Tod, bedeutend eine Pause Zu kurzer Rast; nein, ein Gedankenstrich,

Verlöschend, tilgend, daß zur Sühne Dich Das große Nichts auf ewig überbrause, Denn wie den Leib, so hast in blinder Lust

Die Seele Du zernichtet unbewußt, Und bist beraubt des Lohnes, welcher wird,

Den andern 'all, die nicht gleich Dir geirrt. Dich freilich stört das wenig, toller Zecher,

Du spürst zu spät den Erdgeschmack im Becher,

58 Und wirst so lange fluchen dem Getränke

Bis Gastwirt Tod Dich ausweist aus der Schänke.

Dann in die Grube rollst Du abseits eben, Die Grabschrift heißt: „Zum Tod geliebt das Leben."

Dir freilich schuf, o Frevler, kein Behagen Das große Wort vom Büßen und Entsagen,

Die große Botschaft uralt-heiligen Klanges, Die einst erwacht am Indus und am Ganges, Die durch Jahrtausende ward hingestammelt, Daraus die Menschheit Linderung gesammelt,

Die alle Seelen, deren Kern zerschlagen, Durch Nacht und Schmerz zum Frieden hat getragen, Und die Dein Herz, durchfiebert und umnachtet

(Obwohl man den Essäer einst geschlachtet),

Nie hat erfüllt mit wunderstarkem Schein:

„Es soll Dein Reich von dieser Welt nicht sein." — Ich seh' nun zwar, daß schlimm Dein Auge blitzet, Daß Dir der Trotz im tiefsten Herzen sitzet,

Auch höhnst Du wohl, daß ich, der ein Rabbiner, Dir christlich predige als Kapuziner,

Und bist bereits im Grunde so verstockt,

Daß frommer Zuspruch Dich nur mäßig lockt.

Vernimm darum, was ich, der Weise, sage: Es ist das Weibliche die dunkle Frage, Die jedem, der hinaus ins Leben stürmt, Als ernster Prüfstein sich entgegentürmt.

Ob früh ob spät, für jeden wird am Ende Das Weibliche zur Lebenssonnenwende.

59 Das ist die Sphinx mit schöngeschwungnem Bug, Schläfrig enttaucht dem gelben Sand von Theben,

Auf deren Mund in einem dunklen Zug Der Tod sich paart mit wildem Drang zum Leben:

Die roten Lippen, leicht von Hohn gebäumt, Neigt sie Dir zu; sie beut zur Wahl indessen

Aus weißer Hand Dir einen dunklen Strauß. Den formen: Schmerz, Kampf, Arbeit und Vergessen.

O nimm ihn hin, und wisse, daß Cypressen

Auf Erden so recht eigentlich zu Haus. Streifst Du den Mund, der Dir entgegenträumt,

In wildem Kusse — dann ist's mit Dir aus, Auf ewig aus, ohn' Hoffnung, ohn' Erbarmen . .

Was greift Dich an? —

Meister, dies Gold den Armen,

Euch meinen Dank.

Der Weisheit Tropfenfall,

Den Ihr gespendet, schuf dem Glutgefühle, Das in mir lodert, grade soviel Kühle

Wie Juniregen einem Lavaschwall.

Mich quält die Sphinx.

Ich sehe selbst im Traume

Das weiche Haar die niedre Stirn umfächeln,

Auf ihrer Lippen feuchtem rotem Saume Höhnt mich das starre nieentlarvte Lächeln. Ich trag's nicht mehr! Wohl ballt sich Glockenton

Im Herzen mir, und dessen tiefsten Falten Entringen sich bang winkende Gestalten

Aus alter Zeit — doch bald sind sie entflohn. Ich hab' geliebt: in meine reine Flamme

60 Ein Gifthauch blies, Gott trieb ein bittres Spiel

Ich zögre nicht, daß ich mich nun verdamme:

Ich will mich rächen, denn ich litt zuviel. Ein wilder Durst verdrängend frommes Lieben

Ist unstillbar im Herzen mir geblieben,

Nun will ich trinken bis ich übersatt, Und will genießen, bis ich wollustmatt.

Das Rätselbild mit rotem Mund sei mein, Und nichts soll mehr vor mir verborgen sein.

Ich will es sehn das hohe Bild von Sais

In meinem Arm, entblößt gleich einer Lais, An ihren heißen blütenweichen Brüsten Will atmen ich in rachevollen Lüsten, Den letzten Glanz vom Haupte ihr zu streifen,

Den Schöpfer im Geschöpf durch Staub zu schleifen.

Mit kalten Augen tief ins Nichts zu sehn.

Und rachesatt zu Grunde lachend gehn — Meister, lebt wohl . . . auf, morsche Kerkerpforte!

Ein Wind stieß schwül, mit tauber Macht herein,

Die Lampe flackerte, die letzten Worte Des Fremden hallten nach am Wandgestein. Der Rabbi lachte und begann allein:

Wie nutzlos, Christus, blasser Liebeshärmer, Daß man ans Kreuz Dich grausam einst gereckt,

Denn jene Lehre, die Du aufgedeckt, Wird, trotz des Opfers, täglich wirkungsärmer.

61 Gut für den Schwachkopf, dessen Hirn nur faßt Das plumpe Schreckbild ewiger Höllenstrafe —

Ach, ganz besonders zahm sind Deine Schafe, Mein guter Hirt! Wie anders war der Gast,

Der eben ging! Der zahlt zu Streiterscharen, Die, sturmerfaßt, sich Satan zugesellt,

Die einsam gingen, grollend, fern der Welt,

Und doch die Größten aller Zeiten waren.

In Deinem Reiche haben nie gehaust Der Don Juan und nie der Doktor Faust, Noch alle, die, vom Schmerz zu wild geschlagen, Des Aufruhrs Brand in Deinen Stall getragen.

Ja — wahrlich — alles, was Dir vorgeschwebt Hat sich auf Erden baldig überlebt,

Notnagel dann bist Du der Welt geblieben,

Der zwischen zwei Entwickelungsgeschieben,

Vielgötterei und Einheitsglauben, hängt; Die Menschheit, ungewiß und notgedrängt

Wird ratlos hin zu andern Lehrern fliehen,

Den alten Erdball werden überziehen Noch grundverschiedne Glaubeusprozessionen — Der Schöpfer aber wird im Himmel thronen

Um auf den Kampfplatz still hinabzusehn, Wo mühevoll den Glaubensbrand, den schwachen, Rabbiner, Bonzen, Popen emsig fachen

Ihr Werk der Ohnmacht keinem zu gestehn . . . Und wird das Ganze fein und mild belachen. —

62 Doch einen Mißgriff, Gott, hast Du gethan. Du schufst das Weib als Prüfstein, den ins Leben

Jedwedes Besseren Du hast gegeben;

Sie ist die Sphinx mit Marmorbrust, daran

Der Menschheit Strom sich in zwei Rinnen teilet. Davon die eine spärlich zu Dir eilet, Die andre doch Dir schrecklich werden kann.

Soweit der Sturm braust und die Sonne scheint

Giebt es kein Plätzchen auf der schönen Erde,

Nicht eines nur, das frei gefunden werde, Von Thränen, die um eine Frau geweint.

Für soviel Schmerz, Entsagung, Kampf und Pein Schufst Du die Sphinx, schufst Du das Weib zu klein, Denn sie gewährt für der Begierden Sonne, Zu kleines Glück, zu schwache Labungswonne.

Vom Abglanz heißer Phantasie umkleidet Ist unwert sie des Sturms von Groll und Schmerz,

Den oft ein großes, riesenstolzes Herz Voll Manneswert, um eine Frau erleidet. Das starre Lächeln Deiner Sphinx, darum

Die Herzen bluteten, die Dichter sangen, Und Volker im Vernichtungskampfe rangen,

Im Grund, mein Schöpfer — ist es grausam dumm. Da liegt Dein Fehler.

Sorg', daß nicht auf Erden

Zuviel Geschöpfe seiner inne werden, Denn kann ein Schlag das Herz der Kreatur

Im Kerne spalten, ist es dieser nur:

Bei klarem Sinn und lebensvollem Leibe

63 Verraten werden vom geliebten Weibe. Denkst Du des Tags, da, satt des Lilienstengels

Satan aufschreiend von Dir sich gewandt

Weil auf den Lippen jenes weißen Engels,

Der Jugendliebe, Täuschung er erfand? Betrogen ward er, und das hat er, eben

Weil er sehr stolz war, niemals Dir vergeben:

Seit jenem Tag schürt er den Weltenbrand. — Und schweigend folgt nun dem Empörungsgotte

Der Gleichbetrognen unversöhnte Rotte Als schattenhafter, dunkler Heereszug.

Wer je das Weib verkämpft, verschmerzt, verwunden Steht einsam da, nicht mehr an Gott gebunden -

Denn von der Frau führt der Gedankenflug Empor zur Freiheit.

Und zu dieser Schar

Sprach kalt der Jude, zählt der wilde Gast An Christi Krippe, der just bei mir war.

Der Schöpfer hat ihn unrecht angefaßt, Auch hat ihm nicht die Arzenei gepaßt, Mein letzter Tropfen. — Zu der Thüre schlich

Rabbi Zephanja, warf den schweren Riegel

Wuchtig ins Schloß und sagte leis bei sich: Da geht er hin, der schöne neue Tiegel!

*

*

*

Don Balbis grauer, massiger Palast Schläft aus vom Fest.

Verstummt ist das Gewitter

64 Der Ballmusik, der Fackeln Schein verblaßt,

Ins Schloß fiel dröhnend schwer das Pfortengitter. Die Gärten schauern, und sein blaues Licht

Wirft irr der Mond in leere Säulenhallen; Der Südwind rast, und an den Scheiben bricht Er seine Schwingen, schwül, mit trübem Lallen

Von Palmenhainen und vom gelben Nil. Auf Purpurpolstern lehnt im Erkerzimmer

Lächelnd ein Weib.

Ihr blendendes Profil

Schwimmt zart im Spiegelglas, ein Perlenkranz, Rubindurchbrochen, blitzt in ihrem Haare . .

Wie bin ich schön! O Fügung, wunderbare, Sah' er mich so . . . Ein Schatten überflog

Ihr trüb die Stirn und flüchtig — doch sie bog Das Haupt zurück, und durch das Lichtgeflimmer

Der Edelsteine brach ihr Auge blau.

Die lächelte.

Die Toten kommen nimmer

Und dann bin ich ja Cesar Balbis Frau Und bin so schön — und er ist tot, längst tot,

Das Leben lacht — ein fliegend-heißes Rot Trat ihr ins Antlitz.

Die aus den Locken.

Leise nahm die Spange Ach, ein Glück verhieß

Nur erste Liebe: Jugendparadies,

Wie bist Du doch versunken schon so lange! Die schwieg.

Im Garten rauschten wild und bang

Die Myrtenbäume, von dem Meere drang Ein Grollen her, es brach sich an den Zinnen

Der Südwind sacht, mit kosender Gewalt.

65 Ihr Auge dunkelte.

Mein Herz wird alt;

Sie sprach es leise — könnt' ich schlafen, sterben Mit jenem Traum, mit Dir, o Guy! —

Da sprang

Weit auf die Thür:

Du magst dies Glück erwerben!

So klang es hohnvoll.

Am Balköne stand

Ein Mann im Mantel: Schläft Don Balbi, Santa,

Schläft er gewiß? Sonst kann zu festrem Schlaf

Mein Dolch ihm helfen —

Wie sein Blick sie traf Flog sie empor: Erbarmen! nur nicht morden!

Nimm meinen Schmuck, nimm hin, nur laß mich leben ..

Ihn aber überlief ein flüchtig Beben:

Santa, sag' an, bist Du auch feig geworden, Treulos — dann feig? Welch tiefer Fall! Er riß

Mit raschem Griff die Sammetmaske nieder :— Guy, schrie sie auf, erstehn die Toten wieder? Zurück . . ich war nicht treulos! Überbracht

Ward mir die Kunde, daß Du früh, vor Allen

Den Tod gefunden in der ersten Schlacht.

Gott sah die Thränen, die darob gefallen

Auf meine Kissen in manch banger Nacht. Bethört ward ich . . mit Netzwerk arger List

Mein Sinn umsponnen . . arg bestürmt, in Schwächen

Fiel dem ich zu, der nun mein Gatte ist . . . Das hilf Du selbst mir bitter an ihm rächen,

Hohnlachte Guy.

Dein Auge blitzt und scheint

Ja wunderhell! Zuviel hat's nicht geweint, Schönaich-Larolath, Dichtungen.

5

66 Dies Taubenauge! Hat die Purpurkissen

Des Brautbetts kaum mit Thränentau betraust, Denn Donna Santa hat sich, will man wissen,

An einen Greis für Sündensold verkauft. Das Grafenkind mit der Madonnenstirne Für Gold verkauft! Verkauft! Nun, welsche Dirne,

Wie teuer bist Du? Sie blieb stumm, halboffen

Die blassen Lippen.

Unter ihren Brauen

Standen die Augen gläsern, starr vor Grauen Indessen sie, durchschaut, entlarvt, erkannt, Zu Grund gerichtet, lehnte an der Wand.

Doch plötzlich reckte sie, ins Herz getroffen, Sich trotzig auf, und ihr zu Häupten schoß Das Grafenblut.

Verkauft?! Nein, Spielgenoß,

Spiel meiner Laune! Wähnst Du, schwacher Thor, Daß mir Dein Wort in flüchtiger Abendstunde

Mehr galt, als eines Vogels Ruf im Rohr? Und wähnst Du noch, daß mich ein Schwur gebunden. Den tändelnd ich am Spätnachmittag gab

Und treulich nach Gebühr gehalten hab' Bis daß die Sonne überm Park geschwunden?

Vernimm's: in meiner Schönheit Dienergruppe Warst Du mir nichts als eine Lieblingspuppe,

Ein Bär aus Nordland, den ich zahm gemacht,

Und, als er tanzen konnte, ausgelacht — Zum Zeitvertreibe mochtest knapp Du taugen, Zur Liebe — nie.

Es ging die Kunst Dir aus.

67 Und nun: fort aus Don Cesar Balbis Haus Und Donna Santas Augen!

Nein. — Er sprach's,

Ernst und gelassen.

An Wahrheit, Santa.

Deinem Wort gebrach's

Ob Dein schöner Mund

Sich trotzig zieht, ob Du die schweren Locken... Sieghaft zum Nacken wirfst — aus Herzensgrund

Siehst Du mich dennoch an, zum Tod erschrocken; Dein stolzes Auge dunkelt, thränennah: Reckt doch dem Sturm die wilde Heiderose

Den Dorn entgegen, herb, bis sein Getose Sie mit sich reißt, eh sie sich des versah:

Du liebtest mich und liebst mich noch — sag ja — Ja, sprach sie tonlos, ja. —

Seltsames Kind, Begann er sanft, so sag' mir denn, welch Wind

Gespielt mit Deiner Seele Blütenzweigen, Daß sie so sehr, so früh entblättert sind?

Ich hörte einst, daß Menschen dazu neigen In einen Abgrund, der sie füllt mit Grauen,

Tiefer und länger stets hineinzuschauen Bis dunkle Macht sie lockend zwingt hinab. In welchem Abgrund fandest Du Dein Grab? Was schuf's, daß Dich der letzte Halt verließ,

Was war's, das Dich mit jugendblonden Haaren In eines Greises welke Arme stieß?

Sein Reichtum nur? Sein väterlich Gebahren, 5*

68 Sein Puffenwarnms? Sein Bart? Sein goldnes Bließ?

Sprich ohne Furcht —

Sie starrte stumm ins Licht,

Hilflosen Mundes, und: „ich weiß es nicht",

Sprach sie tiefschauernd. Auf ihr lag, großoffen. Bestürzt, sein Auge.

Todesstille zog

Schwer durch den Raum; vom Silberleuchter flog Ein trübes Knistern und die Kerzen troffen.

Da plötzlich that er einen Finderschrei: Santa — ich glaube Dir und sprech Dich frei! Du wußtest nicht wie weh Du mir gethan,

Der schwersten Fehle klagt' ich falsch Dich an. Nicht Du warst schuldig, wie ich's einst geglaubt:

Die Erde doch trägt solch Medusenhaupt, Daß Alles, was ihr nahen muß, erstarrt:

Wer bei dem Weibe Glück sucht, wird genarrt.

Ich sprech die Frau von jeder Fehle los, Weil Gott mit Stein ihr leuchtend Herz umschloß, Weil um das Licht, das in ihr loht, sein Neid

Als Hülle schlug ein kaltes Marmorkleid,

Damit die Menschheit vor der Tempelhalle Im Staub gebückt Entsagungsworte lalle — Ich aber bin aus wildem Blut entstammt.

Dies Ampellicht, das matt und rosig flammt In Deines Leibes marmorweißem Bau

Ich will's besitzen, wunderschöne Frau, Küssend ersticken, jubelnd löschen aus

69 Das rote Licht, entweihn das Gotteshaus, Auf die zerrissnen schweren Altardecken Zu langem Schlafe wunschlos dann mich recken

Und sterbend, als ein satter Rächer sagen:

Im schönsten Weib, des Auge je geblaut,

Neidvoller Gott, hab ich die Sphinx erschaut, Und hab' Dein Werk — Dich selbst in ihr — zerschlagen.

Auflachend löste er von Santas Hals Die Perlenbänder, daß sie matten Falls Zu Boden glitten.

Guy, was sinnst Du? Sprich . . Was flammt Dein Blick? Was willst Du . . .

Ich will Dich — Und blitzschnell, wild umfangend ihre Glieder

Riß er sie an sich, lachend, schluchzend wieder,

Zur Ruhe kämpfend, stark, voll wilder Regung Des schönen Leibes schmeidige Bewegung.

Ich liebe Dich, sprach er verzückt, o lasse

Mir all Dein Sein, daß ich Dich besser hasse!

Laß Küsse, wie kein Weib sie je getrunken,

Mich auf Dich streun wie roter Brände Funken, In jedem will, erschöpfend, ich Dir geben

Ein volles Jahr aus meinem reichen Leben,

Laß uns vergehn, zerfließen eins im andern,

So wie zwei Wellen, die im Weltmeer wandern Vom Südsturmhauch der Sehnsucht fortgetragen

Tobend, beseligt, ineinanderschlagen---------------Dem Weib, das irr, berauscht von Liebesfülle

70 Im Arm ihm hing, hat bebend er gerissen Vom weißen Leib die starre Atlashülle Und es geschleudert in des Prunkbetts Kissen.

Ein Laut ... ein Klagwort, girrend, wundersacht . . In einer Flut fahlblonder Lockenhaare

Versanken sie — rings herrschte wunderbare Jasmindurchhauchte, purpurfinstre Nacht----------

Warum sie nachgab, ohne Halt? Vielleicht

Weil jede Kraft dem Fallgesetze weicht, Weil ihr ein Blitzstrahl überflammt das Herz, Das Rüstzeug schmelzend und das Panzererz,

Die Fesseln sprengend.

Eins sei uns genug:

Um große Flammen geht ein großer Zug Mitzuverlodern. — Es war Morgenzeit,

Um ihren Mund, den schönen, vielgeküßten Lag stumpfes Lächeln satter Seligkeit.

Sein Haupt, drin der Begierde Sturm verbraust Sah trotzig-fahl; es ruhte seine Faust,

Im Schlaf geballt, auf ihren heißen Brüsten.

So läßt der Löwe wohl, den in Gedanken

Der Schlaf befiel an einer Beutestelle, Schwergriffig liegen seine mächtigen Pranken Auf der erwürgten, röchelnden Gazelle.

Und beide träumten.

Sie von Sternen droben,

Die gut und golden, daß ihr eigen sei

Ein Leben nun, dem jedes Weh verstoben.

71 Doch seine Brust ging schwer, es brach ein Schrei

Daraus hervor, der klang: lebwohl — vorüber Du Schloß mit dem steinernen Wappenthor

Und den dunklen Eiben darüber;

Ihr wellenden Seen, windwogender Tann, Lebt wohl, ihr Hochlandshaiden, Es segnet im letzten Scheiden Euch ein verlorner Mann —

Scheiden — kein Traum . . . verstört empor er schrak,

Mit offnen Augen.

Hingegossen lag

An seinem müden, fieberheißen Leib

Lächelnd das weiche, seingewordene Weib. Da griff ihn tiefer Schauder, und er bog

Ihr Haupt zum Lichte, wahrend unstet flog Sein Funkelblick durch Santas schöne Züge'. . . Dann sprach er rauh: Dein Zauber wich! Betrüge So bitter nicht! Schlag auf die schweren Lider,

Sieh voll mich an, gieb mir die Jugend wieder! Vor langer Zeit, es blühten die Syringen,

Wir liebten uns — auf Deine Lippen, leise,

Kam eine süße, langvergess'ne Weise . . .

Erbarme Dich . . das Lied . . wie geht das Lied? Und sie, wie damals, als die Sonne schied, Begann zu singen----------

Schweig — das klingt ja blechern Wie falsches Geld — sprach tonlos er. Und Würfelspiel hört' ich derlei.

Bei Bechern

Die Stunde,

Das Lied, Dich selbst — hast Du zu gut vergessen.

72 Schlaftrünken suchte sie mit rotem Munde

Achtlos den seinen . . doch die Purpurdecken Warf breit er über sie; blaß zum Erschrecken

Trat er ans Fenster.

Hinter den Cypressen,

Die dunkel brauten, murrte dumpf das Meer;

Der Tag brach an, streifige Wolken hingen Blutrot im Osten über Tiefen leer Und nebelbrauend.

Meiner Seele Schwingen

Lähmt Ekel, stöhnte Guy, es bricht mein Herz Vor schalem Abscheu: nun, da Stillung hatte

Der wilde Wunsch, verlor ich meinen Schmerz,

Das Diadem! Ich schritt auf hoher Spur

Des Lucifer — doch was ich aufbeschworen An Racheschrei, an Groll der Kreatur

Im Liebesrausche gab ich's feig verloren ... Zerplatzte Form — fort auf die Scherbenstätte!

Er griff zum Dolch mit Inbrunst. Plötzlich trafen

Ihn fremde Laute.

Von dem Purpurfühl

Hob Santa sich; ihr Haupt, nach Ost gewendet Trug, vom Reflex des Goldhaars überblendet,

Den Zug der Sphinx — das Lächeln fremd und kühl.

Die sprach: es soll das Wunder um Dich sein, Daß unbewußt sich meine Seele wendet

Zu Deiner, die den Erdenflug beendet

In einer Nacht, darin kein Sternenschein. Ihr eignes Rätselwort — erriet's die Frau, So fiel in Triimmer unser Weltenbau,

73 Denn bebend ließe ihre schwache Hand

Die Ampel fallen, drin den großen Brand

Der Liebe sie von hohem Warteturm

Arglos ins Weltall hält, in Nacht und Sturm. Es streut die Frau der Liebe heißen Strahl

Durchs dunkle Leben, reich — doch ohne Wahl,

Die geht und liebt, voll' harmlos — aber blind, Wie Sterbeli^er spielend lallt ein Kind Mit blühndem Mund . .

Du hast in wildem Drange Das Glück am Busen einer Frau gesucht, Hast's nicht gefunden — und hast Gott verflucht.

Was Du gesucht so sehnsuchtsvoll, so bange, Dies tiefe Etwas ist ein Strahl von Licht,

Den Gott ihr gab, daß man ihn heiß verlange Und doch auf Erden finde nicht.

Wenn eine Frau die dunklen Augensterne Scheu zu Dir aufschlug, hast Du nie mit Schmerzen

Gefühlt ein Heimweh nach verlorner Ferne? . .

In jeder Frau liegt der tiessüße Zug, Der unbeschreibliche, ein ew'ges Sehnen

In uns zu wecken, daß wir aufwärts dehnen Zu Gott empor des Lebens Probeflug.

Doch wen erfaßt's, daß von der Welt er lasse? Es schreit nach Lust und Sinnenreiz die Masse,

Die sucht und findet Alltagsglück beim Weib, Denn an des Rätsels schönem Bollwerk: Leib Bleibt stocken sie, gesättigt zu gesunden —

74 Nur Wenigen schlägt Liebe tiefe Wunden,

Doch jede Wunde wird ein Ritterschlag. Heil dem, der Glück beim Weibe nie gefunden Und aus der Tiefe dafür segnen wag.

