Der Weimarer Reichstag: Die schleichende Ausschaltung, Entmachtung und Zerstörung eines Parlaments [1 ed.] 9783412519872, 9783412519858


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German Pages [341] Year 2020

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Der Weimarer Reichstag: Die schleichende Ausschaltung, Entmachtung und Zerstörung eines Parlaments [1 ed.]
 9783412519872, 9783412519858

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Philipp Austermann

DER WEIMARER REICHSTAG Die schleichende Ausschaltung, Entmachtung und Zerstörung eines Parlaments

Philipp Austermann

Der Weimarer Reichstag Die schleichende Ausschaltung, Entmachtung und Zerstörung eines Parlaments

Böhlau Verlag wien köln weimar

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : Berlin, Reichstag. Ansicht der Hauptfront, vom Königsplatz aus. Foto, um 1930  ; © akg images Lektorat  : Rainer Landvogt, Hanau Einbandgestaltung  : Guido Klütsch, Köln Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51987-2

»Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem großen Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung.« Michael Köhlmeier, Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle, 2018, S. 8

Inhalt

Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Belastungen der Reichstagsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Die Vorbelastungen durch die Kriegsniederlage . . . . . . . . . . . . . . 15 Todfeinde im Parteienspektrum und politisch motivierte Gewalt.. . . . 20 Die KPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Die DNVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Die NSDAP.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Die Stellung des Reichstages im Verfassungsgefüge. . . . . . . . . . . . 30 Das reine Verhältniswahlrecht als Grundübel . . . . . . . . . . . . . . . 33 Die beschränkte Kompromissfähigkeit der Parteien. . . . . . . . . . . . 37 Das »Erbe« der Kaiserzeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Die enge Milieubindung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Das Wählerverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Die Folgen für den Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2 Das parlamentarische Leben im Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Das Reichstagsgebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Der Arbeitsalltag der Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Die Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Der Reichstagspräsident, die Vizepräsidenten und die Verwaltung. . . . 55 Die Parlamentsausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Das Plenum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

Zeitungen, Broschüren, Hetzschriften, Romane  : Informationen und Desinformationen über das Parlament und seine Arbeit . . . . . . . . . 62

3 Tiefgehende Krise und relative Stabilisierung. Die Arbeit des Reichstages bis Juli 1930. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Wie nahmen die ersten drei Reichstage ihre Aufgaben wahr  ? . . . . . . 71 Regierungskontrolle und Einflussnahme auf die Regierungsbildung . . . . 72 Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Arbeitsklima und Debattenstil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Wie nahm der 4. Reichstag seine Aufgaben wahr  ? . . . . . . . . . . . . 78

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Inhalt

Die Einflussnahme auf die Bildung der Großen Koalition und die ­ Kontrolle der Regierungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gesetzgebungsarbeit bis zum Ende der Großen Koalition und die Störungen des Parlamentsbetriebs durch die Radikalen . . . . . . . . Der Young-Plan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das zweite Gesetz zum Schutze der Republik . . . . . . . . . . . . .

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4 Semiparlamentarismus. Die schleichende Entmachtung des Reichstages ab Juli 1930. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Der Reichspräsident und »Ersatzkaiser« Paul von Hindenburg. . Hindenburgs Umfeld  : die »Kamarilla« . . . . . . . . . . . . . . Hindenburgs geistige und körperliche Gesundheit . . . . . . . . . Der Schwenk zum Präsidialkabinett . . . . . . . . . . . . . . . Der neue Reichskanzler Heinrich Brüning . . . . . . . . . . . . Der halbparlamentarische Regierungsstil Brünings . . . . . . . . Der 5. Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parteineugründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahlkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wahlergebnis vom 14. September 1930 . . . . . . . . . . . . Die antiparlamentarischen Wahlgewinner NSDAP und KPD.. . Brüning sucht einen Bündnispartner im Reichstag.. . . . . . . . Die Arbeit des 5. Reichstages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstbeschränkung des Reichstages aus Staatsräson . . . . . . . . Brünings Sturz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5 Antiparlamentarismus. Regieren ohne Reichstag  ? . . . . . . . . . . . .

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Der gescheiterte Versuch einer »nationalen Konzentration« . . . . . Die destabilisierenden Maßnahmen der Regierung Papen . . . . . . Der 6. Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Koalitionsgespräche zwischen der NSDAP und den katholischen Parteien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hindenburgs Widerstand gegen eine Kanzlerschaft Hitlers . . . . . . Ein Staatsnotstandsplan.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei Plenarsitzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der 7. Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verhandlungen zur Regierungsbildung . . . . . . . . . . . . . . Papens Sturz.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Inhalt 

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6 Zurück zum halbparlamentarischen Regieren  ?. . . . . . . . . . . . . .

Reichskanzler Schleicher sucht Bündnispartner . . . . . . . . . . . . . Der 7. Reichstag nimmt die Arbeit auf . . . . . . . . . . . . . . . . . Schleichers Sturz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7 Die Entmachtung des Reichstages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die faktische Ausschaltung des Reichstages als Folge der Präsidialkabinette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hitler wird Reichskanzler.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Auflösung des 7. Reichstages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontrolle unerwünscht  : die Sprengung des Überwachungsausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsterror und Wahlkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der 8. Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wahlergebnis vom 5. März 1933. . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Ermächtigungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hitlers Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfassungsrechtliche Hürden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Haltung der anderen Parteien.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Propaganda-Staatsakt von Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erosion der Parlamentstraditionen und des Parlamentsrechts . . . . Das Werben um die Zustimmung des Zentrums . . . . . . . . . . . . . Die Reichstagssitzung vom 23. März 1933 . . . . . . . . . . . . . . . Warum stimmten die katholischen und die bürgerlichen Parteien zu  ? .. Der Reichsrat erhebt keinen Einspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . Die nur scheinbar legale Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . Terror vom Anfang bis zum Ende  : die Verfolgung oppositioneller Abgeordneter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8 Scheinparlamentarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9 Schlussbetrachtungen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen und Literatur.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1  Gesetzgebung des Reichstages vom 30. März bis zum 18. Juli 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2  Gesetzgebung des Reichstages in der 5. bis 8. Wahlperiode . . . . 3  Gesetzesbeschlüsse des Reichstages des »Dritten Reiches«. . . . . 4  Misstrauensanträge in der 5. Wahlperiode . . . . . . . . . . . . . 5  Aufhebungsanträge zu Notverordnungen in der 5. Wahlperiode. . 6  Ergebnisse der Reichstagswahlen von 1928 bis 1933 . . . . . . . . 7  Die Wahlergebnisse der wichtigsten Parteien in der National­ versammlung und im Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8  Text des Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933.. . . . . . .

Einleitung

Der Reichstag existiert als Parlament nicht mehr. Wer heute vom »Reichstag« spricht, meint damit zumeist das Reichstagsgebäude am Platz der Republik, den Tagungsort des Deutschen Bundestages. Der Bau wurde beim Reichstagsbrand und vor allem in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges stark beschädigt. Er wurde unter Paul Baumgarten (1961 bis 1973) und Norman Foster (1995 bis 1999) entkernt und grundlegend umgebaut. Das heutige Gebäude hat mit dem Reichstag des Deutschen Reiches, der bis 1933 hier tagte, nur noch die Außenfassade und einigen Gebäudeschmuck im Innern gemein. Namentlichen Bezug auf frühere Reichstagsabgeordnete nehmen mehrere Bürogebäude des Bundestages  : das Paul-Löbe-Haus, das Jakob-Kaiser-Haus, das Otto-Wels-Haus und das Matthias-Erzberger-Haus. Außerdem erinnern mehrere Kunstwerke in und vor dem Reichstagsgebäude an den alten Reichstag. Besonders eindrücklich ist die Gedenkstätte für die verfolgten Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik im ehemaligen Abgeordnetenrestaurant. Sie besteht aus einer großformatigen Fotoarbeit Katharina Sieverdings, die an den Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 erinnert. In drei davor ausliegenden Gedenkbüchern, die Klaus Mettig entworfen hat, wird an die 120 von den Nationalsozialisten ermordeten sowie an die vielen im »Dritten Reich« inhaftierten, in die Emigration getriebenen oder auf andere Weise verfolgten Reichstagsabgeordneten erinnert. Ein Denkmal an der Westseite des Reichstages dient der Erinnerung an 96 Reichstagsabgeordnete (aus neun Parteien), die zwischen der Ernennung Hitlers am 30. Januar 1933 und dem Ende des NS-Regimes am 8. Mai 1945 gewaltsam oder infolge ihrer Inhaftierung zu Tode kamen. Die Kunstwerke und die Gebäudenamen verdeutlichen die zwei Seiten der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert  : Auf der einen Seite stehen die zwölf Schreckensjahre von 1933 bis 1945. Sie brachten Massenmord, Krieg, Verfolgung, Zerstörung und Vertreibung. Auf der anderen Seite steht eine demokratische Tradition, die bis in die Anfänge des 19.  Jahrhunderts zurückreicht  : Im Frühkonstitutionalismus nach dem Wiener Kongress (1815) erließen die Fürsten in vielen deutschen Staaten eine Verfassung. Sie sah eine Frühform des Parlaments mit gewählten und ernannten Vertretern vor. Diese war z. B. für die Haushaltsbewilligung zuständig, ansonsten aber noch recht machtlos. Der Reichstag der Kaiserzeit war, nachdem das demokratische Experiment der Frankfurter National-

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Einleitung

versammlung 1849 scheiterte, ein bedeutender Schritt hin zu einem Parlament, dessen Mitglieder von allen volljährigen Staatsbürgern, Frauen und Männern, in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen bestimmt werden und das das höchste Staatsorgan ist. Der Reichstag der Weimarer Republik, um den es in diesem Buch geht, war das erste deutsche Parlament dieser Art. Wer genau hinsieht, wird noch andere Spuren des Reichstages im Bundestag entdecken. Dessen Verfahrens- und Organisationsregeln entsprechen teilweise noch denen des Reichstages. Das Grundgesetz und die Geschäftsordnung des Bundestages haben das, was ihnen am vorherigen Recht geeignet erschien, übernommen. Ein kurzer Blick in die Art. 20 bis 40 WRV und in die Art. 38 bis 48 GG zeigt die Traditionslinie. Sie reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Der politische Zustand eines demokratischen Staates spiegelt sich in seinem Parlament wider. Die Art und die Stärke der darin vertretenen Parteien sowie ihr Umgang miteinander sagen etwas über die Lage des Gemeinwesens aus. Je mehr radikale Parteien vertreten sind und je höher ihr Stimmenanteil ist, desto hitziger und auch unsachlicher gestalten sich meist die Debatten. Radikale Parteien sehen ihre Wettbewerber häufig nicht als Gegner, sondern als Feinde an  : als »Systemparteien« oder »Altparteien«, deren Ziele es endgültig zu überwinden gelte. Demokratische, gemäßigte Parteien sind hingegen kompromissfähig. Sie wissen, dass sie nicht die Wahrheit gepachtet haben und Zugeständnisse zur Mehrheitsfindung im Parlament nötig sind. Und auf die Mehrheitsfindung kommt es in der Demokratie letztlich an. Ohne stabile Mehrheit gibt es keine stabile Regierung. Seit dem Einzug der AfD, einer jedenfalls in Teilen rechtsextremen Partei, in den Bundestag im Jahr 2017 fragen sich viele, ob sich hier etwas wiederholt, das im September 1930 begann  : der parlamentarische Aufstieg einer illiberalen und antidemokratischen Partei. Der Blick in die östlichen Bundesländer mag die Sorgen noch bestärken. Dort ist nicht nur der Stimmenanteil der AfD größer, sondern auch die aus der SED hervorgegangene, in Teilen radikale Partei Die Linke stark. Bei der Landtagswahl in Thüringen vom Oktober 2019 vereinigten die AfD und Die Linke mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich  – mit der Folge, dass die Regierungsbildung nahezu unmöglich wurde. Nur unter Einbeziehung einer der beiden Randparteien konnte die Wahl eines Ministerpräsidenten auf die Beine gestellt werden. Was in der Weimarer Zeit die radikale, demokratie- und parlamentsfeindliche Parteipresse war, sind heute Beiträge in den »sozialen Medien«. Politisches Handeln erhält heute viel unmittelbarer als früher Resonanz. Oftmals fällt diese ätzend und vernichtend aus. Tatsachen werden erfunden oder verdreht. Sogar

Einleitung 

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Kommunalpolitikerinnen und -politiker werden, häufig aus der Anonymität heraus, beleidigt, herabgesetzt und bedroht. Selbst zu körperlichen Angriffen bis hin zum Mord ist es leider schon gekommen. So verwundert es nicht, dass manche schon »Weimarer Verhältnisse« befürchten  : ein instabiles politisches System mit schwieriger Mehrheitsfindung im Parlament und kurzlebigen Regierungen. Solchen Befürchtungen ist entgegenzuhalten, dass die Umstände 1930 andere waren als heute. Die Geschichte wiederholt sich nicht einfach. Die wirtschaftliche Lage Deutschlands ist deutlich stabiler. Die Vorbelastungen eines verlorenen Krieges fehlen. Außerdem ist keine der heutigen im Bundestag oder in einem Landesparlament vertretenen sehr rechten Parteien mit der NSDAP zu vergleichen  : Keine Partei hat eine paramilitärische Schlägertruppe, keine hat einen Demagogen wie Adolf Hitler, der viele der damaligen Zeitgenossen mitreißen konnte. Straßenkämpfe zwischen Anhängern miteinander verfeindeter Parteien gibt es nicht. Auch sind die heutigen Stimmenanteile aller sehr rechten und rechtsradikalen Parteien auf Bundesebene geringer als im September 1930 und in den Folgejahren. Dasselbe gilt für die weit links stehenden und linksextremen Parteien. Und dennoch, bei allen Unterschieden  : Wer die Äußerungen von AfD-Vertretern im Bundestag und in den Medien verfolgt, fragt sich, ob sich hier vielleicht – unter heutigen Vorzeichen – etwas wiederholt, das man lange Zeit für endgültig überwunden hielt. Wer kann schon vorhersagen, wie sich eine erneute starke Zuwanderung oder eine wirtschaftliche Rezession auf das Wahlverhalten auswirken würde  ? Die Arbeit an einem Parlamentsrechtslehrbuch und die mich aufgrund meiner früheren Berufstätigkeit als Parlamentsbeamter besonders bewegende Frage, ob seit 2017 Parallelen zu 1930 und den Folgejahren bestehen, haben mich veranlasst, mich mit den letzten Jahren des Reichstages der Weimarer Republik genauer zu befassen.1 Ich wollte sehen, welche Störungen des Parlamentsbetriebs es gab und wie sich die radikalen Abgeordneten geäußert haben. Zugleich wollte ich feststellen, welche Faktoren  – neben dem Verhalten der Radikalen  – den Reichstag als politischen Faktor ausgeschaltet haben. Das Ergebnis ist dieses Buch. Es zeigt den Weimarer Reichstag als Spiegel der Republik. Sein und ihr Ende hängen eng miteinander zusammen. Dieses Buch ist nicht nur eine Darstellung eines Teils der Parlamentsgeschichte und ein Nachschlagewerk für denjenigen, der sich über die Reichstagsarbeit informieren möchte. Es soll zugleich ein Plädoyer für einen freiheitlichen Parlamentarismus sein. Es soll dazu aufrufen, die demokratischen Institutionen des freiesten und wohlhabendsten Staates auf deutschem Boden – der Bundes-

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Einleitung

republik – zu schützen und das eigene Wahlrecht bewusst wahrzunehmen. Jeder darf wählen, was und wen er möchte (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG). Alles andere wäre nicht demokratisch. Aber jeder sollte genau wissen, was und wen er wählt. Stimmen für Radikale sind nie eine gute Idee (auch nicht als Protesthaltung). Das zeigt uns das Schicksal des Reichstages.

1 Belastungen der Reichstagsarbeit

Die junge Weimarer Republik befand sich in ihren ersten fünf Jahren, also bis 1924, in einem dauerhaften Krisenmodus. Die Gründe dafür waren die Vorbelastungen durch den Krieg und die Niederlage sowie der Kampf der Extremisten von links und rechts gegen die demokratische Republik. Ab 1929 setzte dann, nach den relativ »Goldenen Zwanzigern«, eine erneute, letztlich tödliche Krisen­ phase ein. Die Vorbelastungen durch die Kriegsniederlage Die Weimarer Republik war ein Kind der Revolution im November 1918. Die Revolution wiederum war ein Kind der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Der Aufruhr begann, als sich die Matrosen in Wilhelmshaven Ende Oktober 1918 dem Befehl zu einem letzten Auslaufen in die Nordsee widersetzten. Er breitete sich von Kiel, wohin die verhafteten aufständischen Matrosen gebracht worden waren, über das ganze Deutsche Reich aus. In wenigen Tagen fegte er die Monarchie im Reich und in seinen Mitgliedstaaten hinweg. Am 9. November 1918 waren der Kaiser und die Landesfürsten Geschichte. An diesem Tag verkündete Reichskanzler Prinz Max von Baden eigenmächtig die Abdankung des Kaisers und übergab in den Mittagsstunden die Regierungsgeschäfte an den SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert. Die Sozialdemokraten stellten seit 1912 die stärkste Fraktion im Reichstag. Philipp Scheidemann rief am 9.  November gegen 14 Uhr von einem Balkon vor dem Lesesaal des Reichstagsgebäudes die Republik aus  – übrigens sehr zum Unwillen seines Parteigenossen Ebert. Scheidemann erinnerte sich einige Jahre später, Ebert sei »vor Zorn dunkelrot im Gesicht geworden«. Er habe »mit der Faust auf den Tisch geschlagen« und Scheidemann angeschrien  : »›Ist das wahr  ?‹« Scheidemann habe, so Ebert, »kein Recht, die Republik auszurufen«, was aus Deutschland werde, »ob Republik oder was sonst, das [entscheide] eine Konstituante«,1 also eine verfassunggebende Versammlung. Scheidemann kam mit seiner Proklamation Karl Liebknecht zuvor. Dieser rief etwa eineinhalb Stunden später von einem Lastwagen am Berliner Lustgarten und dann von einem Portal des Stadtschlosses die »sozialistische Republik« aus. Liebknechts Ausrufung blieb folgenlos. Die beiden sozialdemokratischen Parteien, die Mehrheits-SPD und die davon am 6.  April 1917 ab-

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Belastungen der Reichstagsarbeit

gespaltene Unabhängige SPD (USPD), bildeten am 10.  November 1918 eine provisorische Regierung  : den sechsköpfigen Rat der Volksbeauftragten. Beide Parteien entsandten je drei Mitglieder. Trotz aller Widerstände stellte die SPD die ­Weichen in Richtung Parlamentarismus. Sie setzte Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung an. Am 19. Januar 1919 wählten die ­Deutschen – Männer und erstmals auch Frauen – die verfassunggebende deutsche Nationalversammlung. Sie trat am 6.  Februar 1919 im Weimarer Nationaltheater zusammen. Friedrich Ebert hatte durchgesetzt, dass die Versammlung nicht in Berlin tagte. Durch die Wahl der mitteldeutschen Stadt Weimar sollte ein Zeichen des gesamtdeutschen Zusammenhalts gegeben und an den durch die Weimarer Klassik verkörperten Geist appelliert werden.2 Die unruhige Lage in Berlin oder ein befürchteter »Druck der Straße« spielten demgegenüber – anders als landläufig behauptet wird3 – eine geringere Rolle bei der Wahl Weimars. Die SPD, das katholische Zentrum und die neu gegründete linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) gewannen mit zusammen 60,3 % der Stimmen die deutliche Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung. Sie bildeten als »Weimarer Koalition« eine Regierung. Die drei Parteien, die selbst oder deren Vorgänger im Kaiserreich lange Zeit in der Opposition gestanden und seit Juli 1917 im Interfraktionellen Ausschuss des kaiserzeitlichen Reichstages zusammengearbeitet hatten, prägten die neue »Weimarer Verfassung«, die in wenigen Monaten ausgearbeitet wurde und am 11. August 1919 in Kraft trat. SPD, Zentrum und DDP setzten die parlamentarische Demokratie als Regierungsform und die freiheitliche Grundordnung der Republik durch. Sie waren die staatstragenden Parteien der Republik. Das Zentrum und die DDP (ab 1930  : Deutsche Staatspartei) waren bis 1932 durchgehend oder fast durchgehend an der Reichsregierung beteiligt. Die SPD stellte von 1919 bis 1925 den Reichspräsidenten sowie von 1919 bis 1923 und von 1928 bis 1930 mehrere Reichskanzler und Reichsminister. Auch in Preußen, dem nach Fläche und Bevölkerung weitaus größten Reichsland, waren alle drei Parteien von 1920 bis 1932 (mit kleinen Unterbrechungen) an der Regierung beteiligt. Die SPD stellte mit Otto Braun über ein Jahrzehnt den Ministerpräsidenten. Preußen wurde unter der Ägide der drei Parteien von einer monarchischen Hochburg zu einem demokratischen Bollwerk. Die Kriegsniederlage war aus mehreren Gründen eine schwere Bürde für die junge Republik. Bereits der Waffenstillstand vom 11. November 1918 hatte dem Reich harte Bedingungen auferlegt. Die Hoffnungen, der Friedensvertrag möge weniger streng ausfallen, wurden enttäuscht. Der Regierungschef, Reichsministerpräsident Scheidemann, opponierte gegen die Vertragsunterzeichnung in der

Die Vorbelastungen durch die Kriegsniederlage 

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Sitzung der Nationalversammlung am 12.  Mai 1919 in der Aula der Berliner Universität in einer kämpferischen und umjubelten Rede  : »[…] – ich frage Sie  : wer kann als ehrlicher Mann, ich will gar nicht sagen als Deutscher, nur als ehrlicher vertragstreuer Mann solche Bedingungen eingehen  ? Welche Hand müßte nicht verdorren, die sich und uns in diese Fesseln legt  ?«4 Doch die Mehrheit der Nationalversammlung erkannte, dass ihr bei allem Widerwillen nur die Zustimmung zu dem Vertrag blieb. Andernfalls hätte sich das erschöpfte und immer wieder von lokalen Aufständen erschütterte Deutsche Reich erneut im Krieg befunden und wäre mit Sicherheit besetzt worden. Die Friedensbedingun­ gen wären dann womöglich noch härter gewesen. Die Nationalversammlung erklärte sich am 22.  Juni 1919 mit der Unterzeichnung des in Versailles von den Siegermächten ausgehandelten Friedensvertrages durch die Reichsregierung einverstanden  : Von 393 Mitgliedern stimmten 236 mit Ja, 89 mit Nein, 68 enthielten sich.5 Scheidemann war am 20. Juni 1919 zurückgetreten, da er den Vertrag nicht unterzeichnen wollte und seine Meinung innerhalb der SPD nicht durchsetzen konnte. Schließlich reisten Außenminister Hermann Müller (SPD) und Verkehrsminister Johannes (Hans) Bell (Zentrum) nach Versailles und unterzeichneten unter Protest am 28. Juni 1919 den Vertrag. Der »überaus harte«6 Versailler Friedensvertrag mit den Siegermächten bedeutete für das Deutsche Reich den Verlust eines Siebtels des Staatsgebiets, eines Zehntels der Bevölkerung und aller Kolonien  ; die Abschaffung der Wehrpflicht, die Reduzierung des Heeres auf 100.000 und der Marine auf 15.000 Mann sowie das Verbot einer Luftwaffe  ; die Zuweisung der Kriegsschuld und daher sehr hohe Reparationsverpflichtungen. Die Republik und die sie tragenden Parteien befanden sich in der paradoxen Situation, dass sie die Lasten des verlorenen Krieges schultern und bewältigen mussten, den sie nicht begonnen und nicht zu verantworten hatten.7 Die Kriegsniederlage hatte neben den wirtschaftlichen auch immense gesellschaftspsychologische Folgen. Die Niederlage kam für viele unerwartet. Waren die Frontgeschehnisse für viele auch fern und die Entbehrungen durch Hunger und Mängelwirtschaft groß – am Ende schien doch immer der Sieg zu stehen. In den von offiziellen Stellen verbreiteten Nachrichten eilte die deutsche A ­ rmee von Sieg zu Sieg. Siegte sie nicht, dann zog sie sich in »sichere Stellungen« zurück (um die nächste Offensive vorzubereiten). Die Werbeplakate für Kriegsanleihen hatten die Siegeszuversicht stets beschworen. In einer Werbung für die achte Anleihe zu Beginn des Jahres 1918 war vom »letzten Hieb« gegen den Feind die Rede gewesen. Die wahre Lage war eine andere. Seit dem Scheitern der deutschen Frühjahrsoffensiven, die im März 1918 begonnen worden waren, und

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Belastungen der Reichstagsarbeit

insbesondere seit dem »schwarzen Tag des deutschen Heeres« am 8. August 1918, an dem die Frontlinie bei Amiens massiv durchbrochen wurde, stand die Niederlage den verantwortlichen Heerführern, dem Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und seinem Ersten Generalquartiermeister Erich Ludendorff, vor Augen. Mitte August 1918 war den »politisch und militärisch Führenden klar, dass der Krieg verloren war und dass es nur noch darauf ankommen konnte, zu einer Art ›ehrenvollem Frieden‹ zu gelangen, indem man in gesicherten Stellungen so weiterkämpfte, dass die Alliierten zu einem Friedensschluss ohne deutsche Niederlage bereit waren.«8 Im September verstärkte sich die Erosion der deutschen Kampfkraft weiter. Außerdem brachen die Bündnispartner Österreich-Ungarn und Bulgarien weg. Als Letzteres am 29. September 1918 kapitulierte, gestanden Hindenburg und Ludendorff am selben Tag gegenüber (dem nur noch nominellen Oberbefehlshaber) Kaiser Wilhelm II. und dem Reichskanzler Graf Hertling die Niederlage ein. Die OHL forderte sofortige Waffenstillstandsgespräche und die verstärkte Einbeziehung der Reichstagsparteien in die Regierungsverantwortung.9 Durch eine Verfassungsänderung vom 28. Oktober 1918 war der Reichskanzler nun nicht mehr vom Vertrauen des Monarchen allein, sondern auch vom Vertrauen des Reichstages abhängig (Art. 15 Abs. 3 RV). Auch wurden Vertreter der bislang oppositionellen Parteien SPD, Zentrum und FVP in das Kabinett aufgenommen. Dieser Umstand und die Tatsache, dass mit Matthias Erzberger ein Zentrumspolitiker den harten Waffenstillstand am 11.  November 1918 unterzeichnete, konnten sich die eigentlichen Kriegsverlierer in der Obersten Heeresleitung zunutze machen, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken. Ludendorff legte schon im Moment seines Scheiterns als Heerführer das Fundament einer verhängnisvollen Legende. Der Generalmajor Albrecht von Thaer notierte folgende Äußerung Ludendorffs vor Offizieren am 1. Oktober 1918  : Die »Armee sei leider schon schwer verseucht durch das Gift spartakistisch-­sozialistischer Ideen. Auf die Truppen sei kein Verlaß mehr.« Ludendorff fügte hinzu  : Ich habe aber S.M. [Seine Majestät] gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu danken haben, daß wir so weit gekommen sind. Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muß. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben  !10

Die eigentlichen Verantwortlichen für die Niederlage begannen ab diesem Zeitpunkt damit, ihre Verantwortung auf diejenigen abzuwälzen, die weder für den Kriegsausbruch noch für die Niederlage etwas konnten, beide aber ab nun zu be-

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wältigen hatten. Hindenburg bekräftigte die Legende, als er am 18.  November 1919 von einem Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung befragt wurde  : Ein englischer General sagte mit Recht  : »Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.« Den guten Kern des Heeres trifft keine Schuld. Seine Leistung ist ebenso bewunderungswürdig wie die des Offizierskorps. Wo die Schuld liegt, ist klar erwiesen. […] Bedurfte es noch eines Beweises, so liegt er in dem angeführten Ausspruche des englischen Generals und in dem maßlosen Erstaunen unserer Feinde über ihren Sieg.11

Hindenburg, Ludendorff und alle, die ihnen bereitwillig folgten, vertraten die für die Militärs sehr bequeme These, dem kämpfenden und unbesiegten deutschen Heer sei von der Heimat aus der vernichtende Dolch in den Rücken gestoßen worden. Daher der Name »Dolchstoßlegende« oder besser  : »Dolchstoßlüge«. Auch in seinen Memoiren pflegte Hindenburg die Legende, gab allerdings die Erschöpfung des Heeres zu  : »Wir waren am Ende  ! Wie Siegfried unter dem Speerwurf des grimmen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front.«12 Die Dolchstoßlegende existierte in verschiedenen Schattierungen. In der extremsten, von den Deutschnationalen und von völkischen Parteien wie der NSDAP vertretenen Version der Dolchstoßlegende trugen »marxistisch-jüdische« Kräfte die Schuld für die Kriegsniederlage. Führende Politiker vor allem der SPD wiesen solche Vermutungen zurück. Friedrich Ebert ordnete die Verantwortung für die Kriegsniederlage in der Eröffnungssitzung der Nationalversammlung am 6. Februar 1919 richtig ein  : »Wir haben den Krieg verloren. Diese Tatsache ist keine Folge der Revolution. […] Die Revolution lehnt die Verantwortung ab für das Elend, in das die verfehlte Politik der alten Gewalten und der leichtfertige Übermut der Militaristen das deutsche Volk gestürzt haben.«13 Solche Richtigstellungen vermochten aber die Dolchstoßlegende, auch in ihrer extremsten und unglaubwürdigsten Form, nicht aufzuhalten. Sie lebte vor allem in rechten Kreisen bis zum Ende des NS-Regimes fort. Der Grund dafür liegt auch darin, dass die Schuldzuweisung für die Niederlage vielen sehr gelegen kam. Wer als Befehlshaber oder einfacher Soldat am Krieg teilgenommen hatte, vermochte mit der Niederlage leichter umzugehen, wenn sie auf Verrat und nicht etwa auf falschen Annahmen der militärischen Führung oder gar eigenen Fehlern beruhte. Die Republik war daher für viele das Ergebnis eines Verrats, dessen Folgen wiederum als ursächlich für die harten Friedensbedingungen angesehen wurden. Vor allem die bereits erwähnten Reparationsverpflichtungen wurden als ungerechte Last betrachtet.14 Die jährliche Belastung durch die Reparationen lag zwischen 1920 und 1932 bei ca. 2,7 % des Volkseinkommens. Sie »verschlangen

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1920 20 %, 1921 42 % und 1922 29 % des Reichshaushaltes«.15 Allerdings floss im Gegenzug durch ausländische, vor allem amerikanische Kredite und Investitionen viel Geld nach Deutschland zurück.16 Gleichwohl drückte die Reparationslast sehr stark und verhängnisvoll auch auf die Volkspsyche. Die Republik und die sie stützenden Kräfte waren nicht imstande, dem Kriegstrauma, das viele ehemalige Soldaten belastete, einen positiven Zukunftsplan entgegenzusetzen.17 Die hellsichtigeren Politiker wussten, dass eine sofortige Revision des Vertrages nicht zu erwarten und schon gar nicht gegen den Willen der Siegermächte zu erreichen war. Sie setzten daher auf eine Politik der kleinen Schritte, das Bemühen, die Vertragsverpflichtungen zu erfüllen, um zugleich deren Unerfüllbarkeit zu beweisen. Anerkennung erhielten sie dafür von der Mehrheit der Bevölkerung nicht. Vielmehr waren sie Anfeindungen ausgesetzt und wurden von rechten Kreisen als verräterische »Erfüllungspolitiker« geschmäht. Eine mittelbare Folge des Krieges war die Inflation. Der Geldwert war schon durch die horrenden Kriegskosten massiv gesunken. Um die Wirtschaftskrise nach dem Krieg einzudämmen und die Staatsschulden zu begleichen, hatten die Reichsregierung und die Reichsbank die Geldmenge massiv erhöht. Als im Januar 1923 französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet besetzten, rief die Reichsregierung die dortige Bevölkerung zum passiven Widerstand und Generalstreik auf (»Ruhrkampf«). Die finanziellen Hilfen für die Streikenden aus dem Reichshaushalt erhöhten die öffentliche Verschuldung stark und beschleunigten die Geldentwertung weiter. Die Inflation wurde zur Hyperinflation.18 Der Umtauschkurs der Reichsmark im Verhältnis zum Dollar stieg bis Mitte November 1923 auf einen Wert von fast 630 Milliarden Mark. Ein Brot kostete Anfang November 420 Milliarden Mark. Der Abbruch des Ruhrkampfes und eine Währungsreform vermochten die Inflation zu beenden und die Wirtschaftslage zu beruhigen. Für das Ansehen der jungen Republik war die Inflation verheerend. (Noch bis heute wirkt die damalige Angst vor einer massiven Geldentwertung nach.) Todfeinde im Parteienspektrum und politisch motivierte Gewalt Die Republik wurde als Kind der Niederlage von vielen abgelehnt, ja regelrecht gehasst und bekämpft. Der Hass war nicht nur bei den alten Eliten in Armee, Wirtschaft und Bürokratie zu finden. Er fraß sich von Anfang an durch alle Volksteile. Die Republik war nicht fähig, eine Haltung zur Niederlage und ihren belastenden Folgen zu finden, die den Streit und den Hass hätte zumindest teilweise überwinden und bewältigen können.19 Ausdruck und Katalysator der

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politischen Feindschaft gegen die demokratische Republik waren die radikalen Parteien vom rechten und linken Rand des politischen Spektrums. Diese Parteien waren alle kurz nach der Novemberrevolution gegründet worden. Die weit rechten und rechtsextremen Gruppierungen wollten die Revolution, nötigenfalls gewaltsam, rückgängig machen und statt der liberalen Demokratie wieder eine Monarchie oder einen nationalistischen und rassistischen (völkischen) Obrigkeitsstaat errichten. Den linksextremen Formationen ging die Revolution noch nicht weit genug. Sie träumten von einer Räterepublik sowjetischen Musters. Die russische Oktoberrevolution von 1917 diente ihnen als Vorbild. Innerhalb der beiden extremistischen Lager waren auf der linken Seite die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und auf der rechten Seite zunächst die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und sodann die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) die stärkste Kraft. Die KPD

Die KPD wurde von Mitgliedern des linksradikalen Spartakusbundes und der Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) während des Reichskongres­ ses des Spartakusbundes gegründet. Er fand vom 30. Dezember 1918 bis zum 1.  Januar 1919 im Festsaal des Preußischen Abgeordnetenhauses statt (dem Gebäude des heutigen Abgeordnetenhauses von Berlin). Die bekannten Spartakisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht übernahmen die Führung der KPD. Sie sympathisierten mit einem antiparlamentarischen und antidemokratischen Rätesystem nach sowjetischem Vorbild. Bereits in einem Aufruf vom 10. Novem­ber 1918 hatten sie verkündet  : Die rote Fahne weht über Berlin  ! Mit der Abdankung von ein paar Hohenzollern ist es nicht getan. Noch viel weniger ist es damit getan, daß ein paar Regierungssozialisten mehr an die Spitze treten. Sorget, daß die Macht, die ihr jetzt errungen habt, nicht euren Händen entgleite und daß ihr sie gebraucht für euer Ziel. Denn euer Ziel ist die sofortige Herbeiführung eines proletarisch-sozialistischen Friedens, der sich gegen den Imperialismus aller Länder wendet, und die Umwandlung der Gesellschaft in eine sozialistische.

Verlangt wurde die »Beseitigung des Reichstags und aller Parlamente sowie der bestehenden Reichsregierung.«20 Die neu gegründete KPD teilte diese Auffassung. Die Partei propagierte von Anfang an eine sozialistische Räterepublik sowjetischen Musters, eine »Diktatur des Proletariats«. Sie war eine »echt revolutionäre Partei, die für das Morgen existiert.«21 Die radikale Linke war bereit,

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ihre Ziele gewaltsam durchzusetzen. Als die mitregierende SPD und der Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte dem Rätesystem eine deutliche Absage erteilten,22 versuchten die Spartakisten vom 5. bis 12. Januar 1919, die Macht zu übernehmen (»Spartakusaufstand«). Der mittlerweile allein mit SPD-Leuten besetzte Rat der Volksbeauftragten schlug den Aufstand mithilfe von Teilen der alten kaiserlichen Armee und irregulären Truppen, den sog. Freikorps, nieder. In diesen Freikorps versammelten sich monarchietreue und völkisch gesinnte Soldaten. Sie gingen brutal gegen die Spartakisten vor und ermordeten deren Anführer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Die KPD beteiligte sich nicht an der Wahl zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919, da sie eine parlamentarische Republik ablehnte. An den folgenden Reichstagswahlen nahm sie aber  – mit wachsender Stimmenzahl  – teil. Die KPD blieb bei ihrer Ablehnung der Weimarer Verfassung und des Parlamentarismus und nutzte den Reichstag und die Landesparlamente nur als Agitationsbühne. Ihr eigentliches Ziel war eine Revolution mit einem Umsturz der Regierungs- und Vermögensverhältnisse. Die KPD wollte Sowjetdeutschland errichten.23 Dazu sollten Massenstreiks und bewaffneter Aufruhr beitragen. Mehrere kommunistische Aufstände zwischen 1920 und 1923 schlug die Armee, zum Teil  mit Unterstützung der Freikorps, mit Gewalt nieder. Zuletzt kam es im Oktober 1923 in Sachsen, wo die KPD gemeinsam mit der SPD an der Landesregierung beteiligt war, zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Reichswehr. Die Armee setzte sich durch. Die KPD-Minister wurden abgesetzt. In Hamburg versuchten die Kommunisten im selben Monat ebenfalls einen Putsch. Die Polizei beendete den Aufstand zwar rasch, doch kamen 24 Kommunisten und 17 Polizisten zu Tode.24 Seit dem November 1923 hielt sich die Partei zwar mit Putschversuchen zurück. Sie behielt ihr aggressives antidemokratisches Gehabe im Parlament und auf den Straßen aber bei. Aus ihrer Zielsetzung machte die KPD im Reichstag und sonst in der Öffentlichkeit keinen Hehl. Fortwährend (und noch im Dezember 193225) riefen KPD-Abgeordnete öffentlich zu Massenstreiks und zum außerparlamentarischen Kampf für den Sturz der Regierung auf. Die KPD unterhielt seit dem Juli 1924 eine paramilitärische Kampftruppe, den »Roten Frontkämpferbund« (RFB), mit ca. 110.000 Mitgliedern. Dieser verübte gezielt Gewalttaten gegen politische Gegner und Polizisten. Die Parteistruktur orientierte sich dementsprechend am sowjetischen Vorbild. Ein Zentralkomitee (ZK) und ein Politbüro führten die Partei. (Die Staatspartei der DDR, die SED, der viele ehemalige KPD-Mitglieder angehörten, übernahm diese Bezeichnungen ebenfalls.) Seit dem Herbst 1925 war der Hamburger Ernst Thälmann, ein ungelernter Arbeiter (der seit 1921 hauptamt-

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licher Funktionär war und seit 1924 dem Politbüro angehörte), faktisch Parteivorsitzender. Ihm unterstand seit 1925 auch der RFB. Thälmann »verfügte über keine eigene Idee, kein theoretisches Konzept. Aber dafür verstand er etwas von Machtkonstellationen und wusste, wie man Menschen gegeneinander ausspielt.«26 Unter seiner Ägide richtete sich die KPD strikt an den Vorgaben der sowjetischen KP unter dem Diktator Josef Stalin und des »Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale« (EKKI) aus. Die KPD entwickelte sich wie die kommunistischen Parteien in anderen Ländern zur Kaderpartei. Dies bedeutete, dass nur ein kleiner Führungszirkel, die Kader, das Sagen hatte. Sie lenkten die KPD mit ihren rund 100.000 Mitgliedern27 vom »Karl-LiebknechtHaus« am Berliner Bülowplatz aus (das heute die SED-Nachfolgerin Die Linke als Parteizentrale nutzt). Die Fluktuation der Mitglieder war  – auch bedingt durch die Bedeutung spontaner Eintritte nach Parteiveranstaltungen  – sehr hoch.28 Die noch bestehenden Traditionsreste aus der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung der Vorkriegszeit verschwanden. Stalins Arm reichte weit in die KPD hinein. Als Thälmann alle seine Ämter verlor, weil er Unterschlagungen in der Partei vertuscht hatte, intervenierte Stalin und sorgte so dafür, dass Thälmann seine Ämter zurückerhielt. Der XII. Parteitag, der vom 9. bis 15. Juni 1929 in den »Pharus-Sälen« an der Weddinger Müllerstraße stattfand, »feierte ihn in einer Weise, die sich nur als ›Führerkult‹ beschreiben lässt.«29 In der Sehnsucht nach dem »starken weitsichtigen Führer« waren sich alle radikalen Parteien der Weimarer Zeit einig. Als Hauptfeind galt der KPD die SPD. Die Kommunisten sahen die Sozialdemokraten als Wegbereiter des Faschismus an (»Sozialfaschismus-These«). In diesem Sinne äußerte sich auch eine Resolution des ZK der KPD vom 4. Juni 1930  : »Der Kampf gegen den Faschismus ist daher undenkbar ohne den schärfsten Kampf gegen die sozialdemokratische Partei und ihre Führerschaft, die eine entscheidende Waffe der Faschisierung Deutschlands darstellt.«30 In Plenarreden im Reichstag war Ähnliches zu hören. Die KPD war, erst recht ab dem Ende der 1920er Jahre, nicht bereit, diese grotesken Unterstellungen zu revidieren. Sie sah zwar auch die Nationalsozialisten als Gegner an, aber erst an zweiter Stelle. Beispielsweise sprach Ernst Thälmann am 17.  Juli 1930 vor dem Plenum des ZK von einer »verstärkte[n] Einheitsfrontpolitik gegenüber den sozialdemo­ kratischen Arbeitern bei gleichzeitiger Steigerung unseres prinzipiellen und schonungslosen Kampfes gegen den Sozialfaschismus, insbesondere den ›linken‹ Sozialfaschismus«. Erst als Zweites forderte der Parteivorsitzende die »weitere Verstärkung unseres politisch-ideologischen und wehrhaften Massenkampfes gegen die Nationalsozialisten.«31

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Zwar gelang es der KPD, viele Millionen Wähler zu erreichen und ihre Wahlergebnisse ab 1928 stetig zu verbessern. Eine Massenbasis für ihre Umsturzpläne gewann die KPD aber nie. Zum einen blieben ihre Wahlergebnisse immer deutlich unter 20 %. Zum anderen dürften auch die meisten KPD-Wähler – wie die übrige Bevölkerung  – einen Sozialismus sowjetischer Prägung nicht befürwortet und sich vorrangig aus einer Protesthaltung für die KPD entschieden haben. Dies lässt schon die sehr hohe Wählerfluktuation erkennen.32 Die bolschewistische Revolution war ein Minderheitsanliegen, das vor allem die Parteifunktionäre beschworen. Informierte Menschen wurden von der Brutalität, mit der gerade Stalin vorging, abgestoßen. Da die KPD nie an Reichsregierungen beteiligt war, war ihr unmittelbarer politischer Einfluss gering. Auch ansonsten beteiligte sich die Partei nicht konstruktiv. Die mittelbaren politischen Wirkungen der KPD waren bedeutsamer. Erstens wirkte die KPD mit ihrem gewalttätigen RFB als Schreckgespenst für bürgerliche Wähler, die sowjetische Verhältnisse in Deutschland befürchteten. Zweitens beeinflusste die KPD auch die SPD, die ebenfalls um Wähler aus der Arbeiterschaft warb. Dass die KPD als prinzipiell oppositionelle Partei die »reine Lehre« des Sozialismus vertreten konnte, brachte die SPD-Funktionäre vor allem gegenüber ihrer Mitgliedschaft in Rechtfertigungszwang, wenn die Partei an einer Regierung beteiligt war und Kompromisse eingehen sollte. Die direkte Konkurrenz der KPD in der Arbeiterschaft bewirkte, dass die SPD »aus Rücksicht auf den linken Saum ihrer Wählerschaft leicht in eine systemwidrige Oppositionsrolle zurück[fiel] und daher als Stabilisator der Republik gefährdet« war.33 Die DNVP

Den ersten Platz unter den antiparlamentarischen Rechtsparteien nahm in den ersten und in den letzten Jahren der Republik die DNVP ein. Sie strebte eine Rückkehr zur Monarchie an. In der DNVP, die am 24. November 1918 gegründet wurde, sammelten sich die alten kaiserzeitlichen Eliten aus Großgrundbesitz, Adel, Militär und Beamtenschaft, die vor der Revolution die nationalistischen, großmachtorientierten und auf die Besitzstandswahrung ausgerichteten konservativen Parteien gewählt hatten. Ein Gründungsmitglied war Alfred von Tirpitz, der als Großadmiral den verheerenden uneingeschränkten U-Boot-Krieg gegen britische und amerikanische Schiffe geplant und durchgeführt hatte. Ein aggressiver Nationalismus, Antisemitismus und Antiparlamentarismus waren in der DNVP weit verbreitet. Typisch für die Werdegänge und Sichtweisen v­ ieler DNVP-Mitglieder war der preußische Verwaltungsbeamte Wolfgang Kapp, der

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im Gefolge des (von Erich Ludendorff unterstützten) Generals Walther von Lüttwitz Mitte März 1920 erfolglos versuchte, die Regierung zu übernehmen (»Kapp-Lüttwitz-Putsch«). Zwar musste die Reichsregierung aus Berlin fliehen. Aber nach 100 Stunden brach der Putschversuch infolge eines Generalstreiks, den die Gewerkschaften initiiert hatten, zusammen. Zwischen der DNVP und den rechtsradikalen Freikorps sowie deren Nachfolgeorganisationen bestanden enge programmatische und zum Teil auch persönliche Beziehungen. Angehörige der 1920 aufgelösten Freikorps gründeten die rechtsradikale »Organisation Consul« (O.C.) mit ca. 5000 Mitgliedern, auf deren Konto mehrere Morde gehen. Prominenteste Opfer waren im August 1921 der Zentrumsabgeordnete und frühere Reichsfinanzminister Matthias Erzberger und im Juni 1922 der Außenminister Walther Rathenau (DDP). Der am 13. November 1918 gegründete »Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten«, der in der Mitte der 1920er Jahre 300.000 und 1930 schon 500.000 Mitglieder hatte, war politisch ebenso auf die vermeintlich glorreiche Vergangenheit ausgerichtet wie viele rechte Parteien, allen voran die DNVP. Bei Aufmärschen mit mehreren Zehntausend uniformierten Teilnehmern feierte der Stahlhelm Krieger- und Soldatenromantik, beschwor die vermeintliche Größe des Kaiser­reichs und schürte den Hass auf die demokratische Republik, die angeblich durch einen verräterischen »Dolchstoß« an die Stelle der Monarchie getreten war und so die Niederlage im Krieg herbeigeführt hatte. Seit ihrem Görlitzer Parteitag 1922 bemühte sich die DNVP um einen pragmatischeren Kurs, blieb aber demokratie- und parlamentsskeptisch. In dieser kurzen »konstruktiven« Phase beteiligte sie sich an einigen Landesregierungen und an Reichskabinetten  : vom 15.  Januar bis 26.  Oktober 1925 am Kabinett Luther I und vom 29. Januar 1927 bis 28. Juni 1928 am Kabinett Marx IV. Ihre besten Wahlergebnisse erzielte die DNVP bei den Wahlen zum 3. und zum 4. Reichstag (Mai/Dezember 1924). Sie erreichte 19,5 % bzw. 20,5 % der Stimmen und war damit zweitstärkste Kraft. Ihr Mitgliederbestand stieg von 1919 (300.000 bis 400.000) bis 1923 (rund 950.000) stetig an,34 ging aber ab 1924 zurück. Gleichwohl hatte die Partei 1928 noch fast 700.000 Mitglieder.35 Sie dürfte damit zu diesem Zeitpunkt die zweitgrößte deutsche Partei hinter der SPD gewesen sein. Seit der Reichstagswahl im selben Jahr verlor die DNVP konstant Stimmen, vor allem an kleinere rechte Parteien und ab 1930 an die aufstrebende NSDAP. Die Deutschnationalen suchten ihr Heil unter ihrem neuen Vorsitzenden, dem Medienmogul Alfred Hugenberg, ab Oktober 1928 in einem sehr rechten, erneut republik- und parlamentsfeindlichen Kurs. Als Beispiel sei aus dessen Antrittsrede als Parteivorsitzender zitiert  : »Es wird einmal der Tag

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kommen, wo dieses Volk sich aufrafft, um all diesen Plunder von uns zu schütteln, der durch das heutige System auch über uns geworfen wird. Wir müssen uns frei machen von diesem System der Ausschüsse, der Kommissionen, der Verzehrung aller Kräfte in Rede und Gegenrede  !«36 Die DNVP forderte, die Monarchie wieder zu errichten, die Reichsregierung und die preußische Regierung wie im Kaiserreich personell zu verbinden, Art. 54 WRV abzuschaffen (wodurch die Regierung im Reich und in Preußen »vom Willen der Parlamentsmehrheit unabhängig« werden sollte), das parlamentarische Haushaltsrecht durch einen Zustimmungsvorbehalt der Reichsregierung zu begrenzen, die Parlamentssitzungen auf wenige Termine im Jahr zu beschränken, die deutschen Kolonien wiederzugewinnen sowie die allgemeine Wehrpflicht einzuführen und aufzurüsten.37 Wegen der Rechtsaußenposition der DNVP traten gemäßigtere Politiker 1929 und 1930 aus der Partei aus und gründeten zwei neue Formationen. Hindenburgs antidemokratischer Kurs führte schlussendlich am 30. Januar 1933 in die gemeinsame Regierung mit der NSDAP. Die NSDAP

Diese war am 24. Februar 1920 aus der am 5. Januar 1919 in München gegrün­ deten völkischen Deutschen Arbeiterpartei (DAP) hervorgegangen. Sie war zunächst nur eine von mehreren kleineren rechtsradikalen Parteien, die sich nach der Novemberrevolution gebildet hatten. Ihr Wirkungskreis beschränkte sich in den ersten Jahren im Wesentlichen auf Bayern.38 Die NSDAP bekämpfte alles, was nach ihrer Auffassung mit der Novemberrevolution  – verkürzt als »9. November 1918« oder »November 1918« bezeichnet – zu tun hatte  : In ihrem »25-Punkte-Programm« lehnte sie die Demokratie, den Parlamentarismus, die rechtsstaatliche und liberale Verfassung, den »Marxismus« (als Chiffre für die SPD) und den Kommunismus ab. Die NSDAP »verkündete [außerdem] einen fanatischen Antisemitismus und aggressiven Nationalismus, der sich mit sozial­ darwinistischen [und erbbiologistischen, P.A.] Ideen verband.«39 Seit 1920 war Adolf Hitler der führende Kopf der NSDAP. Er hatte die Parteifahne  – das schwarze Hakenkreuz im weißen Kreis auf rotem Untergrund – entworfen. Er war der Hauptagitator und -redner seiner Partei. Wie auch die KPD versuchte die NSDAP das demokratische System gewaltsam zu stürzen. Doch der von Hitler, Ludendorff u.a. initiierte Putschversuch am 9. November 1923 in München misslang. Der später von der Partei verklärte »Marsch auf die Feldherrnhalle« am Münchener Odeonsplatz scheiterte am entschiedenen Widerstand der bayerischen Polizei. Die Anführer des Putschversuchs wurden vor Gericht

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gestellt. Die NSDAP wurde zunächst verboten. Doch die Strafen und ihre Vollstreckung waren angesichts der Schwere der Tat lachhaft. Hitler wurde zwar zu einer mehrjährigen Festungshaft verurteilt. Aber er war ein privilegierter Gefangener. Er durfte Besuch empfangen und konnte seine berüchtigte Schrift »Mein Kampf« diktieren. Außerdem wurde er bereits kurz vor Weihnachten 1924 schon wieder aus der Haft entlassen. Die Partei hatte sich ohne Hitler in einer tiefen Organisations- und Führungskrise befunden. Dieser machte sich nach der Haftentlassung daran, die NSDAP neu zu organisieren und sich stärker als bislang untertan zu machen. Am 27. Februar 1925 wurde die Partei im Münchener Bürgerbräukeller formell neu gegründet. Hitler sicherte sich von Anfang an »die Stellung eines konkurrenzlosen Parteidiktators. […] Die NSDAP unterschied sich von allen übrigen Parteien der Weimarer Republik durch die unangefochtene Orientierung auf die alleinherrschende Führerpersönlichkeit.«40 Hitler und die Parteipropaganda stilisierten den Parteichef zum »Führer«. Hans-Ulrich Thamer spricht treffend von der »Erfindung des Führers«.41 Programmdebatten kannte die nach dem Führerprinzip organisierte Partei nicht. Was gelten sollte, gab Hitler vor. »Die NSDAP der späten zwanziger Jahre war ganz und gar Hitlers Schöpfung«42 – sie war die Hitler-Partei. Wo andere Parteien mehrere Führungspersonen hatten und ihr Programm in den Vordergrund stellten, stand bei der »Hitler-Bewegung«, wie die Partei auf Stimmzetteln hieß, Hitler im Mittelpunkt. Nationalsozialismus und Hitler waren »eins und dasselbe«.43 Das Programm und die Verlautbarungen der NSDAP oder Hitlers Schrift »Mein Kampf« waren inhaltlich im Vergleich zu anderen rechtsradikalen Gruppen nicht originell. Die Partei war nationalistisch, rassistisch, antidemokratisch, antiparlamentarisch, antisemitisch und antipluralistisch. Sie trachtete danach, die Weimarer Republik abzuschaffen, und strebte eine totalitäre Diktatur an. Das Parteiprogramm der NSDAP war, über die genannten Grundsätze hinaus, »von herausfordernder Kürze und Unbestimmtheit« und vermied so in vielen Politikbereichen Festlegungen, die Wählergruppen hätten verschrecken k­ önnen.44 Die Partei versuchte nach der für sie enttäuschenden 4.  Reichstagswahl 1928 ihr Wählerspektrum um Angestellte, Handwerker und Landwirte zu verbreitern und scheute sich nicht, auch gegensätzliche Interessen und Forderungen zu vertreten. Der große Unterschied zu anderen rechtsextremen Gruppen und der Grund dafür, warum sich gerade die NSDAP als »die« rechtsradikale Partei im völkischen Lager durchsetzte, war Hitler.45 Keine andere rechtsradikale Partei, auch nicht die DNVP mit ihren vielen Abgeordneten, besaß eine solche herausgehobene Führungsfigur mit solchen demagogischen Fähigkeiten wie die

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NSDAP. Sebastian Haffner, der den Aufstieg Hitlers und seiner Partei erlebte, meinte rückblickend  : »Hitler hatte als Person eine magische Wirkung, die kein anderer der damaligen Politiker ausübte.«46 Öffentlich steuerte Hitler die Partei seit Ende 1924 auf einen vorgeblichen Legalitätskurs. Er und seine Getreuen behaupteten nun, die Macht nicht durch eine gewaltsame Revolution, sondern auf parlamentarischem Wege, durch Mehrheiten im Parlament, erringen zu wollen. Seit dem September 1928 durfte Hitler in Preußen wieder als Redner auftreten und bald auch wieder im gesamten Reichsgebiet. Die Partei versuchte nicht durch ein ziseliertes Parteiprogramm, sondern durch Massenaufmärsche der »Sturmabteilung« (SA) und Großkundgebungen, in denen Hitler und andere Parteigrößen auftraten, für sich zu werben. Der Sehnsucht weiter Bevölkerungskreise nach der Überwindung der politischen und wirtschaftlichen Instabilität durch einen »Führer«, einen »starken Mann«, kam Hitlers Auftreten entgegen. Aus heutiger Sicht ist sein Redestil, zu dessen Wesensmerkmalen einstudierte Gestik, eine sich immer wieder überschlagende Stimme und eine verbale Rage gehörten, befremdlich, ja geradezu lächerlich. Auf viele seiner Zeitgenossen entfaltete er eine starke Wirkung. Bei vielen Sympathisanten entwickelte sich die Anhängerschaft zur Verehrung, ja zu einer quasireligiösen Anbetung. Ein gutes Beispiel liefert der spätere Propagandaminister Joseph Goebbels. Er stand Hitler anfangs eher ablehnend gegenüber, wurde aber ab 1926 zum inbrünstigen Gläubigen seines »Führers«. In seinem Tagebuch finden sich viele Belege dafür. So notierte Goebbels etwa am 13. Juli 1928  : »Gestern Abend mit dem Chef zusammen in großer Runde. Er war in glänzender Verfassung. Ich weiß nicht, ich habe ihn gern wie einen Vater. Hitler ist ein Universalmensch. Er kann herrlich erzählen. Das habe ich wohl am liebsten an ihm. Montag fahre ich mit ihm, seiner Schwester und Nichte nach Helgoland. Darauf freue ich mich.«47 Hitler und die NSDAP setzten im Wahlkampf, in ihren Reden und Publikationen und im Parlament die Weimarer Republik (das ihnen so verhasste »System«), den Reichstag, politische Gegner und Menschen jüdischen Glaubens herab, beleidigten sie und machten sie lächerlich. (In diesem Buch wird davon an mehreren Stellen die Rede sein.) Neben einer hasserfüllten Sprache setzten die Nationalsozialisten  – allen Legalitätsbeteuerungen Hitlers zum Trotz  – auf Gewalt. Zu einem wichtigen Instrument wurde hier die Anfang der 1920er Jahre gebildete SA. Die wegen ihrer braunen Uniformen »Braunhemden« genannten SA-Leute waren paramili­ tärisch organisiert und extrem gewaltbereit. Das hatte sich beim gescheiterten Hitler-Putsch in München gezeigt. Nachdem die SA bis 1924/25 recht unge-

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bunden agiert hatte, ordnete Hitler sie nach seiner Haftentlassung fest in die Parteiorganisation ein und seiner Führung unter. Die SA wurde vor allem zum gezielten Kampf gegen den ebenfalls republikfeindlichen Rotfrontkämpferbund der KPD sowie gegen die demokratische Schutztruppe »Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold« und andere republiktreue Kräfte und Personen eingesetzt. Vor Übergriffen auf Polizeibeamte schreckte sie nicht zurück. Sie beteiligte sich an Straßen- und Saalschlachten, verstärkt ab 1930. Häufig provozierte die SA solche Gewaltaktionen. Nachdem Joseph Goebbels 1926 Berliner Gauleiter geworden war, setzte er die SA unter ihrem Anführer Kurt Daluege gezielt für demonstrative Gewaltakte ein. Allein von November 1926 bis März 1927 kam es zu vier gewalttätigen Übergriffen auf Kommunisten. Eine NSDAP-Veranstaltung fand im Februar 1927 gezielt in den Pharus-Sälen im Wedding, dem üblichen Versammlungsort der KPD, statt. Eine blutige Saalschlacht zwischen SA und KPD-Leuten war die Folge. Bekannt ist die Randale anlässlich von Aufführungen des Antikriegsfilms »Im Westen nichts Neues« im Jahr 1930 in Berlin und anderen Städten. Der Film widersprach der kriegsverherrlichenden NS-Rhetorik. Die SA besetzte Kinos, warf Stinkbomben und ließ weiße Mäuse im Kinosaal frei. Schließlich wurde der Film vorläufig aus dem Programm genommen. Auch belästigte die SA jüdische Passanten vor Synagogen und richtete Stützpunkte in Arbeitervierteln wie dem Berliner Wedding ein, um ihren Machtanspruch gegenüber der KPD und deren RFB zu zeigen. Über die ganze Stadt Berlin und weitere Städte verteilt existierten »Sturmlokale« als Treffpunkte der SA-Männer. Die SA hatte im November 1930 rund 60.000 Mitglieder. Die »Schutzstaffel« (SS), die zum Inbegriff des mörderischen Rassenwahns wurde, entstand als Untergruppe der SA. Sie besaß in den 1920er Jahren keine größere Bedeutung, sondern beteiligte sich an Aktionen der SA. Durch mehrere Unterorganisationen wie die Hitlerjugend (HJ, 1926), den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (1926) und verschiedene Berufsorganisationen sowie eine gewerkschaftsähnliche »Betriebszellenorganisation« (NSBO) versuchte die Partei, ihr Wählerspektrum zu verbreitern, um ihre Wählerschaft nach links zu erweitern und der KPD Konkurrenz in der Arbeiterschaft zu machen. Die NSDAP hatte 1928 rund 100.000 Mitglieder48. Die Wahlergebnisse der NSDAP waren und blieben zunächst – wie ihre Mitgliederzahlen – bescheiden. Die höchsten Stimmenanteile – die im Vergleich zu anderen Parteien immer noch sehr niedrig waren  – erreichte die Partei in ihrem Ursprungsland Bayern. Bei den beiden Reichstagswahlen des Jahres 1924 durfte die wegen des Hitler-Putsches verbotene NSDAP nicht antreten. An ihrer Stelle kandidierte die politisch ähnlich ausgerichtete Nationalsozialistische Freiheitsbewegung (NSFB),

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ein Bündnis aus Deutschvölkischer Freiheitspartei und Anhängern der früheren NSDAP. Ihr Erfolg war mit 6,5 % und 3 % der Stimmen überschaubar. Die Stellung des Reichstages im Verfassungsgefüge Neben den Vorbelastungen durch den Krieg und dem Kampf der Extremisten gegen die Republik stellte sich dem Reichstag eine weitere Herausforderung  : seine Stellung im Verfassungsgefüge. Zwar verfügte der Reichstag einerseits über gewichtige Aufgaben und Befugnisse. Er war der Gesetzgeber und kontrollierte die Regierung. Der Reichstag hatte das Budgetrecht, schon damals das »Königsrecht« des Parlaments. Er erließ das politisch besonders bedeutsame Haushaltsgesetz. Das Reichsministerium der Finanzen erstellte den Entwurf des Haushaltsgesetzes samt dem Haushaltsplan, in dem die einzelnen Einnahme- und Ausgabeposten vermerkt waren. Während der Haushaltsberatungen des Reichstages hatten die Reichsminister dem Haushaltsausschuss des Parlaments Rede und Antwort zu ihrem jeweiligen Etat zu stehen. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses des Reichstages gehörten – wie ihre heutigen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag  – zu den wichtigsten Abgeordneten des Reichstages. Sie übten »wirkliche Macht aus. Deshalb trifft man hier auch oft die Vorsitzenden der Fraktionen und erlebt hier auch die dramatischsten Gefechte.«49 Aber andererseits war das Parlament nicht – wie der heutige Bundestag – das einzige vom Volk gewählte Verfassungsorgan. Die Verfassungsschöpfer meinten, ein Gleichgewicht zwischen zwei vom Volk gewählten Staatsorganen sei erforderlich.50 Daher hatte das Deutsche Reich nach der Weimarer Verfassung ein gemischtes Regierungssystem mit parlamentarischen und präsidialen Anteilen. Dem Reichstag stand der Reichspräsident gegenüber, der ebenfalls direkt vom Volk gewählt wurde und eigene umfangreiche Machtbefugnisse besaß  : Er durfte den Reichstag auflösen (Art.  25 WRV). Weitere Voraussetzungen, etwa eine Notstandslage oder Ähnliches, gab die Verfassung nicht vor. Das Auflösungsrecht war nur durch die Vorgabe eingeschränkt, dass der Reichstag »nur einmal aus dem gleichen Anlaß« aufgelöst werden durfte (Art. 25 S. 1 WRV). Dieses »Hindernis« ließ sich aber leicht umgehen. Der Reichspräsident brauchte einfach nur einen anderen Grund zu nennen. Belegen musste er seine Begründung nicht. Die vom Reichspräsidenten angeführten Gründe betrafen in den 1920er Jahren (zumeist unklare) die Regierungsarbeit behindernde Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Beispielsweise löste Reichspräsident Ebert den 2. Reichstag

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auf, da seiner Meinung nach »[p]arlamentarische Schwierigkeiten […] die Beibehaltung der gegenwärtigen Reichsregierung und gleichzeitig die Bildung einer neuen Regierung auf der Grundlage der bisher befolgten Innen- und Außen­ politik unmöglich« machten.51 Nach einer Reichstagsauflösung mussten Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen stattfinden (Art.  25 Abs.  2 WRV). Die Auflösungsanordnung bedurfte  – wie alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten  – der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder das zuständige Mitglied der Reichsregierung (Art. 50 S. 1 WRV). Eine Auflösung war gegen den Willen der Reichsregierung daher nicht möglich. In der Staatspraxis waren sich das Staatsoberhaupt und die Regierung hinsichtlich einer Parlamentsauflösung immer einig.52 Eine weitere wichtige Befugnis des Reichspräsidenten war seine »Diktaturgewalt«. Er durfte, »wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet [war], die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten« sowie bestimmte Grundrechte (Freiheit der Person, Unverletzlichkeit der Wohnung, Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis, Meinungsäußerung etc.) außer Kraft setzen (Art. 48 Abs. 2 WRV). In der Staatspraxis wurde dieses Recht sehr weit verstanden. Dem Reichspräsidenten wurde die Befugnis zugesprochen, in außergewöhnlichen Notlagen per »Notverordnung« selbst Recht zu setzen.53 Waren auch die Parla­ mentsfraktionen an der Personalauswahl in den 1920er Jahren in aller Regel maßgeblich beteiligt,54 so lag doch das Recht, den Reichskanzler und die Reichsminister zu ernennen, letztlich beim Reichspräsidenten (Art.  53 WRV). Eine Kanzlerwahl durch das Parlament – wie sie das Grundgesetz kennt (Art. 63, 67 GG) – war nicht vorgesehen. Der Reichstag konnte auf die Handlungen des Reichspräsidenten reagieren. (Hierin zeigte sich das beabsichtigte »Gleichgewicht« zwischen beiden Verfassungsorganen.) Das Parlament konnte mehrheitlich die Aufhebung der Maßnahmen des Reichspräsidenten verlangen (Art. 48 Abs. 3 GG). Es konnte, unter strengen Voraussetzungen, die Abwahl des Reichspräsidenten durch eine Volksabstimmung in die Wege leiten (Art. 43 Abs. 2 WRV) oder sogar den Reichspräsidenten anklagen (Art. 59 WRV). Beides kam in der Staatspraxis aber nicht vor. Die Mitglieder der vom Reichspräsidenten ernannten Reichsregierung konnte der Reichstag durch ein Misstrauensvotum zum Rücktritt zwingen (Art. 54 S. 2 WRV). Allerdings musste er stets befürchten, vom Reichspräsidenten gemäß Art. 25 WRV aufgelöst zu werden. So geschah es am 13. März 1924. Friedrich Ebert löste den 1. Reichstag wenige Wochen vor dem eigentlichen Wahlperiode-

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nende auf, nachdem, wie er ausführte, »die Reichsregierung festgestellt hat, daß ihr Verlangen, die […] von ihr als lebenswichtig bezeichneten Verordnungen zur Zeit unverändert fortbestehen zu lassen […].«55 Die verfassungsrechtlich zweifelhafte Begründung war also, dass der Reichstag (vielleicht) von seinem Aufhebungsverlangen gemäß Art. 48 Abs. 3 WRV, d. h. seinen verfassungsmäßigen Rechten, Gebrauch machen könne  ! Ein »verhängnisvoller Präzedenzfall«56, dem weitere folgen sollten. Das beabsichtigte Gleichgewicht muss als Missgriff der Verfassungsschöpfer bezeichnet werden. Für eine Verfassungsordnung ist es wichtig, dass die einzelnen Verfassungsorgane feste eigene Zuständigkeiten besitzen und sich nicht ständig in die Quere kommen. Ein Gleichgewicht ist allenfalls dann sinnvoll, wenn alle Verfassungsorgane grundsätzlich den Erfolg der Verfassungsordnung wünschen und wenn ein Organ die Schwäche eines anderen ausgleichen hilft. Dem Grundgesetz ist dies gelungen, der Weimarer Verfassung nicht. Nur ­solange der Reichstag und der Reichspräsident an einem Strang zogen, störten die umfangreichen Befugnisse beider Verfassungsorgane nicht die politischen Abläufe. So setzte der überzeugte Republikaner Friedrich Ebert seine präsidialen Machtmittel zum Schutz der Republik ein und half mehrere Regierungs- und Wirtschaftskrisen zu überwinden. Hingegen zeigte sein Nachfolger Hindenburg ab 1930, was passieren konnte, wenn sich der Reichspräsident und der Reichstag im Konflikt befanden. Dann blockierten sie sich gegenseitig, wobei der Reichspräsident wegen seines Auflösungsrechts die besseren Karten in der Hand hatte. Die Handlungsspielräume des Reichstages waren demgegenüber erheblich eingeschränkt. Hingegen spielte die Möglichkeit, ein Gesetz durch einen Volksentscheid zu beschließen (Art.  73 Abs.  3 WRV), keine große Rolle. Reichsweit kam es zu nur zwei Volksentscheiden  : über die Enteignung ehemaliger Herrscherhäuser (»Fürstenenteignung«, 1926) und über den Young-Plan (1929). Beide blieben erfolglos. In Konkurrenz zur Parlamentsgesetzgebung trat der Volksentscheid nicht. Allerdings konnte er  – wie im Falle des Entscheids zum Young-Plan  – zur verstärkten Agitation gegen die Republik und die staatstragenden Reichstagsparteien genutzt werden. Das Grundgesetz sieht daher aus guten Gründen Volksentscheide grundsätzlich nicht vor.57

Das reine Verhältniswahlrecht als Grundübel 

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Das reine Verhältniswahlrecht als Grundübel Der Reichstag wurde – wie schon die Weimarer Nationalversammlung – von allen über 20 Jahre alten Männern und Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit nach dem System der reinen Verhältniswahl gewählt (Art.  22 WRV). Anders als nach dem Bundestagswahlrecht58 hatte jede Wählerin und jeder Wähler nur eine Stimme. Zur Wahl standen in jedem der 35 Wahlkreise Wahlvorschläge (Listen) der Parteien. Die Wahlkreisvorschläge konnten miteinander wahlkreisübergreifend verbunden werden. Die Parteien durften zudem einen Reichswahlvorschlag einreichen. Auf 60.000 Stimmen für einen Kreiswahlvorschlag entfiel ein Mandat. Bekam eine Partei z. B. 600.000 Stimmen, erhielt sie zehn Mandate. Stimmen, deren Zahl für die Zuteilung eines weiteren Abgeordnetensitzes an einen Kreiswahlvorschlag nicht ausreichte (sog. Reststimmen), konnten zu weiteren Mandaten führen.59 Da sich die Mandatszahl an der Zahl der abgegebenen Stimmen ausrichtete, galt  : Je höher die Wahlbeteiligung war, desto höher war die Sitzzahl im Reichstag. Alle Stimmen flossen so weit wie möglich in die Sitzverteilung ein. Nur bei sehr geringen Stimmzahlen für einen oder mehrere Wahlvorschläge erhielt eine Partei keinen Sitz. Eine Sperrklausel (wie unsere heutige Fünf-Prozent-Klausel in § 6 BWahlG) kannte das Reichstagswahlrecht nicht. Kleinere regionale Parteien, z. B. die katholische Bayerische Volkspartei (eine Vorläuferin der CSU), die Deutsch-Hannoversche Partei, das Sächsische Landvolk und der Württembergische Bauern- und Weingärtnerbund, traten nur in bestimmten Wahlkreisen an. Parteiübergreifende Wahlvorschläge waren möglich. Da die Parteien die Wahlvorschläge einreichten, hatten sie »eine monopolartige Stellung bei der Auswahl der Abgeordneten«60. Die »Parteibürokratie« dominierte das Verfahren.61 Je weniger Mitglieder eine Partei hatte, desto mehr dominierte der Parteivorstand. Die meisten Abgeordneten besaßen kein Vermögen, das ihnen erlaubt hätte, »nebenher Politik zu treiben«. Sie waren Berufspolitiker und insofern vom Mandat und damit vom Gutdünken ihrer jeweiligen Partei(bürokratie) abhängig. Das »freieste Wahlrecht der Welt«62, das sicherstellte, dass »annähernd jede politische Meinung in der gleichen Relation in das Parlament gelangt[e], in der sie in der Bevölkerung vertreten« war,63 hatte eine bittere Kehrseite  : Es beförderte die politische Zersplitterung und war damit eine »der Wurzeln des Übels« der Instabilität, die schon Zeitgenossen deutlich erkannten.64 Denn da bereits 60.000 Stimmen in einem Wahlkreis (und ggf. bei den Reichswahlvorschlägen sogar deutlich weniger Stimmen) für ein Mandat ausreichten und da dementsprechend eine Sperrklausel fehlte, konzentrierte sich die Wählerschaft nicht

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auf wenige mittelgroße und größere Parteien (mit sicheren Erfolgsaussichten). Stattdessen hatten auch Kleinparteien die Chance auf ein Mandat. Im Laufe der Zeit entstanden im Mitte-rechts-Spektrum etwa die Reichspartei des Deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei), die Deutsche Bauernpartei, die Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung (Volksrechtpartei), die Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei (Deutsches Landvolk), die Konservative Volkspartei und der Christlich-Soziale Volksdienst. In jeder Wahlperiode des Reichstages saßen Vertreter von mehr als zehn Parteien im Parlament. Bei der 4.  Reichstagswahl am 20.  Mai 1928 errangen 15 Parteien Mandate. Bei den folgenden drei Wahlen (1930, im Juli und im November 1932) setzte sich die Zersplitterung fort  : Im 5. Reichstag saßen Abgeordnete aus 16 (!) Parteien. Im 6. und im 7. Reichstag waren immerhin noch 13 Parteien vertreten. 1928, 1930 und 1932 erzielten nur vier Parteien ein zweistelliges Ergebnis  : SPD, Zentrum, KPD und DNVP bzw. (ab 1930) NSDAP. Zwischen acht (November 1932) und zehn Parteien (1928) lagen jeweils unter 5 %, zwischen drei (1928) und acht Parteien ( Juli 1932) erreichten nicht einmal 1,5 %. Zum Teil erhielten sie nur einen Sitz. Die Kleinparteien konnten im Parlamentsbetrieb keine eigenen Akzente setzen. Denn da sie (zumeist) nicht die Fraktionsstärke von mindestens 15 Abgeordneten erreichten, blieben sie von der Ämterbesetzung und anderen Mitwirkungsmöglichkeiten im Parlament ausgeschlossen. Ihr einziger praktischer Sinn bestand darin, Partikularinteressen in der Wählerschaft durch ihre Anwesenheit und ihre Redebeiträge abzubilden. Vorteile brachte diese politische Vielgestaltigkeit und Zersplitterung nicht. Im Gegenteil  : Sie wirkte sich nachteilig vor allem auf die Mehrheitsbildung im Reichstag und auf die Regierungsstabilität aus. Zwar ernannte und entließ der Reichspräsident den Reichskanzler und die Reichsminister (Art.  53 WRV).65 Aber die Reichsregierung benötigte für eine erfolgreiche (länger dauernde) Tätigkeit eine sie unterstützende Mehrheit im Reichstag. Denn zwei Hauptaufgaben des Parlaments waren die Gesetzgebung (auch die Haushaltsgesetzgebung) und die Kontrolle der Regierung. Ohne eine zumindest einfache Mehrheit im Reichstag gab es – lässt man Notverordnungen des Reichspräsidenten außer Acht – keine Gesetze und kein Budget (Art. 32 Abs. 1 WRV, § 103 S. 2 GO-RT). Außerdem hing das Kabinett vom Vertrauen des Reichspräsidenten und des Reichstages ab (Art. 54 S. 1 WRV).66 Das Parlament war aufgerufen, die Regierungstätigkeit durch sog. Interpellationen und Kleine Anfragen (§§ 55 ff. GO-RT), durch das »Herbeizitieren« (Art.  33 Abs.  1 WRV) und durch Untersuchungsausschüsse (Art.  34 WRV)67 zu kontrollieren. Gewissermaßen der Endpunkt der parlamentarischen Kontrolle der Regierung war das Misstrauens-

Das reine Verhältniswahlrecht als Grundübel 

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votum  : Sprach das Parlament dem Kanzler bzw. einem Minister das Misstrauen aus, musste der Kanzler bzw. der Minister zurücktreten (Art.  54 S.  2 WRV). Fehlte einer Regierung eine sie dauerhaft unterstützende Parlamentsmehrheit, schwebte sie ständig in der Gefahr, gestürzt zu werden. Zwar waren während der 14 Jahre, die die Weimarer Republik bestand, von vielen Misstrauensanträgen nur zwei erfolgreich  : Das Kabinett Luther II und das Kabinett Marx III wurden am 12. Mai bzw. 17. Dezember 192668 aufgrund eines Misstrauensvotums gestürzt. Aber schon die Möglichkeit des Misstrauensvotums vermochte die Regierungsbildung zu beeinflussen und die Kabinettsarbeit zu lähmen. Bereits die Zeitgenossen erkannten die Gefahr des Misstrauensvotums einer »negativen Koalition«, also eines Votums durch Parteien, die sich nur in der Ablehnung der bestehenden Regierung oder eines Ministers einig waren, eine Regierungskoalition aber nicht bilden wollten (z. B. KPD und DNVP/NSDAP). Manchenorts wurde eine Änderung69 oder einschränkende Auslegung70 des Art. 54 S. 2 WRV erwo­ gen, ohne dass dies Folgen gehabt hätte. Zudem konnten Misstrauens­anträge die Parlamentsarbeit zeitlich aufhalten, da über sie in der Regel »namentlichfraktion« abgestimmt wurde. Dies bedeutete, dass jedes Reichstagsmitglied eine Stimmkarte in eine Urne warf und die Stimmen anschließend außerhalb des Sitzungssaales ausgezählt wurden. Dieses noch heute gängige Zählverfahren71 kostet(e) sehr viel Zeit. Eine Reichsregierung konnte also nur dann erfolgreich arbeiten und für längere Zeit bestehen, wenn sie eine Reichstagsmehrheit hinter sich wusste. Üblicherweise wurden Koalitionen zwischen im Parlament vertretenen Parteien geschmiedet, um die Basis für die Regierungsarbeit zu legen. Es wurden politische Ziele vereinbart und Abreden getroffen, welche Partei welchen Ministerposten besetzen durfte. Damals galt wie heute  : Je weniger Parteien für die Mehrheitsbildung nötig sind (d. h., je weniger Koalitionspartner es gibt), umso stabiler ist die Regierung. Angesichts der beschriebenen Zersplitterung war die Koalitionsbildung schwierig. Um die absolute Sitzmehrheit im Reichstag zu erreichen, mussten sich stets mindestens drei, häufig noch mehr Parteien verschiedener Ausrichtung zusammenschließen. Die Klein- oder Splitterparteien (»Zwergparteien«72) der bürgerlichen oder bürgerlich-rechten Mitte, die in größerer Zahl im Reichstag vertreten waren, schieden von vornherein als Koalitionspartner aus. Mit ihren wenigen Mandaten konnten sie keine wirksame Unterstützung für die Regierungsarbeit bieten. Überdies vertraten sie jeweils nur bestimmte Bevölkerungs- und Interessengruppen, z. B. Landwirte, Gewerbetreibende, Inflationsgeschädigte oder die Einwohner bestimmter Regionen. Ihre Kompromiss- und Koalitionsfähigkeit war

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damit eng begrenzt (genauso wie ihr Wählerpotenzial). Des Weiteren standen die meisten Kleinparteien nicht rückhaltlos hinter der Weimarer Republik. Wer sich die Wahlaufrufe der kleinen Parteien beispielsweise zur 4. Reichstagswahl ansieht, liest harsche Vorwürfe gegen die staatstragenden Parteien und die parlamentarische Republik. Beispielsweise strebte die Reichspartei des deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei) »eine berufsständische Korrektur des parlamentarischen Systems«73 an. Die CNBL forderte ebenfalls die Schaffung einer berufsständischen Vertretung.74 Konkrete Lösungen, die über die Abschaffung eines Gesetzes oder eines pauschal beschriebenen Umstandes hinausgingen, boten die meisten Kleinparteien allerdings nicht an. Sie bedienten vorrangig Ressentiments. Doch schieden die Kleinparteien nicht nur als Koalitionspartner aus. Vielmehr schadete ihre Präsenz im Reichstag den staatstragenden Parteien. Die für die Kleinparteien abgegebenen Stimmen, die beim Vorhandensein einer Sperrklausel (von z. B. 3 % oder 5 %) mit Sicherheit den größeren Parteien zugefallen wären, fehlten diesen größeren Parteien zur Mehrheitsbildung. Erschwert wurde die Mehrheitsbildung auch dadurch, dass eine größere Anzahl an Sitzen von Abgeordneten gehalten wurde, die den antiparlamentarischen und republikfeindlichen Parteien angehörten. Die KPD, die NSDAP und (die meiste Zeit) die DNVP lehnten die Republik ab. »Die Weimarer Republik hatte weder von der äußersten Rechten noch von der äußersten Linken anderes zu erwarten als eine unbedingte Feindschaft, die nur aus taktischen Gründen zeitweise zurückgenommen wurde.«75 Die radikalen Parteien wollten nicht konstruktiv mitarbeiten. Sie strebten jeweils einen völlig anderen Staat an und fielen für die Bildung regierungstragender Mehrheiten von vornherein aus. Auch die DNVP stand die meiste Zeit in Opposition zum »Weimarer System«, insbesondere zu Beginn und seit Ende der 1920er Jahre. Der Anteil der republikfeindlichen Abgeordneten betrug im Dezember 1924 rund 30 % und im Mai 1928 immer noch mehr als 25 %. Ab dem September 1930 nahm ihre Stärke dann deutlich zu, bis sie Ende Juli 1932 bei über 50 % lag. Die NSDAP wollte eine nationalistische Diktatur, einen »Führerstaat«, errichten. Ihr Vorbild waren die italienischen Faschisten Benito Mussolinis. Die monarchistische und antidemokratische DNVP war ebenfalls die meiste Zeit zu den radikalen und republikfeindlichen Parteien zu rechnen. Sie war nur während der 3. Wahlperiode des Reichstages (1925 bis 1928) an Regierungen und damit konstruktiv am Parlamentsgeschehen beteiligt. Kritische Zeitgenossen erkannten den beschriebenen Mangel des Wahlrechts. Auch die Parteienhoheit über die Wahlvorschläge sahen manche als Unzulänglichkeit des Wahlrechts an. Mehrere Änderungen wurden vorgeschlagen, dar-

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unter auch die Einführung einer Sperrklausel (Mindeststimmenzahl in einem Wahlkreis etc.), um einer Zersplitterung vorzubeugen76. Einige Länder änderten ihr Wahlgesetz entsprechend. Der Staatsgerichtshof kassierte manche dieser Änderungen.77 Verschiedene Autoren regten an, das Listenwahlrecht abzuschaffen und wieder zur Personenwahl in Ein-Personen-Wahlkreisen zurückzukehren.78 Sie erhofften sich davon eine bessere Rückbindung der Abgeordneten an ihre Wähler und ein Aufbrechen der Parteienhoheit über die Kandidaturen. Alle Versuche einer Wahlrechtsreform scheiterten aber. Die beschränkte Kompromissfähigkeit der Parteien Neben dem reinen Verhältniswahlrecht war die fehlende Kompromissfähigkeit der meisten demokratischen Parteien der zweite Grund für die Instabilität der Reichsregierungen und des gesamten politischen Systems. »Die Demokratie ist unzweifelhaft die ›Hochschule der Kompromisse‹«.79 Eine parlamentarische Demokratie kann auch heute ohne kompromissfähige Parteien nicht funktionieren. Sie sind ihr Grundpfeiler. Die Demokratie lebt geradezu vom Kompromiss, da zumeist nicht eine Partei die absolute Mehrheit (von mehr als 50 % der Parlamentsmandate) erringt  : Koalitionen und Absprachen sind eine Grundbedingung der Demokratie. Funktioniert das Parlament mangels kompromissbereiter Parteien nicht, scheitert der demokratische Staat. Doch die meisten republikfreundlichen Weimarer Parteien ließen die nötige Kompromissfähigkeit vermissen. Sieht man sich die Regierungsparteien der Jahre 1920 bis 1930 an, stellt man fest, dass viele Parteien unstet und teilweise kompromissunfähig agierten. Selbst viele derjenigen Parteien, die nicht wie die KPD, die NSDAP und (zeitweise) die DNVP ohnehin republikfeindlich und antiparlamentarisch eingestellt waren, »besaßen nur ein unzureichendes Verständnis für die Funktionsbedingungen eines parlamentarischen Systems.«80 Der »mangelnde Pragmatismus« war ein »besonderes Strukturdefizit« der republikanisch und parlamentarisch gesinnten Weimarer Parteien.81 Dieser Befund gilt grundsätzlich sowohl für die staatstragenden Parteien SPD, Zentrum und DDP als auch für die eher rechts stehenden DVP und BVP sowie erst recht für die zeitweise mitregierende DNVP. Als Beispiel für die fehlende Kompromissfähigkeit mag das Verhalten der größten Partei, der SPD, genügen. Sie stand als Motor der Republikgründung und stärkste politische Kraft im Reich und in Preußen treu zur Republik. Doch stritten in der Partei der linke und der pragmatische Flügel permanent um das Ob und das Wie einer Regierungsbeteiligung. Die SPD befand sich dadurch in einem Dauerdilemma. Auf der einen Seite

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suchte sie pragmatisch in der Regierung zu arbeiten, wie es der Regierungsalltag und viele Wähler verlangten. Auf der anderen Seite war da die Sehnsucht nach der »reinen Lehre«, nach dem vollends verwirklichten Parteiprogramm, der weite Teile der Mitglieder und der Wählerschaft anhingen. Die SPD konnte es ihren Anhängern oftmals nicht recht machen. Die Differenzen zwischen den Parteiflügeln, die durch die Rückkehr vieler USPD-Mitglieder zur (Mehrheits-)SPD im Jahr 1922 noch verstärkt worden waren, führten häufig zum Streit. Dies erschwerte die Regierungsarbeit der SPD. Fünf von acht Kabinetten, an denen die SPD beteiligt war, stürzten, weil die Partei aufgrund interner Streitigkeiten ihre Minister zurückzog. In zwei Fällen, im November 1923 und im März 1930, führte dies dazu, dass die Partei für längere Zeit von der Regierung ausgeschlossen war. Das Zentrum und die DDP82 waren in stärkerem Maße kompromiss- und koalitionsfähig als die SPD und die DVP. Innerhalb der Regierungen wirkten sie in der Regel (wenn auch nicht immer) ausgleichend. Nicht ohne Grund gehörte das Zentrum allen und die DDP (ab 1930  : DStP) den meisten Reichsregierungen bis Mai 1932 an. Die fehlende Kompromissfähigkeit hatte drei Ursachen  : Erstens hatte die Weimarer Republik das Parteienspektrum und viele Politiker der Kaiserzeit und damit das überkommene Selbstverständnis der Parteien »geerbt«.83 Zweitens waren die meisten Parteien eng an ein bestimmtes, ebenfalls aus der Kaiserzeit überkommenes Milieu gebunden. Drittens belohnte die Wählerschaft Kompromissbereitschaft nicht. Das »Erbe« der Kaiserzeit

Einige Parteien bestanden in der Republik fort, darunter die SPD (gegründet in den 1860er Jahren) mit ihrer zeitweisen Abspaltung USPD, das Zentrum (gegründet 1870) und die Deutsch-Hannoversche Partei (von 1869). Andere Parteien wurden Ende 1918 in der Denktradition kaiserzeitlicher Parteien ge­­ grün­ det  : Die linksliberale Freisinnige Volkspartei (FVP) fand eine geistige Nachfolgerin in der republikbejahenden DDP  ; Nationalliberale gründeten die eher republikskeptische DVP, womit sogar die angestammte Spaltung des Liberalismus in der Republik erhalten blieb84  ; monarchietreue, antiparlamentarische und antidemokratische Rechtskonservative fanden sich in der DNVP zusammen. Auch viele Parteimitglieder, Funktionsträger und Abgeordnete waren schon in der Kaiserzeit politisch aktiv gewesen. Walther Lambach, M.d.R. von 1920 bis 1930, hat ermittelt, dass 76 der 439 Abgeordneten, die dem Weimarer Reichstag in der 3. Wahlperiode (ab Dezember 1924) angehörten, schon Mitglied des kai-

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serzeitlichen Parlaments gewesen waren. 25 davon waren bereits vor 1907 dabei gewesen (zwei von ihnen sogar schon seit 1884).85 Was bis 1918 im Reichstag »gelernt« und praktiziert worden war, setzte sich folglich im Reichstag der Republik fort. Bis 1918 war der Reichskanzler allein auf das Vertrauen des Kaisers angewiesen. Die Reichstagsfraktionen hatten bis 1917 keinen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Reichsleitung. Der Reichstag durfte über Gesetzentwürfe abstimmen, aber selber keine einbringen. Allein das Haushaltsrecht konnte ein Hebel sein, bestimmte Ziele durchzusetzen. Erst durch eine Verfassungsänderung vom 28. Oktober 1918 war der Reichskanzler an das Vertrauen des Reichstages gebunden worden. Diese Änderung hatte aber wegen der Novemberrevolution keine praktische Bedeutung mehr erlangen können. Angesichts der so lange geltenden Verfassungslage waren diejenigen, die schon dem kaiserlichen Reichstag angehört hatten, es nicht gewöhnt, politische Verantwortung zu übernehmen, sich über langfristige gemeinsame Ziele zu verständigen und politische Macht auszuüben. Eine »Mentalität der politischen Verantwortungslosigkeit«86 herrschte vor, die fortlebte  : Auch in der parlamentarischen Weimarer Republik erlernten weder die Parteien noch die Wählerschaft die neue Bedeutung des Kompromisses und die Notwendigkeit, Verantwortung für getroffene Entscheidungen zu übernehmen. Als die Revolution die Verhältnisse auf den Kopf stellte und die Nationalversammlung sowie der Reichstag an die erste Stelle der Staatsorgane traten, vollzogen die meisten Parteien, Politiker und Wähler den Systemwechsel weder im Bewusstsein noch durch Taten nach. Sie lebten gedanklich häufig noch in der Zeit des kaiserzeitlichen Reichstages, der als rein reaktives Staatsorgan vor allem die Regierung kontrollieren und kritisieren durfte und an der Regierungsbildung und den Regierungsgeschäften (bis 1917) gar nicht beteiligt gewesen war. Hellsichtige Zeitgenossen erkannten und bemängelten die Fortsetzung der alten politischen Verhaltensmuster. Der Außenminister Gustav Stresemann meinte im Zentralvorstand seiner DVP am 26. Februar 1929 (und sicherlich mit Blick auf die zerstrittene Regierung unter Hermann Müller)  : Was ist das überhaupt für eine groteske Auffassung, dass man infolge des parlamentarischen Regimes de facto die Parteien-Regierung hat, gleichzeitig aber der aus den Parteien hervorgegangenen Regierung fortwährend glaubt Opposition machen zu können  ? Darin liegt die alte philisterhafte Auffassung, dass der Abgeordnete der gegebene Gegner des Staates sein müsse.87

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Gustav Stolper (DDP) bemerkte ebenfalls 1929 (und sicher ebenfalls im Hinblick auf die Regierung Müller)  : »Was wir heute haben, ist eine Koalition von Ministern, nicht eine Koalition von Parteien. Es gibt überhaupt keine Regierungsparteien, es gibt nur Oppositionsparteien.«88 Zusätzlich wurden die Minister oftmals aus ihrer eigenen Partei und Fraktion besonders zielbewusst und hartnäckig kontrolliert, wie sich der ehemalige Reichswehrminister Gessler anhand des Beispiels Stresemann und seiner eigenen Person erinnerte.89 Da der Reichspräsident mit seinem Ernennungs- und seinem Verordnungsrecht als »Nothelfer« bereitstand, waren die Parteien vermeintlich nicht zu Kompromissen gezwungen, um eine Regierung zu bilden und Gesetze im Reichstag zu beschließen. Die enge Milieubindung

Vergleicht man das Ergebnis der Reichstagswahl von 1912 und das Ergebnis der Wahl zur Nationalversammlung von 1919, stellt man fest  : Die Stärke der politischen Lager und Strömungen blieb im Wesentlichen gleich. Der Grund für diese Beständigkeit – trotz des Bevölkerungsverlusts durch den Ersten Weltkrieg, durch die Versorgungsnöte und durch die verheerende »Spanische Grippe« und trotz der (von 14,5 auf fast 37 Millionen) mehr als verdoppelten Wahlbevölkerung  – ist leicht gefunden. Die vier großen soziokulturellen Milieus der Kaiserzeit – das katholische und das sozialdemokratische (sozialistische) sowie das liberale bürgerlich-städtisch-protestantische und das agrarkonservativ-protestantische – lebten in der Weimarer Republik fort.90 Die Republik »erbte« sie gewissermaßen von der Monarchie. Schon vor der Revolution ließ sich jedem Milieu eine politische Richtung zuordnen, die von einer größeren oder mehreren kleineren Parteien vertreten wurde. Eine Neuerung bestand darin, dass ab 1919 radikale Parteien hinzutraten  : die kommunistische KPD und mehrere völkisch-nationalistische Parteien wie die NSDAP. Anders als die Volksparteien der Bundesrepublik (CDU, CSU und SPD) besaßen die Weimarer Parteien eine starke Milieubindung. Ihre Wählerschaft, ihre Mitglieder und ihre Politiker gehörten jeweils zu einem bestimmten Umfeld. Es handelte sich um »Weltanschauungsparteien«91. Dies hatte für die Parteien den Vorteil, dass sie in ihrem Milieu den »Speicher politischer Energien«92 fanden, aus dem sie schöpfen konnten. Eine bestimmte Wählergruppe war ihnen stets sicher. Wer einem bestimmten Milieu angehörte, wählte eine bestimmte Partei. Protestantische oder konfessionslose Arbeiter, Angestellte und kleinere Beamte wählten die SPD. 1930 waren etwa 60 % der ca. eine Million Mitglieder93 Ar-

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beiter, hauptsächlich gelernte Arbeiter und Facharbeiter in der Großindustrie. Der Anteil der Angestellten und kleineren Beamten an der Mitgliedschaft lag bei 17 %.94 Die meisten Katholiken – etwa 60 %95 – wählten, über alle Bevölkerungskreise hinweg, das Zentrum. In Bayern nahm die BVP den Platz des Zentrums ein. Das katholische und das sozialdemokratische Milieu behielten, trotz abnehmender Stimmenanteile96, ihre Kernwählerschaft bis 193397, weil sie »organisationszentriert«98 waren. Ihre besondere Stärke und ihre Immunität gegen radikale Versprechungen und fanatischen Hass beruhte auf zahlreichen Vorfeld­ organisationen. Diese begleiteten die Milieuangehörigen sprichwörtlich »von der Wiege bis zur Bahre«. Arbeitersportvereine und sogar ein sozialdemokratischer Bestattungsverein boten zahlreiche Dienstleistungen und Hilfen im täglichen Leben an. Eine wichtige Stütze der SPD waren die Arbeitervereine und die Freien Gewerkschaften wie der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und der Allgemeine Freie Angestelltenbund mit rund fünf Millionen Mitgliedern99. Das Zentrum und die BVP hatten die katholische Amtskirche mit ihren zahlreichen Vereinen und Verbänden, zu denen auch die christlichen Gewerkschaften zählten, hinter sich. Die katholische Kirche unterstützte die Partei unter anderem durch Wahlaufrufe. Deshalb war die vergleichsweise geringe Mitgliederzahl des Zentrums mit wohl rund 200.000 Personen100 kein Hindernis für den Wahlkampf. Der Glaube und die kirchlichen Sakramente von der Taufe über die Kommunion und die Ehe bis zur Letzten Ölung und dem kirchlichen Begräbnis boten einen festen Lebensrahmen. Das Zentrum fügte sich als »politischer Arm« des Katholizismus ein. Ein eigenes Milieu bildete sich in den 1920er Jahren aus vor allem ungelernten Arbeitern in prekären Beschäftigungsverhältnissen und jungen Arbeitslosen. Die KPD-Mitglieder waren im Durchschnitt weniger gut ausgebildet und jünger als die SPD-Mitglieder.101 Für die Wählerinnen und Wähler der KPD dürfte Ähnliches gelten. Wo viele Arbeiter und Arbeitslose lebten, war die Partei stark  : in Berlin und Hamburg sowie in den Industrieregionen des Ruhrgebiets und Mitteldeutschlands (Sachsen, Thüringen). In der Berliner Stadtverordnetenversammlung war die KPD bald mit rund einem Viertel der Abgeordneten stark vertreten. Das bürgerlich-städtisch-protestantische Milieu aus Groß- und Bildungsbür­ gern, Unternehmern, Freiberuflern und höheren Beamten gehörte in aller Regel zur Wählerschaft der beiden liberalen Parteien.102 Die aus der Kaiserzeit bekannte Spaltung in Links- und Rechtsliberale bestand fort. Am 20. November 1918 gründeten Vertreter der Fortschrittlichen Volkspartei und des linken Flügels der Nationalliberalen Partei die DDP. Die von prominenten Wissenschaft-

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lern, Journalisten und Staatsrechtlern gegründete und unterstützte103 DDP bejahte »die neue staatliche Ordnung nicht nur faktisch, sondern auch prinzipiell und rückhaltlos«104 und gehörte zu den staatstragenden Parteien der Weimarer Republik. Sie vertrat ein linksliberales Programm. Ihre Ziele waren die Sicherung der Demokratie, die Wahrung der persönlichen Freiheitsrechte, eine staatliche geregelte Marktwirtschaft und eine friedliche Verständigung mit dem Ausland sowie die Umwandlung des Deutschen Reiches in einen dezentralisierten Einheitsstaat. Da sie sich für die persönlichen Freiheitsrechte aller Bürgerinnen und Bürger, egal welchen Glaubens, einsetzte, wurde sie von vielen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern favorisiert  – und dafür von rechtsradikalen Kräften attackiert. Die (Groß-)Industrie neigte hingegen eher der rechteren und demokratieskeptischen DVP zu. Diese war daher »die mit Abstand bestfinanzierte Partei der Republik«105. Das agrarkonservativ-protestantische Milieu, d. h. die Bevölkerung in den Dörfern und den Kleinstädten der evangelischen Landesteile Nord- und Ostdeutschlands, stimmte (bis 1928) vor allem für die DNVP. Insbesondere östlich der Elbe, in Pommern und in Ostpreußen lebten die vorrevolutionären Gesellschaftsverhältnisse und Traditionen fort.106 Natürlich gab es auch Wählerinnen und Wähler, die »milieufremd« stimmten. Beispielsweise wählte der wohlhabende adlige Intellektuelle Harry Graf Kessler wie manche Bürgerliche107 die SPD, weil sie konsequent für die parlamentarische Demokratie eintrat. Manche Künstler wie Bertolt Brecht oder Erwin Piscator fühlten sich aus ideologischen und weniger aus lebensweltlichen Gründen zur KPD hingezogen. Aber die geschilderten Fälle waren nur Ausnahmen, die die Regel der engen Milieubindung der Parteien und ihrer Wählerschaft bestätigten. Die Bindungskraft des Milieus ließ zwar bei allen Parteien über die Jahre nach. Sie blieb aber – mit gewissen Schwankungen – bis Ende der 1920er Jahre stabil. Am instabilsten war von Beginn an das liberale Milieu. Es ging der DDP und der DVP schon nach einigen Jahren in großer Zahl von der Fahne. Auch ein Rechtsschwenk der liberalen Parteien bzw. – wie im Falle der DDP – der Zusammenschluss mit rechten Organisationen konnten ihren Niedergang nicht aufhalten. Die DNVP konnte ihre Mehrheit im protestantisch-agrarischen Milieu bis Ende der 1920er Jahre behaupten. Sie musste aber Stimmverluste hinnehmen, die sich noch verstärkten, als sich drei Mal Teile abtrennten und neue Parteien gründeten  : Im Februar 1928 gründeten Politiker, die mit der auf die Großlandwirtschaft ausgerichteten Politik der DNVP unzufrieden waren, die Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei. Als sich die DNVP unter ihrem Vorsitzenden Alfred Hugenberg in der Folgezeit strikt nach rechts außen

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orientierte, kam es zu zwei weiteren, konsensorientierten Abspaltungen  : 1929 entstand der Christlich-Soziale Volksdienst, 1930 die Konservative Volkspartei. Erst mit dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise 1929 konnten die radikalen Parteien in hohem Maße Stimmen hinzugewinnen. Im linken Spektrum erstarkte die KPD und im rechten Lage (nach mehreren Spaltungen der DNVP und starken Verlusten der liberalen und der Kleinparteien) die NSDAP. Sie konnte das agrarisch-protestantische Milieu und die Reste des in der Krise zusammengeschrumpften (klein)bürgerlich-liberalen Milieus vereinnahmen. Während der gesamten 1920er Jahre hatte die beschriebene enge Milieubindung die beschränkte Kompromissfähigkeit der demokratischen Parteien (und auch ihrer Anhängerschaft) zur Folge. Insoweit wurde sie zur Belastung der Reichstags- und Regierungsarbeit. Mit dem jeweiligen Umfeld waren politische Grundpositionen verbunden, die nur eingeschränkt oder gar nicht verhandelbar waren. Ein gutes Beispiel sind die SPD und die DVP. Die SPD blieb ihrem Verständnis nach stets eine Arbeiter- oder jedenfalls Arbeitnehmerpartei. Der Klassenkampf war zwar passé, dennoch wurde der Sozialismus (zumindest als ideologische Grundlage und Fernziel) hochgehalten. Die DVP verstand sich immer als Wirtschaftspartei. Sie setzte eher auf Steuersenkungen und Kürzung von Sozialleistungen als auf Arbeitnehmerrechte oder die Erhaltung sozialer Standards. Verkörpert (und verstärkt) wurde die programmbedingte eingeschränkte Kompromissfähigkeit durch die jeweiligen Abgeordneten. Sie hatten die politischen Positionen gewissermaßen »von klein auf« verinnerlicht. Sie verkörperten das jeweilige Milieu geradezu. Beispielsweise waren unter den Reichstagsabgeordneten der SPD Gewerkschafter in hoher Zahl vertreten. In der DVP-Fraktion wiederum saßen viele Wirtschaftsvertreter. Auf Personen, die milieuübergreifend Stimmen hätten gewinnen können, setzten die meisten Parteien kaum. Sie bezogen ihre politische Kraft und ihre Anhängerschaft vor allem aus dem Milieu und weniger aus der Überzeugungskraft oder Führungsstärke ihrer Politiker. Das Zentrum und die DDP108 (ab 1930  : DStP) waren in stärkerem Maße kompromiss- und koalitionsfähig als die SPD und die DVP. Innerhalb der Regie­ rungen wirkten sie in der Regel ausgleichend. Nicht ohne Grund war das Zentrum an allen und die DDP an fast allen Reichsregierungen von 1919 bis zum Mai 1932 beteiligt. Die höhere Anschluss- und Kompromissfähigkeit des Zentrums war in seiner Struktur (und seinem Selbstverständnis109) als katholische Volkspartei begründet.110 Denn seine Wählerschaft und seine Mitglieder umfassten ein breites soziales und politisches Spektrum, zusammengehalten durch den katholischen Glauben. In der Partei bestand ein starker Arbeitnehmerflügel, der in engen Beziehungen zu den christlichen Gewerkschaften und Arbeitervereinen

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stand. Das Zentrum war somit auch eine Arbeitnehmerpartei. Seine Mitglieder vertraten ganz unterschiedliche politische Auffassungen. Neben Republikanern gab es Monarchisten, neben Konservativen gab es Liberale und Christlich-Soziale, neben selbstständigen Handwerkern und Gewerbetreibenden gab es Arbeiter und Angestellte. Die Partei wurde von katholischen Geistlichen, Landwirten und Unternehmern ebenso gewählt wie von katholischen Arbeitern und Angestellten. Die Partei hatte als »Mittelpartei«111 (oder besser  : Mittlerpartei) daher Anknüpfungspunkte in beide politischen Richtungen. Wegen ihrer verschiedenen, wenngleich nicht immer einigen, politischen Flügel konnte sie Bündnisse sowohl mit der SPD als auch mit der DVP eingehen und in Koalitionen Gegensätze ausgleichen. Ein Beispiel für einen vermittelnden und unterschiedliche Interessen austarierenden Politiker war Wilhelm Marx, seit 1921 Fraktionsvorsitzender und von 1922 bis 1928 Parteivorsitzender des Zentrums. Er war der »geborene Vermittler«112, ein »Mann des Ausgleichs«113, und wurde daher mehrfach zum Reichskanzler ernannt. Wichtig war dem Zentrum allerdings, dass die konfessionellen Belange, insbesondere in der Familien- und Schulpolitik sowie im Verhältnis des Staates zur katholischen Kirche, beachtet wurden. Auch lehnte das Zentrum Bestrebungen ab, den Föderalismus abzuschaffen. Es sah die Länderkompetenzen im Bereich von Schule und Kultus als Schutz für die Interessen der katholischen Bevölkerungsteile an – vor allem in den Ländern mit hohem Katholikenanteil, in denen das Zentrum an der Landesregierung beteiligt war. In diesen »Kernfragen« mit starkem Konfessionsbezug war das Zentrum kaum oder gar nicht kompromissbereit. Die DDP war als Partei der (linken) Mitte ebenfalls in besonderem Maße in beide Richtungen anschlussfähig. Dass sie die neue staatliche Ordnung prinzipiell und rückhaltlos« bejahte, dürfte ihre Kompromissfähigkeit im Sinne des »großen Ganzen« ebenfalls erhöht haben. Die BVP war, obwohl sie wie das Zentrum zu dem sozial breit gefächerten katholischen Milieu gehörte, weniger kompromissorientiert. Sie unterschied sich vom Zentrum durch eine stärkere Orientierung nach rechts und durch die Betonung des Föderalismus, d. h. der bayerischen Interessen. Zwischen den übrigen Parteien – vor allem zwischen der SPD und der DVP – waren Kompromisse in bestimmten Bereichen nahezu ausgeschlossen. Oftmals standen das jeweilige Parteiprogramm und die aktuellen Anforderungen der Regierungsarbeit im Widerstreit. Nicht ohne Grund zerbrachen so viele Reichsregierungen als »Folge von Koalitionszerwürfnissen«114. Zählt man die während der Beratungen in der Nationalversammlung ernannte Regierung des Reichsministerpräsidenten Philipp Scheidemann (SPD) hinzu, amtierten bis zur Ernennung Hermann Müllers am 28. Juni 1928 neun (!) Regierungschefs. Sie standen insgesamt 15 Kabinetten vor. (Zum Vergleich  : Die Bundesrepublik Deutschland

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hatte von 1949 bis heute nur sieben Kanzler und eine Kanzlerin.) Die meisten davon waren bürgerliche Minderheitskabinette. Sie zerbrachen aus ganz unter­ schiedlichen Gründen. Das zweite Kabinett unter Joseph Wirth (Zentrum) stürzte 1922, weil es dem Kanzler nicht gelang, die von seiner Fraktion verlangte Koalition unter Einbeziehung der DVP zu bilden. Gustav Stresemann (DVP) musste mit einer zerstrittenen Koalition regieren. Als die SPD-Fraktion im November 1923 den Rücktritt ihrer Minister erzwang und der Kanzler die Abstimmung über die Vertrauensfrage verlor, trat er zurück. Wilhelm Marx (Zentrum), dessen viertes Kabinett eigentlich seit dem 29. Januar 1927 über eine Reichstagsmehrheit aus Parteien der Mitte und rechten Parteien verfügte, wurde zunächst von der eigenen Partei beschädigt und stolperte im Februar 1928, da der Koalitionspartner DVP das geplante Reichsschulgesetz ablehnte. Das Wählerverhalten

Ein pragmatisches, nicht zu eng am eigenen Programm haftendes Verhalten wurde außerdem von der Wählerschaft nicht belohnt. Die Übernahme von Regierungsverantwortung und das damit verbundene Eingehen von Kompromissen wurden in der Regel an den Wahlurnen eher bestraft. Stresemann hatte 1924 schon bemerkt  : »Im Schützengraben der Verantwortlichkeit hat man mehr Verluste als in der Etappe der Opposition.«115 Der bedeutende Rechtslehrer und Rechtsphilosoph Gustav Radbruch (SPD), der in der 1. Wahlperiode Mitglied des Reichstages und für einige Zeit Reichsjustizminister war, meinte, eine Regierungsbeteiligung bedeute im Normalfall, bei den nächsten Wahlen schlechter abzuschneiden.116 Und tatsächlich lautete die Faustformel für alle Wahlen der Weimarer Republik (mit Ausnahme der Wahl vom 5. März 1933)  : Die Regierungsparteien verloren Stimmen, die Oppositionsparteien gewannen Stimmen. Die 2. Reichstagswahl im Juni 1924 brachte den Regierungsparteien SPD, DDP und Zentrum Verluste, während die oppositionelle und antiparlamentarische DNVP »als Protestpartei«117 viele Stimmen gewann. Ebenso verhielt es sich bei der 4. Reichstagswahl am 28. Mai 1928. Aus ihr ging die oppositionelle SPD als Siegerin hervor. Die Mitte- und Rechtsparteien der vorherigen Regierungskoalition verloren Stimmen und Mandate. Hingegen belohnte das reine Verhältniswahlrecht, das schon 60.000 (und ggf. noch weniger) Stimmen für ein Reichstagsmandat genügen ließ, die Bindung an Milieus und Interessengruppen sogar noch. Wer es schaffte, »sein« Milieu hinter sich zu scharen, musste den »politischen Tod«, das Ausscheiden aus dem Parlament, nicht befürchten.

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Belastungen der Reichstagsarbeit

Die Folgen für den Reichstag

Die eingeschränkte Kompromissbereitschaft und die dadurch ausgelösten ständigen Regierungskrisen wirkten sich nicht nur auf die tägliche Reichstagsarbeit aus. Vielmehr berührten sie immer wieder den Bestand des Parlaments  : Jeder Reichstag wurde wegen einer Regierungskrise vom Reichspräsidenten aufgelöst. Das Parlament beendete jede seiner, gemäß Art.  23 Abs.  1 S.  1 WRV eigentlich auf vier Jahre angelegten, Legislaturperioden vorzeitig. Die Parteien und die Reichstagsabgeordneten befanden sich daher immer wieder im Wahlkampf miteinander. Erst die Volksparteien in der Bundesrepublik, die CDU, die CSU und (seit ihrem Godesberger Programm 1958) die SPD, haben es vermocht, Brücken zwischen verschiedenen Milieus zu schlagen und Politik für verschiedene Bevölkerungsgruppen zu machen. Die Weimarer Parteien waren zu einer solchen Integrationsleistung nicht imstande. Die Bedeutung der Volksparteien für die Stabilität des politischen Systems seit 1949 kann gar nicht genug hervorgehoben werden. Umso bedauerlicher ist es, dass ihre Bindungskraft geschwunden ist und weiter abzunehmen scheint.

2 Das parlamentarische Leben im Reichstag

Der Reichstag der Weimarer Republik baute auf den hergebrachten Strukturen, Organisations- und Verfahrensweisen der Kaiserzeit (1871 bis 1918) auf. Die Verfassungsvorschriften, die den Reichstag betrafen, und die Geschäftsordnung des Reichstages (GO-RT)1 entsprachen an vielen Stellen den in der Kaiserzeit geltenden Regelungen.2 Dies lag zum einen daran, dass sich vieles bewährt hatte und auch in der Republik tauglich erschien. (Eine Kontinuität, die sich zum Teil bis ins Grundgesetz und die Geschäftsordnung des Bundestages fortgesetzt hat.) Zum anderen war die an vielen Stellen zu beobachtende Kontinuität eine Folge der bereits beschriebenen Tatsache, dass die Weimarer Republik einige Parteien, die grundlegenden politischen Strömungen und viele Politiker der Kaiserzeit »erbte«. Neben den traditionellen Pfaden beschritten die Weimarer Verfassung und der Reichstag aber auch neue Wege. Die Rechte des Reichstages und seiner Abgeordneten waren in der neuen Verfassung stärker ausgestaltet als in der kaiserzeitlichen Reichsverfassung von 1871. Beispielsweise durfte der Reichstag sich nun selbst versammeln (Art. 24 Abs. 2 WRV). Die Reichstagsabgeordneten durften, anders als zuvor, das Zeugnis über ihnen anvertraute nisse verweigern (Art. 37 WRV), was durch ein Verbot der Beschlagnahme von Schriftstücken ergänzt wurde (Art. 38 Abs. 1 WRV). Das Reichstagsgebäude Der Reichstag versammelte sich im Reichstagsgebäude am Königsplatz (von 1926 bis 1933 wie auch heute  : Platz der Republik). Der weitläufige, sechs Geschosse umfassende Bau war von 1884 bis 1894 nach Plänen des Architekten Paul Wallot errichtet worden. Hier tagten das Plenum (die Vollversammlung der Abgeordneten), die Parlamentsausschüsse und die Fraktionen. Den Abgeordneten standen dort Büros zur Verfügung. Der »Führer durch das Reichstagsgebäude«, den die Reichstagsverwaltung herausgab, beschreibt anschaulich die Aufteilung und die Innenausstattung des Reichstagsgebäudes. Eine in Details veränderte Fassung des Textes ist unter der Überschrift »Das Reichstagshaus« auch in den offiziellen Reichstags-Handbüchern der Reichstagsverwaltung zu finden.3 Zur ersten Orientierung diente ein »Wegweiser durch das Reichstagsgebäude«.

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Das parlamentarische Leben im Reichstag

1  Innenaufnahme des Plenarsaales des Reichstagsgebäudes aus den 1920er Jahren. © SZ Photo, ID 00299205.

Die Heizungs- und Lüftungseinrichtungen sowie Wirtschaftsräume befanden sich im Kellergeschoss. Im Erdgeschoss lagen unter anderem die Eingangshallen, die Garderoben, die Hausdruckerei, die Botenmeisterei, einige Beratungssäle, die Arbeitsräume der schon erwähnten Stenografen, ein Krankenzimmer und »ein Turnsaal nebst anschließenden Baderäumen«.4 Auch an die sportliche Ertüchtigung war also gedacht. Der Turnsaal war auch Anlass für kritisch-spöttische Bildberichterstattung.5 Das Herz des Gebäudes war der Plenarsaal. Er lag in der Mitte des Hauptgeschosses und war »aus akustischen Rücksichten […] ganz mit Holz bekleidet«.6 Seine Ausmaße betrugen 22 mal 29 Meter (638 Quadratmeter). Der Plenarsaal war 13 Meter hoch. Die offiziellen Beschreibungen vermerkten dazu, die Abmessungen erreichten »schon die äußerste Grenze der Hörfähigkeit«7. Dies war deshalb von Belang, weil die Redner in den ersten Jahren noch ohne Mikrofon sprachen. Tageslicht erhielt der Saal über die Glasdecke und die Seitenfenster des Kuppelbaus, der sich über dem Plenarsaal befand. Die Saalwände waren teilweise

Das Reichstagsgebäude 

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bemalt. Hinter dem Präsidentenstuhl befanden sich an der Ostseite die Wappen der Länder. Auch mehrere Bildhauerarbeiten waren ausgeführt. Die Plätze der Abgeordneten bildeten einen Halbkreis. Ihnen gegenüber befanden sich der Sitz des Präsidenten und, links und rechts davon, die Bänke der Reichsregierung und des Reichsrates. Das Reichstags-Handbuch beschreibt die »Tischanordnung in der Mitte des Saales« wie folgt  : Der untere Tisch mit den Wahlurnen ist der »Tisch des Hauses«. Es folgen dann innerhalb der Holzbalustrade die Plätze für die Stenographen  ; die kleineren inneren Treppen zu beiden Seiten der Schreibplätze führen ins Erdgeschoß zu den Arbeitszimmern der Stenographen  ; diese können sich also untereinander abwechseln, ohne den Saal zu betreten. Über den Stenographenplätzen erhebt sich die Rednertribüne mit den Referententischen und im Hintergrunde der erhöhte Sitz des Präsidenten  ; neben ihm auf den etwas niedrigen Stühlen nehmen die Schriftführer Platz.8

Zu Beginn der 4. Wahlperiode berichtete die Vossische Zeitung von einer »Neue­ rung im Reichstag«  : Von der Rednertribüne sei das Rednerpult auf Beschluss des Reichstagspräsidiums entfernt worden. Dies solle das Ablesen vorbereiteter Reden »unmöglich, aber wenigstens schwer«9 machen. Die Abgeordneten hatten feste Sitzplätze. Sie sind dem Plan am Ende eines jeden Reichstags-Handbuchs zu entnehmen. Die Sitzordnung im Plenum folgte nach alter Parlamentstradition der politischen Richtung der jeweiligen Abgeordneten bzw. Fraktion. Vom Präsidenten aus gesehen links saßen die Kommunisten und dann – weiter rechts – die Sozialdemokraten. In der Mitte saßen die liberalen Parteien (DDP, DVP) und kleinere Parteien. Die NSDAP saß ganz rechts außen. Ebenfalls im Hauptgeschoss lagen die Räume für die Abgeordneten  : die Wandelhalle, die Erfrischungssäle, die Post, der Lesesaal, der Schreibsaal und einige Sprechzimmer. In der Südostecke des Hauses, nach dem Brandenburger Tor hin, [befanden] sich die Räume für den Reichsrat, die Zimmer für den Reichskanzler und die Reichsminister, – auf der anderen Seite, jenseits der Osteingangshalle, die Zimmer für den Reichstagsvorstand, der Bibliotheks­ lesesaal und das Amtszimmer des Direktors beim Reichstag.10

Der Reichsrat tagte nicht – wie der Bundesrat – in einem eigenen Gebäude, sondern im »Reichsratssaal« des Reichstagsgebäudes.

