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German Pages 214 [213] Year 2015
Des Widerspenstigen Zähmung
2004-09-01 16-40-18 --- Projekt: T134.kusp.müller_ritz-müller.zähmung / Dokument: FAX ID 01e462075556142|(S.
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) T00_01 Schmutztitel.p 62075556150
Klaus E. Müller (Dr. phil.) ist emeritierter Professor für Ethnologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Er steht der »Wissenschaftlichen Gesellschaft zur Förderung der Parapsychologie« vor und arbeitet in verschiedenen interdisziplinären Forschungsprojekten mit, u.a. am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen und am HanseWissenschaftskolleg Delmenhorst. Ute Ritz-Müller studierte Ethnologie, Romanistik und Geographie an der Universität Frankfurt am Main. Nach Feldforschungen im Sudan und Arbeiten im Sonderforschungsbereich »Kulturentwicklung und Sprachgeschichte im Naturraum westafrikanische Savanne« war sie Stipendiatin der DFG und Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen.
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) T00_02 Vakat.p 62075556206
Klaus E. Müller und Ute Ritz-Müller
Des Widerspenstigen Zähmung Sinnwelten prämoderner Gesellschaften
2004-09-01 16-40-19 --- Projekt: T134.kusp.müller_ritz-müller.zähmung / Dokument: FAX ID 01e462075556142|(S.
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) T00_03 Titel.p 62075556278
Gedruckt mit Unterstützung des Alfred-Anger-Fonds im Förderverein des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen.
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© 2004 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: digitron GmbH, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-134-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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) T00_04 impressum.p 62075556286
Inhalt
Klaus E. Müller Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Klaus E. Müller Bruder Tier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Tiermenschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Die Verwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3. Verbindlichkeiten unter Verwandten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 4. Schuld und Sühne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 5. Das Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 6. Die gelöste Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Klaus E. Müller Verflucht sei der Acker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Die Bestellung der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Die Verstrickung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Pflanzenmenschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4. Die frohe Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5. Das Fest der Erlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Klaus E. Müller Der Palast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Geburt der Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Aufteilung der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Gottesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Klaus E. Müller Der Auszug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Neue Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Die Gottgesandten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Apartheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Ute Ritz-Müller Warum sind die Hyänen im Fluss? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ein Unglück öffnet dem andern die Tür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein falscher Spiegel gibt kein richtiges Bild . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewesen ist gewesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6) T00_05 Inhalt.p 62075556390
4. Bei alten Münzen zweifelt niemand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Mutter sagt es, der Vater glaubt es, ein Narr zweifelt daran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Je mehr Handel, je mehr Händel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Der weiße Teufel ist schlimmer als der schwarze . . . . . . . . . . . 8. Was gestern richtig war, kann heute falsch sein . . . . . . . . . . . . . 9. Tradition bewahren heißt nicht Asche aufheben, sondern eine Flamme am Brennen erhalten (Jean Jaurés) . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Lieber seine alten Kleider flicken als neue borgen . . . . . . . . . . . 11. Mit fremden Ochsen ist gut pflügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Verdienste sind die besten Ahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Du weißt, wer du bist, woher du kommst, wohin du gehst . . . . 14. Der neue mokiert sich nicht über den alten Topf . . . . . . . . . . . . 15. Der Mann ist des Mannes Tod, die Frau sein Leben . . . . . . . . . 16. Je älter der Adel, desto morscher der Baum . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Ein alter Rücken krümmt sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Wie das Haupt, so die Glieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Zu viele Bäume, um den Wald zu sehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Diese Geschichte hat einen langen Bart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Besser viel wissen als viel reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22. Mit Stärkeren ist schlecht streiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Viele spielen, einer gewinnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24. Der eine sattelt das Pferd, der andere reitet es . . . . . . . . . . . . . . 25. Besser ein freier Vogel als ein gefangener König . . . . . . . . . . . . 26. Gott allein erstrebt kein Amt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27. Ein Hase als Joker im Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Klaus E. Müller Vom Sinn des Ganzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sinngründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regeln der Gemeinsinnigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sinnkrisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Sinn an sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
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6) T00_05 Inhalt.p 62075556390
»Aber auch in einem elementaren Sinne gilt, daß Kulturen, die einer großen Zahl von Menschen von unterschiedlichem Charakter und Temperament über lange Zeiträume einen Bedeutungshorizont eröffnet haben – die, anders gesagt, ihrem Sinn für das, was gut, heilig, bewundernswert ist, Ausdruck verliehen haben – gewiß etwas aufweisen, das unsere Bewunderung und unseren Respekt verdient, wenngleich sich daneben vieles finden mag, was wir verabscheuen und ablehnen müssen.« Charles Taylor (1993: 70)
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) T00_06 motto.p 62075556446
2004-09-01 16-40-20 --- Projekt: T134.kusp.müller_ritz-müller.zähmung / Dokument: FAX ID 01e462075556142|(S.
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) vakat 008.p 62075556510
Vorwort
Vorwort
Es mag sinnlos erscheinen, ein Buch zu schreiben, weil es erfahrungsgemäß selbst von denjenigen, die es eigentlich interessieren müßte, nur wenige lesen werden; und dennoch tut man es. Sinnvoll dagegen ist sicherlich, eine ausgewogene, vitaminreiche, aber kalorienarme Kost zu bevorzugen und Sport zu treiben, weil man sich dadurch seine Gesundheit und »Linie« länger erhält; doch viele tun es dennoch nicht. Man möchte meinen, daß es sinnlos sei, einer Beschäftigung nachzugehen, die zu nichts führt, oder schlichtweg seine Zeit »totzuschlagen«; und dennoch tun es nicht wenige. Es wird weithin für sinnvoll gehalten, zu lesen und sich weiterzubilden, weil man dadurch nicht nur sein Wissen bereichert, sondern unter Umständen auch seine Berufschancen erhöht; gleichwohl tun das vergleichsweise nur wenige Menschen. Die Erfahrung lehrt, daß es sinnlos ist, sich zu streiten, weil man damit doch nie an ein Ende kommt; aber viele tun es dennoch. Sinnvoll dünkt uns, über ein Problem nachzudenken und mit anderen darüber zu diskutieren, weil das zu seiner Lösung beitragen könnte; doch in der Regel tun das nur wenige, selbst unter denen, die von Berufs wegen dazu genötigt sind. »Sinn« ist ein vielbenutzter und entsprechend weitdeutiger und flexibler, fast inflationärer Begriff, der eine Art Kopula zwischen Handlungseinheiten mit adhortativem Telos oder Wegweiserfunktionen darstellt und an Partner oder Parteien appelliert, das eine zu tun und das andere zu lassen, gewöhnlich mit vagen Formulierungen wie: »Das erscheint sinnvoll«, »das macht doch keinen Sinn«, »das ergibt Sinn«, »das ist doch unsinnig!« Offenbar schwebt denen, die derartige Überzeugungen äußern, im affirmativen Fall am Ende ein Ergebnis vor, das sie für lohnend und bedeutungsvoll halten, während die Verneinung ein Ziel, das die Fortführung des Handelns rechtfertigen könnte, kategorisch ausschließt. Beides wird jedoch nicht explizit benannt, sondern im ungewissen belassen. Daher sehen sich die Angesprochenen auch nicht zwingend genötigt, den Appellen nachzukommen. Anders würden sie sich bei einem Hinweis auf die möglicherweise gefährliche Reaktion eines chemischen Experiments oder die Folgen einer Gesetzesübertretung verhalten. In diesen Fällen erscheint der Zusammenhang zwischen Handeln und Konsequenzen unmittelbar einsichtig; er gehorcht bestimmten bekannten Regeln. Bei Fragen der Sinnhaftigkeit dagegen bereitet die Begründung offenbar Schwierigkeiten. Das Geschehen reicht gleichsam hinter die vordergründige Welt simpler forensischer oder naturgesetzlicher Kausalkonnexionen zu9
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9- 14) T00_07 vorwort.p 62075556534
Klaus E. Müller
rück. Es entzieht sich eindeutiger Bestimmbarkeit und lädt damit ein, sich auf »weiche« – brauchtümliche, moralische, religiöse – Werte zu berufen, die vermeintlich die unmittelbar wahrnehmbare, meßbare Flucht der Erscheinungen transzendieren und wenn nicht präzise benannt, so doch durch Deuten begreifbar gemacht werden können. Es ist sinnvoll, Sport zu treiben, nicht nur weil Gesundheit und Schönheit die empirisch beglaubigte Folge der Ertüchtigung sind, sondern, »weiter zurück«, moralischen Grundsätzen entsprechen, die mit den Idealen der Leistungssteigerung und Fehllosigkeit zu tun haben – beides Schritte auf dem Weg zu Vorbildlichkeit und einem hohen, »biblischen« Alter und Werte, die soziale Anerkennung und Prestige verbürgen, weil sie von der Öffentlichkeit als Verdienst »gedeutet« werden (über das einstmals Ahnen und Götter befanden). »Sinn« stellt also eine Evaluierungsinstanz gleichsam »höherer« Art dar, die tiefer und weiter reicht – bis auf den Grund eines (metaphysischen) »Hintersinns«. Insofern besitzt sie eine Schlüsselfunktion bei der Vermittlung zwischen natur- und kulturwissenschaftlicher Erkenntnis: Weder die kinetische Gas- noch die Allgemeine Relativitätstheorie sind Sinnsysteme; wohl aber besitzen sie Bedeutung für das neuzeitliche Lebens- und Weltverständnis, so daß es Sinn macht, sie im Handeln zu berücksichtigen – um keine Fehler zu machen, das heißt dem Ideal der Fehllosigkeit zu folgen. Gläubige Menschen deuten sie als Beweis für die alles menschliche Maß übersteigende Intelligenz Gottes. Es ist nicht mit den Naturgesetzen getan; wir wären ihnen hilflos ausgeliefert, würden wir ihnen nicht einen »tieferen« Sinn verleihen, der ihnen »höhere« orientierungs- und handlungsleitende Funktionen verleiht. Beispielsweise kann man der Überzeugung sein, ihre Kenntnis böte größere Möglichkeiten, Hungernde zu sättigen, Kranke zu heilen und das Leben zu verlängern. Selbst Kriege erscheinen (manchen) »sinnvoll«, wenn man den Gegner als Erzfeind des Guten betrachtet, der die Welt bedroht und den auszutilgen daher ein Gebot moralisch integren Handelns darstellt. Die Werteordnung, die über die Definition und Bedeutung von Gut und Böse entscheidet, stellt das übergeordnete Sinnsystem dar, nach dem sich die Geltung und Anwendung von Recht, Technik und Diplomatie bemißt. Nun differiert aber die Auffassung von dem, was gut ist, je nach dem Entwicklungsniveau einer Kultur, oder richtiger: nach den Überzeugungen derer, die ihr zugehören und ihre Werte bejahen. Besteht darin ein hohes Maß an Gemeinsamkeit, wäre dies Ausdruck eines weithin geschlossenen und intakten Identitätsbewußtseins, das als solches der Ideologie des Ethnozentrismus unterläge. Dem entspräche zum einen, daß die eigene Kultur als die (gegenwärtig) höchstentwickelte, 10
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9- 14) T00_07 vorwort.p 62075556534
Vorwort
als Krone des »Fortschritts« verstanden wird, und zum andern, daß die eigenen Leute, die sie im Laufe der Jahre und Jahrhunderte hervorgebracht haben, entweder das auserwählte Volk Gottes sind (eine universale Konsequenz der Ideologie des Ethnozentrismus) und ihre Geschichte einem teleologischen Heilsplan folgt oder sich im Evolutionsprozeß als physisch und geistig allen anderen überlegen ausgewiesen haben. Beide Deutungen bilden die übergeordneten Sinnsysteme. Ihre Letztbegründung wird unter dem Diktat des Ethnozentrismus dem Willen Gottes oder der Naturgesetzlichkeit zugewiesen; die konkrete Geschichte und die Prinzipien der Mutation, der Selektion und Fortpflanzungsmaximierung leisten dabei lediglich Hilfsdienste. Alles, was diesen Überzeugungskonzepten zuwiderläuft, erscheint ebenso sinnlos wie gefährlich und sollte abgewehrt werden, während alles, was ihnen entspricht, bejahenswert ist und »seinen Sinn erfüllt«, das heißt die »Zwecke« festsetzt, die vernünftiges, »sinnvolles« Handeln leiten (Rüsen 1983: 51) und letztlich der Selbsterhaltung dient: Diese stehe, so der Philosoph Robert Spaemann, »immer auf dem Spiel – sogar mit der Gewißheit tödlichen Ausgangs am Ende« – und bringe, »so merkwürdig es klingt, überhaupt erst Sinn in unser Leben« (Spaemann 1999: 31). Sofern nicht etwas dazwischenkommt. Schlimme Erfahrungen, Leid und zumal Katastrophen können Sinnsysteme in Erschütterung versetzen. Sie werfen Warum-Fragen auf (»Warum mußte das gerade ihr geschehen, die doch niemandem je etwas zuleide tat?«), weil sie, anders als Ärger aufgrund eines Fehlers, den man bei der Arbeit beging, oder selbstverschuldetes Elend, nach Maßgabe des herrschenden Sinnsystems unbegreiflich erscheinen. Will man seinen Glauben nicht opfern und die Selbsterhaltung aufs Spiel setzen, müssen derartige »Kontingenzen« dem System integriert werden. Durch sie wird die Sinnfrage immer wieder aufs neue bewußt, je nach der Schwere des Ereignisses, das sie auslöst. Doch gilt es zu unterscheiden zwischen Problemen oder »Sinnbrüchen«, die immer wiederkehren, also niemanden mehr überraschen können, und echten Kontingenzerfahrungen, die unvorhergesehen auftreten und unter Umständen extrem fremdartig erscheinen. Beispiele für den ersteren Fall wären der Tod, die Jagd in Jägerkulturen, die das Töten »Verwandter« (der Tiere) um des Überlebens willen gebietet, oder Kriege, die man aus Gründen der Selbsterhaltung führt und gleichfalls mit Töten, Zerstörung und Verschulden verbunden sind. Im letzteren Fall ließen sich schwere Erkrankungen, Mißerfolge trotz besten Bemühens, der Tod eines Kindes oder verheerende Naturkatastrophen nennen, die dann zu »Sinnkrisen« führen. 11
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9- 14) T00_07 vorwort.p 62075556534
Klaus E. Müller
In prämodernen traditionellen Gesellschaften wurden letzten Endes alle derartigen Mißgeschicke auf Eigenverschulden zurückgeführt, das heißt deutend »erklärt« und durch Buße und Opfer wieder ausgeglichen; Restituierung schloß die »Lücke« im Sinnsystem. Heute hat man es schwerer. Man greift zu vordergründigen »Erklärungen« und bemüht etwa den Zufall, die Statistik, das Infektionsrisiko oder die Plattentektonik. Befriedigen oder gar trösten kann das offenbar nicht – es fehlt der übergeordnete Sinnbezug, der die »Erklärungen« selbst in einen größeren, »letzten« Zusammenhang einordnet, der sich dem Zweifel entzieht, da er nicht widerlegbar ist – die Krankheit wird als »Prüfung« angenommen, die Katastrophe als Memento begriffen, allzu gedankenlos dahinzuleben. Das eigentliche Sinnproblem liegt jedoch meines Erachtens nicht so sehr in den Einzelfällen großer Umwälzungen und Katastrophen, die man historisieren, das heißt durch Narration deutend zu erklären versuchen kann, sondern vielmehr in den immer gegebenen und unauslöschbaren, weil systemimmanenten Widersprüchen, etwa zwischen den Geschlechtern und Generationen, zwischen Palast und Slum, dem sozialen Friedensgebot und der Notwendigkeit, in gewissen Fällen (z.B. zur Selbstverteidigung und beim Strafvollzug) Gewalt anzuwenden oder – der klassische Fall in den vor- und frühhochkulturlichen Gesellschaften – Tiere und Pflanzen töten zu müssen, wiewohl sie als »Verwandte« galten. Hier handelt es sich immer um moralische Konflikte, in die man stets selber verstrickt ist und die man, um ihnen Sinn abgewinnen zu können, zwar auch zu begründen versuchen, vor allem aber rechtfertigen muß. Und da es in diesen Fällen um allgemeine Probleme geht, erfordert ihre »Erklärung« Sinnkonzepte, die einen generellen Gültigkeitsanspruch besitzen, wie sie früher von Religion, Theologie und Philosophie – wie klassisch von der Scholastik – bereitgestellt wurden. Erklärungen, die Antworten auf ephemere Erschütterungen infolge von Kontingenzen geben, lassen sich demgegenüber als einzelne, auf den Spezialfall bezogene »Ausschnitte« aus dem allgültigen Sinnsystem begreifen, die insofern immer nur überzeugend erscheinen, wenn sie mit diesem verträglich sind. Das ist heute schwerer geworden. In hochkomplexen, zudem noch multikulturellen Gesellschaften besteht eine Vielzahl teils sehr unterschiedlicher, »alter« wie »neuer«, vertrauter wie unvertrauter, religiös wie profan-pragmatisch begründeter Sinnsysteme neben- und übereinander, konkurrierend und variierend je nach den wechselnden Machtverhältnissen, mal Kombinationen eingehend, mal kompromißlos einander befehdend. Entsprechend büßten die allgemeinen Bezugsoder »Überbausysteme« ihre Geltung bis auf vage Umrisse ein und 12
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9- 14) T00_07 vorwort.p 62075556534
Vorwort
wuchsen sowohl die »Unübersichtlichkeit« und Verunsicherung als auch im Gegenzug das Bedürfnis, sie irgendwie zurückzugewinnen – da sie notwendige, orientierungs- und handlungsleitende Funktionen besitzen. Aus den genannten Gründen der gesellschaftlich-pluralistischen Komplexität können die Entwürfe dazu freilich wieder nur unbestimmt und vage ausfallen: Man sucht sein Heil in einer »ganzheitlichen Lebensauffassung«, spricht von der einen »Familie der Menschheit«, der »Einheit in der Vielfalt«, der »Einheit der Schöpfung« und strebt die »Globalisierung«, sei es religiöser Überzeugungen, des Sozialismus oder der kapitalistischen Weltwirtschaft an. Doch ist beides, der Verlust des »Ganzen« wie der Wunsch nach seinem Wiedergewinn, Ausdruck eines essentiellen Widerspruchs, der wenig Hoffnung auf ein übergreifendes globales Sinnsystem läßt. Immerhin stellt dies ein grundlegendes Problem der Gegenwart dar, das allen Anlaß bietet, sich wissenschaftlich damit auseinanderzusetzen. Kann es Sinn machen, über Sinn nachzudenken und in fortwährenden Diskussionen nach einer überzeugenden Lösung zu suchen? Nach dem Gesagten doch wohl nur, wenn man davon ausgeht, daß es bei aller Vielfalt von Sinnbildungsprozessen einen allgemeineren Geltungshintergrund gibt, auf den sich alle Einzelfälle beziehen lassen, das heißt der allen Sinnsystemen die gemeinsame Struktur vorgibt, so daß sie als solche, zum Beispiel reinen Theorien gegenüber, erkennbar sind und – denn dies hebt sie besonders von theoretischen Abstraktionen ab – konkrete Funktionen in der »Lebenswelt« der Menschen erfüllen können. Sinn ist einer wiederholten These des Historikers und Geschichtstheoretikers Jörn Rüsen zufolge als »Fundamentalkategorie der kulturellen Weltorientierung und des Selbstverständnisses des Menschen in seiner Lebenspraxis« zu verstehen. Ihm gebührt auch das Verdienst, die eminente Bedeutung der »Sinnfrage« gerade unter den Bedingungen der lebensweltlichen Verhältnisse der »Moderne« klar erkannt und immer wieder zum Thema von Publikationen, Vorträgen, Tagungen, Forschungsprojekten und Studiengruppen gemacht zu haben. Zu letzteren gehörten auch eine – interdisziplinär zusammengesetzte – »Forschergruppe« am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld, die sich von Oktober 1994 bis Juli 1995 mit dem Thema »Historische Sinnbildung« befaßte, und eine – ebenfalls interdisziplinäre – »Studiengruppe« am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen, die mit der großzügig bemessenen Laufzeit von fünf Jahren (von April 1997 bis März 2002) der Thematik »Sinnkonzepte als lebens- und handlungsleitende Orientierungssysteme« gewidmet war. Ich bin Jörn Rüsen persönlich 13
2004-09-01 16-40-21 --- Projekt: T134.kusp.müller_ritz-müller.zähmung / Dokument: FAX ID 01e462075556142|(S.
9- 14) T00_07 vorwort.p 62075556534
Klaus E. Müller
außerordentlich dankbar, daß er mich zur Teilnahme an beiden einlud, da ich von der Zusammenarbeit mit ihm viel an neuen Einsichten gewonnen und auch sonst ganz erheblich profitiert habe. Die Studiengruppe besaß in den letzten zwei Jahren einen eigenen ethnologischen Schwerpunkt, an dem unter anderen auch meine Frau, Dr. Ute RitzMüller, beteiligt war. Die Ergebnisse unserer Arbeit in diesem Rahmen werden im folgenden vorgelegt. Lediglich in einem Kapitel (»Vom Sinn des Ganzen«) habe ich versucht, aus meiner Sicht ein theoretisch-systematisches Fazit aus der Gesamtgruppenarbeit zu ziehen. Obwohl nur ein Beitrag meine Frau zur Verfasserin hat, ist das Buch doch ein Gemeinschaftswerk: Sowohl das Konzept als auch die Texte wurden gemeinsam erarbeitet; in den in allen Beiträgen vertretenen Auffassungen stimmen wir – weitgehend – überein. Aufgrund gewisser widriger Umstände mußte das Buch binnen dreieinhalb Monaten geschrieben werden. Wir hoffen, daß es trotzdem gelungen ist. Nil sine magno vita labore dedit mortalibus. Causa finita est! Kelsterbach, im Juni 2004 Klaus E. Müller
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Bruder Tier
Bruder Tier Klaus E. Müller 1. Tiermenschen Vor alters lebten unsere fernen Vorfahren viele Jahrhunderttausende lang buchstäblich von der Hand in den Mund. Sie lasen auf, ernteten ab, gruben aus, fingen und erlegten an Tieren, was die Natur ihnen darbot. Da die genutzten Pflanzen, Früchte, Samenkörner, Wurzelknollen und Pilze zu unterschiedlichen Zeiten und teils an entfernten Standorten reiften und manche Wildarten periodisch die Weidegründe wechselten oder, wie Zugvögel und Winterschläfer, nicht immer verfügbar waren, führten die Menschen ein unstetes, »nomadisches« Dasein. Ihre Ökonomie wurde vom Beutemachen bestimmt. Daher sprach man früher von »Wild- und Feldbeuterei« (foraging), später, in Anlehnung an die übliche Arbeitsteilung, von »Sammlerinnen- und Jägerkulturen« (hunters and gatherers). Im folgenden wird, der Kürze wie Prägnanz halber, der Begriff »Prädatorische Gesellschaften (Kulturen)«1 verwandt. In der Hauptsache soll es dabei um Gruppen gehen, bei denen die Jagd eine – bedeutungsmäßig, nicht unbedingt auch wirtschaftlich – zentrale Rolle spielte. Die mobile Lebensführung hatte eine Reihe von Konsequenzen zur Folge. Sie nötigte die Menschen zum Beispiel, ihren Güterbesitz so gering und leicht wie möglich zu halten, da alles beim Lagerwechsel mit dem eigenen Körper transportiert werden mußte. Meist beschränkte er sich auf einige wenige Behältnisse aus Holz, Rinde und Flechtwerk, Kalebassen, Schneidgeräte, leichtere Waffen (Speere, Lanzen, Bögen) und Schmuck. Je nach Klima und Rohstoffvorkommen kampierte man unter Windschirmen beziehungsweise in Hütten aus Zweigen, Laub und Fellen, überdachten Erdgruben oder Höhlen und trug sparsame Pflanzenfaser-, Rindenbast- oder Ledertrachten, in nördlichen Breiten Kleider, Schuhe und Mützen aus Pelzen. Was sonst gebraucht wurde, ließ sich an jedem Standort ad hoc aus den dort verfügbaren Materialien (Steinen, Hölzern, Pflanzen, Tiersehnen, Muschelschalen usw.) herstellen. Die Technik blieb rudimentär – es bestand kein Bedarf an differenzierteren Werkzeugen und Geräten. Alles stand unter dem Gebot der Flexibilität. Die Fähigkeit, sich jederzeit rasch an veränderte Situationen anpassen zu können, stellte eine Überlebensfrage dar – etwa auch nach Dürrezeiten, Steppen- und Waldbränden. Kein traditioneller, das heißt prä- oder parahochkulturlicher Unterhaltstyp kannte daher so viele Spezialisierungsformen wie die prädatorischen Kulturen. Manche Gruppen lebten vorwiegend vom 15
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Molluskensammeln und der Küstenfischerei, dem Lachsfang, der Seesäuger- oder Großwildjagd, andere von den Samen bestimmter Gräser und Wildgetreide. Schlecht ging es den Menschen nicht dabei. Alles war in verschwenderischer Fülle vorhanden, selbst noch in den späteren Rückzugsgebieten, in welche die prädatorischen Gesellschaften nach Entstehung der Hochkulturen Zug um Zug abgedrängt wurden. Bei Buschmann-Gruppen in Botswana bildete zum Beispiel die Mongongo-Nuß (Ricinodendron rautanenii Schinz) das Grundnahrungsmittel. Sie enthielt fünfmal soviel Kalorien und das Zehnfache an Proteinen als Weizen, Gerste, Hirse oder Reis. Die Bestände waren so groß, daß alljährlich immer noch Tausende von Pfund ungenutzt blieben! Und daneben standen den Buschmännern noch 84 weitere genußtaugliche Wildvegetabilien, auch sie in reichlichem Ausmaß, sowie genügend Jagdwild zur Verfügung, so daß ihre Versorgung selbst in Dürrejahren keine Engpässe kannte.2 Bei den Hadza, deren – heutiger! – Lebensraum eine felsenreiche Trockensteppe südlich des Victoria-Sees in Ostafrika bildet, herrschen eher noch günstigere Verhältnisse. Medizinische Untersuchungen ergaben, daß ihre Ernährung nicht nur voll ausreichend, sondern auch optimal zusammengesetzt ist und sie infolgedessen über eine hervorragende Gesundheit verfügen. An Arbeit brauchen sie dafür pro Tag im Schnitt ganze zwei Stunden aufzuwenden!3 Der amerikanische Ethnologe Marshall Sahlins (geb. 1930) bezeichnete prädatorische Gruppen daher geradezu als »Überflußgesellschaften« (affluent societies).4 In alten Zeiten bestand zudem noch kein Mangel an Lebensraum; man konnte wählen. Ohnehin ließ die extensive Art des prädatorischen Nahrungserwerbs nur dünne Bevölkerungsdichten zu. Im Schnitt umfaßten die Gruppen zwischen 30 und 100 Personen. Und ihr Zusammenleben entsprach ganz ihrer wechselvollen, unsteten Daseinsweise. Sie war – wie das noch heute so ist – geprägt von einer gewissen unverbindlichen Zwanglosigkeit. Wenig war streng geregelt oder gar institutionalisiert. Die Ehen wurden ebenso leicht und formlos geschlossen wie aufgelöst. Treue stand nicht besonders hoch im Kurs. Die Götter blieben otios und nahmen nur selten unmittelbar Anteil am Leben der Menschen. Eher spielte der listenreiche jägertypische Trickster eine Rolle. Geister traten überwiegend nur im Zusammenhang mit der Jagd in Erscheinung. Von magischen Ritualen machte man lediglich bei mangelnder Fruchtbarkeit (Kinderlosigkeit), Krankheit und zur Sicherung des Nahrungserwerbs (Pflanzen- und Tiervermehrungsriten, Regenzauber), speziell des Jagderfolgs, Gebrauch. Die Toten wurden flüchtig und ohne viel Aufwand beigesetzt und, gleich ihren Grabstätten, rasch vergessen. Einzelne, auch Familien, wechsel16
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ten oftmals die Gruppe, sei es, um einem Konflikt aus dem Wege zu gehen, oder ganz einfach nach freiem Belieben, weil ihnen gerade mal danach war. Man legte sich ungern fest. Der Augenblick, das gegenwärtige, tagtägliche Leben, zählte. Man unterhielt sich jederzeit gern mit Spielen, Tanz, Gesang, burlesken Trickster-Geschichten, Fabeln und Märchen. Unbeschwerte Geselligkeit füllte einen Großteil der – reichlich vorhandenen – Mußezeit aus. Trotz aller sozialen Fluktuation und der gewissen Unbeschwertheit im Umgang miteinander blieb es beim Zusammenleben in Gruppen. Denn keine Familie wäre auf Dauer allein überlebensfähig gewesen. Schon der Ausfall eines einzigen (erwachsenen) Mitglieds durch Krankheit, Unfall oder Tod hätte sie sofort vor die Existenzfrage gestellt. Es bedurfte daher wenigstens eines Mittels, den Zusammenhalt der Lagergemeinschaften verläßlich sicherzustellen. Es bestand in der klaren Scheidung der Aufgaben aller nach Geschlecht und Alter, beziehungsweise erfahrungsbedingter Kompetenz. Den Frauen fiel dabei das Ergraben der Wurzeln und Engerlinge und Einsammeln der Blattkost, Früchte, Beeren, Nüsse, Pilze, Insekten, Vogeleier, Schnecken, Frösche, Mollusken und anderen Kleingetiers, die Betreuung der Kinder und die Verantwortlichkeit für den Haushalt und die Nahrungszubereitung zu, während die Jagd auf Großwild und Seesäuger (Robben, Delphine, Wale usw.), die meist nicht minder risiokoreiche Wildhoniggewinnung (die Nester befanden sich oft an steilen Felswänden oder in hohen Bäumen), die Führung und Verteidigung der Gruppe sowie die Kontaktpflege zu benachbarten Gruppen Sache der Männer war. Leidglich am Süßwasser- und küstennahen Fischfang beteiligten sich beide Geschlechter – er entsprach in gewissem Sinne der Sammelwirtschaft. Mädchen halfen den Frauen, Jungen machten auf Kleinwild Jagd, Alte widmeten sich den – wenigen – religiösen Aufgaben und der Pflege der oralen Überlieferung, planten die Jagdzüge, erteilten Rat in strittigen Fragen und vermittelten in Streitfällen. Jeder stellte die Gerätschaften, die er für seine Tätigkeit brauchte, selbst her; und jedem gehörte entsprechend auch, was er eigenhändig angefertigt und produziert, an Nahrungsgütern erbeutet und zubereitet, als erster entdeckt (z.B. ein Rohstofflager oder Honignest), erfunden (z.B. ein Heilverfahren, einen Zauber, ein Lied) oder durch Tausch erworben hatte – daher befanden sich Windschirme und Hütten, die zu errichten zu den Aufgaben der Frauen zählte, immer in deren Besitz. Daraus folgte, daß jeder den anderen seiner je eigenen und einhellig überlegenen Kompetenzen wegen respektierte und alle in etwa gleiche Rechte besaßen – aber, und hierin lag das Schlüsselelement des Ganzen, gleichzeitig auch alle aufeinander angewiesen waren: Sie muß17
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ten kooperieren, um gemeinsam bestehen zu können. Und den Mechanismus, der den Widerspruch zwischen (scheinbarer) persönlicher Autonomie und (konkreter) sozialer Abhängigkeit gleichsam elegant verklinkte, bildete das – ebenso elementare wie universale – Reziprozitätsgebot, das alle Mitglieder einer Gemeinschaft, ganz besonders aber die Ehegatten, verpflichtete, ihre selbsterwirtschafteten, mit eigener Hand hergestellten (entdeckten oder erfundenen) Güter miteinander zu teilen. Frauen gaben von ihren Sammel-, Männer von ihren Jagderträgen ab, zunächst einander, dann den näheren Verwandten und teils auch den übrigen Gruppenmitgliedern. Kranke, Altersschwache und Familien, die infolge eines Todesfalls in ihrer Arbeitskraft beeinträchtigt waren, wurden mitversorgt. Ja auch Gebrauchsgüter tauschte man regelmäßig, ob ein Bedarf bestand oder nicht, bei Festlichkeiten selbst Schmuck, untereinander aus.5 Das durch die strikte Arbeitsteilung bedingte und an sich problematische Abhängigkeitsverhältnis blieb so immer nur kurzfristig bestehen, weil es der ständige Austausch stets wieder ausglich. Das verbürgte zum einen das Empfinden von Freiheit und Gleichheit, zum andern aber ebenso auch, durch die Korrelationsbeziehung im Kern, Kohärenz, die immerhin eine gewisse Gemeinsinnigkeit stiftete und der notwendigen Kooperationsbereitschaft Sinn verlieh. Doch betraf dies zunächst nur die Gruppe selbst. Um vollends überzeugen zu können, mußte das Gesellschafts- und Sinnkonzept auch die Umwelt, vor allem die Pflanzen und Tiere mit einschließen, von denen man zur Hauptsache lebte. Und hieraus ergab sich ein weiteres Problem. Die Versorgung konnte nur gesichert erscheinen, wenn man glaubte, davon ausgehen zu dürfen, daß zwischen Menschen, Pflanzen und Tieren eine analoge Reziprozitätsbeziehung wie unter den Angehörigen der eigenen Gruppe bestand. In stärker jagdwirtschaftlich geprägten Kulturen bezog sich das vor allem auf das Jagdwild. In Gesellschaften dieses Typs herrschte gemeinhin die Vorstellung, daß Menschen und Tiere gemeinsamen Ursprungs, also Verwandte seien.6 »Form und Größe der Tiere«, charakterisierten die Nivchen (Giljaken) am unteren Amur beider Verhältnis, »sind lediglich eine Art von Erscheinung. Jedes Tier ist faktisch ein Mensch, wie ein Giljake, ausgestattet mit Vernunft und Stärke, die oft allerdings die der Menschen übertreffen«7 – wie namentlich im Falle des Bären, zu dem gemeineurasiatischer und nordamerikanischer Auffassung nach eine besonders enge Verwandtschaftsbeziehung bestand.8 Infolgedessen leben die Tiere auch, ob auf dem Land oder im Wasser, gleich den Menschen in Gruppen mit einem Ältesten an der Spitze, besitzen analoge Formen der Sozialorganisation, ein je eigenes Brauchtum – 18
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ihre »customs« (kxodzi), wie die G/wi-Buschmänner in Südafrika sagen – spezifische Techniken, etwa zum Höhlen- und Nestbau oder um mit den Hufen aus Steinen Feuer zu schlagen und Grassteppen in Brand zu setzen9, und nicht zuletzt auch ihre arteigenen Sprachen, die indes nur wenigen Menschen zugänglich waren, wohingegen die Tiere die der Menschen problemlos verstehen können.10 Das verlieh ihnen einen nicht unerheblichen Vorteil, von dem sie indes nur Gebrauch machten, wenn sie sich von den Menschen unangemessen oder gar schlecht behandelt sahen. Doch dazu kam es kaum, da die Menschen wußten, was sie an den Tieren hatten. Beide bemühten sich um ein liebevolles und harmonisches Miteinander, taten, was das Reziprozitätsgebot ihnen vorschrieb – das heißt verhielten sich ganz so, wie es sich unter Verwandten gehörte.11 Die Nivchen traten zum Beispiel, wenn sie die Taiga, die Heimat der »Waldleute«, durchzogen, vorsichtig auf, um den Boden nicht zu verletzen, sprachen nur mit gedämpfter Stimme, schimpften nicht miteinander und brachen keine Äste ab. Sie hüteten sich, die – wie sie ihrem Landsmann, dem russischen Ethnologen Cuner M. Taksami, erklärten – »normalen und friedlichen Beziehungen« zu ihren »Nachbarn« nicht zu gefährden, wofür diese sich, ihrer Reziprozitätsverpflichtung bewußt, revanchierten, indem sie ihnen Jahr für Jahr ausreichend Wild (und damit auch Pelze) zur Verfügung stellten und dafür Sorge trugen, daß ihnen im Wald nichts geschah.12 Allerdings bestand unmittelbare physische Verwandtschaft zwischen Tieren und Menschen, mit der sich – neben der leibunabhängigen »Freiseele« – auch die Lebenskraft, die »Vitalseele«, überträgt, die für die organische Funktionsfähigkeit des Körpers verantwortlich ist, nur in der Urzeit. Später verbanden sich Menschen und Tiere, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, nur mehr unter ihresgleichen. Doch blieb es bei der spirituellen Verwandtschaftsbeziehung. Beider Freiseelen konnten sich ebenso in der einen wie in der anderen Form verkörpern.13 Es bestand so, wie Aborigines Westaustraliens es sahen, in der dem physischen Dasein vorgeordneten »Traumzeitwelt« eine enge spirituelle Wechselbeziehung zwischen Pflanzen, Tieren, Menschen und Geistwesen; alle schöpften aus einem Grund, bevor sie dann mit dem Übertritt ins stoffliche Dasein ihre unterschiedliche Leibgestalt annahmen.14 Doch herrschte gemeinhin der Glaube, daß die Tiere der Transzendenz enger als die Menschen verbunden und ihnen ebendaher auch artmäßig überlegen sind. Nach Auffassung prädatorischer Gesellschaften Südostasiens, wie der Ainu in Japan zum Beispiel, leben sie »eigentlich« im Jenseits – und zwar in Menschengestalt. Besuchen sie ^
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die irdische Welt, treten sie den Menschen entweder als theriomorphe Geister oder gewissermaßen verkleidet als Tiere entgegen, im letzteren Fall, um sich ihnen als Jagdopfer darzubieten. Nach ihrer Tötung kehren sie dann wieder zurück.15 Infolgedessen gehörte sich, ihnen stets höflich und ehrerbietig zu begegnen, sie nicht mit Namen, sondern, wie Verwandte mit entsprechendem Status, respektvoll mit »älterer Bruder« oder »Onkel« anzureden und sich niemals abfällig über sie zu äußern. Oft bestand auch das strikte Tabu, über Tiere zu lachen16, denn das hätte, wie Älteren gegenüber, einer Herabsetzung entsprochen.
2. Die Verwandlung Alles Seiende hat traditioneller Auffassung nach seinen Entstehungsgrund in der Urzeit. Damals war zunächst noch alles im Fluß, ungerichtet fluktuierend, bewegt und wogend. Es herrschte ein typischer Übergangszustand. Noch nichts war endgültig festgelegt. Tiere wie Menschen, allzeit und beliebig ihre Gestalten wechselnd, mehr noch tiermenschliche Mischkreaturen, ungeschlachte kannibalische Riesen und dornenbewehrte Zwerge17, aber auch Heroen halbgöttlicher Abkunft, durchzogen die weiche, noch ungeformte Welt. Alle gingen zwar aufrecht und lebten vom Sammeln und Jagen, besaßen aber noch keine Kultur und kannten insofern weder Regeln der Partnerwahl, des Güteraustauschs noch Tabus. Sie kämpften miteinander, wenn ihnen gerade der Sinn danach stand, fraßen sich auf oder verbündeten sich auch, gingen Liebesbeziehungen ein und brachen sie wieder. Andererseits stellten sie aber auch erste Werkzeuge und Geräte her und setzten, exemplarisch für die Folgezeit, bestimmte lebenswichtige Rituale ein. Später zogen die einen sich dann ins Meer oder den Himmel zurück, andere gruben sich in die Erde ein und hinterließen dort Teiche und Höhlen, während wieder andere gewisse Metamorphosen durchliefen und zuletzt zu Gesteinsbrocken, Felsmassiven, Inseln oder Hügelketten erstarrten.18 Küsten-Salish im kanadischen Columbia bezeichneten diese noch instabilen, vielfältig formbaren primordialen Geschöpfe daher als »transformer«. Sie brachten ihrem Dafürhalten nach »die Dinge« kraft zahlloser Umgestaltungen endgültig »in Ordnung«.19 Mythen anderer Völker zufolge war es der Schöpfer selbst, der dem Treiben auf Erden nicht länger zusehen mochte und durch sein entschlossenes Eingreifen endgültig Ordnung schuf. Den Ausschlag gab nach einer Buschmann-Erzählung die Achtlosigkeit eines Mädchens, 20
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das allzu unbedenklich mit seiner Monatsblutung umging, worauf die Verhältnisse – instabil, wie sie damals noch waren – schlagartig umsprangen: Die Menschen wurden zu Fröschen und anderem Getier, ihre Geräte verwandelten sich in ihre Ausgangsmaterialien zurück. Am Ende seiner Geduld, wälzte der Herr des Himmels in einem zweiten Schöpfungsanlauf alles Bisherige radikal um. Er schied ein für allemal, was er nicht vermengt wissen wollte. Aus den primordialen Tieren entstanden die heutigen Menschen, aus den anfänglichen Menschen die heutigen Tiere.20 In manchen Fällen half er persönlich nach. »Schlangen« berührte er – alles Buschmann-Überlieferungen zufolge – mit einem Stab, worauf ihren Häuten Menschen entschlüpften; »Menschen« rammte er rücklings gekrümmte Pflöcke ein, so daß sie zu geschwänzten Affen wurden und von Stund an in den Bergen leben und mit »Wurzeln, Insekten und Skorpionen« vorlieb nehmen mußten.21 Südamerikanischen Mythen nach handelten sich die Menschen ihre endgültige Verwandlung durch pure Unachtsamkeit oder ein Vergehen ein.22 Auch nach Überlieferungen der Lakota, Teil der einstmals berühmten Bisonjäger im zentralen Prärie- und Plainsgebiet Nordamerikas, gewannen die »heutigen« Verhältnisse erst im Verlauf einer zweiten Phase der Ursprungsgeschichte Gestalt. Anfangs nämlich lebten sie noch als »Volk der Bisonkühe« (pte) mit ihrem späteren Jagdwild zusammen unter der Erde, um erst in der Folge dann, beide gemeinsam, die Lakota aber nunmehr in Menschengestalt, auf die Erde heraufzusteigen. Doch blieben die seit alters gewachsenen kulturellen Gemeinsamkeiten bestehen: Gleich den Lakota lebten die Bisons, wenn auch den Blicken der Menschen entzogen, in Zelten und vollzogen dieselben Zeremonien – man erkennt das zum Beispiel an den sanften Senken in der Prärie, die von ihren gestampften Tänzen herrühren.23 An die Stelle der primordialen regellosen Beliebigkeit war endgültig die Ordnung getreten, wie sie seither besteht. Anderen nordamerikanischen und mehr noch eurasiatischen Mythen zufolge stammen Menschen und Tiere von einem gemeinsamen, tier-menschlichen Ahnenpaar, bestehend zumeist aus Mensch und Bär oder Tiger, ab und empfingen von daher ihre alternative äußere Erscheinung, blieben aber gleichwohl sozusagen »genetisch« Geschwister.24 Verschiedentlich konnte es zu dergleichen Verbindungen auch zu »historischer« Zeit noch kommen – wenn wiederum unsichere, verhängnisvolle Verhältnisse herrschten und es eines rettenden Helden mit übermenschlichen Gaben bedurfte. Etliche überragende Gründergestalten und Kriegerheroen haben der Sage nach etwa eine Wölfin, Stute oder Bärin zur Mutter und verdanken dem Umstand beispielsweise ihre besondere »Bärenstärke« oder wachsen auch als Waisen 21
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unter ihrer Obhut heran, lernen, die Gestalt ihrer Tiermutter anzunehmen, und gewinnen ein Wissen und Fähigkeiten, die sie gewöhnlichen Sterblichen weit überlegen macht.25 Doch sind Verwandlungen auch heute noch möglich, gewöhnlich allerdings nur mehr den Tieren.26 Manche, wie Bär oder Seehund in Ostsibirien, bedienen sich dazu unter Umständen recht drastischer Mittel, indem sie zum Beispiel die Personen, auf die sie es abgesehen haben, töten (bzw. ertrinken lassen), um dann ihre Gestalt anzunehmen.27 Menschen dagegen können sich in der Regel lediglich noch nach dem Tod in Tiere verwandeln. Ihre Seelen durchlaufen dann entweder eine entsprechende Metamorphose, die zuletzt wieder zur Geburt (Reinkarnation) in Menschengestalt zurückführt28, oder gehen – einem universal verbreiteten, sichtlich sehr alten Glauben zufolge – in hausnahe oder flugfähige Kleintiere, wie Mäuse, Ratten und Hunde, beziehungsweise Käfer, Bienen, Motten, Schmetterlinge und Fledermäuse, vor allem aber in Vögel über.29 Die enge verwandtschaftliche, gleichsam osmotische Verbundenheit von Tier und Mensch war nach der zweiten Schöpfungsphase einer klaren, phänomenologischen wie existentiellen Scheidung gewichen, blieb aber de facto bestehen.
3. Verbindlichkeiten unter Verwandten Entsprechend besaßen prädatorische Gesellschaften ein deutlich anderes Naturverständnis, als es in agrarischen, hirtennomadischen oder gar städtischen Kulturen herrschte. In ihm spielten die Tiere eine zentrale Rolle. Sie trugen nicht nur sehr wesentlich zur Ernährung des Menschen bei; sie lieferten auch wichtige Rohstoffe wie Felle, Knochen, Geweihe, Sehnen, Daunen und Federn. Damit lösten sie, wie gesagt, ihren Teil der unter Verwandten üblichen Reziprozitätsverpflichtungen ein. Allerdings schied man wie bei sich selbst zwischen sozusagen »geradlinigen« Abstammungs- und kollateralen, also »Seitenverwandten«. Im ersteren Fall betrachtete sich eine Gruppe jeweils mit einer bestimmten Tierspezies – beispielsweise Habicht, Adler oder Bär – gleichsam als »blutsverwandt«. Man nannte sich dann nach ihr und suchte die enge Beziehung häufig auch äußerlich durch Bemalung und Tatauierung, den Zuschnitt und die Farbwahl der Tracht, den Kopfputz und Schmuck zum Ausdruck zu bringen. Idole der Tiere wurden in kleinen Sakralhütten aufbewahrt und regelmäßig mit Opfergaben gespeist. Beide Kollektive bildeten Hälften eines einzigen komplementären Ganzen. 22
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Die Verwandtschaft schloß ein, daß man einander rücksichtsvoll und mit Respekt zu begegnen hatte und sich weder beleidigen noch schädigen oder verletzen – und vor allem: abgesehen von gewissen zeremoniellen Ausnahmefällen, nicht töten und verzehren durfte.30 Das hatte in Sibirien beispielsweise zur Folge, daß in manchen Gebieten (Klanterritorien) regelrechte Schutzparks für die betreffenden »Totemtiere« entstanden, was die sowjetische Forstverwaltung teils vor nicht unerhebliche Probleme stellte, da die »geschützten Arten« sich kräftig vermehrten und anderen, die wirtschaftlich von größerem Nutzen waren, den Lebensraum streitig machten. Nußhäher fraßen zum Beispiel den Eichhörnchen die Zedernnüsse, ihre Hauptnahrung, weg, was zu empfindlichen Einbußen in der Pelzgewinnung führte.31 Wer sich den Tieren gegenüber gebührlich verhielt, dem zeigten sie sich auch über die rein ökonomische Fürsorge hinaus erkenntlich – als Geister in Tiergestalt, die sie ja eigentlich waren. Drohte einem Jäger eine gefährliche Situation, erschienen sie ihm in der Nacht zuvor im Traum oder während des Weidgangs selbst, um ihn zu warnen. In anderen Fällen machten sie ihn durch bestimmte Zeichen (Omina) auf die Bedrohung aufmerksam. Hatte sich jemand im Wald verirrt, halfen sie ihm wieder heim. Das milderte Ängste und stiftete Vertrauen und Zuversicht. Kirk Endicott überraschte bei den Batek im Innern der Halbinsel Malakka (Malaysia), unter denen er längere Zeit gearbeitet hatte, die ungewöhnlich optimistische Lebenseinstellung. Sie gründete sich, wie er alsbald erfuhr, auf den Glauben, »daß der Kosmos dicht von wohlwollenden und hilfreichen Geistern bevölkert ist« – sehr im Gegensatz zur Anschauung der benachbarten Malayen (und auch sonst aller nicht prädatorischen Völker), »that the world is full of evil spirits«.32 Häufig besaßen Jäger auch ein engeres, ganz persönliches Verhältnis zu einem bestimmten einzelnen Tier (etwa der Totemgattung): seinem »Schutzgeist« oder auch »Alter Ego«. Im letzteren Fall begründete man die quasi »brüderliche« Beziehung damit, daß beide zur gleichen Zeit geboren waren; im ersteren mußte der menschliche Schützling seinen Schutzgeist erst gewinnen, bevor er von ihm akzeptiert, beziehungsweise »auserwählt« wurde. Indianer Nordamerikas begaben sich dazu – gewöhnlich im Pubertätsalter – an eine abgelegene Stelle tief in der Wildnis, fasteten dort, beteten und kasteiten sich, bis ihnen irgendwann, nach Tagen oder Wochen, der Tiergeist erschien. Er unterrichtete seinen Schützling dann nicht nur in der Jagd, sondern praktisch auch allen wichtigeren Fragen des Lebens, lehrte ihn besondere Gesänge, verpflichtete ihn zu bestimmten Tabus und stand ihm fortan sein Leben lang mit Rat und Tat zur Seite.33 Je mächtiger er war, desto mehr Jagderfolg hatte der Jäger.34 Manchmal war die 23
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Beziehung so eng, daß der Schützling mit der Zeit die Eigenschaften seines Schutztieres annahm35, ja beide geradezu eine Schicksalsgemeinschaft bildeten: Was dem einen widerfuhr, traf auch den anderen. In diesen Fällen handelte es sich dann mehr um ein Alter Ego-Verhältnis. Der deutsche Ethnologe Hermann Baumann (1902-1972), der sich eingehender mit der Geistigkeit der prädatorischen, speziell der Jägerkulturen beschäftigte, sah in diesem persönlichen Zweierverhältnis den ursprünglicheren »individual«- oder »personaltotemistischen«, ja eigentlich überhaupt einen elementaren Zug der genuin jägerisch-theriomorphen Weltanschauung, eine Vorstufe zum Totemismus, die er entsprechend als »Protototemismus« zu bezeichnen vorschlug.36 Verwandtschaftsbeziehungen können sowohl »blutsmäßig« auf Abstammung als auch auf Heirat beruhen. Im ersteren Fall spricht man von »konsanguinaler«, im letzteren von »affinaler« oder »Heirats«-, beziehungsweise »Schwiegerverwandtschaft«. Auch diese schloß Reziprozitätsverpflichtungen ein. In weiten Teilen Eurasiens und Nordamerikas gingen Jäger daher, um sich ihres Jagderfolgs zu versichern, auch Liebesbeziehungen, ja Ehen mit weiblichen Tiergeistern oder, wie beispielsweise im Kaukasus und Hindukusch, mit Feen in Tiergestalt ein. Allerdings spielte sich das Zusammenleben auf seiten der Menschen lediglich im Traum ab.37 Früher sollen derartige Ehen auch in der realen Tagwelt möglich gewesen sein – etwa mit einem Seehund oder Bär, einer Fisch-38, Schwanen- oder Fuchsfrau39; nur durften die menschlichen Gatten niemals die Herkunft ihrer Angetrauten zur Sprache bringen; taten sie es nämlich, legten diese gleich ihr Federkleid oder Fell wieder an und kehrten heim zu den Ihren. Die Kinder blieben in der Regel beim irdischen Partner zurück. Meist waren sie dann zu Höherem bestimmt. Für diese so wesentlich tierbezogene und sichtlich altprädatorische40 Lebens- und Weltanschauung führte Hermann Baumann die Bezeichnung »Animalismus« ein.41 Zu ihr zählten neben den bereits genannten Zügen etwa auch die Vorliebe für Fabeln und Tiermärchen42, Tierpantomimen und Tänze, in denen das Verhalten der Tiere, teils in entsprechender Maskierung, und ihre Stimmen mit Hilfe von Musikinstrumenten nachgeahmt wurden, ferner Tiervermehrungsriten, Vorstellungen von »Herren« beziehungsweise »Herrinen der Tiere« – Übergeistmächten in Tiergestalt, die für den Erhalt einzelner Gattungen oder auch des Jagdwilds insgesamt verantwortlich waren – und anderes, von dem noch im folgenden die Rede sein soll.43
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4. Schuld und Sühne Bei aller Leichtigkeit des Lebens trugen prädatorische Gesellschaften, die ihren Unterhalt zu einem Großteil von der Jagd bestritten, doch allezeit an einem ebenso elementaren wie schwerwiegenden, ja eigentlich dem Problem der Jägerkuluren, das die Sinnhaftigkeit ihres Daseins auf eine harte Probe stellte: Angehörige zu töten, war traditioneller Anschauung nach ein unverzeihliches, mehr noch ein Kardinalverbrechen, da es das Reziprozitätsgebot im Kern verletzte. Eben dazu aber sah man sich um des Überlebens willen gezwungen. Selbst wenn es sich bei den Opfern, wie in totemistischen Kulturen, »nur« um Kollateralverwandte handelte, löste die Tötung gleichwohl ein tiefes, bleibendes Schuldbewußtsein aus.44 Daher erlegte man auch immer nur soviel Wild, als man zum Leben bedurfte.45 Noch in gemischtwirtschaftlichen Gesellschaften, die ihren Unterhalt teils vom Bodenbau, teils von der Jagd bestritten, herrschte, wie bei den Kayapó in Nordostbrasilien, die Regel: »Du sollst Tiere nicht umsonst töten!«46 In diesem Sinne wurde die Jagd auch niemals gleichsam als sportliche Herausforderung, sondern als eine sehr ernste Angelegenheit, »a holy occupation«, begriffen47, die eine entsprechende Einstellung des Jägers zur Voraussetzung hatte und seine höchste Konzentration, ja immer den ganzen Menschen in Anspruch nahm. Wie das Tier im Mittelpunkt des Lebens- und Naturverständnisses stand, bezog sich, was man in prädatorischen Gesellschaften an Ritual aufwandte, in der Hauptsache auf die Jagd – insbesondere auf Großwild.48 Auf diese zentrale Tätigkeit seines künftigen Lebens wurde der junge Mann durch die »Jägerweihe« vorbereitet. Dazu rieben ihm bei Buschmännern in Südafrika zum Beispiel die Älteren in Einschnitte zwischen den Augen und am rechten Oberarm Pulver aus dem verkohlten Fleisch der wichtigsten Beutetiere, versetzt mit bestimmten »Medizinen«, ein, um auf diese Weise seine Sehschärfe, Schußkraft und Treffsicherheit auf Dauer zu stärken. In anderen Fällen, wie bei Pygmäen-Gruppen im Kongo, »salbten« sie ihn und seine Waffen mit dem Blut – speziell dem Herzblut – des während einer Probejagd von ihm erstmals offiziell zur Strecke gebrachten Tieres, gaben ihm von der Brühe des aus dem Fleisch zubereiteten Gerichts zu trinken und legten ihm anschließend einzelne der Organe, die als besonders lebenskrafthaltig galten, wie vor allem das blutende Herz, in die Hand. Die Vitalpotenzen von Jäger und Wild (ihre »Lebensseelen«) verflossen so ineinander und stifteten zwischen ihnen eine sympathetische Beziehung, eine Art »Blutsbrüderschaft«, die beide fortan zu Reziprozität und wechselseitigem Beistand verpflichtete. Den Abschluß des Ganzen 25
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bildete ein gemeinsames Fest, bei dem alle Gruppenangehörigen (manchmal auch nur die älteren Männer) von dem Mahl aus Fleisch, Blut und Fett des getöteten Tieres aßen – bis auf den Weihling selbst. Er hatte den Beweis zu erbringen gehabt, von nun an imstande zu sein, seinen Teil zum Unterhalt der Gemeinschaft beizutragen: Hoc erat demonstrandum.49 Jede Jagd – zumindest auf Großwild, wie Bären zum Beispiel – entsprach einem einzigen, komplexen Ritual. Etwa einen Tag zuvor begannen die Vorbereitungen. Die Jäger nahmen keinerlei Nahrung mehr zu sich und mieden unmittelbare Kontakte mit Frauen, vor allem aber den Geschlechtsverkehr. Tiere mochten Frauen nicht, weil sie – universaler Anschauung nach – aufgrund ihrer Monatsblutung als zutiefst verunreinigt galten.50 Eine Berührung hätte den Jäger mit ihrem Geruch affiziert und das Wild zum Abzug bewogen. Gleichwohl pflegte man sich vor dem Aufbruch noch einmal zu reinigen. Während des Angangs wurde entweder gar nicht oder nur leise und in einem spezifischen Jägeridiom, wenn man so will, einer tätigkeitstypischen Geheim- oder Sakralsprache, gesprochen. Um so mehr aber konzentrierte man sich stillschweigend, also gedanklich auf das Wild, um es gewissermaßen fernmagisch zu »bannen«.51 Hatte man schließlich Erfolg gehabt, geschah auch das Abhäuten und Zerlegen der Beute auf eine ganz bestimmte, rituell strikt vorgeschriebene und immer betont respektvolle Weise.52 Anschließend reinigten sich die Jäger wieder, indem sie einander, wie in Sibirien zum Beispiel, mit Wasser bespritzten, beziehungsweise im Winter mit Schnee bewarfen.53 Die Tötung eines »Verwandten« war und blieb ein Unrechtsakt; er hatte sie gleichsam »besudelt«.54 Vor allem aber wühlte sie immer wieder aufs neue das Schuldbewußtsein auf und gab Anlaß zu bewegten Trauerbekundungen. Man brach gewissermaßen zerknirscht ins Knie, jammerte und beklagte den Tod des Tieres, oft auf die leidenschaftlichste Weise, bat es um Verständnis und Vergebung, entschuldigte sich immer wieder bei ihm und führte abschließend Riten zur Versöhnung seiner Seele durch55 – oder schob die Schuld auch kurzerhand auf Angehörige von Nachbarethnien, in Sibirien bevorzugt auf die Russen.56 Daß man erfolgreich zum Schuß kam, dankte man weniger seinem Geschick als der Gunst des »Herrn« beziehungsweise der »Herrin der Tiere«. Das waren eine Art theriomorpher Übergeistmächte, etwa in Ren-, Hirsch-, Elch-, Bären- oder Elefantengestalt (Pygmäen), gleichsam die »Ältesten« einer bestimmten Tierspezies oder »Ethnarchen« des gesamten Wildes, dann, wie bei Buschmännern und Hadza (Ostafrika), gelegentlich auch mit dem Himmelsgott identisch. Sie trugen 26
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Verantwortung für den Erhalt und die Vermehrung der Tiere und teilten sie je nach Bedarf den Menschen als Jagdbeute zu – sofern diese ein fehlloses, »reines« Leben führten und sich vor allem an die Verhaltensvorschriften gegenüber ihren Verwandten im Tierkleid hielten. Sie waren in der einen oder anderen Form allen prädatorischen Gesellschaften bekannt.57 Zum Dank für eine erfolgreiche Jagd brachte man ihnen kleine Fleischteile oder bestimmte Organe zum Opfer dar.58 War das erlegte Wild verzehrt, pflegte man seine sterblichen Überreste, also die Knochen oder Gräten, nach Möglichkeit unversehrt und in voller Anzahl feierlich gleich einem verstorbenen Angehörigen beizusetzen, beziehungsweise dem Wasser zu übergeben.59 Das geschah in der Regel so, daß man das Skelett in der anatomisch korrekten Anordnung bestattete oder in der Wildnis auslegte, beziehungsweise Rückgrat mit Gräten in Flüssen, Seen oder im Meer versenkte. Es herrschte nämlich der – weltweit verbreitete – Glaube, daß dies die Voraussetzung für die Wiederverkörperung (durch die »Herrengeister«), sozusagen die »Auferstehung« der Tiere bilde. War ein Teil verletzt oder fehlte ein Knochen, wies das Wild nach seiner Wiederbelebung einen entsprechenden Defekt auf.60
5. Das Opfer Tiere wechselten ständig zwischen Diesseits und Jenseits, ihrer eigentlichen Heimat. Ihre Seelen »kreisten« zwischen den Welten, stellten das Bindeglied beider dar und verbürgten so die Kontinuität der Beziehung. Ihre »Herüberkunft« geschah auf Weisung der Herren der Tiere; ihr Opfergang sicherte das Überleben der Menschen, die nur fortzubestehen vermochten, weil sie den Leib der Tiere, die Gnadengabe der Geistmächte, aßen. Trotz allen Bemühens der Menschen, den Tieren »brüderlich« zu begegnen, blieb das ein ungleichgewichtiges Abhängigkeitsverhältnis, das seine Risiken barg, die namentlich Bewohnern unwirtlicher Breiten mit entsprechend kritischen Unterhaltsbedingungen voll bewußt war. Sie bedurften einer zusätzlichen Versicherung, einer Institution, die den Kontakt zu den Geistmächten verläßlich band, die Vermittlung zwischen den Welten von seiten der Menschen verbürgte und das Gefälle in den Beziehungen ausglich. Allerdings war das nur denkbar und möglich mit Billigung der – immer überlegenen – jenseitigen Mächte. Wohl alle prädatorischen Gesellschaften der nördlichen Breiten kannten die Institution des Schamanismus. Archäologischen Befunden nach reichte sie hier offen27
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sichtlich bereits bis ins Jungpaläolithikum (ca. 36000-8000 v. Chr.) zurück. Schamanen waren besondere, mit übergewöhnlichen Gaben ausgestattete Menschen.61 Vor allem beherrschten sie die Kunst, jederzeit bewußt und willentlich ihre leibunabhängige »Freiseele« vom Körper zu lösen und, dergestalt gleichsam ganz Geist geworden, mit ihr ins Jenseits zu reisen, wozu gewöhnliche Sterbliche nur im Traum imstande waren. Diese Befähigung hatten ihnen die Geistmächte verliehen. Sie bedeutete für sie, wie jede Art von Überlegenheit in traditionellen Gesellschaften, eine soziale Verpflichtung. Allem voran hatten Schamanen die Aufgabe, schwere, namentlich psychische Leiden zu heilen. Die glaubte man nämlich dadurch verursacht, daß die Seele des Erkrankten sich im Traum, während einer Tagträumerei oder Absence zu weit vom Körper entfernt und verirrt hatte – oder aber von bösartigen Geistmächten, die darauf aus waren, Jagd auf Menschen zu machen, »erbeutet« worden war und nunmehr zerlegt und verzehrt werden sollte, woraus ihre Qualen erwuchsen. Da sie nicht auf gewöhnliche Weise durch Tod ihren Körper verlassen hatte, war der Schamane gefordert einzuschreiten. Er versetzte sich dann mittels Konzentration, oft auch Gesang und Tanz, seltener den Genuß halluzinogener Drogen, in Trance, begab sich ins Jenseits, spürte die verlorene Seele auf, rang sie ihren »Jägern« ab und geleitete sie heim. Des weiteren war es Aufgabe des Schamane, die Vermehrung und den Erhalt seiner Gruppe sicherzustellen. Er verhalf Frauen, die scheinbar nicht empfangen konnten, zu Kinderseelen, indem er sich zu einem »Kinderseelenhort« im Jenseits begab, eine geeignete Seele auswählte und sie, wieder zurückgekehrt, der künftigen Mutter einblies oder ins Kopfhaar legte – von dort gelangte sie durch die Hauptfontanelle in den Leib. Bei Frauen, die bereits häufiger Kinder verloren hatten, pflegten Schamanen die flüchtigen Seelen entweder in kleinen Behältnissen ständig bei sich zu tragen oder sie an einem sicheren Ort im Jenseits unterzubringen, wo sie blieben, bis sie außer Gefahr waren. Unter Umständen konnte das Jahre dauern. Daß ihr Leib darüber nicht abstarb oder in einen komatösen Dauerzustand verfiel, lag daran, daß der Schamane mit ihnen Verbindung hielt. Man glaubte zum Beispiel, daß eine Art feiner, farbig leuchtender Faden – den allerdings nur der Schamane zu sehen vermochte – Seele und Körper auch über die Entfernung hin verband.62 Drohte dem Bestand der Gruppe Gefahr, weil insgesamt zu wenig Kinder geboren wurden (oder zu viele starben), suchte der Schamane den Hochgott im Himmel auf, unter dessen Obhut sich nach Vorstellungen prädatorischer Gesellschaften häufig – wie die Tiergeister bei den 28
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»Herren der Tiere« – die Kinderseelen befanden, und bat ihn um den nötigen Nachschub. Hatte er damit keinen Erfolg, stahl er sie auch ganz einfach bei Nachbargruppen, das heißt »jagte sie ihnen« gleichsam »ab«. Daneben zählten zu seinen weiteren wichtigen Aufgaben, mittels Hellsicht, Präkognition und Seelenreisen ins Jenseits vor Jagdzügen die Wetterentwicklung vorauszusagen, den Wildstandort zu erkunden und den »Herrn« beziehungsweise die »Herrin der Tiere« im Bedarfsfall um mehr Jagdwild zu bitten. In summa bürgten Schamanen also – ganz wie die »Herrengeister« für den Erhalt der Tiere – für die Überlebensfähigkeit und den Fortbestand ihrer Gruppen. Beide entsprachen einander, trugen bei zu mehr Ausgewogenheit im Verhältnis zwischen Tieren und Menschen. Doch waren die Tiere von höherer Art und blieben den Menschen überlegen. Sie bestimmten daher, wer ihnen als Mittler gegenübertreten sollte. Bei einem zu Großem ausersehenen Schamanen geschah das durch einen weiblichen »Herrengeist«, seine sogenannte »Tiermutter«, und zwar dergestalt, daß zwischen beiden eine besonders enge, unmittelbare Verwandtschaftsbeziehung entstand. Die »Tiermutter« tötete dazu ein erst wenige Jahre altes Kind, das ihr geeignet erschien, und verschluckte seine Seele. Besaß sie Cerviden-, das heißt Ren-, Hirsch- oder Elchkuhgestalt, wurde sie trächtig mit ihr und gebar sie dann als ihr Junges, das sie säugte und aufzog, bis seine Zeit zur Verkörperung auf Erden gekommen war. Vogelmütter, wie Adlerweibchen zum Beispiel, legten entsprechend ein Ei in einem Nest hoch oben auf dem Weltbaum ab und brüteten die Seele dort aus. Kleinere Vögel, etwa ein Specht, flogen dann mit ihr hinab in die Menschenwelt und legten sie der Frau, die zu ihrer irdischen Mutter bestimmt war, ins Haar auf die Nahtstelle der Hauptfontanelle, von wo aus sie in den Uterus gelangte und zur Empfängnis führte. Die Schamanen besaßen in diesem Fall also schon pränatal die Disposition zu ihrer künftigen Doppelnatur: Im Leben Menschen wie andere auch, waren sie doch gleichzeitig Kinder einer für prädatorische Gesellschaften schlechthin überlebenswichtigen Geistmacht – die sie zudem bis an ihr Ende mütterlich-fürsorglich betreuen sollte. Ihre Zwienatur war schon von frühauf kenntlich. Sie schienen irgendwie unausgeglichen und litten unter Nervosität, als stünden sie unter einer steten psychischen Spannung. Das änderte sich erst mit Erreichen der Pubertät, während der sie gewöhnlich ihr »Berufungserlebnis« hatten: Sie ermatteten sichtlich, schliefen viel und sprachen im Traum. Häufig überfielen sie Fieberanfälle. Dann rollten sie mit den Augen, stießen unartikulierte, wilde Schreie aus, die wie Tierlaute klangen, sprangen auf und tanzten, bis sie erschöpft zusammenbrachen. Das kam, weil 29
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sie Gesichte hatten, bei Tag wie im Traum. Ihnen erschienen tiergestaltige Geister, die sie eindringlich aufforderten, Schamanen zu werden. Zwar wehrten sie sich dagegen nach Kräften, weil sie wohl wußten, was an Entbehrung, Mühsal und Qual auf sie zukommen würde. Doch die Geister ließen nicht locker, bedrohten, schlugen, ja folterten sie, bis sie nachgaben – andernfalls wären sie zur Strafe mit lebenslangem Wahnsinn geschlagen worden. Nicht wenige nahmen sich, um dem gefürchteten Ruf zu entkommen, das Leben. Akzeptierten sie aber ihr Los, genasen sie binnen weniger Tage. Allerdings war damit ihr Werdegang noch keinesfalls abgeschlossen. Noch stand ihnen das Schlimmste, ihre eigentliche »Initiation«, bevor. Die setzte in der Regel schon kurz darauf ein. Sie versanken in tiefe Bewußtlosigkeit, atmeten nur mehr schwach und schienen wie abgestorben. Ihr Leib wies Wundmale, Druckstellen und Blutergüsse auf. Die Haut überzogen Ausschlag und Ekzeme. An den Gelenken trat Blut aus. Sie siechten förmlich dahin; es schien, als zehre sie etwas aus. Alle kannten die Zeichen: Sie bildeten lediglich äußerlich ab, was den Initianden zur gleichen Zeit seelisch, im Jenseits, widerfuhr. Üblicherweise währte der Zustand drei Tage. Der angehende Schamane erlebte in einer Art Traumvision, wie ihn Geister – gewöhnlich dieselben, die ihn zuvor berufen hatten – gleichsam »erbeuteten«, in ihr jenseitiges »Lager« verbrachten und dort seinen »Leib« zerlegten. Als erstes trennten sie, wie das auch bei getötetem Jagdwild, etwa Bären, geschieht, seinen Kopf ab und deponierten ihn an erhöhter Stelle, damit er, was in der Folge geschah, gut mitverfolgen konnte. Daraufhin zogen sie mit eisernen Haken seine Gelenke auseinander, lösten das Fleisch von den Knochen und zerschnitten es in kleine Teile, die sie mit seinem Blut tränkten und abschließend gemeinsam verzehrten. Danach vollzogen sie seine »Wiederbelebung«: Die Knochen wurden skelettgerecht wieder zusammengelegt, an den Gelenken mit Eisenfäden verbunden und mit neuem Fleisch umkleidet. Zuletzt setzten sie den Kopf auf den Rumpf. Der Initiand hatte sein Leben wiedergewonnen. Doch blieb er vorerst bei den Geistern, da noch seine professionelle Unterweisung anstand. Dabei machten ihn seine Mentoren vor allem mit der Topographie der jenseitigen Welt und den verschiedenen Krankheitsgeistern vertraut – die Voraussetzung für sichere Diagnosen – und unterrichteten ihn auch in den entsprechenden Heilverfahren. Erst danach gaben sie seine Seele frei. Sie kehrte auf die Erde zurück und verband sich wieder mit ihrem irdischen Leib, der daraufhin sofort genas. Der wahrhaft »frischgebackene« Adept war, von Grund auf gewandelt, zu einem anderen, neuen Menschen geworden. Er besaß nunmehr seine 30
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endgültige Doppelnatur, halb Mensch, halb Geist. Diese verlieh ihm die Gabe der Hellsichtigkeit, Telepathie und Präkognition. Er konnte Geister und Verstorbene sehen (bzw. sprechen oder singen hören) und ebenso tief in die Vergangenheit zurück- wie in die Zukunft vorausschauen. Vor allem aber hatte ihn seine spirituelle Neugeburt zum »Blutsverwandten« seiner künftigen Hilfs- und Schutzgeister gemacht. Beide waren fortan zu Reziprozität und wechselseitigem Beistand verpflichtet. Ein Schamane konnte daher nur Krankheiten heilen und Übel bekämpfen, deren geistige Urhebermächte mit von seinem Fleisch und Blut gegessen hatten. Je mehr es gewesen waren, desto breiter sein therapeutisches Wirkungsspektrum. Schamanen kamen, wann und zu wem immer sie gerufen wurden, gleichgültig, wie weit der Weg dahin war und welche Witterungsbedingungen herrschten. Da sie des Beistands ihrer Geister bedurften, fanden die Séancen stets nachts, während der »Geisterzeit«, statt. Bevor sie aufbrachen, fasteten sie, wie die Jäger vor der Jagd, mehrere Stunden lang und unterzogen sich einer gründlichen Reinigung. Dann legten sie ihre besondere Tracht an, die ihre Übernatur zum Ausdruck brachte und der Form nach ihrer je eigenen »Tiermutter«, ihrem persönlichen Schutzgeist, entsprach. Im allgemeinen überwogen daher zwei Typen. Im einen Fall handelte es sich um ein Cerviden-, im anderen um ein Vogelkostüm. Zu den wichtigsten Requisiten zählten – in Sibirien zumindest – besondere Zeremonialstäbe und eine Trommel. Erstere trugen die Hilfsgeister. Rundum mit ihren Darstellungen bemalt, krönte das obere Ende entweder ein plastisch herausgearbeiteter Vogel oder die Figur eines anthropomorphen, gelegentlich janusköpfigen Geistes, der gleichsam doppelte Sehkraft besaß und dem Schamanen, gleich einem Jagdfalken, bei der Suche nach verlorengegangenen Seelen (der »Beute« der bösartigen Geister) und dem Aufspüren der Wildstandorte behilflich war. Die Trommel, ein Tamburin, diente ihm zum einen als Schlaginstrument, um sich in Trance zu versetzen, zum andern als »Reittier« im Jenseits; sie entsprach dann wieder einem cerviden- oder vogelgestaltigen Hilfsgeist. Der Raum (Hütte oder Zelt), in dem sich die Séance vollziehen sollte, mußte zuvor gereinigt werden; denn universalem Glauben nach halten sich bösartige Geister nicht nur in der exosphärischen Wildnis, sondern bevorzugt auch im Schmutz der Endowelt auf. In dem Augenblick, in dem der Schamane den Raum betrat, verwandelte dieser sich zum Sakralbereich und gewann kosmische Dimensionen: Das Zeltoder Hüttendach entsprach dem Himmelsgewölbe, der Boden der Erde; der Stützpfahl in der Mitte stellte den Weltbaum dar, an dem der 31
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Schamane im Bedarfsfall durch das Rauchloch in die Oberwelt aufstieg. Unabdingliche Voraussetzung der Séance war, daß der Schamane in Trance fiel, beziehungsweise genauer: sich in einen ekstatischen Zustand versetzte, das heißt ganz Seele wurde, um seinen Leib verlassen und ins Jenseits »abheben« zu können. Das älteste Verfahren dazu scheint – wie bei Jägern auf dem Weg ins Revier – die gedankliche Konzentration gewesen zu sein. »Große« Schamanen lehnten jedenfalls Drogen als »Einstiegsmittel« ab. Sie könnten, meinten sie, die Konzentration und Fähigkeit, den Verlauf der Séance zu kontrollieren, nur beeinträchtigen. Andere nahmen immerhin rhythmisches Trommelschlagen, Gesang und Rezitationen, begleitet von gleichförmig wiegenden Körperbewegungen, zu Hilfe, die schließlich in Tanz überging, der sich bis zur entfesselten Raserei steigern konnte, die schließlich zum Absturz in die – vorübergehende – Bewußtlosigkeit führte. An zusätzlichen Stimulantien fanden in Sibirien lediglich, und keinesfalls durchgängig, der Rauch bestimmter Pflanzen und die Kappen des Fliegenpilzes (Amanita muscaria), frisch, getrocknet oder in Extraktform, verdünnt mit Wasser, Renmilch oder Pflanzensäften, Verwendung. Sie enthalten, neben anderen, teils hochtoxischen Substanzen, vor allem das Alkaloid Muscarin. Ob nun durch Konzentration, rhythmische Bewegungen, Tanz oder halluzinogene Drogen induziert: sobald sich der Schamane in Trance befand, begannen die Gesichter einzusetzen. Zunächst hörte er, näherkommend, die Stimmen seiner Geister, die nach ihm riefen. Dann erblickte er sie und unterhielt sich mit ihnen, während er die Trommel leise weiterhin schlug und sich wiegend bewegte. Allmählich löste sich seine Seele vom Körper. Wann es schließlich zum »Abflug«, zum Höhepunkt der Séance, kam, war jedem Anwesenden unverkennbar. Der Trommelschlag wurde rascher und härter. Die Bewegung steigerte sich zum rasenden Wirbeltanz. Hörbar gerieten die Geister mit in Erregung. Ihre Stimmen verstärkten sich, schwollen an zuletzt zu einem ohrenbetäubenden Pfeifen, Kreischen und Schreien. Der Schamane sprach nunmehr abgehackt, atemlos, fragte sie, wenn es um eine Krankheit ging, nach den Ursachen und beriet sich mit ihnen, welchen Weg er einschlagen, wie er am besten vorgehen solle. Dann plötzlich brach das Geschehen ab – die Seele hatte den Körper verlassen. Der Schamane sank entweder in sich zusammen, saß mit geschlossenen Augen oder abwesend in unergründliche Fernen gerichtetem Blick da oder tanzte auch zu gedämpftem Trommelschlag weiter und beschrieb dabei in summendem, manchmal wimmerndem oder gestammeltem Singsang, wo er sich gerade befand, was er sah und 32
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erlebte. Oft bezog er den Kranken mit ein. Er befragte ihn etwa nach seinen Träumen in der letzten Zeit, um ihnen mögliche Hinweise nach dem Aufenthalt der entführten Seele zu entnehmen. Fielen die Antworten vage aus, konnte ihn das vom Weg abbringen. Dann versuchte er, durch gezieltere Fragen präzisere Angaben zu erhalten. In der Hauptsache jedoch waren ihm seine Geister bei der Suche behilflich. Endlich am Ziel, entrang er die Seele des Kranken, sei es mit List oder Gewalt, ihren Entführern und geleitete sie heim. War schließlich nach mehreren Stunden alles vorüber, brach der Schamane meist in totaler Erschöpfung zusammen und versank entweder in Bewußtlosigkeit oder tiefen Schlaf, der bis zu 24 Stunden währen konnte, oder er lag noch lange wachend da, ohne ein Wort zu sprechen. Schamanen nahmen ihre Aufgabe ernst und faßten sie auf als das, was sie war: als soziale Verpflichtung, den Ihren wie den guten Geistern gegenüber, im Verein mit denen es seine Aufgabe war, das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren, zwischen Diesseits und Jenseits ungestört aufrecht- und stabilzuerhalten. »Ein Schamane«, erfuhr die russische Ethnologin Anna Smoljak noch vor wenigen Jahrzehnten bei den Nanaj am unteren Amur, »gehört nicht sich selbst«. Da er häufig gebraucht wurde, konnte er seinen und seiner Familie Lebensunterhalt nur sehr bedingt bestreiten. Allerdings halfen ihm dankbare Patienten mit Nahrungsmitteln und anderem, was er zum Leben brauchte, aus – falls sie dazu in der Lage waren. Denn im eigentlichen Sinne entlohnen lassen durften sich Schamanen nicht. Das hätte sie auf der Stelle den Beistand ihrer Geister gekostet, die ihnen das kategorisch versagten. Die Tochter eines Nanaj-Schamanen klagte noch 1972 Anna Smoljak gegenüber: »Vater ist vollkommen verarmt; sie kommen aus den verschiedensten Dörfern und bitten ihn zu schamanisieren; niemals lehnt er ab. Er fischt nicht, schlägt kein Holz zu und schamanisiert nur.« Schamanen gaben sich auf im Dienst für die Ihren, ohne irgendeinen materiellen Vorteil daraus zu ziehen. Sie führten ein entbehrungsreiches, hartes, ja qualvolles Leben, ständig gefordert, ein Höchstmaß an physischer und psychischer Disziplinierung, an Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft aufzubringen. Das prägte nicht zuletzt ihre Persönlichkeit. Selten machten sie einen frohen oder gar glücklichen Eindruck. Die Last des Amtes und der Verantwortung, die sie trugen, drückte sie nieder. Hager und abgezehrt, oft müde und erschöpft von der steten Überanstrengung, bewegten sie sich meist langsam, ja schleppend, scherzten und lachten kaum, wirkten nachdenklich, in sich gekehrt und ernst. Man scheute sich in gewisser Weise vor ihnen, was sie isolierte und einsam machte. Doch gleichzeitig verlieh ihnen 33
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auch ihre besondere, fast unheimliche Würde, die sie wie eine düstere Aura umgab, so etwas wie tragische Größe.