Das ewig Weibliche ist Schmerz ohn' Ende: Wer allsogroß, daß ohne Groll und Spott Er schweigend sich von Erdensonnen wende, Steht freilich einsam da — doch eins mit Gott. — Und große Schmerzen sollen heilig fein'

Unselig, wer das Saisbild von Stein

Nach einer Seele ungestüm befragt, Nach Lust schreit — und die schöne Form zerschlägt. Ihm wird aus Trümmern, aus verstreuten, grauen

Die leere Nacht lichtlos entgegenschauen. So gähnt in jeder Frau ein blumig Grab;

Es heißt das Nichts — und wer es je gemessen Muß zu den Schatten, bleichen Haupts, hinab. Müd' vor der Zeit, früh welk und früh vergessen.

Die Form vergeht, doch ist kein Grab so klein, Aus seiner Tiefe zwingen sich Cypressen Mit dunklen Flügeln auf zum Sonnenschein.

Das Leben ist ein starker Wanderflug, Zu Gott gerichtet, und auf allen Wegen Trägt uns des Schmerzes großer Atemzug

Der Heimat zu, dem ew'gen Lenz entgegen. Vieltausend Jahre werden gehen, kommen.

Wenn über Alles, was aus Stein erbaut,

75 Wenn ob der Sphinx, die stolz auf Theben schaut, Wenn über Alle, die gedacht, gedichtet

Und des Gedankens Säulen aufgerichtet Der Staub verschüttend seinen Flug genommen,

— Der Streusand zu der großen Schrift der Zeit Der trübe Bodensatz der Ewigkeit — Wird stets ob allen Leidenschaftsdämonen

Das Weib am höchsten Opfersteine thronen.

Allewig wird sie, aus des Daseins Wüste Emporgereckt, hinbieten ihre Brüste,

Daß bittern Seim bethört die Menschen saugen Im Glänz der hohnvoll-heil'gen Götteraugen, Daß sie, vom Born des Weiblichen zu schöpfen.

Das Hirn sich fiebern aus den müden Köpfen, Daß sie, dies Rätsel schaudernd zu erfassen Bon Wahrheit, Frieden, Gott und Leben lassen,

Sich küssen, hassen, schlachten nach Gefallen, Anbeten, lästern, schluchzen, lachen, lallen,

Das Herz von Stein zu rühren, zu erweichen,

In jeden Abgrund, jede Tiefe reichen — Sie aber wird, hoch überm Erdenflug

Im warmen Staube sonnen ihren Bug, Mit finsterer Stirn, das Auge unerhellt, Die Löwentatze stemmend auf die Welt,

Und stumm ihr Antlitz, das vernichtend schöne

Gen Morgen wendend, bis Posaunentöne

Die Gräber spalten, bis den Tod verschlang, Ein Jubelruf, bis jede Hülle sprang,

76 Und über Fügung, Formen, Rätselfragen

Der Freiheit Flammen triumphierend schlagen — Dann wird die Sphinx, erlöst, gebenedeit, Gleich Memnonssteinen, die tiefbebend klingen

Das Hohelied versöhnter Ewigkeit, Ein großes Liebeshalleluja singen.

Santa schwieg, lächelte.

Von ihrem Haupt

Wich jäh der Schimmer.

Sank sie zur Seite. Schwehlender Rauch.

Müde, sinnberaubt

Aus der Ampel stob Als Guy die Stirn erhob

Fiel ins Gemach fahlgraues Morgendämmern, Zur Weide zog mit roten Wolkenlämmern

Der Sieger Tag; ein Stern schoß in die See — Mein Loos, sprach Guy; wart' bis ich mit dir geh.

Zur Seite warf er Santas Haar, das blonde, Und führte tastend, ohne Laut noch Wort, Den Dolch ins Herz; so senkt sich eine Sonde

Langsam und still in einen leeren Ort.

Fatthüme.

I. Die Wüste, die vom Samum heiß geküßte,

Die Wüste, die vom Morgen überglühte, Gebar einst Dich in schmerzlichem Gelüste

Als wunderseltne herbe Lieblingsblüte.

Ich sah Dich spielen, wildes Kind der Tropen,

In Wind und Sand mit Deinen Milchgeschwistern, Den zierlich scheuen, klugen Antilopen,

Und sah um Dich die Brussaseide knistern,

Und sah die Sklaven knieend Dich umfächeln Mit Pfauenwedeln, die von Salben troffen, Und sah Dich träumen, übersatt von Lächeln,

Mit dunklen Augen, die gleich Pforten offen,

Da plötzlich sprangst Du mit gesträubtem Munde Und peitschtest wach Dein Lenktier von Mahara

Und sprengtest fort.

Seit jener flüchtigen Stunde

Hatzi ich geliebt Dich, Tochter der Sansara.

80

II.

Oft, wenn im Sande schliefen unsre Stuten,

Wenn unser Feuer, das die Nacht erhellte, Verloschen war, glaubt' ich, daß im Gezelte Nur Deine Glieder süß bewußtlos ruhten,

Daß Deine Seele flog nach einem Sterne, Um Erdenweh und wilder Gräser Rauschen

Und Herzen, die Dich lieben, zu belauschen, Wie mitleidsvoll, aus einer großen Ferne.

Daß sie geschwommen durch die düsterblaue Unendlich, sich eisig anzufeuchten, Um hier auf Erden unter Deiner Braue

Mir hoffnungslos und ewig fremd zu leuchten.

81

III.

Das Mondlicht flutet voll und bleich Durch dunkle Wolkensäume; Es liegt im fernen Mondenreich Ein See — der See der Träume.

Und alle Thränen, welche je

Um Frauenliebe vergossen,

Sind leuchtend und still in jenen See, Den See der Träume geflossen.

Schönatch-Carolath, Dichtungen.

82

IV. Wenn Thoren sich mit Deinem Thun befassen,

Sollst Du des Wegs gehn und sie schelten lassen. Sieh: es ist Nacht, die Geisterstunde schlug,

Es schläft das Dorf, da naht ein Kaufherrnzug, Im Sande waten sacht die Dromedare.

Da plötzlich wittern eine seltne Ware

Die Hunde rings, und hämisch von den Schwellen Auffahren sie mit Heulen, Schnappen, Bellen, Und eifern grimmig, kläffend bis sie schwach

Und heiser sind, dem fremden Gute nach.

Doch still im Sattel wiegen sich die Reiter,

Die Tiere schwanken hochbeladen weiter, Nicht Stock noch Steinwurf lohnt dem Geiferzahne. Hund bleibt stets Hund.

Was thut es, daß er bellt,

Wenn schweigend Deines Lebens Karawane Nach Mekka zieht durch Staub und Lust der Welt?

83

V. Nun will ich Dich tragen, mein Glück, mein Traum, Mein Lieb, hoch über das Weltenall, Wie einst der Adler die Nachtigall Barg unter weichem Schwingenflaum.

Ich will Dich wiegen im Sonnenschein, In goldnem Frieden, weltentrückt, Und Du sollst singen, tiefbeglückt, Dein Liebeslied für mich allein.

84

VI. Der Herr der Gläubigen gab mir ein Band, Nebst einem Sterne von gezacktem Schliffe — Wo wär' ein Narr von Fez bis Damarkand,

Der solche Huld, mir zugedacht, begriffe?

Dem Großherrn lastete sein Prachtgezelt Am Bosporus, dieweil Traumdeuter schoben

Vor ihn den Spiegel unsrer Tropenwelt: Denn er sah Dich, wie Du von Licht umstoben

An meiner Seite rittest stolz einher,

Der Karawane schlanke Wünschelrute . . . Dein Stern, sein Band — sie flattern bunt und quer

Am Schweife, Herrin, Deiner Lieblingsstute.

85

VII.

Ein Derwisch, den an Ghasals Höhenrand Verschmachtend ich und wegesmüde fand, Den ich zum Lager leitete und pflegte,

Sprach, eh den Kopf er auf die Polster legte:

Kein Ding, o Freund, ist des Besitzens wert, Und frei nur ist, wer nichts ersehnt, entbehrt

Macht, Ehre, Ruhm, ja, selbst der Frauenkuß Verbergen Täuschung, Trübsal, Überdruß;

Im Sand drückt flüchtige Kreise Dein Gezelt,

Du selber bist ein Fremdling auf der Welt, Begier, Gedanken, Wunsch in Menschenköpfen

Sind, wie des Reisigs Knattern unter Töpfen, Ein nichtig Prasseln; und dem Wölklein Rauch,

Dem Funkenblitz gleicht unser Leben auch.

Was unvergänglich, herrlich schien und teuer,

Es wird zu nichts — doch selig wenn zur Rast

An Deines Lebens kurzem Hirtenfeuer Der Armut Du das Heim bereitet hast.

86 Dann wird Dein Leben zwar wie Rauch vertreiben,

Du selber doch wirst ewig sein und bleiben.

*

*

*

Ich glaube gern zu jenes Derwischs Ruhme,

Daß nie sein Herz der Liebe Blütenlast, Daß niemals er gekannt hat Dich, Fatthüme.

87

VIII.

Das Feuer loht; die Karawane blieb

Am Hügel lagern, fremden, sandverwehten. Groß deckt und still die Schläfer im Propheten

Das Firmament, ein golddurchbrochnes Sieb.

Was ist es, das im Strahl der Sterne rinnt Zu Tiefen nieder, dunklen, unerlösten —

Jst's stilles Mahnen, heiliges Vertrösten,

Das niederwärts die goldnen Fäden spinnt?

Sind's Blicke nur, die aus dem Freudensaal Fremd und erstaunt auf uns herniedertauen, So fremd, wie dunkle Frauenaugen schauen Verständnislos auf eine Herzensqual?

Was sind sie selbst, die über Bann und Vehm

Der Todsschatten ihre Flugbahn treiben? Verkünden sie von Sein und ew'gem Bleiben Uns Sterblichen ein flammend Glückpoem?

88 Wird einst enthüllt, daß alle Hoffnung Wahn,

Daß Sterne, die gleich Liebesfackeln brannten,

Die wir mit Inbrunst gut und ewig nannten, Ein letzter Trug, den Götter uns gethan?

Sie lügen nicht.

Doch Erdenglück zerfließt,

Und Liebe weicht aus Frauenaugensternen

So qualvoll jäh, wie lautlos hinter Fernen Ein Meteor verleuchtend abwärts schießt.

89

IX.

Ja, Du bist schön! Dein Lächeln scheucht die Sorgen So sieghaft fort, als unsre Smala fegt

Speerwerfend Volk an einem Siegesmorgen.

Und Du bist stolz! Der Scheich, der rings gebeut,

Wirft sich vom Nacken seiner besten Stute Und knieet int Staube, wenn es Dich erfreut.

Und Deinen Schmuck — ihn schleppt ein Lastkamel, Zwölf Sklaven spähn den Willen Dir vom Munde,

Schön bist Du, Herrin, stolz und ohne Fehl — Allein Dein Herz ? ? !

Da gähnt die tiefe Wunde.

90

X Am Höhenrand, der kreidig, sturmgeschlagen, Gebleicht vom Samum, ohne Pfad noch Schatten,

Hielt unsre Schar, betäubt von wildem Jagen, Bor einer Löwin, die gefällt wir hatten.

Die Löwin lag, gelähmt im wildgewagten Vermchtuugssprunge.

Am fahlbraunen Buge

Die dünnen Pfeile schiefgebogen hakten, Das Schaftgefieder zitternd noch vom Fluge.

Die Löwin hatte sterbend sich errissen

Ein Purpurbett; sie lag auf ihren Treibern Und wälzte sich auf einem Sterbekissen

Von atlasweichen, heißen Menschenleibern.

91 Es deuchte mir, wie sie die Flanken streckte

Und, durstgequält, mit fächelnd mattem Schlagen Des Löwenschweifes ihre Opfer leckte,

Als ob sie zögernd stürbe, mit Behagen.

Ihr letzter Blick hat schillernd mich gemessen;

Tod lag nebst Wollust in dem Blick, dem einen. Und jenen Blick, ich hab' ihn nie vergessen:

Der toten Löwin Auge glich dem Deinen.

92

XL

Auf einem Grat, das wolkenüberjagt Ins Leere reckt sein Haupt, sein schieferblasses, Wo Stürmen nur der Riese Atlas klagt

Die Last der Welt und jene seines Hasses,

Da hab' erbaut ich einen Opferstein, Um aufzutrennen Deine Brust, die weiße,

Daß ich den Ursprung aller Erdenpein,

Des Weibes Wesen an das Taglicht reiße.

Das Werk gelang.

Es barg der heilige Raum

Ein wenig Spreu, zwei Handvoll goldner Litzen, Ein buntes Traumbuch, einen Kleidersaum,

Ein großes Knäuel abgewelkter Spitzen

Und einen Stein.

Der trug in Lettern starr:

Fatthüme birgt im Guten und im Bösen Ein Rätselwort.

Kein Weiser wird es lösen,

Doch darum leiden kann allein ein Narr.

93

XII. Der Pascha, Herrin, dessen Dampffregatte Bor Tunis liegt, bewimpelt und bewehrt,

Der Dich ersehn, der Deine Huld begehrt

Und goldnen Ringschmuck in den Ohren hatte,

Er gab — ich weiß es — jüngst Dir als Geschenk

Den ersten Ring mit Lächeln und verstohlen, Daß Du bei Nacht das zweite Ohrgehenk

Von seinem Schiffe heimlich mögest holen ...

Der Weg nach Tunis, Herrin, ist nun weit,

Des Fremden Schiff mit Eisen dicht beschlagen, Du bangtest Dich — und siehe, Deine Zeit Ist ausgefüllt mit Schlafen, Plaudern, Jagen.

Ich bringe nun, die Reise Dir zu sparen, Den Kopf des Pascha. Der zweite Ring.

Fest im Ohre sitzt

Schau', Herrin, wie er blitzt!

Zum Angedenken magst Du ihn bewahren.

94

XIII.

Atlas, zum Himmel stürmender!

Du hast

Ein Glück gewollt, das allzu hoch bemessen,

Nun muß den starren Riesennacken pressen

Zum Staube Dir des Erdballs Schmerzenslast.

Ach, grolldurchschüttert rauscht Dein tiefes Klagen

Durch Welt und Zeit.

Doch schwerer ist die Pein

Ein gottgebor'ner stolzer Mensch zu sein,

Und heißer Sünde Sklavenjoch zu tragen.

95

XIV.

Du lagst gelangweilt in den Seidenkissen,

Ringschillernd, eine halb erstarrte Schlange: Um Dich zu wärmen, im Erlöserdrange, Hab' ich ans Herz Dich mitleidsvoll gerissen.

Du sahst die Beute lange hohnvoll an Und wärmtest Dich und hast hineingebissen —

Ich war ein Thor, Du hattest recht gethan.

Ich hob die Faust, Dich schmetternd zu verderben,

Und senkte sie — Du warst nicht wert, zu sterben.

96

XV.

Wir sind am Ziele.

Laßt die Sänfte nieder.

Entsteige, Herrin, Deinem Purpurbette,

Es wartet Dein und Deiner schönen Glieder Kostbarer Last der Teppich von Damiette.

Sets wohl, mein Lieb.

Du rissest meinen Glauben

Gleich Unkraut aus; der Hoffnung breite Gassen

Stehn öde da — doch keine Friedenstauben

Sind die Gedanken, die Du mir gelassen.

Siehst Du die Stadt?

Die schönste iff§.

Im Bogen

Reckt sich an Wasser, blauem, salzig klarem,

Ihr Kuppelwirrsal, fahnenüberflogen, Und der Palast dort ist des Sultans Harem.

97 Dort sollst Du leben, hinter goldnen Stangen, Schön — doch unschädlich.

Mit verblümtem Spruche

Wird Dich der Großherr als Gemahl empfangen Und Eure Kissen glätten ein Eunuche.

Ich aber will an wandermüden Füßen

Die Reue schleppen, will der Welt entfliehen Und, Deiner Liebe Gifthauch abzubüßen, Einsam, als Bettler, gen Balsora ziehen.

Zchönaich-Carolath, Dichtungen.

7

98

XVI.

Sang des Türmers. Ihr Schläfer! Wollt Ihr meiden Schmerz und Spotts

So bindet Eure Stuten an.

Erst dann

Befehlt sie Gott.

Wer sich den Mund verbrühte, bläst zur Not

Auf kalte Milch.

Schlaf birgt mehr Glück denn Wachen;

Dein bester Freund heißt Tod.

Vernehmt, ihr Gläubigen, was ich zur Stunde

Verkünden soll vom Rand des Minaretes: Nach Allahs unerforschlichem Befunde Ward gestern, um die Zeit des Nachtgebetes,

Der Welt entrückt die Sultanin Fatthüme,

Des Großherrn Stolz, des Harems Lieblingsblume.

Wär' Euch bekannt, was mir an Wissenssachen Geoffenbart, enthüllt und angestammet,

99 Ihr würdet weinen und gar wenig lachen; Doch segne Allah Euch.

So spricht Mohammed.

Ein müdes Schiff, das seine Segel dehnt, Ein Menschenherz, das sich nach Frieden sehnt,

Ob sie das Ziel verfehlten oder fanden,

Im gleichen Hafen werden stets sie landen.

In jedem Herzen zittert ein Magnet,

Der rastlos sich zur ew'gen Heimat dreht.

Ein Weg, daran mit kurzer Pause

Der Schmerz als Meilenzeiger steht, Führt rasch nach Hause.

100

XVII.

Aus eines Kerkers schwülen Finsternissen Zur Freiheit, die kein Goldgeflecht ummauert,

Hob sich Dein Herz und hat den Strick durchrissen; Der Vogler stumm am leeren Käfig trauert.

Du riefst den Tod.

So flieht vertraute Stätten

Im Trotz ein Kind, gelockt von Abenteuern.

Ach, daß Dich Engel sanft geleitet hätten Zu ferner Heimat hellen Hirtenfeuern!

Wo weilst Du jetzt? Von welchem Flammensterne Blickst erdenwärts Du zwischen Traum und Wachen

Auf mich herab? In welcher Sonnenferne

Wiegt sich Dein goldnes schwermutvolles Lachen?

Vorbei — Dich bringt kein Erdenfrühling wieder, Doch folgen wird Dir bis zur Strahlengrenze

Der tiefe Nachhall meiner Liebeslieder, Sich zu vermählen Deinem neuen Lenze.

101 Uns trennt kein Tod.

Wenn im Posaunenstoße

Des Weltgerichts die Gräber sich bewegen,

Wird einst Dein Auge, das verweinte, große, Neu auf mich schütten seinen Strahlenregen.

Dem Dichter ist ein leuchtend Los gefallen: Wer Großes schuf, reißt aus der Nacht der Zeiten

Ein sterblich Weib, das er geliebt vor Allen Zum Sonnenstrom versöhnter Seligkeiten —

So will auch ich in Liedern ew'ger Dauer, Du stolze Tochter der Abencerragen,

Das Weh um Dich, die Weltlast meiner Trauer,

Als Büßer Atlas zu den Sternen tragen.

102

XVIII. Zuweilen zeigt mir ein schwüler Traum

Mit ihren Türmen und Thoren

Die Stadt der Chalifen am Wüstensaum,

In Sand und Ferne verloren.

Ich meine zu hören fremd und wirr

Das Brausen der Bazare, Der Kesselpauken dumpfes Geklirr,

Das Röhren der Dromedare.

Aus gelbem Staube, windgerafft, Flattern die grünen Fahnen, Fernab, auf ewige Wanderschaft

Schleichen Karawanen —

Auf Wanderschaft von trüber Art Zwang auch ich durchs Leben

Ein büßend Herz, deß Wahlspruch ward:

Geben und Vergeben.

103 Nun ragt das Schloß der Tempelherrn

Aus regennassen Landen,

Mit dumpfem Donner schwer und fern Der Ostsee Wogen stranden,

Und über Sturm und Mövenschrei Wandert die Karawane Meiner letzten Liebe vorbei,

Meine Fata Morgane.

Don Juans Lod.

Es ragt der Kaukasus, ein Scheidewall Von wilder Art, gebettet zwischen Meeren,

Darein er schleudert seiner Ströme Fall. Die Lenden gürtet eine Wolkenwand Dem Unbesiegten, und zur blauen, leeren Unendlichkeit reckt er den starren Nacken,

Mit seiner Stirne weißen Gletscherzacken Hinüberlachend in das Morgenland.

Als Gott die Menschen aus dem Eden stieß Da fachten, heimatlos, sie Lagerfeuer,

Die, kaum verglüht, ihr müder Fuß verließ. Sie trieben hin unstäten Wanderflug

Heimwehgefoltert, bis ein Lenz, ein neuer Jubelnd hereinbrach.

An dem Höhenzug

Draus Quellen stürzen, brausend, waldnmgrünt, Fanden die Müden, neu beglückt, entsühnt, Ein frisches Land, ein neues Paradies.

Und Friede ward.

Jahrtausende vergingen,

Des Christentumes großer Flügelschlag Stieß durch das Land.

Der Berge trotzige Zwingen

108 Erklommen Burgen, breit und schiffbar lag

Der wilde Kur.

Dort, wo den Waldkoloß

Umbrach die Axt, ragt schimmernd jetzt das Schloß

Der Grusenfürsten.

Schlank hebt sich der Bau

Aus breiten Höfen; in den Gärten rauschen Der Bäume Kronen, überm Labyrinth Der Kuppeldächer fegt und flappt im Wind Das Grusenbanner, und wo Decken, blau,

Purpurgestrählt sich vom Balköne bauschen, Schaut still ins Land der Grusenfürsten Kind.

Diava träumt, doch ist nicht froh zu nennen Dies Angesicht; ihr dunkles Auge mahnt An Lampen, die durch Alabaster brennen.

Wann, spricht sie, Schicksal, das ich lang geahnt,

Erfüllst Du Dich? Wann wird von mir genommen Der Seele Bann? Gestalt fremddüstrer Art,

Wann endlich wirst Du, finstrer Buhle, kommen?

Sie wendet sich, schreckt auf.

Der Patriarch, ein Greis.

Zum Saale zieht

Die Kirchenfahnen

Neigen sich tief, das Volk andächtig kniet. Gieb einen König deinen Unterthanen Murrt dumpf die Menge. Doch die Fürstin schweigt Und weist zur Pforte. Ihren Ärmelsaum

109 Berührt der Priester; ihres Kleides Schleppe

Küßt scheu das Volk.

Leer wird es; auf die Treppe

Setzt sich ein Schmetterling im Sonnentraum.

Und draußen liegt die Ferne brütend heiß, Es klagen unablässig die Cikaden,

Im Süden ballt Gewölk sich hohl und weiß. Was hält, mein Herz, Dich ewiger Gram beladen,

Spricht trüb die Fürstin.

Unter Purpurhüllen

Wogt zwischen Furcht und Ungeduld Dein Schlag, Und Deiner Schwermut tiefen Schoß vermag

Kein Glanz, kein Erdenfrühling auszufüllen.

In schwülem Traume banger Jugendnacht Geschah es mir, daß aufwärts aus dem Leben

Gelöst, ich schwebte.

Tief, in letzter Pracht

Der Abendsonne grüßten Thal und Matten Purpurgesättigt aus dem Ocean. Auf Engelsflügeln fühlt ich rauschend heben

Mit weichem Fittichschlag mich himmelan. Mein Haupt umbrauste frischer Morgenwind,

Da plötzlich drang ein Ruf aus Erdenschatten: Erbarm Dich meiner, lichtumstobnes Kind.

Ach, Gott und Engel haben mich verlassen, Bleischwer zieht niederwärts zum ew gen Leid

Mich das Gericht! O laß Dein weißes Kleid Am Saum die Hand des Fluchbeladnen fassen,

110 Und rettend hilf aus Qual und ew'ger Pein Dem Reuigen zum Lebenssonnenschein.

So hallt der Ruf, den ich entsetzt gehört, Und meine Hand erfaßt mit wildem Griffe

Ein bleicher Mann.

So, da beim Sturm zum Schiffe

Der Heiland trat, hielt Petrus sich, verstört.

Grabtief sein Auge, drüber spannt die Braue Sich schwarz und schmal.

Wie Jenen ich erschaue

Flammt auf in mir als jähes Machtgebot:

Du rettest ihn aus Untergang und Tod. An Deine Hand, in Dein Gebet, dahin An Deine Brust — kein Himmel ohne ihn!