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Im Zwischengeschoss waren das Archiv, die Kasse, die Tribünen sowie Arbeits­ räume für den Reichsrat und die Presse angesiedelt. Die Ausschuss- und die Fraktionssitzungssäle, Arbeitsräume für Abgeordnete und Presse sowie der Bibliotheksspeicher befanden sich im ersten Obergeschoss. Im zweiten Obergeschoss lagen viele kleine Büros für Abgeordnete. Die Reichstags-Handbücher bis zur 8. Wahlperiode (1933) listen für jedes Mitglied des Reichstages (M.d.R.) die Nummer seines Arbeitszimmers auf. Daraus ergibt sich, dass mehrere Mitglieder einen Raum nutzten und dass manche Büros auch im Erd-, Haupt- oder Zwischengeschoss lagen.11 Walther Lambach, M.d.R. von 1920 bis 1932, beschrieb die beengten Verhältnisse. Vier bis sechs Abgeordnete teilten sich einen Büroraum mit zwei Schreibplätzen. Da der Reichstag »ein Sitzungsbau, kein Arbeitsbau« war, hatte ein Mitglied des Reichstages »praktisch kein[en] Arbeitsplatz«.12 Gustav Radbruch (SPD), M.d.R. und Minister, zeigte eine regelrechte Abneigung gegen das Reichstagsgebäude. Er meinte, der Bau sei »offenbar nicht für arbeitende Abgeordnete gebaut [worden]  ; wenn man ein Bauwerk hassen [könne], so habe [er] dieses mehr und mehr hassen gelernt.« Er habe »das Reichstagsgebäude gelegentlich das Haus ohne Wetter genannt, nur gefiltertes Licht« sei von draußen in die meisten Räume gefallen  : »gleichviel, wie das Wetter draußen sein mochte, war drinnen immer nur das fahle Licht eines bewölkten Himmels.« Radbruch war »überzeugt, daß die Reizbarkeit der Abgeordneten, die sich in so vielen Verhandlungen unvorteilhaft zeigte, eine wesentliche Ursache in der Unnatur des Reichstagsgebäudes hatte.«13 Erweiterungspläne, die zu zwei Architektenwettbewerben führten, blieben in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre im Entwurfsstadium stecken. Der Arbeitsalltag der Abgeordneten Der bereits erwähnte Walther Lambach veröffentlichte 1925 ein Buch über den Reichstag  : »Die Herrschaft der Fünfhundert«. Er wollte einer breiteren Öffentlichkeit, vor allem Mitgliedern des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes, für den er arbeitete, die Tätigkeit der Abgeordneten in der parlamentarischen Demokratie nahebringen. Lambach gehörte zum sozialen, auf dem Boden der Weimarer Verfassung stehenden Flügel der DNVP, die sich in den 1920er Jahren der Republik annäherte und sich auch an Reichsregierungen beteiligte. Nach der Wahl Hugenbergs zum Parteichef und dem Einschwenken auf einen strikt antirepublikanischen Rechtskurs verließ Lambach 1929 die DNVP. Zunächst schloss er sich der Konservativen Volkspartei und danach dem Christlich-Sozialen Volksdienst an.

Der Arbeitsalltag der Abgeordneten 

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Ein uneingeschränkter Bewunderer des Parlamentarismus Weimarer ­Prägung war Lambach nicht. Sein Buch benennt durchaus, wie bei einem Vertreter der DNVP nicht anders zu erwarten, die Schwachstellen des Parlamentarismus. Zugleich war Lambach skeptisch gegenüber anderen Staatsmodellen. Er lässt erkennen, dass er sich Veränderungen im Sinne eines starken Staates durchaus vorstellen könne, lässt aber letztlich offen, wie diese konkret aussehen sollen.14 Lambach erkannte, dass viele Wähler die im Vergleich zur Kaiserzeit veränderte Aufgabe der Abgeordneten noch nicht verinnerlicht hatten. Die Abgeordneten waren nicht mehr vorrangig Kontrolleure der Regierung. Sie hatten nun auch Einfluss auf die Regierungsbildung und die Arbeit des Kabinetts.15 Trotz der zurückhaltenden Grundhaltung ist Lambachs Darstellung sehr wertvoll. Er beschreibt den Arbeitsalltag eines ausgedachten neu gewählten Abgeordneten (»Müller-Hinterwalden« aus Neustadt) und die parlamentarischen Abläufe. Dabei bemüht er sich als pragmatischer Vertreter der DNVP um Fairness den einzelnen Parteien und den anderen Abgeordneten gegenüber. Lambach schildert den Zwölf-Stunden-Arbeitstag16 des Abgeordneten in einer Sitzungswoche wie folgt  : Morgens wird dem Mandatsträger durch die Post oder durch einen Reichstagsboten eine Mappe gebracht. Sie enthält die gedruckte Tagesordnung der nächsten Sitzung, neue Gesetzentwürfe, Anträge, Anfragen, Ausschuss- und Sitzungsberichte, Denkschriften, Briefe von »Interessengruppen aller Art« sowie Einladungen zu Ausschuss- und Fraktionssitzungen.17 Der Abgeordnete betritt den Reichstag, dessen vier Türme an Sitzungstagen beflaggt sind, durch das Abgeordnetenportal gegenüber dem Tiergarten (heute als Südeingang bezeichnet). In der Garderobe befindet sich eine elektrische Meldeeinrichtung. Sie »besteht aus Tafeln mit den Namen der Abgeordneten und einem Hebel unter jedem Namen. Sobald ein Abgeordneter seine Garderobe abgelegt hat, wird der Hebel vom Garderobendiener verstellt und dadurch der Name auf zwei in der Fernsprechvermittlungsstelle des Reichstags und im Anmelderaum der Nordhalle aufgestellten Tafeln eingeschaltet.«18 So kann jeder erkennen, welcher Abgeordnete sich gerade im Reichstag befindet. Der Abgeordnete trägt sich in die Anwesenheitsliste ein.19 Unterlässt er dies, droht ihm ein Abzug von seiner Abgeordnetenentschädigung (den Diäten). Ausschuss-, Fraktions- und andere Sitzungen sowie die Plenartagung, die sich teilweise zeitlich überschneiden, stehen an. Die einzelnen Sitzungen werden im »Pendelbetrieb«20 besucht  : Jeder Sitzung stattet der Abgeordnete einen, manchmal mehrere kurze Visiten ab, um an der Beratung zumindest derjenigen Themen, die ihn beschäftigen, teilzuhaben. Zwischendurch sind vor den Sitzungssälen oder im Reichstagsrestaurant, in dem jede Fraktion »ihre« eigenen Tische besitzt21,

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Gespräche mit Interessenvertretern und Bürgern aus dem Heimatwahlkreis22 zu führen. Besucher konnten sich nicht frei im Gebäude bewegen, sondern mussten sich in einer Wartehalle aufhalten, bis der Abgeordnete mit ihnen sprechen wollte. Die nächsten Angehörigen und die Mitarbeiter (»Privatsekretäre«) der Abgeordneten erhielten Dauerhausausweise. Doch auch sie durften sich, wie alle anderen Besucher, in bestimmten Bereichen nur in Begleitung eines Mitgliedes des Reichstages oder Reichsrates und in anderen Bereichen gar nicht aufhalten.23 Lambach schildert ein wahres Hamsterrad, in dem Müller-Hinterwalden zu rennen hat.24 Umso wichtiger ist seine Einbindung in seine Fraktion, die eine Arbeitsteilung ermöglicht. Lambach weist auch auf die Gefahren im privaten und beruflichen Bereich hin, denen ein Reichstagsmitglied ausgesetzt war25  : Durch die häufige Abwesen­heit wegen Wahlkreis- und Berliner Terminen litt so manche Ehe. Ging ein Abgeordneter einer freiberuflichen Tätigkeit nach, musste er sich in notwendigerweise geringem Maße auch um diese kümmern, um nach einem Mandatsverlust sein Einkommen durch den angestammten Beruf erzielen zu können. Wer nicht eine Rechtsanwaltskanzlei oder ein Unternehmen neben dem Mandat weiterbetrieb, riskierte den Verlust seiner Mandanten oder Geschäftspartner und damit seine Existenz. Die Abgeordneten hatten Anspruch auf freie Fahrt auf allen deutschen Eisen­bahnen sowie auf Entschädigung (Diäten) nach Maßgabe eines Reichsgesetzes (Art. 40 WRV). Die Entschädigung26, d. h. das Abgeordnetengehalt, wurde monatlich ausgezahlt. Seit Ende 1930 betrug sie 600 RM pro Monat (§ 1 Abs.  1 des Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Reichstages vom 15.  Dezember 193027). Dieser Betrag war »eine verhältnismäßig geringe Summe«28. Für Abgeordnete, die ihren gesamten Mandatsaufwand (Unterkunft in Berlin, ggf. Mitarbeiter) daraus zu bestreiten hatten, war das Gehalt nicht auskömmlich.29 Aus staatlichen Mitteln bezahlte Abgeordnetenmitarbeiter gab es – anders als heute im Deutschen Bundestag und anderen Parlamenten – nicht. Die Mitglieder des Reichstages erhielten zur Wahrnehmung ihrer Mandatsaufgaben keine personelle Unterstützung, sofern sie diese nicht aus ihrem eigenen Einkommen bezahlten oder die Partei oder Fraktion Hilfe leistete. Gerade die Abgeordneten der wirtschaftsnahen liberalen Parteien DVP und DDP übten in aller Regel neben dem Mandat einen weiteren Beruf aus. Ihr Lebensstandard war damit deutlich höher als derjenige etwa der SPD- oder KPD-Abgeordneten.

Die Fraktionen 

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Die Fraktionen Vieles, was für die Fraktionen des Reichstages galt, gilt auch für die heutigen Bundestagsfraktionen. Fraktionen sind Vereinigungen (Zusammenschlüsse) von Abgeordneten. Im Reichstag lag die Mindestgröße bei 15 Abgeordneten (§  7 S.  1 GO-RT). In der Regel fanden sich die Angehörigen einer Partei, sofern diese mindestens 15 Sitze erreicht hatte, in einer Fraktion zusammen. Doch gab es auch Zusammenschlüsse von Mitgliedern mehrerer kleinerer Parteien. Beispiele sind die »Wirtschaftliche Vereinigung« in der 2. und 3. Wahlperiode und die Christlich-Nationale Arbeitsgemeinschaft (ChrNA) in der 4. Wahlperiode. Die Fraktionen konnten fraktionslose Abgeordnete als Gäste (»Hospitanten«) aufnehmen. Diese erhöhten die Fraktionsstärke (§  7 S.  3 GO-RT). Die Fraktionsstärke war für die Reihenfolge der Fraktionen – in der Debatte, beim Vorschlagsrecht für Parlamentsämter – bedeutsam (§ 8 S. 1 GO-RT). Die parlamentarische Demokratie ist auch heute ohne Fraktionen undenkbar. Sie sind für die Arbeit eines Parlaments unabdingbar. Ebenso war (und ist) die Zugehörigkeit zu einer Fraktion für die einzelnen Abgeordneten sehr sinnvoll. Sie erhöhte ihre politische Wirksamkeit enorm. Die Geschäftsordnung des Reichstages wies den Fraktionen besondere Rechte zu, die der einzelne Abgeordnete nicht besaß. (Das ist im Bundestag nicht anders.) Beispielsweise durften nur fraktionsangehörige Abgeordnete Mitglied oder gar Vorsitzender eines Ausschusses werden. Allein die Fraktionen stellten die Mitglieder des Ältestenrates. Der Ältestenrat war – wie heute noch – als Vermittlungsgremium zwischen den Fraktionen eingerichtet. Er entschied unter anderem über die Tagesordnung und die Redezeiten. Bei seinen Sitzungen war immer ein Beauftragter der Reichsregierung anwesend, üblicherweise der Staatssekretär der Reichskanzlei. Abgeordnete (»Wilde«) konnten nur die überschaubaren Rechte des einzelnen Abgeordneten ausüben. Sie blieben dadurch politisch weitgehend bedeutungslos. Das Geschäftsordnungsrecht maß dem Stärkeverhältnis der Fraktionen hohe Bedeutung bei (sog. Proportionalitätsgrundsatz). Es folgte darin dem Wahlrecht, das die Parlamentssitze nach dem reinen Verhältnis der Wählerstimmen vergab. Die Fraktionen waren für den Reichstagsbetrieb unerlässlich. Sie reduzierten die Zahl der politischen Verhandlungspartner. Sie fassten die Vielzahl ihrer Fraktionsmitglieder in einer Position zusammen. Statt rund 500 Abgeordneten saß nur eine Handvoll Vertreter der Fraktionen am Tisch, wenn z. B. über die Besetzung der Ausschussvorsitze oder über die Tagesordnung des Plenums gesprochen wurde. Auch für die Regierungsbildung war dies bedeutsam, wenngleich wegen des reinen Verhältniswahlrechts die Zahl der Fraktionen immer

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Das parlamentarische Leben im Reichstag

noch recht groß war. Die Fraktionen entschieden, wie sie das ihnen vom Reichstagspräsidenten zugewiesene Sitz- und Raumkontingent an ihre Fraktionsmitglieder verteilten.30 Die Fraktionen ermöglichten die Arbeitsteilung und Spezialisierung ihrer einzelnen Mitglieder auf bestimmte Themen. Für den einzelnen Abgeordneten war es unmöglich, alle Fragen, mit denen sich das Parlament befasste, zu überblicken. Durch eine Spezialisierung innerhalb der Fraktion sollten möglichst alle Themen abgedeckt werden. Die Fraktionen bündelten auch den Willen ihrer Mitglieder und sorgten für ein tunlichst einheitliches Vorgehen. Die Wortführer und Spezialisten zu einem Thema sprachen im Ausschuss und im Plenum für ihre Fraktion. Sie »führten« ihre Kollegen durch die Abstimmungen im Plenum, indem sie diesen anzeigten, ob sie zustimmen, ablehnen oder sich enthalten sollten.31 Die Geschlossenheit der Fraktionen war (und ist) sehr wichtig. Andernfalls verloren sie ihre nützliche zusammenfassende (konzentrierende) Wirkung für das Parlament. Walther Lambach brachte es auf den Punkt  : »Politik ist die Kunst des Möglichen. Das Mögliche aber läßt sich im Parlament nur mit geschlossenen Fraktionen erreichen. Der Vereinzelte wird zur Null, die Fraktion, die ihre Geschlossenheit aufgibt, schließlich zum Gespött.«32 An der Spitze der Fraktion stand ein Vorsitzender. Manche Fraktionen, etwa die SPD, hatten mehrere Vorsitzende. Bekannte Fraktionsvorsitzende waren Otto Wels und Rudolf Breitscheid (SPD), Theodor von Guérard und Heinrich Brüning (Zentrum), Ernst Scholz (DVP), Kuno Graf von Westarp und Ernst Oberfohren (DNVP), Wilhelm Frick (NSDAP), Ernst Torgler (KPD) und Johann Leicht (BVP). Die Aufgaben des Vorsitzenden bestanden unter anderem darin, die Fraktionssitzungen zu leiten, mit anderen Fraktionen oder Mitgliedern der Reichsregierung zu verhandeln und herausgehobene Reden im Plenum zu halten. Weitere Vorstandsmitglieder mit besonderen Aufgaben, z. B. der Ausschusskontrolle oder der Pressearbeit, unterstützten den Vorsitzenden. Ein (parlamentarischer) Geschäftsführer der Fraktion und ein Fraktionsbüro mit Schreibkräften etc. organisierten die Fraktionsarbeit. Der Einfluss der Fraktionsspitze auf die einzelnen Abgeordneten war sehr unterschiedlich. Otto Gessler, zeitweilig Mitglied der DDP-Fraktion, meinte, die großen Fraktionen SPD und Zentrum seien »leichter zusammenzuhalten und unter einen Hut zu bringen« gewesen als die kleineren, etwa die liberale DDP, die im Plenum immer wieder nicht einheitlich abstimmte.33 Die Fraktion finanzierte sich vor allem durch Beiträge ihrer Mitglieder, die aus den Diäten zu bestreiten waren.34

Der Reichstagspräsident, die Vizepräsidenten und die Verwaltung 

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Der Reichstagspräsident, die Vizepräsidenten und die Verwaltung Der Reichstag wählte den Reichstagspräsidenten und dessen Stellvertreter sowie die Schriftführer (Art. 26 S. 1 WRV), also die Sitzungs- und die Verwaltungsleitung des Hauses. Präsident, Vizepräsidenten und Schriftführer waren der »Vorstand« des Reichstages (§ 14 S. 1 GO-RT). Die Personen, welche eine konkrete Plenarsitzung leiteten (der Präsident oder ein Vizepräsident sowie vier Schriftführer), wurden »Sitzungsvorstand« genannt (§  15 GO-RT). Die Amtsträger wechselten sich im Laufe eines Plenarsitzungstages nach bestimmten Zeiträumen ab. Bis der Reichstagspräsident gewählt war, übernahm das an Lebensjahren älteste Mitglied des Hauses als »Alterspräsident« die Sitzungsleitung.35 Ihm assistierten vier von ihm bestimmte vorläufige Schriftführer (§ 13 GO-RT). Zum Reichstagspräsidenten wählte der Reichstag nach parlamentarischem Brauch (einstimmig) ein Mitglied der stärksten Fraktion.36 Der Reichstagspräsident hatte nach der Verfassung und der Geschäftsordnung eine sehr wichtige Stellung inne. Er übte – eine Neuerung der Weimarer Verfassung – das Hausrecht und die Polizeigewalt im Reichstagsgebäude aus (Art. 28 S. 1 WRV).37 Er war der Chef der Reichstagsverwaltung und der oberste Vertreter des Reichstages nach innen und außen (Art. 28 WRV, § 19 Abs. 2, 3 GO-RT). Der Reichstagspräsident leitete – im Wechsel mit den Vizepräsidenten – die Plenarsitzungen und hatte die Ordnung der Sitzung zu wahren (§ 19 Abs. 1 GO-RT). Als Ordnungsmittel standen ihm der Sach- und der Ordnungsruf, die Wortentziehung und der Sitzungsausschluss zu Gebote (§§ 89 ff. GO-RT). Er konnte die Sitzung unterbrechen und die Tribünen räumen lassen (§§  93, 94 GO-RT). Der Präsident legte am Ende jeder Plenarsitzung die Tagesordnung der nächsten fest. Auf Widerspruch eines Mitglieds entschied der Reichstag durch einen Beschluss über die Tagesordnung (§  69 S.  2, 3 GO-RT). Im Falle einer Ermächtigung durch den Reichstag oder wenn das Parlament (z. B. wegen Beschlussunfähigkeit) nicht entscheiden konnte, durfte der Reichstagspräsident die Tagesordnung der nächsten Sitzung selbst festlegen (§ 70 GO-RT). Die drei Vizepräsidenten als Vertreter des Präsidenten stammten üblicherweise aus den Reihen der drei nächststärksten Fraktionen.38 Jede Fraktion schlug – je nach Stärke – einen bis drei der insgesamt zwölf Schriftführer vor. § 21 S. 1 GO-RT legte die Aufgaben der Schriftführer fest  : Sie unterstützen den Präsidenten, besonders haben sie die Schriftstücke vorzulesen, die Verhandlungen zu beurkunden, die Rednerliste zu führen, die Namen aufzurufen,

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die Stimmen zu sammeln und zu zählen, die Berichtigung der stenographischen Sitzungsberichte zu überwachen und die äußeren Angelegenheiten des Reichstags nach Weisung des Präsidenten zu besorgen.

Die antidemokratische NSDAP-Fraktion wurde ab 1930 an der Postenvergabe beteiligt, die ebenfalls systemfeindliche KPD-Fraktion hingegen nie. Die SPD war 1920 die stärkste Fraktion und schlug als ersten Reichstagspräsidenten Paul Löbe vor. Er erhielt die nötige absolute Mehrheit. Mit einer Unterbrechung während der kurzen 2. Wahlperiode (1924) amtierte Löbe von 1920 bis 1932 als Reichstagspräsident. Er war über die Fraktionsgrenzen hinweg, mit Ausnahme der radikalen Parteien, sehr angesehen. Der DVP-Abgeordnete Ernst Scholz dankte ihm beispielsweise im Namen des Hauses zum Ende der 3. Wahlperiode »für seine liebenswürdige, humorvolle, aber auch straffe, energische und feste Zügelführung, die es uns […] in erster Linie ermöglicht hat, die schwierigen Aufgaben des Reichstags glatt und zu dem von uns selbst gewählten Zeitpunkte zu Ende zu bringen.«39 Der frühere Reichswehrminister Gessler würdigte Löbe in seinen Erinnerungen  : Wenn die Geschichte auch für die Beherrscher parlamentarischer Schlachtfelder den Beinamen »der Große« verleihen würde, dann würde ihn dieser Mann erhalten. […] Ein Meister, mitunter ein Zaubermeister als Gebieter selbst über hochgehende Wogen des tobenden parlamentarischen Meeres. Er wußte notwendige Disziplin mit Freiheit des Geistes und der Rede in bestmögliche Harmonie zu bringen.40

Gegenkandidaturen waren bei der Ämterwahl möglich und bei den Vizepräsidentenposten auch üblich. Ein Beispiel sind die Kampfabstimmungen um die drei Vizepräsidentenposten zu Beginn der 4. Wahlperiode im Juni 1928. Der sitzungsleitende Präsident hatte sich unparteiisch zu verhalten. Paul Löbe gelang dies, auch durch seinen humorvollen Charakter und seine genaue Kenntnis der Geschäftsordnung.41 Andere waren ihrem Amt nicht in derselben Weise gewachsen. Der Präsident des 2. Reichstages, Max Wallraf (DNVP), schien geradezu erleichtert, dass Amt nach einem Dreivierteljahr wieder an Löbe abgeben zu dürfen. Er hatte keine gute Figur gemacht. Möglicherweise lag das auch daran, dass Wallraf als Reichstagsneuling gleich das Präsidentenamt übernahm. Ein weiteres Negativbeispiel war Walther Graef, der ab der 3. Wahlperiode als Vizepräsident amtierte. Sein Verhalten war das Gegenbild zu Löbes. Den üblichen Antrittsbesuch beim Reichspräsidenten Ebert verweigerte er zu Beginn der 3. Wahlperiode. In der Sitzungsleitung war er »ungewöhnlich tolerant gegen

Der Reichstagspräsident, die Vizepräsidenten und die Verwaltung 

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2  Rede des Reichsfinanzministers Hermann Dietrich (DStP). Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) steht vor dem Präsidentenstuhl und hat die Glocke in der Hand, um für Ruhe zu sorgen. Eine solche Maßnahme war ausweislich der Plenarprotokolle wegen großer Unruhe während Dietrichs Rede am 26. Februar 1932 mehrfach nötig. Die Aufnahme könnte daher von diesem Datum stammen. Auf der Regierungsbank ganz rechts ist Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrum, leicht verdeckt) zu sehen. Hinter ihm steht Außenminister Julius Curtius (DVP), links neben ihm sitzt der parteilose Reichswehrminister Wilhelm Groener. © Erich Salomon, Berlinische Galerie, BG-ESA 583.

rechts und ungewöhnlich schroff gegen links.«42 Beispielsweise überhörte er in der Debatte um den Panzerkreuzer A im November 1928 rügewürdige Zwischenrufe seiner DNVP-Fraktionskollegen.43 Der Reichstag besaß mit dem »Bureau« bzw. »Büro des Reichstages« eine eigene Verwaltung. Die Reichstagsbediensteten gehörten  – wie in der Kaiserzeit – dem Innenressort an. Die Verwaltung war zuständig für die Organisation des Parlamentsbetriebs. Sie wurde vom Direktor des Reichstages geleitet. Die Reichstagsverwaltung war in fünf große Dienstbereiche aufgeteilt  : den Direktorialbereich, den allgemeinen Verwaltungs- und Archivbereich, die Bibliothek, den Stenographischen Dienst und den technischen Bereich. Reinhold Galle, der Direktor beim Reichstag, listete 1928 die Arbeitsgebiete der Reichstagsverwaltung auf.44 Die Verwaltung kümmerte sich unter anderem um die Zusammen-

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stellung der Beschlüsse der Ausschüsse und des Plenums, um die Redaktion und die Drucklegung der Ausschussberichte sowie um die Anfertigung der Register zu den Stenographischen Berichten und den Drucksachen. Ferner stellte sie das Personal des Ausschussdienstes (Sekretärstätigkeit in den Sitzungen) und kümmerte sich um die Bearbeitung der eingehenden Petitionen, deren Zuweisung an die zuständigen Ausschüsse und die Bescheidung der Petenten. Des Weiteren bearbeitete die Reichstagsverwaltung Presseangelegenheiten, stellte den Haushaltsplan für den Reichstag auf, verwaltete die zugewiesenen Finanzmittel, regelte die Angelegenheiten des Reichstagspersonals und kümmerte sich um den Botendienst und die Hausdruckerei.45 Angestellte des Botendienstes fungierten bei Plenarsitzungen als Sitzungsdiener. Weitere Einrichtungen, die Parlamente der heutigen Zeit vorhalten, wie etwa einen Wissenschaftlichen Dienst oder eine strukturierte Öffentlichkeitsarbeit, gab es im Reichstag nicht. 1928 hatte die Reichstagsverwaltung 330 (Plan-)Stellen und 1930 333 (Plan-)Stellen.46 Dem höheren Dienst gehörten 1932 31 Beamte an.47 Die Parlamentsausschüsse Zur deutschen Parlamentstradition gehört von alters her die bedeutende Rolle der Ausschüsse für den Parlamentsbetrieb. Sie waren im demokratischen Reichstag wichtig und sind es noch im Deutschen Bundestag. In der Weimarer Republik nahm die Ausschussarbeit im Vergleich mit der Kaiserzeit »in einem exorbitanten Maß zu, wobei das Schwergewicht bei der Sozial-, Wirtschaftsund Finanzpolitik lag.«48 Die eigentliche Gesetzgebungsarbeit geschah (und geschieht noch heute) in den Ausschüssen. Hier wurden die von der Reichsregierung, dem Reichsrat oder aus der Mitte des Hauses eingebrachten Gesetzentwürfe, nachdem sie im Plenum das erste Mal beraten (»erste Lesung«) und an einen Ausschuss überwiesen worden waren, eingehend beraten. Den Abschluss der Beratung bildete ein (zumeist schriftlicher) Bericht eines Mitglieds des zuständigen Ausschusses, des sog. Berichterstatters, an das Plenum. Der Bericht enthielt oftmals Änderungen des Ursprungsentwurfes. Das Plenum verhandelte dann in zweiter und dritter Beratung (»zweiter und dritter Lesung«) über den Gesetzentwurf und die vorgeschlagenen Änderungen. Der Reichstag setzte seine Ausschüsse per Mehrheitsbeschluss ein. Zwei Ausschüsse waren nach Art. 35 WRV zwingend einzusetzen  : der Auswärtige Ausschuss und der Ausschuss zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung (Überwachungsausschuss). Beide Ausschüsse durften auch in der parlamentslosen Zeit

Die Parlamentsausschüsse 

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zwischen zwei Wahlperioden tagen. Die Aufgabe des Überwachungsausschusses war es, in der parlamentslosen Zeit die Rechte des Reichstages gegenüber den anderen Verfassungsorganen wahrzunehmen. Beide Ausschüsse hatten die Rechte von Untersuchungsausschüssen (Art.  35 Abs.  3 WRV). Zu Beginn einer Wahlperiode richtete das Parlament weitere ständige Ausschüsse ein. § 26 GO-RT schrieb neben den beiden in der Verfassung genannten 13 weitere ständige Ausschüsse vor. Sie wurden nach der Reihenfolge ihrer Nennung in §  26 GO-RT gezählt. Beispielsweise waren der Geschäftsordnungsausschuss der »3. Ausschuss« und der Ausschuss für soziale Angelegenheiten der »9. Ausschuss«. Über die in § 26 GO-RT genannten hinaus konnte der Reichstag weitere ständige (§ 26 Abs. 2) und zudem Sonderausschüsse (§ 27) einsetzen. Auf Verlangen mindestens eines Fünftels seiner Mitglieder setzte der Reichstag Untersuchungsausschüsse ein (Art. 34 WRV). Jeder Ausschuss hatte 28 Mitglieder.49 Die Ausschusssitze wurden auf die Fraktionen ihrem Stärkeverhältnis im Plenum entsprechend verteilt. Die Fraktionen entschieden, wen sie zum Ausschussmitglied bestimmten. Sie besaßen das Benennungsrecht (§ 28 S. 1 GO-RT). Die Mitgliedschaft eines Abgeordneten in mehreren Ausschüssen war möglich. Jede Fraktion benannte in jedem Ausschuss einen Obmann. Fraktionslose Abgeordnete, also auch Mitglieder bestimmter Klein- und Splitterparteien, wurden nicht berücksichtigt. Die Ausschüsse bestimmten ihre Vorsitzenden und deren Stellvertreter nach Vereinbarungen im Ältestenrat (§  29 Abs.  1 S.  1 GO-RT). Die Fraktionen praktizierten ein sog. Zugriffsverfahren. Die stärkste Fraktion durfte sich einen Ausschuss aussuchen, dessen Vorsitzenden sie benennen wollte, dann die zweitstärkste Fraktion etc.50 Die parlamentarische Sitte des Deutschen Bundestages, Fraktionsvorsitzende oder Präsidiumsmitglieder nicht zu Ausschussvorsitzenden zu wählen, kannte der Reichstag noch nicht. Beispielsweise bestimmte die NSDAP-Fraktion in der 7.  Wahlperiode ihren Vorsitzenden Wilhelm Frick zum Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses. Walther Lambach bemerkte zum Arbeitsstil  : »Jeder Ausschuß ist so ein kleiner Reichstag für sich. Jeder hat seine besonderen Sitten und Gebräuche. Jeder hat seine Helden und Primadonnen. Jeder seinen Hausgeist, der ihn umgibt.«51 Diese Aussage lässt sich auf den Deutschen Bundestag übertragen. Die Ausschüsse tagten grundsätzlich nicht öffentlich (§ 34 S. 1 GO-RT). Auch wegen dieses Umstandes arbeiteten nahezu alle Parteien, mit der Zeit auch die systemfeindliche KPD, in den Ausschüssen durchaus produktiv, parteien- und lagerübergreifend zusammen.52 Die politische Abgrenzung voneinander fand – wie die Reichstagsprotokolle zeigen – im öffentlich tagenden Plenum statt.

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Das Plenum Das Plenum ist in jedem Parlament  – wie der lateinische Name verrät  – die »Vollversammlung« der Abgeordneten. Es ist das Beratungs- und Beschlussorgan und steht pars pro toto für das Parlament. Erwähnte die Weimarer Verfassung den »Reichstag«, war dessen Plenum gemeint. Die Zahl der Plenarsitzungen des Reichstages lag bis 1932 – wie auch im kaiserzeitlichen Reichstag – bei über 100 pro Jahr. Auch am Samstag oder sogar am Sonntag fanden teilweise Sitzungen statt. Zum Vergleich  : Der Deutsche Bundestag kommt jährlich auf rund 70 Plenarsitzungen. Sie finden üblicherweise nur mittwochs, donnerstags und freitags in den vorab festgelegten etwa 22 Sitzungswochen statt. Das Plenum tagte grundsätzlich öffentlich (Art. 29 S. 1 WRV). Die Schriftführer hatten die Rednerliste zu führen. In ihren Plenarreden stellten die Abgeordneten ihre Position bzw. die Position ihrer Fraktion der Öffentlichkeit dar. Die Beiträge dienten kaum der Überzeugung der ja bereits festgelegten Abgeordnetenkollegen der eigenen oder anderer Fraktionen. Sie wurden gewissermaßen als Rechtfertigung und Werbung »zum Fenster hinaus« gehalten. (Das ist im Deutschen Bundestag nicht anders.) Die Redezeiten pro Fraktion wurden seit der Neufassung der Geschäftsordnung im Jahr 1922 für jeden Tagesordnungspunkt üblicherweise im Ältestenrat vereinbart (§ 88 GO-RT). Wenn nichts vereinbart war, durfte ein Redner höchstens eine Stunde lang sprechen (§ 87 GO-RT). Der Grund für die Redezeitbegrenzung waren ausufernde Debattenbeiträge mancher Abgeordneter. Als ein besonders ausschweifender Redner galt der Abgeordnete Emil Höllein (KPD). Er hielt zum Teil mehrstündige Reden, denen niemand mehr zuhören konnte und wollte. Ein solches »Lahmreden des Parlaments durch die radikalen Gruppen«53 sollte durch die Redezeitbegrenzung vermieden werden. Wenngleich die Reden und die dafür geltenden Regeln im Deutschen Bundestag grundsätzlich genauso aussehen, zeigen die Plenarprotokolle einen wichtigen Unterschied. Im Weimarer Reichstag wurde deutlich häufiger »zur Geschäftsordnung« das Wort erteilt. Es ging dann um Anträge, deren Reihenfolge, eine Vertagung eines Tagesordnungspunkts etc. Im Deutschen Bundestag ist die Geschäftsordnungsdebatte eher eine Seltenheit. Die Abgeordneten sprachen in den ersten Jahren ohne Mikrofon. Wer mit leiser Stimme sprach, musste damit rechnen, allenfalls von den Stenografen, die unmittelbar vor ihm saßen, verstanden zu werden. Sollten die Pressevertreter oder andere Zuhörer auf den Tribünen die Ausführungen verstehen, war eine laute und klare Aussprache nötig – und offenbar auch die richtige Sprechrichtung. Walther Lambach schreibt  : »die Presse kann Sie nur verstehen, wenn Sie

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beim Reden nach der großen Uhr über der Publikumstribüne blicken.«54 Selbst nachdem Mikrofone installiert worden waren, mussten sich die Redner um eine klare und laute Aussprache bemühen. Andernfalls waren sie wegen der häufig im Plenarsaal herrschenden Unruhe, die von den radikalen Parteien oftmals gezielt verursacht wurde, kaum oder gar nicht zu verstehen. In den Plenarprotokollen finden sich viele Bitten der sitzungsleitenden Präsidenten um Ruhe, da der Redner nicht zu verstehen sei. Der Reichstag entschied Sachfragen durch Beschluss und Personalfragen durch Wahlen. Die relative Mehrheit der anwesenden Abgeordneten genügte, sofern die Verfassung nichts anderes vorsah (Art. 32 Abs. 1 S. 1 WRV, § 103 S.  2 GO-RT). Beispielsweise war für verfassungsändernde Gesetze eine »doppelte Zweidrittelmehrheit« nötig. An der Abstimmung mussten mindestens zwei Drittel aller Reichstagsabgeordneten teilnehmen und davon wiederum zwei Drittel für das Gesetz votieren (Art. 76 Abs. 1 S. 2 WRV). Die Abstimmung im Reichstag erfolgte in der Regel durch Aufstehen bzw. Sitzenbleiben (§  103 S.  1 GO-RT). Auf Antrag von mindestens 50 anwesenden Abgeordneten stimmte der Reichstag über ein Gesetz oder einen Antrag namentlich ab (§ 105 S. 1 GO-RT). Die Abstimmungsweise hieß »namentlich«, weil für jeden Abgeordneten nachzuvollziehen war, ob und wie er abgestimmt hatte. Jeder Abgeordnete besaß nämlich mehrere Stimmkarten, auf denen sein Name und »Ja« oder »Nein« oder »Enthalte mich« abgedruckt war. All dies ist heute im Deutschen Bundestag nicht anders. Im Unterschied zum Bundestag wurden die Stimmkarten im Reichstag durch die Schriftführer eingesammelt und von ihnen in die rotweiße Urne, die ihnen durch einen Parlamentsbediensteten hinterhergetragen wurde, geworfen.55 Im Bundestag werfen die Abgeordneten ihre Stimmkarte selbst in eine von mehreren (dunklen) Urnen. Die Schriftführer beaufsichtigten den Vorgang nur. Die Auszählung des Ergebnisses ist dann wieder – wie im Reichstag (§ 105 S. 4 GO-RT) – ihre Aufgabe. Das Auszählungsergebnis verkündete der sitzungsleitende Präsident im Plenum. Es wurde als Anhang dem Sitzungsprotokoll angefügt. Der Reichstag war beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder anwesend war (§  98 Abs.  1 GO-RT). Wurde vor einer Abstimmung die Beschlussfähigkeit angezweifelt, musste über die Beschlussfähigkeit namentlich abgestimmt werden (§ 99). Bei Beschlussunfähigkeit war die Sitzung aufzuheben (§ 100 S. 1 GO-RT). Bestanden im Sitzungsvorstand Zweifel über das Abstimmungsergebnis, wurde ein sog. Hammelsprung durchgeführt (§  104 GO-RT). Die Abgeordneten mussten den Plenarsaal verlassen. Dann wurden alle Türen bis auf drei

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geschlossen. Wollten Abgeordnete mit »Ja« stimmen, betraten sie den Saal durch die Tür rechts vom Sitzungsvorstand (»Ja-Tür«). Wollten sie mit »Nein« stimmen, betraten sie den Saal durch die Tür links vom Sitzungsvorstand (»Nein-Tür«). Für eine Enthaltung durchschritten sie die Tür gegenüber dem Sitzungsvorstand. An jeder der drei Türen standen zwei Schriftführer und zählten die Durchgehenden. Der Name Hammelsprung verdankt sich einer Intarsien-Arbeit auf der »JaTür«  :56 Sie zeigte Odysseus, der sich inmitten einer Widderherde dem Zugriff des blinden Zyklopen Polyphem entzieht. Die erste, die sog. konstituierende, Sitzung eröffnete das an Lebensjahren älteste Mitglied als Alterspräsident. Es hielt zumeist eine kurze Ansprache, fragte, ob der Reichstag mit der Fortgeltung der Geschäftsordnung einverstanden sei, und berief vorläufige Schriftführer. Diese lasen die Namen aller gewählten Abgeordneten vor (sog. Namensaufruf ). In der zweiten Sitzung wählte der Reichstag dann den Präsidenten und die Schriftführer. Üblicherweise wurde ein Antrag auf Haftentlassung inhaftierter Mitglieder gestellt und an den Geschäftsordnungsausschuss überwiesen. Sodann wurden die ständigen Ausschüsse eingesetzt. In der dritten Sitzung nahm der Reichstag in aller Regel die Regierungserklärung des Reichskanzlers entgegen. Daran schloss sich in der vierten und ggf. weiteren Sitzungen die Debatte über die Regierungserklärung an. Zeitungen, Broschüren, Hetzschriften, Romane  : Informationen und Desinformationen über das Parlament und seine Arbeit Die Außendarstellung des Reichstages war sehr nüchtern. Ein mit dem K ­ ürzel »las« zeichnender Kommentator der Vossischen Zeitung bemängelte in einem »Zwischenruf«, dass die Eröffnungssitzung des 4. Reichstages (wie auch die vorherigen konstituierenden Sitzungen) nicht mit einer »äußeren Symbolik […] umgeben« gewesen sei, »die den Abgeordneten noch einmal die Verantwortung ihrer Arbeit und dem Volk die staatspolitische Bedeutung dieser Arbeit eindringlich und eindrucksvoll vor Augen stellt«.57 Erich Koch-Weser (DDP/ DStP), langjähriger Abgeordneter und Reichsminister, beklagte sogar, dem »Parlament fehl[e] – wenigstens in Deutschland – nicht nur der Sinn für Repräsentation – das ließe sich noch ertragen –, sondern auch der Sinn für Würde.« Wer einmal einer Parlamentssitzung beigewohnt habe, habe die Begeisterung für den Parlamentarismus verloren.58 Der Reichstag selbst betrieb nur wenig Öffentlichkeitsarbeit. Er beschränkte sich auf das offizielle Reichstags-Handbuch, das zu jeder Wahlperiode erschien,

Zeitungen, Broschüren, Hetzschriften, Romane 

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eine Darstellung der Parlamentsarbeit unter dem Titel »Der Deutsche Reichstag. Eine kurze Einführung in seine Arbeit und seine Organisation« (mit Beiträgen von Abgeordneten zu verschiedenen Themen) und einen »Führer durch das Reichstagsgebäude«. Wer sich über die alltägliche Parlamentsarbeit informieren wollte, war auf Zeitungen, Zeitschriften und Bücher angewiesen. Eine besondere Rolle nahm »Kürschners Volkshandbuch Deutscher Reichstag« ein. Es erschien seit 1890 in einem privaten Verlag. Das »Volkshandbuch« enthielt die Biografien aller Abgeordneten und einige statistische Angaben. Noch heute erscheint der Kürschner und liefert Informationen über die Bundestagsabgeordneten. Der Reichstagsbibliothekar Paul Kirschner veröffentlichte 1931 den mit einer kurzen Einführung und 72 Fotos versehenen Band »Der Reichstag tritt zusammen«. Zwei Jahre zuvor publizierte der Pädagoge Albert Trapp seine Einführung »Der Reichstag. Wie er entsteht und wie er arbeitet«, die, ausgehend von einer republikfreundlichen Haltung, Grundlagenwissen vermittelte. Auch Darstellungen, die von Abgeordneten verfasst wurden, erlaubten dem interessierten Publikum Blicke hinter die Kulissen. Walther Lambachs hier schon mehrfach zitiertes Werk zur »Herrschaft der Fünfhundert« nimmt einen besonderen Rang ein. Inneneinblicke in das Parlamentsgeschehen bietet auch Ernst Müller-Meiningens Schrift »Parlamentarismus. Betrachtungen, Lehren und Erinnerungen aus deutschen Parlamenten« (1926), die hier ebenfalls schon zitiert wurde. Müller-Meiningen gehörte von dem Reichstag von 1898 bis 1918 für die Freisinnige bzw. Fortschrittliche Volkspartei (FVP) an. Er war bis 1924 Mitglied der DDP. Der frühere Abgeordnete und bayerische Minister stellte die Abgeordnetentätigkeit eingehend dar. Er benannte z. B. die Anforderungen an eine gute Plenarrede und stellte 14 »Lebensregeln für Parlamentarier« auf.59 Angesichts Müller-Meiningens Werdegang ist es nicht verwunderlich, dass er an vielen Stellen den Wert des kaiserzeitlichen Reichstages hervorhob. Mit den politischen Zuständen der Weimarer Republik  – dem Parteienstreit, dem Parteienproporz bei der Ämterverteilung, der Vielzahl der Parteien und der Instabilität der Reichsregierungen60 – ging der Autor hart, mit führenden Politikern zum Teil sehr unfair ins Gericht. Er klassifizierte den Außenminister Gustav Stresemann ab als einen »als parlamentarische[n] ›Partei-Routinier‹ erstklassige[n] Mann, dem aber der große seelische Zug eines wirklichen Staatsmannes abgeht«, und den Reichskanzler Wilhelm Marx als »immerhin mittelmäßige[n] Kopf«. Müller-Meiningen behauptete, die Reichskanzler Konstantin Fehrenbach und Joseph Wirth seien »als Nachfolger eines Bismarck undenkbare Figuren, ja […] auf längere Zeit unmögliche Erscheinungen«.61 Müller-Meiningen warb – bei aller Zuneigung für den kaiserzeitlichen Reichstag  – für Reformen des bestehenden par-

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lamentarischen Systems. Er rügte das wohlfeile Beschimpfen des Parlaments und unterstrich, dass das parlamentarische System »durch die äußere und innere Politik zu einer Lebensnotwendigkeit für Deutschland geworden« sei.62 Die Weimarer Staatsrechtslehre war sehr produktiv und befasste sich eingehend auch mit der Verfassungstheorie. Mehrere wissenschaftliche Abhandlungen (Monografien und Vorträge) setzten sich mit dem Parlamentarismus auseinander. Prominent ist vor allem Carl Schmitts Schrift »Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus« (2. Auflage 1926). Sie ist allerdings in ihrer Grundannahme, nur direkte Demokratie sei wahre Demokratie und der Parlamentarismus basiere auf nicht mehr bestehenden Grundlagen, falsch. Richard Thoma hat dies in einer Rezension der 1.  Auflage schon 1924 nachdrücklich bewiesen.63 Er schrieb unter anderem treffend  : »Schmitt hat […] nur eine einzige und in der Tat gänzlich verschimmelte ›geistesgeschichtliche Grundlage des modernen Parlamentarismus‹ herausgegriffen und alle anderen vernachlässigt.«64 In seiner parteienfeindlichen Schrift über »Die Staatsverfassung und die politischen Parteien« (2. Auflage 1930) behauptete der rechte Staatsrechtslehrer Heinrich Triepel  – ausgehend von ähnlich falschen historischen Grundannahmen wie Schmitt –, der Parlamentarismus liberaler Prägung und der massendemokratische Parteienstaat seien miteinander unvereinbar. Er bezeichnete »die Parteienherrschaft und den Parteienstaat als eine Entartung des staatlichen Körpers« und hoffte auf ihre Überwindung.65 Demgegenüber vertrat der Rechtsphilosoph und SPD-Politiker Gustav Radbruch in einem Beitrag über »Parteienstaat und Volksgemeinschaft« in der Zeitschrift Die Gesellschaft (1929) die Ansicht, die Demokratie, »der Volksstaat [sei] unumgänglich ein Parteienstaat«. Eine eindeutige Wahrheit über das Allgemeinwohl könne es nicht geben, »sondern nur die verschiedenen Parteiauffassungen vom Allgemeinwohl, jede von ihnen so unbeweisbar wie die andere […], jede aber auch so unwiderlegbar wie die anderen und jede deshalb von der andern als Ueberzeugung zu achten. Dieser Relativismus […] [sei] die Grundlage demokratischen Denkens«.66 Man könne »zu der unleugbaren und unvermeidlichen Tatsache des Parteienstaates laut, mit Ueberzeugung und mit gutem Gewissen Ja […] sagen.«67 Auf ihrer Tagung in Weimar 1927 diskutierten die deutschen Hochschullehrer ebenfalls über die »Krisis des deutschen Parlamentarismus«. Ausgangspunkt der Debatte waren die Vorträge von Willy Hellpach und Alexander Graf zu Dohna. Hellpach war DDP-Mitglied, ausgebildeter Nervenarzt, Journalist, zeitweilig badischer Staatspräsident und Minister sowie Mitglied des Reichstages (1928 bis 1930). Dohna war DVP-Mitglied, Strafrechtsprofessor und Mitglied der Nationalversammlung sowie des Reichstages (1920). Der adlige und dem Kaiserhaus persönlich

Zeitungen, Broschüren, Hetzschriften, Romane 

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verbundene Dohna war Anhänger der Republik und setzte sich für ein Verbot der NSDAP und der KPD sowie für die Einführung eines konstruktiven Misstrauensvotums ein. In seinen Schriften »Das Problem des Parlamentarismus« (1926) und »Vom Wesen und Wert der Demokratie« (2. Auflage 1929) befasste sich Hans Kelsen mit dem Parlamentarismus und mit Reformüberlegungen. Der demokratisch gesinnte österreichische Rechtsgelehrte stellte fest, dass der Parlamentarismus und das Vorhandensein (mehrerer) politischer Parteien die einzige reale Form ist, in der die Idee der Demokratie praktiziert werden kann.68 Der in den 1920er Jahren aufkommenden Idee einer Ergänzung oder Ersetzung des Parlaments durch eine berufsständische Vertretung erteilte er eine klare ­Absage.69 Ein interessanter Sonderfall der Parlamentsliteratur ist der Roman »M.d.R.« von Hans Hell (1930), der eigentlich Hans Sochaczewer hieß. Protagonist des Romans ist Otto Klapper, der im Grunde politisch ahnungslose Inhaber eines Berliner Zigarrengeschäfts. Ein Kunde bringt ihn auf die Idee, für den Reichstag zu kandidieren. Klapper weiß zunächst nicht einmal, für welche Partei er antreten soll. Ihm ist nur wichtig, dass es eine »gute, mittlere Partei« sein soll. Die Kandidatur beruht nur auf Absprachen im kleinen Kreis. Offenbar handelt es sich bei der Partei um eine der kleinen Mittelstandsparteien. Wahlkampf macht Klapper nicht. Klapper versucht sich durch Reisen, Gespräche, Zeitungslektüre und »Büchmanns Geflügelte Worte« auf seine neue Tätigkeit vorzubereiten. Er hält Probereden voller Phrasen und gefällt sich immer mehr in seiner neuen Rolle. Der Kunde, der ihn auf die Idee brachte, Abgeordneter zu werden, verfolgt heimlich ein verschrobenes Ziel  : Er »will beweisen, daß das parlamentarische System lächerlich ist, da es duldet, daß so ein Nichtskönner […] in den Reichstag kann.«70 Im Roman klingt an vielen Stellen Kritik durch. Sie richtet sich allerdings nicht gegen das Parlament oder das parlamentarische System, sondern gegen unfähige Abgeordnete und (Klein-)Parteien, die solche Mandatsträger nominiert haben. Der Zweck, die Leser mit der Tölpelhaftigkeit des Otto Klapper, seiner Frau und anderer Romanfiguren zu unterhalten, steht natürlich im Vordergrund. Nicht wissenschaftlich, nicht ausgewogen, nicht unterhaltsam, sondern rein abwertend äußerten sich Schriften aus extremistischen Kreisen über den Reichstag und über das parlamentarische System. Der rechte Publizist Edmund Schultz gab 1931 den Band »Das Wesen der Demokratie« heraus. Darin machte er den Parlamentarismus verächtlich. Neutrale Fotos von Politikern und des Parlamentsbetriebs wurden durch ironische und abwertende Untertitel »als antiparlamentarische und antiliberale Waffe«71 eingesetzt. Ein markantes, abstoßendes Beispiel für antiparlamentarisches und menschenverachtendes Schrifttum ist das rechts-

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radikale und antisemitische Hetz-Pamphlet »Deutscher  ! So sehen Deine Führer aus  ! Charakterköpfe des Reichstages und des Preußischen Landtags« (1924). Darin finden sich verzerrende Karikaturen bekannter demokratischer und kommunistischer Politiker, versehen mit spöttisch-herabsetzenden Texten. Urheber war der rechtsradikale Schriftsteller und Zeichner Hans Diebow, der sich unter anderem »Totila« nannte. Heinrich Himmler, seit 1930 Mitglied des Reichstages, veröffentlichte im parteieigenen Verlag Franz Eher Nachf. 1931 ein Buch mit dem bezeichnenden Titel »Der Reichstag 1930. Das sterbende System und der Nationalsozialismus«. Darin fanden sich neben eher neutral gehaltenen Erläuterungen zum Wahlrecht und Informationen über die Fraktionsvorsitzenden und die Ausschussmitglieder antisemitische Passagen über jüdische Abgeordnete und angeblichen »jüdischen Einfluss« in den einzelnen Fraktionen und Ausschüssen. Die Veröffentlichungen kommunistischer Autoren propagierten die bolschewistische Räterepublik und lehnten den Parlamentarismus ebenfalls ab.72 Der Großteil der Bevölkerung befasste sich weder mit den wissenschaftlichen Abhandlungen noch mit den parteipolitisch-ideologisch geprägten Machwerken. Die meisten Bürger bezogen – wie in der Kaiserzeit – ihre Informationen aus der Tagespresse. Die 1920er Jahre waren das Boomjahrzehnt der Printmedien. In der Weimarer Republik erschienen viele regionale und überregionale Tageszeitungen. 1928 waren es 3356, von denen 26 eine Auflage von über 100.000 Exemplaren erreichten.73 Allein in Berlin gab es in den 1930er Jahren 40 Morgenblätter.74 Darunter waren auch illustrierte Blätter, wie die Berliner Illustrirte [sic  !] Zeitung (mit einer Auflage im Jahr 1930 von 1,8 Millionen Stück75) oder die Zeitbilder, eine Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung. Sie brachten eine Vielzahl von Fotos, auch des politischen Geschehens. Erste Fotoaufnahmen des tagenden Plenums brachte die Berliner Illustrirte Zeitung vom 15. Juli 1928.76 Sie wurden von Erich Salomon gemacht. Er gehörte zu den bedeutendsten Fotografen der Weimarer Zeit. Vermutlich von Juni 1928 bis Februar 193177 lieferte er Presseorganen viele Aufnahmen des Parlamentsgeschehens. Dabei gelang es ihm, auch eigentlich geschlossene Veranstaltungen wie Ausschuss- oder Ältestenratssitzungen abzulichten. Mehrere Zeitungen veröffentlichten ab dem Ende der 1920er Jahre Fotos Salomons und anderer Fotografen aus dem Reichstag. Die renommiertesten Zeitungen, die – außer sonntags – sogar zwei Mal täglich erschienen, waren die Vossische Zeitung und das Berliner Tageblatt. Hier wirkten die berühmten Journalisten und überzeugten Demokraten Georg Bernhard und Theodor Wolff als Chefredakteure. Die Journalisten, die über den Parlamentsbetrieb berichteten (die Parlamentskorrespondenten), verstanden sich in der Weimarer Zeit – anders als ihre amerikanischen Kollegen – nicht als investigative

Zeitungen, Broschüren, Hetzschriften, Romane 

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Reporter oder als Kontrolleure der Legislative und Exekutive.78 Allerdings gab es mehrere sehr gut vernetzte Journalisten, wie Wolff oder Bernhard, die Informationen bei gesellschaftlichen Anlässen, auf privaten Empfängen oder durch gezielte Indiskretionen erhielten. Der »Verein deutscher Zeitungsverleger« gab einen Parlamentsbericht heraus. Hieraus bezogen viele Zeitungen ihre Informationen über die Plenardebatten. Die Korrespondenten auf der Pressetribüne lieferten ihre Stimmungsberichte dazu.79 Die politischen Journalisten schilderten und bewerteten in ihren Artikeln die ihnen übermittelten Informationen. Sehr gewichtigen Einfluss auf das, was die Deutschen täglich lesen konnten, hatte der deutschnationale, monarchistische, antiparlamentarische und antidemokratische Medienmogul Alfred Hugenberg. Er hatte bereits 1894 zu den Gründern des rechten, strikt monarchistischen Alldeutschen Verbandes gehört. Bis 1928, als er Vorsitzender der rechten DNVP wurde, hatte er sich einen Medienkonzern aufgebaut, »der auf fünf großen Gebieten der Publizistik die Öffentlichkeit beeinflusste«80. Sein Scherl-Verlag gab die auflagenstarken Zeitungen Der Tag, Berliner Lokal-Anzeiger und Berliner Illustrierte Nachtausgabe heraus und besaß damit eine starke Position auf dem Berliner Zeitungsmarkt. Hugenberg war außerdem Inhaber der VERA-Verlagsanstalt, die rund 48 Lokalzeitungen kontrollierte, die mit vorgefertigten redaktionellen Beiträgen im Sinne der DNVP versorgt wurden. Sein Nachrichtendienst »Telegraphen-Union« belieferte 1926 fast die Hälfte aller deutschen Zeitungen. Seit 1927 war Hugenberg Inhaber der »Universum Film-AG« (UFA), die Wochenschauen (also im Kino gezeigte Nachrichten) und Tonfilme produzierte. Das Konglomerat der Medienbeteiligungen bescherte Hugenberg eine Monopolstellung in weiten Landstrichen. Er war Aufsichtsratsvorsitzender mehrerer Wirtschaftsunternehmen.81 Beispielhaft für seine immer wieder in seinen Medien verbreitete politische Haltung ist ein Aufsatz, den er am 9.  Januar 1926 in seiner Zeitung Der Tag und später in einer Schriftensammlung veröffentlichte. Dort heißt es, der Außenminister Gustav Stresemann sei das »Unglück des deutschen Bürgertums«, und  : »Ja, es ist in der Tat eine elende Geschichte mit den Parteien und mit dem Parlamentarismus«.82 Auch die meisten Zeitungen, die nicht zu Hugenbergs Imperium gehörten, standen einer politischen Richtung oder Partei nahe. Die beiden genannten Berliner Tageszeitungen unterstützten die politischen Ziele der DDP. Die Kandidatur ihres Chefredakteurs Georg Bernhard veranlasste die Vossische Zeitung sogar zu einem Wahlaufruf für die DDP am Wahltag.83 Die größeren Parteien besaßen eigene Zeitungen oder konnten sich auf ihnen nahestehende Zeitungen verlassen. Viele davon erschienen täglich. Die bekanntesten sind der Vorwärts, das Parteiorgan der SPD seit dem 1. Oktober 1876 (Auflage in der Weimarer

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Republik  : rund 300.000 Exemplare), die Rote Fahne der KPD (Auflage 1932  : 130.000 Stück84) und der Völkische Beobachter der NSDAP (September 1930  : 100.000 Exemplare). Die Gauleitung der Berliner NSDAP gab außerdem noch das Blatt Der Angriff heraus. Die katholischen Parteien besaßen keine eigenen Zeitungen. Das Zentrum gab nur einige offizielle Mitteilungsblätter der Partei oder ihrer Beiräte und Organisationen heraus. Doch gab es 1932 reichsweit (in katholischen Gegenden) 308 Zeitungen (davon 218 in Preußen), die der Partei nahestanden.85 Die höchste Auflage hatten die Essener Volkszeitung und die Dortmunder Tremonia (jeweils ca. 40.000 Exemplare), gefolgt von der Deutschen Reichszeitung, dem Münsterischen Anzeiger und der Schlesischen Volkszeitung. Die bekanntesten und auch für die anderen zentrumsnahen Zeitungen einflussreichen Blätter waren die Kölnische Volkszeitung (Auflage  : ca. 28.000) und die Berliner Germania (Auflage  : ca. 10.000 Exemplare). Die Verlage beider Zeitungen gehörten Aktiengesellschaften, in deren Aufsichtsräten auch Zentrumspolitiker saßen. Der vermögende preußische Landtagsabgeordnete und spätere Reichskanzler Franz von Papen war sogar Mehrheitsaktionär und Aufsichtsratsvorsitzender der Germania AG. Redakteure der beiden Zeitungen und drei bis vier anderer zentrumsnaher Blätter nahmen regelmäßig an den Sitzungen der Reichstagsfraktion des Zentrums teil  ; prominente Politiker lieferten Beiträge. Die Politik der BVP wurde von ca. 120 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von etwa 500.000 Exemplaren unterstützt. Die meisten davon waren kleine Lokalzeitungen, die aber von einem großen Leserkreis gelesen wurden. Die auflagenstärksten Blätter mit Auflagenzahlen von jeweils mehr als 20.000 waren der Bayerische Kurier aus München und der Regensburger Anzeiger, dessen Miteigentümer der bayerische Ministerpräsident Heinrich Held war.86 Außerdem besaß die BVP einen eigenen Pressedienst, die Bayerische-Volkspartei-Correspondenz, die werktäglich erschien.87 Die CNBL gab eine Wochenzeitung heraus, die bis November 1930 Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei-Nachrichten genannt wurde. Außerdem erfuhr sie Unterstützung durch Zeitungen aus dem Umfeld der Bauernorganisationen, insbesondere von einzelnen Verbänden des Reichs-Landbundes.88 Der ab 1930 zu Reichstagswahlen antretende CSVD besaß ebenfalls eigene Zeitungen, die aber nur wöchentlich erschienen.89 Die Wirtschaftspartei stützte sich vor allem auf eigene Regionalzeitungen  ; Rückhalt erhielt sie zudem durch Verbandspresse des Haus- und Grundbesitzertums.90 Zeitgenossen beklagten, dass die Presseberichterstattung über das Parlaments­ geschehen im Schwinden begriffen sei. Willy Hellpach bedauerte auf der Hochschullehrertagung in Weimar 1927, »daß das Interesse an den Parlamen­ten abgenommen hat. Das beweist schon der verminderte, teilweise bis zur Küm-

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merlichkeit eingeschrumpfte relative Raum, den die Zeitungen ihren Verhandlungen gewähren.«91 Allerdings nahm Hellpach die ausführliche Berichterstattung über die Reichstagssitzungen in den 1890er Jahren als Vergleichs- und Beurteilungsmaßstab. Damals waren Parlamentsdebatten »allgemeines Tagesgespräch«.92 Ob in den 1920er Jahren das Interesse am Parlamentsbetrieb wirklich geringer war oder ob die Klage Hellpachs der üblichen Klage vieler Politiker entspricht, das Volk interessiere sich zu wenig, lässt sich nicht feststellen. Die stets hohe Wahlbeteiligung spricht jedenfalls eine andere Sprache. Auch muss man fragen, ob eine seitenlange Berichterstattung in den Zeitungen der Kaiserzeit wirklich einem höheren Interesse am Reichstag entsprach. Schaut man sich die überregionalen Blätter der Weimarer Zeit an, findet man durchaus informative Berichte über das Geschehen im Reichstag. Sie nehmen zwar nicht mehrere Seiten ein, liefern aber doch die wichtigsten Hintergründe. Außerdem hat der womöglich geringere Seitenumfang der Berichte pro Ausgabe seinen Grund in den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der Weimarer Zeit. Das politische und das soziale Leben liefen nach der Novemberrevolution, vor allem in den großen Städten, in einem höheren Tempo ab als in der Zeit davor. In der Kaiserzeit waren das politische System und die gesellschaftlichen Verhältnisse recht statisch  : Der Reichstag hatte allenfalls über das Budgetrecht politischen Einfluss ausüben können  ; die Regierung (»Reichsleitung«) war allein auf das Vertrauen des Kaisers angewiesen. Gesellschaftliche Veränderungen hatten nur in größeren Zeiträumen stattgefunden. In der Weimarer Zeit hingegen war die Politik häufigen Wechseln unterworfen. Verschiedene Themen wurden intensiv diskutiert, Kabinette stürzten, das Parlament wurde aufgelöst. Neben politischen Themen drängten auch andere Belange, wie z. B. der Sport, in die Zeitungen. Um möglichst aktuell zu sein, erschienen vor allem die Großstadtzeitungen in einer Morgen- und in einer Abend-Ausgabe. Der Umfang der politischen Berichterstattung war daher, pro Tag gesehen, doch sehr beträchtlich, den Kritikern zum Trotz. Der 1923 gestartete, von der Reichspost betriebene Rundfunk hatte in der Weimarer Republik nur vergleichsweise wenige Teilnehmer. Ihre Zahl wuchs zwar bis 1928 auf zwei Millionen und bis 1931 auf über vier Millionen Hörer, war aber angesichts einer Einwohnerzahl von rund 62 Millionen relativ gering. Das lag vor allem an den Anschaffungskosten für ein Radio und den Empfangsgebühren. Politische Inhalte waren im Rundfunkprogramm zunächst nur von untergeordneter Bedeutung. Doch wurde die Relevanz des Radios für die Information der Öffentlichkeit zunehmend erkannt. Seit dem 3. Dezember 1930 zeichnete der Rundfunk längere Teile von Reichstagssitzungen auf.93 In Archi-

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ven (etwa im Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt am Main) finden sich Originaltonaufnahmen mit einer Länge von mehr als 20 Stunden.94 Reichstagspräsident Löbe setzte sich für Live-Übertragungen ein. Der Ältestenrat folgte ihm darin zunächst nicht. Erst am 25. Februar 1932 übertrug der Rundfunk eine ca. 80 Minuten dauernde Rede des Reichskanzlers Brüning in voller Länge. Zu weiteren Übertragungen aus dem Reichstag kam es bis 1933 nicht. Aus propagandistischen Gründen fand die erste Live-Übertragung einer vollständigen Reichstagssitzung am 23. März 1933 statt.

3 Tiefgehende Krise und relative Stabilisierung Die Arbeit des Reichstages bis Juli 1930

Die Nationalversammlung, das erste deutsche Parlament, dessen Mitglieder von Frauen und Männern gewählt wurden, war sehr effizient. Von Februar 1919 bis Mai 1920, also in nur 16 Monaten, schuf die Versammlung die Weimarer Verfassung und erließ eine Reihe grundlegender Gesetze. Die 1.  Wahlperiode des Reichstages, der am 6. Juni 1920 gewählt worden war, umfasste die gesamte Anfangskrisenzeit der jungen Republik. Das Parlament stand vor den zu Beginn dieses Buches beschriebenen großen Herausforderungen. Kommunistische Aufstände, ein rechtsradikaler Putschversuch, politisch motivierte Morde (unter anderem an Matthias Erzberger und Walther Rathenau), die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen und die Hyperinflation sowie republikfeindliche radikale Parteien im Reichstag und außerhalb forderten die demokratischen Politiker bis aufs Äußerste. Die wechselnden Regierungen konnten die Krisen meistern, auch weil sie durch Notverordnungen des Reichs­ präsidenten Ebert und durch Reichstagsgesetze, die sie zum Verordnungserlass ermächtigten, rasch handeln konnten. Nach dem Abbruch des »Ruhrkampfes« gegen die Besetzung und vor allem nach der Beendigung der Inflation kehrte in der deutschen Gesellschaft vorerst Ruhe ein. Wenn man überhaupt von einer (relativ) stabilen Phase der Weimarer Republik sprechen kann, dann war dies die Zeit von 1924 bis 1929. Sie wird auch als »goldene Zwanzigerjahre« beschrieben (und verklärt). Die politischen Verhältnisse waren jedenfalls nicht »golden«. Sie blieben vergleichsweise unruhig. Wie nahmen die ersten drei Reichstage ihre Aufgaben wahr  ? Nimmt man die Hauptaufgaben des Reichstages  – die Gesetzgebung und die Regierungskontrolle – als Maßstab, dann wurde der Reichstag vor allem in der 3. Wahlperiode (1925 bis 1928) seinen Aufgaben gerecht. Zwar löste der Reichs­ präsident auch diesen Reichstag – wie alle sieben Reichstage bis 1933 – vorzeitig auf. Doch geschah die Auflösung am 31. März 1928 und damit nur wenige Monate vor dem regulären Wahlperiodenende. Der 3. Reichstag weist daher die meisten Plenarsitzungen (415) auf. Knapp dahinter folgt der 1. Reichstag (411

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Sitzungen), der ebenfalls fast das reguläre Wahlperiodenende erreicht hätte. Der 2.  Reichstag hingegen bestand nur von Mai bis August 1924. Seine Plenarsitzungen waren vor allem durch das radauhafte Verhalten der KPD-Fraktion gekennzeichnet. Regierungskontrolle und Einflussnahme auf die Regierungsbildung

Die im Reichstag vertretenen Parteien nahmen starken Einfluss auf die Regierungsbildung. 1922 schaltete sich Reichspräsident Ebert stärker ein, als er den parteilosen Geschäftsmann Wilhelm Cuno zum Reichskanzler ernannte. Für das parlamentarische Regierungssystem war und ist eine bestimmte Rollenverteilung typisch. Ein Teil des Parlaments, üblicherweise die Mehrheit, stützt die Regierung. Die Parteien bzw. Fraktionen (als »Arme der Partei im Parlament«), deren Abgeordnete die Mehrheit bilden, haben sich zu einem Bündnis, zu einer Koalition, zusammengefunden. Die Regierungsmitglieder stammen (zumindest weit überwiegend) aus den Koalitionsparteien oder, wenn sie zugleich ein Abgeordnetenmandat haben, aus den Koalitionsfraktionen. Den Koalitionsfraktionen (Regierungsfraktionen) steht die Opposition gegenüber. Sie umfasst alle Fraktionen und fraktionslosen Abgeordneten, die nicht die Regierung tragen. Die Opposition ist ein variables Gebilde. Je nach Vorlage stimmt sie mit den Regierungsfraktionen, dagegen oder enthält sich. Das hier beschriebene Modell des parlamentarischen Regierungssystems hatten die meisten Weimarer Parteien nicht verinnerlicht. Vom »Erbe« der Kaiserzeit war zu Beginn dieses Buches schon die Rede. Im Reichstag der Weimarer Republik saßen viele Abgeordnete, die schon vor der Novemberrevolution dem Reichstag angehört hatten. Sie kannten nur die Rolle als Regierungskontrolleure. An diesem Bild hielten viele Parteien und Abgeordnete auch in der parlamentarischen Republik fest. Dabei wäre es nötig gewesen, den Rollenwechsel, der mit dem Übergang der politischen Macht auf Parlament und Parteien verbunden war, anzunehmen. Doch fühlten sich die Parteien weiterhin vor allem zur Kontrolle der Regierung berufen, selbst wenn eigene Parteimitglieder der Regierung angehörten, sie also Regierungsfraktion waren.1 Jede Regierung musste daher mit Beschuss aus dem eigenen Lager rechnen. Nicht ohne Grund scheiterten so viele Kabinette nach kurzer Zeit. Man kann also resümieren, dass die Kontrollaufgabe und der Einfluss auf die Regierungsbildung – nimmt man den Reichstag als Ganzes – übermäßig wahrgenommen wurden.

Wie nahmen die ersten drei Reichstage ihre Aufgaben wahr  ? 

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Gesetzgebung

Die Gesetzgebungsbilanz der ersten drei Reichstage kann sich sehen lassen.2 Das Parlament verabschiedete in drei Wahlperioden viele und zum Teil sehr bedeutsame Gesetze. Das Jugendstrafrecht, die Sozialversicherung und das Arbeitsrecht wurden reformiert. Das Jugendgerichtsgesetz von 1923 setzte das Strafmündigkeitsalter von zwölf auf 14 Jahre herauf und richtete Jugendgerichte ein, um jugendlichen Straftätern besser gerecht zu werden. Die Krankenversicherungspflicht wurde ausgebaut und auf mehr Arbeitnehmer als zuvor ausgedehnt  ; 1927 wurde die Arbeitslosenversicherung eingeführt. Nach dem Betriebsrätegesetz von 1920, das noch die Nationalversammlung beschlossen hatte, war das Arbeitsgerichtsgesetz von 1926, das den eigenständigen Rechtsweg für Streitigkeiten im Arbeitsverhältnis schuf, ein weiterer Baustein zum Schutz der Arbeitnehmer. Ferner unterstützte der Reichstag die Reichsregierung durch die Zustimmung zu außenpolitischen Vereinbarungen wie dem Vertrag von Rapallo (1922), dem Dawes-Plan (1924) und dem Vertrag von Locarno (1925). Arbeitsklima und Debattenstil

Wenn man die Aufgabenwahrnehmung analysiert, muss man auch einen genauen Blick auf das Arbeitsklima und den Debattenstil werfen. Viele in den ersten drei Reichstagen geführten Debatten verliefen sachlich. Die Redner stellten die Position ihrer Fraktion oder Partei dar. Argumente wurden in Rede und Gegenrede ausgetauscht. Natürlich war die Plenardebatte nicht der Ort, an dem sich die Abgeordneten gegenseitig überzeugten. Sie diente – wie auch heute – der Außendarstellung und Begründung der eigenen Position sowie möglicher personeller und sachlicher Alternativen zum politischen Gegner. Die Reichstagsabgeordneten und ihre Parteien bildeten die gesellschaftlichen Strömungen und Ansichten ab. Dabei lag es in der Natur der Sache, dass der Meinungsstreit heftig ausgetragen werden konnte. Das ist in heutigen Parlamenten nicht anders. Aber ein gravierender Unterschied besteht doch, wenn man den Reichstag und den Deutschen Bundestag (jedenfalls bis zur im Herbst 2017 begonnenen 19.  Wahlperiode) betrachtet. Im Weimarer Reichstag stritten nicht nur unterschiedliche, aber auf dem Boden der Verfassung stehende politische Konzepte miteinander. Dem Parlament gehörten auch viele Abgeordnete an, die das ganze demokratisch-parlamentarische System, die Weimarer Republik, abschaffen wollten. Den Anhängern der parlamentarischen Republik (SPD, Zentrum, BVP, DDP) standen von Anfang an deren Feinde unversöhnlich gegenüber. Die KPD

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erstrebte eine kommunistische Gesellschaft wie in der Sowjetunion. Die DNVP schlug monarchistische und nationalistische Töne an. Die »Nationalsozialistische Freiheitsbewegung« war noch radikaler  : Sie war antidemokratisch und deutlich antisemitisch eingestellt. Von Anfang an beherrschte eine Feindseligkeit, die von den radikalen Parteien ausging, die Reichstagsdebatten. Auch die Arbeit des Preußischen Landtages, des größten und wichtigsten Landesparlaments, war hiervon geprägt. Nicht nur die Debattenbeiträge waren symptomatisch für die politischen Haltungen in der Gesellschaft und den Umgang der Parteien miteinander. Interessant und anschaulich sind auch weitere Vorgänge in den Plenarsitzungen. Thomas Mergel, der sich intensiv mit der parlamentarischen Kultur der Weimarer Republik beschäftigt hat, meint, die Reichstagssitzungen in den 1920er Jahren hätten »im [A]llgemeinen in friedlicher, wenn auch oft erregter Atmosphäre« stattgefunden.3 Wenn man sie mit den Sitzungen der 1930er Jahre vergleicht, stimmt das. Vergleicht man sie aber mit der Situation im Deutschen Bundestag (vor allem seit dessen 2. Wahlperiode), sieht man die eklatanten Unterschiede. Schon in den 1920er Jahren brachten die radikalen Parteien, insbesondere die seit 1924 mit mehreren Dutzend Mandaten versehene KPD, ihre Ablehnung des parlamentarischen Systems und ihr Verständnis der Politik als Kampfplatz in ihrem Verhalten im Plenum zum Ausdruck.4 Obwohl sie das parlamentarische System abschaffen wollten und an sachlicher Parlamentsarbeit kein Interesse hatten, waren Parlamentsmandate für die republikfeindlichen Parteien aus mehreren Gründen erstrebenswert  : Abgeordnete konnten im Plenum und damit öffentlich ideologische Kampfreden halten. Sie nutzten das demokratische Parlament als Bühne für ihre Agitation gegen die demokratische Republik. Die Freifahrtkarte, die jedem Reichstagsmitglied zustand, konnte für Agitationsreisen genutzt werden. Die Diäten, welche die Abgeordneten monatlich erhielten, entlasteten die Partei davon, sie aus eigenen Mitteln zu bezahlen. Schließlich machte das Abgeordnetenmandat immun gegen Strafverfolgung, jedenfalls so lange, bis der Reichstag die Immunität aufhob (Art.  37 WRV). Die Vorzüge eines Mandats konnten die Republikfeinde trefflich gegen die Republik nutzen. Die Sichtweise der republikfeindlichen Abgeordneten gab Joseph Goebbels in der NS-Parteizeitung Der Angriff wieder. Er saß seit 1928 im Reichstag. Goebbels prahlte, er sei »kein Mitglied des Reichstags. Ich bin ein I.d.I. Ein I.d.F. Ein Inhaber der Immunität, ein Inhaber der Freifahrtkarte.«5 Bereits in der 1. Wahlperiode (1920 bis 1924) kam es immer wieder zu turbulenten Parlamentssitzungen mit großer Unruhe und zahlreichen Beleidigungen. Vor allem Abgeordnete der KPD erhielten sehr viele Ordnungsrufe. In der Sit-

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zung vom 17. Juni 1921 kam es zum ersten Mal in der deutschen Parlaments­ geschichte zu einer Schlägerei. Auf der Tagesordnung stand der nur wenige Tage zurückliegende Mord an dem bayerischen USPD-Landtagsabgeordneten Karl Gareis. Als sich der USPD-Reichstagsabgeordnete Unterleitner über Äußerungen rechtsradikaler Kreise beschwerte, sie für den Mord verantwortlich machte und sie mit den Worten zitierte  : »Wir wollen keine Verständigung  ! Kommunisten sind keine Deutschen, – die erledigt man kalt  !«, bemerkte der weit rechts stehende DVP-Abgeordnete Fritz Mittelmann  : »Da haben sie recht  !« Daraufhin stürzte sich der USPD-Abgeordnete Hermann Remmele auf Mittelmann.6 Es kam zu einem Handgemenge und wechselseitigen Beschimpfungen zwischen linken und rechten Abgeordneten. Mittelmann erhielt »einen so heftigen Stoß vor die Brust, daß er rückwärts gegen das Geländer der Treppe taumelte, die hinauf zu den Regierungsbänken führt[e].«7 Präsident Löbe konnte sich auch mit der Glocke kein Gehör verschaffen. Er verließ seinen Platz und unterbrach damit die Sitzung, was zunächst noch zu keinem Ende des Gemenges ­führte.8 Eine Viertelstunde dauerte »das widerliche Intermezzo« an.9 Nachdem er nach zweieinhalb Stunden die Sitzung wieder eröffnet hatte, rügte Löbe die Abgeordneten Mittelmann und Remmele. Mittelmann hatte schriftlich erklärt, er habe mit »Da haben sie recht« nur die Äußerung »Kommunisten sind keine Deutschen« bestätigen wollen, nicht aber das Töten (»kaltmachen«).10 In der Tagespresse wurde der Vorfall beschämt und entsetzt zur Kenntnis genommen. Sowohl die provozierende Äußerung Mittelmanns als auch das aggressive Verhalten Remmeles wurden scharf verurteilt. Erich Dombrowski meinte im Berliner Tageblatt  : »Herr Remmele hat den Reichstag mit einem Boxmeeting im Varieté verwechselt.«11 Doch musste sich die Öffentlichkeit an solche Szenen und vor allem an fortwährenden Lärm und Radau gewöhnen. Sogar Paul Löbes Appell, »wenigstens äußerlich die Verhandlung so zu führen, daß die Abgeordneten auf ihrem Platze bleiben und den Raum vor den Stenographen freilassen«12, blieb – für die ganzen Weimarer Jahre – vergeblich. In vielen Sitzungen herrschte ein Gedränge vor den Stenografenplätzen, in der Nähe des Rednerpults. Die Geschehnisse in zwei anderen Sitzungen belegen beispielhaft den Umgangston sowie wie stark der verlorene Erste Weltkrieg und die Reparationen an die Entente-Mächte im Vordergrund der politischen Debatte standen und wie sehr sie das politische Klima vergifteten. Am 23. Juni 1922 griff der Abgeordnete Karl Helfferich (DNVP) die Reichsregierung, deren Außenpolitik und Außenminister Rathenau sowie die Entente-Mächte persönlich sehr scharf an.13 Im Plenarsaal herrschte während der Debatte große Unruhe. Das Plenarprotokoll verzeichnet viele Beleidigungen, auch vonseiten des Redners. Helfferich

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erntete den Zwischenruf  : »Sie sind wohl verrückt  !«14 Der Abgeordneten Arthur Crispien (USPD) nannte ihn »unverschämter Hetzer«15. Zwei Mal wurde Helfferich als »Flegel« bezeichnet.16 Der Abgeordnete Emil Höllein (USPD) nannte ihn  : »Feiger Bursche  !«17 Helfferich hielt sich mit Beleidigungen ebenfalls nicht zurück. Zu Zwischenrufen der Sozialdemokraten bemerkte er  : »Ich antworte nicht  ; denn die Verachtung hat keine Worte.«18 Auf einen Zuruf des Abgeordneten Adolph Hoffmann (USPD)  – »Erzählen Sie doch mal, wo der Kronprinz seine Bordelle gehabt hat  !« – erwiderte Helfferich  : »Pfui Teufel  ! Herr Abgeordneter Hoffmann, wenn Sie sich für Bordelle interessieren, dann will ich Ihnen sagen, daß – mit auf Ihre Kosten  – die französische Regierung im besetzten Gebiet eine ganze Anzahl von Bordellen […] eingerichtet hat.« Auf einen weiteren Einwurf Hoffmanns, der Kronprinz sei dafür verantwortlich, bemerkte Helfferich, die »Schweinerei« werde »nun doch bald zu groß«.19 Noch turbulenter verlief die Sitzung des Folgetages. Sie hätte fast abgebrochen werden müssen. Wenige Stunden vor der Plenarsitzung hatten rechtsradikale Attentäter den am Vortag von Helfferich scharf angegriffenen Außenminister Rathenau ermordet. Reichstagspräsident Löbe konnte zu Beginn kaum zu Wort kommen.20 Abgeordnete der äußersten Linken hielten sich zunächst im Bereich der rechtsgerichteten Parteien auf und weigerten sich unter großer Unruhe, ihre Plätze einzunehmen. Sie empfanden die Anwesenheit Helfferichs und weiterer rechtsgerichteter Abgeordneter als Provokation. Die Formulierung »intellektuelle Mörder« wurde gebraucht.21 Mehrfach forderten linksgerichtete Abgeordnete, Helfferich und seine Parteikollegen sollten den Plenarsaal verlassen und an den Trauerbekundungen des Reichstages nicht teilnehmen – ohne Erfolg. Ging es teilweise in der 1. Wahlperiode schon »hoch her«, so wurde die kurze 2.  Wahlperiode (1924) noch turbulenter. Löbe sprach nicht ohne Grund vom 2.  Reichstag als von einem »üblen Reichstag«.22 Die Unruhe ging weit überwiegend vonseiten der KPD aus. Mitglieder der KPD-Fraktion störten schon den Beginn der konstituierenden Sitzung erheblich.23 Zum Schluss der Sitzung sangen sie die »Internationale«.24 Ernst Thälmann erklärte, »eine Geschäftsordnung des bürgerlichen Parlaments« gelte nicht für die KPD.25 Eine deutliche Ablehnung des Parlamentarismus, der auf die Einhaltung gewisser »Spielregeln« angewiesen ist. Die zweite Sitzung störten die Kommunisten ebenfalls erheblich. Immer wieder vergriffen sich KPD-Abgeordnete im Ton. Sie bezeichneten die Republik als »Schieberrepublik«26. Während weiterer Sitzungen der 2. Wahlperiode wurden Reden durch Schreien verhindert.27 Sogar Schlägereien fanden statt.28 Anweisungen des Reichs­­tags­prä­

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sidenten wurden missachtet29, Sitzungen mussten unterbrochen werden30. Das Plenarprotokoll verzeichnet zahlreiche Beleidigungen. Die KPD-­Abgeordnete Elfriede Golke, die sich als »Ruth Fischer« bezeichnete, hielt den republikloya­ len Fraktionen in ihrer ersten Plenarrede vor, »daß ihr nichts anderes seid als die Masken, die Hampelmänner der Kapitalisten.« Sie sprach sie an als »Sehr verehrtes Schattentheater  ! Sehr verehrte Traumgestalten  !« Den Ordnungsruf des Präsidenten quittierte sie mit einem »Danke sehr« und setzte fort mit »Sehr verehrtes Komödientheater  !«31 Die 3.  Wahlperiode (1924 bis 1928) verlief demgegenüber ruhiger. Allerdings zeigten die Kommunisten immer wieder ihre systemfeindliche und antiparlamentarische Haltung. Wiederholt beleidigten sie Abgeordnete anderer Fraktionen. Mehrfach mussten Sitzungen unterbrochen werden  : Der Grund dafür waren KPD-Abgeordnete, die wegen einer Störung von der Sitzung ausgeschlossen worden waren, sich aber weigerten, den Plenarsaal zu verlassen. In der Sitzung am 1. August 1925 rief der sitzungsleitende Vizepräsident Walther Graef (DNVP) mehrere KPD-Abgeordnete zur Ordnung. Nachdem der Ältes­ tenrat die Redezeit gekürzt hatte, die KPD-Vertreter aber angeblich zu dieser Sitzung nicht eingeladen worden waren, hatten die Kommunisten lautstark protestiert. Aus ihren Reihen waren andere Abgeordnete als »unverschämter Lügner«, »eine Gesellschaft von Eunuchen« und »Hausknechte« beleidigt, die Sitzungsleitung als »schamlos« bezeichnet und massive Unruhe verbreitet worden.32 Der Abgeordnete Höllein hatte sogar gedroht  : »Sollten Sie das [einen Antrag auf Redezeitverlängerung, P.A.] ablehnen, dann werden wir daraus die Konsequenz ziehen und dafür sorgen, daß Ihre Arbeiten nicht gefördert werden.«33 Graef kündigte an, er werde Unruhestifter des Saales verweisen. Auf den Zuruf »Tun Sie es doch  !« schloss er die Abgeordneten Jadasch und Höllein, eifrige Zwischenrufer, aus. Beide weigerten sich mehrfach, den Saal zu verlassen. Graef unterbrach die Sitzung und ließ die beiden von der Polizei hinausführen. Zwischenrufer beschimpften Graef als »Henker«.34 KPD-Abgeordnete gerieten mit Polizisten aneinander. Die Vossische Zeitung kritisierte Graefs Verhalten als »vollständige[n] Mangel an Geschick«. Sie stellte ihm das Gespür des Reichstagspräsidenten Löbe gegenüber, der es »wundervoll versteh[e], mit ein paar ruhigen ausgleichenden Sätzen der Situation Rechnung zu tragen und ihrer Herr zu werden.«35 Nachdem Löbe die Sitzungsleitung übernommen hatte, kam es in dieser Sitzung jedenfalls zu keinem Tumult mehr. Neun Tage später wiederholten sich die Vorgänge. Als der KPD-Abgeordnete Schütz, der von Graef als dem »[a]lte[n] Schieber da oben« gesprochen hatte, sich mehrmals weigerte, den Saal zu verlassen, unterbrach Graef die Sitzung und

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ließ Schütz von Polizisten hinausführen.36 In der Folge schloss der Vizepräsident die KPD-Abgeordneten Torgler, Münzenberg, Creutzburg, Neubauer, Geschke und Neddermeyer von der Sitzung aus und unterbrach die Sitzung zwei Mal.37 Danach beruhigte sich die Stimmung. Die KPD-Abgeordneten Putz und Rädel ließen es sich aber nicht nehmen, weiter zu agitieren. Putz sprach von einer »Pogromstimmung«, unter der Graef den Präsidentenstuhl bestiegen habe, und Rädel bezeichnete deutschnationale Abgeordnete als »Mördergesindel«.38 Eine weitere Sitzungsunterbrechung wurde im März 1928 nötig. ­Während einer Rede des SPD-Abgeordneten Otto Landsberg eskalierte die Lage. Der KPD-­ Vertreter Rosenbaum rief Landsberg zu  : »Unverschämter Bursche  ! Lump  !«39 Kommunistische Abgeordnete versuchten, Landsberg auf der Rednertribüne zu attackieren. Es kam zu einem Handgemenge mit SPD-Abgeordneten, die Landsberg zu Hilfe eilten. Der KPD-Abgeordnete Philipp Dengel warf mit einem Spucknapf, verfehlte aber sein Ziel. Vizepräsident Max Wallraf unterbrach die Sitzung. Er schloss den KPD-Abgeordneten Anton Jadasch als Verursacher der Tumultszene von der Sitzung aus. Als Jadasch sich weigerte, der Aufforderung nachzukommen, unterbrach Wallraf die Sitzung erneut und beendete sie schließlich, nach einem Ausschluss Jadaschs für 30 Sitzungstage, vorzeitig.40 Zum Ende der Wahlperiode im März 1928 ließ Reichstagspräsident Löbe das Volk und die Republik hochleben. Den Kommunisten fiel nichts Besseres ein, als das mit den Worten »Nieder mit der Reaktion  ! Nieder  !« zu begleiten.41 Wie nahm der 4. Reichstag seine Aufgaben wahr  ? Auch der 4. Reichstag nahm die ihm zukommenden Aufgaben – Einflussnahme auf die Regierungsbildung, Regierungskontrolle und Gesetzgebung – wahr. Bis zum Ende der Regierung Müller fanden immerhin 151 Plenarsitzungen statt. Als der Reichstag am 18. Juli 1930 aufgelöst wurde, hatte sein Plenum 204 Mal getagt. Die Aufgabenwahrnehmung geschah aber zum Teil in einer Weise, die zum Ende der letzten parlamentarisch bestimmten Regierung führte. An der 4.  Reichstagswahl nahmen 35 Parteien teil. Die Wahlbeteiligung lag bei 75,6 %. Die Zahl der im Reichstag vertretenen Parteien stieg von elf (3.  Wahlperiode) auf 15. Die Sozialdemokraten erreichten ihr zweitbestes Ergebnis der Weimarer Zeit. Sie waren in 23 von 35 Wahlkreisen die stärkste Kraft und gewannen 22 Sitze hinzu. Die KPD, die rund 500.000 Stimmen dazugewinnen konnte, war – wie üblich – in den Wahlkreisen mit einem hohen Anteil an Industriearbeiterschaft die stärkste oder die zweistärkste Kraft.42

Wie nahm der 4. Reichstag seine Aufgaben wahr  ? 

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Das Wahlergebnis vom 28. Mai 192843 Partei

Stimmenanteil

Sitze im 4. Reichstag

SPD

29,8 %

152

DNVP

14,2 %

73

Zentrum

12,1 %

61

KPD

10,6 %

54

DVP

8,7 %

45

DDP

4,9 %

25

Wirtschaftspartei

4,5 %

23

BVP

3,1 %

17

NSDAP

2,6 %

12

CNBL

1,9 %

9

DBP

1,6 %

8

VRP

1,6 %

2

DHP

0,6 %

4

WBWB

0,6 %

3

Sächsisches Landvolk

0,4 %

insgesamt

/

2 490

Hingegen verloren die Mitte- und Rechtsparteien, die am vierten Kabinett des Reichskanzlers Wilhelm Marx (Zentrum) beteiligt gewesen waren, Stimmen und Sitze  : das Zentrum, die BVP, die DVP, die DDP und die DNVP. Wieder einmal straften viele Wählerinnen und Wähler die Regierungsparteien ab. Die BVP erzielte gar das schlechteste Reichstagswahlergebnis ihrer Geschichte. Ihre übliche Marke von rund einer Million Stimmen erreichte sie nicht, obwohl sie in den drei bayerischen Wahlkreisen wie immer stärkste Partei wurde und gemeinsam mit dem Zentrum im Wahlkreis 27 (Pfalz) die zweithöchste Zahl an Stimmen gewann. Die DVP verlor Wähler zugunsten der mittelständischen Interessenparteien, nicht zuletzt aus dem Agrarsektor.44 Ihre besten Ergebnisse erzielte sie in den mehrheitlich protestantischen Wahlkreisen im Norden und Osten Deutschlands, war aber in keinem Wahlkreis stärkste Partei. Viele Wähler der DDP waren zur SPD und zur Wirtschaftspartei abgewandert.45 Vor allem die DNVP wurde gebeutelt. Sie blieb zwar zweitstärkste Kraft, fiel aber von 103 auf 73 Mandate zurück. Die Partei verlor viele Stimmen an die CNBL und an kleinere Interessenparteien.46 Die CNBL war sehr rasch im Februar 1928 gegründet worden, um noch an der Wahl teilnehmen zu können. Die

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Gründung einer besonders auf die Landbevölkerung zielenden, gemäßigt rechten Partei ist zu erklären mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in die viele Landwirte, vor allem kleine und mittelgroße Betriebe, zum Ende der 1920er Jahre geraten waren. Die Zahl der Zwangsversteigerungen von Höfen stieg. In einigen Teilen des Reiches hatten die Probleme ab Ende Januar 1928 zu Kundgebungen geführt. Diese wuchsen sich in den Jahren 1928/29 zu teilweise gewaltsamen Protestaktionen und auch Sprengstoffanschlägen gegen Finanz- und Landratsämter aus. Von der DNVP, die sie früher gewählt hatten, die aber eher die alten Eliten des Kaiserreiches (Großagrarier, Industrie, Unternehmertum, Militär, Beamtenschaft) verkörperte, fühlten sich viele kleinere und mittelgroße Bauern nicht mehr vertreten. Die Entfremdung wurde noch dadurch verstärkt, dass die DNVP bis zum Frühjahr 1928 mit Martin Schiele den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft stellte, dessen Notprogramm viele Landwirte für verspätet und zu zaghaft hielten. An dieser Stelle setzte die CNBL an. Überall dort, wo die CNBL passable Ergebnisse einfuhr, verzeichnete die DNVP deutliche Verluste, zum Teil von über 50 %. Umgekehrt konnte die CNBL dort, wo die DNVP noch stark war, kaum Stimmen holen. Von dem Aderlass, der durch die CNBL und später durch zwei weitere Abspaltungen in den Jahren 1929 und 1930 bewirkt wurde, sollte sich die DNVP nicht mehr erholen. Sie erreichte, auch durch Verluste an die NSDAP, nie mehr ein zweistelliges Ergebnis. Auf die CNBL hatte der »mächtigste Interessenverband der Weimarer Republik«47, der für die Agrarwirtschaft eintretende Reichs-Landbund (RLB) großen Einfluss. Die CNBL war damit eine typische Interessenpartei. Im 4. Reichstag waren  – wie schon in den vorherigen Wahlperioden  – mehrere solche kleinen Interessenparteien der bürgerlichen oder rechten Mitte mit jeweils einer Handvoll Sitzen im Reichstag vertreten. Nur die Wirtschaftspartei erreichte die Abgeordnetenzahl, die nötig war, um eine Fraktion bilden zu können. Sie gewann vor allem Wähler der DNVP, der DVP, der DDP sowie der beiden katholischen Parteien für sich.48 Die NSDAP war zum ersten Mal (unter ihrem eigenen Namen) im Reichstag vertreten. Sie erzielte ein schlechtes Ergebnis. Die Partei unterbot das Ergebnis der zuvor im Parlament vertretenen völkischen NSFB um zwei Mandate. Sie blieb unter der für eine Fraktionsbildung nötigen Größe von mindestens 15 Abgeordneten. Die vergleichsweise größten Stimmenanteile erreichte die NSDAP mit 6,2 % und 8,1 % im Wahlkreis 24 (Oberbayern-Schwaben) und im Wahlkreis 26 (Franken), wo sie jeweils viertstärkste Kraft wurde. Bei der Wahl zum 3. Preußischen Landtag, die zeitgleich mit der 4. Reichstagswahl am 20. Mai 1928 stattfand, schnitt sie ebenfalls schwach ab. Sie gewann nur sechs von 449 Sitzen. Über

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ihre Listen zogen unter anderem Gregor Strasser und die späteren NS-Größen Wilhelm Frick, Joseph Goebbels und Hermann Göring in den Reichstag ein. Allein die sieben Reden, die Goebbels im 4. Reichstag hielt, bieten Anschauungsmaterial für die verhetzende republikfeindliche, antiparlamentarische und antisemitische Agitation, welche die NSDAP in den kommenden Jahren betreiben sollte. Schon in seiner ersten Plenarrede bezeichnete Goebbels das Parlament als »diesen demokratischen Schwindel hier«.49 Er machte sozialdemokratische Politiker und Amtsträger50 sowie den Zentrumspolitiker und Reichsminister Theodor von Guérard51 lächerlich, meinte, es koste ihn »die Überwindung eines persönlichen Ekels«, sich mit dem Abgeordneten Otto Landsberg (SPD) auseinanderzusetzen52, zieh die Sozialdemokraten mehrfach des Landesverrats53 und äußerte sich immer wieder antisemitisch54. »Juden«, »Marxisten« und »Demokraten« stellte Goebbels als Volksfeinde hin. Er sagte der Weimarer Verfassung und dem Weimarer »System« offen den Kampf an  : »Wir sind der Meinung, daß das Werk von Weimar überhaupt nicht besserungsfähig ist, daß es im System falsch ist, (Zuruf von den Nationalsozialisten  : Ein Judenwerk  !), daß es darum unsere Aufgabe ist, das System an und für sich zu beseitigen.«55 Es handelt sich in Deutschland gar nicht um einen Staat, sondern um eine Plantage des internationalen Weltkapitals, um eine Kolonie der Tributgewaltigen der Welt, die sich nicht im geringsten von irgendeiner Bantunegerrepublik in Zentralafrika unterscheidet. (Sehr richtig  ! Bei den Nationalsozialisten.) Wenn es also praktisch keinen Staat in Deutschland gibt, dann vermag ich nicht zu glauben, daß es eine Organisation geben könne, die staatsfeindlich ist. Es kann dann immer nur Organisationen geben, die systemfeindlich sind, Organisationen, die damit aber im besten Sinne staatserhaltend wirken […].56

»Diesem System keinen Groschen und keinen Mann.«57 Seine Partei stellte Goebbels als vom »System« verfolgt dar.58 Goebbels’ Ausfälle in der Parteipresse brachten ihm eine Fülle an Gerichtsverfahren ein. Mehrfach wurde er verurteilt, vor allem wegen Beleidigung. Die Einflussnahme auf die Bildung der Großen Koalition und die Kontrolle der Regierungsarbeit

Zu Beginn der 4. Wahlperiode deutete noch nichts auf eine Krise des parlamentarischen Regierungssystems hin. Die SPD hatte mit 29,8 % der Stimmen und 153 Mandaten ihr zweitbestes Ergebnis seit der Wahl zur Nationalversammlung

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eingefahren. Nach der Wahlniederlage der bisherigen rechtsbürgerlichen Koalition (»Bürgerblock«), die keine Sitzmehrheit mehr auf sich vereinigen konnte, war nun die SPD am Zuge. Sie würde zum ersten Mal seit 1923 wieder Regierungspartei werden und sogar zum ersten Mal seit 1922 den Reichskanzler stellen. So weit der erste Eindruck. Doch er täuschte. Der Wahlsieg der SPD sorgte nicht für klare politische Verhältnisse. Reichspräsident Paul von Hindenburg beauftragte Hermann Müller, Vorsitzender der SPD-Reichstagsfraktion und einer der SPD-Parteivorsitzenden, am 12. Juni 1928, eine Regierung »auf möglichst breiter Grundlage« zu bilden. Müller wurde nach seinem Reichstagswahlkreis auch »Müller-Franken« genannt. Er hatte schon als Reichsaußenminister und 1923 für knapp drei Monate (vom 27. März bis 20. Juni) als Reichskanzler amtiert. Müller gehörte zu den bekannten und einflussreichen SPD-Politikern im Reichstag. Er galt als ausgleichender Brückenbauer innerhalb der Partei und ins bürgerliche Lager hinein. Heinrich Brüning würdigte ihn als »sehr mutigen und pflichtbewußten Mann« mit einem offensichtlich lauteren Charakter. Es habe »kaum jemals im Reichstag einen vornehmeren, nur auf das Wohl des Vaterlandes bedachten Mann gegeben als ihn.«59 Der »großgewachsene Mann mit hoher Stirn, blassem Gesicht, schütterem Haar und einem durchringenden, nachdenklich-ernsten oder freundlich skeptischen Blick aus dunkeln Augen hinter runden Brillengläsern« überzeugte »durch Kenntnis, kommunikativen Charme, leidenschaftliche Sachlichkeit, Realitätssinn und Verantwortungsbewusstsein.«60 Die Parteibasis verehrte Müller. Bei Vorstandswahlen erhielt er immer mehr Stimmen als sein Mit-Vorsitzender. Otto Gessler, zeitweiliger Kabinettskollege Müllers, beschrieb ihn als »Mann nüchterner Sachlichkeit, […] absolut lautere Persönlichkeit, […] ein staatsmännischer Kopf, in seiner Partei nächst Ebert mit weitem Abstand der fähigste.«61 Zu den engsten Mitstreitern Müllers gehörte Carl Severing, der profilierte langjährige preußische Innenminister. Er wurde im neuen Kabinett Reichsminister des Innern. Severing beschrieb Müller »als verantwortungsbewußten und klugen Politiker« und meinte  : »Er liebte es, mit lustigem Zwinkern die Wahrheit zu sagen. […] Was ihm oft fehlte, war Menschenkenntnis. Er war noch nicht skeptisch genug geworden, um vor Fehlschlägen bei der Personalauswahl geschützt zu sein. Aber wer war das überhaupt in einer Bewegung, die nicht zuletzt von der ethischen Vorstellung geleitet wurde  : Der Mensch ist gut  !«62 Die SPD benötigte mehrere Partner, um eine Regierungskoalition zu bilden, die über eine Reichstagsmehrheit verfügte. Die Parteien der Weimarer Koalition (SPD, Zentrum und DDP) kamen nur auf 238 von 491 Sitzen. Zur absoluten Mehrheit fehlten nur acht Sitze. Der von dem Reichstagspräsidenten Löbe im

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Alleingang gestartete Versuch, Hindenburg dennoch für eine Minderheitsregierung der Weimarer Koalition zu gewinnen, war erfolglos. SPD, Zentrum und DDP mussten weitere Regierungspartner gewinnen. Eine um die BVP erweiterte Weimarer Koalition hätte eine Mehrheit im Reichstag besessen (255 Mandate). Die BVP wollte sich aber nur an der Regierung beteiligen, wenn auch die DVP in die Regierung eintrat.63 Diese lager- und milieuübergreifende Koalition wurde »Große Koalition« genannt. Ein anderes als dieses lagerübergreifende Bündnis war nicht möglich. Beispielsweise schrieb die Vossische Zeitung im Juni 1928 über die Verhandlungen Hermann Müllers mit der Wirtschaftspartei wegen einer Regierungsbildung  : »Ernsthaft kommt eine Beteiligung der Wirtschaftspartei an der Regierung Müller nicht in Frage. Das Regierungsprogramm müßte noch erfunden werden, das den einander diametral widersprechenden Gruppen der Wirtschaftspartei gerecht werden könnte.«64 Die von Thomas Raithel aufgeworfene Frage, ob die Bildung der Großen Koalition nicht ein größerer Fehler gewesen sei als ihr viel kritisierter Bruch zwei Jahre später65, lässt sich klar mit »Nein« beantworten. Eine andere Koalition war gar nicht möglich. Raithel weist zu Recht darauf hin, dass das Fehlen einer »systemloyalen Opposition« 1928 bis 1930 (und ebenso 1922 bis 1924) ein Problem war.66 Denn wer mit der Regierung unzufrieden war, hatte an der Wahlurne keine systemloyale Alternative. Eine große (gemäßigt) rechte republikfreundliche Partei, die eine Alternative zur SPD hätte bieten können, fehlte. Die DVP war zu elitär und zu reaktionär. Sie schien sich eine Zeit lang zu einer republikloyalen Rechtspartei zu entwickeln, schwenkte nach der Wahlniederlage 1928 aber wieder ins rechtsextreme Spektrum ab. Damit blieben für die Wähler, welche nicht für die SPD stimmen wollten, nur mehr Splitterparteien oder eben die systemfeindlichen Parteien übrig. Für Demokraten waren die DNVP und die KPD als größte Oppositionsparteien im 4. Reichstag und die NSDAP natürlich nicht wählbar. Die rechtsliberale DVP war an den vorherigen Reichsregierungen, auch am Kabinett Marx IV, beteiligt gewesen. Sie stellte (seit dem 30. November 1923) den angesehenen und erfolgreichen Außenminister Gustav Stresemann. Wegen seines unermüdlichen Einsatzes, auch gegen parteiinterne Kritiker, gehörte die zunächst skeptische DVP zu den Kräften, welche die Republik stützten. Doch zierte sich die DVP, ins Kabinett einzutreten. Sie wollte sich an einer Reichsregierung Müller nur beteiligen, wenn sie zugleich auch in die preußische Landesregierung aufgenommen würde. Dazu war aber der preußische Ministerpräsident Otto Braun nicht bereit. Erst nachdem der erkrankte Außenminister Gustav Stresemann von seinem Sanatorium in Bühlerhöhe im Schwarzwald mit dem »Schuss von Bühlerhöhe« interveniert hatte67, erklärte die DVP ihre Bereit-

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schaft, in einem SPD-geführten Kabinett mitzuarbeiten. Auch das Zentrum war ein schwieriger Verhandlungspartner. Die Partei verlangte mehr Ministerposten, als ihr nach dem Stimmenverhältnis bei der Wahl zugestanden hätten. Die BVP wollte sich ebenfalls zunächst nicht festlegen. Schließlich gelang es Müller aber doch, die beiden katholischen Parteien ins Boot zu holen. In der Tagespresse der damaligen Zeit kann man das Hin und Her der Regierungsbildung gut studieren. Nachdem SPD, Zentrum, DDP, DVP und BVP einverstanden waren, Vertreter ins Kabinett zu entsenden, ernannte Hindenburg Müller am 28. Juni 1928 zum Reichskanzler. Außer dem parteilosen Reichswehrminister Wilhelm Groener, dem früheren Ersten Generalquartiermeister der OHL (der am 10. November 1918 Ebert die Unterstützung der Armee zugesichert hatte), hatten drei weitere Minister schon der Vorgängerregierung angehört  : Reichsaußenminister Gustav Stresemann (DVP), Reichswirtschaftsminister Julius Curtius (DVP) und Reichspostminister Georg Schätzel (BVP). Eine Koalitionsabsprache kam allerdings vorerst nicht zustande. Das Bündnis war eine »Ministerkoalition«68 und keine Parteienkoalition. Die Parteien versuchten einen Spagat  : Sie entsandten zwar Minister ins Kabinett, aber gerade das Zentrum und die bürgerlichen Parteien wollten sich nicht an eine Koalitionslinie oder ein Regierungsprogramm binden. Ein Beispiel für diese Haltung lieferte der erfahrene BVP-Fraktionsvorsitzende Johann Leicht. Er wies am 4. Juli 1928 im Reichstag darauf hin, dass sich die neue Reichsregierung »nicht als Koalitionsregierung, sondern als Kabinett der Persönlichkeiten konstituiert« habe. Es sei also den Parteien, die durch Persönlichkeiten im Kabinett vertreten seien, »keine koalitionsmäßige Bindung an das Programm auferlegt«, zu dem sich die Regierung in der Erklärung des Reichskanzlers Müller bekannt habe.69 Der beschriebene Spagat, der Versuch, sich an einer Regierung personell, aber nicht inhaltlich zu beteiligen, war unsinnig. Dies erkannte und benannte der linke bzw. zur linken Mitte gehörende Teil der (Regierungs-)Parteien. Der DDP-Fraktionsvorsitzende Ludwig Haas machte es in seiner Plenarrede am 4.  Juli 1928 deutlich. Er unterstrich, dass die Parteien, deren Vertreter in der Regierung saßen, durchaus für die Regierungsarbeit verantwortlich seien  : »Solange Männer der eigenen Fraktion oder der eigenen Partei im Kabinett vertreten sind, ist das eine Regierung, für die man verantwortlich ist, (sehr richtig  ! Bei den Deutschen Demokraten) und von dieser Verantwortlichkeit wird man nicht frei, man mag Konstruktionen machen, welche man will.«70 Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende betonte die Verantwortung der Parteien für »ihre« Minister. Er hob hervor, das Kabinett Müller sei eine Koalitionsregierung, was auch immer die einzelnen daran beteiligten Parteien behaupteten.71

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3  Einer der profiliertesten Politiker der Weimarer Republik  : Außenminister Gustav Stresemann (DVP) im Wandelgang des Reichstages, 1929. © Erich Salomon, Berlinische Galerie, BG-ESA 530/b.

Die schwierigen Koalitionsgespräche und die Haltung mancher Parteien zur Regierung zogen öffentliche Kritik auf sich. Erich Kästner beschäftigte sich in einem Gedicht unter dem Titel »16 Tage, die die Welt erschütterten« mit der schwierigen Regierungsbildung und der unsicheren Grundlage des Kabinetts. Das Gedicht gehört zu den »Montagsgedichten«, die Kästner von 1928 bis 1930 in der Wochenzeitung Montag Morgen veröffentlichte. Kästner schrieb  : »Und so sucht, / bei diesen Zeiten  !, / Müller nach / Persönlichkeiten … / Stresemann / sagt zu, doch Scholz / ist verletzt. / Es heißt, aus Stolz. / Wirth sagt zu. / Das Zentrum hetzt. / Wirth wird wieder / abgesetzt. Endlich hat er / die Minister, und sie tun fast / wie Geschwister –«. Am Schluss des Gedichts wagt Kästner die skeptische, aber sicher nicht ernst gemeinte Prognose  : »Das wird gehen / bis August. / Wandern ist / des Müllers Lust.«72 Das Kabinett Müller II blieb deutlich länger im Amt, länger als jede Weimarer Reichsregierung vor ihm. Aber es litt von Anfang an an dem beschriebenen Konstruktionsfehler, den auch Kästners Gedicht aufs Korn nahm  : Das Kabi-

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nett konnte nicht darauf bauen, die jederzeitige Unterstützung der beteiligten Parteien im Reichstag zu erhalten. Die an der Regierung beteiligten Parteien versuchten einen Spagat, der nur misslingen konnte. Sie versuchten, die Regierung am Leben zu erhalten, sich aber immer wieder von ihr zu distanzieren. Als die Regierung noch nicht einmal vier Monate im Amt war, zeigte sich das beispielhaft. Im Streit um den Bau des Panzerkreuzers A wurde eine regelrechte »Parlamentsgroteske«73, ein »unwürdige[s] Schauspiel«74 aufgeführt. Die Pläne zum Bau des Kriegsschiffes waren eine »Erbschaft aus der Aera des Rechtsblocks«75, also des Kabinetts Marx IV. Die SPD hatte im Wahlkampf gegen den Bau agitiert. Ihr Slogan lautete  : »Für Kinderspeisung  – Gegen Panzerkreuzer und Krieg  !« Nicht allein finanzpolitische Gründe konnten gegen den Schiffsbau angeführt werden. Der Panzerkreuzer sollte nur das erste von mehreren Schiffen sein. Im Ausland konnte dies Argwohn erwecken. Wegen der ablehnenden Haltung der SPD war bereits bei den Verhandlungen über eine Regierungsbildung um den Schiffsbau gestritten worden, ohne eine Einigung zu erzielen. Das Kabinett stimmte in der Ministerbesprechung am 10.  August 1928 dem Bau zu76, um den Rücktritt des Reichswehrministers Groener und einen Konflikt mit dem Reichspräsidenten zu vermeiden. Aber die SPD-Fraktion blieb mehrheitlich bei ihrer Ablehnung. Sie brachte am 31.  Oktober 1928 im Reichstag den Antrag ein, den Bau des Panzerkreuzers abzulehnen. Schon dieser Antrag konnte als Misstrauensvotum gegen die eigene Regierung verstanden werden. Damit nicht genug  : Otto Wels begründete am 15. November 1928 den Antrag als dienstältester Vorsitzender seiner Fraktion im Reichstag und polemisierte im Plenum in klassenkämpferischer Weise gegen das Rüstungsvorhaben.77 Er hielt »eine Oppositionsrede schwersten Kalibers«78 und sprach unter anderem von »wahren Hungergebieten wie in Waldenburg in Schlesien«79, deren Versorgung dringlicher sei als der Bau eines Kriegsschiffs. Bei den anderen an der Regierung beteiligten Fraktionen löste die Rede »lebhaften Unwillen«80 und »starke Missstimmung«81 aus. Die SPD-Fraktion hatte schon am Abend des 14. November 1928 beschlossen, dass die Fraktion dem eigenen Antrag im Plenum einstimmig zustimmen werde.82 Damit hatte sie ein einheitliches Abstimmungsverhalten aller Fraktionsmitglieder erzwungen. Reichskanzler Müller und die SPD-Minister Severing, Hilferding und Wissell, die alle dem Reichstag angehörten, beugten sich dem Fraktionsdruck. Sie stimmten am 16.  November 1928 im Reichstag für den Fraktionsantrag – und damit gegen die Haltung der eigenen Reichsregierung  ! Dieses Verhalten wurde dadurch nicht verständlicher, dass das Kabinett es allen Mitgliedern, auch dem Reichskanzler, freigestellt hatte, gemäß ihrer Überzeugung abzustimmen83. Nur die systemfeindliche KPD stimmte mit der

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SPD für den Antrag. Sie nahm die Steilvorlage, dass die SPD-Fraktion gegen die von ihr unterstützte Regierung handelte, gerne auf. Die übrigen Fraktionen, auch die, aus deren Reihen Regierungsmitglieder stammten, stimmten gegen den Antrag. Der Reichstag lehnte den Antrag mit 257 zu 202 Stimmen bei acht Enthaltungen ab.84 Schon vor der Abstimmung hatte sich abgezeichnet, dass der Antrag abgelehnt würde.85 Der Antrag war somit nicht nur von vornherein erfolglos, sondern auch ein Desaster für das öffentliche Bild der Regierung, des Reichstages und der SPD. Zugleich hatte die Partei ihre eigene Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit infrage gestellt. Sie hatte die eigenen Bemühungen um Koalitionspartner schwer belastet. Erst im April 1929, nach monatelangen Koalitionsgesprächen und einem zweimonatigen Rückzug des Zentrums aus der Regierung, wurde das Kabinett Müller vertraglich zur Koalitionsregierung. Das Zentrum war nun mit drei Ministern (von Guérard, Stegerwald, Wirth) vertreten. Doch blieb das Regierungsbündnis brüchig. Streit, vor allem um die Haushaltspolitik, um das Eingreifen in Arbeitskämpfe (»Ruhreisen-Streit«) und die Arbeitslosenversicherung, belastete weiterhin das Tagesgeschäft. »Wo die beginnende große Wirtschaftsdepression eine entscheidungsstarke, von einem gemeinsamen politischen Willen getragene Exekutive erforderte, erschien die Reichsregierung gelähmt und von den Partikularinteressen der nur scheinbar hinter ihr stehenden Koalitionsparteien bis zur Lächerlichkeit abhängig.«86 Die politischen Positionen der SPD und der DVP waren in vielem kaum vereinbar. Die eng mit den Gewerkschaften verbundene SPD war eine Arbeitnehmerpartei. Viele ihrer Abgeordneten waren Gewerkschaftsfunktionäre. Die DVP war das genaue Gegenteil der SPD  : Sie war die wirtschaftsfreundliche Partei und verfolgte einen rechtsliberalen, eher konservativen und demokratieskeptischen Kurs. Die DVP wurde vor allem von Unternehmern, Kaufleuten und Freiberuflern sowie höheren Beamten gewählt. Die Großindustrie unterstützte die DVP stark mit Spenden. Unter den DVP-Abgeordneten waren viele Wirtschaftsvertreter. Beispielsweise saßen  – neben Kaufleuten und Landwirten  – in der 4.  Wahlperiode für die DVP im Reichstag  : Wilhelm Kalle, der Inhaber eines Chemieunternehmens, Helmuth Albrecht, der Generaldirektor von Kaliwerken, Adolf Hueck, ein Bergwerksdirektor aus Gelsenkirchen, Rudolph Schneider, kaufmännischer Direktor und unter anderem Vorstandsmitglied des Verbandes Sächsischer Industrieller, Erich von Gilsa, der Leiter des Hauptstadtbüros der »Gutehoffnungshütte« in Oberhausen, sowie Otto Hugo, der Chefsyndikus der Industrie- und Handelskammer Bochum. Der Konflikt der SPD und der DVP belastete die Regierungsarbeit massiv. Erschwerend traten innerparteiliche Konflikte in der SPD und der DVP hinzu.

