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German Pages 481 Year 2010
OTTO VON GIERKE
Deutsches Privatrecht Vierter Band
Familienrecht
Aus dem Nachlaß herausgegeben von Karl Kroeschell und Karin Nehlsen-von Stryk
a Duncker & Humblot · Berlin
OTTO VON GIERKE
Deutsches Privatrecht Vierter Band: Familienrecht
OTTO VON GIERKE
Deutsches Privatrecht Vierter Band
Familienrecht Aus dem Nachlaß herausgegeben von Karl Kroeschell und Karin Nehlsen-von Stryk
a Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-12950-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706*
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Der vorliegende Band bietet das nachgelassene „Familienrecht“ des großen germanistischen Rechtsgelehrten Otto von Gierke (1841 – 1921); es hätte den IV. Band seines großen „Deutschen Privatrechts“ bilden sollen, dessen erste drei Bände in den Jahren 1895, 1905 und 1917 erschienen waren. Allerdings hat Gierke den familienrechtlichen Band vor seinem Tode nicht mehr ganz abschließen können. Es fehlt vor allem das Recht der Vormundschaft und Pflegschaft. Dennoch bietet das Werk trotz einzelner Lücken ein umfassendes Bild des Eherechts und Ehegüterrechts, des Verwandtschaftsrechts und der Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern. Der Ausgabe liegt ein handschriftliches Manuskript von fast 900 Blatt zugrunde, das sich im Jahre 1974 in der Hinterlassenschaft eines in Göttingen verstorbenen Enkels Otto von Gierkes fand. Dessen Schwester, Frau Dr. Else Strasburger geb. von Gierke, trat damals unter Vermittlung von Prof. Friedrich Schaffstein mit mir in Kontakt, übergab mir das Manuskript und ermächtigte mich, die Möglichkeit einer posthumen Veröffentlichung zu erkunden und diese gegebenenfalls in die Wege zu leiten. Daraufhin nahm ich Verbindung zum Verlag Duncker und Humblot auf, in dem einst die ersten drei Bände des „Deutschen Privatrechts“ erschienen waren. Prof. Norbert Simon bekundete sein Interesse an der Veröffentlichung des nachgelassenen Werkes, und der Verlag übernahm auch die Kosten für die Übertragung des handschriftlichen Textes in Maschinenschrift, die von Frau Ursula Blum durchgeführt wurde, der langjährigen Sekretärin des rechtshistorischen Lehrstuhls in Göttingen. Als die mühsame Arbeit nach mehr als zwei Jahren abgeschlossen werden konnte, war ich inzwischen an die Universität Freiburg übergewechselt. Hier galt es nun, das Typoskript abschnittsweise mit der handschriftlichen Vorlage zu vergleichen und zu korrigieren, wobei mich namentlich mein Mitarbeiter Dr. Wendt Nassall tätig unterstützte. Wegen des fortschreitenden Einsatzes der EDV im Publikationswesen wurde im Jahre 1990 mit Hilfe meines Konstanzer Kollegen Hans-Wolfgang Strätz die Möglichkeit geprüft, den maschinenschriftlichen Text einzuscannen, um eine erneute Abschrift zu vermeiden, für die im Freiburger rechtshistorischen Institut keine Arbeitskapazitäten vorhanden waren. Der damalige Versuch verlief allerdings wenig befriedigend. Erst meine Lehrstuhlnachfolgerin Karin Nehlsen-von Stryk war erfolgreicher: seit 1998 gelang es ihr mit Hilfe engagierter Mitarbeiter, einen digitalisierten Text herzustellen, der als Druckvorlage dienen konnte. Ihr und ihren Helfern Maike Huneke, Denis Keil und Jan-Ulrich Schuster ist es also zu verdanken, daß das langwierige „Gierke-Projekt“ endlich der Realisierung näher kam.
VI
Vorwort
Wie kein anderes Gebiet des bürgerlichen Rechts ist das Familienrecht durch die Gesetzgebung (und Rechtsprechung) in mehreren Schüben an den jeweiligen Zeitgeist angepaßt und damit gegenüber der Ausgangssituation von 1900 fast bis zur Unkenntlichkeit verändert worden. Gerade vor diesem Hintergrund läßt sich die Bedeutung von Gierkes nachgelassenem Werk nach drei Richtungen hin charakterisieren. Einmal bietet Gierkes Werk eine sorgfältige Bestandsaufnahme des Familienrechts in den ersten 20 Jahren nach Inkrafttreten des BGB, die in ihrer Ausführlichkeit über das einzige andere größere Lehrbuch, das Familienrecht von Martin Wolff und Theodor Kipp (1912), weit hinausgeht. Einen Eindruck von Gierkes Leistung können insoweit seine Ausführungen in § 258 über die Überleitung der alten Güterstände im Jahre 1900 geben. Zum anderen war es ein besonderes Anliegen Gierkes, das von ihm in der Entstehungsphase so hart kritisierte BGB in die historische Entwicklung und besonders in die speziell deutschrechtliche Tradition einzuordnen. Über diese Zielsetzung hat er im Vorwort des 1905 erschienenen II. Bandes des Privatrechts ausführlich Rechenschaft gegeben, und sie wird auch im familienrechtlichen Teil allenthalben sichtbar. Dies zeigt durchgängig die gründliche Einarbeitung der dem BGB vorausliegenden partikularrechtlichen Gesetzgebung sowie speziell etwa der Abschnitt über die Geschichte der Allgemeinen Gütergemeinschaft in § 268. Endlich wird Gierkes Familienrecht auch für die immer wieder auflebende Diskussion über seine Vorstellung von „Sozialrecht“ neuen Stoff liefern. Bekanntlich war es neben dem Recht der Personenverbände und dem Arbeitsrecht gerade das Familienrecht, das man für Gierkes sozialrechtliche Konzeption in Anspruch genommen hat. Gierkes bisher unbekannte eigene Darstellung dieses Rechtsgebiets verspricht daher neue Aufschlüsse – nicht nur in den Abschnitten über das Wesen des Familienrechts (§ 223) oder die eheliche Gemeinschaft (§ 244), sondern auch an vielen anderen Stellen. Das Einverständnis der Familie von Gierke vorausgesetzt, beabsichtige ich, das Originalmanuskript der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen zu übergeben, die auch andere Teile des Nachlasses von Otto von Gierke bewahrt. Karl Kroeschell
Editorische Hinweise Vom handschriftlichen Original bis zum vorliegenden Druck hat Gierkes Text einen weiten Weg zurückgelegt. Daher seien uns einige Bemerkungen zur Gestaltung dieser Edition gestattet. Otto von Gierkes Manuskript umfaßt 478 Text- und 420 Anmerkungsseiten. Dabei handelt es sich um (offenbar mit dem Federmesser) halbierte Folioblätter – ein wenig höher als moderne DIN A5-Seiten, eng beschrieben in Gierkes haarfeiner, bisweilen winziger „deutscher“ Schrift. Die Textseiten sind numeriert, die Anmerkungsseiten durch Buchstaben (a,b,c – aa,bb,cc usw.) bezeichnet. Abschnittsweise (nach „Paragraphen“) sind Text und Anmerkungen durch Umschlagblätter zu kleinen Konvoluten zusammengefaßt, die teilweise vom Verfasser selbst, teilweise (mit dickem Bleistift) von dessen Sohn Julius von Gierke beschriftet worden sind. Die Paragraphenzählung, im Gesamtwerk durchlaufend, beginnt im Familienrecht mit § 220; der vorangehende Band (das „Schuldrecht“ von 1917) hatte mit § 219 geendet. Schon bei der Übertragung des handschriftlichen Textes in die Schreibmaschine in den Jahren 1975 – 1977 hatte sich gezeigt, daß das Manuskript nicht vollständig war. Nicht nur im Einleitungskapitel und bei der Allgemeinen Gütergemeinschaft fehlten einzelne Textabschnitte (§§ 220, 224 – 227 sowie §§ 270 – 272), sondern auch sonst gab es im Text wie bei den Anmerkungen kleinere Lücken (§§ 237, 268, 291, 293, 297 und 298). Mochte der einleitende Text des § 220 vom Autor auch vielleicht zurückgestellt worden sein, so sind doch die anderen großen wie kleinen Lücken, wie die häufigen Querverweisungen zeigen, wohl auf nachträgliche Blattverluste zurückzuführen. Hinweise auf den Verbleib dieser Blätter gibt es bisher nicht. Die Anmerkungen sind wie in den ersten drei Bänden des „Privatrechts“ als Fußnoten, nicht als Endnoten gesetzt. Freilich wurde ihre Zählung vom Verlag geändert: hatte Gierke in jedem „Paragraphen“ wieder neu zu zählen begonnen, so wird nun in den größeren „Kapiteln“ durchgezählt. Dies nötigte bei der Korrektur dazu, viele hunderte von Querverweisungen im Anmerkungsapparat aufzuspüren und zu ändern. Gegen Ende des Manuskripts (ab § 293, bes. in § 297) waren viele Fußnoten ausgefallen oder falsch zugeordnet. Hier wurde Fehlendes ergänzt und die Zählung korrigiert, ohne daß dies eigens kenntlich gemacht wurde. Kleinere Schreibversehen wurden ebenfalls ohne besondere Hervorhebung berichtigt, um die Lesbarkeit des Textes nicht zu beeinträchtigen. Hinweise auf zweifelhafte Lesungen und fehlende Textstücke oder Anmerkungen, die Ergänzung aus-
VIII
Editorische Hinweise
gefallener Wörter und andere Zusätze der Herausgeber erscheinen dagegen in ekkigen Klammern. Im übrigen wurde in Gierkes Text möglichst wenig eingegriffen. So wurde seine Rechtschreibung nicht modernisiert, sondern belassen (z. B. Ueberhaupt, gieng, Verhältniß, gesammt). Auch seine Abkürzungen für Gesetze, Entscheidungen und Literatur wurden nicht dem heutigen Gebrauch angeglichen, sondern so belassen, wie er sie verwandte. Verständnisschwierigkeiten dürften sich daraus nicht ergeben. Für die Identifizierung von heute weniger bekannten älteren Schriften ist hilfreich der gedruckte „Katalog der Otto von Gierke-Bibliothek in der Handels-Universität Tokio“ (Tokio 1930). Die heutige Hitotsubashi-Universität in Kunitachi nahe Tokyo bewahrt Gierkes Bibliothek mit anderen europäischen Gelehrtenbibliotheken in einem eigenen Bibliotheksbau auf. Neben seinen eigenen Arbeitsexemplaren finden sich hier auch zahlreiche Sonderdrucke von ihm zitierter Aufsätze. Der Katalog ist in Deutschland jedenfalls im Institut für Rechtsgeschichte der Universität Freiburg einzusehen. Abschließend gilt unser aufrichtiger Dank dem Verlag Duncker und Humblot für sein Engagement in der Sache und für seine geduldige Betreuung des ganzen Vorhabens. Karl Kroeschell Karin Nehlsen-von Stryk
Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Familienrecht überhaupt § 220 [fehlt] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
§ 221 Die geschichtlichen Grundlagen des geltenden deutschen Familienrechts . . . . . . .
1
§ 222 Die Quellen des geltenden deutschen Familienrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
§ 223 Wesen des Familienrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
§§ 224 – 227 [fehlen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Zweites Kapitel Eheliches Personenrecht Erster Titel Verlöbniß
12
§ 228 Geschichte des Verlöbnißrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
§ 229 Geltendes Verlöbnißrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
Zweiter Titel Erfordernisse der Eheschließung
37
§ 230 Erfordernisse der Eheschließung überhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
§ 231 Die Ehehindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
§ 232 Mängel der Ehefähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
§ 233 Das Ehehinderniß in der Doppelehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
§ 234 Die Ehehindernisse der Verwandtschaft und Schwägerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
§ 235 Das Ehehinderniß des Ehebruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
§ 236 Ehehindernisse aus Gründen der äußeren Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
§ 237 Rechtsgeschäftliche Erfordernisse der Eheschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
Dritter Titel Form der Eheschließung
78
§ 238 Geschichte der Eheschließungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
§ 239 Das geltende formelle Eheschließungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
X
Inhaltsverzeichnis Vierter Titel Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe
§ 240 Nichtige Ehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93 93
§ 241 Anfechtbare Ehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 § 242 Rechtsfolgen nichtiger Ehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 § 243 Prozesse über Bestand oder Nichtbestand der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Fünfter Titel Wirkungen der Ehe
113
§ 244 Die eheliche Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 § 245 Allgemeine Ehewirkungen vermögensrechtlichen Inhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Sechster Titel Auflösung der Ehe
155
§ 246 Auflösung der Ehe durch den Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 § 247 Todeserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 § 248 Ehescheidung. Geschichte und Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 § 249 Die Ehescheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 § 250 Durchführung der Ehescheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 § 251 Wirkungen der Ehescheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 § 252 Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Drittes Kapitel Eheliches Güterrecht Erster Titel Das eheliche Güterrecht überhaupt
215
§ 253 Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 § 254 Das gesetzliche eheliche Güterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 § 255 Das vertragsmäßige eheliche Güterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 § 256 Wirksamkeit des ehelichen Güterrechts gegen Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 § 257 Räumliche Geltung des ehelichen Güterrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 § 258 Zeitliche Geltung des ehelichen Güterrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Inhaltsverzeichnis
XI
Zweiter Titel Verwaltungsgemeinschaft
247
§ 259 Begriff, Geschichte und Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 § 260 Die Vermögensmassen bei Verwaltungsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 § 261 Rechtsstellung des Mannes in der Verwaltungsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 § 262 Rechtsstellung der Frau in der Verwaltungsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 § 263 Schuldenverhältnisse bei der Verwaltungsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 § 264 Beendigung der Verwaltungsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 § 265 Besondere eheliche Güterarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Dritter Titel Gütertrennung
310
§ 266 Begriff, Geschichte und Wesen der Gütertrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 § 267 Rechtsverhältnisse bei der Gütertrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Vierter Titel Allgemeine Gütergemeinschaft
318
§ 268 Begriff, Geschichte und Wesen der allgemeinen Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . 318 § 269 Vermögensmassen bei der allgemeinen Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 § 270 – § 272 [fehlen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 § 273 Fortgesetzte Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 § 274 Rechtsverhältnisse bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 § 275 Veränderung und Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . . 349 § 276 Gewillkürte Aenderungen des Rechtes der fortgesetzten Gütergemeinschaft . . . . 357 Fünfter Titel Errungenschaftsgemeinschaft
361
§ 277 Begriff, Geschichte und Wesen der Errungenschaftsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . 361 § 278 Rechtsgrundsätze bei der Errungenschaftsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
XII
Inhaltsverzeichnis Sechster Titel Fahrnißgemeinschaft
378
§ 279 Begriff, Geschichte und Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 § 280 Rechtsgrundsätze bei der Fahrnißgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Viertes Kapitel Verwandtschaftsrecht Erster Titel Rechtsverhältnisse und Verwandtschaftsrecht überhaupt
385
§ 281 Eheliche Abstammung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 § 282 Wirkungen der Verwandtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 § 283 Eintritt der Unterhaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 § 284 Veränderung und Beendigung der Unterhaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Zweiter Titel Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern
404
§ 285 Wirkungen der ehelichen Kindschaft überhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 § 286 Hausangehörige Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 § 287 Ausstattung und Aussteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 § 288 Elterliche Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 § 289 Elterliche Gewalt des Vaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 § 290 Personensorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 § 291 Vermögenssorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 § 292 Elterliche Nutznießung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 § 293 Obervormundschaftliche Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 § 294 Ruhen und Beendigung der elterlichen Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 § 295 Elterliche Gewalt der Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 Dritter Titel Kinder aus nichtigen Ehen und uneheliche Kinder
451
§ 296 Kinder aus nichtigen Ehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 § 297 Uneheliche Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 § 298 Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464
Erstes Kapitel
Familienrecht überhaupt § 220. [fehlt] § 221. Die geschichtlichen Grundlagen des geltenden deutschen Familienrechts I. Einheimisches deutsches Recht In der Urzeit unseres Volkes war sein Familienrecht rein national. Es blieb in der fränkischen Zeit, wie die Volksrechte und die Kapitularien, die Formeln und die Urkunden zeigen, im Wesentlichen national, erfuhr jedoch seit Annahme des Christentums kirchliche und zugleich vereinzelte römische Einflüsse. Im deutschen Mittelalter wurde das persönliche Eherecht durchaus der kirchlichen Ordnung unterworfen, alles übrige Familienrecht dagegen wahrte, wie die Land- und Stadtrechte, die Rechtsbücher, die Urkunden und Schöffensprüche erkennen lassen, ein streng nationales Gepräge. Seit der Rezeption galt zwar das römische Familienrecht als gemeines deutsches Recht; allein auf keinem anderen Gebiete vermochte so wenig wie auf diesem das römische Recht wirklich durchzudringen. Denn kein anderer Zweig des Privatrechts hängt so innig mit dem eigentümlichen Geiste, mit den sittlichen Anschauungen und mit den gesellschaftlichen Sitten des Volkes zusammen. Daher erfuhr das gemeine Familienrecht eine Fülle von Umbildungen, in denen germanische Grundgedanken zum Durchbruch gelangten. Vor Allem aber wurde sein Herrschaftsbereich in höherem Maße als auf anderen Gebieten durch partikulares Gesetzes- und Gewohnheitsrecht eingeengt, das die einheimischen Rechtsbildungen, wenn auch vielfach in romanistischer Einkleidung, in Kraft erhielt. Die Wiedererstehung des deutschen Rechts seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts führte dann gerade im Familienrecht zur Erneuerung germanischer Rechtsinstitute in verjüngter Gestalt. Von den großen Gesetzbüchern ging auf diesem Wege das Preußische Allgemeine Landrecht voran. Aber auch im französischen Gesetzbuch ist das Familienrecht in Folge der fränkischen Abstammung des ihm zu Grunde gelegten Droit coutumier überwiegend germanisch gefärbt. Das Oesterreichische Gesetzbuch, das Sächsische Gesetzbuch und die Schweizerischen Gesetzbücher sind gleichfalls reich an germanistischem Gehalt. So konnte auch das deutsche bürgerliche Gesetzbuch nicht umhin, sein Familienrecht hauptsächlich aus deutschrechtlichem Stoffe aufzubauen. Nur läßt es leider, wennschon es Manches am ersten Entwurf gebessert hat, nicht nur die Durchdringung des gan-
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1. Kap.: Familienrecht überhaupt
zen Gebäudes mit deutschem Geist vermissen, sondern kleidet auch die einzelnen Rechtssätze in eine undeutsche Form, die seinem Familienrecht den Weg zur Volkstümlichkeit, die doch hier am meisten geboten wäre, fast gewaltsam versperrt. In beiderlei Hinsicht ist ihm das neue Schweizerische Zivilgesetzbuch weit überlegen. Unsere Darstellung des geltenden deutschen Familienrechts hat dessen deutschrechtliche Grundlagen überall zu berücksichtigen. Sie befindet sich in der günstigen Lage, die Ergebnisse reicher germanistischer Forschungsarbeit über die geschichtliche Entwicklung sich ohne Weiteres aneignen zu können. Nur den zum Verständnis des heutigen Rechts erforderlichen Gehalt der fortwirkenden Grundgedanken hat sie selbständig herauszuschälen. II. Kanonisches Recht Im Mittelalter setzte die Kirche mit Hülfe der Lehre, daß die Ehe ein Sakrament sei, den Anspruch durch, das persönliche Eherecht durch kirchliche Vorschriften bindend zu regeln. Etwa seit dem zehnten Jahrhundert war ihr Sieg entschieden. So wurde das kanonische Recht, wie es im Corpus juris canonici abschließend festgestellt wurde, zur maßgebenden Quelle für die Eingehung und Endigung der Ehe und ihre rein persönlichen Wirkungen. Inhaltlich lehnt sich das kanonische Recht vielfach an germanisches, jedoch auch an römisches Recht an, durchdringt aber Alles mit spezifisch kirchlichen Gedanken. Die Herrschaft des weltlichen Rechts auf dem Gebiete des ehelichen Güterrechts blieb von der Verkirchlichung des Eherechts unberührt. Nach der Reformation behauptete das kanonische Recht sich als das für Katholiken geltende gemeine Eherecht; eine eingreifende Reform erfuhr es durch das Tridentiner Konzil. Aber auch für die Evangelischen wurde nicht, wie ursprünglich geplant war, seine Geltung völlig beseitigt. Vielmehr wurde es nur durch partikulare Kirchenordnungen in den einzelnen Landeskirchen und durch gemeines Gewohnheitsrecht umgestaltet, indem namentlich die Ehe den Charakter des Sakraments abstreifte, das Verbot der Priesterehe fiel und die Scheidung der Ehe vom Bande zulässig wurde. So blieb auch für die Evangelischen das persönliche Eherecht ein Teil des Kirchenrechts und auf der kanonischrechtlichen Grundlage durch das Landeskirchenrecht und das ergänzende „gemeine protestantische Kirchenrecht“ geregelt. Für Juden behauptete das jüdische Recht gemeinrechtliche Geltung in Ehesachen. Die großen Gesetzbücher setzten ein staatliches Eherecht an Stelle des kirchlichen Rechts. Das Preußische Landrecht schuf ein vom Religionsbekenntnis unabhängiges einheitliches Recht, das sich aber eng an das protestantische Kirchenrecht anlehnte. In gleicher Weise verfuhr das französische Gesetzbuch, das jedoch das katholische Eherecht zu Grunde legte. Desgleichen das Oesterreichische Gesetzbuch, das indessen, während es sich im Uebrigen noch strenger an das katholische Kirchenrecht anschloß, hinsichtlich der Ehescheidung einen Unterschied zwischen Katholiken und Nichtkatholiken aufrecht erhielt. Das Sächsische Gesetzbuch
Geschichtliche Grundlagen
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führte ein staatliches, jedoch nach Konfessionen verschiedenes Eherecht ein. Für ganz Deutschland schuf das Personenstandsgesetz vom 6. Februar 1875 in den wichtigsten Punkten ein einheitliches weltliches Eherecht, beseitigte aber für das gemeine Recht nicht durchweg die Geltung des kirchlichen Rechts. Dies geschah vielmehr erst durch das BGB. Damit hat das Eheprivatrecht für uns überhaupt völlig aufgehört, Bestandteil des kirchlichen Rechts zu sein. Allein sachlich lebt das kanonische Recht nebst dem aus ihm hervorgewachsenen jüngeren kirchlichen Recht auch im heutigen bürgerlichen Ehepersonenrecht fort und bildet so für dessen Verständnis die unentbehrliche geschichtliche Grundlage. Darum fällt auf diesem Teilgebiete des Familienrechts die Aufgabe der Verknüpfung des geltenden Rechts mit der Vergangenheit hauptsächlich der kanonistischen Wissenschaft zu, während die germanistische Wissenschaft nur ergänzend mitzuwirken hat. Aus diesem Grunde ist nach dem Plane des vorliegenden Werkes hier größere Kürze geboten.
III. Römisches Recht Das römische Familienrecht wurde in Deutschland in der Gestalt aufgenommen, die es im Corpus juris civilis empfangen hatte. Die scharfen Züge des alten national-römischen Rechts sind hier abgestumpft und verwischt. Aber die ursprünglichen Begriffe sind in ihrem Kerne kenntlich geblieben und bilden den Schlüssel für das Verständnis des zum Universalrecht gesteigerten neueren Rechts. Auch soweit im gemeinen deutschen Recht der usus modernus und in den das gemeine Recht als Hilfsrecht anerkennenden Partikularrechten das Land- und Stadtrecht die römischen Rechtsinstitute abwandelte, behielt doch das Familienrecht des Corpus juris als unmittelbare Quelle des geltenden Rechts eine weittragende Bedeutung. Die Abschaffung des gemeinen Rechts durch die großen Gesetzbücher entzog dem römischen Recht seine formelle Kraft. Das BGB hat sie für ganz Deutschland beseitigt; nur wo es auf Landesrecht verweist, kann das im gemeinen Recht enthaltene römische Recht noch als Landesrecht zur Anwendung kommen. Allein auch das von der Herrschaft der römischen Quellen völlig befreite neue deutsche Familienrecht enthält, obschon von allen Teilen des Privatrechts im geringsten Maße, römischrechtliche Bestandteile. In unserem BGB sind sie sorgfältiger konserviert, als im Sinne nationaler Ausgestaltung unseres Rechts wünschenswert gewesen wäre. Somit gehört zu den geschichtlichen Grundlagen, auf denen das geltende deutsche Familienrecht beruht, auch das römische Recht. Es ist die Aufgabe der romanistischen Wissenschaft, das Verständnis des geltenden Familienrechts durch Aufdeckung seiner römischen Wurzeln zu fördern. Vom germanistischen Standpunkt aus ist nur darzustellen, inwieweit die römischen Rechtsgedanken sich dem germanischen Recht gegenüber durchgesetzt haben oder umgewandelt und schließlich erlegen sind.
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1. Kap.: Familienrecht überhaupt
§ 222. Die Quellen des geltenden deutschen Familienrechts I. Reichsrecht Das BGB hat für das deutsche Reich ein einheitliches Familienrecht geschaffen, das an die Stelle des überaus zersplitterten früheren Familienrechts getreten ist. Die Einheit ist strenger durchgeführt, als auf anderem Privatrechtsgebiet, insbesondere im Sachenrecht. Hauptquelle des Familienrechts ist daher für uns das vierte Buch des BGB. Daneben kommen andere Reichsgesetze in Betracht, die das Familienrecht des B.G.B. teils durch Bestimmungen über die in seinen Dienst gestellten öffentlichen Einrichtungen ergänzen, teils der Ordnung andersgearteter Rechtsverhältnisse zu Grunde legen. So in erster Linie das Personenstandsgesetz vom 6. Februar 1875 (mit Abänderungen durch EG z. BGB a. 46) nebst dem Ges. betr. Eheschließung und Beurkundung des Personenstandes von Bundesangehörigen im Ausland v. 4. Mai 1870 (mit Abänderungen durch EG a. 40). Sodann die Zivilprozeßordnung und das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, teilweise auch die Konkursordnung und das Anfechtungsgesetz. Weiter das Ges. über Erwerb und Verlust der Reichs- und Staatsangehörigkeit v. 22. Juli 1913 (früher das Ges. v. 1. Juni 1870 mit Abänderung durch EG zum BGB a. 41). Auch das Freizügigkeitsges. v. 1. Nov. 1867 (Abänderung in EG a. 37), die Reichsgewerbeordnung (vgl. EG a. 96) mit ihren Novellen, in einzelnen Punkten das Strafgesetzbuch und die Strafprozeßordnung (Abänderung im EG a. 34 u. 35) und manche andere Reichsgesetze.
II. Landesrecht Landesrecht gilt im Gebiete des Familienrechts, soweit das EG zum BGB zu seinen Gunsten einen Vorbehalt macht. Die speziell auf Familienrecht bezüglichen Vorbehalte sind spärlich (EG a. 134 – 137). Tiefer greifen gewisse allgemeine Vorbehalte, die ganze Rechtsgebiete dem Landesrecht überlassen, in das Familienrecht ein. So vor allem die Vorbehalte zu Gunsten des Sonderrechts des hohen Adels (EG a. 57 u. 58) und des ehemaligen niederen Reichsadels und ihm gleichgestellter Familien (EG a. 582). Nicht ohne Bedeutung für das Familienrecht sind auch die Vorbehalte für das Landesrecht bezüglich der Lehen, Stammgüter und Familienfideikommisse (EG a. 59), der Rentengüter (a. 62) und des Anerbenrechts (a. 64). Auch hinsichtlich der Familienstiftungen bleibt zum Teil Landesrecht maßgebend (BGB § 85). Ueberdies sind für Familienverhältnisse, die vor dem 1. Januar 1900 begründet sind, die Vorschriften des älteren Rechts insoweit in Kraft geblieben, als nicht dem neuen Recht rückwirkende Kraft beigegeben ist. Durch eine Reihe von Uebergangsvorschriften hat das EG zum BGB a. 198 – 212 die Abgrenzung vollzogen.
Quellen
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Das hiernach fortbestehende Landesrecht konnte nicht nur bis zum 1. Januar 1900, sondern konnte und kann auch seither durch Landesgesetz abgeändert werden (EG a. 218). Hiervon hat namentlich in Ansehung des ehelichen Güterrechts älterer Ehen die Landesgesetzgebung umfassenden Gebrauch gemacht. Die Quellen des partikulären Familienrechts sind vielfach noch das ältere gemeine Recht, die Land- und Stadtrechte, die früheren Gesetzbücher und manche Spezialgesetze. Zum großen Teil aber sind sie durch Bestimmungen der Ausführungsgesetze verdrängt. Zum Teil sind auch neuere Spezialgesetze ergangen, die dem Landesrecht vorbehaltene familienrechtliche Gegenstände betreffen. III. Ausländisches Recht Ausländisches Familienrecht ist in Deutschland insoweit unmittelbar anwendbar, als die vom deutschen Recht ausdrücklich formulierten oder gewohnheitsrechtlich anerkannten Regeln des internationalen Privatrechts die Geltung des fremden Rechts für ausländische Familienverhältnisse vorschreiben. Von den im EG zum BGB getroffenen Bestimmungen beziehen sich die meisten (Art. 13 – 23) ausschließlich, andere (Art. 27 – 31) mit auf das Familienrecht. Außerdem kommen die vom Deutschen Reich mit einzelnen fremden Staaten geschlossenen Staatsverträge in Betracht. Besonders hervorzuheben sind die zwischen einer Gruppe von Staaten vereinbarten beiden Haager Abkommen vom 12. Juni 1902 zur Regelung des Geltungsbereiches der Gesetze auf dem Gebiet der Eheschließung und zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige, die in Deutschland seit 1904 Gesetzeskraft erlangt haben. Im Uebrigen kann das ausländische Recht, indem es zur Vergleichung herangezogen wird, dem deutschen Familienrecht wertvolle Dienste als Hilfsmittel leisten. Für uns ist vor Allem das aus deutscher Wurzel entsprossene fremde Familienrecht, das für die geschichtliche Betrachtung überhaupt dem deutschen Rechte angehört, von hervorragender Bedeutung. Insbesondere also das Oesterreichische Recht, das auf der Grundlage des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches mancherlei Fortbildung erfahren hat, und das Schweizerische Recht, das im neuen schweizerischen Zivilgesetzbuch in der Hauptsache vereinheitlicht ist. Sodann aber sind die germanischen Bestandteile sonstiger ausländischer Rechte zu berücksichtigen. In erster Linie die des französischen Gesetzbuches, das ja im rheinischen und badischen Recht für uns zu unmittelbarer Rechtsquelle wurde, sowie seine Um- und Nachbildungen. Daneben die des englisch-amerikanischen Rechts, das freilich hier wie auf anderen Gebieten bei der Ausgestaltung der germanischen Rechtsgedanken vielfach sehr eigenartige Wege gegangen ist.
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1. Kap.: Familienrecht überhaupt
§ 223. Wesen des Familienrechts I. Ueberhaupt Die gemeinsamen Grundzüge, die den als Familienrecht zusammengefaßten Rechtsnormen ein besonderes Gepräge verleihen, weisen darauf hin, daß die Rechtsordnung von der Vorstellung eines eigenartigen Wesens dieses Normenkomplexes beherrscht wird. Sowohl hinsichtlich der näheren Bestimmung dieses Wesens, wie hinsichtlich des Umfanges der aus ihr gezogenen Einzelfolgerungen weichen die positiven Rechtsordnungen der Gegenwart – wie der Vergangenheit mannichfach von einander ab. Halten wir uns aber an das heutige deutsche Familienrecht, so offenbart sich in ihm eine bestimmte Grundauffassung, die in ihrem Kern dem geschichtlich entwickelten Gedankengehalt entstammt. Sie ist freilich im BGB vielfach verdunkelt und unvollkommen durchgeführt. Aber von ihr haben wir auszugehen und an ihr haben wir das Einzelne zu messen, wenn wir das deutsche Familienrecht aus deutschem Geiste begreifen und in deutschem Geiste entfalten wollen. II. Personenrecht Das Familienrecht ist, weil es dauernde menschliche Verbundenheiten durch die Ausstattung mit Rechtswirkungen zu Rechtsverhältnissen erhebt, in seinem Kern Personenrecht. Alle Familienrechtsverhältnisse begründen Rechte von Personen an Personen1. Sie ergreifen die Persönlichkeit als solche und unterscheiden sich dadurch von Schuldverhältnissen. Das Schuldverhältnis hat zum unmittelbaren Gegenstande nur ein bestimmtes Tun oder Unterlassen, das aus dem Gesamtbereiche einer Person ausgeschieden und als „Leistung“ objektiviert ist. Das Familienrechtsverhältniß dagegen versetzt die Persönlichkeit als Ganzes in einen Zustand dauernder Gebundenheit und erzeugt grundsätzlich eine Herrschaftsgewalt der einen und eine Unterworfenheit der anderen Person. Darum gehören die Familienrechte zu den absoluten Rechten. Hierin sind sie den Sachenrechten verwandt. Allein im Gegensatz zu den Sachenrechten gewähren sie keine Macht, deren Gegenstand ein bloßes Rechtsobjekt wäre, sondern setzen voraus, daß ihr Gegenstand Person ist und somit dem berechtigten Rechtssubjekt selbst zugleich als Rechtssubjekt gegenübersteht. Darum entsprechen jeder familienrechtlichen Unterworfenheit rechtliche Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten. Hieraus ergiebt sich von vornherein die Einbettung von relativem Recht in das kraft der Familiengewalt gewährte absolute Recht. Nach deutscher Auffassung liegt im Wesen der Familienrechtsverhältnisse die Gegenseitigkeit2. Das ursprüngliche römische Recht neigte zu der Ausgestaltung 1
Vgl. oben Bd. I 261.
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der Grundverhältnisse des Familienrechts im Sinne einseitiger Herrschaftsbefugnisse. Bei dieser auch im späteren römischen Recht niemals ganz überwundenen Prägung der Grundbegriffe konnte das personenrechtliche Wesen der Familienrechtsverhältnisse sich nicht voll entfalten. Vielmehr blieben sie, soweit sie nicht den personenrechtlichen Charakter überhaupt abstreiften, trotz äußerer Trennung innerlich den Sachenrechten verwandt. Dagegen war im germanischen Recht seit alter Zeit die Gegenseitigkeit aller Familienrechtsverhältnisse angelegt. Diese Auffassung hat sich im deutschen Recht behauptet und beherrscht unzweifelhaft in prägnanter Weise unser heutiges Recht. Es giebt keine familienrechtliche Gewalt, in der nicht mit den Rechten Pflichten verbunden wären. Jede familienrechtliche Verbundenheit von Personen begründet eine gegenseitige Abhängigkeit und für jede von ihnen ein Recht an der Person des Anderen. Mit der Geburt eines Kindes entsteht zugleich mit dem Elternrecht an der Person des Kindes ein Kindesrecht an der Person des Vaters und der Mutter. Die Ehe begründet Rechte der Ehegatten an einander. Ein gegenseitiges Recht an der Person besteht im Verhältniß von Vormund und Mündel. Erst mit der Durchführung dieser Auffassung vollendet sich das personenrechtliche Wesen des Familienrechts. III. Vermögensrecht Das Familienrecht regelt zugleich mit der persönlichen Verbundenheit die aus ihr entspringenden Vermögensbeziehungen. Man unterscheidet daher vom Familienpersonenrecht das Familienvermögensrecht (Familiengüterrecht). Die äußere Trennung ist auf Grund der historischen Entwicklung am schärfsten im Eherecht durchgeführt (Ehepersonenrecht und Ehegüterrecht). Das Familienvermögensrecht bleibt jedoch integrierender Bestandteil des Familienrechts und fügt sich dem personenrechtlichen Grundverhältniß ein. Denn alle familienrechtlichen Vermögensbeziehungen sind Ausfluß eines umfassenden Gesamtverhältnisses, der eben in seinem Kern personenrechtlicher Natur ist. Darum haben zwar die einzelnen Vermögensverhältnisse teils sachenrechtlichen, teils schuldrechtlichen Inhalt und sind, insoweit sie als selbständige Rechtsverhältnisse für sich erscheinen, den allgemeinen Grundsätzen des Sachenrechts oder Schuldrechts unterworfen. Allein gegenüber den Vermögensverhältnissen des Verkehrsrechtes weisen sie Besonderheiten auf, deren gemeinsame Grundfärbung dem inneren Zusammenhange mit den personenrechtlichen Grundverhältnissen entstammt. Durchweg werden die für ihre Entstehung, ihren Inhalt und ihre Beendigung geltenden Rechtsgrundsätze vom Personenrecht her eigentümlich bedingt und bestimmt. Es widerspricht der deutschen Auffassung ihres Wesens, wenn sie, wie oft geschehen ist3, aus dem personenrechtlichen Zusammenhang herausgerissen und Vgl. oben Bd. I 261 Anm. 12. So z. B. bei der Ausbildung der Theorie des ehemännlichen und des väterlichen Nießbrauchs oder bei der Verweisung der Ansprüche des Vormundes gegen den Mündel und des Mündels gegen den Vormund ins Obligationenrecht. 2 3
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1. Kap.: Familienrecht überhaupt
in die Kategorien des Verkehrsrechtes eingezwängt werden. Andererseits dürfen sie auch nicht, wie manchmal versucht ist4, ihres sachen- oder schuldrechtlichen Inhalts zu Gunsten personenrechtlicher Isolierung entkleidet werden. Das deutsche BGB wird in beiderlei Hinsicht dem Wesen des Familiengüterrechts im Ganzen gerecht. IV. Privatrecht Das heutige Familienrecht ist in seinem Kern Privatrecht. Als solches ist es ja auch im bürgerlichen Gesetzbuch geregelt. Dies steht im Einklang mit dem Wesen der Familienrechtsverhältnisse. Denn sie sollen vor Allem dem einzelnen Menschen neben der Sphäre freier individueller Tätigkeit eine Sphäre des intimen Zusammenlebens und Zusammenwirkens sichern. Die von Manchen verfochtene Meinung, daß sie eigentlich dem öffentlichen Recht angehören, beruht auf der irrigen Vorstellung, daß sich Privatrecht und Individualrecht decken. Allerdings werden sie vom öffentlichen Recht her stark und stärker als andere Privatrechtsverhältnisse eingeschränkt. Allein solche Einschränkungen erfährt jedes Privatrecht, ohne daß es darum aufhörte, Privatrecht zu sein. Im älteren deutschen Recht war freilich die Familie ein gleichzeitig die Beziehungen der Familienangehörigen zu einander und ihr Verhältniß zur Allgemeinheit umfassender Verband. Je weiter wir zurückgehen, desto mehr erscheint die Familie als Grundpfeiler der Heeres- und Gerichtsverfassung und bestimmt auch die Ansiedlung. Legen wir den Maßstab der dem ursprünglichen germanischen Recht fremden begrifflichen Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht an, so stellt sich uns das alte Familienrecht als eine innige Verflechtung von Privatrecht und öffentlichem Recht dar. Im Laufe der Zeiten jedoch sind die spezifischen Funktionen der Familie, die wir hiernach als öffentlichrechtliche zu werten haben, verselbständigt und dann mehr und mehr überhaupt verschwunden. Ganz freilich bis heute nicht! Aber die öffentlichrechtlichen Wirkungen des Familienzusammenhanges gehören nicht mehr dem „Familienrecht“ an, das als solches sich in das Privatrecht zurückgezogen hat, sondern bilden vereinzelte Bestandteile des Staats- und Verwaltungsrechts, des Strafrechts und des Prozeßrechts. V. Sozialrecht Das Familienrecht ist aber, obschon Privatrecht, in seinem Kern nicht Individualrecht, sondern Sozialrecht. Denn die von ihm geordneten Familienrechtsverhältnisse gehen nicht von der Unverbundenheit der als Privatrechtssubjekte anerkannten Menschen, sondern von ihrer vorhandenen Verbundenheit aus. Das Familienrecht stellt nicht die Individuen 4
So z. B. von Sohm, Der Gegenstand S. 88.
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als einander nebengeordnete und isolierte Einzelwesen hin, die dann erst durch Rechtsverhältnisse verknüpft werden, sondern es knüpft an die von ihm vorgefundenen organischen Gemeinschaften an, die im Gattungsleben der Menschen wurzeln und auf Einordnung der Einzelnen in dauernde Lebenszusammenhänge beruhen. Die sozialrechtliche Struktur des Familienrechts kam im älteren deutschen Recht zu voller Erscheinung. Das römische Recht suchte im Einklang mit seinem individualistischem Grundzuge auch die Familienverhältnisse möglichst in Individualbeziehungen aufzulösen. Sein Einfluß drängte auch im gemeinen Recht und in manchen Partikularrechten die sozialrechtlichen Gedanken zurück, ohne deren Uebergewicht im deutschen Familienrecht zu tilgen. Unter den großen Gesetzbüchern brachte sie am entschiedensten das Preußische Allgemeine Landrecht zum Ausdruck, indem es das Familienrecht in den Anfang seines dem Aufbau der bürgerlichen Gesellschaft gewidmeten zweiten Teiles stellte. Das BGB hat unter dem Druck romanistischer Vorstellungen dem Familienrecht ein stark individualrechtlich zugeschnittenes Gewand angezogen. Aber doch vornehmlich nur in der Form. Inhaltlich kommt auch in ihm die deutsche Auffassung zur Geltung, daß das Familienrecht seinem eigentlichen Wesen nach Gemeinschaftsrecht ist! Darin gerade liegt der Grund seiner wahren Berührung mit dem öffentlichen Recht. Die den sozialrechtlichen Grundverhältnissen entspringenden Einzelrechte der Familiengenossen unterscheiden sich von den freien Individualrechten durch eine Fülle mehr oder minder stark ausgeprägter Besonderheiten. Dahin gehört die Durchmischung mit Pflichten, die Unübertragbarkeit, die Unverzichtbarkeit, das durchgehende Verbot des Mißbrauchs und die Verwirkbarkeit. Diese typischen Besonderheiten aber erstrecken sich größtenteils zugleich auf die vermögensrechtlichen Ausflüsse der personenrechtlichen Verbundenheit. Im Gegensatz zu den selbständigen Sachenrechten und Forderungsrechten, die darauf angelegt sind, Verkehrsgegenstände zu bilden, sind auch die Vermögensrechte des Familienrechts trotz ihres sachenrechtlichen oder schuldrechtlichen Inhalts dem freien Verkehr entzogen und unterliegen darum grundsätzlich entweder überhaupt nicht oder nur in beschränkter Weise der Verfügung des Berechtigten. VI. Rechtsschutz Das eigenartige Wesen des Familienrechts äußert sich schließlich auch in Besonderheiten des den familienrechtlichen Ansprüchen gewährten Rechtsschutzes. In dieser Hinsicht weist gerade das heutige deutsche Recht eine Reihe markanter Züge auf. Grundsätzlich sind freilich die familienrechtlichen Ansprüche, da sie privatrechtlicher Natur sind, im Wege des ordentlichen Zivilprozesses verfolgbar. Daß sie außerdem durch Strafrecht und Polizeirecht geschützt sind, haben sie mit anderen Privatrechten und namentlich mit den Sachenrechten gemein.
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1. Kap.: Familienrecht überhaupt
Allein für die wichtigsten Streitigkeiten des Familienpersonenrechts tritt ein besonderes Prozeßverfahren ein. Es ist das Verfahren in Ehesachen und das ihm nachgebildete Verfahren in Rechtsstreitigkeiten, welche die Feststellung des Rechtsverhältnisses zwischen Eltern und Kindern zum Gegenstande haben5. Die Geltendmachung der Familienrechte, um die es sich hier handelt, erfolgt also zwar mittels gerichtlicher Klage6. Die Streitentscheidung aber findet in einem vom gewöhnlichen Zivilprozeß stark abweichenden Verfahren statt. Die Hauptbesonderheiten dieses Verfahrens bestehen in der Mitwirkung der Staatsanwaltschaft, der Steigerung der richterlichen Amtsgewalt, der Einschränkung der Parteimacht, der auf Ermittlung der materiellen Wahrheit abzielenden Gestaltung des Beweisrechtes und der absoluten Rechtskraft des Urteils. Hierin gelangt die Eigenart der Familienrechtsverhältnisse, insbesondere das staatliche Interesse an dem Schutz der Grundlagen des Familienlebens und der Ausschluß der freien Verfügung der Individuen über ihre Familienrechte, zum prozessualen Ausdruck. Sodann sind zahlreiche familienrechtliche Ansprüche der Geltendmachung im Wege des Zivilprozesses überhaupt entzogen, weil ihr Schutz in das Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit verwiesen ist. Dies gilt für den ganzen Bereich der Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts, die sich heute nicht nur auf Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern und zwischen Vormündern oder Pflegern und ihren Mündeln oder Pfleglingen erstreckt, sondern aus [recte: auch] in das Verhältniß von Ehegatten zu einander hineinreicht7. Denn in diesem Bereiche verbindet sich der behördlichen Rechtsverwaltung eine umfassende Rechtsprechung, die sich in den von den Formen des Zivilprozesses vielfach abweichenden Fronten eines besonderen gerichtlichen Verfahrens vollzieht. Auch dieses Verfahren zielt, soweit es die Entscheidung von Rechtsfragen einschließt, auf die Gewährung eines vollen Privatrechtsschutzes für die von ihm betroffenen Familienrechte ab8. Allein es ist in seiner eigenartigen Ausgestaltung darauf angelegt, die starke sozialrechtliche Gebundenheit gerade der ihm zugewiesenen Privatrechte aus Familienverhältnissen zur Geltung zu bringen. Mit dem Wesen des Familienrechts hängt es endlich zusammen, daß manchen familienrechtlichen Ansprüchen, obschon sie als Rechtsansprüche anerkannt sind, nur ein unvollkommener Rechtsschutz gewährt wird. So ist der Anspruch des EheZPO §§ 606 – 644. Dabei handelt es sich überwiegend um Feststellungs- oder Gestaltungsansprüche, jedoch bei der Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens um einen Leistungsanspruch. 7 Vgl. unten § 227 III. 8 Dies zeigt sich namentlich in der Beschwerdeinstanz, indem gegen die Verfügung des Vormundschaftsgerichts Jedem, dessen Recht durch die Verfügung beeinträchtigt wird, die Beschwerde an das Landgericht zusteht (FGG § 20 und dazu §§ 57 – 62) und gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts, wenn die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruht, die weitere Beschwerde zulässig ist, in Folge deren die Rechtsfrage das Oberlandesgericht oder bei Meinungsverschiedenheit über die Auslegung einer reichsgesetzlichen Vorschrift das Reichsgericht entscheidet (FGG.§§ 27 – 28, 63). 5 6
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gatten auf eheliche Lebensgemeinschaft zwar klagbar, das auf Herstellung der Gemeinschaft lautende Urteil aber nicht vollstreckbar9. Die Ansprüche der Frau auf Grund der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung können, so lange diese besteht, überhaupt nicht gerichtlich geltend gemacht werden10. Aus einem Verlöbniß kann nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden11. Hier überall bleibt der Rechtsschutz hinter dem Rechte zurück, weil aus Gründen, die im sittlichen Wesen der Ehe wurzeln, der Erfüllungszwang als unangemessen empfunden wird. Anderenfalls entspringen gerade den Familienverhältnissen vielfach sittliche und Anstandspflichten, die überhaupt kein rechtliches Sollen begründen, deren freiwillige Erfüllung aber mit den Rechtswirkungen einer Schulderfüllung ausgestattet ist12.
§§ 224 – 227 [fehlen!]
9 ZPO § 882? Das Gleiche gilt für die Verurteilung zur Eingehung einer Ehe, soweit sie noch vorkommen kann. 10 BGB § 1394. 11 BGB § 12971. 12 Vgl. oben Bd. III 47 – 48, 433, 1011. Eine besondere Stärke der Erfüllungswirkung eignet der durch die Sitte gebotenen Gewährung einer Ausstattung an das Kind nach BGB § 1624; vgl. oben Bd. III 48 Anm. 161.
Zweites Kapitel
Eheliches Personenrecht* Erster Titel
Verlöbniß § 228. Geschichte des Verlöbnißrechts1 I. Aelteres deutsches Recht Im germanischen Recht war die Verlobung ein wesentlicher Bestandteil der Eheschließung. Wenn in der Urzeit neben der rechtsgeschäftlichen Eingehung einer Ehe der Erwerb der ehemännlichen Gewalt durch Frauenraub als rechtmäßige Form der Ehegründung anerkannt war2, so konnte schon zur Zeit der Volks* Gesamtdarstellungen des älteren gemeinen Ehepersonenrechts finden sich in den Handund Lehrbüchern des Kirchenrechts und in monographischen Arbeiten über das katholische und evangelische Eherecht. Vgl. bes. Walter, Kirchenr. §§ 294 ff.; Phillips, Lehrb. des Kirchenr. §§ 267 ff.; Richter-Dove-Kahl, Lehrb. des kathol. und evangel. Kirchenr. §§ 266 ff.; Friedberg, Lehrb. des kathol. u. evangel. Kirchenr. §§ 137 ff.; R. v. Scherer, Handbuch des Kirchenr., Bd. II (l898) §§ l07 ff. Ferner: Kutschker, Das Eherecht der kath. Kirche, 5 Bde.1856 / 57; A. v .Scheurl, Das gemeine deutsche Eherecht und seine Umbildung durch das BG v. 6. Febr. 1875 usw.,1882. Weitere Literaturnachweise bei Richter a. a. O. u. v. Scherer a. a. O. – Preuß. R. b. Gitzler, Handb. des gem. u. preuß. Eherechts, 1840. – Französ. R. b. Zachariae-Crome III §§ 419 ff. – Oesterr. R. b. Bittner, Darstellung des Oesterr. Eherechts, 1877. – Recht des BGB: L. Jacobi, Das persönliche Eherecht des BGB, 1896; F. Kohler, Das Eherecht des BGB, l898; Systeme des bürg. R. von Endemann II 28 – 9 (1908) §§ 147 ff.; Landsberg §§ 218 ff.; Dernburg IV4 (1908) §§ 2 ff.; Crome IV (l908) §§ 548 ff.; Matthiaß(5) (1910) §§ 223 ff.; Cosack6 (1913) §§ 310 ff.; M. Wolff b. Enneccerus6 – 8 II 22 (1914) §§ 2 ff.; Kommentare zum BGB IV §§ 1297 ff.; von Planck3 (Unzner), v. Staudinger7 – 8 (Engelmann), Opet, A. B. Schmidt (1907), von Reichsgerichtsräten (Erler). – Schweiz. R.: E. Huber, Schweiz. PR I l88 ff., Komm. zum ZGB a. 90 ff. von Gmür Bd. II und von Egger (1914) S. 8 ff. 1 Friedberg, Das Recht der Eheschließung, 1865. Sohm, Das Recht der Eheschließung 1875. Friedberg, Verlobung und Trauung, 1876. Sohm, Trauung und Verlobung, 1876. H. Habicht, Die altdeutsche Verlobung in ihrem Verhältniß zu dem Mundium und der Eheschließung, 1879. K. Lehmann, Verlobung und Hochzeit nach den nordgermanischen Rechten des früheren Mittelalters, 1888. Frensdorff, Verlöbnis und Eheschließung nach hansischen Rechts- und Geschichtsquellen, Hans. Geschichtsblätter 1917 S. 291 ff., 1918 S. 1 ff.; Brunner, RG I294 ff., 126, Grundz.6 S. 221 ff.; Schröder, RG5 S. 72, 309 ff., 753. Heusler, Inst. II §§ 131 ff.; E. Huber, Schweiz. PR IV 314 ff.; Stobbe-Lehmann IV3 § 269. Hübner, Grundz.2 S. 523 ff.; v. Schwerin, RG2 S. 126 ff.; v. Amira, OR I S. 533 ff., II 659 ff., Recht3 S. 177 ff.;
1. Titel: Verlöbniß
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rechte eine Ehe nur auf rechtsgeschäftlichem Wege zu Stande kommen3. Das Rechtsgeschäft aber, durch das eine echte Ehe begründet wurde, war der Frauenkauf, der, mochte er einst als Kauf der Frau selbst vorgestellt sein, als Kauf der Munt über die Frau aufgefaßt und ausgestattet war4. Und dieser Muntkauf setzte sich aus den beiden von je begrifflich und der Regel nach auch zeitlich getrennten Rechtsvorgängen der Verlobung und Trauung zusammen5. Die Verlobung (desponsatio, angelsächs. beweddung, nord. foertning) war der grundlegende Vertragsschluß, das den Uebergang der Munt festsetzende personenrechtliche Gedinge; die Trauung (traditio puellae, angelsächs. gifta) war die Vertragserfüllung, der reale Vollzug des Ueberganges der Munt durch Anvertrauung und Heimführung der Braut6. Die Verlobung wurde feierlich und offenkundig geschlossen7. Als Vertragsteile fungierten dabei ursprünglich der Muntwalt der Braut und der Bräutigam, beide Rietschel, Art. „Eheschließung“ in Hoops Reallexikon; E. Loening, Geschichte des deut. Kirchenrechts II 277 ff.; v. Scheurl, Die Entwicklung des kirchlichen Eheschließungsrechtes, 1877, S. 76 ff., Eherecht S. 38 ff.; v. Scherer, Handb. II § 110; H. Zihlmann, Der Verlöbnisbruch im modernen Recht, 1902, S. 2 ff. 2 Vgl. Dargun, Mutterrecht und Raubehe, Unters. z. d. St. u. RG XVI (1883) S. 72 ff.; Kohler, Z. f. vgl. RW V (1884) S. 334 ff.; Brunner a. a. O. S. 95 ff.; Hübner a. a. O. S. 523 ff. – Dargun, Heusler a. a. O., v. Schwerin a. a. O. S. 126 u.A. nehmen an, daß die Raubehe einstmals die alleinige Eheschließungsform gewesen und die Kaufehe erst aus der Umwandlung des für den Friedensbruch geschuldeten Sühngeldes in einen für friedliche Ablösung der Munt gezahlten Preis entstanden sei. Allein diese Annahme, die mit der Hypothese ausschließlicher Exogamie zusammenhängt, ist sicherlich verfehlt. Der Frauenraub kann immer nur die Ausnahme gebildet haben, die hauptsächlich unter vornehmen Sippen vorkam und als heldische Art des Erwerbes einer begehrten Frau besonders hoch gewertet und verherrlicht wurde. Vgl. Schrader a. a. O. S. 70, Hübner S. 524 ff. 3 Der Frauenraub wurde allgemein mit Strafe bedroht und begründete keine Ehe im Rechtssinne. Doch blieb die nachträgliche Legitimierung der Ehe durch Zahlung des Muntpreises möglich. Vgl. Brunner S. 55. Die Erinnerung an den Frauenraub lebte in Hochzeitsgebräuchen fort („Brautlauf“). 4 Dabei ist die allgemeine Bedeutung des Begriffes „Kauf“ als Urtypus des auf Leistung und Gegenleistung gerichteten gegenseitigen Vertrages zu beachten; oben Bd. III 434 Anm. 2. 5 Die Volksrechte setzen als selbstverständlich voraus, daß zwischen Verlobung und Trauung ein Zeitraum des Brautstandes liegt. Für die von Manchen (bes. Schröder S. 70, 311, Hübner S. 527) verfochtene Meinung, daß in der vorfränkischen Zeit die Eheschließung ein einheitlicher Akt in Gestalt eines Barkaufes gewesen sei, fehlt der Beweis. Mochte aber dem Vertragsschluß der Vollzug unmittelbar folgen, so wurde doch Beides in ähnlicher Weise, wie bei der Uebereignung auf dem Grundstücke Sala und Gewere (vgl. oben Bd. II 268 ff.), rechtlich unterschieden. Vgl. v. Schwerin S. 127. 6 Da die Verlobung nicht Schuldvertrag, sondern personenrechtlicher Vertrag war, ist ihr Verhältniß zur Trauung nicht dem einer Kaufabrede zum dinglichen Rechtsgeschäft (oben Bd. III 436), sondern dem des dinglichen Vertrages zur Besitzübertragung, also der liegenschaftsrechtlichen Salung zur realen Investitur (oben Bd. II 268 ff.), vergleichbar. – Auf die Trauung ist später zurückzukommen (§ 238). 7 Dies ergab sich aus dem für personenrechtliche wie sachenrechtliche Geschäfte geltenden germanischen Publizitätsprinzip. Vgl. Schuld und Haftung S. 117 ff.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
jedoch unter Mitwirkung ihrer Sippe8. Die Zeit der Hochzeit wurde festgesetzt. Zugleich wurde der Kaufpreis für die Munt, der als Wittum (widemo, widem, angelsächs. weotema, burg. wittimen, lat. dos), Mietgeld (langob. meta, lat. pretium nuptiale) oder Muntschatz (fries. muntskat, langob. mundius, nord. mundr) bezeichnet wurde, vereinbart. Doch stellten die Volksrechte in der fränkischen Zeit feste Ansätze für den Muntschatz auf9. Das in dem Vertragsschluß enthaltene Versprechen, zur bedungenen Zeit die Trauung durch Uebergabe der Braut einerseits und ihre Uebernahme andererseits zu vollziehen, wurde im Einklang mit den für Schuldverträge geltenden Grundsätzen des alten Rechts10 haftungsrechtlich verfestigt. Entrichtete der Bräutigam den Muntschatz sofort bei der Verlobung, wie dies vielleicht einst die Regel gebildet hatte, so trat für den anderen Teil Empfangshaftung ein11. Die gleiche Wirkung aber hatte die Zahlung eines Angeldes12. Es wurde daher allgemein üblich, die Verlobung in die Form eines Arrhalvertrages zu kleiden, bei dem als Angeld eine geringfügige Summe, vielfach aber nach einer sich mehr und mehr verbreitenden Sitte ein Ring diente13. Der Arrhalvertrag erlangte auch hier allmählich die ursprünglich durch gleichzeitige Wadiation des Bräutigams bedingte zweiseitige Bindungskraft14. Doch findet sich auch die Bekräftigung der Verlobung durch gegenseitige Wadiation15 oder durch Treugelübde, Eid oder Handschlag16. Die Braut war ursprünglich am Vertragsschluß nicht beteiligt. Der Muntwalt verlobte sie und empfing den Muntschatz. Doch galt schon in fränkischer Zeit die 8 Wo die Braut unter der Muntschaft ihrer Sippe steht, erscheint diese als eigentliche Kontrahentin; Brunner S. 126. Die Zustimmung der Sippe des Bräutigams verbürgte die Aufnahme der Braut in dessen Sippenverband. 9 Vgl. die (zum Teil nach Ständen ungleichen) Taxen b. Sohm, Z.f.RG V 419 ff., Eheschließung S. 23 ff., Schröder S. 310 Anm. 134. Sohm legt ihnen absoluten Charakter bei und findet darin den Ausdruck der Unschätzbarkeit des Kaufgegenstandes. Dagegen mit Recht Schröder a. a. O., Stobbe-Lehmann S. 16, Hübner S. 526. Maßgebend waren sie für die Höhe der Buße wegen Muntbruches. 10 Vgl. oben Bd. III 327 ff. 11 Schuld und Haftung S. 81 ff., 165 ff.; oben Bd. III 22, 334 ff. Die Verhaftungskraft des Empfanges einer bloßen Teilzahlung ist hier mehrfach bezeugt; vgl. Sohm, Eheschließ. S. 27. 12 Sohm, Eheschließ. S. 28 ff., Frensdorff a. a. O. S. 339 ff.; Schuld u. Haftung S. 337 ff., oben Bd. III 336 ff. 13 Ueber die Verlöbnisarrha: in den einzelnen Stammesrechten vgl. Schuld u. Haftung S. 359 ff. Bei den Franken ist sie eine gesetzlich auf 1 Solidus und l Denar fixierte Gabe. Der Ring (vielleicht römischer Sitte entlehnt) begegnet zuerst bei den Westgoten als arrha. 14 Vgl. Schuld u. Haftung S. 345 ff., 361. 15 So in besonders reicher Ausgestaltung im langobard. R.; Schuld u. Haftung S. 277 Anm. 6, 282 Anm. 29, 365 Anm. 116. Aber auch im angelsächs. R.; ebd. S. 315 Anm. 89 – 91. Schwäb. Formel b. Sohm, Eheschließ. S. 47, 319 ff. 16 Sohm, Eheschließung S. 48 Anm. 49, 49 Anm. 53; Frensdorff a. a. O. S. 337 ff. Dazu oben Bd. III 328 ff.; Schuld u. Haftung S. 237 ff., 257 ff.
1. Titel: Verlöbniß
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Braut als das Subjekt, das durch den Vertragsschluß unmittelbar verpflichtet und berechtigt wurde. Weil die Verlobung zu ihren Lasten erfolgte, erschien mehr und mehr ihre Einwilligung als erforderlich17. Und weil die Verlobung ein Vertrag zu ihren Gunsten war, verwandelte sich der Muntschatz in eine Zuwendung an sie selbst, die ihr bei der Trauung ausgehändigt, später auch nur für den Fall der Witwenschaft zugesichert wurde18. Der Muntwalt als Verlober empfing nur noch das gezahlte Angeld. Im Laufe der Zeit kehrte sich das Verhältniß überhaupt um. Die Braut wurde zur Kontrahentin, sie verlobte sich selbst unter bloßer Zustimmung des Muntwalts19. Nun erhielt sie auch die zum Zeichen des Vertragsschlusses gewordene Gabe, insbesondere den Ring20. Mit der Selbstverlobung, der die nachfolgende Selbsttrauung entsprach, geriet die Auffassung der Verlobung als Muntkauf in Vergessenheit. Dies tritt besonders sinnfällig in dem Aufkommen der wechselseitigen Ringgabe zu Tage21. Die Wirkung der Verlobung war eine personenrechtliche Verbundenheit. Die Verlobung begründete nicht blos eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Erfüllung der beiderseitigen Versprechen, sondern schuf eine Verbundenheit, die zwar noch nicht Ehe, wohl aber die Rechtsgrundlage der nachfolgenden Ehe war22. Dadurch waren die Verlobten nicht nur mit einander bereits durch ein Treuband vereinigt, dessen Bruch dem Ehebruch gleichstand, sondern sie galten auch Dritten gegenüber bereits als ein verbundenes Paar, so daß der Eingriff in ihr Treuverhältniß strafbare Rechtsverletzung und das Verlöbniß Hinderniß für die Eingehung einer anderweitigen Ehe war23. Vgl. Sohm a. a. O. S. 50 ff.; Habicht a. a. O. S. 23 ff.; Brunner, RG I 96 Anm. 20. Sohm a. a. O. S. 33; Schröder, RG S. 309 (über die Uebergangsstufe im burgund. R. Anm. 131); v. Schwerin S. 128. Diese Umwandlung begegnet schon in den ältesten Volksrechten und tritt überall ein, bevor die Braut als Vertragsteil erscheint. Auf ihre ehegüterrechtliche Bedeutung ist später zurückzukommen; unter § 265 IV. 19 So durchweg im deutschen MA. Vgl. Sohm a. a. O. S. 52. 20 Lange noch erhielt sich die einseitige Ringgabe des Bräutigams und die Erinnerung an ihre einstige Bindungskraft: „Ist der Finger beringt, so ist die Jungfrau bedingt.“ Auch die fränkische Geldarrha fiel nun an die Braut. Vgl. Sohm a. a. O. S. 53 ff. 21 Schuld u. Haftung S. 366. Frensdorff a. a. O. S. 343 ff. 22 Gegenüber der älteren Meinung, die über die Auffassung der Verlobung als eines den in der Trauung enthaltenen Eheschließungsvertrag nur vorbereitenden Schuldvertrages nicht hinauskam, hat Sohm a. a. O. S. 78 ff., Trauung und Verlobung S. 1 ff. der richtigen Auffassung Bahn gebrochen. Nur übertrieb er sie durch die Formel „Verlobung ist Eheschließung“. In dem darüber entbrannten Streit hielten Friedberg, Verlobung u. Trauung S. 15 ff., Stobbe IV216 u.A. an der älteren Meinung fest, während die Meisten vermittelnde Ansichten aufstellten; vgl. E. Loening a. a. O. II 572 ff.; Habicht S. 30 ff., O. Lehmann b. Stobbe IV218 ff., Fr. Lehmann a. a. O. S. 96 ff., v. Scheurl S. 43 ff., Schröder, RG5 S. 315 ff. Am Kern der Sohm’schen Lehre ist festzuhalten: Die ehebegründende Willenseinigung war mit der Verlobung perfiziert, die Trauung war kein neuer Vertragsschluß, sondern nur Vertragserfüllung. 23 Näheres bei Sohm a. a. O.; Habicht S. 51 ff.; nord. R.b. K. Lehmann S. l06 ff. Die unter Verlöbnißbruch vollzogene anderweitige Eheschließung war freilich nach den älteren Quellen nur ein mit schwerer Buße zu sühnender Rechtsbruch, mehr und mehr aber (im fränkischen 17 18
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
II. Römisches Recht Das römische Verlöbniß (sponsalia) war ein zwar der Regel nach der Eheschließung vorangehender, jedoch für diese unwesentlicher obligationenrechtlicher Vertrag24. Ursprünglich wurde es in der Form der sponsio geschlossen und erzeugte im Falle der Nichterfüllung eine Klage auf das Interesse; später wurde es zu einem formfreien beiderseitigen Eheversprechen, das einen klagbaren Anspruch überhaupt nicht begründete. Doch konnte die Erfüllung durch eine arrha sponsalitia gesichert werden25. Das Verlöbniß war also, wenn es auch einzelne an die Lebensanschauung anknüpfende personenrechtliche Wirkungen hatte, seinem rechtlichen Wesen nach ein unklagbares pactum de contrahendo matrimonio26. Ehebegründende Kraft hatte ausschließlich und für sich allein die unmittelbar auf das eheliche Zusammenleben gerichtete Willenseinigung (consensus nuptialis). III. Kanonisches Recht Das kanonische Recht lehnte sich ursprünglich an das römische Recht an, nahm aber dann den germanischen Verlöbnißbegriff auf27. Es verlegte daher die nach weltlichem Recht zu beurteilende eheliche Willenseinigung in die Verlobung (desponsatio). Seinen kirchlichen Vorschriften aber legte es die aus der heiligen Schrift geschöpfte Lehre zu Grunde, daß Mann und Weib durch die geschlechtliche Vereinigung „Ein Fleisch“ werden, und knüpfte demgemäß die sakramentalen WirRecht schon in merow. Zeit, vgl. Sohm, Trauung u. Verlobung S. 24 ff.) drang die Auffassung durch, daß die Ehe ungültig sei. 24 Tit. Dig. de sponsalibus (23, 1). 25 Der Verlöbnißbruch zog den Verlust der arrha oder ihres Wertes nach sich. Näheres bei v. Jagemann, Die Draufgabe (arrha), 1873, S. 56 ff. Dagegen war die Ausbedingung einer Konventionalstrafe unverbindlich. 26 v. Scheurl a. a. O. S. 40 erklärt diese Vorstellung für „ganz unzutreffend und schief“. Auch die römische Verlobung habe ein „eheähnliches Verhältniß“ erzeugt. Allein gegenüber der unzweideutigen Sprache der Quellen können die vereinzelten über das Obligationenrecht hinausreichenden Wirkungen der Sponsalien nicht als Ausfluß einer Verbundenheit im Rechtssinne verstanden werden. Das Verbot der Ehe mit der Braut des Vaters oder Sohnes und mit der Mutter der Braut wird mit der Rücksicht auf den Anstand begründet. Die infamierende Wirkung des Doppelverlöbnisses (l. 1 D.3, 2) beruht auf der Gleichstellung dieses Vertragsbruches mit zahlreichen anderen Schuldvertragsbrüchen. Daß der Bräutigam bei Injurierung der Braut die actio injuriarum hat (1. 15 § 24 D.47, 10), wird daraus hergeleitet, daß er damit selbst beleidigt ist. Die Strafbarkeit des stuprum mit einer Braut (1.14 ((13)) § 3 D 48, 5) motivieren die Kaiser mit der Zerstörung der „spes matrimonii“. 27 Dies hat Sohm, Recht der Eheschließ. S. l07 ff., Trauung und Verlobung S. 58 ff., klargestellt. Freilich mit übertreibender Zuspitzung. Allein auch seine Gegner können die früher herrschende Lehre, die das kanonische Recht durchweg aus dem römischen Verlöbnißbegriff herleitete, nicht mehr aufrechthalten, machen vielmehr dem Einfluß des germanischen Rechts erhebliche Zugeständnisse. Vgl. Friedberg, Verlobung und Trauung S. 23 ff.; v. Scheurl a. a. O. S. 44 ff.; v. Scherer a. a. O. S. 118 ff.
1. Titel: Verlöbniß
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kungen der Ehe an ihre Vollziehung (consummatio) durch die copula carnalis. Nach mancherlei Schwankungen und Spaltungen der Doktrin und Praxis drang seit dem zwölften Jahrhundert die Unterscheidung einer doppelten Art von Sponsalien, der sponsalia „de futuro“ und „de praesenti“ durch, jenachdem den gebrauchten Worten gemäß die Willenseinigung auf künftige oder gegenwärtige Eheschließung gerichtet war28. In den der germanischen Verlobung entsprechenden sponsalia de futuro aber erblickte das kanonische Recht eine zur Ehebegründung ausreichende Konsenserklärung, so daß sie durch Vollzug der copula carnalis ohne Weiteres in eine sakramentale Ehe übergiengen29. Erst seit dem Tridentiner Konzil verloren die sponsalia de futuro ihren deutschrechtlichen Charakter30. IV. Evangelisches Kirchenrecht31 Das evangelische Kirchenrecht hielt im 16. und 17. Jahrhundert nicht nur am deutschen Verlobungsbegriff fest, sondern führte ihn gegenüber dem kanonischen Recht, indem es dessen Unterscheidung von sponsalia de futuro und de praesenti umwarf, jede unbedingte Verlobung für sponsalia de praesenti erklärte und nur für bedingte Verlobungen den Begriff von sponsalia de futuro zuließ, in strengerer Reinheit durch. Es behandelte die Verlobung als tragfähige Rechtsgrundlage der Ehe, die Verlobten als ein bereits rechtlich verbundenes Paar, den Bruch der Verlöbnißtreue als Ehebruch, eine anderweitige Ehe als ungültig. Nur drängte es auf Öffentlichkeit und zum Teil auf Beobachtung einer sollennen Form des Abschlusses und schritt mit Verboten und Strafen gegen heimliche Verlöbnisse ein. Für die Ueberführung des Verlöbnisses in eine Ehe sah man dessen Vollzug durch Herstellung der ehelichen Gemeinschaft als ausreichend an. Man verlangte zwar mit c.3 et 4 X de sponsa duorum (4, 4). Sie werden damit aus einem „conjugium initiatum“ zu einem „conjugium consummatum“. Andererseits erzeugen auch sponsalia de praesenti ohne Konsumation noch nicht die vollen Ehewirkungen, insbesondere nicht die volle Unauflöslichkeit. Die germanische Trauung behielt ihre Bedeutung für das weltliche Recht, wurde aber für das Kirchenrecht unwesentlich; unten § 238 III. 30 In der neueren katholischen Kirchenrechtslehre wird das Verlöbnißrecht grundsätzlich unter dem römischrechtlichen Gesichtspunkt eines bloßen pactum de contrahendo matrimonio behandelt. So z. B. sehr eingehend bei v. Scherer a. a. O., der aber auch das ältere Recht nicht ohne Gewaltsamkeit in diesen Rahmen spannt. Umgekehrt erblickt Sohm, Eheschließung S. 187 ff., auch in den sponsalia de praesenti eine germanische Verlobung und unterstellt daher auch die Tridentiner Eheschließungsform, weil sie nichts Anderes als „kirchlich sollemnisierte sponsalia de praesenti“ fordere, dem germanischen Verlöbnißbegriff. Darin liegt aber doch besten Falls eine künstliche Wiederbelebung einer abgestorbenen historischen Wurzel. 31 Ueber das altevangel. R. vgl. die bahnbrechenden Untersuchungen von Sohm, Eheschließ. S. 195 ff., Trauung S. 110 ff.; andererseits Friedberg, Eheschließ. S. 203 ff., Verlobung S. 58 ff., v. Scheurl, Eheschließungsrecht, 1877, S. 123 ff., Eherecht S. 63 ff. Der Streit dreht sich weniger um die in ihren Grundlinien feststehende tatsächliche Entwicklung, als um ihre juristische Auffassung. 28 29
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
wachsender Entschiedenheit, daß das Brautpaar vor seiner Vereinigung den kirchlichen Segen erbitte, und fügte der kirchlichen Handlung als einem mehr und mehr für wesentlich erachteten Bestandteil die Trauung ein32. Allein das Zustandekommen der Ehe machte man von den kirchlichen Förmlichkeiten nicht abhängig. Vielmehr ließ man im Einklang mit dem kanonischen Recht jedes und selbst das formlose Verlöbniß durch das Beilager zur Ehe werden. So gelangte man dazu, Brautkinder als eheliche Kinder zu behandeln und die Nachholung der kirchlichen Trauung den in Wahrheit bereits zu Eheleuten gewordenen Brautleuten als eine äußersten Falles erzwingbare Verpflichtung aufzuerlegen. Seitdem indes in der evangelischen Kirche die priesterliche Trauung zum ausschließlichen Begründungsakt einer rechten Ehe wurde, trat die Verlobung allmählich mehr und mehr hinter der bei der Trauung wiederholten Konsenserklärung zurück. Im l8. Jahrhundert gieng man zur begrifflichen Unterscheidung des consensus sponsalitius und des consensus matrimonialis über, entzog der Verlobung nach und nach die Ehewirkungen und rezipierte so im Kern den römischen Verlöbnißbegriff33. V. Neueres Recht In Folge der parallelen Entgermanisierung des Verlöbnißrechts im katholischen und evangelischen Kirchenrecht drang im gemeinen deutschen Recht der neueren Zeit die römische Grundauffassung durch, ohne daß jedoch die stärkeren deutschrechtlichen Wirkungen der Verlobung völlig verschwanden. Auf denselben Standpunkt stellten sich die Partikularrechte und die großen Gesetzbücher, die freilich zum Teil an überkommenen deutschrechtlichen Sätzen festhielten, im ganzen jedoch mehr und mehr die Bindungskraft des Verlöbnisses abschwächten34. An eine Form war im gemeinen Recht das Verlöbniß nicht gebunden35. Dagegen führten viele Gesetze Formvorschriften ein, von deren Beobachtung bald die GülVon der Geschichte der Trauung ist später zu handeln; unten § 238 IV. Vgl. Sohm, Eheschließung S. 250 ff. 34 Eingehende Bestimmungen über das Verlöbniß enthalten das Bayr. LR v. 1756 I, 6 §§ 2 – 5, 17 – 18, 39; Preuß. ALR II, 1 §§ 75 – 135; Sächs. Gb. §§ 1568 – 1587. Einzelne Bestimmungen, die das gemeine Recht abändern, finden sich in eherechtlichen Spezialgesetzen des 19. Jahrh.; so Braunschw. V. v. 18. Febr. 1814, Naßauer V. v. 23. Apr. 1822, Mecklenb. V. 18. Febr. 1846, Weimar. G. v. 2. März 1848, Oldenburg. G. v. 13. Jann. 1855 u. 7. Juni 1858, Anhalt. G. v. 1. Juli 1864 u. AG z. ZPO v. 10. Mai 1879, Lübeck. G. v. 26. Okt. 1863, Altenburg. G. v. 13. Jann. 1869, Württ. G. v. 8. Aug. 1875, Brem. v. 31. Okt. 1875, Heß. G. v. 18. Aug. 1877, Reuß ä.L. AG z. ZPO v. 3. Mai 1879. Vgl. ferner Bad. G. v. 21. Dez. 1869 u. v. 9. Dez. 1875. – Kurze Bestimmungen trifft das Oesterr. ABGB §§ 45 – 46. – Ueber schweiz. Kantonalgesetze älterer Zeit vgl. Huber a. a. O. IV 322 ff., über die vor dem ZGB noch geltenden Kantonalgesetze ebd. I 188 ff.; ausführliche Gesamtdarstellung b. Zihlmann a. a. O. S. 38 ff. Jetzt ZGB a. 90 – 95. Der Code civ. erwähnt das Verlöbniß überhaupt nicht; über die Behandlung desselben in der Praxis vgl. Zachariae-Crome § 427; Zihlmann a. a. O. S. 19 ff. 32 33
1. Titel: Verlöbniß
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tigkeit bald wenigstens die Vollwirksamkeit des Verlöbnisses abhängt36. Insbesondere forderte das Preußische Landrecht gerichtliche oder notarielle Form37. In Ansehung der materiellen Erfordernisse des Verlöbnisses wandte man überwiegend die allgemeinen Regeln des Vertragsrechtes an38. Nur über die Notwendigkeit des elterlichen oder vormundschaftlichen Konsenses wurden vielfach besondere Bestimmungen getroffen39. Auch die Auflösung des Verlöbnisses unterstellte man mehr und mehr den Grundsätzen des Schuldvertragsrechtes. Während nach altevangelischem Recht das gültig geschlossene Verlöbniß, weil es gleich der Ehe band, nur im Wege eines der Entscheidung gleichartigen behördlichen Ausspruches aufgelöst werden konnte40, drang allgemein der Auflösungsgrund des mutuus dissensus durch41. Dagegen entzog man die einseitige Lösung des Verlöbnisses nach wie vor dem freien Belieben eines Vertragsteils und gestand nur jedem Teil ein Rücktrittsrecht aus triftigen Gründen zu, die man bald allgemein formulierte bald im Einzelnen gesetzlich fixierte42. 35 Ebensowenig nach dem Oester. Gb. Ausdrücklich Formfreiheit anerkannt im Heß. G. v. 1877 a. 1. Für das BGB u. das Schweiz. ZGB folgt sie aus dem Mangel einer Formvorschrift. 36 Die Formvorschriften entstammen dem Kampfe der evangelischen Kirche gegen die „heimlichen“ Verlöbnisse, gewannen dann aber selbständige Bedeutung. Man forderte Zuziehung von Zeugen, vielfach aber auch Abschluß vor einer Behörde. Vgl. deut. Partikularrechte b. Beseler § 121 I; Stobbe-Lehmann § 270 Anm. 6 – 8, schweiz. Rechte b. Huber IV 326 ff., I 192 ff. Manche Gesetze machen die Gültigkeit des Verlöbnisses nur dann, wenn es keines elterlichen oder großelterlichen Konsenses bedarf, von einer Form abhängig; so Sächs. Gb. § 1576, Basler G. v. 1837 § 22 b. Huber I 195. 37 Preuß. LR II, 1 §§ 82 – 83. Durch erfolgtes Aufgebot wird der Formmangel geheilt; § 92 mit Anh. § 67. Nicht aber durch Beischlaf; § 93. 38 So hinsichtlich des Einflusses von Willensmängeln, der Zufügung von Bedingungen oder Fristbestimmungen (vgl. indes Preuß. LR §§ 95 – 98), der Unverbindlichkeit wegen rechtlicher oder tatsächlicher Unmöglichkeit. 39 In der Reformationszeit deckten sich, weil die Verlobung Ehewirkung hatte, die dem kanonischen Recht gegenüber gesteigerten Anforderungen an Konsenserteilung für Verlobung und Eheschließung. Aber auch nach der Verselbständigung des Verlöbnißvertrages hielt man meist an einer der Beschränkung der Eheschließungsfreiheit entsprechenden, gleich ihr mannichfach ungleich bemeßenen Beschränkung der Verlöbnißfreiheit fest. So noch Sächs. Gb. §§ 1570 – 1575. Solche partikularrechtlichen Beschränkungen wurden durch die reichsgesetzlichen Bestimmungen des Personenstandsgesetzes über die Voraussetzungen der Eheschließung nicht berührt; RGer. XXXIX Nr. 48. – Auch besondere Altersgrenzen für Verlöbnißmündigkeit begegnen; vgl. Sächs.Gb. § 1570. – Ueber die Zulässigkeit der restitutio in integrum propter minorem aetatem bei Verlöbnissen vgl. Seuff. XXXVII Nr. 123, XLIV Nr. l05, RGer. XXI Nr. 32. 40 Vgl. über deutsche, teilweise noch in die neuere Zeit hineinreichende Verordnungen Richter-Dove-Kahl § 289 Anm. 30, Stobbe-Lehmann § 270 Anm. 10 u. 12; über schweiz. Ges. v. Wyß, Z. f. schweiz. R.X 132 ff., Huber IV 324 Anm. 27 – 28, 325 Anm. 29 – 30. 41 Anerkannt im Preuß. LR § 122, Meckl. V. v. 1846 § 2, Nr. 9 (dazu Sohm, Eheschließung S. 278 ff.), Sächs. Gb. § 1584, sowie in der gemeinrechtlichen Praxis auf Grund des kanonischen Rechts (c.2 X de spons.4,1).
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Hinsichtlich der Wirkungen des Verlöbnisses stimmte man darin überein, daß die Brautleute einander zu gegenseitiger Treue und, sobald die gesetzte Bedingung oder Frist eingetreten oder sonst die Möglichkeit oder Gelegenheit zur Heirat gegeben sei, zur Erfüllung des Eheversprechens durch Eheschließung verpflichtet seien. Allein die Folgen der Nichterfüllung wurden ungleich bestimmt. Das gemeine Recht gewährte im Einklang mit dem kanonischen Recht eine Klage auf Eingehung der Ehe43. Hieran hielten auch das Preußische Landrecht und manche partikulären Gesetze fest. Allein wenn in älterer Zeit das auf Eingehung der Ehe lautende Urteil durch Maßregeln der Zwangsvollstreckung verwirklicht werden konnte44, so wurde jeder unmittelbare Zwang zur Eheschließung mehr und mehr verworfen45. Nur im Falle erfolgter geschlechtlicher Vereinigung blieb vielfach die evangelische Zwangstrauung, obschon das Beilager seine ehebegründende Kraft verloren hatte, in nunmehr sinnwidriger Uebung46. Doch verschwand schließlich auch sie; die geschwängerte Braut mußte sich, wenn der untreue Bräutigam die Eingehung der Ehe verweigerte, mit der gerichtlichen Zuerkennung der Rechte einer unschuldig geschiedenen Ehefrau begnügen47. Durch die Reichszivilprozeßordnung wurde endlich für ganz Deutschland die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil, das auf Eingehung der Ehe lautet, schlechthin ausgeschlossen48. Anstatt der Klage auf Eheschließung gewährten das gemeine Recht und die ihm folgenden Partikularrechte stets eine Klage auf Schadensersatz, sobald die Eheschließung durch das Verhalten des Verlöbnißbrechers unmöglich oder für den anderen Teil unannehmbar geworden war. 42 Dabei hielt man sich zunächst an die Ehescheidungsgründe, ging aber sodann mehr und mehr darüber hinaus. Vgl. für das gem. Recht z. B. Seuff. XXVI Nr. 242, XLV Nr. 253, LI Nr. 29. Partikularrechte bei Stobbe-Lehmann § 270 Anm. 11. Aufzählungen der Rücktrittsgründe im Preuß. LR § 101 ff., sowie in einzelnen schweiz. Gesetzen (Huber I 196). Allgemeine Formulierung im Sächs. Gb. § 1582. Verweisung auf einen „wichtigen“ Grund im BGB § 1299 und im Schweiz. ZGB a.92. 43 RGer. IV Nr. 58, XXXIX Nr. 48, XL N. 56, b. Seuff. LVI Nr. l05, OLG Jena b. Seuff. XXXIX Nr. 215. 44 Das kanon. Recht kannte nur einen Zwang durch kirchliche Zensuren. Das evangel. Kirchenrecht dagegen ermöglichte eine direkte Erzwingung der Trauung. Die Praxis hielt an der Zwangstrauung fest, nachdem die Verlobung bloßes Eheversprechen und die Trauung Ehebegründungsakt geworden war. 45 Doch blieb die Anwendung indirekter Zwangsmittel, insbesondere von Geldstrafen und Haft, noch lange in Uebung. Vgl. Stobbe-Lehmann § 270 Anm. 16. Ueber die Entwicklung in der Schweiz Huber IV 324, I 197. 46 In Neuvorpommern ist sie noch 1845 vorgekommen. Vgl. Richter-Dove-Kahl § 289 Anm. 25. 47 So nach Preuß. ALR II,1 §§ l035 – 1037. Ebenso nach Sächs. Reskr. v. 27. Okt. 1808. Später wurde auch dieser Anspruch (in Preußen 1854, in Sachsen durch das Gesetzb. v. 1863) beseitigt. 48 ZPO § 7742 (jetzt 8802); dazu § 7792 (jetzt 8942), wonach die Vorschrift, daß das Urteil die Willenserklärung ersetzt, nicht anwendbar ist. Die Bestimmungen sind in der neuen Fassung beibehalten, weil sie noch bei ausländischen Urteilen praktisch werden können.
1. Titel: Verlöbniß
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Seit dem Wegfall des Eheschließungszwanges stand dem zur Eingehung der Ehe Verurteilten überhaupt die Wahl frei, die Ehe zu schließen oder Schadensersatz zu leisten. Nach der in Theorie und Praxis überwiegenden Meinung war zwar die Klage auf Eingehung der Ehe zu richten, es konnte aber für den Fall der Weigerung von vornherein die Verurteilung zu einer Entschädigung verlangt oder auch ohne besonderes Klagebegehren ausgesprochen werden49. Manche Gesetze gewährten nur eine alternativ auf Eheschließung oder Entschädigung gerichtete Klage50. Die neuere Gesetzgebung erklärte eine Klage auf Eingehung der Ehe überhaupt für unzulässig. Zum Teil begnügte sie sich mit diesem Verbot, gestattete dagegen eine Klage auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Eheversprechens51. Zum Teil aber entzog sie in voller Rückkehr zum römischen Recht dem Verlöbniß grundsätzlich die Klagbarkeit, so daß aus ihm auch auf Schadensersatzleistung nicht mehr geklagt werden konnte52. Mannichfach ungleich wurde, soweit der Anspruch auf Schadensersatz anerkannt blieb, der Umfang der Entschädigung wegen ungerechtfertigter Vereitelung des Zustandekommens der Ehe geregelt. Im Allgemeinen hielt man an dem aus dem Recht der Schuldverträge hergeleiteten, im englisch-amerikanischen Recht bekanntlich bis heute durchgeführten Prinzip fest, daß der schuldige Teil dem anderen Teil das volle Erfüllungsinteresse zu ersetzen habe53. In einzelnen Gesetzen aber wurde die Festsetzung der Höhe der Entschädigung dem richterlichen Ermessen übertragen54, in anderen der Betrag durch besondere gesetzliche Bestimmun49 Für das gemeine Recht hat das RGer. in den oben Anm. 43 angef. Entsch. nachdrücklich geltend gemacht, daß nicht alternativ, sondern nur principaliter auf Eheschließung und eventuell auf Entschädigung geklagt werden dürfe. Vgl. weiter Nachweise aus der Praxis und aus Partikularrechten b. Stobbe-Lehmann § 270 Anm. 18. Gleiches galt nach dem preuß. Landrecht. 50 So Gotha. Eheges. v. 1834, Meckl. V. v. 1846, § 3, Lübeck. G. v. 1863 §§ 4 – 5, Bayr. R. nach Roth I § 66 Anm. 20, Hamb. nach Baumeister II 10; vgl. auch Seuff. XXX Nr. 36, XXXI Nr. 146, XXXIX Nr. 215 u. 310. Nur hier paßt streng genommen die bekannte Redewendung, an Stelle der Klage „duc et dota“ sei die Klage „duc aut dota“ getreten. 51 So Braunschw. V. v. 1814, Nassau. 1822 § 96, Weimar. 1848 §§ 9-l0, Schleswig-Holst. 1853, Oldenb. 1855 a. 3, Anhalt. 1864, Altenb. 1869, Württ. G. v. 1875 a. 4, Hess. v. 1877 a. 4, Reuß ä. L. 1879 § 8. Ebenso Sächs. Gb. § 1581 mit § 1581 [sic!]. Vgl. auch Oest. Gb. §§ 45 – 46, Zürich Gb. v.1853 §§ 65, 68. Nach diesen Gesetzen kann der Beklagte sich der Leistung von Schadensersatz dadurch entziehen, daß er sich zur Eheschließung bereit erklärt. Vgl. das Erk. des OLG Darmstadt v. 8. Juli 1890 b. Seuff. XLVI Nr. 196, das freilich nach den Umständen des Falles (der Bräutigam hatte die Heirat als das „kleinere Uebel“ gewählt und eine unglückliche Ehe in Aussicht gestellt) die Klage nimmermehr hätte abweisen dürfen. Vgl. auch Seuff. XXXVIII Nr. 131. 52 Bad. G. v. 1869 § 65, 1875 § 13. Brem. G. v. 1875 § 2. Für das französ. R. ist Streit; überwiegend wird neuerdings der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung verneint, vgl. Zachariae-Crome § 422 Anm. 4, Zihlmann a.a.o. S. 20 ff. 53 Vgl. z. B. Seuff. XVIII Nr. 26, XXX Nr. 36, XXXIX Nr. 215. 54 Vgl. die bei Stobbe-Lehmann § 270 Anm. 36 angef. Partikularrechte; ebenso bei Seuff. VI Nr. l09, VII Nr. 59, XIII Nr. 35.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
gen normiert55. Überwiegend wurde überhaupt für alle Fälle der Anspruch auf den Ersatz des wirklichen Schadens beschränkt und namentlich die Berücksichtigung des entgangenen Gewinnes ausgeschlossen56, bisweilen andererseits ein von Vermögensschaden unabhängiger Anspruch auf Genugtuung wegen Treuebruches gewährt57. Die Ausbedingung einer Vertragsstrafe wurde im gemeinen Recht und in mehreren Landesgesetzen für gültig erklärt58, dagegen von der neueren Gesetzgebung nach dem Vorbilde des römischen Rechts verboten59. Das deutsche bürgerliche Gesetzbuch handelt im ersten Titel des Eherechts vom Verlöbniß, versagt die Klage auf Eingehung der Ehe, erklärt das Versprechen einer Strafe für den Fall der Nichteingehung für nichtig und erkennt auch einen Anspruch auf vollen Schadensersatz wegen Nichterfüllung nicht an. Allein es knüpft an den Verlöbnißbruch beschränkte Schadensersatzpflichten und andere Rechtsnachteile. Die Frage nach Begriff und Wesen des Verlöbnisses läßt es offen.
§ 229. Geltendes Verlöbnißrecht60 I. Begriff Das BGB enthält keine Definition des Verlöbnisses, versteht also darunter, was das Leben so nennt. Hiernach ist Verlöbniß die Verbindung von zwei Personen verPreuß. ALR II, 1 §§ 114 – 118. Heimbach § 81 Anm. 7. Oesterr. Gb. § 46; Weimar G. v. 1848; Sächs. Ges. v. 28. Jann. 1835 § 53 u. BGB § 1581; Richter-Dove-Kahl § 289 Anm. 23; Seuff. XXXIX Nr. 310. – Schweiz. Ges. b. Huber I 197. 57 Dieser Gesichtspunkt wurde namentlich bei der arbiträren richterlichen Festsetzung der Entschädigung (oben Anm. 54) öfter zur Geltung gebracht; vgl. Seuff. XXXIX Nr. 310: „Genugtuung und Abfindung“. Besonders weisen viele schweiz. Ges. den Richter an, bei der Bemessung der Entschädigung eine Genugtuung für die erlittene persönliche Kränkung zuzuerkennen. Vgl. Zürch. Gb. § 68 (mit festen Normalsätzen), revid. Gb. v. 1887 § 581 (mit Weglassung der Beträge); andere kantonale Rechte b. Huber I 198 – 199; dazu jetzt Schweiz. ZGB a. 93. 58 In Uebereinstimmung mit dem älteren deut. R. Frensdorff a. a. O. S. 345 ff. Vgl. für das gem. R. Seuff. LIV Nr. 152, Stobbe-Lehmann § 270 Anm. 34. Ferner Bayr. LR I, 6 § 11 Nr. 10, Preuß. LR § 113, Gotha. G. v. 1834 § 42, Mecklenb. V. v. 1846 § 3, Lübeck. G. v. 1863 § 4. 59 Nassau. V. v. 1822, Oldenb. G. v. 1855 a. 3, Altenburg. G. v. 1862 § 2, Sächs. Gb. § 1580. Ebenso Oesterr. Gb. § 45, Zürch. Gb § 65 und andere Schweiz. Gb. b. Huber I 199, Schweiz. ZGB a. 912. Für das französ. R. ist Streit; Zachariae-Crome § 427 Anm. 5. 60 U. Stutz, Die Rechtsnatur des Verlöbnisses nach deut. bürg. R., Festgabe f. Dernburg, 1900. H. Dittenberger, Das Verlöbnisrecht im BGB, 1901. H. Zihlmann, Der Verlöbnisbruch im modernen Recht, 1902. Hellmann, DJZ 190l S. 217 ff.; Goldmann ebd. S. 432 ff.; Mumm, Bl. f. RA LXV 160 ff., 175 ff.; Jacobi a, a. O. S. 14 ff.; F. Kohler, Eherecht § 1. Syst. des bürg. R. von Endemann § 151 ff., Dernburg IV § 3 ff., Crome § 550, Mathiaß § 223, Cosack § 911, M. Wolff § 4 ff. Komm. z. BGB §§ 1297 – 1302 von Planck, Staudinger, Opet, A. B. Schmidt. 55 56
1. Titel: Verlöbniß
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schiedenen Geschlechtes zu einem Brautpaar, das sich gegenseitig versprochen hat, mit einander eine Ehe einzugehen. Durch das beiderseits ernst gemeinte und genommene Eheversprechen unterscheidet sich das Verlöbniß von einer bloßen Liebschaft oder einem sogenannten „Verhältniß“. Der das Verlöbniß schaffende Vorgang ist die Verlobung. Die Verlobung ist eine Willenseinigung, die nach heutigem Recht an eine Form nicht gebunden ist61. Doch sind die von der Sitte bewahrten Förmlichkeiten, wie der Ringwechsel, das Verlobungsmahl, die Kundmachung vor der Familie und durch Anzeigen, wichtige Anzeichen dafür, daß eine Verlobung stattgefunden hat62. Das Verlöbniß ist für die Eheschließung unwesentlich. Das BGB nimmt aber als selbstverständlich an, daß festgewurzelter deutscher Sitte gemäß der Ehe eine Verlobung voraufgeht, und bezeichnet daher die Eheschliessenden immer als „Verlobte“. II. Wesen Das Verlöbniß ist ein durch Vertrag begründetes Rechtsverhältniß. Als ein solches ist es in Deutschland bei allem Wandel seiner rechtlichen Bedeutung stets aufgefaßt worden. Das BGB hat diese deutsche Grundauffassung zwar nicht zu wörtlichem Ausdruck gebracht, keineswegs aber aus der Welt geschafft. Man hat das Gegenteil behauptet. Das Verlöbniß sei heute nur noch ein tatsächliches Verhältniß, an das sich einzelne Rechtswirkungen knüpfen, das aber keinen Vertrag im Rechtssinne darstelle. Diese Auffassung wollte in der Tat der Entwurf des BGB durchsetzen63. Man glaubte sie dadurch zu sichern, daß man dem ersten Satze des Familienrechts die Fassung gab: „Durch das Verlöbniß wird eine Verbindlichkeit zur Schließung der Ehe nicht begründet.“ Dabei lag der mit der deutschen Volksanschauung unvereinbare Gedanke zu Grunde, daß die Verlobung lediglich die Vereinbarung einer Probezeit sei. Nun soll freilich nach der modernen Auffassung der Brautstand eine Prüfung ermöglichen, ob die in Aussicht genommene Ehe vielleicht doch nicht das von ihr erwartete Lebensglück herbeizuführen vermögen wird. Allein die entscheidende Prüfung, die Prüfung, „ob sich das Herz zum Herzen findet“, soll der Verlobung vorangehen. Nur zu einer Revision des Ergebnisses im Falle der Erkenntnis eines schwer wiegenden Irrtums soll die Brautzeit Gelegenheit bieten. Darum soll zwar jeder auch nur mittelbare Zwang zur Erhaltung des Eheversprechens wegfallen und die Eheschließung immer noch freier Willensentschluß blei61 Wie nach gem. R.; oben § 228 Anm. 35. Ueber die partikularrechtlichen Formvorschriften des bisherigen Rechts ebd. Anm. 36 – 37. 62 Einen ausdrücklichen Hinweis hierauf enthält das Zürch. Gb. v. 1887 § 578; vgl. Zihlmann S. 46. 63 Dies ergeben die Motive IV 2 ff.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
ben. Allein eben nur zur Vermeidung einer unglücklichen Ehe ist die Entlobung als das kleinere Uebel gerechtfertigt. Erfolgt sie aus unzureichenden Gründen, etwa nur, weil sich eine bessere Partie bietet, so ist sie ein Treuebruch, den auch die Rechtsordnung als Vertragsbruch behandeln muß. Mit Recht erhob sich daher gegen die dem Entwurf zu Grunde liegende Auffassung ein kräftiger Widerspruch64. Er hatte einen äußeren Erfolg in der veränderten Fassung des Eingangssatzes, der im BGB nun lautet: „Aus einem Verlöbniß kann nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden.“ Damit ist nun freilich über das innere Wesen des Verlöbnisses nichts ausgesagt und die Möglichkeit, in ihm ein blos tatsächliches Verhältniß zu erblicken, nicht abgeschnitten65. So wurde denn auch eine derartige Konstruktion mehrfach verfochten und auf verschiedene Weise versucht, mit ihr die Erscheinung, daß doch eben auch das BGB gleich dem bisherigen deutschen Recht das Verlöbniß mit Rechtswirkungen ausstattet, in Einklang zu setzen66. Allein ganz überwiegend ist die Anerkennung des Verlöbnisses als eines durch Vertrag begründeten Rechtsverhältnisses in der Theorie durchgedrungen67. Denselben Standpunkt nimmt die Praxis ein68. Zu beachten ist auch, daß das Schweizerische Zivilgesetzbuch, obschon es hinsichtlich der Ablehnung jeder Erzwingbarkeit dem Vorbild des deutschen BGB folgt, die Unterstellung des Verlöbnisses unter den Vertragsbegriff deutlich ausspricht69. Ist das Verlöbniß ein Rechtsverhältniß, so ist es ein Familienrechtsverhältniß. Die Verlobten befinden sich im Brautstande, sie sind mit einander personenrechtlich verbunden und bilden eine Gemeinschaft, die zwar noch keine volle Lebensgemeinschaft, wohl aber eine zur Vorbereitung einer solchen bestimmten und in dem durch die Sitte sanktionierten Umfange die Intimität des ehelichen Zusammenlebens vorwegnehmende Umgangsgemeinschaft ist. Ihre Zusammengehörigkeit wird auch nach außen hin wirksam. Sind auch ihre einstigen starken Wirkungen im Verhältniß zu Dritten sehr abgeschwächt, so ist doch der deutschrechtliche 64 Meine Schrift über den Entw. S. 395 ff.; Hinschius, Arch. f. z. P. LXXIV 55 ff.; v. Scheurl, ebd. S. 388 ff. 65 Umgekehrt hätte auch die Fassung des Entw. § 1227 die Annahme einer Rechtspflicht nicht ausgeschlossen; vgl. oben Bd. III 43 Anm. 141. Immerhin aber handelt es sich nicht blos, wie Jacobi meint, um eine „aesthetische Verbesserung“. 66 So von Jacobi a. a. O. S. 19 ff., Mumm a. a. O., Hellmann a. a. O. u. Krit. VSchr. LXI 404 ff., Landsberg II 831 ff., Matthiaß § 223 III. Als allein folgerichtige Erklärung der Verantwortlichkeit für Verlöbnißbruch erscheint dann die von Hellmann u. Matthiaß durchgeführte Herleitung aus Deliktsrecht. Doch hat man es auch mit dem Gesichtspunkt bloßer „Billigkeit“, mit culpa in contrahendo oder mit einem Garantieversprechen versucht. 67 Vgl. bes. Stutz a. a. O. S. 30 ff., 47 ff.; Dittenberger a. a. O. S. 40 ff.; Unzner b. Planck3 Vorbem. 1, Engelmann b. Staudinger Vorbem. II, Opet, Vorbem. 2, Schmidt Vorbem. II; Endemann § 151a, Dernburg § 6 IV, Cosack § 311, Wolff § 4. 68 Seuff. LX Nr. 193, LXI Nr. 11, RGer. LXI Nr. 65. 69 In a. 90 heißt es: „Das Verlöbniß wird durch Eheversprechen begründet.“ Dann wird hinzugefügt: „Unmündige oder entmündigte Personen werden ohne die Genehmigung der gesetzlichen Vertreter durch ihre Verlobung nicht verpflichtet.“ Mit der Genehmigung also werden sie „verpflichtet“.
1. Titel: Verlöbniß
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Gedanke, daß Bräutigam und Braut ein bereits rechtlich vereinigtes Paar bilden, dem geltenden deutschen Recht nicht fremd geworden. In positiven Bestimmungen des Strafrechts70, des Prozeßrechts71, aber auch des Privatrechts72, kommt er zum Ausdruck. Somit ist die das Verlöbniß begründende Verlobung, wenn sie überhaupt Vertrag ist, ein familienrechtlicher Vertrag73. Und zwar ist sie ihrem ganzen Inhalte nach ein Vertrag des Familienrechts74. Nicht etwa ist sie es nur nebenbei oder in einzelnen Beziehungen75. Allerdings schließt das Verlöbniß zugleich ein Schuldverhältniß in sich. Denn die Verlobten sind einander zur Eingehung der Ehe verpflichtet. Und diese Verpflichtung beruht auf einem gegenseitigem Versprechen, dessen Abgabe ein Wesensbestandteil der Verlobung ist76. Allein keineswegs ist darum die Verlobung, sei es nun in erster Linie oder sei es auch nur nebenbei, ein Schuldvertrag77. Sie ist dies so wenig, wie der die Ehe 70 In den zahlreichen Bestimmungen des StrGB, die auf nahe familienrechtliche Verbundenheit von „Angehörigen“ Rücksicht nehmen, werden durchweg Verlobte den Angehörigen zugezählt; vgl. §§ 52, 54, 2572, auch §§ 213, 2322,247, 2634, 2922, 3034, dazu Dittenberger a. a. O. S. 116 f.; Endemann § 151a Anm. 26 – 28. Daß das RGer. in Strafsachen auch nach dem Inkrafttreten des BGB einen besonderen Verlöbnißbegriff annimmt, wird von Endemann a. a. O. Anm. 12 lit. e. u. Wolff § 4 Anm. 9 mit Recht mißbilligt. 71 Gleichstellung mit Ehegatten hinsichtlich des Zeugnißverweigerungsrechtes und der unbeeidigten Vernehmung in ZPO §§ 383 Z. 1, 384, 393, 408, StrPO § 51 Z. 1, 54, 57, 76. 72 Gleichstellung mit Ehegatten bei Erbverträgen und Erbverzichten nach BGB §§ 22753, 22762, 22792, 22903, 23471, 2351, 2352. – Zutreffend weist Endemann a. a. O. Anm. 26 darauf hin, daß auch im BGB § 530 der Verlobte als „naher Angehöriger“ mit zu verstehen ist. – Keinen Beifall verdient es, daß das RGer. LXXVI Nr. 2 in Ansehung der Gläubigeranfechtung unentgeltliche Verfügungen zu Gunsten der Braut, obschon dieselbe inzwischen Ehefrau geworden ist, nicht als Verfügungen zu Gunsten der Ehefrau behandeln will. 73 Dies ergiebt sich schon aus der dem Verlöbnißrecht im System des Gesetzbuchs angewiesenen Stelle, ist in der Theorie allgemein anerkannt und wird auch von den Gerichten, wie für das frühere Recht (vgl. RGer. XXIX Nr. 26), so für das Recht des BGB durchweg angenommen. Seuff. LX Nr. 193, LXI Nr. l, RGer. LXI Nr. 65, LXXX Nr. 21 S. 89. 74 Dies hat vor Allem Stutz a. a. O. S. 47 ff. klargestellt. Uebereinstimmend Dernburg § 6 I u. IV, Endemann § 151a, Schmidt S. 7, Egger S. 13. – Gegen die Annahme, sie sei ein bloßer familienrechtlicher Vorvertrag, vgl. Stutz a. a. O. S. 37 ff., Endemann a. a. O. S. 56. 75 In diesem Sinne hat sich früher das RGer. mehrfach ausgesprochen; vgl. XXIII Nr. 36 S. 177, überwiegend obligatorischer Vertrag, der daneben ein persönliches Verhältniß mit einigen Rechtswirkungen begründet; ähnlich XX Nr. 34, Seuff. XLIV Nr. 189. Denselben Fehler begehen die neueren Theorien, die einen Vertrag gemischter Natur annehmen; unten Anm. 77. 76 Dies bestreitet zwar Stutz S. 40 ff. Damit aber setzt er sich in Uebertreibung seiner richtigen Grundauffassung in Widerspruch mit der das geltende Recht beherrschenden Volksanschauung. Vgl. Dittenberger S. 51 ff., Opet, Vorbem. 2, Egger S. 14, Wolff S. 17. 77 Die früher streng romanistische Ansicht, daß die Verlobung reiner Schuldvertrag sei, wird kaum noch verfochten. Wohl aber wird oft noch gelehrt, sie sei zugleich Schuldvertrag und familienrechtlicher Vertrag. So v. Scheurl, Eherecht S. 360 ff., Dittenberger S. 59 ff., Engelmann b. Staudinger Vorbem. II, RGer. XXIX Nr. 26 S. 28. In scharfer Ausprägung auch Wolff § 4 II, nachdem die Verlobung in ihrer Hauptwirkung schuldrechtlicher Vertrag und nur
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
begründende oder der eine Annahme an Kindesstatt vollziehende Vertrag, der doch gleichfalls einen Versprechensinhalt hat und schuldrechtliche Verpflichtungen hervorruft. Auch bei dem Verlöbniß handelt es sich eben um ein unselbständiges, in ein Familienverhältniß eingebettetes Schuldverhältniß78. Die Verlobung hat nicht blos personenrechtliche, sondern auch vermögensrechtliche Wirkungen, aber die letzteren gehören zu den Ausflüssen des einheitlichen Familienrechtsverhältnisses, auf dessen Schaffung der Vertrag abzielt79. Darum entspricht der Einzigartigkeit des Verlobungsvertrages auch die Einzigartigkeit der ihm entspringenden schuldrechtlichen Verpflichtungen. Weil sie sich auf die Ueberführung des Verlöbnisses in Ehe richten, die zuletzt dem freien individuellen Willensentschluß vorbehalten sein soll, ist eine Klage auf ihre Erfüllung ausgeschlossen80, das Versprechen einer Vertragsstrafe für den Fall der Nichterfüllung nichtig81 und auch der Ersatzanspruch wegen Nichterfüllung so bemessen, daß der drohende Vermögensnachteil nicht als Druckmittel zur Verkümmerung der Entschlußfreiheit ins Gewicht fällt. III. Erfordernisse Da die Verlobung Vertrag ist, begründet sie ein Verlöbniß im Rechtssinne nur, wenn sie die Erfordernisse eines gültigen Vertragsschlusses erfüllt82. Ob dies der in zweiter Linie Familienrechtsgeschäft ist. Allein ein familienrechtlicher Vertrag wird so wenig wie ein sachenrechtlicher Vertrag oder ein Erbvertrag dadurch, daß er schuldrechtliche Verpflichtungen erzeugt, zum „Schuldvertrage“. Die Verlobung darf auch nicht als „schuldrechtlicher Vorvertrag“ für einen familienrechtlichen Vertrag (Eheschließung) aufgefaßt werden; vgl. dagegen Stutz S. 33 ff., Endemann S. 56, auch oben Bd. III 355 Anm. 138. 78 Vgl. oben Bd. III 54 Anm. 5. 79 Es ist daher durchaus zutreffend, wenn ihn das RGer. LXI Nr. 65 als „familienrechtlicher Vertrag mit vermögensrechtlichen Wirkungen“ bezeichnet; ebenso OLG Hamburg b. Seuff. LX Nr. 193, OLG Darmstadt ebd. LXI Nr. 11. Schief dagegen ist die öfter begegnende Entgegensetzung von „familienrechtlichen“ und „vermögensrechtlichen“ Wirkungen der Verlobung; denn auch die letzteren sind „familienrechtliche“ Wirkungen. – Uebrigens muß darauf hingewiesen werden, daß zum Unterschiede von der Ehe das Verlöbniß bei normalem Verlauf überhaupt keinerlei vermögensrechtliche Wirkungen hat, solche vielmehr nur eintreten, wenn es nicht zur Ehe kommt; sie sind schon deshalb sekundärer Natur, wenn sie auch das Gesetz und die Praxis vorzugsweise beschäftigen. 80 Die Unklagbarkeit, die für den Anspruch auf Eingehung der Ehe ausgesprochen ist, gilt natürlich auch für den durch den Brautstand begründeten Anspruch auf Mitwirkung zur fördernden Vorbereitung der ehelichen Lebensgemeinschaft und auf Unterlassung sie vereitelnder Handlungen durch den anderen Teil; vgl. über diesen Dittenberger S. 111 ff. Nur eine Feststellungsklage auf Bestand eines Verlöbnisses ist zulässig; Endemann § 152 Anm. 8, Wolff S. 17 Anm. 4. – Der Begriff der „Naturalobligation“, den v. Tuhr, Allg. T. I 258 Anm. 72 und Wolff S. 17 anwenden wollen, ist unpassend, bietet aber Vergleichspunkte; oben Bd. III 44 Anm. 148. 81 Im Gegensatz zum Schweiz. ZGB a. 912, das nur die Einklagung der Vertragsstrafe ausschließt, erklärt das BGB § 12972 das Strafversprechen für nichtig. Die gezahlte Strafe kann also kondiziert werden.
1. Titel: Verlöbniß
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Fall ist, entscheidet sich nach den für Verträge geltenden allgemeinen Regeln. Doch sind sie nur insoweit anwendbar, als nicht die Eigenart dieses familienrechtlichen Vertrages ihre Anwendung ausschließt83. Die besonderen Regeln für Schuldverträge sind überhaupt nicht unmittelbar anwendbar84. Hiernach fordert die Verlobung zunächst Geschäftsfähigkeit beider Teile. Ist auch nur ein Teil geschäftsunfähig, so ist das Verlöbniß nichtig85. Der beschränkt Geschäftsfähige bedarf der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters86. In Ermangelung derselben bleibt die Wirksamkeit des Verlöbnisses in der Schwebe, bis entweder die nachträgliche Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter oder die inzwischen geschäftsfähig gewordenen Verlobten erfolgt oder aber die Genehmigung verweigert wird87; während des Schwebezustandes hat der andere Verlobte das Widerrufsrecht88. Dagegen ist Ehemündigkeit nicht erforderlich89. Eine Stellvertretung bei der Verlobung ist, weil sie ihrem Wesen nach persönlichen Willensentschluß verlangt, ausgeschlossen90.
82 Die Verteidiger der Ansicht, daß das Verlöbniß ein blos tatsächliches Verhältniß sei, verneinen dies und vermeiden damit die Härten, die unter Umständen (z. B. bei der Verlobung eines Minderjährigen ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters) die Vertragstheorie mit sich führen kann. Doch würde hier wie oft das Billigkeitsargument in vielen Fällen auch in umgekehrter Richtung verwertbar sein. 83 Dies betont zutreffend besonders Dernburg 6 IV a. E. Von den meisten Anhängern der Vertragstheorie wird es nicht genügend gewürdigt. 84 Dagegen müßten die Vertreter der Ansicht, daß die Verlobung in ihrem Kern oder doch nebenbei Schuldvertrag sei (oben Anm. 77), die Vorschriften des BGB über Schuldverträge und speziell über gegenseitige Verträge grundsätzlich für direkt anwendbar erklären. Es kann aber höchstens insoweit, als der Versprechensinhalt der beiderseitigen Willenserklärungen in Frage kommt, von ihrer entsprechenden Anwendung die Rede sein. 85 Hierüber ist man heute einig. Auch nach Erlangung der Geschäftsfähigkeit ist nicht Heilung der Nichtigkeit, sondern nur eine neue Verlobung möglich. 86 Gemäß BGB l07, 114. Vgl. Stutz S. 62, Dittenberger S. 86 ff., Endemann § 151a 2 b, Wolff § 5 III; Opet, Vorbem. 5 a, Planck zu § 1298 Bem.2 a , Staudinger, Vorbem. III a; Seuff. LX Nr. 193, LXI Nr. 11, RGer. LXI Nr. 65. – A. M. trotz Annahme der Vertragsnatur Dernburg § 7 II 3. – Ausdrücklich Schweiz. ZGB a.902 (oben Anm. 69). 87 Gemäß BGB § l08. Die Genehmigung wirkt zurück; § 184. – Sie ist formfrei, kann also auch stillschweigend erfolgen; RGer. b. Seuff. XXXIX Nr. 309. 88 Gemäß BGB § l09. Ueber die Folgen des Widerrufs Dittenberger S. 89, Wolff S. 20. 89 A. M. Endemann § 151a S. 50 Anm. 16, der aber keine Zustimmung gefunden hat. Auch nach gemeinem Recht stand, obschon im Uebrigen jedes Ehehinderniß zugleich als Verlöbnißhinderniß galt (unten Anm. 92), der Mangel der Ehemündigkeit, weil er durch reinen Zeitablauf behoben wird, einem wirksamen Verlöbniß nicht entgegen; vgl. Scherer, Kirchenr. II 127. 90 Weder der Geschäftsunfähige noch der beschränkt Geschäftsfähige kann durch seinen gesetzlichen Vertreter verlobt werden. Ebensowenig aber ist eine Vertretung kraft Vollmacht möglich. Gegen Stutz S. 71 ff. u. Dernburg § 7 Anm. 4, die eine Spezialvollmacht für zulässig halten, vgl. Dittenberger S. 65 ff., Staudinger, Vorbem. III , Crome § 550 Anm. 8. Erklärung des eigenen Verlobungswillens durch einen Boten ist natürlich wirksam.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Die Verlobung ist nichtig, wenn sie gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt oder auf eine unmögliche Eheschließung abzielt. Hiernach entscheidet es sich, ob ein bestehendes Ehehinderniß zugleich Verlöbnißhinderniß ist91. Handelt es sich um ein nicht zu beseitigendes Ehehinderniß, so ist die Verlobung stets nichtig92. Dagegen kann, wenn das Ehehinderniß sich beseitigen läßt, eine Verlobung für den Fall seiner Beseitigung gültig geschlossen werden93. Nur darf eine vor der erfolgten Beseitigung geschlossene Verlobung nicht sittenwidrig sein, wie dies z. B. stets der Fall ist, wenn sich ein Ehegatte in Erwartung der Auflösung seiner Ehe durch Tod oder Scheidung mit einer anderen Person verlobt94. Andererseits kann die Verlobung auch als unsittlich nichtig sein, wenn die Unsittlichkeit der Verbindung kein Ehehinderniß bildet95. Der Einfluß von Willensmängeln auf die Gültigkeit der Verlobung bestimmt sich nach den allgemeinen für rechtsgeschäftliche Willenserklärungen geltenden Grundsätzen, nicht nach den für die Eheschließung maßgebenden Sondervorschriften96. Somit ist eine zum Schein vereinbarte oder erkennbar nicht ernstlich gewollte Verlobung nichtig97, die Anfechtung einer Verlobung wegen Irrtums, Betruges oder Drohung nach den gewöhnlichen Regeln möglich98. 91 Im gem. R. erklärte man meist jedes Ehehinderniß auch für Verlöbnißhinderniß; Dernburg, Pand. III § 7 Anm. 6. Scherer, Kirchenr. II 127 ff. So auch Preuß. LR II, 1 § 76 ff. (ausdrücklich nach § 77 auch bei dispensablen Eheverboten); Sächs. Gb § 1569. Dieser Standpunkt ist dem geltenden Recht gegenüber, wie allgemein anerkannt wird, unhaltbar. 92 So bei einer die Ehe unmöglich machenden Verwandtschaft oder Schwägerschaft, aber auch trotz der Gültigkeit der verbotswidrig geschlossenen Ehe im Falle des § 13102 BGB. 93 So vor Erreichung der Ehemündigkeit (oben Anm. 30). Ferner in allen Fällen, in denen die Zulässigkeit der Eheschließung von einer für den Verlöbnißvertrag nicht geforderten fremden Einwilligung abhängig ist. Dahin gehört (abweichend von manchen früheren Gesetzen, vgl. oben § 228 Anm. 39) heute der Mangel der elterlichen Einwilligung; Stutz, S. 68, Dittenberger S. 90 ff., 109 ff., Schmidt, Vorbem. III 4 c , Staudinger, Vorbem. II c. Ebenso der Mangel dienstlicher Erlaubniß nach BGB § 1315. Auch das trennende Ehehinderniß des Ehebruchs aus § 1312 steht, da Befreiung möglich ist, der Verlobung, falls nur die frühere Ehe bereits rechtskräftig geschieden ist, nicht entgegen; Rspr. d. OLG IV 352 ff., Stutz S. 66, Dittenberger S. l08 ff., Schmidt, Vorbem. III 4 b, Planck zu § 1298 Bem. 2 a, Staudinger, Vorbem.II g 6, Wolff § 5 VI 2. 94 Unbedingte Nichtigkeit lehren mit Recht Stutz S. 63 ff., Schmidt, Vorbem. III 4 b, Endemann § 151a Anm. 15. Andere wie Dittenberger S. 97 ff., Planck a. a. O., Staudinger a. a. O. II g 4, Opet, Vorbem. 5 c, d, Wolff a. a. O., auch Egger zum schweiz. ZGB a. 90, Bem. 3 d , sehen Ausnahmen als möglich an. Auch die Verlobung mit dem an Kindesstatt Angenommenen ist, obschon die herrschende Meinung das Gegenteil annimmt (vgl. Stutz S. 65 Anm. 2, Dittenberger S. 104 ff., Planck a. a. O., Staudinger a. a. O. II g 2), vor Aufhebung des Verwandtschaftsverhältnisses schlechthin nichtig; vgl. Schmidt, Vorbem. III 4 c . 95 Die Abschneidung der Berufung auf § 138 BGB nach erfolgter Eheschließung durch BGB § 1323 trifft nicht die Verlobung. 96 Vgl. Stutz S. 62 ff., Dittenberger S. 73 ff., Schmidt, Vorbem. V, Staudinger, Vorbem. VI, Wolff § 5 IV. 97 Gemäß §§ 116 – 118 BGB; anders § 1323 für die Ehe.
1. Titel: Verlöbniß
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Abweichend von der Eheschließung verträgt die Verlobung Bedingung und Befristung99. Doch zieht das sittliche Wesen dieses familienrechtlichen Vertrages der Zulässigkeit von Bedingungen oder Fristbestimmungen enge Grenzen100. Durch die Abhängigmachung der versprochenen Eingehung der Ehe von dem Eintritt einer Bedingung oder eines Termins wird das Verlöbniß als solches nicht bedingt oder befristet101. IV. Beendigung Das Verlöbniß endet normaler Weise mit der Eheschließung102. Es endet aber ausnahmsweise, ohne sein Ziel zu erreichen. Von Rechtswegen erlischt es durch den Nichteintritt einer aufschiebenden oder den Eintritt einer auflösenden Bedingung, durch den Tod eines Verlobten und durch nachträgliches Unmöglichwerden der Eheschließung103. Auf rechtsgeschäftlichem Wege endet es nicht nur durch vertragsmäßige Aufhebung, sondern auch durch einseitige Aufhebung seitens eines Teiles. Jeder Verlobte kann in jedem Augenblick durch formfreie Willenserklärung die Auflösung der Gemeinschaft für die Zukunft herbeiführen104. Doch hängt die Wirksamkeit der einseitigen Aufhebungserklärung davon ab, daß sie dem anderen Verlobten zugegangen ist105. Dies gilt besonders auch für den Fall einer anderweitigen Verlobung106.
98 Gemäß den Vorschriften (der §§ 119 – 124 BGB), die sich mit den Sondervorschriften der §§ 1330 – 1335 nicht decken. Die Anfechtung erfolgt durch Erklärung. Sie ist z. B. (entgegen § 13342) auch wegen arglistiger Täuschung über die Vermögensverhältnisse zulässig. 99 So auch im gem. R.; vgl. Glück, Pand. XXIII 3 ff., v. Scheurl, Eherecht S. 369 ff., v. Scherer § 110 III. – Ueber die Sonderbestimmung im Preuß. LR §§ 95 – 96 vgl. Dernburg § 7 II 2. 100 An sich sind sowohl aufschiebende wie auflösende Bedingungen und Zeitbestimmungen möglich. Doch muß eine Verlobung auf Zeit stets als unsittlich verworfen werden. Beispiele zulässiger Bedingungen b. Stutz S. 72 ff., Dittenberger S. 68 ff., Endemann § 151a Anm. 23, Staudinger, Vorbem. III e, Wolff § 5 V; auch Egger S. 14. 101 Vgl. RGer. LXXX Nr. 21 S. 90. 102 Ist die Eheschließung nichtig, eine gültige Eheschließung aber möglich, so besteht an sich das Verlöbniß fort. Die Ueberführung des Brautstandes in den Ehestand ist eben nicht erfolgt und die Verlobten bleiben einander verpflichtet, auf eine gültige Eheschließung hinzuwirken. Vgl. Stutz S. 74, Dittenberger S. 120, Wolff § 6 I. 103 So durch Eintritt eines nicht zu beseitigenden Ehehindernisses. Dahin gehört auch die Verheiratung eines Verlobten mit einer anderen Person, mag sie auch dem anderen Verlobten unbekannt bleiben. 104 Das BGB §§ 1298 – 1299 spricht, wie das Preuß. LR § 100 ff., das Oester. GB §§ 45 – 46 u. das Sächs. Gb. § 1581 ff., von „Rücktritt“. Ein Rücktritt im technischen Sinne des Schuldvertragsrechtes aber liegt nicht vor. Das Schweiz. ZGB vermeidet den Ausdruck; Egger, Bemerk. zu a. 92. 105 Stutz S. 78, Dittenberger S. 104 Anm. 1, Staudinger, Vorbem. V e, Wolff § 6 III. – A. M. Dernburg § 7 III.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Die einseitige Aufhebung des Verlöbnisses kann berechtigt oder unberechtigt sein. Während manche Gesetze die Gründe berechtigter Aufhebung näher bestimmen107, begnügt sich das BGB damit, die Aufhebung aus einem wichtigen Grunde als gerechtfertigt anzuerkennen108. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn nach den Verhältnissen des Brautpaares dem Verlobten billiger Weise nicht zugemutet werden kann, den Brautstand fortzusetzen und in eine Ehe überzuführen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der andere Teil die Verpflichtung zur Verlöbnißtreue gröblich verletzt, mag er nun positiv ihr zuwiderhandeln109 oder mag er es unterlassen, das Erforderliche zur rechtzeitigen Herbeiführung der Eheschließung zu tun110. Einen wichtigen Grund aber können auch Handlungen, Zustände oder Eigenschaften des anderen Teiles bilden, die eine Verletzung der Treupflicht nicht enthalten111. Andererseits können Umstände, die die eigene Person betreffen, den Verlobten zur Aufhebung des Verlöbnisses berechtigen112. Ein wichtiger Grund für die Auflösung des Brautstandes kann nicht nur in einer Veränderung der Verhältnisse, sondern auch in Tatsachen zu finden sein, die zwar schon bei der Verlobung vorhanden waren, die aber erst nachträglich dem Verlobten bekannt werden113 oder deren Unvereinbarkeit mit der Aussicht auf eine glückliche Ehe sich ihm erst
106 Da Niemand zu gleicher Zeit mit zwei Personen verlobt sein kann, kann nur eines der zwei Verlöbnisse zu Recht bestehen. Darum besteht das erste Verlöbniß, bis die in der zweiten Verlobung enthaltene Aufhebung desselben dem ersten Verlobten „wirksam“ erklärt ist. Vgl. Schmidt, Vorbem. III 4 . Zum Teil abweichend Dittenberger S. 103 ff. – Für das frühere Recht war Streit. Sonderbestimmungen über Doppelverlöbniß im Preuß. LR §§ 133 – 135. 107 Ausführlich das Preuß. LR § 100 ff. In allgemeiner Fassung Sächs. Gb. § 1582. 108 Ebenso Schweiz. ZGB a. 92. Vgl. Oester. Gb.§ 46: „gegründete Ursache“. 109 So nicht nur stets, wenn sein Verhalten einen Ehescheidungsgrund bilden würde, sondern auch je nach den Umständen bei leichterem Verschulden, Liebschaft mit einer anderen Person, Tätlichkeiten oder Beleidigungen, auch solchen gegen nahe Angehörige, u. s. w. Vgl. Preuß. LR § 101. Auch die Zumutung des Beischlafes vor der Ehe ist dahin zu rechnen; Seuff. XLV Nr. 253. 110 So bei ungebührlicher Verzögerung der Eheschließung durch Unterlassung der vorbereitenden Schritte, der Sorge für eine geeignete Lebensstellung oder für einen gemeinsamen Haushalt u. s. w. 111 So lasterhaftes Leben, Verbrechen, Verlust der bürgerlichen Ehre u. s. w., aber auch Konfessionswechsel. Ferner, mögen sie unverschuldet oder verschuldet sein, schwere und dauernde geistige oder leibliche, insbesondere ekelhafte oder ansteckende Krankheiten (vor Allem Geschlechtskrankheiten), völliger die Gründung eines Hausstandes ausschließender Vermögensverfall (Seuff. LXVIII Nr. 19) usw. Endlich zu Tage tretende moralische oder körperliche Defekte (das preuß. Obertribunal hat einmal üblen Athem als Rücktrittsgrund anerkannt, ein ander Mal Kahlköpfigkeit für unerheblich erklärt). 112 So eigne schwere Erkrankung oder Nahrungslosigkeit, unter Umständen auch Religionsänderung. Ferner, jedoch nicht unbedingt, Versagung oder Zurückziehung der elterlichen Einwilligung; RGer. LVIII Nr. 63 S. 254 ff. 113 In diesem Falle kann das Aufhebungsrecht mit dem Anfechtungsrecht konkurrieren. A. M. Neubecker, Arch. f. b. R. XXXI 264 ff. Vgl. aber gegen ihn Wolff § 6 Anm. 8. Möglich ist aber auch, daß Anfechtung ausgeschlossen ist; so z. B. bei Irrtum im Beweggrunde oder über die Vermögensverhältnisse (OLG Posen b. Seuff. LVI Nr. 153, vgl. Preuß. LR § 105).
1. Titel: Verlöbniß
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jetzt enthüllt114. Es ist möglich, daß für jeden der beiden Teile ein Aufhebungsrecht begründet ist115. Dies kann auch der Fall sein, wenn die Aussicht auf Eheschließung derart in die Ferne gerückt wird, daß keinem Verlobten billiger Weise zugemutet werden kann, in der Gebundenheit zu verharren. Die einseitige Aufhebung des Verlöbnisses bewirkt in jedem Falle dessen Beendigung, hat aber ungleiche Rechtsfolgen, jenachdem sie sich als Vertragsverletzung darstellt oder nicht. Die grundlose Aufhebung ist stets Vertragsverletzung. Dagegen liegt bei der Aufhebung aus einem wichtigen Grunde dann keine Vertragsverletzung vor, wenn keinen Verlobten ein Verschulden trifft. Verschuldete Herbeiführung der Beendigung des Verlöbnisses ist Verlöbnißbruch116. Verlöbnißbruch begeht, wer ohne wichtigen Grund das Verlöbniß auflöst117. Ebenso aber, wer aus einem wichtigen Grunde, den er selbst verschuldet, das Verlöbniß aufhebt118. Andererseits fällt Verlöbnißbruch dem Verlobten zur Last, der dem anderen Verlobten durch schuldhaftes Verhalten gegründeten Anlaß zur Aufhebung des Verlöbnisses giebt119. Gleichzustellen ist schuldhafte Unmöglichmachung der Heirat120.
114 Z. B. in Folge ärztlicher Belehrung bei unheilbarer Tuberkulose oder bei Geschlechtskrankheit. Vgl. Wolff § 6 Anm. 9. 115 So bei beiderseitiger Untreue; vgl. Seuff. LI Nr. 29 (keine Kompensation). Desgleichen bei schwerer Krankheit eines Teils oder bei Vermögensverfall des Bräutigams. – Man wird mit Wolff § 6 III 4 anzunehmen haben, daß dann, obschon das Verlöbniß durch die Aufhebungserklärung des einen Verlobten beendigt ist, auch der andere noch die Aufhebung von sich aus aussprechen kann, um sich etwaige Ersatzansprüche zu verschaffen. 116 Das Preuß. LR §§ 97 – 98 bestimmte eine gesetzliche Wartezeit von zwei Jahren. Diese willkürliche Festsetzung bietet für das heutige Recht keinen Anhalt. 117 BGB § 1298. Die Beweislast für das Dasein eines wichtigen Grundes trifft nach Abs. 3 den Aufhebenden. 118 Also z. B. weil er sich eine Geschlechtskrankheit zugezogen hat oder durch Spiel verarmt ist. Ausdrücklich legt das Schweiz. ZGB a. 92 im Falle der Aufhebung des Verlöbnisses aus einem von einem Verlobten verschuldeten Grunde dem Schuldigen die gleiche Ersatzpflicht auf, wenn die Aufhebung durch ihn, wie wenn sie durch den anderen Teil erfolgt. 119 BGB § 1299. Vgl. Schweiz. ZGB a. 92. 120 Z. B. durch Verheiratung oder (gemäß BGB § 1310) durch Beischlaf mit einem Verwandten gerader Linie des anderen Verlobten. Für die Gleichstellung auch Wolff § 6 IV, der zwar unrichtig § 325 BGB anwendet, die Schadensersatzpflicht aber nach Analogie der §§ 1298 ff. bemessen will. Das RGer. hat in einer noch für das alte Recht ergangenen Entsch. v. 30. Sept. 97 ZS. XXXIX S. 188 ff. hierher auch den Fall des Selbstmordes gerechnet und den Erben des Selbstmörders die vermögensrechtlichen Folgen des Verlöbnißbruches aufgebürdet. Die ziemlich allgemein (vgl. indes Endemann § 150a Anm. 61) als verfehlt mißbilligte Entscheidung verliert jeden Schein von Berechtigung, wenn die Anwendbarkeit des Schuldvertragsrechts verneint wird; vgl. Stutz S. 74 ff. Die sonst dagegen vorgebrachten Argumente (es liege keine Rücktrittserklärung vor, Opet zu § 1298 Bem. 3, M. M. Unger, Der Selbstmord, 1913, S. 120 ff., der Selbstmord sei nicht rechts- oder sittenwidrig, Wolff § 6 Anm. 24) sind nicht durchschlagend.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
V. Folgen der Auflösung 1. In jedem Falle kann, wenn das Verlöbniß sein Ende erreicht, ohne daß es zur Eheschließung führt, jeder Verlobte von dem anderen die Herausgabe dessen fordern, was er ihm geschenkt oder zum Zeichen des Verlöbnisses gegeben hat121. Der Anspruch ist jedoch durch die Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung begrenzt122. Er fällt überdies weg, wenn die Willensmeinung der Verlobten auf seine Ausschließung gerichtet war, was im Zweifel für den Fall der Auflösung des Verlöbnisses durch Tod anzunehmen ist123. Auch verjährt er stets in zwei Jahren seit der Auflösung des Verlöbnisses124. 2. Im Falle des Verlöbnißbruches entspringen aus der Vertragsverletzung für den durch sie geschädigten Verlobten und möglicher Weise auch für den Dritten begrenzte Ersatzansprüche. Auch sie sind der kurzen Verjährung in zwei Jahren seit der Verlöbnißauflösung unterworfen125. a) Der Verlöbnißbrecher hat dem anderen Verlobten den erlittenen Vermögensschaden, jedoch nur insoweit zu ersetzen, als dieser durch die Täuschung des auf das Zustandekommen der Ehe gesetzten Vertrauens entstanden ist126. Das BGB rechnet dahin zunächst den Schaden, den der andere Verlobte dadurch erlitten hat, daß er in Erwartung der Ehe Aufwendungen gemacht hat oder Verpflichtungen 121 BGB § 1301. Auch das mit Rücksicht auf die bevorstehende Verlobung Geschenkte; Schmidt zu § 1301 Bem. 4 a, Fischer-Henle zu § 1301 Bem. 2; a. M. Planck Bem. 1, Staudinger Bem. 3, Endemann § 152 Anm. 20, Wolff § 6 Anm. 25. Als „Zeichen des Verlöbnisses“ den Verlobungsring, aber auch sonstige aus der arrha hervorgegangene Gaben, wie den sogenannten „Mahlschatz“ (Schuld und Haftung S. 367). Daß auch die Briefe herausverlangt werden können, versteht sich eigentlich von selbst; Dernburg § 8 Anm. 23, Planck Bem. 1, Wolff § 6 Anm. 26, Egger zu a. 94 Bem. 1 b. Gleichwohl wird es von Manchen wegen des Wortlautes des Gesetzes bestritten. Mit dem BGB stimmt das Schweiz. ZGB a. 94 überein. Im bisherigen Recht galten ähnliche, aber im Einzelnen ungleiche Bestimmungen; vgl. Bayr. LR I, 6 §§ 17 – 18 (über den „Mahlschatz“), Preuß LR §§ 112, 123, 132, Seuff. Gb. §§ 1584 – 1587. 122 Somit kann ihn nach § 815 BGB derjenige Verlobte, der die Eheschließung wider Treu und Glauben verhindert hat, was aber keineswegs für jeden Verlöbnißbrecher zutrifft, – nicht erheben. 123 Dies ist also eine durch Beweis entkräftbare Auslegungsregel. – Angemessener ist die unbedingte Versagung des Rückforderungsrechtes für den Fall der Auflösung durch den Tod im Schweiz. ZGB a. 94, wie auch im Sächs. Gb. § 1580. Nach röm. R. verblieben die Geschenke der Braut und zur Hälfte auch ihren Eltern, wenn das Verlöbniß durch Kuß besiegelt war (osculo interveniente); im gem. R. sah man vom Kusse ab. 124 BGB § 1302. Nach Schweiz. ZGB a. 95 schon in einem Jahr. Ebenso früher nach Sächs. Gb. § 1587. 125 BGB § 1302. Ebenso nach Schweiz. ZGB a. 95 u. Sächs. Gb. § 1567 der einjährigen Verjährung. 126 BGB § 12981. Ebenso Schweiz. ZGB a. 92. Also nicht das „Erfüllungsinteresse“, sondern nur das sogen. „negative Interesse“ kommt in Betracht. Dem Verlobten wird nur ersetzt, was er noch haben würde, wenn er sich nicht verlobt hätte, nicht, was er haben würde, wenn es zur Ehe gekommen wäre. Vgl. Rspr. d. OLG VIII 329 ff.
1. Titel: Verlöbniß
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eingegangen ist127. Es spricht aber ferner dem anderen Verlobten den Ersatz des Schadens zu, der ihm aus sonstigen in Erwartung der Ehe getroffenen Maßnahmen, die sein Vermögen oder seine Erwerbsstellung berühren, entstanden ist128. Beiderlei Ersatzansprüche jedoch begrenzt es dadurch, daß es sie nur insoweit gewährt, als die Aufwendungen oder Maßnahmen den Umständen nach angemessen waren129. Diese gesetzlichen Vertragsansprüche können im Voraus weder wegbedungen noch vertragsmäßig erweitert werden, sind aber übertragbar und vererblich. b) Den Vermögensschaden aus den in Erwartung der Ehe gemachten Aufwendungen hat der Verlöbnißbrecher auch den Eltern des anderen Verlobten und dritten Personen, die an Stelle der Eltern gehandelt haben (z. B. Groß-, Stief- oder Pflegeeltern, Freunde, Wohltäter), zu ersetzen. Dagegen entspringt für diese Personen aus sonstigen Maßnahmen kein Schadensersatzanspruch130. Auch der Ersatzanspruch der Eltern oder der an Elternstatt Handelnden ist Vertragsanspruch; das vertragsmäßig begründete familienrechtliche Gemeinschaftsverhältniß wirkt insoweit eben zugleich zu Gunsten Dritter. c) Für immateriellen Schaden schuldet der Verlöbnißbrecher dem anderen Verlobten regelmäßig keinerlei Ersatz. Das deutsche Gesetzbuch hat es bedauerlicher Weise abgelehnt, in irgend einer Form dem durch Treubruch verletzten Verlobten oder mindestens der verlassenen Braut eine Genugtuung oder Abfindung für die erlittene Kränkung und für zerstörtes Lebensglück zuzusprechen131. Dem deut127 So z. B. für Anschaffungen zur Einrichtung des künftigen Haushalts, Miete einer größeren Wohnung, Reisen, neue Kleider, ein Verlobungsfest, Hochzeitsvorbereitungen. Beispiele: RGer., Jur. W.Schr. 1903 Beil. 144 ff., Gruchot XLVIII 356, Rspr. d. OLG XIV 243, XVIII 250; für unzulässige Ansprüche RGer. in Jur. W.Schr. 1902 Beil. 259, Rspr. d. OLG XVI 203. – Aufwendungen vor der Verlobung kommen nicht in Betracht; Rspr. d. OLG XVIII 249. 128 So z. B. durch Wohnsitzverlegung, Erwerb oder Aufgabe eines Geschäfts oder eines Landgutes, Verzicht des Bräutigams auf seine Laufbahn oder der Braut auf ihre Stelle (z. B. als Lehrerin oder Schauspielerin). Hier kommt auch entgangener Gewinn in Betracht (z. B. bei Ausschlagung eines günstigen Stellenangebots). 129 BGB § 12982. Also nicht z. B. bei Beschaffung einer übertriebenen luxuriösen Ausstattung oder Ausrüstung eines allzu üppigen Hochzeitsmahls, auch nicht bei einer überflüssigen Veränderung der Lebensstellung. Vgl. Rspr. d. OLG XXVI 200. Zutreffend weist jedoch Dernburg § 8 II 3. S. 32 darauf hin, daß der Verlöbnißbrecher regelmäßig nach Treu und Glauben die auf seinen eigenen Wunsch getroffenen Maßnahmen nicht als unangemessen bemängeln kann. 130 Somit hat der ungetreue Bräutigam den Eltern der Braut zwar für den Schaden einer Aussteuerbeschaffung, Verlobungsmahl, Verlobungsanzeigen u. s. w., nicht aber z. B. für die auf seine Veranlassung erfolgte Aufgabe eines gewinnbringenden Geschäfts oder Dienstverhältnisses aufzukommen. – Das Schweiz. ZGB a. 92 bestimmt ohne solche Unterscheidungen einfacher und würdiger, der Verlöbnißbrecher habe dem anderen Verlobten, dessen Eltern oder den an Stelle der Eltern handelnden Personen, für die Veranstaltungen, die mit Hinsicht auf die Eheschließung in guten Treuen getroffen worden sind, einen angemessenen Ersatz zu leisten; vgl. dazu Egger Bem. 3 u. 4.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
schen Rechtsbewußtsein wird das Schweizerische Gesetzbuch besser gerecht, indem es bestimmt: „Erleidet durch den Verlöbnißbruch ein Verlobter ohne sein Verschulden eine schwere Verletzung in seinen persönlichen Verhältnissen, so kann ihm der Richter bei Schuld des anderen Verlobten eine Geldsumme als Genugtuung zusprechen.“132 Ausnahmsweise kann eine unbescholtene Braut auch wegen des immateriellen Schadens eine billige Entschädigung in Geld verlangen, wenn sie dem des Verlöbnißbruches schuldigen Bräutigam die Beiwohnung gestattet hat133. Dieser Anspruch setzt ein gültiges Verlöbniß und dessen unberechtigte Aufhebung durch den Bräutigam voraus134. Er entspringt der Vertragsverletzung, die nur dadurch besonders qualifiziert wird, daß die Brautstandsgemeinschaft durch Vorwegnahme der geschlechtlichen Vereinigung sich bereits der Ehegemeinschaft genähert hatte, und ist daher wesensverschieden von dem beseitigten gemeinrechtlichen Deflorationsanspruch135. Die Braut ist unbescholten, wenn ihre weibliche Geschlechtsehre zur Zeit der Hingabe an den Verlobten unversehrt war136. Erhebt der Bräutigam den Einwand der Bescholtenheit, so trifft ihn die Beweislast137. Daß er die Braut nicht auf Grund eines von ihm selbst schon vor der Verlobung gepflogenen geschlechtlichen Umganges der Bescholtenheit zeihen darf, versteht sich nach Treu und Glauben von selbst138. Zur Begründung des Anspruchs genügt die während des Verlöbnisses erfolgte fleischliche Vermischung, ohne daß es darauf 131 Vgl. gegen diese Regelung meine Schrift über den Entw. S. 396 und oben Bd. III 82 ff. Das unbedingte Verbot der Ausbedingung einer Vertragsstrafe hätte in einer gesetzlichen Verpflichtung zur Genugtuung seinen billigen Ausgleich gefunden. 132 Art. 93. Der Anspruch ist unübertragbar und erst nach erfolgter Anerkennung oder Einklagung vererblich. Vgl. dazu oben § 228 Anm. 57. 133 BGB § 1300. Die Bestimmung, die in Entw. I fehlte, ist erst in der zweiten Lesung nach lebhaftem Meinungskampf aufgenommen. Ihre Bedenklichkeit liegt auf der Hand. Was sie gewährt, ist gerecht. Ungerecht aber ist, was damit der keusch gebliebenen Braut versagt wird. 134 Erfolgt die Aufhebung des Verlöbnisses nach gestatteter Beiwohnung aus einem vom Bräutigam nicht verschuldeten wichtigen Grunde, so entsteht der Anspruch nicht! Eine gewisse Abhülfe kann hier nur die Erwägung schaffen, daß die bereits erfolgte geschlechtliche Vereinigung zu strengeren Anforderungen an das Gewicht von Aufhebungsgründen führen muß. Vgl. Cosack § 311 IV 2 b, Dittenberger S. 186 ff., Dernburg § 8 Anm. 17. 135 Vgl. oben Bd. III 890. Dieser Anspruch war deliktisch und setzte kein Verlöbniß, wohl aber Schwängerung voraus. 136 Die deckt sich keineswegs mit Jungfräulichkeit; unbescholten ist auch die Witwe, die geschiedene Frau, die Vergewaltigte. Vgl. Stutz S. 81, Dittenberger S. 188 ff., Planck Bem. 3 c, Endemann § 153 Anm. 22 – 23, Wolff § 6, Anm. 19. 137 Hierüber ist man trotz der Fassung des § 1300 einig; Näheres b. Endemann § 153 Anm. 24, Opet Bem. 6, Staudinger Bem. 4, Rspr. d. OLG VIII 330, XV 396, XVIII 251, XXVI 210, Seuff. LIX Nr. 205, RGer. in Bl. f. RA LXXI 650. 138 So auch fast einstimmig (abweichend Rspr. d. OLG XII 297 ff.) die Praxis; vgl. RGer. LII Nr. 13, Jur. W.Schr. 1905 S. 288 Nr. 12, 1906 S. 425 Nr. 16, 1910 S. 912, Rspr. d. OLG XIV 215, Seuff. LX Nr. 212.
1. Titel: Verlöbniß
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ankäme, von welchem Teil die Verführung ausgegangen ist; Schwängerung ist nicht erforderlich139. Ueber die Höhe der Entschädigungssumme entscheidet richterliches Ermessen; dabei sind alle konkreten Umstände, die der Braut je nach ihren gesellschaftlichen Verhältnissen zugefügten Nachteile und entzogenen Aussichten, aber auch die Schwere der Kränkung und das Maß des Verschuldens, in Betracht zu ziehen140. Der Anspruch ist höchstpersönlich und daher unübertragbar und unvererblich, er müßte denn bereits durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden sein141. d) Mit dem Vertragsanspruch aus Verlöbnißbruch kann ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung konkurrieren, der auf vollen Schadensersatz geht. VI. Ungültige Verlöbnisse Ist das Verlöbniß nichtig oder wird es durch Anfechtung vernichtet oder wird es durch den Mangel einer erforderlichen Genehmigung unwirksam, so sind die für den Fall der Beendigung des Verlöbnisses geltenden Vorschriften unanwendbar. Statt ihrer entscheiden darüber, was, wenn die Eheschließung unterbleibt, die scheinbar Verlobten einander schulden, die allgemeinen Regeln. Die gegenseitigen Herausgabeansprüche richten sich ausschließlich nach den Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung. Schadensersatzansprüche können nur deliktisch begründet werden. So kann der Minderjährige, der sich ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters verlobt hat, zwar, da das Verlöbniß unwirksam ist, nicht nach Verlöbnißrecht, wohl aber aus unerlaubter Handlung auf Schadensersatz belangt werden, wenn er dem anderen Verlobten die Einwilligung der Eltern oder des Vormundes oder eigene Volljährigkeit vorgespiegelt hat142. Auch kann, wer die Erklärung des Verlobungswillens nicht ernstlich gemeint oder erfolgreich wegen Irrtums angefochten hat, zwar nicht aus den §§ 1298 – 1299, wohl aber aus § 122 BGB dem in seinem Vertrauen getäuschten anderen Teil für Schadensersatz in Höhe des negativen Interesses haften143.
139 Doch kann die Schwängerung bei der Bemessung der Entschädigung stark ins Gewicht fallen. Im Uebrigen löst sie natürlich für die Braut die vom Verlöbniß unabhängigen Ansprüche aus § 1715 BGB aus. 140 BGB § 13002. Vgl. Schweiz. ZGB a. 93 oben Anm. 132. 141 So im Falle der Herbeiführung der Verlöbnißaufhebung durch arglistige Täuschung des anderen Teils oder unter vorsätzlicher Verletzung des Sittengesetzes (nach § 826 BGB). Der nach erfolgter Beiwohnung verlassenen Braut können auch, wenn die Erfordernisse des § 1300 nicht erfüllt sind, Ansprüche aus § 825 oder 8472 zustehen. – Möglich ist auch ein Schadensersatzanspruch des durch Zerstörung des Verlöbnisses geschädigten Verlobten gegen einen Dritten; so z. B. aus § 826 gegen den Vater, der aus sittlich verwerflichen Gründen die Eheschließung der Tochter hindert, nach RGer. LVIII Nr. 63. 142 Vorausgesetzt natürlich, daß er nicht nach § 828 BGB nicht verantwortlich ist.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
VII. Zeitliche Anwendung Ist das Verlöbniß im Sinne des BGB ein Familienrechtsverhältniß, so sind dessen Vorschriften auch für ältere Verlöbnisse sofort in Kraft getreten. Nur muß das Verlöbniß nach dem die Verlobung beherrschenden Recht gültig zu Stande gekommen sein. Doch wird ein Mangel, der nach dem neuen Recht unerheblich wäre, durch die Fortsetzung des Brautstandes unter dessen Herrschaft geheilt144. Nach dem neuen Recht richten sich auch durchweg die Wirkungen älterer Verlöbnisse einschließlich der schuldrechtlichen Folgen der Aufhebung mit oder ohne Verlöbnißbruch145. VIII. Räumliche Anwendung Welches örtliche Recht über die Gültigkeit und die Wirkungen eines Verlöbnisses entscheidet, bestimmt sich, da es sich um ein Familienrechtsverhältniß handelt, nach dem Personalstatut der Verlobten und zwar, da die Rechtsvereinheitlichung durch Eheschließung noch nicht eingetreten ist, für jeden Verlobten nach seinem Personalstatut146. Die in der früheren Praxis herrschende Ansicht, daß das Gesetz des Erfüllungsortes für die Wirkungen des Verlöbnisses maßgebend sei147, beruht auf der unzulässigen Anwendung des Schuldvertragsrechtes148. 143 Vgl. oben Bd. III 913. Daß hierbei § 1298 zu berücksichtigen und somit Verschulden zu fordern, auch der zu leistende Ersatz nach Maßgabe der positiven Vorschriften für Verlöbnißbruch zu begrenzen sei, kann Planck (Unzner), zu § 1298 Bem. 2a , dem Wolff § 5 IV beitritt, nicht zugegeben werden. 144 So jeder Formmangel; RGer. LIX Nr. 30. Aber ein materieller Mangel (z. B. hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit). Man wird a. 198 EG zum BGB entsprechend anwenden dürfen; vgl. Stutz S. 83, Habicht, Einwirkung3 S. 524, Schmidt, Vorbem. X., RGer. a. a O. S. [Lücke]. Abweichend Endemann § 158a Anm. 68 u. bes. Wolff § 7 I 1, nach dem immer nur ein neues (stillschweigendes) Verlöbniß möglich sein soll, so daß vor 1900 gestattete Beiwohnung nicht die Wirkungen des § 1300 hätte und frühere Aufwendungen und Geschenke nicht nach § 1298 u. § 1301 zu behandeln wären. 145 Vgl. Habicht a. a. O., Schmidt a. a. O. Unrichtig Wolff § 7 I 2, der unter Berufung auf EG a. 170 grundsätzlich die schuldrechtlichen Wirkungen des alten Rechts fortbestehen läßt. Doch nimmt auch er an, daß wegen Unvereinbarkeit mit dem Zweck des neuen Gesetzes die Zulässigkeit einer Klage auf Eheschließung, die Gültigkeit einer Vertragsstrafe und jede stärkere Wirkung eines Verlöbnißbruches, als sie das BGB kennt, wegfällt. Die Vorschriften des BGB sind aber auch anzuwenden, wenn die vor 1900 eingetretenen Tatbestände nach altem Recht schwächer gewirkt hätten. 146 Oben Bd. I 235 Anm. 87; seitdem auch Endemann 151a Anm. 71, Zitelmann, Int. PR II 797 ff., Wolff § 7 II. Hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit ist EG a. 7 jedoch nicht die Ausnahmebestimmung des Abs. 3 S. 1, die nach S. 2 für „familienrechtliche“ Rechtsgeschäfte nicht gilt, anwendbar. Für die Form der Verlobung gilt EG a. 111, so daß also eine ausländische Formvorschrift der Gültigkeit eines Verlöbnisses nicht entgegensteht, wenn dieses entweder von Deutschen im Auslande, oder von Ausländern in Deutschland formlos eingegangen ist. 147 In der Beantwortung der Frage, welcher Ort Erfüllungsort sei, waltete ein unerfreulicher Zwiespalt. Bald erklärte man dafür den Ort der Eheschließung; RGer. b. Seuff. XLI
2. Titel: Erfordernisse der Eheschließung
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Ist das Personalstatut der Verlobten ein verschiedenes, so erzeugt das Verlöbniß für jeden Verlobten nur solche Verpflichtungen, wie sie sein eigenes Personalstatut ihm auferlegt149. Jede Anwendung fremden Rechtes ist jedoch insoweit ausgeschlossen, als sie dem Zweck des deutschen Gesetzes widersprechen und insbesondere die Freiheit der Eheschließung in höherem Maße beeinträchtigen würde, als das deutsche Recht es gestattet150.
Zweiter Titel
Erfordernisse der Eheschließung § 230. Erfordernisse der Eheschließung überhaupt I. Arten der Erfordernisse Die Eheschließung ist ein Rechtsgeschäft, jedoch, weil der Inhalt des durch sie begründeten Rechtsverhältnisses grundsätzlich der Gestaltungsmacht des rechtsgeschäftlichen Willens entzogen ist, ein durchaus eigenartiges Rechtsgeschäft151. Sie fällt unter den allgemeinen Begriff des Vertrages, unterliegt aber nur in geringem Umfange den auf Vertragsgeschäfte zugeschnittenen allgemeinen Regeln über Verträge. Darum gilt für die Erfordernisse des Vertragsschlusses hier ein Sonderrecht, das auf Grund der geschichtlichen Entwicklung unter eigentümlichen Gesichtspunkten ausgebildet ist und nicht logischen Bedürfnissen zu Liebe nach der Vertragsschablone des allgemeinen Teils umgeprägt werden darf152. Nr. 21, ZS XXIII Nr. 36, auch OLG Stuttg. b. Seuff. XLIX Nr. 163. Bald den Ort des in Aussicht genommenen ersten Ehedomizils; RGer. XX Nr. 74. Bald für jeden Verlobten seinen augenblicklichen Wohnsitz; RGer. b. Seuff. XLIV Nr. 189. 148 Manche Anhänger der Schuldvertragstheorie entgehen dieser Konsequenz, weil sie die Herrschaft der lex solutionis überhaupt ablehnen; vgl. oben Bd. I 282 ff., Wolff § 7 Anm. 7. 149 Insoweit entscheidet also das Personalstatut des Beklagten; oben Bd. I 235 Anm. 87, Zitelmann a. a. O. S. 800, Planck zu EG a. 13 Bem. 9, Niedner Bem. 2 a. Mithin hat z. B. der deutsche Verlöbnißbrecher der französischen Braut Schadensersatz nach den Vorschriften des BGB zu leisten, obschon er, wenn ihm die Braut untreu wird, von ihr nichts verlangen kann. Dagegen will Wolff § 7 II nur solche Wirkungen eintreten lassen, die beiden Personalstatuten gemeinsam sind. 150 EG a. 30. Der deutsche Richter darf daher niemals eine Klage auf Eingehung der Ehe zulassen, eine Vertragsstrafe für verfallen erklären oder dem Verlöbnißbrecher weitergehende Ersatzpflichten – z. B. auf Grund des englischen Rechts – auferlegen, als sie das BGB anordnet. 151 Vgl. oben § 225 I. 152 A. M. Crome IV § 552. Er tadelt das BGB, weil es, statt sich an die allgemeine Rechtslehre anzuschließen, zum Teil an der überlieferten Lehre von den Ehehindernissen festgehalten und damit die Materie verzettelt hat. Der Fehler des BGB dürfte eher in umgekehrter
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Die Erfordernisse der Eheschließung sind materieller und formeller Natur. Hier soll zunächst von den materiellen Erfordernissen der Eheschließung gehandelt werden, während die Form des Eheschließungsaktes späterer Darstellung vorbehalten bleibt. Die materiellen Erfordernisse der Eheschließung sind im heutigen Recht unter dem überwiegenden Einfluß des kanonischen Rechts geregelt, dessen schöpferische Gedanken in das Rechtsbewußtsein der europäischen Völker übergegangen und vom weltlichen Recht übernommen sind. Das kanonische Recht hat sie unter dem Gesichtspunkte der Ehehindernisse entwickelt und somit in die Gestalt negativer Voraussetzungen gekleidet. Als positive Voraussetzung erscheint lediglich die von zwei Personen verschiedenen Geschlechts abgegebene Willenserklärung, eine Ehe mit einander einzugehen. Im Uebrigen wird gefordert, daß kein Ehehinderniß vorhanden ist, also kein Tatbestand vorliegt, an den die Rechtsordnung die Folge knüpft, daß eine Ehe nicht geschlossen werden kann oder soll153. Die Lehre von den Ehehindernissen liegt auch den neueren Gesetzbüchern zu Grunde154. Das deutsche bürgerliche Gesetzbuch fußt gleichfalls auf dem Boden des überlieferten Rechts. Es vermeidet zwar den (in anderen Reichsgesetzen begegnenden) Ausdruck „Ehehinderniß“, geht aber bei den im zweiten Titel seines Eherechts getroffenen Vorschriften über „Eingehung der Ehe“ offensichtlich von dem geschichtlich entwickelten Begriff der Ehehindernisse aus und regelt unter diesem Gesichtspunkte zunächst eine Reihe von materiellen Voraussetzungen der Eheschließung (§§ 1303 – 1315), um sodann Bestimmungen über die Form der Eheschließung folgen zu lassen (§§ 1316 – 1321). Darum muß eine Darstellung des geltenden deutschen Rechts, wenn sie dessen innere Struktur zum Verständnis bringen und nicht gewaltsam entstellen will, die Lehre von den Ehehindernissen zu Grunde legen155. Indessen legt das BGB eine Einschränkung des Begriffes der Ehehindernisse nahe, denn abweichend vom Vorbilde des kanonischen Rechts stellt es ein in sich geschlossenes System selbständiger Rechtssätze nur für die spezifischen Erfordernisse der Eingehung einer Ehe, der Vornahme gerade dieses einzigartigen familienrechtliches Vertragsschlusses, auf. Dagegen regelt es diejenigen materiellen Erfordernisse, die der Eheschließungsvertrag mit allen Rechtsgeschäften gemein hat, in Anlehnung an die allgemeinen Vorschriften über Rechtsgeschäfte und wandelt diese nur um des Wesens der Ehe willen erheblich ab. Richtung zu suchen sein. Uebersichtlicher und gemeinverständlicher wären seine Bestimmungen jedenfalls ausgefallen, wenn es sich treuer an die Ueberlieferung gehalten hätte. 153 Vgl. bes. Richter-Dove-Kahl, KR. § 269 ff.; v. Scherer, KR II § 114 ff.; Stutz, Holtzendorff-Kohler Enzykl.V7 439 ff. 154 So dem Preuß.ALR II, 1 §§ 3 – 74; dem Oest. Gb. §§ 47 – 68; dem Code civ. a. 144 – 164; dem Sächs. Gb. §§ 1589 – 1619; dem Schweiz. ZGB a. 96 – 104. 155 Zum Teil ist die Umprägung der Ehehindernisse in positive Voraussetzungen der Eheschließung überhaupt kaum ausführbar; vgl. Endemann § 158, 1.
2. Titel: Erfordernisse der Eheschließung
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Es entspricht daher dem Gedanken des BGB, wenn man die aus den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts hergeleiteten Erfordernisse der Eheschließung aus dem Kreise der Ehehindernisse ausscheidet und als rechtsgeschichtliche Erfordernisse des Eheschließungsvertrages kennzeichnet. Nur läßt sich in der Darstellung des geltenden Rechtes diese Unterscheidung nicht reinlich durchführen. Denn das BGB bleibt bei dem Aufbau seiner Vorschriften jenem Gedanken keineswegs treu156. Wollte man seine Stilwidrigkeiten durchweg ausmerzen, so müßte man nicht nur das nach der Lebensanschauung Zusammengehörige und im Gesetzbuch unfolgerichtig verbunden Gebliebene auseinander reißen, sondern vor allem den geschichtlichen Zusammenhang des geltenden Rechts mit dem bisherigen Recht verleugnen157. Darum begnügen wir uns, im Anschluß an das Gesetzbuch lediglich den Einfluß von Willensmängeln auf das Zustandekommen des Eheschließungsvertrages unter dem Gesichtspunkte der rechtsgeschäftlichen Erfordernisse abgesondert darzustellen158.
156 Sonst hätte es nicht den Mangel der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zu der Eheschließung eines beschränkt Geschäftsfähigen zusammen mit dem Mangel der elterlichen Einwilligung unter den Ehehindernissen, dagegen die Geschäftsunfähigkeit als Nichtigkeitsgrund unter den rechtsgeschäftlichen Erfordernissen behandelt. Ebensowenig hätte es in dem Titel „Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe“ die Folgen des Vorhandenseins einzelner früher normierter Ehehindernisse und des Mangels allgemeiner Vertragserfordernisse zusammengeworfen. 157 Auch in der gemeinrechtlichen Theorie sind Versuche unternommen, die Unterscheidung zwischen Ehehindernissen und rechtsgeschäftlichen Erfordernissen durchzuführen. So handelt v. Scherer a. a. O. in § 112 unter der Ueberschrift „Wesentliche Formen der Eheschließung“ auf S. 172 ff. von den Erfordernissen des Ehekonsenses und dabei von Handlungsfähigkeit und Willensmängeln, um dann erst in § 114 ff. von „Ehehindernissen“ zu sprechen. Das aber ist gewiß kein nachahmenswertes Vorbild! Von den Gesetzbüchern bringt das Preuß. LR unter der Ueberschrift „Von den Erfordernissen einer gültigen Ehe“ zunächst die besonderen Eheverbote (§§ 3 – 37), erklärt sodann „die freie Einwilligung beider Teile“ für wesentlich (§ 38), verweist in dieser Hinsicht auf die allgemeinen Grundsätze über Willenserklärungen (§ 39) und knüpft daran modifizierende Vorschriften über den Einfluß von Willensmängeln (§§ 40 – 44) und über elterliche, großelterliche und vormundschaftliche Einwilligung (§§ 45 – 74). Eine befriedigende Systematisierung fehlt auch hier. Noch weniger findet sie sich im Code civ. a. 144 sq. Das Oesterr. Gb. geht in § 47 von dem Begriff des Ehehindernisses aus und stellt dann nur in den §§ 48 die Mängel der Ehefähigkeit (§§ 48 – 54) und die Willensmängel (§§ 55 – 59) den eigentlichen Ehehindernissen voran. Das Sächs. Gb. § 1589 ff. folgt im Wesentlichen dem kanonistischen Schema. Das Schweiz. ZGB unterscheidet in a. 96 – 104 „Ehefähigkeit und Ehehindernisse“ und folgt im Uebrigen dem Vorbild des BGB, indem es in einem besonderen Abschnitt (a. 120 ff.) „Die Ungültigkeit der geschlossenen Ehe“ behandelt und von den Willensmängeln erst hierbei spricht. 158 Damit verschwinden also aus der Lehre von den Ehehindernissen die kanonischen Ehehindernisse des Zwanges, Irrtums und Betruges.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
II. Bedeutung der Erfordernisse Die Ehehindernisse sind für die Gültigkeit der Ehe zum Teil bedeutungslos, zum Teil bedeutungsvoll. Die rechtsgeschäftlichen Erfordernisse sind für die Gültigkeit der Ehe stets erheblich. Bei der Besprechung der Frage, ob eine Ehe gültig oder ungültig ist, sind daher nur gewisse Ehehindernisse in Betracht zu ziehen, dagegen die rechtsgeschäftlichen Erfordernisse sämtlich zu beachten. Während das gemeine Recht nur eine einzige Art von Ungültigkeit der Ehe kennt, das Preußische Landrecht „nichtige“ und „ungültige“ Ehen unterscheidet, wendet das BGB nach dem Vorgange des Sächsischen Gesetzbuches auf Ehen die allgemeinen Kategorien von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Rechtsgeschäfte an und unterscheidet daher nichtige und anfechtbare Ehen. III. Räumliche Geltung159 Ueber die materiellen Erfordernisse der Eheschließung entscheidet das Personalstatut der Verlobten im Augenblick der Eheschließung. Dies war nach gemeinem und preußischem Recht das Gesetz des Wohnsitzes, ist dagegen nach heutigem deutschen Recht das Gesetz der Staatsangehörigkeit („Heimatrecht“). Das EG zum BGB schreibt die Beurteilung der Ehe nach dem Gesetz der Staatsangehörigkeit vor, sobald entweder auch nur einer der Verlobten ein Deutscher ist oder die Ehe zwischen Ausländern im Inlande geschlossen wird160. Das Haager Abkommen vom 12. Juni 1902 erklärt im Verhältniß der Vertragsstaaten zu einander allgemein das Heimatrecht für maßgebend161. Doch kann nach dem im EG zum BGB hinsichtlich der Eheschließungserfordernisse ausdrücklich sanktionierten Prinzip der Rückverweisung anstatt des Heimatrechtes das Wohnsitzrecht anzuwenden sein, wenn ein einem vertragsfremden Staat angehöriger Ausländer in Deutschland wohnt162. Ausgeschlossen ist, hier wie überall, wenn eine Ehe in Deutschland ein159 Vgl. oben Bd. I 220 ff., 236. Dazu seitdem EG zum BGB a. 7, 27, 29 – 31 u. Haager Abkommen zur Regelung des Geltungsbereiches der Gesetze auf dem Gebiete der Eheschließung v. 12. Juni 1902. Vgl. die Komm. zum EG v. Planck, u. v. Niedner, Zitelmann, Internat. PR II 604 ff., Habicht, Internat. Privatr., 1907, S. 99 ff., Endemann § 158, 3 [?], Wolff § 39. 160 Hat der deutsche Richter eine zwischen Ausländern im Auslande eingegangene Ehe zu beurteilen, so muß er nach richtiger (obschon bestrittener) Ansicht dasjenige fremde Recht anwenden, das nach den in dem Staate der Beteiligten geltenden Kollisionsnormen ihr Personalstatut ist. Er muß also z. B., wie Enneccerus I 60 S. 146 überzeugend ausführt, eine zwischen zwei in England wohnhaften Dänen geschlossene Ehe, die nach englischem Recht gültig ist, während sie nach dänischem Recht ungültig wäre, für gültig erklären, weil nach dänischem Recht das Wohnsitzrecht entscheidet. 161 Es war nach dem Vorgange des französischen, oesterreichischen, italienischen Rechts, auch des Sächs. Gb., in den dem Haager Abkommen beigetretenen Staaten meist schon vorher generell als Personalstatut anerkannt. 162 EG a. 27. In wichtigen, dem Haager Abkommen nicht beigetretenen Staaten, insbes. nach englisch-amerikan., dän. u. norweg. Recht, gilt die lex domicilii als Personalstatut.
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gegangen wird, die Anwendung fremden Rechts, insofern sie gegen die guten Sitten oder den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde163. Im Bereiche des Haager Vertrages kann überdies das Gesetz des Eheschließungsortes in gewissen Fällen die Eheschließung eines Ausländers aus Gründen, die nach dessen Heimatrecht kein Ehehinderniß sind, untersagen164 und trotz des Vorhandenseins eines von dessen Heimatrecht aufgestellten Ehehindernisses gestatten165. Entscheidend ist stets das zur Zeit der Eheschließung die Verlobten beherrschende Personalstatut, so daß weder eine spätere Änderung desselben in Betracht kommt166 noch ein früheres abweichendes Personalstatut zu berücksichtigen ist167. Während es nach der in der gemeinrechtlichen Theorie und Praxis vorherrschenden Ansicht allein auf das Personalstatut des Mannes ankam168, sind nach heutigem Recht die Erfordernisse der Eheschließung in Ansehung eines jeden der Verlobten nach seinem Heimatrecht zu beurteilen169. Die Ehe soll also nicht geschlossen werden, wenn entweder für den Bräutigam oder für die Braut nach ihrem PerSomit ist z. B., wenn ein in Berlin wohnhafter Engländer dort heiratet, die Gültigkeit seiner Eheschließung nicht nach englischem, sondern nach deutschem Recht zu beurteilen. – Möglich ist auch, daß kraft Rückverweisung das deutsche Recht als Gesetz des Eheschließungsortes anzuwenden ist, weil das Heimatrecht zu Gunsten der Gültigkeit der Ehe auf dieses verweist; oben Bd. I 236 Anm. 89. 163 EG a. 30. So kann der ausländische Mohammedaner in Deutschland keine Doppelehe schließen. Andererseits wird man die sehr streitige Frage, ob das nach dem Heimatrecht eines Ausländers geltende Ehehinderniß der Religionsverschiedenheit in Deutschland anzuerkennen ist, verneinend beantworten müssen. 164 Haager Abk. a. 2. Dies ist der Fall bei den Ehehindernissen der Verwandtschaft oder Schwägerschaft, des Ehebruchs und der Lebensnachstellungen, wegen deren jedoch die Ehe, wenn sie nach Heimatrecht gültig wäre, nicht für nichtig erklärt werden kann, sowie bei den aus früherer Ehe oder aus Religionsverhältnissen abgeleiteten Ehehindernissen, denen der Staat des Eheschließungsortes für sein Gebiet sogar Ehevernichtungswirkung beilegen kann. 165 Haager Abk. a. 3. Dies gilt für alle ausschließlich auf religiösen Gründen beruhenden Ehehindernisse. Die vom Staate des Eheschließungsortes als gültig anerkannte Ehe kann dann aber von den Vertragsstaaten, die das betreffende Ehehinderniß kennen, als nichtig behandelt werden. Und mangels abweichender Bestimmung tritt diese Inkongruenz ein. 166 Die gültig geschlossene Ehe bleibt also gültig, wenn schon die Ehegatten nach dem in Folge Wechsels der Staatsangehörigkeit erworbenen neuen Heimatrecht sie nicht hätten schließen können. So selbst die Ehe eines Türken mit mehreren Frauen, wenn er Deutscher geworden ist. Anderseits wird, da es an einer dem a. 1982 EG entsprechenden Vorschrift fehlt, ein Mangel der Eheschließungserfordernisse durch Aenderung des Heimatrechts nicht geheilt; es ist nur neue Eheschließung mit Wirkung ex nunc möglich. 167 Hiervon macht EG zum BGB a. 132 eine Ausnahme in Ansehung der deutschen oder deutsch gewesenen Ehefrau eines nach a. 93 für todt erklärten Ausländers. 168 Vgl. oben Bd. I 236 Anm. 89. Dies entspricht der durch die Begründung einer ehelichen Gemeinschaft eintretenden Erstreckung des Personalstatutes des Mannes auf das Ehepaar. Es wurde aber, weil es ja eben fraglich sei, ob eine Ehe überhaupt zu Stande gekommen sei, von Manchen bestritten oder nur für impedimenta publica anerkannt. 169 EG zum BGB a. 131; Haager Abk. a. 1. Dies gilt für trennende und aufschiebende Ehehindernisse, aber auch für die rechtsgeschäftlichen Erfordernisse. Vgl. Zitelmann II 614 ff.
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sonalstatut ein Ehehinderniß vorliegt; sie ist nichtig oder anfechtbar, wenn auch nur eines der beiden Gesetze dies bestimmt170. IV. Zeitliche Geltung Ueber die Erfordernisse der Eheschließung entscheidet das zur Zeit der Eheschließung geltende Recht. Doch ist eine vor dem 1. Januar 1900 eingegangene Ehe als von Anfang an gültig anzusehen, wenn die Ehegatten an diesem Tag noch zusammen lebten und die Ehe zwar nach bisherigem Recht nichtig oder ungültig war, nach den Vorschriften des BGB aber gültig wäre171. § 231. Die Ehehindernisse I. Arten der Ehehindernisse 1. Die wichtigste Einteilung der Ehehindernisse ergiebt sich aus der im kanonischen Recht ausgebildeten und von der weltlichen Gesetzgebung festgehaltenen Unterscheidung der sogen. aufschiebenden und trennenden Ehehindernisse (impedimenta, impedientia tantum und dirimentia). Jedes Hinderniß beruht auf einem Verbot der Eheschließung. Handelt es sich aber um ein blos aufschiebendes Ehehinderniß, so ist die Eheschließung zwar unerlaubt und möglicher Weise strafbar und der Standesbeamte verpflichtet, sie zu verhindern, die dennoch geschlossene Ehe aber gültig. Dagegen beeinträchtigt das trennende Hinderniß die Gültigkeit der verbotswidrig eingegangenen Ehe. Von den einzelnen Ehehindernissen werden viele in den verschiedenen Gesetzgebungen ungleich bewertet und manche haben auch im neueren deutschen Recht ihre Natur gewechselt. 2. Die trennenden Hindernisse zerfallen nach kanonischem Recht und den meisten neueren Gesetzgebungen in öffentliche und private Ehehindernisse (impedimenta publica und privata). Jene sind im öffentlichen Interesse aufgestellt; ihre ehevernichtende Kraft wird von Amtswegen geltend gemacht und kann von den Beteiligten nicht aus der Welt geschafft werden. Die privaten Ehehindernisse bezwecken die Sicherung privater Interessen; ihre ehevernichtende Kraft hängt von der Geltendmachung durch die Beteiligten ab und wird durch Verzicht auf die Geltendmachung beseitigt. Das BGB kennt diese Unterscheidung nicht. Dem Gedanken nach aber kehrt sie in der Unterscheidung der die Nichtigkeit und der nur die Anfechtbarkeit der Ehe bewirkenden Ehehindernisse wieder. 170 Abweichendes kann sich nach dem Haager Abk. a. 2 u. 3 ergeben; oben Anm. 164 – 165. – Die herrschende Meinung unterscheidet doppelte und einseitige Voraussetzungen und will bei letzteren nur das Personalstatut des Teiles, in dessen Person der Mangel der Voraussetzung vorliegt, anwenden. Vgl. dagegen Zitelmann II 606 ff. 171 EG zum BGB a. 198. Vgl. Niedner, Bem. II; Planck, Bem. 1-10; Habicht, Einwirkung3 S. 526 ff., Endemann § 158, 4.
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3. Die Ehehindernisse sind absolute oder relative, jenachdem sie die Eingehung einer Ehe überhaupt oder die Eheschließung zwischen bestimmten Personen betreffen. 4. Schließlich sind die Ehehindernisse indispensabel oder dispensabel, indem sie entweder für die menschliche Autorität unüberwindlich sind oder durch einen öffentlichrechtlichen Akt behoben werden können. Das kanonische Recht ließ, je mehr es die Ehehindernisse häufte und ausdehnte, in desto weiterem Umfange im Einzelfalle eine Dispensation durch die Kirchenbehörde zu. Je nach dem Gewicht des Eheverbots legte es die Dispensationsbefugniß ausschließlich dem Papste oder auch den Bischöfen bei. Die kirchliche Dispensation hat jede Bedeutung für die bürgerliche Eheschließung und ihre Wirksamkeit verloren, jedoch für die Angehörigen der katholischen Kirche ihre kirchenrechtliche Bedeutung gewahrt172. Auch das evangelische Kirchenrecht hielt an der Möglichkeit der Dispensation von bestimmten Ehehindernissen fest. In den Landeskirchen stand das Dispensationsrecht dem Landesherrn als summus episcopus oder den von ihm ermächtigten kirchlichen Behörden zu. Heute ist es unpraktisch. Die weltliche Gesetzgebung schränkte die Zahl der dispensablen Ehehindernisse ein und übertrug das Dispensationsrecht staatlichen Organen173. Das BGB läßt nach dem Vorgang des Personenstandsgesetzes eine Befreiung nur in drei Fällen zu174 und beruft zur Bewilligung der Befreiung in jedem Falle den Staat175.
Ausführliche Darstellung bei v. Scherer a. a. O. § 133. So Preuß. ALR II, 1 §§ 8 – 9, 18, 22 – 23, 32 – 33, Anh. § 64, Kab. O. v. 15. März 1803 zu §§ 25 – 26; die Nachsuchung des Dispensation der geistlichen Obern seitens katholischer Glaubensgenossen wird in § 11 ihrem Gewissen anheimgestellt, jedoch in § 12 ausdrücklich eingeschärft, daß eine nach den Landesgesetzen erlaubte Ehe durch den Mangel dieser Dispensation nichts von ihrer bürgerlichen Gültigkeit verliert. Vgl. ferner Code civ. a. 145, 164; Oest. Gb. §§ 83 – 88. – Dagegen bestimmte die E.u.A.V. zum Sächs. Gb., das im Anschluß an das gemeine Recht eine Fülle dispensabler Ehehindernisse festhielt, hinsichtlich der meisten im § 15, daß es bei dem bisherigen Recht bewende „zufolge dessen die Nachsichtserteilung zur Competenz der kirchlichen Behörden gehört“. 174 PSTG v. 1875 § 282, § 322, § 352, BGB § 13032, § 13122, § 13132. 175 So schon PSTG § 40: „Die Befugnis zur Dispensation von Ehehindernissen steht nur dem Staate zu.“ Nach BGB § 1322 gebührt sie dem Bundesstaat, dem der zu befreiende Ehegatte angehört, wenn dieser aber nur die Reichsangehörigkeit besitzt, dem Reichskanzler. Durch welches Organ der Einzelstaat das Befreiungsrecht ausübt, bestimmt sich nach Landesrecht. In Preußen ist der Justizminister (nur im Falle des § 1313 das Amtsgericht) zuständig. Ebenso in den meisten anderen Staaten. Anderswo (z. B. in Sachsen) der Minister des Innern. Zum Teil aber ist allgemein oder doch in den Fällen der §§ 1303 u. 1312 die Erteilung dem Landesherrn, in den Hansestädten dem Senat vorbehalten. Vgl. Schmidt zu § 1322 Bem. 4, Planck Bem. 3, Staudinger, Bem. 4. 172 173
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II. Die einzelnen Ehehindernisse Die überaus reichhaltigen, jedoch im Laufe der Zeit manchem Wechsel unterworfenen Bestimmungen des kanonischen Rechts über die einzelnen Ehehindernisse, die im deutschen Mittelalter für alle Christen galten, blieben im gemeinen deutschen Recht für Katholiken in Kraft, während für Protestanten die in vielen Punkten abweichenden und zum Teil partikularrechtlich ungleichen Bestimmungen des evangelischen Kirchenrechts durchgriffen. Wo die weltliche Gesetzgebung das Eherecht selbständig regelte, gestaltete sie insbesondere auch das Recht der Ehehindernisse um, gieng aber dabei von sehr verschiedenen Gesichtspunkten aus. So herrschte ein sehr bunter Rechtszustand. Das Personenstandsgesetz schuf insofern Einheit, als es bestimmte Ehehindernisse reichsrechtlich normierte, für andere auf das Landesrecht verwies und alle nicht erwähnten Ehehindernisse aufhob; allein es überließ die Festsetzung der rechtlichen Folgen einer verbotswidrig geschlossenen Ehe mit einigen wenigen Ausnahmen dem Landesrecht176. Das BGB regelt erschöpfend die Ehehindernisse einschließlich ihrer Wirkungskraft. Durch das heute geltende deutsche Recht sind viele Ehehindernisse des älteren Rechts beseitigt, manche von diesen können aber noch auf Grund abweichender ausländischer Gesetze in Deutschland praktische Bedeutung gewinnen. Wir wollen bei der Besprechung der einzelnen Ehehindernisse des heutigen deutschen Rechts auf ihre geschichtliche Entwicklung eingehen und auf verwandte Ehehindernisse, die das BGB nicht anerkennt, hinweisen. An dieser Stelle aber wollen wir die verschiedenen Gruppen von Ehehindernissen kurz überblicken und dabei solche Ehehindernisse erledigen, für die das Recht des BGB keinen Anknüpfungspunkt bietet. 1. Eine erste Gruppe bilden die Ehehindernisse, die auf einem Mangel der Ehefähigkeit beruhen. Unter dem Einflusse gegensätzlicher Anschauungen der Kirchen und in Folge des Hinzutritts staatlicher Einschränkungen der Eheschließungsfreiheit sind sie in besonderem Maße ungleich ausgestattet worden177. Sie sind ihrem Begriff nach absoluter Natur, können aber trennend oder aufschiebend, öffentlich oder privat, indispensabel oder dispensabel sein. Zu den Ehehindernissen dieser Gruppe gehören einige, die einer Person auf Grund ihres besonderen Zustandes die Eingehung einer Ehe schlechthin verwehren178. So auch das aus dem heutigen Recht völlig verschwundene Ehehinderniß des dauernden geschlechtlichen Unvermögens179. Andere Ehehindernisse dieser Gruppe beschränken nur die Ehefähig176 PSTG § 36. Nur für einzelne (insbesondere alle landesgesetzlichen) Ehehindernisse ist in §§ 37 u. 38 reichsrechtlich verordnet, daß sie blos aufschiebende Wirkung haben. 177 Davon handeln wir in § 232. 178 Mangel der Ehemündigkeit, Geschäftsunfähigkeit. Natürlich auch manche unter den nachher unter dem Gesichtspunkt der religiösen Eheverbote zusammengefaßten Hindernisse, wie der Eigenschaft als Geistlicher, Mönch oder Nonne.
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keit, indem sie die Eheschließung einer Person an fremde Zustimmung binden. Sie zerfallen wiederum in solche, die aus einer privatrechtlichen Abhängigkeit der Willensentschließung von dem Konsens einer familienrechtlich übergeordneten anderen Person entspringen, und solche, die aus Gründen des öffentlichen Rechts den Konsens einer vorgesetzten Behörde erforderlich machen180. 2. Ein absolutes Ehehinderniß anderer Art ist ein bestehendes Eheband, das die Eingehung einer zweiten Ehe ausschließt. Dagegen ist das Ehehinderniß der anderweitigen Gebundenheit durch bloßes Verlöbniß dem geltenden deutschen Recht fremd181. 3. Einer dritten Gruppe gehören die Ehehindernisse der Verwandtschaft und Schwägerschaft an. Sie beruhen auf Verboten der Eheschließung zwischen Personen, die mit einander durch ein nahes Familienverhältniß personenrechtlich verbunden sind, wirken also ihrem Begriff nach relativ. Das BGB folgt im Allgemeinen der Tendenz der neueren Gesetzgebung, diese Ehehindernisse einzuschränken, und hat einige von ihnen überhaupt beseitigt182. 4. Besonderer Natur sind die relativen Ehehindernisse, die eine Eheschließung zwischen bestimmten Personen wegen einer sittlichen Verfehlung, die ihrer Vereinigung zu Grunde liegt, abwehren. Von ihnen gehört dem geltenden deutschen Recht das Ehehinderniß des Ehebruchs an183. Unter den gleichen Gesichtspunkt läßt sich das frühere Ehehinderniß der Entführung stellen184. 5. Zu einer fünften Gruppe fassen wir die Ehehindernisse zusammen, die im geltenden deutschen Recht nur auf Gründen der äußeren Ordnung beruhen185. 179 Ueber die Ausbildung des impedimentum impotentiae im kanonischen Recht vgl. v. Scherer § 115 S. 265 – 286. Das evangelische Kirchenrecht hielt es fest; Richter-Dove-Kahl § 274 II. Es ist dirimens, aber privatum; vgl. Seuff. XXXIX Nr. 114, XLII Nr. 302, RGer XXXIV Nr. 39. Von den neueren Gesetzbüchern kennt es das Oesterr. Gb. §§ 60, 100 – 102; auch der Code Ital. a. 107 und das spanische Gesetzbuch. Die anderen Gesetzbücher kennen es nicht; nur als Anfechtungsgrund wegen Irrtums kann eine dem anderen Teil unbekannte Impotenz erheblich werden, worüber das Sächs. Gb. § 1626 besondere Bestimmungen traf, vgl. unten § 237 Anm. 353. 180 Es liegt kein Grund vor, die letzteren auszuscheiden. Zum Teil haben sie freilich ihre Natur gewechselt, und manche sind in bloße Ordnungsvorschriften übergegangen. 181 Darüber unten § 233. 182 Darüber unten § 234. – Gleicher Natur ist das dem früheren Recht bekannte Verbot der Ehe zwischen dem Vormund oder dessen Kindern und dem Mündel, da es ebenfalls auf familienrechtlicher Verbundenheit beruht. Doch gehört, was von ihm übrig geblieben ist, zu den bloßen Ordnungsvorschriften. Wir kommen daher auf dasselbe in § 237 III zurück. 183 Vgl. unten § 235. Das im „impedimentum criminis“ des kanonischen Rechts mitenthaltene Ehehinderniß des Gattenmordes und das bisweilen ausgebildete Ehehinderniß der Lebensnachstellungen sind dort zu erwähnen. 184 Da nach dem BGB die Entführung nur insofern der Gültigkeit der Ehe entgegenstehen kann, als sie die Ehe zu einer erzwungenen macht, kommen wir auf das „impedimentum raptus“ nur bei der Darstellung der rechtsgeschäftlichen Ehehindernisse der Eheschließung in § 238 zurück.
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6. Ungleicher Beschaffenheit sind die ausschließlich religiös motivierten Ehehindernisse, die für das deutsche bürgerliche Recht schon durch das Personenstandsgesetz sämmtlich abgeschafft sind, jedoch nicht nur kirchenrechtliche Bedeutung behalten haben, sondern zum Teil auch von ausländischen staatlichen Gesetzen noch anerkannt werden. Einen Mangel der Ehefähigkeit begründen die kanonischen Ehehindernisse des Empfanges einer höheren Weihe (impedimentum ordinis) und der Ablegung des Keuschheitsgelübdes in einem päpstlich approbierten Mönchs- oder Nonnenorden (impedimentum voti solennis)186. Von den weltlichen Gesetzbüchern bekleidet noch heute das österreichische diese Ehehindernisse mit bürgerlichrechtlicher Wirkungskraft, indem es in § 13 bestimmt: „Geistliche, welche schon höhere Weihen empfangen, wie auch Ordenspersonen von beiden Geschlechtern, welche feierliche Gelübde der Ehelosigkeit abgelegt haben, können keine gültigen Eheverträge abschließen.“187 Den aus leiblicher Verwandtschaft entspringenden Ehehindernissen nachgebildet ist das Ehehinderniß der geistlichen Verwandtschaft (cognatio spiritualis), die nach kanonischem Recht durch Taufe und Firmung begründet wird188. Von erheblicher kirchenrechtlicher Bedeutung ist das von beiden Kirchen ausgebildete Ehehinderniß der Religionsverschiedenheit, das die Eingehung der Ehe 185 Unten § 237. Im früheren Recht hatten sie zum Teil, wie das Ehehinderniß der Wartezeit, eine andere Bedeutung. In bloße Andeutungsvorschriften sind auch einzelne bei den Mängeln der Ehefähigkeit zu besprechende Ehehindernisse übergegangen; oben Anm. 180. 186 Vgl. v. Scherer § 122. Es sind impedimenta publica dirimentia. Daneben besteht als aufschiebendes und dispensables Ehehinderniß das impedimentum voti simplicis; v. Scherer § 128. – Bis zum Personenstandsgesetz galten diese Ehehindernisse als gemeines Recht und waren für Bayern im Bayr. LR I, 6 § 8 Nr. 3 – 4 mit § 7 Nr. 5 und für K.Sachsen durch Sächs. Gb. § 1619 staatlich anerkannt. Dem preußischen und französischen Recht waren sie fremd. 187 Auch durch Austritt aus der katholischen Kirche erlangen (trotz des Ges. v. 25. Mai 1868) diese Personen nach feststehender, durch mehrfach erhobenen Widerspruch nicht erschütterten Praxis die Ehefähigkeit nicht zurück; vgl. Krainz-Pfaff-Ehrenzweig § 426 Anm. 23 und die bei v. Schey19 zu § 63 des Gb. angef. Erkenntnisse. – Mit dem österr. R. stimmt das spanische überein. 188 Ueber die Geschichte dieses (zuerst in 1.26 Cod. 5,4 von Justinian erwähnten) Ehehindernisses, das bereits in der fränkischen Zeit eine maßlose Ausdehnung erfuhr, im späteren kanonischen Recht den Gegenstand zahlreichen Distinktionen und Kontroversen bildete, dann aber durch das Tridentiner Konzil (24 ref.matr.c.2) wesentlich eingeschränkt wurde, vgl. v. Scherer § 117, Richter-Dove-Kahl. § 277 II. Nach geltendem katholischen Kirchenrecht besteht es nur noch zwischen dem Taufenden (praktisch bei der Nottaufe) und dem Tauf- oder Firmungspathen einerseits und den Getauften oder Gefirmten und dessen Eltern anderseits; es ist öffentlich und trennend, aber dispensabel. Für Evangelische fand nur das Eheverbot zwischen Taufpathen und Täufling in einige wenige Kirchenordnungen vorübergehend Aufnahme. Von den weltlichen Gesetzbüchern erkannte das Bayer. LR I, 6 § 9 Nr. 2 und das Sächs. Gb. § 1619 das Ehehinderniß an. Die übrigen Gesetzbücher (auch das oesterr.) kennen es nicht.
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zwischen Christen und Nichtchristen (Juden und Heiden) wegen des Mangels der vollen ehelichen Lebensgemeinschaft untersagt189. Es wurde bis zum Personenstandsgesetz auch von der staatlichen Gesetzgebung in Deutschland vielfach anerkannt190 und gilt noch heute nach einzelnen ausländischen Staatsgesetzen191. Das katholische Kirchenrecht behandelt auch die Konfessionsverschiedenheit bei Ehen zwischen Katholiken und getauften Nichtkatholiken als aufschiebendes Ehehinderniß und legt diese Auffassung dem gesammten kirchlichen Verhalten bei gemischten Ehen zu Grunde192. Beide Kirchen verbieten die Eheschließung in gewissen heiligen Zeiten,(besonders Advents- und Fastenzeit); doch handelt es sich dabei nur um ein aus Gründen der äußeren kirchlichen Ordnung eingeführtes aufschiebendes und dispensables Ehehinderniß (impedimentum temporis clausi)193. Nach katholischem Kirchenrecht können noch andere Ehehindernisse durch spezielle kirchliche Eheverbote (interdicta ecclesiae) begründet sein, die teils trennend, teils aufschiebend sind194. Dem evangelischen Kirchenrecht eigentümlich sind die Verbote der Wiederverheiratung eines als schuldig geschiedenen Ehegatten195. 189 Vgl. über die Entwicklung und Abgrenzung des öffentlichen und trennenden, aber dispensablen impedimentum disparitatis cultus im katholischen Kirchenrecht v. Scherer a. a. O. § 123. Ueber das evangelische Kirchenrecht Richter-Dove-Kahl § 279; dazu oben § 225 [fehlt]. 190 Vgl. Richter-Dove-Kahl a. a. O. Anm. 5. Insbesondere im Bayr. LR I, 6 § 8 Nr. 8 u. im Sächs. Gb. § 1617. Auch im Preuß. LR II, 1 § 36 (obschon in nicht ganz unzweideutiger Fassung); seit der Preuß. VU a. 12 galt es als beseitigt, bis zur Einführung der obligatorischen Zivilehe fehlte aber eine Eheschließungsform zwischen Christen und Nichtchristen (über Eheschließungen im Auslande vgl. oben Bd. I 235 Anm. 86). 191 So nach Oesterr. Gb. § 64. Das Ehehinderniß kann durch Glaubenswechsel vor der Eheschließung behoben werden, dagegen wird durch späteren Glaubenswechsel die Ehe nicht gültig, Vgl. Krainz-Pfaff-Ehrenzweig § 426 I 5. Auch dem portugies. R. ist es bekannt. Ueber die Frage der Anerkennung in Deutschland vgl. oben § 230 Anm. 160. 192 Ueber das „impedimentum mixtae religionis“ vgl. v. Scherer § 130. Die von der katholischen Kirche verlangten Zusicherungen (besonders hinsichtlich der Kindererziehung) sind Bedingungen des Dispenses. – Ueber die Stellungnahme der evangelischen Kirche vgl. oben § 225 [fehlt]. 193 Vgl. v. Scherer § 127; Richter-Dove-Kahl § 282 Anm. 31. Anerkannt im Bayr. LR I, 6 § 7 Nr. 2. 194 v. Scherer § 126 u. § 129. 195 Vgl. Richter-Dove-Kahl § 268 Anm. l0, § 287 Anm. 3, § 285 III, Friedberg, KR § 161 II; Sächs. Gb. § 1745 mit § 1606. Dieses Ehehinderniß war dispensabel. Es ist dem interdictum criminis verwandt. Vor Einführung der Zivilehe führte es, da es dem weltlichen Scheidungsrecht meist unbekannt war, zu Konflikten mit der Staatsgewalt. Anders geartet sind die Fälle, in denen die Kirche die nach weltlichem Recht zur Eingehung der Ehe erforderliche Trauung weigerte, weil sie den Grund, aus dem die bisherige Ehe dem Staatsgesetz gemäß geschieden war, nicht als Scheidungsgrund anerkannte. Denn hier sah sie die erste Ehe als fortbestehend an, und berief sich also auf das Ehehinderniß der Doppelehe. Ein Ehe-
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7. Eine letzte Gruppe bilden die Ehehindernisse der Standesverschiedenheit, die vom kanonischen Recht verworfen wurden196 und unter dessen Einfluß frühzeitig aus dem deutschen Recht überhaupt verschwanden197. Das im preußischen Landrecht und einigen anderen Gesetzen eingeführte Ehehinderniß der Standesverschiedenheit ist längst wieder beseitigt198.
§ 232. Mängel der Ehefähigkeit I. Ehemündigkeit Die Ehemündigkeit tritt nach geltendem deutschen Recht für den Mann erst mit der Volljährigkeit, für die Frau mit Vollendung des sechzehnten Lebensjahres ein. Eine Befreiung ist nur bei der Frau möglich. Ein Mann unter 21 Jahren erlangt die Ehemündigkeit nur durch Volljährigkeitserklärung, die ein Alter von mindestens 18 Jahren voraussetzt199. Nach ursprünglichem deutschen Recht deckte sich der Ehemündigkeitstermin mit dem allgemeinen Mündigkeitstermin200. Ebenso nach kanonischem Recht, das den römischen Pubertätstermin von 14 Jahren für Knaben und 12 Jahren für Mädchen festhielt, sowie nach dem hiermit übereinstimmenden gemeinen evangelischen Kirchenrecht201. Viele Partikularrechte forderten ein höheres Alter, ließen hinderniß besonderer Art ist das Verbot des Code civ. a. 295, daß geschiedene Ehegatten einander wieder heiraten; in Frankreich nach Ges. v. 27. Juli 1884 eingeschränkt auf den Fall, daß einer von ihnen eine andere Ehe geschlossen hat, die wieder geschieden ist. 196 Vgl. v. Scherer § 112 VII. Nur unter dem Gesichtspunkte des Irrtums über eine wesentliche Eigenschaft der Person ließ es den dem anderen Teil unbekannten Sklavenstand eines Teils ehetrennend wirken (impedimentum erroris conditionis servilis). 197 Im ursprünglichen germanischen Recht war der Unfreie, weil er des Volksrechts darbte, überhaupt zur Eingehung einer echten Ehe unfähig, eine solche daher auch zwischen ihm und einem Freien ausgeschlossen. (Die Unzulässigkeit einer Ehe zwischen Adligen und Gemeinfreien wird nur als altsächsisches Recht berichtet). Seit Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Unfreien waren standesungleiche Ehen durchweg echte Ehen und nur nach Maßgabe des Ebenbürtigkeitsprinzips [gemindert]; vgl. oben § 225 [fehlt]. – Das Erfordernis des Ehekonsenses des Herrn zu Ehen der von ihnen abhängigen Halbfreien, Hörigen und Unfreien oder später von Gutsuntertanen darf nicht, wie oft geschieht, mit den aus Standesverschiedenheit hergeleiteten Ehehindernissen zusammengeworfen werden. 198 Vgl. oben Bd. I 410 Anm. 31. 199 BGB § 1303 (mit § 32). 200 Vgl. oben Bd. I § 44 Anm. 2 – 7. Selbstmündigkeit ist nicht erforderlich. Noch der Sachsensp. I. a. 42 § 2 sagt, ein Kind könne seines Weibes Vormund sein, sobald es zu seinen Jahren gekommen ist, also 12 Jahre zählt, obschon es selbst noch unter Munt stehen kann. 201 Vgl. v. Scherer § 115 VIII; Richter-Dove-Kahl § 274 I; Friedberg, KR2 § 144 I. Dispensation ist nicht möglich (a.M. v. Scherer S. 289). – Ebenso nach Bayr. LR I, 6 § l0 und heute nach Oesterr. Gb. § 48, das jedoch auch bei Frauen 14 Jahre fordert; vgl. Krainz-PfaffEhrenzweig § 425 Z. 2.
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aber regelmäßig Befreiung zu202. Das Personenstandsgesetz bestimmte für die Frau das Gleiche wie das BGB, setzte dagegen für den Mann das Ehemündigkeitsalter unabhängig von der Volljährigkeit auf 20 Jahre fest und gestattete auch bei ihm Befreiung203. Auch nach ausländischen Staatsgesetzen gilt meist ein erheblich über die Zeit der Geschlechtsreife heraufgesetzter Ehemündigkeitstermin204. Der Mangel der Ehemündigkeit ist nach dem BGB ein nur aufschiebendes Ehehinderniß205, während er nach bisherigem Recht regelmäßig trennendes Ehehinderniß war und auch im ausländischen Recht diesen Charakter gewahrt hat206. Hohes Alter ist als solches kein Ehehinderniß207.
202 So das Preuß. LR § 37 für Männer auf 18, für Frauen auf 14 Jahre; durch Ges. v. 21. Dez. 1872 auf die ganze Monarchie erstreckt. Der Code civ. a. 144 u. das Bad. LR auf 18 und 15 Jahre, das Sächs. Gb. § 1589 auf 21 und 16 Jahre. Das Württ. R. forderte bei Männern 25, seit 1865 noch 23, seit 1873 nur 21 Jahre. In Hessen-Darmstadt, Hamburg, S. Altenburg und S. Gotha galt für Männer das Großjährigkeitsalter. Von allen diesen Vorschriften war Dispensation möglich. Doch wurde die seltsame Bestimmung, nach der das Vormundschaftsgericht einem jüngeren Mann die Ehe gestatten, in diesem Falle aber, wenn der Mann 18 Jahre geworden war, die Eheschließung binnen 6 Monaten widerrufen werden konnte (Anh. § 66), i. J. 1872 aufgehoben. 203 PStG § 28. Volljährigkeitserklärung ersetzt die Befreiung nicht. 204 Die Altersgrenze des Code civ. von 18 und 15 Jahren gilt auch nach Cod. Ital.a. 55, Bulg. u. Rumän. R. Das Niederländ., Russ., Portugies. u. Ungar. R. (seit 1894) haben 18 und 16, das Dän. R. 20 und 16, das Schweiz. ZGB a. 961 20 und 18 (vorher 18 u. 16) Jahre. Dispensation ist meist zulässig. Jedoch nach Schweiz. ZGB a. 962 nur in außerordentlichen Fällen aus schwerwiegenden Rücksichten mit Zustimmung der Eltern oder des Vormundes bei einem Mindestalter von 18 bezw. 17 Jahren. 205 Natürlich kann die Ehe wegen Geschäftsunfähigkeit nichtig oder wegen Mangels der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters anfechtbar sein. Ein Kind von 8 Jahren aber wäre, wenn der gesetzliche Vertreter zustimmte und der Standesbeamte die Mitwirkung nicht versagte, gültig verheiratet! Blos aufschiebendes Ehehinderniß war die Eheunmündigkeit auch nach Sächs. Gb. § 1586 und einigen anderen deutschen Partikulargesetzen. 206 Nach kanon. R. impedimentum pubIicum dirimens (jedoch nicht bei tatsächlich vor dem Pubertätstermin eingetretenen Geschlechtsreife); vgl. v. Scherer S. 288. Ebenso nach Code civ. u. Bad. LR a. 184 – 187. Nach Preuß. ALR §§ 970, 990 ff. privates trennendes Hinderniß. – Die ausländischen Gesetze halten durchweg an der Ungültigkeit der Eheschließung fest, weichen aber von einander in Bezug auf die Geltendmachung des Mangels und die Konvaleszenz der Ehe mannigfach ab. Vielfach kann die Ehe nicht mehr annulliert werden, wenn die Frau schwanger geworden ist; Code civ. a. 185, Cod. Ital. a. 110. Das Schweiz. ZGB a. 128 erklärt die Ehe für anfechtbar, gestattet jedoch die Anfechtung nur dem Muntwalt, der nicht zugestimmt hat, und nicht mehr, wenn inzwischen die Ehemündigkeit eingetreten oder die Frau schwanger geworden ist. 207 Nach Ruß. R. ist eheunfähig, wer über 80 Jahre alt ist. Ueberall aufgehoben sind vereinzelte ältere Gesetzesbestimmungen, welche die Ehe bei großem Altersunterschiede oder überhaupt bei höherem Alter der Frau verboten; vgl. 1. Visig. III, 1, 4, Württemb. Gewohnheitsrechte, weitere Zitate b. Scherer § 116 Anm. 131.
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II. Geschäftsfähigkeit 1. Das geltende deutsche Recht fordert zur Eingehung einer gültigen Ehe im Einklange mit den für andere Verträge geltenden Grundsätzen Geschäftsfähigkeit beider Teile. a) Geschäftsunfähigkeit eines Teiles macht die Ehe nichtig; somit ist, wer das siebente Jahr nicht vollendet hat, wer sich dauernd in einem die freie Willensbestimmung ausschliessendem Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet oder wer wegen Geisteskrankheit entmündigt ist, überhaupt eheunfähig208. b) Beschränkte Geschäftsfähigkeit eines Teils macht die Ehe für ihn anfechtbar, wenn er sie ohne Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters geschlossen hat209. Wer minderjährig, wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht entmündigt oder vorläufig unter Vormundschaft gestellt ist, bedarf zur Eheschließung der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters210. Ist der gesetzliche Vertreter ein Vormund oder Pfleger, so kann die von ihm verweigerte Einwilligung durch das Vormundschaftsgericht auf Antrag des Mündels ersetzt werden und soll ersetzt werden, wenn die Eingehung der Ehe im Interesse des Mündels liegt. Dagegen ist die Einwilligung des Vaters oder der Mutter mit elterlicher Gewalt unersetzbar211. 2. Das bisherige Recht gieng von anderen Grundsätzen aus, die im ausländischen Recht fortwirken. Ueberall zwar wurde und wird ein die freie Willensbestimmung völlig ausschließender Mangel der Willensfähigkeit als trennendes Ehehinderniß behandelt212. Dagegen bildete und bildet die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit als solche kein selbständiges Ehehinderniß213. Vielmehr erscheint die BGB § 1325 mit § 104. BGB § 1331. Der Eheschließungsvertrag ist also nicht, wie andere Verträge nach § l08, bedingt wirksam, ein Schwebezustand tritt nicht ein. 210 BGB § 1304 mit §§ l06 u. 114. Minderjährigkeit kommt, da der minderjährige Mann eheunmündig ist, regelmäßig nur auf Seiten der Frau in Betracht. Schließt aber ein minderjähriger Mann eine unkonsentierte Ehe, so ist § 1304 ebenfalls anwendbar; oben Anm. 205. 211 Ist der Vater oder die Mutter Vormund eines entmündigten volljährigen Kindes, so kann das Vormundschaftsgericht die Einwilligung ersetzen. 212 Vgl. über das kanon. R. v. Scherer § 112 IV. Ferner Preuß. ALR § 39; Code civ. a. 146; Oesterr. Gb. § 48; Sächs. Gb. § 1592; Schweiz. ZGB a. 97 (erforderlich ist „Urteilsfähigkeit“, „Geisteskranke“ aber sind in keinem Falle ehefähig; vgl. dazu Egger Bem. 1. u. 2.). Nach gemeinem R. und den meisten Gesetzen sah man die Eheschließung eines Geisteskranken in lichten Zwischenräumen sogar im Falle seiner Entmündigung als gültig an. Anders, wo die Entmündigung als solche eheunfähig macht, wie nach Preuß. LR. Nach Oesterr. Gb. § 49 ist die Entmündigung ein selbständiges Hinderniß, das aber nur Konsensbedürftigkeit der Ehe bewirkt, so daß wenn die Voraussetzung des § 48 nicht erfüllt ist, Eheschließung möglich bleibt; vgl. Krainz-Pfaff-Ehrenzweig § 425 I, v. Scherer § 112 Anm. 289. Für das französ. R. ist Streit. – Nach fast allen Gesetzen ist die Ehe nichtig, nur nach Sächs. Gb. § 1623 und einigen thüring. Ges. (vgl. Friedberg2 § 141 Anm. 6) blos anfechtbar. 213 Nur das Oesterr. Gb. § 49 spricht gleich dem BGB das entgegengesetzte Prinzip aus. Im Erfolge auch das Schweiz. ZGB a. 98 u. 99. 208 209
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Bindung von Eheschließungen an den Konsens familienrechtlich übergeordneter Personen als Ausfluß der familienrechtlichen Verbundenheit und dient daher in erster Linie den Interessen der Familie, die zu hüten die Konsensberechtigten berufen sind. Erst im Laufe der Entwicklung trat der Gesichtspunkt der Fürsorgebedürftigkeit einer in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkten Person, deren Willensentschluß in ihrem eigenen Interesse der Ergänzung bedarf, mehr und mehr in den Vordergrund. Die geschichtliche Grundlage des geltenden deutschen Rechtes bildet daher das einheitliche Eheerfordernis der elterlichen Einwilligung. Das kanonische Recht überließ die Aufstellung dieses Erfordernisses dem weltlichen Recht und verlangte dessen Beachtung. Je mehr indessen die Auffassung der Ehe als Sakrament durchdrang, desto entschiedener führte die katholische Kirche den Satz durch, daß der Mangel des elterlichen Konsenses nur ein aufschiebendes Ehehinderniß bilde214. Das klassische kanonische Recht stimmte hierin mit dem Rechte des deutschen Mittelalters überein215. Denn dieses forderte zwar in mancherlei Abstufungen zur Eheschließung hausangehöriger Kinder die Zustimmung des Vaters oder der Mutter oder auch beider216, behandelte aber die ohne diese Zustimmung geschlossene Ehe als gültig217. Das evangelische Kirchenrecht trat in scharfen Gegensatz zum kanonischen Recht und erhob den Mangel des Elternkonsenses zum trennenden Ehehinderniß218. Die neueren staatlichen Gesetze bildeten das Erforderniß der
214 Vgl. v. Scherer § 131 I; Richter-Dove-Kahl § 272 I; Friedberg, Eheschließung S. 105 ff., KR2 § 141 II; R. Koestler, Die väterliche Ehebewilligung, 1908 (Stutz, Kirchenrechtl. Abh. H. 51). Anfangs betrachtete die Kirche im Anschluß an das röm. R. die Eheschließung ohne Konsens des paterfamilias als ungültig. Dann behandelte sie unter dem Einfluß des germanischen Rechts die Mitwirkung des Vaters insoweit als wesentlich, als dies bei der Ehe der Tochter aus seiner Munt folgte. Allein schon seit dem 12. Jahrh. begann der Ausbau der neuen Lehre, die nach mancherlei Schwankungen im 13. Jahrh. zur Herrschaft gelangte und vom Tridentiner Konzil sess. XXIV c. 1 de ref. matr. bestätigt wurde. 215 Ueber das germanische Recht der früheren Zeit vgl. Koestler a. a. O. S. 32 ff. u. 169 ff., auch ZfRG XLII 78 ff. Eine echte Ehe kam nur durch Uebertragung der Munt seitens des Muntwalts der Braut zu Stande. Doch wurde überwiegend eine wider den Willen des Muntwalts geschlossene Ehe zwar als strafbar und minderwirksam, aber doch als gültig behandelt. Ueber das deutsche Recht im MA Stobbe-Lehmann IV § 315 II; Fehr, Die Rechtsstellung der Frau und der Kinder in den Weistümern, 1912, S. l06 ff.; Frensdorff in den oben § 228 Anm. 1 angef. Abh. S. 316 ff. 216 Nicht nur bei Töchtern, sondern auch bei Söhnen; bald nur bis zur Mündigkeit, bald bis zu einer bestimmten höheren Altersgrenze oder bei Töchtern sogar lebenslänglich. Die meisten Quellen erwähnen überdies die Zustimmung der Blutsfreunde; erforderlich ist sie vielfach, wenn beide Eltern verstorben sind, bisweilen schon, wenn nur der Vater oder die Mutter noch lebt. Vgl. Stobbe-Lehmann a. a. O. S. 402 ff., Frensdorff a. a. O. S. 319 ff. 217 Stobbe-Lehmann a. a. O. S. 405 ff., Fehr a. a. O. S. 108 ff. Es treten nur Strafen und Zurücksetzungen im Erbrecht oder sonstige Vermögensnachteile ein. 218 So auf Grund der Aussprüche Luthers und der anderen Reformatoren die meisten Kirchenordnungen. Jedoch keineswegs alle. Vgl. Richter-Dove-Kahl a. a. O. Anm. 12 – 14; Friedberg, Eheschließung S. 105 ff.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
elterlichen Einwilligung in sehr verschiedener Weise aus, indem sie die Einwilligung bald nur des Vaters und in Ermangelung eines solchen der Mutter, bald beider Eltern, vielfach auch bei elternlosen Kindern der Großeltern forderten219 und den Wegfall der Beschränkung zum Teil an den Eintritt der Volljährigkeit, zum Teil an die Erlangung eines bestimmten Lebensalters knüpften220. Auch giengen sie hinsichtlich der Zulassung richterlicher Ergänzung des versagten Konsenses auseinander221. Und vor Allem behandelten einige Gesetze den Mangel der geforderten Einwilligung nach wie vor nur als aufschiebendes, andere als trennendes Ehehinderniß222. Das Personenstandsgesetz schuf insofern einheitliches Recht, als es das 219 Nur des Vaters kraft väterlicher Gewalt lediglich das Oesterr. Gb. § 49 und einige bayr. Statutarrechte (Roth § 49 Anm. 37). Des Vaters und eventuell der Mutter das Preuß. LR §§ 45 – 49. Beider Eltern, jedoch meist mit entscheidendem Wort des Vaters, Bayr. LR I, 6 § 4, Code civ. a. 148, Sächs. Gb. § 1600 mit § 1571, Württ. R. u. zahlreiche andere deutsche Partikularrechte (Stobbe-Lehmann § 315 Anm. 25, Hinschius, Komm. zum PStG3 S. l03 Anm. 84 Z. 3); ebenso jetzt (abweichend vom früheren Recht) Schweiz. ZGB a. 98. Bei elternlosen Kindern der Großeltern, meist mit Vorrang des Großvaters und der väterlichen Linie, Bayr. LR I, 6 § 4 Nr. 5, Preuß. LR §§ 50 – 52, Code civ. a. 150, 158, Sächs. Gb. § 1600 mit § 1571, Bad. Ges. v. 21. Dez. 1869 § 76, andere deutsche Partikularrechte b. Stobbe-Lehmann Anm. 39. 220 Nach Preuß. LR §§ 45 – 46 u. 49 – 50 bedürfen Söhne bis zur Großjährigkeit, Töchter lebenslänglich der Einwilligung des Vaters, auch wenn sie aus der väterlichen Gewalt entlassen oder verheiratet gewesen sind, während die Einwilligung der Mutter bei vaterlosen und der Großeltern bei elternlosen Kindern nur, so lange sie minderjährig sind, erforderlich ist. Der Code civ. a. 148 – 150 verlangt den elterlichen oder großelterlichen Konsens bei Söhnen unter 25 (nach französ. Ges. v. 21. Juni 1907 nur noch 21) und bei Töchtern unter 21 Jahren; doch müssen nach a. 151 – 155 ältere Kinder durch einen acte respectueux et formel den Rat der Eltern oder Großeltern bis zu 30 bezw. 25 Jahren dreimal, von da an einmal erbitten; vgl. Zachariae-Crome § 437, 2. Feste Altersgrenzen finden sich auch im Bayr. LR I, 6 § 4 Nr. 6 – 7, in der Nürnb. Ref. v. 1564 XXVIII 9, der Frankf. Ref. III, 8 § 9, dem Jül.-Berg. R. c. 3, sowie in ausländischen Gesetzen (Friedberg a. a. O. Anm. 21). Keine Altersgrenzen haben das Sächs. Gb. und einige thüring. Ges. (Friedberg a. a. O. Anm. 23). Lediglich die Großjährigkeit entscheidet nach Oesterr. Gb. § 49 u. Schweiz. ZGB a. 98. 221 Die meisten Gesetze bestimmen, daß die Einwilligung nur aus erheblichen Gründen verweigert werden darf, zählen solche Gründe auf und übertragen die Ergänzung des grundlos verweigerten Konsenses dem ordentlichen Richter; so Preuß. LR §§ 58 – 68, Oesterr. Gb. §§ 52 – 53, Sächs. Gb. §§ 1602 – 1603. Dagegen kennt das französ. R. keine Konsensergänzung. – Vgl. v. Sicherer, Komm. zum PStG § 32 S. 191 ff. 222 Gültigkeit der unkonsentierten Ehe, wie das gemeine kathol. und vielfach auch evangel. Kirchenrecht, bestimmen Bayr. LR I, 6 § 4 (mit nachdrücklichen Strafandrohungen), manche älteren Partikularrechte (vgl. v. Sicherer, Komm. zum PStG S. 235 Anm. 17), das Sächs. Gb., so Altenb. Ehe-O. v. 13. Mai 1837 § 32, Brem. Ges. v. 31. Okt. 1875 § 1. Nichtigkeit viele ältere Partikularrechte (v. Sicherer a. a. O. S. 236 ff. Anm. 19 – 26). Anfechtbarkeit manche andere ältere Partikularrechte (v. Sicherer a. a. O. S. 237 ff. Anm. 27 – 31), Code civ. a. 182 (seitens des Konsensberechtigten wie des Konsensbedürftigen mit den Einschränkungen des a. 183), Bad. LR (dem PStG angepaßt durch Ges. v. 9. Dez. 1875), Sächs. Gb. v. 5. Nov. 1875 (unter Abänderung des Sächs. Gb.). Ebenso Anfechtbarkeit („Ungültigkeit“) bei Söhnen unter väterlicher Gewalt und bei minderjährigen Töchtern das Preuß. ALR § 972 (jedoch nur seitens des Konsensberechtigten), während nach § 797 sonst die Ehe gültig bleibt. Je nach gewissen Umständen Ungültigkeit oder Gültigkeit viele deutsche Partikularrechte
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Einwilligungsrecht dem Vater und erst nach dessen Tode oder im Falle seiner dauernden Verhinderung, sowie bei unehelichen Kindern der Mutter zusprach, durchweg eine Altersgrenze von 25 Jahren für Söhne und von 24 Jahren für Töchter zog und großjährigen Kindern stets eine Klage auf richterliche Ergänzung der versagten Einwilligung gewährte223. Im Uebrigen ließ es die bunte Rechtsverschiedenheit, insbesondere (§ 36) die ungleiche Wirkungskraft des Konsensmangels, bestehen224. Die Einwilligung eines Vormundes forderte das gemeine deutsche Recht in Uebereinstimmung mit dem römischen Recht nicht225. Auch die neuere staatliche Gesetzgebung führte das Erfordernis des vormundschaftlichen Konsenses keineswegs allgemein ein226. Ueberwiegend indessen verlangte sie, seitdem neben dem Gesichtspunkte des Eltern- und Verwandtenrechts auf Verhinderung ungeeigneter Heiraten der jüngeren Familienangehörigen der Gesichtspunkt der Ergänzungsbedürftigkeit des Willensentschlusses unvollkommen handlungsfähiger Personen selbständige Bedeutung erlangte, zur Eheschließung minderjähriger bevormundeter Personen die Einwilligung des Vormunds227 und vielfach auch des Vormund(v. Sicherer S. 244 – 247); vgl. RGer XLII Nr. 63. Anfechtbar ist die unkonsentierte Ehe auch nach Oesterr. R. (Krainz-Pfaff-Ehrenzweig § 430 I 2 b, Code. Ital. a. 108, Schweiz. ZGB a. 128 (wie bei Eheunfähigen, vgl. oben Anm. 8). 223 PStG §§ 29, 30 – 32. Damit wurden alle weitergehenden Beschränkungen (insbesondere das Konsensrecht der Mutter neben dem Vater und der Großeltern und die Konsensbedürftigkeit von Kindern höheren Alters) beseitigt. – Ueber den Einfluß auf das rhein. R. vgl. RGer XLII Nr. 78. 224 Ungleiches Recht galt auch in Bezug auf die Frage, ob neben der Einwilligung der Mutter die eines Vormundes zu fordern sei, fort. Ferner nach § 31 hinsichtlich des Konsensrechtes bei angenommenen Kindern, indem einerseits die Bestimmung, daß an Stelle des Vaters der Wahlvater tritt für die Gebiete des französ. u. bad. Rechts, in denen die Adoption keine väterliche Gewalt begründet, ausdrücklich für unanwendbar erklärt wurde, andererseits das für den Fall der Aufhebung der Adoption meist den leiblichen Eltern vorbehaltene Einwilligungsrecht unversehrt blieb; vgl. über das frühere Recht und die durch § 31 veranlaßten Streitfragen die Komm. von Hinschius und v. Sicherer (hier S. 184 ff. auch über die an § 47 Preuß. ALR II, 1 anknüpfenden Kontroversen). Endlich blieben auch die ungleichen Bestimmungen der Landesrechte über die Gründe der Versagung des Konsenses in Kraft; vgl. Hinschius zu § 32 Anm. 6 Z. 4, v. Sicherer S. 193 ff. 225 Nach ursprünglichem deutschen Recht mußte natürlich der Vormund vaterloser Mädchen als Muntwalt mitwirken. Die Meinung von Fehr a. a. O. S. 189 u. 197, daß im späteren Mittelalter allgemein der Altersvormund ein Ehebewilligungsrecht gehabt habe, wird durch die von ihm angezogenen Weistümer nicht bestätigt; bezeugt ist nur, daß in Ermangelung von Eltern stets die nächsten Blutsfreunde (und später auch die Obrigkeit) mitzuwirken hatte. 226 Nach Code. civ. a. 160 bedarf es bei minderjährigen Kindern ohne Eltern und Großeltern der Zustimmung eines Familienrats; nur bei nicht anerkannten unehelichen Kindern (die anerkannten sind durch a. 158 den ehelichen gleichgestellt) wird nach a. 159 ein tuteur ad hoc zur Ehebewilligung bestellt. 227 Vgl. Preuß. LR §§ 49 u. 53, Oesterr. Gb. § 49, Sächs. Gb.§ 1599, andere neuere staatliche Gesetze b. Friedberg KR2 § 141 Anm. 36 – 38. Der Konsens der Mutter bleibt nach dem Preuß. LR § 49 und den meisten anderen Gesetzen daneben erforderlich. – Wo seit der Reformation in protestantischen Ländern hinter oder neben den nächsten Blutsfreunden der Vor-
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
schaftsgerichts228. Die meisten Gesetzbücher bestimmten folgerichtig das Gleiche für entmündigte Volljährige229. Das Personenstandsgesetz forderte allgemein zur Eheschließung elternloser Minderjähriger die Einwilligung des Vormundes, sah aber bei solchen Minderjährigen, die nach Landesrecht einer Vormundschaft nicht unterliegen, von diesem Erfordernis ab230 und überließ dem Landesrecht die Bestimmung der Wirksamkeit einer Vormundschaftsbehörde oder eines Familienrats231. Die Rechtsverschiedenheit in Ansehung des Einflusses des Konsensmangels auf die Gültigkeit der Ehe ließ es auch hier unberührt232. Das landesrechtliche Erfordernis aber der vormundschaftlichen Einwilligung zur Eheschließung entmündigter Volljähriger hob es auf233. Das BGB hat die Entwicklung zum Abschluß gebracht. Allein es hat, während es als wesentliches Erfordernis der Eheschließung lediglich die Geschäftsfähigkeit behandelt, sich nicht entschlossen, mit der Anschauung, daß das innige Band zwischen Eltern und Kindern als solches für jene einen Anspruch auf Unterlassungen ungeeigneter Eheschließungen begründet, völlig zu brechen und deshalb daneben ein selbständiges, jedoch unwesentliches Erfordernis der elterlichen Einwilligung aufgestellt234. mund konsentieren soll, überwiegt noch das Familieninteresse. Vgl. die reformierten Ordnungen in der Schweiz b. Huber IV 322 ff. Ebenso in den Bestimmungen des Bayr. LR I, 6 § 4 Nr. 7 – 8. – Das Schweiz. ZGB a. 98 fordert die Einwilligung des Vormundes nur bei elternlosen minderjährigen Kindern. 228 So Preuß. LR § 54 (dazu §§ 57 u. 89 u. 72); Oesterr. Gb. §§ 49 – 50; Sächs. Gb. § 1921; thüring. Ges. b. Friedberg a. a. O. Anm. 36. 229 Preuß. LR § 55 (für Verschwender); Oesterr. Gb. § 49, Sächs. Gb. § 1599, Schweiz. Gb. a. 98. – Gemeinrechtlich kam die Entmündigung nicht in Betracht. Geisteskrankheit machte als solche überhaupt eheunfähig (oben Anm. 212). Soweit aber der Entmündigte ehefähig bleibt, wie namentlich regelmäßig der Verschwender, kann er ohne Zustimmung seines Vormundes heiraten. 230 PStG § 292 – 4 und für uneheliche Kinder § 30. In vielen Rechtsgebieten blieb soweit der Konsens der überlebenden Mutter ausreichend; vgl. die eingehende Darstellung bei v. Sicherer zu § 29 Bem. VIII S. 159 – 165. In manchen auch bei unehelichen Kindern der Konsens der Mutter, ebd. zu § 30 S. 177 – 178. 231 PStG § 295. Es blieben also sowohl die landesgesetzlichen Vorschriften, die eine Genehmigung der Ehebewilligung des Vormundes forderte, wie die, nach denen die Behörde an Stelle des Vormundes erteilen konnte, in Kraft; v. Sicherer zu § 29 Bem. IX S. 165 – 172. Ebenso mit gewissen Modifikationen die Bestimmungen des französ. Rs. und des (seit dem Ges. v. 5. Juli 1875 davon abweichenden) badischen Rechts über die Zuständigkeit des Familienrats; v. Sicherer zu § 29 Bem. X S. 172 – 175 u. zu § 30 S. 179 – 181. 232 Im Allgemeinen galt für den Mangel des vormundschaftlichen Konsenses, wo er erforderlich war, Gleiches wie für den Mangel der elterlichen Einwilligung. Doch begegnen Abweichungen. Insbesondere war nach gem. evangel. Kirchenrecht und einzelnen Gesetzen dieser Mangel im Gegensatz zu dem des Elternkonsenses nur aufschiebendes Ehehinderniß; v. Sicherer zu § 36 S. 241, 242. Der bloße Mangel der obervormundschaftlichen Genehmigung galt meist (so auch in Preußen nach Ents. des O.Trib. v. 3. Febr. 1848 u. RGer in Str. S.V Nr. 118) nur als aufschiebendes Ehehinderniß. 233 Nach § 39. Bis zum 1. Jann.1900 bedurften also namentlich entmündigte Verschwender in ganz Deutschland keines Konsenses.