Schon türmt sich auf, lichttriefend, riesengroß

Das goldne Thor, doch eh' dies Ziel erreicht, Der Sünder, strauchelnd, in die Leere weicht, Und stürzend, klammernd, aus der Engel Armen Zieht er mich abwärts.

Ein Posaunenstoß

Zerreißt die Luft; Nacht deckt des Himmels Thor, Und Nacht umfängt mich, doch ein Engelchor

Singt in der Höhe feierlich: Erbarmen. Seit jener Traum, prophetisch, mit Gewalt Und Schrecknis kam, das Herz mir zu belasten, Verfolgt mich des Vervehmten Nachtgestalt.

Ich fühle, daß sein Schatten um mich lebt,

Oft, nebelhaft, an meiner Seite schwebt, Nur flüchtig bannen ihn Gebet und Fasten.

Er kehrt zurück nach traurig langer Pause,

111 Bei Prunk und Fest, im lauten Volksgewühl Folgt er mir nach; im dunkeln Chorgestühl

Der Kirche nickt er, geisterhaft und stumm, Streift mir das Haar mit seiner Spitzenkrause,

Und blättert sacht das bunte Meßbuch um.

Er nickt mir zu; wenn er ins Herz mir schaut

Mit seinen Augen, seinen qualvoll tiefen Ist mir, als ob viel tausend Stimmen riefen:

Er bleibt Dein Herr, Du bist ihm angetraut. Finstres Gebild, mit Ängsten, heißen, großen Enthüllt sich mir: Du bist von Gott verstoßen,

Du bist kein Lichtgeist, und vom Paradies

Treibst Du stromabwärts ohne Kampf, noch Hoffen.

Wohlan — Dein Sturz hat meine Bahn getroffen, Ich will umfassen Dich mit voller Kraft

Gläubigen Herzens; Deine Schuld bekennen Will ich dereinst und sie die meine nennen,

Mein Heil für Deines geb' ich voll in Haft. Ja, fesselt an die Höllenmacht des Bösen

Gelübde Dich, Trieb und Blutsbrüderschaft, Ich will Dich retten, werde Dich erlösen.

Wie heiß die Sonne sticht. Das Gras der Steppe.

Der Südwind biegt

Spätnachmittag liegt

In weißer Glut auf Mauern und Arkaden. Brütende Stille; schläfrig müden Klanges

Der Wache Schritt im Grund des Bogenganges, Fern auf den Wegen ballt sich Staub in Schwaden.

112 Und aus dem Staub — Die Wachen stehn entsetzt — Ein Reiter austaucht, jäh.

Zum Sprunge jetzt

Im Flug ein Schatten spannt

Zwingt er sein Pferd.

Sich durch die Luft, und landend mit den Hufen Pflügt schrill der Hengst das Pflaster vor den Stufen. Die Wachen taumeln, blutend, überrannt. Ein Schritt, enteilend, Klirren, wildes Rufen,

Aufschreiend aus der Fürstin Vorgemach

Stieben die Frauen, und Diava, wach In starrer Spannung vor dem Bild des Christes

Steht aufgereckt.

Ihr Auge lacht und brennt,

Ein bleicher Mann den Vorhang keuchend trennt; Da bricht von ihren Lippen wild: Er ist es.

Sie stehn und blicken sich hochatmend an:

Dein Name, Fremder — Ich bin Don Juan,

Don Juan de Marana.

Spaniens Damen

Bekreuzen sich in Andacht vor dem Namen,

Und spräch nur eine zu der andern leicht: Der Bose hol' ihn, eh' der Tag entweicht, So riefen Alle: Segne Gott es, Amen.

Die Thür springt auf.

Rasch, mit entschloss'nem Schritt

Und tiefem Gruß ins Königszimmer tritt

Das Schwert im Arm der Kommandant der Garden. Die Fürstin winkt; er geht, gehorcht dem Zwang,

113 Doch vor der Thür, die Don Juan durchdrang, Kreuzt sein Befehl der Wachen Hellebarden.

Noch hüllt Diavas schwarzer Augenstrahl Den Fremden ein; Glut liegt auf ihren Mienen.

Nun bist Du, spricht sie, leiblich mir erschienen, Wer sandte Dich? Kamst Du nach eigner Wahl?

Wie fandest Du von Spaniens Glutgestade

Des bunten Ostens weltentfernte Pfade?

Wenn von zerklafftem, ödem Hochgelände Der starke Wolf, den Beutedurst versucht,

Mählig hinabsteigt, daß er Stillung fände, Lugt er ins Land von einer Höhenflucht. Und witternd prüft er, ob der Wind der Nächte

Ersehnter Beute Vorgefühl ihm brächte.

Mir trieb der Ost ums Haupt mit Adlerkraft Sein Schwingenpaar, da fühlt', ich, fern erblühe Mir eine große, neue Leidenschaft.

Wem je der Schönheit süßer Sonnenstich Das Haupt versengt, durch Nacht und Morgenfrühe

Eilt er zum Ziel, ihn hemmt kein Länderstrich —

So, schöne Beute, suchte, fand ich Dich.

Sie zuckt empor, entsetzt, doch Überwindung

Hilft ihr zum Wort.

So trachtet Deine Bahn

Der meinen nach in sündiger Empfindung? Schönaich-Carolath, Dichtungen.

8

114 Was kettet uns? Was hab' ich Dir gethan? Wer gab Dir, rede, über mich Gewalt,

In meiner Seele Obdach, Aufenthalt? Taucht'niemals Dir, wenn Du des Rätsels sinnst,

Erkenntnis auf? Wer schürzte dies Gespinst, Wer spann die tiefe, seelische Verbindung?

Was ist's, das uns geheimnisvoll verwebt?

Verkünde mir, ob aus der Kindheit lebt Dir ein Erinnern . . .

Königin, vergebt, Sprach jener rauh; sollt' ich den Kopf verlieren,

Zwei Dinge giebt's, die meiner Eigenart Entgegenstehn als schroffer Widerpart: Hochzeitsgefasel und Philosophieren.

Wie dort er stand, den Bart keck zugespitzt,

Das Auge hart, der Rotmund frech geschlitzt,

Auf finster Stirn der schwersten Sünden Stempel, Brach ihr zu Schutt der keusche Herzenstempel Bräutlicher Hoffnung.

Ihn, den schönen Wicht

Der vor ihr stand, beachtete sie nicht, Nur angstvoll sucht' ihr Auge seinem Denken

Sich, seiner Seele, forschend einzusenken. So irrt des Steigers schwankend Grubenlicht

Zum tauben Schacht, ob es im Schuttgewände

Nicht eine lautre, reine Ader fände. Vergebens, spricht sie; ausgestorben klafft

115 Und leer Dein Herz.

Ich möcht' Dich von mir stoßen,

Doch siegend ruft tiefinnre Glaubenskraft:

Nicht irrt Dein Herz, er zahlt doch zu den Großen! Welch Pulsschlag treibt Dich und welch Lebensplan

In Deines Sommers reifen Mannestagen, Nach welchem Eiland segelt, sturmgetragen

Dein klopfend Herz dahin im Lenzorkan? Ob Du ein Held aus König Artus Hain, Ob irrend Du, landflüchtig seist wie Kain, Welch' Los Dich traf, welch Lebensziel Du hast,

Ich will es wissen, rede, bleicher Gast.

In Lebenslenz, in Lebensungewittern Ob Sonnen stächen, ob mich Sturm umnachtet, Ist eines nur, danach mein Wesen trachtet

In ew'gem Durst, in Bangnis, Gier und Zittern. Ein Erdenziel erkenn' ich nur: das Weib —

Am Weibe nur ein Göttliches: den Leib.

Dich, die der Rausch verlornen Paradieses Greifbar durchflammt, trotz Sündenfall und Vehm^ Die Du im Staube sonnst Dein Diadem,

Die rauhe Fülle Deines Lockenvlieses;

Dich Lebensmutter, nie gefüllter Born, Die sorglos Du, in eines Baumes Schatten

Halb Tier, halb Göttin schläfst im Hagedorn Mit frischen Lippen, roten, Nimmersatten,

Dich hetzt mein Fuß, Dir folg' ich brünstig nach, 8*

116 Uns wird die Welt ein weites Brautgemach, Ich zwing das Weib mit ungefüger Kraft

Zu jubelnder Alltagsleibeigenschaft;

Und Weh der Macht, die meinen Weg verstellt, Ich werd' zerschmettert, oder sie zerschellt.

Wenn mir ein Weib das steinern Herz bezwänge, Ich zog' mir selbst der Totenglocke Stränge,

Vom Sockel stieg für immer ich hinab, Und schaufelte mit eigner Hand mein Grab. Daß dürstend ich des Weibes Dürsten stille

Bin ich gesandt, Mithelfer rauher Paarung,

Ich bin die Kraft, ich bin der Lebenswille, Dies sei Dir Beichte, Herrin, Offenbarung.

Die Fürstin schwieg. Ihr feines Köpfchen.

Gesenkt war, glutdurchflossen In den Scheiben blaute

Ein jäher Blitz, durchleuchtend das Gemach.

Ein Wetter kam auf fahlen Wolkenrossen

Aus Süd geritten, doch Diava sprach Mit weichem Blick und mitleidvollem Laute: So hast Du niemals betend und bewegt

In Mutterhände Deine Stirn gelegt? Und hast Du nie — Des Sonntags müßt es sein —

Zur Junizeit, wenn weit die Felder wogen, Bei Orgelklang im Sommersonnenschein Ein Weib auf ewig an Dein Herz gezogen?

Es hat der Mann, sein müdes Haupt zu betten,

117 Zwei Orte nur, die ihn vor Stürmen retten,

Dahin er still nach jedem Schiffbruch kehrt: Der Mutter Herz, die beten ihn gelehrt, Das Herz der Frau, die still in Jugendschimmer

Und Jugendliebe sein ward, sein für immer.

Die Liebe beut mit läuternder Gewalt Aus weißer Frauenhand den Kelch der Gnaden . . .

Mich dürstet, Herrin, sprach der Fremdling kalt. Nie, beim Geschwirr verbuhlter Serenaden

Von Hütern und Duennas arg verflucht, Hab' Liebe je begehrt ich, noch gesucht. Mich zwingt der Durst, der ungestüme Treiber,

Nicht ein Weib will ich, sondern alle Weiber, Nicht kann die Frau durch Gnadenwerk mich blenden, Nein, Lust allein und Durstesstillung spenden. Ich bin ein Gast im Lebensbachanal,

Mein Leitstern ist, danach den Weg ich lenke, Mein Weiser ist zur vollen Lebensschenke

Der ewigen Schönheit flammendes Fanal.

Ein neuer Blitz zündenden Scheins durchriß

Des Sommerabends frühe Finsternis,

Und als verstoben seine fahle Helle

Da mischten dumpf sich in des Donners Krachen Stimmengewirr und schwerer Tritt der Wachen.

Die Fürstin sah erbleichend nach der Schwelle:

118 Werkzeug der Freude, Eintagsglückgestalten Nennst Frauen Du, nach Deines Irrwahns Schlüssen;

Daß Frauen Wunder, Rettungswunder walten, Du wirst es, fürcht' ich, früh erfahren müssen.

Die Thür klafft auf.

Den dämmergrauen Saal

'Füllt Kerzenglanz und roter Fackelstrahl, Goldwerk und Stoffe, schwer durchwirkt, erblitzen.

Mattleuchtend starren Hellebardenspitzen, Ein Greis tritt ein, der Oberste vom Rat,

Archimandrit.

Ein Purpurbaldachin

Spannt schwankend sich, goldstarrend, über ihn,

Die Kirchenfahnen stammen bunt vom Schaft. Komture schreiten, Priester im Ornat,

Es schaaren sich die Großen vom Palaste,

Soldaten folgen, und zu Knaul gerafft

Drängt nach das Volk.

Aufrecht im Fackelglaste

Mit finstrem Blick steht drohend der Prälat.

Ein Friedensbruch, ein schwerer, ward verübt.

Tollwütend hat ein Frevler, blind vermessen Des Rittersinns nach Räuberart vergessen Und unsres Landes Ehrenschild getrübt.

Das Brückenthor, vergittert und umtürmt, Hat jählings er durch Überfall erstürmt, Zur Frauenburg, der Fürstin Aufenthalt,

Brach, blutvergießend, Bahn er mit Gewalt.

119 Ob Königssohn, ob Ritter oder Knecht,

Ob er Vasall, ob lehenspflichtig sei, Wir walten seiner, uns verfallen, frei, Und sprechen ihm am Ort der That sein Recht.

Still wird es rings, die Menge harrt in Schweigen.

Der Inquisitor löst vom Pergament Ein Siegel, grüßt die Fürstin mit Verneigen, Und liest im Licht, das rötlich knisternd brennt:

Wer, landfremd, Eintritt in die Burg erzwingt Und waffentragend in ihr Weichbild dringt, Sei listend es, sei's Kraft des Überfalls, Er hat ohn' Gnade, nach dem Recht der Väter Den Tod erwirkt, und wird gestraft am Hals.

Wachen, herbei.

Hand an den Hochverräter.

Haßvollen Blicks, die Lippen schlimm geklemmt Vernahm es jener; tückisch und verdrossen

Hielt er die Hand ins Dolchgehenk gestemmt.

Diava doch, die Königsstirn erhellt

Von Glück und Hochsinn, eine Liebeswelt Im dunklen Auge, hob die Stirn, entschlossen.

Vieledle Herrn, Euch sag' ich Dank in Huld. Wohl ehrt es Euch, ohn' Ansehn Recht zu wahren,

120 Dem Ritter doch, und trüg er volle Schuld,

Kann nicht Gesetz noch Blutbann widerfahren. Als Fremdling nicht, mir lang vertraut, bekannt

Seit Jahresfrist, grüßt er des Berglands Söhne, Daß sein Erscheinen holde Wünsche kröne

Hat ihn die Ferne meinem Volk gesandt.

Den Ritter, der an Spaniens Littorale

Don Juan de Marana wird genannt,

Erhebt mein Wort zum Fürsten und Gemahle.

Die stolze Mär, als sie dem Mund entflohn. Schlug in die Menge, die zum Thron gestaute. Die Großen stehen, fassungslos, bestürmt,

Allein, das Volk, im Vorsaal aufgetürmt,

Ruft Beifall zu mit Hellem Jubellaute.

Don Juan doch stürzt wehrend vor den Thron

Erhobner Faust, als galt es ihm zu rütteln An Eisengittern, während Schmerz und Hohn

Keuchend die Brust, die wild erregte, schütteln. Diava, ruft er qualvoll, schmerzentbrannt,

Du kennst mich nicht, Du hast mich nie gekannt.

In Blumen wohl, in Sternen magst Du lesen, Allein Dein Auge, fromm und wunderblau,

Ergründet nicht Don Juans Ziel und Wesen. Armselige Beute wär' ihm eine Frau,

Ein Tropfen nur in wildem Becherschwunge,

Ein Salz, ein Reiz, wie Schaumgold auf der Zunge,

121 Im Wechsel nur der ew'ge Wunsch entbrennt.

Wo Sinnenlust mir zulacht vom Geschöpfe,

Häuf ich das heiße Lebenselement

In Weiberherzen, Danaidentöpfe. Der Wechsel ist Bedingung mir, Gebot,

Ewig verjüngt in stets erneuten Wonnen,

Wie sich in Flammen Basiliske sonnen Wär' Ehepflicht mir Selbstmord, Nichtsein, Tod.

Ja Tod! Tod Dir! Das Wort, erfaßt, gerafft Vom Mund des Frevlers, ward auf jeder Lippe Zum Wutgeheul; so bricht mit Donnerkraft

Die Staublawine von der Felsenklippe.

Daß, wuchtend, sie der Wachen Zaun durchzwänge, Vordrang der Haufe, bis ins Mark empört.

Bleich wie der Tod starrt über das Gedränge Die Königsjungfrau.

Plötzlich, wutverstört

Thut Don Juan in die todschwangre Masse So wilden Sprung, daß, weichend, eine Bucht, Raum vor ihm klaffte.

Mordend auf der Flucht

Strafft er den Arm; im Heben, Niederblitzen

Des breiten Dolches der Befreiung Gasse Sich durch der Feinde Leiberwall zu schlitzen.

Umsonst.

Wie den ergrimmten Leoparden

Des Käfiggitters spitzes Stabwerk hemmt, Faßt hakend ihn, zum Doppelwall gestemmt, Ein Gatterthor gefällter Hellebarden.

122 Ein kurzer Kampf, ein aussichtsloser, toller, Dann, waffenlos, die Fäuste strickverschnürt,

Zerfetzt das Wamms, zerklafft der Elennkoller,

Wird Don Juan dem Throne zugeführt. Zurückgetrieben drängt sich aus dem Saal

Polternd das Volk, und vor dem Treppenhause

Sich wälzend, schließt es Brücke wie Portal

Gleich Meerflut ein mit hohlem Stimmgebrause.

Um Don Juan, der in der Krieger Haufen

Schwer keuchend steht, das Auge blutdurchlaufen,

Schließt sich ein Kreis.

Der Inquisitor spricht:

Wie dieser Stab jetzt über Dir zerbricht, Verfällt Dein Haupt dem schwarzgedeckten Blocke.

Mit schwerem Schritt, breitspurig naht ein Mann Von Riesenwuchs, barfuß, in rotem Rocke.

Nicht uns gehörst Du, sondern jenem an.

Und tiefe Stille.

Der weiße Stab.

Scharfen Tones knickt

Diava doch, erbleichend

Bis in die Lippen, zum Prälaten blickt Mit leisem Wink.

Die Großen überflammt

Düster ihr Auge.

Jene geben, weichend,

Dem Greise Raum zur Beichte hohem Amt.

Ehrwürdiger Vater! Dich, Archimandrit, Flehn meine Lippen, meine gramesvollen,

123 Für ihn um Rettung, den sie töten wollen. Er, dem mich Bande, nieerklärte, paaren, Ist meines Lebens finstrer Satellit.

Nun mög' vor Gott mein Wort Dir offenbaren: So wahr der Seele letzten Flor ich lichte Vor Deinem Blick — wenn jenem, der da kam,

Der Gatte mir und Seelenbräutigam Das Sünderglöcklein schrillt im Morgenwind, Ich folge barfuß ihm zum Hochgerichte,

Entehrt mit ihm in einem Grab zu ruhn. . .

Doch jener sprach: Du würdest Sünde thun. Ein Wort, ein schweres weiß ich nur — verzichte.

Zur Hölle kehrt, was aus der Hölle stammt.

Sieh, jener Mann, der Mitleid Dir entflammt, Der Dir erschien als finstrer Traumergründer, Er ist's, der einst vom Baum des Lebens brach Die Fleischesfrucht, und den mit grimmem Bisse

Der Sinnenlust rotschillernd Schlänglein stach. Nun schleppt er, wandernd, seiner Bisse Schmach

Ansteckend fort, der Wollust ew'ger Sünder,

Und wer ihn retten will, der sinkt ihm nach. Vergeblich ist Dein unschuldvolles Flehn,

Sein Maß ist voll — er muß zum Tode gehn.

Das Wort verhallt.

Und wie Diava neigt

Ihr Haupt, aufschluchzend, zu der Stola Falten,

124 Malt sacht das Kreuz er über ihr und schweigt.

Doch sie spricht still: So laßt mich seiner walten Bis Morgengrauen; lost ihm seine Ketten.

Nicht seines Lebens nachtgeweihten Flug, Doch seiner Seele Heil laßt mich erretten.

Zum Saal sich wendend kündet der Prälat: Führt den Gefangnen, bis der Morgen naht

Zu stiller Einkehr in die Schloßkapelle.

Der Pforten wacht, doch schafft, nach Brauch und Fug,

Ihm Brot und Wein als letztes Mahl zur Stelle,

Langsam und schweigend wallt der kleine Zug

Durch Gitterpforten, welche dröhnend klingen Im Angelwerk.

Qualmtrüber Fackelglanz

Strahlt düsterrot auf Säulen von Byzanz, Dumpf klingt der Mönche psalmodierend Singen.

Fürwahr, spricht Don Juan, mein Totenamt. Wie Spaniens Wein mir in die Nüstern flammt! Du Feuertropfen von Malagas Klippen

Birgst nur Vergessen, bringst Gedankentausch.

Der einzig wahre, beste Lebensrausch Blüht auf gesträubten roten Frauenlippen.

An diesem Ort, wo jedes Wünschen schweigt, Spricht der Prälat, erwarten der Geschlechter

Edelste Söhne Waffenweihe.

Steigt

125 Empor der Morgen, adelt Ritterschlag

Den Neophyt zum Mann und Glaubensfechter.

Ins Leben stürmen ihre Frohgestalten Des Rechts, der Pflicht, des Rittersinns zu walten —

Dir dämmert auf des Lebens letzter Tag.

Was jenen, adelnd, lieh die goldnen Sporen, Hast Du geschändet, frevelnd, ehrverloren. Der Waisen Schutz, die Zucht, der Schwachen Rechte

Zertrat Dein Fuß.

Du, der zu Spott gekehrt

Gottes Gebot, mußt enden nun, entehrt, Und gehst den Weg der ungetreuen Knechte.

Prälat! die Zunge schone zum Gebet,

Sprach Don Juan.

Ein jedes Leben geht

Beschlossen hin nach vorbedachtem Ziele. Das Holzschiff bringt in Sicherheit den Leib, Allein die Nägel aus dem Lebenskiele

Reißt jeder Eisenfracht Magnetberg Weib.

Doch hör' mich weiter, Greis im Heiligenschein; (Daß Don Juan mit Dir philosophiere

Muß er, fürwahr, schon xvaty dem Tode sein.)

Mich, der ich heiß nach Lebensquellen giere, Dich, Patriarch, mich, Ausbund, Höllenbrand,

Der Du zur Rechten, ich zur linken Hand, Uns trennt ein Stein, der auf der Menschheit Herzen Gebettet liegt als Anstoß ewiger Schmerzen,

Er nennt sich Weib.

Ich nah' ihr, lustbereit,

126 Als Zuchtstier breiter Lebensfähigkeit,

Deß erdgeborne, stets erneute Kraft

Das Fleisch der großen Lebensschlachtbank schafft; So soll dem Weib mich ew'ge Paarung einen.

Ich will den Grund zu geilen Ernten schlämmen, Du willst entsagen, willst beschneiden, dämmen,

Dem Lebensbaum, des Adern saftend tropfen,

Willst Du das Reis der Weltentsagung pfropfen, Ich will bejahen, und Du willst verneinen. So wirken wir, der Menschheit Antithesen,

Zwei Kräfte, die zum Widerstreit erlesen,

In deren Druck der Erdball seufzend grollt Und, fortbewegt, in ihrer Mitte rollt.

So schaffen treu die beiden Arbeitsknechte Und haben beide gleiche Lebensrechte.

Du tötest mich, allein auch Du wirst sterben. Fort, Patriarch! Den Kampf, mein Testament,

Ausfechten werden unsrer Beiden Erben.

Für Dich, des Spuren rühmlos, früh vergehn,

Spricht streng der Priester, will ich beten gehn, Und dafür auch, daß Deiner Erben Pfade

Austilgen mög' des Schöpfers Rat und Gnade.

Wie sinnbethörend Deine Lippe brennt, Süße Diava, sprach mit heißem Schimmern Der Tigeraugen Don Juan entzückt.

127 Doch sie, zur Stirn die Hände wild gedrückt: Laß' ab, erbarm Dich! Hörst Du nichts? Sie zimmern

Bei Fackelschein im Burghof Dein Schafott!

Eh' Dich der Tod von meiner Seite reißt Enthülle mir, beim dreimal heil'gen Gott,

Weß Deine Herkunft, und weß Art Du seist.

Don Juan stieß der Kirchenfenster Flügel Wildblickend auf.

Die Nacht war schwarz und heiß.

Ein Wetter stand am fernen Kamm der Hügel,

Die Steppe lag blitzüberflackert, weiß.

Die Bäume murrten bange, schwül durchhaucht, Am Himmel schimmerten verstörte Sterne. Zuweilen hob sich Südwind in der Ferne

Gleich einem Tier, das klagend, zornig pfaucht.