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Dem pragmatischen Reichskanzler Müller standen als linke Antipoden große Teile der SPD-Fraktion gegenüber. Der linke Flügel in Partei und Fraktion hing den marxistisch-sozialistischen Aussagen des Parteiprogramms an. Er erstrebte eine sozialistische Gesellschaftsordnung, zu der auch die Sozialisierung der Schlüsselindustrien und die Enteignung von Großbanken und Großgrundbesitzern gehören sollten. Den Linken stand der pragmatische Flügel gegenüber. Er setzte auf eine behutsame Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Den Pragmatikern lag es vor allem am Herzen, die Lebensverhältnisse der Arbeiter und Angestellten zu verbessern. Sozialistische Experimente waren ihnen fremd. Von einer grundstürzenden Gesellschaftsveränderung hielten sie nichts. Reichskanzler Hermann Müller personifizierte den pragmatischen Teil der Partei. Doch der linke Flügel zwang die zumeist eher pragmatisch ausgerichtete Partei- und die Fraktionsführung immer wieder zu Zugeständnissen. Außenminister Stresemann hatte unter anderem mit dem DVP-Fraktionsvorsitzenden Ernst Scholz zu kämpfen. Müller und Stresemann waren als Brückenbauer die Garanten für den Zusammenhalt des Regierungsbündnisses. Ihr Gesundheitszustand erlaubte es ihnen aber nicht, die Zügel immer fest in der Hand zu halten. Müller war im Sommer 1929 über ein Vierteljahr nicht in der Reichskanzlei. Stresemanns Gesundheit war seit jeher labil  : 1914 war er wehruntüchtig gewesen, nach seinem leidenschaftlich geführten Wahlkampf brach er im Sommer 1919 beinahe zusammen, und in den Folgejahren mußte er sich mehrfach zur Erholung und zur Behandlung seines Nierenleidens in Kurorte oder Sanatorien zurückziehen. Seine chronischen Leiden verschlimmerten sich natürlich durch seinen Drang, seine Führungsposition zu behaupten, durch die Arbeitsbelastung und den Erfolgsdruck, speziell während der endlosen Verhandlungen mit den Alliierten und im Reichstag. Während des Winters 1926/27 war sogar eine dreimonatige Ruhepause nötig gewesen. […] Doch selbst im folgenden Sommer hatte er sich noch nicht ganz erholt.87

In den Jahren 1928 und 1929 setzten sich die Gesundheitsprobleme fort. »Sein chronisches Nierenleiden wurde noch durch Herzschwäche und beginnende Arteriosklerose verschlimmert. […] Die Wahl von 1928 und die fortschreitende Krankheit bildeten die Zäsur in Stresemanns Karriere. Er sollte sich nie wieder ganz erholen.«88 Mehrmonatige Sanatoriums- und Kuraufenthalte unter anderem in Bühlerhöhe und San Remo waren weiterhin nötig. Sie halfen aber letztlich nicht, die Gesundheit des Außenministers wiederherzustellen. Nach einem schweren Schlaganfall starb Gustav Stresemann am 3. Oktober 1929. Sein Tod

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war für die deutschen Bemühungen, mit den Siegermächten eine Verständigung über Besatzung und Reparation zu erreichen, und für die Stabilität des Kabinetts ein schwerer Schlag. Stresemann hatte, wie schon erwähnt, die DVP überhaupt erst zu einer Beteiligung an der SPD-geführten Regierung bewegt. Er glich auch ständig parteiinterne Konflikte aus und hielt die DVP im Kabinett. Nach Stresemanns Tod wurde Ernst Scholz am 10.  Dezember 1929 zum Parteivorsitzenden gewählt. Unter seiner Führung entfernte sich die DVP politisch sehr rasch immer weiter von den anderen Regierungsparteien, vor allem von der SPD. Dies belegen Briefe und Aufzeichnungen aus dieser Zeit.89 Die DVP begab sich sehenden Auges auf Konfrontationskurs zur vermeintlich »marxistischen« SPD. »Sein [Stresemanns, P.A.] Tod demonstrierte geradezu, wie der Parlamentarismus im Vielparteiensystem auf Führungsbegabung angewiesen ist.«90 Sein Nachfolger ließ diese Begabung und den nötigen Instinkt vermissen. Durch die Weltwirtschaftskrise, die das Deutsche Reich mit großer Wucht erfasste, stieg die Arbeitslosigkeit schnell an. Im Januar 1929 waren noch 1,8 Millionen Menschen erwerbslos gewesen  ; im Januar 1930 hatte sich die Zahl um eine weitere Million erhöht.91 Das Reich hatte 1927, während einer wirtschaftlich besseren Lage, eine Arbeitslosenversicherung eingeführt. Die Beiträge von maximal 3 % des Arbeitslohns mussten Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte tragen. Die beitragsfinanzierte Arbeitslosenunterstützung wurde 26 Wochen lang gezahlt. Sie betrug ein Drittel bis drei Viertel des früheren Erwerbseinkommens. Bis zu 13 Wochen danach wurde eine steuerfinanzierte Krisenhilfe gewährt. An sie schloss sich die kommunale Fürsorge (»Wohlfahrt«) an. Sie war aus dem Haushalt der Wohnsitzgemeinde zu bestreiten. Durch die gestiegene Arbeitslosenzahl sank das Beitragsaufkommen, während die Kosten der Arbeitslosenhilfe stiegen. Dadurch geriet die Arbeitslosenversicherung an ihre finanziellen Grenzen. Die Parteien stritten, wie die Finanzierungslücke gefüllt werden sollte – ob durch Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen oder eine Beitragssatzerhöhung. Die SPD wollte die Versicherung ohne Einbußen erhalten. Sie plädierte für eine Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages auf mindestens 4 % des Einkommens. Die wirtschaftsnahe DVP wollte höhere Beitragsbelastungen für die Wirtschaft vermeiden. Sie forderte, den Beitragssatz nicht zu erhöhen, dafür aber die Leistungen für Arbeitslose zu kürzen. Ein Kabinettsbeschluss vom 5. März 1930 brachte keinen Frieden. Um den Streit zu beenden, legten der Fraktionsvorsitzende des Zentrums, Heinrich Brüning, und der geschäftsführende Fraktionsvorsitzende der DDP, Oscar Meyer, einen Kompromissvorschlag vor.92 Er benannte zwar die drei strittigen Regelungsansätze Beitragserhöhung, Leistungsabbau und Steuererhöhung, überließ die Einzel-

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heiten aber künftiger Konkretisierung.93 Als Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung wurden »3½ %« genannt. Erhöhungen blieben möglich. Der genannte Beitragssatz war 0,5 Prozentpunkte niedriger als der vom Kabinett vereinbarte und 0,25 Prozentpunkte niedriger, als die SPD-Fraktion mitzutragen bereit war. Das Zentrum, die DDP, die BVP und die DVP stimmten dem Vorschlag zu. Innerhalb der SPD – gegen Müller und die anderen Reichsminister – setzten sich Reichsarbeitsminister Wissell, der bereits im Kabinett opponiert hatte, der Parteivorsitzende Wels, der Gewerkschaftsflügel und linksgerichtete Abgeordnete mit ihrer Haltung durch  : Die SPD hielt am Kabinettsbeschluss vom 5. März 1930 fest und lehnte den Kompromissvorschlag Brüning/Meyer ab. Damit war die Situation festgefahren. Andere Vorschläge waren nicht zu erwarten. Der Streit ließ sich nicht beilegen, obwohl die Krisenlage es dringend erfordert hätte. Zu groß war die Bedeutung, die die SPD und die DVP dem Thema beimaßen. Nicht nur die Arbeitslosenversicherung war in eine finanzielle Schieflage geraten. Auch die Finanzen des Reichs, der Länder und der Gemeinden waren in schlechtem Zustand. Teilweise drohte die Zahlungsunfähigkeit. Der Regierung fehlte in den strittigen Fragen die Parlamentsmehrheit. Sie konnte den Reichstag nicht mithilfe von Notverordnungen des Reichspräsidenten nach Art. 48 Abs. 2 WRV umgehen. Hindenburg hatte es zuvor abgelehnt, das Kabinett Müller  II auf diese Weise zu unterstützen. Seine Berater und er strebten schon seit einiger Zeit ein SPD-freies Kabinett an. Der von einigen Regierungsmitgliedern empfohlene offene Kampf im Reichstag war von vornherein aussichtslos. Dem Reichskanzler blieb daher am 27. März 1930 nichts anderes übrig, als zurückzutreten. Die Vossische Zeitung titelte passend  : »Wissell besiegt Müller« und schrieb  : Nicht die Opposition, die machtlos war, hat die Mehrheitsregierung der Großen Koalition gefällt, die Gegner saßen im Kabinett. Von innen heraus ist es gesprengt worden. Nicht um eines großen politischen Gegensatzes willen, sondern wegen einer Differenz, deren Objekt 70 Millionen mehr oder weniger für die Arbeitslosenversicherung war. Versicherungsbeitrag von 3,5 oder 3,75 v. H.?94

Die SPD hatte durch »[d]iese Krise um ein Viertelprozent«95 ihren eigenen Kanzler gestürzt und sich selbst aus der Regierung genommen. Die SPD ist aber nicht allein für das Scheitern der Regierung Müller II verantwortlich. Auch die DVP trifft zu einem nicht geringen Teil die Schuld. Die Dauerkrise des Kabinetts Müller II zeigte die geringe Kompromiss- und Koalitionsfähigkeit der Weimarer Parteien wie unter einem Brennglas. Wieder einmal (und diesmal mit

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besonders verheerenden Folgen) hatte die grundsätzliche Kompromissunfähigkeit zum Sturz einer Regierung geführt. Doch nicht allein zwei Regierungsparteien versagten. Reichspräsident Hindenburg spielte ebenfalls eine ungute Rolle in dem Drama. Er stärkte Hermann Müller nicht den Rücken, obwohl die Regierung, auch wenn die DVP ausgeschieden wäre, eine Mehrheit von zehn Sitzen gehabt hätte. Hindenburg bot Müller auch nicht an, vom Notverordnungsrecht Gebrauch zu machen, um bestimmte Maßnahmen leichter durchzusetzen. Im Gegenteil  : Hindenburg nutzte den Rücktritt des Kabinetts Müller II, um die ihm genehmere Minderheitsregierung Brüning zu installieren. Das Verhalten von SPD und DVP sowie die jedermann noch vor Augen stehende schwierige Koalitionsbildung 1928/29 erleichterten es dem Reichspräsidenten, die Parteien und den Reichstag aus der Regierungsbildung auszuschalten und den Weg in eine Präsidialrepublik einzuschlagen. Entsprechende Pläne zirkulierten im Umfeld Hindenburgs schon seit einiger Zeit. Das Scheitern der Regierung Müller II beendete die parlamentarisch beeinflusste Regierungsbildung und eröffnete unmittelbar die Zeit der vor allem vom Wohlwollen des Reichspräsidenten abhängigen Regierungen, der sog. Präsidialkabinette. Hatte die Vossische Zeitung in ihrer Morgen-Ausgabe vom 30. März 1930 noch den Rücktritt der Regierung Müller gemeldet, berichtete sie in ihrer Abend-Ausgabe vom selben Tag schon vom Kabinett Brüning. Das Ende der parlamentarischen Regierungen ist folglich nicht allein ein Ergebnis des Parteiverhaltens96, sondern zumindest auch eine bewusste Entscheidung des Reichspräsidenten gewesen. Die Vorgänge um die Regierung Müller II stehen am Anfang vom Ende des demokratischen Reichstages. Die Gesetzgebungsarbeit bis zum Ende der Großen Koalition und die Störungen des Parlamentsbetriebs durch die Radikalen

Der 4. Reichstag verabschiedete trotz der Instabilität der Regierung Müller II und ihrer Parlamentsmehrheit viele Gesetze. Wichtige Gesetzesvorhaben, die den Weg in das Reichsgesetzblatt schafften, waren die Gesetze zum Young-Plan und das (zweite) Gesetz zum Schutze der Republik. Mit den Siegermächten eine Reparationsabrede (Young-Plan) erzielt und sie durch den Reichstag gebracht zu haben, woraufhin die alliierten Besatzungstruppen bis zum 1. Juli 1930 das Rheinland räumten, war die »Hauptleistung«97 der Regierung Müller. Der Reichstag beschloss die »Young-Gesetze« am 12. und das Republikschutzgesetz am 18. März 1930. Beiden Beschlüssen gingen erbitterte Debatten voraus. Generell gab es in der 4. Wahlperiode – wie auch in den vorherigen Jahren – im-

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mer wieder sehr unruhige Sitzungen. Das Sitzungsklima war weiterhin hitziger als etwa im Bundestag. Durch Tumulte versuchten die KPD und die NSDAP, die Sacharbeit, an der die republikloyalen Parteien interessiert waren, zu stören. In ihrem Verhalten zeigten auch die rechtskonservativen Abgeordneten der DNVP-­Fraktion und einige aus der Fraktion »Christlich-Nationale Arbeitsgemeinschaft« (ChrNA) ihre Abneigung gegen das parlamentarische System. Die ChrNA bestand aus den Reichstagsmitgliedern der CNBL sowie aus zwölf Abgeordneten, die im Streit mit dem Parteivorsitzenden Hugenberg am 3./4. Dezember 1929 aus der DNVP ausgetreten waren. Sie hatten sich wegen der zu großen Reichweite des Entwurfs eines »Freiheitsgesetzes« entzweit. Das Gesetz sollte es nach dem Willen seiner Befürworter (vor allem aus der NSDAP und der DNVP) ermöglichen, alle strafrechtlich zu belangen, die an der Verabschiedung des Young-Planes beteiligt waren. Die Initianten strengten einen (letztlich erfolglosen) Volksentscheid über dieses Gesetz an und nutzten ihn für antidemokratische Agitation. Abgeordnete der KPD und der NSDAP, aber in Einzelfällen auch der DNVP, waren häufig Adressaten von Ordnungsrufen und Sitzungsausschlüssen. Die KPD tat sich  – im negativen Sinne  – stärker als die NSDAP hervor, da sie deutlich mehr Sitze einnahm. Gravierende Beispiele für Störungen finden sich in den sogleich zu beschreibenden Debatten um die Young-Gesetze und um das zweite Republikschutzgesetz. Ein weiteres Exempel liefert die Plenarsitzung vom 12. Juni 1928. Abgeordnete der KPD und der NSDAP, aber auch der DNVP störten mehrfach massiv Reden von Reichsministern durch Lärm und Zwischenrufe.98 Den Republikfeinden gelang es aber nicht, die Gesetzgebung aufzuhalten. Sitzungsunterbrechungen oder -abbrüche waren in der 4. Wahlperiode ein äußerst seltenes Phänomen. Im Preußischen Landtag ereigneten sich ebenfalls immer wieder t­ umultartige Szenen. Beispielsweise berichtete die Vossische Zeitung über eine Sitzung vom 12. Juni 1928, die KPD, NSDAP und DNVP gemeinsam und abwechselnd massiv gestört hatten. Unter anderem wurde die preußische Polizei als »Gummiknüppel-Polizei« bezeichnet. Auf den Hinweis des Ministerpräsidenten Braun, die Polizeibeamten würden von ihrer Befugnis zur Aufrechterhaltung der Ordnung nachdrücklich auch dann Gebrauch machen, wenn sie beschimpft und beleidigt würden, entgegneten KPD-Abgeordnete in ihrem üblichen staatsfeindlichen und revolutionären Gehabe  : »Wir werden uns zu wehren wissen  !«99

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Der Young-Plan

Zu den wichtigsten Aufgaben der Weimarer Regierungen gehörte die Verständigung mit den Kriegsgegnern über die Reparationslasten des Deutschen Reiches. Dabei stand das Ansinnen im Vordergrund, zum einen erneute Konflikte zu verhindern und die Reparationslast möglichst niedrig zu halten. Mit dem 1924 deshalb in Kraft getretenen völkerrechtlichen Vertrag, der auf dem sog. Dawes-Plan basierte, waren die Vertragspartner unzufrieden. Im Juni 1929 hatte ein von Owen D. Young geleiteter Sachverständigenausschuss einen neuen Zahlungsplan für die Reparationen dargelegt. Die Reparationsverpflichtung sollte damit zufriedenstellender geregelt werden. Der Young-Plan sah vor, die Gesamtreparationssumme auf 112 Milliarden zu reduzieren. Der Betrag sollte in 59 Jahren abgezahlt sein. Die Jahresrate verringerte sich von 2,5 auf zwei Milliarden. In den ersten drei Jahren waren jeweils 1,7 Milliarden zu zahlen. Alle ausländischen Kontrollen sollten entfallen. Die alliierten Besatzer sollten das Rheinland bis zum 30. Juni 1930, also fünf Jahre früher als vorgesehen, räumen. Auf zwei Konferenzen im August 1929 und im Januar 1930 in Den Haag wurde der Plan in Vertragsform gegossen. Damit die völkerrechtlichen Vereinbarungen ratifiziert werden konnten, musste der Reichstag die Reichsregierung dazu ermächtigen. Er musste entsprechenden sog. Vertragsgesetzen zustimmen (Art. 45 Abs.  3 WRV). Die rechten und rechtsradikalen Kreise in Deutschland trommelten gegen die Young-Gesetze (»Bis in die dritte Generation müßt ihr fronen  !«). Sie strengten sogar eine Volksabstimmung im Dezember 1929 dagegen an. Diese blieb allerdings erfolglos. Das politische Klima war dennoch vergiftet. Befürworter und Gegner des Vertrages standen sich unversöhnlich gegenüber. Die Reichstagsdebatten zeigten den unüberbrückbaren Graben zwischen dem republikfeindlichen Lager und den die Republik tragenden Parteien. So meinte Joseph Goebbels  : »Die Deutsche Republik steht auf den Bajonetten der Franzosen  !«100 Der KPD-Abgeordnete Walter Stoecker bezeichnete den SPD-Abgeordneten Friedrich Stampfer, den Chefredakteur der SPD-Zeitung Vorwärts, als »einen ganz infamen Schwindler und Verleumder«.101 Der DNVP-Abgeordnete Quaatz musste wegen fortgesetzter Zwischenrufe bei einer Rede des DDP-Abgeordneten Dernburg den Saal verlassen.102 Der NSDAP-Abgeordnete Stöhr sprach von einer »ehrvergessene[n] Mehrheit«103  ; der NSDAP-Abgeordnete Feder meinte über die SPD  : »Der Landesverrat wird von ihr als Ehrentitel betrachtet  !«104 Der DNVP-Abgeordnete von Freytagh-Loringhoven äußerte sich herabsetzend über den Reichsminister Joseph Wirth (Zentrum)  : »Ich sehe in ihm einen beklagenswerten Mann, der einen solchen Mangel an Selbstzucht

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schon im Haag [gemeint sind die Verhandlungen in Den Haag, P.A.] und dann wieder hier zur Schau getragen hat, daß man ihn nicht voll verantwortlich machen kann.«105 Der DNVP-Abgeordnete Graf zu Eulenburg reagierte auf eine humorvolle Bezeichnung (»ostpreußisches Kaltblut«) durch den Abgeordneten Dernburg, der jüdische und evangelische Vorfahren hatte, mit einer antisemitischen Bemerkung  : »Was würden Sie denn sagen, wenn ich von Ihnen als Halbblut spräche  ? […] Ich würde mich an Ihrer Stelle lieber auf eine Diskussion über das Blut nicht einlassen.«106 Der NSDAP-Abgeordnete Strasser beschimpfte vor der Schlussabstimmung über die Young-Gesetze das Regierungslager  : »Wir klagen die Regierung und die sie stützenden Parteien vor dem deutschen Volke des vollendeten Volksverrats an.«107 Und er hetzte weiter  : »Wir werden vor dem Staatsgerichtshof des neuen Reichs die Köpfe derjenigen fordern, die die Young-Gesetze in vollkommener Mißachtung der deutschen Lebensnotwendigkeiten unterzeichnen werden.«108 Abgeordnete der Regierungsfraktionen verwahrten sich, zum Teil auch deftig109, gegen die Anfeindungen ihrer Politik und der Republik. Die NSDAP und die KPD beharkten sich auch gegenseitig. KPD-Abgeordnete riefen den Nationalsozialisten zu  : »Sie organisieren ja den Arbeitermord« und »Arbeitermörder seid Ihr  !«110 Aber dennoch hielten sich die Unruhe, die Zwischenrufe und die Zahl der erteilten Ordnungsrufe – im Vergleich zur Debatte um das zweite Republikschutzgesetz und zu früheren Sitzungen – im für den Weimarer Reichstag (leider) üblichen Rahmen. Schließlich verabschiedete der Reichstag die Vertragsgesetze. Der Young-Plan erlangte damit rückwirkend zum 1.  September 1929 Geltung. Da der Reichstag über mehrere der Gesetze oder Teile derselben namentlich abstimmte, sind wir über die Haltung der einzelnen Fraktionen und Parteien gut unterrichtet.111 Mit »Ja« stimmten bei allen Abstimmungen die Regierungsfraktionen mit Ausnahme der BVP, deren Mitglieder sich bei einigen enthielten oder sogar mit »Nein« votierten. Auf der Gegenseite standen die DNVP, die KPD, die NSDAP, die ChrNA, die DBP (mit einer Ausnahme), die DHP und die VRP. Die Wirtschaftspartei stimmte überwiegend mit »Nein«, zwei Mal auch mit »Ja«. Der von der KPD eingebrachte Misstrauensantrag gegen die Reichsregierung fand keine Mehrheit. Er wurde mit 276 zu 169 Stimmen abgelehnt.112 13 Abgeordnete enthielten sich. Von der BVP stimmten nur drei Abgeordnete mit »Nein«, einer sogar mit »Ja«, zehn enthielten sich.113 Die BVP als Regierungspartei war also mehrheitlich nicht bereit, ihr »eigenes« Kabinett zu unterstützen – ein weiterer Beweis dafür, wie fragil die Regierung Müller II war.

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Das zweite Gesetz zum Schutze der Republik

Der Reichstag hatte nach der Ermordung des Außenministers Rathenau durch Rechtsextremisten im Juli 1922 ein Republikschutzgesetz verabschiedet. Es war bis zum 22. Juli 1929 befristet worden. Anlässe für eine Fortschreibung des Gesetzes bestanden 1929 weiterhin. Mit der einsetzenden Wirtschaftskrise nahm die politisch motivierte, republikfeindliche Gewalt zu. Hauptverantwortliche waren die »bewaffneten Arme« der NSDAP und der KPD  : die rechtsradikale SA und der linksextreme RFB. Die Regierung Müller brachte einen Gesetzentwurf in den Reichstag ein. Er sah, wie schon das Vorläufergesetz, Strafvorschriften und ordnungsrechtliche Bestimmungen vor (Versammlungsverbot, Vereinsauflösung, Beschlagnahme von Druckschriften und Publikationsverbot für periodische Druckschriften). Da das Gesetz die Verfassung änderte bzw. durchbrach, benötigte es eine Zweidrittelmehrheit, bei einer Anwesenheit von zwei Drittel aller Reichstagsabgeordneten (Art.  76 WRV). Um diese beiden Quoren zu erreichen, brauchten die Koalitionsparteien die Zustimmung der Wirtschaftspartei. Die Partei versagte aber ihre Unterstützung, da ihr bestimmte politische Forderungen nicht erfüllt wurden. Die NSDAP und die KPD lehnten das Gesetz naturgemäß ab, da es sich gegen die Umtriebe ihrer Mitglieder richtete. Auch die DNVP und die ChrNA stimmten gegen den Gesetzentwurf. Er verfehlte am 28. Juni 1929 mit 263 Ja- und 166 Nein-Stimmen die Zweidrittelmehrheit.114 Die Wirkungsdauer des Gesetzes endete damit am 23. Juli 1929. Die Regierung Müller startete einen erneuten Versuch. Das Gesetz wurde so gefasst, dass es nicht mehr die Verfassung änderte. Damit war nur die einfache Mehrheit nötig. Zahlreiche Störungen begleiteten die Beratung des neuen Gesetzentwurfs. Sie gingen von Abgeordneten der radikalen Parteien KPD und NSDAP aus. Die DNVP und Teile der ChrNA unterstützten die Argumentation der Radikalen, hielten sich selbst aber mit Störungen zurück. Die erste Beratung (»Lesung«) des Gesetzes am 4.  Dezember 1929 war eine der unruhigsten Sitzungen des Reichstages überhaupt. Reichsinnenminister Carl Severing versuchte, den Gesetzentwurf zu begründen. Vor allem KPD-Abgeordnete störten die Sitzung. Sie versuchten durch Schreien, Reden zu verhindern.115 Severing wurde als »der faschistische Henker« beleidigt.116 Der sitzungsleitende Präsident musste die Sitzung innerhalb von etwas mehr als zwei Stunden sechs Mal (!) unterbrechen.117 Er schloss 25 kommunistische Abgeordnete aus. Als Folge der Sitzung änderte der Reichstag am 11. Dezember 1929 die §§ 91, 95 GO-RT118 und am 18. Dezember 1929, mit 315 zu 105 Stimmen, das Gesetz über die Entschädigung der

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Mitglieder des Reichstags119. Nunmehr war ein Sitzungsausschluss für bis zu 30 Sitzungstage möglich. Weigerte sich das ausgeschlossene Mitglied, den Saal zu verlassen, war es für weitere 30 Tage ausgeschlossen. Während des Sitzungsausschlusses ruhte der Anspruch auf Diäten und auf die Nutzung der Freifahrtkarte.120 Die KPD, die DNVP, die NSDAP und Teile der ChrNA stimmten naturgemäß gegen die Änderungen. Zu einer Befriedung der Debatte trugen die Rechtsänderungen nur wenig bei. Bei der zweiten Beratung zum Republikschutzgesetz am 13.  März 1930 gab es wieder zahlreiche Zwischenrufe und viel Unruhe vonseiten der KPD und der NSDAP sowie mehrere Ordnungsrufe. Nachdem der KPD-Abgeordnete Hermann Remmele den Reichstagspräsidenten mehrfach als »Schwindler« bezeichnet hatte, wies ihn Löbe aus dem Saal.121 Auch Ernst Thälmann musste den Saal verlassen, nachdem er den Reichsinnenminister als »Feigling« bezeichnet und zuvor schon beschimpft hatte.122 Joseph Goebbels hetzte in seiner Rede gegen die Republik und die staatstragenden Parteien. Er beleidigte die Regierungsparteien als »landesverräterisch« und meinte, die SPD habe »den Landesverrat sozusagen salonfähig gemacht«.123 Das Republikschutzgesetz sei »der Versuch, unbequeme Kritik niederzuknütteln und die Korruption dieser Republik zu beschützen.« Nachdem Goebbels für die vorgenannten Behauptungen zwei Ordnungsrufe erteilt worden waren, führte er aus  : »Der Marxismus vor dem Kriege hat mit unanständigen Mitteln einen anständigen Staat vernichtet, und wir wollen heute mit anständigen Mitteln einen unanständigen Staat beseitigen.«124 Für diese den Staat und die Sozialdemokraten beleidigenden Sätze entzog Löbe Goebbels das Wort.125 Leider ging es in diesem »Stil« weiter. Als der SPD-Abgeordnete Landsberg sich mit der KPD befasste und deren Mitglied Dreher vorhielt, er wisse von einem früheren Sachverhalt nichts, weil dieser »damals noch Mädchenkleider getragen« habe, rief Dreher derb dazwischen  : »Sie haben damals noch beschissene Hosen gehabt  ! Aber daß Sie so ein grauer Esel geworden sind, dafür kann ich nicht  !« Löbe verwies Dreher umgehend des Saales.126 Der Abgeordnete Pfaff (KPD) musste »wegen fortgesetzter Störungen« den Plenarsaal verlassen.127 Die Sitzung endete schließlich wegen Beschlussunfähigkeit. Die dritte Beratung fünf Tage später verlief ruhig.128 Der Reichstag stimmte über zwei Paragrafen des zweiten Republikschutzgesetzes und in der Schlussabstimmung über das gesamte Gesetz namentlich ab. Dabei wurde die Frontstellung im Parlament und in der Republik sichtbar  : Dafür stimmten die Regierungsparteien und die DBP (zusammen 265), dagegen die KPD, die DNVP, die N ­ SDAP, die Wirtschaftspartei, die ChrNA sowie die anwesenden Mitglieder der DHP

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4  Die Sonntagsbesprechung der Parteiführer mit dem Kabinett Müller II im Zeppelinzimmer des Reichstages. Zu sehen sind unter anderem Reichsjustizminister Erich Koch-Weser (DDP, 2. von links), Reichsarbeitsminister Rudolf Wissell (SPD, 3 .von links), der Chef der Reichskanzlei Hermann Pünder (4. von links), Reichskanzler Hermann Müller (SPD, in der Mitte) und Otto Wels (SPD, ganz rechts). © Erich Salomon, Berlinische Galerie, BG-ESA 634.

und der VRP (zusammen 149 bzw. 150 Stimmen). Das zweite Republikschutzgesetz129 trat am 26. März 1930 in Kraft. Befristet war es gemäß seinem § 15 bis zum 31. Dezember 1932. Es war eines der letzten Gesetze aus der Feder der Regierung Müller.

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4 Semiparlamentarismus Die schleichende Entmachtung des Reichstages ab Juli 1930

Reichskanzler Hermann Müller war am 28.  März 1930 mit seinem Kabinett zurückgetreten. Die erste Phase der Entmachtung des Reichstages begann wenige Monate später  : am 18. Juli 1930. Sie war nur möglich durch einen Schritt, den der Reichspräsident nach dem Rücktritt Müllers machte. Paul von Hinden­ burg ernannte am 30. März 1930 Heinrich Brüning, den Vorsitzenden der Zentrumsfraktion im Reichstag, zum Reichskanzler. Brüning war gewillt, parlamentarische Mehrheiten für Gesetzentwürfe zu organisieren, aber, wenn dies nicht gelänge, auch gegen den Reichstag zu regieren. Hindenburg war bereit, ihn dabei mit den präsidialen Machtmitteln (dem Auflösungsrecht, Art. 25, und dem Verordnungsrecht, Art. 48 Abs. 2 WRV) zu unterstützen.1 Viele sind der Ansicht, schon die Ernennung Brünings stelle eine Zäsur für die Weimarer Republik dar.2 Ich meine, dass der tiefe Einschnitt wenige Monate später, nämlich mit der Auflösung des 4. Reichtages im Juli 1930, erfolgte. Der Reichspräsident und »Ersatzkaiser« Paul von Hindenburg Der Reichspräsident nahm, indem er nacheinander Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher sowie Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte und ihnen die präsidialen Machtmittel (Art. 25 und Art. 48 Abs. 2 WRV) zur Verfügung stellte, entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Weimarer Republik. Er gehörte zu den »Totengräbern« der deutschen Demokratie und des deutschen Parlamentarismus. Er war mitverantwortlich für die schleichende Entmachtung des Reichstages bis 1933. Hindenburg ist eine Zentralgestalt der in diesem Buch beschriebenen Entwicklung. Ohne ihn hätte die deutsche Geschichte einen anderen Verlauf genommen. Wer war dieser Mann  ? Was trieb ihn an  ? Paul von Beneckendorff und von Hindenburg, geboren 1847 in Posen als Sohn eines preußischen Offiziers, entstammte einer ostpreußischen Adelsfamilie und hatte sein gesamtes Berufsleben als Soldat verbracht. Schon 1911 war er in den Ruhestand getreten. Die Kriegsereignisse brachten ihn 1914 zurück in den aktiven Dienst. Als Sieger über das russische Heer in Ostpreußen, als »Held von Tannenberg«, erwarb er sich große

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Beliebtheit im Volk. Schließlich berief Kaiser Wilhelm II. den fast 70-Jährigen im August 1916 an die Spitze der (seit 1914 3.) OHL. Hindenburgs Stellvertreter und Erster Generalquartiermeister war Erich Ludendorff. Letzterer war der eigentliche Kopf der 3. OHL, Generalfeldmarschall von Hindenburg eher das preußisch-monarchistische Aushängeschild. Hindenburg war seit 1925 Reichspräsident. Er hatte sich im zweiten Wahlgang gegen den Zentrumspolitiker Wilhelm Marx durchgesetzt. Ein Republikaner oder Anhänger des parlamentarischen Regierungssystems war Hindenburg nie. Er war zeit seines Lebens überzeugter Monarchist. Dem Leiter der Presseabteilung der Reichsregierung (»Reichspressechef«) Walter Zechlin, der ihm häufig über die Presselage Bericht erstattete, sagte Hindenburg bei ihrer ersten dienstlichen Besprechung  : »Ich bin Soldat und Monarchist. Was soll ich denn nach meinem Lebensgang und als 79jähriger Mann etwas anderes sein  ?«3 Vor seiner Bewerbung um das Amt des Reichspräsidenten 1925 bat er sogar den ehemaligen Kaiser Wilhelm  II. um Erlaubnis. Gleichwohl leistete Hindenburg nach seiner Wahl den Eid auf die Reichsverfassung. Er war bemüht, diesen einzuhalten und nicht die Verfassung zu brechen. Die politischen Vorlieben des Reichspräsidenten waren von Beginn seiner Amtszeit an erkennbar  : So weit wie möglich sollte die DNVP in die Regierungsarbeit einbezogen und die SPD herausgehalten werden. Plänen, Art. 48 WRV mit einem Ausführungsgesetz zu konkretisieren (und einzugrenzen), erteilte Hindenburg 1926 eine Absage. »Bereits in den ersten Jahren der Präsidentschaft Hindenburgs lassen sich […] Dispositionen und Tendenzen erkennen, die dann nach 1929 in einer veränderten politischen Gesamtkonstellation voll zum Durchbruch kamen.«4 Hindenburg war mit der weiten Auslegung seiner Befugnisse, wie sie ab März 1930 geschah, einverstanden. Große politische Impulse gingen von Hindenburg nicht aus. Er war eher der Adressat der Pläne anderer, die er dann billigte oder verwarf. Um informierte Entscheidungen treffen zu können, hielt er sich über das politische Geschehen ständig auf dem Laufenden, vor allem durch Aktenstudium und Vorträge des Reichskanzlers, der Reichsminister und von Ministerialbeamten.5 Aus den Akten der Reichskanzlei und den Erinnerungen ehemaliger Regierungsmitglieder und hoher Beamter geht hervor, wie sehr Hindenburg ab 1929/30 zum Mittelpunkt der Regierungspolitik wurde – weniger als Ideengeber denn als Letztentscheider. Dieses Verhalten lässt sich mit seiner Biografie und seinem beruflichen Werdegang erklären. Hindenburg war mit Leib und Seele Soldat. Das bestätigten alle Zeitgenossen, die mit ihm zu tun hatten. Seine Geistesgaben standen nach Ansicht des ehemaligen Reichswehrministers Otto Gessler, der oft mit ihm zusammentraf, »über dem Durchschnitt«, waren aber »ganz einseitig militä-

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risch geschult.«6 Für Parteipolitik, Kabinettskrisen und das Parlament brachte er (jedenfalls nach außen hin) kein Verständnis auf. Zu Gessler sagte er  : »Mir als altem Soldaten liegen diese taktischen Manöver nicht.«7 Die soldatischen Prinzipien von Pflichterfüllung, Pünktlichkeit sowie von Befehl und Gehorsam hatten sich ihm tief eingeprägt. Dazu kam eine schlichte Frömmigkeit. Diese Prinzipien ergänzten sich mit althergebrachtem Standesdenken. Hindenburg anerkannte und nutzte die geistigen und fachlichen Fähigkeiten anderer Menschen. Aber es gab im Umgang mit anderen  – sei es Generälen oder Ministern  – »irgendwo immer noch eine Reserve, wo sich Hindenburg früher als militärischer Vorgesetzter, später als Oberhaupt des Reiches fühlte.«8 Er stand gewissermaßen wie selbstverständlich über ihnen. Zur Bevölkerung und zu den Medien wahrte er Distanz. Dabei war ihm die öffentliche Meinung durchaus wichtig. Mit seinem Werdegang, mit seinem Standesdenken – das sich in der Wertschätzung von Zeremoniell und Etikette, seiner selbstbewussten Autorität und einer Distanz zu anderen äußerte –, mit seinen konservativen bis reaktionären politischen Ansichten sowie mit seinem Amts- und Lebensstil gehörte Hindenburg »mehr dem 19. als dem 20.  Jahrhundert an.«9 Er war ein »Exponent des alten Systems«10. Hindenburg verzichtete auf Auslandsreisen und nutzte die technischen Möglichkeiten seiner Zeit, sogar das Telefon, nur wenig.11 Er übte sein Amt wie ein personifiziertes Staatssymbol, wie ein »Ersatzkaiser«, aus. Presseinterviews gab Hindenburg bald nicht mehr. Seine Wahlkämpfe 1925 und 1932 haben im Wesentlichen andere für ihn geführt. Vom Ersten Weltkrieg bis zu seinem Tod im August 1934 war Hindenburg vor allem eine Projektionsfläche. Er stand für Verlässlichkeit, Sicherheit und andere »traditionelle Werte«. »Er war in jedem Zoll, in einem sehr noblen Sinn ein Herr, wie geschaffen zur Rolle eines Souveräns.«12 Seine Körpergröße von 1,98 Metern und seine kaum zu erschütternde Ruhe (»Mann ohne Nerven«) vertieften diesen Eindruck noch. Seine große Schwäche waren sein Charakter und seine politischen Einstellungen und nicht seine Geisteskraft. Horst Möller hat mit Recht klar ausgesprochen, dass Hindenburg auch wegen charakterlicher Schwächen kein geeigneter Reichspräsident der Republik sein konnte.13 Ohne Bedenken hatten Hindenburg und Ludendorff sich von der Verantwortung für die Kriegsniederlage freigezeichnet, indem sie die Dolchstoßlegende in die Welt setzten und die Schuld an der Niederlage angeblichen »Volksverrätern« an der »Heimatfront« (im Reichstag und in den Parteien) zusprachen. Außerdem war Hindenburg wegen seiner Einstellung, dass Kanzler und Minister seine Untergebenen seien14, notorisch illoyal.15 Dies mussten die Reichskanzler Müller, Brüning, Papen und Schleicher

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erfahren, die sich zuvor einer auch gegenüber Dritten geäußerten Wertschätzung zu erfreuen schienen. Hindenburgs Umfeld  : die »Kamarilla«

Spätestens ab dem Ende der 1920er Jahre gewannen ihm persönlich oder dienstlich nahestehende Personen Einfluss auf den »alten Herrn«. Sie wurden manches Mal zu einer »außerparlamentarischen Nebenregierung«16. Das Umfeld des Reichspräsidenten wurde, nach dem spanischen Wort für das Privatkabinett des Königs, »Kamarilla« genannt. Zu Hindenburgs Umfeld gehörten sein Sohn Oskar, sein Staatssekretär Otto Meissner (auch  : Meißner), der Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium Kurt von Schleicher, der Großgrundbesitzer Elard von Oldenburg-Januschau und der preußische Landtagsabgeordnete und spätere Reichskanzler Franz von Papen. Oskar von Hindenburg war Reichswehroffizier. Er wurde als Adjutant seines Vaters tätig. Mit seiner Familie lebte er im Reichspräsidentenpalais. Ihm oblag die Pflege der privaten und militärischen Kontakte seines Vaters. Kurt Tucholsky nannte ihn den »in der Verfassung nicht vorgesehenen Sohn des Reichspräsidenten.« Der französische Botschafter André François-Poncet, ein intimer Kenner Deutschlands und der politischen Verhältnisse, beschrieb Oskar von Hindenburg als »Mann mit groben Gesichtszügen, von hartem Wesen, mit wenig Kenntnissen, ebenso groß und von ebenso schwerem Körperbau wie der Vater, aber ohne dessen vornehme Art«17. Pünder meinte über ihn, er sei »eine recht gefährliche Figur, wohl kein Intrigant, aber recht töricht und von ziemlichem Einfluß auf seinen Vater.«18 Brünings Erinnerungen gehen in dieselbe Richtung.19 Hindenburgs Staatssekretär Otto Meissner kümmerte sich um die dienstlichen Belange (die verfassungsrechtlichen und Verwaltungsangelegenheiten) des Amtes, aber auch um politische Fragen. Der ausgewiesene Verfassungsjurist hatte schon Friedrich Ebert gedient – und sollte auch unter Hitler sein Amt behalten. François-Poncet meinte über ihn  : »mit stets gerötetem Gesicht apoplektisch, feist, steif, in seinem Anzug immer irgendwie beengt, den Blick hinter den Brillengläsern verborgen, eine merkwürdige Erscheinung«20. Wie seine eigenen Erinnerungen und die Memoiren mehrerer Zeitgenossen zeigen, war Meissner sehr einflussreich. Ein bloß ausführender Beamter war er nicht. Elard von Oldenburg-Januschau war nur wenige Jahre jünger als Hindenburg, stammte wie dieser aus Ostpreußen und hatte als preußischer Offizier gedient. Daher verwundert es nicht, dass er nach seinen eigenen Worten »ein im Haus des Reichspräsidenten oft gesehener Gast« war. Hindenburg habe ihn im Ge-

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genzug auch zu Hause besucht, so dass sie »in einem steten und regen Austausch der Gedanken begriffen« gewesen seien. Sein Einfluss, so Oldenburg-Januschau, sei dennoch geringer gewesen, als oftmals vermutet worden sei. Seinen »Versuchen, während der Reichspräsidentenjahre auf Hindenburg politischen Einfluß zu gewinnen, [sei] nur in den wenigsten Fällen Erfolg beschieden« gewesen. Seine Versuche hätten »auf eine Beseitigung des Parlamentarismus und Herstellung einer Diktatur« abgezielt. Sie seien »in den ersten Jahren zum Scheitern verurteilt« gewesen.21 »Erst später, als die Entwicklung sich selber ihren Weg gesucht hatte, und die Beschlüsse des Reichstages durch Notverordnungen abgelöst waren, [sei] das erste Eis gebrochen« gewesen. Vor »weiteren Schritten«, gemeint ist wohl eine Beseitigung des Parlaments, habe sich Hindenburg aber lange gescheut.22 Franz von Papen trat erst 1932 als Reichskanzler in Hindenburgs Umfeld ein. Sein Charakter wird im fünften Teil näher beleuchtet. Papen, Oskar von Hindenburg und Kurt von Schleicher waren Kameraden auf der Kriegsakademie und duzten sich. Schleicher hatte durch seine Freundschaft mit Oskar von Hindenburg einen direkten Zugang zum Reichspräsidenten. Kurt von Schleicher war eine der einflussreichsten Personen, wenn nicht sogar der einflussreichste Mann der »Kamarilla«. Otto Meissner meinte rückblickend, er sei »einer derjenigen Staatsmänner [gewesen], die in dem Jahrzehnt vor Hitlers Aufstieg zur Macht einen maßgeblichen Einfluß auf die deutsche politische Entwicklung ausübten.«23 Schleicher hatte in den Jahren ab 1929 einen äußerst starken Einfluss auf Hindenburg, damit auf das Schicksal dreier Reichskanzler und der Weimarer Republik insgesamt. Schleicher war Berufsoffizier. Er war 1928 Chef der Wehrmachtsabteilung und danach Chef des Ministeramts im Reichswehrministerium, also gewissermaßen Staatssekretär, geworden. Er war der engste Mitarbeiter des Reichswehrministers Wilhelm Groener. Dieser hatte Hindenburg im Ersten Weltkrieg in verschiedenen Funktionen, zuletzt ab 26. Oktober 1918 als Erster Generalquartiermeister (und Nachfolger Ludendorffs), gedient. Schleicher arbeitete für Groener schon seit 1913 und 1918/19 dann als dessen politischer Referent. In der Weimarer Republik vertiefte sich die gemeinsame Tätigkeit noch. Schleicher »war sehr begabt, sehr fleißig und in allen taktischen Verhandlungskünsten wohlerfahren. Darin ergänzte er den schwerfälligeren Groener aufs beste, der ihm gerne die ihm unbequemen Aussprachen überließ.«24 Groener nannte Schleicher seinen »Kardinal in politicis«.25 Jedoch hatte der aufstrebende »Kardinal«, »ein Meister der kleinen Runden«26, einen zwiespältigen, um nicht zu sagen zweifelhaften Charakter  : »Seine reichen gesellschaftlichen Gaben, sein sprühender Witz und sein Humor machten ihn

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zu einem gern gesehenen Gast in der Berliner Gesellschaft. Allerdings paarten sich diese glänzenden Gaben in steigendem Maße mit Sarkasmus und zynischer Menschenverachtung. […] er spielte mit Menschen  !«27 André François-Poncet, seit 1931 französischer Botschafter in Berlin, beschrieb Schleicher so  : Er gilt als Meister der politischen Intrige, ist mehr gefürchtet als geliebt, auch in der Armee, in der man ihm ein zu rasches Vorwärtskommen vorwirft, eine Karriere, die er sich nicht auf den Schlachtfeldern verdient habe. Er gilt als Realist und Zyniker. Kahl, von auffallender Blässe, gleicht sein Gesicht einer Maske mit zwei stechenden Augen. Aus diesem etwas gedunsenen Gesicht treten seine Züge nicht deutlich hervor  ; seine schmalen Lippen sind kaum sichtbar. Alles das spricht nicht zu seinen Gunsten. Aber etwas ist für ihn charakteristisch  : seine schönen Hände. Er spricht schroff, ohne Umschweife, zeigt aber in der Unterhaltung kaustischen, oft geistreichen Spott. Er lacht gern und laut. Man bezichtigt ihn der Falschheit, der Hinterhältigkeit. Ich selbst habe nie festgestellt, dass er versucht hätte, mich zu täuschen  ; die Angaben, die er mir gelegentlich, übrigens selten, machte, erwiesen sich als richtig. Er besaß eine lebhafte und rasche Auffassungsgabe, einen Verstand, der den Dingen auf den Grund ging.28

Die Beschreibung Otto Meissners, der mit Schleicher sehr häufigen Umgang hatte, liest sich ähnlich  : ein kluger und klarer Kopf, ein witziger und geistvoller Gesellschafter, ein Mann weitreichender Verbindungen mit allgemein anerkanntem Verhandlungsgeschick. […] Als Freund und Verbündeter war er unzuverlässig. Bei der Verfolgung seiner Ziele ging er skrupellos auch über seine Freunde und alte Mitarbeiter hinweg, wenn sie seinen Zwecken im Wege standen. […] Durch seine sarkastischen und spöttischen Kritiken machte er sich manchen Feind.29

Schleicher war äußerlich und innerlich  – wie die meisten Mitglieder der Kamarilla – ein Kind des Kaiserreiches  : ein adliger Absolvent der Kriegsakademie und begeisterter Reiter, der gerne morgens im Tiergarten ausritt. Sein gesamtes Berufsleben hatte er im Militär verbracht. So verwundert es nicht, dass er statt der parlamentarischen Demokratie eine »autoritäre Elitendiktatur«30 befürwortete. Sie sollte von einem mit den präsidialen Machtmitteln regierenden Präsidialkabinett, einem »Hindenburg-Kabinett«, durchgesetzt werden. Das Militär sollte ausgebaut werden und eine einflussreiche Rolle im Staat spielen. Bereits nach dem erfolgreichen Misstrauensantrag gegen das Kabinett Marx III im Dezember 1926 hatte Schleicher Hindenburg für den Fall, dass es nicht gelingen

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sollte, eine Regierung mit der DNVP zu bilden, vorgeschlagen, den Reichstag aufzulösen und mithilfe des Art. 48 Abs. 2 WRV Recht zu setzen. Nach Auskunft Meissners war Schleicher »überzeugter Monarchist, eng befreundet mit dem Kronprinzen«, der aber »[n]ach der anderen Seite« stets betont habe, »daß die Frage Republik oder Monarchie keine aktuelle Angelegenheit sei und der späteren Entwicklung überlassen bleiben müsse.«31. Heinrich Brüning hat den zweifelhaften Charakter Schleichers in seinen Memoiren ebenfalls eingehend geschildert.32 Hindenburgs geistige und körperliche Gesundheit

Zur Begründung dafür, dass bestimmte Personen Einfluss auf Hindenburg bekommen konnten, wird oftmals auf den Geisteszustand des Reichspräsidenten hingewiesen. Es fallen dann Begriffe wie »greise«, »körperlich hinfällig« oder »senil«. Der »alte Herr« habe vieles nicht mehr überschaut.33 Er habe sich daher weitgehend in die Hände anderer begeben und auf deren Rat vertraut. Sein Staatssekretär Otto Meissner hat demgegenüber behauptet, Hindenburg sei »bis wenige Tage vor seinem Tode im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten« gewesen.34 Ähnliches berichtete der Hausarzt Hindenburgs, Hugo Adam.35 Hermann Pünder, der als Staatssekretär in der Reichskanzlei den Reichspräsidenten ebenfalls häufiger sah, vermerkte in seinem Tagebuch 1932 an mehreren Stellen die körperliche und geistige Frische Hindenburgs.36 Bei aller Vorsicht gegenüber Meissners Bewertungen, die dieser nach dem Zweiten Weltkrieg aufschrieb, als er kein Interesse daran hatte, als einer der Einflüsterer dazustehen, die möglicherweise Hitlers Ernennung verschuldet hatten  : Pünders Eindrücke sind glaubhaft, da sie unmittelbar und ohne Kenntnis des Kommenden in das private Tagebuch eingetragen wurden. Hindenburg scheint bis kurz vor seinem Tod geistig zurechnungsfähig gewesen zu sein.37 Er wusste, dass er Hitler und sein Kabinett ernannte  ; er hatte Vorbehalte, die in den Akten nachzulesen sind  ; er hatte Gründe, die ihn bewogen, Hitler doch zu ernennen. Natürlich ist bei der Bewertung seines Verhaltens in Rechnung zu stellen, dass er ein sehr alter Mann war. Bilder und Filmaufnahmen belegen dies. Bei seiner Wiederwahl 1932 stand er im 85.  Lebensjahr. Er war körperlich angeschlagen. Sicherlich war er zu bestimmten Tageszeiten oder an manchen Tagen fitter als an anderen. Eine übergroße geistige Regsamkeit wird man ihm in den 1930er Jahren nicht mehr attestieren können. Erschwerend kommt hinzu, dass Hindenburg seit Jahrzehnten auf bestimmte Regeln und Vorstellungen festgelegt war, die er nie ablegte. Die geistige Verkrustung machte es den Einflüsterern manches Mal leicht, den Reichspräsidenten von einer

Der Reichspräsident und »Ersatzkaiser« Paul von Hindenburg 

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Idee zu überzeugen. Er hat sicherlich zu oft auf den Rat bestimmter Personen gehört und sich damit begnügt. Unzurechnungsfähig war er aber keineswegs, zumal sich die Ratschläge seines Umfelds zumeist mit Hindenburgs eigenen politischen Vorstellungen deckten. Schleicher, die wohl umtriebigste Person in Hindenburgs Umgebung, betonte gegenüber Pünder am 6. Oktober 1932 die »Eigenwilligkeit des Reichspräsidenten von Hindenburg, auf den in den allerletzten Dingen niemand Einfluß habe«38 – was der »alte Herr« durch seine mehrfach im Jahr 1932 ausgesprochene Weigerung, Hitler zu ernennen, bewies. Der Schwenk zum Präsidialkabinett

Hindenburgs Präsidentschaft lässt sich in zwei Abschnitte einteilen  : die Zeit von 1925 bis 1929/30 und die Zeit danach. In den ersten Jahren übte Hindenburg sein Amt getreu der Verfassung aus. Er hielt sich mit politischer Einmischung im Wesentlichen zurück. Dies fiel ihm leicht, da zum einen ihm genehme bürgerliche Mitte-rechts-Kabinette ohne Beteiligung der SPD amtierten und zum anderen die wirtschaftliche und soziale Lage während der »Goldenen Zwanziger« keine tiefgreifenden Reformen erforderlich erscheinen ließ. Der Wechsel vom parlamentarischen Mehrheitskabinett Müller zur Präsidialregierung Brüning geschah nur äußerlich ad hoc. Hinter den Kulissen war das Revirement schon länger vorbereitet worden. Seit dem Ende der 1920er Jahre kursierte in rechten Kreisen, auch im Umfeld Hindenburgs, die Idee, das parlamentarische Regierungssystem durch ein autoritäres Präsidialsystem zu ersetzen. Der Einfluss der SPD und der Gewerkschaften – in rechten Kreisen als »Marxisten« bezeichnet – sollte gebrochen werden. Der Programmsatz, den etwa die DNVP auf einem Wahlplakat zur 4. Reichstagswahl am 20. Mai 1928 verwendete, hieß  : »Mehr Macht dem Reichspräsidenten  !« Der DNVP-Vorsitzende Kuno Graf von Westarp forderte in seinem Aufsatz »Zehn Jahre republikanische Unfreiheit«39 eine Verfassungsreform, um die Rechte des Reichstages (etwa durch Abschaffung des Misstrauensvotums) zu reduzieren und den Reichspräsidenten zu stärken. Die Unterstützer des Präsidialregimes erhofften sich zum einen die Rückkehr zu den (vermeintlich) von Hindenburg verkörperten traditionellen Werten und einer starken Weltmacht, zum anderen glaubten sie, soziale und wirtschaftliche Krisen könnten durch eine »starke Führung« am besten überwunden werden. Die Problemlösungsfähigkeit des Reichstages und der Parteien sahen rechte Kreise als gering an. Ohnehin lehnten sie die parlamentarische Republik als Regierungsform prinzipiell ab. Auch der Einfluss der früheren »Reichsfeinde«, der Sozialdemokraten und des politischen Katholizismus, war ihnen verhasst. Das Fernziel war für viele die

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Wiederherstellung der Monarchie.40 Hindenburg lebte ebenfalls in dieser Ideen­ welt, wenngleich er seinen Eid auf die Weimarer Verfassung ernst nahm und unklar bleibt, ob er wirklich eine Rückkehr der Hohenzollern anstrebte. Seine enge Verbundenheit mit der alten preußischen Dynastie ist jedenfalls unbestritten. Ohne Zweifel wollte Hindenburg den »starken Staat«, das starke Deutsche Reich. Mit einem Präsidialregime, wie es ihm Schleicher u.a. empfahlen, war er daher einverstanden. Am 13.  März 1929 eröffnete er Kuno Graf von Westarp, dem Fraktionsvorsitzenden der DNVP, seine Absicht, ohne und gegen die SPD zu regieren.41 Heinrich Brüning berichtet in seinen Memoiren, Schleicher habe ihn nach Ostern 1929 informiert, Hindenburg sehe die Gefahr, dass die ganze Innen- und Außenpolitik im Sumpfe verlaufe. Er sei entschlossen, zusammen mit der Reichswehr und den jüngeren Kräften im Parlament die Dinge vor seinem Tode in Ordnung zu bringen. […] Der Reichspräsident […] würde das Parlament im gegebenen Augenblick für eine Zeit nach Hause schicken und in dieser Zeit mit Hilfe des Artikels 48 die Sache in Ordnung bringen.42

Im Dezember 1929 teilten Schleicher und Meissner Brüning mit, dass Hindenburg das Kabinett Müller nach der Verabschiedung des Young-Plans nicht mehr im Amt belassen wolle. An den Planungen waren auch Reichswehrminister Wilhelm Groener und der ehemalige Marineoffizier und Reichstagsabgeordnete Gottfried Treviranus beteiligt. Treviranus war 1929 aus der DNVP ausgetreten und gehörte der 22-köpfigen ChrNA-Fraktion an. Er berichtete in einem Buch über »Das Ende von Weimar« und Heinrich Brüning, Schleicher habe ihm und Brüning bei einer Abendeinladung am zweiten Weihnachtsfeiertag 1929 mitgeteilt, die »Zeit für Koalitionskabinette [sei] vorbei«. Ein Präsidialkabinett, das den Reichstag auflösen lassen und mithilfe des Art. 48 WRV Recht setzen könne, sei zur Überwindung der Krise nötig.43 Am 15. Januar 1930 ließen Hindenburg und Meissner gegenüber Westarp ihre Absicht erkennen, eine »antimarxistische« und »antiparlamentarische« Regierung ohne die SPD einzusetzen.44 Hindenburgs Verhalten im März 1930 belegt die schon länger gehegten Pläne. Er gestand Müller, anders als dessen sämtlichen Nachfolgern, nicht die Unterstützung durch die präsidialen Machtmittel zu. Außerdem ernannte er nach Müllers Rücktritt nicht einen Sozialdemokraten, sondern einen Zentrumsmann zum Reichskanzler. Er sprach nicht einmal mehr mit der SPD. Hindenburg versuchte nicht einmal, eine Regierung zu ernennen, die eine Reichstagsmehrheit hinter sich versammelte hätte. Stärker konnte der Reichspräsident seine Abneigung gegen die SPD und das parlamentarische Regierungssystem nicht zeigen.

Der Reichspräsident und »Ersatzkaiser« Paul von Hindenburg 

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Mit der Ernennung Brünings ohne Rücksicht auf die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag brach Hindenburg mit der bisherigen Staatspraxis der Weimarer Republik45. In den 1920er Jahren hatte der Schwerpunkt der Regierungsbildung bei den Reichstagsfraktionen gelegen. Der Reichspräsident hatte erst mit ihnen Gespräche geführt. Denjenigen, der als Ergebnis dieser Unterredungen als chancenreich galt, eine Mehrheit zu finden und eine Regierung zu bilden, hatte der Reichspräsident dann mit der Kabinettsbildung betraut. Der Kanzleraspirant verhandelte mit den infrage kommenden Fraktionen über die Grundzüge des Regierungsprogramms und die Verteilung der Ministerposten. Es blieb den Fraktionen überlassen, für die ihnen »zugeteilten« Ressorts die zu ernennenden Personen auszuwählen. Der Reichspräsident übernahm bei der Regierungsbildung nur dann eine aktivere Rolle durch die eigenhändige Auswahl des Kanzleranwärters, wenn sich aus seinen Gesprächen mit den Fraktionen kein aussichtsreicher Kanzleranwärter herausschälte. Bei der Ernennung der Reichsminister war der Reichspräsident zwingend an die Vorschläge des Reichskanzlers gebunden (Art. 53 WRV). Aber in der Staatspraxis äußerten beide Reichspräsidenten durchaus Wünsche für die Besetzung bestimmter Ministerposten und konnten sich damit auch durchsetzen. Hindenburg wich nicht nur von der bisherigen Staatspraxis ab. Sein Vorgehen war auch verfassungsrechtlich zweifelhaft. Zwar gestand die Staatsrechtslehre dem Reichspräsidenten das grundsätzliche Recht zur Auswahl der zu ernennenden Regierungsmitglieder zu. Umstritten war aber, ob der Präsident bei der Personalauswahl die Mehrheitsverhältnisse zu berücksichtigen hatte. Einige Staatsrechtler meinten, es widerspreche dem Geist der Verfassung, wenn Reichskanzler und Reichsminister von der Reichstagsmehrheit oder aus der Mitte der Fraktionen präsentiert würden. Das Ernennungsrecht des Reichspräsidenten solle ein Gegengewicht gegen die Parlamentsmacht sein. Zwar werde der Gesichtspunkt, dass die Regierung möglichst lange mit dem Reichstag zusammenarbeiten könne, im Vordergrund der politischen Erwägungen des Reichspräsidenten stehen, eine staatsrechtliche Notwendigkeit, nur eine Regierung zu berufen, die von einer Parlamentsmehrheit gebilligt worden sei, bestehe aber nicht.46 Hingegen waren namhafte Kommentatoren der Ansicht, der Reichspräsident sei rechtlich verpflichtet, nur solche Persönlichkeiten zu Reichskanzlern und Reichsministern zu ernennen, von denen jeweils zu vermuten sei, dass der Reichstag sie nicht alsbald durch Misstrauensvotum zum Rücktritt nötigen ­werde.47 Es dürften keine Personen ernannt werden, von denen bekannt sei oder bei gewissenhafter Prüfung bekannt sein müsste, dass sie das Vertrauen des Reichstages nicht besäßen und auch nicht gewinnen würden.48 Nach dieser Ansicht war die Reichsregierung »die Vollstreckerin des Willens der jeweiligen

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Reichstagsmehrheit, die durch Abstimmung festgestellt wird.«49 Folgt(e) man dieser Auffassung, war Hindenburgs Vorgehen verfassungswidrig. Der neue Reichskanzler Heinrich Brüning Warum ernannte Hindenburg gerade Brüning zum Reichskanzler  ? Der Vorschlag stammte von Schleicher.50 Brünings Lebenslauf und seine politische Haltung passten zu den Ideen, die Hindenburg und sein Umfeld pflegten. Brüning, geboren 1885, war promovierter Volkswirt und ehemaliger Frontoffizier. Er war von 1920 bis 1929 Geschäftsführer des interkonfessionell-christlichen Deutschen Gewerkschaftsbundes gewesen. Dem Reichstag gehörte er seit 1924 an. In der Fraktionshierarchie war er schnell aufgestiegen. Seit 1928 führte er, zunächst vertretungsweise, dann formell, die Fraktion. Die Vossische Zeitung meinte, schon seine kurze Amtszeit habe gezeigt, dass er »auf jeden Fall ein Mann von mehr als gewöhnlichem politischen Kaliber« sei.51 Brüning galt als Steuer- und Finanzfachmann und schien wegen seiner sozialpolitischen Einstellung auch bei der SPD geschätzt zu sein. Außerdem war er ein Vertreter des neuen Kurses, auf den das Zentrum seit Ende 1928 eingeschwenkt war. Die Partei hatte bislang als eher ausgleichende Kraft mit Anknüpfungspunkten nach links und rechts gegolten. Mit der Wahl des Prälaten Ludwig Kaas zum Parteivorsitzenden am 8. Dezember 1928 verschob sich ihre Ausrichtung deutlich nach rechts. Anders als seine Gegenkandidaten Joseph Joos und Adam Stegerwald, die für ein arbeitnehmerfreundliches, sozial orientiertes und republikloyales Programm standen, befürwortete Kaas einen stärker rechtsgerichteten Kurs. Auf dem Katholikentag in Freiburg Ende August 1929 sagte er  : »Niemals ist der Ruf nach einem Führertum großen Stils lebendiger und ungeduldiger durch die deutsche Volksseele gegangen als in den Tagen, wo die vaterländische und kulturelle Not uns allen die Seele bedrückt.«52 Ein »Führertum großen Stils« meint nichts anderes als einen autoritären, obrigkeitlichen Staat. Mit einem kraftvollen Parlamentarismus ist es kaum vereinbar. Genau diesen neuen, stärker rechtsgerichteten Kurs spiegelte Heinrich Brüning wider. Hinter Brünings Wahl zum Fraktionsvorsitzenden im Dezember 1929 steckte Kaas. Dieser soll es nach der Erinnerung eines Zeitzeugen zur Bedingung der Übernahme des Parteivorsitzes gemacht haben, dass ihm Brüning als »Mitarbeiter« beigegeben werde, und bei Brüning eine »Synthese im Denken und Handeln« entdeckt haben, wie man sie ähnlich vielleicht nur bei den Staatsmännern der alten Griechen finde.53 Auch andere prominente Zentrumspolitiker waren 1929/30 ernüchtert vom Parlamentarismus.

Der neue Reichskanzler Heinrich Brüning 

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Sie öffneten sich für obrigkeitsstaatliche Lösungen, zweifelten aber gleichwohl, ob diese wirklich wünschenswert seien. Der württembergische Staatspräsident (Ministerpräsident) und Reichstagsabgeordnete Eugen Bolz, ein intimer Kenner der politischen Verhältnisse, schrieb in einem Brief Anfang März 1930  : »Ohnmacht unseres gesamten Regierungssystems. Ich bin längst der Meinung, daß das Parlament die schweren innenpolitischen Fragen nicht lösen kann. Wenn ein Diktator für zehn Jahre möglich wäre – ich würde es wünschen. Denn es handelt sich um ein Volk und seine ganze Zukunft …«54 Gleichzeitig äußerte er auf dem Stuttgarter Zentrumsparteitag am 24. März 1930 öffentlich  : »[…] versagt das Parlament, dann bleibt freilich nur die Möglichkeit, die bei uns immer als letzte an die Wand gemalt wird  : Die Diktatur. Diktatur  ! Bewahre uns das Schicksal davor  !«55 In seinen Erinnerungen behauptet Brüning an mehreren Stellen sogar, er habe  – als Schlusspunkt seiner Politik  – die Monarchie restaurieren wollen.56 Diese Äußerungen erscheinen aber wenig glaubwürdig.57 Sie werden durch Brünings Regierungshandeln jedenfalls nicht bestätigt. Schon äußerlich erschien der neue Reichskanzler als intellektueller, prinzipientreuer und tatkräftiger Mann, der Hindenburg und seinem Umfeld für die anstehenden großen Aufgaben bestens geeignet erschien. Die Charakterschilderungen der Zeitgenossen ähneln sich. Sehr einsichtsvoll schildert André François-Poncet den Reichskanzler. Als Botschafter seines Landes in Berlin sprach der Franzose fließend Deutsch und lernte berufsbedingt viele wichtige Persönlichkeiten näher kennen. Seine Erinnerungen verraten einen geschulten Blick auf den Charakter derjenigen, mit denen er sprach oder die er beobachtete. Da er als Vertreter einer Siegernation des Ersten Weltkrieges einen durchaus kritischen Blick auf Deutschland und seine Einwohner hatte, sind seine Eindrücke eine wertvolle Quelle der politischen Verhältnisse von 1931 bis zum Jahr 1938. Über Brüning schrieb er  : Dieser bleiche, sorgfältig rasierte Mann mit den feinen Zügen, den man für einen katholischen Prälaten oder anglikanischen Priester halten konnte, der mit zagender Stimme sprach, aber klar und bestimmt, ohne jemals laut zu werden, flößte sogleich Vertrauen und Sympathie ein. Die dichten Augenbrauen, die enge Stirn, die schmalen Lippen, ein verschwimmender Blick hinter Brillengläsern riefen vielleicht einen weniger günstigen Eindruck hervor  ; doch kamen in seinen Zügen Intelligenz und Milde, Rechtschaffenheit und Bescheidenheit des Wesens zum Ausdruck. Er war zurückhaltend, von unauffälligen Bewegungen  ; er besaß die aufmerksame Höflichkeit eines Geistlichen. […] Man fühlte, er war bemüht, gerecht, vernünftig und anständig zu denken. Man schilderte ihn als einen frommen Laien.58

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Theodor Eschenburg, ebenfalls ein aufmerksamer und politisch gut vernetzter Zeitzeuge, schrieb in seinen Erinnerungen über den neuen Reichskanzler ganz ähnlich  : Er machte zunächst den Eindruck eines verschlossenen, schüchternen Mannes, eher eines Gelehrten als eines handelnden oder gar führenden Politikers. Bei seinem Amtsantritt war er in der breiten Öffentlichkeit so gut wie nicht bekannt, gewann aber bereits im ersten Jahr seiner Kanzlerschaft […] beachtlich an Ansehen. […] Er wirkte weniger durch Auftreten und Reden, in denen er sich als uncharismatische Gestalt von karger Nüchternheit präsentierte, als vielmehr durch seine geschliffene Argumentation und Lauterkeit. Seiner intellektuellen Überlegenheit war er sich bewußt und wollte nicht verstehen, daß andere seinen genau bedachten Plänen nicht folgten. Seine endgültigen Pläne verschwieg er gern. Um seine Beschlüsse rang er mit sich selbst.59

Eine weitere Charakterisierung, die den vorgenannten entspricht, findet sich in einer Biografie Eugen Bolz’, eines engen Freundes Brünings  : Heinrich Brüning verbanden mit Eugen Bolz die Wesenszüge hoher politischer Begabung und tiefen Pflichtbewußtseins, sachlich nüchterner Gediegenheit und kernhafter Religiosität, großer Bescheidenheit und Beherrschung jeder Leidenschaft und des pochenden Temperaments. Der vier Jahre jüngere Westfale […] schien für den Gelehrtenberuf geschaffen.60

Sein Staatssekretär Hermann Pünder meinte über Brüning  : »[…] habe ich in ihm zum ersten Mal […] einen Chef mit sehr tiefen Fachkenntnissen, der gewissen großen Zielen nachgeht und sich nicht treiben lassen will. Seine Hauptstärke sind offensichtlich wirtschaftspolitische Dinge, aber sein großer Verstand ermöglicht es ihm, auch auf anderem Gebiet sehr bald eine klare Auffassung zu haben.«61 Gottfried Treviranus, der Brüning gut kannte und ihm als Minister diente, schrieb  : Wer Brüning kennt, wird die in sich ruhende Selbstsicherheit im Verhältnis zu allem Geschauten, Gelesenen, Gehörten und dem Erlebten als Schlüssel seines Wesens betrachten. […] Brüning war kein Idol zum Beklatschen und Zujubeln. Er verachtete den billigen Applaus der Massen unter dem Eindruck des Augenblicks, der Verführung durch Worte und Gesten  ; Schlagworte waren ihm zuwider.62

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5  Rede des Reichskanzlers Heinrich Brüning (Zentrum) im Reichstag, Februar 1931. © Erich Salomon, Berlinische Galerie, BG-ESA 529.

In der wirtschaftlichen und politischen Krise der Weimarer Republik sollten sich die beschriebenen Charakterzüge Brünings negativ auswirken. Der halbparlamentarische Regierungsstil Brünings Der neue Kanzler besaß nicht das Vertrauen der Reichstagsmehrheit. Er stützte sich letztlich auf das Vertrauen der Reichspräsidenten und dessen Zusicherung, ihn mit den präsidialen Machtmitteln zu unterstützen. Brüning durfte darauf bauen, dass Hindenburg einen widersetzlichen Reichstag gemäß Art. 25 WRV auflösen würde und Recht nach Brünings Vorgaben durch Notverordnungen gemäß Art.  48 Abs.  2 WRV setzen würde. Dass auch eine gewisse Zahl von Reichstagsabgeordneten ihn unterstützte, war hilfreich, aber nicht entscheidend. Die Regierung Brüning war das im Umfeld des Reichspräsidenten geplante »Hindenburg-Kabinett«. Einen solchen Präsidialkanzler, ein solches Präsidial­ kabinett hatte es in der Weimarer Republik noch nicht gegeben. (Deshalb sehen viele Historiker auch bereits die Ernennung Brünings  – und nicht wie

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ich erst die Reichstagsauflösung am 18. Juli 1930 – als Zäsur in der Weimarer Geschichte an.) Zwar hatte auch Hindenburgs republiktreuer Amtsvorgänger Ebert im November 1922 einen Reichskanzler, den parteilosen Wilhelm Cuno, ernannt, ohne die Parteien vorab zu konsultieren. Doch die Beweggründe für beide Ernennungen waren sehr verschieden. Cuno sollte im Rahmen und zur Stabilisierung der Weimarer Verfassung möglichst im Zusammenspiel mit dem Reichstag regieren. Brüning wurde als bewusster Gegenpol zum Reichstag ernannt. Er sollte einen autoritären Verfassungswandel herbeiführen helfen. Auch die Rahmenbedingungen im Jahr 1922 unterschieden sich von denen des Jahres 1930  : Cuno bildete eine bürgerliche Minderheitsregierung, die von der SPD toleriert wurde. Brünings bürgerliche Minderheitsregierung durfte hingegen die Tolerierung der SPD nicht erwarten. Denn Hindenburg hatte Brünings Vorgänger Hermann Müller die präsidialen Machtmittel nicht einräumen wollen. Er hatte somit dessen politisches Ende zumindest nicht verhindert. Mittelbar war er, jedenfalls aus Sicht der SPD, mit schuld daran, dass die Sozialdemokraten aus der Regierung ausschieden. Außerdem wollte die SPD ein Kabinett, an dem sie nach Hindenburgs Willen nicht personell beteiligt sein sollte, nicht unterstützen. Gerade in den Erinnerungen von Zeitzeugen, die Brüning oder Hindenburg nahestanden, ist zu lesen, es sei dem Reichspräsidenten angesichts eines »arbeitsunfähigen« Reichstages und der wirtschaftlichen Krise nichts anderes übrig geblieben, als einen Reichkanzler ohne Rücksicht auf die Mehrheitsverhältnisse im Parlament zu ernennen. Diese Ansicht ist unzutreffend. Die Ernennung des Präsidialkabinetts war keineswegs alternativlos. Sie entsprach vielmehr den Plänen Hindenburgs und seiner Berater. Eine parlamentarische Alternative zu einem Präsidialkabinett, insbesondere zu einem vom Zentrum geführten, hätte es durchaus gegeben. Hindenburg hätte Hermann Müller im Amt belassen und im Bedarfsfall auf dessen Anregung hin Notverordnungen erlassen können. Hätte Hindenburg seine Bereitschaft dazu öffentlich erklärt, hätte dies die Koalitionspartner vielleicht disziplinieren können. Jedenfalls hätte ein Ausscheiden eines Partners wie der DVP nicht die ganze Regierung ins Wanken gebracht. Die Regierung hätte auch ohne die DVP eine Mehrheit von zehn Sitzen gehabt. Hindenburg hätte Müller also nach der Demission erneut ernennen können. Möglicherweise hätte auch ein anderer Reichskanzler (aus der SPD oder aus dem Zentrum) in derselben Regierungskonstellation dazu beitragen können, einen »Neuanfang« zu verkörpern und damit die Koalition neu zu beleben und zu stabilisieren. Die Zusammenarbeit der SPD mit den Regierungsfraktionen bei der Abwehr von Misstrauensanträgen zeigte, was möglich war. Die Ansicht, das Scheitern der Großen Koalition und der »handlungsunfähige« Reichstag bzw. die Unmöglichkeit, eine Regierungsmehrheit

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zu finden, hätten es geradezu erfordert, Brüning (oder einen anderen allein vom Reichspräsidenten abhängigen Kanzler) zu ernennen,63 ist daher unzutreffend. Brüning hob in seiner ersten Regierungserklärung vor dem Reichstag am 1.  April 1930 hervor, dass sein Kabinett »entsprechend dem mir vom Herrn Reichspräsidenten erteilten Auftrag an keine Koalition gebunden« sei. »Doch konnten selbstverständlich die politischen Kräfte dieses Hohen Hauses bei seiner Gestaltung nicht unbeachtet bleiben.«64 Im Kabinett Brüning fanden sich viele alte Bekannte. Mehrere Minister des vorherigen Kabinetts Müller II blieben, zum Teil in neuen Ressorts, im Amt. Mit Victor Bredt als Justizminister wurde zum ersten Mal die Wirtschaftspartei an einer Regierung beteiligt. Auf ausdrücklichen Wunsch Hindenburgs wurden Gottfried Treviranus und Martin Schiele ins Kabinett berufen.65 Treviranus war an der Planung des Mitte-rechts-Kabinetts als »der Schrittmacher«66 beteiligt gewesen. Martin Schiele, der Vorsitzende des einflussreichen Reichs-Landbundes und »unabhängig denkender Kopf«67, war bereits in den 1920er Jahren Reichsminister gewesen. Er war wie Treviranus DNVP-Dissident. Die Presse hielt Schiele für sehr einflussreich. Der sozialdemokratische Vorwärts nannte das Kabinett »Regierung Brüning-Schiele«, die Vossische Zeitung erweiterte den Namen auf »Brüning-Schiele-Treviranus«.68 Eine parlamentarische Hausmacht hatten beide Reichsminister nicht. Schiele hatte im Zusammenhang mit der Ministerernennung am 31. März 1930 auf sein Reichstagsmandat verzichtet. Der Volkskonservative Treviranus war Mitglied der ChrNA. Fest hinter der Regierung standen die Abgeordneten der am Kabinett beteiligten Parteien (Zentrum, BVP, DDP, DVP, Wirtschaftspartei). Auf die DNVP, die einen strikt antirepublikanischen Kurs verfolgte, und die ChrNA konnte sich Brüning nicht sicher verlassen. Zwar wehrte seine Koalition mithilfe der Fraktionen DNVP und ChrNA am 3. April 1930 mit 253 zu 187 Stimmen einen Misstrauensantrag der KPD-Fraktion ab.69 Doch die DNVP-Führung um Hugenberg unterstützte die Regierung nur, um eine Spaltung der Partei zu vermeiden. Die dem Reichs-Landbund freundlich gesinnten Abgeordneten hatten im Auftrag der Landbundführung verlauten lassen, dass es zum Bruch kommen werde, wenn die Parteiführung den Misstrauensantrag unterstütze (»April-Krise« in der DNVP70). Sie wollten, ebenso wie die CNBL-Mitglieder innerhalb der CHrNA, den ihnen genehmen Reichsernährungsminister Martin Schiele im Amt halten. Sie unterstützten daher die Regierung Brüning. Sofern ein Misstrauensantrag sich gegen einen Reichsminister richtete, der den rechten und gemäßigt rechten Parteien nicht genehm war, stimmten sie für den Antrag. Der Reichstag hatte schon am 1.  Juli 1930 über einen Misstrauensantrag der Fraktionen KPD und DNVP gegen Reichsaußenminister Julius

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Curtius (DVP) zu befinden. Die Deutschnationalen stellten sich geschlossen gegen Curtius. Die ChrNA-Fraktion stimmte unterschiedlich ab  : Die CSVD-­ Mitglieder votierten gegen den Misstrauensantrag, die CNBL-Mitglieder dafür. Allein die Stimmen der SPD-Fraktion retteten den Reichsaußenminister. Der Reichstag wies den Einspruch mit 282  :121  :3 Stimmen zurück.71 Bei einer Folgeabstimmung über einen Misstrauensantrag der KPD gegen Reichsarbeitsminister Adam Stegerwald (Zentrum) enthielt sich die SPD  ; dafür stimmten die DNVP und die ChrNA mit »Nein«, so dass auch dieser Antrag abgewiesen wurde.72 Ebenso votierten die DNVP und die ChrNA, als der Reichstag über einen Misstrauensantrag der KPD-Fraktion gegen das Gesamtkabinett abstimmte. Da sich die SPD enthielt, wurde der Antrag mit 244  : 58  : 152 abgelehnt.73 Brüning hatte drei Ziele  : Erstens (und vor allem) wollte er die Streichung der Reparationen erreichen, indem er den Siegermächten vor Augen führte, dass das Deutsche Reich offenbar die Reparationslasten nicht schultern konnte.74 Zweitens wollte Brüning mit einer rigorosen Spar- und Deflationspolitik die öffentlichen Haushalte sanieren. Ein Scheitern dieser Bemühungen ließ sich ebenfalls gegen die Reparationen ins Feld führen. Die Regierung Brüning machte sich umgehend daran, die öffentlichen Ausgaben, vor allem die Sozialleistungen, zu senken. Auf staatliche Eingriffe zur Ankurbelung der Wirtschaft, z. B. durch Arbeitsbeschaffungs- oder Investitionsprogramme, verzichtete sie. Drittens wollte der Reichskanzler die Weimarer Verfassung so auslegen, dass der Reichspräsident gestärkt wurde (und somit einen »stillen« Verfassungswandel herbeiführen). Der neue Reichskanzler beschrieb in seiner Regierungserklärung am 1. April 1930 als Handlungsfelder seiner Regierung die »organische Weiterentwicklung der bisherigen Außenpolitik«, die »Sanierung der Finanz- und Kassenlage«, die Behebung der »Agrarkrise« durch ein »durchgreifendes Hilfsprogramm für die Landwirtschaft« und eine »[d]urchgreifende und umfassende Osthilfe« sowie eine »Bauern- und Arbeiter[an]siedlung« im Osten.75 Zugleich sprach er eine Drohung aus  : »Das Kabinett ist gebildet mit dem Zweck, die nach allgemeiner Auffassung für das Reich lebensnotwendigen Aufgaben in kürzester Frist zu lösen. Es wird der letzte Versuch sein, die Lösung mit diesem Reichstage durchzuführen.«76 Einige Minuten später setzte er hinzu  : »Die Reichsregierung wird an diesen Vorschlägen und an ihrer schnellsten Durchführung unter allen Umständen festhalten. Sie ist gewillt und in der Lage, alle verfassungsmäßigen Mittel hierfür einzusetzen. […] Parteipolitische Erwägungen müssen in dieser Stunde in den Hintergrund treten.«77 Brüning bekräftigte diese Haltung zwei Tage später. Er wies die Verantwortung für eine mögliche Anwendung des Art. 48 WRV

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dem Reichstag und den Parteien zu. Erst wenn diese »ihre Mission« nicht mehr selbst erfüllen würden, würde von dem »Mittel des Artikels 48« WRV Gebrauch gemacht werden.78 Am 12. April 1930 unterstrich der Reichskanzler seine Absicht  : »Versag[e] das Hohe Haus die Mithilfe, so [werde] die Reichsregierung das, was für die Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes erforderlich [sei], auf anderen Wegen durchsetzen.«79 Pläne hierzu waren bereits im März 1930, noch vor dem Rücktritt Hermann Müllers, besprochen worden.80 Brünings Ausführungen zu Beginn seiner Amtszeit konnten nichts anderes bedeuten als  : Macht das Parlament, was die Regierung will, erfüllt es diese »Mission«, ist alles in Ordnung. Andernfalls wird Recht durch Notverordnungen gesetzt und wird das Parlament aufgelöst und neu gewählt. Die Grundelemente des Parlamentarismus, der Meinungsstreit, die Debatte und der Kompromiss, sollten – jedenfalls fürs Erste, während der Krise – das Handeln der Regierung nicht »stören«. Die Reichsregierung, nicht der Reichstag sollte die politischen Ziele und die Maßnahmen zu deren Erreichung vorgeben. Zwar stellte sich Brüning der parlamentarischen Debatte. In den vier Monaten der 4. Wahlperiode, die in seine Amtszeit fielen, trat er acht Mal vor das Parlament. Er erläuterte die Ziele der Reichsregierung und ging auf Kritik ein. Aber die Auftritte des Reichskanzlers waren Werbeveranstaltungen für seine Ziele und Maßnahmen – und keine Verhandlungsangebote. Zunächst kam es nicht zum Konflikt. Die Reichstagsgeschäfte gingen ihren gewohnten Gang. Der Reichstag verabschiedete bis zu seiner Auflösung am 18. Juli 1930 55 Gesetze. 26 davon betrafen allerdings völkerrechtliche Verträge und Abkommen.81 Die meisten der übrigen Gesetze betrafen das Steuer-, das Zoll- und das Wirtschaftsrecht. Darunter war eine erste »Deckungsvorlage«, also ein Gesetzespaket zur Erhöhung von Steuern und Zöllen, um den Reichshaushalt auszugleichen. Die Deckungsvorlage wurde am 14. April 1930 verabschiedet.82 Bei einigen Gesetzesbeschlüssen des Reichstages zeigte sich, dass die Regierung immer wieder Abstimmungspartner benötigte. Selbst die Regierungsparteien stimmten teilweise gegen oder jedenfalls nicht geschlossen für Regierungsentwürfe. Bei der Schlussabstimmung über das Brotgesetz stimmten die SPD und die KPD mit »Nein«, das Zentrum votierte uneinheitlich und einige Abgeordnete der DDP fehlten oder enthielten sich. Daher beschloss der Reichstag das Gesetz mit nur 212  :197  :3 Stimmen.83 Das Kabinett erlitt bis Mitte Juli nur eine Abstimmungsniederlage. Der SPD gelang es wegen der uneinheitlich abstimmenden Regierungsabgeordneten am 14. Juli 1930, einen Änderungsantrag zum Gesetz über die Vermahlung von Inlandsweizen knapp mit 200  : 190  : 7 durchzubringen.

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Die Nagelprobe stand der Reichsregierung noch bevor. Sie hatte am 2. Mai 1930 ihren Haushaltsentwurf in den Reichstag eingebracht.84 Weitere Gesetze sollten nach dem Willen der Regierung zur Haushaltssanierung beitragen  : Die Regierung beabsichtigte, den im öffentlichen Dienst Beschäftigten und Ruhegeldempfängern etc. befristet einen Beitrag (»Reichshilfe«) abzuverlangen sowie einmalige außerordentliche Zuschläge zur Einkommensteuer für Personen, die mehr als 8000 RM verdienten, und für Ledige im Rechnungsjahr 1930 zu erheben.85 Außerdem sollte die Tabaksteuer erhöht werden.86 Im April hatte das Parlament eine erste »Deckungsvorlage« mit zahlreichen Erhöhungen von Zöllen und Steuern verabschiedet. Nun sollten nach dem Willen der Regierung weitere Steuern erhöht werden. Im Reichstag regte sich Widerstand gegen diese Gesetzentwürfe (die zweite Deckungsvorlage). Der Ausschuss für Steuerfragen hatte schon Änderungen empfohlen.87 Zwei VRP-Abgeordnete beantragten zusätzlich, die Reichshilfe der Personen des öffentlichen Dienstes zu streichen.88 Getrennte Gespräche des Reichskanzlers mit dem Fraktionsvorsitzenden der DNVP und den SPD-Abgeordneten Breitscheid und Müller am 12. Juli 1930 führten zu keiner Übereinkunft. Die SPD hatte immerhin ihre Kompromissbereitschaft angedeutet und Vorschläge unterbreitet, wie man zu einer Einigung gelangen könnte.89 Brüning ging darauf aber nicht ein. Er hielt an seinem Programm fest. In der Ministerbesprechung am 14. Juli 1930, 20 Uhr, diskutierte das Kabinett über das weitere Vorgehen. Die Anregung des Reichsinnenministers Wirth, nochmals das Gespräch mit den Sozialdemokraten zu suchen, lehnte das Kabinett als »von vornherein aussichtslos« ab. »Die von der Sozialdemokratie vermutlich gewünschten Konzessionen könne man ohne weiteres als unerfüllbar unterstellen. Es könne auch ohne weiteres angenommen werden, daß sie in erster Linie auf sozialpolitischem Gebiete liegen würden und zum mindesten von einigen der in der Regierung vertretenen Parteien nicht getragen werden könnten.«90 Wegen der zu erwartenden Ablehnung zumindest eines Teils der Finanzgesetzentwürfe überlegte man innerhalb in der Reichsregierung und der Ministerialbürokratie bereits seit einiger Zeit, ob man die Vorlage nicht auch durch eine Notverordnung gemäß Art. 48 Abs. 2 WRV in Kraft setzen könne. Reichsinnenminister Wirth, die Staatssekretäre Hermann Pünder (Reichskanzlei), Curt Joël (Reichsjustizministerium) und Erich Zweigert (Reichsinnenministerium) zweifelten, ob man gemäß Art. 48 WRV eine Maßnahme treffen dürfe, die der Reichstag im Wege der ordentlichen Gesetzgebung bereits ausdrücklich abgelehnt habe. Die drei Staatssekretäre kamen aber zu dem Schluss, es seien Fälle denkbar, in denen der Reichstag eine Vorlage offensichtlich nicht deshalb ablehne, weil er ihren

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materiellen Inhalt nicht billige, vielmehr aus anderen Gründen, die mit dem materiellen Inhalt der Vorlage nichts mehr zu tun hätten. In derartigen Fällen liege kein materiell ablehnender Beschluss des Reichstags vor, der bei Anwendung des Art. 48 berücksichtigt werden müsste.91 Das Kabinett übernahm diese Meinung. Wirth sicherte zu, nach außen die Kabinettsmeinung zu vertreten.92 Über die Frage einer Reichstagsauflösung sprach das Kabinett am 14. Juli 1930 ebenfalls. Das Protokoll der Ministerbesprechung vermerkt hierzu  : Es bestand […] Einverständnis darüber, daß die Auflösung des Reichstags erfolgen müsse, sofern der Reichstag die ihm selbstverständlich unverzüglich vorzulegende Notverordnung aufheben sollte. Die Staatssekretäre Joël und Zweigert äußerten sich gutachtlich dahin, daß die Reichsregierung nach Aufhebung der Notverordnung und Auflösung des Reichstages verfassungsrechtlich in der Lage ist, dieselbe Notverordnung alsdann erneut zu erlassen. Der Reichskanzler stellte zusammenfassend fest, daß das Reichskabinett einmütig auf dem Standpunkt steht, daß die Staatsnotwendigkeiten unter allen Umständen durchgeführt werden müssen und daß es hierzu entschlossen ist, sowohl bei präsentem Reichstag wie auch nach der Auflösung des Reichstags.

Die Regierung war also konfliktbereit und zu weitreichenden Maßnahmen entschlossen. Am nächsten Tag schilderte Brüning in einer Regierungserklärung vor dem Parlament die kritische Lage und die Bedeutung der Staatsfinanzen. Zugleich wies er dem Reichstag die Verantwortung dafür zu, die notwendigen (also von der Regierung für erforderlich gehaltenen) Maßnahmen in Gesetzesform zu verabschieden. Er schloss seine Rede mit einer Hoffnung – und einer Absichtserklärung, die auch als Drohung verstanden werden konnte  : Die Reichsregierung hat die Hoffnung, daß dieses Hohe Haus diese Verantwortung aufbringen wird  ! Sollte es nicht möglich sein, so muß ich gleich zu dieser Stunde erklären, wird die Reichsregierung im Interesse der Demokratie, im Interesse des Volkes, im Interesse der Wirtschaft von allen verfassungsmäßigen Mitteln Gebrauch machen, die notwendig sind zur Beseitigung des Defizits des Reichshaushalts.93

Das Parlament nahm Art. I des Gesetzentwurfs über die Reichshilfe und über Zuschläge zur Einkommensteuer an.94 Art. I traf keine inhaltlichen – die Juristen sprechen von materiell-rechtlichen – Regelungen. Die Vorschrift besagte nur, dass eine Reichshilfe der Personen im öffentlichen Dienst und ein Zuschlag zur Einkommensteuer erhoben werden sollten zum »Ausgleich der Aufwendungen

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im ordentlichen Reichshaushalt, die sich infolge der schlechten Wirtschaftslage ergeben«. Durch ihre Zustimmung zum Art. I gab die Reichstagsmehrheit ihren grundsätzlichen Willen zu erkennen, die öffentlichen Finanzen (auch durch eine Reichshilfe und Einkommensteuerzuschläge) zu sanieren. Doch als es an den ersten Teil der materiell-rechtlichen Regelungen, den Art. II der Finanzgesetzentwürfe ging, kam es zur Niederlage der Reichsregierung. Den Antrag der Regierungsfraktionen, die Reichshilfe beizubehalten, lehnte der Reichstag am 16. Juli 1930 mit 256  :193 deutlich ab.95 Unmittelbar nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses zog Reichskanzler Brüning den gesamten Haushaltsentwurf und alle weiteren Gesetzentwürfe zur Haushaltssanierung (Deckungsvorlagen) zurück.96 Geschlagen gab er sich damit nicht. Am selben Tag erließ der Reichspräsident zwei von Brüning veranlasste Notverordnungen über Deckungsmaßnahmen für den Reichshaushalt 1930 und über die Zulassung einer Gemeindegetränkesteuer.97 Das Staatsoberhaupt dekretierte damit zum einen die Regeln der zurückgezogenen Gesetzentwürfe. Zum anderen setzte es Abgaben (eine »Bürgersteuer« und eine Gemeindegetränkesteuer) fest, die bislang dem Reichstag gar nicht vorgelegt worden waren. Die vom Reichstag mit Mehrheit ausdrücklich abgelehnte »Reichsbeihilfe« für Personen des öffentlichen Dienstes wurde ebenfalls verordnet. Die Regierung versuchte also, das Budgetrecht des Reichstages zu umgehen und auszuhebeln. Den Affront der Regierung nahm der Reichstag nicht hin. Wollte er eine wirkliche demokratische Volksvertretung sein, durfte er die obrigkeitsstaatlichen Anwandlungen der Reichsregierung nicht hinnehmen. Am 18.  Juli 1930, nur zwei Tage nach dem Erlass der beiden Notverordnungen, befasste sich das Parlament mit den Anträgen der SPD- und der KPD-Fraktion, die Aufhebung beider Regelwerke gemäß Art. 48 Abs. 3 WRV zu verlangen. Der sozialdemokratische Abgeordnete Otto Landsberg hielt die beiden Notverordnungen – wie mehrere Staatsrechtlicher – zutreffenderweise für verfassungswidrig. Art. 48 WRV sei allein zum Schutz der Verfassung da. Die Vorschrift erfordere eine erhebliche Störung oder Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Diese sei nicht vorhanden. Art. 48 WRV berechtige außerdem nicht dazu, ein vom Reichstag abgelehntes Gesetz als Notverordnung zu erlassen.98 (Die Verfassungswidrigkeit resultierte auch aus Art.  85 WRV, dem zufolge der Haushaltsplan durch ein Gesetz, d. h. Parlamentsgesetz, festzustellen war.) Landsberg erkannte die Gefahr – und sagte (ohne es zu ahnen) die weitere Entwicklung voraus  : »Wenn diese beiden Verordnungen gültig sind, dann kann man mit dem Artikel 48 der Reichsverfassung – ich spreche es unumwunden aus – einfach alles machen. […] Dann kann man im Deutschen Reiche das Unterste zu oberst kehren. […] Sie

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haben, sage ich, einen wunderbaren Präzedenzfall geliefert für Menschen mit allerlei verstiegenen Plänen.«99 Reichsinnenminister Joseph Wirth (Zentrum), Reichsfinanzminister Hermann Dietrich (DDP) und der DVP-Fraktionsvorsitzende Ernst Scholz verteidigten, unter vielen Zwischenrufen von SPD und KPD, die Notverordnungen als verfassungsgemäß. Es liege ein finanzieller Notstand für das Reich, die Länder und die Gemeinden vor. Da im Reichstag »die Mehrheitsbildung eine Unmöglichkeit geworden« (Wirth) bzw. »keine Verständigung möglich« gewesen sei (Dietrich), habe die Regierung den Weg der Notverordnungen beschreiten müssen.100 Der Abgeordnete Walter von Keudell (ChrNA) wiederholte die von den Regierungsmitgliedern und dem Abgeordneten Scholz geäußerte Ansicht, dass die Mehrheitsbildung unmöglich sei und der Reichspräsident zu »entsprechende[n] Schritte[n]«, also Notverordnungen, gezwungen sei.101 Die Redner der KPD und der NSDAP bewiesen auch in dieser Debatte, dass mit ihnen kein Staat zu machen war. Sie griffen die Regierung und die SPD an. Wilhelm Koenen (KPD) lieferte ein Musterbeispiel einer kommunistischen Rede ab. Er sprach von der »Führung des Zentrums und seiner Jesuiten« und von »pfäffischen, jesuitischen Zentrumsleuten«.102 Koenen behauptete, die Koalitionspolitik der SPD müsse »zum Faschismus führen« und die sozialdemokratischen Führer seien »von ihren eigenen Genossen bereits die Wegbereiter des Faschismus genannt worden.«103 »Nach dem Verrat an der Revolution« habe die SPD »auch noch formell den Kapitalisten, der Bourgeoisie durch den Artikel 48 der Weimarer Verfassung die juristische Gewalt zur Niederknüppelung der Arbeiterschaft ausdrücklich in die Hand gegeben.«104 Der »Weg der proletarischen Diktatur [sei] der einzige Ausweg der Werktätigen.«105 Der Abgeordnete Feder (NSDAP) forderte, »diesen Laden«, gemeint war der Reichstag, aufzulösen und das Volk zu Wort kommen zu lassen.106 Auch der Fraktionsvorsitzende der DNVP, Ernst Oberfohren, äußerte sich gegen die Regierung und gegen die SPD, aber für die Aufhebung der Notverordnungen (die ja die SPD und die KPD beantragt hatten). Er lag damit auf der von Alfred Hugenberg vorgegebenen Rechts-außen-Linie. Mit der Hugenberg-DNVP war ebenso wenig Staat zu machen wie mit NSDAP und KPD. Der DNVP schadete diese Linie aber stark, da sie sie Mitglieder und Parlamentssitze kostete  : Bereits am 3./4. Dezember 1929 waren wegen des Hugenberg-Kurses zwölf Abgeordnete um Gottfried Treviranus aus der DNVP ausgetreten. Sie gehörten nun der ChrNA-Fraktion an. Und über die Frage, ob man gegen oder mit der Regierung stimmen solle, waren am 17. Juli 1930 27 weitere Abgeordnete um den früheren Partei- und Fraktionsvorsitzenden Kuno

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Graf von Westarp (»Westarp-Gruppe«) aus der DNVP-Fraktion ausgetreten.107 Die zu Beginn der 4.  Wahlperiode noch 78-köpfige Fraktion hatte im Sommer 1930 nur noch 35 Mitglieder.108 Westarp erklärte am Folgetag im Plenum, dass die hinter ihm stehenden Abgeordneten im Sinne der Regierung Brüning gegen die Aufhebung der Notverordnung und gegen die Misstrauensanträge stimmen würden.109 Die namentliche Abstimmung über die Anträge der SPD- und der KPD-­ Fraktion bescherte der Regierung Brüning eine Niederlage. Der Reichstag verlangte mit 236 zu 222 Stimmen die Aufhebung der Notverordnung gemäß Art. 48 Abs. 3 WRV.110 Die Entscheidung fiel damit knapp, war aber eindeutig. Die Reichstagsmehrheit nutzte ihr verfassungsmäßiges Recht, die Maßnahmen des Reichspräsidenten zu korrigieren. Für die Aufhebung stimmten die SPD, die KPD, die NSDAP und 32 Hugenberg-treue DNVP-Abgeordnete. Dagegen votierten die Regierungsparteien (Zentrum, DVP, DDP, ChrNA, BVP), 25 Abgeordnete der »Gruppe Westarp« und Vertreter von Splitterparteien. Nun wäre der Zeitpunkt für Verhandlungen gewesen – wenn denn Brüning und Hindenburg diese gewollt hätten. Doch sie hatten sich bereits für den autoritären Weg entschieden. Brüning verlas direkt nach dem Reichstagsbeschluss im Parlament die Auflösungsanordnung Hindenburgs.111 Sie war bereits seit April vorbereitet und hatte während jeder Debatte in einer roten Mappe in Brünings Nähe bereit gelegen.112 Die Regierung Brüning kalkulierte – wie Brünings Regierungserklärungen und Hermann Pünders Tagebuch zeigen – von Beginn ihrer Amtszeit an eine Reichstagsauflösung und etwaige Notverordnungen ein. In einem Aufruf der Regierung hieß es, die Notverordnungen seien »von einer geringen Mehrheit abgelehnt worden, die in sich uneinig und zur Übernahme der Verantwortung nicht fähig« sei.113 Noch in seinen Memoiren sprach Brüning von »einer sinnlosen Form des Parlamentarismus und einer gesunden, maßvollen Demokratie, in der die Regierung, um die öffentlichen Finanzen vor dem Zusammenbruch zu retten, vor dem ganzen Volke den Kampf für diese Aufgabe gegenüber dem Intrigenspiel und der Unvernunft im bisherigen Reichstag aufnehmen mußte.«114 Hindenburgs Staatssekretär Meissner behauptete in seinen Erinnerungen – wie die Fürsprecher der Regierung in der Debatte am 18. Juli 1930 –, der Reichstag habe »sich zu einer positiven Beschlußfassung über Reformgesetze als unfähig erwiesen«.115 In Wahrheit war Brüning nicht gewillt, von seinem Finanzprogramm an irgendeinem Punkt abzurücken, nicht im Juli 1930 und auch nicht später. Nicht der Reichstag war kompromisslos, sondern der Reichskanzler. Auf eine vermeintliche Handlungsunfähigkeit oder generelle Unwilligkeit des Reichstages konnten sich die Auflösungsbefürworter guten Gewissens ebenfalls

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nicht berufen. Der Sitzungsbetrieb ging trotz häufiger Zwischenrufe, starken Lärms und vieler Beleidigungen weiter. Das Parlament war weiterhin handlungsfähig.116 Störungen konnten nicht dauerhaft verhindert werden, wurden aber immerhin geahndet. Beispielsweise verwies Vizepräsident Esser die Abgeordneten Dreher und Goebbels wegen mehrerer beleidigender Zwischenrufe, die sie flankierend zu Fricks Rede gemacht hatten, des Saales.117 Außerdem waren die Regierungsparteien und die SPD durchaus in der Lage, die Angriffe der Radikalen zu kontern. Dies zeigte beispielhaft die schon erwähnte Plenardebatte am 17. Juni 1930. Die Abgeordneten von Kardorff (DVP) und Frölich (SPD) sowie Reichsinnenminister Wirth griffen die NSDAP an und zeigten deren staatsgefährdende Ideologie und Tätigkeit auf.118 Auch die Ansicht, der Reichstag habe aufgelöst werden müssen, weil andernfalls die Krise nicht hätte beendet werden können, weil die N ­ otverordnung zur Haushaltsdeckung notwendig gewesen sei119 oder weil unmittelbar der »Staats-Konkurs« gedroht habe120, ist unzutreffend. Sie wurde nach dem Krieg von ehemaligen Kabinettsmitgliedern, vor allem zur Selbstrechtfertigung, verbreitet. Sie ist wenig glaubhaft. Ohnehin wurde die Krise durch die Reichstagsauflösung keineswegs gemildert. Sie dauerte bis zum Ende der Weimarer Republik fort. Auch durch Notverordnungen gelang es nicht, der schweren Krise Herr zu werden. Die aufgehobene Verordnung vom 16. Juli 1930 war nur die erste in einer großen Zahl von Notverordnungen, die alle von der Regierung Brüning und ihren Nachfolgerinnen für erforderlich gehalten wurden, um Notlagen zu meistern. Am 26. Juli 1930 erließ Hindenburg eine neue, noch schärfere Notverordnung, die »Verordnung zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände«121. Sie enthielt zusätzlich zu den vom Reichstag aufgehobenen Regeln noch den Reichshaushalt 1930, Maßnahmen zur »Osthilfe« und Regelungen zur Arbeitslosen- und zur Krankenversicherung. Längerfristige Wirkungen entfaltete die Notverordnung nicht. Schon bald wurden weitere Maßnahmen für nötig erachtet und auf dem Verordnungswege festgesetzt. Die Reichstagsauflösung war ein schwerer politischer Fehlgriff. Sie »zog die erst für 1932 anstehenden Wahlen in die schwerste Wirtschaftskrise der Republik vor.«122 Selbst im Regierungslager gab es Stimmen, die vor Parlamentsauflösung und Neuwahl warnten. Reichsinnenminister Wirth hielt es in seiner Plenarrede am 18.  Juli 1930 für »eine ausgemachte Sache, daß nach der Neuwahl des Reichstags die Mehrheitsbildung noch viel schwieriger wird, als sie heute ist.«123 Die Ergebnisse der Landtags- und Kommunalwahlen ließen einen starken Stimmenanstieg für die NSDAP erwarten. Der DNVP-Abgeordnete Quaatz beschrieb in seinem Tagebuch die »[a]llgemeine Empfindung  : ein Stoß

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ins Herz des Parlamentarismus«.124 Nach der Neuwahl vom 14. September 1930 waren manche zuvor gangbare Wege abgeschnitten. Der Abgrund, in dem die Weimarer Republik schließlich versinken sollte, war nach der Neuwahl sichtbarer und der Untergang wahrscheinlicher als zuvor. Der Reichstag wurde mehr denn je zum Symbol des Zustandes der Republik. Die Hoffnung des alten liberalen Reichstagsabgeordneten Wilhelm Kahl am 17. Juni 1929, »daß es einem Deutschen Reichstag, daß es der Vertretung des deutschen Volkes dereinst beschieden sein [werde], das deutsche Volk wieder auf die Höhe des Glücks zu bringen, auf der [man] dann mit größerer Zuversicht als heute sagen [könne]  : Blüh’ im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland  !«125, wurde etwas mehr als ein Jahr später konterkariert. Die Einschätzung des früheren Reichsministers Treviranus aus dem Jahr 1968, die »Bilanz der Wahl von 1930« habe »der Reichsregierung bei nüchterner Überprüfung keine Kopfschmerzen machen« können126, zeigt, wie wenig die Regierung Brüning den Ernst der politischen Lage und die Gefahr, die von den radikalen Parteien ausging, begriffen hatte. Die SPD war für die Auflösung nicht verantwortlich. Sie musste als Weimarer ­Verfassungspartei das Recht des Reichstages, Notverordnungen aufzuheben, verteidigen. Auch »der Reichstag« als Organ war für die Auflösung nicht verantwortlich. Hätte das Parlament die Notmaßnahmen aus dem Juli 1930 geduldet, wäre es sicherlich später dennoch zum Schwur gekommen. Denn wie die Zeit zeigte, blieb es ja nicht bei wenigen Notverordnungen. Die sich noch verschärfende Wirtschaftskrise erforderte weitere Maßnahmen. Hindenburg und Brüning hätten in jedem Fall eines Widerstands des Reichstages das Parlament aufgelöst. Wenn nicht im Juli 1930, dann eben später. Die Auflösungsentscheidung wird noch deutlicher als politischer Fehler erkennbar, wenn man analysiert, wie die NSDAP und die KPD – die beiden großen Gewinner der 5.  Reichstagswahl  – schon im 4.  Reichstag agierten. Über die Zeit bis zum Rücktritt Hermann Müllers habe ich schon berichtet. Auch danach behielten die Radikalen ihre Verhaltensmuster bei. Zwischenrufe, Beleidigungen, Lärm und ideologische Reden kennzeichneten weiterhin die radikale Reichstagsopposition. Die Kommunisten fanden im Präsidialkanzler Brüning, den sie als »Hungerkanzler«127 bezeichneten und dem sie »jesuitische Heuchelei« vorwarfen128, ein noch stärkeres Feindbild als in dem mit Parlamentsmehrheit regierenden Sozialdemokraten Hermann Müller. Die kommunistischen Reden speisten sich aus dem Phrasenreservoir der »Weltrevolution«. Auch die NSDAP-Abgeordneten agitierten gegen die Regierung, den Weimarer Staat und gegen die demokratischen Parteien. Sie verbreiteten antisemitische und anti-»marxistische« Parolen. Der Reichstagsabgeordnete Wilhelm Frick, der

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zugleich Thüringer Innen- und Volksbildungsminister war, bezeichnete in einer Rede die Novemberrevolution als »das größte Verbrechen der Weltgeschichte« und »Landesverrat vom November 1918«129. Er warf der Reichsregierung eine seit zwölf Jahren betriebene »Tributpolitik, Unterwerfungspolitik und Versklavungspolitik« vor und äußerte sich antisemitisch, als er davon sprach, dass »artund volksfremde Kräfte am Werk [seien], das deutsche Volkstum zu zersetzen und zu zerstören. […] diese art- und volksfremden Kräfte [seien] in erster Linie die Juden.«130 Jeder, der diese Rede hörte oder las, wusste spätestens jetzt, wes Geistes Kind die Nationalsozialisten waren. Der Eindruck wurde noch durch mehrere beleidigende und immer wieder antisemitische Zwischenrufe vonseiten der NSDAP verstärkt131. Einer solchen Partei einen aller Voraussicht nach großen Stimmenzuwachs zu ermöglichen war ein massiver politischer Fehlgriff. Eine solche Partei zu wählen aber natürlich auch. Ulrich Herbert meint, mit der Auflösung des widerspenstigen Reichstages sei der »Übergang von der parlamentarischen Demokratie zur präsidialen Herrschaft« vollzogen worden.132 Diese Aussage ist ein wenig zu präzisieren. Die parlamentarische Demokratie lebte ja fort, immerhin wurden Neuwahlen angesetzt. Aber eine bedeutsame Zäsur, von der ich bereits gesprochen habe, ist zu erkennen  : der Übergang vom parlamentarischen zum halbparlamentarischen (»semiparlamentarischen«133) System. Die Rolle des Reichspräsidenten trat stärker hervor. Durch die Reichstagsauflösung und den Neuerlass der Notverordnung handelte Brüning, im Zusammenspiel mit Hindenburg, zum ersten Mal eindeutig gegen den Reichstag. Er regierte im Folgenden immer regelmäßiger ohne den Reichstag. »Das Präsidialregime, das bisher nur als Drohung existierte, wurde Wirklichkeit.«134 Der »Rubikon zum Präsidialregime«135 war überschritten, der »Übergang von der verdeckten zur offenen Präsidialregierung« 136 vollzogen. Der Konfrontationskurs Brünings und Hindenburgs zeigt, wie verfehlt es war, auf einen Minderheitskanzler zu setzen. Wenn sich der Reichspräsident und sein Umfeld vorrevolutionäre Verhältnisse zurückwünschten, war dies das eine. Zu meinen, ab 1930 obrigkeitsstaatliche Verhältnisse schaffen zu können, war eine klare Fehleinschätzung. Die Weimarer Verfassung war die Grundlage eines freiheitlich-demokratischen Staates mit einem starken Parlament und einem starken Reichspräsidenten. Diese beiden Verfassungsorgane mussten zusammenwirken, nicht gegeneinander. Die weite Auslegung des Notverordnungsrechts aus Art. 48 Abs. 2 WRV widersprach einem Grundgedanken der Verfassung. Spätestens als der Reichstag die Notverordnungen vom 16. Juli 1930 aufgehoben hatte, durfte der Reichspräsident sie nicht mehr neu (und durch weitere Maßnahmen erweitert) erlassen. Mag dies auch verfassungsrechtlich diskutabel sein und sollte

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die Notverordnung vom 26. Juli 1930 – was ich bestreite – verfassungskonform gewesen sein  : Hindenburg und Brüning begingen jedenfalls einen schweren und nachhaltigen politischen Fehler, als sie diese Notverordnung auf den Weg brachten. Sie ging inhaltlich über das vom Reichstag beanstandete Gesetzespaket hinaus. Der Reichspräsident und sein Reichskanzler desavouierten den Reichstag. Sie zeigten Parlamentsfeinden und Parlamentsskeptikern, wie vermeintlich nutzlos das Parlament war  : Wenn es sich gegen bestimmte Maßnahmen aussprach, konnte es aufgelöst werden – und noch viel härtere Maßnahmen konnten getroffen werden. Der 5. Reichstag Parteineugründungen

Im Vorfeld der Wahl wurden zwei neue Parteien gegründet. Beide wollten Brünings Kurs im 5. Reichstag unterstützen. Die DDP schloss sich am 28. Juli 1930 mit der »Volksnationalen Reichsvereinigung«, die zum nationalistischen »Jungdeutschen Orden« ( Jungdo) gehörte, und einigen DVP-Mitgliedern zur Deutschen Staatspartei (DStP) zusammen. Sie erhoffte sich, durch diesen Zusammenschluss und einen rechteren Kurs neue, junge Wählerschichten zu erschließen. Allerdings verlor sie zugleich prominente Linksliberale wie Hellmuth von Gerlach, Ludwig Quidde, Georg Bernhard und Anton Erkelenz. Die zweite Neugründung war eine (weitere) Abspaltung von der DNVP. Am 18.  Juli 1930 hatten  – wie bereits erwähnt  – 25 Abgeordnete des aufgelösten 4. Reichstages um den früheren Partei- und Fraktionsvorsitzenden Kuno Graf von Westarp die DNVP verlassen. Sie hatten – anders als es Hugenberg vorgegeben hatte – im Reichstag nicht gegen die Regierung Brüning stimmen wollen. Die Dissidenten taten sich am 23.  Juli 1930 mit der Volkskonservativen Vereinigung um Gottfried Treviranus und anderen Abgeordneten, die bereits am 3./4. Dezember 1929 aus der DNVP ausgetreten waren, zur Konservativen Volkspartei (KVP) zusammen. Westarp wurde Vorsitzender der neuen Partei. Die KVP unterschied sich in mehreren Punkten von der Hugenberg-DNVP  : Sie wollte die Regierung Brüning unterstützen, war nicht antisemitisch oder völkisch eingestellt und wollte die Verfassung erhalten. Aber auch die KVP befürwortete, wie die DNVP und andere rechte Parteien, Ideen, dem Reichspräsidenten mehr Macht einzuräumen und den Einfluss des Reichstages, z. B. durch den Erlass von Notverordnungen, zurückzudrängen. Der Staat sollte ein weniger parlamentarisches und stärker präsidial-autoritäres Gesicht erhalten. Die KVP

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band sich regelrecht an Brüning und Hindenburg. Der Reichskanzler war die »Schlüsselfigur für ein Verständnis der volkskonservativen Gesamthaltung«137. Die Partei war von Anfang an ein gemäßigt rechtes Elitenprojekt. Die Mitgliederzahl lag bei 10.000 Personen  ; eine richtige Parteiorganisation bestand nicht.138 Unterstützung erfuhr die KVP durch den Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband. Wahlkampf

Der Wahlkampf wurde mit hohem Aufwand geführt. Zeitgenossen sprachen von einer »Erbitterungs-«, »Sturm-« oder »Fieber-Wahl«. Die Werbeaktionen und Veranstaltungen fanden großenteils unter freiem Himmel statt. Vor allem in den größeren Städten gehörten Massenkundgebungen, Werbefahrten mit Auto- und Radfahrerkolonnen sowie Demonstrationen zum alltäglichen Bild des Reichstagswahlkampfes.139 Die Wahlkampfmaßnahmen waren schon zur Wahl im Mai 1928 moderner geworden  : Zahlreiche technische Hilfsmittel wie Tonfilme, Schallplatten und vereinzelt sogar Flugzeuge traten neben die üblichen Kundgebungen, Plakate und Flugblätter.140 Der Trend dazu setzte sich fort. Die Parteien warben besonders um Jung- und Nichtwähler.141 Reichskanzler Brüning absolvierte »einen beispiellosen Rede- und Versammlungsmarathon durch ganz Deutschland. […] einen von seinen Vorgängern nicht gekannten Reisewahlkampf.«142 Der Wahlkampf der NSDAP zeichnete sich – anders als manchmal zu lesen ist  – nicht durch eine besondere Modernität aus. Die Nationalsozialisten kopierten unter der Leitung von Joseph Goebbels eher die erfolgreichen Methoden der politischen Gegner.143 Kein Weimarer Wahlkampf ging ohne gewalttätige Auseinandersetzungen ab. Im Vergleich zu früheren Wahlkämpfen war aber in den Monaten vor der 5.  Reichstagswahl eine deutliche Steigerung zu erkennen.144 Die Gewalt ging vornehmlich auf das Konto der rechts- und der linksradikalen Parteien. Mindestens sieben Menschen ließen in diesem bis dahin blutigsten Wahlkampf der deutschen Geschichte ihr Leben.145 Preußen und das Reich sahen sich zu Waffenverboten, einige Länder zusätzlich zu Demonstrations- und Uniformverboten veranlasst. Das Wahlergebnis vom 14. September 1930

25 Parteien traten zur Wahl an. 42,9 Millionen Deutsche waren wahlberechtigt. 82 % (35,2 Millionen) von ihnen nahmen ihr Stimmrecht wahr. Die Wahl-

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beteiligung stieg damit um fast 4,5 Millionen (6,5 %) gegenüber 1928. Der 5. Reichstag hatte wegen der hohen Wahlbeteiligung 577 Mitglieder. Das waren 87 Abgeordnete mehr als nach der Wahl von 1928. Die Zahl der im Parlament vertretenen Parteien stieg von 13 auf 15 (wobei CSVD, KVP und DHP eine Fraktion bildeten). Stimmenanteil

Sitze im 5. Reichstag

SPD

Partei

24,5 %

143

NSDAP

18,3 %

107

KPD

13,1 %

77

Zentrum

11,8 %

68

DNVP

7 %

41

DVP

4,5 %

30

Wirtschaftspartei

3,9 %

23

DStP

3,8 %

20

CNBL (Deutsches Landvolk)

3,2 %

19

3 %

19

BVP

2,5 %

14

DBP

CSVD

1 %

6

KVP

0,8 %

4

DHP

0,4 %

3

WBWB

0,6 %

insgesamt

/

3 577

Die 5. Reichstagswahl (»Septemberwahl«) bewirkte einen politischen Erdrutsch. Zwar wurde die SPD erneut stärkste Partei (24,5 %). Sie verlor aber rund 571.000 Stimmen und kam auf 143 Mandate (minus neun). Zweitstärkste Partei wurde die NSDAP. Sie gewann rund 5,6 Millionen Stimmen hinzu und insgesamt ca. 6,4 Millionen Stimmen. Ihr Stimmenanteil stieg von 2,6 % auf 18,3 %, ihre Sitzzahl von zwölf auf 107. Harry Graf Kessler schrieb in sein Tagebuch  : »Ein schwarzer Tag für Deutschland.«146 Hermann Pünder, der die Neuwahl zuvor befürwortet hatte, notierte  : »Ein ganz fürchterliches Ergebnis  !«147 Drittstärkste Kraft wurde die KPD (13,1 %). Sie steigerte ihre Stimmenzahl auf ca. 4,6 Millionen und ihre Mandatszahl von 54 auf 77. Die republik- und demokratiefeindlichen Parteien hatten damit den zweiten und den dritten Platz erreicht. Das Zentrum und die BVP verzeichneten leichte Mandatszugewinne (plus sieben bzw. plus zwei). Aber der introvertiert wirkende Brüning war kein Wählermag-

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net. Das Zentrum gewann lediglich rund 400.000 Stimmen hinzu und war nur noch viertstärkste Partei. Die Partei blieb letztlich auf die katholischen Wähler beschränkt. Die konfessionelle Grundrichtung, die es dem Zentrum einerseits ermöglichte, Wähler verschiedener Gesellschaftsschichten anzusprechen, verhinderte andererseits  – wie schon bei früheren Wahlen  – größere Erfolge außerhalb der katholischen Gegenden. Bezogen auf das ganze Deutsche Reich mit seiner protestantischen Bevölkerungsmehrheit blieb das Zentrum eine kleinere Mittelpartei, zumal es ihm nicht gelang, sämtliche katholischen Wähler hinter sich zu sammeln. Stabil blieben die Wirtschaftspartei und die Kleinparteien DBP und DHP. Sie konnten in etwa ihre Mandate halten. Zu den großen Wahlverlierern gehörten die beiden liberalen Parteien. Die DVP büßte 15 Mandate ein. Das Ergebnis der neu gegründeten DStP war ebenfalls sehr bescheiden. Die Strategie, die Wählerbasis durch eine Zusammenarbeit mit rechten Kreisen und einen rechteren Kurs zu verbreitern, ging gar nicht auf. Die DStP büßte gegenüber der DDP-Fraktion des 4. Reichstages sogar noch elf Mandate ein. Ein Grund lag möglicherweise auch darin, dass prominente Linksliberale die Partei wegen des zu erwartenden rechteren Kurses verlassen hatten und sich linksliberale Wähler in ihr nicht mehr wiederfanden. Die DStP hätte auch noch fast ihren Fraktionsstatus verloren, da sechs Abgeordnete aus dem Umfeld des Jungdo sich kurz nach der Wahl bereits wieder von der DStP trennten. Nur weil der DStP ein weiterer Abgeordneter beitrat, konnte sie den Fraktionsstatus behalten. Ebenfalls starke Einbußen musste die DNVP hinnehmen. Sie verlor 32 und damit fast die Hälfte ihrer Mandate. Im Vergleich zur Reichstagswahl im Dezember 1924 hatte sie im September 1930 ca. 60 % ihrer Wähler verloren. Das mag an den abgespaltenen gemäßigt rechten Parteien gelegen haben, aber auch daran, dass der DNVP-Vorsitzende Hugenberg kein gewinnender Redner und schon gar kein »Menschenfischer« war. Er wirkte »etwa wie ein pensionierter Portier«148. Das Programm der Deutschnationalen, das unter anderem die Wiederherstellung der Monarchie forderte, war zudem nicht geeignet, große Wählerscharen zu gewinnen. Unter den kleineren, gemäßigten, von der DNVP abgespaltenen Rechtsparteien verzeichnete die CNBL starke Zugewinne (plus 13 Mandate). Der CSVD errang in seiner ersten Reichstagswahl 14 Mandate. Die erst Ende Dezember 1929 gegründete Partei, zu deren Mitgliedern mehrere ehemalige DNVP-Leute und -Abgeordnete gehörten, bejahte die Weimarer Verfassungsordnung. Sozialpolitische Forderungen bildeten den Schwerpunkt des Programms. Die mit großen Hoffnungen gestartete KVP blieb bei ihrer ersten Wahl überhaupt hinter

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den Erwartungen deutlich zurück. Sie erreichte ganze vier Mandate – und dies auch nur durch eine gemeinsame Reichsliste mit der CNBL. Sie blieb eine zu vernachlässigende Kleinstgruppierung. »Mit nur vier Abgeordneten im neugewählten Reichstag gelang es ihr nie, sich als lebensfähige parlamentarische oder politische Kraft zu etablieren.«149 Gemeinsam kamen die gemäßigten Rechtsparteien auf 37 Sitze. Der verhältnismäßig geringe Erfolg der drei DNVP-Abspaltungen lässt sich damit erklären, dass sie zu spät gegründet wurden. Sie entstanden, als sich viele Unzufriedene bereits von den gemäßigten Parteien abgewandt und den radikalen Nationalsozialisten zugewandt hatten.150 Dass die gemäßigten Rechten an der Reichstagswahl teilnahmen, bewirkte nur Verschiebungen im rechten Lager  : Die drei gemäßigten rechten Abspaltungen der DNVP (CNBL, CSVD, KVP) erreichten gemeinsam mit der DNVP 78 Mandate. Das waren drei mehr, als die DNVP bei der Reichstagswahl 1928 allein errungen hatte, aber sechs weniger, als DNVP und CNBL 1928 erreicht hatten. Die gemäßigten rechten Parteien zehrten also vom Bestand der DNVP. Neue Wählergruppen erschlossen sie sich nicht. Dafür zielten die CNBL und der CSVD zu sehr auf bestimmte Berufs- bzw. Bevölkerungsgruppen (Landwirtschaft bzw. protestantischer Mittelstand). Die Volkskonservativen, die den geringsten Erfolg errangen, hatten zwar viele qualifizierte Persönlichkeiten in ihren Reihen, aber keine schlagkräftige und breitenwirksame Organisation und Anhängerschaft. Ihre elitären Ziele sprachen die Massen nicht an. Die KVP-Anführer blieben »Offiziere ohne Soldaten«151. Die erhoffte außerkatholische Unterstützung für Brünings Kurs und für die obrigkeitsstaatlichen Träume in Hindenburgs Umfeld konnten sie nicht sein. Die antiparlamentarischen Wahlgewinner NSDAP und KPD

Die NSDAP hatte insgesamt rund 5,2 Millionen Wähler hinzugewonnen. Für diesen massiven Stimmenzuwachs gab es zwei Gründe. Der erste und wichtigste Grund war die Wirtschaftskrise. Sie führte zu einem erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit. 1928 hatte es rund 1,391 Millionen Arbeitslose gegeben. Die Arbeitslosenquote hatte bei 6,3 % gelegen. 1929 waren dann schon 1,899 Millionen und 1930 3,076 Millionen Menschen ohne Arbeit. Die Arbeitslosenquote betrug 1930 14 %. Innerhalb von zwei Jahren hatte sich die Arbeitslosenzahl also mehr als verdoppelt. Arbeitslosigkeit bedeutete Armut  – nicht nur für die Arbeitslosen selbst, sondern auch für ihre Familien. Eine Besserung war im Herbst 1930 nicht zu erkennen. Viele Menschen, die noch eine Arbeitsstelle hatten, fürchteten diese zu verlieren und gesellschaftlich abzusteigen. Viele Deutsche

