Deutsche Volkskunde im ausserdeutschen Osten: Vier Vorträge [Reprint 2019 ed.] 9783111513829, 9783111146072


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German Pages 81 [88] Year 1930

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VORWORT
INHALT
DIE DEUTSCHE VOLKSKUNDE IN DER TSCHECHOSLOWAKEI
DIE DEUTSCHUNGARISCHE VOLKSKUNDEFORSCHUNG
DEUTSCHE VOLKSKUNDEFORSCHUNG IN SIEBENBÜRGEN
VOLKSKUNDLICHE FORSCHUNGEN IN DEN DEUTSCHEN SIEDLUNGEN DER SOWJET-UNION
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Deutsche Volkskunde im ausserdeutschen Osten: Vier Vorträge [Reprint 2019 ed.]
 9783111513829, 9783111146072

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DEUTSCHE VOLKSKUNDE IM AUSSERDEUTSCHEN OSTEN VIER VORTRÄGE VON

G. BRANDSCH,

G. JUNGBAUER, V.

UND

E. V O N

SCHWARTZ

BERLIN UND WALTER

DE

SCHIRMUNSKI

LEIPZIG

G R U Y T E R

&

CO.

VÖRMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG, VERLAGS. BUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TROBNER — VEIT & COMP.

1930

Alle R e c h t e , i n s b e s o n d e r e das von der V e r l a g s h a n d l u n g

Übersetzungsrecht, vorbehalten.

Druck von R. Wag n e i So Im In We I ma r

VORWORT

I mmer stärker setzt sich die Erkenntnis der Wichtigkeit durch, die die volkskundlichen Erscheinungen der deutschen Kulturgebiete jenseits der deutschen Grenzen auch für die Einsicht in die innerdeutsche Entwicklung haben, und wir sind deshalb den Verfassern der nachstehenden Aufsätze dankbar, daß sie uns instandgesetzt haben, ihre Ausführungen, die ursprünglich als Vorträge bei der Berliner Verbandstagung im Oktober 1929 gegeben wurden, im Druck weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Während für Siebenbürgen, die Tschechoslowakei und Ungarn Angehörige der deutschen Minderheit das Wort ergreifen, schildert die Verhältnisse in den Staaten der Sowjetunion ein Angehöriger des russischen Staatsvolkes, der Vertreter der deutschen Philologie an der Universität Leningrad, Professor Dr. S c h i r m u n s k i , der mit seinen Schülern seit langem Sprache und Volkskunde der deutschen Kolonien Sowjetrußlands liebevolle und eingehende Forschungen gewidmet hat, die ihm durch die liberale Nationalitätenpolitik seiner Regierung wesentlich erleichtert wurden. Wir hoffen, daß diese Aufsätze dazu beitragen werden, die wissenschaftliche Erforschung deutschen Volkstums außerhalb der Reichsgrenzen zu beleben und zu vertiefen. VERBAND DEUTSCHER VEREINE FÜR VOLKSKUNDE JOHN M E I E R

F r e i b u r g i. Br., im Juni 1930.

INHALT

Seite

1. Die Deutsche Volkskunde in der Tschechoslowakei. GUSTAV

JUNGBAUER

I

2. Die deutsch-ungarische Volkskundeforschung. VON

Von

ELMAR

SCHWARTZ

26

3. Deutsche Volkskundeforschung in Siebenbürgen. Von LIEB

Von

GOTT-

BRANDSCH

41

4. Volkskund'liche Forschungen in den deutschen Siedlungen der Sowjet-Union.

Von

VIKTOR

SCHIRMUNSKI

52

D I E D E U T S C H E V O L K S K U N D E IN DER TSCHECHOSLOWAKEI VON

GUSTAV

JUNGBAUER

I n den Ländern Österreich-Ungarns, aus denen 1918 die Tschechoslowakische Republik gebildet wurde, in Böhmen, Mähren und Schlesien und in Nordungarn, war die deutsche Volkskunde sehr ungleichmäßig betrieben worden. Bloß B ö h m e n konnte auf ein erfolgreiches Schaffen von Jahrzehnten zurückblicken. Hier ist auch die deutsche Bevölkerung am stärksten. Nach der altösterreichischen Volkszählung von 1910 betrug sie 2467700, nach der für die Deutschen ungünstigen Volkszählung von 1921 nur 2173239. Schon durch das ganze 19. Jahrhundert waren in Deutschböhmen vereinzelte Kräfte volkskundlich tätig. Ein größerer Aufschwung erfolgte vom Beginn der 80er Jahre an, wo J. J. A m m a n n im Böhmerwald, A. J o h n im Egerland, A. P a u d l e r in Nordböhmen, F. K n o t h e im Riesengebirge u. a. zu wirken begannen. Entscheidend war aber das Jahr 1889, mit dem Professor Dr. A d o l f H a u f f e n (f 2. Februar 1930) seine Lehrtätigkeit an der Deutschen Universität in Prag begann und der Volkskunde an dieser höchsten Bildungsstätte des Landes einen wirksamen Mittelpunkt schuf. Die erste Anregung zu volkskundlicher Arbeit hat Hauffen an der Tochteruniversität der Prager Alma mater in Leipzig erhalten. Dort begeisterten den jungen Hörer 1883/84 die Vorlesungen Rudolf Hildebrands über das deutsche Volkslied. Die erste Vorlesung Hauffens in Prag selbst, im Winterhalbjahr 1889/90, war ebenfalls der „Geschichte des deutschen Volksliedes" gewidmet. Den Aufstieg der Volkskunde seit jener Zeit beleuchtet am besten, daß diese damals einzige volkskundliche A

Deutsche Volkskunde Im außerdeutschen Osten.

I

2

GUSTAV

JUNGBAUER

Vorlesung von acht Hörern besucht war, während die gleiche Vorlesung Hauifens im Winterhalbjahr 1923/24, in dem noch andere volkskundliche Vorlesungen gehalten wurden, 164 Hörer aufwies. Vom Jahre 1905 an hielt Hauffen regelmäßig alle vier Jahre eine abgerundete Vorlesung über deutsche Volkskunde. Infolgedessen haben wir heute an fast jeder Mittelschule volkskundlich vorgebildete Professoren, die ihre Kenntnisse in der Schule verwerten, bei der heranwachsenden Jugend das Verständnis für volkskundliche Fragen wecken und sich außerdem vielfach selbst als Sammler und Forscher betätigen. Die Lehrerschaft der Volksschulen Böhmens wurde durch ein großzügiges Unternehmen für die Volkskunde gewonnen. Von 1894 bis 1900 führte Hauffen im Auftrage der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen mit Hilfe von rund 200 Volksschullehrern die erste systematische Aufsammlung der deutschen Volksüberlieferungen in Böhmen durch. Die Ergebnisse wurden zum Teil bereits verwertet für die seit 1896 von Hauffen im Auftrage der Gesellschaft herausgegebenen Beiträge zur deutschböhmischen Volkskunde, von denen bis zum Kriegsende 14 Bände erschienen sind. Mit dem Jahre 1905 setzte das umfassende Volksliedunternehmen des Ministeriums für Kultus und Unterricht in Wien ein, das der Sammlung und Herausgabe des Volksliederschatzes bei allen Völkern der österreichischen Länder galt. In Ungarn ist es unterblieben. Hierzu war in Deutschböhmen bloß eine ergänzende Sammeltätigkeit notwendig, die der 1906 ernannte und von Hauffen geleitete Arbeitsausschuß durchführte. Im Auftrage dieses Ausschusses habe ich die 1913 erschienene Bibliographie des deutschen Volksliedes in Böhmenverfaßt. Die von Jahr zu Jahr zunehmende volkskundliche Forschung an der Prager Deutschen Universität hat den Germanisten A u g u s t S a u e r auf den Zusammenhang zwischen L i t e r a t u r g e s c h i c h t e und V o l k s k u n d e aufmerksam gemacht, den er in seiner Rektoratsrede (1907) behandelte, wobei er allerdings Volkskunde mehr im Sinne der landschaftlichen und stammheitlichen Gebundenheit des Menschen verstand. Nach diesem 1)

Beiträge zur deutschböhmischen Volkskunde, 11. Band.

1913-

Prag

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Gesichtspunkte hat sein Schüler J. N a d l e r die Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften geschrieben. Gegenüber Böhmen war in M ä h r e n und S c h l e s i e n , wo nach der altösterreichischen Volkszählung (1910) 1044900, nach der tschechoslowakischen (1921) 799970 Deutsche wohnen, die volkskundliche Arbeit merklich zurückgeblieben. Hier hat J. G. M e i n e r t 1817 die erste landschaftliche Sammlung deutscher Volkslieder, die Alten teutschen Volkslieder in der Mundart des Kuhländchens herausgegeben. Er war aber selbst kein Mährer, sondern stammte aus Leitmeritz in Deutschböhmen. In Prag, wo er als Universitätsprofessor wirkte, überreichte ihm 1811 Clemens Brentano Des Knaben Wunderhorn und regte ihn so zum Sammeln der Volkslieder auf seinem mährischen Ruhesitze an. Nach Meinerts Buch und den 1865/67 von A. P e t e r herausgegebenen drei Bänden Volkstümliches aus Österreichisch-Schlesien ist keine größere Leistung in Mähren und Schlesien zu verzeichnen. Die Volksschauspiele aus Mähren von J. F e i f a l i k (Olmütz 1864) bringen überwiegend tschechischen Stoff, die Beiträge zur Volkskunde der Deutschen in Mähren von W. M ü l l e r (Wien und Olmütz 1893) sind wenig verläßlich. Die schwache Beteiligung an der Volkskunde erklärt sich vor allem daraus, daß zwischen diesen Ländern und Prag jede Verbindung fehlte. Die deutschen Studenten aus Mähren und Schlesien pflegten fast durchweg an der Wiener Universität zu studieren. Und zwischen Wien und ihrer Heimat gab es nicht die gleichen räumlichen und persönlichen Beziehungen und lebendigen Verbindungsfäden wie zwischen der Prager Deutschen Universität und ihrem deutschböhmischen Umland. Es ist bezeichnend, daß bloß in dem auch nach Böhmen hinüberreichenden und daher mehr nach Prag eingestellten Schönhengster Land, wo seit 1905 die Mitteilungen zur Volkskunde des Schönhengster Landes erscheinen, eine lebhaftere Beschäftigung mit der Volkskunde zu beobachten ist. An dem staatlichen Volksliedunternehmen war die Beteiligung dieser Länder selbstverständlich. Der deutsche Arbeitsausschuß für Mähren und Schlesien wurde 1906 unter der Leitung des Musikprofessors J. G ö t z in Brünn gebildet. Ihm verdanken wir den 1909 erschienenen Neudruck der Volksliedersammlung Meinerts. In dem Gebiet des ehemaligen Nordungarn, das als „ S l o w a k e i " und „ K a r p a t h e n r u ß l a n d " an die Tschechoslowakei kam, leben nach der Volkszählung von 1921 bloß 150239 Deutsche. In Wirk1*

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GUSTAV JUNGBAUER

lichkeit kann man mit einer Zahl von rund 200000 rechnen1). Abgesehen von vereinzelten, zum Teil in magyarischer Sprache geschriebenen Beiträgen konnte sich eine umfassendere deutsche Volkskundeforschung in diesen Gebieten — die Zips ausgenommen — schon deshalb nicht entwickeln, weil die unerläßliche Vorbedingung hierfür, ein voll ausgeprägtes Volksbewußtsein, fehlte. Die Einbeziehung dieser Länder in die Tschechoslowakei hat die deutsche Bevölkerung, deren Magyarisierung schon weit vorgeschritten war, vor der vollen Entnationalisierung bewahrt. Sie findet nun wieder den Rückweg zum eigenen Volkstum, vor allem die Jugend, während ältere Leute noch immer bei ihrer magyarischen Einstellung beharren und daher auch das Wortspiel ersonnen haben: Im alten Staate waren wir „Ungarn", in der Republik sind wir „ungern". Diese Tschechoslowakische Republik nun zählt im ganzen rund 3y 2 Millionen D e u t s c h e , etwa 6 % Millionen Tschechen, 2 Millionen Slowaken, die sich von den Tschechen stark unterscheiden, ferner annähernd eine Million Magyaren und gegen eine halbe Million Ukrainer oder Ruthenen in Karpathenrußland, wo auch der größte Teil der etwa eine Viertelmillion ausmachenden Juden lebt. Die Deutschen sind keine volkskundliche Einheit, bieten aber gerade durch ihre bunte Zusammensetzung dem Volksforscher ein sehr ergiebiges Arbeitsfeld. Sie verteilen sich auf das oberdeutsche (bayrische) und mitteldeutsche (obersächsische und schlesische) Stammes- und Mundartgebiet, wobei sich in mehrfacher Weise eine starke k u l t u r e l l e A b s t u f u n g zeigt. Dem alten Weg der Kultur von Westen nach Osten entsprechend äußert sich zunächst ein merklicher Unterschied zwischen dem fortgeschrittenen Westen mit seiner hochentwickelten Industrie und dem kulturell rückständigen Osten mit seiner vorherrschenden Landwirtschaft. Volkskundlich macht sich aber ebenso stark eine andere, neuere Richtung der Kulturentwicklung bemerkbar, die von Norden nach Süden verläuft. Das mitteldeutsche Gebiet in Nordböhmen, Nordmähren und Schlesien, wo die Industrie Vgl. die Bemerkungen zur Volkszählung von 1 9 2 1 bei E . F a u s e l , Das Zipser Deutschtum. Jena 1927. S. 1 0 2 ! (6. Heft der Schriften des Instituts für Grenz- und Auslanddeutschtum an der Universität Marburg).

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ihren Hauptsitz hat, hat bereits viel an altem Volksgut eingebüßt, während die vorwiegend Landwirtschaft treibende Bevölkerung des bayrischen Stammesgebietes im Egerland, in Südböhmen und Südmähren einfachere Lebensformen aufweist und ursprünglichere Zustände bewahrt hat. Natürlich kommt hier auch die Stammesart zur Geltung, die größere Beweglichkeit und Geselligkeit des Mitteldeutschen und andererseits die schwerfällige, sich gern absondernde Art des Bayern, der kein Freund großstädtischer Industriesiedlungen ist. Ebenso maßgebend ist aber auch die Landschaft und Bodenbeschaffenheit. Die fruchtbare Erde des engeren Südböhmen und noch mehr Südmährens machte das Entstehen einer Industrie entbehrlich, auf dem mageren Boden Nordböhmens aber war sie eine Lebensfrage. Eine weitere kulturelle Abstufung bringt der Unterschied zwischen den Grenzlanddeutschen und Sprachinseldeutschen, mit denen wir es allein in der Tschechoslowakei zu tun haben. Die Masse der sudetendeutschen Bevölkerung gehört zur ersten Gruppe. Diese G r e n z l a n d d e u t s c h e n lehnen sich einerseits an die stammverwandten Nachbarn in Deutschland und Österreich an, andererseits stehen sie einem fremden Volke gegenüber, den Tschechen, und in Schlesien zum Teil auch den Polen, mit welchen sich durch die staatliche Zusammengehörigkeit von Jahrhunderten vielfache Berührungen ergaben, die sich auch volkskundlich auswirken, weniger auf dem Gebiete der mündlichen, an die Sprache geknüpften Volksüberlieferungen, mehr im Brauchtum und bei den gegenständlichen Volksgütern. Aus diesem Grunde muß hier die wissenschaftliche Forschung von Anfang an vergleichend vorgehen und auch die Ergebnisse der slawischen Volkskunde beachten. Im allgemeinen zeigen diese Grenzlanddeutschen das gleiche volkskundliche Gepräge wie ihre Stammverwandten jenseits der Grenze, aber es gibt auch Besonderheiten, die sie von den Binnendeutschen trennen, weniger des heutigen Österreich, wo das lange Zusammenleben in demselben Staate ausgleichend gewirkt hat, mehr aber Deutschlands. Das Aufwachsen unter ganz anderen Schul- und Bildungsverhältnissen erzeugt ein anderes geistiges und kulturelles Leben, das sich dann noch mehr ändern muß, wenn die deutsche Bevölkerung — wie in der heutigen Tschechoslowakei — in der Minderheit ist und in der Entwicklung ihrer Wirtschaft und Kultur vom Staatsvolke abhängt. Gegenüber dem Binnendeutschen

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GUSTAV JUNGBAUER

besitzt der um die Erhaltung seines Volkstums ständig sorgende Grenzlanddeutsche ein erhöhtes Volksbewußtsein, das ihn veranlaßt, treu an seinen alten Überlieferungen festzuhalten, und das den höher Gebilden zugleich zu ihrer Erforschung führt. Nicht ohne Grund hat sich gerade auf grenzlanddeutschem Boden schon früh und in besonderer Stärke die deutsche Volkskunde betätigt 1 ). Der Grenzlanddeutsche hat natürlich den engsten Anschluß an das gesamte deutsche Geistes- und Kulturleben. Dieser fehlt dem rundum vom Fremdvolk eingeschlossenen S p r a c h i n s e l d e u t s c h e n , der ebenso zäh an seinem Volkstum festhält und in seinem Kerngebiet nicht selten altes Volksgut in unverfälschter Form erhalten hat, während nur an den Rändern Vermischungen und Lehngut auftreten, eine Erscheinung, die natürlich auch von der verschiedenen Größe der Sprachinsel abhängt und bei kleineren Siedlungen auch das Kerngebiet ergreift. Die E r f o r s c h u n g dieses v o l k s k u n d l i c h e n S p r a c h i n s e l g u t e s stellt eine der wichtigsten Sonderaufgaben der sudetendeutschen Volkskunde dar, weshalb ich etwas näher darauf eingehe. Ergiebiger als die zum Teil schon erforschten Sprachinseln in Böhmen und Mähren sind die in der Slowakei und in Karpathenrußland. Von der sudetendeutschen Volkskunde werden aber nicht allein die Verhältnisse in den Sprachinseln der Tschechoslowakei untersucht, sondern auch in den von sudetendeutschen Auswanderern gegründeten Siedlungen in anderen Ländern, besonders in Polen, im heute jugoslawischen Banat 2 ) und in Rußland*). Je abgelegener und kleiner die Sprachinsel ist, desto urtümlicher sind die volkskundlichen Formen. Solche traf ich auf einer Reise im August v. J. vor allem in den im östlichsten Winkel von Karpathenrußland liegenden Dörfern 1

) Vgl. W a l t h e r M i t z k a , Volkskunde und Auslandsdeutschtum. (Deutsche Forschung. Aus der Arbeit der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Heft 6. Deutsche Volkskunde. Berlin 1928. S. 132.) 2 ) Vgl. P e t e r G r a ß l , Geschichte der deutsch-böhmischen Ansiedlungen im Banat. V. Band, 2. Heft der „Beiträge zur deutschböhmischen Volkskunde". Prag 1904. *) Vgl. E l l i n o r J o h a n n s o n , Eine Schönhengster Sprachinsel in der Krim. (SudZfVk. II. 1929. S. isff.)

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Deutsch- und Russisch-Mokra und Königsfeld an. Namentlich das rein deutsche, am weitesten in das Hochgebirge vorgeschobene Deutsch-Mokra gibt Gelegenheit zu wichtigen Feststellungen. Vor 1 5 0 Jahren von Einwanderern aus der Gegend von Ischl und Gmunden in Oberösterreich gegründet, hat der Ort seither keinerlei Beeinflussung von außen erfahren. Die ruthenischen Umwohner stehen auf der denkbar tiefsten Kulturstufe, Pfarrer und Lehrer waren durch die ganze Zeit Magyaren. Die zum Militär eingerückten Burschen haben gewöhnlich in ungarischen Regimentern gedient, der überwiegende Teil der Bevölkerung ist aber nie aus dem engeren Umkreis des Dorfes hinausgekommen. Während die Männer meist magyarisch und ruthenisch verstehen, sprechen die Mädchen und Frauen nur deutsch. Viele sind noch niemals auf einer Eisenbahn gefahren. Zeitungen und Bücher werden nur ausnahmsweise gelesen. Trotzdem ist bei diesen Leuten keineswegs ein Zurücksinken auf ein primitives Niveau zu bemerken, wie ich es etwa in den deutschen Dörfern bei Taschkent in Turkestan fand. Eine rasche Auffassung, gesunder Mutterwitz und große Beweglichkeit zeichnen sie aus. Man singt noch immer die Volkslieder und Schnaderhüpfel, die die Vorfahren aus ihrer österreichischen Heimat mitgebracht haben. Man hört vor allem auf den über 1300 m hoch liegenden Almen die allerschönsten Jodler von den jungen und lustigen Sennerinnen, die hier von Anfang Juni bis zum 8. September ein freies und ungebundenes Leben führen. Wir haben bei dieser Sprachinsel den seltenen Fall, daß ein Volkssplitter, eine Gemeinschaft ohne geistige Oberschicht und ohne jede Verbindung mit dem Volksganzen seit 150 Jahren besteht, daß also bei Untersuchung des Volksgutes von keinem „gesunkenen Kulturgut" gesprochen werden kann, daß neben altem Erbgut nur selbständig entstandenes Neugut und etwas Lehngut in Frage kommt und daher am besten die Frage nachgeprüft werden kann, ob das Volk selbst auch produziert oder nicht. Leider steht wegen der Entlegenheit der Gegend und wegen des Mangels an geeigneten Mitarbeitern im Orte selbst die Stoffsammlung erst in den Anfängen. Im übrigen ist die Feststellung der Herkunft volkskundlichen Gutes aus der Oberschicht oder Unterschicht nicht als Hauptaufgabe und Hauptziel volkskundlicher Arbeit anzusehen, wie J o h n Meier in seiner gedankenreichen Abhandlung Wege und

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GUSTAV

JUNGBAUER

Ziele der deutschen Volkskundeforschung1) dargelegt hat. Im gleichen Sinne bemerkt A d o l f S p a m e r gegenüber Hans Naumann, daß dieser allzusehr den Akzent auf den Begriff der Rezeption verlegt, während die von ihm übernommene Formel Hoffmann-Krayers wohlweislich von dem Reproduktionsvermögen des Volkes spricht, also eine eigenschöpferische Tätigkeit der Unterschicht gegenüber den überkommenen Vorlagen betont 2 ). Und da bietet eben wieder die Sprachinselvolkskunde Gelegenheit, diese Hauptfrage zu klären und festzustellen, wie und nach welchen Grundsätzen sich die weitere Entwicklung des Volksgutes vollzieht, nach welchen Gesichtspunkten die Umformungen erfolgen und welche bewegenden Kräfte hier am Werke sind. Nach den bisherigen Untersuchungen muß man hierbei von der geistigen und seelischen Eigenart des Sprachinselmenschen ausgehen. Darüber handeln besonders W a l t e r K u h n in seinem Versuch einer Naturgeschichte der deutschen Sprachinsel (Deutsche Blätter in Polen III. Posen 1926. S. 65—140) und H a n s S c h m i d in einer noch nicht im Drück erschienenen Prager Dissertation über die deutschen, 1823—1830 von Auswanderern aus Westböhmen begründeten Siedlungen um Machliniec bei Stryj in Galizien (Polen). Zunächst stellen die Auswanderer an sich schon eine Auslese dar, es sind gesunde, tatkräftige und unternehmungslustige Leute. Sie unterliegen dann aber einer besonderen seelischen Umformung, bewirkt durch den Vorgang der Siedlung selbst, durch das mühsame Schaffen einer neuen Heimat aus wilder Wurzel*), dann durch den Einfluß der neuen Landschaft mit einem anderen Klima, mit anderen Bodenverhältnissen und anderen Wirtschaftsbedingungen, und endlich durch die Berührung mit dem fremden Umvolk. Von diesem hebt sich der sparsame und fleißige deutsche Siedler meist scharf ab. Sein peinlich sauberes Haus, seine überlegene Wirtschaftsweise werden gewöhnlich vorbildlich für die Umgebung. Der Sprachinseldeutsche ist fast immer von einem tiefen GottverDeutsche Forschung. Aus der Arbeit der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. H e f t 6. Deutsche Volkskunde. Berlin 1928. S. 26. s)

Hessische Blätter für Volkskunde X X I I I (1924) S. 91. In ihrer Eigenart scharf umrissene Siedlergestalten zeichnet besonders lebendig der sudetendeutsche Dichter H a n s W a t z l i k in seinem Roderroman Aus wilder Wurzel (Leipzig 1920). s)

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trauen erfüllt. In den oft bitteren Enttäuschungen und Entbehrungen der ersten Siedlerjahre, in dieser bangen Einsamkeit und Verlassenheit war ja sein einziger Trost der Glaube an Gott, der keinen guten Deutschen verläßt. Mit dieser echten Frömmigkeit, die anderswo längst abgestorbene geistliche Lieder in vielen Sprachinseln bis heute erhalten hat, verbindet sich ein ruhiges, gesetztes Wesen, das schon bei den Kindern auffällt. Die besonderen Umstände haben den Sprachinseldeutschen ferner beweglicher und schmiegsamer gemacht, besonders vorgesetzten Behörden gegenüber. Andererseits hat der weite Abstand von der geistig und wirtschaftlich tieferstehenden Umwelt in ihm ein zielbewußtes Herrengefühl zur Entwicklung gebracht. Zugleich damit wurde, ohne daß ein ausgesprochenes Volksbewußtsein vorhanden zu sein braucht, das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit seinen Volksgenossen gesteigert. Die Dorfbewohner, die oft schon in der zweiten Generation durch Wechselheiraten zu einer einzigen großen Familie zusammenwachsen, leben in bester Eintracht und unterstützen sich bei jeder Gelegenheit, z. B. bei einem Hausbau, bei dem alle mithelfen. Aus dem HeiTengefühl erklärt sich die Erscheinung, daß Sprachinseldeutsche im Laufe der Zeit nicht selten Formen des Aberglaubens bewußt fallen lassen, weil sie ihre Ausartungen bei dem niedriger stehenden Umvolk sehen. Den Hexen- und besonders den Vampirglauben, in dem die Ruthenen Karpathenrußlands noch tief befangen sind, wie erst jüngst E. S c h n e e w e i s nachgewiesen hat 1 ), betrachten heute die meisten dort lebenden Deutschen als Unsinn. Sie sind aufgeklärt und dieser Aufklärung fallen auch Sagen und Märchen zum Opfer, die oft nur mehr von den älteren Leuten erzählt werden. Und finden sich bei diesen Inseldeutschen Ansätze zu neuer Sagenbildung, veranlaßt durch unerklärliche Erscheinungen oder Vorfälle, so überrascht nicht selten eine eigenartige Formung. Ein fünfzehnjähriger Knabe in dem vor hundert Jahren von Böhmerwäldlern besiedelten Dorfe Sinjak nördlich von Munkacs erzählte mir auf meine Frage, ob er schon ein Gespenst gesehen habe, folgendes: „Ja, im vorigen Jahr. Da bin ich einmal am Abend, es ist schon finster gewesen, mit einem anderen Buben auf der Straße gestanden. Da haben wir was Weißes gesehen und haben gemeint, SudZfVk. II. 1929. S. 49 ff.