Der Burghof flammte; rötlich angeglänzt

Hob sich Gebälk aus Fackeln, pechbekränzt,

Die Säge schrie, dumpf scholl der Bretter Dröhnen. Don Juan warf vom Fenster sich mit Stöhnen. Vernimm es denn, sprach Heisern Tones er,

Es zeugte mich in Qualen Ahasver.

Irrend ohn' Rast durch Länder, unbekannte, Sah er ein Weib.

Sie schritt im Sommerwind

Am Rain der Felder, stolz, ein Götterkind; Staub zog am Weg, Gewittersonne brannte.

Ihr Köpfchen sich auf edlem Nacken hob Gebräunt und herrisch, ihren Mund, den roten,

128 Ihr starkes Haar, geschürzt zu straffem Knoten,

Des Spätnachmittags Flimmergold umstob. Dies fremde Weib, gleich einer Königin

Lüftend den Staub mit leichten Goldsandalen, Trug göttlich Zeichen auf der Stirn, der schmalen,

Venus war es, die holde Lesbierin. Von Christenzorn aus ihrem Reich vertrieben,

War ihr kein Heim, kein Tempeldach geblieben. Nun schritt sie hin, verstoßen, sorgenschwer, In Götteraugen unerfüllte Träume,

Im Haar den feinen frischen Ambrahauch Attischer Luft und weißer Meeresschäume. Öd war der Weg, die Haide heiß und leer. Und plötzlich hob, am Weg, aus Schutt und Strauch,

Sich Ahasver.

Er sprach: ich möchte ruh'n,

Mich einmal noch am Weibe gütlich thun, Vom Fluch gehetzt in allen Erdenwinden Mag ich vielleicht am Herzen einer Frau Erbarmen, Labung, kurze Ruhe finden.

So zwang der Bettler, ungesüg und rauh

Mit wilder Lust die marmorkühlen Glieder Des weißen schlanken Götterleibes nieder Am Straßenrain auf einem Nesselbette.

Kein Auge sah den jäh vollbrachten Raub,

Von fern nur krochen, über Hügelländern, Gewitterwolken, schwere, violette,

Mit dunstgeballten, gelbgezackten Rändern. Und als die Göttin aus Gestrüpp und Ranken

129 Entsetzt sich hob, sah fernhin sie durch Staub Im Abendrot den Bettler weiter schwanken. Sie selbst, auf irrem Wanderzug, gebar

Als es die Zeit, ein starkes Zwillingspaar, Das ward von ihr, im Kampf mit Weh und Hassen,

An eines Grabens braunem Rand gelassen.

Ein Wandersmann, des Saumtier Waren trug,

In Linnen mild die früh Verwaisten schlug, Und nahm sie mit sich für ein Gottvergelt.

Bald zogen sie, zwei Herrscher, in die Welt.

Das Priestertum der Lust, des Sangs, der Dirnen Schuf Don Juan, sein Zwillingsbruder Faust

Als Fürst weltferner Hochgedanken haust

In deutschen Herzen, deutschen Dichterstirnen.

Dies, Königin, ist meine Lebenssage. Nun rinnt im trüben Stundenglas der Sand, Und ob mein Herz auch Mitleid nur erfand

An Deiner Brust, es ebbt in stillem Schlage.

Der wilde Wunsch, der mir im Blut getobt Vor jedem Weib, das ich noch nicht besessen, Dein frommer Blick macht schmerzlos ihn vergessen ...

O, dafür sei, barmherziger Gott, gelobt!

Diava spracht, beseligt, glückdurchdrungen.

Bald ist gesprengt die Fessel, abgerungen, Im Herzen ihm der letzte Schnee getaut. Schönaich-Carolath, Dichtungen.

9

130 Vernahmst Du nichts, Diava, meine Braut? Und beide lauschten. Ein schaurig Brausen.

Aus den Höfen scholl An den Pfortengittern

Erdrückte sich das Volk, erregt, in Groll.

Zertretne Feuer sprühten Funkenlohen, Getümmel, Fluchen wuchs zum Lärm, dem rohen^

Der Pöbelmassen, welche Blut erwittern. Ich höre nichts, nur ferner Donner tönt,

Und im Gebälk der schwarze Nachtwind stöhnt.

Ach, sprach er schaudernd, wende Dich nicht ab,

Furcht lähmt mein Herz, mein leeres, gramdurchtostes^ Wie finster ist, wie schaurig tief das Grab. Wie reut die Lust, wie schrecklich trog die Welt, Wie gähnt die Nacht ohn' Hoffen, unerhellt, Wie stirbt sich's schwer, wie bin ich bar des Trostes.

Die Totenuhr . . horch, wie sie pocht und tickt . . Sei still — ein Wurm im Holzgetäfel pickt.

Die Zeit läuft ab, der Tag durchs Fenster bricht . . Die Lampe schwehlt, noch graut der Morgen nicht.

Die Hähne krähn . . nun stehe Gott mir bei . . Das Käuzchen rief, noch tönt kein Hahnenschrei. Doch er, vom Kopf abschüttelnd kurze Ruhe, Den Nacken steifend, rief verstört und fahl:

Fahr' denn zum Ende, Lebensbachanal! Ein Faustschlag bricht des Chorwerks Eichentruhe^ Und wühlend wirft die schweren Meßgewänder

Er auf der Kirche bräunliches Gestühl. Aufleuchten Seide, golddurchwirkte Bänder,

131 Ha, stöhnt er dumpf, zur Brautnacht welches Pfuhl! Ins Schloß das Thor, kein Fremder soll uns stören,

Der Südwind singt im Turm das Hochzeitsamt.

Doch sie, bang forschend, zitternd, glutdurchflammt: Begehrst Du mich, soll Dir mein Leib gehören? Jetzt wäge wohl.

Leib oder Seele.

Sprich —

Die Seele, rief er, denn ich liebe Dich

Und will Dir folgen durch die Seligkeiten.

An seine Brust zog der verlorne Sohn Diava sacht, dann hob er den geweihten Kelch ew'gen Lichtes schweigend vom Ikon.

Die Flammen züngelten, die jäh befreiten;

Am Seidenstoff die Lohe gierig fraß, Qualm stieg empor, den rote Zungen scheuchten.

Lichtbrechend starrten Sapphir, Chrysopras

Lazurgetränkt in märchenhaftem Leuchten. Im Flammenreiche stand das Menschenpaar,

Diava rief mit letztem Liebesworte: Und harrte Deiner an der Himmelspforte

Um Deiner Sünden der Dämonen Schar, Und wenn Dich tausend Mutterflüche bänden, Zurück scheucht' ich sie mit erhabnen Händen,

Es wird erfüllt was Lebenstraum mir war. — Geborsten sank das Chorgestühl mit Knattern, Die Lohe hob sich aus den Fenstergattern,

Auf wildem Roß der Sturm, ihr Buhle, kam. 9*

132 Es sank die Burg, durchs Land die Glocken klangen, Und als die Flammen Halleluja sangen,

Ist mit dem finstern Seelenbräutigam

Erlöst Diava himmelwärts gegangen.

Wen Liebesmacht in feurigem Gefährt Auf Flammenspeichen rettet vom Gemeinen, Dem werden Sonnen der Vergebung scheinen Im Heimatland, deß Frühling ewig währt.

Judas in Gethsemane.

Durch jenen Garten, welcher vor den Thoren Gethsemanes versteckt in Trümmern sinnt,

Durch jenes letzte Lebenslabyrinth Darin sich der gehetzte Fuß verloren,

Wandelte Christus.

Seine Seele rang

Den Abschiedskampf. Der Tod das Leben.

Am Kreuzesstamm verschlang Fern aus Ätherblau

Sieht er im Geiste Zions Tempel ragen, Sich selbst als Knabe in dem heiligen Bau

Die Schriftgelehrten, die bestürzten, fragen. Der Jüngling dann, im Elternhaus, dem schlichten,

Lebt, treu im Kleinen, harten Werktagspflichten, Die Ziegen grast er und bebaut das Land,

Der Hobel knirscht in seiner Schwielenhand; Dann naht sein Reich.

Auf braunem Höhenkamme

Wacht er allein, und wie zu Gott er fleht, Senkt sich auf ihn des heiligen Geistes Flamme.

Am Strome tauft Johannes der Prophet, Und als gerieselt durch des Heilands Locken Im Sonnenblitz des Jordans Wellenschaum, Jauchzt auf das Volk, halb gläubig, halb erschrocken, Erlöst aufatmend wie aus Bann und Traum.

Den Heiland deckt ein schlichtes Wanderzelt,

136 Umsonst beut der Versucher ihm die Welt,

Arm und verfolgt verleugnet er sein Leben. Er heilt und Predigt, Siegespalmen weben

Sich ihm zu Häupten, seinen Fischerzug Hält er an Galiläas Meergestaden,

Und alle, die bedürftig, schmerzbeladen, Lassen von Welt, von Heimat, Haus und Pflug.

Die Menschheit drängt, daß sie versöhnt sich dehne Zu Gott empor, im Osterjubel liegt

Die Welt, und an des Heilands Füße schmiegt Aufschluchzend sich Maria-Magdalene — Und nun der Tod!

So lag der Herr zerschlagen Und wehumfangen; ihn, den Todesmatten,

Griff tiefer Schauder vor des Grabes Schatten.

Ach, mir ist bang.

Darf, Vater, es geschehen,

Laß diesen Kelch an mir vorübergehen — So rief der Menschenheiland mit Verzagen.

Doch auf zu Trost half ihm der beste Stolz, Abscheu vor Sünde.

Heiß griff ihn das Fluten

Göttlicher Lust, für andre zu verbluten, Aus Gräberstaub den Lebenskeim zu raffen,

Der Todeswelt ein ewiges Sein zu schaffen, Und doch — der Tod, der Tod am Marterholz,

Das bittre Sterben!

Durch die Bäume drang

Ein hohles Sausen, in den kahlen Zweigen

Der Sturm sein großes de profundis sang,

137 Das Erdenlied der Qual, der Abschiedsnot, Und Plötzlich, an des Hügels schroffsten Steigen

Stand vor dem Herrn Judas Jscharioth. Judas begann: Dir, welchem die Gewalt,

Dem Erde, Himmel, Ewigkeit ward eigen, Ich rufe Dir für diese Welt ein Halt. Das war die Nacht, drin Abgrundgeister rangen,

Die Schreckensnacht, aus deren Bacchanal Das Heil der Welt still über Tod und Qual

Als Stern, durch Thränen schimmernd, aufgegangen. Der Südsturm schmetternd in die Äste brach, Schnaubend und schwül, gleich einem Riesenfächer Schwankte, gebeugt, der Ölhain; Judas sprach:

Du bist der Herr, ich aber bin der Rächer. —

Geschöpf bin ich, und Du — bist Gottes Sohn Von jener Zwölfschar, die den Siegeswagen

Dir schleppen half, die den Prophetenthron Dir aufgebaut, und in des Glückes Tagen

Verzückt dir folgte, kränzemüd, bestaubt, Hab' Deiner Gottschaft ich zumeist geglaubt.

Heut wardst nun Tu, der Herrscher aller Dinge, Von mir verkauft um dreißig Silberlinge. Das Leben, sprich, was ist's ein Todeskampf?

Warum der Erdball eine Scherbenstätte,

138 Von Thränen triefend, starr von Blutesglätte,

Brandig umschwehlt von schwerem Opferdampf? Wozu der Menschheit, die nach Leben trachtet,

Die Spanne Zeit, dem Lebensdrang ein Spott, Dies Dasein als ein ewiges Schafott, Darauf alltäglich sie gewürgt, geschlachtet?

Sprich, was verbrach die Welt? Ein karges Grün Treibt sie zur Lenzzeit fröstelnd und mit Mühn,

Wie Fieberaussatz, und die Trauerweide

Beschattet trüb, Wahrzeichen dieser Welt, Der Menschheit Straße, die kein Glück erhellt,

Die Pendelwandrung von Begier zum Leide. Der Säugling, der ins Leben ward gesetzt

Aus Nacht und Nichts, er klammert sich, entsetzt Vor seinem Schicksal, an die bleiche Mutter, Und Blut wie Thränen sind sein erstes Futter.

Es schlägt um ihn, als erstes Windeltuch

Der Väter Schuld den angestammten Fluch, Und oft geschieht's, daß noch vor Nachtgebet

Grinsend der Tod am Wiegenrande steht.

Wer zählt die Blüten alle, kaum erschlossen,

Die Lebenshoffnung, Liebesmacht erweckten

Und morgens welk der Hoffnung Hügel deckten? Wer zählt die Thränen, welche heiß geflossen In langer Nacht, wer zählt die wilden Stunden

Der Raserei, wenn in das finstre Grab Ein Weib, aufschluchzend, Glück und Hoffen gab?

Wer zählt das Tröpfeln aus viel tausend Wunden?

139 Das schwache Flämmchen, das sich Bahn gesucht, Verglimmt, verschwehlt, der Triebsand weht darüber,

Im Morgendämmern zieht, ein Rauch, hinüber

Des Kindleins Seele, sacht, wie auf der Flucht. Weh aber dem, von dessen Wurzel glitt

Ohnmächtig ab des Todes Sensenschnitt! Gleich einem Rohr, das mattgestoßen trauert, Wenn es der Nachtwind wuchtend überrennt,

Lebt hin der Mensch, von allem überschauert, Was Täuschung, Qual und Herzensangst sich nennt.

Es toben sich an ihrem Opfer satt Begier und Sünde rastlos, o(pV Erbarmen

Und zeitig brechen mit den Knochenarmen Im Zweifel grinsend jedes grüne Blatt.

Ach, ob sie schier in Bitternis ertrank, Ob jeder Wunsch, ob jedes Ziel vergebens,

Die Menschheit lechzt nach Frieden, Opfern, Dank.

Wer zögerte, Gewißheit ew'gen Lebens Blind einzukaufen, sei's durch ärgste Pein?

Wer würde nicht sein Grauen niederzwingen Und still gefaßt, ergeben, muterprobt

In einen Abgrund voller Messer springen, Daraus die Hölle selbst entgegen tobt? Doch kurz müßt jenes Schreckensopfer sein! Ach, eitler Wunsch.

So wie versteckt vom Ast

Ein Tiger hält die Herden unter Lauer,

Bleibt über uns, sprungfertig, ohne Rast Die Todesfurcht verhängt auf Lebensdauer.

140 Wir schleppen hin auf einem Berg von Scherben Ein sterbend Leben, ein lebendiges Sterben,

Wir spüren ihn, wir schmecken ihn, den Tod, In jedem Trünke, jedem Bissen Brod,

In jeden Laut, in jedes Liebeslallen Läßt er sein Röcheln als Begleitung fallen,

So Hetzen uns durch dieser Erde Gründe

Die Herzensangst, der Zeugungstrieb, die Sünde.

Wollust, Brandstifterin! Weh ewiglich

Dem Leibe, den Dein Skorpionenstich Vergiftet hat mit Bissen, heimlich frühen.

Kein Wasser kühlt des Blutes ärgste Pest, Und Teufel feiern, wenn die Adern glühen,

Der roten Sünde grimmstes Freudenfest. Weh ihm, dem Menschen, den versengt Dein Fluch!

Sein Leben bleibt ein flammend Nessustuch, Sein Fleisch ein Dorn, das innerste Verderben

Als fressend Feuer schleichend zu vererben, Denn er, den Wollust früh ins Grab gebracht,

Geschlechter reißt er mit in Schuld und Nacht.

Unstät und abgekehrt der Lüstling schwankt, Dem Raubtier gleich, das scheu, von Gier getrieben. Den Schleudern trotzend und den Knittelhieben,

Blut witternd nächtlich um die Hürden wankt.

Geiz, Seelenmörder! Ehrbegier, Kumpan

Der Lebensnächte, da wir schlaflos spannen

141 Ein Purpurkleid dem eignen Größenwahn,

Dem Manne Weh, dem Ihr Euch aufgedrängt! In Eurer Mitte, taumelnd eingehängt Gleich einem Trunknen, schleift Ihr ihn von dannen. Ihr leitet ihn, daß ihm kein Sträuben nütze,

Zur Selbstsucht hin, der trübsten - Lebenspfütze, Dort schläft er dann, so wohlig hingestreckt, Daß ihn kein Trieb, kein Anruf mehr erweckt. So wirkt der Fluch, gepaart mit Adams Stamme:

Wer einmal trank der Sünde herben Seim

Läßt schwer vom Faß, und kehrt gar selten heim — Dem Trunk folgt Tod, Gericht und Tilgungsflamme. Was ist's, das uns mit Klammern, tausend zähen

Ergreift und hinzieht zur verbotnen That, Zu Sündenfällen, nie geahnten, jähen?

Was frommt, wenn uns Versuchung flüsternd naht, Das Wachs, im Ohr, der Vorsatz obzusiegen,

Da wandellos, dem Lauf des Schicksals nach

Vorausbeschlossen unser Unterliegen? Was frommt die Reue, denn was soll die Schmach?

Wie auf den Palmkern knirscht des Stößels Holz, Zermalmt die Sünde täglich unsern Stolz,

Und täglich strecken nach der Taborhelle Die Hände wir, verlangend und entzückt,

Da täglich doch die Last des Fleisches drückt Uns tiefer in des Lebens trübe Welle. Es ist kein Glück, das nicht verwelkt im Kern,

Kein Liebestraum, der nicht gelogen hätte,

142 Kein sichres Gut und keine Friedensstätte,

Kein Erdentrost, kein guter Lebensstern. Baumeister Gott!

So herrlich Deine Welt,

Ein Fehler ist's, der ihren Bau entstellt: Den Treppengang, den Weg zu Licht und Heil,

Für MenschenEraft schufst Du, Gott, ihn zu steil. So schleppt die Welt, zur eignen Sündenlast, Ein Schicksal, das Du mitverschuldet hast.

Im Kern gespalten, lahmt der Gang der Erde, Wohin das Auge flüchtet, klafft die Spur

Von Willkür, Mord; es ächzt die Kreatur — Ich aber will, daß ihr ein Rächer werde.

Nun Du gesandt hast in der Menschheit Mitte, Wo nur der Tod verbürgt und sicher haust,

Den eignen Sohn, soll helfen meine Faust,

Daß er den Riß mit seinem Blute kitte.

Weil ich in ihm, in seines Mantels Falten

Gott selbst zur Erde niederreißen kann, So will ich greifen ihn und klammernd halten, Daß Rache mir sein Martertod gewähre —

Herbei, Soldaten!

Knechte, faßt ihn an,

Den Judenkönig greift, Legionäre!

So durch den Sturm, bekämpfend dessen Wucht,

Lief der Verruchte mit erhobnen Händen,

143 Nach Knechten schreiend, daß sie Jesum bänden. Schon sprühten Fackeln, durch den Ölhain drangen

Bewaffnete, sie trugen Spieße, Stangen;

Da wandte der Verräter sich zur Flucht.

Doch Jesus schwieg, vor seinem Auge brach Ein Leidensblick, es folgten in die Ferne

Dem irrenden, verlornen Kinde nach

Des Heilands dunkle, stille Augensterne.

Wenn einst — wie bald — die letzte Stunde tagt,

Wenn einst auch uns der große Abgrund offen, Darin versinkt jedwedes Erdenhoffen,

Daraus errettend keine Insel ragt,

Wenn Todesschauer foltern unsre Seelen, Um unser Sterbebett die Kerzen schwehlen,

Und ruft uns blutend das Gewissen zu:

Was Judas that, das hast gethan auch du, Auch du hast oft, wenn nicht durch Wort und Thaten,

So in Gedanken doch den Herrn verraten — Dann soll der Blick, der voller Mitleid galt

Der Kreatur, die in der Nachtgestalt Jschariots empört zu Gott geschrieen,

Und all ihr Leiden, ihren Haß und Groll, Durch eine Fluchthat, groß und schreckensvoll,

Dem Menschensohn ins Angesicht gespieen —

Dann soll der Blick uns Sterbenden auf Erden

Zum hellen Stab, zur Himmelsleiter werden,

144 Und brausen soll durch unsre Sterbensnacht

Wie Jubelruf der Botschaft Donnergrollen, Daß droben wir mit bessren Waffen sollen

Noch einmal ausziehn zur Entscheidungsschlacht.

Wohl, ob durchmessner, finstrer Lebensbahn

Türmt Sünde sich, verklagend, himmelan Und will die Schatten bis ins Jenseits treiben;

Des Heilands Blick auf Judas aber spricht: Ob groß die Schuld, ob groß auch das Gericht

Die Liebe wird am allergrößten bleiben.

145

Requiem. Die Nacht ist weich. Im Glas die Rosen. Die Kerzen.

Es duften stark

Verschwelend knistern

Es murrt der Wind im Park

Gleich Orgelton aus tiefen Registern.

Wir sitzen allein.

Es rinnt dahin

Der Atem der Nacht.

Wie Geistersprache

Verklang das Vorspiel zu Lohengrin, Ein Heimruf, im schwülen Prunkgcmache.

Tief aus dem Garten, in Zickzackflrcht,

Ein Falter naht, um von den Scheiben

Zum Kerzenglanze, mit störrischer Wucht, Geblendet die zirkelnde Bahn zu treiben. Schönaich-Carolath, Dichtungen.

10

146 Er hat den sengenden Tod erwählt, Sich sehnend, sein kurzes Sommerleben Lichttrunknen Herzens, wunschgequält,

Der Schönheit opfernd, hinzugeben.

Ihn treibt zu Flammen ein dunkler Zug,

Und schweigend will er in Licht begraben Des Lebens fröstelnden Eintagsflug, Er will nicht Rettung noch Mitleid haben —

Du lächelst: Er war ein armer Narr,

In Spott aufblitzen Deine Zähne, Und dennoch wandert seltsam starr

Dein Auge zu der toten Phalaene.

Fühlst Du der Schönheit uralten Fluch, Vererbt aus verschollenen Sündentagen?

Hat plötzlich das kühle Byssustuch Ein Todesahnen um Dich geschlagen?

Erwägt es heimlich vielleicht Dein Sinn, Es werde mein Stolz in Trümmer brechen

Und ich, zu Füßen Dir stürzend hin, Aufschreiend von heißer Liebe sprechen?

147 Wohl möcht' ich Deinen bethörenden Leib Umschlingen, ein Spielball düstrer Gewalten, Doch wenn ich erwachte, würd' ich ein Weib,

Ein müdes, am leeren Herzen halten.

Wohl möcht' ich, verlachend Dein Machtgebot, Mit Küssen bedecken Dich, sinnverloren, Und schlüge zu tausendmal jubelnd der Tod,

Der zuckende Tod aus Deinen Poren —

Doch über der Schönheit^ die lodernd lebt In Dir, gleich einem vernichtenden Sterne,

Ein dunkler, verhallender Hornruf schwebt,

Er ruft an Dir vorbei zur Ferne.

Er ruft von Schönheit und Glück abseit, Bon kurzen, schmerzenden Erdenwegen

Hinauf in die Hochluft der Ewigkeit, Dem brausenden, sieghaften Lenz entgegen.

So breche auch ich mit fester Hand

Den knirschenden Stab vom Eschenstamme, Und preise, daß ich den Heimweg fand

Von Dir, Du süße, lachende Flamme. 10*

148 Ich gehe hinaus in die rauschende Nacht, Zu scheiden als Fremdling, unverstanden,

Gleichviel, ob Deine Lippen gelacht, Ob sie ein Wort des Mitleids fanden.

Ich halte dem Glücke das Totenamt

Und trage die Weltlast meiner Schmerzen

Zur Freiheit, die hinter Bergen flammt, Zur Heimatssonne der Dichterherzen.

149

Lollunderbliiten. Es ist ein Apriltag im Süden, Ein Tag, gar süß zu verträumen,

Die Blüten, die weißen, müden, Gleiten still von den Bäumen.

Das will mich an Herzen gemahnen,

Die in der Jugend Mitten

Schieden von Erdenbahnen, Eh' sie geliebt und gelitten.

Das mahnt mich an Freudenlesen,

Als Jugend und Himmel einst offen,

An Träume, die groß gewesen Und mm versunken ohn' Hoffen,

An alles, was einst mit Schimmer Das Leben durchstrahlt und verhüllet,

An alles, was leuchtend immer

Und doch blieb unerfüllet,

150 An erster Liebe Schauer,

Die uns das Herz gewendet Zu Gott, und doch in Trauer

So früh, so früh geendet —

Die Blüten, die uns lachten,

Die uns der Frühling genommen

Eh' sie Erfüllung brachten, Sind nicht vergebens gekommen.