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suchten daher nach einem Ventil für ihren Unmut über die Regierung und nach einem Retter. Harry Graf Kessler schrieb am 15. September 1930 in sein Tagebuch, der Nationalsozialismus sei »ein Fiebererscheinung des strebenden deutschen kleinen Mittelstandes«, und sah zugleich voraus, dass »dieser Giftstoff seiner Krankheit […] Deutschland und Europa auf Jahrzehnte hin verelenden« könne.152 Die NSDAP als Anti-Weimar-Partei artikulierte den Unmut über das Weimarer »System«. Zugleich schien sie mit ihrem »Führer« Adolf Hitler den starken Retter in ihren Reihen zu haben. Hitlers Reden erscheinen uns Heutigen skurril und abstoßend. Das liegt auch daran, dass wir den unheilvollen Fortgang der Geschichte kennen. Wir wissen, dass Hitler seine kruden und menschenverachtenden Ideen wirklich in die Tat umsetzte. Auf viele Zeitgenossen wirkten die emotionalen Ausbrüche und Hasstiraden und der verquaste Stil, in dem sich Hitler äußerte, anziehend. Sie sahen Hitler als ihren »Führer« an. Er sollte Deutschland aus allem, was störend und belastend erschien, retten  : den Versailler Vertrag revidieren, Deutschland zu »alter Stärke« führen, die Wirtschaftskrise überwinden und den Weimarer Staat beseitigen. Die Weimarer Republik sahen viele Deutsche als Kind eines feigen Dolchstoßes und als von zänkischen Parteien schlecht regiertes Gebilde an. Ein zweiter Grund für die Stimmenzuwächse der NSDAP war der seit dem Ende der 1920er Jahre wachsende Nationalismus. Viele Parteien des bürgerlichen Lagers und auch die beiden katholischen Kräfte orientierten sich stärker nach rechts. Die Unzufriedenheit und der Drang vieler Wähler ins rechte Lager kamen nicht – wie noch in den 1920er Jahren – der DNVP zugute. Die Partei galt vielen zu Recht als Hort reaktionärer Eliten. Ihr schwerreicher und monarchistischer Vorsitzender Alfred Hugenberg verkörperte dies geradezu. Auch die DVP und die DStP, die sich nach rechts orientierten, galten als eher elitäre Parteien. Ihre Spitzenpolitiker waren beileibe keine »Volkstribune« wie Hitler. Im Ergebnis sammelten die Nationalsozialisten vor allem viele Stimmen früherer Wähler der DNVP, aber sicherlich auch von ehemaligen Anhängern der DVP und der DDP ein. Außerdem kamen ihnen die Stimmen vieler Jung- und früherer Nichtwähler zugute. Die NSDAP profitierte von ihrer programmatischen Ambivalenz. Schon ihr Name vereinte ja Nationalismus und Sozialismus und den Anspruch, eine Arbeiterpartei zu sein. Die NSDAP forderte den starken Nationalstaat, der den Versailler Vertrag revidierte. Zugleich äußerten sich Parteivertreter ausdrücklich antikapitalistisch sowie gegen alte, reaktionäre Eliten. Die NSDAP verstand sich als Gegenbewegung zu bestehenden Zuständen. Sie versprach, an die Stelle des von ihr bekämpften einen innen- wie außenpolitisch mächtigen

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Staat zu setzen, regiert von einem starken »Führer«. Die Partei propagierte die auf Gleichheit ausgerichtete »Volksgemeinschaft«. Vermeintlich germanische Werte wurden beschworen. Die Aussagen und Forderungen der NSDAP erreichten wegen ihrer Ambivalenz alle Bevölkerungsschichten. Dennoch gab es deutliche regionale und soziologische Wählerschwerpunkte. Die NSDAP war eine »Partei der evangelischen Bevölkerungsmehrheit«.153 Ihre größten Erfolge erzielte die NSDAP bei der Reichstagswahl 1930 im evangelischen Nord- und Ostdeutschland, und dort vor allem in Kleinstädten. Ihre Ideologie fiel hier auf besonders fruchtbaren Boden, da sich die Landbevölkerung schon seit der zweiten Hälfte der 1920er Jahre durch einen Preisverfall landwirtschaftlicher Produkte in höchsten ökonomischen Schwierigkeiten befand. Diese Krise erfasste nicht nur Bauernfamilien und Angestellte in der Land- und Forstwirtschaft, sondern auch die Gewerbetreibenden in den Kleinstädten, die auch von der Landbevölkerung lebten. Viele norddeutsche Landwirte organisierten sich in der »Landvolkbewegung«. Die Stadt Neumünster wurde mehrere Monate lang von Lieferungen abgeschnitten, bis eine beschlagnahmte Fahne der Protestierenden wieder herausgegeben wurde. Hans Fallada hat in seinem Roman »Bauern, Bonzen und Bomben« (1931) die Not der Bauern und die Schwierigkeiten der Behörden, die Ordnung zu wahren, eindrücklich beschrieben. Als Redakteur einer schleswig-holsteinischen Lokalzeitung war er Augenzeuge der Umtriebe der »Landvolkbewegung«. Er zeigte in seinem Roman auch, wie interessierte deutschnationale Kreise Einfluss auf die Landvolkbewegung nahmen und sie aufzustacheln versuchten. Der eigentliche Nutznießer der Proteste – das schrieb Fallada nicht – war aber nicht die DNVP (oder Agrarparteien), sondern die NSDAP. Die Nationalsozialisten zogen mit ihrer »Blut-und-Boden-Ideologie«, ihrem »Führerkult«, ihrer Abrechnung mit dem »System« und antikapitalistischen Äußerungen viele ländliche Wähler in evangelischen Gebieten an. Neben der klassischen Landbevölkerung wählten Angestellte die NSDAP, die um ihren Arbeitsplatz bangten und den gesellschaftlichen Abstieg fürchteten. Die NSDAP war – anders als die KPD154 – nicht die stärkste Partei unter den Arbeitslosen. Sie war eher die Partei derjenigen, die vor der Arbeitslosigkeit und dem sozialen Abstieg Angst hatten. Der NSDAP gelang es, in die zwei protestantischen Milieus einzudringen  : das bürgerlich-städtische und das agrarkonservativ-ländliche. Die Kampfansage der Nationalsozialisten gegen Marxismus und gegen politischen Katholizismus wirkte für die Angehörigen der protestantischen Milieus in Stadt und Land als »unverbrauchte Spielart« der Aussagen, die man aus den führenden Kreisen der Kaiserzeit und von den liberalen und rechten Parteien der Weimarer Republik (DNVP, DVP, DDP/DStP) gewohnt war.155 Vieles schien vertraut und deswe-

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gen zustimmungsfähig. Der Graben zwischen den bisher gewählten Parteien und der NSDAP schien vielen Wählern nicht so breit zu sein. Zugleich überwand die NSDAP die Kluft zwischen Stadt und Land, indem sie an nationalistische Einstellungen anknüpfte und die (klassenlose) »Volksgemeinschaft« propagierte. Mit einer autoritären Ausrichtung hatten die Wähler, die im Obrigkeitsstaat sozialisiert worden waren, keine Probleme. Sie wünschten sich geordnete politische und wirtschaftliche Verhältnisse in einem starken Nationalstaat. Soziale Unruhen und die vermeintliche politische Schwäche des Reiches nach dem Krieg waren ihnen verhasst. Ein weiterer Faktor für ihren Erfolg war die Propaganda der NSDAP. Sie beachtete (bis 1945) entscheidende Grundgesetze der modernen Massenpsychologie  : System und Theorie auf knappe, einprägsame Leitsätze und Schlagworte bringen  ; Tatsachen behaupten – und weniger durch Beweis als durch konstante Wiederholung der Behauptung, ihnen die suggestive Wirkung der Reklame geben  ; da die Masse in Bildern denkt, Symbole herausstellen   : eindeutige, möglichst personifizierte Feindbezeichnungen schaffen   : »das nationale Unglück – die Internationale, das Judentum und die Sozialdemokratie.« Und vor keiner Schmähung, Verunglimpfung, Diffamierung zurückschrecken, selbst nicht vor der Anwendung physischer Gewalt – dies alles wurde rücksichtslos in die Praxis umgesetzt. In Reden, Versammlungen, Aufmärschen, nicht zuletzt in der Presse, die einschließlich des Zentralorgans, des »Völkischen Beobachters«  – von den verschiedenen Provinzblättern ganz zu schweigen – ein mitunter kaum zu unterbietendes Niveau der Demagogie zeigt. Es mußte zwar für die besten Elemente abstoßend wirken, aber erfüllte ganz seine taktische Aufgabe  : die Massengewinnung. Der 14. September erbrachte den Beweis.156

In den katholischen Landesteilen – in Westfalen, im Rheinland, in der Pfalz und in Süddeutschland – war die NSDAP bei Weitem nicht so erfolgreich. Die katholische Wählerschaft des Zentrums und der BVP widerstand den Angeboten und Versprechungen. Auch im traditionellen Arbeitermilieu entschieden sich viele Menschen weiterhin für die SPD oder die KPD und nicht für die NSDAP. In die festgefügten Milieus konnte die NSDAP – wenngleich sie den Milieuparteien auch Wähler abnahm – bis 1933 nicht eindringen. Der Wahlerfolg zahlte sich für die NSDAP auch finanziell aus. Nun flossen ihr in deutlich größerem Umfang als bisher Industriespenden zu.157 Sie hatte sich bis dahin größtenteils über Aufnahmegebühren für Neumitglieder, Mitgliedsbeiträge und Eintrittsgelder für Parteiveranstaltungen sowie Spenden klei-

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ner und mittelständischer Unternehmer finanziert.158 Großspender, von denen immer wieder gemunkelt wurde, waren in den 1920er Jahren sehr selten. Eine Ausnahme war der Industrielle Fritz Thyssen, der der Partei beim Kauf der Parteizentrale in München half. Die andere Krisen- und Wahlgewinnerin war die KPD. Sie wurde von vielen Arbeitslosen gewählt und erreichte ihre Stimmenzuwächse auf Kosten der SPD. Denn das klar antikapitalistische Programm der Kommunisten schien mit dem Sozialismus einen Ausweg aus wirtschaftlicher Not und gesellschaftlicher Ungleichheit zu weisen. Welches Terrorregime Lenin, Stalin und ihre Genossen in der Sowjetunion geschaffen hatten, war vielen Deutschen nicht bewusst. Zugleich bediente die KPD die Wut vieler Wähler auf die republiktreuen Parteien und insbesondere auf die SPD. Ihr warf die KPD vor, die Revolution 1918/19 verraten zu haben und mit ihrer »sozialfaschistischen« Politik den rechten Faschisten den Weg zu ebnen. Beide Wahlgewinner, die NSDAP und die KPD, waren nicht nur vom Gründungsdatum her »junge Parteien«. Viele ihrer Anhänger, viele ihrer Funktionäre und viele ihrer Abgeordneten waren verhältnismäßig jung.159 Dasselbe gilt für die Mitglieder. 1930 waren ca. 70 % der NSDAP-Mitglieder jünger als 40 und 37 % sogar jünger als 30 Jahre.160 Für die KPD-Mitglieder dürfte Ähnliches gelten. Im 5.  Reichstag war die Mehrzahl der NSDAP- und der KPDAbge­ordneten zwischen 30 und 40 Jahre alt. Viele der Männer, die im »Dritten Reich« hohe Funktionen bekleideten, erreichten 1928 bzw. 1930 recht jung ein Reichstagsmandat. Joseph Goebbels (M.d.R. seit 1928), Hans Frank und Heinrich Himmler (beide M.d.R. seit 1930) waren jeweils erst 30, Hermann Göring (M.d.R. seit 1928) 35 Jahre alt. In der kommunistischen Reichstagsfraktion saßen mehrere junge Abgeordnete. Ernst Torgler (M.d.R. seit 1924) war bei seiner ersten Wahl 31 und 1930 37 Jahre alt. Walter Ulbricht (M.d.R. seit 1928), der spätere Staatsratsvorsitzende und Generalsekretär des ZK der SED, wurde mit 34 Jahren Abgeordneter. Die demokratischen Parteien hingegen hatten deutlich mehr ältere Abgeordnete, zum Teil mit jahrzehntelanger politischer Erfahrung, in ihren Reihen. Dieser Umstand ermöglichte es der NSDAP und der KPD, sich als junge, frische, lebendige Alternative zur angeblich verkrusteten und vergreisenden Weimarer Staatselite darzustellen. Im 1. Reichstag hatte der Anteil der Weltkriegsteilnehmer rund 25 % betragen. Mit der Septemberwahl 1930 erhöhte er sich spürbar. 1932 sollte der Anteil der Kriegsteilnehmer schon bei über 60 % liegen. Der Krieg wurde damit auch zum wichtigen Gegenstand der Diskussionen und der Parteienrhetorik.161 So behauptete der NSDAP-Fraktionsvorsitzende Wilhelm Frick in der Reichstags-

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sitzung am 15. Oktober 1930, Paul Löbe sei »Kriegsdienstverweigerer«. Zurufe aus der SPD-Fraktion bezeichneten ihn im Gegenzug als »Heimkrieger«. Der Abgeordnete Georg Leber bemerkte  : »Sie haben den Krieg praktisch verweigert.« Und fragte  : »Wo war Frick im Kriege  ?«162 In der Reichstagssitzung am 18. Oktober 1930 warf ein Zwischenrufer aus der SPD dem NSDAP-Abgeordneten Graf zu Reventlow, der zuvor den SPD-Mann Hoegner beleidigt hatte, vor, ein »Kriegsdrückeberger« zu sein.163 Der Vorwurf wurde, mit anderen Wendungen, mehrfach wiederholt.164 Brüning sucht einen Bündnispartner im Reichstag

Das Wahlergebnis war verheerend. Eine parlamentarische Basis für eine Regierungsbildung war nur noch dann vorhanden, wenn sich ein lagerübergreifender Konsens bildete  – und Hindenburg den Zusammenschluss goutierte. Die Verantwortung für diesen Umstand trugen erstens Hindenburg und Brüning. Sie hatten die Wahl durch die Reichstagsauflösung erst ermöglicht. Zweitens und nicht minder trugen die rund elf Millionen Wähler, die für systemfeindliche Parteien stimmten, die Verantwortung für die schwierigen Mehrheitsverhältnisse. Nimmt man die ca. 2,46 Millionen DNVP-Stimmen hinzu, waren es sogar fast 13 Millionen Menschen (etwa 36 %), die der Republik und dem Parlamentarismus eine Absage erteilten. Betrachten wir die komplizierten Mehrheitsverhältnisse näher  : Für die absolute Mehrheit waren 289 Abgeordnete erforderlich. Sie konnte nur durch ein lagerübergreifendes Bündnis von rechts bis links erzielt werden. Eine Mitte-rechts-Regierung, wie sie zwischen Ende 1923 und Mai 1928 bestand (»Bürgerblock«), hätte keine Mehrheit gehabt. Selbst wenn sich alle rechten und gemäßigt rechten Parteien mit den katholischen und den liberalen Parteien zusammengetan hätten, hätten sie nicht die absolute Mehrheit auf sich vereinigt. Ohnehin war eine solche Konstellation wegen der antirepublikanischen Haltung der Hugenberg-DNVP und wegen deren Gegnerschaft zu ihren Abspaltungen CNBL, CSVD und KVP ausgeschlossen. Die Parteien der Weimarer Koalition (SPD, Zentrum und DStP) kamen  – nach der Verkleinerung der DStP-Fraktion – gemeinsam nur auf 226 Sitze. Die Parteien der vormaligen Großen Koalition (SPD, Zentrum, DStP, DVP, BVP) erreichten zusammen lediglich 275 Mandate.165 Sie hätten, um eine Parlamentsmehrheit zu erzielen, die Wirtschaftspartei oder die Fraktion aus CSVD-­ KVP-DHP für sich gewinnen müssen. Die CNBL und die DNVP kamen als Partner nicht infrage. Weder die Deutschnationalen noch die Christlich-Natio­

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nalen waren bereit, eine Koalition mit der SPD einzugehen. Ob eine Neuauflage der Großen Koalition mit Beteiligung von CSVD-KVP-DHP oder der Wirtschaftspartei hätte zustande kommen können und stabil genug gewesen wäre, ist sehr fraglich. Die Tolerierung der Regierung Brüning durch die SPD im 5. Reichstag – auf die gleich noch zurückzukommen sein wird – liefert gewisse Anhaltspunkte dafür, dass ein solches Bündnis auf Zeit doch hätte funktionieren können. Aber das Hindernis war der Reichspräsident. Hindenburg hätte eine solche Regierung nicht unterstützt. Bei Brünings Ernennung machte er deutlich, dass er die SPD nicht mehr in der Regierungsverantwortung sehen wollte. Sein Umfeld teilte diese Auffassung. Somit blieb es beim Präsidialkabinett Brüning in der bekannten personellen und politischen Zusammensetzung. Die Regierung bestand weiterhin aus Mitgliedern von sieben (!) Parteien der Mitte und des rechten Spektrums. Allerdings brachten die Regierungsparteien nur 183 Mandate auf die Waage. Das war nicht einmal ein Drittel der Reichstagssitze  – und ein Mandat weniger, als NSDAP und KPD gemeinsam aufwiesen. Überdies waren Reichsminister Schiele, die Wirtschaftspartei und die DVP keine einfachen Bundesgenossen. Ein zusätzlicher starker Bündnispartner war also nötig, um Misstrauensvoten der Reichstagsmehrheit (Art. 54 WRV) und die Aufhebung rechtsetzender Notverordnungen des Reichspräsidenten (Art.  48 Abs.  3 WRV) zu verhindern. Ohne Notverordnungen konnte das Präsidialkabinett Brüning mangels Reichstagsmehrheit nicht regieren. Das Kabinett benötigte zum politischen Überleben einen weiteren Koalitionspartner oder eine Tolerierungszusage. Da Hindenburg eine Erweiterung nach links ebenso wie eine Regierungsbeteiligung der NSDAP ablehnte und die DNVP sich nicht beteiligen wollte, blieb nur die Tolerierung durch die NSDAP oder die SPD übrig. Brüning führte im September und Oktober mit beiden Parteien getrennte Gespräche. Die Unterredungen mit der NSDAP blieben erfolglos. Hitler wollte Brüning nicht dulden. Hingegen erklärte die SPD sich bereit, das Kabinett Brüning zu tolerieren. Hindenburg wandte dagegen (fürs Erste) nichts ein. Die SPD befand sich dabei in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite lehnten viele Mitglieder eine Zusammenarbeit mit Brüning – erst recht ohne Regierungsbeteiligung – ab. Auf der anderen Seite wollte die SPD-Führung den Fortbestand der SPD-geführten Weimarer Koalition in Preußen sichern. Außerdem wollte sie einen Zugriff der NSDAP auf die Regierungsgeschäfte im Reich (und in Preußen) verhindern. Die SPD sah eine Tolerierung im Vergleich zu einer Regierungsbeteiligung der NSDAP als kleineres Übel an. Die Regierung Brüning hatte durch die Duldung eine sichere Basis im Reichstag. Misstrauensvoten konnten abgewehrt und

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Aufhebungsanträge gegen Notverordnungen abgelehnt werden. Wenngleich die Tolerierung innerhalb der SPD heftig umstritten war – eine andere Möglichkeit, eine Reichstagsmehrheit durch verfassungsfreundliche Parteien zu erreichen, bestand nach Lage der Dinge nicht mehr. Die Verfassungsfeinde NSDAP und KPD waren durch die von Brüning und Hindenburg angesetzte Wahl zu stark geworden. Die Arbeit des 5. Reichstages

Der 5. Reichstag konstituierte sich am 13. Oktober 1930. Schon an diesem Tag zeigte sich, dass sich die politische Lage stark verändert hatte. Die Gefährdung der demokratischen Republik war mit Händen zu greifen. Schon im 4. Reichstag hatte es NSDAP-Vertreter und Kommunisten gegeben. Die NSDAP war aber eine Kleingruppe mit zwölf Abgeordneten gewesen. Im 5. Reichstag wollte die NSDAP ihre neue Stärke demonstrieren. Alle 107 NSDAP-Abgeordneten betraten den Plenarsaal in der braunen SA-Uniform. Auf einem bekannten Foto Erich Salomons ist der »braune Block« rechts außen im Plenum zu sehen. Die Uniformierung machte einen martialischen Eindruck, gerade im Gegensatz zu den zivil gekleideten übrigen Abgeordneten. Die NSDAP-Abgeordneten stimmten während der Eröffnungsansprache des Alterspräsidenten »Heil-Rufe« an.166 Viele Tausend NSDAP-Anhänger hatten sich in der Bannmeile um den Reichstag versammelt. Die Polizei musste die Bannmeile räumen. Rechte Publikationen übten daran Kritik. Sie versuchten, den regierenden Parteien bzw. der Reichstagsmehrheit eine gewaltsame Unterdrückung der NSDAP-Anhänger anzudichten. In einigen Gegenden Berlins, etwa am Leipziger und am Potsdamer Platz, kam es antisemitischen Übergriffen. Ein weiteres Krisensymptom war das Debattenklima im 5.  Reichstag. Die Plenarberatungen waren schon in den vorherigen Wahlperioden oftmals aufgeheizt gewesen. Das Klima im Reichstag war in vielem ein Abbild des gesellschaftlichen Klimas. Viele Zwischenrufe und Beleidigungen sowie eine häufige große Unruhe hatten die Sitzungen gestört. Manche Sitzungen mussten unterbrochen werden. Über die Beratungen zum Young-Plan und zum zweiten Republikschutzgesetz habe ich bereits berichtet. Die Störungen gingen nahezu immer von den radikalen Parteien aus. Der Schwerpunkt lag in den 1920er Jahren bei der KPD, da diese zahlenmäßig deutlich stärker vertreten war als die NSFB (1924 bis 1928) oder die NSDAP (ab 1928). Selbst die Ordnungsmaßnahmen der sitzungsleitenden Präsidenten (Ordnungsruf, Wortentziehung, Sitzungsausschluss) hatten nicht gefruchtet.

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Durch die Zusammensetzung des 5.  Reichstages mit einer sehr großen ­ SDAP-Fraktion verschlechterte sich die Lage weiter. Insoweit setzten bereits die N ersten Sitzungen »Maßstäbe« (in einem negativen Sinne). Als der neu gewählte Reichstag das erste Mal zusammentrat, störten Lärm und Pfiffe die Sitzungen. NSDAP- und KPD-Abgeordnete »bedachten« in dieser Weise die Redner der jeweils anderen Seite. Schon bei der Abstimmung darüber, ob bestimmte Anträge auf die Tagesordnung gesetzt werden sollten, gab es große Unruhe, erregte und lebhafte Zurufe.167 Theodor Wolff hatte es im Berliner Tageblatt befürchtet, als er sich am Wahltag mit den zu erwartenden Stimmenzuwächsen der Nationalsozialisten befasste  : »Der Reichstag, unablässig gestört durch die Entladungen ihres Geistes, wird Mühe haben, über die schweren Aufgaben, deren Lösung das Land erwartet, sachlich zu debattieren, und dann werden die Schieber, die dieses Resultat gewollt und die nachschwätzenden Spiesser, die den Heulchor gewählt haben, empört behaupten, ›der Parlamentarismus‹ sei schuld daran.«168 Die erstarkte NSDAP-Fraktion versuchte sodann in der zweiten Sitzung, in der traditionsgemäß die Wahl des Vorstandes (Präsident, Vizepräsidenten und Schriftführer) anstand, eine Machtprobe mit den republiktreuen Parteien. Die NSDAP unterstützte den widerstrebenden169 DVP-Vorsitzenden Ernst Scholz bei der Wahl zum Reichstagspräsidenten. Die SPD hatte den bisherigen bewährten Reichstagspräsidenten Paul Löbe vorgeschlagen. Die Zusammenarbeit der DVP und der NSDAP an dieser Stelle war ein Krisensymptom  : Die DVP als liberale Partei, die vor einem halben Jahr noch mit der SPD koaliert und schon zuvor mehrere Jahre lang Regierungsverantwortung getragen hatte, scheute sich nicht, mit den Staatsfeinden zusammenzuarbeiten. Die DVP steuerte sichtbar nach rechts. Der republikloyale Stresemann-Kurs schien vergessen, zumal angesichts der Stimmenverluste bei der Wahl. Die NSDAP unterstützte nicht nur den Gegenbewerber des langjährigen bewährten Reichstagspräsidenten Löbe. Ihr Fraktionsvorsitzender Frick versuchte zugleich, Löbe und die SPD herabzusetzen. Er bezeichnete Löbe als »Kriegsdienstverweigerer« und sprach von den »volks- und staatsfeindlichen Marxisten«170. Dass diese Aussagen nur den heftigen Widerspruch der Sozialdemokraten hervorriefen, aber nicht einmal der Alterspräsident, der die Sitzung leitete, dagegen einschritt, zeigt, in welch unruhiges Fahrwasser die Republik und der Reichstag geraten waren. Löbe setzte sich zwar in einer Stichwahl, in der die einfache Mehrheit genügte, mit 269 zu 209 Stimmen gegen Scholz durch.171 Doch die Mehrheit der Mitglieder des Hauses erhielt er – anders als im Juni 1920, im Januar 1925 und im Juni 1928 – nicht mehr. Löbe appellierte nach seiner Wahl an alle Abgeordneten, »die unbedingte Arbeitsfähigkeit des Hauses zu sichern.«172 Die Wäh-

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6  Die NSDAP-Fraktion nimmt an der konstituierenden Sitzung des 5. Reichstages am 13. Oktober 1930 geschlossen in Uniform teil. © Erich Salomon, Berlinische Galerie, BG-ESA 585/c.

ler erwarteten von den Abgeordneten »sachliche und ernste Arbeit«. Löbe bat darum »die unvermeidlichen Gegensätze in einer vornehmen Form auszutragen.«173 Der Appell verhallte schon gleich ungehört  : Das Plenarprotokoll verzeichnete »[s]türmische Protestrufe der Nationalsozialisten«.174 Löbes gesamte Ansprache wurde von lauten und erregten Zwischenrufen der NSDAP-Fraktion begleitet. Zu Löbes Stellvertretern wurden erneut Walther Graef (DNVP) und Thomas Esser (Zentrum) sowie mit Franz Stöhr zum ersten Mal ein Nationalsozialist gewählt. Die NSDAP-Fraktion reagierte auf den Vorschlag, Stöhr zu wählen, und auf dessen Wahl mit »Heil-Rufen«.175 Zu solchen – zu einer NSDAP-Veranstaltung, aber nicht zu einer Parlamentssitzung passenden – Rufen kam es immer wieder.176 Im Kreis der Schriftführer war die NSDAP ebenfalls erstmals vertreten. Die Wahl Stöhrs und zweier Schriftführer aus der NSDAP folgte dem im Reichstag üblichen Grundsatz, die stärksten Fraktionen bei der Ämtervergabe zu berücksichtigen. Die KPD, immerhin die drittstärkste Fraktion, war schon »traditionell« davon ausgenommen.

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7  Die erste Sitzung des neuen Ältestenrates im Anschluss an die Präsidentenwahl am 15. Oktober 1930. In der Mitte sitzt Paul Löbe (SPD). Rechts neben ihm sitzt der Direktor beim Reichstag Reinhold Galle. Daneben sind Wilhelm Frick und Hermann Göring (beide NSDAP) zu erkennen. Der Vierte von rechts ist Ernst Torgler (KPD), der Zweite von rechts Rudolf Breitscheid (SPD). © Erich Salomon, Berlinische Galerie, BG-ESA 567.

Die Störungen setzten sich fort. Die Regierungserklärung Brünings am 16. Oktober 1930 und die daran anschließende Aussprache über drei Sitzungstage sowie die erste und zweite Beratung des Gesetzes zur Schuldentilgung waren begleitet von zahlreichen, zum Teil beleidigenden, Zwischenrufen. Als der Reichs­kanzler ans Rednerpult trat, riefen ihm KPD-Abgeordnete »Nieder mit der Hungerregierung  ! Abtreten  !«177 und »Hungerkanzler  ! Abtreten  !«178 entgegen. Die Rede Brünings und die Rede des Reichsfinanzministers Dietrich (dazu Abb. 2) wurden durch massiven Lärm gestört.179 Weitere Redner sahen sich großer Unruhe gegenüber. Die wiederholten Appelle der sitzungsleitenden Präsidenten zur Ruhe hatten keinen Erfolg. Die Redner, die über kein Mikrofon verfügten, waren häufig nicht zu verstehen. Reichstagspräsident Löbe versuchte den NSDAP-Mann Robert Ley zu mäßigen  : »Sie überschreien nicht nur den Minister, sondern auch den Präsidenten.«180 Bei Lärm blieb es nicht. Löbe erteilte Ley in der 5. Sitzung einen Ordnungsruf »wegen Belästigung der Regierungsvertreter«.181 Den Abgeordneten Erich Koch (NSDAP), wie Ley ab 1933 einer der

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hohen Funktionäre des NS-Regimes, schloss Löbe aus der Sitzung aus.182 Sogar eine ­fünfminütige Unterbrechung dieser Sitzung wurde nötig, um die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen.183 Die NSDAP und die KPD störten den Sitzungs­ betrieb auch durch beleidigende Reden und Zwischenrufe. Sie setzten sich gegenseitig, die demokratischen Parteien und die Weimarer Republik mit ihren Institu­tionen herab. An den herabsetzenden Reden der NSDAP- und der KPD-­ Vertreter beteiligten sich auch Abgeordnete der nach rechts außen ins Lager der Republikfeinde gerückten DNVP. Die republikfeindlichen Abgeordneten sprachen in Richtung der republiktreuen Parteien und Mandatsträger von »Ihre[r] wackelige[n] Weimarer Verfassung«184 oder von der Verfassung als einem »mehr oder minder durchlöcherte[n] Instrument von fragwürdigem Wert«185. Sie forderten die »Beseitigung des politischen Systems, in dem wir heute stehen«186, oder riefen  : »Es lebe die Revolution  !«187 Die politischen Kontrahenten wurden mit »Juden, Freimaurer, Jesuiten, November-Verbrecher, Moskausöldlinge«188 angesprochen oder es wurden Zurufe als »dumme Zwischenrufe von dort«189 bezeichnet. Es fielen Beleidigungen wie »Gesinnungslumpen«,190 »Hallunke«191 [sic  !], »Sie unverschämter Bursche«192, »Lügner«193, »Schieber«194, »Sie sind der Clown in diesem Zirkus«195, »Ausbeuter«196, »Skunk«197 und »Verräter«198. Der ermordete Reichsminister Erzberger wurde des Landesverrats geziehen.199 Bei einigen Reden kommunistischer oder sozialdemokratischer Abgeordneter verließen die Nationalsozialisten demonstrativ den Saal.200 Schon während der ersten fünf Sitzungen der 5. Wahlperiode erteilten Reichstagspräsident Löbe und sein Stellvertreter Esser rund 50 Ordnungsrufe. Ihre Versuche, dauerhaft Ordnung zu schaffen, waren meistens vergeblich. Paul Löbe appellierte zu Beginn der 5. Sitzung  : »Ich hoffe doch, daß wir nach und nach aus dem Toben zu fachlichen Verhandlungen kommen. Ich habe bemerkt, daß die Führer aller Parteien bemüht sind, das zu unterstützen. Möchten es also auch die Mitglieder aller Parteien tun.«201 Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Im weiteren Verlauf der 5.  Sitzung kam es zu Unruhe und zahlreichen anderen Störungen. Beispielsweise provozierten die Kommunisten eine Sitzungsunterbrechung, indem sie die »Internationale« sangen.202 Selbst humorvolle Ermahnungen vom Präsidentenstuhl blieben ungehört. So z. B. als Löbe den NSDAP-Abgeordneten Joseph Goebbels ansprach  : »[…] ehe Sie hereinkamen, war es so friedlich. Warum kann das nicht so bleiben  ?«203 Vizepräsident Stöhr (NSDAP) changierte zwischen parteiischer Sitzungsleitung zugunsten seiner Fraktion und einem Ordnungsruf gegen seinen Parteikollegen Strasser.204 Die ersten Sitzungen setzten den Ton der Wahlperiode. Die rechten und linken Parlamentsfeinde nutzten während der gesamten 5.  Wahlperiode den

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Reichstag als Bühne, um ihre eigene Ideologie darzustellen und um die Weimarer Republik und die politischen Gegner anzugreifen und herabzusetzen. Sacharbeit leisteten die NSDAP und die KPD nicht. Sie interessierten sich nicht dafür, die bestehenden großen wirtschaftlichen und sozialen Probleme Deutschlands auf dem Boden der Weimarer Verfassung zu lösen. Nationalsozialisten und Kommunisten wollten die Republik abschaffen und durch eine Alleinherrschaft ihrer jeweiligen Partei ersetzen. Sie wollten die jeweils andere radikale Partei zerstören. Ihre Anträge und Reden verfolgten nur das Ziel, die eigene Ideologie zu verbreiten. Sie waren reine Propaganda und Wahlwerbung. Gesetzentwürfe, also Vorschläge zur Lösung von Problemen, brachten die radikalen Parteien gar nicht erst ein. Ihre Redebeiträge glichen einander  : Wer eine KPD-Rede gehört hatte mit ihrem revolutionären Pathos, der Glorifizierung der Sowjetunion und der Ablehnung der Weimarer Republik, der kannte alle.205 Dasselbe galt von den Reden der NSDAP  : Sie glorifizierten Hitler und machten die demokratische Republik sowie deren Repräsentanten und die staatstragenden Parteien verächtlich.206 Goebbels sprach etwa vom Reichstag als »diesem sogenannten Hohen Haus«.207 Die katholischen Parteien wurden als vermeintlich von Rom aus gesteuerte Gruppierungen diffamiert  : »Wir wollen von den Seelsorgern keine Parteipolitik […]«.208 Sich selbst stellten die Nationalsozialisten als staatlich verfolgt dar.209 Sie erklärten öffentlich, das »System« (angeblich durch Wahlerfolge) stürzen zu wollen.210 Goebbels sagte vor dem Reichstag  : Die nationalsozialistische Bewegung verharrt weiterhin diesem System gegenüber in Kampfstellung […] nach der Verfassung sind wir nur verpflichtet zur Legalität des Weges, aber nicht zur Legalität des Zieles. […] Wir wollen legal die Macht erobern. Aber was wir mit dieser Macht einmal, wenn wir sie besitzen, anfangen werden, das ist unsere Sache. (Stürmische Zustimmung und Händeklatschen bei den Nationalsozialisten.)211

Goebbels weiter  : »[…] darum stehen wir in unverbrüchlicher Feindschaft zu diesem System und seinen Männern und zahlen ihm mit gleicher Münze heim. Diesem System keinen Groschen und keinen Mann  ! […] Diesem System Feindschaft  !«212 Immer wieder bedienten sich NSDAP-Redner antisemitischer Äußerungen. Für den Abfluss von Finanzmitteln ins Ausland als Folge des guten Wahlergebnisses der NSDAP machte der Abgeordnete Graf zu Reventlow »die Glieder des jüdischen Volkes« verantwortlich. Sie hätten die Börsenkurse zulasten Deutschlands manipuliert, um die von der NSDAP ausgehende Gefahr zu übertreiben. Reventlow behauptete, an der Börse sei gesagt worden, »es gäbe seit

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dem 14. September eigentlich nur noch zwei Parteien in Deutschland, die eine, die Hitler-Partei, die andere, die Laubhüttler-Partei.«213 Mit dieser Anspielung auf das jüdische Laubhüttenfest wiederholte Reventlow die typisch antisemitische Behauptung, die Weimarer Republik und alle Parteien außer der NSDAP seien »jüdisch« und brächten Deutschland Unheil. In dieselbe Richtung wies die Rede von der »marxistische[n], schwarze[n] und sonstige[n] Judenpresse«214. Judentum, Marxismus(-Sozialismus) und politischer Katholizismus  – die typischen Feindbilder der NSDAP. Gregor Strasser, der »Reichsorganisationsleiter« der NSDAP, sagte  : »Wir wollen keine Judenverfolgung  ; aber wir wollen die Ausschaltung des Juden aus dem deutschen Leben.«215 Joseph Goebbels äußerte sich nicht nur in der NS-Presse, sondern auch im Reichstag mehrfach antisemitisch.216 Schon in der 4. Wahlperiode war die DNVP, seitdem Alfred Hugenberg am 20. Oktober 1928 äußerst knapp zum Parteivorsitzenden gewählt worden war217, nach rechts außen gerückt. Sie lehnte die parlamentarische Republik ab. Aber anders als die NSDAP und die KPD beteiligte sich die DNVP, wenn auch in geringem Maße, an der Sacharbeit im Plenum und in den Ausschüssen. Die Beiträge ihrer Redner lassen ein reaktionäres, zum Teil monarchistisches Denken erkennen.218 Die gänzliche Umwälzung oder Vernichtung des Bestehenden war aber nicht das Ziel der Deutschnationalen. Sie dachten eher an eine autoritäre Umformung der demokratisch-parlamentarischen Republik, in der aber rechtsstaatliche Verfahren grundsätzlich gewahrt bleiben sollten. Ihnen schwebte ein erneuertes Kaiserreich oder »Ersatzkaiserreich« unter einem starken Reichspräsidenten vor. Eine Gewaltherrschaft, wie sie KPD und NSDAP im Schilde führten, lehnte die DNVP (mehrheitlich) ab. Die Ausführungen der DNVP waren im Allgemeinen gemäßigter als die der NSDAP oder der KPD. DNVP-Abgeordnete erhielten auch deutlich weniger Ordnungsrufe. Die KPD-Fraktion nutzte auch Geschäftsordnungsanträge für ihre Parteipropaganda. Ein Beispiel liefert die Reichstagssitzung am 24.  Februar 1931. Die KPD-Fraktion beantragte zum Sitzungsbeginn, die Tagesordnung zu erweitern und über Demonstrationsverbote, die der Berliner Polizeipräsident Albert Grzesinski verhängt hatte, zu debattieren. Der KPD-Abgeordnete (und spätere SEDChef ) Walter Ulbricht nutzte die Redezeit, die ihm zur Antragsbegründung gewährt wurde, zu persönlichen Angriffen auf Grzesinski und die Reichsregierung. Er unterstellte der Regierung, Angst vor den Arbeitern zu haben, sprach von einer »Hungerdiktatur«, bezeichnete den Polizeipräsidenten als »Gendarm des Herrn Brüning« und meinte, das Demonstrationsverbot sei eine »bewußte Provokation des arbeitenden Volkes«.219 In der Sitzung am 13. Oktober 1931 griff der

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KPD-Fraktionsvorsitzende Torgler, ebenfalls in der Begründung eines Antrages auf Erweiterung der Tagesordnung, den Polizeischutz des Reichstagsgebäudes an. Er sprach von einer »polizeiliche[n] Besetzung« und einer »faschistischen Entwicklung«.220 Ähnlich lautende Beschwerden erhob Torgler am 23. Februar 1932.221 Mit sachlicher Kritik hatte das Ganze nichts zu tun. Es ging darum, die eigenen Anhänger zu mobilisieren. Dasselbe gilt für den Zwischenruf des Abgeordneten Grube  : »Das Vaterland der Arbeiter, die Sowjetunion, lebe hoch  !« Grube wurde dafür von der Sitzung ausgeschlossen.222 Die Plenarprotokolle der 5. Wahlperiode verzeichneten – wie schon in vorherigen Wahlperioden – ständige Unruhe und eine Fülle von Beleidigungen. Sie gingen überwiegend von den radikalen Parteien aus. Die Redner waren trotz Mikrofons bei großem Lärm kaum oder gar nicht zu verstehen. Dies nutzten die radikalen Fraktionen. Sie versuchten manches Mal, Redner niederzubrüllen oder zu überschreien.223 Heinrich Brüning erwähnte in seinen Memoiren, dass seine Rede am 25. Februar 1932 – in der dramatischsten Sitzung, die er je erlebt habe – so massiv gestört worden sei224, dass es manchmal »drei Minuten« gedauert habe, ehe er habe einen Satz beenden können. »Goebbels und andere Nazis stürmten mehrere Male drohend die Treppe zur [Redner-]Tribüne hinauf.« »[Es] tobte der betrunkene Ley, bis ihn Strasser beim Genick packte und hinauswarf.«225 Für die Fülle an Beleidigungen mögen einige markante Beispiele genügen  : Der Vizepräsident Esser (Zentrum) wurde als »Hochverräter«226 bezeichnet. Aus den Reihen der NSDAP ertönte in Richtung KPD der Ruf  : »Haltet Ihr die Schnauze.« Woraufhin Kommunisten entgegneten  : »Wir haben nicht so eine Schnauze wie ihr.«227 Als der SPD-Abgeordnete Kurt Rosenfeld am 10.  Dezember 1930 positiv über den Film »Im Westen nichts Neues« sprach, darauf hinwies, selbst im Schützengraben gedient zu haben, und infrage stellte, ob dies auch für die NSDAP-­Abgeordneten gelte, hieß es aus deren Reihen sogleich  : »Wir lassen uns von Juden keine Belehrung erteilen  !«228 Der Abgeordnete Wilhelm Vetter rief  : »Wir wissen, wie es im Felde war. Ihr habt in der Etappe gefressen, Ihr Bonzen  !«229 Er ging »mit drohenden Worten« gegen die Bänke der Sozialdemokraten vor und wurde aus dem Saal gewiesen.230 In der Sitzung vom 6.  Februar 1931 wurde ein SPD-Abgeordneter, der auf seine Fronterlebnisse Bezug nahm, aus den Reihen der NSDAP als »Großmaul«231 beschimpft. Als der SPD-Mann Karl Litke in einer Rede des NSDAP-Abgeordneten und Vizepräsidenten Stöhr dazwischenrief  : »Über den ›Stöhr‹ lachen die Hühner«, entgegnete ein NSDAP-Abgeordneter grob  : »Litke, halt die Fresse  !«232 Zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung wurden auch die Bestellung und die Amtsführung des Alters- und des Reichstagspräsidenten und

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der Ausschussvorsitzenden sowie die geschriebenen und ungeschriebenen Parlamentsregeln.233 Die demokratischen Fraktionen, also die Regierungsfraktionen und die SPD, versuchten während der gesamten 5. Wahlperiode trotz der zahllosen Störungen, weiterhin sachliche und problemlösungsorientierte Debatten zu führen. Ordnungsrufe gegen ihre Abgeordneten waren äußerst selten. Mehrere Redner erwiesen sich als sehr schlagfertig im Umgang mit kommunistischen oder nationalsozialistischen Zwischenrufen. Furcht vor den zahlenmäßig deutlich erstarkten Nationalsozialisten (oder den Kommunisten, an deren Verhalten sich aber die meisten anderen Fraktionen offenbar schon gewöhnt hatten) ließen sie nicht erkennen  : Der vormalige Reichskanzler Hermann Müller konterte die Attacken der Extremisten, zum Teil ironisch und humorvoll. Zugleich setzte er sich mit den anstehenden Fragen und Problemen des Landes auseinander. Auch den Abgeordneten Joseph Joos (Zentrum), August Weber (DStP) und Johann Leicht (BVP) gelang es, mit Zwischenrufern elegant umzugehen und die eigenen Positionen herauszuarbeiten.234 Leicht bemerkte etwa  : »[…] mit aufreizenden Reden und mit eingeschlagenen Fensterscheiben werden die Zustände nicht gebessert.«235 Auch der Abgeordnete August Abel (Volksnationale Reichsvereinigung) zeigte sich den Zwischenrufen gewachsen  : »Herr Goebbels, ich will Ihnen einmal etwas sagen. Sie haben zwei Bühnenstücke geschrieben, die einige Leute als gut, andere als elende Schmarren bezeichnen. Hier wird politisch geredet. Was machen Sie überhaupt hier  ?«236 Der Sozialdemokrat Wilhelm Sollmann meinte, als er nach einer Rede Joseph Goebbels’ ans Rednerpult trat  : Bei der Beurteilung des hemmungslosen Stimmungsausbruches, dessen Zeugen wir soeben gewesen sind, bin ich mir nicht ganz klar, wo die Grenzen der Politik aufhören und die Grenzen der Psychiatrie beginnen. […] Ich gebe Herrn Dr. Goebbels und Herrn Ulbricht (Potsdam) [er hatte vor Goebbels gesprochen, P.A.] den kollegialen Rat, gemeinsam einen Salon für politische Astrologie zu eröffnen.237

Reichskanzler Brüning ging in seinen Reden, die Nationalsozialisten und Kommunisten häufig durch Zwischenrufe und Lärm unterbrachen, auf die Kritik und die Zwischenrufe der republikfeindlichen Opposition ein und parierte die Angriffe wortgewandt.238 Beispielhaft für die Auseinandersetzung mit der NSDAP ist die Rede des SPD-Abgeordneten Wilhelm Hoegner. Er war 1945/46 und 1954 bis 1957 bayerischer Ministerpräsident. Hoegner setzte sich in seiner ersten Plenarrede am 18.  Oktober 1930 sehr kritisch und gekonnt mit der NSDAP auseinander.239

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Hoegner hielt den Nationalsozialisten vor, ihre Politik sei nicht national und nicht sozialistisch. Die NSDAP sei finanziell vom Großkapital abhängig. Hoegner griff unter anderem den Abgeordneten Gregor Strasser an. Dieser hatte sich – in der typischen Art und Weise der NSDAP – gegen Juden und gegen katholische Geistliche in der Politik geäußert sowie den Vorwurf erhoben, die Sozialdemokraten hätten Deutschland zerstört. Hoegner nahm seine eigene Partei in Schutz  : Nach dem Zusammenbruch des alten Systems hat die deutsche Sozialdemokratie die geschichtliche Aufgabe übernommen, aus den Trümmern des Zusammenbruchs zu retten, was noch zu retten war. […] wenn man bei der geschichtlichen Wahrheit bleiben will, muß man ihr zwei Verdienste zuerkennen  : das eine, daß sie trotz aller separatistischen Bestrebungen im Westen und im Süden des Reiches das Deutsche Reich zusammengehalten hat, […] und das zweite Verdienst, daß sie schon im November 1918 durch ihre soziale Gesetzgebung dafür gesorgt hat, daß die Lasten des verlorenen Weltkrieges nicht samt und sonders auf die ärmsten Schichten des Volkes abgewälzt sind.240

Auf den Vorwurf Hoegners, Strasser möge nicht so mit Worten herumwerfen, wie er 1923 mit »einem gewissen Ehrenwort herumgeworfen« habe, erwiderte Strasser in einem Zuruf  : »Diesem System gegenüber kenne ich kein Ehrenwort  !«241 Ein »Höllenlärm«242 aus starker Unruhe und dauernden Zurufen begleitete und unterbrach immer wieder Hoegners Rede. Der Abgeordnete Edmund Heines, ein SA-Führer, rief Hoegner zu, er solle nur nach München kommen. Carl Severing erinnerte sich, NSDAP-Abgeordnete hätten auch gedroht, mit Hoegner, wenn er nach München komme, mit Fäusten »abzurechnen«.243 Hoegner selbst meinte, Heines habe gedroht  : »Warten Sie nur, bis Sie wieder nach München kommen, da werden Sie gekillt  !«244 Hoegner erwiderte laut Plenarprotokoll  : »Wollen Sie an mir einen neuen Fememord begehen, Herr Heines  ?«245 Er spielte damit auf einen Mord im Jahr 1920 an, an dem Heines als Mitglied eines Freikorps beteiligt gewesen war. Innerhalb rechtsgerichteter Kreise wurden solche Taten als »Feme« (Vergeltung) bezeichnet. Heines galt als besonders brutaler und roher Charakter. Erst nach Beschwerden aus der SPD-Fraktion wies der sitzungsleitende Vizepräsident Esser Heines aus dem Saal.246 Esser selbst hatte die Zwischenrufe »[i]n diesem fürchterlichen Tumult« überhaupt nicht feststellen können.247 Severing, der beim Vizepräsidenten interveniert hatte, wurde deswegen von Nationalsozialisten beschimpft und mit erhobenen Fäusten bedroht. Er erinnert sich  :

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Um den Nazis zu beweisen, daß ich mich weder vor ihren Worten noch vor ihren ausgestreckten Fäusten fürchtete, ging ich den schmalen Gang, der durch die Bänke des Sektors entlangführte, dem Ausgang des Saales zu. Das schimpfende Mundwerk der vornehmen Volksvertreter blieb in Tätigkeit, ihre Fäuste blieben erhoben – aber niemand hat gewagt, mich anzurühren. Ich wurde wegen dieser Geste von Abgeordneten fast aller Parteien beglückwünscht.248

Hoegner ließ sich nicht beirren und fuhr in seiner Rede fort. Dabei zitierte er auch aus für die NSDAP peinlichen Belegen für die Gelder, die der Partei vor allem in ihrer Anfangszeit von vermögenden Gönnern zugeflossen waren, und nahm auf abfällige Äußerungen Hitlers über die Arbeiterschaft Bezug. Die Vorgänge während Hoegners Rede gehören zu den unruhigsten Szenen, die der Reichstag erlebte. Die republiktragenden Parteien erkannten die Gefahr, die von der NSDAP ausging, sehr klar. Der Zentrumsabgeordnete und frühere Reichsminister Hans Bell sagte im Mai 1932 im Reichstag mit Blick auf die SA und die SS  : Mit dem Gedanken der Staatsautorität ist es schlechterdings unvereinbar, wenn sich ein Staat im Staate bildet und innerhalb des Staatsganzen militärische Kampforganisationen mit der Pfeilspitze gegen das Staatsgebäude tätig werden. Der Staat gibt sich selbst auf, wenn er die Staatsautorität gegen solche Bestrebungen und Machenschaften nicht zu beschützen vermag. Der Staat ist zum Untergang reif, wenn er sich seine Machtmittel aus der Hand schlagen läßt.249

Die republikfreundlichen Fraktionen versuchten, durch eine Reform der Geschäftsordnung einen geordneten Parlamentsbetrieb (wieder)herzustellen. Am 9. Februar 1931 fasste der Reichstag den Beschluss mit 297 Ja-Stimmen.250 Der Entwurf für die Änderung stammte von der Reichsregierung.251 Brüning hatte sogar die Absicht, Misstrauensvoten nur noch auf den Schluss der Haushaltsberatungen und die Wiedereröffnung des Parlaments im Winter zu beschränken, behielt dieses  – verfassungswidrige  – Vorhaben aber für sich.252 Wie nötig es war, für mehr Ordnung zu sorgen, bewies der NSDAP-Abgeordnete Wilhelm Wigand, der an diesem Tag im Plenum sogar rauchte.253 Die NSDAP, die KPD und die DNVP nahmen an der Abstimmung über die Geschäftsordnungsänderung nicht teil. Sie lehnten jede Verschärfung naturgemäß ab. In der Folgesitzung schoben die NSDAP und die DNVP die Geschäftsordnungsänderung sogar als Grund dafür vor, nicht mehr an den Sitzungen des Reichstages teilzunehmen. Sie behaupteten, Opposition zu betreiben sei danach

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nicht mehr möglich. Franz Stöhr (NSDAP), als Vizepräsident doch gerade zum Schutz des Parlaments aufgerufen, sprach vom Reichstag als »diesem Hause des organisierten Verfassungsbruches« und meinte, der Reichstag habe »das Recht verwirkt, im Namen des deutschen Volkes zu reden und zu handeln«. Seine Rede enthielt auch Angriffe auf die Regierung Brüning und den Young-Plan.254 Axel von Freytagh-Loringhoven (DNVP) schloss sich der Kritik Stöhrs an.255 Bezeichnenderweise hatte die Mehrheit im Thüringer Landtag, zu der auch die NSDAP gehörte, kurz zuvor eine in ihren Grundsätzen ähnliche Geschäftsordnungsänderung beschlossen. Das Verhalten der Rechtsparteien im Reichstag war also nur eine Demonstration gegen die Weimarer Republik und nicht eine Protestaktion gegen die Geschäftsordnungsänderung vom 9. Februar 1931. Die KPD schloss sich dem demonstrativen Boykott nicht an. Nachdem Stöhr sein Vizepräsidentenamt niedergelegt hatte, wählte der Reichstag Siegfried von Kardorff (DVP) zum Vizepräsidenten.256 Auch die beiden ausgeschiedenen nationalsozialistischen Schriftführer wurden ersetzt. Der Boykott der NSDAP und der DNVP dauerte mehrere Monate, was aber wenig besagte, da der Reichstag sich ohnehin am 26. März 1931 bis zum Oktober vertagte. Die gemäßigt rechte, grundsätzlich verfassungstreue CNBL hatte sich dem Boykott ausdrücklich nicht angeschlossen und war der Meinung, »durch den Auszug der Rechtsopposition [seien] die Geschäfte wesentlich vereinfacht und erleichtert worden«.257 Wegen der feindseligen Haltung der radikalen Parteien blieb die Geschäftsordnungsänderung, die am 31. März 1931 in Kraft trat, ohne Erfolg. Um wirklich Ruhe zu schaffen, hätten die radikalen Parteien von den Plenarsitzungen generell ausgeschlossen werden müssen. Das war aber verfassungsrechtlich unmöglich. Das Sitzungsklima verbesserte sich also nicht. Zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen kam es in der Sitzung am 16. März 1931 während der Debatte um einen Antrag der SPD-Fraktion zu politischen Mordtaten und einen Antrag der KPD-Fraktion, das Verbot des RFB aufzuheben. In seiner gemäßigten Rede zur Begründung des Antrages seiner Fraktion wandte sich der SPD-Abgeordnete Wilhelm Sollmann gegen alle politischen Mordtaten, gleichviel, von wem sie begangen wurden, und beklagte alle Opfer, egal welcher Partei sie angehörten. Sollmann griff die NSDAP an und bekräftigte das Verbot des RFB. »Die gespannte Situation in Deutschlands [sei] nicht geeignet, Verbote gegen Organisationen aufzuheben, die sich als erklärte und entschlossene rücksichtslose Feinde des gegenwärtigen Staates bekenn[t]en.«258 KPD-Abgeordnete störten die Rede massiv durch Zwischenrufe. Der SPD wurde vorgeworfen, die Polizei in SPD-regierten Ländern und die SPD-Politik seien für

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Todesopfer verantwortlich. Die Sozialdemokraten hätten mit ihrer Politik den Nationalsozia­listen den Weg geebnet. Der auf Sollmann folgende KPD-Abgeordnete Ernst Lohagen brachte in seiner Rede übliche kommunistische Klischees. Wer diese Rede gelesen hat, weiß über die staatsfeindliche, antibürgerliche und antisozialdemokratische Haltung der KPD Bescheid. Lohagen bezeichnete SPD-Politiker als »sozialfaschistische Führer«, unter deren aktiver Mithilfe »so viel Arbeiter« hätten »gemordet werden« können. »Mordfaschisten« seien Pistolen (die Mordwerkzeuge) »von den sozialdemokratischen Polizeipräsidenten« geliefert worden. Die Regierung Brüning sei faschistisch. Der Kampf des Ministers Wirth gegen den Kulturbolschewismus sei »legalisierter Arbeitermord«, »brutale Klassenjustiz, […] Kerker und Galgen für die Arbeiterschaft«.259 Vizepräsident Esser rief den Redner und mehrere Zwischenrufer aus der KPD, zum Teil mehrfach, zur Ordnung. Nach dem dritten Ordnungsruf entzog er Lohagen das Wort und schloss ihn, als dieser weitersprach, von der Sitzung aus. Der Abgeordnete sprach weiter und verließ den Saal nicht. Daraufhin unterbrach Esser die Sitzung für elf Minuten. Lohagen wurde für 30 Tage vom Sitzungsbetrieb ausgeschlossen.260 Nach einer gemäßigten Rede des CSVD-Abgeordneten Hennes wiederholte der KPD-Abgeordnete Geschke mit anderen Worten die Ausführungen Lohagens.261 Der Reichstag nahm den Antrag der SPD-Fraktion an  ; den Antrag der KPD-Fraktion lehnte er ab.262 Die weiteren Sitzungen des Jahres 1931 verliefen friedlicher. Seinen Tiefpunkt erreichte das Sitzungsklima dann aber im Februar und Mai 1932  : Fünf der letzten acht Sitzungen der 5. Wahlperiode mussten wegen massiver Störungen, vor allem wegen großen Lärms, unterbrochen werden.263 Beispielsweise musste Reichstagspräsident Löbe die Sitzung am 23. Februar 1932 unterbrechen. Der Grund dafür war, dass Joseph Goebbels mit Fingerzeig auf die SPD-Fraktion von der »Partei der Deserteure« gesprochen hatte und seine Äußerung trotz Aufforderung nicht zurücknahm.264 Löbe hatte ihn daraufhin zur Ordnung gerufen und ihn – geschäftsordnungsrechtlich korrekt – weiterreden lassen. SPD-Abgeordnete hatten erregt dazwischengerufen. Sie hatten auf ihre eigene Fronterfahrung und die Tatsache verwiesen, dass Goebbels nicht Soldat gewesen war. Angesichts der fortgesetzten großen Unruhe hatte Löbe die Sitzung für eine halbe Stunde unterbrochen und den Ältestenrat einberufen. Goebbels wurde, weil er in seiner Rede den Reichspräsidenten beleidigt hatte, von der Sitzung ausgeschlossen. Für die Kriegsteilnehmer aus anderen Parteien erhielt Ernst Lemmer (DStP) das Wort. Er wies »die infame Beleidigung des Abgeordneten Dr. Goebbels auf das schärfste zurück« und sagte  :

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Wir tun das umso nachdrücklicher, als der Abgeordnete Dr. Goebbels und ein großer Teil seiner Fraktionskollegen den Weltkrieg nicht mitgemacht haben. […] Die Kriegs­ teilnehmer dieses Hauses, die miterlebt haben, wie Tausende von Sozialdemokraten im Felde starben, sind im Andenken an ihre gefallenen Kameraden empört über diese Beleidigung des Abgeordneten Dr. Goebbels.265

Die radikalen Parteien ließen es bezeichnenderweise nicht dabei bewenden. Der DNVP-Abgeordnete Stubbendorff distanzierte sich von Lemmers Erklärung  ; der KPD-Abgeordnete Gräf meinte, die Sozialdemokraten seien für die Kriegsopfer verantwortlich.266 Der NSDAP-Abgeordnete Strasser deutelte an Goebbels’ Worten herum und beleidigte die SPD als »Partei des Landesverrats«.267 Zu starken Störungen kam es auch während einer Rede des Reichswehrministers und geschäftsführenden Reichsinnenministers Wilhelm Groener am 10. Mai 1932, in der er das Verbot von SA und SS begründete. Massive Unruhe ging vor allem von den Bänken der NSDAP aus. Hermann Göring hatte in seiner vorherigen Rede das SA-Verbot angegriffen. Er hatte wider besseres Wissen behauptet, die SA sei »niemals ein militärischer Verband gewesen«, habe »niemals Waffen besessen« und habe »ausschließlich den politischen Schutz gegen den Mordterror von linker Seite durchzuführen gehabt«.268 Göring verstieg sich zu der Äußerung  : »Hätten wir nicht die SA gehabt, dann würde heute überhaupt keine Ordnung mehr in Deutschland möglich sein.«269 Als Groener auf Göring erwiderte, rief Letzterer mehrfach dazwischen. Als Vizepräsident Esser ihn ermahnte, erwiderte Göring, er vertrete »die Ehre [seines] Führers« und diese stehe ihm »höher als Ihr ganzes Parlament«.270 Die NSDAP-Abgeordneten zeigten in dieser Sitzung mehrfach, wes Ungeistes Kind sie waren. Aus ihren Reihen wurde der Berliner Polizeivizepräsident Bernhard Weiß als »Isidor« antisemitisch beschimpft.271 Der NSDAP-Fraktionsvorsitzende Frick steigerte diese Beleidigung noch. Er meldete sich zur Geschäftsordnung und fragte dann, warum Polizeivizepräsident Weiß auf der Tribüne sitze. Sein »Anblick [wirke] auf viele Mitglieder dieses Hauses geradezu aufreizend und [störe] die Ordnung dieses Hauses«. Vizepräsident Esser, der die Sitzung leitete, lehnte es ab, auf diese Äußerung zu antworten.272 Auf Zwischenrufe von SPD-Abgeordneten erwiderte Frick  : »Wir schreiten zur Selbsthilfe, wenn hier keine Ordnung geschaffen wird  !«273 Er stellte also die Sitzungsleitung Essers infrage und versuchte, seine Partei als Ordnungskraft darzustellen. Dadurch zeigte er zugleich, dass die NSDAP – die selber massiv die Sitzung störte – vom Reichstag, seinen Organen und der parlamentarischen Ordnung nichts hielt. Gregor Strasser stellte den provozierenden »Antrag«, die Rede Groeners auf Schallplatten in Deutschland zu verbreiten und

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die Debatte auszusetzen, »damit sich das Reichskabinett darüber klar [werde], ob dieser Mann [Groener, P.A.] weiterhin die öffentliche Sicherheit gewährleisten und die Armee in Deutschland führen [solle].«274 Der Parlamentsbetrieb wurde für Agitation und politische Schauspielerei missbraucht. Die letzte Sitzung am 12. Mai 1932 wurde sogar zwei Mal unterbrochen.275 Das erste Mal wegen eines besonders gravierenden Zwischenfalls, wie er sich zuvor noch nicht ereignet hatte. Mehrere NSDAP-Abgeordnete hatten das ehemalige Parteimitglied Helmuth Klotz wegen dessen Veröffentlichungen über SA-Chef Ernst Röhm erst im Reichstagsrestaurant und dann in der Wandelhalle verprügelt.276 Eine Schlägerei im Plenarsaal zwischen NSDAP- und SPD-Abgeordneten konnte danach gerade noch verhindert werden.277 Sogar die Schutzpolizei unter der Leitung des Polizeivizepräsidenten Bernhard Weiß musste anrücken, um im Saal für Sicherheit zu sorgen.278 Nach der Wiederaufnahme der Sitzung schloss Reichstagspräsident Löbe die NSDAP-Abgeordneten Hans Krause, Fritz Weitzel und Wilhelm Stegmann, die das ehemalige Parteimitglied verprügelt hatten, gemäß § 91 GO-RT für 30 Tage vom Sitzungsbetrieb aus. Als sie sich weigerten, seiner Aufforderung nachzukommen, brach Löbe die Sitzung ab. Sie war, was damals keiner ahnte, die letzte Sitzung der 5. Wahlperiode. Der 5. Reichstag trat nach dem 12. Mai 1932 nicht mehr zusammen. In den Landtagen häuften sich ebenfalls gewalttätige Tumulte. Immer waren Nationalsozialisten und zumeist auch Kommunisten beteiligt. Am 25. Mai 1932 prügelten sich nationalsozialistische und kommunistische Abgeordnete im Preußischen Landtag. Am 17. Juni 1932 kam es im bayerischen Landtag zu einer Schlägerei, als der Landtagspräsident NSDAP-Abgeordnete des Saales verwies, weil sie in SA-Uniform erschienen waren. Selbstbeschränkung des Reichstages aus Staatsräson

Zwar konnten selbst die geschilderten massiven Störungen der Arbeitsabläufe durch die radikalen Parteien die Handlungsfähigkeit des Reichstages nicht erschüttern.279 Gleichwohl war der Reichstag in der 5. Wahlperiode faktisch nur eingeschränkt handlungsfähig.280 Heinrich August Winkler spricht treffend von einer »Schrumpfform des Weimarer Parlamentarismus«.281 Die Ansicht Eberhard Kolbs, das parlamentarische System sei während Brünings Amtszeit erodiert282, ist nur dann zutreffend, wenn man nicht unterstellt, dass diese Erosion unumkehrbar gewesen sei. Während Brünings Amtszeit war sie noch reversibel. Erst die Entscheidungen Hindenburgs und seiner Reichskanzler nach Brüning führten zur weiteren Ausschaltung des Parlaments.

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Der Reichstag nahm seine Hauptaufgabe, die Gesetzgebung, nur noch eingeschränkt wahr. Zwar verabschiedete er in der 5. Wahlperiode 49 Gesetze (1930  : elf, 1931  : 36283, 1932  : zwei). Darunter waren allerdings 15 Gesetze zu Verträgen mit anderen Staaten oder zu internationalen Übereinkommen (sog. Vertragsgesetze). Wirkliche innerdeutsche Rechtssetzung geschah nur in 34 Fällen. In den ersten Monaten des Jahres 1932 beschloss der Reichstag lediglich zwei Gesetze. Ein Großteil des Programms des Reichskanzlers und seiner Regierung wurde nicht durch Parlamentsgesetze, sondern durch Notverordnungen des Reichs­ präsidenten gemäß Art. 48 Abs. 2 WRV geregelt. Hindenburg erließ zwischen dem 25.  Juli 1930 und dem 12.  Mai 1932 64 Verordnungen.284 Ihre Zahl lag fast doppelt so hoch wie die der Parlamentsgesetze. Zwei Verordnungen hoben frühere Verordnungen auf. Die restlichen 62 setzten neues Recht. Die Notverordnungen waren zum Teil, wie z. B. die »Verordnung zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände« vom 26. Juli 1930285 oder die (1.) »Verordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen« vom 1.  Dezember 1930286, sehr umfangreich. Auch die Innere Sicherheit war Gegenstand von insgesamt neun Verordnungen. Fünf davon veranlasste das erste Kabinett Brüning (bis Oktober 1931)287, die weiteren vier das zweite Kabinett Brüning (bis Mai 1932)288. Die Erklärung Brünings während der Beratungen des Reichshaushalts 1931 im Plenum am 5. Februar 1931, es sei nicht die Absicht der Reichsregie­ rung gewesen und werde es auch nicht sein, »auf die Dauer und häufiger« das Verordnungsrecht zu nutzen, und es liege im Interesse der Reichsregierung, »wenn möglichst wenig vom Art.  48 überhaupt Gebrauch gemacht« werde,289 war ohne Substanz. Als das zweitgrößte deutsche Kreditinstitut, die Darmstädter und Nationalbank (Danat-Bank), im Juli 1931 zahlungsunfähig wurde, geriet das gesamte Bankensystem in eine tiefe Krise. Die Regierung Brüning versuchte die Krise durch rasche Notverordnungen zu regeln. Der Reichstag wurde – wie bei Verordnungen des Reichspräsidenten üblich – nur informiert. Da er sich aber bis Oktober vertagt hatte, kam es nicht sofort zu einer Parlamentsdebatte zu der Bankenkrise und der etwaigen politischen Mitverantwortung der Regierung für die Krise. Erst am 13. Oktober 1931 erklärte Reichskanzler Brüning in einer Rede vor dem Reichstag, die durch von der KPD ausgehende Unruhe und Zwischenrufe stark gestört wurde, das Vorgehen und die Pläne seiner kurz zuvor umgebildeten Regierung. Die Regierung Brüning verzichtete folglich in umstrittenen, hochpolitischen Fragen auf die Mitwirkung des Reichstages. Durch die umfangreiche Verordnungspraxis drängten die Regierung und der Reichs­ präsident die gewählte Volksvertretung bei den Fragen, die das Volk besonders betrafen und bewegten, an den Rand.

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Einflussnahme auf die Regierungsbildung hatte der Reichstag ebenfalls nicht mehr. Hindenburg hatte bei Brünings Ernennung das Parlament aus dem Spiel genommen. Weil die Reichstagsmehrheit drei dem Parlament zustehende Rechte nicht mehr ausübte – das Misstrauensvotum (Art. 54 S. 2), die Aufhebung von Notverordnungen des Reichspräsidenten (Art. 48 Abs. 3) und die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen (Art. 34 WRV) –, beschränkte sie sich in der Kontrolle der Regierung und in der Einflussnahme auf den Fortbestand der Regierung selbst. Die Reichstagsmehrheit, die das Verhalten des Parlaments bestimmte, setzte sich in der 5. Wahlperiode aus den Parteien, die am Kabinett Brüning beteiligt waren, und der SPD, die nicht dem Kabinett angehörte, zusammen. Für sich genommen besaßen die Regierungsparteien nicht die Mehrheit im Reichstag. Sie kamen auf weniger als 190 von 577 Sitzen. Nach dem Ausscheiden der Wirtschaftspartei aus dem Kabinett im Dezember 1930 verringerte sich die Zahl noch. Nur mithilfe der SPD erreichte Brüning die erforderlichen Parlamentsmehrheiten. Als das Kabinett auf Drängen Hindenburgs am 9./10.  Oktober 1931 umgebildet wurde, war der parlamentarische Rückhalt der Regierung noch geringer. Die DVP war nicht mehr im Kabinett vertreten und wechselte auf die Oppositionsseite. Der neue Reichskommissar für die Osthilfe, Hans Schlange-Schöningen, war zwar Mitglied der CNBL. Seine Aufnahme in die Regierung sicherte dem Kabinett dennoch nur einen Teil der CNBL-Stimmen. Brüning, der sich in der gesamten 5. Wahlperiode nur sechs Mal dem Parlament stellte (im Vergleich zu den acht Reden vom April bis Juli 1930), begründete am 13. Oktober 1931 vor dem Reichstag, warum in seinem zweiten Kabinett weniger Parteivertreter zu finden seien als in seinem ersten. Zwar wäre »eine Regierung aller verantwortungsbewußten und verantwortungsbereiten Parteien« eine »zweckmäßige politische Lösung«. Doch hätten alle »Fühlungnahmen« der vergangenen Wochen und Monate ergeben, dass ein Zusammenfinden der für eine solche Regierung nötigen Parteien »leider ausgeschlossen« sei.290 Da er zu der Erkenntnis gekommen sei, dass »kein anderer Weg möglich sein würde«, habe er sich entschlossen, »eine Regierung zu bilden, die noch unabhängiger von den Parteien [sei], als es das vorhergehende Kabinett gewesen [sei]«. Er habe das Ziel verfolgt, dass die neue Regierung »keine Rücksicht auf irgendeine Partei in dem Sinne zu nehmen [habe], daß sie parteigebundene und an einzelne Fraktionsbeschlüsse gebundene Minister im Kabinett [habe].«291 Brüning umriss in wenigen Sätzen den Kern seines Handelns  : Er wollte mithilfe der Machtmittel, die ihm Hindenburg zur Verfügung stellte, regieren. Mit anderen Worten  : Der Reichstag sollte die Regie-

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rung nicht »stören«. Dieser Gedanke beherrschte Brüning und sein Umfeld schon länger. Hermann Pünder hatte im Dezember 1930 in sein Tagebuch geschrieben  : »Denn wir wollen ja gar nicht mit dem arbeitsunfähigen Reichstag arbeiten, sondern verlangen nur, daß er der Regierung nicht in den Arm fällt.«292 Und  : »Mit diesem Reichstag ist eben nur so zu arbeiten, daß die Regierung mit Art. 48 arbeitet, dann die verfassungsmäßige Debatte über Aufhebungsmöglichkeit stattfindet, und nach deren Erledigung das hohe Haus wieder verschwinden muß.«293 Brüning versuchte, seine Regierung als noch stärker über den Parteien stehende und nur am Staatswohl interessierte Kraft darzustellen. Er unterstrich vor dem Reichstag am 16. Oktober 1931, sein Kabinett habe »keine parteipolitische Färbung« und nehme »keine Front nach irgendeiner Seite hin« ein.294 Es sei stärker objektiviert als in der Vergangenheit.295 Drei Reichsminister gehörten keiner Partei an  : der Wirtschaftsminister Hermann Warmbold, der Justizminister und »Herzensmonarchist«296 Curt Joël sowie Reichswehrminister Groener. General Groener übernahm geschäftsführend auch das Innenressort und stieg damit zum zweitmächtigsten Mann (»Doppeladler«297) im Kabinett auf. Was Brüning im Oktober 1931 im Reichstag verschwieg  : Er hatte gar nicht versucht, die SPD in die Regierung aufzunehmen. Durch eine Aufnahme der SPD in die Regierung hätte das Kabinett sofort eine parlamentarische Mehrheit gehabt. Aber Hindenburg und sein Umfeld waren dagegen. Die Wilhelmstraße (als Sitz von Reichspräsident und Regierung) und nicht der Platz der Republik (wo der Reichstag stand) war der Ort, von dem aus blockiert wurde. Der Reichspräsident und sein Kabinett wurden nicht »notgedrungen« zum Mittelpunkt der Staatsführung298, sondern gewollt. Die Regierungsparteien unterstützen Brünings und Hindenburgs Kurs. Der erfahrene Zentrumsabgeordnete und frühere Reichsminister Hans Bell hob im Mai 1932 hervor, dass die Reichsregierung »über den Parteien stehen« müsse.299 Nur eine Rolle durfte die ungeliebte SPD nach dem Willen des Reichspräsidenten und seines Kanzlers spielen  : die der Mehrheitsbeschafferin im Reichstag. Der DNVP-Abgeordnete Otto Schmidt bezeichnete die SPD spöttisch als die »getreue Schutztruppe des Herrn Brüning«.300 Die Regierung Brüning erreichte die Mehrheit in Abstimmungen nur durch ein »Stillhalteabkommen« mit der SPD. Die Sozialdemokraten tolerierten die Regierung. Die SPD nahm sich als stärkste Partei und Oppositionskraft selbst aus dem Spiel, indem sie mithalf, den Reichshaushalt 1931 auf parlamentarischem Wege zu verabschieden, und auf die Unterstützung von Misstrauensvoten oder Aufhebungsanträgen zu Notverordnungen verzichtete. Die Oppositionsparteien NSDAP, KPD, DNVP sowie die späteren Oppositionsparteien DVP und Wirtschaftspartei stellten insgesamt 54

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Misstrauensanträge gegen die Regierung oder gegen einzelne Kabinettsmitglieder. Die Anträge wurden allesamt abgelehnt.301 Die ersten 13 Anträge lehnte der Reichstag bereits im Oktober 1930 in namentlicher Abstimmung mit 317 zu 234 Stimmen (bei einer Enthaltung) ab, indem er den Antrag von Zentrum, DVP und BVP annahm, von der Regierungserklärung unter Übergang zur Tagesordnung über alle eingebrachten Misstrauensanträge gegen die Reichsregierung und/oder einzelne Minister Kenntnis zu nehmen (sog. Vertrauensantrag). Mit der Zeit wurde die Basis der Regierung Brüning aber fragiler. Bei der Abstimmung über einen Misstrauensantrag am 16. Oktober 1931 votierten 270 Abgeordnete gegen die Regierung. Nur eine knappe Mehrheit von 295 Abgeordneten lehnte den Antrag ab. Drei enthielten sich. Im Vergleich zum Jahr zuvor hatte die Regierung fast 50 Stimmen verloren. Zugleich hatten die Gegner 35 Unterstützer gewonnen. Ein ähnliches Bild zeigte sich bei zwei Abstimmungen am 26. Februar und am 12. Mai 1932. Bei der ersten Abstimmung lag das Verhältnis bei 264 zu 288, beim zweiten Votum bei 259 zu 286. Nur bei Misstrauensanträgen gegen bestimmte Reichsminister war die Zahl der »Nein«-Stimmen höher. Dank der Unterstützung der SPD blieben auch alle Anträge zur Aufhebung von Notverordnungen des Reichspräsidenten erfolglos.302 Ebenfalls im Interesse der Regierung (und nicht etwa, um seine »Geschäftsunfähigkeit« zu überbrücken  !303) vertagte sich der Reichstag mithilfe der SPD-Stimmen durch Mehrheitsbeschluss fünf Mal für zum Teil mehrere Monate. Das Parlament vertagte sich am 19. Oktober 1930 bis zum 3. Dezember 1930, am 12. Dezember 1930 bis zum 3. Februar 1931, am 26. März bis zum 13. Oktober 1931, am 16. Oktober 1931 bis zum 23. Februar 1932 und am 26. Februar bis zum 9. Mai 1932.304 Brüning bemerkte hierzu in seinen Erinnerungen  : »Von da an [19.  Oktober 1930, P.A.] hat sich der Reichstag nicht […] gegen den Willen der Regierung versammelt.« Die Regierung hatte, »im Gegensatz zu all den vergangenen Jahren«, »de facto die Bestimmung über die Tagungszeit des Parlamentes«.305 Zwar fanden Ausschusssitzungen statt. Aber in 13 Monaten gab es keine Plenarsitzung. In diesen Monaten musste die Regierung keine Misstrauensvoten oder Aufhebungsverlangen befürchten. Warum duldete die SPD die Regierung Brüning  ? Warum beschränkte sie sich selbst und damit faktisch auch den Reichstag  ? Die SPD führte zwei Gründe für ihr Verhalten ins Feld. Zum einen sollte die von dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun geführte preußische Landesregierung, an der auch das Zentrum und die DStP beteiligt waren, erhalten bleiben. Zum anderen wollte die SPD eine Reichstagsauflösung verhindern. Die Sozialdemokraten befürchteten zu Recht, dass eine Neuwahl der NSDAP genutzt hätte. Sie wollten »Schlimmeres

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[…] verhüten«.306 Noch im Mai 1932 erklärte Rudolf Breitscheid im Reichstag  : »Wir möchten nicht unsere Hand dazu bieten, daß durch den Sturz des Kabinetts Brüning im gegenwärtigen Moment einer Partei der Weg zur Macht geöffnet wird, die politisch und moralisch nicht die Voraussetzungen dafür hat.«307 Die Selbstbeschränkung der SPD war folglich nicht freiwillig. Sie orientierte sich an dem von Hindenburg und Brüning geäußerten Willen, einen Reichstag, der sich ihnen in den Weg stellte, aufzulösen und Recht in jedem Fall durch Verordnungen zu setzen. Der 18. Juli 1930 lieferte den Präzedenzfall. Würde der Reichstag eine Verordnung aufheben, würde er aufgelöst und die Verordnung erneut erlassen werden. Die historische Forschung beurteilt die Möglichkeiten einer »richtigen Opposition« der SPD gegen Brüning zu Recht eher skeptisch.308 Innerhalb der SPD kam es über die Duldung zur Spaltung. Die SPD-Fraktion schloss sechs Reichstagsabgeordnete wegen eines Bruchs der Fraktionsdisziplin aus. Diese Abgeordneten, andere linke SPD-Mitglieder und weitere Linke gründeten am 4. Oktober 1931 die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD). Sie reihte sich in die Gruppe der Brüning-Kritiker ein. Die politische Tätigkeit Brünings sei »die Vorfrucht der nationalen Diktatur«. Die SAPD meinte, dass die SPD durch ihre Duldung die Tür für Hugenberg und Hitler öffne.309 Sie meinte »die Sterbestunde des Kapitalismus«310 zu erkennen und forderte eine Einheitsfront der SPD, der KPD und der Gewerkschaften gegen die Regierung Brüning und gegen die NSDAP. Ihr Abgeordneter Rosenberg meinte sogar  : »Lieber tausendmal mit den Kommunisten als ein einziges Mal mit Herrn Groener  !«311 Die NSDAP, die KPD und die DNVP setzten auf Neuwahlen. Die Parteien stellten mehrfach vergeblich den Antrag, der Reichstag möge den Reichspräsidenten zur Parlamentsauflösung auffordern.312 Allen Demokraten standen die Ereignisse des 18. Juli und des 14. September 1930 warnend vor Augen. Reichspräsident Hindenburg hatte den 4. Reichstag auf Betreiben des Reichskanzlers Brüning aufgelöst, weil der Reichstag zuvor eine Notverordnung aufgehoben hatte. Die Reichstagswahl am 14. September 1930 mit ihrem für die Demokraten schlimmen und für die NSDAP erfreulichen Ergebnis war somit eine Folge eines erfolgreichen Aufhebungsantrages nach Art.  48 Abs.  3 WRV. Brüning und Hindenburg waren erklärtermaßen bereit, einen ihnen sich widersetzenden Reichstag erneut aufzulösen. Nach der vorsorglichen Selbstausschaltung der SPD opponierten allein die radikalen Parteien NSDAP und KPD sowie die parlamentsfeindliche DNVP gegen das Kabinett Brüning. Eine wirkliche parlamentarische Kontrolle übten insbesondere die NSDAP und die KPD nicht aus, da sie die Weimarer Republik in Gänze ablehnten. Ihre Regierungskritik

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war zugleich eine Staatskritik. An einem Reichstag als Kontrollinstrument der Regierung waren sie – wie ihre Reden und ihr oftmals störendes Verhalten zeigen – kaum interessiert. Schon für die Zeit von 1920 bis 1925 hatten Zeitgenossen festgestellt, die Entwicklung sei der Machtstellung des Reichstages »nicht günstig gewesen«  : Die ausdehnende Auslegung des Art.  48 Abs.  2 WRV und die Gewährung von Ermächtigungsgesetzen für die Reichsregierung hätten das Parlament geschwächt.313 Umso mehr gilt diese Feststellung für die Zeit ab Juli 1930.314 Der Reichstag und mit ihm der demokratische Charakter der Weimarer Republik litten ab dieser Zeit sehr stark. Der Grund dafür liegt vor allem in dem Verhalten des Reichspräsidenten und der Reichsregierung. Die ihnen genehmen Parteien hatten keine Reichstagsmehrheit hinter sich. Eine Regierung mit sozialdemokratischer Beteiligung wollte Hindenburg nicht. Die nachträgliche Behauptung seines Staatssekretärs Meissner, im Reichstag wäre keine Mehrheit für die nötigen gesetzgeberischen Maßnahmen gefunden worden und allein der Erlass von Notverordnungen sei »der einzige Weg [gewesen], der Krise Herr zu werden«315, trifft so pauschal nicht zu. Denn die SPD duldete ja immerhin die Notverordnungspolitik. Sie hätte also als Regierungspartei wohl auch dafür gestimmt. Im Übrigen ist sehr fraglich, wie erfolgreich Brünings Notverordnungen wirklich waren. Die Aktionen in der Bankenkrise 1931 waren es  ; die mittelfristig angelegten Maßnahmen sind nicht über jeden Verdacht erhaben. Am Schwinden des Parlamentarismus nahmen Hindenburg und Brüning keinen Anstoß. Das parlamentsfeindliche Umfeld des Reichspräsidenten war mit der schleichenden Entmachtung des Reichstages durchaus einverstanden. Wie das Zitat aus Meissners Erinnerungen zeigt, hielt man das Vorgehen sogar für die einzige Möglichkeit, die deutsche Krise zu überwinden. Die Berater Hindenburgs aus der Reichswehr, der ostelbischen Großlandwirtschaft und der Industrie wollten das Parlament gänzlich an den Rand schieben und einen autoritären Staat errichten. Den Aufstieg der NSDAP konnte die Regierung Brüning nicht aufhalten. Das Vertrauen Hindenburgs ersetzte nicht die Zustimmung des Volkes. Die NSDAP gewann seit 1929 bei allen Landtags- und Kommunalwahlen hinzu. Oftmals verdoppelten oder verdreifachten sich ihre Ergebnisse. Beispielsweise wurde sie bei den Landtagswahlen in Oldenburg (17. Mai 1931) und Hessen (15. November 1931) stärkste und bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg (27. September 1931) zweitstärkste Partei. Die von der DNVP angestrebte Partnerschaft mit dem Stahlhelm und der NSDAP sollte am 11. Oktober 1931 in Bad Harzburg vertieft werden. Doch blieb die »Harzburger Front« eine Scheinveranstaltung.

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Hitler düpierte durch sein Verhalten diejenigen, die ihn umwarben. Er verließ die Parade der »nationalen« Wehrverbände nach dem Auftritt der SA und vor der Parade des Stahlhelms. Die NSDAP war auf die rechten Bündnisinteressenten gar nicht angewiesen. Sie übernahm durch ihre Wahlergebnisse auch so die Führungsrolle im rechten Lager. Bei den Gemeinde- und Kreistagswahlen in Lippe (10. Januar 1932) wurde die NSDAP zweitstärkste Kraft. Hitler war durch die Hilfestellung des braunschweigischen Innenministers Diet­rich Klagges, eines Nationalsozialisten, am 16. Februar 1932 zum Regierungs­ rat in der braunschweigischen Vertretung in Berlin ernannt worden. Der in Öster­ reich geborene Staatenlose erlangte mit der Verbeamtung die deutsche Staatsbürgerschaft. Er konnte nun bei der Reichspräsidentenwahl, die im Frühjahr 1932 anstand, kandidieren. Versuche Brünings, die Amtszeit Hindenburgs (gegen die Verfassung) durch den Reichstag verlängern zu lassen, schlugen fehl. Die republiktreuen Parteien konnten sich nicht dazu entschließen, einen Kandidaten aus ihren Reihen vorzuschlagen. Brüning und das Zentrum favorisierten Hindenburg. Um den möglichen Sieg Hitlers zu verhindern, unterstützten neben den Regierungsparteien auch die SPD und die sich nach rechts orientierende DVP die erneute Kandidatur des Amtsinhabers. Die DNVP warb hingegen im ersten Wahlgang für den »2. Bundesführer« des Stahlhelms, Theodor Duesterberg. Die KPD trommelte für ihren Vorsitzenden Ernst Thälmann. Aus den zwei Wahlgängen der zweiten Reichspräsidentenwahl der Republik am 13. März und 10. April 1932 ging Hindenburg als Sieger hervor. Er erreichte im zweiten Wahlgang 53 %, Hitler 36,8 % und Thälmann 10,2 %. Hindenburgs Sieg in dieser »Präsidentenwahl ohne Republikaner«316 bescherte den republikfreundlichen Kräften ihren letzten Erfolg. Sie vermochten Hitler vom höchsten Staatsamt fernzuhalten. Doch bedeutete der Sieg für sie nur eine kurze Verschnaufpause. Ihre Erosion schritt im Frühjahr weiter voran. Gleichzeitig gewann die NSDAP überall hinzu. In Mecklenburg-Strelitz bildete sie am 7. April 1932 mit der DNVP ein Kabinett. Am 24. April 1932 war die Bevölkerung in Preußen, Bayern, Württemberg und Anhalt zur Landtagswahl sowie in Hamburg zur Bürgerschaftswahl aufgerufen. Die NSDAP wurde im sozialdemokratischen Kernland Preußen stärkste Partei. Sie erzielte 162 Mandate und damit fast doppelt so viele wie die SPD (94) sowie nur eines weniger, als die bisherigen Koalitionspartner SPD, Zentrum und DStP zusammen erreichten. Auch in Württemberg, Hamburg und Anhalt errang die NSDAP die meisten Sitze. In Bayern wurde sie zweitstärkste Kraft, mit nur einem Sitz weniger als die BVP. Am 21. Mai 1932 wählte der anhaltinische Landtag ein NSDAP-Mitglied zum Ministerpräsidenten. Damit bestand das dritte nationalsozialistisch geführte Landeskabinett (nach Thüringen und Mecklenburg-Stre-

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litz). Die Regierungen in Preußen, Württemberg und Hamburg amtierten nur noch geschäftsführend. Am 29.  Mai 1932 gewann die NSDAP in Oldenburg zum ersten Mal die absolute Mehrheit in einem Landesparlament. Brünings Sturz Die Landtags- und Kommunalwahlkämpfe sowie der Reichspräsidentenwahlkampf hatten es gezeigt  : Das politische Klima hatte sich seit der Septemberwahl 1930 zum Negativen verändert. Die SA und der RFB, der eine Zeit lang in Preußen und anderen Ländern verboten worden war, verlagerten die politische Auseinandersetzung immer stärker auf die Straße. Sie attackierten Veranstaltungen, Demonstrationen und Anhänger anderer Parteien. Zu einem Verbot der NSDAP-Kampfverbände SA und SS wollte die Reichsregierung sich zunächst nicht entschließen. Sie beließ es bei mehreren Verordnungen, die aber die Gewalt nicht bändigen konnten. Teile der Regierung und des Beraterkreises des Reichspräsidenten hofften, die SA, die 1932 schon über 470.000 (und im Januar 1933 mindestens 600.000) Mitglieder hatte317, in ihre obrigkeitsstaatlichen und aufrüstungsorientierten Pläne einbeziehen zu können. Nachdem sich die Gewalttätigkeit der NS-Kampfverbände immer offener zeigte (in Hessen waren im November 1931 sogar Pläne für einen gewaltsamen Aufstand gefunden worden, die »Boxheimer Dokumente«), strebten Brüning und der Reichswehrminister und geschäftsführende Reichsinnenminister Groener das Verbot von SA und SS an. Kurt von Schleicher, als Leiter des Ministeramts engster Mitarbeiter Groeners, teilte zunächst ihre Linie. Wie sich Groener später erinnerte, begründete der Leiter des Ministeramts in einem Gespräch mit dem Minister, dem Chef der Heeresleitung Hammerstein-Equord und dem Chef der Marineleitung Raeder am 8.  April 1932 »die Notwendigkeit des Verbotes der SA und des Rotfrontkämpferbundes in rückhaltloser Weise« und lehnte es zugleich »rundweg« ab, auch das republiktreue Reichsbanner zu verbieten.318 Allerdings änderte Schleicher einen Tag später seine Meinung. Er plädierte nun dafür, vor einem Verbot Hitler ultimativ aufzufordern, die SA umzubilden (gewissermaßen zu »entschärfen«). Mit dieser Empfehlung setzte sich Schleicher aber nicht durch. Bei einer Besprechung in der Reichskanzlei über das Verbot am 11. April fehlte er und stiftete – wie Hermann Pünder in seinen Tagebuchaufzeichnungen vermerkte – zudem seinen Freund Oskar von Hindenburg an, »seinem Vater die Unterschrift zu widerraten  ! Ein ungeheurer Vertrauensbruch gegenüber seinem Chef Exzellenz Groener  !«319 Die Einwände blieben ungehört. Hindenburg erließ am

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13. April 1932, gleich nach seiner Wiederwahl, die entsprechende »Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Staatsautorität«320. Doch Schleicher stellte seine Bemühungen nicht ein. Jetzt arbeitete er darauf hin, das Verbot und das Kabinett Brüning zu kippen. Der Grund dafür  : Schleicher und andere Reichswehroffiziere wollten die paramilitärischen, nationalistisch gesinnten Verbände der NSDAP für eigene Zwecke einspannen, etwa als Personalreserve für eine Aufrüstung des Reiches oder für den Grenzschutz. Außerdem wollten sie das Kabinett noch stärker »nach rechts« erweitern und die NSDAP mit ihrem Massenanhang in die Regierungsverantwortung bringen. Der Hauptideengeber und maßgebliche Strippenzieher war der bestens vernetzte Schleicher. Er war schon am Sturz Hermann Müllers und der Berufung Heinrich Brünings beteiligt gewesen. Seit dem Oktober 1931 hatte er  – nach Aussage Brünings mit dessen Billigung321  – Gespräche mit Hitler geführt. Er hatte Kontakt zu SA-Chef Ernst Röhm und Hermann Göring gehabt. Auch Hindenburg hatte in dieser Zeit zum ersten Mal Kontakt mit Hitler und Göring gehabt. Dem preußischen Innenminister Severing hatte Schleicher bereits am 2. März 1932 gesagt, dass »man die Arbeit des ›guten Heinrich‹ doch nicht mehr lange mit ansehen könne. ›Der Mann‹ käme ja zu keinen Entschlüssen, und unter seiner Amtsführung strömten immer mehr Arbeitslose auf die Straße.«322 Aus Schleichers Sicht war das Verbot der Kampfverbände für eine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten hinderlich. Hitler hatte das gegenüber Schleicher deutlich gemacht. Da Brüning und Groener einer Verbotsaufhebung und einer stärkeren Rechtsausrichtung des Kabinetts im Wege standen, sollten beide nach dem Willen Schleichers gehen. Ein direkter Angriff auf Brüning erschien offenbar als zu riskant. Daher nahm Schleicher einen Umweg. Zunächst sollte Groener »ausgeschifft« werden. Durch den Sturz des zweitwichtigsten Mannes des Kabinetts sollte die Stellung Brünings bei Hindenburg untergraben werden. Schleicher führte den vorbereiteten Schlag gegen Groener am 11. Mai 1932, rund einen Monat nach dem Erlass des SA- und des SS-Verbots. Hermann Göring hatte den Minister am 10.  Mai 1932 im Reichstag (möglicherweise mit Material aus Schleichers Händen) massiv attackiert. Groener machte den Fehler, ohne Manuskript auf Göring zu antworten, obwohl er gesundheitlich angeschlagen war323 und auch so aussah, weil er wegen Furunkulose ein großes Pflaster an der Schläfe trug. Der Minister ließ keinen Zweifel daran, für wie gefährlich er die Umtriebe von SA und SS hielt.324 Seine Rede war »aber miserabel vorgetragen. Groener fehlte ohnehin rhetorische Begabung.«325 Hermann Pünder nahm als Staatssekretär in der Reichskanzlei (und enger Mitarbeiter Brünings) an der Sitzung teil. Er notierte in sein Tagebuch  : »Nachmittags sprach […] Exzellenz

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Groener sehr unglücklich. Ein Manuskript lag nicht vor. Der ungeübte Redner war den fortgesetzten Zwischenrufen in keiner Weise gewachsen und hat trotzdem dauernd versucht, auf sie einzugehen und zu antworten. Nach Abschluß der 3/4stündigen Rede war der Eindruck ganz katastrophal.«326 Brüning schrieb in seinen Memoiren  : »[…] mit rasenden Schmerzen vermochte der arme Groener keinen Hieb abzuwehren. Er wurde von ständigen Zwischenrufen unterbrochen, so daß seine Gedanken erst nachträglich im stenographischen Bericht festgestellt werden konnten. Er redete wie einer, der in den letzten Zügen liegt. Politisch war er tot nach dieser Rede.«327 Goebbels vermerkte schadenfroh in seinem Tagebuch  : »Am Ende hat man nur noch Mitleid mit ihm. Ein erledigter Mann  ! Er hat sein eigenes Grablied gesungen.«328 Die volkskonservativen Reichstagsabgeordneten Westarp und Lindeiner-Wildau forderten direkt nach der Rede gegenüber Brüning den Abgang Groeners. Schleicher erklärte seinem Freund Planck, einem Beamten der Reichskanzlei, Pünder und schließlich Groener, dass die Reichswehr nicht mehr hinter dem Minister stünde. Dem Reichspräsidenten wurde dies ebenfalls mitgeteilt  : Nach Fühlungnahme mit dem Herrn Chef des Ministeramts Generalleutnant von Schleicher und den Herren Chefs der Heeresleitung [Kurt von Hammerstein-Equord, P.A.] und der Marineleitung [Erich Raeder, P.A.] hielt der Herr Reichspräsident es für das beste, wenn der Reichswehrminister Groener selbst sich zum Rücktritt entschlösse, nachdem diese Herren ihm bestätigt hatten, daß im Offizierskorps und auch in der Mannschaft der Reichswehr kein Vertrauen zu ihm mehr bestand.329

Groener blieb nur der Rücktritt als Wehrminister. Das Innenressort führte er aber – zum Unwillen Hindenburgs330 – wie bisher geschäftsführend weiter. Die Vorgänge zeigen wie in einem Brennglas die Schwächen der Präsidialkabinette  : Ein Minister, der einer Parlamentsdebatte und damit den Anforderungen des parlamentarischen Systems nicht gewachsen ist, stürzt über staatsschützende Maßnahmen durch eine »Palastintrige«. Noch deutlicher konnte kaum gezeigt werden, wie wenig zeit- und systemgemäß die Präsidialkabinette waren. Den nächsten Hieb aus der Deckung versetzte Schleicher dem Reichskanzler. Seinem zweifelhaften Charakter gemäß hatte er zwar am 13. Mai 1932 gegenüber Pünder geäußert, Brüning sei »doch der Einzige, der die Dinge in Deutschland für absehbare Zeit meistern« könne.331 Aber seine wahren Ansichten und Absichten waren entgegengesetzt. Er wollte Brüning und das gesamte Kabinett stürzen. Am 28.  April und 8.  Mai 1932 besprach sich Schleicher mit Hitler. Goebbels vermerkte in seinem Tagebuch unter dem 8. Mai, dass es in dem Ge-

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spräch unter anderem um die Auflösung des Reichstages und die Aufhebung der »Zwangsgesetze« (womit auch das SA- und SS-Verbot gemeint war) gegangen sei.332 Der Deutschnationale sprach in einer Tagebuchnotiz unter demselben Datum von »den Kreisen um den Reichspräsidenten«, in denen man »den Rücktritt des Kabinetts und eine Verständigung mit der Rechten (Nationalsozialisten und Deutschnationale) unter Einbeziehung des Zentrums« wünsche.333 Am 13. Mai 1932 notierte Goebbels  : »Wir bekommen Nachricht von General Schleicher  : die Krise geht programmgemäß weiter.« Und am 19. Mai 1932  : »Sendboten von General Schleicher  : man ist schon dabei, die Ministerliste aufzustellen.« Am 25.  Mai 1932 schrieb er  : »Am Sonnabend soll Herr Brüning auffliegen. […] Schleicher arbeitet gut.«334 In der kritischen Lage, in der sich Brüning befand, kam es auf Hindenburg an. Der Reichspräsident hatte Brüning und sein Kabinett aus eigener Machtvollkommenheit ernannt und die gewünschten Notverordnungen erlassen. Die Verfassung gestattete ihm, das Kabinett jederzeit zu entlassen. Brüning stand bei Hindenburg im Frühjahr 1932 als Reichskanzler nicht mehr in gutem Ansehen. Der »alte Herr« war für die Idee eines Kanzlerwechsels durchaus empfänglich. Zwischen dem Reichspräsidenten und seinem Umfeld auf der einen und dem Reichskanzler und seinem Kabinett auf der anderen Seite bestanden schon seit einigen Monaten Differenzen. Sie betrafen zum einen Hindenburgs Gefühlswelt nach der Reichspräsidentenwahl 1932. Zum anderen resultierten sie aus Uneinigkeiten in der Wehr- und der Osthilfepolitik. Zunächst zu Hindenburgs Gefühlswelt. Seine politische Heimat lag, seiner Herkunft und seinem Lebensweg nach, bei den rechten Kräften  : beim Stahlhelm, dessen Ehrenvorsitzender er war, und bei der DNVP, die eng mit dem Wehrverband kooperierte und reaktionär-monarchistische Positionen vertrat. Die rechten Kräfte hatten 1925 Hindenburgs erste Wahl zum Reichspräsidenten unterstützt  – gegen die SPD und gegen das Zentrum. Seine Wiederwahl im April 1932 verdankte Hindenburg nun aber maßgeblich dem Zentrum und der SPD. Das katholische und das sozialdemokratische (sozialistische) Lager hatten im Kaiserreich zur politischen und kulturellen Opposition gezählt. Sie standen für all das, was Hindenburg innerlich ablehnte, der von »Katholen« und »Bolschewiken« sprach. Als der Stahlhelm einen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufgeboten hatte, die DNVP diesen unterstützt hatte und die Hugenberg-Presse den Reichspräsidenten als Kandidaten der Linken bezeichnet hatte, war Hindenburgs Verbitterung groß. Das belegen Briefe an alte Bekannte im Februar und seine Rundfunkansprache am 10. März 1932.335 Hindenburg hatte darin Wert darauf gelegt, seine Kandidatur nicht aus den Händen »der Linken«

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entgegengenommen zu haben. In den privaten Briefen hatte er zudem seine Verärgerung über das Verhalten des Stahlhelms und der Deutschnationalen geäußert. Tatsächlich hatte Hindenburg in beiden Wahlgängen nicht die Stimmen derjenigen erhalten, denen er sich politisch verbunden fühlte. Zu Walter Zechlin, dem Reichspressechef, sagte Hindenburg nach seiner Wiederwahl  : »[…] das Schlimmste […], wer hat mich denn gewählt  ? Mich haben die Sozis gewählt, mich haben die Katholiken gewählt […] und mich hat das Berliner Tageblatt gewählt […]. Meine Leute haben mich nicht gewählt.«336 Hindenburgs (undankbare  !) Einschätzung stimmte  : Das rechte Lager hatte im ersten Wahlgang für Theodor Duesterberg (Stahlhelm) oder für Hitler, im zweiten Wahlgang dann wohl zumeist für Hitler votiert. Brüning trug daran keine Schuld. Gleichwohl mehrte die Auffassung, von der »falschen« Seite unterstützt worden zu sein, Hindenburgs Unzufriedenheit mit dem Reichskanzler  : »Er [Hindenburg, P.A.] ist von seinen Freunden verlassen und von seinen Gegnern aufgenommen worden. […] Konnte er sich über seine Wiederwahl freuen und dem Kanzler, der ihm dazu verholfen hatte, dankbar sein  ?«337 Ohnehin war Hindenburg unzufrieden damit, dass Brüning sein Kabinett nicht stärker »nach rechts« erweiterte. Nach Angaben Meissners und Hindenburgs hatte der Reichspräsident den Reichkanzler fortwährend in diese Richtung gedrängt  ; Brüning sei aber nicht darauf eingegangen.338 Brüning hat von diesem Drängen ebenfalls berichtet.339 Zwar verteidigte Hindenburg den Kanzler in Briefen im Februar 1932 noch gegen rechte Kritiker.340 Aber in einem der beiden Schreiben machte er klar, dass er sich von Brüning gleichwohl getrennt hätte, wenn »eine andere, nach rechts verlagerte Regierung« möglich gewesen wäre, und dass er hoffe, es werde nach den preußischen Landtagswahlen (spätestens im Mai) möglich sein, »neue Verhandlungen zur Bildung einer Konzentrationsregierung aufzunehmen«.341 Zu dieser Grundbefindlichkeit Hindenburgs traten im Frühjahr 1932 – wie erwähnt  – Uneinigkeiten in der Wehr- und in der Ostpolitik hinzu. Hindenburg hatte – nach den Interventionen Schleichers und anderer – das SA- und SS-Verbot nur zögernd erlassen. Bei ihm verstärkten die nach dem Verbot eingehenden Proteste und Groeners nicht überzeugende Rechtfertigung im Reichstag den Eindruck, das Verbot sei falsch gewesen. Den Anlass (nicht die Ursache) für die Trennung Hindenburgs von Brüning lieferte dann der Streit um eine Notverordnung. Sie betraf (im weitesten Sinne) Militärfragen und die Osthilfe. Das Kabinett plante, per Notverordnung die Bezüge für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene zu kürzen sowie den staatlichen Erwerb von überschuldeten Gütern und die Ansiedlung von bis zu 600.000 Arbeitslosen auf diesen Gütern zu ermöglichen. Gegen die beiden letztgenannten Punkte opponierten

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die Agrarverbände, vor allem der einflussreiche rechte Reichs-Landbund mit seinen ca. fünf Millionen Mitgliedern. Das Präsidium des Reichs-Landbundes bestand aus drei Deutschnationalen und einem Nationalsozialisten. Die Agrarier und ihre Verbände witterten »Agrarbolschewismus«. Hindenburg selbst zählte, seitdem ihm das Gut Neudeck in Ostpreußen 1928 zu seinem 80. Geburtstag geschenkt worden war, zu den Gutsbesitzern. Er war also für die Beschwerden des Personenkreises, zu dem er selber gehörte, sehr empfänglich. Die Kürzungen bei Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen lehnte Hindenburg ebenfalls ab. Der Reichspräsident weigerte sich folglich, die vom Kabinett befürwortete Notverordnung zu erlassen, sofern »die beiden beanstandeten Teile (Ostsiedlung und Kriegsrentenkürzung)« nicht umgearbeitet würden.342 Meissner behauptete in seinen Erinnerungen, Schleicher habe die Opposition gegen die Regierungspläne unterstützt.343 Angesichts der Verhandlungen Schleichers mit der NSDAP und seiner Rolle bei Groeners Sturz trifft diese Behauptung sicherlich zu. Brüning gelang es nicht, die gegen ihn gerichtete Stimmung Hindenburgs zu drehen. Die Agrarlobbyisten hatten ganze Arbeit geleistet. Der Kanzler und die zuständigen Minister Schlange-Schöningen und Stegerwald hielten die geplante Notverordnung weiterhin für erforderlich. Sie teilten dies Hindenburg mit. In einer Besprechung am 29.  Mai 1932 entzog der Reichspräsident dem Kanzler offen das Vertrauen. Wie Friedrich Meinecke sarkastisch anmerkt, empfing Brüning nun den »Dank des Hauses Hindenburg«344. Alle Äußerungen des Wohlwollens wie diejenige, Brüning sei sein letzter Kanzler und er werde sich von ihm nicht trennen, oder der Ausspruch des Hindenburg-Intimus Oldenburg-Januschau, der Westfale sei der beste Kanzler seit Bismarck,345 hatten keine Bedeutung mehr. Brüning teilte dem Kabinett in der letzten Ministerbesprechung am Folgetag den Inhalt der Unterredung mit. Der Reichspräsident habe sich ihm gegenüber in offizieller Weise dahin geäußert […], daß erstens dieses Kabinett keine Notverordnungen mehr erlassen solle und daß zweitens in diesem Kabinett auch keine Änderungen personeller Natur mehr stattfinden würden. Diese doppelte Willensmeinung des Herrn Reichspräsidenten habe er als Aufforderung zur Demission des Kabinetts ansehen müssen  ; als er dies ausgesprochen habe, habe der Herr Reichspräsident diese Auffassung bestätigt.346

Das Kabinett trat daraufhin zurück. Hindenburg entließ den Reichskanzler und sein Kabinett auf deren Gesuch hin am 30. Mai 1932. Eine mehrmonatige »Palastintrige«347, wie sie vor 1918 üblich gewesen war, kostete Brüning das Amt, nachdem er sich in einer Reichstagsrede am 11. Mai 1932 schon »auf den letzten

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hundert Metern vor dem Ziel«348 gewähnt hatte. Auf der Konferenz in ­Lausanne (16. Juni bis 9. Juli 1932) erreichte das Deutsche Reich das faktische Ende der Reparationen (die dort vereinbarten drei Milliarden Restzahlung wurden nie erbracht). Brüning hatte mit seiner Politik die Vorarbeit zu diesem Verhandlungserfolg geleistet. Eines seiner Ziele – das Ende der Reparationen – wurde Wirklichkeit. Doch saß nicht Brüning in Lausanne als Reichskanzler am Verhandlungstisch, sondern Franz von Papen. Brüning verlor sein Amt, da er Hindenburgs Vertrauen verloren hatte, von dem seine Kanzlerschaft abhing. Da das Präsidialkabinett vom Vertrauen des Reichspräsidenten abhängig war, erhielten Einflüsterer aus dem Umfeld Hindenburgs größere Macht als früher. »[G]erade das Intrigieren beim Reichspräsidenten war in dem […] Präsidialsystem ein entscheidungsrelevanter politischer Faktor.«349 In den Worten Brünings  : »Den Reichstag brauchte ich jetzt [für den Zeitraum der Vertagung ab dem Oktober 1931, P.A.] nicht mehr zu fürchten, aber der fast tägliche Kampf gegen die Intrigen im Hause des Reichspräsidenten war mir geblieben.«350 Brünings Aussage trifft den Kern  : Ein Kanzler hat in einer Demokratie immer ein Staatsorgan, dem er Rechenschaft schuldig ist. Stützt er sich auf das Parlament, benötigt er fortwährend dessen Zustimmung. Stützt er sich auf das Staatsoberhaupt, muss er sich dessen dauernde Zuneigung erhalten. Während der Zeit der Kabinette mit parlamentarischen Mehrheiten (aufgrund einer Koalition oder einer fallweisen Tolerierung) hatte der Reichspräsident nur bedingt Einfluss auf die Regierungspolitik genommen. Zwar hätte er damals den Kanzler oder einen Minister gemäß Art.  53 WRV jederzeit entlassen können. Er hätte aber einen größeren politischen Widerstand im Parlament provoziert. Im Falle Brünings rächte es sich jetzt, dass dieser keine parlamentarische Mehrheit hinter sich wusste. Bezeichnenderweise kam es erst zum politischen Ende Brünings, als Erfolge in der Reparationsfrage absehbar waren. Im Juni 1931 waren die Reparationen auf Anregung des US-Präsidenten Herbert Hoover für ein Jahr ausgesetzt worden (»Hoover-Moratorium«). Weitere Erleichterungen schienen bevorzustehen. Hindenburg und sein Umfeld wiederholten ein bekanntes Spiel  : Schon Brünings Vorgänger Hermann Müller war bis zur Verabschiedung des Gesetzes zum Young-Plan am 12. März 1930 im Amt belassen und kurz danach, am 27. März 1930, gestürzt worden. Die Wissenschaft streitet noch heute darüber, wie Brünings Kanzlerschaft zu bewerten ist. Vor allem seine Deflationspolitik, sein harter Sparkurs und seine Konzentration auf die Beendigung der Reparationspflicht sind sehr umstritten. Ob Brüning die Wirtschaftskrise durch seine Politik sogar noch verschärfte und ob es tatsächlich Alternativen zur Wirtschaftspolitik Brünings gab, ist fraglich –

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muss hier aber nicht näher vertieft werden. Für diese Untersuchung genügt es, einen schwerwiegenden Mangel der Politik Brünings festzustellen  : Der Reichskanzler erkannte nicht die Notwendigkeit, seine Ziele öffentlich immer wieder zu erklären und zu bewerben, und unterließ es daher. Er verstand offenbar nicht, wie wichtig die öffentliche Meinung in einer parlamentarischen Demokratie ist. Denn sie wirkt sich auf die Wahlergebnisse aus. Sie beeinflusst die Zusammensetzung des Parlaments (oder der Parlamente) und damit auch die Umsetzung bestimmter politischer Ziele. Zwar äußerte Brüning sich im Reichstag, bei Wahlkampfauftritten und auch in Filmaufnahmen zu den politischen Absichten seiner Regierung. Aber ein fortwährender Werbefeldzug, wie er angeraten gewesen wäre, war das nicht. Gerade weil ihm politische Scharfmacher vom Schlage Hitler, Goebbels oder Thälmann gegenüberstanden, hätte Brüning sich um mehr öffentliche Unterstützung für seine Politik kümmern müssen. Er hätte sich auch moderner Medien stärker bedienen müssen. Brüning begnügte sich stattdessen im Wesentlichen mit den genannten Auftritten und mit der Absicherung gegenüber Hindenburg. Er machte im Grunde Politik mit den Mitteln der Kaiserzeit, obwohl sich die Gesellschaft und die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen verändert hatten. Mochte es für die Reichskanzler vor 1918 noch genügen, sich vorrangig des Rückhalts des Kaisers zu versichern – für die parlamentarische Republik, noch dazu in einer elementaren Krise, war eine solche Regierungsweise ungeeignet. Stärker gegen die Krise zu arbeiten – auch öffentlich – unter Einbeziehung aller republikloyalen Parteien hätte zumindest dem Volk ein Signal geben können  : Hier tut sich etwas  ; hier kämpft die Reichsregierung gemeinsam mit dem Reichstag gegen die Krise. Inhalt und Form der Politik des Reichskanzlers waren hingegen keine Werbung für den Weimarer Staat. Im Gegenteil  : Die wirtschaftliche Lage hatte sich seit seinem Amtsantritt stark verschlechtert. Im März 1930 waren etwas mehr als drei Millionen Arbeitslose zu verzeichnen.351 Mehr als zwei Drittel der Arbeitslosen erhielten Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Im Sommer 1930 war die Arbeitslosigkeit sogar auf 2,75 Millionen zurückgegangen. Erst im Winter 1930/31 stieg die Arbeitslosenzahl rapide an. Sie betrug 4,4 Millionen im Dezember 1930, fünf Millionen im Februar 1931 und 6,13 Millionen im Februar 1932. Sie hatte sich also innerhalb eines Dreivierteljahres fast verdoppelt. Nimmt man die geschätzten 1,8 Millionen »unsichtbaren«, also nicht offiziell erfassten, Arbeitslosen hinzu, wird der massive Anstieg noch eindrücklicher. Während die Zahl der Arbeitslosen stieg, sank gleichzeitig die Zahl derjenigen, die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen. Man hat errechnet, dass praktisch jede zweite deutsche Familie die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu spüren bekam.352

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Die negative wirtschaftliche Entwicklung, die stetig steigende Massenarbeits­ losigkeit und ihre schweren sozialen Folgen für sehr viele Menschen und die wachsende Hoffnungslosigkeit sowie der Umgang der Reichsregierung mit diesen Problemen trugen zum Aufschwung der radikalen Parteien NSDAP und KPD sowie letztlich zum Ende der Weimarer Republik und ihres Reichstages bei. Statt mit Arbeitsbeschaffungs- oder Investitionsprogrammen dagegenzuhalten, verstärkte Brüning gemeinsam mit Hindenburg den Aufschwung der radikalen Parteien noch durch die Reichstagsauflösung am 18. Juli 1930. Durch die Neuwahl im September 1930 erreichte die NSDAP eine hohe Mandatszahl. Der Wahlerfolg im September 1930 bewirkte sicherlich einen »Push-Effekt« für die Nationalsozialisten. Gerade verunsicherte Bevölkerungskreise stehen gerne auf der Seite der Sieger. Zwar weiß niemand, wie das Wahlergebnis ausgesehen hätte, wenn die 5. Reichstagswahl erst zum regulären Ende der 4. Legislaturperiode, im Mai 1932, stattgefunden hätte. Möglicherweise wäre die NSDAP auch dann stark im Reichstag vertreten gewesen. Die Wahlergebnisse in den Ländern und Kommunen 1930 bis 1932, die Reichspräsidentenwahl im März/April 1932 sowie die Reichstagswahl am 31. Juli 1932 legen dies nahe. Aber vielleicht hätte ein parlamentarisch regierender Kanzler mit einer gegen die Krise gerichteten Politik und einem frühzeitigen Verbot der NS-Kampfverbände doch eine andere Situation geschaffen.353 Die halbparlamentarische Regierungsweise, wie sie während Brünings Kanzlerschaft praktiziert wurde, drängte den Reichstag und die Parteien nicht nur in der Staatsleitung, sondern auch in der öffentlichen Wahrnehmung an den Rand. Sie waren weniger präsent. Das führte zugleich bei vielen Menschen dazu, ihre Rolle an sich gering zu schätzen. Wenn die Regierung auch ohne Reichstag und Beteiligung der Parteien arbeiten konnte  : Warum sollte es dann überhaupt einen Reichstag und Parteien geben  ? Antiparlamentarische Gruppen wie die NSDAP, die KPD und die DNVP schienen durch die Entwicklung seit dem Juli 1930 bestätigt zu werden. Auf François-Poncet, dem Brüning nach seinem Rücktritt einen Abschiedsbesuch abstattete, »machte er den Eindruck eines Mannes, der eine schwere Bürde losgeworden ist. Er war erleichtert, wenn auch von Bitterkeit erfüllt. […] Aber trotz seiner Befürchtungen als Patriot war es für ihn offensichtlich eine Erleichterung keine Verantwortung mehr zu tragen, für die er auch nicht geschaffen war.«354 Brünings Memoiren lassen das ebenfalls vermuten.355 Der letzte Halbsatz der Beobachtung des französischen Botschafters ist entscheidend. Brüning wäre vielleicht vor 1918 oder als Chef einer Mehrheitsregierung ein guter Reichskanzler gewesen. In der Krisenlage von 1930 bis 1932, als die

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Regierung verstärkt hätte um Vertrauen werben müssen, war er der falsche Mann. Seine Achtung des Parlaments war gering. Er stritt oftmals gegen den Reichstag oder suchte ihn zu umgehen. Zu Kompromissen war er nicht bereit. Die Behauptung Hans Mommsens, dass mit Brünings Sturz »die letzten Pfeiler des parlamentarischen Systems […], das er selbst tatkräftig mit ausgehöhlt hatte«356, gefallen seien, stimmt nur dann, wenn man sie so versteht, dass Brüning der letzte halbwegs parlamentarisch agierende Reichskanzler der Weimarer Republik war. Eine wirkliche Stütze des Systems war er aber nicht, wie ja der Relativsatz des Zitats zeigt. Stattdessen trug Brüning zur schleichenden Entmachtung des Reichstages bei. Er gehörte zu denjenigen, die das Parlament schwächten und damit die Weimarer Demokratie schrittweise demontierten.

