118 45 20MB
German Pages 185 Year 1983
WILFRIED KüPER
Der "verschuldete" rechtfertigende Notstand
Schriften zum Strafrecht Band 50
Der "verschuldete" rechtfertigende Notstand Zugleich ein Beitrag zur "actio illicita in causa"
Von
Prof. Dr. Wilfried Küper
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, BerUn 41 Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany
© 1983 Duncker
ISBN 3 428 05280 3
Vorwort Die hier vorgelegte Untersuchung betrifft einen speziellen Problemkreis aus dem Gebiet des rechtfertigenden Notstandes; sie will zur Klärung der zahlreichen Fragen beitragen, die entstehen, wenn der Täter die Notstandslage selbst "zurechenbar" herbeigeführt hat. Mit diesem Hinweis ist das Thema der Arbeit freilich nur sehr vorläufig bezeichnet; sein genauerer Umfang wird erst im Fortgang der Untersuchung deutlich. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet die Auseinandersetzung mit einer dogmatischen Konstruktion, die unter dem Namen "actio illicita in causa" bekannt geworden ist. Diese "Rechtsfigur" ist bisher nur in der Notwehrlehre eingehender diskutiert worden. Die damit verbundenen prinzipiellen Fragen sind jedoch im Notstandsbereich besser faßbar, weil die Abschichtung "notwehrspezifischer" Aspekte die Grundstrukturen der actio-illicita-Problematik klarer hervortreten läßt. Es wird allerdings darauf verzichtet, mit der notstandsbezogenen Analyse dieses Problems zugleich seine notwehrbedingten Varianten aufzuarbeiten und Folgerungen auch für die Konstellationen der "verschuldeten Notwehrlage" zu ziehen; das wäre ein Thema für sich. Die Arbeit, die ihren Gegenstand zunächst mehr "abstrakt-theoretisch" (I-IV), sodann auch praktisch-fallorientiert (V) behandelt, berührt im jeweiligen Zusammenhang eine Reihe von Problemen, die man hinter ihrem Titel nicht ohne weiteres vermutet. Dies gilt etwa für die Tatbestandsstruktur vorsätzlicher und fahrlässiger Deliktsbegehung, die Erfolgszurechnung, Grundprinzipien und Einzelfragen der Interessenabwägung, die "pflichtgemäße Prüfung", den Versuch bei "actio libera in causa" und mittelbarer Täterschaft sowie für die "actio libera in causa" überhaupt. Zur ersten Orientierung sei auf die ausführliche Inhaltsübersicht und auf die Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse (VI) verwiesen. Die Untersuchung ist am 15. September 1982 für den Druck abgeschlossen worden. Meinen Assistenten, den Herren Dr. Michael Hettinger, Assessor Christi an Imo und Referendar Stephan Lang, bin ich für nützliche technische Unterstützung zu Dank verpflichtet. Meiner Sekretärin, Frau Carla Decker, danke ich für die sorgfältige Reinschrift des
Vorwort
6
Manuskripts. Dem Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Senator Prof. Dr. Johannes Broermann, und seinen Mitarbeitern schulde ich Dank für die reibungslose Zusammenarbeit. Heidelberg, im Oktober 1982 Wil/ried Küper
Inhaltsverzeichnis I. Einführung 1. Rechtfertigender Notstand und Konfliktvorgeschichte
a) Das verbale "Interpunktionsschema" des Gesetzes ..............
13 13
b) Anerkannte Erweiterungen des "Interpunktionsschemas" bei Gefahrtragungspflicht und Defensivnotstand ....................
14
2. Gegenstand und Gang der Untersuchung .........................
16
11. Das Problem des "verschuldeten" rechtfertigenden Notstandes und die möglichen Lösungsebenen 1. Perspektiven des Verschuldensproblems ..........................
18
a) Der Ausgangspunkt ...................................... . ....
18
b) "Objekt-", "Form-" und "Einordnungsproblem" ................
20
2. Verschulden als Quelle einer "Gefahrtragungspflicht"? ..... . ......
21
a) Die Verwirkungsthese und ihre Kritik ........................
21
b) Weitere Einwände ..................................... . ......
23
111. "Verschuldeter" Notstand und Interessenabwägung 1. Bisherige Ansätze in der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
2. Interessenabwägung und "verschuldete Gefahr" (primäres Bezugsobjekt) ..........................................................
25
a) Die Minderung der Schutzwürdigkeit als Folge verschuldeter Gefahrbegründung ..............................................
25
b) Auseinandersetzung mit Einwänden ...........................
28
aa) Interessenabwägung als verschuldensneutrale "Verrechnung"? ................................................... bb) Korrespondenzverhältnis zwischen "Rettungsduldungs-" und "Rettungshandlungspflicht"? ..............................
28 29
c) Zurechenbarkeit der Gefahr und sozialethischer Kontext ......
31
3. Interessenabwägung und "verschuldete Kollision" (sekundäres Bezugsobjekt) ......................................................
32
4. Verschuldensproblem und Angemessenheitsklausel ................
34
8
Inhal tsverzeichnis IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
1. Die Eigenart der Fragestellung im Unterschied zur "Lösung auf der Notstandsebene" ................................................. a) Der Ausgangspunkt ...........................................
36
b) Das "Objekt-" und "Formproblem" des Verschuldens .......... c) Die Irrelevanz der Angemessenheitsfrage ......................
36 38
d) Das Verhältnis der "actio-ilIicita"-Lehre zur "Abwägungslösung"
39
36
2. Bisherige prinzipielle Einwände gegen die "actio illicita in causa" und Antikritik - Zur Möglichkeit rechtswidrigen Vorverhaltens bei rechtmäßiger Notstandstat ....................................... a) Notwehrspezifische und generelle Gegenargumente ............ b) Kritik der "handlungsbezogenen" Gegenargumentation ........ aal Die Unabhängigkeit der Verhaltensbewertungen .......... bb) Detailliert-fallorientierte Antikritik .......................
42 43
c) Kritik der "erfolgsbezogenen" Gegenargumentation ............
45
3. Die "actio illicita in causa" als Problem rechtswidriger Tatbestandsverwirklichung: Bewertungssubstrat und Zurechnungsfragen ...... a) Das Bewertungssubstrat ...................................... b) Spezielle Zurechnungsprobleme ................................
47 47
4. Die "actio illicita in causa" beim fahrlässigen Erfolgsdelikt . . . . . . . . a) Unterschiede in der Tatbestandsstruktur - Grenzen der "actio illicita in causa" .............................................. b) Analogie zur "actio libera in causa"? .......................... aal Die Tatbestandsbildung bei fahrlässiger "actio libera in causa" .................................................... bb) "Gespaltene Bewertung" auch bei fahrlässiger "actio iIlicita in causa"? ................................................ c) Zur inhaltlichen Fahrlässigkeitsbegründung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . aal Die Sorgfaltswidrigkeit des Vorverhaltens ........ . .... . ... bb) Weitere Bewertungsfragen - erlaubtes Risiko ............
40 40 42
49 50 50 52 52 54 55 56 57
5. Die "actio illicita in causa" beim vorsätzlichen Erfolgsdelikt ...... a) Vorüberlegungen zur Tatbestandsstruktur des Vorsatzdelikts .. b) Die vorsätzliche "Begehung" und ihr "Beginn" ................. aal Die Bedeutung der Versuchsschwelle ...................... bb) Mögliche Einwände ....................................... cc) Unterschiedliche Tatbestandsanforderungen bei vorsätzlicher und fahrlässiger "actio illicita in causa" ................... dd) Konsequenzen ............................................
61 61 64
c) Vorsätzliche Notstandsbegründung als Beginn der tatbestandlichen Begehung? ............................................. aal Die Vorhandlung als "unmittelbares Ansetzen"? ........... bb) Der Eintritt des "Primärerfolges" als Ausführungsbeginn?
70 70 71
59 59
66 68
Inhaltsverzeichnis d) Vergleich mit der Versuchsproblematik bei "actio libera in causa" und mittelbarer Täterschaft ................................... aal Versuchsbeginn bei "actio libera in causa" und "actio illicita in causa" .................................................
9 72 73
bb) Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft und "actio illicita in causa" ............................................. (1) Das Versuchsproblem bei mittelbarer Täterschaft: Die "Einzellösung" und ihre Begrundungsvarianten ........ (2) Folgerungen für die "actio illicita in causa" ............
74 77
e) Die Bedeutung der "zeitlichen Unmittelbarkeit" für die "actio illicita in causa" ..............................................
78
f) "Actio libera in causa" und "actio illicita in causa": Parallelen und Differenzen .............................................. aal Die Ausgangslage ......................................... bb) Die Begrundungsmodelle zur "actio libera in causa" und ihre Bedeutung für die "actio illicita in causa" .................
74
80 80 82
(1) Die "Versuchslösung" ................................. (2) Die Varianten der "Vorverlegungstheorie" .............
82 82
(3) "Vorverlegungstheorien" und "actio illicita in causa" .. (4) Fazit .................................................
84 87
V. Der "verschuldete" rechtfertigende Notstand in der Rechtsprechung - Zugleich zum verschuldeten Notstand im Ordnungswidrigkeitenrecht 1. Das Urteil des BGH vom 11.10.1968 ("Unfallflucht-Fall"), VRS 36
(1969) 23 .........................................................
90
a) Sachverhalt und Entscheidungsbegründung .................... b) Kritische überlegungen zur Entscheidung ........ . ...... . . . .. . .
90 92
aal Der Ausgangspunkt ....................................... bb) Erforderlichkeit der Gefahrabwendung und "Rückkehrpflicht" ................................................... cc) Die Entscheidungserheblichkeit der Abwägungsfrage .......
92
c) Das Problem der Notstandsrechtfertigung ......................
96
aal Allgemeines .............................................. bb) Die Bedeutung der vorsätzlichen Notstandsbegründung .... d) Zur Entschuldigungsfrage ................................... . .
96 96 98
e) Zum Problem der "actio illicita in causa" ......................
99
2. Das Urteil des BGH vom 27. 1. 1976 ("Mandantengelder-Fall"), NJW 1976, 680 .........................................................
101
a) Sachverhalt und Entscheidungsbegrundung .................... b) Kritische überlegungen zur Entscheidung. . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . .
101 102
aal Der Ausgangspunkt ....................................... bb) Die Aspekte des Interessenwiderstreits ....................
102 104
92 94
10
Inhaltsverzeichnis c) Die Kriterien der Interessenabwägung .............. . . . . . . . . . . .
105
aal Die Orientierung am Maßstab des § 904 BGB .............. bb) Weitere Abwägungsgesichtspunkte ........................
105 107
d) Probleme des "verschuldeten" Notstandes bei der Nothilfe. . . . .
108
aal Das Verschulden des Nothelfers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Verschulden des Gefährdeten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . cc) Fazit .....................................................
109 111 112
3. Das Urteil des BGR vom 6.6.1952 ("Abtreibungs-Fall"), BGRSt 3,7
112
a) Sachverhalt und Entscheidungsbegründung ....................
112
b) Die Aussage des BGH zum Problem des verschuldeten Notstandes
113
c) Kritische überlegungen zur Entscheidung .......... . . . . . . . . . . . .
115
aal Zum Erfordernis der "pflichtgemäßen Prüfung" ............ (1) Prinzipielle Einwände ................................ (2) Fallbezogene Folgerungen .............................
115 115 117
bb) Die Interessenabwägung bei "willkürlich" herbeigeführter Suizidgefahr .............................................. cc) Zur praktischen Relevanz des Verschuldensproblems ......
119 122
d) Die Problematik des verschuldeten Notstandes bei § 218 a Abs.1 StGB .........................................................
123
aal Die Funktion der Interessenabwägung nach der Neuregelung
123
Die verbale "Vorwegabwägung" des Gesetzes. . . . . . . . . . (2) Interessenabwägung und verschuldeter Notstand bei § 218 a Abs. 1 StGB ...................................
123
bb) Zur "actio illicita in causa" ................. . . . . . .... . .....
126
(1)
125
4. Der Beschluß des OLG Ramm vom 26.2.1970 ("Lastzug-Fall"), VM 1970, 86 ..........................................................
127
a) Sachverhalt und Entscheidungsbegründung ....... . ............
127
b) Kritische überlegungen zur Entscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129
aal Die Rechtfertigungsfrage bei aktivem Tun ........ . ...... . (1) Die Notstandslage .................................... (2) Die Interessenabwägung ..............................
130 130 131
bb) Die Rechtfertigungsfrage bei Unterlassen cc) Das Problem der "actio illicita in causa" ..................
132 133
5. Der Beschluß des BayObLG vom 26.5.1978 ("Fäkalien-Fall"), NJW 1978, 2046 ........................................................
136
a) Sachverhalt und Entscheidungsbegründung ..... . ...... . .......
136
b) Die bisherige Diskussion ......................................
138
aal Die Beurteilung der Notstandshandlung und das Verschuldensproblem ..............................................
138
bb) Die Stellungnahmen zur "actio illicita in causa" .... . ......
140
Inhaltsverzeichnis
11
c) Der eigene Standpunkt .............................. . . . ......
143
aal Das Material der Interessenabwägung ....................
143
(1) Die verletzten Rechtsgüter ............................ (2) Tatbestandsbezogene "Spaltung des Rechtswidrigkeitsurteils" bei der Interessenabwägung? .................. (3) Zwischenergebnis ............................ . ........ (4) Konsequenzen für die Fallbeurteilung .................
144 146 149 150
bb) Die Be~eutung des Nothelfer-Verschuldens für die lnteressenabwagung .............................................
151
(1) Der Ausgangspunkt ................................... (2) Perspektiven des Problems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Der Lösungsansatz ......................... . ..........
151 152 153
cc) Zur Frage der "actio illicita in causa" .....................
154
(1) Die fahrlässige "actio illicita" als Tatbestandsproblem (2) "Actio illicita in causa" und Struktur des Fahrlässigkeitstatbestandes ..................................... (3) Abschließende Erwägungen ............ . ...... . .......
155
VI. Ergebnisse der Untersuchung
156 158 160
Literaturverzeichnis
171
Stichwortverzeichnis ................... . ............................
182
Ahkürzungsverzeichnis AbfG AcP a.F. AG BayObLG
BGB
BGEl BGH BGHSt DAR DB
E
GA GG GS i. V.m. JA JR Jura JuS JZ KG LK MDR n.F. NJW NStZ ÖJZ OLG OWiG RG RGSt Rdnr. SchwZStr SK StA StÄG StGB StPO StVG StVO VDA VM VRS ZStW
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I. Einführung 1. Rechtfertigender Notstand und Konßiktvorgeschichte a) Das verbale "Interpunktionssc:hema" des Gesetzes
Nach § 34 StGB, der Vorschrift über den rechtfertigenden Notstand, ist "eine Tat" - d. h. eine tatbestandsmäßige Handlung - unter bestimmten Voraussetzungen "nicht rechtswidrig". Das Gesetz verlangt zunächst, daß der Täter "in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr" für ein "Rechts gut" handelt, "um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden" (Notstandslage und Notstandshandlung). Außerdem wird gefordert, daß "bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt" (Interessenabwägungsformel). Auch in diesem Fall wird die Rechtfertigung des HandeIns noch davon abhängig gemacht, daß "die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden" (Angemessenheitsklausel)l. Der gesamte, inhaltlich sehr differenziert gegliederte Text dieser Rechtsnorm, in der das Gesetz den früheren "übergesetzlichen Notstand"2 kodifiziert hat3, erfaßt die komplex-dynamische Realität der Lebenssituation, deren Produkt die "Notstandshandlung" ist, gleichsam nur in einem eng begrenzten zeitlichen Segment: er ist zugeschnitten auf das Handeln des Täters in einer Gefahrenlage und benennt die deskriptiv-normativen Kriterien, denen Gefahr und Abwehr genügen müssen, wenn die "Tat" rechtmäßig sein soll. Das entstehungsgeschichtliche "Vorfeld" dieser Gefahr-AbwehrKonstellation, die Frage, ob und inwiefern Täter und Opfer aufgrund früheren Verhaltens bereits in die Situation "verstrickt" sind4, wie sich 1 Zur kontrovers beurteilten Bedeutung dieser Angemessenheitsklausel im Verhältnis zur Interessenabwägung vgl. etwa Grebing, GA 1979, 81 ff.; Schänke / Schröder / Lenckner, § 34 Rdnr. 46, jew. mit weit. Nachweisen. Vgl. auch Küper, JZ 1980, 755 ff. 2 Zur Entwicklung vgl. die übersicht z. B. bei Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 50 ff. 3 Zur Kodifikationsproblematik in diesem Bereich vgl. insbes. Gallas, ZStW 80 (1968), S. 23 ff.; Hirsch, LK, 4. Auf!. 1974, § 51 Vorbem. 52; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 204 ff. Vgl. auch Horstkotte, Niederschriften des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 5. Wahlperiode, 87. Sitzung, S. 1741; Stree, Rechtswidrigkeit und Schuld, S. 39 f. 4 Vgl. Blei, Strafrecht, Allg. Teil, S. 151.
14
I. Einführung
überhaupt ein "Vorverhalten" auf die Beurteilung der Notstandstat auswirkt, bleibt dabei ausgeblendet, wird sprachlich jedenfalls nicht ausdrücklich thematisiert. Daß ein solches - zunächst freilich nur verbales - "Interpunktionsschema"5, dem wir z. B. auch bei der Notwehr begegnenS, keineswegs selbstverständlich ist, zeigt ein Vergleich mit der Regelung des entschuldigenden Notstandes (§ 35 StGB). Dort eröffnet der Gesetzgeber, im Anschluß an eine alte legislatorische Tradition6 , an zwei Stellen ganz explizit den Rückgriff auf individuelle Beziehungen des Täters zur Konfliktslage, die schon vor Eintritt der InteressenkolIision bestanden: Die Entschuldigung wird ausgeschlossen, "soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen".1 b) Anerkannte Erweiterungen des "Interpunktionsschemas" bei Gefahrtragungspflicht und Defensivnotstand
Was das hier erwähnte "besondere Rechtsverhältnis" angeht, so gibt es dafür auch beim rechtfertigenden Notstand eine Parallelerscheinung, die - obwohl das Gesetz schweigt - im Ergebnis ähnlich behandelt wird. Zum gesicherten Bestand der Strafrechtsdogmatik gehört die (im Detail freilich wenig geklärte) Lehre, daß die Mitglieder bestimmter, sozial exponierter Berufsgruppen dazu verpflichtet sind, die mit ihren Aufgaben verbundenen typischen Gefahren zu "ertragen"; diese Personen können sich, soweit die Sonderpflicht reicht, nicht auf den rechtfertigenden Notstand "berufen"s, weil ihre Verpflichtung gerade auch darin besteht, erhebliche Risiken, bis hin zur Lebensgefahr, auszuhalten. Die Träger derartiger "Notpflichten" dürfen sich deshalb bedrohlichen Situationen, die diese Verpflichtung zur Risikoübernahme aktualisieren, nicht auf Kosten fremder Interessen entziehen, müssen 5 Vgl. dazu die interessanten überlegungen W. Hassemers zum "Interpunktionssystem" der Notwehr, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 234 ff., mit Hinweisen zur Interaktions- und Kommunikationstheorie. 6 Vgl. dazu meinen im Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (hrsg. von A. Erler und E. Kaufmann), Bd. 3, 1982, Sp. 1064 ff., erschienenen Beitrag zur Geschichte des strafrechtlichen Notstandes. 7 Zur Interpretation dieser Einschränkungen vgl. etwa Blei, JA 1975, 307 ff.; H. Hefermehl, Der verursachte entschuldigende Notstand, Diss. Tübingen 1980; Lackner, § 35 Anm. 3 a; Rudolphi, SK, Bd. I, § 35 Rdnr. 11 ff.; Schönke / Schröder / Lenckner, § 35 Rdnr. 24 ff.; Stratenwerth, Allg. Teil I, S. 181 f.; Stree, Rechtswidrigkeit und Schuld, S. 48 ff.; Wessels, Strafrecht, Allg. Teil, S. 96. 8 So lautet eine in der Literatur früher wie heute - oft gebrauchte Wendung. Vgl. z. B. Broglio, Der strafrechtliche Notstand im Lichte der Strafrechtsreform, S. 48 f.; Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 131; Maurach / Zipf, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 403; Samson, SK, Bd. I, § 34 Rdnr. 17.
1. Rechtfertigender Notstand und Konfliktvorgeschichte
15
also, in den Grenzen ihrer Sonderpflicht, auf schädigende oder gefährdende Abwehrmaßnahmen auch dann verzichten, wenn die Notstandshandlung nach § 34 StGB an sich, für den "gewöhnlichen Normadressaten" , zulässig wäre 9• Ein Regreß in die Konfliktvorgeschichte - der allerdings beim entschuldigenden Notstand keine Parallele hat - findet im Rahmen des § 34 StGB noch auf einer anderen Ebene statt; er betrifft das Vorverhalten der Opferseite 10• Heute ist weitgehend anerkannt, daß bei einer "defensiven" Notstandshandlung, mit der in die Gütersphäre desjenigen eingegriffen wird, von dem die abzuwendende Gefahr ausgeht, für die Interessenabwägung andere Maßstäbe geIten als im typischen Fall des "aggressiven" Notstandes, in dem der Täter den drohenden Schaden auf einen an der Entstehung der Notlage Unbeteiligten abwälzt": es sind "qualitativ und quantitativ weitergehende Beinträchtigungen zulässig"12. Nach dem Vorbild des § 228 BGB ist defensive Gefahrenabwehr - in den Schranken der Erforderlichkeit grundsätzlich erlaubt, soweit der mit dem Notstandseingriff verbundene Schaden nicht "außer Verhältnis" zu der Beeinträchtigung steht, die dem "Verteidiger" vom "Angreifer" droht 13 • 9 Vgl. zum Problemkreis der Gefahrtragungspflichten beim rechtfertigenden Notstand, auch zur Systematisierung und Begrenzung, näher Küper, JZ 1980, 755 ff., mit weit. Nachweisen; zur Frage, welche Rolle Garantenpflichten in diesem Zusammenhang spielen, vgl. außerdem Küper, Grundund Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, S. 105 ff., 107 ff.; andererseits Schänke I Schräder I Lenckner, § 34 Rdnr.34. 10 Zur Bedeutung der "Opferseite" in der modernen Unrechts- und Rechtfertigungsdogmatik vgl. meine Betrachtungen in GA 1980, 215 ff. Weiterführend jetzt R. Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, 1981; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, 1981; Schünemann, in: H. J. Schneider (Hrsg.), Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege, 1982, S. 407 ff. " Zum defensiven rechtfertigenden Notstand zuletzt eingehend Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, S. 72 ff., 122. - Vgl. ferner Blei, Strafrecht, Allg. Teil, S. 151 f.; Dencker, JuS 1979, 780 f.; Felber, Die Rechtswidrigkeit des Angriffs in den Notwehrbestimmungen, S. 118 ff.; Hirsch, Festschrift für Dreher, 1977, S. 225 f., Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 107 f., JR 1980, 116 f.; Hruschka, Festschrift für Dreher, 1977, S. 203, JuS 1979, 391 f., NJW 1980, 22; Küper, JuS 1981, 793; Lackner, § 34 Anm. 2 e, ce; O. Lampe, NJW 1968, 91; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 102; Samson, SK, Bd. 1, vor § 32 Rdnr. 35, § 34 Rdnr. 16; Schänke / Schräder / Lenckner, § 34 Rdnr. 30 f.; F. C. Schroeder, JuS 1980, 340; Seelmann, Das Verhältnis von § 34 8tGB zu anderen Rechtfertigungsgründen, S. 34 f., 75; Tenckhoff, JR 1981, 257; Wessels, Strafrecht, Allg. Teil, S. 73 f. - Hruschka betrachtet, ohne Abweichung im Ergebnis, den Defensivnotstand, soweit er nicht unmittelbar von § 228 BGB erfaßt wird, als "außergesetzlichen Rechtfertigungsgrund" , weil für ihn die Abwägungsregel des § 34 StGB nicht gelte; deshalb müsse § 228 BGB analog angewendet werden. Dazu Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, S. 72 f. Fußn. 161. 12 Schänke / Schräder / Lenckner, § 34 Rdnr. 30. 13 Vgl. statt vieler Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden
16
I. Einführung
2. Gegenstand und Gang der Untersuchung Wird bereits an diesen beiden Fallgruppen deutlich, daß dem verbalen "Interpunktionsschema" des § 34 8tGB nicht notwendig zugleich eine Beschränkung des sachlichen Beurteilungsrahmens auf die GefahrAbwehr-Konstellation entspricht, so wendet sich die vorliegende Untersuchung dem dritten Themenkreis zu, in dem sich vergleichbare Fragen stellenl4 • Es geht - analog dem in § 35 8tGB genannten Fall der "selbst verursachten Gefahr" - um das Problem, wie sich die Beteiligung des Täters an der Entstehung der Notstandssituation auf die rechtliche Bewertung seines Verhaltens auswirkt. Dieser Komplex, der in der neueren Literatur bisher nur sporadisch und fragmentarisch behandelt worden ist lS , aber eine gründlichere Erörterung verdient, wird traditionell mit 8tichworten wie "verschuldeter Notstand" oder "schuldhafte Herbeiführung der Notstandslage" bezeichnet. Er berührt sich mit der Thematik der 80nderpflichten l6 sowohl inhaltlich als auch dogmengeschichtlich. Inhaltlich besteht zwischen beiden Problembereichen, wie bereits angedeutet wurde, insofern eine gewisse Affinität, als es sich hier wie dort darum handelt, "personale" Besonderheiten der Notstandssituation und ihrer Vorgeschichte zu berücksichtigen: Die Aufmerksamkeit gilt in beiden Fällen, wenn auch offenbar unter verschiedener Perspektive, der Person des jeweiligen Täters - oder Opfers l7 und seiner schon vor Eintritt der Güterkollision begründeten individuellen Beziehung zur Konfliktslage. Aber auch eine dogmengeschichtliche Verbindungslinie fällt auf. Denn in der älteren Notstandslehre wurde aus der Verantwortlichkeit des Täters für die Entstehung des Konflikts bisweilen geradezu eine Pflicht zur Gefahrtragung abgeleitet l8 - ein Gedanke, der in der heutigen Diskussion allerdings keine Rolle mehr spieJt19. Pflichtenkollision im Strafrecht, S. 72 ff.; z. T. kritisch aber Felbcr, Die Rechtswidrigkeit des Angriffs in den Notwehrbestimmungen, S. 120 f. 14 Ein weiterer, sehr umstrittener Fragenkreis, bei dem es ebenfalls um die Relevanz der "Konfliktvorgeschichte" geht, ist etwa das Problem des rechtfertigenden Nötigungsnotstandes. Vgl. dazu Schänke I Schräder I Lenckner, § 34 Rdnr. 41, mit weit. Nachweisen; zuletzt Krey, Jura 1979,320 f. IS Vgl. aus neuerer Zeit namentlich Dencker, JuS 1979, 779 ff.; Hruschka, JR 1979, 125 ff.; Küper, JZ 1976, 518 f.; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 103 ff. 16 Vgl. oben bei Fußn. 8, 9. 17 Unter Umständen auch eines Dritten, der Träger des mit der Notstandshandlung geschützten Interesses ist, vgl. Dencker, JuS 1979, 781; Küper, JZ 1976, 518 f.; eingehend Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 145 ff. Vgl. auch unten S. 111, 151 ff. 18 Vgl. etwa von Bar, Gesetz und Schuld im Strafrecht, Bd.3, S. 266; Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. 1, S. 778; Oetker, VDA Bd. 2, 1908, S. 344: "Folge der Verschuldung ist die Pflicht, die Gefahr über sich ergehen zu lassen"; Traeger, GS 92 (1929), S. 322. Vgl. auch § 28 Abs. 2 E 1913, § 22 Abs. 2 E
2. Gegenstand und Gang der Untersuchung
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Das Problem des "verschuldeten" rechtfertigenden Notstandes ist freilich nicht nur von theoretisch-dogmatischem Interesse. Seine nicht unerhebliche praktische Bedeutung zeigt sich daran, daß auch die Rechtsprechung - in unterschiedlichen Lebens- und Deliktsbereichen - sich wiederholt mit ihm beschäftigt, es zumindest "gestreift" hat. Die Untersuchung bemüht sich allerdings zunächst darum, unabhängig von dem sehr disparaten Rechtsprechungsmaterial und den dort anzutreffenden Einzelfällen die dogmatischen Strukturen des Fragenkomplexes zu erhellen. Es geht also vorrangig um die "theoretische" Analyse der Verschuldensproblematik und die methodische Erarbeitung allgemeiner Lösungsprinzipien - Ziele, die zugleich den spezifisch wissenschaftlichen Reiz des Themas ausmachen. Erst im Anschluß daran und auf dieser Basis soll zu den wichtigsten, mehr oder weniger "einschlägigen" Gerichtsentscheidungen näher Stellung genommen werden20• Dabei wird auch § 16 OWiG - die Vorschrift über den rechtfertigenden Notstand bei Ordnungswidrigkeiten - in die Betrachtung einzubeziehen sein; vorerst bleibt das Ordnungswidrigkeitenrecht jedoch ausgeklammert. Ob dieses Verfahren, für das jedenfalls der Vorteil besserer Übersichtlichkeit spricht, wirklich sachgerecht ist, muß der weitere Verlauf der Untersuchung erweisen.
1919. - Diese These hat später auch dort, wo sie abgelehnt wurde, noch vielfach die Fragestellung bestimmt. Vgl. z. B. Broglio, Der strafrechtliche Notstand im Lichte der Strafrechtsreform, S. 52 ff.; Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 136 f.; H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 38 f., 121. 19 Bei der Interpretation des entschuldigenden Notstandes hat er dagegen noch Nachwirkungen. So soll etwa nach Rudolphi, SK, Bd. 1, § 35 Rdnr.11, der Ausschluß der Entschuldigung bei "selbst verursachter Gefahr" darauf zurückzuführen sein, "daß den Täter auf Grund seines Vorverhaltens eine besondere Gefahrtragungspflicht trifft". 20 Vgl. unten S. 90 ff. 2 Küper
H. Das Problem des "verschuldeten" rechtfertigenden Notstandes und die möglichen Lösungsebenen 1. Perspektiven des Verschuldensproblems a) Der Ausgangspunkt In Literatur und Rechtsprechung begegnet man häufig dem stereotyp wiederholten "Grundsatz", daß eine Rechtfertigung nach § 34 StGB jedenfalls nicht ausgeschlossen sei, wenn der Täter! die Notstandssituation "verschuldet" habe 22 • Dieses Prinzip, das freilich bei der echten "Notstandsprovokation" z. T. durchbrochen wird23 und außerdem die Verknüpfung der Strafbarkeit mit dem zum Konflikt führenden Vorverhalten nicht verbieten so1124, ist das Resultat einer früher äußerst lebhaften Diskussion um das allgemeine Problem der "Notstandsverschuldung"25. Vor dem Hintergrund der alten - noch aus der Zeit der "Einheitstheorien"26 stammenden - Kontroverse, ob Unverschuldetheit 2! Vgl. auch oben Fußn. 17. 22 Vgl. etwa Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, S. 356: "ob die Güterkollision verschuldet ist, spielt keine Rolle"; Hirsch, LK, 9. AufI. 1974, § 51 Vorbem.63; Hruschka, JR 1979, 125 f.; Kohlrausch / Lange, Vorbem. 11 2 vor § 51; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 103 ff. und in Schönke / Schröder, § 34 Rdnr. 42; Maurach / Zipf, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 406; H. Mayer, Strafrecht, Allg. Teil, S. 179; H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 39 ff., 41. - Aus der Rechtsprechung vgI. z. B. RGSt 61, 242 (255); BayObLG, JR 1979, 124; OLG Düsseldorf, VRS 30 (1966) 444 (446); OLG Hamm, VM 1970,86 (87). Doch finden sich auch Entscheidungen mit entgegengesetzter Tendenz; vgI. BGHSt 3, 7 (10); BGH, VRS 36 (1969) 23 (25); BGH, NJW 1976, 680 (681) und dazu Küper, JZ 1976, 518; OLG Stuttgart, DB 1977,347. Zur Rechtsprechung im einzelnen vgl. unten S. 90 ff. 23 So z. B. Hirsch, LK, 9. Auf I. 1974, § 51 Vorbem. 63 (für die Absichtsprovokation); Maurach / Zipf, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 406 (für die Notstandsprovokation schlechthin). Vgl. auch Kienapfel, ÖJZ 1975, 427. Anders Schönke / Schröder / Lenckner, § 34 Rdnr. 42. 24 Vgl. Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, S. 356; eingehend Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 104 f., mit weit. Hinweisen in Fußn. 85; Schönke / Schröder / Lenckner, § 34 Rdnr. 42. - Vgl. auch BGH, VRS 36 (1969) 23 (25); BayObLG, JR 1979, 124 f.; OLG Hamm, VM 1970, 86 (87). Näheres unten Fußn.36. 25 Vgl. dazu - außer den Hinweisen oben Fußn. 18 - die Darstellung von Broglio, Der strafrechtliche Notstand im Lichte der Strafrechtsreform, S. 52 ff.; Göb, GA 28 (1880), S. 185 ff., 192 f.; Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 135 f.; Janka, Der strafrechtliche Notstand, S. 248 ff., 252 f.; Neubecker, Zwang und Notstand in rechtsvergleichender Darstellung, S. 323 ff.; H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 39 ff. 26 Dazu etwa Siegert, Notstand und Putativnotstand, S. 22 mit Fußn. 2.
1. Perspektiven des Verschuldensproblems
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generelle Voraussetzung der Straflosigkeit sei, kennzeichnet es den von der Differenzierungstheorie27 nahegelegten Kompromiß, daß auch in diesem Punkt zwischen rechtfertigendem und entschuldigendem Notstand unterschieden werden müsse: Nur die Entschuldigung, nicht aber die Rechtfertigung der Notstandstat könne vom "Unverschuldetsein" der Notlage (§ 54 StGB a. F.) abhängig gemacht werden28 • Soweit sich dieser Kompromiß auf die Notstandsrechtfertigung bezieht - und nur insofern interessiert er hier - , verdeckt er allerdings die vielschichtige Problematik, die sich hinter dem Phänomen des "verschuldeten Notstandes" verbirgt. Eigenart und spezifische Schwierigkeit der Verschuldensthematik bestehen darin, daß der verschuldete Notstand gleichsam im Schnittfeld sehr unterschiedlicher Problemperspektiven liegt, weil die Frage nach Inhalt und Wirkung der "schuldhaften" Veranlassung unter ganz verschiedenen Aspekten gestellt werden kann. Zwar geht es stets um die Unrechts relevanz der "Vorhandlung", die den späteren Rechtsgüterkonflikt und damit die Notstandstat ausgelöst hat. Auch ist sicher, daß die Folgen dieses Vorverhaltens dem Täter29 nur als "verschuldet" angelastet werden können, wenn sie "zurechenbar" verursacht worden, d. h. zumindest voraussehbar und vermeidbar gewesen sind3O ; mit dem "Verschulden" ist wesentlich diese Zurechenbarkeit gemeint31• ZT Vgl. dazu etwa Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 7 ff., mit weit. Nachweisen. 28 Dieser Kompromiß, für den die gesetzliche Regelung gewisse Anhaltspunkte bot - vgl. § 228 S.2 BGB einerseits, § 54 StGB a. F. andererseits -, wird z. B. in RGSt 61, 242 (255) und bei Broglio, Der strafrechtliche Notstand im Lichte der Strafrechtsreform, S. 53 ff., formuliert. In dieser Richtung neuerdings wieder Hruschka, JR 1979, 125 f. Vgl. auch bereits Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 138; Neubecker, Zwang und Notstand in rechtsvergleichender Darstellung, S. 330 (der einen solchen Kompromiß allerdings ablehnt), sowie neuerdings Dencker, JuS 1979, 780. 29 Aus Vereinfachungs gründen wird im Text davon ausgegangen, daß der Notstandstäter mit dem Träger des gefährdeten Rechtsgutes identisch ist. Zu den bei "altruistischen" Notstandshandlungen (Nothilfe) entstehenden Problemen vgl. die Hinweise oben Fußn. 17 und näher unten S. 108 ff., 151 ff. 30 Vgl. schon Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. 1, S. 777, ferner Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 136, 140; Oetker, VDA Bd. 2, 1908, S. 343 f. 31 So bereits Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. 1, S. 777 ("in zurechenbarer Weise Ursache sein"). Daß der Begriff des "Verschuldens", dessen Verwendung sich historisch erklärt - vgl. z. B. die übersicht bei Janka, Der strafrechtliche Notstand, S. 248 ff., sowie § 54 5tGB a. F. und § 228 5. 2 BGB -, mit "Schuld" im heutigen strafrechtsdogmatischen Sinn nichts zu tun hat, liegt auf der Hand. Der "untechnische" Charakter des Ausdrucks ist oft hervorgehoben worden, vgl. etwa Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 78 f.; Oetker, VDA Bd.2, 1908, S. 344 und Festgabe für Frank, Bd. 1, 1930, S. 376; H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 39; mißverständlich Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 141.
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11. Das Problem des "verschuldeten" rechtfertigenden Notstandes
b) "Obj.ekt-", "Form-" und "Einordnungsproblem"
Die Zweifel beginnen indes bei der näheren Bestimmung ihres Bezugsobjekts. Das Verschulden kann bereits auf die "Gefahr" (Selbstgefährdung), aber auch auf die "Interessenkollision" bezogen werden: die Notwendigkeit, zur Gefahrabwehr ein fremdes Rechtsgut zu verletzen ("verschuldeter Notstand" im strengen Sinn)32. Auf der Basis der zweiten Verschuldensvariante läßt sich dann möglicherweise ein Zurechnungskonnex zwischen dem Vorverhalten und der notstandsbedingten Tatbestandsverwirklichung - nicht nur der Notstandslage - begründen. Diese Problematik des Verschuldens-"objekts" überschneidet sich mit den Differenzierungen der Verschuldens-"form", die aus der jeweiligen Modalität der Vorhandlung resultieren: Bezogen auf Gefahr, Interessenkollision oder Deliktstatbestand kehrt hier die gesamte Skala zurechenbarer Verhaltensformen wieder, von der "Absicht" bis zur "Fahrlässigkeit". Beide Komplexe - Objekt- und Formproblem aber kreuzen sich schließlich mit einer dritten Perspektive, der Frage nach dem adäquaten dogmatischen Ort für mögliche Konsequenzen des Verschuldens ("Einordnungsproblem")33. Zwei grundsätzliche überlegungen, denen man in der Literatur und - andeutungsweise - auch in der Rechtsprechung immer wieder begegnet, bieten sich für diese Ortsbestimmung an. Die eine geht dahin, daß in die Beurteilung der Notstandstat auch die "schuldhafte" Herbeiführung der Gefahren- oder Kollisionslage einzubeziehen ist34 ; das Vorverhalten gehört danach zum Material der konfliktregulierenden Ent32 Zu dieser Unterscheidung vgl. z. B. Baumgarten, Notstand und Notwehr, S. 48; Frank, StGB, § 54 Anm. I, 5; Goldschmidt, Der Notstand, ein Schuldproblem, S. 134 Fußn. 17; Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 139 f.; R. MerkeI, Die Kollision rechtmäßiger Interessen, S.81; Oetker, VDA Bd.2, 1908, S.344; H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 39, jew. mit weit. Literaturangaben. - Von Frank stammt die prägnanteste Definition des "notstandsbezogenen" Verschuldens: "Der Notstand ist verschuldet, wenn der Gefährdete die Notwendigkeit, zur Abwendung einer Gefahr ein fremdes Rechtsgut zu verletzen, selbst verursacht und vorausgesehen hat oder bei der von ihm billigerweise zu erwartenden Aufmerksamkeit hätte voraussehen können, so daß billigerweise die Vermeidung jener Notwendigkeit von ihm zu erwarten war." 33 Daß es diesen dogmatischen Ort - nach geltendem Recht - gibt, das Verschulden also irgendwie "berücksichtigt" werden kann, ist allerdings auch bestritten worden, so z. B. von Neubecker, Zwang und Notstand in rechtsvergleichender Darstellung, S. 323 ff.; H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 39 ff., 41; neuerdings wieder von Hruschka, JR 1979, 126 ff. 34 In dieser Richtung Blei, Strafrecht, Allg. Teil, S. 141 f.; Dencker, JuS 1979,780 f.; Dreher / Tröndle, § 34 Rdnr. 15; Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 135 ff., 139; Hirsch in LK, 9. Aufl. 1974, § 51 Vorbem. 63; Hubmann, AcP 155 (1956), S. 117 ff.; Kienapfel, ÖJZ 1975, 427; Küper, JZ 1976, 518; Lackner, § 34 Anm. 2 a. Siehe auch oben Fußn. 18. Aus der Rechtsprechung vgl. BGHSt 3, 7 (10); BGH, NJW 1976, 681; OLG Stuttgart, DB 1977,347.
2. Verschulden und "Gefahrtragungspflicht"
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scheidung, die nach § 34 StGB über die spätere, "in Gefahr" begangene Handlung - und für diesen Zeitpunkt - getroffen wird ("Lösung auf der Notstandsebene"). Bei diesem Ausgangspunkt bliebe dann noch zu klären, ob man es mit einem Problem der "Interessenabwägung" oder der "Angemessenheit" zu tun haf!5. Die zweite, zu diesem Ansatz nicht notwendig in Widerspruch stehende Erwägung erklärt in den Verschuldensfällen die Veranlassungshandlung zur maßgeblichen Grundlage des Rechtswidrigkeitsurteils; sie postuliert von hier aus die Möglichkeit, im Rückgang auf den Zeitpunkt der Konfliktsbegründung und die dort anzutreffende "Verschuldensform" das Verhalten des Notstandstäters auch dann als "letzten Endes" (in causa) rechtswidrig zu qualifizieren, wenn es nach den Kriterien des rechtfertigenden Notstandes erlaubt ist ("Lösung auf der Veranlassungsebene"; "actio illicita in causa")36. 2. Verschulden als Quelle einer "Gefahrtragungspfticht"? a) Die Verwirkungsthese und ihre Kritik
Die alte These, daß verschuldete Not eine "Gefahrtragungspflicht" begründe37 , ist der radikalste Versuch, das Einordnungsproblem nach 35 Für die Zuordnung zur Angemessenheitsklausel z. B. Dreher I Tröndle, § 34 Rdnr. 15; Grebing, GA 1979, 93; Kienapfel, ÖJZ 1975, 427 und JR 1977, 28; R. Lange, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 274 mit Fußn. 46. - Für die
Einordnung in die Interessenabwägung dagegen die unten Fußn. 56 zitierten Autoren. Lenckner (in Schönke I Schröder, § 34 Rdnr. 42) berücksichtigt die schuldhafte Herbeiführung des Notstandes neuerdings im Rahmen der "Erforderlichkeit", lehnt aber im übrigen die Einbeziehung in die Interessenbewertung ab. 36 So Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, S. 356 i. V. m. S. 304 ff.; Dencker, JuS 1979, 781 ff.; Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 141 f.; Hirsch, LK, 9. Aufl. 1974, § 51 Vorbem. 63; Kohlrausch I Lange, vor § 51 Anm. II 2 a. E.; Lackner, § 34 Anm. 2 a; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 104 f. mit Fußn. 84, 85 sowie in Schönke I Schröder, § 34 Rdnr. 42; Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 360 mit Fußn. 56. Dencker und neuerdings auch Schönke I Schröder I Lenckner (im Gegensatz zur Vorauflage) beschränken die "actio illicita in causa" allerdings auf "reine Erfolgsdelikte" . - Aus der älteren Literatur vgl. von Bar, Gesetz und Schuld, Bd. 3, S. 267 (für die "dolose" Herbeiführung des Notstandes); Göb, GA 28 (1880), S. 192 f. (für fahrlässige Veranlassung); Janka, Der strafrechtliche Notstand, S. 252 f. (für "doloses" und "kulposes" Vorverhalten); Stammler, Strafrechtliche Bedeutung des Nothstandes, S. 68 ff. (für vorsätzliches und fahrlässiges Vorverhalten). Vgl. auch Broglio, Der strafrechtliche Notstand im Lichte der Strafrechtsreform, S. 9, 53. - Aus der Rechtsprechung vgl. BGH, VRS 36 (1969) 25 (andeutungsweise); BayObLG, JR 1979, 124 f., sowie vor allem OLG Hamm, VM 1970, 86 (87). Aus der zivil rechtlichen Literatur vgl. N. Horn, JZ 1960, 353 f.; Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, S. 36 f. - Die kürzlich erschienene Dissertation von Constadinidis, Die "actio illicita in causa", 1982, nimmt trotz ihres weit gefaBten Titels nicht zur "actio illicita" beim rechtfertigenden Notstand Stellung. Sie beschränkt sich auf Notwehrfragen. Diese Arbeit wurde mir erst nach Abschluß des Manuskripts zugänglich. 37 Vgl. oben bei und in Fußn. 18.
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11. Das Problem des "verschuldeten" rechtfertigenden Notstandes
der zuerst genannten Methode zu lösen. Da diese These auf ein von der Notstandssituation unabhängiges Pflichtsubstrat, wie es die sonstigen Notpflichten charakterisiert38, nicht verweisen kann und in Wahrheit auch keine bloße "Risiko-", sondern eine echte "Aufopferungspflicht" meint39, handelt es sich im Grunde um die tautologische Umschreibung einer Art "Verwirkung" des Notstandes. Die behauptete "Pflicht, die Gefahr über sich ergehen zu lassen"4O, ist nur ein anderer Ausdruck dafür, daß "die Handlung ihrem Wesen nach so zu beurteilen" sei, "als läge hier überhaupt kein Notstand vor"41. Die Literatur hat an dieser extremen Position42 vor allem die Befremdlichkeit ihrer praktischen Ergebnisse kritisiert und daran demonstriert, daß das bloße Faktum des "Verschuldens" - wie immer man sein Bezugsobjekt definiere43 derart weitgehende Folgerungen nicht gestatte44 : "So kann es dem Bergsteiger" - schreibt z. B. Lenckner - "nicht deshalb verwehrt sein, zum Schutz vor schweren Erfrierungen in eine Berghütte einzudringen, weil er sich, mangelhaft ausgerüstet und entgegen den Warnungen anderer, leichtfertig in diese Situation begeben hat."45 Oder soll er etwa, "wenn nun ein Unwetter heraufzieht", das ihn in Lebensgefahr bringt, "sein leichtsinniges Verhalten sogar mit dem Tode büßen" müssen?46 "Man sieht:" - so resümiert Henkel den Ertrag aus der Betrachtung solcher und anderer Beispiele - "die Regelung des verschuldeten Notstandes läßt sich nicht auf die einfache Formel bringen, Verschuldung der Not habe die Pflicht zum Bestehen des Notstandes zur Folge. Legt man sich auf diesen Grundsatz fest, so kommt man nicht ohne bedeutsame Einschränkungen aus, deren Abgrenzung dann aber eine mehr oder weniger willkürliche werden muß. Es liegt in diesem Grundsatz 38 Vgl. Küper, JZ 1980, 755 ff.; Oetker, VDA Bd.2, 1908, S. 370: "Die Notpflicht ist immer Konsequenz einer weitergehenden Pflicht, deren Erfüllung auch in der Notlage verlangt wird." 39 Zum Unterschied vgl. Küper, JZ 1980, 756, mit weit. Nachw. 40 Oetker, VDA Bd. 2, 1908, S. 344. 41 Von Bar, Gesetz und Schuld, Bd. 3, S. 266. 42 Sie ist niemals näher begründet worden. Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. 1, S. 778, berief sich auf die Maxime: "Wer sich in Gefahr begeben hat, komme darin um." 43 Zu diesem Punkt besonders Broglio, Der strafrechtliche Notstand im Lichte der Strafrechtsreform, S. 9, und H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 39, die es für gleichgültig erklären, ob das Verschulden auf die "Gefahr" oder auf den "Notstand" bezogen werde. 44 Vgl. etwa Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 136 f.; Neubecker, Zwang und Notstand in rechtsvergleichender Darstellung, S. 325 ff.; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 103 f.; H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 39 ff. Vgl. auch Hruschka, JR 1979, 126. 45 Vgl. Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 104 (dort weitere Beispiele). 46 Vgl. Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 137, mit weit. Beispielen.
2. Verschulden und "Gefahrtragungspflicht"
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letzten Endes eine überspannung der an den Bedrängten zu stellenden Anforderungen, die zu ungerechten Entscheidungen führt."47 b) Weitere Einwände
Man braucht indes bei pragmatisch-fallbezogenen, vorwiegend am Rechtsgefühl orientierten Bedenken dieser Art nicht stehen zu bleiben; sie sind nur der Reflex eines prinzipiellen Einwandes. Die These von der absolut "rechtfertigungsfeindlichen" Wirkung des Verschuldens beruht auf der unausgesprochenen Voraussetzung, daß jedes "schuldhafte" Vorverhalten die unmittelbar aus der Notstandssituation ableitbaren Konfliktlösungskriterien zwangsläufig und definitiv zum Nachteil des Täters verändert: Die "im Notstand" anzutreffenden positiven Vorzugstendenzen48 , auf die an sich eine Rechtfertigung des Eingriffs gestützt werden könnte, sollen danach durch die Einbeziehung der zurechenbaren Veranlassung stets neutralisiert oder doch in ihrer Valenz soweit abgeschwächt werden, daß sie ein für den Täter günstiges Ergebnis nicht mehr zulassen. Dies wäre jedoch selbst dann, wenn das Verschulden auf die Herbeiführung des Notstandes - nicht nur der Gefahr - bezogen wird49 , eine geradezu willkürliche, theoretisch gar nicht begründbare Annahme. Sie widerspricht der komplexen und sozusagen beweglichen Struktur des Wert-Unwert-Gefüges, das mit der (verschuldeten) Güterkollision entsteht. Denn einerseits haben die "im Notstand" in Konflikt geratenen Werte schon für sich betrachtet ein von Fall zu Fall höchst unterschiedliches Gewicht; sie erzeugen gleichsam verschieden starke "Erlaubnis-" und "Verbotstendenzen" , die sich wechselseitig relativieren. Erweitert man diese Beurteilungsbasis - andererseits - um das "Verschulden", das solche variablen Konstellationen auslöst und sich wiederum in verschiedene "Formen" differenziert, so repräsentiert es ebenfalls nur eine relative, keineswegs aber eine absolute Unwertgröße, von der gesagt werden könnte, daß sie in der Gesamtbilanz immer dominiert. Eine Berücksichtigung des Vorverhaltens mag dieser Bilanz, wovon noch die Rede sein wird, neue, tendenziell negative Bewertungsfaktoren zuführen. Doch wäre es pure Spekulation, daraus zu folgern, daß diese zusätzlichen Unwertelemente eine Rechtfertigung, die bei isolierter Betrachtung der Kollisionslage möglich erscheint, mit Notwendigkeit ausschließen.
Henkel, S. 137. Vgl. Hubmann, AcP 155 (1956), S. 92; Lenckner, Der rechtfertigende stand, S. 89 f.; Schönke I Schröder I Lenckner, § 34 Rdnr. 22. 49 Vgl. oben bei Fußn. 32. ~
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Not-
III. "Verschuldeter" Notstand und Interessenabwägung 1. Bisherige Ansätze in der Literatur Bestätigt sich insofern die Maxime der herrschenden Auffassung, daß "Unverschuldetheit" nicht schlechthin eine (negative) Voraussetzung der in § 34 StGB normierten Erlaubnis ist, so bleibt freilich die - damit noch nicht beantwortete - Frage, ob und inwiefern ein "Verschulden" die Beurteilung der Notstandshandlung überhaupt zu beeinflussen vermag. Muß vielleicht das "schuldhafte" Vorverhalten auf dieser Reflexionsebene als Bewertungsfaktor sogar ganz ausscheiden, so daß es allein auf die Kriterien ankommt, die sich aus der späteren Notstandssituation ergeben?sO - Bereits bei Henkel, der das Problem in der älteren Literatur am ausführlichsten behandelt hat, findet sich der bemerkenswerte Hinweis, daß es "eine Einseitigkeit" wäre, wenn man "der Verschuldung gar keine Bedeutung beimessen wollte". "Es ist durchaus nicht gleichgültig", schreibt er, "welche Umstände die Notlage herbeigeführt haben. Ist eine Person ohne ihr Verschulden in Not geraten, so mag ihr zur Wahrung eines weitaus überwiegenden Interesses ein Notrecht gewährt sein. Hat aber der Notstandstäter sich die Not selbst zuzuschreiben, so braucht die Rechtsordnung durchaus nicht auf seine Seite zu treten und seinem Rechtsgut besonderen Schutz zu verleihen". Die gerechte Lösung besteht deshalb für Henkel in einem "Mittelweg": "Das Verschulden des Bedrängten51 ist bei der Interessenabwägung zu seinen Ungunsten in die Waagschale zu werfen."52 Eine ähnliche überlegung stellt Lenckner in Frageform zur Diskussion: "Hat sich der Bedrohte in vorwerfbarer, vielleicht geradezu frivoler Weise in eine Zwangslage begeben, in der er die Gefahr nur noch auf Kosten eines unbeteiligten Dritten abwenden kann, warum sollte dann nicht auch angenommen werden können, daß seine Güter weniger schutzso In dieser Richtung bereits Neubecker, Zwang und Notstand in rechtsvergleichender Darstellung, S. 330 f.; H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 39 ff., 41; neuerdings wieder Hruschka, JR 1979, 126. Zur älteren Literatur vgl. auch die Hinweise bei Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 137 Fußn. 2, 3. 51 Gemeint ist der in Gefahr Geratene. 52 Vgl. Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 137, 139. So auch schon R. Merkel, Die Kollision rechtmäßiger Interessen, S. 81 ff., 82 f.