Damit ein Sehnsuchtsschimmer Geheiligt unser Lieben,

Und weil am Süßesten immer, Was unerreicht geblieben.

Hieß Gott vorbei sie schweben,

Die Scheidestunde verfrühend,

Um einst im bessern Leben Sie uns zurückzugeben Rein, ewig blühend.

151

Genrebild. Herr Holger am Kamine sitzt, Sein Brackhund bei ihm wacht,

Nacht ist's, die Flamme springt und blitzt Und der Klotz in der Lohe kracht. Herr Holger in Sinnen versunken ist,

Er wirrt des Bartes Flaum.

Es streckt die Bracke den Widerrist,

Und beide sinken in Traum. Es denkt der Hund an einen Tag Da die Haide hülfefern,

Da der Keiler über Herrn Holger lag

Und er befreit den Herrn — Herr Holger doch martert seine Stirn

In Sinnen schwer und stumm: Wie er zu Willen einer Dirn Den Blutsfreund brächte um.

152

Kreuzfahrt. Noch glaub' ich im Traum zu fühlen Den Druck sanft und verzagt,

Des Händchens, des schmalen kühlen,

Als sie mir Abschied gesagt;

Noch flattert beim Schimmer des Mondes Fern über finstrem Moor Gleißend ihr dunkelblondes

Leuchtendes Haar empor.

Noch oft beim Rauschen des Windes Klingt der Wiederhall

Fremd wie das Wort jenes Kindes, Süß und verträumt von Schall;

153 Noch ist es mir oft als riefe

Ihr Lachen silberklar Aus murrender Gärten Tiefe

Herüber wunderbar . . .

Ich schrecke empor; die Wüste

Dehnt sich, verblaßt und leer,

Hoch über die staubfahle Küste Donnert das syrische Meer,

Ich reite hinaus in die Fremde, Und meine zuckende Hand Zieht überm Kettenhemde

Fester das Büßergewand.

154

Merlin. Wir sitzen im keltischen Eichenhag Und schauen südwärts über die Wellen

Dorthin, wo rastlos, Schlag auf Schlag,

Die immerwandernden Wasser zerschellen.

Sie rauschten wie heute, da einst Merlin

In verschollenen Frühlingstagen, Aus dem Königsschlosse sein Lieb dahin

Zum Zaubereiland getragen.

Er hatte von ihrem Munde kaum

Den ersten Kuß genommen, Da kamen durch gälischen Meeresschaum

Wikingsschiffe geschwommen.

Sie segelten im Dreikant an,

Ein schwarzes Riesengeschwader, Drauf starrte von Eisen Mann für Mann

Und von Haß jedwede Ader.

155 Merlin entwich in die Wälder tief Und hat mit Zauberspruche

Sein schauerndes Lieb, das im Arm ihm schlief,

Verwandelt in eine Buche.

Doch als der Zauberspruch vertont, Nach Streitern rief der Skalde,

Die brachen, in Fellen und stahlgekrönt, Mit Gleißen hervor aus dem Walde.

Und als die Schnitter ihr Werk gethan

Im grünen Jnselreiche Trieb vom Solent zum Ocean

Die letzte Wikingsleiche.

Merlin doch ging in den Zauberwald

Von Kampf und Siegen zurücke, Daß er seiner Liebe Huldgestalt

Wachküsse zu neuem Glücke.

Doch mochte den Mund er fort und fort An den rauschenden Waldbaum pressen;

Er hatte des Zaubers Erlösungswort

Im Schlachtgetümmel vergessen. —

156 Merlin blieb ein glückloser Mann Bis an sein spätes Ende,

Um seine Thaten und Lieder spann

Ranken die Legende.

Nur: rauscht im Lenze der keltische Hag,

Und die tausendjährigen Wellen lachen,

Doch wird auch uns kein leuchtender Tag Verlorner Liebe vergessen machen,

Es wird kein Kronenreif Erins Noch der brausendste Sieg im Leben

Uns das versunkne Glück Merlins, Die Jugend, wiedergeben.

157

Sommerfest. Ins Helle Land das Bergschloß droht,

Es rauschen von seinen Zinnen Die Seidenfahnen leuchtend rot,

Trompeten schmettern drinnen.

Die schöne Braut am Söller steht: Hilf, Mutter, spähn in die Runde — Mein Kind, der Staub in Schwaden geht,

Im Dorfe bellen die Hunde.

„Ach, Mutter, ich sah den Tod als Gast,

Er kam um Festesmitten, Vom roten, flatternden Fahnendamast

Gelockt, herbeigeritten.

158 Die knöchernen Glieder erzumstarrt Und wölfisch witternd nach Beute" . . .

Mein Kind, Dich hat ein Traum genarrt, Genieße das lachende Heute.

Den Toten gönne das finstre Reich,

Sie fordern Seelenmetten,

Dich aber umschlingen voll und weich Des Lebens Rosenketten/

„Siehst, Mutter, den Reiter Du sprengen im Hag,

Gefolgt von schnappenden Doggen?"

,Jch sehe nur flimmern den Nachmittag Und im Windstoß wogen den Roggen.

„Ach, Mutter, der grinsende Tod sprengt an

Auf klappernden Rosseshufen" . . . Mein Kind, Dich täuscht ein Brausen im Tann Und des Türmers Stundenrufen/

Es stürzen die Gäste den Goldpokal,

Die Blicke lachen und flammen; Da flieht die schöne Braut zum Saal,

Erbleicht und bricht zusammen.

159 Aufschreien Herren wie Gesinde Zum Thor die Gäste drängen,

Das Schloß wird leer; der Sommerwind Singt in den öden Gängen.

Es ragt, von brütender Schreckenslast

Erstarrt, das Schloß aus den Eiben;

Die Fahnen senken sich halbmast, Der Abend brennt in den Scheiben.

160

Der schwarze Hanns. Ein Försterhaus.

Herbstabend.

Stößt der Novemberwind.

Um die Giebel

Im niedern Saal,

Dem rauchgeschwärzten, saßen am Kamine

Mein Freund und ich.

Das derbe Jägermahl

War just beendet, durch das Zimmer zog

Schon blauer Dust, und in den Gläsern blinkte Das Kirschenwasser.

Am ,Getäfel stand

Der alte Förster, aus dem Maserkopfe Ingrimmig dampfend, dann und wann ein Wort

Still vor sich brummend. Lächenld schob mein Freund Das Glas ihm hin: „Trink, Alter, laß die Grillen

Für heute ruhn! Du hast kein Recht zu schmollen Rach solchem Jagdglück.

Grad' im letzten Triebe

Er blieb im Feuer, nicht?

Den starken Wolf!

Ja, Blattschuß — Grabschuß. Dir flüchtig an?

Kam er durchs Gehege

Nun, Kunde gieb uns endlich,

Wie war's damit?"

„Womit? Ah — mit dem Wolf? — Ach, gnäd'ger Herr, den hat die Kugel leider

Zu gut gefaßt, denn gerne hätt' das Vieh

161 Ich erst gewürgt und ihm mit meinem Messer Rasch ein paar Löcher in den Balg gemacht —

Der Teufelsbraten rollte

So war's zu spät.

Im Knall kopfüber, schnellte sich durchs Laub Blutübergossen, sah mich nahen, heulte

Zehn Worte noch, und streckte sich und starb, Eh ich herankam."

„Was? Ein Wolf. . . zehn Worte? Vernehm ich recht? Plagt, Alter, Dich das Fieber?

Ein Wolf — zehn Worte!" — „Gnädiger Herr, verzeiht,

Es ist die Wahrheit." — „Gut, so laß uns wissen: Was sprach der Wolf?"---------

Der Greis griff nach der Stirne

Sein wetterbraun Gesicht

Und schwieg und sann.

Durchlief ein Schimmer.

„Als einst jung ich war,"

Begann er leise, „stand im Waldrevier

Noch eine Mühle.

Wo der Glimmerbach

Zum Teich sich breitet, war's.

Und Unkraut drüber.

Jetzt wuchert Schilf

An der Mühle lag

Ein Blumengärtchen, frisch von Wasserstaub Und Quellgeriesel.

In dem Gärtchen blühte

Manch Rosenstrauch, doch schöner blühte noch Des Müllers Gretchen . . . „Ja, das war ein Kind,

Fromm, brav und herzig!

Zöpfe hatte sie

Zchönaich-Carolath, Dichtungen.

11

162 Dick wie ein Arm, und was für Augen!

Tief,

Und wie lachte sie

Ganz voller Sonne.

So herzlich gern, wie klang ihr Lachen silbern Kurzum — sie war mir gut,

Und glücklich-hell!

Denn, gnädiger Herr, nicht immer war ich mürrisch Und krumm wie jetzt! '£ gab eine Zeit, da schauten

Die Mädchen mich nicht eben ungern an; Ich aber lachte, denn im Herzen hielt Ich Müllers Gretchen.

„Damals lag ein Krug Hart an der Straße, die den Wald durchschneidet, Ein Krug, wo Grenzer, Händler, fahrend Volk Oft Einkehr suchten.

Ein verrufnes Weib

Führte die Wirtschaft, in der Schenke half

Man nannte ihn im Lande

Ein Sohn ihr aus.

Den schwarzen Hanns^. Herr, einen schlimmren Wildrer

Gab es noch nie.

Schlau wie die Wildkatz, tückisch

Wie hundert Marder, grausam, feig, ohn' Ehre In der grünen Saat

Und ohn' Gewissen.

Fing er das Rebhuhn samt der Brut, der jungen,

Die noch nicht flügge.

Auf die Wechsel warf

Er Draht und Schlingen, daß sich elend würgte Zu Tod das Rehwild, sei es Bock, sei's Geiß;

Das Muttertier, das hochbeschlagne, knallte Er ruhig nieder, beutegierig, einzig

Auf Geld bedacht.

Dabei unfaßbar, listig,

Den Jägern Freund, die eignen Raubgenossen,

163 Wenn's immer ging, für guten Sold verratend. —

Den Burschen fing ich nun, als einen Bock

Im Morgengraun er aus der Schlinge löste,

Und lieferte, wie's meine Schuldigkeit, Ihn ohne Mitleid auf das Landgericht. So weit war's gut, doch in den Städten sitzen

Am grünen Tische Herren, die das Recht Aus Büchern lesen; die den größten Schuft Oft schuldlos sprechen, und den Armen, der

Vor Hunger stiehlt, im Zuchthaus faulen lassen; Die so viel fragen, daß ein klares Ding Zuletzt zum Wirrsal wird voll Kniffen, Pfiffen; Die's so weit bringen, daß zum X das U

Und zum Maulesel eine Müllerskuh —

Die schickten richtig auch nach ein paar Wochen Den Hanns zurück.

Seit jenem Tag begann

Ein stummer Krieg.

Da fand ich meine Hunde

Im Stall vergiftet; da die Roggensaat

Auf meinem Acker über Nacht zertreten;

Da glimmte Zündschwamm im Gebälk am Haus; Da pfiff durchs Fenster einmal eine Kugel Mir hart vorbei, daß ich den warmen Hauch Zu spüren meinte.

Und dann endlich kam,

Was ich geahnt — im eigenen Reviere Ein Hinterhalt.

Die Hunde schnürten mich

An Kiefernäste, so, daß wie ein Kreuz

Gestreckt ich schwebte.

Tage gingen so,

Bis man mich fand, doch lange Wochen schwanden. ir

164 Eh ich erwacht'.

Ein Glutball zuckte kreisend

Mir im Gehirn, in den verrenkten Adern Kochte das Blut.

Doch ich war jung und nervig, An einem Nachmittag,

Kurz, ich genas.

Es war schon Herbst, schlich mühsam ich am Stabe Hinab zur Mühle.

Von den Bäumen fiel

Rotgelb das Laub.

Das Gärtchen, drin so oft

Ich glücklich war, sah mich verwildert an,

Das Haus war still — kein Laut — die Räder standen Schlafend im Bach.

Der Müller selbst.

Am Thore kauerte Ein Lodenrock umfloß

Stumpf sah er mich an,

Die hagren Glieder.

Ich aber lallte: ,Gretchen — wo ist Gretchen . . ? Da sprang er auf: -Verflucht! mein einzig Kind . . .

Der schwarze Hanns . . . geh weiter, Fremder, weiter Und bet' für sie . . .'

„So, gnäd'ger Herr, so hat Sich Hanns gerächt.

Wo einst die Mühle ragte,

Verdorben und gestorben

Liegt jetzt ein Teich.

Ist, was ich liebte.

Und mürrisch drum. Ward ich dazu.

Ich — ward zeitig alt

Griesgrämig und langweilig

Verzeiht mir, gnäd'ger Herr,

Haltet's zu Gnaden."

In dem Schlote fing Sich jäh ein Windstoß.

Begraben sein.

„Alter, laß die Sorgen

Nicht wußt' ich, daß Dein Leben

165 Doch komme weiter nun,

So trübe war.

Besinne Dich — Du wolltest von dem Wolf Hier, trink noch einmal

Uns ja erzählen.

Und komm zur Sache." Laßt mich nur reden.



„Herr, ich blieb dabei,

Seht, ich glaub' daran,

Daß jeder Mensch gewisser Art von Tieren Es herrscht geheimes Band,

Genau entspricht.

Herrscht Blutverwandtschaft, die sich nie verleugnet.

So glaub' ich fest an Seelenwanderung Und an Vergeltung. Wohl Löwen einst.

Kühne Menschen waren

Feiglinge wurden Mäuse,

Die sich verkriechen.

Schlaue Winkelschreiber

Werden zu Füchsen.

Keiner macht mir weiß,

Daß unser Propst, der fett auf seiner Pfründe, Nicht einst ein Dachs war.

Kommt der Beitel mir,

Der Betteljude, furchtsam greinend an, So ruf' ich: ,Hase!* Hase — ja, fürwahr

Ich wär' kein Jäger, kennt ich nicht den Blick

Auf Schrotschußweite, den gehetzten Blick, Des Vagabunden!

Der Heimatlose.

Keine Ruhe hat

Stündlich frischgehetzt

Von groß und klein, verhöhnt, verjagt, verschrieen Ohn' Rast, ohn' Obdach, ist die beste Wehr, Sich still zu ducken.

Doch umsonst — die Ohren,

Die schlotternden, trübselig großen Ohren, Verraten ihn.

Seht Euch den Beitel an,

Gnädiger Herr, und sagt ..."

166 Beim Himmel, Alter,

Kommt nun zum Ziel!

Vom Wolfe sprachen wir,

Hört Ihr, vom Wolf!

Was that er, als die Kugel

Das Fell ihm schlitzte?

Fürder wollt vom Weg

Nicht nutzlos schweifen." „Gott behüte, Herr, Just bin bei dem Wolfe

Das that ich nimmer. Ich angelangt.

Fürwahr, es giebt kein Tier,

Das feig, so elend feig trotz seiner Stärke, Als solch ein Wolf.

Tags schleicht er durch den Wald,

Blinzelnd und scheu, kaum, daß an eine Ratte Er frei sich wagt.

Es spioniert!

Was thut das Teufelsvieh?

Wohin zur Rast sich setzte

Ein müdes Reh, das merkt er sich — wo immer

Ein wehrlos Wesen weilt, da kreist im Bogen

Er rastlos hin.

Und ist die Nacht gekommen,

Wird er zum Mörder.

Lautlos hingestreckt

Am nassen Boden, kriecht er, schweißbegossen Vor Angst und Gier, bis arglos er, im Bette, Sein Opfer findet.

Und er tötet still/

Der schmutzige Würger!

Kommt es, daß der Schrei

Der wunden Hinde jäh den Platzhirsch weckt, Den braven Wächter — klemmt er scheu die Rute Und läuft davon. Und wehrlos ist.

Er mordet nur, was schüchtern

Hat er sich mal verritten

In blinder Gier, und droht ihm die Gefahr,

Wird seine Feigheit kläglich offenbar.

167 So ging es heut' — nach einer langen Hetze

Saß unser Wolf, gefangen wie im Netze,

Ich sah ihn ratlos auf und nieder schleichen,

Das Haar gesträubt auf seinen magren Weichen, Ich sah, wie er ins Heidegras sich drückte

Und wie verzweiflungsvoll er um sich blickte, Dicht hinter ihm mit Knütteln alle Treiber,

Er wagte nicht, sich über ihre Leiber Den Weg zu bahnen, und nach meiner Buche

Nahm er den Weg, als ob er Gnade suche; Er sah mich an, so demutsvoll, so fragend,

Mit trüben Augen, die ganz menschlich klagend, Und wedelnd wies er, wie ein Hund die Zunge —

Ich aber schoß ihn mitten durch die Lunge, Und warf mich auf ihn mit gezücktem Messer,

Damit er rascher stürbe, nur nicht besser. Doch kam zu spät mein ungestillter Eifer,

Kopfüber ging er, ganz voll Blut und Geifer, Und starb, und sprach zehn Worte, zehn an Zahl: ,Jch bin der schwarze Hanns, der Dir die Grete stahl/"

168

Mittagsgespenst. Die graue Stadt im Norden An flimmernden Watten liegt,

Darüber herb von den Fjorden Der salzige Seewind fliegt.

Die Türme, die Schlote ragen,

Es hütet der finstre Platz Aus meinen Jugendtagen

Mir einen verborgnen Schatz.

Oft taucht im Kranze der Myrte O Liebste, Dein Bild empor, Noch klingt mir das süß verwirrte

Wort Deiner Treue im Ohr,

Dann sannest Du, kalten Ermessens Und wähltest Ehren und Gold . . .

Die Sturmflut des Selbstvergessens Ist über Dich hingerollt.

169 Nun lebst Du, beneidet, umworben, Dein Rotmund flüstert und lacht,

Und doch bist Du längst gestorben In schauriger Frühlingsnacht,

Du bist versunken, verloren, Und über den schimmernden Hort

Wie zu Julin und Stavoren Wandern die Wellen fort. -

Mich aber faßt jäh im bunten

Leben ein fremder Klang,

Der aus der Tiefe dort unten Lähmend ans Herz mir drang.

Oft bleib' ich am heißen Strande Erblassend, ein Träumer, stehn, Denn tief im versunkenen Lande

Hör' ich die Glocken gehn,

Und fern, ein Schemen verschwebend,

Ragt glitzernd, von Wellen umwiegt,

Die Stadt, wo lachend und lebend Mein Lieb begraben liegt.

170

Erscheinung. Zum Fenster drängen sich erschrocken

Die dunklen Bäume bei Zwielichtschimmer —

Die tote Braut schwebt still durchs Zimmer Im Sterbekleide, mit dunklen Locken.

Im Glase duftet Kirchhofsflieder; Sie spricht: ich habe nicht Ruh' im Grabe

Und muß allnächtlich kehren wieder Weil ich Dich einst verraten habe.

171

Aus Iunitagen. Zwei Rosen leuchtend frische

Trug sie im dunklen Haar, Ihr Blick, der träumerische,

Boll Glanz und Jugend war.

Das Korn durchlief ein Wogen, Am Himmel weiß und weit

Die Federwolken zogen,

Es war zur Junizeit.

Die Lande küßte leise Ein Glockenklang im Wind, Und mein zur Lebensreise

Gab sich ein glückliches Kind,

172 Sie träumte von Glück und Frieden, Von Lenzen, die nicht vergehn — Und doch durst' ich hienieden

Sie nur noch einmal sehn.

Da schlang ein Kranz von Myrten

Sich durch ihr dunkles Haar,

Buntdüstre Schatten irrten

Um Chorstuhl und Altar,

Die Kerzen schwehlten finster, Der Tauwind sang am Dach,

Als man für sie im Münster Das de profundis sprach.

173

Die Linkehr. Kein Stern vor Heller Schenke, Kein Kranz von Birkenlaub

Am blanken Schildgehenke; Nur Sonnenglut und Staub.

Auch trägt nicht nach den Frohen

Mein müdes Herz Begehr,

Nur ihre Lust bedrohen

Würd' meine Wiederkehr.

Dort oben auf dem Bühle Ein Kirchlein lacht ins Land,

Mit dunklem Chorgestühle

Und Bildlverk allerhand.

174 Davor im Lindenschatten Ein Gottesacker liegt,

Um Kreuz und Gräberplatten

Das dürre Feldgras fliegt.

Und zwischen den Ruinen Des Mittags Laut verstummt, Ein Heer von wilden Bienen Im Sonnenglanze summt,

Es rauschen still die Linden Dem müden Lebensgast:

Hoch über Staub und Winden Wirst einst Du wiederfinden,

Was Du verloren hast.

175

verblühter Frühling. Es ist ein trüber Junitag,

Der Nebel rinnt durch feuchtes Grün, Der Pirol singt mit süßem Schlag Und thaubeschwert die Rosen blühn.

Tief in des Parkes Blätternacht Ein Rauschen schläft, ein trüber Schall,

Als würd' ein Glück zu Grab gebracht Bei leisem Frühlingsregenfall.

Noch träumt verschollen in der Luft

Ein Lachen, das im Park verstob,

Noch schwimmt im jungen Grün der Duft, Der einst ihr blondes Haar umwob.

176 Sie selbst zog längst die Silberspur

Dorthin wo Keiner bangt noch irrt — Jetzt schläft der Park, ein Windstoß nur

Die tropfenschweren Bäume wirrt.

Und leise strebt in heiliger Ruh Vom Lenz, deß Blütentraum zerbrach Mein Herz der großen Heimat zu,

Ewig geliebtes Lieb, Dir nach.

177

Nach dem Gewitter. Nun zucken verlodernd, versunken,

Die Blitze vom Waldesrand, Es regnet, sattgetrunken

Hat sich das brünstige Land. Ein Eichbaum am Hügelkamme Verknistert im Wetterschein;

Um Höhen buhlt die Flamme,

Das Thal nur birgt Gedeihn. Den goldnen Weizenschobern Schuf kein Gewitter Harm —

Schon bricht in frohem Erobern Vom Dorf ein Schnitterschwarm. Es muß, ein Brand im Regen, Auch der Poet verglühn, Der Dichtung Feuersegen

Durchs dunkle Land zu sprühn.

Schönaich-Carolath, Dichtungen.

12

178

Scherben.

Durch die Gassen, er eilt nicht sehr, Schiebt ein Trödler den Karren her; Viele Leute wandern vorbei,

Fragen, was wohl zu haben sei? Scherben — kaust Scherben! Und sie wenden sich murrend dann: Dieser seltsame Handelsmann

Wird kein Gut sich erwerben. Scherben verkaufen ist Brauch nicht noch Fug,

Scherben hat jeder selbst genug. Rufen wir rasch die Polizei,

Denn uns stört des Bettlers Schrei:

Scherben.

Aus dem Dickicht vor dem Thor

Zieht der Bettler die Karre hervor, Spannt sich ein vor den Scherbenschund;

Treulich folgt ihm nur sein Hund In des Hungers Verderben.

Ach, ihr Reichen seid gut daran

179 Kaust Euch ein neues Porzellan, Doch des Ganzen ist keiner wert,

Der nicht schweigend die Scherben ehrt.

Seht, Euer Haus bis zum Turmesknauf, Baut sich aus Scherben der Armut auf, Fremdes Bemühen und fremde Kraft Haben Euch alles herbeigeschafft,

Was an Trümmern das Leben weist Habt Ihr Reichen verschuldet zumeist. Glaubt mir — vergeßt nicht höhnisch und satt

Was Euch die Armut geerntet hat, Raubt dem Volke zu keiner Zeit

Glauben an Gott und Gerechtigkeit. Nehmt Ihr dem Volke dies Osterei,

Hilft Euch dereinst kein Eiapopei, Und kein Glockenläuten versöhnt

Einst, wenn die Carmagnole tönt, Eure bluttrunknen Erben.

Ihr doch, die arm und beladen seid, Wisset: Reichtum schafft Sünd' und Leid. Was auf prunkendem Sockel steht Morgen leichtlich zum Kehricht geht,

Ja, der Menschheit Entwicklungsgang Schiebt durch Schutt sich und Scherbenklang.