6. Die gelöste Gesellschaft Die Lebensräume der alten, traditionellen Gesellschaften waren ihre »Welt«. Im Verlauf ungezählter Generationen hatten sie allmählich gelernt, sich an ihre Bedingungen anzupassen. Das bedeutete nicht nur, daß sie wußten, wo sich ihre lebenswichtigen Ressourcen befanden, und daß sie Gerätschaften und Techniken entwickelt hatten, sie ökonomisch optimal auszuschöpfen. Sie mußten, um sich ihrer dauerhaft versichern zu können, auch eine Vorstellung davon haben, welche »Bewandtnis« es mit ihnen hatte, das heißt was ihr Dasein, ihre Eigenart und Eigenschaften begründete und wie mit ihnen umzugehen war, um ihren Bestand nicht zu gefährden. Die ökonomische vervollständigte stets die ideelle Anpassung: Anschauungen über die Natur, die Niederschläge, Sonne und Mond, die Jahreszeiten, Pflanzen und Tiere. Beides bedingte einander, bildete das Ganze der ethnischen Vorstellungswelt. Die aber verbürgte das Leben nur, wenn sie keinerlei Beeinträchtigung erlitt. Traten Störungen auf, mußten das »Neuartige«, das sie bedeuteten, entweder paßgerecht integriert oder vernichtet beziehungsweise ausgeschieden und die Schäden, die es angerichtet hatte, behoben werden. Denn nur, wenn die erfahrene, gelebte und gedachte Wirklichkeit stimmig und konsistent schien, vermittelte sie auch den Eindruck überzeugender Sinnhaftigkeit. Allein, diese Bedingung erfüllte keine Kultur. Menschen erkrankten, manche waren von Jagdpech verfolgt oder fielen Raubtieren zum Opfer, Stürme rissen die Hütten hinweg, Steppen- und Waldbrände vertrieben das Wild. Die Schuld dafür suchte man stets bei sich selbst: Die Menschen waren der schwächere, anfälllige Teil in der Komplementaritätsbeziehung zwischen den Sterblichen und den Geistmächten, zwischen Diesseits und Jenseits. Sie erlagen schon mal einer Versuchung, brachen Tabus und begingen Verfehlungen. Doch ließ sich ihre Schuld in den meisten Fällen »wiedergutmachen«: durch Buße, Opfer, Versöhnungs- und Restituierungsmaßnahmen. Das galt jedoch nicht generell. Zwar kannten prädatorische Gesellschaften keine unsühnbaren Vergehen – und entsprechend auch keinen Schlimmen Tod, der die »ewige Verdammnis«, ein Dasein der »Untoten« (der »verlorenen Seelen«), zur Folge hatte; doch litten sie an einem grundlegenden, in ihrer Lebensweise begründeten Widerspruch, der sich insofern nicht aus der Welt schaffen ließ und sie zeitlebens 34
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schuldig machte. Da der Tatbestand nicht zu umgehen war, mußten sie Wege finden, ihn so zu erklären, daß ihr Sinnsystem, das ihnen die unerläßliche Handlungs- und Verhaltensorientierung im Leben verlieh, plausibel blieb. Ihr zentrales Problem bestand darin, daß sie ihre Verwandten im Tierkleid töten mußten. Doch sahen diese das ein. Schließlich konnten sie ihren Verwandten nicht die Lebensgrundlage entziehen. Ihre »Herren« maßen den Menschen daher immer eine bestimmte Anzahl von Tieren zu. Und auch diese folgten dabei nicht lediglich der höheren Weisung, sondern schickten sich, wie man weithin glaubte, bereitwillig in ihr Los, um ihren »Vettern« zu helfen. »The Washo [Nevada] believed, as did most American Indians, that game animals voluntarily allowed themselves to be killed for the benefit of man.«63 Doch immer nur unter dem Vorbehalt, daß auch die Menschen ihren Teil der Reziprozitätsverpflichtung erfüllten, das heißt ihren »älteren« Verwandten den schuldigen Respekt erwiesen, achtsam mit ihren Gaben umgingen, sich für die Tötung der Tiere entschuldigten und sie ordnungsgemäß bestatteten – denn das verbürgte ihre Wiederauferstehung. Dies und daß die Jagd mit ausdrücklicher Billigung der »Herrengeister« geschah, löste das Schuldempfinden der Jäger langfristig auf. Menschen und Tiere handelten einvernehmlich. Kehrten die Tiere ins Jenseits heim, konnten sie ihren »Herren« berichten, wie gut sie die Menschen behandelt hatten. Sie vermittelten zwischen den Welten, hoben mögliche Mißverständnisse auf und halfen darüber hinaus noch ihren »jüngeren« Vettern auf Erden durch warnende Zeichen und oft auch, indem sie ihnen als persönliche Schutzgeister zur Seite standen. Es gab also keinerlei Anlaß zu befürchten, daß die Tiere den Menschen das Jagen verübelt hätten. Es fand Platz im prädatorischen Sinnsystem. Gleichwohl konnte man sich dessen doch niemals vollends gewiß sein. Etliche sibirische und nordamerikanische, einstmals offenbar wohl auch alle nordeurasiatischen Jägervölker taten daher ein übriges, die Beziehung zwischen Menschen und »Herrengeistern« zu festigen. Jahr für Jahr fing man ein Bärenjunges ein, zog es, gleich den eigenen Kindern, auf das liebevollste auf, ja verwöhnte es allseits nach Kräften, um es zuletzt im Rahmen einer großen Feierlichkeit, an der die gesamte Gemeinschaft teilnahm, kollektiv zu töten. Der Schädel mit dem Fell daran wurde inmitten des Lagers aufgebockt, damit der Bär – ganz wie der Schamanenanwärter nach seiner »Tötung« durch die Geister während der Initiation – am Folgegeschehen teilhaben konnte. Man suchte ihn nämlich mit Spielen, Wettkämpfen, Musik, Tanz und Gesang aufs beste zu unterhalten. Zum Abschluß fand eine Gemeinschaftsmahlzeit 35
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statt, die zur Hauptsache aus dem Fleisch des getöteten Bären bestand. Alle aßen also davon – wie die Hilfs- und Schutzgeister des künftigen Schamanen nach seiner Zerstückelung – und bestärkten dadurch die sympathetische Verwandtschaftsbeziehung zwischen Menschen und Tieren. Die Isomorphie zwischen Schamaneninitiation und Bärenfest entsprach dem grundlegenden Komplementaritätsverhältnis zwischen dem diesseitigen und dem jenseitigen Teil der Verwandtschaft. Nach Beendigung des Mahls wurde die Seele des Bären feierlich verabschiedet und zurück zu ihrem »Vater«, in diesem Fall dem bärengestaltigen »Herrn der Tiere«, gesandt. Man beschwor sie, ihm zu berichten, wie gut es seinem »Kind« bei seinen irdischen Verwandten ergangen war, und ihn zugleich auch noch einmal ebenso um Vergebung wie um weitere Gnadenerweise, also Jagdglück, zu bitten.64 Doch zeigt auch dies, daß man sich der Unausgewogenheit im Verhältnis zwischen Menschen und Geistmächten bewußt, das heißt über seine bleibende Abhängigkeit im klaren war. Sie glich zwar nicht ganz, aber doch zu einem erheblichen Teil der Schamane aus. Dank seiner Doppelnatur als Kind eines weiblichen »Herrengeistes« und durch seine Verwandlung im Jenseits – gleichsam dem Gegenstück zur Jägerinitiation – zum »Blutsbruder« der Geister geworden, vermochte er jederzeit unmittelbar mit ihnen zu kommunizieren und im Bedarfsfall selbst die »Herren der Tiere«, ja Gott zu erreichen. Tod, Zerstückelung, Verzehr seines Leibes und Wiederauferstehung hatten ihn das Los der Tiere durchleiden lassen; wie sie opferte er sich für die Seinen auf, trug gleichzeitig aber auch die Verantwortung für ihre Fortexistenz, wie sie die »Herrengeister« für ihre »Angehörigen«, die Tiere, trugen. Der Schamane hatte so teil an allem, was die Existenz prädatorischer Gesellschaften verbürgte: an Leben und Leiden der Menschen und Tiere und der Verantwortung der jenseitigen Übermächte, den Bestand des Daseins zu garantieren. Er war der »geborene« Vermittler zwischen beiden Seiten des tiermenschlichen Verwandtschaftsverbandes; kam es zu Unstimmigkeiten, trug er sie aus. So schien das Dasein doch annähernd ausgewogen. Das Töten der Tiere, das Kardinalproblem jägerischer Gesellschaften, erschien sinnvoll, weil es Teil der Reziprozitätsverpflichtung unter Verwandten war und eine freiwillige Leistung der Tiere – beziehungsweise Geister oder Tiergeister – darstellte, die insofern auch eigentlich eine Selbstverständlichkeit war, als Ältere immer verpflichtet sind, Jüngeren beizustehen. Freilich setzte das immer voraus, daß auch die Menschen ihren Teil der Verpflichtung einlösten. Es kam darauf an, wie Polar-Eskimo Knud Rasmussen gegenüber erklärten, »sich strikt den von den Vorvätern überkommenen weisen Lebensregeln gemäß zu verhalten« und so 36
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»die richtige Balance zwischen den Menschen und dem Rest der Welt« zu wahren.65 Im Grunde hat Sinnbildung nicht allein mit der Erklärung von Widersprüchen und Fragwürdigkeiten oder »Kontingenzbewältigung«, sondern ebenso auch mit Rechtfertigung zu tun – dafür, saß man wissentlich schuldhaft handelt, aber weder imstande ist, davon abzugehen, noch willens, sich der Tatsache immer bewußt zu sein und ständig mit ihr leben zu müssen. In prädatorischen Gesellschaften war das Problem gelöst; es bestand kein Anlaß, sich Sorgen zu machen. Ihr Glaube verlieh »ihrem Dasein«, wie Kirk M. Endicott für die Batek Dè im Südteil der Halbinsel Malakka (Malaysia) bestätigt, »Bedeutung und Wert und gab ihnen die Gewißheit, daß ihre Art zu leben richtig war und sich im Einklang (in harmony) mit der Natur befand«.66 Forscher, die länger mit ihnen zusammenlebten, beschreiben sie denn auch übereinstimmend als auffallend gelöste und heitere Menschen, die immer Anlaß zu Spaß und Gelächter fanden.67
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Von lat. praedator, »Beutemacher«. Lee 1968: 30ff. Woodburn 1968: 49ff. In einem Diskussionsbeitrag in Lee/DeVore 1968: 85ff. Müller 1997: 114ff. Frazer 1963: 204ff. Vasil’ev 1948: 103. Spindler 1962: 39. Silberbauer 1981: 65f. Eliade 1985: 19. Sternberg 1905: 248. Anonymus 1863: 4. Spindler 1962: 39. Haaf 1967: 61. Frazer 1963: 205. Vgl. Hallowell 1926: 7. Taksami 1976: 204. Silberbauer 1981: 64ff. Kohn 1986: 267. Kohn 1986: 268f. Taksami 1976: 204f. Vgl. z.B. Rivers 1920: 58. Kaberry 1939: 42. Tonkinson 1978: 86. Zolotarev 1937: 122. Paulson 1965: 162. Vgl. z.B. Endicott 1979: 70ff. Howell 1984: 63. Vgl. Frobenius 1923: 178. Müller 1999: 11ff. Vgl. Frobenius 1923: 171, 172, 178. Armstrong 1928: 130ff. McConnel 1936 u. 1937. Mohs 1994: 192f.
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Klaus E. Müller 20 Guenther 1989: 31f. 21 Frobenius 1923: 171, 176; vgl. a. 172. 22 Vgl. z.B. Armstrong 1928: 127. Petrullo 1939: 237. Goldman 1963: 258. Frazer 1963: 204f. 23 Hein 1999: 30. 24 Suslov 1931: 104. Nahodil 1958: 138, 141, 143ff. 25 Müller 1996: 281f. 26 Vgl. Hallowell 1926: 8. 27 Schrenck 1881: 761f., 773f. 28 Herodot II 123. Paulson 1960: 96. Frazer 1963: 285. H. Baumann 1965: 46f. Alekseenko 1976: 103. Smoljak 1991: 23, 123. 29 Frazer 1963: 285ff. 1963a: 417f. 30 Suslov 1931: 104. Steinitz 1938: 134. Jettmar 1954: 22. Frazer 1963: 204208. 31 Prokof’eva 1952: 97f. 32 Endicott 1979: 171. Vgl. Hallowell 1926: 8. Goldman 1963: 258. Kohn 1986: 268. Smoljak 1991: 30, 81. 33 Batchelor 1892: 252. Hallowell 1926: 8. Frazer 1963: 207. Benedict 1964: 22f., 48f. u. passim. Smoljak 1991: 46. 34 Smoljak 1991: 81. 35 Frazer 1963: 207. 36 H. Baumann 1950: 17, 19. 1952: 170. 1965: 39, 42f. 37 Freshfield 1902: 219f. Bleichsteiner 1919: LXVII. Wundt 1923: 184. Findeisen 1956: 16. Nahodil 1958: 141. Jettmar 1958: 254. 1960: 124. Gadzieva 1961: 326. Taksami 1976: 205, 215f. Kohn 1986: 268. Smoljak 1991: 29. 38 Findeisen 1956: 15f. Nahodil 1958: 144. Chaitun 1962: 151. Taksami 1976: 208, 215f. 39 Shimada 1994: 62f. 40 Nach entsprechenden Befunden aus dem Jungpaläolithikum zu schließen. 41 H. Baumann 1950: 19. 1950a: 191. 1952: 170. 42 Lar’kin 1964: 114f. Vgl. z.B. Bogoras 1917. 43 Vgl. dazu u.a. Sauer 1803: 71. Friedrich 1943: 191. Vasil’ev 1948: 103. Findeisen 1957: 28. Eliade 1985: 19. 44 Findeisen 1957: 22f. 45 Haekel 1959: 512. Spindler 1962: 39. 46 Lukesch 1969: 78. 47 Heizer 1955: 7. Haekel 1959: 512. 48 Vgl. z.B. Köhler 1973: 219, 227. 49 Müller 1996a: 78ff. 50 Haekel 1959: 512. Müller 1984: 101ff. 51 Smoljak 1966: 124. Park 1975: 43. Müller 1987: 245ff. Novik 1989: 156, 159. 52 Vgl. z.B. Vasil’ev 1948: 103. Findeisen 1957: 24. 53 Findeisen 1957: 23f. ^
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Bruder Tier 54 Vgl. z.B. Köhler 1973: 245, 252. 55 Krascheninnikow 1766: 114. Anonymus 1863: 351. Westermarck 1909: 393. Rasmussen 1929: 190. Friedrich 1941-43: 22. Jettmar 1954: 22. Haekel 1959: 512. Spindler 1962: 39. Frazer 1963: 222ff., 235. 56 Lubbock 1875: 232. Jensen 1949: 137. Findeisen 1957: 25. Frazer 1963: 222. 57 Vgl. z.B. H. Baumann 1939: 210ff. Findeisen 1957: 19ff. Haekel 1959: 511. Köhler 1973: 231f. Kohn 1986: 267f. 58 Kohl-Larsen 1958: 45. Haekel 1959: 512f. Köhler 1973: 219. 59 Westermarck 1909: 393f. Speck 1915: 27. Vasil’ev 1948: 103. Findeisen 1957: 24. 60 Frobenius 1923: 178. Nachtigall 1953: 56. Findeisen 1956: 25f. 1957: 26ff. Eliade 1961: 162. Chelius 1962: passim. Frazer 1963: 256ff. 61 Die folgende Darstellung nach Müller 2001. 62 Die Vorstellung von der Seelenverwahrung in einer Art jenseitigem Schließfach liegt sichtlich auch dem Grimm’schen Märchen Der gläserne Sarg (Nr. 163) zugrunde. Offenbar war die Praxis früher weiter verbreitet. 63 Downs 1966: 30. Vgl. a. Kohn 1986: 268. 64 Hallowell 1926. Zolotarev 1937. Slawik 1952. Paproth 1976. Kohn 1986. Vgl. zu einem analogen Ritual bei Buschmännern Köhler 1973: 247ff., 252f. 65 Rasmussen 1929: 62. 66 Endicott 1979: VII. 67 Vgl. z.B. Petrullo 1939: 227. Endicott 1979: VII.
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Verflucht sei der Acker Klaus E. Müller 1. Die Bestellung der Welt Der Niedergang der jahrhunderttausendealten prädatorischen Kulturen begann in Eurasien mit dem Abklingen der letzten Eiszeit um 10000 v. Chr., dem einschneidende Veränderungen in den Umwelt- und Unterhaltsbedingungen folgten. Im Zuge der fortschreitenden Erwärmung rückten Nadel-, Laub- und Mischwälder weiter nach Norden vor. Der Wildbestand wechselte, das Angebot an genießbaren Vegetabilien und fruchttragenden Sträuchern und Bäumen wuchs, Flüsse und Seen wiesen zunehmend reichere Fischbestände auf – das Jungpaläolithikum ging in das Mesolithikum (8000-4000 v. Chr.) über. Die Jagd trat gegenüber Fischfang und »Erntewirtschaften« zurück. Gleichzeitig begünstigte der neuerliche Ressourcenreichtum Spezialisierungsprozesse. Manche Gruppen lebten nunmehr überwiegend als »Küstensammler« von Muscheln, Krebsen, Austern, Seeigeln und anderem kleinerem Watt- und Seegetier, andere von der Binnenfischerei oder als »Erntevölker« von Haselnüssen, Eicheln, Gras- und Wildgetreidesamen. Die deutlicheren saisonalen Schwankungen im Nahrungsangebot nötigten zu Konservierungsmaßnahmen und planvoller Vorratshaltung: Fisch-, vor allem Lachsfleisch wurde gedörrt beziehungsweise geräuchert, Tran in Tierblasen, später Tonkrügen, Samenkörner und Nüsse in Körben und anderen geeigneten Behältnissen aufbewahrt. Mit der gewachsenen Tätigkeitsvielfalt mehrte und differenzierte sich der Gerätebesitz. Wo die Voraussetzungen das zuließen – wie an Küsten und den Ufern fischreicher Flüsse und Seen – entstanden ortsfeste Siedlungen. Die Gruppen vergrößerten und festigten sich. Allerdings wuchs mit der wirtschaftlichen Spezialisierung auch die Abhängigkeit von den überwiegend genutzten Nahrungsressourcen. Die Einsicht erwachte, daß sich dem Risiko mit gezielten Hege- und Pflegemaßnahmen begegnen ließ. Ansätze dazu waren noch in rezenter Zeit bei etlichen prädatorischen Gesellschaften zu beobachten. Frauen westaustralischer Aborigines steckten zum Beispiel Teile des gestochenen Wildyams zur erneuten Knollenbildung in den Boden zurück1; die Shoshone in Nevada säten Körner2 der von ihnen gesammelten Grassamen aus, um ihre Ernteerträge zu erhöhen. Besonders deutlich traten die neuen Entwicklungen im Natufien (12000-7000 v. Chr.) in Erscheinung, einer mesolithischen Kulturgruppe Vorderasiens, deren Verbreitungsbereich sich vom heutigen 40
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Verflucht sei der Acker
irakischen Kurdistan bis nach Unterägypten erstreckte. Die Menschen ernährten sich hier offensichtlich zu einem großen Teil vom Samengut wildwachsender Gramineen- und Getreidearten, also als »Erntevölker«, und lebten weitgehend seßhaft in Weilern mit Rundhütten aus Stampflehm. Unter den Hinterlassenschaften fanden sich auffallend viele Steinmörser mit Stößeln und Handmühlen (Steinschalen mit Mahlsteinen). Vorratsgruben mit einer Tiefe von knapp einem und einem Durchmesser von bis zu sechs Metern bezeugen, daß die »Ernten« reichlich genug ausfielen, um überschüssige Sammelerträge zur späteren Nutzung zurücklegen zu können. Damit waren die Grundlagen zur Entstehung der Agrikultur gegeben. Allerdings dürfte sich der Übergang von der reinen Erntewirtschaft zum planvollen Anbau am ehesten in Gegenden vollzogen haben, in denen die Sammelerträge aufgrund schwankender Witterungsbedingungen ungesichert erschienen, so daß ein Anreiz bestand, gezielt Einfluß auf das Wachstum der genutzten Wildpflanzen zu nehmen.3 Im Verbreitungsbereich des Natufien waren derartige Voraussetzungen in den höhergelegenen Gebirgstälern der nördlichen Randbereiche Vorderasiens (Anatolien, Iran, Afghanistan) mit ihren spärlichen Niederschlägen, strengen Wintern und Überschwemmungen nach der Schneeschmelze gegeben, in denen sich in der Tat auch die – bislang – ältestbekannten, eindeutig agrarkulturlichen Siedlungen nachweisen lassen. Sicherlich herrschten analoge Bedingungen auch in anderen Teilen der Welt, weshalb man auch annimmt, daß der Bodenbau unabhängig an mehreren Stellen entstand. Als historisch bedeutungsvollstes Ursprungszentrum hat sich jedoch – neben Mesoamerika in der Neuen Welt – allein Vorderasien erwiesen. Von hier aus breitete sich die neue Wirtschaftsform nach ihrer Entstehung zwischen 10000 und 8000 v. Chr. strahlenförmig über den Mittelmeerraum nach Nordafrika und Europa (»Linienbandkeramische Kultur«, 5800-4500 v. Chr.), über Nordostafrika und die Sahara in den Sudan (4. Jt.), über Innerasien nach China (6.-5. Jt.) und östlich nach Indien (4.-3. Jt.) aus, wobei das Anbauprinzip teils auch auf andere, lokale Pflanzen übertragen wurde. In Vorderasien und seinen nächstgelegenen Einflußbereichen bildeten die ältesten und für die Ernährung grundlegenden Kulturpflanzen Gerste und Weizen (Einkorn, Emmer und Saatweizen) sowie die Hülsenfrüchtler Wicke, Linse, Erbse und Bohne (Sau- oder Puffbohne, Vicia faba maior). Daneben spielten Jagd, Fischfang und die übliche Sammelkost (Beeren, Nüsse, Insekten, Schnecken usw.) auch weiterhin eine wichtige Rolle – das Zeitalter der Agrikultur, das Neolithikum, hatte begonnen. Die Ethnologie unterscheidet zwei Haupttypen des traditionellen 41
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Bodenbaus: den vorhochkulturlichen Pflanz- oder Feld- und den hochkulturlichen Pflugbau. Leitgeräte des ersteren Typs, der frühagrarischen oder Pflanzerkulturen4, auf die sich die folgenden Ausführungen zur Hauptsache beziehen, bilden die Handgeräte Grab- und Pflanzstock (Ozeanien und Amerika) und Hacke (Afrika, Ostasien und Teile Indonesiens). Der Anbau, in den Tropen auf Wurzel-, Knollen- (Yams, Taro, Maniok, Batate), Stauden- (z.B. Banane) und Fruchtbaum- (z.B. Palmen, Brotfrucht- und Mangobaum), in den Subtropen verstärkt auf Zerealienbaubasis (Hirsen, Reis, Mais, Gerste, Weizen), wird extensiv, das heißt ohne besondere Ameliorationsverfahren, betrieben. Zur Ergänzung hält man einige wenige Ziegen, Schweine und Geflügel. Mit der Entstehung des Bodenbaus hatte sich eine einschneidende Wende vollzogen, wenn auch nicht abrupt und »revolutionär«, sondern allmählich in den verschiedensten Übergangs- und Mischformen über viele Jahrhunderte hin.5 Als die bedeutsamste und folgenreichste Neuerung darf man wohl, nach dem jahrhunderttausendelangen mobilen, »nomadisierenden« Dasein, den Übergang zur Seßhaftigkeit betrachten, da er eine Reihe das Leben und Denken wesentlich umprägender Konsequenzen nach sich zog: 1. Die Arbeitsteilung war in frühagrarischen Kulturen weniger deutlich geschieden; die Grenzen verwischten sich. Beim Anbau arbeiteten die Gatten einander unmittelbarer zu. Manches wurde von den Familien, benachbarten Haushalten oder dem gesamten Dorf gemeinsam verrichtet. 2. Die komplexere Erwerbswirtschaft (Sammeln, Fischerei, Jagd, Bodenbau, Viehhaltung) erforderte neue Verarbeitungstechniken und ein entsprechend differenzierteres Werkzeug- und Geräteinventar, das sich nunmehr problemlos in Haus oder Hof aufbewahren ließ: Die – zumindest längerfristige – Seßhaftigkeit erlaubte die Akkumulation von materiellem Besitz und konservierungsfähigen, beziehungsweise haltbaren Nahrungsmitteln in größerem Umfang. 3. Die Gruppen waren größer, ihre Mitlieder unmittelbarer voneinander abhängig geworden. Gleichzeitig konnte niemand dem anderen mehr durch Fortzug ausweichen, weil er damit seinen Anspruch auf Haus, Güter und Land aufgegeben hätte. Das stärkte zum einen zwar das Gemeinschaftsbewußtsein, erforderte aber gleichzeitig auch differenziertere und möglichst eindeutige Zugehörigkeits-, Besitz- und Rechtsregelungen sowie klare Kompetenzen-, Aufgaben- und Pflichtenzuweisungen: Die Kleinfamilien weiteten sich zu lokalen Verwandtschaftsverbänden (Lineages, Sippen, Klane) aus, in denen der alters-, geschlechts- und erfahrungsbedingte Status 42
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Verflucht sei der Acker
des einzelnen über seine Position und Verantwortlichkeiten entschied. Da die ortsansässigen Gemeinschaften ihres weiterhin geringen Umfangs wegen über zu wenig altersgemäße Heiratspartner verfügten, wurde es zur Regel, sie in – meist bestimmten – Nachbargruppen zu wählen (Exogamie). Um zu verhindern, daß die eigenen Besitzansprüche dadurch »aufgeweicht« wurden, engte man die noch für prädatorische Gesellschaften typische bilineare auf die unilineare, das heißt entweder patri- oder matrilineare Abstammungsordnung ein. In beiden Fällen gehörte dem unilinearen Verwandtschaftsverband das Land; der Partner zog jeweils zu. Erbberechtigt waren daher in erster Linie die »Bluts«-, das heißt die unmittelbaren Abstammungsverwandten, nicht die Frau (bzw. der Mann), und erst recht nicht die Schwiegerverwandten. Die Kontinuität der Gruppe, ein wichtiges Unterpfand für ihre Identität, setzte sich fließend über die via Unilinearität verbürgte »Blutsreinheit« fort. 4. Die gewachsene Komplexität von Interessen, Aufgaben und Tätigkeiten barg ein erhöhtes Konfliktpotential. Dem hatte ein Mehr an Normen und Verhaltensregularien entgegenzuwirken. Das Reziprozitätsgebot verschob sich von der individuellen zur kollektiven, von der unmittelbaren zur redistributiven Entgeltsverpflichtung, derzufolge zwischen Leistung und Gegenleistung ein größerer zeitlicher Abstand bestehen konnte. Eine Anzahl von Binde- und Integrationsmechanismen verbürgte Gewährleistung und Erhalt der sozialen Kohärenz. Den gängigen Statuskriterien der – überwiegend patrilinearen – ortsfesten Gesellschaften entsprechend wuchsen Führung und Rechtshoheit mehr und mehr den männlichen Ältesten zu. Folge wie Ideal waren ein hohes Maß an Solidarität und Identitätsbewußtsein. 5. Frühagrarische Kulturen waren ökonomisch weitgehend autark und politisch in der Regel autonom. Die kontinuierliche Bindung an ein und denselben, eng und klar umgrenzten Raum führte zu optimaler Anpassung und in der Folge davon zur Absolutsetzung der eigenen Daseinsordnung: Die dörfliche Endosphäre galt als Welt schlechthin, ihre Bewohner als die eigentlichen, wahren Repräsentanten der Menschheit – beide von den Göttern vollendet erschaffen. Die Lebens- und Weltanschauung wurde von der Ideologie des Nostro-, beziehungsweise Ethnozentrismus beherrscht. Man glaubte sich aufgehoben im Kern einer »Kugelwelt«; die Kosmologie entsprach einem dualistischen Schalenmodell: Die endosphärische Binnenwelt, in der allein das Dasein bestmöglich verwirklicht erschien, war rings von einer fremdweltlichen Exosphäre 43
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umschlossen, die mit wachsender Entfernung zunehmend mehr ihre negative Hohlform darstellte. Unter den Voraussetzungen des agrarischen Daseins bildete sich die scharfe Scheidung zwischen »Kulturland« auf der einen und Wildnis, Busch oder Wald (»Urwald«), erfüllt von lebensfeindlichen, zerstörerischen Kräften, auf der anderen Seite heraus.
2. Die Verstrickung Frühe wie spätere, weiter ab von den Hochkulturen gelegene frühagrarische Gesellschaften führten, wenn auch auf begrenztem Raum, ein hinreichend auskömmliches Leben; ihre Ertragsflächen waren mit dem Kulturland rings um das Dorf identisch. Die Pflanzungen konnten zwar, wenn der Boden nach Jahren erschöpft schien, weiterverlegt werden (sog. Landwechselwirtschaft, bzw. Brandrodungsfeldbau), doch nur innerhalb der Territoriumsgrenzen. Anders als Wildtiere waren die Kulturpflanzen an den bebauten Boden gebunden, sie lebten »seßhaft« wie die Menschen selbst. Das intensivierte zum einen beider Beziehungen, verstärkte zum andern aber auch ihre Abhängigkeit voneinander. Die Ernten konnten durch Schädlingsbefall oder Krankheiten gefährdet, durch Dürren oder Unwetter vernichtet werden. Für das eine wie das andere suchten die Menschen abermals die Schuld bei sich selbst: Dergleichen geschah, wenn es zu schweren Verfehlungen gekommen war. Mensch, Gesellschaft und Natur bildeten eine einzige sympathetische Beziehungsgemeinschaft. Entsprechend wuchs in Agrarkulturen der Druck auf traditionskonformes Verhalten. Doch hatte es damit noch nicht sein Bewenden. Zwar sah man die stete Gefährdung durch die Abhängigkeit von den Kulturpflanzen wie vormals von den Tieren gebannt durch den Glauben, daß die Menschen und ihre Hauptanbaupflanzen »Blutsverwandtschaft« verbinde (wovon noch die Rede sein wird), was beide entsprechend zur Reziprozität verpflichtete, doch verschärfte das wieder nur das Problem, daß man seine »Verwandten«, um überleben zu können, alljährlich gewaltsam töten, zerstückeln und zerstampfen, beziehungsweise zermahlen und dem Feuer übergeben mußte.6 Jahr für Jahr verstrickten die Menschen sich so aufs neue in Schuld. »Erntevölkern« hatte sich das Problem noch nicht gestellt. Sie sammelten ihre Nahrung (Eicheln, Nüsse, Früchte, Samenkörner) vom Boden auf, pflückten sie ab und klopften das Korn aus den Ähren aus. Jetzt jedoch war man genötigt, Teile des »Leichnams« der getöteten Verwandten im Pflanzenkleid 44
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Verflucht sei der Acker
alljährlich im Frühjahr unter die Erde zu bringen, dann die Keimlinge sorgsam zu hegen – um ihnen zuletzt, kurz nach Erreichen ihrer Reife, mit Messer oder Sichel wieder das Leben zu nehmen. Dies lud den Menschen ein Los auf, das nur tragbar erscheinen konnte, wenn sich dafür eine plausible und entlastende, das heißt sinnvolle Begründung finden ließ. Normierte, traditionelle Lebensformen besitzen für alle, die sie teilen, Bedeutung. Vieles geschieht zwar routinemäßig; anderes, was Mühsal bereitet, wird als unabwendbar hingenommen – »doch jede gebilligte Handlung oder Vorstellung, jede Institution einer Kultur« kann nur von Bestand sein, wenn sie »›Sinn macht‹«.7 Kulturen lassen sich daher auch als Sinnsysteme begreifen8, die Erfahrung, gebunden in der normativ sanktionierten Tradition, durch deutenden Zugriff als Summe eines geordneten, konsistenten Bedeutungszusammenhangs ausweisen und den Menschen damit verbindliche Orientierungsrichtlinien für Denken und Handeln vorgeben.9 Um diese Funktion verläßlich erfüllen zu können, müssen sie tauglich, das heißt bewährt erscheinen und einsichtig begründete Antworten auf alle grundlegenden Fragen des Daseins geben. In frühagrarischen Kulturen zogen sich die wichtigsten Lebensanliegen um den Bodenbau und die Hauptanbaupflanzen zusammen. An die Stelle der ehemals animalistischen trat eine dezidiert phytochthone Seinsauffassung, insgesamt komprimierter, weil der räumliche Bezugsrahmen enger geworden war. Es bildeten sich – in der Diktion Thomas Luckmanns – umgedeutete »symbolische Universa« aus, das heißt »sozial objektivierte Sinnsysteme, die sich einerseits auf die Welt des Alltags beziehen und andererseits auf jene Welt, die als den Alltag transzendierend erfahren wird«.10 Letztere gewann an Bedeutung, weil die populationsdichtebedingte Mehrung des Konfliktpotentials verstärkt den Bezug auf übergeordnete »Drittmächte« erforderlich machte. Der religiöse Aspekt der Sinnsysteme setzte sich fortan deutlicher durch.11 Gleichwohl waren die Probleme nicht eigentlich neu. Analoge Sinnkonzepte lagen bereits aus den prädatorischen Kulturen vor und konnten entsprechend umgedeutet werden: Nunmehr galt es, die Pflanzen als seinesgleichen in anderer Gestalt zu verstehen und sie entsprechend ins Netz der verwandtschaftlichen Reziprozitätsverpflichtungen einzubinden sowie – dies vor allem – eine plausible Erklärung zu finden, die ihre Tötung erlaubt, ja sinnvoll erscheinen ließ. Wieder ging es um die radikalste Verletzung der Verwandtschaftsmoral: den »Brudermord«. Nicht eine kontingente Erfahrung, sondern eine perennierend gegebene höchstkritische Situation, die zu steter Schuldverstrik45
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kung führte und an sich inakzeptabel, doch für den Lebenserhalt unabdinglich war, forderte die Sinnsuche heraus. Da die sozialen Voraussetzungen (Verwandtschafts- und Gruppenstruktur) in allen frühagrarischen Gesellschaften im wesentlichen übereinstimmten und die zentrale Problematik immer die gleiche war, bildeten sich als Konsequenz der Wechselbeziehung beider elementarer Konstanten überall analoge oder ähnliche Kernkonzepte agrarischer Lebens- und Weltauffassung aus. Und sie blieben erhalten, solange die Voraussetzungen, denen sie ihre Entstehung verdankten, zumindest im Grundbestand keiner Veränderung unterlagen. Zwar konnten sie im Zuge geschichtlicher Umwandlungsprozesse vorübergehend abblassen oder verlorengehen, mußten aber, sobald sich die Verhältnisse wieder »normalisiert« hatten, immer wieder aufs neue in Erscheinung treten. Insofern handelte es sich bei den Parallelen (oder »Universalien«) auch nicht sozusagen um Kontinuitäten aus grauer Vorzeit, sondern die logische Folge gleichbleibender Prämissen: Dicht an der agrarischen Erfahrungswelt orientiert und Lösungen für die grundlegenden Lebensfragen liefernd, erschienen sie unmittelbar evident, bildeten gleichsam in summa die Axiomatik des agrikulturlichen Lebens- und Weltverständnisses. Dennoch wiesen traditionelle frühagarische Kulturen teils auch beträchtliche Unterschiede auf. Sie betrafen indes das äußere Erscheinungsbild, also die sekundären und tertiären Ausdrucksbereiche, die Folge abweichender umweltlicher – etwa botanischer – Gegebenheiten waren und als solche eher ins Blickfeld der Beobachter traten und auffielen, während die Übereinstimmungen entweder gar nicht wahrgenommen oder mangels einer entsprechenden Breitenkenntnis unterschätzt wurden. Die Kernproblematik berührten derartige Oberflächendifferenzierungen nicht; ihre Ausdrucksdirektiven blieben in Sozialmoral, Lebensauffassung, Glaube und Kult stabil, solange es auch die Voraussetzungen waren.
3. Pflanzenmenschen Überwiegend von vegetabilischer Kost zu leben, stellte an sich kein Problem dar. Prekär wurde es erst, wenn man auf Gedeih und Verderb von ganz bestimmten wenigen Pflanzenarten abhängig war. Um Risiken zu vermeiden, taten die Menschen, wie es schon ihre Vorfahren in bezug auf die Tiere gehalten hatten: Sie identifizierten sich mit den Kulturpflanzen, das heißt postulierten eine bindende, quasi-verwandtschaftliche Beziehung zu ihnen. 46
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Verbreiteten agrarisch-anthropogonischen Mythen zufolge entsproßten die ersten Menschen entweder gleich Pflanzen der Erde, reiften wie Früchte an Stauden, Sträuchern und Bäumen heran oder wurden vom Schöpfer nach Töpferart aus Lehm geformt und durch Zusätze seines Blutes, Speichels oder Spermas, verschiedentlich auch durch Einblasen seines Odems – alles hochkonzentrierte lebenskrafthaltige Substanzen – belebt.12 Die nachfolgende »Fortpflanzung« von Generation zu Generation perpetuierte im Grunde nur den ursprünglichen Schöpfungsprozeß: Den üblichen, weltweit übereinstimmenden traditionellen Zeugungsvorstellungen zufolge baut sich die »Leibesfrucht« aus dem – aus Stärkungsgründen wiederholt zugeführten – väterlichen »Samen« und Blut der Mutter auf, das durch den Beischlaf gleichsam zum Koagulieren gebracht wird, weshalb auch nach erfolgter Empfängnis die Regel ausbleibt. Aus ihm, dem mütterlichen Blut, entstehen dann die fluidalen und weicheren, also vergänglicheren, aus dem Sperma dagegen die festeren, konsistenteren Bestandteile des Körpers wie Knochen, Zähne, Nägel und Haare. Sein Leben indes gewann das Kind erst durch die Beseelung. Sie geschah auf zweifachem Weg: Während ihm die Lebensseele, das heißt die Vitalkraft, unmittelbar über Sperma und Blut zugeführt wurde, empfing es die – leibunabhängige, rein spirituelle – »Freiseele« erst etwa ab Beginn des fetalen Entwicklungsprozesses von außen her und gewöhnlich durch Vermittlung des Vaters. Er nahm sie entweder im Traum oder beim Passieren einer Übergangsstelle zum Jenseits auf, wo sie zusammen mit anderen von »drüben« her gewissermaßen »angetrieben« oder gleich Sporen »herübergeweht« war. Bei derartigen sogenannten »Seelenkeimzentren« konnte es sich um Tümpel, Quellen oder bestimmte, einzelnstehende hochaufragende Bäume (»Kinderbäume«) handeln. Beim nächsten Geschlechtsverkehr pflanzte der Mann den »Samen« dann seiner Frau ein.13 Häufig wurde die Zeugung auch sprachlich zu Feldbestellung und Aussaat analoggesetzt.14 In beiden Fällen war »Fruchtbarkeit« ausschlaggebend für den Erfolg. Von ihr hingen Ernte wie Fortpflanzung gleichermaßen ab. Sie wurde daher als das – organische – Lebensprinzip schlechthin begriffen. Der Genuß bestimmter Nahrungsmittel, die als besonders keimkräftig galten (Wurzeln, junge Schößlinge, körnerreiche Früchte, Getreidesamen), die Meidung anderer, Amulette, magische Praktiken und Riten dienten Erhalt und Stärkung der Fortpflanzungs- und Wachstumskraft von Mensch und Anbaupflanzen. Nicht nur indes für die eigene Lebensspanne, sondern eher noch darüber hinaus. Wie sich die Vitalenergie der Kulturpflanzen einer Gesellschaft über Aussaat, Reife, Ernte und Wiederaussaat kontinuier47
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lich erhielt, pflanzten sich auch die Menschen ständig in ihren Nachkommen fort, starben, gingen in die Unterwelt ein, wurden wiedergeboren, reiften heran und »säten« sich abermals »aus«. Vom Urahnen des Ethnos, unmittelbarer noch vom Stammvater einer jeden Sippe an durchströmte die gleiche Lebenskraft alle Verwandten – das heißt genauer: alle Abstammungs- beziehungsweise »Blutsverwandten«. Wie erwähnt hatte sich mit dem Übergang zur Seßhaftigkeit die unilineare, und zwar allen Befunden nach offenbar überwiegend die patrilineare Deszendenzregel durchgesetzt: Der beschriebenen Zeugungslehre nach kam den Vätern der Hauptanteil an der Entstehung des Kindes zu – sie verliehen ihm über das Sperma die »Keimkraft« und das Knochengerüst, also Halt und Gestalt, sowie mit der Freiseele den »Geist«, das heißt Bewußtsein, Denk- und Entscheidungsvermögen. Echt waren die Kinder daher nur mit den Vorfahren und Angehörigen ihrer vaterseitigen Familie und Sippe »bluts«-, beziehungsweise »knochenverwandt«, wie man häufig denn auch konsequenter sagte. Die Frauen heirateten aufgrund des Exogamiegebots von außen her ein und wurden den Patrisippen durch das Vermählungsritual15 – das im Kern auf eine Adoption hinauslief – lediglich gleichsam künstlich affiliiert. Insofern unterschied man generell zwischen konsanguinaler, also Abstammungs-, und affinaler oder Heirats- beziehungsweise Schwiegerverwandtschaft. Einzig die erstere band auf ewig, während Ehen und schwiegerverwandtschaftliche Bindungen wieder gelöst werden konnten. Lediglich über die Patrilinien pflanzte sich die ursprünglich göttliche, lebenserhaltende Vitalenergie kontinuierlich über die Generationen hin fort, immer im gleichen, eigenen engen Siedlungsbereich, dem Glauben nach seit Anfang der Zeiten. Die väterlichen Verwandten waren daher die eigentlich Alteingesessenen, zutiefst im Boden verwurzelt gleich den Pflanzen, von denen sie lebten. Sie »be-saßen« das Land. Das einte auf eine ungemein bindende Weise. Angehörige eines Abstammungsverbandes schienen einander, wie die Pflanzen einer Art, weitgehend »gleich«. Man glaubte, »daß jemand dem, von dem er die Vitalseele empfängt, seiner Natur nach ähnelt«.16 Nur gemeinsam konnten die Menschen »gedeihen«. Gerade auf engem Raum verbürgte allein ein harmonisches, konfliktfreies Miteinander, sich über die Familie hinaus auf die Verwandtschaft, Nachbarschaft und die gesamte Dorfgemeinschaft erweiternd, das Überleben aller. Einander behilflich zu sein, besaß, wie bei den Nyakyusa im Süden Tansanias, nahezu rituellen Charakter. Man wußte um seine Abhängigkeit voneinander und begriff sich, aufgrund des »gemeinsamen Blutes« (by virtue of their common blood), als »members of one another«. Ein Ungemach, das einem 48
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widerfuhr, traf immer auch alle.17 Wer zu Nachlässigkeit neigte, wurde kraft des Reziprozitätsgebots in die Pflicht genommen. Unfrieden oder gar offener Streit waren verpönt. Allgemeiner Anschauung nach machten sie krank, ja lösten unter Umständen Mißernten oder auch andere Katastrophen aus. Unter Verwandten sollten stets alle füreinander da sein, in Notfällen einander beistehen. Es herrschte ein ausgesprochenes Harmonie- und Friedensgebot18 – ein Ideal sicherlich, dessen Verbindlichkeit jedoch allen bewußt war. Den Boran in Südäthiopien galt diese Einmütigkeit als »heilig«. Zu jeder Gelegenheit führten sie, einander zur steten Ermahnung, den »Frieden der Boran« im Munde.19 Bei Ratsversammlungen, bei denen es um die Geschicke aller ging, konnte die Einsinnigkeit geradezu beschworen werden, indem die Ältesten, wie bei den Iraqw in Tansania, vor Beginn der Sitzung einander unisono versicherten: »Wir sind einer Meinung, wir sind eins, wir lieben einander.«20 Nicht von ungefähr sind die Begriffe für »Verwandtschaft« und »Friede« häufig identisch.21 Nirgends standen Verläßlichkeit und Solidarität so hoch im Kurs wie in frühagrarischen Gesellschaften. Hinzu kam die weitgehende Interessenkongruenz. Aus beidem schöpfte man die Gewißheit, einander vertrauen, in jedem Fall aufeinander zählen zu können.22 Und daraus erwuchs nicht zuletzt, wie Ethnographen immer wieder versichert wurde, auch eine echte, tiefreichende Zuneigung füreinander.23 Man fühlte gemeinsam, spürte, ohne daß ein Wort hätte fallen müssen, wie anderen zumute war. Die eine, alle durchpulsende Vitalseelensubstanz schuf eine Art sympathetischer Empfindungsgemeinschaft. Kummer wie Freude teilten sich unmittelbar mit, wie das Korn auf dem Feld sich unter dem Wind gleichförmig neigt. Erkrankte einer, litten die anderen spürbar mit. Trauerfälle lösten allseits Betroffenheit aus; glückliche Begebenheiten zündeten ringsum einen Funkenflug freudiger Hochgestimmtheit. Schmerz wie Freude »steckten« gewissermaßen »an« – in Fällen akuter Gefährdung auch über weite Distanzen hinweg. Die Ethnologie kennt zahlreiche, im nachhinein auch sicher bestätigte Beispiele sogenannter »Krisentelepathie«24: Man träumt oder spürt irgendwie, wenn sich ein naher Angehöriger in einer bedrohlichen, unter Umständen tödlichen Situation befindet.25 Alle bildeten zusammen einen »morally corporate body«26, eine Art »Überorganismus«, in dem Einzelimpulse sich unmittelbar und wellengleich fortpflanzten. Insofern suchten Sippenangehörige einander auch räumlich nahe zu sein und siedelten möglichst geschlossen in Langhäusern, einem Straßenzug oder Viertel.27 Sie säten sich aus und reiften gleichsam heran auf gesonderten, klar voneinander geschiedenen »Feldern«.28 49
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Menschen und Pflanzen entsprachen einander, sie teilten ein und dasselbe Los. Ein Nigerianer aus Gongola beschrieb Leo Frobenius das Verhältnis auf die folgende, ebenso treffende wie anschauliche Weise: »Ein junger Mann, der stirbt, vergeht wie das trockene Laub, das zur Erde fällt und verfault. Ein alter Mann, der stirbt, ist wie eine reife Frucht, die in die Erde fällt und wieder aufwächst. Der Mensch ist wie das Korn.29 Schneidest du das Korn unreif ab, trocknest es und legst es in der nächsten Regenzeit in die Erde, so verfault es. Es kann nicht keimen. Schneidest du das Sorghum reif ab, trocknest es und legst es in der nächsten Regenzeit in die Erde, so wird es Wurzeln und Blätter haben, es wird heranwachsen und reife Früchte tragen. Ebenso ist der Mensch. Der junge Mensch kann nicht wiederkommen.30 Der alte Mensch wird wiedergeboren.«31
Analoge Bekundungen liegen aus zahlreichen anderen früh- und hochagrarischen Kulturen32 vor. »Mein Onkel sagte mir immer, erklärte ein Navajo (im Südwesten der USA) Robert Redfield, ›wenn du eine Fährte verfolgst und ein Getreidekorn siehst, so hebe es auf. Es ist wie ein Kind, das verlorenging und hungert‹.«33 Je nach den wichtigsten Nahrungspflanzen setzten die Menschen einander etwa den Bananen34, dem Taro, Yams, der Hirse, dem Weizen, der Gerste35, dem Reis oder Mais – wie zum Beispiel bei Zuñi, Hopi und anderen »Pueblo-Indianern« im Südwesten Nordamerikas – gleich.36 Die Körner (der »Samen«) konnten dabei speziell, ganz wie es den Zeugungsvorstellungen entsprach, als Pendant der Knochen verstanden werden.37 Nach Auffassung der Abelam in Papua-Neuguinea (Ost-Sepik-Provinz) besteht zwischen Mensch und Yams eine »fundamentale Identität«; in der Urzeit konnten beide noch beliebig und mühelos ihre Erscheinung wechseln.38 Auf Sabarl, einer Insel der Calvados-Kette südöstlich von Neuguinea, erklärten Informanten Debbora Battaglia: »Yams-Pflanzen sind wie Menschen«; während der Wachstumsphase »gleichen sie Kindern«, die man zunächst wie Feten behandelt, »fattened by ›father’s blood‹ within the womb«.39 Analog sahen es die Dobu-Insulaner (Trobriand-Gruppe, östlich vor Neuguinea). Yams galt als eine Art Metamorphose des Menschen. Die Pflanzen »verstehen, was man ihnen sagt«, erklärte man Reo Fortune, »sie sind wie Menschen«. Für »Yams« und »Mensch« (generell) wurde ein und derselbe Begriff verwandt.40 Die enge Beziehung kam auch in der Überzeugung zum Ausdruck, daß ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der menschlichen Fruchtbarkeit und der Ertragsfähigkeit der Felder bestehe. Schwangere Frauen galten als »lucky in agricultural undertakings«41; 50
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man schrieb ihnen gewissermaßen eine »grüne Hand« zu. Sie pflanzten die Fruchtbäume und gingen immer wieder über die Felder oder schliefen auf ihnen.42 »Empfing« eine Frau nicht, konnte es umgekehrt helfen, wenn die Gatten ihr Liebeslager in einer üppigen Pflanzung hielten.43 Wessen Saat reichlich aufging, der durfte nicht nur auf entsprechend ergiebige Ernten hoffen; er sollte eigentlich auch viele Kinder haben. Daher stets der dringliche Wunsch nach einer stattlichen – und in patrilinearen Verwandtschaftsverbänden möglichst männlichen – Nachkommenschaft. Sie garantierte erhöhtes Sozialprestige, weil der Betreffende seine besondere Vitalkraft bewiesen und sich zugleich, da alle, wie gesagt, eine einzige »organische« Einheit bildeten, auch um das Gemeinwohl verdient gemacht hatte – und überdies sichtlich die Gunst der Ahnen genoß. Wer erfolgreich war, stieg nicht selten zu führenden Positionen auf. Und umgekehrt wurde, wer kinderlos blieb, ein Opfer schonungsloser sozialer Zurücksetzung, ja war unter Umständen dem Verdacht ausgesetzt, eine Art »Unheilskraft« auszustrahlen. Da Sterilität überwiegend den Frauen zur Last gelegt wurde (Potenz war unmittelbar nachweisbar), bildete Kinderlosigkeit einen Scheidungsgrund von seiten des Mannes, beziehungsweise bot einen legitimen Anlaß, sich eine zweite (oder dritte) Frau zu nehmen. Wiederum galt, daß die Pflanzung eines Mannes, dessen Frau mit Unfruchtbarkeit geschlagen war, von Ertraglosigkeit bedroht sei.44 Kinderlosigkeit wurde, gleich anderen Heimsuchungen, als Strafe der Ahnen für eine schwere Verfehlung angesehen. Sie war ein Fluch. Wer kinderlos – oder gar ledig – verstarb, hatte das Anrecht verwirkt, in »geweihter Erde« bestattet zu werden. Man legte seinen Leichnam irgendwo draußen im Busch ab oder setzte ihn zumindest nicht rituell bei. Er hatte ein »schlimmes Ende« genommen; man mußte verhindern, daß seine Seele ins Totenreich fand.45 Hochbetagt, wie das gereifte Korn, nach einem erfüllten Leben im Kreis seiner Kinder und Enkel dahinzugehen, war daher aller Wunsch. Agrarischer Anschauung nach konnte ein Mensch, der solchermaßen ein gutes Ende gefunden hatte, sinngemäß nur begraben, das heißt gleich dem Saatgut in die Erde eingelegt werden, aus der er »gemacht« war. Dem archäologischen Befund nach bestattete man die Toten ursprünglich – vielfach aber auch später noch – überwiegend unter der eigenen Hütte, im Hof oder auf einem Friedhof in oder möglichst nahe der Siedlung. Oft setzte man sie dabei in Vorratsbehältern wie Körben, hölzernen Getreidewannen, großen Tonkrügen oder Urnen bei. Noch rezent wurden Dorfoberhäupter, wie bei den Mambila im Norden Nigerias beispielsweise, unter Getreidespeichern begraben – 51
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»possibly«, wie Charles K. Meek, der lange Zeit dort im Kolonialdienst, später als »Anthropological Officer« tätig, also ein guter Kenner war, vermutet, »because they are regarded as the personification of the corn«.46 Man gab den Toten Saatgut und Feldfrüchte mit oder streute beziehungsweise legte beides auf die Gräber.47 Nach Auffassung der Karen im Grenzbereich zwischen Birma und Thailand entsprach der Leichnam einer Blase noch prall voller Vitalenergie, die, sobald die Hülle zersprang, ausströmte und so zur Stärkung der Fruchtbarkeit des Bodens beitrug.48 Die Freiseelen aber gingen ins Totenreich unter der Erde ein und wurden zu Ahnen. Von dort aus behielten sie die Ihren oben im Blick, ständig, wie es Aufgabe aller Ältesten war, besorgt um ihr Wohlergehen. Da dies strikte Traditionstreue zur Voraussetzung hatte, ging es ihnen vorrangig um die Normenkontrolle. Sie segneten mit Gesundheit, Fruchtbarkeit und reichen Ernten alle, die sich korrekt und sozial verhielten, und straften mit dem Entzug ihrer Gunst, mit Krankheit, Unfruchtbarkeit und Mißernten jene, die sich durch Normen- und Tabubrüche schuldig gemacht hatten. Lebende und Verstorbene bildeten eine enge überzeitliche Einheit, »one enduring moral community«49, deren Interdependenz und Bestand weiterhin das Reziprozitätsgebot garantierte. Die Lebenden dankten den Toten Fürsorge und Segen mit ehrendem Angedenken und täglichen Opfern und luden sie zu den familiären und kommunalen Festen zu Gast. Nach etwa drei bis fünf Generationen kehrten die Ahnen dann wieder, zu Kinderseelen »verjüngt«, auf die Erde zurück und reinkarnierten sich unter den Ihren, das heißt verliehen einer neu sich entwickelnden »Leibesfrucht« das lebendige Bewußtsein – in einem steten kontinuierlichen Kreislauf von »Entstehen, Wachsen, Reifen, Altern und Vergehen […] Aus etwas Altem, Vergehendem entsteht etwas Neues, ebenso wie auch alles Neue vergeht«, wie das nach Brigitta Hauser-Schäublin auch die Abelam in Neuguinea als »Grundidee« ihrer Lebensauffassung begreifen.50 Eigentlich handelte es sich bei Lebenden und Verstorbenen einer Sippe nicht nur um einen verewigten Verwandtschaftsverband, sondern mehr noch um einen quasi organischen Korpus, der das Kulturland und die Pflanzen mit einschloß. Wie der Verbund von Leib und Lebenskraft auf der einen und der Freiseele auf der anderen Seite das Ganze des Menschen ausmachen, bestand die Einheit von Gruppe, Land und Kulturpflanzen nur durch die zyklische Perpetuierung aller drei gemeinsam einander konstituierenden Elementaranteile fort: Mit dem Leib des Verstorbenen ging seine Vitalenergie in den Boden über, nährte die Pflanzen und teilte sich über deren Verzehr erneut den 52
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Menschen mit, in denen die Freiseelen vorangegangener wie künftiger Gruppenmitglieder lebten, in einem fortwährenden Kreislauf, der vor allem Menschen und Pflanzen zu einer einzigen »organischen« Einheit verband.51 Beide teilten das Dasein; sie lebten gemeinsam voneinander.