5 Antiparlamentarismus Regieren ohne Reichstag  ?

Der gescheiterte Versuch einer »nationalen Konzentration« Am 1. Juni 1932 ernannte Hindenburg den 49-jährigen Franz von Papen zum Reichskanzler. Zum ersten Mal seit 1918 hatte das Reich wieder einen adligen Regierungschef. Papen gehörte dem katholischen westfälischen Adel an. Er war bis 1919 Berufsoffizier gewesen und auch nach der Revolution Monarchist. Als Mitglied des Zentrums war er seit 1921 (mit zweijähriger Unterbrechung) Abgeordneter des Preußischen Landtages gewesen. Er gehörte zum äußersten rechten Flügel seiner Partei, allerdings ohne großen politischen Einfluss im Landtag. Carl Severing erinnerte sich, er habe »Papen etwa ein Jahrzehnt lang im Preußischen Landtag als großen Schweiger beobachtet. Seine Betätigung im Parlament« habe »nur in gelegentlichen Quersprüngen gegen seine eigene Fraktion« bestanden.1 Als Hauptaktionär der zentrumsnahen Zeitung Germania warb er für seine monarchisch-rechtskonservativen Ansichten. Er lehnte die Republik, die kulturelle Moderne und die Sozialdemokratie ab.2 Als er nach der Entmachtung Brünings das Amt des Kanzlers übernahm, wurde Papen für seine Partei Persona non grata. Er wurde in Zentrumskreisen als Verräter gebrandmarkt und kam durch einen raschen Parteiaustritt dem Ausschluss zuvor. Die Ernennung Papens ging auf die Empfehlung Schleichers zurück. Er und Papen kannten sich seit gemeinsamen Zeiten in der Kriegsakademie. Schleicher duzte Papen und nannte ihn »Franz« oder »Fränzchen«.3 Auch die zumeist adligen Minister hatte der General, der »Geburtshelfer«4 dieses Kabinetts, empfohlen. Sie wurden Papen vom Reichspräsidenten benannt. Theodor Eschenburg meinte, Schleicher habe erwartet, »in Papen einen ihm gefügigen Kanzler zu gewinnen«, und »[e]r selbst würde heimlich führen.«5 Auf den Vorwurf »Der Papen ist doch kein Kopf  !« soll Schleicher geantwortet haben  : »Das soll er ja auch nicht sein. Aber er ist ein Hut.« Dazu passt die von André François-Poncet gegebene Charakterzeichnung  : »Papen hat es an sich, dass weder seine Freunde noch seine Feinde ihn ganz ernst nehmen  ; es haftet ihm der Stempel der Leichtfertigkeit an, er ist keine Persönlichkeit ersten Ranges.«6 Der Sturz Brünings und die Ernennung Papens sollten aus Sicht Schleichers ein Angebot an die NSDAP sein, die Regierung mit ihren vielen Abgeordneten im Reichstag zu unterstützen. Papens

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Regierung sollte ein »Kabinett der nationalen Konzentration« sein. Rechts und rechts außen sollten zusammenarbeiten. Doch sollte sich Schleicher mehrfach täuschen. Zum einen wollte die NSDAP von ihren Zusagen später nichts mehr wissen. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Zum anderen konnte Schleicher Papen nicht lenken. Dieser erwarb schnell Hindenburgs Vertrauen und entzog sich schon bald Schleichers Einfluss  : »Er ist der Bevorzugte des Marschalls  ; mit seiner Lebhaftigkeit und Munterkeit zerstreut er den alten Herrn, er schmeichelt ihm durch Ehrerbietung und Ergebenheit, gefällt ihm durch seine Keckheit und ist in seinen Augen der vollendete Edelmann.«7 Die Ernennung Papens und seines Kabinetts geschah, wie schon die Auswahl Brünings zwei Jahre und die Umbildung des Kabinetts Brüning ein halbes Jahr zuvor, ohne Beteiligung der Reichstagsparteien. Der volkskonservative Abgeordnete Kuno Graf von Westarp stellte fest  : »Bei dem Regierungswechsel vom Mai 1932 wurden dann der Reichstag und die Parteien in einem Maße ausgeschaltet, wie es überhaupt noch nicht dagewesen war.«8 Der Reichstag und die Parteien galten in Hindenburgs Umfeld als störende Faktoren. Der neue Reichskanzler gehörte nicht dem Reichstag an, seine rechtsgerichteten, zumeist adligen Minister ebenfalls nicht. Das Kabinett Papen war das erste, in dem nicht ein einziges Parlamentsmitglied saß. Nur drei Minister waren Parteimitglieder. Sie traten aber mit ihrer Ernennung aus der DNVP aus. Unter ihnen war Justizminister Franz Gürtner, der als bayerischer Justizminister Sympathie für die gescheiterten Putschisten vom 9. November 1923 gezeigt hatte. Die übrigen Reichsminister waren von vornherein parteilos. Die hohe Zahl parteiloser und adliger Minister war ein Novum in der Geschichte der Republik. Der Umstand zeigt, wie abgeneigt Hindenburg, Schleicher und Papen dem Reichstag und den Parteien gegenüberstanden und wie rückwärtsgewandt ihre politischen Ziele waren. Die Regierung Papen bezeichnete sich selbst als das »Kabinett der nationalen Konzentration«. Im Volk und in der Presse war eher vom »Kabinett der Barone« die Rede. Da nur etwa 0,1 Prozent der Bevölkerung adlig waren, konnte schon die Zusammensetzung des Kabinetts nicht auf die breiten Volksmassen zielen. Die Regierung verfolgte unter der Ägide Papens einen noch stärker autoritären Kurs als die Vorgängerregierung. Johannes Hürter meint sogar, die Regierung Papen sei »erstmals ein Kabinett der Feinde der Republik«9 gewesen. Der von der Regierung Papen und rechtsgerichteten Publizisten in ihrem Umfeld angestrebte, aber nur in Umrissen skizzierte »neue Staat« sollte stärker vom Reichspräsidenten und der Reichsregierung, also »von oben«, geführt werden. Das Vorbild war das Kaiserreich. Das Reich und Preußen sollten zumindest personell verklammert werden. Der Reichstag und die Parteien, insbesondere die

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8  Das am 1. Juni 1932 ernannte Kabinett Papen, oben (von links nach rechts)  : Reichskanzler Franz von Papen, Kurt von Schleicher (Reichswehr), Wilhelm von Gayl (Inneres), Konstantin von Neurath (Auswärtiges), Magnus von Braun (Ernährung)  ; unten (von links nach rechts)  : Hugo Schäffer (Arbeit), Franz Gürtner (Justiz), Paul von Eltz-Rübenach (Verkehr), Johann ­Ludwig Graf Schwerin von Krosigk (Finanzen) und Hermann Warmbold (Wirtschaft). © akg-images Nr. 1090400.

SPD, sollten Rechte einbüßen. Das Parlament sollte im Ergebnis sogar weniger Macht besitzen als zur Kaiserzeit. Das Ziel war ein »Präsidialregime ganz ohne parlamentarische Absicherung, aber mit Duldung der Rechtsparteien«10. Seine Einstellung zum Parlament tat Papen durch die Form seiner ersten Regierungserklärung kund. Er gab sie nicht – wie es zuvor üblich gewesen war – vor dem Reichstag ab. Stattdessen ließ er am 4. Juni 1932 durch Wolffs Telegraphisches Bureau (W.T.B.) eine schriftliche Erklärung veröffentlichen.11 Er benannte die schwere Notlage, für die er »in erster Linie de[n] Versailler Vertrag und die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise wie auch die Mißwirtschaft der Parlamentsdemokratie« und »einen sich ständig steigernden Staatssozialismus« verantwortlich machte. Der hieraus zwangsläufig folgenden moralischen Zermürbung des deutschen Volkes, verschärft durch den unseligen gemeinschaftsfeindlichen Klassenkampf und vergrößert durch den Kulturbolschewismus, der wie ein fressendes Gift die besten sittlichen Grundlagen der Nation zu vernichten droh[e], [müsse] in letzter Stunde Einhalt

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geboten werden. […] Die Reinheit des öffentlichen Lebens [könne] nicht auf dem Wege der Kompromisse um der Parität willen bewahrt oder wiederhergestellt werden. Es [müsse] eine klare Entscheidung darüber fallen, welche Kräfte gewillt [seien], das neue Deutschland auf der Grundlage der unveränderlichen Grundsätze der christlichen Weltanschauung aufbauen zu helfen. […] Aus allen diesen Gründen [habe] sich der Herr Reichspräsident entschlossen, dem Antrage der Reichsregierung stattzugeben, den Reichstag aufzulösen. […] Die Nation [werde] vor die klare und eindeutige Entscheidung gestellt, mit welchen Kräften sie den Weg der Zukunft zu gehen gewillt [sei]. Die Regierung [werde], unabhängig von Parteien, den Kampf für die seelische und wirtschaftliche Gesundung der Nation, für die Wiedergeburt des neuen Deutschlands führen.

Papens Programm kam klar zum Ausdruck. Sein Kabinett verstand sich als parteiunabhängige Regierung, welche die (angeblichen) Versäumnisse der Vorgängerregierungen beseitigen und zugleich Deutschland moralisch wiederaufrichten müsse. Wirkliche Lösungsansätze präsentierte der neue Reichskanzler nicht. Er verwies nur darauf, dass ein Teil der von der Vorgängerregierung geplanten Notverordnungen umgesetzt werden müsse, und sprach von »im Gange befindlichen oder bevorstehenden internationalen Verhandlungen über die großen Weltprobleme der Abrüstung, der Reparationen und der allgemeinen Wirtschaftskrise« sowie von der Notwendigkeit, »die wirtschaftlichen Störungen auf dem Gebiete des Geld- und Kapitalverkehrs und des Warenaustausches, die gegenwärtig die Welt in Unruhe versetzen, zu beseitigen.« Einen wirklichen Grund für die Ablösung Brünings und die eigene Kanzlerschaft nannte Papen nicht. Harry Graf Kessler meinte, die Regierungserklärung sei »ein kaum glaubliches Dokument, ein miserabel stilisierter Extrakt finsterster Reaktion […]. Ein Regierungsdokument solch politischer Dummheit und Ungeschicklichkeit, so finsterer Reaktion […].«12 Viele Deutsche dürften die Regierungserklärung ähnlich aufgenommen haben. In den meisten Reichstagsparteien hatte Papen von Beginn an nur Gegnerschaft zu erwarten. Allein die DNVP und die gemäßigt rechten DVP und CNBL stützen ihn. Papen wollte – wie Schleicher – ausgerechnet die NSDAP einbinden. Im Gespräch mit Hindenburg und Meissner hatte Hitler am 30. Mai 1932, also schon vor Papens Ernennung, erneut die Duldung der Regierung angeboten und als Gegenleistung die Aufhebung des SA- und SS-Verbotes sowie die Auflösung des Reichstages verlangt.13 Die Bedenken, die Hugenberg (DNVP), Westarp (KVP) und Leicht (BVP) gegenüber dem Reichspräsidenten wegen Hitlers zweifelhafter Verlässlichkeit am 31. Mai 1932 geäußert hatten, und die

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Einwände des Zentrumsvorsitzenden Kaas gegen eine Neuwahl (»Appell an ein krankes und aufgeregtes Volk«)14 überzeugten Hindenburg und sein Umfeld nicht. Der neu ernannte Reichskanzler Papen trat sogleich in Vorleistung. Er erbat bei Hindenburg die Reichstagsauflösung und die Aufhebung des SAund SS-Verbots. Hindenburg kam beiden Bitten nach. Der Reichstag wurde am 4. Juni aufgelöst15, das Verbot der NS-Kampfverbände durch § 20 Abs. 2 Nr. 7 der »Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen« vom 14.  Juni 193216 aufgehoben. Das aus der Rückschau so sinnvolle Verbot blieb eine flüchtige »Anwandlung kräftigen Zufassens  !«17 Die Ernennung eines Kabinetts gegen den Willen der Reichstagsmehrheit (sog. Konfliktregierung oder Kampfkabinett) bei gleichzeitiger Parlamentsauflösung war nach dem Wortlaut des Art. 53 WRV und nach Ansicht der Weimarer Staatsrechtslehre verfassungsgemäß. Der Wahlausgang, also die Mehrheitsverteilung im neu gewählten Reichstag, entscheide darüber, ob das Kabinett das Vertrauen der (ggf. neuen) Mehrheit finden könne.18 Die Reichstagsauflösung in einem solchen Fall ließ sich als Appell ans Wahlvolk verstehen, der neuen Regierung seine Zustimmung zu geben. Die amtliche Begründung der Auflösungsanordnung Hindenburgs vom 4. Juni 1932 war erhellend  : »Auf Grund des Artikels 25 der Reichsverfassung löse ich mit sofortiger Wirkung den Reichstag auf[,] da er nach dem ­Ergebnis der in den letzten Monaten stattgehabten Wahlen zu den Landtagen der deutschen Länder dem politischen Willen des deutschen Volkes nicht mehr entspricht.« Die NSDAP hatte bei den letzten Landtagswahlen, unter anderem in Preußen, Baden und Bayern am 24.  April 1932, starke Zugewinne verzeichnet. Eine Neuwahl des Reichstages ließ kräftige Mandatszuwächse für die Partei erwarten. Wenn die die Regierung stützende Partei über viele Mandate im Reichstag verfügte, konnte dies Papen nur recht sein. Eine solche Begründung für eine Reichstagsauflösung, wie sie Hindenburg anführte, hatte es zuvor noch nicht gegeben. Das Auflösungsrecht wurde zum Instrument eigener politischer Vorstellungen – in völliger Verkennung des Charakters der NSDAP und ohne Rücksicht auf die zu erwartenden Auswirkungen. Papen und Hindenburg erwiesen sich als Hasardeure  – und ihr Plan sollte nicht aufgehen. In der parlamentslosen Zeit nach der Reichstagsauflösung setzte die Regierung Papen ihre Maßnahmen ausschließlich durch Verordnungen nach Art. 48 WRV durch. Der Reichstag konnte erst nach der Neuwahl vom 31. Juli 1932 zusammentreten. Die Finanzlage des Reiches war weiterhin dramatisch. Der Gesamtfehlbetrag des Reichshaushalts belief sich zum Ende des Finanzjahres 1932 (31. März) auf fast 1,7 Milliarden Reichsmark.19 Außer den Reparationszahlungen, die durch

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das Hoover-Moratorium kurzzeitig ausgesetzt worden waren, hatte das Deutsche Reich Mitte 1932 noch ca. 429 Millionen Reichsmark weitere Schulden, z. B. aus Anleihen aufgrund des Dawes- und des Young-Plans.20 Die Steuereinnahmen des Reiches sanken weiterhin, so dass an eine Schuldentilgung nicht zu denken war. Papen setzte daher das Sparprogramm Brünings fort. Bei den Reparationsverhandlungen in Lausanne erreichte das Reich am 9. Juli 1932 de facto das Ende der Reparationszahlungen. Maximal waren nur mehr drei Milliarden Reichsmark zu zahlen. Die Zahlung wurde für drei Jahre gestundet. Papen fuhr damit die Ernte der Bemühungen Brünings ein. Es gelang ihm aber nicht, das Ruder herumzureißen und eine deutliche wirtschaftliche Belebung anzustoßen. Alle Maßnahmen, etwa Arbeitsbeschaffungsprogramme, blieben Stückwerk. Gleichzeitig wurde die Arbeitslosenunterstützung gesenkt und die Bezugsdauer verkürzt. Dies erhöhte nicht nur die finanziell prekäre Lage vieler Haushalte, sondern erhöhte auch den Unmut vieler Bürger über die Regierung und das »Weimarer System«. Die destabilisierenden Maßnahmen der Regierung Papen Mag man über die wirtschaftlichen Maßnahmen, welche die Regierung Papen bis Dezember 1932 ins Werk setzte, unterschiedlicher Meinung sein  – eines steht unbestritten fest  : Der neue Reichskanzler und sein Kabinett trafen schon in den ersten beiden Monaten ihrer kurzen Amtszeit innenpolitische Entscheidungen, die sich verheerend auf den inneren Frieden auswirkten. Sie destabilisierten den Staat, der durch die Wirtschaftskrise stark gebeutelt war, weiter. Die Reichstagsauflösung vom 4. Juni 1932 wurde bereits oben erwähnt. Sie war der größte und folgenreichste Fehler Papens. Wenn zumindest die 5.  Wahlperiode regulär erst 1934 geendet hätte, hätte die Machtübernahme Hitlers wohl auch vermieden werden können.21 Die Wirtschaftskrise wäre deutlich abgeflaut und ein Aufschwung erkennbar gewesen. Möglicherweise wäre dann alles, was sich Ende 1932/Anfang 1933 ereignete, vermieden worden. Die Ergebnisse der Neuwahl vom 31. Juli 1932 werden weiter unten erörtert. Da der Reichstag im Juni und Juli aufgelöst war, konnte er der Politik Papens, der seine gravierenden Fehler schon in diesen ersten beiden Amtsmonaten beging, nichts entgegensetzen. Das Parlament konnte keine Notverordnung aufheben und den ungeliebten Kanzler auch nicht durch ein Misstrauensvotum stürzen. Der Reichstag war in dieser Phase faktisch nicht vorhanden. Als zweite destabilisierende Maßnahme nach der Reichstagsauflösung ist die Aufhebung des Verbots der SA und der SS am 16.  Juni 1932 zu nennen. Pa-

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pen umwarb auf diese Weise – wie schon durch die Reichstagsauflösung – die ­ SDAP. Die preußische, die bayerische, die württembergische, die badische und N die hessische Landesregierung hatten gegen die geplante Aufhebung des Verbots, auch bei Hindenburg, protestiert. Sie waren aber nicht durchgedrungen. Das Verbot wurde nicht nur aufgehoben. Zugleich beschränkte die Zweite Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen vom 28. Juni 193222 die Landesbefugnisse in Fragen der inneren Sicherheit. Generelle Versammlungs- und Uniformverbote waren danach nicht mehr zulässig. Die braunen »Bürgerkriegsarmeen« agierten von dem Moment an, in dem sie wieder erlaubt waren, radikaler und gewalttätiger als zuvor. Ihr »natürlicher« Feind, die Ersatzorganisationen des verbotenen RFB, stand ihnen in nichts nach. Der Reichstagswahlkampf und die Zeit danach wurden durch Gewaltexzesse an vielen Orten überschattet. Schon im Juni waren Todesopfer und Verletzte zu beklagen. Im Juli und August verloren über 300 Menschen durch extremistische Gewalttaten das Leben  ; fast 1300 Personen wurden verletzt, zum Teil sehr schwer.23 Allein am Wahltag, dem 31. Juli 1932, verloren zwölf Menschen ihr Leben durch politische Gewalttaten.24 Das Reich befand sich mehr denn je in einer bürgerkriegsähnlichen Situation.25 In einer Sitzung des Überwachungsausschusses des Reichstages am 25. Juli 1932 erklärte Papen, die Reichsregierung verurteile jede Ausschreitung, gleichgültig von welcher Seite sie komme. Es sei Sache der Länderregierungen, Ausschreitungen zu verhindern. Die Reichsregierung habe jedenfalls alle Anordnungen getroffen, um die Wahlfreiheit nach jeder Richtung hin völlig zu sichern.26 Der alltägliche Wahlkampf, der teilweise zum Wahlkrieg ausuferte, widerlegte diese Äußerungen Papens. Die dritte destabilisierende Maßnahme Papens war sein »Preußenschlag« vom 20. Juli 1932. Der Kanzler wollte damit dem Ziel eines autoritär regierten Staates näher kommen und den aus Sicht der Reichsregierung unerträglichen »Dualismus« zwischen dem Reich und Preußen beseitigen27. Die Reichsregierung sollte die Machtmittel Preußens in die Hände bekommen und zugleich die SPD-geführte Weimarer Koalition in Preußen entmachtet werden. Als Anlass für die schon geplanten Maßnahmen wurden die schweren Ausschreitungen in der damals eigenständigen preußischen Stadt Altona (»Altonaer Blutsonntag«) am 17. Juli 1932 herangezogen. (Dabei hatte ja die Reichsregierung – gegen den Widerstand des preußischen Kabinetts  – SA und SS wieder zugelassen  !) Die Reichsregierung unterstellte der preußischen Landesregierung unter Otto Braun, Sicherheit und Ordnung nicht mehr garantieren zu können. Ein Eingreifen des Reiches sei geboten. Papen entmachtete durch die auf Art. 48 Abs. 1 und 2 WRV gestützte »Verordnung des Reichspräsidenten, betreffend die Wiederherstellung

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der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet des Landes Preußen vom 20. Juli 1932«28 die geschäftsführende preußische Landesregierung. Papen wurde zum Reichskommissar, also zum faktischen Regierungschef Preußens, bestellt. Preußen wurde mit dem Reich »gleichgeschaltet«. Staatsstreichartig wurden alle Flughäfen gesperrt und wichtige öffentliche Gebäude durch Reichswehrtruppen besetzt.29 Die Minister der regierenden Weimarer Koalition wurden aus dem Amt entfernt, ebenso die sechs Staatssekretäre, vier Oberpräsidenten und zahlreiche Regierungs- und Polizeipräsidenten.30 Durch eine weitere Verordnung vom selben Tag31 wurden in Groß-Berlin und in der Provinz Brandenburg Grundrechte außer Kraft gesetzt, die vollziehende Gewalt auf den Reichswehrminister Schleicher übertragen, Strafvorschriften eingeführt und verschärft. Eine wirkliche Gegenwehr der preußischen Regierung oder der sie tragenden Parteien oder Verbände gab es nicht. Sie wäre auch wohl angesichts der Stärke der Reichswehr im Vergleich zur preußischen Polizei vergeblich gewesen.32 Mit einem Generalstreik konnten die Gewerkschaften der SPD bei mehreren Millionen Arbeitslosen – anders als beim Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 – nicht zu Hilfe eilen. Das Reichsbanner, der republiktreue Wehrverband, hatte nach Aussagen von Zeitzeugen nicht genügend Schlagkraft.33 Ein Versäumnis der führenden Sozialdemokraten liegt allenfalls darin, den absehbaren Preußenschlag nicht durch Vorsichtsmaßnahmen erschwert zu haben. Durch eine Verstärkung der Polizeipräsenz oder Großkundgebungen des Reichsbanners hätte vielleicht der Reichsregierung der Eindruck vermittelt werden können, ein Vorgehen gegen die preußische Regierung sei nicht gefahrlos und ohne Gegenwehr zu haben.34 Ob solche präventiven Maßnahmen wirklich geholfen hätten, muss Spekulation bleiben. Die Reichswehr hätte die Gegenwehr wohl gebrochen.35 Außerdem wäre es zu einem Bürgerkrieg im größten Reichsland gekommen. Eine solche Eskalation konnte die verantwortungsbewusste preußische Landesregierung nicht wollen. André François-Poncet erfasste die Lage so  : Nicht einen Augenblick ist die Ruhe gestört. Im Gegenteil, es überrascht, mit welcher Fügsamkeit, ja Gleichgültigkeit der Gewaltstreich der Regierung aufgenommen wird. Niemand rührt sich, weder in den Arbeitergewerkschaften, noch bei den Demokraten, den Katholiken oder den Kommunisten. Die Vorkämpfer der Demokratie verhalten sich still. […] Die leitenden preußischen Beamten […] werden entlassen und fügen sich dem erhaltenen Befehl.36

Die abgesetzte preußische Regierung reichte eine Klage beim Staatsgerichtshof in Leipzig ein. Die Regierungen Badens und Bayerns schlossen sich an. Die

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württembergische Regierung verwahrte sich bei Hindenburg und Papen gegen den Preußenschlag. Bevor der Staatsgerichtshof entscheiden konnte, schuf die Reichsregierung bereits vollendete Tatsachen. Sie strukturierte die preußische Verwaltung und Justiz weiter massiv um  : Sie legte 58 Landkreise und 60 Amtsgerichtsbezirke zusammen und entließ 60 republiktreue Landräte. Die Regierung Braun beschränkte sich auf den verfassungstreuen, legalen Protest  : eine Klage beim Staatsgerichtshof gegen das Vorgehen der Reichsregierung. Der Preußenschlag war ein Sargnagel für die Weimarer Demokratie. Ein festes demokratisches Bollwerk mit mehreren Hunderttausend Beamten in der Verwaltung und in der starken Polizei wurde geschleift. Republiktreue leitende Beamte wurden aus dem Dienst entfernt. Die republikloyalen Parteien wurden massiv geschwächt. Die SPD als die wichtigste staatstragende Weimarer Partei verlor ihre letzte relevante Machtposition.37 Immerhin lebten in Preußen zwei Drittel der Deutschen. Der »entscheidende Wendepunkt« in der Entwicklung von der Demokratie zur Diktatur38 war der Preußenschlag aber nicht. Ulrich Herbert meint, seit dem 20. Juli 1932 sei an eine Wiederherstellung demokratisch-parlamentarischer Verhältnisse in Deutschland kaum mehr zu denken und SPD und Arbeiterbewegung seien keine entscheidende Kraft in der deutschen Innenpolitik mehr gewesen.39 Ich bin anderer Auffassung. Für ein Ende demokratisch-parlamentarischer Verhältnisse waren weitere und weitergehende Schritte notwendig. Zugleich ist festzuhalten, dass Papen seine kurzsichtigen Ziele auch nicht erreichte. Durch die Destabilisierung Preußens und des politischen Systems brachte er vielmehr seine eigene Regierung in Gefahr. Der 6. Reichstag Der 6. Reichstagswahl ging – wie bereits erwähnt – der blutigste Wahlkampf voraus, den Deutschland je erlebt hatte.40 Im Vergleich zum vorherigen Wahlkampf im Sommer und Frühherbst 1930 nahm die Gewalt weiter zu. Vom Altonaer Blutsonntag war bereits die Rede. Auch im schlesischen Ohlau und an anderen Orten kam es zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Die preußische Polizei registrierte allein vom 21. bis zum 31. Juli 1932 317 politische Ausschreitungen. In 122 Fällen waren Kommunisten, in 114 Fällen Nationalsozialisten, in 31 Fällen Angehörige des Reichsbanners bzw. der Eisernen Front die Angreifer  ; zwischen dem 1. und dem 31. Juli 1932 kamen 38 Nationalsozialisten und 28 Kommunisten zu Tode.41 Zahlreiche Menschen wurden verletzt. Unter den Opfern waren auch Anhänger der demokratischen Parteien und Passanten.

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Viele erwarteten das Ergebnis der 6.  Reichstagswahl mit Spannung. Harry Graf Kessler beschrieb das Berliner Wetter am 31. Juli 1932 in seinem Tagebuch  : »Reichswahltag. Schicksalstag  ! Schwüles, schweres Wetter, früh bewölkt, gegen Mittag aufhellend.«42 Dass es sich um eine Richtungswahl handelte, dürfte den meisten Deutschen klar gewesen sein. Die Vossische Zeitung fragte in ihrer Morgen-Ausgabe  : »Was käme erst nach dem 31. Juli, wenn Faschismus und Reaktion freie Bahn erhielten  ?« Sie rief ihre Leser dazu auf, gegen die Nationalsozialisten zu stimmen.43 Die Titelseite ihrer Sonntagsbeilage Zeitbilder zeigte Menschen am Strand. Darüber stand  : »Genießt den letzten Ferien-Sonntag … aber erfüllt Eure Wahlpflicht  !« Das Wahlergebnis vom 31. Juli 1932 Partei

Stimmenanteil

Sitze im 6. Reichstag

NSDAP

37,3 %

230

SPD

21,6 %

133

KPD

14,3 %

89

Zentrum

12,5 %

75

DNVP

5,9 %

37

BVP

3,2 %

22

DVP

1,2 %

7

DStP

1 %

4

1 %

3

Wirtschaftspartei

CSVD

0,4 %

2

DBP

0,4 %

2

WBWB

0,3 %

2

CNBL (Deutsches Landvolk)

0,2 %

1

VRP

0,1 %

1

insgesamt

/

608

Die Wahlbeteiligung stieg auf 84 %. Sie lag höher als bei den beiden vorangegangenen Wahlen. Im Reichstag saßen nun 608 Abgeordnete. Das waren 31 Mandatsträger mehr als nach der Septemberwahl 1930. So viele wie noch nie. Die Wahl führte zu einem weiteren politischen Erdrutsch. Die NSDAP kam auf 37,3 % der Stimmen. Sie steigerte ihre Sitzzahl auf 230. Seit 1930 war es ihr gelungen, in die protestantisch geprägten kleinstädtischen und ländlichen Milieus noch tiefer einzudringen, indem sie eigene Organisationen aufbaute, die gezielt

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bestimmte Bevölkerungsteile ansprechen sollten. In Schleswig-Holstein, Ostpreußen, Pommern, Niederschlesien und Mittelfranken erreichte die ­NSDAP die absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. In den Städten Ansbach und Rothenburg ob der Tauber kam sie auf einen Stimmenanteil von 76 bzw. 83 %. Der Einbruch in die festen organisationszentrierten Milieus gelang den Nationalsozialisten weiterhin nur begrenzt. Sie konnten nur diejenigen ansprechen, die aus dem Milieu ausgeschieden waren (z. B. durch einen Kirchenaustritt oder eine Arbeitslosigkeit).44 Die katholischen Parteien, die SPD und die KPD erreichten – trotz schwindender Wahlkampfmittel – gemeinsam mehr als 51 % der Stimmen  : »ein eindrucksvolles Indiz der kaum geschwundenen Bindekraft ihrer Heimatmilieus«.45 Die SPD war mit 21,6 % und 133 Mandaten erstmals nur zweitstärkste Kraft. Der Grund für ihr schlechtes Abschneiden war offenbar vor allem die bei der Anhängerschaft unpopuläre Tolerierung der Regierung Brüning.46 Die Verluste von zehn Mandaten kamen wohl der KPD zugute.47 Die Kommunisten steigerten ihren Stimmenanteil auf 14,3 % (89 Mandate). Sie waren erneut drittstärkste Kraft. Das Zentrum konnte seine Sitzzahl bei 12,4 % auf 75 erhöhen  : sein zweitbestes Ergebnis der Weimarer Zeit. Mehr Abgeordnete hatte die Partei nur in die Nationalversammlung entsenden dürfen. Auch die andere katholische Partei, die BVP, konnte ihre Sitzzahl weiter auf 22 steigern. So viele Abgeordnete hatte die BVP-Fraktion noch nie gehabt. Die DNVP verlor vier Sitze und kam auf 37 Mandate. Ihr Abwärtstrend setzte sich fort. Für die liberalen Parteien DStP und DVP verlief die Juli-Wahl katastrophal. Sie wurden regelrecht pulverisiert.48 Die DStP hatte nur noch vier (statt 20), die DVP nur noch sieben (statt 30) Sitze. Die Wirtschaftspartei (bislang 23 Sitze) sowie die gemäßigten rechten Parteien CNBL und CSVD (bis dahin 14 Sitze) verloren ebenfalls massiv. Sie wurden zu Splitterparteien mit wenigen Sitzen. Die VRP erlebte dank einer Listenverbindung mit dem CSVD ein kurzes Comeback mit einem Mandat. Die DHP büßte alle Sitze ein. Auch die SAPD errang kein Mandat. Die KVP, die seit Brünings Sturz politisch ausgeschaltet worden war, war zur Wahl gar nicht mehr angetreten. Das Ergebnis der 6.  Reichstagswahl bedeutete eine »vernichtende Wahlniederlage« und »das faktische Ende« der Klein- und Splitterparteien.49 Von den Verlusten der Mittel- und der (gemäßigten) Rechtsparteien profitierte weit überwiegend die NSDAP. Man nimmt an, dass über 50 % der Wähler, die am 14. September 1930 eine Klein- oder Splitterpartei wählten, am 31. Juli 1932 der NSDAP ihre Stimme gaben.50 Zum ersten Mal in der Geschichte der Weimarer Republik besaßen die staatstragenden Parteien keine Mehrheit mehr. Die Parteien der bis März 1930

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amtierenden Großen Koalition kamen auf nur noch 241, die drei Parteien der Weimarer Koalition plus BVP auf nur noch 234 Mandate. Die NSDAP hatte allein fast so viele Sitze wie die staatstragenden Parteien gewonnen. Im Reichstag gab es nun eine »Obstruktionsmehrheit der totalitären Parteien NSDAP und KPD«51 mit 319 Abgeordneten. Zählt man die Sitze der parlamentsfeindlichen DNVP, der weit nach rechts tendierenden DVP und der beiden an den Reichs-Landbund angelehnten Kleinparteien dazu, kommt man auf 366 Sitze für die zumindest autoritär bis parlamentsfeindlich und antidemokratisch eingestellten Kräfte. Das Zahlenverhältnis zwischen eindeutigen Demokraten und autoritär eingestellten bis parlamentsfeindlichen Kräften lag ungefähr bei 60 zu 40. Damit markiert die Wahl vom 31. Juli 1932 eine Zäsur in der Geschichte der Weimarer Republik. Hierfür trugen Papen, der die Reichstagsauflösung erbeten hatte, und Hindenburg, welcher der Bitte entsprochen hatte, die volle Verantwortung.52 Ohne die Auflösung des 5. Reichstages, ohne diesen »kapitalen politischen Fehler«53 hätten die Systemfeinde NSDAP und KPD nicht die Mehrheit im Reichstag erhalten. Ohne die Auflösung des Reichstages wäre eine republikloyale Regierung weiterhin möglich gewesen. Für die Weimarer Republik als parlamentarische Demokratie bedeutete das Wahlergebnis nichts Gutes. Parlamentarisches Regieren gegen die Verfassungsfeinde von rechts und links war nicht mehr möglich. Nur unter Einbeziehung einer der republikfeindlichen Parteien war die Gesetzgebung überhaupt noch möglich. Lediglich wenn sich eine der verfassungsfeindlichen Parteien bereit erklärt hätte, im Verfassungsrahmen demokratische Ziele zu verfolgen, wäre eine Zusammenarbeit im Bereich des Möglichen gewesen. Aber die Verfassungsfeinde waren naturgemäß nicht bereit, von ihrer grundsätzlichen Ablehnung der parlamentarischen Republik abzurücken. Der Reichstag fiel damit als Gesetzgeber und oberstes Staatsorgan der parlamentarischen Republik aus. Nur eine andere, republikfreundliche Mehrheit hätte ihn wieder ins Spiel bringen können. Verantwortlich für die faktische Ausschaltung des Reichstages waren Hindenburg und Papen  – sowie die Wählerschaft. Schon im September 1930 hatte sie in großer Zahl den Republikfeinden viele Mandate beschert. Von einer Mehrheit waren NSDAP, KPD und DNVP aber weit entfernt gewesen. Nach dem 31. Juli 1932 befand sich die demokratische Republik in einer deutlich brenzligeren Lage. Der Reichstag wurde zum rein »verneinenden« Staatsorgan. Er konnte »wohl stürzen, aber nicht stützen«54. Zu positivem Handeln war er angesichts der Sitzverteilung nicht mehr in der Lage. Der Verursacher der Wahl, Reichskanzler Papen, gewann durch den Urnengang nichts. Alle Parteien, die ihn stützten, verloren Stimmen und Sitze. Die

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DNVP kam noch am besten davon. Sie verlor nur vier Mandate. Von ihrer einstigen Stärke der 1920er Jahre war sie aber weit entfernt. Hatte sie 1924 noch über 100 Mandate erzielt, kam sie nun nicht einmal auf die Hälfte. Die DVP wurde trotz einer Listenverbindung mit der DNVP nahezu zerrieben. Die CNBL erreichte nur noch ein Mandat und verschwand faktisch von der politischen Landkarte. Die Stimmenverluste der Rechtsparteien waren gleichbedeutend mit Stimmengewinnen für die NSDAP. Die Nationalsozialisten hatten aber die absolute Mehrheit trotz für sie günstiger Ausgangslage verfehlt. Selbst gemeinsam mit anderen rechten Parteien erreichten sie die Sitzmehrheit von über 304 Stimmen nicht. Viele Beobachter zeigten sich (zumindest) darüber erleichtert. Die Vossische Zeitung titelte  : »Volksmehrheit gegen Diktatur. […] Reichstag ohne Rechtsmehrheit«55. Harry Graf Kessler schrieb in sein Tagebuch  : »Die Rechte hat keine Mehrheit im neuen Reichstag […] Die Nazis, deren Gros eine Mehrheit von fünfzig bis sechzig Prozent erwartet hatte, sind schwer enttäuscht.«56 Die Beobachter erwähnten nicht, dass die republikfreundlichen Kräfte ebenfalls keine Mehrheit mehr besaßen. Das war das wirklich entscheidende Ergebnis der Juli-Wahl. Außerdem war der Zugriff der Nationalsozialisten auf die Macht keinesfalls abgewehrt. Die Koalitionsgespräche zwischen der NSDAP und den katholischen Parteien

Schon seit dem Juni 1932 lotete das Zentrum in Gesprächen in Preußen und dann (gemeinsam mit der BVP) im August 1932 auf der Reichsebene eine mögliche politische Zusammenarbeit mit der NSDAP aus. Zu einer Koalition oder einem anderen Bündnis, etwa einer Tolerierung einer NSDAP-DNVP-Regierung, kam es aber nicht. Dass die katholischen Parteien überhaupt mit der NSDAP sprachen, war keine Selbstverständlichkeit. Bis zum Sommer 1932 schienen Gespräche oder gar Bündnisverhandlungen zwischen der NSDAP und den beiden katholischen Parteien undenkbar. Bis dahin hatten sich das Zentrum und die BVP gegen die NSDAP gestellt. Sie wussten dabei die Amtskirche hinter sich. Diese hatte in mehreren Stellungnahmen den Nationalsozialismus abgelehnt. Die ersten zwei Sätze des Art. 24 des Parteiprogramms der NSDAP (»25-Punkte-Programm«) von 1920 wurden nämlich als so christen- und kirchenfeindlich verstanden, wie sie gemeint waren. Sie lauteten  : »Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solches vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes

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Bekenntnis zu binden.« Kirchliche Amtsträger lehnten auch die rassistische Ausrichtung des Parteiprogramms, die der judenfeindliche dritten Satz des Art. 24 unterstrich, entschieden ab. Ein Beispiel für die Haltung der Amtskirche ist das Schreiben, das der Generalvikar des Bistums Mainz, Philipp Jakob Mayer, an die Leitung des NSDAP-Gaus Hessen-Darmstadt schickte. Die Gauleitung hatte sich beim Mainzer Bischof erkundigt, ob dieser einem hessischen Pfarrer mitgeteilt habe, dass Katholiken nicht Mitglied der NSDAP werden und nicht an den Sakramenten sowie Beerdigungen und sonstigen (kirchlichen) Veranstaltungen teilnehmen dürften. Mayer bestätigte die Mitteilung des Bischofs, wiederholte dessen Aussagen und begründete sie mit der antikatholischen und rassistischen Haltung, die in Satz 1 und 2 des Art. 24 zum Ausdruck kämen. Mayer fand klare Worte zur »Ueberschätzung der germanischen Rasse und Geringschätzung alles Fremdrassigen […]. Diese Geringschätzung, die bei vielen zu vollendetem Hass der fremden Rassen führ[e], [sei] unchristlich und unkatholisch. – Das christliche Sittengesetz [sei] ferner allgemein, es [gelte] für alle Zeiten und für alle Rassen.« Auch einige anerkennende Worte, die Hitler in »Mein Kampf« über die christliche Religion und katholische Einrichtungen geschrieben habe, täuschten die Kirche »nicht darüber hinweg, dass die Kulturpolitik des Nationalsozialismus mit dem katholischen Christentum im Widerspruch« stehe.57 Mit »Kultur« war das gesamte geistige Leben gemeint.58 »Kulturpolitik« schloss demnach Kirchenpolitik mit ein. In einem Bericht über die Verhandlungen der Diözesan-Synode für die Erzdiözese München und Freising über den Nationalsozialismus vom 19.  November 1930 wurde die Sichtweise des Bistums Mainz bestätigt.59 Die bayerischen Bischöfe verurteilten in einer pastoralen Anweisung für den Klerus vom 10. Februar 1931 Teile des kulturpolitischen Programms der NSDAP als Irrlehre. Sie verboten es Klerikern, in der Partei mitzuarbeiten, und verboten – ähnlich wie der Mainzer Bischof – die »Teilnahme von Nationalsozialisten an gottesdienstlichen Veranstaltungen in geschlossenen Kolonnen in Uniform und Fahne« sowie die Zulassung von Funktionsträgern der NSDAP zu den Sakramenten »der Buße und des Altares« (also zur Beichte, zur Kommunion und zur Eheschließung). Ein katholisches Begräbnis sollte Nationalsozialisten nur unter bestimmten Voraussetzungen zuteilwerden.60 Auch eine Erklärung der Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz (Bistümer Freiburg, Mainz und Rottenburg) vom 19. März 1931, die Richtlinien der Fuldaer Bischofskonferenz für die Auseinandersetzung mit radikalen Parteien vom 3. bis 5. August 1931 und das Protokoll dieser Bischofskonferenz über die Haltung zum Nationalsozialismus vom 17. August 193161 lehnten den Nationalsozialismus ab. In dem Protokoll heißt es – wie in den anderen Stellungnahmen –, dass die Mitgliedschaft in der

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NSDAP Katholiken nicht erlaubt sei. Teile des offiziellen NSDAP-Programms enthielten Irrlehren. Kundgebungen zahlreicher führender Vertreter und Publizisten der NSDAP hätten glaubensfeindlichen Charakter. Wenn die Partei »die heiß erstrebte Alleinherrschaft in Deutschland erlang[e], [würden] für die kirchlichen Interessen der Katholiken die dunkelsten Aussichten sich eröffnen.«62 Zwar hatten sich beide katholischen Parteien seit dem Ende der 1920er Jahre stärker nach rechts orientiert. Heinrich Brüning hatte als Reichskanzler bis zu seinem Sturz wenige Monate zuvor ebenfalls einen autoritären Kurs gesteuert und den Reichstag weitgehend an den Rand gedrängt. Der Parteivorsitzende Ludwig Kaas hatte öffentlich ein autoritäreres Regieren propagiert. Eine Verschiebung des Zentrums nach rechts setzte mit dem Wechsel im Parteivorsitz Ende des Jahres 1928 ein. Schon die Abberufung des sozialstaatlich orientierten Heinrich Brauns als Arbeitsminister ließ den neuen Kurs erkennen. Die Verhandlungen mit den Nationalsozialisten schienen daher opportun. Aber  : Die führenden Zentrumsleute, auch Kaas und Brüning, setzten sich stets für die Wahrung der rechtsstaatlichen Verfassung ein. Wenngleich das Zentrum im Wahlkampf zur 6. Reichstagswahl im Juni und Juli 1932 für eine Reform des politischen Systems plädiert hatte, sollte diese doch auf der Basis der Weimarer Verfassung erfolgen. Die Freiheits- und Volksrechte, darunter die den katholischen Parteien so wichtige Religionsfreiheit, sollten gewahrt werden. Der Anspruch der NSDAP, allein die Macht zu erhalten, war mit diesen Vorstellungen nicht zu vereinbaren. Dasselbe gilt für die christenfeindlichen und rassistischen Äußerungen des NSDAP-Programms. Der sehr gewalttätig geführte Wahlkampf der radikalen Parteien stand Gesprächen ebenfalls im Weg. Zentrumsleute hatten sich bei Hindenburg über das Verhalten der NSDAP beschwert. Hitler hatte im Wahlkampf erklärt, ein Pakt mit dem Zentrum komme nicht infrage. Das Zentrum und die BVP hatten daher einen sehr weiten Weg zu gehen, um mit der NSDAP überhaupt Verhandlungen beginnen zu können. Das Zentrum machte jedenfalls eine »Revision« der nationalsozialistischen Auffassungen zur Verhandlungsvoraussetzung. Dennoch begaben sich die katholischen Parteien in das »kalkulierte R ­ isiko«63. Sie versuchten, durch eine Koalition mit der NSDAP, die nun die stärkste Partei im Reichstag und in mehreren Landtagen war, die Präsidialkabinette zu überwinden. Außerdem sollte der Preußenschlag revidiert werden. Die faktische Regierung eines Reichskommissars sollte ein Ende haben. Die bestehenden Unterschiede in bestimmten Sachfragen sahen das Zentrum und die BVP als überbrückbar an, sofern die Reichsverfassung gewahrt blieb. Die katholischen Parteien hofften, die vermeintliche Kluft zwischen dem als »gemäßigt« einge-

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schätzten Parteiführer Hitler und seinen »radikalen« Unterführern ausnutzen zu können.64 Hitler sollte in der kommenden Zeit noch häufiger und schließlich folgenschwer unterschätzt werden. Dass er selbst der radikalste und unzuverlässigste Mann seiner Partei war, die nicht ohne Grund auch als »Hitler-Bewegung« bezeichnet wurde, sahen viele Zeitgenossen nicht. Hindenburgs Widerstand gegen eine Kanzlerschaft Hitlers

Papen und Hindenburg versuchten, Hitler für eine Regierungsbeteiligung zu gewinnen. Hitler hingegen verlangte selbst die Kanzlerschaft und die Zusicherung der präsidialen Machtmittel (Reichstagsauflösung und Notverordnungen). Doch der Reichspräsident dachte nicht daran, den NSDAP-Führer zum Reichskanzler zu ernennen. In einer etwa 20-minütigen65 Unterredung am 13.  August 1932 um 16.15 Uhr lehnte Hindenburg Hitlers Forderung ab. Das Reichspräsidialamt veröffentlichte einen Tag nach dem Gespräch ein Kommuniqué. Darin hieß es unter anderem  : […] Der Reichspräsident richtete an Hitler die Frage, ob er bereit sei, selbst sowie mit anderen geeigneten Persönlichkeiten der NSDAP in die von dem Reichskanzler von Papen geleitete Regierung einzutreten. Herr Hitler verneinte dies und stellte an den Herrn Reichspräsidenten die Forderung, ihm die Führung der Reichsregierung und die gesamte Staatsgewalt in vollem Umfange zu übertragen. Reichspräsident v. Hindenburg lehnte diese Forderung sehr bestimmt mit der Begründung ab, daß er es vor seinem Gewissen und seinen Pflichten dem Vaterlande gegenüber nicht verantworten könne, die gesamte Regierungsgewalt ausschließlich der nationalsozialistischen Bewegung zu übertragen, die diese Macht einseitig anzuwenden gewillt sei. […] Die Aussprache schloß alsdann mit einer ernsten Mahnung des Reichspräsidenten an Hitler, die von ihm angekündigte Opposition der NSDAP ritterlich zu führen und seiner Verantwortung vor dem Vaterlande und vor dem deutschen Volke bewußt zu bleiben. […]66

Diese Verlautbarung war eine deutliche öffentliche Ohrfeige für Hitler. Er erschien als dreister Fordernder, der zur Kanzlerschaft nicht geeignet sei und vom väterlichen Staatsoberhaupt angehalten werden müsse, sich ordentlich zu betragen. Damit waren die Bestrebungen, eine schwarz-braune Koalition unter Hitlers Führung zu schmieden, gescheitert. In Preußen endeten die Gespräche zwischen der NSDAP und dem Zentrum ebenfalls. Doch war die NSDAP als politische

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Kraft nicht zu negieren. Sie gewann in allen Landtagswahlen des Jahres 1932 deutlich an Stimmen hinzu. Landesregierungen, an denen die staatstragenden Parteien beteiligt waren, verloren ihre Parlamentsmehrheit. Am 24.  April 1932 war die Weimarer Koalition in Preußen ins Hintertreffen geraten. Württemberg und weitere Länder kamen hinzu. Am 5. Juni 1932 erreichte die NSDAP im Landtag von Mecklenburg-Schwerin die absolute Mehrheit. Auch Papens Plan, sich mit der Reichstagsauflösung Hitlers Unterstützung zu erkaufen, war fehlgeschlagen. Ein Staatsnotstandsplan

In seiner Regierungserklärung vom 4.  Juni 1932 hatte Papen sein politisches Programm grob umrissen. Was er nicht gesagt hatte  : Er und sein Innenminister Wilhelm von Gayl planten einen Obrigkeitsstaat. Parlament und Parteien sollten weitestgehend ausgeschaltet werden. Über die Idee, den Reichstag aufzulösen und keine Wahl mehr anzusetzen, hatten im Dezember 1930 (noch sehr verhalten) schon Hermann Pünder und Wilhelm Groener nachgedacht67 und den Gedanken dann verworfen. Die Pläne Papens und Gayls liefen auf einen Verfassungsbruch hinaus  : Der Reichstag durfte gar nicht aufgelöst werden, ohne nicht innerhalb von 90 Tagen (vgl. Art.  25 Abs.  2, 23 Abs.  2 WRV) neu gewählt zusammenzutreten. Einer dauerhaften Vertagung (ohne Auflösung) stand Art. 24 WRV entgegen  : Der Reichstag musste mindestens jedes Jahr am ersten Mittwoch des November zusammentreten (Art. 24 Abs. 1 S. 1 WRV). Auf Verlangen eines Drittels der Reichstagsmitglieder musste der Reichstagspräsident jederzeit eine Sitzung einberufen (Art. 24 Abs. 1 S. 2 WRV). Im Kabinett ernteten Papen und Gayl für ihre Pläne keineswegs nur Zustimmung. Am 10.  August 1932 waren Gegenstimmen des Wirtschaftsministers Warmbold, des Finanzministers Schwerin von Krosigk, des Justizministers Gürtner sowie des Ernährungs- und Landwirtschaftsministers von Braun laut geworden.68 Papen und Gayl kümmerte das jedoch nicht. Am 30. August 1932 um 12 Uhr, rund zwei Wochen nachdem die Unterredung Hindenburgs mit Hitler kein Ergebnis erzielt hatte, trafen Papen, Gayl, Schleicher und Meissner auf Hindenburgs Gut Neudeck zusammen und berieten über das weitere Vorgehen. Der Reichspräsident erteilte seine Zustimmung dazu, eine Neuwahl auf einen späteren Termin, als ihn Art. 25 WRV vorgebe, hinauszuschieben und insofern von der Verfassung abzuweichen. Als Begründung sollte nach dem Willen der Beteiligten die beeidete Pflicht des Staatsoberhaupts dienen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden (vgl. Art. 42 WRV). Der Reichspräsident und der Reichskanzler waren sich in ihrer Ablehnung einer möglichen Koalition zwi-

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schen NSDAP und Zentrum, die beide für eine nicht tragfähige »Schein-Mehrheit« hielten, einig.69 Zwei Plenarsitzungen

Während sich Hindenburg mit einigen Kabinettsmitgliedern in Neudeck besprach, trat der 6. Reichstag am 30. August 1932 zu seiner ersten Sitzung zusammen. Papen hielt eine Anwesenheit offenbar nicht für notwendig. Zum ersten Mal in der Weimarer Zeit eröffnete mit Clara Zetkin (KPD) eine Parlamentsfeindin als Alterspräsidentin eine Legislaturperiode. Sie begab »sich mühsam, auf zwei Parteigenossen gestützt, auf die Präsidententribüne« und verlas »ihre Rede, die kaum zu verstehen« war, mit »schwacher, monotoner Stimme«70, »halb zusammenbrechend«.71 Carl Severing erinnerte sich, die Rede sei »ihr teilweise von Ernst Torgler souffliert« worden. Zetkin habe »einem hilflosen Mütterchen« geglichen, »das auf Schritt und Tritt der Stütze bedurfte.«72 Wirkte die Rednerin auch äußerlich schwach, so war ihre Rede doch inhaltlich kämpferisch und rein ideologisch. Zetkin eröffnete den Reichstag »in der Hoffnung, […] das Glück zu erleben, als Alterspräsidentin den ersten Rätekongreß Sowjetdeutschlands zu eröffnen.«73 Eine Alterspräsidentin, die ein Parlament in der Hoffnung eröffnet, es möge bald verschwinden und ersetzt werden – das hatte es im Reichstag bis dahin nicht gegeben. Die NSDAP, die zum ersten Mal deutlich stärkste Partei geworden war, und die katholischen Parteien, die einen erneuten gewalttätigen Wahlkampf fürchteten, wollten eine neuerliche Reichstagsauflösung vermeiden. Immerhin dauerten ihre Koalitionsgespräche an. Ihnen war sehr daran gelegen, die Arbeitsfähigkeit des 6.  Reichstages unter Beweis zu stellen. Folglich verhielten sich die NSDAP-Abgeordneten, die alle wie schon in der 1.  Sitzung des vorherigen Reichstages in der braunen Uniform erschienen waren, während Zetkins Rede still. Die Absprachen zwischen der NSDAP und den katholischen Parteien sowie der DNVP zeigten auch bei der Wahl des Präsidiums Wirkung. Der 6. Reichstag wählte – auch mit den Stimmen des Zentrums und der BVP – mit Hermann Göring (NSDAP) einen Verfassungsfeind zum Reichstagspräsidenten. Vizepräsidenten wurden der erfahrene Thomas Esser (Zentrum), Walther Graef (DNVP) und Johann Rauch (BVP). Zum ersten Mal seit 1920 gehörte der Sozialdemokrat Paul Löbe dem Präsidium nicht mehr an. Auch im Kreis der Schriftführer waren die SPD und die liberalen Parteien nicht mehr vertreten. Allein Abgeordnete der NSDAP, der DNVP und des Zentrums assistierten dem sitzungsleitenden Präsidenten. Göring erhielt vom Plenum am Ende der

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ersten Sitzung die Zustimmung zu seinem Vorschlag, den Reichspräsidenten zu ersuchen, mit dem Reichstagspräsidium zu sprechen. Göring ging in diesem Zusammenhang auf Presseberichte ein, wonach keine arbeitsfähige Mehrheit bestehe und beabsichtigt sei, den Reichstag auszuschalten. Der Reichstagspräsident stellte fest, die Sitzung habe bewiesen, »daß der neue Reichstag über eine große, arbeitsfähige nationale Mehrheit [verfüge] und somit in keiner Weise der Tatbestand eines staatsrechtlichen Notstands gegeben [sei].«74 Göring, der sich als Wahrer der Reichstagsrechte aufführte, ließ schon in der ersten Sitzung seinen wahren Charakter durchscheinen. Auf den Zuruf aus den Reihen der SPD »Lächerlichkeit tötet« erwiderte er wenig präsidial  : »Na, dann wären Sie schon längst tot  !«75 Seine parteipolitische Haltung, die seine gesamte Amtsführung bis 1945 bestimmen sollte, zeigte er mit der Auswahl des Fotos, das die jeweils erste Seite des offiziellen Reichstags-Handbuches für die 6. und die folgenden Wahlperioden »zierte«. Auf jedem der Bilder ist Göring in Uniform zu sehen. Am 9. September 1932 empfing der Reichspräsident das Reichstagspräsidium zu einer ca. 20 Minuten dauernden Unterredung. Göring und seine Stellvertreter Esser und Rauch warnten Hindenburg davor, den Reichstag aufzulösen. Sie verwiesen auf dessen Arbeitsfähigkeit. Der Reichspräsident sagte nichts zu, lehnte aber auch nichts ab. Zum Schwur kam es zwischen dem Reichstag und der Reichsregierung in der zweiten Plenarsitzung drei Tage später. Auf der Tagesordnung stand am 12. September 1932 die »Entgegennahme einer Erklärung der Reichsregierung«. Die KPD stellte zwei Anträge auf Änderung der Tagesordnung. Sie verlangte die Aufhebung der kurz zuvor erlassenen Notverordnungen vom 4. und 5. September 1932. Außerdem stellte sie einen Misstrauensantrag gegen die Regierung Papen. Widerspruch erhob sich gegen die Anträge nicht. Die Sitzung wurde auf Antrag der NSDAP-Fraktion für eine halbe Stunde unterbrochen. Papen hatte eigentlich eine Rede zur Rechtfertigung seiner Politik beabsichtigt. Er ließ in der Sitzungspause umgehend die Auflösungsanordnung des Reichspräsidenten aus der Reichskanzlei holen. Hindenburg hatte diese während der Unterredung in Neudeck am 30. August blanko (!) unterzeichnet  ; Meissner hatte den Anordnungstext ad hoc handschriftlich eingefügt.76 Göring eröffnete die Sitzung um 15.46 Uhr erneut. Er rief – nach der geän­ derten Tagesordnung – sogleich die Abstimmung auf, die auf Antrag der KPD-­ Fraktion namentlich geschehen sollte. Eine namentliche Abstimmung dauerte naturgemäß länger als eine Abstimmung durch Armaufheben. Während die Stimmzettel eingesammelt wurden, war es Reichstagspräsidenten durchaus

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möglich, sich im Saal umzuschauen. Es war sogar üblich, sich umzuschauen, um die Abstimmung zu überwachen. Göring aber blickte ausschließlich nach links und »übersah« Papen, der sich eindeutig zu Wort melden wollte. Der Reichskanzler stand an der Regierungsbank, die sich im Reichstag  – wie heute im Bundestag – vom Präsidentenstuhl aus gesehen rechts befand. Die Szene ist auf Fotos der Sitzung deutlich zu erkennen. Als er nicht das Wort erhielt, legte Papen die Auflösungsanordnung auf den Tisch des Präsidenten und verließ mit seinem Kabinett den Plenarsaal.77 Göring überging auch dieses Vorkommnis. Er ließ die namentliche Abstimmung weiter durchführen, erklärte sie schließlich für geschlossen und gab nach der Auszählung das Ergebnis bekannt  : Der Reichstag hatte der Regierung mit 512 zu 42 Stimmen das Misstrauen ausgesprochen. Nur die DNVP und die DVP unterstützten Papens Regierung und lehnten den Misstrauensantrag ab. Gegenüber einer deutschen Regierung hat es ein größeres Misstrauen des Parlaments davor und danach nie gegeben. Die Abstimmung war indessen unwirksam. Zwar verneinte Göring  – erneut parteipolitisch getrieben und in Verdrehung der Umstände – die Wirksamkeit der Auflösungsanordnung  : »Nachdem bereits die Abstimmung begonnen hatte, hat der Herr Reichskanzler um das Wort ersucht. Nach der Abstimmung hätte ich gemäß der Verfassung dem Herrn Reichskanzler das Wort erteilen müssen und ihm auch erteilt  ; während derselben ist es mir nicht möglich.«78 Papen hatte sich allerdings gleich zu Beginn der Sitzung bemerkbar gemacht. Er hätte noch vor der Abstimmung gemäß Art. 33 Abs. 3 WRV das Wort erhalten müssen79, worauf der Vizepräsident Graef in einem Zwischenruf hinwies. Göring bürstete diesen Zwischenruf seines Stellvertreters barsch ab  : »Jetzt spreche ich  !« Er behauptete, die Auflösungsanordnung des Reichspräsidenten sei »hinfällig geworden«, da sie vom Reichskanzler und vom Reichsinnenminister gegengezeichnet worden sei, beide aber durch das Misstrauensvotum des Reichstages als gestürzt zu gelten hätten.80 Göring rügte überdies den Vizepräsidenten Graef für dessen (angebliches) Fehlverhalten81 – ein ebenfalls der Parlamentstradition nicht bekanntes Vorkommnis. Görings Ausführungen waren juristisch unhaltbar. Nach eindeutiger Meinung in der Weimarer Staatsrechtslehre und nach der Verfassungspraxis war die Auflösung mit dem Niederlegen auf dem Tisch des Reichstagspräsidenten dem Parlament bekanntgegeben und damit wirksam geworden.82 Der Reichspräsident durfte einem bevorstehenden Misstrauensvotum des Reichstages gegen den Reichskanzler oder einen oder mehrere Reichsminister durch eine Auflösungsanordnung zuvorkommen, um so das Kabinett im Amt zu halten.83 Die 6.  Wahlperiode war damit nach nicht einmal zwei vollständigen Plenarsitzungen vorbei.84 Der nach dem Niederlegen der Auflösungsanordnung gefasste Reichstagsbeschluss war un-

Der 6. Reichstag 

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wirksam.85 Das Misstrauensvotum ging ins Leere. Nach einem Briefwechsel mit Papen und Hindenburg, in dem er zunächst seine Behauptung aus der Reichstagssitzung wiederholte und vom Reichspräsidenten verlangt hatte, die im Streit stehende Notverordnung aufzuheben, ruderte Göring einen Tag später zurück. Er gab zu, dass der Reichstag wirksam aufgelöst worden sei.86 Der von Meissner rasch entworfene Text der Auflösungsanordnung war verräterisch. Die Auflösung wurde mit der Gefahr begründet, dass der Reichstag die Notverordnung vom 4.  September 1932 aufhebe. Mit anderen Worten  : Der Reichs­ präsident löste den Reichstag auf, weil vorauszusehen war, dass das Parlament von seinem in Art. 48 Abs. 3 WRV verbrieften Recht Gebrauch machen werde, die Aufhebung einer Notverordnung zu verlangen. Ein ungeheuerlicher Satz. Er verriet alles über Hindenburgs und Papens Sicht auf die parlamentarische Demokratie und die Weimarer Verfassung. Dennoch war die Anordnung wirksam.87 Da Art. 25 WRV eine Begründung nicht verlangte, war es unerheblich, ob die Auflösung auf verfassungskonforme oder verfassungswidrige Annahmen gegründet wurde. Das ungültige Misstrauensvotum beschädigte das Ansehen der Regierung Papen weiter. Die geringe politische Vertrauensbasis des Kabinetts wurde für jedermann sichtbar. Zugleich zeigten die NSDAP, die katholischen Parteien, die SPD, die DStP und (selbstverständlich) die KPD dem Reichskanzler, dass sie nicht gewillt waren, ihn zu unterstützen. Papen hatte von diesen Parteien nur Gegnerschaft zu erwarten. Mit dieser Auflösung rutschte das Deutsche Reich weiter in die autoritäre Staatsführung ab. Der Reichstag, die demokratisch gewählte Volksvertretung, wurde zum Spielball. Wie ein lästiger Störenfried wurde er im Juni und im September 1932 aufgelöst und damit für jeweils mehrere Monate ausgeschaltet. Im Juni, Juli, Oktober und November 1932 tagte der Reichstag gar nicht. In der zweiten Jahreshälfte kam er zu nur fünf Sitzungen zusammen (30. August, 12. September, 6., 7. und 9. Dezember 1932). Beide Auflösungen des Jahres 1932 zeigten, wie gering Hindenburg, Papen und ihre Vertrauten den Parlamentarismus schätzten. Die Auflösung am 12.  September 1932 war insofern noch drastischer als die Auflösung vom 1. Juni 1932, als sie schon in der zweiten Plenarsitzung geschah. Der Auflösung im Juni war immerhin die rund 20-monatige 5. Wahlperiode mit 64 Plenarsitzungen vorausgegangen. Der Reichstag war gegenüber der Auflösungsanordnung hilflos. Er konnte der Auflösung nicht entgehen, wollte seine Mehrheit ihre Gegnerschaft zu Papen beibehalten. Nur wenn die Reichstagsmehrheit darauf verzichtet hätte, Papen zu stürzen oder Notverordnungen aufzuheben, hätte der 6. Reichstag länger bestanden. Dann aber hätte er sich seiner verfassungsmäßigen Kontrollaufgabe begeben und wäre ein reines Duldungssubjekt gewesen. Überdies ist zweifelhaft, ob ein will-

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Antiparlamentarismus

fähriges Verhalten den Fortbestand des 6. Reichstages auf lange Sicht gesichert hätte. Denn Papen und Hindenburg hatten schon wenige Monate zuvor, im Juni 1932, bewiesen, wie wenig ihnen an einem eigenständigen Reichstag gelegen war. Schon die irrige Hoffnung, in der NSDAP einen Bündnispartner finden zu können, hatte dem Reichspräsidenten und seinem Kanzler gereicht, den bis dahin grundsätzlich handlungsfähigen 5. Reichstag aufzulösen. Mit der Reichstagsauflösung endeten die Koalitionsgespräche zwischen den katholischen Parteien und der NSDAP erneut. Innerhalb des Zentrums brach nun eine Diskussion um die Sinnhaftigkeit eines Bündnisses mit der NSDAP aus. Manche Zentrumsvertreter, unter ihnen Konrad Adenauer, hielten eine Zusammenarbeit mit Papen für besser als einen Pakt mit Hitler. Papen hielt unverdrossen an seinem im Reichstag nicht mehrheitsfähigen Vorhaben fest, eine überparteiliche Staatsgewalt zu schaffen. Am 12. September 1932 hielt er die Rede, die er im Reichstag hatte halten wollen, im Rundfunk. Er sagte, das staatliche Leben solle umgebaut werden. Der »Notbau von Weimar« weise »Konstruktionsfehler« auf, »die das staatliche Gefüge des Reiches und der Länder in entscheidenden Punkten lebensgefährdend« bedrohten. Die Reichsregierung erblicke ihre »historische Mission in der Beseitigung dieser Konstruktionsfehler. Sie wäre völlig fehl am Platze, wenn sie etwa zugeben wollte, daß nach dem demokratischen Pendelgesetz wechselnder parlamentarischer Mehrheiten ihre Nachfolgerin wieder eine irgendwie zusammengesetzte Partei-Koalition sein könnte.« Allein »die Herstellung einer wahrhaft unparteiischen nationalen Staatsführung […], die sich über allem Parteiwesen als unantastbarer Hort der Gerechtigkeit« erhebe und gestützt sei »auf die Macht und die Autorität des vom Volke gewählten Reichspräsidenten«, könne den Staat »in gesunde zukunftsvolle Verhältnisse bringen«.88 Am 12. Oktober 1932 stellte er sein Vorhaben in einer Rede vor Industriellen in München dar. Die Regierung sollte »unabhängiger von den Parteien gestellt werden. Ihr Bestand [dürfe] nicht Zufallsmehrheiten ausgeliefert sein. Das Verhältnis zwischen Regierung und Volksvertretung [müsse] so geregelt werden, daß die Regierung und nicht das Parlament die Staatsgewalt handhabt.«89 Papens Rede stieß in den meisten Zeitungen auf Ablehnung. Nur einige rechtsgerichtete Blätter stimmten ihm zu.90 Paul Löbe fragte Hindenburg in einem offenen Brief, den der Vorwärts veröffentlichte, ob er mit Papens Plänen einverstanden sei. Sie liefen auf eine Entrechtung des Reichstages hinaus und müssten zu »unabsehbaren Katastrophen« führen.91 Das Verhältnis zwischen dem Reichskanzler und den Mehrheitsparteien des aufgelösten Reichstages war völlig zerrüttet. Papen und Gayl weigerten sich  – trotz einer Herbeizitierung (Art. 33 WRV) –, am 13. September 1932 vor dem

Der 7. Reichstag 

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Überwachungsausschuss des Reichstages zu erscheinen. Sie begründeten ihre Weigerung mit Görings (bis dahin aufrechterhaltener) Meinung, die Reichstags­ auflösung sei wegen des Misstrauensvotums unwirksam gewesen. Der Überwachungsausschuss stellte gegen die Stimmen der DNVP-Mitglieder fest, dass Papens und Gayls Weigerung, vor dem Ausschuss zu erscheinen, verfassungswidrig sei. Er bestätigte diese Feststellung am Folgetag. Der Überwachungsausschuss wandelte sich sodann mit den Stimmen der NSDAP und der KPD in einen Untersuchungsausschuss um (Art. 35 Abs. 2 WRV), um auf diese Weise die Vorgänge in der Plenarsitzung vom 12.  September 1932 zu untersuchen.92 Die republikfeindlichen Parteien wollten ein Tribunal für Papen errichten. Am 27. September 1932 rechtfertigte der Reichskanzler sein Vorgehen vor dem Untersuchungsausschuss. Er habe auf einen Modus Vivendi zwischen Reichstag und Reichsregierung gehofft und keine Auflösung beabsichtigt. Er sei davon ausgegangen und ihm sei von Göring zugesagt worden, dass er seine Regierungserklärung werde abgeben können. Der Untersuchungsausschuss fasste mehrere Beschlüsse. Er stellte mit den Stimmen der NSDAP, des Zentrums und der BVP fest, dass Papen sich erst zu Wort gemeldet habe, nachdem die Abstimmung über den Misstrauensantrag bereits eröffnet gewesen sei. Außerdem stellte der Ausschuss auf Antrag der SPD fest, dass die Reichstagsauflösung Sinn und Geist der Verfassung widerspreche. Ferner beschloss der Ausschuss – wozu er nicht befugt war – mit den Stimmen von NSDAP und KPD (bei Enthaltung des Zentrums) die Aufhebung mehrerer Notverordnungen.93 Die republikfeindlichen Parteien verfuhren an diesem Tag im Ausschuss wie im Plenum. Sie nutzten das Gremium nicht nur zur Abrechnung mit Papen, sondern missbrauchten es auch für parteitaktische Schaufensteraktionen (ohne Rechtswirkung). Der 7. Reichstag Der Reichstagswahlkampf war – wie schon der vorherige im Juli – von schweren Ausschreitungen geprägt. Er bot erneut »das Bild bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen«94. Die Endphase des Wahlkampfs wurde vom viertägigen Streik bei der Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft (BVG) überschattet, den die kommunistische Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition (RGO) am 2. November 1932 ausrief. Sie überging das Ergebnis der Urabstimmung unter den BVG-Beschäftigten, die gerade nicht mit der notwendigen Dreiviertelmehrheit für einen Streik gestimmt hatten. Demokratische Regeln interessierten die KPD und ihre RGO nicht. Auch die staatsfeindliche NSDAP schloss sich mit ihrer National-

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Antiparlamentarismus

sozialistischen Betriebszellen-Organisation (NSBO) dem Streik an. Die beiden politischen Todfeinde verbündeten sich gegen den gemeinsamen Feind  : Die BVG, das größte kommunale Unternehmen der Welt, stand stellvertretend für die Weimarer Republik. Wie schon beim Volksbegehren des Sommers 1931 gegen die preußische Landesregierung schritten Links- und Rechtsradikale »Seit’ an Seit’«. Als sozialdemokratische Gewerkschafter für die Wiederaufnahme der Arbeit eintraten, wurden sie von SA- und RFB-Leuten verprügelt. Die Polizei musste einschreiten. Das Ergebnis des rein ideologisch motivierten und von Beginn an gewalttätigen Streiks waren fünf Tote und zahlreiche Verletzte. Das Wahlergebnis vom 6. November 1932 Partei

Stimmenanteil

Sitze im 7. Reichstag

NSDAP

33,1 %

196

SPD

20,4 %

121

KPD

16,9 %

100

Zentrum

11,9 %

70

DNVP

8,3 %

52

BVP

3,1 %

20

DVP

1,9 %

11

CSVD

1,1 %

5

DBP

0,4 %

3

1 %

2

WBWB

DStP

0,3 %

2

Wirtschaftspartei

0,3 %

1

DHP

0,2 %

1

insgesamt

/

584

Der NSDAP bescherte diese Wahl deutliche Verluste. Die Partei verlor rund zwei Millionen Wähler, 4,2 % Stimmenanteil und 34 Mandate. Sie war weiterhin mit Abstand stärkste Kraft. Zugleich hatte sie in absoluten Zahlen und prozentual die höchsten Verluste eingefahren. Ihr Siegeszug, der das ganze Jahr über angehalten hatte, wurde jäh gestoppt. Innerhalb der Partei verschärfte sich der Streit über den weiteren Kurs. Manche Gegner glaubten, der Aufschwung sei zu einem Ende gekommen und die Partei werde sich von den Verlusten nicht mehr erholen. Kuno Graf von Westarp hatte vor der Novemberwahl 1932 prophezeit  : »[…] als Vorkämpfer gegen das parlamentarische System und die Par-

Der 7. Reichstag 

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teiherrschaft kommt die NSDAP nicht mehr in Betracht. Sie hat sich von Kopf bis Fuß auf Parlamentarismus eingestellt. […] Nicht die NSDAP wird es sein, die an die Stelle der Parteiherrschaft etwas Neues setzt.«95 Für den Augenblick schien Westarp recht zu behalten. Die SPD verlor bei der 7. Reichstagswahl ebenfalls (700.000 Wähler, 1,2 % Stimmenanteil und zwölf Mandate). Ihre Verluste waren aber noch zu verkraften. Das Zentrum und die BVP verloren ebenfalls leicht. Das sozialdemokratische und das katholische Milieu blieben intakt. Minimale Zugewinne (rund 200.000 Stimmen und vier Mandate mehr) verzeichnete die DVP. Ihre frühere Bedeutung erlangte sie aber nicht zurück. Weiterhin auf minimalem Niveau stagnierte die DStP, deren Bewerber als »Süddeutsche Demokraten« angetreten waren. Sie verdankten ihre Sitze dem Stimmverhalten im Südwesten, in dem die DStP noch eine gewisse Wählerbasis mobilisieren konnte. Wahlsieger waren die Kommunisten und die DNVP. Die KPD schaffte erstmals in der Weimarer Zeit eine dreistellige Sitzzahl. Viele Arbeitslose entschieden sich für die Kommunisten. Die KPD näherte sich der Stärke der SPD an. Die erhöhte Stimmenzahl brachte der KPD aber nichts ein. Sie blieb auch als drittstärkste Partei wegen ihrer Systemfeindlichkeit von den Staatsgeschäften und von einem Platz im Reichstagspräsidium ausgeschlossen. Die Deutschnationalen schafften ihr mit Abstand bestes Ergebnis der 1930er Jahre. Von ihrer alten Stärke der 1920er Jahre, als sie zeitweilig die zweitstärkste Kraft gewesen waren, blieben sie aber weit entfernt. Ein Grund dafür war die Stärke der NSDAP. Das Programm der Nationalsozialisten unterschied sich in vielen Punkten nur in der Radikalität von dem der Deutschnationalen. Während die DNVP etwa einen autoritären Staat, aber mit Rechtsbindung der Gerichte und der Verwaltung, anstrebte, beabsichtigte die NSDAP die eigene Alleinherrschaft und die Zerstörung aller ihr im Wege stehenden Rechtssätze. Die geringen Zuwächse der DNVP ermöglichten es ihr nicht, Papen wirkungsvoll stützen zu können. Rechnete man die Mandate der DNVP-Fraktion mit denen der Technischen Arbeitsgemeinschaft aus DVP, CSVD, DBP und DHP zusammen, kamen die rechtsbürgerlichen Parteien auf gerade einmal 74 Sitze – nur vier mehr, als das Zentrum allein errungen hatte. Julius Elbau, der Chefredakteur der Vossischen Zeitung, schrieb daher am Tag nach der Wahl zutreffend  : »Hitler ist im [sic  !] Verlieren. Aber wo sind die Gewinner  ?«96 Die Novemberwahl bewies, dass selbst die Machtmittel des Reichspräsidenten (Parlamentsauflösung und Verordnungsrecht) nur aus einer Regierungskrise heraushelfen konnten, wenn die Neuwahl eine koalitionswillige Reichstagsmehrheit ergab.97 War dies nicht der Fall, blieb die Krise bestehen. So war die Lage nach der überflüssigen Novemberwahl.

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Antiparlamentarismus

Fünf der zwölf im Reichstag vertretenen Parteien waren Splitterparteien mit bis zu drei Mandaten. Die schon zuvor marginalen rechten Gruppierungen VRP und CNBL waren nicht mehr im Reichstag vertreten. Die DHP hatte, nachdem sie im 6. Reichstag keinen Sitz erlangt hatte, wieder ein Mandat erreicht. Sechs Parteien erreichten mehr als 15 Sitze. Ihre Mitglieder konnten eine Fraktion bilden (NSDAP, SPD, KPD, Zentrum, DNVP, BVP). Die DNVP nahm wie üblich die Abgeordneten des WBWB als Gäste auf. Die DVP, der CSVD, die DBP und die DHP bildeten eine »Technische Arbeitsgemeinschaft«. Die beiden noch verbliebenen Mitglieder der DStP und das eine Mitglied der Wirtschaftspartei gehörten keiner Fraktion oder Technischen Arbeitsgemeinschaft an. Der republiktreue demokratische Linksliberalismus war politisch am Ende. Die Sitzverteilung im 7.  Reichstag verhinderte mehrheitsfähige politische Bündnisse. Die im 6.  Reichstag noch theoretisch denkbare braun-schwarze Mehrheit bestand nicht mehr. Die beiden katholischen Parteien und die N ­ SDAP besaßen zusammen nur 286 von 584 Sitzen (ca. 48,9 %). Die NSDAP und die KPD vereinigten weiterhin eine knappe absolute Mehrheit der Sitze (ca. 50,7 %) auf sich. Waren sich beide einig, konnten sie weiterhin jeden Parlamentsbeschluss auch gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen fassen und alle nicht gewünschten Beschlüsse verhindern. Sie besaßen also eine negative oder Verhinderungsmehrheit. Außerdem konnten sie die Aufhebung jeder Notverordnung verlangen und stets ein Misstrauensvotum gegen die Reichsregierung oder eines ihrer Mitglieder aussprechen. Zählte man die DNVP zu den Republikfeinden hinzu, war deren Mehrheit noch größer. Die radikalen Parteien übten »ihre parlamentarischen Machtmittel nur aus, um den Rechtsgedanken, den Mehrheitsgedanken, den Kompromißgedanken, auf dem die parlamentarische Demokratie beruht, zu töten. Alle diese Gruppen glaub[t]en an die Gewalt einer entschlossenen Minderheit, die ihren Willen einer passiven Mehrheit aufzwingen will.«98 Eine wirkliche Veränderung der Pattsituation erbrachte die zweite Reichstagswahl innerhalb weniger Monate also nicht. Die Verhinderungsmehrheit der Systemfeinde bestand fort. Für die republikloyalen Parteien und die parlamentarische Demokratie war weiterhin kein ermutigendes Zeichen zu erkennen. Kuno von Westarps Worte vor der Wahl schienen sich zu bewahrheiten  : »Verfassungsrecht und Politik sind im Zustande des Überganges. […] In der Unsicherheit des Übergangszustandes erscheint nur das eine als sicher, daß das Parteiregiment der parlamentarischen Demokratie seine Zeit vollendet hat und so, wie seine Träger es gedacht und seit 1918 ausgeübt haben, nicht wiederkehren wird.«99 Die Wähler schienen ohnehin wahlmüde zu sein. Die Zahl der Nichtwähler stieg von etwa sieben auf ca. neun Millionen. Die Wahlbeteiligung sank damit auf

Der 7. Reichstag 

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80,6 %. Das verwundert nicht, war doch die Reichstagswahl im November 1932 die siebte seit 1920 und die vierte große Wahl allein im Jahr 1932. Ihr waren die Reichspräsidentenwahl mit zwei Wahlgängen, die Wahl zum Preußischen Landtag und die 6. Reichstagswahl vorausgegangen. Die Verhandlungen zur Regierungsbildung

Hindenburg hielt am Kabinett Papen als »Kabinett der nationalen Konzentration« fest. Er beauftragte den Reichskanzler am 10.  November 1932, mit den Parteiführern zu besprechen, ob und inwieweit diese gewillt seien, die Regierung zu unterstützen. Papen stieß jedoch weitestgehend auf Ablehnung. Am 18. November 1932 traten Papen und sein Kabinett zurück, blieben aber auf Bitten Hindenburgs geschäftsführend im Amt. Der Reichspräsident empfing nacheinander die Vorsitzenden der DNVP, des Zentrums und der DVP. Er erörterte mit ihnen eine mögliche Unterstützung einer neuen Regierung und ihre Haltung zu einer Kanzlerschaft Hitlers. Hugenberg gab sich insgesamt ablehnend. Kaas und Dingeldey sagten ihre grundsätzliche Unterstützung bei der Stärkung der autoritären Regierung – im Rahmen der Verfassung – zu. Kaas meinte, man wolle »nicht wieder zurückfallen in den Parlamentarismus« und er halte »eine nur sehr sparsame parlamentarische Arbeit« für denkbar  ; »ganz entbehren [könne] man den Reichstag nicht.«100 Dingeldey sah den »Fortschritt der letzten Jahre […] darin, daß die Regierungsbildung und die Regierungsarbeit aus dem furchtbaren Parteihader her[aus]genommen worden [seien] und der Reichskanzler durch das Vertrauen des Herrn Reichspräsidenten berufen [sei]«. Er hatte aber Bedenken gegen Hitler.101 In den Äußerungen Kaas’ und Dingeldeys, die auch anderen ihrer Reden und Stellungnahmen entsprechen, wird deutlich, wie sehr sich eigentlich parlamentsfreundliche und republikloyale Parteien von dem Grundgedanken der Weimarer Verfassung, eine parlamentarische Demokratie zu sein, verabschiedet hatten. Mochte auch Kaas auf den Verfassungsrahmen verweisen – eine »autoritäre« Staatsführung widersprach dem Geist der Weimarer Verfassung. Am Vormittag des 19. November 1932 traf sich Hindenburg mit Hitler. Zunächst sprachen sie unter vier Augen  ; dann kam Meissner zur Anfertigung des Protokolls hinzu. Hitler erneuerte seinen Anspruch, als Anführer der stärksten Partei an die Spitze einer neu zu bildenden Regierung gestellt zu werden. Hindenburg erwiderte, er halte an dem Grundsatz einer überparteilichen Regierung fest, biete Hitler aber einige Ministerposten an. Hitler reklamierte erneut die Kanzlerschaft für sich und lehnte Gespräche mit anderen Parteien über ein sachliches Programm für eine Zusammenarbeit ab, solange der Reichspräsident ihm

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Antiparlamentarismus

nicht den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt habe. Er glaube, dass er eine Basis finden würde, auf der er und die neue Regierung vom Reichstag ein »Ermächtigungsgesetz« bekämen. Eine solche Ermächtigung werde vom Reichstag niemand anderes als er bekommen.102 Das Ermächtigungsgesetz war ein Instrument, das bereits in der Krisenzeit 1923 eingesetzt worden war. Der Reichstag hatte die Minderheitsregierung Marx auf diese Weise zum Gesetzeserlass ermächtigt. Dadurch waren schnelle und umfassende Entscheidungen möglich geworden. Zugleich waren Notverordnungen des Reichspräsidenten Ebert damit nicht mehr nötig gewesen. Welche Inhalte Hitler mit einem solchen Ermächtigungsgesetz durchsetzen wollte, ließ er in der Unterredung mit Hindenburg offen. Der BVP-Vorsitzende Schäffer, den Hindenburg am Nachmittag des 19. November 1932 empfing, sagte – wie schon Kaas und Dingeldey – die grundsätzliche Bereitschaft zu, eine neue Regierung zu unterstützen. Hitlers Charakter beurteilte er reserviert, aber nicht ablehnend. Die eigentliche Gefahr sah er nicht in der Person Hitlers, sondern in dessen Umgebung.103 Am 21. November 1932 besprach sich Hindenburg ab 10.30 Uhr erneut mit Hitler. Der Reichspräsident eröffnete die Unterredung mit den Worten, »[e]r habe für die Person des Herrn Hitler und auch für einen großen Teil seiner Gedanken sehr viel Verständnis und Wertschätzung.« Er, Hindenburg, vertrete den Gedanken eines Präsidialkabinetts, das von einem überparteilichen Reichskanzler geführt werde, der eine Person seines besonderen Vertrauens sei. Wenn er Hitler zum Kanzler ernenne, müsse er verlangen, dass das Kabinett die Mehrheit im Reichstag habe. Deshalb ersuche er Hitler, als Führer der stärksten Partei, festzustellen, ob und unter welchen Bedingungen er für eine von ihm geführte Regierung »eine sichere, arbeitsfähige Mehrheit mit festem, einheitlichen Arbeitsprogramm im Reichstag haben [würde].« Er bat um Antwort innerhalb von zwei Tagen. Hitler erneuerte seinen Anspruch auf die Kanzlerschaft. Er wollte dieselben Vollmachten wie seine Vorgänger erhalten. Seine Regierung sollte also nach seinem Willen ein Präsidialkabinett sein, das durch die präsidialen Machtmittel (ggf. Reichstagsauflösung, Notverordnungen) unterstützt würde. Ein rein parlamentarisch gestütztes Kabinett lehnte Hitler ab. Hindenburg nannte Hitler auf dessen Frage hin mehrere Bedingungen für eine Regierung unter seiner Ägide. Der Reichspräsident nannte als sachliche Bedingungen  : »Feststellung eines Wirtschaftsprogramms.  – Keine Wiederkehr des Dualismus Reich und Preußen und keine Verhandlungen mit den Ländern, die in Verbindung mit einer diesbezüglichen Reichsreform den Bundesstaaten besondere Rechte zugestehen. – Keine Einschränkung des Artikels 48.« Persönlich behalte er sich, so Hin-

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denburg, »die endgültige Zustimmung zu einer Ministerliste vor. Die Besetzung des Auswärtigen Amts und des Reichswehrministeriums [sei] in Wahrung [seiner] verfassungsmäßigen Rechte als völkerrechtlicher Vertreter des Reichs und Oberbefehlshaber des Reichsheeres Sache [seiner] persönlichen Entscheidung.« Zum Ende des etwa 20-minütigen Gesprächs meinte Hindenburg, welches Ende die Verhandlungen auch nähmen, seine Tür werde Hitler »immer offen sein«.104 An die Unterredung schloss sich ein Briefwechsel Meissners und Hitlers an, der aber nur zu einer mehrmaligen Klarstellung der jeweiligen Position führte.105 Keine Seite war bereit nachzugeben. Auch Gespräche Kaas’ mit Hitler, Hugenberg, Schäffer und Dingeldey brachten kein Ergebnis. Die Verhandlungen waren gescheitert. Papens Sturz Während der Gespräche Hindenburgs mit den Parteiführern amtierte das Kabinett Papen geschäftsführend weiter. Nachdem Hitler sich am 30. November 1932 geweigert hatte, erneut mit dem Reichspräsidenten zu verhandeln, stellte sich Hindenburg die Frage, wie weiter verfahren werden sollte. Schleicher hatte Gespräche mit der NSDAP und anderen Parteien geführt. In einer Besprechung beim Reichspräsidenten am 1.  Dezember 1932, an der dessen Sohn Oskar, Meissner, Papen und Schleicher teilnahmen, war man einmütig der Auffassung, es bestehe »zur Zeit wenigstens« nicht die »Aussicht dafür, daß eine Reichstagsmehrheit ein Kabinett Schleicher tolerieren würde«.106 »[…] Schleicher glaubte zwar, daß in den nächsten Tagen, wenn man die Entwicklung im Nazi-Lager noch abwarten könne, eine andere Auffassung bei den Nazi zum Ausdruck käme  ; aber der Herr Reichspräsident erklärte, eine weitere Hinauszögerung der Entscheidung sei für ihn nicht tragbar.« Hindenburg entschied sich daher, erneut Papen mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Er sicherte Papen zu, »ihm für den mit Sicherheit zu erwartenden Konflikt mit dem Reichstag alle präsidialen Rechte zur Verfügung« zu stellen und »alle erforderlichen präsidialen Maßnahmen zu ergreifen, um Deutschland vor einem Schaden zu bewahren, der aus einer Verletzung der Pflichten des Reichstages entstehen könnte.«107 Damit wurde der Staatsnotstandsplan, den Hindenburg bereits Ende August in Neudeck grundsätzlich gebilligt hatte, erneut abgesegnet. Papen sah sich aber am Folgetag einer Fronde im Kabinett gegenüber. Das offizielle Protokoll der Ministerbesprechung ist sehr kurz und berichtet über diese Vorgänge nichts. Sie lassen sich aber einer Aktennotiz Meissners und einer

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Antiparlamentarismus

Tagebuchaufzeichnung des Reichsfinanzministers Schwerin von Krosigk entnehmen  :108 Außenminister Neurath und Schwerin von Krosigk sprachen sich gegen eine erneute Kabinettsbildung durch Papen aus. Bis auf Post- und Verkehrsminister Eltz-Rübenach, der mit Papen befreundet war, ergriff niemand für den Reichskanzler Partei. Als Oberstleutnant Eugen Ott, der Leiter der Wehrmachtsabteilung im Reichswehrministerium, über ein »Kriegsspiel« (»Planspiel Ott«) berichtete, in dem die Reichswehr mit Vertretern anderer Behörden und der Polizei das Szenario eines Aufstands gegen die Regierung durchgespielt hatte, war Papen politisch erledigt. Ott schilderte, »daß die Ordnungskräfte des Reiches und der Länder in keiner Weise ausreichten, um die verfassungsmäßige Ordnung gegen Nationalsozialisten und Kommunisten aufrechtzuerhalten und die Grenzen zu schützen. Es sei daher die Pflicht des Reichswehrministers, die Zuflucht der Reichsregierung zum militärischen Ausnahmezustand zu verhindern.«109 Tatsächlich war fraglich, ob ein staatliches Vorgehen gegen die ­NSDAP und die KPD sowie gegen deren Parteiarmeen und möglicherweise noch gegen das Reichsbanner, die republiktreuen Parteien und die Gewerkschaften durchzuhalten gewesen wäre. Eine Machtprobe mit der SA und der SS hätte die Reichswehr gemeinsam mit der Polizei nach Ansicht des ehemaligen preußischen und Reichsinnenministers Severing »rein militärisch und polizeilich gesehen« wohl »glänzend bestanden«.110 Ein Mehrfrontenkampf wäre aber wohl nicht zu gewinnen gewesen – oder nur um den Preis sehr vieler Opfer. Es stand zu befürchten, dass die bürgerkriegsähnlichen Szenen, welche die Wahlkämpfe des Jahres 1932 überschattet hatten, sich zu einem wirklichen Bürgerkrieg auswachsen würden. Die Staatsnotstandspläne Papens und Gayls, die auf die Unterstützung durch die Reichswehr bauten, erwiesen sich als auf Sand gebaut. Sie erschienen als Pläne von Hasardeuren. Papen musste Hindenburg den Auftrag zur Regierungsbildung nach der Kabinettssitzung zurückgeben. Hindenburg kam dem Rücktrittsgesuch Papens nur widerwillig nach. Er schenkte Papen zum Abschied sein fotografisches Porträt mit der Widmung  : »Ich hatt’ einen Kameraden.«111 Harry Graf Kessler notierte in seinem Tagebuch zu Papens Demission  : »Endlich  ! Dieser ewig lächelnde, leichtsinnige Dilettant hat in sechs Monaten mehr Unheil angerichtet als in so kurzer Zeit irgendein Kanzler vor ihm.«112 Dem ist nichts hinzuzufügen.

6 Zurück zum halbparlamentarischen Regieren  ? Reichskanzler Schleicher sucht Bündnispartner Am 2. Dezember 1932 ernannte Hindenburg den Reichswehrminister und einflussreichen Strippenzieher Kurt von Schleicher zum Reichskanzler. Doch war »alte Herr« mit diesem Schritt im Grunde nicht einverstanden. Hindenburg hatte – wie beschrieben – Papen im Amt halten wollen. Dass er durch das Verhalten des Kabinetts gewissermaßen gezwungen gewesen war, Papen zu entlassen und Schleicher zu ernennen, verübelte er dem neuen Reichskanzler. Schleichers Lebenslauf ähnelte dem seines nur wenig älteren Vorgängers ­Papen. Auch er war adlig, Berufsoffizier, Weltkriegsteilnehmer und begeisterter Reiter. Noch als Reichskanzler ritt er jeden Morgen im Tiergarten aus. Schleichers Kabinett setzte sich ähnlich zusammen wie dasjenige Papens. Schleicher führte neben dem Kanzleramt weiterhin das Reichswehrministerium. Die bisherigen Minister verblieben auf ihrem Posten. Nur Reichsinnenminister Wilhelm von Gayl wurde durch Franz Bracht, den kommissarischen preußischen Innenminister und stellvertretenden Reichskommissar für Preußen, und Arbeitsminister Hugo Schäffer durch Friedrich Syrup ersetzt. Gayl war als Befürworter von Staatsnotstandsplänen, Schäffer als Protagonist des Sozialabbaus bei den Gewerkschaften und den Sozialdemokraten besonders unbeliebt. Ihre Abberufung sollte wohl den Vertrauensvorschuss bei politischen Gesprächspartnern des neuen Kanzlers erhöhen. Schleicher besaß als Reichskanzler, Reichswehrminister und Reichskommissar für Preußen, der Papierform nach, die größte Machtfülle aller Weimarer Regierungschefs. Im Reichstag hatte er jedoch keine Mehrheit. An den verfassungsmäßigen Befugnissen des Reichstages und den Mehrheitsverhältnissen im Parla­ment kam er nicht vorbei. Anders als Papen hoffte er, seine Regierung durch eine lagerübergreifende »Querfront« im Reichstag und außerhalb des Parlaments stützen zu können. Der Reichskanzler streckte – wie schon früher – seine Fühler zu Teilen der NSDAP und zu den Gewerkschaften aus. Er umwarb den Flügel der NSDAP, der kompromissbereiter erschien und von Gregor Strasser angeführt wurde. Strasser war »Reichsorganisationsleiter« der NSDAP und trat innerhalb der Partei für eine Zusammenarbeit mit der rechtskonservativen Reichsregierung ein. Nach der Novemberwahl war die NSDAP politisch und finanziell geschwächt. Viele Mitglieder waren frustriert, dass der von Hitler versprochene Griff nach der Macht erneut gescheitert war. Die thüringische Kommunalwahl am 4. Dezember 1932

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zeigte – wie die 7. Reichstagswahl – einen Abwärtstrend für die NSDAP an. Die Verluste im Vergleich zur 6.  Reichstagswahl waren sehr stark und betrugen in einigen Städten bis zu 35 %.1 Die interne Krise konnte für Strasser einen Grund bieten, sich mit Schleicher zu verständigen und auf diese Weise der Partei einen Zugang zur Macht zu sichern. Allerdings war Hitler strikt gegen eine Unterstützung des Kabinetts. Er wollte weiterhin selbst Reichskanzler werden. Schleicher bemühte sich nicht nur um Strasser. Er warb auch um die sozialdemokratisch orientierten freien Gewerkschaften, geführt von Theodor Leipart, um die christlichen zentrums- und BVP-nahen Gewerkschaften unter Adam Stegerwald sowie um den Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband, den Hans Bechly leitete. Der 7. Reichstag nimmt die Arbeit auf Der neu gewählte Reichstag trat am 6. Dezember 1932 gegen 15 Uhr zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Eugen Bolz, der erfahrene Parlamentarier, hatte schon vorher in einem Brief an seine Frau Befürchtungen geäußert  : Reichstagseröffnung. – Wie war das einmal ganz anders  ! Jetzt ohne Form, und selbst ist man des politischen Elends voll. Keine Freude, wenig Glauben und Hoffnung. Wird es bald anders werden  ? Wie werden wir den Winter überstehen  ? – Wie es weiter gehen wird, ist noch nicht zu sagen. Man hofft auf Vertagungsmöglichkeit und Hinüberretten des Reichstags in den Januar.2

Um zu verhindern, dass erneut die KPD-Abgeordnete Clara Zetkin die Sitzung als Alterspräsidentin eröffnete, hatte die NSDAP den 83-jährigen Karl Litzmann aufgestellt. Wie schon seine Vorgängerin Zetkin nutzte der ehemalige General seine Funktion als Alterspräsident für eine ideologische Stellungnahme zur Tagespolitik aus. Seinem Amt wurde er damit ebenso wenig gerecht wie Zetkin. Er äußerte seine Enttäuschung, dass Hindenburg Hitlers Ambitionen auf das Reichskanzleramt am 13. August und 24. November zurückgewiesen hatte, und richtete Vorwürfe gegen den Reichspräsidenten, seinen Staatssekretär Meissner und die vormalige Regierung Papen.3 Zurufe und Unruhe vonseiten der Kommunisten begleiteten seine Rede. Vor der Wahl des Reichstagspräsidenten entspann sich eine erregte Diskussion um die Frage, ob zuvor Sachanträge zu behandeln seien und über sie abzustimmen sei. Es ging um die Haftentlassung zweier NSDAP-Abgeordneter sowie um die Aufhebung einer Notverordnung und von Presseverboten. Alterspräsident Litzmann ließ gemäß §  13 GO-RT zunächst die Wahl durch-

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führen. Die NSDAP hatte den bisherigen Reichstagspräsidenten Göring vorgeschlagen. Die DNVP schlug als Gegenkandidaten den bisherigen Vizepräsidenten Walther Graef vor  – weil die NSDAP sich geweigert hatte, Graefs Bewerbung um einen Vizepräsidentenposten zu unterstützen. Wilhelm Dittmann, einer der Vorsitzenden der SPD-Reichstagsfraktion, erklärte die begründeten Bedenken gegen die (Wieder-)Wahl Görings. Der Reichstagspräsident solle die Würde und die Rechte des Reichstages wahren und schützen. Diese Aufgabe könne »nur ein Präsident erfüllen, der innerlich bejahend auf dem Boden des Parlaments« stehe und den »Parlamentarismus innerlich« anerkenne. Die NSDAP-Fraktion habe bekundet, dass sie grundsätzliche Gegnerin des Parlaments sei und sie, wenn sie die Macht dazu besäße, das Parlament »heute noch beseitigen würde«.4 Als Gegenkandidaten für Göring und Graef schlug die SPD den früheren Reichstagspräsidenten Löbe vor. Außerdem kandidierte Ernst Torgler auf Vorschlag der KPD. Der KPD-Abgeordnete Rädel stellte in Aussicht, in einem möglichen zweiten Wahlgang Löbe mitzuwählen, um Göring zu verhindern. Göring gewann im ersten Wahlgang mit 279 von 545 Stimmen. Löbe, Torgler und Graef erhielten mit 120, 92 und 51 Stimmen die Stimmen ihrer jeweiligen Fraktion. Allen Zuschauern musste klar sein, dass Göring kein von allen grundsätzlich akzeptierter Sachwalter der Reichstagsinteressen und Schiedsrichter im Parlamentsbetrieb war. Göring verhielt sich – wie in der kurzen 6. Wahlperiode – weiterhin parteiisch. Als er sich für das Vertrauen des Hauses bedankte und einen Zuruf der KPD erhielt, ließ er sich zu der Bemerkung hinreißen  : »Sie brauchen kein Vertrauen zu mir zu haben  ; ich habe auch keines zu Ihnen  !«5 Eine unerhörte Äußerung für einen Reichstagspräsidenten, der eigentlich unparteiisch die Sitzungen leiten sollte. Seine Ankündigung, »die Geschäfte des Reichstages unparteiisch gemäß der Geschäftsordnung und Verfassung zu führen«, und seine Äußerung, man müsse  – bei aller Kritik an einem »überlebten Parlamentarismus« und einer »unangebrachte[n] Parteienherrschaft«  – feststellen, »daß das Parlament zurzeit die einzige Stelle [sei], an der der Wille des deutschen Volkes kundgetan werden« könne,6 waren ein bloßes Lippenbekenntnis. Was die Nationalsozialisten unter zeitgemäßem Parlamentarismus verstanden, taten sie wenige Monate später kund, nachdem Hitler Reichskanzler geworden war. Davon wird in diesem Buch noch ausführlich die Rede sein. Göring wiederholte im Wesentlichen die Vorwürfe an den Reichspräsidenten und die Reichsregierung, die sein Parteigenosse Litzmann bereits geäußert hatte. Schon die erste Ansprache konterkarierte die kurz zuvor angekündigte überparteiliche Amtsführung. Als Vizepräsidenten schlug die NSDAP den Zentrumsabgeordneten Esser vor. Er war bereits in der 6.  Wahlperiode einer von Görings und zuvor einer

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von Löbes Stellvertretern gewesen. Die SPD schloss sich diesem Vorschlag an  : »Wir hoffen dabei, dem Herrn ersten Präsidenten eine Hilfe an die Seite zu geben für die Bemühungen um die Parlamentsrechte und um die Verfassung von Weimar.«7 Dieser treffende ironische Seitenhieb löste »[l]angandauernde große Heiterkeit« im Plenum aus.8 Esser setzte sich durch. Bei weiteren Kampfabstimmungen über den zweiten und den dritten Vizepräsidenten waren jedes Mal Stichwahlen zwischen den Kandidaten mit den höchsten Stimmzahlen nötig. Zum zweiten Vizepräsidenten wurde der Abgeordnete Johann Rauch (BVP) gewählt. Bei der Wahl zum dritten Vizepräsidenten setzte sich der Abgeordnete Otto Hugo (DVP) durch einen Losentscheid gegen Löbe durch. Mit Ausnahme Hugos wurde somit das Präsidium der 6. Wahlperiode im Amt bestätigt. Die zweite Sitzung am nächsten Tag begann mit einer Korrektur. Göring teilte mit, dass Löbe eine Stimme mehr als Hugo erhalten habe. Der Losentscheid war damit unzulässig gewesen. Die NSDAP-Fraktion, die Löbe verhindern wollte, beantragte eine erneute Wahl. Nach der bisherigen Reichstagspraxis hätte die Feststellung des Reichstagspräsidenten dafür ausgereicht, das Ergebnis zu korrigieren und Löbe direkt zum Gewinner der Wahl zu erklären. Hierauf wiesen die Fraktionsvorsitzenden Dittmann (SPD) und Torgler (KPD) hin.9 Die Mehrheit des Reichstages lehnte den NSDAP-Antrag ab. Löbe wurde damit aufgrund des durch die Reichstagsbeamten ermittelten Auswahlergebnisses zum Gewinner der Wahl des dritten Vizepräsidenten erklärt.10 Die DNVP war zum ersten Mal seit Langem bei der Besetzung der Vizepräsidentenposten nicht erfolgreich. In den nur drei Plenarsitzungen der 7. Wahlperiode wurden die Frontstellungen sichtbar, die sich seit dem Sommer gebildet hatten und schon im 6. Reichstag zu erkennen gewesen waren. Die Regierung Schleicher konnte sich sicher allein auf die DNVP-Fraktion und die Technische Arbeitsgemeinschaft der gemäßigt rechten DVP, CSVD, DBP und DHP stützen. Die beiden katholischen Parteien, die SPD und die radikalen Kräfte waren Gegner des Präsidialkabinetts. Trotz der großen grundsätzlichen Opposition gegen das Präsidialkabinett lehnte die Reichstagsmehrheit (inklusive der NSDAP) am 6. Dezember 1932 den Antrag der KPD ab, ein Misstrauensvotum gegen Schleicher auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen.11 Die katholischen und die rechtsbürgerlichen Parteien sowie die SPD unterstrichen damit ihre Bereitschaft zur Sacharbeit.12 Auch einen (Zitier-)Antrag der KPD-Fraktion, der Kanzler solle umgehend im Reichstag erscheinen, lehnte die Reichstagsmehrheit ab.13 Die republikfreundlichen Parteien wollten die wenige Tage zuvor ernannte Reichsregierung nicht gleich wieder stürzen, sondern ihr Gelegenheit geben, in

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einer Regierungserklärung ihr Programm vorzustellen. Außerdem sollte verhindert werden, dass auf ein Misstrauensvotum sofort eine erneute Reichstagsauflösung folgte. Die staatstragenden Parteien wollten den Reichstag erhalten. Sie wussten, dass eine weitere Auflösung ihre Position und die politische Krise nicht verbessert hätte. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Breitscheid führte aus  : Wir brauchen nicht zu versichern, daß wir das schärfste Mißtrauen gegen das Kabinett Schleicher haben. […] Aber die neue Regierung hat den Anspruch darauf, gehört zu werden und ihr Programm vor dem Reichstag zu entwickeln. […] Und wenn die Herren Kommunisten es so eilig haben, das Mißtrauensvotum zur Abstimmung zu bringen, so sage ich  : […] es liegt ihnen daran, den Parlamentarismus zu ruinieren. […] Die Herren Kommunisten rechnen damit, daß die Folge der Annahme eines Mißtrauensvotums eine neue Auflösung des Reichstags sein würde, ehe eine Debatte hier stattgefunden hat. Das heißt die Grundlagen jeder parlamentarischen Arbeit zu unterhöhlen und unmöglich zu machen.14

Die regierungs- und republikfeindliche NSDAP stimmte gegen die Aufsetzung des Misstrauensantrages, da sie sich von einer erneuten Reichstagswahl nichts erhoffte. Des Weiteren gab es innerhalb der Partei Stimmen wie die Gregor Strassers, die zur Zusammenarbeit mit Schleicher rieten. Doch setzten sich diese Stimmen nicht durch. Am 8. Dezember 1932 gab Strasser seine Ämter auf. Hitler hatte den parteiinternen Machtkampf gewonnen. Die KPD-Fraktion machte aus ihren Absichten keinen Hehl  : […] unser Kampf gegen diese Diktaturregierung Schleicher wird nicht nur in diesen Anträgen bestehen [welche die KPD-Fraktion eingebracht hatte, P.A.], sondern wir fordern die Arbeiter auf zum politischen Massenstreik zum Sturze dieses Schleicher-Kabinetts. […] Uns liegt nichts am Reden […] in einem Augenblick, wo es gilt den Kampf – den parlamentarischen und den außerparlamentarischen Kampf – zum Sturze dieses Schleicher-Kabinetts zu führen.15

Der Reichstag fasste am 9.  Dezember 1932 drei Gesetzesbeschlüsse. Es waren die einzigen der 7.  Wahlperiode. Das Parlament änderte auf Initiative der NSDAP-­Fraktion (die BVP-Fraktion hatte ihren Gesetzentwurf zurückgezogen) Art. 51 WRV mit 403  :126 Stimmen.16 Für den Gesetzentwurf stimmten die NSDAP, die SPD, das Zentrum, die BVP und die Technische Arbeitsgemeinschaft aus gemäßigt rechten Parteien. Die KPD und die DNVP votierten mit »Nein«. Durch das Gesetz über Änderung der Reichsverfassung vom

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17. Dezember 193217 wurde Art. 51 WRV dahin gehend geändert, dass nicht mehr der Reichskanzler, sondern der Präsident des Reichsgerichts der Vertreter des Reichspräsidenten war. Dies galt auch für »den Fall der vorzeitigen Erledigung der Präsidentschaft bis zur Durchführung der neuen Wahl«, also vor allem im Todesfall. Die Verfassungsänderung geschah mit Blick auf Hindenburgs hohes Alter. Man wollte damit verhindern, dass Reichskanzler Schleicher im Falle der Amtsunfähigkeit oder des Todes Hindenburgs die präsidialen Machtmittel in die Hände bekam. Der zweite Gesetzesbeschluss des 7.  Reichstages betraf die umstrittene Notverordnung vom 4. September 1932. Sie war noch vom Kabinett Papen veranlasst worden. Der Reichstag beschloss, den Zweiten Teil der Notverordnung (»Sozialpolitische Maßnahmen«) zu streichen.18 Damit war es der Reichsregierung nicht länger gestattet, »die sozialen Einrichtungen [wie die Kranken-, Unfall- Arbeitslosenversicherung etc., P.A.] zu vereinfachen und zu verbilligen« (§ 1 des Zweiten Teils der Notverordnung). Der Gesetzentwurf stammte von der Zentrumsfraktion. Andere Fraktionen hatten die vollständige Aufhebung der Notverordnung beantragt. Vizepräsident Esser ließ zunächst über den Antrag seiner Fraktion und danach über die Anträge auf vollständige Aufhebung abstimmen. Der ständigen Übung des Reichstages entsprach das nicht. Wäre sie befolgt worden, hätte zunächst über die weitergehenden Anträge abgestimmt werden müssen. Einige Abgeordnete rügten das Vorgehen Essers denn auch. Der Gesetzentwurf des Zentrums wurde mehrheitlich angenommen.19 Die weitergehenden Anträge überwies der Reichstag an die Ausschüsse.20 Die für gewöhnlich gut unterrichtete Vossische Zeitung meinte, das Abstimmungsverfahren sei von der Mehrheit nur hingenommen worden, weil die Abstimmung über ein Amnestiegesetz noch ausgestanden habe. Sie sei »mit guter Überlegung an den Schluß gesetzt« worden.21 Der Reichstag verabschiedete das in die Justizhoheit der Länder eingreifende und daher die Verfassung durchbrechende Amnestiegesetz mit 395  :143  :4 Stimmen.22 Die radikalen Fraktionen NSDAP und KPD, die am stärksten von Strafverfahren betroffen waren, stimmten ebenso dafür wie die SPD. Die übrigen Fraktionen votierten dagegen. Nach dem Inkrafttreten des Amnestiegesetzes wurden vor Weihnachten 1932 in Berlin rund 320 Personen aus der Haft entlassen.23 Politisch motivierte Täter entgingen ihrer gerechten Strafe. Das Amnestiegesetz war in den Augen Brünings »der Anfang vom Ende des Rechtsstaats«24. Aus den Gesetzesbeschlüssen darf nicht gefolgert werden, dass der 7. Reichstag grundsätzlich handlungsfähig gewesen wäre.25 Mochte sich Schleicher auch Hoffnungen machen, dass es ihm gelingen werde, mit der Reichstagsmehrheit durch eine Querfront arbeiten zu können. Mochte er auch die Gesetzentwürfe ohne

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Auflösungsandrohung passieren lassen. Seine Hoffnung auf tragfähige Mehrheiten für sein Kabinett trog. Die drei Gesetze kamen durch wechselnde Mehrheiten und nur deswegen zustande, weil zumindest die systemfeindliche größte Fraktion NSDAP daran Interesse hatte  : Das erste Gesetz verhinderte einen Machtzuwachs Schleichers, das zweite nahm unpopuläre Maßnahmen zurück (und eröffnete Verhandlungsspielräume), das dritte befreite Parteigenossen von Verfahren und Strafen. Staatsschützende Regelwerke wie die zwei Republikschutzgesetze hätten vom 7.  Reichstag nie beschlossen werden können, da die NSDAP und die KPD die Mehrheit besaßen. Die NSDAP und die KPD waren an einem Erfolg des Kabinetts Schleicher oder gar am Überleben der Weimarer Republik nicht interessiert. Sie wollten der Demokratie keine Zukunftsperspektiven eröffnen. Sie wollten die Weimarer Republik zerstören und selbst die Macht übernehmen. Wie wenig handlungsfähig der 7. Reichstag wirklich war und wie zerstritten, ja verfeindet, die radikalen Kräfte waren, zeigen die massiven Störungen, denen er in der ersten und in der zweiten Sitzung ausgesetzt war. Die Redebeiträge und Handlungen der nationalsozialistischen und kommunistischen Abgeordneten waren wie üblich rein ideologisch motiviert. Sie dienten vor allem dazu, den politischen Gegner anzugreifen. Die Radikalen nutzten den Reichstag als reine Agitationsbühne, nicht als Arbeitsstätte. Dies zeigte schon der erwähnte KPD-Antrag, einen Misstrauensantrag auf die Tagesordnung zu setzen. Die ­NSDAP und die KPD zeigten offen ihre Verachtung für die jeweils andere Seite. Die Feindschaft zwischen den radikalen Parteien hatte sich gerade im Jahr 1932 in gewalttätigen Straßenschlachten entladen. Auch im Plenum war das Klima vergiftet. Als Hermann Göring nach seiner Wahl zum Reichstagspräsidenten am 6. Dezember 1932 den Präsidentenstuhl einnahm, vermerkte das Plenarprotokoll »[s]türmische Heil-Rufe der Nationalsozialisten« und einen »Sprechchor der Kommunisten  : ›Nieder  ! Nieder  !‹«26 Der NSDAP-Abgeordnete Wilhelm Börger stimmte zum Schluss seiner Rede das »Kampflied der Nationalsozialisten« an. Aus der NSDAP-Fraktion ertönten »Heil«-Rufe.27 KPD-Anhänger nutzten die Zuschauertribüne des Reichstags verbotenerweise für eine Kundgebung.28 Alle diese Vorkommnisse erinnerten eher an Wahlkampfveranstaltungen und Demonstrationen als an eine Parlamentssitzung. Die unwürdigen Geschehnisse aus dem Februar und dem Mai 1932 schienen sich fortzusetzen. Zwar war es im direkten zeitlichen Umfeld der Reichstagswahl zu einem merkwürdigen Zweckbündnis gekommen. Beim BVG-Streik vom 3. bis 7. November 1932 hatten die Betriebsorganisationen der NSDAP und der KPD zusammengearbeitet. Aber das unheilvolle Bündnis, das zu mehreren Toten und Verletzten führte, hatte die tiefen ideologischen Gräben zwischen den Parteien nicht überdecken

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können. Beide Parteien warfen sich im Reichstagsplenum am 7. Dezember 1932 gegenseitig vor, den Streik »verraten« und damit dessen Erfolg verhindert zu haben.29 Die NSDAP wandte sich im Plenum nicht nur gegen die KPD und gegen die Regierung Schleicher, sondern auch massiv gegen die DNVP, welche die Regierung unterstützte. Der Abgeordnete Wilhelm Börger hielt der DNVP in antikapitalistischer (und antisemitischer) Manier vor, eine unsoziale Politik zu betreiben, die ärmeren Schichten mit ihrer Politik zu vernachlässigen und zu verkaufen sowie selbst Profit aus der Not zu ziehen  : »Damit ist der Kreislauf geschlossen  : von der Bank übers Volk plus Zinsen zur Bank zurück. Es bleibt alles in der Familie, vom Juden zum Juden. […] Das ist fein, aus anderer Leute Rücken Riemen zu schneiden und beim achten Glase Bier ›Heil Dir im Siegerkranz‹ singen.«30 KPD-Abgeordnete ritten scharfe Attacken gegen die Regierung, aber auch gegen die SPD. Der Abgeordnete Siegfried Rädel warf der SPD vor, sie versuche, »die deutsche Arbeiterklasse bei jeder, aber auch bei jeder Gelegenheit auf Irrwegen zu führen […], um sie von dem einzig richtigen politischen Kampf gegen den Kapitalismus abzuhalten«. Sie habe beim Preußenschlag versagt und wolle das Kabinett Schleicher stützen.31 Rädel griff auch das Zentrum an, weil es die Wahl Görings unterstützen wollte. Wilhelm Pieck, der spätere SED-Vorsitzende und Staatspräsident der DDR, gab der SPD »den größten Teil der Verantwortung und Schuld für dieses Massenelend«32. Durch ihr Verhalten störten die radikalen Fraktionen den Plenarbetrieb. Die parteiische Eröffnungsrede des Alterspräsidenten Litzmann wurde von Unruhe und Zwischenrufen der KPD begleitet. Schließlich kam es zu Wortgefechten zwischen Mitgliedern der NSDAP- und Mitgliedern der KPD-Fraktion. KPD-Abgeordnete bezeichneten NSDAP-Abgeordnete als »Volksverräter  !« und erhielten als Antwort  : »Ein Haufen Tiere seid Ihr  !«33 Dem KPD-Abgeordneten Rädel wurde vonseiten der NSDAP zugerufen  : »Bei dir kommt der Schnaps hoch  ! (Zu den Kommunisten) – Holt einmal eine Serviette  ! Da will sich einer bekleckern.«34 Rädel stand diesem »Niveau« in nichts nach. Über das gemeinsame Abstimmungsverhalten der NSDAP und des Zentrums sagte er  : »Was sich hier zusammengetan hat […], was sich hier zusammengetan hat und sich dabei im Wahlkampf angebleckt hat wie ein paar bissige Köter[,] das ist die Front, auf die sich der ausbeutende, räuberische Kapitalismus stützt.«35 Wilhelm Pieck (KPD) bezeichnete Sozialdemokraten als »Lumpengesindel«36. Hans Frank (NSDAP), der spätere Reichsminister, der 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde, gebärdete sich als besonders rücksichtsloser Demagoge. Er sprach in einer Plenarrede – im typischen NS-Duktus – vom »kommunistischen Untermenschentum«37. Mehrere Ordnungsrufe wurden ausgesprochen.38 Außerdem wurde mehrmals das Wort

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entzogen.39 Die DNVP-Fraktion reihte sich, nicht der äußeren Form, aber dem Inhalt nach, bei den radikalen Antidemokraten ein. Ihr Abgeordneter Gok bewies die antiparlamentarische Haltung seiner Fraktion, als er »den deutschen Parlamentarismus« als »so hoffnungslos toten Frosch« bezeichnete.40 Dem erfahrenen Vizepräsidenten Thomas Esser war es zu verdanken, dass in der aufgeheizten Sitzung am 7. Dezember 1932 der Sitzungsbetrieb überhaupt bis zum Ende der Tagesordnung aufrechterhalten wurde. Er musste eine Zuhörertribüne räumen lassen, nachdem diese – wie bereits berichtet – von Kommunisten für eine Kundgebung genutzt worden war.41 Zuvor hatte Esser dem KPD-Abgeordneten Schneller das Wort entzogen. Dieser hatte den Reichspräsidenten massiv angegriffen. Die KPD hatte während der Rede einen großen Lärm gemacht, Unruhe verbreitet und immer wieder »Nieder mit Hindenburg  ! Nieder  !« gerufen.42 Schließlich unterbrach Esser die Sitzung für eine Stunde. Während der Sitzungsunterbrechung kehrte keine Ruhe ein. Stattdessen kam es zu einer Massenschlägerei zwischen NSDAP- und KPD-Abgeordneten, die unter anderem mit Aschenbechern, Spucknäpfen, Pultdeckeln und einem Telefonapparat geführt wurde und mehrere Verletzte zur Folge hatte.43 Nur durch das Eingreifen der Schutzpolizei konnten die Gewalttätigkeiten beendet werden. Nach dem Polizeieinsatz unterblieben weitere Gewaltausbrüche. Der Ton in der Sitzung verbesserte sich aber nicht. Esser musste mehrere Abgeordneten der KPD zur Ordnung rufen und einem sogar das Wort entziehen. Quaatz beschrieb in seinem Tagebuch die Sitzung mit »Gebrüll und Getobe.«44 Schleichers Sturz Der Reichstag vertagte sich am 9. Dezember 1932. Damit sollte der Regierung eine Chance eingeräumt werden.45 Der Reichstag ermächtigte Göring, das Parlament mit Zustimmung des Ältestenrates einzuberufen. Der Antrag der SPD- und der KPD-Fraktion, die nächste Sitzung auf den 12. Dezember 1932 einzuberufen und eine Regierungserklärung auf die Tagesordnung zu setzen, fand keine Mehrheit. Schleicher und seine Minister hatten an keiner Reichstagssitzung der 7. Wahlperiode teilgenommen. Nur der Staatssekretär in der Reichskanzlei und Schleicher-Intimus Erwin Planck hatte sich gezeigt. Paul Löbe kritisierte dies deutlich und erklärte Planck zudem für persönlich ungeeignet.46 Der Staatssekretär hatte kurz zuvor die Absicht der Regierung kundgetan, mit dem Parlament über eine Winterhilfe zu sprechen.47 Das Kabinett hatte damit seine Verständigungsbereitschaft in sozialen Fragen unterstrichen. Auch in seiner Rundfunkansprache am 15. Dezem-

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ber 1932, in der er sich selbst als »sozialer General« bezeichnete, versuchte Schleicher, die Gewerkschaften anzusprechen. Vor den Reichstag wollte er erst später treten. Die Vossische Zeitung berichtete48, dies solle im Januar 1933 geschehen. Der Ältestenrat setzte am 4. Januar 1933 den 24. Januar als Tag der nächsten Plenarsitzung fest. Damit sollte der Regierung Schleicher weiterhin der Start erleichtert werden. Am 20.  Januar 1933 beschloss der Ältestenrat des Reichstages, die nächste Plenarsitzung auf den 31.  Januar zu legen. Schleicher stand die nächste Reichstagssitzung drohend vor Augen. Misstrauensanträge der SPD und der KPD gegen ihn und einzelne Minister lagen vor.49 In den Zeitungen war zu lesen, dass Franz von Papen hinter den Kulissen am 4. Januar 1933 begonnen hatte, mit Hitler zu verhandeln. Der Reichskanzler musste sicher mit einem mehrheitlichen Misstrauensvotum in der nächsten Reichstagssitzung rechnen. Seine politischen Verbündeten im Parlament waren eine verschwindende Minderheit. Nur noch die kleinen Parteien DVP, CSVD und DStP standen auf seiner Seite. Alle anderen Parteien standen gegen ihn. Selbst die DNVP, die Papen noch gestützt hatte, verweigerte ihm ihre Unterstützung. Am 21.  Januar 1933 verabschiedete die DNVP-Reichstagsfraktion eine Entschließung, in der sie zur Regierung Schleicher offen in Opposition trat. Angebote, in das Kabinett einzutreten, lehnten die Deutschnationalen und das Zentrum ab. Schleicher wusste, dass »auf die Dauer in Deutschland nicht regiert werden [konnte], wenn man nicht eine breite Stimmung in der Bevölkerung für sich [hatte]«.50 Gerade deswegen setzte er ja auf eine breitere parlamentarische oder außerparlamentarische Basis seiner Regierung. Aber er hatte sich von Beginn an Illusionen hingegeben. Sein Querfrontkonzept mochte theoretisch funktionieren. Praktisch war ihm kein Erfolg beschieden. Strasser verlor  – wie erwähnt  – den Machtkampf innerhalb der NSDAP gegen Hitler. Er gab in der Folge im Januar 1933 alle Parteiämter und sein Reichstagsmandat auf. Auch die umworbenen Gewerkschaften versagten Schleicher die Mitarbeit. Theodor Leipart und der ADGB zogen sich auf Druck der SPD-Führung im Januar 1933 aus den Gesprächen mit dem Reichskanzler zurück, die christlichen Gewerkschaften ebenso. Die einflussreichen Wirtschaftsverbände lehnten eine Annäherung und Zugeständnisse an die Arbeitnehmerseite ohnehin ab. Selbst wenn die Einigung mit rechts und links geglückt wäre, ist sehr fraglich, ob sie sich auch im politischen Alltag bewährt hätte. Dazu waren die soziale Lage der Bevölkerung und die wirtschaftlichen Probleme des Reiches, der Länder und Gemeinden zu schwierig. Im früher deutschnationalen Reichs-Landbund, der größten Agrarlobbyorganisation, hatten die Nationalsozialisten großen Einfluss erlangt. Der Reichs-Landbund übte heftige Kritik an den Regierungshilfen zur Stützung der Landwirtschaft. Gerade

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ein Präsidialkabinett, das ja vom Vertrauen des Reichspräsidenten abhing, durfte es sich mit den Interessengruppen, die besonderen Einfluss auf Hindenburg besaßen, nicht verscherzen. Dies hatten Brüning und Papen erfahren, dies erfuhr nun – in noch weit stärkerem Maße – Schleicher. Gerecht werden konnte er den zum Teil abwegigen Forderungen der Lobbyisten nicht. Die wirtschaftliche Lage half Schleicher auch nicht. Sie besserte sich zwar seit dem Ende des Jahres 1932. Bei den Arbeitslosenzahlen wurde dies aber nur in dem geringeren Anstieg im Vergleich zum Vorjahr sichtbar. In absoluten Zahlen wurde im Januar 1933 mit 5,97 Millionen Erwerbslosen die höchste Zahl der deutschen Geschichte registriert. Positiv waren eine gesunkene Konkurszahl, das Sinken der Lebenshaltungskosten, ein Ende des internationalen Preisverfalls und ein Ansteigen der Börsenkurse zu verzeichnen.51 Bei der großen Masse der Bevölkerung kam es indessen nicht zu einer greifbaren Verbesserung der Lebensumstände. Eine Entlastung im politischen Überlebenskampf der Regierung Schleicher bedeuteten die Anzeichen einer wirtschaftlichen Gesundung nicht. Über Ansätze zu Reformen in einzelnen Politikfeldern52 konnte die Regierung in den wenigen Wochen ihrer Amtszeit nicht hinausgelangen. Ein überzeugendes politisches Profil vermochte sie so nicht zu gewinnen. Der Reichskommissar für die Arbeitsbeschaffung, Günter Gereke, wies in einer Ministerbesprechung darauf hin, dass »große Erfolge bis zum Herbst 1933 unmöglich erreicht werden könnten«.53 Deutlich zeigte sich, dass der Reichstag zwar faktisch zurückgedrängt, aber nicht vollständig ausgeschaltet werden konnte. Dazu war seine in der Verfassung verankerte Rechtsstellung zu stark. Schon Papen war über diesen Umstand gestürzt. Schleicher griff am Ende seines Kampfes ums politische Überleben auf Ideen zurück, die sein Vorgänger Papen dem Reichspräsidenten wenige Wochen zuvor unterbreitet hatte und die – auch durch Schleichers Handeln – von Hindenburg für undurchführbar gehalten worden waren. Was zu Papens Sturz beigetragen hatte, sollte nun Schleicher retten. Der politische Planungsstab des Reichswehrministeriums hatte ihm – unter Mitarbeit von Carl Schmitt – Mitte Januar 1933 drei Herangehensweisen genannt.54 Als erste Möglichkeit war ins Spiel gebracht worden, den Reichstag bei einem bevorstehenden Misstrauensvotum aufzulösen und keine Neuwahlen mehr anzusetzen. Als zweite Möglichkeit hatte der Planungsstab eine »Zwangsvertagung« des Reichstages angesehen. Als dritte Möglichkeit war erwogen worden, ein Misstrauensvotum nicht anzuerkennen und das Kabinett durch den Reichspräsidenten bestätigen zu lassen. Alle drei Möglichkeiten waren verfassungswidrig. Am 23. Januar 1933 schlug Schleicher Hindenburg vor, den Reichstag aufzulösen und für längere Zeit keine Neuwahl anzusetzen. Mit anderen Worten  : Schleicher hielt angesichts eines dro-

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henden Misstrauensvotums den Verfassungsbruch für erforderlich. Denn Art. 25 Abs. 2 WRV schrieb vor, dass nach einer Reichstagsauflösung innerhalb von 60 Tagen die Neuwahl stattzufinden hatte. Hindenburg ging auf Schleichers Ideen nur teilweise ein. Er sagte, dass er sich eine Reichstagsauflösung noch überlegen wolle, dagegen die Hinausschiebung der Wahl über den in der Verfassung vorgesehenen Termin zurzeit nicht verantworten könne. Ein solcher Schritt würde ihm von allen Seiten als Verfassungsbruch ausgelegt werden  ; ehe man sich zu einem solchen Schritt entschließ[e], müsse durch Befragen der Parteiführer festgestellt werden, daß diese den Staatsnotstand anerkennen und den Vorwurf eines Verfassungsbruches nicht erheben würden.55

Das Zentrum bekam von den Plänen Wind. Der Vorsitzende Kaas verwahrte sich bei Schleicher gegen die Notstandspläne.56 Am 27. Januar 1933 bestätigte der Ältestenrat des Reichstages seine Übereinkunft, die nächste Plenarsitzung am 31. Januar 1933 abzuhalten. Das Gremium setzte die »Entgegennahme einer Erklärung der Reichsregierung« auf die Tagesordnung. Ab 1. Februar 1933 sollte in zwei bis drei Sitzungen die Aussprache über die Regierungserklärung erfolgen. Schleicher geriet damit weiter unter Zugzwang. Am 28. Januar 1933 ging er zu Hindenburg. Er schilderte ihm drei Möglichkeiten für das weitere Vorgehen  : 1.) erstens ein Mehrheitskabinett Hitler  ; das wäre an sich eine Lösung, doch glaube er nicht an dessen Zustandekommen  ; 2.) ein Minderheitskabinett Hitler  ; dieses entspräche aber nicht der bisherigen Haltung des Herrn Reichspräsidenten  ; 3.) die Beibehaltung der jetzigen Präsidialregierung  ; diese könne aber nur dann arbeiten, wenn sie das Vertrauen und die Vollmacht des Herrn Reichspräsidenten hinter sich habe. […] Wenn die jetzige Regierung vor den Reichstag treten solle, müsse er [Schleicher, P.A.] um die Zusage der Auflösung bitten.57

Hindenburg erwiderte, diese Zusage könne er bei der gegebenen Lage nicht machen. Er erkenne dankbar an, dass Schleicher versucht habe, die Nationalsozialisten für sich zu gewinnen und eine Reichstagsmehrheit zu schaffen. Es sei leider nicht gelungen und es müssten »daher nun andere Möglichkeiten versucht werden.«58 Das Kabinett beschloss unmittelbar darauf, zurückzutreten. Hindenburg nahm das Rücktrittsgesuch an. Im amtlichen Pressekommuniqué war – wie in der Niederschrift der Unterredung – von Schleichers weitreichenden Plänen, die Neuwahl aufzuschieben, nicht die Rede, sondern nur von seinem Begeh-

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ren, den Reichstag aufzulösen. Die Presse berichtete entsprechend. Schleicher schilderte später Brüning, der Reichspräsident sei auf seine Vorschläge gar nicht eingegangen und habe nur geantwortet  : »Ich danke Ihnen, Herr General, für alles, was Sie für das Vaterland getan haben. Nun wollen wir mal sehen, wie mit Gottes Hilfe der Hase weiterläuft.«59 Ob das Konzept Schleichers funktioniert hätte und gar  – wie manche meinen  – Hitler hätte verhindern können, ist mehr als zweifelhaft.60 Ein Verfassungsbruch hätte die Verfassung beschädigt, aber nicht gerettet. Hitler hätte er wohl auch nicht verhindert. Die tatsächlichen Risiken einer verfassungswidrigen Präsidialdiktatur ohne Parlament hatte das »Planspiel Ott«, wenn auch möglicherweise übertrieben, dargestellt. Ein Bürgerkrieg drohte, bei dem das diktatorische Regime massiv unter Druck geraten wäre. Es stand zu befürchten, dass die radikalen Parteien von links und rechts ihre Parteiarmeen und Anhänger mobilisiert hätten. Die Mitgliederzahl der paramilitärischen Verbände SA, SS und RFB überstieg die Zahl der Reichswehrtruppen deutlich. Außerdem war mit einem Generalstreik, orchestriert von den freien und den christlichen Gewerkschaften, zu rechnen. Das Zentrum war zwar grundsätzlich bereit, den Reichstag längerfristig zu vertagen61, eine Auflösung ohne Neuwahl lehnte die Partei aber wie die übrigen größeren Fraktionen ab. Wie sich die Länder dazu verhalten hätten, ob es zur Auflehnung gegen Notverordnungen des Reiches oder gar zu Abspaltungen einzelner Länder vom Reich gekommen wäre, ließ sich ebenfalls nicht sicher vorhersagen. Statt zu einer Stabilisierung der politischen Lage zu führen, hätte eine Diktaturregierung Schleicher wohl eine weitere Destabilisierung – und dann möglicherweise erst recht Hitlers Machtübernahme – bedeutet. Schleicher war politisch gescheitert. Er konnte »zwar Drähte ziehen, aber nicht auf der Bühne auftreten«62. Der vorher so einflussreiche Strippenzieher hinterließ den »Eindruck völligen Versagens, eines kläglichen Zusammenbruchs«63. Mochte sich Schleicher nach seinem Sturz auch beklagen  : »Ich bin nur siebzig Tage an der Regierung gewesen, aber an jedem dieser siebzig Tage bin ich siebzigmal verraten worden. Man rede mir nicht mehr von der berühmten deutschen Treue.«64 Er hatte durch seine Intrigen Hindenburg gegen Hermann Müller, Wilhelm Groener und Heinrich Brüning aufgebracht und so das politische System der Weimarer Republik entscheidend beschädigt. Er hatte geholfen, den Reichstag zurückzudrängen und Entscheidungen in einem kleinen Zirkel um den Reichspräsidenten treffen zu lassen. Am Schluss wurde ihm das Intrigengespinst, das er selbst geflochten hatte, zum Verhängnis.