Jenes ist stets das größte Gedicht, Draus der Schrei um Zerschlagnes bricht. Menschenglück ist zerbrechlich Ding,

Aber Du, dem's zu brechen ging,

180 Willst als ein Held Du sterben, Schlage Dir selbst entzwei beizeit

Alles, was unwert der Ewigkeit,

Fürstengunst und Parteientum,

Huld der Massen und lauten Ruhm — Wenn Du den Plunder hast eingesargt

Setze Dich an den Lebensmarkt, Und den Narren des Glücks zulieb Zeige, was Dir im Sacke blieb.

Schutt, der blitzend noch Leben lügt, Heilige Trümmer, die Gott nur fügt,

Träume, begraben in tiefster Brust, Kämpfe, davon kein Freund gewußt, Brechende Hoffnung, einst stolz gehegt, Aussaat, der Ewigkeit gelegt, Qualen und Freuden, vergangen wie Rauch Deine, Freund Leser, und meine auch —

Scherben.

181

voriiberweitend. Dort wo die Wiesen abwärts gehn Zur blauen Bergeskette

Mag tief im rauschenden Walde stehn

Die kleine verlassne Gloriette.

Es liegt das Schlößchen bis an den Hals In Epheu verstrickt und verloren,

Die steinernen Wappen von Mainz und Churpfalz Bröckeln über den Thoren.

Es klettern über den Erker stumm

Wildwein und Feuerbohnen, Vom lecken Brunnen starren dumm

Pausbäckige Tritonen.

Einst in den Tannen sang der Wind,

Es schwatzten süß die Staare, Im Sonnenscheine stand ein Kind

Mit weichem, blondem Haare.

182 Es blühten würzig düsterbunt

Die Nelken an den Wegen, Doch heißer schwoll der Liebsten Mund Dem jungen Glück entgegen.

Des Hirsches Brunstruf schnob vorbei

Es war zur Mittagsstunde, Von ferne nur scholl ein Häherschrei Über dem schwülen Grunde,

Zuweilen die brütende Flur entlang

Zog es wie Taubengirren, Zuweilen murrten die Bäume bang Rauschend in Traumeswirren.

Und um uns schloß im Dämmerschein Der Wald sein goldgrünes Gitter;

Da brach ein Windstoß jäh herein, Es kam ein Lenzgewitter . . .

Ich habe verlassen mein Heiligtum

Um trügendes Glück zu jagen —

O goldnes Vließ, o finstrer Ruhm,

Wie seid ihr schwer zu tragen!

183 Mag lachen das Leben königlich

Aus allen Thüren und Thoren, Ich trage Reue und Leid um Dich, Die ich verkannt und verloren.

Nun decken die Wälder in Ewigkeit Ein Glück, das ich verscherzte;

O Jugend, wie bist du so weltenweit Du heilige, nie verschmerzte!

Bald küßt die schauernde Heimatflur

Der Lenz, der lachende neue,

Doch krächzend um meiner Schritte Spur Flattern die Raben der Reue.

Der Tag bricht an, ein Sturm aus West Wälzt sich über die Hügel, Mit Schüttern und Gleißen, in Stahl gepreßt,

Reiten Heeresflügel,

Wir ziehen des Wegs zum letztenmal, Und auf dem Schild mit Beschwerde Trag' ich ein Kreuz von schwarzem Stahl

Zur gelobten Erde.

184

Albumblatt. Hab' nicht zu lieb die knospende Rose; Es flöge gar bald Ohn' Heimat, ohn' Halt

Ihr Duft Dir vorüber ins Uferlose.

Unsterblich ist Schmerz allein.

Was nie Du besessen, Ersehnt, nie vergessen, Wird Deines Himmels Grundbau sein.

185

Llebeltaz. Vorbei nun ist es mit den blauen Tagen,

Es senkt der Herbst die graue Schlußgardine;

Vom Garten, der einst Rosenpracht getragen, Dringt Grabesduft verblühter Balsamine.

Ein letztes Ideal ward mir zerschlagen, Brief zuckt auf Brief verflammend im Kamine;

Indessen Schauer überm Parke jagen, Pfeift hell der Sturm die Abschiedscavatine.

Mir ahnt es trüb: wer um das Glück der Erden Sein Herzblut gab, den trösten nur hinferne Noch Arbeitslämpchen und Kamingefunkel.

Denn alle Wonnen, die begehret werden,

Die Welt, der Ruhm, die Frauen und die Sterne, Sie wärmen nicht, und sind im Grunde dunkel.

186

Unvergeßliche Liebe. Die abgebrochne Rose liegt

Im Sand, und auf dem Kelch dem roten Ein Falter in Genuß sich wiegt,

Nimmt Duft und Glanz von einer Toten.

Selbst toter Liebe wohnt die Macht Geheimnisvollen Glückes inne,

Und keiner jungen Liebe Pracht Entthront des Herzen erste Minne.

187

eebensverneirmng. In grünen Wassern schillert kühl der Schnee Von Felsenwänden, die sich schroff erheben,

Daran buntschaurig Martertafeln kleben, Als Schlußbild mancher Lebensodyssee.

Ein Nebeltag will auf den Wassern schweben Wie Trennungsleid, des Daseins Grundidee; Sieh, Frauen giebt es, die gleich jenem See

Entsagung hauchen allem warmen Leben.

Zu diesen zwingt ein angestammter Fluch Den Dichter hin, der, wie vom Tod getrieben

Ein Glück dort sucht, wo nur ein Abgrund war.

Schwermütig webt« der Herbst ein Schleiertuch Um Martertäflein, und kein Dichterlieben,

Kein Dichtergrab bleibt solchen Täfleins bar.

188

Aus alter Zeit. Als Großmütterlein am Leben war Und Dämmerung kam geschritten,

Begann der Enkel muntre Schar Um Märchen sie zu bitten.

Es war so wohlig im Erkergemach,

Die Alte sann und nickte, Der Wind suhr klappernd übers Dach, Die Wanduhr leise tickte.

Da stiegen aus dem Dunkel empor Viel schaurige süße Sagen,

Wir sahen Falada hangen am Thor Und hörten Lindagulls Klagen,

189 Wir sahen in blauer, mondblitzender Flut Spielen die Wasserfeien,

Wir sahen manchen Ritter gut Gen Drachengezücht turneien,

Wir sahen die Zwerge schürfen Gold

In gleißenden Gängen und Adern, Wir fochten um hoher Minne Sold

Mit Riesen und Mohrengeschwadern.

Es war ein geliebtes Königskind, Ein blondes, mit blassen Wangen, Doch floß der Strom zu tief und geschwind,

Konnt' keiner hingelangen . . .

Bald trug man Großmutter zur letzten Ruh', Das Elternhaus ward leerer, Und das goldne Märchenbuch klappte zu;

Die Jugend ward ernster und schwerer.

Bald nahte der Sorgen zwerghaft Pack

Auf glatten, schlüpfenden Sohlen, Da ward mir früh der Märchensack

Voll goldner Nüsse gestohlen;

190 Und ach, die glänzendsten Ritter zumeist

Mit buntbefiedertem Helme Sie blieben selten Ritter vom Geist, Sie warem verkappte Schelme.

Und Königin Bertha spinnt nicht mehr Den Faden mit goldner Spule,

Und hoher Liebe zu Preis und Ehr'

Versinkt kein Becher auf Thule,

Es wurden im klugen Alltagsschein Zu Schatten der Sage Gestalten,

In Einem auch, lieb Großmütterlein, Hast Unrecht Du behalten.

Das Königskind es blieb kein Traum,

Es ward der Strom durchschwommen —

Nun ist des Glückes Lindenbaum Zu voller Blüte gekommen.

Gesegnet seist Du, Liederpracht

Du tiefe, Du deutsche, Du holde, Du Schatz, der unserm Volke lacht

In unvergänglichem Golde,

191 Dich werden hüten und lassen nicht Die Herzen von deutschem Schlage, Auf daß ihr Leben bei ernster Pflicht

Stets lachende Rosen trage,

Daß unsern Enkeln als fester Hort Der Wunderglaube bliebe An jenes wahrste Märchenwort,

Das Märchen treuer Liebe.

192

Eterna doglia. Die blasse Rose starb in Deinen Händen

Mit schwarzen Augen sahst Du tief ins Leere,

Des Abendrotes schräge Flammenspeere Verglühten hinter dunklen Taxuswänden.

Der Sommer wich, rot starrt die bittre Beere

Vom Lebensbaum, und mit erloschnen Bränden Verfärbt sich über fröstelnden Geländen Der Tag in Flucht vor fernem Wolkenheere.

Auch uns ergreift des Abschieds großer Zug, Denn keine Liebe sättigt bis zum Grunde Ein Herz, das Gott mit ew'ger Sehnsucht schlug.

Und es begräbt zu kalter Abendstunde

Jedweden Wunsch, den unerfüllt es trug, Tief in des Himmels roter Sonnenwunde.

Die Unbekannte.

Schönaich-Carolath, Dichtungen.

13

Es war zu Rom.

Des Pincios Terrasse,

Die lorbeerdunkle, strenge, marmorblasse,

Durchzog im Korso buntgeschaart die Menge, Und Wagenreihen teilten das Gedränge. Den Frühlingstag genoß das Volk zu Rom;

Durchs Stimmgewirre schlug vom Petersdom

Und San Onofrio, bald dumpf, bald Helle Das Abendläuten, und dazwischen klang Ein Walzertakt, den die Musikkapelle

Mit Geigenstrichen melancholisch sang. Die Abendsonne ruhte rot und schräge

Auf allen Wipfeln, und mir war, als läge Ein Abschiedsblick, den sonst ich nie gesehn, In ihrem schönen, frühen Niedergehn,

Denn jener Tag, der hinter dunkeln Bäumen

Zögernd versank, Glutwolken im Geleit, Der letzte war es meiner Wanderzeit, Die mir vergangen flüchtig bunt, wie Träumen.

Drei Jahre lang war ich in Rom geblieben, Nun sangen deutlich mir die fernen Lieben

Des alten Liedes altbekannte Weise,

Wie's Zeit nun sei, daß ich zur Heimat reise, 13*

196 Daß ich die tolle Wanderfahrt beende, Mein Augenmerk auf eine Jungfrau wende, Auf eine sittsam-ruhige Cousine,

Die still und häuslich sei gleich einer Biene,

Und mir das Glück, das wahre Glück der Erde, Mit vollen Scheffeln treulich messen werde . . . Ich aber dachte: „Schönes Rom, ade, Nun geht's hinein in deutschen Winterschnee,

Ich trank zu viel von der Fontana Trevi, Das wird sich rächen, fürcht' ich, manu brevi.

Ewige Stadt, nimm meinen letzten Gruß: Du hast beschirmt mein Dichten und mein Streben,

Und einen Schmerz nur hast Du mir gegeben,

Der eine ist's, daß ich dich lassen muß. Hab' Dank, hab Dank!"

Und wie zum Korso jetzt Zerstreut und traurig einen Blick ich sandte,

Starrte mein Blut, denn ich ersah, entsetzt, Mit süßem Grauen eine Unbekannte.

Ihr Wagen hielt, gehemmt auf staub'ger Spur Durch Menschenwogen; reglos in den Kissen

Lag sie, geschmiegt in schwarze Seide, nur Am Schultersaum schneeweiße Frühnarzissen.

Sie lag wie sinnend, der Aprilwind trieb Ihr küssend aus der Stirn, die krausen, weichen Tiefbraunen Locken ... ich doch schwieg und blieb

Steh'n wie gebannt und fühlte mich erbleichen.

197 Sie sah mich an — und wie mich überflammet Ihr dunkles Auge, sengend, streifend kaum,

Da wußte ich: dieß Auge voller Sammet Und Sonnenschein, ich sah es schon im Traum,

Die schmale Hand, die dort mit müdem Regen Den Fächer senkt, auch sie hat schon bei Nacht Auf meiner Stirne weich und kühl gelegen,

Und auch dieß Lächeln hat mir schon gelacht! Ich sah's, als Kind vielleicht, in einer Quelle,

Vielleicht als Jüngling, in der Sternenhelle

Römischer Nächte, wenn ich hab' gedacht

An gute Freunde, die Valet geschrieben, An blonde Liebchen, die nicht lieb geblieben, An Erdenfreuden, die verweht, verstoben,

Und an das große Wiedersehn dort oben — Stets war das Lächeln innig, gut und herzlich,

Wenn ich dem Leben Hohes abgestritten, Wenn ich gefehlt, gezweifelt und gelitten, Wie war es mild, vergebungsvoll und schmerzlich;

O halte stets an meinem Herzen Rast, Du holde Fee, die Du dieß Lächeln hast,

Du guter Engel, den mir Gott gegeben,

Du Silberschnur, gewoben durch mein Leben,

O bleib' bei mir, Du Himmelsabgesandte-------------Ein Windstoß kam.

In Wirbeln flog dahin

Der Staub am Weg . . . und wo die Sonne brannte

Rot und verglühend über'm Aventin

Verschwand aus ewig meine Unbekannte.

198 Wohl folgte lang und irrend ihr mein Schritt In Sehnsucht nach — ich sah sie nicht mehr wieder,

Der Traum war aus; in meinem Herzen glitt Lautlos und still ein dunkler Vorhang nieder.

Und als betrübt gen Deutschland ich gefahren,

Fand ich die Heimat farblos wie vor Jahren,

Es regnete just recht beharrlich-leise

In altgewohnter, hergebrachter Weise, Es nickten steif die Pappeln, die bekannten, Und steifer noch die Vettern und die Tanten;

Sie wünschten sehr: „Daß endlich Platz ich nehme

„Und, seßhaft, mich zu Brod und Amt bequeme, Daß die Cousine dann an's Herz ich zöge,

— Gesetzt, beiläufig, wenn sie mich noch möge —

Ich solle hasten, daß mein Nest ich mache, Ein Spatz zur Hand sei mehr als zehn am Dache,

Dem deutschen Bürger sei die Fremde schädlich,

Er bleib' im Land und nähr' sich still und redlich."

Ich zog die Flügel achselzuckend krumm Und wanderte in's Ministerium,

Ich lernte sparen, ordnen, arrondiren,

Auch inskribiren, kon- und reeipiren, Doch fegten mir die zugestutzten Schwingen Den Blütenstaub unmerklich von den Dingen.

Trank Rheinwein ich, wie manchmal es geschah, Befiel mich Wehmut inter pokula,

199 Mein Lebensfaeit, oft ergab es Brüche

Und salzdurchtränkt schien mir des Daseins Küche,

Ich schritt allabendlich zum goldnen Leuen An Politik und Whistspiel mich zu freuen,

Und pries dabei mit hohem Selbstgefühle, Daß ich ein Werkrad in des Staates Mühle.

Im Rate sprach ich und im Landtag mit

Und tappte vorwärts meinen Bürgerschritt, Das hohe Gut, danach sich still verzehrt

Manch deutsches Herz, ward zeitig mir bescheert: Aus heitrer Luft fiel mir aufs Haupt ein Orden,

Und deren Zahl ist größer stets geworden.

Der Würden Strom wohl floß er täglich reicher Doch ach, mein Haar, auch täglich ward es bleicher,

Als Trost dafür — ein schlechter freilich ist er Ward eines Tages endlich ich Minister . . .

Nun sitz' ich alt und einsam am Kamine

Es fehlt mir die beglückende Cousine;

Die Scheite seh' ich in der Lohe schwitzen,

Ich hör' sie krachen, seh' die Funken blitzen

Und seh' den Rauch gar kraus geballt sich heben Zum Schornstein Tod, der, leitend aus dem Leben

Die Handvoll Staub, die wir in Lieb' und Hassen, In Wollen, Streben, Thun und Unterlassen

Auf dieser Welt mühselig aufgesäuselt,

Jn's Nichts hinein mild und ironisch kräuselt . . .

200 Ich denke gern, seh' ich den Dampf verschweben An Alles, was ich lieb gehabt im Leben —

O meine süße, unbekannte Dame! Welch' Rätsel bärgest Du?

Wie ist Dein Name?

Wo magst Du sein, wo magst Du weilen, wandern?

Im Süden wohl ... am Herzen eines Andern —

O bleib' ihm treu!

Doch Augen wie die Deinen,

Sie werden mir auf Erden nicht mehr scheinen, Wohin fortab auch meine Pfade gehn,

Dich werd' ich niemals, niemals Wiedersehn,

So leb' denn wohl — auch Dich muß ich verschmerzen. Doch nur mit schwerem, bitter schwerem Herzen, Und hart bedrängt mach' ich die Not zur Tugend:

Denn Du, das weiß ich jetzt, warst — meine Jugend.

201

Gruß an Deutschland. Es liegt ein Märztag trüb und weich Auf mitteldeutschen Hügellanden, Zur Rüste geht des Winters Reich,

Es bricht das Eis, die Schollen stranden, Im Tropfenfall steht windgeneigt

Der Wald, des Winterschlafs entraten, Und auf den nassen Äckern zeigt Sich zarter Schimmer junger Saaten.

Wildgänse ziehn mit schnellem Flug

Und hellgestimmter Wanderweise, Auch unser Herz erfaßt ein Zug, Daß es dem Lenz entgegenreife. Ein Wind aus Süden kommt mit Kraft

Und löscht den Schnee von Furt und Brücke, Er treibt auch uns zur Wanderschaft

Nach unbekanntem großem Glücke.

202 Mein Deutschland, du bist stark und groß, Und doch ist eigen deinen Söhnen Ein weicher Kern, ein Sehnsuchtsloos

Nach allem Fernen, allem Schönen; In deutschen Liedern lockt und klingt,

Es wohnt in deutschen Herzensträumen

Der Circe Lachen goldbeschwingt, Des Griechenmeeres weiches Schäumen.

Im schwarzen Schachte gleißt das Erz, Der Hammer dröhnt, die Funken springen,

Doch heimlich hört das deutsche Herz Im Hörselberg die Geigen klingen;

Vom Zug der Esse scharf umbraust Der Meister läßt kein Säumen merken,

Doch immer lebt als Sohn des Faust Er über seinen Erdenwerken.

C sei gesegnet, dunkler Ruf

Vom Nertushaine, der uns Zeiten Der Sehnsucht nach dem Schönen schuf,

Nach langen Lenzen, gottgeweihten! Heil unserm Volke, das mit Wucht

Die Scholle pflügt, der wir entstammen, Und dennoch Lebensgipfel sucht,

Draus ew'ge Wachefeuer flammen.

203 O Deutschland, was dich herrlich macht Sind deines Herzens starke Triebe

Zu Dichtung, Frauen, Liederpracht;

Dein bestes Teil ist deine Liebe. Und wie um trotziger Eichen Schaft

Sich wilde Rosen blühend ranken, So schlingt um deutsche Reckenkraft

Die Schönheit ihre Lenzgedanken.

Die deutsche Mannestreue hoch! Wohl hat sie herrlich Gut erkoren,

Doch höher steht ihr, heiliger noch,

Das Vaterland, dem sie geboren. Um unsre Münstertürme saust

Der Freiheit Geist in heiligem Grimme, Durch unsre Eichenwälder braust

Des Schlachtengottes Donnerstimme.

So lang noch unsre Wange brennt Beim holden Gruße schöner Frauen,

So lang man Arbeit heilig nennt, Und Treue gilt in deutschen Gauen,

So lang vom Wasgau bis zum Belt Wir treu zu Gott und Kaiser halten,

So lang wird keine Macht der Welt Der deutschen Marken Grundwerk spalten.

204 Des hohen Erbteils walte frei Mein Volk, daß Deinem Schwert dem scharfen

Geeint des Friedens Pflugschar sei, Und Liederfrühling Deinen Harfen; Ein tiefes Lied, ein Heller Schlag

Und ein Gebet voran den beiden —

So darfst Du, grüßend neuen Tag Vom stürzenden Jahrhundert scheiden.

(Ein Bild.

In schwerem Rahmen, massig, goldgezackt, Ein Frauenkopf mit Augen, traumhaft starren,

Die tief im Herzen, das ihr Bann gepackt, Gleich Pfeilen, weichbefiederten, verharren.

Der braunen Haarflut golddurchstrahlte Wirren Wie küssend flutend um die schmale Stirn,

Der feine Mund lichtrot, doch herb verschlossen, Seltsam der Ausdruck.

Sinnend, lichtdurchschossen,

Fremd, vornehm, süß des Angesichts Oval,

Darüber wie durch Sturmgewölk geflossen Ein herbstlicher, gequälter Sonnenstrahl —

Was ist's, daß sich um Erdenschönheit schmiegt

Ein tiefer Schatten, den kein Glanz besiegt? Was ist's, daß sie mit schwermutsvoller Frage

Geheim gepaart, daß in ihr mit Gewalt

Als tiefverletzte goldne Saite hallt Ein Weh um Edens längstverblühte Tage?

Was ist's, daß mitten aus der Schönheit Schooß Ein Menschenherz, das sich gesonnt in Pracht,

Urplötzlich aufschreckt, einsam, heimatlos?

208 Was ist's, daß Schönheit Herzen traurig macht?

Jst's, weil sie schnell und kaum gegrüßt verglommen Gleich Alpenleuchten über Bergesferne?

Ach, alle Schönheit trägt den Tod im Kerne

Und füllt kein Herz, das Leben sucht, vollkommen. Wohl darf der Menschheit wonnedurst'ger Mund

Dies Erdenglück durch tausend Lieder tragen,

Daß aus des Daseins thränensattem Grund Die Schönheit still den Scharlachkelch geschlagen,

Daß über Wust, von Sodoms Schutt umstaubt,

Dem Trümmerberg von Sünde, Schuld und Kummer Fremdartig, traumhaft im Vollendungsschlummer

Die Schönheit hebt ihr goldgesäumtes Haupt —

Doch höher zielt des Schöpfers Lebensplan. Nicht sänftiglich, nein, als ein Schwert, das schneidet, Beschreibt die Schönheit ihre Flammenbahn.

Vieltausend sind es, die, zum Staub gewendet, Klanglos den Lauf in Sättigung beendet,

Wohl dem, der Schmerz im Schönheitskusse leidet.

Dies ew'ge Weh, mit dem durchs Leben geht

Einsam und unverstanden der Poet, Es führt zu Gott, und alle Schönheitstrauer Die unser Haupt als Kranz der Schwermut trug,

Wird tilgen einst im Auferstehungsflug Des Wiederfindens großer Freudenschauer,

Was Schönheit hier von Schmerz und Abschied sprach.

209 Das klingt — wie bald — gleich fernen goldnen Stimmen,

Die rufend über breitem Strome schwimmen, In der Unendlichkeit als Liebe nach.

Ich aber will, bleibt auch im Erdenwind Nach Glück gestimmt die Harfe des Propheten,

Nicht leichten Sinns vor Deine Schönheit treten, Noch frohen Herzens wie ein Sonntagskind. Du schüttest nicht mit heißem Augenstrahle

Als höchstes Glück, das Sterblichen erlaubt, Den Rosenregen auf mein trunknes Haupt,

Du reichst mir still die dunkle Schierlingsschale; Und Deine Augen wie verweinte Sterne

Hinbrütend starren in verhüllte Ferne. Du ziehst vorüber, und im Flüsterton

Spricht süß Dein Mund von Lassen und Entsagen —

O Lieb, ich will ja grollen nicht noch klagen, Es muß mit sanften dämmerweichen Schwingen

Die Poesie den Leidenskelch umschlingen Versöhnungsvoll mit dunkelrotem Mohn.

Wo sah ich Dich mit Deinen düstren Brauen Verhängnisschwer ins Alltagsleben schauen? Am Griechenmeer, umkost von Wellenschaum, Auf Ithaka, an einem Mandelbaum? In einem Park, der weltfern, goldumgittert,

Wo Nelken flammen an verschlungnen Gängen, Schönaich-Carolath, Dichtungen.

14

210 Wo sich durch schwarze Taxushecken drängen Marmorgestalten weißlich und verwittert, Wo über Treppen, die verrankt, verwildert, Das Schloß sich hebt, gegiebelt, buntbeschildert?

Sah ich Dich dort auf hohem Postament

Im Ahnensaal, durch dessen Fensterscheiben Septembersonnenstrahl verglühend brennt? Zogst leibhaft Du durch Lärm und Alltagstreiben

An mir vorbei die duftdurchwogte Spur? Sah ich Dich winken, lässig auf dem Balle

Dem schwer besternten Oberhofmarschalle? Sah ich Dich einst — war es im Traume nur -

Verschleiert durch die Gassen gehn im Regen, Und einem Bettler in die Zitterhand

Mit leisem Worte rasch ein Goldstück legen? Gleichviel,

gleichviel — mich hast Du nie gekannt.