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daß es eine Katze ist. Derweil ist es ein weißes Männchen gewesen, etwa zwei Spannen lang. Ich hab' einen Stein genommen und hab' hinschmeißen wollen. Aber der andere Bub hat gesagt: ,Laß mich werfen!' Und wie er hingeworfen hat, ist das Männchen verschwunden. Am andern Tag ist eins der ältesten Weiber im Dorf gestorben." In dieser Erzählung ist namentlich das Motiv, daß die Buben sofort auf das Gespenst mit Steinen werfen, so recht bezeichnend für den Inseldeutschen, dem auch schon in der Kindheit Furcht im allgemeinen unbekannt ist. Für das Sagengut der deutschböhmischen Siedlungen in Galizien hat A l f r e d K a r a s e k 1 ) als wichtigste Entwicklungserscheinung das Hervortreten und Überwuchern bestimmter Sagengruppen festgestellt, das sich in zweifacher Weise zeigt. In den größeren und geschlossenen Siedlungen werden einzelne Sagenstoffe besonders beliebt und immer wieder weitergebildet und vermehrt, während andere in den Hintergrund treten. Diese Bevorzugung bestimmter Sagen, z. B. der Schatzsagen, Teufelsund Hexensagen, scheint mir aber eine allgemeine, auch auf binnendeutschem Gebiet bemerkbare Tatsache der Nachkriegszeit zu sein. Eine reine Sprachinselerscheinung ist dagegen, daß sich in kleinen Siedlungen ein Ausgleich mit der slawischen Umwelt vollzieht, indem jene Sagenstoffe in den Vordergrund rücken, die auch bei den Slawen daheim sind. Die Übernahme rein slawischer Glaubensvorstellungen erfolgt aber nur in den seltensten Fällen, so in kleinen Streusiedlungen, wo Mischehen und dadurch bewirkte Slawisierungen häufiger sind. Bemerkenswert ist, daß in den hochentwickelten Sprachinseln Galiziens die Errichtung von Volksbüchereien einen Rückgang der mündlichen Erzählung und damit auch der Sage zur Folge hatte. Man liest jetzt mehr und erzählt weniger. Beim Volkslied fällt eine gewisse herbe Art des Singens und die Bevorzugung ernster Weisen bei vielen Sprachinseldeutschen auf. Wo sich Siedler aus verschiedenen Stammesgebieten zusammenfinden, vollzieht sich ein Ausgleich im Liedgut. Bei diesem kann man fast stets zwei Gruppen unterscheiden, erstens Dauerlieder, die noch aus der alten Heimat mitgenommen wurden und immer wieder gesungen werden, wozu bei den bayrischen 1 ) Das Sagengut der deutschböhmischen Siedlungen Galiziens (Karpathenland I. 1928. S. i26ff.).

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II

Stammesangehörigen auch die Schnaderhüpfel und Jodler gehören, und zweitens Modelieder, vorwiegend volkstümliche Kunstlieder, die neben einzelnen Operettenschlagern zu gleicher Zeit wie bei den Binnendeutschen gesungen werden, zuweilen aber auch den Weg in die Sprachinseln erst etwas später finden. Hier wurden in den letzten Jahren durch Jugendwanderer auch viele Volkslieder aus bekannten Sammlungen, z. B. aus dem Zupfgeigenhansl, verbreitet. Sie werden aber auch dann, wenn sie schon kleinere Zusätze und Umbildungen erfahren haben, wie z. B. in Deutsch-Mokra, wo man gern jedem Gesätz einen alten Jodler anfügt, noch immer ausdrücklich von den „alten" Liedern geschieden. In musikalischer Hinsicht scheint beim Lied wie auch beim Tanz 1 ) — der Csardas wird z. B. neben Walzer, Polka und zuweilen Ländler in den deutschen Siedlungen des ehemaligen Nordungarn leidenschaftlich getanzt — der slawische, bzw. magyarische Einfluß am stärksten zu sein. Es kommt nicht selten vor, daß man ein deutsches Lied zu einer fremden Weise, die den Leuten besser ins Ohr klingt, singt und die frühere deutsche Singweise vergißt 2 ). Während die einzelnen Arten der Kleindichtung sich wenig von dem sonstigen deutschen Gut unterscheiden, z. B. die in der Slowakei bekannten Rätsel mit den im binnendeutschen Gebiet verbreiteten übereinstimmen'), die Spottreime auf Nachbardörfer dieselbe Gestalt wie in deutschen Landen aufweisen, paßt sich die Kinderdichtung mehr den neuen Verhältnissen an. So trösten sich die Egerländer Kinder von Machliniec bei einem schlechten Fortgang in der Schule, in der polnisch und deutsch unterrichtet wird: Koa niat polisch, koa niat deitsch, kummt der Vätta mit der Peitsch, kummt die Mutta hinterdra(n), schlägt ma ülla Ripp'n a(n).

Da in den Volksschulen des alten Ungarn mit wenigen Ausnahmen auch bei rein deutschen Schülern nur magyarisch unterVgl. J. H a n i k a , Die Kremnitzer Sprachinsel. (E. W i n t e r , Die Deutschen in der Slowakei und in Karpathorußland. i. Heft von „Deutschtum und Ausland". Münster i. W. 1926. S. 60); ferner Karpathenland I. 1928. S. 55. s) Vgl. H a n i k a a. a. O. S. 63t. 3) Vgl. Karpathenland I. 1928. S. 37.

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richtet wurde, kamen hier magyarische Ausdrücke auch in die Kinderreime, so die Zahlwörter von eins bis vier und der Vorname Pista = Istvän (Stephan) in dem folgenden Kinderreim aus Metzenseifen in der Slowakei: Egy, kettö, harom, negy, kömmt da Pischta med da Ked, kömmt de Katz med da Tatz geit se Pischtan a gute Tasch. Eins, zwei, drei, vier, kommt der Pischta (Stephan) mit der Kett', kommt die Katz' mit der Tatz', gibt dem Pischta eine gute Tasch (Ohrfeige)1).

Dieser magyarische Einfluß zeigt sich in den tschechoslowakischen Karpathenländern auch bei den männlichen Vornamen. Hier sind neben dem erwähnten Pista auch andere magyarische Formen, z. B. Ferencz oder Feri für Franz, Lajos für Ludwig u. a. sehr beliebt, während die Mädchennamen fast durchweg noch denen der alten deutschen Heimat gleichen. So finden sich in dem oberösterreichischen Deutsch-Mokra neben den vorherrschenden Resi und Mari noch Evi, Agnes, Vroni, Lisi (Elisabeth) und das früher mehr gebräuchliche Sidonia. Für die Mundartforschung ist der Sprachinselboden besonders günstig. Schon für die kolonialen Mundarten überhaupt betont A r t h u r Hübner 2 ), daß hier bessere Bedingungen für die Mundartbetrachtung vorliegen als bei den Stammundarten, wenn auch Vorsicht am Platze ist, da die kolonialen Mundarten häufig eine Mischung verschiedener Mundarten darstellen und diese Mischsprachen jahrhundertelang ihre eigene Entwicklung genommen haben. In vielen Sprachinseln haben nun die Teilmundarten ihre Auseinandersetzungen noch nicht abgeschlossen, die endgültige Sprache ist erst im Werden. Und so spielen sich, wie W a l t e r K u h n in bezug auf die deutschen Dörfer in Galizien bemerkt, „in der Gegenwart, gleichsam unter den Augen des Sprachforschers, Vorgänge ab, die z. B. für das ostdeutsche

2)

Karpathenland II. 1929. S. 134. Die Mundart der Heimat (Breslau 1925). S. 32 f.

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Siedlungsgebiet im 13. und 14. Jahrhundert anzunehmen sind und heute aus ihren Ergebnissen mühsam erschlossen werden müssen" 1 ). Was das Brauchtum betrifft, so darf nicht übersehen werden, daß bei erstarrten und sinnlos gewordenen Formen der Siedler vielfach erst in der neuen Heimat und Umgebung darüber nachzudenken begann und dort, wo er weder Sinn noch Zweck fand, den Brauch einfach aufgab, ihn aber dort behielt, wo ihm die Erfahrung oder ein dunkles Gefühl sagte, daß dies gut und nützlich sei. Es ist daher nicht auffällig, wenn z. B. der auf Schwangerschaft und Geburt bezügliche Glaube und Brauch, der mehr vorbeugender Art ist, Mutter und Kind sichern soll, in den Sprachinseln eine starke Ausbildung erfahren hat. Sonst hat man hier die Beobachtung gemacht, daß alles Brauchtum, dessen Ausübung außerhalb des Hauses und Dorfes fällt und daher in kleineren Siedlungen auch die fremden Umwohner berühren würde, entweder eingeschränkt wird oder ganz verschwindet. Dasselbe ist der Fall bei den Bräuchen, die keinen Zusammenhang mit kirchlichen Festen haben. So erklärt sich, daß in den Sprachinseln der Karpathenländer das Sonnwendfeuer, das in der alten Heimat der Siedler noch heute entzündet wird, fehlt, .daß dort die zeitlich an das Kirchenjahr gebundenen und innerhalb des Ortes stattfindenden Faschingsumzüge noch bestehen, aber andere Frühlingsbräuche, die über die Dorfgrenzen hinausführen, wie das Todaustragen und das Sommereinbringen, verloren gegangen sind. Andererseits aber wurde von dem Umvolk auch allerlei Brauchtum übernommen. Es fehlt noch eine Untersuchung über den bei den Deutschen der Sudetenländer — ausgenommen die Bayern im Süden — und den Slawen gleichmäßig verbreiteten Brauch des Schmeckosterns, des Schlagens mit der Lebensrute, oder über den bei den Deutschen der Karpathenländer verbreiteten Brauch des Pritschens und seine Zusammenhänge mit alten Rechtsbräuchen. Dieses Schlagen mit der Holzpritsche hat wie der Ritterschlag eine vorwiegend rechtliche Bedeutung, ist ein Einführungsritus. Er findet sich besonders ausgeprägt an zwei Stellen, bei den Burschengemeinden in den deutschen Dörfern der Slowakei und im Sennerinnenbrauch von Deutsch-Mokra in Karpathenrußland. Zwischen beiden besteht keinerlei Verx

) Karpathenland I. 1928. S. 55.

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bindung. Doch zeigen die Art des Austeilens der Schläge und die dabei gesprochenen Worte eine Verwandtschaft. Beim gegenseitigen Pritschen der Mitglieder der Burschengemeinde in Oberturtz in der Slowakei, das am Osterdienstag erfolgt, muß sich der Bursche, der gepritscht wird, bäuchlings auf eine Bank legen, zwei Burschen halten ihn und spannen ihm die Hose. Es werden immer vier Schläge ausgeteilt mit den Worten Den ersten vom Kaiset, den zweiten vom Richter, den dritten von Schlegel und Eisen, den vierten von den Burschen. Dabei pritscht zuerst der jüngste Bursch den ältesten, den Pritschmeister, dann tauschen sie die Rollen, hierauf pritscht der zweitjüngste den Zweitältesten und umgekehrt, bis zum Schluß die zwei mittelsten Burschen als letzte an die Reihe kommen 1 ). Auf den Almen bei DeutschMokra wird jeder männliche Besucher gepritscht, der zum erstenmal auf die Alm kommt. Er muß sich auf eine Bank legen. Dann erhält er von jeder Sennerin, beginnend von der ältesten, mit der Holzpritsche je drei Schläge auf den Hinterteil, wozu die Worte gesprochen werden: Eins dem Herrn, Eins zur Ehr', Eins für die Gesundheit').

In jenen Sprachinseldörfern, in welchen sich mit dem Wohlstand ein gesteigertes Selbstgefühl entwickelte und wo durchweg vermögende Bauern, keine Kleinhäusler und Arbeiter leben, sind bezeichnenderweise alle jene Bräuche abgekommen, die Bettelbräuche sind. In dem reichen Machliniec in Galizien ist z. B. das Vorziehen bei Hochzeiten früher üblich gewesen, aber aufgegeben worden. In dem armen Holzhauerdorf Sinjak (Karpathenrußland) und in den ebenso armen Dörfern der Kremnitzer Sprachinsel (Slowakei) besteht es noch heute 1 ). In Machliniec bestand ferner früher der Brauch, daß die nicht eingeladenen Kameraden des Brautpaares im Vorhaus, also wie Bettler bewirtet wurden. Ebendort pflegten früher die Hochzeitsgäste die Reste des Essens, das ProvenÜ, in einem Tüchlein nach Hause J) J. H a n i k a , Hochzeitsbräuche der Kremnitzer Sprachinsel. Reichenberg 1927. S. 18. 2) Vgl. Dresdener Hochschulblatt V. 1929, 1. Folge (Mai). S. 9. 3) H a n i k a a. a. O. S. 40, 75.

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zu tragen. Von beiden, heute noch in der westböhmischen Urheimat dieser Siedler üblichen Bräuchen 1 ) ist man abgekommen, dafür haben sie sich bei den umwohnenden Ruthenen eingebürgert. Auch Haus und Hof der Siedler haben manche Umbildung erfahren. Im allgemeinen gilt auch für die Siedler der letzten zwei Jahrhunderte, was O t t o L a u f f e r 2 ) für die ganze Kolonisationszeit des Ostens festgestellt hat. Sie haben ihre heimische Hausform mitgenommen. Eine Ausnahme liegt nur dort vor, wo durch behördliche Verfügungen eine bestimmte Haus- und Siedlungsform vorgeschrieben war. So haben die 1862 in die Krim ausgewanderten Schönhengster ihre Häuser nach dem Muster der dort schon früher, von 1800 bis 1810 von Auswanderern aus Deutschland begründeten Dörfer gebaut. Diesen älteren Siedlern hatte aber eine amtliche Verordnung des „Fürsorgekomitees" in Odessa, das zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Besiedlung leitete, für die Anlage der Dörfer und die Bauart der Häuser genaue Vorschriften gemacht 8 ). Zuweilen aber bedingen doch andere klimatische Verhältnisse eine andere Hausform, wobei in neuerer Zeit auch die Frage der Feuersicherheit stark mitspricht. So haben die aus Hannover und Oldenburg 1858 bis 1860 nach Tschermani (ung. Csermend) in der Slowakei Eingewanderten die Strohdachbauten ihrer Heimat nicht mitgenommen, wohl weil sie zu feuergefährlich waren 4 ). Umgestaltungen und Weiterbildungen des Hauses erfolgen meist aus wirtschaftlichen Gründen und bei wachsendem Wohlstand. So ist es in den reich gewordenen Siedlungen um Machliniec seit etwa 1880 üblich geworden, dem Haus gegenüber einen Speicher genannten Vorratsraum zu errichten, ein Gebäude von etwa 6 x 6 m im Grundriß mit einer darübergewölbten feuerfesten Lehmdecke, auf der das Dach steht. Ob dabei noch eine Erinnerung an die gleichen, auch im Egerlande bekannten Nebenbauten mitgespielt *) A. J o h n , Sitte, Brauch und Volksglaube im deutschen W e s t böhmen. kunde.

(VI. B a n d der „ B e i t r ä g e zur deutsch-böhmischen Volks2. Auflage.

Reichenberg 1924.

2)

D a s deutsche Haus in Dorf und Stadt.

3)

S u d Z f V k . I I . 1929. S. 21 f.

4)

Hans

Beyer,

153!) Leipzig 1919.

Vergessene hannöversch-oldenburgische

lungen in der Slowakei. Vgl. auch G u s t a v

S.

(Der Auslanddeutsche. X I I .

Willscher,

Cermany.

Prag

S. 39 f. Sied-

1929. S. 165).

1928.

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hat, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist die selbständige E n t stehung dieser Speicher, wie sich ja auch ein Zusammenhang zwischen den Laimer oder Lemse im Leobschützer Kreise in Schlesien mit dem niederdeutschen Sptker schwer herstellen l ä ß t 1 ) . Dieser Speicher nun war der A n l a ß zu einer anderen Entwicklung des Hauses. In den mit der Giebelseite zur Straße gekehrten Häusern dieser Dörfer, die früher durchweg ein steiles, abgewalmtes Dach hatten, war nun der geräumige Boden, auf dem bisher alle Vorräte aufbewahrt wurden, nicht mehr notwendig, seitdem man alles in den bequemer zugänglichen Speicher gab. Daher hat man bei Neubauten das Dach niedriger gemacht, womit auch die A b w a l m u n g verschwunden ist. Wie hier der Wohlstand zu einer Änderung geführt hat, so kann umgekehrt auch die Armut einen Wechsel herbeiführen und die Wohnkultur auf eine primitive Form herabdrücken. Ein Beispiel ist das Dorf Fundstollen (slowakisch Chvojnica) der Sprachinsel von Deutsch-Proben. Hier leben die verarmten Deutschen in elenden slowakischen Holzhütten, sind also durch Not zu der billigeren und einfacheren slawischen Wohnweise gekommen 2 ). Volkstrachten behaupten sich bei Grenzlanddeutschen und den Bewohnern größerer Sprachinseln länger als auf binnendeutschem Boden. Auf sudetendeutschem Gebiet haben die Sprachinseln von Iglau und Wischau in Mähren besonders schöne weibliche Trachten 6rhalten. Gegenüber der Behauptung, d a ß einzelne deutsche Volkstrachten, besonders in Westböhmen, slawischer Herkunft seien, hat J. H a n i k a in einer aufschlußreichen Untersuchung 8 ) betont, d a ß diese Herkunftsfrage erst nach gründlichen vergleichenden geschichtlichen und volkspsychologischen Forschungen gelöst werden kann und daß es zumindest voreilig ist, wenn man e t w a aus dem Vorherrschen von roten oder blauen Farben in einer Volkstracht gleich auf ihre slawische Abstammung schließt. Vielmehr hat der slawische Osten, wo man ursprünglich nur selbsterzeugte Kleidung aus weißer ungefärbter Schafwolle und aus Leinwand kannte, ältere Trachten des Westens, x) Vgl. O. L a u f f e r , Dorf, Haus und Hof. (John Meier, Deutsche Volkskunde. Berlin und Leipzig 1926. S. 35.) 2) F r i t z M a c h a t s c h e k , Landeskunde der Sudeten- und WestKarpathenländer. Stuttgart 1927. S. 154. 3) SudZfVk. II. 1929. S. i f f . , 51 ff., i x o f f .

DIE DEUTSCHE VOLKSKUNDE IN DER TSCHECHOSLOWAKEI

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die farbenfreudig waren, übernommen und bis heute bewahrt, während sie im Westen abgekommen sind oder ihre bunten Farben verloren haben. Hervorgehoben sei hier noch, d a ß sich in den deutschen Dörfern der Kremnitzer Sprachinsel in der Slowakei die weibliche Tracht nicht allein erhalten, sondern auch weitergebildet hat. In einzelnen Orten haben sich „ i n bezug auf Schnitt, Farbe, Stoff und kleinere Zutaten Eigenheiten entwickelt, so daß der Kenner, wenn die Menge auf dem Markt in K r e m n i t z durcheinander wogt, oft nach der Tracht beurteilen kann, in welches Dorf ein Weib oder ein Mädchen gehört'* 1 ). Diese kurze Übersicht über die Eigenart und einzelne bisherige Ergebnisse der Sprachinselvolkskunde beweist, daß der deutschen Volkskunde in der Tschechoslowakei große und besondere A u f gaben zufallen. E s ist daher von Vorteil, daß sie an der D e u t s c h e n U n i v e r s i t ä t i n P r a g ausgiebig vertreten ist und daß sie hier nicht als eine Nebensache, sondern als ein Hauptfach betrieben wird. Im Jahre 1919 wurde für Hauffen ein Lehrstuhl für Deutsche Volkskunde sowie für deutsche Sprache und Literatur errichtet, der dauernd für die deutsche Volkskunde gilt. Der Zusatz erklärt sich daraus, d a ß Hauffen die venia legendi für Deutsche Sprache und Literatur besaß. Im Jahre 1922 erfolgte meine Habilitierung für deutsche Volkskunde mit Lehrauftrag seit 1928, seit 1924 wirkt E . S c h w a r z als Privatdozent für ältere deutsche Sprache und Literatur „sowie Heimatforschung", und seit 1927 liest E . S c h n e e w e i s als Privatdozent für slawische Volks- und Altertumskunde 2 ). V o n den durchschnittlich 500 Hörern der philosophischen F a k u l t ä t pflegt ein Drittel die volkskundlichen Vorlesungen regelmäßig zu besuchen. D a die Prager Universität die einzige deutsche Universität der Tschechoslowakei ist — in P r a g und Brünn bestehen außerdem technische Hochschulen — , vereinigt sie die deutschen Hörer des ganzen Gebietes, was für die volkskundliche Arbeit von größtem Vorteil ist, zumal sich auch die studierende Jugend aus den Karpathenländern rege beteiligt. I m Jahre 1921 wurde an der Universität J. H a n i k a , Die Kremnitzer Sprachinsel a. a. O. S. 57. Auch die jeweiligen Assistenten des „Seminars für deutsche Philologie" beschäftigen sich vorwiegend mit Volkskunde, so früher J. H a n i k a und jetzt sein Nachfolger B r u n o S c h i e r , der sich im besonderen der Hausforschung widmet. 2)

Deutsche Volkskunde im außerdeutschen Osten.

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für das Doktorexamen das Fach Deutsche Sprache und Literatur in drei Fächer geteilt: Ältere deutsche Sprache und Literatur, Deutsche Volkskunde und Neuere deutsche Sprache und Literatur. Jedes dieser Fächer kann mit einem zweiten Fach (Fremdsprachen, Geschichte, Musikwissenschaft u. a.) verbunden werden, mit welchen nach der bestehenden Rigorosenordnung bis dahin Deutsche Sprache und Literatur verbunden werden konnte; sie dürfen aber nicht miteinander verbunden werden. Auch für die Wahl als zweites Fach haben die drei Fächer getrennt zu gelten. Deutsche Volkskunde kann daher sowohl als Hauptfach wie auch als Nebenfach gewählt werden. Seit dieser Zeit hat sich die Zahl der volkskundlichen Dissertationen, die gewöhnlich auch als Hausarbeiten bei der Prüfung für das Lehramt an Mittelschulen approbiert werden, von Jahr zu Jahr vermehrt, wie die Auszüge aus den Dissertationen, deren Drucklegung nicht vorgeschrieben ist, in dem seit 1923/24 erscheinenden Jahrbuch der philosophischen Fakultät der Deutschen Universität in Prag beweisen. Bei der Prüfung für das Lehramt an Mittelschulen ist die Volkskunde bisher unberücksichtigt geblieben, weil noch immer die altösterreichische Prüfungsordnung in Kraft ist. In einer vom Ministerium für Schulwesen und Volkskultur vorbereiteten, von tschechischen Fachleuten ausgearbeiteten Prüfungsordnung wird nach dem einstweiligen Entwurf bei der zweiten Staatsprüfung außer Deutsch im besondern auch Kenntnis der „Literatur und der Volkstradition in der Tschechoslowakischen Republik" gefordert. Im Wintersemester 1929/30 wurde endlich an der Deutschen Universität ein Seminar für deutsche Volkskunde mit einer volkskundlichen Handbücherei errichtet. In engster Verbindung mit der Universität fördert auch die Deutsche Gesellschaft der Wissenschaften und Künste in Prag nach wie vor die Volkskunde. Sie hat die ergänzenden Aufnahmen für den deutschen Sprachatlas durchgeführt und unterstützt die eben beginnende Aufsammlung der Flurnamen. Die in ihrem Auftrage herausgegebenen Beiträge zur deutschböhmischen Volkskunde erscheinen seit 1926 als Beiträge zur sudetendeutschen Volkskunde. Sie brachten zuletzt die Bibliographie der deutschen Volkskunde in Mähren und Schlesien von E d g a r H o b i n k a als 1. Heft des XVIII. Bandes; als 2. Heft wird im nächsten Jahre die Bibliographie der deutschen Volkskunde in den Karpathmländern von J. H a n i k a folgen. Die Neuauflage des I. Bandes

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der Einführung in die deutsch-böhmische Volkskunde nebst einer Bibliographie von H a u f f e n wird vorbereitet. Im Druck ist derzeit der X I X . Band Sudetendeutsche Volksrätsel von L i e s l H a n i k a , in etwa zwei Jahren wird in einem besonders ausgestatteten Band J o s e f H a n i k a Die deutschen Volkstrachten in der Tschechoslowakei behandeln. Es würde zu weit führen, auch nur die wichtigsten volkskundlichen Neuerscheinungen außerhalb dieser Beiträge aufzuzählen. Eine Zusammenfassung des bisher vorliegenden Stoffes, mehr in volkserzieherischer Hinsicht und ohne Berücksichtigung der Karpathenländer, hat E m i l L e h m a n n in seiner Sudetendeutschen Volkskunde (Leipzig 1926) dargeboten. Als Hilfsbuch wäre ferner zu nennen: J o s e f B l a u , Landes und Volkskunde der Tschechoslowakischen Republik (2. Auflage, Reichenberg 1927). Sonst ist im allgemeinen zu bemerken, daß der Grenzland- und Inseldeutsche sich vorwiegend der Aufsammlung und Erforschung des konkreten Volksgutes widmet und sich weniger mit den ebenso wichtigen theoretischen Fragen über Begriff und Wesen der Volkskunde, ihre Abgrenzung gegen Nachbarwissenschaften usw. befaßt, wie dies in den letzten Jahren insbesondere durch die verdienstvollen Untersuchungen von A. S p a m er und V. von G e r a m b geschehen ist. Im weiteren kennzeichnet den Grenzlanddeutschen, daß er jene Stoffgebiete bevorzugt, die auch in nationalpolitischer Beziehung von Bedeutung sind. Insbesondere hofft man durch die erschöpfende Aufsammlung und Untersuchung der Flurnamen nachzuweisen, daß Teile der deutschen Bevölkerung schon seit der vorslawischen Zeit in diesen Ländern bodenständig sind und daß daher die Deutschen mindestens das gleiche Anrecht an Grund und Boden haben wie die Slawen. Neben der Namen- und Mundartenforschung, für die Professor P r i m u s L e s s i a k während seines Wirkens an der Prager Universität ausgezeichnete Schüler — ich verweise nur auf E. S c h w a r z und R. K u b i t s c h e k — heranzuziehen verstand, steht ferner die Sage mit ihrem nationalen, bodenständigen Gut stark im Vordergrund. Das alte österreichische Volksliedunternehmen wurde in der Tschechoslowakei in der Weise fortgeführt, daß schon 1919 eine ständige Staatsanstalt für das Volkslied errichtet wurde, die zunächst nur für die slawische Bevölkerung bestimmt war. Erst 1922 wurde auch ein deutscher Arbeitsausschuß für das ganze Gebiet angeschlossen, der nun seine Sammeltätigkeit von Böhmen

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auch auf Mähren-Schlesien und die Karpathenländer ausdehnte. Für die Drucklegung der Volkslieder hat das Ministerium für Schulwesen und Volkskultur seit 1928 einen jährlichen Betrag von 50000 K t s c h . bereitgestellt und außerdem 1929 aus dem zur Feier des zehnjährigen Bestandes der Republik errichteten Jubiläumsfonds eine einmalige Zuwendung von 150000 K t s c h . gemacht. Daher konnte in diesem Jahre mit dem D r u c k begonnen werden. Die Ausgaben der deutschen und slawischen Volkslieder erfolgen in Lieferungen von je sechs Druckbogen. Die erste Lieferung des ersten deutschen Bandes ist soeben erschienen. Dieser B a n d bringt Deutsche Volkslieder aus dem Böhmerwalde, die ich in den letzten 25 Jahren zum größten Teile selbst aus dem Volksmund gesammelt habe 1 ). U m jede Zersplitterung hintanzuhalten, die volkskundlich tätigen K r ä f t e zusammenzufassen, kürzeren Arbeiten die Möglichkeit zur Veröffentlichung zu bieten, Stoff für ein „ A r c h i v für sudetendeutsche V o l k s k u n d e " zu sammeln, die notwendigen Voraussetzungen für den Volkskundeatlas zu schaffen und endlich auch, u m die sudetendeutsche Volkskunde von allen Anhängseln zu befreien und auch außerhalb der Universität selbständig auszubauen, habe ich mit Beginn 1928 die „Sudetendeutsche Zeitschrift für Volkskunde" begründet, die von der Deutschen Gesellschaft der Wissenschaften und Künste und dem Ministerium für Schulwesen und Volkskultur Zuwendungen erhält. Umfangreichere Abhandlungen werden in Beiheften veröffentlicht. Als erstes ist 1929 der Beitrag zur Märchenforschung von A . W e s s e l s k i Der Knabenkönig und das kluge Mädchen erschienen. V o n den zahlreichen Gauzeitschriften, die auch volkskundliche Beiträge bringen, sei bloß die von E . G i e r a c h herausgegebene und von J. H a n i k a trefflich geleitete Vierteljahrsschrift Karpathenland hervorgehoben. Der Deutsche Kulturverband, der einheitliche Schulschutzverein der Sudeten- und Karpathendeutschen, unterstützt nach K r ä f t e n alle volkskundlichen Bestrebungen. Insbesondere leisten die von ihm bestellten Wanderlehrer und ständigen Lehrer an den deutschen Schulen der Karpathenländer wertvolle Dienste. So wurde durch den Lehrer A n d r e a s K o r n das Sin jaker Weihnachts*) Nähere Angaben über das Volksliedunternehmen finden sich in der SudZfVk. I. 1928. S. 76ff.; II. 1929. S. 81 f.