2. Interessenabwägung und "verschuldete Gefahr"
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würdig seien als die des anderen?"53 Der Autor verzichtet dann allerdings auf eine endgültige Beantwortung der Frage; er zieht sich auf die - sicherlich richtige, aber in diesem Zusammenhang nicht weiterführende - Aussage zurück, daß solches Verschulden die Rechtfertigung der Notstandstat keineswegs generell ausschließe. Bezeichnenderweise fügt er hinzu: "Ob dies freilich eine Regel ohne Ausnahme ist, kann immerhin zweifelhaft sein."54 Entschiedener hat sich in der neueren Literatur dagegen z. B. Blei geäußert: Beim rechtfertigenden Notstand sei jeweils zu fragen, "auf welcher Seite und mit welchem Gewicht" das "Verschulden der Gefahrlage auf Durchsetzungs- und Erhaltungswert der beteiligten Güter einwirkt"55. Inzwischen wächst die Zahl der Stimmen, die eine Berücksichtigung des Verschuldens bei der Interessenabwägung empfehlen oder doch für möglich halten56 • Dencker bezeichnet diese Auffassung sogar als "herrschende Meinung"57. 2. Interessenabwägung und "verschuldete Gefahr" (primäres Bezugsobjekt) a) Die Minderung der Schutzwürdigkeit als Folge verschuldeter Gefahrbegründung
Tatsächlich bestehen gegen die Einbeziehung des "schuldhaften" Vorverhaltens in den Kreis der Interessenabwägungsfaktoren keine prinzipiellen Bedenken. Konstruktiv ist diese Eingliederung, für die das bei Henkel und Lenckner anklingende Postulat individueller Fallgerechtigkeit spricht, bereits unter dem Aspekt des logisch primären "Verschuldensobjekts" - der zurechenbaren Gefahrbegründung (Selbstgefährdung) - möglich; hierbei bleibt das weitergehende, spezifisch "notstandsbezogene" Verschulden58 vorläufig außer Betracht. Zwar gilt auch aus dieser Sicht zunächst (und erst recht), was schon in anderem Zu53 Vgl. Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 103. 54 Vgl. Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 104. - Die dort folgenden Bemerkungen (S. 105) machen deutlich, daß der Autor einer Lösung auf der "Veranlassungsebene" den Vorzug gibt. In Schönke I Schröder, § 34 Rdnr. 42, wird dies noch schärfer hervorgehoben. Allerdings läßt Lenckner neuerdings eine Berücksichtigung des Verschuldens bei der Erforderlichkeitsfrage zu. 55 Vgl. Blei, Strafrecht, Allg. Teil, S. 152. 56 Vgl. Dencker, JuS 1979, 780 f.; Hirsch, LK, 9. Auf!. 1974, § 51 Vorbem. 63; Hubmann, AcP 155 (1956), S. 117 f.; Küper, JZ 1976, 518 f.; Lackner, § 34 Anm. 2 a; atto, Grundkurs Strafrecht, S. 112. Vgl. - in einem speziellen Zusammenhang - auch aito, Festschrift für Würtenberger, 1977, S. 144; U. Weber, Festgabe für von Lübtow, 1980, S. 768. 57 Vgl. Dencker, JuS 1979, 780. 58 Vgl. oben bei Fußn. 32.
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IH. "Verschuldeter" Notstand und Interessenabwägung
sammenhang, bei der Kritik der "Verwirkungsthese" , deutlich wurde59 : Der "Verstoß" des Täters gegen seine eigenen Interessen60 , der in der voraussehbaren oder sogar bewußten Herbeiführung einer akuten Gefahr für das "Erhaltungsgut" liegt, vermag dessen Schutzwürdigkeit weder gänzlich aufzuheben noch derart zu reduzieren, daß dem kollidierenden "Eingriffsgut"61 stets die Priorität zukommt. Doch schließt dies nicht aus, daß ein gewisser Einfluß des Verschuldens auf das jeweilige Gewicht der mit der Notstandstat geschützten Interessen anerkannt, eine relative Minderung ihres "Erhaltungswerts" (Bleif'2 angenommen werden kann, die bei der Abwägung zu berücksichtigen ist. Freilich: "Selbstgefährdung"63 ist weder verboten noch - für sich genommen - sozial-ethisch unwertig, weil sich der Handelnde damit innerhalb seiner von der Rechtsordnung anerkannten Freiheitssphäre bewegt64 • Wird die insofern legitim geschaffene Eigengefahr jedoch zur Quelle eines Rechtsgüterkonflikts, bei dem es nunmehr darum geht, ob zur Erhaltung des bedrohten Gutes in einen vom (Straf-) Recht geschützten Interessenkreis eingegriffen, jene Freiheitssphäre zu Lasten fremder Schutzobjekte erweitert werden darf, so erhält die zurechenbare Gefahrverursachung "wegen ihrer Wirkung auf andere" eine veränderte "soziale Bedeutung"65, die bei der Konfliktlösung nicht ignoriert werden kann. Denn jetzt steht nicht mehr nur die Legitimität des "freien" Umgangs mit den eigenen Gütern in Frage, sondern zugleich - als deren Kehrseite - die erhöhte Verantwortung, die daraus für den Urheber der Gefahr erwächst, sobald er zur Befriedigung seiner Interessen (Rechtsgutserhaltung) auf die Solidarität anderer Rechtsguts59 Vgl. oben S. 21 ff. 60 Vgl. auch oben Fußn. 29. 61 Die Terminologie "Eingriffsgut" / "Erhaltungsgut" habe ich in JZ 1976, 516 vorgeschlagen. Sie ist inzwischen übernommen worden z. B. von Dencker, JuS 1979, 779; Lackner, § 34 Anm. 2 c; WesseIs, Strafrecht, Allg. Teil, S.73. Vgl. auch Schänke / Schräder / Lenckner, § 34 Rdnr. 23. 62 Vgl. oben bei Fußn. 55. 63 Hier im weitesten Sinne verstanden: als Gefährdung eigener Rechtsgüter überhaupt, nicht nur der eigenen Person. 64 Ob es in Grenzbereichen, etwa beim Rechtsgut des eigenen Lebens, eine "Rechtspflicht zur Selbsterhaltung" gibt (vgl. Schmidhäuser, Festschrift für Welzel, 1974, S. 815 ff., 817 f.; Strafrecht, Allg. Teil, S. 461, 690), aus der ein entsprechendes Gefährdungsverbot abgeleitet werden könnte, darf hier außer Betracht bleiben. Vgl. dazu auch Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, S. 91 Fußn.216. 65 So bereits H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 41, der jedoch keine Möglichkeit sieht, diese "soziale Bedeutung" rechtlich einzufangen, weil er voreilig unterstellt, daß ihre Berücksichtigung dann immer zum "Ausschluß" des Notstandes führe und dazu zwinge, die "Herbeiführung einer Gefahr" mit "dem Strafrahmen der Nottat" zu ahnden. Das gleiche Mißverständnis bei Neubecker, Zwang und Notstand in rechtsvergleichender Darstellung, S. 330 f.
2. Interessenabwägung und "verschuldete Gefahr"
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träger angewiesen ist66 • Von hier aus leuchtet ein, daß er diese Solidarität, die im Notstandsfall in einem unfreiwilligen Opfer bestehfi7, nicht in demselben Maße in Anspruch nehmen kann wie jemand, der - ceteris paribus - "unverschuldet" und zufällig in Bedrängnis geraten ist. Dementsprechend mindert sich, auf der "Erhaltungsseite" der Interessenbilanz, die konkrete Schutzwürdigkeit des in Gefahr gebrachten Gutes68 • Wollte man vom Vorgang der Gefahrbegründung absehen und die Beurteilung auf die daraus entstandene Kollisionslage beschränken69 , so würde dieser Verantwortungs aspekt ohne sachlichen Grund ausgeblendet. Das liefe auf eine dem Gerechtigkeitsprinzip widersprechende Nivellierung wesentlich ungleicher Sachverhalte hinaus, die gerade im Bereich der Interessenabwägung, bei der "eine umfassende Würdigung 66 Bereits Graf zu Dohna, Die Rechtswidrigkeit, S. 128, hat darauf hingewiesen, daß primärer Ansatzpunkt für die Beurteilung jeder Notstandssituation die Eigenverantwortung der in Gefahr geratenen Person sein muß. Den "Anforderungen der sozialen Gemeinschaft" entspreche die - bei der Abwägung stets mitzureflektierende - Ausgangsmaxime: "Es ist ein jeder gehalten, einen ihm drohenden Schaden auf sich zu nehmen, und nicht berechtigt, ihn auf einen unbeteiligten Dritten abzuwälzen" (ebenso Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 85; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 111). Um so mehr muß dieser Grundsatz gelten, wenn der Gefährdete sich den "drohenden Schaden" selbst zuzuschreiben hat! Vgl. auch Küper, JZ 1976, 518. 67 Zum "Sonderopfer" des von einer gerechtfertigten Notstandshandlung Betroffenen vgl. schon von Buri, GS 30 (1878), S. 435 f., und Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 85 f.; ferner etwa Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 112; Schröder, SchwZStr 76 (1960), S. 9 f.; Stratenwerth, ZStW 68 (1956), S. 51. 68 In der Sache übereinstimmend Dencker, JuS 1979, 780 f., der allerdings einen anderen, indirekten Begründungsweg geht und von der "Eingriffsseite" her argumentiert: Der unterschiedliche Proportionalitätsmaßstab beim aggressiven und defensiven Notstand (§§ 904, 228 BGB) zeige, "daß auf der Eingriffsseite ein - ceteris paribus - um so höheres Maß an Schädigungen erlaubt sein kann, je intensiver (?) die Zurechnung der Kollisionslage zur Eingriffsseite möglich ist." Dies müsse dann aber "umgekehrt auch für die Erhaltungsseite gelten, da eine Lösung der Kollisionsfragen sonst notwendig wertmäßig inkonsistent würde" (vgl. auch Blei, Strafrecht, Allg. Teil, S. 151 f.). - Die Begründung ist mit der im Text gegebenen, unmittelbar auf der "Erhaltungsseite" ansetzenden, durchaus vereinbar. Sie enthält außerdem den zutreffenden Hinweis, daß bei relevanten Abwägungsfaktoren stets beide Seiten der Interessenbilanz gesehen werden müssen (vgl. Küper, JZ 1980, 756 f.). Fraglich ist indessen, ob sich aus dem Verhältnis von § 228 und § 904 BGB überhaupt etwas für die "Verschuldensfrage" ableiten läßt: § 228 BGB setzt ja keinerlei Zurechnung (Voraussehbarkeit oder Voraussicht) der Gefahrbegründung voraus, sondern knüpft schlicht an die Tatsache an, daß mit der Notstandshandlung - defensiv - in die Gütersphäre eingegriffen wird, aus der die Gefahr droht. Für diese Situation gibt es andererseits auf der "Erhaltungsseite" kein Pendant. 69 So ganz dezidiert z. B. Neubecker, Zwang und Notstand in rechtsvergleichender Darstellung, S. 330 f., und H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 41; zuletzt wieder Hruschka, JR 1979, 126, GA 1981, 248 (dazu sogleich im Text).
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III. "Verschuldeter" Notstand und Interessenabwägung
aller Umstände des konkreten Falles" geboten ist70, nicht erträglich wäre71 • b) Auseinandersetzung mit Einwänden
aa) Interessenabwägung als verschuldensneutrale "Verrechnung"? Deshalb muß Hruschka widersprochen werden, der neuerdings sehr pointiert die Auffassung vertreten hat, daß beim "Kosten-NutzenKalkül" der Interessenabwägung nur danach gefragt werde, "wie man aus der bedrohlichen Situation mit möglichst geringem Aufwand wieder hinauskommt", nicht aber, wie die "Interessen in die Situation hineingeraten sind": Weil das "utilitaristische Prinzip der Interessenverrechnung"72 allein "auf den größten Nutzen bei den geringsten Kosten" abstelle, sei es belanglos, "ob der Bedrohte für die Gefahr, in der sich sein Interesse befindet, verantwortlich ist oder nicht".73 Wie bereits die Terminologie ("Verrechnung", "Kosten-Nutzen-Kalkül") erkennen läßt, wird hier die Regelung des § 34 StGB 74 zu formal und zu einseitig ökonomisch-mathematisch verstanden. Es geht bei der Interessenabwägung nicht um eine "Verrechnung" der Interessen nach Art einer Kontoführung, sondern um eine normative Präferenzentscheidung über die Vorzugswürdigkeit in der konkreten Situation und damit um eine axiologische Frage, der mit quasi-ökonomischen Erwägungen über "Kosten" und "Nutzen" nicht beizukommen ist75. Eine "utilitaristische Interessenverrechnung", wie sie Hruschka vorschwebt, könnte so wesent70 Vgl. Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 89 f., und in gleicher Richtung etwa Hirsch, LK, 9. Aufl. 1974, § 51 Vorbem. 72; Hubmann, AcP 155 (1956), S. 92; H. Mayer, Strafrecht, Allg. Teil, S. 89; Mezger, GS 89 (1924), S. 314; Samson, SK, Bd. 1, § 34 Rdnr. 3. 71 Daher gelten für den rechtfertigenden Notstand die methodologischen Bedenken nicht, die unlängst Hassemer gegen die Möglichkeit angemeldet hat, aus dem Vorverhalten des Täters Einschränkungen des Notwehrrechts abzuleiten (Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 225 ff.). Ein "reduziertes und einfach zu handhabendes Interpunktionsschema" , wie es nach Hassemers Ansicht der Notwehrregelung zugrunde liegt (S. 234 ff., 243 f.), läßt § 34 StGB nicht erkennen. Als nur verbale Positivierung "übergesetzlicher" Prinzipien ist die Vorschrift geradezu das Gegenbeispiel für ein festes "kodifikatorisches Entscheidungsprogramm" , welches die Regression in ein "vorpositives Stadium" der Argumentation (S. 227) verbieten könnte! 72 Dazu auch Hruschka, JuS 1979,388 ff., 390; GA 1981,248. 73 Vgl. Hruschka, JR 1979,126. - Hierbei geht es Hruschka freilich, wie nicht verkannt werden soll, in erster Linie um den Nachweis, daß die Notstandsrechtfertigung nicht generell vom "Unverschuldetsein" abhängig gemacht werden kann. Darin ist ihm, aus den schon dargelegten Gründen, durchaus zuzustimmen. Doch stellt er zugleich die grundsätzliche Möglichkeit in Frage, das Verschulden bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Dagegen richtet sich die folgende Kritik. Vgl. auch unten Fußn. 464. 74 Die übrigens nach Hruschkas eigener Auffassung das "Verrechnungssystem" nicht streng durchführt (JuS 1979, 390). 75 Gegen solche Vorstellungen schon Schröder, SchwZStr 76 (1960), S. 9. Vgl. auch Welzel, ZStW 58 (1939), S. 535.
2. Interessenabwägung und "verschuldete Gefahr"
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liche Aspekte wie die Gefahrtragungspflicht76 und die prinzipielle Eigenverantwortlichkeitn gar nicht erfassen. Im übrigen: Wonach sollte der "größte Nutzen bei geringsten Kosten" bestimmt werden, und welcher Nutzen ist überhaupt gemeint: der Nutzen für den einzelnen, für die Rechtsgemeinschaft?78 Selbst wenn man sich jedoch auf die ökonomische Analogie einer Kosten-Nutzen-Rechnung einläßt - woraus ergibt sich, daß es für die juristisch relevante Bewertung der "Rechnungsposten" nicht auch auf die Entstehung der Kollisionslage, sondern nur auf ihr Ergebnis ankommt? Irgendein Sachargument in dieser Richtung enthält Hruschkas These nicht!
bb) Korrespondenzverhältnis zwischen "Rettungsduldungs-" und "Rettungshandlungspflicht" ? Bemerkenswerter ist ein weiterer Einwand Hruschkas gegen die Berücksichtigung des "Gefahrverschuldens" bei der Interessenabwägung: Die in § 323 c (früher § 330 c) StGB normierte "Rettungshandlungspflicht" bestehe unabhängig davon, ob der Verunglückte die Gefahr selbst zurechenbar herbeigeführt habe; für die korrespondierende "Rettungsduldungspflicht" des von einer Notstandstat Betroffenen könne dann aber, solle ein "immanenter Wertungswiderspruch" vermieden werden, nichts anderes gelten79. Die Argumentationsbasis dieses Einwandes ist indessen derart unsicher, daß er zur Klärung des Verschuldensproblems im Bezirk des rechtfertigenden Notstandes nichts beiträgt. Er überzeugt vor allem aus zwei Gründen nicht: Erstens setzt er ein Korrespondenzverhältnis der jeweiligen Pflichten und der sie erzeugenden "Tatbestände" (§ 34 StGB einerseits, § 323 c StGB andererseits) voraus, das trotz der subtilen überlegungen, die der Autor in anderem Zusammenhang darauf verwandt hatSO, jedenfalls in der behaupteten Stringenz äußerst problematisch ist. Ganz abgesehen von den Fragen, die das Moment zurechenbarer Gefahrbegründung bereits beim Merkmal "Unglücksfall" aufwirft (Selbstmordversuch, Hun76 Vgl. oben bei Fußn. 8, 9. n Vgl. oben bei und in Fußn. 66. 78 Zu dem Gedanken Sauers, daß es darauf ankomme, ob die Tat "der staatlichen Gemeinschaft mehr Nutzen als Schaden gewährt" (Allgemeine Strafrechtslehre, S. 56) vgl. schon die Kritik von Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 83 f.; ferner Schröder, SchwZStr 76 (1960), S. 9. 79 Vgl. Hruschka, JR 1979, 126; vgl. auch GA 1981,241. so Vgl. Hruschka, JuS 1979, 390 f. - Zur Beziehung zwischen § 34 StGB und § 323 c StGB vgl. auch bereits Schröder, SchwZStr 76 (1960), S. 10 f. Zur ähn-
lichen Problematik beim unechten Unterlassungsdelikt vgl. Küper, Grundund Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, S. 90 ff., 101 ff. (Zusammenfassung S. 123 f.).
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111. "Verschuldeter" Notstand und Interessenabwägung
gerstreik)81, ist die Zumutbarkeitsklausel des § 323 c StGB, soweit sie auf der Unrechts ebene ein pflichtbegrenzendes Regulativ darstellt82, nicht als gen aue "Umkehrung" der Interessenabwägungsmaxime strukturiert. Wer in einer Gefahr für einen anderen die erforderliche Hilfe unterläßt, kann kraft "Unzumutbarkeit" auch dann von der Rettungspflicht dispensiert sein, wenn das gefahrbedrohte Interesse im Verhältnis zu demjenigen, welches durch die Hilfeleistung beeinträchtigt werden müßte, "wesentlich überwiegt". Dies liegt daran, daß der Gesetzgeber, wie die ausdrücklichen Unzumutbarkeitsbeispiele zeigen (erhebliche eigene Gefahr, Verletzung wichtiger Pflichten), in § 323 c StGB die Belastungsgrenze relativ niedrig angesetzt hat83 . Die dadurch entstehende Diskrepanz zu der - aus § 34 StGB resultierenden - "Rettungsduldungspflicht" ist gewiß erklärungsbedürftig und vielleicht unbefriedigend84, kann aber nicht geleugnet und qua "Korrespondenzbeziehung" harmonisiert werden. Deshalb sind Rückschlüsse von § 323 c StGB auf den Inhalt des Interessenabwägungsprinzips nicht möglich; dies gilt dann konsequenterweise auch für das Problem, wie sich die "verschuldete Gefahr" auf die Abwägung auswirkt. Doch auch wenn man - zweitens - akzeptiert, daß zwischen "Rettungshandlungs-" und "Rettungsduldungspflicht" ein logisches Korrespondenzverhältnis besteht, das dazu zwingt, die Zumutbarkeitsklausel des § 323 c StGB vom rechtfertigenden Notstand her "inhaltlich aufzufüllen"ss, läßt sich der immanente Wertungswiderspruch, der Hruschka stört, ohne prinzipielle Schwierigkeiten dadurch vermeiden, daß im 81 Vgl. dazu etwa Rudolphi, SK, Bd. 2, § 323 c Rdnr. 8 f., mit weit. Hinweisen zum Streitstand. Aus medizinischer Sicht Spann, Liebhardt und Braun, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 487 ff. 82 Ob und inwieweit sie unrechts- und nicht nur schuldregulierende Funktion hat, ist bekanntlich sehr umstritten. Vgl. dazu aus der umfangreichen Literatur insbes. GaIlas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 270 f.; Naucke, Festschrift für Welzel, 1974, S. 761 ff., 767 ff.; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen und Strafgesetz, S. 90 ff., 95 f.; Vermander, Unfall situation und Hilfspflicht im Rahmen des § 330 c StGB, S. 84 f.; zuletzt FreIlesen, Die Zumutbarkeit der Hilfeleistung, S. 209 und passim. - Dezidiert für bloß entschuldigenden Charakter der Unzumutbarkeit z. B. Rudolphi, SK, Bd. 2, § 323 c Rdnr. 24. 83 Vgl. dazu auch GaIlas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 270 f.; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen und Strafgesetz, S. 98 f.; Vermander, Unfallsituation und Hilfspflicht, S. 82 ff., 93 f. 84 Möglicherweise beruht sie darauf, daß in § 323 c StGB eben nicht bloße "Duldung", sondern eine Tätigkeit verlangt wird, deren Unterlassung ihrerseits strafwürdig sein muß. Außerdem ist zu bedenken, daß die "Rettungshandlungspflicht" zwar auch von der "Erforderlichkeit" abhängt, aber anders als die aus § 34 StGB folgende Duldungspflicht nicht streng an das ultimaratio-Prinzip gebunden ist: Hilfspflichtig ist (vorbehaltlich der Zumutbarkeitsfrage) jeder, der anläßlich des Unglücksfalles zur Rettung einen zweckmäßigen Beitrag leisten kann. 85 Vgl. Hruschka, JuS 1979, 390.
2. Interessenabwägung und "verschuldete Gefahr"
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Rahmen der "Unzumutbarkeit" das Verschulden des Rettungsdestinatärs ebenso mitberücksichtigt wird wie bei der Abwägung der Interessen: als ein für die Zumutbarkeitsfrage beachtlicher Bewertungsfaktor. Warum sollte das nicht möglich sein? Die zurechenbare Gefahrbegründung reduziert und relativiert auch hier die Schutzwürdigkeit des hilfsbedürftigen Rechtsgutes. 86 c) Zurechenbarkeit der Gefahr und sozialetbischer Kontext
Steht nach alledem nichts im Wege, das "schuldhafte" Vorverhalten schon unter dem Aspekt des "Gefahrverschuldens" in die Abwägung zu integrieren, so muß man sich freilich der begrenzten Tragweite dieses Bewertungsfaktors bewußt bleiben; er geht lediglich als negative Tendenz in die Interessenbilanz ein. Die Zurechenbarkeit der Gefahrbegründung87 ist dabei zwar notwendige Basis für die Einbeziehung als Abwägungselement, und die jeweilige Verschuldens-"form" - z. B. Absicht oder bloße Nachlässigkeit - kann als Differenzierungsmaßstab für den Grad reduzierter Schutzwürdigkeit dienen. Doch dürfte, trotz solcher Abstufungsmöglichkeit, die Zurechnungsperspektive allein zu eng sein, um das Gewicht der "verschuldeten Gefahr" im Abwägungskalkül sachgerecht zu bestimmen. Denn diese Perspektive erfaßt nur die Bedingungen und Modalitäten der formalen Verantwortlichkeit für den "Verstoß" gegen die eigenen Interessen, der in der zurechenbaren Herbeiführung einer Gefahrensituation liegt: der TäterB8 hat sich die Notstandsgefahr "selbst zuzuschreiben" 89. Da solche Eigenverantwortlichkeit ihren Einfluß auf die Interessenabwägung aber wesentlich erst dadurch erhält, daß sie im Konfliktsfall über die Erhöhung der sozialen Verantwortung den Solidaritätsanspruch des Erhaltungsgutes - tendenziell- mindert90, darf die Qualität der Grunde für die jeweilige Selbstgefährdung nicht außer Betracht bleiben. In die Abwägung ist daher auch die Frage einzubeziehen, ob der Gefahrverursachung ein anerkennens- oder mißbilligenswerter Zweck zugrunde liegt91. Das "primäre" Vgl. auch Blei, Strafrecht, Allg. Teil, S. 152. Vgl. oben bei Fußn. 30, 3I. 88 Vgl. aber auch oben Fußn. 29. 89 Dazu schon Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 78 f.; Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 140 f.; H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 39. 90 Vgl. oben S. 26 f. Der Begriff "Solidaritätsanspruch" ist freilich mißverständlich, weil ein wirklicher "Anspruch" auf Solidarität überhaupt erst aus einem "überwiegenden Interesse" erwächst. Im vorliegenden Zusammenhang bezeichnet "Solidaritätsanspruch" lediglich die Summe der "positiven Vorzugstendenzen" , die zugunsten eines solchen Anspruchs ins Gewicht fallen. 91 So in der Sache schon von Bar, Gesetz und Schuld, Bd. 3, S. 268, der anmerkt, "daß einerseits jemand in einer ethisch zu billigenden Weise durch 86
1fT
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III. "Verschuldeter" Notstand und Interessenabwägung
Verschuldensmoment ist m. a. W. in einem umfassenden normativsozialethischen Kontext zu sehen, auf dessen genauere Ausarbeitung hier freilich verzichtet werden muß.
3. Interessenabwägung und "verschuldete Kollision" (sekundäres Bezugsobjekt) Darüber hinaus ist "schuldhaftes" Vorverhalten aber auch unter dem Blickwinkel seines "sekundären" Bezugsobjekts, des Notstandes als Rechtsgüterkollision92 , für die Interessenabwägung von Belang. Erkennt man die Relevanz schon der zurechenbaren Gefahrbegründung als Abwägungsfaktor an, so ist es nur konsequent, daß sich die (relative) Schutzwürdigkeit des vom Notstandstäter in Gefahr gebrachten eigenen Rechtsgutes93 weiter reduziert, wenn der Täter zugleich für den Konflikt mit fremden Interessen deshalb verantwortlich ist, weil er auch die Notwendigkeit eines Eingriffs in die strafrechtlich geschützte Sphäre anderer Rechtsgutsträger voraussehen konnte oder sogar eingeplant hat. Denn die bereits aus der Selbstgefährdung resultierende besondere soziale Verantwortung, die den Solidaritätsanspruch94 des "Erhaltungsgutes" entsprechend abschwächt, steigert sich erheblich, sobald der Urheber der Notstandssituation von vornherein in der Lage war, sich auf die Interessenkollision einzurichten, oder sich tatsächlich - in bewußter Antizipation des Konflikts - darauf eingerichtet hat. Die besondere Umstände dazu gedrängt werden kann, eine Gefahr auf sich zu nehmen ... , oder weil ein zu billigendes Interesse ... nicht leicht vernachlässigt werden darf", während andererseits "die übernahme der Gefahr auf geradezu verwerflichen, vielleicht verbrecherischen Motiven beruhen" könne. Fälle der letzteren Art erforderten eine "strenge Beurteilung". - Auch z. B. Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. 1, S. 777; Oetker, Festgabe für Frank, Bd.l, 1930, S. 375 f., VDA Bd.2, 1908, S. 343; Rotering, GA 31 (1883), S. 265; H. von Weber, Das Notstandsproblem, S.39, und in neuerer Zeit Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 104 f. Fußn. 83, haben andeutungsweise darauf hingewiesen, daß es für die Selbstgefährdung einen "zwingenden Grund" oder "berechtigten Anlaß" geben könne. Lenckner will deshalb - freilich im anderen Zusammenhang der "actio illicita in causa" - das Verschulden nur berücksichtigen, wenn sich der Täter ohne solchen "berechtigten Anlaß" in die Notstandssituation begeben hat (ähnlich wohl Binding und Rotering; zu H. von Weber vgl. oben Fußn. 33, 65). Noch weitergehend fordert U. Weber, Festgabe für von Lübtow, 1980, S. 768, für die Einbeziehung der "verschuldeten Gefahrverursachung" in die Interessenabwägung ein "zumindest pflichtwidriges Vorverhalten". Derart apodiktische Einschränkungen dürften indes, abgesehen von der Unbestimmtheit ihrer Voraussetzungen, schon deswegen zu einseitig sein, weil auch der "berechtigte Anlaß" oder die sonstige normative Qualität der Vorhandlung immer nur Abwägungselemente unter vielen darstellen. 92 Vgl. oben bei und in Fußn. 32. 93 Vgl. ergänzend oben Fußn. 29. 94 Vgl. auch oben Fußn. 90.
3. Interessenabwägung und "verschuldete Kollision"
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"Absichtsprovokation"95, bei der die Verletzung fremder Interessen das ausschließliche oder doch dominierende Ziel des Vorverhaltens ist, repräsentiert den Extremfall einer gleichsam "auf Null reduzierten" Schutzwürdigkeit der tätereigenen Gütersphäre: Da hier schon die Gefahrbegründung keinem positiven Zweck dient, sondern nur als Mittel der späteren Rechtsgutsverletzung eingesetzt wird, und der Provokateur die Eingriffssituation mit diesem Ziel planmäßig überdeterminiert, verdient das "Erhaltungsgut" im Konflikt mit kollidierenden Fremdinteressen keinerlei Schutz, mag es auch bei isolierter, die Vorhandlung ausblendender Betrachtung der Notstandslage "an sich" vorzugswürdig erscheinen. Man kann in diesem Fall von einem "Mißbrauch" des Rechtfertigungsgrundes sprechen, weil die Berufung des Täters auf seine Eingriffsbefugnis eine "funktionswidrige" Inanspruchnahme formal 96 gegebener Erlaubnisvoraussetzungen darstellen würde97 • Der Kategorie des "Rechtsmißbrauchs" bedarf es streng genommen indessen nicht, und sie verfehlt eigentlich das Problem98 . Denn dieser Begriff verdeckt den schlichten Sachverhalt, daß die absichtliche Herbeiführung einer Notstandslage auf der "Erhaltungsseite" ein Schutzwürdigkeitsdefizit be95 Sie hat gewisse Ähnlichkeit mit der absichtlich provozierten Notwehrlage. Da beim rechtfertigenden Notstand indes kein "rechtswidriger Angriff" i. S. des § 32 Abs. 2 StGB provoziert wird und außerdem - im Gegensatz zur Notwehr - eine "Ausweichmöglichkeit" stets wahrgenommen werden muß, entfallen die Komplikationen, die sich insoweit aus den Besonderheiten der Notwehrregelung ergeben. Im übrigen errichtet die "geschlossene", übergreifenden Einschränkungen nur schwer zugängliche Tatbestandsjassung der Notwehr Hindernisse für die Einbeziehung des provozierenden Verhaltens, die beim rechtfertigenden Notstand mit seiner offenen Interessenabwägungsklausel entfallen (vgl. auch oben Fußn. 71). Zur kontroversen Beurteilung der absichtlich provozierten Notwehrlage vgl. insbesondere Bertel, ZStW 84 (1975), S. 7 ff., 13; Bockelmann, Festschrift für Honig, 1970, S. 19 ff., 30 ff.; W. Hassemer, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 232 ff., 243; Lenckner, GA 1961, 299 ff., und in: Schönke / Schröder, § 32 Rdnr. 54 ff.; Dtto, Festschrift für Würtenberger, 1977, S. 142 ff.; Roxin, ZStW 75 (1963), S. 558 ff., ZStW 93 (1981), S. 85 ff.; Schöneborn, NStZ 1981, 201 ff., 204 f. 96 D. h. allein im Blick auf die spätere Notstandssituation selbst. 97 Vgl. etwa die überlegung Lenckners, GA 1961, 301 f., zum Rechtsmißbrauch bei absichtlich provozierter Notwehrsituation ("zweckfremder und funktionswidriger Gebrauch", "Pervertierung des Notwehrrechts" durch eine "Verteidigung", die "nur noch Vorwand und Mittel" sei, eine "von Anfang an dolos geplante Verletzung des Angreifers zu ermöglichen"). 98 Im Bereich der Notwehr wird der zur Einschränkung dieses Rechtfertigungsgrundes namentlich von der Rechtsprechung (Nachweise bei Lackner, § 32 Anm. 3 a, aal, z. T. aber auch von der Literatur (vgl. z. B. Roxin, ZStW 75 (1963), S. 556 f., ZStW 93 (1981), S. 78; Wessels, Strafrecht, Allg. Teil, S. 78 f.; Courakis, Zur sozialethischen Begründung der Notwehr, S. 73 ff.) herangezogene Gedanke des "Rechtsmißbrauchs" heute überwiegend abgelehnt. Vgl. dazu etwa Baumann, MDR 1962, 349; Bertel, ZStW 84 (1972), S. 3 f., 19; Krause, Festschrift für Bruns, 1978, S. 79; Marxen, Die "sozialethischen" Grenzen der Notwehr, S.57; Naucke, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 565 ff., 574 f.; Dtto, Festschrift für Würtenberger, 1977, S. 130 ff., 135; Schmidhäuser, Festschrift für Honig, 1970, S. 188 f.; Schumann, JuS 1979, 559 ff., 564. 3 Küper
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IH. "Verschuldeter" Notstand und Interessenabwägung
wirkt, welches ein "überwiegendes Interesse" ausschließt99 • Diese Konstellation ist freilich nicht auf Fälle der "Absichtsprovokation" beschränkt; sie kann im Einzelfall auch vorliegen, wenn der Täter die Notstandssituation nur vorausgesehen hat oder vorhersehen konnte und dieser Umstand im Gesamtkontext aller positiven und negativen Abwägungselemente ein (zweifelsfreies) "überwiegen" seiner Interessen verhindert. 4. Verschuldensproblem und Angemessenheitsklausel
Festzuhalten bleibt somit, daß der "verschuldete Notstand" in erster Linie ein Problem der Interessenabwägung ist. Soweit es um die Frage geht, wie sich das Vorverhalten des Täters auf die Bewertung der späteren, "in Gefahr" begangenen Handlung auswirkt, sind deshalb "Angemessenheits"-erwägungen (§ 34 S. 2 StGB)IOO entbehrlich. Zusätzliche Beurteilungskriterien vermag das Regulativ der Angemessenheit auf diesem Gebiet ersichtlich nicht beizusteuernlOl • Die überlegenheit der "Abwägungslösung" wird auch hier - ähnlich wie beim Fragenkreis der Gefahrtragungspflichtenl02 - zunächst daran deutlich, daß sie eine bessere begriffliche Differenzierung und Systematisierung des Problemkomplexes ermöglicht: Sie vermag - wenigstens - die Wirkungsweise des "Verschuldens" und seinen (zweifachen) dogmatischen Ort im Gefüge der Interessenkollision genauer anzugeben; "verschuldete Gefahr" und "verschuldeter Notstand" können über den Leitgedanken der "gesteigerten sozialen Verantwortung", mit der Konsequenz einer Minderung des Solidaritätsanspruchs, zur Schutzwürdigkeit des Erhaltungsgutes in Beziehung gesetzt und so als negative Abwägungsmomente begriffen werden. Daß diese Faktoren, abgesehen vom Extremfall der Absichtsprovokation, stets nur tendenziell wirken, durch gegenläufige positive Elemente relativiert werden, bestätigt ihre Zugehörigkeit zur Interessenabwägung, an deren Komplexität sie teilnehmen. Außerdem muß bedacht werden - auch dies eine Parallele zur Notpflichtenproblematik -, daß die Phänomene des "gefahr-" oder "notstands"-bezogenen Verschuldens nicht nur das Täterverhalten betreffen, an dem sie bisher aus Vereinfachungsgründen exemplifiziert wurden. Sowohl das Opfer 99 Hirsch, LK, 9. Aufl. 1974, § 51 Vorbem. 63, will darüber hinaus den "Rettungswillen" verneinen. Der Gefahrabwendungswille fehlt jedoch in der Notstandslage ebensowenig wie der "Verteidigungswille" bei absichtlich provozierter Notwehr. Vgl. die Hinweise oben Fußn. 95. Vgl. auch Dencker, JuS 1979, 780 Fußn. 16. 100 Vgl. oben Fußn. 35. 101 Die oben Fußn. 35 zitierten Autoren, die sich für eine Zuordnung des Verschuldensproblems zur "Angemessenheit" aussprechen, geben denn auch solche Kriterien nicht an. 102 Dazu näher Küper, JZ 1980, 756 f.
4. Verschuldensproblem und Angemessenheitsklausel
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der Notstandstat 103 als auch der mit dem Täter nicht identische Träger des Erhaltungsgutes kann ebenfalls "schuldhaft" in die Interessenkollision verstrickt sein, mit analogen Folgen für die (reduzierte) Schutzwürdigkeit des jeweiligen Rechtsguts. Das Vorverhalten des Opfers läßt sich aber überhaupt nur bei der Abwägung der Interessen berücksichtigen; die Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB ist dafür ungeeignet, weil sie die Rechtfertigung allenfalls einzuschränken, nicht aber zu erweitern vermag104•
Vgl. dazu auch Blei, Strafrecht, Allg. Teil, S. 152; Dencker, JuS 1979, 781. Vgl. die entsprechenden Erwägungen zur Einordnung der Gefahrtragungspflicht bei Küper, JZ 1980, 756 f. 103
104
IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa" 1. Die Eigenart der Fragestellung im Unterschied zur
"Lösung auf der Notstandsebene" a) Der Ausgangspunkt
Mit diesen Überlegungen zur Interessenabwägung ist freilich die weitere Frage noch nicht erledigt, ob auch die Veranlassungshandlung selbst maßgebliche Grundlage und entscheidender Anknüpfungspunkt des Rechtswidrigkeitsurteils sein kann ("Lösung auf der Veranlassungsebene" , "actio illicita in causa")IOS. Ein solcher Ansatz verändert die Perspektiven der Problemstellung in spezifischer, zunächst präzisierungsbedürftiger Weise. Ging es bisher, im Zeichen einer Lösung auf der Notstandsebene, ausschließlich darum, ob und inwiefern "schuldhaftes" Vorverhalten über die Modifikation der Konfliktlösungskriterien die Bewertung der eigentlichen, "in Gefahr" begangenen (vorsätzlichen) Notstandstat mitbeeinflußt - also zum Material der kollisionsregulierenden Entscheidung gehört -, so hat man es jetzt mit einem ganz anderen Fragenkreis zu tun: Die der Notstandssituation vorausgehende, konfliktbegründende Handlung ist vielleicht schon "für sich genommen" und unabhängig von der Beurteilung der späteren Gefahrenabwehr ein rechtswidriges - vorsätzliches oder fahrlässiges - Verhalten, das die entsprechende Zurechnung auch der notstandsbedingten Rechtsgutsverletzung ermöglicht und so eine "letzten Endes"l05 widerrechtliche Tat selbst dann konstituiert, wenn die Interessenabwägung für den Täter positiv ausfällt. b) Das "Objekt-" und "Formproblem" des Verschuldens
Es liegt in der Eigenart dieser, auf die Vorhandlung als "causa illicita" zurückgreifenden Betrachtungsweise, daß sich sowohl das "Objekt-" als auch das "Formproblem" des Verschuldens u17 nunmehr anders stellt als bei der Abwägungslösung. lOS Vgl. oben S.21 mit Hinweisen in Fußn.36. Der Begriff "actio illicita in causa" stammt anscheinend von Kohlrausch (StGB, 38. Aufl. 1944, § 51 Vorbem. 2); auf Kohlrausch geht offenbar auch die irreführende Formulierung zurück, daß eine im Zeitpunkt der Verletzung "gerechtfertigt erscheinende" (?) Handlung vorliege, die "letzten Endes" rechtswidrig sei. Vgl. dazu auch Krause, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 310. 106 Vgl. Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 105; Kohlrausch / Lange, vor § 51 Anm. II, 2 a. E.
1.
Fragestellung
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Was das Bezugsobjekt schuldhaften Vorverhaltens betrifft, so reicht dafür konsequenterweise weder die bloße "Gefahr" noch allein der "Notstand" als Interessenkollision aus. Da die Vorhandlung die Rechtswidrigkeit der aus der Notstandslage resultierenden Tatbestandsverwirklichung begründen soll, muß sich das "Verschulden", über die zurechenbare Herbeiführung der Notstandssituation hinaus, gerade auf die Merkmale des Tatbestandes beziehen, den die spätere Gefahrenabwehr realisiert, insbesondere auf die Verletzung des von ihr betroffenen "Eingriffsgutes" lOS. Ein spezifisch "notstandsbezogenes" Verschulden ist also zwar erforderliche, nicht aber hinreichende Voraussetzung der Rechtswidrigkeit - mag sich aus ihm in praxi auch vielfach, vor allem bei fahrlässigem Vorverhalten, die Zurechenbarkeit der notstandsbedingten Verletzung ableiten lassen -; im Hinblick auf die Tatbestandsverwirklichung muß die Veranlassungshandlung vielmehr den normalen (Zurechnungs-)Anforderungen entsprechen, die auch sonst an vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten gesteIlt werden lO9 • Dagegen kann sich die "Lösung auf der Notstandsebene" in diesem Punkt mit geringeren Ansprüchen begnügen, weil - wie gezeigt wurde llo - schon das "notstands-" oder nur "gefahrbezogene" Verschulden die Abwägung der Interessen erheblich beeinflußt. Das Problem der Verschuldens-"form" steht ebenfalls unter einem anderen Vorzeichen. Die "Abwägungslösung" hatte es allein mit der Frage zu tun, ob und wann die Rechtfertigung der vorsätzlichen Notstandstat1l1 durch die zurechenbare Veranlassung der Gefahren- oder Kollisionslage ausgeschlossen wird. Dies kann auch bei nur fahrlässigem Vorverhalten der Fall sein, ohne daß dadurch der vorsätzliche Charakter der Notstandshandlung und damit die Verantwortlichkeit wegen einer Vorsatztat berührt würde. Das gefahr- oder notstandsbezügliche Verschulden wirkt sich lediglich auf das Rechtswidrigkeitsurteil aus, welches nach § 34 StGB112 über den vorsätzlichen Eingriff in ein fremdes 107 Vgl. oben S. 20 f. - Dazu, daß der Begriff "Verschulden" auch in diesem Zusammenhang untechnisch zu verstehen ist, siehe dort Fußn. 31: Bei der "actio illicita in causa" geht es primär um die Begründung der Rechtswidrigkeit aus fahrlässigem oder vorsätzlichem Vorverhalten, nicht um Fragen der "Schuld" im dogmatischen Sinn. lOS Insoweit mit Recht, allerdings in ungenauer und mißverständlicher Formulierung, hat schon Henkel betont, daß "auf das Verschulden in der juristisch-technischen Bedeutung abzustellen" sei: Maßgebend sei "nicht nur die Voraussehbarkeit der Gefahr, sondern darüber hinausgehend auch die Voraussehbarkeit einer Rechtsverletzung im Notstand" (Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 141, 143). 109 Vgl. dazu bereits Küper, JZ 1976, 519. 110 Vgl. oben S. 25 ff., 32 ff. 111 Von der hier immer ausgegangen wird! 112 Bzw. verwandten Spezialnormen des rechtfertigenden Notstandes.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
Rechtsgut - und für den Zeitpunkt dieses Eingriffs - zu fällen ist. Bei einer "Lösung auf der Veranlassungsebene" handelt es sich dagegen nicht mehr (nur) um die Beurteilung dieser Tat, deren Rechtmäßigkeit oder Widerrechtlichkeit prinzipiell gleichgültig bleibt113, sondern maßgeblich um die Bewertung des Vorverhaltens selbst und die Zurechenbarkeit der darauf beruhenden Tatbestandsverwirklichung. Dies bedingt, jedenfalls nach den Intentionen der actio-illicita-Lehre, eine zeitliche und sachliche "Rückverlagerung" der für die jeweilige Verhaltensform maßgebenden Beurteilungsbasis: Anknüpfungspunkt ist stets die rechtswidrige Veranlassungshandlung und deren Vorsatz- oder Fahrlässigkeitscharakter114 • Liegt insoweit Fahrlässigkeit vor, so kann deshalb der spätere vorsätzlich-rechtmäßige Notstandseingriff als eine "im Ursprung" fahrlässige Rechtsgutsverletzung bestraft werden (die Existenz eines tatbestandlich fixierten Fahrlässigkeitsdelikts und entsprechende Fahrlässigkeitsschuld vorausgesetzt). Ist die Veranlassungshandlung ohnehin eine widerrechtliche Vorsatztat, dann fällt das Ergebnis für den Täter ebenso aus wie bei Konstellationen, in denen das vorsätzliche Verhalten im Notstand der Rechtfertigung entbehrt. Doch ergibt sich auch dies allein aus der Qualität der Vorhandlung. c) Die lrl"elevanz der Angemessenbeitsfrage
Es bedarf nach dieser KlarsteIlung kaum mehr der näheren Darlegung, daß ein so verstandener Rückgriff auf das Veranlassungsstadium systematisch überhaupt nicht mit der Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB in Verbindung gebracht werden kann. Denn diese Klausel bezieht sich, nach Wortlaut und Sinn, lediglich auf die Bewertung der "in Gefahr" - zu deren Abwendung - begangenen "Tat", also der eigentlichen Notstandshandlung, wie sie in § 34 S. 1 StGB umschrieben wird: Das Angemessenheitsregulativ modifiziert - allenfalls - die Kriterien, die das Interessenabwägungsprinzip dafür zur Verfügung stellt. Die Lehre von der "actio illicita in causa" versucht dagegen, die Rechtswidrigkeit der Tatbestandsverwirklichung unabhängig davon auch für Fälle zu begründen, in denen die Notstandstat "an sich" (d. h. isoliert gesehen) gerechtfertigt ist; praktisch, allerdings nicht logisch, setzt sie deren Rechtmäßigkeit voraus. Die Erwägungen, die gleichwohl zur Rechtswidrigkeit der Handlung "in causa" führen sollen, betreffen deshalb nicht den Regelungsbereich des § 34 StGB (und verwandter ErSiehe dazu auch unten S. 39 f. Vgl. schon Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 142 f.; ferner etwa Dencker, JuS 1979, 782; Hirsch, LK, 9. Aufl. 1974, § 51 Vorbem. 63; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 104 f., sowie in: Schönke / Schröder, § 34 Rdnr. 42; BayObLG, JR 1979, 124 f.; OLG Hamm, VM 1970,86. 113
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1. Fragestellung
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laubnisnormen), sondern allein das konfliktbegTÜndende Vorverhalten in Verbindung mit der daraus resultierenden Rechtsgutsverletzung. d) Das Verhältnis der "actio-illicita"-Lehre zur "Abwägungslösung"
Mit der actio-illicita-Lehre wird bisweilen - unausgesprochen - das Ziel verfolgt, die Interessenabwägung von der Problematik des "verschuldeten" Notstandes zu entlastenll5 • Entscheidet die Rechtfertigung der eigentlichen Notstandstat ohnehin nicht definitiv über die Bewertung des Täterverhaltens, weil auf die Konfliktbegründung als "causa illicita" der Rechtsgutsverletzung zurückgegangen werden kann, so bietet sich die Erwägung an, das Verschuldensproblem ausschließlich auf der "Veranlassungsebene" anzusiedeln und mit dieser Zuordnung die These abzusichern, daß das "schuldhafte" Vorverhalten die Interessenkonstellation selbst nicht beeinflußtll6 • Ganz abgesehen von den für die "Abwägungslösung" bereits vorgetragenen Argumenten ll7 müßte gegen eine solche Vereinfachung, die gewiß praktische Vorteile hätte, jedoch eingewandt werden, daß sie sich auch auf der Basis der actio-illicitaKonstruktion (also unter der Voraussetzung ihrer Richtigkeit) nicht schlüssig begründen ließe, ja nachgerade willkürlich wäre. Ist die Herbeiführung einer Interessenkollision, die in die Verwirklichung eines Deliktstatbestandes einmündet, ein - ~orsätzliches oder fahrlässiges rechtswidriges Verhalten, so folgt daraus nicht, daß diese Vorhandlung als Material der Konfliktlösung gewissermaßen "verbraucht" wäre und bei der Abwägung nicht mehr berücksichtigt werden dürfte; denn die Bewertung erfolgt auf beiden Stufen - wie sich gezeigt hat - unter ganz verschiedenen Perspektiven, die einander nicht ausschließen. Wollte man anders verfahren, dann würden Gesichtspunkte, die zur Rechtswidrigkeit der Notstandstat führen können, deren Rechtmäßigkeit allein deshalb (mit-)bewirken, weil sie schon unter dem Aspekt der Veranlassung ein widerrechtliches Verhalten begründen - eine sicherlich nicht akzeptable Konsequenz. Die Lehre von der "actio illicita in causa" und die "Abwägungslösung" widersprechen sich also nicht, sondern sind miteinander vereinbar ll8 ; zwischen ihnen besteht kein logischsystematisches Rangverhältnis. Der Rückgriff auf die "actio illicita" der Konfliktbegründung ist daher - theoretisch - selbst dann nicht versperrt, wenn die Interessenabwägung die Rechtswidrigkeit der Not115 Deutlich etwa bei Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 103 ff., und in: Schönke / Schröder, § 34 Rdnr. 42. 116 Vgl. oben S. 24 f. mit Fußn. 50, S. 28 ff. 117 Siehe dazu oben S. 24 ff. 118 So in der Sache auch Dencker, JuS 1979, 780 f., 781 f., der beide Konstruktionen nebeneinander anwendet; ferner z. B. Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 139 f., 142; Lackner, § 34 Anm. 2 a. Vgl. auch Küper, JZ 1976, 518 f.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
standshandlung ergibt: an der Möglichkeit (auch) eines rechtswidrigen Vorverhaltens kann die Widerrechtlichkeit der notstandsbedingten Gefahrenabwehr nichts ändern. Praktische Bedeutung hat die actio-illicita-Lehre freilich allein für Situationen, in denen die eigentliche Notstandstat gerechtfertigt ist; an dieser Fallgestaltung muß sich die Konstruktion einer (nur) "im Ursprung" rechtswidrigen Handlung dogmatisch bewähren, und allein darauf beziehen sich die folgenden überlegungen.