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7 Die Entmachtung des Reichstages Die faktische Ausschaltung des Reichstages als Folge der Präsidialkabinette Wo stand der Reichstag nach fast drei Jahren der Präsidialkabinette  ? Die Kabinette Papen und Schleicher sowie das erste Kabinett Hitler stützten sich allein auf das Vertrauen des Reichspräsidenten. Recht wurde von 1930 bis 1933 in der oben beschriebenen weiten Auslegung des Art. 48 Abs. 2 WRV häufig durch Notverordnungen gesetzt. Die Zahl der vom Parlament verabschiedeten Gesetze nahm gleichzeitig ab, ebenso die Zahl der Reichstagsdrucksachen1. Die von der Forschung ermittelten Zahlen für Notverordnungen und Parlamentsgesetze schwanken je nach Autor leicht.2 Die Tendenz ist aber in allen Veröffentlichungen dieselbe. Standen 1930 einer Handvoll Notverordnungen noch 98 Parlamentsgesetze gegenüber, wurden 1931 schon etwas mehr Notverordnungen als Parlamentsgesetze erlassen. Im Jahr 1932 standen nur noch fünf Parlamentsgesetze rund 60 Notverordnungen gegenüber. Der Reichstag und die Parteien wurden durch drei Neuwahlen in drei Jahren (davon zwei im zweiten Halbjahr 1932) und die Notverordnungspraxis als politische Entscheidungsträger bis zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Wesentlichen ausgeschaltet. Die politische Herkunft der Regierungsmitglieder zeigt dies. Während die Minister der Regierung Brüning (März 1930 bis Mai 1932) zumeist noch Parteimitglieder waren, stellte sich die Lage bei den beiden letzten Reichsregierungen vor der Regierung Hitler anders dar. Die Mitglieder der Kabinette von Papen (1932) und von Schleicher (1932/33) waren parteilos bzw. in wenigen Fällen bis zu ihrer Ernennung Mitglied der DNVP gewesen. Die politische Ausschaltung des Parlaments fand auch darin Ausdruck, dass Plenarsitzungen kaum mehr stattfanden. Der Reichstag trat zwischen April und Oktober 1931 nicht zusammen und zwischen Oktober 1931 und Juni 1932 nur noch zwölf Mal. Nach der Wahl vom 31. Juli 1932 wurde der Reichstag im September, nach zwei Sitzungen, erneut aufgelöst und am 6. November 1932 erneut gewählt und am 1. Februar 1933, nach drei Sitzungen, wieder aufgelöst. Auch die Ausschüsse und die Fraktionen tagten nur noch selten. Die Verfassungsvorgaben, dass der Reichskanzler auch des Vertrauens des Reichstages bedurfte (Art. 54), dass der Reichstag das Zentralorgan der Gesetzgebung war (Art. 68) und dass gesetzgeberische Maßnahmen des Reichspräsidenten nach dem Wortlaut des Art. 48 Abs. 2 WRV nur bei erheblichen Gefährdungen oder Störungen

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der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – also in eine Ausnahme darstellenden Notlagen – zulässig waren3, wurden durch das Handeln des Reichspräsidenten und der Reichsregierungen vor allem 1931 und 1932 konterkariert. Die innenpolitische Machtbalance verschob sich von der Legislative zur Exekutive.4 Ein regelrechter Verfassungswandel5 von der parlamentarischen zur präsidialen Republik war zu beobachten. Die Rechtsprechung und das juristische Schrifttum unterstützten die weite Auslegung der präsidialen Befugnisse.6 Doch gelang es den Präsidialkabinetten nicht, den Reichstag vollständig auszuschalten. Zwar wurde er geschwächt und an den Rand gedrängt. Aber beseitigt wurde er nicht. Er hätte nur durch einen Verfassungsbruch  – wie ihn die Staatsnotstandspläne Papens und Schleichers vorsahen – oder durch ein verfassungsdurchbrechendes Ermächtigungsgesetz  – wie es Hitler später verabschieden ließ – ausgeschaltet werden können. Für ein Ermächtigungsgesetz reichte die parlamentarische Unterstützung Papens und Schleichers bei Weitem nicht aus. Die Staatsnotstandspläne wurden nicht umgesetzt, weil im Falle Papens das Kabinett und im Falle Schleichers der Reichspräsident sich ihnen verweigerte. Der Reichstag behielt folglich seine verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben. Das bedeutete zugleich, dass ohne ihn nur regiert werden konnte, wenn sich die Reichstagsmehrheit – wie zur Amtszeit Brünings – selbst beschränkte. Befand sie sich – wie im Falle Papens und Schleichers – in offener Opposition zum Kabinett, war das Regieren praktisch nicht möglich. Ohne den Reichstag ging es nicht. Über jedem Präsidialkabinett, das nicht zumindest über eine Duldungsmehrheit im Reichstag verfügte, schwebte das Damoklesschwert des Misstrauensvotums und der Aufhebung von Notverordnungen. Selbst die Regierung Brüning musste immer wieder damit rechnen, die Duldungsmehrheit zu verlieren. Der Versuch Papens, gegen den Reichstag zu regieren, nachdem die NSDAP ihn nicht unterstützen wollte, schlug völlig fehl. Papen konnte nicht mit, aber auch nicht gegen den Reichstag regieren. Schleicher näherte sich dem Parlament wieder an, scheiterte aber ebenfalls darin, eine parteiübergreifende Reichstagsmehrheit (»Querfront«) hinter sich zu versammeln. An der verfahrenen Situation, die mit der Ernennung Papens am 1. Juni 1932 eintrat, trugen drei Personen die Hauptschuld  : Hindenburg, Papen und Schleicher. Man darf die schwere Wirtschaftskrise keineswegs außer Acht lassen. Aber die drei Herren haben in den acht Monaten bis zur Ernennung Hitlers »unendlich viel mehr Unheil angerichtet als die parlamentarischen Politiker in fünfzehn Jahren.«7 Den demokratischen Parteien kann man für die Entwicklung seit Papens Ernennung keinen Vorwurf machen. Sie wurden bewusst von den meisten Entscheidungen ferngehalten oder besaßen wegen der Mehrheitsverhältnisse im

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Reichstag keinen Einfluss mehr. Für die Sitzverteilung im Reichstag war die Wählermehrheit verantwortlich. Sie hatte durch ihr Votum am 31.  Juli und am 6. November 1932 der Weimarer Republik und den sie tragenden Parteien eine Absage erteilt. Hindenburg und Papen wiederum waren für die unsinnige zweimalige Auflösung und Neuwahl des Reichstages im Jahr 1932 verantwortlich, ohne die es die desaströsen Wahlergebnisse nicht gegeben hätte. Ohne die Auflösungsentscheidungen und ohne das Stimmverhalten der Wähler hätte 5. Reichstag mit einer demokratischen Mehrheit bis 1934 fortbestanden. Ab der 6. Wahlperiode war eine Parlamentsmehrheit nur möglich, wenn sich mindestens eine antidemokratische Partei beteiligte. Die Sozialdemokraten und die zersprengten liberalen Parteien wurden nicht mehr einbezogen. Allein die katholischen Parteien konnten noch eine Mehrheitsbildung auf halbwegs demokratisch-parlamentarischer Grundlage versuchen. Sie verhandelten trotz weltanschaulicher Gegensätze in der zweiten Jahreshälfte 1932 mit den Nationalsozia­ listen  – ohne Erfolg. Denn die NSDAP wollte  – wie auch die KPD und die DNVP – gar nicht im Rahmen der Weimarer Verfassung Parlamentsarbeit leisten. Die radikalen Parteien wollten die Weimarer Verfassung abschaffen. Sie wollten keinen Mehrparteienstaat und keinen kraftvollen Reichstag. Sie wollten ein Einparteiensystem, in dem, wenn überhaupt, ein Scheinparlament bestehen sollte. Das Verhalten Hindenburgs und seiner drei Reichskanzler Brüning, Papen und Schleicher sowie das Wahlverhalten der Bevölkerung, die in immer stärkerem Maße den Antidemokraten ihr Vertrauen schenkte, schwächten den Reichstag zusehends und schufen die Basis für dessen endgültige Entmachtung. Die Schritte zur Entmachtung durch die Nationalsozialisten und ihre Bundesgenossen hießen Auflösung, Neuwahl unter Ausnutzung aller Machtmittel, Ermächtigungsgesetz. Hitler wird Reichskanzler Ende Dezember 1932 und Anfang Januar 1933 waren viele politische Beobachter der Meinung gewesen, Hitler und seine NSDAP seien von der angepeilten Machtübernahme weit entfernt. Der spätere Bundespräsident und zeitweilige Reichstagsabgeordnete Theodor Heuss schrieb am 29. Dezember 1932 an den Industriellen Robert Bosch  : »Die Hitlerei dürfte sich bei ihrer gegenwärtigen Krise nicht mehr erholen.«8 Diese Einschätzung bewahrheitete sich nicht. Papen gelang es in seinen Gesprächen im Januar 1933, neben Hitler auch den DNVP-Vorsitzenden Hugenberg, den »1.  Bundesführer« des Stahlhelms

Hitler wird Reichskanzler 

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Franz Seldte und vor allem den Reichspräsidenten Hindenburg für ein Kabinett Hitler-Papen-Hugenberg zu gewinnen. Papen meinte in völliger Verkennung der Lage, die rechtsgerichteten Kreise um Hindenburg hätten Hitler »engagiert«. Hindenburg, der im August und im November 1932 noch energisch eine Kanzlerschaft Hitlers  – des »böhmischen Gefreiten«  – abgelehnt hatte, hatte seine Meinung geändert. Er beauftragte Papen Mitte Januar, Sondierungsgespräche zu führen. Am 22.  Januar 1933 nahmen auch Hindenburgs Sohn Oskar und Staatssekretär Meissner an den Gesprächen teil. Eine Regierungsbeteiligung der NSDAP lag in der Luft. Hindenburg war es, auch angesichts seines hohen Alters, leid, ständig in das politische Alltagsgeschäft und in den Streit verwickelt zu sein. Er wollte seine letzte Lebenszeit als überparteiliche historische Person verbringen. Er war nicht gewillt, den von Schleicher angestrebten Weg des verfassungswidrigen Staatsnotstandes zu gehen. Zu stark wird ihm noch die zum Teil bürgerkriegsartige Lage nach der Novemberrevolution vor Augen gestanden haben. Außerdem wurde er von der Kamarilla beeinflusst. Deren Protagonisten, vor allem der von Hindenburg und seinem Sohn geschätzte Papen, versicherten, Hitler für ihre Pläne »engagiert« zu haben und ihn »zähmen« zu können. Für die Kamarilla und Hindenburg lockte die Aussicht, Hitler könne für eine NSDAP-­DNVP-Regierung, etwa durch die Gewinnung des Zentrums, eine rechte Mehrheit im Reichstag hinter sich versammeln  – und damit das schaffen, was Brüning, Papen und Schleicher nicht gelungen war. Der Reichspräsident und sein Umfeld erwarteten, dass das neue Kabinett den seit dem Juli 1930 eingeschlagenen autoritären Regierungskurs fortsetzen werde. Warnungen vor Hitlers Person und Programm bewirkten nichts. Auch der Umstand, dass Hindenburg und sein Umfeld das gewalttätige Treiben und die gefährlichen Pläne der Nationalsozialisten zuletzt in den hitzigen Wahlkämpfen des Jahres 1932 (Reichspräsidentenwahl, preußische Landtagswahl, 6. und 7.  Reichstagswahl) hatten beobachten können, hinderte sie nicht, auf Hitler zu setzen. Am 30. Januar 1933 ernannte Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. Nachdem den führenden Nationalsozialisten Stimmenverluste, finanzielle Engpässe und ungeduldige Mitglieder Sorgen bereitet hatten, erfüllten sich jetzt überraschend schnell ihre Hoffnungen. Goebbels schrieb in sein Tagebuch  : »Es ist fast wie ein Traum. Die Wilhelmstraße gehört uns. Der Führer arbeitet bereits in der Reichskanzlei. […] Nun aber wird ausgeräuchert. In ein bis zwei Monaten haben wir Ruhe und Ordnung in Deutschland wiederhergestellt. Das neue Reich ist erstanden. […]«9 Otto Meissner behauptete nach dem Zweiten Weltkrieg, die Bildung der Regierung Hitler habe »den Regeln der parlamentarischen Demokratie« entspro-

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chen, und zitierte eine entsprechende Aussage des Reichsfinanzministers Schwerin von Krosigk im Wilhelmstraßenprozess 1946.10 Diese Behauptung ist falsch. Hitlers Kabinett war keine parlamentarische Regierung, weder der Art noch den Zielen nach. Sie hatte keine Reichstagsmehrheit hinter sich. Die Natio­ nalsozialisten kamen als stärkste Fraktion gemeinsam mit der DNVP-Fraktion nur auf 250 von 548 Sitzen (42,8 %). Allein wenn sie die katholischen Parteien zur Zusammenarbeit hätten bewegen können, hätten sie eine Mehrheit hinter sich gesammelt. Mit dem Zentrum und der BVP war aber keine Einigung zustande gekommen. Außerdem waren die meisten Reichsminister parteilos und waren wie Hitler nicht Mitglied des Reichstages. Sie waren antiparlamentarisch oder zumindest sehr parlamentskritisch eingestellt und hatten schon dem Präsidialkabinett Schleicher und zum Teil auch bereits der Vorgängerregierung Papen angehört. Die Regierung Hitler war daher ein weiteres Präsidialkabinett  – bereits das vierte seit dem März 1930 (und das 21. Kabinett seit 1919). Mit einer parlamentarischen Regierungsweise hatte das neue Kabinett nichts zu tun. Auch das weitere Vorgehen sollte offenbaren, wie wenig die neue Regierung eine parlamentarische war oder sein wollte. Die liberale Vossische Zeitung stellte das deutlich fest  : Aus der Regierungskrise sei ein Kabinett geboren worden, dem in den wichtigsten Portefeuilles Persönlichkeiten angehörten, »die aus ihrer Feindseligkeit gegen den Reichstag, aus ihrer Gegnerschaft gegen die Staatsform, aus ihrer Abneigung gegen die Verfassung« nie einen Hehl gemacht hätten und »deren ganze politische Arbeit auf die Beseitigung der parlamentarischen Kontrolle und der Verfassung von Weimar gerichtet« sei.11 Darauf komme ich sogleich zurück. Papen hatte Hindenburg versichert, Hitler zähmen zu können. Dementsprechend gehörten der neuen Reichsregierung neben Hitler nur zwei Nationalsozialisten (Hermann Göring und Wilhelm Frick) sowie ein DNVP-Mitglied (Alfred Hugenberg) an. Die übrigen Minister waren parteilose Rechtskonservative. Einige von ihnen wie Konstantin von Neurath (Außenminister), Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk (Finanzminister) und Paul von Eltz-Rübenach (Post- und Verkehrsminister) entstammten der Ministerialbürokratie und galten als Fachleute. Papen wurde Vizekanzler. Ohne Kabinettserfahrung waren neben den NSDAP-Mitgliedern und Hugenberg (vermeintlicher »Superminister« für Wirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung) der Stahlhelm-Bundesführer Franz Seldte (Arbeitsminister) und General Werner von Blomberg (Reichswehrminister). Letzteren hatte Hindenburg (gegen die Verfassung) schon wenige Stunden ernannt, bevor Hitler Reichskanzler wurde. Trotz des zahlenmäßigen Übergewichts der Rechtskonservativen misslang die »Zähmung« Hitlers und der NSDAP, die Papen, Hindenburg und der Beraterkreis um Hindenburg erhofft

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hatten, auf ganzer Linie. Hitler ließ sich weder zähmen noch einrahmen oder »engagieren«. Zwei Monate nach seiner Ernennung hielt er die ganze Macht in Reich und Ländern gesichert in seinen Händen. Bis zum Sommer schalteten die Nationalsozialisten alle politischen Gegner, alle Staatsorgane und bald auch die rechtskonservativen Kreise aus. Auch Hindenburg wurde an den Rand gedrängt und ausgeschaltet. Im Juli 1934 war der Machtanspruch Hitlers nicht einmal mehr einer innerparteilichen Opposition ausgesetzt. Die Nationalsozialisten machten von Beginn an alle tatsächlichen und potenziellen politischen Gegner unwirksam oder brachten sie »auf Linie«. Wie die Kabinettsakten zeigen, wirkten die parteilosen Minister in keiner Weise mäßigend auf Hitler, Frick oder Göring ein. Die nicht der NSDAP angehörenden Minister leisteten keinen ernst zu nehmenden Widerstand, als schon in den ersten Besprechung des Kabinetts die Ausschaltung des Reichstages, die Gleichschaltung der Länder oder der Boykott jüdischer Geschäfte in Ministerbesprechungen thematisiert und geplant wurden.12 Im weiteren Verlauf wurden sie an den Rand gedrängt, auch durch die spätere Vergrößerung des Kabinetts um weitere nationalsozialistische Minister wie Joseph Goebbels, Kurt Schmitt oder Walther Darré. Hugenberg gab sein Ministeramt am 29. Juni 1933 bereits wieder auf. Die rechtskonservativen Minister waren von Beginn an Erfüllungsgehilfen Hitlers und schließlich – mit Ausnahme Eltz-Rübenachs – auch Mitglieder der NSDAP (Seldte schon im April 1933, die übrigen durch die Verleihung des »Goldenen Parteiabzeichens« Ende Januar 1937). Die Auflösung des 7. Reichstages Der Ältestenrat des 7.  Reichstages hatte am 27.  Januar 1933 beschlossen, für den 31. Januar eine Plenarsitzung einzuberufen. Am Nachmittag des 30. Januar beschloss das Gremium auf Antrag des Zentrumsabgeordneten Hans Bell, die Plenarsitzung auf den 7.  Februar zu verschieben. Die Anträge der SPD- und der KPD-Fraktion, den Reichstag sofort einzuberufen, wurden abgelehnt. Die neue Regierung hatte ein großes Interesse an der Vertagung. Die sie stützenden Parteien NSDAP und DNVP besaßen im Reichstag keine Mehrheit. Zwar konnte das Kabinett mithilfe des Reichspräsidenten durch Notverordnungen Recht setzen. Von dieser Möglichkeit sollte es bald auch sehr weitgreifend Gebrauch machen.13 Aber solange der 7. Reichstag noch bestand, in dem die Regierungsparteien nicht die absolute Mehrheit besaßen, war die Regierungsmacht nur vorläufig und fragil. Bei einem Misstrauensvotum hätte das Kabinett Hitler

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zurücktreten müssen (Art.  54 S.  2 WRV). Jede Notverordnung hätte auf ein Verlangen des Reichstages außer Kraft gesetzt werden müssen (Art. 48 Abs. 3 S. 2 WRV). Im Vorwärts und in der KPD-Zeitung Der Kämpfer (Chemnitz) war am 31. Januar 1933 von geplanten Misstrauensanträgen der jeweiligen Reichstagsfraktion zu lesen.14 Besprechungen Hitlers und Fricks mit Vertretern des Zentrums, dem Parteivorsitzenden Ludwig Kaas und dem Fraktionsvorsitzenden Ludwig Perlitius, hatten nichts ergeben. Das Zentrum war nicht bereit, das Kabinett zu tolerieren, d. h. auch etwaige Misstrauensanträge mit abzulehnen. Auch zu einer (längerfristigen) Vertagung erklärte sich das Zentrum nicht sofort bereit. Die Partei übersandte am 31.  Januar 1933 einen umfangreichen Fragenkatalog zum Arbeitsprogramm der Regierung.15 Sie wollte unter anderem wissen  : welche Sicherheiten die Regierung dafür geben könne, dass ihre Maßnahmen sich im Rahmen der Verfassung halten würden  ; ob sie bereit sei, bald zu verfassungsgemäßen Zuständen in Preußen zurückzukehren  ; ob sie bereit sei, die größten sozialen Härten der Notverordnungen zu beseitigen, und wie dies geschehen solle  ; ob das Koalitionsrecht, die Sozialversicherung und das Tarifvertragsrecht fortbestehen sollten. Die Fragen wurden durch Zeitungsartikel öffentlich.16 Hitler beantwortete die Fragen des Zentrums nicht. Er hatte die Verhandlungen mit dem Zentrum ohnehin nur scheinbar mit ernsten Absichten geführt. Dies zeigt sein Verhalten nach der Übermittlung des Fragenkatalogs. Hitler erklärte die Verhandlungen ohne Umschweife für gescheitert, ohne auf die Fragen näher einzugehen. Mit seinem Vizekanzler Papen war er sich einig, dass bald eine Reichstagswahl anzusetzen sei und dass diese zugleich die letzte Neuwahl sein solle. »Eine Rückkehr zum parlamentarischen System sei unbedingt zu vermeiden.«17 Widerspruch erhob sich im Kabinett gegen diese Ausführungen nicht. Gerade die Ausschaltung des Parlaments entsprach den politischen Vorstellungen der rechtskonservativen Kreise, denen die parteilosen Minister angehörten. Hitler rechnete damit, bei den angestrebten Neuwahlen eine Mehrheit von 51 % für die die Regierung tragenden Parteien zu erhalten.18 Hindenburg hatte es Schleicher im Januar 1933 noch abgeschlagen, den Reichstag aufzulösen. Hitlers Bitte kam er am 1.  Februar 1933 nach. Hindenburg begründete die Auflösung mit der Behauptung, die Bildung einer arbeitsfähigen Mehrheit habe sich als nicht möglich herausgestellt und das Volk solle nun zu der neuen Regierung Stellung nehmen.19 Die Zentrumspartei verwahrte sich am 2. Februar 1933 – mit Recht – gegen die Behauptung, die Verhandlungen seien fruchtlos geblieben. Hitler hatte sie ja gerade kompromisslos abgebrochen, ohne auf die Fragen des Zentrums überhaupt einzugehen.

Kontrolle unerwünscht  : die Sprengung des Überwachungsausschusses 

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Kontrolle unerwünscht  : die Sprengung des Überwachungsausschusses Die Neuwahl wurde auf den 5. März 1933 festgesetzt. Mit der Auflösungsanordnung endete die 7. Wahlperiode des Reichstages sofort. Lediglich die in Art. 35 WRV genannten Ausschüsse für Auswärtiges und zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung (Überwachungsausschuss) bestanden in der »parlamentslosen Zeit« bis zum Zusammentritt des neu gewählten Reichstages fort. Die neue Reichsregierung war nicht gewillt, sich (bis zur Wahl oder danach) irgendeiner parlamentarischen Kontrolle zu stellen. Finanzminister Schwerin von Krosigk brachte dies in einer Ministerbesprechung schon am 31. Januar 1933 zum Ausdruck.20 Die NSDAP-Abgeordneten im Überwachungsausschuss verhinderten daher durch ihr Verhalten eine ordnungsgemäße Tagung des Gremiums. Der Vorsitzende des Überwachungsausschusses, der ehemalige Reichstagspräsident Löbe, hatte für den 7.  Februar 1933 eine Ausschusssitzung anberaumt. Der SPD-Abgeordnete Wilhelm Hoegner, der in der Sitzung als Ausschussmitglied anwesend war, erinnerte sich, wie die Nationalsozialisten mit brachialer Gewalt die Sitzung sprengten  : Kaum hatte der Vorsitzende dieses Ausschusses […] die Sitzung eröffnet, sprang der stellvertretende Vorsitzende, der nationalsozialistische Rechtsanwalt [und spätere Reichsminister, P.A.] Dr. [Hans] Frank  II von München auf und schrie Löbe mit überlauter Stimme zu, daß er die Frechheit besessen habe, im Lippeschen Wahlkampf [im Januar 1933, P.A.] den Führer der Nationalsozialisten einen slowakischen Hetzer zu nennen. Ein solcher Vorsitzender müsse sofort verschwinden, er sei für die nationalsozialistische Fraktion untragbar. Vergebens versuchte Löbe, die Anschuldigung zu bestreiten, gegen den Lärm der nationalsozialistischen Abgeordneten kam er nicht auf. Unflätige Zurufe, wie »Saukerl«, »Lump« und dergleichen hagelten auf uns herab. Die uniformierten Nazi sprangen auf und machten Miene, sich auf uns zu stürzen. Mit sich überschlagender Stimme brüllte Frank, daß die Nationalsozialisten künftig jede Sitzung des Überwachungsausschusses mit Gewalt verhindern würden. Schließlich erklärte Löbe die Sitzung für unterbrochen, wir verließen das Sitzungszimmer. Die Nationalsozialisten drängten nach und belegten uns fortwährend mit Schimpfworten wie »Judenschwein«, »Saujuden«, »Judenknechte«. Sie waren mit ihren besten Schlägern vertreten […]. Wir hörten gerade noch, wie Dr. Frank eigenmächtig und geschäftsordnungswidrig die Sitzung des Ausschusses für geschlossen erklärte.21

Das Vorgehen der NSDAP erfüllte den Tatbestand des § 105 StGB (Nötigung von Verfassungsorganen), blieb aber ungeahndet. Auf Löbes und Hoegners Be-

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schwerde beim Reichstagspräsidenten Göring versicherte dieser, die Abgeordneten der NSDAP würden sich bei der nächsten Sitzung, die dann am 14. Februar 1933 stattfand, ordentlich verhalten.22 Hoegner erinnerte sich  : Aber kaum hatte Löbe die Sitzung eröffnet, erhoben die Nationalsozialisten wieder ein schauerliches Gebrüll. [Der Abgeordnete Edmund, P.A.] Heines schlug wie ein Rasender unaufhörlich mit der Faust auf den Tisch. Dr. Frank, der stellvertretende Vorsitzende, trat auf Löbe zu, stieß ihn mit einem heftigen Ruck zur Seite, riß die Präsidentenglocke an sich und erklärte unter dem Beifallsgeschrei seiner Parteifreunde die Sitzung für geschlossen. […] Beim Verlassen des Zimmers wurde der Abgeordnete Morath von der Deutschen Volkspartei von einem Nationalsozialisten ins Gesicht geschlagen und in den Rücken gepufft. Wir unterrichteten die Presse, aber kein Staatsanwalt wagte es, die Aufhebung der Immunität der nationalsozialistischen Verbrecher zu beantragen. Reichspräsident und Reichstagspräsident schwiegen. […] So wenig gilt das Recht gegenüber der Macht.23

Staatsterror und Wahlkampf »Hitler […] nutzte die ihm zur Verfügung stehenden Mittel rigoros dazu, seine politischen Gegner auszuschalten und die eigene Machtbasis zu festigen und auszubauen.«24 Er veranlasste nach zwei Ministerbesprechungen25 die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes vom 4. Februar 193326. Diese Verordnung wurde – unter anderem von Göring und Frick27 – als »Schubkastenverordnung« (im Schrifttum auch  : »Schubladenverordnung«) bezeichnet, da sie bereits vom Kabinett Papen unter dem Eindruck des gewalttätigen BVG-Streiks im November 1932 vorbereitet, wenn auch nicht in Kraft gesetzt worden war.28 Die Verordnung ermächtigte die Regierung dazu, Versammlungen, Druckschriften und Geldsammlungen von Parteien zu verbieten. Zugleich enthielt sie Strafvorschriften und sah in §  22 »Schutzhaft« für bestimmte »Vergehen« vor. Die Verordnung ermöglichte es, den Wahlkampf der SPD und der KPD massiv zu behindern. Die Reichszentrale der KPD, das KarlLiebknecht-Haus in Berlin, wurde von der Politischen Polizei am 23. Februar 1933 durchsucht und geschlossen. Am selben Tag fand im Berliner Sportpalast die letzte Wahlkampfveranstaltung der Berliner KPD statt. Noch während der Spitzenkandidat der Partei für die preußische Landtagswahl, Wilhelm Pieck, sprach, löste die Polizei die Versammlung auf.

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9  Der ausgebrannte Plenarsaal des Reichstagsgebäudes. © akg-images Nr. 1194074.

Die neuen Machthaber beließen es aber nicht bei Verboten von Wahlkampfveranstaltungen, Demonstrationen oder Druckwerken. Sie griffen auch die Freiheit und körperliche Unversehrtheit ihrer politischen Gegner an. Die Grundlage dafür war – neben der Schubkastenverordnung – die am 28. Februar 1933 erlassene »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat«. Sie ist vor allem unter dem Namen »Reichstagsbrandverordnung« bekannt. Ihr Anlass war nämlich der Reichstagsbrand am Abend des 27. Februar 1933, bei dem der Plenarsaal vollständig zerstört wurde (viele Gebäudeteile aber intakt blieben). Den Demokraten muss er wie ein Fanal für die Zukunft der Republik erschienen sein. Dem heutigen Betrachter stellt er sich ohne Zweifel so dar. Denn wer auch immer den Brand gelegt oder dazu angestiftet hatte, ob es der verhaftete und später hingerichtete niederländische Anarchist Marinus van der Lubbe war oder jemand anderes (ggf. im Zusammenwirken mit van der Lubbe)  :29 Die Regierung Hitler nutzte ihn umgehend aus. Die einen Tag nach dem Brand erlassene Verordnung wurde, wie es in ihrem Einleitungssatz heißt, »zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte« erlassen. Auf diese Weise wurde der Bezug zum Reichstagsbrand und der angeblichen von Kommunisten begangenen Brandstiftung hergestellt. Die Verordnung setzte »bis auf weiteres« (im Ergebnis bis zum Ende des NS-Regimes 1945) die meisten Grundrechte außer Kraft.

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Auch die zweite Verordnung vom 28. Februar 1933, die »Verordnung gegen Verrat am Deutschen Volke und hochverräterische Umtriebe« diente der Unterdrückung Oppositioneller. § 6 Abs. 1 dieser Verordnung stellte die Herstellung, Verbreitung oder die Bevorratung verschiedener Druckschriften als Hochverrat (§§ 81 bis 86 StGB) unter Strafe. Erfasst waren unter anderem Druckschriften, die zum »Streik in einem lebenswichtigen Betrieb, Generalstreik oder anderen Massenstreik« aufforderten oder anreizten. Der Einsatz eines wichtigen Mittels vor allem der linken Opposition – des Streiks – sollte auf diese Weise verhindert werden. Rudolf Morsey hat dies auf den Punkt gebracht  : »Nach diesen drei aufeinander bezogenen Notverordnungen Hindenburgs vom 4. und 28. Februar befand sich das Deutsche Reich in einem permanenten Ausnahmezustand. Durch ihn erhielten Verfolgung und staatliche Terrorisierung politischer Gegner den Anschein der Legalität und wurden rechtsstaatliche Verfahren durch Polizeimaßnahmen verdrängt.«30 Der Legalitätsschein konnte viele Staatsbedienstete davon überzeugen, dass die Befehle der neuen Machthaber zu befolgen waren. Die drei zitierten Verordnungen lassen sich – im Zusammenspiel mit dem »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich« (sog. Ermächtigungsgesetz) vom 24. März 193331 – als »Verfassungsurkunde des Dritten Reiches«32 bezeichnen. Der Rechtsstaat bestand für tatsächliche und mögliche Gegner des Regimes faktisch nicht mehr. Göring war Anfang Februar 1933 zum Reichskommissar für das preußische Innenministerium ernannt worden. Er garantierte in einem Befehl vom 17. Februar 1933 Polizisten, die gegen »Staatsfeinde« von der Schusswaffe Gebrauch machten, Straffreiheit. Am 22.  Februar 1933 ordnete Göring an, Angehörige der SA, der SS und des deutschnationalen Wehrverbandes Stahlhelm in Preußen als »Hilfspolizisten« einzusetzen. Damit wurden die Polizeikräfte um ca. 40.000 SA- und SS-Leute sowie rund 10.000 Stahlhelm-Leute vergrößert.33 In der Nacht nach dem Reichstagsbrand ließ er – schon vor der Bekanntgabe der Reichstagsbrandverordnung – alle Büros der KPD in Preußen schließen und die »Schutzhaft« für alle Abgeordneten und Parteifunktionäre der KPD anordnen. Die SA-Männer, von Lion Feuchtwanger in seinem Roman »Die Geschwister Oppermann« (1933) als »Landesknechte« bezeichnet, suchten angebliche und tatsächliche Oppositionelle sowie missliebige Künstler wie eine Soldateska des Dreißigjährigen Krieges heim. Nicht nur Kommunisten, sondern auch Sozialdemokraten, Zentrumsleute und andere politische Gegner der NSDAP wurden drangsaliert, körperlich attackiert und verhaftet. Der Begriff »Schutzhaft« war nur ein zynischer Euphemismus für die willkürliche Haft, die von einem Richter weder angeordnet noch überprüft wurde. Geschützt werden müssen hätten die

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Verhafteten vor denjenigen, die sie einsperrten. Allein in Berlin gab es mehr als 170 SA-Sturmlokale, SA-Heime, Keller, leere Werkshallen und Baracken, in denen die SA politische Gegner als »Schutzhäftlinge« gefangen hielt und folterte.34 In den Wochen nach dem Reichstagsbrand wurden mehr als 7000 Kommunisten35 (davon allein rund 1500 in Berlin36) und zahlreiche Sozialdemokraten sowie linke Intellektuelle wie Erich Mühsam, Carl von Ossietzky und Egon Erwin Kisch festgenommen. Auch vor Mandatsträgern machten die neuen Machthaber nicht halt. Verhaftet wurden der KPD-Parteivorsitzende und Reichstagsabgeordnete Ernst Thälmann sowie weitere Abgeordnete der KPD und der SPD37. Die Immunität (Art.  37 WRV) schützte sie nicht, da im Zeitraum zwischen der Auflösung und der Konstituierung des Reichstages die Immunität nur für die in Art. 40a WRV genannten Personen galt.38 Geschützt waren in der »parlamentslosen Zeit« allein der Reichstagspräsident, seine Stellvertreter und die ständigen und ersten stellvertretenden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses und des Überwachungsausschusses). Die Reichstagsmehrheit lehnte den Antrag auf Haftentlassung der SPD-Abgeordneten ab – mit der perfiden Begründung, es wäre »unzweckmäßig […], die Herren des Schutzes zu berauben, der ihnen durch die Verhängung dieser Haft zuteil geworden« sei.39 Auch Landtagsabgeordnete der linken Parteien waren von Verhaftungen und Misshandlungen betroffen. Die Zahl der allein in Preußen polizeilich registrierten Verhaftungen lag im März und April 1933 bei rund 25.000.40 Die Zahl der massenhaften Verhaftungen durch die SA und die SS lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Im März wurden reichsweit die ersten Konzentrationslager unter Kontrolle der SA errichtet. Das erste KZ auf deutschem Boden war das Lager, das am 3. März im Gebäude der »Heimatschule Mitteldeutschland e.V.« in Nohra bei Weimar errichtet wurde. In diesem kurzzeitigen KZ wurden 220 Kommunisten gefangen gehalten. Im März wurden weitere Lager errichtet, darunter das KZ Dachau, das KZ Oranienburg und elf frühe (und nach einer gewissen Zeit nicht mehr genutzte) Lager in Berlin41. Die Konzentrationslager sollten nicht nur der Inhaftierung und Misshandlung missliebiger Personen dienen, sondern auch noch nicht inhaftierte politische Gegner und die übrige Bevölkerung einschüchtern.42 Das KZ Dachau, das bis 1945 existierte, wurde »das Modell des terroristischen Imperiums, in dem Personal ausgebildet, Methoden der Repression erprobt und die Eliten des Verfolgungssystems rekrutiert und geschult wurden.«43 Viele der gefährdeten Kommunisten und Sozialdemokraten tauchten in den kommenden Tagen und Wochen unter. Sofern sie den NS-Häschern entkommen konnten, emigrierten die meisten von ihnen kurze Zeit später. Aus den Reihen der KPD ging im März etwa der Reichstagsabgeordnete und Verleger

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Wilhelm (Willi) Münzenberg ins französische Exil. Vonseiten der SPD flohen Otto Landsberg, Philipp Scheidemann, Sidonie »Toni« Sender, Marie Juchacz und Albert Grzesinski. Scheidemann und Landsberg hatten zu den Gründungsvätern der Weimarer Republik gehört. Scheidemann hatte am 9. November 1918 die Republik ausgerufen. Er und Landsberg hatten dem Rat der Volksbeauftragten und der ersten Reichsregierung nach 1918 angehört. Marie Juchacz hatte als erste Frau vor einem deutschen Parlament gesprochen.44 Albert G ­ rzesinski war Berliner Polizeipräsident und preußischer Innenminister gewesen. Der SPD-Reichstagabgeordnete Wilhelm Sollmann war am 9. März 1933 von SAund SS-Leuten in seinem Haus und in der Kölner NSDAP-Zentrale schwer misshandelt und lebensgefährlich verletzt worden. Er floh ins Saargebiet. Auch Landespolitiker wie der preußische Ministerpräsident Otto Braun emigrierten. Linksgerichtete Zeitungen und Verlage wurden von den neuen Machthabern geschlossen. Die KPD-Zeitung Rote Fahne war das letzte Mal am 26. Februar 1933 erschienen. Sie hatte einen Wahlaufruf für die KPD abgedruckt und die Regierung Hitler kritisiert. Auf ihrer zweiten Seite hatte sie von der Besetzung und Schließung des Karl-Liebknecht-Hauses berichtet. Die Verfolgung politisch missliebiger Personen führte schon seit dem Februar 1933 zu einem kulturellen Aderlass unvorstellbaren Ausmaßes. Rund 5000 der ca. 30.000 Personen, die ins Exil gingen, lassen sich zur kulturellen Elite z­ ählen. Unter den Exilanten waren auch 30 aktuelle oder spätere Nobelpreisträger (z. B. Thomas Mann und Albert Einstein).45 Prominente jüdische und demokratisch eingestellte Journalisten, darunter der Theaterkritiker Alfred Kerr und die Chefredakteure des Berliner Tageblatts und der Vossischen Zeitung, Theodor Wolff und Georg Bernhard (M.d.R. von 1928 bis 1930), flohen ins Ausland. Heinrich Mann und Samuel »Billy« Wilder emigrierten schon vor dem Reichstagsbrand. Danach gingen Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Alfred Kantorowicz, Klaus Mann, Gabriele Tergit46 sowie der Schauspieler Ernst Busch ins Exil. Der Staatsterror der kommenden zwölf Jahre gegen politisch Andersdenkende zeigte sich in den Wochen von der »Machtergreifung« bis zur Reichstagswahl zum ersten Mal in aller Deutlichkeit. Die KPD wurde in den Wochen nach dem Reichstagsbrand durch schlagartig Ende Februar einsetzende Verhaftungen und durch die Flucht vieler Funktionäre und Mandatsträger sowie durch Versammlungs- und Publikationsverbote ausgeschaltet. Ihre Organisation wurde in kürzester Zeit zerschlagen. Auf einen organisierten Widerstand gegen ein autoritär und skrupellos agierendes Regime war die KPD nicht vorbereitet. Sie hatte seit dem Ende der 1920er Jahre vor allem gegen die SPD als Partei des vermeintlichen »Sozialfaschismus« agitiert.

Staatsterror und Wahlkampf 

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Deswegen und weil die SPD die Regierung nicht reizen wollte, blieb der Aufruf des ZK der KPD zum Generalstreik vom 30.  Januar 1933, den die KPD unter anderem auch an die Sozialdemokraten, die christlichen Gewerkschaften und den ADGB gerichtet hatte, fast ohne Echo. Nur an wenigen Orten kam es zu Streiks und Demonstrationen. Ein kommunistischer Aufstand hätte außerdem wohl zu einem Eingreifen der Reichswehr geführt. Die antidemokratische KPD traf ohnehin in weiten Bevölkerungskreisen auf Ablehnung. Die Aussage der neuen Regierung, den Kommunismus bekämpfen zu wollen, fand daher viel Sympathie, wenngleich die gegen die Anhänger und Funktionäre der KPD eingesetzten Mittel von vielen Bürgern nicht gebilligt worden sein dürften. Verboten wurde die KPD allerdings nicht. Die Nationalsozialisten befürchteten wohl, die KPD-Sympathisanten könnten in diesem Fall bei der anstehenden Reichstagswahl zur SPD abwandern.47 Dies hätte den Sozialdemokraten ein sehr großes politisches Gewicht verliehen und vielleicht sogar die Pläne Hitlers erschwert. Die neuen Machthaber nutzten ihre Machtmittel nicht nur zur Zerstörung der KPD. Sie behinderten von Beginn an auch den Wahlkampf der republikfreundlichen demokratischen Parteien massiv und flächendeckend durch behördliche Anordnungen und Gewalttaten der SA. Die Behörden verboten viele Publikationen, die von den Weimarer Parteien herausgegeben wurden oder ihnen nahestanden. Der sozialdemokratische Vorwärts erschien zum letzten Mal am 28. Februar 1933, dem Tag nach dem Reichstagsbrand. Auch zentrumsnahe Zeitungen wurden im Februar und März zeitweise verboten. Ein Verbotsanlass war, dass mehrere Zeitungen einen mutigen Aufruf der katholischen Organisationen und Verbände abgedruckt hatten. Er hatte alle Diktaturbestrebungen abgelehnt und Hitlers Ziele und Methoden als »Bolschewismus unter nationalen Vorzeichen« verurteilt.48 Neben Publikationen wurden auch Veranstaltungen verboten. Carl Severing erinnerte sich, er habe im Wahlkampf nur an zwei Orten sprechen dürfen. Alle anderen Versammlungen, bei denen er habe auftreten sollen, seien »aus Gründen der öffentlichen Sicherheit« verboten worden.49 Die Nationalsozialisten richteten sich gegen die Wahlkundgebungen ihrer politischen Gegner. Die SA attackierte brutal mehrere Veranstaltungen der SPD. Sie mussten abgebrochen werden. Albert Grzesinski schrieb an Parteisekretäre, die ihn als Wahlkampfredner gewinnen wollten  : »Mir sind mehrere Versammlungen gesprengt worden, und ein erheblicher Teil der Versammlungsbesucher musste schwer verletzt weggeschafft werden. […] In Hindenburg ist Genosse Nölting mit knapper Not dem Totschlag entgangen. Bei mir war es in Langenbielau ähnlich. Einer meiner Begleiter wurde niedergeschlagen.«50 Grzesinski verließ schließlich Deutschland.

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Die Entmachtung des Reichstages

Josef Felder erinnerte sich, dass Nationalsozialisten während einer Wahlkampfkundgebung, an der er als Redner teilnahm, »in das Versammlungslokal schossen«. An manchen Orten sei er vor der Versammlung zu seinem Schutz von Reichsbannerleuten vom Zug abgeholt und nach der Veranstaltung wieder zur Bahn geleitet worden.51 Der SPD-Parteivorstand beschloss, besonders gefährdete Redner nicht mehr öffentlich auftreten zu lassen. Der Kölner Reichstagsabgeordnete Otto Gerig (Zentrum) sprach auf einer Kundgebung am 17.  Februar 1933 vom schwersten Wahlkampf seit der Zeit des Kulturkampfs (des Kaiserreichs gegen die katholische Kirche in den 1870er Jahren). Nach den Erinnerungen Wilhelm Hoegners (SPD) griff die SA im katholischen Rheinland und in der Pfalz besonders Zentrumsversammlungen an. »Der frühere Reichsminister Stegerwald wurde mit Kopfhieben niedergeschlagen, Brüning mußte in Kaiserslautern vor der Wut der Nationalsozialisten Hals über Kopf aus der Stadt gerettet werden.«52 Wahlplakate wurden beschlagnahmt, Zeitungsredaktionen und Parteigeschäftsstellen von SA-Trupps überfallen  ; die Übertragung einer Wahlkampfrede Brünings im Rundfunk wurde verboten.53 SA-Leute nahmen am 9. März 1933 den oberschlesischen Zentrumsführer und Reichstagsabgeordneten, den Prälaten Ludwig Ulitzka, in »Schutzhaft« und misshandelten ihn. Absurd und frech sind daher die Bemerkungen Papens in seinen Erinnerungen, es sei »wohl möglich«, dass in Preußen die Reichstagsbrandverordnung benutzt worden sei, um die Wahlkampagne der Opposition einzuschränken.54 Die Behinderung des Wahlkampfes war nicht »wohl möglich«, sondern geschah unabweisbar und für jedermann erkennbar. Doch dies wollte der Mann, der »als Reichskanzler […] überfordert, als Steigbügelhalter Hitlers erfolgreich [und] als dessen Vizekanzler einflußlos«55 war, der »einer der blutigsten Dilettanten auf dem Kanzlersessel«56 war, im Rückblick nicht eingestehen. Er setzte – wie viele Täter und Mitläufer – darauf, Ereignisse herunterzuspielen oder die Verantwortung anderen zuzuweisen. Beschwerden der drangsalierten demokratischen Parteien bei Hitler57, bei Hindenburg58 oder im Preußischen Staatsministerium59 waren erfolglos. Wilhelm Hoegner erinnerte sich, dass sich bekannte SPD-Mitglieder wie Otto Wels, Rudolf Breitscheid, Wilhelm Dittmann oder Arthur Crispien seit Mitte Februar 1933 in München oder in Salzburg aufhielten. Sie hofften, in Bayern, dessen Regierung keine Nationalsozialisten angehörten, vor Übergriffen sicher zu sein.60 Nach der Machtübernahme der NSDAP in Bayern am 9.  März 1933 waren die SPD-Funktionäre auch dieses Schutzes beraubt. Wilhelm Hoegner schildert in seinen Erinnerungen eindrucksvoll, wie er seine Familie und sich versteckte und so einer Hausdurchsuchung – er spricht bildhaft

Staatsterror und Wahlkampf 

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von »Heimsuchung« – und Verhaftung durch die SS entging.61 Der abgesetzte bayerische Innenminister Karl Stützel (BVP) wurde noch in der Nacht in das »Braune Haus«, die NSDAP-Parteizentrale, verschleppt und dort misshandelt. Immer wieder wurde und wird beklagt, die demokratischen Parteien hätten sich gewissermaßen kampflos in ihr Schicksal gefügt. Diese pauschale Aussage trifft nicht zu. Zwar wurde der Wahlkampf der demokratischen Parteien massiv behindert. Dennoch versuchten die Parteien, weiterhin für ihre Anhänger sichtbar zu sein und Wahlkampf zu betreiben. Außerdem gab es immer wieder mutige Politiker, die sich den Nationalsozialisten in den Weg stellten. Der seit 1924 amtierende bayerische Ministerpräsident Heinrich Held (BVP) gehörte zu ihnen. Er widersetzte sich seiner Absetzung, bis es nicht anders ging. Der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer (Zentrum) weigerte sich, Reichskanzler Hitler am 17. Februar 1933 auf dem Kölner Flughafen zu empfangen, den Rhein beleuchten zu lassen und städtische Gebäude zu beflaggen. Hakenkreuzfahnen auf der Deutzer Brücke ließ er entfernen. Die SPD-Reichstagsfraktion zeigte im März demonstrativ, dass sie die neue Regierung ablehnte. Darauf werde ich noch zurückkommen. Doch muss man auch feststellen, dass den demokratischen Parteien nur geringe und vor allem demonstrative Widerstandsmöglichkeiten blieben. Die entschlossen, gewalttätig und skrupellos auftretenden neuen Machthaber, die sich der Polizei und der paramilitärischen Kampfverbände SA, SS und Stahlhelm bedienten, konnten durch Zivilisten nicht gestoppt werden. Die preußische Regierung, die Preußen zu einem demokratischen Bollwerk mit einer starken Polizei ausgebaut hatte, konnte keinen effektiven Widerstand mehr leisten. Die Reichsregierung Papen hatte die Regierung unter Ministerpräsident Braun  – wie oben geschildert  – durch den »Preußenschlag« am 20.  Juli 1932 entmachtet. Seitdem waren viele dezidiert demokratisch gesinnte Beamte in der Verwaltung und der Polizei entlassen worden. Außerdem war die Unterstützung der Bevölkerung für die Weimarer Parteien für einen erfolgversprechenden Widerstand, und wäre er nur passiv gewesen, nicht ausreichend. Die mangelnde Unterstützung der Demokraten hatte sich bei den beiden Wahlen im Juli und im November 1932 gezeigt. Die liberalen Parteien DStP und die DVP waren zu bloßen Splittergruppen ohne schlagkräftige Organisation und ohne breite Anhängerschaft herabgesunken. Die SPD, das Zentrum und die BVP hatten sich zwar auf einem gewissen Niveau stabilisiert. Ihre Wählermilieus widerstanden der NSDAP. Die SPD und die Gewerkschaften verfügten noch über viele Mitglieder und einen hohen Organisationsgrad. Dasselbe gilt für die katholischen Vereine und Gewerkschaften. Aber die traditionellen Milieus waren nicht mehr stark genug. Die SPD und die beiden katholischen

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Die Entmachtung des Reichstages

Parteien waren bei den Wahlen im Jahr 1932 auf rund 35 % gekommen. Das war zu wenig, um sich zum aktiven Widerstand bereit zu finden – zumal die staatstragenden Parteien Gewalt als Mittel der Politik zu Recht ablehnten. Überdies war das Zentrum über den Umgang mit der NSDAP und der von ihr geführten Regierung uneins. Teile der Partei hatten noch im Januar 1933 eine Koalition mit der NSDAP oder eine Tolerierung der Regierung Hitler befürwortet. Da viele Arbeiter nicht (mehr) die SPD, sondern die KPD oder die ­NSDAP wählten, die Arbeiterschaft also politisch gespalten war, konnte ein von der SPD angeführter Generalstreik nicht zustande kommen. Falls doch, hätte er mit Sicherheit zu schärfsten Reaktionen der Regierung geführt und wäre letztlich gewaltsam beendet worden. Außerdem musste ein großer Streik der Regierung angesichts von sechs Millionen Arbeitslosen wenig eindrucksvoll erscheinen. Letztlich sprach auch die Haltung eines großen Teils der Bevölkerung gegen einen aktiven Widerstand der demokratischen Parteien. In den Augen vieler Deutscher hatten die Weimarer Parteien wie das von ihnen gestützte »System« abgewirtschaftet. Die Parteien hatten – so meinten viele – die Wirtschaftskrise nicht lösen und die Arbeitslosenzahlen nicht senken können. Zwar war der Einfluss der Parteien und des Reichstages spätestens seit 1932 minimal. Präsidialkabinette regierten seit dem März 1930  ; seit dem Mai 1932 sogar ohne echte Rückbindung an die Parteien und gegen die Volksvertretung. Aber das störte das landläufige Misstrauen gegen das parlamentarische System und seine vermeintlichen Exponenten nicht. Schon in den ersten Monaten der Regierung Hitler flankierte ein »weitverbreitete[r] Wunsch nach Selbstgleichschaltung«62 die Maßnahmen des Regimes. Die NSDAP nutzte ihre Machtstellung für einen groß angelegten Wahlkampf. Hitler sprach im Rundfunk, trat am 10. Februar 1933 im Sportpalast bei einer Großkundgebung auf und nutzte die Automobilausstellung für eine »sehr geschickte Propagandarede«, wie der DNVP-Mann Reinhold Quaatz am 11. Februar 1933 notierte63. Auch andere Parteiprominente wie Göring oder Goeb­ bels absolvierten Wahlkampfauftritte. Ihre verbrecherischen Ziele versteckte die NSDAP keineswegs. Göring beschrieb seine Amtsführung am 3.  März 1933 in Frankfurt am Main  : »Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben, hier habe ich nur zu vernichten und auszurotten, weiter nichts  !«64 Die von der DNVP geführte »Kampffront Schwarz-Weiß-Rot« hielt ebenfalls Kundgebungen ab, darunter eine im Berliner Sportpalast. Das Problem der DNVP blieb  : Massenwirksam waren diese Auftritte nicht. Sie wurden vor allem von Anhängern der alten, vorrevolutionären Ordnung wie dem Hohenzollernprinzen Oskar und Stahlhelmfunktionären besucht.

Der 8. Reichstag 

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Der 8. Reichstag Das Wahlergebnis vom 5. März 1933

Die Wahl zum 8. Reichstag vom 5. März 1933 brachte der NSDAP (43,9 %) und der »Kampffront Schwarz-Weiß-Rot« (8 %) eine absolute Mehrheit. Die NSDAP hatte mit 288 von 647 Mandaten einen Wahlsieg errungen. Frick, Göring und Goebbels erwarben erneut ein Mandat. Hitler wurde zum ersten Mal Abgeordneter.65 Die »Kampffront Schwarz-Weiß-Rot«, auf deren Wahlvorschlägen DNVP-Mitglieder sowie parteilose Stahlhelm-Leute und Rechtskonservative standen, hatte 52 Sitze erreicht. Der DNVP-Fraktion schloss sich der eine Abgeordnete des WBWB an. Obwohl der Wahlkampf von dem beschriebenen »Straßenterror der NS-Milizen geprägt« war, der zu 50 Toten bei den Gegnern der Nationalsozialisten geführt hatte,66 entschied sich knapp die Hälfte der Wähler gegen die NSDAP. Die Hitler-Partei schaffte es nie, in Wahlen, in denen mehr als eine Partei antrat, allein eine absolute Mehrheit im Reichstag zu erhalten. So wie Hitler nicht durch eine Wahl, sondern durch eine Ernennung an die Macht kam, wurde er auch nie in einer freien Wahl als Regierungschef bestätigt. Franz von Papens Behauptung, das deutsche Volk habe ein »unzweideutiges Votum für Hitler abgegeben« und könne seine »Verantwortung dafür […] auf niemanden abwälzen«67, ist nicht nur inhaltlich falsch. Es handelt sich hierbei um den durchsichtigen Versuch, die eigene Rolle  – zuerst als Steigbügelhalter und dann als Vasall Hitlers – kleinzuschreiben. Partei

Stimmenanteil

Sitze im 8. Reichstag

NSDAP

43,9 %

288

SPD

18,3 %

120

KPD

12,3 %

81

Zentrum

11,2 %

74

8 %

52

BVP

2,7 %

18

DVP

1,1 %

2

Kampffront Schwarz-Weiß-Rot (unter anderem DNVP, Stahlhelm)

CSVD

1 %

4

DStP

0,9 %

5

DBP

0,3 %

2

WBWB

0,2 %

1

insgesamt

/

647

227

228

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Die Entmachtung des Reichstages

Die SPD, die katholischen Parteien und die KPD verzeichneten nur leichte Verluste. Das katholische sowie das sozialdemokratische und das kommunistische Milieu blieben gegenüber dem Nationalsozialismus – trotz aller Beschränkung und NS-Wahlpropaganda  – immun.68 Allerdings zeigte sich  – wie schon bei den vorherigen Wahlen –, dass die Milieus zahlenmäßig seit 1918 geschrumpft waren. Die SPD wurde bei Weitem nicht von allen (Fach-)Arbeitern und Angestellten gewählt, das Zentrum von nicht einmal 40 % der außerhalb Bayerns lebenden Katholiken69. Die Kommunisten erzielten, obwohl sie faktisch keinen Wahlkampf hatten betreiben können, immerhin noch 81 Mandate. Nahezu aufgerieben waren die liberalen und kleineren rechten Parteien. Die DStP (0,9 %) erreichte ihre fünf Mandate nur durch einen gemeinsamen Reichswahlvorschlag mit der SPD. Die Kleinparteien DVP, CSVD, DBP und DHP traten in den Wahlkreisen getrennt, aber mit einem gemeinsamen Reichswahlvorschlag an. Sie erhielten zusammen 2,5 % und gerade einmal acht Mandate  : Die DVP und die DBP entsandten je zwei und der CSVD vier Abgeordnete. Die DHP und die Wirtschaftspartei schieden aus dem Reichstag aus. Die NSDAP wurde in nahezu allen Wahlkreisen stärkste Partei. Nur im Wahlkreis 20 (Köln-Aachen) und im Wahlkreis 21 (Koblenz-Trier) errang das Zentrum ein Mandat mehr. Im Wahlkreis 23 (Düsseldorf West) erreichten die NSDAP und das Zentrum jeweils sechs Mandate. Rechnet man die Stimmen der radikalen, demokratiefeindlichen Parteien NSDAP, DNVP und KPD zusammen, zeigt sich  : Fast zwei Drittel der Wähler hatten gegen die bisherige Republik gestimmt. Bei einer Wahlbeteiligung von nahezu 89 % war dies ein klares Zeichen  : Die Weimarer Republik war abgewählt worden.70 Die Fraktionen

Fünf Fraktionen bildeten sich  : NSDAP, SPD, Zentrum, DNVP und BVP. Der DNVP-Fraktion gehörten drei Abgeordnete als Gäste an. Zwei davon, Vizekanzler Franz von Papen und Arbeitsminister Franz Seldte, hatten als Parteilose auf der Liste »Kampffront Schwarz-Weiß-Rot« kandidiert. Sie waren über den Reichswahlvorschlag ins Parlament gelangt. Der dritte Gast der DNVP-Fraktion, Heinrich Haag, war im Wahlkreis 31 (Württemberg) auf der Liste des WBWB (Landbund) gewählt worden. Die KPD-Abgeordneten, die ihrer Stärke nach theoretisch eine Fraktion hätten bilden können, aber zumeist verhaftet, untergetaucht oder ins Ausland geflohen waren, trafen sich nach der Wahl zu keiner Sitzung und bildeten keine Fraktion. 13 Mitglieder des Reichstages gehörten

Das Ermächtigungsgesetz 

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keiner Fraktion an  : die fünf Mitglieder der DStP, die vier Mitglieder des CSVD, die zwei Mitglieder der DBP und die zwei Mitglieder der DVP. Das Ermächtigungsgesetz Hitlers Absichten

Hitler wollte sich nicht mit einer parlamentarischen Mehrheit begnügen. Er wollte die Demokratie abschaffen und unumschränkt herrschen. Vom Reichstag, dem Reichsrat oder dem Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten wollte er nicht abhängig sein. Bereits am 31.  Januar 1933, einen Tag nach seiner Ernennung, hatte er in einer Ministerbesprechung angekündigt, der neu gewählte Reichstag solle der letzte Reichstag sein.71 Im vertraulichen Gespräch mit Reichswehrgenerälen am 3. Februar 1933 hatte Hitler seine Absichten bekräftigt. Generalleutnant Curt Liebmann hatte die zweieinhalbstündige Unterredung stichpunktartig zusammengefasst. Hitler nannte als Ziele unter anderem  : »Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel. […] Todesstrafe für Volks- und Landesverrat. Straffste autoritäre Staatsführung. Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie«.72 Um vollständig allein herrschen zu können, sollte alle Macht beim Reichskanzler und »Führer« der NSDAP und seiner Regierung konzentriert werden. Die übrigen an der Gesetzgebung beteiligten Verfassungsorgane, der Reichstag, der Reichsrat und der Reichspräsident, auf dessen Ernennungsbefugnis (Art. 53) und Notverordnungen (Art. 48 Abs. 2 WRV) die Macht der neuen Regierung noch beruhte, sollten kurz- und mittelfristig ausgeschaltet werden. Die Staatsorganisation des Reiches sollte vollständig umgebaut werden. Um zumindest den Anschein der Legalität zu wahren und so leichter Beamte und Bürger für sich zu gewinnen, wollten sich die Nationalsozialisten nicht auf das Verordnungsrecht des Reichspräsidenten stützen oder einfach ihre seit dem 30. Januar 1933 erlangten Machtmittel einsetzen. Vielmehr sollte der Reichstag nach ihrem Willen ein Gesetz verabschieden, das sie ermächtigte, selbst Gesetze zu erlassen. Bereits 1932 hatte Hitler den Plan eines solchen Gesetzes formuliert. Ermächtigungsgesetze waren der Weimarer Republik nicht fremd. Schon während des Krisenjahres 1923 hatte die Minderheitsregierung Marx sich nach dem Ende der Kanzlerschaft Stresemanns (November 1923) vom Reichstag befristet zum Verordnungserlass ermächtigen lassen. Auch Reichspräsident Ebert hatte Verordnungen nach Art. 48 Abs. 2 WRV erlassen. Auf diesem Wege hatten der Präsident und die Regierung die Inflationskrise überwunden und die Republik für die nächsten Jahre stabiler gemacht. Nach der Krise war der Reichstag wieder

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Die Entmachtung des Reichstages

zum alleinigen Gesetzgeber geworden. Aber Hitler und seinen Parteigängern schwebte ein gänzlich anderes Ermächtigungsgesetz vor. Sie wollten das Parlament, den Reichsrat und den Reichspräsidenten dauerhaft entmachten und die Weimarer Republik vollständig beseitigen. Die Reichsregierung sollte vom Reichstag ermächtigt werden, selbst Gesetze zu erlassen, und zwar auch verfassungsändernde Gesetze, sowie diese Gesetze selbst ausfertigen zu dürfen. So müsste sich die Regierung auf die anderen Staatsorgane nicht mehr stützen und diese auch nicht mehr überzeugen. Zugleich würde sie diese als Quelle möglicher Opposition ausschalten. Zwei Tage nach der Reichstagswahl sprach Hitler das Thema in einer Ministerbesprechung an  : »Notwendig sei ein Ermächtigungsgesetz mit einer Zweidrittelmehrheit. Er, der Reichskanzler, sei fest davon überzeugt, daß der Reichstag ein solches Gesetz beschließen werde. Die Abgeordneten der KPD würden bei der Eröffnung des Reichstags nicht in Erscheinung treten, weil sie sich in Haft befänden.«73 Diese Einschätzung wiederholte er eine Woche später.74 Göring war in beiden Sitzungen derselben Ansicht.75 Auf die Frage des Ministers Hugenberg, ob eine Mitwirkung des Reichspräsidenten an den Gesetzen, die aufgrund des geplanten Ermächtigungsgesetzes verabschiedet würden, vorgesehen sei, antwortete der Staatssekretär im Reichspräsidialamt und Hindenburg-Berater Otto Meissner, »daß die Mitwirkung des Herrn Reichspräsidenten nicht erforderlich sei. Der Herr Reichspräsident werde die Mitwirkung auch nicht verlangen. Immerhin sei es vielleicht zweckmäßig, bei einigen Gesetzen, die von besonderer Bedeutung seien, auch die Autorität des Herrn Reichspräsidenten einzuschalten.«76 Damit war klar, dass eine »Zähmung« der Nationalsozialisten durch den Reichspräsidenten nicht zu erwarten war. Das Konzept der DNVP und der übrigen Rechtskonservativen, Hitler einzubinden, ihn »sich zu engagieren«, war schon zu diesem Zeitpunkt als gescheitert anzusehen.77 Verfassungsrechtliche Hürden

Das von Hitler geplante Ermächtigungsgesetz änderte die Verfassung in ihren Grundfesten. Ein verfassungsänderndes Gesetz benötigte die Anwesenheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl des Reichstages und die Zustimmung ( Ja-Stimme) von wenigstens zwei Dritteln der Anwesenden (Art.  76 Abs. 2 S. 1 WRV). Ein zweifaches Quorum musste also erfüllt werden  : ein Anwesenheits- und ein Zustimmungsquorum von jeweils zwei Dritteln. Die gesetzliche Mitgliederzahl lag nach der März-Wahl bei 647. Folglich mussten mindestens 432 Abgeordnete anwesend sein. Die NSDAP hatte 288 Mandate erreicht.

Das Ermächtigungsgesetz 

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Ihr Koalitionspartner, die DNVP-Fraktion, kam auf 52 Sitze. Gemeinsam vereinigten sie also 340 Sitze auf sich. Um das Anwesenheitsquorum zu erreichen, mussten also mindestens 92 Abgeordnete anderer Parteien anwesend sein. Das Zustimmungsquorum hing von der Zahl der teilnehmenden Abgeordneten ab. Wenn alle 647 Abgeordneten anwesend waren, mussten 432 dem Gesetz zustimmen. Waren weniger anwesend, genügten proportional weniger Ja-Stimmen. Die Haltung der anderen Parteien

Wenn man die KPD, deren Abgeordnete seit Ende Februar 1933 verhaftet, untergetaucht oder ins Ausland geflohen waren, außer Acht ließ, stand nur eine Fraktion einem Ermächtigungsgesetz für die Regierung Hitler von vornherein ablehnend gegenüber  : die SPD. Die kleineren bürgerlichen Parteien DStP, DVP, CSVD und DBP waren mit ihren 13 Mandaten eine vernachlässigbare Größe. Die BVP hatte 19 Sitze errungen. Ihr Vorsitzender Fritz Schäffer hatte sich im Wahlkampf gegen die neue Regierung geäußert. In einer Rede auf dem Bauerntag des Christlichen Bauernvereins in Würzburg am 23. Februar 193378 kritisierte er die Repressionen der neuen Regierung gegenüber politischen Gegnern, plädierte für pfleglichen Umgang und Toleranz im politischen Kampf und betonte die Kampfbereitschaft sowie die Möglichkeit eines eigenständigen bayerischen Weges  : Das Volk geht zugrunde, das Partei und nationalen Namen miteinander verwechselt. Wir lehnen es ab, die Millionen deutscher Sozialdemokraten, die für das Vaterland gekämpft haben, als vaterlandslose Gesellen zu bezeichnen. […] Wir erleben heute wieder den Bürgerkrieg auf den Straßen, der Terror ist in den Versammlungen wieder eingerissen  ; Leute wie [Adam, P.A.] Stegerwald werden niedergeschlagen, es werden Feuerüberfälle auf die Bayern- und Pfalzwacht [den Schutzverband der BVP, P.A.] unternommen, die Presse wird wieder geknebelt, die freie Meinung versklavt, es regnet täglich Presseverbote. Die Regierungspresse darf aber schreiben, was sie will, ohne verboten zu werden. […] Wir wollen den konfessionellen Frieden  ! Gibt man uns ihn nicht freiwillig, so werden die deutschen Katholiken als geschlossene Einheit sich ihren Willen erkämpfen. […] wenn Verfassung und Recht in Berlin keine Bindung mehr bedeuten, dann sind wir in Bayern frei geworden, uns die Staatsform zu wählen, die wir wollen.

Auf die Zustimmung oder Ablehnung der BVP kam es aber angesichts der nur 19 Mandate dieser Partei nicht an. Selbst wenn die BVP und die kleineren Par-

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Die Entmachtung des Reichstages

teien zugestimmt hätten, das Zentrum aber nicht, wäre die Vorgabe des Art. 76 Abs. 1 S. 2 WRV nicht erfüllt worden. Entscheidend war also das Verhalten des Zentrums. Es hatte 73 Mandate gewonnen. Wenn auch das Zentrum zustimmte, erreichte das Ermächtigungsgesetz sicher die erforderlichen Quoren. Zwar war das Zentrum seit der Wahl des Prälaten Ludwig Kaas zum Parteivorsitzenden im Dezember 1928 politisch nach rechts gerückt. Der rechte Parteiflügel akzeptierte einen autoritäreren Staat, der aber ein Rechtsstaat bleiben sollte. Der eher linke Flügel stand der christlichen Arbeiterbewegung nahe. Vertreter des rechten Flügels hielten auch eine Koalition oder eine Tolerierung einer Regierung mit Beteiligung der NSDAP für möglich. Dies zeigten die Verhandlungen der Jahre 1932/33 und die Gespräche über eine längerfristige Vertagung des Reichstages nach der Ernennung Hitlers. Auch hatte Kaas noch im Oktober 1932 eine »Sammlungsparole« ausgegeben, um vor allem die bürgerlichen und rechten Kräfte zur gemeinsamen Überwindung der politischen Krise der Republik aufzufordern. Trotz aller Unterschiede waren beide Parteiflügel des Zentrums in einigen Punkten einig  : Die Rechte der Kirche im Kultus sowie in der Erziehung und im Schulwesen sollten gewahrt und die rechtsstaatliche Weimarer Verfassung beachtet werden. Gegen eine Zusammenarbeit sprach auch die Beurteilung der NSDAP vom christlichen Standpunkt aus. Die Amtskirche hatte mehrfach bestimmte Punkte des nationalsozialistischen Parteiprogramms als Irrlehren eingestuft und verurteilt. Noch im Wahlkampf hatten sich 13 katholische Verbände und Organisationen in einem Aufruf gegen jeden politischen Extremismus von links und rechts ausgesprochen.79 Am 28.  Februar 1933 hatte das Zentrum erneut daran erinnert, dass die kirchliche Verurteilung der nationalsozialistischen Irrlehren nach wie vor in Kraft sei.80 Der Propaganda-Staatsakt von Potsdam

Die Nationalsozialisten herrschten von Anfang an durch »Verführung und Gewalt«.81 Auf der einen Seite verfolgten und unterdrückten sie politisch Andersdenkende, auf der anderen Seite umwarben sie die Bevölkerung. Eine der ersten Werbeveranstaltungen für die neue Regierung war der Staatsakt zur Eröffnung des 8.  Reichstages am 21.  März 1933. Er richtete sich allgemein an das Volk, aber auch an das Zentrum und die kleineren bürgerlichen Parteien. Er fand in der Potsdamer Garnisonkirche statt. Der Reichstag, dessen Plenarsaal am 27. Februar ausgebrannt war, stand nicht zur Verfügung. Die Wahl fiel auf die frühere preußische Residenzstadt Potsdam, um eine Verbindung zwischen

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dem alten Preußen und dem »neuen« von Hitler geführten Staat herzustellen. Hitler hatte zuerst erwogen, das Potsdamer Stadtschloss heranzuziehen. Doch dessen Marmorsaal stellte sich als zu klein heraus. Auch die Idee, den »Langen Stall« zum Plenarsaal umzubauen, wurde verworfen.82 Die NSDAP-Leitung erkundigte sich in Potsdam, welcher Ort für die Parlamentseröffnung geeignet sein könne. Nach seinen eigenen Erinnerungen antwortete der Potsdamer Magistratsrat und »Parteigenosse« Friedrich Bestehorn am 1.  März, nur die Garnisonkirche komme infrage. Die Leitung der evangelischen Kirche, angeführt von Otto Dibelius, dem Generalsuperintendenten der Kurmark, wehrte sich am 1.  März zunächst gegen die Reichstagseröffnung in der Garnisonkirche. Die Kirche habe überparteilich zu sein.83 Doch Joseph Goebbels, der einige Tage später zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ernannt werden sollte, verkündete schon am 2. März im Rundfunk den Kabinettsbeschluss, den 8. Reichstag in der Garnisonkirche zu eröffnen. Der evangelische Oberkirchenrat konnte lediglich erreichen, dass nur die Eröffnung des Reichstages und nicht auch die erste Arbeitssitzung des Parlaments in der Kirche stattfand.84 Joseph Goebbels übernahm die Planung der Reichstagseröffnung. Er inszenierte mit dem »Tag von Potsdam« ein wahres Staatsschauspiel. Der anwesende französische Botschafter beschreibt die Szenerie so  : Während der ganzen Nacht vom 20. zum 21. März hat es geregnet. Am Morgen hat ein Windstoß die Wolken verjagt, sodass das zarte Blau des Himmels sichtbar wird. In den Pfützen spiegelt sich die Sonne. Die frische und kräftige Luft kündigt den nahenden Frühling an. Die Bevölkerung hat die Häuser beflaggt. Riesige Hakenkreuzbanner, vom Dach bis zur Straße herabhängend, wechseln mit schwarz-weiß-roten Fahnen.85

Die Mitglieder des Reichstages versammelten sich um 12 Uhr in der Garnisonkirche. Die SPD-Fraktion hatte entschieden, dem Akt geschlossen fernzubleiben. Die KPD-Abgeordneten waren aus den bereits genannten Gründen nicht anwesend. Die Abgeordneten des Zentrums und der BVP wurden zwar mit bereitgestellten Post-Omnibussen nach Potsdam chauffiert. Sie mussten sich aber vorher gegen den Versuch der Kriminalpolizei wehren, sie nach Waffen zu durchsuchen.86 Die ebenfalls mitfahrenden Abgeordneten der DNVP und der DVP wurden nicht durchsucht. Das Datum, der 21. März, war eine deutliche Reminiszenz an das alte Preußen und die Kaiserzeit. Am 21. März 1871 hatte sich der 1. Reichstag der Kaiserzeit konstituiert. Die 1730 bis 1735 erbaute Garnisonkirche, deren 90 Meter hoher Turm ein Wahrzeichen der Stadt darstellte, war  – wie ihr Name verriet  – eine

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traditionelle Militärkirche. Sie war einer der Erinnerungsorte des alten Preußen. Hier standen die Sarkophage des »Soldatenkönigs« Friedrich Wilhelm  I. und Friedrichs des Großen. »Die mittlere Tribüne [der Kirche war] für die kaiserliche Familie vorgesehen. Vorn [stand] der Sessel Wilhelms  II., der leer [blieb]. Unmittelbar dahinter bemerkt[e] man den [früheren] Kronprinzen [Wilhelm] in der Uniform der Totenkopfhusaren, ihm zur Seite seine Gemahlin, die Kronprinzessin Cäcilie [sic], seine Brüder, seine Söhne.«87 Der Tagungsort und die darum herum aufgeführte Inszenierung sprachen das Nationalgefühl weiter Bevölkerungskreise und auch vieler liberaler sowie Zentrums-Politiker an. Nach dem gegen Art. 3 WRV verstoßenden »Erlass des Reichspräsidenten über die vorläufige Regelung der Flaggenhissung« vom 12. März 193388 waren allein die – vom französischen Botschafter erwähnten – alten kaiserlichen Farben Schwarz-Weiß-Rot und die bald im ganzen Land inflationären Hakenkreuzflaggen zu sehen. Die schwarz-rot-goldenen Farben der Republik wurden ausdrücklich nicht gezeigt. »Die Glocken läuten, während die Wagen auf den von Braunhemden besetzten Straßen anrollen.«89 Reichspräsident Hindenburg trat in der ordensgeschmückten Uniform eines preußischen Generalfeldmarschalls mit Pickelhaube auf. Der zivil gewandete Hitler verneigte sich ostentativ ehrerbietig vor ihm und schritt an der Seite Hindenburgs und des evangelischen Generalsuperintendenten Otto Dibelius, der die Festpredigt halten sollte, gegen 12 Uhr in die Kirche. In seiner Ansprache bezeigte Dibelius seine (vorgebliche) Ehrfurcht vor dem Staatsoberhaupt. Die vermeintliche Einheit der alten preußisch-kaiserlichen Tradition und der »jungen« nationalsozialistischen »Bewegung« wurde symbolhaft beschworen. Mit diesem Tag gewann Hitler bei Hindenburg deutlich an Ansehen. Rechtskonservativen Abgeordneten gefiel der Staatsakt. Beispielsweise bezeichnete ihn der DNVP-Abgeordnete Reinhold Quaatz in seinem Tagebuch als »[s]ehr würdig«.90 Die Regierung erreichte somit die Ziele, die hinter dieser »Potsdamer Rührkomödie«91, diesem »feierlich aufgezogene[n] Schwindel«92, steckten. Offiziöse Veröffentlichungen feierten das Ereignis. Die von dem Potsdamer Publizisten Hans Hupfeld herausgegebene Broschüre »Reichstags-Eröffnungsfeier in Potsdam. Das Erlebnis des 21. März in Wort und Bild« (1933) beginnt mit den Worten  : »Mit dröhnendem Schlag klingt eine große Stunde Deutschlands an.« Damit ist der Grundton des weiteren Texts gesetzt. Weiter heißt es etwa  : »Noch ist es der erste Schritt zur Befreiung  – aber der größte, weil ihn der Freiheitswille einer ganzen Nation gebot. […] Deutschland hat gehandelt. Es hat den undeutschen Knechtsgeist abgeschüttelt, es hat Potsdam, die Kernstadt des alten Preußentums, das Symbol soldatischer Pflichterfüllung, zum Ausgang einer neuen Epoche der Reichsgeschichte gewählt.«93

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Die Erosion der Parlamentstraditionen und des Parlamentsrechts

Die Nationalsozialisten und ihre rechtsgerichteten Partner zeigten deutlich, wie wenig ihnen an einem demokratischen Reichstag lag. Nicht allein die Eröffnungszeremonie in der Garnisonkirche erinnerte an die früheren Empfänge des Reichstages beim Kaiser. Dass eine andere Zeit angebrochen war, zeigte sich auch bei der eigentlichen Konstituierung des Reichstages, seiner tatsächlichen ersten Sitzung. Der Reichstag tagte nicht mehr im Reichstag. Der Plenarsaal des Reichstagsgebäudes war ja durch den Brand zerstört worden. Das Parlament versammelte sich daher am 21. März 1933 um 17 Uhr im Theatersaal der »Kroll-Oper«, eines Veranstaltungskomplexes gegenüber dem Reichstagsgebäude.94 Von diesem Tag an fanden (mit einer Ausnahme) alle Reichstagssitzungen bis zur letzten Tagung am 26. April 1942 hier statt. Statt der Reichsfarben Schwarz-Rot-Gold hing eine riesige Hakenkreuzfahne hinter dem Präsidentenstuhl. Dies empfand sogar der DNVP-­Abgeordnete Quaatz als störend und unnötig, wie er seinem Tagebuch anvertraute.95 Alle NSDAP-Abgeordneten erschienen in Uniform. Ferner füllten »[k]leine SA- und SS-Gruppen […] die Gänge«.96 Theodor Heuss berichtete in einem Brief an seine Frau ebenfalls über die Präsenz der SA und der SS, meinte aber, es sei »alles sehr höflich« verlaufen.97 Über den wahren Charakter der NS-Truppen konnte allerdings bei Heuss kein Zweifel bestehen. Im selben Brief erwähnte er, dass es dem SPD-Abgeordneten Sollmann »angeblich langsam besser« gehe. Sollmann war – worüber ich weiter oben bereits berichtet habe – am 9. März 1933 von SA- und SS-Leuten misshandelt und lebensbedrohend verletzt worden. Des Weiteren brach die Mehrheit im 8. Reichstag schon zu Beginn der konstituierenden Sitzung mit einigen hergebrachten Grundsätzen des Parlamentsrechts. Anders als in den vorherigen Wahlperioden eröffnete nicht der älteste Abgeordnete als Alterspräsident die Sitzung und leitete die Wahl des Präsidenten und seiner Stellvertreter. Vielmehr nahm Göring als Reichstagspräsident der 7. Wahlperiode direkt auf dem Präsidentenstuhl Platz. Er teilte mit, in einer Besprechung der Fraktionsführer sei einstimmig beschlossen worden, § 13 GO-RT, der die Eröffnung der ersten Sitzung durch den Alterspräsidenten vorsehe, solle außer Kraft treten. Der Reichstag werde daher entsprechend Art. 27 WRV durch ihn als geschäftsführenden Präsidenten eröffnet.98 Das Parlament wählte als erste Amtshandlung – gegen die Stimmen der SPD-Fraktion – erneut Göring zum Reichstagspräsidenten. Der Umstand, dass dieser zum Reichsminister und zum Reichskommissar für das preußische Innenministerium ernannt worden war, wurde nicht im Plenum debattiert. In einer Sitzung des Ältestenrates des vorhergehenden Reichstages am 30. Januar 1933 war die Ernennung

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des Parlamentspräsidenten zum Reichsminister besprochen, aber letztlich für zulässig gehalten worden.99 Die Gewaltenteilung war an dieser Stelle bereits durchbrochen. Neben dem Präsidenten gehörte mit Ernst Zörner auch noch einer der drei Vizepräsidenten der NSDAP an. Die beiden weiteren waren erneut Thomas Esser (Zentrum) und Walther Graef (DNVP). Auch die Schriftführer entstammten der NSDAP, der DNVP und dem Zentrum. Reichstagspräsident Göring, der im Plenum martialisch in Uniform auftrat100, bekräftigte in seiner Eröffnungsrede den Willen der Regierung zur Abkehr von der Weimarer Republik und zum völligen Staatsumbau  : »Nun ist Weimar überwunden […].«101 Zunächst versuchten die Nationalsozialisten und die »Kampffront« (DNVP), beide Quoren des Art.  76 WRV dadurch leichter zu erreichen, dass sie die 81 KPD-Mandate als »nicht existent«102 behandelten. Reichstagspräsident Göring lud die KPD-Abgeordneten zu keiner Reichstagssitzung der am 21. März 1933 beginnenden 8. Wahlperiode ein,103 obwohl sie in das Alphabetische Verzeichnis der Mitglieder des Reichstages aufgenommen worden waren.104 Die kommunistischen Abgeordneten erhielten auch keine Abgeordnetenausweise105, keine Freifahrtkarten für die Bahn106 und keine Diäten107. Göring sprach bei der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses über das Ermächtigungsgesetz davon, die »gesetzliche Mitgliederzahl des Hauses [betrage] 566«.108 Diese Summe ergibt sich, wenn man die 81 KPD-Mandate von der korrekten gesetzlichen Mitgliederzahl von 647 abzieht. Dementsprechend wurden die KPD-Abgeordneten im Abstimmungsergebnis zum Ermächtigungsgesetz nicht aufgeführt.109 Wenn man diese Methode billigte, war das Anwesenheitsquorum schon bei 378 Abgeordneten erfüllt. Neben der NSDAP und den Abgeordneten der »Kampffront Schwarz-Weiß-Rot« mussten dann nur noch mindestens 38 Abgeordnete anderer Parteien teilnehmen. Wenn nicht mehr als 511 Abgeordnete anwesend waren, reichten sogar die Stimmen der Koalitionäre, um die beiden Quoren zu erreichen. Unabhängig von der Tatsache, dass die KPD-Abgeordneten gar nicht eingeladen waren, ging man in der Reichsregierung ohnehin davon aus, dass sie nicht erscheinen würden, da die meisten von ihnen nach dem Reichstagsbrand verhaftet worden waren110. Viele waren  – wie bereits erwähnt  – auch geflohen oder untergetaucht. Nur wenige KPD-Abgeordnete blieben bis zum und am Abstimmungstag, dem 23. März 1933, noch unbehelligt. Selbst wenn KPD-Abgeordnete eingeladen worden wären, wäre ihr Versuch, an den Reichstagssitzungen teilzunehmen, für ihre Freiheit und ihre Gesundheit äußerst gefährlich gewesen. Die in der Literatur zum Teil zu findenden Behauptungen, die KPD sei nach dem Reichstagsbrand verboten worden oder Stimmen der KPD-Mitglieder seien

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als Enthaltungen gewertet oder ihre Mandate nach der Wahl für ungültig erklärt, annulliert, aufgrund der Reichstagsbrandverordnung entzogen oder eingezogen worden111, treffen rechtlich nicht zu. Faktisch schon  : Die KPD-Abgeordneten wurden schlicht nicht eingeladen und blieben wegen Haft oder Flucht oder aus anderen Gründen dem Reichstag fern. Die staatliche Verfolgung, welche die Mandatsausübung verhinderte, kam einem tatsächlichen Mandatsentzug gleich. Erst durch § 10 des Vorläufigen Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933112, also nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, wurden die KPD-Mandate tatsächlich gestrichen. Die Erfüllung des Anwesenheitsquorums wollten die Nationalsozialisten und die »Kampffront« auch durch eine Änderung der Geschäftsordnung sichern. Diese hatte Reichsinnenminister Frick drei Tage vorher den Kabinettsmitgliedern skizziert  : Die Geschäftsordnung müsse ausdrücklich vorsehen, dass auch unentschuldigt fehlende Abgeordnete als anwesend gelten würden.113 Die Regierungsfraktionen NSDAP und »Kampffront« brachten einen entsprechenden Antrag in den Reichstag ein. Das Parlament änderte mit Mehrheitsbeschluss am 23.  März 1933 seine Geschäftsordnung.114 Die SPD hatte im federführenden Geschäftsordnungsausschuss gegen den Antrag opponiert115 und stimmte auch im Plenum dagegen. Der Mehrheitsbeschluss fügte § 2a und einen dritten Absatz des § 98 in die Geschäftsordnung ein. Als anwesend galten nunmehr auch abwesende Abgeordnete, die keinen Urlaub erhalten hatten und auch nicht aufgrund einer Krankheit an der Anwesenheit gehindert waren. So konnte die Anwesenheit untergetauchter, geflohener oder sogar verhafteter (!) Abgeordneter fingiert werden. Der Abgeordnete Franz Stöhr (NSDAP) berichtete vor der Abstimmung über den Beratungsverlauf im zuständigen Ausschuss. Er verschleierte die wahren Motive der Regierung, als er davon sprach, die Änderung solle der »Obstruktion« vorbeugen und einen ordnungsgemäßen Geschäftsgang sichern.116 Um einen ordnungsgemäßen Parlamentsablauf ging es der Regierung aber nicht. Vielmehr wollte sie verhindern, dass das Ermächtigungsgesetz, das am selben Tag zur Abstimmung stand, am Anwesenheitsquorum scheiterte. Durch die Änderung der Geschäftsordnung konnten die Abgeordneten der SPD und anderer etwaiger Opponenten das Ermächtigungsgesetz nicht durch ein Fernbleiben verhindern. Das Werben um die Zustimmung des Zentrums

Das Zustimmungsquorum konnte nur sicher erreicht werden, wenn es gelang, das Zentrum mit seinen 73 Mandaten, jedenfalls in der Mehrheit, zur Zustimmung zu bewegen. Die Nationalsozialisten warben daher um das Zentrum. Die

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Behauptung, sie hätten die Zustimmung des Zentrums zur Verabschiedung des Gesetzes »nicht unbedingt« gebraucht,117 wäre nur dann zutreffend, wenn sicher davon ausgegangen werden konnte, dass nicht mehr als 511 Abgeordnete anwesend sein würden und so die Stimmen der Koalitionäre ausreichend gewesen wären. Das konnte aber nicht als sicher unterstellt werden. Außerdem meinte Hitler, wohl nicht zu Unrecht, die »Annahme des Ermächtigungsgesetzes auch durch das Zentrum werde eine Prestigestärkung gegenüber dem Auslande bedeuten.«118 Vom 20. bis zum 22. März 1933 verhandelten Hitler und Frick mit den Zentrumsvertretern Kaas, Stegerwald und Hackelsberger. Über den Inhalt der Gespräche sind wir durch die Protokolle der Ministerbesprechungen und der Vorstandssitzungen der Zentrumsfraktion gut unterrichtet. Die erste Unterredung fand am Vormittag des 20. März statt. Hitler berichtete am selben Tag um 11.15 Uhr in einer Ministerbesprechung über die kurz zuvor beendete Unterredung.119 Kaas unterrichtete den Vorstand der Zentrumsfraktion um 12 Uhr. Der Reichskanzler hatte in dem Gespräch die (aus seiner Sicht bestehende) Notwendigkeit des Ermächtigungsgesetzes mit »einem Wiederaufleben der kommunistischen Agitation, dem er entgegenwirken müsse«, begründet. Kaas berichtete auch, dass die Schutzhäftlinge aus den Reihen der SPD »nicht ohne weiteres frei gegeben werden« sollten und dass die Regierung den Kampf gegen KPD und SPD scheine weiterführen zu wollen, »bis diese nicht mehr möglich sind«. Der Reichstag solle »von Zeit zu Zeit tagen«, die »Substanz des Reichspräsidenten, des Reichsrats und des Reichstags« solle erhalten bleiben. Kaas ließ in seinem Bericht keinen Zweifel  : Die Entscheidung sei »schwerer als selbst die über den Versailler Vertrag.«120 Der Bitte des Zentrums, ein kleines Gremium zu bilden, das über die Maßnahmen aufgrund des Ermächtigungsgesetzes fortlaufend unterrichtet werden sollte, wollte Hitler nachkommen.121 In der Fraktionssitzung des Zentrums am Nachmittag des 20. März wurde auch über die Knebelung der Presse gesprochen. Kaas führte aus  : Wir müssen mit in Rechnung stellen, daß unsere bisherige Arbeitsmethode eingeengt wird. Aber lieber beengt sein als moralische Bindungen eingehen, die uns auf lange Zeit hinaus entrechten. Wir müssen mit allen Mitteln danach streben, daß wieder verfassungsrechtliche Grundlagen zur Geltung kommen. Keine Freude daran, wenn es den bürgerlichen Kreisen in der heutigen Regierung [gemeint sind die von der DNVP benannten und die parteilosen rechtskonservativen Minister, P.A.] schlecht geht, sie haben eine schwierige Aufgabe zu erfüllen. Wenn sie auch selbst daran schuld sind, so können wir nur wünschen, daß diese Kreise sich behaupten oder wenigstens das Allerschlimmste verhüten.122

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Am Vormittag des 21. März teilte Kaas dem Fraktionsvorstand mit, dass er am Nachmittag einen Termin mit Hitler habe, der verfrüht sei, da ihm eine klärende Beschlussfassung noch nicht möglich scheine. Der Termin solle »zur Vorklärung eingehalten« werden. Änderungen am Ermächtigungsgesetz würden aber kaum möglich sein. Nur kleinere Eingriffe, etwa betreffend das Ausfertigungsrecht des Reichspräsidenten oder eine eventuelle Verkürzung der Laufzeit des Gesetzes könnten »höchstens noch versucht werden«.123 Abends berichtete Kaas dem Fraktionsvorstand von den Ergebnissen seiner Unterredung mit Hitler.124 Der Reichskanzler ließ sich – wie sich aus Kaas’ Ausführungen ergibt – von der Formulierung des Gesetzentwurfs, der am 21. März als Reichstagsdrucksache bekannt geworden war125, nicht abbringen. Der Ausschluss des Reichspräsidenten bei der Ausfertigung der Gesetze und die Zeitdauer sollten bestehen bleiben. Hitler erklärte, der Reichspräsident könne ihn weiterhin jederzeit abberufen  ; er denke aber nicht daran, sich in einen Gegensatz zum Präsidenten zu bringen. Wenn dieser etwas nicht wolle, werde er, Hitler, nachgeben. Die von Kaas ins Spiel gebrachte »Ausschaltung« (Herausnahme) bestimmter Einzelgegenstände aus der Ermächtigung wies Hitler ab. Er machte dabei deutlich, dass er das Judentum als »fremde Rasse, nicht [als] Religion« ansah und dass für Kommunisten und »Marxisten« (Sozialdemokraten) keine Grundrechte gelten sollten. Hitler sagte zu, die Unabsetzbarkeit der Richter nicht anzurühren, auf der Zentrumspartei angehörende Beamte keine (beamtenrechtlichen) Zwangsmaßnahmen anzuwenden, die Reichsländer nicht anzutasten und über völkerrechtliche Verträge »möglichst« durch den Reichstag beschließen zu lassen. Kaas wies darauf hin, dass dem Zentrum die Zustimmung zu dem Gesetz sehr schwerfalle, da es nicht im Kabinett vertreten sei. Hitler erwiderte, die von ihm beabsichtigten Maßnahmen würden durchgeführt  – wenn nicht durch ein Ermächtigungsgesetz, dann über den »Staatsnotstand« (also Notverordnungen des Reichspräsidenten). Zum angedachten Unterrichtungsgremium äußerte sich Hitler – wie schon gegenüber den Ministern – positiv. »Marxisten« sollten darin aber nicht vertreten sein. Kaas erkundigte sich, in welcher Form die Erklärungen, die Hitler ihm, Stegerwald und Hackelsberger gegenüber abgegeben habe, dem Zentrum öffentlich mitgeteilt würden. Hitler sagte zu  : »Frick wird wegen Formulierungen dem Zentrum Regierungserklärung übergeben.«126 Kaas meinte daraufhin, dann bestünden Möglichkeiten, die Öffentlichkeit zu unterrichten und den Fraktionsbeschluss zu fassen. Hitler und Kaas verabredeten, dass sich die wesentlichen Punkte ihrer Unterredung in Hitlers Regierungserklärung vor dem Reichstag wiederfinden sollten. Das Zentrum stellte am 22. März einen Forderungskatalog auf.127 Er wurde Hitler übermittelt. Die Regierungserklärung des Reichskanzlers am 23. März 1933 nahm viele Punkte des Forderungskatalogs

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auf, wie noch zu zeigen sein wird. Die Erklärung wurde dem Zentrum aber – anders als zugesagt – nicht vorab übermittelt. Unklar ist, ob Hitler dem Zentrum versprach, seine Zusicherungen auch schriftlich zu geben. Jedenfalls wurde Hitlers Zusage, Frick werde eine »Regierungserklärung« übergeben, im Zentrum so verstanden, als werde eine schriftliche Zusage – ein »Brief« – übermittelt. In der Fraktionssitzung am 24. März 1933 war davon noch die Rede.128 Auch Heinrich Brüning nahm in seinen Memoiren darauf Bezug.129 Hindenburgs Staatssekretär Meissner gab in seinen Erinnerungen an, von einem solchen Brief oder einer Zusage darüber nichts erfahren zu haben.130 Ein solcher Brief traf nie ein, weder vor dem Beschluss über das Ermächtigungsgesetz noch danach. Am 23. März 1933, dem Abstimmungstag, berichtete Kaas der Fraktion vormittags – vor dem Beginn der Reichstagssitzung – über seine Unterredung mit Hitler vom Vortag.131 Er wiederholte die Themen und Aussagen Hitlers, die er bereits dem Fraktionsvorstand mitgeteilt hatte. Außerdem wies er »auf die schwierige Stellung der Fraktion im gegenwärtigen Augenblick hin.« Es gelte einerseits, deren Seele zu wahren, andererseits ergäben sich aus der Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes unangenehme Folgen für die Fraktion und die Partei. Es bliebe nur übrig, diese gegen das Schlimmste zu sichern. Komme die nötige Zweidrittelmehrheit nicht zustande, »so werde die Durchsetzung der Pläne der Reichsregierung auf anderem Wege erfolgen. Der Reichspräsident habe sich mit dem Ermächtigungsgesetz abgefunden. Auch von den Deutschnationalen her sei kein Versuch einer Entlastung der Situation zu erwarten.« Kaas lehnte es indessen ab, einen Vorschlag zu machen, wie man sich entscheiden solle. Der frühere Reichskanzler Brüning plädierte für die Ablehnung.132 Zwar stellte auch er eine Zwangslage des Zentrums fest und meinte, der Partei stünden schwere Jahre bevor, einerlei wie man sich entscheide. Aber er machte darauf aufmerksam, dass die Regierung keine Sicherheiten für die Erfüllung ihrer Zusagen gegeben habe. Das Ermächtigungsgesetz sei das Ungeheuerlichste, was je von einem Parlament gefordert worden wäre. Man möge die Gesamtlage des Vaterlandes und der Partei nicht einer zu leichten Beurteilung unterziehen. […] Die Garantien, die die Reichsregierung geben wolle, seien keinesfalls gesichert. Unzweifelhaft bestehe Gefahr für die Zukunft der Zentrumspartei. Wäre sie zerschlagen, so könne sie nicht wieder ins Leben gerufen werden. […] Nun beständen die größten Gefahren für die gesamte Verfassung, besonders da sich Hindenburg mit dem Ermächtigungsgesetz abgefunden habe. Er – Brüning – könne sich kaum für ein Ja entscheiden, selbst wenn man anerkenne, daß man eine moralische Verantwortung für eine Zustimmung nicht trage.

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Brüning hatte bereits in einer Wahlkampfrede in Würzburg am 18.  Februar 1933133 auf das Verbot von zentrumsnahen Zeitungen, die Behinderung von Versammlungen und das Auftreten der SA Bezug genommen und den Kampfeswillen des Zentrums und der BVP gegen das neue Regime beschworen. Auch der frühere Reichskanzler Joseph Wirth ergriff in der Fraktionsdebatte das Wort gegen das Ermächtigungsgesetz. Der frühere württembergische Staatspräsident Eugen Bolz war ebenfalls auf der Seite der Ablehnenden.134 Vielen Zentrumsabgeordneten fiel die Entscheidung sehr schwer. Die Aussicht eines Ermächtigungsgesetzes und seiner Folgen bedrückte sie. Sie erkannten die von den Nationalsozialisten, auch für Zentrumsangehörige, ausgehende Gefahr. Der Kölner Oberbürgermeister (und spätere Bundeskanzler) Konrad Adenauer, der dem Preußischen Staatsrat angehörte, war am 13. März von den Nationalsozialisten aus dem Amt gedrängt worden. Auch der frühere Reichsminister und Zentrumsabgeordnete Andreas Hermes war verhaftet worden. Zuvor hatte man ihn gezwungen, auf sein Reichstagsmandat zu verzichten. Eugen Bolz schrieb in dieser Zeit drei Briefe an seine Frau.135 Am 20. März 1933 teilte er ihr mit  : »Betrübend ist das Ermächtigungsgesetz und die kommende Politik. Man kann sich die innere Entwicklung nicht schlimm genug vorstellen. – Auch wir werden manches mitmachen müssen.« Am 21. März 1933 schrieb er  : »Nun beginnt der Ernst mit der Entscheidung über das Ermächtigungsgesetz. Der Inhalt übertrifft alle Erwartungen. Das Zentrum kommt mit seiner Stellungnahme in die schwierigste Situation seit der Annahme des Versailler Vertrages. Ich mag über unsere Lage nicht schreiben. Darüber kann man nur reden. Was wir auch tun, ist verhängnisvoll. In mir schafft es fürchterlich.« Am Folgetag meinte er  : »Hier ringen wir, jeder für sich, mit der Stellungnahme zu dem unerhörten Ermächtigungsgesetz. Das Für und Wider kann ich nicht schreiben. Die Zwangslage wird uns wohl zu einer Zustimmung bringen.« Auch in der BVP bestanden Vorbehalte. Der Abgeordnete Anton ­W iedemann, Seifensiedermeister und 2. Bürgermeister von Bad Tölz, schrieb seiner Frau am 22. März 1933  : Der Brandgeruch liegt noch über den Räumen, es ist Gespenster-Reichstag  ; denn die da drin wandeln, sind nur noch Scheingestalten. Die Entscheidung, die nun in den nächsten Tagen dem rauschenden Fest [dem »Tag von Potsdam«, P.A.] folgen soll, ist denn auch füglich schwer. Es ist nichts andres als sein Todesurteil selbst unterschreiben. Doch so oder so. Willst Du nicht willig, so brauch ich Gewalt. Fest steht für mich, daß die Machthaber das Heft nicht mehr so schnell aus der Hand geben und alles beseitigen werden, was sich entgegenstellt.136

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Dass das Gesetz endgültig die Weimarer Republik beenden werde, war auch Mitgliedern anderer Parteien klar. Reinhold Maier (DStP) informierte am 22. März 1933 seine Frau  : »Heikle Sache. Aber wir müssen auch durch dieses Nadelöhr durch und der Staat von Weimar ist begraben.«137 Die Reichstagssitzung vom 23. März 1933

Der 8. Reichstag versammelte sich am 23. März 1933 um 14 Uhr zu seiner zweiten Sitzung im Theatersaal der Kroll-Oper. Vor der Sitzung hatte die SPD-Fraktion diskutiert, ob sie an der Sitzung teilnehmen oder ihre Ablehnung durch ein Fernbleiben dokumentieren solle. Die Fraktion beschloss schließlich, geschlossen teilzunehmen.138 94 von 120 Abgeordneten – die nicht anwesenden befanden sich in »Schutzhaft« – machten sich auf den Weg vom unbeschädigten Fraktionssaal im Reichstagsgebäude zur Kroll-Oper. Auch die übrigen Fraktionen hatten im Reichstagsgebäude tagen können. Die landläufige Vorstellung, der Reichstag sei bei dem Brand am 27. Februar 1933 vollständig zerstört worden, ist unzutreffend. In Mitleidenschaft war vor allem der Plenarsaal gezogen worden. Die Stimmung vor und in der Kroll-Oper war aufgeheizt. Die Atmosphäre war für die Gegner der Regierungsparteien bedrohlich. Die Berichte von Mitgliedern der SPD und der DStP, die an der Sitzung teilnahmen, zeigen dies sehr anschaulich. Kleinere Widersprüche in Einzelheiten ändern nichts an dem aus allen Berichten zum Ausdruck kommenden Gesamtbild. Nach Erinnerungen Ernst Lemmers (DStP) befanden sich vor der Kroll-Oper »Zehntausende« NSDAP-­Anhänger, »vor allem SA-Männer, die für die Abgeordneten, die das Gebäude betraten, Spalier bildeten. Die einen wurden beklatscht, die anderen, die man als Gegner der Nationalsozialisten erkannte, beschimpft. Im Sitzungssaal stand neben jedem Abgeordneten der Opposition ein baumlanger SS-Mann.«139 Reinhold Maier berichtete in einer Rede vor der DVP in Stuttgart im Jahr 1947  : »Schätzungsweise zwanzig bis an die Zähne bewaffnete SAund SS-Männer kamen auf jeden oppositionellen Reichstagsabgeordneten im Reichstagsgebäude und ungefähr die Hälfte davon stand im Reichstagssitzungssaal.«140 In einem späteren Bericht sprach er immerhin noch von »je zehn bis an die Zähne bewaffnete[n] SA- und SS-Männern« pro den Regierungsparteien nicht angehörendem Mitglied des Reichstages.141 Paul Bausch (CSVD) erinnerte sich, »daß nicht nur die ganze Kroll-Oper umstellt war von uniformierten SA- und SS-Gruppen, auch der ganze Sitzungssaal war in den äußeren Wandelgängen von SA- und SS-Gruppen umstellt.«142 SPD-Abgeordnete bestätigten diese Schilderungen. Heinrich Georg Ritzel erinnerte sich  :

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10  SA-Leute marschieren am 23. März 1933 vor der Sitzung, in der das Ermächtigungsgesetz verabschiedet werden soll, in den provisorischen Tagungsort des Reichstages, die Kroll-Oper, ein. © akg-images Nr. 71752.

Den Gang vom Reichstag zur Krolloper, durch das Spalier der Polizei und der mit Armbinden versehenen SA-Hilfspolizei werde ich ebensowenig vergessen wie den Aufmarsch von 30000 SA- und SS-Leuten rund um die Krolloper mit ihrem SiegHeil-Gebrüll, die beleidigenden Zurufe und Drohungen, wenn man erkannt oder mindestens als Hitlergegner eingeschätzt wurde. Im Theatersaal der Krolloper war der letzte Platz besetzt. SA- und SS-Leute lümmelten sich mit der Hand am Revolver in nächster Nähe der einzelnen Sozialdemokraten herum.143

Der spätere bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner beschrieb die Situation so  : Der weite Platz vor der Krolloper war mit schwarzen Menschenhaufen bedeckt. Wilde Sprechchöre empfingen uns  : »Wir wollen das Ermächtigungsgesetz  !« Junge Burschen, das Hakenkreuz an der Brust, musterten uns frech, versperrten uns schier den Weg, ließen uns richtig Spießruten laufen und riefen uns Schimpfworte zu wie »Zentrumsschwein«, »Marxistensau«. In der Krolloper wimmelte es von bewaffneter SA und SS. […] Als wir Sozialdemokraten unsere Plätze auf der äußersten Linken eingenommen hatten, stellten sich SA- und SS-Leute an den Ausgängen und Wänden hinter uns im Halbkreis auf. Ihre Mienen ließen nichts Gutes erwarten.144

Der SPD-Abgeordnete Josef Felder erinnerte sich  :

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Die Ankündigung der Kanzlerrede hatte […] eine riesige Menschenmenge in Bewegung gesetzt. Agitatoren der NSDAP peitschten sie unaufhörlich mit Zurufen auf. […] »Wir wollen das Ermächtigungsgesetz, sonst gibts Zunder  ! Nieder mit den roten Schuften und Landesverrätern  !« Kein Wunder, daß die unheimliche Situation in der SPD-Fraktion psychische Belastungen und bei so manchen die Meinung auslöste, in die Krolloper hinüberzugehen, bedeute vielleicht Selbstmord. So wurde der Weg vom Wallotbau [dem Reichstag, in dem sich die Fraktionssitzungssäle befanden, P.A.] zur Krolloper zum Dornenpfad. Die Schutzpolizei hielt nur eine schmale Gasse in der Menschenbrandung für die Abgeordneten frei. […] Die Abgeordneten zeichneten sich in die Anwesenheitsliste ein, bewitzelt von schlaksigen SA- und SS-Führern, die aus dem ganzen Reich eingeladen waren, um dem großen Schauspiel beizuwohnen. […] SA- und SS-Leute betraten in völlig unzulässiger Weise den Raum der Abgeordneten und bildeten einen dichten Kordon um die Sitze der SPD. Ihre gezischten Drohungen und billigen Witze verstummten erst, als Hitler mit seiner programmatischen Rede begann.145

Ein Foto vom 23. März 1933 zeigt SA-Männer, die an den Außenwänden des Sitzungssaales stehen. Sie umringten die Abgeordneten gewissermaßen in einem Halbkreis. Der ehemalige Reichsinnenminister und preußische Innenminister Carl Severing, der den Nationalsozialisten durch seinen Widerstand gegen die NSDAP besonders verhasst war, genoss als Mitglied des Reichstages Immunität (Art. 37 WRV). Obwohl er sich darauf berief, wurde er auf dem Weg in die Kroll-Oper zunächst verhaftet, in das Innenministerium gebracht und wegen angeblicher Straftaten vernommen, später aber zur Abstimmungsteilnahme freigelassen.146 Er erinnerte sich nach dem Krieg ebenfalls an »die Sprechchöre der SA-Männer, die sich in ihrer Lautstärke gegenseitig überboten. Sie schrien unisono  : ›Wir fordern das Ermächtigungsgesetz – sonst gibt’s Zunder  !‹ Die Anwesenheit von SA- und SS-Männern in den Gängen und im Sitzungssaal der Kroll-Oper verstärkte den drohenden Ton dieser Ankündigungen noch um einige Grade.«147 Reinhold Maier meinte nach dem Krieg, »die gesamte Opposition« wäre bei einem Nein zum Ermächtigungsgesetz »zusammengehauen worden«148 und die Zustimmenden hätten »auch den Neinsagern das Leben gerettet«149. Mag diese Äußerung auch dazu dienen, das eigene Ja zu rechtfertigen – sie zeigt dennoch, wie gefährlich die Lage war. Die bedrohliche Atmosphäre im Sitzungssaal wurde noch dadurch verstärkt, dass der Raum wie schon in der ersten Sitzung mit einer großen Hakenkreuzfahne hinter dem Präsidentenpodium dekoriert war. Auch waren Hitler, der Reichstags-

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präsident Göring und die übrigen NSDAP-Abgeordneten in Parteiuniform erschienen. Heil-Rufe und lautstarker Beifall begleiteten Hitlers beide Reden. Nach der bereits erwähnten Abstimmung über die Änderung der Geschäftsordnung zu Beginn der Sitzung erteilte Göring dem Reichskanzler das Wort zur Regierungserklärung. Hitler begann seine Rede – wie schon seine Ansprache in der Garnisonkirche – mit der für ihn und seine Partei üblichen Abrechnung mit der Novemberrevolution und der Weimarer Republik und hob sehr pauschal hervor, dass und wie seine Regierung Deutschland zu neuer Größe zu führen beabsichtige. Er unterstrich die dem Zentrum im Vorfeld erteilten Garantien150  : Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums. Sie wird die zwischen ihnen und den Ländern abgeschlossenen Verträge respektieren  ; ihre Rechte sollen nicht angetastet werden. […] Die nationale Regierung wird in Schule und Erziehung den christlichen Konfessionen den ihnen zukommenden Einfluß einräumen und sicherstellen. Ihre Sorge gilt dem aufrichtigen Zusammenleben zwischen Kirche und Staat.151

Ferner sagte er  : »Ebenso legt die Reichsregierung, die im Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes sieht, den größten Wert darauf, die freundschaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhle weiter zu pflegen und auszugestalten.«152 Der französische Botschafter bemerkt  : »Seine hochtrabende Rede ist offensichtlich für die Katholiken bestimmt«.153 Im Übrigen wiederholte Hitler in vielen Teilen seiner Rede das Programm der NSDAP. Zwar beschwor er den Friedenswillen seiner Regierung. Doch wurde an manchen Stellen seiner Regierungserklärung sehr deutlich, wie gefährlich und skrupellos er, seine Partei und seine Regierung waren. Aufmerksamen Zuhörern musste klar sein, dass die ersten beiden Monate paradigmatisch für die gesamte Regierungszeit werden sollten. So kündigte Hitler an, der Verantwortliche für den Reichstagsbrand und seine Komplizen sollten öffentlich hingerichtet werden (obwohl noch niemand verurteilt worden war und auf Brandstiftung nicht die Todesstrafe stand)  ; »Blut und Rasse« sollten »wieder zur Quelle der künstlerischen Intuition« werden  ; »[n]icht das Individuum [könne] der Mittelpunkt der gesetzlichen Sorge sein, sondern das Volk«  ; »Landes- und Volksverrat soll[t]en künftig mit barbarischer Rücksichtslosigkeit ausgebrannt werden«.154 Das Ermächtigungsgesetz begründete er mit den Worten, es würde dem Sinn der nationalen Erhebung widersprechen und dem beabsichtigten Zweck nicht genügen, wollte die Regierung sich für ihre Maßnahmen von Fall zu Fall

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die Genehmigung des Reichstags erhandeln und erbitten. Die Regierung wird dabei nicht von der Absicht getrieben, den Reichstag als solchen aufzuheben  ; im Gegenteil, sie behält sich auch für die Zukunft vor, ihn von Zeit zu Zeit über ihre Maßnahmen zu unterrichten oder aus bestimmten Gründen, wenn zweckmäßig, auch seine Zustimmung einzuholen.155

Damit war klar  : Diese Regierung legte auf einen kritischen, regelmäßig tagenden und an den Staatsgeschäften beteiligten Reichstag keinen Wert. An die Begründung schlossen sich noch einige Zusagen an, welche die Regierung sämtlich brach. So kündigte Hitler an, die Regierung beabsichtige, von dem Ermächtigungsgesetz »nur insoweit Gebrauch zu machen, als es zur Durchführung der lebensnotwendigen Maßnahmen erforderlich« sei. Die Stellung und die Rechte des Reichspräsidenten würden unberührt bleiben  ; der Bestand der Länder werde nicht beseitigt  ; die Rechte der Kirchen würden nicht geschmälert.156 Die spätere Entwicklung sprach seinen Ankündigungen Hohn. Die Nationalsozialisten brachen fast alle ihre Zusagen. Die Länder wurden ihrer Befugnisse bis zum Januar 1934 weitgehend beraubt und zu »reine[n] Verwaltungseinheiten«157. Der Reichsrat wurde mit dem »Gesetz über die Aufhebung des Reichsrates« vom 14.  Februar 1934158 abgeschafft. Auch Hitlers Zusicherungen zum Amt des Reichspräsidenten waren nichts wert. Er vereinigte nach Hindenburgs Tod Anfang August 1934 das Amt des Reichspräsidenten mit dem Amt des Reichskanzlers. Hitler nannte sich fortan »Führer und Reichskanzler«. Die Reichswehr wurde auf ihn persönlich vereidigt. Auch in das Schulwesen und die Erziehung griff das NS-Regime  – anders als in der Regierungserklärung Hitlers vom 23. März 1933 zugesichert – massiv ein. Die Kirchen sahen sich im »Dritten Reich« zum Teil schweren Repressalien ausgesetzt. Viele Priester und Ordensleute der katholischen Kirche sowie Pfarrer der evangelischen »Bekennenden Kirche« wurden inhaftiert, misshandelt und in Konzentrationslagern getötet. Der Ausschuss, den sich das Zentrum gewünscht hatte, um über die Maßnahmen aufgrund des Ermächtigungsgesetzes informiert zu werden, war kurzlebig und bedeutungslos. Die einzige Aussage aus der Regierungserklärung, an die man sich hielt, war die Verbesserung der Beziehungen des Reiches zum Vatikan. Sie wurden durch das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 auf eine neue Basis gestellt. Unklar ist allerdings, ob Hitler mit dem Zentrum vor der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes überhaupt über das Reichskonkordat gesprochen hat. In den Akten der Reichsregierung und den Protokollen der Zentrumsfraktion findet sich eine solche Absprache oder Zusicherung nicht.