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III. Elterliche Einwilligung Das Kind bedarf bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres der elterlichen Einwilligung235. Bei Söhnen kommt somit das Erfordernis überhaupt nur in Frage, wenn sie durch Volljährigkeitserklärung die Ehemündigkeit erlangt haben. Das Einwilligungsrecht hat bei einem ehelichen Kinde der Vater und nach seinem Tode die Mutter, bei einem unehelichen Kinde die Mutter, die es jedoch im Falle der Ehelichkeitserklärung des Kindes endgültig verliert, bei einem angenommenen Kinde der Annehmende oder, falls es von einem Ehepaar gemeinschaftlich angenommen oder leibliches Kind des anderen Ehegatten ist, der Wahlvater und nach seinem Tode die Wahlmutter236. Dem Tode des Vaters oder der Mutter steht es gleich, wenn sie zur Abgabe einer Erklärung dauernd außer Stande sind oder wenn ihr Aufenthalt dauernd unbekannt ist237. Das Einwilligungsrecht besteht unabhängig von der elterlichen Gewalt und überdauert sogar deren Verlust durch Verwirkung; es beruht auf der vom Kinde geschuldeten Ehrerbietung, zugleich aber auch auf den Vermögensinteressen der Eltern. Wenn der Vater oder die Mutter gesetzlicher Vertreter ist, wird es durch ihr Einwilligungsrecht kraft Vertretungsmacht aufgezehrt. Sonst besteht es neben dem Einwilligungsrecht des gesetzlichen Vertreters oder, wo es an einem solchen fehlt, für sich allein238. Das Einwilligungsrecht ist ein höchstpersönliches Recht. Es kann nicht durch einen Vertreter ausgeübt, wenn schon durch einen Vertreter erklärt werden. Der beschränkt geschäftsfähige kann es selbständig ausüben. Entscheidend ist der 234 Hiermit steht es allein. Auch das Oesterr. und das neue Schweiz. R. kennen keine Verdoppelung des Erfordernisses, halten vielmehr das Erfordernis dort der väterlichen, hier der elterlichen Einwilligung nur im Rahmen der Vertretungsgewalt aufrecht. 235 BGB §§ 1305 – 1308. Die Entw. I-III forderten sie bis zu 25 Jahren. Nach der im Reichstage beschlossenen Herabsetzung der Altersgrenze auf 21 Jahre hat das Erfordernis nur noch geringe Bedeutung bewahrt und verdient kaum die eingehende Regelung, die ihm zu Teil geworden ist. Seiner Streichung stand hauptsächlich der Wunsch entgegen, der unehelichen Mutter nicht jeden Einfluß auf die Eheschließung zu entziehen; ihr hätte aber durch Spezialbestimmung geholfen werden können. 236 BGB 13051 u. 13061. Der Vater, der sein Stiefkind an Kindesstatt annimmt, erlangt das Einwilligungsrecht, die Mutter, die ihr Stiefkind annimmt, erwirbt es erst nach dem Tode des Vaters. Die leiblichen Eltern des angenommenen Kindes erlangen nach § 1306 das Einwilligungsrecht auch durch Aufhebung des Annahmeverhältnisses nicht zurück; über abweichendes bisheriges Recht vgl. oben Anm. 26. 237 BGB § 13052. (So schon Preuß. LR § 56 u. PStG § 293). Das Einwilligungsrecht geht also in diesem Falle vom verhinderten Vater auf die nicht verhinderte Mutter über, während es sonst erlischt. 238 Praktische Bedeutung hat es somit vor Allem für die uneheliche Mutter, deren Konsens neben dem des Vormundes erforderlich ist, und bei ehelichen Söhnen und Töchtern, die für volljährig erklärt sind und eines Vertreterkonsenses überhaupt nicht bedürfen. Außerdem kann es bei minderjährigen Töchtern neben dem Einwilligungsrecht eines Vormundes oder Pflegers wirksam werden, wenn ein solcher wegen Entkräftung der elterlichen Gewalt bestellt ist.
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Augenblick der Eheschließung, so daß z. B., wenn der Vater nach erteilter Einwilligung vor der Eheschließung verstirbt, die Mutter noch die Einwilligung versagen kann239. Wird die elterliche Einwilligung verweigert, so kann sie, wenn das Kind volljährig (nämlich für volljährig erklärt) ist, auf dessen Antrag vom Vormundschaftsgericht ersetzt werden. Das Vormundschaftsgericht hat sie zu ersetzen, wenn sie ohne wichtigen Grund verweigert wird. Es soll vor der Entscheidung tunlichst Verwandte oder Verschwägerte des Kindes hören240. Der Mangel der elterlichen Einwilligung ist nur ein aufschiebendes Ehehinderniß. Die ohne oder wider den Willen des Vaters oder der Mutter geschlossene Ehe ist, falls das Kind geschäftsfähig ist oder bei einem beschränkt geschäftsfähigen Kinde der gesetzliche Vertreter eingewilligt hat, gültig. Rechtsnachteile treten nur für Töchter ein241. IV. Dienstherrliche Einwilligung Das BGB erkennt als aufschiebendes Ehehinderniß den Mangel einer dienstlichen Erlaubniß teils nach reichsrechtlichen teils nach landesrechtlichen Vorschriften an242. 1. Militärpersonen (einschließlich der Militärbeamten) bedürfen nach Reichsrecht der Erlaubniß der vorgesetzten Militärbehörde243. 2. Landesbeamte (unmittelbare und mittelbare Staatsbeamte, Geistliche, Lehrer) dürfen eine Ehe nicht ohne dienstliche Erlaubniß eingehen, insoweit das Landesrecht eine solche verlangt. In Preußen und einigen anderen Staaten sind alle früher geltenden derartigen Vorschriften aufgehoben244. Dagegen wird in den übrigen 239 A. M. Wolff § l0 II 3, der aber praktisch zu demselben Ergebnis gelangt, da er mit Recht die Einwilligung für frei widerruflich hält (so auch RGer b. Seuff. LXVIII Nr. 217), das Widerrufsrecht aber mit dem Einwilligungsrecht übergehen läßt. 240 BGB § 1308. Ein wichtiger Grund kann nicht blos, wie im Falle des § 13042 darin liegen, daß die Ehe im Interesse des Kindes unerwünscht ist, sondern auch darin, daß sie dem Interesse der Eltern widerstreitet; vgl. für das frühere Recht RGer b. Seuff. L Nr. 92. Die minderjährige Tochter kann die elterliche Einwilligung niemals erzwingen. – Die im PStG § 32 gewährte Klage auf richterliche Ergänzung ist abgeschafft. 241 Nach BGB § 16211 u. § 1661. Die im bisherigen Recht fast allgemein angedrohten erbrechtlichen Nachteile kennt das BGB nicht. 242 BGB § 13151. Ebenso schon PStG § 381. 243 RMilG v. 2. März 1874 § 40 (mit § 38 A u. § 60 Nr. 4); dazu Preuß. AL §§ 34 – 35 u. Anh. § 65 (aufrecht erhalten durch Preuß. AG zum BGB a. 89 Z. 1c). 244 Preuß. AG z. BGB a. 42. Ebenso in Hessen, Anhalt, Waldeck, Lippe, den freien Städten und Elsaß-Lothringen, sowie in Sachsen mit alleiniger Ausnahme von Volksschulamtskandidaten. – Für Reichsbeamte hat schon das Reichsbeamtengesetz alle Beschränkungen beseitigt.
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Staaten bei manchen Beamtenklassen und in einzelnen Staaten sogar bei allen Staatsbeamten die dienstherrliche Erlaubniß noch gefordert245. V. Polizeiliche Erlaubniß Im älteren deutschen Recht bedurften Halbfreie und Hörige und, seitdem sie überhaupt ehefähig geworden waren, Unfreie zur Eheschließung der Einwilligung ihrer Herrn246. Seit der Entwicklung der Grund- oder Gutsherrschaft zu einer niederen Obrigkeit gieng der aus privatrechtlichem Herrschaftsverhältniß entsprungene Ehekonsens in eine öffentlichrechtlich beschaffene Erlaubniß über247, die in der Zeit des Polizeistaates verallgemeinert wurde, so daß in immer weiterem Umfange die Eheschließung von einer polizeilichen Gestattung der Gutsobrigkeit, der Gemeinde oder des Staates, abhängig gemacht wurde. In neuerer Zeit wurden die polizeilichen Beschränkungen der Eheschließung ermäßigt, indem die Versagung der Erlaubniß nur noch aus bestimmten Gründen zugelassen wurde248, oder ganz beseitigt249. Durch das später zum Reichsgesetz erhobene Gesetz des Norddeutschen Bundes v. 4. Mai 1868 wurden sie überhaupt aufgehoben. Kraft eines bayrischen Reservatrechts aber, das auch dem BGB gegenüber Kraft behalten hat, gilt das Reichsrecht nicht im rechtsrheinischen Bayern. Hier wird ein von der Distriktsverwaltungsbehörde ausgestelltes Verehelichungszeugniß gefordert, gegen dessen Erteilung die Heimatsgemeinde des Bräutigams Einspruch erheben kann, wenn gesetzlich umschriebene Tatbestände vorliegen, die aus armenrechtlichen oder sittenpolizeilichen Gründen die Verhinderung der Eheschließung rechtfertigen. Doch ist der Mangel des Zeugnisses seit 1892 nur ein aufschiebendes Ehehinderniß250. Diesem Ehehinderniß sind rechtsrheinische Bayern auch unterworfen, wenn sie anderswo in Deutschland heiraten251. 245 Vgl. die Zusammenstellung b. Schmidt zu § 1315 Bem. 4, für Bayern auch Staudinger Bem. 4 b. – Den Rechtszustand bei Erlaß des PStG stellt eingehend v. Sicherer zu § 38 Bem. III S. 263 – 268 dar. 246 Brunner, RG I 148; v. Amira, Recht3 S. 144. Auch die unfreien ritterlichen Dienstmannen unterlagen dieser Beschränkung. Vielfach wurde als Entgelt für die Erlaubniß eine Abgabe geschuldet. 247 So schon in jüngeren Weistümern; vgl. Fehr a. a. O. S. 197 ff. Auch im Preuß. ALR ist das Ehebewilligungsrecht der Gutsherrschaft zwar noch Ausfluß der Gutsuntertänigkeit, aber polizeiobrigkeitlicher Natur; vgl. II, 7 §§ 161 – 170 (mit Verweisung in II, 1 § 73). 248 So schon im Preuß. ALR II, 7 § 162 ff. 249 In Preußen bereits mit der Aufhebung der Gutsuntertänigkeit i. J. 1807. Doch bestanden in den Hohenzollernschen Landen, in Hannover und in Kurhessen Beschränkungen fort. Ebenso in manchen anderen deutschen Rechtsgebieten. 250 Bayr. G. v. 8. Apr. 1868 [u.] v. 16. Apr. 1868 mit Novellen v. 21. Apr. 1884 u. v. 17. März 1892; AG zum BGB a. 154. Die Ehe hat noch heimatsrechtliche Minderwirkungen für Frau und Kinder. 251 Daher schreiben viele AG zum BGB (z. B. Preuß. a. 46 § 6, Weim. a.178, Kob.-Goth. a. 41) ausdrücklich die Beibringung des Zeugnisses für sie vor.
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VI. Erlaubniß für Ausländer Ein aufschiebendes Ehehinderniß bildet nach dem BGB für die Eheschließung eines Ausländers der Mangel einer nach Landesrecht erforderlichen staatlichen Erlaubniß oder eines nach Landesrecht beizubringenden Zeugnisses252. Die Landesgesetze fordern teils die Erlaubniß oder doch ein Zeugniß der zuständigen deutschen Staatsbehörde253, teils nur ein Zeugnis der zuständigen Behörde des Heimatstaats, daß ihr ein nach dortigem Recht bestehendes Ehehinderniß nicht bekannt geworden ist254. Außerdem, wenn der Mann Ausländer ist, vielfach ein Zeugniß, daß er durch die Eheschließung die Staatsangehörigkeit nicht verliert, sondern auf Frau und Kinder überträgt255. Staatsverträge erleichtern zum Teil die Eheschließung von Angehörigen der Vertragsstaaten256. VII. Einwilligung des Familienhauptes Mitgliedern einer hochadligen Familie ist, soweit das Hausrecht es bestimmt, die Einwilligung des Familienhauptes Erforderniß der Eheschließung. In den landesherrlichen Häusern gilt dies durchweg nach ausdrücklicher hausgesetzlicher Anordnung oder feststehender Observanz257. Doch dürfte der Mangel des Konsenses überall nur als aufschiebendes Ehehinderniß anzusehen sein, die unkonsentirte Ehe ist gültig, entbehrt jedoch auch dann, wenn sie standesgemäß ist, im gleichen Umfange wie eine unebenbürtige Ehe der vollen Ehewirkungen258. 252 BGB § 13152. So auch schon PStG § 38. – Uebersicht der landesgesetzlichen Bestimmungen b. Schmidt zu § 1315 Bem. 5, der wichtigsten auch b. Staudinger Bem. 5. Den früheren überaus bunten Rechtszustand stellt v. Sicherer zu PStG § 38 Bem. IV S. 268 – 291 vollständig dar. 253 Erlaubniß Württemb. (AG a. 256) und beide Mecklenburg (AV § 207 bezw. 205); Zeugniß der Distriktsverwaltungsbehörde Bayern (Heimatsges. a. 34), der Aufsichtsbehörde des Standesbeamten K. Sachsen (V. v. 12. Juli 1899 § 7). 254 So Preußen (AG a. 43, Befreiung durch Justizminister möglich nach § 4) und im Wesentlichen übereinstimmend Braunschw., die thüring. Staaten, Waldeck, Lippe und die freien Städte. 255 So Preußen (a. a. O. § 2, Befreiung durch Minister d. I. möglich nach § 4) und die anderen in der vor. Anm. angef. Staaten. Baden (AG a. 32) und Hessen (AG a. 104) verlangen nur ein derartiges Zeugniß. 256 Im Verhältniß der Haager Vertragsstaaten zu einander kann nach Haager Abk. a. 4 ein Zeugniß hinsichtlich der Ehefolgen für die Staatsangehörigkeit überhaupt nicht mehr verlangt werden. 257 Daß diese Bestimmungen dem BGB vorgehen, ist nach EG a. 57 unzweifelhaft. Aber auch gleiche Bestimmungen in standesherrlichen Hausgesetzen fallen in den Bereich der nach EG a. 581 diesen Familien vorbehaltenen Autonomie und sind daher dem BGB gegenüber in Kraft; so auch Oertmann, Standesherrliche Autonomie S. 126 ff. 258 An sich könnte die Hausverfassung eines landesherrlichen Hauses auch die Nichtigkeit der unkonsentierten Ehe aussprechen. Allein im Zweifel ist anzunehmen, daß wenn nicht ausdrücklich das Gegenteil bestimmt ist, die Rechtsfolgen der Verbotsverletzung nur die einer
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§ 233. Das Ehehinderniß der Doppelehe I. Eine Doppelehe ist seit der Annahme des Christentums bei den germanischen Völkern, bei denen sie in der Urzeit ausnahmsweise kraft Adelsrecht begegnet, ausgeschlossen und nach katholischem und protestantischem Kirchenrecht, wie nach allen neueren Staatsgesetzen unmöglich. Niemand kann daher eine neue Ehe schließen, bevor seine frühere Ehe aufgelöst, also entweder durch den Tod oder durch rechtskräftiges Scheidungsurteil getrennt ist259. Aber auch wer in einer ungültigen Ehe lebt, darf nicht heiraten, bevor seine bisherige scheinbar bestehende Ehe durch rechtskräftiges Urteil für nichtig erklärt ist260. Eine Ausnahme gilt nur für Ehegatten, die die Eheschließung miteinander wiederholen wollen261. Außerdem dürfen Ehegatten, deren Ehe rechtskräftig geschieden oder für nichtig erklärt ist, falls gegen das Urteil die Nichtigkeitsklage oder die Restitutionsklage erhoben ist, nicht vor Erledigung des Rechtsstreites eine neue Ehe eingehen, es müßte denn die Klage erst nach Ablauf der gesetzlichen fünfjährigen Frist erhoben sein262. Ein zur Zeit der Eheschließung bestehendes älteres Eheband ist von jeher ein öffentliches trennendes Ehehinderniß (impedimentum ligaminis)263. Die trotzdem geschlossene Ehe ist nichtig und bleibt nichtig, mag auch die alte Ehe nachträglich aufgelöst werden264. Dagegen ist das Verbot der Eheschließung vor der Nichtigerklärung einer Ehe nur ein aufschiebendes Ehehinderniß. Wird es verletzt, so ist die Ehe trotzdem gülMißheirat sein sollen. Bedenken erweckt das Oldenburg. Hausges. v. 1. Sept. 1872 a. 8 durch die Fassung „können nicht“; doch geht aus a. 11 hervor, daß auch hier nur die unvollkommene Wirksamkeit der Ehe ins Auge gefaßt ist. Nach dem Württ. Hausges. v. 1. Jann. 1808 § 18 war die unkonsentierte Ehe „null und nichtig“; nach dem geltenden Hausges. v. 8. Juni 1828 a. 19 aber ist sie unvollkommene Ehe. Ebenso ist die im Bayr. Familienges. v. 1808 a. 12 – 14 enthaltene und in dem v. 1816 a. 12 – 13 wiederholte Bestimmung, daß die ohne förmliche Einwilligung des Königs geschlossene Ehe nichtig und die Kinder unehelich sein sollen, im geltenden Familienstatut v. 5. Aug. 1819 Tit. 2 §§ 1 – 3 ausgemerzt. 259 BGB § 13091. Ueber die Behandlung der Todeserklärung vgl. unten § 249. 260 BGB § 1309 (Diese Bestimmung ist natürlich nicht anwendbar auf eine „Nichtehe“, deren Nichtigkeit keiner Konstatierung durch Urteil bedarf.) – Ebenso schon PStG § 34. Vgl. Oesterr. Gb. § 62, Schweiz. ZGB a. 101. 261 BGB § 13091 S. 2. Bei Zweifeln an der Gültigkeit der Ehe. Doch brauchen sie Gründe nicht anzugeben. Es bedarf aber aller Förmlichkeiten einer neuen Eheschließung, insbesondere des Aufgebots. Die Wiederholung ist, falls die bisherige Ehe gültig ist, rechtlich bedeutungslos. Anderenfalls begründet sie eine neue Ehe und wirkt nicht zurück. 262 BGB § 13092 (dem bisherigen Recht fremd) mit ZPO § 578 ff. (bes. § 5862). 263 Eine Dispensation ist ausgeschlossen. Die in der evangelischen Kirche vorgekommenen bekannten Ausnahmen verstiessen gegen das Rechtsbewußtsein. 264 Auch wenn am Tage nach der Eheschließung der frühere Ehegatte stirbt oder das Scheidungsurteil rechtskräftig wird, tritt keine Heilung der Nichtigkeit, sondern nur die Mög-
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tig, wenn zur Zeit ihrer Eingehung die alte Ehe nichtig war oder in Folge einer auf diesen Zeitpunkt zurückwirkenden Anfechtung vernichtet wird. Die Strafbarkeit der Eheschließung wird davon nicht berührt, während andererseits in Fällen, in denen die neue Ehe nichtig ist, die Bigamie straflos sein kann265. II. Ein bestehendes Verlöbniß ist schon seit dem Personenstandsgesetz nach deutschem Recht kein Ehehinderniß mehr. Im kanonischen Recht und im gemeinen protestantischen Kirchenrecht, sowie nach manchen staatlichen Gesetzen war ein gültiges Verlöbniß ein aufschiebendes Hinderniß für die Eingehung einer anderweitigen Ehe266. § 234. Die Ehehindernisse der Verwandtschaft und Schwägerschaft I. Blutsverwandtschaft Das germanische Recht verbot schon in heidnischer Zeit die Ehe zwischen Verwandten gerader Linie und zwischen Geschwistern267. Eine fortschreitende Erweiterung des Ehehindernisses der Blutsverwandtschaft brachte das kanonische Recht268. Es schloß sich zunächst an das römische Recht an, das auch die Ehe bei vorhandenem „respectus parentelae“, d. h. mit dem Bruder oder der Schwester eines Vorfahren, und vorübergehend die Ehe zwischen Geschwisterkindern verbot269, und berücksichtigte daneben zugleich das mosaische Recht270. Seit dem lichkeit der Eingehung einer neuen Ehe ein. Ebenso wird eine nach rechtskräftiger Scheidung oder Nichtigkeitserklärung einer Ehe geschlossene neue Ehe rückwirkend vernichtet, wenn das Scheidungs- oder Nichtigkeitsurteil im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben und dann die alte Ehe rückwirkend wiederhergestellt wird; gegen die abweichende Ansicht von Hellwig, DJZ IX 834 ff., 1074 ff. und Grenzen der Rückwirkung, 1907, S. 50 ff., Kohler b. Dernburg VI 566 u. Endemann § 161 Anm. 25 vgl. im Einklang mit der herrschenden Meinung bes. Wolff § 11 Anm. 4. Ausführlich handelt von den Verhältnissen, die sich aus der Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit einer der zwei zwischen denselben Personen formgerecht geschlossenen Ehen ergeben, Pagenstecher in seiner Abhandlung über Doppelehe in der Rhein. Z. X 20 – 88. 265 StrGB § 271. 266 Ueber das kanon. R. vgl. v. Scherer S. 131 Anm. 65 – 66. Ebenso Bayr. LR I, 6 § 7 Nr. 4. Nach Preuß. LR § 158 – 159 konnte auf Grund eines älteren förmlichen Ehegelöbnisses Einspruch erhoben werden und mußte bei Vorlegung eines solchen der Pfarrer „mit Aufgebot und Trauung sofort innehalten“. Bis zum Ges. v. 24. Apr. 1854 war nach §§ 158, 160 – 164 u. Anh. § 73 auch eine unter dem Versprechen der Ehe erfolgte Schwängerung Einspruchsgrund. – Ueber das ältere deutsche und das röm. R. vgl. oben § 228 Anm. 23 u. 26. 267 Brunner, RG I2 94 Anm. 12, II 664; v. Amira, Recht3 S. 180; v. Schwerin, RG2 S. 129. 268 Ueber dieses vgl. Friedberg, KR2 § 146 I, Richter-Dove-Kahl § 275 II, v. Scherer, KR § 116. Das kanonische Recht beeinflußte bereits in fränk. Zeit die Kapitulariengesetzgebung. 269 Vgl. §§ 1, 3, 5 I. 1, 10, 1.39, D.23, 2, 1.17 C.5, 4. Das von Theodosius erlassene Verbot der Ehe zwischen Geschwisterkindern wurde von Justinian vollständig beseitigt; dagegen von der Kirche überwiegend festgehalten.
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6. Jahrhundert aber dehnte es das Ehehinderniß auf Geschwisterkinder und sodann allmählich auf alle Verwandten bis zum 7. Grade aus, was in Folge gleichzeitiger Aufnahme der germanischen Gradzählung eine ungeheuerliche Einschränkung der Eheschließungsfreiheit bedeutete271. Das Lateranische Konzil von 1215 reduzierte das Ehehinderniß auf die Verwandten des vierten Grades kanonischer Zählung272. Eine Dispensation von dem impedimentum consanguinitatis ist bei Verwandten gerader Linie und bei Geschwistern ausgeschlossen, war dagegen im Uebrigen stets möglich. Die Reformatoren verwarfen die immer noch übermäßige und durch das Dispensationswesen entwertete Ausdehnung des Eheverbots. Doch blieb dessen Begrenzung im evangelischen Kirchenrecht streitig und partikulär ungleich. Ueberwiegend hielt man in der Seitenlinie die Eheverbote des mosaischen und des römischen Rechts aufrecht, verbot aber oft auch die Ehe zwischen Geschwisterkindern und zuweilen sogar zwischen Geschwisterenkeln273. Das Dispensationsrecht schränkte man ein274. Die neuere staatliche Gesetzgebung brachte weitere Einschränkungen des Eheverbots zwischen Seitenverwandten275. Doch blieb es meist in den Fällen des respectus parentelae ganz oder teilweise bestehen276 und wurde in mehreren Staaten auch für Geschwisterkinder beibehalten277.
270 Das mosaische Recht verbietet ausdrücklich nur die Ehe mit der Mutter, der Schwester, der Enkelin und der Tante (3.B., Mos.18, 6 – 13, 5.B. 27, 22). Die Aufzählung ist zweifellos nicht erschöpfend. Andererseits war es mißverständlich, wenn man später aus 5.B.Mos.18 v.14 ein allgemeines Verbot der Verwandtenehe herleitete. 271 Vgl. c.2 C.35 q.5 (v.1065), c.17 C.35 q.2 (v.1059), c. 9 eaed. (v.1063). Dazu oben § 226 II 3. Die Ausdehnung bis zum 7.Grade stützte sich auf das angeblich im alten Testament (vgl. die vor. Anm.) ausgesprochene Verbot der Verwandtenehe überhaupt in Verbindung mit der Auffassung zunächst der älteren römischen und dem der germanischen Erbrechtsgrenze als Verwandtschaftsgrenze; vgl. oben § 226 III. 272 C.8 X de consang. et affin.4, 14. Die Uebung, bei ungleicher Entfernung beider Teile vom Stammhause nur die längere Linie zu zählen, wurde von Gregor IX sanktioniert; c.9 cod. mit c.3. – Der Cod. jur. can. v. 1917 hat das Hinderniß auf den 3. Grad (also noch zwischen Geschwisterenkeln, nicht mehr zwischen Geschwisterurenkeln) eingeschränkt. 273 Vgl. Richter-Dove-Kahl § 275 III, Friedberg § 146 II. – Einzelne evangelische Kirchengesetze hielten auch gegenüber der deutschen Reichsgesetzgebung das Verbot der Eheschließung mit Onkel oder Tante (so Meckl. v. 24. Nov. 1875) oder doch mit der Tante (so Bayr. v. 16. Mai 1879) als kirchliches Ehehinderniß aufrecht. 274 Insbesondere erklärte man die alttestamentlichen Ehehindernisse bis zum 18. Jahrh., weil sie göttliches Recht seien, für indispensabel. 275 Zum Teil ließ sie es zwar beim kirchlichen Recht bewenden, erweiterte aber gegenüber dem evangelischen Recht die landesherrliche oder behördliche Dispensationsbefugniß. 276 Das Preuß. LR II, 1 § 8 – 9 verbietet nur die Ehe mit der älteren Tante. Der Code civ. a. 161 u. das Oesterr. Gb. § 65 überhaupt die Ehe mit Onkel oder Tante. Das Sächs. Gb. § 1609 und mehrere thüring. Ges. auch die Ehe mit dem Großonkel oder der Großtante. Ebenso das Niederländ. u. das Schwed. R., während der Cod. Ital. a. 59, die Ungar. Gesetzesartikel v. 1894 u. das Schweiz. ZGB § l00 Z.1 (wie schon das LG v. 1874 a. 28) sich mit dem Eheverbot zwischen Oheim und Nichte oder Tante und Neffen begnügen. Alle diese Gesetze mit Ausnahme des Schweizerischen lassen Dispensation zu, während andere deutsche Partikulargesetze allgemein oder doch bei der Ehe mit der Tante die Dispensation ausschlossen.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Für Deutschland schaffte das Personenstandsgesetz in der Seitenlinie jedes auf Blutsverwandtschaft beruhende Ehehinderniß mit Ausnahme des Verbotes der Geschwisterehe ab278. Im Anschluß hieran verbietet auch das BGB lediglich [die Ehe] zwischen Verwandten gerader Linie und zwischen voll- oder halbbürtigen Geschwistern279. Da das Ehehinderniß auf der naturgegebenen Blutsgemeinschaft beruht, läßt das BGB in Uebereinstimmung mit dem kirchlichen Recht und allen weltlichen Gesetzen es auch aus außerehelicher Zeugung entspringen280. Die formellen Vorschriften über Feststellung der außerehelichen und Andichtung [recte: Anfechtung] der ehelichen Vaterschaft sind hier unanwendbar281. Das Ehehinderniß der Blutsverwandtschaft war im kanonischen Recht seinem ganzen Umfange nach ein öffentliches trennendes Ehehinderniß282. Auch nach dem BGB ist die Ehe nichtig283. II. Schwägerschaft 1. Echte Schwägerschaft. Schwägerschaft gerader Linie ist, wie im römischen Recht, so im katholischen und evangelischen Kirchenrecht und nach allen neueren Ueber die Versagung der Dispensmöglichkeit in der Schweiz vgl. Egger zu Schweiz. ZGB, a.100 Bem. l. 277 So früher vom Sächs. Gb. § 1610 u. der Sachsen-Altenb. Ehe O. v. 1837, heute noch vom Oesterr. Gb. § 65, dem Ungar. R. und dem Span. R. Dispensation ist überall möglich. 278 PStG § 33 Z.1 – 2. Jede Möglichkeit einer Befreiung fiel damit selbstverständlich weg. Ebenso schon Lübeck. Ges. v. 26. Okt. 1897 § 7. 279 BGB § 13101. 280 Nach BGB § 13103 besteht „Verwandtschaft“ im Sinne dieser Vorschriften auch zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Abkömmlingen – ehelichen wie unehelichen – einerseits und dem Vater und dessen Verwandten andererseits (oben § 226 [fehlt]). Auch zwei uneheliche Kinder desselben Vaters können einander, der uneheliche Vater kann die uneheliche Tochter seines unehelichen Sohnes nicht heiraten. – Vgl. 1.14 § 2 u. l.54 D.23, 2, 1.7 D.38, 10; c.X 2, 19; Preuß. ALR § 4; Sächs. Gb. 1608 u. 169; Schweiz. ZGB a. 100 Z.1. 281 Somit ist der wirkliche Erzeuger eines unehelichen und selbst eines (z. B. in Folge Unterlassung der Anfechtung) ehelichen Kindes, auch wenn er im Uebrigen nicht als Vater gilt, im Sinne des § 1310 Vater. Umgekehrt kommt, wer (z. B. kraft Anerkenntnisses) fälschlich als unehelicher Vater gilt, für das Ehehinderniß nicht in Betracht. Ebenso aber ist, wer gesetzlich als ehelicher Vater gilt, ohne wirklicher Vater zu sein, für das Ehehinderniß nicht als Vater zu erachten, so daß z. B. wenn ein Ehegatte die Anfechtung der Ehelichkeit eines nachweislich nicht von ihm erzeugten Kindes seiner Frau versäumt hat, dieses Kind und sein von einer anderen Frau gebotenes Kind einander heiraten können. A. M. Wolff § 12 II 2, der hier mehrere Väter gleichzeitig als „Väter“ ansehen will. 282 Auch in den Fällen, in denen Dispensation zulässig ist, wenn sie nicht nachgesucht oder nicht ertheilt ist. In der evangelischen Kirche wurde bisweilen dispensablen Hindernissen nur aufschiebende Kraft beigelegt. Im Uebrigen steht auch die neuere Gesetzgebung auf dem Standpunkte des kanonischen Rechts. Nur in Ungarn (oben Anm. 276) begründet das Verbot der Ehe unter Geschwisterkindern (abweichend von dem der Ehe mit Onkel oder Tante) nur ein aufschiebendes Ehehinderniß. 283 BGB § 1327.
2. Titel: Erfordernisse der Eheschließung
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Gesetzen ein öffentliches trennendes Ehehinderniß. Das kanonische Recht aber betrachtete in Anlehnung an die Vorschriften des mosaischen Rechtes frühzeitig auch in den näheren Graden der Seitenlinie die Schwägerschaft als Ehehinderniß und stellte endlich in Konsequenz der Lehre, daß die durch Geschlechtsgemeinschaft begründete Einheit des Fleisches auch Einheit der Blutsverwandten erzeuge, die Schwägerschaft aller Grade der Blutsverwandtschaft völlig gleich284. Das evangelische Kirchenrecht hielt an diesem Standpunkt fest285. Auch neuere staatliche Gesetze haben das Ehehinderniß in der Seitenlinie zum Teil aufrecht erhalten286. Dagegen wurde durch das Preußische Landrecht und für ganz Deutschland durch das Personenstandsgesetz das Eheverbot auf die mit einander in gerader Linie verschwägerten Personen eingeschränkt287. Die Schwägerschaft gerader Linie ist im BGB ein öffentliches trennendes Ehehinderniß geblieben, von dem es keine Befreiung giebt. Auch hier gilt die Blutsgemeinschaft zwischen dem unehelichen Kinde und seinem Erzeuger als Verwandtschaft, die echte Schwägerschaft vermittelt288. Da die Schwägerschaft den Bestand der sie begründenden Ehe überdauert, wirkt sie nach der Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung als Ehehinderniß289. Dagegen begründet eine nich284 Vgl. über die geschichtliche Entwicklung v. Scherer § 119. (Das alttestamentliche Institut der Leviratsehe nahm die Kirche nie auf, verallgemeinerte vielmehr das Verbot der Ehe mit der Schwägerin). Nach klassischem kanonischen Recht war somit die Schwägerschaft bis zum 7. Grade kanonischer Zählung (c.7 C.35 q.2 et 3), seit 1215 bis zum 4. Grade Ehehinderniß. Dispensation ist zulässig. 285 Vgl. Richter-Dove-Kahl § 276 II; Friedberg § 147 II u. IV. 286 So für Schwager und Schwägerin der Code civ. a. 162 (Dispensation, die das Bad. LR v. 164a von vornherein zuließ, erst seit Ges. v. 17. Apr. 1832 möglich), der Cod. civ. Ital. a. 58 – 59, das Niederl. R. Bekannt ist, daß in England die Ehe mit der Schwester der verstorbenen Frau bis 1907 schlechthin unmöglich war. Nach oesterr. Gb. § 66 erstreckt sich das Ehehinderniß der Schwägerschaft sogar noch auf den zweiten Grad kanonischer Zählung, ist aber dispensabel. 287 Preuß. LR 5 – 7, PStG 33 Nr. 3. Ebenso Schweiz. ZGB a. l00 u. Ungar. R. 288 BGB § 13103; es gilt das oben Anm. 281 – 282 Gesagte. Somit kann ein Mann auch die Witwe oder geschiedene Frau seines unehelichen Sohnes oder eines Abkömmlinges desselben oder des unehelichen Sohnes seines ehelichen Kindes oder die Stieftochter einer dieser Person nicht heiraten, eine Witwe oder geschiedene Frau nicht den unehelichen Sohn ihres Mannes oder ihres Stiefsohnes oder den früheren Mann der unehelichen Tochter ihres Sohnes. – Uebereinstimmend das röm., kanon. und evangel. R. und das PStG § 33. Das Preuß. LR Anh. § 62 gestattete Dispensation; abgeändert durch V. v. 22. Dez. 1843. Für das französ. u. schweiz. R. ist dasselbe anzunehmen; vgl. Zachariae-Crome 436 S. 49, Egger zu a. 100 Bem. 2 c. 289 Vgl. oben § 226 [fehlt]. So auch speziell für das Ehehinderniß in verfehlter Fassung Preuß. LR § 6, PStG § 33 Nr. 3, Schweiz. ZGB a. 1002. Dagegen entsteht durch eine nach Auflösung der Ehe begründete Verwandtschaft mit dem früheren Ehegatten keine Schwägerschaft. Ein Mann wird also durch BGB § 13001 nicht gehindert, die von seiner geschiedenen Frau in späterer Ehe oder außerehelich empfangene Tochter zu heiraten. Doch steht ihm, wenn nicht etwa seine Ehe unvollzogen war, das Hinderniß des § 13002 entgegen. Das Personenstandsgesetz, wie auch das preuß. u. französ. R., bereitete ihm nach richtiger Meinung überhaupt kein Hinderniß; vgl. v. Sicherer zu § 33 Bem. III 4, Hinschius2 zu § 33.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
tige Ehe keine Schwägerschaft und somit auch nicht das Ehehinderniß der echten Schwägerschaft290. Ob die aufgelöste Ehe durch Geschlechtsgemeinschaft vollzogen war, ist im Gegensatz zum kanonischen Recht bedeutungslos291. 2. Unechte Schwägerschaft. Das kanonische Recht entwickelte den Begriff der durch außerehelichen Geschlechtsumgang begründeten affinitas illegitima und behandelt sie in gleichem Umfange wie die echte Schwägerschaft als öffentliches trennendes Ehehinderniß292. Durch das Tridentiner Konzil wurde es auf den zweiten Grad eingeschränkt293. Das evangelische Kirchenrecht übernahm es für Verwandte in gerader Linie. Die neuere staatliche Gesetzgebung hat es meist abgeschafft294. Für ganz Deutschland wurde es durch das Personenstandgesetz beseitigt. Dagegen hat das BGB es wieder eingeführt. Nach geltendem deutschen Recht darf demgemäß eine Ehe nicht geschlossen werden zwischen Personen, von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlingen der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hat295. Das Ehehinderniß wird nicht nur durch außereheliche sondern auch durch ehelichen Geschlechtsverkehr begründet; tritt daher auch ein, wenn die Verwandtschaft erst nach Auflösung der früheren Ehe entstanden oder wenn die frühere Ehe für nichtig erklärt ist296. Auch hier steht außereheliche Vaterschaft der ehelichen gleich297. Das Ehehinderniß ist öffentlich und indispensabel298. Es hat aber abweichend vom kanonischen Recht nur aufschiebende Wirkung. 290 Wohl aber, wenn sie nicht unvollzogen war, das Ehehinderniß aus § 13002. – Für das bisherige Recht war Streit; mit Recht versagten v. Sicherer a. a. O. Bem. III1 S. 200 ff. u. Hinschius a. a. O. der ungültigen Ehe die Kraft, das Ehehinderniß der Schwägerschaft zu begründen, während v. Scheurl, ZfKR XVI 22 ff. u. Eherecht S. 204 ff., das Gegenteil annahm. Das Schweiz ZGB a. 100 Z. 2 stellt ausdrücklich die für ungültig erklärte Ehe der aufgelösten gleich. 291 Vgl. über das kanon. R. v. Scherer a. a. O. S. 339 ff., 349 ff. Das Hinderniß der Schwägerschaft entstand erst mit der geschlechtlichen Vereinigung, jedoch ohne solche das Hinderniß der Quasiaffinität (unten Anm. 303). 292 Oben § 226 [fehlt]. Ueber die Geschichte v. Scherer a. a. O. S. 333 ff. 293 Trid. 24 de ref. matr. 4. Vgl. v. Scherer S. 338. Als Unterart der affinitas illegitima erschien die durch Ehebruch mit Verwandten des anderen Ehegatten unter den Ehegatten begründete affinitas superveniens, der man ursprünglich ehevernichtende Kraft, später nur die Folge der Entbindung von der ehelichen Pflicht beilegte; v. Scherer S. 334 ff., 338 ff. 294 So das Preuß. LR, der Code civ., das Schweiz. ZGB. Anders Sächs. Gb. § 1613. 295 BGB § 13002. Einmalige Beiwohnung genügt. 296 Vgl. oben Anm. 289 u. 290. 297 BGB § 13003. Ein Mann darf also die Kebse auch seines unehelichen Sohnes oder Enkels oder seines außerehelichen Erzeugers, eine Frau auch den unehelichen Sohn oder Vater ihres Liebhabers nicht heiraten. 298 Der Standesbeamte hat seine Mitwirkung zur Eheschließung zu versagen, wenn ihm glaubhafte Kunde von dem Vorhandensein des Hindernisses wird. Nachforschungen von Amtswegen hat er nicht anzustellen. In den Fällen, in denen zwischen Aszendenten oder Deszendenten eines Verlobten eine zur Zeit der Geburt des anderen Verlobten schon aufgelöste
2. Titel: Erfordernisse der Eheschließung
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3. Schwägerschaft zweiter und dritter Gattung. Das kanonische Recht erhob zeitweise auch die affinitas secundi generis in Anlehnung an eine römischrechtliche Bestimmung, die dem Stiefvater die Ehe mit der Frau des Stiefsohnes und der Stiefmutter die Ehe mit dem Mann der Stieftochter verbot299, und dann sogar die affinitas tertii generis zum trennenden Ehehinderniß300. Doch hob schon das Lateranensische Konzil v. 1215 dieses Ehehinderniß auf301. Im evangelischen Kirchenrecht dagegen wurde es meist für die römischen Fälle und bisweilen darüber hinaus erneuert. Der neueren weltlichen Gesetzgebung ist es unbekannt. 4. Quasiaffinität. Das römische Recht verbot dem Vater die Ehe mit der Braut des Sohnes und dem Sohn die Ehe mit der Braut des Vaters aus Gründen des öffentlichen Anstandes302. Die kirchliche Praxis erweiterte allmählich das impedimentum publicae honestatis zu einem allgemeinen Eheverbot zwischen einem Verlobten und den Verwandten des anderen Verlobten und unterstellte dasselbe mehr und mehr dem Gesichtspunkt einer durch das Verlöbniß begründeten quasi-affinitas303. Das evangelische Kirchenrecht behielt dieses Ehehinderniß in den römischen Fällen und bisweilen auch für Brüder und Schwestern des Verlobten bei304. Die weltliche Gesetzgebung hat es nicht übernommen. III. Künstliche Verwandtschaft Nach geltendem deutschen Recht begründet die Annahme an Kindesstatt, solange das Verhältniß besteht, ein Ehehinderniß zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkinde und dessen Abkömmlingen305. In sehr viel weiterem Umfange war nach römischem Recht das Adoptionsverhältniß Quelle von Ehehindernissen306. Schon das kanonische Recht, mit dem das evange [Textlücke] 307 308 309 310 311 312 313 314 315. oder eine nichtige Ehe bestanden hat (oben Anm. 296), wird der Standesbeamte stets die Mitwirkung verweigern müssen, bis ihm nachgewiesen wird, daß die Ehe nicht vollzogen ist. 299 L.15 D.de ritu nupt. 23, 2. 300 Vgl. oben § 226 [fehlt]; v. Scherer S. 339 ff. 301 Richter-Dove-Kahl § 276 Anm. 20. 302 L.12 §§ 1 – 2, 1.14 § 4 D.32, 2, 1.6 § 1, 1.8 D.38, 10, § 9 Inst. 1, 10; vgl. oben § 228 Anm. 40. 303 Vgl. oben § 228 Anm. 26; v. Scherer § 120. Das Hinderniß wurde jedoch, nachdem es einst bis zum 7. und seit 1215 bis zum 4. Grad gegolten hatte, durch das Tridentiner Konzil auf den 1. Grad beschränkt. – Es entsteht auch durch eine nicht vollzogene Ehe (oben Anm. 291); auf diesen Fall bezieht sich nach der herrschenden Meinung die Ermäßigung des Conc. Trid. nicht. 304 Richter-Dove-Kahl § 276 II Anm. 21 – 22. 305 BGB § 13, 11. Die Abkömmlinge werden auch betroffen, wenn sich nach § 1762 die Annahme nicht auf sie erstreckt. 306 L.23 i.f. D.1, 7; 1.12 § 4, 1.14 § 4, 1.14 pr., § 1, 1.17, 1.55 D.23, 2; 1.35 D.45, 1; § 1, 2, 5 Inst.1, 10. Die Unterschiede der Arten der Adoption äußerten dabei eine im Laufe der Entwicklung abgeschwächte, aber nicht beseitigte Wirkung.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
§ 235. Das Ehehinderniß des Ehebruchs I. Das Ehehinderniß des Ehebruchs entstammt dem kanonischen Recht316. Es ist nach geltendem katholischen Kirchenrecht ein öffentliches trennendes, jedoch dispensables Hinderniß der Eheschließung zwischen Ehebrechern, das aber nur eintritt, wenn sie einander die Ehe versprochen oder gar Bigamie versucht haben oder wenn auch nur ein Teil dem hintergangenen Ehegatten erfolgreich nach dem Leben getrachtet hat317. Das evangelische Kirchenrecht verhielt sich zunächst ablehnend 307 Vgl. v. Scherer § 118, Richter-Dove-Kahl § 277, Friedberg § 148 I. Im Einzelnen war Vieles kontrovers. 308 Ebenso einige deutsche Partikularrechte; vgl. v. Sicherer zu § 33 PStG S. 206 Anm. 21 – 22. 309 Preuß. LR II, 1 § 13; Thüring. G. b. v. Sicherer a. a. O. Anm. 28; PStG § 33 Z. 4. Ebenso Schweiz. LG v 25. Dez. 1875 a. 28. – Das BGB hat also durch Einbeziehung der Abkömmmlinge des Angenommenen das Ehehinderniß wieder erweitert. Und zwar über das vor dem PStG geltende gemeine Recht hinaus, da dieses nur die zur Zeit der Adoption unter väterlicher Gewalt stehenden Kinder einbezog. Unbedingt für alle Nachkommen gilt das Eheverbot auch nach Code civ. a. 348 u. Cod. c. Ital. a. 60. Ebenso früher nach Sächs. Gb. § 1614, das außerdem die Ehe zwischen den Eltern des Annehmenden und dem Angenommenen oder dessen Nachkommen verbot. 310 Das gemeine Recht erkennt es nach der herrschenden Meinung nur zwischen Adoptivkindern und leiblichen Kindern des Annehmenden, das französ., ital. u. sächs. R. a. a. O. auch zwischen mehreren Adoptivkindern an. 311 Code civ. a. 348, Cod. Ital. a. 60, Sächs. Gb. § 1614. Jetzt auch abweichend vom bisherigen R. (oben Anm. 309) das Schweiz. ZGB a. 100 Z. 3. 312 Insbesondere dem Französ., Ital. u. Sächs. Gb. – Dagegen stimmt das PStG § 33, wie schon das Preuß. LR II, 2 § 715, mit dem BGB überein. Ebenso Schweiz. ZGB a. 2693, Ungar. Ges. v. 1894. 313 Das Sächs. Gb. § 1614 gestattet Nachsichtserteilung, aber erst, nachdem das Annahmeverhältniß aufgehoben oder durch den Tod gelöst ist. 314 Gemeinrechtlich impedimentum dirimens publicum: Ebenso nach Bad. LR s. 184 u. G. v. 9. Dez. 1875 a. 2, Cod. c. Ital. a. 104, Schweiz. G. v. 1875 a. 51, Sächs. Gb. § 1621 (jedoch in den Fällen, in denen Dispensation zulässig gewesen wäre, nur aufschiebend) u. Sächs. G. v. 5. Nov. 1875 § 3, S. Goth. G. v. 1834 § 2 c u. § 28. Für das französ. R. ist Streit; überwiegend wird nur ein aufschiebendes Hinderniß angenommen; vgl. v. Sicherer a. a. O. S. 249 ff. – Nach Preuß. LR II, 1 §§ 985 – 987 zwar trennendes, aber nur privates Ehehinderniß. 315 Die verbotene Eheschließung ist gültig; sie bewirkt jedoch nach § 17711 die Aufhebung des Adoptionsverhältnisses. Ebenso jetzt Schweiz. ZGB a. 129. – Auch nach Ungar. G. v. 1894 ist das Ehehinderniß nur aufschiebend. 316 Ueber die geschichtliche Entwicklung vgl. Richter-Dove-Kahl § 278, Friedberg § 149, v. Scherer § 125. Die alte Kirche betrachtete den Ehebrecher in Folge der ihm auferlegten lebenslänglichen Buße als absolut eheunfähig. Nach Milderung des Bußsystens traten Schwankungen und Rechtsverschiedenheiten ein, bis auf Grund der Ansicht Gratians die Lehre durchdrang, daß der Ehebruch nur relativ wirken und nur in schweren Fällen ein Ehehinderniß, dann aber nicht blos, wie bis dahin angenommen wurde, ein aufschiebendes, sondern ein trennendes Ehehinderniß sei. Das röm. R., das nur für die ehebrecherische Frau Eheunfähigkeit statuierte (1.13 D.34, 9, 1.12 § 13, 1.41 D.48, 5), hatte keinen Einfluß. Ebensowenig das german. R.; Ssp. I, 37 gehört zu den articuli reprobati.
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gegen das von Luther verworfene Ehehinderniß, kehrte indes nach dem 17. Jahrhundert zum kanonischen Recht zurück318. Die neuere staatliche Gesetzgebung dehnte das Ehehinderniß auf jeden Ehebruch aus319, schränkte es aber dadurch ein, daß sie es nur im Falle der Scheidung der Ehe wegen dieses Ehebruchs eintreten ließ320. An der Möglichkeit der Dispensation hielt sie meist fest321. Auch bewahrte sie regelmäßig ihrem Verbote die ehevernichtende Kraft322. Das Personenstandsgesetz verbot allgemein die Ehe zwischen einem wegen Ehebruchs Geschiedenen und seinem Mitschuldigen unter Zulassung der Dispensation, überließ aber die Bestimmung der Folgen einer verbotswidrigen Eheschließung dem Landesrecht323. In neuester Zeit ist das Ehehinderniß des Ehebruchs mehrfach überhaupt abgeschafft324. Das geltende deutsche Recht verbietet in Uebereinstimmung mit dem Personenstandsgesetz die Eheschließung zwischen einem wegen Ehebruchs geschiedenen Ehegatten und dem, mit dem er den Ehebruch begangen hat, wenn dieser Ehebruch in dem Scheidungsurteil als Grund der Scheidung festgestellt ist325. Das EhehinVgl. c.1 – 2 X 4, 7, c.6 X 4, 13; dazu v. Scherer § 125 III. Richter-Dove-Kahl § 278 II, Friedberg § 149 II. Nur in der reformierten Kirche ging man über das kanon. R. hinaus und sah jeden Ehebruch als Ehehinderniß an. 319 Preuß. LR § 25; Code civ. a. 298; Oest. Gb. § 67; Sächs. Gb. § 1616. Das Preuß.LR stellt in § 26 dem Ehebruch sogar verdächtigen Umgang oder Stiftung von Mißhelligkeiten, falls sie Scheidungsursache waren, gleich. Gemeinrechtlich begründete Scheidung wegen Verdachtes des Ehebruchs kein Ehehinderniß; Seuff. LIII Nr. 235. 320 Preuß. LR § 27; nur wenn mit dem Ehebruch oder verdächtigem Umgange Lebensnachstellungen verbunden waren, findet das Eheverbot auch im Falle der Auflösung der Ehe durch den Tod Anwendung. Code civ. a. 298. Das Oest. Gb. § 67 verlangt nur, daß der Ehebruch vor Eingehung der Ehe „bewiesen“ ist; vgl. dazu v. Scherer a. a. O. S. 397, KrainzPfaff-Ehrenzweig § 426 I 8. Das Sächs. Gb. § 1616 Geständnis vor Gericht oder gerichtliche Ueberführung. 321 Keinen Dispens läßt das französ. R. zu. Das Sächs. Gb. § 1616 schließt die Nachsichtserteilung aus, wenn die Ehebrecher einander die Ehe versprochen haben. 322 Für das französ. R. nimmt die herrschende Lehre nur aufschiebende Wirkung an, blieb aber bestritten; dem Bad. LR S. 298 a ist durch G. v. 9. Dez. 1875 § 2 lit. i eine die Nichtigkeit der Ehe ausdrücklich anordnende Fassung gegeben. Nur aufschiebende Wirkung legte dem Ehehinderniß das S. Goth. Eheges. v. 15. Aug. 1834 §§ 22 – 28 und unter Abänderung des Sächs. Gb., des K.-Sächs. G. v. 5. Nov. 1875 § 7 bei. Vgl. v. Sicherer a. a. O. S. 253. 323 PStG § 33 Nr. 5. Für das gemeine Recht nahm das RGer. XXXVIII Nr. 37 an, daß das Hinderniß nur bei qualifiziertem Ehebruch, bei dem es bis dahin allein galt, dirimens geblieben, in leichteren Fällen nur impediens geworden sei. So auch Friedberg § 149 III a.E. Dagegen mit Recht v. Scheurl Eherecht S. 225, v. Sicherer S. 252 Anm. 85, Hinschius2 zu § 36 S. 129. 324 So in Frankreich durch Ges. v. 15.Dez. 1904; Rumänien 1906, Portugal 1910. Auch das Schweiz. ZGB hat es nicht aufgenommen; vgl. Egger S. 26. Dem englisch-amerikan. R. blieb es überhaupt fremd. 325 BGB § 1312. Ob den anderen Teil ein Verschulden trifft, ist gleichgültig; RGer. XLIX Nr. 85, JurWSchr 190l S. 806. Der mit ihm begangene Ehebruch muß aber im Urteil, wenn auch nur in den Entscheidungsgründen (Rspr. d. OLG I 445, II 147), festgestellt sein. Nach 317 318
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
derniß ist öffentlich trennend, die trotzdem geschlossene Ehe ist also nichtig. Doch ist Befreiung statthaft. Und die Befreiung kann noch nachträglich erteilt werden und macht dann die Ehe nachwirkend gültig326. II. Das kanonische Recht bildete ein selbständiges Ehehinderniß des Gattenmordes aus, das mit dem des Ehebruchs als eine Unterart des „impedimentum criminis“ gleichstand327. Es wurde im gemeinen Recht und in manchen staatlichen Gesetzen festgehalten und zum Teil auf den erfolglos geplanten Gattenmord ausgedehnt328. Aus dem deutschen Recht ist es schon seit dem Personenstandsgesetz verschwunden.
§ 236. Ehehindernisse aus Gründen der äußeren Ordnung I. Wartezeit Eine Frau darf nicht vor Ablauf von zehn Monaten nach der Auflösung oder Nichtigkeitserklärung ihrer früheren Ehe eine neue Ehe eingehen. Das Ehehinderniß, das nur aufschiebende Wirkung hat, fällt weg, wenn sie inzwischen geboren hat. Auch kann Befreiung von ihm erteilt werden329. Das Gebot einer Wartezeit entstammt dem römischen Recht330. Vom kanonischen Recht wurde es verworfen331, dagegen vom evangelischen Kirchenrecht und der neueren staatlichen Gesetzgebung aufgenommen332. Neben dem von je überZPO § 624 ist die Person des Ehebrechers im Urteil anzugeben. Unterbleibt dieses oder wird der Ehebruch mit einer anderen Person als Scheidungsgrund bezeichnet, so tritt das Ehehinderniß nicht ein; RGer. XXX Nr. 44, LV 246. Ebenso natürlich wenn anstatt des Ehebruchs ein anderer Scheidungsgrund vorgebracht und als ausreichend festgestellt wird. Es bieten sich also mancherlei Mittel, den Eintritt des Ehehindernisses zu vermeiden. – Bestritten ist, ob das Ehehinderniß nicht Platz greift, wenn die geschiedene Ehe nichtig war. Man wird es mit Planck zu § 1312 Bem. 1 c, Opet Bem. 2 a, Matthiaß § 224 I, E bejahen müssen. A.M. Endemann § 161 Anm. 46, Staudinger Bem. 2 b, Wolff § 15 II 3. 326 BGB § 1328. 327 c.1 X 3, 33. Vgl. v. Scherer § 125 IV. Das Hinderniß tritt auch ohne Ehebruch ein, wenn der Gatte und der Dritte die Tötung gemeinsam verabredet haben und auch nur einer von ihnen sich dadurch den Weg zur Ehe bahnen wollte. Vorheriges Eheversprechen ist nicht nötig. 328 So nach Oesterr. GB § 68, das abweichend vom kanon. R. ein Eheversprechen fordert, sich aber, falls ein solches abgegeben ist, mit der in der Absicht, die Ehe zu ermöglichen, sei es auch nur von einem Teile und ohne Erfolg, unternommenen Lebensnachstellung begnügt; vgl. Krainz-Pfaff-Ehrenzweig § 426 I 9. Ferner nach Sächs. Gb. § 1615, das dem, der sich mit einer dritten Person verabredet, seinem Ehegatten nach dem Leben zu trachten, schlechthin die Ehe mit dieser dritten Person verbot. Vgl. auch über das Ungar. G. v. 1894 v. Scherer S. 397. 329 BGB 1313. 330 L.1 § 1 – 2 D 3, 2; 1.2 C.5, 9. 331 c.4 X de sec. nupt.4, 21. Vgl. v. Scherer § 121 IV.
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wiegenden Gesichtspunkte, daß die gesetzlichen Vermutungen für eheliche Vaterschaft vor Trübung zu bewahren seien, wirkten auf die vielfach ungleiche Ausgestaltung dieses Ehehindernisses Rücksichten der Pietät (Trauerzeit der Witwe) und des öffentlichen Anstandes (bei der Scheidung) ein. Darum wurde öfter auch dem Witwer die Abwartung einer Trauerzeit auferlegt333. Schon das Personenstandsgesetz regelte das Gebot der Wartezeit lediglich als ein Mittel, der Unsicherheit der Vaterschaft vorzubeugen334. Das BGB hat diesen Standpunkt folgerichtig durchgeführt335.
II. Mangel der Auseinandersetzung mit Kindern aus früherer Ehe Das BGB fordert, daß, wer ein minderjähriges oder von ihm bevormundetes eheliches Kind hat, vor Eingehung einer Ehe ein Zeugniß des Vormundschaftsgerichts darüber beibringt, daß er seine Auseinandersetzungspflicht erfüllt hat oder eine solche ihm nicht obliegt336. Ein in fortgesetzter Gütergemeinschaft lebender Ehe-
332 Richter-Dove-Kahl § 288 Anm. 15 – 17; Friedberg § 161 I; v. Sicherer zu PStG § 36 VIII Anm. l00. Preuß. ALR I, 2, §§ 19 – 23 (9 Monate) § l008. Code civ. a. 228 und (bei Ehescheidung aus bestimmtem Grunde) 296 (l0 Monate). Oesterr. Gb. §§ 120 – 121 (6 Monate, bei Schwangerschaft nicht vor Entbindung, bei Wahrscheinlichkeit der Nichtschwangerschaft 3 Monate); vgl. Krainz-Pfaff-Ehrenzweig § 426 II 5. Sächs. Gb. § 1605 (1 Jahr) u. § 1607 (bei Scheidung 10 Monate). – Dispensation ist meist zulässig, aber öfter erst nach bestimmter Zeit (nach Preuß. LR § 23 nicht vor 3 Monaten). Das Ehehinderniß wirkte fast überall nur aufschiebend. Doch ist für das französ. R. auch hier Streit, und das Bad. LR a. 228a erklärte es für ein privates trennendes Hinderniß (1875 geändert). – Unbekannt ist die Wartezeit dem engl. Recht. 333 So die meisten protestantischen Kirchenordnungen, das Preuß. ALR § 24 (jedoch nur 6 Wochen), das Sächs. Gb. § 1605 (6 Monate mit Vorbehalt der Nachsichtserteilung). 334 PStG § 35: Wartezeit von l0 Monaten für die Frau nach „Beendigung“ der früheren Ehe. Daß dies trotz der zu engen Fassung auch für den Fall der Nichtigerklärung der Ehe galt, wurde allgemein angenommen. Dispensation ließ das PStG unbeschränkt zu. Damit waren die Beschränkungen des früheren Rechts aufgehoben. Ebenso aber der Wegfall der Bestimmungen, nach denen es bei früherer Entbindung keiner Dispensation bedurfte, so daß in dieser Hinsicht das BGB eine Neuerung gebracht hat. Beseitigt war auch der Satz des Preuß. LR § 21, demzufolge bei Ehescheidung wegen böslicher Verlassung das Hinderniß überhaupt nicht auftrat. 335 Mit dem BGB stimmt das Schweiz. ZGB a. 103 im Wesentlichen überein, verkürzt jedoch die Wartefrist auf 300 Tage und läßt richterliche Abkürzung nur zu, wenn eine Schwangerschaft aus der früheren Ehe ausgeschlossen ist oder geschiedene Ehegatten sich wieder miteinander verheiraten. Außerdem aber legt es in a. 104 mit a. 150 im Falle der Ehescheidung dem schuldigen Ehegatten eine richterlich zu bestimmende Wartefrist von 1 – 2 Jahren und bei Ehebruch von 3 Jahren auf, die natürlich einen ganz abweichenden Charakter (Ehescheidungsstrafe) hat. 336 BGB § 13141. Die Pflichten ergeben sich aus § 1669 und bestehen in der Inventarisierung des seiner Verwaltung unterliegenden Vermögens und, sofern in Ansehung dieses Vermögens zwischen ihm und dem Kinde eine Gemeinschaft besteht, in der Herbeiführung der Auseinandersetzung. Die Auseinandersetzungspflicht fällt weg, wenn keine Vermögensge-
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
gatte darf vor Erteilung eines gleichen Zeugnisses nicht wieder heiraten, wenn ein anteilsberechtigter Abkömmling (auch Enkel oder Urenkel) minderjährig oder (sei es auch von einem Anderen) bevormundet ist337. Diese Bestimmungen sind an Stelle mannichfach ungleicher landesrechtlicher Vorschriften getreten, die die Eingehung einer Ehe von der Nachweisung, Sicherstellung oder Auseinandersetzung des Vermögens von Kindern aus früherer Ehe abhängig machten338. Der Mangel des Zeugnisses ist nur ein aufschiebendes Ehehinderniß339. III. Bestehende Vormundschaft Dem kanonischen und gemeinen Recht unbekannt, wurde in Anlehnung an das römische Recht340 von evangelischen Kirchenordnungen und deutschen Landesgesetzen das Ehehinderniß der Vormundschaft eingeführt, indem sie während der Dauer der Vormundschaft die Ehe zwischen dem Vormunde oder einem Kinde oder Enkelkinde desselben und dem Mündel verboten341. Das Personenstandsgesetz erhob dieses Ehehinderniß zu gemeinem deutschen Recht, legte ihm aber ausdrücklich nur aufschiebende Kraft bei342. Dagegen hat das BGB es abgeschafft; es entzieht nur in solchen Fällen dem Vormunde die Fähigkeit, als gesetzlicher Vertreter die erforderliche Einwilligung in die Eheschließung zu erteilen343.
meinschaft besteht. Auch kann das Vormundschaftsgericht die Erfüllung der Pflichten erst nach der Eheschließung gestatten. In diesen Fällen hat er ein Zeugniß hierüber beizubringen. 337 BGB § 13142. Die Pflichten bestehen hier nach § 14932 in Inventarisierung des Gesamtguts, Aufhebung der Gemeinschaft und Auseinandersetzung. Das Vormundschaftsgericht kann gestatten, daß die Aufhebung der Gemeinschaft bis zur Eheschließung unterbleibt und die Auseinandersetzung erst später erfolgt. 338 Zusammenstellung der zur Zeit des Erlasses des PStG geltenden Partikularrechte bei v. Sicherer zu § 38 S. 297 – 328. Preuß. LR II, 1 §§ l00l-1005. 339 Doch knüpfen sich daran, wie im bisherigen Recht, für die Wiederheiratenden Rechtsnachteile; BGB § 1670. Die fortgesetzte Gütergemeinschaft endigt von Rechts wegen; 14931. 340 Vgl. 1.36, 59, 64 § 2, 66 D.23, 2; 1.7 D.48, 5. 341 Vgl. die bei Hinschius zu PStG § 37 Anm. 31 angef. Gesetzesbestimmungen. Meist war Dispensation zulässig. Nach Preuß. LR II, 1 § 14 u. Sächs. Gb. § 1604 liegt sie in der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. 342 PStG § 37. Einzelne ältere Gesetze behandelten das Hinderniß als trennend; vgl. v. Sicherer zu § 37 Anm. 12, Hinschius Anm. 36. Nach Preuß. LR II, 1 §§ 977 – 984 konnte der neue Vormund und binnen 6 Monaten nach erlangter Volljährigkeit der Mündel selbst die Ehe anfechten. 343 BGB § 1795 Nr. l. Ohne die Einwilligung eines ad hoc bestellten Pflegers ist die Ehe nach § 1331 anfechtbar. – Auch dem Französ., Oesterr. u. Schweiz. Gb. ist das Ehehinderniß fremd.
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§ 237. Rechtsgeschäftliche Erfordernisse der Eheschließung I. Ueberhaupt Die Eheschließung fordert, weil sie Vertragsschluß ist, eine Willenseinigung durch übereinstimmende wirksame Willenserklärungen. Darum können Willensmängel, die ein Rechtsgeschäft unwirksam machen, auch die Wirksamkeit der Eheschließung beeinträchtigen. Dagegen kommen die allgemeinen Grundsätze, nach denen ein Rechtsgeschäft nichtig ist, wenn der gewollte Erfolg gegen ein Verbotsgesetz oder gegen die guten Sitten verstößt, hier nicht in Betracht. Denn in dieser Hinsicht entrückt die Rechtsordnung durch die Aufstellung und Begrenzung der generellen Ehehindernisse den einzelnen Eheschließungsfall jeder besonderen Prüfung. Besteht kein Ehehinderniß, so kann die Eheschließung nicht gegen ein anderes Verbotsgesetz verstoßen und ist gültig, wenn sie auch noch so schroff (z. B. als nackte Geldheirat, bloße Namensheirat, Heirat des Zuhälters mit der Dirne) dem Sittengesetz widerspricht. Hinsichtlich der Bedeutung der Willensmängel wendet das BGB seine allgemeine Unterscheidung von Nichtigkeitsgründen und Anfechtungsgründen an, wandelt aber die Beachtlichkeit der einzelnen Mängel erheblich, und zwar in der Hauptsache abschwächend ab. II. Nichtigkeitsgrund Die Ehe ist gleich jedem anderen Rechtsgeschäft nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung sich im Zustand der Bewußtlosigkeit oder einer die freie Willensbestimmung ausschließenden vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit befand344. Eine Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen für Rechtsgeschäfte gilt hier nur darin, daß diese Nichtigkeit heilbar ist345. Dagegen greifen die sonstigen Nichtigkeitsgründe wegen rechtsgeschäftlicher Willensmängel hier nicht durch346. Auch wenn die Eheschließung nur zum Schein erfolgen sollte, ist die simulierte Ehe wahre Ehe. Ebensowenig hat eine Mentalreservation, wenngleich sie dem anderen Teil bekannt war, oder der Mangel der Ernstlichkeit des gesprochenen Ja, wenn auch erwartet wurde, der andere Teil werde den Mangel der Ernstlichkeit nicht verkennen, Einfluß auf die Gültigkeit der Ehe347. 344 BGB § 13251, übereinstimmend mit § l05. Die augenblickliche Willensunfähigkeit ist auch hier der dauernden Geschäftsunfähigkeit gleichgestellt; vgl. über letztere oben § 232 Anm. l0. So sinnlose Trunkenheit, Fieberdelirium, Hypnose, aber auch völlige durch physischen Zwang oder Schreck herbeigeführte Willenslähmung, Dies galt und gilt überall; oben § 232 Anm. 212. 345 BGB § 13252. Davon unten. [§ 240]. 346 Die §§ 116 – 118 sind nach § 1323 unanwendbar.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
III. Anfechtungsgründe Anfechtbar ist die Eheschließung, wie jedes Rechtsgeschäft, wegen Irrtums, arglistiger Täuschung oder Drohung348. 1. Irrtum. Ein Irrtum ist jedoch nur beachtlich, wenn er besondere Erfordnisse erfüllt, die sich [mit] den in § 119 für Rechtsgeschäfte überhaupt aufgestellten Voraussetzungen keineswegs decken. a) Schlechthin erheblich ist ein Irrtum über die Eheschließung, so daß ein Ehegatte die Ehe stets anfechten kann, wenn er bei Abgabe seiner Erklärung nicht wußte, daß es sich um eine Eheschließung handle. Dies wird selten genug vorkommen, ist aber immerhin denkbar; er mag z. B. geglaubt haben, es handle sich nur um eine Verlobung oder um ein Theaterspiel oder eine vorbereitende Probe349. b) Schlechthin erheblich ist ebenso ein Irrtum über die Erklärung. Ein Ehegatte kann die Ehe stets anfechten, wenn er bei der Eheschließung zwar wußte, daß es sich um eine Eheschließung handle, aber eine Erklärung, die Ehe eingehen zu wollen, nicht abgeben wollte. Auch dieser Fall wird sich selten ereignen, kann indessen z. B. in Folge eines Versprechens, eines (etwa von einem sprachunkundigen Ausländer) gebrauchten falschen Wortes oder eines (etwa von einem Taubstummen) gegebenen, unrichtig gedeuteten Zeichens vorkommen350. c) Im Uebrigen kommt nur ein die Person des anderen Teils betreffender Irrtum in Betracht. Schlechthin erheblich ist ein Irrtum über die Identität der Person, die man heiraten will351. Anfechtbar aber ist die Ehe vor Allem auch wegen eines Irrtums über persönliche Eigenschaften des anderen Teils, dies jedoch nur, wenn es sich um solche Eigenschaften handelt, deren Kenntnis den Erklärenden bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten 347 Ueber die Gültigkeit der simulierten Ehe war im bisherigen Recht Streit. Im kanonischen R. wurde überwiegend Nichtigkeit angenommen. Ebenso für das gemeine deut. R. von manchen Kirchenrechtslehrern, z. B. Friedberg2 § 142 I. Dagegen sprach sich für Gültigkeit Kohler, Jahrb. f. D.XVI 126 ff. aus. Desgleichen seit dem PStG Erk. des OLG Hamburg v. 4. Nov. 1896 b. Seuff. LIII Nr. 90 (Scheinehe einer Sechzigjährigen mit einem Mann von 21 Jahren, um eine Testamentsbedingung zu erfüllen). 348 Vgl. Hölder, Jahrb. f. D. LII 1 ff., Sedlmayer, ebd. XLVI, 183 ff.; Rietschel, Arch. f. z. Pr. CIV 339 ff. – Endemann § 162a Z.2 – 5, Dernburg § 19. Crome § 554. Wolff § 25. – Komm. v. Schmidt, Opet, Planck, Staudinger z. BGB § 1332 u. 1333. 349 BGB § 1332. Ob der Irrtum verschuldet war, ist unerheblich. Daß er vielleicht sehr verständig gehandelt haben würde, wenn er die Ehe geschlossen hätte, kommt im Gegensatz zu § 1191 nicht in Betracht. 350 BGB § 1332. Auch in diesem Falle ist es im Gegensatz zu § 1191 gleichgültig, wenn sein Ja sehr verständig gewesen wäre. 351 BGB § 1333 S. l. Denkbar in Folge einer Verwechslung oder der Unterschiebung einer anderen Person im Augenblicke der Eheschließung. Doch ist über die Erstreckung des Begriffs Streit. Zu eng begrenzt ihn m. E. Wolff § 25 I 3 mit § 21 Anm. 5. Liegt ein Identitätsirrtum vor, so ist die Ehe unbedingt anfechtbar.
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haben würde352. Derartige persönliche Eigenschaften können in leiblichen Defekten353, in geistigen Mängeln354 oder in sittlichen Fehlern355 bestehen. Nur muß es sich um eine der Person als solcher anhaftende Eigenschaft handeln, nicht blos um einen vorübergehenden Zustand, in dem sich die Person befunden hat oder befindet356. Und vor Allem muß die fehlerhafte Eigenschaft in subjektiver und objektiver Hinsicht schwer genug ins Gewicht fallen. Es muß einerseits feststehen, daß der Irrende seiner Individualität gemäß bei Kenntnis der Sachlage die Eheschließung unterlassen hätte357. Andererseits aber muß der Richter unter Anlegung des durch die Heiligkeit der Ehe gebotenen Maßstabes auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalles feststellen, daß der Entschluß, von dieser Ehe um des fraglichen Mangels willen abzustehen, bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe gerechtfertigt gewesen wäre358. Ausgeschlossen ist die Anfechtung wegen 352 BGB § 1333. Hierdurch ist gegenüber der auf Verkehrsgeschichte zugeschnittenen Fassung des § 1192 die Anfechtungsmöglichkeit eingeschränkt, jedoch eine Fülle theoretischer Streitfragen entfesselt und die Erzielung eines angemessenen Ergebnisses schließlich dem Taktgefühl der Praxis überwiesen. 353 So z. B. in körperlicher Krankheit, wie unheilbarer Tuberkulose (RGer b. Seuff. LXX Nr. 187), Epilepsie, ekelerregender Flechte, ungeheilter Syphilis (Literaturangaben b. Wolff § 25 Anm. 30). Ferner in impotentia coeundi (oben § 231 Anm. 179), während es bedenklich ist, wenn das RGer XCIV Nr. 35 Zeugungsunfähigkeit des Mannes oder Gebärunfähigkeit der Frau gleichstellt. 354 So z. B. in Geisteskrankheit oder Geistesschwäche, Morphinismus, Kleptomanie. 355 So z. B. in ehrloser Gesinnung, Verlogenheit, Schwindlertum, Trunksucht, Spielleidenschaft, Paederastie (RGer LII Nr. 82, XCV Nr. 289). Dahin gehört auch in Ansehung der Braut Mangel der vorausgesetzten Jungfräulichkeit (RGer XVII Nr. 58, XXV Nr. 70), Schwangerschaft von einem Anderen (Seuff. LI Nr. 110, RGer b. Seuff. LIV Nr. 153, LV Nr. 78), frühere uneheliche Geburt (RGer XVII Nr. 58); vgl. auch Rspr. d. OLG XI 280, XIV 216, RGer in JWSchr. 1912 S. 244, OLG München b. Seuff. LXIX Nr. 125. 356 Wie vorübergehende Krankheit (z. B. heilbare Tuberkulose, Rspr. b. Seuff. LXX Nr. 187), oder Geistesstörung (RGer LXXIII Nr. 31). Auch begangenes Verbrechen oder erlittene Strafe ist keine persönliche „Eigenschaft“. Doch kann sich schon aus einer einzelnen sittlichen Verfehlung, die dem anderen Teil unbekannt blieb, ein zur Eheanfechtung berechtigender Charakterfehler, eine ehrlose Gesinnung, ein Makel der Persönlichkeit ergeben; RGer LII Nr. 82. 357 RGer in JWSchr 1904 S. 114, 1910 S. l004. 358 Hierdurch wird der Richter in den Stand gesetzt, einer mit den sonstigen Grundsätzen unseres Eherechts unvereinbaren Ausdehnung des Anfechtungsrechts im Sinne individualistischer Auffassungen zu steuern, zugleich aber den in den einzelnen Volksschichten lebendigen ungleichen Anschauungen Rechnung zu tragen. Bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe muß Jedermann darauf gefaßt sein, daß sich persönliche Eigenschaften des anderen Ehegatten enthüllen, die der erhofften vollen Lebensgemeinschaft schwer überwindliche Hindernisse bereiten. Darum werden manche vor Eingehung der Ehe nicht erkannte persönliche Mängel auch dann, wenn sie den anderen Teil bei voller Kenntnis der Sachlage abgeschreckt hätten, sein Lebensglück aufs Spiel zu setzen, niemals oder fast niemals die Anfechtung der Ehe rechtfertigen. So z. B. bloße Kränklichkeit, Körperschwäche, Nervosität, reizbares Temperament, Unfruchtbarkeit (vgl. OLG Kiel b. Seuff. LXII Nr. 160). Oder geistige Inferiorität, Dummheit, Bildungsunfähigkeit, Unbegabtheit. Oder Charakterschwäche, Geiz, Verschwendungssucht, Eitelkeit, Leichtsinn, Zanksucht, Unaufrichtigkeit; RGer JWSchr 1903 Beil.
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eines noch so schwer wiegenden Irrtums über solche Verhältnisse oder Beziehungen des anderen Ehegatten, die überhaupt nicht zu seinen persönlichen Eigenschaften gehören, wie z. B. Herkunft, Stand, Beruf, Staatsangehörigkeit, Religionsbekenntnis, Qualität der Familienangehörigen, Vermögensverhältnisse359. Es müßte denn der Irrtum durch ein Verhalten des anderen Teils herbeigeführt sein, in dem sich ein als relevante persönliche Eigenschaft zu erachtender Charakterfehler offenbart360. d) Die geschichtlichen Wurzeln des heutigen Rechts liegen in dem vom kanonischen Recht als privates trennendes Ehehinderniß ausgebildeten „impedimentum erroris“. Als ein solches gilt dem kanonischen Recht grundsätzlich nur der Irrtum über die Identität der Person (error personae) und ausnahmsweise die Unkenntnis des Sklavenstandes des anderen Teils (error condicionis servilis)361. Im evangelischen Kirchenrecht wurde der Einfluß des Irrtums über wesentliche Eigenschaften der Person auf die Gültigkeit der Ehe erweitert, jedoch über das Maß keine Einigkeit erzielt362. Die staatlichen Gesetze hielten zum Teil am Standpunkt des kanonischen Rechts fest363. Manche von ihnen stellten aber dem Irrtum in der Person
S. 71. Bei den heutigen Verhältnissen leider auch voreheliche Unkeuschheit des Mannes, wenn nicht etwa ehebrecherischer Verkehr, in dem sich eine ehrlose Gesinnung offenbart, vorliegt; Rspr. d. OLG VII 100 ff., RGer in JWSchr 1902 Beil. 285, 1910, S. 107. Gewisse andere Mängel aber sind je nach den Gesellschaftskreisen, denen die Ehegatten angehören, mit Rücksicht auf die herrschenden Anschauungen und Sitten ungleich zu werten. So insbesondere der Mangel der Virginität; RGer XXV Nr. 40, Seuff. LIV Nr. 153. Vgl. Rietschel a. a. O. S. 355. 359 Gegen die Gleichstellung von „persönlichen Verhältnissen“ mit „persönlichen Eigenschaften“ durch Hölder a. a. O., S. 32 ff. u. 40 ff. u. Opet zu § 1333 Bem.1 b , , vgl. bes. Rietschel a. a. O. S. 359 ff. So hat auch das RGer LXXIII Nr. 31 die Ansicht der Vorinstanz, daß die Abstammung aus einer mit Geisteskrankheit erblich belasteten Familie eine persönliche Eigenschaft im Sinne des § 1333 sei, nachdrücklich zurückgewiesen; ebenso schon für das gem. R. XXVII Nr. 38. 360 Dies kann auch der Fall sein, ohne daß arglistige Täuschung vorliegt. 361 Als Identitätsirrtum wird jedoch auch ein error qualitatis in personam redundans gewertet, der vorliegt, wenn man eine Person irrig für eine andere vorgestellte Person, z. B. den Lebensretter oder die Freundestochter, hält. Zeitweise wurden unter diesem Gesichtspunkte Versuche einer weiteren Ausdehnung des Qualitätsirrtums unternommen, jedoch schließlich überwunden, so daß die Unbeachtlichkeit jedes anderen Irrtums über persönliche Eigenschaften, insbesondere auch über Verbrechertum und Lasterhaftigkeit, sowie über Unkeuschheit oder Schwangerschaft, feststeht. Vgl. v. Scherer § 217 VI u. VII, Friedberg § 142 III, v. Scheurl, Eherecht S. 139 ff. 362 Vgl. Friedberg a. a. O., v. Scheurl a. a. O. S. 149 ff., Richter-Dove-Kahl § 270 III. Ueberwiegend wurde Irrtum über die Virginität und über Schwangerschaft von einem Dritten als Annullationsgrund anerkannt; vgl. die Nachweisungen aus der Praxis b. Friedberg Anm. 13. Vielfach auch Irrtum über Anlage zur Epilepsie oder Geisteskrankheit. Dagegen nicht Irrtum über sittliche Mängel, Verbrechen oder Strafen; OLG Hamb. b. Seuff. XLIII Nr. 195. 363 So Code civ. a. 180 nach der Ansicht des RGer XXIII Nr. 74. Ebenso Oesterr. Gb. § 57 mit einer Erweiterung bei Schwangerschaft durch § 58.
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bestimmte Spezialfälle des Irrtums über Eigenschaften der Person gleich364. Nur das Preußische Landrecht sprach in Anlehnung an das allgemeine Vertragsrecht grundsätzlich dem Irrtum über „persönliche Eigenschaften“ die Kraft zu, der Eheschließung die Gültigkeit zu entziehen365. Diesen Weg hat das BGB weiter verfolgt366. Das Schweiz. ZGB hat ihn gleichfalls beschnitten, aber das Anfechtungsrecht wegen Irrtums dadurch elastischer ausgestaltet, daß es dasselbe dem Ehegatten gewährt, wenn er zur Eheschließung bestimmt worden ist durch „einen Irrtum über Eigenschaften des anderen Ehegatten, die von solcher Bedeutung sind, daß ihm ohne ihr Vorhandensein die eheliche Gemeinschaft nicht zugemutet werden darf“367. 2. Arglistige Täuschung. Nach dem BGB kann ein Ehegatte die Ehe anfechten, wenn er durch arglistige Täuschung über solche Umstände, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung dieser Ehe abgehalten haben würden, zur Eheschließung bestimmt ist; die Täuschung durch einen Dritten kommt dabei nur in Betracht, wenn der andere Ehegatte sie bei der Eheschließung gekannt hat368. In vielen Fällen hat hiernach der Ehegatte die Wahl, ob er wegen Irrtums oder wegen Betruges anfechten will. Allein in manchen Fällen steht ihm der Weg der Betrugsanfechtung offen, während Irrtumsanfechtung ausgeschlossen ist. Denn die „Umstände“, auf die sich die Täuschung bezieht, brauchen nicht in persönlichen Eigenschaften des anderen Ehegatten bestehen, können vielmehr auch dessen Herkunft, Stand oder Beruf, seine Familienbeziehungen, seine Staatsangehörigkeit, die Stellung zur Kirche, bestimmte frühere Erlebnisse u.s.w. betreffen369. In anderen Fällen ist umgekehrt die 364 So Sächs. Gb. §§ 1595 – 1596 mit sehr genauen Begrenzungen. Auch Portugies. G. v. 25. Dez. 1910 a. 20. 365 Preuß. ALR II, 1 § 40: Irrtum in der Person oder „in solchen persönlichen Eigenschaften, welche bei Schließung einer Ehe von dieser Art vorausgesetzt zu werden pflegen“. Mit Verweisung auf I, 4 §§ 75 – 83. 366 Entw. I hielt sich streng an das kanonische Recht, wollte aber durch eine übermäßige Ausdehnung der Ausschlußbefugniß wegen Betruges Abhülfe schaffen. 367 Art. 124 Z. 2 (Z. 1 stimmt mit dem BGB überein). Vgl. über die Tragweite im Einzelnen die Untersuchungen von Egger S. 60 – 64. 368 BGB § 13341. Gegenüber § 123 wesentlich verengt. 369 So z. B., wenn der Bräutigam Adel oder einen vornehmen Beruf oder die Braut Herkunft aus anständiger Familie vorgetäuscht hat; oder wenn ein Teil den anderen Teil glauben gemacht hat, seine Eltern weilten in einem Badeorte, während sie im Zuchthause sitzen; oder wenn der Bräutigam der Braut einen gefälschten Brief mit dem Jawort ihres Vaters gezeigt hat; oder wenn ein Ausländer der Braut, die nur einen Deutschen heiraten wollte, die Reichsangehörigkeit vorgespiegelt hat. Auch die Verheimlichung einer früheren geschiedenen Ehe (RGer V Nr. 46), vorhandener unehelicher Kinder, einer erlittenen Strafe usw. kann unter Umständen relevanter Betrug sein. – Viel behandelt ist die Frage, ob der Bruch des Versprechens, auf die Eheschließung die kirchliche Trauung folgen zu lassen, Anfechtungsgrund sein kann. Man wird das für den Fall bejahen müssen, daß die Zusage in Täuschungsabsicht gegeben ist. A.M. G. Bollert in der Monographie: „Welche Rechte begründet bei bestehender obligatorischer Zivilehe für den einen Ehegatten die Weigerung des anderen,
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Anfechtung auf Grund arglistiger Täuschung ausgeschlossen, während Irrtumsanfechtung möglich bleibt. Denn das BGB untersagt schlechthin jede Anfechtung der Ehe auf Grund einer Täuschung über Vermögensverhältnisse370. Wenn aber der Täuschungsvorgang den anderen Ehegatten als Schwindler entlarvt, so bleibt die Anfechtung wegen Irrtums zulässig371. Die Bestimmungen des BGB knüpfen an das evangelische Kirchenrecht an, das im Gegensatz zum kanonischen Recht ein selbständiges Ehehinderniß des Betruges ausgebildet hat372. Ihm sind auch manche ältere staatliche Gesetze gefolgt373. Das Schweiz. ZGB weicht auch hier hauptsächlich in der Fassung vom BGB ab374. 3. Drohung. Der Ehegatte kann die Ehe anfechten, wenn er zu ihrer Eingehung widerrechtlich durch Drohung bestimmt ist. In dieser Hinsicht gilt nach dem BGB genau das Gleiche, wie für jedes Rechtsgeschäft375. Auch im kanonischen Recht und im evangelischen Kirchenrecht wurde der die Freiheit der Willensbestimmung ausschließende Zwang als ein privates trennendes Ehehinderniß angesehen376, und die staatliche Gesetzgebung hat daran überall festgehalten377. Dabei wurden stets die allgemeinen Grundsätze über die Bedeudie kirchlicherseits vorgeschriebene Eheform zu erfüllen, 1892 (Berl. Diss.) für das gem. preuß. u. französ. R. 370 BGB § 13342. Dieser erst im Reichstage beschlossene Zusatz schießt über das Ziel hinaus! Der leichtsinnige Schuldenmacher, der zur Abwendung des Zusammenbruches durch Vorspiegelung guter ökonomischer Lage oder eines hohen Einkommens die reiche Frau erhascht, die vermögenslose Braut, die den Offizier durch Vorspiegelung des Besitzes der zur Heiratskaution erforderlichen Mittel zur Eheschließung bewegt, verdienen kein Privileg. 371 Vgl. oben Anm. 360. Doch ist diese Abhilfe durchaus nicht immer möglich. 372 Friedberg § 142; RGer V Nr. 46, XVIII Nr. 45. Abweichend v. Scheurl, Eherecht S. 45 ff. 373 Preuß. LR § 39; Sächs. Gb. §§ 1597 – 1598; Schweiz. BG v. 1874 a. 50. Die Täuschung über Vermögensverhätnisse ist nirgends ausgenommen. – Das französ. u. oesterr. R. folgen dem kanon. R. 374 A. 125. Es gestattet freilich die Anfechtung nur 1.) bei arglistiger Täuschung über die Ehrenhaftigkeit des anderen Ehegatten und 2.) bei Verheimlichung einer Krankheit, die eine hohe Ansteckungs- oder Vererbungsgefahr bietet. Allein nach der Auslegung von Egger, Bem. 3, wird in Z. 1 nur unehrenhafte Gesinnung als Quelle der Täuschung über irgendwelche erheblichen Umstände, zu denen auch Vermögensverhältnisse gehören können, verlangt. Ueber die Bedeutung der Sonderbestimmung für Krankheiten (bes. hinsichtlich der Aufklärungspflicht bei Geschlechtskrankheiten) vgl. Egger Bem. 4. 375 BGB § 1335 mit § 1231. Als Anfechtungsgrund genügt also jede Drohung, die widerrechtlich ist und [den] Bedrohten tatsächlich zur Eingehung der Ehe bestimmt hat. Gefahr für Leib und Leben ist nicht erforderlich. Gleichgültig ist, ob ein freier Entschluß zur Eingehung der Ehe verständig gewesen wäre. Bedrohung durch einen Dritten ist ausreichend, wennschon der andere Ehegatte um sie nicht gewußt hat. – Körperlicher Zwang und sonstige einen bewußten Entschluß überhaupt ausschließende Einwirkung würde die Ehe nicht blos anfechtbar, sondern nichtig machen; oben Anm. 344. 376 v. Scherer § 112 V. Richter-Dove-Kahl § 270 II. Friedberg § 142 II. Man unterschied meist vom „impedimentum metus“ das „i. vis“ (bei vis absoluta).
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tung von „vis“ und „metus“ für Willenserklärungen angewandt, daher durch den Wechsel der in dieser Hinsicht herrschenden Anschauungen mancherlei Verschiedenheiten hervor[ge]rufen. Einig war man immer, daß die Beeinflussung des Eheschließungswillens durch ehrerbietige Scheu vor dem Willen der Eltern oder anderer Respektspersonen (metus reverentialis) der Gültigkeit der Ehe nicht entgegenstehe378. Das besondere Ehehinderniß der Entführung ist aus dem geltenden deutschen Recht verschwunden379. Das spätrömische Recht hatte die Ehe zwischen dem Entführer und der Entführten schlechthin verboten, die fränkische Gesetzgebung gegenüber den germanischen Volksrechten, die den Frauenraub zwar straften, aber die Ehe nicht ausschlossen, das Verbot in verschärfter Form wieder aufgenommen380. Dagegen schränkte das kanonische Recht nach manchen Schwankungen das impedimentum raptus im Sinne der alleinigen Betonung des freien Konsenses der Frau ein, während es der Verletzung der Elternrechte (raptus in parentes) keine Bedeutung für die Gültigkeit der Ehe beilegte. Immerhin entwickelte es ein selbständiges Ehehinderniß der Entführung, das der Eheschließung zwischen dem Entführer und der Entführten, auch wenn sie mit ihrem Willen entführt ist, so lange entgegensteht, bis sie sich in voller und gesicherter Freiheit außerhalb des Gewaltbereiches des Entführers befindet, und das abweichend vom impedimentum metus ein trennendes öffentliches, nicht blos privates Hinderniß ist381. Das evangelische Kirchenrecht nahm das Ehehinderniß auf, gestaltete es aber seinem Standpunkt gemäß vornehmlich im Sinne der Abwehr von Eingriffen in das elterliche Konsensrecht aus382. Von den neueren staatlichen Gesetzen hat das Oesterreichische Gesetzbuch das Ehehinderniß festgehalten383. Dem preußischen und französischen Recht blieb es fremd, und für ganz Deutschland wurde es schon durch das Personenstandsgesetz beseitigt. Die Entführung kann nur insoweit, als sie einen Willenszwang einschließt, ehehindernd wirken. 377 Preuß. LR § 39. Code civ. a. 180. Oesterr. Gb. § 55. Sächs. Gb. § 1593. Schweiz. ZGB a. 126. 378 Besonders ausgesprochen im Sächs. Gb. § 1593. 379 Vgl. über das impedimentum raptus v. Scherer § 124, v. Scheurl, Eherecht § 41, Richter-Dove-Kahl § 124, Friedberg § 143. Ueber das zur Zeit des Erlasses des PStG in Deutschland geltende und durch dieses beseitigte Recht Hinschius, Komm. zu § 39 Bem. 3, v. Sicherer S. 331. 380 Vgl. I. un. C. 9, 13; oben § 228 Anm. 3; Cap. Aquisgran. v. 818 c. 23 u. spätere Kapitularien und Synodalbeschlüsse bei v. Scherer a. a. O. Anm. 10 – 11. Die Einwilligung der Entführten war unerheblich. Als Strafe wurde sogar absolute Eheunfähigkeit angedroht. 381 Endgültig festgestellt durch Conc. Trid. c. 6 sess. XXIV der reform. matr. Aufgenommen ins Bayr. LR I, 6 § 8 Nr. 9. 382 Meist aber nur als impedimentum privatum. 383 Oesterr. Gb. § 56. Uebereinstimmend mit dem kanon. R. Vgl. Krainz-Pfaff-Ehrenzweig § 427 Z. 2 u. § 430 I 1. – Auch das Sächs. Gb. § 1594 erklärt zwar die Entführung für ein Ehehinderniß, aber nur dann, wenn nach § 1593 eine durch Zwang oder Furcht abgenötigte Einwilligung anzunehmen ist.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Dritter Titel
Form der Eheschließung § 238. Geschichte der Eheschließungsform384 I. Aelteres deutsches Recht Die echte Ehe kam nach den germanischen Volksrechten, wie oben gezeigt ist, durch die Trauung (traditio puellae) zu Stande. Ihr rechtlicher Gehalt bestand in der Vollziehung des Verlobungsvertrages durch Uebertragung der Munt. Damit war das durch die Verlobung begründete Gemeinschaftsverhältnis in eine Ehe übergeführt385. Die Trauung war feierliche Uebergabe (Anvertrauen, Treuhingabe) der Braut an den Mann, der sie nun heimführte. Seine Gegengabe bestand einstmals in der Uebergabe des versprochenen Wittums, so weit es noch nicht entrichtet war, später, seit es an die Frau fiel, in der gehörigen Bestellung des Wittums und der Aushändigung der oft ausgefertigten Wittumsurkunde. Als rechtsförmlicher Akt wurde die Trauung mit Worten und Sinnbildern vollzogen386. Sie fand vor beiderseitigen Sippengenossen (nur bei der salfränkischen Witwe vor Gericht) statt: Ursprünglich traute der Muntwalt. Seit der Selbstverlobung der Braut entwickelte sich auch ihre Selbsttrauung. Sie wählte aber dazu einen besonderen Vormund, den sie bat, sie zu trauen. Anfänglich pflegte sie einen Laienvormund zu küren387. Mehr und mehr aber wurde es Sitte, daß sie den Geistlichen, der die Ehe einsegnen sollte, ersuchte, vorher die Trauung vorzunehmen. Nunmehr änderten sich auch die gebrauchten Formeln und Symbole. Die Verlobten erklärten einander unter 384 Vgl. die oben zu § 228 Anm. 1 angef. Lit. Ferner Stobbe-Lehmann § 271. RichterDove-Kahl, KR §§ 281 – 283. Friedberg, KR §§ 153 – 155, v. Scherer, KR §§ 111 – 113. Endemann § 154. Dernburg § 9. Wolff § 18. 385 Gewisse von der Munt unabhängige Ehewirkungen, wie nach Sachsensp. III a. 45 § 3, die eheliche Genossenschaft, traten freilich erst mit dem Beilager ein; vgl. unten § 244 I. Allein das entscheidende Kennzeichen echter Ehe war die Munt. 386 Die Sinnbilder waren nach Zeit und Ort mannichfach verschieden. Als Zeichen der Uebertragung der Gewalt auf den Mann begegnen z. B. Speerreichung, Schwertumgürtung, Schoßsetzung, Umhüllung der Braut mit einem Mantel, als Zeichen des Herrschaftsantritts Ergreifung der Hand oder Treten auf den Fuß der Frau, für Letzteres später der Empfang des Pantoffels, der dann die bekannte humoristische Umdeutung erfuhr. Viele in Hochzeitsgebräuchen fortlebende sinnbildliche Handlungen und Gaben haben andere personen- oder vermögensrechtliche Ehewirkungen zum Ausdruck zu bringen. Sehr eigenartig ausgestaltet war die Symbolik des langobardischen Rechts (besonders bei der oft vorweggenommenen Scheintrauung mit Rücktradition der Braut). – Vgl. Sohm, Eheschließung S. 65 ff., v. Andreae, Recht3 S. 179, Hübner, Grundz. S. 530, E. Mayer, Die Einkleidung im german. R., 1913, S. 39 ff., 39, auch meine Schr. über Schuld u. Haftung S. 364 ff. 387 So nach mittelalterlichen Gedichten nicht selten den König, den Hauswirt, einen Freund des Bräutigams, einen erfahrenen Greis; Beispiele bei Friedberg, Eheschließung S. 80 ff., und Sohm, Eheschließung S. 69.
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Wiederholung der Verlobung durch beiderseitiges Jawort und Ringwechsel den Eheschließungswillen388, der Trauende übergab nicht mehr blos die Braut dem Manne, sondern traute beide Verlobte einander, er „gab, sprach oder befahl sie zusammen“389. II. Römisches Recht Die altrömische Manusehe war reformbedürftig; sie wurde durch die sakralrechtliche confarreatio oder die zivilrechtliche coëmtio geschlossen oder durch Ersitzung der manus mittels einjährigem usus begründet. Dagegen bedurfte die freie Ehe keiner Form; sie kam durch ausdrückliche oder stillschweigende Einigung über das Zusammenleben in ehelicher Gemeinschaft zu Stande. Seit dem Verschwinden der Manusehe galt daher allgemein der Satz: consensus facit nuptias. Die üblichen Feierlichkeiten waren für den rechtlichen Bestand der Ehe bedeutungslos390. III. Kanonisches Recht Das kanonische Recht schloß sich zunächst an das römische Recht an und rezipierte den Satz „consensus facit nuptias“. Die Kirche machte aber schon seit dem zweiten Jahrhundert ihren Angehörigen die professio apud ecclesiam zur Pflicht und vollzog, falls die Ehe ihre Billigung fand, deren kirchliche Einsegnung. Seit der unter dem Einflusse des germanischen Verlobungsbegriffs ausgebildeten Sponsalienlehre391 in Verbindung mit der Durchführung des sakramentalen Wesens der Ehe, wobei die Auffassung durchdrang, daß Spender des Sakraments die sich vereinigenden Ehegatten selbst seien, gewann neben dem consensus nuptialis die consummatio matrimonii erhöhte Bedeutung für die zustande kommende Ehe. Sponsalia de futuro gehen durch Vollziehung des Beischlafes ohne Weiteres in eine Ehe über, Sponsalia de praesenti begründen die Ehe, doch bleibt bis zur fleischlichen Vereinigung noch deren Auflösung durch votum eines Teiles möglich. Die kirchliche Einsegnung der Ehe wird nach wie vor verlangt, blieb aber für die Gültigkeit der Ehe und ihre sakramentale Natur bedeutungslos. Die vom weltlichen Recht geforderten Förmlichkeiten der Eheschließung ließ das kanonische Recht nicht nur unberührt, sondern sah ihre Erfüllung als wünschenswert an. So beförderte es auch die Beibehaltung der germanischen Trauung 388 Sohm a. a. O. S. 101 ff. Daher auch Trauungsformeln, die den Verlobungsformeln stark ähneln und oft mit diesen verwechselt sind. 389 Sohm a. a. O. S. 72 ff. 390 So die Hochzeitsfeier, die Aushändigung von Dotalurkunden, die deductio in domum mariti. Doch macht 1.5 D. 23, 2 von letzteren den Beginn der Ehe abhängig. 391 Vgl. oben § 228 III.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
und ihre mehr und mehr in Uebung kommende Vornahme durch den Geistlichen. Doch blieb die Trauung ein weltliches Geschäft, das an sich auch ein Laie erledigen konnte. Darum vollzog sie der Geistliche stets nur im Auftrage der Verlobten und getrennt von der kirchlichen Einsegnung der Ehe. Meist fand die kirchliche Trauung vor der Kirchentür oder doch, seit sie in die Kirche verlegt wurde, nicht vor dem Altare statt. Und irgend eine rechtliche Bedeutung legte das kanonische Recht der Trauung nicht bei. IV. Evangelisches Kirchenrecht Das evangelische Kirchenrecht hielt zunächst an der kanonischrechtlichen Grundlage fest. Man drang zwar auf kirchliche Einsegnung und verband mit ihr regelmäßig die vorherige Trauung durch den Geistlichen, ließ aber die Ehe auch ohne kirchliche Mitwirkung durch Vollzug des Verlöbnisses zu Stande kommen392 Allein schon seit dem 16.Jahrhundert bahnte sich die Bewegung an, vermöge deren die priesterliche Trauung allmählich zur rechtlichen Eheschließungsform wurde. Die Kirchenordnungen machten die in der deutschen Sitte vorherrschende kirchliche Trauung obligatorisch und verboten die Laientrauungen, die im 16. Jahrh. noch vorkamen, im 17. Jahrh. verschwanden. Sie erklärten ferner die kirchliche Trauung für das normale Mittel der consummatio matrimonii und verboten das vorherige Beilager als Verstoß wider christliche Zucht und Sitte. Seit dem 17. Jahrhundert schrieben sie allgemein, wenn trotzdem die Ehe vorher durch Beilager konsummiert war, die Nachholung der Trauung und erforderlichen Falles die Zwangstrauung vor. Im 18. Jahrhundert drang dann im Zusammenhange mit der veränderten Auffassung der Verlobung die Erhebung der kirchlichen Trauung zur alleinigen und ausreichenden Eheschließungsform durch; auch die Zwangstrauung, soweit sie festgehalten wurde, erschien nun als Ehebegründung393. Von dieser Verkirchlichung der Trauung wurde ihr im germanischen Recht entwickelter Rechtsgehalt nicht berührt. Nur konnte seit der Losreißung des Ehekonsenses vom Verlobungskonsens die Trauung nicht mehr auf eine Wiederholung der Verlobung, sondern nur auf eine neue und selbständige Erklärung des Eheschließungswillens gegründet werden. Zum integrierenden Bestandteil der Trauung wurde so die auf Befragung durch den Geistlichen von beiden Verlobten abgegebene feierliche Erklärung des Ehekonsenses. Als zweiter wesentlicher Bestandteil aber erhielt sich der in alter Weise gefaßte Ausspruch des Geistlichen, daß er die Verlobten nunmehr als Ehepaar zusammenspreche oder zusammengebe. Darauf erfolgt die kirchliche Einsegnung der geschlossenen Ehe394.
392 Luther erklärt es zwar für Amtspflicht, die erbetene Trauung und Einsegnung zu gewähren, setzt aber voraus, daß die Verlobten den Geistlichen damit beauftragt haben. 393 Vgl. oben § 228 Anm. 44 – 46. 394 Ueber die Entwicklung der Trauungsformulare vgl. Sohm a. a. O. S. 214 f.
3. Titel: Form der Eheschließung
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V. Neueres katholisches Kirchenrecht Die katholische Kirche reformierte das kanonische Recht durch die Einführung der vom Tridentiner Konzil beschlossenen Eheschließungsform395. Sie besteht in der Erklärung des Ehekonsenses vor dem zuständigen Pfarrer und zwei oder drei tauglichen Zeugen. Diese öffentliche kirchliche Form ist rechtsnotwendig, so daß ohne sie eine gültige Ehe nicht zu Stande kommen kann. Die consummatio matrimonii durch das Beilager behält nur insofern Bedeutung, als erst sie die Ehe schlechthin unlöslich macht. Kirchliche Trauung und Segnung werden mit der Tridentiner Form verbunden, entbehren aber jeder Bedeutung für den Bestand der Ehe. Es bedarf überhaupt keiner Mitwirkung des Geistlichen; seine passive Assistenz genügt, selbst wenn er überlistet oder mit Gewalt zur Anhörung der Erklärung genötigt war. In dieser Beziehung hat erst das Decretum „Ne temere“ vom 3. August 1907 eine durchgreifende Aenderung gebracht, indem ihm zufolge der Pfarrer um seine Assistenz ersucht sein, sie freiwillig und ungezwungen leisten und innerhalb seines Sprengels fungieren muß396. Irgend eine Erklärung des Geistlichen ist nach wie vor nicht erforderlich. Wo das Tridentinum nicht gehörig publiziert ist, blieb das alte kanonische Recht in Kraft. Dies war in Deutschland bis vor Kurzem in allen seit 1624 als evangelisch geltenden Gebieten der Fall. Die Bulle „Provida“ v. 18. Jann. 1906 hat aber die Geltung des Tridentiner Rechts auf ganz Deutschland erstreckt397. VI. Staatliche Gesetzgebung Die neuere staatliche Gesetzgebung erkannte zunächst in Deutschland die kirchenrechtlichen Formen auch als bürgerlich wirksame Formen der Eheschließung an. Auch das Preußische Allgemeine Landrecht ließ, obschon es ein rein staatliches Eherecht aufstellte, eine vollgültige Ehe lediglich durch „priesterliche Trauung“, bei Angehörigen staatlich geduldeter „fremder“ Religionsgemeinschaften aber durch die den Gebräuchen ihrer Religion entsprechende Eheschließungsform c.1 Sess. XXIV de ref. matr. Ausnahmsweise ist die Eheschließung vor zwei Zeugen ohne kirchliche Assistenz zuläßig und gültig, wenn ein zuständiger Geistlicher am Orte seit einem Monat fehlt. Zuständig ist, wie schon nach dem Tridentinum (RGer VIII Nr. 66), außer dem parochus proprius auch der Ordinarius oder ein von einem von ihnen ermächtigter anderer Priester. Die Unzuständigkeit des Pfarrers macht aber nicht mehr, wie nach dem Tridentinum, die Eheschließung nichtig, sondern nur (außer bei dringender Todesgefahr) unerlaubt. 397 Doch bestimmt sie zugleich, daß die Ehen von Katholiken mit nichtkatholischen Christen und von nichtkatholischen Christen untereinander, wenn sie in Deutschland von geborenen Deutschen geschlossen sind, auch ohne die Wahrung der kirchlichen Eheschließungsform gültig sind. Insoweit bleibt also auch die Eheschließung vor dem Standesbeamten, die ja den Anforderungen des vortridentiner Rechts genügt, für das katholische Kirchenrecht vollwirksam. 395 396
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
zu Stande kommen398. Damit dehnte das preußische Recht, wie übrigens auch das württembergische Recht, die protestantische Eheschliessungsform auch auf Katholiken aus. Umgekehrt erhob das Oesterreichische Gesetzbuch die Tridentiner Eheschliessungsform für alle christlichen Ehen zur staatlichen Form399. Das Sächsische Gesetzbuch dagegen hielt sich an das gemeine Recht und schrieb allgemein die Beobachtung der Form vor, die den Grundsätzen der Kirchen- und Religionsgesellschaften entspricht, denen die Ehegatten angehören400. Mehr und mehr indeß drängte die fortschreitende Auseinandersetzung zwischen staatlichem und kirchlichem Eherecht zur Einführung einer von kirchlicher Mitwirkung unabhängigen bürgerlichen Eheschließungsform, wie sie in Gestalt der vor einem staatlichen Beamten (dem „Standesbeamten“) geschlossenen „Zivilehe“ nach vereinzelten Vorstößen des niederländischen und englischen Rechts zuerst in Frankreich durch die revolutionäre Gesetzgebung prinzipiell ausgebildet worden war401. Die Bewegung entsprang teils aus Toleranzrücksichten für Angehörige staatlich nicht rezipierter Religionsgemeinschaften, teils aus dem theoretischen Postulat der Trennung von Staat und Kirche, wurde dann aber durch das praktische Bedürfnis einer Lösung der Konflikte gefördert, die sich seit der Spaltung des materiellen staatlichen und kirchlichen Eherechts einstellten, wenn die Betätigung der Kirche zur Schließung einer die bürgerlichrechtlichen Erfordernisse erfüllenden Ehe staatlicherseits verlangt, kirchlicherseits aber verweigert wurde. In Deutschland erfolgte zunächst, da das gemeine Recht an der kirchlichen Eheschließungsform festhielt, die Einführung der Zivilehe durch part[ik]uläre Gesetze, die je nach ihren Beweggründen ungleiche Wege einschlugen. In einigen Staaten wurde die Zivilehe als Ersatz der kirchlichen Eheschließungsform für die keiner anerkannten christlichen Kirche angehörigen Personen, insbesondere für Dissidenten und Juden, eingeführt402. Dieses System geht auf ausländische Vorbilder zurück und begegnet noch heute in ausländischen Gesetzen403. Preuß. LR II, 1 §§ 136 u. 137. Oesterr. Gb. § 75. Für jüdische Ehen regelte es ausführlich die dem jüdischen religiösen Eherecht entsprechende Eheschließungsform; §§ 126 – 131. 400 Sächs. Gb. § 1588. 401 Ueber die Geschichte der Zivilehe vgl. bes. Friedberg, Recht der Eheschließung, dazu die Geschichte der Zivilehe 21877 u. KR. § 155; ferner v. Scherer S. 219 ff.; speziell für Deutschland Hinschius, Komm. zum PStG., Einl. S. 3 ff. In den Niederlanden wurde 1580 für die Staaten Holland u. Westfriesland, 1656 für alle Staaten die Zivilehe für Reformierte fakultativ, für Nichtreformierte obligatorisch eingeführt (Friedberg, Eheschliessung S. 478 ff.). In Großbritannien wurde 1653 die obligatorische Zivilehe eingeführt, jedoch bald wieder beseitigt (Friedberg a. a. O. S. 322 ff.). In Frankreich erging, nachdem 1787 die Zivilehe für Protestanten eingeführt war, das die obligatorische Zivilehe allgemein durchführende Ges. v. 20. Sept. 1792, das die Grundlage der Bestimmungen des Code civ. a. 63 – 76, 165 – 202 bildet. 402 So in Preußen durch V. v. 30. März 1847 für Dissidenten und durch Ges. v. 23. Juli 1847 für Juden; 1867 auf die neuen Provinzen ausgedehnt. Aehnlich in Koburg-Gotha 1863 und für Dissidenten im K. Sachsen 1870 u. in Schwarzburg S. 1872. Fakultativ für Dissiden398 399
3. Titel: Form der Eheschließung
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Anderswo führte man die Zivilehe als Notbehelf für Fälle ein, in denen die kirchliche Eheschließung nicht zu erlangen war oder, wie vielfach bei Ehen zwischen Christen und Juden, überhaupt nicht zu Gebote stand404. Das System der bloßen „Notzivilehe“ gilt heute noch namentlich in Oesterreich405. Bisweilen wurde den Verlobten die Wahl zwischen der kirchlichen Eheschließungsform und der bürgerlichen Eheschließungsform gestattet und somit jeder der beiden Formen bürgerrechtliche Wirkung beigelegt406. Das System der sog. „fakultativen Zivilehe“ gilt seit 1863 in England und seit 1908 in Schweden407. Schließlich aber siegte in Deutschland das Prinzip der ausschließlichen Geltung der bürgerlichen Eheschließungsform, der sog. „obligatorischen Zivilehe“. In den Gebieten des französischen Rechts (außer in Baden) mit dem Code civil in Geltung geblieben, wurde die obligatorische Zivilehe im Jahre 1848 zu einem Bestandteil der liberalen Programme gestempelt, in den deutschen Grundrechten (§§ 20 – 21) und vielen Verfassungsurkunden (insbesondere noch in der Preuß. V. U. v. 1850 art. 19) verheißen und in mehreren Staaten durchgeführt408. Das Personenstandsgesetz von 1875 erhob sie zu Reichsrecht. Auch im Auslande hat ihr der Einfluß des französischen Rechts ein großes Geltungsgebiet verschafft409. Das BGB hat trotz mehrfach erhobenen Widerspruchs an der obligatorischen Zivilehe festgehalten. Es hat die wichtigsten Bestimmungen des PStGes übernommen, jedoch erhebliche Aenderungen getroffen410. Die nähere Ordnung des Verten auch in Anhalt-Bernburg (1851), Württemberg (1855), Nassau (1863), Weimar (1864), Bayern (1868), Reuß j. L. (1872). 403 Vgl. über älteres niederländ. u. französ. R. oben Anm. 401. In Portugal seit 1868 für Nichtkatholiken. In Rußland seit 1874 für Dissidenten. Auch in Dänemark und Norwegen. 404 So in Lübeck (1852), Württemberg (1855), Baden (1860), K. Sachsen (1870); speziell für Ehen zwischen Christen und Juden in Braunschweig (1848) und Hamburg (1849). 405 Ges. v. 25.Mai 1868 u. v. 9. Apr. 1870. Vgl. v. Scherer S. 227, Krainz-Pfaff-Ehrenzweig § 428 S. 428. 406 So in Oldenburg nach Ges. v. 31. Mai 1855. In anderen Staaten für Dissidenten; oben Anm. 402. 407 Ebenso in Spanien an Stelle der 1870 eingeführten obligatorischen Zivilehe nach Ges. v. 2. Febr. 1875. Früher auch in den Niederlanden für Reformierte; oben Anm. 401. 408 Doch blieb auf Grund der in den Jahren 1848 bis 1850 erlassenen Gesetze (aufgeführt bei Hinschius a. a. O. S. 4 – 5) nur in Frankfurt gemäß Ges. v. 19. Nov. 1850 die obligatorische Zivilehe dauernd in Kraft. Es folgte die Einführung in Baden durch Ges. v. 21. Dez. 1809 und nach früheren gescheiterten Versuchen in Preußen durch Ges. v. 9. März 1875. 409 In den Niederlanden wurde die obligatorische Zivilehe 1795 eingeführt. In Belgien 1796. In Italien, wo sie vorübergehend 1806 – 1814 galt, durch das Gesetzb. v. 1865. In der Schweiz durch das BG v. 1874, das dem ZGB. a. l05 – 119 zu Grunde liegt. In Ungarn 1894. Sie gilt auch in Rumänien und seit 1910 in Portugal. 410 BGB §§ 1316 – 1321. Insbesondere ist die im PStG nach dem Muster der evangelischen Trauung geregelte Wirksamkeit des Standesbeamten dem Vorbild des Tridentinum angenähert. Die neueste Reform der katholischen Eheschließungsform (oben Anm. 396) hat die Aehnlichkeit noch verstärkt. – Das gleiche Verhältniß besteht zwischen dem SchweizZGB und dem BG v. 1874.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
fahrens des Standesbeamten ist nach wie vor dem Personenstandsgesetz überlassen, das aber den Vorschriften des BGB angepaßt ist411. Daneben gilt das Gesetz über die Eheschließung von Bundesangehörigen im Auslande v. 4. Mai 1870 mit entsprechenden Abänderungen fort412. § 239. Das geltende formelle Eheschließungsrecht I. Grundsatz Ausschließliche Form der Eheschließung ist nach deutschem bürgerlichen Recht die Erklärung des Ehekonsenses vor einem deutschen Standesbeamten. Dies gilt auch für die Mitglieder der landesherrlichen Familien, für die nur durch Anordnung der Landesherren besondere Standesbeamte ernannt werden413. Der Eheschließung vor dem deutschen Standesbeamten steht jedoch die Eheschließung vor einem vom Reichskanzler dazu ermächtigten Beamten im Auslande gleich. Die Ermächtigung kann einem diplomatischen Vertreter des Reichs für das ganze Gebiet des fremden Staats, einem deutschen Konsul für seinen Amtsbezirk erteilt werden414. II. Aufgebot Der Eheschließung soll ein Aufgebot vorangehen415. Das bürgerliche Aufgebot ist dem kirchlichen Aufgebot nachgebildet, das im kanonischen Recht seit dem Lateranischen Konzil v. 1215 allgemein vorgeschrieben war (c.3 X 4, 3) und von der evangelischen Kirche beibehalten wurde. Es besteht in einer öffentlichen Verkündigung der beabsichtigten Eheschließung, die der zuständige Geistliche an drei auf einander folgenden Sonn- oder Festtagen während des Gottesdienstes von der Kanzel herab vorzunehmen hat416. Die staatEG zum BGB a. 46. EG zum BGB a. 40. 413 PStG § 721. In Preußen ist der Minister des Königlichen Hauses dazu bestellt. 414 Ausl. PStG § 1. Die Eheschließung vor den deutschen Beamten ist nicht blos zulässig, wenn beide Verlobte, sondern auch, wenn nur einer von ihnen reichsangehörig ist; § 10. Ausgedehnt auf Schutzgenossen durch PStG § 85. – Ueber die Anwendung des Ausl. PStG in Konsularbezirken und Schutzgebieten vgl. KonsGG § 36 u. SchutzgebG § 7. 415 BGB § 1316. Ueber das Aufgebotsverfahren PStG § 44 – 50. 416 Vgl. über die Geschichte und das heutige katholische Recht v. Scherer § 111; über das evangelische Kirchenrecht Richter-Dove-Kahl § 283 I. Bei getrenntem Wohnsitz der Verlobten oder kürzlichem Wohnsitzwechsel findet das Aufgebot an mehreren Orten statt. Dispens ist zulässig. – Das kirchliche Aufgebot findet in beiden Kirchen auch heute, neben dem bürgerlichen Aufgebot statt, ist jedoch in der evangelischen Kirche meist vereinfacht (nur einmaliges Aufgebot in Preussen) und bisweilen in eine bloße Fürbitte verwandelt. 411 412
3. Titel: Form der Eheschließung
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lichen Gesetze, die der kirchlichen Eheschließungsform bürgerlichrechtliche Wirkung beilegten, verlangten auch das vorangehende Aufgebot durch den Geistlichen und regelten dasselbe in wesentlicher Uebereinstimmung mit den kirchlichen Vorschriften417. Die Gesetze aber, die die Zivilehe einführten, verweltlichen auch das Aufgebot und bildeten es zu einer staatlichen Amtshandlung um418. Nach deutschem bürgerlichen Recht erfolgt das Aufgebot durch den Standesbeamten. Zuständig zur Anordnung desselben ist jeder Standesbeamte, vor dem die Ehe geschlossen werden kann. Der Standesbeamte hat sich vorher die gesetzlichen Erfordernisse der Eheschließung als vorhanden nachweisen, insbesondere die Geburtsurkunden und die erforderlichen Einwilligungserklärungen in beglaubigter Form vorlegen zu lassen, kann aber auf Grund persönlicher Kenntniß oder sonst glaubhaften Nachweises die Beibringung von Urkunden erlassen und über unbedeutende Abweichungen hinwegsehen, andererseits hinsichtlich der nicht hinreichend festgestellten Tatsache den Verlobten eine eidesstattliche Versicherung abnehmen. Das Aufgebot ist durch zweiwöchigen Aushang am Rat- oder Gemeindehause öffentlich bekannt zu machen. Die Bekanntmachung erfolgt in der Gemeinde oder in den Gemeinden, wo die Verlobten ihren Wohnsitz haben, bei gewöhnlichem Aufenthalt eines von ihnen außerhalb des Wohnsitzes auch in der Gemeinde des jetzigen Aufenthalts, bei Wohnsitzwechsel in den letzten sechs Monaten überdies in der Gemeinde des früheren Wohnsitzes. Liegt einer dieser Orte im Auslande, so tritt an Stelle des Aushanges die Einrückung in ein dort erscheinendes oder verbreitetes Blatt, die aber durch Bescheinigung der fremden Ortsbehörde, daß ihr ein Ehehinderniß nicht bekannt sei, ersetzt werden kann419. Das Aufgebot verliert seine Kraft, wenn die Ehe nicht binnen sechs Monaten nach seinem Vollzuge, d. h. nach Ablauf von zwei Wochen seit seiner Bekanntmachung durch die letzte erforderliche Aushängung oder Einwirkung, geschlossen wird420. Eine Befreiung vom Aufgebot kann der Staat, in dessen Gebiet die Ehe geschlossen werden soll, bewilligen421. Das Aufgebot darf überhaupt unterbleiben, So Preuß. ALR II, 1 §§ 135 – 154; Oesterr. Gb §§ 30 – 78, 83 – 88. So Code civ. a. 63 sq.; 166 sq.; Preuß. G. v. 1847 für Dissidenten § 5 und für Juden § 12; Schweiz. Gb. v. 1874 u. ZGB a. 105 – 115. 419 BGB § 13161 S. 1 mit PStG §§ 44 – 47. 420 BGB § 13161 S. 2. Ebenso früher PRG § 51. 421 BGB § 13163 mit § 13222 – 3. Wie bei den dispensablen Ehehindernissen (oben § 236 Anm. 332) bestimmt über die zuständige Behörde und das Verfahren das Landesrecht. Hier ist in Preußen, wenn beide Verlobte Deutsche sind, der Regierungspraesident, bei dringendem Bedürfniß der Standesbeamte selbst, sonst der Minister des Inneren Dispensbehörde; V. v. 12. Juli 1910 u. v. 16. Dez. 1912. In Bayern die Distriktsverwaltungsbehörde, jedoch in der Pfalz der Staatsanwalt. In Sachsen der Minister des Innern. In Württemberg das Amtsgericht. In Baden u. Hessen der Justizminister. Vgl. Schmidt zu § 1322 Bem. 4, Planck Bem. 3 d, Staudinger Bem. 4. 417 418
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
wenn die lebensgefährliche Erkrankung eines der Verlobten den Aufschub der Eheschließung nicht gestattet422. Besondere Vorschriften gelten für das Aufgebot bei Eheschließungen vor deutschen Beamten im Auslande423. Außerdem bleiben abweichende Observanzen der landesherrlichen Häuser in Kraft424. Das Aufgebot hat den Zweck, Ehehindernisse zur Kenntnis des Standesbeamten zu bringen. Darum hat, wenn die Ehe vor einem anderen als dem aufbietenden Standesbeamten geschlossen werden soll, der letztere eine Bescheinigung dahin auszustellen, daß und wann das Aufgebot erfolgt ist und daß Ehehindernisse nicht zu seiner Kenntniß gekommen sind425. Allein das Aufgebot ist nicht das einzige Mittel hierfür. Vielmehr hat der Standesbeamte die Eheschließung abzulehnen, auf welche Weise immer ein aufschiebendes oder trennendes Hinderniß zu seiner Kenntniß gelangt426. Andererseits hat das Aufgebot keinerlei Ausschlußwirkung; ein nicht zum Vorschein gekommenes trennendes Hinderniß büßt seine Kraft nicht ein. Die Unterlassung oder fehlerhafte Vornahme des Aufgebots ist ohne Einfluß auf die Gültigkeit der Ehe427. Vielfach wird der Mangel des Aufgebots als ein aufschiebendes Ehehinderniß aufgefaßt. Richtiger charakterisiert man das Aufgebot als ein unwesentliches Formerfordernis der Eheschließung. III. Eheschließung Die Eheschließung selbst wird durch rechtsförmliche Handlungen der Verlobten und des Standesbeamten vollzogen. Sie sind für das Zustandekommen der Ehe zum Teil wesentlich, zum Teil unwesentlich. Das BGB unterscheidet scharf die 422 BGB § 13162. Nach PStG § 50 soll der Standesbeamte die Eheschließung ohne Aufgebot vornehmen, wenn ihm die Voraussetzung ärztlich bescheinigt wird. 423 Ausl. PStG §§ 3 – 6. 424 PStG § 722. 425 PStG § 49. 426 PStG § 48. Unbekannt ist dem deut. R. das nach französ. R. bestimmten Personen teils allgemein teils in gewissen Fällen zustehende Recht eines formellen Einspruchs („opposition au mariage“), dessen gehörige Einlegung die Eheschließung bis zu seiner etwaigen Verwerfung durch richterliches Urteil verhindert; Code civ. a. 172 – 179 mit a. 66 – 69, ZachariaeCrome §§ 429 – 432. Das Institut des Einspruchs ist auch vom Schweiz ZGB a. l06 – 112 unter Erweiterung des Einspruchsrechts zu Gunsten eines Juden, der ein Interesse hat, aufgenommen und neu geregelt. 427 So nach kathol. und evangel. Kirchenrecht und den meisten Staatsgesetzen. Nur nach Oesterr.Gb.§§ 69 u. 74 ist ein mindestens einmaliges Aufgebot zur Gültigkeit der Ehe erforderlich; vgl. v. Scherer S. 164 Anm. 81. Nach Code civ. a. 170 scheint bei einer von einem Franzosen im Auslande geschlossenen Ehe eine vorgeschriebene Verkündigung auch in Frankreich Gültigkeitserforderniß zu sein; Zachariae-Crome § 425 Anm. 8. Für Deutschland hat schon das PStG dies beseitigt; v. Scherer S. 357.
3. Titel: Form der Eheschließung
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wesentlichen und die unwesentlichen Formerfordernisse und schränkt die ersteren auf ein möglichst geringes Maß ein. 1. Wesentlich ist nichts weiter, als daß die Verlobten vor einem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, die Ehe mit einander eingehen zu wollen, und daß der Standesbeamte zur Entgegennahme der Erklärungen bereit ist428. a) Die Erklärungen der Verlobten müssen persönlich in Gegenwart beider abgegeben werden. Jede Art von Stellvertretung ist dabei ausgeschlossen429. Eine Ausnahme bleibt nur bei Mitgliedern landesherrlicher Familien kraft hausrechtlicher Bestimmungen möglich430. Die Erklärungen vertragen weder Bedingung noch Befristung431. Im Uebrigen sind sie an eine bestimmte Form nicht gebunden432. b) Sie müssen vor einem Standesbeamten erfolgen. Der zuständige Standesbeamte braucht es nicht zu sein433. Wohl aber muß es ein Standesbeamter sein, und ein solcher ist nur, wer als solcher gehörig bestellt ist, und auch er nur innerhalb der Grenzen seines Amtsbezirkes. Indessen wird der strengrechtliche Folgesatz, daß jede vor einem Nichtstandesbeamten vollzogene Eheschließung nichtig ist, durch eine Ausnahmebestimmung durchbrochen. Ihr zufolge gilt auch derjenige, der, ohne Standesbeamter zu sein, das Amt eines Standesbeamten öffentlich ausübt, in Ansehung der Eheschließung als Standesbeamter, es sei denn, daß die Verlobten den Mangel der amtlichen Befugniß kennen434. Damit ist (in der beliebten
BGB § 1317. Ebenso Ausl. PStG § 7. Das kanonische Recht läßt die Konsenserklärung durch gehörig bevollmächtigte Stellvertreter (nicht aber durch Boten) zu; v. Scherer § 112 IX. 430 PStG § 72. Anerkannt auch im evangel. Kirchenrecht. Vgl. auch PreußLR § 167. 431 BGB § 13172, Ausl. PStG, § 72. Bedingte oder befristete Erklärungen sind keine Eheschließungserklärungen, bringen also eine gültige Ehe nicht zu Stande. – Nach katholischem Kirchenrecht sind Suspensivbedingungen zuläßig. Es entsteht eine bedingte Ehe, die rechtlich bindet, aber erst bei Eintritt der Bedingung oder Verzicht auf dieselbe (insbesondere durch copula carnalis) wirksam wird, während sie als nicht geschloßen gilt, wenn die Bedingung ausfällt. Verstößt die Bedingung contra substantiam matrimonii, so ist die Ehe nichtig; andere unsittliche Bedingungen gelten als nicht zugefügt. Vgl. v. Scherer § 112 VIII, Richter-Dove Kahl § 270 IV, Friedberg § 142 IV. Das evangelische Kirchenrecht und die weltlichen Gesetze verwerfen jede bedingte Eheschließung. 432 Weder bestimmte Worte, wie das übliche Ja, noch überhaupt Worte sind erforderlich; auch Zeichen genügen. Ordnungsvorschriften für den Fall, daß ein Verlobter stumm oder taub oder der deutschen Sprache nicht mächtig ist, enthält die Bekanntm. des Bundesrats v. 25. März 1899 §§ 10 – 11. 433 Daß der Standesbeamte bei seiner eigenen Heirat nicht vor sich selbst die Erklärung abgeben kann, ist selbstverständlich; Entw. I § 1245 wollte es besonders aussprechen. Dagegen stehen Verwandtschaft oder Schwägerschaft der Mitwirkung des Standesbeamten nicht entgegen. Vgl. Bekanntm. des Bundesrats § 27. Gleiches galt nach dem PStG; vgl. Hinschius zu § 13 Anm. 72. 434 BGB § 1319. Gleichlautend jetzt Ausl. PStG § 8 für den zur Eheschließung ermächtigten Beamten. Die Bestimmung hat ein Vorbild in der vom kanonischen Recht 428 429
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Form einer Fiktion) dem Schein der Standesbeamteneigenschaft die Kraft beigelegt, eine Legitimation zur Ausübung der fehlenden Amtsbefugniß zu Gunsten dessen, der dem Schein getraut hat, zu begründen435. Voraussetzung aber ist, daß ein offenkundiger, nach außen ersichtlicher Schein der Standesbeamtenschaft vorliegt. Dies trifft beispielsweise zu, wenn ein Bürgermeister oder Gemeindevorsteher vor der zu erwartenden Ernennung zum Standesbeamten oder noch nach seiner Entlassung als Standesbeamter fungiert oder ein Vertreter desselben, ohne zum stellvertretenden Standesbeamten bestellt zu sein, als Standesbeamter auftritt. Es trifft namentlich auch zu, wenn ein Standesbeamter außerhalb seines Amtsbezirkes, etwa weil er in einem dringenden Falle in ein zu einem Nachbarbezirk gehöriges Haus gerufen ist, bei einer Eheschließung tätig wird436. Die Legitimation durch den Schein der amtlichen Befugniß setzt ferner voraus, daß mindestens einer der Verlobten ihren Mangel im Augenblick der Eheschließung nicht gekannt hat. Kennenmüssen steht dem Kennen nicht gleich. Bis zum Beweise des Gegenteils gelten beide Verlobten als gutgläubig. c) Das dritte wesentliche Erforniß ist, daß der Standesbeamte zur Entgegennahme der Erklärungen bereit ist. Die Bereitschaft braucht nicht ausdrücklich erklärt zu sein, ergiebt sich vielmehr aus dem Verhalten des Standesbeamten ohne Weiteres, wenn er die Erklärungen widerspruchslos entgegennimmt. Im Gegensatz zum Personenstandsgesetz beschränkt sich hiernach die zur Eheschließung notwendige staatliche Mitwirkung auf den behördlichen Empfang des Parteikonsenses. Denn während nach dem Personenstandsgesetz die Ehe erst durch den nachfolgenden Ausspruch des Standesbeamten, daß er die Verlobten nunmehr kraft des Gesetzes für rechtlich verbundene Eheleute erkläre, zu Stande kam437, hat der vom BGB vorgeschriebene Ausspruch des Standesbeamten lediglich die Bedeutung einer Feststellung der bereits erfolgten Eheschließung438. Die Ehe ist gültig geschlossen, mag auch der Ausspruch des Standesbeamten unterbleiben, weil er etwa anerkannten Gültigkeit der Eheschließung vor dem parrochus putativus; vgl. v. Scherer a. a. O. S. 197. 435 Unter der Herrschaft des Personenstandsgesetzes ereigneten sich nicht selten Fälle, in denen die bei dem Mangel gesetzlicher Vorschriften zu Gunsten von Putativehen schwer abweisbare Annahme unheilbarer Nichtigkeit der vor einem Nichtstandesbeamten geschlossenen Ehe jedem gesunden Rechtsgefühl widersprach. Vgl. die Zusammenstellung b. O. Fischer, Die Ungültigkeit der Ehe und ihre Folgen, insbesondere die Formmängeln, 1890 (S.A. aus Jahrb. f. D.XXIX), S. 37 ff. Trotzdem lehnte Entw. I jede Abhülfebestimmung ab; Motive IV 36 – 37. Vgl. darüber und dagegen meine Schrift über den Entw. S. 400 u. die dort angef. Ausführungen von Hinschius u. Klöppel, bes. aber O. Fischer a. a. O. S. 44 ff. 436 Dagegen gewährt der § 1319 keine Abhülfe, wenn Jemand, der einen derartigen offenkundigen Schein nicht für sich hat, den Verlobten oder einem von ihnen die Eigenschaft eines Standesbeamten glaubhaft vortäuscht. 437 PStG § 52. Die Faßung, daß die Eheschließung „durch“ das Jawort der Verlobten „und“ den Ausspruch des Standesbeamten erfolge, stellt den mitkonstitutiven Charakter der behördlichen Erklärung außer Zweifel. Vgl. Hinschius Anm. 13, v. Sicherer, S. 383. 438 Er gehörte, wie dies auch die Faßung des § 1318 als bloße Sollvorschrift anzeigt, zu den unwesentlichen Förmlichkeiten; vgl. unten.
3. Titel: Form der Eheschließung
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plötzlich vom Schlage gerührt wird oder weil er wegen nachträglich auftauchender Zweifel an der Zulässigkeit der Eheschließung die fernere Mitwirkung verweigert oder weil einer der Verlobten vorher stirbt oder sein Jawort bereut und die Flucht ergreift. Die unentbehrliche staatliche Mitwirkung aber, die in der Empfangsbereitschaft des Standesbeamten liegt, ist zwar keine vom Willen unabhängige Assistenz, wie sie nach dem Tridentiner Recht genügt439, sondern fordert einen besonderen Willensentschluß eines wirklichen oder scheinbaren Staatsorganes440. Allein einen konstitutirten Faktor der Ehebegründung darf man in ihr nicht erblicken441. Das Bereitsein muß im Augenblick der Entgegennahme der Parteierklärungen vorhanden sein442. 2. Unwesentlich sind alle übrigen Formerfordernisse, die nach gesetzlichen Sollvorschriften ordnungsmäßig zu erfüllen sind. a) Dahin gehört zunächst die Anwesenheit von Zeugen. Doch soll die Eheschließung in Gegenwart von zwei Zeugen stattfinden. Die Zeugen sollen im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte und volljährig sein. Verwandte und Verschwägerte der Beteiligten dürfen, da es sich nicht um Beweiszeugen handelt, als Zeugen zugezogen werden. Weder der Mangel an Zeugen überhaupt noch deren Untauglichkeit hindern das Zustandekommen der Ehe443. b) Sodann ist die standesamtliche Leitung des Eheschließungsaktes vorgeschrieben. Der Standesbeamte soll an die Verlobten einzeln und nacheinander die Frage richten, ob sie die Ehe mit einander eingehen wollen, und, nachdem die Verlobten die Frage bejaht haben, aussprechen, „daß sie kraft dieses Gesetzes nunmehr rechtmäßig verbundene Eheleute seien“. Im Gegensatz zum Personenstandsgesetz ist
Oben § 239 V. Eine Ableistung oder Aufdrängung der Wahrnehmung der Konsenserklärung durch die Verlobten schließt also, wie seit dem Decretum Ne temere auch nach kanon. R., das Zustandekommen der Ehe aus. 441 Im Gegensatz zur herrschenden Meinung konstruiert Wolff § 21 I 5 u. II den staatlichen Akt als eine Willenserklärung, die einen die Parteierklärungen ergänzenden konstitutiven Bestandteil des Eheschließungsvertrages bilde. Mag man aber auch die Bereitschaftserklärung als Willenserklärung auffassen, so ist doch der erklärte Wille nicht auf Beteiligung an der ehebegründenden Willenseinigung, sondern lediglich auf Bereitstellung der zur Wahrung der gesetzlichen Vertragsform notwendigen staatlichen Beihilfe gerichtet. 442 Bis dahin kann der Standesbeamte eine abgegebene Bereitschaftserklärung (z. B. wegen Entdeckung eines Ehehindernisses) widerrufen. Dagegen ist jede nachträgliche Anfechtung der wirksam gewordenen Empfangsbereitschaft ausgeschloßen; vgl. Neubecker, Zwang und Notstand I 180 ff. Auch wenn der Standesbeamte im entscheidenden Augenblick geistesgestört war, folgt aus der Nichtigkeit seiner Bereitschaftserklärung nicht, wie Wolff S. 67 meint, die Nichtigkeit der Ehe. Zum mindesten wäre regelmäßig § 1319 BGB entsprechend anwendbar. 443 BGB § 1318; ebenso jetzt Ausl. PStG § 7a. Nach Tridentiner Recht ist die Gegenwart von zwei tauglichen Zeugen wesentlich. Auch nach PStG §§ 52 – 53 galt die Anwesenheit von zwei Zeugen, nicht aber ihre Tauglichkeit als wesentliche Förmlichkeit; vgl. v. Sicherer S. 380 ff. Dasselbe wollten Entw. I §§ 1248 – 1249 bestimmen. 439 440
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
weder die Frage noch der Ausspruch des Standesbeamten wesentlich. Der Ausspruch lautet rein deklarativ. Der Standesbeamte spricht die Verlobten nicht zusammen, er sagt nicht, wie ihm das PStG vorschrieb, „daß er sie nunmehr kraft des Gesetzes für rechtmäßig verbundene Eheleute erkläre“, sondern stellt nur feierlich fest, daß die Ehe geschlossen ist444. c) Weiter soll die Ehe vor dem zuständigen Standesbeamten geschlossen werden. Zuständig ist der Standesbeamte, in dessen Amtsbezirk einer der Verlobten seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat; unter mehreren zuständigen Standesbeamten haben die Verlobten die Wahl. In Ermangelung eines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts beider Verlobten wird, wenn auch nur einer von ihnen Deutscher ist, der zuständige Standesbeamte vom Heimatstaat des Deutschen oder bei einem Reichsangehörigen ohne Landesangehörigkeit vom Reichskanzler bestimmt445. Auf Grund schriftlicher Ermächtigung des zuständigen Standesbeamten darf die Ehe auch vor dem Standesbeamten eines anderen Bezirkes geschlossen werden446. Ein Mangel der Zuständigkeit ist für die Gültigkeit der Ehe bedeutungslos447. Endlich soll der Standesbeamte die Eheschließung in das Heiratsregister eintragen448. Die Eintragung ist zwar gleichfalls kein wesentliches Erforderniß, hat aber, wenn sie erfolgt, die Kraft, die Nichtigkeit der wegen eines wesentlichen Formmangels nicht zu Stande gekommenen Ehe abzuschwächen449.
444 BGB § 1318 u. Ausl. PStG § 7a; dazu der frühere § 52 PStG. – Der Standesbeamte braucht nicht gerade zu sagen „kraft des bürgerlichen Gesetzbuches“, sondern darf auch die Formel „kraft des Gesetzes“ anwenden. Sonstige Förmlichkeiten (z. B. Ringwechsel) soll er unterlaßen. 445 BGB § 1320. 446 BGB § 1321. Weiterermächtigung ist unzuläßig. Vorbild sind die bei der kirchlichen Eheschließung üblichen Dimissorialien; vgl. v. Scherer S. 203 ff., Richter-Dove-Kahl § 282 III, § 283 III. 447 So schon nach PStG § 422, wie nach evangel. Kirchenrecht. Anders nach dem Tridentinum; vgl. v. Scherer S. 199. Ueber das jetzige kathol. Kirchenr. vgl. oben § 238 Anm. 396. 448 BGB § 13183. Die Eintragung soll nach PStG § 54 (u. Ausl. PStG § 9) enthalten: Vorund Familiennamen, Religion, Alter, Stand oder Gewerbe, Geburts- und Wohnort der Eheschließenden; Vor- und Familiennamen, Stand oder Gewerbe und Wohnort ihrer Eltern; Vorund Familiennamen, Alter, Stand oder Gewerbe und Wohnort der Zeugen; die Erklärung der Eheschließenden; der Ausspruch des Standesbeamten. Den Ehegatten ist sofort eine Bescheinigung über die erfolgte Eheschließung (Heiratsschein) auszustellen. Im Uebrigen gelten für Form und Inhalt der Beurkundungen und für die Unterschriften des Beamten und der Beteiligten die allgemeinen Vorschriften des § 13 PStG. Die Braut hat bereits mit dem erheirateten Namen zu unterschreiben. 449 BGB § 13242 (Heilbarkeit der Nichtigkeit) und § 1329 (Erforderniß der Nichtigkeitsklage). Davon unten § 240 II 2 u. III 2a.
3. Titel: Form der Eheschließung
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IV. Räumliche Geltung450 Nach den allgemeinen Grundsätzen des internationalen Privatrechts, die in Theorie und Praxis überwiegend durchgedrungen waren, mußte mangels anderer gesetzlicher Bestimmung eine Ehe als gültig anerkannt werden, wenn die wesentlichen Formvorschriften entweder des am Ort der Eheschließung geltenden Rechts oder des im Augenblicke der Eheschließung für den Ehemann maßgebenden Personalstatuts gewahrt sind451. Allein das geltende deutsche Recht weicht von diesen Grundsätzen mehrfach ab, indem es in erheblichem Umfange die Wahlfreiheit der Verlobten einschränkt und überdies, wo das Heimatrecht zur Anwendung gelangt, das Heimatrecht beider Teile berücksichtigt452. Wird eine Ehe im Inlande geschlossen, so bestimmt sich nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift ihre Form lediglich nach den deutschen Gesetzen (EG z. BGB art. 133). Hier ist also der lex loci actus ausschließliche Geltung beigelegt. Auch wenn zwei Ausländer in Deutschland mit einander eine Ehe in einer nach ihrem Heimatsrecht gültigen, jedoch vom deutschen Recht nicht anerkannten Form eingehen, ist ihre Ehe in Deutschland als nichtig zu behandeln, während sie in ihrem Heimatsstaat als gültig angesehen wird453. Umgekehrt ist eine von Ausländern vor dem deutschen Standesbeamten geschlossene Ehe in Deutschland gültig, wenn auch der Heimatsstaat ihr die Anerkennung versagt454. Doch ist durch Staatsverträge, wenn kein Verlobter Deutscher ist, die Möglichkeit eröffnet, die Ehe, anstatt
450 Vgl. oben Bd. I 235 Anm. 86, sowie die oben in Anm. 159 zu § 230 angef. neueren Rechtsquellen und Schriften. 451 Oben Bd. I a. a. O. Grundsätzlich abweichend freilich Zitelmann, ZPR II 605 ff. 452 Es muß also, wenn die Heimatsrechte verschieden sind, den Formerfordernissen eines jeden genügt sein, damit die Ehe bestehe. Wie bei den materiellen Erfordernißen; vgl. oben § 230 Anm. 170. 453 Allgemein bestimmt das Haager Abkommen a. 7, daß eine Ehe, die nach dem Rechte des Ortes der Eheschließung in Ansehung der Form nichtig ist, in anderen Vertragsländern als gültig anerkannt werden darf, wenn die durch das Heimatsrecht eines jeden der Verlobten vorgeschriebene Form beobachtet worden ist. Außerhalb des Geltungsbereiches des Haager Vertrages versteht sich dies von selbst. So ist z. B., wenn zwei Rußen sich in Deutschland lediglich kirchlich trauen lassen, die Ehe in Deutschland nichtig, in Rußland gültig. 454 Im Geltungsbereich des Haager Abkommens muß zwar nach a. 51 die in Deutschland formgerecht geschloßene Ehe überall als gültig anerkannt werden. Es sind jedoch zwei Ausnahmen möglich. Erstens brauchen die Länder, deren Gesetzgebung eine religiöse Trauung verlangt, die von ihren Angehörigen in Deutschland eingegangene, für uns gültige bloße Zivilehe nicht als gültig anzuerkennen (a. 52). Zweitens kann die Unterlassung des Aufgebots, soweit sie im Heimatsstaat trennendes Ehehinderniß ist (oben Anm. 427), die Nichtigkeit der Ehe in dem Lande, deßen Gesetz übertreten ist, – jedoch niemals in einem anderen Verbandslande, – zur Folge haben (a. 53). Außerhalb des Haager Abkommens besteht überhaupt keine Verpflichtung des Heimatsstaats, die von seinen Angehörigen in Deutschland formgültig geschloßene Ehe als gültig anzuerkennen. So versteht sich die Nichtigkeit einer von Russen in Deutschland geschloßenen bloßen Zivilehe in Rußland von selbst; Vgl. Wolff § 39 Anm. 19.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
vor dem deutschen Standesbeamten, vor einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter des Heimatsstaates eines der Verlobten zu schließen455. Bei Eheschließungen im Auslande hält das deutsche Recht an dem Grundsatz fest, daß den Verlobten die Wahl zwischen der Form des Abschlußortes und der Form ihres Heimatrechtes offen steht456. Ob aber zur Gültigkeit der Ehe im Auslande nur die eine oder die andere Form ausreicht, bestimmt sich nach ausländischem Recht457. In den Ländern des Haager Abkommens ist überall die Form des Abschlußortes als ausreichend zu behandeln458, kann aber auch eine nach dem Gesetze des Eheschließungsstaates formnichtige Ehe anderswo als gültig anerkannt werden, falls die Form des Heimatsrechtes beider Verlobten gewahrt ist459. Eine ungleiche Beantwortung der Frage nach der Formgültigkeit der Ehe in einzelnen Ländern kann sich namentlich auch daraus ergeben, daß die vom Heimatsstaat der Verlobten oder eines von ihnen zugelassene Eheschließung vor einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter von einem anderen Staate nicht anerkannt wird460. 455 Allgemein für Angehörige eines Vertragslandes durch Haager Abk. a. 6; für den Fall, daß beide Verlobte dem fremden Staat angehören, auch durch sonstige Staatsverträge. 456 Dies folgt aus EG zum BGB a. 11; vgl. RGer LXXXVIII Nr. 47. Auch Deutsche, die im Ausland heiraten, können also, sowohl vor dem deutschen Beamten, wie vor dem ausländischen Standesbeamten oder (z. B. in England) in der dort zuläßigen kirchlichen Form die Ehe eingehen. Ebenso ist in Deutschland eine von Ausländern in einem anderen Auslande geschloßene Ehe als formgültig anzuerkennen, wenn sie entweder den Formvorschriften des Abschlußstaates oder denen des Heimatsstaates entspricht. So z. B. wenn Oesterreicher oder Schweden in einem Lande der obligatorischen Zivilehe sich lediglich kirchlich trauen lassen oder wenn Angehörige eines Staates, die nach Heimatsrecht nur in religiöser Form heiraten können, sich mit der Eheschließung vor dem fremden Staatsbeamten begnügen. 457 Somit ist, wenn der Eheschließungsstaat in gleicher Weise wie Deutschland auch die von Ausländern in seinem Gebiet geschlossenen Ehen an die standesamtliche Form bindet, die von Ausländern ihrem Heimatsrecht gemäß in lediglich kirchlicher Form geschlossene Ehe, während sie in Deutschland gültig ist, für ihn nichtig. So z. B. die nach der vor. Anm. in Deutschland als gültig zu behandelnde Ehe von Oesterreichern oder Schweden, wenn die kirchliche Trauung in Frankreich oder der Schweiz stattgefunden hat. Andererseits kann der Heimatsstaat die von seinen Angehörigen ohne die von ihm obligatorisch vorgeschriebene kirchliche Trauung im Auslande eingegangene als nichtig behandeln, während sie für Deutschland gültig ist. 458 Gemäß a. 51, jedoch auch hier mit dem Vorbehalt des Abs. 2; oben Anm. 454. 459 Gemäß a. 7; oben Anm. 453. Diese Anerkennung wird eben in Deutschland durch EG z. BGB a. 11 bei allen im Auslande geschlossenen Ehen vorbehaltlos gewährt. 460 Es ist möglich, daß der Staat des Eheschließungsortes die Eheschließung vor einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter schlechthin nicht anerkennt. In den Ländern des Haager Abkommens muß sie nach a. 6 nur dann überall anerkannt werden, wenn keiner der Verlobten dem Eheschließungsstaat angehört und dieser Staat der Eheschließung widerspricht (der Widerspruch ist unzulässig wegen eines Hindernisses religiöser Natur oder mit Rücksicht auf eine vormalige Ehe). Außerdem gilt auch hier der Vorbehalt des Abs. 2 des Art. 5. – Für die Gültigkeit einer einem deutschen Gesandten oder Konsul gemäß dem Ausl. PStG geschlossenen Ehe ist deren hiernach im Auslande möglicher Weise eintretende Nichtigkeit bedeutungslos. So auch im Geltungsbereich des Haager Abkommens, – beispiels-
4. Titel: Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe
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V. Zeitliche Geltung Ueber die formellen Erfordernisse der Eheschließung entscheidet in gleicher Weise, wie über die materiellen Erfordernisse, das zur Zeit der Eheschließung geltende Recht. Auch hier aber wird, wenn die Ehegatten beim Inkrafttreten des neuen Rechtes noch zusammen lebten, ein nach früherem Recht die Ehe vernichtender Formmangel rückwärts geheilt, wenn er nach den Vorschriften des BGB unwesentlich gewesen wäre461.
Vierter Titel
Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe* § 240. Nichtige Ehen I. Fälle der Nichtigkeit Das BGB zählt die Nichtigkeitsgründe des deutschen Rechtes erschöpfend auf462. Die Ehe ist „nichtig“, wenn ihr das Ehehinderniß der Doppelehe, der Verwandtschaft oder Schwägerschaft oder des Ehebruchs entgegensteht, wenn ein Ehegatte bei der Eheschließung geschäftsunfähig oder willenlos war, wenn ein weise, wenn nur ein Verlobter Deutscher war (oben Anm. 414), – gemäß a. 7 (oben Anm. 453). Vgl. Zitelmann a. a. O. S. 613. 461 EG z. BGB a. 198 u. dazu oben § 230 IV. So ist z. B. eine Ehe als von Anfang an gültig anzusehen, wenngleich keine Zeugen zugezogen worden waren, die Eheschließung vor einem bloßen Scheinstandesbeamten stattgefunden hatte oder der Ausspruch des Standesbeamten unterblieben war. * O. Fischer, Die Ungültigkeit der Ehe u.s.w. (oben § 239 Anm. 441). H. Buchl, Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe nach dem BGB, 1899 (in Festg. f. Bekker S. 137 ff.). Mitteis, Nichtigkeitserklärung der Ehe nach Scheidung, in Leipziger Dekanatsprogramm v. 1905, S. 1 ff. Thiesing, Die Wirkungen nichtiger Ehen, 1907. E. Zitelmann, Zum Recht der Eheanfechtung, 1907 (S.A. aus Festschr. f. Bekker). F. Kohler, Eherecht, S. 17 ff. Hellwig, Anspruch und Klagerecht, 1900, S. 404 ff., 469 ff.; Wesen der Rechtskraft, 190l, S. 63 ff. Langheineken, Urteilsanspruch, 1899, S. 244 ff. Kisch, Beiträge zur Urteilslehre, 1903, S. 85 ff., 97 ff. Lehrb. des bürg. R. von Dernburg, §§ 20 – 22, Endemann §§ 160, 160a, 162, 163, Matthiaß § 226 ff., Cosack § 345, Crome § 549, Wolff § 26 ff. Komm. z. BGB §§ 1323 – 1352 von Planck, Staudinger, Opet, Schmidt – Ueber das kanon. R. u. evang. Kirchenr. Richter-DoveKahl § 285, Friedberg § 152, v. Scherer § l09 VI u. § 134. – Preuß. LR § 933 ff. Sächs. Gb. § 1620 ff. Oesterr. R. b. Krainz-Pfaff-Ehrenzweig § 430. Französ. b. Zachariae-Crome §§ 433 u. 435. Schweiz. ZGB a. 210 ff. u. dazu Egger S. 54 ff. 462 BGB 1323. – Doch können trotz des „nur“ noch andere Nichtigkeitsgründe durchgreifen, wenn fremdes oder (weil die Heilung der Nichtigkeit durch Zusammenleben nicht stattgefunden hat) älteres Recht anzuwenden ist. Denn das für die Erfordernisse der Eheschließung maßgebende Recht entscheidet zugleich über die Folgen eines Mangels.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
wesentliches Formerforderniß nicht erfüllt ist463. Der zu Grunde liegende Gedanke ist, daß die Ehe nichtig sein soll, wenn ihre Aufrechterhaltung mit dem Wesen der Ehe oder mit der öffentlichen Ordnung unvereinbar wäre. In der Hauptsache entspricht daher die Begrenzung der Nichtigkeitsfälle den Erwägungen, die im gemeinen Recht zur Behandlung bestimmter Mängel als impedimenta dirimentia publica führten. Wird dagegen die Gültigkeit der Ehe nur um verletzter Privatinteressen willen verneint, so ist die Ehe nicht nichtig, sondern nur „anfechtbar“. Der Begriff der Nichtigkeit wird also in diesen Fällen aus denselben Gründen abgelehnt, aus denen im gemeinen Recht gewisse die Ungültigkeit einer Ehe bewirkende Mängel als impedimenta dirimentia privata gekennzeichnet wurden464. II. Arten der Nichtigkeit Das BGB kennt zwei Arten der Nichtigkeit, je nachdem die gewöhnlichen Grundsätze über die Folgen der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäftes eintreten oder mit Rücksicht darauf, daß es sich um eine Ehe handelt, die Geltendmachung der Nichtigkeit an besondere Voraussetzungen geknüpft ist. Die Unterscheidung geht auf das kanonische Recht zurück und ist von der staatlichen Gesetzgebung festgehalten. Man spricht seit langer Zeit hier von „matrimonium non existens“ und „matrimonium nullum“ und heute von „Nichtehe“ und „nichtiger Ehe“465. Auch unterscheidet man wohl „formelle“ und „materielle“ Nichtigkeit466 oder „absolute“ und „relative“ Nichtigkeit467. Will man den Gegensatz dem äußeren Gewand anpassen, in den ihn das BGB kleidet, so kann man „unmittelbare“ und „mittelbare“ (d. h. durch Richterspruch vermittelte) oder etwa sofortige und feststellungsbedürftige Nichtigkeit unterscheiden468. Sieht man auf den inneren Grund der ungleichen BGB §§ 1324 – 1328. Vgl. oben § 230 II u. § 231 I 2. Dort ist auch bereits darauf hingewiesen, daß die Einschränkung des Nichtigkeitsbegriffes ihr Vorbild im preuß. u. sächs. Recht hat. Das Preuß. Landr. freilich, das „nichtige“ und „ungültige“ Ehen unterscheidet, will in §§ 933 u. 934 das Unterscheidungsmerkmal in die Unmöglichkeit oder Möglichkeit der Konvaleszenz der Ehe setzen, führt jedoch diesen Gesichtspunkt keineswegs folgerichtig durch. Dagegen spricht das Sächs. Gb. § 1620 ff. bereits von Nichtigkeit und Nichtigkeitserklärung einerseits, Anfechtung andererseits. – Das Schweiz. ZGB folgt im Grundgedanken dem BGB (vgl. a. 120 über nichtige, a. 123 – 126 über anfechtbare Ehen). 465 Diese Ausdrucksweise leidet an dem Fehler, daß die Nichtehe eben doch auch eine nichtige Ehe ist (BGB § 13241) und dies sogar im normalen Sinne des Wortes. 466 So Planck a. a. O. Vorbem. II 1, Schmidt, Vorbem. III 3, Matthiaß § 226 B. Die Ausdrücke sind nichtssagend und, da ein Formmangel nach § 1329 S. 2 auch die blos materielle Nichtigkeit zur Folge haben kann, ungenau. 467 So Engelmann bei Staudinger a. a. O. Vorbem. III b. Der Begriff der „relativen“ Nichtigkeit ist jedoch unklar und schief. 468 Die Ausdrücke „unmittelbare“ und „mittelbare“ Nichtigkeit verwendet Zitelmann a. a. O. S. 12 ff. und Internat. PR II 614 ff. Das Sächs. Gb. sagte, die Ehe sei entweder „ohne Weiteres“ (§ 1620) oder, „wenn der Richter sie für nichtig erkläre“ (§ 1621), nichtig. Der 463 464
4. Titel: Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe
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Behandlung der Nichtigkeit, so muß man Bezeichnungen wählen, die auf den Mangel oder das Vorhandensein eines rechtswirksamen Scheines der Gültigkeit hinweisen469. Unvereinbar dagegen mit der richtigen Würdigung des Gegensatzes ist der neuerdings vielfach gebilligte Vorschlag, den Begriff der Nichtigkeit überhaupt nur für die sogenannte Nichtehe festzuhalten und im Uebrigen durch den Begriff der „Vernichtbarkeit“ zu ersetzen470. Denn damit wird eine Auffassung des geltenden Rechtes sanktioniert, die nicht nur dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen widerspricht471, sondern auch den historischen Zusammenhang zerstört, die Lebensanschauung vergewaltigt und den deutschrechtlichen Gedanken des rechtswirksamen Scheines verkennt472. 1. Nichtigkeit ohne rechtswirksamen Schein der Gültigkeit liegt nur vor, wenn ein wesentliches Formerforderniß der Eheschließung nicht erfüllt ist, und auch dann nur, wenn die Ehe nicht in das Heiratsregister eingetragen ist. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Ehe nur in kirchlicher Form eingegangen ist oder wenn eine wilde Ehe sich als Ehe ausgiebt. Es ist aber mangels Eintragung z. B. auch der Fall, wenn die Ehe vor Jemandem geschlossen ist, der weder Standesbeamter war noch als solcher galt, oder wenn der Standesbeamte zur Entgegennahme der Erklärungen nicht bereit war oder wenn der Ehekonsens durch einen Vertreter erklärt wurde. Hier treten die gewöhnlichen Folgen der Nichtigkeit ein. Jedermann kann die Nichtigkeit in beliebiger Weise geltend machen. Die angeblichen Eheleute können sich ohne Weiteres von einander trennen, einander die Treue brechen, ohne einen Ehebruch zu begehen, und anderweit heiraten. Weder die personenrechtlichen noch die vermögensrechtlichen Wirkungen der Ehe gelten als eingetreten. Der tatsächliche Schein des Bestandes einer Ehe entbehrt jeder rechtlichen Bedeutung und kommt auch dem gutgläubigen Ehegatten, dem redlichen Dritten und den Kindern in keiner Weise zu Gute473.
Begriff der mittelbaren oder feststellungsbedürftigen Nichtigkeit ist jedoch zu eng, weil § 1329 BGB der Nichtigkeitserklärung die Auflösung der Ehe gleichstellt. 469 Cosack § 315 unterscheidet „Nichtehe“ (I) und „Scheinehe“ (II). Allein auch die Nichtehe kann den Schein einer Ehe erwecken, ihr Schein entbehrt nur der rechtlichen Wirkungskraft. Besser spricht Endemann § 160, 3 von einer „scheingültigen“ Ehe. Doch kommt in dem kürzeren Wort nicht zum Ausdruck, daß die Ehe nichtig ist. Genau, obschon schleppend, ist die Entgegensetzung von nichtigen Ehen ohne und mit Rechtsschein der Gültigkeit. 470 So Hellwig, Wesen der Rechtskraft S. 452 („Aufhebbarkeit“). Zitelmann, Eheanfechtung S. l0 und in besonderer Schärfe Wolff S. 83 ff.; desgleichen Pagenstecher, Rhein. Zeitschr. X 44 ff.,134 ff. 471 Das BGB spricht nun einmal stets von „nichtiger“, nicht von „vernichtbarer“ Ehe. Es unterscheidet scharf Nichtigkeit und Anfechtbarkeit und wird in unzulässiger Weise umgedeutet, wenn man dafür, wie die Anhänger der Gegenmeinung tun müssen, die Unterscheidung von zwei Arten der Anfechtbarkeit unterschiebt. Vgl. unten Anm. 477. 472 Dies sollen die nachfolgenden Ausführungen klar stellen. 473 Ein im BGB nicht erwähnter Fall der „Nichtehe“ ist auch die zwischen zwei Personen desselben Geschlechts, sei es auch formgerecht, geschlossene Ehe. Vgl. Endemann § 160 Anm. 18 – 19, Wolff § 26 I 2. Hier aber fehlt es überhaupt an dem Tatbestande für eine mögli-
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
2. Nichtigkeit mit dem Rechtsschein der Gültigkeit liegt in allen anderen Nichtigkeitsfällen vor. Hier kann, so lange die Ehe nicht für nichtig erklärt oder aufgelöst ist, die Nichtigkeit nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden474. Die Klage kann von jedem Ehegatten, aber auch vom Staatsanwalt, im Falle der Doppelehe vom rechten Ehegatten, endlich überhaupt von jedem Dritten, für den von der Nichtigkeit der Ehe ein Recht oder von ihrer Gültigkeit eine Pflicht abhängt, erhoben werden; sie ist, wenn ein Ehegatte klagt, gegen den anderen Ehegatten, sonst gegen beide Ehegatten zu richten475. Das Urteil wirkt, sofern es bei Lebzeiten beider Ehegatten rechtskräftig wird, für und gegen Alle476. Bis zur Nichtigkeitserklärung ist der Schein des Bestandes einer Ehe rechtswirksam. Denn dieser Schein ist kraft staatlicher Mitwirkung unter öffentlicher Autorität geschaffen und soll daher von Jedermann geachtet werden, bis er durch einen öffentlichrechtlichen Akt als unwahr festgestellt ist. Inzwischen ist die Ehe keineswegs eine gültige Ehe. Denn in Wahrheit ist sie eben nichtig. Es ist unzulässig, sie als eine bis auf Weiteres gültige, im Rechtssinn bestehende Ehe zu konstruieren477. Unmöglich kann die Rechtsordnung eine blutschänderische Ehe auch nur für einen Augenblick als wirkliche Ehe anerkennen, einen gleichzeitigen wirklichen Bestand von zwei verschiedenen Ehen derselben Person statuieren oder einer täuschenden Beurkundung im Heiratsregister ehebegründende Kraft beilegen478. che Ehe. Daher ist hier auch die Eintragung ins Heiratsregister wirkungslos. – Ist fremdes Recht anzuwenden, so können auch Ehen, die nach deutschem Recht scheingültig wären, als schlechthin nichtig zu behandeln sein; einer besonderen Nichtigkeitserklärung bedarf es auch dann nicht, wenn das Heimatsrecht des einen Teils das deutsche ist, das Heimatsrecht des anderen Teils aber die Nichtigkeit ohne Erklärung wirksam werden läßt; Zitelmann, Intern. PR II 623 ff. 474 BGB § 1329. Also nicht durch außergerichtliche Erklärung, aber auch nicht durch Behauptung in einem anderen Rechtsstreit, dessen Entscheidung von der Nichtigkeit der Ehe abhängt. Im letzteren Falle hat vielmehr das Gericht auf Antrag das Verfahren bis zur Erledigung der Nichtigkeitsklage oder bis zum erfolglosen Ablauf einer für ihre Erhebung gesetzten Frist auszusetzen; ZPO § 151. 475 ZPO § 632. Klagebefugt ist z. B., wer mit der Frau einen Vertrag geschlossen hat und dessen Vollwirksamkeit ohne Zustimmung des Mannes behauptet; wer der Frau das Recht zur Führung des Mannesnamens, der auch der seine ist, bestreitet; wer im Falle der Gültigkeit der Ehe unterhaltspflichtig wäre. 476 ZPO § 629. Nur ein Urteil, das die Nichtigkeitsklage wegen Doppelehe abweist, wirkt gegen Dritten, mit dem die frühere Ehe geschlossen war, dann nicht, wenn er am Rechtsstreit nicht Teil genommen hat. 477 Entw. I § 12521 wollte bestimmen, daß die Ehe einstweilen „als gültig anzusehen“ sei. Daß die Ehe einstweilen gültig sei, sollte damit nicht gesagt werden; vgl. Motive IV 56 ff. Allein es wurde in Fiktionsform eine Art von Vermutung für die Gültigkeit aufgestellt. Diese Fiktion ist gestrichen. Daraus folgt nicht etwa, daß nach dem BGB die Ehe gültig ist, sondern umgekehrt, daß sie von vornherein nichtig und nur die Geltendmachung der Nichtigkeit gemäß § 1329 beschränkt ist.
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Allein trotz ihrer Nichtigkeit hat die Ehe den rechtswirksamen Schein der Gültigkeit für sich. Darum haben die Ehegatten im Verhältniß zu einander die zwischen ihnen hergestellte eheliche Gemeinschaft bis auf Weiteres äußerlich zu respektieren. Sie dürfen sich nicht eigenwillig trennen, der Umgang mit einer anderen Person wäre Ehebruch, die Eingehung einer anderen Ehe strafbare Bigamie. In Ansehung der Namensführung, der Unterhaltsgewährung und der Vermögensverwaltung haben sie die Rechte auszuüben und die Pflichten zu erfüllen, die sich aus der ehelichen Verbundenheit ergeben. In gleicher Weise ist im Verhältniß zu Kindern, zu Behörden und zu sonstigen Dritten die Scheingültigkeit der Ehe wirksam. Nur in bestimmtem Umfange können, sobald die Nichtigkeitsklage erhoben und Termin zur mündlichen Verhandlung angesetzt ist, auf Antrag eines Ehegatten durch einstweilige richterliche Verfügung die Wirkungen des Rechtsscheins vorläufig außer Kraft gesetzt werden479. Wird die Ehe durch rechtskräftiges Urteil für nichtig erklärt, so ist festgestellt, daß sie niemals bestanden hat. Die durch trügerischen Schein verdeckte Wahrheit ist enthüllt. Die Rechtsfolgen der Nichtigkeit ergeben sich nunmehr als von Anfang an eingetreten, so daß auch die der Vergangenheit angehörigen Vorgänge rechtlich als solche zu beurteilen sind, die sich zwischen oder gegenüber Nichtverheirateten abgespielt haben. In diesem Sinne ist an der im kanonischen Recht entwickelten und vom weltlichen Recht übernommenen Lehre festzuhalten, daß das Urteil ein deklaratorisches sei480. Dagegen legt die Theorie, die die Ehe als zunächst gültig ansieht, im Einklange mit einer in der neueren deutschen Prozeßrechtswissenschaft ausgebildeten Lehre dem Urteil konstitutive Kraft bei; es sei ein Gestaltungsurteil, das die Ehe vernichtet und nur eben diese Vernichtung mit 478 Wäre die Ehe gültig, so wären die Ehegatten einander auch bei Kenntniß der wahren Sachlage zur Leistung der ehelichen Pflicht verbunden. Die Rechtsordnung würde also ihr Ja und Amen dazu sagen, wenn sie, nachdem sie entdeckt haben, daß sie Bruder und Schwester sind, den blutschänderischen Geschlechtsverkehr fortsetzen oder im Falle der Doppelehe bewußt ehebrecherischen Umgang pflegen. Man meint nun zwar, der gewissenhafte Ehegatte sei gegen das Verlangen des anderen Ehegatten nach derartiger Gemeinschaft hinreichend geschützt, weil es nach § 13532 Rechtsmißbrauch sein würde. Das ist jedoch ein unsicherer und kümmerlicher Notbehelf. Und vor Allem sind, wie mir scheint, in solchen Fällen die angeblichen Ehegatten nicht blos berechtigt, sondern verpflichtet, sich des geschlechtlichen Verkehrs zu enthalten. 479 ZPO § 627. Das Gericht kann das Getrenntleben der Ehegatten gestatten, ihre gegenseitige Unterhaltspflicht ordnen, Anordnungen über die Personensorge für gemeinschaftliche minderjährige Kinder treffen und die Erfüllung der Unterhaltspflicht den Kindern gegenüber regeln. Ein derartiges behördliches „Interimistikum“ ist schon im kirchlichen Annullationswie Scheidungsprozeß ausgebildet und überall in das weltliche Verfahren übernommen. 480 In den Motiven zu Entw. I § 1252 (IV 55 ff.) wird die in diesem Punkte herrschende Einigkeit der bisherigen Rechtsbildungen konstatiert und die blos deklarative Natur des Urteils als zweifellos hingestellt. Auch in der Literatur des BGB geht die herrschende Lehre von der gleichen Auffassung aus. Vgl. bes. Planck, Vorbem. II 2 – 3, Schmidt, Vorbem. III 3 b , Opet zu § 1329 Bem. 2, Fischer-Henle zu § 1329 Bem. I., Kisch, Beitr. zur Urteilslehre S. 86 ff., 99 ff., Thiesing a. a. O. S. 87 ff., Mitteis a. a. O. S. 6 Anm. 8; auch RGer in JWSchr 1913 S. 739.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
rückwirkender Kraft vollziehe481. In der Tat entbehrt das Urteil nicht einer deletorischen Wirkungskraft. Allein was es aus der Welt schafft, ist nicht eine bestehende Ehe, sondern der rechtswirksame Schein ihres Bestandes482. Insoweit aber wirkt es nicht zurück, sondern nur für die Zukunft. Denn da es die Vergangenheit nicht ungeschehen macht, beseitigt es nicht die Tatsache, daß ein vertrauenswürdiger öffentlicher Rechtsschein der Gültigkeit der Ehe bestanden hat. Darum bleiben die Wirkungen, die dieser Rechtsschein ausgelöst hat, insoweit in Kraft, als sie vor der Nichtigkeitserklärung perfekt geworden sind483. Die Nichtigkeit der scheingültigen Ehe kann aber auch ohne Feststellung durch richterliches Urteil in eine gewöhnliche Nichtigkeit übergehen. Dies ist der Fall, wenn die Ehe vor Anstellung der Nichtigkeitsklage oder deren Erledigung durch rechtskräftiges Urteil, durch Tod oder Scheidung aufgelöst oder anderweit (z. B. in Folge einer Anfechtungsklage) für nichtig erklärt wird484. Dann kann sowohl jeder 481 So vor Allem Hellwig Anspruch S. 464 ff., Rechtskraft S. 65 ff., 451 ff., Lehrb. des ZPRs I 239 Anm. 42. Ferner Langheinecken, Urteilsanspruch S. 249 ff., 467; Zitelmann a. a. O. S. 11; Seckel, Gestaltungsrechte S. 240 Anm. l; Wolff § 26 II 2 a, Pagenstecher a. a. O. S. 45. Wolff konstruiert im Anschluß an Seckel den Vorgang als ein „Vernichtungsgeschäft“, das sich aus einem „Gestaltungsgeschäft“ und einem „konstitutiven Staatsakt“ zusammensetze. Allein die Charakterisierung der Klageerhebung als privatrechtlicher Willenserklärung in prozessualer Form ist offenbar unzutreffend. Kann doch nicht nur jeder rechtlich interessierte Dritte, sondern auch der Staatsanwalt, der damit sicherlich keine privatrechtliche Willenserklärung abgiebt, die Klage erheben. Dies ist bei der zum Vergleich herangezogenen Eheanfechtungs- und Ehescheidungsklage, die nur ein Ehegatte erheben kann, ausgeschlossen. 482 Daß hierin ein konstitutives Element liegt, läßt sich, da ein mit Rechtswirkungen ausgestatteter Schein ein Rechtsverhältniß ist, nicht bestreiten. Hierauf weisen auch Endemann § 163 S. 219 u. H. Meyer, Vom Rechtsschein des Todes, 1912, S. 54 ff., zutreffend hin. Auch L. Mitteis a. a. O. findet in dem an sich deklarativen Urteil ein konstitutives Element. Kisch, der die konstitutive Natur des Urteils völlig ablehnt (a. a. O. S. 96 ff., 104 ff.), will doch Urteile, die eine zurückwirkende Feststellung aussprechen, von anderen deklarativen Urteilen als „auslösende“ unterscheiden. 483 Hierauf beruht vor Allem die Einschränkung der Nichtigkeitsfolgen auf Grund des guten Glaubens an den Bestand der Ehe; vgl. unten § 242. In der ganzen Entwicklung des vom kanonischen Rechts geschaffenen Begriffes des matrimonium putativum war der germanischrechtliche Gedanke des wirksamen Rechtsscheines, obschon nicht zur Klarheit erhoben, die treibende Kraft. Doch erstreckt die Nichtrückwirkung der Scheinsaufhebung sich hier weiter, als sie sich aus dem Vertrauensprinzip ergiebt. So hat die Frau, auch wenn sie die Nichtigkeit der Ehe kennt, den Namen des Mannes zu gebrauchen; sie hat das Recht, das ihr in Wahrheit nicht zustehende Namenrecht auszuüben und muß sogar, da die Führung ihres Mädchennamens gegen ihre Verpflichtung zur Achtung des Rechtsscheins verstoßen würde, dieses Recht ausüben, sobald sie überhaupt einen Familiennamen verwendet. Aehnlich verhält es sich mit Wohnsitz, Staatsangehörigkeit u.s.w. Hier überall wird das dem Rechtsschein entsprechende Verhalten auch durch die Kenntniß seiner Unrichtigkeit nicht nachträglich zu Unrecht gestempelt. Zu richtigen Ergebnissen gelangt hier auch Dernburg § 21 IV, der aber mit dem verfehlten Gedanken einer Beschränkung der „Rückwirkung“ auf gewisse vermögensrechtliche Beziehungen operiert. 484 BGB § 1329. Die „Auflösung“ der Ehe ist hier natürlich in Wahrheit nur Beendigung des Scheinzustandes einer Ehe. Auch das Scheidungsurteil scheidet nicht, weil eine nichtige
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Ehegatte wie jeder Dritte die Nichtigkeit ohne Weiteres geltend machen. Es handelt sich ja nur noch um Nachwirkungen eines ehemaligen Rechtsscheines, der mit der Beendigung des Scheinbestandes der Ehe bereits verschwunden ist, und seitdem neue Wirkungen nicht mehr hervorbringen kann. An der Feststellung der Unrichtigkeit des in der Vergangenheit wirksam gewesenen Scheines besteht kein öffentliches Interesse. Darum ist hier eine auf einheitliche und allseitig durchgreifende gerichtliche Nichtigkeitserklärung gerichtete Nichtigkeitsklage weder erforderlich, noch auch nur zulässig485. III. Heilung der Nichtigkeit 1. Gleich jeder Nichtigkeit ist die Nichtigkeit einer Ehe grundsätzlich unheilbar. Dies gilt für jede wegen Formmangels nichtige Ehe, falls sie nicht ins Heiratsregister eingetragen ist, aber auch für die formgerecht geschlossene und daher scheingültige Doppelehe. Wird die Eheschließung im ersten Falle in gehöriger Form, im zweiten Falle nach Auflösung der früheren Ehe wiederholt, so ist eine neue Ehe eingegangen, die nur für die Zukunft wirkt. Bei einer wegen Verwandtschaft oder Schwägerschaft nichtigen Ehe fällt auch die Möglichkeit einer neuen Ehe weg. 2. In den anderen Nichtigkeitsfällen dagegen ist die Nichtigkeit heilbar; die Ehe kann konvaleszieren und ist dann als von Anfang an gültig anzusehen486. a) Ein wesentlicher Formmangel der Eheschließung wird, wenn die Ehe in das Heiratsregister eingetragen ist, durch längeres eheliches Zusammenleben geheilt, falls nicht vorher die Nichtigkeitsklage erhoben ist. Das Zusammenleben muß zehn Jahre oder bis zum früheren Tode eines Ehegatten, im letzteren Falle aber mindestens drei Jahre, gedauert haben487.
Ehe nicht geschieden werden kann. Wenn aber Wolff § 26 II 2 b meint, es „vernichte“ die Ehe, so ist dies offenbar unhaltbar. Es kann ja seinem Inhalt nach nur ex nunc wirken; wer Nichtigkeitsfolgen ex tunc geltend macht, kann sich nicht auf das Scheidungsurteil stützen, sondern muß in besonderem Prozeß den Nichtigkeitsgrund nachweisen und die Feststellung der Nichtigkeit durchsetzen. Hier ist eben die Vorstellung, daß die Ehe bis zuletzt gültig gewesen sei, besonders unbefriedigend. 485 Dies wurde schon für das preußische Recht angenommen; vgl. RGer XXVIII Nr. 64. – Zutreffend erklärt das OLG Hamburg auch in dem Falle, wenn eine nichtige Ehe in Folge Wiederholung der Eheschließung (z. B. eine Doppelehe nach Wegfall des Hindernisses) einer gültigen Ehe gewichen ist, eine Nichtigkeitsklage der Staatsanwaltschaft in der Beschränkung auf den Zeitraum bis zur Wiederholung für unzulässig; Seuff LXIII Nr. 171. 486 Der Begriff einer „Convalidation“ ungültiger Ehen ist im kanon. R. seit dem 13. Jahrh. in Theorie und Praxis ausgebildet; vgl. v. Scherer § 134. Ueber die mit ihr verbundene regelmäßige Rückziehung der Gültigkeit der Ehe, die aber nicht ausnahmslos eintritt und nicht unbestritten ist, vgl. ebd. S. 510 ff. Auch die neueren Gesetzbücher kennen Fälle einer rückwirkenden Beseitigung von Ehehindernissen; vg1. Preuß. LR II, 1 §§ 943, 948, Oest. Gb. § 88. – Das BGB kennt eine heilbare Nichtigkeit auch bei Schuldverträgen; vgl. oben Bd. III 343.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
b) Die von einem Geschäftsunfähigen oder im Zustande der Bewußtlosigkeit oder Geistesgestörtheit geschlossene Ehe wird rückwärts gültig, wenn der Ehegatte, dessen Willenserklärung nichtig war, nach dem Wegfall seiner Unfähigkeit die Ehe bestätigt488. Die Bestätigung ist eine einseitige, dem anderen Ehegatten gegenüber abzugebende, empfangsbedürftige Willenserklärung, die an eine Form nicht gebunden ist, daher auch stillschweigend erfolgen kann489. Sie ist daher keine wiederholte Eheschließung. Wohl aber ist sie eine wiederholte Erklärung des Eheschließungswillens und darum hinsichtlich ihrer materiellen Erfordernisse nach den besonderen Grundsätzen zu behandeln, die für die formgebundene Erklärung bei der Eheschließung gelten490. Ist der bestätigende Ehegatte nur beschränkt geschäftsfähig geworden, so wird, wenn er ohne die Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bestätigt, zwar die Nichtigkeit der Ehe geheilt, die Ehe bleibt aber anfechtbar491. Die Bestätigung muß erfolgen, bevor die Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist, kann aber noch nach Erhebung der Nichtigkeitsklage bis zum Erlaß eines rechtskräftigen Urteils erklärt werden492. c) Die wegen des Ehehindernisses des Ehebruches nichtige Ehe wird durch nachträgliche Befreiung rückwärts gültig493. 487 BGB § 13242; ebenso jetzt Ausl. PStG § 8 a2. Auf guten Glauben kommt dabei nichts an. Die Eintragung in ein ausländisches Register steht nicht gleich; Wolff § 39 III 2. 488 BGB § 13252. Vgl. Sternberg, Arch. f. z. Pr. CVII 334 ff. 489 Insbesondere auch durch Leistung der ehelichen Pflicht trotz Kenntniß des Nichtigkeitsgrundes; Rspr. d. OLG XIV 217. 490 Doch herrscht darüber lebhafter Streit. Insbesondere wollen Viele die Frage, ob die Bestätigungserklärung nichtig oder anfechtbar ist, nach den Vorschriften des allgemeinen Teils über Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Rechtsgeschäfte entscheiden; so z. B. Staudinger zu § 1325 Bem. 3, Schmidt Bem. 4, Wolff § 24 II 1, weitere Nachweisungen b. Thiesing a. a. O. S. 125 ff. M. E. aber verdient die Meinung den Vorzug, daß die Vorschriften, die jene Bestimmungen in Ansehung der Erklärung des Ehekonsenses abwandeln (oben § 237), entsprechend anzuwenden sind. So besonders Unzner b. Planck Bem. 3 u. Sternberg S. 346 ff., desgleichen Dernburg § 21 Anm. 3, Endemann S. 180. Auch § 13172, der Bedingungen und Zeitbestimmungen ausschließt, ist, obwohl er sich als Formvorschrift giebt, entsprechend anwendbar; vgl. Planck, Bem. 2a, Sternberg S. 344 Anm. 19; a.M. Staudinger Bem. 3 g, Wolff § 24 Anm. 7. 491 BGB § 1331. Vgl. Planck Bem. 2a, Staudinger Bem. 3 b , Wolff § 24 II 1. 492 Streitig ist, ob aus prozeßrechtlichen Gründen (§ 767 ZPO) die Bestätigung nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt des schwebenden Verfahrens zulässig ist. So Hellwig, DJZ 1903 S. 285. Vgl. aber gegen ihn Seckel, Gestaltungsrechte S. 244 ff. Näheres auch b. Buhl a. a. O. S. 157 ff., Planck Bem. 2a, Staudinger Bem. 3d, Schmidt Bem. 3c. – Selbstverständlich ist, daß die Ehebestätigung nicht mehr möglich ist, wenn der Bestätigende eine zweite gültige Ehe geschlossen hat. Die von Friedrichs, DJZ 1899 S. 18, aufgestellte Behauptung, daß in diesem Falle zwei gültige Ehen vorlägen, ist seit der Widerlegung von Planck ebd. S. 38, allgemein verworfen; vgl. auch Sternberg S. 345 ff. 493 BGB § 13282. Auch hier ist die Heilung noch nach Erhebung der Nichtigkeitsklage bis zur rechtskräftigen Nichtigkeitserklärung möglich. Die Meinung von Wolff § 26 Anm. 18, daß die Heilung durch Befreiung noch nach Auflösung oder Nichtigkeitserklärung der Ehe erfolgen könne, ist m. E. nicht zu billigen.
4. Titel: Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe
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d) Dazu tritt die Heilung der Nichtigkeit einer älteren Ehe durch die zu Gunsten ihrer Gültigkeit dem BGB verliehene rückwirkende Kraft494. e) Endlich muß, wenn über die Gültigkeit einer Ehe ausländisches Recht entscheidet, eine nach dem Personalstatut der Ehegatten eingetretene Heilung der Nichtigkeit anerkannt werden495. § 241. Anfechtbare Ehen I. Fälle der Anfechtbarkeit Das BGB zählt, wie die Nichtigkeitsgründe, so die Anfechtungsgründe des deutschen Rechts erschöpfend auf. Die Ehe ist anfechtbar, wenn es an der zu ihrer Eingehung oder Bestätigung erforderlichen Einwilligung des gesetzlichen Vertreters eines beschränkt Geschäftsfähigen fehlt oder wenn die Erklärung des Eheschließungswillens eines Teiles in Folge von Irrtum, Betrug oder Drohung an einem nach Eherecht beachtlichen Willensmangel leidet496. Es sind dies Fälle, in denen nach gemeinem Recht, soweit der Mangel überhaupt als trennendes Ehehinderniß galt, ein impedimentum dirimens privatum angenommen wurde497. II. Wesen Der Begriff der Anfechtbarkeit stimmt im Eherecht des BGB mit dem von ihm bei Rechtsgeschäften überhaupt durchgeführten Begriff der Anfechtbarkeit überein. Nach der Auffassung des BGB ist, wie die herrschende Lehre mit Recht annimmt, das anfechtbare Rechtsgeschäft wirksam, aber rückwärts vernichtbar. Es liegt keine verhüllte Nichtigkeit vor, die nur der Aufdeckung bedürfte, sondern eine bedingte Nichtigkeit, die nur eintritt, wenn der Anfechtungsberechtigte von seinem Recht, die Wirksamkeit umzustoßen, Gebrauch macht. Tut er dies nicht, so ist das Rechtsgeschäft vollwirksam. Ficht er gehörig an, so bewirkt er den Eintritt der Nichtigkeit, die für diesen Fall von Hause aus dem Rechtsgeschäft anhaftete. Somit ist die anfechtbare Ehe im Gegensatz zur nichtigen Ehe bedingt gültig. Während die nichtige Ehe, soweit nicht ausnahmsweise eine Heilung der Nichtigkeit EG zum BGB a. 198; oben § 230 Anm. 151 u. § 239 Anm. 454. Waren jedoch die Personalstatute von Mann und Frau verschieden, so muß die Heilung von beiden vorgeschrieben sein; vgl. oben § 230 Anm. 170, § 239 Anm. 452 – 453, Zitelmann, Intern. PR S. 625 – 626. Eine Veränderung des Personalstatuts hat auf die Frage der Heilbarkeit keinen Einfluß; vgl. oben § 230 Anm. 166. 496 BGB § 1330 mit §§ 1331 – 1335; vgl. oben §§ 232 II 1 b u. § 327 III. Hinzu tritt jedoch der später zu behandelnde eigenartige Fall des § 1350 vgl. unten § 247 II 2 c. 497 Vgl. oben § 240 Anm. 464. Soweit in anderen Gesetzbüchern die Unterscheidung anfechtbarer Ehen von den nichtigen Ehen durchgedrungen ist, stimmen die Anfechtungsgründe mit denen des BGB im Prinzip überein. 494 495
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
möglich ist, niemals gültig werden kann, bleibt die anfechtbare gültig, wenn sie nicht vernichtet wird. Vernichtet werden aber kann sie nur auf Grund eines besonderen Anfechtungsrechtes von dem in seinen privaten Interessen verletzten Beteiligten. Ein öffentliches Interesse an der Vernichtung wird nicht anerkannt, sie wird daher niemals von Amtswegen herbeigeführt. Allerdings hat der Staatsanwalt im Prozeß mitzuwirken, jedoch nur, weil ein öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung von Ehen, also an der Nichtvernichtung einer zu Unrecht angefochtenen Ehe, besteht. Darum ist das Anfechtungsrecht auch verzichtbar, befristet und unvererblich. III. Anfechtungsrecht Das Anfechtungsrecht steht ausschließlich einem Ehegatten gegen den anderen Ehegatten zu. Anfechtungsberechtigt ist der beschränkt geschäftsfähige, der irrende, der getäuschte oder der bedrohte Ehegatte. Als höchstpersönliches Recht kann das Anfechtungsrecht nicht durch einen Vertreter im Willen ausgeübt werden. Der beschränkt geschäftsfähige Ehegatte bedarf zur Ausübung nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Doch findet in zwei Ausnahmefällen eine Vertretung statt. Erstens kann für einen geschäftsunfähigen Ehegatten sein gesetzlicher Vertreter mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts die Ehe anfechten. Zweitens kann, wenn der Anfechtungsgrund in dem Mangel der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters besteht, der anfechtungsberechtigte Ehegatte, solange er in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, nicht selbst, sondern nur sein gesetzlicher Vertreter für ihn die Anfechtung vornehmen498. Erlangt er die volle Geschäftsfähigkeit, so bleibt ihm auch in diesem Falle die Anfechtung kraft eigenen Entschlusses vorbehalten499.
498 BGB § 1336. Das BGB geht also nicht, wie einst das frühere Recht und jetzt das Schweiz. ZGB a. 128, von dem Gesichtspunkte eines den Eltern oder dem Vormunde wegen Verletzung ihres Einwilligungsrechtes zustehenden eigenen Anfechtungsrechtes aus. Vielmehr hat der gesetzliche Vertreter nur das Anfechtungsrecht seines Schutzbefohlenen auszuüben, das für diesen aus der ihm selbst zur Last fallenden Verletzung der um seinetwillen geltenden Schutzvorschriften entstanden ist. Einer Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf er nicht, hat also nach freiem Ermessen zu entscheiden, ob das Interesse des Mündels die Anfechtung fordert. Entspricht den wahren Interessen des Mündels die Aufrechterhaltung der Ehe, so hat er die Anfechtung zu unterlassen. Dabei sind nicht blos materielle, sondern auch ethische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. So wird der Umstand, daß die Frau des beschränkt geschäftsfähigen Mannes inzwischen von ihm schwanger geworden ist, für die Unterlassung der Anfechtung stark ins Gewicht fallen. Unbedingt, wie nach Schweiz. ZGB a. 1282, schließt er die Anfechtung nicht aus. 499 Dagegen versagt ihm das Schweiz. ZGB a. 128 überhaupt das Anfechtungsrecht.
4. Titel: Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe
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IV. Erlöschen des Anfechtungsrechtes Das Anfechtungsrecht erlischt aus verschiedenen Gründen. 1. Das Anfechtungsrecht wegen Mangels der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erlischt durch nachträgliche Genehmigung der Ehe seitens des gesetzlichen Vertreters500. 2. Jedes Anfechtungsrecht erlischt durch Bestätigung der Ehe seitens des anfechtungsberechtigten Ehegatten, wenn dieser sie im Falle des Mangels der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters nach Erlangung der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit, im Falle des Irrtums oder der Täuschung nach deren Entdeckung, im Falle der Drohung nach dem Aufhören der Zwangslage vornimmt501. 3. Jedes Anfechtungsrecht erlischt durch Auflösung der Ehe502. Hiervon gilt jedoch eine Ausnahme für den Fall der Auflösung durch den Tod des zur Anfechtung nicht berechtigten Ehegatten. Somit kann der anfechtungsberechtigte Ehegatte, während durch seinen Tod die bis dahin nicht angefochtene Ehe unbedingte Gültigkeit erlangt, im Falle seines Ueberlebens noch die frühere Ehe rückwärts vernichten503. 500 BGB § 13371 S. 2. Ist der Vertreter ein Vormund, so kann auf Antrag des anfechtungsberechtigten Ehegatten das Vormundschaftsgericht die verweigerte nachträgliche Genehmigung ersetzen und soll dies tun, wenn die Aufrechterhaltung der Ehe im Interesse des Ehegatten liegt. Vgl. die entsprechende Bestimmung des § 13042 oben § 232 Anm. 211. 501 BGB § 1337. Die „Bestätigung“ der Ehe hat hier eine andere rechtliche Natur, als im Falle des § 13252 (oben § 240 III 2 b). Denn hier ist sie nicht eine wiederholte Erklärung des Eheschließungswillens, wie sie zur Heilung einer nichtigen Ehe erforderlich ist, sondern ein Verzicht auf das Anfechtungsrecht im Sinne der nach § 1441 die Anfechtung ausschließenden „Bestätigung“ eines anfechtbaren Rechtsgeschäfts. Auch hier ist sie eine einseitige, formfreie, insbesondere auch stillschweigend (z. B. durch Leistung der ehelichen Pflicht) abgebbare Willenserklärung. Allein sie ist grundsätzlich nicht empfangsbedürftig. Auch hier ist, weil sie auf die Aufrechterhaltung des höchstpersönlichen Eheverhältnisses abzielt, Vertretung ausgeschlossen. Allein der beschränkt Geschäftsfähige bedarf, weil sie keine Ehebegründung einschließt, nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Vgl. die Verweisung auf § 13361 in § 13373. Somit sind hier auch in Bezug auf die Frage, ob die Bestätigung nichtig oder anfechtbar ist, sowie hinsichtlich der Zulässigkeit einer Bedingung die allgemeinen Vorschriften für Rechtsgeschäfte anwendbar. Vgl. Planck zu § 1337 Bem. l. 502 BGB § 1338. Die vorher nicht angefochtene Ehe wird also damit schlechthin gültig. Hierin liegt ein charakteristischer Unterschied von der scheingültigen nichtigen Ehe, die im Falle der Auflösung durch Tod oder Scheidung nichtig bleibt und auch den Rechtsschein der Gültigkeit einbüßt; oben § 240 Anm. 484. – Natürlich ist auch nach der Nichtigkeitserklärung eine Anfechtung nicht mehr möglich. Dagegen kann bis zur Nichtigkeitserklärung auch eine scheingültige nichtige Ehe angefochten werden. 503 Hierzu kann ihn namentlich ein vermögensrechtliches Interesse (z. B. an der Wegschaffung einer ehelichen Gütergemeinschaft oder eines gemeinschaftlichen Testaments), aber auch ein Interesse persönlicher Art (z. B. der Wunsch der überlebenden Frau, sich des verheirateten Mannes zu entledigen) veranlassen. Dagegen gewährt das BGB den Erben oder Angehörigen des verstorbenen Ehegatten kein Mittel, die Ehewirkungen aus der Welt zu schaffen,
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
4. Jedes Anfechtungsrecht endlich erlischt durch Zeitablauf, wenn es nicht binnen einer Ausschlußfrist von sechs Monaten ausgeübt wird504. Die Frist beginnt in Ansehung des Anfechtungsgrundes mangelnder Einwilligung mit dem Zeitpunkt, in dem der gesetzliche Vertreter die Eheschließung erfahren oder der Ehegatte die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit erlangt hat505; in Ansehung der Anfechtungsgründe des Irrtums und der Täuschung mit dem Zeitpunkte, in dem der anfechtungsberechtigte Ehegatte den Irrtum oder die Täuschung entdeckt506; in Ansehung des Anfechtungsgrundes der Drohung mit dem Zeitpunkt, in dem die Zwangslage aufhört. Doch entzieht die Versäumniß des gesetzlichen Vertreters eines geschäftsunfähigen Ehegatten dem letzteren, falls seine Geschäftsunfähigkeit behoben wird, nicht sein Anfechtungsrecht 507 V. Geltendmachung Im Gegensatz zu den bei anderen Rechtsgeschäften geltenden Grundsätzen erfolgt die Eheanfechtung niemals durch formfreie Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner. 1. Vielmehr erfolgt sie gegenüber dem anderen Ehegatten nur durch Erhebung der Anfechtungsklage beim Prozeßgericht. Die Klage hat also eine doppelte Bedeumag auch ein grober Irrtum oder Betrug erst nach der Auflösung der Ehe oder kurz vorher entdeckt oder der Wunsch nach Vernichtung der Ehe vom Verstorbenen ausgesprochen sein. Stirbt eine durch Drohung zur Eheschließung bestimmte Frau in Folge der Aufregung vor Beseitigung der Zwangslage, so kann sie nicht hindern, daß der ihr aufgezwungene Ehegatte sie beerbt und sie auf ihrem Leichenstein dessen Namen führt! 504 BGB § 1339. Die Frist wird durch Erhebung der Scheidungsklage gewahrt (RGer LIII 334), nicht aber durch Erhebung der Widerklage auf Scheidung seitens des Beklagten für den Kläger (RGer LVII 199, JWSchr 1909 S. 689). Als Ausschlußfrist ist sie von Amtswegen zu berücksichtigen (RGer XLVIII Nr. 37). Von den Vorschriften über die Verjährung sind nur die der §§ 203 u. 206 über Hemmung des Fristenlaufs oder Mangel eines gesetzlichen Vertreters nach § 13393 entsprechend anwendbar. Bei älteren Ehen beginnt nach EG zum BGB a. 198 Abs. 2 S. 2 die Frist nicht vor dem Inkrafttreten des BGB; war in diesem Zeitpunkt eine bisherige kürzere Frist (z. B. die preußischrechtliche von 6 Wochen) schon verstrichen, so ist das Anfechtungsrecht erloschen; gewährte das bisherige Recht eine längere Frist, so erlischt es (ohne die durch EG a. 169 bei der Verjährung vorgeschriebene Einrechnung des früheren Fristenlaufs) erst in 6 Monaten; vgl. RGer XLVIII Nr. 37 S. 166 – 168. 505 Unterläßt der gesetzliche Vertreter die rechtzeitige Anfechtung, so geht das Anfechtungsrecht unter, kann also auch von dem nachher mündig gewordenen Ehegatten nicht mehr ausgeübt werden. 506 In diesen Fällen ist die Erhaltung des Anfechtungsrechtes für einen sehr langen Zeitraum möglich. So kann z. B. der Mann, dem die Frau am Tage der Goldenen Hochzeit die bisher verschwiegene Tatsache offenbart, daß sie vor der Eheschließung unehelich geboren hatte, die Ehe anfechten, während sie einen vor länger als 10 Jahren begangenen Ehebruch eingestehen kann, ohne sich einer Scheidungsklage auszusetzen (vgl. unten § 250 Anm. 939). 507 BGB § 1340. Er kann in gleicher Weise anfechten, wie wenn er zur Zeit, als die Anfechtung hätte erfolgen sollen, unvertreten gewesen wäre. Es genügt, wenn er beschränkte Geschäftsfähigkeit erlangt.
4. Titel: Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe
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tung, in dem sie zugleich prozeßrechtliches Begehren der Nichtigkeitserklärung und rechtsgeschäftliche Anfechtungserklärung ist. Allein auch ihre rechtsgeschäftlichen Wirkungen fallen durch Zurücknahme der Klage rückwärts wieder weg. Auch wird die Erklärung, wenn die Ehe während des Rechtsstreites durch Genehmigung oder Bestätigung unanfechtbar wird, entkräftet, obschon sie vor dem Verlust des Anfechtungsrechtes wirksam abgegeben war508. 2. Ist die Ehe durch den Tod des anderen Ehegatten aufgelöst, tritt also der einzige Fall ein, in dem überhaupt die Anfechtung einer aufgelösten Ehe möglich ist, so erfolgt die Anfechtung durch eine gegenüber dem Nachlaßgericht in öffentlich beglaubigter Form abzugebende Erklärung509. VI. Wirkung der Anfechtbarkeit Die Anfechtbarkeit ist ein der Ehe anhaftender Mangel, der, so lange keine Anfechtung erfolgt, nur die Möglichkeit ihrer Vernichtung begründet, jedoch im Falle gehöriger Anfechtung bewirkt, daß die Ehe als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Grundsätzlich entspricht also die Wirkung der Anfechtbarkeit einer Ehe den für andere Rechtsverhältnisse geltenden Regeln. Ausdrücklich ist auch die allgemeine Vorschrift für anwendbar erklärt, nach der, wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen mußte, im Falle der Anfechtung so behandelt wird, als hätte er die Nichtigkeit gekannt oder kennen müssen510. Doch werden die allgemeinen Grundsätze nur im Falle der Anfechtung durch Erklärung gegenüber dem Nachlaßgericht vollständig durchgeführt. Dagegen gelten im Falle der Anfechtung durch Klageerhebung Abweichungen, die auf der Angleichung der Anfechtungsklage an die Nichtigkeitsklage beruhen. Denn auch hier kann die Nichtigkeit der Ehe, so lange nicht die Ehe für nichtig erklärt oder aufgelöst ist, nicht anderweit geltend gemacht werden511. Somit wird zwar die Ehe durch die in der Klage enthaltene rechtsgeschäftliche Anfechtungserklärung sofort nichtig. Allein sie bleibt mit dem Rechtsschein der Gültigkeit bekleidet. Sie geht also in eine nichtige, aber scheingültige Ehe über, deren scheinbarer Fortbestand Achtung verlangt512. Wird die Ehe durch rechtskräf508 BGB § 1341; vgl. oben Anm. 500 – 501. – Dagegen wird die in der Klage enthaltene Anfechtungserklärung durch die Abweisung der Klage ohne Sachentscheid (z. B. wegen Unzuständigkeit des Gerichts) nicht entkräftet. Vgl. Zitelmann a. a. O. S. 1 ff., 15 ff., Staudinger zu § 1341 Bem. 3c, Kipp, Familienrecht § 75 Anm. 21. A.M. Hellwig, Lehrb. des Zivilproz. III, 1 S. 304, Wolff § 27 IV 3. 509 BGB § 1342. Das Nachlaßgericht soll die Erklärung sowohl denen, die im Falle der Gültigkeit, wie denen, die im Falle der Nichtigkeit der Ehe Erben des Verstorbenen [werden,] mitteilen; die Einsicht der Erklärung hat es Jedem zu gestatten, der ein Interesse glaubhaft macht. 510 BGB § 13431 mit § 142. 511 BGB § 13432; wie § 1329.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
tiges Urteil für nichtig erklärt, so wird damit die bereits von der Anfechtungserklärung bewirkte, rückwärts gerichtete Vernichtung festgestellt513, zugleich aber der bis dahin wirksame Schein der Gültigkeit für die Zukunft zerstört514. Jetzt und erst jetzt kann die eingetretene Nichtigkeit der Ehe von Jedermann geltend gemacht werden. Wird vor der Erledigung des Rechtsstreits durch rechtskräftiges Urteil die Ehe aufgelöst, so fallen die Beschränkungen der Wirksamkeit der Anfechtungserklärung vom Augenblick der Auflösung an weg515. § 242. Rechtsfolgen nichtiger Ehen I. Ueberhaupt Grundsätzlich wird die nichtige Ehe behandelt, als sei sie nie geschlossen. Die personenrechtlichen Wirkungen gelten als nicht eingetreten, eine Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft ist nicht entstanden, die Frau teilt nicht den Namen, den Wohnsitz und die Staatsangehörigkeit des Mannes. Ebenso gelten die vermögensrechtlichen Ehewirkungen als nicht eingetreten; ein ehelicher Güterstand ist weder kraft gesetzlicher Regel noch durch einen etwaigen Ehevertrag begründet; für die Vermögensauseinandersetzung sind nicht die Regeln des ehelichen Güterrechts, sondern die allgemeinen Regeln des Sachen- und Schuldrechts maßgebend. Die Kinder sind unehelich. Allein dieser strenge Grundsatz wird nur bei der formnichtigen und nicht in das Heiratsregister eingetragenen Ehe, der sog. „Nichtehe“, ausnahmslos durchgeführt516. In den Fällen der mit Rechtsschein bekleideten nichtigen und der durch Anfechtung vernichteten Ehe gelten Abweichungen Sie beruhen sämtlich auf der schon besprochenen Wirksamkeit des unter öffentlicher Autorität geschaffenen Scheines einer gültigen Ehe, der bis zur Nichtigkeitserklärung oder Auflösung der Ehe geachtet werden muß und dessen vorher ausgelöste Rechtswirkungen nicht 512 In dieser Hinsicht gilt für sie von dem Augenblicke der vollzogenen Anfechtung an das oben § 240 Anm. 478 – 479 Gesagte. Auch die Vorschriften der ZPO § 627 über die vorläufige Ordnung der Verhältnisse durch richterliches Interimistikum gelten in gleicher Weise für den Anfechtungs- wie für den Nichtigkeitsprozeß. 513 Das Urteil hat genau wie im Nichtigkeitsprozeß auf Nichtigerklärung (nicht etwa blos auf Gültigkeit der Anfechtung) zu lauten, stellt aber ebenso wie dort, nur vorhandene Nichtigkeit deklaratorisch fest; vgl. oben § 240 Anm. 480. Es hat stets absolute Rechtskraft; ZPO § 629 (die oben § 240 Anm. 476 vermerkte Ausnahme kann hier nicht Platz greifen). 514 Auch in dieser Hinsicht steht das Urteil dem Urteil im Nichtigkeitsprozeß gleich, enthält daher im gleichen Sinne ein konstituierendes Element; oben § 240 Anm. 482. 515 Dies entspricht den für die Geltendmachung der Nichtigkeit einer von Hause aus nichtigen, aber scheingültigen Ehe geltenden Regeln; oben § 240 Anm. 484. Es gilt auch, wenn nach Erhebung der Anfechtungsklage die Ehe durch den Tod des beklagten Ehegatten vor rechtskräftiger Nichtigkeitserklärung aufgelöst wird. Dann bedarf es also nicht mehr der in § 1342 vorgeschriebenen Erklärung gegenüber dem Nachlaßgericht. 516 BGB §§ 13442, 13452, 16992.
4. Titel: Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe
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rückgängig werden. Darum greifen sie nicht mehr Platz, sobald dieser Rechtsschein durch Nichtigkeitserklärung zerstört oder durch Auflösung der Ehe weggefallen ist. Von diesem Augenblick an gelten vielmehr auch für solche Ehen dieselben Grundsätze, wie für „Nichtehen“, ohne daß daran ein tatsächlicher Schein des Fortbestandes der Ehe etwas zu ändern vermöchte. II. Schutz gutgläubiger Dritter Ein Ausfluß der Rechtswirksamkeit des Scheinbestandes einer Ehe ist der Schutz eines Dritten, der bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder bei dem Anhängigwerden eines Rechtsstreites zwischen ihm und einem Ehegatten auf den Bestand der Ehe vertraut hat517. Zu seinen Gunsten treten diejenigen Wirkungen des Rechtsgeschäftes oder des rechtskräftigen Urteils ein, die er erwarten konnte, wenn die Ehe gültig gewesen wäre518. Er erwirkt also z. B. der Frau gegenüber aus einer Verfügung des Mannes über Frauengut die Rechte, die ihm diese Verfügung kraft des scheinbar bestehenden ehelichen Güterrechts verschafft haben würde, und wird umgekehrt gegen den Mann forderungsberechtigt aus einem von der Frau zu dessen Lasten geschlossenen Geschäft, zu dem sie kraft ihrer scheinbaren Schlüsselgewalt berechtigt gewesen wäre. Die Schutzbestimmung gilt aber nur zu Gunsten, nicht zum Nachteil des Dritten; die Ehegatten ihrerseits können sich auf sie nicht berufen, um dem Dritten einen Rechtsverlust oder eine Verpflichtung aufzubürden519. Geschützt ist nur der gutgläubige Dritte; er ist nicht in gutem Glauben, wenn er zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäfts oder des Eintritts der Rechtshängigkeit die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Ehe kannte520.
517 Es handelt sich um eine Anwendung des germanischen Publizitätsprinzips, die ihr Vorbild schon im Preuß. ALR II, 1 §§ 960 – 961 hat. Der Schutz erstreckt sich auf den gesamten rechtsgeschäftlichen Verkehr und die Prozeßführung, dagegen hier so wenig wie beim Vertrauen auf sachenrechtlichen Schein (oben Bd. II 329 Anm. 115, 567 Anm. 76) auf Maßregeln der Zwangsvollstreckung. 518 Der Wortlaut des § 1344 schneidet nur „Einwendungen“ aus der Nichtigkeit der Ehe ab. Daraus wird vielfach gefolgert, daß der Dritte die Wahl habe, die erworbenen Rechte als erworben gelten zu laßen oder unter Berufung auf die Nichtigkeit der Ehe zurückzuweisen. Hiergegen erklärt sich mit durchschlagenden Gründen Wolff § 29 II. Die Faßung des Gesetzes kann so wenig hier, wie im Falle des § 407 (vgl. oben Bd. III 195 Anm. 77) als Hinderniß anerkannt werden, dem aufgestellten Rechtssatz diejenige materiellrechtliche Tragweite beizumeßen, die der allgemeinen Struktur der Vorschriften zum Schutz des guten Glaubens entspricht. 519 Zweifel entstehen bei Rechtsgeschäften, die für den Dritten gleichzeitig Rechte und Pflichten begründen. Man wird mit Wolff a. a. O. annehmen müssen, daß sie der Regel nach ganz gelten, es müßte sich denn um ein dem Dritten gegenüber vorzunehmendes einseitiges Rechtsgeschäft handeln. 520 Verschuldete Unkenntniß, auch wenn sie auf grober Fahrläßigkeit beruht, schadet ihm so wenig, wie mala fides superveniens. Die Beweislast trifft den Gegner. Auf guten oder bösen Glauben der Ehegatten kommt nichts an.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Das Vertrauen auf den scheinbaren Bestand einer Ehe nützt auch dem gutgläubigen Dritten nichts, wenn es sich um eine des rechtswirksamen Scheines entbehrende nichtige Ehe oder um eine bereits rechtskräftig für nichtig erklärte oder aufgelöste Ehe handelt521. Auch in diesen Fällen aber kommen natürlich dem Dritten die allgemeinen Bestimmungen zu Gute, die unabhängig vom Bestande oder Nichtbestande einer Ehe den Erwerb vom Nichtberechtigten ermöglichen522. III. Schutz des gutgläubigen Ehegatten Im Verhältniß der Ehegatten zueinander führt das BGB auch dann, wenn eine Ehe scheingültig oder blos anfechtbar war, im Falle ihrer Nichtigkeitserklärung oder Auflösung grundsätzlich, die Konsequenzen des Satzes durch, daß die Ehe als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Hiervon macht es nicht nur bei Bösgläubigkeit, sondern auch bei Gutgläubigkeit beider Ehegatten keine Ausnahme. Dagegen läßt es, wenn der eine Teil bösgläubig, der andere Teil gutgläubig ist, eine Ausnahme zu Gunsten des gutgläubigen Ehegatten eintreten523. Das BGB kennt also nicht den im kanonischen Recht entwickelten und vom gemeinen Recht und vielen Gesetzbüchern übernommenen Begriff der Putativehe (matrimonium putativum)524. Denn eine Putativehe liegt vor Allem vor, wenn beide Verbundene sich für rechtmäßig verbundene Eheleute halten, und ist nur mit verminderter Wirkungskraft vorhanden, wenn sich blos einer von ihnen in gutem Glauben befindet. Und ihr Wesen besteht darin, daß grundsätzlich alle Wirkungen einer gültigen Ehe (einschließlich der namensrechtlichen und erbrechtlichen Folgen) zu Gunsten beider Ehegatten oder doch des gutgläubigen von ihnen eintreten. Vielmehr schließt sich das BGB dem Vorbilde des preußischen Landrechts an, das ebenfalls der nichtigen Ehe im Verhältniß der Verbundenen zu einander grundsätzlich jede Ehewirkung abspricht und nur, wenn ein Teil gutgläubig ist, der an521 BGB § 1344 erwähnt die Auflösung nicht. Nach den Motiven IV 65 zu Entw. I § 1257 soll der Schutz des Dritten wegen der Nachwirkungen der Ehe, besonders im Falle der Auflösung durch Tod wegen des Ehegattenerbrechts, noch praktische Bedeutung haben. Die Komm. zu § 1344 (z. B. Planck, Bem. 6, Staudinger, Bem. 5a, Schmidt, Bem. 2c) wiederholen dies. Sollte aber wirklich der Rechtserwerb vom Scheinerben, falls dieser als Scheinehegatte in den Erbschaftsbesitz gelangt ist, anderen Regeln unterliegen, als der Rechtserwerb vom Scheinerben überhaupt? 522 So z. B. kraft des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs oder kraft der Legitimation durch den Fahrnißbesitz. Vgl. auch Wolff § 28 III über die unter Umständen in dem Benehmen Zusammenlebender, als seien sie ein Ehepaar, zu findende Kundmachung von Vertretungsmacht. 523 Die Ausnahme gilt nicht für nichtige Ehen, denen nie ein Rechtsschein zur Seite stand; BGB § 13452. 524 Vgl. v. Scherer II 109 ff., 531 ff.; O. Fischer b. Gruchot XXV 69 ff. und in der oben § 239 Anm. 435 angef. Abh. S. 15 ff. Bayr.LR I, 6 § 44. Code civ. a. 201 – 202 u. dazu Zachariae-Crome § 435. Sächs.Gb. § 1628.
4. Titel: Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe
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dere nicht, dem ersteren gewisse vermögensrechtliche Begünstigungen gewährt525. Nur erweitert das BGB die dem gutgläubigen Ehegatten zugestandene Begünstigung erheblich über das landrechtliche Maß. Sie besteht darin, daß der gutgläubige Ehegatte nach freier Wahl, anstatt es bei den Nichtigkeitsfolgen zu belassen, verlangen kann, daß das Verhältniß beider Ehegatten zu einander in vermögensrechtlicher Beziehung nach Scheidungsrecht behandelt werde. Dies gilt nur für die vermögensrechtlichen Wirkungen der Ehe einschließlich der Unterhaltspflicht, erstreckt sich also nicht auf die personenrechtlichen Wirkungen, insbesondere nicht auf das Namenrecht, und bietet ebenso wenig ein Mittel, das Ehegattenerbrecht zu retten. Allein in vermögensrechtlicher Hinsicht kann der gutgläubige Ehegatte diejenige Regelung der Verhältnisse erzielen, die eintreten würde, wenn die Ehe bis zur Nichtigkeitserklärung oder etwaigen früheren Auflösung gültig bestanden hätte und in diesem Zeitpunkt durch ein den anderen Ehegatten für allein schuldig erklärendes Scheidungsurteil aufgelöst wäre526. Gutgläubig ist der Ehegatte, der bei der Eheschließung die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Ehe nicht gekannt hat, mochte auch seine Unkenntniß eine grob verschuldete sein, bösgläubig der Ehegatte, dem die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit bekannt war527. Handelt es sich jedoch um eine wegen Drohung angefochtene Ehe, so schadet die Kenntniß der Anfechtbarkeit dem bedrohten Ehegatten nicht528. Und im Falle der Anfechtung wegen Irrtums steht das Recht, auf Scheidungsrecht zu greifen, nicht dem irrenden, sondern dem anderen Ehegatten zu, wenn dieser bei der Eingehung der Ehe den Irrtum weder kannte noch kennen mußte529. 525 Preuß. ALR II, 1 §§ 952 – 959 und 974. Die Begünstigungen beziehen sich nur auf die Rechte und Pflichten bei Verwaltung des Frauenguts. 526 BGB § 13451. Ist jedoch der in Ansehung des Bestandes der Ehe gutgläubige Ehegatte bereits in einem Scheidungsurteil für allein schuldig oder zugleich schuldig erklärt, so kann er, wenn er hinterher die Nichtigkeit der Ehe geltend macht, aber von dem ihm zustehenden Rechte, auf Scheidungsrecht zu greifen, Gebrauch macht, nur das verlangen, was einem allein schuldigen oder zugleich schuldigen geschiedenen Ehegatten gebührt; vgl. Mitteis a. a. O. (oben § 240 Anm. 482) S. 7 ff., Schmidt zu § 1586 Bem. 5b, Endemann § 160a Anm. 46, Wolff § 29 II 2. 527 Die Vermutung spricht für Gutgläubigkeit; der aus § 1345 klagende Ehegatte muß also die Kenntniß des anderen Ehegatten beweisen, während umgekehrt der der gegen ihn erhobene Einwand, daß er selbst Kenntniß gehabt habe, vom Gegner bewiesen werden muß. 528 BGB § 1346 S. 1. 529 BGB § 1346 S. 2. Die Bestimmung beruht auf dem Vertrauensprinzip und entspricht daher dem in § 122 durchgeführten Gedanken. War der nicht anfechtungsberechtigte Ehegatte schuld daran, daß er in seinem Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung des anderen Teils getäuscht wurde, so steht das Recht aus § 1345 keinem der Ehegatten zu. Kannte er aber den Irrtum und die aus ihm folgende Anfechtbarkeit der Ehe, war er also im Sinne des § 1345 bösgläubig, so kann der gutgläubige irrende Ehegatte auf Grund der allgemeinen Regel des § 1345 auf Scheidungsrecht greifen; vgl. RGer. LXXVIII Nr. 83; ebenso Thiesing a. a. O. S. 183 ff., Wolff § 29 I 2b; a.M. Planck zu § 1346 Bem. 2. – Auf den Fall der Anfechtung wegen Täuschung erstreckt sich natürlich § 1346 nicht.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Der gutgläubige Ehegatte hat ein Recht, die Regelung der Vermögensverhältnisse nach Scheidungsrecht zu verlangen. Macht er von diesem Rechte keinen Gebrauch, so treten die Nichtigkeitsfolgen ein530. Die Ausübung des Rechtes erfolgt durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem anderen Ehegatten oder dessen Erben; einmal abgegeben, ist sie unwiderruflich, so daß die Geltendmachung der Nichtigkeitsfolge nicht mehr stattfinden kann. Umgekehrt bleibt es bei den Nichtigkeitsfolgen, wenn der berechtigte Ehegatte durch eine dahin gehende, gleichfalls empfangsbedürftige und unwiderrufliche Willenserklärung auf sein Recht verzichtet oder, falls ihn der andere Ehegatte unter Bestimmung einer angemeßenen Frist zur Beseitigung des Schwebezustandes durch ausdrückliche Erklärung aufgefordert hat, sein Recht nicht bis zum Ablauf der Frist ausübt531. Somit ist die Befugniß des gutgläubigen Ehegatten, nach Belieben über die Gestaltung der vermögensrechtlichen Folgen des weggefallenen Scheinbestandes der Ehe zu entscheiden, kein Wahlrecht, sondern eine alternative Ermächtigung; diese alternative Ermächtigung aber begründet für ihn ein Gestaltungsrecht, vermöge deßen er unmittelbar Rechtsverhältnisse schuld- wie sachenrechtlicher Art schaffen und zerstören kann532. IV. Schutz der Kinder Die Schutzvorschriften zu Gunsten der Kinder aus nichtigen scheingültigen oder anfechtbaren Ehen sind später zu behandeln533.
530 Je nach den Umständen ist es für ihn vorteilhafter, das Recht aus § 1345 auszuüben oder es bei den Nichtigkeitsfolgen zu belassen. Einen Unterhaltsanspruch kann er nur gewinnen, wenn er auf Scheidungsrecht greift. Hinsichtlich der Vermögensauseinandersetzung aber kann er besser fahren, wenn er es bei den Nichtigkeitsfolgen beläßt. So namentlich bei einer gütergemeinschaftlichen Ehe, wenn er mehr Vermögen als der andere Ehegatte eingebracht hat, die Ehefrau aber auch beim gesetzlichen Güterstande, wenn der Mann längere Zeit hindurch erhebliche Nutzungen aus ihrem Eingebrachten gezogen hat. 531 Durchaus abweichend regelt das Schweiz. ZGB a. 134 die Folgen der Ungültigkeitserklärung einer Ehe für die Ehegatten. Hinsichtlich der güterrechtlichen Auseinandersetzung, sowie der Ansprüche der Ehegatten auf Entschädigung, Unterhalt oder Genugtuung gilt ohne Weiteres Scheidungsrecht; auf guten oder bösen Glauben kommt dabei nichts an, soweit nicht die Bösgläubigkeit ein nach Scheidungsrecht beachtliches Verschulden darstellt. Im Uebrigen hat nur der gute Glaube der Ehefrau eine rechtliche Bedeutung, indem die gutgläubige Ehefrau den durch den Abschluß der Ehe erworbenen Personenstand behält; doch verliert sie, nach deut. R., den erheirateten Namen. 532 Vgl. unten § 296. 533 Dabei wird sich zeigen, daß einerseits auch sie den Kindern aus „Nichtehen“ nicht zu Gute kommen (oben Anm. 516), andererseits auch bei ihnen der gute oder böse Glaube der Eltern eine Rolle spielt. Das Schweiz. ZGB a. 133 dagegen läßt die Kinder schlechthin als eheliche gelten und schreibt für die Ordnung des Verhältnisses zwischen den Eltern und den Kindern die Anwendung der bei der Ehescheidung geltenden Vorschriften vor.
4. Titel: Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe
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§ 243. Prozesse über Bestand oder Nichtbestand der Ehe I. Ueberhaupt Da die Ehe ein Privatrechtsverhältniß ist, entscheidet über die Frage, ob sie besteht oder nicht besteht, das zuständige ordentliche Gericht im Wege des Zivilprozesses. Die Entscheidung aber erfolgt regelmäßig im „Verfahren für Ehesachen“. Dieses Verfahren tritt stets ein, wenn eine Nichtigkeitsklage oder Anfechtungsklage erhoben, also der zur Geltendmachung der Nichtigkeit einer scheingültigen oder zur Anfechtung einer anfechtbaren Ehe vom BGB ausschließlich zugelassene Weg beschritten ist. Es tritt aber auch ein, wenn mit einer gewöhnlichen Feststellungsklage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe unter den Parteien verlangt wird534. Eine solche Feststellungsklage ist nur subsidiär zulässig. Ist aber eine Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage ausgeschlossen oder würde eine solche nicht zum Ziele führen, so kann sie gemäß § 256 ZPO angestellt werden. So kann der angebliche Ehegatte die Feststellung des Nichtbestehens einer Ehe durch richterliches Urteil mittels negativer Feststellungsklage herbeiführen, wenn er mit dem Beklagten eine formnichtige und nicht ins Heiratsregister eingetragene Ehe geschlossen hat oder wenn seine mit diesem geschlossene nichtige oder anfechtbare Ehe früher bereits für nichtig erklärt ist. Umgekehrt kann, wer in gültiger Ehe zu leben behauptet, mittels positiver Feststellungsklage ein das Bestehen der Ehe feststellendes richterliches Urteil durchsetzen, wenn er der Nichtigkeitsklage des anderen Ehegatten mit einer Widerklage entgegentritt oder wenn er die Feststellung fordert, weil der andere Ehegatte Nichtigkeit der Ehe behauptet, die Nichtigkeitsklage aber nicht anstellen will, oder auch, wenn beide Ehegatten zur Behebung von Zweifeln die Feststellung der Gültigkeit der Ehe wünschen. II. Die Besonderheiten des Verfahrens richten sich in allen diesen Fällen nach den für das Verfahren in Ehesachen überhaupt geltenden Vorschriften, die jedoch in einzelnen Beziehungen den materiellrechtlichen Vorschriften über nichtige und anfechtbare Ehen angepaßt sind535. Hier ist auf diese dem Prozessrecht angehörigen Bestimmungen nur kurz hinzuweisen. Durchweg hat im Prozeß der Staatsanwalt als Vertreter des öffentlichen Interesses mitzuwirken536. ZPO § 6061. 535 Ueber die im Wesen der Familienrechtsverhältnisse wurzelnden Grundzüge der besonderen familienrechtlichen Prozeßarten überhaupt vgl. oben § 223 VI. Das Verfahren in Ehesachen ist vor Allem für Ehescheidungsklagen ausgebildet und für Klagen auf Herstellung des ehelichen Lebens übernommen. Seine modifizierte Erstreckung auf Nichtigkeits-, Anfechtungs- und Feststellungsklagen bezweckt in erster Linie, aber nicht ausschließlich die Verhütung des Mißbrauches dieser Rechtsbehelfe zur Umgehung der Scheidungserschwerungen. 536 ZPO § 607. Doch kann er nur im Nichtigkeitsprozeß als Partei auftreten, indem er die Nichtigkeitsklage erheben, aber auch, wenn er dies nicht getan hat, selbständig den Prozeß 534
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Die Stellung der Ehegatten als Prozeßpartei ist besonders geordnet, indem in Ehesachen der beschränkt geschäftsfähige Ehegatte prozeßfähig ist537, der geschäftsunfähige Ehegatte aber zwar durch seinen gesetzlichen Vertreter vertreten wird, dieser aber eine Anfechtungsklage nicht ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erheben kann538. Das Verfahren ist ähnlich dem Strafprozeß auf Ermittlung der materiellen Wahrheit gerichtet und schließt daher die zur Erzielung einer blos formellen Prozeßwahrheit geeigneten Einrichtungen des gewöhnlichen Zivilprozesses aus. Darum ist die Befugniß der Parteien, über den Prozeßstoff zu verfügen, stark eingeschränkt; das Anerkenntniß des gegnerischen Anspruchs führt nicht zur Verurteilung; die Beweismittel, denen sonst eine formale Kraft zur Feststellung von Tatsachen beigelegt ist, entbehren dieser Kraft, so daß insbesondere die Eideszuschiebung nicht stattfindet und das gerichtliche Geständniß nicht die sonstigen Wirkungen hat539. Das Gericht kann das persönliche Erscheinen einer Partei anordnen und sie über die von ihr, der Gegenpartei oder dem Staatsanwalt behaupteten Tatsachen vernehmen540. Es kann auch nicht vorgebrachte Tatsachen berücksichtigen, die Aufnahme von Beweisen von Amtswegen anordnen541. Hinsichtlich der Vorbringung neuer Tatsachen oder Beweismittel gelten besondere Vorschriften542. Die
betreiben, insbesondere Anträge stellen und Rechtsmittel einlegen kann; ZPO §§ 632, 634, 636 – 637. Vgl. oben § 240 Anm. 475 u. § 241 III. 537 ZPO § 6121 mit der durch § 1336 Abs. 2 S. 2 geforderten Ausnahme; vgl. oben § 241 III. 538 ZPO § 6122; oben § 241 III. – Der Bevollmächtigte des klagenden Ehegatten bedarf einer Spezialvollmacht, der Mangel der Vollmacht ist von Amtswegen zu berücksichtigen; ZPO § 613. 539 ZPO § 617. Auch die Vorschriften über die Folgen unterbliebener oder verweigerter Erklärungen über Tatsachen und Urkunden, über Verzicht auf Beeidigung von Zeugen oder Sachverständigen über Erlassung eines Eides und über den prozessualen Anspruch auf Urkundenvorlegung finden keine Anwendung. Doch gilt die Beschränkung der Beweismittel nur im Nichtigkeits- und im Feststellungsprozeß hinsichtlich aller für Bestand oder Nichtbestand der Ehe erheblichen Tatsachen, dagegen im Anfechtungsprozeß lediglich in Ansehung solcher Tatsachen, die die Anfechtung begründen sollen. lm Anfechtungsprozeß ist also in Ansehung von Tatsachen, die zwecks Aufrechterhaltung der Ehe behauptet werden, auch das Geständnis wirksam und die Eideszuschiebung zulässig. 540 ZPO § 619. 541 ZPO § 622. Jedoch auch hier nur im Nichtigkeits- oder Feststellungsprozeß unbedingt, im Anfechtungsprozeß lediglich zwecks Aufrechterhaltung der Ehe. 542 Nach ZPO § 614 ist stets bis zur letzten mündlichen Verhandlung die Geltendmachung anderer Klagegründe zuläßig; ist auf Nichtigkeit (oder Scheidung) erkannt, so fällt in der Berufungsinstanz die Beschränkung des Vorbringens neuer Verteidigungsmittel durch § 279 nach § 626 weg. Andererseits kann im Falle der Abweisung einer Anfechtungs- oder Scheidungsklage der Kläger im neuen Prozeß das Anfechtungs- oder Scheidungsrecht nicht mehr auf Tatsachen gründen, die er in dem früheren Rechtsstreit geltend gemacht hat oder durch Klagenverbindung oder Widerklage hätte geltend machen können; ebensowenig der Beklagte auf Tatsachen, auf die er eine Widerklage zu gründen im Stande war; § 616.