2. Bisherige prinzipielle Einwände gegen die "actio illicita in causa" und Antikritik - Zur Möglichkeit rechtswidrigen Vorverhaltens bei rechtmäßiger Notstandstat a) Notwehrspezifische und generelle Gegenargumente
Intensiver als in der Theorie des rechtfertigenden Notstandes - hier gibt es nur relativ wenige und meist kursorische Stellungnahmen - ist die Problematik der "actio illicita in causa" in der Notwehrdogmatik der Gegenwart diskutiert worden: mit dem Ergebnis, daß sich Befürworter und Kritiker heute annähernd die Waage halten119• Eine notstandstheoretische Auseinandersetzung mit der actio-illicita-Konstruktion kann allerdings die "notwehrspezifischen" Problemaspekte weitgehend vernachlässigen l2O ; sie ergeben sich insbesondere daraus, daß das Vorverhalten dort in der Veranlassung eines - vom freien Entschluß des Provozierten abhängigen - rechtswidrigen Angriffs und einer erst dadurch vermittelten Kollisionslage bestehtl21 • Die Grundten119 Positive Stellungnahmen z. B. bei Arzt, Festschrift für Schaffstein, 1975, S. 77 ff., 83; Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, S. 304 f., MDR 1962, 349 ff.; Bertel, ZStW 84 (1972), S. 14 ff.; Dreher / Tröndle, § 32 Rdnr. 23 f.; Eser, Studienkurs Strafrecht I, S. 112 f.; Rerzberg, Mittelbare Täterschaft bei rechtmäßig oder unverboten handelndem Werkzeug, S. 14 mit Fußn. 39; Kohlrausch / Lange, § 53 Anm. V; Lenckner, GA 1961, 303 ff. und in: Schönke / Schröder, § 32 Rdnr. 57 ff.; Maurach, JuS 1961, 374; Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 358 ff.; Schröder, JR 1962, 187 ff., JuS 1973, 160 f. Vgl. auch Arzt, JR 1980, 212 f. - Zur älteren Literatur vgl. Regler, Festgabe für R. Schmidt, Bd. 1, 1932, S. 62 ff., 64 f. - Gegner der actio-illieita-Konstruktion: Bockelmann, Festschrift für Honig, 1970, S. 25 ff.; Constadinidis, Die "aetio illicita in causa", S. 69 ff., 71 ff., 131 (vgl. auch den Hinweis oben Fußn. 36); Courakis, Zur sozialethischen Begründung der Notwehr, S. 118 Fußn. 310; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, S. 278 Fußn. 45; Kratzsch, Grenzen der Strafbarkeit im Notwehrrecht, S. 69 ff., JuS 1975, 435 ff., 439; Krause, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 310 f., Jura 1980, 173; Marxen, Die "sozialethischen" Grenzen der Notwehr, S. 57 f.; Roxin, ZStW 75 (1963), S. 545 ff., ZStW 93 (1981), S. 91 f.; Samson, SK, Bd. 1, § 32 Rdnr. 26; Schöneborn, NStZ 1981, 205; Schünemann, JuS 1979,280. - Vgl. auch Rudolphi, JuS 1969,465 f. 120 Darauf hat mit Recht Dencker, JuS 1979, 782, hingewiesen; vgl. auch Roxin, ZStW 93 (1981), S. 92 Fußn. 57; Schünemann, JuS 1979, 280 Fußn.5I. 121 Zu diesem Aspekt und seiner Bedeutung für die aetio illicita in causa bei der Notwehr vgl. etwa Bockelmann, Festschrift für Honig, 1970, S.21; Dencker, JuS 1979, 782; Kratzseh, JuS 1975, 439; Lenckner, GA 1961, 303 f.;
2. Einwände gegen die "actio illicita" und Antikritik
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denzen und Details der im Notwehrbereich geführten Diskussion über die "actio illicita in causa" interessieren daher in diesem Zusammenhang allein insoweit, als sie "prinzipielle", nicht speziell notwehrgebundene Argumente reflektieren, die auch für die Parallelproblematik beim rechtfertigenden Notstand bedeutsam sind; umgekehrt impliziert die Entscheidung dieser Fragen nur in begrenztem Umfang ein Votum für oder gegen die Tauglichkeit der actio-illicita-Lehre zur Lösung der bei der Notwehr auftretenden Provokationsproblemel22 • Der zentrale, nicht notwehrspezifische Einwand gegen den Gedanken der "actio illicita in causa" besteht in dem Argument, daß die Anerkennung einer "in actu" gerechtfertigten Gefahrenabwehr (Notwehroder Notstandstat) zwangsläufig jede Möglichkeit ausschließe, das zur Güterkollision mit nachfolgender Rechtsgutsverletzung führende Vorverhalten als widerrechtlich zu qualifizieren und auf dieser Grundlage den tatbestandlichen Erfolg zuzurechnen123 • Der sachliche Gehalt dieser wiederholt und in verschiedenen Varianten vorgetragenen "Unvereinbarkeits"-these läßt sich zusammenfassend folgendermaßen charakterisieren: Eine auf die Begründung einer rechtmäßigen Handlung, einschließlich ihres erlaubten Erfolges, gerichtete l23a "actio praecedens" könne nicht selbst rechtswidrig sein; ihre Rechtswidrigkeit sei - insbesondere - nicht aus einem Erfolg ableitbar, den der Täter ja gerade herbeiführen dürfe; auch die "Addition" der danach nicht rechtswidrigen Vorhandlung mit der ebenfalls erlaubten Gefahrenabwehr ergebe schlechterdings keine widerrechtliche Tat. Bei genauerem Zusehen enthält diese Kritik an der actio-illicitaKonstruktion im Grunde zwei substantielle Ansatzpunkte, die analytisch zu trennen sind l24 ; die Zweispurigkeit wird daran deutlich, daß der Akzent teils auf die Rechtmäßigkeit der späteren (Notstands-)Handlung, teils auf die rechtliche Billigung ihres Erfolges: der Verletzung des Roxin, ZStW 75 (1963), S. 551, 553, 555; Schünemann, JuS 1979, 280. -
"Notwehrspezifisch" sind ferner die Probleme, die bei der Notwehr damit zusammenhängen, daß man die actio-illicita-Haftung zum Bestehen oder Nichtbestehen einer Ausweichmöglichkeit in Beziehung setzen kann. Vgl. Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, S. 305; Lenckner, GA 1961, 301 ff., 311 f. und in: Schänke I Schröder, § 32 Rdnr. 56 f., 59 f.; Schröder, JR 1962, 188 f. 122 Vgl. auch Dencker, JuS 1979, 782. 123 Vgl. dazu insbesondere Bockelmann, Festschrift für Honig, 1970, S. 26; Hruschka, JR 1979, 127; Roxin, ZStW 75 (1963), S. 547 ff., ZStW 93 (1981), S. 92; Samson, SK, Bd.1, § 32 Rdnr. 26. Vgl. neuerdings auch Constadinidis, Die "actio illicita in causa", S. 57 ff., 71 ff. 123a Bzw. im Fahrlässigkeitsfall - darauf qua Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit bezogene ... 124 Das zusätzliche "Additions argument" , welches inhaltlich nichts Neues bringt, kann dabei außer Betracht bleiben.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
"Eingriffsgutes" , gelegt wird l25 • Einerseits scheint nämlich, wie die Kritik behauptet, schon mit der Rechtfertigung der notstandsbedingten Folgetat (Gefahrenabwehr) die Widerrechtlichkeit des vorausgehenden Verhaltens, das diese gerechtfertigte Handlung nur ermöglicht und einleitet, nicht vereinbar zu sein. Andererseits wird der beiden Handlungen gemeinsame Enderfolg von der Rechtsordnung, die den Eingriff gestattet, offenbar nicht mißbilligt, mit der immerhin naheliegenden Konsequenz, daß auch die "actio praecedens", da sie ein letztlich erlaubtes Ergebnis produziert, als Grundlage einer widerrechtlichen Rechtsgutsverletzung ausscheidet l26 • b) Kritik der "handlungsbezogenen" Gegenargumentation
aa) Die Unabhängigkeit der Verhaltensbewertungen
Verfolgt man beide "Spuren" dieser Kritik weiter, zeigt sich zunächst: Soweit hier mit der Rechtmäßigkeit der Notstandshandlung argumentiert wird, ergibt sich daraus kein zwingender Einwand gegen die Möglichkeit eines widerrechtlichen, gefahrbegründenden Vorverhaltens (um die es vorläufig allein geht). Da jemand unbestreitbar im zeitlichen Nacheinander rechtswidrig und rechtmäßig handeln kann 1Z7 , sagt die Erlaubtheit der späteren Gefahrenabwehr über die rechtliche Qualität einer früheren Handlung, die der Notstandssituation vorausliegt, nichts Verläßliches aus und wirkt auf deren Bewertung nicht zurück. Beide Verhaltensweisen sind vielmehr unabhängig voneinander nach dem Zeitpunkt zu beurteilen, in dem der Täter jeweils handeJt128. Daß die erste Handlung die zweite "ermöglicht" und darauf auch subjektiv bezogen werden kann, ändert an der Trennbarkeit der rechtlichen Bewertung ebenso wenig etwas wie die Tatsache, daß der Erfolg des Vor125 Handlungsbezogene Akzentsetzung bei Hruschka und Samson, erfolgsbezogene Akzentuierung bei Bockelmann; Roxin verbindet beide Gesichtspunkte. Vgl. im einzelnen die Angaben oben Fußn. 123. 126 Vgl. z. B. Bockelmann, Festschrift für Honig, 1970, S. 26, im Anschluß an Roxin, ZStW 75 (1963), S. 547, 550: "Die Rechtswidrigkeit der Vorhandlung ... muß aus dem vom Täter erstrebten Erfolg abgeleitet werden. Aber wie soll das möglich sein, da der Täter diesen Erfolg rechtmäßig herbeiführt?" 1Z7 Vgl. auch N. Horn, JZ 1960, 354. 128 In dieser Richtung mit Recht Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, S. 304; Bertel, ZStW 84 (1972), S. 15 f.; Dencker, JuS 1979, 782; N. Horn, JZ 1960, 353 f.; Lenckner, GA 1961,303 und in: Der rechtfertigende Notstand, S. 103 f.; treffend Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 360: "Daß das letzte Stück des Tatgeschehens als Handeln des Täters erlaubt ist, kann (besser wohl: muß) nicht bedeuten, daß auch der vorangegangene Handlungsabschnitt erlaubt wäre"; Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, S. 36 f.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 285 ff. Vgl. auch Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, S. 80 f.
2. Einwände gegen die "actio illicita" und Antikritik
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verhaltens erst nach dem Vollzug eines gerechtfertigten "Zwischenakts" eintrittl29 •
bb) Detailliert-fallorientierte Antikritik Dieser noch abstrakt formulierte Befund läßt sich durch einige fallbezogene Erwägungen verdeutlichen. Daß die Rechtmäßigkeit einer notstandsbedingten Gefahrenabwehr mit der Widerrechtlichkeit des Verhaltens, welches die Notwendigkeit des erlaubten Eingriffs auslöst, keineswegs unvereinbar ist, demonstrieren zunächst die Situationen, in denen eine dritte, mit dem Täter nicht identische Person der Notstandsgefahr ausgesetzt wird. Manövriert jemand, etwa durch Täuschung, einen Dritten vorsätzlich in eine Gefahrenlage hinein, die ihn dann - dem Plan des Täters entsprechend - zu einer rechtmäßigen, gegen einen Unbeteiligten gerichteten Abwehrhandlung zwingt, so ist nachgerade evident, daß diese erlaubte Notstandstat die Möglichkeit nicht ausschließt, das gefahrschaffende Vorverhalten des Initiators als rechtswidrig zu bewerten. Die anerkannte Fallgruppe der mittelbaren Täterschaft durch Einsatz eines rechtmäßig handelnden "Werkzeugs", der diese Konstellation angehört und auf die sich die Vertreter der actioillicita-Lösung insofern zu Recht berufen l30 , beweist ganz allgemein, daß sogar die beabsichtigte "Ermöglichung" des erlaubten HandeIns eines Dritten die Unrechtsbewertung des Begründungsakts nicht präjudiziert. Für fahrlässige Vorhandlungen kann deshalb konsequenterweise nichts anderes gelten. Angenommen, der Täter bringt jemanden ungewollt in eine lebensgefährliche Situation, die noch keine Körperverletzung enthält, jedoch allein durch eine gesundheitsbeeinträchtigende Rettungsmaßnahme abgewendet werden kann l31 : Dann ist die - unterstellte und plausible - Rechtmäßigkeit der lebensrettenden Verletzungshandlung kein Hindernis für die Qualifizierung der Vortat als fahrlässig-rechtswidrige Körperverletzungl32 • Zu dem letzteren Aspekt auch Dencker, JuS 1979, 782. Vgl. etwa Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, S. 304, MDR 1962, 350; Lenckner, GA 1961, 303; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 287. Zur mittelbaren Täterschaft bei Schaffung rechtfertigender Notstandssituationen vgl. etwa Herzberg, Mittelbare Täterschaft, S. 30 f., Täterschaft und Teilnahme, S. 14 f., mit weit. Hinweisen. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 163 ff., erörtert die Problematik allein an der Veranlassung einer Notwehrsituation. Aus der älteren Literatur Mezger, ZStW 52 (1932), S. 534 ff., der allerdings den Begriff der mittelbaren Täterschaft hier ablehnt. 131 Man denke an die Begründung einer Absturzgefahr (z. B. durch Sturz von einem hohen, nicht hinreichend gesicherten Gerüst), bei der Lebensrettung nur in der Weise möglich ist, daß die Folgen des Sturzes auf eine schwerwiegende Körperverletzung "reduziert" werden, in die das Opfer nicht "eingewilligt" hat. - Vgl. auch das Autofahrer-Beispiel Denckers, JuS 1979, 782, dessen Beweiskraft freilich darunter leidet, daß die zur späteren rechtmäßigen - Amputation führende Verletzung schon für sich betrachtet alle Voraussetzungen des § 230 StGB erfüllt. 129
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
Die Unabhängigkeit der Verhaltensbewertungen, die sich bei der Begründung von "Drittgefahren" und der Ermöglichung rechtmäßiger Handlungen Dritter zeigt, hängt nun aber offenbar nicht spezifisch mit dem Umstand zusammen, daß Erst- und Zweithandlung (wie in den bisherigen Beispielsfällen) auf verschiedene Personen verteilt sind. Sie resultiert vielmehr daraus, daß die Verschiedenheit der jeweiligen Handlungssituation - Gefahrbegründung einerseits, erlaubte Gefahrenabwehr andererseits - auch eine differenzierte Bewertung von Vor- und Folgetat zuläßt; darin wirkt sich der fundamentale Unterschied aus, daß allein die Zweithandlung im Zeichen erforderlicher Gefahren abwehr steht und der Lösung eines akuten Interessenkonflikts dient, während diese "positiven" Voraussetzungen auf das Vorverhalten, das den Konflikt erst schafft, nicht zutreffen l33 • Die dadurch begründete Differenz im axiologischen Substrat bleibt erhalten, wenn in bei den Geschehensphasen derselbe Täter handelt. So ändert sich in dem zuletzt genannten Fahrlässigkeitsbeispiel die rechtliche Beurteilung der Vortat ersichtlich nicht, falls der Verursacher der lebensbedrohenden "Drittgefahr" mit dem Akteur der anschließenden Rettungshandlung zufällig identisch ist l34 • Daß der Täter den Betroffenen in der Gefahrenlage durch ein mit körperlicher Beeinträchtigung verbundenes Handeln retten "darf", besagt auch in dieser Variante nichts gegen die Rechtswidrigkeit des vorangegangenen Verhaltens. Bei planmäßiger Identität der handelnden Personen, wie sie die Rechtsfigur der vorsätzlichen "actio illicita in causa" kennzeichnet, muß logischerweise dasselbe gelten. Es bleibt dann - und damit schließt sich der Kreis "handlungsbezogener" Erwägungen - nur noch die Konsequenz für die Fälle zu ziehen, in denen der im Vor- und Nachstadium identische Täter zugleich Träger des "Erhaltungsgutes" ist, auf das sich die Begründung der Not132 Wie man die Rechtmäßigkeit der Rettungshandlung bei "interner" Güterkollision, außerhalb der Einwilligungsfälle, genauer begründet, ob mit § 34 StGB, "erlaubtem Risiko" oder Zurechnungsausschluß kraft "Risikominderung" , ist eine für den vorliegenden Zusammenhang belanglose Frage. Zu diesem Problem etwa: Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko, S. 189 ff.; Roxin, Festschrift für Honig, 1970, S. 136; Rudolphi, SK, Bd. 1, vor § 1 Rdnr. 58; Schönke I Schröder I Lenckner, § 34 Rdnr. 8; Spendel, JZ 1973, 140 f.; Ulsenheimer, JuS 1972, 255. 133 Vgl. auch Bertel, ZStW 84 (1972), S. 15 f.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 287. 134 Vgl. auch das Arzt-Beispiel Denckers, JuS 1979, 782, das in folgender Variation am überzeugendsten erscheint: Nach einem Behandlungsfehler, der den körperlichen Zustand des Patienten zwar nicht unmittelbar verschlechtert, aber auf längere Sicht sehr schwerwiegende gesundheitliche Folgen befürchten läßt, nimmt der Arzt - mit Einwilligung des Betroffenen einen durch die ursprüngliche Krankheit nicht indizierten, jetzt aber als "kleineres übel" angezeigten Eingriff vor. Dessen Rechtmäßigkeit steht einer Bewertung des eigenen Vorverhalten als fahrlässiger Körperverletzung nicht im Wege!
2. Einwände gegen die "actio illicita" und Antikritik
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standsgefahr und die notstandsbedingte Gefahrenabwehr beziehen. Da diese gleichsam "vollständige" Identität, wie sie im typischen Fall der "actio illicita" vorliegt, indes die Differenz in der Handlungssituation nicht aufhebt, die den Grund für die unterschiedliche Unrechtsbewertung abgibt, ist die Folgerung unabweisbar, daß auch in dieser Konstellation die Rechtmäßigkeit der Notstandshandlung mit der Widerrechtlichkeit der gefahrbegründenden Tat vereinbar bleibt. Die Parallele zur mittelbaren Täterschaft bei rechtmäßig handelndem Werkzeug ist insofern ebenfalls tragfähig. c) Kritik der "erfolgsbezogenen" Gegenargumentation
Indirekt dürften alle diese Erwägungen bereits deutlich machen, daß die Möglichkeit einer rechtswidrigen Vortat 135 auch dann nicht in Frage gestellt ist, wenn man nunmehr - auf der zweiten Spur der actioillicita-Kritik - den Erfolg in die Unrechtsbetrachtung einbezieht. Gewiß führt unter der Prämisse einer gerechtfertigten Notstandstat (von der hier ja immer auszugehen ist) kein Weg daran vorbei, daß der Täter aufgrund der Gefahrenlage nicht nur eine Abwehrhandlung vornehmen, sondern auch den daraus resultierenden Erfolg, die Verletzung des betroffenen Schutzobjekts, herbeiführen darf: Der "Handlungserlaubnis", die der Rechtfertigungsgrund verleiht, korrespondiert zugleich eine "Eingriffsbefugnis" des Inhalts, daß die im Tatbestand enthaltene "Schutz- und Gewährleistungsnorm" , die dem verletzten Objekt Unversehrtheit garantiert, zu Lasten dieses Rechtsguts suspendiert wird l36 ; insofern "billigt" das Recht auch den Erfolg, indem es die von der Schutznorm ausgehende "Mißbilligung" der Integritätseinbuße zurücknimmt137 • Aber die bisher unter "handlungsbezogenen" Aspekten erörterten Beispiele belegen schon hinreichend, daß dadurch die Zurechenbarkeit des Erfolges zu einer rechtswidrigen Vorhandlung und somit die Strafbarkeit wegen dieses Erfolgsdelikts nicht ausgeschlossen wird. Die bereits mehrfach erwähnte mittelbare Täterschaft bei rechtmäßig handelndem Werkzeug, insbesondere im Fall "manipulierter" Notstandslage 138 , ist dafür ein klassisches, aber nicht das einzige Vgl. den Hinweis oben nach Fußn. 126. Grundlegend dazu Gallas, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 161 ff., 167 f. Vgl. ferner etwa Krumpelmann, Die Bagatelldelikte, S. 96 ff.; Schönke / Schröder / Lenckner, § 32 Vorbem. 10 ff.; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 382; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 38 mit Fußn. 76, S. 165 ff. Siehe auch Küper, GA 1980, 204 f., 216 f. 137 Auch bei Anerkennung der "actio illicita in causa" ändert sich deshalb nichts daran, daß die Teilnahme an der eigentlichen Notstandshandlung straflos bleibt, weil sie sich auf eine in jeder Hinsicht rechtmäßige Haupttat bezieht. Vgl. Lenckner, GA 1961, 306 und - zum Parallelfall der mittelbaren Täterschaft - Herzberg, Mittelbare Täterschaft, S. 71 ff. Ebensowenig ist Notwehr gegen die Notstandshandlung zulässig. 138 Vgl. oben.s. 43. 135
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
Paradigma. Dies braucht nach den eingehenden Darlegungen zum Verhältnis von Notstandshandlung und gefahrbegründender Vortat nicht mehr an Einzelfällen demonstriert zu werden. Dieselbe Differenz im axiologischen Substrat, die in den zuvor genannten Beispielen - ganz unabhängig von der Verschiedenheit oder Identität der handelnden Personen - eine unterschiedliche Bewertung des Vor- und Nachverhaltens zuläßt, gestattet es auch, den tatbestandlichen Erfolg als Ergebnis einer rechtswidrigen Vorhandlung zuzurechnen, obwohl ihn der Täter zum Zweck der Gefahrenabwehr letztlich befugtermaßen herbeiführt 139 : Wenn die Rechtsordnung eine Verletzung des Eingriffsgutes im Konflikt als "kleineres Übel" toleriert und sich deshalb mit dem Erfolgseintritt abfindet, so bedeutet dies nicht, daß damit der Erfolg als taugliches Zurechnungsobjekt überhaupt ausscheidet; er bleibt zur rechtswidrigen Vortat zurechenbar, wenn und weil er auf eine Handlung zurückgeführt werden kann, die gerade nicht der - erlaubten Lösung des Interessenkonflikts dient, sondern mit der Kollision die Notwendigkeit der Rechtsgutsverletzung allererst begründet l4u • Der Gedanke, ein den rechtfertigenden Notstand auslösendes Verhalten müsse erlaubt sein, weil die Widerrechtlichkeit nicht aus einem rechtmäßig bewirkten Erfolg "abgeleitet" werden könne l41 , verfehlt deshalb das Problem. Dieser Erwägung liegt anscheinend die Vorstellung zugrunde, daß der "rechtmäßige Erfolg" ein darauf gerichtetes Vorverhalten zwangsläufig mit dem Prädikat rechtlicher Billigung 139 Vgl. auch Dencker, JuS 1979, 782; N. Horn, JZ 1960, 353 f.; Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, S. 36 f.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 286 f. - Es verhält sich also nicht so, wie Roxin, ZStW 75 (1963), S. 549 f., meint: daß die Situation bei der mittelbaren Täterschaft durch Einsatz eines rechtmäßig handelnden Werkzeugs gerade wegen der Personenverschiedenheit wesentlich anders sei als in den actioillicita-in-causa-Fällen, und daß sich aus diesem Grund dort der Erfolg "gleichzeitig als Produkt einer verbotenen wie einer rechtmäßigen Handlung auffassen" lasse (vgl. auch Schünemann, JuS 1979, 280). Diese Möglichkeit besteht vielmehr - wegen der aufgezeigten Verschiedenheit der Handlungssituationen - auch bei personeller Identität des jeweils Handelnden. 140 Ganz mit Recht schreibt Bertel, ZStW 84 (1972), S. 15 f.: "In dem Institut . .. des übergesetzlichen Notstandes zeigt die Rechtsordnung, wie sie bestimmte Interessenkonflikte gelöst haben will; ob sie aber auch die Herbeiführung solcher Konflikte, mögen sie nachher auch richtig gelöst werden, immer und überall billigt, ist eine ganz andere Frage. Für eine teleologische Betrachtung ... ist es durchaus kein Widerspruch, wenn die Rechtsordnung eine Handlung rechtfertigt, weil sie ein geringeres Übel herbeiführt, um ein größeres abzuwenden, eine andere Handlung desselben Täters aber mißbilligt, weil sie es zu eben dieser Situation hat kommen lassen." - Vgl. auch Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 287: "War zwar von der Notsituation her betrachtet die Verletzung nötig, so war sie dennoch von der Provokationssituation her vermeidbar, da auch die Notsituation selbst und damit der Grund der späteren Notwendigkeit der Verletzung vermeidbar
war." 141
Vgl. oben bei und in Fußn. 126.
3. "Actio illicita in causa" und Tatbestandsverwirklichung
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ausstatte. Hierbei wird jedoch nicht beachtet, daß diese Billigung nur der Erfolgsherbeiführung im Notstand gelten kann, während sie die vorangegangene, außerhalb des Konflikts vorgenommene Handlung nicht betrifft. Ebensowenig überzeugt schließlich der Einwand, das Recht könne sich in der Interessenkollision "nicht auf beide Seiten zugleich stellen", da dies eine "unlösbare Aporie" zur Folge habe l42 • Es ist durchaus kein Widerspruch, wenn die Rechtsordnung einen Konflikt widerstreitender Interessen zugunsten des Täters - und damit notwendig zum Nachteil des Opfers -- entscheidet, den Täter aber gleichwohl für die rechtswidrige Herbeiführung der Kollisionslage und der daraus resultierenden Rechtsgutsverletzung verantwortlich macht. Freilich kann das Recht die mit der Anerkennung der Notstandshandlung verbundene Billigung des Erfolges als solche nicht zurücknehmen; sie ist in der notstandsbedingten Eingriffsbefugnis untrennbar impliziert: die Annahme eines zugleich rechtmäßigen und rechtswidrigen Erfolges müßte in der Tat an ihrem "aporetischen" Charakter scheitern. Das ist indes kein hinreichender Grund, dem Erfolg seine Qualität als Produkt (auch) eines rechtswidrigen Verhaltens abzuerkennen und die auf dieser Basis mögliche Zurechnung a limine auszuschließen. Gerade diese Zurechenbarkeit könnte im übrigen mittelbar auch zum Schutz der Opferinteressen beitragen, gegen die sich die Rechtsordnung in der Notstandssituation entscheidet: Durch die negative Bewertung des Vorverhaltens und die darauf beruhende Erfolgszurechnung vermag das Recht potentielle Opfer jedenfalls vor der Begründung verletzungsträchtiger Konfliktsituationen zu schützen, in denen es die Integrität des Eingriffsgutes nicht mehr garantieren kann. 3. Die "actio illicita in causa" als Problem rechtswidriger Tatbestandsverwirklichung: Bewertungssubstrat und Zurechnungsfragen a) Das Bewertungssubstrat
Mit alledem ist freilich bisher nur bewiesen, daß die Rechtfertigung der Notstandstat kein Hindernis darstellt für eine Anknüpfung der Unrechtsbewertung an das notstandsbegründende Vorverhalten desselben Täters und eine daraus ableitbare Zurechnung des tatbestandlichen Erfolges - nicht weniger, aber auch nicht mehr. Die weitere Aufgabe besteht in der überlegung, ob sich bei dieser Ausgangslage der positive Nachweis führen läßt, daß die Vortat (einschließlich des darauf zurückführbaren Erfolges) alle Bedingungen einer widerrechtlichen Tatbestandsverwirklichung erfüllt oder doch erfüllen kann. Hier142 Vgl. Roxin, ZStw 93 (1981), S. 92, zur actio illicita in causa bei der Notwehr.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
bei muß man sich vergegenwärtigen, daß das für einen solchen Nachweis zur Verfügung stehende Bewertungssubstrat im Vergleich zum typischen Fall tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Verhaltens in eigentümlicher Weise verkürzt ist, weil das Recht diejenige Handlung, die den Deliktstatbestand "unmittelbar" realisiert, als erlaubt anerkennt. übrig bleiben: das Verhalten vor der eigentlichen Notstandstat (die "actio praecedens") und der mit ihm über den Zwischenakt der Gefahrenabwehr verbundene Erfolg. Die "Verbindung" selbst hat zunächst den Charakter einer kausalen Beziehung und ist insoweit nicht grundsätzlich problematisch. Die mit der Vortat beginnende und sich im "Primärerfolg", der Notstandsgefahr, fortsetzende Kausalkette wird durch die Einschaltung einer weiteren Handlung nicht "unterbrochen"143. Auch der Umstand, daß der Notstandsakt von der Rechtsordnung gebilligt wird, ändert nichts an dem durch ihn vermittelten Kausalkonnex. Denn bei der Kausalitätsfeststellung geht es nicht um eine normative Wertung am Maßstab "richtig/unrichtig" ("erlaubt/verboten"), sondern um die faktisch-erfahrungs gesetzliche Diagnose von Erfolgsursachen. In dieser Eigenschaft, als bloße "condicio" des tatbestandlichen Erfolges, gehört auch die gerechtfertigte Notstandstat zum zulässigen Material der actio-illicita-Konstruktion. Des weiteren darf vorausgesetzt werden, daß die über die Kausalität hinaus etwa erforderlichen generellen Kriterien objektiver Zurechenbarkeit - z. B. die Adäquanz des Kausalverlaufs oder Erfolgsrisikos - im Blick auf die Vortat ebenfalls gegeben sind l44 • Liegen sie im Einzelfall nicht vor 145 , so ist es ein allgemeines Problem der Zurechnungslehre, kein Spezifikum 143 Vgl. für den Parallelfall der "actio illicita in causa" bei der Notwehr etwa Baumann, MDR 1962, 349 f.; Constadinidis, Die "actio illicita in causa", S. 49; Lenckner, GA 1961, 303; Roxin, ZStW 75 (1963), S. 545; für den Notstand bereits Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 141. Vgl. auch N. Horn, JZ 1960, 353. 144 Diese Voraussetzung trifft bei der provozierten Notwehr möglicherweise generell nicht zu, weil der Provokateur den rechtswidrigen Angriff, dessen Abwehr dann zum tatbestandlichen Erfolg führt, nur über den "freien Entschluß" des Angreifers veranlassen kann: der Provozierte gefährdet sich also bewußt selbst. Darin sehen z. B. Roxin, ZStW 75 (1963), S. 551 ff., 555, und Schünemann, JuS 1979, 280, ein prinzipielles Hindernis für die Zurechenbarkeit des Enderfolges zum provozierenden Vorverhalten. - Allerdings kann auch beim verschuldeten rechtfertigenden Notstand die abzuwendende Gefahr durch selbstverantwortliches Handeln des von der Notstandstat Betroffenen vermittelt werden; solche Fälle lassen sich insbesondere im Bereich des Defensivnotstandes nicht ausschließen. Sie bedürfen gewiß unter allgemeinen Zurechnungs aspekten sorgfältiger Prüfung, berühren aber nicht die Regelsituation, daß der Notstandstäter die Gefahrbegründung selbst "in der Hand" hat. Von ihr wird bei den folgenden überlegungen ausgegangen. 145 Zu eng ist allerdings die Auffassung Maiwalds (ZStW 78, 1966, S. 53), der offenbar meint, daß die Adäquanzfrage im Hinblick auf späteres eigenes Handeln des Täters nicht mehr sinnvoll gestellt werden könne. Dagegen zutreffend Wolter, ZStW 89 (1977), S. 652 ff., 676 ff., 687; Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 102.
3. "Actio illicita in causa" und Tatbestandsverwirklichung
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der "actio illicita in causa", inwieweit dadurch die Erfolgszurechnung berührt wird l46 . b) Spezielle Zurechnungsprobleme
Die Situation kompliziert sich allerdings, wenn man die Einsicht der modernen Zurechnungsdogmatik berücksichtigt, daß "die Haftung für die Rechtsgutsverletzung" stets vermittelt sein muß "durch die Haftung für die Gefahr, auf der die Verletzung beruht"147. Die dem Erfolgseintritt vorausgehende, ihn vermittelnde Gefährdungsphase l48 fällt ja wiederum in das Stadium der gerechtfertigten Notstandshandlung, wird also offenbar von der Rechtsordnung akzeptiert: Kann aber, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, der Erfolg, in den die Gefahr dann "umschlägt", noch zum rechtswidrigen Vorverhalten zugerechnet werden, obwohl er das Resultat einer erlaubten Gefahrsetzung darstellt? Die Frage ist gleichwohl aus zwei Gründen zu bejahen; sie wirft bei genauerem Zusehen lediglich frühere Probleme unter veränderter Perspetive auf. Zum einen läßt sich nämlich die Gefahr, aus der die Verletzung erwächst, eben auch - und voraussetzungsgemäß: adäquatzurechenbar - auf die Vorhandlung zurückführen, die diese Gefährdung erst ermöglicht, dafür die Grundlage legt, sie unter Umständen bezweckt hat. Die Haftung für die "verletzungsträchtige" Gefahr beschränkt sich deshalb nicht auf die eigentliche Notstandstat - mit der Folge, daß sie durch deren Rechtfertigung aufgehoben würde -, sondern reicht in das Veranlassungsstadium zurück; sie ist daher, trotz der "rechtmäßigen Zwischenphase" , durchaus geeignet, die Zurechnung des Erfolges zum Vorverhalten zu vermitteln. Zum anderen gelten die Erwägungen, die zeigten, daß der Erfolg durch die Erlaubtheit der Notstandshandlung und ihres Ergebnisses seinen Charakter als Produkt widerrechtlichen Vorverhaltens nicht einbüßt149 , ebenso für die "unmittelbare Erfolgsgefahr" , aus der die Verletzung hervorgeht. Denn diese Gefahr bedeutet ja nichts anderes als die ex ante betrachtete Vorstufe des rechtsgutsverletzenden Erfolges: sie ist die Rechtsgutsverletzung, bezogen auf die eigenen Wirkungsmöglichkeiten des Täters, deren Realisierung im Erfolg (ex post) festgestellt wird. Besteht aber 146 Zusammenfassende Darstellung der Lehre von der objektiven Zurechnung etwa bei Rudalphi, SK, Bd. I, vor § 1 Rdnr. 57 ff., und Wessels, Strafrecht, Allg. Teil, S. 48 ff., jeweils mit weit. Hinweisen. - Monographisch neuerdings Walter, Objektive und personale Zurechnung, 1981. Vgl. auch dessen Spezialuntersuchungen zur Zurechnungsproblematik in GA 1977, 257 ff., ZStW 89 (1977), S. 649 ff. 147 Vgl. Stratenwerth, Festschrift für Gallas, 1973, S. 227 ff.; eingehend Walter, Objektive und personale Zurechnung, S. 29, IOD, 118, 139 und passim, mit weit. Nachweisen S. 118 Fußn. 126, S. 139 Fußn. 311. 148 Nicht zu verwechseln mit der Natstandsgefahr, von der in früherem Zusammenhang die Rede war. 149 Vgl. oben S. 45 ff. 4 Küper
IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
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ohnehin kein Zweifel daran, daß sogar die "Billigung" des Erfolges dessen Zurechenbarkeit zur unerlaubten "actio praecedells" nicht hindert, so muß dies für die Gefahr, durch die hindurch der Täter die Verletzung bewirkt, gleichfalls angenommen werden! - Und schließlich - dies wurde bei der Bestimmung des "Verschuldensobjekts" und der "Verschuldensform" schon dargelegt l50 - ist davon auszugehen, daß der Täter bereits im Veranlassungsstadium entweder um die Tatbestandsverwirklichung weiß und sie will (formelle Voraussetzungen vorsätzlicher "actio illicita in causa") oder daß er sie doch wenigstens voraussehen sowie den zur Notstandshandlung führenden Geschehensablauf vermeiden konnte (formelle Voraussetzungen fahrlässiger "actio illicita in causa"). 4. Die "actio illicita in causa" beim fahrlässigen Erfolgsdelikt a) Unterschiede in der Tatbestandsstruktur Grenzen der "actio illicita in causa"
Auf der Grundlage des so präzisierten Bewertungssubstrats bereitet zunächst die Fahrlässigkeitsvariante der actio-illicita-Konstruktion vergleichsweise geringe Schwierigkeiten. Soweit die Tatbestände der Fahrlässigkeitsdelikte den Handlungstypus nicht speziell beschreiben, sondern lediglich die sorgfaltswidrige, zurechenbare Herbeiführung eines bestimmten Erfolges verlangen, kann das unsorgfältige Verhaltenl51 theoretisch an jedem beliebigen Punkt der Kausalkette ermittelt, also auch schon im Vorstadium der gerechtfertigten Notstandshandlung diagnostiziert werden. Denn derartige Tatbestände, die man als "reine" Fahrlässigkeits-Erfolgsdelikte bezeichnen kann l52 wie z. B. § 230 StGB -, sind gleichsam zur Vergangenheit hin offen, setzen dem zeitlichen Rückgriff keine Grenzen lSJ • Vgl. oben S. 36 ff. Der Streit um den dogmatischen Stellenwert der "Sorgfaltspflichtverletzung" beim Fahrlässigkeitsdelikt muß in diesem Zusammenhang beiseite bleiben. Dazu zuletzt etwa Schroeder, LK, 10. Aufl. 1980, § 16 Rdnr. 157 ff.; Wolter, GA 1977, 267 f., mit weit. Nachweisen in Fußn. 89 ff. Hier wird mit "Sorgfaltswidrigkeit" die "Unrichtigkeit" des Verhaltens im Hinblick auf das dadurch geschaffene Risiko bezeichnet, mag sie nun auf einer Verletzung von Sorgfaltspjlichten beruhen oder sich schon unabhängig davon aus der "objektiven Erkennbarkeit" des Risikos ergeben. 152 Vgl. auch Hruschka, SchwZStr 90 (1974), S. 68 f., JuS 1968, 557; Dencker, JuS 1979, 782 f. ISJ Insofern trifft die Feststellung E. Horns, GA 1969, 289, zur Parallelproblematik bei der "actio libera in causa" zu: "Es bedarf (lediglich) einer im Hinblick auf den eingetretenen Erfolg sorgfaltswidrigen Handlung - aber mehr nicht! Die zeitlich-räumliche Entfernung dieses pflichtwidrigen Verhaltens vom Erfolg spielt nur insoweit eine Rolle, als die Norm das Ausbleiben eines Erfolges wie des eingetretenen bezweckt haben muß." Vgl. auch Hruschka, SchwZStr 90 (1974), S. 68 f.; Puppe, JuS 1980, 350 (ebenfalls zur 150 151
4. "Actio illicita in causa" und fahrlässiges Erfolgsdelikt
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Anders verhält es sich jedoch, wenn der Fahrlässigkeitstatbestand, über die Erfolgszurechnung hinaus, bestimmte Begehungsmodalitäten fahrlässigen Verhaltens typisiert, die der Vorhandlung fehlen I54. Man denke etwa an die Straßenverkehrsgefährdung nach § 315 c Abs. 1 Nr.2 i. V. m. Abs.3 Nr.2 StGB, z. B. in Form einer "grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen" Vorfahrtsverletzung (Buchstabe a) oder "zu schnellen Fahrens" an "unübersichtlichen Stellen" (Buchstabe b). Die Verwirklichung solcher Fahrlässigkeitstatbestände ist nur in der Weise möglich, daß der Täter als Teilnehmer am Straßenverkehr beim "Fahren" Vorfahrtsregeln mißachtet bzw. in bestimmten Verkehrssituationen die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet. Dieses fahrlässige Verhalten läßt sich nach der Tatbestandsstruktur nicht beliebig in die Vergangenheit zurückprojizieren und auf "Vorhandlungen" beziehen, die außerhalb der aktuellen Verkehrssituation vorgenommen werden (geschweige denn auf einen Zeitpunkt, in dem der Täter überhaupt noch nicht "fährt"); es ist vielmehr an die tatbestandlich beschriebene, spezifische Tätigkeit und deren gesetzlich gekennzeichnete Begleitumstände gebundenIss. Nehmen wir an, ein Kraftfahrer verwirklicht - vorsätzlich - einen der genannten Tatbestände, einschließlich der dazu erforderlichen konkreten Gefährdung; weiterhin sei angenommen, daß diese Vorsatztat aufgrund des § 34 StGB gerechtfertigt ist l56 • Auch wenn sich feststellen läßt, daß der Täter bei der (vermeidbaren) Begründung der Notstandslage den gesamten späteren Verlauf voraussehen konnte, versperrt der Tatbestand den Regreß in ein möglicherweise fahrlässiges Veranlassungsstadium. Denn die notstandsbegründende Vorhandlung besteht nun einmal, anders als die Notstandstat selbst, nicht im grob verkehrswidrigen Führen eines Kraftfahrzeuges unter Mißachtung der Vorfahrtsregeln (usw.); sie erschöpft sich vielmehr actio libera in causa): "Die tatbestandsmäßige Handlung kann theoretisch beliebig weit in der Ursachenkette des Erfolgs zurückverlegt werden." 154 Vgl. zum folgenden auch die überlegungen E. Horns, GA 1969,312 f., und Hruschkas, SchwZStr 90 (1974), S. 69. Hruschka spricht von "Aktdelikten" , bei denen der gesetzliche Tatbestand "nicht, wie bei den reinen Erfolgsdelikten, durch die bloße Verursachung eines bestimmten verpönten Erfolges erfüllt" wird, "sondern durch die Begehung einer in ihren Umrissen vom Strafgesetz mehr oder weniger beschriebenen Tätigkeit". Vgl. auch Hruschka, JuS 1968, 556 f. - Das im Text Ausgeführte gilt natürlich erst recht für "schlichte" Tätigkeitsdelikte, die keinen Erfolg voraussetzen. 155 Diese Momente kann man auch nicht, wie es anscheinend E. Horn, GA 1969, 302 f., vorschwebt, als "Geschehenskomplex" kurzerhand dem "Erfolg" zuschlagen und damit wieder auf die Vortat kausal zurückführen. Das wäre eine Verfehlung des Tatbestandssinnes. - Der ganze Fragenkreis bedarf freilich noch einer Spezialuntersuchung, die im Rahmen dieser Arbeit nicht in Angriff genommen werden kann. 156 Zu dem Problem, ob und inwieweit in solchen Fällen eine Rechtfertigung überhaupt möglich ist, vgl. zuletzt Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, S. 102 f., mit weit. Hinweisen.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
in der - wenngleich an sich zurechenbaren - Verursachung solchen Verhaltens und in der Herbeiführung des Gefährdungserfolges. Dieses Beispiel zeigt, stellvertretend für andere denkbare, exemplarisch die tatbestandsimmanenten G7·enzen der fahrlässigen "actio illicita in causa": Man muß stets darauf achten, ob und inwieweit die Besonderheiten der Tatbestandsfassung den Rückgriff auf früheres (auch an sich fahrlässiges) Verhalten zulassen; uneingeschränkt zulässig ist er nur bei den "reinen Erfolgsdelikten" . Über den Anwendungsbereich der "actio illicita in causa" entscheidet damit VOn Fall zu Fall die Interpretation des jeweiligen Fahrlässigkeitsdelikts und seines Tatbestandssinnes. Dabei ist zu beachten, daß das Vorverhalten gerade auch den sprachlichen Anforderungen der gesetzlichen Handlungsbeschreibung - unter Einschluß spezieller "Umstände" und "Situationen" entsprechen muß; denn nur dann ist es im strengen Verständnis tatbestandsmäßig 157 • Was dies für den Gesamtkomplex fahrlässiger Taten, insbesondere für solche Tatbestände bedeuten würde, die sich nicht mehr dem Kreis bloßer Erfolgsdelikte zuordnen lassen, könnte nur in genauer Einzelanalyse der in Frage kommenden Fahrlässigkeitstatbestände ermittelt werden I58 • Hier muß der Hinweis auf das Prinzip genügen. b) Analogie zur "actio libera in causa"?
aa) Die Tatbestandsbildung bei fahrlässiger "actio libera in causa" Dieses Zwischenergebnis bedarf allerdings noch der Absicherung gegen einen möglichen Einwand. Immerhin kÖnnte man versuchen, jene aus der Eigenart der Tatbestände resultierende Begrenzung der "actio illicita" in Analogie zur "actio libera in causa", die z. T. als deren Vorbild verstanden wird l59 , zu überwinden l60 • Die geläufige Konstruktion der "actio libera in causa", über deren Grundlagen freilich beträcht157 Für die "Vorhandlung" gilt insoweit nichts anderes als für das Nachstadium der sog. Deliktsbeendigung, das sich ebenfalls nur im Wege zulässiger Interpretation dem jeweiligen Tatbestand einfügen läßt. Dazu eingehend Küper, JZ 1981, 209 ff., 215 ff., mit weit. Nachweisen. Beides ist im Grunde lediglich die Konsequenz aus dem Beziehungsverhältnis zwischen dem "formellen" und dem "materiellen" Charakter des gesetzlichen Tatbestandes: "Nur die im Deliktstypus als deliktisch festgelegten Verhaltensweisen kommen als Träger des Deliktsgehalts in Betracht. Der Tatbestand im materiellen kann nicht weiter reichen als der Tatbestand im formellen Sinn." (Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 35.) 158 Ansätze dazu bei E. Horn, GA 1969, 302 f. Vgl. auch unten S. 133 ff., 156 ff. 159 Vgl. schon Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 142 f.; ferner etwa Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, S. 304; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 105, GA 1961,303. 160 Vgl. auch Dencker, JuS 1979,783.
4. "Actio illicita in causa" und fahrlässiges Erfolgsdelikt
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liche Unsicherheit herrscht l61, beurteilt die speziellen Modalitäten des tatbestandsmäßigen Verhaltens offenbar aus der Perspektive der "eigentlichen Begehung" im Defektzustand; sie muß jedenfalls konsequenterweise so verfahren, wenn sie die actio-libera-in-causa-Haftung - im hier allein interessierenden Fahrlässigkeitsbereich - nicht auf den Bezirk reiner Erfolgsdelikte beschränken will, was ersichtlich nicht beabsichtigt ist. Das Verhalten "in actu" ist danach die primäre Grundlage der Subsumtion. Nur für den (Vorsatz- oder) Fahrlässigkeitscharakter dieser Tatbestandshandlung soll es auf das Vorstadium ankommen, in dem der Täter das zur späteren Deliktsverwirklichung führende Kausalgeschehen verantwortlich steuernd "in Gang gesetzt" hat. Damit wird zwangsläufig das Erforderni.s der (vollen) Schuldfähigkeit "bei Begehung der Tat" (§ 20 StGB) eingeschränkt l62 • Diese Voraussetzung wird partiell ersetzt durch die "Verlagerung" der Fahrlässigkeitsbeurteilung in das defektfreie Veranlassungsstadium (bei im einzelnen unterschiedlichen, in diesem Zusammenhang belanglosen Anforderungen an den "Defektbezug" der actio praecedens). Dagegen wird nicht gefordert - was für unseren Kontext bemerkenswert ist-, daß schon die Vorhandlung selbst der Tatbestandsbeschreibung in jeder Hinsicht, auch bezüglich der speziellen Begehungsmodalitäten, genau entspricht l63 • 161 Die herrschende Lehre ist dargestellt etwa bei Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, S. 360 ff.; Maurach / Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. 1, S. 521 ff.; Rudolphi, SK, Bd. 1, § 20 Rdnr. 28 ff. Aus der Spezialliteratur der neueren Zeit vgl. besonders die in den Grundkonzeptionen erheblich divergierenden Stellungnahmen von E. Horn, GA 1969,289 ff.; Hruschka, JuS 1968, 454 ff., SchwZStr 90 (1974), S. 48 ff., 55 ff., Strukturen der Zurechnung, S. 44 ff.; Krause, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 305 ff., Jura 1980, 169 ff.; Puppe, JuS 1980, 346 ff.; Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, 1975, S. 57 f. Vgl. im übrigen auch unten S. 82 ff. 162 Wie immer man diese Einschränkung der strengen Koinzidenz bezeichnen oder auch kaschieren mag! 163 Dieses "Mischverfahren" wird freilich meist wohl unbewußt - durch den häufigen Hinweis darauf verschleiert, daß die Rechtsfigur der "actio libera in causa" nur eine "scheinbare Ausnahme" vom Koinzidenz-Prinzip des § 20 StGB sei (vgl. dazu die Hinweise bei Krause, Jura 1980, 172 Fußn. 12). Wäre das richtig, könnten Begehungsmodalitäten, die erst im Zeitpunkt der Defekthandlung vorliegen, nicht mehr erfaßt werden; damit wären dann etwa so wichtige Anwendungsfälle der fahrlässigen "actio libera in causa" wie § 315 c Abs. 1 Nr. I, Abs.3 Nr.2 StGB oder auch § 316 Abs.2 StGB der Haftung weitgehend entzogen. Will man solche Konsequenzen vermeiden, was offenbar in der Intention der herrschenden Meinung liegt, so muß jenseits der reinen Erfolgsdelikte folgerichtig eine "wirkliche" Ausnahme von § 20 StGB postuliert werden (die nicht unbedingt eine Ausnahme vom Schuldprinzip zu sein braucht), wie immer man sie terminologisch benennt und sachlich begründet. Vgl. dazu vor allem Hruschka (oben Fußn. 162); Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, S. 360, 362; Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 166; vgl. auch Dencker, JuS 1979, 783. Diese Problematik verkennen m. E. E. Horn, GA 1969, 289 f. und Puppe, JuS 1980,350. Die gekennzeichnete "gemischte Methode" läßt sich im übrigen daran erkennen, daß die
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
bb) " Gespaltene Bewertung" auch bei fahl·lässiger "actio illicita in causa"? In vergleichbarer Weise könnte man auch bei der fahrlässigen "actio illicita in causa" die Bewertung aufspalten: Für die Subsumtion unter die Handlungsbeschreibung des Unrechtstatbestandes wäre die - gerechtfertigte - Notstandstat maßgebend; lediglich ihre Qualität als fahrlässiges Verhalten würde im Rückgriff auf die vorgelagerte Veranlassungsphase bestimmt. Im Beispielfall der Straßenverkehrsgefährdung wäre es dann unerheblich, daß der Vorhandlung die besonderen Eigenschaften des tatbestandlich beschriebenen Delikts abgehen, wenn sie nur auf die Notstandstat selbst zutreffen. Gegen ein solches "Mischverfahren" bestehen indessen gravierende und letztlich wohl unüberwindliche Bedenken. In den Konstellationen der "actio Zibera in causa" erfüllt der Täter mit der im Defektzustand begangenen Handlung immerhin alle Anforderungen eines tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Verhaltens; es fehlt für die Strafbarkeit dieser Tat lediglich die (volle) Schuldfähigkeit. Bei Situationen dieser Art mag es - was hier nicht zu entscheiden ist - gute und rechtsstaatlich zulässige, insbesondere mit dem Schuldprinzip vereinbare Gründe dafür geben, den aktuellen Mangel an Schuld durch den - das Koinzidenzprinzip des § 20 StGB einschränkenden - Regreß auf einen verantwortlich ins Werk gesetzten, defektbegründenden Steuerungsvorgang zu kompensieren l64 • Die übertragung dieser Methode auf die actio-illicita-Fälle hätte jedoch zur unvermeidlichen Folge, daß sogar auf die Kongruenz von tatbestandsmäßigem und rechtswidrigem Verhalten verzichtet werden müßte: Da die tatbestandsmäßige Notstandstat nicht rechtswidrig, die fahrlässige und "materiell" rechtswidrige Vorhandlung andererseits nicht (voll) Tatbestandsverwirklichung" auch sprachlich vielfach vom Vorverhalten mehr
~der weniger deutlich abgehoben, als dessen bloßes "Ergebnis" begriffen
wird. So stößt man immer wieder auf Formulierungen, die zum Ausdruck bringen, daß die im verantwortlichen Zustand gesetzte "entscheidende Ursache" sich in der nachfolgenden "Verwirklichung tatbestandlichen Unrechts" erst in einem Zeitpunkt "auswirkt", in dem der Täter nicht mehr schuldfähig ist. Vgl. z. B. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, S. 360 f.; Lackner, § 20 Anm. 8; Rudolphi, SK, Bd. I, § 20 Rdnr. 28; Schänke I Schräder I Lenckner, 20. Aufl. 1980, § 20 Rdnr. 33 (anders neuerdings in der 21. Aufl. 1982, § 20 Rdnr. 24). Vgl. auch Maurach, JuS 1961, 373 f., 376. Da ein UrsacheWirkung-Verhältnis aber tatbestandlich beschriebene Verhaltensmodalitäten nicht zu ersetzen vermag, ist man insoweit wieder auf die Einbeziehung der Defekthandlung angewiesen. "Vorverlegt" ist dann jedoch nicht die "Tat", sondern sind "die zum Delikt führenden Steuerungsvorgänge" (Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 166). 164 Zu solchen Gründen etwa Hruschka, JuS 1968, 558 f.; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, S. 360 f.; Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 166. Siehe auch unten S. 82 ff., 85 ff. - Dezidiert anderer Ansicht aber z. B. Horn, GA 1969, 293 f.; Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, S. 57 f. Vgl. auch Welp, Vorangegangenes Tun, S. 134 ff.