4. Die frohe Botschaft Sinnsysteme bedürfen, um ihre handlungsleitende Orientierungsfunktion verläßlich erfüllen zu können, einsichtiger Begründung oder besser noch der sakralen Legitimation sowie steter Bewährung. Ersteres lieferte, wie in allen prämodernen Kulturen, der Mythos, letzteres die Erfahrung jahrein, jahraus. Im Fall der frühagrarischen Gesellschaften konnte es nicht lediglich um die Entstehung der Welt generell, sondern konkret nur um das Kernproblem ihrer Existenz gehen; der Mythos mußte es sinnfällig reflektieren. Das geschah durch die anthropo-, beziehungsweise soziomorphe Projektion der zentralen Problematik auf die Götterwelt. Alljährlich belebte sich – jedenfalls in den Bereichen des weithin überwiegenden Saisonfeldbaus – die Vegetation aufs neue im Frühjahr nach den ersten Niederschlägen, also zu Beginn der Regenzeit. Beteiligt daran waren der Himmel, der die Wolken mit dem lebenspendenden Regen »sandte«, die »empfangende« Erde und die Pflanzen, die in der Folge der Boden »gebar«. Himmel und Erde wurden daher – deutlich vor allem in den subtropischen Regionen Afrikas, Indiens, Hinterindiens, Indonesiens und Polynesiens mit ihrer klaren jahreszeitlichen Scheidung zwischen Trocken- und Feuchtphasen – als göttliches »Weltelternpaar« begriffen.52 Beide feierten alljährlich im Frühling eine »Heilige Hochzeit«, bei der sich der »Same« des Vaters in Form der ersten Niederschläge in den Schoß der Erdmutter ergoß, die bald darauf das »Göttliche Kind«, die Personifizierung der wichtigsten Nahrungspflanzen, »gebar«.53 Diesem war ein tragisches Schicksal beschieden. Anders als seine Eltern starb es alljährlich, gerade herangereift, ab. Manchen Mythen zufolge erlag die jugendliche – mal männlich, mal weiblich gedachte – Gottheit dem Anschlag eines wilden Tieres, wurde entführt oder von einem »Gegengott« ermordet; anderen nach entschlief sie auch nur, verbarg sich an einem unbekannten Ort (so etwa das »Maismädchen« der Zuñi in New Mexico und Arizona) oder trat den Weg in die Unterwelt an (wie z.B. Maui in Polynesien). Doch wie auch immer man das verstand: Nach Ende der winterlichen oder trockenen, »toten« Jahreszeit erwachte sie wieder und kehrte 53
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zurück, beziehungsweise erstand, regeneriert durch den Begattungsakt ihrer kosmischen Eltern, zu neuem Leben.54 Dieses teils tragische, teils Zuversicht stiftende Geschehen stellt den Zentralmythos der agrarischen Weltanschauung dar. Doch war dem nicht immer so gewesen. Ursprünglich nämlich kannte die Welt keine Sterblichkeit; Gott hatte sie vollkommen erschaffen – zumindest im zentral gelegenen Teil, in dem verbreitetem Glauben nach paradiesische Verhältnisse herrschten. Damals war der Himmel der Erde noch nahe. Die Menschen lebten – wie auch nach den erwähnten Vorstellungen prädatorischer Gesellschaften – rein vegetarisch von Beeren und Baumfrüchten; sie töteten weder Pflanzen noch Tiere. Da von allem reichlich vorhanden war, brauchten sie sich um ihr täglich Brot noch keinerlei Sorgen zu machen. Allerdings hatte Gott einige Früchte sich selbst vorbehalten; an sie durften die Menschen nicht rühren – wohl um ihrem Schöpfer nicht allzu ähnlich zu werden. Nach Volksüberlieferungen im östlichen Mittelmeerraum handelte es sich dabei zum Beispiel um den »Weizenbaum«.55 Doch trotz ihres rundum sorglosen, friedfertigen Sammlerdaseins kamen Probleme auf. Das Wohlleben machte die Menschen gedankenlos und übermütig. Da zudem niemand starb, wuchs ihre Zahl beständig, was alsbald zu Spannungen, Mißgunst und Streitereien führte. Und irgendwann war es dann soweit, daß sie einander Gewalt antaten und die Gebote, die Gott ihnen auferlegt hatte, entweder bewußt oder auch nur aus Leichtsinn und Unachtsamkeit mißachteten. Das verdroß schließlich den Schöpfer so sehr, daß er sie aus den elysäischen Gefilden verstieß und mit der Sterblichkeit schlug.56 Nunmehr durchlitten sie harte Zeiten. Sie hatten sich mit kargerer Kost zu begnügen, lebten »von Kräutern und Blättern«57, Baumsäften und Rinde und mußten teils weite Strecken zurücklegen, um hinreichend Eßbares zu finden.58 Am Ende gingen sie in der Not dazu über zu töten, das heißt ihr Dasein von der Jagd zu bestreiten. Aber Gott hatte noch einmal ein Einsehen. Wozu genau er sich allerdings entschloß, darüber gehen die Meinungen auseinander. Im wesentlichen liegen dazu die drei folgenden Mythenkreise vor: 1. Die Menschen gelangen durch göttlichen Gnadenerweis in den Besitz der Kulturpflanzen: Ein Gott, die Erdgöttin, ein Heros oder eine Heroine der Vorzeit überbringen – gewöhnlich aus der himmlischen Ober- oder auch aus der Unterwelt – den darbenden Menschen die ersten Kulturpflanzen (bzw. deren Samen) und unterweisen sie in ihrem Anbau.59 2. Die Menschen gelangen durch Zufall oder Diebstahl in den Besitz 54
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der Kulturpflanzen: Ameisen pflegen Getreidekörner in beträchtlichen Mengen als Futter vom Halm zu »ernten« und teils in ihren Bau zu bringen, teils zu verstecken; manche verlieren sie auch dabei. Infolgedessen sind ihre Wege und die Umgebung des Baus vielfach von aufgehender Saat umgeben. Das konnte beobachtet und als Anregung aufgegriffen werden. Jedenfalls herrscht verschiedentlich – unter anderem auch in der Bibel60 – die Auffassung, Ameisen würden Bodenbau betreiben.61 Überwiegend südamerikanischen Mythen zufolge entdeckten die Menschen ihre nachmaligen Kulturpflanzen eines Tages »zufällig«, als sie den Stamm eines mächtigen, hochaufragenden Baumes, den sie gefällt hatten, aufschlugen.62 Weiter verbreitet war jedoch die Vorstellung, daß ein Tier – meist wird die Ratte genannt – oder Mensch (z.B. ein Schamane) im Himmel, gelegentlich auch in der Unterwelt, die Körner der späteren Kulturgetreiden entdeckte, stahl und, zwischen den Zähnen oder im Haar versteckt, den Menschen überbrachte.63 3. Die Menschen gelangen durch einen Gewaltakt in den Besitz der Kulturpflanzen: Eigentlich handelt es sich bei den Überlieferungen dieses Typs um Einsetzungsmythen der »blutigen« Ernte, wie sie erst mit dem Aufkommen des Bodenbaus (im Gegensatz zum bloßen, »friedlichen« Ein- und Absammeln der Nahrungsfrüchte) üblich wurde. Gottheiten, Heroen oder Menschen töteten danach überfallartig das Göttliche Kind (Knabe oder Mädchen) und zerstückelten seinen Leichnam, aus dessen Teilen und inneren Organen dann die verschiedenen Kulturpflanzen entstanden. Korngötter wurden etwa mit einer Sichel erschlagen und zerhauen, die Knochen in einem Getreidesieb geworfelt, darauf ein Teil des »Ernteguts« in einer Mühle zermahlen – im Fall von Knollen- und Staudenpflanzen im Mörser zerstampft – der andere über die Felder ausgestreut, beziehungsweise darin vergraben.64 In »harmloseren« Varianten fordert die Gottheit die Menschen auch selbst auf, ihr lediglich, wie zum Beispiel bei den Tugen in Kenia, die Kopfhaare abzuschneiden, aus denen dann die Hirsekörner fallen und alsbald zu keimen beginnen.65 Fortan hatten die Menschen genug zu leben, wenn auch nicht in dem Übermaß wie ehedem vor dem »Sündenfall«. Allerdings unter der bedrückenden Voraussetzung, daß sie Jahr für Jahr dazu das Kind der Welteltern töten, das heißt sich immer wieder ausf neue schuldig machen mußten. Doch war der Tod der Kulturpflanzengottheit, und darin bestand die erlösende, »frohe Botschaft« des Mythos, stets nur befristet und geschah das Drama mit Billigung der großen Götter des Himmels 55
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und der Erde. Ja verschiedentlich ist auch überliefert, daß ihr Kind sein Los zuliebe der sonst vom Hunger bedrohten Menschen freiwillig auf sich nahm, wie etwa im Fall der »Reisjungfrau« Tonu Wujo auf Flores in Ostindonesien.66
5. Das Fest der Erlösung Der Mythos bildete für die Menschen der altagrarischen Kulturen eine Art grundgesetzliche Handlungsvorgabe; er besaß, kraft seines von göttlicher Hand ins Werk gesetzten Geschehens, allerhöchste Legitimation und quasi sakramentale Bedeutung. Seine Mißachtung hätte die Grundfesten des Daseins erschüttert. Um diese Gefahr erst gar nicht virulent werden zu lassen, kam alles auf strikte Überlieferungstreue sowie, mehr noch, die magisch-rituelle Verklammerung der stets kritischen Übergänge zwischen den Jahreszeiten an. Nicht alle Wendephasen waren von gleicher Bedeutung. Für die Agrarkulturen besaßen höchstrangige Relevanz die »Umkehrphasen« zu Anfang und Ende der Anbausaison, wenn die Felder bestellt und eingesät (bepflanzt), beziehungsweise die Ernten eingebracht wurden. Menschen und Götter band eine komplementäre, durch Verwandtschaft und Reziprozität verfugte Wechselbeziehung. Wie es im Himmel geschah, also auch auf Erden. Demgemäß wurde die Feldbestellung im Frühjahr in magischer Analogie zur Heiligen Hochzeit der Welteltern aufgefaßt. Hacke und Pflug besaßen phallische Bedeutung, der Ackerboden entsprach dem Schoß der Erdgöttin.67 Es handelte sich um heiligen Grund, mit dem man respektvoll umzugehen hatte.68 Der erste Furchenzug, das Ausbringen der Saat oder Stecken der Setzlinge mußten im Zustand der Reinheit und mit feierlicher Zelebrität geschehen. Gewöhnlich wurden damit Personen betraut, die von Rang waren und über besondere Fruchtbarkeitskräfte verfügten – der Lineage-Älteste, der Gearch (Erdherr)69, das Dorfoberhaupt oder ein Priester, in stratifizierten Gesellschaften der König. Ein ausgewähltes Paar, das alle Voraussetzungen agrarischer Gediegenheit und Prosperität erfüllte, vollzog auf dem frischbestellten Acker die hochzeitliche Begattung der Welteltern nach, in einem anschließenden Fest breitenwirksam begleitet von orgiastischen Umtrieben und vielfältigen weiteren sexualmagischen Praktiken zur ergänzenden Stütze der einen entscheidenden Intention, das Keimen und Reifen des Fruchtkorns im Mutterschoß der Erde sicherzustellen.70 Oft – und überall auf der Welt – wurde das Ritual auch eigens auf einem Sakralfeld magisch exemplarisch vorexerziert. Bei den Maori auf Neuseeland oblag dies einem 56
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Priester, der dazu in einem kleinen, für den Anbau von Süßkartoffeln bestimmten Stück Acker »die heilige Ehe vollzog […] Seine Gesten mit einem Gesang begleitend, in dem der Satz ›Sei schwanger, sei schwanger‹ vorkam, bepflanzte der Priester die ersten kleinen Hügel (puke, auch ›mons veneris‹), auf denen die Jahresernte gedeihen würde«. Er verkörperte den Gott Rongo, der ursprünglich die Süßkartoffel in seinem Penis verborgen aus dem Himmel mitgebracht hatte, um seine Gemahlin Pani (»Feld«) damit zu schwängern.71 Mit der Erntezeit erreichte das Agrarjahr seinen Höhepunkt. Doch auf der Erleichterung, fürs erste seiner Nahrungssorgen enthoben zu sein, lastete schwer das Bewußtsein, um des eigenen Überlebens willen das Göttliche Kind getötet zu haben. Ein elementarer Widerspruch durchzog daher alle Erntefeierlichkeiten, prägte dem großen Abschlußfest notwendig die Züge eines kommunalen Versöhnungskults auf. Die Ernte begann mit dem Erstanschnitt, der gewöhnlich nur von geweihter Hand – wiederum vom Lineage-Ältesten, dem Gearchen oder König – vollzogen werden durfte.72 Alle aber, die danach dann das Messer oder die Sichel ansetzten, hatten in den Tagen zuvor gefastet, Keuschheit geübt und sich gründlich gereinigt. Während die tödlichen Streiche fielen, brachen die Schnitter oder Schnitterinnen in Wehklagen aus, schlugen sich an die Brust, weinten und jammerten, ja ergingen sich teils in den leidenschaftlichsten Trauerbekundungen.73 Die ersten Körner oder Knollenschnitzel wurden den Ahnen geopfert, ein Teil auf einem eigens dazu rituell entzündeten Feuer zu einem sakramentalen Mahl, einer Bohnen-, Yams-, Hirse-, Reis- oder Maisbreispeise, oft auch einem Getränk (Traubensaft, »Bier«, Branntwein) angerichtet und feierlich auf dem Höhepunkt des Erntefestes im Beisein der Ahnen vom Haushaltsvorstand oder öffentlich von den Ältesten der Gruppe gemeinsam »angekostet«. In vielen Gegenden Nordeuropas verbuk man das Korn aus der letzten Garbe zu einem Gebildbrot in Gestalt eines kleinen Mädchens, das dann in den einzelnen Haushalten ebenfalls gemeinsam und auf das feierlichste verzehrt wurde.74 Erst nach diesen rituellen Erstfruchtmahlen stand die Ernte zum allgemeinen Verbrauch frei.75 Das Erntefest bildete den Zentralkult der Agrarkulturen. In ihm komprimierte und schürzte sich die leidvolle Schuldverstrickung der Menschen, um sich gleichzeitig alljährlich auch wiederaufzulösen durch das kommunale Wenderitual mit dem sakramentalen Versöhnungsmahl auf dem Höhepunkt der Feierlichkeiten. Die Gesellschaft begab sich dazu in Seklusion – kein Fremder hatte mehr Zutritt zum Dorf, das in der Folge eine umfassende Transformation durchlief. Das 57
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alte Leben starb ab; wie zu Anbeginn der Zeiten herrschte Chaos, alles verkehrte sich. Die Feuer wurden gelöscht; die Arbeit ruhte. Männer und Frauen wechselten Rollen und Tracht. Normen, Regeln, Tabus büßten ihre Gültigkeit ein. Kinder durften ihre Eltern, Frauen ihre Gatten beschimpfen. Es kam zu Diebstahl, Gewaltakten und ungebundenem Geschlechtsverkehr. Häufig stellte das Fest auch die kulturschöpferische »Urszene« – die gewaltsame Tötung des Göttlichen Kindes und die Entstehung der Kulturpflanzen aus seinem Leichnam – nach.76 Teils wurden – bevorzugt jugendliche – Menschen, gewöhnlich Fremde, derer man draußen habhaft zu werden vermochte, getötet, zerstückelt und verbrannt, die Gliedmaßen, beziehungsweise deren Asche, über die Felder verteilt: als Sühneopfer für die Erdmutter, zum Ausgleich für den Verlust ihres Kindes.77 Schließlich reinigte man sich, entzündete die Feuer aufs neue, legte saubere oder auch neue Kleider an und richtete die Häuser frisch her. Bestehende Übereinkommen wurden bekräftigt, neue getroffen, die dörflichen Würdenträger in ihren Ämtern bestätigt oder neu bestimmt. Die Menschen wußten sich wiedergeboren, »erlöst« zu erneutem, schuldfreiem Leben. Man beglückwünschte einander und beschloß das Fest mit einem großen, nunmehr kommunalen Freudenmahl.78 Das Erntefest stellte nach, was die Götter vorzeiten mit der Hingabe ihres Kindes, durch seinen Opfertod und die Sühnefeier gestiftet hatten, um den Menschen Kultur und Leben zu schenken. Dessen versicherte man sich alljährlich aufs neue durch den kultischen Nachvollzug des paradigmatischen Urzeitgeschehens, vor allem aber durch den rituellen Verzehr von Fleisch und Blut der getöteten Kulturpflanzengottheit, der Kern und Höhepunkt des Ganzen bildete. Das »Mysterium« bestätigte und festigte Jahr für Jahr beider unio mystica zu einem Leib. Menschen und Göttliches Kind litten und triumphierten gemeinsam über den Tod. »Fleisch und Blut« des Göttlichen Kindes bildeten den eigentlichen Lebensquell agrarischer Gesellschaften; nicht nur als Grundnahrungsmittel, mehr noch der besonderen Segens- und Heilkräfte wegen, die es enthielt. Junge Mütter nahmen zum Beispiel mit dem Neugeborenen im Arm auf einer Bank Platz, unter der Getreidekörner aufgehäuft lagen. Kinder erhielten als erste Kost Pasten aus Yams- oder Hirsebrei auf die Lippen gestrichen. Täuflinge wurden dreimal mit frischgebackenem Brot berührt, Neuvermählte mit Reis-, Mais- oder Weizenkörnern überschüttet, Tote nach dem Ableben damit überstreut.79 Yamsbrei, Maniokfladen, Hirsebier, Mehlspeisen oder Brot waren nicht Speisen wie andere. In ihnen lebte die Gottheit fort. Kinder lern58
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Verflucht sei der Acker
ten, sie mit gehörigem Respekt zu behandeln; nichts davon durfte zu Boden fallen, achtlos verschüttet, zurückgelassen oder gar fortgeworfen werden.80 Es handelte sich um geheiligte Nahrung, das Lebenselixier der Menschen schlechthin. Brot mußte unter Beachtung ganz bestimmter Regeln gebacken werden; in Europa spielte es früher eine bedeutsame Rolle im häuslichen Kult.81 Bier aus unzerdrücktem Getreide enthielt nach Meinung der Lugbara in Uganda die »Seele« des Korns (der Hirse) noch unversehrt und blieb daher sakralem Genuß vorbehalten.82 Vorratskammern und (freistehenden) Speichern, gewissermaßen den »Grabkammern« der Gottheit, kam in der Regel sakrale Bedeutung zu. Man sollte sie möglichst nur in reinlichem Zustand, ja sogar barfuß, wie ein Heiligtum eben, betreten. Nicht selten dienten sie auch als häusliche Andachtsstätten und Aufbewahrungsraum für Kultgerät.83 In ihnen lagerte mehr als der Grundstoff des Lebens. Mit der »Seele« der Gottheit bargen sie die Verheißung auf künftiges Dasein. Wie der Vorrat zerrann, gingen auch die Lebensjahre dahin. Am Ende aber durchliefen Pflanze und Mensch eine Metamorphose, die ihre Wiederauferstehung verbürgte. Die Idee war nicht neu: An die Stelle der vormaligen »Herrengeister« und ihrer »Kinder«, der Tiere, waren das kosmische Weltelternpaar und ihr Kind, die Kulturpflanzengottheit, getreten. In beiden Fällen ließen die Übermächte den Opfergang ihrer Kinder zu, um den Menschen die Unsterblichkeit, die sie einst durch den Sündenfall verwirkt hatten, wenigstens in gebrochener Kontinuierlichkeit wiederzuschenken. Das Gotteskind gab sich den Menschen hin. Seine Schwäche war seine Stärke, die es zuletzt – dies die tröstende Heilsbotschaft für die Menschen – über Sünde und Tod den Sieg davontragen ließ.84 Sein Opfer wies den »Mühseligen und Beladenen« den Weg aus Verstrickung und Heillosigkeit, gab ihnen Hoffnung auf Vergebung und Auferstehung, ja Erlösung von ihrer Schuld85 – und verlieh so ihrem Leiden und Sterben Sinn.
Anmerkungen 1 2 3 4
F. Herrmann 1958: 354. Haekel 1953: 318. Zvelebil 1986: 118. In der Folge verwende ich den Begriff »frühagrarische Gesellschaften/ Kulturen« anstelle des sonst üblichen (älteren) »Pflanzergesellschaften« beziehungsweise »Pflanzerkulturen«.
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Insofern hält man heute auch die Bezeichnung »Neolithische Revolution« (Gordon Childe) für unangemessen. Vgl. Sahlins 1992: 12. Herskovits 1966: 27. Vgl. Soeffner 1998: 243: »Kultur ist der permanente menschliche Kampf um eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn menschlichen Lebens.« Müller 1992: 17. Vgl. Sahlins 1992: 7. Luckmann 1991: 80. Soeffner 1998: 243, in Ergänzung zu Anmerkung 75: »Beide, Kultur und Religion, suchen die Antwort auf die Frage nach einem übergreifenden Sinn im Außeralltäglichen.« Vgl. Kienzler 1999: 21. Müller 1973-74: 82-84. Vgl. Müller 1997: 21ff. Müller 1973-74: 87. Müller 1987: 93f. Rivers 1920: 51. Vgl. Wilson 1957: 222. Wilson 1957: 231. Vgl. z.B. Middleton 1960: 100. Douglas 1965: 14. Hogbin 1970: 22. Baxter 1965: 65f. Thornton 1980: 62ff. Mühlmann 1940: 49f. Müller 1987: 29, 67ff. Vgl. Redfield 1967: 60, 61. Vgl. z.B. Tait 1961: 212. Thornton 1980: 252. Vgl. Mischo 1984: 20, 42. E. Bauer 1992: 265f. Müller 1995: 136ff. Thornton 1980: 139. Vgl. Müller 1997: 51ff. Müller 1997: 43. Müller 1973-74: 89. Gemeint war die sogenannte »Mohrenhirse« (Sorgho oder Sorghum), eine Gattung der Süßgräser, deren Körner zu Brei und Fladenbrot verarbeitet werden. Weil er eines vorzeitigen, »Schlimmen Todes« gestorben ist und insofern nicht rituell bestattet wird, so daß seine Seele nicht ins Totenreich zu den Ahnen findet, das heißt sich nicht wiederverkörpern kann. Frobenius 1925: 118. Vgl. Schott 1982: 94, 102. In der Folge verwende ich den Begriff »hochagrarische Kulturen« statt des sonst üblichen »Bauernkulturen«, wie sie für stratifizierte (»hochkulturliche«) Gesellschaften typisch sind. Redfield 1966: 344. Vgl. Preuß 1936: 139. So u.a. auch im alten Ägypten: »Geb (der Erdgott) hat mich verborgen. Ich lebe, ich sterbe. Ich bin die Gerste. Nicht vergehe ich.« Wolf 1962: 209. Müller 1973-74: 81. Vgl. a. Lévy-Bruhl 1930: 265ff. Srinivas 1952: 92. Nilsson 1954: 45. Endicott 1970: 152. Barnes 1974: 156. Hoenerbach 1984: 1.
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Wie beispielsweise bei den Khasi in Assam. Gurdon 1914: 136. Hauser-Schäublin 1997: 420. Battaglia 1990: 49, 94ff. Fortune 1932: 108f. Richards 1948: 207f. Vgl. Kidd 1906: 291. Müller 1973-74: 92. Frobenius 1929: 146f. Müller 1973-74: 91ff. Müller 1973-74: 92f. Meek 1931: 557. Vgl. Zu einem analogen Usus Hutton 1938: 6f. Müller 1973-74: 94-100. Gohain 1977: 28, Fußnote. Beidelman 1986: 94, 112. Vgl. Wilson 1957: 222. Howell 1984: 150. Hauser-Schäublin 1997: 419f. Vgl. Beidelman 1971: 116. Müller 1973-74: 89f., 98. Vgl. Hutton 1938: 6. Beidelman 1986: 94, 113. Detailliert dazu H. Baumann 1955: 258ff., der die Vorstellung allerdings genuin den Archaischen Hochkulturen zuordnete und entsprechend – im Sinne des von ihm vertretenen Diffusionismus – meinte, sie sei von dort aus sukzessive in die frühagrarischen Kulturen gelangt. Müller 1973-74: 58ff. Müller 1973-74: 66f., 67. Dähnhardt 1907: 212. Joseph 1909: 221ff. Bittner 1913: 25ff. Vgl. Bödiger 1965: 17 (Tukano, Südamerika). H. Baumann 1936: 286ff. Horton 1962: 202. Lévi-Strauss 1971: 243. Schott 1982: 122ff. Müller 1987a: 120. 1996: 189. 2001a: 178f. Schott 1982: 131. Vgl. z.B. Karsten 1935: 125. Goldman 1963: 51. Lukesch 1969: 131. Vgl. z.B. Endle 1911: 55 (Kachari, Assam). Karsten 1935: 125ff., 514f. (Jibaro, Ekuador). Nimuendajù 1939: 165f. (Apinayé, Ostbrasilien). Goldman 1963: 51 (Cubeo, Kolumbien). Lukesch 1969: 29, 84f., 131 (Kayapó, NOBrasilien). Kaloev 1971: 271 (Osseten, Nordkaukasus). Schott 1982: 131 (Dian, Burkina Faso). Howell 1984: 67, 76 (Chewong, Malaiische Halbinsel). Beidelman 1986: 41 (Kaguru, Tansania). Behrend 1987: 12 (Tugen, Kenia). Illi 1991: 122 (Kafiren, Nordafghanistan). Sprüche Salomos 6:6-8; vgl. 30:25. Handel/Beattie 1990: 150. Bgl. z.B. Lukesch 1969: 81ff., 86f. Goldman 1963: 51. Bödiger 1965: 16f. Jensen 1963. 1965: 230, 233. Vgl. Mills 1926: 312f. Elwin 1950: 136. Howell 1984: 74. Jensen 1939. 1949. H. Baumann 1955: 285ff. Schmitz 1960. Zerries 1969. Müller: 1973-74, 67ff. Kohl 1998: 213ff. Thiel 2001. Vgl. a. FürerHaimendorf 1948: 370-383. Endicott 1970: 153. Reichel-Dolmatoff 1985: 23ff. Behrend 1987: 12f. Vgl. H. Baumann 1955: 285. Kohl 1998: 218-220. Vgl. Parry 1932: 448f. Müller 1973-74: 109.
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Klaus E. Müller 67 Müller 1973-74: 73f. 68 Beidelman 1963: 50. Redfield 1966: 344f. 69 Der Älteste der »Gründersippe« (engl. founder sib), der in der Regel besondere, meist sakrale Privilegien genießt, da seine Vorfahren die Ältestansässigen am Ort waren, das heißt am besten mit der lokalen Umwelt, insbesondere aber dem Boden, vertraut sind und ihre Ahnen am längsten unter der Erde sind. 70 Müller 1973-74: 71ff., 90f. Vgl. Webster 1942: 249. 71 Sahlins 1992: 111. 72 Vgl. z.B. Srinivas 1952: 229ff. Haberland 1973: 258. Hoenerbach 1984: 7. 73 Müller 1973-74: 77. Vgl. z.B. Hollis 1909: 46ff. Aigremont, 1910: 26. Eisler 1925: 234f. Srinivas 1952: 229ff. Illi 1991: 102. 74 Heckmann 1980: 62. 75 Frazer 1963: 48-86. Müller 1973-74: 77f. Vgl. Hutton 1921: 220ff. EvansPritchard 1929: 177. Beck 1943: 93f. Elwin 1947: 29. 1950: 43f., 174f. FürerHaimendorf 1948: 361ff., 440, 446f. Grigson 1949: 137ff. Barnes 1974: 139f. 76 So z.B. bei den Bondo in Orissa (Indien). Elwin 1950: 182f. 77 Müller 1973-74: 79f. und die dort angegebenen Belege. 78 Grigson 1949: 137ff. Elwin 1950: 174f. Bammel 1950: 19ff. Frazer 1963: 48-86, 109-137. Gluckman 1963: 9f. Raum 1967. Müller 1973-74: 77ff. Sahlins 1992: 115f. 79 Müller 1973-74: 99f. Vgl. z.B. Dickson 1910: 372. Majumdar 1937: 169. Elwin 1943: 101. Krige/Krige 1947: 232. Srinivas 1952: 92f. Haberland 1973: 260. Jacobson 1974: 110. Szromba-Rysowa 1981: 269. Schiffauer 1987: 34. 80 Müller 2003: 139ff. 81 Szromba-Rysowa 1981: 269f. Hoenerbach 1984: 7. 82 Middleton 1960: 96f. 83 Müller 1973-74: 96. Vgl. Parry 1932: 81. Majumdar 1937: 58, 60, 146. Srinivas 1952: 228. Middleton 1960: 72. Fiedermutz-Laun 1983: 174. Hoenerbach 1984: 6. Löwdin 1985: 44. Straube 1996: 131. 84 Vgl. Berger 1994: 12. 85 Vgl. Berger 1994: 29.
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Der Palast
Der Palast Klaus E. Müller 1. Die Geburt der Herrschaft Gegen Ende des 5. Jahrtausends v. Chr. vollzog sich mit der Herausbildung der Archaischen Hochkulturen eine neuerliche einschneidende Wende in der Geschichte der Menschheit, die abermals zu radikalen Umbrüchen in den Gesellschaftsstrukturen und in der Folge davon zu teils dramatischen Erschütterungen der unmittelbarer betroffenen frühagrarischen Sinnsysteme führen sollten. Der Prozeß setzte in der Alten Welt in den Stromtaloasen des östlichen Mittelmeerraumes ein. Ihm lagen zur Hauptsache die folgenden, einander wechselseitig bedingenden Voraussetzungen zugrunde: – Bereits während der Frühphase des vorderasiatischen Neolithikums war die Bevölkerung gegenüber dem vorausgehenden präagrarischen Mesolithikum um das Zehnfache angewachsen. Das verstärkte innovative Bemühungen zur Intensivierung der Landwirtschaft. – Diese hatten fruchtbare Böden sowie – in niederschlagsärmeren Regionen – größere Flüsse zu ihrer künstlichen Bewässerung zur Voraussetzung, die es erlaubte, breitere, bislang noch ungenutzte Flächen in Kultur zu nehmen. Beide Bedingungen waren ideal in den großen Stromtaloasen Mesopotamiens, Ägyptens und Choresmiens (Syr- und Amudarja), dann auch Indiens (Indus) und Chinas (Hoangho) gegeben. Die agrarische Nutzung größerer Flächen setzte wiederum effektive Ameliorationsverfahren und entsprechend geeignete, neuartige Geräte voraus. Beider Grundlage bildete in den altweltlichen Hochkulturen die Kombination von Bodenbau und Großviehhaltung: Der Pflug, um 5500 v. Chr. in Vorderasien aus dem Furchenstock (einem gewinkelten Grabstock) oder Zugspaten entwickelt, Egge, Feldwalze und Dreschschlitten waren nur wirkungsvoll einsetzbar, wenn sie von Eseln, Rindern oder Büffeln gezogen wurden, die überdies – neben Schweinen, Ziegen, Schafen und Geflügel – ausreichend Mist zur breitflächigen Düngung abwarfen. Dank dieser verbesserten, nunmehr hochagrarischen (bäuerlichen) Produktionsverfahren wuchs die genutzte Anbaufläche schon zu Beginn der Entwicklung um das Fünffache an. Das Kulturpflanzenspektrum (Gemüse, Obst, Dattelpalme u.a.) erweiterte sich deutlich; daneben spielten weiterhin Jagd und vor allem Fischfang eine wichtige ergänzungswirtschaftliche Rolle. 63
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Klaus E. Müller
– Die dank der hochagrarischen Betriebswirtschaft erzielten Ertragsüberschüsse erlaubten es, zunehmend mehr Menschen von der Urproduktion abzuziehen und anderen, namentlich verarbeitenden Tätigkeiten und Dienstleistungsaufgaben zuzuführen. Der Zerealienbau, das trockene Klima und verbesserte Konservierungsverfahren machten es möglich, größere Vorräte anzulegen und sie davon für ihre Arbeit zu entlohnen, nicht zuletzt aber auch die städtischen Bevölkerungen in Dürre- und Notzeiten am Leben zu erhalten. Umfangreiche Speicheranlagen bilden daher eine Art Leitmerkmal der Archaischen Hochkulturen.1 – Gerade Getreidekulturen, in Kombination mit Leguminosenanbau, dürfen daher – nicht zuletzt auch wegen des höheren Nährwertgehalts beider Fruchtgattungen gegenüber den tropischen und subtropischen Knollen- und Staudenpflanzen – als die conditio sine qua non der Archaischen Hochkulturen gelten, handle es sich um Gerste und Weizen (Vorderasien), Hirsen (Indien, China), Reis (Südostasien) oder Mais und Gräser (Mesoamerika, Anden). – Große, wohlgefüllte Getreidespeicher weckten indes unter Umständen auch die Begehrlichkeit benachbarter »Randbereichsvölker«, die unter weniger gesicherten Verhältnissen lebten und leicht in Versuchung kamen, wenn sie in Not gerieten. Bereits die ältesten hochkulturlichen Zentren – Fürstensitze wie Städte – weisen daher solide Ummauerungen mit massiven Tortürmen und an der Innenseite Kasematten für bewaffnete Wachmannschaften zur Verteidigung der Einwohner und ihrer Vorratsanlagen auf. Weitere kennzeichnende Errungenschaften der Archaischen Hochkulturen, die, in komplementärer Verschränkung, sowohl Folge als auch Bedingung ihrer Fortentwicklung waren, bildeten: die manufakturbetriebliche Fertigung der Keramik unter Verwendung der Töpferscheibe, die Weberei mit Webstuhl, Ansätze zur Metallverarbeitung (Kupfer, etwa ab 4000 v. Chr. Bronze), verbesserte Transportmittel (Karren auf Rädern, etwa ab 3500 v. Chr. Lastkähne), die Intensivierung des Fernhandels, ein differenziertes Gewerbewesen, Notationsverfahren (anfangs Scheiben, Kugeln, Kuben und piktographische Zeichen als Symbole für Handelsgüter), ab 3500 v. Chr. Bilderschriften, rund 1000 Jahre später die erste Silbenschrift (»Keilschrift«), stratifizierte Gesellschaften mit zentralisierter, während der Blütezeiten monarchischer Herrschaftsform, kodifizierte Steuer- und Rechtssysteme sowie die Tendenz zur monumentalen Bauweise.2 Die entwickelte Landwirtschaft, anfangs Voraussetzung zur Entstehung der Archaischen Hochkulturen, trug jedoch, wiederum kom64
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Der Palast
plementär zu ihrem weiteren Ausbau, auch bereits den Keim ihres späteren Niedergangs in sich. Der österreichische Geograph Hans Bobek (1903-1990) prägte für die archaisch-hochkulturliche Ökonomie die Bezeichnung »Rentenkapitalismus«. Das besagte in den entscheidenden Zügen: Die Herrschenden preßten der Bevölkerung, vor allem Bauern und Gewerbetreibenden, jeweils soviel an Abgaben (»Renten«) und Arbeitsleistung ab, als gerade noch möglich war, ohne sie vollends zu ruinieren. Die abgeschöpften Ertragsanteile wurden jedoch nur selten für produktions- und strukturverbessernde Investitionen (Reformmaßnahmen), sondern nahezu ausschließlich für den eigenen Sicherheits-, Luxus- und Repräsentationsbedarf aufgewandt. Dies führte, namentlich in Notzeiten, die in der primären und sekundären Produktion Tätigen wenn nicht in die Verelendung, so doch in die Dauerverschuldung, so daß es ihnen so gut wie immer am dringend erforderlichen Betriebskapital fehlte und sie gezwungen waren, Raubbau am eigenen Boden und Vieh zu betreiben. Das wiederum hatte zur Folge, daß den Machthabenden, um die Verluste an Abgaben auszugleichen, keine andere Wahl blieb, als Einfälle in die benachbarten Länder zu unternehmen und sich dort gewaltsam zu nehmen, was ihnen fehlte. So griffen zunehmend Raub- und Eroberungszüge um sich und kam es zu einem bald fortwährenden wechselseitigen Ringen, das zwar zur Entstehung immer größerer Reiche (und zum Untergang vieler kleinerer) führte, letzten Endes jedoch das Grundproblem des Rentenkapitalismus nur räumlich und zeitlich verlagerte.3 In Mesopotamien erreichte diese Entwicklung ihren ersten Höhepunkt um 2350 v. Chr., als es dem Sumerer Lugalzaggesi, ursprünglich König des Stadtstaats von Umma im tiefen Süden des Landes, erstmals gelang, ein panmesopotamisches Großreich zu schaffen, das sich vom Persischen Golf bis zur Mittelmeerküste erstreckte. Der archaisch-hochkulturliche Imperialismus löste so zwangsläufig eine verhängnisvolle Kettenreaktion aus, die schließlich wahrhaft verheerende Ausmaße während der Bronzezeit (ca. 2000-700 v. Chr.) annahm, in der es in weiten Teilen der Alten Welt zu weiträumigen Bevölkerungsverschiebungen, ethnischen Umwälzungen und Zerstörungen in bis dahin unbekannten Ausmaßen kam.
2. Die Aufteilung der Welt Nach den ersten rund 1000 Jahren der Aufbau- und Konsolidierungsphase hatte sich eine Reihe typischer hochkulturlich-sozietärer Organisationsformen (»Reiche«, »Staaten«) herausgebildet, die fortan als 65
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Klaus E. Müller
formale Strukturvorgaben das Geschehen über Jahrtausende hin bis zum Ende der Kolonialzeit bestimmen sollten: 1. Prinzipale Systeme (Fürstentümer): Mehrere Siedlungen (oder Ethnien) bildeten zunächst, wofür auch rezente Befunde noch etliche Beispiele liefern, einen engeren, quasi symbiotischen Verbund, sei es aufgrund seit alters bestehender Heiratsbeziehungen, gemeinsamer genealogischer Deszendenz, sukzessiver Filiationen (Gründung von Tochterdörfern rings um die Ursprungssiedlung) und wechselnder Erwerbsweisen oder Rohstoffvorkommen, die zu lokalen gewerblichen Spezialisierungen und entsprechenden Austauschabkommen geführt hatten.4 Um Engpässen in Dürre- und Notzeiten vorzubeugen, legte man an zentraler Stelle größere Getreidespeicher an, die zum Schutz durch Mauerwerk gesichert und vom lokalen Oberhaupt beaufsichtigt wurden. Drohten Übergriffe von außen, stellte man eine Mannschaft junger Krieger zusammen, zu deren Anführer für den Ernstfall der Ältestenrat einen »Kriegshäuptling« bestimmte (sog. »dual leadership«).5 War abzusehen, daß die Gefahr auf Dauer bestand, erweiterte man den befestigten Raum um den Speicher herum zur »Fluchtburg«. Unter derartigen Voraussetzungen etablierte sich die Position des »Kriegsherrn«. Zusätzlich zur bestehenden Truppe stellte er sich gegebenenfalls – auch dafür fehlt es nicht an Belegen aus neuerer Zeit – eine eigene, ihm persönlich ergebene Garde aus Flüchtlingen, Gefangenen und Gefolgsleuten zusammen, so daß er allmählich die Oberhoheit gewann und zum »Fürsten« (lat. princeps) des Stammes- beziehungsweise Siedlungsverbandes aufstieg. Er bezog eine eigene befestigte Residenz (Pfalz oder Burg); die Gesellschaft, bestehend aus Bauern, Handwerkern, Händlern, Priestern, Kriegern und Hofstaat, nahm quasi-feudale Strukturen an – eine Entwicklung, die ebenso in Vorderasien wie auf dem Balkan, in Europa und Indien in Ansätzen bereits seit dem Neolithikum, spätestens jedoch ab der frühen Bronzezeit archäologisch gut dokumentiert ist (»Hügelgräber-Kulturen«).6 2. Marktsysteme: An Punkten, an denen sich Fernhandelsrouten kreuzten und zugleich, wie in Oasen zum Beispiel (Jericho!), gute Voraussetzungen bestanden, eine Rast einzulegen, um Kräfte und Proviant aufzufrischen, bildeten sich schon früh lokale Märkte heraus, an denen Teile der Waren umgeschlagen, andere zu neuen Produkten verarbeitet und anschließend weiterverhandelt wurden. Entsprechend siedelten sich zunehmend Handwerker und Geschäftsleute an, so daß die »Marktflecken« allmählich eigene städtische Dimensionen gewannen. Handwerk und Handel konnten allerdings nur gedeihen, wenn 66
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die Sicherheit der Güter, Gewerbetreibenden und Kaufleute verläßlich garantiert war. Daran hatte vor allem die Umlandbevölkerung ein Interesse: Sie übernahm ihren Schutz und erhob Abgaben (»Steuern«) dafür, die um so höher ausfielen, je mehr die Geschäfte florierten. Um die Absicherung gleichsam unantastbar zu machen, unterstellte man die Märkte gewöhnlich auch noch einer »höheren Garantiemacht« – einer lokalen Gottheit (später einem »Heiligen«), der die Stätte geweiht war. So entstanden autonome sakrale Schutzzonen mit eigener »Marktgerechtsame«, die vor allem das Tragen von Waffen, Händel und Gewalttätigkeiten untersagte, um den »Marktfrieden« zu verbürgen. Märkte waren insofern »neutraler« Boden und besaßen daher das Recht, Asyl zu gewähren (wie Tempel, später etwa auch Kirchen und Klöster). Ihre weltlichen oder geistlichen Aufsichtsträger, im letzteren Fall der Oberpriester des Lokalheiligtums, der »Tempelherr«, nahmen, wie das unter analogen Umständen auch heute noch, beispielsweise in Arabien, so ist, überregionale Schlichtungsfunktionen wahr: Fehden unter benachbarten Stämmen wurden hier, unter dem Schutz der Gottheit (bzw. des »Heiligen«), verhandelt und beigelegt.7 Städte wie Uruk (Sumer) und Byblos (Phönizien), Petra (am Ende der »Weihrauchstraße«), Rom, Paris (Lutetia), Bordeaux (Burdigala), Mekka und Medina gehen auf einstige Marktflecken zurück.8 Der Friede, der dort herrschte, spiegelt sich noch in einem Mythos der Khasi in Assam wider: »Vorzeiten, als die Welt noch jung war, lebten alle Tiere glücklich miteinander zusammen, kauften und verkauften und richteten gemeinsame Märkte ein.«9 3. Superstratiesysteme (Königtümer): Aus Not infolge von Nahrungsmangel, Krieg oder den genannten Strukturschwächen des Rentenkapitalismus treten einzelne Gruppen, Ethnien und Fürstentümer die Flucht nach vorn an und überfallen andere, okkupieren im Erfolgsfall ihr Land, bringen die Märkte unter ihre Kontrolle, nehmen die Städte in Besitz und »überschichten« die einheimische Bevölkerung. Der siegreiche Heerführer gewinnt die Oberherrschaft, wird »König«. Um seine Machtposition zu festigen, baut er die Gesellschaft um zu einem hierarchisch geschichteten (»stratifizierten«) Standessystem: An der Spitze, in der Hauptstadt residierend, steht der Monarch (»Alleinherrscher«), umgeben von Angehörigen seiner Verwandtschaft und adeligen Gefolgsleuten, teils auch Vertretern der einheimischen Aristokratie, sofern sie sich ihm nicht entgegenstellten und zur Kollaboration bereit waren. Mit ihnen besetzt er die Führungsämter in Verwaltung (»Minister«), Heer (»Generalstab«) und Geistlichkeit (»Hoher« oder »Oberpriester«). Es folgt die Mittelschicht, bestehend aus dem 67
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Offizierskorps, den begüterten Kaufleuten, Händlern, Großgrundbesitzern und Handwerkern, während den Bodensatz der Gesellschaft das Heer der Kleinbauern, Fischer, Soldaten, Tagelöhner und Sklaven bildet. 4. Satellitensysteme: Königtümer, deren Herrschaftsbereich nicht lediglich eine Stadt und ihr Umland einschloß, sondern die Dimensionen eines Reiches besaß, gründeten sich zwangsläufig auf einen Verbund von regionalen Fürsten- oder »Kleinkönigtümern«, deren Regenten (Gouverneure) in einem Treue-, beziehungsweise Vasallenverhältnis zum Herrscher standen. Gewöhnlich waren auch ihre Ämter mit Angehörigen der Herrenschicht (nahen Verwandten und Vertrauten des Königs) besetzt. Besondere Bedeutung für die Sicherheit des Reiches besaßen immer die Grenzmarken: Sie hatten als erste feindlichen Übergriffen standzuhalten, stellten aber gleichzeitig auch ein Risiko dar, da sie, fern vom Zentrum der Macht, leichter der Versuchung erliegen konnten, abzufallen und sich selbständig zu machen oder zum Gegner überzugehen. Derartige »Satellitenfürstentümer« wurden daher nur Leuten anvertraut, zu denen der Herrscher uneingeschränktes Vertrauen besaß. Oft festigte man die Beziehung noch durch den Austausch der Söhne: Die Prinzen wuchsen wechselseitig an den Höfen der Satellitenfürsten, beziehungsweise im Herrscherhaus auf.10 Dergestalt entwickelten sich adoptiv- oder blutsbrüderliche Beziehungen zwischen beiden Familien, die zu unbedingter Solidarität und Treue verpflichteten. 5. Urbane Systeme: Das charakteristische Novum der Archaischen Hochkulturen und Höhepunkt ihres Vergesellschaftungsprozesses waren die Städte. In ihnen lebten auf engem Raum Menschen der verschiedensten Herkunft und Profession in einem dicht verschachtelten, ebenso multifunktionalen wie multikulturellen Verbundsystem zusammen. Die strukturierenden Schlüsselzellen des Ganzen bildeten Hof und Basar (Markt). Die Konzentration von Rohstoffen und Waren aller Art hatte hier, in den urbanen Milieus, die gewerbliche Spezialisierung und, dem folgend, den sozialen Differenzierungsprozeß beschleunigt und auf die Spitze getrieben. An die Stelle der alten verwandtschaftlichen war die berufsständische Zugehörigkeit getreten. Handwerker – Färber, Tuchmacher, Seiler, Töpfer, Wagner, Zimmerleute, Grob-, Fein- und Kunstschmiede, Bootsbauer usw. – schlossen sich bereits früh zu Zünften, Kaufleute zu Gilden zusammen. Hof, Adel, Geistlichkeit, Militär und Verwaltung bildeten ihrerseits gesonderte Welten. Alle bewohnten je eigene, abgegrenzte Bereiche – den 68
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Der Palast
Palast (die Burg), die Honoratioren-, Adels- und Tempelbezirke, Kasernen, bestimmte Straßenzüge oder Viertel. Aristokratie, Großbürger, Kaufleute, Zunft- und Gildenangehörige heirateten jeweils nur untereinander. So entstand eine hochkomplexe Kastengesellschaft, deren Partialgruppen mit ihren Lebens- und Tätigkeitsweisen ihre spezifischen Brauchtums- und Glaubensformen mit der Tendenz zur Verselbständigung und je eigenem Identitätsbewußtsein ausbildeten, insgesamt jedoch durch ihre funktionale Interdependenz miteinander verklammert, aber auch abhängig voneinander blieben. Das warf verstärkte Versorgungs-, Transport-, Organisations- und Kommunikations- beziehungsweise Informationstransferprobleme auf, die ihre Anfälligkeit und ein stetes Konfliktpotential in sich trugen und, um das Ganze funktionsfähig zu erhalten, eine obrigkeitliche Jurisdiktion, entsprechende Kontrollinstanzen (Spitzel und Polizei) und die Mittel zur gegebenenfalls gewaltsamen Wahrung der Ordnung erforderlich machten.11 6. Pagane Systeme: Der enorme und mit der wachsenden Konzentration nicht mehr in der Urproduktion tätiger Menschen in den Städten stetig steigende Nahrungsbedarf mußte in der Hauptsache von den Überschußerträgen der Landwirtschaft bestritten werden. Das war, wie gesagt, nur möglich aufgrund der entwickelteren hochagrarischen (bäuerlichen) Produktionsweisen. Der ländlichen Bevölkerung selbst ging es deshalb nicht besser – sie vor allem hatte den Preis für den Rentenkapitalismus zu zahlen: Neben nur mehr wenigen Kleinbauern, die noch ihr eigenes Land besaßen, wirtschaftete die Mehrheit in Abhängigkeit von Tempeln und Großgrundbesitzern, die das Land von den Herrschern – zum Dank für Verdienste oder um sie der Krone zu verpflichten – zu Lehen erhalten hatten. Allen wurde, zumal in Notzeiten, abgepreßt, was der Boden nur hergab, so daß für sie selbst kaum mehr etwas blieb und sie sich zunehmend verschulden mußten. Erschwerend kam hinzu, daß sie jederzeit zu Frondiensten, etwa bei städtischen Großbauprojekten, abgezogen werden konnten. Dies sowie in Kriegszeiten zusätzliche Versorgungsleistungen, Verluste an Menschenleben, Vertreibung oder Umsiedlungen schwächten ihre angestammten Verwandtschaftsstrukturen: das tragende Gerüst ländlichdörflichen Zusammenhalts. Zum Ausgleich traten an ihre Stelle verstärkt freundschaftliche Bindungen zwischen bestimmten Familien, die »Nachbarschaft« als Hilfs- und Solidaritätsverbund, die Pflegekindschaft und das Patenwesen. Neu und typisch für die Archaischen Hochkulturen war daher neben den Städten auch das starke Abhängigkeitsgefälle zwischen Stadt und Land – in sozialer, ökonomischer (Bezug 69
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der Ackergeräte, vieler Werkzeuge und Gebrauchsgüter von städtischen Fertigungsbetrieben) und politischer wie auch religiöser Beziehung: Dem offiziellen, kanonischen (»kirchlichen«) Glauben und Kult in den Städten standen auf dem Land alte, agrarreligiöse Brauchtumsformen, Vorstellungen und Rituale sowie Reste der einstigen Ahnenverehrung gegenüber.
3. Der Gottesstaat Waren die Probleme in den vorgängigen prädatorischen und frühagrarischen Gesellschaften aufgrund der über Jahrhunderte hin weitgehend unveränderten Daseinsweise gleichbleibend vorgegeben, also vorhersehbar gewesen und Kontingenzen begrenzt geblieben, so hatten sie nun in den Archaischen Hochkulturen sprunghaft und vor allem an Vielfalt zugenommen, so daß, was geschah, kaum mehr absehbar und kalkulierbar erschien. Die gewachsenen Interessendivergenzen der einzelnen Sozialgruppen, ihre partielle Verselbständigung und ökonomische Abhängigkeit voneinander, die Unterdrückung, Fron, rigorose Ausbeutung und bittere Not der unteren Bevölkerungsschichten, die sich in Krisenund Kriegszeiten noch verschärfte, mußten auf die Dauer zu schier unerträglichen Verhältnissen führen. Die höchstmäßige Komplexität der Gesellschaft erschwerte die Orientierung, verunsicherte die Menschen und schränkte ihre Handlungsfreiheit ein. Sie standen in Beziehungs- und Funktionszusammenhängen, deren Ganzes sich ihrem Einblick und Verständnis entzog; was andere taten, vermochten sie weder voll zu beurteilen, geschweige denn mitzubestimmen. Vieles mußte widersprüchlich, strikt unvereinbar erscheinen – allem voran die unbestreitbaren Errungenschaften und »Fortschritte« des hochkulturlichen Daseins auf der einen und die Härten der sozialen Wirklichkeit, ja das Elend auf der anderen Seite. Je stärker die gewerbliche Spezialisierung voranschritt, desto mehr schwand zudem auch die Möglichkeit zu übergreifender Solidarisierung und mithin politischer Einflußnahme. Die Menschen hatten Schwierigkeiten, ihre Welt zu verstehen. Sie fühlten sich ausgeliefert – an Mächte, die schwer begreiflich, weil nur kaum erreichbar, gleichsam unnahbar, abgehoben, wie entrückt waren: Die Herrscher lebten zurückgezogen in ihren Palästen, in der sorgsam nach außen hin abgegrenzten Welt ihres Hofstaats. Die Bevölkerung bekam sie nur selten zu sehen, und wenn, dann umschirmt von Gefolge und Garde, eingesponnen in Prunk und Pracht, erhaben und statuarisch, wie die Götterbilder, die gewöhnlich einmal 70
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Der Palast
im Jahr in feierlicher Prozession durch die Stadt getragen wurden. Auf dem Land wie in den städtischen Berufsgenossenschaften suchten die Menschen daher ihre Zuflucht bei eher bodenständigen »kleineren« Lokalgottheiten, die ihnen nahe waren und immer ein Ohr für ihre Sorgen und Nöte hatten und halfen, wenn es in ihrer Macht lag. In späterer Zeit traten an ihre Stelle die Berufs-, Orts- und Landesheiligen. Das Dasein selbst war zum Problem geworden – allerdings zur Hauptsache nur für die abhängigen, unterdrückten, beziehungsweise unterworfenen Bevölkerungsgruppen, deren ursprüngliche Sinnsysteme nachhaltig erschüttert, wenn nicht zerschlagen worden waren. Um ihr Geschick ertragen und damit leben zu können, bedurften sie erst recht plausibler Erklärungen, die ihm letztlich doch einen Sinn verliehen, ja vielleicht Hoffnung zu stiften imstande waren. Aber auch in den Palästen taten Begründungen not. Zwar hatte man dort keine Schwierigkeiten, den eigenen Aufstieg zur Macht als das Ergebnis einer sinnvollen Entwicklung zu begreifen; doch blieb die Notwendigkeit, den Überlegenheitsanspruch samt den Privilegien und auf der anderen Seite die Härten, die sich damit für das Gros der Bevölkerung verbanden, zu rechtfertigen und als überzeugend legitimiert erscheinen zu lassen. Im wesentlichen standen sich daher in stratifizierten Gesellschaften mit klar abgehobener Oberschicht und einem Monarchen an der Spitze ebendiese beiden Sinnkonzepte gegenüber, wenn auch im einzelnen mal weniger, mal schärfer differenziert nach den verschiedenen sozialen Sonder- und Subgruppen; denn jede dieser Gemeinschaften mußte, sofern sie ein ausgeprägtes Identitätsbewußtsein besaß, ihr je eigenes Sinnverständnis entwickeln, um bestehen zu können. Im folgenden seien, teils in Anlehnung an die im vorangehenden Kapitel skizzierte Typologie, zur Hauptsache die beiden tragenden und auch geschichtlich einflußreicheren Systeme archaisch-hochkulturlicher12 Sinnbildung in ihren – weithin übereinstimmenden – Grundzügen dargestellt. 1. Oberschichtenkonzepte: Ein übliches Mittel führender Gruppen, ihren Dominanzanspruch unantastbar erscheinen zu lassen, bestand darin, ihn in der Schöpfungsordnung zu verankern. Das geschah allerorten durch die Lehre von der mikrokosmisch-makrokosmischen Isomorphie: Die irdische wurde als Abbild der Götterwelt begriffen, in zentraler Verdichtung repräsentiert von der Hauptstadt mit dem Herrschersitz, in nuce nachgebildet im Tempelbau oder Palast.13 Dem fügte sich die soziale Verfassung ein.14 Die Menschen waren von Anbeginn an 71
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zum Dienen und Fronen erschaffen worden. Nach mythischen Überlieferungen der Babylonier mußten die Götter nämlich ursprünglich für ihren Unterhalt selbst aufkommen. Da ihnen das auf die Dauer beschwerlich wurde, wälzten sie die schweißtreibenden Tätigkeiten zunächst einmal auf die Igigu, eine Gruppe untergeordneter Gottheiten, ab. Doch diesen wurde das bereits nach vierzig Tagen zuviel – sie streikten, verbrannten ihre Arbeitsgeräte und erhoben sich wider die Götter über ihnen. Die beriefen daraufhin eine Versammlung ein, in der Enki, dem Gott der Weisheit, der glückliche Gedanke kam, Menschen zu erschaffen und ihnen die Fronarbeit aufzubürden. Und so geschah es. Zwar lehnten sich auch die Menschen – wenngleich erst nach einem Jahr – dagegen auf, doch hatten sie, als Geschöpfe der Götter, keinerlei Chance. Ihre himmlischen Herren ahndeten ihre Unbotmäßigkeit mit drakonischen Strafen, um sie zuletzt, als das nichts brachte, bis auf einige wenige mit einer Sintflut hinwegzuschwemmen. Aus den Überlebenden erstand ein neues Geschlecht, das sich nunmehr widerstandslos dem Willen der Götter beugte – und das hieß hier zunächst vor allem, daß sie, ohne zu murren, auf den Feldern, in den Viehställen, Ziegeleien und Werkstätten der Tempelbetriebe arbeiteten.15 Deren Herren streiften indes mit der Zeit – wie sich gut im alten Südmesopotamien (Sumer) beobachten läßt – ihre geistlichen Funktionen ab und übernahmen zunehmend politische Führungsaufgaben; sie verließen die Tempel und residierten fortan in Palästen. Ob aber auf diese Weise oder durch Krieg und Eroberung zu Herren der Städte, zu »Stadtkönigen«, aufgestiegen: Stets sahen sie sich, gemäß dem kosmologischen Isomorphie-Konzept, als Söhne des Himmelsgottes16 oder doch geradlinige Abkömmlinge jener ersten Gottessöhne in grauer Vorzeit17, »als das Königtum vom Himmel herabkam«.18 Damals waren sich die Götter einig gewesen, daß ebenso wie sie auch die Menschen eines Herrschers bedürften. Nach seiner Geburt zogen sie ihn groß »wie Vater und Mutter«, nährten ihn mit »heiliger Milch«, gaben ihm »einen guten Namen« und verliehen ihm Kraft und Einsicht.19 Handelte es sich um noch jüngere Dynastien, die durch Krieg an die Macht gekommen waren, so daß die Könige nicht auf Autochthonie pochen konnten und den Unterworfenen als Fremde erschienen, gaben sie sich als »Gesandte« des Himmelsgottes aus, der sie beauftragt hatte, das Volk, dessen neue Herren sie waren, vor einem drohenden Unheil zu bewahren oder von seiner bisherigen, grundverderbten und gottvergessenen Führungsschicht zu befreien – beziehungsweise zu erlösen. Nachdem in der Frühgeschichte Chinas die aus den nördlichen Steppengebieten vorgerückten, also fremdstämmigen Chou (1100-221 v. 72
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Der Palast
Chr.) die indigene Shang-Dynastie (1766-1122 v. Chr.) entmachtet hatten, sollen ihre beiden ersten Könige ihren Sieg öffentlich damit begründet haben, daß sie »die Shang nicht aus eigener Machtvollkommenheit vom Thron verjagt hätten, sondern daß das mit Willen des ›Himmels‹ geschehen sei: angesichts der schändlichen Ausschweifungen, denen sich die letzten Könige hingegeben hätten […] habe der Himmel ihnen sein ›Mandat‹ (ming) entzogen«.20 Mit der Machtübernahme der neuen Herrscher änderte sich – zumal, wenn sie anderen kulturellen Zusammenhängen entstammten – konsequentermaßen manches; der offiziellen Ideologie nach setzte eine fortschrittliche Entwicklung ein.21 Etliche Könige erließen anläßlich ihrer Thronbesteigung neue Gesetze. Die alten verkommenen Zustände, die letztendlich nur in den Untergang hätten führen können, waren überwunden, dank der erlösenden Wende. Häufig »erneuerten« die Herrscher bei ihrer Machtübernahme auch die Zeit: Sie begann mit dem Dynastiewechsel im Jahr »eins« – eine neue Heilsära brach an. Einer anderen weit verbreiteten Begründungsfigur (der sog. »Königslegende«) zufolge wurde der Anspruch erhoben, der Ahnherr der neuen Dynastie exogenen Ursprungs sei in Wahrheit der Abkömmling eines autochthonen Herrschergeschlechts: Ihm war legitimerweise die Thronfolge zugekommen, doch hatten ihn rivalisierende Gruppen bei Hof, die ihn aus dem Weg haben wollten, als Kind in der Wildnis aussetzen lassen, in der Annahme, daß er dort zugrunde gehen werde. Auf wunderbare Weise entging er jedoch dem ihm zugedachten Geschick. Hilfreiche Tiere – das heißt gute Geistmächte in Tiergestalt – nahmen sich seiner an und zogen ihn zu einem Helden von gewaltiger Kraft, übermächtigem Wirkvermögen und großer Klugheit heran. Er kehrte schließlich, sichtlich mit Willen und Segen der Götter, zurück, eroberte sich den ihm zustehenden Thron, tilgte die eingerissene Verderbnis aus und stellte die alte gute Ordnung wieder her. Es ging also immer um die Beglaubigungsfiktion der Kontinuität: Im Zentrum der Königsideologie stand der Gedanke, den Herrscher als geradlinigen Nachfahren des ersten »Himmelssohns« auszuweisen. Viele übernahmen auch zur Bekräftigung der Fiktion bei ihrer Thronbesteigung die Namen bedeutender Vorgänger.22 Das lieferte nicht zuletzt die Rechtfertigung ihres Anspruchs, göttlichen Wesens und die legitimen Repräsentanten der führenden Gottheit des Stadt- oder Reichspantheons zu sein23, das heißt zu Recht »vikarische« oder »Stellvertreterfunktionen« wahrzunehmen, die allem, was sie taten und anordneten, das Gütesiegel der Unfehlbarkeit verliehen.24 Insofern stellte der irdische immer auch das mikrokosmische 73
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Abbild des himmlischen Hofstaats dar: Auch der Herrscher im Himmel war umgeben von Räten, Vögten und Ministern, an seiner Seite stand ein »Oberwesir«, zu seinem Schutz ein Heer mit Offizierskorps bereit; er gebot über Hunderte von Bediensteten – bestehend etwa aus Türstehern, Thronträgern, Musikanten, Gärtnern, Hirten und Köchen – und besaß einen standesgemäßen Harem.25 Wie die rangniederen Götter ihrem Stand nach gestuft ihrem Herrn im Himmel zu Diensten, aber doch gleichwohl Götter waren, hatten auch Adelige, Minister, Höflinge, Hohepriester und Gouverneure oder Fürsten, die über die Provinzen und Grenzmarken herrschten, teil an der göttlichen Natur, den Gaben und Privilegien ihres höchsten Gebieters. Ranghohe Nichtaristokraten leiteten sich genealogisch von den Begründern ihrer Ämter in der Vorzeit ab, als der erste »Himmelssohn« herrschte26, Adelige, und namentlich solche in Führungspositionen, waren dem Herrscher durch echte oder fiktive Verwandtschaft verbunden: Sie stammten der Ideologie nach entweder unmittelbar von der Königsfamilie oder jüngeren ihrer Seitenlinien ab. Insofern nahmen sie dem »Blut« wie der Überlieferung und Rangordnung nach wichtige Aufgaben im Gesamtsystem ein, was ihren Ämtern und ihrem Stand sowohl Legitimität als auch ihrem Dasein Sinn verlieh. Der bloße Anspruch der Herrschenden, von den Göttern berufen zu sein und in ihrem Auftrag zu handeln, hätte im Bewußtsein der unteren Bevölkerungsschichten wohl nicht allzu tief Wurzel geschlagen, wäre er nicht immer wieder theatralisch wirkungsvoll ins Bild gesetzt worden. Dies geschah im Rahmen des Königskults, der die tragende Säule des ideologischen Überbaus bildete. Dazu eignete sich vor allem das Neujahrsritual. Seit alters galt, wie schon im vorangegangenen Beitrag ausgeführt wurde, der Jahreswechsel als Wiedererneuerung der Schöpfung, das Neujahrsfest selbst als die rituelle Nachstellung des so folgenschweren Übergangs vom Chaos nach dem Sündenfall zur Einrichtung der seitdem bestehenden Ordnung durch die Kulturheroen. Entsprechend wurde gewöhnlich dabei das Weltschöpfungsepos vorgetragen.27 Doch Geordnetes konnte nur aus Ungeordnetem hervorgehen. So zählte es zu den Hauptzügen des Neujahrsrituals auch in den Archaischen Hochkulturen, daß zu Beginn die bestehende Ordnung aufgehoben und kurzfristig das ursprüngliche Chaos wiedereingeführt wurde. In den Städten brachen anarchische Zustände aus. Kinder beschimpften in aller Öffentlichkeit ihre Eltern, Frauen ihre Männer. Die Geschlechter tauschten die Kleider, die Herren bedienten ihre Sklaven. Man unterhielt sich allenthalben mit den sonst aufs strengste verbotenen Glücksspielen, der Alkohol floß in Strömen, es kam zu Gewalttätigkei74
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ten und Unzucht – selbst das Inzesttabu besaß keine Geltung mehr.28 Verschiedentlich – wie lange in Babylonien zum Beispiel – wurde der König vom Hohenpriester seiner Insignien beraubt, symbolisch gezüchtigt, depossediert und durch »einen Mann niederer Herkunft« ersetzt, der vorübergehend seine Würden, Aufgaben und Privilegien übertragen erhielt und nach freiem Belieben schalten und walten konnte, auch im Harem des Herrschers.29 Gewöhnlich nach drei Tagen hatte der Spuk dann ein Ende. Man reinigte sich gründlich, setzte sein Besitzum, soweit nötig, neu instand und kleidete sich für die Abschlußfeier frisch ein. Der König wurde feierlich wiedereingesetzt.30 Wie gleichzeitig der himmlische Herrscher31 berief er eine Versammlung seiner Räte, Minister und hohen Würdenträger ein und entwickelte die Grundlinien dessen, was im bevorstehenden Jahr vor allem in Angriff genommen werden sollte. Oft erließ er auch neue Gesetze. Ebenfalls in Analogie zum Himmelskönig, der alljährlich zu Neujahr von den Göttern zum Streiter wider das mächtigste der Urzeitmonster bestimmt wurde, die seit der Scheidung von Wasser und Land am Grund des Ozeans hausten und eine stete Bedrohung für die Schöpfung darstellten, zählte es auch zu den Aufgaben des Herrschers auf Erden, nach der Wiedereinsetzung der Ordnung gleichsam präventiv in einer Art Schaukampf die künstliche Nachbildung eines drachenförmigen Tiefseeungeheuers zu »erschlagen«.32 Dadurch war die allezeit drohende Gefahr einer Zerstörung der Welt durch die kosmischen Antimächte für das kommende Jahr gebannt. Aber die Menschen trugen noch an altem Verschulden aus dem gerade zu Ende gegangenen, die in das künftige mit hinüberzunehmen, ebenfalls ein Risiko hätte bedeuten müssen. Um dieser »Altlast« ledig zu werden, bürdete man sie vielerorts einem menschlichen »Sündenbock«, gewöhnlich einem Sklaven, oft auch einem ohnehin zum Tod bestimmten Gefangenen oder Verbrecher, auf. Zuvor verwöhnte man sie regelrecht, verköstigte sie auf das großzügigste und erfüllte ihnen im Rahmen des Möglichen jeden Wunsch. War ihre Stunde gekommen, führte man sie durch die Straßen der Stadt. Dabei bewarf sie die Bevölkerung mit allerlei Unrat und verfluchte sie lauthals, um sich des Bösen, das sich in jedem angesammelt hatte, verbal zu entäußern. Schließlich wurden sie, über und über mit der Schuld ihrer Peiniger beladen, außer Landes getrieben und dort ausgesetzt oder getötet, indem man sie etwa steinigte oder bei lebendigem Leibe verbrannte.33 Indes, so grausam ihr Los auch erschien, wog ihr Leiden doch die Gewißheit auf, daß sie, die pharmakoi, also »Heiler«, wie man sie in den griechischsprachigen Städten des westlichen Mittelmeer75
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raumes nannte, Auserwählte unter den Elenden waren: Ihr Opfertod entsühnte die Menschen, machte die Gesellschaft, die sie getötet hatte, wieder »heil«. Im Grunde setzte die Sitte die alten Ernteopfer der frühagrarischen Kulturen34 in städtischen Milieus fort, das heißt läßt sich als Ausgleich für den Tod der Kulturpflanzengottheit verstehen. Ja eigentlich stellt der Pharmakos das menschliche Pendant zum Göttlichen Kind dar, das ebenfalls Jahr für Jahr die Schuld der Menschen, töten zu müssen, auf sich nahm, für sie in den Tod ging und sie dadurch erlöste. Blickt man noch weiter zurück, scheint eine Beziehung zur Aufzucht, Pflege und Tötung des Bären in den nordeurasiatischen Jägerkulturen schwer abweisbar: Das Opfer wird von der gesamten Gruppe gleichsam paradigmatisch für alle Tiere getötet und zum »Herrn der Tiere« gesandt, um ihm zu versichern, daß es die Menschen an sich gut mit den Tieren meinen, sie nur gezwungenermaßen erlegen und sich ihrer Schuld dabei durchaus bewußt sind. Die getötete Korngottheit erwachte indes Jahr für Jahr zu neuem Leben – dank der Heiligen Hochzeit des Weltelternpaares, wie das auch selbst dem kanonischen Glauben in den Archaischen Hochkulturen entsprach35; anders hätten auch sie, deren Nahrungsbasis der Getreidebau bildete, nicht zu bestehen vermocht. Entsprechend sahen sich die Könige auch in dieser Beziehung gefordert. Alljährlich zu Neujahr vollzogen sie – in Mesopotamien zumindest in früherer, sumerischer Zeit – mit der Hohenpriesterin der Erdgöttin im Adyton des Haupttempels der Residenz den »Hieros Gamos« der Welteltern kultisch nach. Wie der Kampf mit dem Ungeheuer den Schutz vor dem Untergang der Weltordnung verbürgte, stellte dies Ritual die Fruchtbarkeit von Boden, Vieh und Menschen, reiche Ernten und die Wohlfahrt des Reiches sicher. Denn eben dafür stand der König, trug letzten Endes er allein die Verantwortung.36 Die Herrschaftsideologie, tief in der makrokosmischen Schöpfungsordnung verankert, lieferte den Begründungsrahmen der »Staatsräson«; ihre sakrale Objektivierung durch Palastkultur, Hofzeremoniell und Königskult verlieh ihr kraft der quasi liturgischen Strenge und Majestät, vermittelt durch die theatralische demonstratio ad oculos omnium, den Anschein verewigter Gültigkeit, das heißt sakrosankter Unantastbarkeit.37 Wo immer der einzelne sich hingestellt sah: ob er sein Brot als Lastenträger verdiente, sein Leben als Kaufmann verdiente oder zum Oberkoch im Palast aufstieg – es war sein Los. An der Ordnung der Dinge, vor allem an der bestehenden Ranghierarchie und Verteilung der Macht, ließ sich nicht rütteln. Das Dasein entsprach
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dem Schöpfungsplan und der Absicht Gottes. Wer gegen die Verhältnisse aufbegehrte, revoltierte letzten Endes wider den Schöpfer selbst.38 2. Unterschichtenkonzepte: Den Menschen an der Basis der sozialen Stufenpyramide blieb kaum eine andere Wahl, als sich dieser Doktrin, die scheinbar dem Willen der Götter entsprach, zu fügen. Doch war es schwer, sich damit abzufinden, besonders in Zeiten bitterster Not. Sie kamen sich ausgeliefert vor, als Opfer einer Entwicklung, die der offiziellen Theologie nach auf göttlicher Bestimmung beruhte und ihnen die Lasten zuwies, die ihre Nacken krümmte und sie zu Boden drückte. Gleichwohl mußte es auch aus ihrer Sicht eine Erklärung dafür geben, warum es gerade sie so erbarmungslos traf, um ihrem Dasein noch einen Sinn abgewinnen zu können, der es immerhin tragbarer machte. Ein geschlossenes System auszubilden, ließen die Bedingungen, unter denen Unterschichtsgruppen lebten, allerdings nicht zu. Das hätte stabile Identitäten vorausgesetzt, wie sie sich angesichts der vielgliedrigen sozialen Schachtelstruktur der Städte, ihrer Multikulturalität und der Fluktuation in den Randbereichen nur kaum zu entwikkeln vermochten. Die Begründungsversuche mußten daher eher vage und unzusammenhängend bleiben. Nur eine Erklärungsfigur, die aus tiefeingewurzelten alten Vorstellungstraditionen schöpfte, hob sich durchgehend und deutlich heraus: Unheil wurde schon immer auf eigenes Verschulden zurückgeführt und daher als Warnung, Prüfung oder Strafgericht der jenseitigen Obrigkeiten begriffen. Die Menschen waren allzu anfällig gegenüber den Anfechtungen bösartiger Geistmächte geworden, deren Einfluß sichtlich zunahm, so daß ein drohender Niedergang unabwendbar schien, falls ihm nicht, wie auch immer, Einhalt geboten wurde. Ein untrügliches Zeichen dafür sah man in der Überhandnahme von Zauber und Hexerei: Beide standen, wie Schriftzeugnisse wiederholt beklagen, in den Städten Altvorderasiens in beängstigend hohem Flor. Bereits der sumerische König Gudea von Lagasch (ca. 2050-2000 v. Chr.) sah sich genötigt, per Dekret alle »Zauberer« des Landes zu verweisen.39 Aus dem westmittelmeerischen Altertum, insbesondere dann den Großstädten der hellenistischen und spätantiken Zeit, liegen in Fülle analoge Berichte vor. Die Enzyklopädisten, wie Plinius der Ältere (23-79 n. Chr.), liefern eine Vielzahl von Proben davon.40 Vor diesem Hintergrund ließen sich die Mächtigen und ihre Büttel auch als Mittel verstehen, dessen sich die Götter bedienten, um die Gedankenlosen wachzurütteln und die Sünder zu züchtigen. Waren die Herrschenden, wie in Superstratiesystemen, fremder, »barbari-
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scher« Herkunft, konnte man in ihnen auch die Verkörperung der durch die Sittenzerrüttung unverhältnismäßig erstarkten bösen Geistmächte selbst, ja spätestens ab der Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr., als der zoroastrische Dualismus Einfluß auf das Denken zumindest der Gebildeteren der unterdrückten Bevölkerungen zu nehmen begann, des »Satans« sehen.41 So verstanden, bot sich ein Ausweg im Rahmen des traditionellen Sinnsystems nur, wenn man sich konsequent zu seinen Sünden bekannte, Buße tat und eine radikale »Umkehr« zurück zu den ursprünglichen, vergessenen oder verratenen Traditionen der »Väter« vollzog.42 Hierzu riefen Propheten auf, wie sie praktisch allüberall in den unterjochten Ländern Altvorderasiens, vor allem aber in den Städten, erstanden. Sie traten als »Mahner« auf, rückten den Menschen vor, daß sie selbst die Schuld an ihrem bedrückenden Dasein trügen und insofern auch imstande seien, die Dinge zu wenden, wenn sie nur die entschlossene Bereitschaft zu Einsicht, Buße und Umkehr zeigten. In dem Fall könnten sie auch auf den Beistand des Himmels setzen: Sie verhießen die Herabkunft eines göttlichen Heilands, der den Mächten des Bösen entgegentreten und sie, unterstützt von Heerscharen streitbarer Engel, in einer gewaltigen Schlacht endgültig vernichten werde. Aussicht zu überleben aber besäßen allein jene, die dem Ruf der Propheten folgen und ihr Leben entsprechend umstellen würden: in Vorbereitung auf die neue, verheißene Heilszeit.43 Das Sinnverständnis der Unterschichten forderte zwar viel von den Menschen, weil es ihnen auferlegte, Unterdrückung, Fron und Ausbeutung als selbstverschuldete, »verdiente« Bürde anzunehmen; doch würde eine Botschaft, die das Elend nicht als Bedingung enthalten hätte, wenig überzeugend gewesen sein. Dafür bot sie aber gleich konsequent auch die Zuversicht, daß die Menschen, gesetzt, sie zeigten die geforderte Einsicht, kehrten sich von der Entwicklung der Verhältnisse ab und leisteten dem Bösen, das sie beherrschte, entschlossenen Widerstand, auf die Hilfe des Himmels und Erlösung hoffen konnten. In welchem Umfang die Saat der Propheten tatsächlich aufging, läßt sich schwer abschätzen. Gegen Endes des 1. Jahrtausends v. Chr. ist jedoch immerhin eine beachtliche Zahl kleinerer und größerer Gruppen unterschiedlichen, überwiegend gnostischen (also dualistischen) Glaubens belegt, die sich aus »der Welt«, das heißt vor allem den Städten, aufs Land in entlegene Gebiete zurückzogen und dort ein einfaches und anspruchsloses, oft ausgesprochen asketisches Leben in »Reinheit« und Sündelosigkeit führten, um sich bereit zu machen für das »himmlische Reich«.44 78
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Der Palast
Es blieben noch die Angehörigen der städtischen Mittelschichten – die verschiedenen Gruppen der Handwerker, Gewerbetreibenden und Kaufleute. Auf ihnen lastete ein geringerer Druck. Zudem hatten sie die Möglichkeit, durch das gewachsene Zusammenleben in gemeinsamen Vierteln und die gewöhnlich praktizierte Endogamie enge, verwandtschaftliche und nachbarschaftliche Beziehungen zu unterhalten, eigene Brauchtümer und Traditionen auszubilden, ihre Überlieferungen und Interessen zu teilen und so insgesamt ein starkes Solidaritäts- und Identitätsbewußtsein zu entwickeln, dessen Ideologie und spezifischen Werte ihrem Dasein Orientierung und Sinn verliehen. Nicht zuletzt besaßen sie auch ihre eigenen Zunft- und Gildegottheiten, die ebenso für ihren Schutz und Bestand wie ihr professionelles Gedeihen bürgten. So hatten sich mit der Zeit im Übergangsbereich zwischen der »harten« Ober- und der instabilen, »weichen«, flexibleren Unterschicht gleichsam verschiedenartige »Sinninseln« ausgebildet, von denen indes nur wenig bekannt ist, da die Mitglieder dieser Art »Logen«45 ihr Innenleben wohlweislich mit dem Schleier der Geheimhaltung umhüllten. Anders und teils doch auch analog stellte sich die Situation auf dem Land dar. Die Menschen bestritten hier nach wie vor ihr Dasein so gut wie ausschließlich vom Bodenbau. Der altagrarische Glaube lebte bei ihnen, da er, wie seit Jahrhunderten schon, der unmittelbar erfahrenen Wirklichkeit ihrer bäuerlichen Tätigkeit entsprach, noch ungebrochen fort. Jahr für Jahr töteten sie das Göttliche Kind, machten sich schuldig und erfuhren Vergebung durch die Großmut der Welteltern und die Bereitschaft ihres Kindes, den Tod um des Lebens der Menschen willen auf sich zu nehmen. Doch kamen die Ausbeutung und Knechtung durch die Machthabenden in den Städten hinzu. Sie verstärkten die allgemeinere Vorstellung von der seit Anbeginn widersprüchlichen Beschaffenheit des Menschen, der Schwäche seines Fleisches, das der unsterblichen Seele gleichsam im Weg stand und schon vorzeiten der Versuchung Raum gab, so daß er das ewige Leben verspielte, das Paradies verlassen mußte und sich fortan genötigt sah, hart, »im Schweiße seines Angesichtes«, zu arbeiten und zu töten, um existieren zu können.46 »Wer ist unter den Lebenden, der nicht gesündigt?« fragt der Verfasser des 4. Buchs Esra, einer spätjüdischen apokalyptischen Schrift aus der Zeit gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr., und gibt die Antwort: »Niemand ist der Weibgeborenen, der nicht gesündigt, niemand der Lebenden, der nicht gefehlt.«47 Das Elend der ländlich-bäuerlichen Bevölkerungen fußte in dop79
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peltem Grund. Ihre Hoffnung mußte sich auf die Gottheiten richten, die ihnen schon immer barmherzig und hilfreich zur Seite gestanden hatten. Die alten Korngötter, wie Tammuz, Attis, Adonis, Osiris und viele andere, wuchsen mit der Zeit gewissermaßen über ihre lokalen Glaubenskreise hinaus und verhießen allen Menschen durch ihren Opfertod Erlösung »von dem Übel«.48 Ihre Heilsbotschaft enthielt nicht von ungefähr die Versprechen der Vergebung und Auferstehung, zuletzt umgesetzt in eschatologische Dimensionen: Die Menschen, die es verdienten, würden, wiederauferstanden von den Toten, nach dem Jüngsten Gericht mit ihrem Erlöser einziehen ins ewige, wiedergewonnene paradiesische Leben, frei von Töten und Tod sowie von sozialer Ungleichheit und Unterdrückung.49 In den Attis-Mysterien stärkten die Priester die Heilszuversicht der zum Auferstehungsfest des Gottes versammelten Gläubigen mit den Worten: »Faßt Mut ihr Mysten, da der Gott gerettet ist; denn auch euch wird Rettung aus Leiden werden!«50
Anmerkungen 1
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Ein anschauliches Beispiel für die Bedeutung der Vorratswirtschaft im althochkulturlichen Vorderasien liefert die Josephsgeschichte im 1. Buch Mose, Kap. 41. Müller 2004: 446-447. Bobek 1959. Müller 2002: 38f. Zu analogen Prozessen in traditionellen Gesellschaften der Neuzeit vgl. Numelin 1944: 5ff. Korfmann 1986: 143f. Bergmann 1987: 48, 84f., 97ff. Kulke 1991: 128. Vgl. Serjeant 1981: 50ff. Müller 2004: 448f. Gurdon 1914: 174. Müller 1997: 187f. Vgl. Hasenfratz 1989: 210f. Müller 1983: 311ff. 2004: 450. Der gebotenen Kürze und Vereinfachung halber soll es hier im wesentlichen um die altvorderasiatischen Hochkulturen gehen. Gaster 1954: 190ff. Raglan 1964: 135f. Kuhrt 1987: 31. Kramer 1944: 69, 72. Pettinato 1971: 21f., 27ff. Gaster 1954: 192ff. Maag 1961: 73f. Assmann 1991: 240f. Vgl. Psalm 2:7. Kuhrt 1987: 30. Renger 1996: 34f. Renger 1996: 14. Meißner 1920-25: I, 46. W. Bauer 1971: 34f.