5. Titel: Wirkungen der Ehe
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Versäumnißfolgen sind abweichend von den gewöhnlichen Regeln normiert; ein Versäumnißurteil gegen den Beklagten ist unzuläßig543. Im Zusammenhange mit der Eigenart des Verfahrens in Ehesachen steht es, daß eine Klagenverbindung nur mit verwandten Klagen zuläßig ist544 und als Widerklage nur eine verwandte Klage erhoben werden kann545. Das bei Lebzeiten beider Ehegatten rechtskräftig gewordene Urteil hat absolute Rechtskraftwirkung546. III. Feststellungsprozesse mit Dritten Möglich sind auch Feststellungsprozesse in Ansehung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe zwischen einem Ehegatten und einem Dritten. Dann tritt nicht das Verfahren in Ehesachen, sondern der gewöhnliche Zivilprozeß ein. Das Urteil aber hat dann Rechtskraftwirkung nur unter den Parteien.
Fünfter Titel
Wirkungen der Ehe § 244. Die eheliche Gemeinschaft I. Ueberhaupt Rechtsnotwendige Wirkung der Eheschließung ist die Verbindung von Mann und Frau zur ehelichen Gemeinschaft. 543 ZPO § 618. Ein Versäumnißurteil gegen den Kläger ist zulässig; im Nichtigkeits- oder Feststellungsprozeß aber ist es dahin zu erlassen, daß die Klage als zurückgenommen gilt, §§ 635 u. 638. Ueber das auf Antrag vom Richter zu verfügende Interimistikum (§ 627) vgl. oben § 240 Anm. 479, § 241 Anm. 513. 544 Die Nichtigkeitsklage kann nur mit der Feststellungsklage, die Anfechtungsklage mit der Scheidungsklage oder der Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens verbunden werden; ZPO §§ 6331, 638, 615. Ueber die Möglichkeit einer mit der Scheidungsklage verbundenen nur eventuellen (bedingten) Anfechtung vgl. RGer LXXXVIII Nr. 84. 545 Gegen die Nichtigkeitsklage ist nur eine Feststellungsklage, gegen die Feststellungsklage nur eine Nichtigkeitsklage, gegen die Anfechtungsklage nur eine Scheidungsklage oder eine Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens als Widerklage zulässig; ZPO 6332, 638, 615. 546 ZPO § 629 (mit der oben § 240 Anm. 476 vermerkten Ausnahme). Das eine Ehe für nichtig erklärende Urteil ist von Amtswegen zuzustellen; ZPO § 625. Stirbt einer der Ehegatten vor der Rechtskraft des Urteils, so ist der Rechtsstreit in Ansehung der Hauptsache als erledigt anzusehen; ZPO § 628.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Die eheliche Gemeinschaft ist die von der Rechtsordnung für das Rechtsgebiet ausgeprägte Gestalt der dem natürlichen und sittlichen Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft547. Darum ist sie ein die Persönlichkeit der Verbundenen im Ganzen ergreifendes Rechtsverhältniß. Sie läßt die Sonderpersönlichkeit jedes Ehegatten unberührt, so daß dem Mann wie der Frau ein Bereich des freien Einzellebens gewahrt bleibt. Allein für den Bereich des ehelichen Zusammenlebens verknüpft und verschmilzt sie Mann und Frau zum Ehepaar und damit zu einer nach innen und nach außen rechtswirksamen Personeneinheit. Als personenrechtliche Gemeinschaft ist sie in bestimmter Weise organisiert. Ihre Organisation beruht auf einer eigenartigen Verbindung herrschaftlicher und genoßenschaftlicher Elemente. Im älteren deutschen Recht überwog die Struktur des ehelichen Verhältnisses im Sinne eines Herrschaftsverbandes. Denn für die echte Ehe war Wesenserforderniß die durch die Trauung erworbene ehemännliche Munt, kraft deren der Mann im Bereiche der ihm zustehenden Schutzgewalt über die Frau nach innen und nach außen Träger der ehelichen Personeneinheit war. Er übte nach innen Herrschaftsrechte über die Frau aus, die ihm zu Gehorsam und Dienst verpflichtet war, und war nach außen berechtigt und verpflichtet, die Frau zu schützen und zu vertreten548. Allein in den Herrschaftsverband war ein für die deutsche Ehe von je kennzeichnendes genoßenschaftliches Verhältniß eingebaut549. Die eheliche Genoßenschaft ist kein Ausfluß der Munt, sondern entspringt aus der Vereinigung von Mann und Weib zu einer auf gegenseitige Hingabe abzielenden Lebensgemeinschaft. Dies kommt im Rechte des deutschen Mittelalters schon in der äußeren Trennung der Zeitpunkte, in denen die Herrschaft des Mannes und das beiderseitige genoßenschaftliche Verhältniß eintritt, zu sinnfälligem Ausdruck. Die eheliche Genoßenschaft entsteht nicht mit der Trauung, sondern erst mit der ihr nachfolgenden Beschreitung des Ehebettes550. Dabei handelt es sich keineswegs um die reale Vgl. oben § 225. Vgl. oben § 224 II 2 u. § 238 I. Dazu Sachsensp. III, 45 § 3: Die man is ok vormünde sines wives to hant als sie ime getrüwet wert. Schwabensp.(L) c. 9: daz der man des wibes voget ist und ir meister. Ostfries. LR II c.189: den der man is alletzt en hovet synes wibes und sines wijves vormund. 549 Vgl. oben § 224 II 3. Schon Tac. Germ. c. 18 nennt die germanische Ehefrau laborum periculorumque „sociam“. Sachsensp. I 45 § 3, III 45 § 3: die Frau ist „genotin“ des Mannes. Freiburger Stadtrodel (13. Jahrh.) § 25: Omnis mulier est genoz viri sui in hac civitate et vir mulieris similiter. Freiheit v. Regensburg v. 150l b. Grimm, W I, 85: die sind einander gnosz und erb. 550 Sachsensp. III 45 § 3 fährt nach dem oben Anm. 548 angeführten Satze fort: Dat wif is ok des mannes genotinne tohant alse sie in sin bedde trit. Ebenso I 45 § 1: se is sin genotinne unde trit in sin recht, swenne se in sin bedde gat. Rsb. nach Dist. IV 32 d 5. Schwabensp. (L) a. 67 b. Schweiz. W.b. Grimm I l02, 146, 203, 287, IV 350 § 2, V 197 § 42, 198 § 2; vgl. auch III 740. Oesterr. W. III l06, 12 ff., V 657, 17 ff. – vgl. Kraut, Vorm. I 178. Pauli, Abh. II 2 ff. Stobbe 3IV § 272 IV 2, 275, 6. Hübner, Grundz.2 S. 530. Auch Fehr, Die Rechtsstellung der Frau usw. S. 57, 60 ff., der aber sowohl die selbständige Bedeutung der ehelichen Genossen547 548
5. Titel: Wirkungen der Ehe
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fleischliche Vermischung, sondern um einen vor Zeugen vorgenommenen feierlichen Formalakt, der den Beginn der in der Bettgemeinschaft gipfelnden, von beiden Teilen gewollten ehelichen Lebensgemeinschaft offenkundig macht551. Im Bereiche der ehelichen Genoßenschaft, die eine Vereinheitlichung des Standes und des Rechts bewirkt, vor Allem aber auch in irgend einer Weise vermögensrechtliche Folgen der ehelichen Verbundenheit auslöst552, sind Mann und Weib grundsätzlich gleichberechtigte Mitträger der ehelichen Personeneinheit553. Im Laufe der Zeit erfolgte einerseits eine fortschreitende Abschwächung der ehelichen Herrschaft zu Gunsten der ehelichen Genoßenschaft, andererseits eine wachsende Verschmelzung der herrschaftlichen und genoßenschaftlichen Elemente der ehelichen Gemeinschaft. Das solenne Beilager verlor seine rechtliche Bedeutung und verschwand schließlich auch aus der Sitte554. So erschien im neueren Recht die eheliche Gemeinschaft als ein unmittelbar durch die Eheschließung begründetes einheitliches Rechtsverhältniß. Im Kern aber bewahrte sie ihre deutschrechtliche Eigenart. Die naturrechtliche Soziallehre konstruierte freilich die Ehe als eine vertragsmäßig eingegangene Gesellschaft (societas conjugalis), brachte schaft wie das Wesen des sie begründenden Beilagers verkennt. – Ueber altnord. R. K. Lehmann, Verlobung und Hochzeit S. 87 ff. 551 Die Formen sind örtlich mannichfach verschieden. Ueblich ist Fackelgeleit ins Brautgemach. Dann genügt nach vielen Quellen, daß die Frau oder der Mann sich vor dem Bette entgürtet, nach anderen wird gefordert, daß von der Frau oder von beiden das Bett beschritten ist, nach wieder anderen soll die Decke über ihnen zusammenschlagen haben oder beschlossen sein oder sie sollen bei einander gelegen oder geschlafen haben. Daß es auf die copula carnalis nicht ankommt, wird in vielen Weistümern (vgl. z. B. Grimm I 14 § 36, 46 § 14, IV 345 § 11, 350 § 2, V 198 § 2) ausdrücklich hervorgehoben und näher ausgeführt und blieb auch in der späteren Praxis anerkannt. Nur vereinzelt identifizierte man schon im Mittelalter und in jüngeren Gesetzen das Beilager mit der commixtio carnalis, wie sich dies aus dem Einfluß des kanonischen Rechtes und seiner Lehre von der consummatio matrimonii leicht erklärt. Eine erschöpfende Zusammenstellung und Würdigung der Quellenstellen mit Literaturnachweisen bietet Stobbe in einem eignen dem Beilager gewidmeten Exkurs a. a. O. S. 47 – 50; vgl. auch die b. Kraut, Grundr. § 163 Nr. 39 – 42 abgedruckten Stellen. 552 Die Quellen heben bald den Eintritt der Rechts- und Standesgemeinschaft, bald die güterrechtlichen und erbrechtlichen Wirkungen besonders hervor. Die letzteren sind ja nach dem geltenden ehelichen Güterrecht ungleich; sie fehlen bei keinem Güterstande, treten aber namentlich in den Gebieten der ehelichen Gütergemeinschaft in den Vordergrund; hier trifft neben dem Rechtssprichwort „Ist das Bett beschritten, so ist das Recht erstritten“ (Graf u. Dietherr S. 140 Nr. 13) das Rechtssprichwort „Ist die Decke über den Kopf, so sind die Eheleute gleich reich“ (ebd. S. 153 Nr. 83) zu. 553 Vgl. Freiburger Stadtr. v. 1120 § 12: Omnis mulier viro parificabitur et econtra. Berner Handb. a. 40: pares sint in omni jure. Das schließt nicht aus, daß auch im genossenschaftlichen Verhältniß der Mann als Gemeinschaftshaupt überwiegende Repraesentationsmacht und verstärktes Teilhaberrecht hat; allein die Frau ist zur Mitdarstellung der Gemeinschaft und in gewissem Umfange zu ihrer alleinigen Vertretung berufen und ist anteilsberechtigt am Ehegute. 554 Seit Anfang des 18. Jahrh.; vgl. Stobbe S. 50. Doch hält noch die Lippesche V. v. 1786 § 1 (b. Kraut § 175 Nr. 5) [für] erforderlich, hinsichtlich des Eintritts der gesetzlichen allgemeinen Gütergemeinschaft zu bestimmen, daß sie gleich mit der Trauung ihren Anfang nimmt und „dazu die Beschreitung des Ehebettes nicht erforderlich“ ist.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
jedoch durch die Annahme, daß diese Gesellschaft das Ehepaar zu einer persona moralis vereinige, die Idee der ehelichen Personeneinheit und durch die Aufstellung, daß der Mann das Haupt der ehelichen Gesellschaft und die Frau seine Genossin sei, die organische Struktur der Gemeinschaft zur Anerkennung555. Auch die neueren Gesetzbücher beruhen auf der Auffassung des ehelichen Rechtsverhältnisses als einer die Ehegatten zu einer Personeneinheit zusammenschließenden organischen Gemeinschaft556. So liegt auch den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuchs der deutschrechtliche Gedanke der ehelichen Gemeinschaft zu Grunde. Die Ehegatten sind für einander und für Dritte zu einer Personeneinheit verbunden, die zur sichtbaren Erscheinung kommt, wenn sie gemeinsame Entschlüsse fassen und mit gesamter Hand handeln, in einem bestimmten Wirkungsbereiche aber von einem jeden von ihnen allein dargestellt wird. Ihre Verbindung ist genoßenschaftlicher Natur und baut sich daher grundsätzlich auf der Gleichberechtigung von Mann und Frau auf, die das BGB in weitem Umfange durchführt. Allein im Einklange mit dem organischen Wesen der ehelichen Gemeinschaft, die in der naturgegebenen Verschiedenheit und dem Ergänzungsbedürfniß beider Geschlechter wurzelt, nehmen Mann und Frau in Ansehung der Darstellung ihrer personenrechtlichen Einheit eine ungleiche Stellung ein. Und hierbei hält auch das BGB daran fest, daß der Mann das geborene Haupt, die Frau nur die Mitträgerin der Gemeinschaft ist, und bringt so, wenngleich in starker Beschneidung, das herrschaftliche Element des Ehebandes zur fortdauernden Geltung. Das BGB hat freilich den Begriff der ehelichen Gemeinschaft nicht juristisch ausgeprägt und kleidet ihre einzelnen Wirkungen in das Gewand einer möglichst individualistischen Konstruktion. Allein der Gedanke der ehelichen Gemeinschaft bildet die innere Triebkraft und das zusammenhaltende Band seiner Ordnung der Ehewirkungen und erweist sich überdies als Quelle zahlreicher gesetzlicher Ehefolgen auf anderen Rechtsgebieten. Jedenfalls existiert die eheliche Gemeinschaft hinter der formell individualistischen Ordnung des BGB als soziales Gebilde in der Wirklichkeit des deutschen Rechtslebens der Gegenwart. Wir sind daher befugt, auch bei der Darstellung des geltenden Rechts von der ehelichen Gemeinschaft auszugehen557. Doch bleibt es bedauerlich, daß das BGB nicht den Weg eingeschlagen hat, den das Schweizerische ZGB gegangen ist. Dieses Gesetzbuch stellt an die Spitze der Bestimmungen über die allgemeinen Wirkungen der Ehe den Satz, daß durch die Trauung die Ehegatten zur „ehelichen Gemeinschaft“ verbunden werden, und stempelt diese Gemeinschaft zu einer den Ehegatten als Einzelnen gegenüberstehenden juristischen Personeneinheit: die Ehegatten sind verpflichtet, das Wohl der Gemeinschaft „in einträchtigem Zusammenwirken zu wahren; der Vgl. mein Genossenschaftsr. IV 532 Anm. 160, 548; oben Bd. I 668 Anm. 23. Ausdrücklich sagt das Preuß. ALR II, § 184: „Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gesellschaft“. Vgl. auch Oesterr. Gb. § 44. „in unzertrennlicher Gemeinschaft“. 557 Bestritten wird dies von M. Wolff § 31 I. 555 556
5. Titel: Wirkungen der Ehe
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Ehemann ist das Haupt der Gemeinschaft“, die Ehefrau hat ihn in der Sorge für die Gemeinschaft „zu unterstützen; der Ehemann ist der Vertreter der Gemeinschaft“, die Ehefrau hat im hausfräulichen Wirkungsbereich die „Vertretung der Gemeinschaft“ neben dem Ehemann; jeder Ehegatte ist für die Verletzung seiner Pflichten „gegenüber der Gemeinschaft“ verantwortlich558. Der Eintritt der ehelichen Gemeinschaft vollzieht sich von Rechtswegen mit dem Augenblick der Eheschließung. Er vollzieht sich unabhängig vom Parteiwillen559. Die personenrechtlichen Wirkungen der Gemeinschaft sind nach heutigem Recht schlechthin der vertragsmäßigen Abänderung entzogen560. Gleiches gilt von gewissen allgemeinen vermögensrechtlichen Wirkungen der personenrechtlichen Verbundenheit, die unabhängig vom ehelichen Güterrecht bei jeder Ehe von Rechtswegen eintreten561. Dagegen wird das eheliche Güterrecht zwar gleichfalls als Ausfluß der ehelichen Gemeinschaft unmittelbar durch deren Eintritt von Rechtswegen ins Leben gerufen, unterliegt aber der Abänderung durch einen von dem Eheschließungsvertrage gesonderten „Ehevertrag“562. Der Bestand der ehelichen Gemeinschaft ist an den Bestand der Ehe geknüpft. Es ist möglich, daß in Folge besonderer Umstände die Wirkungskraft der Gemeinschaft eine Abschwächung erfährt, die bis zur gesetzlichen Sanktion des Getrenntlebens der Ehegatten gehen kann563. Allein bis zur Auflösung der Ehe bleibt davon der rechtliche Bestand der Gemeinschaft als solcher unberührt und äußert sich in unabänderlichen Rechtsfolgen der personenrechtlichen Verbundenheit, die unabhängig von der tatsächlichen Lebensgemeinschaft auch unter getrennt lebenden Ehegatten fortdauern. Mit der Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung erlischt die eheliche Gemeinschaft. Doch entspringen ihr sowohl personenrechtliche wie vermögensrechtliche Nachwirkungen mannichfacher Art564. 558 Schweiz. ZGB a. 199, 1601, 1612, 1621, 163, 164. Ueber das rechtliche Wesen der Gemeinschaft als einer Gesamthandsgemeinschaft besonderer Art vgl. Egger Vorbem. 3, Gmür Vorbem. IV. 559 Ein den Eintritt der Gemeinschaft ausschließender Vertrag ist nichtig; vgl. RGer. LXVIII Nr. 79, für das frühere Recht Seuff. XXXVIII Nr. 317. Andererseits kann unter Personen, die nicht Ehegatten sind, eine gleichartige Gemeinschaft nicht begründet werden. 560 Oben § 225 Anm. 4 [fehlt]. Wir haben oben § 225 IV gesehen, daß nach dem Sonderrecht des hohen Adels heute noch eine unvollkommene Ehe mit verkürzten Gemeinschaftswirkungen möglich ist; auch hier aber ist Quelle der Abänderungen der gesetzlichen Regel nicht der Parteiwille, sondern das für die hochadligen Häuser geltende besondere objektive Recht. 561 Von ihnen handeln wir besonders in § 245. 562 Davon in Kap. IV. 563 Dies ist der Fall bei der Trennung von Tisch und Bett. Sie ist dem BGB unbekannt. Allein das BGB kennt eine Befugniß zur eigenmächtigen Separation (unten Anm. 577 – 578) und regelt diese „separierte“ Ehe geradezu als eine rechtlich anerkannte Form der ehelichen Gemeinschaft. Vgl. unten § 252 I. 564 So hinsichtlich des Namen- und Standesrechts, der Unterhaltspflicht, des ehelichen Güterrechts.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
II. Die Ehegatten als Ehepaar Die personenrechtliche Verbundenheit der Ehegatten äußert sich in erster Linie in den Rechtswirkungen, die für beide Ehegatten als vereinigtes Menschenpaar gemeinschaftlich und gleichheitlich eintreten. Sie bringen den Gedanken der ehelichen Gemeinschaft nach innen wie nach außen zum Ausdruck. 1. Im inneren Eheverhältniß ist vor allem die natürliche und sittliche Lebensgemeinschaft zum Rechtsverhältniß erhoben. Das BGB bestimmt: „Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet565. Diese Verpflichtung ist Rechtspflicht. Ihr entspricht daher ein gegenseitiger Rechtsanspruch auf Erfüllung. Sie wird erfüllt durch ein dauerndes Verhalten, das sich sowohl in stetig wiederkehrendem Tun wie im Unterlassen zuwiderlaufender Handlungen zu bewähren hat. Welche einzelnen Verpflichtungen aus dieser Gesamtverpflichtung entspringen, läßt sich erschöpfend nicht darlegen. Sie ergeben sich aus dem Wesen der Ehe, gewinnen aber ihre konkrete Entfaltung erst unter dem Einfluß der besonderen Verhältnisse der Ehegatten und der durch ihre gesellschaftliche Stellung bedingten Anschauungen und Sitten und können durch den Eintritt außergewöhnlicher Umstände sich inhaltlich verändern. Während die meisten anderen Gesetzbücher wenigstens bestimmte einzelne Grundverpflichtungen ausdrücklich hervorheben, enthält sich das BGB überhaupt jeder Andeutung über den Inhalt und Umfang der ehelichen Lebensgemeinschaft. Er setzt als selbstverständlich voraus, daß sie einträchtiges Zusammenwirken für das gemeinschaftliche Wohl, gemeinsames Tragen von Glück und Unglück, wechselseitiger Unterstützung und Beistand mit Rat und Tat fordert566. Ebenso betrachtet es als selbstverständlich, daß sie das ständige Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft einschließt und normaler Weise die Begründung und Erhaltung eines dafür dienlichen eignen Hausstandes verlangt567. Auch sieht es als selbstverständlich an, daß die Ehegatten einander zur Leistung der ehelichen Pflicht verbunden sind568. 565 BGB § 13531. Vgl. Wieruszowski, Handb. des Eherechts, I 4 ff.; Wetzel, Arch. f. b. R. XXVI 54 ff., Hörle ebd. XXX 113 ff.; Dernburg § 32; Endemann § 169; Wolff § 31 IV; Joerges, Die eheliche Lebensgemeinschaft in ihrem Begriff, ihren Gestaltungen und ihren vermögensrechtlichen Beziehungen, 1912. 566 Ausdrückliche Bestimmungen darüber im Bayr. LR I, 6 § 12 Nr. 1, Preuß. ALR I, 1 § 174 (Beistand) u. § 176 (Ausharren trotz Widerwärtigkeiten), Code civ. a. 212 (mutuellement secours, assistance), Oesterr. Gb. § 44 (dazu Seuff. XLIII Nr. 23), Sächs. Gb. § 1630 (Unterstützung), Schweiz. ZGB a. 1553 (Beistand). 567 Vgl. Preuß. LR § 175 („vereint mit einander leben“), Code civ. a. 214, Oest. Gb. § 44, 90, Sächs. Gb. § 1633. Unter Umständen kann jedoch das Zusammenleben ohne Verstoß gegen die Lebensgemeinschaftspflicht überhaupt vorläufig wegfallen (man denke an die Kriegstrauungen im Weltkriege) oder berechtigter Weise, statt im eignen Hausstande, in fremdem Hausstande (z. B. im Hause der Eltern eines Teils oder in einer Pensionsanstalt) stattfinden. 568 Besonders ausgesprochen im Bayr. LR. a. a. O., Preuß. LR § 178, Oesterr. GB § 44 („Kinder zu zeugen“), Sächs. Gb. § 1630. Doch kann diese Verpflichtung von vornherein
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Nicht minder behandelt es als selbstverständlichen Ausfluß der ehelichen Lebensgemeinschaft, daß die Ehegatten einander wechselseitig die eheliche Treue schulden569. Auch wird man nicht daran zweifeln dürfen, daß die gemeinschaftliche Fürsorge für die Kinder, die als elterliche Verpflichtung den Kindern gegenüber besteht, zugleich eine den Ehegatten im Verhältniß zu einander obliegende Verpflichtung begründet570. Es versteht sich endlich von selbst, daß in der allgemeinen Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft die Verpflichtung enthalten ist, alles zu ihrer Herstellung oder Wiederherstellung Erforderliche zu tun und alles ihren Bestand Beeinträchtigende zu unterlassen. Erwachsen aus besonderen Umständen außerordentliche Hindernisse des normalen Zusammenlebens, so müssen sie auch die zu deren Beseitigung geeigneten außerordentlichen Maßregeln ergreifen oder dulden.571 wegfallen (vgl. Preuß. LR § 2) oder während der Ehe erlöschen, ohne daß die volle eheliche Lebensgemeinschaft dadurch einen Abbruch erleidet. So endet sie ja auch bei der normalsten Ehe im hohen Lebensalter. 569 Besonders ausgesprochen im Bayr. LR a. a. O., Preuß. LR §§ 181 – 189, Code civ. a. 212. Oesterr. Gb. § 90, Sächs. Gb. § 1630, Schweiz. ZGB a. 1593. Die eheliche Treue verlangt vor Allem unbedingt die Unterlassung des geschlechtlichen Umganges mit einer anderen Person; in dieser Hinsicht ist gegenüber dem ältesten Recht, das nur eine Treuepflicht der Frau anerkannte (vgl. Hübner, Grundz.2 S. 545), in christlicher Zeit unter dem Einfluß der Kirche allmählich die Gleichstellung von Mann und Frau durchgedrungen und durch die modernen Gesetzbücher sanktioniert; auch nach Code civ. a. 212 schulden die Ehegatten einander „mutuellement fidélité“, obschon a. 230 (erst 1884 aufgehoben) die Frau wegen Ehebruchs das Mannes nur, wenn dieser die Konkubine ins Haus aufgenommen hatte, die Scheidung fordern konnte. Die eheliche Treue erschöpft sich aber nicht in der Vermeidung des Ehebruchs, sondern gebietet auch positives Verhalten im Sinne gesteigerter Freundschaft (Bayr. LR a. a. O. „Liebe und Treue“, Oesterr. Gb. a. a. O., „anständige Begegnung“) und verbietet Kränkung des anderen Ehegatten durch die Art des außerhäuslichen Verkehrs (nach Preuß. LR § 183 Verdacht der Untreue erregende Handlungen), Offenbarung von Geheimnissen usw. Vgl. z. dem Schweiz. ZGB a. 159 Komm. v. Egger, Bem. 2 c, Gmür, Bem. IV 3. 570 Ausdrücklich ausgesprochen im Schweiz. ZGB. a. 1592; vgl. auch Oest. Gb. § 44. Der Ehegatte, der die gehörige Mitwirkung bei der Erziehung der gemeinschaftlichen Kinder, bei der Sorge für ihr leibliches und geistiges Wohl und ihren Unterhalt vernachlässigt oder gar sie körperlich oder sittlich schädigt, verletzt auch das Recht des anderen Ehegatten auf Lebensgemeinschaft. Aber auch für einseitige Kinder des anderen Ehegatten muß der Ehegatte, wennschon er als Stiefvater oder Stiefmutter den Kindern gegenüber zu nichts verpflichtet ist, kraft der ehelichen Lebensgemeinschaft mitsorgen. Insbesondere kann der andere Ehegatte die Aufnahme seiner unerwachsenen Kinder in die häusliche Gemeinschaft verlangen. So schon für das preuß. R. Erk. des O. Tr. v. 7. Juli 1852 b. Strieth. VI 237; für das Schweiz. R. Gmür zu § 159 Bem. IV 2 Nr. 15. 571 Das RGer. hat in Erk. v. 1902 Z. S. LI Nr. 44 und v. 1904 ebd. LIX Nr. 54 entschieden, daß eine nervenkranke Frau auf Verlangen des Mannes sich behufs Ermöglichung des häuslichen Zusammenlebens in eine Nervenheilanstalt begeben muß. Beide Erk. sind vielfach bekämpft worden; vgl. bes. v. Seeler, Glossen zur Praxis des RG 1908, S. 103 ff., Endemann § 169 Anm. 15, Laband, DJZ VIII 69, Dernburg § 33 Anm. 14. Sie sind indeß im Prinzip zu billigen; vgl. Cosack § 318 I, Wetzel a. a. O. S. 115, Joerges S. 27 ff., teilweise auch Wolff § 31 Anm. 19. Natürlich rechtfertigen sie sich nur aus § 13531, nicht aus § 13541; der Frau würde gegen den erkrankten Mann der gleiche Anspruch zustehen. Daß aber jeder Ehegatte das Seinige tun und erforderlichen Falls auch sich ärztlicher Behandlung unterziehen muß,
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Die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft hat ihre Grenzen. Auch in dieser Hinsicht trifft das BGB nicht, wie manche anderen Gesetzbücher, Einzelbestimmungen, sondern stellt nur den allgemeinen Rechtssatz auf, daß der Ehegatte dem Verlangen seines Ehegenossen nach Herstellung der Gemeinschaft insoweit nicht Folge zu leisten braucht, als dieses Verlangen sich als Rechtsmißbrauch darstellt572. Der entscheidende Gesichtspunkt ist, daß auch die innigste Lebensgemeinschaft eines Ehepaars sich nicht auf die freie Sondersphäre erstreckt, die dem Manne wie der Frau als Betätigungsfeld des individuellen Fürsichseins gebührt. Die Grenzziehung ist schwierig und erheischt wieder neben der allgemeinen Würdigung des Wesens der Ehe die Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse der Ehegatten, ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage und ihrer Individualität. So hat das Recht auf ständiges Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft seine Schranke an dem Rechte jedes Ehegatten auf dessen durch Berufsausübung oder Gesundheitsbedürfnisse bedingte Unterbrechung, das auch eine längere Abwesenheit vom Hause rechtfertigen kann573; so wird das Recht auf Leistung der ehelichen Pflicht durch einen ihre Versagung rechtfertigenden körperlichen Zustand begrenzt574; so kann kein Ehegatte dem anderen eine mit der freien Entfaltung und Fortbildung seiner Individualität unverträgliche Einschränkung des außerhäuslichen Verkehrs zumuten; so braucht sich kein Ehegatte behufs Herstellung der Gemeinschaft einer lebensgefährlichen oder übermäßig schmerzhaften ärztlichen Operation zu unterziehen. Hiernach kann die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft zeitweilig völlig wegfallen575. Ist dies der Fall, so ist der von der Verpflichtung entbundene Ehegatte berechtigt, getrennt von anderen Ehegatten in eigenem oder beliebigem fremdem Hausstande zu leben576. Dieser Fall tritt nach dem allgemeinen Grundsatz des BGB stets ein, wenn das Verlangen des anderen Ehegatten nach Zusammenleben sich als Mißbrauch seines Rechtes darstellt. Dies ist anzunehmen, wenn um ein in seiner Person eintretendes Hinderniß der ehelichen Lebensgemeinschaft zu überwinden, folgt insoweit, als ihm nichts Unbilliges oder Lebensgefährliches zugemutet wird, aus seiner Gemeinschaftspflicht. Das RGer hat denn auch im Erk. v. 5. Mai 1919 ZS XCV Nr. l09 seinen Standpunkt festgehalten. 572 BGB § 13532. Die Fassung ist nicht glücklich. Denn insoweit der Ehegatte eine nicht in den Bereich der Gemeinschaft fallende Leistung verlangt, übt er überhaupt kein Recht – nicht ein ihm an sich zustehendes Recht mißbräuchlich – aus. 573 Besondere Bestimmungen darüber im Preuß. ALR § 177. Dienstreise, wissenschaftliche oder Geschäftsreisen, Erholungsreisen, Badekuren usw. können eine längere Trennung erforderlich machen. Hat die Frau einen besonderen Beruf, so kann, wenn der Mann seinen Wohnsitz verlegt, auch ihre Berufserfüllung eine längere Unterbrechung des Zusammenlebens heischen; vgl. RGer. b. Seuff. XLVII Nr. 202 (Opernsängerin). 574 Preuß. LR §§ 179 – 180; RGer b. Seuff. XL Nr. 116. 575 Doch bleibt davon die Verpflichtung zur ehelichen Treue insoweit unberührt, als sie den geschlechtlichen Umgang mit einer anderen Person ausschließt und zu Ehebruch stempelt. 576 Der berechtigte Mann darf dann der Frau sein Haus verschliessen oder auch es der Frau überlassen und seinerseits räumen, die berechtigte Frau darf das Haus des Mannes verlassen und sich ihm fern halten.
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besondere Umstände vorliegen, die für den die Herstellung der Gemeinschaft verweigernden Ehegatten ein für den Ehezweck gedeihliches und für sein individuelles Leben erträgliches eheliches Zusammenleben unmöglich machen577. Außerdem gewährt das BGB unabhängig von dem Vorhandensein eines Rechtsmißbrauchs das gleiche Recht unbedingt demjenigen Ehegatten, der gegen den anderen Ehegatten zur Anstellung einer Scheidungsklage berechtigt wäre578. Als dritter Fall tritt die richterliche Anordnung des Getrenntlebens durch einstweilige Verfügung in einem Scheidungs-, Ehenichtigkeits- oder Eheanfechtungsverfahren hinzu579. Unter den getrennt lebenden Ehegatten besteht das Eheband fort und äußert besondere Wirkungen, die für die beiden ersten Fälle gesetzlich geregelt sind, im dritten Fall vom Richter bestimmt werden. Es versteht sich von selbst, daß die Ehegatten auch ohne gesetzliche oder richterliche Ermächtigung nach freiem Belieben getrennt leben können. Denn kein Ehegatte braucht von seinem Recht, die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu verlangen, Gebrauch zu machen. Allein er kann auf dieses Recht nicht bindend verzichten. Trotz vertragsmäßiger Wegbedingung des Zusammenlebens kann daher jeder Ehegatte in jedem Augenblicke dessen Verwirklichung fordern. Als Folge des Gemeinschaftscharakters des ehelichen Verhältnisses gilt der Satz, daß die Ehegatten bei der Erfüllung der sich aus dem ehelichen Verhältniß ergebenden Verpflichtungen einander nur für diejenige Sorgfalt einzustehen haben, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen580. 2. Nach außen offenbart sich die Personeneinheit des Ehepaars in einer von Jedermann anzuerkennenden rechtlichen Zusammengehörigkeit der Ehegatten. Sinnfälliges Zeichen dafür ist die Einheit des Familiennamens: Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes581. Sie ist berechtigt, aber auch verpflichtet, die577 Vgl. RGer. in JWSchr 1913 S. 378 ff. Ein Verschulden braucht nicht vorzuliegen; der körperliche oder geistige Zustand eines Teils kann ausreichen, um die Trennung zu rechtfertigen. Liegt ein Verschulden vor, so braucht es kein Ehescheidungsgrund zu sein. So hat das RGer. b. Seuff. LXI Nr. 85 das Verlangen eines katholischen Mannes, daß die evangelische Frau zu ihm zurückkehre, als missbräuchlich abgewiesen, weil er das feierliche (obschon nicht bindende) Versprechen evangelischer Kindererziehung gebrochen hat und fortdauernd verletzt. Unter Umständen kann auch die Weigerung der ausdrücklich oder stillschweigend zugesagten kirchlichen Trauung die Verweigerung der Gemeinschaft rechtfertigen. Vgl. oben § 237 Anm. 369; für das frühere Recht die dort angef. Schrift von Bollert. 578 BGB § 1353 Abs. 2 S. 2. Dieser erst im Reichstag gemachte Zusatz muß jedoch notwendig dahingehend eingeschränkt werden, daß der Scheidungsgrund ein verschuldeter sein muß; unmöglich ist die Erstreckung auf den Fall der Geisteskrankheit; vgl. Dernburg § 30 Anm. 2. – Somit kann z. B. die Frau den des Ehebruchs schuldigen Mann verlassen und trotzdem, indem sie nicht auf Scheidung klagt, bei der Ehe festhalten. 579 ZPO § 627. 580 BGB § 1359. Wie beim Gesellschaftsvertrage (oben Bd. III 836), hier aber zwingendes Recht. Der Satz gilt auch für die aus dem ehelichen Güterrecht entspringenden Verpflichtungen. 581 BGB § 1355. Vgl. Preuß. LR § 192, Oesterr. Gb. § 92, Sächs. Gb. § 1632, Schweiz. ZGB a. 1611.
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sen Namen zu führen. Ihren bisherigen Namen daneben zu gebrauchen ist sie berechtigt, darf ihn aber nicht dem Ehenamen als Bestandteil einfügen582. Nur für den Bereich einer außerhalb der ehelichen Lebensgemeinschaft liegenden individuellen Betätigung kann sie, soweit es der Verkehrssitte entspricht, ihren Mädchennamen oder einen angenommenen Namen allein führen583. Unberührt bleibt das Sonderrecht des hohen Adels, nach dem bei einer nicht ebenbürtigen Ehe die Frau den Namen des Mannes nicht erhält584. Die Vergemeinschaftung des Ehenamens überdauert die Ehe585. Die für den Familiennamen geltenden Regeln sind auf ein Familienwappen entsprechend anzuwenden. Unter den Ehegatten besteht ferner Einheit des Standes. Die Frau teilt den Stand des Mannes586. Doch gilt hier nicht nur die gleiche Ausnahme, wie hinsichtlich des Namenrechts, kraft hochadligen Hausrechts für unebenbürtige Ehen, sondern es bleiben auch für den Erwerb und Verlust des niederen Adels abweichende Bestimmungen des Landesrechts möglich587. Die Landesgesetze führen jedoch fast durchgängig den Satz durch: „Ritters Weib hat Ritters Recht“588. Auch die Vergemeinschaftung des Standes bleibt nach heutigem Recht für die verwitwete oder geschiedene Frau wirksam589. Inwieweit die Frau auch an Rang und Titel des Mannes Teil hat, richtet sich gleichfalls nach Landesrecht590.
582 Weder der Mann noch eine Behörde kann ihr verwehren, sich als „geborene“ oder „verwitwete“ NN zu bezeichnen. Dagegen ist sie nicht berechtigt, sich mit einem Doppelnamen, der aus dem Mannesnamen und ihrem durch einen Bindestrich verbundenen Mädchennamen zusammengesetzt ist, zu nennen. 583 So namentlich als Schriftstellerin oder Künstlerin. Das Verlangen des Mannes, daß sie dies unterlasse, wäre Rechtsmißbrauch. 584 Vgl. oben Bd. I 402. 585 Nicht nur die Witwe, sondern auch die geschiedene Ehefrau behält den Namen des Mannes; im Falle der Ehescheidung hat sie jedoch das Recht, ihn wieder abzulegen, und kann, wenn sie allein schuldig ist, vom Manne dazu genötigt werden; § 1577 und dazu unten § 251 II. 586 In Uebereinstimmung mit dem älteren deutschen Recht (Stobbe-Lehmann § 275, 6, oben Anm. 552) und dem gemeinen Gewohnheitsrecht bestimmen neuere Gesetzbücher ausdrücklich, daß die Frau in den Stand des Mannes eintritt. So Bayr. LR I, 6 § 12 Nr. 5, Preuß. LR 193, Oest. Gb. § 92, Sächs. Gb. § 1632. Das Sachsen-Altenb. AG zum BGB § 93 schreibt entsprechende Anwendung der Vorschriften der §§ 1335 u. 1577 auf „den Stand des Mannes“ vor. Das BGB setzt, soweit es den Stand als soziale Lebenstellung berücksichtigt (z. B. bei dem „standesgemäßen Unterhalt“), die eheliche Standesgemeinschaft voraus. 587 Soweit sie vorkommen, erstrecken sie sich nicht auf das im BGB geordnete Namenrecht. Doch darf die nichtadlige Frau den Familiennamen des Mannes nur mit Weglassung der Adelsbezeichnungen, daher auch des einfachen „von“, wenn es Adelsprädikat ist, führen. Dies wird in der bekannten Streitfrage, die eine praktische Bedeutung nur im Eltern- und Kinderrecht gewonnen hat, jetzt allgemein angenommen. 588 Oben Bd. I 407. Ausnahmen kamen hinsichtlich des Personaladels vor, so bis zu dessen neuerdings erfolgten Abschaffung in Württemberg; vgl. oben S. 409 Anm. 26. 589 Dagegen trat nach älterem deutschen Recht die Frau, wenn sie höheren Standes als der Mann gewesen war, als Witwe wieder in ihr Geburtsstandesrecht ein; Sachsensp. III 45 § 3.
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Regelmäßig haben Mann und Frau denselben Wohnsitz, indem die Frau von Rechtswegen den Wohnsitz des Mannes teilt und nur in bestimmten Ausnahmefällen einen selbständigen Wohnsitz haben kann591. Aehnlich verhält es sich mit der Staatsangehörigkeit; die Frau teilt die Staatsangehörigkeit des Mannes und büßt durch Verheiratung die bisherige abweichende Staatsangehörigkeit ein592. In einer Reihe von Beziehungen entspricht der personenrechtlichen Verbundenheit des Ehepaares eine privatrechtliche Sonderstellung von Ehegatten. So können nach dem BGB nur Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament errichten593 und genießen beim Abschluß von Erbverträgen und Erbverzichten besondere Erleichterungen594. Andererseits sind gegenüber Zuwendungen von Ehegatten die Gläubigeranfechtungsrechte verstärkt595. Auch muß überall, wo Angehörige einer Person zur Ausübung ihrer Persönlichkeitsrechte berufen sind, der Ehegatte als nächster Angehöriger betrachtet werden596. Daran erinnert noch der Satz, daß, wenn die mit einem Bürgerlichen verheiratet gewesene adlige Frau in neuer Ehe einen Adligen heiratet, ihr adliger Geburtsstand als niemals verloren gelten soll; oben Bd. 408 bei IV 1. 590 Bayr. LR a. a. O.: „Stand, Charakter und Würde“. Gewisse Rangbezeichnungen, wie z. B. das Praedikat „Exzellenz“, kommen auch der Frau zu Gute. Allgemein führt die Frau nach deutscher Sitte auch den Amts- oder Berufstitel des Mannes. Dagegen kommt umgekehrt eine Titulatur der Frau dem Manne nicht zu Gute. 591 BGB § 10. Die Ausnahmefälle sind, wenn der Mann keinen Wohnsitz hat und wenn er seinen Wohnsitz an einem Orte im Ausland begründet, an den die Frau befugter Weise ihm nicht folgt. Sonst hat Getrenntleben, auch wenn es befugter Weise stattfindet, keinen Einfluß auf den Wohnsitz der Frau. Erst nach Auflösung der Ehe kann die Frau nach Belieben einen neuen Wohnsitz begründen. – Ebenso teilt die Frau nach dem UWG v. 30. Mai 1908 §§ 15 – 16 mit den in § 17 vorgesehenen Ausnahmen den Unterstützungswohnsitz des Mannes (vgl. über das Wesen dieser „armenrechtlichen Personeneinheit“ und ihren Wegfall durch Ehescheidung OLG Hamb. b. Seuff. LXXI Nr. 19). 592 Reichs- u. Staatsangehör.G. v. 22. Juli 1913 §§ 6, 17 Nr. 6, 18. Doch gelten auch hier Ausnahmen. Der Miterwerb der Staatsangehörigkeit durch Verleihung (Aufnahme oder Einbürgerung) kann durch Vorbehalt ausgeschlossen werden (§ 162), der Verlust der Staatsangehörigkeit durch Verwirkung oder Entziehung, der den Mann trifft, ergreift die Frau nicht, wenn sie mit ihm nicht in häuslicher Gemeinschaft lebt (§ 29). – Vgl. Schweiz. ZGB a. 1611: „Die Frau erhält. . .das Bürgerrecht des Ehemanns.“ 593 BGB § 2265. 594 Diese Bestimmungen gelten auch für Verlobte und sind oben § 229 Anm. 72 aufgezählt. 595 K.O. § 32 Z. 2 u. AnfG § 3 Z. 4 (neben den auch zu Ungunsten anderer naher Angehörigen begründeten Anfechtungsrechten aus K.O. § 31 Z. 2 u. AnfG § 3 Z. 2) – Vgl. auch K.O. § 1834. 596 So z. B. hinsichtlich der Zustimmung zu einer ärztlichen Operation, wenn der Kranke selbst nicht befragt werden kann, oder zur Unterbringung in einer Heilanstalt. Auch nach der Auflösung der Ehe durch den Tod ist insoweit, als „Angehörige“ ein aus dem Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen abgeleitetes Persönlichkeitsrecht erwerben, der überlebende Ehegatte stets der nächste Angehörige. So hinsichtlich der Verfügung über den Leichnam und Art und
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Mannichfach endlich wird die Zusammengehörigkeit von Ehegatten in öffentlichrechtlichen Vorschriften sichtbar, die ihre Verbundenheit mit Rechtswirkungen ausstatten. So im Strafrecht597, im Prozeßrecht598, im Staats- und Verwaltungsrecht. Besonders deutlich tritt die Anerkennung der Personeneinheit des Ehepaars in der Steuergesetzgebung zu Tage599. III. Der Mann als Haupt der Gemeinschaft Die überragende Stellung des Mannes in der ehelichen Gemeinschaft fand im deutschen Recht, wie bemerkt ist, in der ehemännlichen Munt ihren Ausdruck. Sie erhielt sich dem römischen Recht gegenüber unter dem Namen der ehemännlichen Vormundschaft oder Vogtei oder auch der ehemännlichen Gewalt in vielen Partikularrechten und gieng der Sache nach auch in neuere Gesetzbücher über600. Das gemeine deutsche Recht nahm sie nicht auf601. Das BGB hat sie beseitigt602. Allein sie ist nicht spurlos verschwunden. Vielmehr entstammen ihr die Rechte und Pflichten, die dem Manne als Haupt der ehelichen Gemeinschaft verblieben sind. Soweit sie als personenrechtliche Wirkungen des Ehebandes erscheinen, sind diese Rechte unverzichtbar und die mit ihnen verknüpften Pflichten unabwälzbar.
Ort seiner Bestattung oben Bd. II, 36. Auch hinsichtlich der Bestimmung der Grabinschrift; Rspr. d. OLR II 426, Seuff. LXII Nr. 88 (vor der Mutter). So ferner nach ausdrücklicher Vorschrift des KunstUG § 22 hinsichtlich der Einwilligung zur Verbreitung oder Zurschaustellung eines Bildnisses des Verstorbenen (neben Kindern). 597 Ueberall, wo das StrGB Sonderbestimmungen für „Angehörige“ trifft, gehören dazu nach § 522 Ehegatten. Aber auch schon Verlobte; oben § 229 Anm. 70. 598 Vgl. über das schon den Verlobten zustehende (oben § 229 Anm. 71) Zeugnißverweigerungsrecht ZPO § 383 Z. 2 u. § 408, StrPO § 51 Z. 2 u. § 76; über die Ausschließung der Ausübung amtlicher Funktionen in Sachen des Ehegatten ZPO § 41 Z. 2, StrPO § 22 Z. 2, FrGG § 6 Z. 2, 170 Z. 2, GVG § 156 Z. I 2 u. II 2. Alle diese Bestimmungen gelten auch, wenn die Ehe nicht mehr besteht. 599 Die Ehegatten werden im Bereiche der Personalsteuern nicht getrennt, sondern als Träger einer einheitlichen Wirtschaft unter Hinzurechnung des Einkommens oder Vermögens der Frau zu dem des Mannes besteuert. Dies ist besonders für Steuerbefreiungen bei Nichterreichung einer Mindestgrenze und bei progreßiven Steuersätzen erheblich. Es gilt bei jedem Güterstande, gilt dagegen nicht, wenn die Ehegatten dauernd getrennt leben. 600 Vgl. Stobbe-Lehmann § 276 Anm. 3 und die dort angef. Gesetze; Preuß. LR § 188 ff., Code civ. a. 215 u. 217 mit a. 1388 („puissance maritale sur la personne de la femme“); Sächs. Gb §§ 1631, 1638. Durch die Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft wurde die eheliche Vormundschaft nicht berührt, was in vielen Gesetzen ausdrücklich gesagt ist, aber auch ohne dies angenommen werden muß; vgl. Seuff. III Nr. 63, RGer XVI Nr. 32 (für Ditmars. LR), Sächs. Ges. v. 8. Jann. 1838 Z. 3, Preuß. v. 21. Jann. 1869 § 2. 601 RGer I Nr. 37 (für Nürnb. R), XXIX Nr. 33 S. 136 ff. – Auch das Oesterr. Gb. versagte ihr die Anerkennung. 602 Ebenso das Schweiz. ZGB, während vorher die meisten Kantonalrechte (auch das Zürch. Gb.) die ehemännliche Vormundschaft in kräftiger Ausgestaltung beibehalten hatten; vgl. Huber, Schweiz.PR I 275 ff., IV 260 ff., Egger, Vorbem. 2 c u. 4.
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1. Noch immer gebührt dem Manne die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten; er hat, wenn Meinungsverschiedenheiten entstehen, das entscheidende Wort. Insbesondere bestimmt er Wohnort und Wohnung, aber auch die Art der Lebensführung, die Einrichtung des gemeinsamen Haushaltes, die Hausordnung, den zu treibenden Aufwand, die Zahl der Dienstboten, den geselligen Verkehr usw.603. Diesem Vorrechte des Mannes entspricht seine Pflicht, für die Begründung und Fortführung eines den Verhältnissen des Ehepaares angemessenen gemeinschaftlichen Hauswesens zu sorgen und dessen Kosten zu tragen604. Der Mann kann von der Frau die Befolgung der in Angelegenheiten des gemeinschaftlichen Lebens getroffenen Anordnungen verlangen. Er hat nicht mehr das ihm einstmals kraft der ehemännlichen Munt zustehende Gewaltrecht an der Person der Frau605, wohl aber ein Recht an ihrer Person, das sie stärker bindet, als er selbst durch das Recht der Frau an seiner Person gebunden wird606. Das Gesetz erklärt ihn nicht mehr für den Eheherrn, dem die Frau „Gehorsam“ und Dienst schuldet607, legt ihr aber auch heute eine „Folgepflicht“ gegenüber den Geboten und Verboten des Ehemanns als Gemeinschaftshaupt auf608. Sie muß die von ihm im Interesse des ehelichen Zusammenlebens angeordneten Maßregeln ausführen609, insbesondere ihm an einen neuen Wohnort oder in eine neue Wohnung folgen610. Ebenso muß sie, wenn der Mann seine Einwilligung versagt, eine BetätiBGB § 13541. Vgl. Preuß. LR § 184, Oest. Gb. §§ 91 u. 92, Sächs. Gb. § 1636, Schweiz. ZGB a. 160. – Auch daß bei der elterlichen Sorge für die Person der Kinder bei Meinungsverschiedenheiten die Meinung des Vaters vorgeht (BGB § 1634 S. 2), bedeutet zugleich einen Vorrang des Ehemannes in der Ehegemeinschaft; oben Anm. 570. 604 Vgl. Code civ. a. 214, Oest. Gb. § 91, Sächs. Gb. §§ 1633, 1635, für das gemeine Recht RGer b. Seuff. XLIV Nr. 107, XLIX Nr. 254, ZS XV Nr. 40, XXII Nr. 33. 605 Die ursprünglich sehr starke, eine häusliche Gerichtsbarkeit, ja ein Verkaufsrecht aus Not einschließende Gewalt des Mannes über die Frau war schon im deutschen Mittelalter wesentlich abgemildert; immerhin schloß sie noch ein Tötungsrecht bei Ehebruch, das Recht der Freiheitsentziehung (Hamb. Stadtr. v. 1270 III, 8, Rigaer Stat. VI, 4 § 3) und das Recht mäßiger körperlicher Züchtigung (Augsb. Stadtr. a. 150 Abs. 3, Brunner Schöffenb. c. 511) ein; vgl. Stobbe-Lehmann § 275 Anm. 21 – 24, Hübner, Grundz. § 93 I, Fehr a. a. O. S. 58 ff. Das Züchtigungsrecht wurde noch in neueren Partikularrechten ausdrücklich anerkannt; Hamb. Stat. IV 48, Bayr. LR I, 6 § 12 Nr. 3, Stobbe § 276 Anm. 24. 606 Der grundsätzliche Unterschied besteht darin, daß nach heutiger Auffassung die gegenseitigen Rechte an der Person wesensgleich und nur inhaltlich verschieden sind. 607 Daß die Frau dem Manne Gehorsam und Dienst schulde, war dem älteren deutschen Recht selbstverständlich, wurde vom kanonischen Recht und vom evangelischen Kirchenrecht auf Grund der heiligen Schrift festgehalten und wird auch in neueren Gesetzbüchern ausgesprochen; Bayr. LR I, 6 § 12 Nr. 2, Code civ. a. 213 (obéissance), Sächs. Gb. § 1631. 608 Sachlich liegt darin trotz der Vermeidung des Ausdruckes eine begrenzte Gehorsamspflicht. Ueber die Dienstpflicht der Frau vgl. unten Anm. 647 – 651. 609 Vgl. Oesterr. Gb. § 92; „sie ist dem Manne verbunden, soweit es die häusliche Ordnung erfordert, die von ihm getroffenen Maßregeln sowohl selbst zu befolgen, als befolgen zu machen.“ 603
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gung unterlassen, die mit der Erfüllung ihrer Verpflichtungen als Hausfrau und Mutter unvereinbar ist611. Daraus ergiebt sich namentlich ein Recht des Mannes, im Interesse der Gemeinschaft der Frau die Eingehung von dienstlichen und amtlichen Verpflichtungen oder den Betrieb eines selbständigen Gewerbes zu untersagen612. Auch wenn er ausdrücklich oder stillschweigend seine Einwilligung erteilt hat, kann er, falls die Umstände es erforderlich machen, von der Frau die Einstellung der die Gemeinschaft beeinträchtigenden Tätigkeit verlangen613. Die Folgepflicht der Frau ist begrenzt durch die dem Rechte des Mannes als Gemeinschaftshaupt immanenten Schranken. Das BGB stellt auch hier wieder den allgemeinen Grundsatz auf: „Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung des Mannes als Mißbrauch seines Rechtes darstellt614. Dies ist stets der Fall, wenn der Mann der Frau in ihrem gemeinschaftsfreien Sonderbereich seinen Willensentschluß aufzudrängen sucht615. Aber auch in gemeinschaftlichen Angelegenheiten kann die Frau die Folge verweigern, wenn ihr billiger Weise nicht zugemutet werden kann, sich der Entscheidung des Mannes zu fügen, weil diese nach den besonderen Umständen des Falles unangemessen ist oder wegen Unfähigkeit oder Pflichtvergessenheit des Mannes dem wahren Gemeinschaftsinteresse widerspricht. So braucht sie dem Manne bei Veränderung seines Wohnorts nicht zu folgen, wenn er sich willkürlich ins Ausland begiebt oder eines Verbrechens wegen flüchtig wird oder eine feste Heimat zwecks schweifender Lebensweise aufgiebt616. Ebenso wenig braucht sie 610 Dies war ein unbestrittener Satz des gemeinen Rechts und wird in den Gesetzbüchern meist besonders hervorgehoben; Bayr. LR I, 6 § 12 Nr. 6, Preuß. LR II, 1 § 679, Code civ. a. 214, Oesterr. Gb. § 92, Sächs. Gb. § 1636. 611 Dies erhellt aus BGB § 1356 u. § 1634. Es gilt unabhängig von der Frage der Wirksamkeit ihrer Rechtsgeschäfte nach außen und auch für solche Betätigungen, die keine Verpflichtungen gegen Dritte begründen (z. B. übermäßigen außerhäuslichen Verkehr, übertriebene Vereinstätigkeit, Schriftstellerei oder Kunstausübung). 612 Vgl. Preuß. LR §§ 195 – 196; Schweiz. ZGB a. 167 (unten Anm. 639). 613 Denn er kann auf das Recht zum Widerruf nicht wirksam verzichten. Er kann also z. B., wenn in Folge der Erkrankung oder Verheiratung einer den Haushalt führenden Tochter die persönliche Betätigung der Frau im Hause unentbehrlich wird, die Einwilligung in ein sie dauernd vom Hause fern haltendes Engagement als Schauspielerin oder in einem Gewerbebetrieb zurückziehen. 614 BGB § 13542. Von der Fassung gilt das oben Anm. 572 Gesagte. 615 So z. B. hinsichtlich ihrer Lektüre oder der Wahl ihres Umganges, hinsichtlich der Verwaltung ihres Vorbehaltsgutes, hinsichtlich des geschäftlichen Gebahrens in einem ihr gestatteten selbständigen Gewerbebetriebe. 616 Manche Gesetzbücher führen die Gründe einzeln auf; so Bayr. LR I, 6 § 12 Nr. 6, Preuß. LR § 681. Nachweise über die gemeinrechtliche Praxis b. Stobbe-Lehmann § 276 Anm. 30. Doch können nach den Umständen die verschiedensten Gesichtspunkte durchgreifen. Die Frau eines Gesandten oder Berufskonsuls wird ihm auch ins fernste Ausland folgen müssen. Andererseits kann die Weigerung der Frau auch aus Gründen, die in ihrer Person liegen, wie z. B. wegen ihres Gesundheitszustandes, gerechtfertigt sein. – Eine vertragsmäßige Erlassung der Folgepflicht, wie sie das Preuß. LR § 682 durch einen vor der Heirat
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in eine unzureichende Wohnung miteinzuziehen, eine zweckwidrige Ordnung des Hauswesens durchzuführen oder eine vom Geiz eingegebene übermäßige Einschränkung des ehelichen Aufwandes sich gefallen zu lassen. Desgleichen braucht sie die Untersagung eigner beruflicher Arbeit oder eignen Gewerbebetriebes nicht zu beachten, wenn ihre Erwerbstätigkeit erforderlich ist, um die wirtschaftlichen Bedürfnisse des Ehepaares und der Kinder zu befriedigen. 2. Nach außen offenbart sich die Stellung des Mannes als Gemeinschaftshaupt in den Bestimmungen, nach denen es sein Name, sein Stand, sein Wohnsitz, seine Staatsangehörigkeit ist, deren Vergemeinschaftung das Ehepaar als Personeneinheit kennzeichnet617. Der Mann ist ferner befugt und verpflichtet, die Frau zu beschützen618. Im älteren deutschen Recht ergab sich aus seiner Munt eine umfassende Vertretungsmacht vor Gericht und außer Gericht619. Doch wurde stets für einen mehr oder minder ausgedehnten Kreis von Angelegenheiten entweder die Mitwirkung der Frau oder ihre Vollmacht gefordert620. Die neueren Gesetze halten grundsätzlich an einer dem Manne von Rechts wegen zustehenden Vertretungsmacht fest und ziehen ihr nur engere Grenzen621. Dagegen versagt das BGB dem Manne jede unmittelbare aus seiner personenrechtlichen Stellung fließende Vertretungsmacht622, so daß er sowohl zur Prozeßführung wie zum Abschluß von Rechtsgegeschlossenen Vertrag zuließ, ist nichtig; so auch nach früherem gemeinen R., obschon bisweilen das Gegenteil angenommen wurde; vgl. Stobbe-Lehmann a. a. O. Anm. 5. Möglicher Weise aber kann sie bei der Entscheidung der Frage, ob der Mann bei unzureichend motivierter Wohnortsveränderung (insbesondere Auswanderung) sein Recht mißbraucht, ins Gewicht fallen. 617 Vgl. oben Anm. 581, 586, 590 – 592. Desgleichen in den steuerrechtlichen Bestimmungen, nach denen der Mann das zusammengerechnete beiderseitige Vermögen zu versteuern hat; oben: Anm. 599. 618 Dies war Wesensbestandteil der alten ehemännlichen Munt. Vgl. Preuß. LR § 168: Der Mann ist schuldig und befugt, die Person, die Ehre und das Vermögen seiner Frau in und außer Gericht zu verteidigen. Code civ. a. 213: Le mari doit protection à sa femme. Man wird nicht bezweifeln, daß an diesem allgemeinen, aus dem Wesen der deutschen Ehe fließenden Prinzip der Wegfall der Munt nichts geändert hat. 619 Vgl. Stobbe-Lehmann § 275 Anm. 9 – 10 u. 12 – 13 mit weiteren Nachweisen. In den Quellen wird besonders die Vertretung vor Gericht betont, namentlich auch bei gerichtlichem Zweikampf, immer aber der Frau die Parteirolle gewahrt; Eide muß sie selbst leisten. 620 Stobbe-Lehmann a. a. O. Anm. 11 u. 12. 621 Vgl. z. B. die sächs. Ges. b. Stobbe-Lehmann § 276 Anm. 11, das Preuß. LR II, 1 § 245 u. die Allg. Gen. O. I, 1 § 19 ff. – In der vom Schweiz. ZGB a. 162 dem Mann eingeräumten Rechtsstellung als „Vertreter der Gemeinschaft“ ist eine gesetzliche Ermächtigung zur Mitvertretung der Frau, jedoch nur in gemeinschaftlichen Angelegenheiten enthalten; auch verpflichten seine Handlungen zwar stets ihn selbst, nicht aber ohne Weiteres die Frau persönlich; vgl. auch a. 168 über Vertretung im Prozeß. 622 Soweit er nach ehelichem Güterrecht mit vermögensrechtlichen Wirkungen für die Frau Rechtsgeschäfte schließen und Prozesse führen kann, übt er nach der Auffassung des BGB eigenes Recht am Frauengut oder an gemeinschaftlichem Gut aus, handelt also nicht als
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
schäften für die Frau einer Vollmacht bedarf623. Den schutzherrlichen Befugnissen des Mannes entsprach im alten Recht eine Haftung für die Schädigung Dritter durch die Frau624. Auch sie ist, soweit sich Reste von ihr erhalten hatten, durch das BGB beseitigt625. Die Frau ihrerseits wird durch die Abhängigkeit vom Manne in ihrer äußeren Selbständigkeit beschränkt. Aus der Unterwerfung unter die eheliche Munt folgte, daß sie regelmäßig, soweit sie vor Gericht auftrat, der Beistandschaft oder doch der Zustimmung des Mannes bedurfte, aber auch im außergerichtlichen Geschäftsverkehr ohne Einwilligung des Mannes keine wirksame Veräußerung vornehmen und sich nicht bindend verpflichten konnte626. An diesen Beschränkungen der Handlungsfähigkeit der verheirateten Frau hielten die neueren Gesetze, insoweit sie die ehemännliche Vormundschaft dem Namen oder der Sache nach anerkannten, regelmäßig fest627. Nur für gewisse Verhältnisse kamen sie in Wegfall; namentlich erlangte schon seit dem Mittelalter die Handels- und Gewerbefrau für den Bereich ihres Geschäftsbetriebes und jede Frau hinsichtlich ihres Vorbehaltsgutes die selbständige Handlungsfreiheit628. Für ganz Deutschland verlieh bereits die ZPO v. 1877 allgemein jeder Ehefrau die volle Prozeßfähigkeit629 und das BGB die privatrechtliche unbeschränkte Geschäftsfähigkeit630. GleichVertreter, sondern in eigenem Namen. – Verblieben ist dem Manne nach EG zum BGB a. 34 Z. VI das Strafantragsrecht bei Beleidigungen der Frau aus StrGB § 195. 623 Sogar im Falle der Verhinderung der Frau durch Krankheit oder Abwesenheit hat er keine gesetzliche Vertretungsbefugniß. Im Leben wird bei normalen Eheverhältnissen der Ehemann in vielen Fällen als Vertreter der Frau tätig werden; die Annahme stillschweigender Vollmacht oder die Erwartung der Gutheißung decken ihn. 624 Oben Bd. III 922. 625 Auch eine Haftung aus BGB § 832 trifft den Ehemann nicht, da er als solcher keine Aufsichtspflicht über die Frau hat. Auch nicht, wenn sie geisteskrank ist; RGer LXX Nr. 14 (oben Bd. III 925 Anm. 21). Doch nimmt das RGer mit Recht an, daß er als Familienhaupt und Haushaltungsvorstand aus schuldhafter Verletzung seiner familienrechtlichen Pflicht haftet, wenn er die gemeingefährlich geisteskranke Frau in der Wohnung behielt und keine Maßregeln zur Bewachung trifft, so daß sie einen Dritten verletzen kann. Nur gilt hier keine Umkehrung der Beweislast, wie sie nach Schweiz. ZGB a. 333 eintreten würde (a. a. O. Anm. 17). 626 Diese Beschränkungen galten auch insoweit, als sie für Mädchen und Witwen in Folge Abschwächung der Geschlechtsvormundschaft beseitigt waren, für Ehefrauen im alten Umfange fort; vgl. z. B. Sachsensp. I, 46 § 2. Doch wurden sie schon im Mittelalter vielfach, besonders in den Stadtrechten, auch für Ehefrauen ermäßigt; vgl. hinsichtlich der Prozeßfähigkeit Stobbe-Lehmann § 275 Anm. 14 – 15. 627 So Preuß. LR § 189 (für Prozeßführung) u. § 196 (für Verbindlichmachung ihrer Person); Code civ. a. 215 – 225 für Prozeßführung und Veräußerungs- wie Erwerbsgeschäfte); Sächs. Gb. §§ 1638 – 1644 (für alle Rechtsgeschäfte mit Dritten, durch [die] sie nicht lediglich erwirbt); die meisten schweizerischen Kantonalrechte, vgl. Huber, Schweiz. PR I 273 ff., Egger, Vorbem. 4. 628 Vgl. Preuß. LR §§ 221, 230; Sächs. Gb. § 1640; ADHG a. 8 – 9. – Anders Code Civ. a. 219 für Prozeßführung. 629 ZPO v. 1877 § 512; jetzt § 522.
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wohl tritt auch heute als mittelbarer Ausfluß der Stellung des Mannes als Gemeinschaftshaupt eine Beschränkung der Selbständigkeit der Frau von Rechtswegen kraft ehelichen Güterrechts ein. Denn in erheblichem Umfange fehlt ihr beim gesetzlichen Güterstande trotz ihrer Geschäfts- und Prozeßfähigkeit die Verfügungsmacht über ihr eignes Vermögen und die prozessuale Sachlegitimation in eignen Angelegenheiten631. Und wenn ihre Verpflichtungsfähigkeit von jedem Güterstande unberührt bleibt, so entbehren doch die von ihr einseitig eingegangenen Verbindlichkeiten in Folge der Einschränkungen des Gläubigerzugriffes hinsichtlich ihres vom Manne verwalteten Vermögens der vollen Wirkungskraft632. Darüber hinaus gewährt das BGB dem Manne ein einseitiges Aufhebungsrecht, wenn die Frau sich Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet633. Dahin gehören vor Allem Dienstverträge, durch die sie sich als Schauspielerin, Sängerin, Lehrerin, Gesellschafterin, Gewerbegehülfin, Fabrikarbeiterin, Dienstbote usw. verdingt, aber auch Werkverträge, wie etwa über Anfertigung eines Gemäldes oder einer Kunststickerei, Verlagsverträge über ein noch zu schreibendes Werk, Gesellschaftsverträge usw. Das Rechtsverhältniß entsteht, der Mann kann es aber ohne Kündigungsfrist kündigen, wenn die Tätigkeit der Frau die ehelichen Interessen beeinträchtigt. Doch bedarf er zur Ausübung des Kündigungsrechts einer Ermächtigung des Vormundschaftsgerichts, das sie auf seinen Antrag zu erteilen hat, falls sich ergiebt, daß die Voraussetzung der Interessenverletzung vorliegt. Ob dies der Fall ist, entscheidet das Vormundschaftsgericht auf Grund freier Beweiswürdigung. Es muß aber die Kündigung zulassen, sobald sich herausstellt, daß die Frau durch Erfüllung der übernommenen Vertragspflicht dem häuslichen Wirkungsbereiche in einem mit den normalen Anforderungen der ehelichen Gemeinschaft unvereinbaren Maße entzogen wird. Darum steht das Kündigungsrecht dem Manne überhaupt nicht zu, solange die häusliche Gemeinschaft 630 Somit insbesondere die Fähigkeit, sich durch Schuldverspr. jeder Art zu verpflichten, also auch die Wechselfähigkeit (WO a. 1) und die Bürgschaftsfähigkeit. 631 Davon ist im ehelichen Güterrecht zu reden. Diese Beschränkungen sind aber nach dem BGB nicht personenrechtlicher, sondern sachenrechtlicher Natur. Sie folgen aus den Rechten des Mannes am Frauengut, fallen bei Gütertrennung weg und erleiden bei vertragsmäßigen Gütergemeinschaften Abwandlungen. 632 Es entstehen, wie im ehelichen Güterrecht zu zeigen ist, Schuldverhältnisse mit unvollkommener Haftung. 633 BGB § l358; Vgl. Wieruszowski, Handb. des Eherechts I 22 ff., Strübe b. Gruchot XLVIII 285 ff. – v. Lilienthal, Kündigungsrecht des Ehemannes aus § 1359, 1908. Dieses dem Manne verliehene eigenartige Gestaltungsrecht, das dem bisherigen Recht fremd ist, ist in der Tat ein die Handlungsfähigkeit der Frau einschränkendes Recht ehemännlicher Munt. Denn der Vertrag, durch den die Frau selbständig ihre persönliche Freiheit beschränkt, ist zwar (anders als nach Preuß. LR § 196) gültig, kann aber vom Manne mit Wirkung gegenüber Dritten für die Zukunft entkräftet werden. Geschieht dies, so entfällt auch für die Frau ihre vertragsmäßige Gebundenheit. Die Frau kann ihrerseits den Mann auch zur Kündigung veranlassen, wenn sie selbst sich der Vertragsfessel entledigen will. Eine Schadensersatzpflicht gegenüber dem anderen Vertragsteil aus Vertragsverletzung entsteht für sie nicht; nur aus unerlaubter Handlung kann sie möglicher Weise haften.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
aufgehoben ist. Im Uebrigen wird sowohl die Frau wie der andere Vertragsteil, gegen den Eingriff des Mannes nur gesichert, wenn dieser der Verpflichtungsübernahme zugestimmt hat. Denn durch seine Zustimmung wird das Kündigungsrecht ausgeschlossen, mag auch die Tätigkeit der Frau die häusliche Gemeinschaft noch so erheblich beeinträchtigen 634. Die Zustimmung des Mannes kann aber auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht in zwei Fällen ersetzt werden635. Einmal, wenn der Mann in Folge Krankheit oder Abwesenheit an einer Erklärung gehindert und Gefahr im Verzuge ist. Sodann, wenn sich die Verweigerung der Zustimmung als Rechtsmißbrauch darstellt. Ein solcher Rechtsmißbrauch liegt nicht nur vor, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung der Gemeinschaftsinteressen nicht zu erwarten ist, sondern auch dann, wenn nach der sozialen Lage des Ehepaares die von der Frau zu leistende Arbeit für den Familienunterhalt geboten ist. Kündigungs- und Zustimmungsrecht können als höchstpersönliche Rechte nicht durch einen Vertreter, dagegen von einem in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Manne selbständig ausgeübt werden. Ebenso kann die Frau, wenn sie beschränkt geschäftsfähig ist, den Antrag auf Ersetzung der ehemännlichen Zustimmung selbständig stellen. Auch die Fähigkeit zum selbständigen Gewerbebetriebe steht nach heutigem deutschen Recht der verheirateten wie der unverheirateten Frau zu. Der Satz des alten Handelsgesetzbuches, daß eine Ehefrau ohne Einwilligung des Mannes nicht Handelsfrau sein kann636, ist beseitigt; sobald und solange eine Frau ein Handelsgewerbe betreibt, hat sie die Eigenschaft und die Rechte und Pflichten eines Kaufmanns637. Ob sie im inneren Eheverhältniß durch Nichtbefolgung eines ehemännlichen Verbotes der Begründung oder Fortsetzung eines selbständigen Gewerbebetriebes ihre Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft verletzt, ist hierfür gleichgültig. Indessen hat wiederum auf dem Gebiete des ehelichen Güterrechts die Einwilligung des Mannes in den selbständigen Gewerbebetrieb der Frau auch Dritten gegenüber rechtliche Bedeutung, indem sie die Zustimmung des Mannes zu solchen einzelnen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt, entbehrlich macht638, während andererseits der Einspruch 634 Der Mann kann auch nicht kündigen, wenn nach seiner Zustimmung (oder deren vormundschaftsrichterlichem Ersatz) veränderte Umstände eintreten, die eine Kündigung gerechtfertigt hätten. Er kann nur in diesem Falle von der Frau verlangen, daß sie ein ihr zustehendes Kündigungsrecht gebrauche. 635 Nur die Frau, nicht der andere Vertragsteil kann den Antrag stellen. Will der letztere sich gegen die Kündigung durch den Mann sichern, so muß er den Vertragsschluß davon abhängig machen, daß die Frau die Zustimmung des Mannes oder deren Ersatz bewirkt. 636 ADHGB a. 7 (wie Code de comm. a. 4). Die Einwilligung des Ehemannes konnte jedoch nach vielen Landesgesetzen gerichtlich ersetzt werden; vgl. die EG zum HGB für Oesterr. § 6, Württ. a. 8, Bad. a. 6, Meckl. a. 8, Oldenb. a. 3, Hamb. § 5. 637 Für die gewerberechtliche Stellung jeder irgend ein Gewerbe betreibenden Ehefrau galt Gleiches schon nach § 111 der Gew.O. v. 1869. 638 BGB § 1405; der Einwilligung des Mannes steht es gleich, wenn die Frau das Erwerbsgeschäft mit seinem Wissen betreibt und er nicht Einspruch erhebt. Vgl. unten § 262 VIII 1.
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oder der Widerruf der Einwilligung durch den Mann, mag er befugter Weise oder mißbräuchlich erfolgen, diese generelle Verselbständigung der Frau in Ansehung ihres Gewerbebetriebes ausschließt639. Die in älteren und neueren Gesetzen enthaltenen Schutzvorschriften, die bei Rechtsgeschäften mit dem Ehemann selbst die Handlungsfähigkeit der Frau dadurch einschränken, daß sie auf ihrer Seite die Mitwirkung eines Beistandes fordern oder behördliche Bestätigung verlangen640, sind dem BGB unbekannt. IV. Die Frau als Mitträgerin der Gemeinschaft 1. Im inneren Eheverhältniß hat die Frau kraft ihrer Stellung als Hausfrau und Mutter in den Angelegenheiten der ehelichen Gemeinschaft mit dem Manne zusammenzuwirken, um die Erreichung des Ehezweckes zu fördern641. – Nach dem alten HGB a. 8 u. 9 war die Handelsfrau kraft der generellen Einwilligung des Ehemannes zu allen einzelnen Handelsgeschäften und zum selbständigen Auftreten vor Gericht in allen Handelssachen ermächtigt und lud durch jede Verpflichtungsübernahme in diesem Bereich ihrem eigenen und dem gemeinschaftlichen Ehevermögen volle Haftung auf. Das BGB legt der Einwilligung je nach der Beschaffenheit des Erwerbsgeschäfts bald eine weitere bald eine engere Tragweite bei und schließt auch beliebige Einschränkungen der Einwilligung nicht aus. Auch die Bestimmungen der Gew.O. § 112 sind durch das EG zum BGB a. 36 Z. 1 aufgehoben. 639 Dritten gegenüber ist jedoch der Einspruch oder Widerruf nur wirksam, wenn er ihnen bekannt oder ins Güterrechtsregister eingetragen ist; BGB § 14051 mit § 1435. – Abweichend vom deut. R. bindet das Schweiz. ZGB a. 67 bei jedem ehelichen Güterstande die Befugniß der Ehefrau zur Ausübung eines Berufs oder Gewerbes überhaupt an die ausdrückliche oder stillschweigende Bewilligung des Ehemannes, läßt aber im Falle der Verweigerung derselben die Ermächtigung der Ehefrau zur Ausübung durch den Richter, jedoch nur dann zu, wenn sie beweist, daß dies im Interesse der ehelichen Gemeinschaft oder der Familie geboten ist; die Rechtswirksamkeit eines ehemännlichen Verbots macht es gutgläubigen Dritten gegenüber von einer Veröffentlichung durch die zuständige Behörde abhängig. Die Beschränkung der Selbständigkeit der Ehefrau hat also in diesem Punkte absolute Wirkungen und geht ungleich weiter als nach deutschem Recht. 640 Ueber älteres deut. R. vgl. Stobbe-Lehmann § 275 Anm. 16 – 17. Neuere Gesetze: Preuß. LR II 1 §§ 198 – 201 (Verbindlichkeiten gegen den Mann, wozu sie nicht gesetzlich verpflichtet ist, kann die Frau nur durch gerichtlichen Vertrag übernehmen, sie bedarf stets eines Beistandes, auch soll der Richter von Amts wegen ihre Benachteiligung verhüten), § 358, II, 18 §§ 41 – 42; Kob.Goth. V. v. 6. April 1836 (bei Bürgschaften für den Ehemann oder gemeinsamer Darlehnsaufnahme); Sächs. Gb. §§ 1646, 1650 – 1654; Schweiz. ZGB a. 177 (Erforderniß der Zustimmung der Vormundschaftsbehörde zu Rechtsgeschäften der Ehegatten über das eingebrachte Gut oder das Gemeinschaftsgut und zu Verpflichtungen der Ehefrau Dritten gegenüber zu Gunsten des Ehemannes). 641 Insoweit der Mann als Gemeinschaftshaupt an erster Stelle zur Sorge für die Gemeinschaft berufen ist, wie z. B. hinsichtlich der Beschaffung des Unterhaltes für die Familie oder einer geeigneten Wohnung, hat die Frau ihm doch mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und ihn nach Kräften zu unterstützen (vgl. Schweiz. ZGB a. 1612). Hierzu ist sie nicht blos verpflichtet, sondern auch berechtigt, so daß der Mann, der wichtige Entscheidungen ohne ihre Zuziehung trifft, ehewidrig handelt.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Ihren besonderen Wirkungsbereich aber bildet die Leitung des gemeinschaftlichen Hauswesens642. Sie umfaßt nicht nur die Führung des Haushalts, sondern die Ordnung des gesamten häuslichen Lebens des Ehepaares, der Kinder und der dienenden Hausangehörigen, die Sorge für Nahrung, Kleidung, Reinigung, Gesundheit und häuslichen Frieden, die Verteilung der Lebensmittel und der häuslichen Arbeitsleistungen, die Beaufsichtigung des Gesindes usw. Im Einzelnen bemißt sich ihr Umfang je nach den persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Ehepaars mannichfach ungleich. Sie erstreckt sich auf den Abschluß der zur Beschaffung der sachlichen und persönlichen Mittel der Haushaltung erforderlichen Rechtsgeschäfte, erschöpft sich aber keineswegs in rechtsgeschäftlicher Tätigkeit643. In diesem Bereiche gebührt der Frau eine selbständige Herrschaft. Allerdings hat sie bei deren Ausübung sich in dem vom Manne als Gemeinschaftshaupt bestimmten Rahmen des Hauswesens zu halten; der Mann aber würde ehewidrig handeln, wenn er den der Frau von Rechtswegen zustehenden häuslichen Wirkungskreis verkümmern, sich unter Berufung auf sein entscheidendes Wort in Einzelheiten einmischen und so die der Frau gebührende „Leitung“ an sich reißen wollte644. Auf die Leitung des Hauswesens hat die Frau ein unentziehbares und unverzichtbares Recht645. Sie ist aber auch, in welcher Lage immer sie sich befinden mag, dem Manne gegenüber dazu verpflichtet646. 642 BGB § 13561. Vgl. Preuß. LR II, 1 § 194, Oesterr. Gb. § 92, Sächs. Gb. § 1645, Schweiz. ZGB a. 1613. 643 Die für das innere Verhältniß maßgebende Bestimmung des § 1356 bezieht sich im Gegensatze zu dem lediglich von Rechtsgeschäften sprechenden § 1357 auch auf rein tatsächliches Handeln. Sie gilt aber auch für die dem häuslichen Wirkungskreise angehörigen Rechtsgeschäfte, hinsichtlich deren § 1357 nur die Frage entscheidet, inwieweit ihre Vornahme durch die Frau den Mann nach außen bindet, während die Frage, ob der Mann sie nach innen als Ausübung der nach § 1356 der Frau gebührenden Leitung des gemeinschaftlichen Hauswesens gelten lassen muß, unabhängig davon zu beantworten ist. Aus der dem Manne eingeräumten Befugniß, der Frau die Vertretungsmacht zu entziehen, folgt durchaus nicht die Befugniß, ihre Stellung innerhalb der häuslichen Gemeinschaft zu schmälern. – Aehnlich verhalten sich im Schweiz. ZGB zu einander a. 1613 und a. 163; vgl. Gmür zu a. 161 Bem. V und zu a. 163 Bem. IV. 644 Durch den in § 1356 eingefügten Zusatz „unbeschadet der Vorschriften des § 1354“ wird einerseits dem Manne die Oberleitung gewahrt, andererseits aber der Eingriff in die Leitungsbefugniß der Frau zum Rechtsmißbrauch gestempelt. 645 Der Mann kann daher wider den Willen der Frau die Leitung nicht einer anderen Person, z. B. einer Tochter oder einer Hausdame, übertragen. Ist er dazu durch den Zustand oder das Verhalten der Frau genötigt, so kann die Frau bei Wegfall des Hindernisses die Wiedereinsetzung in die hausfräuliche Herrschaft verlangen. So z. B., wenn sie von einer sie unfähig machenden Erkrankung genesen ist oder einen sie dem häuslichen Wirkungskreise entziehenden Beruf oder Gewerbetrieb aufgiebt. Durch einen Verzicht auf ihr Recht büßt sie diese Befugniß nicht ein. Vgl. RGer b. Seuff. LX Nr. 172 (eine Bäuerin, die den Mann verlassen hat, weil dieser die Leitung des Hauswesens seiner Tochter aus früherer Ehe übertragen hat, verweigert mit Recht die Rückkehr, so lange der Mann, der inzwischen den Hof an die Tochter abgetreten hat und als Auszügler auf demselben lebt, in Abhängigkeit von der Tochter verharrt).
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Die Verpflichtung der Frau zur Erfüllung ihres häuslichen Berufes schließt die Verpflichtung zu Arbeiten im Hauswesen und im Geschäft des Mannes insoweit ein, als eine solche Tätigkeit nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten leben, üblich ist647. In dieser Hinsicht kommen in erster Linie die je nach dem Stande, der gesellschaftlichen Stellung und der Vermögenslage des Ehepaares überaus ungleichen Anschauungen und Sitten in Betracht, die in den entsprechen Volkskreisen obwalten. Dabei muß das entscheidende Gewicht auf die jeweiligen Verhältnisse gelegt werden, so daß mit deren während der Ehe erfolgender Aenderung sowohl eine Entlastung der Frau, wie ihre stärkere Belastung eintreten kann. Denn wiederum handelt es sich um einen unmittelbaren Ausfluß der personenrechtlichen Gemeinschaft, die jeder bindenden Festlegung durch stillschweigende oder ausdrückliche Vereinbarung entrückt ist. Hiernach bemißt es sich, inwieweit im gemeinschaftlichen Hauswesen die Frau persönliche Arbeit zu leisten oder lediglich die dazu gesetzlich verpflichteten Hausangehörigen oder die durch Dienst- oder Werkvertrag gewonnenen Kräfte zur Arbeit anzustellen und zu beaufsichtigen hat648. Ebenso aber verhält es sich mit der Entscheidung der Frage, ob überhaupt und in welchem Umfange die Frau zu Arbeitsleistungen im Geschäft des Mannes verpflichtet ist. In dieser Hinsicht ist vor Allem die Art des Geschäftsbetriebes zu beachten; je enger derselbe mit dem Hauswesen verknüpft ist, desto allgemeiner pflegt er in den mittleren und unteren Schichten die persönliche Mitarbeit der Frau zu bedingen649. Alle ihr kraft des Gesetzes obliegende Arbeit hat die Frau unentgeltlich zu leisten650. Innerer Grund und Maßstab ihrer Verpflichtung ist ihr im 646 Diese Verpflichtung liegt auch der reichsten und vornehmsten Frau ob. Durch Vertrag kann die Frau von ihr nicht wirksam entbunden werden. Der Mann kann wegen veränderter Umstände auch den in der Einwilligung in einen Beruf oder Gewerbebetrieb der Frau enthaltenen Verzicht widerrufen; oben Anm. 613. 647 BGB § 13562. Vgl. Sächs. Gb. § 1631. 648 Wenn die Verhältnisse der Ehegatten die Haltung von Dienstboten nicht gestatten, ist die Frau verpflichtet selbst zu kochen, zu waschen und zu plätten, die Wohnung zu reinigen, die Kleider zu säubern und auszubessern usw. Aber auch neben Dienstboten hat nach deutscher Sitte die Hausfrau bis in höhere Gesellschaftskreise hinauf mancherlei eigene Arbeit in Küche und Keller zu verrichten. Erzwingen äußere Umstände, – man denke an Vermögensrückgang oder an die durch den Weltkrieg geschaffenen Verhältnisse, – die Einschränkung der Dienstbotenzahl oder gar den Verzicht auf Dienstbotenhülfe, so muß auch die Frau, die bei der Eheschließung dies nicht erwarten konnte, sich ungewohnter häuslicher Arbeit unterziehen. Andererseits kann die Frau, die in ärmliche Verhältnisse hineingeheiratet hat, die Annahme von Dienstboten verlangen, wenn sie oder der Mann zu Wohlstand gelangt. Stets ist auch auf die Arbeitspflicht der Frau der Umstand von Einfluß, ob dem Hausstand Kinder angehören und ob diese der Wartung und Pflege bedürfen oder umgekehrt beim Heranwachsen Mithülfe leisten. 649 So vor Allem beim Betriebe der Landwirtschaft, eines Gasthofes, einer Restauration; aber auch beim Handelsbetriebe in einem an die Wohnung angeschlossenen Laden. Dagegen wird bei einem außerhäuslichen Geschäftsbetriebe kaum jemals eine Uebung nachweisbar sein, kraft deren die Frau zur Mitarbeit verpflichtet wäre. Auch die geschäftliche Arbeitspflicht der Frau tritt von Rechtswegen im Falle der Errichtung des Geschäftes während der Ehe ein und paßt sich bei Berufsänderung den neuen Verhältnissen an.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Wesen der Ehe wurzelnder Beruf zur Förderung der ehelichen Lebensgemeinschaft; das BGB aber kleidet sie in das individualistische Gewand einer dem Manne geschuldeten Dienstleistung651. 2. Nach außen stellt nach deutscher Auffassung die Ehefrau im Bereiche ihres häuslichen Wirkungskreises das zur Personeneinheit verbundene Ehepaar dar. Man bezeichnet die ihr damit vom Gesetze verliehene Macht als „Schlüsselgewalt“652. Das BGB erkennt die Schlüsselgewalt in Uebereinstimmung mit dem gemeinen Recht und den älteren Gesetzbüchern als eine der Ehefrau von Rechtswegen zustehende rechtsgeschäftliche Macht an. Doch gestaltet es sie nicht gleich dem neuen Schweizerischen Gesetzbuch als Handlungsmacht für die eheliche Gemeinschaft, sondern als ein Recht aus, „innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises die Geschäfte des Mannes für ihn zu besorgen und ihn zu vertreten“653. Immerhin bricht es mit der früher unter romanistischem Einfluß überwiegend durchgeführten Herleitung der Schlüsselgewalt aus einer stillschweigenden oder mutmaßlichen Ermächtigung des Mannes654. Vielmehr tritt das Recht der Frau kraft zwingender Gesetzvorschrift unabhängig vom ehelichen Güterstande als Wirkung der personenrechtlichen Verbundenheit ein, sobald und soweit ein gemeinschaftliches Hauswesen besteht655. 650 Dies gilt nicht nur für die Arbeit im Hauswesen, für die sie keinerlei Entlohnung beanspruchen kann, sondern auch für die Arbeit im Geschäfte des Mannes, sie müßte denn, was durchaus nicht ausgeschlossen ist, durch besonderen Vertrag als Gewerbegehülfin angestellt sein; vgl. Dernburg § 33 S. 117 Anm. 3. 651 Diese Konstruktion führt zu mancherlei unangemessenen Folgerungen und ist namentlich die Quelle einer höchst unbilligen Benachteiligung der im Hause tätigen Frau gegenüber der außerhäuslich arbeitenden Frau beim gesetzlichen Güterstande. Davon später. 652 Vgl. G. Schmitt, Die Schlüsselgewalt der Ehefrau nach deutschem Recht, 1893; Stobbe-Lehmann IV § 291 I; Wieruszowski a. a. O. S. 36 (mit Literaturnachweisen für gem., französ., preuß. u. österr. R. in Anm. 1); Hörle, Arch. f. b. R. XXXI 128 ff.; v. Seeler, Glossen S. 75 ff.; Joerges, Ehel. Lebensgemeinschaft, S. 59 ff., 85 ff.; Endemann II 314 ff.; Dernburg, IV § 33 II; M. Wolff § 43; Komm. zu § 1358 BGB v. Planck, Schmidt, Staudinger u.A. 653 BGB § 13571 S. l. Offenbar entspricht die Bestimmung des Schweiz. ZGB a. 163, die der Frau die Vertretung der Gemeinschaft neben dem Ehemann zuweist, besser dem Wesen der deutschen Ehe. Denn es ist doch eine ungesunde und überdies dem in § 1356 über das „gemeinschaftliche Hauswesen“ Ausgesagten widersprechende Vorstellung, daß die Frau als Leiterin des Hauswesens nicht gemeinschaftliche Geschäfte, die zugleich die ihrigen sind, sondern fremde Geschäfte besorgt! Doch überwog diese Vorstellung in Verbindung mit dem Satz, daß der Mann die Kosten des Haushalts trägt und die Frau nur beitragspflichtig ist, in der gemeinrechtlichen Theorie und Praxis und kam auch in den Gesetzbüchern (z. B. Preuß. LR §§ 194, 321, Sächs. Gb. § 1645, Zürch. Gb. v. 1853 § 150) mehr oder minder verhüllt zum Ausdruck. 654 Diese Auffassung wurde für das gemeine Recht, obschon nicht ohne Widerspruch, bis in die neueste Zeit verteidigt; vgl. Schmitt a. a. O. S. 5 ff. Sie findet sich auch in älteren Partikulargesetzen; vgl. z. B. Lippesche V. v. 1786 § 11. Am schroffesten durchgeführt ist sie im französ. R.; vgl. Zachariae-Crome § 442 Anm. 51 – 52 (stillschweigende Vollmacht), Wieruszowski S. 37 u. RGer im Erk. v. 13. Mai 1898 im Rhein. Arch. XCIV, II 29 (über nur tatsächliche Vermutung der Ermächtigung).
5. Titel: Wirkungen der Ehe
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Dem Manne gegenüber hat die Frau die Rechte und Pflichten einer Geschäftsführerin. Da kein Vertragsverhältniß zu Grunde liegt, sind die Regeln über den Auftrag unanwendbar. Aber auch eine entsprechende Anwendung der für den Auftrag geltenden Vorschriften, wie sie der erste Entwurf des BGB anordnete656 und trotz der Streichung dieser Bestimmung die herrschende Meinung für angezeigt hält657, ist unzulässig658. Vielmehr sind für das Verhältniß zum Manne lediglich die aus dem Wesen der ehelichen Gemeinschaft mit Rücksidht auf deren konkrete Ausgestaltung im Einzelfalle folgenden Grundsätze maßgebend. Hiernach und hiernach allein bemißt sich, wie der Umfang des Geschäftsführungsrechtes und der Geschäftsführungspflicht, so das Maß der der Frau gebührenden Selbständigkeit und ihrer Verpflichtung zur Befolgung von Weisungen des Mannes659; ihr Anspruch auf Gewährung der zur ordnungsmäßigen Geschäftsbesorgung erforderlichen Mittel, insbesondere eines angemessenen Wirtschaftsgeldes660, sowie auf Ersatz der aus eignen Mitteln gemachten Aufwendungen661; ihre Verpflichtung zur Auskunfterteilung, zur Rechenschaftslegung und zur Herausgabe des Erlangten662. Dritten gegenüber hat die Frau das Recht der Vertretung des Mannes. Sie braucht von dieser Befugniß keinen Gebrauch zu machen, kann vielmehr Rechtsgeschäfte So schon Preuß. LR § 321 ff., Bad. LR S. 1420a, Zürch. Gb. v. 1853 § 150, Sächs. Gb. § 1645. – Die Schlüsselgewalt ist daher, obschon sie sich vornehmlich in vermögensrechtlichen Wirkungen äußert, personenrechtliche Macht; so mit Recht Joerges S. 59. 656 Entw. I § 12781; Motive IV 118. 657 Vgl. z. B. Wieruszowski S. 42 ff.; PIanck Bem. 3, Staudinger Bem. 3 a , Dernburg § 33 Anm. 1 – 5, Wolff § 43 III1. 658 Sie ist überflüssig, weil die aus dem Eheverhältniß folgenden Regeln keiner Ergänzung durch spezielle Gesetzesvorschriften bedürfen, aber auch schädlich, weil die Anlehnung an die auf ein rechtsgeschichtliches Schuldverhältniß zugeschnittenen Regeln zu schiefer oder engherziger Entfaltung des personenrechtlichen Grundprinzips verleitet. Ein gesetzlicher Zwang aber zu solchem Verfahren, wie in den oben Bd. III 719 Anm. 9 u.720 Anm. 12 erwähnten Fällen, besteht eben nicht! 659 Nicht nach § 665 BGB; Weisungen des Mannes, die ihre hausfrauliche Selbständigkeit willkürlich verkümmern, braucht die Frau nicht zu befolgen; bei Abweichungen kommt es auf voraussichtliche Billigung nicht an und ist eine Anzeigepflicht nicht begründet; entscheidend ist allein, ob der Mann innerhalb der Grenzen seines Oberleitungsrechtes (oben Anm. 644) handelt. Vgl. auch Wieruszowski S. 43. 660 Die Gleichstellung dieses Anspruches mit dem nach § 669 dem Beauftragten zustehenden Anspruch auf einen Vorschuß (so auch Rspr. d. OLG V 395 ff., XXVI 212 ff.) ist verfehlt; das Wirtschaftsgeld ist eine besondere eherechtliche Institution und nach der Ehesitte mit Rücksicht auf die Verhältnisse der Ehegatten zu beurteilen. 661 Der Ersatzanspruch bedarf nicht der Begründung aus § 670, dessen elastische Fassung freilich eine entsprechende Anwendung unschädlich macht. 662 Die §§ 666 – 668 passen auf das eheliche Verhältniß schlechthin nicht, ihre entsprechende Anwendung würde die Ehefrau zur Dienerin des Mannes herabsetzen. Rechnungslegung der Frau über die Verwendung des Wirtschaftsgeldes und Herausgabe des Ueberschusses entspricht bei normalen Verhältnissen nicht der Ehesitte. Daß sie gar für sich verwendetes Geld des Mannes zu verzinsen habe (so Wieruszowski S. 44 u. Staudinger a. a. O.), widerspricht (wie auch Wolff a. a. O. Anm. 8 zugiebt) dem Wesen der Ehe. 655
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
in eignem Namen schließen und wird dann dem Dritten gegenüber allein berechtigt und verpflichtet, während sie, wenn sie im Rahmen ihrer Geschäftsbesorgungsmacht gehandelt hat, vom Mann Uebernahme der eingegangenen Verpflichtung und Ersatz des Geleisteten verlangen kann. Allein sie kann im Bereiche ihrer Schlüsselgewalt im Namen des Mannes handeln und gilt bei jedem in diesem Bereiche vorgenommenen Rechtsgeschäft als im Namen des Mannes handelnd, wenn sich nicht aus den Umständen ein Anderes ergiebt663. Hat sie in Vertretung des Mannes gehandelt, so wird allein der Mann berechtigt und verpflichtet, während sie selbst weder Rechte erwirbt noch irgendwie haftet664. Das Vertretungsrecht der Frau beruht nicht auf einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht, sondern ist gesetzlicher Ausfluß der ehelichen Gemeinschaft. Während das BGB im Uebrigen so wenig der Frau für den Mann wie dem Manne für die Frau eine Vertretungsmacht einräumt, sondern grundsätzlich eine Vollmacht fordert665, durchbricht es diesen Grundsatz zu Gunsten der Frau durch die ihr im häuslichen Wirkungskreise verliehene gesetzliche Vertretungsmacht666. Der Umfang der Schlüsselgewalt ist im BGB lediglich durch den Hinweis auf den häuslichen Wirkungskreis der Frau bestimmt. Einzelbestimmungen sind weder über die ihm zugehörigen Rechtsgeschäfte noch über die Grenzen der weiblichen Macht getroffen667. Somit entscheidet über den Umfang der Schlüsselgewalt der durch die allgemeine oder örtliche Ehesitte und die besonderen Verhältnisse des 663 BGB § 13571 S. 2. Im Gegensatz zu § 164. Aus der Vermögenslosigkeit des Mannes folgt noch nicht, daß die Frau in eigenem Namen handeln wollte; Rspr. d. OLG II 254. 664 Nach dem Schweiz. ZGB a. 2072 haftet sie für alle von ihr oder vom Ehemann für den gemeinsamen Haushalt eingegangenen Schulden persönlich, soweit der Ehemann nicht zahlungsfähig ist. Die völlige Haftungsfreiheit der Frau führt zu unbilligen Ergebnissen, wie dies namentlich in Fällen, in denen der von der Frau zugezogene Arzt das Honorar vom Manne nicht erlangen kann, zu Tage getreten ist; vgl. die Abhandlungen bei Wolff Anm. 14 angef. zahlreichen über diese Frage, sowie E. Rabel, Rhein. Zeitschr. X 112 ff., wo die verschiedenen Abhilfeversuche als unzureichend nachgewiesen und de lege ferenda Vorschläge im Sinne des schweiz. R.s gemacht sind. 665 Sogar bei Verhinderung des Mannes durch Krankheit oder eheliche Abwesenheit. Nur in Ansehung des Gesamtgutes der Gütergemeinschaft kann in diesem Falle, wenn Gefahr im Verzuge ist, die Frau nach ihrer Wahl in eignem Namen oder kraft gesetzlicher Vertretungsmacht im Namen des Mannes nach § 1450 Rechtsgeschäfte schließen und Prozesse führen. 666 Das Preuß. LR §§ 326 – 328 gewährt der Frau im Falle der Verhinderung des Mannes auch außerhalb des häuslichen Wirkungskreises eine gesetzliche Vertretungsmacht. Ebenso andere deutsche Partikularrechte; vgl. Stobbe-Lehmann § 291 II. – Das Schweiz.ZGB a. 166 erkennt gleich dem BGB eine weitere Vertretungsbefugniß der Frau nur insofern an, als ihr vom Manne eine solche ausdrücklich oder stillschweigend erteilt ist, sieht darin aber keine Vollmacht, sondern eine außerordentliche Erweiterung der Vertretungsmacht für die eheliche Gemeinschaft; vgl. Gmür Bem. I u. II, Egger Bem. 1 – 3. 667 Sie fehlen auch im Preuß. LR § 321, Bad. LR S. 1420a, Sächs. Gb. § 1645, Schweiz. ZGB a. 163. Aeltere Gesetze enthalten Aufzählungen der häuslichen Geschäfte; so Lippesche V. v. 1786 § 11, Bamb. LR v. 1795 § 18, Casteller LO v. 180l § 78, vgl. Schmitt a. a. O. S. 4 – 6. In mittelalterlichen deutschen Quellen begegnen feste Wertgrenzen für Veräußerungen und Anschaffungen; Schmitt a. a. O., S. 3 – 4.
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Ehepaares abgesteckte Bereich der Rechtsgeschäfte, die die der Frau gebührende selbständige Leitung des Hauswesens mit sich bringt668. Dazu gehören Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäfte mannichfacher Art. So namentlich Einkäufe von Möbeln, Hausgerät, Kleidern, Lebensmitteln, Heiz- und Beleuchtungsstoffen, Gegenständen des täglichen Gebrauchs669. Aber auch Veräußerungen, wie z. B. Verkäufe von überflüssig oder unbrauchbar gewordenen Haushaltsgegenständen, von gärtnerischen oder landwirtschaftlichen Erzeugnissen oder von Waren im Ladengeschäft, in bestimmten Grenzen auch Verschenkungen von beweglichen Sachen oder Geld670. Nicht minder Dienst- und Werkverträge behufs Beschaffung der zur Instandhaltung des Hauswesens und der Ausbesserung von Schäden erforderlichen Arbeit671, insbesondere die in den meisten Gesindeordnungen ausdrücklich hervorgehobene Miete von weiblichen Dienstboten672. Zweifellos auch die durch die Fürsorge für die Gesundheit der Hausangehörigen gebotenen Aufwendungen für ärztliche Hilfe, Apothekerwaren und Heilbehandlung. In allen diesen Beziehungen deckt sich die der Frau gebührende Geschäftsbesorgungsmacht keineswegs immer mit der ihr zustehenden Vertretungsmacht. Denn wenn in beiderlei Richtung die besonderen Verhältnisse des Ehepaares für den Umfang der Schlüsselgewalt von entscheidender Bedeutung sind, so richtet sich doch zwar die Geschäftsbesorgungsbefugniß der Frau nach den ihr bekannten wirklichen Verhältnissen, ihre Vertretungsmacht aber nach dem für den Dritten glaubhaften äußeren Schein der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Ehepaares673. Unter Umständen wird daher der Mann durch Rechtsgeschäfte der Frau, die der Vertragsgegner in Folge einer der wahren Vermögenslage nicht entsprechenden Lebenshaltung des Mannes als Betätigung ihrer Schlüsselgewalt ansehen durfte, diesem gegenüber verpflichtet, obwohl er sie der Frau gegenüber wegen Ueberschreitung ihrer Geschäftsbesorgungsbefugniß nicht als für seine Rechnung geschlossen anzuerkennen braucht674. 668 Soweit die Frau ihrer gesetzlichen Verpflichtung gemäß im Geschäfte des Mannes tätig ist (oben Anm. 649), fallen auch die durch ihre geschäftliche Tätigkeit bedingten Rechtsgeschäfte in den Bereich der Schlüsselgewalt. 669 Allgemeiner Sitte gemäß hat die Frau für die eigne und der Kinder Bekleidung, in begrenztem Umfange aber auch für die Kleidung des Mannes zu sorgen. Ihr liegt ferner die Beschaffung von Spielzeug und Schulsachen für die Kinder ob. Inwieweit sie Schmucksachen, Luxusmöbel usw. selbständig kaufen kann, entscheidet sich nach den Umständen. Auch Sachmieteverträge kann sie in diesen Grenzen schließen, unter Umständen sogar eine Wohnung mieten (vgl. Wieruszowski S. 40 gegen Planck Bem. 2 u. Schmidt Bem. 4 b ). 670 So z. B. behufs üblicher Gelegenheitsgeschenke an Verwandte und Freunde, Spenden für gemeinnützige Zwecke, Wohltätigkeitsäusübung. 671 S. z. B. mit Nähterinnen, Waschfrauen, Aufwartefrauen, Handwerkern. 672 Vgl. oben Bd. III 646 Anm. 27. Auch das Kündigungsrecht steht regelmäßig der Frau zu. Ausnahmsweise auch das Mieten von männlichem Gesinde (allgemein in Mecklenburg auf dem platten Lande). 673 Vgl. Wieruszowski S. 40 – 41; Dernburg § 33 II 2; Endemann § 170, 3 b 2; Wolff § 43 III 2. – Dazu Schweiz. ZGB a. 1632: „Ihre Handlungen verpflichten den Mann, soweit sie nicht in einer für Dritte erkennbaren Weise über diese Fürsorge hinausgehen.“
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Die Schlüsselgewalt endet mit der Auflösung der Ehe, kann jedoch sowohl zu Gunsten der Frau, falls diese davon nicht weiß oder wissen muß, wie zu Gunsten gutgläubiger Dritter nachwirken675. Sie fällt schon während der Ehe weg, insoweit der häusliche Wirkungskreis der Frau in Wegfall kommt676. Vor Allem aber kann der Mann durch einseitige Willenserklärung die Schlüsselgewalt der Frau beliebig beschränken oder ausschließen677. Er ist dazu freilich nur dann berechtigt, wenn die Frau ihre Schlüsselgewalt missbraucht oder sich als unfähig zu deren Ausübung erweist678. Allein das Gesetz räumt ihm die formale Macht ein, der Frau nach Gutdünken ihr Recht ganz oder teilweise zu entziehen. Seine Erklärung ist unabhängig von ihrer materiellen Berechtigung und deren vorheriger behördlicher Feststellung wirksam679. Der Frau gegenüber bewirkt sie sofort den Wegfall der Befugniß,
674 So hat das RGer LXI Nr. 20 mit Recht einen auf größtem Fuß lebenden Kammerherrn und Besitzer einer aus fünf Gütern bestehenden Standesherrschaft verurteilt, eine bis zum Betrage von mehr als 19 000 Mark aufgelaufene Kleiderrechnung seiner inzwischen von ihm geschiedenen Frau bei Gerson zu bezahlen. Auch daß die Frau noch in anderen Geschäften gekauft hatte und der Aufwand zusammen den Bedarf überstieg, nützte ihm nicht. Daß aber die Frau ihre Geschäftsbesorgungsbefugniß überschritten hat und insoweit dem Manne ersatzpflichtig ist, kann nicht bezweifelt werden. Die eingehende Kritik der Begründung des Urteils durch v. Seeler a. a. O. enthält manches Zutreffende. Unzutreffend aber ist seine Verwerfung des Gedankens eines verschiedenen Umfanges der in der Schlüsselgewalt enthaltenen Geschäftsbesorgungs- und Vertretungsmacht, weil sie mit dem einheitlichen Begriff der Schlüsselgewalt unverträglich sei (S. 88 ff.), sowie seine eigne Begründung und Begrenzung des dem Dritten gebührenden Schutzes (S. 93 ff.). 675 So kann die Frau noch nach dem Tode des Mannes, bis sie davon Kenntnis erlangt hat, die Schlüsselgewalt, wie wenn sie fortbestünde, ausüben; Schmidt Bem. 3 b , Wolff § 43 V 1. Ebenso können Dritte, solange sie die Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung nicht kennen oder kennen müssen, auf die Fortdauer der Schlüsselgewalt vertrauen. 676 Bei nur vorübergehendem Wegfall ist sie nur suspendiert. Tatsächliches Getrenntleben der Ehegatten bewirkt keineswegs notwendig, wie manchmal angenommen wird (z. B. OLG Hamb., Rspr. d. OLG II 368 u. Seuff. LVI Nr. 176), Wegfall der Schlüsselgewalt. Vielmehr hat die vom Manne verlassene Frau, wenn sie den Haushalt (besonders mit Kindern) fortführt, ihren häuslichen Wirkungskreis, in dem sie kraft des fortbestehenden Ehebandes mit Wirkung für und gegen den Mann zu handeln vermag. Doch ist im Einzelnen viel Streit; vgl. Goldmann DJZ XII 419 ff., Wieruszowski S. 41 ff., Menzel, Sächs. Arch. XIII S. 609, Wetzel a. a. O. S. 129 ff., Staudinger Bem. 2b, Schmidt Bem. 2 b, Planck Bem. 2, Wolff § 43 V 2; Rspr. d. OLG XII 300, XXI 213 ff., XXIII 405, XXVI 262, RGer b. Gruchot LII 675. Immer muß die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft offenkundig oder im Einzelfalle erkennbar sein, um gegen gutgläubige Dritte zu wirken; Joerges a. a. O. S. 118 ff. 677 BGB § l357 Abs. 2 S. l. Ein durch formlose, einseitige, der Frau gegenüber abgegebene Willenserklärung auszuübendes Gestaltungsrecht. Auch der gesetzliche Vertreter des Ehemannes kann dies Recht ausüben; Motive IV 119; Wieruszowski S. 47 Anm. 49; für das Schweiz. R. Egger zu a. 164 Bem. 2. 678 So bestimmt ausdrücklich das Schweiz. ZGB a. 1642. Allein auch für das deut. R. muß daran festgehalten werden, daß der Mann kein materielles Recht, sondern nur die formale Macht hat, der Frau grundlos die Schlüsselgewalt zu entziehen. Eine solche formale Macht räumt ihm auch das Schweiz. ZGB ein; vgl. Gmür zu a.165 Bem. l. Die Fassung ist nur besser, als die des BGB, das den Schein erweckt, als habe der Mann an sich ein unbeschränktes Recht, das er nur nicht „mißbrauchen“ soll; vgl. oben 572, 614.
5. Titel: Wirkungen der Ehe
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Geschäfte des Mannes zu besorgen680. Dritten gegenüber bewirkt sie den Wegfall der Vertretungsmacht der Frau von dem Augenblick an, in dem sie ihnen bekannt geworden oder durch Eintragung in das Güterrechtsregister öffentlich kundgemacht ist681. Die Eintragung in das Güterrechtsregister erfolgt auf alleinigen Antrag des Mannes ohne Prüfung der Berechtigung der Maßregel und kann vom Registerrichter nicht abgelehnt werden682. Die Frau ist somit gegen eine willkürliche Schmälerung ihrer hausherrschaftlichen Würde zunächst ungeschützt. Stellt sich jedoch die Beschränkung oder Ausschließung ihrer Schlüsselgewalt als Mißbrauch des ehemännlichen Rechts dar, so kann sie beim Vormundschaftsgericht den Antrag auf Aufhebung der ehemännlichen Erklärung stellen683. Das Vormundschaftsgericht hat dann die Sachlage zu prüfen und nach seinem Ermessen zu entscheiden684. Hebt es die Erklärung auf, so tritt mit der Wirksamkeit seiner Entscheidung die Schlüsselgewalt wieder in Kraft685. Die Wiederherstellung erfolgt aber nur für die Zukunft686. Auch hindert nichts den Mann, von Neuem die Schlüsselgewalt 679 So auch nach der herrschenden gemeinrechtlichen Theorie und Praxis, dem Sächs. Gb. § 1645 u. dem Oldenb. Ges. v. 24. Apr. 1873 a. 4. Dagegen verwies das Preuß. LR § 323 den Mann auf „richterliche Hülfe“, deren Gewährung doch von einer Feststellung der Notwendigkeit der Maßregel abhing. Der Schweiz. Vorentw. a. 187 verlangte nach dem Vorbild des Zürch. Gb. richterliche Anordnung; über die bedauerliche Streichung vgl. Gmür zu a. 164 Bem. I 1, Egger Bem. 2. 680 Dagegen läßt sie im Uebrigen die der Frau als Leiterin des Hauswesens zustehenden Rechte unberührt. 681 BGB § 1357 Abs. 2 S. 3. Hat die Eintragung nicht stattgefunden, so befreit den Mann nur der Nachweis, daß der Dritte die Entziehung gekannt hat; verschuldete Unkenntniß steht dem nicht gleich. Nur in diesen Grenzen können die früher als Mittel der Bekanntmachung verwandten Erklärungen Warnungen usw. in Zeitungen noch heute Bedeutung erlangen. – Das Schweiz. ZGB a. 1642 macht die Wirksamkeit gegenüber gutgläubigen Dritten von der Veröffentlichung durch die zuständige Behörde abhängig; das Nähere überläßt es dem Kantonalrecht; vgl. Egger, Bem. 3 c. 682 BGB § 15611. Davon unten. 683 BGB § 1357 Abs. 2 S. 2. Das Antragsrecht kann auch die minderjährige Frau selbständig ausüben; FGG § 59. Es ist ein Gestaltungsrecht, das aber die Ergänzung der Willenserklärung der Frau durch einen konstitutiven Staatsakt fordert; Wolff § 43 IV 2. 684 Es kann auch die Entziehung nur teilweise aufheben und die Beschränkung ermäßigen, nicht aber sie durch eine andersartige Beschränkung ersetzen; Wieruszowski S. 54 Anm. 65. – Das Schweiz. ZGB a. 1651 schreibt die Aufhebung durch den Richter auf Begehren der Frau vor, wenn nachgewiesen wird, daß die Beschränkung oder Aufhebung ungerechtfertigt war. 685 Die vormundschaftliche Verfügung tritt nach FGG § 53 mit der Rechtskraft, auf besondere Anordnung wegen Gefahr im Verzuge, aber sofort in Wirksamkeit. Die Löschung der Eintragung im Güterrechtsregister ist nicht erforderlich, kann aber von der Frau verlangt werden. – Das Schweiz. ZGB a. 1652 ordnet Veröffentlichung von Amtswegen an, falls die Entziehung veröffentlicht worden war. 686 Wieruszowski S. 55, Schmidt Bem. 6 c u.A. legen der Aufhebung rückwirkende Kraft bei. Allein dies widerspricht dem Begriff der „Aufhebung“. Vgl. Planck Bem. 5, Opet Bem. 6, Staudinger Bem. 5 b . Auch für das Schweiz. R. ist Nichtrückwirkung anzunehmen, Gmür zu a. 165 Bem. 4; a.M. Egger Bem. 4.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
einseitig zu beschränken oder auszuschließen687. Allerdings kann die Frau mit der Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens ein gerichtliches Urteil erzielen, das den Mann zur Wiedereinräumung der Schlüsselgewalt verurteilt688. Allein, da das Urteil, wie wir sehen werden, nicht vollstreckbar ist, wird die Frau auch dadurch nicht endgültig gesichert689. V. Geltendmachung der Ansprüche aus der Gemeinschaft 1. Gegenüber einem Dritten, der die aus der ehelichen Gemeinschaft fließenden Personenrechte eines Ehegatten verletzt, stehen diesem die allgemeinen Rechtsbehelfe zum Schutze der absoluten Privatrechte zu Gebote. Der Ehegatte kann also gegen den Dritten, der widerrechtlich sein Personenrecht am anderen Ehegatten beeinträchtigt, im ordentlichen Zivilprozeß auf Beseitigung der Störung und geeigneten Falles auf künftige Unterlassung, sowie bei schuldhafter Verletzung auf Schadensersatz klagen690. Hierauf beruht auch der dem Manne zustehende Schadenser687 Vielleicht hat er dafür jetzt in Folge des neuerlichen Verhaltens der Frau gute Gründe. Darauf jedoch, ob dies der Fall ist, kommt ja nichts an. Auch seinem Antrag auf erneute Eintragung ins Güterrechtsregister muß der Registerrichter ohne Prüfung stattgeben. Natürlich kann die Frau sich wieder an das Vormundschaftsgericht wenden. Allein das Spiel kann sich endlos wiederholen. Vgl. Planck, Bem. 5, Endemann § 170, Dernburg § 34 Anm. 21. Nicht viel anders verhält es sich nach schweiz. R.; Gmür zu a. 165 Bem. 4. Befriedigend ist diese gesetzliche Ordnung nicht! 688 Vgl. Planck Bem. 5, Staudinger Bem. 5 b . Von Vielen wird freilich die Zulässigkeit der Anrufung des Prozeßgerichts verneint; so Endemann § 170 Anm. 40 u. § 171 Anm. 8, Dernburg § 33 Anm. 21, Joerges S. 43 ff., Wolff § 43 Anm. 19, Gaupp- Stein vor ZPO § 606 Bem. III 5, Seuffert zu § 606 Bem. II 2 g. Allein da sie nicht ausgeschlossen ist, ergiebt sie sich daraus, daß es sich um einen Eingriff in den personenrechtlichen Anspruch auf geordnetes eheliches Zusammenleben handelt. Auch nach dem Schweiz. ZGB konkurriert mit a. 165 der a. 169. 689 Der Mann kann zur Erfüllung der urteilsmäßig anerkannten Verpflichtung nicht gezwungen werden und ist, auch wenn er ihr genügt hat, stets in der Lage, die Schlüsselgewalt der Frau von Neuem zu entziehen und die Eintragung im Güterrechtsregister durchzusetzen. Nur wenn sie auf Ehescheidung klagen will, bietet ihr das Urteil eine Stütze. Will sie sich vom Manne nicht trennen und den Haushalt fortführen, so muß sie den sie entwürdigenden Zustand ertragen. 690 So z. B. der Mann gegen den Vater oder Vormund, der ihm die Frau vorenthält, ebenso aber die Frau gegen Jeden, der den Mann an der Vereinigung mit ihr hindert. Wenn Hellwig, Syst. des ZPr I § l04 Anm. 9, die Anwendbarkeit der allgemeinen Grundsätze über den Klagschutz von „Herrschaftsrechten“ leugnet, weil die Ehe heute kein Herrschaftsrecht begründe, so ist freilich für das auf dem einseitigen Herrschaftsrecht des Mannes beruhende römische interdictum de uxore exhibenda im modernen Recht kein Platz mehr, wohl aber ein entsprechender Klagschutz der beiderseitigen Rechte an der Person, die auch heute beschränkteHerrschaftsrechte sind, nicht versagbar. Unrichtig ist die vom RGer LXXI Nr. 25 zu Grunde gelegte und von Wolff § 31 Anm. 9 verallgemeinerte Lehre, daß der Anspruch gegen den Dritten nicht weiter reichen könnte, als der Anspruch gegen den anderen Ehegatten. Denn der Anspruch gegen den Dritten ist selbständiger Natur; vgl. auch Hellwig a. a. O. Anm. 5. – Daß das RGer a. a. O. die Unterlassungsklage u. LXXII Nr. 27 die Schadensersatzklage gegen den
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satzanspruch wegen der ihm durch Tötung, Körperverletzung oder Freiheitsberaubung der Frau entzogenen häuslichen oder gewerblichen eheweiblichen Dienste691. 2. Auch gegenüber dem anderen Ehegatten sind die Ansprüche aus der ehelichen Gemeinschaft im Wege des Zivilprozesses verfolgbar692. Während aber die aus dem ehelichen Verhältniß entspringenden vermögensrechtlichen Ansprüche im Wege des ordentlichen Zivilprozesses geltend zu machen sind693, können die personenrechtlichen Ansprüche aus der ehelichen Gemeinschaft, soweit sie nicht überhaupt durch Verweisung an das Vormundschaftsgericht dem Prozeßverfahren entzogen sind, nur im Verfahren in Ehesachen mittels einer eigenartigen Klage geltend gemacht werden. Es ist die Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens694. Das gemeine Recht ließ eine derartige Klage im gewöhnlichen Prozeßverfahren zu und gewährte in gewissem Umfange auch gerichtliche Vollstreckungsmittel behufs Erzwingung der durch Urteil festgestellten Verpflichtung zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft 695. Dagegen wurde im preußischen Recht in Verbindung mit der Versagung jeglichen Zwanges zur Erfüllung der persönlichen Eheverpflichtungen die gerichtliche Verfolgung der darauf gerichteten Ansprüche schlechthin für unzulässig erklärt696 und auch anderswo aus der partikularrechtlichen Beseitigung der Urteilsvollstreckung die Abschaffung der Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens gefolgert. Die Zivilprozeßordnung von 1877 unterstellte kraft zwingenden Reichsrechtes die Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens den Vorschriften über das Verfahren in Ehesachen und gewährte zwar ihrerseits Ehebrecher unbedingt ausschließt, widerspricht m. E. dem geltenden Recht; vgl. oben Bd. III 891 Anm. 38. 691 Vgl. oben Bd. III 893 u. 967 ff. 692 Dies folgt aus ihrer privatrechtlichen Natur in Verbindung mit dem Mangel einer den Rechtsweg ausschließenden Bestimmung. Allgemein gilt für Ansprüche unter Ehegatten die Regel des BGB § 204, daß die Verjährung gehemmt ist, solange die Ehe besteht. 693 Dies gilt nicht nur für die ehegüterrechtlichen Ansprüche, sondern auch für die vom Güterstande unabhängigen vermögensrechtlichen Ansprüche aus der ehelichen Gemeinschaft, insbesondere die ehelichen Unterhaltsansprüche oder die Ersatzansprüche der Frau und die Herausgabeansprüche des Mannes aus Geschäftsbesorgung kraft Schlüsselgewalt. 694 Sie ist in der ZPO § 606 ff. geregelt; das BGB setzt sie voraus und erwähnt (abweichend von Entw. I § 1276) nur im Ehescheidungsrecht § 1567 die Verurteilung zur Herstellung der häuslichen Gemeinschaft. Vgl. Motive IV l08 ff.; Gauß, Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens, 1910; Joerges a. a. O. S. 35 ff.; Hörle a. a. O. S. 171 ff.; Endemann § 171; Dernburg § 3 III; Crome § 544 II 1 b; Wolff § 31 VII; Vorbem. vor § 1353 b. Planck 5, Staudinger VIII, Schmidt V; Komm. z. ZPO §§ 606 ff. von Gaupp-Stein u. L. Seuffert. 695 Vgl. Windscheid-Kipp § 490 Z 1 u. die dort Anm. 1 – 2 gegebenen Nachweise aus der Praxis; dazu bes. RGer b. Seuff. XLIV Nr. 28, XLVII Nr. 116, XLVIII Nr. 187, XLIX Nr. 253 u 254, ZS XXIII Nr. 33, XXXI Nr. 28. Ueber die mehr und mehr auf mäßige Geld oder Haftstrafen beschränkten Vollstreckungsmaßregeln Seuff. VII Nr. 133, XX Nr. 32, XL Nr. 52, XLVIII Nr. 37. – Ebenso im Gebiet des Sächs. Gb. 696 Preuß. O.Trib LVIII Nr. 409: es könne der Richter weder berechtigt noch verpflichtet sein, ein Urteil zu fällen, dessen Vollstreckung nicht zu ermöglichen sein würde. Vgl. Dernburg S. 9.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
keine Vollstreckungsmittel, behielt aber dem Landesrecht die Anordnung einer Zwangsvollstreckung vor697. Mit dem Inkrafttreten des BGB ist die Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens allgemein zulässig geworden, jedoch nicht nur ihre Verweisung zum Verfahren in Ehesachen in Kraft erhalten, sondern die Vollstreckbarkeit des Urteils vorbehaltlos abgeschafft698. Die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens ergeben sich aus dem Inhalt der personenrechtlichen Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft699. Vor Allem kann jeder Ehegatte gegen den anderen auf Herstellung der häuslichen Gemeinschaft klagen, wenn dieser seinem darauf gerichteten Verlangen nicht nachkommt700. Er kann aber auch die Verurteilung des anderen Ehegatten zur Unterlassung bestimmter einzelner Handlungen, die ein solches ermöglichen, begehren701. Die Klage ist ferner das geeignete Mittel zur gerichtlichen Geltendmachung des ehemännlichen Anspruchs auf häusliche oder geschäftliche Dienste der Frau und des Anspruchs der Frau auf Leitung des Hauswesens702. Auch dient sie zum Schutze der ehelichen Namensgemeinschaft703. Es liegt kein Grund vor, die Klage auf Erfüllung der geschlechtlichen Gemeinschaftspflicht oder andererseits auf Unterlassung ehebrecherischen Umgangs zu versagen704. Stellt sich die Klage als begründet heraus, so ist der BeAlte ZPO § 4742. ZPO § 8882. 699 Man ist einig, daß die Klage nicht nur auf völlige, sondern auch auf teilweise Verweigerung der Lebensgemeinschaft gegründet werden kann. In welchem Umfange aber die Klage bei Verletzung einzelner Verpflichtungen zulässig ist, wird gestritten. Mit Recht betont Joerges S. 36 ff., daß es sich immer um personenrechtliche Verpflichtungen handeln muß. Erforderlich aber ist überdies ein dauerndes ehewidriges Verhalten, das den Bestand der Gemeinschaft in einem wesentlichen Stück ernstlich gefährdet. 700 Je nach dem Sachverhalt also auf Eintritt oder Aufnahme, auf Rückkehr oder Wiederaufnahme ins Haus (oben Anm. 567); der Mann insbesondere auch auf Folge an einen neuen Wohnort (oben Anm. 610). 701 So z. B. jeder Ehegatte auf Unterlassung ehewidriger Fernhaltung vom Hause, auf Duldung oder Ergreifung der zur Beseitigung außerordentlicher Hindernisse erforderlichen Maßregeln (oben Anm. 571), der Mann auf Einstellung einer die Frau dem Hauswesen entziehende Tätigkeit (oben Anm. 611 – 613), die Frau auf Beschaffung einer angemessenen gemeinsamen Wohnung usw. 702 Oben Anm. 645 – 651. Daß die Frau die Herstellungsklage auch zum Schutze ihrer Schlüsselgewalt erheben kann, ist oben Anm. 688 gezeigt. 703 Oben Anm. 582. Somit kann der Mann die Klage anstellen, wenn die Frau die Führung seines Namens verweigert, aber auch die Frau, wenn der Mann sie daran hindert. Dies auch bei Getrenntleben. 704 Oben Anm. 568, 569, 575. Das die Unterlassungsklage gegen den in fortgesetztem Geschlechtsverkehr mit einem Anderen lebenden Ehegatten ausschließende Erk. des RGer LXXI Nr. 25 ist unhaltbar. Wenn gegen eine derartige Ausdehnung der Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens eingewendet wird, sie widerspreche dem sittlichen Wesen der Ehe, sie zerre intime Verhältnisse vor den Richter, sie verletze das Schamgefühl, so würden solche Erwägungen ja auch den auf Herstellung der häuslichen Gemeinschaft beklagten Ehegatten hindern müssen, sein Recht zur Gemeinschaftsverweigerung auf Ehebruch des Klägers zu 697 698
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klagte zur Herstellung des ehelichen Lebens zu verurteilen, das Urteil aber je nach dem Klagebegehren auf das besondere Tun oder Unterlassen abzustellen, das zu diesem Behuf dem Beklagten obliegt. Dagegen ist die Klage als unbegründet abzuweisen, wenn das Verlangen des Klägers auf Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft sich als Mißbrauch darstellt705. Der beklagte Ehegatte kann ein ihm zustehendes Recht zur Verweigerung der ehelichen Gemeinschaft einredeweise geltend machen706. Doch muß das Gericht auch, falls der Sachverhalt Anlaß bietet, von Amtswegen prüfen, ob in der Klage ein Mißbrauch liegt707. In prozessualer Hinsicht gelten die allgemeinen Regeln für das Verfahren in Ehesachen mit einigen Besonderheiten. Auch hier hat der Staatsanwalt im Prozeß mitzuwirken708. Der beschränkt geschäftsfähige Ehegatte ist auch hier prozeßfähig, dagegen kann der gesetzliche Vertreter die Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens nicht anstellen709. Das Verfahren ist auch hier auf Ermittlung der materiellen Wahrheit gerichtet; hinsichtlich der Offizialtätigkeit des Richters und der Beschränkung der Parteiverfügung über den Prozeßstoff gelten gleiche Regeln wie im Anfechtungs- und Scheidungsprozeß710. Ein Versäumnißurteil gegen den Beklagten ist auch hier unzulässig711. Die Klage kann nur mit einer Anfechtungsstützen. Daß er hierzu aber befugt ist, erkennt auch das RGer XXXI Nr. 28, Seuff. XLIX Nr. 253 u. LXX Nr. 155 an. Ob die Zulassung der Klage auf Herstellung des Lebens überhaupt billigenswert ist, ob nicht ihre Ersetzung durch Erweiterung der Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts vorzuziehen gewesen wäre, mag hier unerörtert bleiben; da sie nun aber einmal dem geltenden Rechte angehört, darf sie nicht willkürlich verkümmert werden. – Auch Verletzung der Pflichten gegenüber den Kindern (oben Anm. 570) kann Klagegrund sein. Unzulässig ist, wie die herrschende Meinung mit Recht annimmt, die Geltendmachung des Unterhaltsanspruches mit der Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens; vgl. oben Anm. 693, Planck Vorbem. 2, Schmidt Vorbem. V 4, Seuffert zu ZPO § 606 Bem. 2 g, Gaupp-Stein Vorbem. III 5, Rspr. d. OLG XVIII 262; a.M. Wieruszowski S. 128, Opet Bem. 7 b, Staudinger zu § 1360 Bem. 8, Gauß S. 51 ff., Wolff § 32 Anm. 7. 705 Vgl. oben Anm. 572, 579, 583, 614 – 616, 644 – 645. 706 Eine Einrede im Sinne des materiellen Rechtes ist dies nicht; der Beklagte macht nicht ein selbständiges Gegenrecht geltend, sondern weist das Nichtvorhandensein des vom Kläger behaupteten Rechts und damit die Hinfälligkeit des Klagegrundes nach. 707 RGer b. Seuff. LXI Nr. 177 (es sei gesetzliche Voraussetzung der Klage, daß kein Mißbrauch vorliege). Das folgt auch aus ZPO § 6171 – 2 u. § 6185. A.M. zum Teil Wetzel, Arch. f. b. R. XXVI 109 ff. 708 Vgl. oben § 243 Anm. 536. Jedoch nie, wie im Nichtigkeitsprozeß, als Partei. 709 Oben § 243 Anm. 537 – 538 u. die Spezialbestimmung in ZPO § 216 Abs. 2 Halbsatz 2. Gegen den geschäftsunfähigen Ehegatten kann geklagt werden; für ihn führt dann der gesetzliche Vertreter den Rechtsstreit. 710 Oben § 243 Anm. 539 – 542. Auch hier gilt die Einschränkung des Parteibeweises nur hinsichtlich der Tatsachen, die das Recht zur Verweigerung der Herstellung des ehelichen Lebens begründen sollen, nicht hinsichtlich der zu Gunsten der Herstellung der Gemeinschaft behaupteten Tatsachen; ZPO § 6172. Das Gericht ist auch hier zur Anordnung des persönlichen Erscheinens einer Partei und ihrer Vernehmung unbedingt, dagegen zur Berücksichtigung nicht vorgebrachter Tatsachen und zur Beweisaufnahme von Amtswegen nur zwecks Aufrechterhaltung der Gemeinschaft befugt. ZPO §§ 619, 6221.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
oder Scheidungsklage verbunden und nur gegen eine solche als Widerklage erhoben werden712. Mit dem Scheidungsverfahren hat das Verfahren das Erforderniß eines Sühneversuches gemein713. Das Gericht kann die Aussetzung des Verfahrens von Amtswegen anordnen, wenn eine Aussühnung der Parteien nicht unwahrscheinlich ist714. Das Urteil ist, wie schon bemerkt wurde, nicht vollstreckbar. Es stellt zwar fest, daß der verurteilte Ehegatte dem anderen Ehegatten gegenüber zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen rechtlich verpflichtet ist, und belehrt ihn mit dem Gewicht der staatlichen Autorität darüber, wie er sich zu verhalten hat, wenn er mit der Rechtsordnung im Einklang bleiben will. Allein jeder unmittelbare oder mittelbare äußere Zwang zur Erfüllung der höchstpersönlichen Verpflichtungen aus der ehelichen Gemeinschaft ist unstatthaft, weil dem sittlichen Wesen der Ehe gemäß die Verfügung über die eigne Persönlichkeit in dieser Richtung der freien Entschließung des Verpflichteten überlassen sein soll715. Verweigert daher der verurteilte Ehegatte die Herstellung des ehelichen Lebens, so muß der andere Ehegatte entweder den Fortbestand des rechtswidrigen Zustandes ertragen oder zum äußersten Mittel der Scheidungsklage greifen. Im Scheidungsprozeß kann er je nach den Umständen das Urteil verwerten. Allein nur im Scheidungsprozeß wegen böslicher Verlassung hat die rechtskräftige Verurteilung zur Herstellung der häuslichen Gemeinschaft die materiellrechtliche Bedeutung eines den Scheidungsanspruch begründenden Vorbereitungsmittels 716. Stark abweichend regelt das Schweizerische Gesetzbuch den gerichtlichen Schutz der Ansprüche aus der ehelichen Gemeinschaft. Es gewährt, wenn ein Ehegatte der Gemeinschaft gegenüber pflichtvergessen ist oder seine Handlungsweise den anderen Ehegatten in Gefahr, Schande oder Schaden bringt, diesem die Befugniß, den Richter um Hülfe anzugehen; der Richter hat dann den pflichtvergessenen Ehegatten an seine Pflicht zu mahnen und nach fruchtloser Mahnung die zum Es gelten die Vorschriften des § 618 ZPO. ZPO § 615. 713 ZPO §§ 608 – 611. Davon bei der Ehescheidung. 714 ZPO § 621; jedoch im Laufe des Rechtsstreites nur einmal und höchstens auf ein Jahr. – Die richterliche Anordnung eines Interimistikum auf Grund des § 627 ZPO ist hier nicht zulässig. 715 Die Durchführung dieses Grundgedankens erheischt auch das Verbot jedes polizeilichen Zwanges. Darum sind auch Landesgesetze, die polizeiliche Zwangsmaßregeln vorsehen, nichtig. Vgl. Dernburg § 3 Anm. 9, Planck Vorbem. 5; a.M. Matthiaß § 229 I Anm. 5, Opet S. 39. Die Meckl. AV zum BGB (Schw. § 208, Str. § 206) haben die früheren Bestimmungen über zulässigen Polizeizwang ausdrücklich aufgehoben. – Auch die vertragsmäßige Sicherung der Erfüllung durch Ausbedingung von Vermögensnachteilen ist ausgeschlossen; Wolff § 31 VII 3. – Ebenso kann auf Ersatz des durch Verletzung der Gemeinschaftspflicht entstandenen Vermögensschadens auf Grund des ehelichen Verhältnisses nicht geklagt werden; RGer b. Seuff. LXI Nr. 38. Doch bleibt ein Ersatzanspruch aus einem selbständigen deliktischen Tatbestande (z. B. auch aus § 826) möglich. 716 Im Falle des § 1567 Nr. 1 Davon unten § 249 IV. 711 712
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Schutze der Gemeinschaft erforderlichen, vom Gesetze vorgesehenen Maßregeln zu treffen717. Die richterlichen Verfügungen können in das eheliche Gemeinschaftsverhältniß gestaltend eingreifen und einen mittelbaren oder unmittelbaren Rechtszwang einschließen718. Die Zwangsvollstreckung wegen vermögensrechtlicher Ansprüche aus der Gemeinschaft schließt im Verhältniß der Ehegatten zu einander das Gesetzbuch während der Ehe regelmäßig aus719, macht aber davon eine Reihe wichtiger Ausnahmen720. VI. Räumliche Anwendung Ueber die personenrechtlichen Ehewirkungen entscheidet das jeweilige Personalstatut der Ehegatten721. Das deutsche Recht gilt demgemäß für deutsche Ehegatten auch dann, wenn sie ihren Wohnsitz im Auslande haben; kraft besonderer Bestimmung soll jedoch das deutsche Recht auch Anwendung finden, wenn zwar der Mann die Reichsangehörigkeit verloren, die Frau sie aber behalten hat722. Aus717 Schweiz. ZGB a. 169. Ueber die Voraussetzungen der Anrufung des Richters, die denen der deutschen Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens im Wesentlichen entsprechen, vgl. Egger Bem. 2, Gmür Bem. III 3 – 5; über die richterliche Mahnung, die dem deutschen Sühneversuch (oben Anm. 713) entspricht. Egger Bem. 3; über die Maßregeln, die der Richter behufs Erhaltung der Gemeinschaft und zum Schutz des verlassenen Ehegatten und der Kinder treffen soll und kann, Egger Bem. 4; über das Verfahren Egger Bem. 5, Gmür Bem. IV. 718 Vgl. Egger zu a. 169 Bem. 5 c. Besonders ausgesprochen ist in a. 170, daß der Richter im Falle berechtigter Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes auf Begehren eines Ehegatten (oben Anm. 579) die Unterhaltsbeiträge festzusetzen hat, und in a. 171, daß der Richter, wenn der Ehemann die Sorge für Weib und Kind vernachlässigt, bei jedem Güterstande die Schuldner der Ehegatten anweisen kann, ihre Zahlungen ganz oder teilweise an die Ehefrau zu leisten. Der Richter kann aber auch auf Begehren eines Ehegatten das Getrenntleben gestatten, die Schlüsselgewalt der Frau wiederherstellen (oben Anm. 688), die Frau zur Berufsausübung gemäß a. 167 ermächtigen, den vormundschaftlichen Kinderschutz veranlassen usw. – Alle richterlichen Verfügungen sind auf Begehren eines Ehegatten wieder aufzuheben, sobald ihr Grund weggefallen ist. 719 Schweiz. ZGB a. 173. Bei jedem Güterstande. Unbedingt ist die Verhängung von Ehrenfolgen der fruchtlosen Pfändung oder des Konkurs, wenn ein Ehegatte gegenüber dem anderen zu Verlust gekommen ist. 720 Nach a. 174 ist im Falle der Schuldbeitreibung seitens eines Dritten gegen einen Ehegatten der andere Ehegatte zur Anschlußpfändung oder Konkursbeteiligung befugt. Die Gläubigen eines erfolglos gepfändeten oder in Konkurs geratenen Ehegatten können sich nach a. 175 an dessen Ansprüche gegen den anderen Ehegatten halten. Unbeschränkt zulässig ist nach a. 176 die Zwangsvollstreckung zur Durchführung der durch Gesetz oder Urteil angeordneten Gütertrennung und wegen der richterlich auferlegten Beiträge. 721 Vgl. oben Bd. I 236 Anm. 88 – 90; dazu Zitelmann IPR II 669 ff. – Dies gilt auch für die unabhängig vom ehelichen Güterstande eintretenden vermögensrechtlichen Ausflüsse der ehelichen Verbundenheit (unten § 245), insbesondere die Unterhaltspflicht, die vermögensrechtlichen Wirkungen der Schlüsselgewalt, die Eigentumsvermutungen. Vgl. Niedner zu EG zum BGB a. 14 Bem. 4, Niemeyer, Internationales Privatrecht des BGB, 190l S. 144; Staudinger Bem. II B; Planck Bem. 5 (der aber bezüglich des § 1362 BGB abweicht).
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
ländische Ehegatten werden auch bei uns nach ihrem jeweiligen Personalstatut beurteilt723. VII. Zeitliche Anwendung Die personenrechtlichen Wirkungen der Ehe richten sich anerkannter Maßen nach dem jeweiligen Recht, so daß mit dem Inkrafttreten des BGB in dieser Hinsicht die Vorschriften des neuen Rechts auch für ältere Ehen sofort Kraft erlangt haben724. Eine Ausnahme hiervon bildet die Bestimmung, nach der die Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit der Frau durch das frühere Recht für die Dauer des Fortbestandes eines bisherigen Güterstandes auch insoweit in Kraft geblieben sind, als sie nicht Folge dieses Güterstandes, sondern allgemein Folge der Ehe waren725.
722 EG zum BGB a. 14. Dagegen nicht, wenn entweder der Mann oder die Frau niemals die Reichsangehörigkeit erworben, auch nicht, wenn nur die Frau die Reichsangehörigkeit verloren hat. Für ein ehemals deutsches Ehepaar, das zur Zeit keinem Staate angehört, kann das deutsche Recht nach a. 29 anwendbar sein. 723 RGer. LXII Nr. 96 (gegen Rspr. d. OLG IX 445). Dies ist nach dem Haager Abkommen über die Ehewirkungen v. 17. Juli 1905 (RGBI v. 1912 S. 453) a. 11 u. 91 das Gesetz der jeweiligen Staatsangehörigkeit. Bei Angehörigen anderer Staaten aber möglicherweise die lex domicilii. – Streitig ist, wie es sich verhält, wenn die Ehegatten verschiedenen Staaten angehören. Es liegt kein Grund vor, die früher herrschende Meinung, daß das Peronalstatut des Ehemannes maßgebend sei (oben Bd. I 236 Anm. 90), für das heutige Recht (von der im EG a. 142 gemachten Ausnahme abgesehen) aufzugeben; Niemeyer a. a. O. S. 143. Doch wird jetzt überwiegend gelehrt, daß nur solche Rechte geltend gemacht werden können, die nach beiden Personalstatuten begründet sind; Niedner zu a. 14 Bem. 3 c, Planck Bem. 1, Staudinger Bem. III 1. Nach dem Haager Abk. a. 92 gilt bei Zweiung während der Ehe ihr letztes gemeinsames Gesetz als das Gesetz ihres Heimatsstaates. Selbstverständlich findet die Anwendung des fremden Rechts ihre Schranke am EG a. 30. Daraus ergiebt sich insbesondere, daß vom fremden Recht zugelassene, dem deutschen Recht jedoch unbekannte Zwangsmittel zur Erfüllung der persönlichen Verpflichtungen ausgeschlossen sind. Im Haager Abkommen a. 1 Abs. 2 ist dies allgemein bestimmt. Vgl. Wolff § 39 B. 724 Oben Bd. I 202 Anm. 12; EG zum BGB a. 199. Dies gilt auch hier zugleich für die vermögensrechtlichen Ausflüsse der personenrechtlichen Verbundenheit, was hinsichtlich der Unterhaltsansprüche in a. 199 besonders hervorgehoben ist, aber allgemein in dem oben Anm. 721 bezeichneten Umfange angenommen werden muß; vgl. Niedner zu a. 199 Bem. 2, Staudinger Bem. 2, Habicht § 47. Wieruszowski I 168 ff., auch Planck Bem. 2 (der aber wieder die Eigentumsvermutungen ausnimmt). 725 EG zum BGB a. 2003. Die Bestimmung hat durch die landesrechtlichen Ueberleitungsgesetze fast jede praktische Bedeutung verloren.
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§ 245. Allgemeine Ehewirkungen vermögensrechtlichen Inhalts I. Ueberhaupt Die personenrechtliche Verbundenheit der Ehegatten erzeugt unmittelbar gewisse vermögensrechtliche Wirkungen, die unabhängig vom ehelichen Güterstande eintreten und daher nicht gleich diesen vertragsmäßig abänderlich, sondern rechtsnotwendig und dem Parteibelieben entzogen sind726. Dahin gehört das römischrechtliche Verbot der Schenkungen unter Ehegatten, das ins gemeine Recht aufgenommen und in vielen Partikularrechten aufrecht erhalten wurde727, vom deutschen Rechtsbewußtsein aber stets als fremdartig empfunden wurde und nach dem Vorgange anderer Gesetzbücher vom BGB beseitigt ist728. Das BGB behandelt als allgemeine vermögensrechtliche Wirkungen des Ehebandes die gegenseitige Unterhaltspflicht, bestimmte Eigentumsvermutungen und das Ehegattenerbrecht. Außerdem entspringen, wie wir gesehen haben, der personenrechtlichen Stellung der Frau im Hauswesen zugleich vermögensrechtliche Folgen729. 726 Sie richten sich darum auch, wie soeben § 244 Anm. 721 u. 724 bemerkt ist, nach dem jeweiligen Personalstatut der Ehegatten und dem jeweils herrschenden Recht. 727 Ueber das römische Recht (Dig. 24, 1, Cod. 5, 16) vgl. Windscheid § 509 u. die dort angef. reiche Literatur. Ueber die Aufnahme in Deutschland Stobbe § 290, 5. Seine Behauptung, die römischen Grundsätze – Nichtigkeit der Schenkung, jedoch Konvaleszenz durch den Tod des Schenkers, wenn dieser nicht widerrufen hat – entsprächen dem Satze des Sachsensp. I 31 § 2 – ist irrig. Allein die gemeinrechtliche Praxis brachte überall und insbesondere auch in den Gebieten des Sachsenrechts die römischen Sätze zur Anwendung. So auch RGer V Nr. 39, XVI Nr. 25, XXIV Nr. 35, XXXIII Nr. 35, Seuff. LII Nr. 242. Von Partikularrechten vgl. Worms. Ref. IV, 2 t. 8, Henneb. LO III, 2, 4 Abs. 1, Bayr. LR I, 6 § 31 u. bes. noch Sächs. Gb. §§ 1647 – 1649. 728 Vgl. schon Nürnb. Ref. v. 1564 XXVIII, 2, Revid. Lüb. R. I, 6, 2, Frankf. Ref. III, 5, Lüneb. Ref. III, 5, Preuß. ALR II, 1 §§ 310 – 311, Oest. Gb. § 1246, Oldenb. G. v. 24. Apr. 1873 a. 37. 729 Vgl. oben § 244 IV, insbesondere Anm. 650 – 651 u. über die Schlüsselgewalt Anm. 660 – 662, 664. Auch das ehemännliche Kündigungsrecht aus § 1358 und dessen Wegfall durch Zustimmung greift ins Vermögensrecht ein. Ferner gilt die Ermässigung der Sorgfaltspflicht unter Ehegatten durch § 1359 so gut in Vermögensangelegenheiten wie hinsichtlich der persönlichen Beziehungen. Dagegen hat die ehemännliche Einwilligung in den selbständigen Gewerbebetrieb der Frau oder ihre Versagung nicht mehr, wie nach HGB a. 8, allgemeine, sondern nur noch dem ehelichen Güterrecht angehörige vermögensrechtliche Wirkung. – Im früheren Recht lösten alle ehepersonenrechtlichen Bestimmungen, die ehemännliche Vormundschaft, beschränkte Handlungsfähigkeit der Ehefrau, beiderseitige Vertretungsmacht oder Haftung festsetzten, zugleich allgemeine vermögensrechtliche Wirkungen aus. In erheblichem Umfange kennt das Schweiz.ZGB vom ehelichen Güterstande unabhängige vermögensrechtliche Wirkungen der ehelichen Gemeinschaft; vgl. a. 1601, 1622, 1632, 166, 167, 1703, 171, 174 – 175, 1773.
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II. Unterhaltspflicht Aus dem organischen Wesen der Ehe, demzufolge nach deutscher Anschauung der Mann normalerweise Weib und Kind zu ernähren, die Frau aber dazu Beihilfe zu leisten und im Notfalle anstatt seiner für die Familie zu sorgen hat, folgt im Verhältniß der Ehegatten zu einander eine primäre Rechtspflicht des Mannes zum Unterhalt der Frau730 und eine sekundäre Rechtspflicht der Frau zum Unterhalt des Mannes731. Das BGB regelt diese gegenseitige Unterhaltspflicht durch genaue Bestimmungen732. 1. Sie ist ihrem rechtlichen Wesen nach ein Schuldverhältniß, jedoch ein unmittelbar aus dem Familienpersonenrecht entspringendes und daher unselbständiges Schuldverhältniß733. In dieser Hinsicht teilt sie die allgemeinen Eigenschaften der Unterhaltspflicht aus Verwandtschaft734. Auch ihr Inhalt entspricht dem Inhalt der verwandtschaftlichen Unterhaltspflicht735. 2. Der Mann schuldet grundsätzlich der Frau, mag sie bedürftig sein oder nicht736, „nach Maßgabe seiner Lebensstellung, seines Vermögens und seiner Erwerbsfähigkeit“ Unterhalt. Er hat sie standesgemäß, mithin, da die Frau seinen Stand teilt, unabhängig von ihren früheren Verhältnissen in der seiner jeweiligen sozialen Stellung entsprechenden Weise zu unterhalten737. Die hierzu erforderli730 Sie war im gemeinen Recht gewohnheitsrechtlich anerkannt; vgl. Glück XXIV 382; Seuff. XLII Nr. 306; LXI Nr. 112, RGer XXX Nr. 39. Ausdrücklich im Bayr. LR I, 6 § 12 Nr. 7, Preuß. LR II, 1 §§ 184 – 187, Code civ. a. 214, Oesterr. Gb. § 91, Sächs. Gb § 1634, Schweiz ZGB a. 1602 („in gebührender Weise“). 731 Sie war (obschon nicht unbestritten) gemeinrechtlich begründet; Glück a. a. O. S. 392, Roth, Deut. PR II 17, Seuff. XXVII Nr. 267. Ausdrücklich ausgesprochen ist sie im Bayr. LR a. a. O., Sächs. Gb § 1637, Oldenb. G. v. 24. Apr. 1873 a. 33. Für das preuß. LR war Streit, nach richtiger Ansicht aber die Unterhaltspflicht anzuerkennen; Dernburg, Preuß. PR 4III 82 Anm. 9 – 10. Auch für das Schweiz. ZGB ist Gleiches anzunehmen; vgl. Egger zu a. 161 Bem. 6, Gmür zu a. 160 Bem. IV 3 u. a. 161 Bem. III 2. 732 BGB §§ 1360 – 1361. Darüber sehr eingehend Wieruszowski I 55 – 134. Vgl. ferner bes. Hörle, Arch. f. b. R. XXXI 160 ff., Endemann § 169b, Dernburg § 35, Wolff § 32. 733 Oben Bd. III 54 ff. – Ihre konkrete praktische Bedeutung hängt vom ehelichen Güterstande ab und ist daher im ehelichen Güterrecht zu behandeln. 734 Das BGB verweist mehrfach auf entsprechende Anwendung der für die Unterhaltspflicht aus Verwandtschaft geltenden Vorschriften. Von diesen ist später im Einzelnen zu handeln. Auch das Rangverhältniß zwischen den Ansprüchen des Ehegatten und der Verwandten ist dort zu besprechen. 735 Sie umfaßt also den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten ärztlicher Behandlung, einer Erholungsreise (Rspr. d.OLG XVIII), auch nach § 16152 mit § 13602 der Beerdigung. Dagegen nicht, wie nach früherem Recht (Preuß. LR § 187, Seuff. XLIX Nr. 38) Prozeßkosten, über deren Tragung das BGB Sondervorschriften im ehelichen Güterrecht trifft; RGer XLVI Nr. 97. 736 Daß der Unterhaltsanspruch der Frau keine Bedürftigkeit voraussetzt, unterscheidet ihn von allen anderen Unterhaltsansprüchen (§ 16021). 737 Der standesgemäße Unterhalt (vgl. § 16101) kann natürlich durch Leistungsunfähigkeit tatsächlich auf ein niedrigeres Niveau herabgedrückt werden. Dagegen ist ein Recht, den
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chen Mittel hat er aufzubringen; er muß dazu nicht nur die Erträge seines Vermögens verwenden, sondern nötigenfalls auch den Vermögensstamm angreifen, im Uebrigen aber nach Kräften durch Arbeit ausreichenden Erwerb beschaffen. Seine Verpflichtung wird keineswegs durch die Rücksicht auf den eigenen Unterhalt begrenzt; vielmehr muß er, was er hat oder erwirbt, mit der Frau teilen, wenn auch seine eignen Bedürfnisse darunter leiden738. 3. Die Frau hat ausnahmsweise dem Mann Unterhalt zu gewähren, wenn oder soweit dieser außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Ihre Verpflichtung ist also subsidiärer Natur und tritt nur im Falle der Bedürftigkeit des Mannes ein739. Im Uebrigen ist sie der Verpflichtung des Mannes gleichartig. Auch sie richtet sich nach der Lebensstellung des Mannes740. Auch die Frau schuldet die Gewährung des Unterhalts nach Maßgabe ihres Vermögens und ihrer Erwerbsfähigkeit741. Auch ihre Unterhaltspflicht tritt ohne Rücksicht auf das eigne Bedürfniß ein. 4. Der eheliche Unterhalt ist in der durch die eheliche Lebensgemeinschaft gebotenen Weise zu gewähren. Hier gilt somit nicht die im BGB für die Unterhaltspflicht aus Verwandtschaft durchgeführte Regel, daß der Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren ist und jede andere Art der Gewährung ein Surrogat der Geldrente bildet. Vielmehr ist normale Erfüllungsart die Befriedigung des Lebensbedarfes durch die Gewährung von Wohnung und Kost und der sonst erforderlichen Natural- oder Geldleistungen im gemeinschaftlichen Hauswesen, während die Zahlung einer Geldrente nur ausnahmsweise als Ersatz dafür eintritt. 5. Durch Getrenntleben der Ehegatten wird die gegenseitige Unterhaltspflicht nicht beseitigt742. In Bezug auf die Art und Weise ihrer Erfüllung aber treten notwendig Abwandlungen ein. anderen Ehegatten wegen verschuldeter Bedürftigkeit auf notdürftigen Unterhalt einzuschränken, hier nicht, wie in § 1611, anerkannt und mit dem Wesen der ehelichen Gemeinschaft unvereinbar; vgl. RGer u. JWSchr 1905 S. 203 Nr. 7. Doch macht das BGB eine bedenkliche Ausnahme, indem nach § 16112 mit § 2335 der Ehegatte dem anderen Ehegatten dann, wenn er gegen ihn auf Scheidung klagen könnte, nur notdürftigen Unterhalt zu gewähren braucht; vgl. über die möglichen unangemessenen Folgen Dernburg § 35 Anm. 9. 738 Die Vorschrift des § 1603 ist also unanwendbar. 739 Ob der Mann sein Unvermögen verschuldet hat, kommt nicht in Betracht. 740 Doch braucht auch die Frau, wenn sie auf Scheidung klagen könnte, dem Manne nur notdürftigen Unterhalt zu gewähren (oben Anm. 737). 741 Auch sie muß erforderlichen Falls, obschon erst nach Erschöpfung des ehemännlichen Vermögens, ihren Vermögensstamm angreifen. Und auch sie muß, wenn der Mann arbeitsunfähig ist oder sein Arbeitserwerb nicht ausreicht, nach Kräften Arbeitsverdienst suchen, um die Mittel zum Familienunterhalt zu beschaffen. Ist die Frau minderjährig und besteht an ihrem Vermögen, weil sie ohne elterliche Einwilligung geheiratet hat, elterliche Nutznießung (§ 1661), so bleibt nach der in § 13603 vorgeschriebenen, lediglich auf diesen Fall passenden entsprechenden Anwendung des § 1605 die elterliche Nutznießung außer Betracht. Die Nutzungen sind also für den Unterhalt des Mannes verwendbar.
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Das BGB trifft Sonderbestimmungen für den Fall, daß einer der Ehegatten befugter Weise die Herstellung des ehelichen Lebens verweigert743. So lange dieser Zustand dauert, ist der Unterhalt durch Entrichtung einer vierteljährlich vorauszuzahlenden Geldrente zu gewähren744. Außerdem hat der Mann der Frau die zur Führung eines abgesonderten Haushaltes erforderlichen Sachen aus dem gemeinsamen Haushalt zum Gebrauch herauszugeben, es müßten denn diese Sachen für ihn selbst unentbehrlich oder solche Sachen in dem der Verfügung der Frau unterliegenden Vermögen befindlich sein745. Im Uebrigen bleiben an sich die für Unterhaltspflicht unter Ehegatten im Allgemeinen geltenden Regeln maßgebend746. Doch fällt die Unterhaltspflicht des Mannes überhaupt weg oder beschränkt sich auf die Leistung eines Beitrages, insoweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Ehegatten der Billigkeit entspricht747. Diese Sonderbestimmungen sind auf andere Fälle des Getrenntlebens nicht anwendbar748. Indessen ergiebt es sich aus der Natur der Sache, daß stets, so lange es an einer häuslichen Gemeinschaft fehlt, der unterhaltspflichtige Ehegatte seine 742 Seuff. LVI Nr. 177. Vgl. für das gem. R. Seuff. XL Nr. 211, XLII Nr. 306, XLVII Nr. 203, LXI Nr. 112, RGer XXX Nr. 39; für das preuß. R. RGer XVII Nr. 50; für das französ. R. RGer XXX Nr. 92. 743 BGB § 1361. Gleichgültig ist, ob die Verweigerung seitens des unterhaltsberechtigten oder des unterhaltsverpflichteten Ehegatten erfolgt. Vorherige vergebliche Aufforderung zur Herstellung der Gemeinschaft ist nicht erforderlich. – Das Schweiz. ZGB a. 1703 überträgt in allen Fällen berechtigter Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes dem Richter die Festsetzung der von dem einen Ehegatten an den anderen zu leistenden Unterhaltsbeiträge. 744 Daß der an sich fortbestehende Anspruch des Mannes auf Verwaltung und Nutznießung des Frauenguts sich auf diese Rente nicht erstreckt, ist selbstverständlich; RGer XC Nr. 83. 745 Gehören die Sachen dem Manne, so erlangt die Frau nur ein Gebrauchsrecht; aber auch wenn die herauszugebenden Sachen zum Eingebrachten der Frau gehören, behält der Mann an ihnen sein dingliches Recht, soweit es sich nicht im Gebrauch erschöpft, insbesondere den eventuellen Anspruch auf Wiederherausgabe. Ein Selbsthülferecht hat die Frau nicht; RGer b. Seuff. LXVI Nr. 54. 746 So namentlich für die Bestimmung des Maßes der Geldrente § 13601 – 2 u. § 16112. Unsittliche Lebensführung des berechtigten Ehegatten ist auch hier einflußlos. 747 So z. B. wenn er vom Vermögen der Frau nichts oder wenig in Händen hat, die Frau aber großes Vorbehaltsgut besitzt oder reichlich verdient; muß er doch auch die Tätigkeit der Frau im Hause entbehren. – Die Frau hat kein entsprechendes Recht; sie muß den bedürftigen Mann auch dann ernähren, wenn dies in Folge seines Verhaltens als durchaus unbillig erscheint. 748 Während eines Scheidungs-, Nichtigkeits- oder Anfechtungsprozesses kann durch einstweilige Verfügung zugleich mit der Gestattung des Getrenntlebens die gegenseitige Unterhaltspflicht nach Maßgabe des § 1361 geordnet werden; ZPO § 627. Geschieht dies nicht, so ist beim gestatteten oder an sich begründeten Getrenntleben die gesetzliche Regel des § 1361 unmittelbar, sonst nur § 1360 anwendbar. – Der Unterhaltsanspruch kann auch während des Scheidungsprozesses im Wege der ordentlichen Klage geltend gemacht werden; RGer XLVII Nr. 94.
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Verpflichtung durch eine den Umständen nach zum Ersatz des Unterhaltes im Hause geeignete fortlaufende Geldzahlung zu erfüllen hat749. Dies gilt insbesondere auch, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte die Herstellung der ehelichen Gemeinschaft verlangt, der andere Teil sie aber verweigert750. 6. Der Unterhaltsanspruch der Ehegatten ist höchstpersönlicher Natur, daher unpfändbar und unübertragbar751. Er unterliegt hinsichtlich der Geltendmachung von Ansprüchen für die Vergangenheit, der Unwirksamkeit von Verzichten für die Zukunft und den Vorausleistungen und des Erlöschens durch den Tod eines Teiles den gleichen Vorschriften, wie der Unterhaltsanspruch aus Verwandtschaft752. Das Urteil ist vollstreckbar, der Anspruch sogar mit bestimmten Vollstreckungsvorrechten ausgestattet753.
749 So z. B., wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte sich im Gefängnis, im Irrenhause oder in einer Heilanstalt befindet; vgl. Motive IV 121, Schmidt zu § 1360 Bem. 4. Aber auch bei grundloser freiwilliger Trennung kann der unterhaltsberechtigte Ehegatte auf Gewährung des Unterhaltes in Geld klagen und muß nur, wenn der andere Ehegatte die Wiedervereinigung verlangt, sich auf Unterhalt im Hause verweisen lassen. Wünscht auch dieser die Fortdauer des Getrenntlebens, so muß er eben den Unterhalt in Geld gewähren. Denn § 13603 schließt die durch anomale Umstände gebotene Unterhaltsgewährung durch Geldzahlung keineswegs aus; nur die Sondervorschriften des § 1361 mit ihrer festen Ordnung der Geldrente sind unanwendbar. Unhaltbar ist die Ansicht von Planck, Bem. 5 zu 1361, u.A., die Unterhaltspflicht falle beim Fehlen häuslicher Gemeinschaft außer dem Falle des § 1361 überhaupt weg; dies widerspricht der allgemeinen Fassung von § 13601 – 2. 750 Die unmittelbare Anwendung von § 1361, wie sie Davidson, DJZ 1901, S. 91, u. RGer JWSchr 1902 Beil. 215 für zulässig halten, ist freilich ausgeschlossen. Einer entsprechenden Anwendung von 1361, wie sie Joerges S. 145 ff., Wolff § 32 Anm. 8, Rspr. d. OLG II 331, XII 300, 301, XXVI 217 wollen, bedarf es nicht. Vielmehr genügt nach dem in der vor. Anm. Gesagten die Anwendung von § 1360, die regelmäßig die Zuerkennung einer Geldrente zur Folge haben wird; Rspr. d. OLG II 75, 385, Seuff. LXI Nr. 178. Abwegig ist die Herleitung der Rentenpflicht aus einer Schadensersatzpflicht bei Planck Bem. 5, mit Modifikationen auch bei Eccius, DJZ 190l S. 110, Rspr. d. OLG II 368, XV 399. Denn eine Schadensersatzpflicht wegen Gemeinschaftsverweigerung besteht überhaupt nicht; oben § 244 Anm. 715. Noch weniger darf man mit Staudinger Bem. 4 d zu § 1360 den Unterhaltsberechtigten auf die Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens verweisen, da diese Klage nicht auf Erfüllung der Unterhaltsansprüche geht; oben § 244 Anm. 693, 704 a.E. Vielmehr kann der Berechtigte stets im ordentlichen Zivilprozeß auf Unterhalt klagen, ohne vorher oder gleichzeitig auf Herstellung des ehelichen Lebens klagen zu müssen. 751 ZPO § 8501 Z. 2; BGB § 400, 12742. 752 Gemäß der in § 13603 enthaltenen Verweisung auf die §§ 1613 – 1615, von denen später zu handeln ist. Auch ein entgeltlicher Verzicht bindet für die Zukunft nicht; RGer JWSchr 1905 S. 682. Soweit ein Verzicht nicht vorliegt, ist eine vom Gesetz abweichende Regelung der Art der Unterhaltsgewährung durch Vertrag oder Prozeßvergleich für den Fall und die Dauer des Getrenntlebens (z. B. auch die Festsetzung der Höhe der Rente) zulässig; vgl. RGer b. Gruchot L 378 ff., Seuff. LXVII Nr. 38. Dagegen muß jede Vereinbarung über die Unterhaltsgewährung im Falle der häuslichen Gemeinschaft (z. B. durch Ausbedingung einer bestimmten Geldrente) als nichtig erachtet werden; RGer LXI Nr. 13. 753 Ließe man die Geltendmachung des Anspruchs im Verfahren für Ehesachen zu, so würde das Urteil unvollstreckbar sein. Schon darum ist ausschließlich die Verfolgung des
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
III. Eigentumsvermutungen Unabhängig vom ehelichen Güterstande bewirkt die eheliche Gemeinschaft nach dem BGB zwei verschieden geartete Eigentumsvermutungen754. 1. Für Eigentum des Mannes spricht eine Vermutung hinsichtlich der im Besitz eines der Ehegatten oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen. Diese Vermutung entspricht dem im gemeinen Recht auf Grund der römischen praesumtio Muciana entwickelten und in Partikularrechten anerkannten früheren Recht755. Sie gilt jedoch nur zu Gunsten der Gläubiger, nicht mehr, wie bisher, im Verhältniß der Ehegatten zu einander756. Die Vermutung erstreckt sich auf alle beweglichen Sachen einschließlich des Geldes und der Inhaberpapiere und der in blanco indossierten Orderpapiere. Sie wirkt zu Gunsten der Gläubiger des Mannes, nicht aber des Mannes selbst757, und kehrt sich gegen die Frau758 und jeden Dritten, der den Gläubigern gegenüber das Eigentum des Mannes bestreitet759. Voraussetzung für Anspruchs im ordentlichen Verfahren als zulässig zu erachten. Vollstreckungsprivilegien ergeben sich aus ZPO § 8504, Lohnbeschlagnahmeges. § 4 Z. 3. 754 BGB § 1362. Vgl. die Komm. v. Planck, Staudinger, Schmidt; Wieruszowski I 134 – 168; L. Seuffert b. Gruchot XLIII 144 ff.; Endemann § 169 Z. 6, Dernburg § 36; Cosack § 320 II 4 – 5; Crome § 563; Wolff § 44. – Die praktische Bedeutung ist je nach dem Güterstande ungleich; sie ist bei der Verwaltungsgemeinschaft und der Gütertrennung am entscheidensten, fehlt aber auch nicht bei den Gütergemeinschaften. 755 Vgl. über die römische praesumtio Muciana (1.51 D. 24, 1, 1.6 C. 5, 16) und ihre gemeinrechtliche Verallgemeinerung Tenge, Arch. f. z. Pr. XLV 305 ff., Windscheid, Pand. § 509, Dernburg, Pand. III § 12. Dazu Bayr. LR I, 6 § 23 Nr. 1, Sächs. Gb. § 1656. Für das Preuß. R. wurde sie in Theorie und Praxis aus § 544 ALR II, 1 hergeleitet; Korn in Behrends Z. f. d. deut. Gesetzg. VII 382 ff., Förster-Eccius IV § 208 Anm. 37, Dernburg, Preuß. PR § 27. 756 Entw. I-III hielten an der Vermutung zu Gunsten des Mannes fest. Nach dem BGB muß der Mann, wenn er Eigentum gegenüber der Frau in Anspruch nimmt, sein Eigentum beweisen; ist er Alleinbesitzer, so kommt ihm, ist aber die Frau Alleinbesitzerin, so kommt ihr die Vermutung aus § l006 zu Statten. Auch der Erbe oder Sondernachfolger des Mannes genießt nicht die Beweisvorteile aus § 1362; hat daher der Mann einen Herausgabeanspruch gegen die Frau an einen Dritten abgetreten, so kann dieser, auch wenn er zugleich Gläubiger des Mannes ist, die Vermutung aus § 1362 nicht anrufen, er müßte denn im Wege der Zwangsvollstreckung gegen den Mann die Pfändung und Ueberweisung des Herausgabeanspruchs erlangt haben; Wieruszowski S. 151 ff., Neumann zu § 1362 II 1, Planck Bem. 2, unten Anm. 762. Auch die Gläubiger der Frau können sich, wenn dies einmal für sie vorteilhaft wäre, nicht auf die Vermutung aus § 1362 berufen; RGer b. Seuff. LXXI Nr. 17. 757 Der Mann kann sich weder der Frau (Anm. 756) noch ihren Gläubigern gegenüber auf § 1362 berufen. Ebensowenig aber seinen Schuldnern gegenüber. 758 Die Frau kann daher den Gläubigern ihres Mannes gegenüber bei Geltendmachung ihres Eigentums oder dinglichen Rechts an den in ihrem Besitz befindlichen Sachen niemals die Vermutung aus § 1006 anrufen. Ebensowenig ihr Erbe oder ihr Gläubiger. 759 Der Dritte, der den Zugriff der Mannesgläubiger auf eine im Besitz eines Ehegatten befindliche Sache durch den Nachweis seines Eigentums oder dinglichen Rechts an der Sache abwehren will, muß also zunächst die Vermutung aus § 1362 aus dem Wege räumen. Doch greift nach Analogie des § l006 (oben Bd. II 260 Anm. 60 – 61) die Vermutung aus
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den Eintritt der Vermutung ist lediglich, daß einer der Ehegatten sich im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der Sache befindet760. Ob die Sachen sich im gemeinsamen Haushalt befinden, ist materiellrechtlich gleichgültig761. Nur prozeßrechtlich ist der Zugriff der Gläubiger des Mannes auf solche Sachen erschwert, an denen die Frau allein Gewahrsam hat, weil sie vom Mann getrennt lebt und einen gesonderten Haushalt führt oder weil sie etwa als selbständige Gewerbetreibende in einem gesonderten Geschäftsraum Sachen besitzt762. Somit kann insbesondere die Frau die ihr gehörigen Sachen vor dem Zugriff der Gläubiger des Mannes im Wege der Pfändung nur schützen, wenn sie die für das Eigentum des Mannes sprechende Vermutung durch Nachweis ihres Eigentums widerlegt763. Eine noch schärfere Vermutung gilt zu Gunsten der Konkursgläubiger im Konkurse des Mannes, indem ihnen gegenüber die Frau hinsichtlich der von ihr während der Ehe erworbenen Gegenstände ein Aussonderungsrecht nur geltend machen kann, wenn sie beweist, daß sie dieselben nicht mit den Mitteln des Mannes erworben hat764.
§ 1362 zu Ungunsten der Dritten nicht durch, wenn dieser nachweist, daß ihm die Sache abhanden gekommen war und es sich nicht etwa um Geld oder ein Inhaberpapier handelt. 760 Ist ein Dritter unmittelbarer Besitzer, so kann der Gläubiger dem mittelbar besitzenden Ehegatten gegenüber sich auf § 1362 berufen. So im Falle der Verpfändung, aber auch der Sicherungsübereignung durch den Ehemann; RGer LXXX Nr. 15. Ist ein Ehegatte zwar unmittelbarer, aber nur Nutzungsbesitzer, so kann der Gläubiger sich auf § 1362 stützen, wenn er ein entsprechendes dingliches Recht (Nießbrauch, Pfandrecht, Eigentumsanwartschaft) des Mannes an der Sache behauptet (nach Analogie des § l006, vgl. oben Bd. II 260); Wolff S. 165. 761 Das Sächs. Gb. § 1656 schränkte die Vermutung auf bewegliche Sachen „in der Wohnung des Ehemannes“ ein. Nach dem BGB gilt die Vermutung auch für Sachen, die sich in der Wohnung der getrennt lebenden Frau oder in einem von der Wohnung des Mannes abgesonderten Geschäftsraum befinden. So auch für die nach § 1361 herausgegebenen Haushaltssachen (oben Anm. 745). 762 Denn nach ZPO §§ 808 – 809 kann der Gläubiger die im alleinigen Gewahrsam der Frau befindliche Sache nur pfänden, wenn sie einwilligt oder ihr von der Eigentumsfrage unabhängiges Recht zum Besitz durch Ueberweisung des Herausgabeanspruchs auf Grund eines gegen den Mann vollstreckbaren Titels nach ZPO § 846 überwunden ist. Vgl. L. Seuffert a. a. O S. 144 ff., Francke, Z. f. ZPr XXIX 86 ff., Endemann § 169 Anm. 51 – 52, Dernburg § 36 II, Staudinger zu § 1362 Bem. 8. 763 In den Beweismitteln ist sie (abweichend von manchen früheren Rechten, die Beweisführung durch ein Inventar verlangten) unbeschränkt; vgl. Motive IV 130 ff. Zu beachten ist, daß die Vermutung für Fortdauer des einmal erworbenen Eigentums durch § 1362 nicht außer Kraft gesetzt ist (so wenig wie durch § 1006). Weist also die Frau nach, daß sie durch vorehelichen Besitzerwerb oder (z. B. durch Erbgang oder Rechtsgeschäft) während der Ehe das Eigentum erworben hat, so trifft den Gläubiger die Beweislast, wenn er nachträglichen Uebergang des Eigentums auf den Mann behauptet. Vgl. Wolff § 44 I 3; auch RGer b. Seuff. LXII Nr. 210, Rspr. d. OLG XII 383. 764 KO § 45. Vgl. Jäger3 – 4 S. 534 ff., Wieruszowski S. 163 ff., Dernburg § 36 IV, Planck zu § 1362 Bem. 8. Steht also Erwerb während der Ehe fest, so muß die Frau nach Widerlegung der Vermutung aus § 1362 noch weiter beweisen, daß sie das Eigentum aus eigenen Mitteln oder mit den Mitteln eines anderen als des Ehemannes erworben hat. Die Beweislast aber dafür, daß die Erwerbszeit in die Ehe fällt, trifft den Konkursverwalter; Jäger Bem. 6. –
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
2. Für Eigentum der Frau spricht eine Vermutung hinsichtlich der ausschließlich für ihren persönlichen Gebrauch bestimmten Sachen, insbesondere Kleider, Schmucksachen und Arbeitsgeräte765. Auch diese Vermutung erstreckt sich auf bewegliche Sachen, die sich im Besitz beider Ehegatten oder eines der Ehegatten befinden766. Sie wirkt aber nicht nur im Verhältniß zu den Gläubigern767, sondern auch im Verhältniß der Ehegatten zu einander768. Im Uebrigen gelten für sie gleiche Regeln, wie für die hinsichtlich aller anderen Fahrniß aufgestellte Vermutung für das Eigentum des Mannes769. IV. Erbrecht Unabhängig vom ehelichen Güterstande ist endlich das vom BGB den Ehegatten im Falle der Auflösung der Ehe durch den Tod gewährte gesetzliche Erbrecht nebst dem aus ihm entspringenden Pflichtteilsrecht770. Es ist seinem rechtlichen Wesen nach verschieden von den erbrechtlichen Wirkungen eines bestimmten ehelichen Güterrechts771. Die Bestimmung des § 45 enthält eine Vermutung dafür, daß der Erwerb der Frau während der Ehe aus dem Vermögen des Mannes stammt. Sie schließt aber zugleich darüber hinaus den Satz ein, daß die mit den Mitteln des Mannes erworbenen Gegenstände auch dann, wenn sie der Frau gehören, in die Konkursmasse fallen. 765 BGB, § 13622; vgl. Wieruszowski S. 146 ff., Planck zu § 1362 Bem. 4 – 6, Schmidt Bem. 5 – 7, Dernburg § 36 III. Hinsichtlich dieser Sachen hat das BGB also nicht blos, wie Entw. I § 12822 in Uebereinstimmung mit Sächs. Gb. § 1656 wollte, die praesumptio Muciana ausgeschlossen, sondern eine positive umgekehrte Vermutung aufgestellt. Die Begriffsbestimmung der Sachen ist dieselbe, wie in § 1366, der sie beim gesetzlichen Güterstande für Vorbehaltsgut der Frau erklärt; vgl. unten § 260 III 1. Es genügt nicht, daß die Frau sie tatsächlich allein benutzt, sie müssen vielmehr zum ausschließlichen persönlichen Gebrauch dieser Frau bestimmt sein; so fällt z. B. das im gemeinsamen Haushalt gebrauchte Küchengerät oder eine zum Gebrauch der Gesamtfamilie bestimmte Nähmaschine (Seuff. LVII Nr. 243) nicht unter § 13612. 766 Also auch auf so geartete Sachen im Alleinbesitz des von der Frau getrennt lebenden Mannes. 767 Folgeweise gegen die Gläubiger des Mannes und zu Gunsten der Gläubiger der Frau. 768 Somit zu Gunsten der Frau oder ihrer Erben gegen den Mann und seine Erben. Insbesondere bei der Vermögensauseinandersetzung. 769 Der besitzende Mann kann also, wenn er Eigentum behauptet, sich nicht auf die Vermutung aus § l006 berufen. Das in Anm. 759 u. 760 Gesagte gilt hier in Ansehung der Geltendmachung von Rechten gegen die Frau, die in Anm. 762 erwähnten Pfändungsschranken im Falle alleinigen Gewahrsams des Mannes. Für den zur Widerlegung der Vermutung erforderlichen Gegenbeweis des Mannes oder seiner Gläubiger gilt das in Anm. 763 Bemerkte. Ein Aussonderungsrecht im Konkurse des Mannes kann die Frau auch hinsichtlich solcher Sachen, falls sie dieselben erst während der Ehe erworben hat, nur geltend machen, wenn sie nachweist, daß ihr Erwerb nicht aus Mitteln des Mannes stammt; oben Anm. 764. 770 BGB § 1931, 1932, 2335. Davon im Erbrecht. 771 Die nicht selten streitige Frage, wohin manche älteren Gesetzesbestimmungen gehören, ist praktisch namentlich im Hinblick auf a. 200 Abs. 2 S. 2 des EG zum BGB bedeutungs-
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Sechster Titel
Auflösung der Ehe § 246. Auflösung der Ehe durch den Tod I. Der Tod beendigt die Ehe Er allein ist normaler Beendigungsgrund: die Ehegatten sollen verbunden bleiben, „bis der Tod sie scheidet“. Der Tod aber trennt die durch die Ehe begründete rechtliche Gemeinschaft. Ihre personenrechtlichen wie ihre vermögensrechtlichen Wirkungen fallen für die Zukunft weg. Doch äußert die eheliche Gemeinschaft Nachwirkungen. Das den überlebenden Ehegatten mit dem verstorbenen verknüpfende enge persönliche Band hinterläßt nicht nur im Bereiche der Sittlichkeit und der Sitte unverwischbare Spuren, sondern bleibt auch für die personenrechtliche Stellung des vereinsamten Lebensgenossen bedeutungsvoll; die Witwe behält, solange nicht eine Aenderung ihres Personenstandes eintritt, den Namen, den Wohnsitz, den Stand und den Rang, die Staats- und Gemeindeangehörigkeit des Mannes772; der überlebende Ehegatte gehört nach wie vor, so weit davon Rechtsfolgen abhängen, zu den nächsten Angehörigen des Toten773. Auch die unmittelbar aus der personenrechtlichen Verbundenheit fließenden vermögensrechtlichen Ehewirkungen können die Auflösung der Ehe durch den Tod überdauern774. Das im Augenblick der Beendigung der Ehe bestehende eheliche Güterrecht bildet nicht nur die Grundlage der nachfolgenden Vermögensauseinandersetzung, sondern bleibt je nach der Beschaffenheit des Güterstandes im Falle der Auflösung der Ehe durch den Tod in verschiedenem Umfange wirksam.
voll. Denn hier ist die Fortgeltung des bisherigen Rechts für den ehelichen Güterstand einer älteren Ehe ausdrücklich auf die „erbrechtlichen Wirkungen des Güterstandes“ erstreckt, während an Stelle des vom Güterstande unabhängigen Erbrechts älterer Gesetze für alle bestehenden Ehen sofort mit dem Inkrafttreten des BGB das neue Recht getreten ist. In dem einen Falle handelt es sich eben um eine durch das dem Wandel entzogene besondere Güterrecht der einzelnen Ehe vermittelte, in dem anderen Falle um eine durch das jeweilige Gesetz allgemein geregelte unmittelbare Wirkung des personenrechtlichen Ehebandes. 772 Vgl. oben § 244 Anm. 585, 589 – 591. 773 Vgl. oben § 244 Anm. 596. 774 Vgl. hinsichtlich der Schlüsselgewalt oben § 244 Anm. 675. Hinsichtlich der Unterhaltsansprüche für die Vergangenheit BGB § 1613 gemäß der Verweisung in § 13603. Hinsichtlich der Eigentumsvermutungen oben § 245 Anm. 758 u. 768. Das gesetzliche Erbrecht und das Pflichtteilsrecht der Ehegatten setzt überhaupt erfolgte Auflösung der Ehe durch den Tod voraus.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
II. Wiederverheiratung Der überlebende Ehegatte kann eine neue Ehe eingehen775. Erschwerungen der Wiederverheiratung, wie sie im früheren Recht begegnen, sind, von den Ordnungsvorschriften über die von der Witwe einzuhaltende Wartezeit und über das Erforderniß vorheriger Auseinandersetzung mit Kindern aus der früheren Ehe abgesehen776, dem BGB unbekannt. Ob das älteste deutsche Recht in vorgeschichtlicher Zeit der Witwenehe Hindernisse bereitete, ist zweifelhaft; in den Volksrechten sind Spuren einer ehemaligen Mißbilligung der Witwenehe nicht nachweisbar, erscheint vielmehr die Wiederverheiratung der Witwen wie des Witwers als durchaus unanstößig777. Die Bestimmungen des älteren kanonischen Rechts, das die zweite Ehe überhaupt grundsätzlich mißbilligte und sie zwar nicht verbot, aber mit kirchlichen Nachteilen belegte778, hatten auf das weltliche deutsche Recht des Mittelalters keinen Einfluß779. Dagegen galten die in der christlichen Kaiserzeit mit der zweiten Ehe verbundenen römischrechtlichen sogenannten poenae secundarum nuptiarum, die hauptsächlich in Vermögensnachteilen bestanden, die den wiederheiratenden Ehegatten zu Gunsten der erstehelichen Kinder trafen, seit der Rezeption als gemeines deutsches Recht780. Doch wurden sie von den Partikularrechten vielfach nicht aufgenommen oder wieder abgestoßen781. 775 Den Nachweis des Todes des früheren Ehegatten hat er dem Standesbeamten zu erbringen. Dazu genügt aber die Vorlegung der Sterbeurkunde. Ist diese freilich unrichtig, so ist die neue Ehe nichtig. Vgl. PStG § 15. Die Fälle gutgläubiger Bigamie auf Grund falscher amtlicher Todesbeurkundung sind während des Weltkrieges nicht selten eingetreten. Vgl. über die Rechtsverhältnisse, die hier bis zur Nichtigkeitserklärung der neuen Ehe entstehen, M. Wolff, Kriegsverschollenheit und Todeserklärung (in Bonner Festgabe für Bergbohm), 1919 S. 122 ff. 776 Vgl. oben § 236 I u. II. 777 Vgl. M. Wolff, Zur Geschichte der Witwenehe im altdeutschen Recht, Mitt. des Inst. f. oest. Gesch. XVII (1896) S. 370 ff., u. die in Anm. 1 – 2 angef. Lit.; Hübner, Grundz.2 § 92 I. Die besonderen Bestimmungen der Volksrechte über Witwenehe begünstigen eher die Witwe durch Gewährung größerer Selbständigkeit bei der Eheschließung; im Uebrigen lösen sie in verschiedener Weise die Interessenkollisionen zwischen den Muntschaftsrechten der Sippe des verstorbenen Mannes und den wiederauflebenden Anrechten der eignen Sippe der Frau. Hieraus (nicht mit Sohm, Eheschließung S. 63 ff. als Scheinstrafe für Verletzung der Witwentreue) ist auch der reipus der 1. Sal. 44 zu erklären. Vgl. Brunner, Sitzungsber. der Berl. Akad. 1894, S. 1289 ff. 778 Vgl. Richter-Dove-Kahl § 288 (Anfangs kirchliche Bußen, später noch Verweigerung oder doch minder feierliche Form der Einsegnung, sowie Ausschluß der bigami von der Ordination). 779 Sachsensp. II 23: Die wile en man ane wif nicht wesen ne wel oder ne mach, so mut he wol echt wif nemen, al sin eme driü wif dot oder viere oder mer. Tu der selven wis nimt en wif man, unde wint echte kindere bi deme lesten als bi dem irsten, unde beerft se mit irme rechte unde mit irme gude. 780 Tit. [sic] Cod. 5, 9 u. 5, 10, Nov. 22. Windscheid § 311, Seuff. XVII Nr. 254, XXXV Nr. 40, XXXIX Nr. 221, RGer XXXVI Nr. 49 (Seuff. LI Nr. 268).
6. Titel: Auflösung der Ehe
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Von selbst versteht es sich, daß die wiederheiratende Frau, da sie Namen und Stand des neuen Mannes annimmt, hiermit zugleich den durch die frühere Ehe erworbenen Namen und Stand verliert. Von der Einwirkung der Wiederverheiratung auf das Verhältniß zu den Kindern ist im Eltern- und Kinderrecht zu handeln782.
§ 247. Todeserklärung I. Wirkung der Todeserklärung überhaupt Ist ein Ehegatte für tot erklärt, so besteht eine rechtskräftig festgestellte Vermutung, daß die Ehe durch den Tod aufgelöst sei. Der andere Ehegatte kann daher zu einer neuen Ehe schreiten. Es bedarf nicht erst, wie nach anderen Gesetzen, eines besonderen gerichtlichen Ausspruchs über die Beendigung der Ehe783 oder, wie nach manchen Gesetzen, einer förmlichen Ehescheidung784. Vielmehr ist er, wie schon nach preußischem Recht und den meisten bisherigen deutschen Landesgesetzen, der richterlichen Ansicht nach aber auch nach gemeinem Recht, ohne Weiteres befugt, eine neue Ehe einzugehen785. Er liefert dem Standesbeamten durch das Todeserklärungsurteil in gleicher Weise wie durch Beibringung der Sterbeurkunde den vollgültigen Beweis der Eheauflösung durch Tod786. Nur darf er, wenn das Urteil im Wege der Klage angefochten ist und nicht etwa schon zehn Jahre seit der Urteilsverkündung verstrichen waren, nicht vor Erledigung des Rechtsstreites die neue Ehe schließen787. Die Todesvermutung ist widerlegbar. Wird bewiesen, daß der für tot erklärte Ehegatte noch lebt, so ergiebt sich, daß seine Ehe in Wahrheit noch besteht. Somit 781 Das gemeine Sachsenrecht versagte ihnen stets die Anwendung; RGer b. Seuff. XLII Nr. 40. Den neueren Gesetzbüchern sind sie fremd. 782 So insbesondere von der Verpflichtung zur Vermögensauseinandersetzung (BGB § 1669), von dem Verlust der elterlichen Gewalt durch die wiederheiratende Mutter (§ 1697), von der Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft (§ 1493). 783 Zu den oben Bd. I 375 Anm. 67 angef. Gesetzen kommt seitdem das Schweiz. ZGB a. 102. 784 Oben Bd. I 375 Anm. 68. 785 Oben Bd. I 374 Anm. 66. 786 Vgl. RGer LX Nr. 48. Das RGer führt hier zutreffend aus, daß das Standesamt auch in Ansehung der von der zurückgebliebenen Frau geborenen Kinder den durch die Todeserklärung festgestellten vermeintlichen Todestag als Zeitpunkt der Eheauflösung anzunehmen, daher eine dem entsprechende Berichtigung des Standesregisters zu bewirken hat. (Der neue Ehemann hatte beantragt, ein als eheliches Kind des verschollenen Mannes eingetragenes Kind als sein durch nachfolgende Ehe legitimiertes uneheliches Kind zu qualifizieren.) 787 BGB § 1349; ZPO §§ 9572 , 973 – 976. Aufschiebendes Ehehinderniß, wie in den Fällen des § 13092; vgl. oben § 233 I.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
setzet namentlich der für tot erklärte Ehegatte im Falle seiner Rückkehr die Ehe mit dem zurückgebliebenen Ehegatten jedenfalls dann, wenn dieser inzwischen nicht anderweit geheiratet hat, ohne Weiteres fort und tritt von Rechtswegen in alle Rechten und Pflichten aus der nur tatsächlich unterbrochenen ehelichen Gemeinschaft wieder ein. Anders verhält es sich natürlich, wenn seine Ehe aus einem anderen Grunde als des Todes, also durch ein Scheidungsurteil, das der andere Ehegatte auf Grund böslicher Verlassung erzielt hat, oder ein konstitutives Auflösungsurteil, wie es nach dem neuen schweizerischen Recht auf Grund der Verschollenheitserklärung verlangt werden kann, aufgelöst ist. Dann hängt die Wiedervereinigung der Ehegatten vom beiderseitigen freien Willensentschluß ab und kommt nur durch die Eingehung einer neuen Ehe zu Stande. Ist der Verschollene zwar verstorben, jedoch ein anderer als der auf Grund der Todesvermutung festgestellte Todestag ermittelt, so stellt sich heraus, daß seine Ehe zwar aufgelöst, ihre Auflösung aber schon oder erst am wahren Todestag erfolgt ist. Nach diesem Zeitpunkt sind dann die Auflösungsfolgen zu bemessen. Wie aber verhält es sich, wenn der zurückgebliebene Ehegatte auf Grund einer unrichtigen Todeserklärung eine neue Ehe eingegangen ist, obschon der verschollene Ehegatte noch lebte? Wie vor Allem in dem freilich in Gedichten und Romanen häufiger als im Leben begegnenden Falle der leibhaftigen Rückkehr des Verschollenen? Diese von der Theorie und den Gesetzen mannichfach ungleich beantwortete Frage bedarf besonderer Erörterung. II. Wiederverheiratung bei Lebzeiten des für tot erklärten Ehegatten788 1. Gegensätze Die konsequente Durchführung eines Grundgedankens muß dazu nötigen, entweder die alte Ehe als fortbestehend und darum die neue Ehe als nichtig zu behandeln oder die neue Ehe für gültig und damit die alte Ehe für aufgelöst zu erklären. Viele Gesetze aber schlagen einen Mittelweg ein. a) Unbedingt zu Gunsten der alten Ehe entscheidet das kanonische Recht789. Im Einklange mit seiner Lehre von der sakramentalen Natur der Ehe lehnte es die Auflösung der Ehe aus einem anderen Grunde als dem des natürlichen Todes über788 Oben Bd. I 379. Seitdem: Dernburg, Festgabe für den XXVI DJT, 1902, S. 1 ff. Dochnahl, DJZ 1903 S. 571 ff., Arch. f. b. R XXVI 321 ff., Francke, Arch. f. z. Pr. CI 424 ff., E. Benndorf, Zur Wiederverheiratung im Falle der Todeserklärung eines Ehegatten, 1908. Balog, Verschollenheit und Todeserklärung nach deut. u. ungar. R., 1908, S. 124 ff., H. Meyer, Vom Rechtsschein des Todes, 1912, S. 37 ff. Lehrb. des. bürg. R. v. Endemann § 164, Dernburg § 24, Cosack § 316 II, Crome § 557, Wolff § 30. Komm. z. BGB §§ 1348 – 1352 v. Planck, Staudinger, Schmidt. Wolff, Kriegsverschollenheit und Wiederverheiratung, Bonner Festgabe f. Bergbohn v. 1919, S. 116 ff. 789 C. 1 C. 34 q. 1 et 2; v. Scherer, KR II 356. Auch eine Konvaleszenz der nichtigen zweiten Ehe durch später erfolgten Tod des Verschollenen ist ausgeschlossen.
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haupt ab. Das evangelische Kirchenrecht hielt an der Nichtigkeit der bei Lebzeiten des anderen Ehegatten eingegangenen Ehe fest, ermöglichte aber durch die Zulassung der Ehescheidung im Desertionsverfahren dem Ehegatten des Verschollenen die für jeden Fall gültige Wiederverheiratung790. Auch die weltliche Gesetzgebung hat vielfach den gleichen Standpunkt eingenommen791. Man erblickte in der Nichtigkeit der Ehe eine unausbleibliche Folge der Natur der Todeserklärung als einer widerlegbaren Vermutung. b) Umgekehrt entscheidet zu Gunsten der neuen Ehe das preußische Landesrecht792, dem jüngere Gesetze grundsätzlich gefolgt sind793. Diese Regelung entspricht dem deutschrechtlichen Gedanken, daß die Feststellung der Todesvermutung durch gerichtliches Urteil, obschon sie die Ehe nicht auflöst, doch einen bis zur Widerlegung der Vermutung wirksamen Rechtsschein der Auflösung erzeugt. Gewährt dieser Rechtsschein dem Zurückgebliebenen die Legitimation zur Schließung einer neuen Ehe, so muß die befugter Maßen eingegangene Ehe auch dann, wenn in Wahrheit die alte Ehe noch fortbestand, als gültig anerkannt werden und folgeweise, da eine Doppelehe unmöglich ist, mit ihrer Eingehung die Auflösung der bisherigen Ehe eintreten794. Wer dem zur Zeit der Eheschließung in Kraft stehenden Rechtsschein vertraut, muß den Erfolg erzielen, den die gerichtliche Feststellung, daß der Verschollene als verstorben anzusehen ist, in Aussicht stellt795. 790 Ueberdies konnte die nichtige Ehe durch den Tod des verschollenen Ehegatten konvaleszieren. 791 Das gemeine Recht folgte dem Kirchenrecht und hat nach der herrschenden Ansicht bis zum BGB daran festgehalten; gegen die letztere Annahme vgl. oben Bd. I 379 Anm. 92. Ausdrücklich war die Nichtigkeit der neuen Ehe im Württ. R., für Katholiken auch im Hannov. G. v. 1848 § 16, Oldenb. V. v. 1844 § 18 angeordnet; ebd. Anm. 94. Das Gleiche wird für das oesterr. Recht, – und zwar auch dann, wenn der nach Gb. §§ 112 – 114 u. Ges. v. 16. Febr. 1883 erforderliche richterliche Ausspruch, daß die Ehe als aufgelöst zu betrachten sei, mit der Todeserklärung verbunden und nachträglich erfolgt war, – angenommen; vgl. Unger I 244, Krainz-Pfaff-Ehrenzweig § 429 Anm. 23 u. 25. Ebenso, wie als Regel für das bisherige schweiz. R. (Huber I 131), für das geltende Recht der Schweiz dann, wenn der wiederheiratende Ehegatte die durch ZGB a. 102 geforderte vorherige richterliche Auflösung seiner bisherigen Ehe zu bewirken versäumt hat (jedoch vorbehaltlich der Heilung der Nichtigkeit im Falle des a. 1223); vgl. Gmür zu a. 102 Bem. III 2, Egger Bem. 2 d. 792 Preuß. ALR § 666. 793 So Brem. V. v. 1826 § 291, Lüb. V. v. 1829 § 16, für nichtkatholische Ehen auch Hannov. G. § 16, Oldenb. V. 18. Ebenso Entw. I zum BGB § 1464. Voraussetzung ist stets, daß die neue Ehe nicht aus einem anderen Grunde nichtig ist. Nichtigkeit wurde auch angenommen, wenn der doppelt Verheiratete bei Eingehung der neuen Ehe wußte, daß der Verschollene noch lebte; so Lüb. V. u. Entw. I a. a. O. Das Hannov. G. gewährte ihm auch bei bösem Glauben des anderen Teils ein Anfechtungsrecht. 794 Hiergegen läßt sich nicht einwenden, daß es sich im Falle einer falschen Sterbeurkunde anders verhält; oben § 246 Anm. 775. Denn die Sterbeurkunde ist einfaches Beweismittel ohne Legitimationskraft; vgl. Endemann § 164 Anm. 3 u. 15. Die Todeserklärung dagegen genießt gleich dem Grundbucheintrag oder dem Erbschein öffentlichen Glauben (Endemann a. a. O. Anm. 9) und schafft darum, wie H. Meyer a. a. O. richtig ausführt, einen Rechtsschein, auf den sich Jedermann verlassen darf.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
c) Die Gesetze, die einen Mittelweg einschlagen, gehen von verschiedenen Gesichtspunkten aus. Das Hamburgische Recht hielt die neue Ehe aufrecht, ausgenommen den Fall, daß sie unbeerbt, die erste Ehe aber beerbt war; das sächsische Gesetzbuch gab dem doppelt verheirateten Ehegatten das Recht, im Falle der Rückkehr des Verschollenen die Scheidung der neuen Ehe zu verlangen; das französische Recht gewährt umgekehrt nur dem verschollenen Ehegatten ein Anfechtungsrecht796. 2. Geltendes deutsches Recht Für einen Mittelweg hat sich auch das BGB entschieden797. Seine Bestimmungen sind eingehend, zeichnen sich aber weder durch Folgerichtigkeit noch durch Klarheit aus und erregen starke sachliche Bedenken. a) Nichtig wegen Doppelehe ist die neue Ehe nur, wenn der für tot erklärte Ehegatte zur Zeit ihrer Eingehung noch lebt und beide Ehegatten bei der Eheschließung wissen, daß er die Todeserklärung überlebt hat798. Unentschuldbares Nichtwissen steht dem Wissen keineswegs gleich. Dagegen ist die Ehe auch dann nichtig, wenn die Ehegatten oder einer von ihnen, sei es auch aus guten Gründen, bei der Eheschließung annehmen, daß der unrichtig für tot Erklärte inzwischen verstorben sei799. Durch den nachträglich eintretenden Tod des für tot erklärten Ehegatten wird die Nichtigkeit nicht geheilt800. Hinsichtlich der Geltendmachung der Nichtigkeit gelten die allgemeinen Regeln; die Nichtigkeitsklage kann also sowohl jeder der beiden Scheinverheirateten wie der rechte Ehegatte anstellen801. 795 Dagegen kann nach allgemeinen Grundsätzen sich auf den Rechtsschein nicht berufen, wer dessen Unrichtigkeit kennt. Darum ist es konsequent, wenn die neue Ehe als nichtig behandelt wird, falls beide Eheschließende wissen, daß der für tot Erklärte noch lebt. Ist nur ein Eheschließender bösgläubig, so bleibt nach dem Vertrauensprinzip der andere schutzwürdig, die Ehe kann also nicht nichtig, aber auch ihm gegenüber nicht anfechtbar sein. Dagegen ist es mit dem Grundgedanken der Rechtsscheinwirkung vereinbar, wenn dem gutgläubigen Ehegatten ein Anfechtungsrecht wegen Betruges gewährt wird. 796 Oben Bd. I 379 Anm. 95 – 96. Es wird also das Prinzip der Gültigkeit der neuen Ehe im einseitigen Interesse entweder von Kindern oder des Scheinverwitweten oder des irrtümlich für tot Gehaltenen durchbrochen. 797 Mit dem BGB stimmt in den Grundzügen das ungarische Ehegesetz überein, weist aber einzeln erhebliche Abweichungen auf, die Balog a. a. O. ausführlich darlegt und wertet. 798 BGB § 13481 Nach dem Ungar. Eheges. genügt böser Glaube eines Ehegatten; Balog a. a. O. S. 133 ff. 799 Ihr guter Glaube nützt der neuen Ehe nichts, weil er sich nicht auf die Todeserklärung gründet. Der Billigkeit entspricht diese Strenge nicht. Das Ungar. R. fordert Kenntniß des Lebens zur Zeit der Eheschließung; Balog a. a. O. S. 134. 800 Oben § 233 Anm. 264 u. § 240 III 1. 801 Außerdem der Staatsanwalt und jeder rechtlich interessierte Dritte. Zu Gunsten des rechten Ehegatten gilt, wenn er am Rechtsstreit nicht Teil genommen hat, ZPO § 629 (oben § 240 Anm. 476).
6. Titel: Auflösung der Ehe
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b) In allen anderen Fällen ist die Ehe nicht wegen Doppelehe nichtig, wird vielmehr durch die Schließung der neuen Ehe die alte Ehe aufgelöst802. Doch kann die neue Ehe die Auflösung nur bewirken, wenn sie an sich gültig ist. Ist sie nichtig oder wird sie durch Anfechtung vernichtet, so ist die alte Ehe nicht aufgelöst, besteht vielmehr bis zu ihrer Auflösung durch Tod oder Scheidung fort803. Die einmal erfolgte Auflösung aber ist endgültig804. c) Die neue Ehe ist jedoch, wenn sie nicht nichtig ist, stets anfechtbar805.806 Denn auf Grund der Tatsache, daß der für tot erklärte Ehegatte noch lebt, kann jeder Ehegatte die neue Ehe anfechten, sofern er nur nicht bei der Eheschließung wußte, daß der Verschollene noch lebt. Hier wird der gute Glaube nicht schon durch die Kenntniß vom Ueberleben der Todeserklärung ausgeschlossen. Wußte also ein Ehegatte überhaupt nichts davon, daß die Todeserklärung unrichtig war, der andere Ehegatte aber wußte dies, nahm jedoch – sei es auch grob fahrlässig auf Grund einer unverbürgten Todesnachricht – an, daß der Verschollene später verstorben sei, so kann jeder von beiden Ehegatten die Ehe anfechten. Anfechtungsberechtigt ist jeder Ehegatte der neuen Ehe, sowohl der, der sich für verwitwet hielt, wie der, der eine Witwe oder einen Witwer zu freien vermeinte. Dagegen hat der bösgläubige Ehegatte kein Anfechtungsrecht. Schlechthin jedes Anfechtungsrechtes entbehrt der zurückkehrende frühere Ehegatte. Das Anfechtungsrecht ist in gleicher Weise, wie in anderen Fällen der Eheanfechtung, geltend zu machen; besonders bestimmt ist, daß es nur in einer Frist von sechs Monaten nach erlangter 802 BGB § 1348. Die Wiederverheiratung bei Lebzeiten des für tot erklärten Ehegatten ist also, da die alte Ehe bis dahin bestanden hat, ein selbständiger Auflösungsgrund neben Tod und Scheidung. Auch der bösgläubig Heiratende kann daher, wenn der andere Teil gutgläubig ist, die Auflösung herbeiführen. Er begeht aber, weil die Eingehung der Ehe vor Auflösung der alten Ehe erfolgt, nach StrGB § 171 strafbare Bigamie. 803 Dies wird zwar von Dernburg und Francke a. a. O. bestritten, jedoch von der herrschenden Lehre mit Recht angenommen. Es ergiebt sich notwendig aus den Bestimmungen des BGB über nichtige und anfechtbare Ehen. Daß daraus im Falle der Anfechtung auf Grund des § 1350 unbefriedigende Konsequenzen entspringen, kann daran nichts ändern. 804 Sie wird nach § 1348 Abs. 2 S. 2 auch durch Aufhebung der Todeserklärung nicht rückgängig. Ebensowenig durch die Rückkehr des Totgeglaubten. Wünschen also dieser und der inzwischen etwa verwitwete oder geschiedene frühere Ehegatte sich wieder zu vereinigen, so müssen sie eine neue Ehe mit einander schließen. Hat der Totgeglaubte nach der Wiederverheiratung seines früheren Ehegatten, mag er von ihr erfahren haben oder nicht, anderweit geheiratet, so ist seine Ehe gültig und seine Wiedervereinigung mit dem einstigen Ehegatten erst nach Auflösung (oder etwaige Anfechtung) dieser Ehe möglich. Hat er dagegen vorher eine andere Ehe geschlossen, so steht diese, da sie als Doppelehe nichtig ist, seiner Wiederverheiratung mit dem einstigen Ehegatten nicht entgegen. 805 BGB § 1350. – Aehnlich das Ungar. R., das aber, da nach ihm der böse Glaube auch nur eines Ehegatten die Ehe nichtig macht (oben Anm. 798), das Anfechtungsrecht nur bei beiderseitigem guten Glauben kennt und überdies sich nicht damit begnügt, daß der Totgeglaubte noch lebt, sondern dessen Rückkehr verlangt; vgl. Balog a. a. O. S. 145 ff.,166. 806 Die ungleiche Behandlung dieses Falles gegenüber dem Nichtigkeitsfalle bei beiderseitiger Kenntniß vom Ueberleben der Todeserklärung (oben Anm. 799) entbehrt der inneren Berechtigung.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Kenntniß vom Leben des Totgeglaubten ausgeübt werden kann und daß es erlischt, wenn der Anfechtungsberechtigte nach Erlangung dieser Kenntniß die Ehe bestätigt oder wenn die neue Ehe durch den Tod aufgelöst ist807. Dieses Anfechtungsrecht ist besonderer Natur und darf nicht als eine Unterart des Anfechtungsrechts wegen Irrtums aufgefaßt werden. Anfechtungsgrund ist nicht der Irrtum als solcher, sondern die Tatsache, daß der Anfechtende in einer Ehe lebt, die trotz ihrer gesetzlichen Zulassung geeignet ist, sein Gewissen zu beschweren. Denn auf Grund seiner religiösen oder ethischen Ueberzeugung, daß in Wahrheit nur der Tod die Ehe scheidet, mag die neue Ehe von dem einen Ehegatten als Bigamie, von dem anderen Ehegatten als ehebrecherische Gemeinschaft mit dem Ehegatten eines Anderen empfunden werden808. d) Die Wirkung gehörig erfolgter Anfechtung ist die gleiche, wie die jeder anderen Eheanfechtung. Mithin ist die neue Ehe als von Anfang an nichtig anzusehen. Aus ihrer Rückwärtsvernichtung ergiebt sich, daß sie auch der Kraft entbehrte, die alte Ehe aufzulösen. Sie hat nur den Rechtsschein der Auflösung bewirkt, der nunmehr sich als bloßer Schein herausstellt und unbeschadet seiner bisherigen Wirkungen dem wahren Tatbestande der Nichtauflösung gegenüber verschwindet. Die alte Ehe besteht also fort809. Hat der doppelt verheiratete Ehegatten angefochten, so lebt seine alte Ehe von Rechtswegen auch dann wieder auf, wenn der zurückkehrende Ehegatte sich dagegen sträubt, nicht minder aber auch dann, wenn er 807 Diese Bestimmungen sind Anpassungen der in den §§ 1339, 13372 u. 1338 ausgesprochenen Regeln. Im Uebrigen sind die für die Eheanfechtung geltenden allgemeinen Vorschriften anwendbar. Daraus folgt unter Anderem, daß das Anfechtungsrecht auch durch Scheidung der neuen Ehe erlischt, weil § 1338 durch § 13502 nur für den Fall der Auflösung durch Tod, bei dem hier die zu Gunsten des überlebenden alleinberechtigten Ehegatten in § 1338 gemachte Ausnahme wegfallen soll, modifiziert ist; vgl. gegen die abweichende Ansicht von Opet zu § 1380 Bem. 6 b u. Staudinger Bem. 2 d, Schmidt Bem. 2 d u. Wolff § 30 Anm. 13. 808 Wenn Wolff § 30 III einen eigenartigen Fall der Eheanfechtung wegen Irrtums annimmt, so schließen schon die von ihm selbst zusammengestellten äußeren Unterschiede die Subsumtion aus. Entscheidend aber ist, daß der Anfechtende gar nicht einen Irrtum als Beweggrund seiner Eheschließung zu behaupten und nachzuweisen braucht. Er kann sich auf die einfache Tatsache, daß der frühere Ehegatte noch lebt, stützen und den Nachweis, daß er dies bei der Eheschließung wußte und somit über etwaige Gewissensbedenken sich hinwegsetzte, abwarten. Ob er bei Kenntniß der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe die Ehe nicht geschlossen haben würde (§ 1333), kommt hier nicht in Betracht. Darum ist es auch selbstverständlich, daß das Anfechtungsrecht mit dem Tode des früheren Ehegatten, der die Gewissensfessel zerbricht, erlischt. 809 Ueber die Unhaltbarkeit der Gegenmeinung vgl. oben Anm. 803. Dernburg beruft sich auf den Wortlaut des § 13482, der die Auflösung der alten Ehe durch Schließung der neuen Ehe vorbehaltlos ausspreche (§ 24 III 5), und behauptet folgerichtig, daß die alte Ehe auch aufgelöst bleibe, wenn die neue Ehe nichtig oder aus irgend einem anderen Anfechtungsgrunde vernichtet ist. Allein § 1348 sagt nichts über die Wirkungen einer Nichtigkeitserklärung und läßt es daher bei den darüber in den §§ 1343 ff. gegebenen Vorschriften, soweit nicht (wie in § 1351) etwas Anderes bestimmt ist. Sollte eine grundsätzliche Abweichung angeordnet werden, so hätte dies in § 1350 geschehen müssen.
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selbst lieber jeder Ehefessel ledig sein möchte810. Hat der andere Ehegatten angefochten, so zwingt auch er die Ehegatten der alten Ehe, mögen sie damit einverstanden sein oder nicht, wieder zum Ehepaar zusammen811. Dies Alles gilt auch dann, wenn der für tot erklärte Ehegatte in anderweiter Ehe lebt. Denn in Folge des festgestellten Fortbestandes seiner ersten Ehe stellt sich seine zweite Ehe als nichtige Doppelehe heraus812. Nur bedarf es in diesem Falle, sofern nicht seine jetzige Ehe wegen Formmangels jedes Rechtsscheines entbehrt, zur Beseitigung des Rechtsscheines ihres Bestandes erst der Nichtigkeitserklärung. Die früher besprochenen Ausnahmen von der Durchführung der Nichtigkeitsfolgen zu Gunsten Dritter und des gutgläubigen Ehegatten gelten auch hier. Außerdem ist die Sonderbestimmung getroffen, daß, wenn der Ehegatte der früheren Ehe anficht, er trotz seines guten Glaubens dem anderen Ehegatten nach Scheidungsrecht Unterhalt zu gewähren hat, als wäre die Ehe auf Grund seiner alleinigen Schuld geschieden. Die Unterhaltspflicht fällt nur weg, wenn der andere Ehegatte bei der Eheschließung in bösem Glauben war, wozu hier die Kenntniß vom Ueberleben der Todeserklärung genügt813. Das Mischrecht des BGB ist ein Musterbeispiel für ein ungesundes Kompromiß. Es bringt den zurückkehrenden Verschollenen, den keineswegs notwendig ein Verschulden trifft, in eine unwürdige Lage, indem es sein Eheschicksal durchaus in fremde Hand legt. Der totgeglaubte Mann, der seine Frau in den Armen eines Anderen findet, muß geduldig abwarten, ob es ihr beliebt, ihn fahren zu lassen oder sich wieder anzueignen. Er kann aber auch von dem Anderen wider den eignen und der Frau Willen in den Ehestand zurückgeführt werden. Hat er, nachdem er von der Wiederverheiratung seiner Frau gehört hat, eine andere Frau geheiratet, so hängt auch deren Schicksal von dem willkürlichen Entschluß nicht nur seiner ersten Frau, sondern auch ihres neuen Mannes ab. Den Ehegatten der neuen Ehe soll das Anfechtungsrecht die Rückgängigmachung einer Ehe ermöglichen, die ihnen Gewissensskrupel bereitet. Das mag im Einzelfalle bei einem gläubigen Katholiken zutreffen. Allein das Religionsbekenntniß kommt für das Anfechtungs810 In diesem Falle widerspricht die Ansicht Dernburgs offenbar der gesetzgeberischen Intention. Der Anfechtende soll ja gerade in den Stand gesetzt werden, die alte Ehe wiederherzustellen. Hat er eine andere Absicht, so muß er die Anfechtung unterlassen. Könnte er sich durch die Anfechtung von jedem Ehebande befreien, so wäre ihm ein Mittel in die Hand gegeben, zwiefache Untreue zu begehen. 811 In diesem Falle wäre Dernburgs Ergebniß sicherlich vorzuziehen. Wenn aber Benndorf a. a. O. glaubt, es lasse sich in der Beschränkung auf den Fall der Anfechtung durch den anderen Ehegatten die Ansicht Dernburgs aufrecht erhalten, so ist das willkürlich. 812 A. M. auch hier Dernburg a. a. O. Anm. 11. Desgleichen Erler DJZ 1896 S. 230; vgl. gegen diesen Staudinger zu § 1348 Bem. 7. 813 BGB § 1351. Inhalt, Umfang und Dauer dieser Unterhaltspflicht richten sich nach den §§ 1578 – 1582; davon unten. Nach § 1345 würde ihn, da er gutgläubig war, eine Unterhaltspflicht nicht treffen. – Ficht der andere Ehegatte an, so ist er nicht unterhaltspflichtig; in diesem Falle muß eben der verstoßene Ehegatte sich an den zurückgewonnenen alten Ehegatten halten.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
recht nicht in Betracht, und der Anfechtende braucht den Beweggrund seines Vorgehens nicht zu offenbaren. Er kann also sein Anfechtungsrecht auch ausüben, um auf bequeme Weise das Ehejoch abzuschütteln. Vielleicht ist der Mann, der die scheinbare Witwe geheiratet hat, ihrer überdrüssig geworden und erledigt sich ihrer, um als Junggeselle zu leben oder eine andere Ehe zu schließen. Hat der Zurückgekehrte eine junge Frau, die ihm besser gefällt, als sein inzwischen gealtertes Weib, so befreit er damit zugleich jene vom Ehebande und kann, wenn sie ihn als Ersatzmann hinnimmt, einen richtigen Frauentausch erzielen. Damit riskiert er nicht einmal eine Unterhaltspflicht. Wahrlich! Einem derartigen Kompromißrecht wäre, wenn man die Konsequenzen des preußischen Rechtes scheute, das folgerichtige kanonische Recht vorzuziehen gewesen. e) Unterbleibt die Anfechtung der neuen Ehe, so bleibt die alte Ehe aufgelöst. Die ehemaligen Ehegatten haben gegeneinander vom Zeitpunkte der Auflösung an weder Rechte noch Pflichten. Nur in Ansehung der Bestreitung des Unterhalts eines gemeinschaftlichen Kindes gilt die Sonderbestimmung, daß die Frau dem Manne einen gleichen Betrag, wie im Falle der Ehescheidung, zu leisten hat814. f) Die räumliche Anwendung der für die Anwendung der Todeserklärung auf die Ehe geltenden Rechtssätze bestimmt sich nach dem Personalstatut und somit in Deutschland nach dem Heimatsrecht der Ehegatten. Doch wird in Ansehung der deutsch gebliebenen oder bis zur Verheiratung deutsch gewesenen Ehefrau eines verschollenen Ausländers die Eingehung einer neuen Ehe dann nach deutschem Recht beurteilt, wenn auf ihren Antrag der Ehemann nach deutschem Recht für tot erklärt ist815. g) In zeitlicher Hinsicht bestimmen sich die Wirkungen einer Todeserklärung zwar grundsätzlich nach dem zur Zeit der Todeserklärung geltenden Recht. Allein in Ansehung der Einwirkung auf die Ehe sind die Vorschriften des BGB auch im Falle einer früheren Todeserklärung sofort in Kraft getreten816.
814 BGB § 1352 mit Verweisung auf § 1585. Die Beitragspflicht trifft die Mutter sowohl, wenn sie, wie wenn der Vater für tot erklärt war. 815 EG zum BGB a. 132. Der Antrag ist nach a. 93 zulässig, wenn der Verschollene seinen letzten Wohnsitz in Deutschland hatte und die Frau in Deutschland zurückgeblieben oder dahin zurückgekehrt ist. 816 EG zum BGB a. 159 (gegenüber a. 158). Die Wiederverheiratung wurde also, auch wenn sie bisher ausgeschlossen oder beschränkt war, sofort ohne Weiteres zulässig. Ihre Folgen aber bestimmen sich nach den §§ 1348 – 1352 BGB.
6. Titel: Auflösung der Ehe
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§ 248. Ehescheidung. Geschichte und Prinzip I. Ursprüngliches germanisches Recht817 Das germanische Recht ließ eine Auflösung der Ehe durch Scheidung bei Lebzeiten beider Ehegatten zu. Die Scheidung war Selbstscheidung; sie erfolgte ohne gerichtliche Mitwirkung. Regelmäßig wurde sie durch Scheidungsvertrag, den der Ehemann mit der Sippe der Frau, schon in fränkischer Zeit aber meist mit der Frau selbst schloß, vollzogen. Doch konnte der Mann die Ehe auch einseitig scheiden. Befugt dazu war er freilich nur aus gerechter Ursache, insbesondere wegen schwerer Untreue, vermutlich aber auch wegen Unfruchtbarkeit der Frau; doch blieb die Ehe auch aufgelöst, wenn er sie grundlos verstieß; sein Rechtsbruch setzte ihn nur von je der Fehde der beleidigten Sippe der Frau aus und zog nach den ältesten erhaltenen Quellen eine Buße und schwere vermögensrechtliche Nachteile nach sich. Ein einseitiges Scheidungsrecht der Frau wurde erst in fränkischer Zeit und immer nur bei schweren Verfehlungen des Mannes, durch die er seine Munt verwirkte, anerkannt. Ein erheblich laxeres Ehescheidungsrecht war im römischen Recht seit der Entwertung der Manusehe durchgedrungen818. Auch hier erfolgte die Ehescheidung durch privaten Willensakt. Zur Auflösung der Ehe aber genügte nicht nur ein darauf gerichtetes Uebereinkommen, sondern auch die einseitige Aufkündigung sowohl des Mannes wie der Frau. In der christlichen Kaiserzeit wurden zwar neben den schon früher eintretenden Vermögensnachteilen öffentliche Strafen gegen den Ehegatten, der ohne gerechte Ursache den anderen Ehegatten verließ oder ihm gerechte Ursache zur Zerreißung des Ehebandes gab, eingeführt und in diesem Sinne Ehescheidungsgründe normiert. Allein der Grundsatz der freien Löslichkeit der Ehe durch individuellen Entschluß wurde nicht aufgegeben. Als das römische Recht in den neuen Reichen mit dem germanischen Recht in Berührung kam, wirkte es zwar auf einzelne Stammesrechte abwandelnd ein, vermochte aber seine Grundauffassung dem germanischen Bewußtsein nicht einzuimpfen. Dagegen erlangte das kirchliche Recht hinsichtlich der Ehescheidung früher als hinsichtlich der Ehehindernisse und des sonstigen Ehepersonenrechts auf das weltliche Recht der germanischen Völker einen maßgebenden Einfluß819. Zunächst 817 Vgl. E. Loening, Geschichte des deutschen Kirchenrechts II 617 ff., Brunner, ZfRG XXIX 106 ff., Grundz.6 S. 224. Heusler, Inst. II § 133. Geffcken, Zur Geschichte der Ehescheidung vor Gratian, 1884, S. 32 ff. Hübner, Grundz.2 § 92 II 1. Rietschl, Art. „Ehescheidung“ in Hoop’s Reallexikon. Ueber westgot. R. Zeumer, Neues Archiv XXIV 649 ff. – Eine vom Willen der Ehegatten unabhängige Auflösung der Ehe vor dem Tode trat von Rechtswegen durch Friedlosigkeit ein, die als fingierter Tod wirkte; oben Bd. I 364, Sachsensp. I, 38 § 3. So noch nach Code civ. a. 227 Nr. 3 bei mort civile. 818 Karlowa, Röm. RG II 185 ff. Geffcken a. a. O. S. 9 ff., 48 ff. E. Loening a. a. O. S. 613 ff. 819 Ueber das Verhältniß zwischen weltlichem und kirchlichem Ehescheidungsrecht in merowingischer Zeit, in der sie noch durchaus selbständig neben einander standen, vgl. E. Loening a. a. O. S. 624 ff. Ueber die spätere Entwicklung Geffcken a. a. O. S. 55 ff.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
freilich mußte die Kirche, wie bis zuletzt gegenüber dem römischen Recht, so gegenüber den germanischen Stammesrechten sich mit einer mittelbaren Einwirkung begnügen und konnte nur langsam auf dem Wege der religiösen Lehre und Zucht ihren Scheidungsverboten Eingang ins Leben verschaffen. Allein seit Karl d. Gr. verlieh die fränkische Reichsgesetzgebung den strengen kirchlichen Grundsätzen unmittelbare Gesetzeskraft. Im Laufe des 9. und l0. Jahrhundert gelang es dann der Kirche, das weltliche Ehescheidungsrecht, obschon dieses vielfach zähen Widerstand leistete, mehr und mehr zu überwinden und endlich völlig zu verdrängen. Zugleich erstarkte nun ihre Disziplinargewalt in Ehescheidungssachen zu einer ausschließlichen Gerichtsgewalt, die den Resten der Selbstscheidung durch privaten Willensakt für immer ein Ende bereitete820. II. Katholisches Kirchenrecht821 Die Kirche verwarf von je auf Grund der heiligen Schrift die freie Ehescheidung. Gegenüber dem im alten Testament bezeugten jüdischen Recht822 bekundet ja das neue Testament die ausdrückliche Mißbilligung der Ehescheidung durch Christus823. „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ Wer sich von seinem Ehegatten trennt, es sei denn åðι ðóρíåιæ, bricht die Ehe. Es ist Ehebruch, wenn der Mann sich scheidet und ein anderes Weib freit oder das Weib sich scheidet und einen anderen Mann freit. Nicht minder macht sich des Ehebruches schuldig, wer mit dem geschiedenen Ehegatten in geschlechtlichen Verkehr tritt. Doch entwickelte die Kirche Anfangs verschiedene Meinungen über die Auslegung der heiligen Schrift, insbesondere über die Tragweite der für den Fall ðóρõåιá gemachten Ausnahme. Die strenge Meinung, die von den Kirchenvätern überwiegend vertreten und vom römischen Bischof stets festgehalten wurde, nahm an, daß auch die erlaubte Scheidung das Band der Ehe nicht zerstöre und daher die Wiederverheiratung bei Lebzeiten des anderen Ehegatten ausschließe. Eine mildere Meinung ließ hier die Scheidung vom Bande zu und gestattete dem unschuldi820 Die weltlichen Gerichte erlangten auch in der späteren fränkischen Zeit nicht die Kompetenz zum Scheidungsausspruch, sondern blieben auf die Entscheidung über die Berechtigung zur Scheidung und die Folgen der Scheidung beschränkt. 821 Eingehende Darstellung bei v. Scherer, KR II 541 ff. Vgl. ferner Richter-Dove-Kahl, KR § 286; Friedberg, KR § 159; v. Scheurl, Das gemeine deutsche Eherecht S. 274 ff.; Hubrich, Das Recht der Ehescheidung in Deutschland, 1891, S. 3 ff. – Zur Geschichte Freisen, Geschichte des kanonischen Eherechts, 1888, S. 769 ff. Ueber das Recht nach den angelsächs. und fränk. Bußordnungen Hinschius, ZfDR XX 66 ff. Ueber die vorgratianischen Sammlungen Geffcken a. a. O. S. 75 ff. 822 V Mos. 24, 1: der Mann kann nach freiem Belieben in der Form des Scheidebriefes sich von der Frau lossagen. 823 Matth. 5 v. 31 – 32, 19 v. 6 – 8; Marc. 10 v. 9, 11 – 12; Luc. 16 v. 18; Römer 7 v. 3; Korinther 7 v. l0 – 11.