4. "Actio illicita in causa" und fahrlässiges Erfolgsdelikt
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tatbestandsmäßig ist, würde aus den Elementen zweier je für sich nicht zugleich tatbestandsmäßiger und rechtswidriger Verhaltensweisen eine Art "Mischt at best and" gebildet, den das Gesetz nicht kennt. Das wäre aber ein eklatanter Verstoß gegen den - im Prinzip "nullum crimen sine lege" verankerten - Grundsatz, daß die Rechtswidrigkeit einer Tat im Strafrecht an die Grenzen des jeweiligen Tatbestandes gebunden ist l65 • Nur das im gesetzlichen Tatbestand beschriebene Verhalten kann "rechtswidrig" mit der Konsequenz sein, daß es dem Täter als deliktisches, strafrechtlich sanktioniertes Unrecht zur Last gelegt werden darf. Die "Tatbestandsmäßigkeit" ist deshalb nicht allein das logisch-systematische, sondern auch das rechtsstaatliche "Prius" der Rechtswidrigkeit. Diese Limitierung strafrechtsrelevanten Unrechts durch den gesetzlichen Tatbestand setzt einer Analogie zur "actio libera in causa" unübersteigbare Schranken. Das ist vielleicht aus ähnlichen Gründen unbefriedigend, wie sie im actio-libera-Bereich für eine Auflockerung des Koinzidenzprinzips geltend gemacht werden können l66 • Doch vermag die Tatsache, daß der Täter schon im Vorstadium die spätere rechtmäßige Tatbestandshandlung fahrlässig-rechtswidrig einleiten kann, weder dem "Mangel am Tatbestand" abzuhelfen, der die actio praecedens kennzeichnet, noch das "Rechtswidrigkeitsmanko" zu beseitigen, das sich aus der Erlaubtheit des tatbestandsmäßigen Verhaltens ergibtl67 • Damit hat sich jede Dogmatik abzufinden, die den nullum-crimen-Grundsatz respektieren Will l68 • c) Zur inhaltlichen FahrlässigkeitsbegrüDdung
Es bleibt somit dabei: Der Rückgriff auf eine fahrlässige "actio illicita in causa" ist unstatthaft, wenn die Vortat nicht die besonderen Voraussetzungen der tatbestandlichen Handlungsbeschreibung erfüllt. Die Probleme, die danach im Bereich zulässiger "actio illicita" - insbesondere also bei den reinen Erfolgsdelikten - noch anstehen, betreffen die sachliche Begründung der ("vorverlegten") Fahrlässigkeit: die Sorgfaltswidrigkeit der actio praecedens. Hierzu sei an dieser Stelle 165 Vgl. auch DenCker, JuS 1979, 738, der ebenfalls mit dem nullum-crimenPrinzip argumentiert, den entscheidenden Gesichtspunkt aber nicht scharf genug herausstellt. Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, S. 57, hat auch der "herrschenden Meinung" zur actio libera in causa ganz allgemein - und offenbar sogar für den Bereich reiner Erfolgsdelikte - den Vorwurf der Etablierung von "Mischtatbeständen" gemacht. Ob dieser Vorwurf dort das Problem trifft - was sehr fraglich erscheint - steht in diesem Zusammenhang nicht zur Debatte. Vgl. dazu auch unten S. 82 ff. 166 Vgl. oben Fußn. 164. 167 Der in der Diskussion um die "actio illicita in causa" in ganz anderem Zusammenhang - vgl. oben nach Fußn. 123 a - erhobene und dort nicht stichhaltige Einwand unzulässiger "Addition" trifft in diesem Bereich also zu. 168 Vgl. auch Dencker, JuS 1979,783.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "aetio illicita in causa"
nur auf zwei Aspekte hingewiesen, die freilich einer gründlicheren Diskussion bedürfen, als sie hier möglich ist.
aa) Die Sorgfaltswidrigkeit des Vorverhaltens Daß die Herbeiführung einer Gefahr für eigene Rechtsgüter169 als solche nicht verboten ist 170 und es sich dabzi außerdem um die "Vorstufe" eines gerechtfertigten Verhaltens handelt, dürfte kein prinzipielles Hindernis für die "Sorgfaltswidrigkeit" der zur Notstandslage und anschließenden Rechtsgutsverletzung führenden Vorhandlung sein. Man müßte sonst annehmen, daß es im freien Belieben des Täters steht, voraussehbar "verletzungsträchtige" Notstandssituationen zu schaffen, die ihn zu einer - aktuell gerechtfertigten - Gefahrenabwehr durch Eingriff in eine fremde Gütersphäre zwingen. Daß es einen solchen "Freibrief" für mangelnde Rücksicht auf die von der Notstandstat betroffenen Güter nicht geben kann, haben im Grunde die früheren Erwägungen zur Möglichkeit einer widerrechtlichen Notstandsbegründung171 schon gezeigt. Ein effektiver Rechtsgüterschutz impliziert vielmehr auch das grundsätzliche Interesse der Rechtsordnung daran, daß Güterkollisionen unterbleiben, in denen die Tendenz zur Rechtsgutsverletzung zwangsläufig angelegt ist 172 ; dieses Interesse wird nicht dadurch beseitigt, daß das Recht nach Entstehung des Konflikts bereit ist, die dann gebotene Gefahrenabwehr und ihre schädlichen Folgen zu tolerieren. Auf diese Weise schützt die Rechtsordnung, wie in anderem Zusammenhang bereits hervorgehoben wurde l73 , potentielle Opfer von Notstandstaten jedenfalls vor der Begründung unausweichlicher Konfliktslagen, in denen die Unversehrtheit des Schutzobjekts rechtlich nicht mehr gewährleistet werden kann - ein durchaus sinnvoller, "mittelbarer" Schutz der Rechtsgüter, die im Notstand letztlich preisgegeben werden müssen l74 • Daraus folgt schon für das Veranlassungs169 Darauf soll die Betrachtung wiederum beschränkt werden. Vgl. schon oben Fußn. 29. 170 Vgl. bereits oben bei Fußn. 63. 171 Vgl. oben S. 40 ff. 172 Als Erwägung taucht dieser Gedanke auch bei Hruschka, JR 1979, 127, auf: "... könnte man daran denken, die zurechenbare Herbeiführung der Notstandslage zu ahnden, wenn und weil sie eine vermeidbare Gefahr schafft, in der die Verletzung eines fremden ... Interesses droht". Hruschka verwirft diese Möglichkeit dann aber aus den unten Fußn. 177 genannten Gründen. 173 Vgl. oben S. 47 f. 174 In seinem Beitrag zur provozierten Notwehr hat Bertel, im Anschluß an Nowakowski (Das österreichische Strafrecht in seinen Grundzügen, 1955, S. 97), diesen Aspekt der Sache nach schon herausgearbeitet: "Sicher muß die Rechtsordnung interessiert sein, daß Konflikte, in denen rechtlich geschützte Interessen aufeinanderprallen, in ihrem Sinn (seil. nach dem Grundsatz des "kleineren übels") gelöst werden; aber sie kann gewiß kein Interesse daran haben, daß jemand solche Konflikte mutwillig provoziert, mit dem Ergebnis,
4. "Actio illicita in causa" und fahrlässiges Erfolgsdelikt
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stadium eine "soziale Verantwortung" des Täters 175 , deren Mißachtung den materiellen Kern der "vorgelagerten" Sorgfaltswidrigkeit ausmacht. Das im Fahrlässigkeitstatbestand enthaltene Verbot läßt sich daher, über die unmittelbare Gefährdung des Rechtsgutes hinaus, prinzipiell auf die Herbeiführung derart "verletzungsträchtiger" Konfliktsituationen erstrecken, erfaßt also - im Interesse möglichst wirksamen Güterschutzes - auch die "mittelbare Gefährdung" durch Notstandsbegründung. Angesichts der tatbestandlichen "Offenheit" fahrlässiger Erfolgsdelikte 176 bedarf es dafür keines besonderen Gefährdungstatbestandes (den es nicht gibt)177. Nur zur Klarstellung sei noch einmal hervorgehoben, daß dabei Bezugspunkt der Voraussehbarkeit nicht nur die Notstandslage, sondern auch - und maßgeblich - die Verwirklichung eines bestimmten Deliktstatbestandes im Notstand ist l78 •
bb) Weitere Bewertungs/ragen - erlaubtes Risiko Freilich - und das ist der zweite Aspekt der inhaltlichen Fahrlässigkeitsbegründung - fällt die "Sorgfaltswidrigkeit" der Vorhandlung, wie beim fahrlässigen Delikt überhaupt, nicht notwendig mit der Voraussehbarkeit (und Vermeidbarkeit) der Tatbestandsverwirklichung zusammen. Das Vorverhalten des Notstandstäters braucht gleichwohl nicht fahrlässig zu sein, weil die davon ausgehende "mittelbare Gefährdung" des Eingriffsgutes von der Rechtsordnung mit Rücksicht auf etwaige positive Qualitäten dieser Veranlassungshandlung hingenommen wird. Das ist zunächst der Fall, sofern auch die Vortat selbst daß sie dann ein Rechtsgut preisgeben muß, um ein anderes zu erhalten." Wie weit dieser grundsätzlich richtige Ansatz im Notwehrbereich trägt, ist allerdings wiederum ein "notwehrspezifisches" Sonderproblem, dem hier nicht nachgegangen werden soll. Immerhin muß bedacht werden (vgl. schon oben S.40 mit Fußn. 121), daß der Notwehrprovokateur den Konflikt erst mittelbar - über die rechtswidrige Reaktion des provozierten Angreifers - einleitet, so daß der widerrechtlich angreifende Provozierte in erster Linie die Verantwortung für die Güterkollision und die daraus folgende Verletzung trägt. Ob das Interesse der Rechtsordnung an der Verhütung verletzungsträchtiger Konflikte so weit reicht, daß es auch den "indirekten" Beitrag des Provokateurs zur widerrechtlichen Konfliktsbegründung durch den Angreifer noch erfaßt, darin besteht offenbar das materielle Problem der Sorgfaltswidrigkeit bei der fahrlässigen "actio illicita" im Notwehrrecht. Es sollte von der allgemeinen und systematisch primären Zurechnungs/rage (vgl. oben Fußn. 144) deutlich getrennt werden. 175 Vgl. auch oben bei Fußn. 65, 66. 176 Dazu schon oben S. 50. 177 Anders allerdings Hruschka, JR 1979, 127 f., der zwar - ohne Bezug auf die Fahrlässigkeit - den konstruktiven Weg des Textes zur Diskussion stellt (vgl. oben Fußn. 172), jedoch einen speziellen Gefährdungstatbestand vermißt. In der älteren Literatur in dieser Richtung schon Neubecker, Zwang und Notstand in rechtsvergleichender Darstellung, S. 330 f.; H. von Weber, Das Notstandsproblem, S. 41. 178 Dazu schon oben S. 36 f., 50.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
bereits gerechtfertigt ist: sie dient z. B. der erforderlichen Abwendung einer akuten Gefahr für ein anderes Rechtsgut, welches gegenüber dem - mittelbar - gefährdeten (und durch die Notstandstat dann erlaubt verletzten) das höherwertige Interesse repräsentiert179• Unabhängig von typisierten Rechtfertigungssituationen, die schon das Vorverhalten erfassen, kann die actio praecedens aber auch wegen eines sonst mit ihr verfolgten "anerkennenswerten Zwecks"l80 im Ergebnis legitimiert sein. Dabei ist das normative Gewicht dieses positiven Zwecks zu dem Grad des Risikos, welches die Vortat enthält, und zur Bedeutung des letztlich betroffenen Rechtsgutes in Beziehung zu setzen - um nur die wichtigsten Faktoren zu nennen - . Mit anderen Worten: Für die "Sorgfaltswidrigkeit" der Vorhandlung spielt auch das Problem der "Sozialadäquanz" oder des "erlaubten Risikos" eine unter Umständen entscheidende Rolle l8l ,182. Dabei eröffnet die für die actio-illicita-Fälle charakteristische "Mittelbarkeit" der Gefährdung, die schon im Blick auf den Eintritt der Notstandslage, aber auch der notstandsbedingten Rechtsgutsverletzung, unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsstufen einschließt, ein relativ weites Feld sozialadäquater, für die Rechtsordnung noch erträglicher Risiken. Es dürfte allerdings in der Regel überschritten sein, wenn der Vorhandlung die "naheliegende", sich aufdrängende Gefahr anhaftet, daß es zu einer Notstandssituation kommt. Das alles macht die Beurteilung naturgemäß unsicher, zwingt zur subtilen Analyse des Einzelfalles - die nicht Aufgabe dieser Untersuchung sein kann - , ist aber kein grundsätzlicher Einwand gegen die Konstruktion der fahrlässigen "actio illicita in causa".
179 Vgl. auch den Beispielsfall von Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 105 Fußn. 83, der in diese Kategorie gehört, aber im Fahrlässigkeitsbereich - mangels eines entsprechenden Tatbestandes - nicht aktuell werden kann: "Bricht z. B. eine Rettungsmannschaft auf, um einem in Bergnot Geratenen zu helfen, so kann es vorhersehbar sein, daß sie bei einem Wettersturz in eine Alpenhütte eindringen muß; dennoch kann hier von einer Pflichtwidrigkeit keine Rede sein." 180 Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 105 Fußn. 83, spricht von "berechtigtem Anlaß". 181 Vgl. bereits die Andeutungen bei Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 142, sowie die überlegungen Bertels, ZStW 84 (1972), S. 18 f., 26 ff., 31 ff., zur "Sozialadäquanz" des Vorverhaltens bei der provozierten Notwehr. 182 Zum Begriff der "Sozialadäquanz" und des "erlaubten Risikos" bei Fahrlässigkeitsdelikten vgl. die Hinweise bei Schänke / Schröder / Lenckner, vor §§ 13 ff. Rdnr. 68 ff., § 15 Rdnr. 142 ff. Eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Begriffen, ihrer Tragweite und ihrem Verhältnis zueinander ist in diesem Zusammenhang nicht möglich. Zur Abwägungsmethode exemplarisch Lenckner, Festschrift für Engisch, 1969, S. 499 ff.; Samsan, SK, Anh. zu § 16 Rdnr. 19 ff.; Schünemann, JA 1975, 575 ff. Vgl. auch Wolter, GA 1977, 264f.
5. "Actio illicita in causa" und vorsätzliches Erfolgsdelikt
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5. Die "actio illicita in causa" beim vorsätzlichen Erfolgsdelikt a) Voruberlegungen zur Tatbestandsstruktur des Vorsatzdelikts
Eine vorsätzliche "actio illicita in causa" scheint auf den ersten Blick jedenfalls innerhalb derselben tatbestandlichen Schranken möglich zu sein, die der Fahrlässigkeitsvariante dieser Rechtsfigur Grenzen setzen, sie andererseits auch zulassen: vor allem also bei den reinen Erfolgsdelikten (wie etwa der Sachbeschädigung), deren Tatbestände auf spezielle Handlungstypisierungen verzichten l83 • In diesem Bereich gestattet das früher präzisierte Bewertungssubstrat l84 , desEen Strukturen hier immer vorausgesetzt werden, offenbar ganz zwanglos eine Konstruktion, die den tatbestandlichen Erfolg als zurechenbares Produkt eines schon im Veranlassungsstadium gefaßten Vorsatzes begreift, den der Täter in der Notstandssituation lediglich "durchhält"I85,I86. InsoIn diesem Sinne denn auch Dencker, JuS 1979, 782. Vgl. obenS. 47 f. 185 So in der älteren Literatur bereits von Bar, Gesetz und Schuld, Bd.3, S. 267: "Der auf den Enderfolg ... gerichtete Dolus faßt den gesamten Vorgang von der ersten, den Enderfolg bezielenden Tätigkeit bis zum Enderfolge einschließlich zu einer Handlungseinheit zusammen: der Enderfolg ist dolos verursacht, und die Zwischenglieder der Kausalkette kommen nicht in Betracht." Vgl. auch die Hinweise oben Fußn. 36. 186 Anders als in den "dolus-generalis"-Fällen, in denen bei der zweiten Handlung des Täters Überhaupt kein (Tötungs-)Vorsatz mehr vorliegt, ist der psychologische Befund bei der "actio illicita in causa" für beide Geschehensphasen gleich: der Täter handelt jeweils mit einem substantiell identischen, auf den Erfolg bezogenen Willen (dessen Betätigung zwecks Gefahrenabwehr allerdings kein Unrecht darstellt). Deshalb entstehen die Probleme nicht, die sich in den Konstellationen des "dolus generalis" aus dem "Wegfall" des Vorsatzes im zweiten Handlungsabschnitt ergeben. Zu diesen Fragen zuletzt eingehend Roxin, Festschrift für Würtenberger, 1977, S. 109 ff.; Wolter, ZStW 89 (1977), S. 649 ff., 675 ff. - Interessant auch für unseren Zusammenhang ist aus der dolus-generalis-Diskussion freilich die Auffassung Maiwalds, ZStW 78 (1966), S. 30 ff., 54. Er meint, daß die Frage der Zurechnung zum Vorsatz "punktuell immer von neuem zu stellen" sei; da der Täter "fortlaufend von neuem freie Willensentscheidungen" treffe, sei "auch der eingetretene Erfolg auf seine Rückbeziehbarkeit auf jeden der einzelnen Willensakte, soweit sie Sollensentscheidungen sind, zu betrachten". Deshalb soll in den dolus-generalis-Fällen der Erfolg nicht auf den Vorsatz zurückführbar sein, mit dem der Täter in der ersten Handlungsphase zu Werk gegangen ist (Versuchslösung, ebenso neuerdings wieder Hruschka, JuS 1982, 319 f.). Aus dieser "Einzelaktstheorie" könnte man auch für den Problemkreis der vorsätzlichen "actio illicita" eine Art "Regreßverbot" bezüglich des ursprünglichen Vorsatzes folgern, mit der Konsequenz, daß der Zurechnungskonnex durch das vorsätzliche Handeln im Notstand (als "neue Sollensentscheidung abgeschnitten wäre (so offenbar jetzt Constadinidis, Die "actio illicita in causa", S. 69 f., 71 f.; grundsätzliche überlegungen zum "Regreßverbot" zuletzt bei Jakobs, ZStW 89 [1977], S. 1 ff.). Doch abgesehen davon, daß MaiwaIds Auffassung bereits im Bereich des dolus generalis als widerlegt gelten darf, weil sie allgemeinen Zurechnungsprinzipien widerspricht (dazu insbesondere die erwähnten Arbeiten von Roxin und Wolter) , läßt sie sich auf die Problematik der "actio illicita in causa" nicht mit analogem Ergebnis übertragen. Denn der "zweite", in der Notstandslage betätigte Vorsatz beruht hier nicht 183
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U)
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
fern stimmt anscheinend auch die Parallele zur vorsätzlichen "actio libera in causa", deren Grundmuster - wiederum abgesehen von den Sonderfragen des Defektbezuges der actio praecedens - nach üblichem Verständnis analog konstruiert ist: Der Erfolg geht auf eine vorsätzliche überdetermination des gesamten Kausalablaufs zurück, die bereits vor dem Verlust der Schuldfähigkeit einsetzt und so die Erfolgsherbeiführung als eine "im Ursprung" schuldhaft-vorsätzliche Tat ausweist l87 • Der Befund ist freilich nur dann so unproblematisch-trivial, wie er beim ersten Anschein aussieht, wenn die Tatbestandshandlung des vorsätzlichen Erfolgsdelikts lediglich als gewollte - und auch im übrigen zurechenbare - Verursachung des Erfolges begriffen wird, deren Beginn beliebig weit in der Vergangenheit liegen kann, sofern dort nur der "Entschluß" zur Erfolgsverwirklichung und eine darauf gerichtete Tätigkeit feststellbar sind. Versteht man das vorsätzliche Erfolgsdelikt in dieser Weise als Addition von (adäquater) "Ursächlichkeit des Täterhandelns für den Erfolg und Vorsatz zu irgendeinem Zeitpunkt dieses Handelns"188, so bereitet die vorsätzliche "actio illicita in causa" tatsächlich keine prinzipiellen Schwierigkeiten mehr; denn dann trifft das für fahrlässige Erfolgsdelikte herausgestellte Charakteristikum, daß sie "zur Vergangenheit hin offen" sind 189, auch auf die Vorsatztatbestände zu. Ob diese Deliktsart damit sachgerecht, d. h. tatbestandsangemessen, begriffen wäre, ist indes höchst zweifelhaft. Die Problematik führt in Grundfragen der Tatbestandsstruktur hinein, die hier nur umrissen, nicht weitläufig erörtert, geschweige denn mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit entschieden werden können. Dabei wird von der Voraussetzung ausgegangen - die heute mit breitem Konsens rechnen kann -, daß sich die Unrechtsbeschreibung vorsätzlichen HandeIns, wie sie in den Tatbeständen auch der "reinen" Erfolgsdelikte gemeint ist, nicht im Ursache-Setzen für den tatbestandsmäßigen Erfolg erschöpft. "Begehen einer Tat" ist in diesem Bezirk, wie überall im Strafrecht, "nicht gleich Bewirken des Taterfolges, Handeln etwas anauf einer neuen, selbständigen "Sollensentscheidung" des Täters, ist vielmehr nur die von vornherein in Aussicht genommene Fortführung seines ursprünglichen Entschlusses unter Bedingungen, die schon mit der ersten "Sollensentscheidung" planmäßig-willentlich gesetzt werden. Bei dieser Situation ist nicht einsichtig, weshalb der "Regreß" in den ersten Handlungsabschnitt verboten sein sollte (zu insofern bestehenden Parallelen beim "dolus generalis" vgl. auch Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 102 f.; Wolter, ZStW 89 [1977], S. 687 f.). 187 Vgl. für dieses übliche Verständnis der vorsätzlichen "actio libera in causa" nur Lackner, § 20 Anm. 8 a; Rudolphi, SK, Bd. 1, § 20 Rdnr. 30 f. 188 So die Fragestellung MaiwaIds, ZStW 78 (1966), S.37, zum "dolus generalis". Ob sie dessen Problematik trifft, kann hier auf sich beruhen. 189 Vgl. oben S. 50 bei Fußn. 153.
5. "Actio illicita in causa" und vorsätzliches Erfolgsdelikt
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deres als bloßes Verursachen"I90. Der Tatbestand beschreibt darüber hinaus "ein von einem subjektiven Sinn gelenktes" Verhalten, eine aus Zwecktätigkeit und Erfolgsbewirkung bestehende "final-kausale Sinneinheit"l9l. Damit ist freilich für unser Problem unmittelbar noch nichts gewonnen. Denn die zwecktätige "Steuerung", die vorsätzliches Handeln jenseits der Verursachung auszeichnen muß, läßt sich ja dem "dolosen" Vorverhalten an sich nicht absprechen, und sie ist von vornherein auch auf den Enderfolg bezogen. Die entscheidende Frage geht deshalb dahin, ob die in der "Vergangenheit" - bei Begründung der Notstandssituation - als psychologisch-kybernetisches Faktum zweifellos vorliegende Finalität den tatbestandlichen Anforderungen vorsätzlicher Begehung genügt. Der Horizont dieser Frage wird deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, daß jenes "vorsätzliche Vorverhalten" , welches den Notstand und die notstandsbedingte Rechtsgutsverletzung auslöst, lediglich eine Vorbereitung zur Tatbestandsverwirklichung sein kann - vielleicht sogar regelmäßig ist - und in dieser Eigenschaft als bloße Vorstufe der tatbestandsmäßigen Handlung keine Unrechtsrelevanz besitzt. Ist es dann aber als Grundlage der Erfolgszurechnung zu vorsätzlichem deliktischem Verhalten überhaupt geeignet? b) Die vorsätzliche "Begehung" und ihr "Beginn"
aa) Die Bedeutung der Versuchsschwelle In der Tat wird man, wie insbesondere die neue re Diskussion über die "actio libera in causa" gezeigt hat l92 , nicht jedes bewußt-gewollte "In-Gang-Setzen" eines Kausalverlaufs in Richtung auf den Erfolg schon als vorsätzliche Tatbestandshandlung qualifizieren dürfen, selbst wenn es diesen Erfolg schließlich (zurechenbar) bewirkt. Der Vorsatz - dies setzt ersichtlich auch § 16 StGB voraus - muß gerade "bei Begehung der Tat" gegeben sein, das Steuerungselement der tatbe190 Vgl. Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S.82. 191 Vgl. Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S.47, 51 und passim. Vgl. auch Gallas, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 159. 192 Vgl. zum folgenden vor allem die wichtigen Arbeiten von E. Horn, GA 1969, 292 ff., 297 f., 300 ff.; Hruschka, JuS 1968, 556 f., SchwZStr 90 (1974), S. 54 f., 64 f. und passim; Oehler, JZ 1970, 380 ff., 382; Puppe, JuS 1980, 347 f., ferner Küper, Festschrift für Leferenz, 1983. Der zusammenfassende Beitrag von Krause, Jura 1980, 169 ff., ist für das Problem unergiebig. - Hingewiesen sei auch auf die Auseinandersetzung um den "Blutrausch"-, "Affektamnesie"- und "Epileptoidenfall" (BGHSt 7, 325; 23, 133, 356). Dazu die Problemübersicht bei Eser, Studienkurs Strafrecht I, S. 167 ff., 170 f., und aus der übrigen Literatur vor allem Geilen, JuS 1972, 73 ff., Festschrift für Maurach, 1972, S. 179 ff.; Hruschka, SchwZStr 90 (1974), S. 48 ff.; Oehler, GA 1956, 1 ff., JZ 1970, 380 ff.; Rudolphi, SK, Bd. I, § 20 Rdnr.27; Wolter, ZStW 89 (1977), S. 700 ff.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
standlichen Ausführungshandlung darstellen l93 • Diese Handlung beginnt jedoch, anders als beim Fahrlässigkeitsdelikt, frühestens mit dem "Anfang der Ausführung", der in § 22 StGB jetzt als "unmittelbares Ansetzen" zur Verwirklichung des Tatbestandes definiert wird l94 • Erst ein solches Tun kann als vorsätzliche "Begehung der Tat" im Rahmen von Verhaltensbeschreibungen wie etwa "Beschädigen einer Sache", "körperliche Mißhandlung", "Töten eines Menschen" verstanden werdenl95 • Alle früheren Handlungen gehören dagegen in das tatbestands- und daher unrechtsneutrale Gebiet der Planung und Vorbereitung. Sie verlieren diese Neutralität nicht schon deshalb, weil sich der Erfolg bei rückblickender Betrachtung - vermittelt durch das eigentlich tatbestandsmäßige Verhalten - letztlich auch auf sie zurückführen läßt: Der Kauf des Beils wird nicht deswegen zu der in § 303 StGB typisierten "Beschädigungs"-handlung, weil der Täter, seinem vorgefaßten Plan entsprechend, mit diesem Werkzeug dann tatsächlich eine Sachbeschädigung herbeiführt. Bei alledem geht es, wie zur Klarstellung betont werden muß, nicht etwa um eine Grenzbestimmung, die vom positivrechtlichen Vorhandensein eines - schon das "unmittelbare Ansetzen" als solches mit Strafe bedrohenden - Versuchstatbestandes abhängig ist. Es handelt sich vielmehr, ganz unabhängig von der gesetzlichen Strafbarkeit oder Straflosigkeit des bloßen Versuchs, um die Entscheidung der andersartigen Sach- und Interpretationsfrage, wann der Beginn des im Tatbestand der vorsätzlichen (vollendeten) Erfolgsdelikte vorausgesetzten Verhaltens frühestens anzusetzen ist l96 , so daß im strengen Sinn bereits von einer vorsätzlichen "Begehung der Tat" gesprochen werden kannl97 • Daß dieser Anfang der Ausführung mit der in § 22 StGB markierten Überschreitung der Vorbereitungszone zusammenfallen soll, ist zwar insofern konstruktiv nicht mehr zwingend begründbar, als die Versuchsschwelle selbst wiederum von der jeweiligen Tätervorstellung mitbestimmt wird und damit weitgehend "subjektiviert" ist; auch hängt diese Subjektivierung offenbar mit der kriminalpolitisch intendierten Vgl. auch Maiwald, ZStW 78 (1966), S.37. Auf die Bedeutung dieses Ausführungsbeginns wird in der oben Fußn. 192 genannten Literatur zur "actio libera in causa" immer wieder hingewiesen. Vgl. auch BGHSt 23, 133 (136), 356 (358 f.); Geilen, JuS 1972, 73 f.; Hruschka, Strukturen der Zurechnung, S. 58 f. - Siehe aber auch Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 250 f. (dazu unten im Text S. 64 f.). 195 Vgl. auch StTatenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 187. 196 Vgl. auch Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 250 f. 197 Sachlich gleichbedeutend, aber ungenauer, kann man die Frage mit Puppe, JuS 1980, 347, auch dahin formulieren, wann über den strafrechtlich noch irrelevanten "Plan" oder "Entschluß" hinaus schon ein "Vorsatz im Rechtssinne" vorliegt. Dies ist nach Puppe erst der Fall, wenn sich der Entschluß im "Anfang der Ausführung" manifestiert. Vgl. auch Oehler, JZ 1970, 382; Hruschka, JuS 1982,321. 193
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Reichweite der positiv-gesetzlichen Versuchsstrafdrohungen zusammen l98, die im vorliegenden Kontext gerade nicht interessiert. Doch gibt es bei den bloßen Erfolgsdelikten, da sie nun einmal den Handlungsvollzug nicht genauer kennzeichnen, keine andere sinnvolle Möglichkeit der Abgrenzung. Eine rein chronologische "Verschiebung" der Tatbestandsgrenze, z. B. in eine mehr oder weniger große "Erfolgsnähe" des Verhaltens, bliebe willkürlich: wo sollte sie im Verlauf des weiteren HandeIns gezogen werden?l99 Die zeitliche Distanz zwischen Handlung und Erfolg wäre zudem kein sachgerechter Maßstab, da sie nach der Tatbestandsstruktur gleichgültig ist. Andererseits scheitert eine verbindliche "Phänomenologie" tatbestandlichen HandeIns, mit der die "eigentliche Ausführung" diesseits des Versuchs erfaßt werden könnte, bei den Erfolgsdelikten schon an der Abstraktheit und Farblosigkeit ihrer Handlungstypisierung200 • Und eine von der Versuchsdefinition abgekoppelte Objektivierung des Begehungsstadiums, etwa mit Hilfe von Gefahrkriterien, enthielte schon mehr als die Verhaltensbeschreibung, die der Tatbestand beabsichtigt. Man wird sich daher mit der Konkordanz von Versuchs- und Ausführungsbeginn abfinden müssen201, wenn nicht überhaupt auf eine Begrenzung tatbestandlichen Verhaltens verzichtet werden SOll202. Der "subjektive Einschlag" dieser Grenzbestimmung, der durch die objektiven Anforderungen der "Unmittelbarkeit" relativiert wird, harmoniert im übrigen mit dem Charakter 198 Generalpräventive Pönalisierung des schon hinreichend manifestierten, für die Normgeltung gefährlichen "rechtsfeindlichen Willens". Zu diesem Zusammenhang etwa Roxin, JuS 1979, 1 f. 199 Vgl. - in anderem Zusammenhang - auch E. Horn, GA 1969, 301 f. 200 Bezeichnend dafür ist der Gedankengang Hruschkas, SchwZStr 90 (1974), S. 54, 64. Der Autor spricht beim Tötungsdelikt zwar zunächst davon, daß das Handeln "bereits gewisse Konturen angenommen" haben müsse, "die es als spezifische Tötungshandlung erscheinen lassen": "es muß bereits phänomenologisch als Tötungshandlung angesprochen werden können". Diese Qualität sieht er dann jedoch durch die überschreitung der "Grenzlinie zwischen Vorbereitung und Versuch" definiert! 201 Soweit für die Mittäterschaft ein Tatbeitrag zur eigentlichen "Ausführung" des Delikts gefordert wird (vgl. dazu die Nachweise bei Küper, JZ 1979, 778 Fußn. 24), sieht man deren Beginn - durchweg ganz unreflektiert - bezeichnenderweise ebenfalls in der überschreitung des Vorbereitungsstadiums und verlangt deshalb eine täterschaftliche Mitwirkung zumindest in der Versuchsphase (vgl. z. B. Roxin, LK, 10. Auf!. 1978, § 25 Rdnr. 128; Rudolphi, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 374 f.). Ob diese Abgrenzung der "Begehung" hier begründet ist, hängt vom Verständnis und der Konkretisierung mittäterschaftlicher "Tatherrschaft" ab, die aufgrund der besonderen Rollenverteilung möglicherweise auch bei bloßer Deliktsvorbereitung schon gegeben ist. Die Frage ist von einer abschließenden Klärung noch weit entfernt (vgl. die übersicht bei Wessels, Strafrecht, Allg. Teil, S. 121 f.). Zur Struktur der "Mitherrschaft" bei mittäterschaftlicher Begehung zuletzt eingehend Küper, JZ 1979, 785 ff. 202 Vgl. dazu auch Fiedler, Vorhaben und Versuch, S.75, 92 f., 98 f.
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der Tatbestandshandlung als subjektiv-objektiver Sinneinheit, die Träger des Verhaltensunwertes ist.
bb) Mögliche Einwände Ganz anders sieht die Dinge freilich Schmidhäuser03• Er will - für die Zwecke der actio-libera-in-causa-Haftung - den "Beginn des vom Unrechtstatbestand erfaßten rechtsgutsverletzenden HandeIns" unabhängig von der Versuchsgrenze danach bestimmen, ob "schon die frühere Handlung in rechtsgutsverletzender Weise die objektive Gefahr für das spätere Handeln geschaffen hat". Hierbei geht er davon aus, daß der Unrechtstatbestand des vollendeten Erfolgsdelikts keine Beschreibung der "Anfangsstadien des Tatgeschehens" enthalte. Daher sei jede im "Gefährdungsunwert"204 rechtsgutswidrige Handlung miterfaßt, aus der sich der Erfolg, wenn auch vermittelt durch weitere Tätigkeiten und Gefahren, zurechenbar ergibt205 . Aus diesem Blickwinkel kann "Tötungshandlung" im Fall des Erfolgseintritts z. B. schon das "Trinken alkoholischer Getränke" sein, wenn damit "die Gefahr der Vollberauschung, sodann die Gefahr der Motorradheimfahrt in diesem Zustand und dadurch die Gefahr auch für tödliche Verletzungen eines anderen Verkehrsteilnehmers geschaffen wird". - Es liegt auf der Hand, daß aus dieser Perspektive die Tatbestandshandlung weit in den Bereich bloßer Vorbereitung hineinreichen kann, zum al Versuchskriterien für den "Gefährdungsunwert" nicht maßgebend sein sollen. Gegen diese Betrachtungsweise, die sich zwanglos auf Fälle der vorsätzlichen "actio illicita in causa" übertragen läßt, sind vor allem zwei Bedenken geltend zu machen. Zum einen reduziert sie das tatbestandliche Verhalten im Grunde auf jede vorsätzliche Erjolgsverursachung durch eine beliebige, zu irgendeinem Zeitpunkt vorgenommene Handlung des Täters206. Der verlangte "Gefährdungsunwert" ändert daran 203 Vgl. Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 250 f. Vgl. auch Studienbuch (Allg. Teil), S. 99 f. 204 Zu diesem Begriff Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 206 f. Siehe dazu auch Lackner in seiner Besprechung des Schmidhäuserschen Lehrbuchs, JZ 1973, 71, sowie in einem speziellen Zusammenhang Küper, GA 1974, 334 f. Vgl. ferner unten Fußn.205. 205 Warum Schmidhäuser hier nur auf den "Gefährdungsunwert" abstellt und den nach seiner Auffassung ebenfalls unrechtskonstitutiven "Zielunwert" beiseite läßt, ist mir nicht deutlich geworden. Wenn es richtig ist, daß sich das "Anfangsstadium" des Tatgeschehens nach dem Beginn des "rechtsgutsverletzenden HandeIns" (i. S. Schmidhäusers) richtet, müßte es genügen, daß der Täter mit dem "Willensziel" handelt, einen "dem Rechtsgut entgegengesetzten Unwertsachverhalt herbeizuführen" (vgl. Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S.206). Zu den Begriffen "Ziel"- und "Gefährdungsunwert" vgl. neuerdings eingehend Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 158 ff., 163 ff. 206 Vgl. auch oben bei Fußn. 188.
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nichts; denn der Eintritt des Erfolges zeigt stets und notwendig an, daß die vorsätzliche Handlung, die ihn im Zusammenhang mit der weiteren Tätigkeit schließlich (zurechenbar) verursacht hat, für das Rechtsgut schon "gefährlich" war. Dies gilt für das "Trinken alkoholischer Getränke", dessen "Gefährlichkeit" sich über Folgegefahren im Tod eines Verkehrsteilnehmers realisiert, ebenso wie für den "gefährlichen" Kauf einer Waffe, mit der das Opfer dann plangemäß getötet wird. Die gesetzliche Verhaltensbeschreibung wird dadurch so unbestimmt, daß sie jede Kontur verliert. Damit hängt das zweite, gewichtigere Bedenken gegen Schmidhäusers Auffassung zusammen. Es besteht darin, daß das im Vorsatztatbestand enthaltene Verbot und das ihm zugrunde liegende Unwerturteil nach dieser Auffassung ganz allgemein auf Vorbereitungshandlungen erstreckt werden müssen. Indessen ist schwer einzusehen, daß solche Verhaltensweisen generell "verboten" sind und beim Ausbleiben des Erfolges (oder Versuchs) nur aus Gründen fehlender "Strafwürdigkeit" nicht geahndet werden207 • Verbot und Mißbilligung vorsätzlichen Verhaltens müssen ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Erfolgseintritt, wie überhaupt auf die spätere Entwicklung des Geschehens, verständlich und begründbar sein, weil sie menschliches Handeln verbindlich regulieren sollen. Das Recht hat jedoch grundsätzlich keinen Anlaß, jedes "Zu-Werke-Gehen" mit der subjektiven Tendenz der Rechtsgutsverletzung durch Verbote zu mißbilligen, weil solches Handeln, trotz gewisser "Gefährlichkeit", die soziale Ordnung regelmäßig noch nicht schwerwiegend tangiert, sondern nach seinem äußeren Erscheinungsbild mit ihr zumeist in Einklang steht und sich der Täterwille in diesem frühen Stadium zudem beliebig ändern kann208 • Eine manifeste Störung der Gemeinschaftsordnung, die es durch ein Verbot vorsätzlichen Tuns zu verhindern gilt, tritt im allgemeinen vielmehr frühestens ein, wenn sich der Deliktsentschluß in einem unmittelbaren Angriff auf ein Rechtsgut äußert und die "latente" Gefährlichkeit des Willensverhaltens in eine "aktuelle" umschlägt. Dieser übergang wird durch die Grenzlinie zwischen Vorbereitung und Versuch bezeichnet, die sich damit zugleich - jedenfalls mangels besserer Maßstäbe - zur Bestimmung der tatbestandlichen "Verbotszone" des vorsätzlichen Erfolgsdelikts eignet. Ob und wann der Gesetzgeber schon allein auf diese Mißachtung des Verbots 2m So aber offenbar Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 610 f.
208 Vgl. Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 187 f. Vgl. auch Maurach / Gössel! Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. 2, S.7; Gehler, JZ 1970, 382. Hin-
zuweisen ist ferner auf die eingehenden überlegungen zur Bedeutung der "Vorbereitung" bei Fincke, Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des Strafrechts, S. 41 ff. Dort wird freilich das hier interessierende Problem, wann das im Tatbestand der Erfolgsdelikte beschriebene Verhalten "beginnt", nicht berührt. Das gilt im übrigen auch für Alwarts Erwägungen zum Versuch als "Anfang" (Strafwürdiges Versuchen, S. 125 ff.). 5 Küper
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mit Strafe reagiert, das (und nur das) ist freilich eine - positivrechtlich zu entscheidende - Frage der "Strafwürdigkeit" oder "Strafbedürftigkeit" , die mit der Begründung verbotswidrigen Unrechts nicht verwechselt werden sollte.
cc) Unterschiedliche Tatbestandsanforderungen bei vorsätzlicher und fahrlässiger "actio illicita in causa" Folgt man dem hier entwickelten Gedanken, daß die Versuchsschwelle beim Vorsatzdelikt den Beginn der tatbestandsmäßigen "Begehung" markiert, dann läuft dies für die Problematik der vorsätzlichen "actio illicita in causa" auf die Frage hinaus, ob die notstandsbegründende Vorhandlung bereits als "unmittelbares Ansetzen" zur Tatbestandsverwirklichung begriffen werden kann oder lediglich einen - noch tatbestandslosen - Vorbereitungsakt darstellt. Dieses Zwischenergebnis, das in neue ren Untersuchungen zur "actio libera in causa" eine bemerkenswerte Parallele findet 209 und im übrigen mit der grundsätzlichen strafrechtlichen Irrelevanz bloßer Vorbereitungshandlungen zusammenstimmt, ist im vergleichenden Blick auf die fahrlässige "actio illicita in causa" dennoch einigermaßen erstaunlich. Dort hatte sich gezeigt, daß jedenfalls bei den reinen Erfolgsdelikten, wegen der eigentümlichen "Offenheit" der Fahrlässigkeitstatbestände zur Vergangenheit hin, die Möglichkeit besteht, auf die im Vorstadium der gerechtfertigten Notstandstat begründete "mittelbare" Gefährdung zurückzugreifen, die in der sorgfaltswidrigen Herbeiführung einer verletzungsträchtigen Konfliktsituation liegt2lO • Beim Vorsatzdelikt, das solche "Offenheit" nicht kennt, müssen dagegen anscheinend strengere, durch die überschreitung der Vorbereitungszone definierte Anforderungen an das tatbestandsmäßig-rechtswidrige Verhalten gestellt werden, wenn es als Grundlage für die Zurechnung des Enderfolges geeignet sein soll. Und dies, obwohl die "mittelbare" Gefahr, die bei vorsätzlicher wie fahrlässiger "actio illicita" geschaffen wird, in beiden Fällen substantiell identisch und bei planmäßiger überdetermination der Notstandslage sicher nicht geringer ist als im Fall bloßer Sorglosigkeit. Außerdem: Wenn es - wie im Zusammenhang der fahrlässigen "actio illicita in causa" dargelegt wurde -, ein prinzipielles, verbotsbegründendes Interesse der Rechtsordnung daran gibt, daß Güterkollisionen unterbleiben, in denen die Tendenz zur Rechtsgutsverletzung zwangsläufig angelegt ist, so läßt sich ein solches Interesse auch für die vorsätzliche Veranlassung derartiger Kollisionslagen nicht gut leugnen. Die gleichwohl im Verhältnis von Vorsatz- und Fahrlässigkeitstatbestand bisher festgestellte Diskrepanz der "Verbotsbereiche" , die sich 209
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Vgl. oben Fußn. 192, 194. Vgl. oben S. 50 ff., 55 ff.
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aus der Bedeutung der Versuchsschwelle für die Abgrenzung vorsätzlicher Begehung ergab, bedarf deshalb der Erklärung und Überprüfung. Sie ist allein mit dem Hinweis darauf, daß "beim Fahrlässigkeitsdelikt" , anders als bei der Vorsatztat, eben "keine Unterscheidung nach Vorbereitung und Anfang der Ausführung" getroffen werden kann2l1 , noch nicht geleistet. Es soll nun nicht behauptet werden, daß diese Differenz, die in den "actio-illicita"-Fällen - angesichts der vergleichbaren Verletzungsträchtigkeit des vorsätzlichen/fahrlässigen Vorverhaltens - erhebliches Unbehagen weckt, in einem übergreifenden "System" ohne spekulativen Rest aufgelöst werden kann. Immerhin gibt es eine Möglichkeit der Erklärung, von der aus die strengeren Anforderungen der Vorsatztatbestände jedenfalls grundsätzlich verständlich werden; sie beruht auf zwei Überlegungen. Einerseits ist zu bedenken, daß die im Tatbestand des Vorsatzdelikts beschriebene "Begehung" die Basis bildet für die Zurechnung des daraus resultierenden Erfolges zum VOTsätzlichen Verhalten und damit - bei Bejahung der Zurechenbarkeit - eine regelmäßig strengere Sanktion zur Folge hat als im Fahrlässigkeitsfall. Dem entspricht es, daß sich das Gesetz mit dem Verbot, den Vorsatz in Richtung auf den Erfolg zu betätigen, zurückhält und abwartet, bis er sich in einem relativ eindeutigen, unmittelbaren Angriff auf das tatbestandliche Schutzobjekt manifestiert, der geeignet ist, die volle Verantwortung für die vorsätzliche Herbeiführung des Erfolges zu begründen212 • Beim Fahrlässigkeitsdelikt besteht dagegen 211 So z. B. Puppe, JuS 1980, 350, für die "actio libera in causa". Vgl. auch Hruschka, SchwZStr 90 (1974), S. 68 f.
212 Im Normalfall des vollendeten Vorsatzdelikts hat diese "Zurückhaltung" freilich keinerlei praktische Bedeutung und fällt sozusagen gar nicht auf, weil es wegen des zweifelsfrei tatbestandsmäßigen HandeIns, auf dem der zurechenbare Erfolgseintritt beruht, nicht weiter darauf ankommt, wann das Verbot vorsätzlichen Verhaltens frühestens einsetzt und verletzt wird (anschaulich dazu Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 250). Die Situation ändert sich aber wesentlich, wenn die eigentliche Tatausführung als Zurechnungsgrundlage fragwürdig wird, weil der Täter z. B. nur im Vorbereitungsstadium noch schuldfähig war. Dann wird es im Hinblick auf die Verantwortlichkeit für den vorsätzlich herbeigeführten Erfolg bedeutsam, ob der Tatbestand bereits die Vorsatzbetätigung in der bloßen Vorbereitungsphase erfaßt. Das zeigt sich etwa bei den vom BGH entschiedenen "Affektamnesie-" bzw. "Epileptoidenfällen" (vgl. oben Fußn. 192). Gerät der Täter schon bei der Vorbereitung in den Zustand der Schuldunfähigkeit, würde andererseits in dieser Phase bereits das tatbestandliche Verbot vorsätzlich-erfolgsgerichteter Willensbetätigung gelten, so wäre damit zugleich der Weg für eine Erfolgszurechnung zum schuldhaft-vorsätzlichen Verhalten eröffnet, wenn der Kausalverlauf dem Vorsatz des Täters entspricht. Daß dieses Ergebnis nicht erträglich wäre und das Verbot deshalb erst mit dem "Anfang der Ausführung" einsetzen kann, hat sowohl die Rechtsprechung des BGH wie auch die Diskussion über die einschlägigen Fälle hinreichend deutlich gemacht (vgl. aber auch Geilen, Festschrift für Maurach, 1972, S. 181 f., 184 ff.). Daß die Zurechnung des Erfolges in diesem Fall freilich auch dann Probleme auf-
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wegen der milderen Sanktion nicht nur kein Anlaß zu einer vergleichbaren Differenzierung der Verhaltensanforderungen, sondern überhaupt keine sinnvolle Möglichkeit dazu, weil sich das normwidrige Handeln in der Vernachlässigung der erforderlichen Sorgfalt erschöpft. Schafft der Täter - dies ist die zweite überlegung - vorsätzlich eine gewisse "Gefahr" für ein Rechtsgut, indem er Vorbedingungen zu dessen Verletzung setzt, so muß er überdies in aller Regel noch die Unsicherheitsphase einer unmittelbaren Konfrontation mit der Schutzsphäre des Opfers - die berühmte "Feuerprobe der kritischen Situation"213 - bestehen, von deren überwindung die aktuelle Gefährlichkeit seines Verhaltens abhängt. Bei nur "sorgloser" Begründung einer Gefahrenlage, deren reale Bedeutung für die Integrität des betroffenen Schutzobjekts der Täter nicht erkennt oder im Vertrauen auf einen guten Ausgang nicht ernst genug nimmt, existiert dagegen kein analoger Schutzmechanismus zugunsten der Opferseite. Die Rechtsordnung ist daher, soweit sie ihre Güter gegen fahrlässiges Verhalten schützen will, darauf angewiesen, ihre Verbote bereits zur Verhinderung jeder (sozial inadäquaten) Gefahr einzusetzen, aus der sich mit erheblicher Wahrscheinlichkeit eine Rechtsgutsverletzung entwickeln kann. dd) Konsequenzen
Ist man bereit, aufgrund dieser überlegungen ein gesetzliches Ordnungsprinzip anzuerkennen, das die Diskrepanz der "Verbotsbereiche" beim fahrlässigen und vorsätzlichen Erfolgsdelikt im Grundsatz verständlich macht, so kann man seinen Konsequenzen auch im Problemkreis der "actio illicita in causa" nicht beliebig ausweichen: etwa unter Berufung auf ein ausnahmsweise vorliegendes "praktisches Bedürfnis" nach Erweiterung des Vorsatztatbestandes um die Vorbereitungszone 214 oder nach "Harmonisierung" der dem Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt jeweils zugrunde liegenden Verbote. Jenes Ordnungsprinzip zwingt vielmehr zu der Folgerung, daß die Vorsatztatbestände der Einbeziehung des notstandsbegründenden Vorverhaltens eine - beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht vorhandene - begriffliche Grenze setzen, die durch Versuchskriterien bezeichnet wird. Eine ganz andere Frage ist es allerwirft, wenn man die "Verbotszone" des Tatbestandes in der überschreitung der Versuchsschwelle erblickt, steht auf einem anderen Blatt. Vgl. dazu die Hinweise oben Fußn. 192, insbes. Wolter, ZStW 89 (1977), S. 700 ff. - Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang ferner an die - selten angesprochenen - Fälle des "verfrühten" Erfolgseintritts schon im Vorbereitungsstadium, bei denen ein vorsätzliches Erfolgsdelikt ebenfalls ausscheidet. Vgl. z. B. Schönke / Schröder / eramer, § 15 Rdnr. 55; Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 283. 213 Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, S. 146 f. 214 Wobei überdies noch offen wäre, ob dieses Bedürfnis überhaupt besteht. Dazu - in anderem Zusammenhang - unten S. 88 f.
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dings, ob eine vorsätzliche "actio illicita", die den tatbestandlichen Anforderungen des "unmittelbaren Ansetzens" nicht genügt, damit zugleich als Grundlage einer Fahrlässigkeitshaftung ausscheidet. Diese Frage berührt das noch weitgehend ungeklärte und hier nicht eingehend zu behandelnde normative Verhältnis von Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat überhaupt215 ; sie dürfte im Ergebnis zu verneinen sein. Denn das im Fahrlässigkeitstatbestand mitenthaltene Verbot, "sorglos", d. h. ohne angemessene Rücksicht auf fremde Güter, verletzungsträchtige Kollisionslagen216 zu schaffen, mißachtet auch derjenige Täter, der dies sogar mit dem Willen zur Gefahrbegründung und späteren Rechtsgutsverletzung tut. Das Vorhandensein eines solchen Willens macht ihn weder zum untauglichen Adressaten dieses Verbots, da für ihn die ,.mittelbare" Gefährdung und anschließende Verletzung ebenfalls voraussehbar und vermeidbar sind217, noch stellt es einen zureichenden Grund dar, ihn von der Beachtung derjenigen Sorgfaltsanforderungen zu dispensieren, die für den vorsatzlos handelnden Täter ohnehin gelten. Das widerspräche dem - in anderem Zusammenhang schon betonten218 Güterschutzinteresse der Rechtsordnung. Der Akteur einer vorsätzlichen "actio illicita" kann daher, wenn sich seine Willensbetätigung vom Vorsatzdelikt her betrachtet als außertatbestandliche Vorbereitungshandlung erweist, die in diesem Rahmen für die Erfolgszurechnung nicht ausreicht, immerhin wegen fahrlässig-sorgfaltswidriger Verletzung des Schutzobjekts zur Verantwortung gezogen werden. Daß eine "vorsätzlich" getroffene Vorbereitungsmaßnahme, die den Erfolg auslöst, (nur) ein Fahrlässigkeitsdelikt begründet, ist ja auch sonst grundsätzlich denkbar, z. B. bei einem Irrtum des Täters über die wirkliche Verletzungseignung eines nur "vorbereitend" eingesetzten Tatmittels219• 215 Dabei ist auf die Tendenzen zur "strukturellen Zusammenführung" beider Verhaltensformen zu verweisen. Vgl. etwa Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, S. 347 ff.; Jakobs, GA 1971, 260; Krauß, ZStW 76 (1964), S. 45 ff.; Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 428 ff.; Schroeder, LK, 10. Aufl. 1980, § 15 Rdnr. 16; Triffterer, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 201 ff.; Wolter, Alternative und eindeutige Verurteilung, S. 201 ff., 210 ff.; GA 1977,263 ff. 216 Im früher gekennzeichneten Sinn, vgl. oben S. 56. 217 Vgl. z. B. Jakobs, GA 1971, 260: "Es gibt keine Fahrlässigkeitshaftung ohne Erkennbarkeit des Unrechts, und diese umfaßt bei den Erfolgsdelikten die Erkennbarkeit des Erfolgseintritts; falls der Erfolgseintritt aber erkannt ist, also im Vorsatzbereich, wird durch das Faktum der Erkenntnis die Erkennbarkeit bewiesen." Vgl. auch Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 429 f. 218 Vgl. oben S. 56 f. 219 Vgl. das Beispiel bei Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil, S. 103, 197 f.: Die Ehefrau vergiftet ein Glas Milch, das sie erst später ihrem Mann vorzusetzen beabsichtigt; der Mann trinkt jedoch die Milch schon vorher. Hier haftet die Frau nur wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung, weil "sich die Tat bei Erfolgseintritt nach dem Plan des Täters noch im Stadium
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa" c) Vorsätzliche Notstandsbegründung als Beginn der tatbestandlichen Begehung? aa) Die Vorhandlung als "unmittelbares Ansetzen"?
Die weiteren überlegungen zur vorsätzlichen "actio illicita in causa" müssen nach diesem Zwischenergebnis dem Problem gelten, ob und wann das notstandsbegründende Vorverhalten die Anforderungen des Versuchs erfüllt und damit bereits den Beginn der tatbestandsmäßigen "Begehung" darstellt. Die Eigenart dieser Vorhandlung besteht darin, daß der Täter willentlich-bewußt eine Gefahr für eigene Güter schafft, die ihn dann - seinem Plan entsprechend - "zwingt", das fremde Eingriffsgut im Notstand (rechtmäßig) zu verletzen, wenn er nicht in dieser Situation die Gefahr mit ihren Folgen eben doch hinnehmen will- was allerdings seinem anfänglichen und auch später zur Gefahrabwendung betätigten Willen gerade nicht entspricht - . Man könnte geneigt sein, in solchen, gleichsam mit "Abwehrzwang" (und rechtmäßiger Abwehrmöglichkeit) verbundenen Selbstgefährdungsakten schon einen Versuch zu sehen, obwohl die eigentliche Verletzungshandlung erst nachfolgen soll22o. Doch läßt sich eine generelle Entscheidung in diesem Sinn nicht überzeugend begründen. Die Grenze zwischen Vorbereitung und Ausführungsbeginn wird durch das "unmittelbare" Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes bestimmt. Wie immer man dieses Erfordernis definiert und inhaltlich ausfüllt221 , so fehlt zunächst der notstandsbeder Vorbereitung" befand. Vgl. auch Schönke / Schröder / emmer, § 15 Rdnr. 55: Explosion einer Bombe schon bei bloßer Vorbereitungshandlung. 220 Im Bereich der Notwehr hat Lenckner, GA 1961, 304 f., bereits die absichtliche - Provokationshandlung als Versuch qualifiziert, und zwar unabhängig davon, ob der Provokateur eine Notwehrlage mit oder ohne Ausweichmöglichkeit schaffen will. Für unseren Zusammenhang ist dabei vor allem die Beurteilung bei fehlender Ausweichmöglichkeit interessant, da diese Situation in der Erforderlichkeitsstruktur mit der Notstandslage übereinstimmt (besteht eine "Ausweichmöglichkeit", so ist eine Rechtfertigung der Notstandstat wegen der dann gegebenen "anderweitigen Abwendbarkeit" ohnehin nicht denkbar). Dazu schreibt Lenckner: "Hat nämlich die Provokation erst einmal den gewünschten Erfolg, so ist der Täter praktisch gezwungen, Notwehr zu üben, da er andernfalls den Angriff des Provozierten schutzlos über sich ergehen lassen müßte. Im Unterschied zur actio libera in causa vollzieht sich das weitere Geschehen hier also mehr oder weniger zwangsläufig. Dies rechtfertigt es - und zwar gleichgültig, von welcher der modernen Versuchs auffassungen man herkommen mag -, den Anfang der Ausführung auf den Zeitpunkt zu beziehen, in dem der Täter in feindseliger Absicht beginnt (!), den anderen zu einem Angriff herauszufordern." Grundsätzlich zustimmend, aber differenzierend Bertel, ZStW 84 (1972), S. 25 f.; wie Lenckner früher schon Mezger, ZStW 52 (1932), S. 532, 536 f., 540; ablehnend dagegen Roxin, ZStW 75 (1963), S. 553 f., und früher bereits Hegler, Festgabe für R. Schmidt, Bd. 1, 1932, S. 67 f. 221 Zur neueren, recht kontroversen Diskussion darüber vgl. etwa Kühl, JuS 1980, 650 ff., 811 ff.; Maumch / Gössel/Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. 2, S. 19 ff.; Dtto, JA 1980, 642 ff.; Roxin, JuS 1979, 3 f., jeweils mit weit.