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Der Palast 21 Vgl. Kuhrt 1987: 30. Pettinato 1971: 35. 22 Renger 1996: 14, 45f. Die Intention bestimmte auch spätere Herrschaftsideologien. Vgl. für das europäische Mittelalter Graus 1987: 158. 23 Christensen 1933: 256. Moortgat 1949: 84f. Gaster 1951: 129f. Nyberg 1954: 96. Kirk 1970: 222. 24 Albert 1969: 160f. 25 Meißner 1920-25: II, 5f., 10, 15. Christensen 1933: 265f. Wesendonk 1933: 108, 112. Nyberg 1938: 373. 26 Renger 1996: 27. 27 Vgl. Winckler 1906: 29ff. Zimmern 1926: 9. Markwart 1930: 729. Christensen 1936: 168. 28 Meißner 1920-25: II, 98f. Schmökel 1956: 69, 94. Müller 1987: 40f. 29 Wensinck 1922: 185. Zimmern 1926: 12. Meißner 1920-25: I, 377. II, 98f. 30 Meißner 1920-25: I, 64. Maag 1961: 87. Childe 1968: 164f. 31 Meißner 1920-25: I, 304ff. II, 125. Zimmern 1926: 17f. 32 Müller 1996: 195. Vgl. Assmann 2000: 164f. 33 Frazer 1963b: 38-46, 210ff. 1963a: 427ff. Müller 1996: 270ff. 34 S. oben S. 56. 35 Nielsen 1938: 537. Schmökel 1956: 125f. 36 Moortgat 1949: 136f. Gaster 1951: 132. Schmökel 1956: 85ff., 123f., 125f. James 1959: 52f. Müller 1973-74: 103. 37 Gaster 1954: 185. Hans Albert 1969: 81. 38 Müller 1983: 315. 39 Schmökel 1956: 140f. 40 Müller 2004a: 138f. 41 Müller 1983: 327ff. 42 Müller 2003a: 25. 43 Müller 1983: 332-335. 44 Müller 1983: 331. 45 Zwischen Zünften, Gilden und Logen bestehen in der Tat enge historische Beziehungen. 46 Vgl. Müller 1983: 305-310, 336. 47 4. Esra 7:46; 8:35. 48 Müller 1983: 298f. Vgl. Matthäus 1:21; 20:28. Markus 10:45. Johannes 1:29; 2:2; 3:5, 16; 4:10. Apostelgeschichte 3:18. Römer 3:24-26; 5:15ff. 2. Korinther 5:21. Galater 3:13f.; 5:4. 1. Timotheus 2:6. 1. Petrus 1:18f.; 2:21ff.; 3:18. Hebräer 9:14f. 49 Müller 1983: 336f. 50 Firmicus Maternus: De errore profanarum religionum, c. 22. Schmaltz 1917: 82f., 84. Frazer 1963c: I, 272ff.; vgl. 307ff.. II, 15ff., 85f. (Osiris). Cumont 1959: 146 (Mithras).
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Der Auszug Klaus E. Müller 1. Neue Welten Die Archaischen Hochkulturen zündeten zwar vor allem in ihren Ursprungs- und den unmittelbar angrenzenden Nachbarregionen, doch konnte nicht ausbleiben, daß ihre Dynamik auch der Entwicklung in jenseits ihrer näheren Einflußbereiche gelegenen Gegenden treibende Impulse verlieh. Dort kam es etwa zu Absatzbewegungen, Migrationsschüben, Stammeskriegen und sukzessiven sekundären Überschichtungsprozessen, Übergangs- und Mischkulturen, ja vereinzelt zur Ausbildung neuartiger Formen. Im Zuge dieser Entwicklung schoben sich die frühagrarischen Kulturen mehr und mehr in die Steppen-, Savannen- und Bergregionen vor und drängten dort wieder die prädatorischen Gesellschaften in die Wüstengebiete, Regenwälder und zuletzt an die Peripherie der Ökumene (Feuerland, Australien, Sibirien, Polarkreis) ab. Typologisch gesehen, lassen sich in der Folge davon die – in genetischer Hinsicht so zu verstehenden – Sekundärformen unterscheiden: 1. Semiperegrine Kulturen: Der Bevölkerungsanstieg in den Kerngebieten der Archaischen Hochkulturen verstärkte zunehmend den Expansionsdruck auf die weniger wirtlichen, ariden oder gebirgigen Randbereiche, wo der Grenzbereich agrarischer Nutzbarkeit schon bald erreicht war. Wie es scheint, bedurfte es dazu im alten Vorderasien nur weniger Jahrhunderte. Etwa zu Beginn des 3. Jahrtausends v. Chr. nämlich gingen die Menschen an der Peripherie der Stromtaloasen unter dem Zwang der Verhältnisse nach und nach dazu über, den Bodenbau schrittweise zugunsten der Viehhaltung einzuschränken. Im Tiefland reichten die Niederschläge in den Übergangsgebieten zur Trockensteppe und weitab von den wasserreichen Flüssen eben nicht mehr voll aus, einen Bodenbau mit hinreichenden Erträgen zu garantieren, waren aber doch noch stark genug, um eine relativ üppige Weidevegetation entstehen zu lassen; und ähnliche Bedingungen herrschten auch im Gebirge jenseits der dortigen Anbaugrenze. Statt einiger weniger Tiere, begannen die Menschen nunmehr, größere Herden vor allem an Schafen und Ziegen zu halten, die den Anforderungen der neuen Lebens- und Wirtschaftsweise am besten angepaßt waren und deren Fleisch, Milch und Milchverarbeitungsprodukte die dürftigen Ernteerträge – und namentlich dieAusfälle während der Dürrejahre – in etwa wieder wettzumachen vermochten. So entstanden zunächst, je 82
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Der Auszug
nach den lokalen Gegebenheiten, die verschiedenen Formen des »Halbnomadismus«, beispielsweise der Almwirtschaft und Transhumanz. Historisch faßbar treten derartige Gruppen erstmals in Gestalt der Akkader um die Mitte des 3. Jahrtausends und der Martu (»Amoriter«) gegen 2000 v. Chr. in Erscheinung. Sie hielten hauptsächlich Schafe, daneben einige Ziegen und als Lasttiere Esel. 2. Peregrine Kulturen: Indessen setzte sich der Bevölkerungsanstieg in den hochkulturlichen Zentralarealen – zunächst noch – unvermindert fort und übte nunmehr zunehmend Druck auf die semiperegrinen Gesellschaften in den Randzonen aus. Den Menschen dort blieb jetzt allein noch die Möglichkeit, in die für den Anbau ungeeigneten angrenzenden Trockensteppen, Wüsten und Hochgebirgsregionen auszuweichen. Dazu mußten sie vollends zur Viehhaltung übergehen, also größere Herden halten und wegen des spärlichen und saisonal wechselnden Futterangebots eine extensive Weidewirtschaft betreiben, das heißt fortan ein mobiles, »vollnomadisches« Leben führen. Neben Schafen und Ziegen eigneten sich dafür in den Steppen nur mehr Pferd und Kamel, in den Wüsten allein noch das Kamel und in den Hochgebirgen der Yak. Offensichtlich durch Kontaktmetamorphose entwickelten sich aus diesen primären später Sekundärformen teils in überwiegend prädatorisch genutzten, mehr aber in agrarisch nutzbaren Räumen auf der Grundlage der Ren- (Sibirien), Rinder- (Südarabien, Nord- und Ostafrika) und Büffelhaltung (Südirak: Madan; Kaschmir: Gujar; Nordwest- und Südindien: Dschat, Toda). Die klassisch-peregrinen Kulturen beherrschten im wesentlichen die semiariden bis ariden Bereiche des sogenannten »altweltlichen Trockengürtels« (einschließlich der eingelagerten Gebirgsregionen), der sich von der Mandschurei im Osten über Inner- und Südwestasien bis nach Mauretanien im Westen und nach Süden über Nordafrika strichweise bis ins Innere Ostafrikas erstreckt. Sonderformen bildeten (bzw. bilden) in den angrenzenden Bereichen ein praktisch allein auf Ziegen- (Kaschmir: Bakerwal) oder Schaf- und Ziegenhaltung (nördlicher Balkanraum: Farscherioten, Aromunen) gegründeter Hirtenvollnomadismus. Historisch treten als erste Repräsentanten peregriner Kulturen in Vorderasien die kamelnomadischen biblischen Midianiter und Amalekiter, etwa um 1100 v. Chr.1, im innerasiatischen Steppenraum die pferde- und schafhaltenden Skythen, etwa ab 800 v. Chr., auf. Peregrine Gesellschaften leben überwiegend von den Erträgnissen ihrer Viehwirtschaft. Ihre Nahrung setzt sich zur Hauptsache aus Milch und Milchverarbeitungsprodukten (Butter, Käse), ergänzt durch 83
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eingehandeltes Getreide, Gemüse und Obst (Datteln z.B.), zusammen. Die – seltenere – Fleischkost liefert in der Regel die Jagd, da das eigene Vieh nur zu Festlichkeiten oder Opferzwecken geschlachtet wird; andernfalls würde man sich ja seines »Kapitals« und damit seiner Existenzgrundlage berauben. In Notfällen »zapfen« so gut wie alle Nomaden – bis auf Vertreter der Sekundärformen (schaf-, ziegen-, büffel-, yak- und renhaltende Gruppen)! – die Hauptschlagader der männlichen Tiere »an« und ernähren sich von dem austretenden Blut. Die Arbeit ist so verteilt, daß die Männer für die Betreuung des Großviehs (Pferde, Kamele, Rinder), ferner die Jagd, den Handel und die Beziehungen zur Außenwelt, die Frauen für die Wartung des Kleinviehs (Schafe und Ziegen), das Einsammeln von Wildvegetabilien, alle handwerklichen Tätigkeiten (Nahrungszubereitung, Milchverarbeitung, Weben, Kürschnerei, Schneidern, Herstellung von Lederbehältern usw.), das Auf- und Abschlagen der Zelte und den Transport verantwortlich sind. Wegen der mobilen Lebensweise bleibt das materielle Besitztum gering und auf leichte, unzerbrechliche und gut zu transportierende Güter begrenzt. Die zwangsläufig extensive Weidewirtschaft in ariden Regionen läßt keine größeren Herden zu, die entsprechend immer nur wenige Menschen zu ernähren imstande sind. Peregrine Lagergemeinschaften (sog. minimal camping units) setzen sich daher gewöhnlich allein aus den Mitgliedern einer erweiterten und in der Regel patrilinearen Großfamilie oder gelegentlich auch Untersippe (Patrilineage) zusammen. Das Oberhaupt der Gruppe (bei Beduinen der Scheich), zumeist der Älteste der Kernfamilie, entspricht eher einem Primus inter pares, das heißt besitzt keinerlei Exekutivgewalt und ist in allen Entscheidungen von der Zustimmung der übrigen erwachsenen, vor allem der älteren Männer abhängig. Verliert er das Vertrauen der Gruppe, kann er abgewählt und durch einen anderen Ältesten ersetzt werden. Seine Stellung erfordert, daß er die größten Herden von allen besitzt, da er für die Pflege der Außenkontakte zuständig ist, das heißt die Gäste empfangen, beherbergen und verköstigen muß, und die Verpflichtung hat, Bedürftige und in Not Geratene mit zu versorgen, beziehungsweise ihnen »Kapital«, also Vieh, zum Aufbau neuer Herden vorzustrekken. Da die wenigen wichtigeren Tätigkeiten und Geschehensverläufe gut überschaubar und nur in geringem Unfang von unkalkulierbaren Faktoren abhängig sind und wegen der mobilen Lebensweise keine engere Bindung an bestimmte Lokalitäten besteht, kennen peregrine Gemeinschaften keinen – oder nur einen sehr flüchtigen – Gräberund Ahnenkult, besitzen überhaupt eine eher vage und diffuse Gläubigkeit, die sich bestenfalls noch auf einen fernhin entrückten, otiosen 84
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Der Auszug
Himmelsgott bezieht, und nur kaum, wie das ja auch für prädatorische Gesellschaften typisch ist, entwickeltere Rituale: Geburten, Hochzeiten und Beisetzungen finden nahezu formlos, ohne nennenswerten Zeremonialaufwand statt. Einzig was immer, wohin man auch zog, zugegen blieb, das Leben bestimmte und alle band, bildete die gleichsam verfassungsmäßige Orientierungsgrundlage: die Verwandtschaft und Viehhaltung. Hirtennomaden drückte nicht die Sorge, Tiere oder Pflanzen »töten« zu müssen, um überleben zu können, und sich dadurch immer wieder in Schuld zu verstricken; ihr Problem war der Erhalt von Verwandtschaft und Viehbesitz. Zerwürfnisse, die zur Entzweiung der Gruppe, Dürrejahre oder Seuchen, die zum Verlust der Tiere führten, hätte ihre Überlebensfähigkeit bedroht. Man setzte daher auf patrilineare Engst-, also »Blutsverwandtschaft«, da man nur hier glaubte, einander bedingungslos vertrauen zu können. Präferiert wurden Ehen zwischen Geschwisterkindern (sog. »parallel cousin marriages«). Man achtete strikt auf »Blutsreinheit«; Untreuedelikte und »Blutschande« zählten zu den schlimmsten Vergehen. Verläßlichkeit, Vertrauen, Hilfsbereitschaft und vor allem Solidarität stellten die Kardinaltugenden peregriner Gesellschaften dar. Und nahezu ebenso wie auf die Verwandten war man auch auf seine Tiere angewiesen. Menschen und Vieh bildeten einen unauflöslichen, komplementären Verbund. Namentlich Kamelen, Pferden und Rindern, den Tieren der Männer, auf denen die Existenz der Gruppe vor allem basierte, kam fast die Bedeutung von »Adoptivverwandten« zu. Man sprach und scherzte mit ihnen, besaß seine Lieblingstiere, denen man Namen gab und wie seinesgleichen umsorgte, auf die man Preislieder sang und die man nach ihrem Tod betrauerte und schmerzlich vermißte. Vieles, zum Beispiel Verhaltensweisen, charakterliche Eigenheiten, Vorzüge und Tugenden, wurde metaphorisch durch Eigenschaften der Tiere ausgedrückt2 – im Falle von Rindern (wie in Afrika) spricht man geradezu vom »bovinen Idiom«.3 Wer also das Seine für den Bestand und die »Ehre« der Familie und Gruppe tat, Bedürftige unterstützte, sich auch sonst vorbildlich solidarisch verhielt und seinen Aufgaben in der Viehhaltung erfolgreich nachkam, der erfüllte den Sinn peregrinischen Daseins, war der ideale »gute Hirte« – ein Titel, mit dem sich nicht von ungefähr Könige, die Nomadendynastien entstammten, gerne schmückten.4 3. Handelskulturen: Unmittelbar verbreitete sich archaisch-hochkulturlicher Einfluß schon früh und in fortgesetzten Schüben über die großen Fernhandelsstraßen teils bis in weit entlegene Regionen. Pro85
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fessionelle Händler, ja Händlervölker, dürften daran keinen unbeträchtlichen Anteil gehabt haben, wie sich das auch in historischer Zeit immer wieder beobachten läßt. Typische Beispiele dafür waren die Phönizier (zur See) und Juden, die Inder (Innerasien), in Afrika die Suaheli, Hausa und Fulbe (Ostafrika bzw. Sudan). Viele ließen sich in den Marktflecken und Oasenstädten an den Kreuzpunkten wichtiger Routen nieder und gründeten dort Handelshäuser. Mit der Zeit entwickelten sich dann aus ihren heimischen und den lokalen Brauchtums- und Kulturtraditionen, ständig ergänzt durch Anregungen und Importe anderer durchreisender Kaufleute, eigene, sekundäre Blüteformen archaisch-hochkulturlichen Lebens, entstanden autonome Marktherren- und Stadtkönigtümer – wie beispielsweise an der »Seidenstraße« in der Oase Turfan (Sinkiang). 4. Sakrale Königskulturen: Jenseits der anfangs immer noch kleinräumigen, fast insulären Kernregionen der Archaischen Hochkulturen und der wenigen Fernhandelsstraßen, ihren »Kontaktadern«, erstreckte sich noch über viele Jahrhunderte hin nahezu unberührt das weite Land der frühagrarischen und prädatorischen Kulturen. Erstere lagen den primären und sekundären Hochkulturzentren und ihren Ausläufern immerhin näher. In ihrem Leben spielten seit alters die Ahnen als Normenkontrollinstanzen die entscheidende Rolle. In ihrem Namen sprachen und handelten die Ältesten, allen voran der Gearch (»Erdherr«), der Älteste der (dem Anspruch nach) erstansässigen, der »Gründersippe«. Er trug die Verantwortung für den kommunalen Ahnen- und Erdkult, eröffnete die wichtigsten agrarischen Riten und bürgte mit seiner Fehllosigkeit in Gesundheit (Kraft), Moral und Amtsausübung für die Fruchtbarkeit von Land und Leuten, für ihr Wohlergehen, ihr »Heil«. Insofern hatte er zu seinem Schutz auch mehr Tabus als andere zu beachten, besaß dafür aber eine gewisse höhere Sakralität. Ganz unberührt blieben jedoch auch diese Räume nicht von der Außenwelt. Der Handel erreichte auch sie, zumal, wenn sie Kostbarkeiten, wie Gold, Edelsteine oder Elfenbein, zu bieten hatten. Die Oberhäupter, die stets das Monopol auf die Pflege der diplomatischen Beziehungen besaßen, konnten die Händler an sich binden und so bevorzugt von den Einkünften profitieren. Auf diesem Wege mochten sie auch von der Idee und Institution des Königtums erfahren. Offenbar – wie noch spätere Beispiele lehren – unter dem Einfluß von Händlern, die ihren Vorteil erkannten und es dahin gebracht hatten, zu Beratern und Vertrauten der einheimischen Oberhäupter aufzurük-
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Der Auszug
ken, »bauschte sich« so mit der Zeit die Gearchie gewissermaßen zu lokalen Formen des Königtums »auf«. Doch blieben die Möglichkeiten begrenzt. Die tropischen Agrarkulturen gründeten sich zur Hauptsache auf den Knollen- und Staudenbau, der keine Vorratshaltung im großen Stil erlaubte und so weder größere Bevölkerungsdichten, geschweige denn komplexe urbane Gesellschaften, noch ein hochdifferenziertes Gewerbewesen und stehende Heere zuließ. Auf purer Machtpolitik basierende Herrschaftssysteme konnten sich unter diesen Voraussetzungen nicht ausbilden – es entstand die Sonderform des traditionellen »Sakralkönigtums«, eine Übersteigerung der alten Gearchie. Aber es waren neue Züge hinzugekommen. Die ursprünglich vorrangige Bindung an die Erde weitete sich aus zur Vorstellung von der Isomorphie von Mikro- und Makrokosmos, die ebenso die Reichskonzeption wie die Palastarchitekutur bestimmte. Der König, nunmehr vor allem den Himmelsgott repräsentierend, residierte im Zentrum der Welt. Das Reich gliederte sich auf in vier Provinzen, die den Himmelsrichtungen entsprachen. Die Wege dorthin führten vom Zentrum aus durch vier Tore der Residenz. Nach der Inthronisation ergriff der neue König Besitz von seinem Land, indem er beispielsweise je einen Pfeil in die vier Himmelsrichtungen schoß und anschließend die einzelnen Regionen bereiste, um sich huldigen zu lassen. Die Provinzgouverneure bekleideten gleichzeitig die vier »Erzämter« der höchstgestellten Minister und Ratgeber des Königs. Prunk und Pracht verliehen den Höfen »überirdischen« Glanz. Dort blühte, jedenfalls zu historischer Zeit, das Kunstgewerbe: Raffinierte Färbetechniken und Applikationsverfahren, eine entwickelte Silber- und Goldschmiedekunst, Zinnguß, Bronze-, Glas- und Perlenarbeiten, entsprechend erlesener Schmuck und kostbare Trachten, Unterhaltung durch Musik, Tanz und Gesang, eine kunstvolle Etikette – nahezu nichts dergleichen fehlte. Und die Mittel dazu wurden, wie zu Beginn und später dann in größerem Umfang, aus der Kontrolle wichtiger Märkte und Handelsverbindungen bestritten. Bei allem indes blieb der sakrale Aspekt des Herrschertums dominierend. Gleich dem Gearchen galt der König als Verkörperung der Lebens- und Fruchtbarkeitskräfte von Land, Vieh und Menschen – und auch, dies nicht zuletzt, der Vegetation. Er bürgte mit allem, was er tat, wie er lebte und sich verhielt, für die Wohlfahrt, das »Heil«, seines Reiches. Das bürdete ihm eine hohe Verantwortung auf, die deutlich seine herrscherliche Autorität überwog. Er mußte gesund, vital, stark und fehllos sein, in moralischer wie physischer Hinsicht: Jede körperli-
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che Behinderung hätte eine Gefährdung bedeutet und ihn untauglich für die Verantwortung, die er trug, erscheinen lassen. Ausweis seiner Vitalität und Kraft bildeten daher zahlreiche Kinder, beziehungsweise ein entsprechend großer Harem, Wohlhabenheit und Reichtum – an Gütern wie Bediensteten und Sklaven, was alles ihm erlaubte, den Prunk und Luxus zu entfalten, der als Ausdruck seiner Eignung und Befähigung galt, seiner Bestimmung gerecht zu werden. Auf der anderen Seite schloß seine Heilsträgerschaft eine Vielzahl von Tabus und Verhaltenseinschränkungen ein, die ihn im Grunde mehr zum Gefangenen denn zum Beherrscher der Seinen machte. Häufig durfte er weder seine Residenz verlassen noch etwas zu sich nehmen oder benutzen, was exogener Herkunft war. Zum Erhalt seiner Kraft hatte er jeden Kontakt mit Personen zu meiden, die nicht zu seinen engsten Angehörigen oder den höchsten Würdenträgern des Reiches gehörten. Nur selten trat er daher auch in der Öffentlichkeit auf; bei Audienzen pflegte er zum Beispiel einen Gesichtsschleier zu tragen oder hinter einem Vorhang zu sitzen. Um seine Kraft zu schonen, sprach er nur leise; ein sogenannter »Speaker« hatte die Aufgabe, seine Worte laut und allen vernehmlich zu wiederholen. Nur wenn er sich peinlich an alle Auflagen hielt und keinen Fehler beging, das heißt gleichsam einen Schritt hinaus über den magischen Zirkel seines sakralen Daseins tat, war die Wohlfahrt aller ihm Anvertrauten gesichert und durfte man gewiß sein, daß es ausreichend regnen, reichliche Ernten geben und mit keinerlei ernstlichem Ungemach zu rechnen sein werde. Panik trat daher auf, wenn der König erkrankte oder gar starb. Deutliche Alarmzeichen für eine einsetzende Minderung der herrscherlichen Heilskraft waren zum Beispiel Dürren, Pflanzenkrankheiten, der Einfall von Heuschreckenschwärmen oder Niederlagen im Krieg. Dann kamen die höchsten Würdenträger und Ältesten der einzelnen Volksgruppen zusammen und berieten, ob der König seinen Aufgaben noch gewachsen sei. Schien dies nicht mehr verbürgt, kam man überein, ihn abzusetzen, zu verbannen oder, wie ehemals häufig, rituell zu töten – wie das alljährlich dem Göttlichen Kind geschah, wenn es sich auf dem Höhepunkt seiner Reife befand, das heißt auch, bevor es »verderben« konnte.5 Sakralkönige repräsentierten zwar, eher vordergründig und ein wenig wie aufgesetzt, den Himmelsgott; tiefgründiger jedoch schöpfte die Institution wie der Glaube, der sie begründete, aus dem altautochthonen frühagrarischen Vorstellungserbe. Der Herrscher verkörperte sichtlich auch die Nahrungspflanzengottheit. Die Menschen lebten von ihm, in des Wortes unmittelbarer Bedeutung; sie zehrten von seiner 88
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Vital- und Segenskraft, die sie stärkte, fruchtbar und erfolgreich machte und ihr Dasein verbürgte. Aber nur, solange sich jedermann, und allen voran der König, strikt an die Vorgaben hielt, wie sie, sanktioniert durch die Ahnen, von alters her überkommen waren. Schienen die Kräfte des Königs »verbraucht« und begann er gewissermaßen zu »welken«, mußte er abtreten, beziehungsweise den Tod auf sich nehmen, damit den Seinen kein Schaden geschah und sie auch fürderhin zu überleben vermochten. Das war ihm von Amtsantritt an bekannt. Insofern willigte er in seinen Opfertod ein, der die Voraussetzung für die Heilsgewißheit, für die Erlösung der Menschen von der Bedrohung durch Hunger, Leid und Tod war. Hierin bestand das Sinnkonzept der traditionellen Sakralkönigtümer.
2. Die Gottgesandten Mit dem Ausgreifen der Archaischen Hochkulturen immer tiefer in die Umlandbereiche hinein und der fortschreitenden Entstehung sekundärer Hochkulturzentren gewann der Diffusionsprozeß zunehmend mehr an Dynamik. Nach wie vor ging es um wertvolle Rohstoffe und Waren; nur war die Zahl derer, die Interesse daran besaßen und potent genug waren, ihren Wünschen Nachdruck zu verleihen, inzwischen gestiegen. Den bequemsten Zugang zu den begehrten Gütern boten die großen Fernhandelsstraßen und Märkte. Wer immer die Möglichkeit dazu sah, suchte sie daher unter seine Kontrolle und Herrschaft zu bringen – im ständigen Kampf mit seinen nicht weniger gewinnsüchtigen Konkurrenten. Im Vorteil waren dabei peregrine und migrante Völker, da sie beweglicher waren und, daseinsbedingt, eine größere militärische Erfahrung und Schlagkraft besaßen. Allerdings schwächten sich die Potentiale mit der Entfernung von den Produktionsstätten hochwertiger Rüstungsgüter ab, so daß Krieg und Gewalt fernab von den Zentralregionen der Archaischen Hochkulturen, wo auch kaum mehr die gesellschaftlichen Voraussetzungen bestanden, größere stehende Heere unter Waffen zu halten, zunehmend mildere Formen annahmen. In der Folge dieser Entwicklung bildeten sich vor allem drei Typen politisch dominanter Systeme (»Reiche«) heraus. 1. Nomadenreiche: Große Fernhandelsstraßen (z.B. die »Seiden«oder die »Weihrauchstraße«) dankten ihre Bedeutung vor allem zwei Merkmalen: Auf ihnen wurden Waren aus weit voneinander entfernten Produktionsstätten (oder »Großmärkten«) befördert, die eben 89
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daher selten und insofern besonders kostbar waren, und sie führten häufig durch dünn- oder unbesiedelte Trockensteppen und Wüsten (Innerasien, Arabien, Nordafrika). Beides machte sie anfällig für Übergriffe wehrhafter Reiternomaden, die hier ihre Chance auf eine ebenso leichte wie lohnende Beute sahen. Auf die Dauer gesehen, hätten wiederholte Raubüberfälle jedoch nur kurzfristige Gewinne gebracht. Es wäre zu befürchten gewesen, daß der Handel dadurch zum Erliegen kam oder sich andere Wege suchte (wie später dann über See). Statt Karawanen auszurauben, erschien es vernünftiger, ihren Schutz während der Reise zu garantieren und dafür Abgaben zu erheben. Die Bürgschaft konnte sich auf einzelne Streckenabschnitte samt den eingelagerten Märkten in den Oasen oder das gesamte Wegenetz einer Großregion beziehen. Letzteres setzte überethnische Allianzen oder einen Völkerverbund unter zentraler Führung voraus. Die Bedingungen dafür lagen in den Schwächen der extensiven Weidewirtschaft selbst. Dürren, harte Winter oder Viehseuchen ließen den betroffenen Gruppen keine andere Wahl, als in die Weidegründe ihrer Nachbarn einzufallen. Das führte zwangsläufig zu Krieg und einer Kettenreaktion, an deren Ende eine Föderation aus Besiegten und Siegern – »Überschichtungen« ließen die Voraussetzungen des peregrinen Daseins nicht zu – und nur mehr die Möglichkeit stand, die Verluste, die alle erlitten hatten, durch Gewinne außerhalb der hirtennomadischen Lebenswelt auszugleichen: Man brachte den Karawanenhandel und die Oasenstädte mit den Märkten unter seine Kontrolle, verzichtete jedoch gewöhnlich, um den Handels- und Geschäftsverkehr nicht zu stören, auf eine unmittelbare administrative Einflußnahme und strich statt dessen Wege-, Waren- und »Schutzzölle« ein. Das warf unter Umständen einträgliche Gewinne ab, die den Neid anderer, die weiter im Hinterland unter weniger günstigen Bedingungen lebten, wecken mußten. In der Folge des abwechslungsreichen Ringens, das sich daraus entspann, traten an die Stelle der ursprünglich streckenweisen Kontrollhoheit mit der Zeit regionale, dann, wo die Verhältnisse, wie in Innerasien, das begünstigten, weiträumige transethnische Überwachungssysteme – das heißt: multiethnische Nomadenimperien. Klassische Beispiele dafür stellen die Großreiche der Hunnen, Osttürken und Mongolen dar. Wenn man so will, glichen sie überdimensionalen mehrzentrischen Märkten, die durch Querverbindungen und Ableger zu einem einzigen großen Netz verflochten waren. Für einen reibungslosen, gewinnbringenden Handel – und an dem war man vor allem interessiert – bildete Konfliktfreiheit die conditio sine qua non. Nomadenherrscher hielten daher bewußt auf friedliche Koexi90
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stenz der verschiedenen Volksgruppen und Religionen ihrer Imperien. Zur Glanzzeit der Mongolen während der Regierungszeit Möngkes (1251-1259), eines Enkels des Reichsgründers Dschingis-Khan (ca. 1155-1227), herrschte im gesamten Imperium tiefster Friede, die »Pax Tatarica«, streng überwacht von den wohldisziplinierten und modernst ausgerüsteten Truppen des Großkhans. Das Reisen war so gefahrlos geworden, daß »eine Jungfrau«, wie ein zeitgenössischer Chronist kommentiert, »mit einem Klumpen Goldes auf dem Kopfe ungefährdet durch das ganze Reich wandern könnte«.6 Die Herrscher wandten wenig Mühe auf, ihren Führungsanspruch zu legitimieren; in den Augen der eigenen Leute war ihre Position und Macht hinreichend durch den Erfolg ausgewiesen. Es genügte ihnen, sich als »Söhne des Himmels« auszugeben, der die gesamte Erde überspannte und sie schon insofern zur Weltherrschaft prädestinierte. Da man an den anderen Völkern nur insoweit interessiert war, als sie für einen florierenden Handel sorgten, ließ man sie tun und glauben, was ihnen ihre eigenen Traditionen vorschrieben. Der Sinn nomadisch-imperialen Daseins konzentrierte sich in der Bestimmung des Herrschers, die Ordnung der Welt, die er im Namen des »Himmels« nach langen Kämpfen »wiederhergestellt« hatte, koste es, was es wolle, aufrechtzuerhalten – zum Wohle aller, die sich seinem Schutz unterstellt hatten. 2. Migrantenreiche: Die Kriegszüge der alten Hochkulturvölker über die Kernlande hinaus in die abgelegeneren »barbarischen« Regionen zielten meist weniger auf Eroberung als Raub und Sklavenjagd ab. In derartigen Fällen hinterließen sie eine Spur der Verwüstung und breite Flächen verbrannter Erde. Die Siedlungen fielen in Schutt und Asche, die Überlebenden sahen sich Hunger, Seuchen und hoffnungsloser Verelendung ausgesetzt. Manche irrten in losen Haufen plündernd und mordend durchs Land. Die Verwandtschaftsbande, gewachsene Gemeinschaften lösten sich auf, die Traditionen büßten ihre Gültigkeit ein, die Sitten zerfielen, Chaos regierte. Doch konnte es dann dazu kommen, daß sich einzelne Gruppen der Entwurzelten unter der Führung eines tatkräftigen und erfolgreichen Kriegers neu organisierten und aus Trümmern der zerschlagenen Ethnien schlagkräftige Wehrverbände entstanden, die nun ihrerseits übergriffen auf Nachbarbereiche, um sich Neuland zu erobern. Die Bewegung erhielt unter Umständen Stoßwellencharakter. Sie zog weitere Gruppen an, riß andere mit sich und wuchs sich zuletzt vielleicht zu einer Art Völkerwanderung aus. Beispiele derartiger Prozesse waren vermutlich die strahlenförmige 91
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Expansion indogermanischer Völker in der Zeit etwa von 2300-1500 v. Chr. aus dem kaspischen Steppenraum nach Europa, Griechenland (Achäer) und Kleinasien (Hethiter, Luwier; sog. »Schnurkeramik«oder »Streitaxtkulturen«), dann, im Zusammenhang damit, die Eroberung Nordindiens durch indoarische Gruppen (»Arya«) um die Mitte des 2. Jahrtausends, knapp 300 Jahre später gefolgt von einem Vorstoß diesmal aus dem spätbronzezeitlichen Mitteleuropa heraus (sog. »Urnenfelder-Kultur«), der, unter anderem getragen von Völkern wie den Illyrern, Dorern (»Dorische Wanderung«), Thrakern, Phrygern und Philistern, den gesamten Westen und die Mittelmeerwelt verheerte. Und noch viele andere sollten folgen, stets nach dem gleichen »Domino-Prinzip« (Meder, Perser, Kimmerer, Skythen, Sarmaten, Alanen usw.). An ihrem Beginn stand in der Regel, soweit sich das jedenfalls analogen Vorkommen zu historischer Zeit entnehmen läßt, ein komitativer Prozeß7, gleichsam durch Selbstorganisation aus einem chaotischen Zustand heraus. Große Krieger mit Initiative, Tatkraft und Charisma, das ihnen der anhaltende Erfolg in wachsendem Maß verlieh, zogen magnetartig mehr und mehr andere aus dem Heer der Entwurzelten an. Es bildeten sich Kämpfergruppen zunehmenden Umfangs heraus mit der überragenden Führergestalt, dem »Herzog« (dux), im Zentrum, den rings die Getreuen gleich einer Schildwacht umgaben. Weder Verwandtschaft und Land noch lokale Traditionen banden sie mehr. An ihre Stelle traten die quasi-verwandtschaftliche »Brüderlichkeit« und »Sohnschaft« im Verhältnis zum Führer, die sie untereinander zu »kameradschaftlicher« Solidarität und dem »Vater« gegenüber zu Gehorsam und Loyalität verpflichtete, beschworen durch den »Treueid«, der die Blutsbande ersetzte. Heerführer kehrten in vergleichbaren, vor allem kritischen Situationen gewissermaßen den Spieß bewußt um, indem sie noch bestehende Verwandtschaftsbeziehungen außer Kraft setzten und ihre Truppen nach rein quantitativen Kriterien zu Verbänden Gleichgestellter umgruppierten – zu Zehner-, Hundert-, Fünfhundert- und Tausend-, ja Zehntausendschaften. So verfuhren zum Beispiel die alten Perser, der Germanenführer Ariovist (1. Jh. v. Chr.), 58 v. Chr. von Cäsar geschlagen, der Westgote Alarich I. (ca. 370-410), der Wandale Geiserich (ca. 389-477), Hunnen, Türken und Mongolen.8 Komitatsgesellschaften sehen sich am Beginn der Geschichte, die ihre Geschichte ist. Alles Alte ist abgetan. Zumindest im »Urzustand« wird redlich geteilt; man speist gemeinsam, kleidet sich gleich und duldet untereinander keinerlei Rangunterschiede. Es herrschen Freiheit (von den Traditionen von ehedem), Gleichheit und Brüderlichkeit 92
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– beziehungsweise ταιρεα (»Kameradschaftlichkeit«), wie der griechisch-römische Historiker Polybios (ca. 200-120 v. Chr.) Geist und Gestimmtheit der keltischen Kriegerscharen charakterisiert, die nach Oberitalien eingefallen waren (II 17). Die Gefolgschaft lebt wie ein Leib, geeint durch die gemeinsame Leidens- und Kampferfahrung und die bedingungslose Hingabe an den »Herrn«, dessen »Kriegsglück« oder »Heil« gelegentlich wie gebenedeit vom Höchsten erscheint, dessen Charisma sakrale Züge annehmen kann. Was sich in der Urgemeinschaft vollzieht, das heißt an Verhaltenskonventionen und Idealen entwickelt, mehr noch aber vom Führer verfügt wird, gewinnt für die Folge bindende, im Kern sakramentale Bedeutung. Gesellschaften dieses Typs stellen freilich Übergangsformen dar. Kann eine Gruppe irgendwo Wurzel schlagen und Nachdrängenden erfolgreich Widerstand bieten, stabilisieren sich die Verhältnisse mit der Zeit. Den ehernen Kern bildet zunächst noch der »Herzog« mit seinem Gefolge. Besonders verdiente und zuverlässige seiner Getreuen rücken in nachgeordnete Führungspositionen – etwa zu Provinzgouverneuren – auf, andere bilden die Leib- und Palastgarde. Alle werden mit »Lehen« belohnt. Es entsteht eine Kriegeraristokratie, die den Nachfolger im Herrscheramt jeweils aus ihren Reihen wählt, zuletzt ein Feudalstaat.9 Auseinandersetzungen mit den Altsassen spielen kaum eine Rolle: Sie wurden während der Eroberung und Besitznahme entweder vertrieben oder weitgehend dezimiert; die Reste ließen sich mühelos integrieren. Es handelte sich also nicht um Superstratiesysteme im eigentlichen Sinne. Die indigene Bevölkerung Europas ging während und nach der »Völkerwanderungszeit« widerstandslos in den germanischen Ständestaaten auf. Und es herrschte nur eine Begründungs- und Reichsideologie. Die Grundlage des Sinnsystems bildete eine Katastrophenerfahrung, die nach jahre-, teils jahrzehntelangen Entbehrungen und Kämpfen auf heroische, beispielhafte Weise überwunden wurde. Die neugewonnene Ordnung entstand jedoch nicht im Rahmen einer seit alters überlieferten Schöpfungsvorgabe, sondern gründete sich auf eine einschneidende Wende, unter Umständen eine radikale »Umwälzung« (revolutio), die erst der neuen Entwicklung Bahn brach. Gleichwohl lag dem Konzept ein mythisches Paradigma zugrunde. Es knüpfte nicht an der ersten, sondern der zweiten Schöpfungsphase nach dem Sündenfall an: Den elenden, verzweifelten und hilflosen Menschen erscheint ein »Halbgott«, der ihnen, zusammen mit einem Kreis von Getreuen, sozusagen den »Kulturheroen«, den Weg in eine neue, geordnete, heilvolle Welt weist. 93
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An der historischen Wende waren wesentlich der »Herzog« und seine Gefolgsleute beteiligt. Auf ihnen ruhte sichtlich der Segen des Höchsten. Vor allem beim »Herzog« deuteten ungewöhnliche Gaben, seine übergewöhnliche Klugheit, sein Heldenmut und seine Erfolge, häufig von Zeichen und Wundern begleitet, auf seine höhere Bestimmung hin. Manchmal erscheint er wie ein Sendling des Himmels, der die Seinen mit sicherer Hand aus der alten verderbten Welt über einen »Grenzstrom« ins Gelobte Land führt. Aus der Antike ist das Motiv für Perdikkas, den Ahnherrn Alexanders des Großen10, sonst auch aus Indien, Ostafrika und anderen Teilen der Welt belegt. Auch Abraham hatte auf Gottes Weisung Heimat, Verwandte und Eltern verlassen, um in einem anderen Land, das er sich gewinnen sollte, ein neues starkes Volk zu begründen und sich »einen großen Namen zu machen«.11 Später folgten seine Nachfahren noch einmal dem Ruf und verließen ihre (neuerliche) Heimat Ägypten. Geführt von Moses, durchschritten sie trockenen Fußes das Rote Meer, durchzogen die Wüste und gelangten schließlich ins Gelobte Land.12 Die lange entsagungsvolle Reise hatte sie von Grund auf »transformiert«, ein neues Volk aus ihnen gemacht.13 Was zu Anfang geschehen war, besaß paradigmatische Bedeutung. Alle Fährnisse konnten gemeistert werden, wenn man sich an das Beispiel der Gründerhelden hielt, ihrem Gemeinschaftsgeist, ihren Tugenden, wie sie noch später der Adel verkörperte, ihrer Zuversicht und ihrem Vertrauen in die Führung »von Gottes Gnaden« folgte. So besaß das Dasein, vielleicht noch Jahrhunderte nach der Entstehung des Staates, auch in Zeiten größter Erschütterung noch seinen Sinn, der den Menschen Orientierung verlieh und ihr Handeln zu leiten vermochte.14 3. Sekundäre Superstratiereiche: Völkerbewegungen mit »Domino-Effekt« konnten sich voll nur entfalten in großen und freien Durchzugsräumen (Innerasien, Osteuropa, Sudan). Wo sie auf Meeresküsten, Wüsten, Hochgebirge oder den Regenwald stießen, kamen sie entweder zum Stehen oder begannen sich innerhalb der nunmehr begrenzten Areale gewissermaßen »im Kreis zu drehen« und indigene Bevölkerungsgruppen mit in den Strudel zu ziehen, bis ihre Kraft erschöpft war. In beiden Fällen führte die Entwicklung fern der primären Ursprungsbereiche zu sekundären Überschichtungsprozessen. Peregrine überlagerten frühagrarische (besonders typisch für Ostafrika) oder bereits bestehende städtische Marktgesellschaften, frühagrarische andere, benachbarte frühagrarische Ethnien. Ein klassisches Beispiel liefert der Westsudan. Reiche Rohstoffvor94
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kommen (vor allem an Gold), ein entwickeltes Verarbeitungs- und Gewerbewesen sowie ein florierender Nah- und Fernhandel zogen sowohl Handwerker und Kaufleute (Hausa!) als auch Nomaden des Umlands, wie Beduinen, Tuareg und Fulbe, an. Namentlich letztere bestimmten über Jahrhunderte hin das Geschehen. Ursprünglich wohl im Talgebiet des Senegal in Westguinea beheimatet, rückten sie von dort etwa ab dem Hochmittelalter aus, eroberten dank ihrer schlagkräftigen Kavallerie und deren operativ und taktisch überlegenen Führung im Sturm weite Bereiche des Westsudan und gründeten teils mächtige Reiche über das gesamte Gebiet hin, im Senegal wie in Mali, in Guinea, Nigeria und noch im Norden Kameruns. Während ein Teil, die Bororo, das altangestammte peregrine Dasein weiterhin auf dem flaschen Land fortführten, ließen sich Gruppen der Eroberer in den Städten nieder und entwickelten dort als »Stadt-Fulbe« eine üppige Herrscherkultur urbanen Gepräges.15 Der Führungselite und ihren adeligen Gefolgsleuten standen, ständisch geschichtet, wiederum Kaufleute und Handwerker, Dienstleistende verschiedener Art, Tagelöhner, Sklaven und vor allem das Gros der autochthonen ländlichen Bevölkerungsgruppen gegenüber. Allerdings erreichte die gesellschaftliche Komplexität in sekundären Superstratiesystemen nur kaum das Ausmaß wie in den alten Stadtkönigtümern der Archaischen Hochkulturen. Die paganen Altsassen auf dem Land waren der Oberschicht nicht allein zahlenmäßig weit überlegen; sie hatten sich, wenn auch in Abhängigkeit geraten, ihre kulturelle Eigenständigkeit und Identität doch weitgehend zu erhalten vermocht, da sie für die Ökonomie des Ganzen von grundlegender Bedeutung waren und mangels politischer und militärischer Durchsetzungskraft der Obrigkeiten nicht beliebig geknechtet und ausgebeutete werden konnten. Ihre Oberhäupter, namentlich die Gearchen, amtierten in den Grenzen ihrer ethnischen Territorien weiter, das heißt hielten insbesondere den Kontakt zu den lokalen Ahnen aufrecht, die schließlich zuständig für die Fruchtbarkeit und Ertragsfähigkeit der Böden waren, ein Zusammenhang, den zu erschüttern sich die Herrschenden schwerlich leisten konnten. Man mußte auf Kooperation setzen. Sekundäre Superstratiereiche waren daher wesentlich komplementär strukturiert. Führende Würdenträger der autochthonen Bevölkerungen nahmen zum Beispiel bei Hof wichtige Ämter – etwa als Minister, Räte, Priester und Zeremonienmeister – ein, besaßen Schlüsselfunktionen beim Inthronisationsritual und amtierten daheim auf dem Land als Vertreter der Obrigkeit.16 Um so mehr sahen sich die Führungsschichten herausgefordert, ihre Vorrangposition plausibel zu legitimieren – das heißt: einsichtige 95
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Gründe sowohl für ihren Überlegenheits- und Herrschaftsanspruch als auch die notwendige Einheit aller Ethnien und Bevölkerungsschichten, von Land, Menschen, Fürsten, König und Reich, vorzuweisen, und zwar, um überzeugend zu wirken, idealiter im Rahmen der Überlieferungsvorgaben der einheimischen Bevölkerung selbst. Allgemein gründet sich Vorrang auf Priorität. Wer älter ist, sei es an Jahren oder der genealogischen Stellung seiner Sippe nach, besitzt immer ein Mehr an Autorität. Demzufolge hatte die Legitimierung der Suprematie möglichst noch hinter die Ursprungsgeschichte der Altsassen zurückzugreifen. Das geschah in der Regel auf folgende Weise: – Den anthropogonischen Mythen agrarischer Gesellschaften zufolge wurde der Urahn der ältestansässigen, also der Gründersippe, entweder vom Schöpfer aus Erde (Ton) erschaffen oder er entstieg ihr an ebender Stelle, an der dann die erste Siedlung der Gruppe entstand. Daher tragen die Gründersippen, speziell der Gearch, auch die Verantwortung für die Fruchtbarkeit des Bodens: Sie bearbeiteten ihn die längste Zeit und besitzen insofern eine besonders enge Beziehung zu ihm, zumal auch ihre Ahnen von Anbeginn an in seiner Tiefe ruhen. Diese letztere Version griffen die neuen Herren auf und ergänzten sie dahingehend, daß ihr Ahnherr dem Himmel entstammte, das heißt ein Sohn des Schöpfers und somt vormenschlichen Ursprungs war. Oft heißt es, er sei vorzeiten geradewegs vom Himmel herabgestiegen.17 Gelegentlich bezieht man sich auch auf einen sagenhaften, quasi-mythischen »Vorzeit-König«, im Mittleren Osten zum Beispiel auf »Alexander den Großen«.18 Entsprechend führen die nachgeordneten Provinz- und Regionaloberhäupter ihre Abkunft dann auf Seitenverwandte des Dynastiegründers zurück.19 Jedenfalls gaben die Herrscher unter Berufung auf ihre himmlische Abkunft vor, die Kontrolle über die »befruchtenden« Niederschläge zu besitzen. Beide Bevölkerungsschichten erschienen daher zwingend aufeinander angewiesen, um gemeinsam überleben zu können; sie bildeten eine einzige komplementäre Einheit. – Die Eroberung war vorherbestimmt. Der Gründer der herrschenden Dynastie – beziehungsweise sein Nachfahre, der die Eroberung des Landes siegreich beschloß – erhielten von der Gottheit der Autochthonen selbst im Traum oder durch eine Vision den Auftrag, die indigene Bevölkerung vor einem drohenden Unheil zu retten oder auch von ihrer unfähigen, weil traditionsvergessenen und verderbten Führung zu »erlösen«. Um dazu entsprechend gerüstet zu sein, hatte ihnen die Gottheit übergewöhnliche Gaben verliehen, auf dem Schlachtfeld beigestanden und mancherlei Wunder gewirkt, 96
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um ihnen zum Sieg zu verhelfen. Die neuen Herren stellten ihrem Vorgeben nach die alte Ordnung lediglich wieder her. Ihre Machtübernahme vollzog sich im Rahmen der Tradition; sie bedeutete den Beginn einer neuen Heilsära im Sinne des quasi-paradiesischen Urzustands. In manchen Fällen bediente man sich auch der schon genannten »Königslegende«, die der Intention nach dieselbe Botschaft enthielt. Der Erfolg gab den Eroberern recht: Sichtlich besaßen sie den Segen der eigenen, heimischen Ahnen und Götter. Allein das ließ die Kooperation geboten erscheinen. Häufig führten sie auch, wie weiland die Kulturheroen, nützliche Neuerungen ein, so die Ngoni im südlichen Ostafrika beispielsweise neue Kulturpflanzen, die Herdenviehhaltung, die Schmiedekunst, bessere Waffen – und die Herrschaft (lordship) selbst!20 – Da die Machtübernahme lange nach Abschluß der Schöpfung erfolgt war, mußte der herrschenden Schicht zusätzlich daran gelegen sein, sie durch nachurzeitliche, das heißt legendäre und sagenhafte, also quasi historische Vorgänge zu legitimieren. In Superstratiesystemen wuchs daher, manchmal geradezu sprunghaft, das Interesse an der Geschichte an.21 Die seine Pflege betrieben, entschieden natürlich dabei über Auswahl, Gewichtung und Wiedergabe des Überlieferungsguts, erklärten für kanonisch, was ihren Intentionen entsprach. Alle Ereignisse und Taten, die zur Reichsbildung geführt hatten, waren einzigartig gewesen; sie bildeten Glieder eines zusammenhängenden linearen Verlaufs, der, da es sich ja um Heilsgeschichte handelte, nur als teleologisch prädeterminierter, fortschrittlicher Entwicklungsprozeß verstanden werden konnte. Die Ursprungsfiktion, der Heilsauftrag und das Geschichtsbild begründeten und trugen das Sinnsystem der Herrschenden. Ein Letztes tat der Herrscherkult. Bedachtsamerweise zirkelte man die höfischen Rituale den autochthonen sozusagen ein. Den Kern des Ganzen bildeten Gedenkfeiern zur Begründung der Dynastie und die Thronjubiläen, alljährlich zur Jahreswende im Rahmen des Welterneuerungsfestes begangen. Barden trugen dabei die Genealogie des Herrschergeschlechtes vor, rühmten seine göttliche Abkunft und priesen die Großtaten seiner Vorfahren. Eine Serie szenischer Rituale, durch Festtrachten, Musik, Tanz und Gesang wirkungsvoll ästhetisiert, stellte die Hauptetappen der Gründungsgeschichte des Reiches nach. Monumentale Denkmäler – Königsgräber, Gedenkstelen, die Residenz des Herrschers – demonstrierten jedermann seine überzeitliche Größe. In Stein gehauen und durch die Ritualisierung kultisch verstetigt, hob sich die Dynastiegeschichte vom lebendigen Alltagsgeschehen ab und 97
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erschien verewigt. Die Herrscher, die sich während des Festes, prächtig gewandet und hoheitsvoll, in choreographisch abgemessener Bewegung, vor der imposanten Palastkulisse der Öffentlichkeit zeigten, kamen Götterbildern gleich. Anders stellte sich die Situation für die alteingesessene Bevölkerung dar. Die Herrenschicht war fremden Ursprungs. Der Überlegenheitsanspruch ihrer Kultur erschütterte das Geltungsverständnis der eigenen und brachte das Sinnkonzept, das sie trug, ins Wanken. Gleichzeitig blieben in sekundären Superstratiesystemen die altüberlieferten Traditionen und Institutionen der indigenen Ethnien jedoch weitgehend unangetastet, so daß sie ihre ethnische und kulturelle Identität samt der ihr entsprechenden ethnozentrischen Einstellung zu bewahren vermochten. Und daraus ergab sich ein Widerspruch, das essentielle Problem derartiger Unterschichtsgruppen, mit dem sie sich auseinandersetzen mußten, sollte ihr Dasein ihnen weiterhinn sinnvoll erscheinen. In der Regel wurden daraus drei Arten von Konsequenzen gezogen: – Man akzeptiert die offizielle Begründungsversion des Geschehens, bejaht den Wandel als gottgewollt und notwendig und damit den Führungsanspruch der Fremden, ist bereit zur Kooperation und paßt sich der Situation allmählich an. – Man begreift die Überwältigung als warnenden Strafakt der Ahnen für Traditionsvergessenheit und überhandnehmendes kollektives Verschulden, distanziert sich von der Lebensweise der Fremden, übt Einkehr und bemüht sich, wieder zurückzukehren zu den Traditionen und Idealen der »Väterzeit«, in der Hoffnung, dadurch die Ahnen zu versöhnen und zu einer »Umwälzung«, zur Wiederherstellung der ursprünglichen Verhältnisse zu bewegen. – Man erkennt zwar die Niederlage als Folge eigenen Fehlverhaltens und einer daraus resultierenden momentanen Schwäche an, läßt sich aber nicht im Bewußtsein seines Besitzanspruchs auf das Land und seiner kulturellen Überlegenheit beirren. Der Wandel kann nur von begrenzter Dauer sein. Man tut das Seine, indem man konstruktiv kooperiert, Allianzen – auch über Frauen – mit den Machthabenden eingeht und in führende Positionen aufzurücken versucht, um zunehmend Einfluß nehmen zu können und dergestalt das System gleichsam von innen heraus zu zermürben, bis es zuletzt, gewaltlos, wieder in die eigenen Hände zurückfällt. Im ersteren Fall bestand eine physische, im letzteren zusätzlich auch eine kulturelle Überlebenschance. Im ersteren übernahm man das 98
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Der Auszug
Sinnsystem der Eroberer, gab also sein eigenes auf, im zweiten suchte man sein Heil, ohne die Veränderungen zur Kenntnis nehmen zu wollen, im altüberkommenen. Allein im dritten Fall war man von der Wahrheit und Behauptungskraft des angestammten Sinnsystems auch in der Auseinandersetzung mit scheinbar überlegenen überzeugt und verteidigte es offensiv gleichsam »nach vorn«.