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gen, manchmal nach geleisteter Poenitenz auch dem schuldigen Ehegatten die Wiederverheiratung. Außerdem stritt man, ob der Begriff der ðóρõåιá eng zu fassen oder ob anderes schweres Verschulden gleich zu behandeln sei. Noch bis ins 11. Jahrhundert schwankte die kirchliche Praxis. Dann aber war der Sieg der strengeren Meinung über die Zugeständnisse, die den abweichenden nationalen Rechtsanschauungen in einzelnen Ländern fortdauernd gemacht waren, entschieden. Im Decretum Gratiani ist die Unauflöslichkeit der Ehe bis zum Tode kanonisiert. Sie wird nunmehr mit der Lehre von dem Sakramentscharakter der Ehe in Verbindung gebracht. Das Tridentiner Konzil hat den Grundsatz neu befestigt und die Läugner mit dem Anathem bedroht824. Das katholische Kirchenrecht kennt daher keine Ehescheidung vom Bande (separatio matrimonii quoad vinculum). Davon gelten nur zweierlei Ausnahmen, die sich aus den alten Anschauungen über die Bedeutung des Vollzuges der Ehe durch fleischliche Vereinigung und über die Unvollkommenheit der zwischen Nichtchristen geschlossenen Ehe erklären. Ein matrimonium non consummatum kann durch Ablegung des Ordensgelübdes seitens eines Teils und in besonderen Fällen durch päpstliche Dispensation vom Bande gelöst werden. Und eine Ehe zwischen Nichtchristen kann der Ehegatte, der Christ wird, dann durch Eingehung einer anderen Ehe lösen, wenn ihm der ungläubige Ehegatte die Befolgung der christlichen Glaubensvorschriften und Gebräuche nicht gestatten will. Zum Ersatz der Scheidung hat das katholische Kirchenrecht die Trennung von Tisch und Bett (separatio quoad thorum et mensam) durch Richterspruch ausgebildet. Und zwar in den beiden Formen der beständigen Trennung (separatio perpetua), die grundsätzlich nur wegen Ehebruchs zulässig ist, und der zeitweiligen Trennung (separatio temporaria) aus anderen erheblichen Gründen. Die beständige Trennung hat, während sie das personenrechtliche Band bestehen läßt, in vermögensrechtlicher Hinsicht gleiche Folgen, wie eine Scheidung vom Bande. III. Evangelisches Kirchenrecht825 Die evangelische Kirche verwarf die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe. Es gebe Fälle, in denen die Lösung des Ehebandes dem göttlichen Willen entspreche. Die Vollstreckung sei Sache der Obrigkeit826. Sess. XXIV can. 7 de sacr. matr. Richter, Beiträge zur Geschichte des Ehescheidungsrechts, 1858. Richter-Dove-Kahl § 287, Friedberg § 160. v. Scheurl a. a. O. S. 291 ff. Hubrich a. a. O. S. 43 ff. 826 Doch wurde erst allmählich die bei den Reformatoren herrschende Auffassung, daß die Auflösung der Ehe durch Selbstscheidung auf Grund der göttlichen Ordnung erfolge und nur vorkommenden Falles der nachträglichen behördlichen Feststellung bedürfe, überwunden und die Auflösungskraft in einen obrigkeitlichen Ausspruch verlegt. Allgemein drang dann seit dem 17. Jahrhundert das Prinzip der richterlichen Scheidung, die Uebertragung derselben auf Ehegerichte (weltlicher, geistlicher oder gemischter Bildung) und mehr und mehr auch die Einrichtung eines geordneten Verfahrens (des Scheidungsprozesses) durch. 824 825
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Meinungsverschiedenheit aber bestand von Hause aus hinsichtlich der Ehescheidungsgründe. Die strengere (von Luther, Bugenhagen, Calvin) vertretene Meinung wollte der heiligen Schrift gemäß die Ehescheidung lediglich wegen Ehebruchs zulassen und unterstellt nur dem Begriff des Ehebruchs auch die echte bösliche Verlassung. Demgegenüber nahmen Andere (zuerst Melanchthon) in Anlehnung an das römische Recht eine Mehrheit von Ehescheidungsgründen, insbesondere auch die Lebensnachstellung und grobe Mißhandlung, an. Die Kirchenordnungen und die Praxis schwankten, hielten sich im 16. Jahrhundert meist an die strengere Ansicht, giengen aber im 17. Jahrhundert teilweise zu Erweiterungen über und bildeten namentlich die Ehescheidung wegen Quasidesertion und wegen schwerer Straftaten aus. Im 18. Jahrhundert wirkte die naturrechtliche Vertragslehre auch auf das Kirchenrecht ein, so daß vielfach der Standpunkt, daß es stets eines Verschuldens bedürfe, aufgegeben und die Ehescheidung auch wegen Wahnsinnes oder ekelhafter Krankheit, mitunter sogar bei kinderlosen Ehen auf Grund ernstlicher Willensübereinstimmung und bei beerbten Ehen wegen unüberwindlicher Abneigung zugelassen wurde. Im 19. Jahrhundert drang eine Gegenströmung durch; die Ehescheidung wurde in der Praxis wieder eingeschränkt oder mindestens durch prozeßrechtliche Vorschriften erschwert. Wo sich aber das strenge Recht behauptet hatte oder wiederhergestellt war, wurde als Aushülfe für besondere Fälle das seit dem 17. Jahrh. entwickelte landesherrliche Ehescheidungsrecht festgehalten, das meist aus der Stellung des Landesherrn als Summus episcopus hergeleitet wurde827. Selbstverständlich ermöglichte die protestantische Scheidung stets die Wiederverheiratung der ehemaligen Gatten. Doch bestand auch hier ein Gegensatz, indem zwar überall dem schuldlosen Teile, dagegen dem schuldigen Teile vielfach erst nach erfolgter Dispensation die Eingehung einer neuen Ehe gestattet wurde828. Neben der Scheidung fiel die beständige Trennung von Tisch und Bett weg; dagegen wurde die zeitweilige Trennung meist als besonderes Rechtsinstitut aufrechterhalten 829. IV. Neuere weltliche Gesetzgebung Unter den großen Gesetzbüchern stellte zuerst das preußische Landrecht ein für alle Staatsangehörigen geltendes einheitliches Ehescheidungsrecht auf. Es schloß sich an das evangelische Kirchenrecht an, gieng aber in den Zugeständnissen an die Anwendung der Vertragsgrundsätze auf die Auflösung der Ehe bis zu der äußersten bisher nur vereinzelt erreichten Grenze. Die neben dem Ehebruch 827 Vgl. A. Stölzel, Ueber das landesherrliche Ehescheidungsrecht, 1891. Hubrich a. a. O. S. 147 ff. (mit Literaturnachweisen S. 147 Anm. 1). Anerkannt war es z. B. in Kurhessen, Hannover, Schleswig-Holstein, Mecklenburg und mehreren thüringischen Staaten. 828 Vgl. oben § 231 Anm. 195. Es war dies ein aufschiebendes Ehehinderniß. 829 Vgl. v. Scheurl a. a. O. S. 347 ff.; Hubrich a. a. O. S. 139 ff.
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und der böslichen Verlassung zur Begründung der Ehescheidung ausreichenden Verschuldenstatsachen wurden vermehrt. Daneben wurden unverschuldete Zustandsänderungen, insoweit sie nach der Ansicht des Gesetzgebers die Erreichung des Ehezwecks unmöglich machten, als Ehescheidungsgründe anerkannt. Insbesondere aber wurden bei kinderlosen Ehen die beiderseitige Einwilligung und bei allen Ehen die wenngleich einseitige unüberwindliche Abneigung zum Ehescheidungsgrunde erhoben. Dazu kam die Erleichterung der Ehescheidung durch die Verweisung des den ehetrennenden Richterspruch vorbereitenden Verfahrens auf den Weg des gewöhnlichen Zivilprozesses. Im 19. Jahrh. setzte vom Standpunkte der christlichen Eheauffassung aus eine lebhafte Gegensteuerung gegen dieses laxe Ehescheidungsrecht ein. Doch erzielte sie nur im Jahre 1844 die Einführung eines die Scheidung erschwerenden besonderen Verfahrens in Ehesachen, während alle materiellen Reformversuche scheiterten830. Die bloße Trennung von Tisch und Bett wurde als staatliche Einrichtung abgeschafft831. Auch das französische Gesetzbuch schuf ein vom Religionsbekenntniß unabhängiges staatliches Ehescheidungsrecht832. Es sanktionierte die schon durch das Ges. v. 20. Sept. 1792 eingeführte Scheidung vom Bande (divorce) und übertrug die Feststellung der Zulässigkeit der Eheauflösung dem Richterspruch, den Vollzug der Auflösung aber einem Ausspruch des Standesbeamten. Als Ehescheidungsgründe, aus denen auf Scheidung geklagt werden kann, erkennt das Gesetzbuch nur schuldhafte Handlungen an, die es in Anlehnung an die im katholischen Kirchenrecht entwickelten Gründe der Trennung von Tisch und Bett normiert833. Daneben aber läßt es eine freilich stark verklausulierte Scheidung auf Grund des „consentement mutuel et persévérant des époux“ zu, falls das Zusammenleben als unerträglich dargetan wird834. Außer der Scheidung vom Bande kennt das Gesetz-
830 Preuß. ALR II, 1 §§ 668 – 834; V. v. 28. Juni 1844. Vgl. Hubrich a. a. O. S. 186 ff.; über die Vorgeschichte S. 176 ff., über die Reformpläne S. 221 ff.; Dernburg, Preuß. PR4 III § 18 ff.; Förster-Eccius IV 92 ff.; Peters, Die Ehescheidung, 1881. 831 Der in den §§ 733 – 734 Preuß LR II, 1 gemachte Vorbehalt, dem zufolge unter katholischen Eheleuten auf eine beständige Separation von Tisch und Bett, die aber „alle bürgerlichen Wirkungen einer gänzlichen Ehescheidung“ haben sollte, erkannt werden konnte, verlor mit der Aufhebung der katholischen geistlichen Ehegerichte durch die V. v. 2. Jann.1849 jeden Rest von Bedeutung. Eine zeitweilige Trennung von Tisch und Bett kannte das preuß. R. nur in Gestalt eines richterlich angeordneten Interimistikum während des Scheidungsprozesses; §§ 727 – 729. 832 Code civ. a. 229 – 311. Vgl. Zachariae-Crome § 445 ff. (Vorgeschichte § 420); Hubrich S. 205 ff. 833 Die Fälle einer solchen „cause déterminée“ sind Ehebruch, jedoch Ehebruch des Mannes nur, „lorsqu’il aura tenu sa concubine dans la maison commune“ (vgl. oben § 244 Anm. 569), „excès“, „sévices“ oder „injures graves“ eines Ehegatten gegen den anderen, sowie Verurteilung des anderen Ehegatten zu einer entehrenden Strafe. Der dehnbare Begriff der „injures graves“ ermöglichte der Praxis die Einbeziehung der böswilligen Verlassung und anderer schwerer Verfehlungen. Dagegen ist unverschuldetes Unglück, insbesondere Geisteskrankheit, kein Scheidungsgrund.
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buch die bloße Trennung von Tisch und Bett (séparation de corps), die aus den Scheidungsgründen auszusprechen ist, wenn der klagende Ehegatte es verlangt835. Das Scheidungsrecht des Code civ. wurde in Frankreich durch Ges. v. 8. März 1816 außer Kraft gesetzt und erst durch Ges. v. 27. Juli 1884 mit Ausnahme der Bestimmungen über die Scheidung auf Grund gegenseitiger Uebereinstimmung im Wesentlichen wiederhergestellt836. Dagegen blieb es in den deutschen Gebieten des französischen Rechts fortdauernd in Geltung837. Im Gegensatz zum preußischen und französischen Recht stellt das oesterreichische Gesetzbuch ein nach Religionsbekenntnissen ungleiches staatliches Ehescheidungsrecht auf838. Es versteht unter „Scheidung“ die bloße „Scheidung von Tisch und Bett“, die vom Gericht entweder auf Grund des beiderseitigen Einverständnisses der Ehegatten zu bewilligen ist oder auf Ansuchen eines Teils aus einem wichtigen Grunde ausgesprochen werden kann839. Nur eine derartige Scheidung ist bei katholischen Ehen möglich; gehörten zur Zeit der Eheschließung die Ehegatten oder auch nur einer von ihnen der katholischen Religion an, so ist jede „Trennung“ des Ehebandes außer durch den Tod, schlechthin ausgeschlossen (§ 111). Dagegen können nichtkatholische Ehen aus den gesetzlich anerkannten Gründen auf Verlangen eines Ehegatten vom Bande getrennt werden840. Auch das Sächsische Gesetzbuch beließ es bei einem konfessionell gespaltenen staatlichen Ehescheidungsrecht. Es normierte die Ehescheidung auf der Grundlage 834 Die Scheidung aus diesem Grunde ist nur zulässig, wenn der Mann wenigstens 25, die Frau wenigstens 21 und noch nicht 45 Jahre alt ist, wenn die Ehe mindestens 2 und nicht über 20 Jahre bestanden hat und wenn die Eltern und in Ermangelung derselben die weiteren Aszendenten sämtlich zugestimmt haben. Der Entschluß muß fünfmal in Zwischenräumen von je 3 Monaten vor Gericht erklärt sein. 835 Der Beklagte, ausgenommen die des Ehebruchs schuldige Frau, kann jedoch nach drei Jahren die Scheidung vom Bande erwirken. 836 Eine weitere Aenderung war die Gleichstellung des Ehebruches des Mannes mit dem der Frau. 837 Vgl. Hubrich S. 209 ff. Ebenso mit einigen Modifikationen (z. B. s. 232a) im Bad. LR. In Elsaß-Lothringen wurde durch RG v. 27. Nov. 1873 die Scheidung vom Bande entsprechend den Vorschriften des Code wieder eingeführt. 838 Oest. Gb. §§ l03 – 111, 115 – 118, 133 – 135. Krainz-Pfaff-Ehrenzweig § 431 II u. § 432. Das Ehegesetz v. 8. Okt. 1856, das zum reinen kanonischen Recht zurückkehrte, wurde durch das Ges. v. 25. Mai 1868 wieder beseitigt. Dagegen stehen die Bestimmungen des Gesetzbuches trotz aller auf Grund der neueren Verfassungsgesetze erhobenen Bedenken noch heute unverändert in Geltung. 839 Die wichtigen Gründe sind § l09 erschöpfend aufgezählt. Unverschuldeter Scheidungsgrund sind nur anhaltende, mit Gefahr der Ansteckung verbundene Leibesgebrechen. 840 Für nichtkatholische Christen sind die Gründe, aus denen die Trennung gefordert werden kann, in § 115, jedoch nicht erschöpfend und nur nach Maßgabe ihrer „Religionsbegriffe“, aufgeführt (unüberwindliche Abneigung nur, wenn beide Ehegatten die Auflösung verlangen); der nach der Eheschließung erfolgte Uebertritt eines Teils zur katholischen Religion hindert nach § 116 den anderen Teil nicht, die Trennung zu verlangen. – Für jüdische Ehen ist in §§ 132 – 135 das Ehescheidungsrecht auf der Grundlage des mosaischen Rechts staatlich normiert.
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des evangelischen Kirchenrechts841, verwies aber für katholische Ehegatten auf das die Scheidung vom Bande ausschließende kanonische Recht842 und ließ auch für Mitglieder anderer staatlich anerkannter Religionsgesellschaften außer der evangelisch-lutherischen und der reformierten Kirche die ihrem religiösen Recht entsprechenden Einschränkungen oder Erweiterungen des Scheidungsrechtes bestehen843. Gemeinrechtlich galt für Katholiken das kanonische, für Evangelische das protestantische, für Juden das mosaische Ehescheidungsrecht als bürgerliches Recht fort, während Dissidenten dem Recht der Konfession, aus der sie stammten, unterworfen wurden. Unlösliche Schwierigkeiten, die nur selten eine gesetzliche Lösung fanden, im Uebrigen eine Fülle von Streitfragen hervorriefen, ergaben sich daraus bei gemischten Ehen844. Demselben Scheidungsurteil wurden vielfach für den evangelischen Ehegatten die Wirkung der Scheidung vom Bande, für den katholischen nur die Wirkung der beständigen Trennung von Tisch und Bett beigelegt845. V. Das Personenstandsgesetz ließ es bei dem bunten Rechtszustande in Ansehung der Ehescheidungsgründe bewenden. Doch griff es in einem Punkte einschneidend durch, indem es vorschrieb, daß überall, wo nach bisherigem Recht auf beständige Trennung von Tisch und Bett zu erkennen war, auf Scheidung vom Bande zu erkennen sei. Auch verlieh es, wenn durch ein früheres Urteil die beständige Trennung ausgesprochen war, jedem Ehegatten, falls inzwischen keine Wiedervereinigung stattgefunden hatte, das Recht, auf Grund des Urteils die Auflösung des Ehebandes im ordentlichen Prozeßverfahren zu beantragen846. Außerdem 841 Ehescheidungsgründe sind nach §§ 1716 – 1739 Ehebruch und was ihm gleichsteht, Lebensnachstellungen und Mißhandlungen nach §§ 1740 – 1741, schwerere Verbrechen, nach §§ 1742 – 1744 aber auch Lebensgefährlichkeit des Beischlafes für die Frau, unheilbare Geisteskrankheit und Religionswechsel. Statt der Scheidung kann zeitweilige Trennung von Tisch und Bett gemäß §§ l752 – 1765 verlangt werden. 842 Sächs. Gb. §§ 1766 – 1769. 843 Sächs. Gb. § l770. 844 Vgl. Richter-Dove-Kahl § 290 IV; v. Scheurl S. 25 ff.; v. Sicherer, Komm. zu PStG § 76 Bem. II; Hinschius3 zu § 77 S. 219; Hubrich S. 166 – 177. Bald ließ man das Recht des Klägers entscheiden (Seuff. XLVI Nr. 26, LIV Nr. 226), bald das Recht des Beklagten (gesetzlich ausgesprochen im Sächs. Gb. § 1769), bald für jeden Ehegatten sein Recht (RGer XII Nr. 59, Seuff. XLVIII Nr. 185). Auch wurde die Meinung verfochten, daß eine Scheidung nur insoweit zulässig sei, als beide Rechte hinsichtlich ihrer Zulassung übereinstimmen (dagegen RGer XLIII Nr. 44, Seuff. XLVIII Nr. 185). In einigen Gebieten (so in Braunschweig u. Schleswig-Holstein, seit 1875 auch in Württemberg) wurde das evangelische Kirchenrecht für allein anwendbar erklärt; dies wollte v. Scheurl a. a. O. verallgemeinern (vgl. dagegen Seuff. XXXIX Nr. 216, LIV Nr. 226). 845 Gesetzlich bestimmt im Sächs. Gb. § 1762. Hier sollte überdies der evangelische Kläger, wenn er gegen den katholischen Beklagten auf Grund des kanonischen Rechts nur zeitweilige Trennung von Tisch und Bett erzielt hatte oder ganz abgewiesen war, während nach evangelischem Kirchenrecht Scheidung vom Bande erfolgen konnte, nach Ablauf eines Jahres berechtigt sein, die Scheidung vom Bande zu verlangen.
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erstreckte sich die Zuweisung aller streitigen Ehesachen an die bürgerlichen Gerichte und die Beseitigung jeder geistlichen oder durch die Zugehörigkeit zu einem Glaubensbekenntniß bedingten Gerichtsbarkeit vor Allem auch auf Ehescheidungssachen847. Das Verfahren blieb landesrechtlich ungleich, wurde aber bald darauf durch die Zivilprozeßordnung einheitlich geregelt848. VI. Das bürgerliche Gesetzbuch849 Das BGB hat für ganz Deutschland ein einheitliches Ehescheidungsgecht geschaffen, das schlechthin unabhängig vom Religionsbekenntniß der Ehegatten gilt. Es stattet gleich dem evangelischen Kirchenrecht die „Scheidung“ mit der Kraft der vollständigen Auflösung des Ehebandes aus, kennt aber daneben wieder eine der katholischen beständigen Trennung von Tisch und Bett nachgebildete „Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft“850. Die Scheidung erfolgt ausschließlich durch rechtskräftiges Urteil; damit ist das landesherrliche Ehescheidungsrecht beseitigt851. Nur für die Mitglieder landesherrlicher Familien kann das Hausrecht abweichende Bestimmungen treffen852. Die Ehescheidungsgründe sind gegenüber dem 846 PStG § 77. Ein auf beständige Trennung von Tisch und Bett lautendes Urteil durfte seither kein deutsches Gericht, auch nicht auf Grund ausländischen Rechtes, mehr fällen. Dagegen blieb die zeitweilige Trennung unberührt. 847 PStG § 76. Ein lebhafter Streit, der eine umfassende Literatur hervorrief, erhob sich darüber, ob damit das im protestantischen Kirchenrecht (vgl. oben Anm. 827) ausgebildete, bisweilen aber verallgemeinerte landesherrliche Ehescheidungsrecht beseitigt sei. Dies wurde vielfach angenommen, weil es sich dabei um einen Richterspruch handle; so bes. Wasserschleben, Beitr. I 35 ff., II 24 ff., v. Sicherer zu PStG § 76 S. 452, ursprünglich auch Hinschius (2. Auflage S. 200). Von anderer Seite wurde der Fortbestand verteidigt. Der landesherrliche Eingriff sei ein von § 76 nicht berührter Dispensationsakt; so bes. Stölzel a. a. O. (oben Anm. 827) und in verschiedenen vorangegangenen Abh., Dove u.A. Oder ein Gesetzgebungsakt; so Hinschius3 S. 213 ff., Hubrich S. 157 ff. Manche wollten die landesherrliche Ehescheidung nur insoweit, als sie auf beiderseitigen Antrag der Ehegatten erfolgt, anerkennen, weil dann ein Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit vorliege. Auch sonst wurden mancherlei Mittelmeinungen aufgestellt. In der Praxis behauptete sich das Institut. 848 ZPO v. 1877 § 568 ff. Dabei wurde der bis dahin meist vorgeschriebene geistliche Sühneversuch durch gerichtlichen Sühneversuch ersetzt. 849 BGB §§ 1564 – 1587. Erler, Ehescheidungsrecht und Ehescheidungsprozeß2 1900. A. B. Schmidt in der Festgabe der Gießener Juristenfakultät für Dernburg, 1900, S. 1 ff. Lehrb. v. Dernburg §§ 26 – 31, Endemann §§ 165 – 168, Cosack § 316, Matthiaß § 242, Crome §§ 558 – 559, M. Wolff §§ 34 – 37. Komm. v. Planck, Schmidt, Staudinger. – Ueber den Entw. u. dessen Kritik Hubrich S. 231 – 278. 850 Sie war dem Entw. unbekannt und ist erst im Reichstag eingefügt. Dagegen ist die zeitweilige „Trennung von Tisch und Bett“, die Entw. I § 1444 auf höchstens zwei Jahre zuließ, im BGB gestrichen. 851 BGB § 1564. Hierüber besteht Einigkeit. 852 Nach Hausgesetz oder Hausobservanz ist vielfach dem Landesherrn als Familienhaupt die Scheidung der Ehen von Mitgliedern des Hauses (bisweilen unter Zuziehung eines Familienrats) oder doch die Uebertragung oder Entscheidung ihrer Ehestreitigkeiten an ein beson-
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preußischen Recht und zum Teil auch gegenüber manchen sonstigen früheren Bestimmungen oder Gebräuchen erheblich eingeschränkt, indem mit einziger Ausnahme der unheilbaren Geisteskrankheit nur verschuldete Zerrüttungen des ehelichen Verhältnisses durch einen Teil für den anderen Teil einen Scheidungsanspruch begründen und daher namentlich die Scheidungsgründe der gegenseitigen Uebereinstimmung und der unüberwindlichen Abneigung beseitigt sind. Mit dem deutschen Ehescheidungsrecht ist das des schweizerischen Gesetzbuchs nahe verwandt853. VII. Zeitliche Geltung Der aus der Natur der Sache folgende Grundsatz, daß über die Zulässigkeit und die Wirkungen der Scheidung oder Trennung einer bestehenden Ehe das jeweilig geltende Recht entscheidet, ist auch bei der Einführung des BGB beobachtet worden854. Es wurde nur die auch früher vorgekommene Ausnahmebestimmung getroffen, daß auf Grund einer früheren Verfehlung eines Ehegatten, die nach BGB einen Scheidungsgrund bildet, auf Scheidung oder Trennung nur erkannt werden darf, wenn sie auch nach bisherigem Recht ein Scheidungs- oder Trennungsgrund war855. Dagegen bestimmen sich die Wirkungen einer vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts erkannten Scheidung oder Trennung nach dem damals geltenden Recht856.
deres Gericht vorbehalten. Solche Bestimmungen gehen nach a. 57 EG dem BGB vor. Vgl. Staudinger zu § 1564 Bem. 2 d (gegen Stölzel, DJZ 1902 S. 84 ff.). 853 Schweiz. ZGB a. 137 – 158. Ein vom Religionsbekenntniß unabhängiges bürgerliches Ehescheidungsrecht wurde zuerst in einzelnen Kantonen, dann für die ganze Schweiz durch das BG v. 24. Dez. 1874 eingeführt. Das ZGB hat es reformiert und vervollständigt. Die Scheidungsgründe sind gegenüber dem deut. R. insofern erweitert, als sie auch unverschuldete tiefe Zerrüttung der Ehe einschließen. Die Scheidung erfolgt durch richterliches Urteil. Statt der Scheidungsklage kann eine Klage auf „Trennung“ angestellt werden. Möglich ist sowohl temporäre Trennung (auf 1 – 3 Jahre), wie Trennung auf unbestimmte Zeit. Vgl. die Komm. von Egger S. 76 ff., Gmür S. 140 ff.; über das ältere Recht Huber, Schweiz. PR IV 339 ff. 854 EG a. 20l1. Vgl. oben Bd. I 202 Anm. 24. In der sofortigen Anwendung des neuen Rechts liegt keine Rückwirkung, da es ein erworbenes Recht weder auf Unauflöslichkeit noch auf Trennbarkeit einer eingegangenen Ehe giebt. – Bekanntlich nahm in den Jahren vor 1900 die Zahl der Ehescheidungsklagen namentlich in Preußen stark zu, um vor dem Inkrafttreten des BGB ein Scheidungsurteil zu erzielen; Dernburg § 25 Anm. 13. 855 EG a. 2012. Dazu oben Bd. I 202 Anm. 24. 856 So nach EG a. 202 auch die Wirkungen einer zeitweiligen oder (etwa noch vor dem PStG ausgesprochenen) beständigen Trennung von Tisch und Bett. Einschließlich der Vorschriften, die eine bis zum Tode fortbestehende Trennung ganz oder teilweise der Auflösung gleichstellen. Das Urteil muß vor dem 1. Jann. 1900 ergangen, braucht aber nicht vorher rechtskräftig geworden zu sein; RGer L Nr. 69.
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VIII. Räumliche Geltung857 Im Falle einer Statutenkollision wurde gemeinrechtlich das zur Zeit der Klageerhebung die Ehegatten beherrschende Personalstatut und somit das Personalstatut des Mannes als die für die Zulässigkeit und die Wirkungen der Ehescheidung maßgebende Norm angesehen858. Auch nach heutigem Recht ist grundsätzlich das Personalstatut des Mannes, daher regelmäßig das Recht des Staates, dem der Mann zur Zeit der Klageerhebung angehört, entscheidend859. Jedoch finden, wenn zur Zeit der Klageerhebung die Reichsangehörigkeit des Mannes erloschen, die Frau aber Deutsche geblieben ist, die deutschen Gesetze Anwendung860. Im Bereiche des Haager Ehescheidungsabkommens gilt überhaupt, wenn die Ehegatten nicht dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen, ihr letztes gemeinsames Gesetz als das Gesetz ihres Heimatsstaates861. Ein während der Ehe eingetretener Wechsel der Staatsangehörigkeit kann also einen Wandel des Ehescheidungsrechtes bewirken und insbesondere eine bisher unzulässige Ehescheidung zulässig oder eine bisher zulässige Ehescheidung unzulässig machen862. Doch gilt hiervon die Ausnahme, daß eine Tatsache, die sich ereignet hat, bevor die Ehe dem jetzt maßgebenden Rechte unterworfen wurde, als Scheidungsgrund nur geltend gemacht werden kann, wenn sie zugleich von dem zur Zeit der Verwirklichung des Tatbestandes maßgebenden Recht als Scheidungs- oder Trennungsgrund anerkannt ist863. 857 Vgl. oben Bd. I 237 Anm. 91. Seitdem: EG zu BGB a. 17. Haager Abkommen zur Regelung des Geltungsbereichs der Gesetze und der Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet der Ehescheidung und der Trennung von Tisch und Bett v. 12. Juni 1902. Zitelmann, IntPR II 752 ff., Endemann § 165, 4. M. Wolff § 39. 858 Doch wurde auch die ausschließliche Geltung der lex fori behauptet u. bisweilen durchgeführt; oben Bd. I 237 Anm. 91. 859 EG z. BGB a. 171. Indessen kann nach a. 27 das deutsche Recht anwendbar sein, wenn das Gesetz des Heimatsstaats des Ausländers auf das deutsche Recht (z. B. als lex domicilii) zurückverweist. Auch gelten für Personen, die keinem Staate angehören, die Ersatzvorschriften des a. 29. – Das Prinzip des a. l71 erstreckt sich entsprechend der gemeinrechtlichen Regel (vgl. Plenarentsch. des RGer XLI Nr. 51 hinsichtlich der Ehescheidungsstrafen) auch auf alle Wirkungen der Scheidung. A. M. Zitelmann II 759, 767 ff. 860 EG z. BGB a. 173. 861 Haager Abk. a. 8. Die Tragweite bestimmt sich nach a. 9. 862 Ebenso, falls nach EG a. 27 die lex domicilii anzuwenden ist, die Verlegung des Wohnsitzes. Dagegen ist eine erst während des Prozesses erfolgte Aenderung einflußlos. RGer b. Gruchot XLVI 959, Rspr. d. OLG IV, 91. 863 EG z.BGB a. 172. Ein Trennungsgrund genügt (kein „Redaktionsversehen“, wie es bei Fischer-Henle heißt); der italienische oder der in katholischer Ehe lebende österreichische Ehegatte kann also, wenn er die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt hat, auch wegen eines früheren Ehebruchs auf Scheidung klagen. Gleiches bestimmt allgemein für Scheidungs- und Trennungsgründe das Haager Abk. a. 4. – Es handelt sich um eine Ausnahmebestimmung, die verhindern soll, daß die Staatsangehörigkeit (oder auch der Wohnsitz) gewechselt wird, um die Scheidung zu erlangen. Wird umgekehrt der Wechsel unternommen, um einen Scheidungsgrund hinfällig zu machen, so hat die Rechtsordnung keinen Anlaß, dem entgegenzutreten.
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Neben dem Personalstatut der Ehegatten hat aber nach geltendem Recht auch das am Sitz des entscheidenden Gerichtes geltende Recht (die lex fori) eine für die Ehescheidungsfrage erhebliche Bedeutung864. Denn alle Anwendung ausländischen Ehescheidungsrechts durch inländische Gerichte ist grundsätzlich dahin eingeschränkt, daß sie nur für, nicht wider die Aufrechterhaltung der Ehe erfolgen darf. Der deutsche Richter darf auf Scheidung oder Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft auf Grund eines ausländischen Gesetzes nur erkennen, wenn nicht blos nach deutschem, sondern zugleich nach dem fremden Recht eine Scheidung vom Bande zulässig sein würde865. Und die Scheidung oder Gemeinschaftsaufhebung darf im Einzelfalle nur erfolgen, wenn sowohl nach deutschem wie nach dem anzuwendenden ausländischen Recht ein Scheidungsgrund vorliegt866. Hiernach kann z. B. ein oesterreichischer Staatsangehöriger, wenn bei der Eheschließung er selbst oder der andere Teil katholisch war, bei einem an sich zuständigen deutschen Gericht überhaupt keinen Anspruch sei es auf Scheidung oder sei es auf Trennung seiner Ehe durchsetzen; denn auf Scheidung vom Bande zu erkennen, verbietet das anzuwendende oesterreichische Recht, das in diesem Falle nur Scheidung von Tisch und Bett zuläßt, eine Trennung von Tisch und Bett aber auszusprechen, untersagt dem deutschen Richter das deutsche Recht; an Stelle der vom oesterreichischen Recht angeordneten Scheidung von Tisch und Bett etwa die deutsche Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft zu setzen, ist ausgeschlossen, da diese internationalrechtlich vielmehr der Scheidung vom Bande, in die sie ja jeder Ehegatte alsbald umwandeln lassen kann (BGB § 15761), gleichzuachten ist867. Eben-
864 Insoweit gewinnen die hier nicht zu erörternden Vorschriften über die Zuständigkeit der Gerichte (ZPO § 606, Haager Abk. a. 5 – 6) und über die Anerkennung und Wirkungskraft ausländischer Urteile (ZPO § 328 Z. 3, Haager. Abk. a. 7) zugleich eine mittelbare materiellrechtliche Tragweite. 865 EG z.BGB a. 174; vgl. Seuff. LXXIII Nr. 192. Ebenso für alle Gerichte in den Verbandsstaaten des Haager Abk. a. 1, nach dem das Gleiche für die Trennung von Tisch und Bett gilt, so daß z. B. eine nach deutschem Recht zu beurteilende Ehe in keinem Vertragsstaat von Tisch und Bett getrennt werden darf. Doch kann nach a. 3 das Gesetz des Heimatsstaats die ausschließliche Anwendung der lex fori vorschreiben oder gestatten (von praktischer Bedeutung für Italien). 866 EG a. 174. Daß nach dem ausländischen Recht ein Trennungsgrund vorliegt, genügt (anders als nach a. 172) hier nicht. Dagegen ist die Scheidung zulässig, wenn sie nach dem deutschen Recht aus einem anderen Grunde, als dem sie nach dem fremden Recht rechtfertigenden Grunde, geschieden werden kann. – Das Haager Abk. a. 2 bestimmt unter ausdrücklicher Hervorhebung der Unerheblichkeit des Zulässigkeitsgrundes („sei es auch aus verschiedenen Gründen“) das Gleiche für die Scheidung und für die Trennung von Tisch und Bett. Der Vorbehalt des a. 3 (oben Anm. 864) bezieht sich auch auf a. 2. 867 Dieses sachlich wenig befriedigende Ergebniß ist nach dem geltenden positiven Recht unvermeidlich. In ausführlicher Begründung hat dies die Entsch. der Vereinigten ZS des RGer LV Nr. 87 klargestellt. Vgl. auch schon RGer XLVII Nr. 30, XLVIII Nr. 34. – Der einzige Weg, die Scheidung in Deutschland zu erlangen, führt über den Erwerb der deutschen Reichsangehörigkeit durch den Mann. Die Frau kann selbst dann, wenn sie bei der Eheschließung eine evangelische Deutsche war und nach der Trennung vom Manne die deutsche
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sowenig kann ein in Deutschland wohnhaftes italienisches Ehepaar, da das italienische Recht keine Scheidung vom Bande, das deutsche Recht keine Trennung von Tisch und Bett kennt, seine Eheirrung vor einem deutschen Gericht austragen868.
§ 249. Die Ehescheidungsgründe I. Ueberhaupt Das BGB geht von zwei Grundgedanken aus. 1. Es gewährt regelmäßig einen Scheidungsanspruch nur auf Grund eines Verschuldens des anderen Ehegatten. Eine von keinem Ehegatten verschuldete Sachlage bildet keinen Scheidungsgrund, mag sie auch eine dem Wesen der Ehe entsprechende Lebensgemeinschaft ausschließen. Sie muß als unverschuldetes Unglück gemeinsam getragen werden. Während aber im ersten Entwurf das Verschuldensprinzip starr durchgeführt war, wurde es in den folgenden Entwürfen durch eine Ausnahme unterbrochen, deren Beibehaltung im Reichstage nach heftigem Streit erkämpft wurde. Unheilbare Geisteskrankheit eines Ehegatten, die schon vor dem leiblichen Tod die geistige Gemeinschaft aufhebt, befugt den gesunden Ehegatten, die Scheidung zu verlangen. Dagegen sind alle anderen von Verschulden unabhängigen Ehescheidungsgründe, die das frühere deutsche Recht kannte oder geltendes ausländisches Recht kennt, für den deutschen Richter nicht vorhanden. Kein Scheidungsgrund ist daher ein noch so schweres körperliches Gebrechen, das ein erträgliches Zusammenleben oder den geschlechtlichen Verkehr unmöglich macht869. Kein Scheidungsgrund ist eine unüberwindliche Abneigung, mag sie auch tief gewurzelt sein und keine Hoffnung auf Aussöhnung lassen870. Kein Scheidungsgrund ist unter irgend welchen Reichsangehörigkeit zurückerworben hat, in Deutschland nicht auf Scheidung klagen (EG a. 173 paßt nicht). 868 Dagegen scheidet die italienische Praxis deutsche Ehegatten, die nicht in Italien geheiratet haben, vom Bande (Gedeckt durch Haager Abk. a. 3). 869 Das Preuß. LR §§ 696 u. 697 erkannte ein während der Ehe entstandenes völliges und unheilbares Unvermögen der Leistung der ehelichen Pflicht und ein anderes unheilbares körperliches Gebrechen, das Ekel oder Abscheu erregt oder die Erfüllung der Zwecke des Ehestandes gänzlich verhindert, als Scheidungsgründe an. Auch in der Praxis des evangelischen Kirchenrechts wurden, soweit Geisteskrankheit als Scheidungsgrund galt (vgl. unten Anm. 927), meist derartige leibliche Krankheiten gleichgestellt; Hubrich S. 131 ff. Vgl. auch Sächs. Gb. § 1742 (oben § 248 Anm. 841). Das Oesterr. Gb. § 109 führt ansteckende Krankheiten als Grund der Scheidung von Tisch und Bett auf; oben § 248 Anm. 839. Nach dem Schweiz. ZGB a. 142 können unverschuldete wie verschuldete (besonders geschlechtliche) Krankheiten unter Umständen die Scheidung rechtfertigen; Egger Bem. 3 b, Gmür Bem. IV 4 c. 870 Anders nach Preuß. LR § 718a; nur soll nach § 718b der Ehegatte, der wider den Willen des anderen Teils auf der Scheidung beharrt, für den schuldigen Teil erklärt werden. Vgl.
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Voraussetzungen die beiderseitige Uebereinstimmung871. Auch der Religionswechsel eines Ehegatten kann von dem anderen Ehegatten nicht als Scheidungsgrund angerufen werden872. In Folge des Verschuldensprinzips wird jeder Ehescheidungsgrund mit Ausnahme des Scheidungsgrundes der Geisteskrankheit durch Verzeihung seitens der beleidigten Ehegatten hinfällig873. Die Verzeihung ist eine Rechtshandlung, durch die der Ehegatte zu erkennen giebt, daß er sich mit der Schuld des anderen Ehegatten ausgesöhnt hat und sie nicht mehr als ein Hinderniß für die Fortsetzung der Ehe empfindet874. Sie kann ausdrücklich erklärt oder stillschweigend betätigt werden875. In welchen Handlungen oder Unterlassungen sie zu finden ist, ob sie insbePreuß. OTr. Entsch. V 175, X 47, Strieth. LXXXIV 23, RGer XX Nr. 57. Auch nach gem. evangel. Kirchenrecht wurde vielfach die Geltung dieses Scheidungsgrundes behauptet und vom Obst. LG f. Bayern ständig bejaht (Seuff. XLVI Nr. 27, XLVII Nr. 33, L Nr. 174, LIII Nr. 158), dagegen vom RGer XV Nr. 40 verneint. Das OLG Darmst. hielt diesen Scheidungsgrund trotzdem auf Grund partikulären Gewohnheitsrechtes aufrecht; Seuff. XLIII Nr. 26. Für das jüd. Recht nahm ihn das ObstLG f. Bayern gleichfalls an; Seuff. XLIV Nr. 191. 871 Nach Preuß. LR § 716 genügte sie zur Scheidung kinderloser Ehen, sobald weder Leichtsinn oder Uebereilung noch heimlicher Zwang zu besorgen war. Ueber das frühere französ. R., das noch in Luxemburg u. Belgien gilt, vgl. oben § 248 Anm. 834. Nach österr. R. werden auf Grund beiderseitiger Einwilligung katholische Ehen von Tisch und Bett geschieden (§§ l03 – 106), andere christliche Ehen, wenn zunächst Scheidung von Tisch und Bett erfolgt, die Abneigung aber nicht überwunden ist, vom Bande getrennt (§ 115). Bei jüdischen Ehen erfolgt nach dem oesterr. Gb. §§ 133 – 134 die Scheidung vom Bande mit beiderseitiger Einwilligung mittels eines vom Manne der Frau gegebenen Scheidebriefes. Die willkürlich einseitige Scheidung durch den Mann (oben § 248 Anm. 822) wurde in neuerer Zeit auch gemeinrechtlich nicht mehr anerkannt. 872 Als Scheidungsgrund behandelte ihn das Preuß. LR § 715 u. das Sächs. Gb. § 1744. Ein Verschulden kann im Religionswechsel schwerlich gefunden werden, wenn auch das Sächs. Gb. „Verzeihung“ kennt. Nach Schweiz. ZGB a. 142 ist bei Zerrüttung der Ehe durch Religions- und sogar durch bloßen Konfessionswechsel Scheidung möglich. 873 BGB § 1570. So auch nach gem. R. (Seuff. XLI Nr. 113 u. 192, XLIII Nr. 25, XLIV Nr. 106), Preuß. LR §§ 720 – 722, Code civ. a. 272 – 274, Bad. LR s. 272, 272a, 273, Sächs. Gb. §§ 1720, 1734, 1741, Schweiz. ZGB a. 1373, 1383. 874 Dies ist die herrschende Meinung. Vgl. Erler a. a. O. S. 120 ff., Schmidt zu § 1570 Bem. 3, Planck Bem. 1, Crome § 558 I 2 a, Egger zu a. 137 Bem. 1, P. Klein, Die Rechtshandlungen, 1912, S. 117 ff. Doch wird über die rechtliche Natur der Verzeihung lebhaft gestritten. Einerseits halten Manche sie überhaupt für keine Rechtshandlung, sondern für einen rein tatsächlichen Vorgang, sei es nun für eine bloße innere Gefühlstatsache oder sei es für eine Gefühlsäusserung; so in verschiedener Weise Planck zu § 1570 Bem. 1, Staudinger Bem. 4, Fischer-Henle Bem. 3, Endemann § 166 S. 242 ff., Eltzbacher, Handlungsfähigkeit I 197 ff., Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, S. 629 ff., 657 ff. Andererseits erblikken Manche in ihr eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, die dahin geht, aus der Verfehlung des anderen Teils in Zukunft keine Folgen herleiten zu wollen; so Dernburg § 27 Anm. 2, Herle, Vorstellungs- und Willenstheorie, 1910, S. 362 ff., Wolff § 35 VI 1. 875 So auch nach gemeinem, sächs. u. französ. R. Dagegen verlangte das Preuß. LR ausdrückliche Verzeihung (§ 720) und stellte dieser nur einjährige Fortsetzung der Ehe nach erhaltener überzeugender Kenntniß gleich (§ 721); RGer XV Nr. 68, Gruch. XXX 131. Ebenso einige thüring. G.; Motive IV 603.
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sondere in der freiwilligen Leistung der ehelichen Pflicht trotz erlangter sicherer Kenntniß von dem als Scheidungsgrund anerkannten Tatbestande liegt, ist Tatfrage876. Die Wirksamkeit der Verzeihung hängt nicht von den besonderen Erfordernissen rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen, wohl aber von den allgemeinen Voraussetzungen rechtserheblichen menschlichen Handelns ab877. Hat der Ehegatte wirksam verziehen, so ist sein Recht, auf Grund des verziehenen schuldhaften Verhaltens des anderen Teils die Scheidung zu verlangen, endgültig erloschen878. 2. Sodann unterscheidet das BGB absolute und relative Scheidungsgründe. Absolute Scheidungsgründe sind gesetzlich fest bestimmte Tatbestände, die einen von keinen weiteren Voraussetzungen abhängigen Scheidungsanspruch begründen, so daß, wenn sie nachgewiesen sind, der Richter die verlangte Scheidung aussprechen muß. Als solche erkennt das BGB nur Ehebruch, Lebensnachstellungen und bösliche Verlassung an. Relative Scheidungsgründe sind gesetzlich nur allgemein umrissene Tatbestände, die wegen der durch sie bewirkten Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses einen Scheidungsanspruch begründen können, bei denen aber die Entscheidung, ob der Anspruch besteht, von einem durch die Prüfung der besonderen Umstände des einzelnen Falles bestimmten richterlichen Ermessen abhängt. Als solche erkennt das BGB im Rahmen einer Generalklausel Verfehlungen mannichfacher Art an879. Hinzu tritt der Scheidungsgrund der Geisteskrankheit, den man den relativen Scheidungsgründen zurechnen muß. 876 Die Fortsetzung des geschlechtlichen Verkehrs wurde im Bad. LR s. 272a u. im Sächs.Gb. § 1720 als Fall der stillschweigenden Verzeihung besonders hervorgehoben, dagegen im Preuß. LR § 722 umgekehrt für nicht ausreichend erklärt. Nach heutigem Recht kommt es auf die Umstände des Falles an; RGer in JWSchr 1906 S. 752, Rspr. d. OLG VII l07 ff. Gleiches gilt von der Zurücknahme der Scheidungsklage; RGer in JWSchr 1903 S. 26 ff. 877 Die Verzeihung fordert nicht Geschäftsfähigkeit, wohl aber ausreichende natürliche Handlungsfähigkeit. Sie braucht nicht dem anderen Teil gegenüber geäußert zu sein; RGer in JWSchr 1910 S. 436. Es ist nur Kenntniß der Verfehlung, nicht ihrer Bedeutung als Scheidungsgrund, auch nicht der Wille, auf die Scheidungsklage zu verzichten, erforderlich; RGer in JWSchr l902 S. 13. Die Verzeihung deckt nur die zur Kenntniß gelangten, nicht andere selbständige Scheidungsgründe und nur die bereits in der Vergangenheit existent gewordenen, nicht spätere neue Verfehlungen; Seuff. XLI Nr. 192, XLIV Nr. 26, Nr. l06, LX Nr. 235. Bedingte (doch wohl nur aufschiebend bedingte) Verzeihung ist möglich; RGer in JWSchr 1903 B S. 26, Gruch. XLVIII 801. Irrtum, Zwang, Betrug, Mangel der Ernstlichkeit können die Verzeihung entkräften. Mentalreservation ist nicht, wie das RGer XXXVII Nr. 92, JWSchr 1905 S. 371 u. Gruch. LI 187 ff. annimmt, schlechthin unbeachtlich; vgl. dagegen Manigk S. 631 ff., P. Klein S. 125 ff., während Herle S. 363 im Ergebniß dem RGer zustimmt. Die Verzeihung ist unwiderruflich. 878 Doch kann die Tatsache, die einen selbständigen Scheidungsgrund nicht mehr bildet, noch zur Unterstützung eines auf andere Tatsachen gegründeten Scheidungsanspruches geltend gemacht werden; BGB § 1573. So auch nach bisherigem R.; vgl. für das preuß. R. RGer b. Gruch. XXVI 406 u. ZS XXXIII Nr. 45, für das bad. R. RGer XXVIII Nr. 89. 879 Die Unterscheidung absoluter und relativer Scheidungsgründe findet sich auch im Schweiz. ZGB, das aber zu den absoluten Scheidungsgründen auch schwere Mißhandlung
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II. Ehebruch Vornehmster absoluter Scheidungsgrund ist der Ehebruch880. Ueber die Frage, ob ein Ehebruch vorliegt, entscheiden die strafrechtlichen Tatbestandsmerkmale881. Dem Ehebruch gleich steht strafbare Eingehung einer Doppelehe und strafbare widernatürliche Unzucht882. Der Scheidungsanspruch ist ausgeschlossen, wenn der Ehegatte dem Ehebruch oder der strafbaren Handlung zustimmt883 oder sich der Teilnahme schuldig macht884. Dagegen ist dem BGB die Tilgung des Scheidungsanspruches durch gleiches eigenes Verschulden fremd. Somit ist die im kanonischen Recht und im gemeinen protestantischen Kirchenrecht durchgeführte sogen. „Kompensation“ der beiderseitigen Schuld abgeschafft885: Desgleichen die und schwere Ehrenkränkung (a. 138), sowie entehrendes Verbrechen oder stark unehrenhaften Lebenswandel (a. 139) stellt und die clausula generalis (a. 142) weiter faßt. 880 BGB § l565. Uebereinstimmend mit dem bisherigen Recht. Die im Code civ. ausgesprochene Einschränkung des Scheidungsanspruches der Frau auf den Fall eines qualifizierten Ehebruches des Mannes (oben § 248 Anm. 833 u. 837) gilt noch in Luxemburg und Belgien. Ueber die nach englischem Recht noch geltende Zurücksetzung der Frau vgl. Heymann, Enzykl.7 II 344. 881 StrGB § 172. Es genügt geschlechtliche Vereinigung, wie im Gegensatz zum kanonischen Recht, das immissio seminis fordert, auch für das gemeine evangel. Eherecht anzunehmen war; RGer IX Nr. 47 S. 190, XXXVIII Nr. 47. Dagegen ist der bloße Versuch des Ehebruchs kein absoluter Scheidungsgrund (so auch RGer a. a. O.; Sächs. Gb. § 1715). Ebensowenig der dringende Verdacht des Ehebruchs; anders nach kanon. R., vgl. v. Scherer S. 586 Anm. 38, gem. evangel. Kirchenrecht, vgl. Seuff. XLIII Nr. 125, XLV Nr. 101, Preuß. LR §§ 673 – 676. 882 StrGB §§ 171. u. 175. Auch nach kanon. R. wurde die widernatürliche Unzucht meist dem Ehebruch gleichgeachtet (dagegen Scherer S. 587 Anm. 40). Allgemein nach evangel. KR; Seuff. XLIII Nr. 25. Vgl. ferner Preuß. LR § 672, Sächs. Gb. §§ 1728 – 1729. Andere, wenngleich (z. B. nach StrGB § 174) strafbare, unzüchtige Handlungen können nur als relative Scheidungsgründe in Betracht kommen. 883 Ueber das Wesen und die Erfordernisse der „Zustimmung“, die keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung und daher nicht nach BGB §§ 182 – 184 zu beurteilen, wohl aber Rechtshandlung ist, handelt eingehend P. Klein a. a. O. S. 104 – 117; vgl. ferner Manigk a. a. O.. S. 699 ff., Endemann § 166 S. 241, Dernburg § 27 II, Crome § 554 Anm. 14, Planck zu § 1565 Bem. 4, Staudinger Bem. 6a, Schmidt Bem. 3a. Die Zustimmung kann stillschweigend erfolgen und braucht nicht dem anderen Teil gegenüber erklärt zu sein; RGer LXXXV Nr. 39. Sie kann vor oder nach der schuldhaften Tat für einen einzelnen Fall oder generell erteilt werden; RGer in JWSchr 1904 S. 63. Allein jede im Voraus erteilte Zustimmung wird, da ein Verzicht auf die eheliche Treue undenkbar ist, durch Widerruf entkräftet; RGer a. a. O. 1908 S. 333, 1910 S. 474, Rspr. d. OLG III, 32, IV 186. In der Erhebung der Scheidungsklage liegt ein Widerruf für die Zukunft; RGer a. a. O. 1910 S. 478. – Die Ausschließung des Scheidungsanspruchs durch Einverständniß mit dem Ehebruch des anderen Teils wurden überwiegend auch für das gemeine evangel. Eherecht angenommen; vgl. Hubrich S. 125, Seuff. XLI Nr. 191, LIV Nr. 41; anders Seuff. XLII Nr. 215. Vgl. auch Sächs. Gb. 1718 („Veranlassung“). 884 Im Sinne des StrGB §§ 47 – 49 (als Mittäter, Anstifter oder Gehülfe). 885 Vgl. über das kanon. R. v. Scherer S. 586 Anm. 37, über das evangel. R. Hubrich S. 126 ff., RGer b. Seuff. XLVII Nr. 114; dazu Sächs. Gb. § 1730. Das Kompensationsprinzip
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preußischrechtliche Bestimmung, nach der in solchem Falle nur der Mann, nicht die Frau die Scheidung erzwingen konnte886. Vielmehr kann jeder Teil auf Scheidung bestehen; der Nachweis beiderseitigen Ehebruchs bewirkt nur, daß beide Ehegatten für schuldig erklärt werden887. III. Lebensnachstellungen Den zweiten absoluten Scheidungsgrund bilden Lebensnachstellungen 888. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere ihm nach dem Leben trachtet. Strafbarer Versuch ist nicht erforderlich; es genügt eine die Tötungsabsicht offenbarende Vorbereitungshandlung889. IV. Bösliche Verlassung Der dritte absolute Scheidungsgrund ist die bösliche Verlassung890. Dieser vom evangelischen Kirchenrecht ausgebildete Scheidungsgrund ist vom BGB wie von anderen neueren Gesetzbüchern übernommen und im Anschluß an das bisherige Recht in eine feste Form gebracht891. Unter böslicher Verlassung (malitiosa desertio) versteht man im Allgemeinen eine rechtwidrige, in böslicher Absicht, d. h. mit dem Vorsatz der Verletzung der ehelichen Gemeinschaftspflicht, vorgenommene, wurde auch auf andere Verschuldungen ausgedehnt, z. B. auf bösliche Verlassung (Seuff. XLII Nr. 35), beiderseitige Straftaten (Seuff. XLIX Nr. 22) oder sogar auf unüberwindliche Abneigung (Seuff. XLVII Nr. 33). Die Schuldaufrechung sollte, auch wenn keine Einrede erhoben war, von Amtswegen vorgenommen werden und zur Klageabweisung führen; Seuff. XLVII Nr. 275, RGer XXIII Nr. 29; a.M. Seuff. XLVII Nr. 275. Spätere einseitige Fortsetzung des Ehebruchs blieb natürlich Scheidungsgrund; Seuff. XLV Nr. l00, RGer ebd. XLVII Nr. 114. 886 Preuß. LR § 671; dazu RGer XX Nr. 54. 887 BGB § 1574. Dagegen bleibt bei beiderseitiger, mit Klage und Widerklage geltend gemachter Untreue die Scheidung unzulässig, wenn jeder Teil dem Verhalten des anderen zugestimmt hat; RGer LXXXV Nr. 39. 888 BGB § 1566. Ebenso im gem. evangel. Kirchenrecht; vgl. über die geschichtliche Entwicklung Hubrich S. 96 ff., Preuß. LR § 699. Oest. Gb. § 115. Sächs. Gb. § 1735. Schweiz. ZGB. a. 138. 889 Gemeinrechtlich wurden den „Insidien“ die „Saevitien“ gleichgestellt; auch im preuß., oesterr., sächs. u. schweiz. Gb. a. a. O. gilt dies für Mißhandlungen, die das Leben oder die Gesundheit gefährden. Nach dem BGB sind sie nur relativer Scheidungsgrund. 890 BGB § 1567. Vgl. Süßheim, Arch. f. z. Pr. XCI 406 ff. Eichhorn, Recht, 1903, S. 562 ff. Schröder, ebd. 1904, S. 42 ff. Dernburg § 26 II 3. Endemann § 166, 3. Crome § 559 I l c. Wolff § 34 III. Planck, Staudinger, Schmidt zu § 1567. 891 Ueber das evangel. KR vgl. Hubrich S. 80 ff. (desertio) u. S. 88 ff. (quasi desertio). Dazu Preuß. LR. §§ 677 – 693; Oesterr. Gb. § 115; Sächs. Gb. §§ 1731 – 1732; Schweiz. ZGB a. 140. – Nach kathol. KR ist bösliche Verlassung kein Grund der separatio perpetua; Seuff. XXXIX Nr. 216.
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längere Zeit hindurch fortgesetzte und gegen den Willen des anderen Ehegatten stattfindende Fernhaltung von der häuslichen Gemeinschaft. Man unterscheidet aber die Anfangs allein als Scheidungsgrund anerkannte eigentliche „Desertion“, die vorliegt, wenn der Schuldige sich an einem dem richterlichen Machtbereich des Heimatstaates unzugänglichen Orte aufhält, und die daneben erst nach längerem Streit als Scheidungsgrund durchgedrungene „Quasidesertion“, die voraussetzt, daß der für den obrigkeitlichen Eingriff erreichbare Schuldige einer richterlichen Anordnung der Wiedervereinigung nicht Folge leistet. An dieser Unterscheidung hat das BGB festgehalten. Die Desertion im eigentlichen Sinne verlangt, daß ein Ehegatte sich ein Jahr lang gegen den Willen des anderen Ehegatten in böslicher Absicht von der häuslichen Gemeinschaft fern gehalten hat und daß außerdem seit Jahresfrist wegen Unbekanntheit seines Aufenthaltes oder sonstiger Unausführbarkeit einer ordentlichen Ladung die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung gegen ihn bestehen. In diesem Fall kann der verlassene Ehegatte ohne Weiteres auf Scheidung klagen892. Die Scheidung ist jedoch unzulässig, wenn am Schlusse der mündlichen Verhandlung die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung nicht mehr bestehen, also der Beklagte erscheint oder sein Aufenthaltsort bekannt geworden oder sonst eine ordentliche Zustellung an ihn ausführbar geworden ist893. Dann muß der klagende Ehegatte, um sein Ziel zu erreichen, das umständlichere und die Scheidung mindestens für ein weiteres Jahr hinausschiebende Verfahren, das im Falle der Quasidesertion eintritt, beobachten; kann aber die Scheidungsklage sofort in eine Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens umwandeln894. Im Falle der Quasidesertion muß der Ehegatte, der die Scheidung verlangt, zuvor mit der Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens die Verurteilung des anderen Ehegatten zur Herstellung der häuslichen Gemeinschaft erlangt haben895.
892 Gemäß ZPO § 203. Zu besonderen Nachforschungen über den Aufenthalt des Beklagten ist – im Gegensatz zum früheren Recht – vgl. Preuß. LR § 631 und über den in älterer Zeit oft geforderten Diligenzeid Hubrich S. 84 Anm. 7 – der Kläger nicht verpflichtet; RGer in DJZ 1900 S. 442. Im Falle gehörig erfolgter öffentlicher Zustellung will das RGer LIX Nr. 75 den Einwand, daß dem Kläger der Aufenthalt des Beklagten bekannt gewesen sei, nicht mehr zulassen. 893 Er muß nur den Richter überzeugen, daß seit mindestens einem Jahre ununterbrochen sowohl der Zustand der Unerreichbarkeit des Beklagten, wie dessen ehewidriges Fernbleiben besteht. Die ehezerreißende Absicht kann sich aus der Art der Entfernung ergeben; sie kann aber auch bei der Entfernung gefehlt haben, wenn aus den Umständen erhellt, daß sie sich später eingestellt hat und dem andauernden Fernbleiben zu Grunde liegt; vgl. für das gem. R. RGer XV Nr. 43, Seuff. XLII Nr. 35. Ebenso schließt das Einverständniß des verlassenen Ehegatten mit der Entfernung den Scheidungsanspruch nicht aus, wenn er dartut, daß das über die zu erwartende Dauer hinaus verlängerte Fernbleiben gegen seinen Willen erfolgt. 894 Sonst ist die Klage abzuweisen. Nach richtiger Ansicht, obwohl darüber gestritten wird, auch dann, wenn die Aenderung erst in der Revisionsinstanz eintritt. 895 Vgl. oben § 244 V 2, insbes. Anm. 700 u. 716. Der Quasidesertion kann sich also ein Ehegatte nicht nur dadurch, daß er das Haus verläßt, sondern auch dadurch, daß er den ande-
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Sodann muß der verurteilte Ehegatte ein Jahr lang dem Urteil nicht Folge geleistet haben896. Es ist weiter erforderlich, daß die Herstellung der häuslichen Gemeinschaft wider den Willen des die Scheidung verlangenden Ehegatten unterblieben ist897. Endlich muß der Ungehorsam gegen das Urteil auf böslicher Absicht beruhen898. Insbesondere kann der Beklagte die Abweisung der Scheidungsklage durch den Nachweis erzielen, daß er aus Gründen, die erst nach dem Urteil eingetreten sind, das Recht erworben hatte, die Herstellung der häuslichen Gemeinschaft zu verweigern899. ren Ehegatten aus dem Hause vertreibt oder ihm die Aufnahme verweigert, schuldig machen. – Das gemeine evangelische Eherecht verlangte gleichfalls stets vorgängiges obrigkeitliches Einschreiten und zwar, soweit Zwangsmaßregeln zulässig waren, vergebliche Anwendung derselben, in neuerer Zeit mindestens die Anstellung der Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens; vgl. Hubrich S. 95 ff., oben § 244 Anm. 695 – 698. Dagegen begnügte sich das Preuß. LR mit fruchtlosem richterlichen Rückkehrbefehl (§§ 685 – 686) oder Folgebefehl (§ 680). – Das Schweiz. ZGB a. 140 fordert überhaupt nur zweijährige Dauer des ehewidrigen Zustandes und schreibt nur auf Begehren des Klageberechtigten die Erlassung einer richterlichen (nötigenfalls öffentlichen) Aufforderung an den Abwesenden, binnen sechs Monaten zurückzukehren, mit der Wirkung vor, daß dann erst nach Ablauf dieser weiteren Frist geklagt werden kann. Damit ist der Unterschied der Quasidesertion von der eigentlichen Desertion im Wesentlichen beseitigt. 896 Die Frist, die von der Rechtskraft des Urteils an läuft, braucht nicht notwendig schon bei Erhebung der Scheidungsklage abgelaufen zu sein (so RGer LX Nr. 47), vielmehr genügt es, wenn sie während des Scheidungsprozesses abläuft; RGer LXXII Nr. 77. Bis zu ihrem Ablaufe kann der schuldige Ehegatte durch Herstellung der häuslichen Gemeinschaft die Scheidung abwenden; hebt er die Gemeinschaft innerhalb des Jahres von Neuem auf, so muß von Neuem auf Herstellung der Gemeinschaft geklagt werden, es sei denn die Erfüllung des Urteils nicht ernstlich gewollt gewesen. Dagegen wird durch Bereiterklärung zur Wiedervereinigung nach Ablauf des Jahres (anders wie bei der eigentlichen Desertion) der entstandene Scheidungsanspruch nicht wieder beseitigt; Rspr. d. OLG XVI 217. Anders Sächs. Gb. § 1732. 897 Indessen hat der Richter mangels gegenteiliger Anzeichen den auf Wiedervereinigung gerichteten und bis zur Klageerhebung fortbestehenden ernstlichen Willen des verlassenen Ehegatten anzunehmen; Rspr. d. OLG V 40l ff., VII l03 ff., XII 315, XVI 217, vgl. auch für das frühere R. RGer XL Nr. 41. Liegen aber Umstände vor, die auf eine Kollision der Parteien schließen lassen, so hat der Richter von Amtswegen zu untersuchen und, wenn er die Ueberzeugung gewinnt, daß der Verdacht begründet ist, die Klage abzuweisen. 898 Die bösliche Absicht ergiebt sich ohne Weiteres aus dem Ungehorsam gegen das Urteil, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die sie ausschließen; Rspr. d. OLG XVI 217, XXI 238. Sie fehlt aber, wenn und solange der Verurteilte (z. B. durch Krankheit oder Gefängnisstrafe) an der Rückkehr verhindert ist oder der Zurechnungsfähigkeit entbehrt (RGer JWSchr 1903 B. 12) oder wegen drohender Strafverfolgung flüchtig ist (Recht 1908 Nr. 2677, anders für das frühere Recht RGer b. Seuff. XLVI Nr. 197), oder vom Urteil keine Kenntniß erlangt hat usw. Auch der irrige Glaube an ein Recht zur Gemeinschaftsverweigerung nimmt, weil er den Vorsatz der Rechtswidrigkeit ausschließt, dem Ungehorsam das Merkmal der Böslichkeit; RGer JWSchr 1911 S. 281, Rspr. d. OLG I 91; anders für das gem. R. RGer XL Nr. 42. 899 RGer in JWSchr 1902 B. 248. Beweispflichtig ist der Beklagte; Rspr. d. OLG V 401 ff., VII 104 ff. Dagegen kann der Beklagte sich auf frühere Tatsachen, die vor der Feststellung seiner Verpflichtung zur Herstellung der häuslichen Gemeinschaft im Vorprozeß
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Der Scheidungsanspruch wegen böslicher Verlassung ist absoluter Natur900. Sind die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, so muß die Scheidung erfolgen; ob in Wirklichkeit die Ehe unheilbar zerrüttet ist, hat der Richter nicht zu prüfen901. Andererseits darf er eine Scheidung auf Grund des § 1567 BGB nicht aussprechen, wenn es an irgend einer der gesetzlichen Erfordernisse gebricht902. Denn diese Erfordernisse sind besonders deshalb so gehäuft und so fest und umständlich geregelt, um zu verhüten, daß dieser Scheidungsgrund als Deckmantel für die Erzwingung der verpönten Scheidung auf Grund beiderseitigen Einverständnisses benutzt wird. Freilich haben alle Kautelen und Erschwerungen nicht zu hindern vermocht, daß trotzdem tatsächlich kraft allgemeiner Uebung die Scheidung wegen böslicher Verlassung sich zum Ersatz für die Scheidung kraft Vereinbarung ausgewachsen hat. V. Relative Scheidungsgründe Als relative Scheidungsgründe kann ein Ehegatte Verfehlungen des anderen Ehegatten geltend machen, die entweder eine schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten enthalten oder in einem ehrlosen oder unsittlichen Verhalten bestehen; jedoch immer nur dann, wenn der andere Ehegatte dadurch eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, daß ihm die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann903. Es muß also einerseits stets in liegen, nicht berufen; RGer in JWSchr 1902 B. 273 ff., Rspr. d. OLG IV l07. Ebensowenig aber auch auf Tatsachen, die erst nach dem Urteil eingetreten sind und dessen Nichtbefolgung gerechtfertigt hätten, die er aber erst nach Ablauf der Jahresfrist erfahren hat und die daher nicht rückwärts seinen Ungehorsam entschuldigen können; RGer LXXXI Nr. 69. Nach gem. R. wurde öfter die Klage wegen böslicher Verlassung dem Ehebrecher allgemein versagt, ja sogar zur Begründung der Klage der Nachweis keuschen Lebens während der Abwesenheit des Beklagten verlangt; vgl. Seuff. XLII Nr. 36, XLIV Nr. 27; dagegen RGer XVIII Nr. 46, XX Nr. 47. 900 Er erlischt durch Verzeihung; oben Anm. 873 ff. Im Falle der Quasidesertion muß daher der Ehemann, der nach der Verurteilung der Frau zur Herstellung der häuslichen Gemeinschaft mit ihr noch geschlechtlichen Umgang gepflogen hat, gegen die Frau, die trotzdem nicht zurückkehrt, nach Entsch. des RGer LXXII Nr. 77 erst von Neuem auf Herstellung der Gemeinschaft klagen und ein weiteres Jahr warten, bevor er die Scheidungsklage erheben kann. 901 Fehlt es an einer der gesetzlichen Voraussetzungen, so bleibt immerhin möglich, daß der Richter die bösliche Verlassung als relativen Scheidungsgrund wertet; RGer b. Seuff. LXIII Nr. 136, JWSchr 1910 S. 581. Dann aber muß er prüfen, ob im konkreten Falle eine hinreichend tiefe Zerrüttung der Ehe vorliegt. Vgl. unten Anm. 916. 902 Dies wird durch das Wörtchen „nur“ in Abs. 2 besonders eingeschärft. 903 BGB § 1568. – Das Schweiz. ZGB a. 142 hat eine entsprechende, aber einfachere und sachlich stark abweichende Generalklausel; es gewährt jedem Ehegatten die Ehescheidungsklage, wenn eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses eingetreten ist, daß den Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden kann, und berücksichtigt das Verschulden nur insofern, als es, wenn die Zerrüttung vorwiegend der
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subjektiver Hinsicht ein Verschulden des beklagten Ehegatten nachgewiesen sein904. Andererseits muß in objektiver Hinsicht eine durch die Schuld des Beklagten verursachte Zerrüttung der Ehe festgestellt werden905. Und diese Zerrüttung muß eine so tiefe sein, daß dem Kläger nicht zugemutet werden kann, die Ehe fortzusetzen. Der Richter hat zuvörderst zu erwägen, ob das schuldhafte Verhalten des Beklagten im Hinblick auf das sittliche Wesen der Ehe an sich geeignet ist, eine Ehe in diesem Grade zu zerrütten, sodann aber zu prüfen, ob nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles die Zerrüttung tatsächlich eingetreten ist906. Hierbei hat er die Persönlichkeit der Ehegatten, ihre durch ihre Individualität bedingten Empfindungen, ihre Bildungsstufe, die in ihrem Lebenskreise herrschenden Anschauungen, die Schwere der Verfehlung, die Aussichten auf Versöhnung usw. in Betracht zu ziehen. Ein absoluter Maßstab, den er anzulegen hätte, ist ihm nicht in die Hand gegeben. Zuletzt entscheidet sein freies, nur durch Gewissen und Taktgefühl gebundenes Ermessen. Demgemäß kann die Ehescheidungspraxis sich örtlich und zeitlich ungleich entwickeln und strengere und laxere Grundsätze entfalten. Doch darf der Richter niemals seinen eignen religiösen und sittlichen Standpunkt, der vielleicht Unauflöslichkeit der Ehe oder umgekehrt volle Scheidungsfreiheit postuliert, einmischen, hat sich vielmehr auf der gesetzlich vorgezeichneten mittleren Linie zu halten und in den Einzelfragen Fühlung mit der Rechtsüberzeugung des Volkes zu suchen. In dieser Hinsicht vermag ihm die Anknüpfung an die geschichtliche Entwicklung des deutschen Ehescheidungsrechts einen Anhalt
Schuld eines Ehegatten zuzuschreiben ist, dem anderen allein das Recht giebt, auf Scheidung zu klagen. 904 Die Verfehlung muß daher zurechenbar sein; RGer JWSchr 1906 S. 140, Rspr. d. OLG III 29 ff. Sie muß ferner in die Zeit der Ehe fallen; früheres Verhalten kann Anfechtungsgrund, niemals aber Scheidungsgrund sein; RGer in JWSchr 1900 S. 563 ff., 1902 B. S. 242, ZS LI Nr. 97. Eigenes Verschulden des klagenden Ehegatten schließt den Scheidungsanspruch nicht aus, es giebt auch hier keine Schuldkompensation; RGer XLVI Nr. 42. Doch kann es für die Würdigung der Schwere des Verschuldens des anderen Ehegatten und für die Frage des Grades der Zerrüttung der Ehe in Betracht kommen; RGer JWSchr 1900 S. 518, 644, 726, 1902 B. S. 234, 1904 S. 36, 1911 S. 494, 1913 S. 379. Verzeihung entkräftet auch hier den Scheidungsgrund. Ebenso nach Analogie v. § 1565 Zustimmung zu dem schuldhaften Verhalten; Rspr. d. OLG XXVI 231 ff., RG im Recht 1912 Nr. 3212. 905 Zwischen dem schuldhaften Verhalten und der Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses muß also ein Kausalzusammenhang bestehen; RGer JWSchr 1903 B. S. 82, 1910 S. 655. Die Absicht der Ehezerstörung ist dazu nicht erforderlich; RGer JWSchr [Jahr?] B. S. 27. Mitverursachung genügt, mag auch der Kläger selbst schuldhaft mitgewirkt haben; vgl. die vor. Anm. Ebenso ist man einig, daß, wenn die Zerrüttung schon vorhanden ist, ihre Vertiefung durch das schuldhafte Verhalten des Beklagten ausreicht; RGer JWSchr 1900 S. 549 ff., 190l S. 595 ff., 648 ff., 839, 1902 B. S. 292 ff., 1905 S. 393, 723. Dasselbe muß aber (obschon es von Manchen bestritten wird) gelten, wenn bei einer schon unheilbar zerrütteten Ehe ein Ehegatte sich einer Verfehlung zu Schulden kommen läßt, die den gleichen Erfolg, falls er nicht schon eingetreten gewesen wäre, herbeigeführt hätte; Rspr. d. OLG I 88 ff. 906 Ueber diese zwiefache Prüfung vgl. RGer b. Seuff. LXI Nr. 158; dazu JWSchr 1911 S. 369, 944. Doch kann im Einzelfalle die Verfehlung so beschaffen sein, daß [sich] eine weitere individuelle Prüfung erübrigt; RGer XLVI Nr. 40.
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zu bieten. Denn als relative Ehescheidungsgründe tauchen zahlreiche im älteren Recht bald unbedingt bald bedingt anerkannte Scheidungsgründe wieder auf. Die Pflichtverletzungen, die den Scheidungsanspruch begründen können, können mannichfacher Art sein. Erforderlich ist nur stets, daß es sich um eine „schwere“ Pflichtverletzung handelt907. Das BGB führt als Sonderfall lediglich „grobe Mißhandlung“ an908. Damit ist jedoch weder die grobe Mißhandlung zum absoluten Scheidungsgrund erhoben, noch die Möglichkeit ausgeschlossen, daß geringere Tätlichkeiten ausreichen, um die Scheidung zu rechtfertigen909. Wörtliche Beleidigungen, Verläumdungen und sonstige Ehrenkränkungen können gleichfalls einen Scheidungsgrund bilden910. Zu den relativen Scheidungsgründen gehören ferner die beharrliche Versagung der ehelichen Pflicht911, Verletzungen der 907 RGer JWSchr 1900 S. 726, 1903 B. S. 36, 1903 B. S. 72. Doch können mehrere Pflichtverletzungen, deren keine einzeln genommen schwer ist, in ihrer Gesamtheit eine schwere Verletzung darstellen; RGer a. a. O. 1902 B. 267, 1903 B. S. 36, 1907 S. 107, 1910 S. 756. 908 Dies erklärt sich daraus, daß gemeinrechtlich den „Insidien“ die „Saevitien“ als absoluter Scheidungsgrund gleichgestellt wurden (oben Anm. 889), wobei jedoch streitig war, ob nur lebensgefährliche oder auch sonstige schwere Mißhandlungen als Saevitien zu erachten seien; vgl. über die ältere Praxis Hubrich S. l02 ff., aus neuerer Zeit Seuff. III Nr. 331, IX Nr. 41, XIX Nr. 154, XLIV Nr. 25, RGer XLI Nr. 61. Absoluter Scheidungsgrund sind schwere Mißhandlungen nach Code civ. a. 231 u. Schweiz. ZGB a. 130, wiederholt schwere Mißhandlungen nach Oesterr. Gb. § 115. Ebenso nach Preuß. LR § 699 lebens- oder gesundheitsgefährliche Tätlichkeiten, während geringere Tätlichkeiten nach §§ 701 – 702 bei Eheleuten gemeinen Standes niemals, bei Personen mittleren Standes nur im Falle mutwilliger und wiederholter Verübung zur Scheidung führen sollten. Das Sächs. Gb. §§ 1735 – 1736 stellte nur lebensgefährliche Mißhandlungen den Lebensnachstellungen gleich, ließ jedoch bei fortgesetzter gesundheitsgefährlicher Mißhandlung auf Grund vorheriger Trennung von Tisch und Bett Scheidung vom Bande nach richterlichem Ermessen zu. 909 Es kommt auf die besonderen Umstände des Falles an; vgl. RGer b. Seuff. LXXIV Nr. 33. Dabei verlangt die gesellschaftliche Lebensschicht des Ehepaares, wenngleich die preußischrechtliche feste Scheidung nach Ständen überholt ist, auch heute Berücksichtigung. 910 Im gem. R. wurde dies meist verneint, jedoch vom RGer für den Fall wissentlich falscher Anschuldigung angenommen; Seuff. XXXVI Nr. 279, XLVIII Nr. 186 (gegen die ausführlich begründete abweichende Entsch. des OLG Hamburg). Das Preuß. LR erklärte in § 700 jede widerrechtliche grobe Kränkung der Ehre oder der persönlichen Freiheit, in § 705 die wissentlich falsche Anschuldigung vor Gericht als absoluten Scheidungsgrund, während es in §§ 701 – 702 bei blos mündlichen Beleidigungen und Beschimpfungen dieselbe Unterscheidung nach Ständen, wie bei geringeren Tätlichkeiten, durchführte. Nach Code civ. a. 231 sind injures graves (vgl. RGer XXIII Nr. 74), nach Schweiz. ZGB a. 138 schwere Ehrenkränkungen absoluter Scheidungsgrund. – Nach BGB entscheiden wieder die Umstände, ob die Ehrenkränkung die Ehe für den beleidigten Ehegatten unerträglich macht. Vgl. RGer JWSchr 1910 S. 21, 655, l005, 1912 S. 352, 1105, 1913 S. 332, 990 ff. 911 Im evangel. KR seit dem 17. Jahrh. nach Analogie der böslichen Verlassung als absoluter Scheidungsgrund ausgebildet und vom RGer als gemeinrechtlich anerkannt; Seuff. XLV Nr. 188, 189 ZS XXXVIII Nr. 58. Ebenso im Preuß. LR § 694 u. Sächs. Gb. § 1731. Vgl. RGer JWSchr 1901 S. 456, 1910 S. l005. – Wenn ferner geschlechtliches Unvermögen als solches keinen Scheidungsgrund mehr bildet (oben Anm. 869), so kann doch nicht blos (wie nach Sächs. Gb. § 1734) die absichtliche, sondern auch die durch Unsittlichkeit verschuldete
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
ehelichen Treue, die nicht unter den Begriff des Ehebruches fallen912, sowie schwere Verstöße gegen den gesellschaftlichen Anstand im Verkehr mit Dritten913. Desgleichen hochgradige Unverträglichkeit und Zanksucht914, Vernachlässigung der Erziehung gemeinschaftlicher Kinder915, Fernhaltung vom Hause, insofern sie nicht als bösliche Verlassung absoluter Scheidungsgrund ist916. Ebenso Versagung des Unterhalts917 und sonstige grobe Verletzung der wirtschaftlichen Ehepflichten918. Möglicher Weise auch Verweigerung der kirchlichen Trauung919. Als ehrloses oder unsittliches Verhalten können vor Allem Verbrechen oder Vergehen, wegen deren eine Strafe verhängt ist oder verhängt werden könnte, in Betracht kommen920. Im Gegensatz zum früheren Recht, das der Bestrafung als solcher die Bedeutung eines Ehescheidungsgrundes beilegte921, verlangt das BGB Herbeiführung der Unfähigkeit Scheidungsgrund sein; RGer JWSchr 190l S. 54. Desgleichen, wie nach Preuß. LR § 695, die vorsätzliche Verhinderung der Konzeption; RGer ebd. S. 456 ff. Andererseits sicherlich auch die Beischlafsvollziehung im Zustande infektiöser Geschlechtskrankheit, den der vollziehende Ehegatte kennt oder kennen muß; Heymann, DJZ 1902 S. 113, Rspr. d. OLG XIV 239, RGer in Recht 1907 S. 1070. 912 Oben Anm. 880. Somit z. B. bloßen Versuch des Ehebruchs (RGer LIII Nr. 86), dringend verdächtiger Umgang, unzüchtige Handlungen, die nicht unter § 1565 fallen. 913 Vgl. RGer JWSchr 1902 B. S. 207, 1903 B. S. 36, 285; 1905 S. 23, 395. 914 Vgl. Preuß. LR § 703; Bayr. Obst. LG VII 186 ff., XI 139 ff. 915 RGer JWSchr 190l S. 296 ff. 916 Oben Anm. 901. Ueber und gegen die mehrfach auch von der Praxis befolgte Meinung, daß § 1567 in Fällen böslicher Verlassung die Anwendung des § 1568 ausschließe, vgl. Staudinger zu § 1568 Bem. 2 d, Wolff § 34 Anm. 22. 917 RGer JWSchr 190l S. 293 ff., 324; Rspr. d. OLG IV 91. Im Preuß. LR §§ 711 – 713 als Scheidungsgrund bei verschuldeter Unfähigkeit und bei beharrlichem Ungehorsam gegen richterlichen Spruch und Zwang anerkannt. 918 Verschwendungssucht, Spielsucht, unordentliche Wirtschaftsführung können als grobe Verletzungen der Verpflichtungen gegenüber der ehelichen Gemeinschaft erscheinen. Vgl. RGer JWSchr 1912 S. 352. 919 Sie kann Anfechtungsgrund sein; oben § 237 Anm. 369. Aber, wenn sie, obschon die Trauung zugesagt war oder als selbstverständlich vorausgesetzt wurde, ohne rechtfertigenden Grund erfolgt, auch Scheidungsgrund. Denn sie kann einerseits sich nach § 1588 als grobe Pflichtverletzung darstellen, andererseits die Ehe so tief zerrütten, daß dem anderen Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zuzumuten ist. Vgl. das bei Wolff § 2 Anm. 32 angef. Erk. des OLG Posen v. 1911. Doch werden in der Lit. verschiedene Auffassungen vertreten; vgl. Planck Bem. 6, Staudinger Bem. 3 e, Schmidt Bem. 5 b ", Endemann § 166 Anm. 26, v. Bonin Z. f. Kirchenr. XIII 365 ff.; für das bisherige Recht Bollert in der oben § 237 Anm. 369 angef. Schrift S. 31 ff. – Den Bruch des Versprechens, die Religion zu wechseln, will das RGer b. Seuff. LXXII Nr. 219 niemals als Ehescheidungsgrund gelten lassen. 920 Rspr. d. OLG I 255, 473, VII l06; Seuff. LVI Nr. 78; RGer b. Seuff. LXXIII Nr. 55. 921 So das gemeine evang. KR; vgl. die geschichtliche Entwicklung b. Hubrich S. 105 – 119. Doch wurde meist nicht bloß die Art und Dauer der Strafe, sondern auch die Schwere des Verbrechens berücksichtigt; vgl. RGer I Nr. 120, VIII Nr. 40, IX Nr. 47, XIII Nr. 46, Seuff. XXXVII Nr. 35, XL Nr. 115; ferner Seuff. XXXVII Nr. 35, XLII Nr. 122, XLIX Nr. 21, LVI Nr. 78. Nach Preuß. LR § 704 war eine wegen eines groben Verbrechens nach Urteil und Recht erlittene harte und schmähliche Strafe absoluter Scheidungsgrund. Ebenso
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eine Qualifikation der Tat als Offenbarung einer ehrlosen oder unsittlichen Gesinnung, die den Umständen nach die Fortsetzung der dadurch zerrütteten Ehe für den anderen Ehegatten unerträglich macht922. Ebenso kann die Ergreifung eines schimpflichen Gewerbes923, Trunksucht, Verschwendung oder unordentliche Wirtschaft924, sowie sonstige verächtliche oder lasterhafte Lebensführung eines Ehegatten für den anderen Ehegatten einen Scheidungsanspruch begründen, ohne daß es sich gerade um eine unmittelbare Verletzung der Ehepflichten zu handeln braucht925. Die Ehescheidung auf Grund des § l568 kann natürlich auch erfolgen, wenn zugleich ein absoluter Scheidungsgrund vorliegt. Ein Ehegatte, der von dem Ehebruch des anderen Teils Kenntniß erlangt hat, diesen aber nicht aufdecken will, kann sich, um das Ziel der Ehetrennung zu erreichen, mit der Begründung der Scheidungsklage durch anderweites ehezerrüttendes Verschulden begnügen. Macht er aber einen absoluten Scheidungsgrund geltend, so kann er verlangen, daß dessen Vorhandensein festgestellt und die Ehe auf Grund desselben geschieden werde. Der Richter darf nicht, weil die Berufung auf § 1568 ausreiche, die Erörterung, ob der absolute Scheidungsgrund vorliegt, ablehnen. Insbesondere verletzt er seine Verpflichtung zur Gewährung voller Rechtshülfe, wenn er aus diesem Grunde dem Kläger die von ihm verlangte Feststellung des dem Beklagten vorgeworfenen Ehebruches im Scheidungsurteil versagt und damit die Stellung eines Strafantrages aus § 172 StrGB abschneidet und den Eintritt des Ehehindernisses zwischen den Ehebrechern aus § 1312 BGB vereitelt926. nach Code civ. a. 232 jede Verurteilung zu einer peine infamante (vgl. aber für das rhein. R. RGer XV Nr. 77). Nach Sächs. Gb. § 1740 eine mindestens dreijährige Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Verbrechen. 922 Darum ist einerseits eine rechtskräftige Verurteilung überhaupt nicht erforderlich. Andererseits kann die Verurteilung wegen einer vor der Ehe begangenen Tat, auch wenn sie während der Ehe erfolgt, zwar unter Umständen Anfechtungsgrund, niemals aber Scheidungsgrund sein; RGer LI Nr. 79, auch schon für das frühere R. IX Nr. 48. Teilnahme oder Zustimmung des klagenden Ehegatten schließt den Scheidungsanspruch aus. Eigne Verbrechen desselben begründen nicht, wie früher oft angenommen wurde (vgl. Seuff. XLIX Nr. 22), eine Kompensationseinrede, können aber die Klageabweisung rechtfertigen, weil es an der tiefen Zerrüttung der Ehe fehlt; ein Gewohnheitsverbrecher wird nicht so leicht mit der Behauptung durchdringen, daß ihm die Fortsetzung der Ehe mit dem gleichfalls eines Verbrechens schuldigen Ehegatten nicht zugemutet werden könne. – Nach Schweiz. ZGB a. 139 ist Begehung eines „entehrenden“ Verbrechens absoluter Scheidungsgrund. 923 Wie nach Preuß. LR § 107. Z. B. Bordellwirtschaft oder Prostitution. Zustimmung schließt auch hier den Scheidungsanspruch aus. 924 Sonderbestimmungen im Preuß. LR § 708 – 710. Nach Sächs. Gb. § 1733 Trunksucht, falls sie nach erfolgter Trennung von Tisch und Bett noch ein Jahr fortdauert. Vgl. über Scheidung wegen Trunksucht, die nicht unverbesserlich zu sein braucht, RGer JWSchr 1902 S. 71 ff., B. S. 248, 1903 B. S. 127, Rspr. d. OLG I 396, XIV 240, XVIII 273. 925 Somit auch straffreie Handlungen, die den Ruf oder die Lebensstellung des anderen Ehegatten in Gefahr bringen; vgl. Preuß. LR § 706. Oder Lebensnachstellungen gegenüber Angehörigen des anderen Ehegatten, die nicht unter § 1566 fallen; oben Anm. 888.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
VI. Geisteskrankheit Unheilbare Geisteskrankheit ist, wie bereits bemerkt wurde, nach dem BGB als einziger von Verschulden unabhängiger Scheidungsgrund anerkannt927. Die Scheidung ist aber stark erschwert. Sie ist nur zulässig, wenn die Krankheit während der Ehe mindestens drei Jahre gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben, auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist928. Erforderlich ist also geistige Erkrankung929, ununterbrochene Dauer des Krankheitszustandes während eines Zeitraumes von mindestens drei Jahren seit Eingehung der Ehe930 und eine besonders hochgradige Störung der geistigen Funktionen931. Ob der den Scheidungsgrund bedingende Grad der Geisteskrankheit erreicht ist, hat der Rich926 Die abweichenden Erk. des RGer LV Nr. 57 u. b. Seuff. LX Nr. 37 sind nicht zu billigen und unzureichend begründet; daß der Kläger kein „Privatrecht“ auf die Feststellung hat und diese nicht erzwingen kann, paßt für jeden Rechtsschutzanspruch. – Uebrigens kann der Kläger an der Feststellung eines absoluten Scheidungsgrundes auch aus anderen Gründen ein Interesse haben, z. B. weil er die Ehescheidung aus anderen als schriftgemäßen Gründen vom religiösen Standpunkte aus für unzulässig hält. 927 Im evangel. KR wurde seit dem 18. Jahrh. unheilbare Geisteskrankheit vielfach als Ehescheidungsgrund behandelt, überwiegend aber abgelehnt und in neuerer Zeit, obwohl die Praxis mancher Länder (insbesondere die kurhessische, vgl. Seuff. XL Nr. 86, aufgegeben ebd. XLVII Nr. 115) lange daran festhielt, allgemein verworfen; vgl. RGer VII Nr. 50, Obst. LG f. Bayern b. Seuff. LIII Nr. 236; Näheres b. Hubrich S. 130 – 139. Dagegen ließ das Preuß. LR § 695 Raserei und Wahnsinn (nicht auch Blödsinn, RGer XVI Nr. 55), wenn der Zustand über ein Jahr ohne wahrscheinliche Hoffnung auf Besserung gedauert hat, als Scheidungsgrund zu. Aehnlich einige thüring. Ehegesetze, vgl. Motive IV 565 – 566. Im Gegensatz zum Code civ. nahm auch das Bad. LR S. 232 a dreijährigen Wahnsinn als Scheidungsgrund auf. Desgleichen das Sächs.Gb § 1743, wenn die Geisteskrankheit auf Grund dreijähriger Beobachtung in einer Landesanstalt als unheilbar erkannt ist. – Das Schweiz. ZGB a. 141 gewährt den Scheidungsanspruch, wenn die Geisteskrankheit nach dreijähriger Dauer von Sachverständigen für unheilbar erklärt wird (so schon BG v. 1874 a. 46 e), jedoch vorausgesetzt, daß der Zustand ein solcher ist, daß dem anderen Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden darf (also relativer Scheidungsgrund). 928 BGB § 1569. Vgl. Lenel, DJZ 1900 S. 215 ff.; A. Schmidt, Ehescheidung und richterliches Ermessen, S. 35 ff.; Dernburg § 26 IV; Endemann § 166, 5; Komm. v. Planck, Staudinger, A. Schmidt; medizin. Lit. b. Schmidt S. 705 – 706. 929 RGer JWSchr 1902 B. S. 244, 1905 S. 395; Rspr. d. OLG V 12 ff. Entmündigung ist nicht erforderlich, RGer b. Seuff. LXXI Nr. 235; so auch nach preuß. R., RGer XXX Nr. 55. Ebensowenig Mangel der Geschäftsfähigkeit; RGer b. Seuff. LXXXI Nr. 235. Die Unterscheidung von „Geisteskrankheit“ und „Geistesschwäche“ ist also für das Eherecht nicht maßgebend. 930 Auch wenn bei Eingehung der Ehe Geisteskrankheit schon bestand; vor dem Ablauf von drei Jahren kann daraus möglicher Weise Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Ehe folgen. Die Geisteskrankheit braucht aber erst innerhalb der drei Jahre den zur Scheidung erforderlichen Grad erreicht zu haben. Das Vorkommen lichter Zwischenräume schließt den Fortbestand nicht aus. 931 Sie muß zur Zeit der Klageerhebung vorliegen, darf aber bei der Fällung des Urteils nicht wieder beseitigt sein.
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ter mit Hülfe medizinischer Gutachten, jedoch selbständig unter Würdigung des Wesens der Ehe und der persönlichen Verhältnisse des Ehepaares zu prüfen und zu entscheiden932. Demgemäß erscheint dieser Scheidungsgrund als nur relativ geartet933. Zweifel walten in Theorie und Praxis namentlich in Ansehung der Frage, wann eine Aufhebung der „geistigen Gemeinschaft“ anzunehmen ist. Man wird davon auszugehen haben, daß dies nur dann, aber auch stets dann der Fall ist, wenn der erkrankte Ehegatte die Fähigkeit verloren hat, gemeinsam mit dem gesunden Ehegatten sich vorzustellen, zu empfinden und zu wollen, was die Ehe bezweckt934. Unsicher bleibt schließlich auch die Entscheidung der Frage, ob der erreichte Grad der Krankheit jede Aussicht auf Wiederherstellung der zerstörten Gemeinschaft ausschließt935.
§ 250. Durchführung der Ehescheidung I. Geltendmachung des Scheidungsrechts Die Verwirklichung eines gesetzlichen Scheidungsgrundes erzeugt ein auf Auflösung des ehelichen Rechtsverhältnisses gerichtetes „Recht auf Scheidung“. Es ist ein dem Kündigungsrecht verwandtes privatrechtliches Gestaltungsrecht. Ob der Berechtigte es geltend machen will oder nicht, hängt von seinem freien Belieben
932 Nach ZPO § 623 darf der Richter vor Anhörung eines oder mehrerer Sachverständigen nicht auf Scheidung erkennen. Er ist aber an die Gutachten nicht gebunden. Abweisen darf er die Klage ohne Zuziehung von Sachverständigen. 933 Für absolut halten ihn Planck, Vorbem. II l, Staudinger, Vorbem. 4, Opet, Vorbem. 5 u. zu § 1569 Anm. 1. Vgl. dagegen Schmidt, Vorbem. III 2 c, F. Kohler, Eherecht S. 46. Die Streitfrage entbehrt kaum, wie Dernburg Anm. 49 meint, jeder praktischen Bedeutung. 934 Eine strengere Auffassung verlangt, daß das Bewußtsein des Ehebandes überhaupt erloschen, also ein „geistiger Tod“, eine volle Verblödung eingetreten ist. So Planck zu § 1569 Bem. 3 a, Rspr. d. OLG II 326, III 29. Ueberwiegend aber begnügt man sich mit dem Wegfall der Gemeinschaft des Fühlens und Denkens in Ansehung des ehelichen Lebens, der Anteilnahme an den Interessen des Ehepaars und der Entwicklung der Kinder und des Verständnisses für die sittlichen Pflichten eines Ehegatten. So in verschiedener Fassung Schmidt S. 43 u. zu § 1569 Bem. 5 a, Lenel a. a. O. S. 216 ff., Erler S. 119, Endemann § 166 Anm. 30, Dernburg § 26 IV, Staudinger zu § 1569 Bem. 3 c. Desgleichen RGer in JWSchr 190l S. 297 ff., 1902 B. S. 344, 1903 B. S. 28 ff., 1905 S. 395, 1911 S. 370; Rspr. d. OLG II 324, IV 88. Bloße Herabminderung der geistigen Gemeinschaft reicht nicht aus; der Gelehrte, mit dem eine hochgebildete Gattin alle geistigen Interessen geteilt hat, kann nicht auf Scheidung klagen, weil sie ihm nur noch gewährt, was ihm auch eine Frau mit Volksschulbildung leisten könnte. Andererseits kann die geistige Gemeinschaft aufgehoben sein, wenn der kranke Ehegatte zur Besorgung von Vermögensangelegenheiten noch fähig ist; RGer JW 1905 S. 395. 935 Nicht völlige Unmöglichkeit, sondern nur nach menschlicher Voraussicht nicht zu erwartender Eintritt einer Besserung muß festgestellt sein. Besteht jedoch irgend eine Aussicht auf eine auch nur geringe Besserung, die ein geistiges Gemeinschaftsleben wieder ermöglicht, so darf die Ehe nicht geschieden werden.
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ab. Die Geltendmachung erfolgt durch eine einseitige Willenserklärung, die aber seit dem Wegfall der Selbstscheidung ausschließlich in der Form der Erhebung der Scheidungsklage abgegeben werden kann. Die Erhebung der Scheidungsklage enthält also eine für die Auflösung der Ehe unerläßliche privatrechtliche Willenserklärung. Diese Willenserklärung bewirkt jedoch die Auflösung der Ehe nur in Verbindung mit einem konstitutiven obrigkeitlichen Akt, dem auf Scheidung lautenden rechtskräftigen Urteil936. Auf die Erlassung des Scheidungsurteils hat der Scheidungsberechtigte einen öffentlichrechtlichen Anspruch, den Scheidungsanspruch, den er mit der Scheidungsklage als Prozeßhandlung gleichzeitig geltend macht. II. Wegfall des Scheidungsrechtes Das Scheidungsrecht erlischt, wenn der es erzeugende Scheidungsgrund seine Kraft verliert. Dies ist nach geltendem deutschen Recht bei allen Scheidungsgründen mit Ausnahme des Scheidungsgrundes der Geisteskrankheit auf dreierlei Weise möglich. 1. In Folge der Verzeihung, wovon schon gehandelt ist. 2. In Folge von Zeitablauf im Falle der Versäumung der für die Erhebung der Scheidungsklage gesetzten Ausschlußfrist937. Die Frist beträgt sechs Monate seit Erlangung der Kenntniß vom Scheidungsgrunde938 und längstens zehn Jahre seit Eintritt des Scheidungsgrundes939. Sie läuft aber nicht, solange die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten aufgehoben ist940; doch kann der schuldige Ehegatte 936 Kommt es zu keinem rechtskräftigen Scheidungsurteil, weil die Ehe vorher durch Tod aufgelöst wird, so hat die Geltendmachung des Scheidungsrechtes durch Klageerhebung als solche zwar keine eherechtlichen, wohl aber erbrechtliche Wirkungen; BGB §§ 1933, 2077, 2268, 2279. 937 BGB § 1571. – Das Preuß. LR § 721 stellte die einjährige Fortsetzung der Ehe nach erlangter Kenntniß vom Scheidungsgrunde einer ausdrücklichen Verzeihung gleich. Das Sächs. Gb. §§ 1719 und 1739 dagegen band die Geltendmachung der Scheidungsgründe des Ehebruchs, der Lebensnachstellung und der Mißhandlung gleich dem BGB an eine Ausschlußfrist (1 Jahr seit Kenntniß oder 15 Jahre seit Begehung). In den gleichen Fällen läßt das Schweiz. ZGB a. 1372 u. 1382 eine Klagenverjährung eintreten (in 6 Monaten seit Kenntniß oder 5 Jahre seit Begehung). – Das Recht, wegen später erfahrener (wenn auch leichterer) Verfehlungen auf Scheidung zu klagen, büßt der Ehegatte durch Unterlassung der Scheidungsklage nicht ein. RGer XLV Nr. 94. 938 Erforderlich ist sicheres Wissen; Rspr. d. OLG X 281, 282. Bei erst allmählicher Entwicklung des Tatbestandes, wie oft in den Fällen des § 1568, ist Kenntniß der vollen Verwirklichung erforderlich, aber auch ausreichend. Dies kann, wenn der klageberechtigte Ehegatte zu lange auf Besserung wartet, zu unbilligen Härten führen; vgl. das im Ergebniß recht unerfreuliche Erk. des RGer LXVIII Nr. 33. 939 Der Scheidungsgrund ist im Augenblick der Verwirklichung des Tatbestandes, im Falle der böslichen Verlassung aber erst mit Ablauf der in § 1567 angeordneten Fristen eingetreten. – Da die Ausschlußfrist bezweckt, die Ehen vor zu langer Ungewißheit ihres Fortbestandes zu schützen, hat der Richter die Innehaltung von Amtswegen zu überwachen; es handelt sich nicht, wie bei der Verjährung, um eine Einrede, auf die verzichtet werden könnte.
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durch die an den scheidungsberechtigten Ehegatten gerichtete Aufforderung, entweder die häusliche Gemeinschaft herzustellen oder die Scheidungsklage anzustellen, die Frist wieder in Lauf setzen941. Außerdem wird der Fristenlauf durch Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung gehemmt942. Der Erhebung der Klage steht die Ladung zum Sühnetermin gleich, sie verliert aber ihre Wirkung, wenn der klageberechtigte Ehegatte im Sühnetermin nicht erscheint oder nach Beendigung des Sühneverfahrens drei Monate ohne Klageerhebung verstreichen läßt943. Macht der Kläger kraft des ihm nach der Prozeßordnung zustehenden Rechtes im Laufe des Rechtsstreites bis zur mündlichen Verhandlung einen anderen Scheidungsgrund, als den der Klage zu Grunde gelegten, geltend, so genügt es, wenn zur Zeit der Klageerhebung die Ausschlußfrist noch nicht verstrichen war944. 3. In Folge prozessualer Konsumtion, indem im Falle der Abweisung einer Ehescheidungs- oder Eheanfechtungsklage der Kläger Tatsachen, die er geltend gemacht hat oder im Wege der Klageverbindung hätte geltend machen können, ebenso der Beklagte Tatsachen, auf die er eine Widerklage zu gründen imstande war, nicht mehr als Scheidungsgrund anrufen kann945.
940 Streitig ist, ob der Fristenlauf durch jede freiwillige oder unfreiwillige Trennung gehemmt wird (so RGer JWSchr 1903 B. S. 44) oder bei erzwungener Trennung (z. B. Gefängnißstrafe) nicht stillsteht (so Rspr. d. OLG V 399 ff.). Das RGer LIII Nr. 86 hat mit ausführlicher Begründung (S. 337 – 349) zutreffend dargelegt, daß es nicht auf Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit, wohl aber darauf ankommt, ob die Abwesenheit außerhalb des normalen Verlaufes des Ehelebens stattfindet und überdies den Umständen nach geeignet ist, eine wirkliche Lösung der häuslichen Gemeinschaft herbeizuführen; vgl. auch RGer JWSchr 1902 S. 13 ff., 1903 B. S. 112. – Der Fristenlauf ist nach richtiger Meinung nur gehemmt, so daß bei Wiederherstellung der häuslichen Gemeinschaft die vor ihrer Aufhebung abgelaufene Frist einzurechnen ist. 941 Die Aufforderung ist eine einseitige, empfangsbedürftige, formfreie Willenserklärung. Aufforderung zur Herstellung der häuslichen Gemeinschaft genügt nicht, muß aber wahlweise erfolgen, wenn sie auch nicht ernstlich gemeint zu sein braucht; RGer JWSchr 1905 S. 495, ZS LXI Nr. 39. Eine Vollmacht zur Aufforderung muß Sondervollmacht sein; RGer LVIII Nr. 58. Die Aufforderung wirkt auch für spätere Eheverfehlungen während des Getrenntlebens; RGer LXIII Nr. 31. 942 Gemäß der Verweisung auf die entsprechende Anwendung der §§ 203 u. 206. Die Hemmung tritt aber nur für den Lauf der sechs- oder dreimonatigen, nicht für den der zehnjährigen Frist ein. Im Uebrigen sind die Vorschriften über Verjährung unanwendbar. 943 Die Frist wird durch die rechtzeitige Ladung, nicht erst durch den Sühnetermin gewahrt; RGer JWSchr 1902 S. 13 ff. Angabe der Scheidungsgründe in der Ladung ist nicht erforderlich; RGer ebd. B. S. 248. Vgl. dazu unten Anm. 949. 944 BGB § 1572 mit ZPO § 614. Die Erhebung der Klage wahrt also die Frist für alle und auch für vorläufig verschwiegene Scheidungsgründe. Gleiches gilt für die Erhebung der Widerklage auf Scheidung. Hier aber darf die Frist zur Zeit der Erhebung der Widerklage, also ihres Vorbringens in der mündlichen Verhandlung, noch nicht abgelaufen sein, während ihr Nichtabgelaufensein zur Zeit der Erhebung der Klage dem widerklagenden Ehegatten nicht zu Gute kommt; RGer LVII Nr. 44. Doch kann dieser, da er in der Zwischenzeit nicht klagen konnte, nach § 2032 BGB Hemmung des Laufes der Frist von 6 Monaten durch seine Beklagtenstellung geltend machen; RGer a. a. O. S. 195.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
4. Der Verlust des Scheidungsrechtes entzieht jedoch dem Scheidungsgrunde, auf den eine Scheidungsklage nicht mehr gegründet werden kann, nicht jede rechtliche Bedeutung. Denn zur Unterstützung einer auf andere Tatsachen gegründeten Scheidungsklage können auch verziehene, verschwiegene oder von der Prozeßkonsumtion betroffene Verschuldungen des beklagten Ehegatten noch geltend gemacht werden946. III. Verfahren Das Verfahren im Ehescheidungsprozeß ist das gerade für ihn zuerst ausgebildete und auf ihn vor Allem zugeschnittene Verfahren in Ehesachen947. Es gelten die allgemeinen Vorschriften über dieses Verfahren und besondere Bestimmungen, die dem Ehescheidungsverfahren zum Teil mit dem Eheanfechtungsverfahren, zum Teil aber mit dem auf Herstellung des ehelichen Lebens gerichteten Verfahren gemeinsam sind948. Wie bei dem Letzteren soll der Verhandlung über die Klage regelmäßig ein gerichtlicher Sühneversuch vorangehen949. Hier wie in allen Ehe945 ZPO § 616; vgl. oben § 243 Anm. 542, RGer LIX Nr. 108. Darum kann aber auch der beklagte Ehegatte, der den Fortbestand der Ehe wünscht und deshalb Abweisung der Scheidungsklage verlangt, eine eventuelle Widerklage auf Scheidung kraft eines ihm zustehenden Scheidungsrechts erheben, um für den Fall seiner Verurteilung die Schuldigerklärung des klagenden Ehegatten zu erzielen; RGer LIX Nr. 107. 946 BGB § 1573. So insbesondere, wenn er aus dem relativen Scheidungsgrunde des § 1568 klagt oder widerklagt. Er kann z. B. einen vor länger als 10 Jahren begangenen Ehebruch, obschon er auf ihn eine Scheidungsklage nicht mehr gründen kann, zur Verstärkung des Scheidungsanspruchs wegen späterer Verfehlungen des anderen Ehegatten geltend machen. Ebenso verziehene oder verschwiegene Lebensnachstellungen, bösliche Verlassung, sonstige schwere Pflichtverletzung oder ehrlose oder unsittliche Lebensführung. Daß dies auch für Tatsachen gilt, die er in Folge Prozeßpraeklusion nicht mehr als selbständigen Scheidungsgrund verwerten kann, ist allgemein anerkannt; RGer LIII Nr. 85, JWSchr 1902 B. S. 260, 286, 1903 B. S. 48. 947 Vgl. oben § 243 Anm. 535. 948 Zuständig ist nach ZPO § 606 das Landgericht, bei dem der Ehemann seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, mit den Erweiterungen des Abs. 2 u. den Einschränkungen des Abs. 4. 949 ZPO §§ 608 – 611; vgl. oben § 244 Anm. 713. Der Sühnetermin ist auf Antrag des Klägers bei dem zuständigen Amtsgericht anzuberaumen; die Parteien müssen persönlich erscheinen; erscheinen beide Teile nicht oder der Beklagte allein, so muß der Kläger einen neuen Termin beantragen; erscheint der Kläger allein, so gilt der Sühneversuch als mißlungen; der Sühneversuch ist nicht erforderlich, wenn der Aufenthalt des Beklagten unbekannt oder im Auslande ist oder ein anderes vom Kläger nicht verschuldetes schwer zu beseitigendes Hinderniß vorliegt oder die Erfolglosigkeit mit Bestimmtheit vorauszusehen ist. Das Vorbringen neuer Scheidungsgründe und die Erhebung einer Widerklage ist von einem Sühneversuch überhaupt nicht abhängig; § 1642. Ueber die materiellrechtliche Wirkung der Ladung zum Sühnetermin nach BGB § 15713 vgl. oben Anm. 943. – Der gerichtliche Sühneversuch ist schon durch die alte ZPO an Stelle des geistlichen Sühneversuchs getreten, der nach früherem Recht (in Preußen unbedingt erst seit der V. v. 1844 § 10 ff.) gefordert wurde.
6. Titel: Auflösung der Ehe
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sachen findet eine Mitwirkung des Staatsanwaltes statt950. Der beschränkt geschäftsfähige Ehegatte ist prozeßfähig, für den geschäftsunfähigen Ehegatten kann sein gesetzlicher Vertreter mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts klagen951. Die Scheidungsklage kann nur mit einer Anfechtungsklage und einer Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens verbunden und nur gegen eine solche Klage als Widerklage erhoben werden952. Das Gericht hat von Amtswegen die Wahrheit zu erforschen; hinsichtlich der Beschränkung der Beweismittel und der Verfügung der Parteien über den Prozeßstoff, sowie der richterlichen Befugniß zur Berücksichtigung nicht vorgebrachter Tatsachen und zur Beweisaufnahme von Amtswegen gelten die gleichen Vorschriften, wie im Eheanfechtungsprozeß und im Prozeß über Herstellung des ehelichen Lebens953. Wie in allen Ehesachen kann das Gericht das persönliche Erscheinen und die Vernehmung der Parteien anordnen954. Ein Versäumnißurteil gegen den Beklagten ist auch hier unzulässig955. Auf Antrag eines Ehegatten kann das Gericht für die Dauer des Rechtsstreites das Getrenntleben der Ehegatten gestatten und hinsichtlich der gegenseitigen Unterhaltspflicht und der Sorge für gemeinschaftliche Kinder einstweilige Anordnungen956. Nicht nur auf Antrag des Klägers, sondern bei einer auf § 1568 gestützten Scheidungsklage, falls die Aussöhnung der Parteien nicht ausgeschlossen ist, auch von Amtswegen hat das Gericht die Aussetzung des Verfahrens, jedoch im Laufe des Rechtsstreites nur einmal und höchstens auf zwei Jahre, anzuordnen957.
950 ZPO § 607. Jedoch hier, wie im Anfechtungsprozeß, nur im Interesse der Aufrechterhaltung der Ehe; oben § 243 Anm. 536. 951 ZPO § 612; vgl. oben § 243 Anm. 537 u. 538, § 244 Anm. 708. Ueber die Unzulässigkeit der Scheidungsklage des Vormundes eines geisteskranken Ehegatten wegen schwerer Mißhandlungen oder Beleidigungen, deren ehezerrüttende Bedeutung der Geisteskranke nicht empfinden konnte, vgl. RGer LXXXV Nr. 2. – Vollmacht des Klägers muß auch hier Spezialvollmacht sein und ihr Mangel ist von Amtswegen zu berücksichtigen; ZPO § 613. 952 ZPO § 615; dazu oben § 243 Anm. 544 – 545, § 244 Anm. 712 u. hier Anm. 954. 953 ZPO § 617 u. § 622; oben § 243 Anm. 539 u. 541, § 244 Anm. 710. Die Beschränkungen der Parteibefugnisse und die Erweiterungen der richterlichen Macht treten also, anders wie im Ehenichtigkeitsprozeß, nur zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Ehe ein; zum Zwecke der Abwehr der Scheidung behalten insbesondere das Geständniß und die Eideszuschiebung ihre gewöhnliche Kraft. 954 ZPO § 619; oben § 243 Anm. 540, § 244 Anm. 710. 955 ZPO § 618 (ebenso gegen den Widerbeklagten); oben § 243 Anm. 543, § 244 Anm. 711. 956 ZPO § 627; oben § 240 Anm. 479, § 241 Anm. 512. Für das Verfahren über die Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens gilt dies nicht. 957 ZPO § 620. Für das Verfahren über die Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens ist durch § 621 nur die Aussetzung von Amtswegen vorgesehen, die das Gericht verordnen kann, wenn eine Aussöhnung nicht unwahrscheinlich ist.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
IV. Urteil Das Urteil im Scheidungsprozeß wird nur rechtskräftig, wenn nicht vorher einer der Ehegatten stirbt958. Lautet das Urteil auf Scheidung, so ist es gleich dem auf Nichtigkeit der Ehe erkennenden Urteil von Amtswegen zuzustellen959. Jedes Scheidungsurteil, ausgenommen den Fall der Scheidung wegen Geisteskrankheit, hat einen Ausspruch darüber zu enthalten, welcher Ehegatte oder ob jeder Ehegatte die Schuld an der Scheidung trägt960. Ist die Klage begründet, so ist der Beklagte, ist sowohl die Klage wie eine Widerklage begründet, so sind beide Ehegatten, ist nur die Widerklage begründet, so ist der Kläger für schuldig zu erklären961. Scheidung und Schuldausspruch müssen einheitlich erfolgen, weil die Ehe entweder bestehen oder nicht bestehen muß und im Falle ihrer Auflösung durch Scheidungsurteil jeder Prozeß unter Ehegatten ausgeschlossen ist962. Ausnahmsweise kann der schuldige Ehegatte die gleichzeitige Schuldigerklärung des anderen Teils, ohne sei958 ZPO § 628. Anderenfalls ist der Rechtsstreit in Ansehung der Hauptsache als erledigt anzusehen. Die Ehe ist also, auch wenn ein Scheidungsurteil schon erlassen, aber noch nicht rechtskräftig geworden war, nicht geschieden, sondern durch den Tod aufgelöst. Nach preuß. R. war die Erlassung eines Scheidungsurteils in einem anhängigen Prozeß noch nach dem Tode eines Ehegatten möglich; vgl. RGer XXIV Nr. 55. 959 ZPO § 625; oben § 243 Anm. 546. Ist ein gemeinschaftliches minderjähriges Kind vorhanden, so ist nach Eintritt der Rechtskraft auch dem Vormundschaftsgericht Mitteilung zu machen; § 630. 960 BGB § 1574. Der Schuldausspruch ist nicht Voraussetzung, aber Folge der Scheidung; RGer JWSchr 1905 S. 723. Er hat, wenn Scheidung verlangt ist, von Amtswegen zu erfolgen und muß auch dann erfolgen, wenn die Parteien wünschen, daß er unterbleibt; RGer ebd. 1902 B. S. 205. Im Gegensatz zum Preuß. LR § 746 ff. ist die Feststellung eines Uebergewichtes der Schuld bei dem einen oder anderen Teil unzulässig; RGer a. a. O. 1900 S. 636 ff., 190l S. 296 ff., 324. Der Schuldausspruch ist ordnungsgemäßer Weise in die Urteilsformel aufzunehmen, kann aber wirksam auch in den Entscheidungsgründen stattfinden. 961 Eine Schuldigerklärung des Klägers auf Grund begründeter Widerklage des Scheidung verlangenden Beklagten hat auch zu erfolgen, wenn die Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens oder auf Anfechtung der Ehe oder auf Scheidung wegen Geisteskrankheit gerichtet war. 962 Darum ist, wenn beide Ehegatten die Scheidung beantragt haben, jedes Teilurteil in Ansehung der Scheidung, der Schuldfrage oder der Abweisung ausgeschlossen; RGer LVIII Nr. 79 (ebenso im Anfechtungsprozeß). Ebensowenig kann dem Antrag einer Partei auf Aussetzung des Verfahrens stattgegeben, dem Verfahren gegen die andere Partei aber Fortgang gegeben werden; RGer ebd. Nr. 80. Unzulässig ist auch ein Urteil, das die Ehe auf Antrag eines Ehegatten scheidet und den anderen für schuldig erklärt, daneben aber es von einem Eide abhängig macht, ob dem Scheidungsbegehren des anderen Ehegatten ebenfalls stattzugeben sei; ist es trotzdem ergangen und rechtskräftig geworden, so kann auch ein Läuterungsurteil nicht nachträglich die Ehe auf Grund des Verschuldens des Gegners scheiden und ihn gleichfalls für schuldig erklären, weil es als zwischen Personen, die nicht mehr Ehegatten waren, ergangen, nichtig ist; RGer a. a. O. Nr. 81. – Die Einlegung von Rechtsmitteln kann nur gegen das Urteil im Ganzen, nicht gegen den Schuldausspruch allein erfolgen; Rspr. d. OLG VII 409 ff. Wohl aber kann der für schuldig erklärte Beklagte das Urteil angreifen, um in zweiter Instanz (mit Widerklage oder Antrag) Schuldigerklärung des Klägers zu erzielen; Rspr. d. OLG II 327, IV 94 ff.
6. Titel: Auflösung der Ehe
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nerseits auf Scheidung zu klagen, durch bloßen Antrag herbeiführen963. Dies ist der Fall, wenn der Beklagte auf Scheidung klagen könnte, aber eine Widerklage auf Scheidung nicht anstellt, weil er den Fortbestand der Ehe vorziehen würde oder etwa aus religiösen Gründen die Scheidung nicht begehren will964. Es ist aber ebenso der Fall, wenn der Beklagte oder widerbeklagte Kläger zwar sein Scheidungsrecht durch Verzeihung oder Zeitablauf verloren hat, jedoch zur Zeit des Eintrittes des von dem anderen Teil geltend gemachten Scheidungsgrundes berechtigt gewesen wäre, auf Scheidung zu klagen965. In diesem Falle ist auch der Beklagte, der Widerklage erhoben hat, durch die Erhebung der Widerklage nicht gehindert, den Antrag auf Schuldigerklärung des Klägers zu stellen; er kann also, wenn seine Widerklage wegen Verzeihung oder Zeitablaufs abzuweisen ist, gleichwohl durch Antrag die Schuldigerklärung des mit der Scheidungsklage durchdringenden Klägers auf Grund der verziehenen oder verschwiegenen Verfehlungen desselben herbeiführen966. Das Scheidungsurteil ist konstitutiv. Mit dem Eintritt seiner Rechtskraft hören die Ehegatten auf, Ehegatten zu sein967.
963 BGB § 15743. Die Schuldigerklärung erfolgt also hier nicht von Amtswegen, sondern nur auf Antrag; der Antrag aber ist formfrei und unterliegt den gewöhnlichen Verfahrensvorschriften, so daß die Vorschriften des § 6172 ZPO insoweit keine Anwendung finden; Rspr. d. OLG I 36 ff., RGer b. Gruchot XLIX l048, JWSchr 1903 S. 181; 1904 S. 489, 1906 S. 426. Der Antrag liegt nicht schon in dem Antrag auf Klageabweisung; RGer in JWSchr 1902 B. S. 243, 266. 964 Dasselbe Antragsrecht hat der Kläger als Widerbeklagter. Er kann also z. B. seinen Antrag auf Scheidung zurückziehen und den auf Schuldigerklärung aufrecht halten; RGer b. Gruch. XLVII 906, XLVIII 616. Ebenso kann er den Antrag stellen, wenn er selbst gar nicht auf Scheidung, sondern auf Herstellung des ehelichen Lebens oder Anfechtung der Ehe geklagt hätte; RGer XLIX Nr. 40. 965 Das RGer LXX Nr. 87 führt zutreffend aus, daß die Fassung ungenau ist; es kommt nur darauf an, daß die beiderseitigen Scheidungsgründe sich zeitweise unerloschen gegenüber gestanden haben; daher genügt auch eine erst nach Eintritt des Scheidungsgrundes von dem die Scheidung begehrenden Ehegatten begangene und dann verziehene Verfehlung. Durch Prozeßkonklusion erloschene Scheidungsgründe kommen hier nicht (wie nach § 1573, vgl. oben Anm. 946) in Betracht. –Daß der widerbeklagte Kläger auch dann, wenn er selbst keine Scheidung begehrt, durch Antrag die Schuldigerklärung des mit der Widerklage durchdringenden Beklagten auf Grund verziehener oder verschwiegener Verfehlungen desselben herbeiführen kann, ist allgemein anerkannt. Der richtigen Meinung nach aber hat er dies Recht auch dann, wenn er zwar auf Scheidung geklagt hat, seine Scheidungsklage jedoch abzuweisen ist, weil sie sich auf verziehene oder durch Zeitablauf entkräftete[?] Scheidungsgründe stützt; Rspr. d. OLG I 39 ff., Entsch. in DJZ 1901 S. 356; a. M. Rspr. d. OLG VII 410. 966 Vgl. Rspr. d. OLG I 34 ff. 967 Daß das im Scheidungsprozeß gefällte Urteil absolute Rechtskraft hat, ist selbstverständlich. Es brauchte daher nicht, wie für das Urteil im Nichtigkeits-, Anfechtungs- und Feststellungsprozeß in ZPO § 629 geschehen ist, besonders bestimmt zu werden. – Die Auflösung der Ehe durch Urteil ist nach § 55 PStG durch Randvermerk im Standesregister kund zu machen; auch auf Grund ausländischen Urteils; RGer LXXXVIII Nr. 61.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
§ 251. Wirkungen der Ehescheidung I. Ueberhaupt Durch die Ehescheidung wird die Ehe aufgelöst. Sowohl die personenrechtliche, wie die ehegüterrechtliche Verbundenheit hört auf. Die Schließung einer neuen Ehe durch jeden der früheren Ehegatten ist zulässig968. Auch einer Wiedervereinigung der geschiedenen Ehegatten mit einander steht kein Hinderniß entgegen969, sie kann aber nur im Wege einer neuen Eheschließung zu Stande kommen970. Allein die Auflösung wirkt nur für die Zukunft. Die Ehescheidung verneint nicht gleich der Nichtigkeitserklärung den bisherigen Bestand der Ehe. Vielmehr hat die Ehe bis zur Rechtskraft des Urteils bestanden. Darum bleiben ihre einmal eingetretenen Wirkungen unberührt. Auch äußert das erloschene eheliche Verhältniß Nachwirkungen und bildet die Grundlage der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung. In dieser Hinsicht steht im Allgemeinen die Beendigung der Ehe durch Scheidung ihrer Beendigung durch den Tod gleich971. Doch gelten in einigen Punkten abweichende Rechtssätze. II. Name der Frau Die geschiedene Frau behält gleich der Witwe an sich den erheirateten Familiennamen972. Allein einerseits kann sie stets den Familiennamen des Mannes ablegen973. Sie kann ihren Mädchennamen oder auch, wenn sie schon früher verheiratet war, den 968 Ueber die früheren Beschränkungen des Rechtes zur Eingehung einer neuen Ehe für den schuldigen Teil vgl. oben § 231 Anm. 195. Daß das Schweiz. ZGB a. 150 dem schuldigen Ehegatten eine im Urteil auf 1 – 2 (bei Ehebruch 1 – 3) Jahre festzusetzende Wartefrist auferlegt, ist oben § 236 Anm. 335 erwähnt. 969 Das französischrechtliche Verbot (oben § 231 Anm. 195) wurde in Deutschland schon durch das PStG beseitigt. 970 Auch im evang. KR wurde zwar bisweilen anders verfahren, überwiegend jedoch die Wiederholung von Aufgebot und Trauung verlangt. Ebenso in Preußen. Ausdrücklich forderte das Sächs. Gb. § 1747 Wiederholung der Eheschließungsform, erließ jedoch die nochmalige Nachsichtserteilung wegen eines Eheverbots, das der ersten Ehe entgegengestanden hatte. Das Schweiz. ZGB a. 1042 erleichtert die Wiedervereinigung durch Zulassung richterlicher Abkürzung der nach a. 150 dem schuldigen Teil auferlegten Wartefrist. 971 Ueber die für diesen Fall geltenden Regeln vgl. oben § 246 I. 972 BGB § 15771. Für das gem. R. war Streit; überwiegend aber wurde es als Regel anerkannt; vgl. Seuff. III Nr. 70 (anders XVII Nr. 58). Auch das Preuß. LR behandelt es als Regel. Ausnahmslos führte das Sächs. Gb. § 1748 den Grundsatz durch. Ihm wollte sich Entw. I § 1455 anschließen. – In scharfem Gegensatz dazu versagt die französ. Theorie und Praxis der geschiedenen Frau schlechthin die Fortsetzung des Mannesnamens. Und ausdrücklich bestimmt das Schweiz. ZGB a. 149, daß die Ehefrau zwar den durch die Ehe begründeten Personenstand behält, aber den Namen wieder annimmt, den sie vor dem Abschluß der Ehe getragen hat.
6. Titel: Auflösung der Ehe
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von ihr bei Eingehung der geschiedenen Ehe geführten Namen wieder annehmen; nur wenn sie für den allein schuldigen Teil erklärt ist, ist sie lediglich zur Wiederannahme ihres angestammten Familiennamens befugt974. Andererseits kann der Mann, wenn die Frau für allein schuldig erklärt ist, ihr die Führung seines Namens untersagen975. Damit verliert sie den erheirateten Familiennamen und erhält ihren Mädchennamen zurück976. Namensannahme und Namensuntersagung erfolgen durch öffentlich beglaubigte Erklärung gegenüber der zuständigen Behörde977. Sie sind einseitige, formbedürftige Willenserklärungen. Ihre Abgabe ist an eine Frist nicht gebunden. Das Annahmerecht wie das Untersagungsrecht sind höchstpersönliche Rechte, deren Ausübung, wenn der Ehegatte geschäftsunfähig ist, überhaupt nicht, wenn er beschränkt geschäftsfähig ist, ohne Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters erfolgen kann. Sie verleihen rechtsgestaltende Macht, so daß die in gehöriger Weise abgegebene Erklärung unmittelbar eine Aenderung des gesetzlichen Namenrechtes der Frau bewirkt978. Die einmal eingetretene Rechtsänderung ist endgültig und kann durch Widerruf der Erklärung nicht wieder rückgängig gemacht werden. Ob der geschiedene Ehegatte von seinem Rechte Gebrauch machen will, hängt von seinem freien Entschluß ab. Dagegen kann er durch 973 Dies Recht gewährte ihr auch die gemeinrechtliche Praxis. Ebenso das Preuß. LR II 1 § 741, die Altenb. Ehe-O. § 282 und andere Partikularrechte. 974 BGB § l5772. Daß die allein schuldige Frau ihren früheren Witwennamen nicht wieder annehmen kann, ist eine willkürliche und seltsame Bestimmung: ihr Verschulden richtet sich weder gegen das Andenken des Verstorbenen noch gegen dessen Familie und braucht ihr keineswegs zur Unehre zu gereichen; die Familie hat nicht mitzusprechen und kann nicht einmal, wenn sie es wünscht, die Namensgemeinschaft wiederherstellen; ist auch der Ehemann schuldig, so muß die Familie die Wiederannahme ihres Namens seitens der geschiedenen Frau sich unter allen Umständen, auch wenn sie z. B. wegen Ehebruchs geschieden ist, gefallen lassen, obwohl doch das Verschulden des Mannes mit etwaigen Bedenken gar nichts zu tun hat. Zweckmäßiger stellte das Preuß. LR § 741 jeder geschiedenen Frau die Annahme ihres vorigen Geschlechts- oder Witwennamens zur Wahl. – Das Schweiz. ZGB a. 149, nach dem die schuldige wie die schuldlose Frau von Rechtswegen ihren früheren Witwennamen zurückerhält, läßt die Wiederannahme des „angestammten Familiennamens“ stets nur auf Grund besonderer Gestattung im Urteil zu. 975 BGB § 15772. Dieses Recht gewährte dem Manne auch die gemeinrechtliche Praxis und das Preuß. LR § 742. 976 Das Recht auf einen früheren Witwennamen hat sie ja nach § 15771 verwirkt. 977 Die Zuständigkeit bestimmt das Landesrecht. Vgl. die Zusammenstellung der landesrechtlichen Vorschriften b. Schmidt zu § 1577 Bem. 5 b , Staudinger Bem. 3 c. Nach dem Preuß. AG a. 68 ist, wenn die Ehe vor einem preußischen Standesbeamten geschlossen war, dieser, sonst das Amtsgericht des Wohnsitzes zuständig. In manchen Staaten ist stets das Standesamt, in anderen stets das Amtsgericht, in wieder anderen eine Verwaltungsbehörde (in Bayern die Distriktspolizeibehörde) zuständig. Vielfach ist Eintragung eines Randvermerkes im Standesregister vorgeschrieben. 978 Die Aenderung tritt nach BGB § 1303 mit dem Zugehen an die Behörde ein. Bei der Namensuntersagung daher möglicher Weise, bevor die Frau es erfährt. Doch soll ihr nach § 1577 Abs. 2 S. 3 behördliche Mitteilung gemacht werden.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
einen im Voraus erklärten rechtsgeschäftlichen Verzicht seine Entschlußfreiheit nicht einbüßen979. Auch den verheirateten Stand behält die geschiedene Frau grundsätzlich in gleicher Weise wie die Witwe bei980. Doch können Landesgesetze Abweichendes bestimmen981. III. Unterhaltspflicht Mit der Scheidung der Ehe endet die gegenseitige eheliche Unterhaltspflicht. Allein nur, wenn beide Ehegatten für schuldig erklärt sind, fällt sie nach dem BGB restlos weg. Ist ein Teil allein schuldig, so bleibt sie in abgeschwächter Form zu Lasten des schuldigen Ehegatten bestehen982. In dem einzigen Falle, in dem kein Teil für schuldig erklärt wird, trifft die gleiche Unterhaltspflicht den geistig gesunden Ehegatten, der die Scheidung wegen Geisteskrankheit des anderen Ehegatten erlangt hat983. Das BGB schließt sich mit diesen Bestimmungen an das frühere deutsche Recht an984. Dabei behandelt es den gewährten Unterhaltsanspruch als Ausfluß des ehemaligen Gemeinschaftsverhältnisses und somit als familienrechtliche Nachwirkung der Ehe985, nicht, wie manche Gesetze986, als eine Form des 979 Meist wird ein Verzicht der Frau auf ihr Annahmerecht und des Mannes auf sein Untersagungsrecht für wirksam gehalten; Schmidt zu § 1577 Bem. 5, Staudinger Bem. 3 f., Planck Bem. 4. Vgl. dagegen OLG Posen b. Seuff. LXIV Nr. 33. Das RGer LXXXVI Nr. 29 nimmt sogar an, daß die Frau sich rechtsgeschäftlich dem Manne gegenüber verpflichten könne, im Falle seiner Wiederverheiratung seinen Namen abzulegen, also ihr Recht auf Namensänderung auszuüben. Darin aber läge eine vertragsmäßige Wegbedingung der nach allgemeinen Grundsätzen der Vertragsfreiheit entzogenen gesetzlichen Wirkung der Ehe für das Namensrecht. 980 Das BGB schweigt. Das Sächs. Gb. § 1748 bestimmt es ausdrücklich. 981 Nach dem Sachs.-Altenb. AG § 93 finden die Vorschriften des BGB § 1577 über den Familiennamen entsprechende Anwendung. Nach den (im AG a. 89, 1 c aufrecht erhaltenen) §§ 738 – 740 des Preuß. LR II 1 behält die Frau der Regel nach Stand und Rang des Mannes, fällt aber, wenn sie für den schuldigen Teil erklärt ist, in ihren etwaigen niedrigeren früheren Stand zurück, während sie andernfalls in ihren etwaigen höheren früheren Stand wieder hinauftreten kann. 982 BGB §§ 1578 – 1582. 983 BGB § 1583. 984 Für das gemeine Recht wurde in Theorie und Praxis überwiegend eine Alimentationspflicht des schuldigen Ehegatten oder doch des schuldigen Mannes anerkannt und auf Gewohnheitsrecht gegründet, zum Teil auch auf can. 18 C. XXXII gut gestützt; vgl. Seuff. XII Nr. 40, XXIV Nr. 135, XXIX Nr. 245, XXXV Nr. 218. Das RGer verneinte ein gemeines Gewohnheitsrecht und ließ sich durch widersprechende Gerichtsurteile nicht bekehren; ZS VIII Nr. 48, Seuff. XL Nr. 117. Dagegen hielt das Bayr. Obst. LG an der bisherigen Praxis fest; Seuff. XL Nr. 212, LI Nr. 31. Ausdrücklich gewährten einige sächs.-thür. Ges. einen Unterhaltsanspruch; so Altenb. Ehe-0. § 274 ff., Goth. Ehe-G. § 166 ff., Schwarzb.-S. EhescheidungsGes. § 31 ff. Desgleichen Preuß. LR II, 1 § 798 ff.; vgl. Dernburg, Preuß. PR III § 20. Code civ. a. 301; dazu Zachariae-Crome § 456. Oesterr. Gb. §§ 105, 1263, 1264, 1266; dazu Krainz-Pfaff-Ehrenzweig § 440 II 3. Sächs. Gb. § 1750. Schweiz. ZGB a. 152.
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deliktischen Entschädigungsanspruches aus schuldhafter Entziehung der Ehevorteile987. Demgemäß regelt es ihn auch im Einzelnen gleich der Unterhaltspflicht aus Verwandtschaft und trifft nur eine Reihe abwandelnder Sondervorschriften. 1. Der Unterhaltsanspruch setzt stets Bedürftigkeit voraus. a) Ist der Mann unterhaltspflichtig, so hat er die Frau nicht, wie während der Ehe, überhaupt zu ernähren, sondern ihr nur im Falle und nach dem Maße ihrer Bedürftigkeit Unterhalt zu gewähren988. Die Frau aber ist schon bedürftig, wenn und soweit sie ihren Unterhalt nicht aus den Einkünften ihres Vermögens und, insofern nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten gelebt haben, Erwerb der Frau durch Arbeit üblich ist, aus dem Ertrage ihrer Arbeit bestreiten kann989. Sie braucht also den Stamm ihres Vermögens nicht anzugreifen. Hiervon gilt nur eine Ausnahme, wenn der Mann außer Stande ist, ohne Gefährdung seines eignen standesgemäßen Unterhalts die Frau zu unterhalten; dann fällt seine Unterhaltspflicht der Frau gegenüber weg, falls diese ihren Unterhalt aus dem Stamme ihres Vermögens bestreiten kann990. Erwerb durch Arbeit braucht sie immer nur zu suchen,
985 Diesen Standpunkt nimmt auch das französ. u. oesterr. Recht, sowie das Sächs. Gb. ein. Ebenso das Schweiz. ZGB; vgl. Egger Bem. 2 c. Ihm entspricht die Ausdehnung der Unterhaltspflicht auf den Ehegatten, der die Scheidung wegen Geisteskrankheit des anderen erlangt hat; schon für das gem. R. angenommen (vgl. Seuff. XXIX Nr. 245) und im Sächs. Gb. § 1751 verordnet. Ferner die im oesterr. R. ausnahmsweise auch bei beiderseitigem Verschulden zulässige richterliche Auferlegung der Verpflichtung zur Alimentation der bedürftigen Frau; Krainz a. a. O. Anm. 19 – 20. Konsequenter noch verfährt das Schweiz. ZGB a. 152, das den Unterhaltsanspruch des schuldlosen Ehegatten überhaupt unabhängig vom Verschulden des anderen Teils eintreten läßt. 986 So vor allem das Preuß. LR, das der schuldlosen Frau stets die Wahl giebt, anstatt der vom schuldigen Manne zu leistenden vertragsmäßigen oder gesetzlichen Abfindung lebenslängliche Verpflegungsgelder zu fordern (§§ 798 – 808), und das gleiche Recht dem unschuldigen Mann für den Fall unverschuldeter Bedürftigkeit gegen die schuldige Frau einräumt (§§ 809 – 810). Der Anspruch der Frau auf standesgemäße Verpflegung behält daher die Natur einer ein für alle Mal erworbenen Entschädigung; vgl. RGer XLVIII Nr. 2 (auch gegenüber dem BGB). Aehnlich die oben Anm. 984 angef. thüring. Gesetze. Vgl. auch Seuff. LI Nr. 34. 987 Einen solchen Anspruch verwirft es, wie wir noch sehen werden, nach dem Vorbild des Sächs. Gb. § 1750 überhaupt. Wo er besteht, kann natürlich der Unterhaltsanspruch daneben als selbständiger familienrechtlicher Anspruch anerkannt sein. Ein Zusammenhang desselben mit Ehescheidungsstrafen (wie im gem. R.), Schadensersatz (wie im schweiz. R.) oder Erlangung oder Nichtverlust ehegüterrechtlicher Vorteile (wie im französ. u. österr. R.) tritt dann nur darin hervor, daß er insoweit wegfällt, als jene Leistungen ihn überflüssig machen, weil keine Bedürftigkeit vorliegt. 988 So auch nach gem. R. und den meisten Gesetzbüchern. Dagegen ist das vom Preuß. LR gewährte Recht auf Verpflegungsgelder (oben Anm. 986) von Bedürftigkeit der Frau nicht abhängig. 989 BGB § 15781. Ueber den Begriff der nach den Verhältnissen „üblichen Arbeit“ vgl. RGer LXII Nr. 71; auch RGer b. Warneyer VI 440, 441. 990 BGB § 15792. Die Frau muß auch ein geringfügiges Kapital erst aufzehren, ja sogar zu diesem Behuf entbehrliches Mobiliar veräußern; RGer b. Seuff. LXXIII Nr. 137. Immer aber nur, wenn der Mann nicht leistungsfähig ist; vgl. gegen die auf den Wortlaut des Gesetzes
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wenn dies den Lebensverhältnissen des Ehepaares in der Zeit des Bestandes der Ehe entspricht; hat sie tatsächlich während der Ehe eine unübliche Arbeit geleistet, so braucht sie dieselbe nicht fortzusetzen, und betreibt sie nach Auflösung der Ehe ihr bisher nicht zuzumutende Erwerbsarbeit, so braucht sie ihren Arbeitsverdienst nicht in Rechnung zu stellen991. b) Die schuldige Frau hat, wie schon während der Ehe, dem Manne nur Unterhalt zu gewähren, wenn und soweit er außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten. Der Mann muß also bedürftig sein und ist erst bedürftig, wenn und soweit er vermögenslos und erwerbsunfähig ist; er muß, bevor er die Frau in Anspruch nehmen kann, sein etwaiges Kapital erst aufzehren und nach dem Maße seiner Fähigkeit durch Arbeit erwerben992. 2. Der Anspruch geht auf standesgemäßen Unterhalt993. Entscheidend für seine Bemessung ist die Lebensstellung des Mannes zur Zeit der Scheidung994. Nur der durch eignes sittliches Verschulden bedürftig gewordene Unterhaltsberechtigte kann blos den notdürftigen Unterhalt verlangen995. 3. Die Unterhaltspflicht ist durch Leistungsfähigkeit des Verpflichteten bedingt. Abweichend von den während der Ehe geltenden Grundsätzen kann der geschiedene Ehegatte, wenn er den schuldlosen ehemaligen Ehegatten zu unterhalten hat, das für seinen eignen Unterhalt Erforderliche für sich behalten. Soweit er bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen zur Unterhaltsgewährung nicht im Stande ist, ohne seinen eignen standesgemäßen Unterhalt zu gefährden, kann er von den für seinen Unterhalt verfügbaren Einkünften zwei Drittel zurückbehalten, muß sich zwar eine Einschränkung, nicht aber die völlige Entziehung der zum standesgemäßen Leben erforderlichen Mittel gefallen lassen. Darüber hinaus kann er, wenn seine Einkünfte nach Abzug eines Drittels nicht einmal zu seinem notdürftigen Unterhalt ausreichen würden, so viel zurückbehalten, als zu dessen Bestreitung erforderlich ist. Hat er ein minderjähriges unverheiratetes Kind oder in Folge seiner Wiederverheiratung einen neuen Ehegatten zu unterhalten, so kann eine weitere Beschränkung seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem geschiedenen Ehegatten insoweit eintreten, als dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und gestützte unbillige Meinung, daß es im Falle des Abs. 1 S. 2 des § 1579 darauf nicht ankomme, Planck, Bem. 4, Wolff § 36 Anm. 8, Rspr. d. OLG X 283. 991 RGer b. Seuff. LXXI Nr. 61. 992 BGB § 15782. – Dem schuldlos geschiedenen Manne gewährte auch das Preuß. LR § 809 das Recht, statt der Abfindung aus dem Vermögen der schuldigen Frau lebenslängliche Verpflegung zu fordern, nur im Falle unverschuldeter Erwerbsunfähigkeit. 993 BGB § 1578 und (gemäß Verweisung in § 15803) § 1610. Ebenso nach Preuß. LR §§ 798 – 800, 809, Sächs. Gb. § 1750. Nach Oesterr. Gb. § 1264 „angemessenen“ Unterhalt. Dagegen nach Schweiz. ZGB a. 152 einen den Vermögensverhältnissen des Verpflichteten entsprechenden Beitrag. 994 RGer b. Seuff. LXIII Nr. 161, ZS LXXV Nr. 29; Rspr. d. OLG VII 108, 109. 995 BGB § 16151 gemäß Verweisung in § 15803.
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die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Beteiligten der Billigkeit entspricht996. 4. Der Unterhalt ist in Gestalt vierteljährlich vorauszuzahlender Geldrente, für die je nach den Umständen Sicherheit zu leisten ist, zu gewähren; ausnahmsweise kann aus einem wichtigen Grund der Berechtigte eine Abfindung in Kapital verlangen997. 5. Der Unterhaltsanspruch erlischt mit der Wiederverheiratung des Berechtigten998, sowie mit dessen Tode999. Dagegen erlischt er nicht mit der Wiederverheiratung des Verpflichteten1000, noch auch mit dessen Tode1001. Die Vererblichkeit der Unterhaltspflicht bildet einen gewissen Ersatz für das dem schuldlosen Ehegatten entzogene Erbrecht. Der Anspruch gegen die Erben wird nicht durch die Leistungsfähigkeit der Erben, wohl aber durch die Zulänglichkeit des Nachlasses begrenzt. Die Erben können, auch wenn im Nachlaß die Mittel zur Leistung der vollen Rente vorhanden sind, beanspruchen, daß ihnen die Hälfte der Einkünfte aus dem ihnen zugefallenen VermöBGB § 15791. Den Stamm seines Vermögens braucht auch der Mann behufs Unterhaltsgewährung an die geschiedene Frau niemals anzugreifen; vgl. Planck Bem. 1, Schmidt Bem. 2 d , Staudinger Bem. 1 a. Die Beschränkung durch den Unterhaltsanspruch einer zweiten Frau, der ja nach § 1360 unbeschränkt ist, kann auch zur vollen Versagung jedes Unterhaltsanspruches der geschiedenen Frau führen; RGer XLVIII Nr. 28. Die Berücksichtigung seiner Verpflichtung zur Unterhaltung seines minderjährigen Kindes kann der Mann auch dann verlangen, wenn das Kind sich bei der geschiedenen Frau befindet; RGer LXXII Nr. 47. Bei der Berechnung der Zulänglichkeit der Einkünfte zu eignem standesmäßigem Unterhalt kommt die Absicht ihrer Verwendung zur Durchführung wirtschaftlicher Pläne nicht in Betracht; RGer b. Seuff. LXX Nr. 61. Darüber, daß die „Billigkeit“ hier eine Verpflichtung der Frau zum Erwerbe durch Arbeit über das nach § 1578 geforderte Maß hinaus begründen kann, vgl. RGer b. Seuff. LXXII Nr. 161. – Die Leistungsfähigkeit ist nach den jeweiligen Verhältnissen zu beurteilen; doch kann der Mann sich zwar auf Vermögensverlust, nicht aber auf schuldhafte Unterlassung des Erwerbes durch Arbeit berufen; RGer b. Seuff. LXIII Nr. 161. – Nach dem Code civ. a. 301 darf die pension alimentaire niemals ein Drittel der Einkünfte überschreiten. 997 BGB § 15801 – 2. Die Geltendmachung für die Vergangenheit ist gemäß § 1613 ausgeschlossen; § 15803. Die Erhöhung oder Herabsetzung der zuerkannten Geldrente wegen veränderter Umstände kann nach ZPO § 323 erfolgen. Der Unterhaltsanspruch ist gleich dem aus Verwandtschaft unpfändbar, unübertragbar und unbelastbar. Er genießt das Pfändungsprivileg des § 8504 ZPO. Im Falle des Konkurses des Verpflichteten gilt KO § 3. 998 BGB § 15811. Ebenso Sächs. Gb. § 1750, Schweiz. ZGB a. 153. Anders Preuß. LR §§ 805, 810. 999 BGB § 15803 mit § 1615 (vorbehaltlich der Ansprüche auf Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung für die Vergangenheit oder auf schon fällige Vorausleistungen, sowie der subsidiären Verpflichtung zur Tragung der Beerdigungskosten). 1000 In diesem Falle gelten nach BGB § 15812 hinsichtlich der Einwirkung des ehelichen Güterstandes der neuen Ehe auf die Bemessung oder Leistungsfähigkeit des Verpflichteten gleiche Regeln, wie nach § 1604 unter Verwandten. 1001 BGB § 1582. Entw. I kannte abweichend vom bisherigen Recht keinerlei Belastung des Nachlasses zu Gunsten eines schuldlos geschiedenen Ehegatten. 996
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gen ungeschmälert verbleibt1002. Sie haben daher die Befugniß, die Rente bis auf die Hälfte der Einkünfte herabzusetzen, die der Verpflichtete zur Zeit des Todes aus seinem Vermögen bezogen hat1003. Die Verbindlichkeit des Erben zur Fortleistung der Unterhaltsrente entspringt keinem familienrechtlichen Verhältniß, sondern ist gewöhnliche Nachlaßverbindlichkeit1004. 6. Im Gegensatz zu den Unterhaltsansprüchen aus bestehender Ehe sind die gesetzlichen Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten vertragsmäßiger Abänderung zugänglich. Der Unterhaltsanspruch kann wegbedungen oder auch dem schuldigen Ehegatten eingeräumt, die Unterhaltsrente kann auf einen höheren oder geringeren Betrag festgesetzt werden. Nur sind vor der Scheidung geschlossene Verträge als unsittlich nichtig, wenn sie darauf berechnet und dazu geeignet sind, die Scheidung zu erleichtern1005. IV. Einen Schadensersatzanspruch wegen der durch die schuldhaft verursachte Scheidung entzogenen Vermögensvorteile gewährt das BGB dem schuldlosen Ehegatten nicht1006. Damit setzt es sich in Widerspruch zu dem überlieferten Recht und den Anforderungen der Gerechtigkeit1007. Die im gemeinen Recht auf römischrechtlicher Grundlage ausgebildeten und von vielen Partikularrechten übernommenen Ehescheidungsstrafen1008 sind weggefallen. Aber auch die in ande1002 Dieser Gedanke entstammt dem Preuß. LR § 608, nach dem die Frau, wenn die Verpflegungsgelder mehr als die Hälfte vom Ertrage des Nachlasses ausmachen, die Wahl hat, sich die Herabsetzung auf diese Hälfte gefallen zu lassen oder auf das (im Uebrigen durch die Wahl der Verpflegungsgelder nach § 804 unwiderrufliche) Recht auf die gesetzliche Abfindung aus der Vermögenssubstanz (Berechnung nach §§ 807 – 808) zurückzugreifen. 1003 Nur der Vermögensertrag, nicht die Einkünfte aus Arbeitserwerb, und zwar der Reinertrag kommt in Betracht. Einkünfte aus einem befristeten oder auslösend bedingten Recht bleiben von der Zeit ihres Wegfalles an außer Ansatz. Dagegen sind spätere Vermehrungen oder Minderungen des Ertrages einflußlos. Sind mehrere geschiedene Frauen des Erblassers berechtigt, so kann der Erbe ihre Renten nach Verhältniß ihrer Höhe soweit herabsetzen, daß sie zusammen die Hälfte der Einkünfte gleichkommen. 1004 Daher fallen die Beschränkungen des § 1579 und der KO § 32 weg. Auch treten die Beschränkungen der Erbenhaftung ein. Dagegen bleibt der Inhalt des Anspruchs, insoweit er vom Bedürfnis des Berechtigten abhängt, unverändert. 1005 Vgl. Planck zu § 1580 Bem. 5 b, Staudinger Bem. 4 b u. Vorbem. 8 von § 1563, Opet zu § 1578 Bem. 12, Schmidt Bem. 29, Endemann § 167 Anm. 45, Wolff § 36 III 4; RGer LVI Nr. 30, JWSchr 1913 S. 16, 321, Rspr. d. OLG XXVI 233. 1006 Aus den allgemeinen Vorschriften des BGB über unerlaubte Handlungen läßt sich ein solcher nicht herleiten. Auf einem anderen Felde liegt es, wenn das RGer LXXV Nr. 53 der durch rechtskräftiges Urteil allein für schuldig erklärten Frau einen Schadensersatzanspruch wegen Verlustes ihres Unterhaltsanspruchs gegen den früheren Mann zuerkennt, falls dieser das Scheidungsurteil durch ein gegen § 826 verstoßendes Verhalten herbeigeführt hat; vgl. oben Bd. III 897 Anm. 58. 1007 Gegen die in den Motiven zu Entw. IV 615 ff. vorgebrachten Gründe vgl. Hinschius, Arch. f. ZPr LXXIV 92 ff. u. meine Schrift über den Entw. S. 452; vgl. auch Dernburg § 29 II. Erreicht ist wenigstens die (freilich kaum zureichende) Erweiterung der in Entw. I viel stärker beschränkten Unterhaltspflicht und ihre Vererblichkeit. Dem nicht bedürftigen Ehegatten aber ist jede Entschädigung versagt geblieben.
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ren Gesetzen auf deutschrechtlicher Grundlage1009 dem schuldlosen Ehegatten zugesprochenen Abfindungen für das zerstörte Erbrecht oder die sonstigen im Falle der Auflösung der Ehe durch Tod dem überlebenden Ehegatten gebührenden Vermögensvorteile1010 sind abgeschafft. Dagegen legt das Schweizerische Gesetzbuch dem schuldigen Ehegatten nicht nur stets die Entrichtung einer angemessenen Entschädigung für die durch die Scheidung beeinträchtigten Vermögensrechte und Anwartschaften des schuldlosen Ehegatten auf, sondern ermächtigt auch den Richter, diesem im Falle einer schweren durch Verletzung seiner persönlichen Verhältnisse durch die Umstände, die zur Scheidung geführt haben, eine Geldsumme als Genugtuung zuzusprechen1011. V. Widerruf von Schenkungen Das BGB § 1584 gewährt dem geschiedenen Ehegatten, wenn der andere Ehegatte für allein schuldig erklärt ist, das Recht zum Widerruf aller ihm während des Brautstandes oder während der Ehe gemachten Schenkungen. Dieses Widerrufs1008 Ueber die römischen Ehescheidungsstrafen und die gemeinrechtliche Theorie und Praxis mit ihren zahlreichen Streitfragen vgl. Windscheid-Kipp § 5l0; Entsch.d. RGer ZS XI Nr. 41, XII Nr. 48, XIV Nr. 42, XV Nr. 44, XXIII Nr. 38, XXVI Nr. 31, XXIX Nr. 42, XXXVI Nr. 79, Seuff. XXXVIII Nr. 311, XXXIX Nr. 312, XLIII Nr. 28. Partikularrechte, die den Gesichtspunkt einer den schuldigen Gatten zu Gunsten des unschuldigen treffenden Privatstrafe festhalten, aber die abzutretende Vermögensquote anders bestimmen, b. Stobbe-Lehmann § 311 Anm. 28 – 32. 1009 Nach mittelalterlichen Quellen kann bei beständiger Trennung von Tisch und Bett, während der schuldige Teil seine Rechte am Vermögen des unschuldigen Teils verliert, dieser am Vermögen jenes die Rechte geltend machen, die ihm Vertrag oder Gesetz für den Fall des des Todes desselben gewähren. Vielfach soll auch bei Annullierung der Ehe, die oft unter „Scheidung“ verstanden oder mitverstanden wird, die Frau behalten oder erhalten, was ihr als Witwe zukäme. Vgl. Stobbe-Lehmann § 311 I. 1010 Nach Preuß. LR §§ 783 – 797, 809, 822 erhält der schuldlose Ehegatte als „Abfindung wegen der künftigen Erbfolge“ eine Quote vom Vermögen des Schuldigen (bei gröberem Verschulden 1 / 4, bei geringerem 1 / 6), nach seiner Wahl aber auch dafür (mit gewissen Einschränkungen) das ihm für den Erbfall vertragsgemäß Zugesicherte; es wird angesehen, als sei der Schuldige im Augenblick der vollzogenen Scheidung gestorben. Vgl. RGer XXV Nr. 44, XXIX Nr. 42, XXXVI Nr. 79. Doch mischt das Preuß. LR daneben poenale Gesichtspunkte ein. Aehnlich Gotha. Eheges. § 154 ff. Der Gedanke der Entschädigung für die aus der Ehe fließenden gegenwärtigen und anwartschaftlichen Vorteile überwiegt auch in den Bestimmungen des Bayr. LR I c 6 § 43, und noch deutlicher in manchen Bayr. Statutarrechten, sowie in der Altenb. Ehe-0. § 273 ff. u. dem Schwarzburg-Sondersh. Ehescheid. G. § 30 ff.; vgl. Motive IV 614 ff. Nach Code civ. a. 299 – 300 verliert der Schuldige alle ihm vertragsmäßig zugesicherten Vorteile, während der Schuldlose sie, auch wenn sie gegenseitig stipuliert waren und die Gegenseitigkeit nun nicht Platz greift, behält. Aehnlich nach Oesterr. Gb. § 1266. 1011 Schweiz. ZGB a. 151. Auch die Genugtuung ist Entschädigung, nicht Privatstrafe; vgl. oben Bd. III 971. Ist Entschädigung oder Genugtuung in Gestalt einer Rente zuerkannt oder festgesetzt, so verliert der Berechtigte die Rente nach a. 1531 mit der Wiederverheiratung. Dagegen ist der in a. 1532 bei der Unterhaltsrente dem Pflichtigen gewährte Anspruch
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
recht ist eine Erweiterung des Widerrufsrechtes wegen Undankes, aber an dessen Voraussetzungen und Schranken nicht gebunden1012. Es wird gleich dem Widerrufsrecht wegen Undankes durch einseitig-empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Beschenkten ausgeübt, erlischt aber, wenn vor der Ausübung ein Jahr seit der Rechtskraft des Scheidungsurteils verstrichen ist oder einer der beiden Ehegatten stirbt. Ist der Widerruf erklärt, so kann die Herausgabe des Geschenkes als ungerechtfertigte Bereicherung gefordert werden. VI. Verhältniß zu den Kindern Inwieweit die Ehescheidung auf das elterliche Verhältniß einwirkt, ist im Elternund Kinderrecht zu erörtern. Die den Kindern gegenüber begründete Unterhaltspflicht bleibt unberührt. Im Verhältniß der Ehegatten zu einander aber tritt die Aenderung ein, daß der Mann, obschon er als Vater nach wie vor Erstverpflichteter ist, von der Frau, obschon sie als Mutter nur subsidiär verpflichtet ist, einen Beitrag zu den Kosten des Unterhalts, soweit diese nicht durch die ihm am Vermögen des Kindes zustehende Nutznießung gedeckt werden, verlangen kann1013. Dieser Anspruch des Mannes besteht unabhängig davon, ob er oder die Frau der schuldige Teil ist1014. VII. Die Vermögensauseinandersetzung zwischen den geschiedenen Ehegatten erfolgt auf der Grundlage des bei Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils bestehenden ehelichen Güterstandes1015. Inwieweit dabei Abweichungen von den für den Fall der Auflösung der Ehe durch den Tod geltenden Grundsätze eintreten, ist im ehelichen Güterrecht zu erörtern1016. auf Aufhebung oder Herabsetzung wegen Aenderung des Bedürfnisses oder der Vermögensverhältnisse hier ausgeschlossen. 1012 Vgl. oben Bd. III S. 428 u. 433. Insbesondere erstreckt es sich auch auf die durch BGB § 534 dem Widerruf entzogenen Pflicht- und Anstandsgeschenke; vgl. RGer. LVIII Nr. 97. Das Widerrufsrecht wegen Undankes wird von § 1584 nicht berührt, kann daher mit dem Widerrufsrecht aus § 1584 konkurrieren, aber auch dem schuldigen oder mitschuldigen Ehegatten zustehen. 1013 BGB § 1585. Der geschuldete Beitrag ist aus den Einkünften des Vermögens der Frau und dem Ertrage ihrer Arbeit oder eines selbständig betriebenen Erwerbsgeschäfts in angemessener Höhe zu leisten. Die Frau kann ihn zu eigner Verwendung für den Unterhalt der Kinder zurückbehalten, falls ihr die Personensorge für das Kind zusteht und eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts bei Entrichtung an den Mann zu besorgen ist. Der Anspruch des Mannes ist unübertragbar. 1014 Die Motive IV 629 rechtfertigen ihn mit dem Verlust der Rechte des Mannes am Frauengut. Vorbild waren die Bestimmungen des Preuß. LR II, 2 §§ 103 – 104. 1015 Ist dies ein in dem BGB gegenüber festgehaltener älterer Güterstand, so richtet sich die Auseinandersetzung als dessen Abwicklung nach dem früheren Recht; RGer LXXIII Nr. 6. 1016 Die Schuldfrage spielt dabei nach dem BGB nur im Falle der allgemeinen Gütergemeinschaft (§ 1478) und der Fahrnißgemeinschaft (§ 1549) eine Rolle; vgl. unten § 272 VI 3.
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§ 252. Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft I. Trennung von Tisch und Bett Nach geltendem deutschen Recht kann der Richter auf Trennung einer Ehe von Tisch und Bett nicht erkennen. Doch kann in Deutschland noch eine auf Grund früheren Rechts oder von einem ausländischen Gericht auf Grund fremden Rechts ausgesprochene Trennung von Tisch und Bett wirksam werden1017. Auch hat das BGB Ersatzinstitute geschaffen, deren Verhältniß zur Trennung von Tisch und Bett der Klarstellung bedarf. 1. Zeitweilige Trennung von Tisch und Bett Eine temporäre Trennung von Tisch und Bett war nach gemeinem deutschen Recht nicht nur auf Grund des kanonischen Rechts, sondern auch auf Grund des evangelischen Kirchenrechts zulässig1018. Auch in partikuläre Staatsgesetze wurde sie aufgenommen1019. Sie ist vielen ausländischen Gesetzbüchern bekannt, insbesondere dem französischen1020, oesterreichischen1021 und schweizerischen1022. In viel erheblicherem Maße nach älterem deutschen und nach ausländischem Recht; vgl. oben Anm. 1009 – 1010. 1017 Nach Maßgabe der oben § 248 VII u. VIII entwickelten Sätze. 1018 Nach kanon. R. auf bestimmte oder unbestimmte Zeit aus Gründen, die nach richterlichem Ermessen das Zusammenleben unerträglich machen; v. Scherer, KR § 137 V. Nach evangel. KR auf eine nach richterlichem Ermessen zu bestimmende (möglicher Weise aber auch unbestimmte) Zeit einerseits aus Gründen, die zur Scheidung nicht ausreichen, andererseits aber auch aus Scheidungsgründen; vgl. Seuff. XVII Nr. 55, 146, XXVII Nr. 140, XXXI Nr. 241, XLII Nr. 305, RGer VI Nr. 112, Bayr. Obst. LG b. Seuff. LI Nr. 184. Der Kläger braucht nicht schuldlos, darf aber auch nicht allein oder vorzugsweise schuldig sein; RGer XI Nr. 92. – Streitig war, ob in dem Antrag auf Scheidung der Antrag auf temporäre Trennung von Tisch und Bett von selbst enthalten sei, so daß das Gericht von Amtswegen darauf erkennen könne; RGer XI Nr. 110 bejaht – zweifellos unrichtig, da es sich nicht um ein minus, sondern um etwas durchaus Anderes handelt. 1019 Eingehend regelt sie das Sächs. Gb. §§ 1752 – 1765 auf protestantischer Grundlage; sie kann auf Antrag des scheidungsberechtigten Ehegatten unbeschadet seines Rechtes auf Scheidung, aber auch aus anderen Gründen nach richterlichem Ermessen auf die Zeit von 6 Monaten bis zu einem Jahre ausgesprochen werden. Bei kathol. Ehen verweist § 1766 auf das kanonische Recht. – Vgl. ferner Goth. EheG § l02 ff., Schwarzb. S. EhescheidG § 5. 1020 Code civ. a. 306 – 311; Zachariae-Crome § 459 – 466. Die „séparation de corps“ ist auf Verlangen eines scheidungsberechtigten Ehegatten auszusprechen. Sie erfolgt ohne zeitliche Begrenzung, der ursprüngliche Beklagte kann aber (außer der ehebrecherischen Frau) nach 3 Jahren Scheidung verlangen, wenn der andere Ehegatte nicht sofort in die Beendigung der Trennung willigt. – Nach dem Ges. v. 1884 hat jeder Ehegatte dieses Recht, es hängt aber vom richterlichen Ermessen ab, ob die Umwandlung erfolgt; Zachariae-Crome § 452. 1021 Oesterr. Gb. §§ 107 – 109; doch kennt § 115 bei nichtkatholischen christlichen Ehen die Trennung von Tisch und Bett nur als obligatorische Vorbereitungsregel für die Scheidung wegen unüberwindlicher Abneigung.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Der Entwurf zum BGB wollte sie zu deutschem Reichsrecht erheben1023. Nach gemeinem Recht und den ihm folgenden Gesetzen hat die zeitweilige Trennung von Tisch und Bett eine zwiefache Bedeutung, indem sie einerseits in gewissen Fällen, in denen eine Klage auf Scheidung nicht gewährt wird, einen Ersatz dafür bieten soll, andererseits aber in Fällen, in denen auf Scheidung geklagt werden könnte, die Möglichkeit schaffen soll, an Stelle sofortiger Scheidung zunächst einen vorläufigen Trennungsstand herzustellen, der die Versöhnung offen hält1024. Andere Gesetze kennen sie nur als eine durch das Vorhandensein eines Scheidungsgrundes bedingte Maßregel in der zweiten dieser Bedeutungen1025. Die Wirkung des Trennungsurteiles besteht überall in einer für die Trennungszeit eintretenden Abschwächung der Rechtsfolgen der ehelichen Gemeinschaft. Die beiderseitige Verpflichtung zur häuslichen Gemeinschaft und zur Herstellung der ehelichen Pflicht fällt weg1026. Dagegen bleibt der Bestand der Ehe unangetastet. Alle sonstigen rechtlichen Wirkungen der ehelichen Verbundenheit dauern daher während der Trennungszeit fort1027. Der durch das Trennungsurteil bewirkte Rechtszustand erreicht sein Ende, wenn entweder die Ehegatten sich wiedervereinigen1028 oder die Tren1022 Schweiz. ZGB a. 146. Die Trennung setzt einen Scheidungsgrund voraus; der Richter hat sie auszusprechen, wenn nur auf Trennung geklagt ist, kann aber auf sie auch erkennen, wenn auf Scheidung geklagt ist, jedoch Aussicht auf Versöhnung besteht; sie erfolgt entweder auf 1 – 3 Jahre oder auf unbestimmte Zeit; im ersten Fall kann nach Ablauf der Zeit jeder Ehegatte die Scheidung, im letzteren Falle nach Ablauf von 3 Jahren jeder Ehegatte die Scheidung oder die Aufhebung der Trennung verlangen. 1023 Entw. I §§ 1445 – 1446. Die Klage auf Trennung sollte jedoch nur auf einen relativen (nicht auf einen absoluten) Scheidungsgrund gestützt werden können, hier aber zunächst, sofern nicht die Aussicht auf die Versöhnung ausgeschlossen wäre, allein zulässig sein; sie sollte stets auf eine im Urteil bestimmte Zeit von höchstens zwei Jahren erfolgen, nach deren Ablauf der Trennungskläger die Scheidungsklage anzustellen befugt sein sollte, falls nicht vorher der andere Ehegatte mit einer Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens durchgedrungen wäre. 1024 Oben Anm. 1018 – 1019. 1025 Oben Anm. 1020 – 1023. 1026 Sächs. Gb. § 1756; Seuff. XLV Nr. 254; Entw. I § 1459. 1027 Sächs. Gb. § 1756: „Die übrigen rechtlichen Wirkungen der Ehe dauern fort.“ Also nicht blos die Unmöglichkeit anderweitiger Ehe, sondern auch die Verpflichtung zur ehelichen Treue, die Namens- und Standesgemeinschaft usw. Desgleichen die eheliche Unterhaltspflicht, die nur die dem Wegfall der häuslichen Gemeinschaft entsprechende Inhaltsänderung erfährt. Vgl. für das gem. R. RGer XXX Nr. 39, vollständiger b. Seuff. XLVIII Nr. 94 (ohne Rücksicht darauf, wer der schuldige Teil ist und ob die Frau eignes Vermögen hat); Seuff. XXXVIII Nr. 133 (nicht verwirkbar durch schlechten Lebenswandel). Ausführlich regelt das Sächs. Gb. §§ 1754 – 1764 die Verpflichtung des Mannes zur Fürsorge für gesonderte Wohnung der Frau, zur Herausgabe der erforderlichen Sachen und zur Zahlung von Unterhaltsgeldern. Vgl. ferner Entw. I § 1460. Auch der eheliche Güterstand bleibt an sich unberührt; anders Code civ. a. 311 u. 1441; nach Schweiz. ZGB a. 155 hat der Richter über die Fortdauer oder Aufhebung zu entscheiden und darf, wenn ein Ehegatte Gütertrennung verlangt, diese nicht verweigern. Keinen Einfluß hat die Trennung auf das eheliche Erbrecht. 1028 Die Wiedervereinigung ist formfrei; nur nach dem Oesterr. GB. § 110 muß sie, um die Wirkungen des Urteils aufzuheben, von beiden Ehegatten dem ordentlichen Gericht ange-
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nungszeit ergebnislos verstrichen ist1029. Nunmehr kann jeder Ehegatte die Wiederherstellung der häuslichen Gemeinschaft verlangen1030, der Ehegatte aber, der das Trennungsurteil aus einem Scheidungsgrunde erwirkt hat, nach seiner Wahl auch die Scheidungsklage anstellen1031. Das Schweizerische Gesetzbuch gewährt jedem Ehegatten die Scheidungsklage1032. Unterbleibt sowohl die Wiederherstellung des Zusammenlebens wie die Ehescheidung, so geht die rechtliche Trennung in ein blos tatsächliches Getrenntleben über. Das BGB hat das Rechtsinstitut der zeitweiligen Trennung von Tisch und Bett durch richter1iches Urteil nach dem Vorgange des preußischen Landrechts beseitigt1033. Zum Ersatz dafür hat es eine Art eigenmächtiger Trennung von Tisch und Bett eingeführt. Denn indem jeder Ehegatte, sobald ihm das Zusammenleben den Umständen nach nicht zugemutet werden kann und ohne Weiteres, wenn er auf Scheidung klagen könnte, dem anderen Ehegatten gegenüber zur Verweigerung der häuslichen Gemeinschaft befugt ist1034, kann kraft gesetzlicher Ermächtigung durch privaten Willensakt ein Rechtszustand geschaffen werden, der durchaus dem durch richterliche Trennung von Tisch und Bett begründeten Rechtszustande zeigt werden; vgl. dazu die in der Schey-schen Ausgabel9 in Anm. 1 – 4 angef. Entscheidungen. Ist sie erfolgt, so bedarf es zu rechtlich anerkannter erneuter Trennung eines neuen Urteils. 1029 Vgl. Sächs. Gb. § 1765; Schweiz. ZGB a. 1465. Im Falle einer Trennung auf unbestimmte Zeit ist die Wirkung des Urteils an sich unbefristet, kann aber, wenn keine Wiedervereinigung erfolgt, nach Code civ. a. 310 u. Schweiz. ZGB a. 1476 durch das nach Ablauf von 3 Jahren zulässige Verlangen der Scheidung oder der Aufhebung der Trennung seitens eines Ehegatten beendigt werden; vgl. oben Anm. 1020 u. 1022. 1030 Auch der schuldige Ehegatte. Doch konnte nach gem. R. auf Antrag des anderen Ehegatten der Richter nach seinem Ermessen statt des Urteils auf Wiedervereinigung auch ein wiederholtes Trennungsurteil erlassen; RGer. VI Nr. 112 u. b. Seuff. XLIII Nr. 112; vgl. auch Oesterr. Gb. § 115. 1031 So nach gem. evang. Kirchenrecht, Sächs. Gb., Code civ., Schweiz. Gb, Entw. I und allen die Scheidung vom Bande zulassenden Gesetzen. Die Scheidung erfolgt auf Grund des Trennungsurteils. Soweit die Trennung aus einem zur Scheidung nicht ausreichenden Grunde ausgesprochen ist, muß natürlich die Scheidungsklage auf einen neuen Grund gestützt werden, der festgestellte Trennungsgrund kann aber im Verein mit anderen Umständen, die ihn zum Scheidungsgrunde ergänzen, herangezogen werden; RGer b. Seuff. XLVI Nr. 265. 1032 Schweiz. ZGB a. 1465 – 6. Der schuldige Ehegatte ist also nicht, wie nach den anderen Gesetzen, gezwungen, wenn weder er noch der andere Teil die Wiedervereinigung wünscht, letzterer aber die Erhebung der Scheidungsklage verweigert, dauernd in einer Ehe ohne Tisch- und Bettgemeinschaft zu leben. 1033 Doch hat die nach der ZPO § 627 im Ehescheidungs-, Ehenichtigkeits- oder Eheanfechtungsprozeß auf Antrag eines Ehegatten zulässige einstweilige richterliche Verfügung, die das Getrenntleben der Ehegatten für die Dauer des Rechtsstreites gestattet, ähnliche Wirkungen; vgl. oben § 240 Anm. 479, 241 Anm. 512, 244 Anm. 579, 245 Anm. 748, 250 Anm. 956. Ebenso nach preuß. R.; oben § 248 Anm. 831. Im gem. R. erschien die richterliche Gestattung als Anwendungsfall der zeitweiligen Trennung von Tisch und Bett; Seuff. XLVIII Nr. 188. 1034 Vgl. oben § 244 Anm. 577 u. 578.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
gleicht1035. Auch hier ist durch die Gutheißung des Getrenntlebens die eheliche Gemeinschaft in ihrer Hauptwirkung suspendiert1036, während sie in ihrem Bestande unberührt bleibt und fort und fort die vom gemeinschaftlichen Leben unabhängigen Wirkungen äußert1037. Diesem Zustande aber ist eine feste Zeitgrenze nicht gezogen. Er endet nur durch die jederzeit mögliche Wiedervereinigung oder durch Geltendmachung des Rechtes auf Herstellung des ehelichen Lebens, das bei Wegfall des die Trennung rechtfertigenden Grundes auch dem schuldigen Ehegatten zusteht1038, oder durch Ehescheidung1039. Diese Legalisierung der ohne obrigkeitliche Mitwirkung „separierten Ehe“ unterliegt erheblichen Bedenken1040. Doch hat sie auch das schweizerische Zivilgesetzbuch, wenn schon mit wesentlichen Abschwächungen, vollzogen1041. 1035 Eingehende Erörterung der Einzelfragen b. Joerges, Eheliche Lebensgemeinschaft S. 96 – 156. 1036 Mit der häuslichen Gemeinschaft fällt zugleich für den Mann das Entscheidungsrecht in den das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten aus § 13541 und das Kündigungsrecht aus § 1358, für die Frau die Folgepflicht (oben § 244 Anm. 608 – 613), das Recht und die Pflicht der Leitung des Hauswesens und die Arbeitspflicht aus § 1356 weg. 1037 So bleibt trotz des Wegfalles der Verpflichtung zum geschlechtlichen Umgang die eheliche Treupflicht bestehen; oben § 244 Anm. 575. Ferner die Namens- und Standeseinheit, sowie der Regel nach die Wohnsitzgemeinschaft; ebd. Anm. 591. Auch die Schlüsselgewalt der Frau geht nicht unbedingt unter; ebd. Anm. 676. Vor allem besteht die eheliche Unterhaltspflicht mit gesetzlich abgewandeltem Inhalt fort; oben § 245 II 5. Die Eigentumsvermutungen greifen weiter Platz; ebd. Anm. 761, 766. Der eheliche Güterstand und das eheliche Erb- und Pflichtteilsrecht bleiben unberührt. 1038 Mithin, insoweit der andere Ehegatte sich auf sein Scheidungsrecht stützt, beim Wegfall des Scheidungsrechts durch Verzeihung oder Fristablauf. Möglicherweise kann jedoch der andere Ehegatte trotz des Verlustes seines Scheidungsrechtes das Verlangen nach Herstellung der Lebensgemeinschaft zurückweisen, wenn er aus einem anderen Grunde berechtigt ist, die Trennung aufrecht zu halten; RGer b. Seuff. LXX Nr. 155. Macht keiner der Ehegatten von dem Recht, die Herstellung zu verlangen, Gebrauch, so dauert der Zustand der berechtigten Trennung fort. Kommt es dagegen trotz der Verurteilung eines Ehegatten zur Herstellung nicht zur Wiedervereinigung, so geht die Trennung in unbefugtes Getrenntleben über. 1039 Die Scheidungsklage kann nur der scheidungsberechtigte Ehegatte anstellen. Ob er sie anstellt, hängt von seinem freien Belieben ab. Der andere Ehegatte kann nur einen indirekten Zwang dadurch ausüben, daß er durch die Aufforderung, entweder die häusliche Gemeinschaft herzustellen oder auf Scheidung zu klagen, den während der Trennung gehemmten Lauf der Klagefrist wieder in Fluß bringt und damit bewirkt, daß der scheidungsberechtigte Ehegatte sein Scheidungsrecht verliert, wenn er nicht vor Ablauf der Frist seit der Aufforderung auf Scheidung klagt; oben § 250 Anm. 940 – 943. 1040 Vgl. bes. Dernburg § 30 II. 1041 Art. 170. Jeder Ehegatte ist zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts berechtigt, so lange seine Gesundheit, sein guter Ruf oder sein wirtschaftliches Auskommen durch das Zusammenleben ernstlich gefährdet ist. Außerdem ist nach Einreichung einer Scheidungs- oder Trennungsklage (also nicht schon beim Vorliegen eines Scheidungsgrundes) jeder Ehegatte (nicht blos der Kläger) für die Dauer des Rechtsstreites zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes berechtigt. Einer richterlichen Gestattung bedarf es auch hier nicht. Der Richter hat nur auf Begehren eines Ehegatten, wenn die Voraussetzungen der Trennung erfüllt sind, die Beiträge des einen Ehegatten an dem Unterhalt des anderen festzusetzen.
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2. Beständige Trennung von Tisch und Bett Die beständige Trennung von Tisch und Bett ist vom kanonischen Recht als Ersatz der unzulässigen Scheidung vom Bande im Falle des Ehebruchs ausgebildet1042. Die staatliche Ehegesetzgebung nahm sie insoweit, als sie an der Unauflöslichkeit der Ehe festhielt, in der gleichen Funktion eines Ersatzes der Scheidung vom Bande für die schwersten Fälle der Ehezerrüttung in das bürgerliche Recht auf1043.1044 Sie unterscheidet sich von der zeitweiligen Trennung dadurch, daß sie die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft nicht blos suspendiert, sondern endgültig und ohne Rücksicht auf mögliche Versöhnung aufhebt. Die Ehe besteht auch hier fort. Allein das eheliche Band ist jeder vergemeinschaftenden Kraft entkleidet und wirkt nur noch als äußere Fessel1045. Im Uebrigen treten die gleichen Rechtswirkungen ein, die der Scheidung vom Bande eignen1046. Das evangelische Kirchenrecht und die ihm folgenden Staatsgesetze schafften die beständige Trennung von Tisch und Bett ab1047. Für ganz Deutschland beseitigte sie das Personenstandsgesetz, seit dessen Inkrafttreten kein deutsches Gericht mehr auf beständige Trennung von Tisch und Bett erkennen kann1048. Zugleich gewährt das Personenstandsgesetz im Falle einer früher vollzogenen Trennung von Tisch und Bett jedem Ehegatten das Recht, auf Grund des ergangenen Urteils die gerichtliche Umwandlung in Scheidung vom Bande zu erlangen1049. 1042 Näheres bei v. Scherer, KR § 137 IV, J. Rauch, Separatio perpetua und Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft 1908 (Berl. Diss.). 1043 Vgl. oben § 248 IV. – So das gemeine Recht und das Sächs. Gb. für Katholiken. Ebenso das Oesterr. Gb. für katholische Ehen. Das Oesterr. Gb. §§ l03 – 106 kennt auch eine lebenslängliche „Scheidung von Tisch und Bett“ auf Grund beiderseitigen Einverständnisses; das Gericht muß sie bewilligen, wenn nach erfolglosem geistlichen Sühneversuch die Ehegatten persönlich bestätigen, daß sie über ihre Scheidung und deren vermögensrechtlichen Bedingungen einig sind. 1044 Sie kann daher durch Aufhebung der Trennung ohne neue Eheschließung wieder Vollwirksamkeit erlangen. Nach kanon. R. kann der schuldlose Ehegatte sogar den anderen Ehegatten dazu nötigen, ja, wenn er selbst Ehebruch begeht, seinerseits dazu gezwungen werden. Meist aber hängt die Wiedervereinigung vom beiderseitigen Willen ab; Oesterr. Gb § 110. Das Sächs. Gb. § 1767 fordert Aufhebung der Trennung durch die zuständige Behörde. 1045 Vor allem als absolutes Hinderniß der Eingehung einer neuen Ehe bei Lebzeiten des anderen Ehegatten. Das Sächs. Gb. § 1766 erkennt nur diese einzige Wirkung an. Anderswo bleiben weitere Wirkungen in Kraft. Insbesondere muß folgerichtig der geschlechtliche Umgang mit einer anderen Person als Ehebruch gelten. 1046 Sächs. Gb. § 1766. So namentlich betreffs des ehelichen Güterrechts und Erbrechts, aber auch hinsichtlich des Namensrechts, der Unterhaltsansprüche usw. 1047 Vgl. oben § 248 III u. IV (über das Preuß. LR Anm. 830). Auch das Oesterr. Gb. läßt sie bei nichtkatholischen Ehen nicht zu. 1048 PStG § 771; oben § 248 V. Auch nicht auf Grund eines anzuwendenden fremden Rechts; RGer XI Nr. 9. 1049 PStG § 772. Unanwendbar auf ausländische Urteile; Seuff. LIX Nr. 25, RGer IX Nr. 20, XXXII Nr. 3.
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
An diesem Rechtszustande hat das BGB nichts geändert1050. Es hat aber als neues Rechtsinstitut an Stelle der beständigen Trennung von Tisch und Bett die „Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft“ eingeführt1051. II. Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft 1. Eintritt Liegt ein Ehescheidungsgrund vor, so kann der scheidungsberechtigte Ehegatte anstatt der Scheidung Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft verlangen. Die Klage auf Aufhebung hat die gleichen Voraussetzungen, wie die Klage auf Scheidung, und unterliegt denselben Beschränkungen in Ansehung der Berufung auf verziehene, nicht rechtzeitig geltend gemachte oder im Prozeß verschwiegene Tatbestände. Auch das Verfahren ist das für den Rechtsstreit über die Scheidung vorgeschriebene Verfahren1052. Der Antrag auf Scheidung kann in jeder Prozeßlage in den Antrag auf bloße Aufhebung, aber auch der Antrag auf Aufhebung in den auf Scheidung verwandelt werden, ohne daß darin eine Klageänderung läge1053. Andererseits kann der Beklagte in jeder Prozeßlage durch einfachen Antrag, ohne daß es einer Widerklage bedürfte, die bloße Aufhebung der Gemeinschaft verhindern, so daß, wenn die Klage sich als begründet herausstellt, auf Scheidung erkannt werden muß1054. Kein Ehegatte braucht sich also die Aufhebung aufzwingen zu lassen. Das Urteil, das die Aufhebung ausspricht, hat in gleicher Weise, wie das Scheidungsurteil, den Schuldausspruch zu enthalten. Mit der Rechtskraft des Urteils tritt die Aufhebung ein1055. 1050 Somit kann in Deutschland eine beständige Trennung von Tisch und Bett nur noch auf Grund eines vor dem PStG erlassenen Urteils, falls sie nicht in Scheidung umgewandelt ist, oder auf Grund eines ausländischen Urteils, soweit ein solches nach deutschem Recht wirksam ist, Anerkennung finden. 1051 Ueber diese vgl. Seckel in Berliner Festg. f. Dernburg, 1900, S. 342; Matthiaß, Recht 1903 S. 2 ff.; Olshausen, Arch. f. b. R. XXIII 149 ff.; Behr, ebd. XXV 11 ff.; Franck Arch. f. z. Pr. XCVIII 440 ff.; Joerges, Ehel. Lebensgemeinschaft S. 156 ff.; Dernburg § 31; Endemann § 168; Crome § 558, 565; M. Wolff § 37; J. Rauch a. a. O. (oben Anm. 1042) S. 19 ff. Komm. v. Planck, Staudinger, Schmidt zu BGB §§ 1575 – 1576, 1586 – 1587. 1052 BGB § 1575; ZPO § 639. Entsprechendes gilt für die Widerklage. Auch der beklagte Ehegatte, dem ein Scheidungsgrund zur Seite steht, hat, mag er auf Scheidung oder auf Aufhebung beklagt sein, seinerseits die Wahl, seine Widerklage auf Scheidung oder auf Aufhebung zu richten. – Daß auch, wenn der Scheidungsgrund in unheilbarer Geisteskrankheit besteht, auf bloße Aufhebung der Gemeinschaft geklagt werden kann, wird zwar von Manchen bestritten, mit Recht aber überwiegend angenommen. 1053 Streitig, ob die Umwandlung noch in der Revisionsinstanz zulässig ist. Ueberwiegende Gründe sprechen für die Bejahung. 1054 Dasselbe Recht hat der klagende Ehegatte gegenüber einer auf Aufhebung gerichteten Widerklage. Der Antrag kann nach r. M. noch in der Revisionsinstanz gestellt werden. 1055 Die Aufhebung soll ins Standesregister mittels Randvermerkes eingetragen werden; PStG § 55 nach EG a. 46.
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2. Wirkung Das BGB legt der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft die Wirkungen der Scheidung bei, macht jedoch drei Ausnahmen1056. a) Die Eingehung einer neuen Ehe ist ausgeschlossen. Eine solche ist als Doppelehe nichtig und fällt unter das strafrechtliche Verbot der Bigamie. b) Die Vorschriften über Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe bleiben, während eine geschiedene Ehe nicht nachträglich für nichtig erklärt und angefochten werden kann, anwendbar, wie wenn das Urteil nicht ergangen wäre1057. c) Die Ehegatten können, während geschiedene Ehegatten nur durch eine neue Eheschließung wieder zum Ehepaar werden können, durch formfreie Wiederherstellung der Gemeinschaft ihre Ehe von Neuem in Kraft setzen. Erforderlich ist die tatsächliche Wiedervereinigung in Verbindung mit dem beiderseitigen auf erneute eheliche Lebensgemeinschaft gerichteten Willen1058. Auf das Handeln der Beteiligten sind die Grundsätze über rechtsgeschäftliche Willenserklärungen entsprechend anwendbar, dagegen die für die Eheschließung geltenden Regeln nicht übertragbar1059. Ist die Wiedervereinigung gültig erfolgt, so verliert das auf Aufhebung der Gemeinschaft lautende Urteil seine Wirkungskraft; die Ehe äußert von nun an wieder alle Wirkungen, die sie zur Zeit der Aufhebung der Gemeinschaft hatte, – mit der einzigen Ausnahme, daß stets Gütertrennung eintritt1060.
BGB §§ 1586 – 1587. Eingehend handelt Seckel a. a. O. S. 375 – 380 von der Tragweite dieser Bestimmung und den namentlich im Falle der Anfechtung entstehenden Schwierigkeiten; bedenklich aber ist sein Vorschlag, mittels freier Auslegung des § 1586 S. 2 die ungleiche Behandlung der vermögensrechtlichen Folgen anfechtbarer Ehen in den Fällen der Scheidung und der Gemeinschaftsaufhebung wegzuschaffen. Vgl. auch Mitteis in der oben Anm. * vor § 240 angef. Schrift. 1058 Die Wiederherstellung charakterisiert sich also als eine Rechtshandlung; so auch Planck zu § 1587 Bem. 1, Wolff § 37 II 3. Andere erblicken in der Wiederherstellung einen rein tatsächlichen Vorgang; so Endemann § 168 Z. 2, Matthiaß a. a. O. S. 4, Behr a. a. O. S. 41 ff. Dagegen erklären sie Seckel a. a. O. S. 381, Staudinger Bem. II A 2, Schmidt Bem. 4, Rauch a. a. O. S. 58 ff. für einen familienrechtlichen Vertrag. Allein einerseits bedarf es bei der Wiederaufnahme tatsächlicher Beziehungen, z. B. des geschlechtlichen Verkehrs, immer noch der Prüfung, ob neues eheliches Zusammenleben gewollt ist, andererseits sind rechtsgeschäftliche Willenserklärungen nicht erforderlich. 1059 So sind mit den durch die Anpassung an das Wesen der Ehe gebotenen Abwandlungen die allgemeinen Grundsätze über Geschäftsfähigkeit, Nichtigkeit und Anfechtbarkeit anzuwenden. Nicht aber, wie Seckel S. 381 ff. will, die Sondervorschriften über Ehehindernisse und Eheanfechtung. 1060 Ueber die erheblichen Unterschiede von den Wirkungen der Wiederverheiratung Geschiedener vgl. Seckel a. a. O. S. 380 ff. – Eintragung der Wiederherstellung ins Standesregister erfolgt nur auf Antrag; PStG § 552. 1056 1057
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
3. Umwandlung in Scheidung So lange die durch Urteil vollzogene Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft zu Recht besteht, kann jeder der Ehegatten die Umwandlung in Scheidung verlangen. Das Recht auf Umwandlung kann er nur im Wege einer Scheidungsklage, die gleich jeder anderen Scheidungsklage behandelt wird, geltend machen. Alleiniger Scheidungsgrund aber ist das ergangene Urteil. Der Beklagte hat daher keine andere Einrede, als die der nach Erlassung des Urteils erfolgten Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft. Eine erneute Prüfung der Scheidungsgründe findet nicht statt. Die Scheidung erfolgt durch ein Scheidungsurteil, in dem auch die Schuldigerklärung des Aufhebungsurteils zu wiederholen ist1061. 4. Wesen Die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft ist im BGB eingeführt, um einem Ehegatten, der nicht auf Scheidung klagen will, die Möglichkeit zu verschaffen, sich von der durch die Ehe begründeten Verpflichtung zur Lebensgemeinschaft dauernd zu befreien. Man hat sie in das bürgerliche Eherecht aufgenommen, weil man auf Gewissensbedenken katholischer Ehegatten Rücksicht nahm. Doch hat man die Wahl zwischen der Scheidungsklage und der Aufhebungsklage jedem Gatten unabhängig vom Religionsbekenntniß freigestellt. Zweifellos ist das Rechtsinstitut geschichtlich der katholischrechtlichen beständigen Trennung von Tisch und Bett entsprungen und hat ihr als ein für sie geschaffenes Ersatzinstitut manche Züge entlehnt. Zweifellos aber ist es andererseits ein von ihr wesensverschiedenes, neues und daher auch anders benanntes Rechtsinstitut1062. Schon daß die bloße Gemeinschaftsaufhebung niemals wider den Willen des anderen Ehegatten ausgesprochen und jederzeit von jedem Ehegatten in Scheidung umgewandelt werden kann, schließt eine Gleichsetzung mit der beständigen Trennung von Tisch und Bett schlechthin aus1063. Dagegen ist ein lebhafter Streit darüber entbrannt, ob sie in ihren Wirkungen grundsätzlich mit der Trennung von Tisch und Bett übereinstimmt und somit das Band der Ehe bestehen läßt1064, oder ob sie vielmehr gleich 1061 BGB § 1576. Daß es einer förmlichen Klage bedarf, nicht ein Antrag genügt, wird überwiegend angenommen. Es ist aber eine bloße actio judicati. Das Gesetz hebt ausdrücklich hervor, daß Verzeihung und Fristablauf die Umwandlung nicht hindern. 1062 Sie ist überhaupt keinem anderen Rechte bekannt. Auch die schweizerische Trennung auf unbestimmte Zeit (oben Anm. 1022 u. 1029) ist etwas durchaus Anderes. Kann nach dem anzuwendenden fremden Recht eine Ehe nicht sofort geschieden werden, so darf der deutsche Richter auch nicht auf Aufhebung der Gemeinschaft erkennen; Seuff. LXXIII Nr. 192 S. 314. 1063 Darum steht sie internationalrechtlich der Scheidung vom Bande gleich; oben § 248 Anm. 821. 1064 So in besonders eingehender Ausführung Engelmann b. Staudinger zu § 1586 Bem. II. Vgl. ferner Olshausen a. a. O. S. 153, Matthiaß a. a. O. S. 1 ff., Davidsohn, Ehescheidungsrecht S. 175, Dernburg § 31 II, Cosack6 § 317 Anm. 2, Crome §§ 558, 565, Schmidt zu
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der Scheidung vom Bande die Ehe auflöst und nur gewisse Nachwirkungen des Ehebandes in Kraft erhält1065. Trotz des Scharfsinnes, mit dem die zweite Ansicht verfochten wird, verdient doch nicht nur aus geschichtlichen, sondern auch aus dogmatischen Gründen die Ansicht den Vorzug, daß die Ehe nicht aufgelöst, sondern nur ihres positiven Inhalts beraubt ist1066. Das verbleibende „Restband“ ist doch eben eine nur unter Ehegatten mögliche personenrechtliche Verbundenheit und äußert Wirkungen, die den Wirkungen der Trennung von Tisch und Bett im Wesentlichen gleichen und sich ungezwungen nur erklären lassen, wenn die Ehe fortbesteht1067. Eine erhebliche praktische Bedeutung hat der Streit nicht. Immerhin beeinflußt er die Stellungnahme zu der Frage der Einzelwirkungen der Gemeinschaftsaufhebung1068. Den Verfechtern der Auflösungstheorie ist zuzugeben, daß gemäß der ausdrücklichen Bestimmung des BGB, nach der die „mit der Scheidung verbundenen Wirkungen“ eintreten, grundsätzlich mangels anderer Bestimmung die Aufhebungswirkungen sich mit den Auflösungswirkungen decken1069. § 1586 Bem. 2, J. Rauch a. a. O. S. 20 ff. und zahlreiche andere hier und bei Staudinger a. a. O. angeführte Schriftsteller. 1065 So vor allem in konsequenter Durchführung Seckel a. a. O. S. 355 ff. Ferner Planck zu § 1586 Bem. 2, Opet Bem. 1, Behr a. a. O., Oertmann, Arch. f. b. R. XVIII 358, Wieruszowski, Eher. II 178 Anm. 12, Wolff § 37 Anm. l0. Nur bedingt Endemann § 168 Z. 2 S. 277 ff. u. Anm. 4. 1066 Der Wortlaut des § 1586 ist nicht entscheidend. Daß er, weil die Auflösung der Ehe nach § 1564 mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils eintritt, dem Aufhebungsurteil die gleiche Wirkung beilege, ist kein schlüssiges Argument. Warum ist es denn nicht gesagt? Andererseits ist aus dem Namen „Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft“ kein zwingender Schluß auf den Fortbestand der Ehe selbst zu ziehen. 1067 Daß die anderweite Heirat eines Ehegatten, der nicht mehr verheiratet ist, als Doppelehe behandelt wird, daß eine nicht mehr bestehende Ehe noch vernichtet werden kann, daß die Wiederherstellung der Gemeinschaft ohne Weiteres die vollen Ehewirkungen wieder in Kraft setzt, – das sind doch schwer begreifliche Nachwirkungen eines aufgelösten Bandes. Um sie zu deuten, muß Seckel zum Teil ziemlich gewaltsam vorgehen (oben Anm. 1057 – 1059). Beachtenswert ist auch, daß das Sächs. BGb zweifellos den Fortbestand der Ehe annimmt, obschon es keine andere Wirkung dieses Fortbestandes kennt, als das Eheverbot; eine Anfechtung der getrennten Ehe läßt es nicht zu und zur Wiedervereinigung fordert es behördliche Aufhebung der Trennung (oben Anm. 1044 – 1045). Der Wesensunterschied der beständigen Trennung von Tisch und Bett von der Gemeinschaftsaufhebung des BGB liegt eben nicht in den Wirkungen, sondern in den Voraussetzungen des Eintritts und der Beendigung. 1068 Ein bloßer Wortstreit, wie Manche meinen, oder ein „metaphysischer Streit“, wie Crome § 558 Anm. 11 sagt, ist es also nicht. 1069 Anwendbar sind insbesondere die in §§ 1577 – 1585 BGB enthaltenen Bestimmungen über Namenrecht, Unterhaltspflicht und Schenkungswiderruf. Aber auch hinsichtlich des Wohnsitzes (§ 10), der Verjährung (§ 204), der Beendigung des ehelichen Güterstandes, des Wegfalls von Erb- und Pflichtteilsrecht gilt Gleiches, als wenn die Ehe geschieden wäre. Wenn hier Engelmann durchweg anderer Meinung ist und Andere ihm in einzelnen Punkten beistimmen, so ist doch zu erwägen, daß in allen diesen Punkten nach früherem weltlichen Recht auch die kanonischrechtliche beständige Trennung von Tisch und Bett der Scheidung vom Bande gleichzustellen war. Zweifelhafter ist, ob ein Ehebruch möglich bleibt. Für die Bejahung spricht das kanonische Recht. Doch wird man sich gegen Engelmann Bem. III A
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2. Kap.: Eheliches Personenrecht
Allein die Gegner machen mit Fug geltend, daß insoweit, als die Auflösungswirkungen mit den die Fortdauer ehelicher Verbundenheit voraussetzenden Bestimmungen unvereinbar sind, die Durchführung jenes Grundsatzes Einschränkungen fordert1070.
c 10; Olshausen S. 157 ff., Erler S. 95 u. A. mit der überwiegenden Meinung, wie schon das Sächs. Gb. (oben Anm. 1045), für die Verneinung entscheiden müssen. 1070 Inwieweit dies hinsichtlich des Verhältnisses zu den gemeinschaftlichen Kindern, der Frage der ehelichen Abstammung (vgl. einerseits Seckel S. 365 ff., andererseits Engelmann Bem. II A c 5, Dernburg § 31 Anm. 11), der Wirkungen des Ehebandes im Prozeßrecht, im Konkursrecht, im Strafrecht (Straflosigkeit des Diebstahls), im Staats- und Verwaltungsrecht usw. der Fall ist, wird im einzelnen lebhaft gestritten. Es kommt auf Sinn und Zweck der fraglichen Rechtssätze an. Eine glatte Lösung der Schwierigkeiten läßt sich nicht finden, weil das ganze Rechtsinstitut eine prinzipienlose und wenig durchdachte Kompromißschöpfung ist.
Drittes Kapitel
Eheliches Güterrecht Erster Titel
Das eheliche Güterrecht überhaupt § 253. Geschichtliche Entwicklung I. Aelteres deutsches Recht1 Seit ältester Zeit gab das germanische eheliche Güterrecht dem Grundgedanken Ausdruck, daß das personenrechtliche Eheband vereinigend auf das Vermögen der Ehegatten wirke. Diesen Grundgedanken aber hat das germanische Recht überhaupt und das deutsche Recht insbesondere mannichfach ungleich ausgestaltet. Hierzu trug bei, daß das germanische Recht frühzeitig eine vertragsmäßige Regelung der ehelichen Güterrechtsverhältnisse gestattete, die zuerst in der Sitte üblich gewordenen Vereinbarungen aber oft in das Gesetzesrecht als normative Bestimmungen übergiengen. So begegnet uns schon in den Volksrechten eine Spaltung der Güterrechtssysteme, die im späteren Mittelalter unaufhaltsam fortschritt. Ursprüngliches System scheint das System einer Eigentumseinheit des Ehevermögens gewesen zu sein. Das Ehevermögen war ein unausgeschiedener Bestandteil des Hausvermögens, das der Mann kraft seiner Munt als einheitliche Masse 1 Das Hauptwerk darüber ist R. Schröder, Geschichte des ehelichen Güterrechts: I (Volksrechte) 1863, II (Mittelalter) 1 (Süddeutschland u. Schweiz) 1868, II 2 (Fränk. R.) 1871, II 3 (Norddeut. u. Niederlande) 1874; dazu RG5 § 35 S. 317 ff., § 61 S. 754 ff., 6 § 35 S. 336 ff. Vgl. ferner Runde, Eheliches Güterrecht, 1841, S. 11 ff. Kraut, Vorm. II (1847) S. 331 ff. Gerber, Jahrb. f. D. I (1857) 239 ff. u. Leipz. Dek. Programm v. 1869, beide Aufsätze in Ges. Abh. (1872) S. 311 ff. Roth im Jahrb. des germ. R. III (1859) S. 313 ff. Gengler, Lehrb. (1862) S. 929 – 1162. Beseler, DPR §§ 124 – 125. H. Vocke, Gemeines eheliches Güterrecht und Erbrecht in Deutschland, 1873, Bd. I (geschichtlicher Teil). Stobbe, DPR IV1 u. 2 (1884) §§ 217 – 225, Stobbe-Lehmann IV3 (1900) §§ 277 – 285. E. Huber, Basler Festschr. f. Bern, 1884; Schweiz. PR IV (1893) §§ 127 ff. Heusler, Inst. II (1886) §§ 134 ff. v. Amira, Recht3 § 57. Brunner, Grundz. § 53; R. Hübner, Grundz. §§ 94 – 95. Rietschel, Art. „Ehegüterrecht“ im Reallexikon v. Hoops. Fehr, Rechtsstellung der Frau (1912) S. 25 ff. v. Wyß, Die ehelichen Güterrechte der Schweiz in ihrer rechtsgeschichtlichen Entwicklung, 1896. – Dazu kommen die zahlreichen Untersuchungen über die Geschichte der einzelnen Güterstände, von denen die wichtigsten bei diesen angeführt werden sollen. – Umfangreiche Literaturübersicht bei Stobbe-Lehmann a. a. O. S. 75 – 78.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
beherrschte. Sein Herrschaftsrecht aber war, da seine Hausgewalt zugleich Pflichten gegen die Hausangehörigen einschloß2, von vornherein durch die Zweckbestimmung des Hausvermögens für sämtliche Familienglieder beschränkt. Wenn daher dem Manne allein das Eigentum am Ehevermögen zugeschrieben wurde, so war dies doch kein freies, sondern gebundenes Eigentum. Der Frau wie den Kindern war ein Mitgenußrecht am Hausvermögen gewährleistet; der Hausherr durfte, so lange die Hausgemeinschaft bestand, den Hausangehörigen nicht einseitig ihr Teilnahmerecht am Hausvermögen entziehen und daher insbesondere der Ehefrau, falls er sie nicht berechtigter Weise aus dem Hause verstieß oder sie ihn verließ, bis zur Auflösung der Ehe durch den Tod nicht verkümmern. Das Hausvermögen sollte aber auch nach dem Wegfall des hausherrlichen Eigentums der Familie erhalten bleiben; es war daher den Familiengliedern verfangen, so daß an ihm feste Anwartschaftsrechte der Kinder bestanden, aber auch anwartschaftliche Rechte der Witwe anerkannt waren3. Der Gedanke der Eigentumseinheit in der Hand des Mannes ist in manchen Güterrechtsbildungen der geschichtlichen Zeit noch erkennbar, im Allgemeinen aber schon zur Zeit der Volksrechte überwunden. Mit der Hebung der Stellung der Frau in der ehelichen Gemeinschaft verband sich die Entwicklung der Vorstellung, daß ihr in Ansehung des Ehevermögens ein Eigentumsrecht gebühre. Es war vor Allem die Verbesserung des Erbrechts der Weiber, die hierauf hinwirkte4. Je häufiger Frauen erbten, der bloßen Aussteuer erhebliches Vermögen als Mitgift einbrachten und insbesondere als Erbtöchter auch Grundbesitz dem Ehevermögen zuführten, desto weniger erschien es angemessen, daß ihr Eigentum im Alleineigentum des Mannes aufgehe. Ueberdies aber mußte die Umwandlung des bei der Kaufehe vom Manne zu entrichtenden Muntschatzes aus einer an den Muntwalt zu zahlenden Gabe in ein der Frau selbst ausgehändigtes oder fest zugesichertes Wittum in dem Maße, in dem es an Bedeutung gewann, dahin drängen, diesen Bestandteil des Ehevermögens dem Eigentum des Mannes zu entziehen5. Das gleiche gilt für die Vgl. oben § 224 II 2. Daß ein derartiges System den Ausgangspunkt des germanischen ehelichen Güterrechts gebildet hat, hat E. Huber in der oben angef. Festschrift v. 1884 wahrscheinlich gemacht. Zugestimmt haben ihm Heusler a. a. O. S. 301; v. Amira § 57; Hübner § 94; v. Schwerin, RG2 S. 130 ff.; Rietschel a. a. O. Huber stützt sich auf Rückschlüsse aus den in Zähringischen Stadtrechten und in anderen Quellen des burg., alamann. u. bayr. Gebiets erhaltenen Spuren. Aehnliche Spuren eines einstigen Alleineigentums des Mannes finden sich in norddeutschen Rechten. So besonders im ältesten lüb. R.; vgl. R. Freund, Das lübische eheliche Güterrecht in ältester Zeit, 1884. – Vielfach aber wird die Hypothese Hubers dadurch entstellt, daß anstatt des Eigentumsbegriffs der germanischen Zeit auf das Recht des Mannes der moderne Eigentumsbegriff angewandt wird. In dieser Gestalt ist sie unannehmbar und wird schon durch die Nachrichten von Tacitus widerlegt. Daraus erklärt sich ihre Ablehnung durch R. Schröder und andere Rechtshistoriker. Die richtige Auffassung vertritt u.A. auch R. Freund a. a. O. S. 90 ff. 4 Davon ist im Erbrecht zu handeln. 5 Vgl. oben § 228 Anm. 18 u. unten § 265 IV. 2 3
1. Titel: Das eheliche Güterrecht überhaupt
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Morgengabe mindestens nach denjenigen Rechten, in denen sie sich zu einer umfangreichen Gabe an die Frau auswuchs6. Galt es so, der Frau ein Eigentumsrecht zu verschaffen, so war man doch weit davon entfernt, den germanischen Gedanken der Einheit des Ehevermögens preiszugeben. Zweierlei Wege wurden behufs Erreichung dieses Zieles betreten. Sie führten zu der die ganze spätere Entwicklung beherrschenden Spaltung der Systeme der Verwaltungsgemeinschaft und der Gütergemeinschaft. Dabei macht sich ein grundsätzlicher Gegensatz geltend. Keineswegs aber handelt es sich um einander ausschließende Gedanken, sondern um verschiedenartige Ausgestaltungen des gemeinsamen germanischen Urgedankens, die einander ergänzen und in mannichfacher Art sich mit einander verbinden können. Es giebt im mittelalterlichen Recht kein System der Verwaltungsgemeinschaft, das nicht gütergemeinschaftliche Elemente enthielte. Und mit der Gütergemeinschaft blieb stets bloße Verwaltungsgemeinschaft in Ansehung eines Teiles des Ehevermögens vereinbar. Die Verwaltungsgemeinschaft ergab sich aus der Unterscheidung von Mannesund Frauengut im Ehevermögen. Der Frau wurde das Eigentum an ihrem eingebrachten Gut vorbehalten und an den ihr vom Manne gewidmeten Gaben zugesprochen. Die Einheit des Ehevermögens aber wurde dadurch gewahrt, daß deßen dem Eigentum nach gesonderte Bestandteile zu einem Maße verbunden blieben, an der dem Mann kraft seiner Munt eine Gewere, die Verwaltung und Nutznießung für den Ehezweck einschloß, zustand. Die Gütergemeinschaft entsprang aus der Festhaltung ungesonderter Eigentumseinheit unter Erhebung der Frau zur Mitherrin. Dem Manne wurde die Vorherrschaft kraft seiner hausherrlichen Munt gewahrt, sie wurde aber durch die Eigentumsgemeinschaft am ehelichen Gesamtgut abgewandelt, so daß das der ehelichen Genossenschaft entsprechende Prinzip der gesamten Hand das eheliche Güterrecht gestaltgebend durchdrang7. Die Gütergemeinschaft begegnet zunächst in der Form der Errungenschaftsgemeinschaft, bei der nur der gemeinschaftliche Erwerb des Ehepaares als Gesamtgut erscheint. Vielfach entwickelte sie sich sodann durch Einbeziehung des gesamten beweglichen Vermögens in das Gesamtgut zur Fahrnißgemeinschaft. Endlich gieng sie auf verschiedenen Wegen in eine allgemeine Gütergemeinschaft über, bei der grundsätzlich alles beiderseitige Vermögen einschließlich der eingebrachten und später ererbten Grundstücke zu Gesamtgut verschmolzen wurde. Die Spaltung des ehelichen Güterrechtes vollzog sich in der Zeit der Volksrechte nach Stämmen. Die einzelnen Volksrechte weisen bereits eine mannichfach ungleiche Ausgestaltung und Mischung der Grundgedanken auf. Auch im deutschen Mittelalter blieben in deutlich erkennbarer Kontinuität mit dem alten Recht die Stammesunterschiede in erster Linie maßgebend. Die fränkischen und westfälischen, 6 7
Vgl. unten § 265 III. Vgl. oben § 224 II 3 u. unten.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
zum Teil auch die friesischen Rechte neigen zur Gütergemeinschaft, während die ostsächsischen und die süddeutschen Rechte der Verwaltungsgemeinschaft anhängen. In den späteren Jahrhunderten des Mittelalters aber trat eine weitergehende Zersplitterung ein, die sich an die Stammesgrenzen nicht band. Erheblichen Einfluß auf die Fortbildung des überkommenen ehelichen Güterrechts gewannen die ständischen Unterschiede und die mit ihnen verknüpften wirtschaftlichen Verschiebungen. In den Städten paßte das alte Recht, das der Fahrniß nur nebensächliche Bedeutung zuschrieb, vielfach nicht zu der wachsenden Bewertung des beweglichen Vermögens. Auf dem Lande wirkte die Ausbreitung des Hofrechts vermöge der verschärften Gebundenheit des bäuerlichen Grundbesitzes umgestaltend ein. Im Allgemeinen machte sich eine starke Tendenz zur Erweiterung der gütergemeinschaftlichen Elemente, und innerhalb der gütergemeinschaftlichen Systeme zur Einführung der allgemeinen Gütergemeinschaft geltend. In irgend einer Form drang die Gütergemeinschaft auch in die meisten süddeutschen Rechtsgebiete, in schwäbische und bayrische Quellen ein. Insbesondere aber eroberte die Gütergemeinschaft fast den ganzen deutschen Nordosten. II. Seit der Rezeption8 Mit der Aufnahme des römischen Rechtes wurde in Deutschland das römische Dotalsystem bekannt. Es beruhte auf einem allen germanischen Güterrechtsbildungen entgegengesetzten Grundgedanken. Denn ihm zufolge hat die Ehe als solche grundsätzlich keinen Einfluß auf das Vermögen der Ehegatten. Anstatt der Gütervereinigung gilt vielmehr Gütertrennung. Als ein besonderes eherechtliches Institut erscheint nur die von der Ehefrau oder von einem Anderen für sie bestellte Dos, die als eine Beitragsleistung der Frau zur Tragung der Ehelasten eigenartigen Schicksalen unterliegt. Die Theorie erklärte nunmehr das römische Dotalsystem für gemeines deutsches Recht. Praktisch setzte es sich jedoch nur in wenigen Landschaften und auch hier meist nur für die höheren Stände durch. Und überdies erführ es regelmäßig starke deutschrechtliche Abwandlungen, die es im Erfolge der Verwaltungsgemeinschaft annäherten. Im Uebrigen behaupteten sich mit Zähigkeit die deutschrechtlichen Systeme. Doch wurden sie unter dem Einfluß der romanistischen Doktrin durch die Praxis und die partikulären Land- und Stadtrechte vielfach umgebildet und oft willkürlich verändert. In die Verwaltungsgemeinschaft trug die sächsische Jurisprudenz römische Gedanken hinein und schuf sie zum System des ehemännlichen Nießbrauchs am Frauengut (ususfructus maritalis) um. Die Gütergemeinschaft verbildete man durch die Unterstellung unter das römische Sozietäts- und Miteigentumsrecht. Die Nachwirkungen des ehelichen Güterstandes bei Auflösung der Ehe riß man aus 8 Uebersicht über die Entwicklung im Allgemeinen b. Stobbe a. a. O. § 226 ff., StobbeLehmann § 286 ff.; Hübner § 96; v. Schwerin2 S. 135. Im Uebrigen ist auf die Schriften über die einzelnen Güterstände zu verweisen; vgl. oben Anm. 1 a. E.
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dem organischen Zusammenhange mit den während des Bestandes der Ehe geltenden Vermögensverhältnissen heraus und gelangte so zu allerhand kombinierten Systemen. So wuchs die Zersplitterung ins Maßlose. Dabei entschieden oft Zufall und Laune über die Gestalt, die in benachbarten Gebieten das bisher gleichartige eheliche Güterrecht in seiner Neufassung empfing. Die großen Gesetzbücher stellten sich gleichfalls auf den Boden des deutschen Rechts, schlugen aber verschiedene Wege ein. Das Preußische Allgemeine Landrecht schuf auf diesem Gebiete keine Einheit. Es normierte zwar als prinzipalen gesetzlichen Güterstand das System des ehemännlichen Nießbrauchs und stellte nur daneben subsidiäre gesetzliche Regeln für die allgemeine Gütergemeinschaft und die Errungenschaftsgemeinschaft auf9. Allein es wahrte alten Provinzial- und Statutarrechten den Vorrang. So blieb es im landrechtlichen Gebiet bei einer außerordentlichen Zersplitterung, die nur in einigen Provinzen durch vereinheitlichende neuere Provinzialgesetze gemildert wurde. Dagegen führte der Code civil einen einheitlichen gesetzlichen Güterstand in Gestalt der Fahrnißgemeinschaft ein. Er trug aber den landschaftlich ungleichen Gewohnheiten und den besonderen Bedürfnissen des Einzelfalls dadurch Rechnung, daß er nicht nur abweichende Eheverträge zuließ, sondern auch die wichtigsten bisherigen gesetzlichen oder üblichen Systeme als vertragsmäßige Güterstände durch Bestimmungen normierte, denen jedes Ehepaar sich durch einfache Bezugnahme unterwerfen kann10. Das badische Landrecht schloß sich an. Auch das Oesterreichische Gesetzbuch kennt nur einen einzigen gesetzlichen Güterstand (eine der Verwaltungsgemeinschaft angenäherte Gütertrennung), enthält aber gesetzliche Vorschriften über die abweichenden gesetzlichen Güterrechtsverhältnisse, die durch „Ehepakten“ begründet werden können11. Aehnlich verfuhr das Sächsische Gesetzbuch, das das System des ehemännlichen Nießbrauchs zum gesetzlichen Güterstande erhob, jedoch auch die durch „Ehestiftungen“ vereinbarten abweichenden Güterrechtsverhältnisse durch gesetzliche Bestimmungen regelte12. III. Das Bürgerliche Gesetzbuch Das Bürgerliche Gesetzbuch ist dem französischen Vorbilde gefolgt. Es mußte dem in Deutschland eingetretenen unhaltbaren Zustande einer maßlosen Zersplitterung des ehelichen Güterrechts ein Ende bereiten. Allein es durfte nicht mit der mehr als tausendjährigen geschichtlichen Entwicklung brechen und durch Erzwingung eines gleichförmigen Güterrechts die kraft Gesetzes- oder Gewohnheitsrechts 9 Preuß. ALR II 1 §§ 205 – 344 (von den Rechten und Pflichten der Eheleute in Beziehung auf ihr Vermögen) und §§ 345 – 433 (von der Gemeinschaft der Güter unter Ehegatten). 10 Code civ. a. 1387 – 1581. 11 Oesterr. Gb. §§ 1217 – 1247. 12 Sächs. Gb. §§ 1655 – 1690 (Wirkungen für das Vermögen) u. §§ 1691 – 1706 (Ehestiftungen).
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
in den einzelnen Landesteilen geltenden, zum größten Teil mit wirtschaftlichen Gepflogenheiten und hergebrachten Sitten eng verbundenen und im Rechtsbewußtsein der Bevölkerungen tief eingewurzelten Verschiedenheiten aus der Welt schaffen. Als der geeignetste Weg zur Erreichung dieses Zieles erschien mir und Anderen die Durchführung des sogenannten „Regionalsystems“: die Anerkennung mehrerer gesetzlicher Güterstände in Anlehnung an die fünf Grundtypen des bisherigen Rechts unter Wahrung ihres Wesenskerns, aber in einer die unübersehbaren partikulären Besonderheiten zu Gunsten einer dem durchschnittlichen früheren Rechtszustande und den allgemeinen Grundsätzen des neuen Eherechts angepaßten einheitlichen Neugestaltung abschneidenden Umprägung und die, sei es durch Reichsgesetz vollzogene oder sei es den Landesgesetzen übertragene, Verteilung der Geltungsbereiche dieser gesetzlichen Güterstände unter die zu diesem Behuf fest abgegrenzten einzelnen Landesbezirke13. Allein der überwiegenden Strömung gemäß wurde um der Herstellung einer formalen Rechtseinheit willen dieser Vorschlag verworfen. Man schuf vielmehr einen einzigen gesetzlichen Güterstand für den gesamten Herrschaftsbereich des BGB und begnügte sich damit, neben Gewährung voller Vertragsfreiheit die vier übrigen Grundformen durch umfaßende gesetzliche Vorschriften dergestalt zu normieren, daß jedes Ehepaar durch „Ehevertrag“ sich mittels einfacher Erklärung einem dieser Normenkomplexe unterstellen kann. Als gesetzlichen Güterstand erkor man die Verwaltungsgemeinschaft, an deren Stelle nur in seltenen Ausnahmefällen die Gütertrennung von Rechts wegen eintritt14. Den Ausschlag für diese Wahl gab eine doppelte Erwägung. Einerseits wollte man die uralten und gegenüber dem römischen Recht zäh behaupteten Grundgedanken des deutschen Rechts, daß das persönliche Eheband vereinigend auf das Vermögen der Ehegatten wirke, nicht preisgeben. Andererseits meinte man unter den deutschen rechtlichen Güterrechtssystemen dasjenige bevorzugen zu müssen, das am losesten verbindet und das Frauengut dem Manne und seinen Gläubigern gegenüber am meisten sichert. In der Ausgestaltung des gesetzlichen Güterstandes ist dann freilich der Gemeinschaftsgedanke stark verkümmert und der Frau keineswegs das, was ihr billiger Weise gebührt, zu Teil geworden15. Als vertragsmäßiger Güterstand ist zunächst die Gütertrennung gesetzlich normiert. Die Erhebung der Gütertrennung zum gesetzlichen Güterstande, die nicht nur seitens der Vorkämpfer der Frauenemanzipation, sondern auch von manchen Vertretern kapitalistischer Interessen mit Rücksicht auf die Gefahr der Vermögensschädigung reicher Erbinnen durch leichtsinnige oder verschuldete Ehemänner begehrt wurde, hat man mit Recht abgelehnt. Die Gütertrennung widerspricht dem deut13 Vgl. meine Schrift über den Entw. S. 111 ff. Ebenso namentlich O. Bähr, Arch. f. b. R. I 223 ff. §§ 5 – 6. 14 Ueber die für die Erhebung der Verwaltungsgemeinschaft oder eines anderen Systems zum gesetzlichen Güterstande vorgebrachten Gründe vgl. meine Schrift über den Entw. S. 415 ff. 15 Vgl. meine Schrift über den Entw. S. 407 ff. – Nur Weniges ist im BGB gebessert.
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schen Volksbewußtsein, paßt nicht für die breite Masse der Bevölkerung und würde, wenn sie allgemein auch bei normalen Verhältnissen mangels Ehevertrages einträte, die Zersetzung des deutschen Hauses fördern. Soweit sie im Einzelfalle als wünschenswert empfunden wird, kann den Beteiligten der Abschluß eines Ehevertrages zugemutet werden. Den zweiten vertragsmäßigen Güterstand, den das BGB durch eine besonders große Fülle von Gesetzesvorschriften regelt, bildet die allgemeine Gütergemeinschaft. Weil sie dem sittlichen Wesen der Ehe am meisten entspricht und, wo sie gilt, den tatsächlichen Lebensverhältnissen der mittleren und unteren Volksschichten am besten gerecht wird, wurde von mancher Seite ihre Erhebung zum gesetzlichen Güterstande ganz Deutschlands angestrebt. Allein man erklärte sie für eine nur der idealen Ehe angemessene Ordnung, deren Begründung der freien Tat überlassen werden müsse, und begnügte sich daher mit der Ermöglichung ihrer vertragsmäßigen Einführung. Die Erwägung, daß gerade in den Kreisen, in denen die allgemeine Gütergemeinschaft als selbstverständlich gilt und vielfach sich als tiefeingewurzeltes Institut ausgezeichnet bewährt hat, Eheverträge überhaupt nicht geschlossen werden oder doch, wie namentlich im Bauernstande, der Sitte widersprechen, während in den Fällen, in denen die Ausschließung der Gütergemeinschaft bisher zu erfolgen pflegte, die Beteiligten zur Errichtung von Eheverträgen geneigt sind, blieb einflußlos. Der dritte vertragsmäßige Güterstand des BGB ist die Errungenschaftsgemeinschaft. Der mehrfach geäußerte Wunsch, daß sie als gesetzlicher Güterstand gewählt werde, hatte im Falle der Ablehnung der allgemeinen Gütergemeinschaft gute Gründe für sich. Man verwarf auch dieses Kompromiß, weil die Errungenschaftsgemeinschaft bisher einen zu partikulären Geltungsbereich habe. Als vierter vertragsmäßiger Güterstand ist die Fahrnißgemeinschaft geregelt. Sie als gesetzlichen Güterstand festzuhalten, war der lebhafte Wunsch besonders der Rheinlande. Man wies auch die Fahrnißgemeinschaft unter Berufung auf ihren partikulären Charakter ab, obschon sie für die meisten Ehen in den Kreisen, in denen Eheverträge nicht geschlossen werden, gleichbedeutend mit allgemeiner Gütergemeinschaft ist und somit ihr Grundtypus keineswegs eine beschränkte Verbreitung genoß. Bedauerlich bleibt es jedenfalls, daß die eheliche Gütergemeinschaft, die bis zum 1. Januar 1900 in irgend einer Form für zwei Drittel des deutschen Volkes als gesetzlicher Güterstand galt, für alle unter der Herrschaft des BGB geschlossenen Ehen die Kraft eines gesetzlichen Güterstandes verloren hat! Ein ähnliches Verfahren wie das BGB hat das schweizerische Zivilgesetzbuch gegenüber der kantonalen Zersplitterung des ehelichen Güterrechts16 eingeschlagen. Es erhebt gleichfalls die Verwaltungsgemeinschaft, die in der Schweiz überwiegend galt, zum ordentlichen gesetzlichen Güterstande. Allein es gestaltet sie unter dem Namen „Güterverbindung“ wesentlich anders als das BGB aus, indem es einerseits den Gedanken der ehelichen Gemeinschaft grundsätzlich durchführt, andererseits in das System der Verwaltungsgemeinschaft eine Art Errungenschafts16 Vgl. über diese F. Schreiber, Die ehelichen Güterrechte der Schweiz, I u. II, 1880 / 81. E. Huber, Schweiz. PR I 237 ff.
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gemeinschaft von Todeswegen, die die Unbilligkeit des deutschen Rechts gegen die Frau beseitigt, einfügt. Daneben läßt es in weiterem Umfange als das BGB die Gütertrennung als „außerordentlichen“ Güterstand ausnahmsweise von Rechts wegen eintreten. Als vertragsmäßigen Güterstand regelt es außer der vereinbarten Gütertrennung die „Gütergemeinschaft“ sowohl in Gestalt der allgemeinen wie der beschränkten Gütergemeinschaft17.
§ 254. Das gesetzliche eheliche Güterrecht I. Eintritt Mit der Eingehung der Ehe tritt von Rechtswegen das gesetzliche eheliche Güterrecht ein18. Es richtet sich für jede Ehe nach dem zur Zeit ihrer Eingehung geltenden Personalstatut des Ehemannes. Sein Eintritt ist die unmittelbare Folge der von der Rechtsordnung gewollten Einwirkung des personenrechtlichen Ehebandes auf die Vermögensverhältnisse der Ehegatten. Die oft vertretene Auffassung, daß der mutmaßliche Wille der Ehegatten oder ihre stillschweigende Unterwerfung unter die gesetzliche Regel den Grund seines Eintritts bilde, ist abzulehnen. II. Verschiedenheit des gesetzlichen Güterstandes Im Herrschaftsbereich des BGB tritt als gesetzlicher Güterstand regelmäßig die Verwaltungsgemeinschaft ein. Nur wenn eine in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Frau ohne Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters heiratet, bewirkt die Eingehung der Ehe den Eintritt des gesetzlichen Güterstandes der Gütertrennung19. Außerdem kann bei hochadligen Ehen kraft des Vorranges der Hausgesetze vor den Bestimmungen des BGB ein abweichendes eheliches Güterrecht von Rechtswegen eintreten20. Daneben behalten nach den Grundsätzen über zeitliche und räumliche Anwendung der ehegüterrechtlichen Vorschriften auch für das geltende deutsche Recht die verschiedenen gesetzlichen Güterstände des älteren und des fremden Rechts praktische Bedeutung21. Dies gilt insbesondere für die mehr als hundert ungleichen 17 Schweiz. ZGB a. 178 – 193 („Allgemeine Vorschrift“), §§ 194 – 204 („Die Güterverbindung“), §§ 215 – 240 („Die Gütergemeinschaft“), §§ 241 – 247 („Die Gütertrennung“). 18 Ueber die im älteren deutschen Recht in Folge der Abhängigmachung des Eintritts der ehelichen Genossenschaft vom Beilager geltenden Abweichungen vgl. oben § 244 Anm. 551 – 552. 19 BGB §§ 1363 u. 14261. 20 Vgl. Heffter, Sonderrechte S. 99 ff.; E. Loening, Die Autonomie der standesh. Häuser S. 127 ff.; Oertmann, Die standesh. Autonomie S. 131 ff. – Durchaus üblich sind Eheverträge. 21 Darüber unten §§ 257 u. 258.