5. "Actio illicita in causa" und vorsätzliches Erfolgsdelikt
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gründenden Vorhandlung strukturell gerade die "Unmittelbarkeit", die den Beginn des tatbestandsmäßigen Verhaltens ausmacht. Denn nach dem Plan des Täters muß ja erst einmal ein "Zwischenerfolg" in Gestalt einer - nicht anders abwendbaren - Gefahr für das "Erhaltungsgut" eintreten, damit sich jener "Abwehrzwang" aktualisieren kann, der die Notwendigkeit einer weiteren, auf Gefahrenabwehr und Rechtsgutsverletzung gerichteten Tätigkeit schafft. Das Vorverhalten wird damit im geplanten Geschehensverlauf von der Tatbestandsverwirklichung durch zwei deutlich unterscheidbare Zwischenstadien getrennt: den Eintritt des für die Rechtsgutsbeeinträchtigung vorausgesetzten "Primärerfolges" (Notstandslage) und die erst daraus resultierende "Zweithandlung"222. Dieser Befund schließt prinzipiell die Möglichkeit aus, das notstandsbegründende Verhalten als schon "unmittelbar" zum Tatbestand gehörig zu betrachten; es setzt erst die Vorbedingungen für den unmittelbaren Angriff auf das Rechtsgut und die Verwirklichung des Delikts. bb) Der Eintritt des "Primärer/alges" als Ausführungsbeginn?
Nun ließe sich allerdings daran denken, den Versuch zwar nicht mit der Vorhandlung als solcher, sondern mit ihrem "Primärerfolg" zu verbinden: dem tatsächlichen Eintritt der Gefahrensituatian, die den Abwehrzwang auslöst. Ohne daß hier die grundsätzliche Frage diskutiert zu werden braucht, ob man den Versuch als Anfang tatbestandlichen Verhaltens überhaupt vom Eintritt eines Handlungsergebnisses abhängig machen kann oder ihn nicht vielmehr stets in einer bestimmten Handlung selbst sehen muß223, ist jedoch auch gegen eine solche Lösung Widerspruch geboten. Mit der Begründung der Notstandslage schafft der Täter zwar einen mehr oder weniger starken "praktischen Zwang"224 zum Eingriff in ein fremdes Rechtsgut, setzt er sich - in von Fall zu Fall unterschiedlichem Grade - gleichsam unter einen gewissen "psychischen Druck", weil er nunmehr vor der Alternative steht, entweder Hinweisen. Instruktive kurze übersicht über den Diskussionsstand bei Lackner, § 22 Anm. 1 b. 222 Will man pedantisch sein, so ist dabei festzuhalten, daß sowohl der "primäre Erfolg" als auch die "Zweithandlung" keine statischen, sondern durchaus dynamische Größen darstellen, mit entsprechendem Einfluß auf die Phänomenologie der "Zwischenstadien" : Die Gefahr muß sich erst so verdichten, daß die konkrete Abwehrhandlung "unabwendbar" wird, und diese "Zweithandlung" durchläuft wiederum unterschiedliche Stadien der Verwirklichung und "Tatbestandsnähe" . 223 Die Frage dürfte im ersteren Sinn zu entscheiden sein. Vgl. z. B. Roxin, Festschrift für Maurach, 1972, S. 214 ff., 218 und passim, JuS 1979, 1 ff.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 104 ff., 109. Dezidiert anders Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, S. 100 f.; kritisch dazu Küper, Versuchsbeginn und Mittäterschaft, S. 52 ff., 60. 224 Vgl. Lenckner, GA 1961, 305; dazu oben Fußn. 220.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
die selbstgeschaffene Gefahr und ihre Konsequenzen zu ertragen oder die Solidarität des von der Abwehr betroffenen Opfers in Anspruch zu nehmen. Doch vermag diese Motivkonstellation, auch angesichts der Tatsache, daß sie der Täter schon vorweg zugunsten des "Abwehrmotivs" entschieden hat, nichts daran zu ändern, daß er die für den Rechtsgutsangriff wesentliche Handlung erst jetzt vornehmen, die "letzte maßgebliche Entscheidung über das Ob der Tat" (BockelmannF noch treffen und realisieren muß. Man kann ja auch in anderen, vergleichbaren Situationen die "Unmittelbarkeit" des Ansetzens nicht schon daraus ableiten, daß der Täter - von ihm selbst begründeten"praktischen Zwängen" zum weiteren Handeln unterliegt. Geht er z. B. bei der Vorbereitung ein Entdeckungsrisiko ein, das sich wesentlich vergrößert, wenn er die Tat nicht unverzüglich ausführt, so wird durch diesen "praktischen Zwang" der Vorbereitungscharakter des bisherigen Tuns nicht in Frage gestellt. Gleiches gilt etwa für den Fall, daß sich ein Täter im Vorstadium durch "kriminelle Zusagen", deren Nichteinhaltung ihm gravierende Nachteile bringen würde, gegenüber anderen zur Ausführung eines Delikts "verpflichtet" hat. Es kann schließlich auch keine Rede davon sein, daß mit der Begründung der Notstandssituation das Geschehen bereits "aus der Hand gegeben" wird, so daß es sich nunmehr "nach seiner eigenen Gesetzlichkeit weiterentwickelt"226. Der Täter muß vielmehr den entscheidenden Schritt selbst noch tun, damit es überhaupt zur Rechtsgutsverletzung kommen kann, und darüber bestimmt er allein kraft seiner - wenn auch durch den Abwehrzwang psychologisch reduzierten - "Tatherrschaft" . Im übrigen muß bedacht werden, daß die zur Gefahrenabwehr vorgenommene Tätigkeit nicht notwendig in einem einheitlichen, punktuell erfaßbaren "Rettungs akt" besteht. Je nach Art und Dringlichkeit der Gefahr und je nach der Qualität der zu ihrer Beseitigung erforderlichen Maßnahmen kann die "Zweithandlung" ein mehraktiges, zeitlich gestrecktes Geschehen darstellen, in dessen Verlauf sich unter dem Aspekt der Tatbestandsverwirklichung wiederum eine Vorbereitungsund Ausführungszone unterscheiden lassen. d) Vergleich mit der Versuchsproblematik bei "actio libera in causa" und mittelbarer Täterschaft
Das bisherige Ergebnis bestätigt sich bei einem Blick auf die Versuchsproblematik der "actio libera in causa" und der mittelbaren Tä225 Vgl. Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, S. 164 f. Vgl. auch Kühl, JuS 1980, 811; Küper, JZ 1979, 781; Roxin, JuS 1979, 4; Rudolphi, JuS
1973,23. 226 Vgl. zu diesem Versuchskriterium vor allem Roxin, Festschrift für Maurach, 1972, S. 218, 224 f., JuS 1979, 10; ferner etwa Puppe, JuS 1980, 349; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 104 ff., mit weit. Hinweisen.
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terschaft - Rechtsfiguren, die immer wieder zur "actio illicita" in Parallele gesetzt werden. Daß diese Parallelisierung nur teilweise zutrifft, ist in anderem Zusammenhang schon aufgefallen2Z7 • Bei der Frage des "unmittelbaren Ansetzens" zeigt sich, daß zur vorsätzlichen actio libera in causa und zur Ausführung in mittelbarer Täterschaft in entscheidenden Punkten gerade keine Parallelität besteht.
aa) Versuchsbeginn bei "actio libera in causa" und "actio illicita in causa" über den Versuchsbeginn in Fällen der "actio libera in causa" herrscht noch wenig Klarheit. Nach einer verbreiteten extensiven Auffassung soll der Versuch (und zugleich dessen Beendigungf28 bereits auf den Zeitpunkt zu datieren sein, in dem sich der Täter bis zur Schuldunfähigkeit berauscht hat229 • Die ausführlichste Begründung dafür hat wohl Roxin gegeben230 . Er schreibt: "Wenn sich jemand bis zur Zurechnungsunfähigkeit betrinkt, um im Rausch eine mit Strafe bedrohte Handlung zu begehen, so hat er alles getan, was er als verantwortlich Handelnder zur Deliktsausführung tun mußte; denn für die Tatbestandserfüllung bedient er sich seiner selbst nur noch als eines quasimechanischen ,Werkzeugs'23I. Es liegt also mit dem Eintritt der Trunkenheit ein Ende der zurechenbaren Täterhandlungen vor"; "in diesem Augenblick entgleitet das Geschehen der Herrschaftsmacht des Täters." Es unterliegt nicht mehr seiner "verantwortlichen Entscheidung", "ob er nach Eintritt der Zurechnungsunfähigkeit sich seinen eigenen, vorher gefaßten Plänen noch in den Weg stellen kann; er ist seinen früheren Taten mehr ausgeliefert als ein anderer, nach freiem Entschluß noch rücktrittsfähiger Täter ..." - Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob diese "Vorverlegung" des Ausführungsbeginns zutrifft oder ob die wohl noch herrschende Meinung recht hat, die einen Versuch grundsätzlich erst beim nachfolgenden Handeln des Täters im Defektzustand m Vgl. oben S. 43 bei Fußn. 130. S. 52 ff.
Darüber besteht allerdings innerhalb dieser Auffassung keine Einigkeit. Vgl. etwa Bertel, JZ 1965, 53 ff.; Dreher I Tröndle, § 20 Rdnr. 19; Maurach, JuS 1961, 374, 377; Puppe, JuS 1980, 348 f.; Roxin, Festschrift für Maurach, 1972, S. 220 f., 230; Rudolphi, SK, Bd. 1, § 22 Rdnr. 21. - Welp, Vorangegangenes Tun, S. 134 ff., hält diese Versuchs datierung für eine notwendige Konsequenz der "herrschenden Lehre" zur actio libera in causa, die den "Schwerpunkt des Unrechtsvorwurfs auf die Defektbegründungshandlung" vorverlegen müsse; er versucht von hier aus, die herrschende Meinung zu widerlegen. - Nach E. Horn, GA 1969, 300, und Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 617 f., kommt es auf den einzelnen Fall an. 230 Festschrift für Maurach, 1972, S. 220 f., 230. Vgl. neuerdings auch Puppe, JuS 1980, 348 f., die mit Recht betont, daß diese Versuchs bestimmung nur für die Fälle völliger Schuldunfähigkeit in Betracht kommt. 231 Vgl. auch die Parallele zur mittelbaren Täterschaft bei Puppe, JuS 1980, 348. 228
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
für möglich hält 232 • Die Entscheidung wird davon abhängen, inwieweit ein dem Verlust der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit nachfolgendes eigenes Verhalten des Täters dem Einsatz kausal-mechanisch wirkender Naturkräfte oder wenigstens unverantwortlich handelnder fremder "Werkzeuge" normativ gleichgestellt werden kann233 • Mag man nun auch im Rahmen der "actio libera in causa" mit guten Gründen für diese Analogie plädieren können, so versagt sie indessen bei der Begründung einer rechtfertigenden Notstandssituation, also der vorsätzlichen "actio illicita in causa". Obwohl sich der Täter in dieser Konstellation ebenfalls als eine Art Werkzeug seiner selbst benutzt, fehlen doch alle Voraussetzungen für einen vergleichbaren Verlust an "Herrschaft" über das spätere Geschehen234 • Selbst wenn die Möglichkeit von Extremsituationen einbezogen wird, in denen die unmittelbare Konfrontation mit der vorsätzlich geschaffenen Gefahr das emotionale Steuerungsvermögen in einem der verminderten Schuldfähigkeit entsprechenden Maß reduziert - ob das überhaupt vorkommen kann, sei dahingestellt -, "entgleitet" damit der weitere Ablauf noch nicht der Beherrschung und Verantwortung des Täters. Bezeichnenderweise wird denn auch von den Vertretern der Auffassung, die bei der "actio libera in causa" den Versuchsbeginn mit der Defektbegründung identifiziert, stets die totale Schuldunfähigkeit vorausgesetzt. Der Eintritt nur verminderter Schuldfähigkeit soll für den Versuch nicht genügen, weil der Täter dann "seine Entscheidung über das Ob und Wie der Tat noch nicht aus der Hand gegeben" hat 23s •
bb) Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft und "actio illicita in causa" (1) Das Versuchsproblem bei mittelbarer Täterschaft: Die "Einzellösung" und ihre Begründungsvarianten Was den Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft betrifft, so ist der Diskussionsstand recht unübersichtlich; es "werden alle denkbaren 232 So z. B. Eser, Studienkurs Strafrecht H, S. 95; Hruschka, JuS 1968, 557; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, S. 362, 425; Küper, Festschrift für Leferenz, 1983; Lenckner, GA 1961, 304; Schänke / Schräder / Eser, § 22 Rdnr. 55; Schänke / Schräder / Lenckner, § 20 Rdnr.34; Wessels, Strafrecht, Allg. Teil, S. 91. - Vgl. auch Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, S. 374, sowie E. Horn und Schmidhäuser, oben Fußn. 229. 233 Gegen die Gleichsetzung der "eigenpsychischen Kausalität" mit dem "Ablauf täterfremder Kausalverläufe" entschieden Welp, Vorangegangenes Tun, S. 136 f.; vgl. auch Lenckner, GA 1961, 304 f.; Küper, Festschrift für Leferenz, 1983. - Puppe, JuS 1980, 349, räumt beiläufig immerhin ein, daß in den Fällen der actio libera in causa der Handelnde dem mittelbaren Täter "an äußerer Tatherrschaft überlegen" sei. 234 Dazu schon Hegler, Festgabe für R. Schmidt, Bd. 1, 1932, S. 64 f. 23S SO neuerdings wieder Puppe, JuS 1980, 349 f.
5. "Actio illicita in causa" und vorsätzliches Erfolgsdelikt
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Lösungen vertreten"236. In unserem Zusammenhang interessiert vor allem die verbreitete Grundtendenz, den Versuch unabhängig von der Ansatzhandlung des Tatmittlers allein am eigenen Verhalten des mittelbaren Täters oder doch an dem von ihm vorher geschaffenen Entwicklungs stand des Geschehens zu orientieren ("Einzellösung"); denn dies entspricht bei der "actio illicita" - ungefähr - der "Vordatierung" des Versuchsbeginns auf die notstandsbegründende Handlung bzw. auf ihren "Primärerfolg"237. Konzentrieren wir uns unter Vernachlässigung mancher Nuancen auf diese Richtung, so lassen sich im wesentlichen zwei Varianten unterscheiden: Einmal sieht man den Versuch generell oder wenigstens bei Gutgläubigkeit des Tatmittlers bereits in der "Einwirkung auf das Werkzeug"238. Diese Variante der Einzellösung scheint wiederum zwei gedankliche Wurzeln zu haben. Die eine besteht in der Vorstellung, daß die "Ingangsetzung des die Tat ausführenden Werkzeugs"239 - nicht die "Ausführung durch das in Gang gesetzte Werkzeug" - die eigentliche Tatbestandshandlung des mittelbaren Täters darstelle, sodaß es auch beim Versuch allein auf das Verhalten des Hintermannes ankomme. Dieser Vorstellung liegt offenbar ein strikt "nichtakzessorisches" Verständnis der bei mittelbarer Täterschaft stattfindenden "Vermittlung" zugrunde: der Tatmittler vermittelt dem Hintermann lediglich qua Kausalität den Handlungserfolg, ohne daß ein Bedürfnis gesehen wird, dem mittelbaren Täter auch die Tätigkeit des "Werkzeugs" (quasi-akzessorisch) zuzurechnen24lJ • Die zweite Wurzel dieser Lehre hängt mit der "nicht236 Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil, S. 236. Eingehende Darstellung des Streitstandes bei Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, S. 11 ff. und passim; kurze übersichten bei Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, S. 547 f., und bei WesseIs, Strafrecht, Allg. Teil, S. 137. Zur älteren Literatur vgl. vor allem Hegler, Festgabe für R. Schmidt, Bd. 1, 1932, S. 66 f. mit Nachweisen in Fußn. 58. 237 Vgl. auch oben S. 70 f. 238 Vgl. etwa Baumann, JuS 1963, 92 f., Strafrecht, Allg. Teil, S. 570 f.; Blei, Strafrecht, Allg. Teil, S. 233; Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, S. 148 f.; Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, S. 101 ff., 112 ff. 239 Baumann (oben Fußn. 238). 24lJ Sehr pointiert findet sich dieser Gedanke bei Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, S. 104 ff., der sogar die Mittäterschaft einbeziehen will: "Bezogen auf das eigene täterschaftliche Handeln bilden die anderen Beteiligten nebst ihren Beiträgen bloße Kausalfaktoren: Sie sind ein Stück des Kausalstrangs, der das eigene Handeln mit dem für alle Beteiligten übereinstimmenden Erfolg verbindet. Diese kausale Vermittlerrolle bedarf keiner besonderen ,Zurechnung' ... ". Ganz ähnlich Baumann, JuS 1963, 93: "Die tatbestandsmäßige Handlung des mittelbaren Täters liegt dann vor, wenn die Kausalfaktoren, die zum Taterfolg hinwirken sollen, in Gang gesetzt worden sind. Der Anfang der Ingangsetzung ist schon Anfang dieser speziellen Tatausführungshandlung." - Zur Gegenposition insbesondere Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil, S. 237; vgl. auch Maiwald,
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
akzessorischen" Auffassung der mittelbaren Täterschaft eng zusammen: Das "Ingangsetzen" des menschlichen Tatmittlers wird analog dem Einsatz eines mechanischen oder tierischen, naturgesetzlich wirkenden Werkzeugs verstanden und behandelt241 . Eine andere, damit eng verwandte Spielart der "Einzellösung" hat sich inzwischen stärker durchgesetzt und gewinnt immer mehr Anhänger, zu denen neuerdings auch der BGH gehört. Danach soll bei mittelbarer Täterschaft ein Versuch vorliegen, sobald der Hintermann die Gestaltung des weiteren Handlungsablaufs dem Tatmittler überlassen und dadurch das in Gang gesetzte Geschehen "aus der Hand gegeben" hat242 . Dabei sei unwesentlich, ob das Werkzeug gutgläubig oder dolos handele243 : "So oder so befindet sich der angestoßene Kausalverlauf nicht mehr im Herrschaftsbereich des Täters, und die Berechenbarkeit oder Nichtberechenbarkeit des weiteren Ablaufs ist in beiden Fällen grundsätzlich gleich groß."244 Diese Lehre trifft sich mit der ersten Variante im "nichtakzessorischen" Grundverständnis245 der mittelbaren Täterschaft, weil sie das tatbestandliche Täterverhalten ebenfalls lediglich im "Einsatz des Werkzeugs", also im eigenen Handeln des Hintermannes, erblickt; der Rest - die Tätigkeit des Werkzeugs selbst - ist bloßer "Kausalverlauf" , wenngleich auf die ausdrückliche Analogie zu Naturkräften meist verzichtet wird246 : Da "die tatbestandsmäßige HandZStW 88 (1976), S. 745 ff., 747. Zur Kritik an Schillings Mittäterschaftskonzept - mit Akzentuierung der Zurechnungsstrukturen - Küper, Versuchsbeginn und Mittäterschaft, S. 52 ff., JZ 1979, 783 ff., 786 ff.; zustimmend Maiwald, ZStW 93 (1981), S. 879 ff.; Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil, S. 237 und SchwZStr 97 (1980), S. 410 f. Für die mittelbare Täterschaft betont Cramer, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 397, den Zurechnungsgedanken. 241 Vgl. etwa Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, S. 105: Es "gilt das gleiche, wie wenn (selbsttätige) Kräfte der unbelebten oder belebten Natur eingesetzt werden". Mit der Analogie zum "gegenständlichen Werkzeug" argumentiert auch Baumann, JuS 1963, 93 und Strafrecht, Allg. Teil, S. 570 f. Vgl. ferner z. B. Blei, Strafrecht, Allg. Teil, S. 233 (für gutgläubige oder geisteskranke Werkzeuge). Kritisch dazu Maiwald, ZStW 88 (1976), S. 747. 242 So insbesondere Roxin, Festschrift für Maurach, 1972, S. 227 ff., JuS 1979, 10 f.; ferner z. B. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, S.548; Puppe, JuS 1980, 348 f.; Rudolphi, SK, Bd. 1, § 22 Rdnr.20; Schumann, Zum Einheitstätersystem des § 14 OWiG, S. 53 f.; Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 191 (mit Beschränkung auf das gutgläubige Werkzeug; auf Welzel geht die Formel vom "Aus-der-Hand-geben" zurück); Wessels, Strafrecht, Allg. Teil, S. 137; im wesentlichen übereinstimmend J. Meyer, ZStW 87 (1975), S. 608; Schänke / Schröder / Eser, § 22 Rdnr. 54 und jetzt auch BGH MDR 1982, 418, der das "Aus-der-Hand-geben" nach dem Vorstellungshorizont des Hintermannes bestimmt. - Kritisch zu dieser Auffassung z. B. Otto, JA 1980, 644 ff. 243 Vgl. aber auch Eser und Welzel (oben Fußn. 242). 244 Roxin, Festschrift für Maurach, 1972, S. 228. 245 In dem oben bei Fußn. 239, 240 gekennzeichneten Sinn. 246 Vgl. aber z. B. Schumann, Zum Einheitstätersystem des § 14 OWiG, S. 54:
5. "Actio illicita in causa" und vorsätzliches Erfolgsdelikt
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lung des mittelbaren Täters allein in der seine Täterschaft begründenden Einwirkung auf den Tatmittler liegt", so schreibt z. B. Rudolphi, "ist auch für ihn das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung allein im Hinblick auf diese Handlung zu bestimmen", "wäre es sinnwidrig, seine Strafbarkeit davon abhängig zu machen, ob das Werkzeug mit seiner Tat beginnt oder nicht"247. Der wesentliche Unterschied zur ersten Variante der "Einzellösung" besteht dann allerdings darin, daß die "Einwirkung" auf das Werkzeug als solche noch nicht genügt; sie muß vielmehr derart abgeschlossen sein, daß es "weiterer Teilakte" des mittelbaren Täters in dieser Richtung nicht mehr bedarf, so daß nunmehr der dem Tatmittler überantwortete Kausalverlauf vom Täter vollständig ins Werk gesetzt ist248 . (2) Folgerungen für die "actio illicita in causa" Wie man sieht, beruht die "Vorverlagerung" des Versuchsbeginns in ein Stadium, das der Ansatzhandlung des Tatmittlers vorangeht, nach beiden Varianten der "Einzellösung" wesentlich auf der überlegung, daß allein die Aktivität des (mittelbaren) Täters selbst, nicht diejenige des Werkzeugs, über den Anfang der tatbestandsmäßigen Ausführung entscheiden könne. Ob diese "nichtakzessorische" Prämisse wirklich richtig ist, oder ob nicht vielmehr, wie bei der Mittäterschaft249, die Idee der Zurechnung fremder Tätigkeit ("Tätigkeitsanrechnung") die Struktur der "Begehung durch einen anderen" (§ 25 Abs. 1 StGB) besser trifft und daher auch zu einer darauf abgestimmten Versuchsdatierung führen muß25O, mag in diesem Zusammenhang wiederum dahingestellt bleiben25l • Entscheidend ist, daß der Handelnde bei der "actio illicita in "... wenn er seinem Werkzeug den letzten entscheidenden Anstoß gibt, durch den er meint, es wie ein mechanisches ,in Gang zu setzen"'. 2'f1 Vgl. Rudolphi, SK, Bd. 1, § 22 Rdnr. 20, im Anschluß an Roxin, Festschrift für Maurach, 1972, S. 228 (wo in Fußn. 38 auf den nichtakzessorischen Charakter der mittelbaren Täterschaft besonders hingewiesen wird). 248 Vgl. Rudolphi (oben Fußn. 247). 249 Dazu Küper, Versuchsbeginn und Mittäterschaft, S. 52 ff., JZ 1979,783 ff., 786 ff. (vgl. auch oben Fußn. 240 a. E.). 250 In dieser Richtung z. B. Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil, S.237, und wohl auch Maiwald, ZStW 88 (1976), S. 745 ff., 747. Vgl. auch bereits Eb. Schmidt, Festgabe für Frank, Bd. 2, 1930, S. 132. 251 Diese Kernfrage der Problematik scheint mir über den vielen Formeln und Differenzierungen, welche die Diskussion um den Versuch des mittelbaren Täters beherrschen, allzu sehr in Vergessenheit geraten zu sein. Zwar wird bei der mittelbaren Täterschaft häufig ganz unbefangen von der "Zurechnung fremden Verhaltens" gesprochen (vgl. z. B. Frisch, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 651 f.; eramer, ebendort, S. 397). Beim Versuch gerät die Zurechnungsfrage dann aber wieder aus dem Blick; sie wird gleichsam verdrängt durch die weitgehend unreflektierte Gleichsetzung der menschlichen Werkzeug-Tätigkeit mit dem schlichten Kausalverlauf. Hier liegen offensichtlich Probleme, die bisher noch nicht hinreichend zur Sprache gekommen sind.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
causa" in beiden Geschehensphasen, dem Stadium der Notstandsbegründung wie der Gefahrenabwehr, als Täter agiert, der den Handlungsablauf ohne Einschaltung einer Mittelsperson direkt beherrscht. Anders als bei der mittelbaren Täterschaft entfällt daher hier von vornherein die Notwendigkeit, den Versuch schon mit der "Ersthandlung" (des Hintermannes) zu verknüpfen, die sich dort - vielleicht - daraus ergibt, daß nur diese Ersthandlung, das Ingangsetzen des Werkzeugs, ein täterschaftlich-tatbestandliches Verhalten darstellt. Und anders als bei der Begehung "durch einen anderen" versagt im Fall der actio illicita auch die Analogie zum Einsatz von "Naturkräften" und "gegenständlichen Werkzeugen": Die Gefahrenabwehr (Notstandshandlung) kann im Verhältnis zur Notstandsbegründung nicht mehr als "bloßer Kausalverlauf" gewertet werden, den der Täter bereits vorher "angestoßen" oder "aus der Hand gegeben" hat252 ; sie ist vielmehr eigenes verantwortliches täterschaftliches Tun, das der Akteur selbst "in der Hand" behält. Kurz: Alle Gesichtspunkte, die es bei der mittelbaren Täterschaft nahelegen, den Ausführungsbeginn schon mit der "Ersthandlung" zu verbinden, treffen auf die Konstellation der "actio illicita in causa" nicht zu. e) Die Bedeutung der "zeitlichen Unmittelbarkeit" für die "actio illicita in causa"
Läßt sich somit keine prinzipielle und generelle Entscheidung in der Richtung treffen, daß bereits die NotstandsbegTÜndung einen Versuch der späteren Verletzungshandlung darstellt, so muß dies allerdings nicht bedeuten, daß eine solche "Vorverlegung" des Ausführungsbeginns schlechthin und unter allen Umständen ausgeschlossen wäre. Bisher ist dargestellt worden, daß die Struktur des Handlungsablaufs das Vorverhalten als bloße - noch nicht tatbestandsmäßige - Vorbereitungsmaßnahme ausweist, selbst wenn man auf den "Primärerfolg" der Ersthandlung abstellt, und daß der mit der selbstgeschaffenen Gefahrenlage verbundene "praktische Abwehrzwang" an dieser Bewertung nichts ändern kann. Dies hat sich im Vergleich mit der Versuchsproblematik von "actio libera in causa" und mittelbarer Täterschaft, wo eine abweichende strukturelle Entscheidung immerhin möglich erscheint, deutlich bestätigt. Es liegt nun freilich in der Eigenart des "unmittelbaren Ansetzens", dessen Bewertungsgrundlage maßgeblich vom subjektiv antizipierten Geschehensablauf bestimmt wird253 , daß Zwischenakte und Handlungszäsuren, die an sich (strukturell) den unmittelbaren Zusammenhang mit der Tatbestandsverwirklichung in Frage stellen, unter dem Aspekt des geplanten zeitlichen Verlaufs diese Bedeutung verlieren 252 253
Vgl. oben S. 72, 73 f. § 22 StGB: "... nach seiner Vorstellung von der Tat ... "
5. "Actio illicita in causa" und vorsätzliches Erfolgsdelikt
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können254 : "Die geringfügige zeitliche Distanz, in der mehrere Zwischenakte nach dem Täterplan vollzogen werden sollen, kann das Argument, ein Versuchsbeginn scheitere an noch ausstehenden Teilakten, überwinden."2Ss Deshalb sind auch im Problemfeld der "actio illicita in causa" Situationen denkbar, bei denen Gefahrbegründung und Abwehrhandlung in einem derart engen zeitlichen Zusammenhang miteinander stehen (sollen), daß sie für die natürliche Lebensauffassung eine Einheit bilden, die es rechtfertigt, schon die Herbeiführung der Gefahrenlage als Anfang der tatbestandsmäßigen Begehung zu werten. Bezieht man solche Fälle "zeitlicher Unmittelbarkeit" in die überlegungen ein, so ergibt sich für die "actio illicita" im Notstandsbereich allerdings eine seltsame Konsequenz, die den Sinn dieser Konstruktion gleichsam von ihren eigenen Prämissen her desavouiert. Denn es läßt sich dann schwerlich leugnen, daß spätestens mit dem Eintritt der Gefahr für das Erhaltungsgut zugleich ein "gegenwärtiger" - d. h. zumindest "unmittelbar bevorstehender" - rechtswidriger Angriff auf das Schutzobjekt vorliegt, welches der Täter in Fortführung dieses Angriffs durch die anschließende Gefahrenabwehr verletzen will. Dies bedeutet aber, daß die so entstandene Güterkollision nicht mehr nur in einer Notstands-, sondern auch in einer Notwehrlage besteht und somit für den Träger des "Eingriffsgutes" eine Bedrohung darstellt, die er ganz unabhängig vom Wertverhältnis der Rechtsgüter nicht zu dulden braucht, gegen die er sich vielmehr wehren darf256 • Eine Rechtfertigung der "Notstandshandlung" ist daher unter diesen Umständen gar nicht möglich. Und deshalb bedarf es zur Begründung der Rechtswidrigkeit keines Rückgriffs auf eine "actio illicita in causa" - die freilich begrifflich gegeben ist2S7 - : Bereits das Verhalten "in actu" ist rechtswidrig! Die Anerkennung eines mit dem "Vorverhalten" verknüpfbaren Ver254 Zu dieser "zeitlichen Unmittelbarkeit" im Gegensatz zur "Handlungsunmittelbarkeit" vgl. insbesondere Kühl, JuS 1980, 811 f.; ferner etwa Küper, Versuchsbeginn und Mittäterschaft, S. 25 f., 29, 30 f., JZ 1979, 777, 780 f.; Raxin, JuS 1979, 5; Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, S. 114 (dazu kritisch Küper, Versuchsbeginn und Mittäterschaft, S. 63 ff.). Vgl. auch Bertel, ZStW 84 (1972), S. 25 f., und aus der Rechtsprechung insbesondere BGHSt 22, 79 (82); 26,201 (203). 2SS Vgl. Kühl, JuS 1980, 811. 256 Auf dieses eigenartige Problem der "actio illicita in causa" hat für die Fälle der Natwehrprovokation schon Raxin, ZStW 75 (1963), S. 548, hingewiesen. Bertel, ZStW 84 (1972), S. 21, meint zwar, nicht jeder Versuch müsse auch ein gegenwärtiger Angriff im Sinne des Notwehrrechts sein. Das mag zutreffen. Indessen läßt sich in den Notstandsfällen der Versuchscharakter des Vorverhaltens nur mit der "zeitlichen Unmittelbarkeit" begründen. Dann aber führt kein Weg an der Konsequenz vorbei, daß bereits ein gegenwärtiger Angriff vorliegt. 2S7 Vgl. schon oben S. 39 f.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
suchs entzieht somit der actio-illicita-Konstruktion die Voraussetzungen für ihre praktische Bedeutung2S8. f) "Actio libera in causa" und "actio illicita in causa": Parallelen und Differenzen aa) Die Ausgangslage
Bevor aus der hier unternommenen Analyse das endgültige Fazit gezogen werden kann, daß beim rechtfertigenden Notstand von der Konstruktion der vorsätzlichen "actio illicita in causa" Abschied genommen werden muß, bedarf es allerdings noch einiger überprüfend-abschließender überlegungen. Das notstandsbegründende Vorverhalten läßt sich, wie gezeigt wurde, auch bei den reinen Erfolgsdelikten prinzipiell nicht als Beginn der "vorsätzlichen Begehung" und damit nicht als tatbestandsmäßige Handlung begreifen; es gehört als bloße Vorbereitungsmaßnahme vielmehr noch zum tatbestandslosen Vorfeld des Delikts und ist daher keine geeignete Grundlage dafür, den an sich zurechenbaren - durch die rechtmäßige Notstandshandlung vermittelten - Erfolg auf eine vorsätzlich-tatbestandliche "actio praecedens" zurückzuführen. Soweit sich die Vorhandlung dagegen aus Gründen der "zeitlichen Unmit258 Keinen grundsätzlichen Einwand gegen die Konstruktion der "actio illicita in causa" enthält dagegen die überlegung Hruschkas (JR 1979, 127), daß selbst unter den Prämissen, die Vorhandlung stelle einen Anfang der Ausführung dar und die Notstandstat sei rechtmäßig, lediglich ein "rechtswidriger Beginn" vorliege, "der nie zu einer als rechtswidrig beurteilten Tatvollendung kommen könnte": Die These, "daß eine rechtswidrige Tat durch rechtmäßige Akte auch des Täters selbst vollendet werden kann", lasse sich jedoch "ernsthaft nicht vertreten". Diese Erwägung schiebt das Problem m. E. auf ein falsches Gleis. Sie verkennt nämlich, daß weder die Rechtmäßigkeit der Notstandshandlung noch die "Erlaubtheit" ihres Erfolges die Möglichkeit ausschließt, eben diesen Erfolg zum tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Vorverhalten zuzurechnen (dazu eingehend schon oben S. 42 ff.). Gäbe es also Fälle, in denen die Herbeiführung der Notstandssituation schon einen Versuch des Delikts bedeutet, das der Täter dann gerechtfertigt verwirklicht, so spräche diese "Rechtmäßigkeit der Vollendung" keineswegs dagegen, den Erfolg (auch) als Produkt einer rechtswidrigen Tatbestandshandlung zu begreifen und auf dieser Grundlage eine tabestandsmäßig-rechtswidrige, vollendete Straftat anzunehmen. - Eine ganz andere Frage ist es, ob die Annahme einer vollendeten Unrechtstat daran scheitern müßte, daß das rechtswidrige Vorverhalten allenfalls einen unbeendeten Versuch darstellen würde (denn ein beendeter Versuch kann ja erst bei der Gefahrenabwehr vorliegen). Hier geht es um das - übrigens auch bei der actio libera in causa offenbar vernachlässigte - Problem, ob der unbeendete Versuch und der darauf beruhende (zurechenbare) Erfolg zusammen schon vollendetes Unrecht sind oder doch sein können: Muß nicht auch der "Handlungsunwert" vollständig, d. h. in Gestalt des beendeten Versuchs, gegeben sein? Vgl. zu diesem Problem, dem in unserem Zusammenhang mangels praktischer Relevanz nicht weiter nachzugehen ist, insbesondere Wolter, ZStW 89 (1977), S. 695 ff., Objektive und personale Zurechnung, S. 174 f., 264 ff. sowie jetzt in Festschrift für Leferenz, 1983. Vgl. auch Annin Kaufmann, Festschrift für Welzel, 1974, S. 402 ff., 404; Küper, Festschrift für Leferenz, 1983.
5. "Actio illicita in causa" und vorsätzliches Erfolgsdelikt
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telbarkeit" ausnahmsweise bereits als Ausführungsbeginn darstellt, ist der Rückgriff auf eine solche actio illicita wiederum entbehrlich, weil auch die Anschlußtat rechtswidrig ist. Diese Kritik an der actio-illicitaKonstruktion ist nach dem bisherigen Gedankengang die Konsequenz des Befundes, daß der Tatbestand des Vorsatzdelikts "zur Vergangenheit hin" eine Grenze aufweist, die durch das Kriterium des "unmittelbaren Ansetzens" markiert wird. Die Idee der vorsätzlichen "actio illicita in causa" (bei Rechtfertigung in actu) erweist sich aus dieser Sicht als methodisch unzulässiger Versuch, diese Tatbestandsgrenze zu ignorieren oder zu überspielen. Für das Rechtsgefühl ist eine solche Rückverlagerung des Handlungsunrechts vor die immanenten Grenzen des gesetzlichen Tatbestandes freilich durchaus begreiflich, weil auf diese Weise die "Kraft des langen Willens"259, die schon jenseits der Deliktshandlung wirksam wird, strafrechtlich miterfaßt werden kann; daraus dürfte sich erklären, daß der Gedanke, auf den "früheren Zeitpunkt" der Notstandsverursachung "zurückzugehen" 260, zunächst durch Plausibilität besticht: Läßt der Umstand, daß sich der Täter planmäßig in unredlicher Weise einen Rechtfertigungsgrund schafft, die Erlaubtheit der Tatbestandshandlung selbst unberührt, so soll wenigstens das mißbräuchlich-manipulative Vorverhalten, auf welches der Erfolg schließlich zurückführbar ist, geahndet werden können! Dem Bedürfnis, im Vorfeld des Delikts einen solchen "Mißbrauchstatbestand" zu etablieren, den man dann mit dem an sich "nichtdeliktisch" herbeigeführten Erfolg zur vollendeten Straftat zusammenfügen möchte, verdankt ja im Grunde auch die vorsätzliche "actio libera in causa" ihre Entstehung und breite Anerkennung261; die dogmatischen Erklärungs- und Begründungsversuche haben weithin nur den Charakter "sekundärer" Rationalisierungen - was über ihre Richtigkeit allerdings nichts besagt -. Man kann deshalb zum Abschluß noch erwägen, ob sich nicht von hier aus, also im Blick auf das weitgehend anerkannte Institut der "actio libera in causa", die gegen die vorsätzliche "actio illicita in causa" erhobenen Bedenken letztlich doch ausräumen oder zumindest beschwichtigen lassen.
259 Vgl. Welp, Vorangegangenes Tun, S. 139, unter Hinweis auf Nietzsche. 260 Vgl. Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 141; Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 105. 261 Vgl. z. B. Welp, Vorangegangenes Tun, S. 139: "Offenbar spielt bei der gegenwärtig geübten Praxis der Gedanke mit, daß es dem Täter nicht erlaubt sein könne, die Strafdrohungen des Gesetzes durch jederzeit wiederholbare Manipulationen zu überspielen." Vgl. auch Krause, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 309; Geilen, JuS 1972, 73 ("Mißbrauchsfall"); BGHSt 17, 333 (335): ". .. weil andernfalls der Schuldgehalt des Sichberauschens ... nicht ausreichend strafrechtlich geahndet würde". 6 Küper
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
bb) Die BegTÜndungsmodelle zur "actio libera in causa" und ihre Bedeutung für die "actio illicita in causa" (1) Die "Versuchslösung" Dabei ist es nützlich, sich zu vergegenwärtigen, daß es im Bereich der reinen Erfolgsdelikte für die Strafbarkeit der vorsätzlichen "actio libera in causa" drei dogmatische Begründungsmodelle gibt, die deutlich - und schärfer, als dies in der Literatur bisher geschieht - voneinander unterschieden werden sollten. Das erste Modell, das ich als "Versuchslösung" bezeichnen möchte, ist in dieser Arbeit schon gestreift worden: Es kennzeichnet sich dadurch, daß die tatbestandsmäßige Unrechtshandlung bereits im defektbegTÜndenden, nicht erst im defektbehafteten Verhalten gesehen wird, weil der Täter, sobald er den Zustand der Schuldunfähigkeit herbeigeführt habe, mit seinem Handeln in das Stadium des (beendeten) Versuchs gelangt sei262 • Dieses Modell teilt mit der hier vorgetragenen actio-illicita-Kritik den Ausgangspunkt, daß die im Deliktstatbestand beschriebene "vorsätzliche Begehung" frühestens mit dem Versuch der Tat einsetzt. Unter der- allerdings sehr umstrittenen - Voraussetzung, daß es zulässig ist, den (beendeten) Versuch auf die Defektbegründung zu datieren, wird damit eine widerspruchsfreie Integration des Vorverhaltens in den Tatbestand möglich, die zugleich eine Zurechnung des "nichtdeliktisch" vermittelten Erfolges zur vorsätzlichen Tatbestandshandlung gestattet26J • Wie bereits gezeigt wurde, kann dieses Begründungsmodell auf die Fälle der actio illicita jedoch nicht übertragen werden, da dort die Vorhandlung strukturell noch kein "unmittelbares Ansetzen" zur Tatbestandsverwirklichung bedeutet; es interessiert daher in diesem Zusammenhang nicht mehr weiter. (2) Die Varianten der "Vorverlegungstheorie" Geht man bei der vorsätzlichen "actio libera in causa" nicht den Weg der Versuchslösung264, so bleiben zwei weitere Begründungsmöglichkeiten. Beide können als Varianten der "Vorverlegungstheorie" verVgl. oben bei Fußn. 228 ff. Die Frage, ob sich der Vorsatz des Täters nicht nur auf die Deliktsverwirklichung, sondern darüber hinaus auf die Herbeiführung des unfreien Zustandes beziehen muß, bleibt auch auf dieser Basis ein Sonderproblem, das mit einem solchen Modell nicht schon per se gelöst ist. Da freilich der Versuchscharakter der actio praecedens gerade damit begründet wird, daß der Täter seine Freiheit selbst "aus der Hand gibt" und die eigene Person als schuldunfähiges "Werkzeug" gebraucht, dürfte nach diesem Lösungsansatz eine vorsätzlich-instrumentale Beziehung auch zur Schuldunfähigkeit, also ein "Doppelvorsatz" i. S. der herrschenden Lehre, zu verlangen sein. Vgl. auch E. Horn, GA 1969, 295 f.; Puppe, JuS 1980,348 f. 264 Vgl. dazu die oben Fußn. 232 zitierten Gegenstimmen. 262
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5. "Actio illicita in causa" und vorsätzliches Erfolgsdelikt
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standen werden. Die erste Variante erblickt im Institut der "actio libera in causa" lediglich eine scheinbare Ausnahme vom Prinzip des § 20 StGB, nach welchem für den Zeitpunkt der Schuldfähigkeit (bzw. Schuldunfähigkeit) die "Begehung der Tat" maßgebend ist26S • Denn Tatbegehung sei nicht (nur) das Verhalten im Defektzustand, sondern schon das verantwortliche "Ingangsetzen" des Geschehensablaufs, für den der Täter vor Eintritt der Defektlage die "entscheidende Ursache" setze, und der sich dann in der Realisierung des Tatbestandes zu einem Zeitpunkt "auswirke", in dem die Schuldfähigkeit nicht mehr gegeben sei. Dem Täter wird "die schuldhafte Herbeiführung dieser die Verantwortlichkeit ausschließenden Situation zur Last gelegt, die Begehung der Tat also (!) auf einen Zeitpunkt bezogen, in dem seine Verantwortlichkeit noch vorhanden war"266. Da dieses Modell, wie die Versuchslösung, am Koinzidenzprinzip des § 20 StGB festhält, andererseits aber, im Gegensatz zu jener Lösung, den bloßen Vorbereitungscharakter der actio praecedens prinzipiell nicht in Frage stellt, ist es beim vorsätzlichen Vollendungsdelikt zur Erweiterung des Tatbestandes um eine kausal-finale Vorzone der "Defektherbeiführung" gezwungen: Es setzt voraus, daß der Täter schon diesseits der Versuchsschwelle durch vorsätzliche überdetermination des Kausalablaufs tatbestandliches Unrecht begeht267 , dessen geplante "Auswirkungen" im Defektzustand zur Vollendung des Delikttatbestandes führen und die Haftung wegen vorsätzlich-vollendeter Tat auslösen268 • Anders nämlich ist eine Vorverlagerung der (Unrechts-)"Tatbegehung" in das Stadium der actio praecedens bei gleichzeitiger Wahrung des Koinzidenzgrundsatzes und Nichtanerkennung der Versuchsqualität dieses Vorverhaltens logischerweise nicht denkbar! Es handelt sich somit um eine "Tatbestands-" und "Unrechtsvorverlegung" zum Zweck der Haftungsbegründung bei actio libera in causa269 • - Die zweite Variante der "Vorverlegungstheorie" , die man als Theorie der "Schuldvorverlegung" bezeichnen kann, postuliert für In dieser Richtung z. B. Lackner, § 20 Anm. 8; Schänke I Schräder I Aufl. 1980, § 20 Rdnr. 32 ff. (anders jetzt in der 21. Aufl. 1982). Weit. Hinweise zur Literatur bei Krause, Jura 1980, 172 Fußn. 12. 266 So noch Schänke I Schräder I Lenckner, 20. Aufl. 1980, § 20 Rdnr. 33. Vgl. auch Lenckner, Handbuch der forensischen Psychiatrie, Bd. I/A, 1972, S. 47. 267 Vgl. auch Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 386. 268 Entsprechendes gilt für die Strafbarkeit des (erst) im Defektzustand begangenen Versuchs. 269 Auf dieses Modell bezieht sich die treffende Bemerkung Baumanns, Strafrecht, Allg. Teil, S. 374: "Freilich kann mit der actio libera in causa nur arbeiten, wer einen weiten Tatbestandsbegriff verwendet (wertneutraler, kausaler Tatbestandsbegriff). Andernfalls kommt man zu erheblichen Schwierigkeiten sowohl im Bereich der Tatbestandsmäßigkeit als auch im Bereich der Rechtswidrigkeit. So kann sich die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des Sichbetrinkens ... nur daraus ergeben, daß (es) Ursache für die spätere ... Tötung oder ... Körperverletzung geworden ist." 26S
Lenckner, 20.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
die "actio libera in causa" eine echte Ausnahme vom Koinzidenzprinzip des § 20 StGB oder doch dessen "teleologische Reduktion". Die tatbestandsmäßige Unrechtstat besteht danach nicht in irgendeinem überdeterminierenden "Vorverhalten" , das sich in der späteren Defekthandlung und ihrem Erfolg kausal "auswirkt", sondern in dieser unfreien Handlung selbst. Doch wird die Beziehung zwischen Tatbegehung und Schuldfähigkeit derart gelockert, daß es für die Frage der (vorsätzlichen) Schuld - und nur für sie - auf das Stadium ankommen soll, in dem der Täter das Geschehen noch verantwortlich beherrscht hat: "Vorverlegt ist also nicht die Tat, sondern sind allein die zum Delikt führenden Steuerungsvorgänge (des verantwortlichen Täters)."27o (3) "Vorverlegungstheorien" und "actio illicita in causa" Beide zuletzt genannten Begründungsmodelle lassen deutlich die Tendenz erkennen, das mißbräuchlich-manipulative Vorverhalten des bei der "eigentlichen" Deliktsverwirklichung nicht mehr schuldfähigen Täters durch extensive Interpretation der Strafbarkeitsvoraussetzungen dogmatisch zu erfassen. Sie sind Zweckkonstruktionen mit dem Ziel, zu verhindern, daß sich der Täter einer Bestrafung271 entziehen kann, indem er seine eigene Schuldunfähigkeit gleichsam instrumental zur Deliktsverwirklichung einsetzt. Gäbe es die Gefahr einer solchen Manipulation - und das kriminalpolitische Bedürfnis, ihr durch Sanktionen zu begegnen - nicht, wären derartige Konstruktionen nie entstanden. Das erste Modell, die Theorie der "Tatbestands-" und "Unrechtsvorverlegung" , erreicht jenes Ziel durch die Erstreckung des Deliktstatbestandes (der "Tatbegehung in das Stadium der Vorbereitung und Planung; das ist die radikalste Lösung. Dieses Modell läßt sich zwar auf die Fälle der vorsätzlichen "actio illicita in causa" übertragen - und hat eine solche Parallel konstruktion offenbar veranlaßt -; es scheitert nach der hier vertretenen Auffassung jedoch an demselben zentralen Einwand, der bereits gegen die angebliche Tatbestandskongruenz der "actio illicita" erhoben werden mußte, sofern das Vorverhalten noch U
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270 So treffend Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil, S. 166. Hruschka hat diese schuldbezügliche Variante der "Vorverlegungstheorie" ausführlich begründet (wendet sich allerdings gegen diesen Begriff): Er will § 20 StGB im Wege der "teleologischen Reduktion" auf die materialen Anforderungen des Schuldprinzips zurückführen, welches nicht das formale Postulat enthalte, daß der Täter "zur Zeit der Tat" stets im Besitz seiner Geisteskräfte sein müsse; diese Reduktion sei bereits gewohnheitsrechtlich anerkannt. Vgl. Hruschka, JuS 1968, 558 f., SchwZStr 90 (1974), S. 48 ff., 60 ff., Strukturen der Zurechnung, S. 68 ff. In dieser Richtung ferner Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, S. 361; neuerdings auch Schönke I Schröder I Lenckner, § 20 Rdnr. 34 ff.; ebenfalls wohl Wessels, Strafrecht, Allg. Teil, S. 91 ("vorverlegte Verantwortlichkeit"). Nachdrücklich gegen diese Lösung etwa E. Horn, GA 1969, 293 ff.; Puppe, JuS 1980, 347. m Abgesehen von § 323 a StGB.
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keinen Versuch darstellt: Bloße Vorbereitungshandlungen können in die Tatbestände der Vorsatzdelikte nicht einbezogen werdenZ72 • Das zweite Modell, die Theorie der "Schuldvorverlegung" , ist solchen Einwänden nicht ausgesetzt und hat auch im übrigen beachtliche Gründe für sich. Mit dem materialen Gehalt des Schuldpnnzips dürfte es durchaus vereinbar sein, die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht punktuell-formal auf die "Begehungszeit" zu beschränken, sondern dabei auch das verantwortliche Verhalten vor der Tat zu berücksichtigen213 . Im Bereich des Verbotsirrtums ist die Anerkennung eines analogen, dem Begehungszeitpunkt vorgelagerten, mittelbaren Schuldvorwurfs zur angemessenen Lösung des Vermeidbarkeitsproblems unentbehrlich und unbedenklich214. Auch im Blick auf den verschuldeten Affekt, der "in actu" die Möglichkeit zur normgemäßen Motivation beseitigt, läßt sich argumentieren, daß zwischen einer irrtumsbedingten und einer durch normalpsychologische Bewußtseinsstörung entstandenen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit kein Unterschied gemacht werden sollte: "In beiden Fällen hat der Täter nach den Maßstäben einer verantwortungsethischen Schuld prüfung für den selbstverschuldeten Verlust seiner Unrechtseinsicht, aber auch seiner sonstigen Selbstkontrolle, einzustehen'''215 Es ist somit "nicht prin212 Vgl. oben S. 59 ff., 66 ff. - Abgesehen von diesem grundsätzlichen Einwand zeigt sich die Schwäche dieser Theorie bei der "actio libera in causa" insbesondere in solchen Fällen, in denen der Erfolg ausbleibt, weil die Defekthandlung über das Versuchsstadium nicht hinausgelangt. Es liegt in der Konsequenz des Modells der "Tatbestandsvorverlegung", daß hier wenigstens wegen Versuchs bestraft werden müßte, sofern der Versuch mit Strafe bedroht ist (vgl. oben Fußn. 268). Aber wie soll das möglich sein, wenn die Herbeiführung des Defekts noch keinen Versuch darstellt, andererseits der darauf folgende Versuch im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wird? Jene Theorie müßte dann zu der seltsamen Behelfskonstruktion Zuflucht nehmen, daß sich das verantwortliche "Ingangsetzen" des Kausalverlaufs im späteren (nichtdeliktischen) Versuch "auswirkt". Doch kann die "Verursachung des Versuchs" den fehlenden schuldhaften Versuch nicht ersetzen, ebensowenig wie die "Kausierung der Tatbestandshandlung" die fehlende schuldhafte Begehung! 213 Die grundlegende Bedeutung der "zeitlichen Koinzidenz" von Unrechtstat und Schuldfähigkeit betonen dagegen z. B. E. Horn, GA 1969, 290 f., 293; Armin Kaufmann, Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie, S.166; Lenckner, Handbuch der forensischen Psychiatrie, Bd. IIA, 1972, S. 101 f., 117; Puppe, JuS 1980, 347; Schmidhäuser, Strafrecht, Allg. Teil, S. 376. - Krumpelmann, ZStW 88 (1976), S. 13, spricht von der "dritten Säule des Schuldprinzips neben dem intellektuellen und voluntativen Element". 274 Vgl. dazu etwa Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, Verbotsirrtum und Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums, S. 252 ff.; Schänke I Schräder I emmer, § 17 Rdnr. 15 (wo auf die Parallele zur actio libera in causa hingewiesen wird); ferner z. B. Krumpelmann, Festschrift für Welzel, 1974, S. 340 f., ZStW 88 (1976), S. 13 f.; Rudolphi, Festschrift für Henkel, 1974, S. 207 ff. Vgl. aber auch Stmtenwerth, ZStW 85 (1973), S. 495. 275 Geilen, Festschrift für Maurach, 1972, S. 192. - In dieser Richtung auch Krumpelmann, Festschrift für Welzel, 1974, S. 341, sowie besonders Lange,
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zipiell unzulässig, zur Konstituierung eines Schuldvorwurfs auch auf bestimmte Verhaltensweisen vor der eigentlichen Tatverwirklichung zurückzugreifen, sofern nur der so begründete Schuldvorwurf sich noch wenigstens mittelbar auf das vom Täter verwirklichte Unrecht bezieht" 276. Bei der "actio libera in causa" muß dann freilich - wie in den Affektfällen - das sprachliche Hindernis für eine Vorverlegung des Schuldurteils überwunden werden, das die von § 17 StGB abweichende Gesetzesfassung des § 20 StGB anscheinend errichtet ("bei Begehung der Tat,,)m. Die Berufung auf eine "gewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme" von § 20 StGB, welche die "teleologische Reduktion" des Wortlauts zulasse278 , genügt dafür allerdings nicht, solange man das nullum-crimen-Prinzip des Art. 103 Abs. 2 GG und das darin enthaltene Verbot gewohnheits rechtlicher Strafbegründung ernst nimmtZ79 • Andererseits zwingt sprachlogisch nichts dazu, die Wendung "bei Begehung der Tat", die der Gesetzgeber nirgends genauer definiert hat280, im Schuldbereich ausschließlich auf die tatbestandsmäßige Handlung zu beziehen; mit dem möglichen Wortsinn jedenfalls noch verträglich ist vielmehr auch eine Interpretation, die den Begriff der "Tatbegehung" im Bezirk der Schuldfrage um die zur Unrechtstat führenden, sie vorbereitenden Steuerungsvorgänge erweitert und insoweit die Konkordanz mit § 17 StGB herstellt. Den Weg dazu hat Stratenwerth gewiesen281 : Man muß, "entgegen dem üblichen Wortverständnis, bereits diese Steuerungsvorgänge als ,Begehung der Tat' ansehen. Das liegt von der Sache her insofern nahe, als das Gesetz hier an sich nur zum Ausdruck Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 271 ff.; Rudolphi, Festschrift für Henkel, 1974, S. 206 ff., 209 ff. Zum Stand der Affektdiskussion allgemein vgl. die Hinweise bei Lackner, § 20 Anm. 2 b, aa, und bei Schänke I Schräder I Lenckner, § 20 Rdnr. 15. Vgl. auch Stratenwerth, Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips, S. 19 f. 276 Rudolphi, Festschrift für Henkel, 1974, S. 207. m Vgl. zu diesem Problem insbesondere Hruschka, JuS 1968, 558 f., SchwZStr 90 (1974), S. 74 f. (siehe dazu auch oben Fußn. 270); Krilmpelmann, Festschrift für Welzel, 1974, S. 341, ZStW 88 (1976), S. 13 f., der dieses "wahrscheinlich zufällige" Hindernis für unüberwindlich hält; Lange, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 273 ff.; Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 166. 278 Vgl. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, S. 360; Hruschka, JuS 1968, 559. 279 Vgl. auch Dencker, JuS 1979,783; Puppe, JuS 1980,347. 280 Die Regelung über die "Zeit der Tat" in § 8 StGB enthält eine solche Definition lediglich insoweit, als es auf das "Handeln", nicht auf den "Erfolg" ankommt. 281 Vgl. Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 166; für die Aff~ktfäll~ vgl. auch Lange, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 273 ff.: der Begriff :,bel Begehung der Tat" dürfe "nicht auf den Augenblick der TatbestandsverwIrklichung beschränkt werden, da er sonst als empirisches Fragment in der Luft hinge und seine normative Funktion nicht erfüllen könnte".