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spiel aufgezeichnet, das vor hundert Jahren von Auswanderern aus dem Böhmerwalde nach Karpathenrußland mitgenommen wurde und sich dort fast unverändert bis heute erhalten hat. Es ist 1929 in den von mir geleiteten Schriften zu Gunsten des Böhmerwalimuseums erschienen. Erwähnt sei noch, daß auch im Rahmen des in den Sudetenländern hochentwickelten Vortragswesens die deutsche Volkskunde seit Jahren ausgiebig vertreten ist. In Ausführung der Beschlüsse des Internationalen Volkskunstkongresses in Prag (Oktober 1928) hat die Tschechische volkskundliche Gesellschaft in Prag die einleitenden Schritte zur Einsetzung einer Tschechoslowakischen Kommission für Volkskunst übernommen. Dieser gehören neun von mir vorgeschlagene deutsche Mitglieder an. Zur Mitarbeit am Atlas der deutschen Volkskunde hat sich bereits die Arbeitsstelle für die Tschechoslowakische Republik in Prag gebildet. Zur Beantwortung der Fragebogen stehen volkskundlich geschulte Kräfte im ganzen Gebiet zur Verfügung. Wo Lücken waren, habe ich Mitarbeiter im Laufe des Jahres 1929 geworben, so in der Wischauer Sprachinsel in Mähren und in den deutschen Siedlungen in Karpathenrußland. Ein Aufruf in den Tageszeitungen und ein Vortrag im Prager Rundfunk am 8. Oktober hatten zur Folge, daß sich weitere Mitarbeiter anmeldeten, darunter auch ganze Bezirkslehrervereine, was die Arbeit wesentlich erleichtert. Überdies wurde die Lehrerschaft von Seiten des böhmischen und des mährisch-schlesischen Landesschulrates, denen entsprechende Ansuchen überreicht wurden, noch besonders auf diese große volkskundliche Bestandsaufnahme aufmerksam gemacht. Sie hat für die deutsche Volkskunde in der Tschechoslowakei eine erhöhte Bedeutung. Denn sie gibt Gelegenheit, in den bisher vernachlässigten Gebieten, namentlich in den Karpathenländern, die Stoffsammlung nachzuholen. Dazu kommt, daß sie für die engeren Sudetenländer geradezu eine Notwendigkeit ist, weil wir uns hier in einer volkskundlichen Übergangszeit befinden, die sich aus den neuen Staatsgrenzen und der Eigenart des neuen Staates erklärt. Für den Satz J o h n Meiers 1 ), daß geschicht1 ) Wege und Ziele der deutschen Volkskundeforschung (Deutsche Forschung a. a. O. S. 35).

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liehe Veränderungen, wie Zerreißung eines alten und Bildung eines neuen staatlichen Zusammenhanges, eine Änderung im Verkehr mit allen seinen Begleiterscheinungen zur Folge haben können, bietet die deutsche Bevölkerung in Böhmen und MährenSchlesien schon jetzt ein anschauliches Beispiel. Dieser Einfluß der politischen Grenzen, damit aber auch der sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen auf die volkstümlichen Überlieferungen äußert sich zunächst am stärksten in der Volkssprache (Mundart) und Volksdichtung und da besonders beim Volkslied. Im alten Österreich war das gesamte wirtschaftliche und geistigkulturelle Leben des bayrischen Stammesgebietes im südlichen Böhmerwald, im deutschen Südböhmen und Südmähren und auch im Umkreis von Preßburg in der Slowakei ganz nach Süden, nach Österreich und namentlich nach Wien eingestellt. Dorthin strömten Tausende von Arbeitern und Angestellten und brachten ihre Lieder, Sagen, Sitten und Bräuche mit, verpflanzten aber auch von dort Volksüberlieferungen nach Hause, wenn sie zu Besuchen oder dauernd in ihre alte Heimat zurückkehrten. So kam es, daß das volkstümliche Wiener Lied bis zum Weltkrieg Südböhmen und Südmähren geradezu überflutet und das bodenständige Volkslied stark zurückgedrängt hatte. Mit den neuen Staatsgrenzen änderten sich die Verhältnisse. Gegen Österreich schloß sich die Grenze, und der Bevölkerungsüberschuß Südböhmens mußte anderswo Verdienst suchen. Dies war nur im industriereichen Nordböhmen möglich, mit dem im alten Österreich fast gar keine Verbindung bestand, zumal das breite tschechische Flachland dazwischen liegt. Nun aber kamen von Jahr zu Jahr mehr Deutsche aus Südböhmen nach Nordböhmen und fanden dort zum Teil ihre zweite Heimat. Vielfach traten sie in den Fabriken an die Stelle tschechischer Arbeiter, die mit der Errichtung der Republik als Angehörige des Staatsvolkes im Staatsdienst, bei der Bahn, Post usw. bessere Lebensmöglichkeiten erhielten. So kommt es, daß man jetzt auch schon in Nordböhmen Lieder des bayrischen Stammesgebietes hören kann. Andererseits finden aber auch Lieder des sächsischen und schlesischen Stammesgebietes den Weg nach Südböhmen. Einzelne mundartliche Lieder des Erzgebirglers A n t o n G ü n t h e r haben so erst nach dem Kriege festen Boden im Böhmerwalde gewonnen und eine Angleichung an die dortige Mundart erfahren. Es vollzieht sich

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daher zur Zeit ein Austausch und Ausgleich der sudetendeutschen Volksüberlieferungen. Und da wird es eine der schönsten Aufgaben des Volkskundeatlas sein, die alten Verhältnisse festzuhalten, bevor diese Vermischung stärkere Ausmaße angenommen hat. Zuweilen wird er aber der Wissenschaft schon Stoff liefern, aus dem sich ein oder der andere leitende Gesichtspunkt bei diesem volkskundlichen Ausgleich herausheben läßt. Irgendeine derartige Verschmelzung, daß etwa bestimmte Stammeseigenarten verloren gingen, ist natürlich nicht denkbar. Die Stammesbesonderheiten werden auch in Zukunft bestehen bleiben. Die Formen des Aberglaubens auf bayrischem Boden, wo z. B. der Spiritismus fast ganz unbekannt ist, sind und bleiben grundverschieden von denen auf mitteldeutschem Gebiet in Nordböhmen, Nordmähren und Tschech.-Schlesien, wo der Spiritismus stark verbreitet ist und stellenweise schon zur Bildung religiöser Sekten geführt hat, gegen die die Kirche mit wenig Erfolg kämpft. Auch in Zukunft wird das Schönheitsideal etwa des Bayern und des Schlesiers verschieden sein. Wenn jener in seinem Volkslied das schwarze oder schwarzbraune Mädchen besingt, so setzt auch heute noch der Schlesier in seinen Liedern dafür blond ein. Die Volksmedizin wird auch weiterhin im Erzgebirge, wo ein durch harte Entbehrungen und Unterernährung geschwächter Menschenschlag lebt, mehr Umfang aufweisen als etwa im Böhmerwald mit seiner gesunden und widerstandsfähigen Bevölkerung. Hier ist die Frage J o h n Meiers 1 ), ob etwa bei einer landschaftlichen oder stammheitlichen Einheit durch eine vorhandene körperliche oder geistige Disposition die Entwicklung von vornherein in eine bestimmte Richtung gelenkt wird, entschieden zu bejahen. Zum Schluß noch einige Worte über das volkskundliche A u s s t e l l u n g s w e s e n bei den Sudetendeutschen, dessen große Bedeutung für die volkskundliche Forschung am besten bei den Tschechen beobachtet werden kann. Bei diesen nimmt die ganze neuere Volkskunde ihren Ausgangspunkt von der 1895 in Prag veranstalteten Ethnographischen Ausstellung, die von nachhaltigster Wirkung war, wie ich in meiner Übersicht über die Volkskunde bei den Tschechen und Slowaken kurz dargelegt habe 2 ).

2)

A. a. O. S. 40. SudZfVk. I. 1928. S. i n ff.

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Die deutsche Volkskunde in der Tschechoslowakei sucht ihre sachliche Ergänzung daher auch in H e i m a t m u s e e n , die allerdings in ihrer bescheidenen Form einen Vergleich mit den vielen, reich ausgestatteten Museen Deutschlands nicht aushalten. Wir müssen mit kleinen Mitteln auskommen und uns danach einrichten. Außerdem fehlt uns mit einer zentral gelegenen deutschen Stadt ein natürlicher Mittelpunkt. Unsere Heimatmuseen — von kleinen Ortsmuseen kann ich hier wohl absehen — müssen sich zu Stammesmuseen und Gaumuseen ausbauen. Der Anfang wurde gemacht mit dem R i e s e n g e b i r g s m u s e u m in Hohenelbe und dem von mir 1923 für das bayrische Stammesgebiet des südwestlichen und südlichen Böhmen gegründeten B ö h m e r w a l d m u s e u m in Oberplan. Dieses gab die Anregung, die Müllersche Sammlung in Eger zu einem E g e r l a n d m u s e u m auszubauen. Für das Erzgebirge ist einstweilen eine volkskundliche Abteilung im Stadtmuseum in Brüx errichtet worden, wobei die von W. P e ß l e r in seinem Buch Das Heimatmuseum im deutschen Sprachgebiet als Spiegel deutscher Kultur gegebenen Ratschläge besondere Beachtung fanden. Für das nordböhmische Niederland wäre die Ausgestaltung des Städtischen Museums in B.-Leipa zu einem Gaumuseum zu wünschen. Für Nordmähren und Schlesien geht man eben daran, nach dem Muster des Böhmerwaldmuseums ein schlesisches Stammesmuseum zu gründen. Viele Gegenstände zur Volkskunde der deutschen Landesteile befinden sich übrigens in dem unter tschechischer Leitung stehenden Landesmuseum in Brünn, der Hauptstadt Mährens, und in dem bisher deutsch geführten Schlesischen Landesmuseum in Troppau. Alle deutschen Museen der Tschechoslowakei sind in dem Verband der deutschen Museen für Heimatkunde vereinigt, der die ihm von der Regierung alljährlich zugewiesene, sehr kärgliche Subvention auf die einzelnen Museen aufteilt. Eine wichtige Zukunftsaufgabe ist die Schaffung eines Museums für sudetendeutsche Volkskunde, das einen Gesamtüberblick über das sudetendeutsche Volkstum ermöglicht. Es soll zugleich Gelegenheit geben, aus seinen Beständen für in- und ausländische Ausstellungen und Veranstaltungen eine stets bereitstehende Auswahl zu treffen 1 ). In dieser Übersicht konnte ich nur hie und da die a n g e w a n d t e Vgl. dazu auch SudZfVk. II. 1929. S. I28ff.

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V o l k s k u n d e streifen. Bei Grenzland- und Inseldeutschen ist es selbstverständlich, daß sie in engster Verbindung mit der wissenschaftlichen Volkskunde vorgeht. Man trachtet eifrig, das in dem gesammelten und erforschten Stoff enthaltene wertvolle Bildungsgut dem Volke wieder zuzuführen, man bemüht sich, Volkslieder, Spiele, Sagen und Märchen in volkstümlichen Ausgaben zu verbreiten, man pflegt die alten Volkstänze, sucht sinnige Festbräuche neu zu beleben, fördert die Volkstracht dort, wo sie noch besteht, und unterstützt Heimarbeit und alles Schaffen von volkskünstlerischem Werte. In diesem Sinne arbeiten unsere Schutzvereine, vor allem der Deutsche Kulturverband, unsere Bildungsvereine, Bezirks- und Ortsbildungsausschüsse, zu denen sich besondere örtliche und landschaftliche Vereinigungen gesellen, wie etwa der Verein für Krippenpflege und Heimatkunst in Schluckenau (Nordböhmen), der Verein für Volkskunde und Volksbildung im Böhmerwalde oder der Verein Deutschmährische Heimat in Brünn u. a. K a r l P l e n z a t schließt seine Schrift Die volkskundliche Vorbildung der Lehrer*) mit den schönen Worten: „Deutsche Volkskunde ist mehr als bloße Stoffsammlung, ist mehr als bloßes Wissen und Erkennen. Deutsche Volkskunde ist Pflicht und Aufgabe, ist volkheitliche Seelsorge." Von diesem Gedanken läßt sich stets auch die deutsche Volkskunde in der Tschechoslowakei leiten. Sie ist sich immer bewußt, daß ihre Arbeit nicht allein der Wissenschaft, sondern auch dem Volke dient und eine bessere Zukunft vorbereiten hilft. Nr.

2 der Veröffentlichungen des Volkskundlichen

der Pädagogischen Akademie Elbing (Elbing 1928) S. 16.

Archivs

DIE DEUTSCHUNGARISCHE VOLKSKUNDEFORSCHUNG VON ELMAR VON SCHWARTZ

^ e i t der Gründung des ungarischen Königtums durch Stephan "^-'den Heiligen gab es in Ungarn ein an den geschichtlichen und kulturellen Aufgaben des neuen Staates bewußt und treu mitwirkendes Deutschtum. Von dieser Zeit an entwickeln sich auch naturgemäß ununterbrochen fortlaufende Wechselbeziehungen zwischen Deutschtum und Ungartum innerhalb und außerhalb der ungarischen Reichsgrenzen." 1 ) Aber während diese Beziehungen zu den Deutschen außerhalb der Grenzen meist nur politischen und kulturellen Charakter haben, sind die inländischen Wechselbeziehungen der beiden Völker auch Gefühlssache geworden. Der Siedlungsdeutsche wurde überall bodenständig, und der fruchtbare Boden in Westungarn, in der Zips, im Banat, in der Batschka, im Bakonya-Wald, im Schildgebirge, in den Ofener Bergen und in der Schwäbischen Türkei wurde ihm zur Heimat, an der er von nun an mit Liebe und Treue, ja mit allen Fasern seines Wesens hing. Auf diesem Wege ist das von der ungarischen Staatsidee und von ungarischer Vaterlandsliebe durchdrungene Deutschtum im Laufe der Jahrhunderte zum Deutschungartum geworden. Am Ausgange des 18. Jahrhunderts, als auch schon der letzte Schwabenzug in Ungarn angekommen war und sich zum Deutschungartum bekannte, hielt die Aufklärung ganz Europa in ihrer Macht. Die nationalen Grenzen des Geistes waren gel ) B l e y e r , J., Zur Einführung in die Heimatsblätter i, S. i (1928).

Deutschungarischen

SCHWARTZ: DEUTSCHUNGARISCHE VOLKSKUNDEFORSCHUNG

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fallen, ein geistiges Weltbürgertum erfaßte die Geister und überall sang man ,, . . . vom Rechte der Menschen, das allgemein sei. Von der begeisterten Freiheit und von der löblichen Gleichheit." Mithin rückte das Volk auf einmal in den Mittelpunkt des politischen Lebens. In der Li t e r a t o , wo die Romantiker gegen die allzu nüchterne Aufklärung ankämpften, war aber vom Volke kaum die Rede. Es interessierte vor allem das Allgemein-Menschliche und das Nationale war so gut wie ausgeschaltet. Die Gefahren dieses bloß ästhetischen Kosmopolitismus in bezug auf die deutsche Literatur und auf den nationalen Geist erkannte F r i e d r i c h S c h l e g e l und er wies nun gleich kräftig darauf hin, daß nur der ernste Gedanke an Gott und Vaterland wieder eine solche Literatur zeitigen könnte, die dem deutschen Wesen von Nutzen wäre. Man müsse daher zu jenen ewigen Quellen zurückkehren, aus denen auch heute noch unerschütterter Glaube und glänzende Vaterlandsliebe ströme, man müsse sich in die unermeßlichen Schatzgruben des Mittelalters vertiefen und aus diesen Begeisterung, Kraft und Ausdauer für den Kampf um Freiheit und Deutschtum heben. Und nun rüsteten die einen zur Verteidigung des Vaterlandes, die anderen aber, die das Kampffeld nicht rief, eilten in die Vergangenheit, in jene glänzende Epoche des Deutschtums zurück, in der das nationale Bewußtsein den Höhepunkt erreichte. Nun knüpft man wieder an Herder an, und die neue romantische Schule „drang zu der Erkenntnis von dem innigen Zusammenhange aller Äußerungen des Volkslebens vor und lernte dieses als ein großes einheitliches Ganze begreifen" (Salzer). Das deutsche Volk mit seiner ganzen Kultur bleibt zwar im Brennpunkt des Interesses stehen, nebenbei aber lenkte die emsige Forschungsarbeit, hauptsächlich aber die geschichtliche und vergleichende Methode der Forscher den Blick der Romantiker und ihrer Anhänger auch auf die Völker des Auslandes, zuerst nach England, Spanien und Italien, dann auch nach dem Orient und auf diesem Wanderwege über Wien auch auf das in die Habsburgische Monarchie einverleibte Ungarn. Hier aber interessiert zuerst nicht das Deutschungartum, sondern das Ungartum, und Friedrich Schlegel kommt in der Begleitung des Freiherrn von Hormayr und Jos. Heinrich Collin deshalb nach Ungarn, daß er

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da zunächst die ungarische Sprache studiere. Auch W i l h e l m v o n H u m b o l d t lernt ungarisch, und als er dieser Sprache mächtig ist, äußert er vor J . L. Pyrker die Ansicht, keine Nation habe bisher eine ähnliche historische Grammatik, wie es die ungarische Grammatik des N i k o l a u s R e v a y sei. Auch die B r ü d e r G r i m m entdecken jetzt unser Vaterland, aber sie suchen da gleich den andern nicht Deutschungarisches, sondern Magyarisches. Und weil die deutschen Forscher vorzüglich nur das Ungartum interessiert, haben unsere heimatlichen Schriftsteller, wenn sie auch mit dem Deutschungartum in innigster Verbindung standen, vor allem nur die Volksüberlieferungen des Ungartums vermittelt. So kamen die Märchen der Magyaren (1822) von dem Grimm-Schüler G e o r g G a a l ( 1 7 8 3 — 1 8 5 5 ) und die Magyarischen Sagen und Märchen (1825, 1 8 3 7 ) v o m Grafen J o h a n n M a j l ä t h ( 1 7 8 6 — 1 8 5 5 ) auf den deutschen Büchermarkt 2 ). Auch der in Wien mit Hormayr, Hammer-Purgstall und mit dem Grafen Hugo Salm befreundete F r e i h e r r A l o i s M e d n y ä n s z k y (1784—1844) liefert in seiner Malerischen Reise auf dem Waagfluß in Ungarn (1826) und in seinen späteren Erzählungen, Sagen und Legenden aus Ungarns Vorzeit (1829) vorzüglich ungarisches Sagengut. Neben diesen Vermittlern war es dann J a k o b M e l c z e r (1782—1836), der in seiner Arbeit Der Ungarische Zipser Sachse in seiner wahren Gestalt (1806) auch den deutschen Sagenschatz der Zips und deren Volk der Öffentlichkeit zugängig machte. Der erste aber, der den ganzen bunten Völkerstaat Ungarn ins Auge faßt und diesen in dem zweiten Band seines Topographisch-statistischen Archives des Königreichs Ungern (1821) nicht nur geographisch, sondern auch e t h n o g r a p h i s c h betrachtet, ist der aus Oberungarn stammende J o h a n n von C s a p l o v i c s (1780—1847). Das ganze Ungarn, ohne Unterschied der Nationalität, interessiert ihn, und, beschreibt er ein Komitat, so richtet er den Blick des Lesers nicht zuletzt auf die Sitten, Bräuche, Tracht und Sprache der einzelnen Volksschichten, demzufolge auch auf die Volkskunde der Deutschungarn. Die *) G a a l hat seine Märchen dichterisch umgestaltet, weshalb G o t t l i e b S t i e r die Urmärchen dieser Sammlung im Jahre 1857 zutage förderte. 2 ) M a j l ä t h hat auch mehrere Märchen seiner Sammlung willkürlich verändert und zur Hälfte keine wirklichen Märchen veröffentlicht. J . G r i m m rügte ihn wegen dieses Vorgehens.

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deutsche Volkssprache, die in der Zips gesprochen wird, behandelt er hauptsächlich in seinen Gemälden von Ungarn (Pest, 1829). Hier führen ihn zur Dreiteilung des Dialektes die merkwürdigen sprachlichen Verschiedenheiten; als er aber die Urheimat der Zipser erschließen will, da bedient er sich außer sprachlichen auch anderer volkskundlicher (Ortsname, Kinderlied, Sprichwort) Argumente. Was in bezug auf den Zipser Dialekt S a m u e l B r e d e t z k y (in den Bey trägen zur Topographie des Königreichs Ungarn, 2, 117—159, 1803) und C h r i s t i a n G e n e r s i c h (in den Merkwürdigkeiten der königlichen Freystadt Késmark, 1804) sagen, ist von keiner größeren Wichtigkeit. Der unter Adelungs Einfluß stehende J o h a n n G e n e r s i c h aber untersucht schon eingehend den Lautbestand des Zipser Dialektes und stellt diesen auf Grund der S c h i m p f w o r t e des g e m e i n e n V o l k e s und an der Hand eines reichen W ö r t e r v e r z e i c h n i s s e s fest (vgl. Zeitschrift von und für Ungarn, Jg. 1804, 5,31 ff., 5, 94ff., 5,142ff., 6, 295ff., 346ff.). Auch G e o r g K a r l R u m y vertieft sich in die Mundart des Zipser Landes, er veröffentlicht zuerst einen Beytrag zu einem, Idiotikon der sogenannten gründnerischen Zipser Sprache (Zs. von und für Ungarn, 6, 23off., 1804) und dann stellt er ein umfangreiches Idiotikon des oberzipsischen Dialektes zusammen (seine Handschrift liegt in der Wiener Hofbibliothek), und es gelingt ihm auch, an der Hand dieser Wörterverzeichnisse, sowie durch die Anwendung des Prinzips der Lautwandlung die drei Hauptmundarten der Zips festzustellen. Anderswo — Siebenbürgen ausgenommen — geschah nichts Besonderes auf dem Gebiete der .ungarländischen Volkskunde. Im Gegenteile, es ist im zweiten Vierteljahrhundert ein Verfall der Volkskundeforschung festzustellen. Zu diesem Rückschläge trugen die politischen Verhältnisse vieles bei. Der Germanisierungsversuch Kaiser Josefs II. bewog nämlich schon den Reichstag vom Jahre 1790/91 dazu, daß er das Gesetz De lingua Hungarica conservanda erbrachte und in diesem die ungarische Sprache als Amts- und Geschäftssprache erklärte. Alles Nichtungarische wird auf eine Zeit zur Seite geschoben und erst die napoleonischen Kriege bringen wieder ein Verständnis für die deutsche Sprache, die von nun an neben der lateinischen und ungarischen im öffentlichen Leben geradeso wie in der Literatur gleichberechtigt wird. Als man aber in den zwanziger Jahren die Überhandnähme des deutschen Einflusses, der alles Ungarisch-Nationale gefährde,

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gewahr zu werden meinte, suchte man neuerdings wieder alles auf nationales Fahrwasser zu setzen und den starken germanischen Einfluß besonders dadurch zu hemmen, daß man unserer studierenden Jugend den Weg zu den deutschen Universitäten verschloß. Unter solchen Verhältnissen wagte sich kaum einer an das deutschungarische Volk heran, und wenn J o h a n n von C s a p l o v i c s auch in einigen Aufsätzen — Über Ungarns Magyarisierung, Wien 1841; England und Ungarn. Eine Parallele. Nebst Anhang: Über die Deutschen in Ungarn (Halle, 1842) — gegen diese nationalistischen Bestrebungen sein Wort erhob, konnte er die Begeisterung und das Schwärmen für das UngarischNationale doch nicht beschwichtigen. In der Glut dieses nationalen Aufschwunges wollte man vorerst alles, was dieses glimmende Feuer löschen könnte, unmöglich machen, und man beschloß daher, vor dem österreichischen Einfluß alle Brücken niederzureißen. In diesem Zeichen kam der Freiheitskampf, und auch jetzt sang man überall ,, . . . vom Rechte der Menschen, das allgemein sei, Von der begeisterten Freiheit und von der löblichen Gleichheit."

Es war aber anders gekommen, als man dachte: vor den herbeigerufenen Russen wurden die Waffen gestreckt, das Land kam unter Militärdiktatur und deutsche Beamten zogen in sämtliche Verwaltungskanzleien. Die Amtssprache ist — wie zur Zeit Kaiser Josefs — wieder die deutsche und der Weg unserer Studierenden führt wieder nach den Universitäten von Österreich und Deutschland. Einer der ersten, der nun wieder die Hochschule im deutschen Auslande besucht, ist D i o n y s i u s F r e i h e r r v o n M e d n y ä n s z k y , der Schüler und Zögling des ungarischen Kunst- und Literarhistorikers A r n o l d I p o l y i - S t u m m e r . Dieser Gelehrte stand schon früher unter dem Einflüsse der Mythologie J. Grimms und hat, von dieser angeregt, dem Geistesgut des ungarischen Volkes ein besonderes Interesse dargebracht und beschlossen, eine ungarische Mythologie zu verfassen. Mednyänszky vermittelt jetzt zwischen Grimm und Ipolyi und im Jahre 1854 erscheint die Jakob Grimm gewidmete Magyar Mythologia (Ungarische Mythologie). Das Erscheinen dieses Werkes und J. Grimms literarisches Wirken spornten nun den Preßburger K a r l J u l i u s S c h r ö e r (1825—1900) zu seinem Beytrag zur

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deutschen Mythologie und Sittenkunde aus dem Volksleben der Deutschen in Ungarn (Preßburg, 1855) an und er lieferte hier auf Grund west- und oberungarischer Sagen, Märchen, Sprüche und Spiele bisher unbekannte Züge zur Zeichnung der Bilder von Wuotan, Loki, Freia, Fraua und Fricke. Die dem Freiheitskampf folgende Diktatur, die allgemein als Bach-System bezeichnet wird, war beauftragt, die österreichischungarische Gesamtmonarchie im vollsten Sinne des Wortes einzurichten und zu organisieren. Man schreckte deshalb auch vor dem absolutistischsten Verfahren nicht zurück, setzte eine strenge Zensur ein und ging rücksichtslos dem ausgesteckten Ziele entgegen. Dieses Vorgehen und die große Strenge lag wie ein unerträglicher Alpdruck auf der ganzen Nation. Damit es aber unter diesen Verhältnissen zu keiner neueren Explosion komme, hatte die Regierung allen Völkern der Monarchie die Muttersprachrechte erteilt und gab so zu, daß sich alle Nationalitäten völkisch auslebten, nur sollten sie politisch nicht n a t i o n a l , sondern g e s a m t m o n a r c h i s t i s c h denken und handeln. Aus dieser Auffassung heraus entstand im Jahre 1857 die vom Freiherrn K a r l v o n C z o e r n i g verfaßte große dreibändige Ethnographie der österreichischen Monarchie (Wien, 1857) und in dieser waren der 2. und 3. Band eine Historische Skizze der VölkerStämme und Colonien in Ungarn und dessen ehemaligen Nebenländern. Es ist hier vorzüglich Geschichtliches und in dessen Rahmen hauptsächlich Siedlungsgeschichtliches zusammengehäuft, es werden aber auch — besonders wenn Ursprungsfragen berührt werden — Fragen über Sprache, Religion, Sitten, Gebräuche und „physische Beschaffenheit" der Bewohner angeschnitten. Streng genommen ist das umfangreiche Werk eher eine Länderkunde als eine Volkskunde im heutigen Sinne des Wortes, und wenn wir den Satz der Vorrede richtig verstehen: ,,In unserer Zeit, in welcher bei den öffentlichen Verwaltungen allgemein die Überzeugung von der Nothwendigkeit rege geworden ist, sich von den auf die Staatskräfte einwirkenden Zuständen die eindringendste Kenntniß zu verschaffen, um darnach die auf das Wohl der Völker abzielenden Maaßnahmen zu ergreifen", so ist das Werk in erster Linie deshalb entstanden, damit der Regierungsmaschine in der Aufgabe, alle Völkerstämme der Monarchie für den Gedanken der Gesamtmonarchie zu gewinnen, ein grundlegendes Hilfswerk zur Verfügung stehe. 16 Jahre lang war der

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Verfasser an seinem Werke tätig, und mit peinlichster Pünktlichkeit wollte er das ihm zu Gebote stehende Material verarbeiten. A b e r trotzdem blieben viele Punkte ungeklärt, und wenn er auch öfters Sachkundige an Ort und Stelle nachzuforschen schickte, es war nicht möglich, alle Schwierigkeiten zu bewältigen. Und für unsere ungarländische, insbesondere deutschungarische Volkskundeforschung w a r gerade dieser Umstand von Belang, denn man machte sich mit besonderer Mühe daran, die falschen A n führungen Czoernigs zu widerlegen. So erschien jetzt auch wieder der obenerwähnte S c h r ö e r auf dem ethnographischen Arbeitsfeld und wollte zur Zipser-Frage einige Bausteine liefern. Er ging, sprachwissenschaftlich g u t ausgerüstet, an den Zipser Dialekt heran und lieferte noch in dem Erscheinungsjahre der E t h n o graphie und im darauffolgenden Jahre die ausgezeichneten Arbeiten: Beitrag zu einem, Wörterbuche der deutschen Mundarten des ungarischen Berglandes (Sitzungsberichte der Kais. Akademie in Wien, Philos.-hist. Klasse, X X V , X X V I I , 1857), Nachtrag zum Wörterbuche der deutschen Mundarten des ungarischen Berglandes (ebd. X X X I , 1858). E r steht hier — wie man den einleitenden Zeilen entnehmen kann — unter J. G r i m m s E i n f l u ß und wird von diesem auch in einem Briefe (3. 2. 1858) zur Fortsetzung seiner sprachwissenschaftlichen und ethnographischen Studien aufgemuntert. Nun wendet er sich den Volksschauspielen zu, sammelt solche in Oberufer, in der Zips, in Westungarn und gibt diese dann, K a r l W e i n h o l d gewidmet, in den Deutschen Weihnachtsspielen aus Ungern (Wien, 1858, 1862) x ) heraus. A b e r bald läßt er dieses Gebiet liegen und wendet sich wieder seinen sprachlichen Studien zu. E r liefert nun in Frommanns Zeitschrift Die deutschen Mundarten (Bd. 6, 185g), die Anfänge eines Wörterbuches der Heanzen-Mundart, veröffentlicht dann Deutsche Sprachproben aus den verschiedenen Gegenden Ungarns (in Frommanns Zeitschrift V , 1858, und in Firmenichs Germaniens Völkerstimmen I I I , S. 623 ff.), kehrt später wieder in sein Bergland zurück und gibt den Versuch einer Darstellung der deutschen Mundarten des ungrischen Berglandes mit Sprachproben und Erläuterungen (Sitzungsberichte usw. X L I V , 1863) und Die Laute der deutschen Mundarten des ungrischen BergB l e y e r , J., Hazdnk es a nemet philologia a XIX. Budapest 1910. S. 96.

sz. elejen.