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Rechtssysteme, deren eines für die vor dem Inkrafttreten des BGB geschlossenen Ehen kraft Gesetzes Geltung erlangt hatte. Welches von ihnen den gesetzlichen Güterstand der einzelnen Ehe bildete, hing von dem Gesetzes- oder Gewohnheitsrecht des Rechtsgebietes ab, in dessen Herrschaftsbereich die Ehe fiel. In manchem dieser Rechtsgebiete spaltete sich das gesetzliche Güterrecht nach Ständen, so daß neben dem Personalstatut des Ehemannes zugleich dessen Standeszugehörigkeit zur Zeit der Eheschließung entschied und noch heute nachwirkt. Insbesondere gab es in einzelnen Landschaften ein besonderes gesetzliches Ehegüterrecht für den Adel oder für alle „eximierten“ (d. h. von der Unterwerfung unter die niederen Gerichte befreiten) Stände (den Adel, die Beamten usw.), indem bei ihnen an Stelle der im Uebrigen herrschenden allgemeinen oder beschränkten Gütergemeinschaft das modifizierte römische Dotalsystem oder bloße Verwaltungsgemeinschaft von Rechtswegen eintrat.22
III. Wandlung des ehelichen Güterstandes Nach dem BGB wie nach bisherigem Recht kann die Verwaltungsgemeinschaft oder eine an ihrer Stelle begründete Gütergemeinschaft während des Bestandes der Ehe aufgehoben werden23. Dann tritt für diese Ehe die Gütertrennung als gesetzlicher Güterstand ein24. Manche bisherigen Rechte lassen umgekehrt einen lose verbindenden gesetzlichen Güterstand sich in einen enger vereinigenden Güterstand, z. B. Verwaltungsgemeinschaft oder Gütertrennung in Gütergemeinschaft oder beschränkte Gütergemeinschaft in allgemeine Gütergemeinschaft umwandeln, wenn in der Ehe ein Kind geboren ist25 oder wenn die Ehe Jahr und Tag bestanden hat26. Andere stellen verschiedene ehegüterrechtliche Regeln für beerbte und unbeerbte Ehen auf, so 22 Nach Preuß. LR II, 1 § 346 waren die „Eximierten“ zwar nicht der provinzialrechtlichen, wohl aber der statutarrechtlichen Gütergemeinschaft (z. B. in Pommern) entzogen, so daß für sie der Güterstand des ehemännlichen Nießbrauches galt; in Kraft geblieben trotz Aufhebung des eximierten Gerichtsstandes gemäß V. v. 2. Jann. 1849 § 15. Beispiele aus gemeinrechtlichen Gebieten bei Stobbe-Lehmann § 299 Anm. 21 – 22, § 307 Anm. 17; hier galt für die befreiten Stände das mehr oder weniger abgewandelte römische Recht. 23 Durch rechtskräftiges Urteil auf Verlangen der Frau in den Fällen der §§ 1418, 1468, 1542, 1549, des Mannes in den Fällen der §§ 1469, 1542, 1549; durch Konkurseröffnung nach §§ 1419, 1543; durch Todeserklärung nach §§ 1420, 1544. 24 BGB § 14261, § 1470, § 1545, § 1549. Dazu kommt der Fall des gesetzlichen Eintritts der Gütertrennung bei Wiederherstellung der durch Urteil aufgehobenen ehelichen Gemeinschaft nach § 1578; vgl. oben § 252 Anm. 1060. – Aehnlich Schweiz. ZGB a. 183 – 186. 25 Nachweisungen bei Stobbe-Lehmann § 281 Anm. 16, § 284 Anm. 13 – 14, § 299 Anm. 25. So fränk., thüring. u. friesische Statutenrechte. 26 Stobbe-Lehmann § 284 Anm. 12, § 299 Anm. 24. So Bamberger LR, Schweidnitzer R u. thüring. Statuten. Alternativ mit Geburt eines Kindes z. B. Hohenloher LR; ebd. § 299 Anm. 26.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
daß in Folge des Todes und späterer neuer Geburt von Kindern der gesetzliche Güterstand einer Ehe mehrmals wechseln kann27. Inwieweit der gesetzliche Güterstand durch Veränderung des Personalstatuts oder durch Einführung eines neuen Gesetzesrechtes sich verwandeln kann, ist später zu erörtern28. IV. Beendigung Die Beendigung des gesetzlichen Güterstandes erfolgt mit der Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung. Dem ehelichen Güterrecht gehören die bei den einzelnen Systemen mannichfach ungleich ausgestalteten Regeln über die vermögensrechtliche Auseinandersetzung an. Die deutschrechtlichen Güterstände empfangen zum Teil ihr besonderes Gepräge durch Nachwirkungen, die sich in Gestalt erbrechtlicher Vorteile des überlebenden Ehegatten und in den verschiedenen Formen fortgesetzter Hausgemeinschaft äußern. § 255. Das vertragsmäßige eheliche Güterrecht I. Zulässigkeit Das gesetzliche Ebegüterrecht ist nachgiebiges Recht. Es kann durch Ehevertrag abgeändert werden. Nach dem BGB können die Ehegatten ihre güterrechtlichen Verhältnisse sowohl vor oder bei, wie nach Eingehung der Ehe durch Ehevertrag regeln. Die volle ehegüterrechtliche Vertragsfreiheit, die im deutschen Recht galt, hatte sich in Deutschland auch nach der Rezeption dem römischen Recht gegenüber als gemeines Recht behauptet und blieb in den meisten Partikularrechten anerkannt. In einigen Partikularrechten jedoch wurde sie grundsätzlich eingeschränkt, indem Eheverträge während der Ehe überhaupt ausgeschlossen oder doch nur in bestimmtem Umfange zugelassen wurden29. Von den großen Gesetzbüchern verbietet das französische jede vertragsmäßige Abänderung des mit der Eheschließung eingetretenen ehelichen Güterrechts30. Das Preußische Landrecht schließt während der Ehe Verträge aus, durch die die eheliche Gütergemeinschaft eingeführt oder Dies ist vor Allem das System des lübischen Rechts. Aber auch des Würzburger Rechts. Unten § 257 u. § 258. 29 Ausgeschlossen z. B. in Lippe G. v. 1786 § 3 u. den b. Roth, DPR II § 93 Anm. 14 angef. schleswig-holst., bayr., heß. u. thüring. Rechten; nur während einer bestimmten Frist nach Eingehung der Ehe zulässig nach den ebd. Anm. 15 angef. Rechten (Bayreuth, Hohenlohe, Wimpfen); eingeschränkt nach Bamb. LR, Sächs. Gb. § 1694, Bremer u. Hamb. R., vgl. Roth a. a. O. S. 31 – 32. 30 Code civ. a. 1394 – 1395. Ebenso Bad. LR. 27 28
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aufgehoben wird31. Das BGB hat diese Schranken beseitigt32. Durch Ehevertrag kann also auch ein bereits in Kraft getretener gesetzlicher oder vertragsmäßiger Güterstand geändert werden33. Ob Verlobte vor oder bei Eingehung der Ehe einen Ehevertrag schließen wollen, steht in ihrem Belieben. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Errichtung von Eheverträgen, wie sie einzelne Partikularrechte kannten34, ist dem geltenden bürgerlichen Recht fremd35. Dagegen ist ein gegenseitiger Vertrag, durch den sich Verlobte schuldrechtlich zum Abschluß eines Ehevertrages bestimmter Art verpflichten, zulässig36. II. Begründung Das vertragsmäßige eheliche Güterrecht entsteht durch das Wirksamwerden eines gültigen Ehevertrages. Der Ehevertrag unter Verlobten wird, wenn nicht ein späterer Zeitpunkt vereinbart ist, im Augenblick der Eingehung der Ehe; der Ehevertrag unter Ehegatten mangels anderer Abrede im Augenblick seines Abschlusses wirksam. Die Gültigkeit des Ehevertrages hängt von der Erfüllung der allgemeinen Erfordernisse des Zustandekommens von Verträgen ab. Doch treten zum 31 Preuß. ALR II, 1 § 354 – 355, 413 – 414, 417. Jedoch ist ausnahmsweise die Einführung durch Vertrag zulässig, wenn das Ehepaar in ein Gebiet übersiedelt, in dem die Gütergemeinschaft gesetzlicher Güterstand ist. Ebenso ist die vertragsmäßige Aufhebung der kraft Gesetzes eingetretenen Gütergemeinschaft zulässig, wenn das Ehepaar seinen Wohnsitz in ein nicht gütergemeinschaftliches Gebiet verlegt. Stets können Ehegatten die Folgen der Gemeinschaft in Ansehung ihrer künftigen Sukzession vertragsmäßig aufheben oder abändern; § 418. Die blos durch Vertrag entstandene Gemeinschaft unterliegt überhaupt jederzeit der vertragsmäßigen Wiederaufhebung; § 419. Im Uebrigen entbehrt nach der Annahme des RGer XXIV Nr. 57 die vertragsmäßige Aufhebung während der Ehe nicht blos, wie das OTrib. XLVIII meinte, gegenüber Dritten, sondern auch unter den Ehegatten jeder Wirkungskraft. 32 BGB § 1432. Und zwar auch für solche in seinen Herrschaftsbereich getretenen Ehen, für die im Uebrigen das eine Schranke enthaltende fremde oder ältere eheliche Güterrecht fortgilt; EG zum BGB a. 152, 2002. Die Ungültigkeit eines Ehevertrages, der nach dem zur Zeit seines Abschlusses die Ehe beherrschenden Recht unzulässig war, bleibt hiervon unberührt. 33 Ebenso nach österreich. u. schweiz. R. Das Schweiz. ZGB erschwert jedoch den Abschluß von Eheverträgen unter Ehegatten dadurch, daß es zu ihrer Gültigkeit die (bei Eheverträgen unter Brautleuten nicht erforderliche) Zustimmung der Vormundschaftsbehörde fordert, a. 1812. Vgl. über diese in ihrer Allgemeinheit seltsam anmutende Bestimmung Gmür Bem. IV, Egger Bem. 2. 34 Manche überhaupt (vgl. Roth, DPR § 93 Anm. 6), andere für den Fall der Wiederverheiratung (ebd. Anm. 7). 35 Nur bei hochadligen Ehen sind hausgesetzliche Vorschriften, die den Abschluß von Ehepakten obligatorisch machen, auch heute in Kraft. 36 Man wird jedoch zu ihrer Gültigkeit die Beobachtung der für Eheverträge erforderlichen Form verlangen müssen; vgl. Staudinger Bem. 5 zu § 1434, RGer XLVIII Nr. 41 S. 186.
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Teil besondere Voraussetzungen hinzu, die mit Rücksicht auf die eherechtlichen Wirkungen festgesetzt sind. 1. In materieller Hinsicht gelten die allgemeinen Grundsätze über Geschäftsfähigkeit, Stellvertretung, Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit wegen eines Willensmangels, Bedingung oder Zeitbestimmung. Der geschäftsunfähige Ehegatte kann den Vertrag nicht selbst, wohl aber durch seinen gesetzlichen Vertreter schließen. Eine Ausnahme gilt jedoch für die Vereinbarung oder Aufhebung der allgemeinen Gütergemeinschaft oder Fahrnißgemeinschaft, die durch einen gesetzlichen Vertreter überhaupt nicht erfolgen kann37. Der in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Ehegatte bedarf, wenn er selbst den Vertrag schließt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters; auch für ihn aber kann der gesetzliche Vertreter kontrahieren. Nur einen Ehevertrag, durch den die allgemeine Gütergemeinschaft oder die Fahrnißgemeinschaft vereinbart oder aufgehoben wird, kann er nur selbst mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters schließen; ist dieser ein Vormund, so ist überdies die sonst bei Eheverträgen nicht erforderliche Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes erforderlich38. Abweichende Bestimmungen über die materiellen Erfordernisse des Vertragsschlusses können kraft hochadligen Hausrechtes gelten39. Der Gläubigeranfechtung unterliegen Eheverträge, falls sie eine unentgeltliche Verfügung zu Gunsten des anderen Ehegatten enthalten40. 2. Der Ehevertrag ist formbedürftig. Während nach gemeinem Recht eine Form nicht vorgeschrieben war41, banden die Landesgesetze meist die Gültigkeit aller oder doch gewisser Eheverträge an die Beobachtung einer bestimmten Form42. Das BGB verlangt bei Eheverträgen unter Verlobten wie unter Ehegatten allgemein
BGB § 1437 u. 1549. Ebenso nach § 15082 für einen Ehevertrag, der die Fortsetzung der Gütergemeinschaft ausschließt oder die Ausschließung aufhebt. 38 So nach den in Anm. 37 angef. Gesetzestellen. 39 Vielfach wird die Einwilligung des Familienhauptes verlangt. Nach Bayr. Hausges. v. 1808 a. 15 u. v. 1816 a. 14, Württ. v. 1828 a. 20 u. Oldenb. v. 1872 a. 10 sind Eheverträge von Mitgliedern des landesherrlichen Hauses ohne Genehmigung des Chefs sogar nichtig. 40 Gemäß KO § 32 Z. 2, Anf. G. § 3 Z. 4; vgl. RGer LVII Nr. 8; für das ältere Recht RGer b. Seuff. XXXIX Nr. 108. – Daß die vertragsmäßige Einführung der allgemeinen Gütergemeinschaft nach gemeinem Recht nicht als verbotene Schenkung unter Ehegatten angefochten werden konnte, führt das OLG Jena b. Seuff. XXXV Nr. 221 zutreffend aus. 41 Roth a. a. O. Anm. 22; Stobbe-Lehmann § 289 Anm. 11 (mit Nachweisungen aus der Gerichtspraxis). 42 Roth a. a. O. Anm. 24 – 33; Stobbe-Lehmann § 289 Z. 2. Manche Gesetze fordern Abschluß vor Gericht, einige gerichtliche Bestätigung. Code civ. a. 1394, Oesterr. G. v. 25. Juli 1871, Bayr. G. v. 5. Mai 1890 notarielle Beurkundung. Das Schweiz. ZGB a. 1811 öffentliche Beurkundung, deren Art das Kantonatrecht näher bestimmen kann, sowie Unterschrift der Vertragschließenden und ihrer gesetzlichen Vertreter. Andere Gesetze verlangen Zuziehung von Zeugen. Wieder andere Schriftform. Bisweilen begegnet auch öffentliche Bekanntmachung als Formerforderniß, während sie regelmäßig nur vorgeschrieben ist, um dem Vertrage Wirksamkeit gegen gutgläubige Dritte zu verschaffen; vgl. Seuffert IX Nr. 171, XXVII Nr. 237, RGer IX Nr. 19. 37
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die Innehaltung einer eigenartigen Form, bei deren Verabsäumung der Vertrag nichtig ist. Jeder Ehevertrag muß bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile vor Gericht oder vor einem Notar geschlossen werden43. Es genügt also nicht gerichtliche oder notarielle Beurkundung. Vielmehr müssen die Vertragschließenden vor dem Gericht oder Notar erscheinen und einander die Vertragserklärungen mündlich abgeben. Doch ist, anders als bei der Eheschließung, ihre persönliche Anwesenheit nicht erforderlich. Vielmehr können ihre Willenserklärungen durch Stellvertreter erfolgen44. Die Formvorschrift des § 1434 bezieht sich nur auf ehegüterrechtliche Vereinbarungen, nicht auf sonstige vermögensrechtliche Verträge zwischen Verlobten oder Ehegatten45. Werden mit einem Ehevertrage andersgeartete Abreden verbunden, so hängt deren Gültigkeit davon ab, daß zugleich die für sie vorgeschriebene Form gewahrt oder eine Form nicht erforderlich ist46. Eine Ausnahme besteht zu Gunsten eines mit einem Ehevertrage in derselben Urkunde verbundenen Erbvertrages zwischen Ehegatten oder Verlobten, indem für einen solchen die für den Ehevertrag vorgeschriebene Form genügt47.
43 BGB § 1434. Der Vorschlag, auch den Abschluß vor dem Standesbeamten bei Eingehung der Ehe zuzulassen, ist leider abgelehnt. Nach Schweiz. ZGB kann das Kantonalrecht den Standesbeamten für zuständig erklären; vor Anm. – Für die Mitglieder hochadliger Familien können nach Hausrecht abweichende Formvorschriften gelten. 44 Also durch den gesetzlichen Vertreter, sofern dies nicht durch die in Anm. 37 angef. Bestimmungen ausgeschlossen ist. Aber auch durch einen Bevollmächtigten. Die Vollmacht bedarf nicht der in § 1434 vorgeschriebenen Form. – Anders verhält es sich nach dem Schweiz. ZGB a. 1811. Es erstellt als besonderes wesentliches Formerfordniß die „Unterschrift der vertragschließenden Personen und ihrer gesetzlichen Vertreter“ auf. Danach müssen unmündige oder entmündigte Brautleute oder Ehegatten, sofern sie überhaupt urteilsfähig sind (a. 1802), zusammen mit dem gesetzlichen Vertreter, dessen Zustimmung erforderlich ist (a. 1802), selbst ihren Vertragswillen durch Unterschrift erklären, während die Unterschrift von Vollmachtträgern ausgeschlossen ist; vgl. Gmür zu a. 184 Bem. II 2 – 3, Egger Bem. 1 b. 45 Also nicht auf Rechtsgeschäfte, die auch unter unverbundenen Personen mit gleichen Wirkungen vorgenommen werden können, wie Darlehns- oder Bürgschaftsverträge, Schenkungen, Erlaßverträge, Uebereignungen und andere sachenrechtliche Geschäfte. Auch nicht auf Rechtsgeschäfte, die zwar das Vorhandensein eines bestimmten ehelichen Güterstandes voraussetzen, aber das eheliche Güterrecht als solches unberührt lassen. Indessen fallen auch Vereinbarungen über einzelne Verhältnisse, Verfügungen über einzelne Gegenstände (z. B. deren Einfügung in das Vorbehaltsgut oder das eingebrachte Gut), Verpflichtungsgeschäfte in Bezug auf bestimmte Vermögensmassen dann unter den Begriff des Ehevertrages, wenn sie sich als Abänderungen einer gesetzlichen Regel über eheliches Güterrecht darstellen. Im Einzelnen ist die Abgrenzung sehr bestritten; vgl. bes. Planck zu § 1432 Bem. 1, Staudinger Bem. 1, Schmidt Bem. 5, Dernburg § 54 IV, Endemann § 182 Z. 5, Crome § 568 Anm. 1, Cosack6 § 319 I 3, M. Wolff § 41 Anm. 10 – 11, v. Baligand, Der Ehevertrag, 1906, Joerges, Eheliche Lebensgemeinschaft, 1912, S. 165 ff. 46 Ob sie, wenn sie für sich allein gültig wären, als Teile des Gesamtvertrages im Falle der Nichtigkeit des Ehevertrages gleichwohl nichtig sind, ob umgekehrt ihre etwaige Nichtigkeit auch den formgerechten Ehevertrag nichtig macht, entscheidet sich nach BGB § 139. 47 BGB § 22762 – Vgl. für das ältere R. RG XXXIX. Nr. 83.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
III. Inhalt Der Ehevertrag kann das eheliche Güterrecht mit Einschluß der für den Fall der Auflösung der Ehe eintretenden Folgen nach Belieben aus- und umgestalten, soweit nicht eine in ihm getroffene Vereinbarung gegen eine zwingende Gesetzesvorschrift oder gegen das sittliche Wesen der Ehe verstößt48. Der Ehevertrag kann zunächst den ordentlichen gesetzlichen Güterstand einführen49 oder an Stelle einer ausnahmsweise kraft Gesetzes von vornherein oder während der Ehe eingetretenen Gütertrennung oder eines anderen gesetzlichen Güterstandes setzen. Er kann aber auch sich darauf beschränken, das kraft Gesetzes eintretende eheliche Güterrecht in einzelnen Punkten abzuändern50. Der Ehevertrag kann ferner an Stelle des gesetzlichen Güterstandes einen vertragsmäßigen Güterstand von Hause aus begründen oder nachträglich einführen. Ein derartiger Vertragsschluß wird dadurch erleichtert, daß die Ehegatten durch die einfache Erklärung, sich einem der vier vertragsmäßigen Güterstände des BGB zu unterwerfen, also in „allgemeiner Gütergemeinschaft“, „Errungenschaftsgemeinschaft“, „Fahrnißgemeinschaft“ oder „Gütertrennung“ leben zu wollen, sich ein erschöpfend ausgebautes subsidiäres Gesetzesrecht aneignen können. Zur Vereinbarung der Gütertrennung genügt sogar die negative Erklärung, daß die ehemännliche Verwaltung und Nutznießung ausgeschlossen oder eine bestehende 48 Die allgemeinen Vorschriften der §§ 134 u. 138 BGB sind anwendbar. Dabei ergeben sich aber aus der besonderen Regelung des Ehegüterrechts und aus dessen Zusammenhang mit dem Ehepersonenrecht engere inhaltliche Schranken der Vertragsfreiheit, als bei anderen vermögensrechtlichen Verträgen. Vgl. über Einzelfragen Planck zu § 1432 Bem. 3, Staudinger Bem. 3 c, Schmidt, Bem. 6, Dernburg § 54 I, Endemann § 182 Z. 4 b, Wolff § 41 IV, v. Baligand a. a. O., Joerges a. a. O. S. 177 ff. Als nichtig sind z. B. Eheverträge anzusehen, die dem Manne zu Gunsten der Frau in Ansehung des Ehevermögens die Stellung des Familienhauptes völlig entziehen oder ihn zu Lasten der Frau von jeder Tragung der Ehelasten befreien; die der Frau alle Selbständigkeit in Vermögensangelegenheiten rauben oder sie von jeder Beitragspflicht entbinden; die einem Ehegatten künftigen eigenen Vermögenserwerb abschneiden; die eine nicht durch das Gesetz vorgesehene Ausschließung oder Beschränkung der Verfügung über ein veräußerliches Recht im Widerspruch mit § 137 BGB einführen (vgl. Rspr. d. OLG I 457, II 226). – Ueber Einschränkungen des Vertragsinhaltes nach gem. R. vgl. Seuff. XIX Nr. 100, XXX Nr. 38. Vgl. ferner Code civ. a. 1388; Sächs. Gb. § 1692, 1694. 49 Die Ansicht, daß eine bloße vertragsmäßige Aneignung des gesetzlich eintretenden Güterstandes kein Ehevertrag sei (so Staudinger zu § 1432 Bem. 1 e), ist abzulehnen; Dernburg § 54 Anm. 5. 50 So kann er im Rahmen des Güterstandes der Verwaltungsgemeinschaft die Grenzen zwischen eingebrachtem Gut und Vorbehaltsgut der Frau verschieben, die Verfügungsmacht des Mannes über Frauengut einschränken und die der Frau erweitern, die Beitragspflicht der Frau von ihrem Vorbehaltsgut ausschließen oder fixieren, die Tragung aller oder gewisser Schulden der Frau ihrem Vorbehaltsgut aufbürden oder (ohne Eingriff in die unabdingbare Haftung gegenüber den Gläubigern) abnehmen, die Schicksale einzelner Vermögensgegenstände im Falle der Auseinandersetzung abweichend von der gesetzlichen Regel bestimmen.
1. Titel: Das eheliche Güterrecht überhaupt
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Gütergemeinschaft aufgehoben sein soll51. Die Ehegatten können aber auch, wenn sie einen der vertragsmäßigen Güterstände des BGB wählen, in einzelnen Punkten Abweichungen von der gesetzlichen Regel vereinbaren52. Dabei sind die Ehegatten keineswegs an die Ordnung ihrer Vermögensverhältnisse im Rahmen eines der fünf typischen Güterstände des BGB gebunden. Die Behauptung, daß der Ehevertrag, wenn er einen dieser Güterstände zu Grunde legt, keine mit dem Wesen desselben unvereinbare Bestimmung treffen und einen von ihnen allen verschiedenen Grundtypus überhaupt nicht schaffen dürfe53, widerspricht dem vom BGB durchgeführten Grundsatz der Vertragsfreiheit. Anders verhält es sich nach dem Schweizerischen ZGB, das nur die im Gesetz vorgesehenen Güterstände zuläßt54. Allein eine ähnliche Beschränkung der ehegüterrechtlichen Vertragsfreiheit in das geltende deutsche Recht hineinzutragen, bietet das BGB nicht den geringsten Anhalt55. Der Ehevertrag kann daher Elemente der im BGB geregelten Güterrechtssysteme in beliebiger Mischung mit einander verbinden und auch ehegüterrechtliche Gedanken, die dem BGB fremd sind, durchführen56. Dabei BGB § 1436. Jedoch nur, „sofern sich nicht aus dem Vertrage ein Anderes ergiebt“. So bei den Gütergemeinschaften hinsichtlich der Abgrenzung der Vermögensmassen, der Mitherrschaftsrechte der Frau, der Verteilung der Schuldenlast (jedoch mit Ausschluß einer Beschränkung der Haftung des Gesamtgutes oder der Mannesgüter für Frauenschulden, vgl. v. Baligand S. 78 ff.), der Ersatzansprüche, der Schicksale der einzelnen Vermögensgegenstände im Falle der Auflösung; bei der Gütertrennung in Ansehung der Beitragslasten oder der Verwaltungsüberlassung. 53 So Planck zu § 1432 Bem. 3 c, Wieruszowski II 209 Anm. 14, Joerges S. 219 ff., noch schärfer v. Baligand S. 34 ff. u. Wolff S. 152. Vgl. dagegen Dernburg § 54 Anm. 4 u. V, Cosack II3 § 292 I 3 a , Staudinger zu § 1432 Bem. 3 c , Bollenbeck in Recht 1904 S. 32 ff., Crome § 568 Z. 4 b. 54 Schweiz. ZGB a. 1792. Wenn Wolff a. a. O. Anm. 20 meint, dieses Gb. habe die Ehevertragsfreiheit nur klarer als das BGB, aber „sachlich nicht abweichend“ begrenzt, so muß dem entschieden widersprochen werden. 55 Eher läßt sich das Gegenteil daraus schließen, daß das BGB bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft, die eben nicht blos Ehegüterrecht ist, Anordnungen, die mit den gesetzlichen Regeln in Widerspruch stehen, ausdrücklich ausschließt (§ 1518), auch ihre Einführung durch Ehevertrag nur bei der Fahrnißgemeinschaft zuläßt (§ 1557). 56 So kann er den gesetzlichen Güterstand durch Wegbedingung des ehemännlichen Rechtes auf Alleinbesitz des Frauengutes oder auf gewisse einseitige Verfügungen über dasselbe, ja auch des ausschließlichen ehemännlichen Rechts auf Verwaltung oder Nutznießung dergestalt abwandeln, daß er sich dem System der Gütertrennung nähert. Er kann ihm aber auch durch Ausbedingung einer Mitherrschaft der Frau über das Mannesgut (z. B. Bindung der Verfügung über Grundstücke an die Zustimmung der Frau) oder durch Regelung der Auseinandersetzung im Sinne einer Gütergemeinschaft von Todeswegen gütergemeinschaftliche Elemente einfügen. Umgekehrt kann er den Güterstand der Gütertrennung der Verwaltungsgemeinschaft annähern, aber auch mit gütergemeinschaftlichen Einrichtungen insbesondere einer Gütergemeinschaft von Todeswegen verbinden. Die Gütergemeinschaft kann er abweichend von den gesetzlichen Typen dahin ausgestalten, daß sie nur im Falle der Geburt eines Kindes oder nur bei beerbter Ehe eintritt oder daß in diesen Fällen die beschränkte Gütergemeinschaft in allgemeine Gütergemeinschaft übergeht. Die allgemeine Gütergemeinschaft kann er durch Ausnahmen von der Gesamtgutseigenschaft einer beschränkten Gütergemein51 52
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
kommt es nicht auf den von den Parteien gebrauchten Namen, sondern auf den von ihnen ausdrücklich erklärten oder durch Auslegung als gewollt zu ermittelnden Vertragsinhalt an. Nur darf wieder kein gewillkürter Güterstand zwingenden Sätzen der geltenden Rechtsordnung und den heutigen sittlichen Anschauungen widersprechen57. Eine nur formale Schranke der Vertragsfreiheit errichtet das BGB durch die Bestimmung, daß der Güterstand nicht durch Verweisung auf ein nicht mehr geltendes oder auf ein ausländisches Recht bestimmt werden kann58. Die Ehegatten können also nicht einfach vereinbaren, daß sie von vornherein oder von nun an nach dem ehelichen Güterrecht des Solmser Landrechts, der Pommerschen Bauerordnung, des lübischen Rechts, des Kulmer Rechts, der Joachimica usw. oder des Code civil, des italienischen oder schweizerischen Gesetzbuches usw. leben wollen. Ausnahmsweise ist die Verweisung auf ausländisches Recht zulässig, wenn der Ehemann zur Zeit der Eingehung der Ehe oder im Falle eines später geschlossenen Ehevertrages zur Zeit des Vertragsabschlusses in dem Geltungsgebiet dieses Rechts seinen Wohnsitz hat59. Das Verweisungsverbot bildet aber kein Hinderniß für die sachliche Ausgestaltung des Vertragsinhaltes nach Maßgabe eine ehemaligen oder eines ausländischen ehelichen Güterrechts60. IV. Beendigung Das vertragsmäßige eheliche Güterrecht endet in gleicher Weise, wie das gesetzliche eheliche Güterrecht, mit der Auflösung der Ehe. Es kann während der Ehe durch Ehevertrag beseitigt oder abgeändert, aber auch aus den für die Aufhebung schaft nähern, bei der beschränkten Gütergemeinschaft kann er hinsichtlich des nicht ins Gesamtgut fallenden Gutes anstatt des Systems der Verwaltungsgemeinschaft das System der Gütertrennung durchführen, die Errungenschaftsgemeinschaft kann er zu voller Erwerbsgemeinschaft oder zu bloßer Zugewinngemeinschaft umbilden, bei jeder Gütergemeinschaft kann er die Verwaltungsrechte des Mannes in Ansehung des Gesamtgutes steigern oder umgekehrt die Frau zur Mitverwaltung berufen. 57 So wäre einerseits die Verabredung des Alleineigentums des Mannes an allem Ehevermögen, andererseits die Ausbedingung eines Verwaltungs- und Nutznießungsrechts der Frau am Mannesvermögen nichtig. 58 BGB § 14331. – Anders mangels besonderen Verbots nach früherem Recht; RGer XVI Nr. 27. 59 BGB § 14332. Das deutsche Brautpaar kann also, wenn es seinen ersten Wohnsitz in Paris nimmt, durch Ehevertrag seinen Güterstand mittels Verweisung auf den gesetzlichen Güterstand oder einen der vertragsmäßigen Güterstände des Code civ. regeln; das deutsche Ehepaar, das seinen Wohnsitz nach Paris verlegt, kann in gleicher Weise mittels Verweisung auf den Code civ. seinen bisherigen Güterstand durch einen französischrechtlichen Güterstand ersetzen. Dagegen wäre in beiden Fällen die Bestimmung des Güterstandes durch Verweisung auf das schweizerische ZGB unzulässig. 60 Die Bestimmungen des ehemaligen oder des fremden Rechts müssen dann eben nur im Ehevertrag ausdrücklich reproduziert sein. Es ist nicht ausgeschlossen, daß in den Ehevertrag sämtliche Artikel oder Paragraphen des betreffenden Gesetzes hineingeschrieben werden.
1. Titel: Das eheliche Güterrecht überhaupt
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einer Verwaltungs- oder Gütergemeinschaft geltenden gesetzlichen Gründen aufgehoben werden61. Außerdem kann es während der Ehe durch den Eintritt einer im Ehevertrage vereinbarten auflösenden Bedingung oder Frist außer Kraft treten62. Die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit eines Ehevertrages ist auf den Bestand der Ehe ohne Einfluß. Dagegen wird durch Nichtigerklärung der Ehe zugleich jeder geschlossene Ehevertrag rückwärts vernichtet63. § 256. Wirksamkeit des ehelichen Güterrechts gegen Dritte I. Ueberhaupt Das eheliche Güterrecht hat als Bestandteil des durch die eheliche Verbundenheit bewirkten Familienrechtsverhältnisses nicht blos unter den Ehegatten, sondern auch für und gegen Dritte tief einschneidende Bedeutung. Sein Eintritt mit Eingehung oder seine Aenderung während der Ehe schafft eine neue Vermögenslage des einzelnen Ehegatten, die Jedermann, der mit ihm in vermögensrechtlichen Beziehungen steht, soweit sie ihm Vorteile bringt, geltend machen kann, aber auch, soweit sie ihm nachteilig ist, hinnehmen muß. Dies gilt auch für das vertragsmäßige eheliche Güterrecht. Gerade darin besteht die Hauptbesonderheit der Eheverträge, daß sie die Macht haben, die Vermögensverhältnisse der Ehegatten dauernd in einer auch Dritten gegenüber wirksamen Weise zu ordnen: Nur als seltene Ausnahme begegnen Partikularrechte, die den Eheverträgen grundsätzlich die rechtliche Wirksamkeit gegen Dritte versagen64. Im Uebrigen war und blieb im deutschen Recht allgemein die absolute Wirkungskraft der Eheverträge anerkannt. Es wurde nur bisweilen um ihretwillen unter die Formerfordernisse eine öffentliche Kundmachung aufgenommen65. Und vornehmlich auf den Schutz Dritter zielen die in manchen Gesetzen enthaltenen Bestimmungen ab, nach denen alle oder gewisse Eheverträge überhaupt nicht mehr während der Ehe geschlossen werden können66. Alle derartigen Einschränkungen sind dem BGB fremd. Nur versteht es sich von selbst, daß Eheverträge so wenig wie andere Verträge in wohlerworbene Rechte Dritter eingreifen dürfen67. Die oben § 254 Anm. 23 – 24 angef. Gesetzesbestimmungen sind zwingendes Recht. Die nach älteren deutschen Partikularrechten geltende Regel „Kinderzeugen bricht Ehestiftung“ (vgl. Stobbe-Lehmann § 293 Anm. 25 u. 44) ist dem BGB fremd. Der Ehevertrag kann aber Entsprechendes festsetzen. 63 Jedoch mit Vorbehalt der oben in § 242 besprochenen Wirkungen, die sich, wie an den Scheinbestand der Ehe, so an den Scheinbestand des vertragsmäßigen Güterstandes knüpfen. 64 So das Hamb. R.; vgl. Motive IV 306. 65 Vgl. oben § 255 Anm. 41 a. E. 66 Vgl. oben § 255 Anm. 29 – 31. 61 62
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Allein das BGB führt zu Gunsten Dritter den Gedanken durch, daß für die Geltung der dem ordentlichen gesetzlichen Güterstande entsprechenden Regeln eine Vermutung spricht. Dieser Gedanke war vielfach schon im bisherigen Recht zum Durchbruch gelangt. Er liegt den Bestimmungen zu Grunde, nach denen die Ehegatten sich Dritten gegenüber auf einen abweichenden vertragsmäßigen Güterstand nur berufen können, wenn derselbe gehörig bekannt gemacht ist68. Als Form der Bekanntmachung war meist der Aushang an öffentlicher Stelle oder die Einrükkung in öffentliche Blätter vorgeschrieben; nur bei Kaufleuten wurde in neuerer Zeit vielfach eine Ergänzung dieser vorübergehenden Veröffentlichung durch dauernde Kundmachung im Handelsregister verlangt69. In einigen deutschen Staaten aber schuf man für die Bekanntmachung ehegüterrechtlicher Verhältnisse ein besonderes öffentliches Register70. Ihrem Vorbilde ist das BGB gefolgt. Es hat als ausschließliches Publizitätsorgan von ehegüterrechtlichen Abweichungen von der gesetzlichen Regel ein „Güterrechtsregister“ (in Entw. I „Eherechtsregister“ genannt) eingeführt71. Von den allgemeinen Grundsätzen, die für dieses gelten, ist hier noch zu handeln72. 67 Zu den erworbenen Rechten gehört aber nicht das persönliche Zugriffsrecht der Gläubiger auf das Vermögen oder eine bestimmte Vermögensmasse eines Ehegatten. Denn soweit nicht eine Sachhaftung einzelner Vermögensgegenstände begründet oder ein mit Sonderhaftung verstrickter Vermögensinbegriff zu Gunsten der Gläubigen vinkuliert ist, gewährt die Vermögenshaftung dem Gläubiger kein Widerspruchsrecht gegen Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäfte des Schuldners, die das haftende Vermögen in seinem konkreten Bestande mindern oder belasten. Die Gläubiger müssen sich also auch die durch Ehevertrag bewirkten Haftungsschwächen in Ansehung des künftigen Zugriffes auf das Vermögen des schuldenden Ehegatten gefallen lassen. Vgl. gegen die nicht selten verteidigte (im Oldenb. Ges. v. 24 Apr. a. 20 durchgeführte) abweichende Auffassung Motive IV 307 ff. Im geltenden deutschen Recht sind daher die Gläubiger, von Spezialbestimmungen abgesehen, gegen ihnen nachteilige Vereinbarungen nur durch die auf Eheverträge anwendbaren, bei Verfügungen zu Gunsten des anderen Ehegatten erweiterter Anfechtungsrechte geschützt; vgl. oben § 255 Anm. 40. – Dagegen nimmt das Schweiz. ZGB a. 1793 hinsichtlich der während der Ehe geschlossenen Eheverträge einen anderen Standpunkt ein, indem es allgemein bestimmt, daß kein solcher Vertrag „die bisherige Haftung des Vermögens gegenüber Dritten“ beeinträchtigen darf; vgl. dazu Egger Bem. 8, Gmür Bem. VIII. 68 So nach Preuß. ALR II,1 § 422 ff. u. Ges. v. 20. Mai 1837 § 4 bei Ausschließung oder Aufhebung (bis zum Ges. v. 1817 § 5 auch bei Einführung) der Gütergemeinschaft; vgl. Beseler § 130 Anm. 11 (der gemeinrechtliche Geltung verteidigt), Roth, DPR § 93 Anm. 29 a. 69 So vom Preuß. AG zum ADHG a. 20 bei Ausschließung oder Aufhebung der gesetzlichen Gütergemeinschaft; Kob. a. 5, Meining. a. 6 bei Ausschließung der Gütergemeinschaft; Hannov. a. 4, Oldenb. a. 4, Meckl. a. 9, Schlesw.-Holst. a. 8 bei allen Abweichungen vom gesetzlichen oder gewohnheitsrechtlichen ehelichen Güterrecht. Vgl. Behrend, HR I 249. 70 In Bremen nach Ges. v. 1839 u. 1879 und in Oldenburg nach Ges. v. 1873 u. 1879. Vgl. Motive IV 554. 71 BGB §§ 1558 – 1563; dazu Fr. GG § 161 (mit den Verweisungen auf § 127 – 130, 142, 143) u. § 162, Bundesratsbeschl. v. 3. Nov. 1898. 72 Auch das Schweiz. ZGB a. 248 – 251, ergänzt durch Bundesrats-V. v. 27. Sept. 1910 und Kantonalrechte, hat ein „Güterrechtsregister“ geschaffen. Trotz der Uebereinstimmung im Grundgedanken weicht es in wesentlichen Punkten von der deutschen Einrichtung ab.
1. Titel: Das eheliche Güterrecht überhaupt
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II. Güterrechtsregister Das Güterrechtsregister wird vom Amtsgericht oder für mehrere Amtsgerichtsbezirke von einem durch Anordnung der Landesjustizverwaltung damit betrauten Amtsgericht geführt73. Das Register ist ein öffentliches Buch. Seine Öffentlichkeit ist unbedingt; Jeder kann es einsehen und von den Eintragungen eine auf Verlangen zu beglaubigende Abschrift, sowie eine Bescheinigung, daß eine bestimmte Eintragung nicht erfolgt oder eine weitere Eintragung nicht vorhanden ist, fordern74. Die Eintragungen sollen überdies in abgekürzter Form durch das zu Bekanntmachungen des Amtsgerichts bestimmte Blatt veröffentlicht werden; doch ist, anders als beim Handelsregister, die Veröffentlichung kein Erforderniß der Wirksamkeit des Registereintrags75. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Ehemann zur Zeit der Eintragung seinen Wohnsitz hat; im Falle der Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen Registerbezirk muß die Eintragung in dem Register dieses Bezirkes wiederholt werden; doch wird die frühere Eintragung nicht gelöscht und gilt bei Zurückverlegung des Wohnsitzes als von neuem erfolgt76. Die Gegenstände der Eintragung sind gesetzlich vorgesehen77. Nur die Eintragung der gesetzlich vorgesehenen Tatbestände ist zulässig. Dieselben Tatbestände aber sind zugleich in dem Sinne eintragungsbedürftig, daß nur ihre Eintragung den durch sie begründeten Abweichungen von den als ehegüterrechtliche Regel aufgestellten Gesetzesbestimmungen unbedingte Wirksamkeit gegen Dritte verschafft. Außerdem bedarf es einer Eintragung, um einem Registereintrag, falls die durch ihn bekundete Regelung der güterrechtlichen Verhältnisse aufgehoben oder geändert ist, seine Publizitätswirkung wieder zu entziehen. Im einzelnen sind vor Allem 73 BGB § 1558. In der Schweiz, vorbehaltlich kantonaler Abweichungen, durch das Handelsregisteramt; ZGB a. 2512. 74 BGB § 1563; Fr. GG. § 162. Die Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses ist nur erforderlich, wenn Einsicht in die Registerakten verlangt wird. – Vgl. Schweiz. ZGB. a. 2512. 75 BGB § 1562. – Anders Schweiz. ZGB a. 248 (Veröffentlichung wesentlich). 76 BGB § 15581 u. § 1559. – Aehnl. Schweiz. ZGB a. 250, wonach die Eintragung am neuen Wohnsitz binnen 3 Monaten erfolgen muß, der frühere Eintrag aber nach Ablauf von 3 Monaten seit dem Wohnsitzwechsel von selbst außer Kraft tritt. – Nach deut. R. bedarf es außerdem bei Kaufleuten, falls sich die Handelsniederlassung in einem anderen Registerbezirk befindet, für Angelegenheiten des Handelsgewerbes der Eintragung in das dort geführte Güterrechtsregister; EG zu HGB a. 4. 77 Sie ergeben sich also aus einer Reihe von Spezialbestimmungen. Dagegen schreibt das Schweiz. ZGB a. 248 allgemein vor, daß alle durch Ehevertrag oder Verfügung des Richters begründeten güterrechtlichen Verhältnisse sowie die Rechtsgeschäfte unter Ehegatten, die das eingebrachte Gut der Ehefrau oder das Gesamtgut betreffen, zur Rechtskraft gegenüber Dritten der Eintragung bedürfen, und ordnet in a. 2491 an, daß zur Eintragung diejenigen Bestimmungen gelangen, die Dritten gegenüber wirksam sein sollen.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
die Eheverträge eintragungsfähig u. eintragungsbedürftig78. Sodann, auch wenn sie nicht auf Vertrag beruht, die ausnahmsweise bei Eingehung der Ehe oder in Folge späterer Aufhebung der Verwaltungsgemeinschaft oder einer Gütergemeinschaft eingetretene Gütertrennung79, sowie die Beseitigung der Gütertrennung durch Wiederherstellung des früheren Güterstandes80. Ferner jede Begründung eines Vorbehaltsguts der Frau, mag sie auf Ehevertrag oder auf gesetzlicher Vorschrift oder auf der Bestimmung eines Vermögenszuwenders beruhen81. Weiter gewisse an sich dem Ehepersonenrecht angehörige, jedoch mittelbar das Ehegüterrecht beeinflussende einseitige Willenserklärungen des Ehemannes: die Entziehung oder Beschränkung der Schlüsselgewalt82 und der Einspruch gegen den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes durch die Frau oder der Widerruf der zu einem solchen erteilten Einwilligung83. Endlich die Geltung eines ausländischen Güterstandes für ein Ehepaar, das seinen Wohnsitz in Deutschland hat84, und zum Teil auch die Beibehaltung eines älteren Güterstandes für eine unter dessen Herrschaft geschlossene Ehe85. Die Eintragung soll nur auf Antrag und nur insoweit erfolgen, als sie beantragt ist86. Der Antrag ist in der Regel von den Ehegatten gemeinsam zu stellen. Jeder Ehegatte ist aber dem anderen gegenüber zur Mitwirkung verpflichtet, kann also im Falle der Weigerung zur Abgabe der erforderlichen Willenserklärung verurteilt werden. Doch genügt der Antrag eines Ehegatten zur Eintragung eines Ehevertrages, wenn die Vertragsurkunde, zur Eintragung einer auf gerichtliche Entscheidung beruhenden Aenderung, wenn das rechtskräftige Urteil, zur bloßen Wiederholung in einem anderen Register, wenn eine beglaubigte Abschrift des früheren Registereintrags vorgelegt wird. Der Antrag des Mannes ist erforderlich und ausreichend, wenn es sich um die Eintragung seiner die Schlüsselgewalt oder den selbständigen Gewerbebetrieb der Frau beschränkende Willenserklärung handelt87.
78 BGB § 1435. Ausgenommen Eheverträge, die auf die Rechtsbeziehungen zu Dritten keinerlei Einfluß üben oder die nur eine nicht eingetragene Abweichung von der gesetzlichen Regel wieder aufheben; vgl. Planck zu § 143 Bem. 3, Wolff § 42 IV 1. 79 BGB §§ 14311, 14702, 15952, 1587; vgl. oben § 254 Anm. 19, 23 – 24. 80 BGB § 14312 (mit § 1425), § 15482 (mit § 1547). Jedoch nur, wenn dessen Beendigung eingetragen ist. – Vgl. Schweiz. ZGB a. 1873 (von Amts wegen). 81 BGB §§ 1371, 1441, 15263, 1549. Sowohl bei der Verwaltungsgemeinschaft, wie bei den Gütergemeinschaften spricht also zu Gunsten Dritter die Vermutung dafür, daß Vorbehaltsgut der Frau überhaupt nicht vorhanden ist. 82 Vgl. oben § 244 Anm. 681, 685, 687. – Anders Schweiz. ZGB a. 1642, 1652. 83 Vgl. oben § 244 Anm. 639 – Anders Schweiz. ZGB a. 1673. 84 EG z. BGB a. 16. Vgl. unten § 257 Anm. 121. 85 Vgl. unten § 258. 86 BGB § 1560. Der Antrag ist in öffentlich beglaubigter Form zu stellen. Von Amtswegen zulässig ist nur die Löschung unzulässiger Eintragungen nach FrGG § 161 mit §§ 142 – 143. 87 BGB § 1561. – Nach Schweiz. ZGB a. 2492 genügt, wenn das Gesetz oder der Ehevertrag nichts Anderes bestimmt, das einseitige Begehren eines Ehegatten.
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Die rechtliche Bedeutung des Güterrechtsregisters besteht in seiner Publizitätswirkung. Ist ein eintragsfähiger Tatbestand eingetragen, so gilt er als allgemein bekannt. Jeder Dritte muß ihn daher, auch wenn er ihn nicht kennt, gegen sich gelten lassen. Ist er dagegen nicht eingetragen, so kann er einem Dritten, der ihn nicht kennt, von einem Ehegatten nicht entgegengehalten werden. Vielmehr wird der Dritte, der darauf vertraut hat, daß das unter den Ehegatten geltende Ehegüterrecht der gesetzlichen Regel entspricht, in seinem guten Glauben geschützt. Dieser Schutz tritt nur dann nicht ein, wenn der Dritte die von der gesetzlichen Regel abweichende Gestaltung des Ehegüterrechtsverhältnisses gekannt hat88. Er beschränkt sich aber gemäß dem Vertrauensprinzip auf den rechtsgeschäftlichen Verkehr und die Prozeßführung. Hat der redliche Dritte mit einem Ehegatten ein Rechtsgeschäft geschlossen oder ihm gegenüber ein rechtskräftiges Urteil erstritten, so erwirbt er aus dem Rechtsgeschäft oder der Urteilsrechtskraft die Rechte, die er erwerben würde, wenn der eintragbare, aber nicht eingetragene Tatbestand nicht bestände89. Er erwirbt also z. B., wenn die Ehegatten in nicht eingetragener Gütertrennung leben, das Eigentum an den vom Mann veräußerten verbrauchbaren Sache der Frau oder das Forderungsrecht aus einem vom Mann über ein Grundstück der Frau geschlossenen Miets- oder Pachtvertrage; er erlangt, wenn an Stelle der eingetragenen Gütertrennung durch nicht eingetragenen Ehevertrag Verwaltungs- oder Gütergemeinschaft getreten ist, das Eigentum an eingebrachten Sachen der Frau, die sie ohne Zustimmung des Mannes veräußert; er hat als Gläubiger des Mannes das Zugriffsrecht auf die Früchte des Frauenvermögens, soweit nicht dessen Vorbehaltsgutseigenschaft eingetragen ist; er kann als Gläubiger der Frau, wenn Gütergemeinschaft eingetragen und deren Aufhebung zwar erfolgt, aber nicht eingetragen ist, sich sowohl an den Mann persönlich, wie an alles Vermögen, das bei fortbestehender Gütergemeinschaft Gesamtgut wäre, halten. Dagegen kann er sich auf den Mangel der Publizität nicht berufen, wenn er gegen einen Ehegatten Zwangsvollstreckungsmaßregeln ergreift90 oder Ansprüche aus unerlaubter Hand88 BGB § 1435. Kennenmüssen steht, wie nach Grundbuchrecht, dem Kennen nicht gleich. Auch nicht, wenn die Unkenntnis auf grober Fährlässigkeit beruht. Die Kenntnis muß sich auf die nicht eingetragene Tatsache, nicht auf ihre Rechtsfolgen beziehen. Entscheidend ist sowohl für das Nichtvorhandensein eines Registereintrags, wie für die dessen Mangel entkräftende Kenntnis der Zeitpunkt, in dem der Dritte mit einem Ehegatten ein Rechtsgeschäft vornimmt oder ein Prozeß zwischen ihm und dem Ehegatten rechtshängig wird. Später erlangte Kenntnis schadet dem Dritten nicht. Behauptete Kenntnis ist ihm zu beweisen. 89 Das BGB § 1435 drückt sich dahin aus, daß dem Dritten gegenüber „Einwendungen“ gegen das Rechtsgeschäft oder gegen das rechtskräftige Urteil aus dem betreffenden Tatbestande nur hergeleitet werden können, wenn dieser eingetragen oder dem Dritten bekannt ist. Die Fassung ist unvollkommen, weil sie der irrigen Meinung Vorschub leistet, als habe der Dritte die Wahl zwischen Annahme und Zurückweisung der erworbenen Rechte. Vgl. Wolff § 42 V 2 und über dessen durchschlagende Ausführungen zu der ähnlichen Fassung des § 1344 oben § 242 Anm. 518. 90 Vgl. Rspr. d. OLG XI 282 ff. So gewährt ja auch der gute Glaube keinen Schutz für Vollstreckungsmaßregeln, die auf Grund eines durch das Grundbuch oder den Fahrnißbesitz
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lung oder gesetzlicher Verpflichtung geltend macht91. Somit ist die Eintragung keineswegs erforderlich, um dem eintragbaren Tatbestande überhaupt erst Wirksamkeit gegenüber Dritten zu verschaffen92. Andererseits ist sie für die Ehegatten lediglich ein Schutzmittel zur Abwendung der Nachteile, die ihnen aus dem Rechtserwerb gutgläubiger Dritter drohen, während sie sich auf ihr aus dem Register nicht ersichtliches oder durch Registereintrag bekundetes eheliches Güterrecht nicht berufen können, um aus ihm ihnen vorteilhafte Folgen hinsichtlich eines Rechtsverlustes oder einer Verpflichtungsübernahme Dritter herzuleiten 93. Das Güterrechtsregister entbehrt jeder konstitutiven Bedeutung. Der Eintritt des eintragbaren Ehegüterrechtsverhältnisses hängt niemals vom Registereintrag ab94. Ist umgekehrt der eingetragene Tatbestand in Wahrheit nicht eingetreten, war z. B. der eingetragene Ehevertrag nichtig oder vor der Eintragung wieder aufgehoben, so darbt der Registereintrag jeder Publizitätswirkung95. Darum fehlt auch dem Güterrechtsregister der öffentliche Glaube96. Der Dritte darf sich nicht auf seine Richtigkeit, wie auf die Richtigkeit des Grundbuches, verlassen. Die Registereinträge erzeugen keinen Rechtsschein. Sie überheben den Dritten weder der Prüfung, ob er es wirklich mit einem Ehegatten zu tun hat97, erwirkten falschen sachenrechtlichen Scheins gegen den wahren Berechtigten vollzogen sind; oben Bd. II 329 Anm. 115 u. S. 567 Anm. 76. 91 So wenn er unter Berufung auf die Nichteintragung der Aufhebung einer eingetragenen allgemeinen Gütergemeinschaft gegen den Mann auf Schadensersatz aus einem Delikt der Frau klagt. Oder wenn er im gleichen Falle die ihm gegenüber begründete Unterhaltspflicht der Frau dem Manne gegenüber geltend macht. 92 Grundsätzlich abweichend ist das Registerrecht der Schweiz. Denn nach ZGB a. 248 bedürfen die durch Ehevertrag der richterlichen Verfügung begründeten güterrechtlichen Verhältnisse und alle das eingebrachte Gut der Frau oder das Gesamtgut betreffenden Rechtsgeschäfte unter Ehegatten der Eintragung und Veröffentlichung, um überhaupt „Rechtskraft gegenüber Dritten“, zu denen jedoch Erben als solche nicht gehören, zu erlangen. Vorher ist also abweichendes internes eheliches Güterrecht überhaupt für Dritte nicht vorhanden. Auch nicht, wenn sie es kennen. Und die Rechtskraftwirkung gilt nicht blos für Rechtsgeschäfte und Urteile, sondern allgemein. Vgl. Egger Bem. 2 e-f, Gmür Bem. IV. 93 Denn hier so wenig wie im Falle des § 1344, kann der gute Glaube des Dritten für ihn einen Rechtsverlust oder, soweit es sich nicht um die mit rechtsgeschäftlichem Erwerb notwendig verbundenen Gegenverpflichtungen handelt, eine Verpflichtungsübernahme herbeiführen; vgl. Wolff § 42 V 2 u. oben § 242 Anm. 519. – Dagegen wirkt nach Schweiz. ZGB a. 248 die durch den Registereintrag begründete Rechtskraft gegenüber Dritten auch zu Gunsten der Ehegatten; vgl. Egger Bem. 2 e. 94 Hierin unterscheidet sich das Güterrechtsregister grundsätzlich vom Grundbuch, stimmt dagegen, von Ausnahmen abgesehen, mit dem Handelsregister überein. 95 Vgl. Planck zu § 1435 Bem. 6, Staudinger Bem. 4 e, Schmidt Bem. 7, Crome § 547 Anm. 44 – 45, Wolff § 42 VI. In diesem Punkt stimmt das schweiz. R. mit dem deut. überein; Egger zu a. 248 Bem. 7, Gmür Bem. IV 3 (der jedoch zu lit. g. teilweise abweicht). 96 Hierin gleicht es dem Handelsregister und dem Vereinsregister. 97 Insoweit freilich, als für den Bestand einer Ehe ein Rechtsschein spricht, darf er demselben trauen; oben § 242 Anm. 517. Allein einen derartigen Rechtsschein begründet nur die
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noch der Nachforschung, ob das eingetragene Ehegüterrechtsverhältnis wirklich zu Recht besteht98. Doch genießen natürlich gutgläubige Dritte insoweit einen weitergehenden Schutz, als sie einem unabhängig von der Eintragung oder Nichteintragung im Güterrechtsregister nach allgemeinen Grundsätzen im Rechtsverkehr wirksamen Rechtsschein trauten und trauen durften99. Ob eine Eintragung in das Güterrechtsregister erfolgt, hängt stets vom Belieben der Ehegatten ab. Die Ehegatten können es unterlassen, die Eintragung zu beantragen, und unterlassen es in unzähligen Fällen. Vielleicht scheuen sie Mühe und Kosten. Vielleicht aber widerstrebt ihnen auch die öffentliche Kundmachung ihres formgerechte Eheschließung oder die Eintragung ins Heiratsregister, nicht die Eintragung ins Güterrechtsregister. 98 Somit kann z. B. der Gläubiger des Mannes sich nicht an die Früchte des Frauengutes halten, wenn auf Grund eines nichtigen Ehevertrages oder eines nicht rechtskräftig gewordenen Urteils die Aufhebung oder die Wiederaufhebung einer in Wahrheit noch bestehenden Gütertrennung eingetragen ist, ebensowenig der Gläubiger der Frau an den Mann oder das vermeintliche Gesamtgut, wenn Gütergemeinschaft eingetragen ist, aber in Wahrheit zur Zeit der Eintragung nicht oder nicht mehr oder noch nicht wieder bestand. Der Glaube an die Richtigkeit des positiven Inhalts unrichtiger Registereinträge ist eben ungeschützt. Doch kann unter Umständen der durch den Registereintrag irregeführte Dritte gegen einen oder beide Ehegatten einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung oder aus unerlaubter Handlung haben. So kann z. B. der Gläubiger Schadensersatz wegen arglistiger Täuschung fordern, wenn er durch die unrichtige Eintragung zur Hingabe eines Darlehens veranlaßt ist, die Eintragung aber vorgenommen oder benutzt wurde, um den Schein erhöhter Kreditwürdigkeit zu erregen. 99 So einem Grundbucheintrag. Eintragungen, die auf Grund eines von der Regel abweichenden ehegüterrechtlichen Verhältnisses erfolgen, hat das Grundbuchamt vorzunehmen, wenn ihm ein Zeugniß des Registerrichters über die Eintragung des Verhältnisses vorgelegt wird oder die Eintragung aus dem von ihm selbst geführten Register erhellt; GrdbO §§ 34 – 35. Besteht nun das im Güterrechtsgegister eingetragene Verhältniß in Wahrheit nicht, so kann zwar auch der Grundbucheintrag der wahren Rechtslage widersprechen, genießt aber trotzdem öffentlichen Glauben. Hat z. B. die Frau ihr eingebrachtes Grundstück ohne Zustimmung des Mannes veräußert und auf Grund des Nachweises registrierter Gütertrennung oder Vorbehaltsgutsgemeinschaft des Grundstückes die Eintragung des Erwerbers als Eigentümer erwirkt, so ist dieser, wenn die Registereintragung falsch war, gemäß BGB § 1395 nicht Eigentümer geworden, kann aber zu Gunsten Dritter wirksam über das Grundstück verfügen. Ist auf Grund unrichtig registrierter Gütergemeinschaft ein liegenschaftliches Recht als gemeinschaftliches Recht der Ehegatten zu gesamter Hand gebucht, so ist es zwar nicht eheliches Gesamtgut geworden, gilt aber gutgläubigen Dritten gegenüber als Gesamtgut. In entsprechender Weise finden im Fahrnißverkehr die Regeln über den Rechtserwerb von Scheinberechtigten zu Gunsten gutgläubiger Dritter, die dem unrichtigen Registereintrag getraut haben, Anwendung. Darüber, daß das Einverständnis eines Ehegatten mit der Eintragung eines nichtigen Ehevertrages überdies zu Gunsten Dritter, die dessen Nichtigkeit weder kennen noch kennen müssen, als öffentliche Bekanntmachung einer Vollmachts- oder Zustimmungserklärung zu Handlungen des anderen Gatten, die dieser, wenn der betreffende Güterstand bestände, vorzunehmen befugt wäre, wirkt (gemäß BGB § 171 u. 173), vgl. Wieruszowski II 568 Anm., v. Baligand S. 117, Wolff § 43 VI 2; dazu oben § 242 Anm. 522.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
internen Güterrechts. Ohnehin bleibt ihnen ja, wenn es ihnen bei einzelnen Rechtsgeschäften oder Prozessen darauf ankommt, stets der Weg einer besonderen Mitteilung an die Dritten offen, um ihm gegenüber die nachteiligen Wirkungen der Nichteintragung auszuschließen. § 257. Räumliche Geltung des ehelichen Güterrechts100 I. Herrschaft des Personalstatuts Das eheliche Güterrecht wird zunächst durch das Personalstatut des Ehemannes zur Zeit der Eheschließung bestimmt. Als solches galt nach bisherigem deutschen Recht fast durchweg das Gesetz seines Wohnsitzes. Für das gemeine und preußische Recht entsprach dies der allgemeinen Regel. Meist aber wurde auch da, wo im Uebrigen die Herrschaft des Gesetzes der Staatsangehörigkeit im Eherecht durchgedrungen war, in Ansehung des Ehegüterrechts an der Herrschaft der lex domicilii festgehalten101. Nach dem BGB, mit dem das Haager Abkommen übereinstimmt, entscheidet grundsätzlich das Gesetz des Heimatstaates des Ehemannes zur Zeit der Eheschließung102. Doch gilt für ein zu dieser Zeit in Deutschland wohnhaftes ausländisches Ehepaar das deutsche Recht, wenn nach seinem Heimatsrecht das Gesetz des Wohnsitzes maßgebend ist103. Das Heimatrecht des Ehemannes zur Zeit der Eheschließung entscheidet vor Allem über den eintretenden gesetzlichen Güterstand104. Es entscheidet aber auch im Allgemeinen über vertragsmäßiges eheliches Güterrecht105. Nach ihm richtet sich die Befugniß der Ehegatten zur vertragsmäßigen 100 Vgl. oben Bd. I § 26 IV b. S. 327 ff. Seitdem die gesetzlichen Vorschriften des EG z. BGB a. 15 – 16 u. 27 – 30 und das Haager Abk. v. 17. Juli 1905 (oben § 244 Anm. 723) a. 2 – 10. Von späteren Schriften vgl. bes. K. Hasler, Das eheliche Güterrecht im internationalen Privatrecht, 1897; Zitelmann IPR II 675- 751; Habicht, IPR S. 123 ff.; Wieruszowski, Eherecht II 19 ff.; Wolff, Eherecht § 73a, Komm. v. Planck u. v. Niedner zu EG a. 15 ff. 101 So nach Sächs. Gb. § 14 u. der französ. u. rhein. Praxis, während nach Bad. R. auch das Ehegüterrecht dem Heimatsrecht unterstellt wurde; oben Bd. I 237 Anm. 94. – Die früheren Kollisionsnormen haben ihre Bedeutung [für] die vor dem Inkrafttreten des BGB geschlossenen Ehen behalten. 102 EG z. BGB a. 15; Haager Abk. a. 21. Die Geltung des Heimatsrechtes, die das Haager Abkommen allgemein vorschreibt, ist im BGB nur für Ehen, die ein Deutscher geschlossen hat, und für Ehen eines Ausländers, falls dieser später die Reichsangehörigkeit erworben hat oder die ausländischen Ehegatten, [die] ihren Wohnsitz in Deutschland haben, anerkannt. Ob sie auch außerhalb des Bereiches des Haager Abkommens, auf Ehen von Ausländern, die im Ausland wohnen, erstreckt werden darf, ist streitig. Das oben in Anm. 160 zu § 230 Gesagte spricht für Verneinung. 103 Gemäß der in EG a. 27 ausdrücklich vorgeschriebenen Rückverweisung. 104 Auch darüber, welcher von mehreren gesetzlichen Güterständen eintritt; Zitelmann a. a. O. S. 685 ff.
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Abänderung ihres ehelichen Güterrechts während der Ehe106. Seine Bestimmungen sind für die Gültigkeit eines Ehevertrages in Ansehung seines Inhalts und für seine Wirkungen maßgebend107. Hinsichtlich der Form des Ehevertrages haben jedoch die Verlobten oder Ehegatten die Wahl zwischen der vom Heimatrecht des Mannes und der vom Gesetz des Errichtungsortes vorgeschriebenen Form108. Das Personalstatut des Ehemannes zur Zeit der Eheschließung gilt grundsätzlich für alle einzelnen Rechtsfolgen des ihm unterstellten ehelichen Güterrechts109 mit Einschluß der bei der Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung eintretenden Nachwirkungen110. II. Veränderung des Personalstatuts Das einmal begründete eheliche Güterrecht wird von einem Wechsel des Personalstatuts, das die Ehegatten beherrscht, grundsätzlich nicht berührt. In der berühmten Streitfrage, ob das gesetzliche eheliche Güterrecht sich wandelt oder beharrt, wenn die Ehegatten in Folge Verlegung ihres Wohnsitzes oder kraft Erwerbes einer neuen Staatsangehörigkeit unter ein Personalstatut treten, nach dem ein abweichendes eheliches Güterrecht gilt111, hat die Unwandelbarkeitstheorie gesiegt112. Sowohl das EG zum BGB wie das Haager Abkommen las105 Vgl. Zitelmann a. a. O. S. 713 ff. – Doch ist nach dem Haager Abk. a. 3 beim Vertragsschluß unter Verlobten für das Erforderniß der Geschäftsfähigkeit eines jeden der Verlobten sein Heimatsrecht maßgebend. Für Eheverträge unter Ehegatten gilt in dieser Hinsicht EG a. 7. 106 Haager Abk. a. 4; ebenso grundsätzlich EG a. 15, jedoch mit der Ausnahme, daß Ehegatten, die nach ausländischem Güterrecht leben, einen durch dieses verbotenen Ehevertrag schon dann schließen können, wenn sie ihren Wohnsitz in Deutschland haben. 107 EG a. 151. Dies gilt jedoch nach Haager Abk. a. 5 nicht für einen während der Ehe geschlossenen Ehevertrag, bei dem vielmehr das Gesetz des Heimatstaates der Ehegatten zur Zeit des Vertragsschlusses maßgebend sein soll. – Ausdrücklich bestimmt der a. 5 des Abkommens, daß sich nach dem maßgebenden Gesetz auch die Befugniß, im Ehevertrage auf ein fremdes Gesetz zu verweisen, richtet. Das Gleiche ist aber allgemein anzunehmen; Zitelmann a. a. O. S. 719 ff. 108 EG a. 11. Das Haager Abk a. 6 verlangt jedoch, wenn nicht die Form des Errichtungsortes gewahrt ist, eine dem Heimatsrecht jedes der Verlobten zur Zeit der Eheschließung oder jedes der Ehegatten zur Zeit des Vertragsschlusses entsprechende Form. 109 Somit auch über die aus ihm fließenden sachenrechtlichen und schuldrechtlichen Verhältnisse, die Einschränkungen der Verfügungsmacht über eigenes Vermögen, die Begründung von Vorbehaltsgut durch Zuwendungsgeschäft eines Dritten (Zitelmann a. a. O. S. 692) usw. 110 Insbesondere auch hinsichtlich einer Fortsetzung der Gemeinschaft und der dem überlebenden Ehegatten gebührenden erbrechtlichen Vorteile, sofern diese nicht vom Güterstande unabhängige Erbrechte sind. 111 Vgl. oben Bd. I 238 ff. 112 Ihr Sieg über die in der Literatur vielfach verfochtene, von einzelnen Gesetzen durchgeführte und von der festen Praxis mancher deutscher Rechtsgebiete angenommene Wan-
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sen das Heimatsrecht des Ehemannes zur Zeit der Eheschließung für die ganze Dauer der Ehe entscheiden. Wenn auch der deutschrechtliche Gedanke, daß das eheliche Güterrecht Ausfluß der personenrechtlichen Verbindung der Ehegatten ist, sich behauptet hat, so wird doch die aus ihm gezogene Folgerung, daß die Herrschaft des jeweiligen Personalstatuts über das Ehepersonenrecht sich auch auf das Ehegüterrecht erstrecken muß, nicht mehr als durchschlagend anerkannt. Vielmehr erscheint der aus der personenrechtlichen Verbindung entsprungene Güterstand als ein für die Dauer der Ehe hinsichtlich seines Bestandes verselbständigtes Vermögensverhältnis, auf dessen Aufrechterhaltung jeder Ehegatte ein erworbenes Recht hat113. Um so mehr gilt die Regel der Unwandelbarkeit für vertragsmäßiges eheliches Güterrecht114. Doch wird sie im Herrschaftsbereich des Haager Abkommens für Eheverträge, die erst während der Ehe geschlossen sind, dadurch modifiziert, daß über die Gültigkeit des Vertragsinhaltes und die Vertragswirkungen das Gesetz des Heimatstaates der Ehegatten zur Zeit des Vertragsschlusses entscheidet115. III. Ausnahmen Die Herrschaft des Personalstatuts erleidet Ausnahmen. 1. Während grundsätzlich das für das eheliche Güterrecht maßgebende Recht das gesamte Vermögen der Ehegatten beherrscht116, gelten für solche einzelnen Vermögensgegenstände, die sich im Gebiet eines anderen Staates befinden, etwaige Sondervorschriften, die das Gesetz dieses Staates für sie aufstellt117. Somit ist namentlich in Ansehung der ehegüterrechtlichen Schicksale gebundener Güter das Recht der belegenen Sache maßgebend, so daß, wenn ein im Uebrigen nach deutschem Recht lebender Ehegatte ein derartiges Gut im Auslande besitzt, fremdes Recht, andererseits aber auch, wenn ein in einem ausländischen Güterstande delbarkeitstheorie (oben Bd. I 238 Anm. 99 – 101) war schon vor dem Inkrafttreten des BGB durch das Uebergewicht der herrschenden Meinung, die gegenteiligen Gesetzesbestimmungen und die Praxis der Gerichte, insbesondere des Reichsgerichts, entschieden (ebd. S. 239 Anm. 104 – 107). 113 Vgl. oben Bd. I 239. Die früher übliche, noch vom RGer XXXVI Nr. 81 S. 336 unternommene Begründung der Unwandelbarkeit durch die Fiktion eines stillschweigenden Vertrages ist wohl allgemein aufgegeben; vgl. oben § 254 I. 114 EG z. BGB a. 15; Haager Abk. a. 5. 115 Haager Abk. a. 5 u. 9. Wenn die Staatsangehörigkeit der Ehegatten sich zwischen Eheschließung und Vertragsschluß gezweit hat, gilt als Gesetz ihres Heimatstaates ihr letztes gemeinsames Gesetz. 116 Bewegliches wie unbewegliches. Die früher oft angenommene generelle Unterwerfung auswärtiger Grundstücke unter die lex rei sitae ist für das deutsche Recht abgelehnt; vgl. oben Bd. I 238 Anm. 95 – 96. 117 EG zum BGB a. 28; Haager Abk. a. 7 (für Grundstücke, die nach dem Gesetz der belegenen Sache einer besonderen Güterordnung unterliegen).
1. Titel: Das eheliche Güterrecht überhaupt
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lebender Ehegatte ein derartiges Gut in Deutschland besitzt, deutsches Recht anzuwenden ist118. 2. Nach deutschem Recht tritt die Vertragsfreiheit für Ehegatten, die nach einem die Eheverträge während der Ehe ausschließenden oder beschränkenden ausländischen Güterstande leben, nicht nur ein, wenn der Ehemann Deutscher geworden ist, sondern schon dann, wenn die Ehegatten ihren Wohnsitz in Deutschland haben119. Nach dem Haager Abkommen gilt das Letztere im Verhältniß der Vertragsstaaten zueinander nicht120. 3. Wenn ausländische oder erst nach der Eheschließung deutsch gewordene Ehegatten ihren Wohnsitz in Deutschland haben, hängt die Wirksamkeit ihres von der deutschen Regel abweichenden Ehegüterrechts gegen gutgläubige Dritte von der Eintragung in das Güterrechtsregister ab; der ausländische gesetzliche Güterstand steht einem vertragsmäßigen gleich121. 4. Die deutschen Vorschriften über die Schlüsselgewalt der Frau, die Eigentumsvermutungen und die Bedeutung der Einwilligung des Mannes zum selbständigen Gewerbebetriebe der Frau gelten bei Ehegatten, die in Deutschland wohnen, zugunsten Dritter insoweit, als sie dem Dritten günstiger sind, als die Vorschriften des für ihr Ehegüterrecht maßgebenden ausländischen Gesetzes122. 5. Schließlich ist die Anwendung eines ausländischen Rechtssatzes gemäß EG zum BGB a. 30 hier wie überall ausgeschlossen, wenn sie gegen die guten Sitten oder den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde.
118 Ueber die internationalrechtliche Tragweite des Vorranges von „Sonderstatuten“ vor dem allgemeinen „Vermögensstatut“ überhaupt vgl. die eingehenden Untersuchungen von Zitelmann in der mir gewidmeten Festschrift zum 11. Jann. 1911 S. 255 ff. und IPR II 695 ff. 119 EG z. BGB a. 152; vgl. oben Anm. 106. Hierin liegt eine Durchbrechung des Prinzips der Unwandelbarkeit des ehelichen Güterrechts, in dem Eintritt der Vertragsfreiheit auf Grund des bloßen Wohnsitzes zugleich des Prinzips der Herrschaft des Heimatsrechts; vgl. Niedner zu a. 15 Bem. 5 b-c. 120 Nach Haager Abk. a. 4 entscheidet allein das Gesetz des Heimatsstaates der Ehegatten. Nur im Falle des Wechsels der Staatsangehörigkeit ergiebt sich, weil nach a. 9 das Gesetz des neuen Heimatsstaates anzuwenden ist (in gleicher Weise wie bezüglich des a. 15, vgl. oben Anm. 107 u. 115), für das deutsche Recht im Erfolge dasselbe. 121 EG zum BGB a. 161. Vgl. über früheres R, oben Bd. I 240 Anm. 109. 122 EG a. 162. Hinsichtlich des Gewerbebetriebs gilt dasselbe auch, wenn die Frau zwar im Auslande wohnt, das Gewerbe aber in Deutschland betreibt; GewO § 11a nach EG a. 36 I. – Vgl. Niedner zu a. 16 Bem. 3 b u. a. 36 Bem. 1, Planck zu a. 16 Bem. 4 u. a. 36 I Bem. 2, Wolff § 73 III 2 – 3.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
§ 258. Zeitliche Geltung des ehelichen Güterrechts123 I. Grundsatz In Uebereinstimmung mit der in der alten Streitfrage über die Einwirkung neuer Gesetze auf das eheliche Güterrecht bestehender Ehen überwiegend durchgedrungenen Meinung124 führt das BGB den Grundsatz durch, daß seine ehegüterrechtlichen Vorschriften den Güterstand der vor seinem Inkrafttreten geschlossenen Ehen unberührt lassen. Somit sind nach Reichsrecht für das eheliche Güterrecht älterer Ehen die Rechtssätze in Kraft geblieben, die es vor der Unterwerfung der Ehe unter das neue Recht beherrschten. Das frühere Recht einschließlich der im maßgebenden Zeitpunkt in Kraft gewesenen Normen des internationalen Privatrechts entscheidet darüber, welcher gesetzliche Güterstand mit Eingehung der Ehe oder in Folge eines späteren Vorganges eingetreten ist und ob und inwiefern ein zulässiger und gültiger Ehevertrag ihn durch vertragsmäßiges Güterrecht ersetzt oder abgeändert hat125. Das frühere Recht entscheidet ebenso über die Wirkungen des unter seiner Herrschaft begründeten ehelichen Güterstandes sowohl im Verhältniß der Ehegatten zu einander, wie im Verhältniß zu Dritten126, über etwa mit ihm verbundener Einschränkungen der Geschäftsfähigkeit der Frau127 und über die ehegüterrechtlichen Folgen der Auflösung der Ehe mit Einschluß der Fortsetzung einer Gemeinschaft zwischen den überlebenden Ehegatten und den Kindern und der erbrechtlichen Oben Bd. I 202 ff. Seitdem EG z. BGB a. 200 u. dazu Komm. v. Niedner2 S. 422 – 443, Planck3 S. 405 – 419; Habicht, Einwirk. §§ 48 – 49; Stobbe-Lehmann § 287; Wieruszowski II 43 ff.; Dernburg § 38 V; Endemann § 190; Crome § 569; Wolff § 72. 124 Vgl. oben Bd. I 202 – 203. Hier wie in der verwandten internationalrechtlichen Streitfrage wurde zwar die Ansicht, daß sich das eheliche Güterrecht als Ausfluß des Ehepersonenrechts dem jeweiligen Personalstatut der Ehegatten gemäß wandele, mehrfach verfochten und von einzelnen Gesetzen zu Grunde gelegt; ebd. Anm. 25 – 27. Allein noch entschiedener als in der Lehre von der Statutenkollision verfocht die herrschende Meinung die Unwandelbarkeit des einmal begründeten ehelichen Güterstandes als eines Rechtsverhältnisses, das für jeden Ehegatten ein erworbenes Recht bedeute; ebd. Anm. 28. In diesem Sinne legten auch die weitaus meisten Gesetze, insbesondere das preußische Landrecht und alle späteren preußischen Gesetze, ihren ehegüterrechtlichen Vorschriften keine Einwirkung auf ältere Ehen bei; ebd. Anm. 29 – 30. 125 Vgl. oben § 254 Anm. 22 – 23, 25 – 27, § 255 Anm. 29 – 32, § 257 Anm. 100; Seuff. LXIII Nr. 33. 126 Somit ist § 1435 BGB nicht anwendbar; Rspr. d. OLG XXIV 53. Dagegen können die oben § 256 Anm. 61 – 62 u. 68 – 70 angeführten Gesetzesbestimmungen Bedeutung erlangen. 127 EG z. BGB a. 2003. Die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Frau besteht nicht nur fort, wenn sie Folge des Güterstandes, sondern auch, wenn sie Folge der Ehe ist, tritt aber stets außer Kraft, wenn der bisherige Güterstand endet. Vgl. Planck Bem. 6, Niedner Bem. B 1, Habicht S. 541; teilweise abweichend Wieruszowski b. Gruchot XLIV 305. – Viel Streit herrscht hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit a. 7 u. 8 ADHGB anwendbar geblieben sind; vgl. Planck Bem. 7, Niedner a. a. O. und die dortigen Nachweisungen. 123
1. Titel: Das eheliche Güterrecht überhaupt
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Wirkungen des Güterstandes128. Das frühere Recht bleibt endlich maßgebend für die Aufhebung oder Abänderung des fortgeltenden älteren Güterstandes durch gesetzliche Vorschrift oder Richterspruch129. Dagegen trifft das BGB hinsichtlich der Abänderlichkeit des ehelichen Güterrechts durch Ehevertrag eine Ausnahmebestimmung. Denn es gestattet eine nach seinen Vorschriften zulässige Regelung des Güterstandes durch Ehevertrag auch dann, wenn sie nach den bisherigen Gesetzen unzulässig wäre130. II. Abweichungen kraft Landesrechts Die nach Reichsrecht eintretende Fortgeltung zahlreicher ehelicher Güterrechte für einen langen Zeitraum hätte mancherlei Mißstände gezeitigt. Die Landesgesetzgebung war im Stande, Abhülfe zu schaffen, da sie das ihr unterworfene eheliche Güterrecht abändern kann131. Von dieser Zuständigkeit hat sie teils in den Ausführungsgesetzen zum BGB132 teils in besonderen Gesetzen über den Güterstand der älteren Ehe133 umfassenden Gebrauch gemacht. Die Landesgesetze haben für die große Mehrzahl der älteren Ehe den bisherigen Güterstand in einen Güterstand des neuen Rechtes übergeleitet134. Nur in Würt128 EG a. 200 Abs. 1 S. 2. Dagegen gilt für das vom ehelichen Güterstande unabhängige Ehegattenerbrecht nach a. 213, falls der Erbfall unter der Herrschaft des BGB eintritt, das neue Recht. Die Frage, ob erbrechtliche Bestimmungen älterer Gesetze ehegüterrechtlicher Natur sind, ist für jeden Güterstand besonders zu untersuchen und oft schwer zu entscheiden. Ob im Falle der Fortgeltung solcher Bestimmungen das Ehegattenerbrecht wegfällt oder daneben geltend gemacht werden kann oder der Ehegatte ein Wahlrecht hat, ist sehr bestritten; vgl. Planck Bem. 4. – Die früheren preuß. Ges. gewährten ein Wahlrecht; oben Bd. I 203 Anm. 30. 129 Somit sind die oben § 254 Anm. 23 angef. Bestimmungen des BGB unanwendbar. Dafür bleiben die entsprechenden Bestimmungen des älteren Rechts in Kraft. So auch z. B. die Regeln, nach denen der Güterstand, jenachdem die Ehe beerbt oder unbeerbt ist, sich mehrfach wandeln kann; oben § 254 Anm. 27. 130 EG a. 2002; vgl. Planck Bem. 8, Niedner B 4. Damit ist andererseits zugleich ausgesprochen, daß Eheverträge, die nach dem BGB unzulässig sind (z. B. wegen Verweisung auf früheres oder fremdes Recht), nicht mehr geschlossen werden können, wenngleich sie nach bisherigem Recht zulässig waren; vgl. Habicht S. 540, Wolff § 72 Anm. 6; a.M. Planck a. a. O. 131 Und zwar, wie a. 218 EG z. BGB ausdrücklich feststellt, auch noch nach dem Inkrafttreten des BGB. 132 Preuß. a. 44 – 67, ergänzt durch die umfangreiche Ver. über den Güterstand bestehender Ehen v. 20 Dez. 99. Bayr. (Ueberg. G.) a. 19 – 31, 123 – 140. Sächs. § 34. Hess. a. 169 – 208, 230 – 259. Meckl. – Schw. § 209 – 20, Str. §§ 207 – 215. Weim. § 183 – 191. Oldenb. § 16 – 17, Lüb. § 16 – 17, s. Birkenf. § 44 – 62. Braunschw. § 73 – 75. Altenb. § 97 – 102. Kob.-Goth. a. 42. Anh. a. 59. Schwarzb.-R. a. 134 – 147, Sondersh. a. 48. Wald. a. 24 – 31. Reuß ä. L. § 112 – 117, j. L. § 94. Schaumb.-Lippe § 21 – 36. Lippe § 35. Lüb. § 100 – 106. Elsaß-Lothr. § 144 – 165. 133 S.-Meining. G. v. 10. Aug. 99. Brand. Ges. v. 18. Juli 99. Hamb G v. 14. Juli 99. Bad. G. v. 4. Aug. 1902 (vorher nur AG a. 41 – 42).
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
temberg hat keine Ueberleitung stattgefunden135. Außerdem haben manche Gesetze die Ueberleitung einzelner Güterstände unterlassen136. Insbesondere erstrekken zwar die meisten Staaten die Ueberleitung auch auf vertragsmäßige Güterstände137, einige Staaten aber beschränken sie auf gesetzliche Güterstände des bisherigen Rechts138. Ferner ergreift in manchen Staaten die Ueberleitung nur die einheimischen Güterstände139, während in den meisten Staaten auch die in einem anderen deutschen Staate geltenden Güterstände betroffen werden140. Ungleich beantwortet wird auch die Frage nach dem räumlichen Geltungsbereich der von den einzelnen Staaten erlassenen Ueberleitungsvorschriften141. Den Inhalt der Ueberleitung bildet überall die Ersetzung des bisherigen Güterstandes der ihr unterworfenen Ehen durch eine der im BGB geregelten ge134 Eine Uebersicht über den Umfang der erfolgten Ueberleitungen bietet die von Niedner zu a. 200 EG S. 428 – 433 entworfene Tabelle. (Das Bad. G. v. 1902 ist in ihr noch nicht berücksichtigt). 135 Württ. AG a. 260 – 264; nur eine nach dem Inkrafttreten des BGB eingetretene fortgesetzte Gütergemeinschaft ist durch a. 263 dem Recht des BGB unterstellt. – Auch in Lippe hat AG § 35 den gesetzlichen Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft nicht übergeleitet, den der Gütertrennung nur dann, wenn die Ehegatten nicht bis zum 1. Jann. 1900 erklärt hatten, ihr bisheriges Recht beizubehalten. – In beiden Meckl., Anh. u. Lippe ist die Ueberleitung erst am 1. Jann. 1901, in Baden erst am 1. Jann. 1903 erfolgt. 136 So hat das Preuß. EG die schon damals im Absterben begriffenen Güterstände, die nicht mehr dem geltenden Recht angehörten, aber auf Grund älterer Gesetze fortgalten (oben Bd. I 203 Anm. 29), nicht übergeleitet. 137 So ausdrücklich Preußen, Bayern, Sachsen, Baden, Hessen, Schwarzb.-R., Meiningen, Kob.-Gotha, Elsaß-Lothringen. Gleiches muß überall angenommen werden, wo nicht das Gegenteil bestimmt ist; Niedner Bem. C II 3, Planck III 2 b. – Eine Ausnahme bildet regelmäßig der französisch-rechtliche vertragsmäßige Güterstand des Dotalrechts. In Preußen auch die vertragsmäßige Errungenschaftsgemeinschaft. 138 Es sind dies die beiden Mecklenburg, Oldenburg, (f. Oldenb. u. Lüb.), Braunschweig u. Lippe. 139 So in Sachsen, beiden Mecklenburg, Weimar, Oldenburg, Braunschweig und den drei freien Städten. 140 So in Preußen, Bayern, Hessen, Meiningen, Coburg-Gotha, Elsaß-Lothringen. – Dagegen werden ausländische Güterstände auch hier nicht übergeleitet; daher auch z. B. nicht die französischen Güterstände, wenn die Ehegatten bei Eingehung der Ehe in Frankreich wohnten. 141 In Preußen, Bayern, Hessen, Elsaß-Lothringen gelten die Ueberleitungsvorschriften nur für Ehegatten, die in dem Ueberleitungsstaat beim Inkrafttreten des BGB ihren Wohnsitz hatten oder später einen solchen Wohnsitz erworben haben. Im letzten Falle sind jedoch in Preußen die Ueberleitungsvorschriften des preußischen Rechts dann nicht anwendbar, wenn der Güterstand bereits nach den Gesetzen eines anderen deutschen Staates übergeleitet war. Dagegen erstrecken die Staaten, die nur eigne Güterstände überleiten, regelmäßig ihre Ueberleitungsvorschriften auf alle Ehepaare, die nach dem betreffenden Güterrecht leben, wo immer die wohnen mögen; so Sachsen, Weimar, Oldenburg, Braunschweig und die freien Städte. – Vgl. über die örtlichen Grenzen der Uerberleitungsvorschriften und die aus der Verschiedenheit der in den einzelnen Staaten geltenden Normen entstehenden Konflikte die bei Planck zu EG a. 200 Bem. 7 angef. Literatur und die ebd. S. 413 – 415 gemachten Ausführungen.
1. Titel: Das eheliche Güterrecht überhaupt
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setzlichen oder vertragsmäßigen Güterstände. Die Umwandlung vollzieht sich unabhängig vom Parteiwillen von Rechts wegen142. Ueber die Frage, welcher der neuen Güterstände, zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Abwandlungen er eintritt, entscheidet das Landesrecht, das auch insoweit, als es die Vorschriften des BGB für anwendbar erklärt, die das umgewandelte Güterrecht beherrschende Rechtsquelle bleibt. Die Landesgesetze führen sämtlich, wennschon in ungleichem Maße den Gedanken durch, daß die Ueberleitung unter möglichster Schonung des durch den bisherigen Güterstand begründeten Rechtsverhältnisses erfolgen soll. Darum versuchen sie vor allem den Grundtypus des bisherigen ehelichen Güterrechts festzuhalten, indem sie es in den ihm am nächsten verwandten Güterstand des BGB überleiten143. Sie treffen ferner Bestimmungen, die hinsichtlich der einzelnen aus dem bisherigen Güterrechtsverhältniß bereits entsprungenen Rechte und Pflichten die Fortgeltung des alten Rechtes sichern. Sie machen aber vielfach auch bei der Ueberleitung bestimmter Güterstände besondere Vorbehalte, kraft deren zu Gunsten des bisherigen Rechts dauernde Abweichungen von dem im Uebrigen maßgebenden Recht des BGB gelten144. Durchweg nimmt das im Augenblick der Ueberleitung vorhandene Vermögen die seiner bisherigen Eigenschaft entsprechende Eigenschaft an, die ihm das BGB zuschreibt145. Soweit sich damit die dingliche Rechtslage in Ansehung der Rechte an Grundstücken ändert, kann die Berichtigung des Grundbuchs von jedem Ehegatten gefordert werden146. Fast überall bleibt hinsichtlich der im Augenblicke der Ueberleitung bestehenden Verbindlichkeiten für die Schuld- und Haftungsverhältnisse unter den Ehegatten wie gegenüber Dritten das bisherige Recht maßgebend147.
142 Ein vertragsmäßiger Güterstand des BGB wird also, wenn er kraft Ueberleitung eintritt, für diese Ehen zum gesetzlichen Güterstand. 143 Die Entscheidung darüber, welcher der neuen Güterstände der nächst verwandte ist, ist in den einzelnen Gesetzen zum Teil bezüglich desselben älteren Güterrechts ungleich ausgefallen. 144 In dieser Hinsicht waltet eine große Mannichfaltigkeit, die zum Teil innerlicher Begründung entbehrt. Auf Einzelnes kommen wir bei der Besprechung der verschiedenen Güterstände zurück. 145 Vgl. Niedner zu a. 200 Bem. D II 2 – 3. Der Bestand der einzelnen Vermögensmassen richtet sich fast überall nach bisherigem Recht. Nur in Meiningen u. Kob.-Gotha wird es angesehen, als habe das neue Recht schon vorher gegolten. 146 Eine Eigentumsverschiebung ist mit der Ueberleitung z. B. verbunden, wenn an Stelle des Dotalsystems oder einer Errungenschaftsgemeinschaft die Verwaltungsgemeinschaft des BGB tritt (Preuß. AG a. 49 § 2, a. 54 § 2) oder umgekehrt eine Verschmelzung von gesondertem Vermögen zu Gesamtgut erfolgt. Die Berichtigung des Grundbuchs ist nach Preuß. R. ein Jahr lang kostenfrei zu bewirken. 147 Vgl. Niedner Bem. D II 2 a , b u. c, 3 b; über Abweichungen in Meiningen u. Kob.Gotha D II 3 b.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Einzelne durch Ehevertrag vereinbarte Abänderungen des nach der gesetzlichen Regel geltenden Güterrechts, die vor der Ueberleitung wirksam vorgenommen sind, bleiben von der Ueberleitung unberührt148. Regelmäßig werden die erbrechtlichen Wirkungen des bisherigen Güterstandes insoweit aufrecht erhalten, als sie dem überlebenden Ehegatten vorteilhafter sind oder sein können, als das unabhängig vom Güterstande eintretende Ehegattenerbrecht des BGB. Die Aufrechterhaltung erfolgt bald in der Form der Verweisung auf das alte Recht, bald mittels Einfügung neuer gleicher oder ähnlicher Bestimmungen. Sind die ehegüterrechtlichen Wirkungen für den überlebenden Ehegatten zweifellos günstiger, als das Ehegattenerbrecht des BGB, so treten sie ohne Weiteres an dessen Stelle. Hängt es dagegen von den Umständen ab, wobei der überlebende Ehegatte besser fährt, so wird ihm meist ein Wahlrecht zwischen den güterrechtlichen Vorteilen und dem Ehegattenerbrecht gewährt. Die oft sehr zweifelhafte Frage, ob die Vorschriften des alten Rechts güterrechtlicher oder rein erbrechtlicher Natur sind, wird vielfach im Wege der authentischen Interpretation durch das Ueberleitungsgesetz entschieden149. Meist bleibt auch für die Wirksamkeit gegenüber redlichen Dritten das bisherige Recht maßgebend. Es bedarf daher keiner Eintragung in das Güterrechtsregister, um dem vom gesetzlichen Güterstande des BGB abweichenden ehelichen Güterrecht älterer Ehen unbedingte Wirksamkeit zu verschaffen. Dritte, die mit einem Ehegatten in Verkehr treten, müssen sich über die Zeit der Eheschließung vergewissern, bevor sie der Nichteintragung trauen. Doch gelten Ausnahmen für den Fall einer nach der Ueberleitung erfolgten Wohnsitzverlegung oder Güterstandsveränderung, sowie für einen späteren Einspruch des Mannes gegen einen Gewerbebetrieb der Frau. Manche Gesetze haben aber den § 1435 BGB ausnahmslos für ältere Ehen in Kraft gesetzt150. Trotzdem behält der Eingriff in die Rechtsverhältnisse der Ehegatten zum Teil nach den Ueberleitungsvorschriften eine tief einschneidende Bedeutung. Ueberall fällt jede Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Frau weg. Aber auch die Verfügungsrechte der Ehegatten, die Schuldenhaftung für die Zukunft, die gegenseitigen Niedner Bem. C 3. Näheres bei Niedner Bem. D IV, Planck Bem. III 9 a. 150 So das Sächs. AG § 342, Bad. G. v. 4. Aug. 1902 § 24, Meckl. § 210 (§ 208) u. Braunschw. § 75. Dagegen ist die grundsätzliche Fortgeltung des bisherigen Rechts mit den erwähnten Ausnahmen im Preuß. AG a. 59 § 9 u. a. 65 ausgesprochen. Aenlich in Bayern a. 25, Hessen a. 201, 207, Weimar § 187 – 188 u. sonst. – Hat eine Ueberleitung des nach EG a. 200 fortbestehenden ehelichen Güterstandes überhaupt nicht stattgefunden, so versteht sich die Unanwendbarkeit des § 1435 BGB von selbst. Das Gegenteil bestimmte das Bad. AG a. 41 (aufgehoben durch G v. 4. Aug. 1902 § 25). – Näheres bei Niedner Bem. D III, Planck Bem. IV. – Die Eintragung ins Register erfolgt übrigens ein Jahr lang gebühren- und stempelfrei, wenn durch Ehevertrag der übergeleitete Güterstand in einzelnen Punkten abgeändert oder durch einen anderen zulässigen Güterstand ersetzt wird; ebenso aber im Falle der vertragsmäßigen Abänderung der Aufhebung eines übergeleiteten Güterstandes. 148 149
2. Titel: Verwaltungsgemeinschaft
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Ersatzansprüche und die Regeln über die Auseinandersetzung werden vielfach stark verändert.
Zweiter Titel
Verwaltungsgemeinschaft § 259. Begriff, Geschichte und Wesen I. Begriff Als „Verwaltungsgemeinschaft“ bezeichnen wir einen ehelichen Güterstand, bei dem das beiderseitige Vermögen der Zuständigkeit nach getrennt bleibt, dagegen der Verwaltung nach durch die Ehe zu einer einheitlichen Masse vereinigt wird. Die Bezeichnung, die sich in keinem Gesetze findet und auch dem BGB fremd ist, hat sich eingebürgert, weil sie immerhin dem begrifflichen Kern des Güterstandes, der in allen seinen Ausgestaltungen sich erhalten hat, am ehesten gerecht wird151. Andere Namen, wie „Gütereinheit“, „äußere“ oder „formelle Gütergemeinschaft“, „Güterverbindung“, „Güterscheidung“, sagen entweder zu wenig oder zu viel152. Begriffswesentlich für die Verwaltungsgemeinschaft ist die grundsätzliche Zusammenfassung von Mannes- und Frauengut zu einem Ehevermögen, das in den Grenzen seiner Zweckbestimmung für die wirtschaftlichen Bedürfnisse der ehelichen Lebensgemeinschaft eine Einheit bildet, jedoch in Ansehung der Eigentumsverhältnisse in gesonderte Vermögensmassen der Ehegatten zerfällt. Der Sachsenspiegel drückt dies mit den Worten aus: „Man unde wif ne hebbet nein getveiet gut to irme live“.153 151 Man wendet gegen diesen zuerst von R. Schröder gebrauchten Namen ein, daß er eigentlich nicht passe, weil der Mann Alleinverwalter sei. Allein in irgend einem Umfange ist überall die Frau zur Mitverwaltung berufen. Vor allem aber soll die Bezeichnung gar nicht gemeinschaftliche Verwaltung, sondern Verwaltung für die eheliche Gemeinschaft im Sinne objektiver Zweckbestimmung, Verwaltung behufs einheitlicher Nutzbarmachung des Ehevermögens für die ehelichen Gemeinschaftsaufgaben ausdrücken. Vgl. meine Genossenschaftsth. S. 372 Anm. l. Dieser Grundgedanke ist, wie sich zeigen wird, auch im BGB gewahrt. Natürlich kann man für das Recht des BGB auch vom „gesetzlichen Güterstande“, jedoch bei genauer Sprechweise nur mit dem Zusatz „ordentlichen“ oder „regelmäßigen“, reden. Oder man kann, indem man das Hauptmerkmal betont, den schleppenden Ausdruck „Güterstand der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung“ gebrauchen. 152 Vgl. über diese und noch andere Namengebungen und ihre Urheber G. Cohn, Das eheliche Güterrecht (Vortrag v. 31. Jann. 1906) S. 18 ff. Das Schweiz. ZGB hat den zuerst von Bluntschli aufgebrachten Namen „Güterverbindung“ zum technischen erhoben. 153 Ssp. I 31 § 1. Also Einheit, aber nur im Rahmen und für die Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft. Wenn Heusler, Inst. II 380, und ihm folgend Hübner, Grundz.2 S. 559
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Die Einheit des Ehevermögens wird durch die dem Mann als Haupt der Gemeinschaft gebührende Verwaltungsmacht, die das Frauengut von Rechtswegen ergreift, verwirklicht. Der Mann trägt die Last des ehelichen Aufwandes, bezieht aber dafür auch die Nutzungen des von ihm verwalteten Frauenguts. Er ist verpflichtet, die Erträgnisse des Frauengutes, soweit dies erforderlich ist, für den Gemeinschaftszweck zu verwenden, während er das, was er erübrigt, für sich behält. Die Frau hat zum Mindesten im Bereiche ihrer Schlüsselgewalt und vielfach darüber hinaus als Vertreterin des Mannes ein auch das Mannesgut ergreifendes Mitverwaltungsrecht und ist zum Mitgenuß des ganzen Ehevermögens berufen. Die Gesondertheit der zum Ehevermögen verbundenen Gütermassen wird durch die fortwirkende Unterscheidung von Mannes- und Frauengut gewahrt. Der Mann erlangt am Frauengut nur Verwaltung und Nutznießung, während die Frau Alleineigentümerin bleibt, der Frau steht am Mannesgut kein Miteigentum zu. Jeder Ehegatte erwirbt für sich. Der Mann kann über die Substanz des Frauengutes nicht einseitig verfügen, soweit nicht die Verfügung über einzelne Gegenstände, was in irgend einem Umfange überall der Fall ist, als Verwaltungshandlung gilt. Die Frau ist befugt, über ihr Vermögen zu verfügen, bedarf jedoch regelmäßig der Mitwirkung des Mannes. Die Schuldenverhältnisse bleiben getrennt; das Frauengut haftet nicht den Gläubigern des Mannes, die Gläubiger der Frau können sich nicht an das Mannesgut halten. Vor Allem endlich tritt mit der Auflösung der Ehe die während des Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft zurückgedrängte gesonderte Zuständigkeit der Gütermassen wieder in voller Kraft hervor. Nun „zweien“ sich Mannes- und Frauengut. Der Mann oder sein Rechtsnachfolger hat der Frau oder ihrem Rechtsnachfolger das Frauengut herauszugeben oder im Falle des Verlustes zu ersetzen, behält dagegen die eheliche Errungenschaft. Es gilt daher die Regel: „Frauengut wächst und schwindet nicht.“ Allein das System der Verwaltungsgemeinschaft ist in keiner seiner mannichfachen Ausgestaltungen rein durchgeführt. Immer vielmehr erfährt es irgendwelche Abwandlungen, die ein aus einem anderen Gedankenkreise stammendes Element einführen. Solche Abwandlungen sind mit seinem Begriff verträglich, wenn sie nur den Grundgedanken der Vereinigung des der Zuständigkeit nach getrennten beiderseitigen Vermögens zu einem für die Zwecke der ehelichen Lebensgemeinschaft bestimmten Ehevermögen nicht austilgen. Oft ist dies zweifelhaft. Die Entscheidung kann nur nach dem in der Mischung überwiegenden Element getroffen werden. Der Begriff der Verwaltungsgemeinschaft ist zunächst mit der Aussonderung von Vorbehaltsgut der Frau aus dem Gemeinschaftsbereich vereinbar. Das Vorbehaltsgut begegnet schon frühzeitig im deutschen Mittelalter. An Bedeutung und meinen, der Satz passe für alles mittelalterliche Ehegüterrecht, wie ihn denn auch der Schwabsp. (L. 34, W. 33) übernommen habe, obschon er Gütergemeinschaft voraussetze, so übersehen sie den stark betonten Zusatz „to irme live“, der im Schwabenspiegel weggelassen ist.
2. Titel: Verwaltungsgemeinschaft
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Umfang ist es beständig gewachsen und spielt im heutigen Recht eine möglicher Weise im Einzelfalle tatsächlich überwiegende Rolle. Allein immer bildet es, da rechtsgrundsätzlich das Frauengut als Ganzes in die Gemeinschaft fällt, eine Ausnahme von der Regel. Mit dem Vorbehalt hält ein Stück Gütertrennung seinen Einzug in die Verwaltungsgemeinschaft. Andererseits finden sich überall gütergemeinschaftliche Einstreuungen, die den Begriff der Verwaltungsgemeinschaft so lange nicht aufheben, als sie nicht durch die Bildung eines dem Eigentum nach verschmolzenen Gesamtguts in eine Form der beschränkten Gütergemeinschaft übergeht. So liegt bloße Verwaltungsgemeinschaft vor, wenn die Ehegatten über Grundstücke, obschon Grundstücke des Mannes und der Frau unterschieden werden, nur mit gesamter Hand verfügen können, mithin auch der Mann sein liegenschaftliches Vermögen nicht ohne Mitwirkung der Frau der ehelichen Gemeinschaft entfremden kann154. Ferner ist vielfach (besonders in den Stadtrechten) in die Verwaltungsgemeinschaft an Stelle der Schuldentrennung eine mehr oder minder ausgedehnte Schuldengemeinschaft eingedrungen, so daß das Frauengut und zum Teil sogar die Frau persönlich auch für Mannesschulden haftet155. Sodann ist in manchen Rechten der Satz, daß Frauengut nicht wächst und nicht schwindet, durch Beteiligung der Frau am Zuwachs des Ehevermögens, bisweilen auch durch ihre Beteiligung an erlittener Vermögenseinbuße modifiziert und damit der Verwaltungsgemeinschaft ein Stück Errungenschaftsgemeinschaft eingepflanzt156. Weiter haben gerade bei der Verwaltungsgemeinschaft von Alters her die besonderen Rechtsschicksale einzelner Güterinbegriffe vielfach eine Gestalt gewonnen, vermöge deren sie gütergemeinschaftliche Gedanken einführen157. Endlich beruht die Behandlung der Auseinandersetzung von Mannes- und Frauengut im Falle der Auflösung der Ehe durch den Tod in zahl154 Vgl. Schröder, Gesch. des ehel. Güterr. II, 1 § 17, II, 2 § 4, Stobbe-Lehmann IV 136, 214 Anm. 22, meine Genossenschaftsth. S. 373, Anm. 1. 155 Vgl. Beseler, DPR § 127 III, Schröder a. a. O. II, 1 § 27 II, II, 3 § 15 I, Roth, DPR § 141 II, Anm. 10 – 19, Stobbe-Lehmann § 281 IV 6, § 220 Anm. 51. Früher rechnete man oft Güterstände dieser Art zu den gütergemeinschaftlichen Systemen. Dies ist unzulässig, wo es an einem Gesamtgut fehlt. 156 Errungenschaftsgemeinschaft liegt nicht vor, wenn bis zur Beendigung der Ehe die Frau nicht als Eigentumsteilhaberin gilt. Inwieweit dies in älteren Rechten der Fall war, ist streitig; zweifellos aber giebt es Rechte, denen der Gedanke einer Herleitung der Errungenschaftsteilung aus Eigentumsgemeinschaft fremd war und blieb; vgl. Stobbe- Lehmann IV 86 Anm. 28. In neuester Zeit bietet das Schweiz. ZGB ein Beispiel bloßer Verwaltungsgemeinschaft („Güterverbindung“) mit Beteiligung der Frau an der Errungenschaft (dem „Vorschlag“); vgl. unten § 264 III 6. Das Frauengut kann also wachsen. Der Rahmen der Verwaltungsgemeinschaft wäre auch nicht gesprengt, wenn dem mehrfach gestellten Verlangen entsprochen wäre, daß die Frau unter Umständen auch am Verlust (dem „Rückschlag“) Teil zu nehmen habe, das Frauengut also auch schwinden dürfe; vgl. Cohn a. a. O. S. 29 ff. 157 Von den besonderen Güterarten, die natürlich andererseits zugleich das Prinzip der Sonderung von Mannes- und Frauengut verschärfen, sprechen wir am Schluß der Lehre von der Verwaltungsgemeinschaft; unten § 265. Es handelt sich vorzugsweise um Wirkungen bei der Beendigung, zum Teil aber auch schon während des Bestandes der Ehe.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
reichen Rechten auf der Beimischung gütergemeinschaftlicher Gedankenelemente. Dies ist namentlich bei den als erbrechtliche Wirkungen des Güterstandes eingekleideten Bevorzugungen des überlebenden Ehegatten der Fall158. Am schärfsten ausgeprägt aber ist es in den Güterrechtssystemen, nach denen mit dem Tode eines Ehegatten eine innere Verschmelzung der beiderseitigen Vermögen eintritt oder doch eintreten kann, so daß eine Teilung nach Quoten stattfindet oder der überlebende Ehegatte ein Wahlrecht zwischen Aussonderung des Seinigen und Quotenteilung hat. Man spricht hier von „Gütergemeinschaft von Todes wegen“159. II. Geschichte Die Verwaltungsgemeinschaft erscheint in den meisten Volksrechten als Grundtypus des ehelichen Güterrechtes160. Sie erhielt sich im deutschen Mittelalter am zähesten im ostfälischen, überwiegend im thüringischen, schwäbischen und bairischen, mehr vereinzelt im fränkischen und westfälischen Recht. Ihre klassische Darstellung empfieng sie durch Eike im Sachsenspiegel161. Er prägte als ihr leitendes Prinzip den Begriff der dem Ehemann am Vermögen der Frau gebührenden „Gewere zur rechten Vormundschaft“ aus162. Der damit ausgedrückte Gedanke beherrschte im mittelalterlichen Recht alle Formen der Verwaltungsgemeinschaft. Im Uebrigen nahm sie in den verschiedenen Land- und Stadtrechten namentlich in Folge der mehr oder minder starken Hinneigung zur Aufnahme gütergemeinschaftlicher Gedanken eine mannichfach ungleiche Gestalt an163. Mehrfach verband sie Vgl. unten § 264 III 5. Da für den Grundtypus des ehelichen Güterstandes die während der Ehe bestehenden Eigentumsverhältnisse maßgebend sind, wird durch Gütergemeinschaft von Todeswegen der Begriff der Verwaltungsgemeinschaft nicht beseitigt. So haben denn auch die Ueberleitungsgesetze diese Systeme regelmäßig in die Verwaltungsgemeinschaft des BGB übergeführt. 160 Vgl. über die einzelnen Volksrechte die oben § 253 Anm. 1 angef. Schriften, insbesondere R. Schröder, Gesch. Bd. I u. RG6 S. 336 ff. Doch ist die von Schröder, Gerber, Roth u.A. vertretene Meinung, daß die Verwaltungsgemeinschaft ausschließlich geherrscht habe, nicht haltbar. Denn einerseits begegnen Reste des Systems der Eigentumseinheit in der Hand des Mannes; oben § 253 Anm. 2 u. 3. Andererseits finden sich gütergemeinschaftliche Bildungen; unten § 268. 161 Vgl. bes. v. Martitz, Das eheliche Güterrecht des Sachsenspiegels und der verwandten Rechtsquellen, 1867; Agricola, Die Gewere zur rechten Vormundschaft als Prinzip des sächsischen ehelichen Güterrechts, 1869; K. Kiesel, Die Bedeutung der Gewere des Mannes am Frauengut für das Ehegüterrechtssystem des Sachsenspiegels, Unters z. d. St. u. RG.H. 85, 1906. E. Behre, Die Eigentumsverhältnisse im ehelichen Güterrecht des Sachsenspiegels und Magdeburger Rechts, 1904. 162 Ssp. I 31 § 2: So nimt he in sine gewere al ir gut to rechter vormuntscap. Aehnlich schon 1. Burg. t. 100: maritus ipse facultate mulieris, sicut in eam habeat potestatem, ita de omnes suas res habeat. 163 Für das sächsische Landrecht und das Magdeburger Stadtrecht bildete das Institut der Gerade ein charakteristisches Merkmal, das jedoch in jüngerem Stadtrecht an Bedeutung verlor. In fränkischen und altwestfälischen, besonders aber in schwäbischen und bayrischen 158 159
2. Titel: Verwaltungsgemeinschaft
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sich mit echter Gütergemeinschaft von Todeswegen164. In manchen Rechten behauptete sie sich nur für unbeerbte Ehen, während sie für beerbte Ehen einer beschränkten oder allgemeinen Gütergemeinschaft wich165. Nach der Rezeption galt sie in wesentlich unveränderter Grundgestalt im gemeinen Sachsenrecht und in zahlreichen Partikularrechten Ostfalens, Engerns und Thüringens, im größten Teile des vom Magdeburger Recht beherrschten östlichen Mitteldeutschlands, in der Mark Brandenburg und in Schlesien, in hannoverschen, schleswig-holsteinischen und mecklenburgischen Rechten und für unbeerbte Ehen im lübischen Recht, in vielen süddeutschen und den meisten schweizerischen Rechten fort. Doch verlor sie weiter Gelände an die Gütergemeinschaft. Dem römischen Dotalsystem erlag sie nur in wenigen Gegenden. Wohl aber mußte sie sich vielfach römischrechtlichen Abwandlungen und insbesondere die Umdeutung des ehemännlichen Verwaltungsrechts in einen Nießbrauch am Frauengut gefallen lassen166. Indessen blieb in dem fremdrechtlichen Gewande ihr deutschrechtlicher Kern erhalten, so daß auch, als neue Gesetzbücher die romanistische Konstruktion legalisierten, die Systeme des „ehemännlichen Nießbrauches“ im Wesentlichen den Grundgedanken des einheimischen Rechtes ausbauten und deshalb als bloße Spielarten der Verwaltungsgemeinschaft zu betrachten sind. Dies gilt insbesondere von dem subsidiären gesetzlichen Güterstande des Preußischen Allgemeinen LandRechten spielen erbrechtliche Vorteile des überlebenden Ehegatten, die sich zum Teil bis zur lebenslänglichen Leibzucht am ganzen Ehevermögen steigern, eine dominierende Rolle. Vielfach gewinnen vertragsmäßige Abreden über besondere Güterarten (Wittum, Morgengabe, Heimsteuer und Widerlage) eine gesteigerte Bedeutung. In oesterreichischen Ländern wird, während die gesetzliche Regel streng an der Gütersonderung festhält, der Abschluß von Eheverträgen zur Regel und bisweilen sogar obligatorisch; vgl. H. Siegel, Das Güterrecht der Ehegatten im Stiftslande Salzburg, 1882; R. Bartsch, Eheliches Güterrecht im Erzherzogtum Oesterreich, 1905. 164 Ansätze dazu liegen in den in den verschiedensten Gegenden vorkommenden Quotenteilungen bezüglich der Fahrniß oder auch der Errungenschaft bei beerbten oder bei allen Ehen. Es begegnen aber auch Erstreckungen der Quotenteilung auf alles Vermögen ohne Preisgabe der Gütersonderung. So besonders in der Mark Brandenburg, in der die Constitutio Joachimica von 1527 dieses System festlegte; vgl. L. Korn, Das Güterrecht und Erbrecht der Eheleute nach dem brandenburgischen Provinzialrecht, 1880; A. Crome, Das märkische Ehe-, Familien- und Erbrecht, 3. Aufl. 1895. 165 So in fränkischen, friesischen (vgl. Schröder a. a. O. II 3 S. 390 ff.), altwestfälischen Rechten (Soest und Münster). Besonders aber im lübischen Recht; vgl. R. Freund, Das lübische eheliche Güterrecht in ältester Zeit, 1884; dazu Pauli, Abh. aus dem Lüb. R. 1840, C. Plett, Das eheliche Güterrecht und das Erbrecht Lübecks in seinen Grundzügen, 1884, v. Wilmowski, Lübisches Recht in Pommern, 1867, L. Heck, Das eheliche Güterrecht und das Intestaterbfolgerecht nach dem in Pommern geltenden lübischen Rechte und der pommerschen Bauernordnung, 2. Aufl., 1892. 166 Seit der Wiederaufdeckung der deutschrechtlichen Struktur der Verwaltungsgemeinschaft durch die germanistische Wissenschaft wurde die Unterstellung unter das Nießbrauchsrecht in der Theorie wieder überwunden und auch in der gemeinrechtlichen Praxis immer entschiedener abgelehnt. Vgl. z. B. OAG Dresden v. 8. Dez. 1847 b. Seuff. II Nr. 191; auch OAG Jena ebd. XXXVIII Nr. 135, ObstLG f. Bayern ebd. Nr. 22, RGer ebd. LIV Nr. 29, ZS XXXII Nr. 72 (für märk. R.).
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
rechtes, der in den Provinzen Sachsen und Schlesien allgemeine Geltung erlangte167. Nicht minder von dem im Herzogtum Oldenburg durch das Gesetz v. 21. April 1872 eingeführten gesetzlichen Güterstande. Aber auch, obschon in geringerem Maße, von dem im Königreich Sachsen durch das Sächsische bürgerliche Gesetzbuch ausgebauten gesetzlichen Güterrecht168. Als vertragsmäßiger Güterstand ist die Verwaltungsgemeinschaft im Code civil geregelt169. Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch hat die Verwaltungsgemeinschaft als ordentlichen gesetzlichen Güterstand zwar stark individualistisch, aber doch in Wiederannäherung an ihren deutschrechtlichen Grundgedanken ausgestattet. Durch die Landesgesetzgebung ist bei älteren Ehen durchweg die frühere Verwaltungsgemeinschaft mit Einschluß der Systeme des ehemännlichen Nießbrauchs in die Verwaltungsgemeinschaft des neuen Rechtes übergeleitet170. Regelmäßig ist aber auch wegen seiner starken Annäherung an die Verwaltungsgemeinschaft das gesetzliche Dotalsystem des gemeinen Rechts durch den ordentlichen Güterstand des BGB ersetzt171. Außerdem sind manche bisherigen Formen der Errungenschaftsgemeinschaft, weil bei ihnen der Bestand eines Gesamtgutes während der Ehe zweifelhaft war oder doch keine praktischen Wirkungen äußerte, in die Verwaltungsgemeinschaft des BGB umgeschmolzen172. III. Wesen Das rechtliche Wesen der Verwaltungsgemeinschaft ist das einer vermögensrechtlichen Wirkung des personenrechtlichen Ehebandes; die personenrechtliche Verbundenheit der Ehegatten bewirkt zwar keine innere Verschmelzung, wohl aber eine äußere Vereinigung der beiderseitigen Vermögen im Dienste des ehelichen 167 Preuß. ALR II 1 §§ 205 – 344. In Schlesien seitdem das bis dahin gespaltene Güterrecht vereinheitlichende Ges. v. 1845. Außerdem in den dem märkischen Provinzialrecht entzogenen Teilen Brandenburgs, sowie für die eximierten Stände in Pommern (außer Neuvorpommern) und für den Adel in Ostpreußen. 168 Sächs. Gb §§ 1655 – 1690. 169 Code civ. a. 1530 – 1535 (Vereinbarung der Ehe „sans communauté“). 170 So die älteren Formen (besonders schleswig-holsteinischer Rechte) in Preußen und (thüringischer Rechte) in S. Meiningen; das gemeine Sachsenrecht in Oldenburg, Weimar, Meiningen, Gotha, Schwarzb.-S., beider Reuß; das Recht der Schaumb. Pol. O. v. 1615 in Schaumburg-Lippe. Ferner der Güterstand des preußischen Landrechts in Preußen, Bayern und Weimar, der des Herzogtums Oldenburg in Oldenburg, der des Sächs. Gb. im K. Sachsen. Desgleichen die vertragsmäßige Verwaltungsgemeinschaft des französ. Rechts in Preußen, Bayern, Hessen, Oldenburg, Elsaß-Lothringen, Baden. Auch mit Vorbehalt der Gütergemeinschaft von Todeswegen das märkische Provinzialrecht in Preußen. Endlich das lübische Recht in Pommern, soweit nicht bereits Gütergemeinschaft eingetreten war; in Lübeck selbst, Meckl.-Schwerin und dem Fürstentum Lübeck ohne diese Einschränkung. 171 So in Preußen, Baiern, Hessen (hier auch vertragsmäßiges), beide Meckl., Schaumburg-Lippe, Waldeck. Dagegen in Braunschweig durch Gütertrennung. 172 So in Preußen (althess. R. und Mainzer und Solmser R. in Kurhessen), Bayern (Bayr. LR, Mainzer LR, Solmser LR, Ansbacher, Nürnb. u. Augsb. R.), Meiningen und Koburg.
2. Titel: Verwaltungsgemeinschaft
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Gemeinschaftszweckes. Die eigentümlichen sachenrechtlichen und schuldrechtlichen Verhältnisse, die der gesetzliche Güterstand begründet, haben daher kein vollkommen selbständiges Dasein, sondern sind Ausflüsse des Personenrechts und hierdurch bedingt und bestimmt. Dies gilt vor Allem von dem für den ganzen Güterstand grundlegenden Rechte des Mannes am Frauenvermögen. Es ist Ausfluß der Stellung des Mannes als Gemeinschaftshaupt. Dies wurde verdunkelt durch die vom Entwurf des BGB übernommene Konstruktion des ehemännlichen Nutzungsrechtes als eines Nießbrauches, der als ein selbständiges dingliches Recht von der Verwaltung, die der Mann im Namen der Frau führen sollte, losgerissen wurde. Das BGB ist zu einer mehr deutschrechtlichen Auffassung zurückgekehrt, indem es dem Manne ein einheitliches Recht der „Verwaltung und Nutznießung“, ein Verwaltungsrecht, das die Nutznießung als untrennbaren Bestandteil einschließt, zuschreibt. Die Regeln des Nießbrauchs sind nur insoweit anwendbar, als auf sie verwiesen wird. Trotz des leider gewählten Doppelnamens ist daher das Recht des Mannes begrifflich streng einheitlicher Natur. Es ist daher mit der alten Gewere zu rechter Vormundschaft nahe verwandt. Gleich ihr ist es eine aus der personenrechtlichen Stellung des Mannes als Haupt der ehelichen Gemeinschaft fließende dingliche Herrschaftsmacht über das Frauengut. Nur ist eben die zu Grunde liegende personenrechtliche Macht nicht mehr Vormundschaft. Darum ist das ehemännliche Recht der Verwaltung und Nutznießung durchweg mit Pflichten durchmischt. Es kann durch Pflichtverletzung oder durch Unfähigkeit zur Pflichterfüllung verwirkt, dagegen nicht durch einseitigen Verzicht abgeschüttelt werden. Darum ist es ein eigenes Recht, das der Mann durchweg kraft seiner gesetzlichen Berufung als Haupt der Ehe, nicht kraft Auftrages und Vollmacht der Frau ausübt. Er kann alle Verwaltungshandlungen, zu denen er befugt ist, in eigenem Namen, nicht blos (wie Entw. I wollte) im Namen der Frau vornehmen. Doch kann er auch im Namen der Frau handeln. Darum ist es ein dingliches Recht, das zwar von seiner personenrechtlichen Wurzel nicht lösbar ist, jedoch unmittelbare Herrschaftsrechte sachenrechtlicher Natur am Frauengut gewährt, und somit als absolutes Recht Wirkungskraft und Klagschutz gegenüber der Frau und gegenüber jedem Dritten genießt173.
173 Vgl. bs. H. Schilling, Der rechtliche Charakter der ehelichen Nutznießung des BGB, Arch. f. b. R. XIX 251 ff. Es ist kein selbständiges Sachenrecht im Sinne des ususfructus maritalis und unterliegt daher grundsätzlich nicht den für die selbständigen Sachenrechte geltenden Vorschriften des dritten Buches des BGB; oben Bd. II 600. Allein es darf ebensowenig als reines Familienrecht, dessen Inhalt sich in einer durch die Herrschaft über die Person vermittelten Macht über das Vermögen erschöpft, aufgefaßt werden; so Heinsheimer, Recht des Mannes am Vermögen der Frau, 1903. Vielmehr gleicht es in seiner Struktur der alten Gewere zur rechten Vormundschaft, deren Begriff ebenfalls das familienrechtliche Gewaltverhältniß als Quelle des Rechts am Frauengut kennzeichnet, zugleich aber dessen sachen-
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Darum besteht es am Frauenvermögen als einem Ganzen. Es schließt alle ihm zugehörigen körperlichen und unkörperlichen Gegenstände zu einem Sondervermögen zusammen, das als solches ein einheitliches Rechtsobjekt bildet. Und es ergreift dieses Sachganze in seinem wechselnden Bestande, so daß es sich von Rechtswegen ohne Weiteres auf hinzuerworbene Gegenstände erstreckt und ohne Weiteres ausscheidende Gegenstände losläßt. Auch an Grundstücken und liegenschaftlichen Rechten der Frau greift es von Rechtswegen Platz. Es ist weder eintragungsfähig noch eintragungsbedürftig und bricht daher den öffentlichen Glauben des Grundbuchs174. Wer sich mit einer im Grundbuch als berechtigt eingetragenen Frau einläßt, wird nicht geschützt, wenn er das Recht des Mannes nicht kennt175. Darum ist es endlich ein höchstpersönliches Recht. Es ist unübertragbar, daher auch unbelastbar und unpfändbar176. An sich müßte es auch Vertretung ausschließen. Allein in dieser Hinsicht durchbricht das BGB seine grundsätzliche Auffassung, indem es, wenn der Mann unter Vormundschaft steht, dem Vormund dessen Vertretung in den sich aus der Verwaltung und Nutznießung ergebenden Rechten und Pflichten zuschreibt177.
§ 260. Die Vermögensmassen bei Verwaltungsgemeinschaften I. Ueberhaupt Das Vermögen der Ehegatten bleibt bei der Verwaltungsgemeinschaft gesondertes Einzelvermögen178. Während aber das Vermögen des Mannes für das eheliche rechtlichen Inhalt zum Ausdruck bringt. Denn wo „gewere“ anerkannt wird, entspricht ihr ein materielles Sachenrecht, als dessen Erscheinungsform sie sich darstellt; oben Bd. III 180. 174 Anders zum Teil nach früherem Recht. Nach sächs. Gb. § 1670 ist der ehemännliche Nießbrauch zwar nicht eintragungsbedürftig, aber eintragungsfähig. 175 Mag er nun die unter ihrem Mädchennamen eingetragene Frau für unverheiratet halten oder nicht wissen, daß die Witwe inzwischen wieder geheiratet hat, oder an Zugehörigkeit zum Vorbehaltsgut glauben. 176 BGB § 1408, ZPO § 861. 177 BGB § 1409. So auch Sächs. Gb. § 1927. Gerechter wurde dem Wesen der Verwaltungsgemeinschaft die gemeinrechtliche Praxis, die mit dem Zeitpunkt des Eintrittes der Unfähigkeit des Mannes sein Verwaltungs- und Nutznießungsrecht enden ließ und die Frau zur selbständigen Verwaltung ihres Gutes berief; vgl. Seuff. XIX Nr. 99, XXIV Nr. 246, XXXVII Nr. 125, XXXVIII Nr. 135. Ebenso Oldenb. G. v. 1873 a. 12. – Die Frau kann jedoch die Abhängigkeit von einem Vormund oder Pfleger des Mannes abwenden, wenn sie entweder die Aufhebung der Verwaltungsgemeinschaft durchsetzt (vgl. unten § 264 II 2) oder selbst zum Vormunde des Mannes bestellt wird. Im letzteren Falle kann sie nicht nur für den Mann handeln, sondern auch zu eigenen Rechtsgeschäften sich selbst die erforderliche Zustimmung (trotz § 181) erteilen. So insbesondere auch die Einwilligung in den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes. 178 Nach dem Schweiz. ZGB a. 194 wird es durch die Güterverbindung zum „ehelichen Vermögen“ vereinigt, von dem jedoch das Sondergut der Frau ausgeschlossen bleibt. Das
2. Titel: Verwaltungsgemeinschaft
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Verhältniß eine in sich nicht weiter gegliederte objektive Einheit bildet, zerfällt das Vermögen der Frau in zwei von einander objektiv geschiedene Vermögensmassen. Das BGB bezeichnet sie als „eingebrachtes Gut“ und „Vorbehaltsgut“179. II. Eingebrachtes Gut der Frau Eingebrachtes Gut ist alles Vermögen der Frau, das nicht kraft einer besonders begründeten Ausnahme zu ihrem Vorbehaltsgut gehört180. Mithin sowohl das Vermögen, das sie in die Ehe eingebracht hat und für das daher der Name des Eingebrachten von Hause aus zutrifft, sondern auch ihr späterer Erwerb181. Das eingebrachte Gut wächst daher durch den von außen hinzutretenden Erwerb der Frau, mag sie ihn selbst (z. B. als Erbin, Vermächtnißnehmerin, Beschenkte) oder mag ihn der Mann in ihrem Namen oder in eigenem Namen für sie machen. Dagegen wächst es nicht von innen heraus durch seinen Ertrag, da die Nutzungen dem Manne zufallen. In gewissem Umfange aber gilt für das Eingebrachte als ein in sich geschlossenes Sondervermögen das Prinzip der Surrogation. Wenn der Mann mit den Mitteln des Eingebrachten bewegliche Sachen, insbesondere auch Inhaberpapiere oder in blanco indossierte Orderpapiere erwirbt, fallen sie ohne Weiteres in das Eigentum der Frau, es sei denn, daß der Mann nicht für Rechnung des Eingebrachten erwerben wollte; in entsprechender Weise tritt, wenn der Mann mit den Mitteln des Eingebrachten ein Recht an derartigen Sachen (z. B. ein Pfandrecht) oder eine Forderung oder ein anderes durch einfachen Abtretungsvertrag übertragbares Recht (z. B. ein Urheberrecht) erwirbt, das erworbene Recht ohne Weiteres in das Frauengut ein182. Der Eigentumserwerb oder sonstige Rechtserwerb der Frau vollzieht sich also unmittelbar kraft Gesetzes auf Grund des Tatbestandes, daß es Mittel des „eheliche Vermögen“ erscheint hier, obschon nach a. 195 alle seine Bestandteile im gesonderten „Eigentum“ des Mannes oder der Frau stehen, als eine hinsichtlich Verwaltung, Nutzung und Verfügung vereinigte Masse und insoweit als ein rechtlich ausgeprägtes Gemeinschaftsvermögen. 179 In den Entw. I-III hießen sie „Ehegut“ und „Vorbehaltsgut“. Das Schweiz. ZGB a. 195 unterscheidet „eingebrachtes Gut“ und „Sondergut“ der Frau. Doch faßt es den Begriff des „eingebrachten Gutes“ enger, so daß es auch „Frauengut“ kennt, das zwar, weil es nicht Sondergut ist, zum ehelichen Vermögen, nicht aber zum Eingebrachten gehört. Es spricht auch vom „eingebrachten Gut“ des Mannes, neben dem anderes Mannesvermögen im ehelichen Vermögen enthalten sein kann. 180 BGB § 1363 mit § 1365. Auch unübertragbare Vermögensgegenstände (z. B. ein Nießbrauch oder ein Familienfideikommiß), gehören zum eingebrachten Gut. So auch nach früherem R. die Leibzucht am Vermögen des ersten Mannes; Seuff. XXXV Nr. 46. 181 Das Schweiz. ZGB a. 1951 rechnet zum eingebrachten Gut nur, was der Frau zur Zeit der Eheschließung gehört oder ihr während der Ehe in Folge von Erbgang oder sonstigem unentgeltlichen Erwerb zufällt. 182 BGB § 1381. Ueber Anwendbarkeit auf einen Versicherungsanspruch vgl. RGer LXXVI Nr. 35.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Eingebrachten sind, mit denen der Mann erwirbt183. Es ist nicht erforderlich, daß der Mann im Namen der Frau handelt184. Er tritt jedoch nicht ein, wenn der Mann nicht für Rechnung des Eingebrachten erwerben will185. In diesem Falle ist vielmehr der Mann lediglich auf Grund und nach Maßgabe seiner Verwaltungspflicht zur Uebertragung des erworbenen Eigentums oder sonstigen Rechtes an die Frau oder zur Ersatzleistung an ihr Eingebrachtes verpflichtet186. Den Beweis, daß der Erwerb mit Mitteln des Eingebrachten stattgefunden hat, hat die Frau oder wer sich auf ihr Recht beruft zu erbringen187. Steht dies aber fest, so trifft, wenn eine abweichende Absicht des Mannes behauptet wird, die Beweislast den Mann oder den, der den Erwerb der Frau bestreitet188. Ein verschärftes gesetzliches Surrogationsprinzip gilt für Haushaltungsgegenstände, die der Mann an Stelle der von der Frau eingebrachten, nicht mehr vorhandenen oder wertlos gewordenen Stücke anschafft. Sie werden eingebrachtes Gut der Frau, mit welchen Mitteln immer sie angeschafft sein mögen. Erforderlich ist nur, daß sie zum Ersatz eingebrachter Stücke bestimmt sind. Steht dies fest, so kommt nichts darauf an, ob der Mann sie für Rechnung des Eingebrachten oder für eigene Rechnung erwerben will189.
183 Darüber, was unter „Mitteln“ zu verstehen ist und wie es sich bei einem Erwerb mit teilweise zum Eingebrachten gehörigen, teilweise anderen Mitteln verhält, vgl. bes. die Komm. v. Planck zu § 1381 Bem. 2 a, Staudinger Bem. 2 e, Schmidt Bem. 2 a, sowie M. Wolff § 50 I 2. Der Zeitpunkt des Erwerbes bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen über dingliche Rechtsänderung in gleicher Weise, wie wenn der Mann für sich erwürbe. 184 RGer LXXVI Nr. 35. – Handelt er im Namen der Frau, so erwirbt er für sie auch dann, wenn er mit eigenen Mitteln außerhalb des Eingebrachten erwirbt. Dann aber nicht kraft Surrogation auf Grund des § 1381, sondern kraft ehemännlicher Vertretungsmacht. 185 Auf die Willensrichtung des Dritten, von dem er erwirbt, kommt nichts an; vgl. Wolff § 50 I 3. 186 Die Verpflichtung trifft ihn, mag er nun für sich oder für einen Anderen erworben haben, und kann nicht nur von der Frau, sondern auch von einem Dritten, der sich an das Eingebrachte halten will, geltend gemacht werden. 187 Damit ist zugleich die Eigentumsvermutung des § 13621 BGB widerlegt und die Voraussetzung für das Aussonderungsrecht der Frau nach § 45 KO erwiesen. 188 Es spricht also eine gesetzliche Vermutung dafür, daß der Mann für die Frau erwerben wollte. Für den Erwerb von Grundstücken oder Rechten an Grundstücken sowie von Rentenpapieren und nicht in blanco indossierten Orderpapieren gilt § 1381 nicht, weil hier aus dem Grundbucheintrag oder dem Papiervermerk erhellt, für wen der Mann erwerben wollte, somit für eine Vermutung kein Raum ist. Natürlich bleibt auch hier, wenn der Mann zwar mit den Mitteln des Eingebrachten, aber nicht für das Eingebrachte erworben hat, der Frau der Anspruch auf Uebertragung oder Ersatzleistung gewahrt. 189 BGB § 1382. Die Bestimmung erinnert an die Gerade des sächsischen Rechts. – Das Schweiz. ZGB a. 196 stellt eine allgemeine Vermutung dafür auf, daß wenn während der Ehe zum Ersatz für Vermögenswerte der Ehefrau Anschaffungen gemacht werden, sie zum Frauengut gehören.
2. Titel: Verwaltungsgemeinschaft
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III. Vorbehaltsgut der Frau Vorbehaltsgut ist Vermögen der Frau, das aus einem besonderen Grunde der Verwaltung und Nutznießung des Mannes entzogen ist. Die Zugehörigkeit eines Vormögensgegenstandes zum Vorbehaltsgut kann auf Gesetz, Rechtsgeschäft oder Surrogation beruhen. Das BGB zählt die Tatbestände, die die Vorbehaltsguteigenschaft eines Vermögensgegenstandes begründen, erschöpfend auf. 1. Vorbehaltsgut kraft Gesetzes sind die ausschließlich zum persönlichen Gebrauch der Frau bestimmten Sachen, insbesondere Kleider, Schmucksachen und Arbeitsgeräte190. Voraussetzung ist jedoch, daß die Sachen der Frau gehören191. Zur Vorbehaltsgutseigenschaft ist ferner erforderlich, daß die Sache ausschließlich zum Gebrauch der Frau bestimmt ist, nicht etwa nur tatsächlich von ihr allein benutzt wird, während sie ihrer Zweckbestimmung nach dem Haushalt oder dem gemeinsamen Familiengebrauch dient192. 2. Vorbehaltsgut kraft Gesetzes ist der Erwerb der Frau durch Arbeit193. Ihr vorehelicher Arbeitserwerb freilich, ihr erspartes Kapital, wird mit der Eheschließung eingebrachtes Gut194. Was sie aber während der Ehe durch Arbeit erwirbt, mag sie nun als Schriftstellerin, Künstlerin, Lehrerin oder als Richterin, Waschfrau, Fabrikarbeiterin tätig sein, mag sie aus selbständiger Arbeitsverwertung Gewinne ziehen oder als Privatangestellte oder öffentliche Beamtin Lohn oder Gehalt empfangen, das erwirbt sie für ihr Vorbehaltsgut195. Mit dieser vom früheren deutschen Recht 190 BGB § 1366. Außer den hervorgehobenen Beispielen können dazu noch andere Sachen, wie z. B. ein Reitpferd, ein Fahrrad, ein Schreibtisch, ein Musikinstrument, eine Damenuhr gehören. – Uebereinstimmend Preuß. LR II, 1 §§ 206, 213, Oldenb. G. v. 1873 a. 17 § 1; auch Schweiz. Gb. a. 191 Z. 1 (das aber auch Sondergut des Mannes kennt, dem es die ausschließlich seinem persönlichen Gebrauch dienenden Gegenstände zuweist). Dagegen wollten Ent. I-III (vgl. Entw. I § 1285) nach dem Vorbild des Sächs. Gb. § 1671 an solchen Sachen der Frau nur das Nutzungsrecht des Mannes ausschließen, im Uebrigen sie als Ehegut behandeln. 191 Für Eigentum der Frau spricht die gesetzliche Vermutung des § 13622; vgl. oben § 245 Anm. 765 – 768. – Obschon das BGB nur von „Sachen“ spricht, wird man auch ein dingliches Recht (z. B. Nießbrauch) an einer solchen Sache zum Vorbehaltsgut rechnen müssen; wohl auch mit Wolff § 46 I 1 a ein Forderungsrecht auf ihre Lieferung; a. M. Rspr. d. OLG IV 167, Wieruszowski II 234. – Durch Eigentumswechsel kann, ohne daß eine Aenderung der Gebrauchsbestimmung eintritt, die Zugehörigkeit zum Vorbehaltsgut entstehen oder endigen. 192 Vgl. oben § 245 Anm. 765. – Durch Aenderung der Gebrauchsbestimmung kann daher eine Sache aus eingebrachtem Gut zu Vorbehaltsgut werden oder umgekehrt aus dem vorbehaltenen Vermögen in das Eingebrachte übergehen. 193 BGB § 1367. Ebenso nach Schweiz. ZGB a. 191 Z. 3. „der Erwerb der Ehefrau aus selbständiger Arbeit“. Vgl. auch Französ. Ges. v. 13. Juli 1907. – Anders nach früherem Recht. Nach Preuß. LR II, 1 § 211 u. Oldenb. G. v. 1873 Art. 2 erwirbt sie dem Manne; nach Sächs. Gb. § 1668 erlangt sie zwar Eigentum, Nießbrauch und Verwaltung aber der Mann. 194 RGer. in JWSchr LXIV 484. 195 Dahin gehören auch durch geistige Schöpfungstat erworbene Urheber- oder Erfinderrechte und ihre Erträge, Forderungsrechte auf Ruhegehalt oder Altersrente auf Grund ver-
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
abweichenden Bestimmung hat das BGB in die Verwaltungsgemeinschaft ein Stück Gütertrennung eingeführt, das um so wichtiger ist, je stärker die Zahl der Ehen anwächst, bei denen außerhäuslicher Arbeitserwerb der Frau den Arbeitserwerb des Mannes ergänzt oder ersetzt. Doch wird durch die Neuerung die Unbilligkeit des gesetzlichen Güterstandes gegenüber der Frau, die ihre Arbeitskraft ausschließlich ihrem häuslichen Beruf oder einem mit dem Hausstande verflochtenen Geschäft des Mannes widmet, um so greller beleuchtet. Denn soweit sie damit ihre Verpflichtung zu eheweiblicher Dienstleistung erfüllt, hat sie keinen Anspruch auf Entgelt und erwirbt daher, was ihrer Arbeit zu verdanken ist, lediglich dem Manne196. Nur wenn sie kraft besonderer Abmachung die Stellung einer Gewerbegehilfin des Mannes einnimmt und als solche entlohnt wird, erwirbt sie, was sie vom Manne als Arbeitsentgelt empfängt, in gleicher Weise, wie die von Dritten geleistete Vergütung, als Vorbehaltsgut für sich selbst197. 3. Vorbehaltsgut kraft Gesetzes ist endlich, was die Frau während der Ehe durch den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes erwirbt198. Zum selbständigen Betriebe ist erforderlich und ausreichend, daß der Betrieb im Namen der Frau erfolgt199. Die Stellung der Frau als Mitprinzipalin einer Handelsgesellschaft, der sie als persönlich haftende Gesellschafterin angehört, genügt200. Ob sie persönliche Arbeit leistet, ist gleichgültig; läßt sie als Prinzipalin durch einen Prokuristen oder als Mitprinzipalin durch einen Gesellschafter das Geschäft betreiben, so erwirbt sie gleichwohl den Ertrag als Vorbehaltsgut200a. Auch ist es nicht erforderlich, daß tragsmäßiger Zusicherung (vgl. oben Bd. III 634 Anm. 193) oder gesetzlicher Bestimmung, Geschenke, die mit Rücksicht auf geleistete Dienste gemacht sind (z. B. Remunerationen oder Trinkgelder) usw. Nicht dagegen Spielgewinne, Erwerb aus unsittlichem Tun, Zufallserwerb. 196 Vgl. oben § 244 Anm. 647 – 651. Die Unbilligkeit tritt am deutlichsten bei der mitwirtschaftenden Frau eines Landwirtes, des Besitzers eines Gasthofes oder einer Restauration oder eines Ladenbesitzers hervor (oben a. a. O. Anm. 649), besteht aber auch gegenüber der lediglich das Hauswesen verwaltenden Frau, von deren gehöriger Berufserfüllung die Möglichkeit der Ansammlung von Spargut abhängt. 197 Oben § 244 Anm. 650. Vgl. RGer LXIV Nr. 81 S. 324 ff. 198 BGB § 1367. Im Gegensatz zu dem vorher genannten Erwerb durch Arbeit setzt der Erwerb durch den Betrieb eines Erwerbsgeschäftes stets das Zusammenwirken von Kapital und Arbeit voraus. Denn als „Erwerbsgeschäft“ ist nur ein gewinnbringendes Unternehmen anzusehen, das sich auf die gewerbsmäßige Fruchtbarmachung von Vermögenswerten durch planmäßige Arbeit richtet. Im Uebrigen kann es ein kaufmännisches oder irgend ein anderes gewerbliches Unternehmen sein. 199 So die herrschende Lehre. Abweichend nur Cosack II6 § 325 S. 577, Schmidt zu § 1367 Bem. 2 e . 200 Bestritten ist, ob ihre Beteiligung als Kommanditistin ausreicht; man wird es mit Rspr. d. OLG IV 342 und der herrschenden Meinung (vgl. Uhlmann in Leipz. Z. 1907 S. 563 ff., Endemann § 175 Anm. 48, Schmidt a. a. O. Bem. 2 c , Düringer-Hachenburg HGB I2 59) verneinen müssen; a.M. Wieruszowski II 253 Anm. 14, Wolff § 46 Anm. 14. – Ueber den Fall, daß beide Ehegatten das Geschäft gemeinsam in gesellschaftlicher Verbundenheit betreiben, vgl. Düringer-Hachenburg a. a. O. S. 66 ff.
2. Titel: Verwaltungsgemeinschaft
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das Geschäft als Ganzes der Frau zu eigen gehört201. Wird dagegen das Geschäft im Namen des Mannes betrieben, so ist der Erwerb kein Vorbehaltsgut der Frau, mag sie auch die Hauptarbeit oder sogar die alleinige Arbeit leisten oder mag auch das Geschäft als Ganzes zu ihrem Vermögen gehören202. Insoweit der Erwerb aus dem Geschäftsbetriebe kraft Gesetzes Vorbehaltsgut der Frau ist, muß auch das Geschäftsvermögen als Ganzes ihrem Vorbehaltsgut zugerechnet werden. Die Erträge des Geschäftsbetriebes fließen aus der durch Arbeit bewirkten Nutzbarmachung eines aus verschiedenartigen Vermögensgegenständen zusammengesetzten Geschäftsvermögens, das ein in sich geschlossenes Ganzes, eine objektive Einheit und somit ein Sondervermögen bildet. Sind die Früchte der Verwaltung und Nutznießung des Mannes entzogen, so kann sich das ehemännliche Verwaltungs- und Nutznießungsrecht auch nicht auf ihre Quelle, nicht auf die fruchtbringende Substanz erstrecken. Vielmehr gehören auch die Betriebsmittel des Erwerbsgeschäftes, die ihm dienenden Sachen und Rechte, das Betriebskapital usw., soweit sie überhaupt der Frau gehören, zu ihrem Vorbehaltsgut. Das ist namentlich dann von praktischer Bedeutung, wenn ein von der Frau vor Eingehung der Ehe betriebenes Erwerbsgeschäft während der Ehe fortgesetzt wird. Ihr vorehelicher Erwerb ist freilich nach der gesetzlichen Regel eingebrachtes Gut. Auch das Geschäftsvermögen als Ganzes wird eingebrachtes Gut und bleibt es, wenn das Geschäft im Namen des Mannes für Rechnung der Frau weitergeführt wird. Wenn aber die Frau, wie bisher, das Geschäft in eigenem Namen betreibt, so nimmt das Geschäftsvermögen als Ganzes von Rechtswegen die Eigenschaft von Vorbehaltsgut an. Die Annahme, daß die von der Frau vor der Ehe erworbenen Betriebsmittel zu ihrem eingebrachten Gut und nur die während der Ehe hinzuerworbenen Betriebsmittel zu ihrem Vorbehaltsgut gehören, ist nicht nur in ihren wirtschaftlichen Konsequenzen unerträglich, sondern auch rechtlich unhaltbar, weil sie die gegenständliche Einheit des Geschäftsvermögens als eines werbenden Sondervermögens in unzulässiger Weise zerreißt. Gleichwohl glaubt die immer noch überwiegende Lehre durch den Wortlaut des BGB gezwungen zu sein, zwischen eingebrachten und später erworbenen Bestandteilen des Geschäftes zu unterscheiden203. Allein die richtige Meinung ist in siegreichem Vordringen begriffen204. Ihre Begründung 200a Das Gleiche gilt, wenn sie die Verwaltung des in ihrem Namen betriebenen Geschäftes dem Mann überträgt; vgl. RGer LXXXVII Nr. 21 S. 106 ff. – A.M. Schmidt Bem. 2 e , f . 201 Auch wenn sie nur als Nießbraucherin oder Pächterin das Geschäft betreibt oder betreiben läßt, fallen die Erträge in ihr Vorbehaltsgut. Dies auch dann, wenn das Geschäft dem Manne gehört. 202 Gehört es zu ihrem eingebrachten Gut, so erwirbt sie die Nutzungen regelmäßig überhaupt nicht für sich, da sie dem Manne zufallen. 203 So Planck zu § 1366 Bem. 1, Staudinger Bem. 3 c, Schmidt Bem. 2 f. ; Wieruszowski II 150 ff.; Ullmann a. a. O. S. 6 ff.; Hörle, Stellung der Ehefrau im Betrieb eines Erwerbsgeschäftes, 1907, S. 45; Staub HGB I9 Allg. Einl. Anm. 46. 204 Ihre Hauptverteidiger sind Dernburg, DJZ VII 465 ff. u. BR IV § 40 I 2, Hachenburg, Vorträge2 S. 120 ff., Düringer-Hachenburg, HGB I2 S. 55 ff., Endemann § 40 Anm. 7 – 9. – Dafür auch OLG Dresden in Rspr. d. OLG IX 148. Das RGer LIX Nr. 10 S. 29 erklärt die
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
erfolgt freilich in ungleicher und nicht durchweg einwandfreier Weise205. Meist wird der entscheidende Gesichtspunkt, daß es sich um ein einheitliches Sondervermögen handelt, nicht genügend betont. Hier rächt sich eben die Befangenheit in der atomistischen Auffassung der Sachgesamtheiten, die man im Geiste des BGB festhalten zu müssen meint, soweit nicht das BGB selbst sie ausdrücklich durchbricht206. Das Schweizerische ZGB schneidet jeden Zweifel ab, indem es allgemein bestimmt, daß kraft Gesetzes Sondergut sind „die Vermögenswerte des Frauenguts, mit denen die Ehefrau einen Beruf oder ein Gewerbe betreibt“207. 4. Vorbehaltsgut kraft Rechtsgeschäftes ist, was durch Ehevertrag dafür erklärt ist208. Der Ehevertrag kann vor wie während der Ehe geschlossen werden209. Er kann einzelne Gegenstände oder ganze Vermögensinbegriffe betreffen, sich auch auf künftigen Erwerb erstrecken210. Auffassung, daß das Geschäft als solches Vorbebaltsgut ist, für allein angemessen, läßt aber dahingestellt, ob sie geltendes Recht und mit § 1366 vereinbar ist; ebenso LXXXIV Nr. 7 S. 47 (jedenfalls hat der Mann, wenn er in den selbständigen Betrieb eingewilligt hat, keinen Anspruch auf Einräumung des Besitzes an den zugehörigen Sachen). Dagegen stimmt es wieder LXXXVII Nr. 21 dem KGer Berlin darin bei, daß im Zweifel nur die Einkünfte Vorbehaltsgut, das Geschäftsvermögen Eingebrachtes sei (S. 102 ff.) und folgert daraus, daß im Falle des Verkaufes des Geschäftes der Kaufpreis Eingebrachtes werde und auch dessen Nutzungen nicht kraft Surrogation zum Vorbehaltsgut gehören (S. 103 ff.); nur über die vor dem Verkauf vom Manne bezogenen Einkünfte könne die Frau (das KGer hatte auch dies verneint) Auskunft fordern (S. 106 ff.; nach § 1430). 205 Man sucht insbesondere durch die Berufung auf § 1366, wonach die „zum persönlichen Gebrauch der Frau bestimmten . . . Arbeitsgeräte“ Vorbehaltsgut seien, zu helfen; Dernburg will darin nur Beispiele erblicken, Hachenburg die Betriebsmittel mittels ausdehnender Auslegung einbeziehen. Beides ist bedenklich. 206 Wolff § 46 S. 174 sucht mit der Unterscheidung des „Unternehmens“ vom „Geschäftsvermögen“ zu helfen. Das Unternehmen sei notwendig Vorbehaltsgut, die ihm dienenden Gegenstände können Eingebrachtes sein, werden aber Vorbehaltsgut, wenn der Mann ausdrücklich oder stillschweigend ihre Verwendung als Betriebsmittel des selbständigen Erwerbsgeschäftes der Frau gestattet. Allein wenn man auch seine Konstruktion des Unternehmens als einer vom Bestande eines Geschäftsvermögens unabhängigen rechtlichen Einheit billigt, so ist doch das Recht an diesem Unternehmen als reines Persönlichkeitsrecht kein selbständiger Vermögensgegenstand, der Vorbehaltsgut sein könnte. Die Einheit des Geschäftsvermögens aber bleibt grundsätzlich wirkungslos und ihre Zerreißung wird nur durch eine ziemlich gewagte Auslegung des § 1370 mittels Annahme einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung zwischen den Ehegatten für die Regelfälle beseitigt. Auch liegt ein Widerspruch darin, wenn die Einwilligung des Mannes für die Vorbehaltsgutseigenschaft der Betriebsmittel erforderlich sein soll, während die Vorbehaltsgutseigenschaft der Nutzungen auch bei einem gegen den Willen des Mannes betriebenen selbständigen Erwerbsgeschäfts eintritt. – Ausschließlich auf die Wirkung einer ehemännlichen Einwilligung gründet sich auch die Mittelmeinung von Crome § 563 Anm. 15 u. § 572 Anm. 18 – 19. 207 Schweiz. ZGB a. 191 Nr. 2. Vgl. Egger Bem. 2, Gmür Bem. III. 208 BGB § 1368. Vgl. Schweiz. ZGB a. 190. 209 Wird er während der Ehe geschlossen, so haben die Gläubiger des Mannes trotz des ihnen möglicher Weise erwachsenden Nachteils (ZPO § 861) kein Anfechtungsrecht; Jäger zu KO § 32 Nr. 2, Anf. G. § 3 Anm. 64.
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5. Vorbehaltsgut kraft Rechtsgeschäftes ist ferner, was ein Dritter der Frau mit der Bestimmung zuwendet, daß es Vorbehaltsgut sein soll. Zu einer solchen Bestimmung ist hinsichtlich alles dessen, was die Frau von Todeswegen, sei es nun durch gesetzliche oder gewillkürte Erbfolge oder sei es durch Vermächtnis oder sei es als Pflichtteil erwirkt, der Erblasser mittels letztwilliger Verfügung befugt. Die gleiche Bestimmung kann hinsichtlich dessen, was der Frau unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, der Dritte bei der Zuwendung treffen211. 6. Vorbehaltsgut kraft Surrogation ist, was die Frau als Bestandteil ihres Vorbehaltsgutes erwirbt, weil dieses ein in sich geschlossenes Sondervermögen bildet, das aus sich heraus sich ergänzt und mehrt212. Der Erwerb kraft Surrogation ist dreifacher Art. a) Erwerb auf Grund eines zum Vorbehaltsgut gehörigen Rechtes. Also z. B. Fruchtertrag, Verkaufserlös,. Kapitalzins, Miets- oder Pachtertrag, Eigentümerhälfte (nicht aber Entdeckerhälfte) eines Schatzes, Lotteriegewinn (auf ein zum Vorbehaltsgut gehöriges Loos), das zur Erfüllung einer Vorbehaltsgutsforderung Geleistete. b) Erwerb als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zu dem Vorbehaltsgute gehörenden Gegenstandes. Also z. B. Schadensersatz aus unerlaubter Handlung, Entschädigung im Falle der Zwangsenteignung, Versicherungsgelder, Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung213. c) Erwerb durch ein Rechtsgeschäft, das sich auf das Vorbehaltsgut bezieht. Also z. B. Eigentums- oder Forderungserwerb durch Kauf, Tausch oder ein anderes Anschaffungsgeschäft, das die Vervollständigung oder Wiedervervollständigung eines 210 Auch auf das gesamte gegenwärtige Vermögen oder allen künftigen Erwerb. Wird aber gleichzeitig Beides vereinbart, so ist Gütertrennung bedungen. 211 BGB § 1369. Als unentgeltliche Zuwendung ist auch die von den Eltern gewährte Ausstattung eingeschlossen. RGer LXXX Nr. 50. – Nach herrschender Lehre ist die Bestimmung nur für Erwerb während der Ehe wirksam; so auch RGer LXV Nr. 86. Dagegen lassen manche Vorbehaltsklauseln auch bei vorehelichen Zuwendungen zu; so ohne jede Einschränkung Manthey b. Gruchot XLIII 833 ff., Wieruszowski II 217 ff., mit Einschränkungen Dernburg § 40 II 2, Staudinger Bem. 2 – 3, Wolff § 46 I, 2 b. – Das Schweiz. ZGB a. 1901 weicht vom BGB darin ab, daß es die Zuwendung des Pflichtteils als Sondergut verbietet. 212 BGB § 1369. Es gilt in vollem Umfange der Satz: res succedit in locum pretii et pretium in locum rei. 213 Der § 1369 spricht nur von „Gegenständen“. Handelt es sich um Verletzung von Persönlichkeitsrechten der Frau, so werden Ersatzleistungen aus Unfallversicherung oder aus deliktischer Haftung insoweit, als sie die Arbeits- oder Erwerbsfähigkeit der Frau in ihrem selbständigen Tätigkeitsbereich schmälern, nach § 1367 Vorbehaltsgut; oben Anm. 195. Man wird aber auch trotz des Wortlautes von § 1370 Surrogate für die Verletzung von Persönlichkeitsrechten, die nichts mit einem selbständigen Tätigkeitsbereich der Frau zu tun haben, aber ihrer von der ehelichen Gemeinschaft nicht ergriffenen Individualsphäre angehören, zu ihrem Vorbehaltsgut rechnen müssen. So z. B. Schmerzensgelder; vgl. Rspr. d. OLG XVIII 75; anders ebd. XXIV 409 und RGer XC Nr. 15 S. 69. Vgl. Wolff a. a. O. S. 177.
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zum Vorbehaltsgut gehörenden Guts- oder Geschäftsinventars bezweckt oder überhaupt in der Absicht vorgenommen wird, einen Gegenstand für das Vorbehaltsgut zu erwerben214.
IV. Verhältniß der Vermögensmassen zueinander Mannesvermögen, Eingebrachtes der Frau und Vorbehaltsgut der Frau sind drei rechtlich geschiedene Vermögensmassen. Die beiden ersten eignen verschiedenen Subjekten, sind aber für den Bereich der ehelichen Verwaltungsgemeinschaft zu einer objektiven Einheit verbunden. Eingebrachtes und Vorbehaltsgut gehören demselben Subjekt, bilden aber innerhalb des Gesamtvermögens der Frau getrennte, als Sondervermögen in sich abgeschlossene objektive Ganze. 1. Verbindung und Trennung werden durch die ungleichen Rechtsverhältnisse bewirkt, die sich aus dem gesetzlichen Güterstande in Ansehung der einzelnen Vermögensmassen ergeben. In Folge der das Frauenvermögen grundsätzlich ergreifenden ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung sind Mannesvermögen und Eingebrachtes in bestimmtem Umfange mit einander objektiv verbunden. Andererseits sind, weil die ehemännliche Verwaltung und Nutznießung sich nicht auf das Vorbehaltsgut der Frau erstreckt (BGB § 1365), eingebrachtes und vorbehaltenes Frauenvermögen von einander objektiv getrennt. Mit dem Vorbehaltsgut hält in den Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft der Güterstand der Gütertrennung seinen Einzug. Gegenüber dem Mannesvermögen finden daher auf das Vorbehaltsgut die Vorschriften, die bei dem System der Gütertrennung für alles Frauenvermögen gelten, entsprechende Anwendung215. Nur in einem Punkte wirkt die Eingliederung in das System der Verwaltungsgemeinschaft abwandelnd ein: die Frau hat von ihrem Vorbehaltsgut einen Beitrag zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes nur insoweit zu leisten, als der Mann nicht schon durch die Nutzungen des eingebrachten Gutes einen angemessenen Betrag erhält216. 214 Vgl. RGer XCII Nr. 32: Ein Grundstück, das die Ehefrau unter Verwendung von Mitteln des Vorbehaltsgutes in der Absicht erwirbt, es als Vorbehaltsgut zu erwerben, erlangt diese Eigenschaft kraft des Prinzips der dinglichen Surrogation; es ist nicht erforderlich, daß die Frau beim Erwerb diese Absicht erklärt hat. – Gleiches muß gelten, wenn der Mann als Verwalter des Vorbehaltsgutes mit Mitteln des Vorbehaltsgutes in der Absicht, für das Vorbehaltsgut zu erwerben, – und für diese Absicht wird zu vermuten sein, – erwirbt. 215 BGB § 1371. Die Frau hat also die alleinige Verfügung, Verwaltung und Benutzung. Sie kann dem Mann die Verwaltung überlassen, die gesetzliche Verwaltung und Nutznießung aber nur dadurch verschaffen, daß sie durch formgerechten Ehevertrag das Vorbehaltsgut in eingebrachtes Gut umwandelt. Fehlt es an einem Ehevertrage, so erlangt der Ehemann nur die in § 1430 vorgesehene freie Verwaltung kraft Auftrages der Frau; vgl. RGer LXXXVII Nr. 21 S. 106. 216 Im Uebrigen gelten durchweg, namentlich auch für freiwillige Mehrbeiträge, die Regeln der §§ 1427 – 1429. – Durch Getrenntleben wird die Beitragspflicht nicht aufgehoben; RGer b. Seuff. LXIII Nr. 160.
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2. Die rechtliche Unterscheidung der Vermögensmassen erstreckt sich auf ihre Passivbestandteile. Auf jeder der Vermögensmassen ruhen besondere Lasten; die Schuldverbindlichkeiten der Ehegatten bleiben getrennt, werden aber in Gemäßheit ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedenen Vermögensmassen in der einen oder anderen Weise von dem gesetzlichen Güterstande beeinflußt, wobei hinsichtlich der Haftung nach außen und der Tragung nach innen ungleiche Grundsätze gelten. Aus der Bestreitung der Lasten und der Befriedigung von Schulden einer Vermögensmasse entspringen im Verhältniß der Ehegatten zu einander Ausgleichs- und Ersatzansprüche. Sie sind zwar stets Ansprüche des einen Ehegatten gegen den anderen, bringen aber zugleich, da der Ersatzanspruch je nach den Umständen bald zu Gunsten oder zu Lasten des Eingebrachten, bald zu Gunsten oder zu Lasten des Vorbehaltsgutes begründet ist, rein objektive schuldrechtliche Beziehungen zwischen den beiden Vermögensmassen der Frau zur Erscheinung. Hierin offenbart sich besonders deutlich deren Natur als Sondervermögen innerhalb des eheweiblichen Gesamtvermögens217. 3. Die Feststellung des Bestandes der einzelnen Vermögensmassen im Verhältniß zu einander wird zum Teil durch gesetzliche Vermutungen erleichtert und kann im Uebrigen durch besondere Sicherungsmaßregeln erzielt werden. a) Im Verhältniß der Ehegatten zu einander dient diesem Zwecke das jedem der Ehegatten kraft Gesetzes zustehende Recht, zu verlangen, daß der Bestand des eingebrachten Gutes durch Aufnahme eines Verzeichnisses unter Mitwirkung des anderen Ehegatten festgestellt wird218. Auch kann jeder Ehegatte den Zustand der zugehörigen Sachen auf seine Kosten durch Sachverständige feststellen lassen219. Das Verzeichniß hat unter den Ehegatten die Bedeutung eines Anerkenntnisses, so daß die Frau es dem Manne gegenüber zum Beweise ihres Vermögensbestandes benutzen, aber auch der Mann der Frau gegenüber sich auf dasselbe nicht nur zur Ablehnung weitergehender Ansprüche, sondern auch zur Zurückweisung behaupteter Vorbehaltsgutszugehörigkeit aufgenommener Gegenstände berufen kann. Dagegen hat es Dritten gegenüber keine selbständige Bedeutung220. Vgl. oben Bd. II 69, III 62 Anm. 30. Näheres unten § 263 III. BGB § 13721. Das Verlangen kann jederzeit auch während der Ehe gestellt und behufs Feststellung von Bestandsveränderungen wiederholt werden. Die Aufnahme hat nach den in § 1035 für den Nießbrauch an Sachinbegriffen gegebenen Vorschriften zu erfolgen; also mit Hinzufügung des Datums und der beiderseitigen Unterschrift, die auf Verlangen eines Teils öffentlich zu beglaubigen ist, auf Verlangen eines Teils aber durch die zuständige Behörde oder einen zuständigen Beamten oder Notar. 219 BGB § 13722; als Grundlage für die Auseinandersetzung. Dazu FrGG § 164. 220 Insbesondere ist es weder erforderlich noch ausreichend, um die zu Gunsten der Gläubiger des Mannes sprechende Vermutung für das Eigentum des Mannes an den in § 13621 bezeichneten Sachen zu widerlegen. – Dagegen legt das Schweiz. ZGB a. 197, das jedem Ehegatten ein Recht auf Errichtung eines Inventars über das eingebrachte Eigengut mit öffentlicher Urkunde gewährt, einem solchen Inventar, falls es binnen 6 Monaten nach der Einbringung errichtet ist, allgemeine Beweiskraft (Vermutung für die Richtigkeit) bei. Auch 217 218
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
b) Im Verhältniß zu Dritten greifen hinsichtlich der Frage, ob eine Sache zum Mannesvermögen oder zum Frauenvermögen gehört, die oben besprochenen Eigentumsvermutungen des § 1362 BGB Platz221. Steht aber die Zugehörigkeit eines Gegenstandes zum Frauenvermögen fest, so spricht, wie unter den Ehegatten, so im Verhältniß zu Dritten die Vermutung dafür, daß er zum eingebrachten Gut gehört. Denn die Zugehörigkeit zum Vorbehaltsgut ist eine beweisbedürftige Ausnahme von der gesetzlichen Regel. Einem Dritten, der mit einem der Ehegatten ein Rechtsgeschäft geschlossen oder in einem Prozeß mit ihm ein rechtskräftiges Urteil erstritten hat, kann die Zugehörigkeit zum Vorbehaltsgut überhaupt nur entgegengehalten werden, wenn er sie gekannt hat oder sie ins Güterrechtsregister eingetragen war222. In das Grundbuch wird die Vorbehaltsgutseigenschaft eines Grundstücks oder eines Rechtes am Grundstück nicht eingetragen; ihr Nachweis wird dem Grundbuchamt gegenüber durch ein Gerichtszeugniß über die Eintragung im Güterrechtsregister geführt223. § 261. Rechtsstellung des Mannes in der Verwaltungsgemeinschaft I. Ueberhaupt Dem Manne gebührt die „Verwaltung und Nutznießung“ des eingebrachten Gutes der Frau. Sie ist, wie wir gesehen haben, ein aus seiner personenrechtlichen Berufung zum Haupt der ehelichen Gemeinschaft fließendes einheitliches Vermögensrecht, das ihm eine eigene, jedoch höchstpersönliche dingliche Herrschaftsmacht an dem Frauenvermögen als einem objektiven Ganzen gewährt, zugleich aber nicht nur gemäß seiner Zweckbestimmung im Dienst der ehelichen Gemeinschaft begrenzt, sondern durchweg als Pflicht zur Verwendung der anvertrauten Macht für den Gemeinschaftszweck ausgestaltet ist224. In den besonderen Rechten und Pflichten, die das Gesetz dem Manne in Ansehung des eingebrachten Frauenvermögens zuweist, kommt seine eigenartige Rechtsstellung in der Verwaltungsgemeinschaft unmittelbar zur Erscheinung. Nur mittelbar beeinflußt der Eintritt des ordentlichen gesetzlichen Güterstandes auch einerseits das eigene Vermögen des Mannes, andererseits das vorbehaltene Vermögen der Frau. Demgemäß sind die in der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung enthaltenen einzelnen Rechte und Pflichten hier darzustellen. erklärt es in a. 198 eine mit dem Inventar verbundene Schätzung für maßgebend in Ansehung der gegenseitigen Ersatzpflicht der Ehegatten für die fehlenden Vormögenswerte. 221 Vgl. oben § 245 III. 222 Vgl. oben § 256 II, Anm. 81, 89, 90. Doch ist die Eintragung der zum persönlichen Gebrauch der Frau bestimmten Sachen nicht erforderlich, da hier die Eigentumsvermutung aus § 13622 in Verbindung mit § 1366 genügt. 223 GrdbO § 34. 224 Vgl. oben § 259 III u. § 260 III.
2. Titel: Verwaltungsgemeinschaft
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II. Besitz „Der Mann ist berechtigt, die zum eingebrachten Gut gehörenden Sachen in Besitz zu nehmen“225. Der Eintritt der Verwaltungsgemeinschaft verschafft ihm also von Rechtswegen zwar nicht den Besitz, wohl aber ein Recht auf den Besitz, dessen Einräumung er von der Frau und von jedem Dritten verlangen kann226. Sein Besitz ist aber Lehnbesitz; er ist Besitzmittler der Frau, die den mittelbaren Besitz behält oder mit seinem Besitzerwerb erlangt227. III. Verwaltung Der Mann hat das Recht und die Pflicht der Verwaltung des eingebrachten Gutes; er hat die Verwaltung ordnungsmäßig zu führen228. Dazu gehört vor Allem die Sorge für Erhaltung und gehörige Ergänzung des Vermögensstammes229. Innerhalb dieser Schranken gebührt ihm eine freie Verwaltung. Zur Rechenschaftsablegung gegenüber der Frau ist er erst nach der Beendigung der Verwaltung verpflichtet; doch hat er der Frau jederzeit auf ihr Verlangen über den Stand der Verwaltung Auskunft zu erteilen230. Kraft seiner Verwaltungsmacht kann er die durch 225 BGB § 1373. Vgl. bes. Oertmann, Jahrb. f. D. XLIV 207 ff.; Ullmann, Arch. f. b. R. XXII 160 ff.; Dernburg § 42; Endemann § 76 Z. 2 a; Wolff § 47 III 1 (mit Sachenr. § 12 II 2); Komm. v. Planck, Staudinger, Schmidt zu § 1373. 226 Streitig ist, ob der Mann der Frau gegenüber behufs der Besitznahme Eigenmacht anwenden darf. Die herrschende Meinung verneint dies mit Recht. Abweichend z. B. Cosack II § 322 I 1, Crome IV § 574 Anm. 12. – Einer Besitznahme bedarf es nicht, insoweit die Frau selbst Besitzerin ohne tatsächliche Inhabung ist (z. B. als Erbin oder als blos mittelbare Besitzerin). – Ueber das eigne Recht des Mannes gegenüber Dritten vgl. RGer b. Seuff. LXII Nr. 138. 227 Hierüber besteht heute Einigkeit. Regelmäßig hat der Mann unmittelbaren Besitz, die Frau mittelbaren Eigenbesitz. Es ist aber auch möglich, daß beide Ehegatten nur mittelbaren Besitz ungleicher Stufen haben. – Der Doppelbesitz entspricht dem älteren deutschen Recht; auch Sachsensp. I 45 § 2 schreibt beiden Ehegatten gewere zu. Ebenso wie nach preuß. R. der Mann unvollständiger Besitzer, die Frau vollständige Besitzerin; RGer XIII Nr. 70. Anders (mit bedenklichen Konsequenzen) für das gem. Sachsenrecht RGer b. Seuff. XLI Nr. 261. 228 BGB § 1374 S. 1. Doch haftet er der Frau nur für die Sorgfalt, die er in eignen Angelegenheiten anzuwenden pflegt; oben § 244 Anm. 580. 229 Da den Gegenstand der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung das Eingebrachte als Ganzes bildet, liegt dem Mann die unversehrte Erhaltung der Substanz dieses Vermögens als eines Ganzen ob. Die hinsichtlich der einzelnen Vermögensgegenstände sich hieraus ergebenden Erhaltungs-, Besserungs- und Ergänzungspflichten sind im Gesetz nicht speziell geregelt. Die für den Nießbraucher geltenden Vorschriften sind nicht unmittelbar anwendbar; die Verpflichtungen des Mannes sind zum Teil weiter, zum Teil enger zu bemessen. Nur in Ansehung der Pflicht zur gehörigen Ergänzung eines Grundstücksinventars verweist § 1378 auf § 10481 (oben Bd. II 687). Ueber Versicherungspflicht vgl. RGer LXXVI Nr. 35. – Diesen Anspruch kann die Frau trotz § 1374 auch vor Beendigung der ehemännlichen Verwaltung gerichtlich geltend machen; Dernburg § 41 V; a.M. Planck zu § 1374 Bem. 2, a.E. u. zu § 1394 Bem. 2 u. die Meisten, auch Rspr. d. OLG XXVI 219.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
eine ordnungsmäßige Wirtschaft gebotenen tatsächlichen Handlungen vornehmen231. Er kann aber auch die dazu erforderlichen Rechtsgeschäfte abschließen. Dabei kann er entweder in eigenem Namen oder im Namen der Frau handeln232. Doch ist seine Befugniß zum Abschluß von Rechtsgeschäften nur in Ansehung von Erwerbsgeschäften formell unbeschränkt233, dagegen in Ansehung von Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäften an feste Schranken gebunden. IV. Verfügungsgeschäfte Der Mann kann grundsätzlich über Gegenstände, die zum eingebrachten Gut gehören, nicht ohne Zustimmung der Frau verfügen234. Die Zustimmung der Frau kann jedoch, soweit ein Verfügungsgeschäft zur ordnungsmäßigen Verwaltung erforderlich ist, auf Antrag des Mannes durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn die Frau sie entweder ohne ausreichenden Grund verweigert oder durch Krankheit oder Abwesenheit in einer Angelegenheit, mit deren Aufschub Gefahr verbunden ist, zu erklären verhindert ist235. Durch die Zustimmung der Frau, die als solche keiner Form bedürftig ist und daher auch stillschweigend erteilt werden kann, oder den gehörigen vormundschaftsgerichtlichen Zustimmungsersatz erlangt der Mann die ihm fehlende Verfügungsmacht. Er erlangt sie als einen Bestandteil seines ehemännlichen Verwaltungsrechtes und kann daher nach seiner Wahl das Rechtsgeschäft im eigenen Namen oder im Namen der Frau abschließen236. Die Verfügung ist in beiden Fällen sowohl zu Lasten der Frau wie zu Gunsten Dritter voll wirksam. BGB § 1374 S. 2. Nicht aber über die Nutzungen; RGer LXXXVII Nr. 21 S. 106. Dabei ist er an die dem Nießbraucher durch BGB §§ 10362, 1037 u. 1038 auferlegten Beschränkungen nicht gebunden. Er darf also auch die wirtschaftlichen Bestimmungen einer Sache ändern und Sachen umgestalten oder wesentlich verändern. Jedoch immer nur, soweit dies mit ordnungsmäßiger Verwaltung für den ehelichen Gemeinschaftszweck vereinbar ist. 232 Im letzteren Falle vertritt er die Frau kraft gesetzlicher Vertretungsmacht. Einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht bedarf er nicht. Handelt er auf Grund einer solchen, so bestimmen sich die Wirkungen nicht nach dem Güterstandsrecht, sondern nach allgemeinen Grundsätzen. 233 Sachliche Schranken zieht ihm auch hier das Erforderniß ordnungsmäßiger Verwaltung. Ueber Erwerb mit den Mitteln des Eingebrachten (§ 1380) und über Ersatzerwerb von Haushaltsgegenständen (§ 1383) vgl. oben § 260 II; über Ersatzerwerb von Inventarstücken § 1378 mit § 10481. 234 BGB § 1375. Der Grundsatz gilt hinsichtlich der als Substanzverfügungen gewerteten Rechtsgeschäfte bei allen Formen der Verwaltungsgemeinschaft; vgl. Preuß. ALR II 1 § 232 ff., Schweiz. ZGB a. 202. – Die Verfügung des Mannes über eigenes Recht wird durch die Verwaltungsgemeinschaft nicht beschränkt. Daher kann der Mann auch die Zwangsversteigerung eines im Miteigentum der Ehegatten stehenden Grundstücks behufs Auseinandersetzung betreiben, weil er damit nur über seinen Anteil verfügt; die Frau aber kann im Zwangsversteigerungsverfahren ihr Recht gem. § 1407 Z. 3 (vgl. unten § 262 Anm. 325) selbständig geltend machen; vgl. RGer LXVII Nr. 100. 235 BGB § 1379. Vorbild im Preuß. LR § 239. Vgl. auch Sächs. Gb. § 1657. 230 231
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Verfügt der Mann ohne die Zustimmung, so überschreitet er seine Verwaltungsmacht. Seine Verfügung ist unwirksam237. Er ist der Frau gegenüber für zugefügten Schaden verantwortlich. Dritten gegenüber kann nicht nur die Frau, sondern auch der Mann selbst die Unwirksamkeit der Verfügung geltend machen238. Allein es giebt Verfügungsgeschäfte, zu deren einseitiger Vornahme der Mann gesetzlich ermächtigt ist. Das BGB hat den Kreis dieser Geschäfte gegenüber dem bisherigen Recht stark verengt239. Das ältere deutsche Recht band den Mann überhaupt nur bei der Verfügung über Liegenschaften an die Mitwirkung der Frau, während es ihm über die Fahrniß freie Verfügungsmacht einräumte240. Hieran hielt das preußische Landrecht fest241. Dagegen stellt das BGB grundsätzlich bewegliche und unbewegliche Sachen gleich242. Es macht jedoch eine Ausnahme für Geld und andere verbrauchbare Sachen, über die der Mann einseitig verfügen kann243. 236 Vgl. Planck, Vorbem. 3 vor § 1373; Staudinger zu § 1374 Bem. 3; Endemann § 176 Z. 4. Dagegen gestehen ihm Hellwig, Anspruch u. Klager. S. 299 Anm. 5, Cosack § 322 Anm. 4, Wolff § 48 Anm. 4 nur das Recht, in eignem Namen zu handeln, zu; um im Namen der Frau zu verfügen, bedürfe es besonderer Vollmacht. Sie hätten Recht, wenn Entw. I § 1319 Gesetz geworden wäre. Aber schon der Wortlaut des § 1375 läßt erkennen, daß die Umgestaltung des ehemännlichen Rechts im BGB auch in diesem Punkte zur Anerkennung einer gesetzlichen Vertretungsmacht des Mannes (oben Anm. 232) geführt hat. Umgekehrt bestreitet v. Tuhr, Allg. T. I 65 Anm. 6, dem Manne das Recht, in eignem Namen zu verfügen; er könne stets nur als Vertreter der Frau handeln. 237 Sie kann jedoch konvaleszieren; wenn er in eignem Namen gehandelt hat, gemäß BGB § 185, wenn im Namen der Frau, gemäß BGB § 177. 238 Hierzu kann er der Frau kraft Schadensersatzpflicht verpflichtet sein. Inwieweit er dem Dritten haftet, bestimmt sich nach allgemeinen Grundsätzen; hat er in eignem Namen gehandelt, so kann er möglicher Weise aus sogenannter culpa in contrahendo oder auch aus § 826 haften; hat er im Namen der Frau verfügt, so haftet er aus § 179 als falsus procurator; vgl. oben Bd. III 913. 239 Auch das Schweiz. ZGB a. 2021 zieht ihn weiter, indem es die Einwilligung der Frau zur Verfügung über Vermögenswerte des Eingebrachten nur fordert, „sobald es sich um mehr als die gewöhnliche Verwaltung handelt“. 240 Vgl. über das sächs. R. Schröder a. a. O. II, 3 S. 14 ff., 230. ff., v. Martitz a. a. O. S. 92, 121, 136 ff., 282 ff., Agricola a. a. O. S. 212 ff., Stobbe-Lehmann IV 95; über west- und süddeutsche Rechte Schröder II, 2 S. 16 ff., 231 ff., Stobbe-Lehmann S. 109, 110; über jüngere Partikularrechte ebd. S. 214. 241 Preuß. ALR II, 1 § 247 (freie Verfügung über die eingebrachten „Mobilien“). Dazu § 232 (Veräußerung, Verpfändung oder dauernde Belastung von Grundstücken und Gerechtigkeiten nur mit Einwilligung der Frau, die aber im Gegensatz zum BGB immer „ausdrücklich“ sein muß). 242 So schon Sächs. Gb §§ 1674 – 1675. 243 BGB § 1376 Z. 1. Also nach § 92 bewegliche Sachen, deren bestimmungsmäßiger Gebrauch im Verbrauch oder in der Veräußerung besteht; insbesondere auch Sachen, die zu einem Warenlager der Frau gehören, falls das Geschäft als Ganzes eingebrachtes Gut der Frau ist. Keineswegs dagegen vertretbare Sachen im Sinne des § 91, wenn sie nicht zugleich verbrauchbar sind. – Das Eigentum verbleibt der Frau. Hierin offenbart sich der Wesensunterschied der Verwaltung und Nutznießung vom Vermögensnießbrauch, für den § 1067 gilt. Nach den Systemen des ehemännlichen Nießbrauchs geht das Eigentum auf den Mann über
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
In erheblichem Umfange gewährt ferner das frühere Recht dem Manne eine Verfügungsmacht über Forderungsrechte, die zum eingebrachten Gut gehören244. Dagegen versagt das BGB grundsätzlich dem Manne die einseitige Verfügungsmacht über Forderungen der Frau; er kann sie ohne deren Zustimmung weder abtreten oder verpfänden, noch kündigen oder einziehen, noch erlassen oder zur Aufrechnung verwenden245. Nur zu ihrer Aufrechnung gegen solche Schulden der Frau, deren Berichtigung aus dem eingebrachten Gut verlangt werden kann, ist er ohne Zustimmung der Frau ermächtigt246. Unbedingt gewährt ferner das BGB dem Manne die Befugniß, eine Verbindlichkeit der Frau, die sich auf Leistung eines zum eingebrachten Gut gehörenden Gegenstandes richtet, durch Leistung des Gegenstandes zu erfüllen247. Hinzu tritt endlich die dem Mann eingeräumte Macht, über die einzelnen Stücke eines Grundstücksinventars innerhalb der Grenzen einer ordnungsmäßigen Wirtschaft zu verfügen248. Zweifellos hat auch bei einer ohne Zustimmung der Frau wirksamen Verfügung der Mann die Wahl, in eignem Namen oder im Namen der Frau zu handeln. Auch soweit hiernach der Mann Verfügungen ohne Zustimmung der Frau treffen kann, soll er sie nur zum Zwecke ordnungsmäßiger Verwaltung vornehmen249. und wird dafür der Werterstattungsanspruch eingebrachtes Gut. Das Schweiz. ZGB a. 2013 bestimmt dies sogar, wie a. 7721 beim Nießbrauch für „verbrauchbare“ Sachen, bei der ehelichen Güterverbindung für bares Geld, andere „vertretbare“ Sachen und Inhaberpapiere, die nur der Gattung nach bestimmt sind. Hier überall folgt die Verfügungsmacht des Mannes aus seinem Eigentum, nicht aus einem Recht an einer fremden Sache. 244 Das Preuß. LR II, 1 § 233 fordert nur bei „Kapitalien“, die auf den Namen der Frau geschrieben sind, die Bewilligung der Frau oder deren obervormundschaftliche Ergänzung (§§ 234 – 237, 239), damit der Mann sie einziehen, verpfänden, veräußern oder sonst abhanden bringen kann; sonstige Forderungen unterliegen als „Mobilien“ der freien Verfügung des Ehemannes. Andere Gesetze gewähren dem Manne wenigstens bei unverzinslichen Forderungen eine einseitige Verfügungsmacht. Zur Einbeziehung unverzinslicher Forderungen wollte auch Entw. III § 1359 Z. 2 den Mann ermächtigen; das ist im BGB gestrichen. 245 Dies gilt auch für Geldforderungen und sonstige Forderungen auf Leistungen verbrauchbarer Sachen. Betreibt der Mann ein zum eingebrachten Gut gehöriges Erwerbsgeschäft im Namen der Frau oder in eignem Namen, so kann er zwar Ware veräußern (oben Anm. 243), aber die Kaufpreisforderung nicht einziehen. Diesem unerträglichen Zustande kann jedoch eine im Voraus erteilte generelle Einwilligung der Frau abhelfen. – Vgl. Dernburg § 43 VI. 246 BGB § 1376 Z. 2. Vgl. bes. Planck Bem. 3, Wolff § 48 II 3. Abweichend Staudinger Bem. 2 b. 247 BGB § 1376 Z. 3. Also z. B. eine verkaufte bewegliche Sache durch Uebergabe oder ein verkauftes Grundstück durch Auflassung zu übereignen, eine Forderung, zu deren Abtretung die Frau verpflichtet ist, abzutreten, ein dingliches Recht, dessen Uebertragung die Frau schuldet, zu übertragen. Handelt es sich jedoch um ein Grundstück oder um ein Recht an einem Grundstück, so ist nach GrdbO § 19 zur Grundbucheintragung die Einwilligung der Frau beizubringen. – Wie es sich verhält, wenn die Verpflichtung der Frau nichtig, anfechtbar, einredebehaftet, noch nicht fällig, klaglos ist, legt zutreffend Wolff 48 II 3 S. 187 dar. 248 BGB § 1378 mit § l0481.
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Andernfalls ist zwar seine Verfügung wirksam, er aber der Frau aus Pflichtverletzung verantwortlich250. Insbesondere ist er verpflichtet, Geld, das nicht zur Bestreitung von Ausgaben bereit zu halten ist, mündelsicher anzulegen. Andere verbrauchbare Sachen darf er auch für sich veräußern oder verbrauchen, hat dann aber ihren Wert nach Beendigung seiner Verwaltung und Nutznießung oder, soweit die ordnungsmäßige Verwaltung des eingebrachten Gutes es erfordert, schon vorher zu ersetzen. In allen Fällen, in denen eine Verfügung des Mannes unwirksam ist, bestehen besondere Schutzvorschriften zu Gunsten eines gutgläubigen Dritten, der auf die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäftes vertraut hat, nach geltendem deutschen Recht nicht251. Dagegen finden die allgemeinen Vorschriften über den Erwerb von Rechten aus Verfügungen des Nichtberechtigten Anwendung252. V. Verpflichtungsgeschäfte „Das Verwaltungsrecht des Mannes umfaßt nicht die Befugnisse, die Frau durch Rechtsgeschäfte zu verpflichten.“253 Ist zur ordnungsmäßigen Verwaltung ein Verpflichtungsgeschäft erforderlich, so kann der Mann ohne Mitwirkung der Frau es nur in eignem Namen vornehmen, wird also allein daraus verpflichtet254. Um im Namen der Frau eine Verbindlichkeit einzugehen, bedarf er einer Ermächtigung seitens der Frau255. Man streitet darüber, ob die Zustimmung der Frau genügt oder eine besondere Vollmacht erforderlich ist256. Das BGB legt der Zustimmung der 249 BGB § 1377. Im Falle des § 1378 ist die Einhaltung der Grenzen ordnungsmäßiger Verwaltung Voraussetzung der Wirksamkeit. 250 So z. B. wenn er mit dem Gelde der Frau eigne Schulden bezahlt oder verbrauchbare Sachen vernichtet oder gegen eine verjährte Forderung aufgerechnet oder einen geschuldeten Gegenstand vorzeitig geleistet hat. – Ob der Dritte die Ordnungswidrigkeit kennt, ist gleichgültig; doch kann er aus § 826 BGB schadensersatzpflichtig sein, vgl. RGer JWochenschr. 1905 S. 391. 251 Anders nach Schweiz. ZGB a. 2022. 252 Somit schützt den Erwerb von Grundstücken und Rechten an Grundstücken die unrichtige Eintragung des Mannes als des Eigentümers oder Berechtigten, wenn der Erwerber ihre Unrichtigkeit nicht kennt. Bei Fahrniß ist der Erwerber durch BGB §§ 932 ff. geschützt, wenn er den sich als Eigentümer ausgebenden Mann für den Eigentümer hielt und halten durfte. Nicht aber, wenn er wußte, daß der Mann über Frauengut verfügt, jedoch ohne grobe Fahrlässigkeit an seine Verfügungsmacht (z. B. in Folge vorgespiegelter Einwilligung der Frau) glaubte. Anders nur im Falle des HGB § 366. 253 Wortlaut des § 1375 Halbs. 1 BGB. 254 Ob er Ersatzansprüche gegen die Frau hat, richtet sich nach den Grundsätzen der Lastentragung; vgl. BGB § 1390. 255 So Planck zu § 1375 Bem. 2, Opet Bem. 2 a, Schmidt Bem. 2 c, Staudinger Bem. 2, Dernburg § 43 IV. 256 So Hellwig a. a. O. S. 300; Crome § 575 Anm. 54, Joerges, Eheliche Lebensgemeinschaft S. 200 ff., Wolff § 40 II.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Frau bei Verpflichtungsgeschäften nicht, wie bei Verfügungsgeschäften, ohne Weiteres die Kraft bei, dem Manne eine Vertretungsmacht zu verschaffen257. Somit entscheidet die ausdrückliche oder stillschweigende Willenserklärung der zustimmenden Frau darüber, ob und inwieweit sie dem Manne die Befugniß einräumt, sie als ihr Vertreter zu verpflichten258. Steht aber fest, daß sie dem Manne als Verwalter des eingebrachten Gutes eine derartige Ermächtigung erteilt hat, so ist die Vertretungsmacht des Mannes auch hier als ein im Rahmen des gesetzlichen Güterstandes wirksamer Bestandteil seiner ehemännlichen Verwaltungsmacht, nicht als Ausfluß einer gewöhnlichen rechtsgeschäftlichen Vollmacht zu behandeln259. Darum ist auch die Ersetzung der Zustimmung der Frau durch das Vormundschaftsgericht, falls ein Verpflichtungsgeschäft zur ordnungsmäßigen Verwaltung des eingebrachten Gutes erforderlich ist, unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Verfügungsgeschäft, möglich260. VI. Prozeßführung Der Mann ist kraft seines Verwaltungsrechtes aktiv legitimiert, die zum eingebrachten Gut gehörenden Rechte in eignem Namen gerichtlich geltend zu ma257 Dies ist m. E. aus dem Wortlaut des § 1375 unvermeidlich zu folgern. Keineswegs aber, daß die Zustimmung der Frau bei Verpflichtungsgeschäften bedeutungslos wäre. 258 Auch die rechtsgeschäftliche Vollmachterteilung bedarf ja keiner Form; BGB § 167. Natürlich kann der Mangel vorheriger Ermächtigung auch hier durch Genehmigung geheilt werden; BGB § 177. – Die Frau kann die Ermächtigung unter beliebigen Bedingungen erteilen. Sie kann daher auch insbesondere ausbedingen, daß sie nur beschränkt haftbar gemacht werden kann; daß sie nur mit dem Eingebrachten, nicht mit ihrem Vorbehaltsgut haften will, wird sogar mangels anderer Erklärung im Zweifel anzunehmen sein. Andererseits kann die Ermächtigung generell lauten; betreibt der Mann ein zum eingebrachten Gut der Frau gehöriges Erwerbsgeschäft, so ist ein ordnungsmäßiger Betrieb ohne eine generelle Ermächtigung zu Verpflichtungsgeschäften überhaupt nicht ausführbar. 259 Nur diese Auffassung vermeidet eine dem Grundgedanken der Verwaltungsgemeinschaft widersprechende Zerreißung der dem Mann als Gemeinschaftshaupt gebührenden Rechtsstellung. Der § 1319 des Entw. I, der ihr den Weg verlegt hätte, ist ja glücklicher Weise gestrichen. 260 Dafür spricht bei sinngemäßer Auslegung die Fassung des § 1379. Das Gegenteil behaupten Hellwig a. a. O., Joerges a. a. O. und jetzt auch Wolff a. a. O., der in der früheren Auflage die analoge Anwendung von § 1379 verteidigt hatte. Die herrschende Lehre tritt mit Entschiedenheit für die unmittelbare Anwendbarkeit von § 1379 ein; vgl. Dernburg § 43 Anm. 11, Endemann § 176 Anm. 38, Planck zu § 1375 Bem. 2, Schmidt Bem. II c , Staudinger Bem. 2, Opet zu § 1379 Bem. 1, Fischer-Henle Bem. l. Daß zur ordnungsmäßigen Verwaltung unter Umständen ein Verpflichtungsgeschäft, das den Gläubiger durch die Heranziehung des Frauenguts als Kreditgrundlage sichert, dringend erforderlich sein kann, vermögen auch die Gegner nicht zu bestreiten Die für Hellwig ausschlaggebende Erwägung, daß der Mann dann der Frau auch die Haftung ihres Vorbehaltsguts, das ihr unbedingt gesichert werden müsse, aufzwingen könnte, greift nicht durch. Denn das Vormundschaftsgericht kann und muß, wenn dies als billig erscheint, die Ermächtigung des Mannes auf eine Verpflichtung der Frau mit ihrem eingebrachten Gut beschränken.
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chen261. Macht er von dieser Befugniß Gebrauch, so macht er keineswegs sein eignes Recht am Frauengut, sondern unmittelbar das Recht der Frau geltend262. Trotzdem bedarf er zur Anstellung der Klagen nicht der Zustimmung der Frau: Prozeßführung gilt nicht als Verfügung. Nur solche Prozeßhandlungen, die zugleich Verfügungen sind, wie z. B. Anerkennung, Verzicht oder Vergleich, kann er nicht ohne Zustimmung der Frau vornehmen263. Im Namen der Frau zu klagen ist er nur auf Grund einer von ihr erteilten Prozeßvollmacht legitimiert264. Klagt er kraft seiner Verwaltungsmacht in eignem Namen, so ist er alleinige Prozeßpartei265. Er kann aber das Klagebegehren ohne Zustimmung der Frau nicht auf Leistung an sich selbst richten, sondern nur die Verurteilung zur Leistung an die Frau, an beide Ehegatten (oder Hinterlegung für beide) oder an den Mann mit Zustimmung der Frau verlangen266. Das rechtskräftige Urteil, das auf die Klage ergeht, wirkt weder für 261 BGB § 1380. Vgl. Kohler, ZfZPr XII 102 ff.; Hellwig, Anspr. u. Klager., S. 301 ff., Rechtskraft S. 155 ff., 511 ff., Syst. des Zivilproz. I § 72; Binder in Beitr. v. Bernhöft u. Binder I 103 ff.; Ullmann, Arch. f. Z. Pr. XCI 389 ff.; Herr, Jahrb. f. D. XLVI 229 ff.; Haas b. Gruchot XLV 29 ff.; Maikel, Bl. f. RA LXV 153 ff., LXVII 213 ff.; Dernburg § 45; Endemann § 176, 5; Crome § 575 V; Wolff § 51; Komm. v. Planck, Staudinger, Schmidt zu § 1380. – Die Aktivlegitimation des Mannes erstreckt sich auf alle zum eingebrachten Gut gehörenden Vermögensrechte, Eigentum, dingliche Rechte, Forderungsrechte (auch Ansprüche auf Schmerzensgeld, RGer XC Nr. 15 S. 69), Erbansprüche (JWochenschr. XII 524) usw. Mittel der gerichtlichen Geltendmachung sind nicht nur die Klage (Feststellungs-, wie Leistungsklage), sondern auch Einrede und Replik, Antrag im Mahnverfahren, Arrestantrag, Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung, Maßregeln der Zwangsvollstreckung usw. 262 A.M. Planck Bem. 1, der im Anschluß an die Auffassung von Entw. I die Klage als eine actio confessoria konstruiert, mittels deren der Mann sein eignes Verwaltungsrecht am Eingebrachten geltend macht; ebenso Hachenburg, Vorträge S. 418 ff., Dernburg § 45 III c. Diese Ansicht ist bes. von Hellwig u. Binder a. a. O. schlagend widerlegt; mit ihnen ist die herrschende Lehre einig, daß § 1380 dem Manne die Geltendmachung der Rechte der Frau als fremder Rechte zuweist, Klagegrund also das Eigentum, Gläubigerrecht oder sonstige Recht der Frau ist. – Natürlich kann der Mann auch sein eignes Recht gegen Dritte wie gegen die Frau (z. B. bei Störung oder Entziehung seines Besitzes oder bei Bestreitung seines Verwaltungs- und Nutznießungsrechtes) geltend machen; das fällt aber nicht unter § 1380. 263 Vgl. RGer LXXVII Nr. 11. Er kann daher auch, wie das RGer ausführt, eine Forderung der Frau nicht im Wege der Zwangsvollstreckung einziehen; der Schuldner wäre durch Leistung an ihn nicht befreit. Anders im Falle der Zustimmung der Frau; vgl. auch RGer XC Nr. 15 S. 69. Die Zustimmung der Frau kann schon in der vorbehaltlosen Zustimmung zur Prozeßführung liegen. 264 Die bloße Zustimmung der Frau kann hier nicht, wie Planck Bem. 3, Opet Bem. 3, Schmidt Bem. 5, Dernburg § 45 III a, Endemann § 176 Anm. 47 annehmen, die gehörige Vollmacht ersetzen; vgl. Staudinger Bem. 3, Ullmann a. a. O. S. 390. Verweigert die Frau die Vollmachterteilung, so ist ein Ersatz durch das Vormundschaftsgericht gemäß § 1379 hier nicht zugelaßen; Staudinger a. a. O., Cosack § 322 Anm. 10, Wolff § 51 Anm. 2, aber auch Planck Bem. 4, Opet zu § 1379 Bem. 3, Schmidt zu § 1379 Bem. 3. 265 Er trägt die Kosten, gegen ihn können Widerklagen aus seiner Person erhoben werden; die Frau ist Nichtpartei, kann Zeugin sein, u.s.w. 266 Vgl. Rsp. d. OLG XII 305; Seuff. LVIII Nr. 101, LIX Nr. 233; RGer. LXXVII Nr. 11 S. 36. Dauz Staudinger Bem. 5, Planck Bem. 5, Schmidt Bem. 3 c, Hellwig, Anspr. S. 305,
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noch gegen die Frau267. Anders verhält es sich nur, wenn er über das geltend gemachte Recht einseitig verfügen kann268. Außerdem erlangt das Urteil Rechtskraft für und wider die Frau, wenn der Mann den Prozeß mit Zustimmung der Frau geführt hat269. Eine Passivlegitimation in Prozessen über eingebrachtes Gut besitzt der Mann nicht; Dritte müssen ihre Rechte gegen das eingebrachte Gut gegen die Frau selbst geltend machen und, wenn sie eine Leistung aus ihm verlangen, gegen die Frau auf Leistung, gegen den Mann auf Duldung der Zwangsvollstreckung klagen270. VII. Nutznießung Der Mann erwirbt die Nutzungen des eingebrachten Gutes in gleicher Weise und in gleichem Umfange wie ein Nießbraucher. Er wird also Eigentümer der natürlichen Sachfrüchte mit der Trennung, schuldet aber bei übermäßigem Fruchterwerb Wertersatz; er bezieht die bürgerlichen Sachfrüchte (z. B. Miets- und Pachtzinse) und alle Rechtsfrüchte (z. B. Zinsen ausstehender Forderungen, dingliche Renten, Gewinnanteile), soweit sie während der Dauer seines Nutznießungsrechtes fällig werden oder ihm kraft Verteilung nach der Zeitdauer seiner Berechtigung teilweise gebühren271. Kraft seines Rechtes auf den Erwerb aller Nutzungen kann er auch an einzelnen Vermögensgegenständen ein Nutzungsrecht, das die Substanz unberührt läßt, einräumen, also z. B. behufs Erzielung von Erträgen eine Sache oder ein Recht vermieten oder verpachten. Gehört zum eingebrachten Gut ein Erwerbsgeschäft, so gebührt dem Manne nur der sich aus dem Betrieb ergebende jährliche Reingewinn272. Endemann § 176 Anm. 45, Wolff § 51 II. Nur wenn der Mann über den Anspruch allein verfügen kann (z. B. bei der Vindikation verbrauchbarer Sachen), kann er auch begehren, daß die Leistung an ihn allein erfolge. 267 Die Frau kann sich also, wenn sie selbst ihr Recht geltend macht, nicht auf ein ihr günstiges rechtskräftiges Urteil, das der Mann erstritten hat, berufen. Andererseits kann sie, wenn die Klage des Mannes abgewiesen ist, ihrerseits klagen, ohne die exceptio rei judicatae befürchten zu müssen. Dies schützt sie gegen mangelhafte Prozeßführung des Mannes. Es enthält aber eine starke Unbilligkeit gegen den beklagten Dritten, der sich mit dem Mann einlassen muß, seinen Prozeßsieg aber der Frau gegenüber nicht verwerten kann. 268 BGB § 1380 S. 2. Also in den Fällen der §§ 1376 u. 1378. 269 Das Gesetz spricht dies nicht ausdrücklich aus. So behaupten denn auch Planck, Bem. 7, Binder a. a. O. S. 132 ff., Opet Bem. 5 b, Schmidt Bem. 4, Staudinger Bem. 6 u. A. das Gegenteil, wodurch die Härte gegen den siegreichen Dritten unerträglich gesteigert wird. Die richtige Ansicht vertreten Hachenburg a. a. O. S. 416, Hellwig, Anspruch S. 307 ff., Crome § 575 Anm. 76, Wolff § 51 III, sowie das RGer LXXVII Nr. 11 S. 35 u. bes. XCII Nr. 31. 270 Vgl. ZPO § 739. Dazu Endemann § 176 Anm. 43, Crome § 575 V 2, Wolff § 51 IV. Vgl. auch Seuff. LXIII Nr. 214. 271 BGB § 1383 mit §§ 1039, 1073, 1076 ff., sowie §§ 99 – 101. Dazu oben Bd. II 680, 685, 693 ff.
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VIII. Lasten Da die Verwaltung und Nutznießung des Mannes Pflichten einschließt, die in ihrer Zweckbestimmung für die eheliche Gemeinschaft wurzeln, ist sie mit Lasten beschwert, die zum Teil über die mit dem Nießbrauch verbundenen Lasten weit hinausreichen. Der Mann hat den ehelichen „Aufwand“ zu tragen273. Er muß ihn, soweit die Einkünfte des eingebrachten Gutes nicht ausreichen, aus seinem eignen Vermögen bestreiten. Soweit er aber Einkünfte aus dem eingebrachten Vermögen der Frau bezieht, muß er sie zunächst für den ehelichen Gemeinschaftszweck verwenden. Darum kann die Frau verlangen, daß der Mann den Reinertrag ihres eingebrachten Gutes, soweit derselbe zur Bestreitung des eignen und des der Frau und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen zu gewährenden Unterhalts erforderlich ist, ohne Rücksicht auf seine sonstigen Verpflichtungen hierfür verwende274. Der Mann trägt die Kosten der Gewinnung der Nutzungen und der Erhaltung der eingebrachten Gegenstände (insbesondere der gewöhnlichen Ausbesserungen und Erneuerungen) nach Nießbrauchsrecht275. Im Uebrigen sind die mit der Verwaltung und Nutznießung während ihrer Dauer verbundenen Lasten durch besondere Vorschriften geregelt, die sich zwar an das Nießbrauchsrecht anlehnen, jedoch die dem Manne obliegenden Lasten mit Rücksicht auf seine das Frauengut als Ganzes ergreifende Rechtsmacht und auf die Einbeziehung der persönlichen Beziehungen der Frau in die eheliche Gemeinschaft wesentlich erhöhen276. Der Mann trägt alle die Frau treffenden öffentlichen Lasten (also auch die gesamten Personalsteuern und sonstigen persönlichen Abgaben), soweit sie nicht auf dem Vorbehaltsgut ruhen (z. B. Realsteuern von einem Vorbehaltsgrundstück oder Gewerbesteuern von einem zum Vorbehaltsgut gehörenden Erwerbsgeschäft) oder auf den Stammwert des eingebrachten Gutes gelegt sind (z. B. Erbschaftssteuern, Beiträge für Straßenanlagen oder Kanalisationsanschluß, außerordentliche Vermögensabgaben); ferner alle auf Gegenständen des eingebrachten Gutes ruhenden privatrechtlichen Lasten (z. B. Reallasten, Grundschulden, Rentenschulden), mögen sie vor oder nach Eintritt des Güterstandes begründet sein; desgleichen die für die Versicherung solcher Gegenstände, mag auch die Versicherung nicht erst von ihm genommen sein, zu leistenden Zahlungen. Sodann ist er der Frau gegenüber verpflichtet, die Zinsen 272 Das BGB sagt darüber nichts. Man wird aber unbedenklich § 1655 entsprechend anzuwenden haben, da dessen Vorschriften nur eine Folgerung aus dem Wesen des Geschäfts als eines einheitlichen Ganzen ziehen. Vgl. für das frühere Recht RGer XXXVII Nr. 55. 273 BGB § 13801. Auch wenn die Ehegatten getrennt leben. 274 BGB § 13802. Er darf also weder unangemessen sparen, um sein eignes Vermögen zu vermehren, noch auf Kosten des Familienunterhalts seine Schulden bezahlen. 275 BGB § 1384 mit § 1041; oben Bd. II 681. 276 BGB §§ 1385 – 1386. Damit vergleiche man die engere Fassung der entsprechenden Vorschriften beim Nießbrauch, insbesondere §§ 10452, 1047, 1068; oben Bd. II 681 – 682, 698.
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aller das eingebrachte Gut verhaftenden Verbindlichkeiten und sonstige der Frau obliegende wiederkehrende Leistungen, soweit sie bei ordnungsmäßiger Verwaltung aus den Einkünften bezahlt werden, einschließlich ihrer gesetzlichen Unterhaltspflichten zu tragen, sie müßten denn im Verhältniß der Ehegatten zu einander dem Vorbehaltsgut zur Last fallen. Endlich ist der Mann der Frau gegenüber zur Tragung der Kosten eines Rechtsstreits nicht nur, wenn er selbst ein zum eingebrachten Gut gehörendes Recht geltend macht, sondern auch dann verpflichtet, wenn die Frau den Rechtsstreit führt und nicht ausnahmsweise die Kosten dem Vorbehaltsgut zur Last fallen277. Soweit hiernach der Mann der Frau gegenüber verpflichtet ist, ihre Verbindlichkeiten zu tragen, haftet er auch den Gläubigern gegenüber neben der Frau als Gesamtschuldner278. Macht der Mann Aufwendungen, die ihm nicht zur Last fallen, so kann er von der Frau gleich einem Geschäftsführer ohne Auftrag Ersatz verlangen; handelt es sich aber um Aufwendungen zum Zwecke der Verwaltung des eingebrachten Gutes, z. B. um außergewöhnliche Ausbesserungen oder Erneuerungen oder um Ablösung einer Reallast oder Rentenschuld, so ist er gleich einem Beauftragten schon dann ersatzberechtigt, wenn er die Aufwendungen den Umständen nach für erforderlich halten durfte279. IX. Sicherheitsleistung Die der Frau wegen der Verwaltung ihres Eingebrachten gegen den Mann zustehenden Ansprüche waren im früheren Recht bald durch gesetzliche Pfandrechte am Vermögen des Mannes, bald wenigstens durch gesetzliche Pfandtitel besonders gesichert280. Das BGB kennt solche Sicherungsrechte nicht und gewährt auch der 277 BGB § 1387; die Ausnahmen bestimmt § 1416. Auch wenn die Frau in persönlichen Angelegenheiten klagt oder beklagt wird, hat der Mann regelmäßig die Kosten zu tragen. Handelt es sich jedoch um einen Prozeß zwischen den Ehegatten selbst, so hat der Mann die Kosten nur vorzustrecken, während erst das rechtskräftige Urteil endgültig entscheidet, ob die Last ihn oder das Vorbehaltsgut der Frau trifft; RGer XLVII Nr. 17, Seuff. LVI Nr. 29, LXIII Nr. 135. – In einem gegen die Frau gerichteten Strafverfahren trägt der Mann die Kosten ihrer Verteidigung, sofern die Aufwendung den Umständen nach geboten ist oder mit Zustimmung des Mannes erfolgt, jedoch vorbehaltlich der Ersatzpflicht der Frau im Falle ihrer Verurteilung. 278 BGB § 1388 (jedoch nur in den Fällen der §§ 1385 – 1387). Muß er leisten, so hat er keinen Ersatzanspruch gegen die Frau, während die Frau, wenn sie leisten muß, Ersatz verlangen kann. 279 BGB § 1390 in Vergleich mit § 670; anders wie der Nießbraucher nach § 1049. 280 Nach der Rezeption räumte man in Anlehnung an die römischen Dotalprivilegien ziemlich allgemein im Gebiete des sächsischen Rechtes und in sonstigen Partikularrechten der Frau wegen ihres gesamten eingebrachten Guts eine (meist privilegierte) Generalhypothek am Vermögen des Mannes ein; vgl. die Nachweisungen b. Stobbe-Lehmann § 294 Z. 8 Anm. 39 – 40. Seit der Wiederherstellung des Publizitätsprinzips im Pfandrecht wurde der
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Frau regelmäßig nicht die Befugniß, vom Manne Sicherheitsleistung zu verlangen281. Die Frau ist jedoch berechtigt, Sicherheitsleistung zu fordern, wenn durch das Verhalten des Mannes die Besorgniß begründet wird, daß ihre Rechte in einer das eingebrachte Gut erheblich gefährdenden Weise verletzt werden, oder wenn ihre Ansprüche auf Ersatz des Wertes verbrauchbarer Sachen, sei es auch ohne Verschulden des Mannes, erheblich gefährdet sind282. In diesen Fällen kann die Frau auch die Hinterlegung der zum eingebrachten Gut gehörenden Inhaberpapiere und in blanco indossierten Orderpapiere nebst Erneuerungsscheinen bei einer Hinterlegungsstelle oder bei der Reichsbank verlangen283. X. Geltendmachung Die gerichtliche Geltendmachung der der Frau auf Grund der Verwaltung und Nutznießung gegen den Mann zustehenden Ansprüche kann regelmäßig erst nach Beendigung der Verwaltung und Nutznießung erfolgen284. Somit ist die Schuld, die aus der dem Rechte des Mannes am Frauengut immanenten Verpflichtung zur Frau meist ein gesetzlicher Anspruch auf Eintragung einer Hypothek an Grundstücken des Mannes verliehen; vgl. Preuß. LR II, 1 § 254, Sächs. Gb. § 390, Oldenb. G. v. 1873 a. 14, Bayr. Hyp. G. v. 1822 § 12 Z. 6, § 104 Z. 5. Das französ. R. gewährt der Frau eine Legalhypothek an Grundstücken des Mannes; Code civ. a. 2121, 2135 sq. – Die früheren Konkursvorrechte der Frau hatte schon die RKO beseitigt. Dagegen gewährt das Schweiz. ZGB a. 211 der Frau, soweit sie durch Zurücknahme ihres Eigentums und die ihr gegebenen Sicherheiten nicht für die Hälfte ihres Eingebrachten gedeckt ist, wegen ihrer Ersatzforderung für den Rest dieser Hälfte ein Vorrecht auf Schuldenbeitreibungs- und Konkursrecht. 281 Dies stimmt mit dem bisherigen deutschen Recht überein; vgl. Sächs. Gb. § 1669, RGer VII Nr. 35. Auch das Preuß. LR II, 1 § 255 u. das Oldenb. G. a. 11 gewähren der Frau nur im Falle der Gefährdung ihrer Rechte einen Anspruch auf Sicherheitsleistungen. Dagegen kann nach Schweiz. ZGB a. 2052 (wie schon nach Zürch. Gb. § 604) die Frau jederzeit Sicherstellung verlangen. 282 BGB § 1391. Vgl. dazu RGer LXV Nr. 46, RGer b. Seuff. LXXII Nr. 57, Rspr. d. OLG XXVI 219. 283 BGB § 1392. Die Hinterlegung hat mit der Bestimmung zu erfolgen, daß die Herausgabe an den Mann nicht ohne Zustimmung der Frau verlangt werden kann; damit ist dem Manne auch eine nach § 1376 begründete einseitige Verfügungsmacht entzogen. Inhaberpapiere, die zu den verbrauchbaren Sachen gehören, sowie Zins-, Renten- und Gewinnanteilscheine braucht der Mann nicht zu hinterlegen. – Nach § 1393 kann der Mann stets die Hinterlegung von Inhaberpapieren durch Umschreibung auf den Namen der Frau oder durch Umwandlung in Buchforderungen gegen das Reich oder einen deutschen Einzelstaat abwenden. 284 BGB § 1394. Während Entw. I § 1324 der Frau in jedem Augenblick ein Klagerecht gegen den Mann wegen Nichterfüllung seiner Verpflichtungen gab (vgl. über die unerträglichen Folgen meine Schrift über den Entw. S. 414), sucht das BGB Prozesse zwischen den Ehegatten während der Dauer der Gemeinschaft tunlichst abzuschneiden und dem Manne die ungestörte und selbständige Verwaltung zu sichern.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Lastentragung entspringt, eine Schuld mit abgeschwächter Haftung285. Die Zeitschranke fällt aber weg, sobald die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Frau Sicherheitsleistung verlangen kann286. Auch gilt sie überhaupt nicht für den Anspruch der Frau auf Verwendung des Reinertrages ihres eingebrachten Gutes für den Familienunterhalt 287. § 262. Rechtsstellung der Frau in der Verwaltungsgemeinschaft I. Ueberhaupt Der Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft hat keinen Einfluß auf die Geschäftsfähigkeit der Frau. Allein wenn sie von ihrer Geschäftsfähigkeit durch die Vornahme von Rechtsgeschäften oder Prozeßhandlungen in eignem Namen Gebrauch macht, so erzielt sie nur in Ansehung ihres Vorbehaltsgutes den gleichen Erfolg, wie wenn sie in Gütertrennung lebte. Dagegen erreicht sie in Ansehung ihres eingebrachten Gutes, soweit es sich nicht um reine Erwerbsgeschäfte handelt, grundsätzlich nur beschränkte Rechtswirkungen. Zu Verfügungsgeschäften bedarf sie der Einwilligung des Mannes, ihre Verpflichtungsgeschäfte und ihre Prozeßführung können ohne Zustimmung des Mannes dessen Rechte am eingebrachten Gut nicht beeinträchtigen. Rechtsgeschäfte im Namen des Mannes abzuschließen, ist sie nur im Bereiche ihrer Schlüsselgewalt kraft Gesetzes befugt, während sie im Uebrigen einer Vollmacht bedarf. II. Verfügungsgeschäfte Jede Verfügung der Frau über eingebrachtes Gut bedarf der Regel nach der Einwilligung des Mannes288. Der Mangel der Einwilligung hat ähnliche Folgen, wie 285 Keineswegs haftungslose Schuld; vgl. oben Bd. III 45 Anm. 152 u. S. 47. – Die Fälligkeit der Schuld wird davon nicht berührt. Durch Mahnung kann die Frau den Mann in Verzug setzen, auch kann die Frau sich durch Aufrechnung gegen eine Forderung des Mannes befriedigen; a.M. v. Tuhr, Allg. T. I 259 ff.; vgl. aber gegen ihn Wolff § 52 Anm. 18 – 19. Gläubiger der Frau können ihre Ansprüche sofort geltend machen; § 1411 Abs. 1 S. 2 (unten § 263 Anm. 337). 286 Sie kann dann klagen, auch wenn sie Sicherheitsleistung nicht verlangt. 287 Oben Anm. 273 – 274. – Ebensowenig gilt sie für sonstige Ansprüche der Frau, wie z. B. auf Mitwirkung des Mannes bei Aufnahme eines Verzeichnisses (oben § 260 Anm. 218) oder auf Auskunfterteilung (oben Anm. 230) oder auf Ersatzleistung an ihr Vorbehaltsgut. 288 BGB § 1395. Während also der Mann die Verfügungsmacht über die zum Frauengut gehörenden fremden Vermögensgegenstände durch Zustimmung der Frau und daher auch durch ihre nachträgliche Genehmigung erlangt, entbehrt die Frau der Verfügungsmacht über die eignen Sachen und Rechte ohne die vorherige Einwilligung des Mannes. Die Einwilligung kann aber stillschweigend erfolgen; Obst. LG f. Bayern b. Seuff. LIX Nr. 146, RGer in J. Wochenschr. XI 363. – Der Einwilligung bedarf es nur zu dem dinglichen (oder quasidinglichen) Verfügungsgeschäft, nicht zur Eingehung der auf Verfügung gerichteten Verpflich-
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der Mangel der Einwilligung des Muntwalts zu dem Verfügungsgeschäft eines Minderjährigen289. Verfügt die Frau durch einseitiges Rechtsgeschäft, indem sie z. B. eine Forderung kündigt, ein Pfandrecht aufgiebt oder die Löschung einer Hypothek bewilligt, so ist die Verfügung unwirksam und wird auch durch nachträgliche Genehmigung des Mannes oder durch Wegfall seiner Verwaltung und Nutznießung nicht wirksam290. Verfügt sie dagegen durch Vertrag, indem sie z. B. eine Sache übereignet oder belastet, ein Recht veräußert, belastet, aufhebt oder inhaltlich verändert, eine Forderung einzieht oder erläßt291, so ist die Verfügung zwar einstweilen unwirksam, wird aber durch Genehmigung des Vertrages seitens des Mannes oder durch Wegfall der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung vor der Verweigerung der Genehmigung wirksam, während sie durch die Verweigerung der Genehmigung endgültig unwirksam wird292. Die Wirksamkeit der von der Frau ohne Einwilligung des Mannes durch Vertrag getroffenen Verfügung ist also in der Schwebe. Der Vertragsgegner der Frau kann die Beendigung des Schwebezustandes in gleicher Weise wie bei einem Vertragsschluß mit einem Minderjährigen, durch eine an den Mann gerichtete Aufforderung zur Erklärung herbeiführen293. Auch hat er während des Schwebezustandes ein entsprechendes Widerrufsrecht, wie wenn er mit einem Minderjährigen ohne Einwilligung des Muntwalts kontrahiert hätte294.
tung; RGer b. Seuff. LXXI Nr. 18, ZS LXXII Nr. 37 S. 168, LXXX Nr. 58 S. 248. Verfügung aber ist auch die Weggabe des Besitzes; RGer LXXXIII Nr. 52 (behufs Ausübung eines vertragsmäßigen Zurückbehaltungsrechtes). Dagegen ist Vermietung oder Verpachtung als solche keine Verfügung; RGer LVIII Nr. 5 (unten Anm. 295). 289 BGB §§ 1396 – 1398 (verglichen mit §§ 108 – 109, 111). Trotz des Wegfalles der ehemännlichen Munt ist also eine Erinnerung an sie im gesetzlichen Güterstande festgehalten. 290 Vielmehr ist in diesen Fällen eine neue Verfügung erforderlich, die nicht zurückwirkt. – Zur Kündigung einer Schuld bedarf die Frau nicht der Zustimmung des Mannes, da sie hierbei nur ein ihrer Verpflichtung anhängendes Recht ausübt. 291 Dahin gehört auch die Verschlechterung des Ranges eines Rechtes am Grundstück durch Vorrechtseinräumung; vgl. schon für das preuß. R. RGer XIX Nr. 66. Sehr bestritten dagegen ist, ob der Erwerb eines Grundstücks unter gleichzeitiger Belastung desselben mit einer Restkaufgeldhypothek eine einwilligungsbedürftige Verfügung ist; das KGer Berlin hat die Frage mit Recht verneint, Seuff. LX Nr. 58. Vgl. unten § 270 Anm. 28. [fehlt]. 292 Die Unwirksamkeit kann nicht nur der Mann, sondern auch die Frau selbst geltend machen. So lange es an der Genehmigung fehlt, kann auch der dritte Erwerber aus der Uebereignung einer Sache keine Eigentumsansprüche erheben und aus der Einräumung eines Rechts keine entsprechenden Ansprüche herleiten. Vgl. RGer LIV Nr. 13. 293 Damit wird hier, wie nach § 108, durch die Aufforderung des Muntwalts, eine vorher der Frau gegenüber abgegebene Erklärung über Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung unwirksam; die Genehmigung des Mannes muß binnen zwei Wochen nach Empfang der Aufforderung erfolgen, widrigenfalls sie als verweigert gilt. 294 Entsprechend dem § 109 kann er den Widerruf auch der Frau gegenüber erklären, ist aber, falls er die Eigenschaft der Frau als Ehefrau kannte, zum Widerruf nur berechtigt, wenn sie wahrheitswidrig die Einwilligung des Mannes behauptet hat und ihm auch nicht trotzdem beim Vertragsschluß der Mangel bekannt war.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
III. Verpflichtungsgeschäfte Im Gegensatz zum früheren Recht kann die Frau sich ohne die Zustimmung des Mannes zu beliebigen Leistungen rechtsgeschäftlich verpflichten295. Allein es bedarf der Zustimmung des Mannes, damit das Verpflichtungsgeschäft ihm gegenüber in Ansehung des eingebrachten Gutes wirksam sei. Fehlt seine Zustimmung, so können die Gläubiger sich an das eingebrachte Gut nur insoweit, als es bereichert wird, nach den Vorschriften über den Herausgabeanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung halten296. Stimmt er dagegen zu, so ist das Rechtsgeschäft auch in Ansehung des eingebrachten Gutes ihr gegenüber voll wirksam297. Die Verpflichtung der Frau besteht unabhängig von der Zustimmung des Mannes. Sie kann daher jederzeit zur Leistung verurteilt werden298. Und sobald die ehemännliche Verwaltungs- und Nutznießung, sei es durch Auflösung der Ehe oder während der Ehe, wegfällt, können die Gläubiger ohne Weiteres auch auf ihr eingebrachtes Gut greifen299. Dies gilt auch, wenn die Verpflichtung der Frau sich auf Verfügung über einen zum eingebrachten Gut gehörenden Gegenstand richtet. Während ein Verfügungsgeschäft, das die Frau vor Beendigung des ehemännlichen Rechts vollzogen hat, unwirksam bleibt, hat sie das zu Grunde liegende Verpflichtungsgeschäft durch Vornahme der nunmehr in ihrer Macht stehenden Verfügung zu erfüllen300. 295 BGB § 13991. Somit z. B. auch einen Verpachtungsvertrag über ein eingebrachtes Landgut rechtswirksam abschließen; RGer LVIII Nr. 9. – In Betracht kommen hier nur sachliche Leistungen. Für persönliche Leistungen gilt bei jedem Güterstande § 1358; vgl. oben § 244 Anm. 633 – 635. 296 BGB § 13992 S. 2. Der Mann muß „insoweit“ das Geschäft „gegen sich gelten lassen“. Es handelt sich also nicht um einen echten Bereicherungsanspruch, sondern aus einem durch die Haftung mit der Bereicherung begrenzten Anspruch aus dem Verpflichtungsgeschäft der Frau; vgl. oben Bd. III 997 Anm. 16. 297 BGB § 13992 S. 1. Die Zustimmung kann ausdrücklich oder stillschweigend, im Voraus oder nachträglich, unbeschränkt oder beschränkt (z. B. nur für subsidiäre Haftung des Eingebrachten) erklärt werden. Vgl. über Formfreiheit der Zustimmung zu einer Bürgschaftserklärung der Frau RGer LXXXVIII Nr. 105. Vgl. auch Seuff. LIII Nr. 161. – Ein Recht auf Zustimmung oder auf Erklärung des Mannes hat weder die Frau noch ihr Gläubiger. 298 Ihre Verurteilung genügt zwar nicht zur Zwangsvollstreckung in das eingebrachte Gut, ist aber anderweit (z. B. für § 283) bedeutsam. Vgl. RGer LXXX Nr. 58 (Verurteilung der Frau zur Auflassung eines Grundstücks auf Grund einer vor der Ehe erteilten Vollmacht, obschon der Mann die Zustimmung zu dem kraft fortbestehender Vollmacht geschlossenen Kaufvertrage versagt; aber keine Verurteilung des Mannes zur Duldung der Zwangsvollstrekkung, da wegen der Widerruflichkeit der Vollmacht die Verbindlichkeit der Frau eine erst nach Eingehung der Ehe entstandene Schuld ist. 299 Hat also z. B. die Frau, die kein ausreichendes Vorbehaltsgut besitzt, ohne Zustimmung des Mannes einen Wechsel akzeptiert, so kann der Gläubiger, der sonst vielleicht Jahre lang auf seine Befriedigung warten muß, schon am Tage nach der Fälligkeit zu seinem Gelde kommen, wenn der Mann ihm den Gefallen tut, rechtzeitig zu sterben. Anders nach Schweiz ZGB a. 208, nach dem die Frau auch nach der Ehe nur mit ihrem Sondergut verpflichtet wäre; vgl. unten § 263 Anm. 335.
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IV. Prozeßführung Die selbständige Prozeßfähigkeit der Ehefrau wird von dem Güterstande der Verwaltungsgemeinschaft nicht berührt. Allein wenn sie einen Rechtsstreit ohne Zustimmung des Mannes führt, so ist das Urteil dem Manne gegenüber in Ansehung des eingebrachten Gutes unwirksam301. Stimmt der Mann der Prozeßführung der Frau zu, so ist die Rechtskraft des für oder wider sie ergangenen Urteils auch für oder wider ihn wirksam302; doch muß, wenn die Frau zu einer Leistung verurteilt ist, der Gläubiger noch eine besondere Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung gegen den Mann anstellen, um ein ihm zustehendes Zugriffsrecht auf das eingebrachte Gut durchzusetzen303. Zur Geltendmachung eines zum eingebrachten Gut gehörenden Rechtes im Wege der Klage ist die Frau ohne Zustimmung des Mannes überhaupt nicht legitimiert304. Klagt sie mit Zustimmung des Mannes, so bleibt sie die alleinige Prozeßpartei305, das rechtskräftige Urteil wirkt aber auch für oder wider den Mann306. 300 So ist z. B., wenn die Frau auf Grund eines vom Manne abgelehnten Kaufvertrages ein auf ihren Namen eingetragenes Grundstück aufgelassen hat, die Uebereignung unwirksam. Stirbt aber der Mann, so ist die Frau zur erneuten Auflassung verpflichtet. War beim Tode des Mannes die Wirksamkeit der Verfügung noch in der Schwebe, so wird die Auflassung ohne neuen Willensakt der Frau wirksam. Vgl. RGer b. Seuff. LXXI Nr. 18: die ohne Einwilligung des Mannes vollzogene Verpfändung eines Hypothekenbriefes wird durch den Tod des Mannes nicht wirksam; die Frau kann aber nunmehr aus dem schuldrechtlichen Verpfändungsvertrage auf Pfandbestellung verklagt werden und muß sich, wenn sie den vom Manne vor seinem Tode angestellten Prozeß auf Herausgabe fortsetzt, diese Verpflichtung entgegenhalten lassen. 301 BGB § 1400l. Dies gilt gleichmäßig für Aktiv- und Passivprozesse der Frau; vgl. RGer LVI Nr. 18 S. 76 ff. – Die Rechtskraft des Urteils wirkt also zwar zwischen der Frau und ihrem Prozeßgegner. Dagegen kann, wenn die Frau zu einer Leistung verurteilt ist, der Mann, falls der Gläubiger ihn auf Duldung der Zwangsvollstreckung ins Eingebrachte verklagt, das Dasein der Schuld noch bestreiten. Ebenso kann, wenn die Frau mit einem Anspruch rechtskräftig abgewiesen ist, der Mann, insoweit es sich um ein zum eingebrachten Gut gehörendes Recht handelt, das Recht noch gerichtlich geltend machen. 302 Die Zustimmung kann ausdrücklich oder stillschweigend, im Voraus oder nachträglich (auch noch in der Revisionsinstanz) erteilt werden. Ein Recht auf Zustimmung hat weder die Frau noch der Prozeßgegner; vgl. oben Anm. 297, Rspr. d. OLG II 220. 303 RGer in JWschr. 1909 S. 32. Denn über die Frage, ob das eingebrachte Gut für die Schuld haftet, ist in dem bisherigen Prozeß gar nicht entschieden; nur daß die Frau schuldet, kann der Mann nicht mehr (anders als nach Anm. 301) in dem neuen Prozeß bestreiten. 304 BGB § 14002. Natürlich auch nicht im Wege der Widerklage. Die Frau ist also, wenn sie die Zustimmung des Mannes erst behauptet und beweist, von Amtswegen abzuweisen; RGer b. Seuff. LX Nr. 124, Gruchot XLV 358, XLIX 935. Dagegen hat, wenn der Prozeßgegner die behauptete Zustimmung nicht bestreitet, der Richter deren Vorhandensein nicht von Amtswegen zu prüfen. 305 Sie kann also neben dem in eignem Namen nach § 1380 klagenden Manne klagen; der Mann kann in ihrem Prozeß Zeuge sein; auch wenn der Mann in der Klage als „Beistand“ der Frau bezeichnet ist, bedeutet dies regelmäßig nur, daß er zustimmt; vgl. RGer LX Nr. 19, JWschr 1903 Beil. S. 147, Gruchot XLIX 947, L 1092.