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Nach Hitlers Rede wurde die Sitzung, wie es zuvor im Ältestenrat vereinbar worden war, um 15.12 Uhr für drei Stunden unterbrochen. Der französische Botschafter André François-Poncet, der sich in der Kroll-Oper befand, schilderte nach dem Krieg, er habe während der Unterbrechung »draußen die Hitleranhänger in Sprechchören rufen [hören]  : ›Wir wollen unbeschränkte Vollmacht, sonst gibt’s Scherben  !‹«159 Ein weiterer Beleg für die bedrohliche Sitzungsatmosphäre. Die Zentrumsfraktion versammelte sich in ihrem Fraktionssaal im Reichstags­ gebäude zur Fraktionssitzung. Noch bestand keine einheitliche Linie, wie die Fraktion sich zu dem Ermächtigungsgesetz verhalten solle. Eine schriftliche Probeabstimmung erbrachte kein einstimmiges Votum.160 57 Abgeordnete stimmten für die Zustimmung, neun dagegen und fünf enthielten sich.161 Zu den Gegnern einer Zustimmung gehörten Heinrich Brüning, Joseph Wirth, Joseph Joos, Eugen Bolz, Helene Weber und Jakob Kaiser.162 Das sehr kurze Fraktionsprotokoll vermerkt sodann  : »Nach längerer Aussprache über das obige Ergebnis ergibt sich der allseitige Wille der Fraktion, mit Rücksicht auf die Partei und ihre Zukunft der Mehrheit der Fraktion zu folgen und für das Ermächtigungsgesetz zu stimmen. Dr. Kaas wird im Namen der Fraktion eine Erklärung abgeben.«163 Die Fraktionsminderheit um Brüning, die für eine Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes votiert hatte, fügte sich der Fraktionsmehrheit. Um 17 Uhr war die Fraktionssitzung beendet. Die Abgeordneten kehrten vom Fraktionssitzungssaal im Reichstagsgebäude in den Sitzungssaal in der Kroll-Oper zurück. Als die Plenarsitzung um 18.15 Uhr wieder begann, erhielt der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Otto Wels, das Wort. Der Augenzeuge Josef Felder erinnerte sich später  : »Würdevoll, äußerst beherrscht und ohne jedes Zeichen von Furcht stand er am Rednerpult.«164 Reinhold Maier erinnerte sich, die Rede sei »das stärkste demokratische Erlebnis« gewesen, das ihm jemals beschieden gewesen sei.165 Er begründete das geplante »Nein« seiner Fraktionskollegen. Wels bekannte sich zu einer rechtsstaatlichen Demokratie und kritisierte das Vorgehen der Regierung gegen ihre politischen Gegner. Er warf ihr indirekt vor, ihre »Gegner zu behandeln, als seien sie vogelfrei.« Berühmt wurde sein Ausspruch  : »Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.«166 (Wegen dieses Muts trägt seit dem Jahr 2017 ein Gebäude des Bundestages den Namen »Otto-­ Wels-Haus«.) Wels erinnerte die Regierung an ihre durch die Parlamentsmehrheit gegebene Möglichkeit und Pflicht, »streng nach Wortlaut und Sinn der Verfassung zu regieren.«167 Auf die nicht mehr vorhandene Pressefreiheit wies er ebenfalls hin. Es sei keine Berichterstattung im Inland mehr möglich, »die Wahres vom Falschen scheidet«.168 Die Regierung wolle »den Reichstag ausschalten«.169 Seine Rede beendete Wels mit den Worten  : »Wir grüßen die Verfolgten

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und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft.«170 Damit bezog Wels sich auf die vielen willkürlichen Verhaftungen und Misshandlungen von SPD-Mitgliedern. Der Beifall der SPD-Abgeordneten an mehreren Stellen seiner Rede »löste« nach Auskunft des SPD-Mannes Felder »Zischen und Zwischenrufe um uns herum aus, während die Nazi-Abgeordneten sich überraschend ruhig verhielten.«171 André François-Poncet beobachtete, dass Hitler während der Rede »sich eifrig Notizen machte«.172 Der Inhalt von Wels’ Rede war vorab veröffentlicht worden und dem Reichskanzler schon bekannt, bevor Wels ans Rednerpult trat. Hitler ergriff unmittelbar nach Wels das Wort. Er ließ eine Tirade auf seinen Vorredner niedergehen. Die erhaltenen Tonaufnahmen zeigen, wie Hitler in spöttischem Tonfall begann (»Spät kommt ihr, doch ihr kommt.«) und sich in den für ihn üblichen Furor hineinsteigerte. Seine Rede begann er ohne die übliche Anrede des Präsidenten und der Abgeordneten. Höhnisch warf er den Sozialdemokraten Versäumnisse vor und stilisierte sich und seine Partei als Opfer der früheren Regierungen. Auch warf er der SPD vor, in ihren ausländischen Zeitungen gegen die Regierung zu hetzen. Jegliche Verfolgung der SPD stritt er ab  : Wir beherrschen uns, gegen die uns zu wenden, die uns vierzehn Jahre lang gequält und gepeinigt haben. […] Sie sind wehleidig, meine Herren, und nicht für die heutige Zeit bestimmt, wenn Sie jetzt schon von Verfolgungen sprechen. Was ist Ihnen geschehen  ? Sie sitzen hier, und geduldig hört man Ihren Redner an. Sie reden von Verfolgung. Wer hat Sie denn bisher verfolgt  ?173

Der Charakter des Reichskanzlers, seiner Partei und seiner Regierung traten während der Rede offen zutage. Die »Rede enthüllte in ihrer ›bravourösen Roheit‹ und ihrem ›rauschhaften Abfertigungsvergnügen‹, worauf sich Hitler und der Nationalsozialismus stützten  : auf Rhetorik und Gewalt.«174 Der Augenzeuge André François-Poncet empfand es genauso  : »[…] nun zeigte er sich in seiner wahren Gestalt  : als ein Polemiker, ein die Massen aufstachelnder Volksredner, ein Fanatiker, der keine Gnade kennt.«175 Zugleich ging Hitler in seiner Replik erneut auf die katholischen und die bürgerlichen Abgeordneten zu  : »Ich möchte denen, die am Ende vielleicht auf anderen Wegen auch mit ihrem Volk empfinden, die Hand reichen […]«, was das Zentrum mit einem »Bravo  !« erwiderte.176 Außerdem legte Hitler offen, warum er das Ermächtigungsgesetz benötigte  : »[…] appellieren wir in dieser Stunde an den Deutschen Reichstag, uns zu genehmigen, was wir ohnedem hätten nehmen können. Des Rechts we-

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gen tun wir es – nicht weil wir die Macht überschätzen, sondern weil wir uns am Ende mit denen, die vielleicht heute von uns getrennt sind, aber doch auch an Deutschland glauben, einst vielleicht leichter finden können.«177 Das Gesetz diente allein dazu, die bereits errungene Macht auf eine scheinbar legale und damit für die Bevölkerung akzeptable Grundlage zu stellen. Auf Zwischenrufe aus den Reihen der SPD während Hitlers Tirade gegen Otto Wels reagierten die SA- und SS-Leute, die an der Saalwand standen. Sie »zischten heftig und murrten  : ›Maul halten  !‹, ›Landesverräter‹, ›Ihr werdet heute noch aufgehenkt [sic]  !‹«178 Trotz Hitlers Ausfällen gegenüber Wels und der SPD bekundeten die nachfolgenden Redner die Zustimmung ihrer Fraktionen. Ludwig Kaas nahm für das Zentrum »demütig und ehrerbietig«179 Stellung. Er hob hervor, dass seine Partei sich »bewußt und aus nationalem Verantwortungsgefühl über alle parteipolitischen und sonstigen Bedenken« hinwegsetzte. Sie lasse »selbst solche Bedenken in den Hintergrund treten, die in normalen Zeiten pflichtmäßig und kaum überwindbar wären.« Es gehe um »die Fortführung des nationalen Rettungswerkes«.180 Kaas nahm ausdrücklich auf Hitlers Zusagen in seiner Regierungserklärung und in den »Vorverhandlungen« Bezug.181 Sie gäben »die Möglichkeit, eine Reihe wesentlicher Bedenken, welche die zeitliche und die fachliche Ausdehnung des Ermächtigungsbegehrens der Regierung bei uns ausgelöst hatte und auslösen mußte, anders zu beurteilen.«182 Nach Ludwig Kaas kündigten in der Aussprache zum Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 auch der BVP-Abgeordnete Hans Ritter von Lex, Reinhold Maier für die DStP und Wilhelm Simpfendörfer als Vorsitzender des CSVD die Zustimmung ihrer Parteikollegen an. Ritter von Lex, der anstelle des Fraktionsvorsitzenden Johann Leicht sprach, bezog sich – wie Kaas – auf Hitlers Zusagen als Grund für die Zustimmung der BVP. Er gab »dabei der Hoffnung Ausdruck, daß die Durchführung und die Handhabung des Ermächtigungsgesetzes sich in den Schranken des christlichen Sittengesetzes hält.«183 Die BVP schloss sich somit der Haltung des Zentrums an. Reinhold Maier führte aus, die DStP fühle sich »in den großen ­nationalen Zielen durchaus mit der Auffassung verbunden, wie sie heute vom Herrn Reichskanzler hier vorgetragen wurde.« Die DStP leugne keineswegs, dass ­Notzeiten besondere Maßnahmen erforderten, und verstehe, dass die gegenwärtige Reichsregierung weitgehende Vollmachten verlange, um ungestört arbeiten zu können.184 Gleichwohl wolle er Besorgnisse zum Ausdruck bringen. Die DStP vermisse in dem vorliegenden Gesetzentwurf eine ausdrückliche Sicherung der verfassungsmäßigen Grundrechte des Volkes und der Grundlagen der bürgerli-

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chen Rechtsordnung. Unantastbar müssten »vor allem bleiben die Unabhängigkeit der Gerichte, das Berufsbeamtentum und seine Rechte, das selbstbestimmende Koalitionsrecht der Berufe, die staatsbürgerliche Gleichberechtigung, die Freiheit von Kunst und Wissenschaft wie ihrer Lehre.«185 Gerade diese Werte seien durch die Weimarer Verfassung aus der alten deutschen und aus der alten preußischen Staatstradition gerettet worden und dürften nicht gefährdet werden. »Im Interesse von Volk und Vaterland und in der Erwartung einer gesetzmäßigen Entwicklung« werde die DStP ihre »ernsten Bedenken zurückstellen und dem Ermächtigungsgesetz zustimmen.«186 Wilhelm Simpfendörfer gab die kürzeste Erklärung ab. Der CSVD bejahe die innen- und vor allem die außenpolitischen Ziele der Reichsregierung, die Hitler vorgetragen habe.187 Vertreter der übrigen Kleinparteien äußerten sich nicht. Reichstagspräsident Göring bemühte sich während der Plenardebatte nicht einmal um vorgeschobene Neutralität. Er ergriff deutlich Partei und lobte Hitlers Rede.188 Er machte während der Tirade Hitlers einen unterstützenden Zwischenruf,189 stimmte den verlogenen Bemerkungen über nicht vorhandene Verfolgung zu190 und bemerkte sogar  : »Jetzt rechnet der Kanzler ab.«191 Am Schluss der Debatte verließ Göring sogar den Präsidentenstuhl und ergriff selbst das Wort.192 Er attackierte die SPD ebenfalls. Mit seinen polemischen und persönlich herabsetzenden Worten zeigte er, wie wenig der NSDAP an der hergebrachten sinnvollen Parlamentstradition eines die Sitzung neutral leitenden Präsidenten und an einem freien Meinungsaustausch im Reichstag gelegen war. Auch die Beifallsbekundungen von den Besuchertribünen, die während beider Hitler-Reden zu hören waren, hätte Göring zum Anlass nehmen können, die Tribünen zu räumen (§ 94 Abs. 1 GO-RT). Er tat dies nicht, weil er mit den Beifallspendern einverstanden war. Nach dem Ende der Aussprache in der 2. Beratung (»Lesung«) wurde eine redaktionelle Änderung am Gesetzentwurf beschlossen. An die 2. Beratung schloss sich die sog. 3. Beratung an, in der die fünf Artikel des Ermächtigungsgesetzes einzeln angenommen wurden. Schließlich stand die Schlussabstimmung, also die endgültige Verabschiedung des gesamten Gesetzes, an. Die Schlussabstimmung erfolgte namentlich. Die Abgeordneten mussten dazu eine Stimmkarte mit dem Aufdruck »Ja«, »Nein« oder »Enthaltung« in eine der Urnen werfen. Die Schriftführer ermittelten das Ergebnis durch Auszählung nach dem Schluss der Abstimmung. Das Ermächtigungsgesetz erhielt 444 von 538 abgegebenen Stimmen. Mit »Ja« stimmten, neben der NSDAP und der DNVP, das Zentrum, die BVP, die DStP, der CSVD, die DBP und ein Vertreter der DVP. Als krank hatten sich ein Abgeordneter des Zentrums und einer der DVP entschuldigt.

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Allein die anwesenden 94 Abgeordneten der SPD stimmten mit »Nein«. Damit wurden das Anwesenheits- und das Zustimmungsquorum aus Art.  76 Abs.  1 S. 2 WRV erreicht – selbst wenn man – anders als Göring – nicht die Zahl von 566, sondern die korrekte gesetzliche Mitgliederzahl (inklusive KPD) von 647 zugrunde legt. Denn bei 647 Mitgliedern mussten 432 Abgeordnete anwesend sein und davon mindestens 288 zustimmen. Dies war der Fall. Im Ergebnis war also die Nichteinladung der KPD-Abgeordneten bzw. die Verhaftung mehrerer KPD-Abgeordneter ebenso wie die Fiktion der Anwesenheit abwesender Mitglieder durch die Geschäftsordnung ohne Bedeutung  : Die beiden Quoren wurden auch so erreicht. Am Schluss der Sitzung sangen die Mitglieder der ­NSDAP-Fraktion mit erhobenem rechtem Arm das »Deutschland-Lied«. Um 19.52 Uhr endete die Reichstagssitzung. Der Weimarer Reichstag hatte sich selbst entmachtet. Er existierte bloß als Hülle fort. Einige Zentrumsabgeordnete, darunter Brüning und Kaas, wurden beim Verlassen der Kroll-Oper von Nationalsozialisten beschimpft und bedroht. Brüning erinnerte sich, dass SS-Leute geschrien hätten  : »Nieder mit Brüning, schlagt ihn tot  !«193 Warum stimmten die katholischen und die bürgerlichen Parteien zu  ?

Wenngleich sich natürlich nicht die Beweggründe jedes einzelnen Fraktionsmitglieds ermitteln lassen, ermöglichen es die fraktionsinternen und öffentlichen Äußerungen, die Erklärungen im Plenum sowie die Erinnerungen von Beteiligten, sich ein Bild über die Zustimmungsgründe zu machen. Für die Entscheidung des Zentrums, für das Ermächtigungsgesetz zu stimmen, sind mehrere Gründe zu nennen.194 Sie galten sicherlich nicht für jedes Zentrumsmitglied in gleichem Maße. Als Motivbündel195 erklären sie aber die Zustimmung der Gesamtfraktion. Im Vordergrund stehen die Zusicherungen Hitlers, die er in der Regierungserklärung kurz zuvor öffentlich bekräftigt hatte. Auch hofften viele Zentrumsabgeordnete, ihre Zustimmung könne dazu beitragen, die »braune Revolution« in geordnete Bahnen zu lenken und »Schlimmeres« (wie einen offenen Bürgerkrieg oder eine massive Attacke der Regierung auch gegen das Zentrum und seine Mitglieder) zu verhüten. Der Historiker Friedrich Meinecke erinnerte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, dass ein ungenannter Zentrumsabgeordneter ihm am 22. März 1933 auf die Äußerung Meineckes, er werde doch gegen das Gesetz stimmen, gesagt habe  : »Dann wird’s ja noch schlimmer.«196 Ferner setzten manche Zentrumsabgeordnete auf ein baldiges Scheitern der Reichsregierung Hitler  – wie es den vorherigen Kabinetten widerfahren war – und ein Eingreifen des Reichspräsidenten bei einem weiterhin

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gewaltsamen Vorgehen der Reichsregierung. Auch die beschriebene bedrohliche Atmosphäre im Sitzungssaal und davor mochte manche Zentrumsabgeordneten dazu anhalten, zur eigenen Sicherheit mit »Ja« zu stimmen. Des Weiteren hatte Kaas noch im Oktober 1932 für eine »Sammlung« der Parteien zur Mitarbeit geworben, um die Staatskrise zu überwinden. Ein politisches Bündnis mit der NSDAP hatte er nicht ausgeschlossen. Die Zentrumsabgeordneten wurden in gewisser Weise zu »Gefangene[n] ihrer eigenen Sammlungsparole«197. Ein Artikel, der am 5. April 1933 in mehreren Zentrumszeitungen erschien,198 wiederholte die Beweggründe für die Zustimmung des Zentrums  : die weiterhin (vermeintlich) bestehende jederzeitige Möglichkeit einer sachlichen Einflussnahme des Reichspräsidenten, die Zusicherungen Hitlers in der Regierungserklärung vom 23. März, das vereinbarte Unterrichtungsgremium (»Arbeitsausschuss«), das dem Zentrum die zeitige Einsichtnahme in Gesetzesvorhaben ermöglichen sollte, und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit »in einem entscheidenden und für Deutschland nicht ungefährlichen Augenblick der Nachkriegsentwicklung aus ihrem [der Zentrumspartei, P.A.] inneren staatspolitischen und sittlichen Muß heraus« als »Ausfluß der Sammlungsparole«, die Kaas ein halbes Jahr zuvor an alle deutschen Parteien gerichtet hatte. Mancher Abgeordnete dürfte auch in Sorge gewesen sein, was mit den SPD-Mitgliedern im Falle eines »Neins« passieren würde.199 Ein mögliches Konkordat des Deutschen Reiches mit dem Heiligen Stuhl war kein Zustimmungsgrund. Zwar wurde und wird dies manchmal – auch wegen entsprechender späterer Äußerungen Brünings200  – vermutet201, da das Reichskonkordat bereits am 20. Juli 1933 abgeschlossen wurde und Hitler in seiner Regierungserklärung am 23. März wie gesehen eine Verbesserung der Beziehungen des Reiches zum Heiligen Stuhl in Aussicht gestellt hatte. Auch waren Gerüchte darüber am 30. März 1933 in Zeitungen zu lesen. Aber ein Konkordat hatte in den Unterredungen Hitlers mit Kaas und anderen Zentrumsvertretern keine Rolle gespielt. Anderes ist in den Quellen nicht nachweisbar.202 Die Beweggründe der BVP dürften denen des Zentrums sehr ähnlich gewesen sein. Die BVP nahm das avisierte Abstimmungsverhalten des Zentrums zum Vorbild. In der fünfköpfigen Gruppe der DStP-Abgeordneten hatten Theodor Heuss und Hermann Dietrich gegen eine Zustimmung votiert. Reinhold Maier, Ernst Lemmer und Heinrich Landahl hatten für die Zustimmung gesprochen. Ihre Ansicht hatte sich durchgesetzt, nachdem Dietrich von dem zu erwartenden »Ja« der Zentrumsfraktion erfahren und dann auch für die Zustimmung plädiert h ­ atte.203 In einer Erklärung an ihre Parteifreunde vom 24. März 1933 unterstrichen die DStP-Abgeordneten nochmals ihre Haltung. Ausschlaggebend für ihre Zustim-

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mung sei die Erwägung gewesen, »daß mit der Annahme des Ermächtigungsgesetzes die Sprengung der Gesetzlichkeit in der zentralen Stelle der Reichsführung vermieden« worden sei. Solche Überlegungen seien auch für die Zentrumspartei maßgeblich gewesen. »Ein Scheitern des Gesetzes hätte mit innerer Notwendigkeit die revolutionären Kräfte, nicht nur der Zentrale, sondern im Land draußen [gemeint sind z. B. SA und SS, P.A.], in Bewegung gebracht.« Es sei darum gegangen, »die Möglichkeiten der gesetzlichen Entwicklung zu retten, vielleicht zu verstärken.«204 Die weitere Entwicklung sprach bekanntlich diesen Überlegungen der DStP und des Zentrums Hohn. Ein weiteres Motiv für die Zustimmung der DStP-Abgeordneten, das in dem Schreiben nicht genannt wurde, war der Verlust des Vertrauens in die Weimarer Republik, der durch die schwere Wirtschafts- und Staatskrise seit 1929/30 bedingt war.205 Die parlamentarische Demokratie hatte in bürgerlichen Kreisen nur noch wenige Befürworter. Ein Beispiel dafür liefert die Notiz des Münchener Erzbischofs Michael Kardinal von Faulhaber vom 4. März 1933  : »Richtig ist, daß das parlamentarische System in seiner Unfruchtbarkeit sterben muß.«206 Die im Volk weit verbreiteten Hoffnungen auf eine straffere und stabilere Staatsführung sowie eine Überwindung der Wirtschaftskrise erfassten auch überzeugte Demokraten. Viele Abgeordnete der bürgerlichen und der katholischen Parteien waren hier keine Ausnahme. Der Reichsrat erhebt keinen Einspruch

Der Reichsrat wirkte als Vertretung der Reichsländer (Art.  60 WRV) an der Reichsgesetzgebung mit. Ihm stand gegen die vom Reichstag beschlossenen Gesetze der Einspruch zu (Art. 74 Abs. 1 WRV). Der Reichsrat tagte am 23. März 1933 im Reichsministerium des Innern unter dem Vorsitz des Reichsinnenministers. Der Minister teilte dem Gremium das Abstimmungsergebnis des Reichstages mit. Der Reichsrat beschloss in dieser achten Sitzung des Jahres nach einleitenden Worten Fricks einstimmig, von dem Gesetzentwurf des Ermächtigungsgesetzes Kenntnis zu nehmen, ohne Einspruch zu erheben.207 Da die politische Gewalt aller Landesregierungen sich seit dem 17. März 1933 in der Hand der Nationalsozialisten befand – durch eine Regierungsbeteiligung oder durch die Einsetzung von Reichskommissaren – war der Beschluss nicht verwunderlich. Mit dem Verzicht auf den Einspruch entmachtete sich der Reichsrat selbst.

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Die nur scheinbar legale Ermächtigung

Joseph Goebbels schrieb am Abend des 23. März 1933 in sein Tagebuch  : »Jetzt sind wir auch verfassungsmäßig die Herren des Reiches.«208 Dabei war das Ermächtigungsgesetz aus zwei Gründen nicht verfassungsgemäß zustande gekommen. Zwar wirkte es sich letztlich nicht aus, dass das Anwesenheitsquorum (Art. 76 Abs. 1 S. 2 WRV) durch bloße Änderung der Geschäftsordnung gar nicht modifiziert werden durfte209. Denn es waren 566 und damit, auch wenn man eine Mitgliederzahl von 647 (inklusive KPD) zugrunde legt, genug Abgeordnete anwesend.210 Die einschüchternde SA- und SS-Präsenz in und vor dem Plenarsaal war geeignet, die freie Willensentschließung der Abgeordneten einzuschränken. Die bedrohliche Atmosphäre selbst im Sitzungssaal vermittelte den (nicht unbegrün­deten) Eindruck, Nein-Stimmen würden Leib und Leben gefährden. Die Einschränkung der Abstimmungsfreiheit war eine Beschränkung der Mandatsfreiheit (Art. 21 WRV). Sie führte zur Unwirksamkeit der Abstimmung.211 Das Ermächtigungsgesetz war daher formell verfassungswidrig.212 Angesichts der oben ausführlich zitierten Zeitzeugenberichte ist die Behauptung des Vizekanzlers Papen ins Reich der Fabel und Selbstrechtfertigung zu verweisen, nicht die Einschüchterung habe die Opposition zum Ja-Sagen bewogen, sondern »ihre ehrliche Überzeugung«. Immerhin gibt Papen selbst zu, dass »es kein erfreuliches Bild« gewesen sei, »das Parlament voller Uniformen zu sehen«, und erwähnt auch die »den Reichstag [die Kroll-Oper, P.A.] umgebende bewaffnete SA«.213 Auf die oppositionelle SPD oder die Bedrohung von SPD- und Zentrumsabgeordneten ging Papen gar nicht ein. Sein Vergleich mit Ordnungsmaßnahmen des Reichstagspräsidenten Löbe ein Jahr zuvor214 ist infam  : Davon abgesehen, dass Papen die Vorgänge des Jahres 1932 falsch beschreibt, handelte Löbe auf verfassungs- und geschäftsordnungsrechtlicher Grundlage, als er den Plenarbetrieb gegen randalierende Abgeordnete der NSDAP schützte. Die Nationalsozialisten handelten im März 1933 wider die Verfassung und die Geschäftsordnung, als sie SA- und SS-Männer im Plenarsaal aufstellten. Zu sichern hatten sie hier nichts. Die einzige Gefahr für den ordnungsgemäßen Sitzungsablauf ging von ihnen selbst aus, nicht von der Opposition. Der Sitzungsbetrieb hätte vor der SA und der SS geschützt werden müssen. Auch die Gleichsetzung der von Löbe herbeigerufenen Polizei mit der SA und der SS ist völlig absurd. Besonders dreist erscheint auch, wie Hindenburgs Staatssekretär Meissner in seinen Erinnerungen die Zustimmung der Mittelparteien zum Ermächtigungsgesetz beurteilte. Er schrieb, es

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wäre die Pflicht der bürgerlichen Parteien, von deren Zustimmung die Erlangung der Zweidrittelmehrheit für dieses Gesetz abhing, gewesen, das wichtigste Recht jeder Volksvertretung, das der Gesetzgebung und der Kontrolle der Regierung, zu verteidigen und seine Genehmigung von der Aufnahme entsprechender Einschränkungen abhängig zu machen.

Meissner selbst war an den Beratungen des Ermächtigungsgesetzes beteiligt. Er hielt den Reichspräsidenten nicht davon ab, das Gesetz zu unterschreiben. Im Nachhinein wies er die Schuld nun den bürgerlichen Parteien zu. Und er, der zur einflussreichen Kamarilla des Reichspräsidenten gehört hatte, schob zu den Parteien hinterher  : »[…] sie haben früher oft aus geringfügigeren Anlässen, aus Parteiopposition oder aus anderen Gründen Kabinette gestürzt, die Zurücknahme von Regierungsvorlagen oder Ausnahmeverordnungen des Reichspräsidenten erzwungen und Regierungskrisen herbeigeführt.«215 Durch diesen Nachsatz wird der Eindruck erweckt, auf die Parteien sei nie Verlass gewesen und sie hätten immer nur Unheil gestiftet. Meissner verquickte hier die übliche verachtende Parteienkritik des Hindenburg’schen Umfelds, zu dem er selbst gehörte, mit der Nachkriegsrechtfertigung der NS-Mittäter, zu denen er ebenfalls gehörte. Immer wieder ist zu lesen, das Ermächtigungsgesetz sei verfassungswidrig gewesen, weil der Beschluss des Reichsrates vom 23. März 1933, den nach Art. 76 Abs.  2 WRV möglichen Einspruch gegen das Ermächtigungsgesetz nicht zu erheben, in verfassungswidriger Weise zustande gekommen sei.216 Tatsächlich war der Beschluss des Reichsrates rechtlich mangelhaft. Denn einige der Bevollmächtigten der im Reichsrat vertretenen Länder waren in rechtswidriger Weise bestellt worden. Vor dem 30.  Januar 1933 bestand nur in sechs von 17 Ländern eine Landesregierung mit nationalsozialistischem Regierungschef oder NSDAP-Ministern. In Preußen und zehn weiteren Ländern erreichten die Nationalsozialisten erst durch die Ernennung von Reichskommissaren (gemäß dem sehr dehnba­ ren §  2 der Reichstagsbrandverordnung) oder die erzwungene Wahl einer ­NSDAP-­dominierten Landesregierung durch das Landesparlament den Zugriff auf die Regierungsgewalt. Auf diese Weise griffen sie auch auf das Stimmrecht der Länder im Reichsrat zu. Soweit Reichskommissare das Stimmrecht ausübten oder die Bevollmächtigten der Länder instruierten, also lenkten, widersprach dies der Verfassung. Der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich hatte nämlich am 25. Oktober 1932 geurteilt, dass es verfassungswidrig sei, wenn Reichsorgane (Reichskommissare) das Stimmrecht des preußischen Staatsministeriums (der Landesregierung) im Reichsrat ausübten. Das Gericht meinte, die Vertretung

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eines Landes im Reichsrat aufgrund des Art. 48 Abs. 2 einem Lande zu entziehen und sie auf einen Reichskommissar zu übertragen bedeute eine wesentliche Beeinträchtigung der Stellung des Landes im Reich und eine dem Wesen des Reichsrats widersprechende Veränderung seiner Zusammensetzung. Reichskommissare seien Organe des Reichs und von der Reichsgewalt abhängig. Sie könnten daher das Land nicht im Reichsrat vertreten.217 Es müsse die verfassungsmäßige Landesregierung als Organ des Landeswillens bestehen bleiben und es müsse ihr die Vertretung des Landes gegenüber dem Reich, insbesondere im Reichsrat und Reichstag (Art. 33 WRV), sowie gegenüber anderen Ländern belassen werden. Auch die verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten gegenüber den anderen höchsten Landesorganen (Landtag und Staatsrat) könnten der Landesregierung nicht genommen werden.218 Dieses Urteil ließ sich auf alle Länder übertragen. Anlass des Urteils war eine Klage der preußischen Landesregierung, die durch den Preußenschlag der Reichsregierung Papen am 20. Juli 1932 abgesetzt worden war. Infolge des Urteils gab es rechtlich zwei preußische Regierungen  : das Kabinett Otto Brauns als sog. Hoheitsregierung mit nur noch wenigen Befugnissen (gegenüber dem Reich und den Landesorganen) und die sog. Kommissariatsregierung aus Reichskommissaren. Der französische Botschafter François-Poncet meinte dazu  : »Preußen hat zwei Regierungen, die eine regiert und herrscht nicht, die andere herrscht und regiert nicht […]«.219 Die Regierung Hitler befolgte das Urteil nicht. Sie trachtete danach, die Hoheitsregierung endgültig zu entmachten. Die »Verordnung des Reichspräsidenten zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen« vom 6.  Februar 1933220 übertrug der Reichsregierung alle Befugnisse der Hoheitsregierung, darunter auch das Stimmrecht im Reichsrat. Die Verordnung war »Teil 2« des Preußenschlages.221 Auch in den Ländern Bayern, Sachsen, Baden, Lübeck, Schaumburg-Lippe und Bremen übernahmen Reichskommissare (gestützt auf den sehr elastischen § 2 der Reichstagsbrandverordnung) handstreichartig die Regierungsgewalt. Sie ernannten neue Bevollmächtigte zum Reichsrat oder instruierten die vorhandenen in ihrem nationalsozialistischen Sinne, nicht für einen Einspruch gegen das Ermächtigungsgesetz zu stimmen. Beispielsweise nahm der von der Reichsregie­ rung gemäß §  2 der Reichstagsbrandverordnung eingesetzte kommissarische bayerische Ministerpräsident von Epp das Stimmrecht anstelle des gewählten Ministerpräsidenten Held wahr. 37 von 66 Stimmen, also die Mehrheit der Voten, hätten nicht berücksichtigt werden dürfen. Zwar war der Beschluss des Reichsrates verfassungswidrig, da das Gremium nicht ordnungsgemäß besetzt war. Aber dieser Umstand führte nicht zur Verfassungswidrigkeit des Ermächtigungsgesetzes. Denn der ordnungsgemäße

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Beschluss darüber, ob ein Einspruch eingelegt wurde oder nicht, war nach der Verfassung nicht Voraussetzung für das Zustandekommen eines Gesetzes. Der Reichsrat konnte einen Einspruch einlegen (Art. 74 Abs. 1 WRV). Es war ihm überlassen, ob er Einspruch einlegte oder nicht. Das Einspruchsrecht war verzichtbar.222 Ob der Inhalt des Ermächtigungsgesetzes der Weimarer Verfassung widersprach, ob es also auch materiell verfassungswidrig war, ist seit jeher umstritten. Die zeitgenössische Rechtslehre und Rechtspraxis gestand dem verfassungsändernden Gesetzgeber zu, die Verfassung »in allen ihren Teilen und Vorschriften unbeschränkt«223 zu ändern. Eine beschränkende Vorschrift wie Art. 79 Abs. 3 GG bestand nicht. Doch spricht manches dafür, dass die Konzentration der Gesetzgebung bei der Regierung verfassungswidrig war. Sie widersprach dem Gewaltenteilungsgrundsatz und dem Demokratieprinzip. Sie verkehrte grundlegende Verfassungsprinzipien in ihr Gegenteil. Sie pervertierte die Verfassung. Jedenfalls war das Ermächtigungsgesetz aus den oben genannten beiden Gründen verfassungswidrig zustande gekommen. Es war somit nur scheinbar legal.224 Gleichwohl erfüllte es – wie auch die übrigen Verordnungen und Gesetze seit der Ernennung Hitlers – seinen Zweck. Das Ermächtigungsgesetz bot den im formalen Denken großgewordenen konservativen Sympathisanten und Mitläufern die Möglichkeit, das Gewissen wie die positivistischen Vorstellungen von Staat und Recht zu befriedigen. […] Am Ende wurde nicht wenigen von ihnen bewußt, daß sie das Opfer einer folgenschweren Unterschätzung geworden waren. Das Verwirrspiel war so erfolgreich, weil die Regisseure der Machtergreifung den Übergang vom autoritären Verordnungsregime der »nationalen Erhebung« zur revolutionären Diktatur des Nationalsozialismus auf offener Bühne, aber unter der Maske der Legalität und Tradition, inszenierten.225

»Die Verabschiedung des Gesetzes […] erleichterte die Errichtung der Diktatur außerordentlich. Der Schein der Legalität förderte den Schein der Legitimität und sicherte dem Regime die Loyalität der Mehrheit, darunter, was besonders wichtig war, der Beamten.«226 Bis zum Ende des NS-Regimes wurde das Ermächtigungsgesetz drei Mal – von der Regierung selbst – verlängert. Bis 1945 wurde so der Schein einer legalen Ermächtigung aufrechterhalten. Die nach dem Kriegsende geäußerte Auffassung mancher Zeitgenossen  – darunter Theodor Heuss, der dem Gesetz zugestimmt hatte –, das Ermächtigungsgesetz habe »für den praktischen Weitergang der nationalsozialistischen Politik keinerlei Bedeutung gehabt«227, ist unzutreffend.

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Die Entmachtung des Reichstages

Terror vom Anfang bis zum Ende  : die Verfolgung oppositioneller Abgeordneter Bereits die ersten Maßnahmen der Regierung Hitler ließen die politischen Gegner Schlimmes ahnen. Die Schubkasten- und die Reichstagsbrandverordnung sowie die Ernennung von SA-, SS- und Stahlhelm-Männern zu »Hilfspolizisten« zielten auf die Opposition ab. Zunächst waren vor allem die Mitglieder der linken Parteien in Bedrängnis und Gefahr. Doch während des Wahlkampfes hatte sich gezeigt, dass auch die bürgerlichen und die katholischen Mittelparteien kaum Schonung erwarten durften. Über die Verhaftungen, körperlichen Misshandlungen und Schikanen gegen Abgeordnete der KPD und der SPD seit dem Reichstagsbrand habe ich schon berichtet. Verhaftete Abgeordnete wurden in Hetzpropaganda verächtlich gemacht und verunglimpft.228 Viele ehemalige Abgeordnete gingen ins Exil, sofern sie noch die Möglichkeit dazu hatten. Manche flüchteten schon im Februar oder März 1933, manche erst später wie Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht (KPD), die im Mai bzw. Oktober 1933 das Land verließen. Auch bürgerliche Politiker flohen aus dem Land. Der frühere Reichskanzler Joseph Wirth, ein ausgewiesener Nazi-Gegner, emigrierte am 24. März 1933 in die Schweiz. Der ehemalige Reichsminister Erich Koch-­Weser ging ins Exil nach Brasilien. Gottfried Treviranus, ebenfalls ein ehemaliger Reichsminister, konnte am 30. Juni 1934, als er im Zuge des sog. Röhm-Putsches verhaftet werden sollte, wagemutig fliehen, obwohl die NS-Häscher sich schon auf seinem Grundstück befanden. Kurt von Schleicher wurde gemeinsam mit seiner Ehefrau in seinem Haus in Potsdam-Babelsberg erschossen. Wer nicht floh und als Politiker in der Weimarer Zeit außerhalb der N ­ SDAP tätig gewesen war, befand sich spätestens seit dem Ermächtigungsgesetz in Gefahr. Viele ehemalige Reichstagsabgeordnete229 und Landesparlamentarier der Weimarer Zeit230 wurden während der NS-Herrschaft verfolgt. Auch Lokal­ poli­tiker wie Landräte oder Bürgermeister hatten Repressalien zu erdulden. Der Leidensweg war sehr unterschiedlich. Das Ausmaß der Verfolgung war sehr unterschiedlich. Viele jüdische oder als »politisch unzuverlässig«, d. h. als demo­kratisch und oppositionell, geltende Amtsträger verloren ihre Stellung, z. B. Ludwig Perlitius (Zentrum), oder wurden zwangspensioniert wie der ehemalige Reichstagsvizepräsident Thomas Esser (Zentrum), der überdies zwei Mal verhaftet und mit einem Rede- und Schreibverbot belegt wurde. Die Grundlage für die Entlassung oder Zwangspensionierung lieferte das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933.231 Prominente politische Amtsträger wie die Oberbürgermeister Kölns und Münchens, Konrad Adenauer

Terror vom Anfang bis zum Ende  : die Verfolgung oppositioneller Abgeordneter 

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(Zentrum) und Karl Scharnagl (BVP), waren schon zuvor handstreichartig ihrer Ämter enthoben worden. Rechtsanwälte verloren ihre Zulassung. Auf behördlichen Druck wurden auch private Arbeitsverhältnisse gekündigt. Ein Beispielfall ist Reinhold Quaatz. Der DNVP-Mann hatte nach der Machtübernahme des Kabinetts Hitler noch einen beruflichen Aufstieg bei der Dresdner Bank erreicht. Doch währte dieser nur kurz. Im Oktober wurde das Arbeitsverhältnis beendet. Ehemaligen Ministern und anderen Amtsträgern wurden die Ministerpensionen und Übergangsgelder willkürlich gestrichen, so etwa Adenauer und dem früheren preußischen und Reichsinnenminister Severing.232 Von Anfang an reichten die Verfolgungsmaßnahmen von dem Verlust der beruflichen Existenz über Schikane durch Vorladungen, zeitweilige Berufsverbote und kurzzeitige Inhaftierungen, über mehrwöchige und mehrmonatige Haft und körperliche Misshandlungen bis hin zu KZ-Haft und Tod. Nach Unterlagen des Reichsinnenministeriums waren im Juli 1933 rund 27.000 politische Gefangene in KZ inhaftiert. 500 bis 600 Menschen kamen dort bis Oktober 1933 zu Tode.233 Viele frühere Politiker der Weimarer Zeit, insbesondere ehemalige Mitglieder der KPD und der SPD, aber auch der katholischen, der liberalen und der übrigen bürgerlichen Parteien, erlitten Gefängnis-, Zuchthaus- oder sogar KZ-Haft. Zu ihnen gehörten der frühere Reichstagspräsident Paul Löbe und der Gewerkschafter Hans Böckler (beide SPD). Löbe wurde in das KZ Dürrgoy gebracht und gleich zu Beginn verhöhnt. Er musste mit einem Strauß Disteln in der Hand ein Spalier von Mithäftlingen passieren, wobei ihm eine aus Gefangenen gebildete Schalmeienkapelle folgte.234 Vor allem nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 verhaftete die Gestapo in der »Aktion Gewitter« (oder »Aktion Gitter«) viele ehemalige bürgerliche Abgeordnete, Minister, Bürgermeister und hohe Beamte. So wurden unter anderen der ehemalige Landtags- und Reichstagsabgeordnete und Reichsminister Andreas Hermes (Zentrum), der ehemalige Landtags- und Reichstagsabgeordnete Michael Horlacher (BVP) sowie die früheren Oberbürgermeister Adenauer (Zentrum) und Scharnagl (BVP) inhaftiert. Ebenfalls im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 wurde der ehemalige Staatssekretär in der Reichskanzlei Hermann Pünder verhaftet und vor dem Volksgerichtshof angeklagt. Hermes war bereits zum Tode verurteilt worden, konnte aber Ende April 1945 aus dem Gefängnis in der Lehrter Straße in Berlin befreit werden. Pünders Haft endete im Folgemonat in den Dolomiten. Die übrigen genannten Männer überlebten den NS-Terror ebenfalls. Sie alle gehörten zu den Neubegründern der Unionsparteien. Sie übernahmen nach dem Kriegsende erneut wichtige demokratische Ämter in der Bundesrepublik. Dasselbe gilt für verfolgte

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Die Entmachtung des Reichstages

Sozialdemokraten, die den Terror und das Exil überlebten  : Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer waren bestimmende Persönlichkeiten der SPD in der Nachkriegszeit und in der jungen Bundesrepublik. Die durch die Nationalsozialisten Verfolgten und Bedrängten prägten das Grundgesetz  : 64 der 65 stimmberechtigten Mitglieder des Parlamentarischen Rates hatten im »Dritten Reich« berufliche Nachteile oder sogar Haft erdulden oder ins Exil gehen müssen. 120 Reichstagsabgeordnete mussten das Hitler-Regime mit dem Leben bezahlen. Sie kamen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 gewaltsam oder infolge ihrer Inhaftierung zu Tode. Die überwiegende Mehrzahl von ihnen hatte der SPD oder der KPD angehört, darunter Ernst Thälmann (KPD), Ernst Heilmann, Rudolf Breitscheid und Rudolf Hilferding (alle SPD). Auch mehrere ehemalige bürgerliche Reichstagsabgeordnete starben infolge der NS-Herrschaft. Unter ihnen war Eugen Bolz (Zentrum), der in diesem Buch mehrfach zu Wort gekommen ist. Er wurde im Juni 1933 verhaftet und eingesperrt. Auf dem Weg vom Stuttgarter Polizeipräsidium in das Gefängnis in der Festung Hohenasperg wurde er von Personen, die vor dem Präsidium gewartet hatten, übel beleidigt, geschlagen und mit Unrat beworfen. Er stieß zu den Männern des mutigen Widerstandskreises, der am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Hitler verübte und versuchte, das NS-Regime zu stürzen. Bolz wurde wie die meisten Mitverschwörer verhaftet und vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Am 23.  Januar 1945 wurde der aufrechte und mutige Staatsmann in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Auch viele ehemalige Landesparlamentarier, auch hier vor allem der KPD und der SPD, aber auch manche aus den bürgerlichen Parteien, wurden in der NS-Zeit getötet oder kamen infolge der Haft zu Tode. Ein Beispiel ist Fritz Elsas (DStP), der von 1931 bis 1933 Erster Bürgermeister Berlins und von 1924 bis 1926 Mitglied des württembergischen Landtages war. Er wurde 1933 zwangspensioniert. Am 10.  August 1944 wurde er, weil er den Widerständler Carl Goerdeler beherbergt hatte, in Berlin-Dahlem verhaftet und am 4. Januar 1945 im KZ Sachsenhausen erschossen. Ein weiteres Beispiel ist Theodor Haubach. Er war seit 1928 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und in Pressefunktionen im Reichsinnenministerium und im Berliner Polizeipräsidium tätig. Während der NS-Herrschaft wurde er mehrfach verhaftet und im Januar 1945 vom Volksgerichtshof als Mitglied des »Kreisauer Kreises« zum Tode verurteilt und kurz darauf hingerichtet.

8 Scheinparlamentarismus

Die Nationalsozialisten hoben die Weimarer Verfassung nicht formell auf. Gleichwohl galt die Verfassung im NS-Regime seit dem 23. März 1933 faktisch nicht mehr. Ihr letzter Rest wurde am 2. August 1934 beseitigt, als Hitler nach dem Tod Hindenburgs die Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten verschmolz. Die (scheinrechtliche) Grundlage der NS-Herrschaft – des »Dritten Reiches«1 – bildeten die Reichstagsbrandverordnung und das Ermächtigungsgesetz. Die faktische Abschaffung der Weimarer Verfassung zeigte sich im Parlamentsrecht. Das staatsrechtliche Schrifttum der NS-Zeit ging wegen der veränderten Stellung des Reichstages davon aus, in der Verfassung verankerte Parlamentsrechte (Selbstversammlungsrecht, Zitierrecht, Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, Misstrauensvotum, Recht zur Aufhebung einer Notverordnung) seien überholt. Carl Schmitt, NSDAP-Mitglied seit dem 1.  März 1933, Preußischer Staatsrat von Görings Gnaden und bekannter »Kronjurist« der ersten Jahre des »Dritten Reiches«, schrieb 1933  : »In Wahrheit ist dieses ›Ermächtigungsgesetz‹ ein vorläufiges Verfassungsgesetz des neuen Deutschland.«2 Ulrich Scheuner, Privatdozent und späterer (auch noch in der Bundesrepublik einflussreicher) Juraprofessor, sprach ein Jahr darauf von der »Grundlegung des neuen Verfassungsrechts«  : Auch die ganze Gesetzgebung der nationalen Erhebung trägt ihrem Gehalt nach durchaus revolutionären Charakter. Das gilt ganz besonders von dem sog. Ermächtigungsgesetz des 24. März 1933. Dieses Gesetz bewirkt die gleichen staatsrechtlichen Änderungen, die in anderen Umwälzungen durch gewaltsame Handlungen erreicht zu werden pflegen. Es zerstört die alte Verfassung und legt den Grund zu einer neuen Staatsordnung. Mag also auch formell das ErmG. an die alte RV. [Reichsverfassung, P.A.] anknüpfen, inhaltlich ist es ein revolutionärer Akt.3

Und weiter  : »Im Ablauf der revolutionären Ereignisse behauptet das ErmG. den entscheidenden Platz. Es ist der grundlegende revolutionäre Akt, zerbricht die Weimarer Verfassung und legt den Grund zu neuer verfassungsgesetzlicher Gestaltung. Es bildet aber weiter vor allem für die ganze nachfolgende revolutionäre Gesetzgebung die staatsrechtliche Grundlage.«4 Auch anhand des Reichstags-Handbuchs für die 8. Wahlperiode lässt sich erkennen, dass die Nationalsozialisten die Weimarer Verfassung für abgelöst oder jedenfalls nicht weiter beachtenswert hielten. In den Wahlperioden bis 1933

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Scheinparlamentarismus

stand im Inhaltsverzeichnis die Reichsverfassung an erster Stelle. Im Handbuch für die 8.  Wahlperiode war sie nicht mehr abgedruckt. Stattdessen fand sich nun, gleich zu Beginn, das Ermächtigungsgesetz.5 Auch weitere Gesetze, wie das Reichswahlgesetz oder die Wahlprüfungsordnung, die in den Reichstags-Handbüchern der früheren Wahlperioden noch abgedruckt waren, sucht man in dem Handbuch für die 8. Wahlperiode vergebens. Ein parlamentarisches Regierungssystem mit einem kontrollierenden Einfluss des Mehrparteienparlaments auf die Staatsleitung und die Regierung bestand nach dem Ermächtigungsgesetz nicht mehr. Mitwirkungsrechte der Ausschüsse beim Erlass von Ausführungsvorschriften wurden durch eine Verordnung vom 30.  März 19336 gestrichen. Das staatsrechtliche Schrifttum der NS-Zeit ging davon aus, die Rechte des Parlaments seien zwar abgebaut worden. Der Reichstag sei aber eine »bedeutsame staatsrechtliche Institution auch im nationalsozialistischen Staat« geblieben. Er habe »eine neue Sinngebung« erfahren. »Die neue Aufgabe« sei es geworden, »die aus der Mannigfaltigkeit der Interessen des Volkes durch die Weltanschauung des Nationalsozialismus gewonnene Einheit der Nation sichtbar zu verkörpern und darzustellen.« Der Reichstag sollte nur noch dazu dienen, die »geschlossene Gefolgschaft des Volkes« darzustellen.7 Der Reichstag tagte als Mehrparteienparlament zum letzten Mal am 17. Mai 1933. Er nahm einstimmig eine Entschließung an. Sie war von der NSDAP-, der DNVP-, der Zentrums- und der BVP-Fraktion eingebracht worden. Das Parlament billigte damit die Regierungserklärung, die Hitler zuvor abgegeben hatte. Der Reichskanzler hatte die Gleichberechtigung des Deutschen Reiches im Verhältnis der Völker gefordert und zugleich den (angeblichen) Friedenswillen seiner Regierung betont. Der Reichstag stellte sich  – so der Entschließungstext  – »in dieser für das Leben der Nation entscheidenden Schicksalsfrage der Gleichberechtigung des deutschen Volkes geschlossen hinter die Reichsregierung«.8 Die SPD-Fraktion stimmte nach einer internen Debatte ebenfalls zu. Zum einen wollten die Abgeordneten ihren Friedenswillen bekunden. Zum anderen befürchteten sie weitere Repressalien gegen die SPD für den Fall, dass sie gegen die Resolution stimmten.9 Zum ebenfalls letzten Mal waren weibliche und jüdische Abgeordnete vertreten. Danach begann die Ausschaltung aller Parteien, mit Ausnahme der NSDAP. Das Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933 annullierte endgültig die KPD-Mandate. Die SPD erhielt auf Ersuchen des Reichsinnenministers von den Landesregierungen am 23. Juni 1933 ein Betätigungsverbot. Das Parteivermögen wurde (zum Teil schon vorher) beschlagnahmt.10 Die SPD- und die über den Reichswahlvorschlag damit verbundenen DStP-Mandate wurden durch die Verordnung zur Sicherung der Staatsführung

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vom 7.  Juli 193311 gestrichen. Ernst Lemmer hat in seinen Erinnerungen den Wortlaut des Briefes des Reichstagsdirektors, in dem ihm dieser mitteilte, dass sein Mandat kraft Gesetzes »erloschen« sei, überliefert.12 Der Reichstagsdirektor bat um die Rückgabe der »Ausweiskarte als Mitglied des Reichstags, der Freifahrkarten für Eisenbahnen und Kraftposten sowie der noch in Ihren Händen befindlichen Schrankschlüssel.« Der Unrechtsstaat zeigte sich auch dann, wenn er in den herkömmlichen Umgangs- und Vorgehensweisen daherkam. Viele Parteien, darunter die DStP, die DNVP, die DVP, der CSVD, die BVP und schließlich am 5. Juli das Zentrum lösten sich »freiwillig« auf. Die Selbstauflösung geschah zumeist, um einem Verbot zuvorzukommen. Mit Ausnahme der NSDAP wurden Parteien durch das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14.  Juli 193313 verboten. Die NSDAP wurde zur Staatspartei. Die Abgeordneten, die nicht der SPD oder der DStP angehörten, blieben auch nach dem 14. Juli 1933 Mitglieder des – schon im Oktober aufgelösten – 8. Reichstages. Sie wurden als Gäste (»Hospitanten«) in die NSDAP-Fraktion aufgenommen. Nur wenige traten direkt im Frühjahr 1933 in die NSDAP ein, wie der zunächst parteilose Arbeitsminister Franz Seldte, der auf der DNVP-dominierten Liste der »Kampffront« in den Reichstag gewählt worden war. Das freie Mandat, eine wesentliche Grundlage der parlamentarischen Demo­ kratie, zählte im nationalsozialistischen Staat nicht mehr. Einige Abgeordnete, die nicht der NSDAP angehörten, wurden unter Missachtung ihrer Immunität (Art.  37 WRV) verhaftet. Das Immunitätsrecht, das nach Art.  37 WRV ein Recht des gesamten Reichstages war, wurde durch ein Gesetz vom 23.  Juni 193314, das die Reichsregierung (!) beschloss, einem Ausschuss bzw., solange ein solcher Ausschuss nicht bestand, dem Parlamentspräsidenten übertragen. Die Immunität wurde also ins Belieben der Mehrheit oder gar des (nationalsozia­ listischen) Parlamentspräsidenten gestellt. Sie garantierte damit faktisch keinen Schutz mehr. Die Grundrechte hatten schon seit der Schubkasten- und der Reichstagsbrandverordnung keine Bedeutung mehr. Innerhalb weniger Monate hatten die Nationalsozialisten die Weimarer Verfassung ausgehebelt und die demokratische Republik abgeschafft. Gleichwohl schafften die Nationalsozialisten die Institution Reichstag – nach der Annexion Österreichs im März 1938 in »Großdeutscher Reichstag« umbenannt – nicht ab. Die äußere Fassade blieb (mehr oder weniger) bestehen. Wie alle Unrechtsregime war das NS-Regime an der Fassade eines gewählten Parlaments und eines Rechtsstaates interessiert. Ein Parlament war der Reichstag nach dem 17. Mai 1933 nicht mehr. Was im »Dritten Reich« unter »Reichstag« firmierte, war ein reines »Akklamationsorgan«15 und aus mehreren Gründen ein

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Scheinparlament  : Der Reichstag kam bis zum Ende des »Dritten Reiches« 1945 nur noch zu 18 Sitzungen zusammen.16 Das Plenum tagte also kaum. Von den im März 1933 bestellten Reichstagsausschüssen trat nur der Geschäftsordnungsausschuss zusammen. Im 9. Reichstag bestimmten Göring und Frick, dass nur noch der Ältestenrat und zwei Ausschüsse eingesetzt wurden. Die Ausschüsse tagten nie. Ab 1936 wurden gar keine Ausschüsse mehr eingesetzt. Der Reichstag war auch deswegen ein Scheinparlament, weil er die Regierung nicht kontrollierte und auf ihre Zusammensetzung oder ihr politisches Schicksal keinen Einfluss hatte. Außerdem erließ er ganze sieben Gesetze. Das erste, vom 30. Januar 1934, betraf den »Neuaufbau des Reichs«17. Die drei folgenden Gesetze, das Reichsflaggengesetz und die beiden berüchtigten »Nürnberger Rassengesetze« (Reichsbürgergesetz und »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre«)18, beschloss der Reichstag auf einer Sitzung in Nürnberg am 15. September 1935. Jeweils am 30. Januar 1937 und 1939 verlängerte der Reichstag das Ermächtigungsgesetz vom 24.  März 1933. Das letzte Reichstagsgesetz betraf die Wiedervereinigung der Freien Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich.19 Es wurde am Tag des deutschen Überfalls auf Polen beschlossen. Ob der Reichstag oder die Regierung ein Gesetz beschloss, war völlig dem Ermessen Hitlers überlassen. So wurde beispielsweise das Ermächtigungsgesetz 1943 durch einen »Führererlass« verlängert (und damit seine Sinnlosigkeit im totalitären Führerstaat nur unterstrichen). Den Inhalt der Gesetze bestimmte der Reichstag in keinem Fall. Seine Beteiligung an der Gesetzgebung diente rein propagandistischen Zwecken. Parlamentarische Beratungen der Regierungserklärungen oder der wenigen dem Reichstag zur Verabschiedung vorgelegten Gesetze gab es nicht. Die letzte Parlamentsdrucksache (Nr. 22 der 8. Wahlperiode) wurde am 21.  Oktober 1933 ausgegeben und enthielt ausgerechnet die Auflösungsorder des Reichspräsidenten für den 8. Reichstag. Da keine parlamentarischen Beratungen mehr stattfanden, wurde die Geschäftsordnung für entbehrlich gehalten. Der Reichstag beschloss auf seiner Sitzung in Nürnberg am 15. September 1935, die Geschäftsordnung abzuschaffen und die Führung der Geschäfte ins freie Ermessen des Reichstagspräsidenten zu übertragen. So sollte dem totalitären »nationalsozialistischen Führerprinzip« Rechnung getragen werden.20 Im Wesentlichen bestand die Tätigkeit des Reichstages darin, Regierungserklärungen Hitlers (etwa zum »Röhm-Putsch«21, zum »Anschluss« Österreichs22 und zum Beginn des Zweiten Weltkriegs23) zu bejubeln. Deswegen bekam der Reichstag im Volksmund den Spitznamen »teuerster Gesangsverein Deutschlands« – eine Anspielung auf den Umstand, dass die Abgeordneten monatliche Diäten erhielten und sich in ihren wenigen Sitzungen auf einstimmige Gesetzesbeschlüsse,

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das Bejubeln der Reden Hitlers und das Singen der Hymne beschränkten. Debatten fanden nicht mehr statt. Dass die Kroll-Oper in der sehr üppigen Zeit, in welcher der Reichstag nicht zusammenkam, als Opernsaal fungierte, passt ins Bild. So heißt es in einem Artikel des Völkischen Beobachters vom 27. April 1942 zur Reichstagssitzung vom vorangegangenen Tage  : »Im Reichstag. […] Gewiß war, daß diese Sonntagssitzung vom 26. April geschichtlich ohne Beispiel sein wird […] … Vor wenigen Tagen wurde hier noch ›Tannhäuser‹ gegeben.« Der schon vorher offenkundige Charakter eines Scheinparlaments wurde im Zweiten Weltkrieg bis ins Absurde gesteigert. Zu den wenigen Reichstagssitzun­ gen wurden die Abgeordneten erst kurz vor der jeweiligen Tagung eingeladen.24 Zum letzten Mal trat der Reichstag am 26. April 1942 zusammen. Die Verlängerung der laufenden »Wahlperiode« des Reichstages durch ein Gesetz der Reichsregierung bis zum 30. Januar 194725 hatte keine Bedeutung mehr. Sie war nicht nur durch den Krieg bedingt, sondern zeigte auch, wie wenig Wahlen, Parlament und Gewaltenteilung dem totalitären NS-Regime bedeuteten. Die Reichstagsverwaltung blieb gleichwohl bis zum Ende des »Dritten Reiches« (und zur Abwicklung sogar ein wenig länger) bestehen.26 Wirkliche Aufgaben hatte sie aber nicht mehr. Einige Reichstagsstenografen waren im »Führerhauptquartier« gewissermaßen als Hofstenografen der verbalen Ergüsse des »Führers« tätig. Im »Dritten Reich« wurden – um den Schein der Mitbestimmung des Volkes zu wahren und die Unterstützung des Regimes durch das Volk zu dokumen­ tieren – mehrfach »Reichstagswahlen« abgehalten  : am 12. November 1933, am 29. März 1936 am 10. April 1938 sowie die »Ergänzungswahl« am 4. Dezember 1938 im Sudetenland, das dem Reich durch das Münchner Abkommen (29. September 1938) zugeteilt worden war. Das Ergebnis aller dieser Wahlen stand bereits vorab fest. Auf dem Stimmzettel fand sich nämlich nur eine Einheitsliste. Eine Auswahl zwischen mehreren Bewerbern – das Kennzeichen einer demokratischen Wahl  – gab es nicht. Die Reichstagswahlen waren eine Farce und ebenso die parallel dazu veranstalteten »Volksabstimmungen«. Wahlen und Abstimmungen sollten eine direkte Beteiligung des Volkes und seine Unterstützung der NS-Herrschaft vorspiegeln. Allen im »Dritten Reich« »gewählten« Reichstagen gehörten weit überwiegend Mitglieder der NSDAP an. Auch die sehr wenigen Abgeordneten, die parteilos waren, standen auf der allein wählbaren Einheitsliste und gehörten als »Gäste« der einzigen Fraktion, der NSDAP-Fraktion, an. Einige von ihnen behielten diesen Status bis zum Ende des NS-Regimes bzw. bis zu ihrem Tod. Zu nennen sind die früheren DNVP-Abgeordneten Axel von Freytagh-Loring­hoven (bis 1942) und Alfred Hugenberg (bis 1945). Wieder andere Abgeordnete, die bei

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der Wahl des 8. Reichstages noch nicht der NSDAP angehört hatten, wurden in die Partei aufgenommen und ordentliches Mitglied der NSDAP-Fraktion. Ein bekannter Fall ist  – neben dem bereits benannten Franz Seldte  – der frühere Reichskanzler Franz von Papen (März 1938). Die Reichstagsmitglieder der NSDAP gehörten fast ausnahmslos der »Oberund Mittelschicht der nationalsozialistischen Parteiführerschaft« an.27 Die Reichs­tagsfraktion führte weiterhin Wilhelm Frick, der bis zum April 1943 zugleich Reichsminister des Innern war. Hermann Göring, der während des NS-­ Regimes eine Fülle an Ämtern und Posten ansammelte, blieb bis zum Ende des »Dritten Reiches« Reichstagspräsident. Da pro 60.000 Stimmen ein Sitz vergeben wurde, folgte die Mitgliederzahl der (durch Propaganda und Zwang sehr hohen) Wahlbeteiligung. Die Zahl der Abgeordneten stieg stetig an, bis der Reichstag im Jahr 1945 876 Mitglieder hatte. Der Grund dafür war die Vergrößerung des Reichsgebietes durch die Eingliederung des Saarlandes und des Memelgebiets, durch den Erwerb des Sudetenlandes sowie durch die Besetzung (den »Anschluss«) Österreichs. Die Zählung der Wahlperioden wurde nach der Wahl am 29. März 1936 geändert. Aus der 8. und der 9. Wahlperiode wurden die 1. und die 2. Damit sollten die Zäsur, welche die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete, und der »Beginn einer neuen Zeit« betont werden. Das Reichstagsgebäude war durch den Brand am 27.  Februar 1933 als Parlamentsgebäude nicht mehr verwendbar, da der Plenarsaal ausgebrannt war. Die Schäden wurden nicht beseitigt. Die Reichstagsverwaltung machte für das Scheinparlament aber weiterhin Gebrauch von der Bibliothek und dem Archiv in nicht beschädigten Räumen des Reichstagsgebäudes. Während des »Dritten Reiches« wurde das Gebäude unter anderem für propagandistische Filmvorführungen und Ausstellungen genutzt. Wie die Institution »Reichstag« überlebte auch das Reichstagsgebäude bis 1945 als Fassade. Verschiedene Ämter und Einrichtungen nutzen es. Zum Kriegsende hin wurden sogar Kinder im Keller des Reichstages geboren, was in den Geburtsurkunden vermerkt wurde. Die Bibliothek und das Archiv, die schon 1941 ausgelagert worden waren, überlebten den Zweiten Weltkrieg nicht.28 Das Reichstagsgebäude wurde befestigt und war bei den Kämpfen um Berlin Ende April 1945 stark umkämpft. Es wurde schwer beschädigt. Die sowjetischen Truppen waren offenbar der unzutreffenden Ansicht, der Reichstag bilde die Zentrale der NS-Herrschaft. Sie inszenierten nach der Eroberung des Gebäudes das Hissen der Sowjetflagge auf dem Reichstag als Zeichen ihres Sieges über Hitler durch ein weltbekanntes (nachgestelltes) Foto. Dabei hat Hitler nie im Reichstag gesprochen. Sein Reichstag war die Kroll-Oper.

9 Schlussbetrachtungen

»Weimar war von Anfang an und bis zum Schluss eine herausgeforderte, ja fundamental umkämpfte Demokratie, in der Chancen und Scheitern oft dicht beieinander lagen.«1 Was das Schicksal der Weimarer Republik schließlich besiegelte, ist bekannt. Reichspräsident Paul von Hindenburg ernannte Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler. Dieser versetzte mit seinen Paladinen und Gefolgsleuten der schon schwer erschütterten demokratischen Republik in mehreren Schritten und nur wenigen Wochen den Todesstoß. Das konnte nur gelingen, weil die Weimarer Verfassung den Reichspräsidenten mit übermäßigen Befugnissen ausgestattet hatte, die der Antiparlamentarier Hindenburg in seinem Sinne nutzte  : Er durfte den Reichstag jederzeit auflösen, durch Notverordnungen Recht setzen und den Reichskanzler und sein Kabinett nach eigenem Gutdünken besetzen. Ohne Hindenburg wäre Hitler nicht Kanzler geworden. Der Reichstag hätte dem neuen Reichskanzler theoretisch etwas entgegensetzen können  : Er hätte Gesetze, vor allem einen Reichshaushalt, ohne und gegen Hitlers Willen beschließen können. Er hätte Hitler und sein Kabinett durch ein Misstrauensvotum stürzen können. Um einen möglichen Widerstand des Reichstages auszuschalten, ließ Hitler das Parlament umgehend auflösen. Außerdem war der Reichstag beim Amtsantritt der Regierung Hitler schon dadurch massiv geschwächt, dass die demokratischen Kräfte keine Mehrheit mehr hinter sich wussten. Dabei hatte der demokratische Parlamentarismus in Weimar mit großen Hoffnungen begonnen und sich in einigen Jahren, trotz vieler politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Schwierigkeiten, als durchaus leistungsfähig erwiesen. Doch mit der Reichstagsauflösung am 18. Juli 1930 begann die schrittweise Entmachtung des Reichstages in drei Phasen. Hinter diesen steckt nicht etwa ein großer politischer Plan. Sie ergeben sich aus dem Handeln vor allem der vier Reichskanzler Heinrich Brüning, Franz von Papen, Kurt von Schleicher und Adolf Hitler – unterstützt von Hindenburg. Der Reichstag, der das Ermächtigungsgesetz beschloss, war nicht mehr das Parlament, das die Republik schützen und zum Erfolg führen wollte. In ihm hatten die Feinde der Demokratie die Mehrheit. Geschichte kann sich im strengen Sinne nicht wiederholen  : Die handelnden Personen, die Zeitumstände ändern sich. Aber geschichtliche Phänomene, Verhaltensweisen und Prozesse können sich wiederholen. Die Geschichte zu betrachten hilft dabei, aus früheren Fehlern zu lernen und sie nicht zu wiederholen.

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Schlussbetrachtungen

Was können wir nun aus der Geschichte des Weimarer Reichstages lernen  ? Natürlich ist die Bundesrepublik nicht die Weimarer Republik. Die Unterschiede zwischen beiden sind beträchtlich. Die Schöpfer des Grundgesetzes haben die viel beschworenen Lehren aus Weimar und aus der NS-Zeit gezogen  : Die Menschenwürde steht am Beginn der Verfassung. Ein Verfassungsorgan mit einer Kompetenzfülle wie der Reichspräsident existiert nicht mehr. Der Bundespräsident darf den Kanzler nicht nach Gutdünken ernennen  – der Bundestag wählt den Bundeskanzler, den der Bundespräsident dann zu ernennen hat (Art. 63, 67 GG). Das Parlament kann den Kanzler nicht mehr durch ein rein destruktives Misstrauensvotum (Art. 54 S. 2 WRV), sondern nur noch durch ein konstruktives stürzen (Art. 67 GG). Die Auflösung des Parlaments durch den Präsidenten ist nur noch in besonderen Fällen und nicht mehr nach Ermessen möglich (Art. 63 Abs. 4 S. 3, 68 Abs. 1 S. 1 GG). Außerdem enthält das Wahlrecht für den Bundestag, anders als das Reichstagswahlrecht, eine Fünf-Prozent-Sperrklausel (§ 6 BWahlG). Sie beugt der politischen Zersplitterung, soweit es das Recht kann, vor. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland liegt darin, dass die heutigen Staatsbürger zwar durchaus kritisch mit dem Handeln der Staatsorgane umgehen, die Staatsorgane und das ihnen zugrunde liegende Grundgesetz aber nicht anzweifeln. Die weit überwiegende Mehrzahl der Deutschen schätzt unsere Verfassung und unseren Staat. Und dennoch  : Wir sollten uns nicht zu sicher sein. Wir müssen unseren Staat und seine Institutionen schätzen und schützen. Dazu gehört auch die stetige Verbesserung des Bestehenden. Die demokratischen Errungenschaften gering zu achten und diejenigen, die sich politisch betätigen, verächtlich zu machen, gefährdet, was wir haben  : unsere Verfassung, unseren Staat, unsere freiheitliche Art zu leben. Wer nicht schätzt und schützt, was er hat, verliert leicht alles. Daher ist denen entgegenzutreten, die das Bestehende verächtlich machen. Das Schicksal des Weimarer Reichstages darf sich nicht wiederholen. Für die Abgeordneten und die Regierung bedeutet dies  : Die politische Arbeit muss für jedermann nachvollziehbar sein. Die Menschen erwarten eine sichtbare demokratische Führung. Wer ein Amt hat, muss Verantwortung übernehmen. In Krisenzeiten muss die Regierung, müssen die Abgeordneten erklären, was sie warum tun. Alle Abgeordneten sind angehalten, die Regierung dazu zu bringen, ihre Politik zu erklären. Sie dürfen sich nicht damit zufriedengeben, das Bestehende als »alternativlos« hinzunehmen. Sie müssen Fragen stellen und Impulse für Lösungen geben. Ansonsten nutzen diejenigen das Erklärungs- und Lösungsvakuum, die nur zu einfache Erklärungen und Lösungen parat haben. Das haben die Krisen der letzten Jahre gezeigt.

Schlussbetrachtungen 

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Dabei muss für den ganzen öffentlichen Diskurs – im Parlament, auf Parteiversammlungen, auf der Straße, in den Medien – immer gelten  : Der freiheitliche demokratische Staat ist zu schützen, weil er uns alle schützt. Eine (bessere) Alternative zum Parlament besteht nicht. Weder Volksentscheide noch Demonstrationen können das Parlament ersetzen. Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, ihr Wahlrecht stets wahrzunehmen, egal ob bei der Bundestags-, einer Landtags- oder einer Kommunalwahl. »Weimar« lehrt uns zudem, dass eine Stimme für extremistische Parteien mit populistischen Parolen immer eine falsch genutzte Stimme ist. Sie ist nicht nur vergeudet, weil sie zur Problemlösung nichts beiträgt (und als Protestaktion nicht einbringt). Sie schwächt außerdem diejenigen Kräfte, welche an demokratischen Lösungen interessiert sind. Starke extremistische Parteien verhindern demokratische Mehrheiten. Das vor allem ist die Lehre aus den Geschehnissen im Reichstag der Weimarer Republik.

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Anmerkungen Einleitung 1 Ich beziehe mich bei meiner Untersuchung an vielen Stellen auf drei Quellen  : die Stenographischen Berichte (Plenarprotokolle) der Reichstagssitzungen und die Reichstagsdrucksachen sowie auf die von der Reichstagsverwaltung zu jeder Wahlperiode herausgegebenen »Reichstags-Handbücher«. Ich meine, dass diese unmittelbaren Zeugnisse des Weimarer Parlamentarismus eine Fülle an Material für Arbeiten über den Reichstag und seine Akteure, aber auch ganz allgemein über die politischen Zustände der ersten deutschen Republik bereitstellen. Ich hoffe, dass diese Untersuchung dazu beiträgt, sich künftig noch stärker als bisher mit diesem Quellenschatz zu befassen. Eine weitere unentbehrliche Fundgrube sind die damaligen Zeitungsberichte und die Erinnerungen der Zeitzeugen. Außerdem habe ich mir viele Fotos der damaligen Zeit angesehen. Einige von ihnen sind in diesem Buch abgedruckt. Viele davon hat Erich Salomon (1886 bis 1944) gemacht. Der Jurist und angesehene Fotograf war ein guter Beobachter des politischen und gesellschaftlichen Betriebs. Er gehörte zu den wichtigsten Fotojournalisten seiner Zeit. Die Nationalsozialisten ermordeten ihn in Auschwitz. 1 Belastungen der Reichstagsarbeit 1 Vgl. Scheidemann, Teil II, S. 313. 2 Vgl. Winkler, Weimar, S. 70  ; Holste, S. 147 ff.; Juchler, S. 25. 3 Vgl. schon Grzesinski, S. 106  ; Schulze, Weimar, S. 184  ; Weigel, S. 25  ; Platthaus, S. 106  ; Mühlhausen, Ebert, S. 169. 4 Verhandlungen der Nationalversammlung, 39. Sitzung (12. Mai 1919), S. 1083 C. 5 Vgl. Verhandlungen der Nationalversammlung, 40. Sitzung (22. Juni 1919), S. 1135 C. 6 Vgl. Kraus, S. 33. 7 Vgl. Mergel, in  : Wirsching, Herausforderungen, S. 39. 8 Krumeich, S. 102 f. 9 Ob die OHL eine vorläufige Waffenpause für Waffenstillstandsgespräche wünschte, um danach ggf. weiterkämpfen zu können, oder ob sie eine endgültige Waffenruhe wünschte, ist unklar. Vgl. Krumeich, S. 104, der für die Absicht einer bloß vorläufigen Waffenruhe plädiert. Die Frage ist an dieser Stelle nicht zu klären. 10 Von Thaer, S. 234 f. 11 Vgl. Hirschfeld/Krumeich/Renz, S. 276. 12 Hindenburg, S. 403. 13 Verhandlungen der Nationalversammlung, 1. Sitzung (6. Februar 1919), S. 1 C. 14 Auch ausländische Zeitgenossen wie der britische Ökonom John Maynard Keynes meinten, die Reparationsforderungen gegenüber Deutschland seien zu hoch. Kritisch hierzu Conze, S. 377 ff., 476 ff. 15 Mai, S. 35. 16 Vgl. Mergel, in  : Wirsching, Herausforderungen, S. 44. 17 Vgl. Krumeich, S. 256.

Belastungen der Reichstagsarbeit 

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18 Eindrückliche Bilder zur Wirtschaftskrise und zur Inflation bei Holzer, S. 162 ff. Die Verhältnisse schildert anschaulich Haffner, Geschichte eines Deutschen, S. 55 ff. 19 Vgl. Krumeich, S. 268. 20 Vgl. Juchler, S. 18. 21 Neumann, S. 89. 22 Die Anhänger der parlamentarischen Demokratie waren auf diesem Kongress deutlich in der Mehrheit (vgl. Lehnert, S. 26)  : 427 der 489 Delegierten ordneten sich einer politischen Gruppe zu. Unter ihnen bekannten sich 292 zur SPD, 94 zur USPD, 31 zu den Linksliberalen und zehn zu den Kommunisten. 23 Abg. Zetkin (KPD), Verhandlungen des Reichstags, Bd. 454, S. 3 D. 24 Vgl. Winkler, Weimar, S. 226. 25 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 455, S. 15 A, 16 B. 26 Leo, in  : Fröhlich, S. 310. 27 Die Mitgliederzahl der Partei lag 1919/20 zwischen 80.000 und 100.000 (vgl. Bavaj, S.  71), nach einer Schätzung (vgl. Möller, Die Weimarer Republik, S.  149) im Dezember 1920 sogar bei 378.000. Nach einem kurzzeitigen Mitgliederzuwachs, vor allem durch die Aufnahme linker USPD-Mitglieder, wodurch die Partei im September 1923 fast 295.000 Mitglieder hatte (vgl. Winkler, Weimar, S. 200  ; Neumann, S. 89, gibt die Mitgliederzahl für das Frühjahr 1921 sogar mit ca. 500.000 an), pendelte sich die Zahl in den Folgejahren bei einer Größe um 100.000 Mitglieder ein (vgl. Bavaj, S. 71). 1930 hatte die KPD etwa 130.000 Mitglieder (vgl. Bavaj, S. 72  ; Möller, Die Weimarer Republik, S. 149). 28 Vgl. Neumann, S. 89 f., 136. 29 Winkler, Weimar, S. 351. 30 Vgl. Winkler, Der Weg in die Katastrophe, S. 157  ; Münzenberg, in  : Lönne, S. 417 ff.; Ulbricht, in  : Lönne, S. 484 f. 31 Vgl. ebd. 32 Vgl. Herbert, S. 268. 33 Schulze, Weimar, S. 83. 34 Vgl. Möller, Die Weimarer Republik, S. 150. 35 Vgl. Jonas, S. 133 Fn. 3. Die Parteizentrale lag seit 1928 direkt gegenüber dem Osteingang des Reichstagsgebäudes an der Friedrich-Ebert-Straße. Heute heißt dieser Abschnitt FriedrichEbert-­Platz. Auf dem Grundstück der nicht mehr existierenden Parteizentrale steht ein Teil des von 1997 bis 2002 neu errichteten Jakob-Kaiser-Hauses des Deutschen Bundestages. 36 Abgedruckt in dem DNVP-Organ Unsere Partei, 1928, S. 340, zitiert nach Hiller von Gaertringen, in  : Matthias/Morsey, S. 547. 37 Vgl. etwa Quaatz/Bang, S. 7 ff. 38 In München befand sich bis 1945 auch die Parteizentrale  ; zunächst ab 1925 in der Schellingstraße 50, ab 1930 im »Braunen Haus« in der Brienner Straße 34. In Berlin residierte die Parteiführung um Hitler bevorzugt im Luxushotel »Kaiserhof« am Wilhelmplatz (heute Mohrenstraße), gegenüber der Reichskanzlei. Die »Gauleitung« der Berliner NSDAP befand sich an der Hedemannstraße/Ecke Wilhelmstraße in Berlin-Kreuzberg. 39 Jesse, in  : Niedermayer, S. 698. 40 Kluge, S. 109  ; inhaltlich ebenso z. B. Neumann, S. 84. 41 Thamer, Hitler, S. 97. 42 Haffner, Anmerkungen zu Hitler, S. 32. 43 Vgl. Zechlin, S. 131.

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Anmerkungen

44 Vgl. Herbert, S. 282. 45 Vgl. statt vieler Herbert, S. 280, 283. 46 Haffner, Von Bismarck zu Hitler, S. 219. 47 Goebbels, Tagebücher, Bd. 1, S. 306 f. 48 Vgl. Herbert, S. 284. 49 Lambach, S. 122. 50 Die Idee dazu stammte aus Robert Redslobs kurz vor Kriegsende erschienenem Werk »Die parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form«. Unzutreffend ist daher die Ansicht von Mai, S. 30, in Anlehnung an Peukert, S. 48, und Maubach, APuZ 18–20/2018, S. 4 (5), der Verfassungstext habe eine »Entwicklung nach beiden Seiten [offengelassen]  : zu einer sozialen, pluralistischen Republik oder zur autoritären, präsidialen Herrschaft«. 51 Vgl. Poetzsch, JöR 13 (1925), 1 (161). 52 Andernfalls hätte der Reichspräsident nach herrschender Staatsrechtslehre sogar den Reichskanzler entlassen und einen neuen ernennen dürfen, der gewillt war, die Gegenzeichnung zu leisten, vgl. Thoma, in  : HStR I, S. 506  ; Dohna, in  : Hellpach/Dohna, S. 28  ; Giese, S. 95  ; Anschütz, S. 199 ff. m.w.N.; Schmitt, Verfassungslehre, S. 357  ; Wolgast, S. 18 f.; ebenso § 13 Abs. 2 des Reichsministergesetzes vom 27. März 1930 (RGBl. I S. 96). 53 Vgl. O. Meissner, Staatsrecht, S. 165 f.; Grau, in  : HStR II, S. 277 ff. 54 Vgl. Boldt, in  : Kolb/Mühlhausen, S. 34 f.; O. Meissner, Staatssekretär, S. 187. 55 Vgl. Poetzsch, JöR 13 (1925), 1 (161). 56 Büttner, S. 338. 57 Ausnahmen bestehen nur bei der Neugliederung von Bundesländern (Art. 29, 118a GG). 58 Zum Vergleich  : Die Sitze im Bundestag werden nach dem sog. personalisierten Verhältniswahlrecht vergeben (§ 1 BWahlG). Das Bundestagswahlrecht kennt Direktmandate und Listenmandate. Alle Wählerinnen und Wähler haben zwei Stimmen. In jedem der 299 Wahlkreise gewinnt die Bewerberin/der Bewerber mit den meisten Erststimmen das Direktmandat (Mehrheitswahlrecht). In jedem der 16 Bundesländer können die Parteien Listen mit Bewerberinnen und Bewerbern aufstellen. Die Listenmandate werden nach dem Verhältnis der Zweitstimmen zueinander vergeben (§§ 2 bis 6 BWahlG). 59 Auf 60.000 Reststimmen entfiel ein Mandat, sofern einer der gemeinsam verbundenen Kreiswahlvorschläge mindestens 30.000 Stimmen erhalten hatte (§ 31 Abs. 1 RWG). Die übrigen Stimmen wurden auf Reichswahlvorschläge, welche die Parteien ebenfalls vorab einzureichen hatten, verteilt. Wiederum entfiel auf 60.000 Reststimmen ein Mandat. Ein Rest von mehr als 30.000 Stimmen wurde 60.000 Stimmen gleichgestellt (§ 32 RWG). Die Kandidaten kamen jeweils in der Reihenfolge, in der sie auf dem Wahlvorschlag standen, zum Zuge (§ 33 RWG). 60 Boldt, in  : Kolb/Mühlhausen, S. 52. 61 Vgl. Schulze, Weimar, S. 54  ; Gessler, S. 369  ; Neumann, S. 101  ; überspitzt, aber im Kern zutreffend Müller-Meiningen, S. 52  ; etwas anders Lambach, S. 139, der auf den Kompromisscharakter der Liste hinweist. 62 Stier-Somlo, in  : HStR I, S. 382. 63 Schulze, Weimar, S. 96. 64 Gessler, S.  369  ; Mierendorff, in  : Lönne, S.  367 ff.; nicht so weitgehend, aber doch kritisch Koch-Weser, S. 65 ff. 65 Während der gesamten Weimarer Republik wurde nie eine Frau Kabinettsmitglied oder zumindest Staatssekretärin. Die Politik blieb, von weiblichen Reichstagsabgeordneten abgesehen, eine Männerdomäne.

Belastungen der Reichstagsarbeit 

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66 Poetzsch-Heffter, Handkommentar, S. 177, spricht hinsichtlich des Zitierrechts von »parlamentarische[r] Ministerverantwortlichkeit«. 67 Vgl. für die ersten beiden Wahlperioden Poetzsch, JöR 13 (1925), 1 (121 ff.), und für die 3. und den Anfang der 4. Wahlperiode Poetzsch-Heffter, JöR 17 (1929), 1 (75 ff.). Auch die zwei nach Art.  35 WRV vorgeschriebenen Ausschüsse  – der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und der Ausschuss zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung (sog. Überwachungsausschuss) – hatten per se die Rechte eines Untersuchungsausschusses. 68 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 390, S. 7218, 7220 ff.; ebd., S. 8651, 8654 ff. 69 Vgl. Thoma, in  : HStR I, S. 510 f.; Dohna, in  : Hellpach/Dohna, S. 35  ; Poetzsch-Heffter, JöR 17 (1929), 1 (102)  ; dagegen Wolgast, S. 26 f. 70 Vgl. Koch-Weser, S. 126  ; Fraenkel, in  : Lönne, S. 460  ; Schmitt, Verfassungslehre, S. 355. 71 Vgl. § 52 GO-BT. 72 Kaisenberg, S. 9. 73 Vgl. Schumacher, Mittelstandsfront, S. 15, 26. 74 Vgl. Reichstags-Handbuch, IV. Wahlperiode 1928, S. 189. 75 Lönne, S. 52. 76 Hierfür z. B. Kaisenberg, S. 9. 77 Beispiele ebd., S. 12 ff., 16 ff. 78 So etwa ebd., S. 7 f.; Müller-Meiningen, S. 36 f., 38  ; Hellpach, in  : Hellpach/Dohna, S. 14 f. 79 Müller-Meiningen, S. 18. 80 So Jesse, in  : Niedermayer, S. 699, der den Befund aber pauschaler fasst. 81 Ebd., S. 700. 82 Ebenso Möller, in  : Wirsching/Kohler/Wilhelm, S. 41. 83 Vgl. Pyta, in  : Ritter, S. 205. 84 Vgl. Jesse, in  : Niedermayer, S. 695  ; Möller, Die Weimarer Republik, S. 135. 85 Vgl. Lambach, S. 13. 86 Vgl. Nonn, S. 122 f. 87 Stresemann, in Bernhard, S. 432. 88 Stolper, Der deutsche Volkswirt vom 13. Dezember 1929, zitiert nach Boldt, in  : Kolb/Mühlhausen, S. 45 Fn. 105  ; so auch Büttner, S. 343. 89 Vgl. Gessler, S. 403 f., 410. 90 Vgl. Pyta, in  : Ritter, S. 207 unter Verweis auf Lepsius, S. 47 ff. 91 Möller, in   : Wirsching/Kohler/Wilhelm, S.  40   ; von Weltanschauungsparteien spricht auch Schulze, Weimar, S. 85. 92 Vgl. Pyta, in  : Ritter, S. 209. 93 Vgl. zu den Zahlen von 1929 bis 1931 Neumann, S. 121. 1920 hatte die SPD rund 1,18 Millionen, 1925 nur noch ca. 806.000 Mitglieder, vgl. Möller, Die Weimarer Republik, S. 148. 94 Vgl. Schulze, Weimar, S. 73. 95 Vgl. Neumann, S. 41. 96 Vor allem die Jungwähler verweigerten dem Zentrum die Gefolgschaft  ; vgl. Morsey, Der Untergang, S. 14. 97 Vgl. zur BVP Schönhoven, Die Bayerische Volkspartei, S.  279  : Ihr Wählerstamm war »ungewöhnlich stabil«. 98 Vgl. Pyta, in Ritter, S. 208 m.w.N. 99 Vgl. Neumann, S. 32. 100 So jedenfalls ein interner Entwurf vom Frühsommer 1933, vgl. Morsey, Der Untergang, S. 34.

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Anmerkungen

101 Vgl. Faulenbach, S. 51. 102 Vgl. zur DDP Möller, Die Weimarer Republik, S. 159. 103 Mitglieder der ersten Stunde waren der Staatsrechtslehrer und Hauptideengeber (»Vater«) der Weimarer Verfassung Hugo Preuß, der Soziologe Max Weber, der liberale Politiker Friedrich Naumann und der bekannte Journalist Theodor Wolff. Den Gründungsaufruf hatten unter anderem Alfred Weber, Albert Einstein und Moritz Julius Bonn unterzeichnet. Sie blieb aber »eine Partei der Köpfe ohne Massen«, vgl. Gessler, S. 404. 104 Rohe, S. 304. 105 Schulze, Weimar, S. 80. 106 Jesse, in  : Niedermayer, S. 696. 107 Vgl. Schulze, Weimar, S. 73. Ob wirklich 40 % der bürgerlichen Wähler die SPD gewählt haben, wie Neumann, S. 29  ; Schulze, Weimar, S. 73, meinen, ist nicht belegbar. 108 Ebenso Möller, in  : Wirsching/Kohler/Wilhelm, S. 41. 109 Vgl. Koser, S. 128. 110 Vgl. Neumann, S. 41  ; Morsey, Der Untergang, S. 17 f.; Möller, Die Weimarer Republik, S. 147. Die hohe Kompromissfähigkeit als »offenkundige[n] Opportunismus« abzutun, wies es Schulze, Weimar, S. 76, tut, geht fehl und unterschätzt die Bedeutung des Kompromisses in der parlamentarischen Demokratie. Gegen den Vorwurf der Grundsatzlosigkeit zu Recht Neumann, S. 41 f. 111 Morsey, Der Untergang, S. 13, spricht von der »geborenen Mittelpartei«. 112 Von Hehl, in  : Fröhlich, S. 55. 113 Braun, Die Weimarer Reichskanzler, S. 306  ; ähnlich Gessler, S. 382  : »Meister des Ausgleichs«. 114 Thoma, in  : HStR I, S. 506  ; zustimmend Anschütz, S. 321. Ausführlich zu den 15 Kabinetten bis 1929 und den jeweiligen Gründen ihres Scheiterns Gessler, S. 357 ff.; eine Übersicht bietet Huber, Dokumente, Bd. 4, S. 183. 115 Stresemann, zitiert nach Peukert, S. 191. 116 Vgl. Radbruch, S. 178 f. 117 Albertin, in  : Kolb/Mühlhausen, S. 79. 2 Das parlamentarische Leben im Reichstag 1 Die Geschäftsordnung regelte (wie heute auch) die Rechtsstellung der Organe des Reichstages (Präsident, Vorstand, Ältestenrat, Ausschüsse), der Abgeordneten und der Fraktionen sowie die Verfahrensweisen (Redeordnung, Disziplin und Abstimmungen), einige Kontrollrechte gegenüber der Regierung (Fragerechte, Zitierrecht) und den Umgang mit Bürgereingaben (Petitionen). 2 Die Nationalversammlung und der 1. Reichstag der Weimarer Zeit übernahmen im Wesentlichen die kaiserzeitliche Geschäftsordnung. Diese entsprach der Geschäftsordnung des Reichstages des Norddeutschen Bundes vom 12. Juni 1868, die wiederum auf der Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 6. Juni 1862 aufbaute. Manche Regeln lassen sich bis zur Frankfurter Nationalversammlung (»Paulskirche«, 1848/49) oder noch weiter bis in den Frühkonstitutionalismus (ab 1814/15) oder sogar bis in die Zeit der Französischen Revolution zurückverfolgen. Am 22. Dezember 1922 reformierte der 1. Reichstag die Geschäftsordnung. So wurden etwa die Fraktionen erstmals erwähnt. Die Geschäftsordnung trat zum 1. Januar 1923 in Kraft. Sie galt mit kleineren Ergänzungen (unter anderem vom 9. Februar 1931) bis zum Ende der Weimarer Republik. Der 1. Deutsche Bundestag knüpfte 1949 an diese Geschäftsordnung an. Noch heute sind

Das parlamentarische Leben im Reichstag 

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bestimmte Kontinuitäten erkennbar, z. B. bei der Zahl von drei Beratungen (»Lesungen«) eines Gesetzentwurfs, bei der Rolle der Fraktionen oder dem Ordnungsrecht im Plenum. 3 Etwa im Reichstags-Handbuch, IV. Wahlperiode 1928, S. 134 ff. 4 Führer durch das Reichstagsgebäude, S. 9  ; Reichstags-Handbuch, IV. Wahlperiode 1928, S. 138. 5 Schultz, S. 78. 6 Reichstags-Handbuch, IV. Wahlperiode 1928, S. 146. 7 Führer durch das Reichstagsgebäude, S. 18  ; Reichstags-Handbuch, IV. Wahlperiode 1928, S. 146. 8 Führer durch das Reichstagsgebäude, S.  19 f.; Reichstags-Handbuch, IV. Wahlperiode 1928, S. 147. 9 Vossische Zeitung vom 12. Juni 1928 (Morgen-Ausgabe), S. 3. Die Diskussion, ob Reden frei gehalten werden sollen oder abgelesen werden dürfen, gibt es noch heute. Reden sind gemäß § 33 GO-BT grundsätzlich in freiem Vortrag zu halten. Die Redner dürfen aber Aufzeichnungen benutzen (und machen davon regelmäßig Gebrauch). 10 Reichstags-Handbuch, IV. Wahlperiode 1928, S. 138 f. 11 Ebd., S. 572 ff. 12 Lambach, S. 92. 13 Ebd., S. 139 f. 14 Ebd., S. 150 ff. 15 Vgl. ebd., S. 35, 39. 16 Vgl. ebd., S. 94. 17 Vgl. ebd., S. 42 f. 18 Wegweiser durch das Reichstagsgebäude, S. 3. 19 Vgl. Lambach, S. 20. 20 Ebd., S. 43. 21 Vgl. ebd., S. 48. 22 Zum Verhältnis von Abgeordneten und Wählern prägnant Fehr, in  : Löbe, Der Deutsche Reichstag, S. 36 f. 23 Vgl. Wegweiser durch das Reichstagsgebäude, S. 4. 24 Vgl. Lambach, S. 43 ff. 25 Vgl. ebd., S. 94. 26 Näher zu deren Geschichte Austermann, in  : Schüttemeyer/Schmidt-Jortzig, S. 129 ff. 27 RGBl. II S. 1275. 28 Hucko, S. 60. 29 Vgl. Lambach, S. 123. 30 Vgl. ebd., S. 19. 31 Vgl. ebd., S. 50. 32 Ebd., S. 32. 33 Vgl. Gessler, S. 404. 34 Vgl. zur internen Organisation Lambach, S. 16. 35 Dieser schon in der Frankfurter Nationalversammlung 1848 zu beobachtenden Übung folgte bis zum Jahr 2017 auch der Deutsche Bundestag. Durch eine Änderung der GO-BT stand am Beginn der 19. Wahlperiode erstmals das Mitglied mit den meisten Mandatsjahren (§ 1 Abs. 2 GO-BT) dem Haus als Alterspräsident vor. 36 Vgl. Lambach, S. 19  ; Ritzel, in  : Deuerlein, S. 147. 37 Dasselbe gilt für den Bundestagspräsidenten gemäß Art. 40 Abs. 2 GG. 38 Lambach, S. 19.

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Anmerkungen

39 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 395, S. 13985 A. 40 Gessler, S. 411. 41 Vgl. ebd. 42 Vossische Zeitung vom 15. Juni 1928 (Morgen-Ausgabe), S. 2. 43 Vgl. Feder, in  : Berliner Tageblatt vom 16. November 1928 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 44 Vgl. Schumacher, Parlamentspraxis, S. 43. 45 Ebd. 46 Hahn, S.  418, 420. Im Haushaltsrecht sind »Planstellen« die Beamtenstellen und »Stellen« die Angestelltenstellen. Die Beamten arbeiten aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Ernennung, die Angestellten aufgrund eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages. 47 Hahn, S. 421. Die Verwaltung des Deutschen Bundestages hat ca. zehnmal so viele Beschäftigte. 48 Mergel, S. 191. 49 Vgl. Lambach, S. 44  ; Trapp, S. 24. 50 Vgl. Lambach, S. 63 f. 51 Ebd., S. 60 f. 52 Vgl. Mergel, in  : Wirsching, Herausforderungen, S. 57  ; Mergel, S. 191 ff., zur KPD  : S. 200 f. 53 Hellpach, in  : Hellpach/Dohna, S. 13. 54 Lambach, S. 96. 55 Vgl. ebd., S. 35  ; Trapp, S. 27. 56 Vgl. Lambach, S. 101. 57 Vossische Zeitung vom 14. Juni 1928 (Abend-Ausgabe), S. 2. 58 Vgl. Koch-Weser, S. 98. 59 Müller-Meiningen, S. 156. 60 Vgl. z. B. ebd., S. 33 ff., 51 ff., 61 ff. 61 Ebd., S. 196 f. 62 Ebd., S. 116 f. 63 Vgl. Thoma, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 53 (1924), S. 212 ff. 64 Ebd., S. 212 (214)  ; ebenfalls kritisch Smend, S. 36 f. 65 Vgl. Triepel, S. 24 ff. 66 Radbruch, in  : Lönne, S. 323 f. 67 Ebd., S. 324. 68 Vgl. Kelsen, Das Problem des Parlamentarismus, S. 5  ; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 19 ff., 25. 69 Vgl. Kelsen, Das Problem des Parlamentarismus, S. 23 ff.; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 45 ff. 70 Hell, S. 202. 71 Hoeres, Archiv für Kulturgeschichte 95 (2013), 125 (144). 72 Beispiele bei Bavaj, S. 311 ff., 398 ff., 410 ff. 73 Vgl. Hoeres, Archiv für Kulturgeschichte 95 (2013), S. 125 (129) m.w.N. 74 Vgl. Kühn, in  : Klußmann/Mohr, S. 180. 75 Vgl. Hoeres, Archiv für Kulturgeschichte 95 (2013), S. 125 (128). 76 Abgedruckt in  : Biefang/Leenders, S. 47. 77 Vgl. ebd., S. 31. 78 Vgl. Hoeres, Archiv für Kulturgeschichte 95 (2013), S. 125 (128). 79 Vgl. ebd. 80 Tauke, in  : Fröhlich, S. 75.

Tiefgehende Krise und relative Stabilisierung 

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81 Die Vielzahl seiner Ämter und Wirtschaftsbeteiligungen findet sich bei Lilla, S. 268. 82 Hugenberg, S. 80 f. 83 Vossische Zeitung vom 20. Mai 1928 (Morgen-Ausgabe), S. 1 f. 84 Vgl. Bavaj, S. 72. 85 Vgl. zur Zentrumspresse Morsey, Der Untergang, S. 41 f. 86 Vgl. zur BVP-nahen Presse Schönhoven, Die Bayerische Volkspartei, S. 84 ff. 87 Vgl. ebd., S. 86. 88 Vgl. Müller, S. 348 f. 89 Vgl. Opitz, S. 162 ff. 90 Vgl. Schumacher, Mittelstandsfront, S. 66 f. 91 Hellpach, in  : Hellpach/Dohna, S. 2. 92 Vgl. Nonn, S. 110. 93 Hierzu Reichstagspräsident Löbe, Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2378 B, C. 94 Das SWR2-Archivradio sendete im März 2018 erstmals den Komplettmitschnitt fast aller erhaltenen Sitzungen bis zu Hitlers Machtergreifung. Weite Teile davon waren zuvor noch nicht veröffentlicht worden. 3 Tiefgehende Krise und relative Stabilisierung 1 2 3 4

Vgl. statt vieler Jesse, in  : Niedermayer, S. 699. Ebenso Raithel, in  : Föllmer/Graf, S. 249. Mergel, S. 177. Vgl. etwa Verhandlungen des Reichstags, Bd. 381, S. 44  ; Bd. 454, S. 6 C  ; Bd. 455, S. 30 A, S. 40 B, C, S. 45 C, D, S. 46 A  ; generell zur systemfeindlichen Rolle der KPD Bavaj, S. 9 ff., 72 ff., 101 ff. 5 Vgl. Longerich, S. 112 m.w.N. 6 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 350, S. 3950 B. 7 Vgl. Vossische Zeitung vom 18. Juni 1921 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 8 Ebd. 9 Vgl. Dombrowski, Berliner Tageblatt vom 18. Juni 1921 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 10 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 350, S. 3950 D, 3951 A. 11 Vgl. Dombrowski, Berliner Tageblatt vom 18. Juni 1921 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 12 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 350, S. 3951 A. 13 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 355, S. 7988 ff. 14 Ebd., S. 7989 A. 15 Ebd., S. 7989 D. 16 Ebd., S. 7991 C, 7997 A. 17 Ebd., S. 7997 B. 18 Ebd., S. 7990 A. 19 Ebd., S. 7998 D. 20 Vgl. ebd., S. 8033 ff. 21 Ebd., S. 8033 B. 22 Löbe, Erinnerungen, S. 143. 23 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 381, S. 1. 24 Vgl. ebd., S. 6 C. 25 Ebd.

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Anmerkungen

26 Vgl. ebd., S. 9 C. 27 Vgl. ebd., S. 769 f. 28 Vgl. etwa ebd., S. 959 A  ; Bd. 395, S. 13938 B  ; die näheren, aus dem Protokoll nicht hervorgehenden Umstände beschreibt Mergel, S. 174. 29 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 381, S. 769 f. 30 Vgl. z. B. ebd., S. 959 A. 31 Ebd., S. 44 A. 32 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 387, S. 3833 ff. 33 Ebd., S. 3854 C. 34 Vgl. ebd., S. 3855 f. 35 Vossische Zeitung vom 2. August 1925 (Sonntags-Ausgabe), S. 1, auch S. 3 unter der Überschrift »Der Vizepräsident«. 36 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 387, S. 4312 C, 4319. 37 Vgl. ebd., S. 4320. 38 Vgl. ebd., S. 4321 B, C. 39 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 395, S. 13937 B. 40 Vgl. ebd., S. 13938 f.; die näheren, aus dem Protokoll nicht hervorgehenden Umstände beschreibt Mergel, S. 174. 41 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 395, S. 13986 B. 42 Sie war stärkste Kraft in den Wahlkreisen 11 (Merseburg) und 22 (Düsseldorf Ost) sowie zweitstärkste Kraft in den Wahlkreisen 2 (Berlin), 12 (Thüringen), 29 (Leipzig), 30 (Chemnitz-Zwickau) und 34 (Hamburg). 43 Wer die obige Tabelle, die den Angaben im offiziellen Reichstags-Handbuch entspricht (vgl. Reichstags-Handbuch, IV. Wahlperiode 1928, S. 253 ff., 259  ; ebenso Horkenbach, 1930, S. 454  ; Trapp, S. 15), mit der amtlichen Wahlstatistik des Reichsamtes für Statistik vergleicht (vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 47. Jahrgang [1928], S.  578 f.; ebenso 52. Jahrgang [1933], S.  541 f.), stellt geringfügige Abweichungen bei der Sitzverteilung fest. Sie haben zwei Gründe  : Erstens ist die Zahl, die für die SPD und damit für die Gesamtmandatszahl in der Statistik (und ihr folgend in vielen Werken zur Weimarer Republik) genannt wird, um 1 zu hoch. Die SPD-Fraktion hatte 152 und der Reichstag insgesamt 490 Mitglieder. Zweitens haben einige Mitglieder kleinerer Parteien zulässigerweise auch auf dem Reichswahlvorschlag einer anderen Partei kandidiert. So stand Heinrich Meyer auf zwei Wahlvorschlägen (vgl. Reichstags-Handbuch, IV. Wahlperiode 1928, S. 217, 248)  : dem Wahlkreisvorschlag Nr. 15b der DHP im Wahlkreis 15 (Osthannover) und auf dem Reichswahlvorschlag der CNBL. DHP und CNBL hatten ihre Wahlvorschläge im Wahlkreis 15 verbunden. Meyer nahm das Mandat über den Reichswahlvorschlag an. In der Wahlstatistik wird das Mandat daher der CNBL zugeschlagen. Praktisch tätig war Meyer aber als DHP-Abgeordneter. Dementsprechend wird er in der Auflistung der Fraktion im Reichstags-Handbuch bei der DHP aufgeführt. Manche Abgeordnete haben auf einem gemeinsamen Wahlvorschlag zweier Parteien kandidiert und sich dann für eine der beiden Fraktionen entschieden, so z. B. Michael Bayersdörfer, der im Wahlkreis 27 (Pfalz) auf dem gemeinsamen Wahlvorschlag von Zentrum und BVP stand und sich der BVP-Fraktion anschloss (vgl. Reichstags-Handbuch, IV. Wahlperiode 1928, S. 231, 257). 44 Vgl. Albertin, in  : Kolb/Mühlhausen, S. 90. 45 Vgl. ebd. 46 Vgl. Schönhoven, Die Bayerische Volkspartei, S. 215. 47 Müller, S. 23.

Tiefgehende Krise und relative Stabilisierung 

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48 Vgl. Schumacher, Mittelstandsfront, S. 201. 49 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 423, S. 149 D. 50 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 425, S. 2224 C, D. 51 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 424, S. 1389 A, B. 52 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427, S. 4473 C. 53 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 424, S. 1389 f.; Bd. 427, S. 4443 C. 54 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 423, S. 150 C, 151  ; Bd. 424, S. 1869 C  ; Bd. 425, S. 2222 C, 2224 f.; ebd., S. 2918 D, 2919 D. 55 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 424, S. 1389 C  ; ähnlich S. 1388 B. 56 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 425, S. 2222 B. 57 Ebd., S. 2226 B. 58 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 425, S. 2919 f.; Bd. 427, S. 4443 D  ; ebd., S. 4475 D. 59 Brüning, S. 132, 260. 60 Reichel, S. 11. 61 Gessler, S. 375 f. 62 Severing, S. 148, 283. 63 Vgl. Schönhoven, Die Bayerische Volkspartei, S. 216 m.w.N. 64 Vossische Zeitung vom 12. Juni 1928 (Abend-Ausgabe), S. 1  ; Nachweise für die generelle Kritik der DNVP, der DDP und des Zentrums an der (mit ihnen um Wählerstimmen konkurrierenden) Wirtschaftspartei bei Schumacher, Mittelstandsfront, S. 113 f.; ebenfalls kritisch Neumann, S. 67  : »die Wirtschaftspartei ist keine echte Partei.« 65 Raithel, in  : Föllmer/Graf, S. 255. 66 Ebd., S. 253 f. 67 Stresemann hatte sich in einem Telegramm an Müller für eine Große Koalition ausgesprochen und Reichsminister Curtius (DVP) gebeten, das Telegramm zum Wochenbeginn zu veröffentlichen. Die Montagszeitungen berichteten dann darüber, vgl. Berliner Tageblatt vom 25. Juni 1928, S. 1  ; Vossische Zeitung vom 25. Juni 1928 (Abend-Ausgabe), S. 1. 68 Reichel, S. 249. 69 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 423, S. 82 C. 70 Ebd., S. 79 B. 71 Vgl. ebd., S. 52 B, C. 72 Kästner, Die Montagsgedichte, S. 25 f. 73 Reichel, S. 264. 74 Büttner, S. 385. 75 Vossische Zeitung vom 17. November 1928 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 76 Akten der Reichskanzlei, Kabinett Müller II, Bd. 1, S. 61 ff. 77 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 423, S. 324 ff. 78 Vossische Zeitung vom 16. November 1928 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 79 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 423, S. 329 B. 80 Feder, in  : Berliner Tageblatt vom 16. November 1928 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 81 Berliner Tageblatt vom 16. November 1928 (Abend-Ausgabe), S. 1  ; ähnlich Vossische Zeitung vom 16. November 1928 (Abend-Ausgabe), S. 1. 82 Vgl. Vossische Zeitung vom 15. November 1928 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 83 Vgl. Berliner Tageblatt vom 15. November 1928 (Abend-Ausgabe), S. 1. 84 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 423, S. 392.

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Anmerkungen

85 Vgl. Vossische Zeitung vom 15. November 1928 (Morgen-Ausgabe), S. 1  ; Berliner Tageblatt vom 15. November 1928 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 86 Schulze, Weimar, S. 313. 87 Birkelund, S. 433. 88 Ebd., S. 437. 89 Vgl. die insoweit beispielhaften Briefe des Industrielobbyisten und zeitweiligen Reichstagsabgeordneten Erich von Gilsa an den Vorstandsvorsitzenden der »Gutehoffnungshütte« vom 25. Januar und 5. Februar 1930 sowie die Aufzeichnung vom 27. Januar 1930, die das Ergebnis einer Besprechung von Mitgliedern der DVP am 24. Januar 1930 festhält, in  : Maurer/Wengst, S. 23 f., 33 f., 41 ff. 90 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 278. 91 Vgl. Schulze, Weimar, S. 315. 92 Der Text findet sich in der Vossischen Zeitung vom 27. März 1930 (Abend-Ausgabe), S. 1. 93 Vgl. Reichel, S. 335. 94 Vossische Zeitung vom 28. März 1930 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 95 Ebd.; demgegenüber hält Kolb, S. 136, das Thema für eine »sozialpolitische Kernfrage«, ist allerdings auch der Meinung, die SPD habe »taktisch höchst ungeschickt« und »politisch außerordentlich kurzsichtig« agiert. 96 So aber O. Meissner, Staatssekretär, S. 185. 97 Kolb, S. 129  ; inhaltlich ebenso Büttner, S. 394  ; ähnlich O. Meissner, Staatssekretär, S. 182 98 Vgl. Vossische Zeitung vom 13. Juni 1928 (Morgen-Ausgabe), S. 3. 99 Vgl. ebd. 100 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 426, S. 3989 A. 101 Ebd., S. 4017 B. 102 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427, S. 4258 A. 103 Ebd., S. 4261 A. 104 Ebd., S. 4262 B. 105 Ebd., S. 4267 C. 106 Ebd., S. 4296 C. 107 Ebd., S. 4388 B. 108 Ebd., S. 4388 C. 109 So der Abg. Leber (SPD), Verhandlungen des Reichstags, Bd. 426, S. 3989 B, und der Abg. Hünlich (SPD), Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427, S. 4257 D, die den DNVP-Abgeordneten Quaatz als »Lump« bezeichneten. Als der Abg. Schmidt (DNVP) ans Rednerpult trat, meinte der Abg. Rönneburg (DDP), Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427, S. 4388 D  : »Daß so ein Lümmel hier auftreten kann  !« 110 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427, S. 4264 B. 111 Vgl. ebd., S. 4402 ff., 4411. 112 Vgl. ebd., S. 4399 C, 4411. 113 Vgl. ebd., S. 4410. 114 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 425, S. 3077 A, 3114. 115 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 426, S. 3440 ff. 116 Ebd., S. 3441 D. 117 Vgl. ebd., S. 3442 f. 118 Vgl. ebd. S. 3520 B, C, 3534. 119 Vgl. ebd., S. 3652 A, 3665.

Semiparlamentarismus 

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120 Die Änderungen gehen aus den beiden entsprechenden Drucksachen, Verhandlungen des Reichs­tags, Bd. 438, Anlage 1461 und 1465, hervor. 121 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427, S. 4423 B, C. 122 Vgl. ebd., S. 4424 B. 123 Ebd., S. 4443 C. 124 Ebd., S. 4444 B. 125 Ebd. 126 Ebd., S. 4448 D. 127 Ebd., S. 4452 C. 128 Vgl. ebd., S. 4521 ff., 4530. 129 RGBl. I 1930 S. 91. 4 Semiparlamentarismus 1 Vgl. etwa Vossische Zeitung vom 28. März 1930 (Abend-Ausgabe), S. 1. 2 Vgl. etwa Winkler, Weimar, S. 372  ; Wirsching, Die Weimarer Republik, S. 33. 3 Vgl. Zechlin, S. 110. 4 Vgl. Kolb, S. 123. 5 Vgl. Büttner, S. 348  ; Beispiele aus eigenem Erleben liefert Zechlin, S. 105 ff. 6 Gessler, S. 339. 7 Vgl. ebd., S. 348. 8 Vgl. ebd., S. 345. 9 Büttner, S. 346. 10 Möller, Die Weimarer Republik, S. 80. 11 Vgl. Büttner, S. 348  ; H.-O. Meissner, S. 217, 221 f., 225. 12 Gessler, S. 342. 13 Vgl. Möller, Die Weimarer Republik, S. 89. 14 Vgl. Gessler, S. 345. 15 Vgl. Möller, Die Weimarer Republik, S.  76 f.; ebenso nach Brünings Erinnerungen, S.  520, der ehemalige Kronprinz Wilhelm ihm gegenüber im Januar und, S.  550, Groener im April 1932  ; ebenso zum Umgang mit Brüning Severing, S. 337  ; Grzesinski, S. 252. 16 Groener-Geyer, S. 307. 17 François-Poncet, S. 56. 18 Pünder, S. 127. 19 Vgl. Brüning, S. 420 f., 506, 508, 513  ; demgegenüber berichtet Brüning, S. 274, von einem Ausspruch Hindenburgs, sein Sohn habe in der Politik nichts zu melden und dürfe dem Reichskanzler keine Schwierigkeiten machen. 20 François-Poncet, S. 56. 21 Oldenburg-Januschau, S. 218. 22 Vgl. ebd., S. 218 f. 23 O. Meissner, Staatssekretär, S. 258. 24 Groener-Geyer, S. 248. 25 Vgl. ebd., S. 262  ; auch in einem Brief an Otto Gessler äußerte er sich ähnlich über Schleichers Rolle, vgl. Gessler, S. 399. 26 Barth/Friederichs, S. 16.

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Anmerkungen

27 Groener-Geyer, S. 248 f.; ähnlich Lutz Graf Schwerin von Krosigk, zitiert nach Treviranus, S. 337  ; interessant auch die Schilderung H.-O. Meissners, S. 315 f., 318 ff. 28 François-Poncet, S. 61  ; ähnlich seine Einschätzung gegenüber Harry Graf Kessler am 1. Juli 1932, vgl. Kessler, S. 714. 29 O. Meissner, Staatssekretär, S. 256 f., 258  ; ähnlich die Einschätzung durch Treviranus, S. 279. 30 Herbert, S. 289  ; ähnlich Kolb, S. 204. 31 O. Meissner, Staatssekretär, S. 257. 32 Vgl. Brüning, S. 159, 452 f., 521, 547, 575, 584, 590, 609. 33 Gessler, S. 350, spricht vom »Schatten seiner selbst«. Auch Äußerungen von Brüning, S. 148, 183, 419, 422 f., 452, 643, und Treviranus, S. 290 f., 296, 321 f., vermitteln diesen Eindruck. Es besteht aber die Möglichkeit, dass sie negativ gefärbt sind, weil Hindenburg Brüning entlassen hatte. 34 O. Meissner, Staatssekretär, S. 214  ; ebenso sein Sohn H.-O. Meissner, S. 233, 274 ff. 35 Vgl. Rauscher, S. 296. 36 Vgl. Pünder, S. 114, 126, 153. 37 Vgl. Pyta, S. 835. 38 Pünder, S. 149. 39 Vgl. Westarp, in  : Lönne, S. 316 ff. 40 Vgl. Quaatz/Bang, S.  9. Die weiteren in der Schrift auf S.  7 ff. vertretenen Forderungen zielen ebenfalls auf eine Wiederherstellung des Kaiserreichs (mitsamt starker Militärmacht und Kolonien) sowie auf eine Begrenzung der Parlamentsrechte ab. 41 Vgl. die Niederschrift Westarps über seine Unterredung mit Hindenburg vom 15. März 1929, in  : Jonas, S. 186–188. 42 Vgl. Brüning, S. 145. 43 Treviranus, S. 115. 44 Vgl. die Aufzeichnung Westarps über die Unterredung, in  : Maurer/Wengst, S. 15–18. 45 Vgl. zum Folgenden Boldt, in  : Kolb/Mühlhausen, S. 34 f.; O. Meissner, Staatssekretär, S. 187. 46 Poetzsch-Heffter, Handkommentar, S. 260  ; Pohl, in  : HStR I, S. 489  ; Herrfahrdt, S. 53 ff.; Lalla, S. 46 ff. (52)  ; in diese Richtung auch Dohna, in  : Hellpach/Dohna, S. 25 f. 47 Thoma, in  : HStR I, S. 505, 509  ; Anschütz, S. 313, 319. 48 Giese, S. 149  ; ähnlich Smend, S. 146 f., dem zufolge (aus Integrationserwägungen) die Regierung vom Vertrauen des Reichstages und des Volkes getragen werden müsse, weshalb der Reichspräsident alles für das »Ziel des Zusammengehens von Kabinett, Reichstag und Volksganzem« tun müsse. 49 Kirschner, S. 6. 50 Vgl. O. Meissner, Staatssekretär, S. 188  ; Miller, S. 371. 51 Vossische Zeitung vom 28. März 1930 (Abend-Ausgabe), S. 2. 52 Vgl. 68. Generalversammlung der Deutschen Katholiken zu Freiburg i. Br. 28. August bis 1. September 1929, S. 257, zitiert nach Morsey, in  : Matthias/Morsey, S. 291. 53 Vgl. zu den Nachweisen ebd., S. 290 Fn. 49  ; zur engen Zusammenarbeit mit Kaas auch Brüning, S. 135, der sich in seinen Memoiren aber auch mehrfach sehr kritisch über Kaas äußert. 54 Vgl. Miller, S. 367 f. 55 Vgl. ebd., S. 369. 56 Vgl. Brüning, S. 146, 194, 418, 453, 456, 463, 512 f., 520, 579. 57 Ebenso Wirsching, Die Weimarer Republik, S. 113 m.w.N. 58 François-Poncet, S. 24. 59 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 281 f.