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landes (ebd. X L V , 1864) heraus. In diesen wie in seinen anderen Studien ist es ihm besonders darum zu tun, den mitteldeutschen Charakter der Zipser Mundart nachzuweisen und die Zusammengehörigkeit des Siebenbürger und Zipser Dialektes auszusprechen. Daß ihn zu diesem Schlüsse falsche Wege führten, zeigte die spätere Forschung; daß er aber die richtige Fährte zur Erschließung der Urheimat auf Grund der Mundarten gefunden hat, ist unstreitig sein Verdienst. In Deutschland schreitet unterdessen die Volkskundeforschung mit großen Schritten vorwärts und am Ende der fünfziger Jahre lenkt E. W. F ö r s t e m a n n s Altdeutsches Namenbuch (Nordhausen, 1859) das Interesse der Forscher ganz besonders auf die Ortsnamen, da sie nach der Aussage des Altmeisters „Kulturdenkmäler unvergänglichster Art" seien. Förstemanns Buch war auch für Ungarn von Bedeutung, denn der ungarische Akademiker F r i e d r i c h P e s t y hat — wie man aus dem Leitfaden zur Sammlung der Ortsnamen des Vaterlandes schließen kann — unter dem Einflüsse dieses Buches noch am Anfange der sechziger Jahre eine großzügige Aktion zur Sammlung der sämtlichen ungarländischen Ortsnamen eingeleitet und beabsichtigte, aus den Flur-, Straßen-, Gassen- und Platznamen für Ungarns Vergangenheit kulturgeschichtliche Folgerungen zu ziehen. Seine Fragebogen, die er, von der Regierung unterstützt, an alle Verwaltungsbehörden des Landes sandte, gelangten im Jahre 1864 amtlich unterfertigt in seine Hände zurück und umfaßten ein Material von fast 70 großen (im Ungarischen Nationalmuseum aufbewahrten) Foliobänden. Es ist hier Geschichte und Volksüberlieferung zusammengemischt: z. B. bei den Flurnamen wurde auch auf die Frage geantwortet, wie die Form und die Lage der einzelnen Fluren beschaffen sei. Zu gleicher Zeit verfaßt auch unter dem Einfluß der Frommannschen Zeitschrift der aus Pinkafeld stammende und in Fünfkirchen wirkende Lyzeallehrer M i c h a e l H a a s (1810—1866) eine Monographie über einen Teil der Schwäbischen Türkei (Baranya ismertetese), und als er im Jahre 1859 Szathmärer Bischof wird, da regt er die Pfarrer und Lehrer seiner engeren Heimat zu volkskundlicher Sammelarbeit an und läßt diesen auf seine Kosten Fachzeitschriften volkskundlicher Art zuschicken. Auf diese Aufforderung hin haben sich viele seiner Landsleute der Sammeltätigkeit gewidmet, und in kurzer Zeit hatte er einen mächtigen FolioDeutsche Volkskunde Im außerdeutschen Osten.

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band von Liedern, Spielen, Sprüchen, Sitten und Gebräuchen, ja auch ein reiches hienzisches Wörterverzeichnis zusammengebracht. Er wollte die Handschriften ordnen und herausgeben; aber, bevor das gelang, starb er (die Handschriften gelangten in den Besitz der Familie J. W. Nagl). Und dennoch blieb des westungarischen Volkes Geistesgut nicht unbekannt, denn noch um die Mitte der sechziger Jahre gab des Bischofs Landsmann und Zeitgenosse, der Benediktinerpriester R e m i g i u s S z t a c h o v i c s , seine Brautsprüche und Brautlieder auf dem Heideboden in Ungarn (Wien, 1867) mit dem Versprechen heraus: „Bald werdet Ihr auch Eure alten vollständigen geistlichen Gespiele in den Händen haben, als: das ganze Weihnachtsspiel samt allen Euren Weihnachtsliedern, und den Sterngesang mit Frag' und Antworten, das letzte Gericht, den reichen Prasser, die vier letzten Dinge und wenn möglich auch das schöne Passionsspiel" ( a . a . O . S. III) 1 ). Was bisher auf volkskundlichem Gebiet geschehen ist, war die Aktion einzelner. An eine Organisation, die ein systematisches volkskundliches Forschen angesetzt hätte, hatte man nicht denken können, denn die politischen Verhältnisse zwischen 1849 und 1867 waren zu ungeklärt. Das Jahr 1867 brachte endlich den Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn. Die Monarchie ist zwar geblieben, aber das Uniformierungsprinzip hat man bei vielen Fragen aufgegeben, und besonders eine Frage, die heikelste, die Frage der nationalen Minderheiten, hat man bereinigt, indem man im Jahre 1868 das Nationalitätengesetz schuf, demzufolge alle nationalen Minderheiten mit dem herrschenden Volk der Ungarn gleichberechtigt sind. Das Leben rollt nun auf diesem neuen Geleise weiter, und nicht nur die Politiker, sondern auch die Gelehrten des Landes bringen dem ganzen buntsprachigen Staate ihr Interesse entgegen. Der erste, der sämtlichen Völkerstämmen Ungarns seine Aufmerksamkeit schenkt, ist P a u l H u n f a l v y . Ihn ziehen alle zeitgemäßen Probleme an, vorzüglich aber die ethnologischen, und als er diese in ihrer Tiefe erfaßt und vieles anders gesehen hat als Czoernig, entschließt er sich zur Verfassung der Ethnographie Ungarns (Magyarorszäg ethnographiaja. Budapest 1876), welche die Unx ) Seine Handschriftensammlung ist in dem Archiv der Benediktiner* Abtei St. Martinsberg (Pannonhalma).

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garische Akademie der Wissenschaften im Jahre 1876 ebenfalls herausgab. Die Arbeit, die er lieferte, war eine gründliche, aber auch sie ist nicht viel mehr als eine Landeskunde geworden, indem auch in ihr das Geschichtliche (Kulturgeschichte, Siedlungsgeschichte) vorherrscht. Freilich werden von ihm, besonders bei der Ursprungsfrage, auch Sprache, Lehnwörter, Ortsnamen, Volksglaube, Rechtsbräuche usw. herangezogen, der Schwerpunkt liegt aber dennoch auf der Geschichte. Nach dem Ausgleich herrscht Ruhe im Lande, und die von der politischen Nervosität gesundete Jugend vertieft sich wieder in die Wissenschaft. Viele ziehen ins Ausland, kommen mit neuen Ideen nach Hause und wollen sie hier verwerten. Die in Deutschland waren, brachten Anregungen zur Volkskunde mit, und als der aus Siebenbürgen stammende und von Leipzig heimgekehrte wissenschaftliche Sonderling H u g o M e l t z l an der Universität Klausenburg Professor für deutsche Philologie wird, weiht er seine Schüler auch in die Ethnologie ein, stiftet eine sechssprachige — auch für ethnologische Studien bestimmte — Zeitschrift der vergleichenden Literatur (Összehasonlttö Irodalomtörteneti Lapok) und gibt diese nachher (1879) zehnsprachig unter der Anschrift Acta Comparationis Litterarum Universarum heraus. In diesen Acta erschien im Jahre 1881 der wichtige „Entwurf" zur Bildung einer ungarländischen Folklore-Gesellschaft mit dem Titel Gesellschaft für vergleichende Literatur, die sich besonders mit den Volksüberlieferungen der sämtlichen ungarländischen Nationalitäten befassen sollte. Der „Entwurf" blieb jedoch nur ein Entwurf und erst seinem Schüler A n t o n H e r r m a n n ist es gelungen, den gesunden Gedanken zur Reife zu bringen. Diesen temperamentvollen jungen Mann zogen nämlich die ethnologischen Bestrebungen seiner Zeit derart an, daß er auf eigene Faust die Ethnologischen Mitteilungen aus Ungarn gründete (1887) und in deren Spalten auf die große Bedeutung einer ungarländischen ethnologischen Gesellschaft hinwies und sagte: „eine solche besteht zwar noch nicht, aber ihre Gründung ist jedenfalls höchst wünschenswert. Ihr Gebiet wäre an ethnologischen Schätzen so reich, wie kaum irgend anderswo. Unsere Zeitschrift wird bestrebt sein, ihr redlich vorzuarbeiten" (1. Heft Splitter und Späne). Noch im gleichen Jahre trat man unter dem Präsidium des Paul Hunfalvy zu einer Beratung zusammen, wo die Notwendigkeit einer Gesellschaft für Ethnologie, Anthropologie und 3*

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Urgeschichte in Ungarn betont wurde. Hermanns Mitteilungen (2. Heft, 1888) begrüßen diese „Gesellschaft für die Volkskunde Ungarns" aufs wärmste und betonen im Sinne des Nationalitätengesetzes, man dürfe in dieser Gesellschaft nicht nur das Ungartum ins Auge fassen, sondern man müsse hier alle Nationalitäten mitsprechen lassen, denn das gegenseitige Kennenlernen werde sie einander und auch der ganzen Nation näherbringen. Im Jahre 1889 ist der Plan als Ungarländische Ethnographische Gesellschaft Fleisch geworden und hat sich das Ziel gesteckt, „allen in Ungarn lebenden Volksrassen ein eingehendes Studium zu widmen". Es wurde zugleich auch zur Veröffentlichung derartiger Studien die Zeitschrift Ethnographia (1890) gegründet und mithin begann die Arbeit, aber sechs Jahre hindurch wohl ohne festen Plan. Im Jahre 1895 hat man alle bisherigen Erfahrungen verwertet, die einzelnen Arbeitsgebiete abgegrenzt, den alten Namen in Ungarische Ethnographische Gesellschaft verändert und sich im § 2 der Satzungen das Ziel gesetzt, „die Volkskunde allgemein, besonders aber die Volkskunde der sämtlichen ungarländischen Volksstämme zu erforschen". Jetzt beginnt eigentlich die wirkliche Volkskundeforschung, und am Vortragspult, wie in der Zeitschrift liefert man immer Wertvolleres, auch aus dem Leben des deutschungarischen Volkes. Auch das Ethnographische Museum in Budapest, sowie die Komitatsmuseen blühen jetzt auf und sammeln — ohne Unterschied der Nationalitäten — alles Sachliche auf dem Gebiete der Volkskunde. Zwei große Sammelwerke: Az oszträk-magyar monarchia irdsban es kepben (Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild) und Magyarorszäg v&rmegyei es värosai (Die Komitate und Städte Ungarns) erscheinen jetzt, und beide enthalten auf Anregung der Ethnographischen Gesellschaft hin wertvolle volkskundliche Mitteilungen über alle Nationalitäten, namentlich auch über die Deutschen, in Ungarn. Während im Rahmen unserer Ethnographischen Gesellschaft alle Nationalitäten des Landes volkskundlich erforscht werden, beginnt um die Mitte der 90 er Jahre an der Universität Budapest für die deutschungarische Volkskunde, eigentlich für die deutschungarische Mundartenforschung, eine neue Epoche. Gideon P e t z , der Schüler Hermann Pauls und infolgedessen, wie der Meister, auch Anhänger der Junggrammatiker, weist in seinen Vorlesungen auf die Wichtigkeit der lebenden deutschen Sprache

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im Munde des Volkes, besonders aber auf die Eigenart der ungarländischen deutschen Volkssprache hin und spornt seine deutschungarische Hörerschaft zur Erforschung ihrer heimatlichen Mundart an. Die Methode, in deren Kenntnis er seine Hörer einführt, und die Auseinandersetzungen, durch die er die Probleme aufwirft, regten mehrere zur Erforschung ihres Dialektes an und die Leibitzer Mundart von V i k t o r L u m t z e r (PBB. 19. u. 21. Bd.), sowie die Lautlehre der deutschen Mundart von Verbasz (Budapest 1899) aus der Feder J. H. S c h m i d t s waren die ersten Früchte der von ihm ausgehenden Anregung. Nun befand man sich in einem neuen Fahrwasser und viele wünschten den gleichen Weg zu betreten. Es erschien die Lautlehre der Mundart von Franzfeld (1901), dann die von Göllnitz usw. Als man dann gewahr wurde, daß alle diese Arbeiten auch der Siedlungsgeschichte große Dienste leisten und mithin für die ungarische Geschichtsforschung nicht ohne Bedeutung seien, hat sich die Ungarische Akademie der Wissenschaften dieser Sache angenommen und die Sprachwissenschaftliche Sektion mit der Ausarbeitung eines Planes beauftragt, demgemäß die nichtungarischen Mundarten des Landes wissenschaftlich erforscht und systematisch bearbeitet werden sollten. Das Referat war so günstig, daß man die Erforschung der ungarländischen deutschen und slawischen Mundarten beschloß, und im Kostenvoranschlag für das Jahr 1904 war auch schon für die Herausgabe dieser Mundartstudien gesorgt. Mit der Herausgabe der deutschungarischen Mundarten wurde G i d e o n P e t z 1 ) betraut. Die erste Studie dieser Sammlung von A l o i s G e d e o n (Die Lautlehre der deutschen Mundart von Unter-Metzenseifen) erschien im darauffolgenden Jahre und in der Einführung in diese Sammlung standen die Worte: „Mit diesen Studien wollen wir jene wissenschaftlichen Bestrebungen fördern, die sich auf die Erforschung der Geschichte, Geisteskultur, Sprache, Sitten und Bräuche unserer I-andesbevölkerung beziehen, und auf diese Art wollen wir uns zugleich an jener Aufgabe beteiligen, die sich die Ungarische Akademie der Wissenschaften als Ziel gesteckt h a t : das Vaterland in allen seinen Beziehungen möglichst in umfassender Weise kennen zu lernen." Das Interesse für die deutschungarischen !) P e t z , G i d e o n , A hazai nemet nyelvjdräsok, Brtesltö. Budapest 1905.

Akadimiai

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Mundarten wird nun immer reger, die Reihe derartiger Arbeiten wächst besonders durch die anregenden Studien von Univ.-Prof. H. Schmidt an und die Akademie betraut den Bearbeiter der oberzipsischenMundart (1906), den Gymnasial-Professor J u l i u s G r é b mit der Anfertigung und Herausgabe des Zipser Wörterbuches. Unterdessen hat J a k o b B l e y e r , Ordinarius in Klausenburg, der sich von Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn an mit besonderer Vorliebe dem Deutschungartum zugewendet hat, eine Berufung an die Universität Budapest erhalten. Hier angekommen, lenkte er sofort die Aufmerksamkeit seiner Schüler auf die Volksüberlieferungen des deutschungarischen Volkes und eiferte sie zur wissenschaftlichen Bearbeitung volkskundlicher Stoffe an. Die erste Veröffentlichung, die in ihren Ergebnissen, gleich den Mundartforschungen, auch das siedlungsgeschichtliche Moment ins Auge faßte, war das Oedenburger deutsche Kinderlied von F r i e d r i c h S c h w a r z (1913). Es war dadurch eine neue Quelle zum Studium des Siedlungsdeutschtums erschlossen und die vom Verfasser dieser Zeilen behandelte Lautlehre der Mundart zwischen der Raab und Lafnitz (1914) hat schon ihr siedlungsgeschichtliches Ergebnis nicht nur auf sprachwissenschaftliche, sondern auch auf andere volkskundliche Argumente gebaut. Von nun an kam eine ganze Reihe solcher Studien in den von den Professoren G. P e t z , J. B l e y e r und J. H. S c h m i d t herausgegebenen Arbeiten zur deutschen Philologie (1913) heraus. Die ganze Volkskunde war auf einmal in den Dienst der Siedlungsgeschichte gestellt und die Einführung in die deutschungarische Mundartforschung1) stellte schon allen Dialektstudien die Aufgabe, nicht nur an der Hand grammatikalischer und lexikalischer Ergebnisse, sondern auch mit Hilfe anderen volkskundlichen Materials zur Klärung der Siedlungsgeschichte beizutragen. Wir standen im Vorkriegsjahre, und in der Politik drang die Nationalitätenfrage neuerdings in den Vordergrund. Auch die Presse beschäftigte sich mit diesem Problem und viele Ungerechtigkeiten wurden der Regierung zugeschrieben. Diese Umstände führten zur Herausgabe der Bibliothek der nationalen Minderheiten (Szábó Oreszt, Nemzetiségi ismertetö könyvtär), Budapest x) S c h w a r t z , E l e m é r , ásba. B u d a p e s t 1923.

Bevezetés a hazai német

nyelvjáráskuta

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1913, in deren Rahmen auch zwei Bände dem ungarländischen Deutschtum gewidmet sind. Nun brach der Weltkrieg aus, der Deutschtum und Ungartum aufs innigste verbrüderte. Die Ungarische Ethnographische Gesellschaft fordert jetzt selbst zur Sammlung deutschungarischer Volksüberüeferungen auf (1916) und gibt einen fast 600 Seiten starken Band: Josef E r n y e y s , Volksschauspiele aus Kremnitz in Druck. In dem nach dem Weltkrieg grausam zerstückelten Ungarn leben noch immer mehr als eine halbe Million Deutsche, deren Schatz an altem Volksgut durch die moderne Entwicklung, wie überall, mehr oder weniger gefährdet ist. Damit aber das noch Vorhandene erhalten bleibe, hat die Universität Budapest im Rahmen des Germanistischen Institutes ein Deutsches volkskundliches Archiv zu errichten geplant, das unter der Leitung des Univ.-Prof. G. P e t z und des für deutsche Volkskunde habilitierten Privatdozenten die Aufgabe haben soll, alles beim deutschungarischen Volke noch vorhandene Geistesgut zu sammeln, wissenschaftlich zu ordnen, in einem deutschungarischen Volkskundeatlas zu verarbeiten und das Material gleichzeitig dem großen Volkskundeatlas im Deutschen Reiche zur Verfügung zu stellen. Zur Veröffentlichung unserer Ausarbeitungen werden uns die ungarische Zeitschrift Ethnographia und die von J. B l e y e r jüngst gegründeten Deutschungarischen Heimatsblätter zur Verfügung stehen. In letzteren wird erklärt: „Es gehört in den Rahmen unserer Vierteljahrsschrift . . . . das gesamte deutsche Leben in Ungarn in Vergangenheit und Gegenwart, also: alle Fragen der Siedlung, des historischen Entwicklungsganges, der geistigen, sittüchen, künstlerischen, wissenschaftlichen und sozialen Kultur, der Sprache und des Schrifttums, der Sitten und Bräuche, des Glaubens und Aberglaubens, des Lieder-, Sagenund Märchenschatzes, der Trachten und des Hausbaues, der Einrichtung in Haus und Hof, der Arbeit auf dem Felde und in der Werkstätte, des Lebens in der Natur, der Feste und des Alltags." Das Zügenglöcklein, das man überall schon dem Volkstümlichen läutet, braucht bei uns einstweilen nicht gezogen werden, denn das deutschungarische Volk ist, wie das ungarische, stark konservativ, hält am Althergebrachten, an den alten Sitten und Gebräuchen fest, und vor allem es treu und unerschütterlich am angestammten Glauben. Und ist ein Volk mit seinem ganzen

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Wesen in den Tiefen des Glaubens verankert, so gilt ihm die Parole: „Das Alte — behalte!" und das Ererbte ist ihm auch fortan ein Vergißmeinnicht und vielfach auch ein Rührmichnichtan. LITERATUR S a l z e r , A n s e l m , Geschichte der deutschen Literatur. Wien o. J. N a g l - Z e i d l e r , Deutschösterreichische Literaturgeschichte. WienLeipzig o. J. N a d l e r , J o s e f , Literaturgeschcihte der deutschen Stämme und Landschaften. Regensburg 1912, 1913, 1918. P u k à n s z k y , B é l a , A magyarorszägi német irodalom törtenete. Budapest rg26. W e b e r , A r t h u r , A szepesi nyelvjàràstanulmànyozàs torténete. Budapest 1916. M a d a r a s s y , L à s z l ó , Az „Összehasonlitö Irodalmi Tàrsulat"-tól a „Magyar Néprajzi Tàrsasàg"-ig. Budapest 1929.

DEUTSCHE IN

VOLKSKUNDEFORSCHUNG SIEBENBÜRGEN VON G . BRANDSCH

I. D I E S I E B E N B Ü R G E R

SACHSEN

I l i e Siebenbürger Sachsen — so nennen sie sich heute, obwohl ^ ^ nur der geringere Teil sächsischer Stammeszugehörigkeit sein dürfte — bewohnen den südlichen Teil Siebenbürgens und — in einer kleineren, abgesonderten Gruppe — den Norden des Landes. Ihre Zahl beläuft sich auf etwa 240000. Sie wohnen aber nirgends in geschlossener Masse, sondern überall durchsetzt von Rumänen und, in geringerem Maße, von Ungarn. Es gibt im ganzen unter den von Sachsen bewohnten 250 Ortschaften nur vier mit rein sächsischer Bevölkerung, und unter acht Regierungsbezirken (Judetzen), in denen Sachsen siedeln, nur einen einzigen mit einer geringen sächsischen Bevölkerungsmehrheit. Das war früher freilich anders. Als im 12. Jahrhundert die Vorfahren der heutigen Siebenbürger Sachsen vom Rhein und der Mosel durch ungarische Könige ins Land gerufen wurden, erhielten sie den Boden, auf dem sie sich „zum Schutz der Krone" gegen Petschenegen und Rumänen ansiedelten, zum ausschließlichen Eigentum; dazu erhielten sie unter einem vom König eingesetzten Sachsengrafen das Recht der eigenen Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Erst infolge der furchtbaren jahrhundertelangen Verwüstung des Landes durch Mongolen und Türken drangen seit dem 15. Jahrhundert in die dadurch entstandenen Lücken in großer Zahl Rumänen ein, die sich ständig vermehrten, während die natürliche Vermehrung der Sachsen eine bedeutend geringere war. Aber trotz ihrer geringen Zahl und ihrer Zersplitterung fühlen sie sich infolge ihrer Geschichte, ihrer jähr-

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G.

BRANDSCH

hundertealten straffen Organisation und ihrer festen Zusammenfassung in der evangelischen Landeskirche durchaus als ein Volk, als Nation und sind nicht gewillt, ihr Volkstum aufzugeben. II. V O L K S K U N D L I C H E A R B E I T IN S I E B E N B Ü R G E N Das Interesse für volkskundliche Fragen ist in unserm Volk auch in den breiteren Schichten groß. Das hängt zusammen mit dem in jahrhundertelangen harten Kämpfen erworbenen starken völkischen Bewußtsein. Bezeichnenderweise regt sich die Frage nach der Herkunft und Art unseres Volkes — soweit wir sehen — zuerst zur Zeit der Reformation. Hand in Hand mit der Glaubenserneuerung ging auch in Siebenbürgen eine Steigerung des Nationalgefühls, sowohl bei den Ungarn als auch bei den Sachsen. Und so platzten denn im Jahre 1591 auf dem Landtag zu Weißenburg die Geister heftig aufeinander. Von ungarischer Seite warf man den Sachsen vor: Ihr seid in diesem Lande nur geduldet — Hergelaufene. Der Sachsengraf A l b e r t H u e t erwidert darauf in groß angelegter Rede: Nein! Sondern gerufen sind wir hierher gekommen, gerufen vom ungarischen König Geysa. Und Abkömmlinge sind wir der Goten, Daken und Saken, hier angesiedelt, um das Land gegen die Einfälle der Barbaren zu schützen. Und so lange haben unsere Vorfahren gegen sie gestritten, bis ihre Schwerter stumpf wurden und sich in Pflugschare verwandelten. Mit der Herkunftsfrage, die für unser Volk, wie wir sehen, von eminenter politischer Bedeutung war, beschäftigte sich eine ganze Reihe gelehrter Abhandlungen des 16. und 17. Jahrhunderts 1 ). Auch L e i b n i z interessierte sich für die Frage und sprach gelegentlich den Wunsch aus, es möchte ein dictionariolum Germanicae Transsylvanorum -plebejorum lingual zusammengestellt werden, aus dem sich die Möglichkeit einer Vergleichung mit der hochdeutschen Sprache ergäbe. Es ist der erste Anstoß zur Entstehung des siebenbürgisch-sächsischen Wörterbuches. Zur Verwirklichung des Gedankens sollte es allerdings erst 200 Jahre später kommen. Die einschlägige Literatur s. im Vorwort zum „Siebenbürgischsächsischen Wörterbuch" von Straßburg i. E . 1908, S. X f f .

Ad.

Schullerus,

1.