5. "Actio illicita in causa" und vorsätzliches Erfolgsdelikt
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bringen will, daß es auf die Schuldfähigkeit nicht im Zeitpunkt der Aburteilung282, sondern eben der Tat ankommt. Das Erfordernis der Koinzidenz von Tat und Schuld dürfte daher nicht strenger gemeint sein als nach dem Schuldprinzip geboten, auch wenn es strenger formuliert ist. Dann aber läßt sich die Auffassung vertreten, daß der ... Ausschluß des § 20 StGB in den Fällen der actio libera in causa noch eine zulässige ... Auslegung des Gesetzes darstellt."283 Indessen kann dieses Begründungsmodell, über das hiermit sicherlich noch nicht das letzte Wort gesprochen ist, auf die Konstellationen der "actio illicita in causa", bei denen die Notstandssituation das tatbestandsmäßige Verhalten rechtfertigt, nicht übertragen werden. Das ist an früherer Stelle der Untersuchung, in einem analogen Problemzusammenhang, im Grunde bereits hinreichend deutlich geworden284 und braucht hier, ohne Wiederholung der Einzelheiten, nur noch einmal in Erinnerung gerufen zu werden. Während bei der "actio libera in causa" - nach dem zuletzt diskutierten Modell - lediglich eine "Schuldvorverlegung" notwendig ist, weil man es "in actu" immerhin mit einem vorsätzlich-tatbestandsmäßigen und zugleich rechtswidrigen Handeln zu tun hat, scheitert eine übertragung dieses Gedankens auf die actioillicita-Fälle dar an, daß dann sogar auf die Kongruenz von tatbestandsmäßigem und rechtswidrigem Verhalten verzichtet werden müßte. Denn die - tatbestandliche - Notstandshandlung ist nach dem Ausgangspunkt nicht rechtswidrig, als zulässige Gefahrenabwehr gerechtfertigt; das vorangehende, notstandsbegründende Tun, mit dem die strafrechtliche Haftung für den Erfolg verknüpft würde, erfüllt andererseits noch keinen Unrechtstatbestand und ist deshalb kein taugliches Bezugsobjekt eines strafrechtsrelevanten Rechtswidrigkeitsurteils. Die "Vorverlegung" würde somit deliktssystematisch viel weiter greifen als bei der "actio libera in causa" und eine Art "Mischtatbestand" zur Konsequenz haben, den das Gesetz nicht kennf8S. (4) Fazit
Es zeigt sich also: Prüft man die Problematik der vorsätzlichen "actio illicita" resümierend unter dem Aspekt möglicher Begründungsanalogien zur "actio libera in causa", so bleibt das Ergebnis negativ. Die im actio-libera-Bereich in Betracht kommenden Konstruktionsmodelle sind, 282 Oder des Erfolgseintritts. 283 Beim Affekt dagegen soll die Verlagerung des Schuldvorwurfs auf die Affektgenese "im Widerspruch zum Gesetzestext" stehen, der die Motivationsfähigkeit "bei Begehung der Tat" fordere (S. 163). Das ist mit dem zur "actio libera in causa" vertretenen Standpunkt nicht vereinbar. 284 Vgl. oben S. 52 ff. 28S Vgl. schon oben S. 54 f.
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IV. "Verschuldeter" Notstand und "actio illicita in causa"
soweit sie sich auf die "actio illicita in causa" übertragen lassen, schon im Ansatz selbst grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt - die auch die "actio libera in causa" treffen - und vermögen daher eine analoge Behandlung nicht zu legitimieren (Beispiel: Theorie der "Tatbestands-" und "Unrechtsvorverlegung"286). Soweit dagegen prinzipielle Bedenken dieser Art nicht durchgreifen, sind solche Modelle wegen gravierender Unterschiede der jeweiligen Regelungsmaterie und Sachverhaltskonstellation wiederum nicht übertragbar (Beispiele: "Versuchslösung" , Theorie der "Schuldvorverlegung"287). Von der vorsätzlichen "actio illicita in causa" muß daher beim rechtfertigenden Notstand Abschied genommen werden. Wer dieses, nunmehr definitive Ergebnis der Untersuchung als unbefriedigend empfindet, sollte freilich im Blick behalten, daß man den sachlich-kriminalpolitischen Intentionen, die zu jener Konstruktion geführt haben, auf andere Weise angemessen gerecht werden kann. Es ist ja anfangs gezeigt worden, daß die Interessenabwägungsformel Spielraum dafür läßt, die vorsätzliche Herbeiführung der Gefahr- oder Notstandslage bei der Bewertung des späteren Verhaltens im Rahmen des § 34 StGB zu berücksichtigen288 • Versteht man die Spezialregelungen der Notstandsrechtfertigung - etwa in den §§ 228,904 BGB - als Konkretisierungen des Interessenabwägungsprinzips, dessen materiellen Anforderungen die Annahme eines Unrechtsausschlusses auch in diesen Fällen stets genügen muß289, so kann auch dort das "Verschulden" in die Abwägung einbezogen werden29O • Die planmäßige Herbeiführung einer 286 Vgl. oben S. 83. 287 Vgl. oben S. 82 ff., 85 ff. 288 Vgl. oben S. 25 ff. 289 Vgl. dazu Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 135 ff., 152 f.; eingehend zu dieser Problematik Seelmann, Das Verhältnis des § 34 StGB zu anderen Rechtfertigungsgründen, S. 34 f., 40 ff., 75 (dazu kritisch K.-H. Peters, GA 1981, 445 ff.); Warda, Festschrift für Maurach, 1972, S. 160 ff., mit weit. Hinweisen. Vgl. auch Küper, JZ 1976, 517 f. sowie unten Fußn. 414. 290 Die häufig für das Gegenteil in Anspruch genommene Vorschrift des § 228 S.2 BGB (vgl. z. B. Bockelmann, Festschrift für Honig, 1970, S. 28 f.) zwingt m. E. keineswegs zu dem Schluß, daß die Art der Notstandsbegründung für die Rechtfertigungsfrage belanglos ist. Die Bestimmung stellt lediglich klar, daß bei der defensiven Sachwehr sogar im Falle rechtmäßigen Handelns gleichwohl eine Schadensersatzpflicht besteht, sofern der Handelnde auch nur die "Gefahr" - nicht unbedingt die Notstandslage - "schuldhaft" herbeigeführt hat. Daraus läßt sich mittelbar schließen, daß derjenige, der die Gefahr verschuldet hat, nicht allein deshalb im Kollisionsfall sein Interesse an Gefahrenabwehr gegenüber dem konkurrierenden Interesse des Sacheigentümers völlig zurückstellen muß (vgl. Hubmann, AcP 155 [1956], S. 119). Die weitergehende Schlußfolgerung, daß die vorsätzliche oder sonst schuldhafte Herbeiführung der Gefahr- bzw. Notstandssituation die Rechtfertigung der Abwehrhandlung stets unberührt lasse, trägt diese Regelung jedoch nicht, so daß sie mit dem Interessenabwägungsprinzip auch in dieser Beziehung harmonisiert werden kann. überflüssig und selbstverständlich ist § 228 S. 2
5. "Actio illicita in causa" und vorsätzliches Erfolgsdelikt
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Notstandssituation allein zu dem Zweck, ein fremdes Rechtsgut zu verletzen, ist danach mit einer Rechtfertigung der "Gefahrenabwehr" nicht vereinbar. Soweit in sonstigen Fällen "vorsätzlichen Verschuldens" nach dem Interessenabwägungsprinzip ein Unrechtsausschluß für die aktuelle Tat angenommen werden muß, bleibt aus den früher dargelegten Gründen immerhin der Rückgriff auf die fahrlässige "actio illicita in causa" möglich291 •
BGB bei diesem Verständnis schon deswegen nicht, weil das "Gefahrverschulden" eine Rechtfertigung nach Interessenabwägungsgrundsätzen zwar ausschließen kann (und für diesen Fall die Schadensersatzpflicht allerdings keiner ausdrücklichen Anordnung bedarf), aber sie nicht ausschließen muß. 291 Vgl. oben S. 68 f.
v.
Der "verschuldete" rechtfertigende Notstand in der Rechtsprechung - Zugleich zum verschuldeten Notstand im Ordnungswidrigkeitenrecht Die Rechtsprechung hat sich bisher zwar nicht sehr häufig, aber doch in einigen bemerkenswerten - und zum Teil etwas seltsamen - Entscheidungen mit Problemen des "verschuldeten" rechtfertigenden Notstandes und der "actio illicita in causa" beschäftigt. Es lohnt sich, diese Urteile (oder Beschlüsse) auf dem Hintergrund der bisher angestellten überlegungen kritisch zu beleuchten. Dabei werden, wie sich zeigen wird, zugleich Aspekte der Problematik sichtbar, die in den theoretischen Kapiteln dieser Untersuchung noch nicht ausdrücklich oder nur am Rande angesprochen werden konnten292 • Die Entscheidungen betreffen ganz unterschiedliche Lebens- und Kriminalitätsbereiche, auch das Ordnungswidrigkeitenrecht. - Die Aufmerksamkeit soll vorerst drei BGH-Urteilen zum verschuldeten Notstand im Strafrecht gelten. Im Anschluß dar an werden zwei OLG-Beschlüsse zur entsprechenden Problematik im Ordnungswidrigkeitenrecht diskutierf93• 1. Das Urteil des HGB vom 11. 10. 1968 ("Unfallflucht-Fall"), VRS 36 (1969) 23294 a) Sachverhalt und Entscheidungsbegründung
Der Angeklagte (A) hatte als Fahrer eines Pkw "mit bedingtem Vorsatz" einen Verkehrsunfall herbeigeführt und dabei den S verletzt. Danach hatte er, wozu er schon vorher entschlossen gewesen war, den Unfallort verlassen. Dies tat er auch deshalb, "weil er - wie ebenfalls von vornherein einberechnet - andernfalls damit rechnen mußte, ,erschlagen', d. h. hier: ernstlich verprügelt zu werden". Nach Verlassen der UnfallsteIle nahm er, wie geplant, einen gewissen N (offenbar einen Freund) in seinem Wagen mit und fuhr zum Unfallort zurück, ohne dort anzuhalten. Er suchte nämlich nach K, den er in der Nähe vermutete, um ihn zu stellen und körperlich zu verletzen. Dies geschah auch, anscheinend wiederum in Form eines vorsätzlich herbeigeführten "Unfalls". Dann fuhr A mit seinem Wagen nach Hause. 292 Ich beschränke mich auf die mir bekanntgewordenen veröffentlichten Gerichtsentscheidungen. 293 Vgl. unten S. 127 ff. 294 4 StR 244/68.
1. "Unfallflucht-Fall"
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Der BGH nimmt zunächst an, daß in bei den Fällen eine vorsätzliche Unfallflucht vorliege. Die gewollte Verursachung des Schadens stehe der Annahme eines "Verkehrsunfalls" i. S. des § 142 Abs. 1 StGB (a. F.)29S nicht entgegen; ferner werde im ersten Fall der Fluchtvorsatz nicht dadurch in Frage gestellt, daß A auch deswegen vom Unfallort weggefahren sei, weil er sich der Gefahr entziehen wollte, Prügel zu erhalten296 • Die Urteilsbegründung berührt sodann das Problem einer Rechtfertigung aufgrund "übergesetzlichen Notstandes"297: Nach "herrschender Auffassung" sei "die Verletzung eines geringerwertigen Gutes zum Schutze eines höherwertigen unter bestimmten Voraussetzungen auch dann erlaubt, wenn der Täter die Gefahrenlage für das von ihm geschütze Gut verschuldet hat". Auch sei in der Rechtsprechung anerkannt, "daß ein Unfallbeteiligter seine Wartepflicht aus § 142 StGB verletzen und den Unfallort verlassen darf, wenn er der gegenwärtigen Gefahr einer körperlichen Mißhandlung auf andere Weise nicht begegnen kann; verprügeln lassen (!) braucht er sich nicht"298. Weiter heißt es dann speziell zum Verschuldensproblem: "Zweifelhaft ist indessen schon, ob er sich auf diesen Notstand auch dann uneingeschränkt berufen darf, wenn er seine Gefahrenlage, wie der Angeklagte, sehendes Auges heraufbeschworen, sie also - wie die Unfallfolgen - letztlich in Kauf genommen hat. Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, daß schon die vorsätzliche Herbeiführung der Notstandslage eine strafrechtliche Haftung begründe ... "299 Der BGH glaubt indessen, diese Fragen im vorliegenden Fall nicht entscheiden zu müssen. Nach seiner Auffassung fehlt nämlich für eine Notstandsrechtfertigung bereits die Grundvoraussetzung der "Erjorderlichkeit". Dazu führt der Senat aus: "In jedem Falle ist die Verletzung eines anderen Rechtsgutes durch Notstand nur in dem Umfang gedeckt, als sie zur überwindung der Gefahrenlage erforderlich ist. Deshalb ist das sofortige Weiterfahren vom Unfall ort nur soweit gerechtfertigt, als es den Unfallbeteiligten aus dem Bereich der Menschenmenge bringt, von der ihm Angriffe auf seine Person drohen3OO• An die Stelle der Wartepflicht tritt dann die Pflicht zur alsbaldigen Rückkehr an den Unfallort, sobald die Gefahr behoben ist, sei es, daß sich die Menschenmenge zerstreut 29S Nach § 142 Abs. 1 StGB n. F. jetzt: "Unfall im Straßenverkehr". 296 BGH, VRS 36 (1969) 24. 297 Heute § 34 StGB. - Zum folgenden vgl. BGH, VRS 36 (1969) 25. 298 Unter Hinweis auf RGSt 63, 18 (19); BayObLG, DAR 1956, 15; BGH, VRS 25 (1963) 196, VRS 30 (1966) 281. 299 Unter Hinweis u. a. auf Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 104 ff. und Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 141 ff. 300 Unter Hinweis auf RGSt 63, 18 (19) und BayObLG, DAR 1956, 15.
92
V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
hat, sei es, daß die Anwesenheit von Polizeibeamten jede weitere Gefahr bannt301 • Dagegen darf mit dem Wegfahren nicht der Zweck verfolgt werden, sich den nach dem Verkehrsunfall notwendigen Feststellungen endgültig zu entziehen. Gerade das hat der Angeklagte aber nach dem Urteil getan ... Ein solches, zu keiner Zeit von einem Rückkehrwillen getragenes Verhalten war nicht gerechtfertigt. Damit ging der Angeklagte ohne Not über das Maß dessen hinaus, was zur Rettung aus der ihm am Unfall ort drohenden Gefahr erforderlich war ..." b) Kritische überlegungen zur Entscheidung
aa) Der Ausgangspunkt
Bei der Kritik an diesem BGH-Urteil soll von zwei Prämissen ausgegangen werden. Einmal wird mit dem BGH angenommen, daß der Begriff des "Verkehrsunfalls" i. S. des § 142 StGB auch die (bedingt) vorsätzlich herbeigeführte Schädigung umfaßt302 • Weiterhin wird mit der früheren Rechtsprechung vorausgesetzt, daß der Tatbestand des § 142 StGB a. F. eine Rückkehrpflicht für die Fälle normierte, in denen der Täter sich vor Ablauf der Wartefrist erIaubtermaßen (oder entschuldigt) vom Unfall ort entfernt hatte303 • Beide Prämissen betreffen nicht die eigentliche Rechtfertigungsproblematik und brauchen deshalb hier nicht näher diskutiert zu werden. bb) Erforderlichkeit der Gefahrabwendung und "Rückkehrpflicht"
Unter diesen Voraussetzungen mag das Urteil des BGH zwar im Ergebnis - der Verurteilung wegen Unfallflucht auch im ersten Fall durchaus Zustimmung verdienen; die Begründung ist indessen nicht tragfähig und hätte durch eine andere Argumentation ersetzt werden müssen. Der BGH verquickt in eigenartiger Weise die notstandsrechtliche Frage der "Erforderlichkeit" (des Abwehrmittels) mit der "Rückkehrpflicht" und leitet aus der fehlenden Bereitschaft zur Rückkehr eine überschreitung des rechtfertigenden Notstandes ab. Das ist in mehrfacher Hinsicht zu beanstanden. 301
Unter Hinweis auf BGH, VRS 24 (1963) 41, 44; VRS 25 (1963) 196; VRS 30
(1966) 281.
302 Zu dieser umstrittenen Frage vgl. etwa Lackner, § 142 Anm. 3 c; Rudolphi, SK, Bd. 2, § 142 Rdnr. 15, jeweils mit weit. Hinweisen. Zusammenfassend zuletzt Magdowski, Die Verkehrsunfall flucht in der Strafrechtsreform, S. 89 ff.
303 Zu dieser von der Rechtsprechung angenommenen Rückkehrpflicht vgl. die Nachweise bei Schönke I Schröder, 17. Aufl. 1974, § 142 Rdnr. 22 ff., 25. Die Rückkehrpflicht setzte im übrigen voraus, daß bei Abschluß der erlaubten oder entschuldigten Flucht noch ein räumlich-zeitlicher Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen bestand.
1. "Unfallflucht-Fall"
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Entfernt sich ein Unfallbeteiligter wegen einer für ihn bestehenden Gefahrenlage vom Unfallort, so kann sein Verhalten unter dem Aspekt des Verstoßes gegen die "Rückkehrpflicht" nur dann eine tatbestandsmäßige "Entziehung durch Flucht" i. S. des § 142 Abs. 1 StGB a. F. darstellen, wenn die Primärhandlung - das Verlassen der UnfallsteIle gerechtjertigt (oder entschuldigt) war: Die "Rückkehrpflicht" setzt die Rechtfertigung der ursprünglichen Fluchthandlung voraus und entsteht, sobald die Notstandssituation entfällt. Dieser Wegfall der anfänglichen Rechtfertigungslage kann nun zwar auch darauf beruhen, daß die Gefahr an sich noch fortbesteht, nunmehr aber auf andere Weise, etwa durch Inanspruchnahme polizeilichen Schutzes, abgewendet werden kann; bei dieser Konstellation resultiert die Rückkehrpflicht gerade daraus, daß eine weitere Beeinträchtigung der Feststellungsinteressen durch Abwesenheit vom Unfallort zur Gefahrenabwehr nicht mehr "erforderlich" ist. Normalerweise - und so verhielt es sich auch bei dem hier gegebenen Sachverhalt - liegt die Situation jedoch so, daß gewisse Zeit nach Verlassen der UnfallsteIle die rechtfertigende Gejahrenlage als solche beendet ist und sich daraus die Rückkehrpflicht ergibt304 • Die Entstehung dieser Pflicht hat dann mit der fehlenden "Erforderlichkeit" der Gefahrenabwehr gar nichts zu tun. In jedem Fall hängt die Rückkehrpflicht aber davon ab, daß die Flucht vom Unfallort als Maßnahme der Gefahrabwendung zunächst einmal erforderlich und auch im übrigen gerechtfertigt (bzw. entschuldigt) war. Es ergibt deshalb keinen rechten Sinn, wenn die "Erforderlichkeit" vom BGH mit der Begründung verneint wird, daß der Täter seine Rückkehrpflicht nicht erfüllt habe bzw. dazu nicht bereit gewesen sei. Die Argumentation des BGH wird nicht überzeugender, wenn man den Gedanken einbezieht, der am Ende der Urteilsbegründung anklingt. Dort soll der Notstandsexzeß30s offenbar damit begründet werden, daß A mit seiner Flucht den Zweck verfolgte, sich den Feststellungen endgültig zu entziehen, weil er zu keiner Zeit einen Rückkehrwillen hatte. Die Tatsache, daß dem A von vornherein der Wille zur Rückkehr fehlte, kann indessen an der Erforderlichkeit der primären Fluchthandlung Vgl. auch BGH, VRS 24 (1963) 41 (44 f.). Im Anschluß an RGSt 63, 18 (19), wo es heißt: Der Angeklagte "durfte allerdings zur Rettung aus der ihm ... drohenden gegenwärtigen Gefahr einer körperlichen Mißhandlung die Flucht ergreifen, also sich beschleunigt vom Unfallort entfernen. Er durfte aber nicht darüber hinaus den Zweck verfolgen, sich der Feststellung des Fahrzeugs und seiner Person zu entziehen ... Deshalb ist das sofortige Weiterfahren vom Unfallort nur soweit durch Notstand entschuldigt, als es den Angeklagten aus dem Bereich der Menschenmenge brachte, von der ihm Angriffe auf seine Person drohten. Dazu war nicht nötig, daß er sich der alsbaldigen Feststellung des Fahrzeugs und seiner Person gänzlich entzog, obwohl ... ihn die Notstandslage hierzu keinesfalls genötigt hatte." Vgl. auch BayObLG, DAR 1956, 15. 304
30S
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
nichts ändern und stellt deren Rechtfertigung auch in sonstiger Hinsicht nicht in Frage306 • Der Mangel an Rückkehrbereitschaft nach Beendigung der Notstandslage ist wiederum nur unter der Voraussetzung von Interesse, daß das Verlassen des Unfallortes gerechtfertigt (oder entschuldigt) war. Wie man die Dinge also auch betrachtet: Von einer überschreitung des zur Gefahrenabwehr "erforderlichen Maßes", die sich mit der Verletzung der "Rückkehrpflicht" in Verbindung bringen ließe, kann nicht gesprochen werden. Zur Debatte steht vielmehr die Beurteilung zweier verschiedener, zeitlich aufeinander folgender Verhaltensweisen: der primären Flucht (Verlassen der UnfallsteIle), die wegen der Notstandslage möglicherweise gerechtfertigt war, und der späteren Nichtrückkehr nach Wegfall der Gefahr ("sekundäre Flucht"), die andererseits nur tatbestandsmäßig sein kann, wenn man die Rechtfertigung (oder Entschuldigung) des ersteren Verhaltens bejaht.
ce) Die Entscheidungserheblichkeit der Abwägungsjrage Der BGH hätte daher allenfalls in der Richtung argumentieren können - und vielleicht hat ihm dies vorgeschwebt -, daß für die "primäre" Flucht die Frage einer Notstandsrechtfertigung dahingestellt bleiben dürfe, weil der Angeklagte selbst unter der Voraussetzung eines übergesetzlichen Notstandes "jedenfalls" gegen seine Verpflichtung zur alsbaldigen Rückkehr verstoßen und zumindest durch dieses spätere Verhalten den Tatbestand des § 142 StGB a. F. (rechtswidrig) verwirklicht habe. Doch auch eine solche Argumentation wäre sehr problematisch. Wenngleich nach der - früheren - Rechtsprechung das Verlassen des Unfallortes und die Verletzung der Rückkehrpflicht lediglich zwei Modalitäten tatbestandsmäßiger "Flucht" darstellen, ist doch nicht zu übersehen, daß es sich hierbei um Verhaltensweisen von ganz verschiedenem Unrechtsgewicht handelt. Nicht allein unter dem Aspekt des "Aktunwerts" macht es einen erheblichen Unterschied, ob Jemand ohne jede Rechtfertigung (bzw. Entschuldigung) den Unfallort vorzeitig verläßt, oder ob er nach Beendigung einer Notlage, die ihn zunächst zur Flucht zwang, nicht wieder an die UnfallsteIle zurückkehrt. Auch das strafrechtlich geschützte "Feststellungsinteresse" beeinträchtigt der Täter in beiden Fällen in jeweils unterschiedlichem Maße - mit dem Resultat einer entsprechenden Differenz des "Erfolgsunwertes" -. Bei der "primären Flucht" verletzt oder gefährdet er ein Interesse des Betroffenen, das sich auf die unmittelbare Rekonstruktion des Unfallhergangs "an Ort und Stelle" richtet, dessen Wahrung dem 306 Sofern nur der Wille zur Gefahrenabwehr vorausgesetzt werden kann. Zur Bedeutung des mangelnden Rückkehrwillens für die Interessenabwägung vgl. im übrigen unten S. 97 f.
1. "Unfallflucht-Fall"
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Beweissicherungsbedürfnis daher regelmäßig am besten entspricht; die Unterlassung der Rückkehr kann dagegen nur noch die Möglichkeit zur nachträglich-mittelbaren Aufklärung des Geschehens beinträchtigen307 • Welches Unrecht dem Täter zur Last gelegt wird, darf daher bei möglicher Rechtfertigung (oder Entschuldigung) der ersten Fluchthandlung als Rechtsfrage nicht einfach offen gelassen werden308 • Der BGH hätte somit zum Problem des rechtfertigenden Notstandes im vorliegenden Fall Stellung nehmen müssen. Dies müßte erst recht gelten, wenn das Verhalten des A nach § 142 StGB n. F.3I1) zu beurteilen wäre. Das Gesetz kennt jetzt keine "Rückkehrpflicht" mehr. An ihre Stelle ist die Verpflichtung des Unfallbeteiligten getreten, die "Feststellungen unverzüglich nachträglich zu ermöglichen" (§ 142 Abs. 2, 3 StGB)310. Diese Nachholpflicht setzt - abgesehen von den Fällen abgelaufener Wartefrist - zwingend voraus, daß der Täter sich "berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat", also nicht bereits nach § 142 Abs. 1 StGB bestraft werden kann. Damit hat der Gesetzgeber zwei strukturell - auch in ihrem Unwertgehalt - verschiedene Tatbestände der Unfallflucht geschaffen: das unerlaubte "Sich-Entfernen" vom Unfallort (Abs. 1) und die Nichterfüllung der Pflicht zur "nachträglichen Ermöglichung" der Aufklärung (Abs. 2). Taucht nunmehr bei Sachverhalten, in denen der Täter den Unfallort vorzeitig verlassen hat, ohne die Feststellungen später unverzüglich zu ermöglichen, die Frage auf, ob die Primärhandlung wegen Notstandes gerechtfertigt war, so muß sie konsequenterweise entschieden werden; eine Verurteilung "jedenfalls" (zumindest) nach § 142 Abs.2 Nr.2 StGB - unter Ausklammerung des Rechtfertigungsproblems - ist nicht statthaft, da diese Norm nur angewendet werden kann, wenn das ursprüngliche Verhalten wirklich gerechtfertigt (oder entschuldigt) war311 •
3m Zu diesem Interessengefälle vgl. - für das neue Recht - auch Küper, JZ 1981, 212, 253 f. - Nach Auffassung Schröders, NJW 1966, 1002, ist "der Schaden, den das Gesetz mit § 142 (a. F.) verhindern will", sogar schon "endgültig eingetreten, wenn der Unfallbeteiligte sich von der UnfallsteIle entfernt hat: wegen seiner Abwesenheit sind die Ermittlungen behindert oder erschwert". Rückkehr bedeute deshalb lediglich "Wiedergutmachung" des bereits eingetretenen Schadens. Vgl. dazu die Hinweise bei Küper, JZ 1981, 253 Fußn. 88. 308 Auf einer anderen Ebene liegt das Problem, ob bei einer bezüglich der Rechtfertigung ungeklärten Beweislage Wahlfeststellung (Tatsachenalternativität) möglich ist. 311) Neugefaßt durch das 13. StÄG vom 13. 6. 1975 (BGBL I, 1349). 310 Zur Struktur des neuen Tatbestandes und zur Bedeutung der "Nachholpflicht" vgl. u. a. Küper, NJW 1981, 853 f., JZ 1981, 209 ff., 253 ff. 311 Vgl. aber auch oben Fußn. 308.
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung c) Das Problem der Notstandsrechtfertigung
aa) Allgemeines Prüft man die in unserem Fall infolgedessen unausweichliche Rechtfertigungsfrage, so ist - mit dem BGH - zunächst festzuhalten, daß ein Unfallbeteiligter grundsätzlich den Unfallort verlassen darf, wenn er nur auf diese Weise die gegenwärtige Gefahr einer erheblichen Körperverletzung abzuwenden vermag312 • Denn prinzipiell überwiegt sein Interesse an der Erhaltung der eigenen physischen Integrität "wesentlich" das Beweissicherungsbedürfnis der anderen Unfallbeteiligten, soweit es sich auf die möglichst umfassende Rekonstruktion des Geschehens an der Unfallstelle selbst richtet313 • Dies ergibt sich zum einen daraus, daß bereits zwischen den kollidierenden Rechtsgütern ein deutlicher Rangunterschied besteht: Bei dem vom Täter mit der Notstandshandlung geschützten Rechtsgut handelt es sich um einen elementaren höchstpersönlichen Wert, dem in Gestalt des verletzten "Feststellungsinteresses" lediglich das Bedürfnis nach Klarstellung und Sicherung (evtl. auch Abwehr) zivil rechtlicher Ersatzansprüche - also ein materiell-vermögensbezogenes Gut314 - gegenübersteht. Hinzu kommt, daß dieses Feststellungsinteresse von der räumlichen Distanzierung nur partiell betroffen wird, weil es durch die Rückkehr- bzw. Nachholpflicht weiterhin in wesentlichem Umfang gesichert bleibt. Deshalb hat die Judikatur für den Regelfall zu Recht ein "überwiegendes Interesse" des Täters am Schutz seiner körperlichen Unversehrtheit bejaht.
bb) Die Bedeutung der vorsätzlichen NotstandsbegTÜndung Bei unserem Sachverhalt bestand nun freilich die Besonderheit darin, daß A die Gefahrensituation (Selbstgefährdung) bewußt heraufbeschworen und auch die Notwendigkeit, zur Abwehr der Gefahr fremde Feststellungsinteressen zu verletzen, "von vornherein einberechnet" hatte315 • Sein Vorsatz bezog sich damit nicht allein auf das "primäre" Verschuldensobjekt, die Begründung der Gefahr, sondern um faßte zugleich den "sekundären" Bezugsgegenstand des Verschuldens: den Notstand als Rechtgüterkollision316• Dieses Vorverhalten lag zwar noch unterhalb der Unwertschwelle echter "Absichtsprovokation"317, weil der Zur "Erforderlichkeit" vgl. auch unten Fußn. 325. Vgl. die oben Fußn. 298 zitierten Entscheidungen; ferner etwa Schänke I Schräder, § 34 Rdnr.53 (Lenckner), § 142 Rdnr.45 (Cramer). 314 Vgl. Schänke I Schräder I Cmmer, § 142 Rdnr. 1; Wessels, Strafrecht, Bes. Teil 1, S. 167 jeweils mit weit. Hinweisen. 315 Vgl. oben S. 90. 316 Vgl. dazu oben S. 20, 25 ff., 32 ff. 317 Dazu oben S. 33. 312
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1. "Unfallflucht-Fall"
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Täter Unfall und Gefahr nicht eigens zu dem Zweck herbeigeführt hatte, sich den Feststellungen zu entziehen - was praktisch ohnehin nicht vorkommt -. Nach den früheren Überlegungen zum Einfluß vorsätzlichen Verschuldens auf die jeweilige Interessenkonstellation318 kann die Abwägung gleichwohl nicht mehr zugunsten des Täters ausfallen. Dieser verfolgte, als er die Notstandslage bewußt begründete und damit eine Verletzung fremder Interessen einkalkulierte, von Anfang an kein anerkennenswertes Ziel; seine Notstandssituation resultierte vielmehr aus einem eindeutig rechtswidrigen, sogar strafbaren Vorverhalten: der von ihm verübten gefährlichen Körperverletzung (§ 223 a StGB). Unter diesen Umständen ist das vorsätzlich in Gefahr gebrachte "Erhaltungsgut"3!9, die eigene Körperintegrität, bei konkret-situationsbezogener Betrachtung zumindest nicht in höherem Maße schutzwürdig als das Feststellungsinteresse des Unfallopfers. Dabei fallen zum Nachteil des Täters (und zugunsten des Verletzten) noch zusätzlich zwei Faktoren ins Gewicht, deren Berücksichtigung dieses Ergebnis bestätigt. Einmal ist zu bedenken, daß hinter dem mißachteten Beweissicherungsbedürfnis des Opfers ein Schadensersatzanspruch stand, der seinerseits das Surrogat für die Beeinträchtigung eines höchstpersönlichen Rechtsgutes - der körperlichen Unversehrtheit darstellte; dieser "personale Einschlag" des verletzten Gutes erhöht den Rang des im konkreten Fall "beeinträchtigten Interesses" (§ 34 StGB) in der Abwägungsbilanz32o• Denn hierbei ist auch die individuelle Bedeutung des - auf der "Erhaltungsseite" abgewendeten und auf der "Eingriffsseite" verursachten - Schadens für den Betroffenen mitzuveranschlagen321 • In diesem Zusammenhang gewinnt weiterhin der Umstand Bedeutung, aus dem der BGH - fälschlich - das Fehlen der "Erforderlichkeit" abgeleitet hat: die Tatsache nämlich, daß sich A von Anfang an endgültig den Feststellungen entziehen wollte322 • Da es bei der Beeinträchtigung von Vermögenswerten für die Interessenabwägung maßgeblich auch auf den konkreten Schaden ankommt, den der Notstandstäter dem Verletzten zufügt323 , kann es nicht gleichgültig sein, in welchem Ausmaß das Feststellungsinteresse des Unfallopfers beeinträchtigt wurde und nach dem Willen des Täters beeinträchtigt werden sollte. In unserem Fall ging es A von vornherein darum, Feststellungen Vgl. oben S. 25 ff., 32 ff. Vgl. oben Fußn. 6I. 320 Vgl. dazu schon Küper, JZ 1976, 518. 321 Vgl. Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 98 f., und in Schönke I Schröder, § 34 Rdnr. 33; Schröder, SchwZStr 75 (1960), S. 9; Küper, JZ 1976, 518. . 322 Vgl. oben S. 91 f. 323 Vgl. statt vieler Schänke I Schröder I Lenckner, § 34 Rdnr. 26, mit weit. Hinweisen; vgl. auch BGH, NJW 1976, 680; Küper, JZ 1976,517 f. 318
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7 Küper
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
nicht nur am Unfallort, sondern überhaupt und definitiv zu verhindern, weil er auch nach Beendigung der Gefahrenlage nicht an die UnfallsteIle zurückkehren wollte. Diese grobe, in solchem Maße durch die Notstandssituation nicht mehr gebotene Mißachtung des Beweissicherungsbedürfnisses erhöht den Aktunwert der Eingriffshandlung erheblich und fällt deshalb bei der Abwägung ebenfalls zum Nachteil des Täters in die Waagschale324• Dies ist der zutreffende Kern der vom BGH angenommenen Überschreitung des "erforderlichen Maßes". Dem danach aus der vorsätzlichen Notstandsbegründung sowie aus weiteren negativen Abwägungsfaktoren resultierenden Befund, daß die Interessen des A in der konkreten Lage nicht vorzugswürdig waren, könnte die praktische Konsequenz dieser Beurteilung entgegengehalten werden: die "Verpflichtung" des Täters, sich beim Verbleiben am Unfallort eventuell "erheblich verprügeln" zu lassen. Indessen ist diese Konsequenz zunächst präzisierungsbedürftig, im übrigen allerdings unvermeidlich, aber auch nicht befremdlich. Das Recht des A, sich an der Unfallstelle gegen drohende körperliche Angriffe zu wehren (§ 32 StGB), bleibt unberührt, wenn man der Fluchthandlung aus den dargelegten Gründen die Legitimation versagt. Der Täter muß dann freilich, will er sich rechtmäßig verhalten, das Verletzungsrisiko (mitsamt seinen Folgen) tragen, das besteht, wenn er zu wirksamer Verteidigung nicht imstande ist325 • Das ist jedoch keineswegs ungerecht, weil er eben diese Situation in klarer Voraussicht der Gefahr herbeigeführt hat, ohne mit seinem Handeln einen billigenswerten oder wenigstens rechtlich neutralen Zweck zu verfolgen. d) Zur Entschuldigungsfrage
Damit bleibt nur noch die Frage, ob das Verhalten des A vielleicht entschuldigt war. Eine Entschuldigung der "primären" Flucht nach § 54 StGB a. F. bzw. § 35 Abs.l StGB n. F. könnte freilich an der "Rückkehrpflicht" - heute: an der Pflicht zur nachträglichen Ermöglichung der Feststellungen (§ 142 Abs.2 Nr.2, Abs.3 StGB) - ohnehin nichts ändern, wäre jedoch - wie dargelegt - vorrangig zu prüfen. Da dieses Problem nicht mehr zum Thema dieser, dem rechtfertigenden Notstand gewidmeten Arbeit gehört, muß insoweit der pauschale Hinweis genü324
Zur Berücksichtigung des Aktunwerts bei der Interessenabwägung vgl.
Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 114 ff.; NoZl, ZStW 77 (1965), S.29.
Vgl. auch BGH, NJW 1976, 680. 325 Verneint man bereits dieses Risiko, so fehlt es ohnehin an der "Erforderlichkeit" der Notstandshandlung, weil die Gefahr dann durch Notwehr, also "anders" und rechtmäßig, abgewendet werden kann; in diesem Fall bedarf es keiner Interessenabwägung mehr. Ob dieser Vorrang der Notwehr gegenüber dem rechtfertigenden Notstand ausnahmslos gilt, ist allerdings ein Problem, das bisher noch nicht näher untersucht wurde.
1.
"Unfallflucht-Fall"
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gen, daß sich im vorliegenden Fall die Straflosigkeit des Primärverhaltens auch unter dem Gesichtspunkt des entschuldigenden Notstandes nicht begründen läßt, weil die Zwangslage nicht "unverschuldet" war: pflichtwidrige vorsätzliche Herbeiführung der Notsituation schließt anerkanntermaßen den entschuldigenden Notstand aus326 . Da A bereits den Unfall bedingt vorsätzlich und in strafbarer Weise verursacht hatte, sich also beim Verbleiben am Unfallort, ja sogar bei nachträglicher Aufklärung des Geschehens, selbst der Strafverfolgung ausgesetzt hätte, kann auch unter diesem Aspekt an eine Entschuldigung gedacht werden. Das damit angesprochene Problem der "Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens" ist möglicherweise durch die - hier als richtig vorausgesetzte - Bejahung eines "Verkehrsunfalls"327 noch nicht definitiv zum Nachteil des Täters präjudiziert. Es liegt jedoch ebenfalls außerhalb der Thematik dieser Untersuchung und wird daher nicht weiter verfolgt328 . e) Zum Problem der "actio ilIicita in causa"
Wenn der BGH in seinem Urteil beiläufig auf die "im Schrifttum" vertretene Ansicht hinweist, "daß schon die vorsätzliche Herbeijührung der Notstandslage eine strafrechtliche Haftung begründe"329, so klingt in dieser Wendung deutlich die Konstruktion der "actio illicita in causa" an33O. Es ist für die Beurteilung der actio-illicita-Problematik aufschlußreich, unseren Fall abschließend noch aus dieser Perspektive zu betrachten. Hierbei wird - hypothetisch - davon ausgegangen, daß die Notstandshandlung des A, also das Verlassen des Unfallortes, wegen der für ihn gegebenen Gefahr einer Mißhandlung gerechtjertigt war. Denn andernfalls hätte die Frage der "actio illicita in causa" keine praktische Bedeutung331. Akzeptiert man die in dieser Untersuchung entwickelte Auffassung, daß die vorsätzlich-tatbestandsmäßige "Begehung" einer Straftat sogar bei den reinen Erfolgsdelikten erst mit dem Versuch beginnt332 , so sind die Konsequenzen für den vorliegenden Sachverhalt nicht schwer zu 326 Vgl. nur Schönke / Schröder / Lenckner, § 35 Rdnr. 26, mit weit. Hinweisen; vgl. auch oben Fußn. 7. 327 Vgl. oben Fußn. 302. 328 Zu den Unzumutbarkeitsproblemen bei der Flucht nach vorsätzlich herbeigeführtem Unfall vgl. z. B. Berz, JuS 1973, 560 f.; Geppert, GA 1970, 8 ff.; Oppe, GA 1970, 369 ff.; Roxin, NJW 1969,2040. 329 Vgl. oben bei Fußn. 299. 330 Daß sie gemeint ist, zeigen die in Bezug genommenen Literaturstellen (oben Fußn. 299). 331 Vgl. dazu oben S. 39 f., 79 f. 332 Vgl. oben 08.61 ff. und passim. 7*
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
ziehen. Der Versuch der Unfallflucht333 setzt noch nicht mit der notstandsbegründenden Vorhandlung oder ihrem "Primärerfolg" (Gefahr für das Erhaltungsgut)334 ein; er impliziert auf grund der Eigenart des Tatbestandes vielmehr die doppelte Voraussetzung, daß der Täter nach dem Unfall unmittelbar dazu ansetzt, sich den Feststellungen durch "Flucht" zu "entziehen" bzw. sich "vom Unfallort" zu "entfernen". Deshalb ist das Vorverhalten, das die Notstandsgefahr und damit die anschließende Unfallflucht auslöst, strukturell eine tatbestandsirrelevante Handlung, die selbst beim Eintritt des von vornherein geplanten Erfolges eine "strafrechtliche Haftung" nach § 142 8tGB nicht zu begründen vermag. Auch bei Einbeziehung der "zeitlichen Unmittelbarkeit"335 - die in unserem Fall vorliegen dürfte - ändert sich dieses Resultat nicht. Denn die Tatsache, daß die Notstandslage plangemäß sogleich in eine Fluchthandlung übergehen soll, verleiht dem vorausgehenden Verhalten (auch in Verbindung mit seinem "Primärerfolg") noch nicht den Charakter einer Absetzbewegung vom Unfallort "nach einem Unfall"; damit von einem Versuch der Flucht bzw. des 8ichEntfernens i.8. des § 142 8tGB die Rede sein kann, muß vielmehr im Anschluß an das Unfallereignis eine Handlung vorgenommen werden, die auf räumliche Distanzierung abzielt336 . Im Grunde braucht man jedoch den für die reinen Erfolgsdelikte herausgearbeiteten Grundsatz, daß die vorsätzliche Tatbestandshandlung erst mit dem Versuch einsetzt, nicht einmal anzuerkennen, um bei § 142 8tGB gleichwohl zur Ablehnung einer actio-illicita-Haftung zu gelangen. Denn die Unfallflucht ist zwar ein Erfolgs- und kein schlichtes Tätigkeits- oder unechtes Unternehmensdelikt337 ; sie stellt indes keine "reine" Erfolgsstraftat dar, die - wie etwa die vorsätzliche Tötung - allein unter dem Aspekt der finalen Verursachung des Erfolges schon adäquat begriffen werden könnte. Die tatbestandliche Deliktsbeschreibung enthält vielmehr zahlreiche Besonderheiten, die den Tattypus jenseits bloßer Erfolgsverursachung spezifizieren338 • Hier333 Zur Irrelevanz der Versuchsstrajbarkeit für unser Problem vgl. bereits oben S. 62 f. 334 Vgl. oben S. 48, 71 f. 335 Zu diesem Gesichtspunkt oben S. 78 f. 336 Das wird ganz deutlich, wenn man sich einmal vorstellt, daß der Täter bei der vorsätzlichen Unfallverursachung selbst verletzt und infolgedessen "fluchtunfähig" wird. Der Sprachsinn des Tatbestandes würde vergewaltigt, wollte man in diesem Fall annehmen, daß der Täter bereits damit begonnen habe, sich vom Unfallort zu entfernen. - Entscheidet man bei "zeitlicher Unmittelbarkeit" anders, so hat man es aus den oben S. 79 f. dargelegten Gründen ohnehin mit einem rechtswidrigen Angriff auf das Feststellungsinteresse zu tun, der eine rechtfertigende Notstandslage ausschließt und die Konstruktion der "actio illicita in causa" entbehrlich macht. 337 Zu diesen Fragen eingehend Küper, JZ 1981, 213 ff., mit weit. Hinweisen. 338 Zur Tatbestandsstruktur näher Küper, NJW 1981, 853 ff.
2. "Mandantengelder-Fall"
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her gehört u. a. die Eingrenzung des Tatbestandes auf ein Verhalten "nach einem Unfall", also die zeitliche Verknüpfung mit einer bestimmten Ausgangssituation, aber auch die gleichsam geographische Charakterisierung der Tatbestandshandlung als "Flucht" bzw. "Sich-Entfernnen" vom Unfallort. Damit entsteht für die actio-illicita-Konstruktion ein Problem, das bereits in anderem Zusammenhang, bei der Analyse der fahrlässigen "actio illicita in causa", besprochen wurde339 : Die besondere Ausprägung des Tatbestandes setzt hier dem Rückgriff auf einen Kausalvorgang, der die spezifischen Anforderungen des Deliktstypus (noch) nicht erfüllt, unüberwindliche Grenzen. Gerade die Unfallflucht ist dafür ein prägnantes Beispiel. Die Setzung einer Ursache für die spätere Fluchthandlung und ihren Erfolg durch Begründung einer Notstandslage ist eben selbst noch keine "Flucht nach einem Verkehrsunfall" und kein "Sich-Entfernen vom Unfallort"34C. Solches VorverhaIten kann schon aus diesem Grunde nicht i. S. d. § 142 StGB tatbestandsmäßig sein. Eine Tatbestands- und Unrechtsvorverlegung nach den Regeln der "actio illicita in causa" ist deshalb jedenfalls bei Delikten dieser Art nicht möglich. 2. Das Urteil des BGB vom 27. 1. 1976 ("Mandantengelder-Fall"), NJW 1976, 680341 a) Sachverhalt und Entscheidungsbegründung
Der wegen Untreue angeklagte Rechtsanwalt342 hatte, um Forderungen von zunächst 100 000,- DM erfüllen zu können - später ging es offenbar um noch weitaus größere Verbindlichkeiten - und dadurch seine Kanzlei vor dem drohenden finanziellen Zusammenbruch zu bewahren, auf "Mandantengelder" zurückgegriffen. Bei den Geldern handelte es sich um Schadensersatzbeträge, die von Haftpflichtversicherungen für seine (bei Verkehrsunfällen geschädigten) Mandanten auf sein Postscheckkonto überwiesen worden waren. Die sukzessiv veruntreuten Gelder erreichten schließlich eine Summe von über 60 000,DM343.
Vgl. dazu oben S. 51 f. Dagegen ist die Eingrenzung des Täterkreises auf "Unfallbeteiligte" allein noch kein Hindernis für die Annahme einer tatbestandlichen "actio illicita in causa". Denn die Herbeiführung des Notstandes durch Unfallverursachung begründet zugleich das Tätermerkmal des "Unfallbeteiligten" . 341 1 StR 739/75. Das Urteil ist ferner abgedruckt in JZ 1976, 250 mit Besprechung von Küper, JZ 1976, 515 ff., und in JR 1977, 26 mit Anmerkung von Kienapfel, JR 1977, 27 f. 342 Daß auch seine geschiedene, als Bürovorsteherin bei ihm tätige Ehefrau mitangeklagt war, kann hier außer Betracht bleiben. 343 Vgl. den in BGH, NJW 1976, 680, detailliert mitgeteilten, gleichwohl in wesentlichen Punkten nicht ganz klaren Sachverhalt. 339 340
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
Der BGH läßt die Berufung des Angeklagten auf den Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB nicht geIten. Für die Analyse des Urteils ist es nützlich, die wesentlichen Partien der ablehnenden Begründung im Wortlaut wiederzugeben344 : "Die umfassende Abwägung aller schutzwürdigen Interessen, die § 34 StGB (in Satz 1) vorschreibt und (in Satz 2) mit der Angemessenheitsformel der Zwecktheorie verknüpft, ... erfordert ein wesentliches Oberwiegen des geschützten Interesses und die Angemessenheit der zur Gefahrabwendung begangenen Tat. Beide Voraussetzungen lassen es zwar nicht als ausgeschlossen erscheinen, daß bei Kollision gleichartiger Vermögenswerte der quantitativ größere Verlust durch eine tatbestandsmäßige Handlung abgewendet wird. Aber nur bei ganz außergewöhnlichen Umständen wird das durch die Tat wahrgenommene Vermögensinteresse in der konkreten Lebenssituation als schutzwürdiger angesehen werden können. Der rechnerische Schadensvergleich ist nur ein die Abwägung mitbestimmender Umstand. Grundsätzlich trägt jeder das kleine oder große Risiko seiner finanziellen Dispositionen ... Die finanziellen Schwierigkeiten (des Angeklagten) waren vor allem die Folge unwirtschaftlicher Geldschöpfungspraktiken. Durch die zweckwidrige Verwendung anvertrauter Mandantengelder zur Tilgung von Forderungen auf Kosten anderer wurde lediglich ein Gläubigerwechsel herbeigeführt, der per Saldo die Schuldenlast nicht verringerte, in seinem Aktunwert besonders groß war (der Angeklagte hinterging in Verkehrsunfällen Geschädigte, die darauf hofften, daß er rasche Schadensersatzleistungen an sie erwirkte) und in der finanziellen Lage, in der sich der Angeklagte befand, die endgültige Schädigung derjenigen, deren Vermögensinteressen er zu betreuen hatte, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten ließ. Das ideelle Interesse, auf das der Angeklagte sich bezieht, spricht nicht für, sondern gegen ihn. Denn Ansehen des Berufsstandes und Vertrauen der Mandanten werden durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Rechtsanwalts weit weniger als durch die Veruntreuung von Mandantengeldern berührt ... Die Untreuehandlungen des Angeklagten waren infolgedessen auch und gerade bei Berücksichtigung des ideellen Interesses, das er geltend macht, kein angemessenes Mittel zur Gefahrabwendung." Der BGH führt dann noch aus, daß sich der Fall wesentlich von dem Sachverhalt des Urteils BGHSt 12, 299 345 unterscheide: "Die frühere Entscheidung hatte es mit einer Konfliktslage zu tun, die nicht in wirtschaftlich riskantem Handeln der Täter ihren Ursprung hatte. Für ihre Annahme, der Schaden werde nicht endgültig eintreten, sondern sich auf die ,vorübergehende Blockierung verhältnismäßig geringer Beträge' beschränken, sprachen gute Gründe ... " b) Kritische überlegungen zur Entscheidung aa) Der Ausgangspunkt
Wie man sieht, ist das Urteil an verschiedenen Stellen deutlich von "Verschuldens"-überlegungen geprägJ:346, obwohl der BGH nicht ausBGH, NJW 1976, 681. Abgedruckt auch in JZ 1959, 493 mit Anmerkung von Bockelmann, JZ 1959, 495 ff. 346 Vgl. auch Kienapfel, JR 1977, 28; Küper, JZ 1976, 518; Schänke I Schräder I Lenckner, § 34 Rdnr. 42. 344 345
2. "Mandantengelder-Fall"
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drücklich auf die Problematik des verschuldeten Notstandes eingeht: Der Angeklagte - so wird argumentiert - sei für seine Zwangslage selbst verantwortlich, weil sie auf eigenem "wirtschaftlich riskantem" Vorverhalten und "unwirtschaftlichen Geldschöpfungspraktiken" beruhe; grundsätzlich trage aber "jeder das kleine oder große Risiko seiner finanziellen Dispositionen". Das "Selbstverschulden" wird auch im Kontrast mit dem Sachverhalt des Urteils BGHSt 12, 299 noch einmal angesprochen: Dort habe eine Konfliktslage vorgelegen, "die nicht in wirtschaftlich riskantem Handeln der Täter ihren Ursprung hatte". Der BGH will offenbar die "schuldhafte" , mit zurechenbarem Risiko verbundene Notstandsbegründung bei der Interessenabwägung ausschlaggebend berücksichtigen; der "rechnerische Schadensvergleich" , die Abwendung des "quantitativ größeren Verlustes", tritt demgegenüber in den Hintergrund. Wenngleich ein derartiger Lösungsansatz prinzipiell dem Grundkonzept dieser Untersuchung entspricht, drängt sich bei näherer Betrachtung doch die Frage auf, ob das Problem des verschuldeten Notstandes im vorliegenden Fall überhaupt relevant wird. Daß diese Frage im Ergebnis zu verneinen sein dürfte, zeigt sich, wenn man die kollidierenden Interessen auf der "Erhaltungsseite" deutlicher voneinander abhebt, als dies in der Urteilsbegründung geschieht. Vor allem zwei Aspekte sind nach dem Sachverhalt - der leider nur pauschal mitgeteilt wird - zu unterscheiden. Einerseits hat sich der Angeklagte auf die Wahrnehmung "ideeller Interessen" berufen und geltend gemacht, er habe durch die Verhinderung des finanziellen Zusammenbruchs seiner Praxis dem "Ansehen des Berufsstandes" dienen und das "Vertrauen der Mandanten" erhalten wollen. Insofern besteht der - potentielle - Interessenkonflikt gerade nicht in einer Kollision bloßer Vermögenswerte, die er allerdings mit einschließt347 • Andererseits handelte es sich möglicherweise auch darum, die kreditgebenden Banken durch die "Zweckentfremdung" der Mandantengelder vor dem wirtschaftlichen Verlust hoher Geldforderungen zu schützen, der bei Illiquidität der Anwaltspraxis einzutreten drohte. Nur in dieser Beziehung haben wir es mit einem Konflikt reiner Vermögensinteressen zu tun - überdies mit einem Fall der Nothilfe für Dritte348 •
Dazu sogleich im folgenden Text. Vgl. bereits Küper, JZ 1976, 517. - Kienapfel hält diese - dem Sachverhalt nicht eindeutig zu entnehmende - Variante für "wenig lebensnah" (JR 1977, 28). Sie läßt sich gleichwohl nicht gänzlich ausschließen und wird im folgenden in die überlegungen einbezogen, um die rechtliche Problematik des Falles möglichst umfassend zu würdigen. 347
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bb) Die Aspekte des Interessenwiderstreits Bleiben wir zunächst bei dem ersten Aspekt: der Berufung auf "ideelle" Interessen. Der BGH bezieht ihn, freilich erst an zweiter Stelle, in die Abwägung ein, verneint dann jedoch die "Angemessenheit" des Mittels (§ 34 Satz 2 StGB): "Denn Ansehen des Berufsstandes und Vertrauen der Mandanten werden durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Rechtsanwalts weit weniger als durch die Veruntreuung von Mandantengeldern berührt." So wenig sich gegen den Inhalt dieses Satzes einwenden läßt - er ist die "angemessene" Replik auf einen "nachgerade paradoxen Rechtfertigungsversuch"349 -, so wenig gehört er indessen in den Kontext der notstands rechtlichen Angemessenheitsprüfung. Es fehlt vielmehr bereits an der Eignung des angewandten Mittels zur Wahrung der behaupteten Interessen (deren Notstandsfähigkeit hier einmal unterstellt werden soll) und damit an einer echten Kollision in dem von § 34 StGB vorausgesetzten Sinn35O . "Nicht anders abwendbar" ist die Gefahr für ein Rechtsgut nur dann, wenn die Handlung in der konkreten Situation auch dazu geeignet ist, die Bedrohung zu beseitigen, d. h. eine reale Chance dafür eröffnet351 • Hier aber beeinträchtigte das Verhalten des Angeklagten die gefährdeten ideellen Güter mit Sicherheit sogar noch stärker, als dies ohne die Tatbestandshandlung der Fall gewesen wäre. Bei dieser Sachlage bedarf es deshalb weder einer "Interessenabwägung" , noch stellt sich das Problem der "Unangemessenheit des Mittels". Die Rechtfertigungsüberlegungen können damit gar nicht in ein Stadium gelangen, in dem die Verschuldensfrage auftritt. - Richtet man in diesem Zusammenhang den Blick auf das materielle Substrat der "ideellen" Interessen, zu deren Schutz der Angeklagte gehandelt haben will, so läßt sich daran denken, den Bestand (oder die finanzielle Liquidität) einer etablierten Anwaltspraxis als ein "Rechtsgut" zu betrachten, das notfalls durch die Beeinträchtigung fremder Vermögensinteressen erhalten werden darf. Trifft es jedoch zu, daß die Manipulationen des Angeklagten lediglich einen "Gläubigerwechsel" bewirken konnten, der per Saldo die Schuldenlast nicht zu verringern und daher den drohenden 349 Kienapfel, JR 1977,27. 350 Mit der von Bockelmann, JZ 1959,493 ff., aufgeworfenen Frage, ob beim Zugriff auf Geldmittel ein echter Notstand nicht schon am Fehlen einer "spezifischen Kollisionsbeziehung" scheitert, habe ich mich an anderer Stelle - mit negativem Resultat - näher auseinandergesetzt (JZ 1976, 516) und darf darauf verweisen. Zu diesem Problem zuletzt ausführlich Grebing, GA 1979, 86 ff., mit weit. Nachweisen. 351 Vgl. statt vieler Wessels, Strafrecht, Allg. Teil, S. 72; Schönke / Schröder I Lenckner, § 34 Rdnr. 18 f. Vgl. auch Rudolphi, Gedächtnisschrift für Schröder, 1978, S. 80 ff.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 137 ff.