3. Apartheid Mit der kolonialen Expansion der europäischen Großmächte in der Nachfolge der sogenannten »Entdeckungszeit« erhielt der jahrhundertealte Abstrom von den hochkulturlichen Zentren erneute Schubkraft und entwickelte sich zur globalen Stoßwelle mit verheerender Wirkung. Nicht allmählich und vorhersehbar, sondern meistenteils schlagartig kamen die Fremden mit ihrem Arsenal an neuartigen Wundermitteln über die anfangs wenig Böses ahnenden traditionsgläubigen Völker der wahrhaft »alten Welt«. Die Kontraste erwiesen sich rasch als so kraß, daß sie die Opfer förmlich lähmten, während sie die Täter mit arrogantem Hochmut erfüllten. Eine Legitimation erübrigte sich fast. Cecil Rhodes (1853-1902), der 1890 bis 1896 Präsident der Kapkolonie war und die britischen »Besitzungen« in Südostafrika nach Norden bis zu dem später nach ihm benannten Rhodesien hin ausweitete, erklärte zum Beispiel: »Ich behaupte, daß wir die erste Rasse dieser Welt sind, und je mehr wir von dieser Welt beherrschen, um so besser ist es für die ganze menschliche Rasse.«22 Die unmittelbar von der Heilsverheißung der »ersten Rasse« Betroffenen empfanden es anfänglich anders. Sie erlebten, wie ihre Traditionen, Institutionen, Heiligtümer und religiösen Vorstellungen verhöhnt und zunichte gemacht wurden. Ihr Dasein verlor seinen Sinn – und damit erstarb auch das Interesse daran. Das Erinnern erlosch. Sie »litten dumpf vor sich hin, wie Tiere«.23 Gruppen, die dem Schock am überraschendsten ausgesetzt waren, wirkten wie geschlagen. Ihre Kräfte schwanden dahin, sie wurden apathisch und versanken in Untätigkeit; sichtlich glaubten sie ihr Ende gekommen. Sich noch weiterhin fortzupflanzen, mußte sinnlos erscheinen. Teilweise kam man überein, geschlossen Enthaltsamkeit zu üben, beziehungsweise abzutreiben. Nahezu überall sank die Geburtenrate zu Beginn der »Kontaktzeit« drastisch ab. Viele gaben einfach ihr Leben auf und starben dahin. In anderen Fällen kam es zum Massensuizid.24 Später sahen die Überlebenden nur mehr die Möglichkeit, sich ergeben in ihr Schicksal zu schicken, zumal auch die Ahnen und Göt99
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ter untätig blieben. Die Alten fanden nichts mehr zu restituieren; auch hätte ihnen die Kraft dazu gefehlt. Die Übermacht und die Schrecken des Neuen waren allzu erdrückend. Die alte, überlieferte Ordnung zerbrach. Bei den Tugen in Kenia klagten die Ältesten, daß sich »ihre Prophezeiungen nicht mehr erfüllen. Die Europäer zerstörten die verläßliche Verbindung von Überlieferung und Prophezeiung. Sie brachten den Ablauf der Ereignisse durcheinander. Denn die Zukunft löst sich immer mehr aus dem Kreislauf des Immer-Gleichen und entläuft in eine stets neue Ereignisse produzierende Zeit, die sich nicht mehr mit den vergangenen gleichsetzen lassen«25 – die Zyklizität des traditionsgebundenen Geschehens brach auf und begann sich zu linearisieren, was der Prognostik den Boden entzog. Einzig die Jugend ließ sich blenden. Sie glaubte, wenn sie den Lockungen der Europäer folge, werde sie bald auch ihre Segnungen teilen. Doch die Chance, die sie sah, erwies sich als Falle. Vor den Erfolg hatten die Götter Erniedrigung, Fron, Arbeitsemigration und Sklaverei gesetzt. Wer das überstand, hatte seine Illusionen verloren. Er sah sich um seine Zukunft betrogen, konnte buchstäblich weder vor noch zurück und ließ sich willenlos treiben. Die Väter rangen die Hände. »Wir haben keinen Einfluß mehr auf sie«, beklagten sich Mundurukú (NO-Brasilien) den amerikanischen Ethnologen Yolanda und Robert Murphy gegenüber, »junge Leute machen heutzutage, was sie wollen: Sie achten weder die Alten noch die Gebote der Sittlichkeit.« Es begänne damit, daß sie sich nicht mehr tatauierten, und ende mit Gleichgültigkeit, Faulheit und laxer Sexualmoral.26 »Was soll nur aus der Welt werden«, rückte ein Hima (Rinderhirtennomaden in Uganda) den Verwandten seines Schwiegersohns in spe vor, die – einer gerade grassierenden Maul- und Klauenseuche wegen – ohne die üblichen Brautpreis-Rinder erschienen waren, um die Frage gleich selbst zu beantworten: »Sie wandelt sich, aber zum Schlechteren! Leute kleiden sich wie Europäer, übernehmen alle möglichen seltsamen Sitten und kommen ohne Rinder, wenn sie um die Hand einer Braut anhalten wollen!«27 Resignation überwog zwar, doch sind schon seit alters auch andere Formen, auf das Trauma zu reagieren, bekannt. Vor allem in Gegenden, in denen man zum ersten Mal mit den Weißen in Berührung geriet oder gar, wie in Amerika und Ozeanien, noch niemals zuvor von ihnen gehört hatte, das ureigene Identitätsbewußtsein also tief verankert und nicht auf Anhieb auszulöschen war, setzte oft nach dem anfänglichen lähmenden Schock die Besinnung auf die alten Traditionen ein. Lehrte der Glaube doch, daß man an aller Unbill selber die Schuld trug. Es mußte zu drastischen Verfehlungen gekommen sein, so daß 100
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Der Auszug
die Ahnen, aufs höchste alarmiert, kein anderes Mittel mehr gesehen hatten, den Ihren die Bedrohung vor Augen zu rücken, als ihnen sozusagen die »apokalyptischen Reiter« auf den Leib zu hetzen. Gewöhnlich ergriffen dann die Ältesten oder »Propheten« die Initiative und mahnten, daß es hohe Zeit sei umzukehren, den Kontakt zu den Fremden zu meiden, sich von ihrem befleckenden Einfluß zu reinigen, Buße zu tun und die ursprünglichen Verhältnisse wiederherzustellen. Als Anfang der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts bei den Fore im Hochland von Neuguinea eine verheerende Virus-Epidemie um sich griff und zahllose Opfer forderte, war man gleich überzeugt, den Grund dafür in überhandnehmender Zauberei, Streitsucht und Gewalttätigkeit sehen zu müssen, die selbst wiederum als Folge der damals gerade einsetzenden Kontakte mit den Weißen begriffen wurden. Die Oberhäupter beriefen siedlungsübergreifende Großversammlungen ein, während denen jedermann aufgefordert war, seine Verfehlungen der letzten Jahre, vor allem aber seine Zauberattacken gegen andere, offen und rückhaltlos zu beichten. Die Epidemie, appellierten sie an die Versammlung, werde »ein Ende haben, wenn diese verheerende Art der verborgenen Kriegführung endlich aufhöre und wieder Einigkeit an die Stelle der Zerstrittenheit trete«.28 Einigkeit aber setzte die Restituierung der alten Verhältnisse, diese die Extinktion alles Fremdartigen im Lande voraus. Typisch für derartige Rückbesinnungsbewegungen waren daher rigorose Reinigungsund Bußübungen, um Leib und Seele gründlichst zu »entschlacken«, und die Aufgabe, oder besser noch Vernichtung, aller neueren und namentlich fremden, mit dem Keim der Verderbnis infizierten Güter und Institutionen. Erst dann schien der Boden reingewaschen und vorbereitet zur Wiederherstellung der ursprünglichen Ordnung. Die Ahnen würden aus dem Totenreich aufsteigen und ihren Nachfahren dabei behilflich sein. Einzig die Rückkehr »to our native deities«, zitiert Arthur Hocart (1883-1939) aus der Schrift eines Fidschi-Insulaners, verbürge »our salvation«.29 Ist die Umkehr vollzogen und der Sieg errungen, erwartet die »Neugeborenen« ein Dasein niemals mehr endender Glückseligkeit. Nach den Verheißungen der nativistischen Heilserwartungsbewegungen, wie sie besonders für unterdrückte Ethnien und später Kolonialvölker charakteristisch waren und sind, schließt die eschatologische Umwälzung auch die Peiniger mit ein: Sie verwandeln sich zu Farbigen und dienen – sofern sie nicht ins Meer gejagt oder vollends getötet werden – fortan ihren einstigen Sklaven, die nunmehr zu Weißen geworden sind und die Herrenrolle einnehmen – die Letzten werden die Ersten sein. Die Lakota-Sioux in den USA, die sich der Ende des 19. 101
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Jahrhunderts von dem Paiute-Propheten Wovoka (geb. um 1856) ins Leben gerufenen »Geistertanz-Bewegung« (Ghost Dance Religion) angeschlossen hatten, erwarteten, daß alle Weißen vernichtet, die Welt zerstört und aufs neue erschaffen, die Toten und mit ihnen die Bisonherden, von denen man einst gelebt hatte, wieder zurückkehren würden. Nach den Prophezeiungen der messianistischen (oder chiliastischen bzw. millenaristischen) Bewegungen dagegen wird das Heilsreich am Ende der Zeiten die ursprünglichen paradiesischen Verhältnisse wiederherstellen: Die Geretteten erwartet ein Leben ohne Mühsal, Krankheit und Tod, in Frieden und Überfluß an allem.30 Viele »profitierten« jedoch auch vom Kolonialismus. Vor allem die Jüngeren, denen es schwerfiel, in den zerrütteten Traditionen Fuß zu fassen, zog die »westliche« Lebensweise an, da sie, falls man sich nur erfolgreich assimilierte, ein besseres Dasein hier und jetzt zu verheißen schien. Sie kehrten den Alten mit ihren »rückständigen« Ansichten den Rücken und suchten sich den neuen Verhältnissen anzupassen. Sie besuchten Schulen, rückten nach und nach in die unteren Ränge der Verwaltung auf oder wurden Lehrer und bildeten so mit der Zeit eine neue Art Mittelschicht. Doch die Diskriminierung blieb. Eine mildere oder extreme Form von Apartheid bestand in allen Kolonien. In den Augen der Weißen waren die »Farbigen« mehr oder weniger »Wilde«, die der Zivilisierung, beziehungsweise »unwissende« Heiden, die der Belehrung im Glauben bedurften. Die einen fanden sich damit ab, nahmen einen pragmatischen Standpunkt ein und setzten auf die gewissen Vorteile, die ihnen die Zusammenarbeit mit den Kolonialherren brachte. Andere jedoch, in der Regel Söhne einheimischer Würdenträger, die Missionsschulen und vielleicht noch Gymnasien oder sogar Universitäten besucht hatten, wurden sich der Erniedrigung und Kränkung ihres Selbstwertempfindens nur um so deutlicher bewußt. Um ihre geknickte Identität wieder aufzustützen und ihrem Dasein gerade unter den Bedingungen der entwürdigenden Verhältnisse dennoch Sinn zu verleihen, vollzogen sie eine hermeneutische Umkehr, indem sie entweder das Christentum auf ihre eigenen Glaubenswurzeln zurückführten oder die These vertraten, daß die »westliche«, kapitalistische Lebensweise eine inhumane Entartung ursprünglicher, von Gemeinsinn und sozialem Verpflichtungsbewußtsein getragener Daseinsformen darstelle, wie sie allein noch bei den indigenen ländlichen Bevölkerungen der Kolonialreiche fortlebe. Auf Santa Isabel, einem Eiland der Westlichen Salomonen, identifizierte man die ersten Missionare mit den alten mythischen Kulturheroen, die einst gekommen waren, um die Insulaner nach dem Sünden102
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Der Auszug
fall in ihrer – vermeintlich – noch heute unverändert bestehenden Lebensordnung zu unterweisen. Junge Theologen deuten wichtige Traditionen gewissermaßen als »Vorlaufmodelle« der zentralen christlichen Verhaltensgebote. Der Ahnenglaube wird in Analogie zum Heiligen Geist als Teilaspekt des alleinen Gottes, als vorbereitende Präfigurierung der seinerzeit noch nicht offenbarten christlichen Dreifaltigkeitslehre verstanden.31 Ein Bischof aus einem zentralafrikanischen Land vertrat vor Jahren in einem Vortrag am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen die These, das Christentum sei in Wahrheit afrikanischen Ursprungs. Er argumentierte: Die jüdisch-christliche Tradition schöpfte aus altägyptischem, das heißt genuin »afrikanischem« Geistesgut. Die »westlichen« Missionare brachten daher im Grunde nur zurück, was sie selber – ohne es freilich zu wissen oder wahrhaben zu wollen – erst aus zweiter Hand und auf Umwegen übermittelt erhalten hatten. Zudem bestehe kein eigentlicher Unterschied zwischen »Natur«- und »Offenbarungsreligionen«: Gläubige der ersteren empfangen ihre Offenbarungen unmittelbar aus der Natur – dem Schöpfungswerk Gottes; sie bedürfen daher erst gar nicht einer prophetischen »Erwekkung«. Insofern lautete das Fazit: Die Afrikaner besaßen die Kernlehren des christlichen Glaubens als erste, während die Europäer sie später empfingen. Sie, die Weißen, bedurften daher, um verstehen zu können, was ihr Geist noch nicht faßte, der »frohen Botschaft« durch die göttliche Offenbarung und die Belehrung der Apostel und Kirchenväter. Somit muß es wahrhaft absurd und dünkelhaft erscheinen, daß westliche Missonare den Afrikanern predigen wollen, was diesen als ureigenstes Glaubensgut seit alters vertraut ist. Der Geistliche hatte so das Problem, das die Identität und das Sinnverständnis der afrikanischen Christenheit bedrohte, durch Umkehrung aufgelöst. Die Afrikaner waren Träger des Urchristentums; zu predigen hatten sie den Europäern. Die unmittelbare koloniale Entwürdigung fand mit der Unabhängigkeit ihr Ende. Das Selbstvertrauen, gestärkt durch den Erfolg des bewaffneten Widerstands und der Befreiungsbewegungen, atmete wieder auf. Und da das Elend real noch fortbestand, entwickelten die großen Führer der ersten Stunde, Männer mit besonderen rednerischen, ja oftmals geradezu Predigergaben, weitreichende Zukunftsvisionen. Die Kolonialzeit wurde als einschneidende Katastrophe begriffen, sie war das Problem, aber auch eine Chance zur Wende, die allerdings nur glücken konnte, wenn ihr die radikale Abkehr von allem, was die Weißen eingeführt hatten, vorausging.32 Bedeutende Protagonisten dieser Art Utopien waren in Afrika der Senegalese Léopold Sédar Senghor (1906-2001), der Sambier Kenneth 103
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David Kaunda (geb. 1924) und der Tansanier Julius Kambarage Nyerere (1922-1999). Alle drei hatten Missions- oder koloniale Regierungsschulen, Senghor und Nyerere anschließend europäische Universitäten besucht. Allesamt tiefgläubige Christen, trugen sie sich eine Zeitlang mit dem Gedanken, Priester zu werden. Das Ende der Kolonialherrschaft wies ihnen dann jedoch den Weg in die Politik, den sie alle als langjährige Staatspräsidenten ihrer Heimatländer beschlossen. Senghor wie Kaunda und Nyerere suchten das Heil übereinstimmend in der Rückbesinnung auf alte, vermeintlich panafrikanische Traditionen der vorkolonialen Zeit. Sie dachten dabei zur Hauptsache an den dörflichen, quasi »urkommunistischen« (Nyerere) Kommunalismus, gegründet auf die eherne Regel der Solidarität unter Verwandten und Nachbarn, und waren überzeugt, diese besondere Art verantwortungsbewußter kommunaler Gemeinsinnigkeit lasse sich grenzübergreifend ausbauen zu »nationalen« Konzepten eines spezifisch afrikanischen Sozialismus. Senghor, ein Schöngeist europäisch-humanistischer Bildung, glaubte ihn beseelt von der »Négritude«, die »etwas ganz anderes« sei als die abendländische, von sezierender Analyse und seelenloser Logik bestimmte Geistigkeit.33 Kaunda wollte ihn generell auf »humanistische« Ideale gegründet sehen34, während Nyerere, Sohn eines Klanoberhaupts, pragmatischer eingestellt und die Idee möglichst bald in die Tat umzusetzen bemüht war, indem er überall im Lande sozialistische Musterkommunen, die berühmten »UjamaaDörfer«, errichten ließ, die er als Kernzellen und Modell der künftigen tansanische Gesellschaft mit – so hoffte er – zündender Breitenwirkung verstand. Alle drei Staatsmänner teilten die Zuversicht, daß ihre Vision noch weiter reichen und letztlich eine über Afrika hinausreichende Bedeutung gewinnen werde. Der »afrikanische Sozialismus« sei eine Botschaft für alle Völker der Erde, sich wieder mehr und entschiedener auf die alten Ideale der Gemeinsinnigkeit, Brüderlichkeit, Solidarität und Verständnisbereitschaft zu besinnen. »Unsere Hochschätzung der Familie, der wir alle angehören«, forderte Julius Nyerere, »muß noch weiter tragen – über den Stamm, die Gemeinschaft, die Nation, ja den Kontinent hinaus – um die gesamte Menschheit einzuschließen.«35 Das Muster ist klar: Die Demütigung durch die Weißen hatte das Selbstwertbewußtsein und die Identität der unterdrückten Völker zutiefst erschüttert und den Sinn ihres Daseins in Frage gestellt. Nur wenn es gelang, die scheinbar überlegenen Werte und Institutionen der Weißen zu diskreditieren, das heißt als inhuman, entartet und lebensbedrohlich, die eigenen alten, vorkolonialzeitlichen aber als hochsozial, menschenfreundlich und moralisch höherwertig auszuwei104
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Der Auszug
sen, die Katastrophe also in eine Heilszeit zu wenden, konnte man einander wieder in die Augen sehen, stolz auf die eigenen Leistungen und Errungenschaften sein und sie für wert halten, darauf die künftige Entwicklung zu gründen. Dabei mit Hand anzulegen, verlieh dem Dasein überzeugend Sinn.
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Richter 6:1-6. Herskovits 1926. Evans-Pritchard 1968: 36-48. Kronenberg/Kronenberg 1972. Vgl. Güterbock 1934: 24. Schmökel 1956: 167. Edzard 1957: 10. Haekel 1960: 52. Kulke 1991: 115. Assmann 1995: 77. Der griechische Kirchenvater Clemens von Alexandrien (2. Jh. n. Chr.) zeichnet die Entwicklung paradigmatisch am Beispiel Mose mit den wenigen Worten nach: »Er floh also von dannen und war Schafhirt, wodurch er im voraus für seine hirtenmäßige Führung lernte. Denn die Beschäftigung des Hirten ist eine Vorübung zur Königsherrschaft für den, welcher einst an der Spitze der zahmen Menschenherde stehen soll« (Stromateis I 156). Müller 1973-74: 100-106. Müller/Ritz-Müller 1999: 82-84. Müller 2002a: 285f. Von lat. comitatus, »Gefolgschaft«. Vernadsky 1951: 370, 375. Hambly 1966: 104. Wolfram 1995: 68, 70f. Müller 1997: 201ff. 2003a: 27ff. Herodot VIII 137f. 1. Mose 12:1-3; vgl. Hebräer 11:8-10. 2. Mose 11ff. Assmann: 1995: 110, 113. Müller 1997: 206ff.; 2003a: 31ff. Müller/Ritz-Müller 1999: 102-105. Vgl. für Afrika z.B. Thiel 2000: 88. Vgl. z.B. Herodot IV 5-7 ; 8-9 (Skythen). Lehmann, 1930: 119. Schott 1990: 284 (Polynesien). Swanson 1985: 12ff., 186 (Gurmantsché, Burkina Faso, Westafrika). Illi 1991: 21 (Hindukusch). So z.B. bei den Anm. 17 genannten Gurmantsché. Swanson 1985: 18f. Wilson 1979: 56f., 63; vgl. 1959: 6f. Brown 1988: 305ff. Koch 1973: 91ff. J. E. M. White 1954: 180. Müller 2003a: 27. Behrend 1987: 63.
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Klaus E. Müller 26 Murphy/Murphy 1974: 53. Vgl. Zu gleichlautenden Klagen Müller 2003b: 265 u. Anm. 33, 270. 27 Elam 1973: 102. 28 Lindenbaum 1979: 100ff. 29 Hocart 1912-13: 86. 30 Müller 2003b: 273-275; vgl. insgesamt 266-278 und die dortigen Belege. 31 G. M. White 1991: 136, 246f. 32 Zur Struktur dieser revitalistischen, revolutionären Ideologien Albert 1969: 162. 33 Senghor 1968. 34 Hatch 1976: 245. 35 Hatch 1976: 182; vgl. 214. Müller 2003b: 279-282.
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Warum sind die Hyänen im Fluss?
Warum sind die Hyänen im Fluss? Ute Ritz-Müller Manibus Naba Tigré
»And what have kings that privates have not too, Save ceremony, save general ceremony? And what are thou, thou idol ceremony?« (William Shakespeare: The Life of King Henry the Fifth, 4. Akt, 1. Szene)
1. Ein Unglück öffnet dem andern die Tür Ouagadougou im Juni 2001: Ein Mord, begangen am Hof eines MosiChefs1, hat in Burkina Faso anhaltende Proteste gegen die alten Privilegien der traditionellen Herrscher ausgelöst. Ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist Seine Majestät Naba Tigré, Souverän im 160 km südöstlich der Hauptstadt gelegenen Tenkodogo: Der »Dima von Zungran Tinga«2 soll am 10. des Monats verfügt haben, daß seine Söhne den »Untertanen« Mamadou Kéré im Außenhof des königlichen »Palastes« zu Tode prügelten.3 Dieser Mord war nur ein neuer Höhepunkt in einem alten Konflikt zwischen Mosi und Bisa.4 Als Verfechter der Mosi-Seite trat der 1957 inthronisierte Naba Tigré auf, sein Gegenspieler war der Samand-Naba, das Oberhaupt des einflußreichen Kéré-Klans und offizieller Repräsentant der in das Tenkodogo-Reich inkorporierten Bisa. Ihre bislang eher untergründig schwelenden Spannungen brachen 1997 beim Tod von Naba Yemde, bis dahin Orts- und Kantonchef von Loanga, offen aus. Das etwa fünf km von Tenkodogo entfernte und in der höfischen Hierarchie dem Samand-Naba direkt unterstellte Loanga gilt nicht nur als Hauptsitz der Kéré, sondern auch als Epizentrum jeweder umstürzlerischen Aktivität.5 Nach Abschluß der langwierigen Bestattungszeremonien vergab Naba Tigré das nun vakant gewordene Amt neu. Für viele unbegreiflich, ernannte er am 26. Dezember 1998 einen Kandidaten, der als älterer Bruder zwar die erforderliche Legitimation, aus anderen Gründen jedoch nicht die Gunst der Einwohnerschaft von Loanga besaß.6 Die eigenmächtige Vokation über die Köpfe der Bevölkerung hinweg brüskierte nicht nur die etwa 6.000 Bewohner Loangas, sondern versetzte noch weitere, vom Kéré-Klan dominierte Ortschaften in Aufruhr. Den Schachzug des Königs mißachtend, führten sie die Einsetzungsriten für den abgewiesenen Bewerber ohne höhere Zustimmung durch. 107
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Damit hatte Loanga plötzlich zwei Chefs: Den durch Volksentscheid gewählten jüngeren Bruder, dem es verwehrt blieb, bei Hof zu erscheinen, und den vom König inthronisierten älteren Bruder, den seine Untertanen nicht anerkannten. Es folgten ebenso verbittert wie heftig geführte Auseinandersetzungen; für Naba Tigré ein Grund mehr, den Repräsentanten der Bisa am 28. Mai 1999 zu depossedieren7: Am »Großen Freitag«, an dem mit dem toé-dileghré8 das landwirtschafliche Jahr seinen Anfang nimmt, ließ er den Samand-Naba seines Amtes entheben. Dieser Tag nahm indes auch für Naba Tigré kein glückliches Ende. Nachdem er am frühen Morgen seine Zeremonien durchgeführt hatte, bestieg er einen Wagen, den ihm angeblich der Staatspräsident Blaise Compaoré zum Geschenk gemacht hatte, der ihn auch in die Landeshauptstadt beordert haben soll. Diese Reise war ein eklatanter Verstoß gegen die Tradition, derzufolge der Tenkodogo-Naba – zumal an Festtagen – den Hof nicht verlassen darf.9 Zwingend notwendig war seine Präsenz bei den abendlichen Riten; er drängte daher auf eine schnelle Rückkehr. Dennoch brach noch während seiner Heimfahrt die Nacht herein. Auf der letzten Wegstrecke zwischen Koupéla und Tenkodogo blendete ihn ein helles Licht, so daß er die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor: Der Toyota geriet von der Fahrbahn ab und überschlug sich dreimal. Nach Aussagen der Beteiligten grenzte es an ein Wunder, daß die sechs Insassen unverletzt blieben. Bei Hof zog man als Unfallursache durchaus eine Strafmaßnahme der Ahnen für das Fehlverhalten des Königs in Betracht, schloß zugleich aber auch einen (magischen) Anschlag des am selben Morgen abgesetzten Samand-Naba nicht aus – ein Racheakt, der allein fehlschlug, weil Naba Tigré über das stärkere wack10 gebot. Die im Alltag noch unterdrückten Spannungen brachen während der Festtage offen aus. Wenige Monate später untersagte Naba Tigré mit Unterstützung der Behörden seinem Kontrahenten die Durchführung der Erntezeremonien (basga). Bereits damals soll er nach Aussagen eines Kéré damit gedroht haben, den Samand-Naba bei Zuwiderhandlung »wie ein Huhn zu erdrosseln und sein Blut auf dem Grab seines Vaters zu vergießen«.11 Mit dem basga-Verbot schnitt er sich allerdings ins eigene Fleisch, und die andere Seite behauptete mit Recht, daß, »wenn der Samand-Naba seine jährlichen Opfer nicht vollzieht, auch die Riten des Königs keinen Sinn mehr machen«12 – ein Grund mehr für die Kéré, fortan konsequent alle Feste des Königs zu boykottieren. Zu einem ernsten, von der Gegenseite provozierten Zwischenfall kam es am 16. April 2000, dem Tag, an dem König und Muslime das 108
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Warum sind die Hyänen im Fluss?
Tabaski13 feierten (s. Abb. 1). Als sich die Prozession von der Residenz zum – von Naba Sanema eingerichteten – großen Gebetsplatz am Stadtrand bewegte, kam ihr ein mit zwei vermummten Gestalten besetztes Motorrrad entgegen. Während die Bevölkerung dem Tenkodogo-Naba respektvoll aus dem Weg ging, donnerte das Fahrzeug mit ungedrosselter Geschwindigkeit an ihm vorbei – ein Affront, der die Königssöhne in seinem Gefolge in Rage versetzte: Sie stoppten das Motorrad und gingen mit den Fahrern nicht gerade zimperlich um. Demaskiert, entpuppten sich die Männer als Bisa und katholische Geistliche: einen in der Region als notorischen Unruhestifter bekannten Abbé und einen Katechisten aus dem Kéré-Klan. Beide bezichtigten Naba Tigré des grundlosen tätlichen Angriffs, nicht ahnend, daß ein Kollege von mir, Hans Zimmermann, gerade filmte und die verräterische Szene im Bild festhielt. Der König, hinter dessen Rücken sich das Ganze abgespielt hatte, besah sich am Nachmittag den Ausschnitt mit besonderem Interesse. Am gleichen Abend noch wurde Hans an den Hof gebeten und eine Kopie der Sequenz erstellt, mit deren Hilfe den bei Staat und Kirche wider den König erhobenen Beschuldigungen die Spitze genommen werden konnte. Abbildung 1: Naba Tigré beim Ritt zum großen Gebetsplatz
Foto: Hans Zimmermann
Dieser Vorfall, der entscheidend zur Verschlechterung des Verhältnisses zwischen dem (nominell) katholischen König14 und dem lokalen 109
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Ute Ritz-Müller
Klerus beitrug, gewann im Juni 2001, also mehr als ein Jahr später, erneute Aktualität. Der Katechist nutzte die Gunst der Stunde und suchte Profit aus der aufgeheizten Stimmung zu schlagen. Mit Bedacht trug er seine Version des Affronts den auf jeden »Fehltritt« des Königs erpichten Journalisten vor.15 Eine Gegendarstellung durch das Königshaus blieb diesmal aus. Mittlerweile hatten sich am Hof unfaßbare Dinge zugetragen. Angeblich »ethnische« Auseinandersetzungen zwischen Mosi und Bisa hatten Mamadou Kéré das Leben gekostet. Der zündende Funke war in einer Marktbude entfacht worden, wo sich der Zementhändler und ehemalige Lehrer Mamadou Kéré unterfangen hatte, harsche Kritik an der Staatspolitik generell, speziell aber an den Nicht-Aktivitäten des Parlaments-Abgeordneten und ältesten Königssohnes Lebende Sorgho zu üben.16 Fatalerweise saß ein Halbbruder des Geschmähten im Friseursalon nebenan und hörte das Gespräch mit an. Der Prinz begriff die Kritik als Majestätsbeleidigung seines Vaters und holte Verstärkung: Mamadou Kéré sollte seine Hetztiraden vor dem König wiederholen. Als er sich widersetzte, wurde er gewaltsam in die Residenz verbracht. Daselbst verstarb er kurz darauf, laut Aussage der einen Seite im Beisein und auf Befehl Naba Tigrés, der ihn »wie einen Hund zu Tode prügeln ließ«17, nach Bekunden der anderen ohne Wissen des Königs aufgrund der ihm – eingestandenermaßen – versetzten Schläge bei einem epileptischen Anfall.18 Die Reaktion war allgemeines Entsetzen. Die aufgebrachten Kéré wandten sich mit einer Reihe von Eingaben an die staatlichen Behörden, organisierten Protestmärsche, beschmierten öffentliche Gebäude mit den König entwürdigenden Parolen19 und drohten mit Selbstjustiz, sollte Naba Tigré nicht des Mordes angeklagt und rechtmäßig verurteilt werden. Die Oppositions-Presse unterstützte den einflußreichen Klan und forderte die sofortige Verhaftung. Die Journalisten warfen die Frage nach Legitimation und Funktion traditionellen Herrschertums in einem demokratischen Rechtsstaat auf: Welchen Sinn konnte eine derartige Institution noch erfüllen? Tatsächlich rührten die Ereignisse an ältere Konflikte, die zwar beigelegt schienen, doch längst nicht verheilt waren. So wurde der Mord am Königshof in einem Atemzug mit früheren Verbrechen genannt, bei denen die Schuldigen, darunter auch ein Bruder des Staatspräsidenten, straflos ausgegangen waren. In diesem Kontext bot das Geschehen in Tenkodogo Regimekritikern einen willkommenen Anlaß, die Staatsführung zu treffen.20 Blaise Compaoré hatte im Gegensatz zu seinem Vorgänger Thomas Sankara die Position der traditionellen Chefs gezielt gestärkt. Naba Tigré galt als einer seiner engsten Verbündeten, auf den er sich nicht 110
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nur im Wahlkampf verlassen konnte. Der seinerzeit von Sankara öffentlich diskreditierte Tenkodogo-Naba wurde von seinem Nachfolger Blaise nicht nur hofiert, sondern angeblich auch gut dotiert – ein Grund mehr für die Presse, vorschnell den Stab über ihn zu brechen. Die Palette der gegen Naba Tigré erhobenen Vorwürfe reichte von der Bezichtigung, er sei ein Despot, der sich mittelalterlicher Foltermethoden bediene und seine Untertanen mit der Knute im Zaum halte, bis hin zu seiner Charakterisierung als blutrünstiger, die Region terrorisierender »Frankenstein«.21 Mitverantwortlich für seine Vergehen machte man eine Reihe von staatlichen Institutionen, die seinen Willkürakten jahrzehntelang hilf- und machtlos gegenübergestanden hätten. In die »Höhle des Löwen«22 entsandte Reporter stützten sich vorwiegend und kritiklos auf Aussagen der Kéré und publizierten täglich neue Greueltaten, denen sich Naba Tigré in der Vergangenheit schuldig gemacht haben sollte. Der Wortführer des Klans behauptete in diesem Zusammenhang, Mamadou habe sterben müssen, weil Naba Tigré Menschenblut für seine Opfer benötige: »Er tötete zwar nicht den SamandNaba, wohl aber seinen Neffen. Damit hat er dasselbe Blut vergossen.« Weniger Beachtung fand der von der Gegenseite verhaltener vorgebrachte Hinweis auf eine alte Verbundenheit beider Parteien. De facto gibt es in Tenkodogo nur wenige Haushalte, in denen Kéré und Sorgho nicht zusammenleben, und bislang war es eher so, daß, »was die einen berührte, immer auch die anderen in Mitleidenschaft zog. Aufgrund ihres langen Zusammenlebens und vor der Kolonialzeit gemeinsam erduldeter Prüfungen kennen sich beide nur allzu gut. Kéré und Sorgho sind zwei sich ergänzende Familien, von denen die eine ohne die andere nicht bestehen kann.«23 Mit dieser Aussage gewinnt das Verbrechen des Königs einen anderen Sinngehalt. Um so rätselhafter erscheint die Aufkündigung jener »uralten«, bis in die Zeit, »als Tenkodogo noch Yéléhin hieß«24, zurückgehenden Allianz. Bislang hatte ein heiliger, weil mit Blut besiegelter Pakt die beiden Familien aufs engste verbunden und es dem König ausdrücklich untersagt, seine Hand gegen einen Kéré zu erheben. Der älteste Königssohn – und inzwischen amtierende TenkodogoNaba – der nach der Tradition seinen Vater nicht sehen darf, logierte, wenn er in in der Stadt weilte, beim Samand-Naba, und ehemals hatte der Herrscher jedem Übeltäter, der seinen Beistand gewinnen konnte, Amnestie zu gewähren.25 Das wahre Verbrechen Naba Tigrés bestand daher nicht darin, einen Mord verübt zu haben, sondern betraf die Wahl seines Opfers. Deutlich machte dies eine 70-jährige Tante des Toten und angebliche Tatzeugin: »Der König kann seine Frauen töten, nicht aber unsere Kinder.«26 111
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2. Ein falscher Spiegel gibt kein richtiges Bild 1991. Der »Palast« des Königs, ein von einer hohen Mauer umfriedetes Bauwerk aus der Kolonialzeit, liegt im Stadtzentrum. Das wuchtige Portal öffnet den Blick auf eine weite Terrasse. Im (vom Portal aus) linken Bereich des Außen- oder Vorhofes (samande) befindet sich ein Unterstand (zaande), errichtet aus einer Vielzahl hölzerner Pfosten, die ein aus Hirsestengeln geflochtenes Mattendach tragen (s. Abb. 2 u. 3).27 Abbildung 2: Blick durch das große Eingangsportal
Foto: Ute Ritz-Müller
In seinem Zentrum erblicken wir einen schwergewichtigen König, an dessen zerschlissenem »Thron«, einem Ledersessel nach europäischem Vorbild, die Zeit nicht zu übersehende Spuren hinterlassen hat. Naba Tigré begrüßt uns mit Handschlag, nimmt Visitenkarten, ein Empfehlungsschreiben des Ouidi-Naba von Ouagadougou28 und unser Gastgeschenk in Empfang. Unsicher stehen wir vor dem König, der sich behäbig auf seinem Sitz räkelt, dann ein Bein über das andere schlägt. Sobald er den Brief gelesen hat, winkt er einen kleinen Pagen (sogon-bila) herbei, von denen etwa ein halbes Dutzend, halbnackt und staubbedeckt, zwischen Innenbereich und zaande hin- und hereilen. Gleichwohl braucht die Ausführung der königlichen Order, wie alles bei Hof, ihre Zeit. Es dauert eine kleine Ewigkeit, bis die Pagen zwei Eisenstühle und ein hölzernes Beistelltischchen herantragen und, dem höfischem Protokoll gemäß, in den äußeren Kreis des zaande auf die 112
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Seite des Samand-Naba stellen. Dann läßt sich der König nach unseren Getränkewünschen erkundigen. Unsere Bitte um eine Cola entlockt ihm den Kommentar: »Vous n’êtes pas des vrais allemands.« Zur allgemeinen Erheiterung erzählt er von einem Besuch in Bonn und dessen Highlight, einem mit mehr als siebzig (!) verschiedenen Biersorten bestückten Kühlschrank. Abwechselnd richtet er das Wort nach rechts und links. Dann verschärft sich unvermittelt sein Ton. Stimmgewaltig weist er einen der Anwesenden zurecht. Wir nutzen die Gelegenheit, um unsere Umgebung genauer zu betrachten. Abbildung 3: Die Versammlungshalle mit dem »zaande« im Hintergrund
Foto: Ute Ritz-Müller
Der Innenbereich des zaande ist mit weichem Flußsand ausgelegt. Vor den drei Mittelpfeilern im Zentrum sitzt der König. Um ihn herum am Boden, die Rücken gegen konzentrisch in zwei Kreisen angeordnete Holzpfosten gelehnt, hocken etwa zwei Dutzend meist älterer Männer. Dazwischen dösen Hunde im warmen Sand, einige bis auf die Knochen abgemagert, das struppige Fell von Geschwüren und Bißwunden übersät. Nicht nur die Tiere wirken heruntergekommen, auch am Palast, einem in Kolonialtagen wohl imposanten, heute an vielen Stellen verfallenden Bau, bröckelt der Putz ab. Armselig erscheinen auch die hageren Alten in ihren knöchellangen, hier und dort eingerissenen Gewändern. Allen Mißlichkeiten zum Trotz herrscht eine angeregte Unterhaltung. Die Stimmung steigt mit jedem neuen Tonkrug Hirse113
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bier, den die Knaben aus den Innenhöfen herbeitragen. Der König bestimmt die Reihenfolge der Empfänger; routiniert gießen die Pagen das Bier in die Kalebassen. Die Anwesenden honorieren des Königs Freigebigkeit und klopfen anerkennend zuerst mit den Ellenbogen, dann den geballten Fäusten auf den Boden. Dazu rufen sie: »na« (=naba), bevor das Bier hörbar genußvoll durch ihre ausgetrockneten Kehlen rinnt. Naba Tigré trinkt Flaschenbier und benutzt ein Glas, das die Pagen niemals leer werden lassen. Zwischendurch greift er des öfteren nach links: Neben seinem Thron steht eine beachtliche Batterie hochprozentiger Alkoholika aufgereiht. Er wählt einen Pastis, von dem er einen kräftigen Schuß in sein Bier kippt. Dazu bemerkt er mit sichtlicher Genugtuung, daß er in Frankreich hergestellt und deshalb »echt« (vrai) sei. Wann immer er das Glas hebt, senken alle ihre Hände gen Boden und schnalzen mit den Fingern, ein Gestus, der sich wiederholt, wenn er rülpst, sich schneuzt, niest oder ausspuckt. Derweil herrscht im Außenhof hinter uns ein reges Kommen und Gehen. Ziegen, Schafe und Schweine trotten vorbei. Ein Esel und zwei klapprige Pferde, deren Beine mit Stricken zusammengebunden sind, kommen nur mühsam voran. Frauen, mit Wassergefäßen oder sonstwie schwer beladen, verlassen die Residenz. Ohne einen Blick an die Männer zu verschwenden, verrichten sie ihr Tagwerk, eilen geschäftig von innen nach außen und wieder zurück. Besucher kommen, teils um dem König ihren Gruß zu entbieten, teils um ein Anliegen vorzutragen. Einzeln oder zu mehreren treten sie vor den Eingang des zaande und werfen sich dort auf den Boden. Die Handflächen nach oben geöffnet, berühren sie zuerst mit den Ellenbogen, dann mit den Unterarmen die Erde. Anschließend reiben sie ihre Handflächen gegeneinander, bevor sie erneut auf den Boden klopfen. Diesen Gruß wiederholen sie solange, bis der König ihnen durch ein Zeichen Einhalt gebietet. Allmählich rückt die Mittagszeit näher. In Grüppchen kehren die Kinder des Königs von der Schule heim. Auch sie machen vor dem zaande Halt und grüßen den Vater. Die meisten entläßt Naba Tigré mit einem kurzen Nicken. Das eine oder andere Kind jedoch winkt er zu sich. Dabei kramt er umständlich in zahlreichen, unter seinem Thron gehorteten Plastikbeuteln. Nach eingehender Prüfung der verblichenen Beipackzettel oder handschriftlicher Notizen wickelt er eine Tablette oder ein Pulver aus und reicht sie dem Sohn oder der Tochter. Es sieht so aus, als nähme die Kinderschar kein Ende: Der König hat viele Frauen, und die Frauen haben viele Kinder. Die traurigen Folgen dieses »Reichtums« sind kaum übersehbar: Auch der Königshof ist nicht vor Elend gefeit, was Naba Tigré tagtäglich und überdeutlich beim Anblick der abgerissenen und verwahrlosten Gestalten seiner 114
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eigenen Familie vor Augen geführt wird. Der König ist müde. Wir trinken ein letztes Mal auf seine Gesundheit, bedanken und verabschieden uns.29
3. Gewesen ist gewesen Zeigten sich frühere Besucher afrikanischer Potentaten von der Pracht und dem Prunk des höfischen Zeremoniells sichtlich beeindruckt30, waren wir von unserer ersten Begegnung mit dem Tenkodogo-Naba – dem angeblich genealogisch ältesten Mosi-Herrscher – fast schon peinlich berührt. Alles sprach für ein System im Verfall, mühsam aufrecht erhalten von einem Dutzend scheinbar unbeirrbarer Alter, umgeben von einer verwahrlosten Kinderschar und Komparsen, die vor abgeblaßten Kulissen agierten. Staat ist damit heute nicht mehr zu machen. Das Königtum wirkt ausgehöhlt, der Herrscher gleicht einem Fossil, von vielen – Ethnologen nicht ausgenommen – bestaunt, aber kaum ernstgenommen. So bedeutsam das Königtum auch früher gewesen sein mag, mit der Neuzeit scheint es nur schwer vereinbar. Auch im Südosten Burkina Fasos ist die Zeit nicht stehengeblieben; selbst im ländlichen Raum schreitet die Entwicklung zügig voran. Während der König, umgeben von Alten, Frauen und Kindern, innerhalb seiner Palastmauern wie eingefroren erscheint, pulsiert draußen das Leben. In den Straßen, Bars, Moscheen, Kirchen, auf Märkten und in den Amtsstuben herrscht geschäftiges Treiben. Der Löwe, das königliche Wappentier, scheint träge geworden, seit die Verwaltung der Provinz in die Hände von Staatsbeamten überging. Wahren Einfluß besitzen neben Hochkommissar, Präfekt und den Vertretern der beiden großen lokalen Religionsgemeinschaften, den katholischen Priestern und dem Großen Imam, auch eine Zahl ökonomisch prosperierender Familien, die ihren Reichtum vornehmlich dem Handel verdanken und nahezu ausnahmlos31 den (früh islamisierten) Gruppen der Fulbe und Yarse entstammen. Schon ihr äußeres Erscheinungsbild hebt sie vom Gros der Bevölkerung ab: Nicht nur zu festlichen Anlässen, wie beim Freitagsgebet, treten sie, kunstvoll gewandet und Wohlgerüche verströmend, auf. Männer, Frauen und selbst die Kinder – die Mädchen adrett mit Schleifchen im Haar – strahlen auch im Alltag gepflegte Sauberkeit aus. Tatsächlich wirkt in Tenkodogo vieles prächtiger als am Königshof. An unserer Auffassung, hier ringe ein – wenn auch anachronistisches, so doch autochthones – Königtum im Strudel rasanter Veränderungen um seinen Bestand, hätten wir wahrscheinlich festgehalten, 115
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wäre es bei dieser einen Begegnung geblieben. Unsere wiederholten Besuche unter wechselnden Voraussetzungen eröffneten uns jedoch bald einen differenzierteren Zugang. Wir sahen uns immer wieder genötigt, unsere Wahrnehmung wie auch unsere Hypothesen zu revidieren. Dabei wurde die Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und dem Anspruch des Königtums immer augenfälliger, der Eindruck einer tiefen Zerissenheit trat von Mal zu Mal deutlicher hervor. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte Tenkodogos und prägte in der Folge auch unsere zeitweise hart geprüfte persönliche Beziehung zu Naba Tigré.
4. Bei alten Münzen zweifelt niemand Als Repräsentanten des Sinnkonzepts »Königtum« gelten in Burkina Faso vorrangig die Mosi. Vermutlich im 15. Jahrhundert32 rückten sie mit kleineren Kavallerieeinheiten aus dem Norden des heutigen Ghana ins Mosi-Plateau vor und unterwarfen sich die dort ansässigen Bevölkerungsgruppen. Die geographischen Gegebenheiten machten es den Eroberern leicht, denn die Savanne kennt weder schwer passierbare Wasserläufe noch hohe Gebirgszüge. Als wahre »Meister in der Kunst, Fremde in ihre Sozialhierarchie einzubinden«33, integrierten sie zahlreiche »Ethnien« in ihr politisches Verbundsystem. Dieser Tatsache ist es zuzuschreiben, daß sich heute ungefähr die Hälfte der Einwohnerschaft als Mosi bezeichnet. Die Mehrheit lebt im Kerngebiet Burkina Fasos, dem 63.500 Quadratkilometer großen »Land der Mosi« oder Moogho, das in neunzehn relativ autonome Königreiche unterteilt ist, die – trotz grundlegender Übereinstimmungen in ihrer politischen Struktur – in einem eher gespannten Verhältnis zueinander stehen. Um so wichtiger erscheint, daß sie ein einheitliches Sinnkonzept teilen, das Hierarchien festlegt und gruppenübergreifend verbindend wirkt. Seine Stütze bildet ein für alle Mosi-Reiche gültiger Ursprungsmythos, dessen Wahrung – neben der Pflege des höfischen Rituals – sich der grundkonservative Adel verpflichtet hat. Die Weltsicht der Mosi kreist um den König oder Naba. Er steht nicht nur an der Spitze der Sozialhierarchie, sondern auch am Anfang der Zeit: »Als Gott die Welt erschaffen hatte, überlegte er, wie er seine Schöpfung bewahren und zusammenhalten könne. Er dachte zuerst an einen Fluß, befand allerdings bei weiterem Nachdenken, daß dessen Wasser zeitweilig austrockne. Deshalb sprach er: ›Gut, dann soll sich ein Python um die Welt legen. Wenn die Schlange ihr Ende (den Schwanz) in ihren Anfang (das Maul) steckt, wird
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Warum sind die Hyänen im Fluss? sich die Erde in einem geschlossenen Kreislauf bewegen.‹ Doch erneut kamen ihm Zweifel: ›Wie konnte er sicher sein, daß der Python seinen Schwanz nicht losließ?‹ Daraufhin erschuf er den König, dessen Herrschaft seither die Welt zusammenhält.«34
Und zwar auf ewig, bis ans Ende der Welt. Als Vollendung der Schöpfung wurde dem König von Gott der Auftrag erteilt, die Welt zu bewahren und zu lenken. Da ihm dies für alle Zeit aufgetragen ist, kommt dem Königtum und der spirituellen Kraft, die es beseelt und trägt – dem naam – Unvergänglichkeit zu. Göttlichen Ursprungs, bildet es die »natürliche« Voraussetzung für das physische Überleben: Fiele das Königtum, ginge auch die Welt zugrunde. Im König, der den Erhalt der Schöpfungsordnung verbürgt, verkörpert sich die Idee fortwährenden Heils. Unwandelbar, weil vollkommen und den Wechselfällen der Geschichte enthoben, ist er nicht Mensch mehr, sondern »Gott und Caesar« zugleich.35 Symbol einer allgültigen Ordnung, garantiert er die harmonische Ausgewogenheit zwischen Bevölkerung und Umwelt, bildet das Bindeglied zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten, vermittelt zwischen Adel (nakombse) und Gemeinen (talse), Freien und Sklaven, Lebenden und Toten. Kam es zu Katastrophen – klimatischen wie kriegerischen – schien seine Heilskraft in Frage gestellt. Entsprechend konnte er für jedes Unheil zur Rechenschaft gezogen und abgesetzt werden. Diese Idealauffassung vom sakralen Königtum litt zwar in der Kolonialzeit spürbar, doch war die Idee zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit in der Bevölkerung noch lebendig genug, um entscheidend zum Selbstverständnis der jungen Nation beitragen zu können. Identitätsstiftend wirkt vor allem der Ursprungsmythos: Alle Mosi-Dynastien leiten sich in letzter Instanz von einem Herrscherhaus in Gambaga36 ab. Yennenga, eine von dort stammende »Amazone«, vereinte sich »im Busch«37 mit Riâle, einem Königssohn von Mande-Abkunft, der zu Hause um seinen Anspruch auf die Thronnachfolge betrogen worden war. Aus der Verbindung der Mamprusi-Prinzessin mit dem Elefantenjäger Riâle ging Ouedraogo (=Wedraogo, »Hengst«) hervor, der als erster Moaga (Singular von Mosi) und zoungrana38 alle späteren Dynastien begründete.39 Da Ouedraogos Wiege im »alten Land« – in Tenkodogo40 – stand, gilt das in der gleichnamigen südlichen Provinz Boulgou gelegene Königtum nicht nur als ältestes Mosi-Reich, sondern auch als Keimzelle aller jüngeren, weiter nördlich angesiedelten Dynastien. So jedenfalls die Lesart der Königslegende in den Schulbüchern von heute.
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5. Die Mutter sagt es, der Vater glaubt es, ein Narr zweifelt daran Eine genauere Analyse weckt jedoch Zweifel. Schon die renommierten Afrika-Historiker Joseph Ki-Zerbo und Michel Izard bezeichneten die Geschichte dieses »ältesten Mosi-Reiches« als zweifelhaft, da sich Tenkodogo nur schwer in den Rahmen der generellen Mosi-Geschichte einordnen läßt.41 Auch Junzo Kawada führten seine Forschungen unter den südlichen Mosi zu dem Verdacht, daß es sich bei Tenkodogo – zumindest in seiner heutigen Konstellation – um eine eher rezente Gründung handle.42 Da die Geschichte der Bevölkerung und des Königtums von Tenkodogo vor 1890 allein auf oralen Traditionen basiert, fehlen für die Frühzeit gesicherte Daten. In den gegen Ende des 19. Jahrhunderts verfaßten Berichten der europäischen »Entdecker« wird Tenkodogo nur en passant erwähnt.43 Oberstleutnant Parfois Louis Monteil, der im April 1891 Moogho, nicht aber Tenkodogo, durchzog, notiert: »Mossi (sic) ist ein großes Reich im Zentrum des Voltabogens […], das einzige Land, in dem sich die Sitten einer alten schwarzen Zivilisation erhalten konnten, einer Zivilisation, die sich im Lauf einer langen, von Frieden und blühendem Handel geprägten Zeit verfeinert und den Charakter von Wildheit verloren hat, den man schwarzen Institutionen gewöhnlich zuschreibt.«44 Die zivilisatorische Blüte, die frühe Besucher Moogho attestieren, verfestigte sich in den Köpfen der in der Kolonialzeit herangewachsenen indigenen Elite zur willkommenen Gewißheit und bestärkte sie im Glauben an die ursprüngliche Größe der eigenen Kultur, die gut einen Vergleich mit der französischen Geschichte aushielt: »Als die normannischen Abenteurer unter Wilhelm dem Eroberer mit der Kolonisation der Britischen Inseln begannen, lagen die Grenzen von Moogho bereits definitiv fest […] Moogho kannte keine Diskontinuität […] Da Moogho nie der Erniedrigung einer fremden Eroberung ausgesetzt war, mißtraute man allem, was fremd war«45 – letzteres nicht zu Unrecht, wie sich bald zeigen sollte. Als eine neue Erfahrung erlebt, mußte das Joch der Fremdherrschaft um so schwerer auf der Bevölkerung lasten und bleibende Spuren hinterlassen.
6. Je mehr Handel, je mehr Händel Doch war Tenkodogo – eingebunden in den Fernhandel der HausaStaaten über das Volta-Becken mit Asante – ursprünglich überhaupt ein Mosi-Reich? Nach Syme herrschte dort ein Bisa-Chef46, Frobenius 118
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spricht von einem Land »Namba«47, und in Tenkodogo selbst heißt es: »Damit Tenkodogo zum ›alten Land‹ wurde, hat man der Erde Wasser, Karité-Butter (mos-kam), Milch und Honig beigefügt und alles anschließend gut miteinander vermischt.« Da durch die Region eine der Handelsstraßen verlief, die den Norden mit den großen Märkten des Südens verbanden, wurde sie regelmäßig von Sklaven-, Salz- und Kolanußhändlern durchzogen, was – wie im 19. Jahrhundert gemeinhin in Westafrika – eine große Mobilität und Fluktuation zur Folge hatte. Handel und namentlich Sklavenjagden lösten weitreichende Bevölkerungsverschiebungen und -vermischungen aus, so daß es kaum mehr legitim erscheint, hier noch von Ethnien – im Sinne von sprachlich, kulturell und historisch konstanten Gruppen – zu sprechen.48 Bis zur Ankunft der Franzosen waren kommerzielle oder notbedingte Allianzen allemal wichtiger als ethnische Zugehörigkeiten. Erst die Kolonialherren schrieben die Verhältnisse fest, da die Vormachtstellung der Mosi in der Region für sie von Vorteil war. Den Bewohnern der Region blieb nur, sich mit der neuen Situation zu arrangieren. Auf die gebietstypische Verflochtenheit von kultureller Heterogenität und zentralisierter Herrschaft auf der einen, beziehungsweise kultureller Homogenität und dem Fehlen politischer Zentralinstanzen auf der anderen Seite wiesen erstmals dezidiert Fortes und Evans-Pritchard hin.49 Ein von allen Seiten bestätigter Souverän versinnbildlichte und garantierte das Zusammenwirken des königlichen Klans, der Dorfgemeinschaften und städtischen Bevölkerungen fremden Ursprungs. Schließlich stand (und steht) der Tenkodogo-Naba an der Spitze eines komplex gestaffelten Hofstaates, der die Vielfalt – oder das »ethnische« Mosaik des Reiches – gleichsam in nuce wiedergibt. Dem König assistieren zwei weitere Chefs, von denen der eine, der DaporNaba, die nördliche, und der andere, der Samand-Naba, die südliche Reichshälfte repräsentiert. Die Trennung ihrer Zuständigkeitsbereiche deckt sich oberflächlich mit der Teilung des Tenkodogo-Reiches zwischen den politisch dominanten Mosi und den zahlenmäßig überlegenen Bisa als den beiden wichtigsten Gruppen, aus denen sich – der gängigen Anschauung nach – die Bevölkerung der Region zusammensetzt. Für die benachbarten Gulmanceba sowie die aus dem Grenzbereich zwischen Gourma (=Nungu) und Tenkodogo zugewanderten Yaanse50 und Zaousé51 geben die Mosi eine mit der ihren gemeinsame Abstammung vor, die sie in den großen Schoß der Mosi-Familie integriert. In der Vorkolonialzeit ausgetragene Konflikte, bei denen Yaanse und Zaousé die bevorzugten Opfer der Sklavenjagden der Gulmanceba waren52, sind in Vergessenheit geraten; gleichwohl soll es 119
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sich bei den letzten vorkolonialen Unruhen in diesem Gebiet um »Bürgerkriege« zwischen Koupéla und Tenkodogo, sprich Mosi und Gulmanceba (!), gehandelt haben.53 Die Beziehungen zwischen Mosi und Bisa blieben spannungsgeladen. Früher waren in deren Händel auch die Fulbe involviert. Als Zünglein an der Waage entschieden sie oft über Sieg oder Niederlage. Die Aussage »Les Peuls n’aimaient pas les Bisa, ils étaient les amis des Mosi« zeigt, welcher Seite man sie zuordnet. Allgemeiner Auffassung nach gelten die Bisa als die frühesten Bewohner der Region. Ihre wichtigsten Zentren heute sind Garango, das ehemalige Tangin oder Tangey, das in der Kolonialzeit die politische Struktur der Mosi übernahm, aber von Tenkodogo unabhängig blieb, sowie die in das Tenkodogo-Reich integrierten, von der Familie Kéré dominierten Kantone Bané und Loanga. Doch auch von den Mosi wird behauptet, daß sie im Raum Tenkodogo alteingesessen seien, während Dioula beziehungsweise Yarse54, die Marense55, Fulbe (=Peul) und Séta56 sowie die größtenteils von den Franzosen vertriebenen Zagweto (= Hausa) und Yagba (=Yoruba), vom Fernhandel angelockt, aus anderen Teilen Westafrikas zuwanderten. Viele dieser Gruppen gingen in der lokalen Bevölkerung auf. Die Yarse betrieben schließlich nur noch einen lokal begrenzten Handel, neben dem sie anbauten, sich als Weber und Färber betätigten oder Ansehen als Marabuts57 erwarben. Geschäftstüchtigkeit, handwerkliche Kunstfertigkeit und Bewandtnis in der Magie machten sie, die sich heute kaum mehr von den Mosi unterscheiden, zu wertvollen Verbündeten machthungriger Glücksritter.58 Die Fulbe, von denen man nicht genau weiß, wann sie ins MosiLand kamen, stehen heute dem Königshaus scheinbar fern.59 Gleichwohl spricht vieles dafür, daß sie beim Kampf um die Macht nicht nur Zuschauer waren.60
7. Der weiße Teufel ist schlimmer als der schwarze Ins Blickfeld der Geschichte geriet Moogho nach der Berliner Konferenz von 1884/85, die den Wettstreit der Europäer um den Erwerb kolonialer Besitzungen beschleunigte. Während die Briten sich von der Küste aus im Norden des heutigen Ghana und die Deutschen sich in Togo etablierten, stießen die Franzosen von Norden ins Voltabecken vor. Kurz bevor ein von den Leutnants Voulet und Chanoine befehligtes Truppenkorps Ouagadougou erreichte, ergriff Moogho-Naba Wobgo die Flucht. Angeblich hielt er sich zeitweilig im südlichen Bisa-Gebiet auf, doch gelang es ihm nicht mehr, seine Hauptstadt zurückzu120
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gewinnen. Die Franzosen nutzten seine Abwesenheit und übertrugen die Macht einem seiner Halbbrüder: Kuka, inthronisiert als Naba Sigri, unterzeichnete am 12. Januar 1897 einen ihm von den Franzosen vorgelegten Protektoratsvertrag. Gleichwohl verhandelte Naba Wobgo weiter mit den Briten. Die Situation spitzte sich für die Franzosen zu, als Sir Donald Steward61 aus dem Mamprusi-Gebiet nach Norden vorstieß. In Windeseile brach Voulet seine Zelte in Ouagadougou ab und begab sich nach Tenkodogo, wo es ihm in mehrwöchigen Verhandlungen gelang, den Vertreter der britischen Krone zum Rückzug zu bewegen. Während Steward, in dessen Besitz sich ein Maschinengewehr Maxim Nordenfelt befand, mit seinen Soldaten abzog, kehrte Yetinn farfaré62, wie Voulet in Tenkodogo genannt wird, zurück und »befriedete« die Region. Merkwürdigerweise blieb der Tenkodogo-Naba bei allen Verhandlungen im Hintergrund, vielleicht weil keiner der damaligen Granden der Region wirkliche Autorität besaß oder, wie es in den oralen Traditionen heißt, die Macht alle drei Jahre in andere Hände überging. Schon in dieser Zeit soll die Bevölkerung uneins gewesen sein: Waren die Chefs einiger Orte mit Bagende, einem »Sohn« des abgesetzten und nach Komtoéga ins Bisa-Gebiet vertriebenen Naba Yamweogo63, liiert, unterstützten andere Karongo, seinen »jüngeren Bruder«.64 In einem Krieg, der noch heute im Gedächtnis der Bevölkerung haftet, zerstörten Bagende und seine in Wawusé, Koupéla und Gourma angeworbenen Söldnertruppen Siedlungen und Felder und vertrieben den 1887 rechtmäßig inthronisierten Naba Karongo aus Tenkodogo.65 Als Bagendes Sieg so gut wie besiegelt war, beging er einen folgenschweren Fehler: Er lehnte es ab, die unerwartet in der Region aufgetauchten »weißen Fische« zu empfangen, während der bedrängte Karongo bereit gewesen wäre, »selbst die Hilfe des Teufels« in Anspruch zu nehmen. Dank Voulet war das Schicksal Bagendes dann auch nur noch eine Frage der Zeit. Er soll in seinem Schlupfwinkel, dem etwa 15 km von Tenkodogo entfernt gelegenen Felsmassiv von Zabindela (bei Kampoaga), gestellt und nach Ouagadougou überführt worden sein, wo er kurz darauf verstarb.66 Damit beginnt die Kolonialzeit.67 1899 setzten sich die Franzosen definitiv in Tenkodogo fest, indem sie einen zu Beginn des Jahres 1898 im südlicheren Bitou errichteten Grenzposten 100 km weiter nach Norden verlegten.68 Ihre Herrschaft zeitigte auf Dauer zahlreiche Veränderungen. Sie zogen Grenzen, faßten Dörfer und Landstriche zu neuen Einheiten zusammen und begünstigten ihnen gefällige Potentaten. Unwillfährige Machthaber hingegen stellten sie öffentlich bloß oder setzten sie kurzerhand ab.69 Sah Gouverneur Destenave in den 121
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zentralisierten Mosi-Reichen noch eine Gefahr und beabsichtigten die Franzosen, 1909 die direkte Herrschaft einzuführen und die Chefs auf ihre religiösen Funktionen zu beschränken, besannen sie sich schließlich wieder um: Administrative Maßnahmen festigten zuletzt doch die Stellung des Moogho-Naba.70 Auch die Provinzchefs, dem Adel von Ouagadougou gleichgestellt, sollten, zumindest nach außen, imposant auftreten. Die nur wenigen Weißen brauchten an ihrer Seite Scheinpotentaten, um ihre Interessen wirksamer durchsetzen zu können. Zum Entgelt dafür, daß sie Abgaben und Steuern eintrieben, Zwangsarbeiter und Soldaten rekrutierten, den Anbau neuer Pflanzen forcierten und Straßen für den Transport anlegten, errichtete man ihnen Paläste, zahlte ihnen ein festes Salär71 und beteiligte sie prozentual an den Steuereinnahmen – alles Maßnahmen, die die Distanz zwischen den Chefs und dem Rest der Bevölkerung vergrößerten und die in der Mosi-Gesellschaft bereits angelegte soziale Differenzierung verstärkten. Zudem mußte die Legitimation mancher vom Colon (=Kolonialherr) favorisierten Kandidaten eher fragwürdig erscheinen, da die Kommandanten durchwegs Bewerber bevorzugten, von denen sie sich Effizienz und Durchsetzungsvermögen versprachen.72 Tatsächlich ist die Kolonialzeit eine Phase des Umbruchs, die in Tenkodogo – wie vielerorts – zu einer ernsten Sinnkrise führte. Eine Reihe von Historikern geht davon aus, daß die Geschichte oder »ein historisches Bewußtsein im eigentlichen Sinne« (Jan Assman) ursächlich verknüpft ist mit der dramatischen Erfahrung eines Kontinuitätsbruchs der überkommenen Ordnung, die zur narrativen Historisierung des Geschehenen und seiner Deutung durch Sinnzuweisung nötigt, soll ein Fortleben noch sinnvoll erscheinen.73 Eine solche Epochenschwelle war die Kolonialzeit; sie markierte einen überdeutlichen Bruch. Die bitteren Erfahrungen jener Jahre erschütterten das Selbstvertrauen vieler zutiefst und lösten eine Identitätskrise aus, die nur zu bewältigen war, wenn die Beziehungen der verschiedenen Gruppen untereinander seit alters klar definiert schienen und das Geschehen nicht als Zäsur verstanden wurde, sondern sich als konsequente Entwicklung in die eigene Geschichte einbinden ließ. Das aber setzte ein allseits akzeptables Sinnkonzept voraus. Die Politik der Kolonialmächte lieferte die Vorgabe dafür: Im Zuge des konkurrierenden Bemühens von Franzosen und Briten, die Region unter ihre Kontrolle zu bringen, war Tenkodogo zu einem »alten« Mosi-Reich erklärt worden. Seither besitzt es sowohl eine »alte« als auch »neue« Geschichte, die in Naba Tigré einen ebenso überzeugenden wie phantasiereichen Verfechter fand und heute landesweit akzeptiert wird. 122
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Vornehmlich aus Verwaltungsgründen zu neuen Einheiten verbundene Gruppen entwickelten unter der französischen Oberhoheit ein kohärentes Geschichtsbild, dessen Angelpunkt das Postulat bildet, alle verbinde eine gemeinsame Verwandtschaft. Mit dieser Umorientierung waren Probleme vorprogrammiert, zu denen – unter anderen – die spannungsreiche Beziehung zwischen König und Samand-Naba gehört.