Lieferung,

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Unter ausdrücklicher Berufung auf Leibniz verfaßte 1764 der Hermannstädter Stadtpfarrer M a r t i n F e l m e r eine Abhandlung Von dem Ursprung der sächsischen Nation, ein umfangreiches Werk, in dem neben der Geschichte Siebenbürgens Dorf- und Familiennamen, Sprache, Kleidung, Sitten und Gebräuche und zuletzt die Verfassung und das Rechtsleben behandelt werden sollten. Das Werk, nur im Manuskript erhalten, bricht bei der Schilderung der Gebräuche ab. Es ist die erste wissenschaftlich angelegte Volkskunde, mit zahlreichen Sprachproben und heute noch als grundlegend anerkannten Beobachtungen über die mundartliche Stellung des Siebenbürgisch-Sächsischen innerhalb der deutschen Mundarten. Das Siebenbürgisch-Sächsische ist — so meint Felmer ganz richtig — trotz dem wat und dat kein Plattdeutsch, sondern mit dem Obersächsischen1) verwandt. Sehr wertvoll ist die gründliche Beschreibung der damaligen Volkstracht. Im 19. Jahrhundert hat dann, namentlich unter dem Einfluß Schmellers und der Brüder Grimm, eine ganze Reihe von Germanisten mit immer steigendem Eifer und immer besserer wissenschaftlicher Ausrüstung auf dem Gebiet der Volkskunde wertvolle Arbeit geleistet. Im Mittelpunkt des Interesses stand zwar in der national erregten Zeit der 30 er und 40 er Jahre die Geschichtsforschung. In seiner Geschichte der Siebenbürger Sachsen schuf G. D. T e u t s c h , auf gründliche Urkundenforschung gestützt, zugleich ein Volksbuch von hohem volkskundlichen Wert. Es ist dann durch seinen Sohn, den jetzigen Bischof Fr. T e u t s c h , auf vier Bände erweitert und bis zur Gegenwart fortgeführt worden. Auch für das Wörterbuch wurde eifrig Vorarbeit geleistet. Von dem ursprünglichen Plan einer Idiotismensammlung, gewissermaßen eines Raritätenkabinettes unseres Dialektes, gelangte man zuletzt zur Ansicht, daß das zu schaffende Wörterbuch „eine Darstellung des in der Sprache sich äußernden Volksgeistes" sein solle. In diesem Sinne hat namentlich der jüngst verstorbene A d o l f S c h u l l e r u s die Arbeit am Wörterbuch aufgefaßt, und seine spaltenlangen Aufsätze zum Wort Brot oder Bach und vielen anderen enthalten eine Fülle volkskundlichen Materials. i) F e l m er denkt dabei an die mitteldeutschen Mundarten.

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Die Einzelfächer der eigentlichen Volkskunde im engeren Sinne gelangten seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts der Reihe nach zur Bearbeitung. J o s e f H a l t r i c h veröffentlichte 1856 seine Siebenbürgischen Volksmärchen, Er war keine Gelehrtennatur, aber er besaß wie wenige die Gabe, sich in die Volksseele hineinzufühlen und ihre feinsten Regungen getreulich wiederzugeben. So haben seine Märchen den Volkston vielleicht noch treuer festgehalten als die Grimmschen. F r a n z P f e i f f e r schrieb darüber an Haltrich: „Es ist eine schöne, reichhaltige Gabe, die Sie da Ihren Stammesgenossen darbieten, uns doppelt wertvoll, weil sie aus einer Gegend kommt, die uns Deutschen fast in jeder Beziehung eine terra incognita ist." Das letztere ist ja nun — auch mit durch Haltrichs Arbeiten — anders geworden. Namhafte Gelehrte, wie M a n n h a r d t , Jac. und W i l h . G r i m m , K a r l S i m r o c k , W i l h . W a c h s m u t h , K a r l M ü l l e n h o f f , begleiteten Haltrichs Veröffentlichungen mit warmer Teilnahme. Außer den Märchen hat Haltrich gesammelt und herausgegeben: sprichwörtliche Redensarten, Kindergebete, Spott- und Scheltworte, Aberglauben, Inschriften an Häusern, Geräten, Grabsteinen, Ausdrücke aus der Kinder spräche, bildliche Redensarten, Vergleiche, Umschreibungen der Volkssprache, Kinderspiele, Rätsel. Auch schrieb er eine Abhandlung Zur deutschen Tiersage in Siebenbürgen. Haltrich nimmt an, daß die Siebenbürger Sachsen die zahlreichen Tiersagen, für die sich unter den umwohnenden Rumänen und Magyaren keine Parallelen finden, aus der Urheimat am Niederrhein mitgebracht hätten, wogegen sein etwas jüngerer Mitarbeiter Joh. W o l f f literarischen Ursprung annimmt, indem er auf die mittelalterlichen Fabelsammlungen des Ulmer Arztes H e i n r i c h S t e i n h ö w e l u. a. hinweist. S c h u l l e r u s hält in seiner jüngst erschienenen Volkskunde doch an der Möglichkeit fest, daß wenigstens der Kern der siebenbürgischen Tiermärchen altes, aus der Stammesheimat mitgebrachtes Volksgut sei. Seinen Lieblingsplan, das sächsische Wörterbuch, hat Haltrich nicht ausführen können. Er besaß dazu vielleicht auch nicht das notwendige sprachliche Fachwissen. Aber seinem nimmermüden warmherzigen Sammeleifer, seiner liebenswürdigen Begeisterung, mit der er immer wieder auch andere zum Sammeln

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anregte, verdankt die einheimische volkskundliche Forschung sehr viel. In seinem Wesen und im Ergebnis seiner Arbeit stand er vielleicht Karl Simrock am nächsten. J o h a n n W o l f f , ein geschulter Germanist, hat die Arbeiten Haltrichs fortgesetzt und ergänzt und in einem starken Bande Zur Volkskunde der Siebenbürger Sachsen (Wien 1885) herausgegeben. Ausgehend von der Ortsnamenforschung, wandte sich Wolff namentlich der Siedlungsforschung zu und wies in einer gründlichen Untersuchung über Haus und Hof der Siebenbürger Sachsen die fränkische Siedlungsform nach 1 ). Die Forschungen über das sächsische Bauernhaus sind in jüngster Zeit vom Danziger Architekten P h l e p s 2 ) und von Dr. V. Roth*), Stadtpfarrer in Mühlbach, fortgesetzt worden. Ersterer hat in einem Dorf in der Nähe von Hermannstadt ein Haus aufgefunden, das mit seinem fränkischen Grundriß, der alemannischen Wand und der römischen Decke auf die luxemburgische Urheimat hinweist, wo einst diese drei Völker sich berührten. Wolff ist der erste unter uns gewesen, der den Lautstand unseres Dialektes nach modernen wissenschaftlichen Grundsätzen untersucht hat, eine Arbeit, die in jüngster Zeit insbesondere A. S c h e i n e r fortgeführt hat. Die Arbeit am Wörterbuch hatte Wolff von Haltrich geerbt; er wäre wohl der Mann dazu gewesen, sie auch zu vollenden, wenn nicht ein früher Tod (1893) ihn daran gehindert hätte. Sein Erbe, A d o l f S c h u l l e r u s , begründete 1897 die Wörterbuchkommission, die bis zum Kriegsausbruch die Arbeit bis zum Buchstaben F förderte. Gegenwärtig liegen die Buchstaben G und K druckfertig vor und es steht zu hoffen, daß die zuerst durch den Krieg und dann durch den Tod von Schullerus (1927) unterbrochene Arbeit nun wieder rascher fortschreiten wird. !) J o h . W o l f f , Unser Haus und Hof. Kulturgeschichtliche Schilderungen aus Siebenbürgen. Kronstadt 1882. 2) H e r m a n n P h l e p s , Über die Urformen des sächsischen Bauernhauses. Archiv d. V. für siebenb. Landesk., N. F . Bd. 42, H. 1, S. 261 ff. 3) V. R o t h , Geschichte der deutschen Baukunst in Siebenbürgen. Straßburg 1905. — D e r s . , Zur Geschichte des sächs. Bauernhauses in Siebenbürgen. Archiv d. V. für siebenb. Landesk., N. F. Bd. 42, H. 1, S. 238 ff.

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Eine andere Hinterlassenschaft J. Wolfis, die Ortsnamenund Familiennamenforschung, hat insbesondere Dr. G u s t a v K i s c h , Universitätsprofessor in Klausenburg, aufgenommen 1 ). Die Sagen unseres Volkes hat F r i e d r i c h M ü l l e r , der im Jahre 1915 verstorbene frühere Bischof, in den 60 er Jahren des vorigen Jahrhunderts gesammelt. Sie tragen meist lokalen Charakter: Gründung des heimatlichen Ortes, Grenzstreitigkeiten mit den Nachbarorten, Gespenstersagen, in denen noch Wodan, der Mann mit dem breiten Hut, hie und da auftaucht, Trudenund Hexensagen nehmen den breitesten Raum ein. Die geschichtlichen Sagen enthalten kaum noch eine Erinnerung an die Einwanderungszeit und knüpfen meist an die Mongolen- und Türkenzeit an. Von dem Nibelungensagenkreis, von Göttersagen ist (abgesehen von der angedeuteten schattenhaften Erinnerung an Wodan) keine Spur vorhanden. Dagegen spielen die Riesen {Hünen) eine nicht unbedeutende Rolle. Die Berührung mit ungarischen und rumänischen Sagen ist gering, dagegen erinnern (nach Schullerus) viele Einzelzüge, namentlich in den zahlreichen Werwolfgeschichten, an die luxemburgische Urheimat. Der Werwolf erscheint hier allerdings unter dem slawischen Namen Priculitsch. Etwas später als seine Studienfreunde Haltrich und Müller trat Fr. W i l h . S c h u s t e r (f 19x7) mit dem Ergebnis seiner volkskundlichen Arbeit auf den Plan. Er veröffentlichte 1865 die sächsischen Volkslieder, jedoch nur die im Dialekt gesungenen, meist ohne Melodien, dann Kinderreime, Rätsel, Sprichwörter, mit Benutzung der Haltrichschen Sammlungen. Das wertvolle Buch ist heute leider vergriffen. Schuster war nicht nur gründlich gebildeter Germanist, sondern auch Dichter, jedenfalls der beste, den unser Völkchen hervorgebracht hat. Er hat zu den gesammelten Volksliedern eine wertvolle Abhandlung geschrieben mit feinen Bemerkungen über dichterischen Wert und Entstehungszeit der einzelnen Stücke und die sächsische Volksdichtung überhaupt. Entsprechend dem wissenschaftlichen *) G. K i s c h , Nordsiebenbürgisches Namenbuch. Archiv d. V. für siebenb. Landesk., N. F. Bd. 34, H. 1, S. 5ff. — Ders., Zur Etymologie landeskirchlicher Ortsnamen, in „Beiträge zur Geschichte der ev. Kirche A. B. in Siebenbürgen". Hermannstadt 1922.

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Standpunkt jener Zeit untersuchte er die Lieder vor allem auf ihren Gehalt an altertümlichen Wendungen, an mythologischen Resten. Die hochdeutschen Texte schließt Schuster als spätere Ankömmlinge grundsätzlich aus. Das war wohl ein Irrtum. Es ist doch anzunehmen, daß Lieder wie Es war ein Schloß in Österreich, Ich stand auf hohem Berge, Es war'n einmal drei Reiter gefangen, die heute in unserem Volk allenthalben hochdeutsch gesungen werden, schon vor Jahrhunderten von Soldaten, Handwerksburschen oder Bänkelsängern in hochdeutscher Fassung zu uns hereingetragen und auch übernommen wurden, wenn auch bei einigen, z. B. gerade bei der Ballade Es war ein Schloß in Österreich, sich auch die Übertragung in die Volksmundart nachweisen läßt. Die Sammlung der hochdeutschen Volkslieder soll nun nachgeholt werden. Neben der Neuauflage der Schusterschen Sammlung, vermehrt durch zahlreiche Varianten und zahlreiche Melodien, ist die Herausgabe der in hochdeutscher Fassung gesungenen Lieder geplant. Sie dürfte in etwa zwei Jahren druckfertig vorliegen. Unser Volksliederschatz ist reich an alten, wertvollen Stücken, besonders auch an eigenartigen Melodien, die teilweise noch in den mittelalterlichen Kirchentönen gehalten sind (meist äolisch). Manche Melodien weisen auf niederrheinische Herkunft hin. Eigenartig und in dieser Form nirgends nachweisbar sind die Waisenklagen — ein Niederschlag des großen Jammers der Türkenkriege —, ferner die sogenannten Rockenlieder. In szenischem Spiel bringen die Gespielinnen der Braut am Nachhochzeitstage der letzteren einen mit Hanf umwundenen und mit Bändern und Flitter behangenen Rocken als Symbol ihrer Hausfrauenwürde und singen dabei das Rockenlied: Mer wälle gön, mer wälle nemi stön, mer wällen äser Brokt ene Röken drön. Zuletzt ergreift der Bräutigam den Spinnrocken und zerhaut ihn mit einer Axt. Sowohl Text als Melodie deuten auf hohes Alter. So wie Märchen und Sage, so ist auch der Volksliederschatz der Siebenbürger Sachsen von fremdnationalem Einschlag ziemlich frei geblieben. Außer den großen Sammelwerken: dem Wörterbuch, der Volkskunde von Haltrich-Wolff, den Märchen-, Sagen-, Volksliedersammlungen sind seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine ganze Anzahl von Einzeldarstellungen erschienen über die Ge-

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brauche bei Hochzeiten, Taufen und Leichen, über Hexenglauben, über Reste altgermanischer Mythologie in einzelnen Liedern und Märchen, über Oster-, Weihnachts- und Fastnachtsbelustigungen, über die Tracht, über Pflanzennamen und die Wertung der Pflanzen als Heilmittel und Zaubermittel 1 ), über Orts-, Flur-, Familiennamen, über Ortsheilige. Es wurden ferner die Stickereimuster gesammelt und in jüngster Zeit mit besonderem Fleiß von Pfarrer F r i e d r i c h K r a u ß die Ausdrücke der Handwerkersprache und die Bezeichnungen für gewisse Formen des Nähens und Stickens. Eine reiche Fülle von einzelnen volkskundlichen Mitteilungen und zusammenhängenden Schilderungen enthält das seit 1878 in Hermannstadt erscheinende Korrespondenzblatt des Vereins für siebenbürgische Landeskunde. In Hermannstadt besteht seit einigen Jahren auch ein Volkskundemuseum, das in sechs Zimmern reiches volkskundliches Anschauungsmaterial enthält und ebenso wie das Korrespondenzblatt der Leitung des Kustos am Brukenthalischen Museum, Dr. R u d o l f Spek, untersteht. Zusammenhängende Darstellungen des gesamten volkskundlichen Bestandes geben außer dem schon genannten Buch von Haltrich-Wolff: F r . F r o n i u s , Bilder aus dem sächsischen Bauernleben, Wien 1883. — O. W i t t s t o c k , Volkstümliches aus Siebenbürgen, in Kirchhoffs „Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde", 1895, mit genauester Angabe der bis dahin erschienenen Literatur; endlich A d o l f S c h u l l e r u s , Siebenbürgischsächsische Volkskunde im Umriß, herausgegeben in der Friedrich von der Leyenschen Sammlung Deutsche Stämme, deutsche Lande, Leipzig 1927. I I I . A U F G A B E N DER Z U K U N F T Übersehen wir so den gegenwärtigen Stand der volkskundlichen Arbeit in Siebenbürgen, so kann man wohl sagen, daß kaum ein Gebiet auf dem großen Arbeitsfeld der Volkskunde unangebaut geblieben ist, aber es fehlt: a) zunächst einmal eine planmäßige Aufnahme des gesamten Materials. Die bisherigen Aufnahmen, abgesehen etwa vom *) P a u l i n e Siebenb.

Schullerus,

Sachsen.

Archiv

Pflanzen in Glaube und Brauch der d. V.

Bd. 40, H. 1 u. 3; Bd. 41, H. 1.

für siebenb. Landesk.,

N.

F.

D E U T S C H E VOLKSKUNDEFORSCHUNG IN S I E B E N B Ü R G E N

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Wörterbuch, der Märchen- und Sagensammlung und der noch nicht veröffentlichten Volksliedersammlung, beschränken sich doch mehr oder weniger auf einzelne Orte oder Landschaften. b) Es fehlt oder ist noch nur in den Anfängen vorhanden ein Eindringen in die feinsten Verästelungen volkstümlichen Lebens. Was ich damit meine, möchte ich an ein paar Beispielen verdeutlichen: Pfarrer F r i e d r i c h K r a u ß hat in den letzten Jahren damit begonnen, die Bezeichnungen für eine Art Ärmel- und Kragenstickerei an bäuerischen Hemden zu sammeln und dabei für die verschiedenen Muster eine Unmenge von Namen gefunden. So haben auch die verschiedenen Stickereimuster auf Tisch- und Bettdecken und Polsterüberzügen ihre besonderen Namen; so gibt es für die einzelnen Teile der bäuerlichen Geräte (z. B. des Webstuhles) besondere Bezeichnungen, die noch lange nicht alle gesammelt sind. Ein anderes Gebiet: Die Kindersprache und Kinderspiele hat Haltrich zu sammeln begonnen und hat für die letzteren über 100 Nummern zusammengebracht; ebenso hat er Interjektionen, Verwünschungs- und Beteuerungsformeln gesammelt. Da müßte fortgesetzt werden. Namentlich die Kindersprache ist noch lange nicht ausgeschöpft. Bei der Aufzeichnung von Kinderreimen, Kinderliedern, Zauberformeln, Totenklagen usw. ist sehr wichtig die genaue Aufnahme der Melodie bzw. des Tonfalls und Rhythmus. A n d r e a s S c h e i n e r , gegenwärtig unser hervorragendster Sprachkenner, hat eindringende Studien gemacht über den Akzent des Siebenbürgisch-Sächsischen und dabei das Dreitongesetz aufgestellt, wonach sowohl der Wort- als auch der Satzakzent eine typische Form hat: Die Stimme steigt von einer mittleren Tonlage etwas hinauf und sinkt dann tief herab, in musikalischen Intervallen ausgedrückt: Aufstieg etwa um einen halben Ton und Abstieg um eine Sext. Neben dem Sprachakzent wäre vielleicht auch der Sprachrhythmus zu beachten. Diese intimsten Eigenheiten geben wahrscheinlich die weitestreichenden Aufschlüsse über Stammverwandtschaft und andererseits über außervölkische Beeinflussung. Sie müßten weiter verfolgt werden. c) Es ist endlich noch kaum damit begonnen worden, die Gesetze der Entwicklung der volkskundlichen Erscheinungen aufzuspüren oder Eigengut und Lehngut und die gegenseitige Durchdringung eigener und benachbarter Volksart genauer darzulegen. So viel kann wohl doch heute schon gesagt werden, daß sich Deutsche Volkskunde im außerdeutschen Osten.

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G. BRANDSCH

das Volkstum der Sachsen inmitten der fremdvölkischen Umgebung merkwürdig rein bewahrt hat. Das erklärt sich wohl hauptsächlich aus der Herrenstellung, die unser Volk in der Vergangenheit einnahm. Es sind zwar Bezeichnungen für Geräte, Kleidungsstücke, Fluch- und Scheltwörter, Ausdrücke für das Treiben und Locken der Tiere usw. aus dem Rumänischen und Ungarischen in das Sächsische eingedrungen, denn der Sachse gebraucht im Verkehr mit dem fremden Arbeiter meist dessen Sprache. Aber in den — ich möchte sagen — intimeren Gedankenund Gefühlsbezirk ist solch fremdvölkisches Gut nicht eingegangen. Auch in der Tracht, die noch am meisten Fremdes angenommen hat, ist doch noch viel von dem aus der alten Heimat Mitgebrachten in Bezeichnung und Sache vorhanden, und vor allem das Bestreben, sich von den anderen zu unterscheiden. Bei dieser Gelegenheit möchte ich einen Irrtum in einem Aufsatz des sechsten Heftes der Deutschen Forschung, das ja ganz der Volkskunde und dem Volkskundeatlas gewidmet ist, richtigstellen. Es heißt dort in dem Aufsatz über kirchliche Volkskunde von Georg S c h r e i b e r , daß nach dem Bericht eines guten Kenners des südosteuropäischen Auslanddeutschtums in einigen evangelischen Kirchen „die Vesper gesungen werde und daß dabei sogar Opfergänge stattfinden". Der Verfasser sieht darin eine Einwirkung griechisch-orthodoxer Liturgie. Das ist gewiß nicht richtig. Unter Vesper verstehen wir einen kurzen Nachmittagsgottesdienst. Dabei werden evangelische Choräle von der Gemeinde ebenso gesungen wie im Hauptgottesdienst. Opfergänge finden hie und da an hohen Feiertagen auch im Nachmittagsgottesdienst statt. Es sind Überbleibsel aus der oblatio des römisch-katholischen Meßgottesdienstes. Eine Einwirkung der griechisch-orthodoxen Kirche ist ganz sicher ausgeschlossen. Aus dem oben Ausgeführten ergibt sich als Aufgabe unserer Volkskundearbeit für die Zukunft: a) planmäßige, vollständige Aufnahme des volkskundlichen Materials, wobei uns die Fragebogen für den geplanten Volkskundeatlas wertvollste Dienste leisten werden; b) Aufnahme, insbesondere auch der primitivsten, am wenigsten reflektierten Lebensäußerungen in Sprache, Lied, Brauch; c) systematisch durchgeführte Vergleichung mit dem volkstümlichen Gut der anderssprachigen Volksstämme Siebenbürgens.

DEUTSCHE VOLKSKUNDEFORSCHUNG IN SIEBENBÜRGEN

IV. ORGANISATION DER

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VOLKSKUNDEFORSCHUNG

Die Organisation der volkskundlichen Arbeit in Siebenbürgen besorgt im wesentlichen der Landeskunde verein. Er wurde im Jahre 1842 begründet und gibt jährlich in Hermannstadt seine Archivhefte heraus, daneben — wie schon erwähnt — das monatlich erscheinende Korrespondenzblatt. Vorsitzender ist gegenwärtig Bischof D. F r i e d r i c h T e u t s c h . Der Verein hat neben der Landeskunde (Geschichte, Geographie, Naturkunde, Völkerkunde Siebenbürgens) von vornherein und später in immer steigendem Maße auch die Volkskunde in sein Arbeitsprogramm aufgenommen. Fast alle wissenschaftlichen Publikationen der letzten achtzig Jahre sind irgendwie von ihm angeregt und gefördert worden. Die Mitarbeiter nicht nur am Wörterbuch, sondern überhaupt auf dem Gebiet der Volkskunde sind in erster Reihe Pfarrer und Lehrer. Geldmittel stehen keine zur Verfügung. Die Mitarbeit sowohl am Korrespondenzblatt als am Archiv wird ohne Entgelt geleistet. Ich schließe meinen Bericht zunächst mit dem Dank dafür, daß es unserem Landeskundeverein gestattet wurde, sich hier in diesem erlesenen Kreis und bei dieser Gelegenheit vertreten lassen zu dürfen, dann aber mit dem Dank für all die reiche Förderung, die unsere bescheidene wissenschaftliche Arbeit in Siebenbürgen von der reichen — wenigstens in dieser Beziehung auch heute noch reichen — Mutter Germania erfahren hat, aber auch mit der Versicherung, daß es uns Freude und Ehre sein soll, an dem geplanten großen Werk des Volkskundeatlas nach Kräften mitzuarbeiten.

VOLKSKUNDLICHE

FORSCHUNGEN

DEN D E U T S C H E N S I E D L U N G E N

IN

DER

SOWJET-UNION VON VIKTOR SCHIRMUNSKI I.

I

l i e volkskundliche Forschung in deutschen Sprachinseln und Streusiedlungen hat zur Aufgabe, das alte kulturelle Gut festzustellen, das die deutschen Bauern aus ihrer ersten Heimat mitgebracht haben, sowie die Erforschung der weiteren Entwicklung dieser deutschen Bauernkultur unter dem Einfluß der neuen geographischen und wirtschaftlichen Umgebung und durch Kulturaustausch mit den neuen Nachbarn. Die Gesamtzahl der deutschen Bauernsiedlungen (Kolonien) in der Sowjet-Union beträgt rund 2000 Dörfer mit über 1000000 Einwohnern. In der Siedlungsgeschichte dieser Kolonien sind drei große Einwanderungswellen zu unterscheiden: I. Die älteste Gruppe bilden die W o l g a k o l o n i e n (jetzt Autonome Republik der Wolga-Deutschen) an den beiden Ufern der Wolga, in den früheren Gouvernements Saratow und Samara, zwischen den Kreisstädten Wolsk und Kamyschin, im ganzen 300 Dörfer. Die Wolgakolonien wurden gegründet unter Katharina II. in den Jahren 1764—74. Aus den Mutterkolonien der ältesten Zeit (106) sind dann in den Jahren 1846—70 durch Aussiedlung auf neuangewiesenem Kronland zahlreiche Tochterkolonien entstanden; auf ähnliche Weise wurde in den letzten Jahren wieder eine Anzahl neuer Tochterkolonien angelegt. Zu gleicher Zeit mit den ältesten Wolgakolonien (1765) wurden sechs deutsche Dörfer im Gouvernement Tschernigow (Kreis Konotop) gegründet (sogen. Belemeser — nach Kolonie Bjely Wjezy benannt) und sechs im Gouvernement Petersburg, die sich

ScHiRMUNSKi :

DEUTSCHE VOLKSKUNDE IN DER SOWJET-UNION

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durch weiteren Zuschub aus Deutschland (1809) und Gründung von Tochterkolonien inzwischen auf 30 Dörfer vermehrt haben. II. Auch die ältesten deutschen Ansiedlungen in der S ü d u k r a i n e (nach alter amtlicher Bezeichnung Neurußland) gehören noch in die Zeit von Katharina II. (seit 1789); sie befinden sich unweit von der damals gegründeten Stadt Jekaterinoslaw am Dniepr. Doch gehören die meisten Kolonien des Schwarzmeergebietes (Südukraine, Krim, Transkaukasien) bereits zur zweiten Einwanderungsperiode unter Alexander I. (1803—23). Bis 1823 wurden im damaligen Neurußland (Gouv. Cherson, Jekaterinoslaw, Taurien, Bessarabien) 159 Kolonien angelegt. Durch Gründung jüngerer Aussiedlungen (Tochterkolonien), teils auf Kronland, zum größten Teile auf angekauften Ländereien, haben sie sich dann nicht nur auf altem Gebiete stark vermehrt, sondern auch außerhalb seiner Grenzen nach Osten und Norden verbreitet — nach dem Dongebiete, dem Nordkaukasus und den Gouv. Charkow und Kiew. Die Expansionskraft dieser Gruppe kann durch einige charakteristische Zahlen angedeutet werden. Im Jahre 1890 zählte man in den obengenannten vier Gouvernements bereits 484 Kolonien, vor dem Kriege aber (1914) 966 Kolonien. Statt der 614000 Deßjatinen Kronland, die ihnen in diesen Gouvernements bis 1859 angewiesen waren, waren sie um 1914 im Besitze von 3814000 Deßjatinen 1 ). In der Krim allein, die nur acht Mutterkolonien aus der Gründungszeit zählt, hat man jetzt über 200 deutsche Dörfer; im ganzen Schwarzmeergebiete sind wohl annähernd 1000 Kolonien. Eine besondere Gruppe der Schwarzmeerdeutschen bilden die Danziger M e n n o n i t e n , eine anabaptistische Sekte, gegründet in der Reformationszeit in Holland durch Menno S i m o n s (f 1561), die sich bereits im 16. Jahrhundert wegen religiöser Verfolgungen aus Holland in die Niederungen der Weichsel, die damals zu Polen gehörten, geflüchtet hatten. Seit 1790 wanderten die Mennoniten allmählich nach Rußland aus, weil sie von der preußischen Regierung wegen Verweigerung des Militärdienstes bedrückt wurden. Im Jahre 1824 hatten die Mennoniten bereits 18 Kolonien im Chortitzer Gebiete (Kreis Saporoschje, früher Gouv. Jekaterinoslaw) und 38 Kolonien an dem Flusse Molotschna (Kr. Melitopol, früher Gouv. Taurien). Vor dem Kriege zählte *) X D e ß j a t i n e = 1,0925 ha.

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VIKTOR SCHIRMUNSKI

man in Rußland über i o o o o o Mennoniten. — Eine andere Gruppe der

Schwarzmeerdeutschen,

sind

die

Württemberger

Fromme, die in den

die

hervorgehoben

Separatisten,

Jahren 1 8 1 6 — 1 9

aus

werden

pietistisch

muß,

gesinnte

Württemberg

nach

Transkaukasien auswanderten, um unter den Flügeln des rettenden „Adlers" die baldige Erscheinung des Antichristen und das kommende

tausendjährige

Reich

der

Heiligen

abzuwarten 1 ).