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Bankerott nicht aufzuhalten vermochte352 , so fehlt es auch unter diesem Gesichtspunkt an der "Geeignetheit" des eingesetzten Mittels und damit an einer echten Güterkollision, die eine Interessenabwägung notwendig macht. Was nun den zweiten Aspekt - die Beurteilung des Konflikts zwischen Gläubiger- und Mandanteninteressen - angeht, so bestehen zwar an der Eignung des Verhaltens zur Gefahrabwendung jedenfalls insoweit keine Zweifel, als es dem Angeklagten ersichtlich zunächst gelungen ist, große Verbindlichkeiten unter Rückgriff auf die zur Schadensregulierung bestimmten Mandantengelder zu erfüllen353 • Die danach - und freilich nur in dieser Hinsicht - gebotene Interessenabwägung gerät dem BGH jedoch ziemlich undurchsichtig und erweckt den Eindruck eines wenig geordneten Gedankenkonglomerats. Den Ausgangspunkt bilden anscheinend die beiden "Grundsätze", daß "nur bei ganz außergewöhnlichen Umständen" das wahrgenommene Vermögensinteresse in der konkreten Situation wesentlich schutzwürdiger sei und jedermann "das kleine oder große Risiko seiner finanziellen Dispositionen" selbst tragen müsse. Anschließend jongliert der BGH, wenn der Ausdruck gestattet ist, mit den verschiedensten Gesichtspunkten - "unwirtschaftliche Geldschöpfungspraktiken" , "wirtschaftlich riskantes Handeln", "besonders großer Aktunwert" , "Wahrscheinlichkeit der endgültigen Schädigung" -, ohne daß Legitimität und Stellenwert dieser Abwägungsfaktoren deutlich werden. Auch die folgenden überlegungen können freilich keine detailliert-umfassende Fallanalyse leisten, die alle in Betracht kommenden Abwägungsmomente ortet und zueinander in Beziehung setzt; sie ist ohne Kenntnis sämtlicher relevanter Sachverhaltsdaten - die sich der Entscheidung nicht entnehmen lassen - schwerlich durchzuführen. Doch sind einige klarstellende, die Richtung der gebotenen Abwägung markierende Bemerkungen auch bei nur begrenztem Einblick in das komplexe Tatgeschehen möglich. c) Die Kriterien der Interessenabwägung
aa) Die Orientierung am Maßstab des § 904 BGB Ansatzpunkt dafür ist die Erwägung, daß bei einer Kollision von Vermögenswerten der Eingriff in das - numerisch - geringerwertige Interesse nur in den durch § 904 BGB vorgezeichneten Grenzen möglich ist; es muß sich mit anderen Worten um die Abwendung eines "unVgl. oben S. 102. Freilich kommt es bei der Geeignetheit auf die Sicht "ex ante", nicht "ex post" an. Doch enthält der ex post zu verzeichnende Rettungserfolg bei adäquatem Geschehensverlauf die ex ante gegebene Chance. 352 353
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verhältnismäßig großen Schadens" handeln. § 904 BGB bezieht sich nach seinem Wortsinn zwar lediglich auf die Beeinträchtigung fremden Eigentums. Die Vorschrift enthält jedoch ein im Rahmen des § 34 StGB zu beachtendes generelles Abwägungsprinzip, das auch der notstandsbedingten Verletzung sonstiger Interessen rechtliche Schranken setzt154 • Denn in § 904 BGB kommt der Gedanke zum Ausdruck, daß die durch eine Notstandslage veranlaßte "Einwirkung" auf fremde Sachen nicht schon dann gerechtfertigt ist, wenn damit ein (wesentlich) größerer Schaden verhindert wird; zwischen der drohenden Einbuße und dem aus der Notstandshandlung erwachsenden Verlust muß vielmehr ein ganz beträchtlicher, "disproportionaler" Abstand bestehen. Nur unter dieser Voraussetzung erscheint dem Gesetzgeber der übergriff in die rechtlich garantierte Schutzsphäre einer an der Entstehung der Gefahrenlage unbeteiligten Person ausnahmsweise erträglich355 • Der Grundgedanke dieser Regelung ist nicht an die Konstellation einer Eigentumsverletzung ("Einwirkung auf eine fremde Sache") gebunden; er bezeichnet ganz allgemein den Bereich, in dem beim "aggressiven" Notstand die Inanspruchnahme fremder Vermögensinteressen zur Schadensabwendung zulässig ist356 • Nur in diesen Grenzen kann daher bei einer Kollision von Vermögenswerten ein "wesentlich überwiegendes Interesse" anerkannt werden357 • In diesem Zusammenhang spielt dann 354 Vgl. bereits Küper, JZ 1976, 517; zustimmend Schönke / Schröder / Lenckner, § 34 Rdnr. 26. 355 Vgl. Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 112 f.; eingehend Stratenwerth, ZStW 68 (1956), S. 50 ff., der den Abwägungsmaßstab des § 904 BGB
darauf zurückführt, daß der Eingriff zugleich das Selbstbestimmungsrecht des Eigentümers verletzt und die "normale Eigentumsordnung" durchbricht. Vgl. auch Blei, Strafrecht, Allg. Teil, S. 151 f.; O. Lampe, NJW 1968, 91. 356 Vgl. Küper, JZ 1976, 517. Für noch weitergehende Verallgemeinerung - die hier nicht in Frage steht - Stratenwerth, ZStW 68 (1956), S. 66 f., Strafrecht, Allg. Teil I, S. 144; Schönke / Schröder / Lenckner, § 34 Rdnr.38. Vgl. auch Graf zu Dohna, Die Rechtswidrigkeit, S. 128 f.; Gallas, ZStW 80 (1968), S.27. 357 Dabei und deshalb - wäre es allerdings zu eng, wollte man den Grund für die geforderte Disproportionalität des Schadens in der Durchbrechung der "normalen Eigentumsordnung" und der Verletzung "fremder Selbstbestimmung" sehen (vgl. oben Fußn. 355). Denn einerseits geht es auch um den Eingriff in die "reguläre Vermögenszuordnung" , die Veränderung des durch rechtliche Abgrenzung der Vermögenssphären gesicherten status quo ante und insoweit letztlich um den "Rechtsfrieden" . Andererseits muß die "Autonomie" des durch die Notstandshandlung verletzten Rechtsgutsträgers nicht stets betroffen sein. So wird man bei einem Vermögenseingriff in Form des § 266 StGB schwerlich von einer Verletzung der "Selbstbestimmung" des Geschädigten, sondern nur von einem Bruch seines "Vertrauens" sprechen können. Dennoch ist der strenge Abwägungsmaßstab des § 904 BGB auch hier gerechtfertigt, weil durch die Abwälzung des Schadens auf einen "Unbeteiligten" die normale Vermögenszuordnung verändert (und zusätzlich Vertrauen verletzt) wird. Letztlich dürfte daher hinter dem Disproportionalitätsgrundsatz des § 904 BGB der Gedanke stehen, die "reguläre Ordnung", den "Rechts frieden" , nur in gravierenden Ausnahmefällen preiszugeben. Vgl. auch oben Fußn. 66. - Die überlegungen des Textes setzen im übrigen voraus, daß
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- als Anhaltspunkt für die "Unverhältnismäßigkeit" - auch die Frage eine Rolle, ob der mit dem Notstandseingriff verbundene Schaden nur in einer "vorübergehenden Blockierung" von Geldmitteln oder in deren endgültigem Verlust besteht358 . Akzeptiert man dies, so wird bereits unter dem Blickwinkel der "Unverhältnismäßigkeit" sehr zweifelhaft, ob das Verhalten des Angeklagten den Anforderungen der §§ 34 StGB, 904 BGB genügt. Bei isolierter Betrachtung der Einzelfälle, in denen er zur Befriedigung großer Verbindlichkeiten Mandantengelder zweckentfremdete, mag allerdings die Relation zwischen der fälligen Schuld (z. B. 100 000,- DM) und dem zur Schließung der jeweiligen Deckungslücke veruntreuten Betrag (z. B. 20 000,- DM) eine "unverhältnismäßige" Schadensproportion ergeben - der mitgeteilte Sachverhalt gestattet keine verläßlichen Aussagen darüber - . Doch darf die Perspektive nicht in dieser Weise punktuell auf Einzelhandlungen beschränkt werden; vielmehr sind - ein allgemeiner Grundsatz der Interessenabwägung359 - auch die mittelbaren Auswirkungen der einzelnen Notstandsmaßnahme ins Kalkül einzubeziehen. Im vorliegenden Fall handelte der Angeklagte bei der Umschichtung seiner Schuldenlast unter Begleitumständen, die zugleich das erhebliche Risiko enthielten, daß für die Mandanten - wie für die weiteren Gläubiger - sehr hohe, nicht mehr beherrschbare Verluste eintreten würden, die den zunächst abgewandten Schaden möglicherweise erreichten, wenn nicht gar überstiegen. Bei dieser Sachlage kann von einer "unverhältnismäßigen" Schadens relation i. S. des § 904 BGB keine Rede sein.
bb) Weitere Abwägungsgesichtspunkte Hinzu kommt, daß bei der von § 34 StGB gebotenen Abwägung auch die individuelle Bedeutung des Schadens für die jeweils Betroffenen mitzuberücksichtigen ist360 . Unter diesem Gesichtspunkt gewinnen für das konkrete Gewicht der Interessen, die der Angeklagte mit der Verdem "strafrechtlichen" (§ 34 StGB) und dem "zivilrechtlichen" (§ 904 BGB) Notstand keine substantiell verschiedenen Maßstäbe zugrundeliegen, sondern die allgemeine Abwägungsklausel des § 34 StGB durch § 904 BGB lediglich für einen bestimmten Bereich "konkretisiert" wird. Den damit verbundenen Problemen kann hier nicht weiter nachgegangen werden. Vgl. dazu etwa Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 152 f.; Seelmann, Das Verhältnis von § 34 StGB zu anderen Rechtfertigungsgründen, S. 34 f., 40 ff., 45; K.-H. Peters, GA 1981, 445 ff. (zur Kritik an Seelmann); Warda, Festschrift für Maurach, 1972, S. 160 ff. Vgl. auch unten Fußn. 414. 358 Vgl. BGH, NJW 1976, 681 (oben S. 80 f.). Zu diesem Abwägungsgesichtspunkt auch Schänke / Schräder / Lenckner, § 34 Rdnr. 26; Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 142 f. 359 Vgl. dazu Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 100 ("Fernwirkungen"); BGH, GA 1955, 178; vgl. auch unten S. 146 ff. 360 Vgl. schon oben bei und in Fußn. 321.
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
untreuung der Mandantengelder verletzte, zwei Aspekte Bedeutung. Einmal ist zu beachten, daß es sich um Ersatzleistungen für bereits vorher entstandene Rechtsgütereinbußen handelte, deren Entzug den wirtschaftlichen Schadensausgleich endgültig verhinderte und damit den Berechtigten über das ohnehin erlittene Unrecht hinaus weiteren Schaden zufügte, der sie besonders hart traf; für die Kreditgeber hingegen liegt die mögliche Illiquidität des Schuldners im Rahmen ihres geschäftlichen Risikos, gegen das sie sich absichern können und auch regelmäßig absichern. Zum zweiten darf auch hier, wie im "Unfallflucht-Fall"36l, nicht außer Betracht bleiben, daß die Versicherungsleistungen - zum erheblichen Teil - Surrogate für die Beeinträchtigung höchstpersönlicher Rechtsgüter (Verletzungen im Straßenverkehr) darstellten, so daß dem betroffenen Vermögensinteresse wegen seines "personalen Einschlags" in der Abwägungsbilanz ein erhöhter Rang zukommt. Insgesamt ergab sich damit eine Situation, bei der aus den genannten Gründen eine Wahrnehmung "wesentlich überwiegender" Interessen ausgeschlossen erscheint. d) Probleme des "verschuldeten" Notstandes bei der Nothilfe
Wie sich gezeigt hat, sind somit "Verschuldens"-überlegungen in der vom BGH angedeuteten Richtung entbehrlich: Soweit es um die Wahrnehmung anwaltlicher Interessen ging, seien sie nun "ideeller" oder materiell-vermögensbezogener Natur, stellt sich das Abwägungs- und damit das Verschuldensproblem mangels "Geeignetheit" der Verletzungshandlung ohnehin nicht. Soweit sich die Abwägungsfrage dagegen - im Verhältnis von Mandanten- und Gläubigerinteressen stellt, läßt sie sich ohne Rückgriff auf die Verschuldensthematik befriedigend bewältigen. Unser Fall ist deshalb ein lehrreiches Beispiel dafür, daß die Sonderproblematik des "verschuldeten" Notstandes nicht zu früh ins Spiel gebracht werden sollte. Da sie indessen sachlich zur Interessenabwägung gehört, bleibt für die zweite Konfliktsvariante362 noch zu überlegen, ob Verschuldensgesichtspunkte hier nicht wenigstens unterstützend und verstärkend einbezogen werden können. Daß gegen ein solches Verfahren im allgemeinen keine Bedenken bestehen, liegt nach der Konzeption dieser Untersuchung auf der Hand363 und ist nicht mehr weiter erläuterungsbedürftig. Die Relevanz des "verschuldeten" Notstandes ist freilich in dieser Arbeit bisher nur für die Konstellation erörtert worden, daß der Täter, dessen schuldhaftes VorverhaIten in Betracht kommt, mit 361 Vgl. oben bei Fußn. 320. 362 Vgl. oben bei Fußn. 353. 363 Vgl. oben S. 24 ff., 32 ff.
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dem Träger des durch den Notstandseingriff geschützten "Erhaltungsinteresses" identisch ist364 • Fehlt diese Identität, nimmt der Notstandstäter also fremde Interessen ("altruistisch") wahr, verändern sich die Beurteilungsaspekte erheblich. aa) Das Verschulden des Nothelfers
Hierbei ist zunächst an die Erwägungen zu erinnern, mit denen die begriffliche Integration des "gefahr-" und "notstands"-bezogenen Verschuldens in den Kreis der Interessenabwägungsmomente begründet wurde365• Es ging in der Sache - verkürzt formuliert - darum, daß die erhöhte soziale Verantwortung, die aus der zurechenbaren Herbeiführung einer Notstandslage erwächst, den Solidaritätsanspruch des "Erhaltungsgutes" mindert und damit dessen konkrete Schutzwürdigkeit reduziert. Dieser Gedanke setzt freilich, wie der Zusammenhang ergab, die Identität des "schuldhaft" Handelnden mit dem Träger des im verschuldeten Notstand geschützten Interesses voraus und ist daher auf die Fälle der Notstandshilfe nur unter dieser Prämisse übertragbar. Die darin enthaltene Einschränkung, die bisher übergangen werden konnte, hat einen leicht einzusehenden sachlichen Grund; sie folgt, schlagwortartig gesagt, aus der normativen Neutralität des NothelferVorverhaltens gegenüber der Wertigkeit (Schutzwürdigkeit) der Interessen, deren Kollision der Täter faktisch (und "schuldhaft") bewirkt. Denn fremdes Vorverhalten kann den "Erhaltungswert" des in Gefahr gebrachten Gutes nicht mindern, weil (und wenn) dessen Inhaber für die Begründung der Notstandssituation selbst nicht verantwortlich ist; er braucht sich das noch so leichtfertige Handeln eines Dritten, das die Interessenkollision verursacht hat, nicht zurechnen zu lassen: für ihn ist der Notstand "unverschuldet", mag ihn auch der Notstandstäter verschuldet haben366• Dies hat allerdings die auf den ersten Blick befremdliche Konsequenz, daß der mit dem Träger des Erhaltungsgutes nicht identische Täter (Nothelfer) trotz eigenen "Verschuldens" an der Kollisionslage über uneingeschränkte 367 Rechtfertigungsmöglichkeiten verfügt und damit weitergehende Eingriffsbefugnisse hat, als sie ihm beim Schutz seiner Interessen zuständen368 • Er kann also die "soziale VerantworVgl. oben Fußn. 29, S. 24 ff. Vgl. oben S. 26 f., 32 f. 366 Vgl. bereits Küper, JZ 1976, 518 f., und im Anschluß daran Dencker, JuS 1979, 781. Vgl. auch schon Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 145 ff., 147. 367 D. h. durch sein schuldhaftes Vorverhalten nicht eingeschränkte ... 368 Darin hat man vor allem in der älteren Notstandsliteratur (die allerdings überwiegend noch nicht zwischen rechtfertigendem und entschuldigendem Notstand differenzierte) ein Problem gesehen. Vgl. dazu die Hinweise 364
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
tung", die sonst eine Rechtfertigung unter Umständen verhindert, gleichsam auf das Eingriffsgut abwälzen und profitiert gewissermaßen davon, daß sie sich nicht über die Interessenabwägung in der Bewertung seiner Tat niederschlägt. Doch muß man sich vergegenwärtigen, daß eine andere Entscheidung, die das Verschulden des Nothelfers einbezieht, zwar dessen unverdienten "Rechtfertigungsgewinn" abschöpfen könnte, damit aber zwangsläufig zu Lasten der geschützten Erhaltungsinteressen gehen würde. Es ist jedoch nicht einzusehen, weshalb sich deren Schutzwürdigkeit allein deswegen mindern sollte, weil sie ein Dritter "schuldhaft" in Notstandsgefahr gebracht hat - auch wenn dieser Dritte der spätere Nothelfer ist - . Eine besondere soziale Verantwortung des Rechtsgutsträgers wird durch solches FremdverhaIten, das zudem einen keineswegs untypischen Entstehungsgrund des rechtfertigenden Notstandes darstellt369 , nicht begründet. Deshalb ist es durchaus angemessen, dem Verschulden des Nothelfers keinen Einfluß auf die Kriterien der Interessenabwägung einzuräumen37o : Er schützt (und verletzt) Güter, deren konkrete Wertigkeit unabhängig von seinem VorverhaIten zu bestimmen ist371 •
bei Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S.146 Fußn. 1-3. Damals hat z. B. Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. 1, S. 788, die Auffassung vertreten, der Nothelfer dürfe bei einer von ihm verschuldeten Notlage einer anderen Person das Rechtsgut ebensowenig retten, wie ihm selbst Rettung erlaubt wäre. - Nach Anerkennung der Differenzierungstheorie hat sich die Diskussion in der Streitfrage fortgesetzt, auf wen das Erfordernis des "unverschuldeten" Notstandes (§ 54 StGB a. F.) zu beziehen sei: auf den Täter, den gefährdeten Angehörigen oder sogar auf beide (vgl. dazu die Hinweise bei Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil, 2. Aufl. 1972, S. 363 Fußn. 6). Diese Streitfrage hat sich auch durch die Neufassung des Gesetzes (§ 35 Abs. 1 S. 2 StGB n. F.) nicht erledigt. Vgl. etwa WesseIs, Strafrecht, Allg. Teil, S. 96, mit weit. Nachweisen. 369 Notstandsgefahren beruhen ja häufig nicht auf bloßen "Naturereignissen", sondern auf dem rechtsgutsgefährdenden Verhalten anderer (vgl. auch den Fall oben S. 90 f.). Dies hat seinen Ausdruck in dem traditionellen freilich wiederum mißverständlichen - Satz der Notstandslehre gefunden, daß der Ursprung der Gefahr "gleichgültig" sei. 370 Ob es von diesem Grundsatz eventuell Ausnahmen gibt, wird später noch zu erörtern sein. Vgl. unten S. 151 ff. 371 Auf einer anderen Ebene liegt die Begründung Denckers, JuS 1979, 781, der zu demselben Ergebnis kommt. Er meint: "Es wäre ganz sinnwidrig, von der Hilfsmöglichkeit, die das Recht aus sachlichen Gründen so hoch einschätzt, daß es die normale Güterordnung ,überspringen' läßt, diejenigen (d. h. die Nothelfer) auszuschließen, deren moralisches Interesse an der Rettung des betroffenen Gutes besonders groß ist; vielfach werden diese die einzig möglichen Retter sein." Diese mehr pragmatische Argumentation verläßt allerdings den Rahmen zulässiger Interessenabwägung. Das "moralische Interesse" des Nothelfers an der Erhaltung des von ihm selbst in Gefahr gebrachten Gutes ist kein Gesichtspunkt, der bei der Abwägung zwischen fremden Interessen ins Gewicht fallen darf.
2. "Mandantengelder-Fall"
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bb) Das Verschulden des Gefährdeten Andererseits wäre es aber auch nicht richtig, der Verschuldensfrage in Fällen der Nothilfe jede Relevanz für die Interessenabwägung abzusprechen372 : Das Verschulden des Rechtsgutsinhabers, dessen Interessen der Nothelfer beim Eingriff in eine fremde Gütersphäre wahrnimmt, kann nicht anders behandelt werden als das schuldhafte Vorverhalten eines mit dem Träger des Erhaltungsgutes identischen Täters373 • Denn die Minderung des Solidaritätsanspruchs, die aus der zurechenbaren Begründung von Notstandsgefahr oder Güterkollision resultiert374 , wird nicht dadurch aufgehoben, daß ein Dritter - als Nothelfer - für das gefahrbedrohte Interesse die Solidarität eines Unbeteiligten in Anspruch nimmt. Insoweit gelten daher auch für die Nothilfe die an anderer Stelle375 bereits herausgearbeiteten Beurteilungsmaximen376• 372 So aber Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 146 f. (in freilich z. T. irreführender Formulierung). 373 In dieser Richtung schon von Bar, Gesetz und Schuld, Bd. 3, S. 272 f.; Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. 1, S. 788; Oetker, VDA Bd. 2, 1908, S. 344, Festgabe für Frank, Bd. 1, 1930, S. 376. 374 Vgl. oben S. 26 f., 32 f. 375 Vgl. oben S. 24 ff., 32 ff. 376 Dieses heute kaum mehr erörterte Problem war in der älteren Literatur sehr umstritten (vgl. oben Fußn. 368). Henkel, der es zuletzt näher behandelt und sich dabei gegen die im Text vertretene Lösung ausgesprochen hat (Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 146 f.), sah den entscheidenden Gesichtspunkt darin, daß dem Nothelfer nicht zugemutet werden könne, "er solle sich zunächst vergewissern, ob ja auch der Bedrängte die Notlage nicht schuldhaft herbeigeführt habe"; das sei für den Nothelfer häufig gar nicht erkennbar, "und überdies müßte ein solches Erfordernis dazu führen, daß man sich eben dann überhaupt davor hüten werde, sich durch Nothilfehandlungen der Gefahr einer Bestrafung auszusetzen". Da es jedoch um die Abwägung fremder Interessen geht, ist es nicht einleuchtend, daß deren Wertverhältnis im Fall der Nothilfe anders bestimmt werden soll als bei einer Notstandshandlung des Gefährdeten selbst. Sonst könnte sich dieser einen unverdienten Vorzug dadurch verschaffen, daß er einen Nothelfer für sich handeln läßt, und bei einer vom Gefährdeten mit dem Nothelfer gemeinsam vorgenommenen Notstandshandlung käme es trotz Identität der gefahrbedrohten Interessen zu einer unterschiedlichen Rechtswidrigkeitsbewertung. Den Belangen des Nothelfers kann andererseits bei der Beurteilung von Irrtumsfällen hinreichend Rechnung getragen werden: Führt allein das dem Nothelfer unbekannte Verschulden des Rechtsgutsträgers dazu, daß die geschützten Interessen nicht wesentlich überwiegen, so hat man es mit einem Irrtum über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes zu tun, der die Vorsatzbestrafung ausschließt. Die Nichterkennbarkeit des Fremdverschuldens befreit zudem auch von der Fahrlässigkeitshaftung. Warum sollte der Nothelfer darüber hinaus noch dadurch privilegiert werden, daß das Verschulden des Gefährdeten überhaupt außer Ansatz bleibt und insoweit jede "Prüfungspflicht" verneint wird? Henkel scheint das "Nothilfemotiv" als eine Art eigenständigen Wert zu betrachten, der sich auch beim Verschulden des Rechtsgutsträgers letztlich durchsetzen muß, sofern nur die Interessenabwägung im übrigen positiv ausfällt. Doch bleibt der "Wert" der
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung cc) Fazit
Daraus folgt für unseren Fall, daß sich ein "gefahr-" oder "notstandsbezogenes" Verschulden des angeklagten Rechtsanwalts auf die Schutzwürdigkeit der von ihm - möglicherweise377 - wahrgenommenen Gläubigerinteressen nicht auswirken konnte. Der Gesichtspunkt des "wirtschaftlich riskanten HandeIns" muß daher bei der Interessenabwägung außer Betracht bleiben. Für ein Verschulden der Gläubiger selbst, das wiederum berücksichtigt werden kann, enthält der Sachverhalt dagegen keine Anhaltspunkte378 • Die Frage der "actio-illicitain-causa"-Haftung taucht ebenfalls nicht auf, da das Verhalten des Angeklagten bereits "in actu", im Zeitpunkt der Gefahrabwendungsmaßnahmen, rechtswidrig war.
3. Das Urteil des BGR vom 6. 6. 1952 ("Abtreibungsfall"), BGRSt 3, 7379 a) Sachverhalt und Entscheidungsbegründung
Die A, Mutter zweier unehelicher Kinder, die mit verschiedenen Männern Liebesverhältnisse unterhielt, fühlte sich im Herbst 1950 erneut schwanger. Sie war darüber sehr unglücklich und sprach von Selbstmord. Bei der Untersuchung durch den praktischen Arzt Dr. K, an den sich die A um Hilfe wandte, "jammerte sie und äußerte, sie werde ins Wasser gehen, wenn ihr nicht geholfen würde". Unter dem Eindruck von Erfahrungen, die Dr. K mit Angehörigen der A, insbesondere mit deren Cousine, gemacht hatte, nahm er die Suiziddrohung ernst und führte den Schwangerschaftsabbruch durch. Der BGH geht in seinem Urteil davon aus, daß eine Abtreibung aufgrund "übergesetzlichen Notstandes" gerechtfertigt sein könne, wenn ohne den Schwangerschaftsabbruch die ernste Gefahr bestehe, daß sich die werdende Mutter selbst das Leben nehme380• Der Senat verneint jedoch im vorliegenden Fall die Rechtfertigung, weil Dr. K nicht die erforderliche "gewissenhafte Prüfung" vorgenommen habe, ob der Schwangerschaftsabbruch wirklich das "einzige Mittel zur Rettung des Lebens der Mutter" gewesen sei38J • Zu dieser Prüfung gehöre Nothilfe stets abhängig vom konkreten Gewicht der fremden Interessen, die der Nothelfer schützt. 377 Vgl. oben bei und in Fußn. 348. m Es hätte, zumindest in Form des "gefahrbezogenen" Verschuldens, darin bestehen können, daß dem Anwalt trotz Kenntnis oder Erkennbarkeit des unaufhaltsamen finanziellen Ruins weiterhin Kredit gewährt wurde. 379 1 StR 13/52. - Das Urteil ist auch abgedruckt in NJW 1952, 893. 380 BGHSt 3, 9. - Vgl. auch bereits BGHSt 2, 111 (115); RGSt 61, 242 (257 f.). 381 BGHSt 3, 9 ff. Zum Erfordernis der "pflichtgemäßen Prüfung" in der
3. "Abtreibungs-Fall"
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nämlich die - von Dr. K unterlassene - sorgfältige Untersuchung, "in welcher Geistes- und Gemütsverfassung sich die Schwangere befindet, und ob auf ihren Entschluß zur Selbsttötung geistige Störungen von Einfluß gewesen sind". Dies gewissenhaft zu prüfen, sei "schon deshalb" ein notwendiges Rechtfertigungserfordernis, "weil davon in der Regel sowohl die Ernstlichkeit des Willens zum Selbstmord wie auch die Beantwortung der Frage abhängen wird, ob und welche anderen Möglichkeiten zur Rettung aus dieser Gefahr gegeben sind. Je weniger die Zurechnungsfähigkeit dessen, der sich mit Selbstmordgedanken trägt, durch eine geistige Störung beeinträchtigt ist, um so mehr werden Zweifel an der Ernstlichkeit des Entschlusses begründet sein, und um so eher wird zu erwarten sein, daß schon verständige GegenvorsteIlungen oder andere Maßnahmen die Gefahr bannen." In diesem Zusammenhang geht der BGH dann auch auf die Frage ein, welche Bedeutung der Tatsache zukommt, daß eine Schwangere "verantwortlich und willkürlich selbst die Notstandslage herbeigeführt hat"382. Dazu wird festgestellt - und diese Feststellung hat der BGH in den Leitsatz übernommen -: "Führt die Schwangere, ohne in ihrer Zurechnungsfähigkeit beeinträchtigt zu sein, die Notstandslage bewußt und willkürlich herbei und äußert sie Selbstmordgedanken, um auf diese Weise die Schwangerschaftsunterbrechung zu erzwingen, so ist die Abtötung der Leibesfrucht in der Regel nicht gerechtfertigt."383 b) Die Aussage des BGH zum Problem des verschuldeten Notstandes
Der BGH brauchte im vorliegenden Fall dieses Verschuldensproblem nicht definitiv zu entscheiden, weil nach seiner Auffassung bereits das Fehlen einer "pflichtgemäßen Prüfung" - die er im Anschluß an die bisherige Rechtsprechung als objektiv-subjektive Erlaubnisvoraussetzung fordert 384 - eine Rechtfertigung des Arztes ausschloß. Andererseits steht hinter dieser Prüfungspflicht als materieller Leitgedanke aber offenbar auch die Überlegung, daß eine sorgfältige Untersuchung der "Geistes- und Gemütsverfassung" dem Arzt die Kenntnis einer Rechtsprechung seit RGSt 62, 137 (138) vgl. Lenckner, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 167 f., mit weit. Nachweisen. 382 Vgl. BGHSt 3, 10. 383 BGHSt 3, 7 (Leitsatz). In den Gründen (S. 10) wird dieser Gedanke sprachlich etwas anders gefaßt. Es heißt dort: "Der Eingriff in das geschützte Rechtsgut - hier: die Tötung der Leibesfrucht - als Ausweg aus der verantwortlich und willkürlich selbst geschaffenen Notstandslage wird vor allem in den Fällen nicht zu rechtfertigen sein, in denen der zum Selbstmord Entschlossene, ohne in seiner Zurechnungsfähigkeit beeinträchtigt zu sein, mit der Verwirklichung seines Planes droht, um auf diese Weise die Verletzung jenes Rechtsgutes zu erzwingen." 384 Zum strukturellen Unterschied zwischen diesem speziellen Rechtfertigungselement und dem "allgemeinen" subjektiven Erlaubniserfordernis des Rettungswillens vgl. Lenckner, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 165 f. 8 Küper
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
Situation vermitteln kann, in der die Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs an der "bewußten und willkürlichen" Herbeiführung des Notstandes scheitern müßte. Denn gerade dies ist ja die eine Alternative, der die Prüfungspflicht vom BGH gleichsam antizipierend vorgeschaltet wird, um zu verhindern, daß der Arzt unter solchen (von ihm nicht erkannten, aber für ihn eventuell erkennbaren) Umständen eine Abtreibung vornimmt. Die zweite, vom BGH in den Vordergrund gestellte Alternative besteht darin, daß der Selbstmordentschluß "nicht ernstlich" ist, jedenfalls aber die Suizidgefahr durch "verständige Gegenvorstellungen oder andere Maßnahmen" abgewendet werden kann. Das als möglich antizipierte Resultat der "pflichtgemäßen Prüfung", das diese vorgelagerte Pflicht legitimieren soll, ist also einmal - in der zuletzt genannten Alternative - das Nichtvorhandensein eines wirklichen Notstandes (fehlende Gefahr oder fehlende Erforderlichkeit der Tat), zum anderen aber ein Rechtfertigungsausschluß kraft vorsätzlichen Verschuldens an der Entstehung der Notstandssituation. Dieser Befund läßt sich, vielleicht deutlicher, auch so formulieren: Das Erfordernis der "sorgfältigen Prüfung" soll schon im Vorgriff auf ihr mögliches Ergebnis solche Situationen von der Rechtfertigung ausschließen, in denen die materiellen Anforderungen des rechtfertigenden Notstandes entgegen dem ersten Anschein aus unterschiedlichen Gründen nicht erfüllt sind385 ; hierzu gehört nach Ansicht des BGH in der Regel auch die verantwortlich und willkürlich herbeigeführte Suizidgefahr, die von der Schwangeren geschaffen wird, um den Arzt zur Abtreibung zu veranlassen386 • So betrachtet, enthält die Entscheidung des BGH durchaus eine deutliche Aussage zum "verschuldeten Notstand" beim Schwangerschaftsabbruch; sie ist lediglich eingekleidet in ein alternativ formuliertes - mögliches - Resultat der primär geforderten "pflichtgemäßen Prüfung", verleiht jedoch dieser Prüfung (mit) ihren Sinn und ihre Richtung387. Die sachliche Aussage selbst ist in doppelter Hinsicht bemer385 Dies paßt zu dem Ziel, das die Judikatur mit der Einführung der Prüfungspflicht von Anfang an verfolgt hat: "leichtsinnige Eingriffe in fremde Rechtsgüter" , die in Wirklichkeit eine "durch die Not nicht bedingte Vernichtung oder Schädigung" darstellen, sollen möglichst unterbunden werden (vgl. Wachinger, Festgabe für Frank, Bd. 1, 1930, S. 516). Vgl. auch Lenckner, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 168; Rudolphi, Gedächtnisschrift für Schröder, 1978, S. 74. 386 Deshalb ist es natürlich viel zu eng, wenn der BGH die "pflichtgemäße Prüfung" zunächst (S. 9) lediglich mit der anderweitigen Abwendbarkeit der Gefahr in Verbindung bringt und sie daraus ableitet, daß die Tatbestandshandlung das "einzige Mittel" zur Gefahrenabwehr sein müsse. Die Prüfungspflicht fungiert hier vielmehr - wie schon in RGSt 62, 137 (138) - als umfassende, auf alle objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen bezogene "Vorschaltpflicht" . 387 In der praktischen Tendenz will der BGH die Anerkennung einer
3. "Abtreibungs-Fall"
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kenswert. Zunächst enthält sie implizit eine Stellungnahme zum Verschuldensproblem in Nothilfefällen, die auf der Linie der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung liegt388 ; Das Vorverhalten der Schwangeren als Trägerin des "Erhaltungsgutes" (Leben) soll nämlich, wenn es die Rechtfertigung ausschließt, diese Wirkung auch insoweit haben, als die Handlung des Nothelfers (Arztes) in Frage steht. Diese - vom BGH geradezu als selbstverständlich betrachtete - Konsequenz zeigt ferner an, daß der BGH das Problem des Verschuldens auf der "Notstands-", nicht auf der "Veranlassungsebene"389 ansiedelt, es in den Kontext der Interessenabwägung einordnet; auch insofern besteht Übereinstimmung mit der Konzeption dieser Untersuchungl9!l. c) Kritische überlegungen zur Entscheidung
aa) Zum Erfordernis der "pflichtgemäßen Prüfung" (1) Prinzipielle Einwände
Die vom BGH geforderte "pflichtgemäße Prüfung" wird heute als Element der Notstandsrechtfertigung fast einhellig abgelehnt3 91 . Die Diskussion über diesen Problemkreis, die vor allem aufgrund der Arbeiten Lenckners und Rudolphis inzwischen einen gewissen Abschluß gefunden hat392 , soll und kann an dieser Stelle nicht in extenso aufgenommen werden. Hier seien nur die für unseren Zusammenhang wichtigsten Einwände gegen eine solche, den allgemeinen Rechtfertigungsvoraussetzungen "vorgeschaltete" Prüfungspflicht in aller Kürze festgehalten. medizinischen Indikation wegen Suizidgefahr offenbar im wesentlichen auf die Fälle "geistiger Störungen" beschränken; die Prüfungspflicht wird in den Dienst dieses Anliegens gestellt. 388 Vgl. oben S. 108 ff. 389 Zum Unterschied vgl. oben bei Fußn. 34, 36. 390 Vgl. obenS. 25 ff. 391 Vgl. dazu die Nachweise bei Lackner, § 17 Anm. 5 c. - Zu möglichen Anwendungsfällen außerhalb des rechtfertigenden Notstandes vgl. etwa Lenckner, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 179 ff.; Rudolphi, Gedächtnisschrift für Schröder, 1978, S. 86 ff.; Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, S. 27 ff., ferner NJW 1971, 1685 ff., JZ 1980, 633 ff. 392 Vgl. Lenckner, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 165 ff.; Rudolphi, Gedächtnisschrift für Schröder, 1978, S. 72 ff. - Vgl. aus der neueren Literatur ferner z. B. Paeffgen, Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses (§ 97 b StGB) und die allgemeine Irrtumslehre, S. 135 ff., 154 ff., 158 ff.; Schaffstein, Festschrift für Bruns, 1978, S. 103 f.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 271 ff.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 169 f., JuS 1979, 485. - Vgl. aber auch Sax, JZ 1977, 328 f.; Schroeder, JZ 1977, 140 (zu § 218 a StGB). 8·
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
Ein erster erheblicher Einwand wird deutlich, wenn man einmal unterstellt, die - vom Täter nicht pflichtgemäß geprüfte - Situation sei so beschaffen, daß sie alle materiellen Anforderungen des rechtfertigenden Notstandes tatsächlich erfüllt (gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr, wesentlich überwiegendes Interesse usw.). Handelt der Täter in diesem Fall mit Rettungswillen - und ohne Unrechtsbewußtsein - , so darf er den Konflikt nach den Maßstäben der Rechtsordnung im Ergebnis zu Lasten des betroffenen Rechtsgutes entscheiden und dieses Resultat auch subjektiv intendieren: Der "Erfolgsunwert" der Rechtsgutsverletzung wird durch den "Erfolgswert" der Rettung (Realisierung einer Rettungschance) kompensiert393 ; der "Handlungsunwert" der Vorsatztat ist durch den "Aktwert" der subjektiven Rettungsintention und des "Rechtfertigungsbewußtseins" ausgeräumt. Übrig bleibt somit allenfalls der Unwert eines "fahrlässigen Versuchs", der darin besteht, daß der Täter gegen eine "Sorgfaltspflicht" verstoßen, sein Verhalten jedoch nicht zu einem rechtlich mißbilligten Ergebnis geführt hat394 • Dieser reine "Sorglosigkeitsunwert" ist jedoch unrechts dogmatisch jedenfalls so lange irrelevant, als er sich nicht in einem negativ zu bewertenden Erfolgssachverhalt realisiert. Eben daran fehlt es aber, ganz abgesehen davon, daß mit solcher Fahrlässigkeit das Unrecht einer vorsätzlichen Notstandshandlung ohnehin nicht begründet werden könnte. Hinter der Konstruktion des Rechtfertigungselements "Prüfungspflicht" verbirgt sich aus dieser Sicht der methodisch wie sachlich unzulässige Versuch, die objektiven und subjektiven Erlaubnisvoraussetzungen vorsätzlichen Notstandshandelns durch die Feststellung bloßer "Verbotsfahrlässigeit" außer Kraft zu setzen. Ein weiterer Einwand gegen das Erfordernis "pflichtgemäßer Prüfung" ergibt sich aber auch und insbesondere dann, wenn man von einer (wiederum nicht pflichtgemäß geprüften) Situation ausgeht, in der die materiellen - objektiven - Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes fehlen. Das Erfolgsunrecht der Tat ist hier schon 393 Dazu näher Lenckner, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 173 f.; Rudolphi, Gedächtnisschrift für Schröder, 1978, S. 80 ff.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 134 f., 137 ff. 394 Vgl. Arthur Kaufmann, Schuld und Strafe, S. 140 f.; Lenckner, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 173 f. - Im Einzelfall kann das Fehlen einer genaueren Prüfung freilich Indiz dafür sein, daß der Täter mit der Möglichkeit nicht gerechtfertigten HandeIns ernstlich gerechnet und sie in Kauf genommen hat. Dann kommt eine auf "bedingten Vorsatz" gestützte Versuchsbestrafung in Betracht. Doch ergibt sich dies nicht aus der Verletzung der SorgfaItspflicht als solcher, sondern aus einem speziellen psychischen Befund, der anläßlich dieses Sorgfaltsverstoßes festgestellt wird. Wann ein derartiges "bedingtes Unrechtsbewußtsein" die Struktur eines bedingten Vorsatzes hat oder doch analog bewertet werden kann, ist freilich ein - bisher nicht hinreichend untersuchtes - Sonderproblem, dessen Lösung von der jeweiligen Quelle solchen Unrechtsbewußtseins abhängen dürfte.
3. "Abtreibungs-Fall"
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unabhängig vom Verstoß gegen die "Prüfungspflicht" dadurch begründet, daß der Täter den jeweiligen Tatbestand objektiv nicht verwirklichen darf. Die "pflichtgemäße Prüfung" betrifft nur noch die Vermeidbarkeit des (eventuellen) Irrtums über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes 395 und deren Konsequenzen, also die Frage, ob dem Täter der realisierte Unrechtssachverhalt als vorsätzlich oder fahrlässig bewirkt zugerechnet werden kann; diese Frage hat jedoch mit der Rechtfertigung nichts mehr zu tun3%. Außerdem ist die Vermeidbarkeit des Irrtums keineswegs schlicht eine Funktion des Mangels "sorgfältiger Prüfung", auch nicht des schuldhaften Sorgfalt5mangels; sie hängt vielmehr entscheidend davon ab, ob der Täter bei gebotener Sorgfalt im konkreten Fall die Möglichkeit hatte, das Fehlen der Rechtfertigung zu erkennen. Die Konstruktion der "pflichtgemäßen Prüfung" als Erlaubnisvoraussetzung nimmt - in ohnedies verfehlter systematischer Zuordnung - nicht nur dieses hypothetische Ergebnis sorgfältigen Verhaltens schematisch schon vorweg; sie präjudiziert zudem, nicht minder schematisch, die dogmatisch-kriminal politische Bewertung des vermeidbaren Irrtums einseitig im Sinne der Vorsatzbestrafung3g]. Ob der Täter indessen bei Vermeidbarkeit seiner Fehlvorstellung wirklich wegen einer vorsätzlichen Tat zu bestrafen ist, richtet sich nach Qualität und genauerem Bezugsgegenstand seines Rechtfertigungsirrtums und kann erst in diesem Kontext entschieden werden398• (2) Fallbezogene Folgerungen Ist danach die "Prüfungspflicht" kein Merkmal des rechtfertigenden Notstandes, so gilt dies auch für den (früheren) "übergesetzlichen Notstand", den der BGH seiner Beurteilung des Falles zugrunde gelegt hat. Eine Rechtfertigung des Arztes durfte daher nicht einfach mit der Begründung verneint werden, daß der Angeklagte keine genügend 395 Z. T. anders aber neuerdings Paeffgen (oben Fußn. 392), S. 158 f., der im Fehlen der pflichtgemäßen Prüfung einen speziellen, dem Unrecht zuzuordnenden Unwert sieht. 396 Treffend Rudolphi, Gedächtnisschrift für Schröder, 1978, S. 85 f.: "Wollte man mit der Rechtsprechung dennoch die pflichtgemäße Prüfung der Notstandsvoraussetzungen ihrerseits selbst wieder zur objektiven Rechtfertigungsvoraussetzung erheben, so würde man damit letztlich einen Umstand, der lediglich die Zurechnung eines bereits festgestellten objektiven Unrechts betrifft, in unzulässiger Weise als ein Kriterium dafür betrachten, ob überhaupt das konkrete Verhalten objektiv erlaubt oder verboten ist." 3g] Samson, SK, Bd. 1, § 34 Rdnr. 25, spricht denn auch von dem "inkonsequenten Versuch einer auf den Notstand begrenzten Vermeidung der Ergebnisse der eingeschränkten Schuldtheorie" . 398 Dazu aus neuerer Zeit insbesondere KTÜmpelmann, Deutsche strafrechtliche Landesreferate zum X. Internationalen Strafrechtskongreß, 1978, S. 44 ff.; Rudolphi, Gedächtnisschrift für Schröder, 1978, S. 92 ff.; Paeffgen, Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen Geheimnisses, S. 123 ff., 150 ff.
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
sorgfältige Prüfung der Situation vorgenommen habe. Es wäre vielmehr darauf angekommen, nach der konkreten Sachlage festzustellen, ob die materiellen Voraussetzungen des Unrechtsausschlusses wirklich vorlagen oder nicht. Erst in diesem Zusammenhang konnte dann - nach Bejahung einer "ernstlichen" Lebensgefahr und der "Erforderlichkeit" des Eingriffs - auch die Frage Bedeutung gewinnen, wie es sich auf die Interessenabwägung auswirkt, wenn die Schwangere "verantwortlich und willkürlich" den Notstand selbst herbeigeführt hat. Diesen eigentlichen Rechtfertigungsproblemen kann nicht unter Berufung auf einen Verstoß gegen die "Prüfungspflicht" ausgewichen werden, auch wenn sich damit die Entscheidung in tatsächlicher und normativer Hinsicht erheblich kompliziert. Wie fragwürdig die pragmatische Ausweichtaktik ist, zu der das vorgeschaltete Prüfungserfordernis verleitet, zeigt gerade unser Fall. Denn immerhin war es ja keineswegs ausgeschlossen - wenn auch vielleicht nicht sehr wahrscheinlich -, daß die tatsächliche Situation den vom BGH angedeuteten inhaltlichen Erlaubniskriterien (ernste, nicht anders abwendbare Suizidgefahr aufgrund psychischer Störungl99) durchaus entsprach. Außerdem: Hätte der Arzt die Gesamtumstände sorgfältig in der vom BGH vorgeschriebenen Richtung untersucht - zu welchem Ergebnis hätte er dann überhaupt gelangen können? Auch dies ist offen und macht deutlich, daß die bei objektiv fehlender Rechtfertigung auftretende Vermeidbarkeitsfrage nicht im Rückgriff auf eine (schuldhafte) Prüfungspflichtverletzung übergangen werden darf. - Die neue, durch die Kodifikation des medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruchs (§ 218 a Abs. 1 StGB) gekennzeichnete Rechtslage dürfte insoweit nicht anders zu beurteilen sein. Sieht man in § 218 a Abs. 1 StGB einen Spezialfall des rechtfertigenden Notstandes, der ebenfalls auf dem Prinzip des überwiegenden Interesses beruht - was hier mit der herrschenden Meinung angenommen werden SOll400 - , so wäre ein Erfordernis der "pflichtgemäßen Prüfung" im Gefüge dieses Rechtfertigungsgrundes aus denselben Gründen ein systemwidriger Fremdkörper, die für die Notstandsrechtfertigung überhaupt gelten40l • Der Unrechtsausschluß richtet sich deshalb auch in diesem Bereich allein nach den materiellen Erlaubnisvoraussetzungen. Vgl. auch oben Fußn. 387. 400 Vgl. die Nachweise bei Lackner, § 218 a Anm. 1; eingehend zuletzt Gropp, Der straflose Schwangerschaftsabbruch, S. 52 ff., 152 ff., 171. - Anders aber z. B. Arthur Kaufmann, JuS 1978,366 f.; Sax, JZ 1977,326 ff.; W. Esser, Arztrecht 1981, 260 ff., 295 ff. (vgl. auch die weit. Hinweise dort in Fußn. 7). 401 Ablehnend denn auch z. B. Gropp, Der straflose Schwangerschaftsabbruch, S. 205 f.; Lackner, § 218 a Anm. 2 c; Schönke / Schröder / Eser, § 218 a Rdnr. 61; Rudolphi, SK, Bd. 2, § 218 a Rdnr. 47. Anders aber F. C. Schroeder, JZ 1977, 139; Sax, JZ 1977,328 f. 399
3. "Abtreibungs-Fall"
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bb) Die Interessenabwägung bei" willkürlich" herbeigeführter Suizidgefahr Der BGH geht in seiner Entscheidung mit der bisherigen Rechtsprechung davon aus, daß der medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbruch einen Anwendungsfall des allgemeinen "übergesetzlichen Notstandes" darstellt, eine Rechtfertigung der Abtreibung also ein in concreto überwiegendes Interesse voraussetzt. Bei dieser Ausgangslage, wie sie vor Inkrafttreten der gesetzlichen Spezialregelung (§ 218 a StGB) bestand, spricht prinzipiell nichts dagegen, auch das "Notstandsverschulden" der Schwangeren im Rahmen der individualisierenden Interessenbewertung mitzuberücksichtigen. Dies kann - wie bei der Abwägung nach § 34 StGB - u. U. dazu führen, daß eine zum Unrechtsausschluß hinreichende (konkrete) Schutzwürdigkeit des "ErhaItungsgutes" verneint werden muß, weil die durch das VorverhCl.Iten begründete, erhöhte soziale Verantwortung eine Bevorzugung dieses Interesses nicht mehr zuläßt402 • Es liegt nahe, eine solche Konstellation mit dem BGH darin zu sehen, daß die Schwangere "verantwortlich und willkürlich" eine Suizidgefahr herbeiführt, um dadurch den Arzt zur Abtreibung zu zwingen. Man hat es dann - allem Anschein nach mit einem Fall der Absichtsprovokation zu tun, bei dem die dominant und planmäßig auf Verletzung des Eingriffsgutes gerichtete Zielsetzung keinem positiven Zweck dient und das ErhaItungsinteresse sich daher im Konflikt nicht durchsetzen darf403• Der BGH denkt denn auch offenbar an einen solchen "erpresserischen Mißbrauch" des übergesetzlichen Notstandes, dem er verständlicherweise die rechtfertigende Wirkung versagen will; zwar nur "in der Regel", wie der Leitsatz einschränkt - aber welche Ausnahmen könnte es nach dem Prinzip noch geben? Gleichwohl ist hier Vorsicht geboten, damit die an den allgemeinen Interessenabwägungsregeln orientierte Analyse in diesem speziellen Bereich nicht zu kurz greift und wesentliche Aspekte ausblendet. 402 In der Literatur wird die Frage wenig erörtert. Meist wird unter Hinweis auf die Andeutung in RGSt 61, 242 (255) lediglich hervorgehoben, daß die "Gefahr" (oder der "Notstand") nicht "unverschuldet" zu sein braucht. Lenckner in: Schönke / Schröder, § 34 Rdnr. 42, tritt für eine Vorsatzbestrafung nach den Grundsätzen der "actio illicita in causa" ein, wenn die Schwangere die Notstandslage vorsätzlich herbeigeführt hat. - Gropp, Der straflose Schwangerschaftsabbruch, S. 84, schreibt zum Problem neuerdings: "Ob die Schwangere die Gefahr selbst verschuldet hat, spielt für eine Rechtfertigung ... grundsätzlich (!) keine Rolle. Dieser Aspekt ist erst im Rahmen der Interessenabwägung (I) zu berücksichtigen. Die Grenze liegt jedoch dort, wo der Täter die Gefahr absichtlich geschaffen hat. In diesem Fall wird man über die Prinzipien der actio illicita in causa eine Rechtfertigung der Schwangeren ... bei Vorsatz von vornherein ausschließen müssen." Hier werden Interessenabwägung und actio-illicita-Haftung recht unklar vermischt! 403 Vgl. dazu oben S. 33 f.