8. Was gestern richtig war, kann heute falsch sein Trotz aller Einschränkungen und Eingriffe hatten die Franzosen das Königtum – oder die lokalen Chefferien – als solche unangetastet gelassen. Für die Kolonialmacht stellte der König eine funktionstüchtige Institution dar, weil er für Ruhe und Ordnung sorgte, Steuern eintrieb, Zwangsarbeiter aushob und im Bedarfsfall ein ausreichendes Kontingent an Hilfstruppen bereitstellte. Für die Bevölkerung besaß das Königtum insofern eine sinnstiftende Funktion, als es einem durch Fremdherrschaft geknechteten Volk zumindest einen gewissen Halt verhieß. Das Königtum wurde Essenz und Symbol für den eigenen Leidensweg inmitten der desorientierenden, von vielen als traumatisch erlebten kolonialzeitlichen Erfahrungen. Mit der Gründung des Nationalstaats drohte dem Königtum die Gefahr, diese Bedeutung einzubüßen. Der Moogho-Naba hatte sich zwar mehrfach bemüht, die traditionellen Herrscher an der nationalen Regierung zu beteiligen, war damit aber auf den entschiedenen Widerstand der neuen Elite gestoßen, die weder die antiquierte Autorität des Moogho-Naba noch die anderer traditioneller Chefs anzuerkennen gewillt war.74 So üben die Könige heutzutage zwar keine offizielle Funktion mehr aus, verkörpern aber dennoch Macht, und kein Staatspräsident könnte es sich leisten, sie zu ignorieren. Allerdings reagierten die Staatsführer unterschiedlich auf die Herausforderung. Stets beriefen sich die Politiker auf die Chefs, wenn ihre eigene Autorität ins Wanken geriet; schien deren Macht indes die eigene Position zu bedrohen, wurde sie sofort wieder eingeschränkt. Die neuen Autoritäten des Staates suchten die Chefs, wann immer möglich, zu übergehen, was indes selten gelang, da zumindest einige der traditionellen Herrscher im Volk noch immer die Glorie von einst repräsentieren. Die eher unrühmliche Rolle, die der eine oder andere von ihnen in der Kolonialzeit spielte, scheint heute vergessen. So jedenfalls stellt sich die Situation in Tenkodogo dar. Die Dynastiegeschichte indes enthält zahlreiche Widersprüche. Mehr noch als Machthaber in gewachsenen Überschichtungsgesellschaften standen 123
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(und stehen) die Tenkodogo-Nanamse75 vor dem Problem, ihren Thronanspruch zu begründen, das heißt ihm Legitimität und Sinn zu verleihen. Eine Dynastie, die ihre Machtstellung den Kolonialherren verdankt, muß um so überzeugender deutlich machen können, daß die Wohlfahrt aller vom König abhängt und allein seine Herrschaft Segen stiftet – weil sie nicht von dieser Welt ist, sondern sich göttlicher Bestimmung verdankt. Ein gedeihliches Miteinander erscheint möglich, wenn es der Führungschicht gelingt, allseits glaubhaft zu machen, daß Götter und Ahnen mit ihnen sind, sich die neue der alten Ordnung fügt und der Lauf der Geschichte für jedermann heilsträchtig war und ist. Die Teleologie der Heilsgeschichte schließt die Sinnkonsistenz von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein. Das Bemühen, diesen Anspruch gerechtfertigt erscheinen zu lassen, durchzieht die verschiedensten Medien der höfischen Geschichtsüberlieferung, die kritische Passagen bewußt kaschiert, Brüche zudeckt und Disparates zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügt.
9. Tradition bewahren heißt nicht Asche aufheben, sondern eine Flamme am Brennen erhalten (Jean Jaurés) Mehr um Integration als um Separation bemüht, rechtfertigen die Mosi ihre Vorrangstellung mit dem Vorgeben, es entspreche dem Wunsch des Volkes, einen König zu haben. Zur Begründung wird auf die allgemein vorherrschende Unsicherheit verwiesen, ein Zustand, der – zumindest in der Kolonialliteratur – als typische Schwäche akephaler Gesellschaften76 dargestellt wird. Um diesen Notstand zu beheben, schickten – einer Mythe zufolge – die Nioniosse von Guilengu, der Keimzelle des späteren Ouagadougou-Reiches, ein Mädchen ins »alte Land«. Ein Sohn von ihr und Ouedraogo77 sollte ihr König werden. Da Ouedraogo den Reizen von Poktoega, einer »bärtigen Frau«, nicht auf Anhieb erlag, setzten die Nioniosse ihre magischen Kräfte ein und entfesselten einen gewaltigen Sturm, der in Tenkodogo alle Häuser abdeckte78 und Ouedraogo laut offizieller Version in einen Hühnerstall – der lokalen Variante nach in eine Fulbehütte – trieb, wo ihn Poktoega erwartete. Im Tenkodogo unmittelbar benachbarten Koupéla79 trug die Bevölkerung einem Prinzen »auf der Durchreise« die Königswürde an. Dem älteren »Bruder«, Chef im Mosi-Reich Boulsa, war diese Chance, sich eines potentiellen Thronkonkurrenten zu entledigen, mehr als willkommen.80 124
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Weniger einvernehmlich begann die Herrschergeschichte in Tenkodogo: Im »ältesten Mosi-Reich« mußte der erste König Zoungrana die Macht im Kampf gegen die Bisa gewaltsam erringen. In Komtoéga bei Garango soll die Entscheidungsschlacht stattgefunden haben, in der Zoungrana zwar durch Tapferkeit glänzte, sich aber gleichwohl eine tödliche Verletzung zuzog.81 Komtoéga und die Bisa-Hochburg Garango spielen in den mündlichen Überlieferungen eine wichtige Rolle, was dafür spricht, daß beide – entgegen allen anderslautenden Beteuerungen bei Hof – in die Machtgeschichte der Region verstrickt waren. Sind die Verhältnisse in Garango, zumindest grobmaschig, rekonstruierbar, erscheint Tenkodogo in seiner kritischsten Phase seltsam konturenlos. Die Stadt, die beim Einmarsch der Franzosen »in Schutt und Asche lag«, blühte erst (wieder?) auf, »nachdem das Militär sich in den Dienst der legitimen Sache gestellt und die Position des rechtmäßigen Herrschers Karongo gestärkt hatte«.82 Näheres über diese Zeit des Umbruchs läßt sich bei Hof nicht in Erfahrung bringen. Da in Tenkodogo Konflikte lieber verschleiert als offengelegt werden, konnte eine Verarbeitung von Differenzerfahrung bis heute nicht stattfinden. Die einzelnen Familien haben eine Mauer aus Abwehr und Schweigen um sich errichtet, hinter der die erlittenen Niederlagen und Kränkungen im Schatten bleiben. Da das Dunkel nie aufgehellt wurde, ist der Druck auf die herrschende Dynastie um so größer, die Rechtmäßigkeit ihres Anspruchs zu belegen. Daher rührt das enorme Bemühen des Tenkodogo-Naba, den Nachweis zu erbringen oder vorzutäuschen, auf ein »uraltes Herrschergeschlecht« – in Übersteigerung gar auf Ramses I. (»ou Ramses II.?«) – zurückzugehen.83 Die koloniale Erfahrung, die diesen Anspruch erschüttern könnte, wird ebenso bewußt verwischt wie unterschwellig fortbestehende Zweifel. Die Ideologie des harmonischen Miteinander aller Parteien läßt es sinnvoller erscheinen, exogene Einwirkungen zu negieren und Machtverschiebungen zu familieninternen, in gegenseitigem Einvernehmen getroffenen Übereinkünften zu deklarieren. In diesem Sinne wurde es notwendig, ältere Institutionen und Mythen den veränderten Verhältnissen entsprechend zu redigieren und umzudeuten.
10. Lieber seine alten Kleider flicken als neue borgen Vorrechte werden in traditionellen Gesellschaften gemeinhin durch Anciennität legitimiert, ein Kriterium, das auch in Tenkodogo sinnstiftend eingesetzt wird. Sollten die Fakten dem – wie es nicht selten der 125
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Fall ist – widersprechen, führt man bevorzugt einen freiwilligen Amtsverzicht ins Feld, den ein älterer zugunsten eines jüngeren »Bruders« leistete. Auf diesen Topos greifen viele der heutigen Amtsinhaber, vom einfachen Dorfoberhaupt bis zum König, zurück, um einen nachweislich erfolgten Machtwechsel retrospektiv zu erklären. Wenn Menschen ohne verwandtschaftliche Bindungen eine zwangsweise Schicksalsgemeinschaft bilden, spielt bei der Neuorganisation die »Gebrüder-Fiktion« oft eine wichtige Rolle.84 Unter der Oberfläche dieser veränderten Machtverhältnisse führen Vertreter älterer Linien auch weiterhin die eigentlichen Initialriten durch, bevor der Tenkodogo-Naba in dieser Funktion in Erscheinung tritt. Eine wichtige Rolle spielen dabei zwei Älteste (kasemdamba), von denen der eine einem Klan angehört, der – genereller Auffassung nach – zuvor die Macht innehatte und wohl deshalb den älteren HerrscherNamen Ouedraogo trägt.85 Die Ouedraogo verloren der Überlieferung nach ihren Thronanspruch, weil sie Tenkodogo verlassen hatten und ins Mosi-Reich Yatenga gezogen waren. Bei ihrer Rückkehr mußten sie feststellen, daß inzwischen andere ihren Platz eingenommen hatten. Daraufhin wollten sie weiterziehen und ließen sich nur zum Bleiben bewegen, als man ihnen das Ehrenamt eines »Ältesten« (kasma) antrug. Seither wirkt der Keog-Naba – in Zusammenarbeit mit den Vertretern vier gleichfalls älterer Klane – als Königsmacher.86 Der Vorgänger des amtierenden Keog-Naba begründete noch kurz vor seinem Tod den Machtverlust seiner Familie mit der Alternativversion, daß es Ouedraogo, der »Vater« selbst, war, der seinem Nachkommen das Thronrecht entzog: »Als Ouedraogo 99 Jahre geherrscht hatte, wurde sein Sohn Tiim87 ungeduldig. Er wollte nicht länger warten und stülpte sich eine Maske über den Kopf. Doch anstatt darüber zu Tode zu erschrecken und die Macht abzutreten, verbannte der Alte den Jungen nach Keogo.«88 Die quasi-familiäre Beziehung zwischen verschiedenen Chefs, die als Brüder oder Vater und Sohn ausgegeben werden, dient auch hier als Metapher, wenn der Verdacht auf (erzwungene) Ablösung besteht.
11. Mit fremden Ochsen ist gut pflügen Handel und Krieg hatten zahlreiche Fremde in die Region gebracht, deren Nachfahren größtenteils bei Hof erstaunliche Privilegien genießen. Vorausetzung dafür war, daß man zu ihnen Heiratsbeziehungen einging, die den König verpflichteten, Frauen aus den betreffenden Häusern zu ehelichen. Andererseits verheirateten die Chefs selbst ihre 126
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Töchter bevorzugt mit Muslimen, die so an den Hof gebunden wurden: Verwandtschafts- und Gefolgschaftsbande gingen Hand in Hand. Die Mosi-Edlen belohnten Bündnistreue mit der Vergabe von Ämtern, ein System, das soziale Mobilität bis hinauf zum Verdienstadel zuließ und selbst Sklaven nicht ausschloß. Das politische Bündnisnetz spiegelt sich sichtbar in der offiziellen Sitzeverteilung bei Hof wieder. Noch heute bilden die Verbündeten einen undurchdringlichen Ring um den König, der im Zentrum – wie gefangen in einem Netz eherner Bräuche und Traditionen – seinen Sitz hat. Die Auftritte Naba Tigrés, bei denen die höfischen Würdenträger den König wie Satelliten die Sonne umkreisen89, sind indes nur mehr der Abglanz einer einst bis ins kleinste Detail hinein ausgefeilten Protokollordnung. Der Dapor- und der Samand-Naba bilden dabei – gleich Nebensonnen – mit dem König ein Dreigestirn. Bis zum Bruch mit dem Samand-Naba waren die Vertreter der südlichen und nördlichen Reichshälfte, zumindest theoretisch, an allen Entscheidungen mitbeteiligt. Doch während der Dapor-Naba das nahezu uneingeschränkte Vertrauen Naba Tigrés besaß, herrschten bei Hof stets Zweifel an der Zuverlässigkeit des Vertreters der Bisa, ausgedrückt etwa in Behauptungen wie: »Les Bisa ne tardent pas à trahir. Il ne leurs faut jamais donner confiance, ils te tuent, c’est leur sang! Aucun n’a jamais fait confiance à un Kéré.« Bildlich gesprochen, haben die Machtverhältnisse in Tenkodogo mehr Ähnlichkeit mit dem Nacht- als mit dem Tageshimmel. Das liegt nicht nur an dem »kimmerischen Dunkel«, das die frühe Reichsgeschichte umgibt, sondern mehr daran, daß der König – im Gegensatz zur Sonne – das Firmament nicht allein beherrscht. Insofern gleicht er eher dem Mond90, dem größten, aber nicht einzigen leuchtenden Himmelskörper bei Nacht. Dennoch müssen die anderen seine größere Strahlkraft anerkennen. Und vor allem der Samand-Naba, der »Abendstern« an seiner Seite91, hätte sich davor hüten sollen, »heller als er glänzen zu wollen«.92
12. Verdienste sind die besten Ahnen Nach dem Ende der Kolonialzeit ergab sich für die Chefs verstärkt das Problem, ihren Hoheitsanspruch plausibel zu begründen. Für die Führungsschicht von Tenkodogo bedeutete das zuerst, alles, was in der Kolonialzeit »zu Bruch gegangen« war, möglichst so zusammenzufügen, daß es zumindest den Anschein von Kohärenz zurückgewann. Die Vergangenheit wurde »geglättet«, der Ursprungsmythos der Mosi 127
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rückte als integrierende Achse der Identität in den Mittelpunkt der Sinnkonstituierung – ein historisch probates Rezept: der Rückbezug auf eine möglichst ungebrochene, bis in die Frühzeit zurückreichende Geschichte. Was erfolgreich die Jahrhunderte überdauerte, darf als bewährt und insofern mit gutem Grund auch als richtig (im Sinne von rechtmäßig) gelten.
13. Du weißt, wer du bist, woher du kommst, wohin du gehst Sinn wird gerade in präliteraten Gesellschaften durch die mündliche Überlieferung, durch Narration, gebildet. Das schafft identitätsstärkende »sekundäre Kohärenzfiktionen«, die, in der Erinnerung lebendig erhalten, den Orientierungsrahmen für Alltag und Dasein liefern.93 Im Zentrum der höfischen Erzähltradition steht übermächtig der Ursprungsmythos, dessen stete Repetition das Wir-Gefühl stärkt und ihm Sinn verleiht. Er schildert die Einwanderung des königlichen Klans, repräsentiert durch seine Ahnherrin Yennenga. Alles weitere Geschehen baut auf ihrer und ihrer Familie Geschichte auf. Landesweit als generalized tradition anerkannt, wird der Mythos von allen Fraktionen erzählt, wenn auch häufig mit signifikanten Abweichungen. Wie üblich kommt der Akzeptanz die weitgehend einheitliche Ursprungsphase mit ihrem überschaubaren Kreis an Helden entgegen, während alles spätere Geschehen in diffundierende Differenzierung übergeht. Doch nicht nur die herrschende Dynastie führt ihren Ursprung in direkter Linie auf Yennenga, die »Prinzessin« aus Gambaga, zurück, auch die Yaanse leiten ihre Abstammung – allerdings in patrilinearer Deszendenzfolge – von einem Chef aus Gambaga ab. Die Bisa, die ihre politische Struktur von den Mosi übernahmen, führen sich auf Riâle, den Mann an Yennengas Seite und Vater von Ouedraogo, den ersten Moaga, zurück.94 In die Abstammungsgemeinschaft aufgenommen wurden auch die Gulmanceba. Sie figurieren im Mythos als Nachkommen eines »Bruders« von Ouedraogo.95 Diejenigen, die ihre Abstammung nicht auf eine bekannte Heldenfigur zurückführen können (oder wollen), ordnen ihre Vorfahren dem Personenkreis zu, der zusammen mit Yennenga Gambaga verließ. Das gilt vor allem für die den Salzhandel beherrschenden einflußreichen Gambag-Yarse, die ihre Privilegien mit ihrer frühen Anbindung an das Königshaus begründen.96 Die Tatsache, daß viele der in das höfische Leben eingebundenen Familien die im 19. Jahrhundert überregional berühmte Marktstadt 128
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Gambaga als Ausgangspunkt oder wichtige Station ihrer Wanderung nennen, zeigt die übermächtige Bedeutung des Handels und der Händler zur damaligen Zeit. Auch Tenkodogo geht auf eine Marktgründung zurück: »Als Naba Sigri97 am Ort Yellehin den Grundstein für die neue Stadt legte, klopfte sein Mitstreiter, ein Pullo, mit seinem Stock auf die Erde und sagte: ›Hier ist Tenkodogo‹!«98
14. Der neue mokiert sich nicht über den alten Topf Die Abweichungen in der Überlieferung lassen den Kohärenzanspruch nicht nur tönern erscheinen; manche entlarven ihn als pure Fiktion. Ihnen zufolge stehen erbitterte Machtkämpfe am Beginn der Reichsgeschichte. Typisch ist ein Konflikt, der sich wie ein Ariadne-Faden durch die Dynastiegeschichte zieht und spätere Differenzen gleichsam antizipiert. Streit brach aus um das Messer, manchmal auch das Schwert oder den Säbel, eines mythischen Ahnen.99 Im Unterschied zu den Sagen klassischer frühagrarischer Gesellschaften, die Lineagespaltungen oft durch die Metapher eines alten Baumes ausdrücken, von dem sich ein Zweig löst, um anderenorts neue Wurzeln zu schlagen, handelt es sich bei Messer, Säbel und Schwert um (Parade-)Waffen und Herrscherinsignien. Sie stehen für Kriegertum, Gewalt und soziale Stratifikation. Im besagten Fall handelt es sich um den Konflikt zwischen einem älteren und seinem jüngeren »Bruder« aus Kinzim im Yana-Land (=Yanga).100 Während der ältere von beiden, Bondaogo101, mit dem Messer auf der einen Seite des Sabelgho (=Sabéyoro?102) zurückblieb, überschritt der jüngere und als intelligenter geltende Kimbgo103 mit der Scheide den Fluß und gründete ein neues Reich. Ob es sich dabei, wie es in Tenkodogo heißt, um Oueloguen104, das heute zum Bisa-Kanton Loanga gehört, oder, wie in Lalgaye, dem Nachfolgereich von Kinzim, behauptet wird, um das 20 km östlich von Tenkodogo gelegene Tenoguen handelte, ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Wichtig ist jedoch, daß die Scheide oder Klingenhülle in den Besitz des Tenkodogo-Naba überging und ihm künftig als Legitimitätsausweis seines Machtanspruchs diente.105 Das Messer Bondaogos stak nach seinem Tod in dem Affenbrotbaum (Baobab), der sein Grab beschirmte. Als dieser fiel, verschwand es und irrt seither herrenlos durch den Busch106 – ein Bild dafür, daß jene ältere Dynastie (oder jene frühe Händlergruppe, die mit ihren Eseln durch das Land zog) ihre Macht verlor. Doch auch Oueloguen107 büßte seine Vorrangstellung ein. An seine Stelle trat ein Herrscherhaus, das – wie bereits mehrfach betont 129
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– mit der Begründung seines Machtanspruchs ein echtes Problem hat. Da sich die im Tenkodogo-Naba verkörperte Macht auf verschiedene Bevölkerungsgruppen stützt, existiert eine entsprechende Anzahl älterer Linien mit älteren Ansprüchen. Angebliche Herrscher, die in der Genealogie nacheinander aufgelistet sind, lebten oft nicht nur gleichzeitig, sie waren auch von ebenbürtigem Rang, was dadurch zum Ausdruck gebracht wird, daß man ihre Reiche als »gleich groß« bezeichnet. Zwei »Könige« gelten sogar als »Zwillinge«108, so daß ihr Nachfolger109, »um die Thronfolge ein- für allemal festzulegen und allen Bruderkämpfen ein Ende zu bereiten«, eine wirkmächtige »Medizin« vergraben ließ. Diese vermochte es zwar nicht, Doppelgeburten im Königshaus zu verhindern, bewirkte jedoch, daß von künftigen Zwillingen nur jeweils einer überlebte. Die mit den Söhnen rivalisierenden Onkel hatte bereits der Markt- und Stadtgründer Sigri ausgeschaltet, indem er die Primogenitur zur allein gültigen Nachfolgeregel erhob.
15. Der Mann ist des Mannes Tod, die Frau sein Leben Konfliktreich gestaltete sich auch das Verhältnis zwischen affinalen Verwandten. Ein beliebte Rolle spielt in den Erzählungen das »DelilaMotiv«. Militärische Niederlagen, Machtverlust und Dynastiewechsel werden in den Überlieferungen bevorzugt mit dem Verrat einer Frau begründet. Obwohl die Herrscher-Geschichte offiziell mit dem Moaga Zoungrana beginnt, nennt die Genealogie im gleichen Passus einen »Prinzen«, der aus dem Yana-Land kam und seine Macht von Ouargaye bis nach Sela110 hin ausdehnte. Die Lehmziegel für das »Haus«, das sich der »Prinz« Bosomborgo111, die »schöne, aber harmlose Schlange«, in Sela errichtete, stammten aus einer Grube, die damals zu Lalgaye und heute zu Dourtenga gehört.112 Gleich Glied um Glied einer Kette aufgereiht, ließ er Männer und Frauen die Lehmziegel bis nach Sela schaffen. Die Bevölkerung litt unter der okroyierten Fron, während Bosomborgo weiterhin seine Kämpfe führte. Nach jedem Sieg warf der scheinbar unschlagbare Krieger ein Baumwollband in die Luft, über das er dann in den Himmel aufstieg. Endlich riet ein Wahrsager, man solle eine verführerische Frau damit betrauen, diesem »Teufel in Menschengestalt« das Geheimnis seines Kriegsglücks zu entlocken.113 Als das gelungen war, bestieg Bosomborgo mit seinem Pferd – wie oft zuvor – den Baobab, um sich in den Himmel zu erheben, doch dieses Mal kehrte er nicht wieder zurück.114 Die Geschichten um Bosomborgo besitzen eine gewisse Ähnlich130
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keit mit denen, die auch von Naba Abga erzählt werden. Abga115 gilt wie Bosomborgo als »Fremder«, der ohne Familie und Gefolgschaft gleichsam aus dem Nichts erscheint und deshalb den Beinamen Kangilega erhielt, »er kam und nahm Gestalt an«.116 Dieser Naba, der seinen Aufstieg »persönlichen Qualitäten und einem gesunden Opportunismus verdankte«, war kein Moaga, sondern »das Kind einer Frau, die unter den Mosi lebte« (bemossem biga Abga117). Manche sagen, er habe seine Karriere als Steuereinzieher begonnen und sei eingesetzt worden, als der frühere Chef Karongo »mit Ouagadougou« paktierte.118 Doch auch Naba Abga, der, wie es heißt, »le plus cruel de tous« war, nahm ein ruhmloses Ende. Einigen zufolge wurde er von einer Frau in eine Falle gelockt, nach anderen stieg er – wie Bosomborgo – auf einen Baobab und warf ein Baumwollband in die Luft. Als eine Frau darauf drängte, das Band zu durchtrennen, kehrte er nicht wieder zurück.119
16. Je älter der Adel, desto morscher der Baum Elefant, Geier und Baobab gelten als »die ältesten Geschöpfe«.120 Der vielseitig nutzbare, tief im Boden verwurzelte Baobab gilt als »Greis« oder »Elefant«121 unter den Bäumen und erfreut sich bei der Savannenbevölkerung hoher Wertschätzung. Ein besonders enges Verhältnis zum Baobab sagt man den Fulbe nach, die in seinem Schatten bevorzugt ihr Lager aufschlagen. Das drückt sich auch in der Verbindung zwischen dem Haus des Pullo Gédé122 und einem Baobab (nab- oder geltoega) hinter der königlichen Residenz aus, der – wie der Baobab in Sela – als Erd-Heiligtum (tengande) Verehrung erfährt. Er steht im Zentrum des ersten königlichen Ritualfeldes (gelin), auf dem die rote Hirse für die Ahnenopfer angebaut und das als einziges Feld durchgehend natürlich (mit Dung) gedüngt wird. Ansonsten werden nur ausgelaugte Felder den Fulbe-Nomaden zugewiesen, damit sie darauf ihre Herden weiden und der Boden sich regenerieren kann. Wenn der Baobab, wie man glaubt, nachts Menschen- beziehungsweise Frauengestalt annimmt123, verwandelt er sich nicht wie andere Bäume in eine beliebige, sondern in eine Fulbe-Frau. Die enge Beziehung zwischen dem »steinalten« Baobab und den Hirten dürfte als Indiz dafür gelten, daß die Fulbe mehr als vermutet in die Herrschafts-Geschichte verwickelt sind.124
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17. Ein alter Rücken krümmt sich Wie häufig in Afrika wird auch in Tenkodogo Geschichte in soziale Abhängigkeitsverhältnisse übersetzt: Wie ein Ehemann seiner Frau im Haus den Platz hinter sich zuweist, nimmt der militärisch Stärkere die führende Machtposition ein.125 Die Verlierer wurden vertrieben oder akzeptierten ihre Zurücksetzung. Wohl nicht nur unter den Mamprusi herrschte daneben der Usus, daß Muslime den Chef (Nayiri) mit Nsiri (»Ehemann«) anredeten, während sie selbst bisweilen als Na-Pwaaba (»Frau des Naba«) tituliert wurden.126 Diese fiktional-affinale Verwandtschaft beugte politischen Rivalitäten vor und verlieh dem Abhängigkeitsverhältnis, das zwischen Muslimen und politischen Chefs besteht, symbolisch einen versöhnlichen Ausdruck. Auch in der Kolonialzeit, als neue »Herren« ins Land kamen, hielt man an der Metapher fest, was sich auch in der Ohnmachtserklärung des Herrschers von Bamum ausdrückt: »Ich, König Nzueya, bin wie eine Frau, und ihr, die Weißen, seid wie Männer. Was kann ich anderes tun als gehorchen?«127 Noch heute hat der Tenkodogo-Naba nicht nur viele angetraute, sondern auch klassifikatorische, das heißt männliche »Ehefrauen« von unterschiedlichem Rang. Bei Hof wie in den Familien betraut man ältere und deshalb als vertrauenswürdiger befundene Frauen mit besonders heiklen Aufgaben. Dazu zählen etwa die Überwachung der »echten« Ehefrauen, die in die Zuständigkeit des Poes-Naba128, der ältesten »Frau« des Königs, fällt und die Obhut des naam-tibo, die Sache des Baloum-Naba, des Hof- und Zeremonienmeisters, ist. »Frauen« des Königs sind auch der Zoukoug-, Zak- und Bind-Naba, die Sorge für das königliche Paradekissen, den Haushalt und die höfische Chronikführung tragen. Die Position der »ersten« – das heißt ranghöchsten – »Frau« hat der Dapor-Naba, der Verwalter der nördlichen Reichshälfte, inne – ein wesentlicher Grund dafür, daß er für das Königshaus keine Bedrohung darstellt. Bei den Chefs der Kantone und anderen Höflingen, darunter vor allem dem Samand-Naba, blieb demgegenüber der Männer-Status gewahrt, was sie für den König zu potentiellen Konkurrenten macht. Dennoch gelten die meisten als »ungefährlich«: Sie teilen mit dem Tenkodogo-Naba »ein Geheimnis, da sie über dem gleichen Fetisch opfern«. Unter Personen, bei denen keine Abstammungsverwandtschaft besteht, bedarf es eines rituellen Pendants zur »Verbrüderung« untereinander, das ihnen verbietet, Verrat zu üben. Dennoch ist ein gesundes Mißtrauen, vor allem was den Samand-Naba angeht, durchaus angebracht. Hingegen gilt der Ouéguéd-Naba als der zuverlässigste 132
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unter den Kantonchefs. Er steht dem Königshaus nicht nur räumlich auffallend nahe129, sondern teilt mit dem Tenkodogo-Naba auch die gleiche Abkunft.130
18. Wie das Haupt, so die Glieder Machtwechsel hatten immer auch Veränderungen in der höfischen Hierarchie zur Folge; zahlreiche Ämter gingen, teils mehrfach, an andere Linien. Der Abneigung wegen, Brüche in der dynastischen Folge einzugestehen, muß für jeden Fall, der von der unmittelbaren Erbfolge abweicht, eine plausible Erklärung gefunden werden. Häufig wird als Grund dafür mangelnde Loyalität angeführt. So ging das Amt des Dapor-Naba an eine andere Linie, weil ein »Sohn« bei den Auseinandersetzungen in der Region die Seite von Bagande, des angeblichen Gegners von Karongo, ergriff. Unter Naba Koom (1908-1933) wechselte das Amt des Chef-Trommlers, weil der »alte« Bind-Naba die Allmacht des Königs in Frage stellte, indem er ihn zwar als Herrn über die Stadt rühmte, dem »Löwen« aber weiterhin die Herrschaft über den Busch zuerkannte. Damals erhielten ehemalige Sklaven wichtige Ämter übertragen. In vorkolonialer Zeit, als Sklaven noch ein übliches Handelsgut darstellten, hatte ein Tenkodogo-Naba sechs Männer erworben131, die in ihrer Heimat als Tänzer und Sänger auftraten. Fortan ersetzte ihnen der Samand-Naba die verlorengegangene Familie. Doch wußten die Fremden schon bald die Sanduhrtrommel (lunga) weitaus kunstvoller als der bisherige Amtsinhaber zu schlagen.132 Den Tod dieser Schmach vorziehend, erhängte sich der Lung-Naba mit all seinen »Brüdern«, und der König bestimmte einen der Sklaven zu seinem Nachfolger.133 In vielen für Außenstehende ungereimt bis unsinnig erscheinenden Geschichten klingen konkrete Konflikte an, und tatsächlich machen Erinnerungen an gewonnene wie zerronnene Macht den Kern des Korpus der oralen Überlieferungen aus. Die Diskrepanz der lokalen Binnenperspektive und dem aus Gründen der Staatsräson alles überwölbenden Geschichtsbewußtsein ist typisch für stratifizierte Gesellschaften und erklärt manchen Widerspruch in der oralen Tradition. Stereotyp wiederholte, scheinbar historisch bezugslose und – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – lückenhaft und kodiert vorgetragene Geschichten gewinnen erst Sinn, wenn es gelingt, sie wie Puzzleteile einem zugrunde liegenden Muster zuzuordnen. Dafür bedarf es einer detaillierten Kenntnis sowohl der verschiedenen Familiengeschichten als auch der überregionalen politischen Ereignisse der vor- und frühkolonialen Zeit. 133
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19. Zu viele Bäume, um den Wald zu sehen Jede Familie tradiert in der Regel nur ihre eigene Geschichte, die selten über drei Generationen zurückreicht. Ihre verschiedenen, oft miteinander rivalisierenden Überlieferungsversionen haben die Barden zu einer stimmigen Genealogie verwoben. Bei Hof existiert neben der »freien« eine standardisierte, hochentwickelte und streng institutionalisierte Genealogie, mit der die gegenwärtige an frühere Herrschergenerationen anknüpft. Ihre Funktion besteht primär darin, Position, Autorität und Machtanspruch des amtierenden Herrschers durch die Fiktion ungebrochener Kontinuität zu legitimieren. Mit der Nennung seiner Ahnen partizipiert der König am Ende der Reihe an ihrem Ruhm, ihre Taten mahnen und ermutigen ihn, es ihnen gleichzutun134 – so jedenfalls die offizielle Maxime. Die Bezugnahme auf Ahnen, die erwiesenermaßen sehr unterschiedlicher Abstammung und Herkunft sind, ist zugleich eine Apologie für den uneingeschränkten Herrschaftsanspruch einer Dynastie auf die gesamte Region.135 In Tenkodogo tragen professionelle Musiker an jedem Freitag (dem Tag des salam), der Cheftrommler (Bind-Naba) an jedem dritten, dem »Großen Freitag« (arzuma kasenga), der immer mit einem Markttag zusammenfällt, an ihrem Platz hinten im zaande die königliche Genealogie öffentlich vor. Die Barden verfügen nicht nur über intime Kenntnisse der Geschichte, sondern auch der an sich wohlgehüteten Staatsgeheimnisse. Mit dem singre (Anfang) wollen sie den Nachweis dafür erbringen, daß die 27 – mit dem im Jahr 2001 verstorbenen Naba Tigré 28 – getrommelten Chefs von den Heroen der Ursprungsmythe abstammen und deshalb rechtmäßige Machthaber waren. Die Vergangenheit zur Begründung der Gegenwart synoptisch glättend, schufen die Hofchronisten eine linear kontinuierliche Genealogie, die Herrschernamen wie Perlen auf einer Schnur hintereinanderreiht und den Anschein erweckt, als reiche das Geschehen der letzten 100 bis 200 Jahre gleichförmig bis tief in die Vergangenheit zurück. Unter diesem Aspekt ist das singre eine Apologie für den unanfechtbaren, dauerhaften Dominanzanspruch der Dynastie. Doch ist dies nur die augenfälligste von mehreren, in der Genealogie ineinanderverschobenen Sinnebenen. Der Aufzählung der Ahnen geht die Bitte um Verzeihung – daher wird das singre auch kabsgo, »Entschuldigung«, genannt – voraus, die sich an bestimmte Personen, Gruppen und Kräfte (tengama und naam-tibo) richtet und Versöhnung stiften soll. Zwischen die einzelnen Abschnitte sind Wunschformeln eingeschoben, mit denen die Musiker das lange Leben und die glückliche Regierungszeit des gegenwärtigen Amtsinhabers beschwören. 134
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Die chronologische Aufbaustruktur der Genealogie täuscht Linearität, Kontinuität und Anciennität vor. Die höfischen Barden schichten bei ihrer kunstvollen Geschichtssynthese »Könige« wie Bausteine übereinander und lassen die Vergangenheit wiederauferstehen, indem sie die Namen Verstorbener nennen, die man im Alltag nicht ungestraft ausspricht. Nach einer eher flüchtigen Erwähnung der mythischen Ahnen jagt gleichsam ein Name den nächsten. Es entsteht der Eindruck großer zeitlicher Tiefe, bewußt mit in der Absicht, den Anschein zu erwecken, daß die Gründung des Tenkodogo-Reiches kurz nach dem Jahr 1000 erfolgte. Bei diesem »Marathon« bleiben einzelne Machthaber denkbar »blaß«, andere bringen selbst die Ältesten (kasemdamba) immer wieder durcheinander. Sind sie unsicher, ob ein König Malka oder Salma, Lamoussa oder Nitmiugu hieß, nennen sie ihn einfach »Bondo«, »Dingsda«. Fragt man nach, erhält man in der Regel die lapidare Antwort: »C’est tout la même chose.« Bei weiterem Insistieren wird dieses »heillose« Durcheinander damit erklärt, daß jeder König viele, und viele Könige identische Namen tragen. Ein künftiger Herrscher legt bei seiner Inthronisation mit seiner früheren Persönlichkeit auch seinen bisherigen Namen ab. Dafür erhält er sieben Kriegsnamen (zab-yuya), von denen jeder aus einem Satz oder einer Devise besteht, die sich jeweils wiederum in mehrere Segmente zerlegen läßt. So besitzt jeder König eine Unzahl von Namen, und nur, wer alle Devisen kennt, vermag dem singre zu folgen. Ein Beispiel für ein solchermaßen gelungenes Verwirrspiel ist Naba Guigempolle. Der »kleine Löwe« war »fast noch ein Kind«, als er mit Unterstützung des Samand-Naba auf den Thron kam; und da ihm ein langes Leben vergönnt war, regierte er insgesamt 99 Jahre. Er kommt damit dem ebenso hochbetagten Ouedraogo gleich, was Zweifel weckt, ob es sich bei beiden um historische Personen handelte. Wahrscheinlich ist, daß mit vielen Ahnen keine Könige im eigentlichen Sinn, sondern wichtige Ereignisse gemeint sind, die den nachfolgenden Verlauf der Geschichte bestimmten. Diese protodynastischen Ahnen erfüllen die Sinnfunktion von Übergangsfiguren, die zwischen der mythischen Zeit und historischen Begebenheiten vermitteln.136 Eine solch vielschichtige Figur137 ist auch Bagande, der Gegenspieler Naba Karongos. Bagande war kein König, sondern ein Prinz, der das Land mit Krieg überzog, nachdem Naba Sanema den Leichnam seines – angeblich wegen zahlreicher Liebschaften mit den Frauen seiner »Minister« – abgesetzten Vaters, Naba Yamweogo, aus Garango zurückgeholt hatte. Nun ist Baghende der Name eines sogenannten »zweihäusigen« (bot. diözischen), vielseitig verwendbaren Strauches. Aus den Blättern des »männlichen« Strauches (baghen daga, Bauhinia 135
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reticulata) wird ein säuerlicher Saft gewonnen, der den Hirsebrei haltbar macht; aus den Rindenfasern lassen sich Matten und Seile herstellen, aus den jungen Blättern ein Heilmittel zur Wundbehandlung. Mit den Blättern des »weiblichen« Strauches (baghen nyaga, Bauhinia Thoningii), die ein größeres Format besitzen, umwickelt man Bohnen- und Hirseklößchen – ein beliebtes Gericht.138 Der Strauch ist also außerordentlich nützlich, und das erklärt, warum der genannte Prinz am Hof, wo viele Würdenträger ihm ihre heutige Stellung verdanken, Bagande genannt wird. In der Bevölkerung trägt Bagande indes häufig andere Namen; eher neutral wird er Yellesida (»die Geschichte ist wahr«), meist aber Lébré-, Ledghe- oder Leukbundu genannt. Leuk lautet im französischen Argot die Bezeichnung für den als außerordentlich intelligent und trickreich geltenden Hasen, bundu nennt man eine kleine Pflanze (Ceratotheca sesamoides), aus deren Blättern sich eine klebrige Flüssigkeit gewinnen läßt, mit der Saucen versetzt, Hausböden geglättet und Kettfäden geschlichtet werden. Seltener ist der Name Elias, den »die Araber« Bagande gegeben haben sollen, wahrscheinlich in Anspielung auf den vergeblichen Kampf, den Elias – einer islamischen Legende nach – gegen die Ungläubigen führte (gemeint waren die dem Baal-Dienst verfallenen Israeliten), die sich auch durch die dem Propheten von Gott verliehene Macht über den Regen nicht bekehren lassen wollten.139 Daran schließt sich wieder eine Reihe weiterer Bedeutungsfelder an: Bagande ist auch Sakande, die »Lanze des Himmels oder Regens«, ebenfalls Bakande, der »Vater der Kalebasse«, oder Zakane, eine Gruppe von Tirailleurs Sénégalais, die mit der französischen Kolonialarmee ins Land kamen.
20. Diese Geschichte hat einen langen Bart Die große Zahl von Bildern aus dem Tier- und Pflanzenreich, die kulturelle Bezüge bestimmter Personen oder Gruppen zu historischen Ereignissen herstellen und deren jedes eine Vielfalt sinnträchtiger Deutungsmöglichkeiten beinhaltet, stiften erhebliche Verwirrung. Unter den großen Tieren des Waldlandes kommt dem Elefanten (wobgo) die uneingeschränkte Priorität zu. Der gewichtige Koloß weiß sich bis zuletzt zu verteidigen: »Egal, ob er zufrieden oder unzufrieden ist, seine Stoßzähne zeigen immer nach außen.« Weise und vorausschauend, setzt er seine Stärke nicht dazu ein, anderen zu schaden – und entspricht damit dem Ideal des rechtmäßigen Königs.140 Einen zweiten, eher furchterregenden Aspekt des Königtums verkörpert der Löwe, der Herr der Savanne. Auch er tritt majestätisch, 136
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dabei aber skrupellos auf. Unkontrolliert, machthungrig und gierig, ist er zuerst auf den eigenen Vorteil bedacht. Zu den mit der Chefferie assoziierten Tieren gehören außerdem Panther, Nashornvogel und Haubenadler. Von ihren Rivalitäten profitieren die Hyänen – Speichellecker, Intriganten und Verräter. Unter verschiedenen Bezeichnungen auftretend, stiften diese von Eigennutz getriebenen Tiere Unfrieden und spielen verschiedene Parteien gegeneinander aus. Nur in einem Fall symbolisiert eine Hyäne die Macht, ansonsten repräsentiert sie – ebenso wie der Geier – jene, die in Abhängigkeit leben.141 Immer scharen sich um die großen zahllose kleinere Tiere, die gutgläubigen Perlhühner, harmlose wie todbringende Schlangen, der Maulwurf und das Chamäleon. Wer oder was sich genau hinter diesen Anspielungen verbirgt, bleibt das Geheimnis weniger Eingeweihter. Auffällig allerdings ist das Fehlen des Hasen, jener Tricksterfigur, die in vielen westafrikanischen Erzählungen den Chef hinters Licht führt. Gleichwohl ist ein Stück Hasenfell Teil des naam-tibo, und weder der Königsfamilie noch den höfischen Würdenträgern, Dienern und Kantonchefs ist es erlaubt, Hasenfleisch zu essen. Wer das Tabu versehentlich bricht, darf nicht mehr von dem Hirsebier mittrinken, das für die Ahnen bestimmt ist. Gegenüber den Tieren treten Pflanzen überwiegend vergesellschaftet auf. Insofern stehen sie mehr für Gruppen oder Familien. Seit alters gediehen Okra, Bohnen und Hirsen nebeneinander auf ein und demselben Feld. Und trotz aller Bedrohung durch Unkraut – oder wild wachsende Pflanzen – erreichten sie meist die Reife; die einen früher, die anderen später. Zu diesen einheimischen Pflanzen kamen zwei fremde Arten (races) hinzu, die nicht dem eigenen Boden entstammen, sondern einer doppelbauchigen Kalebasse entstiegen. Sie führte Naba Malka (vgl. semit. melek, malka, malek usw., »Segen«, »Engel«, »König«)142 in die Region ein, ursprünglich ein junger, glatthäutiger Mann143, dem heute »ein langer Bart gewachsen ist«.144
21. Besser viel wissen als viel reden Um gedeihen zu können, brauchen die Pflanzen genügend Wasser, wie es fließend und springend den singre durchzieht: in Herrschernamen wie Koom (»Wasser«), Bulga (»Quelle«) – als Wasser, das aus der Erde kommt – und anderen wie Saaga (»Himmel als Regenspender«), Saluka (»Regen, der fällt, ohne sich vorher durch Donner anzukündigen«, auch »Wolke, die sich beim Vorüberziehen entlädt«) oder Sapillem (»Hagelschlag«), das heißt Wasser, das sich »von oben herab« 137
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über das Land ergießt. Mit solch »himmlischem« Wasser beginnt nicht nur die Regenzeit oder Aussaat (sigri), es bringt auch den »Regenzeitfluß« (kulga) zum Anschwellen. Wollte man früher einen Chef kritisieren, sagte man: »Regen ist im Anzug« (saa kui me bzw. sigi kui me), was ausdrücken sollte, daß ungute Ereignisse bevorstanden. Wasser ist eine Metapher von unerschöpflicher Deutungsbreite. Ähnlich verhält es sich mit »Berg« (tanga). Tanga lautet der Thronname Karongos, jenes Herrschers, der die Unterstützung Voulets gewann. Bei Nennung dieses angeblich ersten Tenkodogo-Naba, der sich mit dem »Colon« arrangierte, heißt es: »Y yaab la a karong nong genebo«145, bei Kawada übersetzt mit »Euer Ahn ›Pfeilspitze‹ (= karongo146) liebt die Vergiftung«, was aber auch bedeuten könnte: »Karongo liebt den Verrückten« (karong nong gemdo), eine Variante, die keineswegs der Grundlage entbehrt, da sie auf die Allianz zwischen Karongo und Voulet anspielen könnte, dessen Verhalten in der oralen Tradition immer wieder als »irrational« geschildert wird, weshalb man ihn auch den »lieutenant fou« (yetinn ghiengha147) nennt. Ähnliches wäre denkbar für die Abwandlung von tankubse soab a karongo, »Karongo, Herr des eminenten Berges« in tankum soab a karongo, »Karongo, Herr der Sklaven- oder Zwangsarbeit«, eine Umdeutung, die für die vor- beziehungsweise frühkoloniale Zeit durchaus Sinn macht.148 Derartige Modulationen sind durchaus beabsichtigt und wohl darauf zurückzuführen, daß die Chronisten, um empfindliche Informationen zu schützen, ihre Texte kodierten und namentlich wichtige Schlüsselbegriffe verklausulierten. Um den Text des singre dekodieren und begreifen, das heißt seine Sinnhaftigkeit verstehen zu können, müssen wir ihn historisieren. Erst dann wird deutlich, daß seine Symbole, Metaphern und Allegorien nicht nur auf einem reichen, der natürlichen und sozialen Umwelt entnommenen Wissensschatz aufbauen, sondern auch einem apokryphen, verdeckt fortgeführten historischen Diskurs aus Fiktion und Ereignisgeschichte entsprechen.149 Die Metaphorik und Vielschichtigkeit der Bedeutungsfelder lassen das nur spurenweise an die Oberfläche dringen und erlauben es selbst erfahrenen Exegeten nicht, alle im singre enthaltenen Botschaften zu entschlüsseln. Die bedachte Verschleierung und Mehrdeutigkeit der Textur schließt einhellige Festlegungen aus; die Chronisten zeichnen ein den vielfältigen sozialen Beziehungen adäquates facettenreiches Bild, weshalb jede Deutung ebenso wahr wie falsch sein kann.
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22. Mit Stärkeren ist schlecht streiten Der König genoß Respekt und Ehrerbietung. Die Majestät jedoch, die er verkörperte, speiste sich aus anderer Quelle: Der Tenkodogo-Naba galt (und gilt) als Träger einer ganz besonderen, spirituellen Kraft, die (idealiter) vom ersten Amtsinhaber in ungebrochenem Strom auf ihn überging, mit den Ahnen verband, seine Macht zutiefst begründete und über die Zeiten hin aufrechterhielt. Die Tatsache, daß der Streit um den naam-tibo150 in den oralen Traditionen eine dominante Rolle spielt, zeigt, daß »dieses irrationale Machtmittel mehr als alles andere zählte.«151 Weder die kolonialen noch spätere revolutionäre Umwälzungen vermochten dieses »Argument« zu erschüttern, das selbst noch seine Kraft behielt, als der eingangs beschriebene Konflikt einen politisch bereits ohnmächtigen König vollends in die Isolation getrieben hatte. Berufen sich andere Gruppen auf ihre seit alters bestehende Bindung an die Erde, steht nach der Ideologie der Mosi-Eroberer am Beginn ihrer Geschichte das naam, »die Macht« oder »der Wille zu herrschen«, verkörpert in jedem Naba als Träger dieser Kraftquelle. Das naam besitzt seinen Ursprung im wend-naam, einem himmlischen Prinzip, das als Naba Wende mit der Sonne identifiziert wird.152 Als göttlicher Funke in die Welt gekommen, bewegt sich diese rein spirituelle unvergängliche Kraft frei und unabhängig in Raum und Zeit. Nur im König ist sie gebunden; ihre Wirkkraft verändert sein Wesen und bestimmt sein Denken und Handeln. Da das naam nicht angeboren ist, sind bei der Inthronisation entsprechende Riten notwendig, bei denen die Erstbesitzer des Landes das naam auf den König übertragen. Was genau der naam-tibo ist, wissen die wenigsten. Es heißt, er setze sich aus einer Kombination krafthaltiger Substanzen zusammen, deren Auswahl zu den bestgehütetsten Staatsgeheimnissen zählt. Da man nichts mehr fürchtet als seinen Verlust, wird der naam-tibo (wie auch andere Kraftträger) an Stätten verwahrt, zu denen nur der König und ein paar enge Vertraute Zugang besitzen. Im Verlauf der Auseinandersetzungen mit dem Samand-Naba wurde dieser an sich schon hermetisch abgeschirmte Bereich noch zusätzlich gesichert. Ein König hat viele Neider, die nur darauf warten, schon aus dem geringsten Anzeichen seiner Schwächung ihren Profit zu schlagen. Daher sein Bedarf an übermäßiger Kraft, die der Tenkodogo-Naba außer vom naam-tibo und den Segenswünschen (dwase153) der Marabuts jeden Freitag auch aus verschiedenen »Medizinen« (tinama oder tiito) bezieht. Besonders gehaltvolle tinama werden in Hütten (tiiroto) in der Nähe des naam-tibo verwahrt oder sind unter Schwellen vergra139
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ben. Andere trägt der König – zusätzlich zu Amuletten und Talismanen seiner Ahnen – am Körper, sobald er den Palast verläßt und sich auf den alten Wegen der Ahnen zu bedeutsamen Ereignisstätten der Geschichte begibt: Erinnerungsfeste bieten dem Tenkodogo-Naba die beste Gelegenheit, mit seiner kraftvollen Erscheinung seinen Untertanen Respekt abzunötigen, wenn nicht gar Furcht einzuflößen. Naba Tigré stand in dem Ruf, über ein besonders starkes wack zu gebieten. Gerüchte über seine »magischen« Kräfte gelangten bis in die Hauptstadt – nach seiner vorläufigen Festnahme im Mordfall Mamadou Kéré befragte ein Journalist den mit den Ermittlungen beauftragten Staatsanwalt ernsthaft nach den übernatürlichen Fähigkeiten des Königs.154 Die Bevölkerung Tenkodogos stand ihrem (zauber-)mächtigen Herrscher ambivalent gegenüber. Einerseits litt sie es wohl, wenn er seine »Medizinen« bemühte, um Regen heraufzubeschwören, andererseits reagierte sie empfindlich, sobald es schien, er setze sie zu unlauteren, das heißt egoistischen Motiven ein. Doch genau das soll, wie böse Zungen behaupten, in den letzten Jahren immer häufiger der Fall gewesen sein und – nach Meinung der Kéré – auch Mamadou das Leben gekostet haben.155
23. Viele spielen, einer gewinnt Die Bevölkerung bekam ihren König nur selten zu Gesicht: Je unnahbarer er blieb, desto eindrucksvoller mußten seine wenigen Auftritte wirken. Die großen Hoffeste, Theatralik mit Kult verbindend, sind die augenfälligste und beeindruckendste Form der höfischen ars memorativa, die Königsahnen und König wirkungsvoll in den Mittelpunkt des reichsoffiziellen Sinnkonzepts rückt. Der zeremonielle Ablauf bestärkt die historisch gewachsenen Bindungen und spiegelt zugleich die von allen geteilten allgültigen Lebenswerte wider. Ein Ausdruck dafür sind vor allem die verschiedenen Erstfruchtmahle, bei denen der König als erster von der neuen Ernte kostet. Dabei wird die Reifefolge der Anbaufrüchte umgedeutet und verstanden als Abfolge von historisch aufeinanderfolgenden Begebenheiten. Mit den Herrschaftsphasen korreliert, gewinnen Vegetationsperioden und Erntemahle einen tieferen, hintergründigen Sinn.
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24. Der eine sattelt das Pferd, der andere reitet es Dreimal im Jahr verläßt der König seine Residenz zu Festen, die der Memoration jener Ereignisse gewidmet sind, die der Reichs-Geschichte eine entscheidende Wende gaben. Die Feierlichkeiten, zu denen der Samand-Naba, angeblich wegen seines »mauvais caractére«, prinzipiell zu spät erschien, bekunden und verstetigen die Rangfolgeordnung. Zwei der Anlässe, bei denen König und Hofstaat erinnerungsträchtige Stätten aufsuchen, liegen zwischen altem und neuem Jahr, der dritte orientiert sich am Mondkalender und ist insofern beweglich. Als strukturierendes Grundelement ist allen Erinnerungsfesten gemeinsam die Begegnung mit dem beziehungsweise den Vertretern anderer »Fraktionen« (séka). Gruppen, die nachweislich später als andere ein Gebiet eroberten, haben ein Kontinuitätsproblem, das sie durch Glättungsfiktionen oder eine entsprechend gesteuerte Memoration der Geschichte ausgleichen müssen. Die Re-Inszenierung einschneidender historischer Umbrüche trägt dazu bei, bestehende Diskrepanzen und Widersprüche durch rituelles »Zurechtrücken« quasi-formal zu harmonisieren. Spannungen werden dadurch entschärft, altangestammte Prärogative durch bedingte Anerkennung zumindest teilweise befriedigt. Nicht von ungefähr enthält die rituelle Nachstellung von Geschehnissen, die der gegenwärtigen Ordnung vorausgingen, Elemente aus dem Erinnerungsfundus der gemeingeschichtlichen Tradition (specialized oder high tradition). Die solchermaßen identitätsstiftenden, den Gemeinsinn beschwörenden Feste sind zu verstehen als Geschichte in bewegten Bildern, als belebte Piktographie, wenn auch ihre Metaphorik nicht jedermann zugänglich ist. Wie in anderen historischen Diskursen geht es auch hierbei weniger um eine detail- oder abfolgegetreue Wiedergabe, als vielmehr um Momentaufnahmen einzelner für die gegenwärtigen Verhältnisse besonders bedeutungsvoller Ereignisse. Teils linear, teils quer und überfädig vernetzt, bilden sie ein Geflecht voller Verknotungen, die zu beleuchten durchaus im Sinne der Regie liegt. Die regelmäßige Wiederholung sinnträchtiger Begebenheiten verstetigt deren Bedeutung, die Gültigkeit des sie verbindenden Geschehens und, nicht zuletzt, den Anspruch derer, die sich auf sie berufen und als Voraussetzung ihrer Machtstellung in Szene setzen. Wenn der König mit seinem Hofstaat anläßlich der großen Feste die Residenz verläßt und bestimmte Stationen der Geschichte abreitet oder -schreitet, stellt er damit den Prozeß zur Schau, an dessen Ende er selbst steht. Wiederholung und zyklischer Verlauf der Bewegung stel141
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len rituell seine Verewigung sicher. Orte, an denen sich Zukunftweisendes ereignete, werden dadurch immer wieder punktiert, Handlungen mit Gründungscharakter erhalten sakramentale Bedeutung, verleihen der gegenwärtigen Ordnung Sinn. Jeder historische Wandel wird daher alljährlich vom König als verpflichtender sakramentaler Begründungsakt zelebriert. Sakrale Gedenkstätten innerhalb der memorial landscape sind erstens das »Grab«, in dem der »Vater« des Stadtgründers ruht (Bugum-Yaoghe), geheiligt durch einen »vom Himmel gefallenen Stein« (luire) und laut Kawada die Residenz Naba Bugums, zweitens ein Hügel, der in seinem Innern zwei Höhlen und einen Quell birgt (kurgtanga), sowie drittens der große Gebetsplatz der Muslime (wend-pussega) mit dem Erd-Heiligtum salemtiga. An diesen zentralen Bezugspunkten wird alljährlich die bestehende Ordnung bestätigt und erneuert. Das zwischen altem und neuem Jahr gefeierte bugum-yaoghe (»am Grab von Naba Bugum«) führt König und Hofstaat in das etwa 7 km westlich von Tenkodogo gelegene Gondéré. Nach Gondéré »zu seinen Verwandten mütterlicherseits«156 soll Naba Bugum157 geflohen sein, nachdem eine Frau ihn verraten hatte. Hier verschwand er im Erdboden und wurde zum verehrungswürdigen Ahn. Kurz nach ihm starb auch sein »Bruder« Piiga158 (»Granitstein«), der am gleichen Tag wie Bugum inthronisiert worden war. Zunächst bekämpften beide gemeinsam Poaaga. Doch nachdem sie den Sieg errungen hatten, kehrte Piiga sich gegen Bugum und verursachte seinen Tod. Dafür wurde er hingerichtet. Zuvor jedoch tötete er seine Frauen und vermischte das Blut seiner Kinder mit Erde.159 Begraben wurde er unter einem Stein (luire), der jene fremde, »vom Himmel gefallene Macht« repräsentiert, gegen die sich Piiga vergeblich gewehrt hatte. Bevor Naba Bugum die Macht gewaltsam an sich reißen konnte, hatte Piiga die Menschen »wie Tiere« behandelt, das heißt sie gejagt und auf dem Markt von Garango als Sklaven verkauft. Seine bevorzugten Opfer waren die Oubda (Moba), die sich deshalb in alle Himmelsrichtungen zerstreuten. Davon handelt eine Geschichte, die erzählt, daß ihr (der Moba) »Sohn« auf einer Koba-Antilope160 davongeritten sei. Bei dieser Flucht verlor er einen Körperteil nach dem anderen, so daß seine Nachkommen heute an vielen Orten anzutreffen sind. Das bugum-yaoghe erinnert an eine Zeit, als Fremde »heuschrekkenartig« das Land durchzogen und als Speicher (baogo) betrachteten, aus dem sie sich nach Belieben bedienen konnten. Als ein französischer – oder in französichen Diensten stehender – Unteroffizier getötet wurde, übten die Invasoren blutige Rache. Zur Sühnung seines 142
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Todes wurden viele der Einheimischen niedergemetzelt. Die neue Zeit, die nun begann, findet ihren Widerhall darin, daß der Cheftrommler (der Bind-Naba) beim Aufbruch vom Grab Naba Sigri, den angeblichen Markt- und Stadtgründer, trommelt. Nicht zufällig trägt dieser den gleichen Namen wie der in Ouagadougou von den Franzosen für den geflohenen Naba Wobgo eingesetzte neue Moogho-Naba. Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, den Naba Abga zum uneingeschränkten Beherrscher der Region aufsteigen lassen. Auch das kurg-tanga, das offiziell dem nordöstlich von Tenkodogo in Richtung Yanga gelegenen Erd-Heiligtum (tengande) der Königsfamilie gewidmet ist, erinnert an ein Massaker, über das – wie üblich – keiner spricht. Einen Hinweis darauf, was sich an jenem Ort zugetragen hat, gibt Balima161, der das Geschehen jedoch in einen anderen Zusammenhang stellt. Nach ihm soll Voulet den rechtmäßigen Herrscher Karongo militärisch unterstützt und seinen Gegenspieler Lebgbundu im Felsgewirr von Zabindella162 arretiert haben. Geschlagen und gedemütigt, wurde Lebgbundu über Tenkodogo nach Ouagadougou abtransportiert. Was der Königshof aber eigentlich memoriert, ist ein gegen die Kolonialmacht gerichteter Aufstand, zu dem sich Bewohner im ganzen Land zusammengeschlossen hatten. Die den Untertanen aufgebürdeten Steuern, die verhaßte Zwangsarbeit und die während des Ersten Weltkriegs intensivierte Rekrutierung von Soldaten verschärften die Situation der aufgrund mehrerer Dürreperioden (1908, 1914, 1917) an sich schon notleidenden Bevölkerung. Überall im Land brachen Unruhen aus, und selbst ursprünglich von den Franzosen begünstigte oder eingesetzte Chefs stellten sich auf die Seite der Aufständischen. Doch die Kolonialmacht behielt die Oberhand und reagierte auf die Erhebung mit Umsiedlung, die keine »Familie« verschonte. Daran erinnert ein jedes Jahr auf dem Hügel gepflückter gegabelter Zweig vom yilkaanga (Combretum micranthum).163 So wird beim Aufbruch nach Tenkodogo Naba Tugre getrommelt: »Kann die Wurzel des Stamms (= der Ursprung der Genealogie) mit dem Feuer kämpfen? Das Feuer wird sie zerstören.«
25. Besser ein freier Vogel als ein gefangener König Das tabaski (auch kibsa164 oder mos-raare165) ist eigentlich ein Gedenkfest, das dem islamischen Kalender folgt. In Tenkodogo besitzt es darüber hinaus die Bedeutung eines nationalen Versöhnungsfestes, das Gelegenheit bietet, im Jahresverlauf angefallene Mißhelligkeiten zu beseitigen. Vor dem alle vereinenden Finale lebt am Königshof die 143
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Ute Ritz-Müller
Geschichte noch einmal auf, passieren ihre Hauptabschnitte, zeitlich gerafft, Revue. Aber nicht nach Art eines historischen Dramas, das einer expliziten, mühelos nachvollziehbaren Regieführung folgt. Das Geschehen, das sich über drei Tage (und eine Nacht) hinzieht, gleicht eher einem Vexierspiel aus einer Vielzahl scheinbar unverbundener Einzelszenen, bei denen den Gegenständen, Trachten, Beteiligten sowie dem Verhalten offenbar eine ganz bestimmte, nicht immer erkennbare (oder bewußt verschleierte) symbolische Bedeutung zukommt. Dazu gehören: Besuche von Abgesandten und Würdenträgern der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, alte Brauchtumselemente, Züge eines archaischen Königskultes und Reverenzakte dem Islam und seinen Repräsentanten gegenüber. Gleichwohl hebt sich aus dem Ganzen eine Abfolge deutlich markierter Passagen hervor, bei denen der König im Mittelpunkt steht und die gewählte Tages- und Nachtzeit, die Auftrittsorte, die wechselnde Kostümierung, die Beteiligten und Stationen des Bewegungsverlaufs noch so etwas wie eine breitstrichig durchgezogene Linie erkennen lassen: Sie zeichnet den Siegeszug der herrschenden Dynastie nach (s. Abb. 4). Das Fest endet dort, wo die Dynastiegeschichte ihren Anfang nahm: am koang-palle166, dem Unterstand im Palastinnern, der an den eigenen Ursprung aus dem YanaLand erinnert. Der Kreis ist geschlossen. Erleichtert atmet Naba Tigré am Ende der mühseligen Zeremonien auf: »Maintenant je suis libre.«167 Am tabaski resümieren alle im Tenkodogo-Reich zusammengeschlossenen Gruppen zunächst ihre eigene Geschichte, die im Verlauf des islamischen Neujahrsfestes zur Reichsgeschichte verwoben wird. Einzelne Etappen werden dabei besonders markiert und zu entscheidenden Vorstufen der heutigen Ordnung arrangiert, die ihren abschließenden Höhepunkt darstellt. Die Inszenierung vergangenen Geschehens gibt den Herrschenden immer wieder Gelegenheit, den Gang der Ereignisse vom Beginn bis zur Vollendung ihres Heilsauftrags, sozusagen ihre Staatsräson, auf das eindrucksvollste zur Schau zu stellen – und das nicht lediglich »monophon«, sondern, ihrer heterogenen Zusammensetzung entsprechend, auf »polyphone«, wenn auch gezielt auf die Koda hin komponierte Weise, die alle Dissonanzen in wohltönende Konsonanz auflöst. Die höfische Kunst besteht darin, Jüngeres mit Älterem, Eigenes mit Fremdem zu einem scheinbar sinnvollen Ganzen zu verbinden. Durch Korrelation des ritualisierten Szenariums der Reichsgeschichte mit dem agrarischen Jahreskalender wird Wandel nicht nur zum quasi-natürlichen Prozeß, sondern wie zur notwendigen Voraussetzung für Kontinuität, der Bedingung eines gruppenübergreifenden Gemeinschaftsbewußtseins, deklariert. 144
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Warum sind die Hyänen im Fluss?