Zurückgebliebene Kolonnen des großen Separatistenzuges gründeten die Kolonie Hoffnungstal (Kreis Odessa) und die schwäbischen Kolonien bei Berdjansk am Azowschen Meere. I I I . In späterer Zeit Wolhynien

(1830—1870) sind die Deutschen

gekommen,

die

Kolonien in Russisch-Polen. lich

als

Pächter

auf

meisten

aus

älteren

nach

deutschen

Die Kolonisten wohnten gewöhn-

russischen

und

polnischen

Adelsgütern;

man zählte dort vor dem Kriege über 550 Dörfer. Das jüngste Gebiet der deutschen Ansiedlung sind die Kolonien am Südural, in Sibirien und Turkestan, im ganzen über 200 Dörfer. Seit 1890 wurden dort auf neuen, von der Regierung angewiesenen Ländereien die zahlreichen Landlosen aus den alten Kolonien an der Wolga, im Schwarzmeergebiete und aus Wolhynien untergebracht. Die Zahl der deutschen Bauern in diesen größeren Siedlungsgebieten läßt sich auf

Grund der letzten

Volkszählung

17. Dezember 1926) auf folgende Weise bestimmen: sind

in

der Sowjet-Union

davon

184769

in den Städten und 1053 7 1 7 auf Dörfern (Kolonisten),

In der

Wolga-Republik

zählt

1238486 Deutsche,

(vom

Im ganzen

man

379630

Deutsche

(darunter

in

den Städten 33435); außerhalb der Deutschen Republik an der mittleren und unteren Wolga sind noch weitere 49075 deutsche Bauern in einzelnen Streusiedlungen.

Die U k r a i n e

(einschließ-

lich W o l h y n i e n ) zählt 359671 Deutsche (darunter in den Städten 7 6 9 3 1 ) ; die K r i m 43631 (darunter 4298 in den Städten); T r a n s kaukasien

25327 (17525

Städter);

das N e w a g e b i e t

(Kreis

Leningrad und Nowgorod) hat 8113 deutsche Bauern ; O s t r u ß l a n d (Südural, Die

Sibirien, Mittelasien)

Ursache

deutscher

Seite

der Auswanderungen vor allem

154104 nach

der Überschuß

deutsche Rußland

Bauern. war

auf

der ländlichen

Be-

*) Vgl. darüber das interessante Buch von G. L e i b b r a n d t , Die Auswanderung aus Schwaben nach Rußland. Stuttgart 1928 (Ausland-Institut).

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völkerung im deutschen Südwesten, aus dem die meisten Auswanderer stammen (Baden, Württemberg, Pfalz, Nordelsaß, Hessen). Da Deutschland keine Siedlungskolonien in den neuentdeckten Weltteilen besaß, gingen diese Auswanderer entweder nach Nordamerika oder nach dem nahen Osten (Polen, Ungarn, Rußland, auch Preußen), wo die Politik der Regierungen solche Einwanderung begünstigte. Andererseits war gerade der deutsche Südwesten durch langjährige Grenzkriege mit Frankreich, besonders in der Revolutionszeit, in seinem wirtschaftlichen Wohlstand dauernd erschüttert. Auf russischer Seite lag die Notwendigkeit vor, große Ländereien im Süden und Osten des Landes, die durch die Expansion des Reiches im 18. Jahrhundert an Rußland kamen, wirtschaftlich auszunutzen. Die russische Bauernschaft war aber durch die Leibeigenschaft an die heimische Scholle gebunden. So kam man auf den Gedanken, Ausländer zu berufen, was den damaligen Anschauungen über Kolonisationsfragen vollkommen entsprach. In einem Manifest Katharinas II. (1763) wurden den Kolonisten folgende Vorrechte zugesagt: 1. Bezahlung der Reisekosten durch die Regierung; 2. 30 Deßjatinen Land zur erblichen Nutznießung für jede Familie; 3. zinsloser Vorschuß auf zehn Jahre für Häuserbau, Anschaffung von Geräten, Vieh u. dgl.; 4. Steuerfreiheit auf 30 Jahre; 5. Freiheit von Militärdienst und Einquartierung; 6. freie Religionsübung; 7. Selbstverwaltung der Kolonien. Unter Alexander I. wurde die Landnorm auf 50—65 Deßjatinen auf den Hof erhöht, doch Freiheit von Steuern wurde nur auf zehn Jahre gewährt. So bildeten die Kolonisten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts einen privilegierten Stand mit weitgehenden Rechten der Selbstverwaltung. Die Grundlage der kulturellen Autonomie bildete die deutsche Schule, in alter Zeit gewöhnlich als Kirchenschule. Seit den großen Reformen der russischen Verwaltung unter Alexander II. (1860—71) wurden die Kolonien in das neue russische Verwaltungssystem einbezogen und ihre Vorrechte wurden aufgehoben. Auch die deutsche Sprache mußte als Unterrichtssprache dem Russischen weichen, was der allgemeinen Russifizierungspolitik der alten Regierung entsprach, und erhielt sich bis zum Weltkriege in den Dorfschulen nur im Religionsunterricht und als besonderes Fach. In der Kriegszeit wurde die deutsche Sprache verboten, und die nationalistisch gesinnte Regierung erließ ein Gesetz über die Liquidation des deutschen Grund-

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besitzes in Rußland. Nach der Oktoberrevolution wurden diese Verfügungen von der Sowjet-Regierung aufgehoben. Die deutsche Sprache ist an allen Dorfschulen wieder als Unterrichtssprache eingeführt, deutsche Mittelschulen, Fortbildungsschulen und Lehrerinstitute für Kolonisten wurden eröffnet; eine deutsche Abteilung besteht an der Pädagogischen Hochschule in Odessa und eine selbständige deutsche Hochschule ist in diesem Jahre in Pokrowsk an der Wolga entstanden. Auch werden in den deutschen Dorfräten die Verhandlungen in deutscher Sprache geführt. Zusammenhängende Gruppen deutscher Siedlungen sind jetzt zu selbständigen deutschen Verwaltungsämtern (sog. Rayonen) vereinigt. Die Wolgakolonien als ein großes zusammenhängendes Gebiet deutscher Siedlung in Rußland bilden bekanntlich als Autonome Räterepublik der Wolgadeutschen ein Glied der Union der Sowjet-Republiken mit der Hauptstadt Pokrowsk. In wirtschaftlicher und kultureller Beziehung besteht zwischen den wichtigsten Siedlungsgebieten der Deutschen — an der Wolga und in der Südukraine — ein durchgreifender Unterschied. Die Wolgadeutschen haben bereits im 18. Jahrhundert von den russischen Bauern das russische System des Gemeindebesitzes (Mir) mit periodischer Umteilung des Landes nach Seelenzahl (gewöhnlich alle zwölf Jahre) übernommen. Daher wurde der Anteil des Einzelnen mit der Zeit sehr klein, und der ganze landwirtschaftliche Betrieb, sowie die kulturelle Entwicklung blieben auf einer verhältnismäßig niedrigen Stufe. Charakteristisch für das Wolgagebiet sind die großen Dörfer, die nicht selten 5000 bis 8000 Einwohner zählen. Im Süden dagegen blieb das von dem Kolonistengesetz vorgeschriebene Prinzip der Unteilbarkeit des Wirtschaftshofes in der Form des Majorats (oder Minorats) bestehen, und es entwickelte sich hier ein wohlhabender und nicht selten reicher Großbauernstand, der vielfach über ein Landquantum von 100—500 ha auf den Hof verfügen konnte. Daneben waren hier im allgemeinen die sozialen Unterschiede viel schärfer ausgeprägt, und es bestand eine bedeutende Gruppe von Kleinbauern und Landlosen, die erst unter der SowjetRegierung bei der Nationalisierung und allgemeinen Umteilung des Landes nach Seelenzahl eine gleiche Norm mit den anderen erhielten. Die Dörfer in der Südukraine sind nicht groß; gewöhnlich zählen sie 800—1000 Einwohner, da die überschüssige Bevölkerung in die Tochterkolonien auswanderte; die größten

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Kolonien haben selten über 3000 Einwohner; es gibt aber auch viele ganz kleine Chutoren (Weiler), wo nur mehrere Familien zusammenwohnen. Die volkskundliche Forschung in den deutschen Kolonien ist eine der wichtigsten und interessantesten Aufgaben für die Germanistik in Rußland. Auf dem weiten Arbeitsfelde der Germanistik findet man kaum noch ein anderes Gebiet, wo so gut wie alles neu zu machen ist. Aber auch abgesehen von dieser Sammelarbeit eröffnen sich für den Forscher auf dem Gebiete der Siedlungsmundarten, des Volksliedes und der Volkskunde im engeren Sinne gewisse prinzipielle, methodisch wichtige Fragestellungen, die für unsere Wissenschaft im allgemeinen von großer Bedeutung sein können. Um einen naturwissenschaftlichen Vergleich zu gebrauchen: eine Inselfauna zeigt sehr oft besonders altertümliche Formen, die vielleicht auf dem Festlande nicht mehr zu finden sind, andererseits gelegentlich auch eigene Entwicklungsgänge, die im kleinen für die Erforschung größerer Zusammenhänge eine vorbildliche Bedeutung gewinnen können. Dasselbe gilt auch für isolierte Sprachinseln wie die deutschen Kolonien. Man hatte im alten Rußland nur wenig Interesse für die Erforschung der zahlreichen nationalen Minderheiten des großen Reiches. In der Sowjet-Union dagegen gehört die Frage der kulturellen Selbstbestimmung der Minderheiten zu den wichtigsten Problemen des Bildungswesens. Heimatkundliche und volkskundliche Forschung bekommt dadurch eine neue Bedeutung, findet auch ihre Berücksichtigung in der „heimatkundlichen Einstellung" des Lehrplanes in den Volksschulen. In der WolgaRepublik wird die volkskundliche Forschungsarbeit besonders eifrig betrieben: Prof. G. D i n g e s (Universität Saratow), selbst ein Wolgadeutscher, arbeitet seit mehreren Jahren an der Erforschung Wolgadeutscher Mundarten; unter seiner Leitung besteht in Pokrowsk ein Zentralmuseum für Landeskunde der Wolga-Republik. Seit 1925 wird unter meiner Leitung eine ähnliche Arbeit in den deutschen Kolonien des Schwarzmeergebietes (Südukraine, Krim, Transkaukasien), sowie im Kreise Leningrad ausgeführt. Die Unterstützung der Volkskommissariate für Bildungswesen in Charkow und Moskau ermöglichte es mir und meinen Assistenten, Dr. A. S t r ö m (jetzt Dozent für Deutsche Philologie in Odessa) und Frl. Dr. E. J o h a n n s o n , mehrere Studienreisen zu unternehmen, um nach einem bestimmten Programm das



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nötige Material über Mundarten, Volkslieder und Volkskunde der Mutterkolonien einzusammeln. Die ersten Resultate dieser Arbeit enthält mein Buch über die deutschen Kolonien in der Ukraine 1 ). Hier soll der Versuch gemacht werden, das Wichtigste über diese Fragen in aller Kürze zusammenzufassen. 2. Die Mundartenforschung bildet die Grundlage für volkskundliche Studien in den Kolonien. Ein Vergleich zwischen den Siedlungsmundarten und den Mundarten des Mutterlandes ermöglicht, bei mangelnden geschichtlichen Zeugnissen die Abstammung der Kolonisten oder wenigstens der Mehrheit, deren Sprache eine herrschende Stellung gewonnen hat, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu bestimmen. Die Mundart ist die Muttersprache der Kolonisten, die sie in der Familie und im täglichen Verkehr untereinander gebrauchen. Daneben beherrschen sie gewöhnlich noch zwei Sprachen: die deutsche Schriftsprache, in der Form einer mundartlich gefärbten Umgangssprache, die sie durch Schule und Kirche kennen gelernt haben, und die russische Sprache, deren Kenntnis ebenfalls durch die Schule, sowie durch täglichen Verkehr mit den Nachbardörfern und mit russischen Knechten und Mägden vermittelt wird. Außerdem kommen noch andere Landessprachen in Betracht, wie z. B. das Ukrainische im Schwarzmeergebiete, das Tatarische in der Krim und in Transkaukasien, das Georgische u. a. m. Der Umfang dieser Kenntnisse ist sehr verschieden. Im Schwarzmeergebiete, besonders bei der reicheren Schicht, ist der Gebrauch der deutschen Schriftsprache viel ausgedehnter als z. B. an der Wolga. Die russische Sprache ist in einigen kleineren Kolonien bei Leningrad nahe daran, die deutsche aus dem Gebrauche der jüngeren Generation zu verdrängen; zwei katholische Kolonien der Belemeser (Kreis Konotop) haben bereits ihre deutsche Sprache aufgegeben und gebrauchen ausschließlich die ukrainische Mundart ihrer Nachbarn; an der Wolga dagegen gibt es Frauen, die das Russische noch kaum beherrschen. Im großen und ganzen darf man sagen, daß die V i k t o r S c h i r m u n s k i , Die deutschen Kolonien in der Ukraine. Geschichte, Mundarten, Volkslied, Volkskunde (Moskau und Charkow, Zentralverlag der Völker der Sowjet-Union, 1928).

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russische Sprache bei den Kolonisten erst durch die Russifizierungspolitik der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts allmählich heimisch geworden ist. Der Einfluß des Russischen auf die deutschen Siedlungsmundarten macht sich vor allem auf lexikalischem Gebiete bemerkbar: Gegenstände und Begriffe der neuen geographischen, kulturellen und politischen Umgebung bekommen eine russische Bezeichnung, wenn Name und Gegenstand in der alten Heimat unbekannt waren. Charakteristische Beispiele (aus dem Schwarzmeergebiete) sind z. B. arbuse (Wassermelone), borsch (russische Rübensuppe), lapke (Bauernschuhe aus Birkenbast, russ. lapti), lafke (Verkaufsladen), sxod (Bauernversammlung) u. a., oder nach der Revolution z. B. predsedatel (Vorsitzender des Bauernrates, Dorfschulze), kulacke (Großbauer) u. a. m. E s gibt aber auch interessantere Fälle, besonders beim Gebrauch von Doppelformen. So bezeichnet man vielfach in der Ukraine die wilde Birne (Holzbirne) mit dem deutschen mda. Ausdruck bir, ber, dagegen gebraucht man für die Kulturbirne das ukrainische Lehnwort dule. Eine Schaukel heißt gewöhnlich gauntsch (gangsch u. ä.), dagegen behält das für die russischen Dörfer charakteristische hängende Schaukelbrett seinen russischen Namen katschell. Die Hausente wird auf ukrainische Art als kcUsch bezeichnet (vgl. ukr. katschka); in Anlehnung daran heißt der Enterich katscherich, ketscherich oder ketschert (vgl. zu letzterem mda. gansert, gensert für Gänserich); auch die Entin erhält den Namen katschene oder ketschene. Im allgemeinen haben die Wolgamundarten eine weit größere Zahl von Lehnwörtern als die Mundarten der Schwarzmeerdeutschen — nach den Feststellungen von Prof. G. Dinges 1 ) sind es nicht weniger als 800 — , ein charakteristisches Zeichen, daß der Kulturaustausch mit den Nachbarn an der Wolga viel intensiver als im Süden gewesen ist. Die ersten Nachrichten über die Mundarten der Deutschen in Rußland erscheinen bereits in Germaniens Völkerstimmen von ') Vgl. G. D i n g e s , Der Einfluß des Russischen in den Wolgadeutschen Mundarten (russ. Hdschr.). Besprochen in Teuthonista I, 299ff. —• F. S c h i l l e r , Der Einfluß der Revolution auf die Sprache der Wolgadeutschen (Schriften des Moskauer Instituts für Sprach- und Literaturgeschichte Bd. III, 1928). — Russische Lehnwörter bei den Mennoniten verzeichnet J a k o b Q u i r i n g , Die Mundart von Chortitza in Südrußland, Diss. München 1928.

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F i r m e n i c h (1853): Bd. III bringt einige Proben pfälzischer, schwäbischer und niederdeutscher Mundarten aus dem Molotschnagebiete (Kreis Melitopol, Ukraine). In der Kriegszeit gab der verstorbene Greifswalder Germanist W. v. U n w e r t h die erste wissenschaftliche Beschreibung der deutsch-russischen Siedlungsmundarten auf Grund von Aufzeichnungen unter kriegsgefangenen Kolonisten heraus (Proben deutsch-russischer Mundarten aus den Wolgakolonien und dem Gouvernement Cherson, Berlin 1919). Prof. D i n g e s , der seit mehreren Jahren an der Erforschung der Wolgamundarten arbeitet, hat bereits eine Sprachkarte der Mutterkolonie veröffentlicht 1 ). Nach Unwerth und Dinges findet man an der Wolga folgende Mundartentypen: 1. oberhessisch (aus den Kreisen Büdingen und Schotten); 2. südhessisch (aus der Gegend von Frankfurt a. M. - MainzDarmstadt); 3. hessisch-pfälzisch (aus der Gegend von Worms und dem Odenwald); 4. südwestpfälzisch (aus der bayrischen Pfalz, bei Zweibrücken); 5. ostmitteldeutsch (ostthüringische und osterländische Mundarten); 6. niederdeutsch (westpreußische Mundarten aus den Weichselniederungen — bei den Mennoniten). Mit Ausnahme der letzten Gruppe gehören alle Wolgadeutschen Mundarten zum mitteldeutschen Sprachtypus. Eine ähnliche Arbeit wurde in den Jahren 1926—29 von mir und meinem Assistenten Dr. A. S t r ö m in den Mutterkolonien des Schwarzmeergebietes durchgeführt. Es ergaben sich folgende Gruppen: 1. westpreußisch (aus der Gegend von Danzig) — niederdeutsche Mundarten der Mennoniten und Danziger Preußen (im Kreise Mariupol); 2. oberhessisch (wie an der Wolga) — bei den sog, Belemesern (Kreis Konotop) und in ihren Tochterkolonien (Kreis Mariupol und Krim); 3. südwestpfälzisch (aus der Gegend von Zweibrücken) — in den sog. ungarischen Kolonien bei Odessa, die von Auswanderern aus deutschen Kolonien im früheren Südungarn (Baczka) gegründet wurden; 4. südostpfälzisch (aus der Gegend von Landau) — in den katholischen Kolonien des Beresaner Gebietes (Kreis Nikolajew); 5. nordelsässisch (aus dem nördlichen Grenzstreifen von Elsaß zwischen Selz, Weißenburg, J)

G. D i n g e s ,

Unsere

Mundarten

(im Sammelband:

zur Heimatkunde des deutschen Wolgagebiets. Ders.,

Zur Erforschung der Wolgadeutschen Mundarten

nista I, 4, 1925).

Beiträge

Pokrowsk 1923.



(Teutho-

D E U T S C H E V O L K S K U N D E IN D E R S O W J E T - U N I O N

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Lauterburg) — in den katholischen Kolonien des Kreises Odessa; 6. nordbadisch (aus dem früheren Herzogtum Baden-Durlach) — herrschende Mundart des Molotschnagebietes (Kreis Melitopol); 7. schwäbisch (aus dem Neckartale zwischen Marbach und Reutlingen und den angrenzenden Tälern der Rhems und Murr) — bei den früheren Separatisten in Transkaukasien, am Azowschen Meere (bei Berdjansk) und in Hoffnungstal (Kreis Odessa), sowie in den württembergischen Kolonien Lustdorf und GroßLiebental (bei Odessa); 8. nordbayrisch — in der katholischen Kolonie Jamburg (bei Jekaterinoslaw). Wir finden also im Süden alle wichtigsten Typen deutscher Mundarten: niederdeutsch (1), mitteldeutsch (2—4), oberdeutsch (5—8). Daneben sind verschiedene Mischmundarten zu verzeichnen, die sich mit keinem bestimmten Teile der deutschen Sprachkarte decken. Eine ähnliche Beschreibung der Mutterkolonien des Newagebietes 1 ) zeigte das Vorhandensein zweier Typen: eines mitteldeutschen (ostpfälzisch — aus der Gegend von Worms-Heidelberg) und eines oberdeutschen (Baden-Durlach), doch mit Spuren von Mischung und von starker Beeinflussung durch die Schriftsprache. Die Resultate dieser Forschungen stimmen genau mit den geschichtlichen Zeugnissen überein: mit wenigen Ausnahmen stammen die Kolonisten aus dem Südwesten von Deutschland, einem Gebiete, das auch sonst bei der Auswanderung an erster Stelle gestanden hat. An eine Beschreibung der Siedlungsmundarten schließen sich noch andere Fragen von prinzipieller, methodischer Wichtigkeit. In den letzten Jahren hat bekanntlich die deutsche Dialektgeographie, im Anschluß an die Arbeiten am Sprachatlas des Deutschen Reichs (Marburg), unsere Anschauungen über die Sprachentwicklung von Grund aus umgestaltet. Die alte Sprachwissenschaft stellte sich die Geschichte einer Mundart vor als eine spontane, ununterbrochene, gesetzmäßige Entwicklung aus einer Ursprache heraus, die wie der Stamm eines Baumes in mehrere Äste sich teilt. Die Marburger Dialektgeographen (F. W r e d e , Th. F r i n g s u. a.) zeigten dagegen an der Hand der deutschen Sprachkarte, daß zwischen benachbarten Mundarten eine ununterbrochene Wechselwirkung besteht, wellenartige Vor!) A. S t r ö m

und V. S c h i r m u n s k i ,

der Newa (Teuthonista III,

1926—27).

Deutsche Mundarten an

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stoße aus größeren Kulturzentren und kulturell höher gelegenen Sprachschichten, so daß Mischung und Ausgleich (nach F. Wrede) als die bedeutendsten Wirkungskräfte im sprachlichen Leben erscheinen. Für ältere Zeiten beruht diese Annahme wegen Mangel an direkten geschichtlichen Zeugnissen nur zu oft auf hypothetischen Rückschlüssen; selbst über die Bildung der Siedlungsmundarten im ostelbischen Kolonialgebiete können wir nichts Bestimmtes aussagen, obgleich es ohne weiteres deutlich ist, daß hier Sprachmischungen vorgelegen haben, da die deutschen Ansiedler auf ursprünglich slawischem Boden aus verschiedenen Gegenden zusammenkamen. Bei neueren Siedlungsmundarten dagegen ist die Möglichkeit gegeben, ähnliche Sprachmischungen in ungemein günstigen Verhältnissen zu verfolgen, man könnte beinahe sagen: in einem großartigen sprachgeschichtlichen Laboratorium, wo ein linguistisches Experiment von weittragender methodischer Bedeutung zu unserer Belehrung aufgeführt wird. Gegeben sind als Ausgangspunkt der Entwicklung die Elemente der Mischung: eine Anzahl deutscher Mundarten, wie wir sie etwa aus dem Sprachatlas und aus sonstigen Beschreibungen in Deutschland kennen. Gegeben sind weiter bestimmte Zahlenverhältnisse zwischen diesen Elementen: etwa die Zahl der Kolonistenfamilien, die eine jede Mundart vertreten. Als Resultat haben wir eine moderne Siedlungsmundart kennen gelernt, die in isolierter Lage, mitten unter fremdsprachlicher Bevölkerung, sich als Mischung aus den bereits erwähnten Elementen entwickelt hat. Ein Vergleich zwischen Ausgangspunkt und Resultat gibt uns möglicherweise wichtige Aufschlüsse über die Prinzipien der Sprachbildung durch Mischung und Ausgleich und zugleich die Möglichkeit, durch methodische Rückschlüsse die prinzipiellen Ergebnisse unseres sprachgeschichtlichen „Experimentes" auch für ähnliche Erscheinungen auf älteren Sprachstufen zu benutzen. Mischmundarten sind leicht daran zu erkennen, daß sie sich mit keinem Gebiete der deutschen Sprachkarte restlos decken; so weist z. B. in Alexanderhilf und Neuburg (bei Odessa), wo die Ansiedler teils aus Württemberg, teils aus pfälzischen Kolonien in Südungarn stammen, ein Teil der Merkmale in das schwäbische Sprachgebiet, ein anderer Teil in den Südwesten der Bayrischen Pfalz. Nicht selten sind die Gegensätze in solchen Mundarten bis in unsere Zeit hinein noch nicht ausgeglichen: wir finden z. B. in demselben Dorfe bei einigen Sprechern die schwä-

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bischen Formen kurz, wurscht, durscht, bei anderen dagegen die pfälzischen Formen korz, warseht, dorscht (Neuburg), und selbst derselbe Sprecher schwankt gelegentlich zwischen md. kop, tsop, roppe (rupfen) und obd. köpf, tsopf, ropfe (Alexanderhilf). Die lautgesetzlichen Reihen werden durch diesen Kampf aufgelöst: neben md. pann (Pfanne), poschte (Pfosten), pont (Pfund) erscheinen obd. pfeffer, pfeif, pflüg (Alexanderhilf). Wenn der eine Typus, etwa obd. pf-, bereits den Sieg über seinen Konkurrenten erfochten hat, so bleiben isolierte Restwörter als Relikte untergegangener Sprechweisen bestehen, so das Wort top (Topf) in der obd. Mundart von Neu-Saratowka (Kreis Leningrad), oder pettrich (Pate) für obd. pfetter in der obd. Mundart von Waterloo (Kreis Nikolajew). Aus der Kreuzung gegensätzlicher Formen entstehen Kompromißbildungen, die in der alten Heimat keine Entsprechungen aufzuweisen haben — aus schwäbischem birscht (Bürste), kirich (Kirche) und fränkischem bärscht, kärich entstehen z. B. die Kompromißformen berscht, kerich (Alexanderhilf), aus schwäbischem nobel, schnäbel und fränkischem nawwel, schnawwel die neuen Bildungen näwel, schnäwel (mit schw. ä und frk. w, so in Johannestal, Kreis Nikolajew). Als allgemeine Regel bei allen diesen Mischungen muß festgestellt werden, daß mundartliche Merkmale, die stark von der schriftsprachlichen Norm abweichen (ich bezeichne sie als „primäre Merkmale"), in dem Kampfe gegen konkurrierende Formen untergehen, selbst dann, wenn die entsprechende Mundart die Mehrheit der Sprecher für sich hat. So schwinden z. B. in allen schwäbisch-fränkischen Mischmundarten in der Südukraine und in der Krim, wo die Württemberger fast immer die Mehrheit bildeten, alle primären Merkmale des Schwäbischen, wie graos für groß, haoeh für hoch, schnae für Schnee, baes für böse, fuir für Feuer, i gang für ich geh u. dgl. m. Diese starken und ungewöhnlichen Abweichungen mußten für die gemischte Bevölkerung ein Verkehrshindernis ersten Ranges bilden. Die sekundären Merkmale bleiben dagegen erhalten, so z. B. die Senkung von i, u vor Nasalen: reng (Ring), jong (jung) u. dgl. m. Ein wichtiges Kriterium für Sprachmischung ergibt sich mit Ausbildung der wortgeographischen Methode auf dem Gebiete der geographischen Synonymik. Das Wörterbuch einer Mundart verzeichnet deutliche Relikterscheinungen, die auf die Heimat einer sonst verdrängten sprachlichen Minderheit zurückweisen,

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und zwar gelegentlich auch in solchen Fällen, wo die grammatischen Merkmale für die Heimatbestimmung versagen. So fand z. B. neulich mein Schüler Dr. L. S i n d e r i n der sonst obd. Mundart der Kolonie Mühlhausendorf (sog. Schwedengebiet am Unteren Dniepr), die mir schon früher wegen ihres anlautenden /- für fifverdächtig war, charakteristische nordd. Einschläge im Wortschatz, wie z. B. erfiel (Enterich), gender (Gänserich), hol (Zuchtstier), bollich (brünstig von einer Kuh), hacke (Ferse) u. dgl. Also das /- geht auch hier auf eine Mischung von nd. fi- und obd. fif- zurück, wie es F. W r e d e bereits vor Jahren für die ostmd. Mundart in Deutschland annehmen wollte. Auch für die Bildung einer mundartlichen Gemeinsprache finden wir auf dem Gebiete der deutschen Siedlungsmundarten prinzipiell wichtige Beispiele. In zusammenhängenden Gebieten deutscher Siedlung, wie das Beresaner Gebiet (Kreis Nikolajew), das Kutschurganer Gebiet (Kreis Odessa), das Molotschnagebiet (Kreis Melitopol) u. a. werden die abweichenden Ortssprachen allmählich durch die im Gebiete herrschende Gemeinsprache verdrängt; die örtlichen Abweichungen können aber bis in unsere Zeit an einigen Relikterscheinungen verfolgt werden. Der Verkehr zwischen Nachbardörfern spielt dabei eine große Rolle, noch mehr aber das Heiraten aus einem Dorfe in das andere. D a konfessionelle Mischehen zwischen Katholiken und Lutheranern nur selten vorkommen, bilden sich konfessionelle Gemeinsprachen: neben der katholischen Gemeinsprache des Beresaner Gebietes bestehen in den vier isolierten lutherischen Kolonien dieser Gegend ihre charakteristisch abweichenden Ortssprachen; in der Krim weicht die katholische Kolonie Rosental sehr stark von der herrschenden fränkisch-schwäbischen Mischsprache der lutherischen Kolonien ab. Besonders lehrreich ist aber für die Entwicklung der Mischmundarten die Sprache jüngerer gemischter Tochterkolonien: in ihrer Unausgeglichenheit ist sie im eigentlichen Sinne des Wortes noch im Werden begriffen. Auf diesem Gebiete wurde noch wenig gearbeitet, doch kann man leicht voraussehen, daß man hier die wichtigsten Aufschlüsse über die von uns aufgeworfenen Fragen erhalten wird 1 ). ') Vgl. zu diesen Fragen: V. S c h i r m u n s k i ,

Sprachgeschichte

und Siedlungsmundarten ( G R M 1930, H e f t 3/4 und 5/6).