Und sähst Du mich, Du würdest sonder Staunen

Betrachten mich mit Augen dämmerbraunen, Und sonder Leid vergessen jenen Tag. Ich aber will, wie man bekränzen mag

Ein Gottesbild zur Maienzeit mit Ranken, Umschlingen Dich mit Liedern und Gedanken, Die welken nicht, den Blumen gleich, im Wind.

Laß sie durch Schicksal, Trennung, Zeit und Räume Dich an mich ketten, denn Du weißt, daß Träume

Der Dichter letztes, bestes Erbteil sind.

211

Stella peregrina. So wie man Sterne findet, deren Bahn

Den Erdkreis streift auf Nimmerwiedersehen, Wohl deshalb nur, daß ihr Vorübergehen

Uns habe Schmerz und Heimweh angethan,

Zog Deiner Liebe tiefe Melodie An mir vorbei, zu Gott zurückzuschweben

Und in der ewigen Melancholie

Meiner Gedanken ewig fortzuleben.

212

verleuchtender Tag. In blühendem Gartenlande Liegt einsam, von Flieder umbuscht, Ein Brunnen mit leckem Rande,

Um dessen Steinguirlande Der Blätterschatten huscht.

In heiliger Jugendstunde,

Als glühend und ohne Laut Die brütende Gartenrunde,

Hab' dort mit bebendem Munde Ich meine Liebe vertraut.

Und Stille.

Im Glutgeflimmer

Des Mittags erstarb mein Wort. Ich wandte mich ab für immer, Zu wandern durch Staub und Schimmer

Weit über die Heide fort.

213 Nun hab' ich den Schritt gewendet Zur Heimat, müde und alt, Und keine Sonne mehr blendet.

Die Liebe hat nie geendet, Sie wurde nimmer kalt.

Noch rieselt mit lecken Seiten

Geborsten, der Marmortrog, Darüber aus Parkesweiten

In süßen verschollnen Zeiten Der Liebsten Lachen flog.

Und wieder, wo einst wir gesessen Umspinnt mich heißstrahlender Tag; O Jugendglück, nicht ermessen,

O Liebste, niemals besessen,

Kommt, daß ich danken mag.

Ich will nicht grollend vergeben, Doch segnen Dich, tiefgerührt,

Daß einst Du mit Widerstreben Durch ein verworrenes Leben

Den Pflug des Schmerzes geführt;

Es hat sich dem Greise gelichtet Vergangnes, von Hüllen befreit,

214 Was ihm versagt und vernichtet

An Glück, war Aussaat, gerichtet Der rauschenden reifenden Zeit.

Wohl hab' ich verträumt in Gedanken Vertrauert manch Lebensziel . .

Vorüber — durch neue Ranken Treibt wechselnd, mit Zittern und Schwanken,

Die Sonne ihr ewiges Spiel.

Und traumhaft plätschert der Bronnen —

Das klingt wie süße Mär, Als ob das Leben verronnen Und ewiges Glück begonnen Im Himmel wär'.

215

Der Seldrveg. Bom Ulmenwald, dem dunklen schwermutvollen, Der Schierlingduft und ew'ge Kühlung haucht,

Dehnt flammengelb, in Sommerluft getaucht, Das Kornfeld sich, glutzitternd, weltverschollen.

Am Wegrain dort — es war zum letztenmal —

Verlornes Lieb, schritt ich an Deiner Seite, Viel Engel gaben freundlich uns Geleite

Sie blieben Dir — mein Weg sank rasch zu Thal.

Nun geh' ich einsam durch die Mittagsstunde

Dein denkend hin, und mir am Wege blüht So reich der Mohn, als hab' mein Herz versprüht

Achtlos das Blut aus tiefgeheimer Wunde.

Ach, bringen wird kein künftiger Sommertag

Zurück mir je, was folgend Deinen Schritten Still mit Dir selbst zur Dämmerung geglitten —

Nachtwandelnd geh ich durch den heißen Hag.

216 Das Leben lacht, auf fremden Feldern schimmert

Halmschwer das Korn; Gott geb' ihm gut Gedeihn. Bald bringen sie den Erntesegen ein,

Durch goldnen Staub schon fern die Sichel flimmert.

Ich aber will mit leergebliebner Hand Dich segnen, Glück, das einem Andern reifte Und will die Stirn, die finstre, blitzgestreifte, Ausrichten still zum ew'gen Ernteland.

217

Abendlied. Der Sonne nach, die sinkend scheint,

Zieh ich verlassen, unbeweint,

Von meiner Glückes Stätte, Was Gott mir lieh an Gut und Wert Liegt leergebrannt, ach, daß geehrt,

Und treu gewahrt ich's hätte!

Ich wies vorbei

Die heiligen drei, Den Glauben, die Liebe, das Hoffen; Ich habe gestürzt den Goldpokal Der flammenden Lust — nun dehnt sich fahl

Die Haide, braun und offen.

Ich gehe fort

Vom zerstörten Ort; Am Wegrand in schwarzen Lachen Ertrinkt mißfarbiges Abendrot,

Und blechern wimmert in Todesnot Ein Glöcklein über den Brachen.

218 Das ist mein Herz, das aus der Welt Sich lösend, bang um Hülfe gellt,

So wie verirrt im Lande

Ein Kind, verlassen, todgeweiht

Um Hülfe schwach und schaurig schreit Seitab am Hügelrande.

Ach, Herr, nimm hin mein Lebensgut,

Zerbrich mir Ehre, Stolz und Mut Doch neig’ Dich meinem Bangen,

Vergönne, daß mein letzter Schrei Ein dennoch, Herr, Dir glaub’ ich, sei; Mehr will ich nicht erlangen.

Komm Hirt, allew’ger, führe Du Dein Kind der großen Heimat zu, Durch Kreuz und Sterbestunden;

Halt’ über allen Sündern Wacht Bis sie sich Dir zurückgebracht

Und selig heimgefunden.

219

Lergpfalm. Ein Schneeberg ragt ins heiße Land,

Der seine Schroffen leuchtend zückt,

Tief unten wogt im Sonnenbrand Die Fläche goldschwer, halmerdrückt.

Dort hasten Menschen, ohne Ruhn,

Der Scholle nah, der Frohn gewöhnt, Nach Gut und Geld in hartem Thun;

Die Sichel klingt, die Kelter dröhnt.

Doch mahnend rauscht vom Berg ein Duft,

Der kühl das Haar des Schnitters wirrt, Und leise durch die Flimmerluft

Ein Ahnen ewiger Ernten irrt.

220 So sendet weltfern der Poet Zum Volke, daß in heißem Streit Arm und gebückt am Pfluge geht,

Die Botschaft großer Feierzeit.

221

Gktobersonne. Es rauscht der starke Herbst ins Land

Mit strömendem Ungemach, Da wandern hoch über dem Waldesrand

Die Vögel der Sonne nach.

Auch unser Herz soll südwärts ziehen Noch einmal in warmer Pracht Entgegen den jubelnden Melodien

Des Glückes, das selig macht.

Es träumt der sonnenschwere Park, Den früher Reif durchwob,

Am Wegesrand blühn voll und stark Verbenen und Heliotrop, Noch würzig aus dunkler Kelcheszier

Der Nelke Duft entquillt, Und purpursaftend am heißen Spalier

Die Nektarine schwillt.

222 Dein blütenroter Mund schwillt auch

Mit schwach gesträubtem Saum Entgegen dem letzten Sonnenhauch,

Dem letzten Liebestraum.

Komm! Schützend umklettert die schimmernde Bank

Das Rebengewirr von Terlan; Rings Schweigen, durchs scharlachne Weingerank Blinzelt ein steinerner Pan.

223

Letzter Sonnentag. Es segeln südwärts über den Wald

Die Störche der Sonne zu,

Nun gehen auch wir, wie bald, wie bald, Mein Lieb, zur Ruh.

Wir wollen danken mit leisem Mund Für alle genoffne Pracht, Für alles, was uns im Herzensgrund Erschüttert und selig gemacht.

Wir wollen, nun still der Tag verloht, Hinziehen durchs dämmernde Land

Wie Kinder im letzten Sonnenrot Heimwandern Hand in Hand.

Wir dürfen grollen und klagen kaum, Daß kühl zum Herbste treibt

Das letzte Blatt vom Lebensbaum, Tenn unsre Liebe bleibt.

224 Nicht ist sie mit Jahren der Seligkeit

Gleich Sonnen gewandert stromab — Nein, sprengen wird sie zur Frührotzeit Barmherzig das tiefste Grab,

Und leuchten dem letzten Auferstel/n Und tilgen den letzten Schrei —

Komm Lieb, wir wollen beten geh'n, Es rauscht der Herbst vorbei.

Dein müdes Hanpt neig' meinem zu, Im fröstelnden Sonnenschein An meiner Brust in tiefer Ruh

Schlaf ein.

Wanderfahrt.

Schönaich-Carolath, Dichtungen.

Uv

227

Der Taugenichts. Die Eltern trug man alle beide Bors Thor hinaus zur letzten Ruh, Den Basen schuf ich Herzeleide,

That Gutes nicht, zerriß viel Schuh.

Die Schläge wurden mir zu derbe,

Der Rock zu eng, die Kost zu schmal,

Die Mägdlein rind der Wein zu herbe Nur Eine küßt ich manchesmal.

So thät die Wanderschaft mich locken Das Herz war leicht, der Beutel leer, Sie läuteten darob mit Glocken —

Nur Eine, glaub' ich, weinte sehr.

228 Ich hab' mich lang umhergetrieben, In manchem Land, an manchem Ort,

Mit Güte oft, und meist mit Hieben

Half ich mir glücklich weiter fort.

Und als mir's endlich wohlergangen Und meine Taschen leidlich schwer,

Da faßte mich allgleich Verlangen Nach Heimatluft und Wiederkehr.

Schon lenkt der Kutscher ein mit Blasen,

Die Giebel nicken altersmatt, Und aus dem Pflaster grünt der Rasen —

Sei mir gegrüßt, o Vaterstadt!

Der Frühlingswind wirrt mir die Haare,

Ich stehe stumm auf der Bastei, Durchs Abendrot, das stille, klare, Ziehn Schwalben mit süßmattem Schrei.

Es steht da drüben noch am Markte Das Haus, wo ich geboren bin, Wo man zur Ruh die Eltern sargte;

Jetzt wohnt ein fremdes Volk darin.

229 Dort auf der Stadtmark liegen Rinder Buntscheckig, trag im Abendschein,

Dazwischen tummeln fremde Kinder Hell lachend sich in Spielerein.

Es naht ein Paar und schreitet weiter,

Ihr Händchen grüßt mich, goldberingt . . Doch bin nicht ich der Mann, der heiter,

Blondbärtig, kraftvoll sie umschlingt,

Sie hängt am Arme eines Andern, Und plaudert, und sieht glücklich aus —

Ich glaub', ich werde weiter wandern,

Weit in die weite Welt hinaus.

230

Spielmannslied. Drei Rosen gab sie mir, drei Küsse —

Sie sprach von Sieb' und ew'ger Treu, Es blühten Flieder und Narcisse,

Die Grillen sangen fern im Heu.

Und ety die Rosen welk im Glase,

Und ety verrauscht die Junizeit, Da hatten Eltern und Fraubase

Dem reichen Manne sie gefreit.

Und Tags darauf lag mir zu Füßen

Die Heimatstadt im Abendstrahl, Die Rosen warf als letztes Grüßen Hinunter ich ins tiefe Thal,

Doch die drei Küsse gab ich weiter, Und ward ein Spielmann wohlbekannt,

Der fideln geht, bald ernst, bald heiter,

Von Thür zu Thür, von Land zu Land.

231

Löse Heimkehr. Ihr Gassen, ihr Giebel, du mürrisches Thor, Euch grüß' ich betrübt und gemach — Schon krächzen die Dohlen, schon liegt mir im Ohr

Der Basen Weh und Ach.

Als froher Geselle zog ich hinaus, Hab keck gelärmt und gelacht; 9Z11H schleich' ich durchs Seitenpförtlein nach Haus, Hab's nicht zum Meister gebracht.

Ich habe nur Eins gelernt und erkannt

Nach manchem verträumten Jahr: Daß der Himmel dort unten im Süderland Zu blau, zu lachend war,

232 Daß die Menschen zu froh und zu leicht von Sinn, Die Blumen zu reich an Duft —

Nun pfeift mir gar frostig um das Kinn

Die deutsche Regenluft.

Das Herz ist müde, die Wange braun, Zerrissen mein Wanderrock;

Ruh aus am ersten besten Zaun

Du treuer Knotenstock.

Ich hab gezählt mein fahrend Gut Und fand, daß nichts mir blieb,

Als ein welker Jasminstrauß am alten Hut, Und in Welschland ein falsches Lieb.

233

Lied des Gefangenen. Als mir die Base prophezeit

Groß' Ehr würd' ich gewinnen,

Schuf' ich den Eltern Herzeleid, Lief aus der Stadt zur Frührotzeit,

Ließ auch Feinslieb darinnen.

Der Lanzknecht rafft viel Geld und Gut, Jagt in den Tod sein Leben,

Die Rabenfeder schwankt am Hut, Das rote Trumpfaß deutet Blut,

Herzdame schlägt daneben.

Und über einer Spanne Frist Werd' ich gar hoch geehret . . .

Ach, daß der Base Trug' und List

Mich armen Christ Das Fliegen hätt' gelehret.

234 Ich flog' mit Kunst und Zaubereien

Empor zur Morgenwende, Gen Straßburg durch Sturm und Wetterschein,

Ein flatternder Wicht; Feinslieb, laß ein — Jed Herzleid nahm' ein Ende.

Da wach' ich auf — der Morgen loht,

Die Glocken gellen und läuten, Die Stube starrt vor lauter Rots

Maria, Helferin der 9tot, Der Traum will Arges deuten.

Der Würfel fiel, der Krug zersprang, Und aus dem Wachtverließe Geht's morgen früh den letzten Gang

Bei Pfeifenklang

Und Trommelschlag üt die Spieße.

235

vom Scheiden. Wenn Dir ein Mägdlein recht gefällt

Und sie nimmt einen Andern, Dann heißt es in die weite Welt Zu wandern.

Da draußen viele Mädchen sind, So viele blond und braune, Als Rosen blüh n im Maienwind Am Zaune.

Mit neuem Glück am neuem Ort

Zufrieden sind die Mehrsten, Oft treibt ein zweiter Nagel fort Den ersten.

Doch wenn die Kur Dir schlecht gelingt,

So werde Kapuziner, Und wenn kein Ablaß Frieden bringt,

Trink Valtelliner.

236 Trink aus, und würfle bei Morgenrot Um Dirnen mit blankem Messer — Stach' Dich vorher ein Lanzknecht tot, Wär's besser.

Und thut er's nicht, so zeche sort,

Doch wirf hinaus auf die Gasse

Die Menschen mit ihrem Krämerwort,

Daß Liebe sich heilen lasse . . .

Wenn Dir ein Mägdlein recht gefällt

Und sie nimmt einen Andern,

Dann ist's am besten, aus der Welt Zu wandern.

237

Lärmen. I.

Ganz blumenhaft, gewiegt Dom Sonnenstrahle, Das feine Köpfchen träumerisch verdrossen,

Von der Mantilla Faltenwurf umschlossen,

Drin eine Nadel von Toledostahle.

Ihr Händchen

flog,

das

ringgeschmückte, schmale,

Im Fächerspiel, es scherzten die Genossen;

Da plötzlich hob, hintastend an den Gossen, Ein Greis zu ihr die leere Sammelschale.

Kein einzig Wort, nur eine scharfe Volte, Ein Fächerschlag — und fort der Teller rollte.

Die Mutter sprach: erschrick nicht, Carmeneita.

Und dann zu uns: Ihr müßt sie recht verstehen,

Sie ist so gut, und kann nicht leiden sehen . . Sie ist nervös, die arme Marquesita! . .

238

II. Es drängt das Volk an der Barera Reifen,

Ein braver Stier ward heut zum Kampf gesendet; Seht wie er rast, von Staub und Wut geblendet, Röchelnd und wild, bedeckt mit Blut und Schleifend

Das brechend Auge läßt im Kreise schweifen Ein Pieador, vom Hörne umgewendet,

Acht Pferde liegen aufgeschlitzt, verendet —

Ein Toben ist's, ein Stampfen und ein Pfeifen.

Das Händchen ballt, das blasse und nervöse

Die Marquesita — doch schon naht der Rächer, Mit Schwert und Capa tritt er aus dem Thore.

Und toller, brausender wird das Getöse;

Sie lacht vor Glück — Armbänder, Blumen, Fächer Wirft an den Kopf sie dem Torreadore.

239

Gretchen im Winde.

Ein Mädchen süß, ein Mädchen flink.

Dabei den Namen Gretchen, Als Schmetterling, den keiner fing,

Fliegt sie durch Busch und Beetchen.

Die Veilchenaugen minniglich Und hell wie Hochzeitskerzen,

Im Köpfchen einen Sonnenstich, Aprilwind tief im Herzen.

Die Stimme silbern und gesund Wie eines Glöckleins Klingeln,

Ein Lächeln um den Kirschenmund

Wie eines Schlängleins Ringeln.

240 In ihrem Garten vor dem Thor

In Treuen rauscht die Linde, Auf allen Beeten blüh'n davor Vergißmeinnicht im Winde,

Doch wenn man ihr von Liebe spricht

Pflückt lachend unterdessen

Vergißmeinnicht das Schelmgesicht; Mich hat sie langst vergessen . .

241

Spätherbst. Es liegt verlassen am südlichen Meer

Die Villa unter den Eiben, Die Gänge sind stumm, die Hallen leer,

Der Regen schlägt an die Scheiben.

Du bist gegangen dahin, dahin, Weil Du dem Winter grolltest,

Weil Du nicht länger den Schmuck von Rubin

Dem Hofhund zeigen wolltest;

Du bist wie die Schwalbe gezogen dahin

Vom Dache rotgegiebelt,

Wo sie doch oft mit frohem Sinn

Gezwitschert hat und geliebelt. Ichönaich-Carolarh, Dichtungen.

16

242 Kämst Du nun heim — wozu? warum? Die Rosen wären gestorben,

Die Brunnen erfroren, leer und stumm, Die Hecken geschoren, verdorben.

Ich habe verfolgt im nassen Kies Die Spuren, die schlanken, schmalen, Die Dein fliehend Füßchen stehen ließ,

In Groll und bittern Qualen.

Ich hör' Deine knisternde Schleppe nicht mehr Die Stufen hinuntersurren, Ich höre nur noch das tyrrhenische Meer Im Sturme grollen und murren,

Ich höre nur noch im Gartenhag Sausen die nassen Cypressen,

Und bete, daß Gott mir verhelfen mag.

Dich zu vergessen!

243

Desdemona. In Sommernächten löst sich aus dem Schatten

Gesunkner, meerbespülter Prachtportale

Oft eine Gondel treibend im Kanäle Mit Ruderschlägen, leisen, sterbensmatten.

Drin eine Frau, den Leib, den farbensatten, Zurückgelehnt, reglos im Mondenstrahle, Indeß die Hand, die weiße, wunderschmale,

Im Wasser schleift, dem dunklen, spiegelglatten.

Und plötzlich wirft sie, gleitend auf dem Meere, Zurück des Schleiers schwarzgezackte Spitzen

Und blickt Dich lieb mit toten Augen an.

Dann schlägt das Kreuz, entsetzt, dein Gondoliere —

Sie zieht, indes die Ruder bläulich blitzen

Vorüber auf der dunklen Wasserbahn.

244

Lochmittag.

Als ich die schöne Stadt verlassen Stieß um die Dächer will der Sturm,

Der Regen rann in allen Gassen, Die Dohlen schrien um jeden Turm.

Zu zwei verhängten Fenstern drüben Warf ich empor, voll Groll und Leid,

Stumm einen Blick noch, einen trüben — Dann ging ich fort für lange Zeit.

Nun kommt es, daß ich Wiederkehre, Ich schaue still ins Thal zurück;

Was einst war Schmerz und bittre Lehre

Hat sich gewandt zu spätem Glück.

245 Sie, die mir einst den Sturm aus Norden

Gesandt — daß Gott es ihr vergelt — Ist eine schöne Frau geworden,

Mit sich zufrieden und der Welt,

Die Stadt mit ihren schlanken Türmen

Liegt fern und still im Abendgold,

Auch zog vorbei das letzte Stürmen,

Das damals mir durchs Herz gegrollt;

Es gingen längst schon auf die Reise

Die holden Jugendträumerei'n

Wie Sommerfäden, müd' und leise, Am Heckenrand, im Sonnenschein.

Und dennoch gäb' ich allen Segen Des spät gereiften Glücks dafür Könnt' harren ich bei Sturm und Regen

Noch einmal vor der Liebsten Thür;

Könnt' einmal ich zusammenbrechen Zu Füßen ihr, und inniglich Aus tiefstem Herzen gläubig sprechen:

Mein süßes Lieb, ich liebe Dich!

246

Auch Du!

Nun hast auch Du gelassen

Von Groll und edlem Streit, Du fandest goldne Gassen

Der Weltzufriedenheit. —

Mich mahnt Dein Herz, das helle,

Nun frei von Kampf und Weh,

An eine Riesenwelle,

Die müde ward der See,

Die sich im Überborden Einst aus dem Meer gewiegt,

Und nun, zum Teich geworden,

Tiefblau im Walde liegt.

247 Wohl deckt mit Blütenftocken

Mittsommers sie das Rohr, Wohl tönt's wie ferne Glocken Aus ihrem Grund hervor;

Wohl nicken grüne Erlen

Darüber, schlummerschwer — Doch hat sie keine Perlen

Und keine Stürme mehr.

248

An . . . In dies Klavier griff eine kleine Hand, Ringblitzend, mit nervösem Fächerschlage, Und eine Saite hat sich leicht verspannt.

Sie that es schüchtern, gleichsam ohne Klage,

Doch wenn ein Meister in den Tasten jetzt Aufwühlend grollt, klingt scheu, wie eine Frage

Die Saite durch, bangzitternd, feinverletzt.

So geht's auch Dir; in Deines Herzens Grunde Lebt solch ein Riß.

Es litt ihn, stillentsetzt,

Und klingt nun falsch seit jener bösen Stunde.

Es singt von Liebe noch und singt vom Mai,

Doch stört das Tröpfeln aus geheimer Wunde . . . Ein Schauer überjagt der Hörer Runde, Und jeder fühlt: hier ging der Tod vorbei.

249

Altes Bild. Der Markusdom, der bunte, klangumtönte, Hat seine Pforten gähnend aufgeschlagen,

Am Hochaltar, wo Priester Kerzen tragen, Thront stolz der Doge, der vom Volk gekrönte.

Es lehnt an ihm in mädchenhaftem Zagen Sein junges Weib, das holde, glückverschönte, Ein Page, der an Schleppendienst gewöhnte, Kniet stumm dabei in Puffenwamms und Kragen.

Der Weihrauch dampft, zu Ende geht die Messe,

Es blickt verklärt die schöne Togaresse . . Doch sehen könnt Ihr, wenn Ihr näher tretet,

Daß tief im Sammt, dem dunkelvioletten,

Des Pagen Hand und ihre sich verketten — Der alte Doge kniet im Stuhl und betet.

250

Lied der GhawLze. Seidne Gewänder Spangen von Gold — Kann es nicht ändern Hab's so gewollt.

Bunt sind die Kleider, Falsch das Geschmeid, Falsch meine Liebe, Echt nur mein Leid.

Was ist mein Leben? Tolles Gewirr, Lachende Lüge, Schellengeklirr.

251 Keiner hat lieb mich

Auf dieser Welt, Tanzen und singen Muß ich für Geld.

Einmal noch blicke

Freundlich mich an — Weißt ja nicht morgen,

Daß Du's gethan.

Bin eine Flamme,

Die, windgewiegt, Lodert und leuchtet

Und früh verfliegt.

252

Jm Sonnenschein.