Abbildung 4: Naba Tigré beim »Chamäleonmarsch« während des Tabaski-Festes
Foto: Ute Ritz-Müller
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26. Gott allein erstrebt kein Amt Trotz aller damit verbundenen Unanehmlichkeiten besitzt das Amt doch – nicht nur in Tenkodogo – eine besondere Anziehungskraft. Den Bisa schreibt man folgende Anekdote zu: »Zwei Mosi fallen in einen Brunnen. Bevor sie noch überlegen, wie sie sich aus der mißlichen Lage befreien könnten, streiten sie darüber, wer den Titel BulgNaba, ›Brunnen-Chef‹, erhalten soll.« Hinter der Ironie verbirgt sich ein tieferer Sinn, der die Spannungen erkärt, die Naba Tigré durch sein scheinbar unbedachtes Handeln provozierte. Der König, der seine Hofleute immer wieder ermahnte, zu den traditionellen Strukturen zu stehen und vor Höhergestellten den Hut zu ziehen, mißachtete sie des öfteren selbst. Der Streit um die Chefferie in Loanga war kein Einzelfall, schon früher hatte er Chefs für Gebiete ernannt, die traditionell dem Ouéguéd-Naba (Beispiel Gando) beziehungsweise dem Dapor-Naba (Beispiele Kulpele und Kedepolgo) unterstanden. Zumindest ersterer reagierte auf diese Politik entsprechend verärgert. Der Tenkodogo-Naba hatte offenbar nicht bedacht, daß ihn sein selbstherrliches traditionswidriges Verhalten angreifbar machte. Die Mißachtung des Herkommens brachte ihn um den Schutz, den ihm sein »heiliges Amt« bis dahin gewährt hatte. Wie Friedrich II. (1740-1786) an seinen Sohn schrieb, achtet man Könige nicht vor anderen, »weil sie höher thronen, sondern weil sie tiefer blicken und tüchtiger handeln«.168
27. Ein Hase als Joker im Hintergrund Die kolonialzeitlichen Veränderungen entfalteten in Tenkodogo ihre eigene Dynamik. Neues wurde mit Altem verbunden und dem Königtum sinnbildende Bedeutung verliehen, indem man es an den Anfang der Geschichte stellte. Da eine Gliederung der Gesellschaft in Bauern, Händler, Handwerker, Hirten usw. unter der Oberhoheit verschiedener Chefs schon zuvor existiert hatte, konnte der Anspruch plausibel erscheinen. Daß die Vorfahren zahlreicher Lokalresidenten erst relativ spät ins Spiel kamen, nahm man stillschweigend hin, solange die älteren Sinnkonzepte davon unberührt blieben. Problematisch wurde es erst, als Naba Tigré einen von seiner Familie (den Sorgho) und den Kéré geschlossenen Pakt aufkündigte, von denen, genaugenommen, die einen keine »echten« (vrais) Mosi und die anderen »falsche« (des faux) Bisa sind. Wir sind es gewohnt, unsere Vernunft zu bemühen, wenn wir verstehen wollen, warum sich heutzutage Hyänen im Fluß (kulga169) 146
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Warum sind die Hyänen im Fluss?
befinden. In Tenkodogo dagegen argumentiert man mit einer Trickstergeschichte, in der unerwartet der in den allegorischen Bildern der Genealogie ausgeklammerte Hase die entscheidende Rolle spielt: »Als sich die frisch initiierten Hyänen mit ihrer Trommel im Fluß amüsierten, tauchte Leuk, der Hase, auf. Er verlangte das Instrument der Hyänen, und da er der Stärkere [!] war, mußten sie es an ihn abtreten. Daraufhin trommelte er laut und sang dazu: ›Heute gibt es viel zu essen!‹. Doch das Oberhaupt der Hyänen verlangte sein Instrument zurück und intensivierte das Getrommel, woraufhin die Hyänen tiefer und tiefer in der Erde versanken.«
Die Folge war, daß sich Altes und Neues nicht mehr voneinander scheiden läßt und Tenkodogo den Anspruch erheben kann, ein altes Reich zu sein.170
Anmerkungen 1
»Chef« ist die angemessene Übersetzung des Moré-Begriffs naba, mit dem in den Mole-Dagbane-Sprachen ein Inhaber von Befehlsgewalt bezeichnet wird, weil er naam, die Macht oder »den Willen zu herrschen« besitzt. Den Titel »Naba« führen alle Inhaber eines Amtes, die Dorf- und Kantonchefs (Beispiel: Ouéguéd-Naba) ebenso wie die höfischen Würdenträger (Beispiel: Samand-Naba). Die frankophonen Bewohner der Region bezeichnen den obersten Chef von Tenkodogo (im Englischen Paramount Chief) als König. 2 Den Titel Dima, »Souverän« oder »wichtigster Chef«, tragen die Herrscher von Ouagadougou, Tenkodogo, Yatenga und Gourma. Obwohl die Provinz, deren Hauptstadt Tenkodogo ist, nach einem Hügel bei Garango »Boulgou« benannt ist, bezeichnete sich Naba Tigré als »Dima de Zoungran Tinga«, als Herrscher über das Land seines (mythischen) Ahnherrn Zoungrana. 3 Agence France Presses, Burkina Faso, Ouagadougou, vom 22. Juni 2000: »Tollé au Burkina Faso après un meurtre au palais royale des Mossis de Tenkodogo.« 4 Zur Vereinfachung gebrauche ich durchweg die Singularform Bisa und vermeide den Plural Bisano sowie die ebenfalls gebräuchlichen Formen Busanga bzw. Busanse. Ansonsten halte ich mich weitgehend an die früher übliche französische Orthographie und schreibe etwa Ouagadougou (statt Wagadugu) und Ouéguédo (statt Wegedo). Allgemein sind für viele Namen und Begriffe verschiedene Schreibweisen geläufig (z.B. Mamadou = Mahamoudou, Ouidi-Naba = Widi-Naba, Zoungrana = Zungrana usw.). 5 Loanga gilt als älteste Ansiedlung in der Region. Der Kéré-Klan teilt sich
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in sechs Fraktionen, die (teils mit anderem Patronym) konzentriert in den Orten Loanga, Bané, Nengaré, Sela, Oueloguen und dem Samandin genannten Viertel Tenkodogos leben. Wie in jedem Klan der Region gibt es unter den Kéré »echte« und »falsche«, das heißt ältere und neu hinzugefügte Linien, eine Unterscheidung, die der Bevölkerung sehr wohl bewußt ist. Königstreue Kreise äußerten die Meinung, daß »wenn er die Chefferie« – wie seit der Kolonialzeit Usus – »an den Sohn gegeben hätte, der Konflikt vermeidbar gewesen wäre«. Vgl. Reikat 2002: 84. 2003: 349ff. Zur Auflistung der höfischen Würdenträger, von denen der Tenkodogo-Naba mit Ausnahme des Tengsoba, des Chefs von Kampoaga, alle ihres Amtes entheben kann, s. Ritz-Müller/ Zimmermann 1996. Fest, bei dem erstmals die jungen Blätter des Affenbrotbaumes (Adansonia digitata) verzehrt werden. Seine permanente Präsenz gilt als Garantie für die Stabilität des Reiches und die Kontinuität der Dynastie. Vgl. Boutillier 1993: 162. Bezeichnung für »übernatürliche« Fähigkeiten. San Finna 62, vom 17.-23. Juli 2000: »On vole 1.000 francs, on va à la MACO. On tue, on est en résidence surveillée.« Wie Anm. 7. DasTabaski entspricht dem Ayd al-kabir, mit dem an das Opfer Abrahams erinnert wird, und findet am 10. des Monats der Pilgerfahrt statt. Naba Tigré wurde 1958 getauft, ein Jahr nach seiner Ernennung zum Tenkodogo-Naba. Le Pays 2170, vom 3. Juli 2000: »Agression d’un prêtre, un catéchiste témoigne.« Lebende Sorgho kam als Naba Saaga im September 2001 als Nachfolger seines Vaters auf den Thron von Tenkodogo. Der König selbst gab an, im Fernsehen die Beerdigung Kardinal Zungranas verfolgt und von dem, was sich in seinem Hof abspielte, nichts mitbekommen zu haben. L’Observateur Paalga 5181, vom 26. Juni 2000: »Je n’ai pas donné l’ordre de torturer Mahamoudou Kéré.« Ein gerichtsmedizinisches Gutachten wurde nicht erstellt, und der Leichnam lag von Samstag 10 Uhr bis Sonntag 22 Uhr in einem Krankenwagen. L’Observateur Paalga 5181, vom 26. Juni 2000: »Mort de Mahamadou Kéré: Nous étions au doua-meeting.« Nicht nur, daß man seinen persönlichen Namen, Mollé, erwähnte, man diffamierte ihn auch als »Sida-Man« (Sida = Aids). L’Independant 354 vom 20. Juni 2000: »Au nom de la postérité«; »Quels enseignements?«; »Meurtre de Tenkodogo: Le règne de l’arbitraire«; »Le Naaba Tigré enfonce davantage son ami Blaise« und Le Pays 2636 vom 27. Mai 2002: »Affaire Naaba Tigré: Cinq condamnés, six acquittés.« San Finna 57, vom 12.-18. Juni 2000: »Battu à mort dans la cour royale de Tenkodogo.«
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Warum sind die Hyänen im Fluss? 22 Anspielung auf den Löwen im Wappen Tenkodogos. Auch bei Festen posiert häufig ein Plastiklöwe auf einem kleinen Beistelltisch neben dem König. 23 L’Observateur Paalga 5181, vom 26. Juni 2000 : »L’appel du doyen Sorgho Mathias«, und vom 24. Juli 2000: »Les Kéré et les Sorgho sont toujours été amis.« 24 Bzw.Yeleyan oder Yonligion nach einem Bisa-Erdheiligtum, aber auch Kulga (= Regenzeitfluß). 25 Nach Levtzion 1968: 132, gestanden die lokalen Machthaber dieses Recht häufig Muslimen zu. 26 Le Pays 2170 vom 3. Juli 2000: »Noaga Dindané: ›Le chef était l’à.‹.« Schon 1995, als eine Frau des Königs vor dem toé-dileghré starb, war in der Stadt zu hören: »Lui, il a des cérémonies qui tuent les femmes.« 27 Zur Bedeutung des zaande s. Ritz-Müller 2002. 28 In Ouagadougou wie in Tenkodogo gehört der Ouidi-Naba oder »Kavalleriechef« zu den vornehmsten Würdenträgern, und eine Empfehlung erleichtert immer beträchtlich den Zugang zu einem Chef. Vgl. Rosny 1999: 210. 29 Zusammenfassung meines Vorstellungsbesuchs am Königshof im Oktober 1991 (damals mit Gudrun Geis-Tronich). Ich danke der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Unterstützung meiner wiederholten Aufenthalte in Tenkodogo. 30 Etwa Thomas Bowdich, der 1817 als Sekretär einer englischen Handelsgesellschaft nach Kumasi an den Hof des Asantehene kam. Bowdich 1873: 33f. Vgl. Davidson 1970: 113f. 31 Die berühmte Ausnahme ist der sogenannte Gomis-Naba, der als »Schmugglerkönig« gilt und der reichste Mann der Region ist. 32 Eine zusammenfassende Darstellung der Mosi-Geschichte gibt Izard 1988: 87ff.; die Geschichte des Tenkodogo-Reiches rekonstruiert Kawada 1979: 76ff. 33 Savonnet-Guyot 1986: 18. 34 In dieser Version erzählt von Charlemagne Sorgho, dem zweitältesten Sohn Naba Tigrés. 35 Balima 1996: 95. 36 Gambaga im heutigen Nord-Ghana war im 19. Jahrhundert ein bedeutendes Handelszentrum; ausführlich dazu Levtzion 1968: 124-29. 37 Die Mosi bezeichnen alles nicht zum Reich gehörende Land als »Busch«. 38 An Zoungrana scheiden sich die Geister: Das Königshaus von Tenkodogo betrachtet ihn als (jüngeren) Sohn Ouedraogos und Begründer der Dynastie; häufiger jedoch gilt zoungrana als Titel, den angeblich als erster Ouedraogo trug. Vgl. Prost 1953: 1337. Kawada 1979: 80; Balima 1996: 77. 39 Eine Zusammenstellung verschiedener Ursprungsmythen gibt Kawada 1979: 312ff.
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Ute Ritz-Müller 40 Zur Etymologie s. Kawada 1979: 66, der den Namen nicht – wie üblich – als »altes Land« deutet, sondern von tando, »Erdscholle«, aus der vornehmlich Hauswände errichtet werden, und kudugu, »alt«, herleitet. 41 Izard/Ki-Zerbo 1992: 342. 42 Kawada 1979: 72. 43 Sowohl Heinrich Barth als auch Binger erwähnen ein Tankurgu bzw.Tangoukou, geben aber keinen Kommentar zu den dort herrschenden politischen oder wirtschaftlichen Verhältnissen. 44 Monteil (De Saint-Louis à Tripoli par le lac Tchad. Voyage au travers du Soudan et du Sahara accompli pendant les années 1890-91-92), zitiert nach Balima 1996: 115. 45 Balima 1996: 118f. 46 Unveröffentlichtes Manuskript aus dem 20. Jahrhundert, zitiert von Kawada 1979: 229f. Darin steht unter anderem, daß sich die großen Karawanen einen Monat (und länger) in der Stadt aufhielten. Bevor die Hausaund Mosihändler unter dem Schutz des »Bisa-Chefs von Tenkodogo« weiter über Bawku und Gambaga nach Salaga zogen, sollen sie in der Region Pferde und Sklaven (bzw. Stoffe) erworben haben. 47 Frobenius 1912: 159. Vgl. Dittmer 1979: 497, wo es heißt: »Nördlich davon [= von Gambaga] wurden an der Mittleren Weißen Volta Altnigritier sprachlich, jedoch nicht kulturell von den heutigen Busasi mandeisiert und ihr Namba-Staat gegründet.« 48 Zur Konstruktion von Ethnizität s. Lentz 1997 u. 1998. 49 Fortes/Evans-Pritchard 1940: 9f. F. Kramer 1987: 25. 50 Die Yaanse (geläufig ist auch die Singularform Yana) sprechen einen »singenden«, vom Moré leicht abweichenden Dialekt. 51 Singular Zaouga. 52 Colloques sur les cultures voltaïques 1967: 184. 53 Mangin 1914-16: 108 ff. Kaboré 1993: 26-27. 54 Bezeichnungen für muslimische Händler unterschiedlichsten Ursprungs. Einige Yarse (laut Balima 1996: 92, eine Deformation vonYadsi bzw.Yadse) sollen vom heutigen Mali aus ins nördliche Mosi-Reich Yatenga (=Yaadtenga) eingewandert und von dort nach Tenkodogo gekommen sein. 55 Gruppe von Webern und Färbern. 56 Von der Fulbe-Aristokratie unterworfene Gruppen, die eine berufsspezifische Kaste von Holzfällern und Zimmerleuten bildeten. 57 Marabuts (von arab. murabit) nennt man gottesfürchtige Männer, auch Heilige und ihre Nachfahren, deren Rat und Beistand man sucht, da sie vermeintlich über besondere Segenskräfte (baraka) gebieten. Marabuts (mwemba bzw. muamba, Sg. moré oder moréba) spielen in den oralen Traditionen eine große Rolle. Viele Familien verweisen auf einen »großen Marabut« (moré kasenga) als Ahnherrn, und es sind Vertreter dieser Familien, die den König bei Festen mit Segenswünschen überschütten. 58 Im Tenkodogo benachbarten Koupéla fertigte ein Yarse-Marabut die magische Lanze, der Naba Silga seinerzeit seinen Aufstieg verdankte. Kaboré
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Warum sind die Hyänen im Fluss? 1993: 23. 59 Wie bei den Yarse handelte es sich auch bei den Fulbe um keine homogene Ethnie. Erzählt wird, daß die aus dem Djelgogji gekommenen FulbeAdeligen mit Namen Diallo zuletzt auf ihre Ansprüche verzichteten und ihre Macht an ihre einstigen Sklaven, die Diau, abtraten. 60 In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts usurpierte in Ouagadougou ein Pullo mit Namen Moatiba das Amt des Moogho-Naba. Kawada 1979: 27. Balima 1996: 87. 61 Von 1897-1904 britischer Resident in der Asante-Hauptstadt Kumase. 62 »Der Leutnant, der in Windeseile von hier nach dort eilt.« 63 Yamweogo (oder Yamleogho = Passion für etwas, das man nicht haben kann, sinnliche Begierde) ist auch unter den Namen Yambre und Guigemde (»Löwe«) bekannt. 64 Auch bei den Grusi (Gurunsi) werden mit »Bruder« klassifikatorisch »nicht nur leibliche Brüder oder Vettern […], sondern auch Clanangehörige und selbst Verehrer desselben Totems« bezeichnet, oder der Begriff »kann auch die weitere Verwandtschaft durch Zugehörigkeit zum gleichen Volkstum, etwa zu den Mosi« mit einschließen. Dittmer 1961: 129. 65 So die offiziell verbreitete Version. Merkwürdig (unter anderem) ist, daß Karongo ein persönlicher – und kein Kriegs- bzw. Thronname sein soll. 66 So erzählt es jedenfalls Balima 1996: 147. Für ihn bleibt nur unklar, ob Bagande hingerichtet wurde oder sich selbst einen vergifteten Pfeil in den Fuß stieß. Andererseits schreibt Mangin (1914-16: 110), daß der »Chef« der französischen Expedition den Herausforderer tötete und den rechtmäßigen Herrscher einsetzte. Eine dritte Version erzählt man am Hof: Hier heißt es, Karongo habe Bagande den Kopf abgeschlagen und die Leichenteile in der Nähe der Brücke Kulpanbile verscharren lassen. 67 Zur Kolonialgeschichte Burkina Fasos s. Kambou-Ferrand 1993. 68 Reikat 2003: 19, detailliert 109ff. 69 Karongo, den Günstling der ersten Weißen in der Region, soll später ein schlimmes Schicksal ereilt haben; ebenso Naba Borfo (»europäisches Messer«), von dem es in Ouéguédo heißt, der »Kommandant« habe ihn zu sich zitiert, um ihn öffentlich wegen der unbefriedigenden Steuereinnahmen zu rügen. Dieser Angriff auf seine Ehre führte angeblich dazu, daß er seinem Leben durch Gift ein Ende machte. Die Kolonialherren setzten nach eigenem Gutdünken als Herrscher ein, wer ihnen genehm war, darunter vor allem Personen, die sich im subalternen Dienst, insbesondere als Steuereintreiber oder Soldaten, »bewährt« hatten. So wurde Naba Tigré I. von Garango nach Ouagadougou abgeführt und durch einen »Bruder« ersetzt und Naba Zaare im benachbarten Koupéla 1926 zum Chef ernannt, obwohl sein Bruder Sorbagende noch am Leben war (Kaboré 1993: 25). 70 Skinner 1964: 154. Kawada 1979: 37. Englebert 1996: 33. Reikat 2003. 71 Das Gehalt des Tenkodogo-Naba betrug 1921 2.000 Francs und wurde 1928 auf 2.500 Francs erhöht. Entnommen den mir freundlicherweise von Andrea Reikat überlassenen Fiches de renseignements.
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Ute Ritz-Müller 72 Zur Beurteilung von Tenkodogo-Naba Koom und anderer Chefs in den Fiches de renseignements s. Reikat 2003: 135ff. 73 Müller 2003a: 39. 74 Englebert 1996: 121ff. 75 Nanamse ist der Plural von Naba. 76 Ethnologischer Begriff, der Gesellschaften ohne zentrale Führungsinstanzen bezeichnet. 77 In dieser Version der Geschichte ist Ouedraogo identisch mit Zoungrana. 78 Das Abdecken von Hausdächern ist in Tenkodogo eine geläufige Metapher für Krieg. 79 Eigentlich Kugpeaala (»weiße Steine«). Kaboré 1993: 21. Die Grenze zwischen Tenkodogo und und dem Nachbarreich verläuft 5 km östlich von der Stadt Tenkodogo. Bei Hof heißt es, die Gründung Koupélas sei »um 1500 n. Chr. während der Regierungszeit Naba Poaagas« erfolgt. Wahrscheinlicher jedoch ist, daß in vorkolonialer Zeit Garango (Tangey) und Koupéla wichtiger als Tenkodogo waren. Die Grenze zwischen Garango und Koupéla, die »in den Auseinandersetzungen mit Gourma Seite an Seite kämpften«, bildete damals eine kleine Brücke bei Katanga (dem »Hyänenhügel«), das heute ein Vorort von Tenkodogo ist. Hier lebt die Familie Wangre (= Ouangarbé !). 80 Nach Sanwidi in Kaboré 1993: 22. Boulsa ist von Ouagadougou abhängig und spielt in der Geschichte Tenkodogos eine unklare Rolle. 81 Balima 1996: 77f. In diesem Kampf sollen sowohl Zoungrana als auch sein Bisa-Gegner gefallen sein. Das angebliche Grab Zoungranas erlebte in den letzten Jahren eine unerwartete Aufmerksamkeit: Zum Nationaldenkmal erklärt, soll hier unter anderem ein Touristencamp entstehen (Ritz-Müller 2003). Angehörige der Chef-Familie von Garango betrachten die Stätte als unheilvollen Ort und bleiben ihm fern. Vieles weist darauf hin, daß hier tatsächlich ein Kampf stattgefunden hat. 82 So lautet die höfische Version. 83 Ritz-Müller 2003: 166. 84 Erving Goffmann in Müller 2003a: 29. 85 Ouedraogo ist einer der Namen, die in allen Mosi-Provinzen verbreitet sind. Lankoande o.J. 86 Unter den Königsmachern nimmt der Keog-Naba eindeutig die führende Position ein: Ein Tenkodogo-Naba ist nur dann legitim, wenn er ihm seinen Segen gibt. Angeblich fürchtet man bei Hof noch immer, der KeogNaba könne einen »Staatsstreich« verursachen, indem er, während sich der Thronanwärter in Seklusion befindet, einen ihm genehmeren Kandidaten ernennt. 87 Tiim = Heilmittel, »gris-gris«. 88 Keogo = »Initiationslager«. 89 Der König gilt vielfach als »Sonne«. Drucker-Brown 1975: 31. 90 Vgl. die Theorie von den »Mondkönigen« (Frobenius 1931). Der – durch seine Ab- und Zunahme regelmäßig »sterbende« und wieder auferstehen-
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de, »wachsende« – Mond galt Frobenius als Schicksalsgestirn archaischer Herrscher: Streck 2002: 37ff. Für Frobenius verbindet Mond und Abendstern eine Schicksalsgemeinschaft, was also durchaus der eingangs beschriebenen Beziehung zwischen Sorgho und Kéré entspricht. Eine Warnung, die nach der Absetzung des Samand-Naba in die Eloge Naba Tigrés integriert und erstmals beim Erntefest (basga) desselben Jahres getrommelt wurde. Mündlich vorgetragen wurde beim tabaski 2001 die Variante: »Der Stern ist zwar dem Mond nahe, leuchtet aber nicht heller.« Vgl. Mangin 1914-16: 117, für die nahezu identische Devise eines Chefs von Koupéla. Rüsen 2001: 35ff. Damit wehren sie sich entschieden gegen die den Mosi zuerkannte Vorrangstellung: »Il n’existe pas une ethnie mosi, mais on a forcé. C’est la langue de la mère.« Da die Abstammung über den Vater gilt, sind demnach alle Mosi »eigentlich« Bisa. In Sanga sollen sich die Wege der drei Brüder Ouedraogo, Rawa und Diaba Lompo getrennt haben. Kurze Zeit später gründete jeder der Brüder sein eigenes Reich, nämlich Tenkodogo, Yatenga und Gourma. Diaba Lompo, der erste König von Gourma (nunbado), spielt gleichwohl in den Erzählungen der Alten eine wichtige Rolle: Durch mannigfache Verwandlungskünste soll er sich einem Zusammentreffen mit den französischen Eroberern immer wieder entzogen haben. Zu ihren Sonderrechten gehört zum Beispiel, daß sie vor dem König weder ihre Sandalen ausziehen noch ihre Kopfbedeckung ablegen müssen. »Beginn der Regenzeit«, »Aussaat«, bedeutet den Anfang einer neuen Zeitrechnung. Andere Namen für den Stadtgründer sind Kudumyemre und Bangre Kyelogo. Bangre ist das Patronym, das heute der Tengsoba beziehungsweise Tapsoba, der oberste Krieger des Reiches, trägt; kyelogo bedeutet »rufen«, um etwas zu verkünden, wahrscheinlich identisch mit dem Patronym Kiello. Für die Mosi handelt es sich um den Säbel von Yennenga, für die Yaanse um den von Nti Gyindi. Das 6 km nordöstlich von Bitou an der Grenze zu Ghana und 60 km von Tenkodogo entfernt gelegene Kinzim gilt als eines der Vorgängerreiche Tenkodogos und gehört laut Kawada zur gleichen Dynastie wie Lalgaye. »Bondaogo« bezeichnet einen männlichen Esel. Etwa 15 km nördlich von Kinzim und 20 km westlich von Tenkodogo verlaufender Zufluß zur Weißen Volta (heute Nakambé), der »auf der Karte Nouahon genannt wird« und gleichsam die Grenze zu Ouargaye bildet. Kawada 1979: 87. »Kimbgo« beziehungsweise »Kimdo« bezeichnet ein hohes Buschgras mit langer buschiger Ähre, das als Pferdefutter dient (Pennisetum pedicellatum, P. polystachion). Gemeint ist wahrscheinlich Yamweogo bezie-
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Ute Ritz-Müller hungsweise die Fulbe. 104 Ouelge (=welge) bedeutet »sich in mehrere Gruppen teilen«. In Oueloguen leben laut Aussage eines Informanten »aus Loanga stammende Kéré, die ihr Patronym in Yelbi abwandelten, um zu betonen, daß sie die Hände nicht in den Schoß gelegt haben, sondern die Macht zurückgewinnen wollen«. 105 »C’est le grand tengandé, le grand ›gri-gri‹ si l’on veut, des Naba de Tenkodogo.« Prost 1953: 1336. 106 Kawada 1979: 86. Hier heißt der ältere »Bruder« allerdings nicht Bondaogo, sondern Na Zoagha (zoagha = »Fliege«, synonym mit zoaraga, »Narr«, »Einfaltspinsel«, jemand ohne Verstand). 107 Die Yelbi in Oueloguen und die Kéré gehören beide »zur Gruppe Sakaré«. Sakaré heißt ein Viertel (quartier) von Loanga, aber auch die Larve eines Schädlings (Bolanogastrix koleae), der die Kolanüsse befällt (in Bambara: sangara, s. Alexandre 1953: 340). »Als in Tenkodogo die Chefferie eingerichtet wurde, präsentierten sich zwei Vettern aus Sakaré. Der eine war der Sohn einer Witwe, der andere Abkuga, der Ahnherr des Samand-Naba. Der Sohn der Witwe, ein Weber, erhielt die Chefferie. Als er das Dorf verließ, sprach er: ›mam welga na mega‹ (›ich habe mich von euch getrennt‹).« 108 Dabei handelte es sich um Saluka (»eine Wolke, die sich im Vorüberziehen entlädt«), womit wahrscheinlich die kurze Präsenz der Briten in der Region umschrieben wird. Saluka ist eine Transformation von salgha = Salaga, einer Stadt südlich von Tamalé in der ehemals britischen Goldküste, die so bekannt war, daß man ihren Namen auf das ganze Land übertrug. Alexandre 1963: 342. Sein »Zwillingsbruder« Sapilem (»Hagelschlag«) fügte den Pflanzen – das heißt den Bewohnern des Landes – weitaus mehr Schaden zu: eine durchaus treffende Charakterisierung der französischen Übergriffe. 109 Namentlich benannt als Sanema (=Salma), Abga und Yamweogo. 110 Sela liegt 20 km südlich von Tenkodogo an der Straße, die nach Bitou und weiter nach Ghana führt. 111 Die Figur Bosomborgos bleibt unklar, doch gilt er als der erste »Weiße«, der in die Region kam. Bei Minougou/Reikat 2004: 87-98, wird er mit den »Djamma«, den »Deutschen«, in Verbindung gebracht. Mit »Djamma« könnten eventuell auch die Djerma gemeint sein. Im Februar 1897 schlugen im Gulmanceba-Gebiet französische Truppen aus dem Sudan Truppen aus Dahomey und gewannen damit endgültig die Kontrolle über das spätere Burkina Faso. Englebert 1996: 20. In den oralen Traditionen werden häufig verschiedene Zeitebenen und Ereignisse, die sich an unterschiedlichen Orten abspielten, miteinander vermengt. Saagmore, der »marabout du ciel ou de la pluie«, der in der von Minougou/Reikat aufgezeichneten Erzählung eine Rolle spielt, wird von vielen als früherer Herrscher über die Region bezeichnet und mit Diaba Lompo gleichgesetzt, der, um den Franzosen zu entkommen, in den Himmel entfloh. Der
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ebenfalls erwähnte Bimmoaba entspricht dem Pullo Moatiba, der in Ouagadougou die Macht usurpiert hatte, bevor der rechtmäßige Herrscher Warga, in der Erzählung Naba Ouarga aus Ouargaye, eingesetzt wurde. Doch hat tatsächlich auch ein Deutscher die Region durchzogen: Gottlob Adolf Krause (Reikat 2003: 83-86). Krause alias Malam Moussa, der »Bruder der schwarzen Händler«, der ganz anders war als die ihm nachfolgenden Weißen. Haberland 1986: 1-4. Die Bewohner von Dourtenga nennt man auch »Bimba«, sie sind laut Aussage eines Informanten »verwandt mit den Bewohnern von Biungu« (=Nungu = Gourma). So erzählt von einem Mann aus dem Oubda-Klan. Die Oubda sind eigentlich Moba, die von den Cakosi verdrängt und unterworfen wurden. Bei der Frau soll es sich um eine Pullo aus Wawusé gehandelt haben. Aus dem Fulbe-Klan der Diau von Wawusé stammte angeblich auch »die schöne Pendo«, die einflußreiche »Geliebte« Voulets (Balima 1996: 150ff.). Was das Geheimnis betrifft, so bestand es einfach darin, »zwei Hirsehalme (kankasito) gegeneinander zu reiben« (oder ko kaseto, »etwas an den Tag legen«, »jemanden von etwas unterrichten«). Anderen Aussagen nach wurde Bosemborgo gestürzt, weil er Fremde willkommen hieß, die sich dann gegen ihn kehrten. Die am Stamm hinterlassenen »Hufspuren« waren 1993 noch sichtbar. Inzwischen ist der Baum jedoch niedergestürzt. Abga kann sowohl »Panther« als auch »Kautabak« und schließlich noch »lästiger Floh« bedeuten. Gemeint ist eigentlich kande ya gilga, »der Kürbis ist eine Kugel«, das heißt die »Familie« bildete noch ein Ganzes. So vorgetragen in der Genealogie von Ouéguédo; wahrscheinlicher jedoch ist die Bedeutung »der Rote« (be, »sein«, mose, »rot«), das heißt es handelte sich um einen Pullo. Karongo soll sich auf die Seite des von den Franzosen gejagten MooghoNaba Wobgo gestellt haben. Er verlor sein Leben zusammen mit Naba Borfo, mit dem er sich gemeinsam gegen die Kolonialmacht auflehnte. Vgl. Mathieu 1998: 168 Schweeger-Hefel 1986: 29. Mit dem Patronym Kiello, wahrscheinlich identisch mit Bangre Kiellogo beziehungsweise Kudumyemre, der gemeinsam mit Naba Sigri die Stadt und den Markt begründete. Zur Verwandlung von Bäumen in Menschen s. Ritz-Müller 1993. Vor dem Konflikt zwischen Tenkodogo-Naba und Samand-Naba erschienen Fulbe aus allen Himmelsrichtungen regelmäßig zu den Festen des Königs. Cunnison 1951: 16. Levtzion 1968: 132, nach einer persönlichen Mitteilung von Drucker Brown.
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Aus der Bamum-Chronik, zitiert nach Geary 1985: 215. Die Poese sind Spezialisten für das Ordal. Ouéguédo liegt ca. 8 km nordöstlich von Tenkodogo. »Als die Kalebasse zerbrach«, das heißt nach dem Tod von Naba Abga, »zerbrach die Familie in zwei Teile«. Der Kéré-Klan teilt sich, wie bereits erwähnt, in sechs Untergruppen. Die Sanduhrtrommler tragen den Namen Kéré, der etymologisch auf Gehéngére (Songhay), eine Musikgattung, die bei Beerdigungen gespielt wird, zurückgehen soll (Reikat 2003: 297). Die ersten, die den Tanz, der von dieser Musik begleitet wird, von den Bisa »kauften«, war eine Familie aus Yanga (Zabsonre), aus welcher der Keog- und der Zukug-Naba stammen (Ritz-Müller 1997: 17f.). Eigentlich sollten die Zabsonre auch den Samand-Naba stellen, doch sie zogen Reichtümer dem Amt vor und ließen sich vom »Colon« ausbezahlen. Bei den Kéré handelt es sich nach Aussage eines Informanten »um zwei ganz verschiedene ›Familien‹. Die ersten [›echten‹] Kéré kamen aus Yanga und müßten eigentlich die Erdherren sein; die zweiten [›falschen‹] kamen aus Bitou. Einer von ihnen hatte das Glück gehabt, Reitknecht zu werden [gemeint ist Abekuga, der Ahnherr des Samand-Naba]. Als sich dann in Loanga zwei um die Chefferie stritten, machte der Kolonialherr, um den Konflikt zu beenden, Abekuga zum Samand-Naba. Das war, als Naba Kiba regierte.« Ritz-Müller 1997: 15. Nketia 1979: 239. Wilcke 1982: 35. Ein ähnliches Phänomen für die Igala in Nigeria beschreibt Boston 1968: 10f. Figur für einen aus mehreren Elementen zusammengesetzten Ablauf einer Bewegung. Alexandre 1953: 15 ; s.a. Kéré 1996: 105. Bocian 1989: 104. Wobgo lautete der Thronname von Boukary Koutou, jenes Moogho-Naba, der vor der Ankunft Voulets aus Ouagadougou floh und für die französischen Interessen eine Bedrohung darstellte. Kawada 2002: 351. Richtiger ist wahrscheinlich Malle (=Mali; ka, »von da«), das viele Familien als ihren Ursprungsort nennen. Eine Charakterisierung, die auch auf den französischen Leutnant Voulet zutrifft, dessen rigoroses Vorgehen die Geschichte der Region entscheidend beeinflußte. Damit soll ausgedrückt werden, daß die Betreffenden inzwischen in der Region »alt« geworden sind. Kawada 1985: 128.
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Warum sind die Hyänen im Fluss? 146 Karongo bedeutet jedoch auch »Wissen«, »Lektüre (des Koran)« – s. den in der Genealogie Naba Poaaga gewidmeten Absatz in Kawada 1985: 68f. Möglicherweise handelt es sich bei Karongo um einen Marabut oder eine Gruppe von Muslimen. 147 Balima 1996: 149. 148 Möglich wäre ein Bezug zu Tarakum, dem Name der Cheffamilie von Kôogo im Yanaland. 149 Kawada 1981: 72f. 150 Gegenstand (Behältnis), in dem sich das naam konkretisiert; entspricht dem »Häuptlingsfetisch« bei Dittmer. 151 Vgl. Krabs 1996: 35f. 152 Riten für die eigenen Ahnen finden beim Höchststand der Sonne statt. 153 Plural von du’a, Anrufung Gottes mittels der Eröffnungssure (fatiha) des Koran, s. Levtzion 1968: 116. 154 Le Pays 2176, vom 11. Juli 2000: »Ce qui attend Naba Tigré.« 155 Als in zwei aufeinanderfolgen Jahren vor einem Fest eine Frau des Königs verschied, kursierte das Gerücht, er habe sie »für seine Zeremonien geopfert«. Am Hof tat man diese Vorwürfe als »Unsinn« ab, da jeder Todesfall im unmittelbaren Umfeld des Königs die Durchführung der Zeremonien ernsthaft gefährdet: Der Tenkodogo-Naba darf keine rituelle Handlung vollziehen, solange sich ein Leichnam »über der Erde« befindet. 156 Gemeint damit sind jene Glücksritter und Sklavenhändler, die vor Naba Bugum die Region heimsuchten und deren Nachkommen, die Yabre (=Yambre), heute das Patronym Windiga (»Sonne«) tragen. Die Yabre sind eventuell identisch mit den Yadse, den Bewohnern der Mosi-Provinz Yatenga, wo sich die Wedraogo aufgehalten haben sollen, als andere die Macht in der Region ergriffen. 157 Der Tod eines Chefs wird paraphrasiert mit den Worten »das Feuer ist erloschen«, das heißt Bugum (»Feuer«) ist kein eigentlicher Name. 158 Ein anderer Name lautet Ware (»Dürre«, »Trockenheit«). 159 Das ist nur eine von zahlreichen Versionen. Piigas Nachfahren leben heute in Wawussé, das keinen Chef hat, weil Tenkodogo sonst zwei Herrscher besäße. 160 Die Koba-Antilope ist das Emblem der Mosi von Yatenga. 161 Balima 1996: 147. 162 Zabindella, »sich anlehnen an die Exkremente des Regens«. 163 Auch zu verstehen als Zusammensetzung von yilghe, »die Hirse im Wasser reinigen, um sie von Steinen zu säubern«, und kangha, »etwas falsch darstellen, um zu entzweien«. 164 Allgemein »Fest«. 165 »Markt der Mosi«.
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Ute Ritz-Müller 166 Koanga, »Palme« (Borassus flabilefer). Mit Palmbäumen, so heißt es, hat Naba Koom, der Großvater Naba Tigrés, die Straße nach Ouargaye säumen lassen, die Richtung nachziehend, aus der Naba Bugum, der Vater des Marktgründers, ursprünglich kam (Ritz-Müller 1998: 233). Vielleicht heißt es aber richtiger koand-pallé, da hier vornehmlich Yarse dem König ihre Referenz erweisen. Koanda ist das Patronym einer einflußreichen Yarse-Familie, die Naba Sanema aus Ouagadougou an den Hof geholt hatte. Möglich wäre also auch eine Yarse-Abkunft. 167 Naba Tigré beim tabaski 1999. 168 Zitiert nach Krabs 1996: 40. 169 Wie schon angemerkt, wird neben Yellehin auch Kulga als früherer Name Tenkodogos genannt. 170 Ich danke meiner Kollegin Britta Duelke für Kritik und Anregungen.
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Vom Sinn des Ganzen
Vom Sinn des Ganzen 1 Klaus E. Müller »Denn ›Sinn‹ ist Inbegriff der Gesichtspunkte, die der Entscheidung über Zwecke zugrunde liegen.« (Rüsen, Jörn, 1983: Historische Vernunft, Bd. 1, S. 51)
1. Sinngründe In prämodernen Agrargesellschaften pflegten Verwandte und Freunde des Bräutigams häufig die Braut vor der Hochzeit scheinbar gewaltsam zu entführen und eine Zeitlang versteckt zu halten. Ethnologen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sprachen von »Raubehe« und sahen darin ein Relikt aus den Anfängen der Menschheit, als vermeintlich noch das »Faustrecht« das Zusammenleben beherrschte. Tatsächlich jedoch handelte es sich um die erste Phase der generell bei bedeutenderen Statuswechselprozessen üblichen Übergangsriten (rites de passage), deren »Zweck« ist, Jugendliche in Erwachsene, junge Frauen in Gattinnen, Prinzen in Könige und Verstorbene in Ahnen umzuwandeln. Das Konzept folgt der Lebenserfahrung. Um zu einem »neuen Menschen« zu werden, muß man eine Metamorphose und »Neugeburt« durchlaufen, was beides ein Absterben zur Voraussetzung hat. Auch Initianden und Prinzen werden daher zunächst »entführt«, das heißt rituell »getötet«, und in ein abgelegenes Versteck, die »Unterwelt«, gebracht, wo sich ihre Transformation – in der entscheidenden Mittelphase der Übergangsriten – vollzieht. Danach werden sie in die Gesellschaft reintegriert, rituell in Szene gesetzt durch Geburts- und Aufnahmeriten, die ihren Eintritt in die neue Statusgemeinschaft besiegeln. Die Mittelphase bestimmen gewöhnlich quasi-chaotische Verhältnisse, da die Regeln des zurückliegenden Zustands nicht mehr und die des bevorstehenden noch nicht in Geltung sind. Alles befindet sich im Fluß, Instabilität herrscht, das Neue bildet sich, wie vorzeiten die Welt aus dem primordialen Chaos, erst allmählich heraus; ein charakteristisches, hochelaboriertes Beispiel dafür bildete das im Beitrag »Verflucht sei der Acker«, Kapitel 5, behandelte Erntefest auf dem Höhepunkt der Wende zwischen den Jahreszeiten. Tabubrüche werden begangen, Verwahrlosung greift um sich, Männer und Frauen wechseln die Tracht (usw. mehr). Der letztere Usus, häufig auch während der Trauerzeit üblich, veranlaßte den österreichischen Ethnologen Umar Rolf Ehrenfels (1901-1980) zu der Vermutung, daß Frauen vor-
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Klaus E. Müller
mals, »in by-gone days«, eine größere Rolle in der Religion gespielt hätten!2 Evolutionistische, das heißt letztlich eurozentrische Vorannahmen hatten die Optik der Ethnologen getrübt. Sie verkannten die »Zwecke«, mehr noch den Sinn des Ganzen3, der darin besteht, die sozialen Wechselprozesse den allgemeineren, durch die Schöpfung paradigmatisch vorgegebenen biologischen, natürlichen (Pflanzen- und Tierwelt) und kosmischen zu- und einzuordnen, um ihnen dadurch überzeitliche Geltung und Valenz zu verleihen. Wenn man die Bedeutung eines Wortes, etwa des Objekts einer Aussage, nicht kennt, gewinnt weder der Satz, in dem es auftritt, einen Sinn noch kann man sich auf den Begriff selbst »einen Vers machen«.4 Dazu müßte man das Ganze verstehen. Erst im Rahmen eines vertrauten Zusammenhangs werden Einzelaussagen verständlich und sinnvoll.5 Und wenn sie das sind, läßt sich unter denen, die das Verständnis teilen, deren »sozial gefüllter, vermittelter, bestätigter Besitz« es ist, unmißverständlich kommunizieren: »Auch die anderen wissen, was und wer ich bin.«6 In einer Stadt bewegt man sich mühelos in dem Viertel, in dem man schon lange lebt: Einzelne herausragende Gebäude, wie eine Kirche, ein Lagerhaus, eine Apotheke, Gaststätten usw., Kreuzungen, Plätze oder ein Friedhof bilden Markierungspunkte, die sich zu vertrauten, weil oftmals begangenen Wegstrecken und zum Ganzen eines Straßennetzes verbinden, einer »Karte im Kopf«, der man, meist schon fast unbewußt, folgt. Die sichere Kenntnis des »Planquadrats« gewährt verläßliche, handlungs- und letztlich lebensleitende Orientierung.7 Eigentlich wurde die Ordnung der Erfahrungs- und Wahrnehmungswelt über Generationen hin aufgebaut und konstituiert. Sie verdankt sich, so der Psychologe Gustav Jahoda, dem steten Versuch, in einer zunächst ungeordnet, ja chaotisch erscheinenden »Welt Sinnhaftigkeit zu entdecken«8, was wiederum »Zusammenhang von Mittel und Zweck, Ursache und Wirkung, Nutzen und Kosten, Teil und Ganzem« meint. Menschen erleben, fühlen, denken, erinnern und handeln in »Sinnwelten«9, die ihnen als solche immer schon überkommen, vor- und übergeordnet sind10, »den Rahmen fürs überhaupt Verstehbare« bilden. Ihre Kriterien und Setzungen gelten »nicht nur für mich, sondern für dich, für ihn und für uns alle«.11 Aber doch nicht zwingend. Orientierungskarten im Kopf markieren die Ziele, die zu erreichen sinnvoll erscheint. Innerhalb einer gewissen Schwingungsbreite tolerieren sie alternative Wahlmöglichkeiten, etwa eine Verkürzung zu nehmen, Pausen zu machen, ein Stück
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Vom Sinn des Ganzen
zurückzugehen oder einen weitläufigen Umweg zu wählen, je nach den mehr oder weniger stets wechselnden Umständen und der persönlichen Situation, in der sich jemand gerade befindet.12 Doch der Rahmen bleibt in der Regel konstant. Sinnsysteme bestätigen auf jeden Fall das tragende Gerüst des überkommenen Bedeutungszusammenhangs, schon um dem Geschehen im Fluß des zeitlichen Wandels die notwendige stabilisierende Kontinuität13, der Tradition Regelcharakter, das heißt verstärkte Geltungskraft14, ja, wie Kant kritisch vermerkte, den Anschein von »Realität« zu verleihen15, so daß, wer sich traditionskonform verhält, den Eindruck gewinnt, mit dazu beigetragen zu haben, »daß noch alles in Ordnung ist«.16 Denn anders wäre verläßliche Orientierung nicht möglich.17 Kaum denkbar daher, »wie Bewußtsein entstehen konnte, ohne daß man dem Streben und den Erlebnissen des Menschen einen Sinn zugeschrieben hätte«.18 Insofern stellt Kultur als die mediale Materialisierung und normierende Idealisierung umfassender Bedeutungsund Sinnzusammenhänge ein Universale menschlicher Gesellschaften dar. Der Sinn, der ihr Plausibilität und Bedeutung verleiht, gibt Antwort auf die zentralen, letzthin handlungs- und lebensleitenden Fragen nach dem Woher (causa efficiens) und Wohin (causa finalis, dem Zweck oder Telos)19; er ist unverzichtbar »für die Herstellung unserer gesamten Beziehung zur Welt«20 und erlaubt daher auch, eine Erklärung für die grundlegenden Lebensprobleme, für Kontingenz und Leid zu finden, das heißt, mit Krisen fertig zu werden.21 Sinnkonzepte stellen daher nicht nur ein Universale, sondern auch ein Grundbedürfnis menschlicher Gesellschaften dar.
2. Die Regeln der Gemeinsinnigkeit So verstanden, erfüllen sie noch einen weiteren »Zweck«: Sie sind immer auch Ausdruck der Identität einer Gruppe, das heißt stellen ihre »Ideologie« dar, die ihre Besonderung gegenüber anderen, ihr spezifisches Eigensein, begründet. Denn eine jede, ob Geschlechter-, Alters-, Berufs-, Status- oder ethnische Gruppe, besitzt, de facto oder ihrer nostrozentrischen Einschätzung nach, ihre je eigene Lebensweise, speziellen Gewohnheiten, Brauchtümer, Institutionen, Verhaltensnormen, Anschauungen und Ideale, die ihre Mitglieder bejahen (sollten) und zu denen sie sich, unter Umständen bis zur Selbstaufopferung, bekennen. Von allen wird diese Art »Gemeinsinn« erwartet, ja gefordert. Je mehr dem Genüge geschieht, desto sicherer kann ein Sinnsystem Rückhalt
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in der Lebenswelt und Gesellschaft und verläßliche Orientierung verbürgen. Insofern stellt die Stabilität der Sinnsysteme eine Grundvoraussetzung für ihre Funktionsfähigkeit dar. Allerdings steht und fällt diese Forderung mit dem Komplexitätsgrad einer Gesellschaft, der niemals gleichsam »bei Null« ansetzt und anagenetisch »nach Unendlich« strebt. Gruppen bleiben per definitionem begrenzt, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Selbst die am wenigsten differenzierten, wie die meisten prädatorischen und frühagrarischen Gesellschaften, setzen sich immer noch aus Männern und Frauen, Jugendlichen und Erwachsenen, Abstammungs- und Heiratsverwandten zusammen. Doch besitzen nicht alle – aus sozialen wie zeitlichen Gründen – die Möglichkeit, ihre Identität und damit ihre je eigenen Sinnsysteme voll auszubilden und vor allem gesamtgesellschaftlich durchzusetzen. Im Vorteil waren in traditionellen Kulturen die ortsansässigen Erwachsenen und Geronten, das heißt, stellt man die überwiegend übliche Patrilinearität der Verwandtschaftsordnung in Rechnung, die männlichen Erwachsenen der ältestansässigen, sogenannten »Gründersippe« seßhafter, also in der Regel agrarischer Dorfgesellschaften. Letztere stellen daher, eben weil sie über einen geringen Komplexitätsgrad verfügten, streng auf Traditionstreue hielten und ihrer weitgehenden Gleichförmigkeit wegen einen annähernd universalen Vergleichsrahmen bieten, ideale »Modellgruppen« zur Bestimmung der elementaren Struktur- und Erhaltsmechanismen von Identität und Sinnsystemen dar. Sie sollen deshalb auch zunächst den folgenden Überlegungen zugrunde gelegt werden – sofern sie, wie das bei frühagrarischen Gesellschaften der Tropen und Subtropen in der Regel der Fall war, die nachstehend genannten Bedingungen erfüllen, das heißt 1. eine überschaubare Größe von durchschnittlich 80 bis 120 Mitgliedern besaßen, so daß sich das Verhalten aller gut koordinieren und die Traditionstreue durch die Öffentlichkeit kontrollieren ließ; 2. bereits über Generationen hin ortsfest lebten, so daß hinreichend Zeit bestand, sich an die lokale Umwelt anzupassen, also auch Vorstellungen über die Natur und entsprechende Sinnkonzepte zu entwickeln und sie an die nachfolgenden Generationen fortzutradieren; 3. ihre Sozialordnung sich mehrheitlich auf (konsanguinale wie affinale) Verwandtschaft gründete, die üblicherweise alle Mitglieder zu strikter Reziprozität verpflichtete; 4. sie ökonomisch weitgehend autark und gesellschaftlich autonom,
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Vom Sinn des Ganzen
also nicht Teil politisch übergeordneter, etwa staatlicher Einheiten waren; 5. in einiger Isolation voneinander lebten und Kontakte eher mieden als suchten.22 Unter diesen Voraussetzungen bildeten sich optimal angepaßte, quasi »insuläre« Lokalkulturen von spezifischer Individualität mit einem ideellen »Überbau« in sich konsistenter Vorstellungen (Rationalisierungen, »Theorien«) zum Zusammenhang von Mensch, Gesellschaft, Flora, Fauna und Geographie der Erfahrungs- und Lebenswelt heraus, die der Gruppe ein festgefügtes Identitätsbewußtsein und ihrem Dasein Sinn, das heißt ein »Telos« verliehen, das ihr Denken und Handeln orientierungsleitend bestimmte. Letzteres darf man als die notwendige Reaktion darauf verstehen, daß Leben und Umwelt, wenn auch im Innern nur kaum als ungeordnet oder gar chaotisch, so doch potentialiter als instabil, ja unter Umständen bedrohlich erfahren wurden. Das Verhältnis der Geschlechterund Altersgruppen, der durch Exogamie verschränkten Verwandtschaftsverbände, soziale Ungleichheit, Mißgunst, Krankheit und Tod, ferner die Imponderabilien des Nahrungserwerbs und speziell der schwer vereinbare Umstand, daß die Tiere und Kulturpflanzen, von denen man im wesentlichen seine Existenz bestritt, einerseits als »Blutsverwandte« galten, andererseits aber um des Überlebens willen getötet werden mußten, warfen Probleme auf, die schwerer als ephemere Kontingenzerfahrungen wogen, da sie ständig gegeben waren, die Selbsterhaltung zu erschüttern drohten und insofern einer plausiblen Lösung mit Anspruch auf Dauergeltung bedurften. Und ebendies leisteten seit alters Sinnsysteme.23 Ihr Verständnis setzt die präzise Bestimmung und Gewichtung der gegebenen existentiellen Probleme, beziehungsweise gründliche Problemfeldanalysen voraus. Damit ein Sinnsystem plausibel und demgemäß funktionsfähig blieb, mußte seine Stabilität gewährleistet sein. Dazu bedurfte es ebenso unantastbarer wie unerschütterlicher Sekurierungsmechanismen. Konsequentermaßen handelte es sich dabei in der Hauptsache um seine möglichst tiefreichende Begründung, die glaubhafte Demonstration seiner Bewährung und die Sicherung seiner Geltungsgewähr in der Gegenwart wie für die Zukunft. Die beiden ersteren Forderungen setzten Rückbezüge voraus. Begründungen erfolgten vor allem: 1. Durch Berufung auf den Mythos, das heißt das Schöpfungsgeschehen während der Ur-, Heroen- und Gründerzeit, in der das noch Form-
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lose und Ungeordnete in Form und Ordnung überführt, der Stammvater des eigenen Ethnos als erster Mensch vom Schöpfer selbst erschaffen und seine unmittelbaren Nachfahren im sozialen Zusammenleben unterwiesen und mit der Kultur vertraut gemacht wurden. Analoge Bedeutung kam für Juden dem Auszug aus Ägypten und die Gesetzgebung auf dem Sinai, für Christen der Lebensund Leidenszeit Jesu, für Muslime der Frühphase der »Urgemeinde« (der umma) in Medina nach dem Auszug Muhammads (der higra) aus Mekka im Jahr 622 zu. Afrikanische Denker und Politiker führen den Ursprung der Kulturen ihres Kontinents auf die altägyptische Hochkultur zurück. Die französischen Revolutionäre von 1789 suchten die Rückbindung an die Römische Republik. In Irland erheben die Protestanten den Anspruch, direkte Nachfahren der altautochthonen Pikten zu sein.24 Im 19. Jahrhundert wurden als nationale Gründerheroen in Frankreich der Gallier Vercingetorix25, in Deutschland der Germane Hermann der Cherusker gefeiert26, während man sich in den jungen Nationalstaaten Zentralasiens auf Gründergrößen wie den islamischen Gelehrten Ibn Sina (Avicenna, 980-1037) und den Gewaltherrscher Timur Läng (1336-1405, Usbekistan) oder den sagenhaften »Reichsgründer« Manas (Kyrgysstan) rückbezieht.27 Fazit: Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je älter sein Ursprung ist und je höhergestellt seine Begründer waren (Anciennitäts- und Autoritätsprinzip). 2. Durch Rückbezug auf den Menschen vor- und übergeordnete transzendente Mächte (Götter, Heroen, Ahnen), die der Welt Gestalt und Ordnung verliehen und alles Geschehen, speziell die Geschicke der Menschen, gerecht und zu ihrem Wohle leiten, auch wenn ihr Walten mitunter, wie im Falle Hiobs, unbegreiflich erscheint.28 Fazit: Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je fester die Überzeugung ist, daß seine Geltung von transzendenten Übermächten garantiert, gewahrt und verantwortet wird (Sanktionierungsprinzip). 3. Durch Bezug auf exemplarische Einsetzungsakte und Großtaten von Göttern, Heroen, Urvorfahren und legendären Führern während der Frühzeit, die zentralen Verhaltensregeln, Institutionen, Kulten, Opfern und Festen unantastbare Geltung und sakrosankte Legitimität verliehen. So gründet sich der Bodenbau zum Beispiel einer bereits im zweiten Beitrag erwähnten weltweit verbreiteten Mythe zufolge29 auf die Tötung und Zerstückelung des »Göttlichen Kindes« der Welteltern Himmel und Erde, aus deren »Leichenteilen« die ersten Kulturpflanzen hervorgingen. In der Folge wurde die »Bluttat« alljährlich während der Mahd aufs neue begangen ^
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und im anschließenden Erntefest vor allem durch das sakramentale Erstfrüchtemahl kultisch nachvollzogen.30 Die göttliche Billigung, die der Mythos verbürgte, entschuldigte und heiligte das zum Überleben unerläßliche Vergehen. Karl der Große verstand David, der laut neutestamentlichem Zeugnis (Lukas 2:4) als Stammvater wie Präfiguration des Heilands galt, auch als Begründer des Königtums und sah sich in seiner – und mithin auch Christi – Nachfolge. Entsprechend wurde der Verräter Ganelon in der Sage vom Untergang der Nachhut Karls in Ronceval als Wiederverkörperung Luzifers und Judas’ gedeutet. In jedem christlichen König und Kaiser perpetuierte sich so der Heilsauftrag des Messias!31 Fazit: Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je unanfechtbarer die Sakralität der Institutionen ist, auf denen es beruht (Institutionalisierungsprinzip). 4. Durch Berufung auf die seit alters – und mithin absolut – geltenden Anschauungen (»Theorien«) über Mensch, Leben, Natur und Kosmos, Verhaltensregeln, Normen, Tabus und Ideale, insgesamt also die Tradition, später auf heilige Texte, Verfassungen, das Recht, die Naturgesetze. Fazit: Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je bruchloser es mit dem geltenden Anschauungs- und Verhaltenskodex korrespondiert (Kanonisierungsprinzip). Solide begründete und insofern plausible Sinnsysteme stehen im Einklang zumindest mit dem zentralen Korpus der Tradition, dessen Geltungsmaximen ihren nomologischen Postulaten entsprechen (»nomischer Sinn«32). Daher sind (irgendwelche) Rahmenkonzepte von Sinn immer schon vorgegeben.33 Ihre elementare Begründungsfigur setzt sich dabei aus einem Satz stets wiederkehrender, gleichsam archetypischer Elemente zusammen, nämlich aus – Spezifischen Orten, an denen die ersten Menschen (die Urvorfahren der eigenen Gruppe) erschaffen wurden, beziehungsweise vom Himmel herab- oder aus der Erde heraufstiegen und die älteste Siedlung, das »Urdorf«, gründeten; daran erinnern unter Umständen noch eine Höhle, eine Hochebene, ein Berg oder Felsmassiv. – Spezifischen Personen, wie den Schöpfer, Kulturheroen, Urahnen und Gründerfiguren samt Gefolge: der Urgemeinschaft oder »Urgemeinde«. – Spezifischen Narrationen, die davon berichten, wie vor allem Mythen, teils auch Legenden und Sagen. – Spezifischen exemplarischen Taten, mit denen die ur- und frühzeitlichen Götter, Heroen, Urahnen und Gründer bestimmte Produktionsformen, Verhaltensregeln, Institutionen und Rituale (bzw. 165
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Kulte) einführten und die seitdem periodisch perpetuiert, das heißt durch entsprechende sakramentale Handlungen im Rahmen kultischer Feiern rituell nachvollzogen werden. – Spezifischen Reliquien der Schöpfungs- und Gründerzeit, die aus dem persönlichen Besitz der Götter, Heroen, Urahnen und Gründer erhalten sind (Geräte, Gebrauchsgegenstände, Trachtstücke, Knochen, Schädel) und in Männerhäusern und Tempeln aufbewahrt, »thesauriert« werden. Diese Elemente stellen den Grundstock eines jeden »kompletten« Sinnsystems dar; sie besitzen zeitlose Geltung, einen maximalen Sakral- und Symbolwert und werden entsprechend als hoch krafthaltig aufgefaßt. Einen zweiten grundlegenden Beitrag zum Stabilitätserhalt von Sinnsystemen leistet, wie gesagt, die Beglaubigung ihrer Bewährung. Auch hierzu muß auf die Vergangenheit, aber nunmehr die nachurzeitliche, jüngere, geschichtliche, die von den Gesta sterblicher Menschen handelt, zurückgegriffen werden. Das geschieht vor allem: 1. Durch Berufung auf das Beispiel der Ahnen, den vermeintlich untadeligen Wandel der Altvorderen34, die offensichtlich allezeit unerschütterlich zum altüberlieferten Erbe standen – denn anders hätte die Gesellschaft nicht erfolgreich zu bestehen vermocht. Die Lehre daraus ist der Appell zur unbedingten Traditionstreue auch in der Gegenwart und in der Zukunft. Fazit: Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je überzeugter man ist, daß es schon immer Dasein und Wohlfahrt der Gruppe verläßlich gewährleistete (Kontinuitätsprinzip). 2. Durch die Doktrin, daß sich seit der Ur- und Früh- beziehungsweise Gründerzeit in der eigenen Kultur und Gesellschaft nichts Wesentliches geändert hat.35 Die Lehre daraus ist der Appell, möglichst keinerlei Neuerungen (»Experimente«) zuzulassen. »Nichts«, so die Überzeugung der Barasana in Kolumbien, »kann existieren, das nicht bereits bekannt wäre, da alles Seiende zu Beginn der Zeiten entstand; Neuheiten können nur Trug sein.«36 Nihil innovetur nisi quod traditum, lautet der Grundsatz der Kulturtradition der römischen Kirche.37 Fazit: Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je unversehrter es ist (Unversehrtheitsprinzip). 3. Durch Exempelgeschichten von Helden, Heiligen und anderen Übergestalten der Überlieferung, die in kritischen Situationen nicht wankten und die Vorfahren durch selbstlosen Einsatz und unerschrockenes, vorbildliches Handeln aus der Not erretteten. Ver166
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schiedene Narrationstypen berichten davon – Märchen ebenso wie Legenden, Sagen und Parabeln, auch die biblische »Weisheitsliteratur«.38 Das Sujet besitzt stets das gleiche Muster: Ein Repräsentant des »Bösen« (ein Unhold, Zauberer, Verräter, Feind) beschwört eine bedrohliche Lage, eine Leidenszeit – kurz: eine problematische Situation herauf, der sich die »Guten« scheinbar hilflos ausgesetzt sehen. Da ersteht ihnen ein Retter (»Erlöser«), der mit Mut, Klugheit, Geschick, Einfallskraft, teils auch List den Gegner bezwingt, »bestraft« und den ursprünglichen Zustand wiederherstellt, die Schöpfung gleichsam restituiert und seinen Lohn davonträgt, indem er zum Beispiel die Nachfolge des altersschwachen Königs antritt. Die Tugend des »Helden« und sein Handeln gewinnen paradigmatische, einzelne Züge metaphorische Bedeutung: Sie werden zu »Kodes« vorbildlichen Verhaltens in Notsituationen. Sie ließen sich mit Hayden White »als Sinnstiftung in Form einer Äquivalenz oder Identität bezeichnen«.39 Die Lehre daraus ist der Appell, in analogen Fällen nicht zu zweifeln und zu verzagen, sondern bereit zu sein, es den großen Vorbildern nachzutun. Dann besteht Hoffnung – bis hin zur eschatologischen Heilsgewißheit.40 Fazit: Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je mehr Beispiele die Überlieferung dafür besitzt, daß in Notsituationen immer Menschen bereitstanden, ihr Leben für seinen Bestand, für »das Gute«, einzusetzen (Präfigurationsprinzip). Der Bewährungsnachweis trägt ein weiteres Mal mehr zum zeitlosen Geltungsanspruch eines Sinnsystems bei. Scheinbar geschichtliche Ereignisse werden durch Folklorisierung, Generalisierung – das heißt die Möglichkeit ihrer allzeitigen Wiederholbarkeit – und Idealisierung enthistorisiert, verstetigt, ja tendentiell verewigt.41 »The collectivity will assert the possibility of its self-perpetuation, elaborating myths and symbolic representations concerned with a ›perennial meaning‹ and ›imaginary immortality‹.«42 Gleichwohl bleibt der Anschein der Geschichtlichkeit, da es sich um nachurzeitliche Begebenheiten handelt und ihre Memoration zum Zweck hat, durch die »erinnernde Vergegenwärtigung der Vergangenheit die eigene Lebenspraxis in den Umständen der Gegenwart zu orientieren und dabei mit einer Zukunftsperspektive zu versehen«.43 Dadurch erhalten die genannten Elemente der Begründungsfigur von Sinnsystemen eine zusätzliche, quasi-historische Dimensionierung. Fixgrößen bilden demnach in zweiter Instanz auch: – Spezifische Orte, an denen Ereignisse von wegweisender, exemplarischer Bedeutung geschahen. 167
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– Spezifische Personen, die entweder kollektiv, als Gemeinschaft der Vorangegangenen (Ahnen), vorbildlich zum Erhalt der Schöpfungsordnung beitrugen oder als herausragende einzelne ihren Bestand in Krisenzeiten vor dem Untergang bewahrten. – Spezifische Narrationen, die davon berichten, in diesem Fall vor allem Legenden, Exempelgeschichten und Sagen. – Spezifische exemplarische Taten, durch die es den legendären und sagenhaften Rettergestalten (»Erlösern«) vor allem gelang, die kritischen Situationen zu meistern und die daher wegweisende, paradigmatische Bedeutung gewannen. – Spezifische Reliquien, das heißt Andenken (Gebrauchsgegenstände, vor allem Waffen und Trophäen), die an das Geschehen und die Großtaten der Helden erinnern. Begründung und Bewährung dienen der Beglaubigung der gelebten Überlieferungsordnung, mit der Moral, daß, wer vom Herkommen abweicht, den Bestand des Ganzen, die Existenz aller gefährdet. Doch ist es mit Appellen allein nicht getan. Ein Sinnsystem, das Mark und Weisungskonzept jeder Lebens- und Weltanschauung, bedarf mehr noch, ja vor allem der Resistenzsicherung hier und jetzt. Sie schließlich wurde zur Hauptsache gewährleistet durch die Institutionen: 1. Zentrale Autoritäten, das heißt Personen, die als Verkörperungen oder legitime Nachfolger und Repräsentanten der Urahnen (»Erzväter«), Gründer- und Stiftergestalten, in Königtümern der Schöpfer (bzw. Einiger) des Reichs und Dynastiegründer gelten und die Verantwortung für den Erhalt der traditionellen Seinsordnung tragen. In dörflichen Agrargesellschaften hatten diese Position gewöhnlich die »Ältesten« der Gründersippe (die Gearchen oder »Erdherren«) inne; bei den Irokesen nahmen die Mitglieder des Liga-Rates der »Fünf Nationen« bei Amtsantritt jeweils die Namen ihrer Vorgänger, also in letzter Instanz der Erstinhaber ihrer Sitze, an; der Ratsvorsitzende – immer das Oberhaupt der Onondaga – entsprechend den des politischen Gründers der Konföderation Thadodaho44. In südsudanischen (aber auch anderen) Königskulturen, wie bei den Shilluk zum Beispiel, galten die amtierenden Könige als Manifestationen des Begründers der Dynastie.45 Karl der Große sah sich, wie schon erwähnt, in der Nachfolge Davids, und noch Kaiser Wilhelm I. ließ sich während der Einweihung des Hermannsdenkmals 1875 als »Arminius Wilhelmus« feiern.46 Fazit: Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je höher der
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Legitimitäts- und Autoritätsgrad, das heißt der Status derer ist, die mit ihrer Person seine Geltung verkörpern (Repräsentationsfiktion). 2. Zentrale Bereiche, das heißt Lokalitäten, die etwa als Ausgangspunkt der Schöpfung, als Ursprungsdorf, Weihekomplex mit Gründergrab, ältestes Heiligtum oder Gedenkstätten hochbedeutsamer Geschehnisse sakrale Geltung besitzen und demzufolge Orte sakramentaler, kultischer Handlungen und Memorationen heiliger Überlieferungen sind. Fazit: Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je sinnfälliger seine Testate durch lokale Denkmäler bezeugt sind (Sakralitätsfiktion). 3. Zentrale Kulte, das heißt Sakralhandlungen, in denen, gewöhnlich zu Jahresbeginn, das konstituierende Geschehen zur Ur- und Gründerzeit, kraft dessen die systemtragenden sakramentalen Akte und Institutionen eingesetzt worden waren, rituell nachvollzogen werden.47 Die Zeit »hält« während dieser paradigmatischen Wendeprozesse gleichsam »inne«; es herrscht eine Phase »kairotischer« Enthobenheit48; die Schöpfung tritt, wiederbegründet, makellos und frischgestärkt, aufs neue ins Leben. Fazit: Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je augenfälliger und unantastbarer der Bestand seiner zentralen Institutionen ins Bild gesetzt wird (Revivalisierungsfiktion). 4. Zentrale Texte, das heißt Überlieferungen, die von den grundlegenden Entstehungsvorgängen und Ersteinsetzungen berichten sowie, diesen oftmals integriert, Gebote und Tabus, sakramentale und liturgische Handlungsanweisungen (»dieses tuet …«) der Götter, Heroen, Urvorfahren und Gründer enthalten, daher als sakrosankt und dem Inhalt wie der Form nach als unantastbar gelten, weshalb sie unter der Kontrolle der zentralen Autoritäten verbleiben und von diesen lediglich im Rahmen der großen Kultfeierlichkeiten vorgetragen werden. Namentlich Mythen, Legenden und Sagen stellen eine spezifische »mentale Operation der Sinnbildung« dar49, indem sie die berichtete Ereignisabfolge mit exemplarischen, das heißt zeitlos gültigen Geschehens- und Handlungsfiguren verbinden, die »aus Fällen Regeln generieren«50. Zwar aus quasilinearer Zeiterfahrung schöpfend, verleiht ihnen der Einschluß paradigmatischer »Fälle« doch eine verbindliche Struktur, einen »meta-narrativen Status«51, der seinerseits verbürgt wird durch den Kernverbund von Erstursprungsanspruch, den »Ältesten« als obrigkeitlichen Verantwortungsträgern, Kult und Unantastbarkeit der zentralen Traditionsgüter. Dieser selbst liefert die Gewährleistung für die bruchlose Überlieferungspflege seit Anbeginn. Fazit:
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Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je verläßlicher und langfristiger sein Bestand durch sakrale Texte bezeugt ist (Legalitätsfiktion). 5. Zentrale Gebote, das heißt Regularien, die das Verhalten im Kernbereich, den Umgang mit Texten, Reliquien und Traditionen, insbesondere den Vollzug der Kulthandlungen (teils aber auch darüber hinaus im weiteren sozialen Umfeld) rituell, das heißt kontingenzreduzierend52, binden und damit den Charakter zeitlos gültiger Gesetzmäßigkeiten gewinnen.53 Fazit: Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je fester geknüpft die Beziehungen sind, die seinen Zusammenhang konstituieren (Regularitätsfiktion). 6. Zentrale Abwehrmechanismen, das heißt standardisierte Praxen, die ein System, und namentlich seinen Kernbereich, von allem, was seine Konsistenz und seinen Bestand an Verhalten, Neigungen und Ideen stören, bedrohen oder gar verletzen könnte, mittels Tabus, Restriktionen, Diskriminierung (Sündenbock-Verdikt), Exkommunikation oder auch Extinktion (von Abweichlern, Abtrünnigen, Verrätern, »Schädlingen« usw.)54 freihalten. Fazit: Ein Sinnsystem erscheint um so sicherer verbürgt, je reiner es sowohl formal als auch inhaltlich erhalten ist (Sekuritätsfiktion). Diese Instrumentarien sichern das Kerngerüst der Sinnsysteme, das leuchtend in die Umgebung abstrahlt, das gesellschaftliche Leben schattenwurfartig strukturierend durchdringt und seinen Bewegungsverläufen Orientierung und Telos verleiht. In solchermaßen idealtypisch konsistenten Systemen dient im Grunde die gesamte Kultur – von der topographischen Raumordnung von Haus, Siedlung und Territorium über die Aufgabenverteilung, die sozialen Institutionen, die Ämterhierarchie, die Etikette, die Trachten, das Brauchtum, die Inszenierung der großen Feste bis hin zu den Narrationen, ja der Begrifflichkeit und Metaphorik – als ein einziges vielfältiges Ausdrucksmedium des sie tragenden Sinnsystems. Unter den Daseinsbedingungen traditioneller, vor allem dörflicher Gesellschaften herrschte ein hohes Maß an Identität, das unmittelbar in der Gemeinsinnigkeit des familiären und verwandtschaftlichen Zusammenlebens erfahrbar war und über den Ahnen- und Wiedergeburtsglauben Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auch zu einer zeitlichen Einheit verband. »Vorfahren, Ehe und Nachfahren«, so eine Spruchweisheit der Skipetaren im Norden Albaniens, »das ist der Sinn des Lebens.«55 Die soziale Kohärenz fand ihren adäquaten Ausdruck in einer weitgehend einheitlichen Kultur, die nur »sinnverträgliche Erfahrungen« zuließ56 und deren Erhalt die Konsistenz und Aufbau170
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struktur des Sinnsystems samt den ehernen Regeln des Traditionalismus gewährleisteten. Resümierend ist festzuhalten: Das Kerngerüst eines Sinnsystems setzt sich aus einer Reihe elementarer, »archetypischer« Fixgrößen oder symbolischer »Kodes« mythisch und historisch bedeutungsvoller Stätten und Gegenstände (»Reliquien«), führender Gründergestalten und Autoritätsträger, geheiligter Überlieferungstexte, paradigmatischer Handlungsfiguren (»Sakramente«), zentraler Verhaltensregeln, Institutionen und Vorstellungen über Mensch, Dasein und Welt zusammen. Sein Verbund wird insbesondere von den Prinzipien der Anciennität, Sanktionierung, Kanonisierung, Kontinuität und Unversehrtheit sowie den Idealen der Reziprozität, Solidarität, Traditionstreue, Einsatz- und Opferbereitschaft bestimmt. Dies bildet zusammen ein Anschauungsganzes vornehmlich aus Sakralitäts-, Legalitäts- und Regularitätsfiktionen, in summa: der »Kohärenzfiktion«57, das der Identitätsideologie der Gruppe entspricht und, solchergestalt verstetigt, den Anschein zeitloser Geltungsgewähr besitzt. Begründung erklärt und legitimiert, Bewährung beglaubigt, Fiktionen idealisieren und verleihen dem Ganzen so die Weihe der Sinnhaftigkeit. Traditionelle Dorfgesellschaften, die den im vorausgehenden genannten Bedingungen entsprachen, repräsentierten den Idealtyp geschlossener, in sich konsistenter Sinnsysteme. Sie lassen sich formalsystematisch als insuläre, »hesychetische«58 Kulturen bezeichnen. Ihre »Hesychia«, in den Zentren komprimiert, hochstilisiert, ästhetisiert und sakralisiert, war das Ergebnis langwährender optimaler Anpassung an spezifische, vordem weitgehend isolierte Naturräume – in extremis ozeanische Eilande, dünnbesiedelte Savannen- und Regenwaldräume oder abgelegene Bergtäler – in denen die »Evolution« gleichsam zum Stillstand gekommen war.59 Jede kann »legitimately be isolated for description as an island to itself«60 oder, um es mit Max Weber zu sagen, verstanden werden als »ein mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens«.61
3. Sinnkrisen Doch auch Isolation kann niemals voll verläßliche Sicherheit garantieren. Jedes Sinnsystem wird von vielfältigen – geographischen, ethnischen historischen – Umwelten umschlossen, die seiner Regelstrukturierung entzogen sind, ein Tatbestand, der sich überdies in seinem Innern »abgedämpft« wiederholt: Ein jedes setzt sich aus Subsystemen 171
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zusammen, die einander als binnensozietäre Eigen- und Umwelten gegenüberstehen. Aus den Mikro- und Makrodivergenzen, die sich daraus ergeben, erwächst die stete Gefährdung störender exogener Impulse, die »Kontingenzen« auslösen und die betroffenen Endosysteme erschüttern können. Geschieht das, gerät die »prästabilierte Harmonie« der Regelprozesse aus dem Lot und wird Zeit als eigendynamische und bedrohliche, das heißt als Maßgröße potentieller Veränderung bewußt.62 Sinnsysteme erscheinen daher in ihrem Bestand generell durch zwei Arten möglicher Störimpulse gefährdet: 1. Durch endogene, die existenz- oder systembedingt sind und daher entweder regelmäßig oder unverhofft auftreten. Im ersteren Fall sind vor allem die Tötungsproblematik in prädatorischen und frühagrarischen Kulturen sowie Statuswechselprozesse, das heißt die immer kritischen Übergänge von einem zu einem anderen Lebensabschnitt, beziehungsweise von einem zu einem anderen Aufgaben- und Verantwortungsbereich, also von einem zu einem anderen Subsinnsystem gemeint: Jugendliche treten in die Erwachsenen- und Berufswelt ein, Ledige werden zu Eheleuten, Jungverheiratete zu Eltern, Gatten zu Verwitweten, Tote zu Ahnen. Das bedeutete für die Mitglieder der aufnehmenden, übergeordneten Gruppe, daß sie unter Umständen genötigt waren, die Werte und Maximen ihres Sinnsystems gegenüber den neu Hinzugekommenen als die höhergültigen auszuweisen, das heißt entsprechend zu begründen und zu legitimieren. In traditionellen Gesellschaften, in denen sich derartige Prozesse weitgehend auf die gleiche Weise wiederholten, hatte man hinreichend Gelegenheit gehabt, ihr Konfliktpotential auf probate Art zu entschärfen. Das war vor allem durch die Formalisierung des Geschehens erfolgt. Die Prozesse vollzogen sich unter der Regie und Kontrolle der Aufnahmegruppe im Rahmen der »Übergangsriten« (Rites de Passage), in deren Verlauf die Kandidaten in den drei Schritten des »Abtötens«, des Eintritts ins »Totenreich« und der »Neugeburt« samt Wiedereingliederung in die Gesellschaft, speziell ihre künftige Statusgemeinschaft, zu »neuen Menschen« – Jugendliche während der Initiation zu Erwachsenen, Ledige während der Heiratszeremonien zu Eheleuten, Verstorbene während der Beisetzungsriten zu Ahnen – umgewandelt wurden. Hinterbliebenen half man über den erlittenen Verlust durch die analog strukturierte Trauerphase hinweg. Anciennität, Sakramentalität und Sakralität der Rituale erstickten mögliche Zweifel nicht nur im Keim, sie trugen immer 172
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aufs neue auch zur Bestätigung der Sinnsysteme bei. Gleichwohl blieb eine latente Gefährdung, ein niemals vollends zu tilgendes Konfliktpotential. Im letzteren Fall handelt es sich um Regelverletzungen, Tabubrüche und andere Vergehen, etwa Gewaltdelikte, um Mißgunst, Feindseligkeit und Streit, um Krankheit, Unfälle und Mißerfolg. 2. Härtere Erschütterungen drohen einem Sinnsystem auf jeden Fall durch (massive) exogene Impulse, wie sie besonders akut werden können infolge einschneidender Veränderungen und Umwälzungsprozesse in der geographischen, mehr noch der ethnischen Umwelt. Das war spätestens seit Entstehen der Archaischen Hochkulturen gegen Ende des 5. Jahrtausends v. Chr. der Fall. Eroberungs-, später auch Glaubenskriege, Vertreibung, gewaltsame Umsiedlungen und Verschleppung in die Sklaverei erschütterten vor allem die Sinnsysteme der Opfer sozusagen »bis ins Mark«; doch auch die der Aggressoren bildeten sich in Anpassung an die neue Situation und die veränderten Aufgaben um. Einbrüche ins Maschenwerk eines Sinnsystems machen die Betroffenen »irre«. Vertraute Bindungen lösen sich auf. Die Menschen, diagnostiziert der Medizinische Psychologe Wolfgang Krebs derartige Zustände, »verstehen sich nicht mehr als Teil einer göttlichen Weltordnung, als dem Ganzen der Natur unverlierbar zugehörig oder einer prinzipiellen Ordnung verpflichtet, die den einzelnen in einen Sinnbezug einbindet.«63 In ernsteren Fällen kommt es zur Desynchronisation von Brauchtümern, Ritualen und Tradition.64 Widersprüche und Paradoxien brechen auf, die zu neuen Fragen führen, auf die keine probaten Antworten bereitstehen. Die Folgen sind zumindest partielle Desorientierung, die »nagende« Zweifel an den überkommenen Sinnsystemen weckt, ja Angst65, auch erhöhte Suizidanfälligkeit auslöst.66 Redlich Gebliebene sehen sich plötzlich zurückgesetzt, um Erfolg und Anerkennung gebracht, ja geraten vielleicht in Not, während skrupellose Menschen- und Gesetzesverächter, denen an nichts als ihrem eigenen Fortkommen liegt, auf der Sonnenseite des Lebens stehen und zynisch triumphieren – bekanntlich die Klage vieler biblischer Texte.67 Leid zehrt an Sinnsystemen, das eigene ebenso wie das Nahestehender.68 Daß sie sich vollends »in Extremsituationen plötzlich bewähren«, meint der Philosoph Rainer Specht, sei »wenig wahrscheinlich«.69 Doch liegt gerade darin auch eine Chance. Defekte rücken das betroffene System als solches oft überhaupt erst wieder ins Bewußtsein.70 Darauf kann man mit Rückzug (in die »innere Emigration«) und Resignation oder positiver mit schöpferischer Tagträumerei rea173
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gieren. Leid und Ratlosigkeit werden erträglicher, wenn man sich in – noch »heile« – Phantasiewelten versetzt, Utopien entwirft oder Luftschlösser errichtet, die fest und gefeit vor den Widrigkeiten der Wirklichkeit sind und in denen sich zuversichtlicher leben läßt. Schwergeprüfte, Kranke und Verzweifelte wenden sich häufig – wieder – der Religion zu, suchen Trost in der Hoffnung, daß am Ende doch »wieder alles gut wird«, ja im Glauben an Wunder. Phantasie (oder »Glaube«) ist durchaus ein probates Mittel, mit Problemen und Leiden leichter fertigzuwerden, weil sie Kraft gibt, Hoffnung macht, motiviert und erneute Zuversicht stiftet – sofern sie ein expediens ad hoc, das heißt auf den Fall bezogen bleibt und nicht zur vollen Entrückung in die Irrealität verleitet. Propheten wie Politiker wissen in Krisenzeiten manch betörendes Lied davon zu singen. Fiktionalität ist eben ein essentieller Aspekt von Sinnsystemen, da sie dem Haupt des Deutens entspringt und Be-deutung kreiert. Doch ist es damit allein nicht getan. Die Bedrohung intakter Sinnsysteme veranlaßt die Betroffenen, vor allem aber die Verantwortlichen, gewöhnlich, nach Mitteln und Wegen zu suchen, der Gefahr zu wehren, die bereits eingetretenen Schäden umgehend zu beheben und das schwankende Bedeutungsgefüge zu restabilisieren, um wieder Boden unter den Füßen und Halt zu gewinnen.71 Der erste Schritt dazu besteht in der Ermittlung der Ursachen des Unheilsgeschehens. In traditionellen wie ebenso später auch Gesellschaften mit geschlossenen Glaubenssystemen (»Hochreligionen«) deutete man es allgemein intentional »animistisch«, indem man eine »Absicht« zugrunde legte. Dafür standen in der Regel drei Erklärungsalternativen bereit: Die Misere ging auf die Mißgunst, den Neid und die Haßgefühle anderer oder schwarze Magie zurück; sie stellte eine bedeutungsvolle Information, etwa ein warnendes »Zeichen«, oder aber die Strafe der Ahnen und Götter für ein schwerwiegendes Vergehen dar. Mit dem seit den Umwälzungen ab Ende des 5. Jahrtausends einsetzenden Wandel der Kulturen und Sinnsysteme traten andere Begründungskonzepte in den Vordergrund; doch lebten die älteren in den jüngeren Deutungssystemen längs der Zentralachse bleibender existentieller Probleme (z.B. Krankheit und Tod) – im Volks- oder »Aberglauben« – weiterhin fort. Nunmehr konnten Kontingenzen etwa auf Mutationen in der biotischen Evolution, fehlerhafte Voraussagen in physikalischen Theorien, auf polykausale »Ereignisse« im Sinne der Geschichtswissenschaften72 oder puren »Zufall« zurückgeführt werden. Im Rahmen der geltenden Voraussetzungen macht das jedesmal »Sinn«. 174
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Da Kontingenz sich plausibel allein aus den eigenen endosystemischen (»nostrozentrischen«) Vorstellungsvoraussetzungen heraus erklären läßt, kann sie, wie schon gesagt, nur exogenen Ursprungs sein, das heißt: Sie rührt sozusagen aus der Zukunft her, der Welt des niemals untrüglich Bestimmbaren, in der, ganz im Gegensatz zur Vergangenheit, vieles der Möglichkeit, der Mutation, dem Zufall oder göttlichem Eingriff anheimgestellt bleibt. Faktisch gegeben ist allein, was, solide dokumentiert, zeitlich zurückliegt; seine verläßliche Kenntnis, die »Tradition«, macht beispielsweise Voraussagen und die Gesetzesaussagen der Naturwissenschaften möglich. Die Gegenwart erscheint demgegenüber potentiell, die Zukunft höchstmäßig kontingenzanfällig.73 Darum sind Sinnsysteme zwingend darauf angelegt, den Anspruch auf überzeitliche, im Herkommen oder der »Natur« begründete Geltung zu erheben. Das erforderte in Störungsfällen von den Verantwortungsträgern, entstandene Zweifel auszuräumen, Widersprüche zu beseitigen, den Schwankenden wieder Halt zu verleihen, Sprünge zu dichten und Lücken zu schließen, Streitfälle beizulegen, dafür Sorge zu tragen, daß Vergehen gesühnt wurden, und eingedrungene Fremdelemente auszutilgen beziehungsweise, falls das nicht (mehr) möglich war oder sie sich als nützlich erwiesen, sie dem Endosystem zu integrieren – kurz: das Geschehene rückgängig, gleichsam »ungeschehen« zu machen, um die ursprüngliche Unversehrtheit der altüberlieferten »Heilsordnung« wiederherzustellen. Dazu wandte man, je nach Art der Schädigung, in der Hauptsache die folgenden Maßnahmen auf: – Durch Fehlverhalten oder Fremdkontakte entstandene »Kontaminationen« wurden durch Reinigung beseitigt – äußere durch Ablutionen, Abreiben mit »desinfizierenden« Substanzen, Räuchern oder Fortbrennen (Kauterisieren), innere durch Aderlaß, Schwitzkuren, künstlich herbeigeführtes Erbrechen und Beichten. – Regelwidrigkeiten, durch die Geradläufiges »verbogen« oder »abwegig« geworden war, erforderten Reversierungsmaßnahmen – indem man Beschädigtes ausbesserte, Zerstörtes wiederherstellte, Verletzte heilte, Gewalttaten durch die »Spiegelstrafe« (das ius talionis) ahndete, nach dem Grundsatz: »Auge um Auge, Zahn um Zahn« usw. (vgl. 2. Mose 21:23ff.) oder Leben für Leben (Blutrache). – Zwistigkeiten wurden beigelegt durch rituelle Aussöhnungsmaßnahmen und/oder materielle Entgelte (Güter, Vieh, Menschen, Dienstleistungen). – Frevel wider Ahnen und Götter waren durch Reue und Bußübungen (Absonderung, Fasten, Kasteiungen) sowie Opfergaben zu sühnen, 175
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durch die das gestörte Reziprozitäts- und Redistributionsverhältnis zwischen Menschen und Jenseitsmächten wieder ins Lot gebracht wurde. – Schwerstvergehen erforderten eine Erneuerung von Grund auf durch totale Reversion, das heißt die Schuldigen hatten sich einer rituellen Wiedergeburt im Rahmen der Rites de Passage zu unterziehen, an deren Ende sie, fehllos wie Säuglinge, als »neue Menschen« Wiederaufnahme in der Gesellschaft fanden. – Drohender Destabilisierung wurde generell durch Sekurierungsmaßnahmen begegnet, indem man die Bindungen und Obligationen zusätzlich anzog und verschärft überwachte, die Institutionen jeglicher Antastbarkeit entzog und geltende Anschauungen durch Dogmatisierung außer Frage stellte – gewöhnlich allerdings um den Preis, daß die Bedeutungsgehalte der Sinnsysteme unter dem Instrumentalisierungsdruck zunehmend verblaßten, zu »Leerformeln« erstarrten und, in der Terminologie von Leo Frobenius (1873-1938), aus dem Stadium der »Ergriffenheit« zur puren »Anwendung« gerannen.74 – Fremdgut, das sich weder vernichten noch ausscheiden ließ oder als brauchbar erwiesen hatte, wurde »entstört«, das heißt gereinigt, zurechtgebogen, eingepaßt (integriert) und aus Legitimationsgründen zum ursprünglichen Eigenbesitz erklärt. In den gängigen Fällen – wie bei Heirat, dem Empfang von Gästen oder der Eingliederung ethnisch Fremder (z.B. Gefangener) auf Dauer – geschah das durch Adoption, das heißt rituelle Eingeburt durch Rites de Passage oder Blutaustausch (z.B. bei »Blutsbrüderschaften«), in kontingenten dagegen durch Verankerung in der eigenen Schöpfungsgeschichte. Laut Überlieferung der Kágaba in Kolumbien beherrschten ihre Urvorfahren als erste die Metallurgie; einer ihrer Kulturheroen hatte sie darin unterwiesen. Den reute die Segenstat jedoch bald, da sie den Indianern viel Arbeit machte und sie darüber ihre religiösen Pflichten vernachlässigten. So entschied er sich schließlich, die Technik den »jüngeren Brüdern« der Kágaba, den Engländern und Franzosen, zu überlassen, »die heute in der Tat im Ausland die Messer machen«.75 In der Regel fand Aufnahme nur, was, wie Anton Lukesch das auch für die Kayapó in Brasilien bestätigt, »in das mythische Konzept der Indianer paßte […] Die Bezugnahme auf die Urzeit« macht erst »die Annahme von neuen Ideen« möglich, »ohne daß dadurch die Geschlossenheit und Harmonie ihres Weltbildes wesentlich gestört« wird.76 Als in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts nahe Uwet, einem Dorf gut 50 km nördlich von Calabar im heutigen Nigeria, ein Meteorit einschlug, war das gewiß 176
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zunächst ein wahrhaft »bestürzendes«, hochkontingentes Ereignis, das dringend der Deutung bedurfte. Da der Stein vom Himmel gefallen und niemand zu Schaden gekommen war, faßte man ihn als göttliche Gnadengabe auf. Man richtete ihm ein kleines Heiligtum ein, zu dem lediglich das Dorfoberhaupt Zutritt hatte. Nur zu den großen Festen wurde er öffentlich gezeigt. Fortan galt er als Kraftquell und Heilsgarant der Gruppe und hatte so seinen passenden Platz in ihrem Sinnsystem gefunden.77 Unheilbar Entartetes oder Fremdgut, das eine bedrohliche Wirkung entfaltete und sich nicht integrieren ließ, wurde isoliert, das heißt durch Seklusion oder Marginalisierung dem Zugang entrückt, extinguiert oder exkommuniziert. In den ersteren Fällen lief das auf einen langsamen, in allen auf einen endgültigen Ausschluß, bei Personen auf einen »sozialen Tod« hinaus: Die Leichname von Hingerichteten wurden in den »Busch« geworfen oder dort nur flüchtig verscharrt, also nicht rituell bestattet, ein Los, das Exilierten ohnehin bevorstand. Das hatte zur Konsequenz, daß die Freiseelen derart eines »Schlimmen Todes« Verstorbener nicht den Weg ins Totenreich zu den Ahnen fanden und so für immer von der Wiedergeburt ausgeschlossen blieben. Sinnsysteme besitzen die Funktion, den Menschen nicht allein die notwendige handlungs- und lebensleitende Orientierung zu verleihen, sondern ihnen auch bei der Überwindung von Krisen Hilfestellung zu leisten. Dazu dienen die genannten Sekurierungsmaßnahmen, die kontingente Erfahrungen entweder zunichte machen oder deutend der Überlieferung einbeziehen und durch Rückführung auf das mythische Ursprungsgeschehen legalisieren und binden78, so daß, im Gelingensfall, die Störung behoben und die das Leben verbürgende altüberkommene Ordnung, der Friede, die Harmonie und das Heil sicher restituiert erscheinen. Allerdings traf das realiter nur bedingt, am ehesten auf die Idealtypen quasi insulärer, »hesychetischer« Kulturen zu. De facto kam es schon immer, und verstärkt seit Entstehen der Archaischen Hochkulturen, zu – anfangs noch »weicheren« – Berührungs-, Austausch-, Durchdringungs- und demischen Verschiebungs- und Umschichtungsprozessen, die dann im Umfeld und den unmittelbaren Einflußbereichen der Hochkulturen zu einer rasch wachsenden Dynamisierung, das heißt Pluralisierung der Verhältnisse führten und lediglich in den abgelegeneren Kulturen auf die beschriebene Weise weitgehend abgewehrt und durch Restituierung wieder ausgeglichen werden konnten. In den ersteren Fällen aber bildeten sich zunehmend komplexere, 177
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multikulturelle Gesellschaften heraus.79 Namentlich in den Metropolen entstanden mit der systembedingt wachsenden Binnendifferenzierung und fortschreitenden »compartmentalization«80 immer mehr Sub- und Spezial-, insgesamt sozusagen »Mehrzellenkulturen«, bestehend etwa aus Minderheiten-, Berufs-, Elite-, Paria- und Diaspora-, auch ausgesprochenen Alternativkulturen (Geheim- und Mysterienreligionen, Orden, Sekten, Jugendbewegungen usw.) mit entsprechend vielfältigen sozialen Milieus und konkurrierenden Lebensstilen.81 Je häufiger und enger dabei – zunächst noch – eigenförmige Systeme in Kontakt miteinander gerieten und Kombinationen eingingen, desto mehr Grenzund Reibungszonen entstanden. Die Problematik griff tief bis in die Basisgründe der Gesellschaft ein. Einzelne (und ihre Familien) gehörten gleichzeitig mehreren Gruppen an und teilten deren – ethnische, berufs-, zunft- und standesspezifische oder religiöse – Identität.82 Die ursprünglichen Binnenbande begannen sich zu lösen; die ehedem klarer konturierten Sinnsysteme »weichten auf« und gingen im Grenzbereich, unter dem Andruck der Alternativen, in einen fließenden Fluktuationszustand über. Die Bedeutung der Tradition trat zurück. Der einzelne geriet in den Sog der Individualisierung – und gewann (vermeintlich) damit an Autonomie, Freiheit und »Persönlichkeit«. Proportional zum Differenzierungs- und Komplexitätsgrad einer Gesellschaft nahmen, in gleichsam geometrischer Progression, Konfliktpotentiale, Krisenanfälligkeit und Kontingenzaufkommen zu. Die einzelnen Sinnsysteme »spannten« sich gleichsam unter der wachsenden Belastung; teils zersprangen sie und büßten an Kohärenz und Überzeugungskraft ein. Andere lösten sich vollends auf; ihre Fragmente fügten sich zu neuen Kombinationen von bedingtermaßen nur geringer Beständigkeit zusammen. Destabilisierung der Werte- und Anschauungswelt sowie Orientierungsunsicherheit waren die Folgen83 – aber auch ein erhöhtes Kreativitätsaufkommen: Die immer wieder in Frage, zur Disposition gestellte, kritisch thematisierte Sinnhaftigkeit des Daseins weckte verstärkt das Bewußtsein dafür und das Bemühen um ihren Wiedergewinn, reaktualisierte die Suche nach Sinn und erhöhte so, im Wechselspiel mit der Vielfalt der Alternativen – und namentlich in den Rand-, also den Reibungs- und Konfliktbereichen – den Druck und die Möglichkeiten, neue Konzepte zu entwickeln und zu erproben. Je komplexer eine Gesellschaft, könnte man sagen, das heißt je gebrochener die Kontinuitäten und je fraktaler die Kohärenzstrukturen sind, desto mehr intensivieren sich zwar die Sekurierungsbemühungen, desto anfälliger und labiler aber wird auch die Geltungs-
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gewähr der Sinnkonzepte und wächst entsprechend der Reflexionsaufwand, das Krisen- und Kreativitätspotential. Gleichwohl bleibt bei vielen – und nicht allein alternden Menschen84, sondern auch Jugendlichen85 – eine Art Hohlgefühl und das Bedürfnis nach einem, ob nun religiösen oder säkularen, wissenschaftlichen oder politischen, »ganzheitlichen«, alles umfassenden Weltverständnis, in dem man sich aufgehoben und sicher positioniert weiß und das den vielen Wegen, Möglichkeiten und Leidenserfahrungen doch einen »höheren«, übergeordneten Sinn verleiht und vor allem in Krisenzeiten den einzelnen nicht hilflos sich selbst überläßt, sondern ihm vorgibt, wie er sich sinnadäquat zu verhalten hat. Andere, die sich als aufgeklärte und allein der Vernunft verpflichtete »Intellektuelle« empfinden, akzeptieren, ja begrüßen den Pluralismus mit bekennendem Enthusiasmus als ebenso fortschrittliches wie zeitgemäßes »Projekt«, sehen gerade in ihm, nach der libertinistischen Feyerabend-Devise »anything goes«, die Losung und Seinsphilosophie der »Postmoderne« und dünken sich berechtigt, überkommene, gleichsam altbakkene Sinnsysteme für illusionäre Gespinste zu erklären, deren überschüssige Bedeutungslast die Chance zu geistigen Aufbrüchen geradezu ersticken mußte.86 Doch gedeihen derartige gedankliche Freizügigkeiten wohl nur in länger währenden Friedenszeiten und im Rahmen stabiler Demokratien. Große Katastrophen, wie weiland der Einbruch der Weißen in die entlegenen Welten hesychetischer Kulturen, die Massendeportation in die Sklaverei und jüngst im 20. Jahrhundert die verheerenden Weltkriege mit Holocaust und Atombombeninferno löschen alle relativistische Vielfaltseuphorie schlagartig und auf brutale Weise aus. Führen sie nicht, wie anfangs zumindest, zu lähmendem Entsetzen und Agonie, bricht spätestens dann die sehnsüchtige Suche nach einer Erklärung, die sie begründet, das heißt nach dem Sinn auf, der das schier Unbegreifliche dennoch faßbar und ein Weiterleben mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft trotz allem noch möglich erscheinen läßt. Oft werden derartige apokalyptische Einbrüche als »Schlüsselereignis« dafür gedeutet, daß die Betroffenen grundlegende Werte und Traditionen sträflich vernachlässigten, als »inescapably a central element in our endeavours towards making sense of our world«87, als radikaler Kontinuitätsbruch, der »bisher geltende Denkformen […] aufsprengt und daher nur bewältigt werden kann, wenn neue Denkformen und Deutungsmuster entwickelt werden«.88 Wenn die Kraft dazu reicht und die Umstände es zulassen, können sich aus derartigen Katastrophen folgenreiche Wendeprozesse entwik-
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keln, denen immer gemeinsam ist, daß sie als Aufbruch zu »neuen Ufern«, als Aufstieg aus einer »dunklen« Vergangenheit wüster Verworfenheit in eine neue Heilsära aufgefaßt werden.89 Mehr motivierend als starke prophetische Worte wirken dabei oft praktische wie gedankliche Entdeckungen beziehungsweise revolutionäre Innovationen, die Folge der Krise sind und von denen man sich den Ausweg aus dem Desaster erhofft. Die »Reformation«, die »Französische«, die »wissenschaftliche« oder »industrielle Revolution«, die »kopernikanische« oder »atomare Wende«, der Sozialismus, Marxismus und Faschismus bilden nur die bekanntesten Beispiele dafür. Allerdings bringen derartige Umwälzungen nicht allein Segnungen mit sich. Häufig genug führten sie ebenso auch zu verheerenden Kriegen, zu Massendeportationen, Massenversklavung, Massenflucht, Massenausbeutung und Massenvernichtung. Erstes Anliegen siegreicher Revolutionäre ist die »Umgestaltung« von Gesellschaft und Kultur. Der Neubeginn muß deutlich werden. Man schreibt, de facto oder symbolisch, das Jahr »eins«. In der DDR setzte die Heilszeit 1949 ein. Die damals Geborenen, die sogenannten »Mitternachtskinder«, bildeten die Hoffnungsträger schlechthin. Es galt, einen neuen, den »Sowjetmenschen«, und eine neue, die »sozialistische Menschengemeinschaft« zu schaffen. Für die Faschisten Europas stellte der Erste Weltkrieg die entscheidende Wende dar. In Italien sah sich der »Duce« in der Nachfolge Caesars und des princeps und pater patriae Augustus. Streng nach den »altrömischen Tugenden« der Unbestechlichkeit, Staatstreue, Kampfbereitschaft und Arbeitsamkeit setzte man sich zum Ziel, »die Massen zu formen« (plasmare le masse), den »Homo fascisticus« zu schaffen. Auch hier ruhte die Hoffnung auf der Jugend. Ihr sollte die Zukunft gehören.90 Den Deutschen hatte die »Vorsehung« einen »Führer« geschenkt, wodurch seine Sendung hinreichend legitimiert und sichergestellt war, daß in jedem Fall richtig handelte, wer tat, was er gebot. Als höchste Verkörperung dieser bedingungslosen Gefolgschaftstreue begriff sich der »neue Adel«, die »Ritterschaft« (Begriffe Heinrich Himmlers), der Eliteorden der SS mit seinen typischen, vorgeblich uralt-germanischen Tugenden der Kameradschaft, Treue und Ehre, ihrer eidlichen Bindung an die Person des »Führers« Adolf Hitler und der Verpflichtung, ihm Gehorsam zu leisten bis in den Tod – um des höheren, übergeordneten Zieles willen, ein neues, vollkommenes, ewigwährendes »Drittes Reich« zu erschaffen.91 Für Revolutionäre der ersten Stunde gelten keinerlei moralische Vorbehalte; sie »gehen davon aus, daß überhaupt erst durch ihr Handeln Sinn in die Welt kommt«. Mit Hitler sind sie der Überzeugung: »Wenn wir untergehen, hat die Weltgeschichte ihren Sinn verloren.«92 180
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Vom Sinn des Ganzen
In anderen Fällen leiten Wendeprozesse auch längerfristig zu instabilen, wechselvollen Verhältnissen über, weil keine der konkurrierenden Gruppen stark genug ist, den anderen ihren Willen, das heißt ihr Sinnkonzept aufzuzwingen. Einzelne Gleichgesinnte sammeln sich dann und ziehen sich gleichsam auf Inseln alter Sinnwelten zurück (Askesekulturen: Essener, Skopzen, Mennoniten, Amische u.a.) oder bilden offen agierende Sekten und Gruppen »Alternativer«, die sich abkehren von der Gesellschaft, deren »Materialismus«, Leistungsideale und »Doppelmoral« sie verachten. Sie »steigen aus« und versuchen, in Wohn- und Gemeinschaftsformen, Tracht und Ernährungsweise einen eigenen, anspruchslosen Lebensstil zu entwickeln (Jugendbewegung, Künstlerkolonien, Hippie- und Punk-Kultur93), dessen Sinnkonzept sich vor allem negativ aus der Kritik und Ablehnung der »bürgerlichen« Herkunftsgesellschaft, teils auch positiv aus den eher vagen Idealen unverfälschter »Ursprünglichkeit«, Naturnähe und Friedfertigkeit speist. Neuerlich, im Abwind der Postmoderne, erklären sich manche auch bereit, ihre Vorstellungen mit Andersdenkenden gleichsam geduldig »auszuhandeln«, im steten, »ergebnisoffenen Diskurs«, während andere, fundamentalistisch orientierte Gruppen kompromißlos entschlossen sind, für ihre Überzeugungen zu kämpfen, unter Einsatz nicht nur ihres, sondern auch des Lebens anderer. Und alle wollen, daß es besser wird, als es ist. Das Bild differenziert und vervielfältigt sich proportional zur Komplexität der Gesellschaft zu einem bunten, bewegten Kaleidoskop. Die gewachsene Dynamik läßt hesychetische Systeme nur mehr in insulären oder Randlagen zu. An ihre Stelle treten überhandnehmend »kinetische« Kulturen94 mit wechselnden Schwerpunktsetzungen, das heißt charakterisiert durch Bedeutungsverschiebungen der Figural-, Sozial-, Handlungs-, Begründungs- und Narrationstypen, der medialen Ausdrucksformen und Ideale im Aufbau der Sinnsysteme. Und wiederum erwächst aus der fluktuierenden Vielfalt, die der Orientierung den Boden entzieht, über kurz oder lang die Intention, dem steten Wandel der Möglichkeiten haltgebende Geltungskriterien, Institutionen und Instanzen entgegenzusetzen. Die Stunde schlägt, sobald einer der vielzähligen konkurrierenden Gruppen eine starke, charismatische Führerpersönlichkeit ersteht. Dann geschieht immer wieder und im Prinzip auf die gleiche Weise, was schon im Fall komitativer und revolutionärer Prozesse beschrieben wurde: Aus der »Urzelle« von Herr und Gefolgschaft, den »Jüngern der ersten Stunde«, organisiert sich die »neue Gesellschaft«, die nicht mehr zum »Aushandeln« der Interessen und Ideale bereit ist, sondern vorgibt und, sollte ihr das unerläßlich erscheinen, gewaltsam durchzu181
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setzen versucht, was von nun an als verbindliches Sinnkonzept zu gelten hat – und handle es sich selbst um die Ideale der Demokratie, deren Bestand allein durch die entschlossene Vorwärtsstrategie wider die Mächte auf der »Achse des Bösen« gesichert werden kann. Entstehung, Verfall und – fundamentalistische – »Wiedererneuerung« (re-volutio), ideologisch kaschiert als »Fortschritt«, kennzeichnen die »Geschichte« komplexer kinetischer Kulturen. Ihre Sinnsysteme fußen auf weichem Grund.
4. Der Sinn an sich Vor alters besaß das Dasein lokaler Gemeinschaften seinen unangreifbaren Sinn: Es gründete sich auf göttliche Setzung und das Vorbild der Ahnen. Kontingenzen und Katastrophen fanden ihre Erklärung als warnende Vorzeichen oder Züchtigungen für ernste Vergehen. Die Ältesten taten gut daran, Sorge für den Fortbestand der überkommenen Ordnung, deren Geltung die Autorität übermenschlicher Mächte verbürgte, zu tragen. Seit Entstehen der Archaischen Hochkulturen begannen erstmals unterschiedliche Sinnkonzepte gewaltsam miteinander in Konkurrenz zu treten. Die militärische Überlegenheit gab den Ausschlag dabei. Fortan dekretierten die Siegermächte, anfangs noch unter der Ägide ihrer priesterlichen Gottesgelehrten, was als kanonisches Sinnsystem zu gelten hatte. Doch mit dem Aufkommen der empiriegestützten Real-, insbesondere der Naturwissenschaften büßten die alten Sinngebungsinstanzen Theologie und später Philosophie ihren Autoritätsanspruch mehr und mehr ein; ihre Doktrinen zerschellten am zeitlichen Wandel. Der »Naturalisierungsprozeß« der Erkenntnis dampfte sozusagen Sinnfragen aus der sich konkretisierenden Erfahrungswirklichkeit aus und drängte sie zurück in die »Vorwelt« der Meta-Physik. Die neuentdeckten Naturgesetze ließen sie »alt aussehen«, es sei denn, man traf ein pragmatisches Arrangement: »If we cannot break free of them, we must make sense of them.«95 Den Weg dahin wies die aufblühende Fortschrittseuphorie. Mit ihr geriet die Vergangenheit, der tragende Grund aller Sinnsysteme, aus dem Blick.96 Die Augen der »Aufgeklärten« richteten sich fest nach vorn in eine vermeintlich verheißungsvolle, wenn auch potentiell immer unsichere, kontingenzträchtige Zukunft. Doch bot die »Vernunft«, wie Descartes, Kant, Hume und andere ihrer führenden Apostel die Aufbruchgestimmten lehrten, einen verläßlichen Kompaß dabei; wer sich ihr verschrieb, konnte nur kaum in die Irre gehen. Der 182
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Vom Sinn des Ganzen
geistigen Neulandgewinnung folgte der geographisch-ethnographische Entdeckerdrang, der seinerseits wiederum der imperialistischen Expansions- und Kolonialpolitik die Segel schwellte. Die Gewalt, die sich dabei schwerlich vermeiden ließ, wurde über den Leisten der philanthropischen Losung geschlagen, es gelte, »Barbarei in Zivilisation zu überführen«.97 Dies Ziel und der Erfolg, der dem Veredelungsbemühen beschieden war, trugen ihren »Zweck«, ihren Sinn in sich: Die Siegreichen schienen zur Herrschaft bestimmt. Der Darwinismus lieferte ihnen den wissenschaftlichen Beweis. Es bedurfte der Götter nicht mehr. Die Natur »evolvierte« aus sich selbst heraus, nach unerschütterlichen Gesetzen, aus denen sich im nachhinein der Sinn des Ganzen ablesen ließ. Das heißt, es war abermals, wie das nun mal die conditio sine qua non aller Sinnbildung ist, unerläßlich, sich der zurückliegenden Entwicklung zuzuwenden. Und hier erwuchs eine neuerliche erbitterte Konkurrenzsituation; denn bislang war die Vergangenheit die Domäne der Geschichtswissenschaften gewesen. Es kam zur Scheidung zwischen Natur- und »Geisteswissenschaften«, vorgedacht – noch – von Philosophen wie, allen voran, Wilhelm Dilthey (1833-1911) und den Neukantianern Wilhelm Windelband (1848-1915) und Heinrich Rickert (1863-1936), denen unter anderen Edmund Husserl (1859-1938) mit dem Bedenken sekundierte, ein allzu positivistisch-rationales Wissenschaftsverständnis greife zu kurz, weil es sich aus der »Lebenswelt« stehle und echte, orientierungsleitende Sinnfragen ausschließe.98 Das Feld war für die nicht »nomothetisch«, das heißt »idiographisch« und phänomenologisch-hermeneutisch eingestellten Geistesoder Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaftler zurückgewonnen. Unter ihnen kam (in Europa) den Historikern – nicht zuletzt dank der »umwälzenden« Erfahrungen der »Neuzeit«, die es deutend zu bedenken galt, die führende Rolle zu. An der Hand der genannten Philosophen begannen sie, Geschichte weniger als Dokumentation des »wirklich Gewesenen«, sondern als lebensweltlich strukturierten Zusammenhang zu begreifen, der seine Kohärenz- aus der Sinnfiktion bezog. Aufgabe der Historiographie, so Heinrich Gomperz (1873-1942), sei nicht so sehr »die Auffindung unbekannter Tatsachen als vielmehr die sinnvolle Verknüpfung schon gefundener Tatsachen«; der »Gegenstand der Geschichtsschreibung ist ein Zusammenhang von Sinngebilden«.99 Denn Sinnkrisen sind Folge zeitlichen Wandels, der die Orientierung erschüttert und insofern der (hermeneutischen) Ausdeutung, das heißt der Rekonstituierung von Sinn bedarf, damit er als Teil der »Lebenswelt« verstanden werden kann.100 Das geschieht durch »Erzählen«, der, 183
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wie Jörn Rüsen immer wieder betont, »mentalen Operation der Sinnbildung«, die »aus Zeit Sinn macht«, indem sie kontingentes Geschehen – wie Ereignisse, die zu einschneidenden Veränderungen führen – der Erfahrung deutend integriert, sie sinnvoll erscheinen läßt und damit auch Orientierungsfunktionen für die Gegenwart übernimmt.101 Geschichte überführt bloße Ereignisabfolgen in »hypotaktisch geordnete Strukturen von Geschehnissen, an die sinnvolle Fragen (was, wo, wann, wie und warum) gestellt werden können«.102 Dabei spielen die »basic concepts« oder leitenden »Ideen« der Historik als strukturierende Kriterien, beziehungsweise »oberste Gesichtspunkte der Sinnbildung« eine grundlegende Rolle.103 Die Sinnkategorie, grenzt Rüsen die Geschichts- und Kulturwissenschaften noch einmal von den Natur- und Formalwissenschaften ab, »ist fundamentaler als Rationalität«.104 Es sind historische Individuen historischer Lebenswelten oder Kulturen, die sich der Vernunft in je spezifischer Weise bedienen. Damit aber büßt auch der global dimensionierte Fortschrittsenthusiasmus seinen schwungvollen Flügelschlag ein. Zumindest für die je zeitgenössischen Generationen, gab Max Weber zu bedenken, besitzt er einen, wenn auch möglicherweise süßen, so doch wenig sättigenden Beigeschmack. Sie müssen in dem Bewußtsein leben, ständig »überholt« zu werden, verurteilt zur steten Unvollkommenheit105 – bekanntlich das Sinnproblem der »sozialistischen« Staaten, deren Bürger bei allem Schweiß, den sie schwitzten, nur den Trost hatten, daß andere, nach ihnen, die Früchte des »Sozialismus« ernten würden. Und überhaupt: hatte »der ›Fortschritt‹ als solcher einen erkennbaren, über das Technische hinausreichenden Sinn?«106 Falls ja, konnte er nur immanent in der Verbesserung der Lebensverhältnisse gesucht werden, nicht aber aus einer über den Tod hinausreichenden transzendenten Begründung schöpfen. Die Folge ist, daß jeder auf seine Weise, nach den Gaben und Möglichkeiten, die er besitzt, seine »Lebenserfüllung« in physischer Fitneß und materiellem Wohlstand sieht.107 Die Sinnvorgaben dafür liefern entsprechend die »Institutionen« – Schule, Universität, Berufswelt, Politik, Staat, Medien, teils auch die Kirchen noch – nach: »Der Sinn des Lebens ist nicht mehr durch traditionelle Sozialformen vorgegeben, in die die einzelnen Individuen hineingeboren werden, sondern dieser Sinn muß von jedem selbst geschaffen werden.«108 Das leistet einmal mehr sowohl der Individualisierung als auch der Pluralisierung der Lebensformen Vorschub – auf Kosten der sinnspezifischen »Kohärenzfiktionen«. Die kognitiven, situationsbedingt kurzlebigen Konsequenzen waren der Nihilismus oder, als gleichsam »trotzige« Wiederbelebungsversuche der verlorenen Gemeinsinnigkeit, 184
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die »Lebensphilosophien«, der Faschismus und Sozialismus sowie zuletzt der »Postmodernismus« mit dem Ansinnen seiner Protagonisten, »man könne die […] törichte Rede von ›Sinn‹ und ›Bedeutung‹ an dem (trivialen) Nachweis von Sinnillusionen und Bedeutungsüberschüssen ersticken lassen«.109 Ja man kann den Pluralisierungsprozeß, wie Wolfgang Welsch sich redlich bemüht, auch gleichsam gesundphilosophieren, indem man ihn unter Berufung auf renommierte Denker von Horkheimer und Adorno über Habermas bis Lyotard zur notwendigen Entwicklung erklärt: Er ist Folge der neuzeitlichen »Ausdifferenzierung«, mithin eine »Errungenschaft der Moderne«, die eben zur »Pluralisierung der Vernunftformen« geführt habe, die es nicht mehr erlaube, nur mehr von einer, sondern allein noch von »Vernunft im Plural« (Lyotard) zu sprechen. Erstere hat damit ein für allemal ihren »herrschaftlichen Charakter abgelegt«.110 Anders wäre sie in Widerspruch zu den real existierenden Verhältnissen geraten; denn »heutige Praxis ist vernünftigerweise [!] mit Übergängen befaßt, weil die moderne Wirklichkeit allenthalben verlangt, zwischen verschiedenen Sinnsystemen und Realitätskonstellationen überzugehen.111 Die entsprechende Fähigkeit wird ausgesprochenermaßen zur vordringlichen Tugend.«112 Sinnkonzepte erschließen sich sonach aus einer Entwicklung über die Köpfe der Menschen hinweg; sich ihnen zu fügen, stellt nicht nur einen moralischen Appell, sondern auch »den Königsweg der kritischen Diskussion von Vernunft« dar.113 Die von der einen Vernunft abgegebene Herrschaft hat die »Vernunft im Plural« sich stracks wieder angemächtigt. Ihr nicht Folge zu leisten, wäre nicht nur unsittlich, sondern entspräche auch unzeitgemäßem und kritiklosem Denken. »Sie ist eine Bedingung [!] gelingenden Lebens in einer Welt der Pluralität.«114 Überrascht halten wir inne: Sehen wir uns da nicht den vertrauten Zügen eines konventionellen Sinnangebots gegenüber? Abgesehen vom dynamischen Aspekt wechselnder Übergänge, enthält es klare Istund Sollvorgaben und verheißt uns darüber hinaus auch noch ein erfülltes, »gelingendes Leben«! Die Philosophie sucht sichtlich, Terrain zurückzugewinnen, wenn auch wenig überzeugend, da sie die Erfahrungs-, speziell die Kulturwissenschaften großzügig aus dem Spiel läßt. Dort aber hat man es weniger mit weitgespannten Visionen als den konkreten Problemen des Pluralismus zu tun: der klassischen Voraussetzung für Sinnbildungsprozesse. Menschen leben – und können nur leben – in Gruppen. Fortschreitende »Ausdifferenzierung« gefährdet deren Bestand und erschüttert ihr Orientierungsvermögen, so daß der 185
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Bedarf nach Sinn, der, strukturbedingt immer ein Kollektivkonzept115, allein es zu gewährleisten imstande wäre, eher wächst, ob er nun befriedigend eingelöst wird oder nicht. Die Einsicht, daß »kollektive Sinnsysteme« Sozialwelten überhaupt erst konstituieren, hat sich in den letzten Jahrzehnten in den Sozialwissenschaften daher aufs neue gefestigt.116 Niklas Luhmann (1927-1998) bezeichnete als »wichtigste evolutionäre Errungenschaft, die gesellschaftliche Kommunuikation überhaupt erst möglich macht: die Repräsentation von Komplexität in der Form von Sinn«.117 Gerade unter den Bedingungen fluktuierender Instabilität komme ihm um so mehr die Funktion zu, durch »selektives Kondensieren und zugleich konfirmierendes Generalisieren von etwas, was im Unterschied zu anderem als Dasselbe bezeichnet werden« könne, »zu ordnen, so daß man bei allem Prozessieren von Sinn auf etwas wiederholt Verwendbares zurück- und vorzugreifen« vermöge.118 »Gesellschaft«, so Luhmann, der damit fast schon eine triviale Feststellung trifft, »ist ein sinnkonstituierendes System.«119 Insofern wäre es Aufgabe nicht nur der Sozial-, sondern der Kulturwissenschaften generell, Sinnbildungsprozesse, weil sie lebens- und handlungsleitende Orientierungsfunktionen besitzen, beziehungsweise »sich im Handeln manifestieren«120, gründlicher, transdisziplinär und syn- wie diachron zu analysieren, um sie besser verstehen und mit ihnen umgehen zu können.121 Das Wissen, das sich daraus gewinnen läßt, ist, so Jürgen Mittelstraß, »zur Stabilisierung und Entwicklung moderner Gesellschaften ebenso wichtig wie ein wissenschaftsgestütztes technisches Können«122 – gerade und vor allem unter den Bedingungen pluralistischer, das heißt konfliktträchtiger Lebensformen. Jean François Lyotard charakterisiert die distinkten Formen der Vernunft, die ihnen entsprechen sollen, hyperrelativistisch als eine Ansammlung verschiedener, kleiner wie großer, autonomer und zusammenhängender Inseln, spricht aber gleichwohl von »Übergängen«, ja wählt für das Ensemble insgesamt das Bild des »Archipels«.123 Es handelt sich um die alte Antinomie des Kulturrelativismus: Zu sagen, daß alles einmalig und pures Konstrukt sei, ist nicht nur wahrnehmungs- und erkenntnistheoretisch eine Trivialität, sondern selbst ein Konstrukt und formal zudem ein Allsatz, der den Vergleich voraussetzt und einen generellen Gültigkeitsanspruch erhebt, was beides den Prämissen des kulturellen (nicht physikalischen) Relativismus zuwiderläuft.124 Wenn Übergänge zwischen den exotischen Eilanden distinkter Vernunftformen denkbar sind, ja gar einen Zusammenhang – alle verbindet sichließlich »die Vernunft an sich« – erahnen lassen: warum dann die Zurückhaltung, nach einer Begründung dafür zu suchen? Der »Pluralismus« selbst stellt ein Konzept dar, das als solches auch eine – 186
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Vom Sinn des Ganzen
ob nun noch unerkannte125 oder verweigerte – vorgeordnete, unter- oder übergreifende Grundlegung zur Voraussetzung hat. Die gälte es also, ihr beflissen gewahrtes Inkognito gleichsam lüftend, zu identifizieren und zu präzisieren, aus erkenntnis- wie sozialpragmatischen Gründen. Dabei ginge es allerdings noch um mehr: Eine überzeugende Theorie des Pluralismus könnte heute nicht mehr allein geisteswissenschaftlich begründet werden. Die unselige Lösung der Geistes- von den Naturwissenschaften drängte seinerzeit nicht nur die stete Wechselwirkung des Menschen mit der Natur, die »Schnittstelle von Geist und Materie«126, aus dem Blickfeld, sondern zerstörte damit gleichzeitig auch, wie der renommierte Züricher Physiker Hans Primas zu Recht betont, die mögliche »Sinnkorrespondenz zwischen den zwei Teilen, die dann chiffrenhaft als psychisch und materiell bezeichnet« wurden.127 Die epistemologisch illegitime »Ausdifferenzierung« müßte also, um zu einer grundlegenden Theorie zu gelangen, kraft transdisziplinärer Bemühung, wiederausgeglichen und in Korrespondenzbeziehungen rückübersetzt werden. Die Ethnologie böte gute Fundierungsmöglichkeiten dazu. Sie hat es mit »Materiellem« ebenso wie mit »Psychischem« zu tun und besitzt zudem eine optimal breite Vergleichsbasis. Sinnsysteme besäßen dabei eine Schlüsselfunktion, da Sinn »an sich« eine ahistorische Kategorie darstellt. Er ließe sich definieren als der plausible und verläßlich beglaubigte Bedeutungszusammenhang, der Erfahrungs- und Lebenswelt erklärt, seine Motivationsdynamik aus einem Satz elementarer Werte schöpft, für die viele zu kämpfen, ja unter Umständen ihr Leben einzusetzen bereit sind, und der insofern das Dasein als lohnend erscheinen läßt, Orientierung vorgibt und das Handeln normativ leitet.128 Wandlungsfähig erscheinen demgegenüber allein die Kriterien und Modi der Begründung und die medialen Ausdrucksformen. Sinnsysteme integrieren »Natur« und »Kultur«, insofern – sie in der grundlegenden Suche nach sinnvollen Erklärungen für zentrale Lebensprobleme, kontingente Erfahrungen und deren Bedeutungszuschreibung (der »besonderen Gabe, Geschichten um Tatsachen herum zu erfinden«) neuronal gesteuert sind129; – ihre Konstituierung nach invarianten Prinzipien – dem Anciennitäts-, Kanonisierungs-, Kontinuitäts-, Unversehrtheitsprinzip usw. – erfolgt, die ihre Entsprechung, teils Übereinstimmung, in ethologischen Prädispositionen und den Gesetzen der Naturwissenschaften finden, und sie Systemcharakter besitzen, das heißt sich für ihre Orientierungs- und Handlungsvorgaben Regeln bestimmen lassen; – sie ihre Begründungskriterien aus der Tradition, Überlieferung, 187
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Geschichte und den sich wandelnden Lebensbedingungen schöpfen und – ihre Ausdrucksmedien (oder Symbolate) einen je kulturspezifischen Zuschnitt besitzen. Es bedürfte also einer konzertierten Bemühung möglichst aller Humanwissenschaften. Ziel sollte eine integrierte Lebens- und Kulturwissenschaft sein130, ein Sinnsystem sui generis, das Theorie und Praxis in wechselwirkender Korrespondenz miteinander verbindet und insofern operable lebens- und handlungsleitende Orientierungsfunktionen erfüllen könnte.
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Die folgenden Ausführungen schöpfen mit aus den Arbeitserträgen der Studiengruppe »Sinnkonzepte als lebens- und handlungsleitende Orientierungssysteme«, die unter der Leitung von Jörn Rüsen von April 1997 bis März 2002 am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen bestand. Unter den ständigen Mitgliedern habe ich für wichtige Anregungen namentlich Andreas Ackermann, Christian Geulen, Friedrich Jaeger und Jörn Rüsen, besonders aber auch den Teilnehmern der ethnologischen Untergruppe zu danken, der neben Andreas Ackermann Britta Duelke, Ute Ritz-Müller und Hanne Straube angehörten. Ehrenfels 1941: 67. Vgl. a. die Beispiele bei Gumilëv 1989: 26f. Shaywitz 1997: 70f. Gomperz 1929: 26, 224. Hahn 1974: 41. Vgl. Dilthey 1968: 146f.: »Jedes Wort, jeder Satz, jede Gebärde oder Höflichkeitsformel, jedes Kunstwerk und jede historische Tat sind nur verständlich, weil eine Gemeinsamkeit den sich in ihnen Äußernden mit dem Verstehenden verbindet; der einzelne erlebt, denkt und handelt stets in einer Sphäre von Gemeinsamkeit, und nur in einer solchen versteht er.« S. a. Esser 2001: IX. Esser 2001: IX. Jahoda 1969: 120 – wohl in Anlehnung an Max Weber 1951a: 180. Assmann 1996: 17. Schütz/Luckmann 1979: 38. Luhmann 1997: 44. Hahn 1974: 43. Vgl. Fischer 1996: 45. Rüsen 1983: 115. Gomperz 1929: 229.
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Kant 1968: 468. Hartmann 1973: 153. Esser 2001: 3. Rüsen 1983: 57f. Eliade 1981: 11. Vgl. Esser 2001: IX. Atmanspacher 1996: 25ff. Vgl. Wessely 1998: 113. Peat 1992: 240. Vgl. Reckwitz 2000: 33, 50, 84ff. Rüsen 1996: 505. Müller 2000: 328ff. Adler 1984: 279f. Spaemann 1999: 31. Buckley 1989: 183, 184, 187; vgl. 189. Tacke 1995: 16, 32. Tacke 1995: 34ff., 208. Diese und weiterreichende Informationen dazu verdanke ich Hanne Straube, die sich in der genannten Studiengruppe im KWI im Rahmen eines DFG-Forschungsprojekts speziell damit befaßt hat. Vgl. Hahn 1974: 104. S. oben S. 55. Müller 1973-74: 66ff., 77f. Haug 1987: 180f. Esser 2001: 3. Spaemann 1999: 102. Den mos maiorum, der auch für die Römer noch normativ verbindliche Geltung besaß. Timpe 1996: 279. Müller 1998: 269-278. Christoph von Fürer-Haimendorf machte zum Beispiel bei Ethnien Südostasiens die Erfahrung: »In all the tribal societies investigated we have found the belief that man lives in an ordered world of stable relations, a world which has being unchanging since time immemorial and is expected to remain the same for countless generations.« Fürer-Haimendorf 1967: 208. Hugh-Jones 1989: 65. Wiedenhofer 1990: 616. Schmitt 1996: 129, 184f., 286f. H. White 1991: 96. Vgl. Todorov/Ducrot 1975: 289, 293. Schmitt 1996: 41. Röhrich 1969: 127. Vgl. Assmann 1995: 112f. Robins 1996: 61. Rüsen 1998: 22. Goldenweiser 1913: 468. Hewitt 1920: 545. Tooker 1978: 422, 424, 428. Schnepel 1995: 59ff. Tacke 1995: 216. Vgl. Gaster 1954: 186ff. Kermode 1967: 47f. Rüsen 1996: 508. Rüsen 1996: 539. Rüsen 1996: 539.
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Luhmann 1997: 235. Vgl. Gomperz 1929: 229. Reemtsma 1996: 33. Gehlen 1995: 120. Vgl. Shils 1975: 135. Peinsipp 1985: 86. Schütz/Luckmann 1979: 49. Vgl. Schütz 1974: 17. Assmann 1996: 17ff. Von griechisch hesychia, »Ruhezustand«. Vgl. Luhmann 1997: 433. F. Barth 1969: 11. Weber 1951: 180. Vgl. Rüsen 1996a: 180. Krebs 1982: 133. Kuntz 1990: 62. Robins 1996: 61. Vowinckel 1992: 167. Schmitt 1996: 286. Geertz 1969: 14-24. Hahn 1974: 104f. Specht 1995: 36. Klaus Hansen gibt – die Publikation stammt von 1995! – ein einleuchtendes Beispiel dafür: »Sollte die FDP aber, um sich von der CDU abzugrenzen, eines Tages beantragen, Schmatzen und Schlürfen gesetzlich zu verbieten, so würde darüber eine öffentliche Debatte entbrennen, und die Kulturgemeinschaft würde sich zum ersten Mal des Problems der Tischsitten bewußt werden und müßte dann entscheiden, ob ihre gesetzliche Verankerung sinnvoll ist.« Hansen 1995: 116. Vgl. Luhmann 1997: 44. Vgl. Müller 1998a. Atmanspacher 1996: 26. Frobenius 1932: 141, 147-150, 169-176. Preuß 1936: 120. Lukesch 1969: 18. Schidlowski 1996. Vgl. Hölscher 1988: 135. Ackermann/Müller 2002. Singer 1972: 320-325. Mikos 2000: 12. Hahn 1974: 27f. U. Baumann 1998: 44. Vgl. Hahn 1974: 88f. Vgl. Fischer 1996: 45. Miller/Soeffner 1996: 19. Kermode 1967: 94. Rüsen 1996: 525; vgl. 1996a: 16. Vgl. Reemtsma 1996: 29ff. Mussolini 1943. Gentile 1990.
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Wegner 1990. Spaemann 1999: 102. Vgl. z.B. Soeffner 1992. Von griech. kinesis, »Bewegung«. Kermode 1967: 24. Vgl. Pikulik 1997: 29. Giesen 1996: 118. Die Puritaner nahmen das tödlich ernst. Zwar begriffen sie sich irgendwie auch als Erlöser der Indianer, priesen aber doch begeistert Gott, als ER in seiner unerschöpflichen Güte eine »wundervolle Plage« gesandt, die Indianer dezimiert und damit den Boden gleichsam ordentlich saubergefegt und für die Zivilisation gerodet hatte. Eigentlich lohnte das Studium der indigenen Bevölkerungen Amerikas nur, um deutlich zu machen, wie not ihre Vernichtung tat: »To study him [›den‹ Indianer] was to study the past. To civilize him was to triumph over the past. To kill him was to kill the past.« Pearce 1967: 19, 49. 98 Vgl. Welsch 1996: 63ff. 99 Gomperz 1929: 222f. (Hervorhebungen von mir, KEM). 100 Schütz 1974: 20. 101 Rüsen 1996: 508f.; vgl. 513; 1983: 57f., 83. Rustemeyer 1997: 25. 102 H. White 1991: 135f. (Hervorhebungen von mir, KEM). Vgl. Rüsen 1996a: 12. 103 Rüsen 1983: 83. 1996a: 13. 104 Rüsen 1996: 507 (Hervorhebung im Original). 105 Weber 1951: 576f. 106 Weber 1951: 579. Vgl. Pikulik 1997: 34f. 107 Pikulik 1997: 74, 78. 108 Mikos 2000: 12 (Hervorhebung von mir, KEM). 109 Miller/Soeffner 1996: 19. 110 Welsch 1996: 42f. 111 Ich habe nicht falsch abgeschrieben: der Infinitivsatz ist tatsächlich so formuliert. 112 Welsch 1996: 774 (Hervorhebung von mir, KEM). 113 Welsch 1996: 43. 114 Welsch 1996: 774. 115 Vgl. Hahn 1974: 42f. 116 Reckwitz 2000: 22. 117 Luhmann 1997: 142. 118 Luhmann 1997: 46f. (Hervorhebungen von mir, KEM). 119 Luhmann 1997: 50 (Hervorhebung von mir, KEM). 120 Reckwitz 2000: 85. 121 Rüsen 1996: 505. Vgl. Kermode 1967: 28f. Reckwitz 2000: 50, 86f. 122 Mittelstraß 2001: 21. 123 Lyotard 1989: 217-225. 124 Auf weitere eklatante Konzeptwidersprüche hat bereits der amerikanische
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Ethnologe Roger Keesing (1935-1993) hingewiesen. Keesing 1994: 301f., 305. Der Religionswissenschaftler Burkhard Gladigow moniert beispielsweise, »daß weder Wissenssoziologie noch Religionswissenschaft für die ›gleichzeitige‹ oder sukzessive Nutzung verschiedener Sinnsysteme bisher hinreichende Darstellungsmuster entwickelt haben, nicht einmal für die Pragmatik antiker oder rezenter pluralistischer Systeme«. Gladigow 1997: 73. Prigogine 1995: 64. Vgl. Dilthey 1966: 18, der in dem Sinne von »Übergangsstellen« spricht. Primas 1996: 77. Dies war im wesentlichen auch das Ergebnis der Zusammenarbeit in der Studiengruppe »Sinnkonzepte als lebens- und handlungsleitende Orientierungssysteme« im Kulturwissenschaftlichen Institut Essen 1997-2002. Gazzaniga 1998: 88f. Die allerdings nichts mit dem zu tun hat, was man derzeit unter »Cultural Studies« versteht! Vgl. Müller 2003c: 38.
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Literatur Wesendonk, O. G. von, 1933: Das Weltbild der Iranier. München. Wessely, Christian, 1998: Götter mit kleinen Fehlern – mythologische Aspekte von Computerspielen, in: Spektrum der Wissenschaft 1998 (12), S. 112-116. Westermarck, Eduard, 1909: Ursprung und Entwickelung der Moralbegriffe. Bd. 2. Leipzig. White, Geoffrey M., 1991: Identity through history: living stories in a Solomon Islands society. Cambridge. White, Hayden, 1991: Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen: Studien zur Tropologie des historischen Diskurses. Stuttgart. White, J. E. Manchip, 1954: Anthropology. London. Wiedenhofer, Siegfried, 1990: Tradition, Traditionalismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe: Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 6. Stuttgart, S. 607-650. Wilcke, Klaus, 1982: Zum Geschichtsbewußtsein im alten Mesopotamien, in: Hermann Müller-Karpe (Hg.), Archäologie und Geschichtsbewußtsein. München, S. 31-52. Wilson, Monica, 1957: Rituals of kinship among the Nyakyusa. London. — 1959: Divine kings and the »breath of men«. Cambridge. — 1979: Strangers in Africa. Reflections on Nyakyusa, Nguni, and Sotho evidence, in: William A. Shack/Elliott P. Skinner (Hg.), Strangers in African societies. Berkeley, Los Angeles, London, S. 51-66. Winckler, Hugo, 1906: Die babylonische Weltschöpfung. Leipzig. Wolf, Walther, 1962: Kulturgeschichte des alten Ägypten. Stuttgart. Wolfram, Herwig, 1995: Die Germanen. München. Woodburn, James, 1968: An introduction to Hadza ecology, in: Richard B. Lee/ Irven DeVore (Hg.), Man the hunter. Chicago, S. 49-55. Wundt, Wilhelm, 31923: Mythus und Religion. Bd. 2. Leipzig. Zerries, Otto, 1969: Entstehung oder Erwerb der Kulturpflanzen und Beginn des Bodenbaues im Mythos der Indianer Südamerikas. Hermann Baumann zum 65. Geburtstag, in: Paideuma 15, S. 64-124. Zimmern, Heinrich, 1926: Das babylonische Neujahrsfest. Leipzig. Zolotarev, Alexander, 1937: The bear festival of the Olcha, in: American Anthropologist 39, S. 113-130. Zvelebil, Marek, 1986: Nacheiszeitliche Wildbeuter in den Wäldern Europas, in: Spektrum der Wissenschaft 1986 (7), S. 118-125. Zwernemann, Jürgen, 1990-91: Die Benin-Bronzen des Museums für Kunst und Gewerbe, in: Jahrbuch des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg 9-10, S. 7-26.
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2004-09-01 16-40-46 --- Projekt: T134.kusp.müller_ritz-müller.zähmung / Dokument: FAX ID 01e462075556142|(S. 193-211) T01_07 literatur.p 62075556590
Die Neuerscheinungen dieser Reihe:
Katharina Lange Authentische Wissenschaft? Arabische Ethnologie und Indigenisierung Dezember 2004, ca. 350 Seiten, kart., ca. 35,00 €, ISBN: 3-89942-217-1
Julia M. Eckert (Hg.) Anthropologie der Konflikte Georg Elwerts konflikttheoretische Thesen in der Diskussion Oktober 2004, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-271-6
Heiner Bielefeldt, Jörg Lüer (Hg.) Rechte nationaler Minderheiten Ethische Begründung, rechtliche Verankerung und historische Erfahrung
Christian Berndt Globalisierungs-Grenzen Modernisierungsträume und Lebenswirklichkeiten in Nordmexiko September 2004, 332 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-236-8
Susanne Schwalgin "Wir werden niemals vergessen!" Trauma, Erinnerung und Identität in der armenischen Diaspora Griechenlands September 2004, 276 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-228-7
Robert Pütz Transkulturalität als Praxis Unternehmer türkischer Herkunft in Berlin
Oktober 2004, ca. 200 Seiten, kart., ca. 23,00 €, ISBN: 3-89942-241-4
September 2004, 294 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-221-X
Doris Weidemann Interkulturelles Lernen Erfahrungen mit dem chinesischen ’Gesicht’: Deutsche in Taiwan
Mark Terkessidis Die Banalität des Rassismus Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive
Oktober 2004, ca. 350 Seiten, kart., ca. 28,00 €, ISBN: 3-89942-264-3
September 2004, 224 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 3-89942-263-5
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
2004-09-01 16-40-47 --- Projekt: T134.kusp.müller_ritz-müller.zähmung / Dokument: FAX ID 01e462075556142|(S. 212-213) anzeige kusp 1. september 04.p 62075556598
Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Klaus E. Müller, Ute Ritz-Müller Des Widerspenstigen Zähmung Sinnwelten prämoderner Gesellschaften September 2004, 214 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 3-89942-134-5
Martin Sökefeld (Hg.) Jenseits des Paradigmas kultureller Differenz Neue Perspektiven auf Einwanderer aus der Türkei Juli 2004, 184 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 3-89942-229-5
Robert Frank Globalisierung »alternativer« Medizin Homöopathie und Ayurveda in Deutschland und Indien Mai 2004, 310 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-222-8
Kulturwissenschaftliches Institut (Hg.) Jahrbuch 2002/2003 April 2004, 316 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN: 3-89942-177-9
Irina Yurkova Der Alltag der Transformation Kleinunternehmerinnen in Usbekistan März 2004, 212 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-219-8
Helmut König, Manfred Sicking (Hg.) Der Irak-Krieg und die Zukunft Europas Februar 2004, 194 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN: 3-89942-209-0
Wilhelm Hofmeister, H.C.F. Mansilla (Hg.) Die Entzauberung des kritischen Geistes Intellektuelle und Politik in Lateinamerika Februar 2004, 240 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 3-89942-220-1
Markus Kaiser (Hg.) Auf der Suche nach Eurasien Politik, Religion und Alltagskultur zwischen Russland und Europa 2003, 398 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-131-0
Andrea Lauser »Ein guter Mann ist harte Arbeit« Eine ethnographische Studie zu philippinischen Heiratsmigrantinnen April 2004, 340 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-218-X
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
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