D E U T S C H E V O L K S K U N D E IN D E R

SOWJET-UNION

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3Deutsche Volkslieder werden in den Kolonien noch überall gesungen. Man singt bei der Arbeit in Haus und Feld. Die Burschen singen abends „auf der Gasse": die Kameradschaften der „ledigen Buben", die sich nach Altersstufen teilen, sind die eigentlichen Pfleger des Gesanges im Dorfe wie auch anderer gesellschaftlicher Bräuche. Die Jugend beiderlei Geschlechts singt bei geselligen Zusammenkünften in den langen Winternächten: von solchen Zusammenkünften, die auf alte Spinnstubenbräuche zurückgehen, erzählte man mir noch in Kolonie Jamburg (bei Jekaterinoslaw) und in den abgelegenen Dörfern der Glückstaler Gruppe (Moldauer Republik). Ältere Leute singen gern bei Hochzeiten oder sonst bei einem Gläschen Schnaps: dabei kommen gewöhnlich Schwänke und scherzhafte Lieder zur Geltung. Vierzeiler, die zum Tanze gesungen werden, sind an der Wolga noch vielfach im Gebrauch; zu den uralten Typen, die wir aus Deutschland kennen, sind neue hinzugekommen, die man an Anspielungen auf die Verhältnisse der neuen Heimat erkennen kann: A l l e schöne

Mäderchen

Tanzen mit

Kosacken.

W e n n sie f e r t i g m i t t a n z e n sind, H a b e n sie rote B a c k e n .

Im Süden haben sich diese Stickle bereits vom Tanze losgelöst, die Texte sind aber noch allgemein bekannt. Vgl. aus Kolonie Friedental (Krim): Sechsunddreißig

Bauermädle

G e b t e'n g a n z e n W a g e n voll. Soll sie all der T e u f e l holen, W e n n ich keine kriegen soll.

Oder aus Kolonie Rosental (Krim): R u n d e K ü g l e i n m u ß m a n gießen, W e n n m a n V ö g l e i n schießen will. S c h w i e g e r m u t t e r m u ß m a n grüßen, W e n n m a n T o c h t e r h a b e n will.

Die erste Sammlung deutscher Volkslieder aus den Kolonien erschien an der Wolga im Jahre 1914: Volkslieder und Kinderreime aus den Wolgakolonien, gesammelt von J. E r b e s und Deutsche Volkskunde Im auQerdeutachen Osten.

5

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P. S i n n e r , Saratow 1914. Sie enthält sehr wertvolle Texte, aber leider ohne Melodien. In den Kriegsjahren machte der Berliner Musikhistoriker G e o r g S c h ü n e m a n n grammophonische Aufzeichnungen unter kriegsgefangenen Kolonisten; seine reichhaltige Sammlung, die alle Gebiete deutscher Siedelung in der Sowjet-Union umfaßt, erschien mit einer lehrreichen Vorrede des Verfassers über das Lied im Leben der Kolonisten (G. S c h ü n e m a n n , Das Lied der deutschen Kolonisten in Rußland, München 1924). Leider hat Schünemann den Texten seiner Sammlung keine genügende Aufmerksamkeit geschenkt. In den letzten Jahren wird an der Wolga, in den Leningrader Kolonien und im Schwarzmeergebiete eifrig gesammelt. An der Wolga bestehen mehrere große Privatsammlungen (von P. S i n n e r , P. W e i g e l , A. B a u m t r o g u. a.); auch das Zentralmuseum in Pokrowsk ist im Besitze von handschriftlichen Aufzeichnungen. Die unter meiner Leitung in der Ukraine, Krim und Transkaukasien, sowie im Newagebiete gesammelten Volkslieder sind jetzt im Zentralarchiv des Deutschen Volksliedes am Staatlichen Kunsthistorischen Institut in Leningrad vereinigt; die Sammlung zählt bereits über 3000 Texte und ca. 1000 Melodien1). Wir unterscheiden im Volksgesang der Kolonisten drei Schichten. Die älteste Schicht besteht aus Liedern des 15. bis 17. Jahrhunderts, die von den Kolonisten aus ihrer alten Heimat mitgebracht wurden. Wir finden darunter alte Balladen wie Die Königskinder, Die jüngste Nonne, Die Liebesprobe, Der eifersüchtige Knabe u. a. Auch seltenere Lieder sind auf unserem Forschungsgebiete mehrmals aufgezeichnet worden: Die Pfaffenkellerin (Es ging ein Mädchen auf hohen Berg), Die Losgekaufte, Die Rabenmutter (Es treibt ein Hirt seine Schaf in Wald), Die verkaufte Müllerin, Ritter Ulrich oder Der Uliinger (Schöner Ulimann wollte spazieren gehn) und Die Wassermannsbraut (Es freit ein wilder Wassermann). Unter den alten Schwänken und scherzhaften Liedern sind besonders beliebt: Es war einmal ein kleiner Mann, Madam, Madam, nach Hause sollst du kommen, Der Tod von Basel, Ich ging bei dunkler Nacht, Das faule Gretchen u. a. Nicht selten bleiben Lieder dieser Art auch in solchen Gegenden bestehen, wo die ernsteren Balladen bereits geschwunden sind. Vgl. den Bericht im Jahrbuch für Volksliedforschung Bd. II, 1930.

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Überhaupt sind die Sprachinseln für den Sammler alter Lieder ein besonders dankbares Gebiet; bekanntlich haben sich hier durch sprachliche und kulturelle Isolierung vielfach Lieder in altertümlichen und seltenen Fassungen erhalten, die in Deutschland bereits seit mehreren Jahrzehnten unter dem Andrang neuer Kulturerlebnisse verklungen sind. So konnte ich z. B. im Jahrbuch für Volksliedforschung (Bd. I. 1928) aus den katholischen Wolgakolonien eine neue Fassung des Königs aus Mailand veröffentlichen, einer Ballade, die man bis jetzt auf deutschem Sprachgebiete nur in zwei stark abweichenden Fassungen kannte; inzwischen hat P. Sinn er noch mehrere Varianten dieses Liedes aus lutherischen Kolonien zusammengebracht. Als Beispiel dieser „verklingenden Weisen" soll hier eine Ballade angeführt werden, die in Deutschland nur in ganz wenigen Aufzeichnungen bekannt ist (vgl. E.-B. 1, Nr. 120 c—e). Aus Kolonie Rastatt (Kreis Nikolajew): 's P a n t ö f f e l e . 1. Als das schwarzbraune Maidelein 's Pantöffelein verlor, Sie konnte es ja nicht mehr finden — ja finden. Sie suchte es wohl hin, sie suchte es wohl her, Sie fand es wohl hinter der Linde — ja Linde. 2. E s Zu Es —

trug ein schwarzbrauns Maidelein den roten kühlen Wein Straßburg wohl auf der Schanze — j a Schanze. begegnet ihr ein Knab, ein wunderschöner K n a b : „Feins Liebelein, laß mich trinken — ja trinken."

3. —

„Lasse ab, lasse ab, du wunderschöner K n a b !

'S feins Mütterlein das t a t mich schelten — j a schelten!" — „ H i e r ist es j a der Wirt, der allerbeste Freund, Er wird ja uns noch einmal borgen — bis morgen." 4. —

„ U n d wenn er geborget —

borget hat,

So müssen wir's ja einstmals zahlen — j a zahlen. Mit weißestem Silber, mit rotem, rotem Gold, Mit lauter granadischen Talern — j a Talern".

Um die eigentümlich gezogene und ornamentierte volkstümliche Vortragsart der kolonistischen Lieder zu zeigen, lasse ich hier eine Grammophon-AufZeichnung aus derselben Kolonie, mit etwas abweichender Textgestaltung, folgen (Aufnahme mit RetorApparat, 1926, notiert von E. Hippius und Z. Ewald): 5*

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Als Beispiel einer altertümlichen Fassung eines Liedes, das sonst allgemein in einer jüngeren Form bekannt ist, möchte ich noch den Anfang der Liebesprobe anführen (Zusendung aus

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Kolonie Nikolaifeld Nr. 5, Kreis Cherson), die in dieser Gestalt nur in der ältesten bei U h l a n d (Nr. 116) abgedruckten Fassung belegt ist: Liebestreue. 1. E s steht eine Linde in jenem Tal, Ist oben breit und unten schmal. Darauf da sitzt die Nachtigall Und andre Vögelein vor die Wahl 1 ). 2. — ,,Sing an, sing an, Frau Nachtigall, Du kleines Vöglein vor dem Wald! Sing an, sing an, du schön's mein Lieb. Wir beide müssen scheiden hier!" 3. E r nahm sein Rößlein bei dem Zaum, E r führt's wohl unter den Lindenbaum. Sie half ihm in den Sattel so tief: „Wann kommst du hier wieder, o schönes mein L i e b ? " 4. — „Wann kommst — es geht gegen den Sommer, Will ich hier wiederkommen, Wenn alle Blümlein tragen Laub, So schau auf mich, du schöne Jungfrau!" 5. — „Wen setzt du mich zu einem Bürgen?" — „Den H. Ritter St. Jürgen." „ S o trau ich meinem Bürgen wohl, Daß ich bald wiederkommen soll."

Ein wichtiges prinzipielles Problem, das die wissenschaftliche Betrachtung der alten Volkslieder bietet, bezieht sich auf die geographische Verteilung der Varianten in Streusiedlungen und Mutterland. Die Aufzeichnungen in den Kolonien zeigen für jedes Lied eine große Anzahl verschiedenster Fassungen, was auch vollkommen der Buntheit des sprachlichen Bildes entspricht. So erscheint z. B. Der eifersüchtige Knabe in den beiden Fassungen: Es standen drei (zwei) Sterne am blauen Himmel, Die gaben der Welt ihren Schein und Was kann mich denn Schön'res erfreuen Als wenn der Sommer anfängt, mit einem ganz bestimmten geographischen Verbreitungsgebiet für jede Fassung: in den 1

) Entstellt aus vor dem

Wald.



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Leningrader Kolonien ist z. B. der erste Anfang vollkommen unbekannt. Der Graf und die Nonne haben charakteristische Verschiedenheiten in den Anfangszeilen, deren Geltungsbereich ebenfalls streng geschieden ist: Ich stand auf hohen Bergen Und schaut ins tiefe Tal (Meer); Ich stand auf hohen Felsen, Schaut hinab ins tiefe Tal) Steiget auf hohe Berge, Schauet runter ins tiefe Tal; daran knüpfen sich auch weitere Verschiedenheiten in der Exposition (Dialog der Liebenden). Ähnliche Verschiedenheiten in den ersten Zeilen hat auch Der treue Knabe: Es war einmal ein feiner Knab, Es war ein Knab von achtzehn Jahr, Es war einmal ein Rothusar u. dgl. Charakteristische Unterschiede im Kehrreim zeigt in den Kolonien, wie auch in Deutschland, der beliebte Schwank Ich ging bei dunkler Nacht. Doch besonders ergiebig sind solche Scheidungen in der altertümlichen Kleindichtung der Brauchtumslieder, wie es bereits J o s e f M ü l l e r für das Marienkäferlied überzeugend erwiesen hat 1 ). So erscheint z. B. in unseren Kolonien der bekannte Kirchweihspruch in scharf umrissenen Abwandlungen, die sich hauptsächlich auf die zweite Strophe beziehen. Vgl. aus Kolonie Frankfurt bei Jamburg (Kreis Leningrad): 1. Heut is Kirwe, morje is Kirwe, Bis am Sonntag abend. Wenn ich zu mei'm Schätzchen komm. Sag ich schön guten Abend! 2. Guten Abend, Lisabeth! Zeig mir, wo dein Bettchen steht! — Hinterm Ofen, in der Eck, Wo der Knecht sein' Fuß ausstreckt!

Daneben kommt noch in Betracht für die letzten Zeilen: Hinterm Ofen, an der Wand, wo der Knecht sein' Hose langt (Kolonie Baden, Kreis Odessa); Hinterm Ofen, hinterm Herd, Wo ich mit dir kosen werd' (Kolonie Hoffnungstal, Kreis Odessa); Hinterm Ofen, vor ein' Eck, Isch ein alter Jud verreckt (Kolonie Herzenberg, Krim). Aber auch mit gänzlicher Umgestaltung der zweiten Strophe (vielfach: im Kreis Leningrad, wo der Spruch nicht zur Vgl. Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden von H. A u b i n , T h . F r i n g s , Josef M ü l l e r , S. 223ff.

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Kirchweih, sondern am Palmsonntag von den Kindern hergesagt wird): 2. Schön gut'n Abend sag ich gern. Kleine Mädchen küß ich gern, /: Große noch viel lieber. :/

Es wäre eine reizvolle Aufgabe, mit Hilfe der reichen Sammlungen des Zentralarchivs des deutschen Volksliedes in Freiburg die vorhandenen Fassungenen nach geographischen Gesichtspunkten zu ordnen und ihre Verbreitung in Deutschland zu verfolgen, zugleich aber auch die mehr oder weniger isolierten und einheitlichen Sprachinseln heranzuziehen, um durch ihre Zeugnisse den älteren Volksliederbestand einzelner Kulturlandschaften zu belegen. Über diese älteste Schicht von Volksliedern hat sich bereits seit längerer Zeit, wie auch in Deutschland, eine zweite jüngere Schicht gelagert: Lieder aus gedruckten Liederbüchern des 18. und 19. Jahrhunderts, die volkläufig geworden sind und in mündlicher Überlieferung weiterleben. Man findet hier an erster Stelle dieselben Erzeugnisse des Durchschnittsgeschmacks, die auch in Deutschland die weiteste Verbreitung gefunden haben, und zwar ist der Bauer in Geschmacksfragen auch hier, um ein bekanntes Wort von J o h n Meier zu gebrauchen, um 100 Jahre hinter der Zeit zurück. Als besonders schöne Lieder werden von den Kolonisten gepriesen empfindsame Balladen und rührende Liebeslieder, Räubermären oder Schauerballaden aus der Gefolgschaft von Bürgers Leonore, etwa die berühmte Ballade von Katzner (1779) Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten, oder der Rinaldini von Vulpius (1800) In des Waldes finstren Gründen, oder die anonyme Ballade In des Gartens dunkler Laube Saßen einmal Hand in Hand, oder ganz besonders Der gute Reiche von Lossius (1781), Die schöne Gärtnerin von Dreves (1836) oder Wie die Blümlein draußen zittern von Sternau u. a. Auch einzelne Erzeugnisse aus der höheren literarischen Schicht sind, vor allem wohl durch die Schule, im Volke verbreitet worden, wie Goethes Röslein auf der Heide (1771), oder das Ringlein von Eichendorff (In einem kühlen Grunde, 1811), oder Der Wirtin Töchterlein von Uhland (1809), oder Die Lorelei von H. Heine (1823). Wichtig ist es, daß für das Bewußtsein der Sänger zwischen diesen sogenannten „volkstümlichen" Liedern und den

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alten Volksliedern kein Unterschied vorliegt. Die Verfassernamen sind auch hier vergessen. Oft, wenn man den Sänger nach einem recht alten Volkslied fragt, bekommt man Die schöne Gärtnerin oder Der Wirtin Töchterlein zu hören. Das Verhältnis dieser beiden Schichten ist in den einzelnen Siedlungsgebieten sehr verschieden. An der Wolga sind die alten Balladen noch allgemein bekannt. In der Ukraine sind sie bereits vielfach unter dem Einfluß höherer Schulbildung dem Andrang neuer „volkstümlicher" Lieder gewichen; der Schullehrer und der Küster haben gewöhnlich ein altmodisches Harmonium und gedruckte Liederbücher aus Deutschland und leiten einen volkstümlichen Chor; auch bei den Großbauern war mit der Bildung das neue Lied vielfach eingedrungen, und von ihnen drang es allmählich auch in die ärmeren und weniger gebildeten Schichten der Bauernschaft durch. In den Leningrader Kolonien singt die Jugend fast ausschließlich russische Vorstadtslieder; das alte deutsche Volkslied findet man hier nur in einzelnen sangeslustigen Familien, besonders bei alten Frauen; es hat sich aber in einer sehr altertümlichen Form erhalten, weil die Zufuhr neuer Lieder aus Deutschland schon seit Jahren gestockt hat. So sind hier Die Königskinder, Die Liebesprobe, Der Graf und die Nonne allgemein bekannt, daneben auch seltenere Balladen, wie Das Schloß in Österreich, Der Ritter und die Magd (Es spielt ein Graf mit seiner Magd), Die Graserin (Es wollt ein Mädchen grasen) u. a., alles in vollständigen, gut erhaltenen Fassungen. Natürlich sind die Verhältnisse von Dorf zu Dorf ziemlich verschieden. In der Ukraine z. B. hat ein reiches und kulturell entwickeltes Dorf aus dem Molotschnagebiete (Kreis Melitopol) einen modernisierten Liederschatz aufzuweisen, dagegen findet man in ärmeren und abgelegenen Dörfern, wie Jamburg (Kreis Jekaterinoslaw), Lieder von großer Altertümlichkeit. Auch in demselben Dorfe bestehen Unterschiede zwischen reich und arm: altertümliche Lieder findet man unter Kleinbauern oder bei Knechten und Mägden, die Reichen sind Träger eines neuen Geschmacks. Es muß noch hervorgehoben werden, daß die jüngeren Tochterkolonien in ihrem Liederschatze gewöhnlich viel archaischer sind als die alten Mutterkolonien. Es besteht hier ein ähnliches Verhältnis wie zwischen dem deutschen Mutterlande und den russischen Siedlungen im allgemeinen: die Ärmeren ziehen aus der Mutterkolonie in neue Ansiedlungen über, die Tochterkolonien

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werden in entlegenen und wenig bewohnten Gegenden angelegt, wo noch freies Land ist. So kann man leicht voraussagen, daß die ältesten Lieder des altdeutschen Liederschatzes in Sibirien und Turkestan aufgesucht werden müssen, wo seit 1890 die landlosen Bauern von der Wolga, aus dem Schwarzmeergebiete, aus Wolhynien ihre neue Heimat gefunden haben. Die jüngste Überlieferungsschicht bilden die in Rußland entstandenen Kolonistenlieder1). Sie behandeln Ereignisse von lokaler oder allgemeiner historischer Bedeutung, die sich im Liede dem Gedächtnis des Volkes eingeprägt haben. Man singt im Stil der sogenannten Moritaten über tragische Mordgeschichten, wie die Ermordung von Pastor Baumann in Prischib (Molotschnagebiet, 1904: Hört, Menschen, eine Schreckenskunde, die jüngst in Prischib ist geschehn) oder den Selbstmord zweier Liebenden in der Kolonie Graschdanka (bei Leningrad), die wie Romeo und Julia auf dem Dorfe durch die Feindschaft ihrer Eltern getrennt waren: Dort unten im Graschdanka-Wald, D a wo des Kuckucks Ruf erschallt, Ging einst ein K n a b und Mägdelein Ganz traurig in den Wald hinein. E r drückt' sie an sein Jünglingsherz Und sah sie an mit bittrem Schmerz: „Entschließe dich mit mir zum T o d : Hier sind Pistolen, Blei und Schrot . . ."

Auch komische Ereignisse aus dem Dorfleben werden im Liede festgehalten; bekannte Persönlichkeiten im Dorfe, die durch ihr lächerliches Betragen auffallen, werden in satirischen Liedern verspottet; Ortsneckereien werden gelegentlich in Verse gebracht und in einer Art satirischer Übersicht zusammengestellt. Lieder dieser Art greifen aber nur selten über einen engen geographischen Kreis, da sie nur ein lokales Interesse beanspruchen können. Dagegen haben sich andere Lieder, die geschichtliche Ereignisse von allgemeiner Bedeutung behandeln, über das ganze Gebiet der deutschen Kolonisation in Rußland verbreitet. Auch die Kriege, an denen die Kolonisten für Rußland teilgenommen haben, haben Lieder hervorgerufen. Die ältesten stammen noch aus dem Sebastopoler Kriege (1854—56) und aus J) Vgl. V . S c h i r m u n s k i , Das kolonistische Lied in Rußland, Zs. d. Vereins f. Volkskunde, 1928, H e f t 3 — 4 .

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dem letzten Kriege gegen die Türkei (1877—78). Ein Lied aus dem japanischen Kriege ist besonders populär geworden (1904); es wurde noch im Weltkriege gesungen und auf die neuen Verhältnisse angepaßt: 1. Wie sieht's aus im fernen Osten, W o der Krieg so wüten t u t ! Manches Leben wird es kosten U n d so manches junge Blut 2. Wird so schnell dahingerissen In der mörderischen Schlacht, Und kein Mensch kann es hier wissen, W e m dort G o t t ein Ende macht . . . usw.

Schließlich sind bereits ziemlich viele Lieder aus der Zeit des Weltkrieges und der Revolution aufgezeichnet worden. Auch diese neuesten Lieder finden sich nicht selten in den verschiedensten Teilen des deutschen Siedlungsgebietes und erscheinen in vielen abweichenden Fassungen, haben also den für das Volkslied charakteristischen Weg durch die mündliche Überlieferung zurückgelegt. Für das Studium des Volksliedes hat die Entwicklung dieser jüngsten Schicht eine allgemeine methodische Bedeutung. Wir haben hier ein Beispiel, wie Volkslieder auch in neuester Zeit entstehen können: Lieder von individuellen Verfassern, schriftkundigen Leuten, wie etwa einem Schulmeister oder Dorfschreiber, können in kurzer Zeit volkläufig werden, über große Strecken wandern, durch sogenanntes Zersingen umgestaltet werden und in verschiedenen Fassungen und Varianten als anonymes Volksgut den alten Liederschatz der Bauernschaft bereichern.

4Auf dem Gebiete der Volkskunde im engeren Sinne fehlen noch die nötigen Vorarbeiten. Für die Wolga-Republik findet man ein reichhaltiges Material im Zentralmuseum für Landeskunde in Pokrowsk, für Transkaukasien in dem vor kurzem von Lehrer J a k . H u m m e l gegründeten Heimatkundlichen Museum in Helenendorf 1 ). Im allgemeinen kann man mit einem gewissen Rechte behaupten, daß die aus Deutschland mitgebrachten Überlieferungen sich auf dem Gebiete der geistigen Volkskunde viel 1) Vgl. J . H u m m e l , Das Heimatkundliche Museum zu Helenendorf.

Moskau 1929 (Zentralverlag).

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besser erhalten haben als auf dem sachlichen Gebiete. So sind z. B. die alten deutschen Volkstrachten der russischen städtischen kleinbürgerlichen Kleidung gewichen — bis auf wenige Reste in abgelegenen Gegenden, wo noch gelegentlich breite Faltenröcke, rote Leibchen oder alte Hauben auftauchen. In Dorfanlage, Haus und Hof unterscheiden sich die Kolonisten sehr stark von ihren russischen oder ukrainischen Nachbarn; doch geht die charakteristische Einförmigkeit des Kolonistendorfes auf vorschriftsmäßige Regelung durch die Kolonien Verwaltung zurück. Das Kolonistendorf ist immer ein Straßendorf: einem jeden Bauern wurde längs der Dorfstraße seine Hofstelle angewiesen, wobei Hofanlage und Hausform durch Bauordnungen der Behörden genau geregelt waren. Andererseits hat man bei dieser Regelung auch die Wünsche und Gewohnheiten der deutschen Ansiedler in Betracht ziehen müssen, da ihnen durch das alte Kolonistengesetz gerade in solchen Fragen weitgehende Selbstbestimmungsrechte gesichert waren. So sind denn dadurch eigenartige Kompromißformen entstanden, die zum Teil auf Gepflogenheiten der alten Heimat zurückgehen, zum Teil auf Anpassung an neue Verhältnisse. An der Wolga findet man z. B. noch die alte Form des sogenannten fränkischen Hofes: der Hof ist burgartig abgeschlossen; das Wohnhaus liegt an der Vorderfront, mit der Langseite an der Dorfstraße; der Hauseingang ist vom Hofe aus an der anderen Langseite; auf der anderen Seite der Vorderfront steht die Sommerküche, wo im Sommer gekocht, gegessen und auch geschlafen wird; hinten ist der Hof durch Stall und Scheune abgeschlossen, rechts und links stehen offene Schuppen; der Eingang in den Hof führt vorn durch ein hohes Torgestell mit zwei breiten Torflügeln und einer kleinen Seitenpforte für Fußgänger daneben. In der Südukraine herrscht dagegen die Form des zweiseitigen Hofes: auf der einen Langseite steht das Wohnhaus mit dem Giebel nach der Straße, daneben unter demselben Dache liegen Stall und Scheune; auf der anderen Langseite des Hofes, gegenüber dem Hause, befinden sich kleinere Wirtschaftsgebäude: Sommerküche, Hühnerstall u. dgl. Die innere Einteilung des Hauses ist überall ziemlich dieselbe: das Haus ist dreiteilig, in der Mitte die Küche mit einer Vorstube (in der Ukraine Vordertsub, Vorderkich, Hausern oder auch Hausder genannt), rechts und links je eine oder zwei Wohnstuben; in ärmeren, aber

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auch in älteren Häusern findet man gelegentlich eine Wohnstube nur auf einer Seite der Küche (halbes Haus); unter dem Dache befindet sich der Speicher (in der Ukraine auch Bühne oder Owwenuf genannt), zu dem man aus der Vorderstube durch eine Treppe gelangen kann. Zweistöckig sind dagegen die Häuser in Transkaukasien, haben auch gelegentlich außer dem Obergeschoß noch einen Kellerraum; vorn oder auch an den Seiten des Hauses ist eine Galerie; das Dach ist gelegentlich abgewalmt; die ganze Anlage erinnert vielfach an oberdeutsche Hausformen, wie sie etwa in Oberbayern, in der Schweiz oder im Schwarzwald zu Hause sind. Auch der Einfluß der Nachbarbevölkerung macht sich beim Häuserbau geltend. In den Kolonien bei Leningrad herrscht die russische Form des Blockbauhauses mit einem Dachgeschoß und einem charakteristischen, nach russischer Art mit Holzschnitzerei verzierten Dacherker. Die Deutschen in der Krim haben von der tatarischen Landbevölkerung das nach vier Seiten ziemlich flach abfallende Ziegeldach übernommen, das an einer Seitenfront des Hauses auf hölzernen Pfeilern ruht und eine offene Seitengalerie überdeckt. An der Wolga wird nicht selten nach russischer Art vorn ein Vorhaus angebaut, das auch den russischen Namen Kriletz erhalten h a t ; auch in der Ukraine findet man gelegentlich ein solches Vorhaus, entweder in der Art einer geschlossenen Laube oder wenigstens als ein kleines Giebeldach auf zwei steinernen Pfeilern über dem Eingang des Hauses, mit einer Bank auf jeder Seite, wo man an heißen Sommertagen in der Kühle sitzen kann. So haben wir stets mit einer Wechselwirkung alter deutscher und neuer, von den Nachbarn übernommener Kultur formen zu rechnen, dabei aber auch mit einer Regelung der Behörde, die für jedes große Siedlungsgebiet (Wolga, Ukraine, Krim, Transkaukasien, Newakolonien usw.) einen besonderen Normaltypus aufgestellt hat, so daß jetzt z. B. die Schwaben in Transkaukasien in ganz anderen Häusern wohnen als ihre Landsleute in der Ukraine oder bei Leningrad. Die volkstümlichen Feste und öffentlichen Bräuche sind in den Kriegsjahren stark zurückgegangen. Man findet aber verschiedene Angaben aus alter Zeit in heimatkundlichen Schriften J ) 1) Vgl. besonders K . K e l l e r , Die deutschen Kolonien in Südrußland, 2 Bde., Odessa 1905 und 1914, und A. Z e r r , Die Einwanderung der Familie Zerr in Rußland, Odessa 1914.