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V. Wegfall des Erfordernisses der ehemännlichen Zustimmung Die Zustimmung des Mannes ist zur Wirksamkeit einer Verfügung der Frau über eingebrachtes Gut und zur Vollwirksamkeit eines von ihr eingegangenen Verpflichtungsgeschäftes oder eines von ihr geführten Rechtsstreites in Ansehung des eingebrachten Gutes nicht erforderlich, wenn der Mann krank oder abwesend und Gefahr im Verzuge ist. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so fallen für den Bereich der dadurch gedeckten Rechtshandlungen die der Frau durch die Verwaltungsgemeinschaft auferlegten gesetzlichen Beschränkungen weg. Ihre alleinige Verfügung ist also für sie selbst wie für den Mann wirksam und verschafft dem Dritten, zu dessen Gunsten sie erfolgt ist, das ihm zugedachte Recht. Für die von ihr eingegangene Verpflichtung haftet sofort auch ihr eingebrachtes Gut. Das in dem von ihr geführten Rechtsstreit ergangene Urteil erlangt Rechtskraft auch für und wider den Mann. Eine Ersetzung der Zustimmung des Mannes durch das Vormundschaftsgericht findet nicht statt; sie wäre, da die Zustimmung überhaupt nicht erforderlich ist, rechtlich bedeutunglos307. Ein Recht auf Zustimmung des Mannes hat die Frau, soweit es sich um Vermögensangelegenheiten handelt, niemals. Während der Mann die Zustimmung der Frau zu einem Rechtsgeschäft, das zur ordnungsmäßigen Verwaltung des eingebrachten Gutes erforderlich ist, verlangen und bei grundloser Verweigerung erzwingen kann, muß die Frau sich auch die grundlose Verweigerung der Zustimmung des Mannes gefallen lassen. Anders verhält es sich nur, wenn zur ordnungsmäßigen Verwaltung der persönlichen Angelegenheiten der Frau ein Rechtsgeschäft erforderlich ist, zu dem die Frau der Zustimmung des Mannes bedarf. Dann hat die Frau ein Recht auf die Zustimmung des Mannes und kann, wenn er sie ohne ausreichenden Grund verweigert, die Ersetzung durch das Vormundschaftsgericht beantragen308. 306 Dagegen berechtigt die Zustimmung des Mannes zur Prozeßführung die Frau noch nicht zur Verfügung über das eingeklagte Recht, daher z. B. nicht zur Einziehung der erstrittenen Forderung. 307 BGB § 1401. Anders verhält es sich nach § 13792, wenn der Mann die Zustimmung der Frau zu einem Rechtsgeschäft nicht erlangen kann, weil sie krank oder abwesend ist, und Gefahr im Verzuge besteht; denn die Handlung des Mannes bleibt eben zustimmungsbedürftig. Freilich hätte auch im Falle des § 1401 eine Mitwirkung des Vormundschaftsgerichts vorgesehen werden können, um das Vorhandensein der Voraussetzungen des Wegfalles des Zustimmungserfordernisses, also die Krankheit oder Abwesenheit des Mannes und die Eiligkeit, festzustellen. Allein dies ist nicht geschehen. Die Unterlassung ist kaum zu billigen. Denn nunmehr wird dem Dritten, der sich mit der Frau einläßt, die Prüfung aufgebürdet, ob der Mann wirklich krank oder abwesend und ob wirklich Gefahr im Verzuge ist. 308 BGB § 1402. Dahin gehören z. B. die Anstellung einer Statusklage, die Verfolgung einer Beleidigung, die Verteidigung im Strafverfahren, die Geltendmachung eines Namensrechts oder eines Rechtes am eignen Bilde. Die Besorgung solcher Angelegenheiten fällt nicht in den Bereich der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung. Sie kann aber ein Rechtsgeschäft erforderlich machen, das nicht ohne Heranziehung der Mittel des Eingebrachten zu Stande zu bringen ist. So z. B. Darlehnsaufnahme oder Verpfändung behufs Geldbe-
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VI. Erklärungsempfang Einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen, die sich auf eingebrachtes Gut beziehen, wie z. B. Kündigung einer Hypothek oder eines Pachtvertrages, sind dem Manne gegenüber vorzunehmen. Beziehen sie sich aber auf eine Verbindlichkeit der Frau, kündigt z. B. ihr Darlehngläubiger seine Forderung, so ist das Rechtsgeschäft der Frau gegenüber vorzunehmen, muß jedoch überdies dem Manne gegenüber vorgenommen werden, wenn es in Ansehung des eingebrachten Gutes ihm gegenüber wirksam sein soll309. VII. Wirkungen gegen Dritte Alle Beschränkungen der Frau müssen auch gutgläubige Dritte gegen sich gelten lassen310. Auch wenn der Dritte, der sich mit einer Ehefrau einläßt, weder weiß noch wissen muß, daß sie Ehefrau ist, kommen ihm die Vorschriften über den Rechtserwerb vom Scheinberechtigten nicht zu Gute. Weder den öffentlichen Glauben des Grundbuchs, noch die fahrnißrechtlichen Wirkungen der Besitzübertragung kann er für sich anrufen. Es giebt keinen Rechtsschein des Unverheiratetseins. Wer mit einer weiblichen Person in rechtsgeschäftlichen Verkehr tritt, muß prüfen, ob sie verheiratet ist. Auch wenn sie ihm arglistig vorspiegelt, sie sei Mädchen oder Witwe, verhält es sich nicht anders. Nur hat dann der Geschädigte gegen sie einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung, für den ihr eingebrachtes Gut haftet. VIII. Befreiungen der Frau Eine freiere Stellung räumt das BGB der Frau, abgesehen von der schon erwähnten eignen Verwaltungsmacht an Stelle des kranken oder abwesenden Mannes in eiligen Fällen, auf Grund verschiedener Tatbestände ein. 1. Wenn die Frau selbständig ein Erwerbsgeschäft betreibt, so ersetzt die Einwilligung des Mannes in den Geschäftsbetrieb, – der es gleich steht, wenn er davon weiß und keinen Einspruch erhebt, – seine Zustimmung zu solchen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt311. Sie kann schaffung für Gewinnung eines Rechtsanwalts, kostspielige Ermittelungen, Einholung eines Gutachtens usw. 309 BGB § 1403. Will also z. B. ein Wechselgläubiger aus einem von der Frau mit Zustimmung des Mannes akzeptierten Wechsel den Mann auf Duldung der Zwangsvollstreckung ins Eingebrachte verklagen, so muß er vorher den Wechsel nicht nur der Frau, sondern auch dem Manne zur Zahlung präsentiert haben. 310 BGB § 1404. Die Bestimmung ist natürlich unanwendbar, wenn die Frau über Eigentum des Mannes verfügt. Vgl. Seuff. LXII Nr. 162. 311 BGB § 14051 – 2. Welche Rechtsakte der Geschäftsbetrieb mit sich bringt, bestimmt sich nach objektivem Maßstabe mit Rücksicht auf die konkrete Beschaffenheit des Betriebes und die Verkehrsanschauungen.
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also in dem hierdurch begrenzten Umfang über die eingebrachten Sachen und Rechte, auch insoweit sie zu ihrem eingebrachten Gut gehören, frei verfügen312, Verpflichtungen mit Verhaftungskraft für ihr gesamtes Vermögen eingehen313, Prozesse führen und einseitige Rechtsgeschäfte entgegennehmen314. Der Mann kann jedoch die Befreiung der Frau zwar nicht durch das Verbot einzelner Handlungen einschränken, wohl aber jederzeit generell durch Widerruf der zu dem Geschäftsbetriebe im Ganzen erteilten Einwilligung oder durch Einspruch gegen den Betrieb im Ganzen für die Zukunft beendigen; nur hängt die Wirksamkeit seines Widerrufs oder Einspruchs redlichen Dritten gegenüber von der Eintragung ins Güterregister ab315. 2. Zu Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten mit dem Manne selbst bedarf die Frau keiner Zustimmung des Mannes316. Die Zustimmung des Mannes würde wegen der vorhandenen Interessenkollision nicht ausreichen, um einen ihm vorteilhaften Erfolg zu rechtfertigen; einen Ersatz aber für die beim Rechtsverkehr mit Dritten erforderliche ehemännliche Zustimmung zu beschaffen, um die Frau vor nachteiligen Folgen für ihr eingebrachtes Gut zu bewahren, lehnt das BGB ab, weil es der Frau mit der vollen Geschäfts- und Prozeßfähigkeit zugleich die Selbstverantwortlichkeit für ihre Entschließungen in eignen Vermögensangelegenheiten zuweist317. Die Frau kann also durch einseitiges Rechtsgeschäft wirksam über die 312 Insoweit die ihr Vorbehaltsgut sind, ergiebt sich ihre freie Verfügungsmacht aus § 1365 und besteht daher unabhängig von der ehemännlichen Einwilligung in den Geschäftsbetrieb. Ueber die Frage der Vorbehaltsgutseigenschaft vgl. oben § 260 III 3, wo gezeigt ist, daß für die Entscheidung auf die Stellungnahme des Mannes zu dem selbständigen Betriebe der Frau nichts ankommt. 313 Also z. B. auch, wenn der Geschäftsbetrieb es mit sich bringt, Wechsel auszustellen, indossieren und akzeptieren, Darlehn aufnehmen, sich verbürgen usw. Die Geschäftsgläubiger können sich, auch wenn das Geschäft Vorbehaltsgut ist, nach Belieben an das eingebrachte Gut halten und bedürfen hierzu nach § 741 ZPO nicht einmal einer Verurteilung des Mannes zur Duldung der Zwangsvollstreckung, es müßte denn zur Zeit des Eintrittes der Rechtskraft sein Widerruf oder Einspruch ins Güterrechtsregister eingetragen sein. 314 Also nicht blos für sich allein, wenn nach § 14032 die Erklärung zugleich dem Manne gegenüber abzugeben wäre, sondern auch dann, wenn nach § 14031 das Geschäft dem Manne gegenüber vorzunehmen wäre. 315 BGB § 14053; über den Registereintrag oben § 244 Anm. 639, § 256 Anm. 83. Die Folge ist nicht etwa der Wegfall des Rechtes der Frau zum selbständigen Geschäftsbetriebe, sondern der Wiedereintritt der allgemeinen Regeln über das Erforderniß der ehemännlichen Zustimmung zu den einzelnen Rechtsgeschäften und Prozeßakten. Ob der Mann der Frau den Gewerbebetrieb untersagen kann, ist keine ehegüterrechtliche, sondern eine ehepersonenrechtliche Frage; vgl. oben § 244 Anm. 636 – 639. 316 BGB § 1406 Z. 3, § 1407 Z. 2. 317 Die im älteren deutschen Recht und vielen neueren Gesetzen im Zusammenhang mit der ehemännlichen Munt oder ihren Nachwirkungen getroffenen Schutzbestimmungen, nach denen der Frau bei Rechtsgeschäften oder Prozessen mit dem Mann ein Beistand zu bestellen ist oder eine behördliche Mitwirkung stattfindet, sind weggefallen; vgl. oben § 244 Anm. 640. – Nach Sachsensp. I a. 31 § 2 kann der Mann an dem Gute der Frau, das er in
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ihr dem Manne gegenüber zustehenden Rechte, die zum eingebrachten Gut gehören, verfügen318. Sie kann ebenso durch Vertrag eine zum eingebrachten Gut gehörende Sache an den Mann veräußern oder zu seinen Gunsten belasten, ein dingliches Recht ihm übertragen oder zu seinen Gunsten aufgeben, eine Forderung ihm abtreten oder erlassen usw.319. Sie kann ferner sich dem Manne mit der Wirkung verpflichten, daß für ihre Schuld auch ihr eingebrachtes Gut dem Manne haftet320. Sie kann endlich ein zum eingebrachten Gut gehörendes Recht gegen den Mann gerichtlich geltend machen321. 3. Die Vornahme von Rechtsgeschäften, die zwar wegen ihres vermögensrechtlichen Inhaltes auf den Bestand des eingebrachten Gutes einwirken, jedoch vom BGB als höchstpersönliche Willensakte der Frau erachtet werden, hängt von der alleinigen freien Entscheidung der Frau ab322. Die Frau kann daher ohne Zustimmung und selbst wider Willen des Mannes eine Erbschaft oder ein Vermächtniß annehmen oder ausschlagen, auf den Pflichtteil verzichten, sowie das Inventar über eine angefallene Erbschaft errichten323. Sie kann in gleicher vormundschaftlicher Gewere hat, überhaupt keine andere Gewere gewinnen und somit durch Vergabung der Frau kein Eigentum erwerben. 318 Z. B. eine Forderung durch Mahnung oder Kündigung fällig machen, die Löschung einer Hypothek bewilligen, ein Verkaufsrecht ausüben. Ebenso kann sie eine Kündigung des Mannes entgegennehmen. 319 Auch eine Schenkung an den Mann ist in Schenkungsform zulässig und bedarf nicht etwa der Ehevertragsform; RGer b. Seuff. LXIX Nr. 108. Verfehlt ist m. E. die Entsch. des OLG Hamburg b. Seuff. LXXII Nr. 56, wonach die Uebereignung einer im gemeinschaftlichen Haushalt verbleibenden Sache ohne vorherige ehevertragsmäßige Gütertrennung nicht möglich sein soll, weil ein Ersatz der Uebergabe weder nach § 8542 noch nach § 929 S. 2 Platz greife; es ist nicht einzusehen, warum nicht hier wie sonst die mit der Einigung verbundene Besitzauflassung (vgl. oben Bd. II 548) genügen soll. 320 Z. B. für die Kaufpreisschuld, wenn sie vom Manne eine Sache oder ein Recht erworben hat. Oder für den Pachtzins, wenn der Mann ihr sein Grundstück verpachtet. 321 Soweit es sich um einen Anspruch aus der Verwaltung und Nutznießung des Mannes handelt, wird die in § 1394 verordnete zeitliche Beschränkung des Klagerechts (vgl. oben § 261 X) davon nicht berührt. Die Bestimmung des § 1407 Z. 2 gilt aber auch für einen sofort klagbaren Anspruch anderer Herkunft, z. B. eine vor der Ehe erworbene und somit zum eingebrachten Gut gehörende Forderung auf Rückzahlung eines dem Manne gewährten Darlehns oder auf Uebereignung einer vom Manne gekauften Sache. Natürlich kann die Klage sich nur auf Leistung zum eingebrachten Gut richten; vgl. Seuff. LXIV Nr. 49. 322 Persönlichkeitsrechte ohne vermögensrechtlichen Inhalt fallen überhaupt nicht in den Bereich der Verwaltungsgemeinschaft. So gebührt z. B. der Frau, die ein Geisteswerk geschaffen hat, die alleinige Entschließung, ob sie das Werk veröffentlichen will oder nicht, ob sie es neu herausgeben will, ob und wie sie die urheberrechtlichen Befugnisse in Bezug auf den inneren Bestand des Werkes ausübt. Nur insoweit das Urheberrecht (z. B. durch Verlagsvertrag) zum Vermögensrecht entfaltet ist, kommt es für das eheliche Güterrecht in Betracht. Stellt es sich als vorehelicher Arbeitserwerb dar, so wäre es insoweit nach der gesetzlichen Regel Bestandteil des eingebrachten Gutes, so daß die Nutzungen dem Manne zufallen. Sonst wird es nach § 1367 Vorbehaltsgut der Frau. 323 BGB § 1406 Z. 1. Die Annahme der Erbschaft ist einseitiges Erwerbsgeschäft für das eingebrachte Gut, belastet aber dieses zugleich endgültig mit den Nachlaßverbindlichkeiten;
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Weise einen ihr gemachten Vertragsantrag oder eine ihr angebotene Schenkung ablehnen324. 4. Die Frau kann endlich gewisse Prozeßhandlungen in Bezug auf eingebrachtes Gut ohne Zustimmung des Mannes voll wirksam vornehmen. Sie kann einen zur Zeit der Eheschließung anhängigen Rechtsstreit fortsetzen325, ein zum eingebrachten Gut gehörendes Recht, wenn der Mann ohne ihre Zustimmung unwirksam über dasselbe verfügt hat, gerichtlich gegen Dritte geltend machen326 und ist namentlich auch zur selbständigen gerichtlichen Geltendmachung eines Widerspruchrechtes gegenüber einer Zwangsvollstreckung in ihr eingebrachtes Gut befugt327.
§ 263. Schuldenverhältnisse bei der Verwaltungsgemeinschaft I. Ueberhaupt Die Verwaltungsgemeinschaft des BGB begründet keine Schuldengemeinschaft unter den Ehegatten. Eine Ausnahme gilt nur bezüglich solcher Schulden der Frau, für die der Mann neben der Frau als Gesamtschuldner haftet, weil sie zu den Lasten gehören, die er kraft seiner Verwaltung und Nutznießung zu tragen hat328. Im Uebdie Frau kann also durch sie (entgegen § 1399) ohne Zustimmung des Mannes ihr eingebrachtes Gut verhaften, so daß der Mann zwar nicht neben ihr Schuldner wird, aber den Zugriff der Nachlaßgläubiger dulden muß. Zur Sicherung der beschränkten Erbenhaftung kann sie ein Inventar errichten; hierzu aber ist nach § 2008 auch der Mann befugt. Ebenso kann die Annahme eines Vermächtnisses in Folge der Beschwerung desselben mit einem Untervermächtniß oder einer Schuld das eingebrachte Gut belasten. – Die Ausschlagung ist ein einseitiges Verfügungsgeschäft, das zwar vom RGer, weil es einen nur vorläufig eingetretenen Erwerb rückwärts beseitigt, nicht als Veräußerungsgeschäft betrachtet wird, immerhin aber ein dem eingebrachten Gut angefallenes festes Recht auf Vermögenserwerb aufhebt und nach § 1398 ohne Zustimmung des Mannes unwirksam wäre. (Das Schweiz. ZGB a. 204 fordert denn auch die Einwilligung des Mannes, gegen deren Verweigerung die Frau die Entscheidung der Vormundschaftsbehörde anrufen kann.) – Der Verzicht auf den Pflichtteil ist vertragsmäßige Verfügung über ein Recht, die ohne ihren höchstpersönlichen Charakter unter § 1396 fallen würde. 324 Die Ablehnung ist Verfügung über das durch die Offerte erworbene Recht auf Annahme (vgl. hinsichtlich der Schenkung oben Bd. III 417 ff.). – Für die Annahme eines Vertragsantrages gelten die allgemeinen. Regeln. Die Annahme einer Schenkung bedarf als reines Erwerbsgeschäft keiner Zustimmung des Mannes. Die abweichende Bestimmung des Code civ. a. 934 ist dem deut. R. stets fremd geblieben. 325 BGB § 1407 Z. 1. Im Grunde selbstverständlich. 326 BGB § 1407 Z. 3. Also z. B. die unwirksam veräußerte nicht verbrauchbare Sache vindizieren, die erlassene Forderung einklagen, die Berichtigung des Grundbuches betreiben. Doch kann sie zunächst nur auf Herausgabe oder Leistung an den Mann und nur, wenn dieser die Annahme verweigert, an sich selbst klagen. – Vgl. auch oben § 261 Anm. 234. 327 BGB § 1407 Z. 4. Vor Allem also zur Erhebung der Interventionsklagen aus ZPO § 771. – Vgl. ferner ZPO § 766 u. § 8612 (unten § 263 Anm. 331).
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rigen tritt eine Schuldgemeinschaft der Ehegatten nur unabhängig vom gesetzlichen Güterstande aus gleichen Gründen und mit gleichen Wirkungen, wie unter Nichtehegatten, ein329. Die Sonderung der beiderseitigen Schulden aber wird von dem Bestande der Verwaltungsgemeinschaft dadurch beeinflußt, daß die gesetzlichen Regeln über das den Gläubigern gegenüber bestehende äußere Verhältniß und über das zwischen den Ehegatten waltende innere Verhältniß, also über Schuldenhaftung und Schuldentragung, zum Teil auseinandergehen. II. Schuldenhaftung Den Gläubigern gegenüber bleiben die Schulden des Mannes und der Frau grundsätzlich getrennt. 1. Schulden des Mannes Für die Schulden des Mannes haftet ausschließlich der Mann, nicht die Frau. Die Gläubiger des Mannes können sich daher niemals an das Vermögen der Frau, sei es eingebrachtes Gut oder sei es Vorbehaltsgut, halten330. Alle abweichenden Sätze früherer Güterrechtssysteme sind weggefallen und auch bei übergeleiteten Ehen beseitigt331. Der Mann haftet mit seinem gesamten Vermögen und somit auch mit den von ihm erworbenen Früchten des eingebrachten Guts. Doch sind auch diese der Pfändung insoweit nicht unterworfen, als sie zur Erfüllung der dem Mann als Verwalter und Nutznießer obliegenden Verpflichtungen gegen die Frau, zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gegen die Frau, eine frühere Ehefrau oder Verwandte und zur Bestreitung seines eignen standesgemäßen Unterhalts erforderlich sind332. Dagegen ist das Recht des Mannes auf Verwaltung und Nutznießung über328 BGB § 1388; vgl. oben § 261 Anm. 278. – Das Schweiz. ZGB behandelt die von der Frau in Vertretung der ehelichen Gemeinschaft oder vom Manne für den gemeinsamen Haushalt eingegangenen Schulden als Gemeinschaftsschulden, für die in erster Linie der Mann, subsidiär die Frau haftet; a. 206 Z. 3, a. 207 Abs. 2. 329 So z. B. aus gemeinschaftlichem Vertragsschluß; vgl. über die für jeden Güterstand gleich zu beantwortende Frage nach der Bedeutung der Mitunterzeichnung eines Mietvertrages durch die Ehefrau des Mieters oben Bd. III 554. Oder aus gemeinschaftlicher unerlaubter Handlung. Oder aus einem Gesellschaftsverhältniß, aus Miterbschaft usw. 330 BGB § 1410. 331 Vgl. über die Schuldenhaftung der Frau nach älteren Rechten, von denen namentlich einzelne sächsische und lübische bis zum BGB in Kraft standen, oben § 259 Anm. 155. Nur hinsichtlich älterer Verbindlichkeiten des Mannes ist die Haftung der Frau im ehemaligen Umfang aufrecht erhalten; vgl. Preuß. Abh. z. BGB a. 59 § 3. – Im Gebiete des preuß. Landr. wurde bisweilen aus dem freien Verfügungsrecht des Mannes über eingebrachte Mobilien der Frau gefolgert, daß die Gläubiger des Mannes sich aus ihnen im Wege der Exekution befriedigen könnten; diese Folgerung wurde schon durch V. v. 7. April 1838 verworfen.
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haupt als höchstpersönliches Recht dem Zugriff seiner Gläubiger schlechthin entzogen333. Damit sind die Bestimmungen älterer Gesetze beseitigt, die vom Standpunkte des ehemännlichen Nießbrauches aus das Recht des Mannes auf Nutzungsbezug am Frauengut als pfändbares Vermögensrecht behandelten und namentlich im Konkurse des Mannes die Zwangsverwaltung zu Gunsten der Konkursgläubiger behufs Befriedigung aus den während des Verfahrens aufkommenden Nutzungen nach Vorabzug der dem Gemeinschuldner auf Verlangen zu gewährenden Mittel für seinen angemessenen Unterhalt und den pflichtmäßigen Unterhalt von Frau und Kindern unterworfen334. 2. Schulden der Frau Für die Schulden der Frau haftet die Frau nach der gesetzlichen Regel mit ihrem gesamten Vermögen335. Doch haftet sie während des Bestandes der Verwaltungsgemeinschaft ohne Weiteres nur mit ihrem Vorbehaltsgut. An dieses können ihre Gläubiger sich jederzeit halten, wenn sie einen vollstreckbaren Titel gegen die Frau erlangt haben. Endet die Verwaltungsgemeinschaft, so unterliegt auf Grund des gegen die Frau ergangenen Urteils auch ihr bisheriges eingebrachtes Gut dem Zugriff des Gläubigers. Dagegen ist, solange die Verwaltungsgemeinschaft besteht, die Haftung der Frau mit ihrem eingebrachten Gut dadurch bedingt, daß auch der Mann für die Schuld der Frau mit dem eingebrachten Gut haftet. Haftet er, so haftet die Frau mit ihrem gesamten Vermögen; so daß ihr Gläubiger sich auch aus allen zu ihrem eingebrachten Gut gehörenden Vermögensgegenständen befriedigen kann und auch bei der Heranziehung von Ersatzansprüchen der Frau gegen den Mann an die der Frau 332 ZPO § 861. Den Widerspruch kann sowohl der Mann wie die Frau geltend machen. Die Einschränkung des Gläubigerrechts geht weiter als der durch BGB § 13892 der Frau dem Manne gegenüber gewahrte Anspruch. – Aehnlich schon Sächs. Gb. § 1683. 333 ZPO § 8611 S. 1 spricht die Unpfändbarkeit aus. Daß das Recht nicht der Konkursbeschlagnahme unterliegt, ergiebt sich daraus, daß es nach BGB § 1419 mit der Konkurseröffnung erlischt. 334 So das Preuß. ALR II, 1 § 257 u. KO v. 1855 § 93; vgl. ROHG XVI 359 ff. Ebenso das Sächs. Recht. Reichsrechtlich bestimmte Gleiches für den nach Landesgesetzen begründeten ehemännlichen Nießbrauch allgemein KO v. 10. Febr. 1877 § 12 u. § 51 Z. 3. Das Oldenb. G. v. 1873 a. 10 hatte bereits den ehemännlichen Nießbrauch dem Gläubigerzugriff entzogen; um mit dem Reichsrecht in Einklang zu bleiben, verordnete das Oldenb. G. v. 10. April 1879 a. 52 die Beendigung des Nießbrauchs durch Konkurseröffnung. 335 Anders nach Schweiz. ZGB. Nach ihm haftet die Frau nur für die in a. 207 aufgeführten Schulden mit ihrem ganzen Vermögen. Dagegen haftet sie während und nach der Ehe nur mit dem Werte ihres Sonderguts für Schulden, die sie während der Ehe ohne Einwilligung des Mannes oder in Ueberschreitung ihrer Vertretungsmacht für die eheliche Gemeinschaft oder ausdrücklich als Sondergutsschulden begründet; a. 208. – Möglich ist übrigens auch nach deut. R. für die einzelne Schuld die vertragsmäßige Wegbedingung der Haftung sowohl des eingebrachten Guts, wie umgekehrt des Vorbehaltsgutes.
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auferlegte zeitliche Beschränkung der Geltendmachung nicht gebunden ist und aufgeschobene Wertersatzforderungen der Frau für verbrauchte oder veräußerte verbrauchbare Sachen als sofort fällig behandeln kann336. Haftet der Mann nicht, so ist auch die Frau mit dem eingebrachten Gut nicht verhaftet. Nach der gesetzlichen Regel können die Gläubiger sich wegen der Schulden der Frau auch aus ihrem eingebrachten Gut ohne Rücksicht auf die Verwaltung und Nutznießung des Mannes befriedigen, so daß also die Frau unbeschränkt, der Mann beschränkt haftet337. Dies gilt insbesondere für alle vorehelichen Schulden der Frau338, für ihre Verbindlichkeiten aus unerlaubten Handlungen339, für ihre gesetzlichen Verpflichtungen340 und für Prozeßkosten, zu denen sie verurteilt ist341. Es giebt aber drei Arten von Frauenschulden, für die während des Bestandes der Verwaltungsgemeinschaft dem Gläubiger der Zugriff auf das eingebrachte Gut versagt ist, somit die Frau zur Zeit nur beschränkt und der Mann überhaupt nicht haftet. Dies sind erstens alle Schulden aus einem von der Frau während bestehender Verwaltungsgemeinschaft ohne die erforderliche Zustimmung des Mannes eingegangenen Rechtsgeschäfte342. Zweitens die der Frau in Folge eines Erbschaftsoder Vermächtnißerwerbes obliegenden Schulden, falls sie die Erbschaft oder das Vermächtniß während der Ehe als Vorbehaltsgut erworben hat343. Drittens Schulden, die nach Eingehung der Ehe in Folge eines zum Vorbehaltsgute gehörenden Rechts, insbesondere auch eines Sachbesitzes, entstehen344. Nur wenn das Recht 336 BGB § 1411. Vgl. dazu hinsichtlich des § 1394 oben § 261 Anm. 285, hinsichtlich des § 13773 ebd. Anm. 249 – 250. 337 BGB § 1411. – Nach Schweiz. ZGB a. 207 gilt dies für alle Schulden, für die die Frau mit ihrem ganzen Vermögen und nicht blos mit ihrem Sondergut haftet. 338 Sie werden notwendig Passivbestandteile des Eingebrachten; auch durch Ehevertrag kann das Zugriffsrecht der vorhandenen Gläubiger der Frau auf ihr Vermögen nicht beeinträchtigt werden. Gleiches gilt, wenn die Verwaltungsgemeinschaft erst während der Ehe eingeführt wird, von den vorher entstandenen Schulden. Vgl. auch Schweiz. ZGB a. 1793, 207 Z. 1. 339 Auch in den Fällen der Verantwortlichkeit für schuldlose Schadenszufügung durch nicht rechtsgeschäftliches Handeln. – Vgl. Schweiz. ZGB a. 207. 340 Z. B. Unterhaltspflichten, Steuern und öffentliche Abgaben, soweit sie nicht Vorbehaltsgutsschulden sind, usw. 341 Und zwar auch dann, wenn das Urteil dem Manne gegenüber in Ansehung des eingebrachten Gutes nicht wirksam ist; BGB § 14122, oben § 262 IV. Auch in Prozessen über Vorbehaltsgut oder in persönlichen Angelegenheiten. 342 BGB § 14121. Vgl. oben § 262 III. Soweit die Zustimmung des Mannes nicht erforderlich ist, haftet das eingebrachte Gut; oben § 262 V, VIII 1 Anm. 313, 2 Anm. 320, 3 Anm. 323. – Vgl. dazu Schweiz. ZGB a. 207 Z. 2, 208 Z. 2. 343 BGB § 1413. Auch wenn der Mann zugestimmt hat. Umgekehrt haftet, wenn die Frau zum eingebrachten Gut erworben hat, das eingebrachte Gut auch ohne Zustimmung des Mannes; oben § 262 Anm. 323. – Nach Schweiz. ZGB a. 207 Z. 4 haftet sie für Erbschaftsschulden stets mit ihrem ganzen Vermögen. 344 BGB § 1414 Halbs. 1. Also z. B. Realleistungen, Realsteuern, Herausgabeverpflichtungen aus ungerechtfertigter Bereicherung, Schadensersatzverbindlichkeiten aus Gebäudeein-
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zu einem Erwerbsgeschäft gehört, das die Frau mit Einwilligung des Mannes selbständig betreibt, ist für Schulden der letztgedachten Art auch das eingebrachte Gut verhaftet345. Da hiernach die Haftung des eingebrachten Gutes für die Schulden der Frau von Voraussetzungen abhängig ist, die im einzelnen Falle der Feststellung bedürfen, damit der Gläubiger einen Anspruch auf Gerichtshilfe erlange, bedarf es zur Zwangsvollstreckung in das eingebrachte Gut stets eines doppelten Vollstreckungstitels: die Frau muß zur Leistung, der Mann muß zur Duldung der Zwangsvollstreckung in das eingebrachte Gut verurteilt sein346. Die zu Grunde liegenden Ansprüche des Gläubigers gegen die Frau und gegen den Mann bestehen selbständig neben einander und müssen mit besonderen Klagen geltend gemacht werden347. Die gegen die Frau zu richtende Leistungsklage zielt auf Feststellung des Bestandes ihrer Schuld348, die gegen den Mann zu richtende Duldungsklage auf Feststellung seiner Haftung für die Schuld der Frau mit dem seinem Verwaltungsund Nutzungsrecht unterworfenen Vermögen349. Die Duldungspflicht des Mansturz, Kraftfahrzeughaltung oder Tierhaltung, wenn das Gebäude, das Kraftfahrzeug oder das Tier zum Vorbehaltsgut gehört. 345 BGB § 1414 Halbs. 2. Entsprechend § 1405; vgl. oben § 262 VIII 1. Somit haftet z. B. das Eingebrachte für Schädigung durch ein zum Vorbehaltsgut gehöriges Pferd nicht, wenn es ein Luxuspferd ist, wohl aber, wenn es als Arbeitspferd dem Geschäftsbetriebe dient. Fehlt die Einwilligung des Mannes, so ist, wenn das Geschäftsvermögen, zu dem das Pferd gehört, Vorbehaltsgut ist, das eingebrachte Gut nach § 1414 haftfrei, dagegen, wenn es zum eingebrachten Gut gehört, der Gläubigerzugriff nach § 1411 unbeschränkt. – Vgl. Schweiz. ZGB a. 207 Z. 3. 346 ZPO § 739. Nur im Falle des § 741 genügt das gegen die Frau ergangene Urteil; oben § 262 Anm. 313. Vgl. ferner über die Vollstreckbarkeit des in einem vor Eintritt der Verwaltungsgemeinschaft rechtshängig gewordenen Rechtsstreits ergangenen Urteils gegen die Frau § 7411. – Dem Urteil stehen die in § 7941 aufgeführten vollstreckbaren Titel gleich; die Verurteilung des Mannes zur Duldung der Zwangsvollstreckung wird nach § 7942 stets durch Bewilligung der sofortigen Zwangsvollstreckung in einer formgerechten Urkunde ersetzt. 347 RGer LIX Nr. 66; Seuff. LXXIII Nr. 23. Die Ehegatten bilden keine notwendige Streitgenossenschaft. Beide Klagen können mit einander verbunden, sie können aber auch getrennt angestellt werden. Wird die Klage gegen die Frau zuerst angestellt, so kann in dem zweiten Prozeß der Mann nicht nur stets behaupten, daß es sich um eine das Eingebrachte nicht verhaftende Schuld handelt, sondern auch, falls er nicht etwa der Prozeßführung der Frau zugestimmt hat, den der Frau gegenüber rechtskräftig festgestellten Bestand der Schuld bestreiten (§ 1400l). Ist zuerst gegen den Mann geklagt, so kann die nachträglich verklagte Frau trotz der dem Manne gegenüber erfolgten Feststellung ihrer Schuld immer noch einwenden, daß sie nicht schulde, dagegen für den Fall, daß sie schuldet, die Haftung ihres Eingebrachten, nachdem der Mann zur Duldung der Zwangsvollstreckung verurteilt ist, nicht mehr bestreiten. 348 Die Leistungsklage gegen die Frau ist auch dann, wenn der Mann ohne Zustimmung der Frau freiwillig leisten könnte (z. B. nach § 1376 Z. 1 u. 3), unentbehrlich, um die Erzwingung der Leistung aus dem Eingebrachten zu ermöglichen. 349 Die Duldungsklage gegen den Mann ist auch dann erforderlich, wenn die Frau selbst nach § 1401 freiwillig leisten könnte. Sie wird nicht dadurch ersetzt, daß der Mann zugleich
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nes, die durch Urteil festgestellt wird, ist also Ausfluß einer beschränkten Haftung für fremde Schuld350. Eine eigne Schuld des Mannes dem Gläubiger gegenüber besteht nicht351. Eine solche trifft den Mann nur für solche Frauenschulden, für die er, weil sie zu den Lasten des Eingebrachten gehören, neben der Frau als Gesamtschuldner haftet, verhaftet ihn aber dann eben als eigne Schuld persönlich und unbeschränkt352. Wird über das Vermögen der Frau Konkurs eröffnet, so bleibt davon die Verwaltungsgemeinschaft unberührt. Dem Manne gebührt also auch während des Konkurses die Verwaltung und Nutznießung am eingebrachten Gut der Frau353. Konkurrieren daher Gläubiger, die ihre Befriedigung aus dem gesamten Frauenvermögen suchen, und Gläubiger, die sich nur an das Vorbehaltsgut halten können oder wollen, so bedarf es einer Sonderung der beiden Vermögensmassen innerhalb mit der Frau zur Zahlung derselben Schuld verurteilt ist, weil er als Gesamtschuldner mitschuldet; Seuff. LVI Nr. 21 u. 94. 350 Vgl. oben Bd. III 51 Anm. 175, sowie meine Schrift über Schuldnachf. u. Haft., S. 71 Anm. 2. Daß ein Fall der beschränkten Vermögenshaftung vorliegt, hat besonders Hellwig, Anspruch S. 316 ff., Lehrb. des ZPR I 227, klargestellt. Vgl. ferner v. Tuhr, Allg. T. I 114 ff. 351 Der Mann ist, wie der Vermögensnießbraucher im Bereich des § 1086, im Gegensatz zu dem Vermögensübernehmer nach § 419, nur Hafter, nicht Schuldner; vgl. oben Bd. III 236 ff. u. 237 Anm. 100. Schuldnachf. u. Haft. S. 36, 61 ff., 70 ff. So auch v. Tuhr a. a. O. – Dagegen bürdet ihm Hellwig eine eigne Schuld auf, die er im Syst. d. ZPR I 167 ff. als Verpflichtung gegen den Gläubiger, die Schuld der Frau aus ihrem Vermögen zu zahlen, konstruiert. Gegen diese Konstruktion zutreffend Wolff § 56 Anm. 10, der aber selbst aus der Annahme einer relativen Unwirksamkeit des Verwaltungs- und Nutznießungsrecht des Mannes eine andersgeartete Schuld des Mannes gegen den Frauengläubiger herleitet (S. 212 – 213). Auch sonst suchen die unter einander vielfach abweichenden Meinungen über das Wesen des Duldungs-Anspruchs und der Duldungsklage meist eine Schuld des Mannes zu ermitteln. Auf die mannichfachen Streitfragen kann im Einzelnen hier nicht eingegangen werden. Vgl. bes. Seuff. b. Gruchot XLIII 133 ff. u. Komm. z. ZPO § 739; Gaupp-Stein zu ZPO § 739; Geil, Arch. f. ZP XCIV 317 ff., XCVII 161 ff.; H. Lehmann, Die Unterlassungspflicht S. 40 ff.; Walßmann, Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung in das eingebrachte Gut, 1904. W. Hein, Duldung der Zwangsvollstreckung, 1911, u. dazu R. Schmidt, Krit. VJSchr LIV (1914) S. 440 ff. 352 Oben Anm. 328. – Die notwendige Schuldmitübernahme durch den Mann rechtfertigt sich hier dadurch, daß diese Verbindlichkeiten das Aequivalent des dem Mann zustehenden eignen Rechtes auf Nutzungsbezug bilden. Auf einem ganz anderen Grunde, nämlich der in der ehemännlichen Munt wurzelnden Verantwortlichkeit des Mannes für die Frau, beruht die weitergehende Haftung des Mannes für Frauenschulden in älteren Rechten. So die preußischrechtliche Haftung des Mannes für Schulden der Frau aus Rechtsgeschäften, denen er zugestimmt hat, und aus einem von ihm bewilligten Gewerbebetriebe; ALR § 329 u. § 339 (mit EG z. ADHG a. 14). Derartige Bestimmungen sind daher, von älteren Schulden abgesehen, auch bei übergeleiteten Ehen weggefallen. 353 Doch geht das Verwaltungsrecht des Konkursverwalters vor, so daß der Mann ihm ein Verzeichnis des Eingebrachten vorlegen und über den Stamm und die seit der Konkurseröffnung gezogenen Nutzungen Rechnung legen muß; auch hat eine vorherige Verurteilung des Mannes zur Duldung der Zwangsvollstreckung Rechtskraftwirkung zu Gunsten des Konkursverwalters; RGer LXXIII Nr. 61.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
des dem Konkursverfahren unterworfenen Gesamtvermögens der Gemeinschuldnerin354. III. Schuldentragung Im Verhältniß der Ehegatte zueinander fallen nicht nur solche Schulden der Frau, für die nur ihr Vorbehaltsgut haftet, sondern auch gewisse Schulden für die ihr eingebrachtes Gut haftet, ausschließlich ihrem Vorbehaltsgut zur Last. Diese Schulden gehören also zu den Vorbehaltsgutslasten, die aus dem Vorbehaltsgut zu decken die Frau dem Manne gegenüber verpflichtet ist. Es sind dies einmal die Verbindlichkeiten der Frau aus einer während der Ehe begangenen unerlaubten Handlung oder aus einem wegen einer solchen Handlung gegen sie eingeleiteten Strafverfahren355. Sodann alle Verbindlichkeiten der Frau, die aus einem sich auf Vorbehaltsgut beziehenden Rechtsverhältniß, sei es auch vor der Ehe oder vor Eintritt der Vorbehaltsgutseigenschaft, entstanden sind356. Endlich die Kosten eines von der Frau über eine derartige Verbindlichkeit geführten Rechtsstreits357, sowie bestimmte sonstige Prozeßkosten358. Alle anderen Frauenschulden, für die das eingebrachte Gut den Gläubigern haftet, sind auch im inneren Verhältniß Lasten des eingebrachten Gutes, so daß der Mann sie aus diesem zu berichtigen verpflichtet ist und wegen der dadurch verursachten Schmälerung seines Nutzungsgenusses keinen Ersatz von der Frau verlangen kann.
354 Da es an einer gesetzlichen Regelung fehlt, wird über den Anspruch auf Sonderung und die Art ihrer Durchführung lebhaft gestritten. Vgl. namentlich Planck zu § 1411 Bem. 10, Seuffert, Konkursprozeßrecht S. 87, Jäger zu KO § 2 Anm. 32 – 36. 355 BGB § 1415 Z. 1. – Verbindlichkeiten der Frau aus früheren Delikten belasten auch im inneren Verhältniß das Eingebrachte. 356 BGB § 1415 Z. 2. – Soweit es sich um Vorbehaltsgutsschulden handelt, für die das eingebrachte Gut auch den Gläubigern nicht haftet (oben Anm. 343 – 344), ist die Bestimmung gegenstandslos. 357 BGB § 1415 Z. 3. 358 BGB § 1416. Es sind die Kosten eines Rechtsstreites zwischen den Ehegatten, soweit sie nicht der Mann zu tragen hat (oben § 261 Anm. 277), und die Kosten eines Rechtsstreites zwischen der Frau und einem Dritten, falls nicht das Urteil auch dem Manne gegenüber in Ansehung des eingebrachten Gutes wirksam ist (oben § 262 Anm. 302, 306, 307, 325 – 327) oder es sich um die Aufwendung der den Umständen nach gebotenen Kosten in einem Rechtsstreit über eine persönliche Angelegenheit der Frau (oben § 262 Anm. 308) oder über eine das eingebrachte Gut verhaftende Verbindlichkeit, die nicht unter § 1415 Z. 1 oder 2 fällt, handelt. Unterliegt also z. B. die Frau in einem Prozeß, in dem sie ohne Zustimmung des Mannes eine törichte Klage auf Anerkennung ihrer unbeweisbaren Kindschaft anstellt oder eine voreheliche Schuld als Beklagte aussichtslos bestreitet, so haftet zwar ihr eingebrachtes Gut dem Staat und dem Prozeßgegner für die Prozeßkosten, in die sie verurteilt ist, im inneren Verhältniß aber sind diese Kosten Vorbehaltsgutslasten.
2. Titel: Verwaltungsgemeinschaft
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Aus dieser inneren Schuldenverteilung entspringen Ausgleichsansprüche zwischen den Ehegatten, wenn aus dem einen der beiden Frauenvermögen, sei es durch freiwillige Leistung oder sei es im Wege der Zwangsvollstreckung, eine Frauenschuld berichtigt ist, die aus dem anderen Frauenvermögen hätte berichtigt werden sollen359. Wird eine dem Vorbehaltsgut zur Last fallende Verbindlichkeit aus dem eingebrachten Gut berichtigt, so hat die Frau aus dem Vorbehaltsgut, soweit dieses reicht, zum eingebrachten Gut Ersatz zu leisten. Wird umgekehrt eine dem eingebrachten Gut zur Last fallende Verbindlichkeit aus dem Vorbehaltsgut berichtigt, so hat der Mann aus dem eingebrachten Gut, soweit dieses reicht, Ersatz zu leisten. In beiden Fällen handelt es sich nur um die Bewirkung einer Hinüberschiebung von Vermögensgegenständen aus dem einen Sondervermögen der Frau in ihr anderes Sondervermögen. Die Ersatzleistung erfolgt auf der einen Seite aus dem Vermögen und auf der anderen Seite an das Vermögen desselben Subjektes360. Sie tilgt also nur ein rein objektives Schuldverhältniß zwischen zwei Vermögensmassen361. Allein die Ehegatten schulden einander kraft ihrer ehegüterrechtlichen Stellung in der Verwaltungsgemeinschaft die Herbeiführung dieses Erfolges362. Ist der Ersatz 359 BGB § 1417. Vgl. dazu E. Jacobsohn, Die Ansprüche der Ehefrau gegen ihren Ehemann, Berl. Diss. 1903, S. 47 ff.; Crome § 582; v. Tuhr Allg. T. I 343 ff.; bes. aber eingehend Wolff § 57. – Diese Ausgleichungsansprüche sind wesensverschieden von den Ersatzansprüchen, die dem Mann gegen die Frau nach allgemeinen Grundsätzen oder aus § 1390 zustehen, wenn er eine Schuld der Frau aus seinem eignen Vermögen befriedigt hat, oder von der Frau, aus derem Vermögen eine Mannesschuld bezahlt ist, gegen den Mann erhoben werden können; vgl. Crome § 582 I. Dagegen können wesensgleiche Ausgleichungsansprüche, wie sie § 1417 gewährt, auch in Fällen, in denen das äußere Haftungsverhältniß und die innere Schuldbelastung sich decken, aus der Tilgung einer Frauenschuld mit den Mitteln derjenigen Vermögensmasse, der die Schuld nicht als Passivbestandteil angehört, wie aus sonstigen Aufwendungen aus einem Frauengut für das andere Frauengut entspringen; vgl. v. Tuhr a. a. O. S. 344. So entstehen auch nach Schweiz. ZGB, obschon es grundsätzlich Haftung und Belastung der einzelnen Vermögensmassen zusammenfallen läßt, wenn Sonderschulden der Frau aus dem Ehevermögen oder Ehevermögensschulden aus dem Sondergut getilgt werden, derartige Ausgleichungsansprüche zwischen dem Eingebrachten und dem Sondergut der Frau; die Ausgleichung kann schon während der Ehe gefordert werden, während Ersatzforderungen wegen Tilgung von Frauenschulden aus Mannesgut oder von Mannesschulden aus Frauengut regelmäßig erst mit Aufhebung der Güterverbindung fällig werden; a. 209. 360 Eine gründliche Untersuchung über die Voraussetzungen, die Geltendmachung, den Inhalt, den Umfang und das Erlöschen der Ersatzansprüche aus § 1417 stellt Wolff a. a. O. S. 217 – 219 an. 361 Vgl. oben § 260 Anm. 217. Darum kann sie nur verlangt werden, soweit ausreichender Bestand der ersatzpflichtigen Vermögensmasse vorhanden ist. Darum erlischt jede Ersatzleistungspflicht, sobald mit dem Wegfall der Verwaltungsgemeinschaft die Trennung der beiden Vermögensmassen endet. Darum kann aber während der Verwaltungsgemeinschaft der Ersatzanspruch jederzeit, insbesondere auch von der Frau trotz § 1394, geltend gemacht werden. – In der Grundauffassung übereinstimmend v. Tuhr I 343 ff., im Wesentlichen auch Jacobsohn u. Wolff a. a. O. 362 Mit Recht nimmt Wolff § 57 III an, daß jeder Ehegatte dem anderen gegenüber schon vor Eintritt des Ersatzleistungsfalles verpflichtet ist, aus dem von ihm verwalteten Frauengut
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
zum eingebrachten Gut zu leisten, so ist die Frau dem Manne gegenüber verpflichtet, ihr Vorbehaltsgut insoweit, als dies zur Wiederauffüllung des eingebrachten Gutes erforderlich ist, in dieses überzuführen, der Mann aber der Frau gegenüber kraft seines eignen Rechtes auf Verwaltung und Nutznießung an allem nicht ausgenommenen Frauenvermögen berechtigt, die Ueberführung, zu der die Frau ja kraft ihrer Verfügungsmacht über ihr Vorbehaltsgut stets im Stande ist, zu verlangen363. Ist der Ersatz zum Vorbehaltsgut zu leisten, so ist der Mann der Frau gegenüber verpflichtet, eingebrachtes Gut insoweit, als dies zur Wiederauffüllung des Vorbehaltsguts erforderlich ist, durch Ausscheidung aus dem seiner Verwaltung und Nutznießung unterliegenden Vermögen in Vorbehaltsgut zu verwandeln, die Frau aber dem Manne gegenüber berechtigt, die Vornahme der dazu dienlichen Verwaltungshandlung – und zwar sofort – zu verlangen364.
§ 264. Beendigung der Verwaltungsgemeinschaft I. Beendigungsgründe Die Verwaltungsgemeinschaft endet von Rechtswegen mit der Auflösung der Ehe. Sie kann aber auch während der Ehe ihr Ende erreichen.
die demselben im Innenverhältniß zur Last fallenden Schulden bei Fälligkeit zu bezahlen; der Mann schuldet der Frau die gehörige Schuldenbereinigung ihres eingebrachten Gutes kraft seiner Verpflichtung zu dessen ordnungsmäßiger Verwaltung; aber auch die Frau schuldet dem Manne die Schuldenbereinigung ihres von ihr verwalteten Vorbehaltsgutes, weil sie durch Hingabe der zur Abtragung der Vorbehaltsgutslasten erforderlichen Mittel den Bestand desjenigen Teiles ihres Vermögens, den allein sie der Verwaltungsgemeinschaft entziehen darf, realisieren muß. Demgemäß entsteht, sobald eine Schuld aus dem nicht belasteten Frauengut berichtigt ist, eine im Wesen der Verwaltungsgemeinschaft gegründete gesetzliche persönliche Verpflichtung des dazu befähigten Ehegatten, die in § 1417 vorgesehene Ausgleichung zwischen den beiden Sondervermögen zu bewirken. Diese Verpflichtung ist subjektiver Natur, ihre Nichterfüllung kann daher auch Verzugsfolgen und sonstige Schadensersatzverbindlichkeiten nach sich ziehen. 363 Der vom Manne geltend gemachte Anspruch steht der Frau selbst zu, ist aber Bestandteil ihres eingebrachten Gutes und darum der Verwaltung und Nutznießung des Mannes, der ihn im Interesse der unverkürzten Erhaltung seines Rechtsgenusses gegen die Frau als Subjekt ihres Vorbehaltsgutes erhebt, unterworfen. 364 Der Anspruch der Frau ist Bestandteil ihres Vorbehaltsgutes und unterliegt daher ihrer freien Verfügung und Geltendmachung; er richtet sich gegen sie selbst als Subjekt des ihr zwar gleichfalls gehörenden, aber vom Manne vertretenen eingebrachten Gutes; die Erfüllung durch Umwandlung von eingebrachtem Gut in Vorbehaltsgut bedarf keines Ehevertrages und keines Registereintrages, weil es sich nicht um Erweiterung, sondern nur um Wiederherstellung des Vorbehaltsgutsbestandes handelt.
2. Titel: Verwaltungsgemeinschaft
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1. Durch Ehevertrag Die Ehegatten können jederzeit durch Ehevertrag die Verwaltungsgemeinschaft aufheben. Es ist auch möglich, daß der Ehevertrag die Beendigung an den Eintritt eines Endtermins oder einer auflösenden Bedingung knüpft. Dagegen ist ein einseitiger Verzicht des Mannes auf seine Verwaltung und Nutznießung unwirksam365. 2. Durch gerichtliches Urteil Aus besonderen Gründen kann die Frau auf Aufhebung der Verwaltung und Nutznießung klagen. Hierzu ist die Frau befugt, wenn sie wegen Gefährdung ihrer Rechte nach § 1391 Sicherheitsleistung verlangen könnte; wenn der Mann seine Unterhaltspflicht gegen Frau und Kinder verletzt und für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung des Unterhaltes zu besorgen ist; wenn der Mann entmündigt ist; wenn der Mann wegen Gebrechlichkeit einen Pfleger für die Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten erhalten hat; wenn für ihn ein Abwesenheitspfleger bestellt und die baldige Aufhebung der Pflegschaft nicht zu erwarten ist366. Es handelt sich also um Fälle, in denen der Mann sich als völlig untauglich herausstellt, die Verwaltungspflichten des Gemeinschaftshauptes zu erfüllen367. Mit der Rechtskraft des Urteils, das die Aufhebung der Verwaltung und Nutznießung ausspricht, endet die Verwaltungsgemeinschaft und tritt Gütertrennung an ihre Stelle; das Urteil ist also ein Gestaltungsurteil368. 365 Dies entspricht dem Wesen der Verwaltung und Nutznießung als eines einheitlichen Rechts, das durchweg zugleich Pflicht ist. Es ergab sich ebenso für das ältere deutsche Recht aus dem Begriff der vormundschaftlichen Gewere. Dagegen mußte bei den Systemen des ehemännlichen Nießbrauches der Verzicht des Mannes auf sein Recht am Frauengut zugelassen werden. Doch bestimmte das Sächs. Gb. § 1686 (im Gegensatz zu § 650), daß der Mann sich dadurch von seinen Verbindlichkeiten für die Zukunft nicht einseitig befreien könne. 366 BGB § 1418. Auch bei übergeleiteten Ehen ist kein Vorbehalt zu Gunsten des älteren Rechtes gemacht. Zum Teil kannten die früheren Gesetze überhaupt kein Recht der Frau, dem Manne sein Verwaltungs- und Nutzungsrecht zu entziehen. Das Preuß. ALR II, 1 § 256 und § 258, gab ihr ein solches Recht nur, wenn der Mann ihr und den Kindern den standesgemäßen Unterhalt nicht gewährt. Das Sächs. Gb. § 1684 spricht der Frau, wenn der Mann durch unordentliche Wirtschaft ihr Vermögen in Gefahr bringt, das Recht zu, die Ueberlassung der Verwaltung zu verlangen, aber unbeschadet des dem Manne verbleibenden Nießbrauchs. Eine solche Spaltung ist nach BGB unmöglich. – Das Schweiz. ZGB kennt eine gerichtliche Gütertrennung nicht nur auf Begehren der Frau (a. 183), sondern auch auf Begehren des Mannes (a. 184). 367 Verschulden des Mannes ist nicht erforderlich; oben § 261 Anm. 282, RGer in JWSchr 1911 S. 405, Seuff. LXII Nr. 87. 368 RGer JWSchr 09 S. 51. Das Verfahren ist der ordentliche Zivilprozeß. Durch einstweilige Verfügung kann bereits die vorläufige Entziehung von Verwaltung und Nutznießung angeordnet werden; RGer b. Gruch. XLVI 951. Auch kann die Frau, sobald ein Aufhebungsgrund besteht, bereits vor der Aufhebung die Herausgabe ihres Vermögens verweigern, wenn sie gegen die Klage des Mannes aus § 1373 Widerklage auf Aufhebung erhebt; RGer LXXXIV Nr. 7 S. 48.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
3. Durch Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Mannes Die Verwaltungsgemeinschaft endet von Rechtswegen mit der Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses369. Mit der Beendigung des Konkursverfahrens lebt sie nicht wieder auf, kann vielmehr nur durch Ehevertrag von Neuem eingeführt werden. Dem früheren deutschen Recht war dieser Beendigungsgrund fremd370. Auch das Schweizerische Zivilgesetzbuch hat abweichende Bestimmungen371. 4. Durch Todeserklärung des Mannes Die Verwaltungsgemeinschaft endigt mit dem Zeitpunkt, der als Todestag des Mannes gilt372. Todeserklärung der Frau ist kein Beendigungsgrund, sondern begründet nur die Vermutung der Beendigung373. II. Wiederherstellung Die Wiederherstellung der während der Ehe beendeten Verwaltungsgemeinschaft ist nur für die Zukunft möglich. Regelmäßig kann sie nur durch Ehevertrag erfolgen. In einigen Fällen aber hat der Mann (niemals die Frau) ein Recht auf Wiederherstellung, kann sie daher einseitig verlangen und mit gerichtlicher Klage BGB § 1419. Konkurs der Frau ist einflußlos; oben § 263 Anm. 353 u. 354. Oben § 263 Anm. 334 (anders nur in Oldenburg seit 1879). – Nach Preuß. ALR II 1 §§ 258 – 265 erhält die Frau, die die Konkurseröffnung selbst beantragen kann, die Verwaltung und Nutznießung des aus dem Konkurse geretteten Eingebrachten mit Beschränkungen zurück, der Mann kann aber, wenn er wieder zu besseren Vermögensumständen gelangt und nicht durch nachlässige oder verschwenderische Wirtschaft den ersten Vermögensverfall verursacht hat, die Wiedereinräumung von Verwaltung und Nießbrauch fordern. Nach dem Sächs. Gb. § 1685 kann die Frau ihr Vermögen aus der Konkursmasse zurückfordern, der Mann behält aber deren Verwaltung und Nießbrauch. 371 Konkurs des Mannes und der Frau sind gleichgestellt; Gütertrennung kraft Gesetzes tritt ein, sobald die Gläubiger eines Ehegatten in Verlust geraten (a. 182). Richterliche Gütertrennung erfolgt auf Begehren eines Gläubigers, der bei der Schuldbeitreibung außerhalb des Konkurses gegen einen Ehegatten in Verlust gekommen ist (a. 185). In beiden Fällen wird durch Gläubigerbefriedigung die Gütertrennung nicht ohne Weiteres aufgehoben, der Richter kann aber auf Verlangen eines Ehegatten die Wiederherstellung des früheren Güterstandes anordnen (a. 187). Die Rechte der Frau wegen ihres eingebrachten Gutes bei Konkurs (oder Pfändung) des Mannes sind besonders geordnet (a. 210 u. 211, dazu oben § 261 Anm. 280). 372 BGB § 1420. Die Widerlegung der Todesvermutung ändert daran nichts. – Wird dagegen die Todeserklärung in Folge Anfechtungsklage aufgehoben (ZPO § 973), so ist die Beendigung niemals oder im Falle richterlicher Feststellung eines anderen Todestages in einem anderen Zeitpunkt erfolgt. 373 Mit der Widerlegung der Todesvermutung stellt sich also hier heraus, daß die ehemännliche Verwaltung und Nutznießung niemals oder zu einem anderen Zeitpunkt untergegangen ist. 369 370
2. Titel: Verwaltungsgemeinschaft
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durchsetzen. Die Fälle sind: Wiederaufhebung der Entmündigung oder Pflegschaft, wegen deren die Aufhebung der Verwaltungsgemeinschaft erfolgt ist, erfolgreiche Anfechtung des zu Grunde liegenden Entmündigungsbeschlusses und Rückkehr des für tot erklärten Mannes. Die Wiederherstellung tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein, das somit als Gestaltungsurteil wirkt. Von diesem Augenblick an ist die Frau verpflichtet, dem Manne ihr gesamtes Vermögen, nicht blos ihr früheres eingebrachtes Gut, sondern auch späteren Erwerb herauszugeben; ihr Vorbehaltsgut wird nur, was ohne die Aufhebung der Rechte des Mannes Vorbehaltsgut geblieben oder geworden sein würde374. III. Beendigungsfolgen 1. Ueberhaupt Mit der Beendigung der Verwaltungsgemeinschaft „zweiet“ sich das Vermögen der Ehegatten; das vereinigende Band erlischt; die ehemännliche Verwaltung und Nutznießung hört auf; das gesonderte Eigentum jedes Ehegatten an seinem Vermögen streift seine Gebundenheit ab und entfaltet sich zu voller Wirksamkeit. Im Gegensatz zum früheren deutschen Recht unterscheidet dabei das BGB nicht zwischen den verschiedenen Beendigungsarten, führt vielmehr den Grundsatz der Vermögenstrennung gleichmäßig durch, wenn die Ehe fortbesteht oder geschieden oder durch Tod aufgelöst wird. 2. Wegfall des ehemännlichen Rechts am Frauengut Die Verwaltung und Nutznießung und alle in ihr enthaltenen Befugnisse und Pflichten des Mannes in Ansehung des eingebrachten Gutes erlöschen sofort. Nur bleibt der Mann, wenn er die Beendigung nicht kennt, so lange zur Fortführung der Verwaltung berechtigt, bis er von der Beendigung Kenntniß erlangt oder sie kennen muß 375. Und im Falle des Todes der Frau ist er nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, Verwaltungsgeschäfte, mit deren Aufschub Gefahr verbunden ist, zu besorgen, bis der Erbe anderweit Fürsorge treffen kann376.
374 BGB § 1425. Der Herausgabeanspruch des Mannes wird so angesehen, als sei er schon mit Erhebung der Wiederherstellungsklage rechtshängig geworden. – Ueber Eintragung ins Güterrechtsregister vgl. oben § 256 Anm. 80. 375 BGB § 14241. Die Verwaltungshandlungen sind sowohl der Frau wie Dritten gegenüber wirksam. Da es sich aber um eine bloße Rechtsscheinwirkung handelt, kann sich ein Dritter, der bei der Vornahme eines Rechtsgeschäftes die Beendigung kennt oder kennen muß, auf die Berechtigung des Mannes nicht berufen. – Die Nutznießung erlischt unabhängig von der Kenntniß. 376 BGB § 14242. Dies ist keine bloße Rechtsscheinwirkung.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
3. Herausgabe des Eingebrachten Der Mann (oder sein Erbe) ist verpflichtet, der Frau (oder ihrem Erben) das eingebrachte Gut herauszugeben und schuldet nunmehr die Ablegung von Rechenschaft über seine bisher keiner Rechenschaftspflicht unterworfene Verwaltung377. Er hat die Herausgabe gemäß der Vermögenslage im Augenblicke der Beendigung seiner Verwaltung und Nutznießung, jedoch im Falle ihrer gerichtlichen Aufhebung so zu bewirken, als sei der Herausgabeanspruch der Frau schon mit der Erhebung der Aufhebungsklage rechtshängig geworden378. 4. Sonderung der Vermögensmassen Die Sonderung des eingebrachten Gutes der Frau vom eignen Vermögen des Mannes erfolgt nach ähnlichen Regeln, wie sie für die Auseinandersetzung zwischen dem Eigentümer und dem Nießbraucher bei Beendigung des Nießbrauches gelten. Insbesondere kann der Mann, wenn er ein landwirtschaftliches Grundstück herauszugeben hat, in gleichem Umfange wie der Nießbraucher Ersatz für die Bestellungskosten einer stehenden Ernte fordern, und muß andererseits bei der Herausgabe eines Landgutes in gleichem Umfang wie der Nießbraucher die zur Fortführung der Wirtschaft erforderlichen Vorräte zurücklassen379. Auch finden, wenn der Mann ein Grundstück oder einen gleichgestellten Gegenstand für einen Zeitraum, der bei Beendigung seiner Verwaltung und Nutznießung noch nicht abgelaufen ist, vermietet oder verpachtet hat, die bei der Beendigung des Nießbrauchs geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung, so daß die Frau zwar von Rechtswegen in das Vertragsverhältniß eintritt, es aber in der gesetzlichen Kündigungsfrist kündigen kann380. Bei der Sonderung von Mannesvermögen und Frauengut kann die Berichtigung der beiderseitigen Ersatzforderungen verlangt werden. Somit kann der Mann von dem herauszugebenden eingebrachten Gut die Beträge in Abzug bringen, die ihm die Frau als Ersatz für ihre nicht zur Last fallenden Aufwendungen zu Gunsten ihres eingebrachten Gutes oder ihres Vorbehaltsgutes schuldet, die Frau aber kann, soweit ihr der Mann für Verminderung des eingebrachten Gutes Ersatz zu leisten 377 BGB § 1421; vgl. oben § 261 III. Die allgemeinen Vorschriften der §§ 259 – 261 sind anwendbar. 378 BGB § 1422. Dies würde auch ohne besondere Vorschrift gelten, wenn mit der Aufhebungsklage alsbald die Klage auf Herausgabe des Eingebrachten verbunden ist. Das Gesetz aber legt in die Aufhebungsklage ohne Weiteres die Herausgabeklage hinein. 379 BGB § 1421 S. 2 mit Verweisung auf die §§ 522 u. 593 über Pachtrecht, die aber nach § 10552 auch beim Nießbrauch entsprechende Anwendung finden. Vgl. oben Bd. II 686, III 560. 380 BGB § 1423 mit Verweisung auf § 1056 vgl. oben Bd. II 689, III 549. Im Falle der Aufhebung der Verwaltungsgemeinschaft durch Ehevertrag hat die Frau das Kündigungsrecht nicht.
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verpflichtet ist, außer der Herausgabe der vorhandenen Vermögensgegenstände nunmehr auch ihre bisher nicht einklagbaren Ansprüche wegen fehlender oder beschädigter Stücke geltend machen381. Dagegen sind alle bis dahin bestehenden Ausgleichungsansprüche zwischen dem eingebrachten Gut und dem Vorbehaltsgut der Frau mit der Beendigung der Verwaltungsgemeinschaft erloschen, weil die beiden Sondervermögen wieder in ein einheitliches Vermögen zusammengeflossen sind. 5. Nachwirkungen der Verwaltungsgemeinschaft Die den früheren deutschen Rechten bekannten Nachwirkungen der Verwaltungsgemeinschaft äußern sich teils in den eigenartigen Schicksalen besonderer ehelicher Güterarten, teils in den erbrechtlichen Wirkungen des Güterstandes. Von den besonderen Güterarten des älteren Rechts und ihrer Bedeutung für das heutige Recht soll nachher gehandelt werden382. Erbrechtliche Wirkungen des gesetzlichen Güterstandes sind dem BGB fremd383. Das ausgesonderte Vermögen des verstorbenen Ehegatten ist sein Nachlaß, an dem das vom Güterstande unabhängige Erbrecht des überlebenden Ehegatten Platz greift. Doch können ehegüterrechtliche Erbrechte noch bei älteren Ehen vorkommen384. Auch kann für die einzelne Ehe durch Ehevertrag ein gleichartiger Erfolg erzielt werden385. Die erbrechtlichen Wirkungen der älteren Formen der Verwaltungsgemeinschaft lassen vielfach den Grundsatz der Sonderung von Mannes- und Frauengut nach ursprünglichen Bestandteilen unberührt. Was dem verstorbenen Ehegatten gehört, unterliegt als sein Nachlaß der Vererbung, was dem überlebenden Ehegatten gehört, behält er kraft Eigentumsrechts. Allein der überlebende Ehegatte empfängt außerdem einen Anteil oder ein Nutzungsrecht am Nachlaß des verstorbenen kraft einer in der bisherigen Gemeinschaft wurzelnden Rechtsnachfolge. Der ihm gebührende erbrechtliche Vorzug erscheint nicht als ein vom ehelichen Güterstande 381 Vgl. oben § 261 Anm. 279 u. 284 – 285, § 263 Anm. 359. Im Falle der Auflösung der Ehe durch den Tod sind die Erben des verstorbenen Ehegatten in gleicher Weise berechtigt und verpflichtet. – Ausdrückliche Bestimmungen trifft das Schweiz. ZGB a. 212 für den Fall des Todes der Frau und a. 213 für den Fall des Todes des Mannes. 382 Unten § 265. Ihre Bedeutung erschöpft sich nicht in den Nachwirkungen des Güterstandes. 383 Sie fehlten auch den Systemen des ehemännlichen Nießbrauches. Das im Preuß. ALR II, 1 § 570 ff. dem überlebenden Manne gewährte Wahlrecht, ein von der Frau eingebrachtes Grundstück zurückzugeben oder gegen Bezahlung des Wertes zu übernehmen, ist nur als Auseinandersetzungsnorm, nicht als erbrechtliche Wirkung aufzufassen, daher auch bei den übergeleiteten Ehen weggefallen. 384 Vgl. oben § 258 Anm. 128 u. 149; Preuß. AG a. 46, 50. 51. 385 Gewöhnlich wird von Ehegatten, die einander für den Todesfall besondere Vorteile zuwenden wollen, nicht der Weg des Ehevertrages, sondern der des gemeinschaftlichen Testaments oder des Erbvertrages (vgl. über Verbindung mit dem Ehevertrage oben § 255 Anm. 47) eingeschlagen. Dann gelten aber lediglich erbrechtliche Regeln.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
unabhängiges, dem Erbrecht der übrigen Erben gleichartiges Ehegattenerbrecht (portio statutaria), sondern als ein ehegüterrechtliches Korrelat für den wegfallenden Mitgenuß des während der Ehe einheitlich verwalteten und benutzten Ehevermögens. So verhält es sich insbesondere bei der vielfach in nord- und süddeutschen Rechten, bald bei allen, bald nur bei unbeerbten, bald nur bei beerbten Ehen dem überlebenden Ehegatten gebührenden lebenslänglichen Leibzucht am Vermögen des verstorbenen Ehegatten. Bei beerbten Ehen entwickelte sich daraus eine Form der fortgesetzten Hausgemeinschaft, die sich als fortgesetzte Verwaltungsgemeinschaft bezeichnen läßt386. Hier fällt den Kindern sofort das Vater- oder Muttererbe an. Der überlebende Ehegatte aber erlangt an den Erbteilen der Kinder das Recht des „Beisitzes“387. Das Ehevermögen bleibt also ein ungezweites Hausvermögen, das der überlebende Vater nach wie vor besitzt, verwaltet und nutzt, die überlebende Mutter an Stelle des Vaters in Besitz, Verwaltung und Nutznießung nimmt. Das Recht des Beisitzes ist kein selbständiges Sachenrecht, sondern ein dem Familienhaupte als solchem kraft seiner personenrechtlichen Stellung zustehendes dingliches Herrschaftsrecht, das die Befugniß zu freier Verwaltung und vollem Nutzungsgenuß gewährt, aber nicht blos durch die Verpflichtung zur Erhaltung der Substanz des Kindeserbes beschränkt, sondern auch mit familienrechtlichen Pflichten gegen die Kinder belastet ist. Es endet nicht mit der Verselbständigung der Kinder, begründet aber regelmäßig die Verpflichtung, dem aus dem Hause scheidenden Kinde angemessene Ausstattung zu entrichten. Im Uebrigen erlischt es erst mit dem Tode des Vaters oder der Mutter; nur im Falle der Wiederverheiratung können meist (oder mindestens bei Wiederverheiratung der Mutter) die Kinder Abteilung mit ihrem Erbe verlangen. An Versuchen, auch das Recht des Beisitzes in den Begriff des Nießbrauches zu zwängen, hat es nicht gefehlt; überwiegend aber hat die gemeinrechtliche Praxis dies abgelehnt und die deutschrechtliche Eigenart des Rechtsinstitutes anerkannt388. Wie tief im Volksbewußtsein die An386 Ueber die verschiedenen Formen der fortgesetzten Hausgemeinschaft vgl. unten § 273 I. 387 Ein im Wesentlichen gleichartiges „Beisitzrecht“ begegnet auch bei gütergemeinschaftlichen Systemen in Ansehung des bisherigen Gesamtgutes, falls dieses in Folge Durchführung des Teilungsprinzips sofort in eine Eigentumsquote des überlebenden Ehegatten und eine als Nachlaß des verstorbenen Ehegatten behandelte Quote zerfällt, und zwar besonders bei partikulären Gütergemeinschaften, bei denen es sich dann auch auf das bisher den Grundsätzen der Verwaltungsgemeinschaft unterworfene Sondergut erstreckt; vgl. Stobbe-Lehmann § 303 I. 388 Vgl. z. B. für das ältere Oldenb. R. OAG Oldenb. b. Seuff. I Nr. 15 („fortgesetztes Familienverhältniß“, auf das die röm. Sätze über ususfructus unanwendbar sind) u. XXIX Nr. 38 (ebenso); für das Nassau R. OAG Wiesbaden b. Seuff. VI Nr. 36, X Nr. 178, XIII Nr. 317, RGer ebd. XXXVI Nr. 132, ZS. I Nr. 39; für Hess. R OAG Caßel b. Seuff. III Nr. 330 (kein reines Vermögensrecht); für das Beisitzverhältniß das Brem. R. RG XL Nr. 12; für den mütterlichen Beisitz des fränk. Landr. Obst. LG f. Bayern b. Seuff. LII Nr. 141; vgl. auch OTrib Berlin b. Seuff. XXXIII Nr. 319, RGer ebd. LIII Nr. 162. – Bei übergeleiteten Ehen haben die Landesgesetze zum Teil das Beisitzrecht in Nießbrauch umgewandelt, jedoch auch dann durch besondere Bestimmungen die davon abweichenden Einzelvorschriften des früheren Rechts aufrecht erhalten.
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schauung wurzelt, daß eine derartige Erhaltung der Vereinigung des Ehevermögens in der Hand des überlebenden Ehegatten normalen Eheverhältnissen entspricht, offenbart sich in der verbreiteten Sitte, durch Verfügung von Todeswegen einen ähnlichen Erfolg zu erzielen. Hierfür bot sich da, wo das Beisitzrecht nicht oder nicht mehr galt, dann freilich nur der Weg der Bestellung eines Nießbrauchs dar. In diesem Sinne wurden Testamente üblich, in denen die Ehegatten die Kinder zu beiderseitigen Alleinerben einsetzten, einander aber den lebenslänglichen Nießbrauch an ihrem Vermögen vermachten389. Die Fortdauer dieser Uebung hat das BGB zwar erschwert, aber nicht abgeschnitten390. Andere ältere Formen der Verwaltungsgemeinschaft knüpfen an diesen Güterstand erbrechtliche Wirkungen, die an Stelle der Sonderung nach ursprünglichen Bestandteilen eine Verschmelzung von Mannes- und Frauengut ermöglichen und so eine „Gütergemeinschaft von Todeswegen“ einfügen391. Dahin gehört z. B. das auf der Constitutio Joachimica beruhende märkische Provinzialrecht, nach dem der überlebende Ehegatte die Wahl hat, ob er sein Vermögen herausfordern oder die durch Vorausempfänge vergrößerte Hälfte des gesamten vorhandenen Ehevermögens beanspruchen will392. 6. Vorschlag und Rückschlag im schweizerischen Recht Mit einigen Worten mag hier auf die Bestimmungen des schweizerischen Zivilgesetzbuches über die Behandlung von „Vorschlag“ und „Rückschlag“ bei Beendigung der Güterverbindung hingewiesen werden, weil sie die Unbilligkeit des deutschen Rechtes, das in jedem Falle die ganze eheliche Errungenschaft ausschließlich dem Manne zuteilt, beheben393. Vorschlag ist, was sich nach Abrechnung der 389 So namentlich im Gebiet des preußischen Landrechts; in Berlin kam dafür sogar der Name „Berliner Testament“ auf. Die Praxis bemühte sich zum Teil, gegenüber den allgemeinen Vorschriften über den Nießbrauch die Gedanken des Beisitzrechtes zur Geltung zu bringen; vgl. RGer X Nr. 74 bes. S. 267 – 269 („familienrechtlich gebundener Nießbrauch“); unbefriedigend ebd. XXVII Nr. 52. Ueber Anwendung der römischrechtlichen Vorschriften über usus fructus bei testamentarischer Begründung des Beisitzrechtes gegenüber Stiefkindern in Bremen vgl. RGer XXXVI Nr. 47. 390 Die Erschwerung liegt einerseits in der Anfechtbarkeit der Verfügung wegen Verletzung des Pflichtteilsanspruches sowohl des Ehegatten wie der Kinder, andererseits in der für das Verhältniß passenden Regelung des Vermögensnießbrauches. Um in letzterer Hinsicht Abhülfe zu schaffen, wird neuerdings vielfach vorgezogen, den überlebenden Ehegatten zum Vorerben und die Kinder nur zu Nacherben einzusetzen. 391 Vgl. oben § 259 Anm. 159. 392 Das Preuß. AG a. 46 §§ 2 – 5 hält bei übergeleiteten Ehen diese Rechte als erbrechtliche Wirkungen des Güterstandes aufrecht, gewährt aber dem überlebenden Ehegatten das Recht, statt ihrer die Erbfolge nach dem BGB zu wählen, so daß er also ein dreifaches Wahlrecht hat. – Ebenso verfährt es in a. 50 bezüglich der in Holstein geltenden Rechte von Neumünster, Otterndorf und Schauenburg, nach denen der überlebende Ehegatte stets eine Quote des Ehevermögens erhält; vgl. Roth DPR II § 145. Vgl. auch a. 51 § 4 für die Statutarrechte von Anklam und Treptow a. / T. bei beerbten Ehen.
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ehelichen Schulden und der beiderseitigen Ersatzforderungen für fehlendes Mannes- oder Frauengut über das Eingebrachte beider Ehegatten hinaus im ehelichen Vermögen befindet. Das Sondergut der Ehegatten bleibt dabei außer Betracht. Der Vorschlag gebührt im Falle der Beendigung der Güterverbindung zu zwei Dritteln dem Mann, zu einem Drittel der Frau. Wird jedoch die Ehe durch den Tod aufgelöst, so gelten besondere Regeln. Der überlebende Ehegatte kann stets neben seinem Ehegattenerbteil seinen Anteil am Vorschlag fordern. Dagegen haben zwar die Erben des vorverstorbenen Mannes unter allen Umständen die auf die Mannesseite fallenden zwei Drittel des Vorschlags zu beanspruchen, den Erben der vorverstorbenen Frau aber steht das Frauendrittel nur zu, wenn sie Nachkommen der Frau sind. Hinterläßt also die Frau keinen Abkömmling, so verbleibt der ganze Vorschlag dem überlebenden Manne. Der Vorschlagsanspruch gründet sich nicht auf die Eigentumsverhältnisse am Ehevermögen und hat daher keine sachenrechtliche Natur; vielmehr entsteht er erst mit dem Wegfall der Güterverbindung aus dem ihr zu Grunde liegenden personenrechtlichen Verhältniß kraft einer gesetzlichen Einwirkung desselben auf den durch eheliches Zusammenwirken erarbeiteten rechnungsmäßigen Wertüberschuß („Aktivsaldo“) des für den ehelichen Gemeinschaftszweck verbunden gewesenen Ehevermögens und stellt sich als bloßes Forderungsrecht auf den entsprechenden Wertbetrag dar394. Dieses Forderungsrecht erscheint im Falle der Auflösung der Ehe durch den Tod als erbrechtliche Wirkung des gesetzlichen Gütertstandes und wandelt die Verwaltungsgemeinschaft im Sinne einer beschränkten Gütergemeinschaft von Todeswegen ab395. Weist das Ehevermögen statt des Vorschlages einen Rückschlag auf, so trägt den Verlust allein der Ehemann oder sein Erbe, soweit nicht nachgewiesen wird, daß die Frau ihn verursacht hat396. Durch Ehevertrag kann eine andere Beteiligung am Vorschlag oder Rückschlag verabredet werden397. 393 Die Bestimmungen sind im Schweiz ZGB a. 214 für den Fall der Auflösung der Ehe durch den Tod getroffen; vgl. über ihre Geschichte und über Vorläufer in einzelnen Kantonalrechten Egger Bem. 1 (mit weiteren Literaturnachweisen), Gmür Bem. I. Sie finden aber entsprechende Anwendung bei Ehescheidung; a. 1542, vgl. Egger Bem. 3, Gmür Bem. II 3. Desgleichen bei Eintritt der Gütertrennung während der Ehe; a. 1892, vgl. Gmür, Bem. II 4. 394 Vgl. Schweiz. ZGB a. 2141 (im Anschluß an a. 212 – 213) u. dazu Egger Bem. 2, Gmür Bem. II. 395 So nach der herrschenden Auffassung, die aber (wenigstens für den Fall des Todes der Ehefrau ohne Hinterlassung von Nachkommen) nicht unbestritten ist; Näheres b. Egger zu a. 314 Bem. 3, Gmür Bem. II 5. 396 Schweiz. ZGB a. 2142; Egger Bem. 4, Gmür Bem. III. Hinsichtlich des Rückschlages gilt also kein Gemeinschaftsrecht. Trägt ihn ausnahmsweise die Frau, weil sie erweislich, sei es auch ohne Verschulden, verursacht hat, so äußert sich dies in einer Verminderung des an sie herauszugebenden Frauenguts oder in einer Ersatzforderung des Mannes. 397 Schweiz. ZGB a. 2143; Egger Bem. 5, Gmür Bem. IV. Es bedarf eines Ehevertrages (während der Ehe also nach a. 1812 der Zustimmung der Vormundschaftsbehörde). Möglich ist z. B. Vereinbarung der Hälftenteilung oder Verzicht der Frau auf ihren Anteil oder ausschließliche Zuweisung des Vorschlages an den überlebenden Ehegatten; möglich aber auch Einführung einer Verlustgemeinschaft.
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§ 265. Besondere eheliche Güterarten I. Ueberhaupt Seit ältester Zeit ist die Geschichte des ehelichen Güterrechts durch die Ausbildung besonderer Güterarten bestimmt worden, deren eigenartige Rechtsschicksale zum Teil schon während der Ehe, vor Allem aber bei der Auflösung der Ehe eine bedeutungsvolle Rolle spielten. Sie sind vorzugsweise bei dem Güterstande der Verwaltungsgemeinschaft zu reicher Ausprägung und mannichfacher Fortentwicklung gediehen. Doch begegnen sie auch bei gütergemeinschaftlichen Systemen. Nur bei der allgemeinen Gütergemeinschaft mußten sie entweder verschwinden oder doch verkümmern. Seit der Rezeption fanden sie auch bei der Gütertrennung Eingang. In neuerer Zeit haben sie größtenteils ihre ehemalige Bedeutung eingebüßt. II. Aussteuer Nach uralter Sitte bringt die Frau, wenn sie in das Haus des Mannes tritt, einen Inbegriff von beweglichen Sachen, die für ihren persönlichen Gebrauch und für die Einrichtung des Hauswesens bestimmt sind, als ihre Aussteuer (Heimsteuer, Ehesteuer, Brautschatz, Brautwagen, Gerade, auch Mitgift oder lateinisch dos) in das Ehevermögen ein. Einst wohl regelmäßig das einzige Frauengut, blieb dieser Fahrnißkomplex auch seit reicherer Ausstattung bemittelter Frauen eine vom übrigen eheweiblichen Vermögen unterschiedene Güterart398. Die Aussteuer blieb im Bereiche der reinen Verwaltungsgemeinschaft Eigentum der Frau und mußte ihr daher bei der Beendigung der Ehe zurückerstattet werden. Frühzeitig aber wurde sie, weil ja nach längerer Zeit die ursprünglichen Stöcke größtenteils nicht mehr vorhanden zu sein pflegten, als ein mit Sondergutseigenschaft bekleideter Sachinbegriff behandelt, so daß sich die Herausgabepflicht auf die zur Ergänzung oder zum Ersatz angeschafften Stücke erstreckte und die Verpflichtung zur Ersatzleistung für eine ordnungswidrige Minderung ihres Bestandes einschloß. 398 Die für die alte Aussteuer gebräuchlichen Bezeichnungen wurden freilich vielfach auf alles von der Frau eingebrachte bewegliche Vermögen und mitunter sogar auf Grundstücke erstreckt. Nur der Name „Gerade“, der schon in der 1. Burg. als malahereda und in der 1. Thur. als rhedo begegnet, blieb immer auf Gegenstände für den häuslichen Gebrauch beschränkt. Dagegen nahmen Ausdrücke, wie Heimsteuer, Brautschatz oder Mitgift meist eine weitere Bedeutung an und dienten zur technischen Bezeichnung des gesamten aus dem Elternhause oder sonstiger bisheriger Hausgemeinschaft stammenden, in irgend einem Umfange als Erbabfindung in Betracht kommenden Frauenguts; vgl. Schröder, Gesch. des ehel. Güterr. I 119 ff., II 1 S. 16 ff., 19 ff., II 3 S. 234 ff., dazu über das schon im 7. Jahrh. auch Liegenschaften umfassende langob. faderfio I 116 – 119, 1251. Allein sachlich wurde mindestens in der Sitte die Aussteuer i. e. S. als ertragloses Gebrauchsvermögen stets anders behandelt, als hinzutretendes werbendes Vermögen.
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Darüber hinaus wurde gerade das Bedürfniß einer Ausgleichung für die Verwendung der Aussteuer zum gemeinschaftlichen Gebrauch im ehelichen Hausstande der Ausgangspunkt für die Einführung gütergemeinschaftlicher Gedanken in die Verwaltungsgemeinschaft399. Diesen Ursprung lassen die in manchen Quellen, insbesondere in schwäbischen und bayrischen Rechten, getroffenen Bestimmungen erkennen, nach denen die Frau die Wahl hat, ihre eingebrachte Fahrniß herauszuverlangen oder eine bestimmte Quote der vorhandenen Fahrniß (1 / 2 oder 1 / 3) zu fordern400. Insbesondere aber wurzelt hier das sächsisch-thüringische Geraderecht, das auf Grund des im Sachsenspiegel dargestellten Landrechts und der vom Magdeburgischen Recht ausgegangenen stadtrechtlichen Fortbildung eine weite Verbreitung gefunden hat401. Denn nach diesem System empfängt die Witwe beim Tode des Mannes alle vorhandene Fahrniß solcher Art, wie sie die Aussteuer zu bilden pflegt, als ihre Gerade („Witwengerade“), ohne daß es darauf ankäme, woher die einzelnen Stücke stammen402, dazu die Hälfte der vorhandenen Lebensmittelvorräte („Hofspeise“) als „Musteil“403. Dafür braucht der Mann beim Tode der Frau nur die Gerade mit einigen Abzügen als „Niftelgerade“ an die nächste weibliche Verwandte der Frau vom Weiberstamme herauszugeben, während er die gesamte übrige Fahrniß der Frau behält404. Offenbar ist damit in die Verwaltungsgemein399 Im Verlaufe der Entwicklung wurden hieraus entsprungene Institutionen in manchen Quellenkreisen Uebergangsstufen zu voller Gütergemeinschaft. Davon ist hier zunächst abzusehen. 400 Vgl. Schröder a. a. O. S. 170 ff., 193 ff., 204 ff. 401 Vgl. bes. die oben § 259 Anm. 169 angef. Schriften von Agricola, v. Martitz u. Behre, sowie R. Schröder a. a. O. II 3 S. 1 ff., RG5 S. 755 ff., Heusler, Inst. II 356 ff., 389 ff., StobbeLehmann IV 96 ff., 237 ff., Hübner, Grundz. § 95 II 1 a u. c; dazu Hradil, Zur Theorie der Gerade, ZfRG XXXI 67 ff. (in Anknüpfung an Geraderecht süddeutscher Quellen). 402 Sachsensp. I 24 § 3. Der hier aufgestellte Katalog der zur Gerade gehörenden Sachen ist in anderen Quellen bald erweitert, bald verengt; dabei war die Verschiedenheit ländlicher und städtischer Verhältnisse von Einfluß. 403 Sachsensp. I 22 § 3, 24 § 2. – Außerdem nimmt die Witwe aus der vorhandenen Fahrniß die zur Morgengabe gehörenden Gegenstände (ebd. 24 § 1), während sie die zum Heergewäte gehörenden Sachen, die zum Teil auch von ihrer Seite stammen können, an die nächsten Schwertmagen des Mannes herausgeben muß (ebd. 22 § 4). Im Uebrigen erfolgt die Auseinandersetzung nach der Herkunft des Ehevermögens. An dem liegenden Gute des Mannes hat die Frau kein Erbrecht, sondern nur die ihr vom Manne besonders bestellten Rechte, das von ihr selbst eingebrachte liegende Gut zieht sie als freies Eigentum heraus. Aber auch die von ihr eingebrachte Fahrniß, die nicht zur Gerade gehört, die sog. „Ungerade“, nimmt sie als ihr Eigentum zurück. Dies steht nach allen jüngeren Quellen, die sich mit umfangreicher Ungerade zu befassen haben, fest, muß aber auch für das Sachsenspiegelrecht, obschon meist das Gegenteil behauptet wird (vgl. bes. Albrecht, Gewere S. 263, Schröder a. a. O. II 3 S. 231, v. Martitz a. a. O. S. 101, 257), angenommen werden; vgl. Agricola a. a. O. S. 215, 344, Roth, DPR IV § 133 Anm. 51. Dafür spricht auch, daß nach Sachsensp. III 74 die geschiedene Frau neben der Gerade ihr ganzes eingebrachtes Gut wieder empfängt. 404 Sachsensp. I 27 § 1, III 38 § 5, 76 § 2. – Abwegig ist die Meinung von Behre a. a. O., der Frauengerade, die das von der Frau Eingebrachte umfaßt habe und allein von ihr als
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schaft, die hinsichtlich der Liegenschaften streng durchgeführt blieb, eine gütergemeinschaftliche Verschmelzung des beweglichen Ehevermögens für den Fall der Beendigung der Ehe eingefügt405. Das Geraderecht erhielt sich nach der Rezeption, erfuhr aber in neuerer Zeit mancherlei Abwandlungen und Abschwächungen, bis es fast allgemein abstarb406. Im geltenden deutschen Recht erscheint die Aussteuer, während sie im Elternund Kinderrecht ihre alte Bedeutung bewahrt hat, im Ehegüterrecht nicht mehr als besondere Güterart. Beim gesetzlichen Güterstande gehören die der Frau für ihren persönlichen Gebrauch mitgegebenen Sachen zu ihrem Vorbehaltsgut, sonstige Sachen zu ihrem Eingebrachten. Doch sind die im BGB für Haushaltungsgegenstände gegebenen Sondervorschriften für die Rechtsschicksale eines Teiles der Aussteuer bestimmend. Das erweiterte Surrogationsprinzip, das für sie gilt, erinnert an das Geraderecht407. Und auch die erbrechtliche Vorschrift, nach der bei unbeerbter Ehe der überlebende Ehegatte die zum ehelichen Haushalte gehörenden Gegenstände als Voraus empfängt, beruht auf einer vermögensrechtlichen Nachwirkung der ehelichen Gemeinschaft408. Niftelgerade vererbt sei, und Mannesgerade, die auf die Frau vererbt sei, unterscheidet; vgl. Hradil a. a. O. S. 112 ff., Kiesel a. a. O. S. 103 ff., Schröder, RG § 61 Anm. 138. 405 Doch ist die begriffliche Auffassung des Sachsenspiegelrechts überaus bestritten. Man versucht immer wieder, den Gemeinschaftsgedanken auszuschalten. Nach der Ansicht Vieler soll der Mann mit der vormundschaftlichen Gewere das Eigentum an aller Fahrniß der Frau erlangt haben, so daß er beim Tode der Frau die ganze Ungerade kraft Eigentums behielt, während im Falle seines Todes die ganze Gerade kraft Erbrechtes an die Frau fiel. Die Erben des Mannes hätten dann die Ungerade durchweg kraft reinen Erbrechts, die Niftel der Frau hätte die Gerade kraft eines von der Frau ererbten Erbanspruches erworben. Diese Konstruktion scheitert schon daran, daß bereits Sachsensp. III 74 Gerade und Musteil auch der geschiedenen Frau zuspricht. In der Tat ergeben die Quellen, daß die Vorstellung einer während der Ehe alles beiderseitige Vermögen ergreifenden Eigentumsspaltung im ostfälischen Recht immer festgehalten wurde, so gering hinsichtlich der Fahrniß in Folge der Verfügungsmacht des Mannes ihre praktische Bedeutung sein mochte. Die Theorien aber, die auf dieser Grundlage lediglich mit der Sonderung von Nachlaß des verstorbenen und Eigentum des überlebenden Ehegatten operieren, müssen im Widerspruch mit Geist und Sinn der Quellen die Fahrnißverteilung bei Auflösung der Ehe auf eine künstliche Zerlegung der auf dieselbe Vermögensmasse gerichteten Ansprüche in Eigentums- und Erbrechtsansprüche gründen. Dem Wesen der Sache wird allein die namentlich von Heusler eingehend begründete Auffassung gerecht: die bei Auflösung der Ehe vorhandene Fahrniß bildet nunmehr ein gemeinschaftliches Ehevermögen, das aber mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Bestimmung seiner Bestandteile in Sondervermögen (Gerade und Ungerade, aber auch Hofspeise, Morgengabe, Heergewäte) zerfällt, deren ungleiche rechtliche Schicksale den Zweck der ehegüterrechtlichen Auseinandersetzung erfüllen. Insoweit einem Ehegatten Vermögensgegenstände zufallen, die im Eigentum des vorverstorbenen Ehegatten standen, handelt es sich jedenfalls nicht um ein Ehegattenerbrecht, sondern höchstens um erbrechtliche Wirkungen des Güterstandes. 406 Am längsten hielten an ihm Adelsrechte und Bauernrechte fest, während die Stadtrechte es erheblich früher entthronten. Im K. Sachsen wurde die Gerade 1819, der Musteil 1829 abgeschafft. 407 BGB § 1382 u. dazu oben § 260 Anm. 189. 408 BGB § 1932.
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III. Morgengabe In graues Altertum zurück reicht die Sitte, daß der Mann am Morgen nach der Brautnacht der Frau ein Geschenk macht, das unter dem Namen Morgengabe (donum matutinum) in fast allen Volksrechten erwähnt wird und in den jüngeren deutschen Quellen bis in die neuere Zeit hinein in mannichfach ungleicher Ausgestaltung begegnet409. Ursprünglich eine freiwillige Gabe, die als Entgelt für die geopferte jungfräuliche Ehre (praemium virginitatis) aufgefaßt wird410, diente sie bei manchen Stämmen frühzeitig zugleich dem Zwecke der Witwenversorgung411. Die Morgengabe genoß besondere rechtliche Vorzüge vor anderen Gaben des Mannes412. Vielfach aber wurde sie durch Einschränkung der Sacharten, die als Morgengabe vergeben werden durften, oder durch Festsetzung von Höchstbeträgen begrenzt413. Mit der Uebergabe an die Frau gieng sie in deren Eigentum über und unterlag zum Teil schon während der Ehe ihrer Verwaltung und Verfügung414.
409 Vgl. Schröder a. a. O. I 84 ff., 154 ff., II 1 S. 24 ff., 71, II 2 S. 242 ff., II 3 S. 332 ff.; RG5 S. 321 ff., 762, 764. Stobbe-Lehmann § 277 II 2 b, § 283 I 1, § 296 I 1. Heusler, Inst. II 374 ff. v. Martitz a. a. O. S. 216 ff., Agricola a. a. O. S. 503 ff., R. Bartsch, Ehel. Güterr. im Erzh. Oest im 16. Jh., 1905, S. 35 ff., 58. Siegel, Ehel. Güterr. im Stift Salzburg S. 16 ff., Huber, Schweiz. PR IV 354 ff., 379 ff. Hradil, Heiratsgut 1908 S. 18 ff., Hübner, Grundz. § 94 II 3, § 95 11 1 . Frensdorff, Verlöbnis u. Eheschließ. nach Hans. Quellen II 73 ff. – Quellenstellen bei Kraut, Grundr. § 172. 410 Die wiederheiratende Witwe empfieng anfänglich keine Morgengabe, später bisweilen eine gleichwertige „Abendgabe“ (Deut. Rechtswörterb. I 39); es kommt sogar vor, daß sie, wenn sie einen Junggesellen heiratet, ihm eine Morgengabe zu entrichten hat (vgl. z. B. Siegel a. a. O. S. 89 Anm. 1, Bartsch a. a. O. S. 35). Doch hatte die Morgengabe von je wohl auch die Bedeutung einer rechtsförmlichen Bekundung der Beischlafvollziehung. 411 Bei den Langobarden gieng sie schon zur Zeit von Liutprand unter Verschmelzung mit dem Wittum (meta) in einer Quart der Witwe auf. Aber auch, wo sie vom Wittum getrennt blieb, übernahm sie vielfach die Aufgabe, dasselbe zu ergänzen. Deutlich ergiebt sich dies auch für die ostfälische Morgengabe aus der Beschaffenheit der im Sachsensp. I 20 § 1 aufgeführten Gegenstände, da „Gezäuntes und Gezimmertes“ und „feldgehendes Vieh“ offenbar zur Ausrüstung des als Wittum bestellten Grundstücks bestimmt sind. Ebenso nach Schwabensp. c. 19. 412 Sie wurde ohne Zuziehung von Zeugen übergeben und bedurfte keines Erbenlaubes; Sachsensp. I 20 § 1, Schwabensp. c. 19. Den Beweis erbrachte die Frau mit ihrem Eineid; 1. Alam 56 § 2 (auf Brust und Zopf geleistet, daher nasthait = Zopfeid genannt), Sachsensp. I 20 § 6. 413 Ssp. I 20 §§ 1 u. 8, Schwabensp. c. 19 u. andere Quellen unterscheiden dabei nach Ständen. 414 Vgl. Bayr. LR v. 1346 a. 131 u. 135 (b. Kraut Nr. 15 u. 16), Bartsch a. a. O. S. 36. Bei Auflösung der Ehe durch den Tod empfängt die überlebende Frau stets die Morgengabe. Aber auch den Erben der vorverstorbenen Frau fällt nach den meisten Quellen, wennschon bei manchen nur bei beerbter Ehe, die Morgengabe an. Dagegen nimmt nach Ssp. III 38 § 3 der überlebende Mann, dem ja die gesamte Fahrniß außer der Gerade gebührt, die Morgengabe zurück (oben Anm. 404). Verschieden behandelt wird der Fall der Scheidung; nach jüngeren Quellen kommt es darauf an, wer der schuldige Teil ist (so auch Preuß. ALR II 1 § 774).
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Doch kam neben der gegebenen Morgengabe namentlich da, wo sich die Morgengabe zu einer umfassenderen, auch liegendes Gut und Geld einschließenden Vermögenszuwendung entwickelte, die versprochene Morgengabe auf, die nur einen bei Beendigung der Ehe fälligen Anspruch der Frau begründet415. In manchen Rechten, insbesondere im Adelsrecht, verfestigte sich die durch die ständige Sitte gebotene ehemännliche Zuwendung zu einer Rechtspflicht, so daß der Witwe von den Erben des Mannes eine gesetzliche Morgengabe von bestimmtem Umfange geschuldet wurde416. Heute kann die Morgengabe als eigenartiges Rechtsinstitut nur noch im Recht des Hohen Adels vorkommen417. IV. Wittum418 Seitdem und soweit der für die Kaufehe wesentliche Muntschatz nicht mehr dem Muntwalt der Braut, sondern ihr selbst zu Gute kam419, entwickelte sich aus ihm unter dem Namen Wittum (Widum, Widem) oder meta eine in den lateinischen Quellen als dos bezeichnete ehegüterrechtliche Gabe des Mannes an die Frau420. Sie erfüllte den Zweck einer über die Dauer der Ehe hinausreichenden Fürsorge für den Lebensunterhalt der Gattin und wurde, je mehr ihr Zusammenhang mit dem alten Kaufpreis in Vergessenheit geriet, desto ausschließlicher als Witwenversorgung ausgestaltet421. Gehörte ursprünglich die Bewidmung der Frau zu den we-
415 Sie begegnet früh in fränkischen und süddeutschen Quellen, dann als gelobte Morgengabe in sächsischen Stadtrechten (vgl. Schröder II 3 S. 337 ff.), nach der Rezeption auch sonst. Von den neueren Gesetzbüchern berücksichtigen sie der Cod. Max. Bav. civ. I c. 6 § 16, das Preuß. ALR II, 1 § 207 (Zugehörigkeit zum Vorbehaltsgut), 269 u. 774, sowie das Oesterr. Gb. § 1232. 416 So schon nach manchen Volksrechten. Allgemein nach Cod. Max. Bav. civ. I c. 6 § 16. In besonderer Ausgestaltung nach Sachsenrecht als gesetzliche Morgengabe der adligen Witwe (im K. Sachsen 1829, in den meisten thüringischen Staaten zwischen 1829 und 1844 abgeschafft, vgl. Heimbach § 329). 417 Natürlich kann Jedermann seiner Frau eine Morgengabe geben oder versprechen; es gelten aber die gewöhnlichen Regeln über Schenkungen oder Zuwendungen von Todeswegen. 418 Vgl. Schröder, Gesch. I 63 ff., 67 ff., 69 ff., 70 ff., 76 ff., II, 1 S. 71 ff., II 2 S. 214 ff., II 3 S. 945 ff. Stobbe-Lehmann § 269 Z. 4, 277 II 2 a, 278 III 3, 283 II, 296 II. Erhardt, ZfRG X 437 ff. Heusler, Inst. II § 144. Huber, Schweiz. PR IV 352 ff., 376 ff. Hübner, Grundz. § 94 II 2 u. IV 1, § 95 II 1 . – Brunner, Die fränkisch-romanische dos, Sitzungsber. der Berl. Akad. 1894, S. 545 ff. – v. Martitz S. 193 ff. Agricola S. 480 ff. O. Stern, Der geschichtl. Ursprung der sächs. Leibzucht, 1896. O. Niese, Die Leibzucht nach den älteren sächs. Rechtsquellen, 1899. – Quellenstellen bei Kraut, Grundr. § 171. 419 Vgl. oben § 228 Anm. 16. 420 Mitunter wird unter „dos“ auch die Morgengabe verstanden. Wann, ist vielfach streitig. Mit Schröder I 104 ff., 157 wird man die „dos“ der 1. Burg 62 § 2 mit der „morgengeba“ identifizieren müssen. Unrichtig aber deutet er I 100 ff. u. II 3 S. 332 Anm. 1 die dos der 1. Saxon. 47, 48 und I 155 ff. die fränkische dos als Morgengabe. 421 Das Wort „Wittum“, das von Hause aus keinen Zusammenhang mit „Wittwe“ hat, wurde nunmehr auf die Wittwenschaft bezogen und daher auch mit „vidualitium“ übersetzt.
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sentlichen Erfordernissen der Eingehung einer echten Ehe, so erfolgte sie später durch einen freiwilligen Zuwendungsakt des Mannes, der auch noch während der Ehe vorgenommen werden konnte. Das Wittum bestand in fruchtbringenden Gegenständen, anfänglich wohl in Fahrniß, dann in liegendem Gut, oft auch in einem Rentenbezugsrecht, einer Geldsumme oder einer Vermögensquote. Vollzogen wurde die Uebertragung aus dem Vermögen des Mannes in das Vermögen der Frau durch dingliche Rechtsgeschäfte422. Das der Frau eingeräumte Recht ist schon während der Ehe ein dinglich gesichertes und unentziehbares Recht, äußert jedoch nur anwartschaftliche Wirkungen. Bis zur Beendigung der Ehe gehört es gleich allem Frauengut zum einheitlich verwalteten und benutzten Ehevermögen; im Falle des früheren Todes der Frau erlischt es, im Falle des früheren Todes des Mannes dagegen erstarkt es zum freien Sonderrecht der Witwe423. Je nach dem Inhalt des eherechtlichen Gedinges fällt das Wittum der Frau als vererbliches Eigentum an424 oder begründet für sie nur ein lebenslängliches Nutzungsrecht425. Im deutschen Mittelalter wurde, besonders im sächsischen Recht, die Bestellung des Wittums in Gestalt eines bloßen „Leibgedinges“ (oder „Leibzucht“) zur Regel426. Durch Wiederverheiratung gieng der Witwe auch das Leibgedinge nicht verloren427. Erst nach der Rezeption wurde überwiegend die Verrückung des Witwenstuhls als Be422 Darum bedurfte es, wenn es sich um die Uebereignung oder Belastung eines Grundstückes handelte, des Erbenlaubes. Doch ist nach Ssp. I 21 § 1 die Zustimmung auch unmündiger Erben bindend. 423 Nach Ssp. I 21 § 2 behält es auch die geschiedene Frau. 424 So die langob. meta, der burgund. Wittemon, die westgoth. dos (seit Chindaswind bei beerbter Ehe mit Einschränkungen), Desgleichen bei unbeerbter Ehe nach fränk., bayr. u. alam. Recht, anscheinend auch nach 1. Sax. 47 bei Ostfalen und Engern. Auch der Sachsensp. kennt noch die Hingabe eines Grundstückes als Wittum zu Volleigentum, die I 44 erwähnte „ursal“; vgl. v. Martitz a. a. O. S. 182 ff. 425 So bei beerbter Ehe nach fränk., bayr., alam. R. Ebenso in Ostfalen und Engern nach 1. Sax. 47, während bei den Westfalen die dos bei beerbter Ehe der Frau überhaupt verloren geht (sie wird von ihrer Errungenschaftshälfte aufgezehrt), bei unbeerbter Ehe aber nur auf Lebenszeit gebührt. 426 Der Sachsenspiegel führte gerade für dieses Recht der Ehefrau, das die Volksrechte noch als lebenslängliches und unveräußerliches Eigentum auffassen, zuerst den Begriff eines vom Eigentum verschiedenen begrenzten dinglichen Rechts in voller Schärfe durch; oben Bd. II 355 Anm. 24. Als Normalfall behandelt er die Leibzucht an Eigen; I 21 § 1. Sie blieb im Adels- und Bauernrecht immer lebendig (Witwensitz). Daneben kennt der Ssp. die besonderen Regeln unterworfene Leibzucht an Lehen; III 75. Sie erfuhr später eine reichere und freiere Entfaltung; v. Martitz S. 205 ff. Im Stadtrecht begegnet früh die Leibzucht an einer Geldrente; Rsb. n. Dist. I d. 12 c. 1. Anderswo die Leibzucht an einem Bruchteil des Mannesvermögens. Nach der Rezeption blieb trotz der auch hier nicht fehlenden Einwirkung des römischen ususfructus die Eigenart der ehegüterrechtlichen Leibzucht im Wesentlichen unversehrt. 427 Dies galt im mittelalterlichen Recht durchweg. Die Einbringung der Leibzucht in eine zweite Ehe wird oft erwähnt; vgl. Ssp. III 76 § 3, Gl. zu Ssp. Lehnr. 57, Freiberg StR I 12. Auch heben die Quellen vielfach nachdrücklich hervor, daß die Frau ihre Leibzucht nicht verlieren kann, sie verwirke sie denn durch Eigentumsanmaßung, Veräußerung oder Gutsverwüstung; Ssp. I 21 § 2, Schwabensp. 21.
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endigungsgrund der Leibzucht eingeführt428. Schon zur Zeit der Volksrechte wurde bei manchen Stämmen der Witwe in Ermangelung einer gehörigen Wittumsbestellung ein gesetzlicher Wittumsanspruch gegen die Erben des Mannes eingeräumt, an dem einzelne Partikularrechte bis in die Neuzeit festhielten429. Im Ganzen aber traten überhaupt mehr und mehr die modernen Formen der Witwenversorgung, der Einkauf in eine Witwenkasse und die gesetzlichen Witwenpensionen, an die Stelle des alten Wittums430. V. Heiratsgut und Widerlage Innerhalb des Frauengutes nahm eine als Heimsteuer, Ehesteuer, Brautschatz, Mitgift oder Heiratsgut bezeichnete Vermögensmasse dann die Merkmale einer besonderen Güterart an, wenn sie seitens der Frau oder seitens ihrer Eltern oder Versorger auf Grund bindender Vereinbarung in festgesetztem Sachbestande oder Wertbetrage dem Manne zugebracht wurde, um sie als Bestandteil des Ehevermögens für den ehelichen Gemeinschaftszweck zu verwalten und zu benutzen. Das Heiratsgut deckte sich dann nicht mehr mit dem eingebrachten Gut der Frau, wurde vielmehr von dem übrigen Vermögen der Frau rechtlich unterschieden. Auch dieses unterlag zwar, soweit es nicht ausnahmsweise als Vorbebaltsgut im Alleinbesitz der Frau blieb, der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung, erschien jedoch gegenüber dem stärker gebundenen Heiratsgut als freier verfügbares Sondergut der Frau. Das Institut verdankte seine Ausbildung den in den höheren Ständen üblichen Eheverträgen und fand die größte Verbreitung in den Ländern, in denen Eheverträge allgemein das eheliche Güterrecht bestimmten431. Nach der Rezeption wurde es zum Teil in den Rahmen des als gemeinrechtlich betrachteten 428 Bremer Ritterr. v. 1577 t. VII 4. Cod. Max. Bav. civ. I c 6 § 15. Preuß. ALR II 1 §§ 470 – 471 für „Leibgedinge“ und „Wittum“, die in §§ 457 – 478 willkürlich (jenes als Nießbrauch an Gütern oder Kapitalien, dieses als jährlich zu zahlende Geldsumme) unterschieden werden; über die Schicksale bei Ehescheidung vgl. RGer XXXVI Nr. 67. Oesterr. Gb. § 1244. Sächs. Gb. § 1705 (Witwengehalt, Wittum, Leibgedinge). 429 Eine dos legitima von bestimmter Höhe kennen die 1. Rib. 37 § 2 (50 sol.), 1. Alam. 55 (40 sol.), l. Bajuv. t. 7 c. 14 § 2, t. 14 c. 7 § 2, sowie das westgot. R. Nach jüngerem salfränkischem Recht erhält die Frau als dos legitima die tertia (ein Drittel des ganzen Mannesvermögens), die im französ. donaire des Mittelalters fortlebte. Allgemein gewährt der Cod. Max. Bav. civ. I c. 6 § 15 der Witwe einen gesetzlichen Wittumsanspruch. In verschiedener Weise bildete das Adelsrecht einen Rechtsanspruch auf Wittum aus; vgl. z. B. Bremer Ritterr. VII 1. In Kraft sind noch heute die in den Hausgesetzen des hohen Adels enthaltenen Bestimmungen über Wittumsansprüche. 430 Das BGB schweigt über das Wittum. Durch Eheverträge kann es bei jedem Güterstande ausbedungen werden. Im Uebrigen ist Bestellung durch Zuwendungsgeschäfte unter Lebenden oder von Todeswegen stets möglich. 431 So in Salzburg (Siegel a. a. O. S. 14 ff.), Oesterreich (Bartsch a. a. O. S. 9 ff.), aber auch in Bayern (Bayr. LR 107), der Schweiz (Huber IV 370), in Franken, im sächs. Weichbildrecht und Adelsrecht, in hans. Rechten (Frensdorff a. a. O. II 61). – Ueber die Anfänge handelt Hradil, Das Heiratsgut S. 26 ff. Vgl. noch Sächs. Gb. § 1659.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
römischen Dotalsystems gepreßt, bewahrte aber überwiegend sein deutschrechtliches Gepräge432. Hand in Hand mit der Ausbedingung eines bestimmten Heiratsgutes gieng im deutschen Mittelalter die vertragsmäßige Zusicherung einer Widerlage (wederwerff, Gegenvermächtniß, contrados oder dotalstum) seitens des Mannes433. Die Widerlage pflegte nach Art und Größe der Heimsteuer zu entsprechen und sollte womöglich genau den gleichen Geldbetrag erreichen. Die Schicksale des von der Frau eingebrachten Heiratsgutes und der vom Manne versprochenen Widerlage wurden zu einander in Beziehung gebracht; gewöhnlich sollte im Falle des Todes der Frau der Mann das Heiratsgut behalten, dafür aber im Falle des Todes des Mannes der Frau außer ihrem Eingebrachten die Widerlage (als augmentum dotis) gebühren434. Nach der Rezeption wurde die Widerlage vielfach mit der römischen donatio propter nuptias, die von Justinian zu einer förmlichen Gegendos ausgestaltet war, vermischt435, meist jedoch in ihrer deutschrechtlichen Form festgehalten436. In einigen Rechten entwickelte sich ein gesetzlicher Anspruch der adligen Witwen auf „Besserung des Brautschatzes“ um die Hälfte437. Aus der Verbindung der Widerlage mit dem Wittum entstand das sächsische Leibgedinge (dotalitium), das gleichfalls dem partikulären Adelsrecht angehörte438. Es gewährt der adligen Witwe ein gesetzliches Wahlrecht zwischen Herausforderung ihres Brautschatzes nebst einer gleich hohen Widerlage und dem Bezug einer Leibrente in Höhe von zehn Prozent dieses Betrages. Wählt sie die Rente, so verliert sie das Kapital: „Leibgut schwindet Hauptgut“. Durch Wieder432 Insbesondere gieng die Heimsteuer, auch wenn sie als dos bezeichnet wurde, regelmäßig nicht in das Eigentum des Mannes über. Und die Einheit des Ehevermögens blieb dadurch gewahrt, daß auch das als Paraphernalvermögen aufgefaßte sonstige Eingebrachte der Frau der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung unterworfen blieb. 433 Vgl. Schröder II 1 S. 76 ff., II 2 S. 346 ff., Beseler § 126 III b. Stobbe IV § 283 II 1 –, § 296 II. Heusler, Inst. II § 143 S. 370 ff. Erhart a. a. O. S. 465 ff. v. Martitz a. a. O. S. 356 ff. Siegel a. a. O. S. 15 ff. Bartsch a. a. O. S. 30 ff., 49 ff. Hradil a. a. O. S. 91 ff. Huber, Schweiz. PR IV 373 ff. Hübner, Grundz. § 95 III 3. Quellenstellen bei Kraut, Grundr. § 170. 434 Dadurch unterscheiden sich die Widerlage von älteren Gegenversprechen des Mannes, die nur auf Rückerstattung des vollen Wertes des Brautschatzes abzielten. – Die Widerlage fiel der Witwe meist als freies Eigentum an; war sie nur zu lebenslänglichem Genuß ausgesetzt, so gieng sie doch durch Wiederverheiratung nicht verloren. 435 Schon die Gl. zu Sächs. Lehnr. 31 spricht von donatio propter nuptias, die wir ein ehegelt heißen. Vgl. Frankf. Ref. III, 2: Heiraten mit Geding, die mit Bestimmung der Zugift oder Ehesteuer und der Widerlegung, in Latein Dos et Donatio propter nuptias genannt. 436 So im Cod. Max. Bav. civ. I, 6 § 14 u. Oest. Gb. § 1230. Ziemlich willkürlich sind die Bestimmungen des Preuß. ALR II, 1 §§ 456, 459, 469 über „Gegenvermächtniß“. 437 So im märk. R. (zu Eigentum), Meckl. R. (zu Nießbrauch), Ditmars. R., Bremer Ritterr. 438 Vgl. Beseler § 126 III c; Gengler, Grundz.4 § 157, 4. Hauptsächlich geregelt in den Kursächs. Konst. v. 1572 P. II c. 42 u. 44, der Konst. f. Hinterpommern v. 1691 T. 17 § 1, der Konst. für die Ritterschaft der Neumark v. 1724 T. 2 §§ 22, 23, 28. Im K. Sachsen durch G. v. 31. Jann. 1829 aufgehoben.
2. Titel: Verwaltungsgemeinschaft
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verheiratung büßt sie die Rente nicht ein. Aber: „Reiche Witwen machen arme Kinder“. VI. Hochzeitsgeschenke Wechselseitige Hochzeitsgeschenke unter Ehegatten, die im älteren deutschen Recht unter dem Namen des „Mahlschatzes“ (Treuschatzes) vielfach die Bedeutung von Formelementen des Verlöbniß- oder Eheabschlusses hatten439, unterliegen nach den meisten Gesetzen der Rückforderung im Falle der Ehescheidung. Nach dem BGB steht dem schuldlosen Ehegatten ein Widerrufsrecht zu440. Hochzeitsgeschenke Dritter gehören, wenn sich nicht aus der ausdrücklichen Bestimmung des Schenkers oder der Beschaffenheit des Gegenstandes ein Anderes ergiebt, beiden Ehegatten gemeinschaftlich 441; nach dem BGB aber empfängt bei unbeerbten Ehen der überlebende Ehegatte alle Hochzeitsgeschenke als erbrechtliches Voraus442. VII. Nadelgeld Als Nadelgelder (Spielgelder, Trüffelgelder) werden seit dem Mittelalter vertragsmäßig festgesetzte Renten bezeichnet, die vom Manne der Frau zu vollkommen freier Verfügung während der Ehe zu zahlen sind443. Sie sind besonders im hohen Adel üblich geblieben, können aber natürlich bei jeder Ehe durch Ehevertrag ausbedungen werden444.
Vgl. meine Schrift über Schuld und Haftung S. 367. Oben § 251 V. 441 Preuß. ALR I 2 §§ 172, 754, 776. Ebenso für das heutige R. KGer Berlin b. Seuff. LXII Nr. 181. 442 BGB § 1932. 443 Vgl. Stobbe-Lehmann § 292 Anm. 4; Pauli, Abh. aus dem lüb. R. II 52 ff.; Frensdorff a. a. O. II 74 ff. Dazu Cod. Max. Bav. civ. I c. 6 § 23 Nr. 3, Berner ZGB § 90; Zürch. Gb. § 597. 444 Das Recht der Frau gehört, wie nach den in der vor. Anm. angef. Gesetzbüchern, so auch nach BGB zu ihrem Vorbehaltsgut. 439 440
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Dritter Titel
Gütertrennung § 266. Begriff, Geschichte und Wesen der Gütertrennung I. Begriff Man spricht von Gütertrennung, wenn die Ehe keinerlei vereinigende Wirkung auf das Vermögen der Ehegatten ausübt. Doch ist es mit dem Begriff der Gütertrennung vereinbar, daß besondere vermögensrechtliche Institute ausgebildet sind, die darauf abzielen, einzelne Vermögensteile den Zwecken der Ehe dienstbar zu machen. II. Geschichte Das ältere deutsche Recht kannte keine Gütertrennung. Erst mit der Aufnahme des römischen Rechts fand sie bei uns Eingang. Das römische Dotalsystem, das seit dem Verschwinden der Manusehe zur ausschließlichen Herrschaft gelangt war, legt den Gedanken der Gütertrennung zu Grunde. Mann und Frau stehen in Vermögensangelegenheiten einander und Dritten wie unverbundene Personen gegenüber; ihr Vermögen bleibt nicht nur der Zuständigkeit nach, sondern auch der Verwaltung und Nutzung nach vollkommen gesondert. Allein von Seiten der Frau (sei es von ihr selbst oder von ihrem Vater oder einem Dritten für sie) wird dem Manne regelmäßig als Beitrag zu den von ihm zu tragenden „onera matrimonii“ eine „dos“ bestellt, die besonderen ehegüterrechtlichen Schicksalen unterliegt. Die dos, die in beliebigen fruchttragenden Sachen oder Rechten bestehen kann, geht in das Eigentum das Mannes über. Sie ist aber bei Auflösung der Ehe der Frau oder dem Geber zurückzuerstatten und bildet darum ein nicht nur schuldrechtlich, sondern zugleich dinglich gebundenes Sondergut innerhalb des Mannesvermögens. Dazu tritt als ein zweites ehegüterrechtliches Institut der Römer die vom Manne der Frau als Gegengabe gewährte „donatio propter nuptias“445. Nach der Rezeption wurde das römische Dotalsystem für gemeines deutsches Recht ausgegeben, vermochte aber nur in wenigen Rechtsgebieten sich wirkliche Geltung zu verschaffen. Im Uebrigen konnte es die einheimischen Güterstände nicht verdrängen und wirkte nur in einzelnen Beziehungen vielfach umbildend auf dasselbe ein. Immerhin erlangte es in einigen Landschaften, wie im Herzogtum Westfalen (Arnsberg), in Braunschweig, in Teilen von Hannover und Mecklenburg 445 Für die Einzelheiten des Dotalsystems sei hier auf Windscheid-Kipp III §§ 491 – 508 verwiesen.
3. Titel: Gütertrennung
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und im bayrischen Kreise Schwaben, die Anerkennung als allgemeiner gesetzlicher Güterstand. Anderswo wurde es zum gesetzlichen Güterstande für die Angehörigen der höheren Stände, wie in Lippe für den Adel, in Kurhessen, Neuvorpommern und Rügen und Teilen von Mecklenburg für alle schriftsässigen Personen, erhoben. Auch galt es überall auf gemeinrechtlichem Boden mangels besonderer Abrede als vereinbart, wenn die gesetzliche Verwaltungs- oder Gütergemeinschaft durch Ehevertrag ausgeschlossen wurde446. Indessen erfuhr das römische Dotalsystem fast überall, wo es in Deutschland gesetzlicher Güterstand wurde, gewohnheitsrechtliche Abwandlungen, die es der Verwaltungsgemeinschaft näherten. Es entsprach der deutschen Sitte, daß die Frau dem Manne ihr ganzes Vermögen, soweit sie nicht einzelne Teile desselben behufs Verwendung für besondere Zwecke der eignen Verwaltung vorbehielt, der Verwaltung, und zwar der freien Verwaltung des Mannes übertrug. Im Anschluß hieran bildete sich eine feste Rechtsregel aus, nach der das von der dos unterschiedene „Paraphernalvermögen“ der Frau, soweit es nicht der Verwaltung des Mannes entzogen war, als seiner freien Verwaltung überlassen gelten sollte447. Dagegen trat die dos stark zurück. Wurde auch das von der Frau als Heiratsgut oder Mitgift dem Manne zugebrachte Vermögen dem Begriff der dos unterstellt, so wurde es doch in der Praxis vielfach mehr im Sinne des deutschen eingebrachten Gutes behandelt. Der Uebergang des Eigentums auf den Mann widersprach der deutschen Anschauung. Zum Teil wurde das Recht des Mannes ausdrücklich auf ein Verwaltungs- und Nutzungsrecht beschränkt448. Unter den großen Gesetzbüchern legte das Oesterreichische der in Ermangelung von Ehepakten eintretenden Ehegüterrechtsordnung das römische Dotalsystem zu Grunde und sicherte den deutschrechtlichen Bildungen nur durch eingehende Bestimmungen über Ehepakten ihren Fortbestand449. Allein es wandelte das Dotalsystem im Sinne einer sehr starken Annäherung an die deutschrechtliche Verwaltungsgemeinschaft ab. An dem als „Heiratsgut“ bezeichneten Dotalgut gewährt es dem Manne in Uebereinstimmung mit dem einheimischen Herkommen nur ein dingliches Recht des Fruchtgenusses450. Aber auch an dem freien Vermögen („Paraphernalgut“) der Frau räumt es dem Manne insoweit, als die Frau nicht 446 Übersichten über die praktische Geltung des römischen Dotalsystems in Deutschland b. Neubauer, Das in Deutschland geltende eheliche Güterrecht zusammengestellt, 1879, Roth, Deut. PR II §§ 95 – 99. Stobbe-Lehmann IV § 297. 447 Ein allgemeines deutsches Gewohnheitsrecht dieses Inhaltes nimmt das RGer III Nr. 57 an. Vgl. ferner RGer b. Seuff. XLII Nr. 38. 448 So in Anhalt. Vielfach war es streitig, ob in solchen Fällen deutschrechtlich modifiziertes Dotalsystem der römischrechtlich modifizierten Verwaltungsgemeinschaft anzunehmen sei. – Inwiefern die „Aussteuer“ der Frau als Teil der dos ins Mannesvermögen übergehe oder Eigentum der Frau bleibe, wurde vielfach ungleich entschieden; vgl. z. B. Seuff. XLIV Nr. 192, LIV Nr. 227; anders XLVIII Nr. 27. 449 Vgl. Krainz-Pfaff-Ehrenzweig II § 435 ff. 450 A. a. O. § 437, § 438.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
widerspricht, Verwaltung und Nutznießung ein451. Außerdem stattet es den Mann mit einer gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretungsmacht in Vermögensangelegenheiten der Frau aus452. In ähnlicher Weise hat das französische Gesetzbuch in Anlehnung an die in den Ländern des geschriebenen Rechts vollzogene Umbildung des römischen Rechts das Dotalsystem als einen besonderen vertragsmäßigen Güterstand geregelt, der manche Verwandtschaft mit der Verwaltungsgemeinschaft aufweist453. Darin unterscheidet es den Güterstand der eigentlichen Gütertrennung, der ebenfalls durch Gütervertrag begründet werden kann454, in gewissen Fällen aber auch von Rechtswegen eintritt455. Das deutsche bürgerliche Gesetzbuch behandelt die Gütertrennung als einen besonderen ehelichen Güterstand, der die doppelte Funktion eines vertragsmäßigen Güterrechtssystems und einer subsidiären gesetzlichen Güterrechtsordnung für außerordentliche Fälle zu erfüllen hat456. Seine Regeln sind durch landesgesetzliche Überleitung zum Teil auch für ältere Ehen an Stelle früherer Bestimmungen, die auf dem Trennungsprinzip beruhten, getreten. Doch ist das römische Dotalrecht als gesetzlicher Güterstand überwiegend vielmehr in die Verwaltungsgemeinschaft des neuen Rechts übergeleitet457. Nur in Braunschweig und Lippe hat eine Überleitung in die Gütertrennung stattgefunden458. Dagegen ist regelmäßig jede durch Ehevertrag begründete Gütertrennung einschließlich des vertragsmäßig eingeführten römischen Dotalrechts in die Gütertrennung des BGB übergeleitet459. A. a. O. § 439. Oesterr. Gb. § 1034; a. a. O. § 439 III. 453 Code civ. a. 1540 – 1591. Zachariae-Crome §§ 504 – 511. Das Dotalgut bleibt Eigentum der Frau, unterliegt aber der Verwaltung und dem Fruchtgenuß des Mannes; liegendes Dotalgut ist unveräußerlich. Die Frau kann ihr ganzes Vermögen oder beliebige Gegenstände als Dotalgut bestellen oder die Bestellung ganz unterlassen; dagegen gilt in Ansehung des von Eltern oder von Dritten im Ehevertrage zugewendeten Heiratsguts eine Vermutung für Dotaleigenschaft. An ihrem Paraphernalgut behält die Frau Verwaltung und Fruchtgenuß, jedoch freie Verfügung nur an Mobilien; sie schuldet jedoch, wenn es an einer dos fehlt, dem Manne einen im Zweifel bis zu 1 / 3 ihrer Einkünfte reichenden Beitrag zu den Ehelasten; sie kann aber auch die Verwaltung dem Manne überlassen. 454 Code civ. a. 1536 – 1539; Zachariae-Crome § 502 („clause de séparation de biens“). Keine dos. Aber Beitragspflicht der Frau (bis zu 1 / 3 ihrer Einkünfte) zu den Lasten der Ehe. Möglichkeit der Überlassung von Verwaltung und Nutznießung an den Mann, jedoch Unzulässigkeit der Ermächtigung des Mannes zur Veräußerung von Immobilien. 455 Insbesondere gemäß Code civ. a. 1443 ff. bei gerichtlicher Gütertrennung auf Klage der Frau, sowie gemäß a. 311 bei Trennung der Ehe von Tisch und Bett. Vgl. ZachariaeCrome § 486. 456 Oben § 253 Anm. 14 ff. 457 So durch Preuß. AG 49, Bayr. a. 90, Hess. a. 195, Meckl. Schw. § 211, Str. § 209, Weim. § 184, Meining. § 25, Schaumb.-Lippe § 21, Waldeck a. 25. Vgl. oben § 259 Anm. 171. 458 Braunschw. AG § 73 (doch gilt für das Heiratsgut der Frau das gesetzliche Güterrecht des BGB); Lippe § 35. 451 452
3. Titel: Gütertrennung
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Auch das schweizerische Zivilgesetzbuch behandelt die Gütertrennung als einen besonderen ehelichen Güterstand und widmet ihm eine eigne gesetzliche Regelung460, die für den Fall ihrer Einführung durch Ehevertrag für abweichende Vereinbarungen Raum läßt, dagegen unabänderlich gilt, wenn die Gütertrennung als außerordentlicher gesetzlicher Güterstand kraft Konkurses oder kraft richterlicher Anordnung eintritt461. III. Wesen Wäre der Grundgedanke der Gütertrennung voll durchgeführt, so wäre sie überhaupt kein „ehelicher Güterstand“, sondern lediglich die Verneinung eines solchen. Denn die Ehegatten sollen ja eben in Ansehung ihrer vermögensrechtlichen Beziehungen zueinander wie zu Dritten behandelt werden, als seien sie unverheiratet. Allerdings läßt sich, wenn Ehegatten in häuslicher Gemeinschaft leben, eine besonders enge tatsächliche Verflechtung ihrer ökonomischen Verhältnisse nicht aus der Welt schaffen. Allein die Rechtsordnung könnte darauf verzichten, dafür andere Rechtsgrundsätze aufzustellen, als sie für die etwaige Haushaltsgemeinschaft zusammenlebender Geschwister oder Freunde gelten. In der Tat hat das BGB für den Fall der Gütertrennung im Gegensatz zum römischen Recht eigenartige eheliche Güterarten, die das Prinzip der Vermögenssonderung in Folge ihrer Zweckbestimmung für die eheliche Gemeinschaft durchbrechen, nicht gesetzlich ausgestaltet. Das Rechtsinstitut der Dos als eines dem Manne für die Dauer der Ehe übertragenen Sonderguts ist verschwunden. Auch die donatio propter nuptias ist dem BGB fremd. Nur durch Ehevertrag kann mit der Gütertrennung die Schaffung besonderer ehelicher Güterarten verbunden werden, die sich entweder an die römischen Vorbilder anlehnen oder die deutschrechtlichen Gebilde nachahmen. Trotzdem hat das BGB auch bei der Gütertrennung dem Ehebande nicht jeden Einfluß auf die Vermögensverhältnisse der Ehegatten versagt. Vielmehr bleiben zunächst von der Gütertrennung die allgemeinen Vermögenswirkungen der personenrechtlichen Gemeinschaft der Ehegatten unberührt. So die Rechte und Pflichten des Mannes als Gemeinschaftshaupt; die Schlüsselgewalt der Frau, die Eigentumsvermutungen, die gegenseitigen Unterhaltspflichten. Überdies aber gelten bei der Gütertrennung einige besondere Rechtssätze in Ansehung der Beitragspflicht der Frau zu den Lasten der Ehe und der freiwilligen Überlassung der Verwaltung des 459 Vgl. Preuß. AG a. 582, 56 § 8, Bayr. a. 942, 137, Sächs. a. 34, Hess. a. 258, Oldenb.Birkenf. § 55, Elsaß-Lothr. § 157, dazu Seuff. LXX Nr. 198. Nur nach Hess. AG a. 199 ist auch das vertragsmäßige gemeine Dotalrecht in die Verwaltungsgemeinschaft übergeleitet. – Der Überleitung überhaupt entzogen ist das vertragsmäßige Dotalsystem des französ. Rs; Preuß. a. 56 § 10, Hess. a. 252; Oldenb.-Birkenf. § 59; Elsaß-Lothr. § 160. 460 Schweiz. ZGB a. 241 – 247. Erheblich eingehender, als das deutsche BGB! 461 Gemäß Schweiz. ZGB a. 182 – 187.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Frauenguts an den Mann. In Folge hiervon erscheint auch die Gütertrennung als ein „ehelicher Güterstand“. Es ist möglich, daß durch Ehevertrag die gesetzlichen Abschwächungen des Trennungsprinzips wegbedungen werden. Damit erst wird dann eine Gütertrennung hergestellt, die überhaupt kein „ehelicher Güterstand“ mehr ist.
§ 267. Rechtsverhältnisse bei der Gütertrennung I. Eintritt Die Gütertrennung tritt in drei Gruppen von Fällen als außerordentlicher gesetzlicher Güterstand von Rechtswegen ein: wenn die Ehefrau bei Schließung der Ehe in der Geschäftsfähigkeit beschränkt war oder ihr gesetzlicher Vertreter nicht eingewilligt hatte462; wenn die ehemännliche Verwaltung und Nutznießung oder eine eheliche Gütergemeinschaft während der Ehe aufgehoben wird, die Ehe selbst aber fortbesteht463; wenn die eheliche Gemeinschaft nach ihrer gerichtlichen Aufhebung wiederhergestellt wird464. Die Gütertrennung kann überdies jederzeit vor oder während der Ehe durch Ehevertrag eingeführt werden; als vertragsmäßiger Güterstand tritt sie schon ein, wenn die Verwaltung und Nutznießung ausgeschlossen oder eine Gütergemeinschaft aufgehoben wird, ohne etwas Anderes zu bestimmen465. II. Verhältniß unter den Ehegatten Da die Ehe grundsätzlich keine vereinigende Wirkung auf das Vermögen ausübt, giebt es kein Ehevermögen, sondern nur getrenntes Mannes- und Frauenvermögen. Das Mannesvermögen erleidet so wenig eine Veränderung, wie durch die Verwaltungsgemeinschaft. Hier aber bleibt auch das Frauenvermögen der alleinigen Herrschaft der Frau unterworfen. Es giebt kein eingebrachtes Gut. Alles Vermögen der Frau wird nach denselben gesetzlichen Regeln beurteilt, die bei dem gesetzlichen Güterstande für ihr Vorbehaltsgut gelten. BGB § 1426 mit § 1364; oben § 254 Anm. 19. BGB § 1426 mit §§ 1418 – 1420, 1470, 1545, 1549. Der Eintritt erfolgt mit der Rechtskraft eines gerichtlichen Urteils, das die Gemeinschaft auf Verlangen eines Ehegatten (bei der Verwaltungsgemeinschaft nur der Frau, bei den Gütergemeinschaften möglicherweise auch des Mannes) aufhebt; mit der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Mannes bei der Verwaltungsgemeinschaft und der Errungenschaftsgemeinschaft; mit dem als Todestag geltenden Zeitpunkt im Falle der Todeserklärung des Mannes bei der Verwaltungsgemeinschaft oder eines Ehegatten bei der Errungenschaftsgemeinschaft. Vgl. oben § 254 Anm. 23 – 24. 464 BGB § 1587; oben § 252 Anm. 1060. 465 BGB § 1436. In diesem Falle mit M. Wolff § 59 Anm. 5 von einem Eintritt der Gütertrennung kraft Gesetzes zu reden, scheint mir unrichtig. 462 463
3. Titel: Gütertrennung
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In zwei Punkten jedoch gelten besondere Regeln, in denen die Eigenart des ehelichen Verhältnisses zum Durchbruch kommt. 1. Hinsichtlich der Tragung der Ehelasten Der Mann hat den ehelichen Aufwand zu tragen466. Die Frau aber schuldet ihm zu dessen Bestreitung einen angemessenen Beitrag aus den Einkünften ihres Vermögens und dem Ertrage ihrer Arbeit oder eines von ihr selbständig betriebenen Erwerbsgeschäftes467. Die Angemessenheit des Beitrags richtet sich nach den dem Stande und den gesellschaftlichen Verhältnissen des Ehepaares entsprechenden Bedürfnissen der ehelichen Lebensgemeinschaft einerseits und den vorhandenen Mitteln der Ehegatten andererseits468. Inhaltlich geht der Anspruch des Mannes immer nur auf reine Geldleistung469. Die Beitragsschuld der Frau entsteht mit dem Eintritt des Güterstandes der Gütertrennung; doch kann der Mann für die Vergangenheit die Leistung nur insoweit verlangen, als die Frau ungeachtet seiner Aufforderung mit der Leistung im Rückstande geblieben ist. Der Anspruch des Mannes ist unübertragbar, somit auch unpfändbar. Zum Zwecke der Bestreitung des eignen Unterhalts und des Unterhaltes der gemeinschaftlichen Kinder kann die Frau den Beitrag, insoweit er dazu erforderlich ist, zu eigner Verwendung zurückbehalten, wenn die Gewährung des Unterhaltes seitens des dazu verpflichteten Mannes erheblich gefährdet oder der Mann entmündigt oder für ihn ein Vermögenspfleger oder ein Abwesenheitspfleger bestellt ist470. Wenn die Frau freiwillig über ihre Beitragspflicht hinaus etwas behufs Bestreitung des ehelichen Aufwandes aufwendet oder dem Manne überläßt, so wird vermutet, daß sie Ersatz nicht verlangen will471. Die Beitragspflicht der Frau ist ehegüterrechtlicher Natur. Sie fließt von Rechts wegen aus dem gesetzlichen oder vereinbarten Eintritt des Güterstandes der Gütertrennung. Dadurch unterscheidet sie sich von der das römische Dotalsystem kenn466 BGB § 14271. Genau wie bei der Verwaltungsgemeinschaft nach § 13891. Also aus eignen Mitteln. 467 BGB § 14272. Die Beitragspflicht besteht unabhängig von der Bedürftigkeit des Mannes. Auch wenn der Mann im Stande ist, aus einem geringen Teil seiner Einkünfte oder seines Arbeitsverdienstes den ehelichen Aufwand zu bestreiten, ist die Frau beitragspflichtig, mag sie auch über weit geringere Mittel verfügen. Den Stamm ihres Vermögens braucht sie hierzu nicht anzugreifen. Doch ist bei Bemessung der Höhe ihres Beitrags davon auszugehen, daß auch der Mann zunächst nur Einkünfte und Erwerb für die Bestreitung der Ehelasten verwenden soll. 468 Im Streitfalle hat das Prozeßgericht die Höhe des Beitrags festzusetzen. Das Vormundschaftsgericht entbehrt jeder Zuständigkeit. 469 Vgl. RGer LXXXVII Nr. 11 S. 58. 470 BGB § 1428. Eine Verletzung der Unterhaltspflicht braucht noch nicht eingetreten zu sein. 471 BGB § 1429. Auslegungsregel; RGer in JWSchr 1909 S. 661.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
zeichnenden Beitragsleistung der Frau in Gestalt einer auf freiwilliger rechtsgeschäftlicher Bestellung beruhenden Dos. In gewissem Umfange verwirklicht sie den Gedanken, daß der personenrechtlichen Lebensgemeinschaft der Ehegatten grundsätzlich auch eine vermögensrechtliche Gemeinschaft in Ansehung der durch diese Gemeinschaft begründeten ökonomischen Lasten entspringt. Insoweit führt das BGB die Grundidee der Güterstände deutscher Herkunft auch in die Gütertrennung ein. Handelt es sich aber um eine ehegüterrechtliche Gegetzesregel, so ergiebt sich aus den allgemeinen Grundsätzen des BGB, daß für die einzelne Ehe Abweichendes vereinbart werden kann, sobald nur die Form des Ehevertrages gewahrt wird. Somit kann einerseits durch Ehevertrag die Beitragspflicht der Frau wegbedungen oder eingeschränkt werden, während ein in anderer Weise erklärter Verzicht des Mannes auf Beiträge ihn für die Zukunft nicht bindet. Andererseits kann durch Ehevertrag ein Beitrag von bestimmter Höhe festgesetzt oder der Frau die Überlassung von Gebrauchsgegenständen (z. B. der Haushaltseinrichtung) als Beitragsleistung aufgebürdet werden, während wieder ein gewöhnlicher Vertrag dem Manne einen Anspruch solchen Inhaltes nicht zu verschaffen vermag472. Unabhängig von der Beitragspflicht zu den Ehelasten besteht bei der Gütertrennung wie bei jedem Güterstande die subsidiäre Unterhaltspflicht der Ehefrau, die personenrechtlicher Natur und darum auch durch Ehevertrag nicht abänderlich ist. Sie kann der Frau auch dann, wenn ihr eine Beitragspflicht nicht obliegt, eine Schuld zu Vermögensleistungen an den Mann auferlegen473. 2. Hinsichtlich der freiwilligen Überlassung der Verwaltung Jeder Ehegatte kann dem anderen sein Vermögen ganz oder teilweise zur Verwaltung überlassen. Dann gelten, soweit der Gedanke der Gütertrennung streng durchgeführt wird, die Regeln des Auftrags, wie unter Fremden. Das BGB aber beläßt es hierbei nur, wenn der Mann der Frau eine Vermögensverwaltung überträgt. Dagegen gewährt es im Falle der Verwaltungsüberlassung seitens der Frau im Anschluß an die in Deutschland durchgedrungene Abwandlung des römischen 472 Eingehende Erörterungen über die hier einschlägigen Fragen finden sich im Erk. des RGer v. 29. 4. 15 ZS. LXXXVII Nr. 11 S. 56 – 63. Eine Frau, die während ihrer Minderjährigkeit, ohne Einwilligung des Vaters geheiratet hatte, verlangte, als sie später vom Manne getrennt lebte, die Herausgabe der von ihr ins Haus gebrachten Einrichtungsgegenstände. Das RGer verwirft den Einwand, es sei vertragsmäßig (stillschweigend) vereinbart worden, die Hauseinrichtung solle als Beitrag für die Zwecke der Ehe dienen, als unerheblich, weil dies eine der Ehevertragsform bedürftige Änderung des Güterstandes gewesen wäre (S. 60). Doch sieht es als möglich an, daß der Herausgabeanspruch im einzelnen Falle an § 1353 scheitert, weil das Verlangen der Frau dem sittlichen Wesen der Ehe widerspricht. Denn dieses Wesen sei auch für das Vermögensrecht maßgebend und schließe z. B. den Anspruch der Frau aus, falls der Mann nicht in der Lage ist, die Hauseinrichtung seinerseits anzuschaffen, und so der gemeinschaftliche Haushalt durch deren Herausgabe unmöglich würde (S. 62 – 63). 473 BGB §§ 1360 – 1361. Ebenso möglicher Weise die mütterliche Unterhaltspflicht gegenüber gemeinschaftlichen Abkömmlingen; § 16062.
3. Titel: Gütertrennung
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Dotalsystems dem Manne ein freieres Verwaltungsrecht. Nach der gesetzlichen Regelung kann dann der Mann die Einkünfte, soweit sie nicht zur Bestreitung der Verwaltungskosten und zur Erfüllung der ordnungsmäßiger Weise aus den Einkünften zu bestreitenden Verpflichtungen der Frau erforderlich sind, nach freiem Ermessen verwenden, so daß er weder Rechnung zu legen noch die Ersparnisse herauszugeben braucht. Doch kann die Frau jederzeit eine abweichende Bestimmung treffen; sie kann von Hause aus dem Manne ein beschränkteres Recht einräumen, aber auch nach erfolgter Überlassung das Recht des Mannes einschränken oder die Herausgabe der überlassenen Vermögensgegenstände zu eigner Verwaltung verlangen474. Auch diese besondere gesetzliche Regelung der Wirkungen einer Vereinbarung, durch die die Verwaltung von Frauenvermögen in die Hand des Mannes gelegt wird, ist ehegüterrechtlicher Natur. Der § 1430 des BGB ist ein wesentlicher Bestandteil der Bestimmungen, die der Gütertrennung des BGB den Charakter eines ehelichen Güterstandes verleihen. Dabei führt er wieder in die Gütertrennung ein deutschrechtliches Gedankenelement ein, indem er der personenrechtlichen Verbundenheit der Ehegatten eine Einwirkung auf die Vermögensverhältnisse beilegte, die der im Wesen der Ehe begründeten Stellung des Mannes als Gemeinschaftshaupt entspricht. Darum kann er auch durch Ehevertrag, aber eben nur durch Ehevertrag abgeändert werden. Der Ehevertrag kann seine Geltung wegbedingen. Durch Ehevertrag können aber auch die Rechte des Mannes erweitert werden. Insbesondere kann die Frau das ihr nach § 1430 zustehende Recht, in jedem Augenblick durch einseitige Willenserklärung den Verwaltungsüberlassungsvertrag aufzuheben oder einzuschränken, durch Ehevertrag ganz oder teilweise aufgeben, während ein in anderer Form ausgesprochener Verzicht auf ihre gesetzliche Befugniß sie nicht zu binden im Stande wäre475. 474 BGB § 1430. Die Verwaltungsüberlassung ist Vertrag (nicht Ehevertrag) und fordert daher Willenseinigung beider Teile. Über die Rechte und Pflichten des Mannes entscheidet zunächst die getroffene Vereinbarung, in Ermangelung besonderer Abreden aber die Vorschrift des § 1430 und erst, soweit diese dafür Raum läßt, das für den Auftrag geltende Gesetzesrecht der §§ 662 – 672. Unberührt bleibt z. B. die Auskunftspflicht aus § 666; RGer LXXXVII 108. Ebenso die Rechnungslegungs- und Herausgabepflicht aus §§ 666 – 667, soweit es sich um den Vermögensstamm handelt; während sie mangels anderer Bestimmung der Frau hinsichtlich der bezogenen Einkünfte wegfällt; Seuff. LXX Nr. 198. (A.M. bezüglich der bei Beendigung der Verwaltung noch vorhandenen unverbrauchten Einkünfte Cosack § 327 III 4 mit § 323 I 3; vgl. gegen ihn Schmidt zu § 1430 Bem. 3 b, Wieruszowski II 487 ff., Wolff § 59 Anm. 15). Auch die freie Widerruflichkeit aus § 671; Rspr. d. OLR XII 308. Ferner unter Umständen die Haftung der Frau aus § 831; RGer XCI 363. Möglicherweise, wenn der Mann Entgelt empfängt, auch § 675. – Eine entsprechende Anwendung der für das gesetzliche Verwaltungsrecht des Mannes am eingebrachten Gut geltenden Grundsätze ist unzulässig; Wolff § 59 S. 225. Wie es sich mit dem Eigentumserwerb an Früchten des verwalteten Guts verhält, ist streitig; vgl. bes. Wieruszowski II 492 ff., Joerges S. 180 ff., Wolff Anm. 14. 475 A.M. Wieruszowski II 504 ff. Vgl. aber RGer Recht 1911 Nr. 1149. Auch Wolff § 59 Anm. 13.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Soweit die Ehefrau ihr Vermögen selbst verwaltet, schuldet sie dem Manne keinerlei Rechenschaft. Nicht einmal zur Auskunfterteilung über den Stand ihres Vermögens ist sie regelmäßig dem Manne verpflichtet476. III. Dritten gegenüber stehen die Ehegatten hinsichtlich ihres Vermögens, soweit nicht die allgemeinen Ehewirkungen, insbesondere die Schlüsselgewalt der Ehefrau und die Eigentumsvermutungen dies ändern, unverheirateten Personen gleich. Der Mann hat keinerlei Macht über Frauengut. Die Frau kann über ihr Vermögen selbständig verfügen. Ihre Gläubiger können ihr ganzes Vermögen ungehindert angreifen. Allein die Gütertrennung kann einem Dritten, der sie nicht kennt, nur entgegengesetzt werden, wenn sie ins Güterrechtsregister eingetragen ist477.
Vierter Titel
Allgemeine Gütergemeinschaft § 268. Begriff, Geschichte und Wesen der allgemeinen Gütergemeinschaft I. Begriff Allgemeine Gütergemeinschaft ist der eheliche Güterstand, bei dem grundsätzlich alles Vermögen der Ehegatten in ein einziges Vermögen verschmilzt, das den Ehegatten gemeinschaftlich zusteht. Hier bewirkt also die personenrechtliche Verbundenheit eine innere Vereinigung der äußeren Lebensgüter. Bei voller Durchführung des Grundgedankens der allgemeinen Gütergemeinschaft giebt es überhaupt kein Sondervermögen eines Ehegatten. Allein nach heutigem Recht, wie nach allen bisherigen Rechten, sind Ausnahmen möglich, da jeder Ehegatte in seiner personenrechtlichen Einzelstellung vermögensfähig bleibt. Dem „Gesamtgut“ des Ehepaares kann daher „Einhandsgut“ eines Ehegatten zur Seite treten, ohne daß, weil es sich eben nur um besonders begründete Ausnahmen handelt, die Gütergemeinschaft aufhörte, eine „allgemeine“ zu sein.
476 Doch wird man kaum dem RGer beistimmen, wenn es im Erk. v. 21. 11. 18 b. Seuff. LXIV Nr. 88 die Auskunftspflicht der Frau auch dann verneint, wenn er ihr Vermögen kennen muß, um eine richtige Steuererklärung abzugeben, weil ihr Vermögen dem seinen zugerechnet wird (oben § 244 Anm. 599). Vielmehr ergiebt sich hier die Auskunftspflicht m. E. aus der allgemeinen Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 13531), da die steuerrechtliche Behandlung des Ehepaares als einer vom Manne repräsentierten Personeneinheit auf dieser beruht. 477 BGB § 1431. Ebenso die Wiederherstellung der Verwaltungsgemeinschaft, wenn ihre Aufhebung eingetragen ist. Vgl. oben § 256 Anm. 78 u. 80.
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II. Geschichte478 Die allgemeine Gütergemeinschaft entwickelte sich im deutschen Mittelalter als Abschlußform der Bewegung, die dem Gedanken der ehelichen Genossenschaft eine die Eigentumsverhältnisse am Vermögen vergemeinschaftende Kraft verlieh und somit eine eheliche Vermögensgemeinschaft zur gesamten Hand schuf479. Ihre Vorstufe war regelmäßig die in mehreren Volksrechten anerkannte Errungenschaftsgemeinschaft, aus der zunächst eine auf die gesamte Fahrniß und sodann eine auch auf die Liegenschaften erstreckte Eigentumsgemeinschaft erwuchs. Dabei vermittelte den Übergang einerseits die vor Allem im fränkischen Recht ausgebildete Steigerung der Verwaltungsgemeinschaft zu einer allgemeinen Verfügungsgemeinschaft, kraft deren auch über Grundstücke, mochte auch das Eigentum an ihnen noch dem Manne oder der Frau vorbehalten bleiben, das Ehepaar nur mit gesamter Hand verfügen konnte480. Andererseits wirkte die in mancherlei Gestalt bei Auflösung der Ehe aufkommende Quotenteilung, bei der es auf die Herkunft der einzelnen Vermögensgegenstände nicht ankam, auf die Verhältnisse während der Ehe zurück und konnte, wenn sie das ganze Vermögen ergriff, die Vorstellung einer zu Grunde liegenden Eigentumsgemeinschaft an allem Vermögen zeitigen481. Endlich wurden besonders in den Städten und später auch auf dem Lande Eheverträge üblich, durch die Ehegatten einander ihr ganzes Vermögen gegenseitig vergabten482. Dann gieng wohl auch auf dem Wege des Gewohnheitsrechts oder der Stadtrechtskodifikation aus der Vertragssitte die Einführung der allgemeinen Gütergemeinschaft als des gesetzlichen Güterstandes hervor. Im Laufe des Mittelalters wurde die allgemeine Gütergemeinschaft zum gesetzlichen Güterstande für den dritten Teil Deutschlands und behauptete dieses Gebiet im Wesentlichen nach der Rezeption483. Doch wies sie in ihrer Ausgestaltung mannichfach tiefgreifende Verschiedenheiten auf. So wurde der dem Manne kraft sei478 Vgl. die oben § 253 Anm. 1 angef. Lit.; insbesondere R. Schröder, Gesch. II, 2 S. 2 ff., II, 3 S. 43 ff., 110 ff., 380 ff., Runde S. 24 ff., Roth a. a. O. u. DPR II § 101, Stobbe §§ 224, 237 ff., Stobbe-Lehmann IV §§ 284, 299 ff., Heusler § 149 ff., Huber IV § 131, Hübner § 95 III. – Dazu J. A. Hofmann, Handbuch des teut. Eherechts, 1787, S. 237 ff.; Scherer, Die verworrene Lehre der ehelichen Gütergemeinschaft, 2 Bde., 1799 / 1800; Phillips, Die Lehre von der ehelichen Gütergemeinschaft, 1830; die unten angef. Schriften über einzelne Formen. 479 Vgl. oben § 253 Anm. 7. 480 Vgl. aber diese Übergangsform oben § 259 Anm. 157. Im späteren MA verschwand sie fast durchweg in Eigentumsgemeinschaft zu gesamter Hand. 481 Besonders bei Hälftenteilung. Doch folgte aus der Güterverschmelzung von Todeswegen keineswegs notwendig Eigentumsgemeinschaft bei Lebzeiten; vgl. oben § 259 Anm. 159, § 264 III. 482 Vgl. Schröder, Gesch. II 3 S. 380 ff.; Stobbe-Lehmann § 279 Anm. 6. 483 Übersicht über das Geltungsgebiet der allgemeinen Gütergemeinschaft b. Phillips S. 34 – 86, Neubauer, Das in Deutschland geltende eheliche Güterrecht, 1876 (passim), Roth, DPR II 70 – 78, Stobbe-Lehmann § 299, 3.
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ner durch die gesamte Hand keineswegs aufgezehrten Munt gebührende Machtbereich ungleich abgegrenzt. In sehr verschiedener Weise wurde die Schuld- und Haftungsgemeinschaft geregelt. Entgegengesetzte Grundsätze entschieden, jenachdem das der gesamten Hand entsprechende Anwachsungsrecht durchgriff oder das Recht der Gemeinschaftsteilung zur Anwendung gebracht wurde, über die Schicksale des Gesamtguts bei Auflösung der Ehe. Vielfach wurden beerbte und unbeerbte Ehen unterschieden, mochte nun der Eintritt der allgemeinen Gütergemeinschaft überhaupt erst mit der Geburt eines Kindes oder dem Ablauf eines bestimmten Zeitraums erfolgen oder doch die volle Ungeschiedenheit des beiderseitigen Vermögens nur beim Vorhandensein von Leibeserben durchgeführt werden. Das Hauptausstrahlungsgebiet der allgemeinen Gütergemeinschaft waren die fränkischen Lande484. Im mittleren und oberen Franken breitete sie sich, soweit es nicht bei beschränkter Gütergemeinschaft blieb, in ziemlich gleichmäßiger Gestalt von Trier bis Koburg aus. Mancherlei Abweichungen begegnen bei ihrer Durchführung in Niederfranken und namentlich auf Grundlage des salischen Stammesrechts in Flandern, von wo aus die vlämische Gütergemeinschaft durch die niederländischen Kolonisten in viele norddeutsche Gegenden verpflanzt wurde. Selbständig entwickelte sich die allgemeine Gütergemeinschaft in Westfalen aus der altfränkischen Errungenschaftsgemeinschaft und wurde hier schließlich fast überall (vom Herzogtum abgesehen) zum gesetzlichen Güterstande485. Für die preußische Provinz Westfalen mit Einschluß einiger rheinischer Kreise (Rees, Essen und Duisburg) wurde sie durch das Gesetz vom 16. April 1860 einheitlich geregelt, während ältere Formen in den westfälischen Teilen von Hannover und in Lippe fortgalten486. Auf westfälischer Grundlage ruht die nur für beerbte Ehen eintretende allgemeine Gütergemeinschaft des lübischen Rechts, die mit dem lübischen Recht in die meisten Ostseestädte, insbesondere in Holstein, Mecklenburg und Pommern, eindrang487. 484 Vgl. bes. Sandhaas, Fränkisches eheliches Güterrecht, 1866. Auch Euler, Die Güterund Erbrechte zu Frankf. a.M., 1841; Die Fortbildung des fränk. ehel. Güterrechts seit dem Eindringen des röm. R., ZfDR X, 1 ff. Schröder, Gesch. II 2. J. Freudenthal, Historisch-dogmatische Darstellung der Verfangenschaft, Grundteilung und Einkindschaft in dem fränkischen Rechte und insbes. im Würzburger Landrechte, 1878. 485 Statt der fränkischen gesamten Hand war hier die Hälftenteilung im Todesfalle der Ausgangspunkt der Entwicklung. Darum trat die allgemeine Gütergemeinschaft ursprünglich oft nur bei beerbten Ehen ein. Vgl. R. Schröder II, 3 S. 43 ff., 119 ff. 486 Vgl. die Darstellung des Ges. v. 1861 und der von ihm verdrängten Statutenrechte bei Welter, Handbuch über das eheliche Güterrecht in Westfalen usw., 1861, 2. Aufl. 1883. Vgl. ferner Deiters, Die eheliche Gütergemeinschaft nach dem Münster. Provinzialr., dem Preuß. LR u. ihrem Verhältniß zu einander, 1831. Morgenstern, Grundzüge des Münsterischen ehelichen Güterrechts, 1849. Peterssen, Das eheliche Güterrecht in Osnabrück, 1863. 487 Vgl. R. Freund, Das lübische eheliche Güterrecht in ältester Zeit, 1884. Auch Pauli, Abh [Blattverlust? Der Rest von Anm. 487 sowie Anm. 488 – 511 fehlen.]
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Aber auch in den übrigen sächsischen Ländern und in friesischen Gegenden schlug die allgemeine Gütergemeinschaft Wurzel. Sie wurde in Bremen, Hamburg, Hannoverschen, Schleswig-Holsteinschen und einzelnen Mecklenburgischen Städten zum gesetzlichen Güterstande. Selbst im östlichen Mitteldeutschland giengen sächsisch-thüringische Rechte zur allgemeinen Gütergemeinschaft über, gewann sie in Schlesien und in der Mark Brandenburg Raum, erfuhr sogar das Magdeburger Recht zum Teil eine gütergemeinschaftliche Umbildung, in der es bis nach Pommern vordrang und einzelne Städte dem lübischen Rechte abgewann488. Im Nordosten wurde die allgemeine Gütergemeinschaft auch auf dem platten Lande überwiegend zur gesetzlichen Regel. So in Pommern, wo sie die Bauerordnungen von 1616 (für Neuvorpommern und Rügen) und von 1764 (für das preußische Pommern) endgültig kodifizierten, in Ostpreußen mit Ausnahme des Adels, in Westpreußen und Posen durchweg489. Mehr vereinzelt drang unter fränkischem Einfluß die allgemeine Gütergemeinschaft in Süddeutschland ein. Doch wurde sie auf schwäbischem Gebiet z. B. in den Hohenzollernschen Fürstentümern, in der Abtei und Stadt Kempten und in mehreren Stadtrechten heimisch490. Von den großen Gesetzbüchern stellte das Preußische Allgemeine Landrecht subsidiäre (nur in der Provinz Posen prinzipal geltende) Vorschriften über die Allgemeine Gütergemeinschaft auf491. Das französische und badische Gesetzbuch regelten sie als vertragsmäßigen Güterstand492. Diesem Vorbilde folgten das oesterreichische493, das sächsische494 und neuerdings auch das schweizerische Gesetzbuch495. Das deutsche BGB kennt gleichfalls die allgemeine Gütergemeinschaft nur als vertragsmäßigen Güterstand496. Es gestattet aber ihre Einführung jederzeit vor oder während der Ehe. Nur läßt es bei dem Ehevertrage, durch den sie eingeführt oder aufgehoben wird, keine gesetzliche Vertretung zu. Ist ein Ehegatte geschäftsunfähig, so ist ihre nachträgliche Einführung oder Wiederaufhebung überhaupt unmöglich. Der beschränkt geschäftsfähige Ehegatte dagegen muß einen derartigen Ehevertrag selbst mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters schließen. Handelt es sich um eine minderjährige Tochter unter elterlicher Gewalt, so genügt die Zustimmung des Vaters oder der Mutter. Ist der Vertreter ein bloßer Vormund, so bedarf es überdies der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts497. Die Vorschriften des BGB über die allgemeine Gütergemeinschaft gelten außerdem kraft Landesrechtes als gesetzliches eheliches Güterrecht für übergeleitete Ehen. Die Überleitung hat fast überall stattgefunden, wo beim Inkrafttreten des neuen Rechts für eine Ehe allgemeine Gütergemeinschaft bestand498. Soweit nach bisherigem Recht die allgemeine Gütergemeinschaft erst mit der Geburt eines Kindes oder dem Ablauf eines bestimmten Zeitraums eintrat, blieb, wenn die Bedingung noch nicht erfüllt oder die Frist noch nicht abgelaufen war, dem alten Güterstande die Wandlungsfähigkeit mit der Maßgabe gewahrt, daß im Falle nachträglicher Verwirklichung der Voraussetzungen nunmehr die allgemeine Güterge-
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meinschaft des BGB eintrat499. Im Einzelnen haben freilich die Überleitungsgesetze gerade bei den Güterständen der allgemeinen Gütergemeinschaft zum Teil sehr erhebliche Vorbehalte zu Gunsten der Erhaltung von Besonderheiten des bisherigen Rechtes gemacht500. III. Wesen Der seit Jahrhunderten geführte Streit über das rechtliche Wesen der ehelichen Gütergemeinschaft hat heute nur noch geschichtliches Interesse. Das ursprüngliche Wesen der Gütergemeinschaft als einer Eigentumsgemeinschaft zu gesamter Hand, deren Subjekt das Ehepaar in seiner personenrechtlichen Verbundenheit und deren Objekt das als Gesamtgut zu einem einheitlichen Ganzen verschmolzene Ehevermögen ist, wurde niemals ganz verdunkelt. Es wurde nur nach der Rezeption, da das Corpus iuris civilis den Begriff der gesamten Hand nicht kannte, durch romanistische Umdeutungen getrübt. Ihnen gegenüber unternahmen gerade für die eheliche Gütergemeinschaft die Germanisten die Wiederherstellung eines selbständigen deutschrechtlichen Begriffes des gemeinschaftlichen Eigentums, den sie als „Gesamteigentum“ bezeichneten 501. Dabei gieng man zunächst von der Vorstellung eines dominium plurium in solidum aus502, während man später unter dem Einfluß der naturrechtlichen Gesellschaftslehre sich mit der Zusammenfassung des Ehepaares zu einer Personeneinheit („persona moralis“) half503. Erst die Vertiefung in die geschichtlichen Wurzeln des deutschen Genossenschafts- und Gemeinschaftsrechts brachte auch in der Anwendung auf die eheliche Gütergemeinschaft der Theorie der gesamten Hand einen befriedigenden Ausbau504. Die Praxis folgte der neuen Lehre zögernd505, konnte aber sich ihren Grundgedanken auf die Dauer nicht verschließen506. So konnte das deutsche BGB die reife Frucht pflücken und seinen Bestimmungen über die eheliche Gütergemeinschaft das konstruktive Prinzip der gesamten Hand zu Grunde legen. Damit sind die abweichenden Theorien, die zum Teil bis in die neueste Zeit sich zäh behaupteten, endgültig überwunden. Wenn die Romanisten zunächst mit dem römischen Begriff der societas operierten507, so erkannte man zwar allmählich, daß die Ehe nicht als Gesellschaftsvertrag aufgefaßt werden dürfe, wandte aber nunmehr den Begriff der communio mit allerlei Modifikationen des Miteigentums nach Bruchteilen an508. Für einzelne Rechte mit stark geprägter Mundialgewalt des Mannes wurde Alleineigentum des Mannes behauptet509, was Duncker in durchaus willkürlicher Weise verallgemeinern wollte510. Endlich erhob Haße in vollem Ernste das Ehepaar zu einer von den beiden Ehegatten verschiedenen juristischen Person, der er das Eigentum am Gesamtgut zuschrieb511.
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§ 269. Vermögensmassen bei der allgemeinen Gütergemeinschaft I. Gesamtgut Das zu einem einheitlichen Ganzen verschmolzene Vermögen der Ehegatten wird im BGB als „Gesamtgut“ bezeichnet. Zum Gesamtgut gehören nach der gesetzlichen Regel alle Vermögensgegenstände, die entweder beim Eintritt der Gütergemeinschaft einem der Ehegatten gehörten oder während des Bestandes der Gemeinschaft von einem der Ehegatten erworben werden512. Das vorhandene Vermögen wird von Rechtswegen zu Gesamtgut mit dem Augenblick des Inkrafttretens der ehelichen Gütergemeinschaft. Mithin, wenn der sie begründende Ehevertrag bereits geschlossen ist, mangels anderer Abrede mit der Eingehung der Ehe. Wenn dagegen ein späterer Termin (z. B. Eintritt der Volljährigkeit der Frau) oder Eintritt einer Bedingung (z. B. Geburt eines Kindes) vereinbart ist oder der Ehevertrag erst während der Ehe geschlossen wird, mit dem vertragsmäßig festgesetzten Zeitpunkt. Mit diesem Augenblicke vollzieht sich unter den Ehegatten eine gegenseitige Gesamtnachfolge unter Lebenden. Alle einzelnen Vermögensgegenstände scheiden aus dem besonderen Vermögensbereich eines Ehegatten aus und werden Bestandteile des dem Ehepaare zu gesamter Hand gehörenden Gesamtguts. Stand etwa ein Gegenstand schon vorher den Ehegatten gemeinschaftlich zu, so verschwinden ihre bisherigen Anteile nach Bruchteilen oder nach sonstigem Gemeinschaftsverhältniß in den ungesonderten ehegütergemeinschaftlichen Anteilen am Gesamtvermögen. Die Rechtsnachfolge tritt, obschon ihre Grundlage der Ehevertrag und somit ein Rechtsgeschäft ist, kraft der diesem Rechtsgeschäft vom Gesetz verliehenen eigenartigen Wirkungskraft von Rechtswegen ohne jeden auf den einzelnen Gegenstand bezüglichen rechtsgeschäftlichen Übertragungsakt ein513. Der Eigentumsübergang vollzieht sich ohne Übereignung, 512 BGB § 14381. – Ebenso grundsätzlich Preuß. ALR II, 1 §§ 363, 371, 372; Sächs. Gb. § 1695; Schweiz. ZGB a. 2151. 513 BGB § 14382: „Die einzelnen Gegenstände werden gemeinschaftlich, ohne daß es einer Uebertragung durch Rechtsgeschäft bedarf. “ In Wahrheit ist eine solche Uebertragung nicht nur nicht erforderlich, sondern unmöglich. Denn sie könnte, wenn sie dem Ehepaar in seiner Verbundenheit das Recht verschaffen soll, niemals an den anderen Ehegatten, sondern immer nur an das Ehepaar erfolgen; dieses aber ist in dem Augenblick, in dem sie wirksam werden kann, schon das Subjekt. – In ähnlicher Weise, wie beim Erbgange, geht auch der Besitz über. Es versteht sich von selbst, daß alle gemeinschaftlich werdenden Gegenstände mit ihren bisherigen Lasten beschwert bleiben, daß ihnen anhaltende Mängel fortwirken, daß bloßer Rechtsschein nur als Rechtsschein übergeht usw. – Der Ehevertrag richtet sich seinerseits nicht auf Uebertragung des Vermögens, – dann würde er nach BGB § 311 nur schuldrechtlich wirken, – sondern auf Begründung eines ehelichen Güterstandes, der dem personenrechtlichen Ehebande sachenrechtliche Wirkungen in Ansehung des Vermögensüberganges verschafft. Darum ist auch auf ihn trotz größter Vermögensungleichheit niemals der Begriff der Schenkung anwendbar. Wenn das RGer LXXXVII Nr. 70 dies im Allgemeinen anerkennt, jedoch in einem Falle, in dem planmäßig allgemeine Gütergemeinschaft durch Ehevertrag eingeführt und bald darauf Gütertrennung durch neuen Ehevertrag an die Stelle gesetzt wor-
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der Übergang von Forderungen und anderen Rechten ohne Abtretung. Dies gilt nach dem BGB nicht nur für alle Fahrniß, sondern auch für Grundstücke und Rechte an Grundstücken514. Das Eigentum an Grundstücken des Mannes oder der Frau wird ohne Auflassung und Eintragung vergemeinschaftet, jedes für den Mann oder die Frau im Grundbuch eingetragene dingliche Recht wird ohne Übertragung und Umschreibung Gesamtgutsrecht. In gleicher Weise wird von Rechtswegen das Vermögen, das der Mann oder die Frau während der Gütergemeinschaft erwirbt, zu Gesamtgut. Jeder einzelne Vermögensgegenstand, den ein Ehegatte erwirbt, wird also von ihm nicht für sich, sondern für die Gemeinschaft erworben515. Es kommt nicht darauf an, für wen er erwerben wollte. Ebenso ist es gleichgültig, ob der Dritte, von dem er erwirbt, an ihn oder den anderen Ehegatten veräußern wollte, eine bewegliche Sache übereignet, ein Grundstück aufläßt, ein Recht abtritt, den Besitz überträgt usw. Auch hier bilden liegenschaftliche Rechte keine Ausnahme. Ein Recht am Grundstück wird daher notwendig auch dann gemeinschaftlich, wenn der Ehegatte, der es erwirbt, es auf seinen alleinigen Namen ins Grundbuch eintragen läßt516. Doch spielt der Grundbucheintrag bei der Gütergemeinschaft eine andere Rolle, als beim gesetzlichen Güterstande. Denn während das ehemännliche Verwaltungsund Nutznießungsrecht an liegenschaftlichen Rechten der Frau der Eintragung weder fähig noch bedürftig ist, gehört nach dem BGB die Gesamtgutseigenschaft den war, um eine in Wahrheit beabsichtigte Schenkung dem Pflichtteilsergänzungsanspruch eines Kindes erster Ehe zu entziehen, eine Ausnahme macht, so läßt sich diese Entscheidung nur rechtfertigen, falls auf Grund des § 117 BGB der erste Ehevertrag als solcher überhaupt für ein nichtiges Scheingeschäft erklärt, jedoch als Schenkung aufrecht erhalten wird. 514 So auch überwiegend nach bisherigem Recht, insbes. Preuß. EEG [?] v. 1872 § 5. Anders nach Sächs.Gb. § 1695. Vgl. meine Genossenschaftsth. S. 174 Anm. 174 Anm. 2. – Ueber mögliche Ausnahmen bei auswärtigen Grundstücken vgl. oben § 257 III 1. 515 Eine rechtsgeschäftliche Uebertragung auf das Ehepaar ist auch hier nicht blos, wie § 14382 sagt, nicht erforderlich, sondern unmöglich, da das Ehepaar bereits durch den Erwerb des einzelnen Ehegatten zum Subjekt geworden ist. – M. Wolff § 60 II 2 nimmt an, daß der einzelne Ehegatte für sich erwirbt und die Ehegatten zu gesamter Hand als seine Rechtsnachfolger, wenngleich sein Erwerb und die Nachfolge der gesamten Hand zeitlich zusammenfallen. Diese Konstruktion ist m. E. verkünstelt und zwingt zu unangemessenen Folgerungen. Vielmehr erwirbt der einzelne Ehegatte als notwendiger Repraesentant der Gemeinschaft bei allem nicht ausgenommenen Vermögenserwerb unmittelbar für das Ehepaar zu gesamter Hand. Darum scheitert auch der Rechtserwerb vom Scheinberechtigten nicht blos, wie Wolff meint, am Mangel des guten Glaubens des miterwerbenden Ehegatten. Auch erbrechtlicher Erwerb eines Ehegatten fällt unmittelbar dem Ehepaar an; freilich erst, wenn und soweit er endgültig geworden ist. Daß, wie Wolff meint, eine ins Gesamtgut gefallene Schenkung vom Schenker nur wegen Undankes des beschenkten Ehegatten widerrufen werden könne, halte ich gleichfalls für unrichtig. 516 Einen darauf gerichteten Antrag darf das Grundbuchamt, falls die grundbuchmäßigen Voraussetzungen erfüllt sind, nicht ablehnen, obschon das Grundbuch durch die Eintragung unrichtig wird; denn das Grundbuchamt ist zur Nachforschung nach dem ehelichen Güterstande nicht berufen. Vgl. Lenel, DJZ 1900 S. 288, Planck zu § 1438 Bem. 7, Schmidt Bem. 3 b, Rspr. d. OLG XII 308 ff., XXVII 201 ff. A. M. Dernburg § 58 Anm. 8.
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eines Rechtes am Grundstück zu den rechtserheblichen Tatbeständen, die das Grundbuch bestimmungsmäßig bekunden soll. Darum ist in das Grundbuch einzutragen, daß das Recht den beiden Ehegatten gemeinschaftlich nach Gütergemeinschaftsrecht zusteht517. Und das Grundbuch ist unrichtig, solange entweder nur der Ehemann oder die Ehefrau als Berechtigter eingetragen ist518. Die Unrichtigkeit des Grundbuches aber hat die gewöhnlichen Rechtsfolgen, so daß bis zur Berichtigung oder Eintragung eines Widerspruchs alle Wirkungen des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs zu Gunsten Dritter eintreten519. Demgemäß steht jedem Ehegatten ein Anspruch auf Berichtigung des Grundbuchs durch gehörige Eintragung eines ihm gemeinschaftlich zu gesamter Hand gehörenden Rechts als Gesamtgutsrecht des Ehepaares zu. Und behufs Herbeiführung dieser Berichtigung kann jeder Ehegatte kraft ehelichen Rechts vom anderen Ehegatten die erforderliche Mitwirkung verlangen, sobald ein Recht gemeinschaftlich wird, das im Grundbuch eingetragen ist oder in das Grundbuch eingetragen werden kann520. II. Sondergut Vom Gesamtgut ausgeschlossen sind nach zwingender Gesetzesvorschrift Vermögensgegenstände eines Ehegatten, die nicht durch Rechtsgeschäft übertragen werden können521. Sie bleiben oder werden Sondergut des einzelnen Ehegatten. Der Grund ihres Nichtüberganges auf das Ehepaar liegt nicht in dem Mangel rechtsgeschäftlicher Verfügungsmacht des Vermögensträgers, sondern in ihrer unlöslichen Verknüpfung mit der Einzelpersönlichkeit des berechtigten Ehegatten. Ihre Unübertragbarkeit ist nur das gesetzlich fixierte Kennzeichen ihrer Gebundenheit an die von der ehelichen Gemeinschaft nicht ergriffene Individualpersönlichkeit522. Darum beschränkt sich auch der Ausschluß dieser Gegenstände vom 517 GrdbO § 48. Die Praxis nimmt an, daß zur Eintragung der Gesamtgutseigenschaft der alleinige Antrag des Mannes genügt, dagegen der einseitige Antrag der Frau der Zustimmung des Mannes bedarf; Beschl. Des Obst. LG f. Bayern b. Seuff. LXIX Nr. 247, RGer LXXXIV 326; vgl. Lenel a. a. O. S. 289. 518 Ebenso, wenn zwar beide Ehegatten, aber ohne Vermerk ihrer Gesamthandsberechtigung eingetragen sind. Denn dann würde Gemeinschaft nach Bruchteilen (und zwar nach Hälften) bekundet sein. 519 Oben Bd. II 326 ff., 341 ff. – Ebenso schon nach bisherigem preuß. R. 520 Der Berechtigungsanspruch steht nicht nur dem nicht eingetragenen, sondern auch dem eingetragenen Ehegatten zu; er erstreckt [sich] aber auch auf Gesamtgutsrechte, die überhaupt noch nicht eingetragen, jedoch eintragungsfähig sind. Im Uebrigen gelten die allgemeinen Bestimmungen der §§ 894 – 897; vgl. oben Bd. II 343 ff. Doch treffen die Kosten hier stets die Ehegatten gemeinsam (gemäß dem in § 897 gemachten Vorbehalt). Und § 898 ist gegenstandslos, weil die Unverjährbarkeit des Anspruchs schon aus § 204 folgt. 521 BGB § 1439 S. 1. 522 Da die Vergemeinschaftung kraft gesetzlichen Ueberganges ohne rechtsgeschäftliche Uebertragung erfolgt (oben Anm. 513 u. 515), kann an sich die Unübertragbarkeit nicht ausreichender Grund für die Ausschließung vom Gesamtgut sein. Die Bestimmung des BGB,
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Gesamtgut auf ihre unveräußerliche Substanz. Soweit sie dagegen übertragbare Erträge liefern, werden auch sie von der Vereinheitlichung des beiderseitigen Vermögens ergriffen, so daß ihre Nutzungen in das Gesamtgut fallen. Und sobald ihre Unübertragbarkeit wegfällt, gehen sie von Rechtswegen in das Gesamtgut über. Welche einzelnen Gegenstände hiernach zum Sondergut eines Ehegatten gehören und wie weit ihre Sondergutseigenschaft sich erstreckt, hängt von dem Inhalt und der Bedeutung der gesetzlichen Bestimmungen ab, die die rechtsgeschäftliche Übertragung von Rechten verbieten oder einschränken. Dabei ist aber von vornherein zu beachten, daß unter den Begriff des Sonderguts überhaupt nur solche Rechte fallen, die einen Vermögenswert haben oder entfalten können. Höchstpersönliche Rechte eines Ehegatten, die schlechthin nicht zu den Bestandteilen seines Vermögens gerechnet werden können, wie z. B. reine Persönlichkeitsrechte und Mitgliedschaftsrechte in Verbänden für rein ideale Zwecke, sind überhaupt keine Gegenstände, die in den Bereich des ehelichen Güterrechts fallen, und können daher so wenig Sondergut wie Gesamtgut sein. Wohl aber gehören zum Sondergut Persönlichkeitsrechte, die einen höchstpersönlichen Inhalt mit einem vermögensrechtlichen Inhalt zu einer Einheit verbinden, wie z. B. Urheberrechte und Erfinderrechte523. Desgleichen nach Gesetz oder Satzung unübertragbare Mitgliedschaftsrechte, die einen Anteil am körperschaftlichen Erwerbe gewähren524. Sonnach der allein dieses Merkmal entscheidet, ist daher willkürlich und führt zu mancherlei Zweifeln. Jedenfalls ist bei der allgemeinen Gütergemeinschaft die Ausschließung vom Gesamtgut nicht nach Analogie des § 1522 auf Rechte zu erstrecken, die mit dem Tode eines Ehegatten erlöschen oder deren Erwerb durch den Tod eines Ehegatten bedingt ist. Vielmehr fallen solche Rechte, falls sie durch Rechtsgeschäft unter Lebenden übertragen werden können, hier ins Gesamtgut. So z. B. regelmäßig das Recht auf eine Leibrente und, wenn es als eignes Recht erworben ist, das Recht auf eine Lebensversicherungssumme; vgl. Planck zu § 1438 Bem. 1. 523 Somit gehört, wenn ein Ehegatte ein Geisteswerk geschaffen hat, die Verfügungsmacht darüber, ob und inwieweit das Urheberrecht sich zum Vermögensrecht entfalten soll, daher die Entscheidung über Veröffentlichung, Neuherausgabe, Aenderung des inneren Bestandes usw. zu seinem Individualbereich. Ist es aber zum Vermögensrecht entfaltet, so fallen die aus ihm bezogenen Einkünfte und die aus ihm abgeleiteten selbständigen Vermögensrechte (z. B. aus Verlags- oder Aufführungsverträgen) in das Gesamtgut. Ebenso ist dem Ehegatten, der eine Erfindung gemacht hat, die Entscheidung darüber, ob und wie er sie verwerten will, vorbehalten; erwirbt er aber ein Patent, so erwirbt er es für das Gesamtgut. Aehnlich verhält es sich mit ausschließlichen Gewerbegerechtigkeiten. 524 Es versteht sich von selbst, daß die Mitgliedschaft eines Ehegatten in einem Gesangverein, einem politischen Verein, einem Wohltätigkeitsverein usw. überhaupt kein Gegenstand des Ehegüterrechts ist. Allein die Bestimmung des § 38 BGB, wonach die Vereinsmitgliedschaft nicht übertragbar ist und auch die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte nicht einem Anderen überlassen werden kann, bezieht sich auch auf Vereine, die einen Erwerbszweck verfolgen und bei denen die Mitgliedschaft einen Anspruch auf einen Ertragsanteil oder auf einen Substanzanteil im Falle des Ausscheidens einschließt. Bei solchen Vereinen kann nach § 40 die Satzung die Mitgliedschaft für übertragbar erklären und bildet deren Uebertragbarkeit nach den für die wichtigsten Arten geltenden Sondergesetzen die gesetzliche Regel. Dann ist die Mitgliedschaft selbst Bestandteil des Gesamtguts. So z. B. eine
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dergut ist stets die einem Ehegatten zustehende Teilhaberschaft an einer offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft und in der Regel auch an einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, indem der Anteil am Gesellschaftsvermögen unübertragbar ist, die aus der Teilhaberschaft fließenden Ansprüche aber auf einen Gewinnanteil und auf einen bei Beendigung des Gesellschaftsverhältnisses zu entrichtenden Auseinandersetzungsanteil ins Gesamtgut fallen525. Als Sondergut erscheinen ferner Lehen, Familienfideikommisse, gewisse Bauergüter und andere gebundene Güter, deren Substanz der freien Veräußerung entzogen ist, während ihre Früchte der Vergemeinschaftung unterliegen526. Zum Sondergut gehört der Nießbrauch, das Recht auf seine Ausübung aber gebührt dem Ehepaar zu gesamter Hand527. Sondergut sind endlich zahlreiche Forderungsrechte, deren rechtsgeschäftliche Übertragung entweder durch besondere gesetzliche Bestimmung ausgeschlossen ist, wie dies namentlich bei allen unpfändbaren Forderungen zutrifft528, Aktie, ein Bergwerkskux, der Geschäftsanteil bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Im Uebrigen aber bleibt § 38 BGB anwendbar und gehört daher die Mitgliedschaft zu dem nach § 1439 vom Gesamtgut ausgeschlossenen Sondergut. So z. B. mangels ausdrücklicher die Uebertragbarkeit festsetzender Satzungsbestimmung die Mitgliedschaft in einem Erwerbsverein, der die Rechtsfähigkeit durch staatliche Verleihung nach § 22 oder § 23 BGB erlangt hat, so aber auch eine Aktie, wenn sie statutarisch für unveräußerlich erklärt ist oder als vinkulierte Kleinaktie den gesetzlichen Veräußerungsbeschränkungen des BGB § 1833, § 2224 unterliegt. 525 BGB § 719 mit § 717; vgl. oben Bd. III 843 ff. Bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes kann vertragsmäßig sowohl die Uebertragbarkeit der Anteile ausbedungen, wie die Bildung eines Gesellschaftsvermögens wegbedungen werden; im ersten Falle sind die Anteile Gesamtgut, im zweiten Falle fehlt es an einem von § 1439 betroffenen Gegenstande. Bei der oHG und der KG sind diese Möglichkeiten ausgeschlossen. Hier ist also, wenn ein Ehegatte Gesellschafter ist, sein Anteil immer Sondergut. Im Einzelnen entstehen mancherlei Schwierigkeiten und Zweifel. Offenbar fällt der Jahresgewinn nur, wenn er bezogen wird, in das Gesamtgut, während er, wenn er dem Kapitalanteil des Gesellschafters zugeschrieben wird, das Sondergut mehrt; ob aber der anteilsberechtigte Ehegatte es bei dem nach der gesetzlichen Regel eintretenden Kapitalzuwachs (HGB § 120) beläßt oder von seinem Rechte auf Herausziehung (HGB § 122) Gebrauch macht, hängt von seiner persönlichen Entscheidung ab, ohne daß der andere Ehegatte oder dessen Gläubiger einen Anspruch auf Realisierung des Gewinnes hätte. 526 Wird die Gebundenheit aufgehoben (z. B. durch Familienschluß oder Gesetz), so wird das Gut von Rechtswegen Gesamtgut. 527 BGB § 1059 bestimmt ausdrücklich, daß der Nießbrauch nicht übertragbar ist, die Ausübung aber einem Anderen überlassen werden kann. Daher erwirbt das Ehepaar nicht nur unmittelbar die bezogenen Nutzungen, sondern auch das Recht der unentgeltlichen oder entgeltlichen Uebertragung des Rechtes auf Besitz, Gebrauch und Fruchtgenuß; vgl. oben Bd. II 684 Z. 7. Sondergut sind auch die beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten an Grundstükken und zwar mangels gegenteiliger Bestimmung einschließlich des Rechtes auf die Ausübung; oben Bd. II 656 ff. Desgleichen im Zweifel das dingliche wie das persönliche Vorkaufsrecht; BGB § 1098 u. § 514, oben Bd. II 800, Bd. III 504 Anm. 78 – 79. – Alle derartigen Rechte können aber auch für das Ehepaar zu gesamter Hand bestellt werden und gehören dann natürlich zum Gesamtgut; vgl. oben Bd. II 657 Anm. 2, 684 Anm. 30. 528 BGB § 400, oben Bd. III 198 Z. 4a. Was aber auf die unübertragbare Forderung, z. B. den Gehaltsanspruch, die Forderung auf Arbeits- und Dienstlohn, den Anspruch aus öffent-
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
oder sich aus der Beschaffenheit der geschuldeten Leistung ergiebt529 oder durch Vereinbarung mit dem Schuldner begründet ist530. Die Rechtsverhältnisse am Sondergut regelt das BGB durch Verweisung auf entsprechende Anwendung der für das eingebrachte Gut bei der Errungenschaftsgemeinschaft geltenden Vorschriften531. Dabei ergeben sich mancherlei Schwierigkeiten und Zweifel532. Im Allgemeinen bestehen erhebliche Unterschiede für das Sondergut des Mannes und das Sondergut der Frau. Das Sondergut des Mannes unterliegt in gleicher Weise, wie beim gesetzlichen Güterstande sein gesamtes Vermögen, seiner alleinigen Verwaltung. Die Frau hat kein Mitwirkungsrecht. Allein der Mann verwaltet das Sondergut nicht für eigne Rechnung, sondern für Rechnung des Ehepaares. Die Nutzungen fallen von Rechtswegen in das Gesamtgut. Dafür trägt aber auch das Gesamtgut die Lasten des Sondergutes. Das Sondergut der Frau hat der Mann in gleicher Weise, wie beim gesetzlichen Güterstande ihr eingebrachtes Gut, kraft eignen Rechts zu verwalten. Er kann die dazu gehörigen Sachen in Besitz nehmen, die Frau bleibt aber mittelbare Besitzerin. Sein Verwaltungsrecht schließt ein Verfügungsrecht über gewisse Gegenstände ein, ist aber im Übrigen an dieselben Schranken gebunden, die ihm durch die Rechte der Frau hinsichtlich ihres Eingebrachten gezogen sind533. Dem Manne steht jedoch ausschließlich die Verwaltung, keineswegs „Verwaltung und Nutznießung“ zu. Vielmehr fallen auch die Nutzungen des Sondergutes der Frau von Rechtswegen in das Gesamtgut. Dafür trägt auch hier das Gesamtgut die Lasten des Sonderguts. Ein grundsätzlicher Unterschied des Sondergutes von dem eingebrachten Gut bei der Errungenschaftsgemeinschaft besteht hinsichtlich der Geltung des Surrogationsprinzips534. Was auf Grund eines zum Sondergut gehörenden Rechtes oder als lichrechtlicher Versicherung, an den berechtigten Ehegatten gezahlt wird, fällt sofort ins Gesamtgut. 529 BGB § 399 S. 1 u. dazu oben Bd. III 199 ff. Z. 4b. 530 BGB § 399 S. 2 u. dazu oben Bd. III 201 ff. Z. 4c. Somit ist ein Ehegatte in der Lage, eine Forderung, die er von einem Dritten erwirbt, durch Vereinbarung mit dem Schuldner einseitig auch wider den Willen des anderen Ehegatten dem Gesamtgut, in das sie sonst fallen würde, zu entziehen. Uebertragbare Gegenstände aber, die der Schuldner an ihn leistet, werden Gesamtgut. Und die Forderung selbst wird aus Sondergut zu Gesamtgut, sobald durch Vereinbarung mit dem Schuldner ihre Unübertragbarkeit beseitigt wird. 531 BGB § 1439 S. 2. Diese Vorschriften verweisen ihrerseits wieder mehrfach auf die beim gesetzlichen Güterstande geltenden Vorschriften. 532 Besonders eingehend über die Tragweite der Verweisung handelt Planck zu § 1439 Bem. 2. Wir gehen hier auf die Einzelheiten nicht ein. 533 Er kann also z. B. nicht ohne Zustimmung der Frau auf einen ihr zustehenden Nießbrauch verzichten. Andererseits ist die Verfügungsmacht der Frau über ihr Sondergut denselben Beschränkungen unterworfen, wie die über ihr eingebrachtes Gut.
4. Titel: Allgemeine Gütergemeinschaft
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Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines Sondergutsgegenstandes oder durch ein auf das Sondergut bezügliches Rechtsgeschäft erworben wird, das wird nur dann Sondergut, wenn es die Eigenschaft der Unübertragbarkeit teilt; ist es dagegen ein übertragbarer Gegenstand, so wird es Gesamtgut535. III. Vorbehaltsgut Vorbehaltsgut kann bei der allgemeinen Gütergemeinschaft nicht nur für die Frau, sondern auch für den Mann begründet werden. Allein die Begründung kann nur durch Ehevertrag, durch die Bestimmung des Erblassers hinsichtlich des von ihm herrührenden Erwerbes von Todeswegen oder des Zuwenders hinsichtlich des von ihm unentgeltlich unter Lebenden zugewendeten Vermögens oder durch Surrogation erfolgen536. Dagegen ist gesetzliches Vorbehaltsgut hier nicht anerkannt. Nicht einmal die zum persönlichen Gebrauch eines Ehegatten bestimmten Sachen sind dessen Vorbehaltsgut537. Ebensowenig ist der Arbeitserwerb eines Ehegatten vom Gesamtgut ausgeschlossen538. 534 in § 1439 BGB S. 2 ist die entsprechende Anwendung von § 1524 ausdrücklich ausgeschlossen. 535 Gesamtgut wird z. B. die Abfindungssumme für den Verzicht auf ein Fideikommiß, während die bei Enteignung eines Fideikommißgrundstücks gezahlte Entschädigung insoweit, als sie selbst Fideikommißqualität erlangt, Sondergut bleibt. Gesamtgut wird die für den Verzicht auf einen Nießbrauch gewährte Summe, das durch Einziehung einer unübertragbaren Forderung erlangte Geld, der Anspruch auf Schadensersatz wegen widerrechtlicher [Entziehung] des Nießbrauchsgegenstandes. – Auch die entsprechende Anwendung der §§ 1381 – 1382 ist damit ausgeschlossen: Planck zu § 1439 Bem. 2 a ; a. M. Staudinger Bem. 3 b. 536 BGB § 1440. Hinsichtlich der Bestimmung der Vorbehaltsgutseigenschaft durch einen Erblasser oder Zuwender verweist § 1440 auf § 1369; vgl. oben § 260 III 5. Hinsichtlich der Begründung der Vorbehaltsgutseigenschaft auf Surrogation auf § 1370; vgl. oben § 260 III 6. 537 Anders zum Teil nach früherem Recht. Das Preuß. ALR II 1 § 364 nahm die notwendigen Kleidungsstücke der Frau von der Gemeinschaft aus. Das Recht des alten Landes das „Leibeszeug“ jedes Ehegatten. Das Stettiner Statutarrecht die „lebendige Gerade“. Auch nach dem Schweiz. ZGB a. 191 Z. 1 sind bei jedem Güterstande die einem Ehegatten ausschließlich zu persönlichem Gebrauche dienenden Gegenstände „kraft Gesetzes Sondergut“. Das BGB hat eine dem § 1366 entsprechende Bestimmung (vgl. oben § 260 III 1), die natürlich auch auf Sachen des Mannes zu erstrecken gewesen wäre, hier abgelehnt. Doch ergiebt sich aus dem Wesen der Ehe ein Recht jedes Ehegatten auf gesonderten Gebrauch gewisser Gegenstände. Auch wäre eine formell mögliche einseitige Verfügung des Mannes kraft seines Verwaltungsrechtes am Gesamtgut über Sachen im persönlichen Gebrauch der Frau jedenfalls der Regel nach Rechtsmissbrauch. 538 Sowohl der Erwerb aus persönlicher Arbeit wie aus dem Betriebe eines Erwerbsgeschäfts fällt, mag ihn der Mann oder die Frau machen, ins Gesamtgut. Eine dem § 1367 entsprechende Bestimmung (oben § 260 III 2 – 3) ist nicht getroffen und konnte nicht getroffen werden, weil sie auch auf den Erwerb des Mannes zu erstrecken gewesen wäre und dies die Gütergemeinschaft in ihrem Kern zum größten Nachteil der Frau entkräftet hätte. Durch Ehevertrag oder Zuwendebestimmung kann natürlich Abweichendes bestimmt werden.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Die Rechtsverhältnisse am Vorbehaltsgut richten sich nach den bei der Gütertrennung geltenden Regeln. Auf das Vorbehaltsgut der Frau finden die bei der Gütertrennung für das ganze Vermögen der Frau geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung; nur hat die Frau aus den Einkünften ihres Vorbehaltsguts einen Beitrag zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes nur insoweit zu leisten, als die in das Gesamtgut fallenden Einkünfte zu dessen Bestreitung nicht ausreichen539. Das Vorbehaltsgut des Mannes ist gleichfalls nach den Regeln der Gütertrennung zu behandeln. Der Mann hat in Ansehung seines Vorbehaltsgutes dieselbe freie Verwaltungs- und Nutzungsmacht, wie ein Unverheirateter in Ansehung seines gesamten Vermögens. Die Nutzungen werden wieder Vorbehaltsgut. Eine Beitragspflicht zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes für den Fall, daß die Einkünfte des Gesamtguts nicht ausreichen, ist dem Manne nicht auferlegt540. IV. Verhältniß der Massen zu einander Möglich sind somit bei der allgemeinen Gütergemeinschaft fünf verschiedene Vermögensmassen: das Gesamtgut, Sondergut des Mannes, Sondergut der Frau, Vorbehaltsgut des Mannes, Vorbehaltsgut der Frau. Das Gesamtgut ist hinsichtlich der Substanz wie der Nutzungen Gemeinschaftsvermögen, die Sondergüter sind hinsichtlich der Substanz Einhandsvermögen, hinsichtlich der Nutzungen Gemeinschaftsvermögen, die Vorbehaltsgüter hinsichtlich der Substanz wie der Nutzungen Einhandsvermögen. Ist Sondergut vorhanden, so hält in die Gütergemeinschaft ein Stück Verwaltungsgemeinschaft, ist Vorbebaltsgut vorhanden, so ein Stück Gütertrennung seinen Einzug541. 539 BGB § 1441. Im Uebrigen gilt das oben § 267 II 1 zu BGB §§ 1427 – 1431 Gesagte. Die Fassung des § 1441 schließt sich an die des § 1371 an (vgl. oben § 260 IV 1 Anm. 216), ist aber insofern, als sie auch hier die Beitragsleistung an den Mann vorschreibt, ungenau. Denn da hier nicht der Mann, sondern das Gesamtgut den ehelichen Aufwand trägt (§ 1458) und demgemäß nur, wenn die sämtlichen Einkünfte des Gesamtguts einschließlich der Nutzungen der beiderseitigen Sondergüter und des beiderseitigen Arbeitserwerbes nicht ausreichen, die Frau einen Beitrag schuldet, steht ihr als forderungsberechtigt nicht der Mann, sondern das Subjekt des Gesamtguts und somit das Ehepaar gegenüber. Der Mann kann die Beitragsleistung nur zu seinen Händen als Verwalter des Gesamtguts für das Gesamtgut verlangen. 540 Dies ergiebt sich aus dem Schweigen des § 1441 über das Vorbehaltsgut des Mannes. Die Verneinung der Beitragspflicht ist nicht zu billigen, wird indeß dadurch einigermaßen ausgeglichen, daß der Mann als Familienhaupt zunächst für den Unterhalt der Familie aufzukommen hat. – Hinsichtlich der Schuldenhaftung wird das Vorbehaltsgut des Mannes nach § 14592 von der Gütergemeinschaft ergriffen. 541 Der Ehevertrag kann durch Ausschließung der Nutzungen des Sonderguts vom Gesamtgut oder durch Vorbehaltsgutserklärungen das Gemeinschaftsrecht im einzelnen Falle beliebig abschwächen. Wenn er aber unter dem Namen der allgemeinen Gütergemeinschaft einen Güterstand einführt, der dem Wesen derselben grundsätzlich widerspricht, so sind die
4. Titel: Allgemeine Gütergemeinschaft
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Da Einhandsgut die Ausnahme ist, spricht eine Vermutung für die Zugehörigkeit jedes im Besitz eines Ehegatten befindlichen Vermögensgegenstandes zum Gesamtgut. Entsteht Streit über den Umfang des Gesamtguts, so trifft den, der die Nichtzugehörigkeit behauptet, die Beweislast542. Zum Schutze gutgläubiger Dritter finden die Vorschriften über die Folgen der Nichteintragung ins Güterrechtsregister und über den öffentlichen Glauben des Grundbuchs Anwendung543. Eine Grenzverschiebung zwischen den Vermögensmassen können die Ehegatten nur im Wege eines Ehevertrages herbeiführen. Ein Ehevertrag ist erforderlich, aber auch ausreichend, um Vorbehaltsgut in Gesamtgut umzuwandeln; mit der Aufhebung der Vorbehaltsgutseigenschaft fällt der betroffene Gegenstand von Rechtswegen in das Gesamtgut, ohne daß eine Übertragung an die gesamte Hand durch eine besondere Rechtshandlung stattzufinden hätte544. Ebenso bedarf es eines Ehevertrages, um Gesamtgut zu Vorbehaltsgut eines Ehegatten zu machen545; hier aber muß ein Übertragungsakt (z. B. bei einem Grundstück die Auflassung) seitens des Ehepaares hinzutreten. Nur durch Ehevertrag kann auch Sondergut eines Ehegatten in Vorbehaltsgut umgewandelt werden546. Endlich ist auch ein Ehevertrag erforderRegeln des BGB über die allgemeine Gütergemeinschaft unanwendbar. Erklärt er z. B. alles bisherige Vermögen jedes Ehegatten für dessen Vorbehaltsgut, so ist vielmehr Errungenschaftsgemeinschaft bedungen. Beschränkt er die Vorbehaltsgutserklärung auf das bisherige Liegenschaftsvermögen und den künftigen nicht zur Errungenschaft gehörigen liegenschaftlichen Erwerb, so ist in Wahrheit Fahrnißgemeinschaft eingeführt. Würde alles gegenwärtige und künftige Vermögen für Vorbehaltsgut erklärt, so träte Gütertrennung ein. Es kann aber auch durch den Ehevertrag ein dem BGB überhaupt fremder Güterstand geschaffen werden; vgl. oben § 255 Anm. 50 u. 56. So z. B. Verschmelzung des vorhandenen Vermögens, Sonderung des künftigen Erwerbes. Auf den gebrauchten Namen kommt nichts an. 542 Erst wenn die Nichtzugehörigkeit bewiesen ist, greifen die Eigentumsvermutungen des § 1362 Platz. – Vgl. Schweiz. ZGB a. 2153. 543 Daß auf das Vorbehaltsgut der Frau und das durch Ehevertrag begründete Vorbehaltsgut des Mannes § 1435 anwendbar ist, ist unstreitig; vgl. Planck zu § 1441 Bem. 3, Staudinger Bem. 2 b " u. Bem. 3. M. E. ist aber unbedenklich das Gleiche für sonstiges Vorbehaltsgut des Mannes anzunehmen, obschon die ausdrückliche Bestimmung des Entw. I § 1350, die dies aussprach, im BGB fehlt. Denn die Weglassung beruht nur auf einem Redaktionsversehen. Wenn Planck und Staudinger trotzdem das Gegenteil annehmen, so ist das Buchstabenauslegung, die dem Gedanken des Gesetzes nicht gerecht wird. – Streitig ist, ob die Vorbehaltsgutseigenschaft eines Gegenstandes in das Grundbuch einzutragen ist; dafür mit Recht Staudinger Bem. 4, dagegen Planck Bem. 5. 544 Gemäß § 14382. Vielfach wird das Gegenteil angenommen; vgl. Rspr. d. OLG VII 55, Planck zu § 1438 Bem. 3, Joerges, Ehel. Lebensgem. S. 212 ff. Richtig mit durchschlagender Begründung Wolff § 60 Anm. 16. – Sondergut kann zwar kraft Gesetzes in Folge Wegfalles der Unübertragbarkeit, nicht aber durch Ehevertrag zu Gesamtgut werden. 545 Vgl. Seuff. LXI Nr. 30, Rspr. d. OLG VIII 334 (unrichtig ebd. 333 Anm.). – Gesamtgut zu Sondergut zu machen, liegt nicht in der Macht der Ehegatten, da nach richtiger Meinung das BGB im Gegensatz zu Entw. 1 die willkürliche Schaffung von Sondergut bei der allgemeinen Gütergemeinschaft schlechthin ausschließt; a.M. Staudinger zu § 1439 Bem. 2 c. 546 Denn darin liegt [die] Aufgabe der Gesamtgutsrechte auf Nutzungsgenuß und übertragbare Surrogate. – Die Umwandlung von Vorbehaltsgut ist nach dem soeben in Anm. 545 Gesagten ausgeschlossen.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
lich, wenn ein Ehegatte einen zu seinem Vorbebaltsgut gehörenden Gegenstand in das Vorbehaltsgut des anderen Ehegatten überführen will547. Bei übergeleiteten Ehen sind mehrfach gesetzliche Bestimmungen über die Zugehörigkeit der vorhandenen Vermögensmassen und zum Teil auch des späteren Erwerbes zum Gesamtgut, Sondergut oder Vorbehaltsgut getroffen; sie begründen mancherlei Abweichungen vom Recht des BGB mit Rücksicht auf das frühere Recht, das in sehr verschiedenem Umfange „Einhandsgut“, „Sondergut“ oder „Vorbehaltsgut“ kannte548. Die einzelnen Vermögensmassen stehen einander als in sich geschlossene Sondervermögen gegenüber, zwischen denen objektive Rechtsbeziehungen mannichfacher Art möglich sind549. In subjektiver Hinsicht handelt es sich dabei entweder um Rechte und Pflichten der Ehegatten gegen einander oder um Rechte und Pflichten eines Ehegatten gegen das Ehepaar. Ersteres ist der Fall, wenn auf beiden Seiten Sondergut oder Vorbehaltsgut, Letzteres, wenn auf einer Seite Gesamtgut beteiligt ist. Im letzteren Falle ist der als Einzelperson verpflichtete Ehegatte immer zugleich als Mitträger der gesamten Hand Mitberechtigter, der als Einzelperson berechtigte Ehegatte zugleich Mitverpflichteter.
§§ 270 – 272 [fehlen]
547 Denn es ist eine Abänderung des Güterstandes der allgemeinen Gütergemeinschaft, wenn ein rechtsgeschäftlicher Erwerb eines Ehegatten entgegen § 1438 Abs. 1 S. 2 nicht Gesamtgut werden soll. Auch steht bei der Verwaltungsgemeinschaft fest, daß Vorbehaltsgut der Frau durch Zuwendung aus dem Mannesvermögen nur durch Ehevertrag kreiert werden kann; vgl. Planck zu § 1368 Bem. 2. Anders verhält es sich nur, wenn der Erwerb vom anderen Ehegatten kraft Surrogation in das Vorbehaltsgut fällt; § 1370 mit § 1440. 548 Vgl. z. B. Hamb. Ges. v. 14. Juli 99 §§ 8 – 14; Brem. Ges. v. 18. Juli 99 §§ 4 – 5. 549 Vor Allem die später zu behandelnden Schuldausgleichungs-, Wertersatz- oder Bereicherungsansprüche, die entstehen, wenn aus einer Masse etwas für oder in eine Masse verwendet ist. Auch sonst aber kann z. B. ein Gesamthandsgrundstück mit einem zum Vorbehaltsgut eines Ehegatten gehörenden dinglichen Recht oder auch einem als Sondergut erscheinenden Nießbrauch und umgekehrt ein Vorbehaltsgrundstück mit einem zum Gesamtgut gehörenden Recht belastet sein. Ebenso können z. B. in einem kraft Bestimmung eines Zuwenders erworbenen Vorbehaltsgut Forderungsrechte oder Schuldverbindlichkeiten gegen das Gesamtgut oder den anderen Ehegatten enthalten sein.
4. Titel: Allgemeine Gütergemeinschaft
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§ 273. Fortgesetzte Gütergemeinschaft I. Geschichte550 Wir haben oben gesehen, daß nach der gesetzlichen Regel des geltenden deutschen Rechts im Falle der Auflösung einer beerbten Ehe durch den Tod die allgemeine Gütergemeinschaft nicht beendigt, sondern zwischen dem überlebenden Ehegatten und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen fortgesetzt wird. Die fortgesetzte Gütergemeinschaft ist ein eigenartiges deutschrechtliches Institut, das nur aus seiner Geschichte verstanden werden kann. Sie ist vom BGB im Eherecht geregelt. Das von ihr begründete Rechtsverhältniß gehört nicht dem Eherecht, sondern dem Eltern- und Kinderrecht an. Allein es erscheint durchweg als Nachwirkung eines bestimmten ehelichen Güterstandes, so daß die ihm entspringenden Besonderheiten des Eltern- und Kinderrechts eben Rechtsfolgen dieses ehemaligen Güterrechts sind551. Eine derartige Verwebung der ehelichen Vermögensgemeinschaft mit einer aus ihr hervorgewachsenen Vermögensgemeinschaft zwischen dem überlebenden Ehegatten und den Kindern wurde durch die Fortdauer der altgermanischen Hausgemeinschaft, die das Ehepaar und die Kinder umschloß und zu einer rechtlichen Einheit verband, ermöglicht. Die fortgesetzte Gütergemeinschaft des geltenden deutschen Rechts ist ein lebendig gebliebener Rest des alten einheitlichen Hausverbandes552. 550 Vgl. bes. R. Schröder, Gesch. II 3 S. 146 ff.; Hofmann, Handb. (oben § 268 Anm. 478) § 77; Philips, Gütergem. (ebd.) § 214 ff.; Runde, Ehel. Güterr. § 114 ff.; Eichhorn, DPR § 309; Maurenbrecher § 556 ff.; Gengler, Lehrb. II § 189, DPR § 151; Mittermaier §§ 404 – 405; Gerber § 236. Beseler §§ 131 – 132; Heusler, Inst. II §§ 160 – 165; Roth, DPR §§ 111, 147 S. 242 ff.; Stobbe-Lehmann § 303 II; Huber, Schweiz. PR IV 414 ff., 497 ff.; Hübner, Grundz.3 § 95 III 2 b, 96 II 2 c. Dazu meine Genossenschaftsth. S. 407 ff. 551 Unter diesem Gesichtspunkte rechtfertigt sich, so viel Nachteile damit verbunden sind, die gesetzliche Regelung innerhalb des Ehegüterrechts. Auch das Schweiz. ZGB a. 229 – 236 verfährt ebenso. Die systematischen Darstellungen des heutigen Familienrechts müssen daran festhalten. Sie tun dies mit einziger Ausnahme des Lehrbuches von Cosack, der im „Recht der ehelichen Kinder“ über die „Fortsetzung der Gütergemeinschaft“ (§§ 352 – 354a zwischen Vater und Kind, § 355 zwischen Mutter und Kind) handelt; vgl. gegen ihn Dernburg § 61 (mit nicht zutreffender Begründung) und Crome § 595 Anm. 2 (mit besten Gründen). – Uebrigens schlagen auch die Bearbeitungen des früheren Rechtes denselben Weg ein. So alle in Anm. 550 angef. Schriften mit Ausnahme von Heusler, der die „Gemeinderschaftsverhältnisse zwischen dem überlebenden Ehegatten und den Kindern“ gesondert darstellt. 552 Unleugbar nimmt sie sich im BGB, das von Hausverband und Hausvermögen sonst nichts wissen will, ziemlich fremdartig aus. Darum bedurfte es zahlreicher, teilweise recht verwickelter und gekünstelter Sondervorschriften, um sie dem Familien- und Erbrecht des Gesetzbuches einzufügen und anzupassen. Den verwandten deutschrechtlichen Ausprägungen der Fortdauer einer Hausvermögensgemeinschaft zwischen dem überlebenden Ehegatten und den Kindern bei anderen Güterständen hat das BGB die gesetzliche Anerkennung versagt; es können nur durch besondere Rechtsgeschäfte im Rahmen der Vertragsfreiheit ähnliche Verhältnisse geschaffen werden; vgl. oben § 264 III 5. Zur richtigen Wertung aber der fortgesetzten Gütergemeinschaft ist ein Vergleich mit den verwandten deutschrechtlichen Gebilden unentbehrlich.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Denn ihre geschichtlichen Wurzeln liegen in der uralten Fortdauer der Hausgemeinschaft bei der Auflösung einer beerbten Ehe durch den Tod eines Ehegatten. Der personenrechtlichen Verbundenheit des überlebenden Ehegatten und der mit ihm in häuslicher Lebensgemeinschaft verbliebenen Kinder entsprach eine Fortdauer der vermögensrechtlichen Verbundenheit in Ansehung des den gemeinschaftlichen Zwecken dienenden Hausgutes. Hieraus entwickelte sich das Bestreben, das Ehevermögen, dem von je die Zweckbestimmung für die Erziehung und Versorgung der Kinder immanent war, nach Beendigung der Ehe durch den Tod als einheitliches Hausvermögen zusammenzuhalten. Dieses Bestreben wurde in mannichfach ungleichem Umfange und in sehr verschiedenen Rechtsformen verwirklicht, führte aber fast überall zur Ausbildung selbständiger familienrechtlicher Institute, die unter dem Gesichtspunkte von Nachwirkungen des ehelichen Güterrechts eine unabhängig von dem Vorhandensein und dem Fortbestande häuslicher Lebensgemeinschaft eintretende und andauernde Hausvermögenseinheit schufen. Soweit sich die eheliche Vermögensgemeinschaft in Verwaltungsgemeinschaft erschöpfte, konnte auch die Fortsetzung der Hausvermögenseinheit sich nicht in Eigentumsgemeinschaft, sondern nur in einer Verwaltungs- und Nutzungsgemeinschaft äußern. Sie fand ihre typische Ausgestaltung in dem Rechtsinstitute des dem überlebenden Ehegatten zustehenden Beisitzrechtes an dem auf die gemeinschaftlichen Abkömmlinge vererbten Vermögen des verstorbenen Ehegatten553. Soweit dagegen eheliche Gütergemeinschaft bestand, konnte sich der Gedanke der fortgesetzten Gütergemeinschaft Bahn brechen554. Der Gedanke der fortgesetzten Gütergemeinschaft aber war ungleicher rechtlicher Ausprägung fähig und wurde, von mancherlei Uebergangsformen abgesehen, in dreierlei Grundformen verwirklicht. Wo Anwachsungsrecht galt, somit das bisherige Gesamtgut zu Alleineigentum des überlebenden Ehegatten wurde, bildete sich eine Vermögensgemeinschaft aus, in der die das Eigentum des Gemeinschaftshauptes einschränkenden dinglichen Anwartschaftsrechte der Kinder den Charakter einer Teilhaberschaft am Hausvermögen annahmen555. Diese Gemeinschaft war keine Fortsetzung der ehelichen Gütergemeinschaft im juristischen Sinne, sondern trat als Neubildung an deren Stelle. Sie wurde aber vielfach als fortgesetzte Gütergemeinschaft bezeichnet, weil sie den Fortbestand des durch die eheliche Gütergemeinschaft begründeten Hausvermögens in seiner familienrechtlichen Zweckgebundenheit sicherte556.
Vgl. oben § 264 Anm. 386 – 390. Doch genügte Gütergemeinschaft von Todeswegen (oben § 264 Anm. 388 – 392), um den Gedanken einer Fortsetzung der ehelichen Gütergemeinschaft zwischen dem überlebenden Ehegatten und den Kindern zu tragen. 555 Vgl. oben § 272 [fehlt]. über Verfangenschaftsrecht und Teilrecht. 556 Ueber die mannichfach ungleiche Ausgestaltung dieser Vermögensgemeinschaft im Sinne einer fortgesetzten Hausgemeinschaft mit Eigentumseinheit in der Hand des Hauptes 553 554
4. Titel: Allgemeine Gütergemeinschaft
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Wo das Teilungsprinzip durchgeführt wurde, somit Erbfolge der Kinder in den ausgeschiedenen Anteil des verstorbenen Ehegatten am bisherigen Gesamtgut eintrat, rief das dem überlebenden Ehegatten an dem Elternerbe der Kinder gewährte Verwaltungs- und Nutzungsrecht, soweit und so lange es bestand, eine Vermögensgemeinschaft zwischen ihm und den Kindern ins Leben, in der die gesonderten Eigentumsanteile des Hauptes und der Mitglieder zu einem einheitlichen Hausvermögen verbunden blieben556a. Auch diese Gemeinschaft war keine Fortsetzung der ehelichen Gütergemeinschaft im juristischen Sinne, unterschied sich vielmehr, da das Gesamtgut endgültig in gesonderte Eigentumsmassen zerlegt war, grundsätzlich nicht von der Gemeinschaft, die ein gleichinhaltliches Beisitzrecht des überlebenden Ehegatten bei ehelicher Gütersonderung begründete. Allein weil und soweit sie das einstige gütergemeinschaftliche Ehevermögen tatsächlich ungeteilt zusammenhielt, wurde auch sie oft als fortgesetzte Gütergemeinschaft vorgestellt und bezeichnet557. Ueberwiegend jedoch entwickelte sich im Bereiche der allgemeinen Gütergemeinschaft das System der echten fortgesetzten Gütergemeinschaft („communio bonorum prorogata“), kraft dessen bei beerbter Ehe der Tod eines Ehegatten die bestehende Eigentumsgemeinschaft zur gesamten Hand überhaupt nicht beendigt wird, so daß das Gesamtgut weder im Wege der Konsolidation in Alleineigentum verwandelt noch im Wege der Anteilsvererbung zu Sondereigentum verteilt wird, sondern nach wie vor den Gegenstand einer Eigentumsgemeinschaft zur gesamten Hand bildet, „deren Subjekt nunmehr statt des Ehepaares der überlebende Ehegatte, der ihr Haupt bleibt oder wird“, und die „Kinder in der Were“, die in ungesonderte Eigentumsanteile einrücken, in hausrechtlicher Verbundenheit sind. Im Einzelnen erfuhr diese Grundform eine mannichfach ungleiche Ausgestaltung558. Kennzeichnend aber ist für sie stets, daß sie gleich der bisherigen eheund anwartschaftlicher Teilhaberschaft der Kinder vgl. meine Genossenschaftsth. S. 408 – 414. Hier ist auch die vielfach vollzogene Annäherung an eine Eigentumsgemeinschaft zur gesamten Hand aufgezeigt. 556a Vgl. oben § 272 [fehlt]. 557 Ueber die mannichfach ungleiche Ausgestaltung dieser fortgesetzten Gemeinschaft an einem als Rückstand einer aufgelösten ehelichen Gütergemeinschaft trotz der Zerlegung in gesonderte Eigentumsmassen tatsächlich ungeteilten ehemaligen Gesamtgut, das nach wie vor ein einheitliches Hausvermögen bildet, vgl. meine Genossenschaftsth. S. 429 – 435. Hier ist auch (S. 433 ff.) dargetan, daß die Konstruktion im Sinne des römischen Miteigentums, wie sie in der Theorie überwog, verfehlt ist, vielmehr ein freilich eigenartiger und gegenüber der echten fortgesetzten Gütergemeinschaft sehr abgeschwächter Typus der Eigentumsgemeinschaft zur gesamten Hand vorliegt. 558 Vgl. über das Wesen, die theoretische und die praktische Behandlung und die Differenzierung der echten fortgesetzten Gütergemeinschaft im früheren Recht, meine Genossenschaftsth. S. 415 – 428. Es begreift sich leicht, daß die Abgrenzung der echten fortgesetzten Gütergemeinschaft gegen die verwandten Gebilde nicht immer sicher ist und hinsichtlich mancher Partikularrechte Meinungsstreit herrscht, ob sie fortgesetzte Gütergemeinschaft oder nur Beisitz des überlebenden Ehegatten annehmen oder ihm etwa Alleineigentum zuschreiben.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
lichen Gütergemeinschaft eine Gemeinschaft auf Gedeih und Verderb ist, daß daher, wenn sie ganz oder teilweise aufgelöst wird, die Auseinandersetzung nach Maßgabe des gegenwärtigen Vermögensbestandes (ex nunc), nicht unter Rückgriff auf die im Augenblicke der Auflösung der Ehe bestehenden Verhältnisse (ex tunc) erfolgt559. Das Rechtsinstitut der echten fortgesetzten Gütergemeinschaft wurde in zahlreichen Partikularrechten heimisch. Die größte Verbreitung fand es in westfälischen, lübischen, pommerschen und schleswig-holsteinschen Rechten. Aber auch in mitteldeutsche, süddeutsche und schweizerische Rechte fand es Eingang560. Einzelne Partikularrechte lassen die fortgesetzte Gütergemeinschaft auch bei unbeerbter Ehe zwischen den überlebenden Ehegatten und den gesetzlichen Erben des verstorbenen eintreten561.
559 Besonders eingehend und folgerichtig ist es geregelt in der Lippeschen V. v. 1786 §§ 16 – 24 und im Ges. für Westfalen v. 1860 §§ 16 ff. – Ueber die im lübischen Recht seit alter Zeit anerkannte fortgesetzte Gütergemeinschaft, deren Wesen sehr bestritten und die in den lübischen Tochterrechten mannichfach ungleich ausgebildet ist, vgl. bes. Pauli, Abh. II 110 ff., 140 ff. (von Freund, Das lübische eheliche Güterrecht in älterer Zeit S. 68 ff., m. E. in den Hauptpunkten nicht widerlegt). Zusammenstellung der mannichfachen Rechtsverschiedenheiten in den einzelnen Gebieten des lübischen Rechts bei Roth a. a. O. S. 242 – 249. In Lübeck selbst hat das Ges. v. 10. Febr. 1862 sofortige Abteilung und bloßes Beisitzrecht des überlebenden Ehegatten eingeführt. Auch in Wismar und Rostock ist die fortgesetzte Gütergemeinschaft stark abgewandelt. Dagegen gilt sie wesentlich unversehrt in den pommerschen Städten lübischen Rechts; v. Wilmowski, Lübisches Recht in Pommern, 1867, §§ 71 – 76. Ueber holsteinische und schleswigsche Stadtrechte vgl. Paulsen §§ 147, 148, Falck IV § 75, V §§ 88, 89. Echte fortgesetzte Gütergemeinschaft ist in den Pommerschen Bauerordnungen v. 1616 u. 1784 durchgeführt. Desgleichen im Stettiner Statutarrecht. Auch die Münsterer PolO v. 1740 ist dem System der fortgesetzten Gütergemeinschaft zuzurechnen; Stobbe-Lehmann § 303 Anm. 15. Doch nehmen Manche, wie Roth § 112 Anm. 4, vielmehr Alleinerbrecht des überlebenden Ehegatten an. Ebenso geht die Lüneburger Ref. VI, 1 u. 19 vom Gesichtspunkt der fortgesetzten Gütergemeinschaft aus, vgl. Stobbe-Lehmann a. a. O.; doch behaupten Manche auch hier Alleinerbrecht des überlebenden Ehegatten am Gesamtgut. – Unzweideutig für fortgesetzte Gütergemeinschaft sprechen sich die Rechte der Länder Eiderstädt, Hadeln, Wursten, Altenland aus; Roth § 111 Anm. 8 – 11. – Für das Hamburger Stadtrecht schrieben Manche dem Ehemann, wie schon während der Ehe (oben § 268 Anm. 32 [fehlt]), auch nach dem Tode der Frau Alleineigentum am Gesamtgut zu und nahmen fortgesetzte Gütergemeinschaft nur zwischen der Witwe und den Kindern an. Baumeister § 85 behauptete Alleineigentum auch für die Witwe; doch drang mehr und mehr in beiden Fällen der Begriff der fortgesetzten Gütergemeinschaft durch; vgl. Goldfelder a. a. O. § 8. Das System der fortgesetzten Gütergemeinschaft entwickelte sich in eigenartiger Weise auch in Bremen; vgl. Post, Samtgut S. 51 ff. 560 So auch im fränkischen Rechte, indem trotz Beibehaltung des Anwachsungsrechts statt bloßer anwartschaftlicher Rechte gegenwärtige suspensiv bedingte Eigentumsanteile der Kinder angenommen wurden. So im Bamberger Landrecht. Fortgesetzte Gütergemeinschaft galt ferner gewohnheitsrechtlich in der Grafschaft Thurnau, nach dem Landr. der Grafschaft Erbach, dem Stadtr. von Wimpfen; Roth § 114 Anm. 14 – 16. Ebenso in Hildburghausen; Heimbach § 98, 3, Roth a. a. O. Anm. 18. – Ueber Hohenzollern Cramer a. a. O. S. 63 ff., 114 ff. – Ueber schweizerische Rechte Huber IV, 114 ff.
4. Titel: Allgemeine Gütergemeinschaft
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Dagegen haben von den großen Gesetzbüchern das preußische Allgemeine Landrecht, das französische Gesetzbuch und das sächsische Gesetzbuch in die von ihnen aufgestellten gesetzlichen Regeln über eheliche Gütergemeinschaft das Institut der fortgesetzten Gütergemeinschaft nicht aufgenommen562. Das deutsche BGB regelt die fortgesetzte Gütergemeinschaft als regelmäßige Folge der Auflösung einer beerbten gütergemeinschaftlichen Ehe durch den Tod durch ausführliche gesetzliche Bestimmungen im Sinne der echten fortgesetzten Gütergemeinschaft563. Dabei schließt es sich in den Grundzügen dem bisher in den partikularrechtlichen Gebieten der gesetzlichen allgemeinen Gütergemeinschaft überwiegend geltenden Recht an564. Es läßt vertragsmäßige und unter Umständen auch testamentarische Ausschließung des Eintrittes der Fortsetzung zu, gewährt aber für den Fall, daß die Ausschließung nicht erfolgt, keine volle Vertragsfreiheit in Ansehung der Ausgestaltung des Gemeinschaftsverhältnisses, sondern stattet die von ihm aufgestellten Rechtssätze insoweit mit zwingender Kraft aus, als es nicht ausdrücklich rechtsgeschäftliche Abänderungen zuläßt565. Ueberall, wo kraft landesgesetzlicher Ueberleitung an Stelle der allgemeinen Gütergemeinschaft des bisherigen Rechtes die allgemeine Gütergemeinschaft des BGB gesetzt ist, sind für die übergeleiteten älteren Ehen auch die Vorschriften des BGB über die fortgesetzte Gütergemeinschaft an Stelle der bisherigen Vorschriften über die Fortsetzung der Vermögensgemeinschaft zwischen dem überlebenden Ehegatten und den Kindern getreten566. Doch sind dabei mancherlei Vorbehalte zu Gunsten abweichender Bestimmungen des früheren Rechtes gemacht, indem diese ganz oder teilweise aufrecht erhalten und damit einzelne Besonderheiten gegenüber den erst unter der Herrschaft des BGB geschlossenen Ehen angeordnet sind567. Fast ganz unberührt geblieben ist auch hinsichtlich der fortgesetzten Gütergemeinschaft das Westfälische Ges. v. 1860568. Sehr tiefgreifende Unter-
561 So die Pommersche Bauerordn. v. 1764; durch das Preuß. AG zum BGB a. 51 § 62 für übergeleitete Ehen aufrecht erhalten, indem die §§ 1483 – 1518 BGB entsprechende Anwendung finden sollen. 562 Das Preußische Landrecht läßt nicht nur bei der landrechtlichen Gütergemeinschaft keine Fortsetzung eintreten, sondern enthält auch, wenn nach Provinzial- oder Statutarrecht fortgesetzte Gütergemeinschaft eintritt, keine subsidiär anwendbaren Bestimmungen. 563 BGB §§ 1487 – 1518. Dazu bes. Komm. v. Planck. Schmidt, Staudinger, Lehrb. v. Dernburg §§ 61 – 62, Endemann § 187, Cosack §§ 352 – 355, Crome §§ 595 – 597, M. Wolff, § 67 auch Hellwig, Anspruch u. Rechtskraft S. 210 – 219 ff., 175 ff. 564 Entw. I hatte es unternommen, Alleinerbrecht des überlebenden Ehegatten zu Grunde zu legen; vgl. über und gegen seine sehr verkünstelten Bestimmungen meine Schrift über den Entw. S. 475 ff. 565 BGB § 1508. Ueber die zulässigen Aenderungen unten § 276. 566 Damit ist zum Teil nur der Inhalt des bisherigen Rechts außer Zweifel gestellt oder bisheriger Meinungsstreit entschieden, zum Teil aber das frühere Recht planmäßig umgebildet. 567 Vgl. z. B. Preuß. AG zum BGB a. 52 §§ 3, 5, GüterstandsV v. 30. Dez. 99 a. 3 §§ 4, 5, 9, 10; Bayr. Ueberl. G. a. 67 – 72; Hess. AG a. 180.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
schiede vom Recht des BGB gelten für übergeleitete Ehen nach den Gesetzen für Hamburg569 und für Bremen570. Eine vor dem Inkrafttreten des BGB bereits eingetretene fortgesetzte Gütergemeinschaft ist von den Landesgesetzen meist nicht übergeleitet, untersteht vielmehr lediglich dem früheren Recht571. In einigen Staaten aber ist auch sie dem neuen Recht, wenngleich mit mancherlei Vorbehalten, unterworfen572. Das schweizerische ZGB kennt gleich dem deutschen BGB eine echte fortgesetzte Gütergemeinschaft573. Sie tritt aber nicht, wie nach deutschem Recht, von Rechtswegen ein, sondern muß durch einen Vertrag des überlebenden Ehegatten mit den Kindern begründet werden574.