Wir sitzen beisammen in seliger Lust Auf griechischen Tempelquadern, Es leuchtet der Himmel, es schwillt unsre Brüste Die Jugend pocht in den Adern. Wir sind dem Glücke der Götter nah, Weichschäumend wirft sein Getriebe Das kosende Meer um Ithaka — O, daß es ewig so bliebe. Es schlummert Dein goldumstobnes Haupt Im Schatten surrender Myrten, Du lächelst, in Fernen glutdurchstaubt Singen albanische Hirten; Buntscheckige Ziegen klettern schnell, Durch bröckelndes Felsgeschiebe, Und drüber die Sonne so hell, so hell, O, daß es ewig so bliebe.

253 Es wird nicht bleiben.

Die Sonne will

Uns küssen im Niederwandern; Eh' sie versunken, großäugig, still,

Liebst Du längst einen Andern. Das Glück hat keinen Heimatsort, Und das beste bei Frühling und Liebe Ist jenes thörichte süße Wort:

O, daß es ewig so bliebe!

254

Meeresleuchten. Das Meer die grünen Wellen hob,

Der Tag ging früh zur Neige, Der Wind in schwülen Stößen schnob Durchs sausende Myrtengezweige.

Heißdunstig flogen von Süden her Die Wolken, die jagenden, feuchten,

Es Pflügte der Sturm das donnernde Meer,

Die Wellen begannen zu leuchten.

Da sank Dein windumstobnes Haupt

An meine Brust, bezwungen, Dein Herz, das ich erstarrt geglaubt, Hat Auferstehung errungen,

255 Es kam in seinem tiefsten Grund

Des Trotzes Kern zu brechen, Dein herber, rotgesäumter Mund

Begann von Liebe zu sprechen.

Dein Herz will wie die weite See Kuhl und großatmend branden,

Einsam im Glücke, stolz im Weh, Unnahbar, unverstanden,

Und nur bei Stürmen großer Art

Wird jäh im Weltgetriebe

Das seltne Leuchten offenbart, Das Leuchten Deiner Liebe.

256

Rtinstlerroman. Als tot auf schlechtem Gasthofbette lag Sein junges Weib bei Unschlittkerzenflammen,

Da schob Papier, verstreutes, er zusammen, Und schrieb daraus bis an den grauen Tag.

Es ward an Inhalt und an süßem Schalle Ein also großes, ewiges Gedicht,

Daß die Genossen es verstanden nicht, Und schweigend wichen, tiefergriffen alle.

Er aber blieb allein mit einem Sarg,

Darin begrub er seine Jugendliebe — Und jenes Buch, das ewigen Ruhm verbarg, Und das kein Denker leichthin nach ihm schriebe,

Er schob es unters fahle Goldgelock Als Ruhekissen für die schöne Tote,

Und riß sich aus den Hecken einen Stock Und schritt hinaus ins Morgenlicht, das rote.

257

Volkslied. Es steht in Deutschland eine Lind' Auf einen Friedhof mitten,

In diese alte Linde sind Zwei Herzen eingeschnitten.

Sie liebten sich, weiß stand der Klee, Ihr Glück war kaum zu fassen;

Doch als die Schwalbe sang ade, Da mußten sie sich lassen.

Das eine lebt noch auf der Welt, Thut singen, lachen und wandern, Und beten, daß es bald beigesellt

Dem andern.

Schönaich-Carolath, Dichtungen.

17

258

Dank.

Ein Lied in alle Welt hinaus

Hab' ich dereinst gesandt, Da kam zurück ein Veilchenstrauß Als Gruß Don fremder Hand;

Ich hab' ob seines Gebers nicht

Lang grübelnd nachgedacht, Doch hat das Sträußchen frisch und schlicht

Mir reiches Glück gebracht.

Ich weiß ja nun, daß auferweckt Ein Echo mein Gesang,

Daß ich ein Menschenherz entdeckt, Darin er wiederklang,

259 Und ob ich auch von Jugend her Manch Gut und Glück versäumt:

Nun ist mein Dasein nicht mehr leer, Mein Leben nicht verträumt.

Und klingt mein letztes Lied einst aus Und bricht mein Wanderstab, So legt den welken Veilchenstrauß

Am Herzen mir ins Grab.

260

G Deutschland! Mondschein und Giebeldächer

In einer deutschen Stadt — Ich weiß nicht, warum der Anblick Mich stets ergriffen hat.

Dort drüben bei Lampenscheine Ein Jüngling starrt ins Licht,

Und schwärmt und schluchzt und empfindet Sein erstes und bestes Gedicht.

Dort sitzt eine junge Mutter,

Die wiegt ihr Kind zur Ruh, Sie lächelt und sinnt und betet,

Und singt ein Lied dazu.

261 Es blickt auf die mondhellen Giebel

Tiefsinnend ein Greis hinaus, Er hält in der Hand eine Bibel, Drin liegt ein welker Strauß.

Die Bäume rauschen, es funkeln Die Sterne ab und zu; Dort unten liegen die dunkeln

Häuser in tiefer Ruh.

Es plätschert in alter Weise

Am Simonsplatze der Born, Von weitem tutet leise Der Wächter in sein Horn . . .

O Deutschland! mir that's gefallen In manchem fremden Land —

Dir aber hat Gott vor allen Das beste Teil erkannt.

Du lebst und schwärmst und dämmerst

In tiefer Seelenruh, Wenn Du Dein Eisen hämmerst, Erklingt ein Lied dazu.

262 O lasse Dir niemals rauben

Die alte Schwärmerei Für Frauen, Freiheit und Glauben — Bleib' unentwegt dabei!

Daß Du vom Born der Sage Mögst schöpfen Frömmigkeit

Und Kraft zu wuchtigem Schlage Nun und in Ewigkeit.

263

Gewittcrnacht. Wir schritten zögernd durch den Park, Es mochte kein Blatt sich regen,

Die Luft war schwer, es dufteten stark

Die Blumen an den Wegen.

Der Teich schlug Wogen schwarz und lau,

Im Schilfe riefen Unken, Irrlichter stoben schwefelblau

Umher gleich wirren Funken.

Sie hatte mit Beben meinen Arm

Im Dunkeln angenommen,

So gingen wir, an Worten arm, Glückselig und beklommen.

264 Ihr Auge trübte sich, es hob Ihr Busen sich bang und traurig;

Durchs Wipfelgewirr tief atmend stob Gewitterwind warm und schaurig.

Es rieselten nieder schwer an Duft Akazienblütenflocken,

Es wehte in Stößen die schwüle Luft,

Mir ins Gesicht ihre Locken.

Ein Wetterleuchten blaute auf

Im jagenden Wolkengetriebe; Es stieg auch uns im Herzen auf

Das Lenzgewitter der Liebe.

265

Letzter Tanz. Es glüht im Fieber das graue Haus, Lichtstreifen fallen breit hinaus

Auf sommertrübe Gassen; Es flammt der Saal von Kerzen ganz. Und wir beide tanzen den letzten Tanz

wir uns müssen lassen.

Ich bin gezogen von Meer zu Meer, Und als ich heimkam, die Taschen schwer,

Warst Du die Braut eines Andern;

Die Spatzen riefen's von jedem Dach, Die Basen zischten und sprachen's nach: Das kommt vom Wandern, vom Wandern.

266

Wir tanzen als habe der Tod Dich gepackt, Es fegt Deine Schleppe spitzengezackt In welken Orangenzweigen, Schon geht der Zeiger auf Mitternacht, Dein junger Gemahl er sieht's und lacht — Es schluchzen so wild die Geigen . . Ich wollte, wir irrten im nordischen Land, Von keinem geliebt, von keinem gekannt, Im Schneesturm über die Heide, Und daß Du ruhtest unbewußt In meinem Mantel, an meiner Brust, Und daß wir stürben beide.

267

Allerseelen. Es brennen die Kerzen düster, Der Weihrauch duftet ringsum, Die Menge kniet mit Geflüster, Die Orgel wurde stumm. Es leidet wohl jeder Schmerzen Um ein geliebtes Blatt, Das Gott aus dem tiefsten Herzen Ihm einst gerissen hat,

Doch die verlorene Seele, Die betend ich gemeint, Nicht ist sie gestorben in Fehle Betrauert und beweint,

268 Nicht mag entsühnt sie liegen

In einem engen Schrein — Noch läßt sie die Locken fliegen

In des Lebens Sonnenschein,

Noch ließe sie leuchten finster Ihr Auge vor Hohn und Spott, Wenn sie es wüßt', daß im Münster

Ihr Name genannt vor Gott,

Daß, während ein Kleid am Herzen Und ein Ball im Sinn ihr lag,

Für sie gebrannt die Kerzen Am Allerseelentag.

269

Und wenn dereinst . . .

Und wenn dereinst wir Engel sind,

Die überwunden das Leben, O dürften wir dann im Morgenwind Mit lächelnden Lippen schweben!

O wären wir frei von Lieb' und Haß, Daß wir nichts bangten und sehnten,

Daß wir, wie Schmetterlinge im Gras,

Die weichen Flügel dehnten!

Wir werden es nicht.

Die Liebespein,

Die wir erfahren auf Erden, Sie reicht bis in den Himmel hinein,

Wir dürfen nicht los sie werden.

270 Und wären die Himmel noch so blau Und noch so sanft unsre Herzen — Was wir erlitten um eine Frau,

Wir werden es nie verschmerzen.

Und zögen Lenze neu herauf

Gleich Sonnen im Herzensgründe, Es hörte doch nimmer zu bluten auf Der Erdenliebe Wunde.

Wir werden treiben durch Zeit und Raum, Uns sonnen, uns wiegen und senken, Und ewig an den Fiebertraum

Glückloser Liebe denken,

Wir werden ewig denken an sie Bkit schwermutvollem Sinne, Und ewig singen die Melodie

Verlorner erster Minne.

271

Wiistenweh. Die Wüste lag int Abendrot, Gen Theben ritten wir im Trab, Da fiel mein Roß sich jäh zu Tod An eines Scheichs verwehtem Grab.

Gelehnt an den erstarrten Bug, Der hingebettet lag im Sand, Sah jagen ich wie Schattenflug Ein Dunstgewölk durchs bleiche Land.

Schon fiel der Sonne letzter Strahl Schräg auf des Nils fahlgelbes Bett, Es dämmerte im Todesthal, Die Nacht kam über Medinet;

272 Und als sie auf die Wüste sank,

Die weit sich dehnte, heiß, verblaßt, Erwachte rings ein wirrer Klang,

So fremd, daß Grauen mich erfaßt.

Ein Stöhnen war's, ein Schrei von Schmerz

Ohnmächtig, qualvoll, wilder Art, Als Halle nach ein Werk von Erz, Das bis zum Kern gespalten ward.

Das ist der Wüste großes Weh: Wohl küßt der Lenz ihr Felsenthor,

Doch ruft sein jubelnd Kyrie Aus ihrer Brust kein Grün hervor.

Allnächtlich blickt der Mond, verblaßt,

Auf braune Hügel, sandverweht, Daran entlang, mit scheuer Hast Die Karawane lautlos geht.

Allewig starrt im Sonnenschein

Das Riesenbrandmal, staubbesleckt Daraus hochrippiges Gebein

Die weißen Knochenmassen streckt.

273 Und dennoch duldet tiefbewußt

Die Scherbenstätte heiß und rot

In Lebensdrang, in Opferlust — Das Weltall lebt — nur sie bleibt tot.

Ich kenne gut der Wüste Qual, Sie hallt in jedem Herzen nach Dem an des Lebens Marterpfahl Ein großes Leid den Glauben brach.

Wohl bäumt es sich vor Lebensdrang, Wohl stürmt und zittert es darin,

Doch geht der Auferstehungsklang Der Liebe nicht darüber hin.

Es leidet, doch es blüht nicht mehr;

Und selten findet es ein Lied,

Das, — wie die Karawane — leer Und geisterhaft vorüberzieht.

Schönaich-Carolath, Dichtungen.

IS

274

Meerfahrt. Es tanzt mit krachenden Masten Das Schiff durchs schäumende Meer,

Die Segel, die sturmverblaßten Fliegen zerfetzt umher.

Was kümmert uns Kampf und Toben?

Lehn' Dich an meine Brust;

Wir zwei auf Deck hier oben Sind uns des Siegs bewußt.

Was kümmern uns die Bilder

Des Todes und der See? Mein tolles Herz ist wilder

Als jede Westerbö,

Und Deines ist wohl weicher

Und sanfter von Begehr, Doch ist es perlenreicher Und tiefer als das Meer.

275

Litte.

Wenn einst das Kirchlein offen steht Im Lindengrün im Maienstrahl,

Wenn über Dich hinbrausend geht

Sieghaft der Orgel Schlußchoral,

Wenn Dir vereint auf ewig ward

Der Mann, deß Liebe Dich beglückt, Wenn alle Dich, nach frommer Art, Gesegnet und ans Herz gedrückt,

Dann schreite still vom Gotteshaus

Zum Friedhof hin — weit ist es nicht — Und leg' aufs Grab mir einen Strauß

Vergißmeinnicht.

276

Die verlaßene Villa.

Nun ruht die Billa verlassen, Der Vollmond überfliegt Weißleuchtend die Marmorterrassen, Drauf einst Dein Fuß sich gewiegt.

Versilbert grüßen die Dächer, Doch spinnender Ranken Last Verdüstert die schwülen Gemächer, Die Du bewohnet hast.

Du hast sie verlassen vor Jahren,

Doch blieb in ihnen zurück

Aus Deinen dunklen Haaren Ein Duft von verlornem Glück.

277 Da draußen blüht schwer der Meder,

Die Nachtigall schluchzend singt, Doch wann kehrt ein Frühling wieder,

Der Dich zur Heimat bringt?

Wohl will es mich heiß gemahnen

An kommender Lenze Zeit, Doch es rauschen bang die Platanen

Von versunkner Seligkeit,

Sie rauschen und überschatten

Die schauernden Gärten rings; Aus dunklen Taxusrabatten Lacht ein steinerner Sphinx.

278

hinüber Ich möchte sterben, wenn den letzten Schnee Der Südwind löscht, wenn sanfte Nebel senken Sich auf das Thal, wenn über Berg und See

Den Flug zur Heimat Kranichzüge lenken,

Wenn sich gelöst des Winters starres Trauern, Im warmen Wind laublos die Bäume schauern,

Wenn ahnungsvoll durch alles was da lebt Ein Hauch von Sehnsucht, junger Liebe schwebt, Wenn letztes Eis in Menschenherzen thaut,

Wenn süß und tief der Orgel Klang vergrollte Und jenes Lieb, das mein nicht werden sollte,

Zur Kirche schreitet, eines Andern Braut — Dann laß, mein Gott, aus Staub und Erdenwinden

Auch mich den Weg zur ew'gen Heimat finden, Laß dann auch mich, ein Blatt, gelöst vom Stamme, Entgegenziehn der großen Liebesftamme,

279 Der unser Mund verlornes Gut befahl, Die alles Glück, das wir ersehnt, verloren,

Ans Herz uns bettet, schuldlos, neu geboren; So laß auch mich an weichen Lenzestagen

Verlorner Lieke letzte, tiefe Qual An Deine Brust, an Dein Erbarmen tragen.

280

Am Südmeer. Denkst Du des Tags, da wir am Südmeer standen?

Wir sahen weit und uferlos es gähnen, Der trübe Tag mit fahlen Wolkenmähnen Versank bei Capri über dunklen Landen.

Dein schwarzes Haar flog wirr in feuchten Strähnen, Du lachtest hell zu Sturm und Wogenstranden,

Der Ocean, in schmetterndem Verbranden, Warf Dir zu Füßen seine bittren Thränen.

Auf Wellen, die vergrollend südwärts wanken, Zieht unerfüllt ins dunkle Reich der Träume Ein jedes Glück, das hoch und herrlich war.

Und unsrer Seele letztes Gut — Gedanken Wirft der Orkari als weiße Meeresschäume

Der Frau zu Füßen, die uns Schmerz gebar.

281

Daheim. Ein Weg durch Korn und roten Klee, Darüber der Lerche Singen, Das stille Dorf, der Helle See,

Süßes Wehen, frohes Klingen,

Es wogt das Korn im Sonnenbrand

Darüber die Glocken schallen — Sei mir gegrüßt mein deutsches Land, Du schönstes Land vor allen.

262

Traum. Es war vorbei. —

Das letzte Zucken, der letzte Schrei Verhallt zu nichts, Verschmerzt und versunken das Leben,

Es durfte schauernd entschweben

Die Seele zum Quell des Lichts.

Erlöster Erdenpilger lange Züge Wallten zum Endziel; feiertäglich klang

Und friedevoll ihr hoffnungsfrohes Beten. Sie zogen hin, als ob sie auswärts trüge Ein großes Sehnen, Greise neben Bräuten

Mit stillen Stirnen.

Die Gewänder wehten

Im frischen Winde, von der Erde drang Es wirr herauf wie fernes Glockenläuten.

283 Auch Dich sah ich zur ew'gen Heimat schweben,

Abseits der Menge, im weichbraunen Haar

Den halbverblühten Totenkranz; Dein Auge Von Abschiedsthränen noch verdunkelt war.

Du sahst mich an und sprachest leis: vergieb, Ich habe Dich so endlos endlos lieb, Vergiß, daß ich Dir Schmerz einst schuf und Qual,

Ich hab' geirrt in jenem Nebelthal,

Nun ist's verkämpft . . Dein eigen ward ich doch . . .

Ein Windstoß braust.

In meines Zimmers Raum

Dämmert der Morgen, kalt, entsetzlich fahl, Ich schrecke auf — und alles war ein Traum — Ich lebe noch!----------

284

Letztes Blühen. Es kommt noch einmal mir zu Sinn Der Liebe holdes Wunder;

Wir gehen durch die Mondnacht hin,

Die Nachtigall klagt im Hollunder.

Es bettet sich schwer und süß Dein Haupt

Auf meine Brust mit Beben, Mein Herz, das längst ich tot geglaubt, Erwacht noch einmal zum Leben.

Es schauert und ringt im Mondenlicht,

Weil mit gewaltigem Triebe

Durch seine Triefen kosend bricht Der Lenzsturm Deiner Liebe.

O gönne mir einen letzten Traum, Du Kind mit glühenden Wangen:

Bleib treu mir, bis vom Holderbaum

Die Blätter wirbelnd gegangen,

285 Ich möchte mildern den Abschiedsschmerz Durch etwas seltsam Neues,

Ich möchte sterbend pressen ans Herz Ein Frauenherz — ein treues.

Des Glückes Tage geh'n im Flug, Bald ist es Sommermitte . .

Es ist ja nur ein holder Betrug

Um den ich scheu Dich bitte.

Denn fielen die Blätter müd und lind

Herbduftend an den Wegen, Dann gehe auch ich, ein Blatt im Wind, Dem ewigen Lenz entgegen,

Dann gehe auch ich, um weit von hier,

Wohl unter rauschenden Bäumen In aller Ewigkeit von Dir

Und Deiner Liebe zu träumen.

286

In der Fremde. Nun schmilzt am Weg der letzte Schnee,

Das ist das Littorale — Tiefblau und blendend liegt die See

Im heißen Sonnenstrahle.

Von jeder Hecke, von jedem Zaun Verblühte Rosen fliegen, Lachende Mädchen, schlank und braun Aus allen Fenstern liegen,

Wie Riesentrauben stehn in Pracht

Orangen und Mandarinen,

Aus allen Lauben flehn bei Nacht Verliebte Kavatinen,

287 Verschränkte Paare schlank und kühn Durch alle Vignen wandeln,

Das Liebeswerben überblüh'n Frohlockend rote Mandeln.

Und über dem heißen, glückseligen Land Da rauschen im Winde die Pinien,

Da ragen die Berge unbekannt In weichen sonnigen Linien,

Und über der See tiefblau und weit

Liegt der Himmel unermessen — Doch über allem mein Herzeleid

Um Dich, die ich in Ewigkeit Nicht toerb' vergessen!

288

Gerbst am 3ürichberg. Schon zittert welk das Ahornblatt

Im müden Sonnenschein,

Die Gaffen der alten Limmatstadt Duften von neuem Wein.

An froher Villen Gartenthor Bleib' ich erwartend stehn,

Als müsse durch späten Rosenflor Noch einmal die Liebste gehn.

Es decken Nebel den Rebenhang

Und über die Gärten weit Zieht Frauenlachen süß von Klang —

O Jugend, du heilige Zeit!

Ich bin ein Wandrer mit grauem Haar, Der schweigend zu segnen kam Die Sommerlust, die sein einst war, Das Glück, das Abschied nahm,

289 Der einmal noch segnet, still von Sinn,

Dies Land, das ihm in Pracht

Des Mannesherzens Hochgewinn,

Die volle Lese gebracht.

Nun trauert verödet und bleich die Flur,

Doch liegen die Stoppeln brach, Zieht jedes Lebens Pflügerspur

Der ewigen Ernte nach.

Bald goldet auch mir ein fremder Glanz Den letzten Nebeltag —

Vorüber . . tief unten im Ulmenkranz Rauscht jubelndes Festgelag.

Im fröstelnden Garten, rotumlaubt, Die Götterbilder stehn,

Und letzte dunkle Rosen ums Haupt

Schlingt ein trunkner Silen.

Schönaich-Carolath, Dichtungen.

19

290

Heimwärts. Ein dürrer Eichbaum droht ins Land,

Dort sitz' ich, mein Leid zu klaren; Die Ostsee schäumt, Staub deckt den Strand, Die Blätter wirbeln, jagen.

Die Freunde gut, die Liebchen blond,

Daran mein Herz gehangen, Wo blieben sie? Am Horizont Verweht, vorausgegangen.

Verfehlte Liebe, verlornes Glück — Nun auf durch Erdenschauer,

Unsterblich Herz, zu Gott zurück Zum Frühling ew'ger Dauer.

291

Herbstreise. So will ich denn noch einmal fahren

Den Rhein hinab zur grauen Stadt;

Die Heimat grüß' ich, wo vor Jahren

Mein Herz geliebt, geblutet hat.

Rauch hüllt die Dächer, in den Scheiben

Spätsommersonne sinkend loht, Mit süßem Laut die Schwalben treiben Den schrägen Flug durchs Abendrot.

Es steigt des Domes Schattenmasse

Mit Blumenzier und Turmesknauf Weltflüchtend aus dem Lärm der Gasse, Verleuchtend flammt der Tag darauf.

Von Liebchens Haus im Abendschimmer

Das rote Weinlaub fliegt und nickt, Allein der Sonne Glutgeflimmer In fremde Frauenaugen blickt.

292 Auch keine Freunde gilt's zu finden,

Sie schlafen längst wie's Gott gewollt,

Auf ihren Grabstein schütten Linden

Der braunen Blätter Raschelgold.

Und fremde Kinder jubeln, lachen, Ein neues, wachsendes Geschlecht,

Nicht hab' ich Träumer unter Wachen Und Lebensfrohen Heimatrecht.

Studenten zechen vor den Lauben

In hellen Haufen, buntgereiht, Schon rötet früher Frost die Trauben, Bald naht die große Wanderzeit,

Gen Süden lenkt im Heimwehtriebe Ein Kranichheer den Flug gemach;

Auch du, mein Herz, ziehst deiner Liebe Und deinem ew'gen Lenze nach.

293

Abschied. Nun ging der Sommer sacht zur Neige,

Die Hügel starren reifbekränzt, Aus triefendem Edeltannengezweige Das weiße Schloß im Herbsttag glänzt.

Ich möchte noch einmal langsam gehen

An deiner Seite, traumgewiegt, Wenn durch die dunklen Taxusalleen

Das raschelnde rote Herbstlaub fliegt, Noch einmal, wenn fern des Gärtners Harke

Den nassen Kiesweg sacht entlaubt. Möcht' pressen ich tief im rauschenden Parke

An meine Brust dein blondes Haupt. Dann wie ein Sturm, der schwül geschlagen

Durch Erdenschönheit und Rosenflor

Will ich den Kranz aus Lenzestagen

In letzten Liedern heimwärts tragen In Gott empor.

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In gleichem Verlage erschienen:

MW ttil ll. MllMMMtz:

Der Sreiyerr. — Regulus. — Der Leiland der Tiere. Drei Novellen. Preis eleg. gebunden 4 M.

Geschichten aus Moll. Preis eleg. gebunden 4 M.

Tauwasser. Preis eleg. gebunden 4 M.

Leipzig, K. I. Äöschen'lche Verlagshandlung.

Druck von C. H. Schulze & Eo. in Gräfenhainichen.