Semiparlamentarismus 

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60 Miller, S. 370 f. 61 Pünder, S. 51. 62 Treviranus, S. 125. 63 So Westarp, S. 106, 115 f., 121  ; O. Meissner, Staatssekretär, S. 188 (zum Kabinett Brüning I), 209 (zum Kabinett Brüning II)  ; Schulze, Weimar, S. 323, 325. 64 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427, S. 4728 B. 65 Vgl. Brüning, S. 162. 66 Vossische Zeitung vom 30. März 1930 (Sonntags-Ausgabe), S. 1. 67 Treviranus, S. 130. 68 Vgl. Vorwärts vom 30. März 1930, S. 1  ; Vossische Zeitung vom 30. März 1930 (Sonntags-Ausgabe), S. 1. 69 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427, S. 4777. 70 Jonas, S. 65. 71 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 428, S. 6066 A, 6074 ff., 6077. 72 Ebd., S. 6068 A, 6074 ff., 6077. 73 Vgl. ebd., S. 6408 A, 6430 ff., 6435. 74 Vgl. etwa Möller, Die Weimarer Republik, S. 362  ; Herbert, S. 287  ; Peukert, S. 250  ; Kolb, S. 196  ; Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 286. 75 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 428, S. 4728 ff.; ähnlich in der 160. Sitzung (12. April 1930), S. 4920 D. 76 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427, S. 4728 B. 77 Ebd., S. 4730 B. 78 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, 4. Wahlperiode, 154. Sitzung (3. April 1930), S. 4769 D. 79 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427, S. 4921 A. 80 Vgl. Pünder, S. 42. 81 Vgl. Anhang 1. 82 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427, S. 4993 ff., 5010 f. 83 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 428, S. S. 6276 C, 6278 ff., 6281. 84 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 441, Anlage 1991, ergänzt durch Bd. 442, Anlage 2139 vom 14. Juni und Bd. 443, Anlage 2257 vom 4. Juli 1930. 85 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 443, Anlage 2247 vom 3. Juli 1930. 86 Vgl. ebd. 87 Vgl. ebd., Anlage 2353 vom 12. Juli 1930. 88 Vgl. ebd., Anlage 2370 Ziff. I vom 15. Juli 1930. 89 Vgl. Akten der Reichskanzlei, Kabinette Brüning I/II, Bd. 1, S. 302 f. 90 Vgl. ebd., S. 313. 91 Vgl. den Vermerk des Staatssekretärs Pünder über die Anwendung des Artikels 48 der Reichsverfassung vom 12. Juli 1930, ebd., S. 304. 92 Vgl. ebd., S. 314. 93 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 428, S. 6375 D. 94 Vgl. ebd., S. 6391 C, D. 95 Vgl. ebd., S. 6407 B, 6430 ff., 6435. 96 Vgl. ebd., S. 6407 C. 97 RGBl. I S. 207, 212. 98 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 428, S. 6501 ff. 99 Ebd., S. 6504 C.

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Anmerkungen

100 Ebd., S. 6506 ff.; ebd., S. 6513 ff.; ebd., S. 6517 f. 101 Vgl. ebd., S. 6520 B. 102 Ebd., S. 6510 A, D. 103 Ebd., S. 6510 B, D. 104 Ebd., S. 6511 A. 105 Ebd., S. 6513 B. 106 Ebd., S. 6521 C. 107 Zu den Konflikten innerhalb der DNVP vgl. Jones, in  : Jones/Pyta, S. 1130 ff., 138 f. 108 Vgl. die nach Wahlkreisen geordnete »Verlustaufstellung« bei Jonas, S. 77 Fn. 3. 109 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 428, S. 6517 A, B. 110 Ebd., S. 6523 D, 6527  ; die aufhebende Verordnung findet sich in RGBl. I S. 223. 111 Ebd.; RGBl. I S. 299. 112 Vgl. Brüning, S. 169, 181  ; Pünder, S. 48, 50. 113 Vgl. Neue Preußische Kreuz-Zeitung vom 20. Juli 1930, in  : Huber, Dokumente, Bd. 4, S. 475. 114 Brüning, S. 182  ; ähnlich S. 579 für die Zeit bis Mai 1932  : »Ich habe die Macht des Parlamentes auf das richtige Maß zurückgebracht.« 115 O. Meissner, Staatssekretär, S. 191  ; inhaltlich ebenso Schulze, Weimar, S. 325. 116 Ebenso Peukert, S. 253  ; Bracher, S. 337 ff. 117 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 428, S. 5515 C  ; ebd., S. 5516 A. 118 Vgl. ebd., S. 5489 ff., 5518 ff., 5523 ff. 119 So Pünder, S. 56 f.; ähnlich Papen, S. 161. 120 So Treviranus, S. 157. 121 RGBl. I S. 311. 122 Möller, in  : Wirsching/Kohler/Wilhelm, S. 46. 123 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 428, S. 6507 B. 124 Weiß/Hoser, S. 115. 125 Abg. D. Dr. Kahl (DVP), Verhandlungen des Reichstags, Bd. 425, S. 2568 B. 126 Treviranus, S. 158. 127 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427, S. 4728 A. 128 Ebd., S. 4729 B. 129 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 428, S. 5514 B  ; ähnlich S. 5515 B, S. 5516 D. 130 Ebd., S. 5516 C. 131 Vgl. Abg. Dr. Goebbels, ebd., S. 5516 A ([zum Abg. Dr. Rosenberg] »Dieser Jude da  !«)  ; Abg. Graf zu Reventlow, ebd., S. 5520 D (»Herr Minister, Sie wissen doch, daß Jesus von den Juden gesagt hat  : Der Teufel ist euer Vater  !«). 132 Herbert, S. 285. 133 Bracher, S. 378. 134 Büttner, S. 405, 423. 135 Mommsen, S. 302. 136 Winkler, Weimar, S. 381. 137 Jonas, S. 153. 138 Vgl. ebd., S. 137, 169. 139 Vgl. Lau, S. 112, 438 f.; zu den Wahlkampfmitteln im Einzelnen ebd., S. 195 ff. 140 Vgl. ebd., S. 124, 152 f. 141 Vgl. ebd., S. 114 f. 142 Ebd., S. 116.

Semiparlamentarismus 

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143 Vgl. ebd., S. 173 f. 144 Vgl. ebd., S. 122 f. 145 Vgl. ebd., S. 119. 146 Kessler, S. 677. 147 Pünder, S. 59. 148 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 10. 149 Jones, in  : Jones/Pyta, S. 141. 150 Vgl. Neumann, S. 72. 151 Vgl. Jonas, S. 81. 152 Kessler, S. 678. 153 Kluge, S. 365. 154 Vgl. Peukert, S. 249  : »reine Arbeitslosenpartei«. 155 Vgl. Pyta, in  : Ritter, S. 213 f. 156 Neumann, S. 87. 157 Vgl. Lau, S. 182. 158 Vgl. Koser, S. 140  ; Kolb, S. 184. 159 Vgl. Möller, Die Weimarer Republik, S. 151 f.; zur NSDAP auch Neumann, S. 81 ff. 160 Vgl. Kolb, S. 176. 161 Vgl. Mergel, in  : Wirsching, Herausforderungen, S. 58 f.; Mergel, S. 131 ff. 162 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 8 D, 9 A. 163 Vgl. ebd., S. 145 D. 164 Abg. Eggerstedt, Abg. Peters (beide SPD), ebd., S. 146, 148 C. 165 Unzutreffend Mai, S.  93, der von »ca. 300 Mandaten« für die vormaligen Koalitionsparteien spricht. 166 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 1 B. 167 Vgl. ebd., S. 5 D. 168 Wolff, Parole  : links  !, in  : Berliner Tageblatt vom 14. September 1930 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 169 Vgl. Brüning, S. 199. 170 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 8 D. 171 Vgl. ebd., S. 9 C. 172 Ebd., S. 9 D. 173 Ebd., S. 10 A. 174 Ebd. 175 Vgl. ebd., S. 10 B, 11 B. 176 Vgl. ebd., S. 34 A  ; ebd., S. 56 A. 177 Vgl. ebd., S. 17 A. 178 Vgl. ebd., S.  174 A  ; der Begriff des »Hungerkanzlers« fiel auch in weiteren Sitzungen, z. B. Bd. 446, S. 2323 C. 179 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 17 ff.; ebd., S. 34 ff. 180 Ebd., S. 37 D  ; einen Ordnungsruf erhielt Ley in der 5. Sitzung, ebd., S. 174 D. 181 Vgl. ebd., S. 194 B  ; in derselben Sitzung hatte er schon einen Ordnungsruf erhalten, S. 174 D. 182 Vgl. ebd., S. 45 D. 183 Vgl. ebd., S. 175 A. 184 Abg. Dr. Quaatz (DNVP), ebd., S. 23 B. 185 Abg. Schmidt (DNVP), ebd., S. 142 C. 186 Abg. Dr. Bang (DNVP), ebd., S. 44 A.

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Anmerkungen

187 Abg. Reese (KPD), ebd., S. 159 B. 188 Abg. Feder (NSDAP), ebd., S. 32 B. 189 Abg. Dr. Everling (DNVP), ebd., S. 13 D. 190 Abg. Dreher (KPD), ebd., S. 10 B. 191 Abg. Moericke (KPD), ebd., S. 18 D. 192 Abg. Dr. Neubauer (KPD), ebd., S. 32 B. 193 Abg. Feder (NSDAP), ebd., S. 32 C. 194 Abg. Dr. Neubauer (KPD), ebd., S. 46 A, B. 195 Abg. Dr. Kleiner (DNVP), ebd., S. 92 A. 196 Abg. Pieck, Florin, Rädel (KPD), ebd., S. 138 D, 139 A. 197 Abg. Graf zu Reventlow (NSDAP), ebd., S. 145 D. 198 Abg. Adler (KPD), ebd., S. 151 A. 199 Ebd., S. 147 A. 200 Vgl. ebd., S. 65 A  ; ebd., S. 153 C  ; ebd., S. 566 C. 201 Ebd., S. 108 C. 202 Vgl. ebd., S. 188 A. 203 Ebd., S. 160 C. 204 Vgl. ebd., S. 59 B  ; ebd., S. 64 D, 65 A. 205 Vgl. etwa die Rede des Abg. Pieck, ebd., S. 65 ff.; Abg. Reese, ebd., S. 153 D ff.; Abg. Ulbricht, ebd., S. 683 ff. 206 Vgl. z. B. die Rede des Abg. Straßer [Strasser], ebd., S. 56 ff.; Graf zu Reventlow, ebd., S. 145 B ff.; Abg. Dr. Goebbels, ebd., S. 691 A, 693 D. 207 Ebd., S. 688 B. 208 Abg. Straßer [Strasser], Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, Bd. 444, S. 58 B. 209 Vgl. z. B. Abg. Dr. Goebbels, Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 690  ; Bd. 446, S. 2353 D. 210 Vgl. etwa Abg. Dr. Goebbels, Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2250 B  ; ebd., S. 2353 B, C. 211 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 692 D. 212 Ebd., S. 694 B. 213 Ebd., S. 149 B. 214 Abg. Sprenger (NSDAP), ebd., S. 707 C. 215 Ebd., S. 58 A. 216 Vgl. z. B. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 510 B  ; Bd. 446, S. 2251 C, D  ; ebd., S. 2352 D. 217 Die Mehrheit für Hugenberg war so knapp, dass das Wahlergebnis nie veröffentlicht wurde, vgl. Jones, in  : Jones/Pyta, S. 131. 218 Vgl. etwa die Rede des Abg. von Oldenburg(-Januschau), Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 165 D ff.; Abg. Schmidt, ebd., S. 141 B ff. 219 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 445, S. 1157 f. 220 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2069 C. 221 Vgl. ebd., S. 2244 C. 222 Vgl. ebd., S. 2077 D. 223 Vgl. z. B. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 22 A  ; ebd., S. 137 A, 138 D  ; ebd., S. 719 f.; Bd. 446, S. 2070 A. 224 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2329, 2330 D, 2331 A. 225 Brüning, S. 528 f.

Semiparlamentarismus 

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226 Abg. Dr. Goebbels (NSDAP), Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 432 D. 227 Vgl. ebd., S. 459 C, D. 228 Abg. Karpenstein (NSDAP), ebd., S. 512 A. 229 Ebd., S. 512 A. 230 Ebd., 512 A, B C. 231 Abg. Rupp (NSDAP), ebd., S. 743 C. 232 Abg. Schaller (NSDAP), ebd., S. 821 B. 233 Vgl. Mergel, S. 432 ff., 444 ff., 465. 234 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 48 ff., 76 ff., 87 ff., 94 ff. 235 Ebd., S. 94 B. 236 Ebd., S. 127 C. 237 Ebd., S. 694 C, D. 238 Vgl. etwa Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 309 D  ; Bd. 446, S. 2598 A, B. 239 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 131 ff. 240 Ebd., S. 132 B. 241 Vgl. ebd. (18. Oktober 1930), S. 133 A, B. 242 Severing, S. 259. 243 Vgl. ebd. 244 Hoegner, S. 59. 245 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 137 A. 246 Vgl. ebd. 247 Vgl. ebd.; ebenso S. 138 D. 248 Severing, S. 259  ; ähnlich erinnert sich Hoegner, S. 59. 249 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2551 C. 250 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 828 A, 872. 251 Vgl. Pünder, S. 87 f.; ähnlich Brüning, S. 256. 252 Vgl. Brüning, S. 256. 253 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 855 A. 254 Vgl. ebd., S. 873 f. 255 Vgl. ebd., S  : 874 f. 256 Vgl. ebd., S. 949 D. 257 Abg. Döbrich (CNBL), ebd., S. 901 C, D  ; ebd., S. 948 D. 258 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 445, S. 1602 ff., 1604 A. 259 Vgl. ebd., S. 1604 ff. 260 Vgl. ebd., S. 1606 B. 261 Vgl. ebd., S. 1606 ff. 262 Vgl. ebd., S. 1608 C. 263 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2252 B  ; ebd., S. 2303 D, 2309 C  ; ebd., S. 2346 A  ; ebd., S. 2550 C. 264 Vgl. ebd., S. 2250 D. 265 Ebd., S. 2252 f. 266 Vgl. ebd., S. 2253 B. 267 Vgl. ebd., S. 2253 B, C, D. 268 Vgl. ebd., S. 2538 f. 269 Ebd., S. 2541 A. 270 Vgl. ebd., S. 2457 A.

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Anmerkungen

271 Vgl. ebd., S. 2542 C, 2544 A. 272 Vgl. ebd., S. 2545 B. 273 Ebd., S. 2545 C. 274 Ebd., S. 2550 C. 275 Vgl. ebd., S. 2688 C, D. 276 Vgl. ebd., S. 2868 ff.; Vossische Zeitung vom 12. Mai 1932 (Abend-Ausgabe), S. 1 und vom 14. Mai 1932 (Morgen-Ausgabe), S. 3. Drei Abgeordnete wurden zu Haftstrafen von drei Monaten verurteilt, vgl. Vossische Zeitung vom 14. Mai 1932 (Morgen-Ausgabe) S. 1). 277 Vgl. Vossische Zeitung vom 12. Mai 1932 (Abend-Ausgabe), S. 1. 278 Vgl. Vossische Zeitung vom 13. Mai 1932 (Morgen-Ausgabe), S. 2. 279 Zu einseitig Groener-Geyer, S. 282  ; unzutreffend O. Meissner, Staatssekretär, S. 210  ; für die Arbeitsfähigkeit des Reichstages wie hier Kern, Die Kluft, in  : Vossische Zeitung vom 28. November 1932 (Abend-Ausgabe), S. 1. 280 Unzutreffend hart Peukert, S.  253, dem zufolge der Reichstag durch die Septemberwahl »zu positivem Handeln tatsächlich unfähig geworden« war. Ebenso nicht zutreffend Zechlin, S. 121, der meint, mit »diesem Reichstag [sei] praktisch nicht zu regieren« gewesen. Peukert und Zechlin übersehen die Selbstbeschränkung der Mehrheit. 281 Winkler, Weimar, S. 474. 282 Vgl. Kolb, S. 195. 283 In der Literatur sind uneinheitliche Angaben zur Zahl der Parlamentsgesetze aus dem Jahr 1931 zu finden  : Hahn, S. 264, geht – nicht nachvollziehbar – von 43, Frotscher/Pieroth, Rn. 561, und Mergel, S. 223, gehen von 35, Morsey, Das Ermächtigungsgesetz, S. 119, und Kolb, S. 195, hingegen von 34 Gesetzen aus. 284 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 447, S. 36 ff. 285 RGBl. I S. 311. 286 RGBl. I S. 517, Druckfehlerberichtigung RGBl. I S. 608. 287 »Verordnung gegen Waffenmißbrauch« vom 25. Juli 1930 (RGBl. I S. 351), aufgehoben durch Verordnung vom 28. März 1931 (RGBl. I S. 78), »Verordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen« vom 28. März 1931 (RGBl. I S. 79), die »Zweite Verordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen« vom 17. Juli 1931 (RGBl. I S. 371), die »Verordnung zur Änderung der Zweiten Verordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen« vom 10. August 1931 (RGBl. I S. 435) und die »Dritte Verordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen« vom 6. Oktober 1931 (RGBl. I S. 537). 288 »Vierte Verordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen um zum Schutze des inneren Friedens« vom 8. Dezember 1931 (RGBl. I S. 699), Abzeichenverbot eingeschränkt durch Verordnung vom 16. Januar 1932 (RGBl. I S. 19), die »Verordnung zum Schutze des inneren Friedens« vom 17. März 1932 (RGBl. I S. 133), die »Verordnung zur Sicherung der Staatsautorität« vom 13. April 1932 (RGBl. I S. 175) (mit dem Verbot der SA und der SS) sowie die »Verordnung zur Sicherung der Staatsautorität« vom 3. Mai 1932 (RGBl. I S. 185). 289 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 679. 290 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2074 C, D  ; in diesem Sinne auch O. Meissner, Staatssekretär, S. 209 f. 291 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2074 D, 2075 A. 292 Pünder, S. 79 f. 293 Ebd., S. 81. 294 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2194 B.

Semiparlamentarismus 

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295 Vgl. ebd., S. 2195 A. 296 Vgl. Bundesminister der Justiz, S. 19. 297 So Groener scherzhaft über seine Rolle in einem Brief vom 1. November 1931, in  : Groener-­ Geyer, S. 283. 298 So aber O. Meissner, Staatssekretär, S. 210. 299 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2554 D. 300 Ebd., S. 2196 D. 301 Siehe zu den einzelnen Anträgen Anhang 2. 302 Siehe zu den einzelnen Anträgen Anhang 3. 303 So aber O. Meissner, Staatssekretär, S. 210. 304 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 444, S. 201 B  ; ebd., S. 632 D  ; Bd. 445, S. 2053 D  ; Bd. 446, S. 2230 D  ; ebd., S. 2452 B, 2453 B. 305 Brüning, S. 201. 306 Hoegner, S. 61. 307 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2687 D, 2688 A. 308 Vgl. Wirsching, Die Weimarer Republik, S. 114 m.w.N. 309 Vgl. Abg. Dr. Rosenfeld, Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2198 A, 2199 C. 310 Ebd., S. 2199 D. 311 Vgl. ebd., S. 2200 D. 312 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd.  444, S.  758 D, 778  ; Bd.  446, S.  2211 B, 2242  ; ebd., S. 2435 A, 2465. 313 Poetzsch, JöR 13 (1925), 1 (131). 314 Herbert, S. 287, meint, Brüning habe den Reichstag schleichend ausgeschaltet. 315 O. Meissner, Staatssekretär, S. 201. 316 Lehnert, S. 248. 317 Vgl. Benz, Geschichte des Dritten Reiches, S. 21. 318 Vgl. hierzu und zu den Geschehnissen der folgenden Tage Groener-Geyer, S.  296 ff.; ebenso Treviranus, S. 301 f. 319 Pünder, S. 118. 320 RGBl. I S. 175. 321 Brüning, S. 460. 322 Severing, S.  336  ; mehrere Beispiele zu Schleichers Charakter und Vorgehensweisen liefert Brüning, S. 159, 452 f., 521, 547, 575, 584, 590, 609. 323 Vgl. etwa Brüning, S. 587. Die Behauptung, ihn habe hohes Fieber geplagt, hat Groener selbst zurückgewiesen, vgl. Groener-Geyer, S. 316. 324 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2545 ff. 325 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S.  299  ; ebenso zur fehlenden Redebegabung Hürter, in  : Fröhlich, S. 116  ; Winkler, Weimar, S. 464. 326 Pünder, S. 120  ; ähnlich Grzesinski, S. 252  : »rhetorisch wenig geschickt«. 327 Brüning, S. 587. 328 Goebbels, Tagebücher, Bd. 2, S. 654. 329 Vgl. die von Meissner und Hindenburg unterzeichnete »Niederschrift über die Entwickelung der Krise und Demission des Kabinetts Brüning« vom 10. Juni 1932, in  : Hubatsch, S. 326. 330 Vgl. ebd., 327  ; in diese Richtung auch Pünder, S. 125. Die seiner eigenen Niederschrift rund 20 Jahre später entgegengesetzte Behauptung O. Meissners, Staatssekretär, S. 220, ist unglaubwürdig. 331 Vgl. Pünder, S. 123  ; ähnlich S. 127.

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Anmerkungen

332 Vgl. Goebbels, Tagebücher, Bd. 2, S. 652. 333 Weiß/Hoser, S. 189. 334 Goebbels, Tagebücher, Bd. 2, S. 657 f. 335 Vgl. Hubatsch, S. 310 ff., 312 ff., 316 ff. 336 Vgl. Zechlin, S. 119. 337 François-Poncet, S. 46  ; inhaltlich ebenso Zechlin, S. 119 f. 338 Vgl. die von Meissner und Hindenburg unterzeichnete Niederschrift über die Entwickelung der Krise und die Demission des Kabinetts Brüning vom 10. Juni 1932, in  : Hubatsch, S. 323 ff. 339 Vgl. Brüning, S. 187, 386. 340 Vgl. die o.g. Briefe, in  : Hubatsch, S. 311, 313. 341 Vgl. den Brief an Berg-Markienen, in  : Hubatsch, S. 313 f. 342 Vgl. die von Hindenburg und Meissner unterzeichnete Niederschrift über die Entwickelung der Krise und die Demission des Kabinetts Brüning vom 10. Juni 1932, in  : Hubatsch, S. 323 ff., 328. 343 Vgl. O. Meissner, Staatssekretär, S. 222, 224 f. 344 Hoegner, S. 62. 345 Vgl. Brüning, S. 273  ; Oldenburg-Januschaus Ausspruch findet sich auch bei Zechlin, S. 124. 346 Vgl. die Niederschrift des Staatssekretärs Pünder über die letzte Ministerbesprechung des Reichskabinetts Brüning am 30. Mai 1932, 10 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Kabinette Brüning I/II, Bd. 3, S. 2585  ; ähnlich Brüning, S. 598 f. 347 Braun, Von Weimar zu Hitler, S. 407. 348 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 446, S. 2602 D. 349 Kolb, S. 203  ; in diese Richtung auch Koch-Weser, S. 122. 350 Brüning, S. 429. 351 Die Zahlen zur Arbeitslosigkeit und zu den Unterstützungsleistungen ergeben sich aus einer Zusammenschau verschiedener Darstellungen, vgl. Lehnert, S. 240 f.; Mai, S. 113. 352 Vgl. Kolb, S. 178 f. 353 So sieht es jedenfalls der gut informierte Zeitzeuge Friedrich Meinecke, S. 72, 74 f., 96–102, 105. 354 François-Poncet, S. 52. 355 Brüning, S. 603. 356 Mommsen, in  : Wirsching, Herausforderungen, S. 32. 5 Antiparlamentarismus 1 2 3 4 5

Severing, S. 366. Vgl. Braun, Von Weimar zu Hitler, S. 408. François-Poncet, S. 57. Papen, S. 192. Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 301  ; Walter Rauscher, S. 288, spricht von einem »Strohmann«. 6 François-Poncet, S. 54 f. 7 Ebd., S. 56. 8 Westarp, S. 109. 9 Hürter, in  : Fröhlich, S. 116. 10 Herbert, S. 291. 11 Vgl. Akten der Reichskanzlei, Kabinett von Papen, Bd. 1, S. 13 f.

Antiparlamentarismus 

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12 Kessler, S. 711. 13 Vgl. Meissners Aktennotiz über die Besprechungen des Herrn Reichspräsidenten betr. Regierungs­ bildung am 30. und 31. Mai 1932, in  : Hubatsch, S. 320 f. 14 Vgl. ebd., S. 321 f. 15 RGBl. I S. 255. 16 RGBl. I S. 297 (300). 17 François-Poncet, S. 46. 18 Vgl. Pohl, in  : HStR I, S. 488  ; Thoma, in  : HStR I, S. 505 f. Herrfahrdt, S. 53 ff., und Lalla, S. 46 ff. (52) hielten die Ernennung einer »Konfliktregierung« auch ohne gleichzeitige Anordnung einer Neuwahl für zulässig. 19 Kluge, S. 428. 20 Vgl. ebd., S. 429. 21 So Lehnert, S. 279. 22 RGBl. I S. 339. 23 Vgl. Kluge, S. 432. 24 Vgl. Rauscher, S. 292. 25 Vgl. Kluge, S. 478. 26 Vgl. Horkenbach, 1932, S. 259. 27 So Schleicher zu Pünder am 6. Oktober 1932, vgl. Pünder, S. 149. 28 RGBl. I S. 377. 29 Eingehend zum Ablauf Morsey, in  : Staatsstreich  ?, S.  41 ff., und die Aufzeichnung der Reichskanzlei über den Ablauf der »Aktion gegen die Preußische Staatsregierung« am 20. Juli 1932, in  : Staatsstreich  ?, S. 72 ff. 30 Vgl. näher Severing, S. 359 f. 31 RGBl. I S. 377  ; aufgehoben durch Verordnung vom 26. Juli 1932 (RGBl. I S. 387). 32 Ebenso Faulenbach, S. 54  ; Schulze, Weimar, S. 380 f.; Rohe, S. 437  ; Möller, Parlamentarismus in Preußen, S. 570 ff.; Wirsching, Die Weimarer Republik, S. 115 m.w.N.; Weigel, S. 137 f.; Kolb, in  : Staatsstreich  ?, S. 25  ; Morsey, in  : Staatsstreich  ?, S. 44  ; kritisch hingegen z. B. Heinrich, S. 495 ff. 33 Vgl. Feder, S. 32, der meint, es habe »in völlig unzureichendem Maße Waffen« besessen. 34 Vgl. Winkler, Der Weg in die Katastrophe, S. 678 f. 35 Ebenso Grzesinski, S. 276 f. 36 François-Poncet, S. 69. 37 Vgl. Faulenbach, S. 54. 38 So aber Bracher, S. 582  ; Kluge, S. 435. 39 Vgl. Herbert, S. 292  ; ebenso für die Rolle der SPD Kolb, S. 206. 40 Vgl. Winkler, Weimar, S. 489  ; Blasius, S. 80. 41 Vgl. Blasius, S. 82 f. m.w.N. 42 Kessler, S. 721. 43 Vgl. Vossische Zeitung, 31. Juli 1932 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 44 Vgl. Pyta, in  : Ritter, S. 238. 45 Ebd., S. 237 f. 46 Vgl. Herbert, S. 289. 47 Vgl. Severing, S. 362. 48 Ähnlich Möller, in  : Wirsching/Kohler/Wilhelm, S. 46, der davon spricht, die Mittelparteien seien »zerrieben« worden. 49 Vgl. Schumacher, Zersplitterung, S. 39 (44).

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Anmerkungen

50 Vgl. ebd.; insbesondere zur Wirtschaftspartei Schumacher, Mittelstandsfront, S. 112. 51 Möller, in  : Wirsching/Kohler/Wilhelm, S. 46. 52 Hierauf weist zu Recht Möller, ebd., S. 46 f. hin. 53 Miller, S. 413. 54 Misch, Konstruktive Parolen, in  : Vossische Zeitung vom 24. August 1932 (Morgen-Ausgabe), S. 2. 55 Vossische Zeitung, 1. August 1932 (Abend-Ausgabe), S. 1. 56 Kessler, S. 721. 57 Vgl. Gruber, S. 3. 58 Vgl. Hürten, in  : Kösters/Ruff, S. 29. 59 Vgl. Gruber, S. 4 f. 60 Beilage 4 zur Nr. 4 des Amtsblattes der Erzdiözese München und Freising vom 10. Februar 1931, in  : Gruber, S. 6 ff. 61 Vgl. zu allen Gruber, S. 9 ff. 62 Vgl. ebd., S. 13. 63 Morsey, Der Untergang, S. 56. 64 Vgl. ebd., S. 57. 65 Vgl. die Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über die Besprechung Hindenburg–Hitler, in  : Hubatsch, S. 339. 66 Vgl. Poetzsch-Heffter, JöR 21 (1933/34), S.  161  ; inhaltlich ebenso die von Meissner verfasste Aufzeichnung über die Besprechung, in  : Hubatsch, S. 338 f. 67 Vgl. Pünder, S. 79. 68 Vgl. die Aufzeichnung Meissners über die bisherigen Besprechungen in der Frage einer Regierungsumbildung vom 11. August 1932, in  : Hubatsch, S. 337 f. 69 Vgl. die Niederschrift Meissners über die Besprechung in Neudeck am 30. August 1932, in  : Hubatsch, S. 339 ff. 70 François-Poncet, S. 73. 71 Brüning, S. 625. 72 Severing, S. 364. 73 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 454, S. 3 D. 74 Vgl. ebd., S. 10 A, B. 75 Vgl. ebd., S. 10 B. 76 Vgl. Pünder, S. 146  ; auch die Niederschrift einer Besprechung in Neudeck vom 30. August 1932, in  : Hubatsch, S. 342, vermerkt, dass Hindenburg in Neudeck die Auflösungsanordnung blanko unterzeichnet hatte. Die Schilderung H.-O. Meissners, S. 321, die Ortsangabe »Neudeck« sei von seinem Vater versehentlich auf das Dokument gesetzt worden, ist demgegenüber nicht glaubhaft. 77 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 454, S. 15 B. 78 Vgl. ebd., S. 15 C. 79 Vgl. Anschütz, S. 197  ; Giese, S. 95. 80 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 454, S. 15 C, D. 81 Ebd., S. 15 D, 16 A. 82 Vgl. Anschütz, S. 196  ; Giese, S. 95  ; Poetzsch-Heffter, Handkommentar, S. 167  ; ebenso die Geschichtswissenschaft, vgl. nur Winkler, Weimar, S. 524  ; Pyta, S. 738  ; unhaltbar demgegenüber die Ansicht Haffners, Von Bismarck zu Hitler, S. 223. 83 Vgl. Thoma, in  : HStR I, S. 506  ; Anschütz, S. 197  ; Schmitt, Verfassungslehre, S. 357. 84 Entsprechend knapp fiel aus das offizielle Reichstags-Handbuch zur 6. Wahlperiode aus. Es enthielt nur das Wahlergebnis, die Sitzverteilung und die Kurzbiografien der Abgeordneten.

Zurück zum halbparlamentarischen Regieren  ? 

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85 Vgl. Löbe, Erinnerungen, S. 101 f.; Westarp, S. 111  ; Pünder, S. 145  ; Grimm, in  : Dreier/Waldhoff, S. 270. 86 Vgl. Huber, Dokumente, Bd. 4, S. 585 ff. 87 Ebenso die Abg. Wegmann und Schmitt in der Sitzung der Zentrumsfraktion am 13. September 1932, in  : Zentrumsprotokolle, S. 591. 88 Vgl. Horkenbach, 1932, S. 324. 89 Vgl. ebd., S. 342 f.; zustimmend Westarp, S. 124 ff., 129. 90 Vgl. Horkenbach, 1932, S. 343. 91 Vgl. Vorwärts vom 16. Oktober 1932 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 92 Vgl. Horkenbach, 1932, S. 325 f., 327. 93 Vgl. ebd., S. 336 f. 94 Blasius, S. 123. 95 Westarp, S. 105. 96 Elbau, Wer gewinnt  ?, in  : Vossische Zeitung vom 8. November 1932 (Morgen-Ausgabe), S. 2. 97 Vgl. Thoma, in  : HStR I, S. 510 f.; Dohna, in  : Hellpach/Dohna, S. 35  ; Poetzsch-Heffter, JöR 17 (1929), 1 (102). 98 Kern, Die Kluft, in  : Vossische Zeitung vom 28. November 1932 (Abend-Ausgabe), S. 1. 99 Westarp, S. 122. 100 Vgl. die Aufzeichnung Meissners, in  : Hubatsch, S. 347. 101 Vgl. ebd., S. 349 f. 102 Vgl. ebd., S. 350 ff. 103 Vgl. ebd., S. 352 f. 104 Vgl. die Aufzeichnung Meissners über die Besprechung, in  : Hubatsch, S. 353 ff. 105 Vgl. Hubatsch, S. 356 ff., 365 f. 106 Vgl. die Aktennotiz des Staatssekretärs Dr. Meissner über Besprechungen beim Reichspräsidenten von Hindenburg am 1. und 2. Dezember 1932, in  : Hubatsch, S. 366. 107 Vgl. ebd., S. 366 f.; ähnlich Papen, S. 243 ff. 108 Vgl. Aktennotiz des Staatssekretärs Dr. Meissner über Besprechungen beim Reichspräsidenten von Hindenburg am 1. und 2. Dezember 1932, in  : Hubatsch, S. 367  ; Tagebuchaufzeichnung des Reichsfinanzministers über den Verlauf der Ministerbesprechung vom 2. Dezember 1932, 9 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Kabinett von Schleicher, S. 1036 ff. 109 Tagebuchaufzeichnung des Reichsfinanzministers über den Verlauf der Ministerbesprechung vom 2. Dezember 1932, 9 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Kabinett von Schleicher, S. 1037 Fn. 10. 110 Severing, S. 372 f. 111 Vgl. Papen, S. 250 (ein Bild des Schreibens findet sich bei Papen zwischen den Seiten 224 und 225). 112 Kessler, S. 742. 6 Zurück zum halbparlamentarischen Regieren  ? 1 Vgl. Horkenbach, 1932, S. 411. 2 Vgl. Miller, S. 430 f. 3 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 455, S. 1 f. 4 Ebd., S. 6 D. 5 Ebd.

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Anmerkungen

6 Vgl. ebd., S. 8 f. 7 Abg. Löbe (SPD), ebd., S. 10 A. 8 Ebd. 9 Vgl. ebd., S. 20 B, C. 10 Vgl. ebd., S. 21 C. 11 Vgl. ebd., S. 17 B. 12 Vgl. Abg. Breitscheid (SPD), ebd., S. 15 f.; Abg. Löbe (SPD), ebd., S. 16 D  ; Abg. Rudolf Schwarzer (BVP), ebd., S. 51 A. 13 Vgl. ebd., S. 31 A. 14 Ebd., S. 15 f.; ebenso Abg. Löbe (SPD), ebd., S. 16 D. 15 Abg. Torgler (KPD), ebd., S. 15 A, 16 B  ; weitere Angriffe, auch auf Hindenburg, durch Abg. Pieck (KPD), ebd., S. 42 f. 16 Vgl. ebd., S. 58 C, 118. 17 Gesetz über Änderung der Reichsverfassung vom 17. Dezember 1932, RGBl. I S. 547. 18 Gesetz zur Änderung der Verordnung des Reichspräsidenten zur Belebung der Wirtschaft vom 4. September 1932 (RGBl. I S. 425), RGBl. I S. 547. 19 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 455, S. 82 A. 20 Vgl. ebd., S. 82 ff., 118. 21 Vgl. Vossische Zeitung vom 10. Dezember 1932 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 22 Gesetz über Straffreiheit vom 20. Dezember 1932, RGBl. I S.  559. Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 455, S. 110 B, 118. 23 Vgl. Blasius, S. 154. 24 Brüning, S. 638. 25 Anders Blasius, S. 146. 26 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 455, S. 8 C. 27 Vgl. ebd., S. 40 A. 28 Vgl. ebd., S. 24 D. 29 Vgl. ebd., S. 40 A. 30 Ebd., S. 38 C, D. 31 Vgl. ebd., S. 7. 32 Vgl. ebd., S. 40 B. 33 Ebd., S. 2 C. 34 Ebd., S. 7 D. 35 Ebd., S. 7 D, 8 A. 36 Ebd., S. 66 B. 37 Ebd., S. 105 D. 38 Vgl. ebd., S. 24, 33, 35 B. 39 Vgl. ebd., S. 24 D, 25 B. 40 Vgl. ebd., S. 94 D. 41 Vgl. ebd., S. 24 D. 42 Vgl. ebd., S. 24 C, D. 43 Vgl. Vossische Zeitung vom 8. Dezember 1932 (Morgen-Aufgabe), S. 1. 44 Weiß/Hoser, S. 217. 45 Vgl. die Ausführungen des Abg. Kaas im Vorstand der Zentrumsfraktion am 5. Dezember 1932 über ein Gespräch mit Schleicher, in  : Zentrumsprotokolle, S. 604. 46 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 455, S. 111 A.

Die Entmachtung des Reichstages 

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47 Vgl. ebd., S. 110 C, D. 48 Vgl. Vossische Zeitung vom 10. Dezember 1932 (Morgen-Ausgabe), S. 1. 49 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 455, Anlagen Nr. 17 und 30 bis 34. 50 Vgl. Ministerbesprechung vom 16. Januar 1933, 11.15 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Kabinett von Schleicher, S. 235. 51 Vgl. Kluge, S. 461. 52 Dazu näher Kluge, S. 458 ff. 53 Vgl. Ministerbesprechung vom 16. Januar 1933, 11.15 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Kabinett von Schleicher, S. 235. 54 Vgl. Anlage 2 zum Protokoll der Ministerbesprechung vom 16. Januar 1933, 11.15 Uhr, ebd., S. 241 ff.; weitere Erwägungen in einem Vermerk aus dem Reichsinnenministerium vom 17. Januar 1933, ebd., S. 267 ff., sowie im Anhang zu einem Schreiben des CSVD-Abgeordneten Simpfendörfer vom 24. Januar 1933, ebd., S. 297 ff. 55 Vgl. die (unsignierte) Niederschrift aus dem Büro des Reichspräsidenten über den Empfang des Reichskanzlers durch den Reichspräsidenten am 23. Januar 1933, ebd., S. 284. 56 Vgl. seinen Brief vom 26. Januar 1933, ebd., S. 304 f.; vgl. bereits die Vorstandssitzung der Zentrumsfraktion vom 20. Januar 1933, in  : Zentrumsprotokolle, S. 606, und die Äußerung Kaas’ in der Fraktionssitzung vom 26. Januar 1933, ebd., S. 609. 57 Vgl. die (unsignierte) Niederschrift aus dem Büro des Reichspräsidenten über den Empfang des Reichskanzlers durch den Reichspräsidenten am 28. Januar 1933, in  : Akten der Reichskanzlei, Kabinett von Schleicher, S. 310 f. 58 Vgl. ebd., S. 310. 59 Vgl. Brüning, S. 645. 60 Kritisch auch Kluge, S. 462 f.; Blasius, S. 155 ff.; anders Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. VII, S. 1243  ; Kolb, S. 211. 61 Vgl. Zentrumsprotokolle, S. 608 f. 62 Gessler, S. 352. 63 François-Poncet, S. 80. 64 Ebd. 7 Die Entmachtung des Reichstages 1 Vgl. Mergel, S. 466  : In der dritten und vierten Wahlperiode waren es ca. 2400 Drucksachen gewesen, in der fünften bloß noch 1600 und in der sechsten nur mehr 148. 2 Die Zahl der Notverordnungen wird für 1930 mit fünf bis sechs, für 1931 mit 41 bis 44 und für 1932 mit 58 bis 66 angegeben, vgl. Frotscher/Pieroth, Rn. 561  ; Mergel, S. 223  ; Morsey, Das Ermächtigungsgesetz, S. 119  ; Hahn, S. 264. 3 Vgl. O. Meissner, Staatsrecht, S. 165 f.; Grau, in  : HStR II, S. 277 ff. 4 Winkler, Weimar, S. 372  ; Fenske, S. 60. 5 Vgl. Willoweit, S. 332  ; eingehend Gusy, Der Staat 55 (2016), S. 291 (311 ff.)  ; für die Verfassungswidrigkeit des Regierens am Reichstag vorbei durch Notverordnungen Grau, in  : HStR II, S. 292. 6 Vgl. z. B. Koch-Weser, S. 130. 7 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 315. 8 Vgl. Merseburger, S. 290. 9 Goebbels, Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei, S. 251, 254  ; ähnlich ders., Tagebücher, Bd. 2, S. 757.

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Anmerkungen

10 Vgl. O. Meissner, Staatssekretär, S. 271 f. 11 Vgl. Vossische Zeitung vom 30. Januar 1933 (Abend-Ausgabe), S. 2. 12 Vgl. Minuth, in  : Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, S. XVI. 13 Vgl. die Aufstellungen bei Poetzsch-Heffter, JöR 22 (1935), S. 58 ff. 14 Vgl. die Zeitungsausschnitte in  : Eschenhagen, S.  112  ; Verhandlungen des Reichstags, Bd.  457, Anlagen Nr. 331 bis 338. 15 Vgl. Gruber, S. 16 f. 16 Siehe den Beitrag aus der Dortmunder Zeitung (Morgen-Ausgabe) vom 1. Februar 1933, in  : Eschenhagen, S. 136. 17 Ministerbesprechung vom 31. Januar 1933, 16 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, S. 6. 18 Ebd. 19 Vgl. Poetzsch-Heffter, JöR 22 (1935), S. 82. 20 Vgl. Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, S. 6. 21 Hoegner, S. 77 f. 22 Vgl. ebd., S. 78. 23 Ebd. 24 Bickenbach, JuS 2008, S. 199 (201). 25 Ministerbesprechung vom 1. Februar 1933, 11.30 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, S. 9  ; Ministerbesprechung vom 2. Februar 1933, 18 Uhr, ebd.., S. 29 f.; Ministerbesprechung vom 3. Februar 1933, 18.30 Uhr, ebd., S. 34 f. 26 RGBl. I S. 35. 27 Ministerbesprechung vom 1. Februar 1933, 11.30 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, S. 9. 28 Vgl. ebd., S. 9 Fn. 3. Der ursprüngliche Verordnungsentwurf war sogar noch weitreichender, vgl. Ministerbesprechung vom 2. Februar 1933, 18 Uhr, ebd., S. 30. 29 Für eine Alleintäterschaft des niederländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe z. B. Winkler, Der Weg in die Katastrophe, S. 880  ; Benz, Geschichte des Dritten Reiches, S. 23  ; Kellerhoff, Der Reichstagsbrand, passim  ; Ullrich, S. 468  ; gegen diese These jüngst Hett, passim. 30 Morsey, in  : Kösters/Ruff, S. 37  ; inhaltlich ebenso Herbert, S. 310. 31 RGBl. I S. 141. 32 So zur Reichstagsbrandverordnung Fraenkel, S.  47  ; Mai, S.  123  ; ähnlich Willoweit, S.  337  : »das grundlegende, niemals aufgehobene Ausnahmegesetz des Dritten Reiches«  ; in diesem Sinne auch Morsey, Der Untergang, S. 151  : »das eigentliche Grund- bzw. Ausnahmegesetz des ›Dritten Reiches‹«. 33 Vgl. Deiseroth, S. 91 (98). 34 Vgl. Thamer, Berlin im Dritten Reich, S. 27  ; von Götz, in  : Müller/Zilkenat, S. 132 Fn. 3, geht für das gesamte Jahr 1933 sogar von rund 250 durch Quellen belegbaren Haft- und Folterstätten aus. 35 Vgl. Herbert, S. 310. 36 Vgl. Winkler, Der Weg in die Katastrophe, S. 880. 37 Vgl. zu den Namen den Antrag der Fraktion der SPD während der Reichstagssitzung am 21. März 1933, Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 15 C und Anlage Nr. 7. Alle darin genannten Abgeordneten waren bis auf die Abg. Agnes auch am 23. März 1933 noch in Haft und nahmen daher nicht an der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz teil, vgl. die Auflistung zur Namentlichen Abstimmung in der Reichstagssitzung vom 23. März 1933, Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 42 ff. 38 Unzutreffend daher zur Verhaftung der gewählten KPD-Kandidaten (nicht »Abgeordneten«  !)

Die Entmachtung des Reichstages 

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Hoffmann, S. 93 (106). Die Verhaftung der KPD-Mitglieder verstieß aus anderen Gründen, vor allem wegen der Verfassungswidrigkeit der Reichstagsbrandverordnung und ihrer weiten Auslegung, gegen die Weimarer Verfassung. 39 Berichterstatter Abg. Stöhr (NSDAP), Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 24 B. 40 Vgl. Thamer, Verführung und Gewalt, S. 265. 41 Dazu gehörten unter anderem ein Gebäude in der Friedrichstraße 234 (die »Blutburg«), das Gelände des Universum-Landesausstellungsparks (»Ulap«) im Bezirk Tiergarten, das »Maikowski-­ Haus« in der Rosinenstraße in Charlottenburg, ein Wasserwerksgelände in Prenzlauer Berg, zwei Lager in Spandau, das Amtsgerichtsgefängnis Köpenick, ein Gebäude in der Hedemannstraße 5 in Kreuzberg und ein ehemaliges Kasernengelände in der General-Pape-Straße in der Nähe des Bahnhofs Südkreuz, vgl. von Götz, in  : Müller/Zilkenat, S. 135 ff. 42 Vgl. ebd., S. 143 f. 43 Benz, Das Jahr 1933, S. 30. 44 Vgl. Verhandlungen der Nationalversammlung, Bd. 326, S. 177 ff. 45 Vgl. zu den Zahlen Mai, S. 128. 46 Anlass ihrer Flucht war die Hausdurchsuchung durch die SA am 4. März 1933, vgl. Tergit, S. 193 ff. 47 Vgl. Winkler, Der Weg in die Katastrophe, S. 882  ; Thamer, Verführung und Gewalt, S. 272. 48 Vgl. Gruber, S. 17 ff. 49 Vgl. Severing, S. 382. 50 Zitiert nach Winkler, Der Weg in die Katastrophe, S. 878  ; inhaltlich gleich Grzesinski, S. 294. 51 Felder, S. 35. 52 Hoegner, S. 78. 53 Vgl. Morsey, Der Untergang, S. 107, 112 m.w.N. 54 Vgl. Papen, S. 305. 55 Benz, Geschichte des Dritten Reiches, S. 21. 56 Severing, S. 375. 57 Vgl. Telegramm Wilhelm Simpfendörfers (CSVD) vom 22. Februar 1933 an Hitler, in  : Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, S. 111  ; ebenso das Schreiben Friedrich von Winterfelds (DNVP) vom 10. März 1933, ebd., S. 191 f. 58 Vgl. das Schreiben des Bundesvorstandes des ADGB vom 10. März 1933, ebd., S. 188 f.; ebenso das Schreiben Georg Heims (BVP) vom 10. März 1933, ebd., S. 190 f. 59 Vgl. Chefbesprechung im Preußischen Staatsministerium vom 8. März 1933, ebd., S. 182  : Die Beschwerden der Abgeordneten Löbe und Herz wegen Misshandlungen von Gefangenen in Polizeiund Gerichtsgefängnissen durch »nichtbeamtete Wachleute« (also »Hilfspolizisten« aus SA, SS und Stahlhelm) wurden durch die Reichskommissare (unter anderen Papen und Göring) lapidar »zur Kenntnis genommen«. 60 Hoegner, S. 82. 61 Ebd., S. 88 f. 62 Ullrich, S. 459. 63 Weiß/Hoser, S. 234. 64 Vgl. Ullrich, S. 470 f. 65 Deutlich beschönigend ist sein Eintrag in den biografischen Angaben im offiziellen Reichstags-­ Handbuch für die 8. Wahlperiode, S. 160. Dort heißt es, Hitler sei, »um seine Studien zu ermöglichen, Bauarbeiter« gewesen. Tatsächlich lebte Hitler in Wien in den Tag hinein und verdiente sich allenfalls als Postkartenmaler etwas hinzu. Ernsthafte »Studien« betrieb er nie  ; einer regelmäßigen (körperlichen) Arbeit ging er nie nach.

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Anmerkungen

Herbert, S. 311. Papen, S. 305. Vgl. statt vieler Jesse, in  : Niedermayer, S. 701  ; zum Zentrum Morsey, Der Untergang, S. 16. Vgl. Morsey, Der Untergang, S. 14. Ebenso Herbert, S. 312. Ministerbesprechung vom 31. Januar 1933, 16 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, S. 6. 72 Vgl. Hofer, S. 180. 73 Ministerbesprechung vom 7. März 1933, 16.15 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, S. 160. 74 Ministerbesprechung vom 15. März 1933, ebd., S. 213. 75 Ministerbesprechung vom 7. März 1933, 16.15 Uhr, ebd., S. 162  ; Ministerbesprechung vom 15. März 1933, ebd., S. 214. 76 Ministerbesprechung vom 15. März 1933, ebd., S. 216. 77 Ebenso Thamer, Verführung und Gewalt, S. 273. 78 Vgl. Gruber, S. 22 ff. 79 Vgl. ebd., S. 17 ff. 80 Vgl. Morsey, Der Untergang, S. 108. 81 So der Titel einer Monografie Thamers zum NS-Regime  ; Benz, Das Jahr 1933, S. 19, spricht von »Lockung und Zwang«. 82 Vgl. Kitschke, S. 172 m.w.N. 83 Vgl. ebd. 84 Vgl. ebd., S. 174. 85 François-Poncet, S. 126 f. 86 Vgl. Felder, S. 37. 87 François-Poncet, S. 127. 88 RGBl. I S. 103. 89 François-Poncet, S. 127. 90 Weiß/Hoser, S. 244. 91 Meinecke, S. 25  ; ähnlich François-Poncet, S. 120, 124, 133, der von der »Potsdamer Komödie« spricht. 92 François-Poncet, S. 133. 93 Hupfeld, S. 3. 94 Im September 1935 tagte der Reichstag – parallel zum Reichsparteitag der NSDAP – in Nürnberg und erließ die berüchtigten Nürnberger Rassengesetze sowie das Reichsflaggengesetz. Hitler hielt nie im Reichstagsgebäude eine Rede. Er war erst seit dem 5. März 1933 Abgeordneter. 95 Weiß/Hoser, S. 244. 96 François-Poncet, S. 130. 97 Vgl. Radkau, S. 184 f. 98 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 15 B. 99 Vgl. Hubert, S. 30. 100 Auch das übliche Präsidentenfoto zu Beginn des Reichstags-Handbuches zeigt für die 8. wie schon für die beiden vorhergehenden Wahlperioden Göring in einer mit Orden dekorierten Uniform. 101 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 17 B. 102 Winkler, Der Weg in die Katastrophe, S. 901  ; Winkler, Der lange Weg nach Westen, S. 12.

Die Entmachtung des Reichstages 

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103 Vgl. Poetzsch-Heffter, JöR 22 (1935), S. 84  ; Winkler, Der Weg in die Katastrophe, S. 901  ; Thamer, Verführung und Gewalt, S. 272 f.; Wadle, JuS 1983, S. 170 (171, 175). 104 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, Anlage Nr. 1. 105 Vgl. Poetzsch-Heffter, JöR 22 (1935), S. 84  ; Felder, S. 36. 106 Vgl. Felder, S. 36  ; Hoegner, S. 91. 107 Vgl. Poetzsch-Heffter, JöR 22 (1935), S. 84. 108 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 40 C. 109 Vgl. ebd., S. 42 ff. 110 So Hitler und Göring in der Ministerbesprechung am 7. März 1933, 16.15 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, S. 160, 162. 111 So O. Meissner, Staatssekretär, S. 293  ; Treviranus, S. 367  ; Lemmer, S. 174  ; Bundesminister der Justiz, S. 63, 70  ; Schulze, Kleine deutsche Geschichte, S. 167  ; Benz, Geschichte des Dritten Reiches, S. 32  ; Eschenhagen, S. 224  ; Rauscher, S. 12  ; Radkau, S. 185  ; Herbert, S. 315  ; Münkel, in  : Münkel/Steinmeier, S. 37  ; Koser, S. 98  ; Di Fabio, S. 243  ; Hengst, in  : Klußmann/Mohr, S. 229. 112 RGBl. I S. 153. Das Mitgliederverzeichnis wurde danach »korrigiert«, vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, Zu Anlage Nr. 2. 113 Ministerbesprechung vom 20. März 1933, 11.15 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, S. 239 f. 114 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 25 B und Anlage Nr. 5. 115 Vgl. Abg. Stöhr, ebd., S. 24 B. 116 Vgl. Abg. Stöhr, ebd., S. 24 f. 117 So Thamer, Verführung und Gewalt, S. 275. 118 Ministerbesprechung vom 20. März 1933, 11.15 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, S. 239. 119 Ebd. 120 Vgl. Zentrumsprotokolle, S. 622. 121 Vgl. Ministerbesprechung vom 20. März 1933, 11.15 Uhr, in  : Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler, Teil I, Bd. 1, S. 239  ; erneut aufgriffen in der Ministerbesprechung vom 24. März 1933, 11.30 Uhr, ebd., S. 252. 122 Zentrumsprotokolle, S. 623. 123 Ebd., S. 624. 124 Ebd., S. 625 ff. 125 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, Anlage Nr. 5. 126 Zentrumsprotokolle, S. 627. 127 Vgl. Morsey, Das Ermächtigungsgesetz, S. 44 ff. 128 Zentrumsprotokolle, S. 632. 129 Vgl. Brüning, S. 656, 658 ff. 130 O. Meissner, Staatssekretär, S. 297. 131 Zentrumsprotokolle, S. 630 f. 132 Ebd., S. 631. 133 Vgl. Gruber, S. 20 f. 134 Vgl. Miller, S. 448. 135 Vgl. ebd., S. 449 f. 136 Vgl. Morsey, Das Ermächtigungsgesetz, S. 39. 137 Ebd. 138 Vgl. Felder, S. 37.

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Anmerkungen

139 Lemmer, S. 176. 140 Maier, Die Reden, S. 41. 141 Maier, Ein Grundstein wird gelegt, S. 329. 142 Brief Bauschs an Echo der Zeit (Recklinghausen) vom 26. Februar 1958, in  : Morsey, Das Ermächtigungsgesetz, S. 159. 143 Ritzel am 20. Februar 1963 im Vorwärts, S. 9, in  : Morsey, Das Ermächtigungsgesetz, S. 168. 144 Hoegner, S. 92. 145 Felder, S. 38 f. 146 Vgl. Severing, S. 384 f. 147 Ebd., S. 385. 148 Maier, Ein Grundstein wird gelegt, S. 330. 149 Maier, Die Reden, S. 41. 150 Vgl. die Synopse der Forderungen des Zentrums und der Aussagen in der Regierungserklärung bei Morsey, Das Ermächtigungsgesetz, S. 44 f. 151 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 28 B. 152 Ebd., S. 31 A. 153 François-Poncet, S. 131. 154 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 26 C, 28 A, C. 155 Ebd., S. 31 D. 156 Ebd., S. 32 A. 157 Funk, S. 287. 158 RGBl. I S. 89. 159 François-Poncet, S. 131. 160 Zentrumsprotokolle, S. 631. 161 Morsey, in  : Kösters/Ruff, S. 40. 162 Vgl. Morsey, Der Untergang, S. 140 m.w.N.; ähnlich Treviranus, S. 370. 163 Zentrumsprotokolle, S. 631 f. 164 Felder, S. 40. 165 Vgl. Maier, Ein Grundstein wird gelegt, S. 329 f. 166 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 33 A. 167 Ebd., S. 33 B. 168 Ebd. 169 Ebd., S. 33 C. 170 Ebd., S. 34 A. 171 Felder, S. 40. 172 François-Poncet, S. 132. 173 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 35 A. 174 Thamer, Verführung und Gewalt, S. 278. 175 François-Poncet, S. 132. 176 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 36 D. 177 Ebd., S. 36 C, D. 178 So Hoegner, S. 93. 179 François-Poncet, S. 132. 180 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 37 B. 181 Ebd., S. 33 B. 182 Ebd., S. 37 C.

Die Entmachtung des Reichstages 

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183 Ebd., S. 38 B. 184 Ebd., S. 38 B, C. 185 Ebd., S. 38 C. 186 Ebd. 187 Ebd. 188 Ebd., S. 32 B. 189 Ebd., S. 26 C, 28 A, C. 190 Ebd., S. 35 D. 191 Ebd., S. 36 B. 192 Ebd., S. 38 ff. 193 Brüning, S. 659. 194 Ebenso und zum Nachfolgenden Morsey, in  : Kösters/Ruff, S. 41  ; Morsey, Der Untergang, S. 144. 195 Ebd. 196 Meinecke, S. 127. 197 Morsey, in  : Kösters/Ruff, S. 41  ; Morsey, Der Untergang, S. 144. 198 Vgl. Morsey, Das Ermächtigungsgesetz, S. 79 f. 199 Vgl. Treviranus, S. 370. 200 Brüning, S. 656. 201 Treviranus, S. 395  ; Mai, S. 124  ; Benz, Geschichte des Dritten Reiches, S. 42. 202 Ebenso Morsey, in  : Kösters/Ruff, S. 45 ff  ; Morsey, Der Untergang, S. 138. 203 So jedenfalls die Darstellung von Heuss, vgl. Merseburger, S. 302, 304 f. Ernst Lemmer, S. 175, erinnerte sich, dass Heuss und Dietrich vor einer Zustimmung gewarnt hätten, die DStP-Abgeordneten aber geglaubt hätten, »um so eher zustimmen zu müssen, als die Zentrumspartei […] für dieses Gesetz eintrat.« 204 Vgl. Matthias/Morsey, S. 93 f. 205 Vgl. Merseburger, S. 307  ; Radkau, S. 187. 206 Vgl. Kritische Online-Edition der Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers, Wahlkampfrede von Heinrich Held (Persönliche Reflexion) EAM, NL Faulhaber 09263, S. 16. Verfügbar unter  : https://www.faulhaber-edition.de/dokument.html  ?idno=BB_09263_0016s [letzter Zugriff am 1. April 2020]. 207 Vgl. Niederschriften über die Vollsitzungen des Reichsrates, 1933, S. 56. 208 Goebbels, Tagebücher, Bd. 2, S. 785. 209 Ebenso Bickenbach, JuS 2008, S.  199 (203)  ; für eine Verfassungswidrigkeit der Geschäftsordnungsänderung auch Winkler, Der Weg in die Katastrophe, S. 901 f. 210 Ebenso Hess, ZParl 16 (1985), S. 5 (6). 211 Vgl. etwa Wadle, JuS 1983, S.  170 (175 f.)  ; Bickenbach, JuS 2008, S.  199 (203)  ; Bracher, in  : Bracher/Schulz/Sauer, S. 235  ; Thamer, Verführung und Gewalt, S. 280  ; Deiseroth, S. 91 (101)  ; Hoffmann, S. 93 (106). 212 Anders naturgemäß O. Meissner, Staatssekretär, S. 299. 213 Papen, S. 309. 214 Vgl. ebd. 215 O. Meissner, Staatssekretär, S. 300. Eine ähnliche Schuldzuweisung findet sich auf S. 301. 216 Vgl. Frotscher/Pieroth, Rn. 620  ; Willoweit, S. 340  ; Wadle, JuS 1983, S. 170 (175 f.)  ; Bickenbach, JuS 2008, S. 199 (203)  ; Thamer, Verführung und Gewalt, S. 278  ; Deiseroth, S. 91 (101). 217 RGZ 138, Anhang, S. 1 (40). 218 RGZ 138, Anhang, S. 1 (41).

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Anmerkungen

219 François-Poncet, S. 70. 220 RGBl. I S. 43. 221 Vgl. Hoffmann, S. 93 (103). 222 Vgl. Talmon, ZNR 24 (2002), S. 112 (125). 223 Giese, S. 190. 224 Wie hier Frotscher/Pieroth, Rn. 620  ; Wadle, JuS 1983, S. 170 (175 f.)  ; Bickenbach, JuS 2008, S. 199 (203)  ; Münkel, in  : Münkel/Steinmeier, S. 43  ; a.A. Papen, S. 310  ; Zippelius, S. 141. 225 Thamer, Verführung und Gewalt, S. 280. 226 Winkler, Der lange Weg nach Westen, S. 13. 227 Vgl. Merseburger, S. 297. 228 Vgl. das Beispiel bei Schumacher, M.d.R., S. 305. 229 Eingehend ebd., S.  3 ff.; als erste, naturgemäß nicht abschließende, Untersuchung der Nachkriegszeit zu den Opfern des NS-Regimes ebenfalls erhellend Hammer, S. 9 ff. 230 Hierzu eingehend Schumacher, M.d.L., S. 3 ff.; auch hierzu Hammer, S. 9 ff. 231 RGBl. I S. 175. 232 Sehr eindrücklich ist seine Schilderung dieser Vorgänge, einer Hausdurchsuchung, der Überwachung durch Kriminalbeamte und weiterer Schikanen, vgl. Severing, S. 390 ff. 233 Vgl. Benz, Geschichte des Dritten Reiches, S. 114. 234 Ein Foto davon findet sich in  : Bundesminister der Justiz, S. 87. 8 Scheinparlamentarismus 1 Der Begriff »Drittes Reich« stammt von dem nationalsozialistischen Publizisten Dietrich Eckart. Er wurde durch den Titel des Werks von Arthur Moeller van den Bruck, »Das dritte Reich« (1923), weiter verbreitet und beschreibt den nationalsozialistischen Staat. 2 Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 7 f. 3 Scheuner, S. 297 f. 4 Ebd., S. 300. 5 Reichstags-Handbuch, VIII. Wahlperiode 1933, S. 5 f. 6 RGBl. I S. 147. 7 Poetzsch-Heffter, JöR 22 (1935), S. 80 f.). 8 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 54 C. 9 Vgl. Felder, S. 44. 10 Vgl. den Text der Anordnung des preußischen Innenministers vom 23. Juni 1933, in  : Poetzsch-­ Heffter, JöR 22 (1935), S. 20 f. 11 RGBl. I S. 462. 12 Lemmer, S. 178. 13 RGBl. I S. 479. 14 RGBl. I S. 391. 15 Hubert, S. 371  ; Hahn, S. 275, 277  ; Butzer, S. 405  ; inhaltlich ebenso Domarus, S. 84. 16 Eine Übersicht der Sitzungen findet sich bei Domarus, S. 192 ff. 17 Gesetz vom 30. Januar 1934 (RGBl. I S. 75). 18 RGBl. I S. 1145 f. 19 Gesetz vom 1. September 1939 (RGBl. I S. 1547). 20 Verhandlungen des Reichstags, Bd. 458, S. 57 C.

Schlussbetrachtungen 

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21 Vgl. ebd., S. 21 ff. 22 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 459, S. 45 ff. 23 Vgl. Verhandlungen des Reichstags, Bd. 460, S. 45 ff. 24 Zu dem merkwürdigen, geheimnistuerischen Ladungsverfahren siehe Hahn, S. 409 ff. 25 RGBl. 1943 I S. 65. 26 Dazu Hahn, S. 414 ff. 27 Vgl. Domarus, S.  80, 163 ff.; Lilla, S.  8*  ; zur Verteilung der Mandate auf die Funktionäre der Reichsleitung und der Gauleitungen, die SA, die SS und weitere NS-Organisationen Hubert, S. 357 ff., 364 ff. 28 Was mit den mehreren Tausend Büchern geschah, die den Brand des Auslagerungsgebäudes 1945 überstanden, scheint unklar. 9 Schlussbetrachtungen 1 Maubach, S. 4 (5).

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Danksagung

Ein Buch kann man nur schreiben, wenn andere einen unterstützen. Geistige Unterstützung haben mir die vielen im Literaturverzeichnis genannten Autorinnen und Autoren gewährt. Ihnen verdanke ich vertiefte Einsichten in eine Zeit, die in ihren Anfängen über 100 Jahre zurückliegt. Ohne den großen, noch heute verfügbaren Quellenfundus wäre mir die Weimarer Republik nicht so nahe gerückt. Natürlich sind persönliche Erinnerungen immer gefärbt, und sei es durch Erinnerungslücken. Dennoch sind sie hilfreich, weil sie eine Zeit und ihr Denken nahebringen. Sehr zu danken habe ich auch der Bayerischen Staatsbibliothek in München, die in vorzüglicher Weise die Reichstagsprotokolle, die dazugehörigen Anlagen und die Reichstags-Handbücher digitalisiert hat. Ich kann nur jeden ermuntern, einen Blick auf www.reichstagsprotokolle.de zu werfen. Ein weiterer Dank richtet sich an die Staatsbibliothek zu Berlin, die viele digitalisierte Zeitungen aus früheren Zeiten bereithält. Ebenfalls danke ich der Berlinischen Galerie, die das Bild-Erbe des großartigen Fotografen Erich Salomon hütet. Herr Domröse und Frau Diether haben mir dort auf Vermittlung meines Freundes Stefan Sinner den Zugang zu den Originalfotografien ermöglicht. Die größtmögliche Unterstützung und viele Anregungen verdanke ich meiner Familie. Der größte Dank gilt meiner Frau Nicole. Sie hat mich wie immer in allen Belangen unterstützt und ermutigt. Meine Söhne Jakob und Konstantin haben mich zum Glück immer wieder vom PC weggezogen, damit ich mich nicht zu sehr in der Vergangenheit vergrabe. Mein Vater war ein vorbildlich engagierter Abgeordneter und Minister. Nicht zuletzt wegen seines umfangreichen politischen Erfahrungsschatzes war er ein kritischer und hilfreicher Leser des Manuskripts. Meine Mutter und er haben meine juristische Ausbildung und mein Interesse an Geschichte immer gefördert und unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin. Und schließlich bedanke ich mich beim Böhlau Verlag und dort besonders bei Frau Dorothee Rheker-Wunsch und Frau Julia Beenken für die vorzügliche Betreuung sowie bei Herrn Rainer Landvogt für das sorgsame Lektorat.

Abkürzungsverzeichnis

Abg. Abgeordneter/Abgeordnete ADGB Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund AfD Alternative für Deutschland AöR Archiv des öffentlichen Rechts APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte BVG Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft BVP Bayerische Volkspartei BWahlG Bundeswahlgesetz CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands ChrNA Christlich-Nationale Arbeitsgemeinschaft CNBL Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei CSU Christlich-Soziale Union in Bayern CSVD Christlich-Sozialer Volksdienst DAP Deutsche Arbeiterpartei DBP Deutsche Bauernpartei DDP Deutsche Demokratische Partei DDR Deutsche Demokratische Republik DHP Deutsch-Hannoversche Partei DNVP Deutschnationale Volkspartei Drs. Drucksache DStP Deutsche Staatspartei DVP Deutsche Volkspartei EKKI Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale FVP Fortschrittliche Volkspartei GG Grundgesetz GO-BT Geschäftsordnung des Bundestages GO-RT Geschäftsordnung des Reichstages HJ Hitlerjugend HStR Handbuch des Staatsrechts IKD Internationale Kommunisten Deutschlands JoJZG Journal der Juristischen Zeitgeschichte JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jungdo Jungdeutscher Orden JuS Juristische Schulung

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Abkürzungsverzeichnis

KP Kommunistische Partei KPD Kommunistische Partei Deutschlands KVP Konservative Volkspartei KZ Konzentrationslager M.d.R. Mitglied des Reichstages NS Nationalsozialismus, nationalsozialistisch NSBO Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSFB Nationalsozialistische Freiheitsbewegung O.C. Organisation Consul OHL Oberste Heeresleitung RFB Roter Frontkämpferbund RGBl. Reichsgesetzblatt RGO Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RLB Reichs-Landbund RM Reichsmark RV Reichsverfassung RWG Reichswahlgesetz SA Sturmabteilung SAPD Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel StGB Strafgesetzbuch USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands VO Verordnung VRP Volkrechtpartei (Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung) WBWB Württembergischer Bauern- und Weingärtnerbund WRV Weimarer Reichsverfassung W.T.B. Wolffs Telegraphisches Bureau ZK Zentralkomitee ZNR Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte ZParl Zeitschrift für Parlamentsfragen

Quellen und Literatur Quellen Abramowski, Günter, Akten der Reichskanzlei. Die Kabinette Marx III und IV. 17. Mai 1926 bis 29. Januar 1927. 29. Januar 1927 bis 29. Juni 1928, Bd. 1, Boppard am Rhein 1988 (zitiert als  : Akten der Reichskanzlei, Kabinette Marx III/IV, Bd. 1, S.). Anschütz, Gerhard, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Berlin 1933 (Nachdruck Darmstadt 1960). Anschütz, Gerhard/Thoma, Richard (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Erster Band, Tübingen 1930  ; Zweiter Band, Tübingen 1932 (zitiert als Bearbeiter, in  : HStR I bzw. II, S.). Bernhard, Henry (Hrsg.), Stresemann. Vermächtnis. Der Nachlass in drei Bänden, Bd. 3, Berlin 1933. Braun, Otto, Von Weimar zu Hitler, 2. Aufl., New York 1940. Brüning, Heinrich, Memoiren. 1918–1934, Stuttgart 1970. Bureau/Büro des Reichstages (Hrsg.), Verhandlungen des Reichstags, Bd. 344-457, Berlin 1920-1934  ; auch abrufbar unter  : http://www.reichstagsprotokolle.de. Bureau des Reichstages (Hrsg.), Reichstags-Handbuch, IV. Wahlperiode 1928, Berlin 1928. Bureau des Reichstages (Hrsg.), Reichstags-Handbuch, VIII. Wahlperiode 1933, Berlin 1933. Büro des Reichsrates (Hrsg.), Niederschriften über die Vollsitzungen des Reichsrates 1933, Berlin 1933. Büro des Reichstages (Hrsg.), Führer durch das Reichstagsgebäude, Berlin 1932. Büro des Reichstages (Hrsg.), Wegweiser durch das Reichstagsgebäude, Berlin 1932. Deutsche Nationalversammlung (Hrsg.), Verhandlungen der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung, Bd.  326 [der »Verhandlungen des Reichstags«], Berlin 1920  ; auch abrufbar unter  : http://www.reichstagsprotokolle.de. Deutscher Bundestag (Hrsg.), Verhandlungen des Deutschen Bundestages, I.  Wahlperiode 1949, Stenographische Berichte, Band 1 bis 3, Bonn 1950  ; auch abrufbar unter  : http://pdok.bundestag.de. Deutscher Bundestag (Hrsg.), Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Bd. 1, Boppard am Rhein 1982.

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Quellen und Literatur

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Quellen 

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Anhang 1  Gesetzgebung des Reichstages vom 30. März bis zum 18. Juli 1930 Gesetz

Beschluss ­(Plenarprotokoll)

Gesetz, betreffend das deutsch-polnische Überleitungsabkommen über Personenstandsregister

4. April 1930 (S. 4779 C)

Schankstättengesetz (Gaststättengesetz)

8. April 1930 (S. 4831 C)

Gesetz, betreffend das Abkommen über Internationale Ausstellungen

9. April 1930 (S. 4847 C)

Gesetz über den deutsch-schweizerischen Vertrag über die Regulierung des Rheins zwischen Straßburg/Kehl und Istein

11. April 1930 (S. 4917 A)

Gesetz über die Anwendung des deutsch-englischen Auslieferungsvertrags vom 14. Mai 1872 auf gewisse Mandatsgebiete

11. April 1930 (S. 4917 C)

Gesetz über den deutsch-türkischen und deutsch-bulgarischen Konsularvertrag

11. April 1930 (S. 4917 C)

Gesetz über Zolländerungen und sieben damit verbundene weitere Steuergesetze

14. April 1930 (S. 4993 ff., 5010 f.)

Gesetz über die Beteiligung des Reichs an der Mobilisierungsanleihe

21. Mai 1930 (S. 5225 C)

Gesetz über die Ermächtigung zu steuerlichen Maßnahmen zwecks Erleichterung und Verbilligung der Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft und Gesetz über die Liquidierung der Bank für deutsche Industrie-Obligationen

26. Mai 1930 (S. 5391 C)

Gesetz über die Weltpostvereinsverträge

27. Mai 1930 (S. 5413 D)

Gesetz zur Änderung des Reichspostfinanzgesetzes

27. Mai 1930 (S. 5414 A)

Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer des Nothaushaltsgesetzes 1930

27. Juni 1930 (S. 5907 D)

Stimmenverhältnis

13 namentliche Abstimmungen

1  Gesetzgebung des Reichstages vom 30. März bis zum 18. Juli 1930 

Gesetz

Beschluss ­(Plenarprotokoll)

Gesetz über das deutsch-persische Abkommen über den gegenseitigen Schutz von Erfindungspatenten, Fabrik- oder Handelsmarken, von Handelsnamen und Mustern sowie über den gegenseitigen Schutz von Werken der Literatur und Kunst

2. Juli 1930 (S. 6081 C)

Gesetz über Straffreiheit

2. Juli 1930 (S. 6091 B, 6110)

Gesetz über die Änderung der Satzung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs und den Beitritt der Vereinigten Staaten von Amerika zu dem Gerichtshof

3. Juli 1930 (S. 6140 B)

Gesetz über die Pauschalierung der Verwaltungskostenzuschüsse

4. Juli 1930 (S. 6146 C)

Gesetz über die Vorführung ausländischer Bildstreifen

4. Juli 1930 (S. 6150 D)

|

Stimmenverhältnis

291  : 135

Gesetz über das deutsch-rumänische vorläu- 7. Juli 1930 (S. 6187 C) fige Handelsabkommen Brotgesetz

10. Juli 1930 (S. 6276 C, 6278)

Gesetz über einen Notenwechsel zu der Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich über den Warenaustausch zwischen dem Saarbeckengebiet und dem deutschen Zollgebiete

14. Juli 1930 (S. 6332 A)

Gesetz über die Auflösung des Reichsausgleichsamtes

14. Juli 1930 (S. 6332 B)

212  : 197  : 11

Gesetz über die Fälligkeit und Verzinsung der 14. Juli 1930 Aufwertungshypotheken und (S. 6356 D, 6366) Gesetz über die Bereinigung der Grundbücher

Änderungsantrag DNVP abgelehnt mit 247  : 149  : 2

Gesetz über den Reichswirtschaftsrat und Gesetz zur Ausführung des Gesetzes über den Reichswirtschaftsrat

14. Juli 1930 (S. 6358 B, 6366)

234  : 162  : 2

Gesetz über die Vermahlung von Inlandsweizen

14. Juli 1930 (S. 6358 f., 6366)

Änderungsantrag SPD angenommen mit 200  : 190  : 7  ; Hammelsprung in der Schlussabstimmung  : 208  : 146

321

322

| 

Anhang

Gesetz

Beschluss ­(Plenarprotokoll)

Weingesetz

15. Juli 1930 (S. 6373 A)

Stimmenverhältnis

Gesetz über die Bereitstellung von Kredit zur 16. Juli 1930 Förderung des Kleinwohnungsbaues und des (S. 6395 C) Straßenbaues (Baukreditgesetz 1930) Milchgesetz

17. Juli 1930 (S. 6468 D)

16 Gesetze über völkerrechtliche Verträge

17. Juli 1930 (S. 6491 ff.)

Gesetz zur Änderung einiger Vorschriften der 17. Juli 1930 Zivilprozeßordnung über das schiedsrichter- (S. 6493 D) liche Verfahren Gesetz über Änderung des Zolltarifgesetzes (Einfuhrscheine bei Ausfuhr von Schweinen usw.)

17. Juli 1930 (S. 6494 A)

2  Gesetzgebung des Reichstages in der 5. bis 8. Wahlperiode Wahl­ periode

Jahr

Gesetz

Beschluss ­(Fundstelle im Plenarprotokoll)

Stimmen­ verhältnis

5

1930

Gesetz zur Durchführung der Entschädigung auf Grund des deutsch-polnischen Liquidationsabkommens (Polenschädengesetz)

17. Oktober 1930 (S. 47 C)

Einstimmig

Gesetz über die Vereinbarung mit Finnland wegen Änderung des vorläufigen Handelsabkommens und des Zusatzabkommens dazu

18. Oktober 1930 (S. 184 D)

Gesetz über die Schuldentilgung

18. Oktober 1930 (S. 185 D, 213)

322  : 237

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Straffreiheit vom 14. Juli 1928

19. Oktober 1930 (S. 199 B, 217)

394  : 147  : 1

Gesetz über den deutsch-haitianischen Freundschafts- und Handelsvertrag

3. Dezember 1930 (S. 231 A)

Gesetz, betreffend die Festsetzung des Zinssatzes für Aufwertungs­ hypotheken

4. Dezember 1930 (S. 287 A)

2  Gesetzgebung des Reichstages in der 5. bis 8. Wahlperiode 

Wahl­ periode

Jahr

Gesetz

Beschluss ­(Fundstelle im Plenarprotokoll)

Gesetz über die Entschädigung der Mitglieder des Reichstages

5. Dezember 1930 (S. 370 D)

Gesetz zur Änderung des Reichspostfinanzgesetzes

11. Dezember 1930 (S. 555 A)

Gesetz über eine vorübergehende Regelung der gewerbsmäßigen Stellenvermittlung

11. Dezember 1930 (S. 565 C)

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß am 24. Dezember

11. Dezember 1930 (S. 566 C)

Viertes Gesetz zur Eintragung von Schiffspfandrechten in ausländischer Währung

12. Dezember 1930 (S. 630)

Gesetz über die Erstattung von Kriegswohlfahrtsausgaben (§ 60 des Finanzausgleichsgesetzes)

3. Februar 1931 (S. 649 D, 650 A)

Gesetz über die weitere Zulassung von Hilfsmitgliedern im Reichspatentamt

14. Februar 1931 (S. 1029 D)

Gesetz zur Änderung des Reichsgesetzes über die Presse

20. Februar 1931 (S. 1120 D)

Gesetz, betreffend den Übergang der Unterwarnow-Wasserstraße, der Seewasserstraße bei Wismar und des Kraffohlkanals auf das Reich

23. Februar 1931 (S. 1142 A)

Drittes Gesetz zur Abänderung des Gesetzes über die Errichtung der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt

24. Februar 1931 (S. 1158 C)

Gesetz über die Einfuhr von Gefrierfleisch

3. März 1931 (S. 1334 B, 1341)

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Pfandbriefe und verwandten Schuldverschreibungen öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten

5. März 1931 (S. 1410 C)

Drittes Gesetz über die Eintragung von Hypotheken und Schiffspfandrechten in ausländischer Währung

5. März 1931 (S. 1410 C, D)

Stimmen­ verhältnis

1931

223  : 148  : 4

|

323

324

| 

Anhang

Wahl­ periode

Jahr

Gesetz

Beschluss ­(Fundstelle im Plenarprotokoll)

Gesetz über das Zusatzabkommen zum deutsch-französischen Handelsabkommen

7. März 1931 (S. 1468 C)

Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes

12. März 1931 (S. 1496 B)

Gesetz über einen Notenwechsel wegen Verlängerung des deutsch-rumänischen vorläufigen Handelsabkommens

17. März 1931 (S. 1662 B)

Gesetz über das deutsch-tschechoslowakische Übereinkommen über die Nacheile und die gegenseitige Hilfeleistung der Sicherheitsorgane

17. März 1931 (S. 1662 C)

Gesetz über die Vereinbarung mit der Südafrikanischen Union über die gegenseitige Anerkennung von Erfindungspatenten und gewerblichen Mustern

17. März 1931 (S. 1662 D)

Gesetz über das Abkommen mit Guatemala über den gegenseitigen Schutz von Erfindungspatenten und Gebrauchsmustern

17. März 1931 (S. 1662 D)

Gesetz über den Auslieferungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik

17. März 1931 (S. 1662 D, 1663 A)

Gesetz über den deutsch-luxemburgischen Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrag

17. März 1931 (S. 1663 A)

Gesetz über das Abkommen mit Großbritannien über Änderung des Luftverkehrsabkommens vom 29. Juni 1927

17. März 1931 (S. 1663 A, B)

Gesetz über das Abkommen über die deutsch-belgische Grenze vom 17. November 1929

17. März 1931 (S. 1663 B)

Gesetz über den Handels- und Schiffahrtsvertrag mit dem Irischen Freistaat

17. März 1931 (S. 1663 C)

Gesetz über den Vertrag mit Österreich über Sozialversicherung

17. März 1931 (S. 1672 B)

Stimmen­ verhältnis

2  Gesetzgebung des Reichstages in der 5. bis 8. Wahlperiode 

Wahl­ periode

Jahr

Gesetz

Beschluss ­(Fundstelle im Plenarprotokoll)

Zweites Gesetz über die Mündelsicherheit von Wertpapieren und Forderungen

18. März 1931 (S. 1717 C)

Gesetz über die Entschädigung der gewerbsmäßigen Stellenvermittler

19. März 1931 (S. 1750 C)

Gesetz zur Änderung des Lichtspielgesetzes

23. März 1931 (S. 1892 B)

Stimmen­ verhältnis

Gesetz zur Abänderung des Gesetzes, 23. März 1931 betreffend die Schlachtvieh- und (S. 1892 C) Fleischbeschau

1932

Gesetz über die Änderung des Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmen

23. März 1931 (S. 1892 C)

Gesetz zur Verlängerung der Pachtschutzordnung

23. März 1931 (S. 1892 D)

Gesetz über Zuschläge der Aufsichtsratsmitglieder zur Einkommensteuer

23. März 1931 (S. 1889)

Gesetz über Zuschläge zur Einkommensteuer

23. März 1931 (S. 1890)

Gesetz über das Internationale Übereinkommen zum Schutze des menschlichen Lebens auf See

24. März 1931 (S. 1921 C)

Gesetz gegen Waffenmißbrauch

25. März 1931 (S. 1997)

Haushaltsgesetz für 1931

25. März 1931 (S. 2002 D, 2025)

275  : 65  : 14

Gesetz über Zolländerungen

26. März 1931 (S. 2044 C, 2061)

284  : 82

(Weiteres) Gesetz über Zolländerungen

26. März 1931 (S. 2045 A)

Osthilfegesetz

26. März 1931 (S. 2046 A, 2061)

Gesetz zur Förderung der landwirtschaftlichen Siedlung

26. März 1931 (S. 2046 A)

Industriebankgesetz

26. März 1931 (S. 2046 C)

Gesetz über die Rechtsstellung der weiblichen Beamten

12. Mai 1932 (S. 2685, 2695)

306  : 64

458  : 71  : 13

|

325

326

| 

Anhang

Wahl­ periode

Jahr

Gesetz

Beschluss ­(Fundstelle im Plenarprotokoll)

Stimmen­ verhältnis

Schuldentilgungsgesetz

12. Mai 1932 (S. 2686, 2695)

281  : 263  : 3

403  : 126

6

keine Gesetzesbeschlüsse

7

Gesetz über Änderung der Reichsverfassung

9. Dezember 1932 (S. 58 D, 118)

Gesetz zur Änderung der Verordnung des Reichspräsidenten zur Belebung der Wirtschaft vom 4. September 1932 (2. Teil  : sozialpolitische Maßnahmen)

9. Dezember 1932 (S. 82 A)

Gesetz über Gewährung von Straffreiheit

9. Dezember 1932 (S. 110 B, 118)

395  : 143  : 4

Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (sog. Ermächtigungsgesetz)

23. März 1933 (S. 40 C, 45)

444  : 94

8

1933

3  Gesetzesbeschlüsse des Reichstages des »Dritten Reiches« Wahl­ periode

Jahr

Gesetz

Beschluss ­(Fundstelle im Plenarprotokoll)

Stimmen­ verhältnis

9

1934

Gesetz über den Neuaufbau des Reichs

30. Januar 1934 (S. 20 C)

Einstimmig

1935

Reichsflaggengesetz

15. September 1935 (S. 62 C)

Einstimmig

Gesetz über das Reichsbürgerrecht

15. September 1935 (S. 62 C)

Einstimmig

Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre

15. September 1935 (S. 62 C)

Einstimmig

3 (neuer Zählung)

1937

Gesetz zur Verlängerung des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich

30. Januar 1937 (S. 2 C)

Einstimmig

4 (neuer Zählung)

1939

Gesetz zur Verlängerung des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich

30. Januar 1939 (S. 1 D)

Einstimmig

Gesetz über die Wiedervereinigung der Freien Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich

1. September 1939 (S. 49 D)

Einstimmig

4  Misstrauensanträge in der 5. Wahlperiode 

4  Misstrauensanträge in der 5. Wahlperiode Antragsteller (Drs.-Nr. = Anlagen-­ Beschlussdatum Nr. in den Stenographischen Berichten, Bd. 448 bis 453)

Stimmenverhältnis (J  :N  :E)

NSDAP (Nr. 60, 124–126), KPD (Nr. 14, 118, 134, 146), DNVP (Nr. 76, 127–129), CNBL (Nr. 102)

18. Oktober 1930 (S. 194 C, 213)

317  : 234  : 1 (Annahme eines Vertrauensantrages, Nr. 135)

KPD (Nr. 327), DNVP (Nr. 354), WP (Nr. 366)

6. Dezember 1930 (S. 439 A, 446)

255  : 291  : 1

DNVP (Nr. 483)

7. Februar 1931 (S. 747 A)

Antrag nicht auf die Tagesordnung gesetzt

NSDAP (Nr. 703), KPD (Nr. 718)

7. Februar 1931 (S. 757 D, 778)

220  : 292  : 13

DNVP (Nr. 484)

7. Februar 1931 (S. 758 C, 778)

206  : 310  : 7 (abgelehnt durch Annahme des Antrages Nr. 484, zur Tagesordnung überzugehen)

DNVP (Nr. 482)

11. Februar 1931 (S. 941 D)

Abgelehnt durch Annahme eines Antrages, zur Tagesordnung überzugehen (da die antragstellende Fraktion nicht anwesend war)

KPD (Nr. 753), CNBL (Nr. 758)

11. Februar 1931 (S. 941 D, 946)

86  : 255  : 29

KPD (Nr. 824)

3. März 1931 (S. 1308 B, C, 1341)

60  : 308

KPD (Nr. 874)

6. März 1931 (S. 1444 A, 1460)

65  : 270  : 38

KPD (Nr. 941)

17. März 1931 (S. 1661 A)

Mehrheitlich abgelehnt (keine namentliche Abstimmung)

KPD (Nr. 926)

17. März 1931 (S. 1664 A, 1682)

54  : 299

KPD (Nr. 958)

20. März 1931 (S. 1802 A, B, 1854)

62  : 292

KPD (Nr. 970)

23. März 1931 (S. 1890 D, 1906)

60  : 243  : 34

KPD (Nr. 1002)

25. März 1931 (S. 1997 C, 2025)

65  : 282  : 15

NSDAP (Nr. 1153), DNVP (Nr. 1157), KPD (Nr. 1161)

16. Oktober 1931 (S. 2210 C, 2242)

270  : 295  : 3

KPD (Nr. 1162)

16. Oktober 1931 (S. 2210 C, D, 2242)

233  : 321  : 16

|

327

328

| 

Anhang

Antragsteller (Drs.-Nr. = Anlagen-­ Beschlussdatum Nr. in den Stenographischen Berichten, Bd. 448 bis 453)

Stimmenverhältnis (J  :N  :E)

KPD (Nr. 1163)

16. Oktober 1931 (S. 2210 D, 2242)

233  : 336

KPD (Nr. 1164)

16. Oktober 1931 (S. 2211 A, 2242)

234  : 320  : 16

NSDAP (Nr. 1345), KPD (Nr. 1325), DNVP (Nr. 1349), DVP (Nr. 1362)

26. Februar 1932 (S. 2434 B, 2465)

264  : 288

KPD (Nr. 1326), DNVP (Nr. 1350)

26. Februar 1932 (S. 2434 C, 2465)

246  : 303  : 1

DNVP (Nr. 1351)

26. Februar 1932 (S. 2434 D, 2465)

247  : 289  : 11

NSDAP (Nr. 1497), KPD (Nr. 1473), DNVP (Nr. 1494)

12. Mai 1932 (S. 2688 A, 2695)

259  : 286

NSDAP (Nr. 1498, 1499, 1500), KPD (Nr. 1474, Nr. 1475), DNVP (Nr. 1495, 1496), WP (Nr. 1530)

12. Mai 1932 (S. 2686 C)

Über die Anträge wurde wegen eines Sitzungsabbruchs nicht mehr abgestimmt

5  Aufhebungsanträge zu Notverordnungen in der 5. Wahlperiode Antragsteller (Drs.-Nr. = AnlagenNr. in den Stenographischen Berichten, Bd. 448 bis 453)

Beschlussdatum

Stimmenverhältnis (J  : N  : E)

KPD (Nr. 15), NSDAP (Nr. 61), DNVP (Nr. 90), WP (Nr. 95), KVP-DHP (Nr. 117) auf Aufhebung der VO vom 26. Juli 1930 bzw. von Teilen derselben

18. Oktober 1930

Überweisung an den Haushaltsausschuss

KPD (Nr. 326), NSDAP (Nr. 328), DNVP (Nr. 336) auf Aufhebung der VO vom 1. Dezember 1930

6. Dezember 1930 (S. 432 C, 446)

254  : 292

KPD (Nr. 371 Ziff. I–IV) auf Änderung des Berichts des Haushaltsausschusses (Nr. 329) betr. Aufhebung der VO vom 26. Juli 1930 bzw. von Teilen derselben

6. Dezember 1930 (S. 439 C, 446)

235  : 306  : 1

KPD (Nr. 371, sechs Eventualanträge) betr. Aufhebung der VO vom 26. Juli 1930 bzw. von Teilen derselben

9. Dezember 1930 (S. 471 B-472 C, S. 496)

212  : 295 68  : 441 195  : 317 162  : 353

5  Aufhebungsanträge zu Notverordnungen in der 5. Wahlperiode 

Antragsteller (Drs.-Nr. = AnlagenNr. in den Stenographischen Berichten, Bd. 448 bis 453)

Beschlussdatum

Stimmenverhältnis (J  : N  : E)

166  : 350 162  : 354 NSDAP (Nr. 1155 Ziff. I), DNVP (Nr. 16. Oktober 1931 1159 Ziff. I) auf Aufhebung der seit (S. 2211 D, 2242) dem 11. Februar 1931 erlassenen VO

233  : 335

NSDAP (Nr. 1155 Ziff. II 2), DNVP (Nr. 1159 Ziff. II 2), KPD (Nr. 1061) auf Aufhebung der VO vom 5. Juni 1931

16. Oktober 1931 (S. 2212 A, 2242)

233  : 334

KPD (Nr. 1081) auf Aufhebung der VO vom 18. Juli 1931

16. Oktober 1931 (S. 2215 A)

Abgelehnt

NSDAP (Nr. 1155 Ziff. II 3), DNVP (Nr. 1159 Ziff. II 3), KPD (Nr. 1088) auf Aufhebung der VO vom 24. August 1931

16. Oktober 1931 (S. 2212 B, C).

237  : 321 (Hammelsprung)

KPD (Nr. 1132) auf Aufhebung der VO vom 30. September 1931

16. Oktober 1931 (S. 2215 A)

Abgelehnt

NSDAP (Nr. 1155 Ziff. II 4), DNVP (Nr. 1159 Ziff. II 4), KPD (Nr. 1108) auf Aufhebung der VO vom 6. Oktober 1931

16. Oktober 1931 (S. 2212 D, 2242)

246  : 302  : 20

NSDAP (Nr. 1347 Ziff. I) auf Aufhebung aller seit Juli 1930 erlassenen VO

26. Februar 1932 (S. 2438 A)

Überweisung der Ziff. I des Antrages an den Haushaltsausschuss

NSDAP (Nr. 1347 Ziff. II 1, 2) auf Aufhebung der VO vom 28. März, 17. Juli, 10. August und 6. Oktober 1931

26. Februar 1932 (S. 2438 B)

Überweisung an den Haushaltsausschuss

NSDAP (Nr. 1347 Ziff. II 3), KPD (Nr. 1250), DNVP (Nr. 1251) auf Auf­ hebung der VO vom 8. Dezember 1931

26. Februar 1932 (S. 2438 C, 2465)

Überweisung an den Haushaltsausschuss (namentliche Abstimmung  : 289  : 252)

NSDAP (Nr. 1347 Ziff. III) auf Aufhebung von Teilen der VO vom 28., 17. Juli und 8. Dezember 1931

26. Februar 1932 (S. 2439 A)

Abgelehnt

DNVP (Nr. 1361) auf Aufhebung von Teilen der VO vom 6. Oktober 1931

26. Februar 1932 (S. 2440 C)

Abgelehnt

|

329

330

| 

Anhang

Antragsteller (Drs.-Nr. = AnlagenNr. in den Stenographischen Berichten, Bd. 448 bis 453)

Beschlussdatum

Stimmenverhältnis (J  : N  : E)

KPD (Nr. 1426) auf Aufhebung der VO vom 17. März 1932

11. Mai 1932 (S. 2567 B)

Keine Abstimmung, da Sitzung unterbrochen

KPD (Nr. 1468) auf Aufhebung verschiedener VO

11. Mai 1932 (S. 2567 B)

Keine Abstimmung, da Sitzung unterbrochen

KPD (Nr. 1471), NSDAP (Nr. 1501), DNVP (Nr. 1509) auf Aufhebung der VO zur Sicherung der Staatsautorität vom 3. Mai 1932

11. Mai 1932 (S. 2567 B)

Keine Abstimmung, da Sitzung unterbrochen

KPD (Nr. 1472) auf Aufhebung der VO über die Auflösung der kommunistischen Gottlosenorganisation vom 3. Mai 1932

11. Mai 1932 (S. 2567 B)

Keine Abstimmung, da Sitzung unterbrochen

KPD (Nr. 1571) auf Aufhebung der VO vom 12. Mai 1932

Nicht auf der Tagesordnung

6  Ergebnisse der Reichstagswahlen von 1928 bis 1933 1928

1930

1932 I

1932 II

1933

%

Man­ date

%

Man­ date

%

Man­ date

%

Man­ date

%

Man­ date

SPD

29,8

152

24,5

143

21,6

133

20,4

121

18,3

120

DNVP

14,2

 73

 7,0

 41

 5,9

 37

 8,3

 52

 8,0

 52

Zentrum

12,1

 61

11,8

 68

12,5

75

11,9

 70

11,2

 74

KPD

10,6

 54

13,1

 77

14,3

89

16,9

100

12,3

 81

DVP

 8,7

 45

 4,5

 30

 1,2

  7

 1,9

 11

 1,1

  2

DDP (ab 1930  : DStP)

 4,9

 25

 3,8

 20

 1,0

  4

 1,0

  2

 0,9

  5

WP

 4,5

 23

 3,9

 23

 0,4

  2

 0,3

  1





BVP

 3,1

 17

 3,0

 19

 3,2

 22

 3,1

 20

 2,7

 18

NSDAP

 2,6

 12

18,3

107

37,3

230

33,1

196

43,9

288

CNBL

1,9

  9

3,2

19

0,2

  1

0,1







DBP

1,6

  8

1,0

 6

0,4

  2

0,4

  3

0,3

  2

VRP

1,6

  2

0,8



0,1

  1

0,1







DHP

0,6

  4

0,4

 3

0,1



0,2

  1

0,1



WBWB

0,6

  3

0,6

 3

0,3

  2

0,3

  2

0,2

  1

7  Die Wahlergebnisse der wichtigsten Parteien in der National­versammlung und im Reichstag 

1928

1930

1932 I

1932 II

1933

%

Man­ date

%

Man­ date

%

Man­ date

%

Man­ date

%

Man­ date

0,4

  2

















CSVD





2,5

 14

1,0

  3

1,1

  5

1,0

  4

KVP





0,8

  4











Sächs. Landvolk

insgesamt

490

577

608

|

584

– 647

7  Die Wahlergebnisse der wichtigsten Parteien in der National­ versammlung und im Reichstag1 Wahl/Partei (%, Sitze)

19.1. 1919

6.6. 1920

4.5. 1924

7.12. 1924

20.5. 1928

14.9. 1930

31.7. 1932

6.11. 1932

5.3. 1933

Wahlbeteiligung (%)

83

79,2

77,4

78,8

75,6

82

84,1

80,6

88,8

SPD

37,9 (165)

21,6 (102)

20,5 (100)

26 (131)

29,8 (152)

24,5 (143)

21,6 (133)

20,4 (121)

18,3 (120)

Zentrum

19,7 (91)

13,6 (64)

13,4 (65)

13,6 (69)

12,1 (61)

11,8 (68)

12,5 (75)

11,9 (70)

11,2 (74)

DDP (ab 1930  : DStP)

18,6 (75)

8,4 (39)

5,7 (28)

6,3 (32)

4,9 (25)

3,8 (20)

1 (4)

1 (2)

0,9 (5)

DNVP (1933  : »Kampffront«)

10,3 (44)

15,1 (71)

19,5 (95)

20,5 (103)

14,2 (73)

7 (41)

5,9 (37)

8,3 (52)

8 (52)

USPD

7,6 (22)

17,9 (84)















DVP

4,4 (19)

14 (65)

9,2 (45)

10,1 (51)

8,7 (45)

4,5 (30)

1,2 (7)

1,9 (11)

1,1 (2)

BVP

-

4,4 (21)

3,2 (16)

3,7 (19)

3,1 (17)

3 (19)

3,2 (22)

3,1 (20)

2,7 (18)

KPD

-

2,1 (4)

12,6 (62)

9 (45)

10,6 (54)

13,1 (77)

14,3 (89)

16,9 (100)

12,3 (81)

1 Die Sitzverteilung orientiert sich am Endergebnis. Nach den Wahlen schlossen sich Abgeordnete kleiner Parteien häufig als Gäste einer größeren Fraktion an. Deshalb weichen die hier genannten Angaben (zum Teil) von den Reichstagshandbüchern ab, die immer die Fraktionsgröße nennen.

331

332

| 

Anhang

Wahl/Partei (%, Sitze)

19.1. 1919

6.6. 1920

4.5. 1924

7.12. 1924

20.5. 1928

14.9. 1930

31.7. 1932

6.11. 1932

5.3. 1933

-

-

6,5 (32)

3 (14)

2,6 (12)

18,3 (107)

37,3 (230)

33,1 (196)

43,9 (288)

Sonstige (nur Sitze)

(6)

(9)

(29)

(29)

(51)

(72)

(11)

(12)

(7)

Sitze gesamt

423

459

472

493

490

577

608

584

647

NSDAP (1924 im NSFB)

8  Text des Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933 

8  Text des Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933

|

333

Personenregister Adenauer, Konrad 188, 225, 241, 258, 259 Baden, Prinz Max von 15 Bell, Johannes (Hans) 17, 145, 152, 215 Bernhard, Georg 66, 67, 124 Blomberg, Werner von 214 Böckler, Hans 259 Bolz, Eugen 109, 110, 198, 241, 247, 260 Bosch, Robert 212 Braun, Magnus von 183 Braun, Otto 16, 83, 92, 153, 173, 175, 222, 256 Brauns, Heinrich 181 Brecht, Bertolt 42, 222 Bredt, Victor 113 Breitscheid, Rudolf 54, 116, 154, 201, 224, 260 Brüning, Heinrich 54, 70, 82, 89, 91, 98, 100, 106, 108 – 110, 113, 114, 116, 117, 120, 122 – 126, 133, 134, 138, 142, 143, 145, 149 – 159, 161 – 166, 170, 172, 181, 202, 209, 224, 240, 241, 247, 251, 252 Crispien, Arthur 76, 224 Cuno, Wilhelm 72, 112 Curtius, Julius 84, 114 Daluege, Kurt 29 Darré, Walther 215 Dernburg, Bernhard 93 Dibelius, Otto 234 Dietrich, Hermann 119, 138, 252 Dingeldey, Eduard 193, 195 Dittmann, Wilhelm 199, 200, 224 Döblin, Alfred 222 Dohna, Alexander Gaf zu 64 Duesterberg, Theodor 156, 161 Ebert, Friedrich 15, 16, 19, 31, 32, 56, 71, 72, 82, 101, 112, 194, 229 Einstein, Albert 222 Elsas, Fritz 260 Eltz-Rübenach, Paul von 196, 214 Eltz-Rübenachs, Paul von 215

Erkelenz, Anton 124 Erzberger, Matthias 18, 25, 71, 139 Esser, Thomas 121, 137, 139, 142, 144, 147, 148, 184, 199, 202, 205, 236, 258 Fallada, Hans 130 Felder, Josef 224, 243, 247, 248 Fischer, Ruth 77 François-Poncet, André 101, 109, 165, 167, 174, 247, 248, 256 Frank, Hans 132, 204 Freytagh-Loringhoven, Axel von 93, 146, 265 Frick, Wilhelm 54, 59, 81, 122, 132, 136, 148, 214, 216, 218, 227, 237, 238, 240, 264, 266 Galle, Reinhold 57 Gayl, Wilhelm von 183, 188, 196, 197 Gerlach, Hellmuth von 124 Gessler [auch Geßler], Otto 40, 54, 56, 82, 99, 100 Goebbels, Joseph 28, 29, 74, 81, 93, 96, 121, 125, 132, 139 – 143, 147, 159, 164, 213, 215, 226, 227, 233, 254 Goerdeler, Carl 260 Göring, Hermann 81, 132, 148, 158, 184 – 187, 189, 199, 200, 203, 205, 214, 218, 220, 226, 227, 230, 235, 236, 245, 250, 264, 266 Graef, Walther 56, 77, 137, 184, 186, 199, 236 Groener, Wilhelm 84, 86, 102, 106, 148, 152, 154, 157 – 159, 161, 162, 183, 209 Grzesinski, Albert 141, 222, 223 Guérard, Theodor von 54, 81, 87 Gürtner, Franz 168, 183 Hammerstein-Equord, Kurt von 157 Haubach, Theodor 260 Heines, Edmund 144 Helfferich, Karl 75 Hellpach, Willy 64, 68 Hertling, Georg Graf von 18 Heuss, Theodor 212, 235, 252, 257 Hilferding, Rudolf 86, 260

Personenregister 

Himmler, Heinrich 66, 132 Hindenburg, Oskar von Beneckendorff und von Hindenburg 101, 102, 157, 195, 213, 226 Hindenburg, Paul von Beneckendorff und von Hindenburg 18, 19, 26, 32, 82 – 84, 90, 91, 98 – 104, 106, 108, 111 – 113, 120 – 124, 133, 134, 149, 151, 152, 154 – 163, 165, 167, 168, 170, 171, 178, 182, 183, 185, 187, 193 – 197, 202, 208, 209, 211 – 214, 216, 234, 246, 267 Hitler, Adolf 13, 26 – 29, 129, 134, 156, 158, 159, 170, 181, 182, 191, 193 – 195, 198, 201, 206, 212 – 216, 218, 226, 227, 229, 230, 233, 234, 238 – 240, 245, 246, 248, 261, 264, 266, 267 Hoegner, Wilhelm 133, 143, 217, 224, 243 Hoover, Herbert 163 Hugenberg, Alfred 25, 42, 67, 113, 119, 127, 129, 141, 170, 193, 195, 212, 214, 215, 230, 265 Hugo, Otto 87, 200 Joël, Curt 116, 152 Joos, Joseph 108, 143, 247 Juchacz, Marie 222 Kaas, Ludwig 108, 171, 181, 193, 195, 208, 216, 232, 238 – 240, 247, 249, 251, 252 Kahl, Wilhelm 122 Kaiser, Jakob 247 Kapp, Wolfgang 25 Kardorff, Siegfried von 121, 146 Kästner, Erich 85 Kelsen, Hans 65 Kerr, Alfred 222 Kessler, Harry Graf (von) 42, 126, 129, 170, 176, 179, 196 Kisch, Egon Erwin 221 Klagges, Dietrich 156 Koch, Erich 138 Koch-Weser, Erich 62, 258 Lambach, Walther 38, 50 – 52, 54, 59, 60 Landsberg, Otto 78, 81, 96, 118, 222 Leber, Georg 133 Leicht, Johann 54, 84, 143, 170, 249 Leipart, Theodor 198, 206

|

Lemmer, Ernst 147, 242, 252, 263 Lex, Hans Ritter von 249 Ley, Robert 138, 142 Liebknecht, Karl 15, 21, 22 Liebmann, Curt 229 Litzmann, Karl 198, 204 Löbe, Paul 56, 70, 75 – 78, 82, 96, 133, 136, 138, 139, 147, 149, 184, 188, 199, 200, 205, 217, 254, 259 Lubbe, Marinus van der 219 Ludendorff, Erich 18, 19, 25, 26, 99 Luther, Hans 25, 35 Lüttwitz, Walther von 25 Luxemburg, Rosa 21, 22 Maier, Reinhold 242, 247, 249, 252 Mann, Heinrich 222 Mann, Klaus 222 Mann, Thomas 222 Marx, Wilhelm 25, 35, 44, 45, 63, 79, 83, 99, 103, 194, 229 Meinecke, Friedrich 162, 251 Meissner, Otto 101, 103, 104, 106, 120, 155, 161, 162, 170, 183, 185, 187, 193, 195, 196, 198, 213, 230, 240, 254 Mettig, Klaus 11 Meyer, Oscar 89 Mühsam, Erich 221 Müller, Hermann 17, 44, 82 – 84, 86, 88, 90, 91, 95, 98, 100, 106, 112, 116, 143, 163, 209 Müller-Meiningen, Ernst 63 Münzenberg, Willi 78, 222 Neurath, Konstantin von 196, 214 Oberfohren, Ernst 54, 119 Oldenburg-Januschau, Elard von 101, 162 Ollenhauer, Erich 260 Ossietzky, Carl von 221 Ott, Eugen 196 Papen, Franz von 68, 100 – 102, 167 – 175, 178, 182, 183, 185 – 188, 193, 195, 196, 206, 207, 211, 212, 214, 216, 224, 227, 228, 254 Perlitius, Ludwig 216, 258 Pieck, Wilhelm 204, 218, 258

335

336

| 

Personenregister

Piscator, Erwin 42 Planck, Erwin 205 Pünder, Hermann 101, 104, 110, 116, 126, 152, 157 – 159, 183, 259 Quaatz, Reinhold 93, 121, 205, 226, 234, 259 Quidde, Ludwig 124 Radbruch, Gustav 45, 50, 64 Raeder, Erich 157 Rathenau, Walther 25, 71, 75, 95 Rauch, Johann 184 Reventlow, Ernst Graf zu 133, 140 Ritzel, Heinrich Georg 242 Röhm, Ernst 149, 158 Salomon, Erich 66, 135, 304 Schäffer, Fritz 194, 195, 231 Schäffer, Hugo 197 Scharnagl, Karl 259 Scheidemann, Philipp 15, 16, 44, 222 Scheuner, Ulrich 261 Schiele, Martin 80, 113, 134 Schlange-Schöningen, Hans 151, 162 Schleicher, Kurt von 100, 102, 103, 105, 106, 108, 157 – 162, 167, 168, 174, 183, 195, 197, 198, 205 – 209, 211, 258 Schmitt, Carl 64, 207, 261 Schmitt, Kurt 215 Scholz, Ernst 54, 56, 88, 89, 119, 136 Schumacher, Kurt 260 Schwerin von Krosigk, Johann Ludwig Graf 183, 196, 214, 217 Seldte, Franz 213, 214, 228 Sender, Sidonie (Toni) 222 Severing, Carl 82, 86, 95, 144, 158, 167, 184, 196, 223, 244, 259 Sieverding, Katharina 11 Simpfendörfer, Wilhelm 250 Simpfendörfer,Wilhelm 249

Sollmann, Wilhelm 143, 146, 222, 235 Stalin, Josef W. 23, 24, 132 Stampfer, Friedrich 93 Stegerwald, Adam 87, 108, 114, 162, 198, 224, 231, 238 Stöhr, Franz 93, 137, 139, 142, 146, 237 Strasser [auch Straßer], Gregor 81, 94, 139, 141, 142, 144, 148, 197, 198, 201, 206 Stresemann, Gustav 39, 45, 63, 67, 83, 88, 229 Syrup, Friedrich 197 Tergit, Gabriele 222 Thälmann, Ernst 23, 76, 96, 156, 164, 221, 260 Torgler, Ernst 54, 78, 132, 142, 184, 199, 200 Treviranus, Gottfried 106, 110, 113, 119, 122, 124, 258 Triepel, Heinrich 64 Tucholsky, Kurt 101 Ulbricht, Walter 132, 141, 143, 258 Wallot, Paul 47 Wallraf, Max 56, 78 Warmbold, Hermann 152, 183 Weber, Helene 247 Weiß, Bernhard 148, 149 Wels, Otto 54, 86, 90, 224, 247, 249 Westarp, Kuno Graf von 54, 105, 106, 120, 124, 159, 168, 170, 190, 192 Wilhelm II. 18, 99 Wirth, Joseph 45, 63, 87, 93, 116, 119, 121, 147, 241, 247, 258 Wissell, Rudolf 86, 90 Wolff, Theodor 66, 136, 222 Young, Owen D. 93 Zechlin, Walter 99, 161 Zetkin, Clara 184, 198 Zweigert, Erich 116

Sachregister Abstimmung, namentliche 35 Altonaer Blutsonntag 173 Antisemitismus 27, 28, 66, 74, 81, 94, 122, 135, 139 – 141, 148, 204 Arbeitslosigkeit 89, 128, 130, 164, 165 Aufhebungsantrag 118, 120, 122, 134, 151, 153

Kabinett der Barone 168 Kamarilla 101, 213 Kapp-Lüttwitz-Putsch 25 Konfliktregierung, Kampfkabinett 171 Konzentrationslager 221, 246 Kroll-Oper 235, 242, 265, 266

Bürgerblock(-Regierung) 82, 133 BVG-Streik 189, 203, 218

Landvolkbewegung 130 Lausanne, Konferenz von 163, 172 Lobbyismus 162, 206 Locarno, Vertrag von 73

Danat-Bank 150 Dawes-Plan 73, 93, 172 Deflationspolitik 114, 163 Diäten 51, 52, 54, 74, 96, 236, 264 Dolchstoßlegende, Dolchstoßlüge 19, 100 Eiserne Front 175 Ermächtigungsgesetz 155, 194, 211, 212, 220, 229, 230 Fememord 144 Fraktionsdisziplin 154, 247 Frauenwahlrecht 12, 16, 33, 71 Freifahrtberechtigung 74, 96, 236 Freikorps 22, 25 Fürstenenteignung 32 Geschäftsordnung des Reichstages 47, 53, 55, 56, 60, 62, 76, 145, 146, 237, 245, 254, 264 Gestapo 259 Große Koalition 83 Hammelsprung 61 Handgemenge, Schlägerei 75, 76, 149, 205 Harzburger Front 155 Hitlerjugend 29 Hitler-Putsch 29, 30 Hoover-Moratorium 163 Immunität 74, 218, 221, 244, 263 Inflation 20, 71, 229

Misstrauensvotum 31, 35, 65, 105, 107, 151, 172, 186, 187, 189, 192, 200, 206, 207, 211, 215, 261, 267, 268 Monarchisten 36, 44, 67, 99, 104, 141, 152, 160, 167 Notverordnung 31, 71, 90, 111, 115, 116, 118, 120, 121, 123, 134, 150, 194, 210, 220 Novemberrevolution 15, 19, 21, 24, 26, 39, 40, 69, 72, 123, 132, 213, 245 Oktoberrevolution 21 Ordnungsruf 55, 74, 77, 92, 94, 96, 135, 138, 139, 141, 143, 147, 204 Organisation Consul 25 Osthilfe 114, 121, 151, 160, 161 Panzerkreuzer A 57 Planspiel Ott 196, 209 Präsidialkabinett 91, 103, 106, 111, 112, 134, 159, 163, 181, 194, 200, 207, 210, 211, 226 Preußenschlag 173 – 175, 181, 204, 256 Rapallo, Vertrag von 73 Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold 29, 157, 174, 175, 196, 224 Reichskonkordat 246, 252 Reichs-Landbund 68, 80, 113, 162, 178, 206 Reichstagsauflösung 30, 32, 71, 98, 115, 117,

338

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Sachregister

120, 121, 123, 154, 160, 170 – 172, 178, 182, 183, 186, 187, 194, 212, 215 Reichstagsbrand 219, 221, 223 Reichstagsbrandverordnung 219, 258 Reichstagsverwaltung 47, 55, 57, 265, 266 Reichswehr 22, 106, 155, 159, 174, 196, 209, 223, 246 Reparationen 19, 75, 93, 114, 163, 170 Republikschutzgesetz 95 Röhm-Putsch 258, 264 Roter Frontkämpferbund 22, 29, 95, 146, 157, 173, 190, 209 Ruhrkampf 20, 71 Rundfunkaufzeichnungen 69 SA (»Sturmabteilung«) 28, 95, 145, 156, 157, 173, 190, 196, 209, 220 – 225, 235, 241, 242, 244, 249, 254 SA- und SS-Verbot 148, 157, 158, 160, 161, 165, 170 – 172 Scheinparlamentarismus 212, 264 – 266 Schubkastenverordnung [auch Schubladenverordnung] 218, 258 Schutzhaft 218, 220, 224, 242 Semiparlamentarismus 123, 165 Sitzungsausschluss 55, 77, 78, 92, 96, 135, 142, 147 Sitzungsboykott 146 Sitzungsunterbrechung 55, 75, 77, 78, 147, 205 Spartakusbund 21, 22 Sperrklausel 33, 36, 37, 268

SS (»Schutzstaffel«) 29, 145, 173, 196, 209, 220 – 222, 225, 235, 242, 249, 251, 254 Staatsgerichtshof 174 Staatsnotstandsplan 195, 196, 207, 208, 211 Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten 25, 155, 156, 160, 212, 220, 225 – 227 Überwachungsausschuss 58, 189, 217, 221 Überwachungsausschusses 173 Untersuchungsausschuss 19, 151, 189, 261 Verfassungsänderung 202, 230 Verhältniswahlrecht 33, 37, 45, 53 Versailler Vertrag 17, 129, 169, 238, 241 Vertagung des Reichstages 153, 183, 205, 209, 215, 232 Volksbegehren 190 Volksentscheid 32, 92, 269 Volksgerichtshof 259, 260 Volksparteien 40, 46 Wahlrechtsreform 37 Weltkrieg, Erster 15, 40, 75, 100, 102 Weltkrieg, Zweiter 11, 264 – 266 Weltwirtschaftskrise 43, 89, 169 Wortentziehung 55, 135 Young-Plan 32, 91 – 94, 106, 146, 163, 172 Zeitungen, Zeitschriften 62, 66, 218 Zitierantrag 200

ZWISCHEN GESTERN, HEUTE UND MORGEN: DER BAND ZUM JUBILÄUM DES GRUNDGESETZES

Hans Michael Heinig | Frank Schorkopf (Hg.) 70 Jahre Grundgesetz In welcher Verfassung ist die Bundesrepublik? 2019. 310 Seiten, gebunden € 25,00 D | € 26,00 A ISBN 978-3-525-31078-6 Auch als E-Book erhältlich

Im Mai 2019 wurde das Grundgesetz 70 Jahre alt. Mit diesem »Jubiläum« gehen 100 Jahre Weimarer Reichsverfassung einher, die stürmische Zeiten kannte und nicht überlebte. Das Doppeljubiläum nehmen profilierte Denkerinnen und Denker der Rechts-, Geschichts- und Politikwissenschaft sowie des Journalismus zum Anlass, Grundgesetz, Staat, Gesellschaft und politische Situation zu reflektieren. Was hat sich bewährt? Wo liegen die Anfänge unserer Verfassung? Welchen Einfluss hat sie, wenn es um Identität, Populismus, Migration, Digitalisierung oder demographische Herausforderungen geht? Diesen und anderen Fragen geht der Band nach.

Preisstand 1.1.2020

WIE KAM DEUTSCHLANDS ERSTE DEMOKRATIE ZU IHREM GEBURTSORT?

Heiko Holste Warum Weimar? Wie Deutschlands erste Republik zu ihrem Geburtsort kam 2017. 219 Seiten, 16 s/w-Abb., gebunden € 20,00 D | € 21,00 A ISBN 978-3-412-50906-4

Weimar – die Stadt, in der 1919 die Verfassungsgebende Nationalversammlung tagte, ist zu dem Synonym für die Jahre 1918 bis 1933 geworden und als politischer Erinnerungsort in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegangen. Auf der Grundlage zahlreicher Quellen zeichnet Heiko Holste die abenteuerliche Suche nach einem Geburtsort für Deutschlands erste Republik nach und räumt mit zählebigen Legenden auf: Der Grund für den Fortgang aus Berlin war nicht etwa revolutionäre Unruhe in der Hauptstadt, sondern eine »Los-von-Berlin!«-Stimmung im Reich, die Deutschland an den Rand des Zerfalls brachte. In dieser Situation hatte Friedrich Ebert die rettende Idee für die Republik-Gründung in Weimar. Mit der Nationalversammlung außerhalb Preußens, aber auch außerhalb Bayerns, auf halber Strecke zwischen Berlin und München, rettete er die Einheit des Reiches.

Preisstand 1.1.2020