568 Preuß. AG zum BGB a. 48 (oben § 268 Anm. 23 [fehlt]); Abänderungen der Vorschriften des Gesetzes über fortgesetzte Gütergemeinschaft in a. 48 §§ 6 – 8. 569 Hamb. G. v. 14. Juli 99 (für die in Preußen domizilierten Ehen in Preuß. Güterst. V. a. 18 nur teilweise aufgenommen). Ausführliche Darstellung bei Nöldecke, Hamb. Landesprivatrecht S. 711 – 756. Gegenüber der Unsicherheit des früheren Rechts (oben Anm. 559) ist festgestellt, daß stets fortgesetzte Gütergemeinschaft eintritt, aber eine ungleiche Ausgestaltung für den Witwer und die Witwe festgehalten. 570 Brem. Ges. v. 18. Juli 99 (mit geringer Abänderung auch Preuß. Güterst. V. a. 17). Das Samtgut wandelt sich nach § 10 Z. 1 bei beerbter Ehe, wenn der Mann überlebt, in Vermögen des Mannes, jedoch die „beteiligten Abkömmlinge“ (über ihren Begriff § 2) behalten ihr „Kopfteilsrecht“, das auch den künftigen Erwerb des Witwers ergreift; also ein durch anwartschaftliche Anteile beschränktes Alleineigentum, das als „Samtgut des beerbten Witwers“ bezeichnet und besonders geregelt wird. Dagegen gehört das Samtgut nach § 10 Z. 2, wenn die Frau überlebt, der Witwe und den beteiligten Abkömmlingen „nach Kopfteilsrecht gemeinschaftlich“, die Witwe bleibt aber mit den Abkömmlingen im „Beisitz“, während sie Abkömmlinge des Mannes aus einer früheren Ehe abzuschichten hat; also keine echte fortgesetzte Gütergemeinschaft, sondern Gemeinschaft mit gesonderten Anteilen der Kinder und Verwaltungs- und Nutznießungsrecht der Witwe an den Anteilen der Kinder, wobei an Stelle des Samtguts die „Beisitzmasse“ tritt (§ 16). 571 So in Preußen nach AG a. 66; in Bayern nach Ueberg. G. a. 73 mit gewissen Ausnahmen für Bamberg u. Fulda in a. 74; in Mecklenburg, V. für Schwerin § 213, Strelitz § 211, in S. Weimar nach AG § 191. 572 So Hamb. Ges. §§ 21 – 29 (nicht anwendbar auf die dem preuß. R. unterworfenen Ehen); vgl. Nöldecke a. a. O. S. 756 – 768. Hess. AG a. 181, Erbacher, Wimpfener u. Fuldaer R. mit Modifikationen in a. 182 – 185. Auch das Brem. Ges. § 31 bestimmt die Anwendbarkeit seiner Ueberleitungsbestimmungen auf die nach bisherigem Recht bereits eingetretenen Verhältnisse des Samtgutes des beerbten Witwers und des Beisitzes (oben Anm. 570). 573 Schweiz. ZGB a. 229 – 236. 574 Der Vertrag ist formfrei; die Einwilligung unmündiger Kinder bedarf aber der Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes; vgl. die Komm. zu a. 229 von Egger Bem. 2 – 3, Gmür, Bem. III.
4. Titel: Allgemeine Gütergemeinschaft
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II. Eintritt Die fortgesetzte Gütergemeinschaft tritt nach dem BGB mit dem Tod eines Ehegatten von Rechtswegen ein, wenn in diesem Augenblick allgemeine Gütergemeinschaft besteht, die Ehe beerbt ist und nicht ein Ausnahmefall vorliegt.575 1. Beerbt ist die Ehe, wenn gemeinschaftliche Abkömmlinge vorhanden sind, die im Falle der gesetzlichen Erbfolge Erben wären. Es ist gleichgültig, ob sie volljährig oder minderjährig, verheiratet oder unverheiratet, noch hausangehörig oder aus der Hausgemeinschaft geschieden sind576. Auch gemeinschaftliche Wahlkinder und Abkömmlinge von solchen genügen577.577a Dagegen ist die Ehe unbeerbt, wenn nur gemeinschaftliche Abkömmlinge vorhanden sind, die durch Erbverzicht oder Erbunwürdigkeit ihr Erbrecht verloren haben578. 2. Ausnahmsweise tritt trotz des Vorhandenseins gemeinschaftlicher Abkömmlinge die fortgesetzte Gütergemeinschaft in folgenden Fällen nicht ein: a) Wenn der überlebende Ehegatte sie ablehnt. Die Ablehnung erfolgt durch einseitige Willenserklärung gegenüber dem Nachlaßgericht. Sie kann nicht im Voraus, sondern erst nach dem Todesfall erfolgen. Steht der überlebende Ehegatte unter elterlicher Gewalt oder Vormundschaft, so ist Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich. Die Ablehnung unterliegt den für die Ausschlagung einer Erbschaft geltenden Vorschriften, sie macht den von Rechtswegen erfolgten Eintritt der fortgesetzten Gütergemeinschaft rückgängig, kann aber nicht mehr stattfinden, wenn die Annahme erklärt oder die sechswöchige Erklärungspflicht versäumt ist579. b) Wenn die Ehegatten sie durch Ehevertrag ausgeschlossen haben. Für einen solchen Ehevertrag und ebenso für einen die Ausschließung wieder aufhebenden 575 Insbesondere ist im Gegensatz zum Recht des BGB eine Partialauflösung durch Austritt oder Ausschluß einzelner Teilhaber zugelassen und normiert. 576 Die fortgesetzte Gütergemeinschaft tritt also auch ein, wenn nur Kinder vorverstorbener Kinder vorhanden sind. Dagegen kommen nach schweiz. R. für die Begründung nur Kinder in Betracht, während später auch hier Enkel und Urenkel einrücken können; vgl. Gmür zu a. 229 Bem. II 2, Egger Bem. 3 b. 577 Nach früherem Recht wird die Gemeinschaft öfter nur mit unabgefundenen Kindern, also, wenn nur abgefundene vorhanden sind, überhaupt nicht fortgesetzt. So nach Westfäl. Ges. § 10, was bei übergeleiteten Ehen fortgilt. 577a BGB §§ 1749, 1757, 1763. 578 Ebenso, wenn nur Wahlkinder vorhanden sind, denen nach dem Annahmevertrag kein Erbrecht zusteht. 579 BGB § 1484. Entsprechend anzuwenden sind die §§ 1942 – 1947, 1950, 1952, 1954 – 1957, 1959. Ist die Ablehnung wirksam, so tritt Hälftenteilung und Vererbung des Anteils des verstorbenen Ehegatten wie bei unbeerbter Ehe nach § 1482 ein. Ist die Ablehnung durch Annahme oder Fristversäumniß entkräftet, so kann der überlebende Ehegatte nur noch gemäß § 1492 die fortgesetzte Gütergemeinschaft aufheben, rettet aber damit nicht das verlorene Erbrecht an der Hälfte des Gesamtguts.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Ehevertrag gelten gleiche Regeln wie für einen Ehevertrag, der die allgemeine Gütergemeinschaft begründet oder aufhebt.580 c) Wenn der vorverstorbene Ehegatte sie für den Fall seines Todes durch einseitige letztwillige Verfügung aus gerechter Ursache ausgeschlossen hat. Hierzu ist er berechtigt, wenn er berechtigt ist, dem anderen Ehegatten den Pflichtteil zu entziehen oder gegen ihn auf Aufhebung der Gütergemeinschaft zu klagen. In beiden Fällen finden auf die Ausschließung die Vorschriften über die Ausschließung des Pflichtteils entsprechende Anwendung581. Frühere Rechte räumten öfter jedem Ehegatten das Recht willkürlicher Ausschließung der fortgesetzten Gütergemeinschaft durch einseitige Verfügung von Todeswegen ein. Mitunter hat nur der Mann dieses Recht. Bei übergeleiteten Ehen ist dieses Recht aufrecht erhalten582. d) Nichteintritt ohne Ehevertrag Bei übergeleiteten Ehen, nach deren bisherigem Recht fortgesetzte Gütergemeinschaft überhaupt nicht eingetreten wäre, tritt die fortgesetzte Gütergemeinschaft des BGB nur ein, wenn sie durch Ehevertrag vereinbart ist583.
580 BGB § 1508. Somit ist § 1437 hinsichtlich der Einschränkungen des Vertragsschlusses durch Vertreter anwendbar, vgl. oben § 268 [Anm. fehlen]. Ist die Ausschließung wirksam erfolgt, so bestimmen sich die Schicksale des Gesamtguts nach § 1482. – Ueber die Möglichkeit, durch gemeinschaftliches Testament im Wege der Ausschließung aller Abkömmlinge gemäß §§ 1511, 15163 den Nichteintritt der fortgesetzten Gütergemeinschaft zu erzielen, vgl. unten § 276 Anm. 667. 581 BGB § 1509. Der Grund der Entziehung muß in der letztwilligen Verfügung angegeben sein und zur Zeit ihrer Errichtung bestanden haben; die Beweislast trifft den, der die Entziehung geltend macht; § 2336. Das Entziehungsrecht erlischt durch Verzeihung und eine erfolgte Ausschließung wird durch Verzeihung unwirksam; § 2337. Verzeihung ist hier nicht nur bei einer Verfehlung des anderen Ehegatten, sondern auch bei unverschuldeten Tatbeständen, die nach § 1468 oder 1469 ein Klagerecht auf Aufhebung der Gemeinschaft begründen (oben § 272 [fehlt].) möglich; vgl. Planck zu § 1509 Bem. 3, Schmidt Bem. 3 b. Ist die Ausschließung wirksam, so tritt Auseinandersetzung wie bei unbeerbter Ehe nach § 1482 ein. Eine Entziehung des Pflichtteils ist in der Ausschließung an sich nicht enthalten, im Zweifel auch nicht, wenn die Ausschließung wegen eines Grundes, der den Verfügenden dazu berechtigen würde, erfolgt. 582 Vgl. z. B. Preuß. AG a. 52 § 3 Abs. 2 für Schleswig-Holsteinische Rechte, nach denen jeder Ehegatte das Ausschließungsrecht hat; § 1509 BGB findet keine Anwendung; a. 48 für westfälische Ehen, bei denen nach Ges. v. 1860 § 101 jeder Ehegatte durch letztwillige Verfügung sofortige Schichtung anordnen kann; a. 51 § 43 für Pommersche Rechte, nach denen der Ehemann die Befugniß hat, für den Fall seines Todes die Fortsetzung der Gütergemeinschaft letztwillig auszuschließen. 583 So bei der allgemeinen Gütergemeinschaft des Preußischen Landrechts, Preuß. AG z. BGB a. 47 § 4; des französ. Rechts, Preuß. AG a. 56 § 32; des sächs. Gb., Preuß. AG a. 61 § 1 Z. 3.
4. Titel: Allgemeine Gütergemeinschaft
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III. Wirkung des Eintritts Der Eintritt der fortgesetzten Gütergemeinschaft ist kein erbrechtlicher, sondern ein ehegüterrechtlicher Vorgang. Er bewirkt, daß das Gesamtgut gar nicht vererbt wird. Der Anteil des verstorbenen Ehegatten am gütergemeinschaftlichen Vermögen gehört nicht zu seinem Nachlaß. Im Uebrigen aber hindert er nicht die Eröffnung der regulären Erbfolge in das Vermögen des verstorbenen Ehegatten. Sein Nachlaß, der aus seinem Sondergut und Vorbehaltsgut besteht, wird daher ohne Rücksicht auf den Eintritt der fortgesetzten Gütergemeinschaft nach den allgemeinen Grundsätzen des Erbrechts vererbt584. Allein das Erbrecht des überlebenden Ehegatten und der gemeinschaftlichen Abkömmlinge werden durch die ihnen als nunmehrigen Gesamthändern angefallenen Anteile am Gesamtgut aufgezehrt. Obschon daher der Uebergang des Gesamtguts auf sie keine Erbfolge ist, funktioniert er doch eben als Erbrechtsersatz. Diesem Umstande trägt das BGB dadurch Rechnung, daß es in erheblichem Umfange die „entsprechende Anwendung“ erbrechtlicher Vorschriften anordnet. IV. Teilhaber Das Subjekt der fortgesetzten Gütergemeinschaft sind der überlebende Ehegatte und die „anteilsberechtigten Abkömmlinge“ in ihrer familienrechtlichen Verbundenheit. Anteilsberechtigte Abkömmlinge sind nur gemeinschaftliche Kinder des Ehepaars und deren Nachkommen mit gemeinschaftlich angenommenen Wahlkindern585. Sind daneben einseitige Abkömmlinge eines Ehegatten vorhanden, so bestimmen sich ihr Erbrecht und ihre Erbteile so, wie wenn fortgesetzte Gütergemeinschaft nicht eingetreten wäre586. Während daher einseitige Abkömmlinge des überlebenden Ehegatten überhaupt außer Betracht bleiben587, fällt den einseitigen Abkömmlingen des verstorbenen Ehegatten588 dessen Nachlaß kraft ihres Erbrechts genau in derselben Weise an, wie dies bei unbeerbter Ehe geschehen wäre. Zu ihBGB § 1480. Außerdem bei älteren Ehen Kinder aus einer früheren Ehe des verstorbenen Ehegatten, falls sie auf Grund eines in Kraft gebliebenen Einkindschaftsvertrages die Stellung leiblicher Kinder des überlebenden Ehegatten erlangt haben; EG zum BGB a. 203. 586 BGB § 14832. 587 Am Nachlaß des verstorbenen Ehegatten haben sie keinen Teil. Ebensowenig aber sind sie anteilsberechtigt am Gesamtgut. Nur die Aussicht, im Falle der Beendigung der Gemeinschaft durch den Tod des überlebenden Ehegatten als dessen Erben seinen Anteil am Gesamtgut kraft Erbrechts anteilsweise mitzuerwerben bietet ihnen Ersatz. 588 Dazu gehören außer Kindern des verstorbenen Ehegatten aus einer anderen Ehe auch, wenn es sich um eine verstorbene Ehefrau handelt, deren uneheliche Kinder. 584 585
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
ren Gunsten gilt daher als Nachlaß nicht blos das Sondergut des verstorbenen Ehegatten, sondern auch dessen Anteil am Gesamtgut589. An dieser Vermögensmasse erwirbt der einzelne einseitige Abkömmling mit dem Tode seines Vaters oder seiner Mutter von Rechtswegen den Anteil, der ihm kraft seines gesetzlichen Erbrechts gebührt590 oder was ihm durch rechtswirksame letztwillige Verfügung des verstorbenen Ehegatten zugewandt ist591. Das Vorhandensein eines oder mehrerer einseitiger Abkömmlinge macht eine Auseinandersetzung zwischen den Teilhabern der fortgesetzten Gütergemeinschaft, die dabei vollwirksam durch den überlebenden Ehegatten als Gemeinschaftshaupt vertreten werden, und dem erbberechtigten einseitigen Abkömmling erforderlich. Dazu bedarf es einer Feststellung des Bestandes des Gesamtgutes einerseits und des dem Erbgange unterworfenen Vermögens des verstorbenen Ehegatten andererseits. Die ehegüterrechtlichen Ersatzansprüche des Gesamtguts an das Einhandsgut des verstorbenen Ehegatten und des Sonder- oder Vorbehaltsgutes des letzteren an das Gesamtgut kommen zur Verrechnung. Soweit der einseitige Abkömmling nicht durch den Verzicht auf die Ersatzansprüche des Gesamtguts gegen seinen Erblasser oder auf die konkurrierenden Erbansprüche des überlebenden Ehegatten und der gemeinschaftlichen Abkömmlinge am Sonder- und Vorbehaltsgut des verstorbenen Ehegatten befriedigt werden kann, ist er aus dem Gesamtgut zu befriedigen592. Die gemeinschaftlichen Abkömmlinge ihrerseits sind nur insoweit Teilhaber der fortgesetzten Gütergemeinschaft, als sie gesetzliche Erben des verstorbenen Ehegatten sind. Entferntere Nachkommen (Enkel, Urenkel) werden also durch ihren noch lebenden Vorfahren ausgeschlossen. Sie rücken aber ein, wenn dieser wegen 589 Ihr Vorhandensein kann also das Gesamtgut der fortgesetzten Gütergemeinschaft erheblich kürzen. Dagegen bleibt zu Gunsten des überlebenden Ehegatten und der gemeinschaftlichen Abkömmlinge die Gesamtgutshälfte des verstorbenen Ehegatten unausgeschieden. 590 Bei der Berechnung nach § 1924 werden die gemeinschaftlichen Abkömmlinge mitgezählt. Aber auch das gesetzliche Erbrecht, das dem überlebenden Ehegatten beim Nichtvorhandensein gemeinschaftlicher Abkömmlinge gebühren würde, wird berücksichtigt; vgl. Planck zu § 1483 Bem. III 1 b. 591 Jeder Ehegatte kann über seinen Anteil am Gesamtgut, insoweit er an einen einseitigen Abkömmling fällt, von Todeswegen verfügen. Doch kann er durch Zuwendung an den einseitigen Abkömmling das Gesamtgut nicht um mehr kürzen, als dieses durch dessen gesetzlichen Erbteil geschmälert würde; Planck Bem. III 2 , Wolff § 64 IV 3 ; a.M. Schmidt zu § 1483 Bem. 8 b, Cosack I 667. Gestritten wird, ob der Ehegatte den Anteil seines einseitigen Abkömmlings einem Dritten zuwenden kann. Dies wird überwiegend angenommen; vgl. Planck a. a. O., richtiger jedoch verneint; Schmidt a. a. O. Bem. , Cosack a. a. O., Wolff § 67 Anm. 14. – Unberührt von dem Recht letztwilliger Verfügung über den künftigen Anteil am Gesamtgut bleiben stets die Pflichtteilsansprüche der Abkömmlinge und des überlebenden Ehegatten. Bei der Berechnung des Pflichtteils ergeben sich Komplikationen mancherlei Art dadurch, daß auch hier zu Gunsten einseitiger Abkömmlinge die Gesamtgutshälfte des verstorbenen Ehegatten in seinen Nachlaß eingerechnet wird, dagegen die Teilhaber der fortgesetzten Gütergemeinschaft nur am Sondergut und Vorbehaltsgut Pflichtteilsansprüche haben. 592 [BGB § 1483 Abs. 2.]
4. Titel: Allgemeine Gütergemeinschaft
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Erbunwürdigkeit sein Erbrecht verloren hat oder durch Erbverzicht, der sich nicht auf die Nachkommen erstrecken soll, aus der Reihe der Erben geschieden ist593. V. Vermögensmassen Gegenstand der fortgesetzten Gütergemeinschaft ist das Gesamtgut. Zu ihm gehört das eheliche Gesamtgut, soweit es nicht einem einseitigen Abkömmling zufällt, und der Vermögenserwerb des überlebenden Ehegatten, sei es aus dem Nachlaß des verstorbenen Ehegatten, sei es späterer Erwerb. Das BGB läßt grundsätzlich den gesamten Vermögenserwerb des überlebenden Ehegatten in gleichem Umfange wie bei bestehender allgemeiner Gütergemeinschaft den Erwerb beider Ehegatten in das Gesamtgut fallen594. Die Vergemeinschaftung erfolgt auch hier von Rechtswegen, ohne besondere rechtsgeschäftliche Uebertragung auf die gesamte Hand; auch bei liegenschaftlichem Erwerb, bei dem aber auch hier ein Anspruch der Teilhaber auf Berichtigung des Grundbuchs besteht595. Der überlebende Ehegatte kann jedoch auch hier Sondergut und Vorbehaltsgut haben. Sondergut bleiben oder werden ihm gehörige unübertragbare Gegenstände, Vorbehaltsgut bleibt, was bisher sein Vorbehaltsgut war, und wird, was er später durch Zuwendung eines Dritten mit der Vorbehaltsgutsklausel oder durch Surrogation erwirbt. Im Gegensatz zum Vermögenserwerb des überlebenden Ehegatten fällt der Vermögenserwerb der anteilsberechtigten Abkömmlinge nach dem BGB nicht in die Gemeinschaft. Das Vermögen, das ein gemeinschaftlicher Abkömmling zur Zeit des Eintritts der fortgesetzten Gütergemeinschaft hat (insbesondere sein Erbteil am Nachlaß des verstorbenen Ehegatten) oder später erwirbt, gehört nicht zum Gesamtgut596. Im früheren Recht galten zum Teil abweichende Grundsätze. Sie sind auch für übergeleitete Ehen regelmäßig weggefallen597.
593 Die Gemeinschaft zwischen der fortbestehenden Gütergemeinschaft und dem ihr gegenüber anteilsberechtigten einseitigen Abkömmling ist keine Erbengemeinschaft, da dieser zwar bezüglich des Vorbebalts- und Sonderguts Miterbe des überlebenden Ehegatten und der einzelnen gemeinschaftlichen Abkömmlinge ist, sein ererbter Anteil aber an der Gesamtgutshälfte aber von vornherein das nach Ehegüterrecht fortbestehende Gesamtgut mindert (§ 1485). 594 [fehlt!] 595 [fehlt!] 596 BGB § 14852. Die fortgesetzte Gütergemeinschaft wahrt also nur von der Seite des überlebenden Ehegatten die Natur einer „allgemeinen“ Gütergemeinschaft, von der Seite der Abkömmlinge verengt sie sich zu einer auf den Rückstand der ehelichen Gemeinschaft beschränkten Gütergemeinschaft. Da die Abkömmlinge kein Ablehnungsrecht haben, würden sie durch die Einbeziehung ihres Vermögens in das Gesamtgut vergewaltigt werden. 597 Aufrechterhalten ist § 10 Abs. 3 des Westfäl. Ges. v. 1860, wonach ins Gesamtgut fällt, was ein Abkömmling durch Beihülfe im elterlichen Gewerbe oder Haushalte der Gemeinschaft erwirbt.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
§ 274. Rechtsverhältnisse bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft I. Gemeinschaftsverhältniß [1.] Das jeweilige Vermögen der fortgesetzten Gütergemeinschaft bildet ein Sondervermögen, das dem überlebenden Ehegatten und den anteilsberechtigten Abkömmlingen zur gesamten Hand gehört. Die Anteile sind wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft unausgesondert, unveräußerlich, unbelastbar, unpfändbar und dauernd gebunden598. Doch sind die Anteile der Abkömmlinge hier der Verfügung nicht ganz entzogen, da sie verzichtbar sind599. Nach früheren Rechten kann der Abkömmling manchmal über seinen Anteil vor Aufhebung der Gemeinschaft unter Lebenden oder von Todeswegen zu Gunsten seines Ehegatten, seiner Abkömmlinge oder der sonstigen Mitbeteiligten verfügen600. Im Uebrigen sind Anteile unvererblich601. Im Verhältniß zueinander sind die Anteile hier quotenmäßig bestimmt602; doch bedeutet die dem einzelnen Anteil zugewiesene Quote auch hier nicht eine Feststellung des gegenwärtigen vermögensrechtlichen Anteilsinhaltes, sondern nur den Maßstab für seinen anwartschaftlichen Anspruch auf einen Teil des Gemeinschaftsvermögens im Falle der Beendigung der Gemeinschaft, auf einen künftigen „Schichtteil“, der an Stelle des wegfallenden Anteils tritt. Die reale Wirksamkeit eines Miteigentumsbruchteils verleiht die Quotenfestsetzung im Anteil nicht. 2. Der überlebende Ehegatte ist Gemeinschaftshaupt. Er hat in Ansehung des Gesamtguts die gleichen Rechte und Pflichten wie der Ehemann während des Bestandes der allgemeinen Gütergemeinschaft603. BGB § 1487 mit Verweisung auf § 1442; ZPO § 8601. 599 BGB § 1491. 600 So nach Westfäl. Ges. § 16; bei übergeleiteten Ehen aufrecht erhalten. 601 Hinterläßt der Abkömmling Nachkommen, die anteilsberechtigt gewesen wären, wenn er nicht dazwischen gestanden hätte, so rücken diese von Rechtswegen in den Anteil ein, aber nicht kraft Erbrechts, sondern kraft Gemeinschaftsrechtes. Andernfalls gehört der erledigte Anteil ebensowenig zum Nachaß des verstorbenen Abkömmlings, wächst vielmehr den verbleibenden Gesamthändern an. 602 Dem überlebenden Ehegatten gebührt die eine Hälfte, den gemeinschaftlichen Abkömmlingen insgesamt die andere Hälfte des Gesamtguts; die Kinderhälfte zerfällt wieder nach der durch die gesetzliche Erbenordnung bestimmten Gliederung der ersten Parentel in Anteile nach Köpfen und nach Stämmen. 603 BGB § 1487. Das Gesetz schreibt vor, daß die Rechte und Verbindlichkeiten der Beteiligten in Ansehung des Gesamtgutes sich nach den für die allgemeine Gütergemeinschaft geltenden Vorschriften der §§ 1442 – 1449, 1455 – 1457, 1466 bestimmen und fügt die Erläuterung hinzu, daß der überlebende Ehegatte die rechtliche Stellung des Mannes, die anteilsberechtigten Abkömmlinge die rechtliche Stellung der Frau haben. Damit kennzeichnet es die Rechte und Pflichten des überlebenden Ehegatten, mag es der Witwer oder die Witwe sein, als gleichartige Ausflüsse der ihm kraft seiner familienrechtlichen Stellung als 598
4. Titel: Allgemeine Gütergemeinschaft
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Ihm steht daher der Besitz und die freie Verwaltung des gemeinschaftlichen Vermögens einschließlich der nicht ausgenommenen Verfügungsgeschäfte und der Vertretung im Prozeß, sowie die Benutzung für die gemeinschaftlichen hauptgenossenschaftlichen Zwecke zu604. Allein seine Herrschaftsmacht ist auch den gleichen Schranken unterworfen, die dem Manne während den Bestandes der ehelichen Gemeinschaft gezogen sind605. Im Uebrigen schuldet er über die Verwaltung des Gesamtguts keine Rechenschaft und ist für schuldhafte Verminderung des Gesamtgutes den Kindern nur in den gleichen Ausnahmefällen, wie der Mann der Frau verantwortlich606. Was er auf Grund seiner Ersatzpflicht oder aus einem anderen Grunde zum Gesamtgut schuldet, hat er erst nach Beendigung der Gemeinschaft zu leisten, kann aber auch seinerseits Forderungen an das Gesamtgut erst nach Beendigung der Gemeinschaft geltend machen607. Steht er unter Vormundschaft, so hat ihn in der Ausübung der sich aus der Verwaltung des Gesamtguts ergebenden Rechte und Pflichten der Vormund zu vertreten608. Auf seinen Antrag erhält er vom Nachlaßgericht ein Zeugniß über die Fortsetzung der Gütergemeinschaft, auf das die Vorschriften über den Erbschein Anwendung finden, das daher ihm als öffentliche Urkunde ein Beweismittel für seine Machtbefugnisse verschafft und zugleich Dritten gegenüber, die auf seine Richtigkeit vertrauen, Legitimationskraft besitzt609. Gemeinschaftshaupt gebührenden Macht über das Hausvermögen. Wenn in der älteren Theorie und Praxis vielfach die Neigung, das Recht des überlebenden Ehegatten (oder doch der Witwe) am Gesamtgut als ein ihm neben seinem Eigentumsanteil zustehendes besonderes dingliches Recht auf Verwaltung und Nutznießung zu konstruieren, immer wieder durchbrach und nur die Versuche, das Recht des römischen usus fructus anzuwenden, mehr und mehr abgewiesen wurden, so ist für das Recht des BGB mit dem endgültigen Siege des Gedenkens der echten fortgesetzten Gütergemeinschaft der Erneuerung dieses Meinungsstreites der Boden entzogen. Die richtige Auffassung bereits b. Seuff. VII Nr. 63, XVI Nr. 56, ROHG IX 252. 604 Gemäß dem in § 1487 ausdrücklich für anwendbar erklärten § 1443 nebst § 1456. Das Nutzungsrecht des überlebenden Ehegatten ist formell unbeschränkt, aber sachlich zweckgebunden, weil er alle Nutzungen rechtsnotwendig zum Gesamtgut erwirbt. 605 BGB § 1487 mit der Verweisung auf §§ 1444 – 1446. Der überlebende Ehegatte kann also ein Rechtsgeschäft in Ansehung des Gesamtguts, zu dem der Mann während bestehender allgemeiner Gütergemeinschaft der Zustimmung der Frau bedarf, nicht ohne Zustimmung der anteilsberechtigten Abkömmlinge vornehmen. Ohne diese Zustimmung ist das Rechtsgeschäft unwirksam und auch für ihn selbst unverbindlich. Nur Bereicherungsansprüche aus dem Geschäft bleiben dem Gesamtgute gegenüber gemäß § 1455 vorbehalten. 606 Gemäß § 1456 laut Verweisung in § 1482. Die Ersatzpflicht tritt nur ein, wenn die Verminderung in der Absicht, die Kinder zu benachteiligen erfolgt oder durch ein Rechtsgeschäft, das ohne ihre Zustimmung geschlossen ist, obschon es derselben bedurft hätte, herbeigeführt ist. 607 BGB § 18972. 608 BGB § 1457, laut Verweisung in § 1487; dazu oben § 270 II 2. 609 BGB § 1507. Der Antrag des überlebenden Ehegatten ist unbedingt erforderlich. Er muß die für die Erteilung grundlegenden Tatsachen (Gütergemeinschaftsvertrag, Tod des
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
3. Die anteilsberechtigten Abkömmlinge sind Mitträger der Gemeinschaft. Das BGB schreibt ihnen in Ansehung des Gesamtguts grundsätzlich die rechtliche Stellung zu, die bei der allgemeinen Gütergemeinschaft der Frau zukommt. Damit ist aber keineswegs ihnen die gleiche Mitherrschaft über das gemeinschaftliche Vermögen zugesprochen, die normaler Weise die Frau bei Lebzeiten des Mannes ausübt. Vor Allem erlangen die Kinder nicht die mit dem Tode der Frau erloschene Schlüsselgewalt und die sonstigen Befugnisse und Pflichten, die bei jedem Güterstande im Wirkungskreis der Hausfrau begründet sind und gerade bei der allgemeinen Gütergemeinschaft tief in die Vermögensverwaltung eingreifen. Darum fehlt den Kindern auch das Notverwaltungsrecht der Frau, das Recht, das durch Krankheit oder Abwesenheit verhinderte Gemeinschaftshaupt in eiligen Fällen bei Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder Führung eines Rechtsstreites für das Gesamtgut zu vertreten610. Das Mitverwaltungsrecht der anteilsberechtigten Abkömmlinge äußert sich vornehmlich nur darin, daß es ihrer Zustimmung zu einem das Gesamtgut betreffende Rechtsgeschäft in denselben Fällen bedarf, in denen der Mann der Zustimmung der Frau bedarf, weil es sich um eine Verfügung über das Vermögen im Ganzen oder um eine Grundstücksverfügung oder um eine Schenkung handelt611. Der Mangel der Zustimmung hat gleiche Rechtsfolgen, wie während des Bestandes der ehelichen Gemeinschaft612. Das Rechtsgeschäft ist unwirksam und zwar auch für den überlebenden Ehegatten selbst. Indessen besteht ein Unterschied darin, daß anstatt der Frau als alleinigen Subjektes des Zustimmungsrechtes hier die Gesamtheit der anteilsberechtigten Abkömmlinge zustimmungsberechtigt ist613. Und zwar die Gesamtheit in ihrer kollektiven Einheit. Somit ist das vom überlebenden Ehegatten
anderen Ehegatten, Dasein gemeinschaftlicher Abkömmlinge) nachweisen, zugleich aber die für die Beerbung des verstorbenen Ehegatten maßgebenden Umstände offen legen. Das Zeugniß kann mit einen Erbschein verbunden werden; RSpr. d. OLG VI 319. Es bekundet nur den Eintritt, nicht den Fortbestand der fortgesetzten Gütergemeinschaft, doch finden, wenn bei übergeleiteten älteren Ehen die am 1. Januar 1900 bereits auf Grund des bisherigen Rechts eingetretene fortgesetzte Gütergemeinschaft nach den Vorschriften des bisherigen Rechts fortbesteht, nach Preuß. AG a. 66 die Vorschriften des BGB über Erteilung des Zeugnisses Anwendung; Dernburg § 61 Anm. 20. Die Vermutungswirkung des Zeugnisses bestimmt sich nach BGB § 2365, die Legitimationskraft nach § 2366. Dem Grundbuchamt gegenüber ist das Zeugniß ausschließliches Legitimationsmittel; GrdbO § 36. 610 Auf § 1450 ist in § 1487 nicht verwiesen. Auch das in § 1451 der Frau zugesprochene Recht steht den Abkömmlingen nicht zu. 611 Gemäß der Verweisung auf §§ 1444 – 1446 in § 1487. Vgl. oben § 270 [fehlt]. Dazu vgl. z. B. Obst. LG Bayern Seuff. LXIX Nr. 201. 612 BGB § 1448, oben § 270 [fehlt]. 613 Der einzelne Abkömmling kann, sofern er schon geschäftsfähig ist, frei über sein Vermögensrecht verfügen; ist er beschränkt geschäftsfähig, so muß sein gesetzlicher Vertreter zustimmen; ist er geschäftsunfähig, so muß sein gesetzlicher Vertreter für ihn handeln. Besitzt der überlebende Ehegatte selbst über ihn die elterliche Gewalt, so kann er nicht für ihn zustimmen, vielmehr muß hierzu ein Pfleger bestellt werden.
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geschlossene Rechtsgeschäft unwirksam, wenn es an der gehörigen Zustimmung auch nur eines einzigen anteilsberechtigten Abkömmlings fehlt. Mehrheitsbeschlüsse sind hier ausgeschlossen614. Doch kann eine grundlose Verweigerung des Konsenses, wenn das Geschäft zur ordnungsmäßigen Verwaltung erforderlich ist, vom Vormundschaftsgericht ersetzt werden615. Bei übergeleiteten Ehen ist zum Teil dem überlebenden Ehegatten eine freie Verfügungsmacht, die ihm das bisherige Recht gewährte, vorbehalten616. Die Ueberleitung der fortgesetzten Gütergemeinschaften des Rechtes von Hamburg und von Bremen in das Recht des BGB hat überhaupt mit einer solchen Fülle von Abwandlungen, die sich an das frühere Recht anlehnen, stattgefunden, daß man hier geradezu von einem teilweise ganz neuen Zwischenrecht reden kann, das den Uebergang von dem sehr eigenartig ausgebildeten Recht der beiden Hansestädte zum wirklichen Recht des BGB vermitteln soll617. Eine Hauptbesonderheit dieses Mischrechtes ist, daß die rechtliche Stellung des Witwers und der Witwe, wenngleich in einer Reihe einzelner Punkte die Benachteiligungen der Witwe durch das ältere Recht beseitigt sind, grundsätzlich ungleich geblieben ist618.
614 Dagegen wird man annehmen müssen, daß das in § 1449 der Frau gewährte Recht, ein vom Manne ohne ihre Zustimmung unwirksam veräußertes Recht ohne Mitwirkung des Mannes gegen Dritte geltend zu machen (oben § 270 [fehlt]), das § 1467 auch den Abkömmlingen zuspricht, von dem einzelnen übergangenen Abkömmling für das Gesamtgut ausgeübt werden kann. 615 BGB § 1447 laut Verweisung in § 1487, vgl. oben § 270 [fehlt]. 616 Nach dem Westfäl. Ges. v. 1860 § 10 kann der überlebende Ehegatte über das gemeinschaftliche Vermögen in demselben Umfange, wie nach § 3 während der Ehe der Mann, für sich allein, verfügen, also durch lästige Verträge auch über Grundstücke, über bewegliche Sachen sogar schenkungsweise. – Regelmäßig aber galt der Satz, daß bei fortgesetzter Gütergemeinschaft Grundstücksverfügungen vom überlebenden Ehegatten nur mit Zustimmung der gemeinschaftlichen Abkömmlinge getroffen werden können, auch im früheren Recht. 617 Vgl. oben § 273 Anm. 569 – 570 u. 572. – Zum Teil ist auch die Gelegenheit benutzt worden, Streitfragen, die das bisherige Recht in großer Zahl aufwies, zu entscheiden. 618 Der überlebende Mann unterliegt in Ansehung der Verwaltung des Gesamtguts keinen Verfügungsbeschränkungen durch die beteiligten Abkömmlinge (§ 1495 kommt nicht zur Anwendung), dagegen kann der Mann für den Fall seines Todes die freie Verwaltung der Frau einschränken, nach Hamb. Ges. § 9 sogar die Verwaltung und das Verfügungsrecht auf einen oder mehrere Verwalter des Gesamtguts übertragen. – In Bremen wird der Witwer bei beerbter Ehe Alleineigentümer des Gesamtguts, die beteiligten Abkömmlinge behalten aber ihr Kopfteilsrecht, das auch den künftigen Erwerb des Mannes und sein bisheriges Vorbehaltsgut ergreift (Brem. Ges. § 8). Dagegen geht bei früherem Tode des Mannes das Gesamtgut in das gemeinschaftliche Eigentum der Witwe und der beteiligten Abkömmlinge nach Kopfteilrecht über (Brem. Ges. § 8); das ausschließliche Besitz- und Verwaltungsrecht aber, das der Witwe als Gemeinschaftshaupt gebührt, wird im Sinne des älteren Rechtes als „Beisitz“ bezeichnet und behandelt.
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II. Schuldenverhältnisse 1. Aeußere Schuldverhältnisse Die fortgesetzte Gütergemeinschaft begründet gleich der ehelichen Gütergemeinschaft Gesamtgutsverbindlichkeiten, für die das gemeinschaftliche Vermögen in seinem ganzen Bestande haftet. Gesamtgutsverbindlichkeiten der fortgesetzten Gütergemeinschaft sind alle Verbindlichkeiten des überlebenden Ehegatten und solche Verbindlichkeiten des verstorbenen Ehegatten, die Gesamtgutsverbindlichkeiten der ehelichen Gütergemeinschaft waren619. Für alle Gesammtverbindlichkeiten haftet der überlebende Ehegatte zugleich persönlich. Diese persönliche Haftung trifft ihn in gleicher Weise wie den Mann für alle Gesamtgutsverbindlichkeiten der ehelichen Gütergemeinschaft, ohne Rücksicht darauf, welchem Beteiligten im inneren Verhältniß die Schuld zur Last fällt; der überlebende Ehegatte wird auch nicht durch Beendigung der Gemeinschaft persönlich haftfrei; er kann nur, wenn seine persönliche Haftung lediglich in Folge des Eintritts der fortgesetzten Gütergemeinschaft entstanden ist, entsprechende Anwendung der Vorschriften über beschränkte Erbenhaftung verlangen, wobei das Gesamtgut in dem Bestande, den es zur Zeit des Eintritts der fortgesetzten Gütergemeinschaft hatte, an Stelle des Nachlasses tritt620. Die anteilsberechtigten Abkömmlinge werden durch Gesamtgutsverbindlichkeiten als solche, mögen sie vom verstorbenen Ehegatten herrühren oder in der Person des überlebenden Ehegatten wurzeln, niemals persönlich verpflichtet; ihre Gläubiger können sich nicht ans Gesammtgut halten, ihr Konkurs ist einflußlos621. 2. Schuldentragung nach innen Im Verhältniß zueinander fallen bei der Auseinandersetzung gewisse Gesamtgutsverbindlichkeiten ausschließlich dem überlebenden Ehegatten, andere den Kindern zur Last.622 Den überlebenden Ehegatten treffen die bei Eintritt der fortgesetzten Gütergemeinschaft bestehenden Gesamtgutsverbindlichkeiten, die bisher entweder das 619 BGB § 1488. Andere Schulden des verstorbenen Ehegatten treffen den überlebenden Ehegatten nur, wenn er jenen beerbt hat. Andererseits werden mit dem Eintritt der fortgesetzten Gütergemeinschaft auch solche Verbindlichkeiten des überlebenden Ehegatten, die bis dahin keine Gesamtgutsverbindlichkeiten waren, wie z. B. von der Frau ohne Zustimmung des Mannes eingegangene Verbindlichkeiten, zu Gesamtgutsverbindlichkeiten. 620 ZPO § 745. 621 KO § 23. Dazu oben § 271 [fehlt]. 622 BGB 14892. Ganz unabhängig von ihrer Teilnahme an Gesamtgutsverbindlichkeiten der fortgesetzten Gütergemeinschaft besteht jedoch ihre Erbenhaftung für Verbindlichkeiten des verstorbenen Ehegatten (z. B. mit den am Vorbehaltsgut ererbten Anteilen).
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Gesamtgut überhaupt nicht belasteten oder ihn nach innen allein belasteten, die später entstandenen Gesamtgutsverbindlichkeiten, die, wenn sie während der ehelichen Güter[ge]meinschaft in seiner Person entstanden wären, ihm allein nach innen zur Last gefallen sein würden, sowie jede einen nicht anteilsberechtigten Abkömmling und eine einem anteilsberechtigten Abkömmling im Uebermaß gewährte Abfindung623. Die Kinder müssen sich Verbindlichkeiten des verstorbenen Ehegatten, die diesem im Verhältniß der Ehegatten zu einander allein zur Last fielen und dessen Ersatzverbindlichkeiten zum Gesamtgut auf ihren Anteil insoweit anrechnen lassen, als ihr Anteil reicht und der überlebende Ehegatte nicht vom Erben des verstorbenen Ehegatten aus dessen neben dem Gesamtgut vorhandenen Nachlaß Deckung erlangen konnte. Denn zunächst ist eben sonstiger Nachlaß des Verstorbenen zur Deckung bestimmt. Versäumte der überlebende Ehegatte, vorhandene Deckung zu realisieren, so werden die Kinder frei.624 Im Uebrigen gelten hinsichtlich der Ersatzansprüche zwischen den verschiedenen Vermögensmassen die Regeln der allgemeinen Gütergemeinschaft625.
§ 275. Veränderung und Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft I. Veränderung Die fortgesetzte Gittergemeinschaft kann sich in ihrem Bestande verändern, wenn einer von mehreren anteilsberechtigten Abkömmlingen durch Tod oder Verzicht ausscheidet. 1. Stirbt ein Abkömmling, so gehört sein Anteil nicht zu seinem Nachlaß626. Vielmehr findet nur in sein sonstiges Vermögen die Erbfolge nach allgemeinen Grundsätzen statt627, während über die Schicksale seines Anteils lediglich das BGB § 1499. BGB § 1500. 625 Vgl. oben § 271 II 2. Von den nach § 14871 anzuwendenden Bestimmungen kommen hier namentlich §§ 1455, 1456 u. 1466 in Betracht. Schon erwähnt ist, daß § 14872 ausdrücklich hervorhebt, daß, was der überlebende Ehegatte an das Gesamtgut schuldet oder vom Gesamtgut zu fordern hat, erst nach Beendigung der Gemeinschaft zu leisten ist. 626 BGB § 1490 S. 1. 627 Das BGB enthält keine besonderen Bestimmungen über die Erbfolge in das nicht zum Gesamtgut gehörige Vermögen des Abkömmlings. In Ermangelung von Vorbehalten für das Landesrecht sind daher die eigenartigen partikularrechtlichen Erbrechtsregeln, die vielfach im Zusammenhange mit der fortgesetzten Gütergemeinschaft ausgebildet waren, nicht mehr anwendbar. Dies gilt vor Allem von dem insbesondere das lübische Recht beherrschenden Satz „Was in der Were verstirbt, erbt wieder an die Were“, der übrigens seine praktische Bedeutung in der Hauptsache schon vor dem Inkrafttreten des BGB verloren hatte. Vgl. über diesen Satz Beseler § 131. R. Freund, Der Satz: Wer in der Were verstirbt, erbt wieder an die Were und seine Anwendung besonders im Lübischen Recht, Breslau 1880. 623 624
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Gemeinschaftsrecht entscheidet. Nach Gemeinschaftsrecht geht sein Anteil entweder auf anwartschaftlich berufene Nachfolger über oder wächst den übrigen Gesamthändern an. Das Erste ist der Fall, wenn er Nachkommen hinterläßt, die, wenn er selbst den Eintritt der fortgesetzten Gütergemeinschaft nicht erlebt hätte, anteilsberechtigt wären. Sie treten von Rechtswegen an seine Stelle und rücken also in die Gemeinschaft in gleicher Weise ein, als wären sie bei der Auflösung der allgemeinen Gütergemeinschaft kraft eignen Rechts unmittelbar zur Teilhaberschaft berufen628. Ob sie Erben des verstorbenen Kindes geworden sind, ist, da ja der Anteil unvererblich ist, bedeutungslos, während andererseits andere Erben des Kindes keinerlei Anrecht an dessen Anteil erwerben. So namentlich auch nicht der überlebende Ehegatte des Kindes, zu dessen Gunsten im bisherigen Recht zum Teil abweichende Bestimmungen galten629. Hinterläßt der Abkömmling keine Nachkommen, so wächst sein Anteil den übrigen Teilhabern an. Und zwar, wenn andere anteilsberechtigte Abkömmlinge vorhanden sind, diesen nach Verhältniß ihrer Stellung in der Gemeinschaft, so daß also die Gemeinschaft in Ansehung des ungeschmälerten Gesamtguts in dem verengten Teilhaberkreise der Geschwister des verstorbenen Kindes oder seiner noch lebenden Vater- oder Muttergeschwister oder der Nachkommen seiner vorverstorbenen Geschwister fortgesetzt wird. War aber das verstorbene Kind der einzige anteilsberechtigte Abkömmling, so wächst sein Anteil dem überlebenden Ehegatten an, so daß dieser zum Alleineigentümer des Gesamtguts wird und die Gemeinschaft durch Konsolidation erlischt630. 628 BGB § 1490 S. 2. Das Einrücken der Kinder in den unausgesonderten Anteil am Gesamtgut ist uraltes Recht und auch in den vom BGB zum Vorbild genommenen Systemen der fortgesetzten Gütergemeinschaft nicht als Erbfolge aufgefaßt; vgl. Genossenschaftsth. S. 428 ff. – Das Schweiz. ZGB a. 235 bestimmt: „Stirbt ein Kind mit Hinterlassung von Nachkommen, so können die übrigen Beteiligten deren Ausscheiden verlangen.“ Die Nachkommen rücken also ebenfalls von Rechtswegen an Stelle des verstorbenen Teilhabers ein, können aber durch einstimmigen Beschluß der übrigen Teilhaber ausgeschieden werden. 629 Ob im Zweifel der überlebende Ehegatte eines vorverstorbenen unabgefundenen Kindes in die Gemeinschaft einrücke, wurde gestritten. Wenn das Kind selbst in gütergemeinschaftlicher Ehe gelebt hatte, nahm eine verbreitete Meinung an, daß sein Ehegatte schon zu seinen Lebzeiten an seinem Anteil Mitberechtigung zur gesamten Hand erlangt hatte, und folgerte daraus auch, daß er bei seinem Tode einrücke. So bes. Runde, E. R. § 35, Roth § 104 Anm. 9, § 111 Anm. 65. Allein die Argumentation scheitert an der Unübertragbarkeit des Anteils; vgl. Stobbe-Lehmann § 300 Anm. 9, § 303 Anm. 20. Ausdrücklich beruft das Westfäl. Ges. § 16 neben den Kindern den Ehegatten. Dies gilt bei übergeleiteten Ehen fort und kann im Sinne des BGB nur als ein dem Einrücken der Abkömmlinge analoges Recht, das kein Erbrecht ist, konstruiert werden. – Das Schweiz. ZGB a. 2351 gewährt, wenn ein Kind sich verheiratet, den übrigen Beteiligten das Recht zu verlangen, daß es ausscheidet. Das Gesetz geht dabei offenbar von der Annahme aus, daß, wenn das verheiratete Kind in der Gemeinschaft bleibt, auch dessen Ehegatte in die Gemeinschaft eintritt. 630 BGB § 1490. Von einer Vererbung des Anteils ist also auch hier nie die Rede. – Auch das schweizer. ZGB führt innerhalb der Gemeinschaft das Prinzip des Anwachsungsrechtes durch (vgl. a. 2353: „so verbleibt sein Anteil bei dem Gesamtgute“), spricht aber die Unver-
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2. Jeder anteilsberechtigte Abkömmling kann jederzeit aus der Gemeinschaft ausscheiden, wenn er auf seinen Anteil Verzicht leistet. Der Verzicht eines unter elterlicher Gewalt oder unter Vormundschaft stehenden Abkömmlings bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes. Er ist an die Form einer einseitigen öffentlich beglaubigten Erklärung, die dem Nachlaßgericht gegenüber abzugeben ist, gebunden, kann aber auch durch gerichtlich oder notariell beurkundeten Vertrag mit den übrigen Teilhabern vollzogen werden. Die Wirkung des Verzichtes ist stets dieselbe, wie die des Todes ohne Hinterlassung von Nachkommen. Der Verzichtende scheidet also aus der Gemeinschaft ersatzlos aus. Sein Anteil wächst entweder den anderen Kindern in der Were oder dem überlebenden Ehegatten an631. Der Verzicht kann gegen eine Gegenleistung, insbesondere gegen Empfang oder Zusage einer Abfindung vom Gesamtgut stattfinden. Das BGB gewährt aber dem einzelnen Abkömmling keinen Anspruch auf eine Abfindung. Der Abkömmling kann nach Belieben aus der Gemeinschaft ausscheiden, aber nicht aus bestimmten Gründen eine Teilauflösung der Gemeinschaft durch Abschichtung erzwingen. Das BGB kennt überhaupt nicht eine Teilauflösung der fortgesetzten Gütergemeinschaft im Rechtssinne, wie sie dem bisherigen deutschen Rechte geläufig war632. Auch wenn alle Beteiligten über den zu erzielenden Erfolg einig sind, bietet sich für dessen Erreichung kein anderer Weg dar, als der Verzicht auf den Anteil unter Ausbedingung einer in Höhe des Schichtteils festgesetzten Gegenleistung. Ebensowenig kann, wie nach den meisten bisherigen Gesetzen eine Teilauflösung durch Richterspruch erfolgen, da ein Abkömmling wegen Gefährdung seines Anteils zwar auf Aufhebung der ganzen Gemeinschaft, aber nicht auf Aussonderung mit seinem Schichtteil klagen kann633. Manche bisherigen Rechte gewährten dem Kinde, das volljährig wurde oder heiratete oder einen eignen Hausstand gründete, einen klagbaren Anspruch auf Abschichtung634. Die Regel war dies nicht635. Fast ausnahmslos aber sprachen alle erblichkeit des Anteils weniger deutlich aus, behält vielmehr „Ansprüche nicht an der Gemeinschaft beteiligter Erben“ vor und schließt nur bis zur Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft die Geltendmachung erbrechtlicher Ansprüche generell aus (art. 2293). 631 BGB § 1491. Der Verzicht ist kein Erbverzicht, daher ist auch § 2349 unanwendbar; a.M. Dernburg § 62 I 4. 632 Vgl. meine Genossenschaftsth. S. 427. – Das Schweiz. ZGB dagegen kennt neben der Auflösung der fortgesetzten Gütergemeinschaft das Ausscheiden eines Kindes (a. 236), das als Teilauflösung wirkt und von mündigen Kindern jederzeit einzeln oder insgesamt vollzogen werden (a. 232), aber auch aus verschiedenen Gründen von den übrigen Beteiligten, wenn sie die Gemeinschaft unter sich fortsetzen wollen, erzwungen werden kann (a. 2332, 2342, 235). 633 BGB §§ 1495 – 1496. Die Aufhebungsklage gründet sich auf Gefährdung des klagenden Abkömmlings, die Aufhebung aber tritt mit der Rechtskraft des Urteils für alle Abkömmlinge ein. Auch wenn diese die Gemeinschaft unter sich fortzusetzen wünschen, können sie die Totalauflösung nicht abwenden. 634 So insbesondere das lübische Recht; Pauli Abh. II §§ 31, 32, v. Wilmowski § 78. Ferner manche schleswig-holsteinische Rechte.
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Systeme der fortgesetzten Gütergemeinschaft dem aus dem Hause scheidenden Kinde einen Anspruch auf Ausstattung aus dem Gesamtgut zu, der stärker war als der Ausstattungsanspruch, den das Kind bei Lebzeiten beider Eltern erheben konnte636. Dieser Anspruch ist wesensverschieden von einem Abschichtungsanspruch, und richtet sich nicht auf Lösung der Gemeinschaft; er bringt nur die dem überlebenden Ehegatten als Familienhaupt obliegende Fürsorgepflicht zum Ausdruck. Immerhin aber war bei seiner allgemeinen Anerkennung zugleich die Erwägung von Einfluß, daß in dem Gesamtgut der fortgesetzten Gütergemeinschaft das dem selbständig werdenden Kinde bereits angefallene Vater- oder Muttererbe enthalten ist. Das BGB hat, obschon mehrfach mit guten Gründen die Einführung eines festen Anspruches der aus der Hausgemeinschaft scheidenden Kinder auf eine Ausstattung aus dem Gesamtgut verlangt wurde, so gut derartige Ansprüche des bisherigen Rechts wie die Abschichtungsansprüche beseitigt637. II. Beendigung Die fortgesetzte Gütergemeinschaft endet durch rechtsgeschäftliche Aufhebung, durch Wegfall ihrer Voraussetzungen oder durch Richterspruch. 1. Zur rechtsgeschäftlichen Aufhebung ist nach heutigem, wie mit seltenen Ausnahmen auch nach bisherigem Recht, der überlebende Ehegatte jederzeit nach Belieben befugt. Für diesen rechtsgeschäftlichen Akt gelten im Wesentlichen gleiche Regeln wie für den Verzicht eines anteilsberechtigten Abkömmlings. Auch hier bedarf es der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes, wenn der Erklärende unter elterlicher Gewalt oder Vormundschaft steht. Auch hier genügt die in öffentlich beglaubigter Form gegenüber dem Nachlaßgericht abgegebene einseitige Willenserklärung. Auch hier aber kann durch gerichtlich oder notariell beurkundeten Vertrag zwischen dem überlebenden Ehegatten und den anteilsberechtigten Abkömmlingen der gleiche Erfolg erzielt werden638. 635 Auch wo der Anspruch bestand, wurde meist von ihm nicht Gebrauch gemacht, sondern nur eine Beihülfe aus dem Gesamtgut gewährt und im Uebrigen die Gemeinschaft mit den aus dem Hause geschiedenen Kindern fortgesetzt. – Wenn jetzt das Schweiz. ZGB a. 3322 bestimmt: „Mündige Kinder können aus der Gütergemeinschaft jederzeit entweder einzeln oder insgesamt austreten“, so hat dies im älteren deutschen Recht kein Vorbild. 636 Im Einzelnen herrschte hier große Mannichfaltigkeit. Weder in der Theorie noch in der Praxis waren übereinstimmende Grundsätze anerkannt, die als gemeinrechtlich hätten betrachtet werden können. So mit Recht Preuß. O. Trib. b. Seuff. XXXIV Nr. 310. 637 Nach heutigem Recht hat nur die heiratende Tochter denselben Anspruch auf Aussteuer, wie in jedem Falle; das Gesamtgut der fortgesetzten Gütergemeinschaft spielt in Ansehung der Bemessung der dem aus dem Hause scheidenden Kinde zu gewährenden Aussteuer oder Ausstattung überhaupt keine juristische Rolle. Auch bei übergeleiteten Ehen sind die bisherigen stärkeren Ansprüche der Kinder so gut wie mit einzelnen Ausnahmen die Abschichtungsansprüche weggefallen [sic!]. 638 BGB § 1492. Die einseitige Aufhebungserklärung soll das Nachlaßgericht nicht nur den beteiligten Abkömmlingen, sondern, wenn der überlebende Ehegatte gesetzlicher Vertre-
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2. Durch Wegfall ihrer Voraussetzungen erlischt die fortgesetzte Gütergemeinschaft, wenn ihre personenrechtliche Grundlage entweder ganz zu bestehen aufhört oder durch Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten verschoben wird639. a) Unbedingter Beendigungsgrund ist der Tod des überlebenden Ehegatten640, dem die Todeserklärung gleichgestellt ist641. Ebenso aber endigt die fortgesetzte Gütergemeinschaft notwendig mit dem Tode des einzigen oder des letzten in der Gemeinschaft verbliebenen Abkömmlings642. b) Unbedingter Beendigungsgrund ist ferner die Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten. Nach dem BGB endigt die fortgesetzte Gütergemeinschaft von Rechtswegen mit dem Zustandekommen der neuen Ehe643. Dies ist zwingendes Recht. Die im bisherigen deutschen Recht ausgebildeten Möglichkeiten vertragsmäßiger Abwendung der Auflösung der Gemeinschaft sind weggefallen. Vor Allem der Abschluß eines Einkindschaftsvertrages, der die Gemeinschaft in die neue Ehe hinüberleitet644. Aber auch die vielfach zugelassene Ersetzung der Schichtung durch den „Ausspruch“, die Festsetzung der den Kindern gehörenden Anteile auf bestimmte Geldforderungen und deren Sicherstellung645. Ist ein Teilhaber minderjährig oder bevormundet, so soll der heiratslustige überlebende Ehegatte dem Vormundschaftsgericht Anzeige machen, ein Verzeichnis des Gesamtguts einreichen und schon vor der Heirat die Aufhebung und Auseinter eines derselben ist, auch dem Vormundschaftsgericht mitteilen. – Die Aufhebung ist nur gegenüber allen Abkömmlingen möglich. Nach bisherigem Recht wurde dem überlebenden Ehegatten vielfach auch dem einzelnen Kinde gegenüber ein einseitiges Abschichtungsrecht beigelegt: So im Erk. des OTrib. Berlin b. Seuff. VIII Nr. 56 im Zweifel. Dagegen forderte das lüb. R. zur Partialschichtung die Einwilligung des betroffenen Kindes. – Das schweiz. ZGB a. 2321 gewährt gleich dem BGB dem überlebenden Ehegatten nur die einseitige Befugniß, die ganze Gütergemeinschaft aufzuheben. 639 Die Rechtsentwicklung wurde hier beeinflußt durch die Umbildung der rechtsphilosophischen Anschauungen über das geistig-sittliche Wesen der Ehe, vor allem durch die Hegelsche Philosophie. 640 BGB § 14941. Es tritt die gewöhnliche Erbfolge ein. Der Anteil am Gesamtgut gehört zum Nachlaß. 641 BGB § 14942. Sie hat also keine bloße Vermutungswirkung. Vielmehr endigt die fortgesetzte Gütergemeinschaft in dem Zeitpunkt, der als Zeitpunkt des Todes gilt. 642 Oben Anm. 630. Desgleichen mit dessen Verzicht; oben Anm. 631. – Kein Beendigungsgrund ist nach dem BGB der Konkurs des überlebenden Ehegatten oder der Kinder. Anders nach Schweiz. ZGB a. 233, nach dem die Aufhebung von Gesetzeswegen sogar erfolgt, wenn nur ein Kind in Konkurs verfällt, in diesem Falle aber die übrigen Beteiligten dieses Kind ausschließen und die Gemeinschaft unter sich fortsetzen können. 643 BGB § 1493. Ebenso Schweiz. ZGB a. 233 Z. 1. 644 Darauf ist noch im Eltern- und Kinderrecht zurückzukommen. Manche Partikularrechte (z. B. das von Fulda) gewährten sogar dem überlebenden Ehegatten eine gesetzliche Befugniß zur Fortsetzung der Gütergemeinschaft in zweiter Ehe (sog. „gesetzliche Einkindschaft“). 645 Vgl. Beseler § 132 Anm. 15 u. 16, Stobbe-Lehmann S. 388, meine Genossenschaftsth. S. 434.
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andersetzung erwirken. Allein das Vormundschaftsgericht kann gestatten, daß die Aufhebung bis zur Eheschließung, mit der sie dann von Rechtswegen eintritt, unterbleibt und die Auseinandersetzung erst später erfolgt646. 3. Durch richterliches Urteil endigt die fortgesetzte Gütergemeinschaft, wenn ein anteilsberechtigter Abkömmling aus einem gesetzlichen Grunde auf ihre Aufhebung klagt. Die Klagegründe sind im Allgemeinen dieselben, aus denen die Frau auf Aufhebung der ehelichen Gütergemeinschaft klagen kann. Insbesondere kann der Abkömmling die Aufhebung verlangen, wenn der überlebende Ehegatte ein an die Zustimmung der Abkömmlinge gebundenes Rechtsgeschäft ohne deren Mitwirkung vorgenommen hat und für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung des Abkömmlings zu besorgen ist; zweitens, wenn er das Gesamtgut in der Absicht, die Abkömmlinge zu benachteiligen vermindert hat; drittens, wenn er seine Verpflichtung, dem Abkömmling Unterhalt zu gewähren, verletzt hat und für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts zu besorgen ist; viertens, wenn er wegen Verschwendung entmündigt ist oder das Gesamtgut durch Verschwendung erheblich gefährdet647. Als ein weiterer Klagegrund tritt hier hinzu, wenn der überlebende Ehegatte die elterliche Gewalt über den Abkömmling verwirkt hat oder, falls sie ihm zugestanden hätte, verwirkt haben würde648. Das Urteil ist konstitutiv; die Aufhebung tritt mit seiner Rechtskraft ein und tritt für alle Abkömmlinge ein, wenn es auch auf die Klage nur eines von ihnen ergangen ist649. III. Schichtung Der Beendigung folgt die Auseinandersetzung in Ansehung des Gesamtgutes, die Schichtung650. Für sie gelten im Wesentlichen die Regeln der ehelichen allgeBGB § 14932. Die Erfüllung der dem überlebenden Ehegatten auferlegten Verpflichtungen wird durch das aufschiebende Ehehinderniß des § 13142 gesichert. Von der Einreichung des Verzeichnisses kann das Vormundschaftsgericht nicht befreien, den Aufschub der Auseinandersetzung dagegen kann es auf beliebig lange Zeit gestatten. Ist die rechtsgeschäftliche Aufhebung vor Eingehung der neuen Ehe erfolgt, so bleibt sie wirksam, wenn auch die Eheschließung unterbleibt. 647 BGB § 1495 Z. 1 – 4, übereinstimmend mit § 1468 Z. 1 – 4. Der Grund Nr. 5 des § 1468 fällt hier weg, weil eine Ueberschuldung des Gesamtguts den künftigen Erwerb der Kinder nicht berührt. 648 BGB § 1495 Z. 5. Die Verwirkung hat also nicht die Aufhebung der fortgesetzten Gütergemeinschaft von Rechtswegen zur Folge, sondern ist nur Grund, auf Aufhebung zu klagen. 649 BGB § 1496. Nach § 1471, den § 1489 für anwendbar erklärt, kann der siegreiche Kläger verlangen, daß der Auseinandersetzung die Vermögenslage zur Zeit der Rechtshängigkeit zu Grunde gelegt werde; dieses Recht können aber wohl nur die Abkömmlinge gemeinsam ausüben. Das Schweiz. ZGB giebt nur dem bei Pfändung in Verlust gekommenen Gläubiger des Ehegatten oder eines Kindes [das Recht], die richterliche Aufhebung der Gütergemeinschaft zu verlangen; handelt es sich um den Gläubiger eines Kindes, so können die übrigen Beteiligten fordern, daß es ausscheide; a. 234. 646
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meinen Gütergemeinschaft, wobei nur an Stelle des Mannes der überlebende Ehegatte, an Stelle der Frau die Gesamtheit der anteilsberechtigten Abkömmlinge tritt. Auch hier besteht die Gemeinschaft bis zur Durchführung der Auseinandersetzung als Liquidationsgemeinschaft zur gesammten Hand fort651. Die Durchführung der Auseinandersetzung fordert zunächst die Berichtigung der Gesamtgutsverbindlichkeiten aus dem Gesamtgut652 und sodann die Teilung des Ueberschusses653. Die Teilung erfolgt nach Hälften, von denen die eine dem überlebenden Ehegatten, die andere den anteilsberechtigten Abkömmlingen gehört. Dabei wird aber auf jede Hälfte angerechnet, was im inneren Verhältniß entweder vom überlebenden Ehegatten oder von den Kindern allein zu tragen oder zum Gesamtgut zu ersetzen ist. Für einen Fehlbetrag bleibt der überlebende Ehegatte den Kindern persönlich verpflichtet, während die Kinder eine solche Verpflichtung nie treffen kann654. Eine Abfindung, die ein Kind für den Verzicht auf seinen Anteil erhalten hat, wird in das Gesamtgut eingerechnet und auf die Kinderhälfte angerechnet. Der überlebende Ehegatte kann jedoch schon vor der Aufhebung mit den übrigen Abkömmlingen eine abweichende Vereinbarung treffen, die gerichtlicher oder notarieller Beurkundung bedarf. Eine solche Vereinbarung, die schon mit dem Verzicht verbunden werden kann, ist auch Abkömmlingen gegenüber, die erst später in die fortgesetzte Gütergemeinschaft eintreten, wirksam655. Einen Anspruch auf einen Voraus, wie oft nach bisherigem Recht, hat der überlebende Ehegatte nicht. Die mannichfach ungleichen Teilungsmaßstäbe des bisherigen Rechts fallen auch bei übergeleiteten Ehen regelmäßig weg. Der überlebende Ehegatte verliert also sein Erbrecht an der Hälfte des verstorbenen Ehegatten und wird dafür lediglich durch den Genuß des ganzen Gesamtguts bis zur Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft entschädigt. Dagegen hat der überlebende Ehegatte ein Uebernahmerecht in Ansehung des Gesamtguts oder einzelner dazu gehöriger Gegenstände gegen Ersatz des Wer650 BGB § 1497. Keine Auseinandersetzung findet natürlich statt, wenn die Beendigung durch Konsolidation erfolgt. 651 In § 1497 wird auf §§ 1442, 1472 – 1473 verwiesen. Mit der Fortdauer der Unzulässigkeit einer Verfügung über den Anteil besteht hier auch die Ausnahme der Zulässigkeit eines Verzichtes mit der bisherigen Wirkungskraft fort; Obst. LG so Bayern Seuff. LXXII Nr. 192. Pfändbarkeit der Anteile nach ZPO § 8602; vgl. oben § 272 [fehlt]. Die Verwaltung steht hier dem überlebenden Ehegatten und den Abkömmlingen gemeinschaftlich zu. 652 Nach § 1498 gelten die §§ 1475 – 1476; vgl. oben § 272 V. [fehlt]. 653 Im Falle einer verfrühten Verteilung von Gesamtgut sind nach § 1498 die §§ 1480 – 1481 über die Haftung mit dem Empfangenen anwendbar; vgl. oben § 272 [fehlt]. 654 Dies scheint der Sinn der in § 1498 vorgesehenen Unanwendbarkeit des § 1476 Abs. 2 S. 2 auf die Abkömmlinge. 655 BGB § 1501. Auf diese Weise kann also dem Verzichte gegen Abfindung im Erfolge die Wirkung einer Partialschichtung verschafft werden.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
tes656. Er kann also z. B. im Falle der Wiederverheiratung jede Herausgabe von Hausrat vermeiden, wenn er das Gesamtgut im Ganzen zum Taxwert übernimmt, oder das Eigentum an einem Grundstück, auch wenn es sich um ein vom verstorbenen Ehegatten herstammendes Familiengut handelt, für sich erwerben, wenn er den Kindern die Hälfte des Wertes in Geld auszahlt. Das Uebernahmerecht geht auf seine Erben nicht über. Wird die Gemeinschaft durch richterliches Urteil aufgehoben, so hat er kein Uebernahmerecht, vielmehr haben dann die Kinder ein Uebernahmerecht bezüglich der Gegenstände, die der verstorbene Ehegatte hätte übernehmen können; sie können aber dieses Recht nur gemeinschaftlich ausüben657. Die Teilung der Kinderhälfte unter mehrere anteilsberechtigte Abkömmlinge erfolgt in der Weise, als träte eine verspätete Erbfolge in das Vermögen der verstorbenen Ehegatten ein. Die Abkömmlinge werden daher im Verhältniß zu einander behandelt, als wenn sie im Augenblick der Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft als gesetzliche Erben des verstorbenen Ehegatten in dessen Gesamtgutshälfte berufen sein würden, wenn dieser erst jetzt gestorben wäre658. Hiernach bestimmt sich die Größe ihrer Anteile659. Ebenso ihre gegenseitige Verpflichtung, Vorempfangenes zur Ausgleichung zu bringen, so weit nicht schon bei der Teilung des Nachlasses des verstorbenen Ehegatten eine Ausgleichung stattgefunden hat660. Eine Abfindung aus dem Gesamtgut, die einem Abkömmling gewährt ist, der auf seinen Anteil verzichtet hat, fällt den Abkömmlingen zur Last, denen der Verzicht zu Gute kommt661. Nur nach der Größe ihrer Anteile trifft auch die AbBGB § 15021. BGB § 15022; dazu oben § 272 [fehlt]. – So können die Kinder, wenn sie sich einig sind, z. B. dem überlebenden Ehegatten, der wegen schlechter Verwaltung zur Aufhebung verurteilt ist, ein vom verstorbenen Ehegatten eingebrachtes oder ererbtes Grundstück gegen Wertersatz abfordern. 658 BGB § 15031. 659 Die zu teilende Gesamtgutshälfte ist nicht etwa nachträglich als Nachlaß des verstorbenen Ehegatten zu betrachten. Die anteilsberechtigten Abkömmlinge haben sie kraft Auseinandersetzung der fortgesetzten Gütergemeinschaft als ihren gemeinschaftlichen Schichtteil zur gesamten Hand erworben. Aber die Verteilung unter die einzelnen Kinder erfolgt nach den in § 1924 für die Erbschaftsteilung unter Deszendenten aufgestellten Regeln. 660 Zur Ausgleichung nach den Vorschriften des BGB §§ 2050 ff. waren die Kinder verpflichtet, wenn sie in das Sonder- oder Vorbehaltsgut des verstorbenen Ehegatten als Miterben sukzedierten. Aber nur, soweit das Vorempfangene nicht den Betrag des Erbschaftserwerbes überstieg (§ 2056). Im Uebrigen finden bei der Schichtung die Vorschriften über die Ausgleichung unter Miterben die entsprechende Anwendung, obschon die Abkömmlinge keine Miterben sind. Gegenüber dem überlebenden Ehegatten besteht die Ausgleichungspflicht nicht. Zur Herausgabe von Vorempfangenem, das den Betrag seines Schichtteils übersteigt, ist der Abkömmling auch jetzt nicht verpflichtet, er geht also schlimmstenfalls leer aus. Durch Ehevertrag oder Verfügung von Todeswegen können die Vorschriften über die Ausgleichung von Vorempfängern nicht geändert werden. 661 Das Gesamtgut beträgt z. B. bei der Schichtung 190 000 Mk, zu denen 10 000 Mark für eine Abfindung hinzuzurechnen sind, die ein durch Verzicht ausgeschiedener Abkömm656 657
4. Titel: Allgemeine Gütergemeinschaft
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kömmlinge im Verhältniß zu einander die im Falle verfrühter Teilung des Gesamtguts den Gläubigern gegenüber eintretende Haftung mit dem Empfangenen662. Jeder Abkömmling hat in Ansehung seines Schichtteils die Stellung eines Pflichtteilsberechtigten. Während auf die Erbfolge in Vorbehalts- oder Sondergut die Vorschriften über Ergänzung des Pflichtteils unmittelbar anwendbar sind, haben sie an sich für den Schichtteil keine Bedeutung, da er nicht im Wege der Erbfolge erworben wird. Da aber der Schichtteil Surrogat des Erbteils ist, sollen auch die Vorschriften über den Pflichtteil auf ihn entsprechende Anwendung finden. Dabei wird wieder die Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft einem verspäteten Erbfalle gleichgestellt. Der in diesem Zeitpunkt dem Abkömmling gebührende Anteil am Gesamtgut gilt als gesetzlicher Erbteil, die Hälfte des Wertes dieses Anteils gilt als Pflichtteil663. Erbunwürdigkeit macht auch anteilsunwürdig664. § 276. Gewillkürte Aenderungen des Rechtes der fortgesetzten Gütergemeinschaft I. Ueberhaupt Die Ehegatten können durch Ehevertrag die fortgesetzte Gütergemeinschaft ausschließen, doch nicht abweichend von der gesetzlichen Regelung ausgestalten. Ebensowenig kann ein Ehegatte einseitig durch letztwillige Verfügung oder durch Vertrag mit einem Kinde für die künftige fortgesetzte Gütergemeinschaft vom Gesetz abweichende Bestimmungen treffen665. Doch sind jedem Ehegatten bestimmte einzelne Aenderungen mit Zustimmung des anderen Ehegatten gestattet. II. Eine letztwillige Verfügung, durch die ein Ehegatte für den Fall seines Todes etwas Besonderes anordnet, bedarf der Zustimmung des anderen Ehegatten bei ling erhalten hat. Anteilsberechtigte Abkömmlinge sind noch ein Sohn und 4 Enkel von einer vorverstorbenen Tochter. Verzichtet und die Abfindung erhalten hat ein fünfter Enkel von derselben Tochter. Nun haben die 4 Enkel, da sie in Folge des Verzichtes des fünften Enkels ein jeder 1 / 4 statt 1 / 5 der Hälfte der Kinderhälfte empfangen, die Abfindung, ein jeder also 25 000 Mark in die Teilungsmasse einzuwerfen, so daß der Sohn 100 000 Mark erhält, jeder der Enkel aber nur 22 500 Mark. 662 BGB § 1504. Den Gläubigern gegenüber haften nach dem in § 1498 für anwendbar erklärten § 1480 (oben Anm. 653) die Abkömmlinge ein jeder einzeln bis zur Erschöpfung der ihnen zugeteilten Gegenstände. Hat aber einer von ihnen mehr zahlen müssen, als der Größe seines Anteils entspricht, so gewährt ihm § 1504 einen Regreßanspruch gegen die anderen nach der Größe ihrer Anteile. Die Haftung aber für die hieraus sich ergebende Ersatzpflicht aber beschränkt sich wieder auf die aus dem Gesamtgut zugeteilten Gegenstände. 663 BGB § 1505. 664 BGB § 1506. Es finden wieder die Vorschriften des Erbrechts entsprechende Anwendung. 665 BGB § 1518; vgl. oben § 273 Anm. 565.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
dessen Lebzeiten. Die Zustimmung bedarf gerichtlicher oder notarieller Beurkundung und ist unwiderruflich. Sie kann nicht durch einen Vertreter erteilt werden; der beschränkt geschäftsfähige Ehegatte kann sie selbständig, der geschäftsunfähige Ehegatte überhaupt nicht erteilen. Gleiche Kraft mit einer letztwilligen Verfügung, der der andere Ehegatte zugestimmt hat, hat ein gemeinschaftliches Testament666. Die Verfügungen, die ein Ehegatte für den Fall seines Todes treffen kann, können folgenden Inhalt haben: 1. Ausschließung eines gemeinschaftlichen Abkömmlings von der fortgesetzten Gütergemeinschaft667 Der ausgeschlossene Abkömmling kann aber dann, unbeschadet seines Erbrechts an dem Nachlaß des verstorbenen Ehegatten, aus dem Gesamtgut der fortgesetzten Gütergemeinschaft die Zahlung des Betrages verlangen, die ihm von dem Gesamtgute der ehelichen Gütergemeinschaft als Pflichtteil gebühren würde, wenn die fortgesetzte Gütergemeinschaft nicht eingetreten wäre und somit der Anteil des verstorbenen Ehegatten in seinen Nachlaß gefallen wäre. Auf diesen Anspruch finden, obschon er kein Pflichtteilsanspruch ist, die Vorschriften über den Pflichtteilsanspruch entsprechende Anwendung668. Die Zahlung dieses Betrages kann der ausgeschlossene Abkömmling sofort, nicht etwa erst bei Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft verlangen, da es sich eben um die Abfindung handelt, gegen deren Leistung die fortgesetzte Gütergemeinschaft, wenn sie unter Ausschluß des an sich zur Teilhaberschaft berufenen Abkömmlings ins Leben tritt, das ganze Gesamtgut für sich erwirbt. Bei der auf die Beendigung der Gemeinschaft folgenden Auseinandersetzung haben dann der überlebende Ehegatte und die anteilsberechtigten Abkömmlinge den gezahlten Betrag unter einander zur Ausgleichung zu bringen, wobei er der Kinderhälfte, im Verhältniß der Abkömmlinge unter einander aber nur denen, denen die Ausschließung zu Statten kommt (also im Falle der Ausschließung von Enkeln nur deren Geschwistern) zur Last fällt669.
666 BGB § 1516. Auch ein Erbvertrag genügt. Immer aber muß es sich um eine letztwillige Verfügung handeln, Abänderung bis zum Tode also offen bleiben. 667 BGB § 1511. Die Ausschließung hängt vom freien Belieben ab, kann auch stillschweigend erfolgen und kann für mehrere, ja für alle Abkömmlinge angeordnet werden. Die Ausschließung aller Abkömmlinge oder des einzigen vorhandenen Kindes bedeutet natürlich den Wegfall der fortgesetzten Gütergemeinschaft überhaupt. Hieraus ergiebt sich, daß die Ausschließung des Eintrittes der fortgesetzten Gütergemeinschaft nicht blos nach §§ 1508 u. 1509, sondern auch stets durch gemeinschaftliches Testament möglich ist und z. B. wirksam vollzogen ist, wenn die Ehegatten einander gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt haben; RGer b. Seuff. IX Nr. 13, Rspr. d. OLG VI 165, VII 59, RGer XCIV Nr. 92; vgl. Dernburg § 61 Anm. 11. 668 BGB § 15112. 669 BGB § 15113.
4. Titel: Allgemeine Gütergemeinschaft
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2. Kürzung eines Anteils Jeder Ehegatte kann für den Fall, daß mit seinem Tode die fortgesetzte Gütergemeinschaft eintritt, den einem anteilsberechtigten Abkömmling nach Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft gebührenden Anteil am Gesamtgut durch letztwillige Verfügung bis auf die Hälfte herabsetzen670. Dies entspricht der Befugniß jedes Erblassers, nach freiem Belieben einen gesetzlichen Erben auf den Pflichtteil zu setzen. Der Ehegatte erreicht mit der Kürzung des Anteils den gleichen Erfolg, ohne in den Bestand der von Rechtswegen eintretenden fortgesetzten Gütergemeinschaft einzugreifen. Denn die Herabsetzung des Anteils bedeutet keine Ausschließung von der Gemeinschaft, sondern nur eine Aenderung der für die Gemeinschaftsteilung geltenden Grundsätze. 3. Entziehung eines Anteils Jeder Ehegatte kann durch letztwillige Verfügung für den Fall seines Todes einem anteilsberechtigten Abkömmling den ihm nach Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft gebührenden Anteil völlig entziehen, wenn er berechtigt ist, ihm den Pflichtteil zu entziehen671. Auf die Entziehung des Anteils finden die Vorschriften über Entziehung des Pflichtteils entsprechende Anwendung672. Die Wirkung der Entziehung ist, daß der betreffende Abkömmling bei der Auseinandersetzung leer ausgeht. Gleichwohl hat er während des Bestandes der Gemeinschaft, da er von ihr nicht ausgeschlossen ist, die Stellung eines anteilsberechtigten Abkömmlings, muß daher z. B. bei einer Grundstücksveräußerung gehört werden. Natürlich kann der entziehungsberechtigte Ehegatte auch statt der Entziehung auch eine bloße Herabsetzung des Anteils unter die Hälfte anordnen. Ausdrücklich gestattet ihm das BGB auch, wenn die Voraussetzungen einer sog. Enterbung aus guter Absicht vorliegen, den Anteil des Abkömmlings am Gesamtgut in entsprechender Weise zu beschränken673. 670 BGB § 1512. Die Kürzung des Anteils trifft im Zweifel, wenn der Abkömmling während des Bestandes der Gemeinschaft wegfällt, dessen an seine Stelle tretenden Abkömmlinge, da diese nicht als seine Rechtsnachfolger, sondern unmittelbar kraft eignen Rechts einrücken, nicht. Es kann aber die Herabsetzung auch der Anteile solcher entfernteren Abkömmlinge gewollt sein. Dies ist Auslegungsfrage. Ebenso verhält es sich, wenn der herabgesetzte Anteil anderen Abkömmlingen anwächst. Ist der Anteil des einzigen vorhandenen Abkömmlings herabgesetzt, so kommt dies stets dem überlebenden Ehegatten zu Gute. 671 BGB § 1513. 672 Es muß also einer der in § 2333 enthaltenen Entziehungsgründe vorliegen. Ausdrücklich ist in § 1513 die entsprechende Anwendung von § 2336 Abs. 2 u. 3 angeordnet; der Entziehungsgrund muß also zur Zeit der Verfügung bestehen und in ihr angegeben werden; der Beweis des Grundes liegt dem ob, der die Entziehung geltend macht. Aber auch die Vorschriften über den Wegfall des Entziehungsrechtes durch Verzeihung und das Unwirksamwerden der Entziehung durch Verzeihung (§ 2337) und dauernde Besserung (§ 23363) sind, obschon auf sie in § 1513 nicht verwiesen wird, für anwendbar zu erachten; vgl. Staudinger zu § 1513 Bem. 2 , Schmidt Bem. 2 c. Doch ist dies teilweise streitig.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
4. Zuwendung des einem Abkömmling entzogenen Betrages an einen Dritten674 5. Anordnungen über die Teilung des Gesamtguts durch Einräumung von Uebernahmerechten Jeder Ehegatte kann für den Fall, daß mit seinem Tode die fortgesetzte Gütergemeinschaft eintritt, durch letztwillige Verfügung anordnen, daß ein anteilsberechtigter Abkömmling das Recht haben soll, bei der Teilung das Gesamtgut oder einzelne dazu gehörige Gegenstände gegen Ersatz des Wertes zu übernehmen675.676 Gehört zum Gesamtgut ein Landgut, so kann angeordnet werden, daß das Landgut mit dem Ertragswerte oder einem fest bestimmten Preise, der den Ertragswert mindestens erreicht, angesetzt werden soll677. Das Recht zur Uebernahme des Landguts zum Ertragswerte oder einem bestimmten nicht darunter bleibenden Preise kann auch dem überlebenden Ehegatten eingeräumt werden. III. Durch Vertrag mit einem Ehegatten kann ein gemeinschaftlicher Abkömmling für den Fall des Todes dieses Ehegatten auf seinen Anteil am Gesamtgut der fortgesetzten Gütergemeinschaft im Voraus verzichten. Der Vertrag bedarf aber der Zustimmung des anderen Ehegatten678. Dieser Zustimmung bedarf ebenso der Vertrag, durch den ein solcher Verzicht wieder aufgehoben wird679. Auf den Verzicht BGB § 15132 mit § 2338. BGB § 1514. Die Zuwendung ist kein Vermächtniß im Rechtssinne. Doch sind die Vorschriften über Vermächtniße entsprechend anwendbar. Vgl. Näheres bei Planck Bem. 2, Schmidt Bem. 2 – 4, Staudinger Bem. 4, Endemann II § 187 Anm. 34. Die Zuwendung kann immer nur in einem Geldbetrag bestehen. Als Dritter kann auch der überlebende Ehegatte oder ein anderer Abkömmling berufen werden. Die Zuwendung wird erst bei der Auflösung der fortgesetzten Gütergemeinschaft wirksam. 675 BGB § l5151. Damit wird das gesetzliche Uebernahmerecht des überlebenden Ehegatten (oben § 275 Anm. 656) aufgehoben oder beschränkt; er hat ja zugestimmt. 676 BGB § 15152. Daß der Ertragswert, der sich nach dem dauernden Reinertrage bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung nach der bisherigen wirtschaftlichen Bestimmung richtet, maßgebend sein soll, ist auch ohne besondere Anordnung nach der für Miterben geltenden Vorschrift des § 2040 anzunehmen, wenn das Uebernahmerecht speziell für das Landgut gewährt ist. Im Zweifel gelten also die dem Anerbenrecht zu Grunde liegenden Gedanken als maßgebende Motive für die Sonderverfügungen über Landgüter, auch wenn diese zum Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft gehören. 677 BGB § 15153. Ohne solche besondere Verfügung steht dem überlebenden Ehegatten zwar nach der gesetzlichen Regel des § 1502 das Uebernahmerecht auch hinsichtlich des Landgutes zu, aber nur zum gemeinen Wert. 678 BGB § 1517. 679 Die Zustimmung ist gleich der Zustimmung zu einer die fortgesetzte Gütergemeinschaft in zulässiger Weise abändernden letztwilligen Verfügung (oben zu II) an gerichtliche oder notarielle Form gebunden und ist ebenfalls unwiderruflich. Dagegen ist die Vertretung keinen besonderen Erschwerungen unterworfen. – An Stelle der Zustimmung des anderen Ehegatten ist stets auch der selbständige Vertragsschluß desselben mit dem verzichtenden Abkömmling möglich. 673 674
5. Titel: Errungenschaftsgemeinschaft
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finden die Vorschriften über den Erbverzicht entsprechende Anwendung. Der Vertrag bezieht sich aber nur auf den Anteil am Gesamtgut, ändert also mangels anderer Vereinbarung nichts an der Erbfolge in den Nachlaß des Ehegatten, dem gegenüber er abgegeben ist680.
Fünfter Titel
Errungenschaftsgemeinschaft § 277. Begriff, Geschichte und Wesen der Errungenschaftsgemeinschaft I. Begriff „Errungenschaftsgemeinschaft“ ist ein ehelicher Güterstand, bei dem der Erwerb der Ehegatten, soweit er nicht ausgenommen ist, gemeinschaftlich wird, das übrige Vermögen gesondert bleibt. Der Begriff ist in der deutschen Theorie und Praxis zusammen mit dem Oberbegriff der beschränkten, partikulären oder partiellen Gütergemeinschaft ausgebildet worden, die man der allgemeinen Gütergemeinschaft entgegensetzte, bald aber wieder in mehrere Arten unterschied. Als Unterscheidungsmerkmal diente dabei vor Allem, ob für die Beschränkung der Gütergemeinschaft die Tendenz der Wahrung des Sonderrechts am liegenschaftlichen Vermögen oder der Wunsch, dem einzelnen Ehegatten sein eingebrachtes Gut zu erhalten, bestimmend war. Hieraus entwickelte sich die bis heute herrschende Lehre von den beiden Grundformen der partikulären Gütergemeinschaft, von denen man die eine, weil sie sich durch die grundsätzliche Ausschließung der Liegenschaften von der Gemeinschaft charakterisiert, als „Fahrnißgemeinschaft“ (Mobiliargemeinschaft) oder ähnlich bezeichnete, die andere, weil sie grundsätzlich nur gemeinschaftlich erworbenes Vermögen der Vergemeinschaftung unterwirft, Errungenschaftsgemeinschaft (Erkoberungsgemeinschaft) oder ähnlich nannte, zum Teil aber auch je nach der ungleichen Ausgestaltung des Begriffes in den einzelnen Rechten in mehrere verschieden benannte Arten unterschied. Denn in dem weiten Rahmen dieses Begriffs hatten mannichfach verschiedenartige Gebilde Raum. Vor Allem wurde der Umfang der Errungenschaft enger oder weiter begrenzt. Der ursprünglichen Auffassung entsprach die Einschränkung auf den Erwerb jedes Ehegatten mittels seiner Arbeitsleistung und der Erträge seines eingebrachten Gutes. Wo hieran festgehalten war, sprach man auch von „Kollaborationsgemeinschaft“. Allein mehrfach wurde die 680 Ein Erbverzicht im Rechtssinne liegt eben nicht vor. Denn der Anteil am Gesamtgut ist kein Erbteil.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Gemeinschaft auch auf unentgeltlichen Erwerb (aus Erbgang oder Schenkung) erstreckt und so eine volle Erwerbsgemeinschaft (auch „Gemeinschaft des Adquestes“ genannt) ausgebildet. Anderenfalls schwächte sich bisweilen die Errungenschaftsgemeinschaft zur bloßen „Gemeinschaft des Zugewinnstes“ ab, indem der Sondererwerb jedes Ehegatten bis zur Beendigung der ehelichen Gemeinschaft dem Eigentum nach getrennt blieb und nur der Wert des Erworbenen behufs Tragung der Ehelasten und Teilung des Ueberschusses von jedem Ehegatten einzuwerfen war. Umgekehrt verstärkte sich mitunter die Gemeinschaft zur Gemeinschaft der Errungenschaft und Verrungenschaft, indem auch eine Einbuße am eingebrachten Vermögen gemeinsam zu tragen ist und nur meist die Frau sich durch Ausschlagung der Gütergemeinschaft vor einem Verluste ihres Vermögens schützen kann. II. Geschichte681 Eine Teilung der Errungenschaft zwischen Mann und Frau war schon in der Zeit der Volksrechte vielfach üblich. Insbesondere war sie dem fränkischen Recht geläufig. Hier war namentlich der Rechtssatz verbreitet, daß von der Errungenschaft der Mann zwei Drittel als „Schwertteil“ für sich behalte, ein Drittel aber als „Kunkelteil“ der Frau herauszugeben habe. Ausdrücklich spricht in diesem Sinne die lex Ribuaria der Witwe zu: „tertiam portionem de omni re, quam simul conlaboraverint“682. Die lex Saxonum aber erklärt es für westfälisches Recht, daß „de eo quod vir et mulier conquisierint mulier mediam portionem accipiat“683. An dieser Errungenschaftsteilung (sei es nach Dritteln oder sei es nach Hälften) hielten während des Mittelalters viele rheinische, hessische, westfälische und sonstige Rechte fest und bildeten, soweit sie nicht zu allgemeiner Gütergemeinschaft übergiengen, mehr und mehr unter Ausprägung des Gedankens einer bereits während der Ehe bestehenden Eigentumsgemeinschaft an der zu teilenden Vermögensmasse feste Typen einer beschränkten Gütergemeinschaft aus684. Nach der Rezeption erfreute 681 Vgl. R. Schröder, Gesch. des ehel. Güterr. II 2 S. 48 ff., 176 ff., 205 ff. Heusler, Inst. II 310 ff., 314, 346 ff., 350 ff. J. Held, Die partikuläre Gütergemeinschaft nach den Volksrechten und Rechtsbüchern des MA, 1830. Euler, ZfDR X 1 ff. Runde, Eheliches Güterrecht S. 180 ff., 192 ff. Margarete Berent, Die Zugewinnstgemeinschaft der Ehegatten, Unters. z. D. St. u. RG, Heft 123. Dazu Paul Hradil, Ueber eheliche Errungenschaftsgemeinschaft auf Grund oestereichischer Rechtsquellen des späteren Mittelalters, in ZfRG XXXVI G.A.S. 459 – 477. Gengler DPR4 § 153. Mittermaier II § 389, 390. Beseler § 129. Roth II §§ 114 – 123. Stobbe-Lehmann § 307, 2. R. Hübner, Grundz.3 S. 552, 563 ff!, 575. v. Schwerin, Grundz. S. 268, 270, 275. 682 L. Rib. 37 c. 3. Gestritten wird, ob der Anspruch der Witwe stets oder nur bei beerbter Ehe zusteht. Die besseren Gründe sprechen dafür, daß, wie auch nach salfränkischem Recht, regelmäßig jede Witwe das Drittel fordern konnte. 683 L. Saxon. tit. 9 [= cap. XLVIII]. Mit dem Zusatz: Hoc apud Westfalaos; apud Ostfalaos et Angarios ninil accipiat sed contenta sit sua dote (worunter nach richtiger Ansicht das Wittum, nicht mit Schröder die Morgengabe zu verstehen ist).
5. Titel: Errungenschaftsgemeinschaft
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sich die Errungenschaftsgemeinschaft einer besonderen Gunst der Juristen, die sie unter Zuhilfenahme des römischen Sozietätsrechtes oder auch der naturrechtlichen Gesellschaftslehre aus dem Wesen der Ehe rechtfertigten. Sie wurde daher in zahlreichen Land- und Stadtrechtsreformationen eingeführt. So in den Landrechten von Kurmainz, Kurtrier, Kurköln, Kurpfalz, in Nassau, dem größten Teil von Kurhessen und Teilen von Hessen-Darmstadt, im Solmser Landrecht, in der Frankfurter Reformation, in Nürnberg und Augsburg. In Württemberg erhob sie das Landrecht von 1610 zum gesetzlichen Güterstande685. Sehr verbreitet war sie in Bayern, wo auch der Codex Maximilianeus Bavaricus civilis sie annahm. Bisweilen wurde sie nur für Kaufleute oder überhaupt für die gewerbtreibenden Stände zum gesetzlichen Güterrecht. Vorzugsweise in diesen Kreisen scheint ihre Umbildung zu bloßer Gemeinschaft des Zugewinnstes stattgefunden zu haben. Wenigstens ist diese Form besonders früh in Nürnberg als spezifisch kaufmännische Einrichtung bezeugt. Auch sonst aber begegnet in den Kodifikationen seit dem 16ten Jahrhundert eine Neigung zur Auffassung der Errungenschaftsgemeinschaft im Sinne der Zugewinnstgemeinschaft. Meist freilich bleibt es zweifelhaft, ob wirklich nur eine solche gewollt ist und nicht die Annahme einer echten beschränkten Gütergemeinschaft zu Grunde liegt. Mehrfach wurde darüber lebhaft gestritten686. Entschieden in der Richtung auf die Gemeinschaft des Zugewinnstes entwickelt sich die Errungenschaftsgemeinschaft in oesterreichischen Landen687. Volle Errungenschaftsgemeinschaft mit Einbeziehung der Verrungenschaft überwog in schwäbischen Rechten688 und drang in Württemberg durch689. Aber auch in Schleswig-Holstein fand die Errungenschaftsgemeinschaft mehrfach Eingang690. Desgleichen in Thüringen691. In manchen Rechten galt die Errungenschaftsgemeinschaft nur für kinderlose Ehen, gieng dagegen mit der Geburt eines Kindes in allgemeine Gütergemeinschaft über692. Vgl. oben § 268 II. Sie wurde denn auch in die neuwürttemberger Landesteile eingeführt. Vgl. Wächter, Württ. PR I 227 ff. 686 So namentlich in Kurhessen. Die eingehende Darstellung bei Roth u. Meibom, Kurhess. PR I § 107 ff. spricht mehr für echte Gütergemeinschaft. Doch drang die abweichende Meinung mehr und mehr durch. 687 Dies hat M. Berent in der oben Anm. 681 angef. Schrift nachgewiesen, ist aber darin wohl zu weit gegangen, so daß die in der Besprechung von Hradil gemachten Einschränkungen zu beachten sind. 688 So in Ulm und anderen Stadtrechten. 689 Hier erfuhr jedoch der Schutz der Ehefrau gegen Gefährdung ihres eingebrachten Gutes eine besonders sorgfältige Ausprägung in den sogen. weiblichen Freiheiten. Daß in Württemberg das alte Recht für die älteren Ehen unverändert noch heute gilt, weil keine Ueberleitung stattgefunden hat, ist schon oben erwähnt. 690 So insbesondere in Dithmarschen (Landr. a. 34) und auf der Insel Fehmarn. Ueber friesische Rechte vgl. Schröder, Gesch. II 389 ff. 691 Namentlich in Sachsen-Coburg und Sachsen-Meiningen. 692 So nach dem Recht von Würzburg, Castell u. Schweinfurt (vgl. Bayr. Ueb. Ges. a. 76) und nach dem Nordstrander Landr v. 1572 (vgl. Preuß. AG a. 53 § 4 für übergeleitete Ehen). 684 685
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Von den neueren Gesetzbüchern stellte das Preußische Allgemeine Landrecht subsidiäre Regeln für die Errungenschaftsgemeinschaft auf, die hauptsächlich auf den Fall ihrer vertragsmäßigen Begründung berechnet waren693. Das französische Gesetzbuch kennt die Errungenschaftsgemeinschaft, die in Frankreich sich ein außerordentlich großes Herrschaftsgebiet bewahrt hatte, als vertragsmäßigen Güterstand694. Ebenso hat das deutsche BGB die Errungenschaftsgemeinschaft ausführlich als vertragsmäßigen Güterstand geregelt695. Und zwar als echte beschränkte Gütergemeinschaft, so daß der beiderseitige eheliche Erwerb Gesamtgut wird. Aber als bloße Erwerbsgemeinschaft, so daß die Einbuße der Mann allein trägt696. Die Landesgesetze haben die Errungenschaftsgemeinschaft des bisherigen Rechtes regelmäßig in die Errungenschaftsgemeinschaft des BGB übergeleitet, jedoch hierbei mancherlei Vorbehalte zu Gunsten der Fortgeltung abweichender Rechtssätze des bisherigen Rechtes gemacht. Die Ueberleitung in die Errungenschaftsgemeinschaft des BGB erstreckt sich zum Teil auch auf Fälle, in denen die Errungenschaftsgemeinschaft bisher als bloße Gemeinschaft des Zugewinnstes behandelt wurde697. Wo dagegen nach Ansicht des Gesetzgebers die Errungenschaftsgemeinschaft vom bisherigen Recht als bloße Gemeinschaft des Zugewinnstes in Wahrheit gar keine echte Gütergemeinschaft war, wie z. B. in Kurhessen und Hannover nach althessischem Recht und dem gewohnheitsrechtlich umgebildeten Mainzer und Solmser Landrecht, da ist an ihre Stelle der gesetzliche Güterstand des BGB gesetzt698, so daß also während der Ehe bloße Verwaltungsgemeinschaft besteht, jeDer Wiederwegfall des Kindes ändert nichts. Bisweilen tritt die allgemeine Gütergemeinschaft auch, wenn kein Kind geboren wird, nach Ablauf von Jahresfrist an Stelle der Errungenschaftsgemeinschaft. – Andererseits giebt es Rechte (besonders friesische), nach denen Errungenschaftsgemeinschaft nur für beerbte Ehen gilt. 693 Preuß. ALR II, 1 §§ 366 – 411. Als Bezeichnung dient der Ausdruck „Gemeinschaft des Erwerbes“. Die aufgestellten Regeln gehen durchweg von dem Gedanken aus, daß die Grundsätze der allgemeinen Gütergemeinschaft Anwendung finden, soweit nicht die Beschränkung des Umfanges des Gesamtguts Abweichungen bedingt. 694 Code civ. a. 1498 – 1499: communité reduite aux acquêts. Vgl. Zachariae-Crome § 492. Auch Neubecker, Französische Errungenschaftsgemeinschaft im intertemporalen und internationalen Privatrecht, Arch. f. bürg. R. XLII. 695 BGB §§ 1519 – 1548. Vgl. bes. die Kommentare von Planck, Staudinger, Schmidt, sowie die Lehrb. v. Dernburg § 63, Wolff §§ 68 – 70, Crome IV 598 – 601, Cosack II § 334. 696 Vgl. z. B. bei R. Ruth, Das eheliche Güterrecht und Gütererbrecht der übergeleiteten Ehen im Bereiche der Provinzen Starkenburg und Oberhessen, Büdingen 1916, S. 143 ff. Die Darstellung der Errungenschaftsgemeinschaft in übergeleiteter Form (nach Althess. Katzenelnbog., Solmser, Nassauer, Frankf., Pfälzer u. Württemb. R.). Ferner über die Ueberleitungen im rechtsrhein. Bayern nach Ueb. Ges. a. 75 – 82. Oertmann, Bayr. Landesprivatr. S. 576 ff.; für die französischrechtliche Errungenschaftsgemeinschaft Ueberg. Ges. a. 124. 697 Vgl. z. B. Preuß. AG a. 23. Nach § 2 wird das errungenschaftliche Vermögen der Ehegatten Gesamtgut, auch soweit es nach den bisherigen Gesetzen nicht gemeinschaftliches Vermögen der Ehegatten ist.
5. Titel: Errungenschaftsgemeinschaft
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doch für die Auseinandersetzung, wenn die ehemännliche Verwaltung und Nutznießung auf andere Weise als durch Vertrag endigt, die bisherigen Teilungsgrundsätze in Kraft bleiben699. Gleich dem deutschen BGB kennt auch das Schweiz. ZGB die Errungenschaftsgemeinschaft, die in einer Reihe von Kantonen als gesetzliches Güterrecht galt700, nur noch als vertragsmäßigen Güterstand701. III. Wesen Ihrem rechtlichen Wesen nach ist die Errungenschaftsgemeinschaft des BGB ein aus Gütergemeinschaft und Verwaltungsgemeinschaft gemischter Güterstand. Sie schließt eine echte Gütergemeinschaft ein, da sie den zur Errungenschaft gehörenden Erwerb beider Ehegatten in ein gemeinschaftliches Vermögen verschmilzt, das dem Ehepaar zu gesamter Hand gehört. Allein sie läßt die gesonderte Zuständigkeit des übrigen Vermögens unberührt. Für dieses aber sind die Grundsätze der Verwaltungsgemeinschaft maßgebend. Dies entspricht der geschichtlichen Entwicklung des deutschen Rechts. An sich ist freilich auch denkbar, daß jenseits des Gemeinschaftsbereiches vielmehr das System der Gütertrennung herrscht. In der bunten Fülle der partikulären Ausgestaltungen der Errungenschaftsgemeinschaft fehlt es nicht an Beispielen einer mehr oder minder starken Annäherung an die Auffassung, daß für das Sondervermögen der Ehegatten das Prinzip der Gütertrennung durchgreift702. Und durch Ehevertrag kann auch heute eine Errungenschaftsgemeinschaft in ein System der Gütertrennung eingebaut werden. Allein das wäre nicht die Errungenschaftsgemeinschaft des BGB. Für diese ist vielmehr die Verbin698 So nach Preuß. AG a. 54. Das Bayr. Ueb. G. a. 83 verordnet Gleiches für die Errungenschaftsgemeinschaft des Ansbacher, Nürnberger, Augsburger, Solmser, Mainzer, Bamberger Rechts, sowie des Bayrischen Landrechts. Ebenso ist in Sachsen Meiningen (Ehegüterrechtsges. §§ 5, 31, 33) und in Coburg (AG a. 42 § 5) die Errungenschaftsgemeinschaft in die Verwaltungsgemeinschaft übergeleitet. 699 Gleichlautende Bestimmung im Preuß. AG a. 54 § 3 u. im Bayr. Ueb. G. a. 83. Danach kann jeder Ehegatte von dem anderen nach Maßgabe der bisherigen Gesetze Ausgleichung des Ehegewinns fordern, wie wenn die Anwendung des Güterstandes nicht eingetreten wäre. Der Anspruch ist unübertragbar und verjährt in einem Jahre. – Andere Bestimmungen im Sinne der Beibehaltung der Errungenschaftsteilung treffen das Meininger Ges. § 6 und das Cob. AG a. 42 §§ 6 – 8. 700 So in Neuenburg, Wallis, Schaffhausen, Graubünden u. Solothurn; fakultativ in Genf, Berner Jura, Waadt und Freiburg. 701 Das Gesetzbuch bestimmt in a. 237 allgemein, daß Ehegatten durch Ehevertrag beschränkte Gütergemeinschaft annehmen können, indem sie einzelne Vermögenswerte oder Arten von solchen, wie namentlich die Liegenschaften, von der Gemeinschaft ausschließen. Es bestimmt sodann in a. 239: Die Gütergemeinschaft kann durch Ehevertrag auf die Errungenschaft beschränkt werden. 702 Meist freilich in Gestalt des modifizierten Dotalsystems, also schließlich doch dem praktischen Erfolge nach im Sinne der Verwaltungsgemeinschaft.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
dung mit Verwaltungsgemeinschaft Wesensmerkmal. Und zwar erscheint die Verwaltungsgemeinschaft als der Grundbau, dem die Gütergemeinschaft eingefügt ist. Darum wird das nicht vergemeinschaftete Vermögen dem Begriff des „eingebrachten“ Gutes, der hier auch auf das Mannesvermögen angewandt wird, unterstellt und nicht für das Sondergut als solches [,] sondern, wie bei der Verwaltungsgemeinschaft, nur als besonders begründete Ausnahme für Vorbehaltsgut dem Gedanken der Gütertrennung Einlaß verstattet. Auch das Schweizer Zivilgesetzbuch bestimmt, daß bei der Errungenschaftsgemeinschaft für das bei Eingehung oder während der Ehe von Mann oder Frau eingebrachte Vermögen die Regeln der Güterbindung gelten703.
§ 278. Rechtsgrundsätze bei der Errungenschaftsgemeinschaft I. Eintritt704 Die Errungenschaftsgemeinschaft kann im zeitlichen und räumlichen Herrschaftsbereich des BGB nur durch Ehevertrag begründet werden. Der Ehevertrag, der sie einführt oder wieder aufhebt, unterliegt nicht den Erschwerungen, die für die allgemeine Gütergemeinschaft gelten. Wird er vor oder bei Eingehung der Ehe geschlossen, so tritt im Zweifel die Errungenschaftsgemeinschaft mit dem Augenblicke des Zustandekommens der Ehe ein. Doch kann auch der Eintritt für einen späteren Zeitpunkt vereinbart oder an eine aufschiebende Bedingung (z. B. Geburt eines Kindes) geknüpft werden. Wird der Vertrag erst während der Ehe geschlossen, so tritt mangels anderer Abrede die Errungenschaftsgemeinschaft mit dem Augenblicke des Vertragsschlusses ein. Außerdem tritt bei älteren Ehen die Errungenschaftsgemeinschaft kraft Gesetzes im Falle der landesgesetzlichen Ueberleitung ein705. II. Vermögensmassen Bei der Errungenschaftsgemeinschaft stehen einander verschiedene Vermögensmassen als in sich abgeschlossene einheitliche Sondervermögen gegenüber.
703 Art. 2392. Dagegen stehen nach art. 2372 bei den sonstigen Formen beschränkter Gütergemeinschaft die von der Gemeinschaft ausgeschlossenen Vermögensgegenstände unter den Regeln der Gütertrennung. Nach art. 238 kann aber der Ehevertrag auch hier stets das ausgenommene Vermögen den Regeln der Güterverbindung unterstellen, und dies wird angenommen, wenn die Frau durch den Ehevertrag dem Manne die Verwaltung und Nutzung überlassen hat. 704 Vgl. oben § 268 Anm. [fehlt] (Ausschluß der gesetzlichen Vertretung). 705 Die Ueberleitungsgesetze enthalten zum Teil besondere Bestimmungen über den Zeitpunkt des Eintrittes der Rechtsänderung.
5. Titel: Errungenschaftsgemeinschaft
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Was der Mann oder die Frau während der Errungenschaftsgemeinschaft erwirbt, wird, soweit es zur Errungenschaft gehört, gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten und heißt Gesamtgut. Sonstiges Vermögen eines Ehegatten bleibt oder wird sein Alleinvermögen und heißt im BGB sein eingebrachtes Gut. Innerhalb des Alleinvermögens der Frau kann aber neben ihrem eingebrachten Gut Vorbehaltsgut bestehen. Nach dem BGB gilt eine Rechtsvermutung, daß alles überhaupt vorhandene Vermögen Gesamtgut sei706. Die Vermutung gilt sowohl im Verhältniß der Ehegatten zu einander wie gegenüber Dritten. Sie ist aber widerlegbar. Die Widerlegung erfolgt durch Gegenbeweis, den zu führen hat, wer dem, der sich auf die Vermutung beruft, die Behauptung entgegenstellt, daß ein bestimmter Vermögensgegenstand vielmehr zum Alleinvermögen eines Ehegatten gehöre. Behufs gehöriger Begrenzung der Wirkungskraft der für Gesamtgutseigenschaft sprechenden Vermutung kann jeder Ehegatte von dem anderen Ehegatten die Mitwirkung zur Feststellung des Bestandes sowohl seines eigenen wie das des anderen Ehegatten gehörenden eingebrachten Gutes durch Aufnahme eines Verzeichnisses verlangen, für das gleiche Regeln, wie bei der Verwaltungsgemeinschaft in Ansehung des Eingebrachten der Frau gelten707. Die Aufnahme des Verzeichnisses ist also nicht, wie vielfach nach bisherigem Recht, gesetzlich vorgeschrieben708, sondern hängt vom Belieben der Ehegatten ab. Der Anspruch jedes Ehegatten aber auf Herstellung eines gehörigen Bestandsverzeichnisses besteht nicht blos beim Eintritt der Errungenschaftsgemeinschaft, sondern kann auch während ihres Bestandes jederzeit geltend gemacht werden, wenn Bestandsveränderungen eintreten. Die Aufnahme eines Vermögensgegenstandes in das Verzeichnis ist zur Widerlegung der Vermutung für seine Zugehörigkeit zum Gesamtgut weder erforderlich noch unbedingt ausreichend709. Vielmehr bleibt die freie richterliche Beweiswürdigung offen. Indessen wird im Verhältniß der Ehegatten zu einander regelmäßig die Unterschrift des Verzeichnisses als Anerkenntniß zu werten sein. Jeder Ehegatte kann überdies den Zustand der 706 BGB § 1527. Diese Vermutung geht den Vermutungen aus § 1362 vor. Sie gilt in gleicher Weise für Grundstücke, bewegliche Sachen und Rechte. Auch die Vermutung des § 891 aus dem Grundbucheintrage kann ihr nicht entgegengehalten werden. 707 BGB § 15281. Dies entspricht der für das eingebrachte Gut der Frau in § 1372 gegebenen Vorschrift; vgl. oben § 260 Anm. 218 – 219. Hier wie dort ist auf die für den Nießbrauch geltenden Vorschriften des § 1035 verwiesen. Jeder Ehegatte kann also die Unterschrift des anderen Ehegatten und deren öffentliche Beglaubigung, aber auch die Aufnahme des Verzeichnisses durch eine zuständige Behörde oder einen Notar verlangen. 708 So insbesondere vom Preuß. ALR II 1 §§ 397 – 401: es soll beim Eintritt der Gemeinschaft stets ein solches Verzeichniß aufgenommen und gerichtlich beglaubigt oder mindestens von beiden Eheleuten unter Zuziehung eines gerichtlichen Beistandes der Frau unterschrieben werden. 709 Vgl. oben § 260 Anm. 220. – Nach dem Preuß. ALR I, 4 §§ 400 – 401 ist die Aufnahme des Verzeichnisses überhaupt Voraussetzung für den Eintritt einer Vermutung für die Zugehörigkeit a1les nicht verzeichneten Vermögens zum Gesamtgut, während, wenn kein Verzeichniß aufgenommen ist, diese Vermutung für alles bei der Auseinandersetzung vorhandenen Vermögen gilt.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
zum eingebrachten Gut gehörenden Gegenstände auf seine Kosten durch Sachverständige feststellen lassen710. 1. Gesamtgut Gesamtgut ist, was während der Errungenschaftsgemeinschaft von einem Ehegatten oder beiden Ehegatten zusammen erworben wird und nicht kraft besonderer Bestimmung zum eingebrachten Gut eines Ehegatten gehört. Im Allgemeinen rechnet das BGB dahin in Uebereinstimmung mit der im bisherigen deutschen Recht überwiegenden Auffassung711 den Erwerb aus Arbeit, Gewerbebetrieb und aus den Nutzungen des eignen Vermögens, den entgeltlichen rechtsgeschäftlichen Erwerb mit eignen Mitteln und den durch Ersparung von Einkünften erzielten Vermögenszuwachs. Gesamtgut ist ferner, was auf Grund eines zum Gesamtgut gehörenden Rechts oder als Ersatz für entzogenes Recht (z. B. im Falle der Enteignung eines zum Gesamtgut gehörenden Gegenstandes oder die Schadensersatzleistung bei deliktischen Eingriffen) erworben wird. Auch der Erwerb aus Glücksfällen, z. B. Lotteriegewinne, Fund, Schatzfund, Spiel, gehört zur Errungenschaft712. Desgleichen der Erwerb aus unerlaubter Handlung713. Die Vergemeinschaftung des Erwerbes erfolgt in gleicher Weise, wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft von Rechtswegen kraft der personenrechtlichen Verbundenheit der Ehegatten714. Der einzelne Ehegatte erwirbt also, was er erwirbt, für das Ehepaar, mag er wollen oder nicht715. Auch wenn er ausdrücklich in eignem Namen kontrahiert, erwirbt er zugleich das dem anderen Ehegatten zustehende Mitanrecht zu gesamter Hand, ohne daß eine Rechtsübertragung auf diesen erforderlich oder auch nur zulässig wäre. Dies gilt auch für Grundstücke und Rechte an Grundstücken. Auch wenn ein Ehegatte das von ihm erworbene Eigentum oder sonstige Rechte am Grundstück auf seinen alleinigen Namen im Grundbuch eintragen läßt716, tritt Eigentumsgemeinschaft oder sonstige RechtsgemeinBGB § 15282; übereinstimmend mit § 13722 bei der Verwaltungsgemeinschaft, vgl. oben § 260 Anm. 219. Nach Preuß. LR § 398 sind in dem Verzeichniß sowohl bewegliche als unbewegliche Sachen zum Behufe einer künftigen Auseinandersetzung zu einem gewissen Werte anzuschlagen. 711 Vgl. oben § 277. 712 Ausdrücklich bestimmte das Preuß. ALR in § 404, daß abgesehen von Erbschaften, Vermächtnissen und reinen Geschenken alle anderen Glücksfälle, die sich nach eingegangener Gemeinschaft ereignen, ohne Ausnahme zum Erwerbe gehören. Ueber das heutige Recht vgl. Staudinger zu § 1519 Bem. 2 , Crome § 598 Anm. 37, Dernburg § 63 II 1, Wolff § 65 III. 713 Vgl. RGer XC Nr. 69. 714 Das oben § 269 I für die allgemeine Gütergemeinschaft Gesagte trifft auch hier zu. 715 Vgl. bes. RGer XC Nr. 69. 716 Einen hierauf gerichteten Antrag kann der Grundbuchrichter nicht ablehnen, weil gerichtskundig ist, daß der Antragsteller in Errungenschaftsgemeinschaft lebt; er hat nicht 710
5. Titel: Errungenschaftsgemeinschaft
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schaft zur gesamten Hand ein. Das Grundbuch ist also unrichtig und jeder Ehegatte kann die Berichtigung durch Umschreibung auf die Gemeinschaft verlangen717. 2. Eingebrachtes Gut Eingebrachtes Gut jedes Ehegatten ist: a) was ihm bei dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft gehört718; b) was er später von Todeswegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht (z. B. durch Gutsübergabevertrag oder als Abfindung für einen Erbverzicht), durch Schenkung oder als Ausstattung erwirbt719. „Ausgenommen ist ein Erwerb, der den Umständen nach zu den Einkünften zu rechnen ist“720. c) Gegenstände, die nicht durch Rechtsgeschäfte übertragen werden können, somit Alles, was bei der allgemeinen Gütergemeinschaft als „Sondergut“ gilt721. d) Rechte eines Ehegatten, die mit seinem Tode erlöschen, wie Leibrenten, oder deren Erwerb durch den Tod eines Ehegatten bedingt ist722. von Amtswegen das Grundbuch zu berichtigen, sondern den Berichtigungsantrag des anderen Ehegatten abzuwarten; Beschl. des Obst. LG f. Bayern b. Seuff. LIX Nr. 84 u. des RGer LXXXIV Nr. 12. 717 Der Antrag des Erwerbers, die Eintragung auf den Namen beider Ehegatten vorzunehmen, bedarf nicht der Zustimmung des anderen Ehegatten; RGer LXXXIV Nr. 59. Anders Obst. LG f. Bayern b. Seuff. LXX Nr. 156 für den Fall, daß die Frau den Antrag stellt. 718 BGB § 1520. Durch Ehevertrag kann derartiges Gut für Gesamtgut erklärt werden. Jedoch, wenn nicht allgemeine Gütergemeinschaft vorliegen soll, nur ein bestimmt begrenzter Teil, so daß der Charakter der beschränkten Gütergemeinschaft gewahrt bleibt. Die Vergemeinschaftung tritt in Ansehung solcher Gegenstände nicht von Rechtswegen, sondern nur durch den nach allgemeinen Grundsätzen erforderlichen Rechtsübertragungsakt ein. 719 BGB § 1521. Jedoch kann bei dem lukrativen Erwerb der Frau der Erblasser oder Schenker bestimmen, daß er nicht eingebrachtes Gut, sondern vielmehr Vorbehaltsgut werde. Was ein Dritter den Ehegatten gemeinschaftlich vermacht oder schenkt, wird gemeinschaftlich eingebrachtes Gut, nicht Gesamtgut. Zu Gesamtgut kann der Wille des Zuwenders es nicht machen. 720 § 1521 S. 2. So z. B. elterliche Zuschüsse zum Haushalt, Beitrag zu den Kosten einer Erholungsreise, Erwerb aus Trinkgeldern oder Gratifikationen. 721 § 1522 S. l. Vgl. oben § 269 II. Die bei der allgemeinen Gütergemeinschaft getroffene Bestimmung, daß übertragbare Surrogate Gesamtgut werden, gilt hier nicht. Trotzdem muß dem Wesen der Errungenschaftsgemeinschaft gemäß angenommen werden, daß, obschon die unpfändbaren Forderungen auf Arbeitslohn oder Gehalt eingebrachtes Gut sind, die auf Grund derselben empfangenen Geldbeträge ins Gesamtgut fallen. Denn sie gehören zweifellos zu den Einkünften, deren Vergemeinschaftung der Begriff der Errungenschaftsgemeinschaft fordert. Vgl. Cosack § 354 1 1 b , Wolff § 68 III 2. 722 § 1521 S. 2. Diese Regelung weicht von der bei der allgemeinen Gütergemeinschaft getroffenen Regelung ab. Ueber die Gründe vgl. Motive IV 503 ff. – In Theorie und Praxis (besonders auch des französ. R.) war bisher namentlich die Frage sehr streitig, ob die Lebensversicherungssumme, die beim Tode eines Ehegatten fällig wird, Errungenschaftsbestandteil
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
e) Was durch Ehevertrag für eingebrachtes Gut erklärt ist723. f) Die Surrogate des Eingebrachten. Während die Nutzungen des Eingebrachten ins Gesamtgut fallen, spricht das BGB das Surrogationsprinzip in gleichem Umfange wie bei der Verwaltungsgemeinschaft für das Vorbehaltsgut der Frau hier für das Eingebrachte jedes Ehegatten und somit auch für das Eingebrachte der Frau und für alles Vermögen des Mannes aus724. Ausgenommen ist nur der Erwerb aus dem Betriebe eines Erwerbsgeschäftes725. 3. Vorbehaltsgut Zu den drei Vermögensmassen, dem Gesamtgut und dem eingebrachten Gut von Mann und Frau, kann als vierte besondere Vermögensmasse Vorbehaltsgut hinzutreten. Jedoch im Gegensatz zur allgemeinen Gütergemeinschaft, da Vorbehaltsgut des Mannes hier ausgeschlossen ist726, nur Vorbehaltsgut der Frau. Begründet werden kann es bei der allgemeinen Gütergemeinschaft durch Ehevertrag, letztwillige Verfügung eines Erblassers oder Bestimmung des Zuwenders bei unentgeltlicher Zuwendung unter Lebenden oder Surrogation727. Gesetzliches Vorbehaltsgut giebt es hier so wenig, wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft. III. Rechtsverhältnisse 1. Gesamtgut Für das Gesamtgut gelten im Ganzen die gleichen Regeln wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft. Es ist gemeinschaftliches Vermögen der Ehegatten zu ist. Das BGB verneint die Frage schlechthin, ohne Rücksicht auf die Herkunft der Prämien. Dagegen wird, was ein Ehegatte aus einer Erlebens- oder Ueberlebensversicherung bei Erreichung eines bestimmten Alters erwirbt, Gesamtgut. 723 BGB § 1523. Der Ehevertrag kann vor dem Eintritt der Errungenschaftsgemeinschaft wie während derselben geschlossen werden, bedarf aber zur Wirksamkeit gegenüber Dritten der Eintragung ins Güterrechtsregister (§ 1435). Er kann bisheriges Gesamtgut oder auch Vorbehaltsgut in eingebrachtes Gut verwandeln. 724 § 1524, übereinstimmend mit § 1370. Vgl. oben § 260 III 6. Bei der allgemeinen Gütergemeinschaft gilt gleiches für das Gesamtgut zwischen Beendigung und Auseinandersetzung; § 1472, oben § 272 [fehlt]. 725 § 15241 S. 2. Dieser Erwerb wird, wenn das Geschäft zum eingebrachten Gut gehört, Gesamtgut, wenn es aber Vorbehaltsgut ist, Vorbehaltsgut. Daß darüber hinaus das Surrogationsprinzip Einschränkungen erfahren muß, insoweit es dazu führen würde, Einkünfte aus Arbeitstätigkeit oder Berufsausübung von der Errungenschaft auszuschließen, ist schon oben Anm. 721 bemerkt. – Die in § 1524 hinzugefügte Schutzbestimmung wiederholt die Schutzbestimmung des § 14722 zu Gunsten gutgläubiger Schuldner. 726 BGB § 15262. Auch durch Ehevertrag kann es nicht geschaffen werden. 727 BGB § 15261 mit Verweisung auf §§ 1369 u. 1370; vgl. oben § 269 Anm. 536.
5. Titel: Errungenschaftsgemeinschaft
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gesamter Hand, das dem Ehepaar als solchem zusteht, während die Anteile der einzelnen Ehegatten durch die gesamte Hand gebunden und jeder Verfügung entzogen sind728. Dem Manne als Gemeinschaftshaupt gebührt auch hier grundsätzlich die freie Verwaltung des Gesamtguts, er hat insbesondere das Recht der Besitznahme, der Verfügung über einzelne Gegenstände und der Prozeßführung, bedarf jedoch auch hier der Zustimmung der Frau zu Uebertragsverträgen, die sich auf das Vermögen im Ganzen richten, zu Grundstücksverfügungen und zu Schenkungen729. Die Frau ist auch hier bei Verhinderung des Mannes in Eilfällen zur Vornahme von Rechtsgeschäften und zur Führung von Rechtsstreiten für das Gesamtgut befugt730. Das Gesamtgut trägt hier wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft den ehelichen Aufwand; hier aber trägt es überdies die Lasten des beiderseitigen Eingebrachten731. 2. Eingebrachtes Gut Das eingebrachte Gut wird trotz des gesonderten Eigentums der Ehegatten hier wie bei der Verwaltungsgemeinschaft einheitlich vom Manne kraft seiner „Verwaltung und Nutznießung“ verwaltet. Allein die Verwaltung erfolgt hier für Rechnung des Gesamtgutes in der Weise, daß die Nutzungen, die nach den für den gesetzlichen Güterstand geltenden Vorschriften dem Manne zufallen, zu dem Gesamtgute gehören732. BGB § 15192. Aus den Verweisungen auf die §§ 14382 – 3 und die §§ 1442 – 1453, 1455 – 1457 ergiebt sich, daß die oben in § 270 I gemachten Ausführungen über das Subjekt des Gesamtguts der allgemeinen Gütergemeinschaft und über die Struktur der daran bestehenden Anteile auch hier zutreffen. – Die gleiche Behandlung des Gesamtguts der Errungenschaftsgemeinschaft mit dem der allgemeinen Gütergemeinschaft war auch im früheren Recht überwiegend durchgedrungen; vgl. z. B. Seuff. IX Nr. 330, sowie meine Genossenschaftsth. S. 372 ff. 729 Die §§ 1443 – 1448 sind nach § 15192 unmittelbar anwendbar; vgl. oben § 270 II. Die freie Verwaltungsmacht des Mannes entspricht dem bisherigen deutschen Recht; der Umfang der dem Mann auferlegten Verfügungsbeschränkungen war aber, wie der allgemeinen Gütergemeinschaft mannichfach ungleich bemessen, was auch hier zum Teil bei übergeleiteten Ehen durch Vorbehalte aufrecht erhalten ist. 730 Gemäß § 1450, auf den § 15192 verweist; vgl. oben § 270 III 2; für früheres Recht Seuff. V Nr. 185. Ebenso hat die Frau auch hier das ihr in § 1449 eingeräumte Recht selbständiger gerichtlicher Geltendmachung eines vom Manne ohne ihre erforderliche Zustimmung veräußerten Rechtes gegen Dritte; oben § 270 III 3. Desgleichen steht ihr das Recht aus § 1451 zu; oben § 270 III 4. Betreibt sie ein selbständiges Erwerbsgeschäft mit Einwilligung des Mannes, so kann sie in dem durch § 1452 mit § 1405 bestimmten Umfange auch hier selbständig für das Gesamtgut handeln; oben § 270 III 5. Hinsichtlich der Annahme oder Ausschlagung von Erbschaften oder Vermächtnissen und der Ablehnung von Vertragsanträgen und Schenkungen hat sie auch hier die ihr durch § 1453 gewährte freie Stellung; oben § 270 III 6. 731 BGB § 1529. Der Umfang dieser Lasten bestimmt sich nach den für das eingebrachte Gut der Frau geltenden Vorschriften der §§ 1384 – 1387. 728
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
[3.] Für das eingebrachte Gut des Mannes ergeben sich hieraus keine weiteren Beschränkungen seiner Vermögensherrschaft, als sie das [sic!] Nutzungen, sobald er sie zieht, erwirbt. Zur Verfügung über das Eingebrachte der Frau bedarf er grundsätzlich der Mitwirkung der Frau, während die Frau selbst regelmäßig nicht ohne seine Zustimmung verfügen kann733. 4. Vorbehaltsgut der Frau734 Für das Vorbehaltsgut der Frau gilt das Gleiche, wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft, also Gütertrennungsrecht735. IV. Schuldenverhältnisse Hinsichtlich der Ordnung der Schuldenverhältnisse stimmt das BGB mit dem bisherigen deutschen Recht darin überein, daß es eine beschränktere Schuldengemeinschaft als bei der allgemeinen Gütergemeinschaft eintreten läßt, trifft aber im Einzelnen ziemlich verwickelte Bestimmungen, die dem überaus bunten Rechtszustande des bisherigen Rechts736 gegenüber neue einheitliche Prinzipien durchzuführen suchen, 1. Haftung nach außen Gesamtgutsverbindlichkeiten der Errungenschaftsgemeinschaft sind alle Verbindlichkeiten des Mannes und gewiße Verbindlichkeiten der Frau737. Zu den letzteren gehören nur die der Frau obliegenden Lasten ihres eingebrachten Gutes738; BGB § 1525. Die Gemeinschaft erwirbt die Nutzungen, die der Mann von seinem eignen Vermögen bezieht, in demselben Umfange, in dem sie der Mann erwerben würde, wenn es sich um Frauenvermögen handelte, das seiner Verwaltung und Nutznießung unterliegt. In der Verfügung über die zu seinem Eingebrachten gehörenden Gegenstände, auch über Grundstücke, ist er unbeschränkt. Die im älteren deutschen Recht vorkommenden Uebergangsformen, bei denen die Verfügung über Grundstücke nur mit gesamter Hand vollzogen werden konnte, sind verschwunden. Dagegen ist der Mann der Frau auch hinsichtlich des eignen Vermögens zu ordentlicher Verwaltung und zur gehörigen Nutzziehung verpflichtet. 734 Das BGB verweist in § 15252 auf die entsprechende Anwendung der §§ 1373 – 1383, 1390 – 1417. Die ausgelassenen §§ 1384 – 1389 beziehen sich auf die Lasten, die hier das Gesamtgut trägt. Mitaufgeführt und also auch hier entsprechend anwendbar sind die §§ 1381 – 1382 über Erwerb von Surrogaten. 735 BGB § 15263. Vgl. §§ 14401, 1441, oben § 269 Anm. 539. 736 Ueber Zinsen vgl. Stobbe-Lehmann IV 336 ff., Roth § 119. 737 BGB § 15301. Im Gegensatz zur allgemeinen Gütergemeinschaft haftet das Gesamtgut namentlich nicht für voreheliche Schulden der Frau und überhaupt nicht für ihre Deliktsschulden. 732 733
5. Titel: Errungenschaftsgemeinschaft
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die Verbindlichkeiten aus einem von ihr nach Eintritt der Errungenschaftsgemeinschaft vorgenommenen Rechtsgeschäft und die Kosten eines von ihr geführten Rechtsstreites, wenn die Vornahme des Rechtsgeschäftes oder die Führung des Rechtsstreites mit Zustimmung des Mannes erfolgt oder ohne seine Zustimmung wirksam ist739; die Verbindlichkeiten der Frau, die nach Eintritt der Errungenschaftsgemeinschaft in Folge eines ihr zustehenden Rechts oder des Besitzes einer ihr gehörenden Sache entstehen, wenn das Recht oder die Sache zu einem Erwerbsgeschäft gehört, das die Frau mit Einwilligung des Mannes selbständig betreibt740; die der Frau auf Grund der gesetzlichen Unterhaltspflicht obliegenden Verbindlichkeiten741. Für die Gesamtgutsverbindlichkeiten haftet das Gesamtgut den Gläubigern in gleicher Weise wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft742. Außerdem haftet der Mann persönlich als Gesamtschuldner auch für die Gesamtgutsverbindlichkeiten der Frau. Soweit aber die Verbindlichkeit der Frau im inneren Verhältniß keine Gesamtgutslast ist, erlischt die persönliche Haftung des Mannes mit der Beendigung der Errungenschaftsgemeinschaft743. Für alle Verbindlichkeiten des Mannes haftet außer dem Gesamtgut sein Sondergut, dagegen nicht das Sondervermögen der Frau. In dieser Hinsicht führt das BGB bei der Errungenschaftsgemeinschaft das Recht der Verwaltungsgemeinschaft ausnahmslos durch744 und beseitigt die im bisherigen Recht vorkommenden Bestimmungen, die der Frau eine persönliche Mithaftung für Mannesschulden auferlegen745 und ihr nur mehr oder minder durchgreifende Schutzmittel gegen die ihr daraus drohenden Nachteile gewähren746. BGB § 1531. BGB § 1532. Vgl. für die allgemeine Gütergemeinschaft § 14601 (ebenso für Rechtsgeschäfte, weitergehend für Prozeßkosten); oben § 271 [fehlt]. 740 § 1533. Wie nach § 1462 bei der allgemeinen Gütergemeinschaft. 741 § 1534. 742 Oben § 271 I 2. Zwangsvollstreckung in ZPO §§ 740 – 744 entsprechend geordnet. Im Konkurse des Mannes gehört nach KO § 2 das Gesamtgut zur Konkursmasse. 743 § 15302. Wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft nach § 14592. 744 Es gilt also das oben § 263 II 1 Gesagte. 745 Der Rechtszustand war vielfach unsicher und bestritten. Zum Teil haftete die Frau für alle Eheschulden, zum Teil nur für Schulden aus einem Gewerbebetriebe, an dem sie Teil nahm (besonders bei Sitzen „zu offenem Kram und Laden“). Nach vielen Rechten haftete die Frau nur zur Hälfte, nach anderen solidarisch, manchmal, was Roth als gemeines Recht ansieht, nach Verhältniß ihres Anteils an der Errungenschaft. Vgl. die Zusammenstellungen bei Roth § 119 S. 145 ff. und Stobbe-Lehmann IV 336 ff.; aus der Praxis Seuff. VI Nr. 285, XXXV Nr. 155, 251. 746 Meist muß sie, um sich von der Haftung für die nicht in ihrer Person entstandenen Schulden zu befreien, auf ihren Anteil am Gesamtgut verzichten. Manche Rechte verlangen auch den Verzicht auf die statutarischen Partien, Roth a. a. O. Anm. 38. In Württemberg bildet die sog. „weibliche Freiheit“ ein wichtiges Stück des hier fortbestehenden Errungenschaftsgemeinschaftsrechtes älterer Bildung. Hier hat die Frau das Recht, durch Verzicht auf 738 739
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Für alle Verbindlichkeiten der Frau, die keine Gesamtgutsverbindlichkeiten sind, haftet ihr Vorbehaltsgut unbedingt, ihr Eingebrachtes mit gleichen Beschränkungen, wie bei der Verwaltungsgemeinschaft747. Dagegen haftet für ihre Sonderverbindlichkeiten weder das Gesamtgut noch das Sondergut des Mannes748. 2. Innere Schuldverteilung Im Verhältniß der Ehegatten zu einander sind wie bei allgemeiner Gütergemeinschaft grundsätzlich die Gesamtgutsverbindlichkeiten auch Gesamtgutslasten. Hiervon aber giebt es Ausnahmen. a) Für beide Ehegatten gilt im Allgemeinen die Ausnahme, daß Gesamtgutsverbindlichkeiten dem Ehegatten zur Last fallen, in dessen Person sie entstehen, wenn sie aus einem auf sein eingebrachtes Gut oder Vorbehaltsgut bezüglichen Rechtsverhältniß herrühren, mögen sie auch vor dem Eintritt der Errungenschaftsgemeinschaft oder vor der Zeit, in der das Gut eingebrachtes Gut oder Vorbehaltsgut geworden ist, entstanden sein, es sei denn, daß sie zu den vom Gesamtgut zu tragenden Lasten des Eingebrachten gehören oder durch den Betrieb eines für Rechnung des Gesamtguts geführten Erwerbsgeschäft oder in Folge eines zu einem solchen gehörenden Rechts oder des Besitzes einer dazu gehörenden Sache entstehen749. b) Manneslasten Dem Manne allein fallen außerdem zur Last: seine vor Eintritt der Errungenschaftsgemeinschaft entstandenen Verbindlichkeiten, seine der Frau gegenüber aus der Verwaltung ihres eingebrachten Gutes entstehenden Verbindlichkeiten, soweit nicht das Gesamtgut zur Zeit der Beendigung der Errungenschaftsgemeinihren Errungenschaftsanteil im Konkurse des Mannes sich von der sie an sich treffenden Haftung für die Hälfte der Eheschulden zu befreien. Sie hat dann auch dem Manne gegenüber keinen Teil der erlittenen Vermögenseinbuße zu tragen. Vielmehr erlangt sie das Recht, ihr noch in Natur vorhandenes Eingebrachtes zurückzufordern und für das nicht mehr vorhandene Ersatz zu verlangen. Wegen des Eingebrachten hat sie ein Aussonderungsrecht im Konkurse. Wegen ihrer Ersatzansprüche hatte sie früher Konkursprivilegien, die heute weggefallen sind. Ein Absonderungsrecht aus KO § 41 (alte Fassung § 51) steht ihr nicht zu. Vgl. die eingehend begründete Entsch. des RGer v. 29. Mai 83 Z. S. IX Nr. 19. 747 Vgl. über diese oben § 263 II 2. Auch hier ist also der Zugriff der Gläubiger der Frau auf ihr Eingebrachtes besonders wegen solcher Verbindlichkeiten, die sie ohne die erforderliche Zustimmung des Mannes durch Rechtsgeschäft übernommen hat, ausgeschlossen, so lange das Recht des Mannes auf Verwaltung und Nutznießung besteht. Und immer bedarf es zur Zwangsvollstreckung in das Eingebrachte der Frau außer dem Urteil gegen die Frau einer auf Duldung der Zwangsvollstreckung gerichteten Verurteilung des Mannes. 748 So im Gegensatz zur allgemeinen Gütergemeinschaft namentlich auch für voreheliche Schulden und für Deliktsschulden der Frau. 749 BGB § 1535 mit § 1537. Sowohl die Regel des § 1535, wie die Einschränkung des § 1537 gilt auch für die Kosten eines Rechtsstreites, den ein Ehegatte über eine derartige Verbindlichkeit führt.
5. Titel: Errungenschaftsgemeinschaft
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schaft bereichert ist; seine Verbindlichkeiten aus einer nach Eintritt der Errungenschaftsgemeinschaft begangenen unerlaubten Handlung oder aus einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren750. Verspricht oder gewährt der Mann einem Kinde eine Ausstattung, so gelten gleiche Regeln, wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft751. c) Frauenlasten Eine Gesamtgutsverbindlichkeit, die im Innenverhältniß der Frau zur Last fällt, ist entweder Last ihres eingebrachten Gutes oder ihres Vorbehaltsgutes752. d) Aus der Divergenz der Haftungsverhältnisse und der inneren Schuldverteilung entspringen gegenseitige Ersatzansprüche der Ehegatten zu den einzelnen Vermögensmassen, die bei der Errungenschaftsgemeinschaft von je eine besondere Rolle spielen. Allgemein gewährt das BGB, vorbehaltlich weitergehender Ersatzansprüche aus besonderen Gründen, einen Ersatzanspruch auf Bereicherung, wenn zur Zeit der Beendigung der Errungenschaftsgemeinschaft das eingebrachte Gut eines Ehegatten auf Kosten des Gesamtguts oder das Gesamtgut auf Kosten des eingebrachten Gutes eines Ehegatten bereichert ist753. Dabei gilt, wenn verbrauchbare Sachen, die zum eingebrachten Gut eines Ehegatten gehört haben, nicht mehr vorhanden sind, die doppelte Vermutung, daß die Sachen in das Gesamtgut verwendet worden sind und dieses um den Wert der Sachen bereichert ist754. Die Ersatzansprüche des Gesamtguts können erst nach Beendigung der Errungenschaftsgemeinschaft geltend gemacht werden. Ebenso die Ersatzansprüche des Mannes gegen das Gesamtgut oder gegen die Frau. Dagegen hat die Frau, soweit ihr Sondervermögen, Eingebrachtes oder Vorbehaltsgut ausreicht, eine Ersatzschuld zum Gesamtgut oder zum Eingebrachten des Mannes schon vorher zu berichtigen. Und Ersatzansprüche der Frau gegen das Gesamtgut oder gegen den Mann sind sofort fällig755. Neben diesen Ausgleichsansprüchen, die aus dem gütergemeinschaftlichen Verhältniß entspringen756, können bei der Errungenschaftsgemeinschaft Ausglei750 BGB § 1536. Hinsichtlich der vor dem Eintritt der Errungenschaftsgemeinschaft entstandenen Verbindlichkeiten aber und der Kosten eines über sie geführten Rechtsstreites tritt nach § 15371 die alleinige Belastung des Mannes nicht ein, wenn sie nach § 15292, weil zu den Lasten des Eingebrachten gehörig, Gesamtgutslasten sind. 751 BGB § 1538 verordnet die Anwendung der Vorschriften des § 1465; über diese vgl. oben § 271 III 1 c. 752 Im Zweifel belastet sie ihr Eingebrachtes. Vorbehaltsgutslast ist sie namentlich, wenn sie Deliktsschuld ist oder aus einem sich auf das Vorbehaltsgut beziehenden Rechtsverhältniß herrührt; vgl. §§ 1415 – 1417, die hier nach § 15252 entsprechende Anwendung finden. 753 BGB § 1539. 754 BGB § 1540. 755 BGB § 1541. 756 Ihre Regelung in § 1541 schließt sich daher an die bei der allgemeinen Gütergemeinschaft geltenden Vorschriften des § 1467 an. Vgl. oben § 271 III 2.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
chungsansprüche zwischen dem eingebrachten Gut und dem Vorbehaltsgut der Frau entstehen, die lediglich in dem verwaltungsgemeinschaftlichen Verhältniß wurzeln, das in Folge der Unterscheidung der Frauenschulden in Lasten des einen oder anderen Frauenvermögens derartige Ausgleichungsansprüche der Ehegatten hervorbringt757. V. Beendigung 1. Beendigungsgründe a) Während der Ehe endigt die Errungenschaftsgemeinschaft gleich der Verwaltungsgemeinschaft durch Konkurseröffnung über das Vermögen des Mannes758. Ferner durch Todeserklärung eines Ehegatten mit dem Zeitpunkt, der als Zeitpunkt des Todes gilt759. Durch Ehevertrag760. Endlich durch richterliches Urteil auf begründete Aufhebungsklage eines Ehegatten mit der Rechtskraft des Urteils. Die Frau kann aus gleichen Gründen, wie die Aufhebung der allgemeinen Gütergemeinschaft oder der Verwaltungsgemeinschaft, die Aufhebung der Errungenschaftsgemeinschaft fordern, der Mann aus demselben Grunde, der ihn berechtigt, auf Aufhebung der allgemeinen Gütergemeinschaft zu klagen761. Mit der Beendigung tritt unter den Ehegatten Gütertrennung ein. Dritten gegenüber gilt Registerrecht. Auf Wiederherstellung der Errungenschaftsgemeinschaft kann jeder Ehegatte klagen, wenn die Beendigung in Folge seiner irrtümlichen Todeserklärung erfolgt ist; der Mann, wenn seine Entmündigung oder die über ihn eingeleitete Pflegschaft, um deren willen ein richterliches Aufhebungsurteil ergangen ist, wieder aufgehoben wird; die Frau, wenn der Aufhebungsgrund Konkurs des Mannes war762. Hin-
In dieser Hinsicht ist § 1417 nach § 15252 entsprechend anzuwenden. Näheres oben in § 263 III. 758 BGB § 1543. Mit der Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses. Wie nach § 1419. Abweichend von der allgemeinen Gütergemeinschaft. 759 BGB § 1544. Wie die Verwaltungsgemeinschaft nach § 1420, hier aber auch bei Todeserklärung der Frau. Abweichend von der allgemeinen Gütergemeinschaft, oben § 272 [fehlt]. 760 Der Vertrag unterliegt nicht den Erschwerungen, die für den Vertrag über Aufhebung der allgemeinen Gütergemeinschaft gelten; oben § 272 [fehlt]. Auch hier aber ist eine Vereinbarung, die kein Ehevertrag ist, ohne Einfluß auf den Bestand des ehelichen Güterstandes. So namentlich auch das Getrenntleben der Ehegatten, mag es auch befugtermaßen stattfinden. 761 BGB § 1542 mit Verweisung auf § 1418 Nr. 1, 3 – 5 und § 1468, § 1469. Wegen Verletzung der Unterhaltspflicht seitens des Mannes ist hiernach nur § 1468 Nr. 3, nicht auch § 1418 Nr. 2 anwendbar. 762 BGB § 1547. Das Recht der Frau auf Wiederherstellung des durch Konkurs des Mannes aufgehobenen Güterstandes ist beim gesetzlichen Güterstande nicht anerkannt, hier aber 757
5. Titel: Errungenschaftsgemeinschaft
377
sichtlich des Zeitpunktes des Wiedereintrittes der Errungenschaftsgemeinschaft und der Folgen gelten gleiche Grundsätze wie bei der Verwaltungsgemeinschaft. Dritten gegenüber greift auch hier Registerrecht Platz763. b) Mit der Auflösung der Ehe endigt die Errungenschaftsgemeinschaft ausnahmslos. Eine Fortsetzung der Gütergemeinschaft zwischen dem überlebenden Ehegatten und den Kindern findet hier nicht statt und kann auch durch Ehevertrag nicht vereinbart werden. 2. Beendigungsfolgen764 Auf die Beendigung der Errungenschaftsgemeinschaft folgt stets die Auseinandersetzung zwischen den Ehegatten. Sie richtet sich hinsichtlich des Sondervermögens nach den für die Verwaltungsgeweinschaft geltenden Regeln, hinsichtlich des Gesamtguts nach den für die allgemeine Gütergemeinschaft geltenden Vorschriften765, Die Teilung des nach Berichtigung der Schulden und Lasten verbleibenden Ueberschusses erfolgt also nach Hälften. Im Falle der Auflösung der Ehe durch den Tod gehört die Hälfte des verstorbenen Ehegatten zu dessen Nachlaß und wird vom Ehegattenerbrecht des überlebenden Ehegatten mitergriffen. Das bisherige Recht weicht in manchen Punkten ab. In einzelnen rheinischen Rechten, besonders im Mainzer Landrecht, auch im Gebiet der Nassau-Katzenelnbogener LO zum Teil kraft Gewohnheitrecht, hat sich die altribuarische Teilung nach Schwert- und Kunkelteil erhalten; das Gesamtgut wird nicht nach Hälften geteilt, vielmehr erhält der Mann 2 / 3, die Frau 1 / 3. Dies gilt bei übergeleiteten Ehen fort766. Ferner hat nach vielen Rechten der überlebende Ehegatte erbrechtliche Vorteile, indem er das ganze Gesamtgut oder doch am ganzen Gesamtgut lebenslängliche Nutzung erhält oder auch das Recht lebenlänglicher Nutznießung des gesamten der Frau eingeräumt, weil sie das größte Interesse an der Vergemeinschaftung des künftigen Erwerbes haben kann. Bahnt doch nicht selten der Konkurs den Weg zum Reichtum. 763 BGB § 1548. Die Errungenschaftsgemeinschaft tritt wieder ein mit der Rechtskraft des Urteils, aber § 1422 findet entsprechende Anwendung. Vorbehaltsgut wird, wie nach § 14253, was ohne die Aufhebung der Gemeinschaft Vorbehaltsgut geblieben oder geworden sein würde. 764 BGB: 15463 verweist für das eingebrachte Gut der Frau auf §§ 1421 – 1424; vgl. oben § 264 Anm. 377 – 381. 765 Bis zur Auseinandersetzung besteht die Gemeinschaft auch hier als Liquidationsgemeinschaft fort, für die nach § 15461 die Vorschrift der §§ 1442, 1472, 1473 gelten; vgl. oben § 272 III [fehlt]. Die Auseinandersetzung erfolgt, soweit nicht eine andere Vereinbarung getroffen wird, gemäß § 15462 nach den §§ 1475 – 1477, 1479 – 1481; vgl. oben § 272 IV-VI [fehlt]. 766 Preuß. AG z. BGB a. 52 § 4.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Nachlasses des Verstorbenen hat767. Solche Rechte behält er bei übergeleiteten Ehen, wenn er nicht vorzieht, nach dem BGB zu erben.
Sechster Titel
Fahrnißgemeinschaft § 279. Begriff, Geschichte und Wesen I. Begriff Fahrnißgemeinschaft ist ein ehelicher Güterstand, bei dem die Errungenschaft und alles bewegliche Vermögen der Ehegatten gemeinschaftliches Vermögen der Ehegatten wird, also nur das nicht zur Errungenschaft gehörende unbewegliche Vermögen gesondert bleibt. Der seit langer Zeit übliche Name „Mobiliargemeinschaft“ und der verdeutschte Name Fahrnißgemeinschaft sind somit ungenau. Es ist aber erfreulich, daß der Vorschlag des ersten Entwurfes, den genaueren Ausdruck „Gemeinschaft des beweglichen Vermögens und der Errungenschaft“ an die Stelle zu setzen, nicht durchgedrungen ist. II. Geschichte768 Die Geschichte der Fahrnißgemeinschaft ist eng verflochten mit der Geschichte der Errungenschaftsgemeinschaft. Denn sie ist als eine Form der beschränkten Gütergemeinschaft in denselben Gegenden und zu derselben Zeit, wie die Errungenschaftsgemeinschaft, ausgebildet und mit dieser regelmäßig verknüpft geblieben, indem die ihr zu Grunde liegende Tendenz, die Erhaltung des Grundbesitzes in der Familie, von der er stammt, zu fördern, durch die Vergemeinschaftung der von den Ehegatten durch entgeltliches Rechtsgeschäft erworbenen Grundstücke nicht entkräftet wurde769. So reicht die Errungenschaftsgemeinschaft mit der gleichzeitigen Ausschließung der eingebrachten und ererbten Grundstücke vom Gesamtgut in das älteste fränkische Recht zurück und erhielt sich während des Mittelalters, soweit sie nicht in allgemeine Gütergemeinschaft übergieng, in manchen rheinischen 767 Letzteres z. B. nach der Frankfurter Ref., was das Preuß. AG a. 52 § 5 ausdrücklich für erbrechtliche Wirkung des Güterstandes erklärt, während bisher streitig war, ob es nicht besonderes Erbrecht ist. 768 Schröder, Gesch. des ehel. Güterr. II, 2 S. 173 ff.; Sandhaas, Fränk. Ehel. Güterr. S. 88 ff.; Stobbe-Lehmann IV § 307 Z. 3 u. 5; Roth DPR II §§ 124 – 132, Zachariae-Crome III § 467; Falck, Schlesw.-Holst. Privatr. IV § 74, Paulsen §§ 144 – 146. 769 Oben § 277 I.
6. Titel: Fahrnißgemeinschaft
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Land- und Stadtrechten770. Vor allem aber wurde die Fahrnißgemeinschaft auf Grund ihrer starken Verbreitung in den nordfranzösischen Coutumes, besonders den von Paris, vom Code civil zum gesetzlichen Güterstande Frankreichs erhoben771. Mit dem französischen Recht wurde sie in Deutschland auf dem ganzen linken Rheinufer und in einzelnen rechtsrheinischen Gebieten als gesetzlicher Güterstand eingeführt, sowie vom Badischen Landrecht aufgenommen. In einer der französischen Form sehr ähnlichen Gestalt wurde sie vom Jütischen Low geregelt und in Schleswig und Helgoland geltendes Recht772. Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch regelt die Fahrnißgemeinschaft als vertragsmäßigen Güterstand in fortlaufender Rücksichtnahme auf das französische Recht, jedoch mit mancherlei planmäßigen Abweichungen773. Die Ueberleitungsgesetze haben überall an die Stelle der Fahrnißgemeinschaft des bisherigen Rechts bei den vor dem 1. Januar 1900 geschlossenen Ehen die Fahrnißgemeinschaft des BGB gesetzt774. Als vertragsmäßigen Güterstand läßt die Fahrnißgemeinschaft auch das Schweizerische Zivilgesetzbuch zu, ohne über ihre Unterschiede von anderen Formen der beschränkten Gütergemeinschaft Näheres zu bestimmen775. III. Wesen Die Fahrnißgemeinschaft des BGB ist gleich der Errungenschaftsgemeinschaft ein aus Gütergemeinschaft und Verwaltungsgemeinschaft gemischter Güterstand. Allein hier überwiegt das gütergemeinschaftliche Prinzip. Die Fahrnißgemeinschaft steht der allgemeinen Gütergemeinschaft nahe und ist sogar in den vielen Fällen, in denen die Ehegatten Grundbesitz weder einbringen noch zu erben hoffen, in ihrer praktischen Wirksamkeit von ihr nicht verschieden. Der Grundge770 So in den Rechten von Kurköln und Kurtrier und der Städte Greußen u. Frankenhausen; Roth § 24 Anm. 4 – 8. Desgleichen in Sayn-Altenkirchen. 771 Code civ. a. 1400 – 1519; dazu Zachariae-Crome §§ 475 – 491. 772 Vgl. Falck u. Paulsen a. a. O. (oben Anm. 768). 773 BGB §§ 1549 – 1557. Vgl. die Komm. v. Planck, Schmidt, Staudinger, Lehrb. v. Dernburg § 64, Crome § 602, Cosack § 335, M. Wolff § 71. 774 Vgl. für den gesetzlichen Güterstand des Code civ. Preuß. AG a. 56 § 1, Bayr. UG a. 124, Hess. AG a. 231, Oldenburg. AG Birkenf. § 44, Elsaß-Lothr. AG § 141. Für das Bad. Landr. Bad. Ges. v. 1872. Für das Kurköln. u. Kurtriersche Recht und das Jütische Low Preuß AG a. 55. 775 Schweiz. ZGB a. 237. Es wird nur bestimmt, daß die ausgeschlossenen Vermögenswerte unter den Regeln der Gütertrennung stehen, daß aber durch Ehevertrag das ausgeschlossene Frauengut auch unter die Regeln der Güterverbindung gestellt werden kann und dies anzunehmen ist, wenn durch Ehevertrag dieses Vermögen dem Manne zur Verwaltung und Nutznießung überlassen ist (a. 238). Ist Errungenschaftsgemeinschaft mit der Fahrnißgemeinschaft verbunden, so gilt für das Sondervermögen stets Güterverbindung; oben § 277 Anm. 703.
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
danke, der sie beherrscht, ist der der allgemeinen Gütergemeinschaft, der nur durch den Gedanken abgewandelt wird, daß vererbter Grundbesitz der Familie erhalten werden soll. So regelt denn auch das BGB diesen Güterstand durch eine allgemeine Verweisung auf die für die allgemeine Gütergemeinschaft gegebenen Vorschriften, die auf die Fahrnißgemeinschaft Anwendung finden sollen, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist776.
§ 280. Rechtsgrundsätze bei der Fahrnißgemeinschaft I. Eintritt Die Fahrnißgemeinschaft kann im Herrschaftsbereich des BGB nur durch Ehevertrag begründet werden. Der Ehevertrag unterliegt den gleichen Beschränkungen, wie der Vertrag über Einführung der allgemeinen Gütergemeinschaft. Außerdem tritt bei übergeleiteten Ehen die Fahrnißgemeinschaft des BGB von Rechtswegen als gesetzlicher Güterstand ein. II. Vermögensmassen Hier wie bei der Errungenschaftsgemeinschaft stehen einander das Gesamtgut und das Sondergut der Ehegatten gegenüber. Das Sondergut des Mannes wie der Frau wird als Eingebrachtes bezeichnet, innerhalb des Sondergutes der Frau aber kann ihr Vorbehaltsgut eine besondere Vermögensmasse bilden. 1. Sondergut jedes Ehegatten ist kraft gesetzlicher Regel: a) alles unbewegliche Vermögen, das ein Ehegatte beim Eintritte der Fahrnißgemeinschaft hat oder während der Fahrnißgemeinschaft durch Erbfolge, durch Vermächtniß oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht durch Schenkung oder als Ausstattung erwirbt777. Was zum unbeweglichen Vermögen gehört, wird durch Spezialbestimmung für die Fahrnißgemeinschaft definiert: es sind Grundstücke und deren Zubehör, Rechte an Grundstücken mit Ausnahme der Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden, sowie Forderungen, die auf die Uebertragung des Eigentums an Grundstücken oder auch die Begründung oder Uebertragung eines solchen Rechtes oder auf die Befreiung eines Grundstückes von einem solchen Rechte gerichtet sind778. BGB § 1549. BGB § 15511. Später erworbene unbewegliche Vermögensgegenstände also insoweit, als sie nach § 1521 auch dann, wenn sie beweglich wären, zum eingebrachten Gut gehören würden; vgl. oben § 278 Anm. 719. 776 777
6. Titel: Fahrnißgemeinschaft
381
b) Eingebrachtes Gut eines Ehegatten sind ferner Gegenstände, die nicht durch Rechtsgeschäft übertragen werden können779. Somit die Gegenstände, die bei der allgemeinen Gütergemeinschaft als „Sondergut“ vom Gesamtgut ausgeschlossen sind780 und auch bei der Errungenschaftsgemeinschaft zum Eingebrachten gehören781, c) Sodann kann eingebrachtes Gut durch Ehevertrag und durch Bestimmung eines Dritten hinsichtlich des von ihm unentgeltlich Zugewandten geschaffen werden782. Im französischen Recht wie in älteren deutschen Quellen wird dies als eine rechtsgeschäftliche Verliegenschaftung aufgefaßt783. Umgekehrt kann auch eine Einengung des Sonderguts durch Entliegenschaftung stattfinden784. Wird freilich alles gegenwärtige und künftig zu erwerbende liegenschaftliche Vermögen der Ehegatten für eingebrachtes Gut erklärt, so liegt eine Fahrnißgemeinschaft überhaupt nicht mehr vor. d) Endlich sind eingebrachtes Gut die Surrogate von eingebrachtem Gut, also Versicherungsgelder, Entschädigungen wegen Enteignung oder unerlaubter Eingriffe, Erwerb auf Grund eines zum eingebrachten Gut gehörenden Rechts oder durch Rechtsgeschäft, mithin z. B. auch die einem Ehegatten für den Verzicht auf den Erbanteil an einem Grundstück gewährte Abfindung785. Im Gegensatz aber zur Errungenschaftsgemeinschaft werden Surrogate von Gegenständen, die nur wegen ihrer Unübertragbarkeit eingebrachtes Gut sind, so wenig wie Surrogate des Sonderguts bei der allgemeinen Gütergemeinschaft wieder eingebrachtes Gut786.
BGB § 15512. Vgl. über die Tragweite dieser Bestimmung, die unmittelbar nur bei der Fahrnißgemeinschaft anwendbar ist, aber mittelbar eine weitreichende Bedeutung hat, oben Bd. II 14 ff. Als selbstverständlich ist anzunehmen, daß selbständige Gerechtigkeiten und andere Rechte, die durch Reichs- oder Landesrecht den Grundstücken gleichgestellt sind, von der Definition des § 15512 mit umfaßt werden; vgl. Planck, Bem. 2 a u. b. 779 BGB § 1552. 780 Vgl. oben § 269 II. 781 Vgl. BGB § 1521; oben § 278 II 2 c. Dagegen ist die bei der Errungenschaftsgemeinschaft geltende Regel, daß unvererbliche oder durch den Tod bedingte Rechte grundsätzlich ins Eingebrachte fallen (oben § 278 II d), bei der Fahrnißgemeinschaft so wenig wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft anwendbar. 782 BGB § 1553; mit Verweisung auf § 1369. 783 Vgl. Code civ. a. 1500 – 1504 u. dazu Zachariae-Crome § 493. 784 Im Code civ. a. 1505 – 1509 als clause d’ameublissement behandelt; vgl. ZachariaeCrome § 494. 785 BGB § 1554 S. 1 mit Verweisung auf § 1524. Ausgenommen ist auch hier der Erwerb aus dem Betrieb eines Erwerbsgeschäftes. 786 BGB § 1554 S. 2. Sie werden also Gesamtgut, wenn sie nicht etwa aus einem anderen Grunde als dem der Surrogation nach § 1551 oder 1553 zum eingebrachten Gut eines Ehegatten gehören. 778
382
3. Kap.: Eheliches Güterrecht
2. Vorbehaltsgut Wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft und bei der Errungenschaftsgemeinschaft giebt es nur gewillkürtes, kein gesetzliches Vorbehaltsgut. Vorbehaltsgut des Mannes aber ist bei der Fahrnißgemeinschaft, wie bei der Errungenschaftsgemeinschaft, ausgeschlossen. Vorbehaltsgut der Frau kann, wie bei der allgemeinen Güterschaftsgemeinschaft, durch Ehevertrag, Zuwendungsbestimmung eines Dritten und Surrogation begründet werden787. 3. Gesamtgut Alles Ehevermögen, das nicht Sondervermögen eines Ehegatten (eingebrachtes Gut des Mannes oder der Frau oder Vorbehaltsgut der Frau) ist, ist Gesamtgut. Für die Zugehörigkeit jedes im Besitz eines Ehegatten befindlichen Gegenstandes zum Gesamtgut spricht hier wie bei der Errungenschaftsgemeinschaft eine Vermutung. Die Vergemeinschaftung des beim Eintritt der Fahrnißgemeinschaft vorhandenen Vermögens, soweit es nicht ausgenommen ist, sowie des nicht ausgenommenen späteren Erwerbes tritt auch hier von Rechtswegen ein. III. Rechtsverhältnisse 1. Am Gesamtgut besteht schlechthin dasselbe Rechtsverhältniß wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft. Dem bisherigen Recht gegenüber ist auch hier zum Teil eine Einschränkung, zum Teil eine Erweiterung der Machtbefugnisse des Mannes als Gemeinschaftshaupt eingetreten788. 2. Das eingebrachte Gut wird ganz wie bei Errungenschaftsgemeinschaft behandelt, also für Rechnung des Gesamtgutes, in das die Nutzungen fallen, verwaltet789. Am eingebrachten Gut der Frau hat der Mann die gleiche Verwaltungsmacht, wie bei der Verwaltungsgemeinschaft. 3. Das Vorbehaltsgut der Frau steht, wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft, unter Gütertrennungsrecht790.
BGB § 1440; vgl. oben § 269 III Anm. 536. Nach Code civ. a. 1421 kann der Mann auch Grundstücke ohne Mitwirkung der Frau veräußern und belasten. Ebenso Kurtriersches LR T. VI § 31. 789 BGB § 15502. Vgl. oben § 278 III 2. 790 Vgl. oben § 269 III Anm. 536. Gemäß § 1440. 787 788
6. Titel: Fahrnißgemeinschaft
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IV. Schuldenverhältnisse 1. Die Schuldenhaftung nach außen bestimmt sich nach den für die allgemeine Gütergemeinschaft geltenden Regeln. Somit haftet hier das Gesamtgut, abweichend von der Errungenschaftsgemeinschaft nicht nur für alle Verbindlichkeiten des Mannes, sondern auch für solche Verbindlichkeiten der Frau, die nicht durch Sonderbestimmungen von dieser Haftung befreit sind791. Insbesondere können hier die Gläubiger der Frau sich auch wegen ihrer vorehelichen Schulden, ihrer Verbindlichkeiten aus unerlaubten Handlungen und aller Prozeßkosten an das Gesamtgut halten792. Der Mann haftet für Gesamtgutsverbindlichkeiten auch persönlich und wird auch mit der Beendigung der Fahrnißgemeinschaft nur enthaftet, wenn die Verbindlichkeit im Verhältniß der Ehegatten zu einander keine Gesamtgutslast ist793. Die Frau dagegen haftet für Gesamtgutsverbindlichkeiten, die nicht in ihrer Person entstanden sind, niemals persönlich. Die nach bisherigen Rechten in verschiedenem Umfange der Frau obliegende Haftung für Gemeinschaftsschulden ist weggefallen und damit zugleich das ihr dagegen gewährte Schutzmittel der Ausschlagung der Gütergemeinschaft aus dem geltenden Recht verschwunden794. 2. Die Schuldenverteilung im inneren Verhältniß der Ehegatten bestimmt sich gleichfalls nach den Regeln, die bei der allgemeinen Gütergemeinschaft für die verschiedene Belastung der einzelnen Vormögensmassen und die gegenseitigen Ausgleichungsansprüche gelten795. Nur fallen hier auch alle während der Fahrnißgemeinschaft in Ansehung des Sonderguts eines Ehegatten entstandenen Gesamtgutsverbindlichkeiten dem betreffenden Sondergut zur Last. Wenn ein Ehegatte in Folge von Vermögenserwerb durch Erbfolge, Vermächtniß, mit Rücksicht auf künftiges Erbrecht, durch Schenkung oder als Ausstattung mit Schulden (z. B. Nachlaßverbindlichkeiten) behaftet wird, so fallen diese bei reinem Fahrnißerwerb ausschließlich dem Gesamtgut, bei reinem Liegenschaftserwerb ausschließlich dem Sondergut zur Last. Bei gemischtem Erwerb aber werden sie nach Verhältniß des Sie sind in den §§ 1460 – 1462 aufgezählt; vgl. oben § 271 I [fehlt]. Anders hinsichtlich der Deliktsschulden der Frau Code civ. a. 1424. Auch sonst sind die Grundsätze über Schuldenhaftung im französ. R. vielfach abweichend gestaltet; vgl. Stobbe-Lehmann § 308 Z. 8; Zachariae-Crome §§ 478, 496 – 500. 793 Für die Haftung der Frau mit ihrem eingebrachten Gut oder Vorbehaltsgut gelten die Grundsätze der Verwaltungsgemeinschaft. 794 Ueber die Ausschlagung oder Annahme der Gütergemeinschaft und deren Rechtsfolge im französ. Recht vgl. Zachariae-Crome §§ 487 – 491, auch RGer IX Nr. 86, XVII Nr. 76, XXV Nr. 85, XXXI Nr. 81, LXXV Nr. 68. – Bei übergeleiteten Ehen erlischt die persönliche Haftung der Frau für die vor Aenderung des Güterstandes vom Mann begründeten Gemeinschulden nach Preuß. AG zum BGB a. 59 § 3 mit der Beendigung der Gemeinschaft; das Institut der Ausschlagung der Gütergemeinschaft ist für das neue Recht völlig beseitigt, die Entstehung persönlicher Haftung durch Versäumniß des Ausschlagungsrechtes auch für alte Verbindlichkeiten nicht mehr möglich; RGer LXXIX Nr. 83 S. 350 – 355. 795 Vgl. oben § 271 III. [fehlt]. 791 792
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3. Kap.: Eheliches Güterrecht
Wertes der in das Gesamtgut und der in Sondergut fallenden Gegenstände verteilt796. V. Beendigung Für die Beendigung der Fahrnißgemeinschaft gelten die gleichen Regeln, wie für die allgemeine Gütergemeinschaft mit der einzigen Abweichung, daß hier fortgesetzte Gütergemeinschaft nur eintritt, wenn sie durch Ehevertrag vereinbart ist797. Beendigungsgründe sind also Auflösung der Ehe, Ehevertrag798 und gerichtliches Urteil799. Die Auseinandersetzung erfolgt mangels anderer Vereinbarung nach dem Prinzip der Hälftenteilung800. Im Falle der Ehescheidung hat auch hier der schuldlose Ehegatte das Wahlrecht des § 1478. Bei der Auflösung der Ehe durch den Tod bildet der Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut einen Teil seines Nachlasses, der überlebende Ehegatte hat das gewöhnliche Ehegattenerbrecht, das sich durch den Anteil des Verstorbenen am Gesamtgut miterstreckt801. Die in den deutschen Rechten vorkommenden erbrechtlichen Wirkungen der Fahrnißgemeinschaft bleiben bei übergeleiteten Ehen erhalten.
796 Macht also z. B. die Frau eine Erbschaft von 50 000 M, zu der ein Grundstück im Wert von 40 000 M gehört und betragen die Nachlaßschulden 10 000 M, so trägt die Frau daran 8000, das Gesamtgut 2000. Ob sich die Schulden auf Fahrniß oder Liegenschaften beziehen, kommt nicht in Betracht. Die Vorschrift des § 1556 ist nicht konsequent, folgt aber dem Vorbilde des Code civ. a. 1444. 797 Das französ. R. kennt überhaupt keine fortgesetzte Gütergemeinschaft. Auch in Deutschland scheint die fortgesetzte Fahrnißgemeinschaft kaum ein lebendiges Rechtsinstitut zu sein. Wird sie vereinbart, so finden [recte: sind] die Vorschriften des BGB über fortgesetzte Gütergemeinschaft anwendbar, bedürfen aber der Anpassung an die Besonderheiten des durch die grundsätzliche Ausscheidung der Immobilien beschränkten Gemeinschaftsverhältnisses, die manche Schwierigkeiten bietet. 798 Für den Ehevertrag gelten aber die Erschwerungen des § 1437. Das französ. R. läßt vertragsmäßige Aufhebung nicht zu. 799 Die Aufhebungsklage hat auch der Mann. Anders nach französ. R. Die Frau kann aus gleichen Gründen, wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft auf Aufhebung klagen, also nicht wegen Gefährdung ihres Sonderguts. Anders nach Code civ. a. 1443, vgl. RGer XII Nr. 81. Naef, Das französ. u. bad. R. der Vermögensabsonderung unter Eheleuten, 1886. Konkurs des Mannes und Todeserklärung eines Ehegatten sind hier im Gegensatz zur Errungenschaftsgemeinschaft keine Beendigungsgründe. 800 Vgl. oben § 272 [fehlt]. 801 Nach französ. R., das kein Ehegattenerbrecht kennt, empfängt er nur seine Hälfte.
Viertes Kapitel
Verwandtschaftsrecht1 Erster Titel
Rechtsverhältnisse und Verwandtschaftsrecht überhaupt § 281. Eheliche Abstammung2 I. Bedeutung Die Verwandtschaft, von deren Begriff wir schon bei den Grundverhältnissen des Familienrechts gehandelt haben3, wird durch Abstammung einer Person von einer anderen oder zweier Personen von einer dritten begründet. Damit aber eine vollwirksame Verwandtschaft im Rechtssinne vorliege, muß die Abstammung eine eheliche sein. Darum stellt das BGB Regeln über die Voraussetzungen, den Beweis und die Feststellung der ehelichen Abstammung auf. Diese Regeln gelten immer, wenn der Ehemann der Mutter zur Zeit der Geburt des Kindes oder seines etwaigen früheren Todes ein Deutscher war4, finden aber nur auf Kinder Anwendung, die nach dem 1. Januar 1900 geboren sind5. II. Voraussetzungen Eheliche Abstammung setzt voraus, daß ein Kind von zwei Ehegatten abstammt und während ihrer Ehe geboren oder erzeugt ist6. Das ältere deutsche Recht for1 Opet, Das Verwandtschaftsrecht des BGB, 1899. P. Spahn, Verwandtschaft und Vormundschaft nach dem BGB, 1901, S. 1 – 136. Komm. v. Planck und Staudinger zu BGB §§ 1591 – 1772. Kipp, Verwandtschaft und Schwägerschaft, im Lehrb. des bürg. R. von Enneccerus II 2 Abschn. II §§ 74 – 99. Dernburg IV § 65 ff. 2 Vgl. Roth, DPR II § 152. Stobbe-Lehmann IV § 313, Dernburg § 66. Kipp a. a. O. § 75. Cosack II § 338. Crome IV § 603. 3 Vgl. oben § 226. 4 EG zum BGB a. 18. Ist die Ehe vor der Geburt des Kindes durch Scheidung aufgelöst, so kommt es auf die Staatsangehörigkeit des Mannes im Augenblick der Auflösung der Ehe an. Ist oder war der Ehemann Ausländer, so ist sein Heimatsrecht anzuwenden. 5 RGer LXVI Nr. 58.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
derte Geburt und Zeugung in der Ehe7. Nach heutigem Recht ist das am Tage nach der Hochzeit geborene Kind, das die Mutter vor der Ehe von ihrem nunmehrigen Ehemann empfangen hat, ein eheliches Kind8. Es ist nicht etwa blos, wie für das gemeine Recht überwiegend behauptet und von manchen Gesetzen ausdrücklich bestimmt wurde, durch nachfolgende Ehe legitimiert9. Andererseits genügt Erzeugung in der Ehe. Das vom Ehemann gezeugte, nach seinem Tode von der Ehefrau geborene Kind (das nachgeborene Kind, der Posthumus) wurde von je im deutschen wie im römischen Recht als ehelich anerkannt. Ebenso ist das von der geschiedenen Ehefrau geborene Kind, das sie vor der Auflösung der Ehe vom früheren Ehemann empfangen hat, ehelich geboren10. III. Beweis Sowohl die Geburt durch die Ehefrau wie die Zeugung durch den Ehemann sind im Zweifelfalle beweisbedürftige Tatsachen. Die Geburt ist ein äußerer Vorgang, über dessen Beweis keine besonderen Regeln gelten11. Dagegen ist die Zeugung ein nicht unmittelbar mit den Sinnen wahrnehmbarer Vorgang, der nur unter Würdigung der Lebensverhältnisse wahrscheinlich gemacht werden kann. Es ist verfehlt, die Abstammung eines Kindes von einem bestimmten Vater überhaupt für unbeweisbar zu erklären: Pater semper incertus. Denn wenn auch über sie keine absolute Gewißheit zu gewinnen ist, so läßt sich doch eben eine Wahrscheinlichkeit für sie dartun, die zur Begründung der vom Gesetz geforderten richterlichen Ueberzeugung ausreicht. Darum stellen die Gesetze hinsichtlich der Zeugung durch den Mann feste Beweisregeln auf. Den Ausgangspunkt für diese bildet die auf Grund des römischen Rechts in Uebereinstimmung mit der deutschen Rechtsüberzeugung im gemeinen Recht ausgebildete Rechtsvermutung, daß das in der Ehe gezeugte Kind vom Ehemann gezeugt ist: Pater est quem nuptiae demonstrant12. Diese Vermutung liegt auch den neueren Gesetzen zu Grunde13. Sie wird aber durch ein System weiterer Vermutungen ergänzt und begrenzt, die nicht über6 7
BGB § 15911. Sachsensp. I 36 § 1. Das zu früh geborene Kind kann an seinem Rechte bescholten wer-
den. 8 Die Anschauung, daß die Geburt in rechter Ehe genüge, drang schon im späteren Mittelalter vielfach durch. 9 Vgl. Roth a. a. O. Anm. 20, Stobbe-Lehmann Anm. 7. 10 Nicht dagegen das vom Ehemann nach der Ehescheidung gezeugte Kind, mag auch die Mutter zur Zeit seiner Geburt eine andere Ehe nicht eingegangen haben. 11 So muß der Streit, ob ein Kind untergeschoben oder irrtümlich mit einem von einer anderen Mutter geborenen Kinde verwechselt ist, mit den gewöhnlichen prozessualen Beweismitteln ausgetragen werden. 12 Vgl. Windscheid-Kipp § 56. Stintzing, Jahrb. f. D. IX 416 ff. 13 Bayr. LR I c. 3 § 2 Nr. 9. Preuß. ALR II §§ 1 – 2. Code civ. a. 312, 315. Oesterr. Gb. §§ 138, 155 – 156, 158. Sächs. Gb. §§ 1771 – 1777. Schweiz. ZGB a. 252, 254, 255.
1. Titel: Rechtsverhältnisse und Verwandtschaftsrecht überhaupt
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all gleichmäßig formuliert sind14. Sie zielen in der Hauptsache auf eine Erleichterung des Beweises der ehelichen Abstammung ab. Aber sie ermöglichen nicht etwa erst den Beweis, den die Gerichte auch ohne sie in ähnlicher Weise zulassen müßten, sondern binden ihn nur an formale Voraussetzungen und Schranken. Das BGB stellt im wesentlichen Anschluß an das bisherige Recht zwei verschiedene Rechtsvermutungen auf: 1. Die Beiwohnungsvermutung Die Geburt eines Kindes nach Eingehung der Ehe begründet die Vermutung, daß der Mann der Frau innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt hat15. Als Empfängniszeit gilt der Zeitraum zwischen dem 180ten Tage und dem 302ten Tage vor der Geburt, mit Einschluß der beiden kritischen Tage16. Doch ist nur der früheste der beiden Tage (Anfang des 7ten Monats) absolute, der späteste nur relative Grenze. Es kann festgestellt werden, daß das Kind vor dem 302ten Tage empfangen ist; dann gilt zu Gunsten der Ehelichkeit des Kindes der längere Zeitraum als Empfängniszeit17. Die Beiwohnungsvermutung gilt jedoch nur, soweit die Empfängniszeit in die Zeit der Ehe fällt. Insoweit sie vor die Ehe fällt, gilt die Vermutung nur, wenn der Mann gestorben ist, ohne die Ehelichkeit des Kindes anzufechten18. Lebt er oder hat er angefochten, so muß die Beiwohnung vor der Ehe bewiesen werden. Die Beiwohnungsvermutung ist widerlegbar. Zu ihrer Widerlegung genügt der Nachweis, daß der Mann tatsächlich in der Empfängniszeit der Frau nicht beigewohnt hat. Es kann der Beweis erbracht werden, daß die Beiwohnung unmöglich stattgefunden haben kann, weil der Mann z. B. während des ganzen in Betracht 14 Vgl. Fuchs, Die Rechtsvermutung der ehelichen Vaterschaft nach röm. u. neuerem Recht mit besonderer Berücksichtigung des oesterr. R. Hedemann, Die Vermutung, 1904, S. 246 ff. 15 BGB § 15912. 16 BGB § 15921. Dies entspricht der im gemeinen Recht auf römischrechtlicher Grundlage entwickelten Regel. Vereinzelt begegnen schon in älteren deut. Quellen, z. B. Schwabsp. c. 40, feste Grenzbestimmungen für die Empfängnißzeit, während im Allgemeinen richterliches Ermessen entschied. Die neueren Gesetze setzen durchweg feste Termine fest. Meist stimmen sie mit dem gemeinen Recht überein. Nur das Preuß. LR II, 2 zieht engere Grenzen (zwischen 210 und 302 Tagen, vgl. auch § 19). 17 BGB § 15922. Früher wurde bisweilen überhaupt die Annahme verteidigt, daß im einzelnen Falle der Beweis einer kürzeren oder längeren Dauer der Schwangerschaft (insbesondere durch Sachverständigengutachten mit Rücksicht auf den Reifegrad des Kindes) erbracht werden könne. Im Allgemeinen aber ist die Ansicht durchgedrungen, daß die gesetzlich bestimmten Termine absolute Geltung haben und jeder Gegenbeweis ausgeschlossen ist. Auch das BGB steht auf diesem Standpunkt und macht nur diese Eine Ausnahme, die besonders bei nachgeborenen Kindern praktisch werden kann. 18 BGB § 15912.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
kommenden Zeitraums verreist, interniert, krank oder unfähig zur Vollziehung des Beischlafes war19. Allein ein strikter Beweis der Unmöglichkeit ist nicht erforderlich. Vielmehr kann auch aus den Umständen zu schließen sein, daß der Mann keinen geschlechtlichen Verkehr mit der Frau, die etwa getrennt von ihm offen mit einem Anderen lebt, gepflegt hat. 2. Vaterschaftsvermutung Steht die Beiwohnung des Ehemannes in der Empfängniszeit (durch unwiderlegte Vermutung oder Beweis) fest, so wird vermutet, daß er der Erzeuger des Kindes ist20. Auch diese Vermutung ist widerlegbar. Ihre Widerlegung ist aber stark erschwert, indem sie den Nachweis fordert, daß es den Umständen nach „offenbar unmöglich“ ist, daß die Frau das Kind von dem Manne empfangen hat21. Zur Widerlegung genügt also nicht der Nachweis der Unsicherheit der Vaterschaft, wie er stets erbracht ist, wenn feststeht, daß die Frau in der Empfängniszeit Ehebruch getrieben hat. Aber auch nicht der bloße Nachweis der Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft, wie etwa, wenn außer dem Ehebruch eine auffallende Aehnlichkeit des Kindes mit dem Ehebrecher konstatiert ist. Wohl aber z. B. der Nachweis der Rassenverschiedenheit, wenn etwa der Ehebrecher ein Neger war und das Kind ein Mulatte ist, oder der Nachweis, daß im Augenblick der ersten Beiwohnung des Mannes die Frau schon schwanger war, oder der Nachweis der Zeugungsunfähigkeit des Mannes. Auch der Nachweis, daß es nach dem Reifegrade des Kindes offenbar unmöglich sei, daß es aus der Beiwohnung des Mannes herrührt, ist nicht ausgeschlossen22. Auch in der gemeinrechtlichen Praxis nahm man stets an, daß die Praesumtion Pater est quam nuptiae demonstrant, nicht durch den Nachweis der Unwahrscheinlichkeit, sondern nur durch den Nachweis der Unmöglichkeit der Vaterschaft umgestoßen werden könne23. 19 Ohne Weiteres wird die Beiwohnungsvermutung hinfällig, wenn der Mann in dem Zeitpunkt, für den sie gelten würde, für tot erklärt ist, da sie durch die Todesvermutung überwunden wird. Vgl. RGer LX 196, auch KGer in Rspr. d. OLG XII 298 (das früher anders entschieden hatte). Dazu Neubecker DJZ 1903 S. 101, Olshausen ebd. S. 149, Dernburg Anm. l. 20 BGB § 15911. Die Fassung dieser Bestimmung mit ihrer Definitionsform („das Kind ist ehelich“ wird nachher „ist nicht ehelich“) ist geeignet, irrezuführen. Es handelt sich auch hier nur um eine Vermutung. 21 BGB § 15911 S. 2. 22 So z. B., wenn bereits 6 Monate nach der letzten Beiwohnung des Mannes ein völlig reifes Kind oder 10 Monate nach dem Ende der Ehe ein Siebenmonatskind erscheint. Das Preuß. ALR II, 1 § 21 ließ den Beweis der unehelichen Geburt zu, wenn ein zu früh geborenes Kind nicht mehr bei Lebzeiten des Mannes erzeugt sein kann und die Witwe des verdächtigen Umganges mit anderen Männern überführt werden kann. 23 Eine verkehrte Uebertreibung aber dieser Lehre war es, wenn die Gerichte vielfach den Nachweis der Unmöglichkeit des Beischlafes in der kritischen Zeit verlangten, vgl. z. B.
1. Titel: Rechtsverhältnisse und Verwandtschaftsrecht überhaupt
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3. Es ist möglich, daß die Vermutung auf zwei Väter führte. Dies ist der Fall, wenn eine Frau nach verfrühter Wiederverheiratung ein Kind gebiert, dessen Empfängniszeit zum Teil noch in die frühere Ehe fällt. Dann gilt das Kind, wenn es innerhalb 270 Tagen nach Auflösung der früheren Ehe geboren wird, als Kind des ersten, wenn später, als Kind des zweiten Mannes24. IV. Anfechtung der Ehelichkeit Wenn ein Kind während der Ehe oder innerhalb 302 Tagen nach Auflösung der Ehe geboren ist, kann eine trotzdem nachweisbare Unehelichkeit nach dem BGB regelmäßig nur im Wege der Anfechtung durch den Mann geltend gemacht werden. Nach gemeinem Recht konnte Jedermann, der ein rechtliches Interesse nachwies, die Unehelichkeit des Kindes gerichtlich feststellen lassen, somit auch die Mutter25 oder das Kind selbst26. Schon das Preußische Landrecht aber gewährte grundsätzlich nur dem Manne binnen Jahresfrist nach erlangter Kenntniß von der Geburt des Kindes ein Anfechtungsrecht27. Das BGB schließt sich dem preuß. Recht an und zieht sogar der Anfechtung noch engere Grenzen. 1. Anfechtungsberechtigt ist nur der Mann, nicht das Kind oder ein Dritter. Das Anfechtungsrecht ist höchstpersönlich und kann nicht durch einen Vertreter ausgeübt werden. Der beschränkt geschäftsfähige Mann kann selbständig anfechten. Für den geschäftsunfähigen Mann kann der Vormund mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts anfechten28. Die Anfechtung ist an eine Ausschlußfrist von einem Jahr, seitdem der Mann von der Geburt des Kindes erfahren hat, gebunden29. RGer b. Seuff. XLIII Nr. 255, Obst. LG f. Bayern ebd. XLI Nr. 3. Vielmehr mußte immer der Gegenbeweis genügen, daß der Mann in der ganzen Empfängniszeit der Frau tatsächlich [nicht] beigewohnt hat; denn damit ist zugleich die Unmöglichkeit seiner Vaterschaft bewiesen; vgl. RGer ZS XLI Nr. 44 S. 151 – 161; auch RGer b. Seuff. XXXIX Nr. 783 (ZS XII Nr. 39); OLG Braunschw. b. Seuff. XXXVIII Nr. 205. – Das Schweiz. ZGB a. 254 fordert den Nachweis des Ehemannes, „daß er unmöglich der Vater des Kindes sein könne“. 24 BGB § 1600. Diese Vermutung wirkt wie eine Fiktion. Sie hat ihr Vorbild im Preuß. LR II 1 § 22 u. im Sächs. Gb. § 1779. 25 OLG Oldenb. Seuff. LIV Nr. 23. 26 RGer ZS XVIII Nr. 38. Abweichend OLG Braunschw. Seuff. XLV Nr. 162. 27 Preuß. ALR II 1 §§ 7 ff. Das Obertribunal versagte auch dem Kinde selbst die negative Filiationsklage; Entsch. v. 26. Juni 37 Bd. 2 S. 293; diese Entsch. wurde zwar vielfach angegriffen, ist aber vom RGer ZS XXVI Nr. 58 S. 305 – 308 aufrecht erhalten. 28 BGB § 1595. Hat der gesetzliche Vertreter die Anfechtungsfrist versäumt, so kann der Mann selbst nach Wiedererlangung der Geschäftsfähigkeit selbst gemäß § 206 anfechten, als wenn er ohne gesetzlichen Vertreter gewesen wäre. 29 BGB § 1594. Die Frist läuft nicht, so lange ihr Lauf, wenn sie Verjährungsfrist wäre, nach § 203 oder § 206 gehemmt wäre. Um sie in Lauf zu setzen, muß der Mann eine glaubwürdige Nachricht von der Geburt des Kindes erhalten und auch deren Zeit insoweit erfahren
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
2. Die Anfechtung erfolgt bei Lebzeiten des Kindes durch Erhebung der Anfechtungsklage gegen das Kind. Die Anfechtungsklage ist zugleich Prozeßhandlung und rechtsgeschäftliche Erklärung, gilt aber mit Zurücknahme der Klage auch in letzterer Hinsicht als nicht erfolgt30. Vor der Erledigung des Rechtsstreites kann die Unehelichkeit nicht anderweit geltend gemacht werden31. Es tritt ein besonderes Prozeßverfahren ein32, das dem Verfahren im Eheanfechtungsrecht entspricht33. Auch hier findet Mitwirkung des Staatsanwaltes statt. Das Beweisverfahren ist auch hier auf Ermittlung der materiellen Wahrheit gerichtet: In erheblichem Umfange gilt auch hier das Offizialprinzip 34. Das Urteil hat, sofern es bei Lebzeiten der Parteien rechtskräftig wird, absolute Rechtskraft. Lautet es auf Abweisung, so hat Jedermann die Ehelichkeit des Kindes anzuerkennen. Lautet es auf Unehelichkeitserklärung, so steht die Unehelichkeit für und wider Jedermann fest. Stirbt ein Teil vor Eintritt der Rechtskraft, so ist der Rechtsstreit hinsichtlich der Hauptsache als erledigt anzusehen. 3. Nach dem Tode des Kindes erfolgt die Anfechtung durch öffentlich beglaubigte Erklärung gegenüber dem Nachlaßgericht 35. Ist die Anfechtung wirksam, so kann nunmehr Jedermann die Unehelichkeit des Kindes geltend machen. 4. Das Anfechtungsrecht erlischt nicht nur durch Ablauf der einjährigen Ausschlußfrist, sondern außerdem durch Anerkennung des Kindes als ehelich36. Die Anerkennung ist erst nach der Geburt des Kindes zulässig und muß unbedingt und unbefristet erfolgen. Sie kann nur vom Mann persönlich erklärt werden37. An eine Form ist sie nicht gebunden, kann daher auch stillschweigend (z. B. durch Erziehaben, daß ihm zum Bewußtsein kam, er habe gesetzlich als Vater des Kindes zu gelten. Spätere Zweifel an der Richtigkeit der Nachricht ändern an dem Ablauf der Frist nichts; RGer b. Seuff. LXXIV Nr. 11. 30 BGB § 1596. Das Verhältniß zwischen der materiellrechtlichen und der prozeßrechtlichen Wirkung der Anfechtungsklage ist das gleiche wie bei der Eheanfechtung; vgl. oben 241 VI. 31 Doch ist auf Antrag in einem anderen Rechtsstreit das Verfahren auszusetzen, wenn die Entscheidung davon abhängt, ob das Kind unehelich oder ehelich ist; ZPO §§ 153 – 155. 32 Verfahren in Rechtsstreitigkeiten, welche die Feststellung des Rechtsverhältnisses zwischen Eltern und Kindern zum Gegenstande haben, [sind] in ZPO Buch VI Abschn. II §§ 640 – 643 geregelt. 33 Ueber diesen vgl. oben § 243 II. 34 Auch hier ist die Klagenverbindung beschränkt, eine Widerklage überhaupt unzulässig. Eine Abweisung der Klage kann auch als Versäumnißurteil ausgehen, eine Unehelichkeitserklärung durch Versäumnißurteil ist ausgeschlossen. Der Richter kann das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen usw. 35 BGB § 1597. Das Nachlaßgericht soll die Erklärung den im Falle der Ehelichkeit wie im Falle der Unehelichkeit berufenen Erben des Kindes mitteilen und hat überdies die Einsicht der Erklärung Jedem zu gestatten, der ein rechtliches Interesse glaubhaft macht. 36 BGB § 1598. 37 Der beschränkt geschäftsfähige Mann kann auch hier selbständig handeln. Dagegen ist jede Vertretung des geschäftsunfähigen Mannes hier ausgeschlossen.
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hung des Kindes als eignen Kindes oder Anmeldung zum Standesregister38) erfolgen. Auch ist sie nicht empfangsbedürftig39, kann daher auch in einer Verfügung von Todeswegen erklärt werden. Sie kann noch während des Anfechtungsprozesses stattfinden40. Gleich anderen Willenserklärungen kann die Anerkennung wegen Irrtums, Betruges oder Irrtums angefochten werden41. Doch gilt für eine solche Anfechtung dieselbe Ausschlußfrist wie für die Anfechtung der Ehelichkeit42. Auch erfolgt die Anfechtung des Anerkenntnisses bei Lebzeiten des Kindes nur durch Erhebung einer Anfechtungsklage gegen das Kind, für die alle Regeln der Ehelichkeitsanfechtungsklage und des Ehelichkeitsanfechtungsprozesses gelten43, nach dem Tode des Kindes durch Erklärung gegenüber dem Nachlaßgericht. Unterläßt der Mann die Anfechtung binnen der Ausschlußfrist oder erkennt er das Kind ausdrücklich als das seinige an und schafft dieses Anerkenntniß nicht wieder aus der Welt, so ist jede Feststellung der Unehelichkeit des Kindes ausgeschlossen44. Die Vermutung wird zur Fiktion. Der Mann hat es also in der Hand, den offenkundigen Bastard zu seinem ehelichen Kinde zu machen und dadurch Erbrechte, Pflichtteilsrechte usw. zu schaffen oder zu zerstören oder einzuschränken. Auch wenn er es gegen Schweigegeld tut, wenn er aus Chikane gegen die Erben seine Frau zum Ehebruch verleitet, wenn ein reicher, unfruchtbarer Sohn dies tut und das Kind als das seine anerkennt, um seine Eltern um den Pflichtteil zu bringen, giebt es keine Hilfe. Nur auf den dem Landesrecht vorbehaltenen Gebieten bleiben abweichende Bestimmungen möglich. So sind die selbständigen Anfechtungsrechte der Lehnsund Fideikommißanwärter in Preußen und sonst bestehen geblieben45.
Das OLG Hamb. b. Seuff. LXII Nr. 14 findet darin keine Anerkennung. RGer LVIII Nr. 89 S. 354. 40 Dann gilt aber die Anfechtung als nicht erfolgt. § 15962 S. 2. 41 Wenn die Mutter wahrheitswidrig dem Manne gegenüber den Umgang mit Anderen bestreitet, erblickt darin das RGer noch keine arglistige Täuschung, die ihn zur Anfechtung seines Vaterschaftsanerkenntniß berechtigt; RGer b. Seuff. LXIX Nr. 138, ZS LVIII Nr. 89. Das Anerkenntniß bedeute eben einen Verzicht auf die Geltendmachung der exceptio plurium. 42 BGB § 1599. Auch hier ist der Lauf der Frist nach § 203 und § 206 gehemmt, jedoch im Falle des § 2031 nur bei arglistiger Täuschung oder Drohungen. – Auch die Regeln des § 1595 über Ausschluß der Vertretung finden Anwendung. 43 ZPO § 641 – 643. Beide Anfechtungsklagen können verbunden werden. Die Verbindung ist rätlich, da die Anfechtung der Anerkennung nur diese aus der Welt schafft, nicht aber die Ehelichkeitsvermutung. 44 Auch der Mann selbst kann, wenn er das Kind einmal anerkannt hat, dessen Ehelichkeit nicht mehr anfechten, mag auch nachgewiesener Maßen es unmöglich sein, daß das Kind von ihm stammt; Seuff. LXX Nr. 221. 45 Auf Grund des EG zum BGB a. 59. Vgl. Preuß. AG zum BGB a. 89 1 c. d. – Planck zu § 1593 Bem. 5. Staudinger zu § 1593 Bem. 3. Dernburg § 67 III. 38 39
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§ 282. Wirkungen der Verwandtschaft I. Ueberhaupt Die Verwandtschaft ist ein Rechtsverhältniß, das rechtliche Wirkungen hat. Die wichtigsten Wirkungen sind dem Verwandtschaftsverhältniß zwischen Eltern und Kindern eigentümlich. Darüber hinaus treten allgemeine Wirkungen der Verwandtschaft im öffentlichen Recht hervor: im Staats- und Verwaltungsrecht, im Strafrecht, im Prozeßrecht46. In das Privatrecht greift das Anfechtungsrecht der Gläubiger im Konkurse und außerhalb des Konkurses gegenüber Rechtshandlungen der Schuldner zu Gunsten bestimmter naher Verwandten ein47. Im Uebrigen sind privatrechtliche Wirkungen der Verwandtschaft von allgemeiner Art das gesetzliche Erbrecht und die familienrechtlichen Wirkungen. Letztere gehören zum Teil dem Eherecht und dem Vormundschaftsrecht an. Dazu aber tritt die vom BGB allein an dieser Stelle geregelte gesetzliche Unterhaltspflicht aus Verwandtschaft48. II. Eine Unterhaltspflicht aus Verwandtschaft besteht nach dem BGB unter Verwandten gerader Linie49 Im älteren deutschen Recht war vielfach die im ehemaligen Sippenverbande wurzelnde Anschauung lebendig geblieben, daß Verwandte überhaupt in Notfällen einander Unterstützung schulden und äußerte sich in einer Erstreckung der gegenseitigem Unterhaltspflicht auf Seitenverwandte. Insbesondere geht das Preußische Allgemeine Landrecht von der Auffassung aus, daß die gegenseitige Unterhaltspflicht an sich allgemeine Verwandtenpflicht und Korrelat des Verwandtenerbrechts ist. Es handelt von ihr im dritten Titel des zweiten Teils, der dem im zweiten erledigten Eltern- und Kinderrecht Bestimmungen über die Rechte und Pflichten „der übrigen Mitglieder einer Familie“ anschließt. Hier spricht es zunächst in § 14 den Grundsatz aus, daß Verwandte in auf- und absteigender Linie einander zu ernähren verpflichtet sind, und verweist hierfür auf die im Eltern- und Kinderrecht getroffenen näheren Bestimmungen50. Dann aber legt es in § 15 Geschwistern ersten Grades eine in gleicher Weise erzwingbare Vgl. oben § 226 [fehlt]. Vgl. oben § 226 [fehlt]. 48 Im dritten Titel des Verwandtschaftsrechtes §§ 1601 – 1615. Die Unterhaltsansprüche, die dem in den folgenden Titeln behandelten Eltern- und Kinderrecht angehören, sind hier zum Teil vorweggenommen. 49 BGB § 1601: „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.“ 50 Speziell auf Tit. 2 §§ 251 – 254, die von der nach Beendigung der väterlichen Gewalt fortbestehenden Unterhaltspflicht handeln. 46 47
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Pflicht auf, Geschwistern, die sich selbst zu ernähren ganz unfähig sind, den notdürftigen Unterhalt zu reichen51. Und auch anderen Seitenverwandten schreibt es in der Reihenfolge ihres gesetzlichen Erbfolgerechts eine Verpflichtung, hülflose Familienglieder zu ernähren, zu (§§ 18 – 20). Nur können sie hierzu nie gezwungen werden (§ 22), sondern verlieren nur, wenn sie ihre unvermögenden Verwandten „gegen ihre natürliche Pflicht“ hülflos lassen, ihr gesetzliches Erbrecht (§ 23)52. Das BGB hat jede Unterhaltspflicht aus anderer Verwandtschaft als Verwandtschaft gerader Linie beseitigt. Insbesondere ist daher die preußischrechtliche Unterhaltspflicht der Geschwister weggefallen, was mit der gleichzeitigen Abschaffung ihres Pflichtteilsrechts zusammenhängt. Und zwar ist im Augenblicke des Inkrafttretens des BGB jeder Unterhaltsanspruch von Geschwistern, auch wenn er bereits rechtskräftig festgestellt war, für die Zukunft erloschen53. Indessen bleibt die sittliche Pflicht nach Maßgabe der deutschen Anschauungen bestehen und äußert überall Wirkungen, wo die in Erfüllung einer sittlichen Pflicht oder einer Anstandspflicht gemachten Leistungen oder die behufs Erfüllung einer solchen Pflicht gemachten Schenkungen besonders behandelt werden54. Unter Verwandten gerader Linie dagegen besteht nach dem BGB stets eine gegenseitige Rechtspflicht zur Unterhaltsgewährung, die einen klagbaren Anspruch erzeugt. Darüber hinaus ist im Zweifel, wenn Verwandte gerader Linie einander Unterhalt gewähren, anzunehmen, daß die Absicht fehlt, von dem Empfänger Ersatz zu verlangen55. Die Ersatzansprüche Dritter, die den Unterhalt an Stelle des Verpflichteten gewähren, richten sich nach allgemeinen Grundsätzen, insbesondere nach den Regeln über Geschäftsführung ohne Auftrag. Die Gewährung von Ersatzansprüchen an den Staat und die auf Grund des öffentlichen Rechts zur Gewährung von Unterhalt verpflichteten Anstalten und Verbände wegen der für den Unterhalt gemachten Aufwendungen gegen die unterhaltene Person, sowie gegen diejenigen, die nach den Vorschriften des BGB unterhaltspflichtig waren, ist dem Landesrecht vorbehalten56. 51 Und zwar nach § 16 ohne Unterschied voller oder halber Geburt. Jedoch waren uneheliche und eheliche Kinder derselben Mutter nach Landrecht keine Geschwister und daher auch in der Mark Brandenburg, obschon sie hier kraft gemeinen Rechts als Geschwister galten, nicht unterhaltspflichtig; RGer XXIV Nr. 46. 52 Der Verlust des Erbrechts setzt aber voraus, daß der berufene Erbe ausdrücklich zur Unterhaltsgewährung aufgefordert ist und diese verweigert hat; § 24. Dann tritt an seine Stelle, wer sich eines solchen hülflosen Menschen angenommen hat; §§ 25 – 26. 53 RGer XLVI Nr. 18 S. 65 – 58. 54 Vgl. oben Bd. III 47 – 48 und die in Anm. 161 aufgezählten Gesetzesstellen; BGB § 814 (Ausschluß der condictio indebiti und dazu oben Bd. III 10 ff. Anm. 63; sowie Bd. III 432 ff. über Pflichtschenkungen. 55 BGB § 6852; vgl. oben Bd. III 988. 56 EG zum BGB a. 103. Vgl. den Nachweis landesgesetzlicher Vorschriften bei Planck zu a. 103 Bem. 5, Niederer Bem. 6.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
Die Unterhaltspflicht aus Verwandtschaft ist im BGB einheitlich geregelt. Die Unterhaltspflicht der Eltern gegen das neugeborene Kind und des Enkels gegen den verarmten Großvater erscheint in demselben Rechtsgewande. Allein durch mancherlei Sonderbestimmungen für minderjährige unverheiratete Kinder wird das natürliche Verhältniß wiederhergestellt, wobei nun freilich die Regel zur Ausnahme verkehrt wird57. Die Vorschriften sind zum großen Teil auch auf die Unterhaltspflicht unter Ehegatten anwendbar, dagegen nur zum geringen Teil auf die Unterhaltspflicht aus außerehelicher Vaterschaft. Ueber die räumliche Anwendung der Vorschriften entscheidet das Personalstatut des Verpflichteten. Zeitlich sind die Vorschriften des BGB mit dem 1. Januar 1900 auch für alle bestehenden Verwandtschaftsverhältnisse in Kraft getreten, da es sich um unmittelbare Wirkungen des personenrechtlichen Bandes handelt.
§ 283. Eintritt der Unterhaltspflicht I. Voraussetzungen Die Unterhaltspflicht aus Verwandtschaft ist mit dem Dasein des Verwandtschaftsbandes begründet, tritt aber erst in Wirksamkeit, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Als solche stellen sich Bedürftigkeit des Berechtigten und Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dar. 1. Bedürftigkeit Unterhaltsberechtigt ist nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten58. Das ist jede Person, die weder hinreichendes Vermögen besitzt, aus dem die Kosten ihres Lebensunterhaltes bestritten werden können, noch durch Verwertung ihrer Arbeitskraft sich die Mittel hierzu zu beschaffen vermag59. Vgl. oben § 245 u. § 251. BGB § 16021. Dieser Satz gilt jedoch nicht für die Unterhaltspflicht des Ehemannes, der die Frau standesgemäß unterhalten muß, mag sie bedürftig sein oder nicht; vgl. oben § 245 II 2. Dagegen hat die Frau den Mann nur zu unterhalten, wenn er bedürftig ist; oben § 245 II 3. Auch tritt die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten immer nur bei Bedürftigkeit des anderen Teiles ein; oben § 251 III Anm. 991 u. 992. 59 Vermögen kommt nur in Betracht, soweit es der Verfügung des Berechtigten unterliegt. An sich aber nicht nur die Einkünfte, sondern auch der Vermögensstamm. Die Fähigkeit, durch Arbeit zu erwerben, ist nach den gesamten Lebensverhältnissen des Berechtigten zu beurteilen. So lange ein Kind nur auf Kosten seiner normalen geistigen und körperlichen Ausbildung sich durch eigne Erwerbstätigkeit unterhalten könnte, ist es stets erwerbsunfähig. Erwerbsunfähig ist aber auch, wer nur durch eine mit seinem Stande oder Beruf oder mit seiner sozialen Stellung unvereinbare Arbeit sich selbst unterhalten könnte. Also regelmäßig 57 58
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Ein unverheiratetes minderjähriges Kind gilt jedoch seinen Eltern gegenüber, auch wenn es Vermögen hat, insoweit als bedürftig, als die Einkünfte seines Vermögens und der Ertrag seiner Arbeit zu seinem Unterhalt nicht ausreichen. Es soll also der Stamm seines Vermögens nicht angegriffen werden, um seinen Unterhalt zu bestreiten60. Der Beweis seiner Bedürftigkeit liegt dem Berechtigten ob, der einen Unterhaltsanspruch geltend macht61. 2. Leistungsfähigkeit Der Verpflichtete muß leistungsfähig sein: „Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines standesgemäßen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren“62. Der Verpflichtete kann daher die von ihm verlangte Gewährung des Unterhalts verweigern, sofern er sein Unvermögen nachweist63. Bei der Bemessung der Leistungsfähigkeit kommt sowohl das Vermögen wie die Arbeitskraft in Betracht64. Andererseits mindert sich die Leistungsfähigkeit durch die sonstigen Verpflichtungen, deren Erfüllung zur Zeit ihrer Fälligkeit die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Unterhaltspflichtigen derartig beeinflussen muß, daß nach ihrer Berichtigung ihm nicht mehr die Mittel verbleiben, den eigenen standesgemäßen Unterhalt zugleich mit dem standesgemäßen Unterhalt des Berechtigten zu bestreiten. Besondere Regeln gelten für die Einwirkung des ehelichen Güterrechts auf die Leistungsfähigkeit eines unterhaltspflichtigen Ehegatten. Für die Leistungsfähigkeit einer im gesetzlichen Güterstande lebenden Ehefrau kommt die dem Manne z. B. der Studierende einer deutschen Hochschule oder ein Referendar. Vgl. RGer JWSchr. 1901 S. 480 ff. Hinsichtlich der geschiedenen Frau vgl. oben § 251 Anm. 991. 60 BGB § 16022. Diese Erweiterung des Bedürftigkeitsbegriffs gilt zugunsten aller minderjährigen und unverheirateten Kinder, auch wenn sie nicht dem elterlichen Hausstand angehören, aber nur gegenüber Vater und Mutter, nicht gegenüber entfernteren Voreltern. – Großjährige Kinder, die erwerbsfähig sind, gelten nie als bedürftig; Seuff. L Nr. 180. 61 RG, JWSchr 1904, 295. 62 BGB § 16031. 63 Denn damit hat er dargetan, daß dem Gegner nach ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung ein Klagerecht gegen ihn nicht zusteht. Meist spricht man ungenau von einer „Einrede“ des Notbedarfs; so z. B. Planck zu § 1603 Bem. 2. 64 In Ansehung des Vermögens sind keineswegs nur die Einkünfte, sondern auch das Kapital zu berücksichtigen, soweit nicht die Inangriffnahme des Stammvermögens den standesgemäßen Unterhalt für die Zukunft gefährden würde; RGer JWSchr 1904 S. 206, 295; Werner, DJZ 1910 S. 1015 ff. Ueber Einrechnung von Herausgabeansprüchen aus § 528 gegen beschenkte Söhne, die als Forderungen Vermögensbestandteile sind, vgl. RGer b. Seuff. LXX Nr. 222. Hinsichtlich der Arbeitskraft ist nicht nur der wirkliche Verdienst, sondern auch der mögliche Erwerb, jedoch auch hier nur der den Verhältnissen gemäß dem Pflichtigen billiger Weise zuzumutende Arbeitserwerb für die Leistungsfähigkeit maßgebend; RGer JWSchr 1904 S. 205 ff.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
an ihrem eingebrachten Gut zustehende Verwaltung und Nutznießung nicht in Betracht65. Besteht eine eheliche Gütergemeinschaft, so wird bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Ehegatten ihm das ganze Gesamtgut als eignes Vermögen angerechnet; sind bedürftige Verwandte beider Gatten vorhanden, so ist ihnen der Unterhalt aus dem Gesamtgut so zu gewähren, als bestünde gleiche Verwandtschaft mit beiden Ehegatten66. Ist ein minderjähriges Kind unterhaltspflichtig, so kommt für die Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit die an seinem Vermögen bestehende elterliche Nutznießung nicht in Betracht67. Die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihrem minderjährigen unverheirateten Kinde ist nicht durch Leistungsfähigkeit im technischen Sinne bedingt. Vielmehr müssen die Eltern alle überhaupt vorhandenen verfügbaren Mittel gleichmäßig zu ihrem eignen und ihrer Kinder Unterhalt verwenden und dürfen nicht etwa die Kinder hungern lassen, um selbst standesgemäß zu leben68. Nur dürfen Eltern in solcher Lage auch den Stamm des Vermögens eines Kindes zur Bestreitung seines Unterhaltes angreifen69. Und wenn ein anderer leistungsfähiger Verwandter vorhanden ist, hat er den Unterhalt insoweit zu gewähren, daß die Eltern die Mittel zu standesmäßigem Leben behalten70. 65 BGB § 16031. Die Unterhaltsansprüche der Verwandten der Frau gehen also dem Anspruch des Mannes auf Verwaltung und Nutzung ihres eingebrachten Gutes vor, er muß sich gefallen lassen, daß die Nutzungen und sogar der Stamm des Vermögens zur Deckung des Unterhalts bedürftiger Eltern der Frau oder ihrer Kinder aus früherer Ehe aufgebraucht werden. In dieser Richtung besteht kein Unterschied zwischen Eingebrachtem und Vorbehaltsgut. 66 BGB § 16042 . Somit lag also die Unterhaltspflicht bedürftiger Eltern der Frau während bestehender allgemeiner Gütergemeinschaft dem Gesamtgut ob und verpflichtete den Mann auch persönlich; allein nicht aus Verwandtschaft, sondern akzessorisch für die Zeit des ehegüterrechtlichen Verhältnisses, so daß sie mit dem Tode der Frau beendigt ist; vgl. OLG Hamb. b. Seuff. LIX Nr. 106 S. 193 – 194. Eine Unterhaltspflicht zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern als solchen, wie sie der Code civ. a. 206 – 207 und zwar nicht blos subsidiär, sondern neben der Verpflichtung von Eltern und Kindern (vgl. RGer XXIX Nr. 77) statuiert, ist dem deutschen Recht unbekannt. – Hat Jemand seine Nichte geheiratet, so verwandelt sich ihr Großvater, der Vater ihres Mannes ist, hinsichtlich des Gesamtguts auch ihr gegenüber in einen Vater und geht im Falle der Bedürftigkeit ihrem gleichfalls bedürftigen mütterlichen Großvater nach § 1604 vor. 67 BGB § 1605. Das Kind muß so leisten, als wenn es die Nutzungen selbst bezöge, der Vater oder die Mutter muß den Zugriff dulden, wie nach § 1604 der Mann in das Eingebrachte der unterhaltspflichtigen Frau. Ist das Kind verheiratet, so gilt dies auch für den Unterhaltsanspruch seines Ehegatten aus § 1661. 68 BGB § 16032. Ihre Unterhaltspflicht wird also nur durch tatsächliche Unmöglichkeit der Leistung ausgeschlossen oder doch begrenzt. Diese gesteigerte Unterhaltspflicht besteht auch zu Gunsten der verheiratet gewesenen, aber während der Minderjährigkeit als Witwe ins Elternhaus zurückgekehrten Tochter. 69 BGB § 16032 S. 2, Halbs. 2; Ausnahme von § 1602 Abs. 2 (oben Anm. 60). 70 BGB § 16032 S. 2 Halbs. 1. Es kann dies ein entfernterer Verwandter aufsteigender Linie sein, aber auch der andere Elternteil.
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II. Verhältniß mehrerer Verpflichteten 1. Reihenfolge Unter mehreren Unterhaltspflichtigen besteht eine gesetzliche Reihenfolge der Verpflichtungen. In erster Linie haftet vor den Verwandten eines Bedürftigen dessen Ehegatte71. Dies gilt auch für den früheren Ehegatten, falls er unterhaltspflichtig ist72. Soweit jedoch der Ehegatte leistungsunfähig ist, indem er unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines standesgemäßen Unterhaltes den Unterhalt zu gewähren, haften die Verwandten vor dem Ehegatten73. In zweiter Linie haften die Abkömmlinge vor den Verwandten der aufsteigenden Linie74. Unter mehreren Abkömmlingen bestimmt sich die Unterhaltspflicht nach der gesetzlichen Erbfolgeordnung und dem Verhältnisse der Erbteile75. In dritter Linie haften die Verwandten aufsteigender Linie und zwar die näheren vor den entfernteren, gleich nahe zu gleichen Teilen. Jedoch haftet der Vater vor der Mutter; nur, wenn der Mutter die elterliche Nutznießung am Vermögen des Kindes zusteht, die Mutter vor dem Vater76.
71 BGB § 1608. Der Ehemann hat die Ehefrau standesgemäß zu unterhalten (oben § 245 II 2); versäumt er dies, so kann die Frau sich nur an ihn, nicht etwa an ihre wohlhabenden Eltern halten. Ebenso trifft die Verpflichtung zur Unterhaltung des erwerbsunfähigen Mannes zunächst ausschließlich die Frau (oben § 245 II 3), nicht seine Verwandten. 72 Also für den geschiedenen Ehegatten, der als schuldiger Teil dem ehemaligen Ehegatten Unterhalt zu gewähren hat (oben § 251 III) und den Ehegatten, der im Falle der Anfechtung einer von ihm im Vertrauen auf eine irrtümliche Todeserklärung geschlossenen neuen Ehe dem bisherigen Ehegatten Unterhalt schuldet (oben § 247 Anm. 813). 73 § 1608 Abs. 1 S. 2. Insoweit rückt also der Ehegatte in die Stellung eines Nachverpflichteten ein. 74 BGB § 16061. Also auch z. B. das vermögende Kind einer minderjährigen Tochter vor den Eltern der verarmten Eltern. 75 BGB § 16061 S. 2. Somit haften Enkel von einem verstorbenen Kinde neben den Kindern, Enkel von einem lebenden Kinde erst nach den Kindern, mehrere Enkel immer anteilsweise nach Stämmen. Ein Gesamtschuldverhältniß unter mehreren gleich nahen Abkömmlingen entsteht nicht. 76 BGB § 16062. Unter den entfernteren Voreltern besteht kein Unterschied der Verwandtschaft von Vater- und Mutterseite. Somit haben den Unterhalt eines von den Eltern mittellos hinterlassenen Kindes die noch lebenden Großeltern zu gleichen Teilen zu bestreiten, wenn alle vier leben, je zu ein Viertel, wenn nur drei, je zu ein Drittel, mögen auch ihre gesetzlichen Erbteile (nach § 1926) ungleich sein. Vgl. RGer XC Nr. 56.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
2. Die Stellung des Nachverpflichteten Der Unterhaltspflichtige kann die Leistung des Unterhalts verweigern, wenn ein näherer Verwandter vorhanden ist. Er hat aber den Unterhalt zu gewähren, soweit der näher Verpflichtete nicht leistungsfähig oder die Rechtsverfolgung gegen ihn im Inlande ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist77. Im letzteren Falle geht, soweit er Unterhalt gewährt, der Anspruch des Unterhaltsberechtigten gegen den nicht erreichbaren näher Verpflichteten auf ihn von Rechtswegen über; er kann aber den Uebergang nicht zum Nachteil des Berechtigten geltend machen78. III. Verhältniß mehrerer Berechtigter Unter mehreren bedürftigen Unterhaltsberechtigten besteht, soweit der Verpflichtete nicht allen Unterhalt gewähren kann, eine gesetzliche Rangordnung. Soweit sie gleichen Rang haben, müssen sie teilen. Abkömmlinge gehen den Verwandten aufsteigender Linie vor, unter mehreren Abkömmlingen diejenigen, welche im Falle der gesetzlichen Erbfolge als Erben berufen sein würden, den übrigen Abkömmlingen, über den Verwandten der aufsteigenden Linie die nähere der entfernteren vor79. Der Ehegatte steht den minderjährigen unverheirateten Kindern gleich, geht aber anderen Kindern und den übrigen Verwandten, ein unterhaltsberechtigter früherer Ehegatte volljährigen oder verheirateten Kindern und den übrigen Verwandten vor80. IV. Das Maß des zu gewährenden Unterhaltes Der Unterhalt umfaßt den gesammten Lebensbedarf, somit alles zur Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse Erforderliche einschließlich der ärztlichen 77
BGB § 1607. Im Prozeß ist das eine vom Kläger zu beweisende Replik gegen die Ein-
rede. 78 Während der Vater eines mittellosen Kindes in Afrika weilt, hat ihm der mütterliche Großvater den Unterhalt gewährt. Der Vater kehrt zurück, vermag aber dem Kinde nur 2 / 3 des Unterhalts zu gewähren. Dann kann der Großvater vom Vater zunächst nichts fordern, muß vielmehr weiter 1 / 3 zuschießen. Wenn der Nachverpflichtete wegen Leistungsunfähigkeit des Vorverpflichteten leisten muß, findet der im § 16072 angeordnete Uebergang nicht statt; Seuff. LXII Nr. 53. 79 BGB § 16091. 80 BGB § 16092. Der Urgroßvater muß also hungern, bis die Großmutter satt ist. – Sonderbestimmungen über das Verhältniß zwischen dem Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehegatten und dem eines neuen Ehegatten und unverheirateter minderjähriger Kinder in § 1579 sind schon oben § 251 III erwähnt. Vgl. bes. RGer LXXV Nr. 103. Auch Seuff. LXX Nr. 220.
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Pflege, sowie bei einer der Erziehung bedürftigen Person die Kosten der Erziehung und der Vorbildung zu einem Beruf, des Schulunterrichts, der religiösen Akte. Das Maß aber des Aufwandes, der verlangt werden kann, bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen: ihm muß standesgemäßer Unterhalt gewährt werden81. Den Anspruch auf standesgemäßen Unterhalt verwirkt aber, wer durch eignes sittliches Verschulden (z. B. Spiel oder Trunk) bedürftig geworden ist. Er kann nur den notdürftigen Unterhalt verlangen. Der gleichen Beschränkung unterliegt der Unterhaltsanspruch der Abkömmlinge, der Eltern und des Ehegatten, wenn sie sich einer Verfehlung schuldig machen, die den Unterhaltsverpflichteten berechtigt, ihnen den Pflichtteil zu entziehen; sowie der Unterhaltsanspruch der Großeltern und weiteren Voreltern, wenn ihnen gegenüber die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Kinder berechtigt sind, ihren Eltern den Pflichtteil zu entziehen82. V. Art der Gewährung Der Unterhalt ist grundsätzlich durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren, die vierteljährlich im Voraus zahlbar und mit Beginn des Vierteljahres voll erworben ist. Der Unterhaltspflichtige kann jedoch verlangen, daß ihm die Gewährung in anderer Art gestattet wird, wenn besondere Gründe es rechtfertigen83.
81 BGB § 1611. Die Lebensstellung des Berechtigten bestimmt sich zunächst durch seine Geburt und hängt daher von den gesellschaftlichen Verhältnissen und den Ueberlieferungen der Familie, der er angehört, ab. Handelt es sich daher z. B. um die Standesmäßigkeit des den Kindern heruntergekommener Eltern von Großvätern geschuldeten Unterhalts, so ist die Lebensstellung der ganzen Familie und somit auch der beiden zu gleichen Teilen haftenden wohlhabenden Großväter zu beachten; RGer b. Seuff. LXIX Nr. 216. Hiernach ist vor Allem die Frage zu entscheiden, für welche Berufsvorbildung der Unterhaltspflichtige die Mittel gewähren muß. Daneben aber sind individuelle Eigenschaften, besondere Anlagen, Fähigkeiten und Neigungen zu berücksichtigen. Hat der Unterhaltsberechtigte einmal die Mittel für eine bestimmte Berufsausbildung bewilligt, so darf er die Fortgewährung nicht vor Erreichung des Zieles willkürlich verweigern. Wenn das RGer JWSchr 85 S. 254 unter der Herrschaft des preußischen Landrechts den Einwand eines Vaters, der dem Sohne, der mit seiner Einwilligung die Rechte studiert hatte und Referendar geworden war, den ferneren Unterhalt verweigert, weil dieser nun als Gerichtsschreiber sich selbst den Unterhalt verdienen könne, verworfen hat, so wäre heute ebenso zu entscheiden. Vgl. auch Rspr d. OLG V 184 (Verpflichtung des Vaters, dem Sohn, dem er die Mittel, Medizin zu studieren, gewährt hat, nun auch die Kosten zur Erlangung der Doktorwürde gewähren muß). 82 BGB § 16121 mit § 760. 83 Dann kann also z. B. der Unterhaltspflichtige anstatt einer Geldrente oder zur Ergänzung einer Geldrente Naturalverpflegung in seinem Hausstande oder Unterbringung in einer Verpflegungsanstalt oder in einer Heilanstalt oder einem Krankenhause oder einer Erziehungsanstalt oder Fürsorgeerziehung oder eine den besonderen Umständen des Falles angepasste Verbindung verschiedener derartiger Maßnahmen gewähren. Immer aber trifft ihn die Beweislast, daß besondere Gründe vorliegen, die die Abweichung von der gesetzlichen Regel rechtfertigen. Und der Unterhaltsberechtigte kann auf der Einhaltung der gesetzlichen Regel
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
Ohne Weiteres sind Eltern, die einem unverheirateten Kinde Unterhalt zu gewähren haben, befugt, zu bestimmen, in welcher Art und für welche Zeit im Voraus der Unterhalt gewährt werden soll. Sie können selbstverständlich bestimmen, daß der Säugling statt einer Geldrente die Mutter- oder Ammenbrust bekommt und auch weiter im Hause ernährt und erzogen wird84. Das elterliche Bestimmungsrecht besteht auch volljährigen Kindern gegenüber fort. Leben Kinder aus der Tasche der Eltern behufs ihrer Ausbildung außer dem Hause, so können die Eltern nach ihrem Ermessen bestimmen, zu welchen Terminen die Unterhaltsrente ihnen gezahlt werden, daß also z. B. ein studierender Sohn nur monatlich oder aber umgekehrt semesterweise seinen Wechsel ausgezahlt erhalten soll. Immer aber kann aus besonderem Grunde auf Antrag des Kindes das Vormundschaftsgericht die Bestimmung der Eltern ändern85. Auch das Bestimmungsrecht der Eltern bleibt überdies stets ein Ausnahmerecht, das, wenn die getroffene Bestimmung nicht ausführbar ist, der gesetzlichen Regel gegenüber versagt. So muß der Vater, der dem bedürftigen Kinde den Unterhalt in seinem Hause gewähren will, ihn in Form einer Unterhaltsrente entrichten, wenn ohne Verschulden des Kindes oder seines Pflegers der Vater nicht in der Lage ist, die Rückkehr des Kindes in sein Haus durchzusetzen86. VI. Ansprüche für die Vergangenheit Der Unterhaltsanspruch richtet sich grundsätzlich nur auf die Zukunft. Während aber das gemeine Recht überhaupt keinen Anspruch auf Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung für die Vergangenheit zuließ87, kann nach dem BGB der Berechtigte derartige Ansprüche von der Zeit an erheben, zu welcher der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist88. bestehen, wenn er triftige Gründe vorbringt. – So hat das OLG Braunschw. b. Seuff. LXI Nr. 159 einen Sohn, der die verarmte Mutter ins Haus nehmen wollte, statt ihr die ihm durch Urteil auferlegte Geldrente zu zahlen, mit diesem Verlangen abgewiesen, weil die Mutter, die mit einer erwerbsunfähigen Tochter zusammenlebte, sich nicht von dieser trennen wollte. Vgl. schon für das gem. R. Seuff. XLII Nr. 213. 84 Daß sich dies als Ausnahme von der gesetzlichen Regel darstellt, bleibt ein Schönheitsfehler des BGB. 85 BGB § 16122. Hier ist also das Vormundschaftsgericht unter Umständen auch zur Streitentscheidung zwischen Eltern und gewaltfreien Kindern berufen. 86 Vgl. OLG Hamb. b. Seuff. LXXIII Nr. 138: – Verurteilung des Vaters zur Zahlung der Unterhaltsrente auf die Klage des Pflegers eines 14jährigen Sohnes, den der Vater in seinem Hause unterhalten will, weil der Knabe nicht in der Lage ist, sich frei zu entschliessen, die Frage aber, ob die Mutter ihn mit Recht zurückhält, im Prozeß mit der Mutter zum Austrag gebracht werden muß. Ebenso RGer ZS LIV Nr. 52, sowie b. Seuff. XLVI Nr. 101; RGer Berlin b. Seuff. LIX Nr. 206. Teilweise abweichend OLG Kiel b. Seuff. LXIX Nr. 217. 87 Auch bei Verzug war nach dem Grundsatz „in praeteritum non vivitur“ jede Nachforderung ausgeschlossen; Seuff. LIX Nr. 186.