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und über vieles können noch die Kolonisten selbst berichten. Für die Südukraine habe ich in meinem Buche das Wichtigste an solchen Überlieferungen zusammengestellt. Der Weihnachtsbaum ist in den Kolonien, wie auch in Deutschland, verhältnismäßig neu und erst seit 50—60 Jahren durch Kirche und Schule eingedrungen. Dagegen erscheint überall zu Weihnachten das Christkindel mit dem Pelzenickel (oder Pelzmärtele bei den Schwaben): das erstere wird durch ein Mädchen dargestellt, der zweite ist ein Bursche im umgewendeten Schafpelz, mit einer Maske und Bockshörnern vor dem Gesicht, einer rasselnden Kette über den Schultern, einem langen Sack auf dem Rücken und einem Rutenbündel in der Hand, um die bösen Kinder zu bestrafen. Am Dreikönigstag ziehen in den katholischen Dörfern die Königsbuben noch mit einem Sterne herum und singen ihr bekanntes Liedchen. Die Fassungen des Liedes sind in den Kolonien ziemlich verschieden; hier folgt eine Aufzeichnung aus Kolonie Katharinental (Kreis Nikolajew): 1. E s fuhren drei König' Gottes Sohn Mit einem Stern aus Morgenland Zum Christkindlein durch Jerusalem, Mit einem Stern nach Bethlehem. Alle-alle-alleluja! usw. 2. Wir sind gereist in schneller Eil' In dreizehn T a g ' vierhundert Meil'. Alle-alle-alleluj a! 3. Bergauf, bergab, in Schnee und Eis, Wohl brachte uns die weite Reis'. Alle-alle-alleluj a! 4. Ihr habt uns eine Gabe gegeben, D a s Jahr soll uns mit Freuden erleben. Alle-alle-alleluja! 5. Der Stern und der soll 'ramme gehn. Wir wollen den T a g noch weitergehn. Alle-alle-alleluja! 1 )

Am zweiten Ostertag ist bei den Schwaben das sogenannte Eierlesen verbreitet: ein Bursche, der Leser, hat eine bestimmte Eine andere Fassung aus Kolonie Baden (Kreis Odessa): Die heiligen drei Könige mit ihrem Stern . . . vgl. in meinem Buche S. 135.

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Zahl von Eiern, die auf dem Boden liegen, in einen Korb aufzulesen, während ein anderer, der Läufer, eine Strecke um das Dorf zu laufen hat. A m i . Mai (oder zu Pfingsten) wird ein Maibaum auf dem Dorfplatz oder vor den Fenstern der Liebsten aufgestellt. In der Krim wurde dabei gesungen (Kreis Eupatoria): 1. Ich stelle dir ein Mai Aus lauter Lieb allein. Und wenn der Mai zerbricht, So ist die Liebe nichts. 2. Ich war' schon längst gekommen, Es hat sich nicht geschickt. Weil meine alte Mutter Die Hosen mir geflickt.

Zu Pfingsten war früher das Pfingstreiten üblich (bei den Katholiken im Beresaner Gebiete, aber auch bei den Schwaben in Groß-Liebenthal): ein festliches Umreiten des Dorfes durch die männliche Jugend, woran sich ein Pferderennen um den Pfingststrauß anzuschließen pflegte. Der Brauch ist nach dem Kriege zum Teil wieder aufgekommen. — Nach vollendeter Ernte, gewöhnlich am ersten Sonntag im Oktober, feierte man das Kirchweihfest (Kärwe, Kirb), welches, wie vielfach auch in Deutschland, von alters her mit dem alten Erntefeste zusammengefallen war. Die Kärwe dauerte mehrere Tage. Unter anderem wurde dabei ein Hahn ausgetanzt, ein alter Erntebrauch, den man noch in einigen Gegenden in Südwestdeutschland antreffen kann. Man tanzt um eine Stange, auf der ein Hahn mit einer Flasche Wein und einem schönen Tuche als Preis befestigt i s t ; ein Bursche mit geladener Flinte hat in einem Nachbarhause abzuwarten, bis eine Kerze abgebrannt ist; dann fällt der Schuß, und das Paar, welches an einer bestimmten Stelle vorbeitanzt, hat den Preis gewonnen. A m Schluß des Festes wurde die Kärwe feierlich begraben; dabei hielt ein Bursche eine komische Leichenrede. — Im Spätherbst (zu Martini und an anderen Terminen) wurden die Schweine geschlachtet, Schinken und Würste bereitet (Schlachtfest); dabei gab es ein großes Essen, zu dem die Freundschaft geladen wurde. — Auch neue öffentliche Feste sind in den Kolonien entstanden, so z. B. das Zerstörungsfest in Katharinenfeld (Transkaukasien), das am Jahrestag der Zerstörung dieser Kolonie zur Zeit des Krieges mit Persien (1826) gefeiert wird

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und aus einem Tage öffentlicher Trauer allmählich zu einer Art Kirmesfeier geworden ist. Von den Festen des menschlichen Lebens ist die Hochzeit noch immer besonders reich an volkstümlichen Bräuchen. Man wirbt durch einen Freiersmann, selbst wenn die jungen Leute schon miteinander vertraut waren. Das Verlobungsfest heißt in vielen Gegenden Handstreich; dabei zahlt der Bräutigam ein Handgeld für die Braut oder sie muß auch, wenn sie aus einem anderen Dorfe stammt, der Kameradschaft ihres Dorfes abkaufen, indem er diese mit Wein traktiert. Zur Hochzeit wird in manchen Gegenden durch einen (oder zwei) Hochzeitbitter eingeladen; sie tragen einen mit Bändern geschmückten Stock und treten auf mit einem gereimten Spruch. Der Hochzeitszug wird auf dem Rückweg von der Kirche gesperrt und muß für den Durchgang zahlen. Beim Hochzeitsmahl, wo die Speisekarte gelegentlich auf altmodische Art geregelt ist (die goldene Suppe aus dem Blute geschlachteter Gänse oder Hühner, Honig und Teig), wird der Brautschuh gestohlen und versteigert und muß von dem Brautführer, der das nicht zu verhindern wußte, für hohes Geld abgekauft werden. In der Hochzeitsnacht wird das Kränzlein abgesungen und die Neuvermählte feierlich in die Gemeinschaft der jungen Frauen aufgenommen: die Jungfrauen tanzen einen Reigen um die Neuvermählte, wobei bestimmte Lieder gesungen werden (z. B. Sollt ich denn dich ganz verlassen, Du geliebte Jungfernschaft, oder Wir winden dir den Jungfernkranz u. a.). Kranz und Schleier werden auf eine Platte gelegt und der jungen Frau in die Hände gegeben. Mit verbundenen Augen überreicht sie dieselben einer Gefährtin — als Vorbedeutung für die nächste Hochzeit. Ebenso machen es die Burschen mit dem Sträußchen des Bräutigams. Vieles ließe sich noch weiter sagen über Sitten und Bräuche der Kolonisten, über Aberglauben, Volksdichtung u. dgl. Eine systematische Sammelarbeit auf allen diesen Gebieten ist gerade in unserer Zeit von großer Wichtigkeit; die großen sozialen Erschütterungen der letzten 15 Jahre, die rasche kulturelle Entwicklung des neuen Dorfes, das nicht mehr wie früher in strenger Abgeschlossenheit gegen die Außenwelt bestehen kann, haben einen bedeutenden Teil der alten volkskundlichen Überlieferungen aus dem Leben der Kolonisten verdrängt. Der Sammler muß aber zugleich versuchen, statt eines bloßen Gesamtbildes kolo-

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nistischer Sitten und Bräuche eine jede Einzelheit genau in ihrer geographischen Verbreitung zu verfolgen. Die geographische Volkskunde tritt in Deutschland mit dem großen wissenschaftlichen Unternehmen eines „Atlas der deutschen Volkskunde" auf neue Bahnen; auf das Sammeln und Beschreiben volkskundlicher Überlieferungen folgt jetzt, wie wir hoffen möchten, eine geschichtliche Erklärung des Werdens einzelner Kulturlandschaften, eine Kulturmorphologie (im Sinne von Th. Frings). Da kann ein Vergleich zwischen Mutterland und Siedlungsgebiet über manche prinzipiell wichtige Frage belehren. Auf neuem Siedlungsboden findet man, wie für die Sprache, Relikte alter, in der früheren Heimat der Kolonisten geschwundener Überlieferungen, Mischungen und Kompromißformen innerhalb einer Kolonie oder eines zusammenhängenden Gebietes deutscher Siedlung, Austausch von Kulturgütern mit anderssprachlichen Nachbarn u. dgl. Auch hier werden methodische Rückschlüsse nicht ausbleiben, die für die Volkskunde im allgemeinen von Bedeutung sein dürften. BIBLIOGRAPHIE Ziemlich vollständig ist die Zusammenstellung von F. P. S c h i l l e r , Literatur zur Geschichte und Volkskunde der deutschen Kolonien in der Sowjetunion für die Jahre 1764—1926 (Pokrowsk, Deutscher Staatsverlag, 1927). Eine Bibliographie in Auswahl enthält: V. S c h i r m u n s k i , Die deutschen Kolonien in der Ukraine. Geschichte, Mundarten, Volkslied, Volkskunde (Charkow, Zentralverlag der Völker der Sowjetunion, 1928). I. M u n d a r t e n : 1. W. v. U n w e r t h , Proben deutsch-russischer Mundarten aus den Wolgakolonien und dem Gouvernement Cherson (Berlin 1918). — 2. G. D i n g e s , Über unsere Mundarten in: Beiträge zur Heimatkunde des deutschen Wolgagebiets S. 60—73. Pokrowsk 1923. — 3. D e r s . , Zur Erforschung der Wolgadeutschen Mundarten in: Teuthonista I [1925], 299—313. — 4. A. S t r ö m und V. S c h i r m u n s k i , Deutsche Mundarten an der Newa in: Teuthonista III [1926—27], 39—62, 153—165. — 5. V. S c h i r m u n s k i , Die schwäbischen Mundarten in Transkaukasien und Südukraine in: Teuthonista V [1928—29], 3 8 — 6 0 , 1 5 7 — 1 7 1 . — 6. D e r s . , Sprachgeschichte und Siedelungsmundarten in: GRM. 1930, Heft 3/4; 5/6. II. V o l k s l i e d : 1. Volkslieder und Kinderreime aus den Wolgakolonien, gesammelt von J. E. und P. S. ( E r b e s und S i n n e r ) . Saratow 1914. — 2. G e o r g S c h ü n e m a n n , Das Lied der deut-

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sehen Kolonisten in Rußland (München 1923). — 3. S. P o t u l o w a , Armut und Reichtum im Wolgadeutschen Volkslied (Teuthonista I I I [1926—26], 165—170, 262—274). — 4. V. S c h i r m u n s k i , Das kolonistische Lied in Rußland (Zeitschrift des Vereins für Volkskunde [1928], S. 182—215). — 5. Ders., Die Ballade vom „König aus Mailand" in den Wolgakolonien (Jahrbuch für Volksliedforschung I [1928], 160—169). — 6. A . S t r ö m , Die Entwicklung des deutschen Volksliedes in der Ukraine (Nachrichten der Odessaer Kommission für Landeskunde, Deutsche Sektion, I [1929], 22—44). — 7. J a k o b Q u i r i n g , Die Mundart von Chortitza in Südrußland. Diss. München 1928. III. V o l k s k u n d l i c h e s : 1. K o n r a d K e l l e r , Die deutschen Kolonien in Südrußland Bd. I I (Odessa 1914), S. 362ff.: „Volkstümliches und Volkskundliches aus dem Beresan". — 2. A. Z e r r , Einwanderungsgeschichte der Familie Zerr in Rußland (Odessa 1914), S. 34ff.: „Sitten und Gebräuche unserer Voreltern". — 3. P e t e r S i n n e r , Der Deutsche im Wolgalande (Langensalza, o. J., Der Deutsche im Auslande, 30. Heft). — 4. J a k o b H u m m e l , Der Deutsche in Transkaukasien (Langensalza, o. J., Der Deutsche im Auslande, 31. Heft). — 5. Ders., Heimatbüchlein der Deutschen in Transkaukasien (Pokrowsk 1928, Deutscher Staatsverlag). — 6. Ders., Das heimatkundliche Museum zu Helenendorf (Moskau 1929, Zentralverlag). — 7. H. B a c h m a n n , Durch die deutschen Kolonien des Beresaner Gebietes (Charkow 1929, Zentralverlag). — 8. P. S i n n e r , Das Volksleben der Wolgadeutschen (Das neue Rußland, Jg. I I I [1926], Heft 1—2). — 9. V. S c h i r m u n s k i , Zur Volkskunde der deutschen Siedlungen in der Sowjetunion (Das neue Rußland, Jg. V I [1929], Heft 7—8).

Deutsche Volkskunde im außerdeutschen Osten

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Werke zur deutschen Volkskunde, Sprache und Literatur aus dem Verlag von ^

Walter de Gruyter& Co.

1930 Quellen zur deutschen Volkskunde, herausgegeben von V. V O N G E R A M B und L. M A C K E N S E N . Erstes H e f t : Arabische Berichte von Gesandten an germanische Fürstenhöfe aus dem 9. und 10. Jahrhundert. Ins Deutsche übertragen und mit Fußnoten versehen von G E O R G J A C O B . Groß-Oktav. V, 51 Seiten. 1927. 4.— Zweites H e f t : Die Knaffl-Handschrift, eine obersteierische Volkskunde aus dem Jahre 1813. Herausgegeben von V I K T O R V O N G E R A M B . Mit 4 einfarbigen und 4 mehrfarbigen Tafeln. Groß-Oktav. 173 Seiten. 1928. 24.— Drittes H e f t : Volkskundliches aus Strafprozessen der österreichischen Alpenländer mit besonderer Berücksichtigung der Zauberei- und Hexenprozesse 1455 bis 1850. Gesammelt, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von F R I T Z B Y L O F F . Groß-Oktav. 68 Seiten. 1929. 8.— Viertes H e f t : Das Zerbster Prozessionsspiel 1507. Von W I L L M R E U P K E . GroßOktav. VI, 65 Seiten. 1930. 6.— „Wer weiß, wie wichtig die volkskundliche Forschung, wie verstreut das volkskundliche Material ist, der wird sich freuen, daß auf dem Erlanger Philologentag der Entschluß zur Herausgabe einer eigenen QuellenSammlung gefaßt wurde." Literarischer Handweiser.

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Herausgegeben unter besonderer Mitwirkung von E. Hoffmann-Krayer und Mitarbeit zahlreicher Fachgenossen von H A N N S B Ä C H T O L D - S T Ä U B L I . Lexikon-Oktav. (Handwörterbuch zur deutschen Volkskunde, herausgegeben vom Verband deutscher Vereine für Volkskunde, Abteilung 1.) Band I : Aal — Butzemann. 1927/28. Subskriptionspreis 44. — , in Halbleder 52.— Band I I : C. M. B. (Caspar, Melchior, Balthasar) — Frautragen. Subskriptionspreis 45. — , in Halbleder 53.— „Ein einzigartiges Werk ist das. Damit wird der riesige Stoff bequem zugänglich gemacht, die weit verstreute Literatur zusammengefaßt und eine sichere Grundlage für wissenschaftliche Arbeiten geschaffen." Sudetendeutsche Zeitschrift für Volkskunde.

Zeitschrift für Volkskunde. Im Auftrage des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde mit Unterstützung von J O H A N N E S B O L T E , herausgegeben von F R I T Z B O E H M . Jahrgang 1929/30. Oktav. 18.— Jährlich drei Hefte im Umfang von je etwa sieben Bogen. Die Zeitschrift des Vereins für Volkskunde ging mit dem Jahr 1929 aus dem Besitz des Berliner Vereins, als dessen Organ sie 1891 von Karl Weinhold ins Leben gerufen wurde, in den des Verbandes Deutscher Vereine für Volkskunde über. Der Charakter der Zeitschrift als wissenschaftliches Zentralorgan der deutschen Volkskunde, den die Herausgeber stets zu wahren bemüht gewesen sind, wird auch in Zukunft der gleiche bleiben. Die Beiträge befassen sich mit den verschiedenartigsten Äußerungen des Volkslebens und wenden sich an jeden, der an dessen Erforschung und Kenntnis Anteil •

Volkskundliche Bibliographie. Im Auftrage des Verbandes deutscher Vereine f ü r Volkskunde, herausgegeben von E. H O F F M A N N - K R A Y E R . Oktav. Für das Jahr 1917. X V , 108 Seiten. 1919. 2.— Für das Jahr 1918. V, 126 Seiten. 1920. 2.— Für das Jahr 1919. X V I , 142 Seiten. 1922. 2.— Für das Jahr 1920. 212 Seiten. 1924. 6.— Für die Jahre 1921 und 1922. X X V I I , 414 Seiten. 1927. 18.— Für die Jahre 1923/24. X X V I I I , 492 Seiten. 1929. 24.—

Jahrbuch für Volksliedforschung. Im Auftrag des Deutschen Volksliedarchivs mit Unterstützung von H. H E R S M A N N , H. S C H E W E und E. S E E M A N N , herausgegeben von JOHN M E I E R . Erster Jahrgang. 1928. Mit 1 Abb. Groß-Oktav. VI, 202 Seiten. 14. — , geb. 16.—

Dieses erstmals erscheinende Jahrbuch schafft endlich auch in Deutschland dm seit langem notwendigen futen Mittelpunkt für alle Volksliedforschungen und -bestrebungen, die bisher in ungezählten Zeitschriften volkskundlichen, musikalischen und literarischen Inhalts verstreut waren.

Deutsches Fremdwörterbuch. Von Dr. R U D O L F K L E I N P A U L . Z w e i t e , verbesserte A u f l a g e . Neudruck. 171 Seiten. 1920. (Sammlung Göschen Bd. 273.) Geb. 1.80 Der Band enthält u. a. überzeugende sprachliehe Ableitungen der wichtigsten in den allgemeinen Gebrauch übergegangenen Fremdwörter.

Deutsche Wortkunde. Eine Kulturgeschichte des deutschen Wortschatzes. A L F R E D S C H I R M E R . 111 Seiten. 1926. (Sammlung Göschen Bd. 929.)

Von Dr. Geb. 1.80

Inhalt: Wortforschung als Kulturgeschichte. Entstehung des Wortes. Urschöpfung und Ableitung. Bedeutungswandel. Entlehnung. Mundart. Bochspraehe. Umgangssprache usw. Geschichtliehe Entwicklung von der XJrzeit bis zur Gegenwart.

Die deutschen Personennamen. Ihre Entstehung und Bedeutung. Von Dr. R U D O L F KLEINPAUL. Z w e i t e , vermehrte und verbesserte A u f l a g e , neubearbeitet von Dr. H A N S N A U M A N N , o. Professor an der Universität Frankfurt. 127 Seiten. 1921. (Sammlung Göschen Bd. 422.) Geb. 1.80 Der Band, ein wertvoller Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte, behandelt Kleinkindernamen, Taufnamen unserer heidnischen Vorfahren, Christen-, Vater- und Familiennamen.

Die Ortsnamen im Deutschen. Ihre Entwicklung und ihre Herkunft. K L E I N P A U L . Z w e i t e , verbesserte und vermehrte A u f l a g e . (Sammlung Göschen Bd. 573.)

Von Dr. R U D O L F 142 Seiten. 1919. Geb. 1.80

Der Verfasser zeigt, wie das ganze menschliche Leben, Pflanzen- und Tierwelt an der Bildung unserer Ortsnamen mitgewirkt haben, die in ihrer Vielseitigkeit ein bis ins kleinste genauer Spiegel der deutschen Geschichte sind.

Länder- und Völkernamen. Von Dr. R U D O L F K L E I N P A U L . Z w e i t e , verbesserte und vermehrte Auflage. 139 Seiten. 1919. (Sammlung Göschen Bd. 478.) Geb. 1.80 Der kulturgeschichtlich und folkloristisch interessante Band ist für den Historiker und Geographen besonders wertvoll.

Deutsche Redelehre. Von H A N S P R O B S T , Rektor des Gymnasiums in Ansbach. Dritte, verbesserte Auflage. Neudruck. 130 Seiten. 1920. (Samml. Göschen Bd. 61.) Geb. 1.80 Der Band faßt alles Wesentliche über Stilistik, die Lehre vom Autdruck, und Ober Rhetorik, die Lehrt vom Inhalt des Gesprochenen, zusammen.

Deutsche Lauttafel. Von P A U L M E N Z E R A T H . 73 X 143 cm. Auf Karton gedruckt, mit Stäben, Ösen und Bändern versehen. 8. — , auf Leinen gezogen 12.50. Beiheft dazu. Mit kleiner Lauttafel. Oktav. 11 Seiten. 1926. —.75. Kleine Lauttafel, einzeln (nur von 10 Exemplaren ab) —.20. Die Tafel entspricht dem neuesten Stand der Lautforschung. Sie läßt den Zusammenhang der Laute nach Art und Stelle ihrer Bildung deutlich hervortreten. Systematisch geordnete Beispiele geben sämtliche orthographischen Varianten der Einullaute wieder.

Deutsche Poetik. Von Dr. K A R L B O R I N S K I , Professor an der Universität München. V i e r t e , verbesserte A u f l a g e . Neudruck. 165 Seiten. 1920. (Sammlung Göschen Bd. 40.) Geb. 1.80 Der Verfasser behandelt die Dichtung als Gabe und Kunst, Gattungen.

den dichterischen Stü,

seine Mittel

und

Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben von Dr. P A U L M E R K E R , o. ö. Professor an der Universität Breslau, und Dr. W O L F G A N G S T A M M L E R , o. ö. Professor an der Universität Greifswald. Erscheint in etwa 30 Lieferungen. Band I: Abenteuerroman—Hyperbel. Lexikon-Oktav. 593 Seiten. 1926. 32. — , in Halbleder 41.— 6*

Band I I : Jambus—Quatrain.

Lexikon-Oktav.

I V , 754 Seiten. 1926/28. 40. — , in Halbleder 49.— Band I I I : Rahmenerzählung—Zwischenspiel. I V , 525 Seiten. 1928/29. 26.40, in Halbleder 34.50 Band I V (Nachträge und Register). Erscheint 1930. Das Kennzeichnend* für das Werk ist, daß es sich auf die formale und sachliche Seite der Literaturgeschichte, die Realien derselben beschränkt und die Dichtung als Leistung und Ausdruck eines schöpferischen Individuums nur insoweit berücksichtigt, als es unbedingt erforderlich ist. D e u t s c h e G r a m m a t i k . Von Professor Dr. O T T O L Y O N , weil. Stadtschulrat in Dresden. S e c h s t e , umgearbeitete A u f l a g e , unter Mitwirkung von Dr. Horst Kraemer herausgegeben von Dr. W A L T H E R H O F S T A E T T E R . 144 Seiten. 1928. (Sammlung Göschen Bd. 20.) Geb. 1.80 K u r z e h i s t o r i s c h e S y n t a x der d e u t s c h e n S p r a c h e . Von Dr. H A N S N A U M A N N , o. Professor an der Universität Frankfurt. Klein-Oktav. V I , 1 2 5 Seiten. 1 9 1 5 . (Trübners Philologische Bibliothek Bd. 2.) 2.— G r u n d l a g e n d e r n e u h o c h d e u t s c h e n S a t z l e h r e . Ein Schulbuch für Lehrer. Von B E R T H O L D D E L B R Ü C K , o. Professor an der Universität Jena. Oktav. V I I I , 91 Seiten. 1920. 1.— Das Buch behandelt auegewählte Stücke der deutschen Satzlehre (Begriff des Satzes, Satzlehre, Grundbestandteile des Satzes, Wortbildung, Konjunktiv, Satzgefüge) vom psychologiechen und geschichtlichen Standpunkt aus. Geschichte der deutschen Sprache. Von Dr. H A N S S P E R B E R . 1 3 2 Seiten. 1926. (Sammlung Göschen Bd. 915.) Geb. 1.80 Der Verfasser war bestrebt, die sprachlichen Tatsachen nicht isoliert darzustellen, sondern in ihrem Zusammenhang mit den wichtigsten Erscheinungen der Kultur- und Geistesgeschichte. E t y m o l o g i s c h e s W ö r t e r b u c h d e r d e u t s c h e n S p r a c h e . Von F R I E D R I C H K L U G E . Elfte Auflage. Mit Unterstützung durch W o l f g a n g K r a u s e bearbeitet von A L F R E D GÖTZE. Lexikon-Oktav. E r s t e L i e f e r u n g : A — brünett. 80 Seiten. 1930. 2.— Die 11. Auflage des Etymologischen Wörterbuchs der deutschen Sprache wird in ungefähr 8 Lieferungen auegegeben werden. Das ganze Werk wird voraussichtlich 40 Bogen umfassen und soll bis Ende 1930 fertig vorliegen. Gesamtpreis geheftet etwa RM 16.— W ö r t e r b u c h n a c h der n e u e n d e u t s c h e n R e c h t s c h r e i b u n g . Von Dr. H E I N R I C H K L E N Z . Dritter Neudruck. 268 Seiten. 1 9 2 3 . (Sammlung Göschen Bd. 200.) Geb. 1.80 D e u t s c h e s F r e m d w ö r t e r b u c h . Von H A N S S C H U L Z . Lexikon-Oktav. Band I : A — K . X X I I I , 4 1 6 Seiten. 1 9 1 0 / 1 3 . 14 —, geb. 16.— Band I I : Fortgeführt von Dr. O T T O B A S L E R . 1 . Lieferung: L — M . 168 Seiten. 1926. 6.80 2. Lieferung: N — P . Seite 169 — 280. 1928. 6.— Hier wird nach den Grundsätzen moderner Wortforschung für jedes Fremdwort die Quelle und Zeil seiner Entstehung ermittelt und seine Entwicklung dargelegt. D e u t s c h e r K u l t u r a t l a s . Herausgegeben von G E R H A R D L Ü D T K E und L U T Z M A C K E N SEN. Quer-Folio. In Lieferungen zu je 8 Karten. 1928/30. Preis pro Karte 0.25. (Mindestbezug 8 Karten.) Subskriptionspreis bei Bezug des ganzen Atlasses pro Lieferung 1.60 Die Karten umfassen folgende Gebiete: Torgeschichte, Geschichte, Siedlung, Wirtschaft und Verkehr, Religionsgeschichte, Recht, Sprache, Literaturgeschichte, Bildungsgeschiehte, Philosophie, Kunstgeschichte, Musik. Bisher erschienen u. a. folgende Lieferungen zur deutschen Sprache und Literatur: Deutsche Literatur der vorhöfischen Zeit. Der Meistergesang bis zur Reformation. Vorgeschichte des deutschen Romans. Johann Fischart. Die deutschen Mundarten der Gegenwart. Deutsche Sprachinseln. Martin Luther. Opitz. GottschedKreis und Gottsched-Gegner. Kleists Leben. Sonderprospekte

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