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VII. Vorrechte Die Unterhaltsansprüche sind privilegiert: 1. Durch Begünstigung der Erfüllung Behufs Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht kann die Erfüllung eines Schenkungsversprechens verweigert, ein Geschenk zurückgefordert, aber auch die Rückgabe verweigert und die Leistung von Schadensersatz aus unverschuldeter unerlaubter Handlung abgelehnt werden89. 2. Durch besondere für Nichterfüllung angedrohte Nachteile, die Ehegatten und Eltern im Eherecht und Eltern im Elternrecht treffen90. 3. Durch Begünstigung der Zwangsvollstreckung. Urteile, die die Verpflichtung zur Zahlung von Alimenten aussprechen, sind auch ohne Antrag für vorläufig vollstreckbar zu erklären91. Insbesondere aber ist für die Beitreibung des Unterhaltes, soweit es sich um die für die Zeit seit Erhebung der Klage und für das letzte diesem Zeitpunkt vorausgehende Vierteljahr kraft Gesetzes zu entrichtenden Beträge handelt, die Pfändung gewisser sonst unpfändbarer Forderungen gestattet92.
§ 284. Veränderung und Beendigung der Unterhaltspflicht I. Veränderung Der Unterhalt ist als familienrechtlicher Anspruch, der kraft zwingender Gesetzesvorschrift aus dem im personenrechtlichen Verwandtschaftsbande wurzelnden dauernden Schuldverhältniß stets neu entspringt, so lange das Verwandtschaftsband besteht, der Aenderung durch Parteiwillkür entzogen. Er ist unübertragbar und folgeweise auch unverpfändbar und unpfändbar93. Auch findet gegen ihn keine Aufrechnung statt94. Nur der Anspruch auf fällige 88 BGB § 1613. So kann der Bedürftige, dem der Unterhaltspflichtige den geschuldeten Unterhalt trotz gehöriger Aufforderung nicht gewährt, den nötigen Kredit finden, um sich die Mittel, deren er für seinen Lebensunterhalt in nächster Zeit bedarf, anderweit zu beschaffen. 89 BGB § 5191, 5281 S. 1, 5292, 829; oben Bd. III 425 Anm. 39, 427, 910. Vgl. auch die Pfändungsbeschränkungen in ZPO § 850 Abs. 1 Z. 3. 90 Vgl. BGB §§ 1418, 1468, 1495, 1542, 1549, 1666. 91 ZPO § 708 Z. 6. 92 Der wegen Körper- oder Gesundheitsverletzung bezogenen Geldrenten, der Pensionen, des Diensteinkommens, auch wenn sie weniger als 1500 Mark jährlich betragen, nach ZPO § 8504, und des Arbeits- und Dienstlohnes nach Lohnbeschlagnahmeges. § 4a. Zu Gunsten der Ansprüche der Kinder fallen auch die Beschränkungen der Pfändbarkeit der Forderungen aus reichsgesetzlicher Zwangsversicherung weg. 93 Vgl. BGB §§ 400, 12742, ZPO § 8501 Z. 2.
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rückständige Leistungen unterliegt, soweit er überhaupt zulässig ist, der freien rechtsgeschäftlichen Verfügung des Berechtigten. Der Unterhaltsanspruch ist aber auch unverzichtbar. Jeder Verzicht auf den Unterhalt für die Zukunft ist nichtig95. Es macht keinen Unterschied, ob der Verzicht unentgeltlich oder gegen Entgelt erfolgt ist. Abfindungsverträge, durch die gegen Empfang eines Kapitals der Unterhaltsberechtigte für immer auf jeden weiteren Anspruch verzichtet, werden hinfällig, sobald der Empfänger des Kapitals nach dessen Verbrauch wieder in Bedürftigkeit verfällt. Vergleiche über die Höhe der zu leistenden Unterhaltsrente sind nicht bindend, wenn sich in Folge veränderter Verhältnisse die Rente als unzureichend herausstellt96. Eine Vorausleistung befreit im Falle erneuter Bedürftigkeit des Berechtigten den Verpflichteten nur für ein Vierteljahr oder, wenn er selbst den Zeitabschnitt zu bestimmen hat, für einen den Umständen nach angemessenen Zeitabschnitt97. Im Konkurse des Verpflichteten können die Unterhaltsansprüche des Familienrechts für die Zukunft nur geltend gemacht werden, soweit der Gemeinschuldner als Erbe des Verpflichteten haftet98. Dagegen ändert sich der Unterhaltsanspruch seinem Inhalt nach kraft gesetzlicher Bestimmung durch den Eintritt oder Wegfall von Voraussetzungen. Er kann ruhen, ins Leben treten und wieder zur Ruhe kommen. Er kann durch Wechsel der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten oder der Bedürftigkeit des Berechtigten schwinden oder wachsen. Er kann aus einem Anspruch auf standesmäßigen Unterhalt sich in einen solchen auf notdürftigen Unterhalt und umgekehrt wandeln99. Solche Aenderungen treten bis zur Feststellung des Unterhaltsanspruchs durch rechtskräftiges Urteil von selbst ein. Ist aber die Verurteilung zu einer bestimmten Leistung erfolgt, so muß, um die der veränderten Rechtslage entsprechende Aenderung des Anspruchsinhaltes zur Geltung zu bringen, im Klagewege eine Abänderung des Urteils verlangt werden, die dann für die Zeit seit Erhebung der Klage wirksam wird. Das Recht zur Anstellung einer Klage auf die Abänderung des Urteils steht sowohl dem Unterhaltsberechtigten wie dem Unterhaltsverpflichteten BGB § 394. Dagegen kann der Gläubiger mit ihm aufrechnen. BGB § 16143. Auf Ansprüche für die Vergangenheit kann verzichtet werden. 96 Dies gilt auch für Prozeßvergleiche. Vgl. RGer b. Seuff. LXXIX Nr. 106, OLG Bamb. b. Seuff. LX Nr. 76. 97 BGB § 16142. Ist der Unterhalt in einer anderen Rente als einer Geldrente zu entrichten, so tritt an Stelle des Vierteljahrs gemäß § 7622 der nach der Beschaffenheit und dem Zweck der Rente maßgebende Zeitabschnitt. Hat der Vater oder die Mutter einem unverheirateten Kinde gegenüber von dem Recht der Bestimmung des Zeitabschnittes Gebrauch gemacht, so wirkt die Vorausleistung für diesen Zeitabschnitt nur dann, wenn derselbe nicht unangemessen bestimmt war, unbedingt befreiend. 98 Konk.O. § 32 mit BGB § 1615 (unten Anm. 101). 99 ZPO § 323. Vgl. meine Abh. über dauernde Schuldverhältnisse im Jahrb. f. D. LXIV 376 Anm. 30. 94 95
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zu. Das Reichsgericht hält daher mit Recht daran fest, daß, wenn der Unterhaltspflichtige zur Gewährung des Unterhalts für die Zukunft verurteilt wird, eine bestimmte Dauer der Verpflichtung im Urteil festzusetzen ist100. II. Beendigung Beendigt wird die Unterhaltspflicht durch den Tod eines Teiles. Nur der Anspruch auf Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung für die Vergangenheit und auch die bereits fälligen Vorausleistungen für die nächste Zukunft richtet sich auch gegen die Erben des Verpflichteten und geht auf die Erben des Berechtigten über101. Andere Beendigungsgründe giebt es nicht. Vereinbarung, Erlaß und die sonstigen Erlöschungsgründe der Schuldverhältnisse sind ausgeschlossen. Auch der Verjährung unterliegt der Unterhaltsanspruch für die Zukunft nicht102. Nur die Ansprüche auf die fälligen Einzelleistungen sind den gewöhnlichen Aufhebungsgründen der Schuldverhältnisse unterworfen103 und verjähren in vier Jahren104. III. Beerdigungspflicht Beim Tode des Unterhaltsberechtigten trifft den Unterhaltspflichtigen eine subsidiäre Beerdigungspflicht105. Sie tritt ein, soweit vom Erben als dem primär Verpflichteten die Bezahlung der Kosten nicht zu erlangen ist. Wer die Beerdigung besorgt hat, kann Ersatz fordern. Die Verpflichtung umfasst die Kosten standesmäßiger Beerdigung, je nach den Umständen auch der Feuerbestattung. Sie ist kein Bestandteil, aber eine Nachwirkung der Unterhaltspflicht.
100 RGer b. Seuff. LXXIII Nr. 15: Werden die Eltern zur Zahlung von Unterhaltsrenten bestimmter Höhe an Kinder verurteilt, so ist die Dauer der Verpflichtung mit Rücksicht auf die Lebensstellung der Kinder und die nach den Lebenserfahrungen vermutlich eintretende Fähigkeit zu selbständigem Erwerbe im Voraus festzusetzen. Zuerkennung auf unbestimmte Zeit würde den Verurteilten nötigen, beim Eintritt der Erwerbsfähigkeit seinerseits auf Wegfall zu klagen und die Beweislast zu übernehmen, die grundsätzlich den Unterhaltsberechtigten trifft. Vgl. oben § 283 Anm. 4. 101 BGB § 16151. 102 BGB § 1942. 103 Erfüllung, Erlaß usw. 104 BGB § 197. 105 BGB § 16152.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
Zweiter Titel
Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern § 285. Wirkungen der ehelichen Kindschaft überhaupt I. Die eheliche Kindschaft Die personenrechtliche Stellung des ehelichen Kindes richtet sich, soweit sie durch die Abstammung bestimmt wird, nach der des ehelichen Vaters. Das Kind teilt den Wohnsitz des Vaters, bis es einen anderen erworben hat106. Es erhält den Familiennamen des Vaters. Nach Landesrecht teilt es auch den Stand des ehelichen Vaters107. Nach öffentlichem Recht teilt es die Staatsangehörigkeit des Vaters108. II. Das familienrechtliche Band zwischen Eltern und ehelichen Kindern ist das engste Blutsband, das es giebt, hat aber nach dem BGB keine anderen lebenslänglichen Wirkungen, als die Verwandtschaft gerader Linie überhaupt. Für eine bestimmte Zeitdauer jedoch hat es spezifische Wirkungen109. 1. Während der Minderjährigkeit steht das Kind unter elterlicher Gewalt. Von dieser ist alsbald besonders zu handeln. Außerdem ist der Lauf einer Verjährung von Ansprüchen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern gehemmt110. 2. Bis zu 21 Jahren bedarf das Kind der elterlichen Einwilligung zur Eingehung einer Ehe111 und zum Abschluß eines Vertrages über Annahme an Kindesstatt112.112a 3. So lange ein Kind dem elterlichen Hausstande angehört, gelten besondere gesetzliche Regeln für seine häuslichen Dienstleistungen, seine Beiträge zu den Kosten des Haushalts und die elterlichen Verwaltungsbefugnisse an dem zur Verwaltung überlassenen Kindesvermögen113. BGB § 11. BGB § 1616. 108 Vgl. oben Bd. I 407. Doch gelten nach der jetzigen V.U. des deutschen Reichs art. 1093 die nach Landesrecht verliehenen Adelsbezeichnungen nur noch als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden. 109 RGer. v. 22. Juli 1913 § 4. Ausnahmen treten nur in dem vom Gesetz vorgesehenen Falle ein. 110 BGB § 264. 111 BGB § 1305; vgl. oben § 232. 112 BGB § 1747; vgl. unten. 112a BGB § 204. 113 Vgl. unten § 286. 106 107
2. Titel: Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern
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4. Bei dem Ausscheiden eines Kindes aus dem elterlichen Hausstande werden besondere Rechtssätze in Ansehung von Ausstattung und Aussteuer wirksam114. III. Feststellung Das Rechtsverhältniß der ehelichen Kindschaft bildet, wenn es bestritten wird, den Gegenstand eines Feststellungsanspruchs. Wird die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens dieses Verhältnisses zwischen den Parteien verlangt, so tritt das besondere Verfahren des Kindschaftsprozesses ein115. Parteien können hier nicht blos der Mann und das Kind, sondern auch die Frau und das Kind sein. Der Mann kann Vaterschaft, das Kind kann Kindschaft, die Frau kann Mutterschaft behaupten oder bestreiten. Der Kindschaftsprozeß ist durch Verweisung auf entsprechende Anwendung bestimmter Vorschriften geregelt, die bei Prozessen in Ehesachen das gewöhnliche Zivilprozeßverfahren abändern. Dabei gelten aber für die Fälle, in denen es sich um die Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes oder der Anerkennung seiner Ehelichkeit seitens des Ehemannes der Mutter durch Erhebung der Anfechtungsklage handelt, besondere Eigentümlichkeiten 116. In allen anderen Fällen liegt kein Anfechtungsprozeß vor, bleiben daher die Besonderheiten des § 641 unbeachtlich. Es versteht sich von selbst, daß, soweit die Ehelichkeit oder Unehelichkeit eines Kindes rechtskräftig feststeht, weil der Ehemann der Mutter sein Anfechtungsrecht verloren oder umgekehrt die Anfechtungsklage siegreich durchgeführt hat, zwischen dem Vater und dem Kinde jeder neue Kindschaftsprozeß ausgeschlossen ist. Es ist aber möglich, daß Jemand ehelicher Vater eines Kindes zu sein behauptet, das seine Ehefrau für das Kind eines Anderen erklärt, oder daß er die Vaterschaft eines Kindes bestreitet, weil dieses untergeschoben oder verwechselt sei. Ebenso kann ein untergeschobenes oder verwechseltes Kind gegen seinen angeblichen Vater auf Feststellung des Nichtbestehens eines Kindesverhältnisses und gegen seinen wirklichen Vater auf Anerkennung seiner ehelichen Kindschaft klagen117. Es ist ferner ein Rechtsstreit darüber möglich, ob ein zurückgekehrter Verschollener mit einem einst von Zigeunern geraubten oder ausgesetzten Kinde identisch ist. Auch kann gestritten werden, ob eine Legitimation oder Annahme an Kindesstatt zu Recht besteht. In allen solchen Fällen findet gleichfalls der Kindschaftsprozeß Vgl. unten § 287. ZPO §§ 640 – 644. 116 Sie ergeben sich aus den Verweisungen in ZPO § 6411 und aus § 6412 (Prozeßfähigkeit des beschränkt geschäftsfähigen Ehegatten und § 6413 (Klagenverbindung nur zwischen den beiden Anfechtungsklagen möglich, Widerklage überhaupt unzulässig); vgl. oben § 281 IV. 117 In § 6402 ZPO ist außerdem verordnet, daß mit den betreffenden Klagen eine Klage anderer Art (abgesehen von der Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der elterlichen Gewalt) nicht verbunden werden und eine Widerklage anderer Art gegen sie nicht erhoben werden kann. 114 115
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statt. Das Verfahren aber bestimmt sich nur nach den gemäß § 640 zu entsprechender Anwendung zu bringenden Vorschriften für das Verfahren in Ehesachen. Immer findet auch hier die Mitwirkung des Staatsanwaltes statt. In erheblichem Umfange tritt auch hier das Offizialprinzip an Stelle der Prozeßleitung der Parteien. Das Beweisverfahren ist auf Ermittlung der materiellen Wahrheit gerichtet. Die Parteien sind zu persönlichem Erscheinen verpflichtet. Ein Versäumnißurteil gegen den Beklagten findet nicht statt. Das Versäumnißurteil gegen den Kläger lautet dahin, das die Klage als zurückgenommen gilt. Das Urteil, das bei Lebzeiten beider Teile rechtskräftig wird, wirkt auch hier für und gegen Alle, jedoch das die eheliche Kindschaft bejahende Urteil gegen einen Dritten, der eheliche Vaterschaft oder Mutterschaft für sich in Anspruch nimmt, nur dann, wenn er am Rechtsstreit Teil genommen hat. Ein Prozeß zwischen anderen Personen, in dem das Kindschaftsverhältniß einen Streitpunkt bildet, folgt den gewöhnlichen Regeln118. Er ist natürlich überhaupt nur möglich, so lange kein mit absoluter Rechtskraft ausgestattetes Urteil vorliegt. Das Urteil aber, das in ihm ergeht, wirkt nur unter den Parteien. IV. Räumliche Geltung Das Rechtsverhältniß zwischen Eltern und ehelichen Kindern bestimmt sich nach dem jeweiligen Personalstatut der Eltern und zwar dem des Vaters; nach seinem Tode aber dem der Mutter. Personalstatut aber ist hier nach deutschem Recht unbedingt das Gesetz der Staatsangehörigkeit119. Das deutsche Recht ist also anwendbar, wenn der Vater oder nach seinem Tode die Mutter deutsch ist; es tritt in Geltung, sobald der ausländische Vater oder die ausländische Mutter die Reichsangehörigkeit erwirbt; es weicht dem ausländischen Recht, wenn die Eltern die Reichsangehörigkeit verlieren. Hiervon aber gilt eine Ausnahme, wenn das Kind die Reichsangehörigkeit behält120.
118 So auch, wenn das Kind selbst die Feststellung des Bestehens ehelicher Kindschaft im Prozeß mit einem Dritten verlangt (z. B. bei einer Klage auf Unterhaltsgewährung gegen den Großvater) oder behauptet (z. B. weil es den angeblichen Großeltern Unterhalt gewähren soll). Oder wenn der Vater oder die Mutter mit einem Dritten prozessiert. – Für einen Prozeß, der die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der unehelichen Vaterschaft zum Gegenstande hat, schließt die ZPO § 644 die Geltung der §§ 640 – 643 ausdrücklich aus. 119 EG zum BGB a. 19. 120 EG a. 19 S. 2. Also entscheidet z. B. zwischen dem ehelichen Kinde und der Mutter, die einen Ausländer heiraten, das deutsche Recht.
2. Titel: Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern
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V. Zeitliche Geltung121 Neue Gesetze über Eltern- und Kinderrecht treten grundsätzlich mangels abweichender Bestimmung sofort in Kraft122. Demgemäß sind alle Bestimmungen des BGB über das Rechtsverhältniß zwischen den Eltern und den ehelichen Kindern seit dem 1. Januar 1900 auch für die vorher geborenen Kinder in Geltung123. Mit diesem Tage verwandelte sich alle frühere väterliche Gewalt in die elterliche Gewalt des BGB, hörte sofort auf, wenn das Kind schon volljährig war, trat als elterliche Gewalt wieder ein, wenn das Kind noch minderjährig war, aber etwa durch Entlassung, Heirat oder Begründung eines eignen Hausstandes gewaltfrei geworden war. Neben dem Vater erlangte sofort die Mutter den ihr im BGB zugeschriebenen Anteil an der elterlichen Gewalt, aber auch an Stelle des Vaters die alleinige elterliche Gewalt. Insbesondere die Witwen über ihre minderjährigen Kinder, während die Vormundschaften erloschen. Und gleichzeitig mit den personenrechtlichen Verhältnissen änderten sich auch die vermögensrechtlichen Folgen des familienrechtlichen Bandes.
§ 286. Hausangehörige Kinder I. Ueberhaupt Das deutsche Recht knüpfte an die Hausgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern die wichtigsten Wirkungen. So lange die Kinder dem elterlichen Hausstande angehören, sind sie der elterlichen Munt unterworfen, mit der Begründung eines eignen Hausstandes werden sie muntfrei. Diese Auffassung gieng ins gemeine Recht über und wirkte auf die Partikularrechte ein. Das BGB hat mit ihr gebrochen. Die elterliche Gewalt endet ohne Rücksicht auf fortbestehende Hausangehörigkeit mit der Volljährigkeit und endet erst mit ihr. Gleichwohl legt das BGB der Hausgemeinschaft gewisse Wirkungen bei, in dem das deutsche Recht nachklingt. Dem ersten Entwurf waren sie nur zum Teil bekannt. Ohne besondere Bestimmung versteht es sich, daß hausangehörige Kinder der Hausordnung unterworfen sind und den Eltern Gehorsam und Ehrerbietung schulden124.
121 Art. 19 befindet sich nicht unter den Artikeln, bei denen art. 27 Rückverweisung vorschreibt. Nach richtiger Ansicht ist daher Rückverweisung hier ausgeschlossen. Die Gerichte neigen aber zu analoger Anwendung. Vgl. Niedener zu a. 27 Bem. 2. 122 Vgl. oben Bd. I 203 Z. 2. 123 EG z. BGB a. 203. 124 Das Schweigen des BGB bedeutet nicht etwa die Abschaffung der natürlichen Unterordnung.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
II. Dienstleistungen Ein dem elterlichen Hausstand angehöriges Kind, das von den Eltern entweder erzogen oder unterhalten wird, ist, mag es mündig oder unmündig sein, verpflichtet, in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in ihrem Hauswesen und Geschäft unentgeltlich Dienste zu leisten125. Zur Lebensstellung gehört auch das Geschlecht. Die Tochter muß andere Dienste leisten als der Sohn. Für weitergehende Dienste kann das Kind Entgelt verlangen. Ebenso auf Grund ausdrücklicher Vereinbarung126. III. Beiträge Wenn ein volljähriges Kind, das dem elterlichen Hausstande angehört, Beiträge aus seinem Vermögen zur Bestreitung der Haushaltungskosten leistet, so ist im Zweifel anzunehmen, es wolle Ersatzansprüche nicht erwerben.127 So, wenn es außerhäuslichen Arbeitserwerb abliefert oder Aufwendungen aus seinem Vermögen macht oder etwas aus seinem Vermögen den Eltern zu Zwecken des Haushaltes überläßt. Auf Beihilfe zum Geschäftsbetrieb der Eltern erstreckt sich diese Vermutung nicht. IV. Vermögensverwaltung Wenn ein volljähriges hausangehöriges Kind dem Vater oder der Mutter die Verwaltung seines Vermögens überläßt, hat der Vater oder die Mutter das Recht freier Verwendung der Einkünfte. Nur müssen aus den Einkünften zunächst die Verwaltungskosten bestritten und die ordnungsmäßig aus ihnen zu bestreitenden Verpflichtungen des Kindes erfüllt werden. Den Ueberschuß der während der Verwaltung bezogenen Einkünfte können Vater oder Mutter nach freiem Ermessen verwenden. Doch kann das Kind jederzeit Anderes bestimmen und stets sein Vermögen herausfordern128. BGB § 1617. Dies bestreitet Opet S. 132. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Sohn, ohne aus dem elterlichen Hausstande zu scheiden, einen Anstellungsvertrag als Handlungsgehilfe im väterlichen Geschäft schließt. Wird dagegen für die in Erfüllung der Kindespflichten geleisteten Dienste Entlohnung gewährt, so ist dies Schenkung; so schon für das gem. R. RGer IV Nr. 33 (Seuff. XXXVII Nr. 24). 127 BGB § 1618. 128 BGB § 1619. Man nehme an, daß eine Tochter nach der Feier ihres 21ten Geburtstages im Hause bleibt; sie hat eignes Vermögen, an dem nun die elterliche Nutznießung erlischt, sie läßt aber Alles beim Alten. Mit 30 Jahren heiratet sie und bekommt ihr Vermögen heraus. Sie stirbt im ersten Wochenbett. Der Schwiegersohn könnte nun, wenn Entw. I Gesetz geworden wäre, für sich und das Kind gegen den Vater klagen: lege Rechnung wegen der Einkünfte während 9 Jahren und gieb heraus, was sie mehr betragen, als Dich der Unterhalt der Tochter kostete. Das ist nach § 1619 zum Glück nicht mehr möglich. 125 126
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§ 287. Ausstattung und Aussteuer129 I. Ueberhaupt Alter deutscher Sitte entspricht es, daß das Kind, wenn es aus dem Elternhause scheidet, eine Ausstattung aus dem elterlichen Vermögen empfängt. – Die heiratende Tochter erhält eine Aussteuer130. Aber auch der Sohn, der sich selbständig machen will, empfängt eine Ausreichung (subsidium paternum) als Grundlage für seinen selbständigen Erwerb und eine abgesonderte Wirtschaft (bei gelehrten Berufsarten ersetzt durch die Studienkosten). Zum Teil gewähren die Quellen ein festes Recht auf Ausstattung131, woran neuere Gesetze festgehalten haben132. Ganz allgemein wurde, wie schon erwähnt ist, bei fortgesetzter Hausgemeinschaft (insbesondere fortgesetzter Gütergemeinschaft) ein solches Recht gegenüber dem überlebenden Ehegatten anerkannt133. Die Ausstattung mußte stets bei der Erbteilung zur Ausgleichung gebracht werden. Nach manchen Rechten galt sie im Zweifel als Abfindung vom Erbe, regelmäßig aber galt das nur, wenn sie mit einem Erbverzicht verbunden war. Das BGB unterscheidet Ausstattung und Aussteuer. Ausstattung ist der weitere Begriff134. Sie umfaßt alles, was einem Kinde mit Rücksicht auf seine Verheiratung oder auf die Erlangung einer selbständigen Lebensstellung oder zur Erhaltung der Wirtschaft oder der Lebensstellung von dem Vater oder der Mutter zugewendet wird. Sie kann einem Sohn oder einer Tochter, einem minderjährigen oder volljährigen hausangehörigen oder schon selbständigen Kinde gewährt werden. Den Gegenstand kann unbewegliches oder bewegliches Gut, eine Geldsumme, ein nutzbares Recht oder irgend ein anderer Vermögensgegenstand bilden. Aussteuer ist eine Unterart der Ausstattung. Sie wird der Tochter mit Rücksicht auf ihre Verheiratung gewährt, ist zur Einrichtung des Haushaltes bestimmt und umfaßt nur Fahrnißstücke135. 129 BGB §§ 1620 – 1625. Komm. v. Planck-Staudinger-Dernburg § 72, Kipp § 77. Crome § 605 Z. 3 – 4. Endemann § 136. Cosack § [ . . . ]. – Neubecker, Wesen des Mitgiftversprechens 1909. Die Mitgift in rechtsvergleichender Darstellung, 1909, s. oben § 265 II. 130 Oben § 265 II. 131 Schwabensp. c.159. 132 Württ. LR IV 13 § 1. Bayr. LR I, 6 § 13 Nr. 4 – 7, § 14 Nr. 2. Seuff. XXXVI Nr. 42. Preuß. ALR II, 2 §§ 232, 233. Oesterr. Gb. §§ 1220, 1231. 133 Vgl. oben §§ 273, 275. 134 BGB § 1624. 135 So nicht nur Eigentum und dingliches Recht, sondern auch ein persönliches Nutzungsrecht an einem Grundstück (Besitz und Fruchtbezug), das der Vater durch mündliches Versprechen bindend begründen kann; RGer b. Seuff. LXXIV Nr. 69. Oder eine Rente; dann muß aber das Rentenversprechen, um klagbar zu werden, nach der freilich nicht unbedenklichen Annahme des RGer Z. S. LXIII Nr. 80 schriftlich erteilt sein.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
II. Ausstattung Auf die Gewährung einer Ausstattung besteht nach dem BGB kein Rechtsanspruch. Allein, wenn der Vater oder die Mutter dem Kinde eine Ausstattung gewährt, die nicht das den Umständen, insbesondere den Vermögensverhältnissen der Eltern entsprechende Maß überschreitet, erblickt das BGB in der Gewährung insoweit die Erfüllung einer Art natürlicher, in der Sitte und den sittlichen Anschauungen begründeter Verbindlichkeit und spricht ihr daher den Charakter einer Schenkung ab. Nur hinsichtlich der Gewährleistung für Mängel im Recht oder Fehler der Sache gilt Schenkungsrecht136. Im Uebrigen sind die Vorschriften über Schenkung von der Anwendung ausgeschlossen. Der Ausstattungszweck gilt also als eine die unentgeltliche Hingabe von Vermögenswert hinreichend befestigende causa, so daß die bei der Handschenkung dem Geber vorbehaltene Rückforderungsbefugniß wegen Armut aus § 528 ff. und das Widerrufsrecht wegen groben Undanks aus § 530 ff. nicht Platz greift, und das formlose Ausstattungsversprechen einen klagbaren Anspruch erzeugt137. Der Ausgestattete erlangt über die ihm gemachte Zuwendung freie Verfügung, er kann die ihm übertragenen Vermögensgegenstände mangels abweichender Bestimmung beliebig veräußern und das erworbene Forderungsrecht auf eine Geldleistung verpfänden oder abtreten138. Ist die Ausstattung übermäßig, so kommt es darauf an, ob die begrifflichen Merkmale der Schenkung erfüllt sind. Ist dies der Fall, so findet das volle Schenkungsrecht Anwendung. Keineswegs aber ist ohne Weiteres jede übermäßige Ausstattung als Schenkung zu behandeln139. Der Vater oder die Mutter können auch dem vermögenden Kinde eine Ausstattung gewähren. Haben sie aber eignes Vermögen des Kindes in elterlicher oder vormundschaftlicher Verwaltung, so ist im Zweifel anzunehmen, die Ausstattung sei aus diesem Vermögen gewährt139a.
136 An sich nur Haushaltsgegenstände. Aber unter Umständen (z. B. bei Verfeindung) kann der Anspruch auf Geld gerichtet werden. Vgl. RGer b. Seuff. LXII Nr. 60. Auch kann die Tochter, wenn sie in Folge der Weigerung des Aussteuerpflichtigen sich selbst die Aussteuer in natura beschafft hat, Geld als Schadensersatz verlangen. 137 BGB § 16242. Der Ausstattende haftet also nur aus Arglist oder grober Fahrlässigkeit im Rahmen der §§ 523 – 524; vgl. oben Bd. III 426. 138 Gegen Mißbrauch dieser Verfügungsfreiheit haben die Eltern kein gesetzliches Schutzmittel. Ein leichtsinnig vom Vater oder der Mutter gegebenes Ausstattungsversprechen kann also von dem Gläubiger des verschuldeten Kindes ausgebeutet werden. 139 Vgl. RGer b. Seuff. LXXIV Nr. 69, LXII Nr. 61 S. 170. Die elterliche Bestimmung, daß die Mitgift Vorbehaltsgut werden soll, ist stets wirksam; RGer Z. S. LXXX Nr. 50. 139a BGB § 1625. Dieselbe Vermutung stellt das Preuß. ALR II, 2 § 245 auf. Haben die Kinder kein eigentümliches Vermögen, so spricht die Vermutung nach § 246 für die Herkunft aus dem Vermögen des Vaters, wenn aber dieser nicht mehr am Leben ist, nach § 247 für die Herkunft aus dem Vermögen der Mutter, nur bei allgemeiner Gütergemeinschaft nach § 248 stets für die Herkunft aus dem gemeinschaftlichen Vermögen.
2. Titel: Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern
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Was ein Kind aus elterlichem Vermögen als Ausstattung empfangen hat, hat es, wenn es als gesetzlicher Erbe zur Erbfolge in das Vermögen des Zuwenders gelangt, bei der Auseinandersetzung mit den Miterben zur Ausgleichung einzuwerfen, soweit nicht der Erblasser bei der Zuwendung ein Anderes bestimmt hat140. III. Aussteuer Auf eine Aussteuer gewährt das BGB der heiratenden Tochter ein klagbares gesetzliches Recht. Dies entspricht dem älteren deutschen Recht141, wurde vielfach für gemeines Gewohnheitsrecht gehalten142 und in der neueren Gesetzgebung oft ausdrücklich bestimmt143. Auch das Preußische Landrecht gewährt der heiratenden Tochter nicht nur ein festes Recht auf eine angemessene Aussteuer, sondern auch einen Anspruch auf gerichtliche Mitwirkung (den „Beistand des Vormundschaftsrichters“) zur Feststellung des ihr gebührenden Betrages und zur Ueberwindung einer unbegründeten Weigerung der Eltern, läßt aber darüber keinen Prozeß zu und versagt gerichtliche Zwangsvollstreckung144. Dagegen verleiht das BGB dem Anspruch auf Aussteuer vollen Rechtscharakter und führt so einen scharfen Gegensatz zwischen der Aussteuer der Tochter und jeder anderen Ausstattung sei es der Tochter oder eines Sohnes durch. Die elterliche Aussteuerpflicht ist gleich der elterlichen Unterhaltspflicht durch Bedürftigkeit der Tochter und Leistungsfähigkeit des Verpflichteten bedingt. Hat die Tochter hinreichendes eignes Vermögen, so hat sie ihre Aussteuer selbst zu beschaffen145.
BGB § 2050. Vgl. oben § 265 II. 142 In Anlehnung an die römische Dotationspflicht, die man als gemeinrechtlich erachtete. 143 So im Württemb. LR IV 3 § 1. Ueber die rechtliche Natur des hier gewährten Rechtes auf Bestellung eines Heiratsguts vgl. OLG Stuttg. b. Seuff. XXXVI Nr. 48. Das Recht beruht auf deutschem Familiengüterrecht und ist wesensverschieden von dem römischen Recht auf Dosbestellung. Bei Lösung der Ehe durch den Tod ist von einer Restitution nicht die Rede. Vielmehr ist, wenn es noch nicht erfüllt ist, der Anspruch vererblich auf den überlebenden Ehegatten und die Kinder. – Als ein erweiterter deutschrechtlicher Anspruch auf Aussteuer stellt sich auch trotz römischrechtlicher Einwirkung der vom Oesterr. Gb. § 1226 gewährte klagbare Anspruch auf ein angemessenes Heiratsgut dar, das Eltern oder Großeltern den Töchtern oder Enkelinnen nach Verhältniß ihrer Unterhaltspflicht schulden. Vgl. ferner Bayr. LR I, 6 § 13 Nr. 4 – 7. – Sächs. Gb. §§ 1661 – 1666. Einen klagbaren Aussteueranspruch kannten auch viele schweizerische Kantonalrechte, vgl. Huber, Schweiz. PR I 431 ff., während das Zivilgesetzbuch die Anerkennung jedes Anspruchs auf Ausstattung oder Aussteuer abgelehnt hat und über beide Institute völlig schweigt; ausdrücklich verneint der Code civ. a. 204 jede Rechtspflicht zu Ausstattung oder Aussteuer. 144 Preuß. ALR II, 2 §§ 233, 235 – 239, 240 – 241. 145 BGB § 1620. Auch den Vermögensstamm muß sie dazu angreifen. 140 141
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
Die Verpflichtung trifft in erster Linie den ehelichen Vater, subsidiär die Mutter. Die Verpflichtung der Mutter tritt ein, wenn der Vater gestorben ist oder leistungsunfähig ist, weil er die Aussteuer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen nicht ohne Gefährdung seines standesgemäßen Unterhalts zu gewähren vermag oder wenn die Rechtsverfolgung gegen ihn im Inlande ausgeschlossen oder wesentlich erschwert ist146. Aussteuerpflichtig ist auch die uneheliche Mutter. Auch die Mutter aber ist stets nur aussteuerpflichtig, wenn und soweit sie leistungsfähig ist147. Die Aussteuerpflicht geht auf eine angemessene Aussteuer. Die Angemessenheit bestimmt sich nach den Lebensverhältnissen des Aussteuerpflichtigen, nicht etwa des Schwiegersohnes148. Der Anspruch auf Aussteuer entsteht für die Tochter erst mit ihrer Verheiratung. Sie kann aber schon vorher eine Klage auf Feststellung der Aussteuerpflicht anstellen149. Der Aussteueranspruch ist höchstpersönlich. Nur die Tochter, nicht auch der Bräutigam kann ihn erheben. Inwieweit aber nach vollzogener Heirat der Ehemann zur Geltendmachung des Anspruchs legitimiert ist, bestimmt sich nach ehelichem Güterrecht150. Wegen seiner höchstpersönlichen Natur ist der Aussteueranspruch unübertragbar und somit auch unverpfändbar und unpfändbar, sowie der Aufrechnung entzogen151. Dagegen ist er vererblich. Auch ist er im Gegensatz zu anderen familienrechtlichen Ansprüchen verjährbar; er verjährt in einem Jahr seit Eingehung der Ehe152. Der Anspruch erlischt ferner durch einmalige Gewährung einer Aussteuer seitens des Vaters oder der Mutter. Geht die Tochter eine neue Ehe ein, so kann sie keine neue Aussteuer verlangen153. BGB § 16201 und2 (Verweisung auf § 16072). 147 Dabei kommt für die Einschätzung ihrer Leistungsfähigkeit so wenig wie für die Unterhaltspflicht die ehemännliche Verwaltung und Nutznießung am Frauengut in Betracht, und wird bei gütergemeinschaftlichen Ehen ebenso wie für die Unterhaltspflicht das Gesamtgut ihr voll angerechnet. Gemäß der Verweisung auf § 1604 in § 16202. 148 Die einen Fürsten heiratende Tänzerin kann von ihrem Vater, der ein wohlhabender Schneidermeister ist, keine fürstliche Ausstattung fordern, sondern nur, was nach den Verhältnissen des bürgerlichen Mittelstandes zur Einrichtung eines geordneten Hausstandes gehört. 149 RGer in JWSchr 1901 S. 597, 1904 S. 380 Nr. 17. Je nach den Umständen auch Klage auf künftige Leistung nach ZPO § 259; RGer Z. S. XLIX 370 ff., LVIII Nr. 34 S. 139 ff., JWSchr 1909 S. 393 Nr. 10. A.M. Rspr. d. OLG II 441 ff., v. Blume zu § 1620 Bem. 5a. 150 Bei gesetzlichem Güterstande gehört der Anspruch auf Aussteuer zum eingebrachten Gut der Frau, kann daher vom Ehemann kraft seines Verwaltungsrechts selbständig geltend gemacht werden; Seuff. LXIV Nr. 9; Rspr. OLG III 105. 151 BGB § 1623. Ein Verzicht ist nicht ausgeschlossen. 152 BGB § 1623 S. 2. Die Verjährung ist jedoch während der Minderjährigkeit der Tochter gehemmt; oben § 285 II 1. 146
2. Titel: Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern
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Aus zwei Gründen können der Vater und die Mutter die Aussteuer verweigern154. Erstens, wenn die Tochter sich ohne die erforderliche elterliche Einwilligung verheiratet. Ist sie dagegen über 21 Jahre alt, so kann sie die Aussteuer fordern, wen immer sie heiraten mag. Dies auch dann, wenn sie früher ohne die erforderliche Einwilligung geheiratet hat. Zweitens, wenn die Tochter sich einer Verfehlung schuldig gemacht hat, die den Verpflichteten berechtigt, ihr den Pflichtteil zu entziehen155. IV. Mitgiftversprechen Das heutige deutsche Recht kennt außer dem Aussteueranspruch der Tochter keinen gesetzlichen Ausstattungsanspruch156. Vertragsmäßig aber kann sich auch eine andere Person als der Vater oder die Mutter zur Gewährung einer Ausstattung und insbesondere auch einer Aussteuer verpflichten. Auf ein solches Versprechen, das als Mitgiftversprechen bezeichnet zu werden pflegt, finden die familienrechtlichen Sätze über Ausstattung und Aussteuer keine Anwendung. Das BGB enthält über dasselbe überhaupt keine besonderen Bestimmungen. Das Preußische ALR und andere Partikularrechte stellten einzelne Regeln über das Mitgiftversprechen Dritter auf157. Im Bereiche des BGB entscheiden lediglich die allgemeinen Rechts153 BGB § 1622. Auch wenn die für die frühere Ehe gewährte Aussteuer verloren gegangen ist. War aber die Aussteuer für die frühere Ehe nicht von den Eltern, sondern z. B. von den Großeltern gewährt, so kann die Tochter für eine neue Ehe eine Ausstattung von den Eltern fordern. 154 BGB § 1621. Es sind dies zerstörliche Einreden. Die Beweislast trifft den Verpflichteten. 155 Die in Betracht kommenden Verfehlungen sind in § 2333 BGB aufgezählt. Es ist möglich, daß entweder nur der Vater oder nur die Mutter die Einrede hat (z. B. im Falle des § 2333 Nr. 4 oder auch im Falle des § 2333 Nr. 5, wenn die Tochter den ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel wider den Willen des einen und mit Zustimmung des anderen führt. Der Verpflichtete, der die Aussteuer wegen unsittlichen Lebenswandels der Tochter weigert, muß nachweisen, daß der unsittliche Lebenswandel zur Zeit der Eheschließung noch fortdauert; RGer Z. S. LXXVII Nr. 47 S. 162 ff., RGer b. Seuff. LXXI Nr. 211. 156 Anders das Oesterr. R. (oben Anm. 143), das die Verpflichtung zur Gewährung eines Heiratsguts auf Großeltern ausdehnt, womit ältere Partikularrechte im Anschluß an das römische Recht übereinstimmen. 157 Preuß.ALR I, 11 §§ 1046 – 1057 u. über Schenkungsverträge, die den lästigen gleich zu achten sind. Dahin gehört nach § 1048 auch, wenn ein Fremder unter der Bedingung oder zum Zwecke einer zu schließenden Ehe einem oder dem anderen der künftigen Eheleute in rechtsgültiger Form versprochen hat. Was aber nur bei Gelegenheit einer Eheverbindung versprochen worden, hat, wenn dabei eine bloße Freigebigkeit zu Grunde liegt, nach § 1447 die Natur einer Schenkung. Im Falle des § 1448 genügt die allgemeine Vertragsform, ist also nur wegen des Wertes des Gegenstandes über 150 Taler oder der besonderen Beschaffenheit Schriftform erforderlich. Im Einzelnen herrschte über die Auslegung des preußischen Rechtes viel Streit. Vgl. darüber Neubecker, Wesen des Mitgiftversprechens, S. 21 – 23, Die
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
grundsätze. Auch im außerdeutschen Recht gelten in dieser Materie nur in wenigen Punkten feste Sätze des Gesetzes- oder Gewohnheitsrechts. Im Uebrigen bekämpfen sich in der Theorie wie in der Rechtsprechung grundsätzlich abweichende Meinungen158. Insbesondere wird gestritten, ob und inwieweit die Mitgiftversprechen nach Schenkungsrecht zu beurteilen oder dem gewöhnlichen Vertragsrecht zu unterwerfen sind. Mitgiftversprechen können von Verwandten oder sonstigen durch persönliche Beziehungen mit einem der Eheschließenden verbundene Personen, wie z. B. Pflegeeltern oder Wohltäter oder auch einem Verein oder einer Anstalt abgegeben, Versprechensempfänger können der eine oder der andere der Eheschließenden oder beide zusammen sein159. Dem Gegenstand nach kann sich das Mitgiftsversprechen auf Alles richten, was zu einer Ausstattung gehören kann. Es kann insbesondere ein eigentliches Aussteuerversprechen im Sinne des BGB einschließen160, es kann aber auch vornehmlich oder ausschließlich auf ein Grundstück abzielen, das die Grundlage des neuen Hauswesens bilden soll161; es lautet endlich oft auf eine feste Geldsumme162. Regelmäßig wird es vor der Eingehung, der Ehe, deren Beförderung es bezweckt, abgegeben und angenommen, soll aber erst erfüllt werden, wenn die Ehe zu Stande kommt163. Das Mitgiftversprechen kann sich nach dem aus den Umständen erhellenden Parteiwillen als reine Schenkung charakterisieren 164. Dann bedarf es, um klagbar zu sein, der gerichtlichen oder notariellen Form und unterliegt auch, wenn es formgerecht erteilt oder erfüllt ist, den gewöhnlichen Widerrufsgründen des Schenkungsrechts165. Mitgift S. 180 ff.; Plenarbeschluß des Obertrib. v. 7. Nov. 1845 (auch bei Neubecker a. a. O. S. 184 ff. abgedruckt). RGer Z. S. XVII 252 ff. 158 Am eingehendsten handelt davon Neubecker in den beiden oben Anm. 129 angeführten Schriften. Vgl. ferner Dernburg § 72 Anm. 13, Kipp § 77 III, Heymann, Jahrb. f. D. LVI 99 ff., v. Seeler, Glossen zur Praxis des Reichsgerichts, 1908, S. 52 ff., Oertmann, Schuldr. Vorbem. vor § 516 c 13. 159 Es ist möglich, daß der Schwiegersohn sich von den Eltern die Leistung der Mitgift an die Tochter als Dritte ausbedingt, so daß nur sie ein Klagerecht erlangen soll. Regelmäßig aber wird die Absicht auf Erwerb eines gemeinschaftlichen Forderungsrechtes gerichtet sein, das jeder der beiden Ehegatten für das Ehepaar geltend machen kann. 160 Wird ein solches Versprechen vom Vater abgegeben, obschon ihn nach Lage der Sache eine gesetzliche Aussteuerpflicht nicht trifft, so kann es ihn trotzdem binden. Ob dies der Fall ist, entscheidet sich nach gleichen Grundsätzen, wie bei dem auf Aussteuer gerichteten Mitgiftversprechen eines Dritten, vgl. OLG Braunschw. b. Seuff. LXIV Nr. 9. 161 So namentlich, wenn sich das Versprechen mit der Hingabe eines Ansiedlungsgutes verbindet. Soll innere Kolonisation erfolgreich durchgeführt werden, so muß im Bedürfnißfalle auch für eine hinreichende Ausstattung des anzusiedelnden jungen Paares gesorgt werden. Zur Ansiedlungspolitik gehört auch Ausstattungspolitik. 162 Oft wird auch nur der Mindestbetrag des Geldwertes festgesetzt, den die Mitgift haben soll. 163 Es erscheint insofern zugleich als ein bedingtes Versprechen. 164 Für eine derartige Auslegung des Parteiwillens kann namentlich auch eine übermäßige Höhe der versprochenen Mitgift ins Gewicht fallen.
2. Titel: Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern
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Allein regelmäßig hat es vielmehr die Natur eines Versprechens einer Leistung gegen Gegenleistung und begründet daher einen lästigen Vertrag, der keiner Form bedarf, um zu binden, und sobald die Ehe geschlossen ist, keinem Widerruf unterliegt. Die Eheschließung erscheint als eine mit der Uebernahme pekuniärer Lasten verbundene Leistung, an deren Bewirkung der Mitgiftversprechende ein eignes, wenngleich nur ideales Interesse nimmt und die er daher als Gegenleistung wertet. Es ist die Verursachung oder doch Mitverursachung der Eheschließung, die der Zuwender der Mitgift bei dem von ihm gebrachten Vermögensopfer im Auge hat. Auf diesen Standpunkt haben sich bei der Entscheidung der einzelnen Fälle mehr und mehr, obschon nicht ohne Schwankungen166 die Gerichte und namentlich auch das Reichsgericht gestellt167.
§ 288. Elterliche Gewalt I. Begriff Das BGB versteht unter elterlicher Gewalt die den Eltern kraft des Gesetzes zustehende Gewalt über das minderjährige eheliche Kind. Das Subjekt der elterlichen Gewalt sind an sich beide Eltern in ihrer Verbundenheit, nach dem Tode eines von ihnen aber der Vater allein oder die Mutter allein. Mit der Zuständigkeit aber deckt sich nicht die Ausübung. Zur Ausübung des gemeinschaftlichen Elternrechtes ist zunächst der Vater berufen, während der Mutter nur ein Anteil an der Ausübung zusteht. Dieser Begriff der elterlichen Gewalt ist an Stelle des römischen Begriffes der väterlichen Gewalt getreten, mit dem das BGB vollkommen gebrochen hat. Die väterliche Gewalt ist ein Recht, das ausschließlich dem Vater oder, wenn dieser selbst unter väterlicher Gewalt steht, dem Großvater oder Urgroßvater zusteht, während die Mutter an ihr weder der Substanz noch der Ausübung nach beteiligt ist. Vgl. KGer Berlin b. Seuff. LIX Nr. 76, RGer ebd. Nr. 181. Durchaus ablehnend verhalten sich die in der vor. Anm. angeführte Erk. des Kammergerichts und des Reichsgerichts. 167 Vgl. bes. RGer b. Seuff. LXII Nr. 161, Nr. 67 (ein Ehemann verspricht einem von ihm geschwängerten Dienstmädchen eine Mitgift von 3000 Mark und einen jährlichen Beitrag für das Kind von 300 Mark, wenn sie den Kläger heiratet, und auch diesem, wenn er das Mädchen heiratet, die Mitgift von 3000 Mark und den Betrag für das Kind; das RGer spricht dem Vertrag den Schenkungscharakter ab, hält ihn daher nicht für formbedürftig und läßt die Klage zu. Gegen die guten Sitten verstoße jedenfalls nicht das dem Mädchen gegebene Versprechen). Ausführlich begründet hat das RGer im Erk. v. 7. Okt. 18 b. Seuff. LXXIV Nr. 60 die Behandlung eines Mitgiftvertrages mit dem Vater als eines Vertrages, der auf eine durch Abschließung der Ehe als Gegenleistung zu entgeltende Leistung gerichtet ist. 165 166
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
Näher steht der Begriff des BGB dem deutschen Recht, das vom Begriff des gemeinsamen Elternrechtes ausgeht, und in der väterlichen Munt nur dessen Steigerung zu Gunsten des Familienhauptes erblickt, auch der Mutter einen Anteil an der Ausübung der väterlichen Munt und nach dem Tode des Vaters eine eigne mütterliche Munt zuschreibt. Gegenstand der elterlichen Gewalt des BGB ist das minderjährige Kind. Die Beschränkung auf minderjährige Kinder widerspricht schroff dem römischen Recht, nach dem die väterliche Gewalt mit dem Wegfall der Schutzbedürftigkeit nicht endet. Sie widerspricht aber auch dem deutschen Recht, nach dem die elterliche Gewalt auch über volljährige Kinder besteht, so lange sie schutzbedürftig sind. Nach dem BGB giebt es niemals eine elterliche Gewalt über ein volljähriges Kind; ist ein solches schutzbedürftig, so tritt Vormundschaft oder Pflegschaft an die Stelle; Vater oder Mutter haben nur einen Anspruch darauf, zum Vormund oder Pfleger bestellt zu werden. II. Wesen Ihrem Wesen nach ist die elterliche Gewalt eine Schutzgewalt, die durchaus die Züge der deutschrechtlichen Munt trägt und die letzten Züge der römischen potestas, die im gemeinen Recht und auch im preußischen Landrecht sich noch finden, abgestreift hat. Sie ist zugleich Recht und Pflicht und daher der Vormundschaft verwandt. Aber zum Unterschied von dieser ist sie ein eignes, aus dem familienrechtlichen Bande von Rechtswegen folgendes, kein übertragenes Recht. Auch ist sie stärker und freier. Als höchstpersönliches Recht ist sie unübertragbar, und wegen ihres Pflichtcharakters ist sie unverzichtbar. Der Wille des Gewalthabers hat keine Macht über sie. Es giebt schlechthin keine Entlassung aus der elterlichen Gewalt; der römische Begriff der Emanzipation ist endgültig verschwunden. Dagegen kann sie verwirkt werden. Sie läßt die Rechtsfähigkeit des Kindes unberührt. Die römische Auffassung, nach der das Hauskind zu eignem Vermögenserwerb unfähig ist und eine unitas personarum zwischen dem Gewalthaber und der Gewalt unterworfenen, sowie zwischen mehreren derselben väterlichen Gewalt unterworfenen Personen besteht, die Rechtsgeschäfte und Prozesse zwischen ihnen grundsätzlich ausschließt, ist völlig entwurzelt. Sie war übrigens schon von der gemeinrechtlichen Praxis überwunden168. Dagegen ist das Kind, so lange es elterlicher Gewalt unterworfen ist, weil minderjährig, stets geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt. Voll168 Vgl. RGer XVI Nr. 21 (Seuff. XLII Nr. 217) mit Nachweisungen über ältere Entsch., die das römische Recht für völlig beseitigt erklären und über solche, die an ihm mit Beschränkungen festhalten. Von den Partikularrechten bezeichnet schon das Bayr. LR I c. 5 § 2 Nr. 4 ausdrücklich die römische unitas personarum als nicht mehr in Gebrauch.
2. Titel: Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern
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kommen handlungsfähige Hauskinder, wie nach bisherigem Recht, können nicht mehr vorkommen. Inhaltlich umfaßt die elterliche Gewalt Recht und Pflicht der Sorge für die Person und Recht und Pflicht der Sorge für das Vermögen, sowie in beiderlei Hinsicht gesetzliche Vertretungsmacht vor Gericht und außer Gericht; Nutznießung am Vermögen des Kindes; endlich das im Vormundschaftsrecht zu erörternde Recht der Fürsorge für künftige Bevormundung. Diese Bestandteile können verschiedene Schicksale haben, ungleichen Beschränkungen unterliegen und teilweise wegfallen. Die elterliche Gewalt als solche aber bleibt bestehen, wenn auch ihr Inhalt gemindert ist. Sie ist ein ihrem Begriff nach einheitliches Recht, in dem die ihrem Wesen entsprechenden Befugnisse und Pflichten enthalten sind, soweit nicht aus besonderen Gründen eine Ausnahme gilt. III. Feststellung Ist der Bestand der elterlichen Gewalt streitig, so ist eine gerichtliche Entscheidung darüber in einem Feststellungsprozeß zulässig.169 Handelt es sich um die Frage, ob eine der Parteien die elterliche Gewalt über die andere hat, so tritt ein besonderes Verfahren ein, das den Regeln des Kindschaftsprozesses folgt. Das Urteil, das bei Lebzeiten beider Teile rechtskräftig geworden ist, wirkt auch hier für und wider Alle. Nur wirkt die Feststellung des Bestehens elterlicher Gewalt gegenüber einem Dritten, der die elterliche Gewalt für sich in Anspruch nimmt, lediglich dann, wenn er am Rechtsstreit Teil genommen hat. In anderen Fällen hat der Prozeß über elterliche Gewalt nichts Besonderes.
§ 289. Elterliche Gewalt des Vaters I. Zuständigkeit Dem Vater steht die elterliche Gewalt zu, bis er sie verwirkt oder durch Todeserklärung oder Annahme des Kindes seitens eines Anderen verliert. II. Ausübung Dem Vater gebührt auch die Ausübung der elterlichen Gewalt, jedoch unter Mitwirkung der Mutter. Doch kann die Ausübung ihm ganz oder teilweise entzogen oder im einzelnen Falle unzulässig sein. Dann geht die Ausübung entweder auf die 169 ZPO §§ 640, 642, 643. Klagenverbindung und Widerklage sind auf die Kindschaftsklage beschränkt.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
Mutter über oder sie ist überhaupt ausgeschlossen und es muß ein Pfleger bestellt werden170. Auf Angelegenheiten, für die ein Pfleger bestellt ist, erstreckt sich weder die Personensorge noch die Vermögenssorge des Vaters171. Steht dem Pfleger nur die Personensorge oder nur die Vermögenssorge, dem Vater aber die jenem fehlende Sorge zu, so müssen Pfleger und Vater zusammenwirken, sobald eine Handlung vorzunehmen ist, die gleichzeitig die Person und das Vermögen des Kindes betrifft, wie z. B. ein Lehrlingsvertrag, oder die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt oder der Besuch einer Hochschule. Bei Meinungsverschiedenheiten aber entscheidet in solchen Fällen das Vormundschaftsgericht172. Die gesetzliche Vertretung des Kindes durch den Vater ist stets in denselben Fällen ausgeschlossen, in denen ein Vormund wegen Interessenkollision den Mündel nicht vertreten kann173. Außerdem kann das Vormundschaftsgericht dem Vater wie dem Vormund die Vertretungsmacht für einzelne Angelegenheiten oder einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten entziehen174. III. Verantwortlichkeit Der Vater hat bei Ausübung der elterlichen Gewalt nur für gleiche Sorgfalt einzustehen, die er in eignen Angelegenheiten anzuwenden pflegt175. Er haftet also nicht gleich dem Vormunde für jedes Verschulden. IV. Ersatzansprüche Der Vater kann für Aufwendungen, die er bei der Sorge für die Person oder das Vermögen des Kindes macht, Ersatz verlangen, soweit er sie den Umständen nach für erforderlich halten durfte und sie ihm nicht selbst zur Last fallen176.
Nach BGB § 1919. BGB § 1628. 172 BGB § 1629. 173 Die Fälle sind in § 1795 aufgezählt. Zur Vornahme der Handlung für das Kind muß dann ein Pfleger bestellt werden. So z. B. auch, wenn die Kinder als Nacherben in einen Verkauf der Mutter als Vorerben einwilligen sollen; Obst. LG Bayern Seuff. LXI Nr. 39. 174 Dies soll aber nach § 1796 nur geschehen, wenn das Interesse des Kindes zu dem Interesse des Vaters oder eines von ihm vertretenen Dritten oder seiner Ehefrau oder einer mit ihm in gerader Linie verwandten Person in erheblichem Gegensatz steht. 175 [fehlt] 176 BGB § 1648. Doch gelten Dienste des Vaters, die er in seinem Beruf oder Gewerbe, z. B. als Arzt, Anwalt, Handwerker usw. leistet, nicht als Aufwendungen, für die er vom Kinde Ersatz verlangen kann, vgl. Planck zu § 1648 Bem. 5, Dernburg § 79 IX. 170 171
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§ 290. Personensorge I. Inhalt Die Sorge für die Person des Kindes umfaßt, da sie die Person im Ganzen ergreift, eine Fülle von Rechten und Pflichten, die sich im Ganzen nicht erschöpfend aufzählen lassen. 1. Erziehungsgewalt Als Wesenskern der elterlichen Gewalt wurde im deutschen Recht von jeher die Erziehungsgewalt betrachtet. Sie bedeutet das Recht und die Pflicht, das Kind körperlich, geistig und sittlich nach seinen Anlagen und Lebensverhältnissen auszubilden. Und zwar sowohl zu einer an sich wertvollen Individualität, wie zu einem brauchbaren Gliede der bürgerlichen Gesellschaft. Daher liegt in ihr namentlich auch die Bestimmung über den künftigen Beruf und die Sorge für die gehörige Vorbildung zu diesem177. In der Erziehungsgewalt ist das Recht und die Pflicht enthalten, angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anzuwenden. Sie können in physischer oder psychischer Einwirkung auf das Verhalten des Kindes bestehen178. Zweifellos gehört dazu körperliche Züchtigung, Beschränkung der Freiheit, Entziehung von Genüssen usw. Die Anwendung unangemessener Zuchtmittel ist Missbrauch der elterlichen Gewalt, gegen die das Vormundschaftsgericht einzuschreiten hat179. Andererseits kann auf Antrag des Vaters das Vormundschaftsgericht durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel unterstützen180. 177 Bei der Berufswahl ist der Inhaber der Erziehungsgewalt verpflichtet, auf die Lebensverhältnisse und den Familienstand des Kindes, aber auch auf die besonderen Anlagen und Neigungen des Kindes gehörige Rücksicht zu nehmen. Das Preußische ALR II, 2 §§ l02 ff. hatte ausdrückliche Bestimmungen über ein gerichtliches Verfahren, das einzuleiten war, wenn ein über 14 Jahre alter Sohn den Antrag stellte, die seinen Neigungen widersprechende väterliche Berufswahl abzuändern. Die gerichtliche Entscheidung sollte unter Zuziehung von Verwandten und des Lehrers des Sohnes nach Anhörung beider Teile erfolgen. Doch sollte der Sohn niemals zum Studieren, der Vater nicht zur Hergabe der Studienkosten gezwungen werden. Vgl. Dernburg S. 269. Das BGB enthält keine ähnliche Bestimmung. Doch ist, worauf Dernburg hinweist, nicht zu bezweifeln, daß auf Grund der allgemeinen Bestimmung des § 1666 BGB das Vormundschaftsgericht Abhülfe zu schaffen hat, wenn das Kind sich über die elterliche Berufswahl beschwert und diese sich nach gehöriger Prüfung der Verhältnisse als Mißbrauch der Erziehungsgewalt herausstellt. 178 BGB § 16312 Abs. 1. 179 Dies folgt aus § 1666 BGB. – Unter Umständen auch der Staatsanwalt. Denn grober Mißbrauch, wie z. B. Ueberschreitung des zulässigen Maßes bei der körperlichen Züchtigung oder der Freiheitsentziehung oder der Auferlegung von Entbehrungen kann sich als strafbare Handlung darstellen. 180 BGB § 16312 Abs. 2. Hierzu ist also ein Antrag des Vaters erforderlich. Von Amtswegen hat das Vormundschaftsgericht, so lange nicht etwa der Vater seine Pflichten vernach-
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Der Vater kann so wenig, wie die elterliche Gewalt überhaupt, die in ihr enthaltene Zuchtgewalt als solche, wohl aber ihre Ausübung übertragen. In bestimmtem Umfange erfolgt eine stillschweigende Uebertragung durch jeden Lehrlingsvertrag, jede Hingabe des Kindes in eine Pensions- oder Erziehungsanstalt und vorübergehend schon durch die Unterstellung des Kindes unter fremde Aufsicht181. Einen Bestandteil der Erziehung bildet an sich die religiöse Erziehung. Allein das BGB hat gegenüber der bunten Mannichfaltigkeit des in diesem Punkte durch die Landesgesetzgebung geschaffenen Rechtszustandes, der namentlich hinsichtlich der konfessionell gemischten Ehen durch wechselnde staatskirchenrechtliche Anschauungen ungleich bestimmt ist, nicht gewagt, eine einheitliche reichsrechtliche Regelung zu treffen, vielmehr die Vorschriften über die religiöse Erziehung schlechthin dem Landesrecht vorbehalten182. So gilt auch heute ein mannichfach ungleiches Recht. Nur in Ermangelung einer landesrechtlichen Bestimmung sind die allgemeinen Vorschriften des BGB über Erziehungsgewalt auch auf die religiöse Erziehung anwendbar182a. In der Hauptsache dagegen greift die landesgesetzliche Regelung durch183. Es ist hier nicht der Ort, den Inhalt dieses vielgestaltigen und teilweise bestrittenen Sonderrechtes im Einzelnen darzustellen184. Nur lässigt, sich nicht einzumischen. Welche Zuchtmittel das Vormundschaftsgericht für geeignet hält, ist seinem Ermessen überlassen. Jedenfalls ist stets die zwangsweise Wiederzuführung eines entlaufenen Kindes zulässig. Ebenso aber die Anordnung der Ueberführung in eine Erziehungsanstalt. Vgl. Planck zu § 1631 Bem. 1 e. 181 Streitig ist, ob und inwieweit ein Dritter in Abwesenheit des Vaters ein Kind, das durch sein Verhalten die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten gröblich verletzt, in angemessener Weise züchtigen kann, ohne rechtswidrig zu handeln. Die Frage ist insoweit zu bejahen, als er den Umständen nach berechtigt ist, die elterliche Einwilligung anzunehmen. 182 EG zum BGB art. 134. 182a So z. B. in Meckl.-Schw. u. Bayern bei Kindern aus konfessionell ungemischten Ehen, weil es in beiden Ländern gesetzliche Regeln nur für Kinder aus gemischten Ehen giebt. Planck zu EG a. 134 Bem. 3, Oertmann, Bayr. LPR § 639. 183 In vielen Staaten gelten ältere Gesetze fort. So in Preußen ALR II, 2 §§ 76 ff. mit Deklar. v. 21. Nov. 1803 und KabO v. 17. Aug. 1825. In Hannover VO v. 31. Juli 1826. In Kurhessen V. v. 13. Apr. 1853. In der Rheinprov. seit der KabO v. 17. Aug. 1825 das altpreuß. R. In Bayern Rel. Ed. v. 26. Mai 1818. (Beil. II zur VU). Württemb. Rel. Ed. v. 15. Okt. 1806. K.Sächs. Ges. v. 1. Nov. 1836. Bad. Ges. v. 9. Okt. 1860. Gr. Hess.V. v. 27. Febr. 1826. In anderen Staaten haben die AG zum BGB die Materie ausführlich neu geregelt. So ElsaßLothr. §§ 119 – 132 und im Wesentlichen übereinstimmend die thüring. AG. f. Kob.-Gotha a. 48 §§ 1 – 6, Meininger Ges. v. 18. Aug. 99 betr. die relig. Erziehung, S.Altenb. §§ 105 – 108, Schwarzb.S. a. 51, Rudolst. a. 156 – 169, Reuß ä.L. § 136, j.L. § 99, ferner Lübeck §§ 110 – 118, auch Hess. a. 108 – 116. 184 Vgl. darüber die kirchenrechtliche Literatur. Insbes. Hübler, Die religiöse Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen, 1888. Kahl, Die Konfession der Kinder aus gemischten Ehen, 1895. Schmidt, Die Konfession der Kinder nach den Landesgesetzen in Deutschland, Hönrichs, Arch. f. r. P. LXXV 100 ff., Richter-Dove-Kahl, Kirchen § 1016 Anm. 22 – 23. Friedberg, Kirchenr. 92 IV, v. Schulte, Kirchen § 180 S. 404. Ueber Preuß. R. Dernburg § 75. Schön, Das evangelische Kirchenrecht in Preußen II 231 ff. Oertmann, Bayr. Landesprivatrecht §§ 136 – 141. Börkel, Landesprivatr. der thüring. Staaten § 143.
2. Titel: Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern
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auf die Hauptpunkte ist hinzuweisen, in denen Abweichungen von der reichsrechtlichen Regel in der Landesgesetzgebung begegnen. Meist bestehen feste Alterstermine, mit deren Erreichung das Kind die Fähigkeit erlangt, sein religiöses Bekenntniß selbst zu bestimmen und somit die elterliche Erziehungsgewalt vor Eintritt der Mündigkeit des Kindes eine Einschränkung erfährt185. In einigen Staaten sind noch heute Verträge der Eltern über das Religionsbekenntniß, in dem ihre gemeinschaftlichen Kinder zu erziehen sind, als rechtsverbindlich anerkannt186, während im Uebrigen die Landesgesetze mit dem Reichsrecht übereinstimmen, das derartigen Vereinbarungen jede rechtliche Verpflichtungskraft abspricht187. Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, daß überall, so lange die Eltern einig sind, die Erziehung der Kinder in dem ihrer Willenseinigung entsprechenden Religionsbekenntniß keiner Anfechtung seitens anderer Machtfaktoren unterliegt188. Für den Fall der Meinungsverschiedenheit dagegen oder beim Mangel jeder elterlichen Bestimmung gelten gesetzliche Regeln, deren Beobachtung gerichtlich erzwungen werden kann189. In einigen Staaten gilt noch die früher sehr verbreitete Regel, daß Söhne dem Vater, Töchter der Mutter folgen190. Ueberwiegend aber ist bestimmt, daß alle Kinder in der Religion des Vaters zu erziehen sind191.
185 Vgl. oben Bd. I 385 Anm. 32. Nach Preuß. LR II § 84 sind es 14 Jahre. Ebenso nach Oesterr. Ges. v. 25. Mai 68 a. 4, Bad. Ges. v. 9. Okt. 60 § 5 und die Mehrzahl der neuesten Gesetze; bisweilen aber auch 16 Jahre (z. B. Frankf. Ges. v. 5. Sept. 18 § 11) 18 Jahre (Weimar, Koburg-Gotha). Ob das minderjährige, aber religionsmündige Kind auch selbständig seinen Austritt aus der Kirche erklären kann, ist streitig. Vgl. A. L. Schmidt, Der Austritt aus der Kirche, S. 83 ff. u. 271 ff.; Rspr. d. OLG XII 327, Dernburg § 75, Anm. 17. 186 So namentlich in Bayern nach Rel. Ed. v. 1818 §§ 12 – 13. Vgl. Oertmann § 138, der S. 602 annimmt, daß der Vertrag nach heutigem Recht keiner Form bedarf. Ferner in Meckl.Schw. nach V. [v.] 30. März 1821. 187 In Preußen verneinte schon das LR II, 2 § 77 die Verpflichtungskraft von Verträgen, durch die Eltern einander Abweichungen von den gesetzlichen Vorschriften zusagen. Die Unverbindlichkeit solcher Verträge galt dann als gemeines Recht; RGer [ . . . ]. Neu eingeführt ist sie in den meisten thüring. Staaten; vgl. Börkel § 143 II B. 188 Vgl. Preuß. LR II, 2 § 78: „So lange jedoch Eltern über den ihren Kindern zu erteilenden Religionsunterricht einig sind, hat kein Dritter ein Recht, ihnen darin zu widersprechen.“ – Nur wenn das Verhalten der Eltern sich als Mißbrauch der Erziehungsgewalt oder als Vernachlässigung der Personensorge darstellt, kann das Vormundschaftsgericht einschreiten und z. B. durch Bestellung eines Pflegers Abhilfe schaffen. 189 Und zwar ist sowohl ein privatrechtlicher Anspruch des Gewalthabers, dessen Recht verletzt ist, wie ein öffentlichrechtlicher Anspruch der nach Landesrecht zuständigen weltlichen oder kirchlichen Behörde auf Abhilfe begründet. 190 So in Bayern nach Rel. Ed. § 14; vgl. Oertmann S. 608. Ferner in Mecklenb.-Schw. nach V. v. 30. März 21. – In Preußen schrieb das ALR II, 2 § 75 die Teilung nach dem Geschlechte vor, wurde aber durch die Deklar. v. 1803 abgeändert. 191 So vor Allem in Preußen seit der Deklar. v. 1803. Die Religion des Vaters bleibt auch nach seinem Tode (abgesehen von dem Falle ihrer Aenderung in der letzten Krankheit) maßgebend, außer wenn der Vater im letzten Jahr vor seinem Tode das Kind im Religionsbekenntniß der Mutter hat unterrichten lassen. Im Uebrigen kann die Mutter trotz der nunmehr erlangten vollen elterlichen Gewalt das Religionsbekenntniß der Kinder nicht ändern, also
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
Ueber der privatrechtlichen Erziehungsgewalt der Eltern und der kraft Familiengesetzes zu ihrem Ersatz berufenen Personen steht die öffentlichrechtliche Erziehungsgewalt des Staates, der an oberster Stelle die Sorge für die körperliche, geistige und sittliche Ausbildung der gesamten staatsangehörigen Jugend als sein Recht und seine Pflicht betrachtet192. Der Staat erfüllt diese Aufgabe vor allem durch das öffentliche Unterrichtswesen, indem er für die Bildung der Jugend Schulen verschiedener Art als öffentliche Anstalten einrichtet und leitet193 und die Errichtung privater Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen zwar zuläßt, aber an staatliche Genehmigung bindet, die von bestimmten Voraussetzungen abhängt194. Kraft öffentlichen Rechts besteht allgemeine Schulpflicht, die allen Erziehungsberechtigten die erzwingbare Verpflichtung auferlegt, ein Mindestmaß von Schulbildung ihren Gewaltunterworfenen zu Teil werden zu lassen195. Andererseits beruft der Staat die Erziehungsberechtigten zur Mitwirkung bei der organischen Ausgestaltung des öffentlichen Schulwesens, das in der Stufenfolge von Volksschulen, mittleren und höheren Schulen den verschiedenen Bedürfnissen der einzelnen Berufszweige gerecht werden soll196. Wird so die staatliche Fürsorge in umfassender Weise auf dem Gebiete der gesamten Jugenderziehung gegenüber der elterlichen und sonstigen privatrechtlichen Erziehungsgewalt ergänzend, fördernd und einschränkend tätig, so geht sie in Fällen, in denen die privatrechtliche Erziehungsgewalt überhaupt versagt, weiter und entzieht den Erziehungsberechtigten die Erziehung behufs ihrer Uebernahme durch den Staat selbst197. auch z. B. das jüdische Kind nicht taufen lassen, mag dies auch dem ausgesprochenen Wunsche des Vaters entsprechen, vgl. Dernburg § 75 Anm. 11 und der dort angef. Entsch. des Kammergerichts. Die Religion des Vaters entscheidet auch nach Württ., Sächs., Hess., Nassau, Bad. u. Weimar. R u. den anderen thüring. Rechten, jedoch zum Teil mit mancherlei Ausnahmen. 192 Die neue VU des deutschen Reichs regelt die Grundlinien des öffentlichrechtlichen Erziehungswesens in dem vierten Abschnitt der Grundrechte über „Bildung und Schule“ art. 142 – 150. 193 Nach VU a. 143 haben das Reich, die Länder und die Gemeinden dabei zusammenzuwirken. 194 VU a. 147. Private Volksschulen sind nur ausnahmsweise zugelassen, private Vorschulen aufzuheben. 195 VU a. 145. Der Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mit mindestens 8 Schuljahren und die anschließende Fortbildungsschule bis zur Vollendung des 18ten Lebensjahres. Unterricht und Lernmittel in beiden sind unentgeltlich. 196 VU a. 146. Insbesondere sind auf Antrag von Erziehungsberechtigten nach Abs. 2 Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten, soweit hierdurch ein geordneter Schulbetrieb nicht beeinträchtigt wird, und ist dabei der „Wille der Erziehungsberechtigten möglichst zu berücksichtigen.“ Vgl. auch Art. 147 Abs. 2 über Zulassung privater Volksschulen auf Begehren einer Minderheit von Erziehungsberechtigten, wenn eine öffentliche Volksschule ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung in der Gemeinde nicht besteht. Vgl. endlich a. 1492, wonach die Teilnahme am Religionsunterricht und an kirchlichen Feiern und Handlungen der Willenserklärung desjenigen überlassen bleibt, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat. 197 Davon ist unten in § 293 zu reden.
2. Titel: Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern
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2. Als ein in der Personensorge enthaltenes besonderes Recht, das in erster Linie dem Vater kraft seiner elterlichen Gewalt zusteht, erscheint das Recht zur Beilegung der Vornamen198. 3. Bestimmung des Aufenthaltes Ausdrücklich hebt das BGB in § 16311 hervor, daß die Sorge für die Person des Kindes das Recht und die Pflicht umfaßt, seinen Aufenthalt zu bestimmen199. 4. Beaufsichtigung Ebenso führt das BGB an der gleichen Stelle neben der Erziehung die Beaufsichtigung des Kindes als Bestandteil der Personensorge besonders auf200. 5. Herausgabeanspruch Die Sorge für die Person des Kindes, so heißt es in § 1632 des BGB, umfaßt das Recht, die Herausgabe des Kindes von Jedem zu verlangen, der es dem Vater widerrechtlich vorenthält. In diesem Herausgabeanspruch offenbart sich besonders deutlich die Natur der elterlichen Gewalt als eines absoluten Rechtes an der Person. Der Anspruch ist natürlich wesensverschieden von dem Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe seiner Sache. Aber eine entsprechende Analogie besteht. Das Recht des Vaters ist kein dingliches Recht, aber einem solchen insofern verwandt, als es ein unmittelbares Herrschaftsrecht an der Person gewährt, das die Person im Ganzen ergreift und daher auch eine Rechtsmacht über den Körper des Kindes und die Befugniß, Andere von der Einwirkung auf denselben auszuschließen, begründet. Die entsprechende tatsächliche Gewalt über das Kind ist kein Besitz201, aber eine dem Besitz ähnliche Erscheinungsform des Herrschaftsrechtes an der Person des Kindes; zu deren Ausübung nur der Vater und wer ein von ihm abgeleitetes Recht hat, befugt ist, während jeder Dritte, der sie dem Vater eigenmächtig ent-
Vgl. oben Bd. I 719, Dernburg § 71 Anm. 1, Kipp § 604 Z. 4. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um einen Bestandteil des Erziehungsrechts, dessen Ausübung in der Weise erfolgen kann, daß dem Kinde anstatt des Elternhauses ein anderes Familienheim oder eine Anstalt als Aufenthaltsort angewiesen würde. Doch hat das Recht der Aufenthaltsbestimmung auch unabhängig von Erziehungsfragen seine Bedeutung. 200 Die Beaufsichtigung ist gleichfalls in der Erziehung enthalten. Die Beaufsichtigungspflicht hat aber die Besonderheit, daß ihre Verletzung Dritten gegenüber eine Verantwortlichkeit für den dadurch entstehenden Schaden begründet. Vgl. über den Umfang, in dem aufsichtspflichtige Eltern für aufsichtsbedürftige Kinder haften, oben Bd. III 925 – 927. 201 Vgl. Seuff. XXVIII Nr. 281, LIX Nr. 38. Die Besitzschutzmittel wegen Besitzentziehung oder Besitzstörung stehen daher dem Vater nicht zur Verfügung. 198 199
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
zieht, widerrechtlich handelt. Die Geltendmachung des Herausgabeanspruchs hat nicht durch Anrufung des Vormundschaftsgerichtes, sondern durch Klage beim ordentlichen Prozeßgericht zu erfolgen202. Das Urteil ist im Wege der gerichtlichen Zwangsvollstreckung vollstreckbar203. Rechter Beklagter ist Jedermann, der unmittelbar oder mittelbar das Kind dem Vater widerrechtlich vorenthält, indem er durch physische oder psychische Einwirkung auf das Kind bewirkt, daß es dem Vater fernbleibt203a. Der Herausgabeanspruch ist nicht begründet, wenn der Beklagte ihm gegenüber ein eignes Recht geltend macht, das Kind in seiner Machtsphäre festzuhalten. Dazu genügt aber nicht die Berufung auf vertragsmäßige Einräumung der Gewalt über das Kind, da den Vater ein Verzicht auf seine Gewalt nicht bindet204. Wohl aber kann stets die Herausgabe verweigern, wer kraft öffentlichen Rechts zur Festhaltung des Kindes befugt ist205. Da der Inhaber der elterlichen Gewalt ein eignes Recht geltend macht, kann ihm gegenüber im Prozeß ein Einwand aus dem Interesse des Kindes nicht hergeleitet werden206. Für die Interessen des Kindes hat das Vormundschaftsgericht zu sorgen, das Prozeßgericht seinerseits hat von sich aus nicht zu prüfen, ob in der Geltendmachung des elterlichen 202 Vgl. Entsch. des Berliner Kammergerichts in Rspr. des OLG I 266 ff., II 458 ff., VI 58 ff., XII 340 ff.; RGer in DJZ 1905 S. 313; Dernburg § 74 IV; Kipp § 79 Anm. 8; Planck zu § 1632 Bem. 7; Staudinger Bem. 8. – Der Prozeß hat keine Besonderheiten. Die Entscheidung im Eheprozeß ist unzulässig; RGer IX Nr. 11. 203 Dabei sind die Vorschriften der ZPO § 880 ff. über Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen in der erforderlichen Anpassung an die besonderen Umstände des Falles maßgebend; RGer b. Seuff. IX Nr. 113, JWSchr 1904, S. 537. Inwieweit ZPO § 8811 anwendbar ist (vom RGer verneint), wird gestritten. Jedenfalls kann der Vater nach § 892 das Kind unter Zuziehung eines Gerichtsvollziehers zwangsweise vom Verurteilten abholen. Kipp S. 303 Anm. 14. Nähere Bestimmungen kann das Landesrecht treffen. Vgl. Preuß. Ges. über freiw. Gerichtsb. v. 21. Sept. 99 a. 17 (Gewaltanwendung auf Grund besonderer gerichtlicher Verfügung und Befugniß des Vollstreckungsbeamten, erforderlichen Falls die Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane nachzusuchen. Bayr. AG zum BGB a. 130. Sächs. Ges. v. 19. Juni 1906 § 12. Württemb. AG zum BGB a. 265: Der zur Personensorge Berechtigte kann bei Gefahr im Verzuge stets zum Zwecke der Zurückführung des flüchtigen Kindes polizeiliche Hilfe in Anspruch nehmen. 203a Somit auch, wer durch Vermittlung eines Dritten, z. B. einer Pensionsanstalt, diesen Erfolg herbeiführt oder durch Verheimlichung des ihm bekannten Aufenthaltsortes des Kindes dem Vater dessen Zurückführung unmöglich macht. Vgl. Seuff. LXXI Nr. 41. 204 Vgl. OLG Bamb. b. Seuff LIX Nr. 38, RGer Z. S. X Nr. 32; Rspr. d. OLG X 286 ff. Der Vater kann daher auch z. B. das Kind aus einer Pensionsanstalt, der er es anvertraut hat, oder aus einem Dienstverhältniß, in das er es gegeben hat, jederzeit herausfordern. Nur muß er möglicher Weise Schadensersatz wegen Vertragsverletzung leisten. Anders verhält es sich wohl bei einem Lehrling, dessen Herausgabe der Lehrherr auf Grund eines nach den Vorschriften der Gew.O. § 127 geschlossenen Lehrvertrages weigert; vgl. oben Bd. III 684 ff. 205 So z. B. die öffentliche Schulanstalt auf Grund der Schulpflicht, die Gefängnißverwaltung, die Militärbehörde. Hierher gehört auch eine unabhängig vom Prozeßverfahren ergangene Anordnung des Vormundschaftsgerichtes, die dem Beklagten die Erziehung des Kindes übertragen hat; vgl. Dernburg § 74 IV u. V, Staudinger zu § 1632 Bem. 2 b . 206 Vgl. RGer X Nr. 32 (Verwerfung der Einrede des beklagten Großvaters, das Kind sei bei ihm besser aufgehoben). RGer XXXIX Nr. 38.
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Herausgabeanspruchs etwa ein Mißbrauch der elterlichen Gewalt liegt207. Anders verhält es sich, wenn der Vater den Herausgabeanspruch gegen die Mutter erhebt, die ihrerseits kraft ihres Miterziehungsrechtes ein eignes Recht auf Festhaltung der Kinder hat und daher dem Vater, der ihr ein Kind abverlangt, die Einrede des Mißbrauchs seines überwiegenden Rechtes entgegensetzen kann208, während sie ihrerseits den auch ihr zustehenden Herausgabeanspruch sowohl gegen den Vater geltend machen kann, wenn sich dessen Vorenthaltung eines Kindes als Mißbrauch herausstellt209, wie gegen jeden Dritten, dem der Vater das Kind mißbräuchlich übergeben hat210. 6. Vertretung Die Personensorge kraft elterlicher Gewalt umfaßt die gesetzliche Vertretung des Kindes in persönlichen Angelegenheiten211. Wir haben aber schon gesehen, daß es bei vielen personenrechtlichen Geschäften keine Vertretung giebt. Regelmäßig ist dann das beschränkt geschäftsfähige Kind zur selbständigen Vornahme eines derartigen Geschäftes befähigt, bisweilen aber Genehmigung des Obervormundschaftsgerichtes erforderlich. Ist der Inhaber der Personensorge in einzelnen Fällen an der Ausübung der Vertretungsmacht tatsächlich oder rechtlich verhindert, eine Vertretung des Kindes aber in einer persönlichen Angelegenheit erforderlich, so hat das Vormundschaftsgericht durch Bestellung eines Pflegers ad hoc Abhilfe zu schaffen. 7. Die Personensorge für eine verheiratete Tochter beschränkt sich auf die gesetzliche Vertretung in den die Person betreffenden Angelegenheiten. Im Uebrigen hört sie auf, so daß die elterliche Gewalt zwar nicht wie noch im deutschen Recht, endet, aber nur mit wesentlich vermindertem Inhalt fortbesteht212. 207 Das Erk. des Obst. LG Bayern b. Seuff. LXVIII Nr. 61, das die Klage eines Vaters auf Herausgabe einer Tochter, die er an Pflegeeltern weggegeben hatte und, nachdem sie 14 Jahre geworden ist, ihnen abfordert, abweist, weil der Vater vermutlich aus Eigennutz handelt, damit die Tochter für ihn arbeite und, da die Tochter jetzt viel besser lebt, das Recht der Personensorge mißbraucht, da ihm dieses Recht nur im Interesse des Kindes, das im Kollisionsfalle vorgehe, zustehe, ist nicht zu billigen. 208 Vgl. RGer b. Seuff. L Nr. 23. Die Mutter muß aber Verletzung ihres eignen Rechtes aus dem ehelichen Verhältniß nachweisen, einfache Berufung auf das Wohl der Kinder, wie das Berufungsgericht Stuttgart annahm, reicht nicht aus. Ferner RGer b. Seuff. LIV Nr. 228: Die Mutter wendet mit Erfolg ein, daß der Vater zur Herstellung des ehelichen Lebens verurteilt ist, diese aber weigerte. 209 RGer Z. S. XVII Nr. 31. Auf einen Vertrag über tatsächliche Trennung der Ehe und Erziehung der Kinder kann sie sich auch hier nicht berufen, da derselbe nichtig ist. Aber sie kann aus ihrem eignen gesetzlichen Anspruch auf Erziehungsrecht gegen den Vater auf Herausgabe klagen. Der Richter hat dann die ganze Sachlage zu prüfen. 210 Vgl. Beschl. des OLG Augsb. b. Seuff. LXXI Nr. 41. 211 BGB § 1630. 212 BGB § 1633. Ein Uebergang der Vertretungsmacht auf den Ehemann findet nicht statt.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
II. Personensorge der Mutter Neben dem Vater hat während der Dauer der Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen213. Nur zur Vertretung des Kindes in persönlichen Angelegenheiten ist sie nicht berechtigt214. Im Uebrigen hat die Mutter auch ihrerseits alle dem Vater zustehenden Rechte und obliegenden Pflichten einschließlich des Anspruchs auf Herausgabe des Kindes. Die Sorge für die Person der gemeinsamen Kinder ist eine Aufgabe, die in den Bereich der ehelichen Lebensgemeinschaft fällt und zu deren Erfüllung daher die beiden Ehegatten in gleicher Weise berufen sind. Demgemäß sind die Eltern, so lange sie ehelich verbunden sind, bei der Ausübung ihres gemeinschaftlichen Rechtes der aus ihrer elterlichen Gewalt fließenden Personensorge für ihre Kinder auf Zusammenwirken angewiesen, das normalerweise Willenseinigung voraussetzt. Bei einer zwischen den Eltern bestehenden Meinungsverschiedenheit aber geht die Meinung des Vaters vor215.
BGB § 1634. Ausnahmsweise hat sie während der Dauer der Ehe auch die Vertretungsmacht nach § 16891, wenn der Vater an der Ausübung der elterlichen Gewalt tatsächlich verhindert ist oder seine elterliche Gewalt ruht. 215 Diese im Schlußsatz des § 1634 getroffene Bestimmung entspricht der eherechtlichen Bestimmung des § 1354, die dem Manne in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten die Entscheidung zuweist. Vgl. oben § 244 III. Das Vormundschaftsgericht hat hier so wenig wie in Fragen des ehelichen Zusammenlebens die Entscheidung zu treffen. Wenn die Vorkämpfer der absoluten Gleichstellung von Mann und Frau das Vorrecht des Vaters streichen und die Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern dem Vormundschaftsgericht übertragen wollen, so ist glücklicher Weise ihr Verlangen unerfüllt geblieben. Nach dem BGB würde das Vormundschaftsgericht, wenn es auf Anrufen der Frau eine Verfügung des Mannes [aufhebt], die sich nicht etwa als Mißbrauch seiner elterlichen Gewalt darstellt, seine Zuständigkeit überschreiten. Es ist möglich, daß der Vater, der gegen den Willen der Mutter ein Kind einer Erziehungsanstalt übergiebt oder für einen bestimmten Beruf ausbilden läßt, seine Gewalt mißbraucht, weil das Interesse des Kindes sein Verbleiben im Hause fordert oder die gewählte Erziehungsanstalt ungeeignet ist oder die Berufsbestimmung den Lebensverhältnissen und den Neigungen und Anlagen des Kindes widerspricht. Dann kann das Vormundschaftsgericht kraft § 1666 die zur Abhilfe erforderlichen Maßregeln treffen und auf Grund gehöriger Prüfung der Umstände vielleicht der Meinung der Mutter Geltung verschaffen. Allein falls der Vater sein Recht nicht mißbraucht, sondern eben nur von seinem Vaterrecht Gebrauch macht, darf das Vormundschaftsgericht nicht einer abweichenden Meinung der Mutter, weil es sie für zweckmäßiger hält, den Vorrang vor der väterlichen Entscheidung einräumen. Wollte man überhaupt an Stelle des aus eignem Recht zur obersten Entscheidung berufenen Familienhauptes die staatliche Behörde als Trägerin der Entscheidungsgewalt in den Angelegenheiten des engsten Familienkreises einsetzen, so gelangt man zur Sozialisierung des häuslichen Lebens und bedroht den letzten Rest der deutschen Hausgemeinschaft und der väterlichen Autorität in ihrem Bestande. 213 214
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III. Nach der Ehescheidung Die elterliche Gewalt wird von der Ehescheidung grundsätzlich nicht berührt, da ja eben nur die eheliche Verbundenheit wegfällt, das Eltern- und Kindesverhältniß fortbesteht. Allein hinsichtlich der Ausübung der Personensorge treten Abwandlung[en] ein, da die gemeinschaftliche Ausübung durch Vater und Mutter den Bestand der Ehe voraussetzt. Diese Abwandlungen gelten kraft Gesetzes. Eine Entscheidung über das Erziehungsrecht, durch das Prozeßgericht, wie nach früherem Recht, findet im heutigen Ehescheidungsprozeß nicht mehr statt. 1. Die gesetzliche Regel lautet dahin, daß solange die geschiedenen Ehegatten leben, die Sorge für die Person der Kinder, wenn ein Ehegatte für allein schuldig erklärt ist, dem anderen Ehegatten zusteht216, wenn aber beide Ehegatten für schuldig erklärt sind, der Mutter für alle Kinder bis zu sechs Jahren, dem Vater für Söhne über sechs Jahre zusteht217. Nur die Vertretungsmacht behält der Vater über alle Kinder218. 2. Das Vormundschaftsgericht kann jedoch eine von dieser Regel abweichende Anordnung treffen, wenn sie im Interesse des Kindes erforderlich ist. So z. B., wenn ein Ehegatte ganz verlumpt ist oder wenn die Tochter bei der allein schuldigen Mutter immer noch besser aufgehoben ist als bei dem Vater, der ein Wanderleben führt. Es kann die Anordnung stets wieder aufheben, wenn sie nicht mehr erforderlich ist219. Dagegen sind Verträge unter den Ehegatten über die Kinderverteilung wirkungslos220. BGB § 1635 Halbs. 1. BGB § 1635 Halbs. 2. Gleiches gilt nach § 1637, wenn die Ehe durch Wiederverheiratung eines Ehegatten auf Grund irriger Todeserklärung des anderen Ehegatten aufgelöst ist und der Totgeglaubte zurückkehrt. 218 Die Mutter kann daher auch die Klage auf Zahlung der Unterhaltsgelder für das ihrer Personensorge unterworfene Kind nicht in Vertretung desselben anstellen. Da sie aber auch nicht im eignen Namen klagen kann, weil der Unterhaltsanspruch nicht ihr, sondern dem Kinde zusteht, muß sie die Bestellung eines Pflegers beantragen, der dann für das Kind klagt. So OLG Braunschw. b. Seuff. LV Nr. 145. Anders für das gem. R. ebd. XL Nr. 293. 219 Das Vormundschaftsgericht kann die von der gesetzlichen Regel abweichende Anordnung auch während des Prozesses über das gesetzliche Erziehungsrecht und unabhängig von einem gerichtlichen Interimistikum treffen. Vormundschaftsgericht und Prozeßgericht verfahren ganz selbständig neben einander RGer Z. S. LXIII Nr. 68. Hat das Vormundschaftsgericht im Bereiche seiner Zuständigkeit entschieden, so kann das daraus erworbene Privatrecht im Rechtswege verfolgt werden. Das Vormundschaftsgericht aber kann im Interesse der Kinder jederzeit einschreiten; RGer XXIII Nr. 91. Dagegen bindet den deutschen Richter ein entsprechender fürsorglicher Verwaltungsakt einer außerdeutschen Behörde nicht; RGer LXXXI Nr. 84. 220 Dies gilt sowohl von Verträgen, die vor der Scheidung für den Fall der Scheidung geschlossen sind, wie für Verträge unter den geschiedenen Eltern. Vgl. RGer XLII Nr. 33. Obst. LG Bayern b. Seuff. XL Nr. 120. Doch kann der gesetzlich zur Personensorge berufene Ehegatte dem anderen Ehegatten die Ausübung der Personensorge überlassen, bleibt aber immer berechtigt, sie selbst wieder an sich zu nehmen. Vgl. Planck zu § 1635 Bem. 65. 216 217
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3. Der von der Personensorge ausgeschlossene Ehegatte behält stets das Recht des persönlichen Verkehrs mit seinem Kinde. Das Vormundschaftsgericht kann den Verkehr näher regeln, aber nicht ganz ausschließen221. 4. Beim Tode eines Ehegatten tritt wieder das normale Verhältniß ein. Der schuldige Vater erlangt die volle elterliche Gewalt zurück, die schuldige Mutter erlangt die volle elterliche Gewalt. Hiergegen kann der schuldlose Ehegatte sein Kind auf keine Weise schützen222. 5. Bei Ehen, die vor dem Inkrafttreten des BGB geschieden sind, gilt in Ansehung des Rechtes und der Pflicht der Personensorge für die gemeinschaftlichen Kinder das bisherige Recht; nur die Vorschriften des BGB über die Befugniß des Vormundschaftsgerichts zum Erlaß und zur Wiederaufhebung von Anordnungen, die das kraft gesetzlicher Regel eingetretene Verhältniß der Eltern zu einander und zu dem Kinde abändern, sowie über die stets dem Vater verbleibende Vertretungsmacht und das Recht des von der Personensorge ausgeschlossenen Ehegatten auf persönlichen Verkehr mit seinem Kinde sind sofort in Kraft getreten223.
221 BGB § 1636. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. RGer LXIII Nr. 58. Das Recht auf den persönlichen Verkehr hat auch bei Ehen von Ausländern die in Deutschland wohnende Frau, allein zur Ordnung der Einzelheiten des Verkehrs ist auch hier nur das deutsche Vormundschaftsgericht, nicht das Prozeßgericht zuständig; Seuff. LXX Nr. 42. Ein völliges Verkehrsverbot ist nicht mehr, wie nach bisherigem Recht, zulässig. Selbstverständlich auch nicht eine so weitgehende Einschränkung des Verkehrs, daß die Entfremdung zwischen dem Berechtigten und seinem Kind nicht verhindert wird. Zulässig ist die Anordnung, daß der von der Personensorge ausgeschlossene Ehegatte das Kind nur zu bestimmten Zeiten oder an einem bestimmten Orte oder unter Aufsicht eines Dritten sprechen darf. Die oberste Richtschnur hat stets das geistige und leibliche Wohl des Kindes zu bilden. Das Verfahren richtet sich nach dem Freiw. GG §§ 35 ff. Vor der Regelung ist der Elternteil, dessen Recht der Personensorge betroffen wird, nach BGB § 1673 zu hören. Gegen die Entscheidung steht jedem Elternteil (Freiw. GG § 20), dem Kinde (ebd. § 59) und Jedem, der sonst ein rechtliches Interesse an der Regelung hat (ebd. § 57 Z. 9) die Beschwerde zu. Der Bestellung eines Pflegers für das Kind bedarf es im Verfahren nach § 1636 nicht. 222 EG z. BGB art. 206. – In einem Aufsehen erregenden Falle hat das RGer Z. S. LXII Nr. 70 S. 286 – 294 entschieden, daß, soweit a. 206 das frühere Recht aufrecht erhält, dies nicht blos gilt, so lange beide Ehegatten leben, sondern auch, wenn nur einer von ihnen lebt. Der Maler Lenbach hatte in seinem Testament verordnet, daß seine Tochter Marion, an der das Erziehungsrecht der von ihm als schuldig geschiedenen ersten Frau aberkannt und ihm ausschließlich zuerkannt war, nach seinem Tode bei seiner zweiten Gattin verbleiben und, wenn auch diese stürbe, einer bestimmten dritten Person (Fräulein Antonie v. T.) anvertraut werden solle. Die Klage der Mutter (der wiederverheirateten Frau Schwenninger) auf Herausgabe ihrer Tochter wurde, nachdem ihr die beiden Münchener Vorinstanzen stattgegeben hatten, vom Reichsgericht abgewiesen, weil die Verfügung des Vaters nach bisherigem bayrischen Recht als wirksam anerkannt werden mußte und art. 206 EG eben demgemäß, jedenfalls so lange der Vater lebe, der Mutter jeden Anspruch auf Personensorge für das Kind versage. 223 [fehlt]
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§ 291. Vermögenssorge I. Umfang Das Recht und die Pflicht, für das Vermögen des Kindes zu sorgen (Vermögensverwaltung), das in der elterlichen Gewalt des Vaters enthalten ist, erstreckt sich auf alles dem Kinde gehörige Vermögen. Ausgenommen ist jedoch Vermögen, das das Kind von Todeswegen oder unter Lebenden durch unentgeltliche Zuwendung seitens eines Dritten erwirbt, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung oder der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat, daß der Erwerb der Verwaltung des Vaters entzogen sein soll. Der Ausschluß der väterlichen Verwaltung ergreift auch die einem solchen Vermögen einverleibten Surrogate224. In gleicher Weise, wie die Verwaltung dem Vater entzogen werden kann, kann sie hinsichtlich des vom Kinde durch Erbgang oder durch unentgeltliche Zuwendung eines Dritten unter Lebenden erworbenen Vermögens Einschränkungen unterworfen werden, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung oder der Zuwender bei den Zuwendungen Anordnungen über die Verwaltung trifft. Kommt der Vater solchen Anordnungen nicht nach, so hat das Vormundschaftsgericht die zu ihrer Durchführung erforderlichen Maßregeln zu treffen225. II. Verzeichniß So lange die Mutter lebt, hat der Vater hinsichtlich des seiner Verwaltung unterliegenden Kindesvermögens keine Inventarisationspflicht. Nach dem Tode der Mutter aber muß er ein Verzeichnis des vorhandenen oder dem Kinde später zufallenden Vermögens anfertigen und das Verzeichniß, nachdem er es mit der Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit versehen hat, dem Vormundschaftsgericht einreichen226. Bei Haushaltungsgegenständen genügt die Angabe des Ge224 BGB § 1638. Die Surrogate sind im Anschluß an § 1370 definiert. Für das Kind ist nach § 1909 stets ein Pfleger zu bestellen. 225 BGB § 1639. Der Vater darf mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts von den Anordnungen abweichen, wenn ihre Befolgung das Interesse des Mündels gefährden würde. Lebt der Zuwendende noch, so ist dessen Zustimmung erforderlich und genügend, kann aber, wenn er dauernd verhindert oder sein Aufenthalt unbekannt ist, durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden; § 1803 Abs. 2 – 3 gemäß Verweisung in § 16392. 226 BGB § 16401. Zunächst hat er also das den Kindern anfallende Muttererbe und alles schon vorher vorhandene Vermögen eines Kindes zu verzeichnen. Tritt fortgesetzte Gütergemeinschaft ein, so hat er in das Verzeichniß nur den Anteil des Kindes am Gesamtgut, nicht die einzelnen zum Gesamtgut gehörigen Gegenstände aufzunehmen. Ist der Vater Vorerbe und das Kind nur Nacherbe der Mutter, so muß der Vater den ganzen Nachlaß der Mutter verzeichnen und den Wert des Pflichtteils angeben. Besteht das ganze Vermögen des Kindes nur in einem Pflichtteilsanspruch, so hat nach Beschl. des RGer Z. S. LVIII Nr. 16 der Gewalt-
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samtwerts. Ist das Verzeichniß ungenügend, so kann das Vormundschaftsgericht die Aufnahme des Verzeichnisses durch eine zuständige Behörde oder einen zuständigen Beamten oder Notar anordnen227. Doch kann die Mutter hinsichtlich des im Falle ihres Todes dem Kinde zufallenden Vermögens durch letztwillige Verfügung eine solche Verfügung ausschließen, während sie von der Aufnahme eines Privatinventars den Vater nicht entbinden kann. III. Grenzen der väterlichen Verwaltungsmacht Die dem Vater zustehende Vermögensverwaltung ähnelt der Verwaltung des Vermögens der Frau durch den Ehemann beim gesetzlichen Güterstande insofern, als sie grundsätzlich mit Nutznießung der verwalteten Vermögensmasse verbunden ist, somit dem Vater nicht blos im Interesse des Kindes, sondern zugleich im eignen Interesse zusteht. Darum ist sie vielfach nach dem Vorbilde der ehemännlichen Verwaltung geregelt. Allein während bei der ehelichen Verwaltungsgemeinschaft „Verwaltung und Nutznießung“ in einen einheitlichen Begriff verschmolzen sind, so daß die eine nicht ohne die andere bestehen kann, bilden hier Verwaltung und Nutznießung zwar einen organisatorisch verbundenen Komplex von Befugnissen und Pflichten, aber keine untrennbare Einheit. Vielmehr können die väterliche Verwaltung und die väterliche Nutznießung ungleiche rechtliche Schicksale haben. Dies entspricht der geschichtlichen Entwicklung. Das BGB hat die in der elterlichen Gewalt enthaltene Nutznießung dem im bisherigen deutschen Recht ausgebildeten und in den Partikularrechten übernommenen Begriff des väterlichen Nießbrauches (ususfructus paternus) entlehnt und folgeweise bei ihrer Ausgestaltung an dem Grundcharakter eines der Verselbständigung fähigen dinglichen Rechtes festgehalten. Darum schließt es zwar jede Uebertragung oder Pfändung der elterlichen Nutznießung aus, läßt aber den Verzicht auf sie zu und ermöglicht ihren Fortbestand trotz Entziehung oder sonstigen Verlustes der Verwaltung. Die Vermögensverwaltung dagegen behandelt das BGB als ein in der elterlichen Gewalt von Rechtswegen begründetes personenrechtliches Pflichtverhältniß, mit dem eine lediglich im Interesse der gewaltunterworfenen Kinder bestehende Macht verknüpft ist. Seinen historischen Ausgangspunkt bildet in dieser Hinsicht die in gemeinem Recht vollzogene und in Partikularrechte übergegangene Ausbildung des Begriffes einer von der römischen väterlichen Gewalt unabhängigen „väterlichen Vormundhaber in dem Vermögensverzeichniß nur den Pflichtteilsanspruch zu beziffern und dazu den Nachlaß zu berechnen, nicht aber ein vollständiges Nachlaßverzeichnis aufzunehmen. – Später zufallendes Vermögen, das der Vater zu verzeichnen hat, ist alles nach der Inventar(er)richtung von einem Kinde auf irgend eine Weise erworbene Vermögen. Das Inventar ist also, wenn solcher Vermögenserwerb eintritt, zu ergänzen. Vgl. Planck zu § 1640 Bem. 1 b, Kipp a. a. O. § 80 Anm. 36. A. M. Endemann § 200 Anm. 16, Neumann zu § 1640 Bem. 1 b, Staudinger Bem. 2 a. 227 BGB § 16402. Die Zuständigkeit zur Aufnahme des öffentlichen Verzeichnisses richtet sich nach Landesrecht. Vgl. EG z. BGB a. 141. Zusammenstellung der landesrechtlichen Bestimmungen bei Staudinger Bem. 4 b.
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schaft“, die in Folge der Erhaltung der Grundsätze des älteren deutschen Rechts über die väterliche Munt dem Vater über minderjährige Hauskinder zustehen sollte, kraft deren er in gleicher Stellung wie ein Altersvormund volle Vertretungsmacht für solche Kinder habe und zur Verwaltung ihres Vermögens mit den aus dem Vormundschaftsrecht sich ergebenden, wenn schon abgeschwächten Einschränkungen befugt sei228. So hat nun auch das BGB die in der elterlichen Gewalt enthaltene Vermögensverwaltung nach dem Vorbilde der Altersvormundschaft geregelt229. Es weist dem Vater als Verwalter und Vertreter des Kindes in Vermögensangelegenheiten eine zwar in einzelnen Punkten freiere, aber doch im Wesentlichen gleichwertige Stellung zu, wie dem Altersvormunde230. Die väterliche Vermögensverwaltung ist in erster Linie eine gesetzliche Pflicht, deren Erfüllung sich der Vater nicht entziehen kann. Sie gewährt ihm eine umfassende Macht zu Vertretungs- und Verfügungsgeschäften im Namen des Kindes, deren Wirksamkeit aber davon abhängt, daß er die seiner Macht durch das Gesetz im Interesse des Kindes gezogenen und von den Organen des Staates behüteten Grenzen nicht überschreitet. Der Vater kann sich bei der Ausübung seiner Verwaltungsmacht beliebiger Erfüllungsgehilfen bedienen, bleibt aber für deren gehörige Auswahl, Leitung und Beaufsichtigung persönlich verantwortlich. Er kann möglicher Weise die Verwaltung eines Grundstückes oder eines gewerblichen Unternehmens im Wege der Verpachtung vornehmen, darf aber dann die Rücksicht auf den Nutzungsvertrag, der ihm kraft elterlicher Nutznießung zufließt, nicht vor der Sorge für die im Interesse des Kindes geforderte ordnungsmäßige Bewirtschaftung durch den Pächter voranstellen. Im Einzelnen sind dem Vater hinsichtlich bestimmter Rechtsgeschäfte positive Einschränkungen der Verwaltungsmacht auferlegt. 1. Schenkungen für das Kind kann er so wenig wie ein Vormund mit Ausnahme von Pflicht- und Anstandsgeschenken machen. Sie sind nichtig und erlangen auch durch Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes keine Kraft. 2. Der Vater kann verbrauchbare Kindessachen außer Geld, an denen er die Nutznießung hat, für sich veräußern oder verbrauchen; Ersatz hat er dann erst nach Beendigung der Nutznießung zu leisten, es sei denn, daß die ordentliche Vermögensverwaltung frühere Leistung fordert231. Dagegen hat der Vater das seiner Ver228 Vgl. bes. die Ausführungen des RGer in Z. S. XV Nr. 41 u. 42, XII Nr. 47, XIX Nr. 69 (französ. R.), Seuff. LIX Nr. 40, auch Seuff. XLII Nr. 304 u. 307, XLIV Nr. 110, XLVI Nr. 39, LIV Nr. 236. 229 Leider hat das BGB nicht blos inhaltlich seine Bestimmungen über die väterliche Vermögensverwaltung zum großen Teil aus dem Altervormundschaftsrecht geschöpft, sondern auch in technischer Hinsicht den Weg einer Ordnung des Eltern- und Kindesverhältnisses mittels zahlreicher Verweisungen auf die Vorschriften des erst später behandelten Vormundschaftsrechtes gewählt. Wie wenig dieses Verfahren den Anforderungen an ein volkstümliches deutsches Gesetzbuch entspricht, habe ich in meiner Schrift über den Entw. S. 159 gerügt. 230 BGB § 1641 = § 1804.
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waltung unterliegende Geld des Kindes, soweit es nicht zur Bestreitung von Ausgaben bereit zu halten ist, gleich einem Vormund mündelsicher anzulegen232. Doch kann das Vormundschaftsgericht dem Vater aus besonderen Gründen eine andere Art der Anlegung gestatten233. Insbesondere kann der Vater also ermächtigt werden, das Geld des Kindes in seinem eignen Geschäft, aus dem es vielleicht nicht ohne Gefährdung seines Fortbestandes herausgezogen werden kann, arbeiten zu lassen. 3. Wichtige Rechtsgeschäfte, die der Vater für das Kind vornimmt, bedürfen der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Es sind dies die wichtigsten unter den Rechtsgeschäften, zu denen ein Vormund der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes bedarf234. Dazu gehören alle Verfügungen über ein Grundstück oder ein Recht an einem Grundstück (mit Ausnahme von Grundpfandrechten); die Eingehung einer Verpflichtung zu einer derartigen Verfügung; Verträge, die sich auf den entgeltlichen Erwerb eines Grundstückes oder eines Rechtes an einem Grundstück richten; Rechtsgeschäfte, durch die das Kind sich zur Verfügung über sein Vermögen im Ganzen oder über eine ihm angefallene Erbschaft oder über seinen künftigen gesetzlichen Erbteil oder seinen künftigen Pflichtteil verpflichtet, sowie Verfügungen über seinen Anteil an einer Erbschaft235; Miets- oder Pachtverträge oder andere das Kind zu wiederkehrenden Leistungen verpflichtende Verträge, falls sie das Kind für längere Zeit als ein Jahr nach erreichter Volljährigkeit binden sollen; Kreditgeschäfte (Aufnahme von Geld auf den Kredit des Kindes, Ausstellung von Schuldverschreibungen auf Inhaber, von Wechseln oder anderen indossablen Papieren, Bürgschaften und sonstige Uebernahme einer fremden Verbindlichkeit; Erteilung einer Prokura[)]. Eine generelle Ermächtigung ist hier wie beim Vormunde nur zum Abschluß von Kreditgeschäften und zur Prokuraerteilung zulässig und soll nur erteilt werden, wenn sie zum Zwecke der Vermögensverwaltung, insbesondere zum Betriebe eines Erwerbsgeschäftes, erforderlich ist236. Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts kann nur dem Vater gegenüber erklärt werden237. Hat der Vater ein Rechtsgeschäft ohne die erforderliche GenehBGB § 1653. BGB § 16421 mit Verweisung auf § 1807 u. 1808. 233 BGB § 16422. 234 BGB § 1643 verweist auf die Fälle des § 1821 Abs. 1 Nr. 1 – 3, Abs. 2 und des § 1822 Nr. 1 – 3, 5, 8 – 14, fügt einige besondere Bestimmungen hinzu und ordnet die entsprechende Anwendung der Vorschriften der §§ 1825, 1828 – 1831 an. 235 Gemäß § 1825 kraft Verweisung in § 16433. 236 Gemäß § 1828 kraft Verweisung in § 16433. 237 Gemäß §§ 1829 – 1840 kraft Verweisung in § 16433. Die Beendigung des Schwebezustandes kann auch hier der andere Vertragsteil durch die Aufforderung an den Vater zur Mitteilung, ob die Genehmigung erteilt sei, herbeiführen. Ist das Kind volljährig geworden, so tritt auch hier seine Genehmigung an die Stelle der Genehmigung des Vormundschafts231 232
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migung abgeschlossen, so treten genau dieselben Folgen ein, wie sie im Vormundschaftsrecht für den Fall bestimmt sind, daß ein Vormund ohne die erforderliche Genehmigung des Vormundschaftsgerichts gehandelt hat. Auch hier ist also zwischen Verträgen und einseitigen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Die Wirksamkeit des Vertrages hängt von der nachträglichen Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes ab. Das einseitige Rechtsgeschäft ist unwirksam238. Andere Rechtsgeschäfte, hinsichtlich deren ein Vormund beschränkt ist, kann der Vater für sein Kind, wenn er nur nicht pflichtwidrig zu dessen Nachteil handelt, selbständig vornehmen. Vor Allem gelten für ihn nicht die Beschränkungen, die für den Vormund durch die Bindung an die Mitwirkung eines Gegenvormundes herbeigeführt werden239. Aber es giebt auch mancherlei Rechtsgeschäfte, zu denen ein Vormund der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf, während der Vater sie für das Kind ohne solche Genehmigung abschließen kann. Dahin gehört der entgeltliche Erwerb von Grundstücken und Rechten an Grundstücken240; ferner Erbteilungsverträge241; Pachtverträge über Landgüter oder gewerbliche Betriebe242; Lehrverträge und Dienst- oder Arbeitsverträge243; Vergleiche und Schiedsverträge244. Aufgabe oder Minderung der für eine Forderung des Kindes bestehenden Sicherheit245. Zur Ausschlagung einer Erbschaft oder eines gerichts. Hat der Vater dem anderen Teil gegenüber wahrheitswidrig die Genehmigung behauptet, so ist auch hier der andere Teil bis zur Mitteilung der nachträglichen Genehmigung zum Widerruf berechtigt, es sei denn, daß ihm das Fehlen der Genehmigung beim Abschluß des Vertrages bekannt war. 238 BGB § 1831 kraft Verweisung in § 16433. 239 So kann der Vater über die Forderungen und Wertpapiere seines Kindes, insbesondere auch über dessen Hypotheken und Grundschulden im Gegensatz zu einem Vormunde selbständig verfügen; § 1822 gilt für ihn nicht. 240 Der Vormund bedarf nach § 1821 Z. 4 der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Gestritten wird, ob der Vater auch ohne solche Genehmigung das zu erwerbende Grundstück mit einer Restkaufgeldhypothek belasten kann. Verneint wird das b. Seuff. LXV Nr. 12, LXVIII Nr. 154. Indessen dürften die Gründe, aus denen zu Gunsten des Ehemannes bei der allgemeinen Gütergemeinschaft die Ansicht durchgedrungen ist, daß die Belastung mit einer Restanspruchhypothek als bloße Erwerbsmodalität anzusehen ist (vgl. oben § 270 [fehlt]), auch zu Gunsten des Vaters durchschlagen. Vgl. Dernburg § 78 Bem. 4. Entsch. d. Kammerger. v. 14. Apr. 1902 in Jahrb. XXIV S. 103 A. 241 Der Vormund kann sie nach § 1822 Z. 2 nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts schließen. Um aber ein durch die Erbteilung einem Miterben zugeteiltes Grundstück an diesen aufzulassen oder eine zur Auflassung verpflichtende Erbteilung vorzunehmen, bedarf der Vater der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts; Kammerger. b. Seuff. L Nr. 44. 242 Vorausgesetzt, daß die in § 1822 Z. 5 gesetzte Zeitgrenze nicht überschritten ist. Der Vormund bedarf zu solchen Pachtverträgen stets, auch wenn sie kurz befristet sind, nach § 1822 Z. 4 der Genehmigung. 243 Ein Vormund bedarf der Genehmigung, sobald der Vertrag auf länger als 1 Jahr geschlossen wird; § 1822 Z. 6 u. 7. 244 Ein Vormund kann einen Vergleich oder Schiedsvertrag für den Mündel nach § 1822 Z. 11 nur schließen, wenn der Wert des Streites oder der Ungewißheit in Geld schätzbar ist und den Wert von 300 Mark nicht überschreitet.
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Vermächtnisses oder zum Verzicht auf einen Pflichtteil bedarf der Vater zwar an sich gleich dem Vormunde der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, jedoch dann nicht, wenn der Anfall an das Kind lediglich Folge eigner Ausschlagung des Vaters war, also z. B. der Vater für sich und das Kind die großväterliche Erbschaft ausschlägt; diese Befreiung fällt aber weg, wenn der Vater neben dem Kinde berufen war246. Soweit der Vater Gegenstände nicht selbständig veräußern kann, kann er sie auch nicht dem Kinde zur Vertragserfüllung oder zur freien Verfügung überlassen247. Der Vater soll ein neues Erwerbsgeschäft für das Kind nicht ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts beginnen248. IV. Erwerb für das Kind249 Wenn der Vater mit den Mitteln des Kindes erwirbt, so gelten gleiche Regeln wie bei dem Erwerb des Ehemannes mit den Mitteln des eingebrachten Gutes der Ehefrau250. Das Kind erwirbt also an beweglichen Sachen, im besonderen auch an Inhaberpapieren und in blanco indossierten Orderpapieren das Eigentum251 und wird hinsichtlich der an solchen Sachen erworbenen und überhaupt der durch Vertrag abtretbaren Rechte252, die der Vater mit seinen Mitteln erworben hat, berechtigt, falls nicht erhellt, daß der Vater die Absicht, für das Kind zu erwerben, nicht hatte253. V. Beendigung Die Vermögensverwaltung kann für sich enden, insbesondere dem Vater durch das Vormundschaftsgericht entzogen werden254. Von Rechtswegen endigt die Ver§ 1822 Z. 13 gilt für den Vater nicht. BGB § 16422 gegenüber § 1822 Z. 2. 247 BGB § 1644. 248 BGB § 1645. In gleicher Weise ist nach § 1823 der Vormund gebunden; er soll aber auch ein bestehendes Erwerbsgeschäft des Mündels nicht ohne Genehmigung auflösen, während der Vater hinsichtlich der Auflösung nicht beschränkt ist. 249 [fehlt] 250 [fehlt] 251 [fehlt] 252 [fehlt] 253 BGB § 1646, übereinstimmend mit § 1381. Vgl. oben § 260 II. Erwirbt der Vater für sich, so kann er zur Abtretung verpflichtet sein. Der Vater kann aber ungleich dem Ehemann (§ 1375) auch als Vertreter des Kindes unmittelbar auf dessen Namen kontrahieren (§ 1630). 245 246
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mögensverwaltung mit Rechtskraft des Beschlusses, durch den über das Vermögen des Vaters der Konkurs eröffnet wird; sie kann aber nach Aufhebung des Konkurses dem Vater durch das Vormundschaftsgericht wieder übertragen werden255.
§ 292. Elterliche Nutznießung I. Begriff Elterliche Nutznießung ist das in der elterlichen Gewalt enthaltene gesetzliche Recht des Nutzungsgenusses am Vermögen der Kinder256. II. Geschichte Die elterliche Nutznießung des BGB ist die moderne Ausgestaltung der in der germanischen Hausgemeinschaft von je begründeten Befugniß des Familienhauptes, kraft seiner Munt das den unselbständigen Hausgenossen gehörige Vermögen in Besitz zu nehmen und für die gemeinsamen Zwecke zu benutzen. Dieses zunächst dem Vater zustehende, aber in irgend einer Form nach seinem Tode von der Mutter fortgeübte Recht hatte sich in ganz Deutschland in wesentlich unverändertem Bestande erhalten und war nur seit der Rezeption einerseits dem römischen Begriff des ususfructus unterstellt worden, wobei man jedoch den Bedürfnissen des deutschen Familienrechts durch Abwandlungen im Sinne des ususfructus juris Germanici entgegen kam. Andererseits wurde das römische Pekuliarrecht, das frühzeitig als gemeines deutsches Recht behandelt und auch von den Partikularrechten aufgenommen wurde, in das ererbte einheimische Familienrecht hineingetragen, vermochte jedoch kein wirkliches neues Leben zu gewinnen. Während im gemeinen Recht die Trümmerstücke des Pekuliarrechts im Grunde nur ein Scheinleben fortführten, wurden in den Partikularrechten mehr und mehr die technischen Begriffe des römischen Rechts überhaupt abgestreift, ohne daß freilich der materielle Zusammenhang mit der Pekulienlehre ganz verschwunden wäre, und durch die Unterscheidung des eigentlichen Vermögens der Kinder in ihr unfreies und ihr freies Vermögen ersetzt257. So bildet nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht der väterliche Nießbrauch an allem Vermögen der gewaltunterworfenen Kinder die gesetzliche Regel und stempelt dieses Vermögen zu „unfreiem Vermögen“, 254 Und zwar mit oder ohne gleichzeitige Entziehung der Nutznießung; BGB § 16662, 1670, Folgen in § 1682. 255 BGB § 1647. 256 BGB § 1649. Dem Vater steht kraft der elterlichen Gewalt die Nutznießung am Vermögen des Kindes zu. 257 Preuß. ALR II §§ 147 ff.
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während das eigentliche Vermögen der Kinder, welches dem väterlichen Nießbrauch nicht unterworfen ist, ihr „freies Vermögen“ genannt wird. Unmittelbar hieran knüpft das BGB an. III. Wesen So ist die elterliche Nutznießung des BGB ein dem Träger elterlicher Gewalt kraft seiner personenrechtlichen Stellung zustehendes Recht auf Nutzungsgenuß von allem Vermögen des Kindes, das nicht aus einem besonderen Grunde von der elterlichen Nutznießung befreit ist. Sie ist gleich der ehemännlichen Nutznießung beim gesetzlichen Güterstande kein Nießbrauch, sondern ein aus personenrechtlicher Machtstellung folgendes Recht, das das Vermögen der gewaltunterworfenen Person im Ganzen ergreift und auf die im einzelnen zugehörigen Vermögensgegenstände sich von Rechtswegen mit dinglicher Wirkungskraft erstreckt. Die elterliche Nutznießung wird daher so wenig wie die ehemännliche Nutznießung in das Grundbuch eingetragen und tritt gleich der ehemännlichen Nutznießung ohne Weiteres an Vermögensgegenständen ein, die dem ihr unterliegenden Vermögen zuwachsen258. Gleich der ehemännlichen Nutznießung ist die elterliche Nutznießung unübertragbar259 und somit auch unpfändbar260. Auch ist sie durch die ihr aus ihrer familienrechtlichen Zweckbestimmung folgenden Pflichten, die dem Nutznießer obliegen, beschränkt und gebunden. Der Vater hat insbesondere die Lasten des seiner Nutznießung unterworfenen Vermögens zu tragen und haftet dafür unabhängig von dem Vorhandensein von Nutzungen in dem gleichen Umfange wie der Ehemann kraft seiner Verwaltung und Nutznießung für die Lasten des eingebrachten Gutes der Frau261. Der Vater erwirbt ferner zwar kraft eignen dinglichen Rechts an den Früchten des seiner Nutznießung unterliegenden Kindesguts freies Eigentum. 258 Wenn daher der Vater mit den Mitteln des Kindes etwas erwirbt, spricht die Vermutung aus § 1646 dafür, daß er, soweit er Eigentum oder sonstiges Recht für das Kind erwirbt, für sich selbst daran die Nutznießung erwirbt. Entsteht durch eine günstige Schöpfungstat des Kindes ein Urheberrecht oder Erfinderrecht, so tritt von Rechtswegen an diesen Rechten des Kindes elterliche Nutznießung ein. Verändert sich der Stand des Kindesvermögens durch eine Verwaltungshandlung des Vaters, so gilt allgemein Surrogationsprinzip. 259 BGB § 16581. Die Ausübung des Nutzungsrechts ist übertragbar. So kann der Vater Grundstücke, Fahrnißstücke und Gerechtigkeiten verpachten oder vermieten, ein Urheberrecht durch Einräumung eines Verlagsrechtes oder eines Aufführungsrechts, ein Patentrecht durch Erteilung von Lizenzen nutzbar machen usw. 260 ZPO § 862. Gegen eine unzulässige Pfändung kann den Widerspruch auch das Kind erheben. 261 BGB § 1654 mit Verweisung auf die §§ 1384 – 1386 und 1388. Zu den Lasten gehören auch Prozeßkosten, sofern sie nicht dem Vorbehaltsgut der Frau oder dem freien Vermögen des Kindes ausschließlich zur Last fallen, jedoch Kosten der Verteidigung in einem Strafverfahren nur mit Vorbehalt eines Regreßanspruches gegen das Kind im Fall der Verurteilung. Dem Gläubiger des Kindes gegenüber haftet der Vater, wenn das Kind gleichzeitig haftet, neben ihm als Gesamtschuldner.
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Allein wenn folgeweise die Früchte, sobald er sie erworben hat, an sich pfändbar sind, so ist doch ihre Pfändung in ähnlicher Weise, wie bei der ehemännlichen Nutznießung, mit Rücksicht auf die familienrechtliche Zweckbestimmung des Nutzungsrechtes beschränkt. Dann ist sie nur insoweit zulässig, als die Früchte nicht erforderlich sind, um die dem Vater hinsichtlich der Lasten des Kindes obliegenden Verpflichtungen und seine Unterhaltspflicht gegen das Kind selbst, andere Abkömmlinge, seine Ehefrau oder eine frühere Ehefrau und seine Verwandten aufsteigender Linie zu erfüllen, sowie die Kosten des eignen standesmäßigen Unterhalts zu bestreiten262. Daß im Uebrigen die elterliche Nutznießung sich von der ehemännlichen Nutznießung dadurch in ihrem Wesen scharf unterscheidet, daß sie von der Verwaltung trennbar ist und im Falle einer solchen Trennung selbständig besteht, haben wir schon erwähnt. Ebenso haben wir schon darauf hingewiesen, daß die elterliche Nutznießung im Gegensatz zur ehemännlichen Nutznießung verzichtbar ist263.
IV. Freies Vermögen der Kinder Während nach der gesetzlichen Regel alles Vermögen eines unter elterlicher Gewalt stehenden Kindes der elterlichen Nutznießung unterworfen, und somit unfreies Vermögen ist, können aus sehr verschiedenen Gründen Vermögensgegenstände des Kindes der elterlichen Nutznießung entzogen sein und somit freies Vermögen des Kindes bilden. 1. Zunächst kann Vermögen, das ein Kind von Todes wegen erwirbt, durch letztwillige Verfügung des Erblassers, Vermögen, das ihm durch unentgeltliche Zuwendung unter Lebenden übertragen wird, durch eine Bestimmung des Zuwenders bei der Zuwendung der väterlichen Nutznießung entzogen werden. Die Ausschließung der Nutznießung erstreckt sich ebenso, wie eine in gleicher Weise erfolgte Ausschließung der väterlichen Verwaltung auch auf die Surrogate264, läßt dagegen die väterliche Verwaltung unberührt265. 2. Kraft gesetzlicher Ausnahmebestimmung sind ferner freies Vermögen des Kindes alle ausschließlich zum persönlichen Gebrauch bestimmten Sachen, insbesondere Kleider, Schmucksachen und Arbeitsgerät266. Vorausgesetzt, daß sie überhaupt Eigentum des Kindes sind267.
ZPO § 8621, 8611 S. 2. BGB § 1662. Der Verzicht erfolgt durch Erklärung in öffentlich beglaubigter Form gegenüber dem Vormundschaftsgericht. 264 BGB § 1651 Z. 2. Vgl. oben § 291 Anm. 224. 265 Darum wird kein Pfleger bestellt. Der Vater ist selbst verpflichtet, für die Ueberführung der Nutzungen in das Kindesvermögen zu sorgen. 266 BGB § 1650. Wie nach § 1366 gesetzliches Vorbehaltsgut der Frau. 262 263
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3. Gleiches gilt von Allem, was das Kind durch seine Arbeit oder dem ihm mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts gemäß § 112 gestatteten selbständigen Betriebe eines Erwerbsgeschäftes erwirbt268. 4. Endlich kann unfreies Vermögen durch Verzicht auf die elterliche Nutznießung in freies Vermögen verwandelt werden. 5. Desgleichen durch obervormundschaftliche Entziehung der elterlichen Nutznießung ohne gleichzeitige Entziehung der elterlichen Verwaltung. 6. Nutznießung an einem zum unfreien Vermögen gehörigen Erwerbsgeschäft, das der Vater im Namen des Kindes betreibt. Gegenstand der Nutznießung ist hier nur das Erwerbsgeschäft als Ganzes, als ein in sich geschlossenes Sondervermögen. Darum gebührt dem Vater kein Nutznießungsrecht an den einzelnen Vermögensgegenständen, sondern nur der jährliche Reingewinn. Ergiebt sich in einem Jahr ein Verlust, so verbleibt der Gewinn späterer Jahre bis zur Ausgleichung des Verlustes dem Kind268a. V. Erwerb der Nutzungen Der kraft elterlicher Gewalt zur Nutznießung Berechtigte erwirbt die Nutzungen des seiner Nutznießung unterliegenden Vermögens gleich dem Ehemann in derselben Weise und in demselben Umfange, wie ein Nießbraucher269.
267 Handelt es sich um Geschenke eines Dritten, so wird regelmäßig zugleich § 1651 Z. 2 zutreffen, da die Bestimmung der Zuwendung, daß die elterliche Nutznießung ausgeschlossen sein soll, stillschweigend erfolgen kann. Die elterliche Verwaltung an diesen Sachen bleibt unberührt. 268 BGB § 1651 Z. 1. Uebereinstimmend § 1367 für Vorbehaltsgut der Frau. Es ist das römische peculium castrense und quasi castrense. Die Verwaltung spricht auch an diesem Vermögen das BGB dem Inhaber der elterlichen Gewalt nicht ab. Der Vater kann also vom Sohne die Ablieferung des außerhäuslichen Arbeitsverdienstes verlangen, und der Sohn kann nur mit Zustimmung des Vaters über denselben frei [ver]fügen. Doch kann der selbständige Betrieb eines Erwerbsgeschäftes dem Kinde wider seinen Willen nach § 1122 nicht ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts vom Vater wieder entzogen werden, ebensowenig kann ohne solche Genehmigung der Vater einseitig über die Betriebsmittel des Geschäftes verfügen. 268a BGB § 1655. Vgl. oben § 261 VI. 269 BGB § 1652. Der Nutznießer erwirbt aber nicht, wie der Nießbraucher nach § 1069 das Eigentum an verbrauchbaren Sachen, darf jedoch verbrauchbare Sachen außer Geld für sich veräußern oder verbrauchen und hat dann erst bei Beendigung der Nutznießung den Wert der Sachen zu ersetzen, es sei denn, daß die ordentliche Verwaltung des Vermögens früheren Wertersatz fordert; § 1653.
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VI. Nutznießung ohne Verwaltung Wenn dem Vater die Verwaltung fehlt, kann er die Nutznießung nicht selbst ausüben. Sein Nutznießungsrecht als solches aber besteht an sich fort. Er hat daher einen Anspruch auf Herausgabe der Nutzungen, soweit nicht ihre Verwendung zur ordnungsmäßigen Verwaltung und zur Bestreitung der Lasten der Nutznießung erforderlich ist. Dieser Anspruch ist bis zur Fälligkeit unübertragbar und unpfändbar270. Wenn jedoch die elterliche Gewalt des Vaters ruht oder die Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes dem Vater durch das Vormundschaftsgericht entzogen ist, können die Kosten für den Unterhalt des Kindes insoweit, als sie dem Vater zur Last fallen, aus den Nutzungen vorweg genommen werden271. VII. Schuldverhältnisse 1. Nach außen Für Schulden des Kindes haftet sein freies und sein unfreies Vermögen. Die elterliche Nutznießung bildet für den Gläubiger kein Hinderniß, sich aus dem Vermögen des Kindes zu befriedigen; auch werden den Gläubigern gegenüber Ersatzansprüche des Kindes wegen veräußerter oder verbrauchter verbrauchbarer Sachen sofort fällig272. Zur Zwangsvollstreckung in das unfreie Vermögen genügt ein gegen das Kind ergangenes Urteil273. Für Schulden des Vaters haftet das Vermögen des Kindes in keiner Weise. 2. Nach innen Im inneren Verhältniß zwischen Vater und Kind fallen gewisse Verbindlichkeiten des Kindes nur seinem freien Vermögen zur Last. Es sind dieselben Verbindlichkeiten, die im inneren Verhältniß der Ehegatten bei gesetzlichem Güterstande das Vorbehaltsgut treffen. Sie ergeben sich aus den §§ 1415 und 14161, auf deren entsprechende Anwendung § 1660 verweist. Dazu gehören Deliktsschulden, Verbindlichkeiten und Rechtsgeschäfte, die sich auf fremdes Gut beziehen, dazu gehören Prozeßkosten und der Regel nach Kosten eines Rechtsstreites zwischen Vater und Kind. Wird eine dem freien Vermögen zur Last fallende Schuld aus unfreiem BGB § 16561. Der Anspruch richtet sich, da [sich] der Eigentumserwerb des Vaters an den Nutzungen nach § 1652 vollzieht, gegen den Verwalter des Kindesvermögens, der in der Regel ein Pfleger sein wird. Er ist an sich fällig, sobald ein Ueberschuß der Nutzungen über die Verwaltungskosten und Lasten feststeht. 271 BGB § 16562. In diesen Fällen hat außerdem der Vater dem Kind gegenüber die Verpflichtung, eine Ersatzverbindlichkeit, die er sonst erst bei Beendigung der Nutznießung zu erfüllen hatte, sofort zu erfüllen. 272 BGB § 1659. 273 ZPO § 746. 270
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Vermögen berichtigt, so hat das Kind aus dem freien Vermögen, soweit es reicht, zum unfreien Ersatz zu leisten. Umgekehrt hat der Vater, wenn er eine Verbindlichkeit des Kindes, die ihn zugleich als Nutznießer des Kindesvermögens verhaftet, weil sie zu den Lasten der Nutznießung gehört, aus freiem Kindesvermögen berichtigt hat, aus dem unfreien Vermögen, soweit es reicht, zu dem freien Vermögen Ersatz zu leisten274. VIII. Beendigung Die Nutznießung kann vor Beendigung der elterlichen Gewalt endigen. Sie endet von Rechtswegen durch Heirat der Tochter, sie müßte denn ohne die erforderliche elterliche Einwilligung geheiratet haben275. Sie endet ferner durch Verzicht276. Sie kann endlich durch das Vormundschaftsgericht für sich oder gleichzeitig mit der Verwaltung entzogen werden277. Was die Folgen der Beendigung betrifft, so gelten gleiche Regeln wie beim Nießbrauch hinsichtlich der Fortdauer eines Miets- oder Pachtverhältnisses, das der Vater kraft seiner Nutznießung für längere Zeit über ein Grundstück geschlossen hat; sowie für den Ersatz der Bestellungskosten bei Herausgabe eines zum Kindesvermögen gehörenden Landgutes im Falle der Beendigung der Nutznießung an einem zum Kindesvermögen gehörenden landwirtschaftlichen Grundstück, wenn die Beendigung im Laufe des Wirtschaftsjahres eintritt, für den Ersatz der Bestellungskosten, und für den Fall der Herausgabe eines zum Kindesvermögen gehörenden Landgutes auch für die Zurücklassung der zur Fortführung der Wirtschaft erforderlichen Vorräte278.
§ 293. Obervormundschaftliche Befugnisse I. Ueberhaupt Die Ausübung der elterlichen Gewalt unterliegt zwar nicht, wie die Führung der Vormundschaft, einer ständigen staatlichen Aufsicht. Allein das Vormundschaftsgericht hat nicht nur, wie wir gesehen haben, in einer Reihe von Fällen auf Antrag 274 So nach dem laut Verweisung in § 1660 entsprechend anwendbaren § 1477. Zwischen den im Vermögen des Kindes unterschiedenen besonderen Vermögensmassen können also, wie zwischen dem eingebrachten Gut und dem Vorbehaltsgut der Frau, objektive Schuldverhältnisse [bestehen]. Vgl. oben § 263 III. 275 BGB § 1661. Die Verwaltung endet an sich nicht, behält aber nach § 1633 nur beschränkten Spielraum. 276 Oben Anm. 263. 277 BGB § 16662. 278 BGB § 1663. Entsprechend anwendbar ist § 1056 (aber nur, wenn der Vater „kraft seiner Nutznießung“ in eignem Namen, nicht wenn er kraft seiner Verwaltung als Vertreter des Kindes vermietet oder verpachtet hat), ferner § 592 und § 593.
2. Titel: Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern
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die Zweckmäßigkeit einer elterlichen Entscheidung zu prüfen und über Erteilung oder Versagung einer vom Gesetz geforderten Genehmigung zu entscheiden, sondern auch von Amtswegen einzuschreiten, wenn im Interesse des Kindes eine außerordentliche Maßregel erforderlich ist279. Der Vormundschaftsrichter hat also gegenüber den Kindern unter elterlicher Gewalt amtliche Verpflichtungen zu erfüllen und haftet aus vorsätzlicher oder fahrlässiger Pflichtverletzung dem Kinde nach Beamtenhaftungsrecht auf Schadensersatz280. Als Unterstützungsorgan des Vormundschaftsgerichts fungiert hier wie bei Waisenkindern der Gemeindewaisenrat. Auch ihm aber liegt hier keine ständige Aufsicht ob, sondern nur die Verpflichtung zur Anzeige an das Vormundschaftsgericht, wenn ein Fall zu seiner Kenntniß gelangt, in dem das Vormundschaftsgericht zum Einschreiten berufen ist281. Unverkennbar hat im Laufe der jüngsten Jahrzehnte das Verhältniß zwischen dem Machtbereich der aus sich heraus tätigen Familie und der die Familiengewalt einschränkenden und ergänzenden Staatsgewalt sich mehr und mehr zu Ungunsten der Familiengewalt verschoben. Die privatrechtliche Bedeutung des Familienrechts hat gegenüber der öffentlichrechtlichen Bedeutung desselben überall starke Einbuße erlitten. Die Familie hat sich zweifellos den Aufgaben, die ihr die moderne soziale und politische Entwicklung in Ansehung der Behütung und Ausbildung der Jugend stellte, nicht durchweg als gewachsen erwiesen. In allen modernen Kulturländern sind so gewaltige Mißstände in der leiblichen und sittlichen Beschaffenheit eines großen Teiles der heranwachsenden Generation, vor Allem in den Großstädten, zu Tage getreten, so gefährliche Entartungserscheinungen, gefördert durch die wachsende wirtschaftliche Klassenspaltung und die Uebersteurung extrem demokratischer politischer Tendenzen, offenbar geworden, daß notwendig der Staat den Versuch unternehmen mußte, dies der Volksgesammtheit von dieser Seite her drohende Verderben abzuwehren. Man ist sich auch bewußt geworden, daß es sich hier um ein gemein [ . . . ] [Lücke des Manuskripts].
279 RGes über Freiw. Gerichtsb. § 12; §§ 35, 43, 44, 55 über Zuständigkeit; §§ 57 ff. über Beschwerde. 280 BGB § 1674 mit § 839 (und zwar ohne das Privileg des rechtsprechenden Richters). 281 BGB § 1675.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
II. Verhinderung des Vaters Ist der Vater verhindert, die elterliche Gewalt auszuüben, ohne daß die Mutter an die Stelle tritt, so hat das Vormundschaftsgericht die im Interesse des Kindes erforderlichen Maßregeln anzuordnen281a. Meist wird die Bestellung eines Pflegers erforderlich sein. Die Verhinderung kann tatsächlicher Natur sein282 oder rechtlicher Natur283. III. Gefährdung der Person Das Vormundschaftsgericht hat einzuschreiten, wenn das geistige oder leibliche Wohl des Kindes durch ein schuldhaftes Verhalten des Vaters (oder, soweit es sich um die Erziehung handelt, der neben ihm verantwortlichen Mutter) gefährdet wird284. Voraussetzung ist objektiv eine Gefahr für das Kind, subjektiv ein schuldhaftes Verhalten des Vaters. Ein solches kann in der Vernachlässigung des Kindes (z. B. körperlicher Verwahrlosung oder Anleitung zu Laster oder Sünde), ein Mißbrauch des Rechtes der Personensorge (z. B. wiederholte Ueberschreitung des Züchtigungsrechtes) oder in eignem „unsittlichen oder ehrlosen Verhalten“ (z. B. einem als Beispiel für das Kind verderblichen lasterhaften oder verbrecherischen Leben) zu finden sein285. Zulässige Maßregeln sind alle zur Abwendung der dem Kinde drohenden Gefahr erforderlichen Anordnungen. Vielleicht genügen dazu Ermahnungen oder Verwarnungen oder einzelne Gebote oder Verbote. Nöthigenfalls kann das Vormundschaftsgericht das Recht der Personensorge den Eltern entziehen. Insbesondere kann es anordnen, daß das Kind zum Zweck der Erziehung in einer anderen geeigneten Familie oder in einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt untergebracht werde286. [fehlt] So wenn der Vater krank oder abwesend und die Mutter verstorben oder ebenfalls krank oder abwesend ist. 283 So wenn es sich um ein Rechtsgeschäft oder einen Rechtsstreit zwischen dem Gewalthaber und dem Kinde oder zwischen Kindern unter derselben elterlichen Gewalt handelt. 284 BGB § 1666. 285 Die Grenzen sind schwer zu bestimmen. Unberechtigt war sicherlich die in Nordschleswig vorgekommene Entziehung des Rechtes der elterlichen Personensorge wegen Hingabe von Kindern in eine dänische Erziehungsanstalt. Auch wird Niemand es für zulässig halten, allen Sozialdemokraten die Erziehung ihrer Kinder wegen deren Erziehung in sozialdemokratische Irrlehren zu nehmen. – Aber wie steht es im Falle der Erziehung in anarchistischen oder kommunistischen Grundsätzen oder der grundsätzlichen Verweigerung jedes religiösen Unterrichts? 286 Aehnliche Bestimmungen finden sich schon im Preuß. ALR II §§ 90 – 91 und im Sächs. Gb. § 1803. Nach § 1838 BGB ist das dem Vormundschaftsgericht in § 1666 gewährte Recht, eine Zwangserziehung anzuordnen, auch dem unter Vormundschaft stehenden Kinde 281a 282
2. Titel: Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern
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Diese durch das BGB § 1666 dem Vormundschaftsgericht erteilten Befugnisse werden den Bedürfnissen der Jugendfürsorge insofern nicht gerecht, als sie keine Handhabe zu Eingriffen in die elterliche Gewalt bieten, wenn die Gefahr für das leibliche oder geistige Wohl des Kindes von den Eltern nicht verschuldet ist. Von zwei Seiten her wird das BGB in dieser Richtung ergänzt. Einerseits eröffnet das Strafgesetzbuch die Möglichkeit, unabhängig von elterlichem Verschulden im Wege des Strafverfahrens die Zwangserziehung gegen ein altersunreifes Kind als Schutzmaßregel zu verhängen, wenn das Kind bereits durch Verstoß gegen das Strafgesetz offenbart hat, daß es in sittlicher Gefahr schwebt, jedoch als absolut strafunmündig (weil es das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat) überhaupt nicht bestraft werden kann oder als relativ strafunmündig wegen mangelnder Einsicht freigesprochen wird287. Im ersten Falle jedoch kann die Unterbringung in einer Familie oder einer Anstalt nur erfolgen, nachdem durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts die Begehung der Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt wird288. Im zweiten Falle ist im Urteil des Strafrichters zu bestimmen, ob der Angeschuldigte seiner Familie überwiesen oder in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt gebracht werden soll; in der Anstalt ist er so lange zu behalten, als die der Anstalt vorgesetzte Verwaltungsbehörde dies für erforderlich erachtet, jedoch nicht über das vollendete zwanzigste Lebensjahr288a. Andererseits und vor Allem aber ist das System des BGB durch umfassendes Landesrecht im Sinne einer allseitigen staatlichen Fürsorge für das Bedürfniß einer Zwangserziehung oder, wie sie jetzt fast allgemein genannt wird, einer „Fürsorgeerziehung“ des gefährdeten Teiles der durch Haus und Schule unvollkommen gesicherten Jugend ausgebaut289. Derartige besondere Landesgesetze über Fürsorgeerziehung sind in allen deutschen Staaten ergangen und stimmen in ihren Grundgedanken überein290.
gegenüber begründet, jedoch auch dann, falls dem Vater oder der Mutter die Sorge für die Person des Kindes (neben dem Vormund) zusteht, nur unter den Voraussetzungen des § 1666 (also bei elterlichem Verschulden) zulässig. So bei unehelichen Kindern. 287 StrGB §§ 55 – 56. 288 StrGB § 55 S. 3. 288a StrGB § 562. 289 Die reichsgesetzliche Ermächtigung der Landesgesetzgebung zu den Abweichungen vom BGB findet sich im EG zum BGB a. 135. Ebenso die Festsetzung der für die Abweichung unüberschreitbaren Grenzen. Die Stellung des Vormundschaftsgerichts bleibt grundsätzlich unverändert, sein Recht aus § 1666 unangetastet. 290 Vgl. bes. Preuß. Ges. über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger v. 2. Juli 1900. Bayr. Zwangserziehungsges. v. 10. Mai 1902. Württemb. Ges. v. 2. Juli 1899 mit Nov. v. 19. Nov. 1905. Bad. Ges. v. 10. Aug. 1920 (fast durchgängige Aenderung eines alten Ges. v. 4. Mai 1886). Hess. AG z. BGB a. 284. Oldenb. AG z. BGB f. Oldenb. §§ 27 – 34, Birkenf. §§ 72 – 78, Lüb. §§ 25- 31. Mecklenb. Ver. v. 9. April 1899. Braunschw. G. v. 12. Juni 99. Weimar
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
Es handelt sich hier um eine im Einzelnen mannichfach divergierende Fülle von Spezialbestimmungen, die ein in sich geschlossenes eigenartiges Gebiet des öffentlichen Rechtes bilden und deren Darstellung wegen ihres Zusammenhanges mit den Verwaltungseinrichtungen der einzelnen Staaten trotz ihrer Bedeutung für das Familienrecht in das öffentliche Recht zu verweisen ist291. Allgemein ist nach den Gesetzen das Vormundschaftsgericht, auch wenn ein Verschulden der Eltern nicht vorliegt und das Kind noch nicht mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt geraten ist, ermächtigt, eine Zwangserziehung anzuordnen, wenn sie zur Verhütung des vollen sittlichen Verderbens des Kindes erforderlich ist. Also auch z. B., wenn die Eltern durch Armut oder außerhäusliche Arbeit außer Stand gesetzt sind, diejenige besondere Fürsorge zu treffen, ohne die bei den zu Tage getretenen gefährlichen Neigungen des Kindes, der Gesellschaft, in die es geraten ist usw. sein völliges sittliches Verderben vorauszusehen ist292. Ohne das Recht des Vormundschaftsgerichts, von Amts wegen einzuschreiten, zu schmälern, suchen die Gesetze durch Verleihung und Regelung privater und behördlicher Antragsrechte auf Einleitung eines Verfahrens dafür zu sorgen, daß möglichst gleichmäßig, wo das Bedürfniß einer Zwangserziehung besteht, dieses auch befriedigt wird. Eine Hauptaufgabe erblicken die Fürsorgeerziehungsgesetze in der Sicherung der Aufbringung der Kosten des ganzen Werkes aus öffentlichen Mitteln. In Preußen fallen gewisse Hülfskosten den Ortsarmenverbänden zur Last, während hauptsächlich die Provinzialverbände oder in einzelnen Landesteilen andere mit deren Befugnissen betreute Kommunalverbände die Kosten zu bestreiten haben, durchweg aber der Staat den Gemeinden und sonstigen Kommunalverbänden zu den von ihnen zu tragenden Kosten zwei Drittel zuschießt. Im Zusammenhange mit der Kostentragung ist die Leitung und Beaufsichtigung der Durchführung der Erziehung der Zöglinge in geeigneten Familien oder Erziehungs- und Besserungsanstalten verteilt und geregelt. Während grundsätzlich die Entscheidung, in welcher Weise die Elternerziehung zu ersetzen ist, auch heute dem Vormundschaftsgericht verblieben ist, haben die Landesgesetze kraft reichsrechtlicher Ermächtigung durchweg überall, wo die Fürsorgeerziehung auf öffentliche Kosten erfolgt, die Entscheidung darüber, ob das Kind in einer geeigneten Familie oder in einer Zwangserziehungsanstalt oder Besserungsanstalt untergebracht werden soll, einer Verwaltungsbehörde übertragen. In manchen Staaten sind besondere öffentlichrechtliche Verbände für das Fürsorgewesen gebildet. So in Sachsen eigne rechtsfähige „FürAG z. BGB §§ 200 – 210. Brem. Ges. v. 21. Dez. 1912. Lübeck. AG z. BGB §§ 130 – 141. Weitere Ges. sind angeführt bei Niedner, Komm. z. BGB Bem. 4. 291 Kurze Uebersicht über den Inhalt der wichtigsten Gesetze finden sich bei Kipp a. a. O. S. 503 ff., Dernburg IV 280 ff., Crome S. 539 ff.; für Bayern Oertmann § 142, für Baden Dorner-Seng § 124, für Mecklenburg v. Buchka § 36, für die thüring. Staaten Bürkel § 144, für Hamburg Nöldecke § 193. 292 Zu beachten ist, daß besonders bei unehelichen Kindern das Erziehungsrecht der Mutter nach dem BGB § 1838 ohne diese Erweiterung des Rechtes des Vormundschaftsgerichts möglicher Weise unüberwindlich wäre; oben Anm. 285.
2. Titel: Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern
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sorgeverbände“! Ueberall sind schließlich den der Fürsorgeerziehung unterworfenen Kindern und den zu ihrem Unterhalt verpflichteten Personen privatrechtliche Regreßansprüche gegen die mit den Kosten belasteten Verbände (in Preußen auch gegen die Ortsarmenverbände) auferlegt. Insoweit Fürsorgeerziehung in anderen geeigneten Familien erfolgt, werden den Vorstehern dieser Familien durch obrigkeitlichen Eingriff quasielterliche Rechte verliehen, denen privatrechtlicher Charakter zugeschrieben werden muß293. IV. Gefährdung des Vermögens Das Vormundschaftsgericht hat einzuschreiten, wenn das Vermögen des Kindes gefährdet ist, sei es nun durch Pflichtverletzung des Vaters, sei es durch dessen, wenn schon unverschuldeten Vermögensverfall294. Die zulässigen Maßregeln sind „die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Anordnungen“. Insbesondere295 kann das Vormundschaftsgericht vom Vater die Einreichung eines Vermögensverzeichnisses und Rechnungslegung über seine Verwaltung verlangen296. Das Vormundschaftsgericht kann auch, wenn zum Vermögen des Kindes Wertpapiere, Kostbarkeiten oder Buchforderungen gegen das Reich oder einen Bundesstaat gehören, dem Vater die gleichen, ihn also an sich nicht treffenden Verpflichtungen auferlegen297, die kraft Gesetzes dem Vormund obliegen298. Will der Vater eine neue Ehe eingehen, so hat er die Absicht dem Vormundschaftsgericht anzuzeigen, ihm ein Vermögensverzeichniß einzureichen und, wenn hinsichtlich des verzeichneten Vermögens zwischen ihm und dem Kind eine Gemeinschaft besteht, ihre Auseinandersetzung herbeizuführen299.
293 So ist ihnen der gleiche privatrechtliche Herausgabeanspruch, den § 1632 dem Vater gewährt, nicht zu versagen. 294 BGB § 1667. 295 BGB § 16672 S. 1. 296 Das Verzeichniß muß vom Vater mit der Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit versehen und, wenn es ungenügend ist, durch ein öffentliches nach § 1640 (vgl. oben § 291 Anm. 227) ersetzt werden. 297 Also Hinterlegungen, Umschreibungen und Sperrungen nach den §§ 814, 816, 1818, 1819, 1820 (dabei sind § 1819 und § 1820 entsprechend anwendbar). Alles auf Kosten des Vaters. 298 BGB § 16672 S. 2. Kommt der Vater diesen in erster Linie vorgesehenen Anordnungen nicht nach oder erfüllt nicht die ihm danach obliegenden Verpflichtungen, so kann ihm das Vormundschaftsgericht Sicherheitsleistung für das seiner Verwaltung unterliegende Vermögen auferlegen. Die Art und den Umfang der Sicherheitsleistung bestimmt es nach seinem Ermessen. 299 BGB § 1669. Das Vormundschaftsgericht kann Verschiebung der Auseinandersetzung bis nach der Eheschließung gestatten.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
Die Sicherheitsleistung kann der Vormundschaftsrichter vom Vater nicht positiv erzwingen, er kann aber, wenn sie nicht erfolgt, dem Vater die Vermögensverwaltung entziehen300. Mit der Entziehung der Vermögensverwaltung ist zugleich die Entziehung des Rechtes auf eigne Ausübung der elterlichen Nutznießung verbunden. Nicht notwendig aber die Nutznießung selbst. Das Vormundschaftsgericht kann jedoch neben der Entziehung der Vermögensverwaltung oder auch ohne solche auch die Entziehung der elterlichen Nutznießung anordnen301. Es ist daher möglich, daß die elterliche Gewalt als solche fortbesteht, obschon dem Gewalthaber sowohl die Personensorge wie die Vermögenssorge einschließlich der Vertretungsmacht in beiderlei Hinsicht völlig entzogen ist302. Das Vormundschaftsgericht soll vor einer Entscheidung, durch welche dem Vater die Personensorge oder die Vermögenssorge oder die Nutzung entzogen oder beschränkt wird, den Vater hören, es sei denn, daß die Anhörung untunlich ist. Außerdem sollen vor der Entscheidung Verwandte, insbesondere die Mutter, oder Verschwägerte des Kindes gehört werden, wenn es ohne erhebliche Verzögerung und ohne unverhältnißmäßige Kosten geschehen kann303. § 294. Ruhen und Beendigung der elterlichen Gewalt I. Ruhen Die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wenn er geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt oder wegen körperlicher Gebrechen unter Pflegschaft gestellt ist. Ruht die Gewalt des Vaters oder ist er an ihrer Ausübung tatsächlich verhindert (z. B. durch Krankheit oder Abwesenheit), so übt während der Dauer der Ehe die Mutter die elterliche Gewalt aus. Doch behält der Vater die Nutznießung304. Auch verbleibt ihm, soweit er nicht geschäftsunfähig ist, die Personensorge für das Kind mit Ausnahme der gesetzlichen Vertretung; bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und dem Vater geht die Meinung des gesetzlichen 300 BGB § 1670. Während der Dauer der elterlichen Gewalt kann das Gericht seine Anordnungen jederzeit abändern, insbesondere die Erhöhung, Minderung oder Aufhebung der geleisteten Sicherheit anordnen; § 1671. Bei der Bestellung und Aufhebung der Sicherheit wird die Mitwirkung des Kindes durch die Anordnung des Vormundschaftsgerichts ersetzt, so daß also das Gericht zugleich als rechtsgeschäftlicher Vertreter des Kindes fungiert und es der Bestellung eines Pflegers nicht bedarf; alle Kosten trägt der Vater; § 1672. 301 So namentlich stets nach § 16662, wenn der Vater das Recht des Kindes auf Gewährung des Unterhaltes verletzt hat und für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts zu besorgen ist. Hier ist jedoch Verschulden des Vaters erforderlich. Bei unverschuldetem Vermögensverfall muß daher ein etwaiger Nutzungsüberschuß dem Vater belassen worden. 302 Dann muß aber nach § 1773 für das Kind ein Vormund bestellt werden. Bloße Pflegschaft ist unzulässig. 303 BGB § 1673. Auslagenersatz nach § 18472. 304 BGB §§ 1676 ff.
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Vertreters vor. Ist die Ehe aufgelöst, so hat das Vormundschaftsgericht der Mutter auf ihren Antrag die Ausübung der elterlichen Gewalt zu übertragen, wenn die Gewalt des Vaters ruht und keine Aussicht besteht, daß der Grund des Ruhens wegfallen werde305. In diesem Falle erlangt die Mutter auch die Nutznießung am Vermögen des Kindes. Dagegen steht auch in diesem Falle, wenn der Vater nicht geschäftsunfähig ist, die Personensorge (mit Ausnahme der Vertretung) dem Vater neben der Mutter und dem gesetzlichen Vertreter zu. II. Beendigung Die elterliche Gewalt des Vaters endigt mit dem Tode des Vaters oder des Kindes. Sie endigt aber auch, wenn der Vater für todt erklärt wird, mit dem Tage, der als Zeitpunkt des Todes gilt306. Die elterliche Gewalt kann ferner verwirkt werden. Der Vater verwirkt sie, wenn er wegen eines vorsätzlich am Kinde verübten Verbrechens oder Vergehens zu Zuchthausstrafe oder zu einer Gefängnisstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wird307. Weitere Beendigungsgründe sind Eintritt der Volljährigkeit des Kindes; Annahme des Kindes an Kindesstatt durch eine andere Person. III. Folgen Der Vater hat, wenn seine Gewalt ruht oder endet, das Vermögen des Kindes herauszugeben und Rechenschaft abzulegen. Ebenso, wenn aus einem anderen Grunde seine Vermögensverwaltung aufhört. Er bleibt aber, bis er Kenntniß hat oder haben muß, zur Fortführung der Geschäfte und somit auch zur Vertretung der Person und des Vermögens befugt. Im Falle des Todes des Kindes ist er zur Besorgung der unaufschiebbaren Geschäfte verpflichtet, bis der Erbe anderweit Fürsorge treffen kann308.
BGB §§ 16852 ff. BGB § 1679. Lebt der Vater noch, so erlangt er die elterliche Gewalt dadurch zurück, daß er dem Vormundschaftsgericht seinen darauf gerichteten Willen erklärt. 307 BGB § 1680. Bei Verurteilung zu einer Gesamtstrafe wegen Zusammentreffens mit einer anderen strafbaren Handlung entscheidet die Einzelstrafe, die für das am Kinde verübte Verbrechen oder Vergehen verwirkt ist. Die Straftat muß am Kinde begangen sein (z. B. Körperverletzung, Verbrechen wider die Sittlichkeit, Freiheitsberaubung), nicht blos gegen das Kind (wie alle Delikte gegen das Vermögen). Die Verwirkung tritt mit der Rechtskraft des Strafurteiles ipso jure ein. 308 BGB § 1683. 305 306
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§ 295. Elterliche Gewalt der Mutter I. Zuständigkeit Die elterliche Gewalt steht der Mutter neben dem Vater zu. Während sie aber neben dem Vater nur einen Anteil an der Ausübung hat, giebt es Fälle, in denen die Mutter als alleiniges Subjekt oder zu ihrer alleinigen Ausübung berufen ist. 1. Alleiniges Subjekt wird die Mutter durch den Tod oder die Todeserklärung des Vaters. Außerdem aber, wenn der Vater die elterliche Gewalt verwirkt hat und die Ehe aufgelöst ist309. 2. Zur alleinigen Ausübung der elterlichen Gewalt ist die Mutter berufen a) bei bestehender Ehe, wenn die elterliche Gewalt des Vaters ruht oder er auch und tatsächlich (z. B. durch Krankheit oder Abwesenheit) an der Ausübung verhindert ist310. b) nach Auflösung der Ehe, wenn ihr das Vormundschaftsgericht auf ihren Antrag die Ausübung überträgt, was geschehen soll, falls die elterliche Gewalt des Vaters ruht und keine Aussicht besteht, daß der Grund des Ruhens wegfallen werde311. Dann erlangt die Mutter auch die Nutznießung. II. Inhalt der elterlichen Gewalt der Mutter Die elterliche Gewalt hat in der Hand der Mutter genau den gleichen Inhalt, wie in der Hand des Vaters. Darum finden auf die elterliche Gewalt der Mutter die für die elterliche Gewalt des Vaters geltenden Vorschriften Anwendung, soweit nichts Anderes bestimmt ist312. 309 BGB § 1684. Die im Falle der Verwirkung der väterlichen Gewalt eingeleitete Vormundschaft endet also im Augenblick, indem mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils die elterliche Gewalt voll auf die Mutter übergeht. 310 BGB § 16851. Einer besonderen Konstatierung bedarf die Verhinderung des Vaters nicht. Die Nutznießung geht aber auf die Mutter nicht über. 311 BGB § 16852. Die Uebertragung der Gewaltausübung erfolgt durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts auf Grund eines durch das Gesetz über freiwillige Gerichtsbarkeit geordneten Verfahrens (FrGG §§ 1 ff., 19 ff., 27 ff.) sie wird mit der Bekanntmachung an die Mutter wirksam (ebd. § 51). – Wenn hinterher der Grund für das Ruhen der elterlichen Gewalt des Vaters dennoch wegfällt (so z. B. im Falle der Begnadigung des zu lebenslänglichem Gefängnis Verurteilten) ist dies in einem neuen Verfahren festzustellen und die elterliche Vollgewalt durch das Gericht dem Vater zurückzustellen; die Verfügung wird wirksam mit der Bekanntmachung an den Vater oder an die Mutter (Freiw. GG § 572). Dann endet auch die Nutznießung der Mutter und eine bestellte Vormundschaft oder Pflegschaft erlischt. – Die Entziehung väterlicher Rechte durch das Vormundschaftsgericht führt niemals zu ihrer Ausübung durch die Mutter. 312 BGB § 1686.
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Die wichtigste Abweichung besteht in der bei der elterlichen Gewalt des Vaters ausgeschlossenen Möglichkeit der Einschränkung der Machtbefugnisse der Gewalthaberin durch Bestellung eines Beistandes. 1. Anordnung einer Beistandschaft Sie erfolgt durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts in drei Fällen: a) wenn der Vater durch letztwillige Verfügung dies bestimmt hat. Voraussetzung ist, daß er im Augenblicke der Verfügung volle Vertretungsmacht besaß. Gründe braucht er nicht anzugeben313. b) Wenn die Mutter die Anordnung beantragt314. c) wenn das Gericht von Amtswegen die Bestellung beschließt, weil es sie entweder wegen des Umfanges oder der Schwierigkeiten der Verwaltung oder wegen einer für die Person oder das Vermögen des Kindes zu besorgenden Gefahr im Interesse des Kindes für nötig erachtet315. 2. Der Wirkungskreis des Beistandes kann auf einzelne Arten von Angelegenheiten oder bestimmten einzelnen Angelegenheiten eingeschränkt werden. Dabei sind Bestimmungen des Vaters, wenn er die Bestellung angeordnet hat, oder der Mutter, wenn sie den Antrag stellt, zu beachten. Ist keine Einschränkung angeordnet, so umfaßt sein Wirkungskreis alle Angelegenheiten, in denen die Mutter bei Ausübung ihrer elterlichen Gewalt tätig wird316. Im Uebrigen ähnelt die Rechtsstellung des Beistandes im Allgemeinen der eines Gegenvormundes. Insbesondere gelten für die Berufung, Bestellung und Beaufsichtigung, für die ihm zu bewilligende Vergütung und für die Beendigung seines Amtes die gleichen Vorschriften, wie bei dem Gegenvormunde317. Gleich dem Gegenvormunde hat der Beistand die doppelte Funktion, innerhalb seines Wirkungskreises die Mutter bei Ausübung der elterlichen Gewalt zu unterstützen und zu überwachen; er hat dem Vormundschaftsgericht jeden Fall, in dem er zum Einschreiten berufen ist, unverzüglich anzuzeigen318. Seiner Genehmigung bedarf es zu jedem Rechtsgeschäft, zu dem der Vormund der Genehmigung des Gegenvormundes oder des Vormundschaftsgerichtes bedürfte. Doch wird auch seine Genehmigung gleich der des Gegenvormunds stets insoweit, als nicht gerichtliche Genehmigung für das Rechtsgeschäft, auch wenn es der Vater vornähme, BGB § 1687 Z. 1 mit § 1797. BGB § 1687 Z. 2. Sie kann es auch aus bloßer Bequemlichkeit fordern. 315 BGB § 1687 Z. 3. 316 BGB § 1688. 317 BGB § 1694. Dazu tritt als Beendigungsgrund des Amtes hinzu, wenn die elterliche Gewalt der Mutter ruht. 318 BGB § 1689. 313 314
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erforderlich wäre, durch die Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes ersetzt319. Hinsichtlich der Folgen eines Genehmigungsmangels bei genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäften und der Voraussetzungen ihres Wirksamwerdens durch nachträgliche Genehmigung gelten die Regeln des Vormundschaftsrechtes320. Auch bei der Anlegung von Geldern der Kinder, soweit sie in seinen Wirkungskreis fallen, hat er die Vorschriften über Anlegung von Mündelgeldern zu befolgen321. 3. Eine erweiterte Machtstellung kann auf Antrag der Mutter das Vormundschaftsgericht dem Beistande dadurch verschaffen, daß es ihm ganz oder teilweise die Vermögensverwaltung überträgt. Soweit dies geschieht, hat der Beistand die Rechte oder Pflichten eines Pflegers322. 4. Aufhebung Das Vormundschaftsgericht kann, wenn die Beistandschaft nur auf Antrag der Mutter angeordnet ist, die Bestellung des Beistandes und ebenso, wenn dem Beistande auf Antrag der Mutter Vermögensverwaltung übertragen ist, die Uebertragung der Vermögensverwaltung auf den Beistand jederzeit aufheben. Die Aufhebung der von der Mutter beantragten Beistandschaft und der von ihr beantragten Uebertragung der Vermögensverwaltung soll nur mit Zustimmung der Mutter erfolgen323.
III. Ruhen und Beendigung der elterlichen Gewalt der Mutter Es gelten dieselben Grundsätze wie für die elterliche Gewalt des Vaters mit folgenden Abweichungen: 1. Ruhen ist hier auch wegen Minderjährigkeit der Mutter möglich324. Dann muß ein Vormund bestellt werden. Die Mutter behält aber die Personensorge auBGB § 16902. Nach den Verweisungen in § 16901 S. 2 (besonders auf §§ 1828 – 1831). Das Vormundschaftsgericht soll vor der Entscheidung über die Genehmigung in allen Fällen, in denen das Rechtsgeschäft zum Wirkungskreis des Beistandes gehört, den Beistand hören, insofern ein solcher vorhanden und seine Anhörung tunlich ist; § 16903. – Auch den Mündel selbst soll das Vormundschaftsgericht hören vor der Entscheidung über die Genehmigung eines Lehrvertrags oder eines auf Eingehung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses gerichteten Vertrages; ferner, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat, über die Entlassung aus dem Staatsverbande, nach Vollendung des 18. Lebensjahres auch vor der Entscheidung über die Genehmigung eines der in § 1821 und in § 1823 Z. 3 bezeichneten Rechtsgeschäftes sowie vor der Genehmigung des Beginns oder der Auflösung eines Erwerbsgeschäftes; § 1827. 321 BGB § 1691. 322 BGB § 1693. Im Umfange der übertragenen Verwaltung ist er also gesetzlicher Vertreter. Auch hat er nach § 1692, wenn die Mutter ein Vermögensverzeichniß einzureichen hat, bei dessen Aufnahme mitzuwirken. 323 BGB § 16952. 319 320
3. Titel: Kinder aus nichtigen Ehen und uneheliche Kinder
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ßer der Vertretung. Insoweit hat dann der Vormund nur die Stellung eines Beistandes. 2. Endigungsgrund ist hier auch Wiederverheiratung der Mutter325. Es wird ein Vormund bestellt, neben dem die Mutter die Personensorge außer der Vertretung behält, der Vormund insoweit nur die Stellung eines Beistandes einnimmt. Aber sie verliert nicht nur die Vermögensverwaltung und alle Vertretung, sondern auch die Nutznießung. Durch den Wegfall der Gewalt über die Kinder erster Ehe (Mündigkeit, Tod) erlangt die Mutter die elterliche Gewalt über die Kinder zweiter Ehe nicht zurück. 3. Wird dem Kinde ein Vormund an Stelle des Vaters bestellt, weil dieser die elterliche Gewalt verwirkt hat und die Ehe fortbesteht, oder weil die Ehe aufgelöst ist und die elterliche Gewalt des Vaters ruht, ohne daß die Uebertragung ihrer Ausübung auf die Mutter stattfindet, oder wird dem Vater die ganze Personensorge entzogen und darum dem Kinde ein Pfleger für die Erziehung bestellt, so behält die Mutter neben dem Vormund oder Pfleger den gleichen Anteil an der Personensorge, die ihr neben dem Vater zustand, bei Meinungsverschiedenheiten aber geht die Meinung des Vormunds oder Pflegers vor326.
Dritter Titel
Kinder aus nichtigen Ehen und uneheliche Kinder § 296. Kinder aus nichtigen Ehen I. Ueberhaupt Kinder aus einer nichtigen Ehe sind nach strenger Rechtskonsequenz unehelich. Allein dieser harte Satz wird durch Vorschriften gemildert, die an die Bestimmungen des kanonischen Rechts327 und der neuen Gesetze328 zu Gunsten der Kinder aus Putativehen anknüpfen. Doch gelten die Vorschriften des BGB nur für die seit seinem Inkrafttreten geschlossenen nichtigen Ehen; bei früher geschlossenen nichBGB § 1696. BGB § 1697. 326 BGB § 1698. In diesen Fällen steht also die Mutter in Erziehungsfragen unselbständiger, als die minderjährige Witwe während des Ruhens ihrer elterlichen Gewalt nach § 1696 und die Mutter, die eine neue Ehe eingeht, hinsichtlich ihrer Kinder erster Ehe nach § 1697. Triftige Gründe hierfür sind kaum einzusehen. – Hat die schuldlos geschiedene Ehefrau sich selbst zum Vormund des Kindes bestellen lassen, an dem ihr nach § 1635 das alleinige Recht der Personensorge zusteht, so entgeht sie dieser Folge des § 1698. 327 Vgl. c 2, 8, 14. Daran hielt man sich auch im gem. R.; Windscheid, Kipp, I 56 b 5. 328 Zum Teil abweichend Preuß. ALR II, 2 § 50 ff. 324 325
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
tigen oder ungültigen Ehen gilt auch für später geborene Kinder hinsichtlich der Frage, inwieweit sie als ehelich gelten, das bisherige Recht329. II. Als unehelich im Rechtssinne gelten nach dem BGB die Kinder nur im Falle der Nichtehe (des matrimonium non existens) und bei Bösgläubigkeit beider Ehegatten330. Auch die Rechtsstellung dieser Kinder aber ist nur bei einer jeden Rechtsscheins entbehrenden Ehe der des außer der Ehe geborenen Kindes durchaus gleich. Dagegen haben im Falle des bösen Glaubens beider Eltern die Kinder gegen den Vater, so lange dieser lebt, den Unterhaltsanspruch ehelicher Kinder und beim Tode des Vaters zwar kein Erbrecht, aber den Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes331. III. Als ehelich gelten nach dem BGB alle Kinder, die im Falle der Gültigkeit der Ehe ehelich sein würden, sofern nicht beide Ehegatten bösgläubig waren332. Die Kinder haben also den Eltern gegenüber alle Rechte ehelicher Kinder, insbesondere Unterhaltsanspruch, Recht auf Aussteuer, Erbrecht. Das Rechtsverhältniß aber der Eltern zu einem solchen Kinde bestimmt sich im Allgemeinen nach den Vorschriften, welche für ein Kind aus geschiedener Ehe gelten, wenn beide Ehegatten für schuldig erklärt sind333. Diese Regeln aber werden, wenn ein Ehegatte die Nichtigkeit der Ehe bei der Eingehung kannte, zu dessen Ungunsten abgewandelt. Der bösgläubige Vater entbehrt aller Rechte aus der Vaterschaft, der elterlichen Gewalt, des Unterhaltsanspruchs, des Erbrechts, sogar des Rechts auf den persönlichen Verkehr. Die elterliche Gewalt steht allein der Mutter zu334. Die bösgläubige Mutter hat nur die Rechte einer als allein schuldig geschiedenen Frau, also zwar Unterhaltsanspruch und Erbrecht, aber keinen Anteil an der elterlichen Gewalt, sondern nur das Recht auf den persönlichen Verkehr. Auch wenn die elterliche Gewalt des Vaters wegfällt oder ruht, erlangt sie nicht die volle elterliche Gewalt, sondern nur die Personensorge ohne Vertretung, so daß ein Vormund bestellt werden muß, der aber in Erziehungsfragen nur die Rechte eines Beistandes hat335.
EG z. BGB a. 207. BGB § 1699. Böser Glaube liegt nur in der Kenntniß der Nichtigkeit der Ehe bei der Eheschließung. Bei der Anfechtung der Ehe wegen Drohung wird der anfechtungsberechtigte Ehegatte einem Ehegatten gleichgeachtet, dem die Nichtigkeit unbekannt war; § 1704. 331 BGB § 1703. 332 BGB § 1699. – Das Schweiz. ZGB bestimmt das Gleiche auch für den Fall beiderseitiger Bösgläubigkeit. 333 BGB § 1700. Also beide Eltern haben volle Elternrechte. Der Vater hat die elterliche Gewalt, Vermögensverwaltung, Nutznießung und Vertretung, jedoch die Personensorge nur für Söhne über 6 Jahre, während sie für andere Kinder der Mutter gebührt. Alles jedoch vorbehaltlich abweichender Anordung des Vormundschaftsgerichts, das nur das Recht des persönlichen Verkehrs keinem Ehegatten entziehen kann. 334 BGB § 1701. 335 BGB § 1702. 329 330
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§ 297. Uneheliche Kinder I. Begriff Unehelich ist ein Kind, das von einer unverheirateten Frau geboren ist, ohne von ihr in der Ehe empfangen zu sein; aber auch das in der Ehe geborene oder empfangene Kind, von dem feststeht, daß es nicht vom Ehemanne stammt336; endlich auch das Kind aus nichtiger Ehe, soweit es nicht kraft Rechtsscheinwirkungen von Putativehen als ehelich gilt337. II. Geschichte Die Geschichte des Rechts der unehelichen Kinder ist mannichfach unsicher338. So viel ist gewiß, daß im altgermanischen Recht die Möglichkeit bestand, ein uneheliches Kind in den Familienverband aufzunehmen. Insbesondere konnte, so lange neben der echten Ehe die Kebsehe bestand, der Vater das Kebskind, den „Bastard“, „Bankert“ oder „Hornung“ seinen ehelichen Kindern ganz oder teilweise gleichstellen 339. Bekannt ist, daß im karolingischen Königsgeschlecht die uneheliche Geburt nicht von der Thronfolge ausschloß340. Auch in ostgermanischen und nordischen Rechten begegnet die gleiche Erscheinung. Nur wird regelmäßig freie Geburt der Mutter vorausgesetzt341. Am günstigsten stellte das langobardische Recht, anscheinend unter dem Einfluß des römischen Konkubinats filii et filiae naturales, die neben den legitimi am gesetzlichen Erbrecht und Erbenwartrecht, zum Teil auch an Wergeld und Eideshilfe beteiligt wurden342. Allmählich jedoch verschlechtert sich mit dem siegreichen Kampfe der Kirche gegen alle außerehelichen Geschlechtsverbindungen und mit dem Durchdringen strengerer moVgl. oben § 281 IV. Vgl. oben § 296 III. 338 Eine gute neueste Untersuchung ist Gerhard Bückling, Die Rechtsstellung der unehelichen Kinder im Mittelalter und in der heutigen Reformbewegung. Vielfach ungleiche Anschauungen vertreten die neuen Darstellungen des deutschen Privatrechts. Vgl. bes. Roth DPR II §§ 171 – 178; Stobbe-Lehmann IV §§ 323 – 324. R. Hübner, Grundzüge3 § 99; v. Schwerin, Grundzüge; Hans Schreuer, Deutsches Privatrecht, 1931 § 119. – Umfangreiche weitere Literaturnachweise bei Bückling a. a. O. S. 114 – 116. Hervorzuheben S. Nagorski, Das Rechtsverhältniß des unehelichen Kindes zu seinem Vater nach deutschem und französischem Recht, Zürich 1908. 339 Vgl. oben § 225 II. Bückling a. a. O. S. 57 ff. 340 Sickel, Das Thronfolgerecht der unehelichen Karolinger ZfRG XXIV. 341 Doch wird vielfach die Möglichkeit anerkannt, den eignen Kindern aus der Verbindung mit der unfreien Konkubine durch Freilassung ein Erbrecht zu verschaffen. Nicht immer ist ersichtlich, ob es sich dabei nur um Ueberwindung des Hindernisses der Standesungleichheit oder um die Ausdehnung der familienrechtlichen Autonomie handelt. Im letzten Sinn ist wohl 1. Bajuv. 15, 3 zu verstehen. 342 Vgl. Bückling a. a. O. S. 4 ff., 34 ff. 336 337
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nogamischer Auffassungen die Rechtsstellung der unehelichen Kinder. Wenn schon sich hier und da Reste der Anerkennung von Erbrechten und Unterhaltsansprüchen von Kebskindern und Konkubinenkindern erhielten, so verschwanden sie doch im Allgemeinen schon in den ersten Jahrhunderten des deutschen Mittelalters mit dem Siege der echten Ehe über ihre Nebenformen343. Für uneheliche Kinder überhaupt aber entwickelte sich mehr und mehr die Auffassung, daß sie als „unechte“ Kinder grundsätzlich des Familienrechts darben344, weder zum Vater noch zur Mutter in einem eigentlichen Rechtsverhältniß stehen und wegen dieser Familienlosigkeit überhaupt zu der Klasse der „rechtlosen“ Leute mit geminderter Rechtsfähigkeit und Ehre gehören345. Die Rezeption brachte zunächst den unehelichen Kindern keine Besserung ihrer Rechtslage. Erst seit dem 18. Jahrhundert wurde unter dem Einfluß des Naturrechts ihre öffentlichrechtliche Zurücksetzung stufenweise beseitigt. Im Privatrecht setzte sich auf Grund des römischen Rechts für das gemeine Recht die Verwandtschaft mit der Mutter und ihren Verwandten in gleichem Umfange wie bei ehelicher Geburt durch und wurde in die neuen Gesetze und auch ins BGB aufgenommen, während dem Vater gegenüber auch die neueren Gesetze eine Verwandtschaft im Rechtssinne nach wie vor verneinten, sich daher auch den partikularrechtlich entwickelten mindestens subsidiären Erbrechten der unehelichen Kinder in den väterlichen Nachlaß gegenüber meist ablehnend verhielten und nur durchweg an einem Alimentationsanspruch festhielten346. Dieser Unterhaltsanspruch bildete dann im 19. Jahrhundert den Hauptgegenstand des Streites. Seitdem das französische Gesetzbuch ihn durch das Verbot der Vaterschaftsklage (la recherche de la paternité est interdite) lahm gelegt hatte und längere Zeit hindurch auch in Deutschland eine starke Bewegung auf dasselbe Ziel hinarbeitete, in Preußen auch im Gesetz v. 24. April 1854 einen Teilerfolg erzielte, trat die Frage nach dem Unterhaltsanspruch der unehelichen Kinder gegen ihren Erzeuger, seiner Durchführbarkeit und seinem Umfange in den Vordergrund der Diskussion. Das BGB löste die Frage im Wesentlichen zu Gunsten der unehelichen Kinder, hielt aber im Uebrigen an den geschichtlich entwickelten Grundlagen ihrer familienrechtlichen Stellung fest. Dagegen ist in neuester Zeit eine lebhafte Bewegung zu Gunsten einer Reform der ganzen Materie in Gang gekommen und hat bereits in einer Reihe von Ländern erhebliche Rechtsänderungen durchgesetzt347. Zweifellos sind die Reformbestrebungen zum großen Teil innerlich berechtigt348. Indessen ist, wenn auf irgend 343 Vgl. oben § 225 III. Den schärfsten Ausdruck gab diesem Gedanken der Sachsensp. I art. 51. 344 Vgl. oben Bd. I 419 ff. 345 Oben Bd. I 424 ff. 346 Ueber die Einschränkung des Begriffes der Verwandtschaft „durch das Erforderniß der ehelichen Geburt“ überhaupt vgl. oben § 226 II. 347 Besonders in der Schweiz und in den skandinavischen Ländern.
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einem Gebiet, so auf diesem, äußerste Vorsicht geboten. Denn stets ist abzuwägen, inwieweit nicht durch die Besserstellung der unehelich Geborenen die Interessen der legitimen Familie gefährdet werden. Nur solche Zugeständnisse können den unehelichen Kindern gemacht werden, die nicht dazu beitragen, die ohnehin im Wachsen begriffene Mißachtung der Ehe zu fördern, die sittlichen Grundanschauungen unseres Volkslebens zu erschüttern und die Gesundheit unseres sozialen Körpers zu untergraben. Wenn die neue Reichsverfassung in Art. 121 kühn verheißt: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern“, so wird hier ein Ziel aufgestellt, das kaum anders als durch Abschaffung der Ehe verwirklicht werden könnte. III. Arten der unehelichen Kinder Dem BGB ist die Unterscheidung verschiedener Arten von unehelichen Kindern, die im älteren deutschen Recht eine erhebliche Rolle spielte, fremd. 1. Es versagt einerseits den Brautkindern die bevorzugte Stellung, die ihnen auf Grund deutschrechtlicher Anschauungen eine gemeinrechtliche Praxis und vielfach die partikularrechtliche Gesetzgebung einräumte349. Nur für uneheliche Kinder, die vor dem 1. Jan. 1900 erzeugt und nach dem 1. Jan. 1900 geboren sind, gilt nach art. 208 EG zum BGB bisheriges Brautkinderrecht fort; vgl. unten Anm. 379. Ebensowenig aber kennt das BGB eine Bevorzugung „anerkannter“ Kinder und tritt damit nicht nur in einen Gegensatz zum älteren deutschen Recht, in dem durchweg die Anerkennung der unehelichen Kinder eine familienrechtliche Stellung verschaffte (wie dies insbesondere Bückling nachgewiesen hat), sondern auch zum neueren ausländischen Recht, vor Allem zum französ. Recht, das Anerkennung und zwar nicht blos des Vaters sondern auch der Mutter zur Voraussetzung für den Erwerb der Rechte natürlicher Kinder überhaupt macht, während nicht anerkannte uneheliche Kinder zu ihren Eltern in keinerlei rechtlicher Beziehung stehen350. Andererseits beseitigt das BGB die grundsätzliche Zurücksetzung der sog. „ehewidrigen Kinder“, der „liberi in damnato coitu procreati“ d. h. der in Ehebruch oder Blutschande erzeugten Kinder, liberi adulterini et incestuosi, die im römischen und kanonischen Recht ausgebildet, aber auch in deutsche Rechtsbücher und Partikularrecht aufgenommen war. Nur können liberi incestuosi nach BGB § 1732 nicht legitimiert werden. Das französ. Recht verbietet noch heute die Anerkennung aller ehewidrigen Kinder; 348 Wohlerwogene maßvolle Vorschläge finden sich bei Bückling S. 89 ff. – Der Deutsche Juristentag hat das Problem seiner bevorstehenden Tagung in Berlin zur Erörterung überwiesen. 349 Uebersicht über das bisherige Recht b. Stobbe-Lehmann IV § 323 II, sowie in den Motiven zum BGB IV 857 ff. 350 Vgl. Zachariae-Crome §§ 542 – 543, Roth, DPR II § 175; aber auch zum neuen schweizer. R. und anderen modernen Gesetzen.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
über ihre Rechtsstellung, wenn die Anerkennung dennoch erfolgt, ist viel Streit351. IV. Verhältniß zur Mutter Der Mutter gegenüber hat das uneheliche Kind nach dem BGB die gleiche Stellung wie das eheliche Kind352. Ebenso gegenüber den Verwandten der Mutter. Die abweichenden Sätze des deutschen Rechts, vor Allem des Preußischen Landrechts sind mit dem Inkrafttreten des BGB abgeschafft. Auch der Rechtsstreit über die Mutterschaft unterliegt den Regeln des Kindschaftsprozesses. Nur in zwei Punkten gelten Besonderheiten. 1. In Ansehung des Namensrechts Das Kind erhält, wie es den Wohnsitz und die Staatsangehörigkeit der Mutter teilt, so ihren Familienamen. Jedoch, wenn sie verheiratet war oder ist, ihren Mädchennamen. Dies auch dann, wenn sie mehrfach verheiratet war353. Allein der Ehemann kann dem außerehelichen Kind seiner Frau mit ihrer und des Kindes Zustimmung seinen Familiennamen erteilen. Die erforderlichen Willenserklärungen sind in öffentlich beglaubigter Form zu beurkunden, die des Ehemannes ist der zuständigen Behörde gegenüber abzugeben354. So kann, wenn eine uneheliche Mutter heiratet, der Unterschied zwischen ihrem in die Ehe gebrachten Kind und den Kindern des Ehemannes äußerlich verwischt werden. 2. Hinsichtlich der Gewaltverhältnisse Die Mutter erlangt über ihr uneheliches Kind keine elterliche Gewalt. Es muß also eine Vormundschaft eingeleitet werden. Nur die Personensorge mit Ausnahme der Vertretung fällt der Mutter von Rechtswegen zu, während der Vormund, soweit ihr die Personensorge zusteht, nur die Stellung eines Beistandes hat355. Doch ist nicht ausgeschlossen, daß die Mutter selbst zum Vormund bestellt wird.
Vgl. Zachariae-Crome § 543. BGB § 1708. 353 BGB § 1706. Planck zu § 1406 Bem. 2. 354 Ueber die Zuständigkeit entscheidet das Landesrecht. In Preußen ist nach AG z. BGB a. 68 § 2, wenn die Geburt im Geburtsregister eines preußischen Standesbeamten eingetragen ist oder wenn die Erklärung bei der Eheschließung vor einem preußischen Standesbeamten erfolgt, der Standesbeamte, andernfalls das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Ehemann seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig. 355 BGB § 1707. 351 352
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In diesem Punkte weicht das schweizerische Gesetzbuch grundsätzlich vom deutschen Recht ab, indem es die Vormundschaftsbehörde ermächtigt, in geeigneten Fällen das Kind der elterlichen Gewalt der Mutter oder des Vaters zu unterstellen356. V. Verhältniß zum Vater Im Verhältniß zum Vater entsteht nach dem BGB nur eine einzige Wirkung: ein einseitiger Unterhaltsanspruch des Kindes. Da das Kind mit dem Vater und seinen Verwandten im Rechtssinne nicht verwandt wird, erlangt der Vater an ihm keinerlei Elternrecht, auch seinerseits ihm gegenüber keinen Unterhaltsanspruch, und ebensowenig entspringt dem Verhältniß auf der einen oder der anderen Seite ein Erbrecht. Der Unterhaltsanspruch des Kindes ist deutschrechtlicher Herkunft und war schon im Mittelalter ziemlich allgemein gewohnheitsrechtlich anerkannt, blieb im gemeinen Recht unbestrittenes Gewohnheitsrecht357 und wurde von allen deutschen Partikularrechten aufgenommen. Unzweifelhaft entspricht er einem tief in der Volksseele wurzelnden Rechtsbewußtsein. Das BGB hat ihn im Anschluß an das bisherige Recht, aber mit wesentlichen Erweiterungen neu geregelt. Dabei kann es sich unmöglich der allein denkbaren Vorstellung entziehen, daß der innere Grund des Unterhaltsanspruches das natürliche Verwandtschaftsverhältniß zwischen Vater und Kind ist. Diese Auffassung hat stets im Volksbewußtsein geherrscht und auch in Theorie und Praxis das Uebergewicht behauptet. Wenn eine Zeit lang vielmehr die Ansicht, daß der Unterhaltsanspruch aus einer deliktischen Haftung des Erzeugers aus dem unerlaubten außerehelichen Beischlaf herzuleiten sei, weite Verbreitung gewonnen hatte und auf die Gesetzgebung einwirkte, so bedarf es heute keines Nachweises mehr, daß diese Vorstellung innerlich unhaltbar 356 Nach Schweiz. ZGB a. 311 hat die Vormundschaftsbehörde zunächst, wenn sie von der außerehelichen Geburt Kenntniß erhalten oder die Mutter ihr die Schwangerschaft angezeigt hat, dem Kinde einen Beistand, der dessen Interesse zu wahren hat, zu bestellen, nach Durchführung aber der erhobenen Klage oder Ablauf der Klagefrist diesen durch einen Vormund zu ersetzen, wenn sie es nicht für angezeigt erachtet, das Kind unter die elterliche Gewalt der Mutter oder des Vaters zu stellen. Nach a. 326 kann sie auch auf Begehren der Mutter oder von sich aus das Kind bis zu einem bestimmten Alter unter die elterliche Gewalt der Mutter stellen und dann dem Vater zuweisen. Wo die elterliche Gewalt dem Vater zugesprochen, so behält die Mutter stets ein Recht auf angemessenen persönlichen Verkehr mit ihrem Kinde (a. 2261). Wird das Kind freiwillig anerkannt oder dem Vater mit Standesfolge zugesprochen, so kann es nach freiem Ermessen der Vormundschaftsbehörde unter die Gewalt des Vaters oder der Mutter gestellt werden; a. 3252. Dagegen wenn die Zusprechung mit Standesfolge wegen Ehe(ver)sprechens oder Gewaltmißbrauches erfolgt, nur unter die Gewalt der Mutter; a. 2332. – Stellt die Vormundschaftsbehörde das Kind unter elterliche Gewalt des Vaters oder der Mutter, so bestimmt sie zugleich, welche Rechte denselben vom Kindesvermögen zustehen; a. 327. 357 Seit der Rezeption suchte man ihn auch auf das römische Recht zu stützen, indem man den von Justinian den Konkubinenkindern verliehenen Alimentationsanspruch verallgemeinerte.
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und mit gesundem juristischem Denken unvereinbar ist. Das BGB huldigt ihr auch nicht. Aber es hält daran fest, daß eben keine Verwandtschaft im Rechtssinne zwischen Vater und Kind besteht und darum auch der Unterhaltsanspruch aus der natürlichen Verwandtschaft seinem Wesen nach etwas ganz Anderes ist als die Ansprüche aus rechtlicher Verwandtschaft. Darum gelten die Rechtssätze für die Unterhaltsansprüche aus Verwandtschaft für den Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes nur insoweit, als sie auf ihn übertragen sind. Dies ist in erheblichem Umfange geschehen. So insbesondere hinsichtlich der Unübertragbarkeit, der Unpfändbarkeit und der Vorrechte bei der Zwangsvollstreckung358. In sehr wichtigen Punkten dagegen gilt durchweg abweichendes Recht. 1. Dieser Unterhaltsanspruch ist regelmäßig zeitlich begrenzt. Und zwar nach dem BGB bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres. Bis dahin braucht weder Leistungsfähigkeit des Vaters noch Bedürftigkeit des Kindes nachgewiesen zu werden. Das bisherige Recht gewährte den Unterhalt nur für einen kürzeren Zeitraum (meist nur bis zum vollendeten 14. Lebensjahr). [2.] Die Unterhaltspflicht dauert jedoch länger (möglicherweise bis zum Tode), wenn das Kind in Folge körperlicher oder geistiger Gebrechen außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten. Das normale Kind ist also für einen Beruf zu erziehen, bei dem es mit 16 Jahren fähig wird, von seiner Arbeit zu leben. Tritt dieser Erfolg aus Gründen, die in einem körperlichen oder geistigen Defekt des Kindes liegen, nicht ein, so trifft den Vater eine verlängerte Unterhaltspflicht, die aber Bedürftigkeit des Kindes voraussetzt und nur noch insoweit erfüllt zu worden braucht, als der Vater dazu bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen ohne Gefährdung seines standesmäßigen Unterhalts im Stande ist359. 3. Während das Maß des bis zum 14. Jahres geschuldeten Unterhalts nach gemeinem und preußischen Recht nur notdürftiger Unterhalt war, billigt das BGB dem Kinde bis zum 16. Lebensjahre den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden, also standesgemäßen Unterhalt zu360. 358 Hier jedoch mit der Ausnahme, die im Lohnbeschlagnahmegesetz § 4a zu Ungunsten des Anspruchs des unehelichen Kindes gemacht ist, wonach der Schuldner insoweit, als er zur Bestreitung seines notdürftigen Unterhaltes und der ihm seinen Verwandten, seiner Ehefrau und seiner früheren Ehefrau gegenüber gesetzlich obliegenden Unterhaltspflicht des Geldes bedarf, der sonst zulässigen Pfändung seines Lohnes oder Gehaltes nicht unterliegt. 359 BGB § 1708 Abs. 2. 360 BGB § 17081. Danach muß also der Kammerdiener, der eine Prinzessin verführt hat, sein Kind fürstlich alimentieren. Ausdrücklich ist bestimmt: der Unterhalt umfaßt den gesamten Lebensbedarf sowie die Kosten der Erziehung und der Vorbildung zu einem Beruf. Der Richter wird dabei zu beachten haben, daß auch das Kind der vornehmen Mutter nur einen Anspruch auf Vorbildung zu einem Beruf hat, der ihm Erwerbsfähigkeit mit 16 Jahren verschafft. Er kann daher dem Kammerdiener nur eine ermäßigte Rente auferlegen. Die Lebensstellung des Vaters kommt nach dem BGB nicht in Betracht. Der Standesherr oder Bankier schuldet also seinem Kind vom Dienstmädchen nur, was Kinder aus dem Volke brauchen. Doch kann der Richter auch hier den Umständen Rechnung tragen. Das Schweiz. ZGB a. 319
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4. Art der Gewährung Der Unterhaltsanspruch geht hier stets auf eine Geldrente, die vierteljährlich im Voraus zu entrichten ist. Der Vater wird durch Vorausleistung für eine spätere Zeit nicht befreit. Hat das Kind den Beginn des Vierteljahres erlebt, so gebührt ihm der volle auf das Vierteljahr entfallende Betrag361. 5. Dieser Unterhaltsanspruch kann auch für die Vergangenheit geltend gemacht werden362. 6. Der vertragsmäßigen Abänderung ist er nicht schlechthin entzogen: Nur unentgeltlicher Verzicht des Kindes für die Zukunft ist nichtig. Dagegen kann mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes ein Vertrag geschlossen werden, durch den der Unterhalt für die Zukunft nach Höhe oder Art bestimmt oder auch anstatt des Unterhaltes eine einmalige Abfindung gewährt wird363. 7. Die Unterhaltspflicht des Vaters ist primär. Er schuldet den Unterhalt vor der Mutter und den mütterlichen Verwandten des Kindes. Soweit die Mutter oder ein mütterlicher Verwandter des Kindes den Unterhalt gewährt, geht der Unterhaltsanspruch des Kindes auf die Mutter oder den Verwandten über. Der Uebergang kann jedoch nicht zum Nachteil des Kindes geltend gemacht werden364. 8. Tod des Vaters Die Unterhaltspflicht des Vaters geht auf dessen Erben über und liegt ihnen ob, wenn das Kind erst nach dem Tode seines Erzeugers geboren wird. Doch kann der Erbe das Kind mit dem Betrage abfinden, den es, wenn es ehelich wäre, als Pflichtteil fordern könnte365. 9. Tod des Kindes Mit dem Tode des Kindes erlischt der Unterhaltsanspruch. Doch können dessen Erben noch Erfüllung oder Schadensersatz für die Vergangenheit wegen Nichterfüllung fordern, sowie solche im Voraus zu bewirkende Leistungen, die zur Zeit des Todes des Kindes fällig sind. Die Kosten der Beerdigung hat der Vater zu tragen, wenn ihre Bezahlung von den Erben nicht zu erlangen ist366. bestimmt angemessen, daß das Unterhaltsgeld der „Lebensstellung der Mutter und des Vaters entsprechen“ soll. 361 BGB § 1710. Das Recht, einseitig eine andere Art der Entrichtung festzusetzen, wie bei minderjährigen ehelichen Kindern, hat hier der Vater nicht. 362 BGB § 1711. 363 BGB § 1714. Der mütterliche Großvater, der zunächst das Kind in sein Haus aufgenommen hat, kann also z. B. gegen einen erst später ermittelten Vater Regreß nehmen, ihm aber nicht die Mittel entziehen, in Zukunft selbst für das Kind zu sorgen. 364 BGB § 1709. 365 BGB § 1712. Sind mehrere uneheliche Kinder vorhanden, so wird die Abfindung so berechnet, wie wenn sie alle eheliche wären. 366 BGB § 1713.
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10. Rechte der Mutter gegen den Vater Im Falle der Entbindung schuldet der Vater der Mutter Ersatz der Entbindungskosten sowie der Kosten des Unterhalts für die ersten 6 Wochen nach der Entbindung, ferner der Kosten weiterer Aufwendungen, die in Folge der Schwangerschaft oder Entbindung notwendig werden (z. B. Krankheitskosten, Beschaffung anderer Arbeitsgelegenheit). Den gewöhnlichen Betrag der Entbindungskosten und Kindbettkosten kann die Mutter ohne Rücksicht auf den wirklichen Aufwand verlangen. Der Anspruch geht auch gegen die Erben und entsteht auch im Falle der Totgeburt367. 11. Schon vor der Geburt des Kindes können auf Antrag der Mutter vom Gericht Sicherheitsmaßregeln angeordnet werden, um Mutter und Kind in der ersten Zeit nach der Entbindung vor Not zu schützen. Durch einstweilige Verfügung kann dem Vater auferlegt werden, den dem Kinde gebührenden Unterhalt für die ersten 3 Monate alsbald an die Mutter oder den Vormund zu zahlen und das dazu erforderliche Geld angemessene Zeit vor der Geburt zu hinterlegen, auch den gewöhnlichen Betrag der der Mutter zu ersetzenden Entbindungs- und Kindbettkosten an die Mutter zu zahlen und den erforderlichen Betrag zu hinterlegen368. 12. Feststellung der Vaterschaft Soll der Vater gerichtlich zu den der Mutter geschuldeten Leistungen und zum Unterhalt des Kindes verurteilt werden, so bedarf es einer gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft, die nach BGB wie nach bisherigem, insbesondere gemeinem und preußischem Recht jederzeit zulässig ist. Zur Feststellungsklage ist in Ansehung ihrer eignen Ansprüche die Mutter, hinsichtlich des Unterhaltsanspruches der gesetzliche Vertreter des Kindes, also regelmäßig nicht die Mutter, sondern der Vormund legitimiert. Die Feststellung erfolgt im ordentlichen Zivilprozeß. Als Vater gilt, wer der Mutter innerhalb der Empfängniszeit zwischen dem 180. und 302. Tage vor der Geburt (beide Tage eingeschlossen) beigewohnt hat. Die Beiwohnung muß bewiesen werden, was aber mit allen ordentlichen Beweismitteln, auch durch Eideszuschiebung, geschehen kann. Ist sie bewiesen, so tritt die Vaterschaftsvermutung ein, die nur auf zweifache Weise entkräftet werden kann. Einerseits, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß die Mutter des 367 BGB § 1715. Daneben können die Mütter möglicher Weise weitergehende Ansprüche aus Verlöbnißbruch, insbesondere den Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens aus BGB § 1300 (vgl. oben § 229 V) oder deliktische Ersatzansprüche aus dem StrGB (vgl. oben Bd. III 972) geltend machen. – Das Schweiz. ZGB a. 318 läßt stets die Zuerkennung einer Geldsumme als Genugtuung an die Mutter zu, wenn der Vater vor der Beiwohnung die Ehe versprochen oder sich mit der Beiwohnung eines Verbrechens an ihr schuldig gemacht oder die ihm über sie zustehende Gewalt mißbraucht hat oder sie zur Zeit der Beiwohnung noch nicht mündig gewesen ist. 368 BGB § 1716. Zum Erlaß der einstweiligen Verfügung ist Glaubhaftmachung der Schwangerschaft und Vaterschaft, dagegen nicht einer Gefährdung des Anspruchs erforderlich.
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Kindes aus dieser Beiwohnung empfangen hat369. So z. B. bei Rassenverschiedenheit zwischen dem Kinde und dem angeblichen Erzeuger. Andererseits, wenn noch ein Anderer der Mutter in der Empfängniszeit beigewohnt hat370. Es müßte denn den Umständen nach offenbar unmöglich sein, daß das Kind von diesem Anderen herrührt. Erscheint dagegen die Vaterschaft des einen wie des anderen Konkurrenten als möglich, so kann die Vaterschaft keines von beiden festgestellt werden.371 Der Unterhaltsanspruch des Kindes und die Ansprüche der Mutter sind also gerichtlich undurchführbar372. Allerdings wurde nicht nur in Theorie und Praxis, sondern auch in der älteren Gesetzgebung vielfach eine gleichzeitige Verurteilung Mehrerer, die in der Empfängniszeit der Mutter beigewohnt hatten, zugelassen. Sie wurden bald solidarisch, bald nach Anteilen, bald in irgend einer Reihenfolge für die Unterhaltung des Kindes haftbar gemacht373. So namentlich auch im Preußischen Landrecht374. Allein da man sich kaum jemals entschloß, rechtsförmlich eine mehrfache Vaterschaft festzustellen, blieb für die Begründung kein anderer Weg als eine mehr oder minder unklare Herleitung der einzelnen vermögensrechtlichen Ersatzansprüche aus deliktischer Verursachung offen. In Preußen wurden die namentlich durch den Mißbrauch der exceptio plurium herbeigeführten Mißstände als so unerträglich empfunden, daß ein Gesetz vom 24. April 1854 mit dem System des Landrechts vollständig brach und die Vaterschaftsklage aus Utilitätsgründen auf das Aeußerste einschränkte. Das Gesetz ließ eine Fülle von Einreden zu, die nichts mehr mit der Aufdeckung einer Ungewißheit der Vaterschaft zu tun haben. So wenn die Mutter für die Gestattung des Beischlafes Geld oder Geschenke genommen, wenn sie den noch nicht zwanzigjährigen jüngeren Mann zum Beischlaf verführt, wenn sie schon ein Kind von einem Anderen geboren, wenn sie gewerbemäßig Unzucht getrieben hat. Daß unter der Herrschaft dieses Gesetzes die Prozesse in Alimentationssachen an Unerfreulichkeit nicht verloren, begriff sich leicht. Eine Rückkehr zu dessen Prinzipien wird Niemand empfehlen. Doch erinnert es an dieselben, wenn im Schweiz. ZGB a. 315 bestimmt wird, daß die Klage abzuweisen ist, wenn die Mutter um die Zeit der Empfängnis einen unzüchtigen Lebenswandel geführt hat375. Das BGB sucht dem Mißbrauch der exceptio 369 BGB § 1717. Die Empfängnißzeit ist hinsichtlich der Längstdauer hier absolut begrenzt, die nach § 1592 bei ehelicher Geburt mögliche Verlängerung findet nicht statt. 370 BGB § 1717. Nach dem Schweiz. ZGB a. 314 fällt die Vaterschaftsvermutung schon weg, sobald Tatsachen nachgewiesen werden, die erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten rechtfertigen. 371 Die Vaterschaftsklage muß also abgewiesen werden. Ist aber die exceptio plurium, obschon begründet, nicht erhoben worden, so kann die Verurteilung des Beklagten erfolgen und rechtskräftig werden. Einer zweiten Klage, die nachträglich gegen den Kostuprator erhoben würde, steht die exceptio rei judicatae entgegen. 372 Denn ohne die Feststellung der Vaterschaft des Verurteilten fehlt es an einer rechtlichen Grundlage für die ihm zugemuteten Verpflichtungen. 373 Vgl. die Zusammenstellungen bei Roth, DPR II § 173 Anm. 37 u. § 174 Anm. 9 – 11 und Stobbe-Lehmann § 324 Anm. 42 – 43. 374 Vgl. bes. Preuß. ALR VI, 2 §§ 196 – 197 (durch das Ges. v. 1859 aufgehoben).
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plurium dadurch vorzubeugen, daß es sie abschneidet, wenn der Vater nach der Geburt des Kindes in einer öffentlichen Urkunde seine Vaterschaft anerkennt. Die Anerkennung kann nicht vor der Geburt, wohl aber noch nach dem Tode des Kindes ausgesprochen werden. Sie ist eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung, wegen Irrtums, Zwanges, Betruges oder anderer Willensfehler anfechtbar. Konstitutive Wirkung wohnt ihr nicht inne. Wohl aber begründet sie eine Wahrscheinlichkeit, die ausreicht, um die Widerlegung der Vaterschaftsvermutung aus feststehender außerehelicher Beiwohnung durch den Nachweis der möglichen Vaterschaft eines Anderen als unzulässig abzulehnen. Freilich ist nicht zu verkennen, daß die Bestimmung des BGB zu einer materiell unrichtigen Entscheidung führen kann. Es ist sogar möglich, daß das Gericht durch rechtskräftiges Urteil mehrfache Vaterschaft feststellen muß. So namentlich, wenn mehrere Zuhälter das Kind als das ihre anerkannt haben. Allein man hat eben diese Möglichkeiten als das kleinere Uebel in den Kauf genommen376. VI. Räumliche Geltung Die Ansprüche des unehelichen Kindes und seiner Mutter gegen den Vater werden nach dem Heimatrecht der Mutter im Augenblick der Geburt beurteilt. Jedoch können vor einem deutschen Gericht weder von der Mutter noch von dem Kinde weitergehende Ansprüche geltend gemacht werden, als sie nach den deutschen Gesetzen begründet sind377.
375 Ueber das Verhältniß dieser Einrede zu der exceptio plurium, die in den meisten Kantonalrechten zulässig war und nicht abgeschafft werden sollte, vgl. Egger, Komm. zu a. 312 Bem. 3 u. a. 315 Bem. 2d. 376 Bei der Reform der Materie wird Abhilfe ernstlich zu erwägen sein. In erster Linie kommt m. E. der Ausbau der Anerkennung zu einer konstitutiven Willenserklärung in Betracht. Eine verbreitete Strömung zielt auf völlige Abschaffung der exceptio plurium. Da indessen die einfache Schutzlosigkeit von Mutter und Kind, wenn jene sich mehrfach vergangen hat, mit den Anforderungen der Gerechtigkeit unverträglich ist, wird immer wieder damit das Verlangen verbunden, mehrere mögliche Väter gemeinschaftlich haftbar zu machen. Damit aber wird dann stets von Neuem die Rechtsgrundlage der natürlichen Verwandtschaft verdunkelt und der Gesichtspunkt deliktischer Haftung eingemischt. Man kann notdürftig die Haftung damit rechtfertigen, daß jeder Beischläfer dazu beigetragen hat, eine Unsicherheit der Vaterschaft herbeizuführen und im öffentlichen Interesse zur Beseitigung der Folgen herangezogen werden soll. Allein volle Befriedigung gewährt dieser Lösungsversuch nicht. Auch Bückling hat die Schwierigkeit nicht überwunden. Vielleicht ließe sich auch an eine Umgestaltung des Verfahrens denken, um zu einer Feststellung der Vaterschaft mit absoluter Rechtskraft zu gelangen. Allein auch hiergegen sprechen schwere Bedenken. Im Sinne voller Gleichstellung unehelicher und ehelicher Kinder wäre es gelegen. 377 EG z. BGB a. 21.
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VII. Zeitliche Geltung Die rechtliche Stellung eines unehelichen Kindes, das nach dem 1. Januar 1900 geboren ist, wurde zwar grundsätzlich sofort der Herrschaft des BGB unterworfen. Allein in einigen wichtigen Punkten blieben die Vorschriften der bisherigen Gesetze in Kraft. [Blattverlust. Zu den Anm. 378 379 380 381 fehlt der Text]
378 Also blieb das Verbot der gerichtlichen Nachforschung nach der Vaterschaft im französischen Rechtsgebiet in Kraft. In Baden hatte jedoch schon das Ges. v. 21. Febr. 1851 allgemein eine Klage auf Unterhaltsgewährung gegen den Vater auf Grund Beiwohnung in der Empfängnißzeit unter Ausschließung der exceptio plurium zugelassen. In Frankreich ist der art. 340 Code civ. durch Ges. v. 16. Nov. 1912 dahin abgeändert, daß die Klage auf gerichtliche Feststellung der Vaterschaft nicht blos im Falle der Entführung, sondern auch bei hinterlistiger oder unter Mißbrauch der Autorität oder Eheversprechen erfolgter Verführung und in gewissen Fällen des halben Anerkenntnisses der Vaterschaft zulässig ist. Die Exceptio plurium ist vorbehalten und notorischer unsittlicher Lebenswandel der Mutter ist Abweisungsgrund. 379 Dieses Recht haben also namentlich anerkannte Kinder, die vor dem 1. Jan. 1900 geboren sind, behalten, wenn sie es auf Grund des französ. u. bad. Rechts oder eines deutschen Partikularrechts (z. B. in Württemberg, Bayern, Koburg-Gotha oder Reuß) erworben haben. 380 So gilt z. B. älteres Recht fort, nach dem die Mutter primär unterhaltspflichtig ist und der Vater nur einen Beitrag zum Unterhalt schuldet, oder eine gesetzliche Bestimmung über einen geringeren Umfang oder eine kürzere Dauer der Unterhaltspflicht, oder die Ausschließung der Unterhaltspflicht, wenn die Mutter bescholten oder eine Ehefrau ist – oder die Vorschriften des preußischen Allgemeinen Landrechts über die Pflichten der Erben des Erzeugers (Dernburg, Preuß. PR III § 71 Anm. 22). – Im einzelnen ist die Tragweite des § 208 vielfach bestritten; vgl. Näheres b. Habich § 58, Niedner, Komm. zu a. 208. 381 Vgl. oben Anm. 380. Solche Kinder haben also in dem Umfange, in dem dies das alte Recht bestimmt, die rechtliche Stellung ehelicher Kinder, und ihr Vater und ihre Mutter im gleichen Umfange die Rechte und Pflichten ehelicher Eltern behalten.
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§ 298. Legitimation Die „Legitimation“ d. h. die Umwandlung eines unehelichen Kindes in ein eheliches kann auf zwei Wegen stattfinden. I. Durch Eheschließung zwischen den Eltern 1. Geschichte Dem ursprünglichen deutschen Recht war die Legitimation durch nachfolgende Ehe fremd, vielmehr konnte das in der Ehe geborene Kind als unecht bescholten werden, wenn es zu früh geboren war382. Dagegen wurde im spätrömischen Kaiserrecht dem Konkubinenkind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes zugesprochen, sobald der Vater die Mutter als Ehefrau heimführte383. Das kanonische Recht dehnte dies auf uneheliche Kinder überhaupt aus384. Die Lehre des kanonischen Rechts wurde dann in den meisten Ländern Europas glatt aufgenommen385, anderswo und namentlich in Deutschland nicht ohne Widerstreben386 und vielfach zunächst nur für kirchliche, nicht für weltliche Rechtsverhältnisse anerkannt387. Seit dem 13. Jahrh. aber galt die legitimatio per subsequens matrimonium mehr und mehr als ein Institut des gemeinen deutschen Rechts und wurde nunmehr auch durch die Ausbildung und Einbürgerung volkstümlicher Formen, die bei der Eheschließung die Aufnahme der Kinder in den echten Eheverband versinn(bild)lichten, verfestigt388. 2. Voraussetzungen Das BGB trifft über die Legitimation durch nachfolgende Ehe Bestimmungen, die sich im Grundgedanken dem römisch-kanonischen Recht anschließen. Es stellt Sachsensp. I. 36 § 1; oben § 281 Anm. 7. L. 10 et ll Cod. de nat. lib. 5, 27. Nov. 89 c. 8. 384 In autorativer Form zuerst Papst Alexander III. in der Dekretale von 1179, die in die Dekretalensammlung Gregors IX. übergieng; lib. XIV c. 17. Ueber die Entwicklung des kanonischen Rechts vgl. Ferd. Kogler, Beiträge zur Geschichte der Rezeption und der Symbolik der legitimatio per subsequens matrimonium, Weimar 1904 (Sonderabdruck aus ZfRG Bd. 35 Germ. Abt.) S. 3 ff. Ausgeschlossen blieben liberi adulterini. 385 So in Italien, Frankreich und den nordischen Ländern, Kogler S. 7 ff. 386 Der Satz des Sachsenspiegels, daß man ein zu früh geborenes Kind beschelten könne, oben § 281 Anm. 7, war nicht leicht zu überwinden; Kogler a. a. O. S. 22 ff. 387 In süddeutschen Quellen wird seit dem 14. Jahrh. mehrfach die legitimatio per subsequens matrimonium vorbehaltlos anerkannt; vgl. Kogler S. 41 ff. Besonders wurde der Zusatz im Schwabensp. (L.) 377 maßgebend. 388 Kogler a. a. O. S. 48 ff. ist den mancherlei Abwandlungen, die dabei stattfanden, sorgfältig nachgegangen. 382 383
3. Titel: Kinder aus nichtigen Ehen und uneheliche Kinder
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an die Spitze den Satz: „Ein uneheliches Kind erlangt dadurch, daß sich der Vater mit der Mutter verheiratet, mit der Eheschließung die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes“389. Die Rechtsänderung tritt also kraft der Wirkungskraft der Ehe unmittelbar mit dem Vollzuge der Eheschließung zwischen den Eltern ein, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Erforderlich ist nur eine gültige Eheschließung und das Vorhandensein außerehelicher Vaterschaft390. Ist die Ehe nichtig, so hat sie keine Legitimationskraft, verschafft aber immerhin unehelichen Kindern die gleiche rechtliche Stellung, die sie haben würden, wenn sie in der nichtigen Ehe geboren wären391. Ist sie aber gültig, so tritt die Legitimation mit dem Augenblicke ihres Abschlusses auch dann ein, wenn die Vaterschaft erst später festgestellt wird. Das Dasein der Vaterschaft des Ehemannes der Mutter bedarf der Feststellung. Das Gesetz erleichtert aber den Beweis durch zwei Vermutungen. 1. Der Ehemann gilt als Vater, wenn er der Mutter innerhalb der Empfängnißzeit beigewohnt hat. Diese Vaterschaftsvermutung ist nur durch den Nachweis widerlegbar, daß die Mutter das Kind unmöglich durch diese Beiwohnung empfangen haben kann392. Der Nachweis der Unsicherheit der Vaterschaft, weil die Mutter in der Empfängnißzeit noch mit einem anderen Manne geschlechtlichen Umgang gepflogen hat, ist bedeutungslos. Nicht einmal die rechtskräftige Verurteilung eines Anderen zur Anerkennung der Vaterschaft berechtigt den Ehemann, die Vaterschaft abzulehnen. 2. Wenn der Ehemann nach der Geburt des Kindes seine Vaterschaft in einer öffentlichen Urkunde anerkennt, so wird vermutet, daß er der Mutter in der Empfängnißzeit beigewohnt habe393. Die Anerkennung ist eine einseitige nicht empfangsbedürftige Willenserklärung, die auch in einem Testamente, wenn dieses die Form einer öffentlichen Urkunde hat, abgegeben werden kann. Zur Aufnahme der Urkunde sind die Amtsgerichte, die Notare und die Standesbeamten zuständig. Sie entbehrt jeder konstitutiven Bedeutung, aber sie begründet die Vermutung, daß der Ehemann der Mutter in der Empfängnißzeit beigewohnt hat. Diese Vermutung ist widerlegbar, wenn der Nachweis erbracht wird, daß solche Beiwohnung nicht stattgefunden hat. Auch bleibt natürlich der Nachweis offen, daß wenn die Vermutung zuträfe, es doch den Umständen nach unmöglich ist, daß die Mutter das Kind aus 389 BGB §§ 1719 – 1721. Dazu Dernburg § 92. Kipp § 82. Crome § 620. Cosack § 360 I. Planck, Komm. zu BGB. 390 BGB § 1719. Für das gemeine Recht wurde von manchen Romanisten die Ansicht verfochten, daß die Einwilligung des Kindes erforderlich sei, drang aber niemals durch. Für das heutige Recht ist man einig, daß das Kind nicht mitzusprechen hat. 391 Dies bestimmt BGB § 1721. Es entscheidet sich also nach §§ 1699 ff., inwieweit sie als Kinder aus einer Putativehe ehelichen Kindern gleichstehen. 392 BGB § 17201. 393 BGB § 17202.
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
dieser Beiwohnung empfangen hat. Wird dagegen die Vermutung aus der Anerkennungsurkunde nicht entkräftet, so ist die Vaterschaft mit ihrer Hilfe festgestellt, so daß die Legitimation eintritt. Es bleibt aber möglich, daß das Anerkenntniß wegen eines Willensmangels (Irrtums, Zwanges oder Betruges) als nichtig angefochten und so die Beiwohnungsvermutung aus der Welt geschafft wird. Dann muß, wenn die Legitimation eintreten soll, auf andere Weise die Beiwohnung in der Empfängnißzeit bewiesen werden. Die Legitimation eines im Ehebruch erzeugten Kindes wird durch das BGB nicht ausgeschlossen394. Nur wenn der getäuschte Ehemann sein Anfechtungsrecht durch Versäumniß oder Anerkennung des Kindes als das seinige (§ 1508) endgültig eingebüßt hat, kann kein Anderer die eheliche Abstammung des Kindes mehr anfechten, fehlt also die Möglichkeit, daß die ehebrecherischen Eltern, wenn sie einander heiraten, ihr Kind legitimieren. Ist aber die frühere Ehe durch den Tod aufgelöst, ohne daß der Ehemann sein Anfechtungsrecht verloren hat oder nachdem dieser erfolgreich angefochten hat, so können die natürlichen Eltern, wenn sie einander heiraten, das Kind legitimieren. So auch, wenn die frühere Ehe wegen dieses Ehebruchs geschieden und vom Ehehinderniß des Ehebruchs dispensiert ist. 3. Wirkungen Die Wirkungen der Legitimation durch nachfolgende Ehe bestehen darin, daß vom Augenblick der Eheschließung an das Kind schlechthin die Rechtsstellung eines ehelichen Kindes erlangt. Dies gilt vor Allem auch gegenüber den Verwandten des Vaters und zu Gunsten der Abkömmlinge des Kindes. In letzterer Hinsicht hat die Eheschließung die Legitimationskraft auch dann, wenn das Kind selbst schon verstorben war395. Zu den Wirkungen der Legitimation gehört auch der Eintritt der elterlichen Gewalt des Vaters und die Beendigung der Vormundschaft. Das BGB trifft aber eine Ausnahmebestimmung, nach der die Vormundschaft nur von selbst erlischt, sobald die außereheliche Vaterschaft des Ehemannes im Prozeß zwischen ihm und dem Mündel rechtskräftig festgestellt ist, im Uebrigen erst durch Aufhebung seitens des Vormundschaftsgerichts396. Das Landesrecht kann auf den ihm vorbehaltenen Gebieten die Wirkungen der Legitimation einschränken. Das langobardische Lehnrecht versagt Mantelkindern 394 Obschon dazu die Feststellung der Vaterschaft unter Aufdeckung des Ehebruchs erforderlich ist. 395 BGB § 1722. Sonach sind eheliche Kinder eines vorverstorbenen Kindes und legitimierte Kinder eines vorverstorbenen Sohnes als eheliche Enkel mitlegitimiert. 396 BGB § 1883. Das Vormundschaftsgericht hat die Aufhebung anzuordnen, sobald es die Voraussetzungen der Legitimation für vorhanden erachtet, jedoch bei Lebzeiten des Vaters nur, wenn dieser die Vaterschaft anerkannt hat oder wenn er an der Abgabe einer Erklärung dauernd verhindert oder sein Aufenthalt dauernd unbekannt ist.
3. Titel: Kinder aus nichtigen Ehen und uneheliche Kinder
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die Lehnsfolgefähigkeit397. Das Reichsgericht nimmt jedoch ein gemeines deutsches Gewohnheitsrecht an, das diese Versagung beseitigt hat398. Von der Nachfolge im Familienfideikommiße sind Mantelkinder meist durch die Stiftungsurkunden ausgeschlossen399. II. Ehelichkeitserklärung Der zweite Weg, auf dem die Umwandlung eines unehelichen Kindes in ein eheliches Kind erfolgen kann, ist die Ehelichkeitserklärung durch den Staat auf Antrag des Vaters400. 1. Geschichte Auch dieses Rechtsinstitut entstammt dem römischen Kaiserrecht, das die Legitimation von Konkubinenkindern per rescriptum Principis auf Antrag des Vaters für Fälle gewährte, in denen dem Vater die Eheschließung mit der Mutter unmöglich oder nicht wohl zuzumuten war. Die deutschen Kaiser machten seit dem 13. Jahrh. wiederholt von diesem Rechte Gebrauch und verliehen das Recht, es in ihrem Namen auszuüben, an sogenannte Hofpfalzgrafen. Doch wurde die Wirkung der kraft kaiserlicher Ermächtigung erteilten Legitimation vielfach auf Tilgung des Makels der unehelichen Geburt eingeschränkt oder es wurden auch nur einzelne familienrechtliche Wirkungen damit verknüpft, in neuerer Zeit, seit die größeren Landesherren aus eigenem Recht legitimierten [Lücke des Manuskripts]. die Partikularrechte allgemeine Bestimmungen darüber trafen, der staatlichen Legitimation vielfach wieder volle Wirkung beigelegt wurde. Auch das BGB behandelt die Ehelichkeitserklärung als eine echte Legitimation, legt ihr jedoch immerhin schwächere Wirkung als der Legitimation durch nachfolgende Ehe bei.
II F. 26 § 11. RGer XII Nr. 60 S. 239 – 248. Partikuläres Gewohnheitsrecht kann aber vom gemeinen Gewohnheitsrecht abweichen. 399 Auch ohne ausdrückliche Bestimmung ist dies regelmäßig als gewollt anzunehmen, wenn eheliche Abstammung vom Stifter verlangt wird. Auch hinsichtlich des Anerbenrechts kann das Landesrecht legitimierte Kind(er) zurücksetzen. 400 BGB §§ 1723 – 1740. Komm. v. Planck u. Staudinger. Dernburg § 92. Kipp § 90. Cosack § 360 II. Crome § 621. 397 398
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4. Kap.: Verwandtschaftsrecht
Voraussetzungen 1. Antrag des Vaters Der Antrag muß zugleich das Anerkenntniß der Vaterschaft enthalten. Er bedarf gerichtlicher oder notarieller Beurkundung. Ist der Vater in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so hat er sich persönlich mit Zustimmung seines Vormundes zu erklären und außerdem die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts beizubringen; ist er geschäftsunfähig, so kann er den Antrag überhaupt nicht stellen. 2. Einwilligung des Kindes Ist das Kind geschäftsunfähig oder hat das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, so kann sein gesetzlicher Vertreter die Einwilligung mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erteilen. 3. Bis das Kind das 21. Lebensjahr vollendet hat, ist die Einwilligung der Mutter erforderlich. Wenn aber die Mutter ihre Einwilligung weigert, obschon daraus unverhältnißmäßige Nachteile zu entstehen drohen, kann auf Antrag des Kindes das Vormundschaftsgericht die Einwilligung der Mutter ersetzen. 4. Ist der Vater verheiratet, so bedarf es auch der Einwilligung seiner Ehefrau. 5. Der Antrag auf Ehelichkeitserklärung, die Einwilligungserklärung der Mutter und der Ehefrau bedürfen gerichtlicher oder notarieller Form und können nicht durch Vertreter abgegeben werden. III. Vollzug Der Vollzug der Ehelichkeitserklärung erfolgt durch staatliche Willenserklärung: Zuständig ist der Heimatstaat des Vaters, in Ermangelung eines solchen der Reichskanzler. Die Legitimation ist Gnadensache. Sie kann nach freiem Ermessen versagt werden. Dagegen ist sie an das Vorhandensein der wesentlichen Voraussetzungen gebunden. Doch sind gewisse Mängel vom Gesetz für unwesentlich [Hier bricht das Manuskript ab].