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
Allerdings ist es - dies muß vorweg klargestellt werden - kein stichhaltiger Einwand gegen den vom BGH postulierten Ausschluß der Rechtfertigung, daß die vorausgesetzte Notstandsgefahr das Leben der Schwangeren und damit ein der "Verfügung" seines Inhabers grundsätzlich entzogenes Rechtsgut betrifft. Die Nicht-Disponibilität dieses Gutes bezieht sich (als Unantastbarkeit) lediglich auf Eingriffe Dritter, mit der Folge, daß einer Einwilligung in die - vorsätzliche Tötung kein rechtfertigender Charakter zukommt (§ 216 StGB); auch ist die Begründung eines lebensgefährdenden Risikos in begrenztem Umfang der Einwilligung des Rechtsgutsträgers zugänglich404 • Im vorliegenden Zusammenhang geht es indessen nicht um die Gestattung fremden Verletzungs- oder GefährdungshandeIns, sondern um die andere Frage, ob dem Inhaber des durch eigenes Verhalten gefährdeten Rechtsgutes wegen des Verletzungsziels, das er mit der Selbstgefährdung verfolgt, die Erlaubnis zur Gefahrenabwehr vorenthalten werden darf, die ihm an sich zusteht. Bejaht man dies auch bei Lebensgefahr, so besteht die "Dispositionswirkung" des Vorverhaltens allein darin, daß der Rechtsgutsinhaber verpflichtet wird, das von ihm geschaffene Todesrisiko selbst zu tragen, ohne es durch den (geplanten) Eingriff in eine andere Gütersphäre abwenden zu dürfen. Eine "Verfügbarkeit" dieser Art, die nur die Kehrseite der besonderen sozialen Verantwortung gegenüber dem zur Rettung in Anspruch genommenen Rechtsgut ist, wird man jedoch anerkennen müssen. Mit der Wertentscheidung, die der Gesetzgeber in § 216 StGB gegen die Disponibilität des menschlichen Lebens getroffen hat, kollidiert sie nicht405 • Die besonderen Gefahrtragungspflichten, die ein überwiegendes Interesse ausschließen können, erstrecken sich ebenfalls auf den Bereich der Lebensgefah404 Vgl. die übersicht über den Diskussionsstand bei Schönke I Schröder I Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff. Rdnr. 103 f.; zuletzt eingehend Schaffstein, Festschrift für Welzel, S. 563 ff. 405 Zu dieser Wertentscheidung vgl. etwa Hirsch, Festschrift für Welzel, 1974, S. 775 ff., 790 ff.; Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 125. - Hinter ihr steht letztlich der Gedanke, daß sich das menschliche Leben als biologisches Substrat und unabdingbare Grundlage personaler Autonomie, wie überhaupt aller Individualgüter (mit Hegel: als "unendliches Dasein der Freiheit"), gegenüber einem einzelnen Freiheitsanspruch des Rechtsgutsträgers, der sich unmittelbar gegen diese elementare Basis seiner Existenz richtet, jedenfalls dann behaupten soll, wenn ein anderer das Rechtsgut als Täter verletzt. Der Gesetzgeber entscheidet damit gleichsam eine "interne" Güterkollision zu Lasten individueller Freiheitsinteressen - wie immer man diesen Wertvorzug näher begründen mag -, und auch dies nur im Hinblick auf einen "externen" Angriff. Die "Unverfügbarkeit" des Lebens ist nur ein anderer, im Grunde unzureichender Ausdruck dafür. Für die im Text behandelte Frage, ob die eigene Lebensgefährdung im Konflikt mit fremden Interessen unter Abwägungsgesichtspunkten zum Ausschluß einer sonst möglichen Rechtfertigung führen kann, besagt diese Wertentscheidung nichts; sie liegt auf einer anderen Ebene.
3. "Abtreibungs-Fall"
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ren406 • Hinzu kommt schließlich, daß der Schwangeren bei Verneinung der Abtreibungserlaubnis lediglich zugemutet wird, eine Gefahr hinzunehmen, die sich nicht etwa aus bedrohlichen äußeren Umständen, sondern aus ihrem eigenen, voraussetzungsgemäß "verantwortlichen und willkürlichen" Selbsttötungsentschluß ergibt, einem Entschluß, auf dessen Realisierung sie dann wohl ebenso "willkürlich" verzichten kann. Auch dies spricht für die negative Abwägungsentscheidung, die dem BGH vorschwebt. Andererseits darf nicht aus dem Blick geraten, daß die Folgen dieser Entscheidung bei wirklich ernster Selbstmordgefahr gerade auch das Rechtsgut treffen können, zu dessen Schutz die Abtreibungserlaubnis ausgeschlossen werden soll. Die Verneinung eines "überwiegenden" Lebenserhaltungsinteresses der Schwangeren unter Berufung auf den selbstverschuldeten Notstand kann ja - wie überhaupt bei Interessenkollisionen - nur den Sinn haben, die Integrität des Eingriffsgutes rechtlich zu sichern: eben durch Aufrechterhaltung des Verletzungsverbots. Dieser normativen Garantie entspricht nun aber in Notstandsfällen der hier gegebenen Art sogar dann, wenn sich der Arzt nach ihr richtet, offenbar eine nur unzureichende faktische Schutzwirkung. Verhält sich nämlich der Arzt legal, unterläßt er also die unzulässige Abtreibung, so gefährdet die fortbestehende Suizidbereitschaft der Schwangeren nicht nur ihr eigenes Leben, sondern zugleich die Existenz und Entwicklung der Leibesfrucht: schon ein Selbstmordversuch der Frau kann das werdende Leben vernichten und ein erfolgreicher Selbstmord erst recht. Wird bei dieser Situation eine Interessenabwägung "zugunsten" der Leibesfrucht nicht durch ihre praktischen Konsequenzen desavouiert? Muß nicht jedenfalls aus diesem Grund davon abgesehen werden, dem Vorverhalten der Schwangeren ausschlaggebenden Einfluß auf das Abwägungsresultat einzuräumen? Ein durchgreifendes Gegenargument ist mit solchen Bedenken gleichwohl nicht bezeichnet. Einmal deswegen, weil die rechtliche Geltung des zum Schutz der Leibesfrucht aufrechterhaltenen Verbots nicht von der Chance abhängig gemacht werden kann, daß der Integritätsanspruch des geschützten Gutes tatsächlich respektiert wird. Selbst wenn diese Chance nicht besteht, behält das Rechtswidrigkeitsurteil seine eigentliche normative Funktion, die Unantastbarkeit - das Nichtverletzt-werden-Dürfen - des Rechtsgutes auch für den konkreten Konfliktsfall zu demonstrieren407 • Zum zweiten würde eine Abtreibungserlaubnis das Schutzobjekt definitiv für die Verletzung freigeben. Bei Vgl. dazu Küper, JZ 1980, 755 ff., mit weit. Hinweisen. Nach der faktischen Geltungschance des Verbots wird ja auch sonst nicht gefragt, wenn es um die Entscheidung über Rechtfertigung oder Rechtswidrigkeit eines Verhaltens geht. 406
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
einem Ausschluß der Rechtfertigung wird dagegen, normativ betrachtet, lediglich das Risiko in Kauf genommen, daß auch ein legales Verhalten des Arztes die Beeinträchtigung der Leibesfrucht möglicherweise nicht verhindert; ob sich dieses Risiko realisiert, ist offen. Eine Abwägungsentscheidung zugunsten des werdenden Lebens ist auch unter diesem Aspekt durchaus sinnvoll. ce) Zur praktischen Relevanz des Verschuldensproblems
Damit hat sich gezeigt, daß es in der Tat möglich ist, die für den verschuldeten Notstand geltenden Beurteilungsprinzipien auch auf die spezielle Notstandskonstellation anzuwenden, mit der wir es hier zu tun haben. Insofern sind, trotz zunächst bestehender Bedenken, Einwände gegen den Standpunkt des BGH nicht zu erheben. Eine andere Frage ist es freilich, ob bei Notstandsfällen solchen Zuschnitts die Entscheidung nicht bereits "unterhalb" dieser Reflexionsebene - im Bereich der elementaren Kollisionsvoraussetzungen - getroffen werden kann und muß, so daß verschuldensbezogene Interessenabwägungsprobleme letztlich gar nicht mehr auftauchen. Diese Frage klingt, eingebettet in Erwägungen zur ärztlichen Prufungspflicht, auch beim BGH an, wenn dort die "Ernstlichkeit des Willens zum Selbstmord" angesprochen und auf "andere Möglichkeiten" zur Gefahrabwendung hingewiesen wird408 • Wir stoßen hier auf Probleme, die noch näherer empirischer Klärung bedürfen; sie überschreiten den Rahmen dieser Untersuchung und liegen außerhalb der Kompetenz ihres Verfassers. Nach den bisherigen Befunden spricht immerhin viel dafür, daß "bedingte" Selbstmorddrohungen, die durch unerwünschte Schwangerschaft motiviert sind und den Arzt zur Interruption veranlassen sollen, im Weigerungsfall äußerst selten verwirklicht werden409 • Bei dieser Situation wird man von einer ernstlichen, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr für die schwangere Frau in aller Regel nicht ausgehen dürfen. Soweit sich eine echte Suizidgefährdung im Einzelfall gleichwohl nicht ausschließen läßt, beruht sie offenbar meist auf einer depressiven Erkrankung, insbesondere auf endogener Depression410 • Damit verschiebt sich die Notstandsproblematik in den Bezirk der Gesundheitsgefahr und Vgl. oben S. 112 f. Vgl. dazu etwa Kriseheck, Psychiatrische Aspekte der Schwangerschaftsunterbrechung, in: D. Hofmann (Hrsg.), Schwangerschaftsunterbrechung, 1974, S. 253 ff., 258 ff., 262 ff., mit weit. Nachweisen; M. Schulte, Protokolle des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 6. Wahlperiode, 1972, S. 2196; Böhme und MaTT, Deutsche medizinische Wochenschrift 1975,865 ff. Vgl. auch Eser in: Eser / Hirsch, Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch, 1980, S. 155. 410 Dazu Krischeck (oben Fußn. 409), S. 262 ff., mit Hinweisen zu Untersuchungen u. a. von Engelhard, Mende, Naujoks, Pauleickhoff und Schulte. Vgl. auch Böhme / MaTT (oben Fußn. 409), S. 871 f., mit Hinweisen auf Untersuchungen u. a. von Harrington, Otto und Strasser. 408
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3. "Abtreibungs-Fall"
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spitzt sich darauf zu, ob der Äußerung von Selbstmordabsichten eine schwerwiegende krankhafte - z. B. endogen oder reaktiv depressive oder auch schizophrene - Störung zugrunde liegt, der nur durch den Abbruch der Schwangerschaft aussichtsreich begegnet werden kann41l • In diesem Fall ist die Abtreibung im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Schwangeren medizinisch indiziert, ohne daß sich die Verschuldensfragen stellen, die unter dem Aspekt des (durch Selbstmordneigung bedingten) Lebensnotstandes erörtert wurden. d) Die Problematik des verschuldeten Notstandes bei § 218 a Abs.l StGB
Kehren wir aber noch einmal zum Verschuldensproblem zurück. Die überlegungen, die dazu im Anschluß an die Entscheidung BGHSt 3, 7 angestellt wurden, hatten den auf einer individualisierenden Interessenabwägung beruhenden "übergesetzlichen" Notstand des früheren Rechts zur Grundlage412 • Von hier aus ergab sich die Möglichkeit, auch die "verschuldete" Herbeiführung der Notstandssituation durch die Schwangere bei der Abwägung der konkreten Interessen zu berücksichtigen. Dabei zeigte sich allerdings zugleich die weitgehend· nur theoretische Natur der Frage, welche Bedeutung eine zum Zweck des Schwangerschaftsabbruchs "verantwortlich und willkürlich" geschaffene Suizidgefahr für die Interessenabwägung hat: Praktisch geht es in den Fällen der Selbstmordankündigung wohl allein um das Vorliegen oder Fehlen einer hinreichenden gesundheitlichen Abtreibungsindikation. Für die in § 218 a Abs.l StGB kodifizierte Sonderregelung des medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruchs stellt sich darüber hinaus jetzt auch "theoretisch" das Problem, ob sie für eine Berücksichtigung des Verschuldens überhaupt noch Raum läßt.
aal Die Funktion der Interessenabwägung nach der Neuregelung (1) Die verbale "Vorwegabwägung" des Gesetzes Teilt man den Ausgangspunkt der herrschenden Meinung, daß diese Vorschrift eine gesetzliche "Konkretisierung" des Interessenabwägungsprinzips darsteI1t413 , so bietet sich zunächst eine positive Antwort 411 Kriseheck (oben Fußn. 409), S. 262, hält das z. B. bei endogenen Depressionen gar nicht für möglich: "Im übrigen gilt für endogene Depressionen zwar generell, daß sie mit einer Suizidgefahr verbunden sein können, doch ist ebenso sicher, daß diese Suizidgefahr durch eine Interruptio nicht ausgeschaltet werden kann." Zur Frage der medizinischen Eignung des Schwangerschaftsabbruchs bei reaktiver Depression vgl. dort S. 264 ff.; weniger zurückhaltend in diesem Punkt Böhme I Marr (oben Fußn. 409), S. 871 f. 412 Vgl. oben S. 119. 413 Vgl. oben Fußn. 400.
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
und damit die Konsequenz an, daß in der Beurteilung der Verschuldensfrage gegenüber dem früheren "übergesetzlichen" Notstand keine Änderung eingetreten ist. Die in BGHSt 3, 7 formulierte Einschränkung der Abtreibungserlaubnis bei "willkürlich" herbeigeführter Selbstmordgefahr hätte dann - von ihrer praktischen Relevanz einmal abgesehen - auch für die neue Rechtslage Bedeutung. Bei näherer Betrachtung stößt man indessen auf eigentümliche Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, daß der Gesetzgeber den bisher praktizierten übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund durch eine Regelung ersetzt und "konkretisiert" hat, in der eine flexible Abwägungsklausel fehlt. Nach dem Wortlaut des § 218 a Abs. 1 StGB ist die für den rechtfertigenden Notstand sonst kennzeichnende materielle Entscheidung des Rechtsanwenders, daß aufgrund der konkreten Situation das geschützte Interesse tatsächlich "wesentlich überwiegt", nicht mehr erforderlich; das Gesetz hat vielmehr, jedenfalls verbal, in Form einer legislativen "Vorwegabwägung" entschieden, daß den Interessen der Schwangeren Priorität zukommt, wenn die in § 218 a Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB genannten (Notstands-)Voraussetzungen gegeben sind414 • Damit reduziert sich, wie es scheint, die richterliche Bewertung der "Interessenlage" strikt auf das Vorfeld der eigentlichen, nunmehr vom Gesetzgeber getroffenen Vorzugsentscheidung. Interpretiert man § 218 a Abs. 1 StGB in diesem Sinn als "abschließende" Spezialregelung des rechtfertigenden Notstandes, die eine übergreifende Interessenabwägung nicht zuläßt, so besteht nach neuem Recht konsequenterweise keine Möglichkeit mehr, die Vorzugswürdigkeit des geschützten Interesses unter Hinweis auf die schuldhafte Herbeiführung der Notstandslage zu verneinen.
414 Vgl. dazu etwa Lackner, NJW 1976, 1236: "Fall einer speziellen, unmittelbar vom Gesetz vorgenommenen Güter- und Interessenabwägung". Vgl. auch Gropp, Der straflose Schwangerschaftsabbruch, S. 170, mit weit. Hinweisen in Fußn. 97. - Dadurch unterscheidet sich § 218 a Abs. 1 StGB in der Formulierung von den in §§ 228, 904 BGB normierten Sonderregelungen des rechtfertigenden Notstandes. Sie enthalten gegenüber § 34 StGB zwar ebenfalls in gewissem Umfang gesetzliche "Konkretisierungen", verlangen jedoch ausdrücklich eine einzelfall bezogene richterliche Schadensabwägung nach Maßgabe der "Verhältnismäßigkeit" . Dieses Regulativ ist aber der Sache nach nichts anderes als eine Rückverweisung auf das fundamentale Rechtfertigungsprinzip der (gerechten) Interessenabwägung (vgl. dazu neuerdings Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 75 ff., 83 ff.); es legitimiert deshalb auch Einschränkungen, die aus diesem Prinzip folgen. Bei Spezialregelungen dieser Struktur, die sich nicht nur auf den Interessenabwägungsgrundsatz "zurückführen" lassen, sondern ihn inkorporieren, ist daher eine Berücksichtigung des Verschuldens als Abwägungsfaktor unbedenklich möglich. Vgl. auch oben Fußn. 289, 290.
3. "Abtreibungs-Fall"
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(2) Interessenabwägung und verschuldeter Notstand bei § 218 a Abs. 1 StGB Gleichwohl bleibt zweifelhaft, ob die in § 218 a Abs.1 StGB enthaltene gesetzgeberische "Vorwegabwägung" so formal verstanden werden darf, daß sie jeden Rückgriff auf das materielle Prinzip des überwiegenden Interesses ausschließt. Bereits bei der näheren Bestimmung der gesetzlich typisierten Eingriffsvoraussetzungen und ihrer Anwendung im konkreten Fall ist ohne den Leitgedanken der Interessenabwägung im Grunde nicht auszukommen. So muß z. B. entschieden werden, ob die Interruption "unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren" angezeigt ist, um "die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes abzuwenden". Diese Entscheidung ist nicht möglich, ohne daß in einer umfassenden "Gesamtabwägung mit dem Lebensinteresse des Ungeborenen" die Belastungsgrenze ermittelt wird, die das noch tolerable Maß bestehender oder zu erwartender physisch-psychischer Beschwerden von der unzumutbaren "überforderung der Schwangeren" trennt415 . Dies ist nichts anderes als eine individualisierende Interessenabwägung. Auch der bei Lebens- oder Gesundheitsgefahr für das hinreichende Risiko jeweils erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad stellt keine feststehende Größe dar, sondern muß ebenfalls durch eine Abwägung der gesamten Umstände, nach Maßgabe des individuell "Zumutbaren" , konkretisiert werden416. Schließlich verweist auch die flexible ultima-ratio-Klausel der Nr.2 ("und die Gefahr nicht auf andere, für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann") der Sache nach auf die Notwendigkeit einer gerechten Abwägung zwischen den Belastungen, die sich für die Frau aus der Fortsetzung der Schwangetschaft, der Geburt oder ihren Folgen ergeben, und dem stets mitzuberücksichtigenden "Lebensrecht des Kindes"417. Damit läßt die Regelung der medizinischen Indikation erkennen, daß sie zwar verbal die Vorzugsentscheidung gesetzgeberisch antizipiert, inhaltlich aber eine konkret-fall bezogene Bestimmung des überwiegenden Interesses vorschreibt und gestattet ("verkappte Interessenabwägung"); deshalb kann, trotz des Fehlens einer expliziten Abwägungsmaxime, der Interessenabwägungsgedanke als immanentes, sinngeben415 Vgl. BT.-Drucksache VI/3434, S. 20; Lackner, § 218 a Anm. 3 a, NJW 1976, 1237 f.; Schänke I Schräder lEser, § 218 a Rdnr. 11. 416 Vgl. etwa Rudolphi, SK, Bd. 2, § 218 a Rdnr. 19. - Allgemein zum Zusammenhang zwischen jeweiligem Wahrscheinlichkeitsgrad und Interessenabwägung beim Gefahrbegriff des rechtfertigenden Notstandes Schaffstein, Festschrift für Bruns, 1978, S. 104 f. 417 Vgl. Z. B. Schänke I Schräder lEser, § 218 a Rdnr. 15.
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
des Grundprinzip des § 218 a Abs.1 StGB verstanden werden, dessen Anforderungen die Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs auch im Einzelfall entsprechen muß. Die "schuldhafte" Begründung der Notstandslage durch die Schwangere gehört dann - wie beim früheren übergesetzlichen Notstand und nunmehr bei § 34 StGB - zu den Faktoren, die in die Abwägung einzubeziehen sind. Dies kann unter Umständen, vor allem bei vorsätzlicher Herbeiführung der Gefahr zum Zweck des Schwangerschaftsabbruchs, dazu führen, daß die Interessenabwägung zugunsten des ungeborenen Kindes ausfällt und die Abtreibung daher nicht gerechtfertigt ist. Bei diesem Normverständnis, das die Spezialregelung des § 218 a Abs. 1 StGB mit dem allgemeinen rechtfertigenden Notstand harmonisiert, beschränkt sich die "Vorwegabwägung" des Gesetzes auf die (nur) grundsätzliche Aussage, daß den Lebens- oder Gesundheitsinteressen der Schwangeren gegenüber dem Integritätsanspruch des Fötus der Vorzug gegeben werden kann, d. h. daß sie bei genügender Schutzwürdigkeit dazu geeignet sind, eine solche Vorzugsentscheidung zu begründen: wann dies der Fall ist, richtet sich dagegen nach dem materiellen Interessenabwägungsprinzip.
bb) Zur "actio illicita in causa" Zum Abschluß noch ein Wort zur Relevanz der actio-illicita-Konstruktion in diesem Bereich. Unter der Voraussetzung, daß ein schuldhaftes Vorverhalten der Schwangeren die Rechtfertigung nach § 218 a Abs.1 StGB nicht berührt, wird diese Konstruktion in der Literatur vorgeschlagen, um die vorsätzliche Begründung der Notstandssituation, die den Arzt zum Schwangerschaftsabbruch veranlaßt (und veranlassen soll), strafrechtlich erfassen zu können418 . Folgt man der hier vertretenen Auffassung, daß auch § 218 a Abs.1 StGB eine Berücksichtigung des Verschuldens im Rahmen der Interessenabwägung nicht verwehrt, so besteht für eine solche Anknüpfung an die "pflichtwidrige Herbeiführung der Notstandslage"419 kein Bedürfnis, weil sich bereits auf der Abwägungsebene angemessene Lösungen erzielen lassen, die eine funktionswidrig-mißbräuchliche Inanspruchnahme des Rechtfertigungsgrundes verhindern42O . Im übrigen gelten die grundsätzlichen Einwände, die in anderem Zusammenhang gegen die Konstruktion der vorsätzlichen "actio illicita in causa" erhoben wurden42 1, auch in diesem speziellen Problemkreis: Die bewußte Herbeiführung der Notstandssitua418 Vgl. Gropp, Der straflose Schwangerschaftsabbruch, S. 84 (dazu auch oben Fußn. 402); Schönke / Schröder / Lenckner, § 34 Rdnr. 42. 419 Vgl. Lenckner (oben Fußn. 418). 420 Vgl. dazu schon oben S. 88 f. Zum "Mißbrauch" des rechtfertigenden Notstandes siehe auch oben S. 33 f. 421 Vgl. oben S. 59 ff.
4. "Lastzug-Fall"
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tion mit dem Ziel des Schwangerschaftsabbruchs ist sowohl unter dem Aspekt des Vorverhaltens als auch seines "Primärerfolges"422 noch keine i. S. d. § 218 a Abs. 1 StGB tatbestandsmäßige "Abbruchshandlung" , d. h. keine Abtötung der Leibesfrucht23 , sondern erst eine bloße Vorbereitungsmaßnahme, die eine strafrechtliche Haftung nicht zu begründen vermag424 • 4. Der Beschluß des OLG Ramm vom 26. 2. 1970 ("Lastzug-Fall"), VM 1970, 864Z.~ a) Sachverhalt und EntscheidungsbegrÜDdung
Der Fahrer (F) eines Lastzuges befuhr am frühen Morgen des 13. 2. 1969 eine schneeglatte Straße mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/ho Als er sich ungefähr 3 bis 8 m vor einer Ampelanlage befand, die für ihn aus einer Entfernung von mehr als 100 m erkennbar war, schaltete die Ampel - nach einer Gelbphase von 3 Sekunden auf "Rot". F hielt jedoch nicht an, setzte vielmehr seine Fahrt zügig fort. Im Verfahren gab er an, das Rotlicht gesehen, aber bewußt nicht 422 Vgl. oben S. 70 ff.
423 Zur Interpretation des Merkmals "eine Schwangerschaft abbricht" vgl. etwa Lackner, NJW 1976, 1235 f.; WesseIs, Strafrecht, Bes. Teil 1, S. 35 f. mit weit. Hinweisen. 424 Vgl. insbesondere oben S. 70 ff. Nimmt man eine verschuldensunabhängige Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs an, so läßt sich freilich daran denken, das mit der actio-illicita-Konstruktion erstrebte Resultat Erlaubnis für den Arzt, Strafbarkeit der Schwangeren - über die mittelbare Täterschaft zu erzielen: nämlich auf grund der Erwägung, daß die Schwangere bei vorsätzlicher Herbeiführung der Notstandslage den Arzt, der den Eingriff vornimmt, als rechtmäßig handelndes Werkzeug einsetzt. Doch bestehen auch gegen diese Argumentation, die hier im übrigen nicht ausführlich zu erörtern ist, aus mehreren Gründen gravierende Bedenken. Zum einen ist die schwangere Frau nach der Struktur ihres Tatbeitrags ohnehin nicht "mittelbare", sondern unmittelbare (Mit-)Täterin der Deliktsverwirklichung, weil sie ihren Körper für den Eingriff zur Verfügung stellt (vgl. etwa Krey, Strafrecht, Bes. Teil 1, S. 60; Schänke / Schräder / Eser, § 218 Rdnr. 15; BGHSt 1, 139 (142). - Vgl. auch Arzt / Weber, Strafrecht, Bes. Teil 1, S. 136; Hansen, MDR 1974, 797; Maurach / Schroeder, Strafrecht, Bes. Teil, Teilbd. 1, S. 68 ff.). Dieser mittäterschaftliche Tatbeitrag ist jedoch - voraussetzungsgemäß - ebenso gerechtfertigt wie derjenige des Arztes. Ferner setzt mittelbare Täterschaft durch Einschaltung eines erlaubt handelnden Werkzeugs voraus, daß der Rechtfertigungsgrund nur zugunsten des unmittelbar Handelnden wirkt (vgl. Samson, SK, Bd. 1, § 25 Rdnr. 32); doch eben daran fehlt es im vorliegenden Fall. Und schließlich dürfte die hier angesprochene Form mittelbarer Täterschaft auch daran scheitern, daß der Arzt, der mit einer von der Schwangeren bewußt geschaffenen Indikationslage konfrontiert wird, nicht als von ihr "beherrschtes" Werkzeug der Abtreibung angesehen werden kann. Da er weder über die Indikationsvoraussetzungen getäuscht noch in eine ihn selbst betreffende Zwangslage versetzt wird, "beherrscht" die Schwangere sein Verhalten nicht in der für die mittelbare Täterschaft typischen Weise (vgl. auch Stratenwerth, Strafrecht, Allg. Teil I, S. 226). 425 4 Ws OWi 22170.
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
gebremst zu haben, weil er schon vorher bemerkte, daß der Anhänger beim Bremsen auf der glatten Straße ins Schleudern gerate: Hätte er vor der Ampel gebremst, so wären mit Sicherheit auf der anderen Seite befindliche Personenkraftwagen beschädigt worden. Das AG hat diese Einlassung für nicht widerlegbar, aber für unerheblich gehalten. F habe nur so schnell fahren dürfen, daß er die Verkehrszeichen beachten konnte und daß auch bei einer etwa notwendigen Vollbremsung der Anhänger seines Zuges nicht schleuderte. Deshalb habe F zumindest fahrlässig gegen § 2 StVO (a. F.) verstoßen426. Das OLG Hamm führt auf die Rechtsbeschwerde hin zunächst aus, daß nach der unwiderlegten Einlassung des F "tatsächlich ein Fall des rechtfertigenden Notstandes gegeben war (§ 12 OWiG a. F.): Würde sich der Betroffene entsprechend dem Gebot des § 2 StVO (jetzt § 37 Abs. 1 Nr. 1 StVO) verhalten und seinen Lastzug abgebremst haben, so wäre ... der Anhänger ins Schleudern geraten und dann mit Sicherheit eine Beschädigung der auf der anderen Fahrbahnseite fahrenden Pkw zu erwarten gewesen. In dieser gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr, zumindest für das Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer, durfte sich der Betroffene über die Ordnungsnorm des § 2 StVO als das jedenfalls im Augenblick ersichtlich geringwertigere (!) Rechtsgut hinwegsetzen. Ihm kann daher der Vorwurf einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmung nicht gemacht werden, da sein Verhalten insoweit durch § 12 OWiG (jetzt: § 16 OWiG) gerechtfertigt ist."427 Danach befaßt sich das OLG recht ausführlich und etwas umständlich mit der Frage, ob man "nach allgemeinen Grundsätzen" eine Haftung "schon an die schuldhafte Herbeiführung der Notstandslage anknüpfen" könne. Dazu wird im wesentlichen folgendes dargelegt428 : "Zwar ist anerkannt, daß die Rechtfertigung der im übergesetzlichen Notstand begangenen Handlung nicht schon deshalb entfällt, weil der Täter die Notstandslage schuldhaft herbeigeführt hat. Dies kann indessen nur gelten für den willentlichen Normverstoß, wie er bei der Notstandshandlung auch des § 12 OWiG vorausgesetzt wird (Handeln, um abzuwenden). Denn unab-' hängig von dieser aus der ganz konkreten Konfliktsituation bedingten Rechtfertigung kann sich - wegen des weit gespannten Verursachungsbegriffes das Täterverhalten aus den der gerechtfertigten Handlung zeitlich vorausgehenden Verhaltensweisen als rechtswidrige - und schuldhafte - Tatbe426 § 2 StVO vom 13. 11. 1937/29. 3. 1956 (Verkehrsregelung durch Polizeibeamte und Lichtzeichen) ist der Vorgänger des heutigen § 37 StVO (Wechsellichtzeichen und Dauerlichtzeichen). 427 OLG Hamm, VM 1970,86/87. 428 Vgl. OLG Hamm, VM 1970, 87. - Die folgende wörtliche Wiedergabe der wichtigsten Passagen wurde an verschiedenen, nicht näher gekennzeichneten Stellen gekürzt.
4. "Lastzug-Fall"
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standserfüllung erweisen429 • Hierin liegt, wie Blei ausführt43O , nur eine scheinbare Durchbrechung des Grundsatzes, daß Grundlage für die Beurteilung der Voraussetzungen des übergesetzlichen Notstandes die im Zeitpunkt der Notstandshandlung vorliegende Situation in ihrer ganz konkreten Gestalt ist. Er (Blei) verweist auf die Parallele zur actio libera in causa. Tatsächlich müssen deren Regeln, wie Maurach431 herausgestellt hat, auch Fälle unterworfen werden, in denen die den tatbestandsmäßigen Erfolg auslösende ,Letztursache' im strafrechtlichen Sinne als irgendwie defektes Verhalten zu werten ist, welches als solches und bei isolierter Betrachtung nicht die Grundlage einer strafrechtlichen Reaktion abzugeben vermag, sei es, daß es schon an der Handlung, sei es, daß es an der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit oder Zurechenbarkeit derselben fehlt. So verschiebt sich bei der actio libera in causa der Schwerpunkt des Unrechts in den Zeitpunkt, zu dem der Täter, entweder mit dem Willen des tatbestandsmäßigen Erfolges bewehrt oder mit der Fähigkeit seiner Voraussicht ausgestattet, die Defektheit des maßgeblichen körperlichen Verhaltens, der ,Letztursache', herbeizuführen beginnt. Ebenso wird bei Schönke-Schröder432 auch bei mangelnder Rechtswidrigkeit als Grund einer fehlenden Verantwortlichkeit bei der Tatausführung maßgeblich auf das frühere Verhalten als actio libera in causa abgestellt. Dem ist beizutreten ...433. Geht man von den oben genannten Grundsätzen aus, so ergibt sich, daß der Betroffene vorliegend die Notstandssituation zumindest fahrlässig heraufbeschworen hat. Er hatte bereits in einem früheren Stadium seiner Fahrt festgestellt, daß der Anhänger bei einer Bremsung schleuderte. Angesichts dieser Feststellung wäre es seine Pflicht gewesen, entweder das Fahrzeug auf dem schnellsten Wege aus dem Verkehr zu ziehen oder die Geschwindigkeit so erheblich - eventuell bis auf Schrittgeschwindigkeit herabzusetzen, daß keine Schleudergefahr mehr bestand. Daß er das nicht getan hat, ist ihm zum Vorwurf zu machen. Daß es unter den gegebenen Umständen zu einer Zuwiderhandlung gegen §§ 2 StVO (a. F.), 24 StVG kommen könnte, war für den Betroffenen auch vorhersehbar. Das AG hat daher im Ergebnis zutreffend den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 2 StVO, 24 StvG verurteilt." b) Kritische überlegungen zur Entscheidung
An dem Beschluß des OLG Hamm fällt auf, daß er sich einerseits sehr ausführlich und geradezu im Stil einer wissenschaftlichen Abhandlung - wenn auch ohne weiterführende Überlegungen - mit der rechtlichen Bedeutung des Vorverhaltens beschäftigt, andererseits der 429 Unter Hinweis auf Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, 5. Aufl. 1968, S. 281 f.; Mezger I Blei, Strafrecht, Allg. Teil, 13. Aufl. 1968, S. 146; Schänke I Schröder, 15. Aufl. 1970, Vorbem. §§ 51 ff. Rdnr. 57.
Vgl. oben Fußn. 429. Vgl. Maurach, JuS 1961, 343 ff. 432 15. Aufl. 1970, § 51 Rdnr. 36 a. 433 Das OLG legt anschließend dar, daß es die Lösung eines bei Mezger I Blei gebildeten Falles billigt: "Wer, um einen Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Lkw zu vermeiden, sein eigenes Fahrzeug an eine Hauswand steuert und so eine Verletzung eines Mitfahrers verursacht, hat nicht rechtmäßig gehandelt, sondern sich der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht, wenn er selbst durch seine eigene Fahrweise die Situation verschuldet hatte, in der ihm nur noch die betreffende Wahl blieb." 430 431
9 Küper
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
eigentlichen Notstandshandlung und ihrer Bewertung nur geringe Aufmerksamkeit zuwendet. Dabei ist es gar nicht so selbstverständlich, daß es sich bei dem vorliegenden Sachverhalt um einen Anwendungsfall des § 12 OWiG a. F. (§ 16 OWiG n. F.) handelt. Bei näherem Zusehen dürfen in diesem Zusammenhang sogar mehrere, vom OLG ausgeblendete Problemaspekte nicht ganz vernachlässigt werden, wenngleich sich dadurch das Ergebnis nicht ändert. aa) Die Rechtfertigungsfrage bei aktivem Tun (1) Die Notstandslage
Betrachtet man das Verhalten des F beim Wechsel des Lichtzeichens von "Gelb" auf "Rot" - nämlich die "zügige Fortsetzung" der Fahrt, ohne zu bremsen und anzuhalten - als tätigen Verstoß gegen die Norm des § 2 StVO (a. F.), nicht als bloßes Unterlassen, so bestehen zwar unter diesem Gesichtspunkt gegen die Anwendbarkeit des § 16 OWiG (§ 12 OWiG a. F.) keine Bedenken; denn der aktive Eingriff in einen fremden Interessenkreis ist die typische Ausgangssituation des rechtfertigenden Notstandes, um derentwillen ein "wesentliches überwiegen" der durch die Tat geschützten Interessen verlangt wird. § 16 OWiG setzt jedoch, nicht anders als § 34 StGB, voraus, daß der Täter "in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr" für ein Rechtsgut eine tatbestandsmäßige Handlung begeht, "um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden". Die Eigenart unseres Falles liegt nun aber darin, daß in dem Zeitpunkt, als F sich vor der Ampel zum Durchfahren entschloß, eine "Gefahr" (im üblichen Verständnis) für die beim Schleudern des Anhängers betroffenen Fahrzeuge noch gar nicht vorlag. Diese Gefahr konnte überhaupt erst dadurch entstehen, daß F bremste und damit den Anhänger ins Schleudern brachte; sie hätte dann allerdings, nach den tatrichterlichen Feststellungen "mit Sicherheit", zum Eintritt eines Schadens geführt. So betrachtet hat F die Tatbestandshandlung nicht "in einer gegenwärtigen Gefahr" vorgenommen; er hat vielmehr gehandelt, um die Entstehung einer Gefahr und eines daraus notwendig resultierenden Schadens von vornherein zu verhindern. Doch wird man die Situation, die ihn dazu veranlaßte, der in § 16 OWiG umschriebenen zumindest gleichstellen müssen. Denn der Täter stand auch hier vor der für den (rechtfertigenden) Notstand charakteristischen Alternative: Bei an sich normgemäßem Verhalten (Bremsen statt Weiterfahren) mußte es voraussichtlich binnen kurzer Zeit zur Rechtsgutsbeeinträchtigung - Beschädigung von Fahrzeugen - kommen; sie ließ sich nur dadurch vermeiden, daß der Täter einem tatbestandlichen Verbot zuwiderhandelte. Man kann sogar noch einen Schritt
4. "Lastzug-Fall"
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weitergehen und diese Lage in den Gefahrbegriff des rechtfertigenden Notstandes mit einbeziehen. Dann müßte unter "Gefahr" i. S. der §§ 16 OWiG, 34 StGB auch eine Situation verstanden werden, in der die Realisierung der formal normgemäßen Verhaltensalternative (hier: Beachtung des § 2 StVO) die Wahrscheinlichkeit eines Schadens erst begTÜnden würde, während beim Verstoß gegen das gesetzliche Verbot ein solches Risiko nicht entsteht. Die so verstandene Gefahr war im vorliegenden Fall zugleich "gegenwärtig" und "nicht anders abwendbar", da nur durch die Tatbestandshandlung das sonst sogleich eintretende Schadensereignis vermieden werden konnte. - Wie man das Problem dogmatisch aber auch einordnen mag, im Ergebnis kann jedenfalls nicht zweifelhaft sein, daß die - entsprechende oder unmittelbare - Anwendung des § 16 OWiG die sachlich gebotene Lösung darstellt. (2) Die Interessenabwägung Ausgangspunkt der danach notwendigen Interessenabwägung, die das OLG Hamm nicht weiter begründet, ist zunächst der Befund, daß ein Wertvergleich der kollidierenden Rechtsgüter noch kein zugunsten des Täters wesentlich überwiegendes Interesse ergibt. Bei den mit der Notstandstat geschützten Gütern handelte es sich um das Eigentum und vielleicht auch um die körperliche Unversehrtheit der durch das Schleudern des Lastzuges gefährdeten Verkehrsteilnehmer; doch soll auch die verletzte Norm, § 2 StVO a. F. (§ 37 StVO n. F.), die Integrität dieser Rechtsgüter und darüber hinaus des menschlichen Lebens gewährleisten, weil sie den Sinn hat, den an der Kreuzung bevorrechtigten Verkehr vor Gefahren und Schäden aller Art zu schützen434 • Eine Abwägung unter dem Aspekt der jeweils "betroffenen Rechtsgüter" (§§ 16 OWiG, 34 StGB) kann daher für F nicht positiv ausfallen. Die Beurteilung ändert sich indes bei Berücksichtigung des Gefahrengrades, dem übergang von der "Güter-" zur "Interessenabwägung" . § 2 StVO i. V. m. § 24 StVG enthält einen abstrakten Gefährdungstatbestand, untersagt die Zuwiderhandlung wegen ihrer typischen Gefährlichkeit. Die Begründung einer "abstrakten" Gefahr zur Abwendung einer konkret drohenden Rechtsgutsverletzung dient jedoch regelmäßig der Wahrung des überwiegenden Interesses, auch dann, wenn das durch die Tat geschützte Rechtsgut gegenüber dem Schutzobjekt des abstrakten Gefährdungsdelikts nicht höherwertig ist435 • Gesichtspunkte, die Veranlassung geben könnten, von dieser Regel abzuweichen, läßt der Sachverhalt nicht erkennen. Im Gegenteil: Beim Abbremsen wäre es "mit 434 Zu den für die bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer gleichwohl geltenden Sorgfaltspflichten vgl. etwa Jagusch, Straßenverkehrsrecht, § 37 StVO Rdnr. 45 ff. 435 Vgl. Schönke / SchTöder / Lenckner, § 34 Rdnr. 28, mit weit. Hinweisen. 9*
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
Sicherheit", nicht nur wahrscheinlich, sogleich zur Beschädigung mehrerer Fahrzeuge und damit zu einem erheblichen Schaden gekommen - wobei sich auch körperliche Verletzungen schwerlich ausschließen lassen - ; die verkehrswidrige überquerung der Kreuzung brachte dagegen offenbar niemanden in Gefahr436 . Schließlich fällt auch das schuldhafte Vorverhalten des F nicht zum Nachteil der Erhaltungsinteressen ins Gewicht. F schützte mit der Notstandshandlung nicht eigene Interessen, sondern - als Nothelfer - diejenigen anderer Verkehrsteilnehmer; die konkrete Schutzwürdigkeit dieser fremden Güter wird nicht dadurch reduziert, daß der Nothelfer die Interessenkollision verschuldet hat437 . bb) Die Rechtfertigungsfrage bei Unterlassen
Man könnte F's "zügiges Durchfahren" beim Wechsel des Lichtzeichens allerdings auch als Unterlassen werten (Nichtanhalten des Fahrzeugs)438 und hätte es dann im Ausgangspunkt nicht mit einer Notstandshandlung, sondern mit einer Ordnungswidrigkeit zu tun, die in ihrer Struktur einem (echten) Unterlassungsdelikt entspricht. Bei Unterlassungsdelikten folgt die Notstandsrechtfertigung grundsätzlich anderen Regeln, als sie für Begehungstaten gelten; die Möglichkeiten gerechtfertigten Verhaltens sind hier wesentlich erweitert. Insbeson436 Zur Interessenabwägung bei einer konkreten Gefährdung auch auf der Eingriffsseite vgl. näher Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, S. 102 f. mit weit. Hinweisen in Fußn. 247 ff. 437 Vgl. dazu näher oben S. 108 ff. - Um einen Fall möglichen Nothelfer"verschuldens" ging es auch in dem Urteil des OLG Düsseldorf vom 13. 10. 1965 - 2 Ss 421/65 - VRS 30 (1966) 444, das zu unergiebig ist, um im Text ausführlich besprochen zu werden. Der Angeklagte, ein offenbar in einem Krankenhaus tätiger Arzt, war von außerhalb telefonisch zu Patienten gerufen worden, bei denen wegen der Art der Erkrankung schnelle Hilfe geboten war. Er hatte in zwei Fällen die in geschlossenen Ortschaften zulässige Geschwindigkeit überschritten (damals eine Übertretung nach §§ 9 Abs.4 StVO, 21 StVG a. F.). Nach Auffassung des AG konnte er sich u. a. deshalb "auf einen übergesetzlichen Notstand nicht berufen, weil er es unterlassen habe, in seinem Krankenhaus einen ständigen Notdienst einzurichten". Mit diesem Hinweis scheint gemeint zu sein - ganz klar ist das nicht -, daß beim Vorhandensein einer solchen Einrichtung eine Notstandssituation für den Angeklagten gar nicht entstanden wäre. Daraus hat das AG anscheinend ein "Verschulden" des Arztes ableiten wollen, das zum Ausschluß der Rechtfertigung führe. - Zweifelhaft ist in diesem Fall bereits, ob die Unterlassung von Maßnahmen, die eine Notstandslage verhindert hätten, bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden kann. Prinzipiell wird man jedoch auch das "schuldhafte Unterlassen", obwohl es von der Herbeiführung des Notstandes scharf zu unterscheiden ist, nicht ausklammern dürfen; unter dem Aspekt der "sozialen Verantwortung" (vgl. oben S. 26 f., 32 f.) verdient es ebenfalls Beachtung. Doch mag dies hier letztlich auf sich beruhen. Jedenfalls hat das OLG Düsseldorf dem AG mit Recht entgegengehalten, daß es "auf das Verschulden des Nothelfers bei der Verursachung des Notstandes" nicht ankommt (S. 446). 438 Vgl. auch oben S. 130.
4. "Lastzug-Fall"
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dere bedarf es nicht notwendig der von §§ 34 StGB, 16 OWiG verlangten Wahrung eines erheblich "überwiegenden" Interesses439 • Doch braucht diese spezielle Rechtfertigungsproblematik in unserem Zusammenhang nicht weiter verfolgt zu werden. Denn am Ausschluß des Unterlassungsunrechts ist jedenfalls dann nicht zu zweifeln, wenn der Täter - wie im vorliegenden Fall - durch seine Passivität tatsächlich "wesentlich überwiegende" Interessen schützt und damit sogar die für die Rechtfertigung eines Begehungsdelikts geltenden Anforderungen erfüllt. Deshalb kann letztlich auch offen bleiben, ob das Verhalten des F als aktives Handeln oder als Unterlassen zu bewerten ist. cc) Das Problem der "actio illicita in causa" Der Beschluß des OLG Hamm ist unter den bisher bekannt gewordenen Entscheidungen zum rechtfertigenden Notstand die erste, in der ein Gericht zur Begründung der "strafrechtlichen Haftung" - hier: wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 2 StVO, 24 StVG auf die dogmatische Konstruktion der "actio illicita in causa" zurückgreift. In BGH, VRS 36 (1969) 23, wurde sie zwar beiläufig erwähnt, lag jedoch der Verurteilung nicht zugrunde 440 • Auch das OLG Hamm verwendet den Begriff selbst nicht, sondern spricht nur von "actio libera in causa" bzw. von einer "Parallele" zu dieser Rechtsfigur. Jedoch ist in der Sache die "actio illicita in causa" gemeint: Das frühere, der gerechtfertigten Notstandshandlung vorgelagerte Verhalten des F wird als rechtswidrig und schuldhaft gesetzte Bedingung dieser Tat betrachtet und daraus, unter "Verschiebung des Unrechtsschwerpunktes" , ein letzten Endes fahrlässiger Verstoß gegen § 2 StVO a. F. ab geleitet441 • Dabei neigt das OLG der Auffassung zu, daß die "actio libera in causa" ein verallgemeinerungsfähiges Prinzip enthalte, welches die Möglichkeit eröffne, jeden "Defekt" der deliktskonstitutiven Strafbarkeitsvoraussetzungen im Rückgang auf eine rechtswidrig-schuldhafte "Erstursache" des späteren Handeins zu beheben442 • 439 Dazu eingehend Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, S. 87 ff., mit weit. Nachweisen; vgl. neuerdings auch Rudolphi, SK, Bd. 1, vor § 13 Rdnr. 29 ff. 440 Vgl. oben S. 91 f., 99. 441 Vgl. oben S. 128 f. 442 Bezeichnend dafür ist der Hinweis auf Maurach, JuS 1961, 373, wo es heißt, daß "jedes verbrechenskonstitutive Element" taugliches Bezugsobjekt der actio libera in causa sei. Ein solches allgemeines Prinzip wird ferner behauptet von Baumann, Strafrecht, Allg. Teil, S. 371 f.; eramer, Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, S. 130; Maurach I Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Teilbd. 1, S. 521. Vgl. auch Schönke I Schröder I Lenckner, 20. Auf!. 1980, § 20 Rdnr. 33 a (anders jetzt in der 21. Aufl. 1982). - Nachdrücklich gegen die Verallgemeinerungsfähigkeit z. B. Hruschka, SchwZStr 90 (1974), S. 75 f.; Krause, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 309 ff., Jura 1980, 172 f.
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
Die Untersuchung hatte bisher keinen Anlaß, sich mit dieser weitreichenden These, die für den Grundgedanken der "actio libera in causa" gleichsam einen universalen Anwendungsbereich beansprucht, ausdrücklich auseinanderzusetzen. Doch ist an verschiedenen Stellen dieser Arbeit schon zur Genüge deutlich geworden, daß sich aus der - ihrerseits klärungs- und präzisierungsbedürftigen - "Rechtsfigur" der actio libera in causa kein allgemeiner "Grundsatz" gewinnen läßt, der dazu legitimiert, die gerechtfertigte Tatbestandshandlung einfach durch das vorsätzliche oder fahrlässige "Ingangsetzen" eines Kausalprozesses zu ersetzen443 • Vielmehr kommt es gerade darauf an, ob und wann das Vorverhalten in den Tatbestand des jeweiligen Delikts einbezogen und aus dieser Perspektive als widerrechtlich-schuldhafte aber eben auch tatbestandsmäßige - Vorhandlung begriffen werden kann. Es hat sich gezeigt, daß dies beim Fahrlässigkeitsdelikt zwar prinzipiell möglich ist, jedoch die spezifischen Modalitäten der tatbestandlichen Verhaltensbeschreibung, einschließlich spezieller "Umstände" und "Situationen", nicht vernachlässigt werden dürfen444 • Erfüllt lediglich die Notstandstat, nicht aber auch die Vorhandlung solche besonderen Voraussetzungen, so versperrt der Tatbestand den Rückgriff in das möglicherweise fahrlässige Veranlassungsstadium. Genau hier liegt auch die Problematik des vom OLG Ramm entschiedenen Lastzug-Falles. § 2 StVO a. F. (§ 37 Abs.l Nr.l StVO n. F.) normiert Pflichten des Verkehrsteilnehmers in einer ganz bestimmten Verkehrssituation: Der Fahrzeugführer hat bei unmittelbarer Annäherung an den durch die Lichtzeichenanlage geregelten Verkehrsbereich - z. B. eine Kreuzung oder Einmündung - "anzuhalten", sobald die Ampel "Rot" bzw. "Gelb" zeigt. Erst in diesel' speziellen Situation kann er der Norm zuwiderhandeln. Sein früheres Verhalten in mehr oder weniger weiter Entfernung von der Ampel wird durch die Regelung des § 2 StVO gar nicht erfaßt, auch wenn er die Lichtzeichenanlage bereits aus großer Distanz erkennen kann. Das OLG Ramm hat bei seiner Begründung der fahrlässigen Zuwiderhandlung diesen begrenzten Inhalt der Verkehrsvorschrift und damit die Schranken des gesetzlichen Tatbestandes nicht hinreichend beachtet. Als F (mit zu hoher Geschwindigkeit) weiterfuhr, nachdem er gemerkt hatte, daß der Anhänger des Lastzuges beim Bremsen schleuderte, verstieß er nicht gegen das Anhaltegebot des § 2 StVO (a. F.), obwohl er zumindest hätte erkennen können, daß er damit Bedingungen für eine Situation setzte, in der er ohne Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer diesem Gebot nicht Folge leisten konnte. Die bloße Verursachung einer späteren (gerechtfertigten) Zuwiderhandlung ist nun einmal noch kein Durchfahren 443
444
Vgl. dazu oben S. 52 ff., 59 ff., 72 ff., 80 ff. und passim. Vgl. oben S. 50 ff. Siehe auch oben S. 100 f.
4. "Lastzug-Fall"
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bzw. NichtanhaIten "bei Rot" und somit kein i. S. der §§ 2 StVO, 24 StVG tatbestandsmäßig-ordnungswidriges Verhalten445 • Mit der Konstruktion der "actio illicita in causa" läßt sich daher insoweit eine rechtswidrigschuldhafte Ordnungswidrigkeit nicht begründen, der strafrechtliche "Defekt" der aktuellen Rechtfertigung nicht im Rückgriff auf die "Erstursache" kompensieren. Freilich darf nicht übersehen werden, daß F im Ergebnis gleichwohl für eine Ordnungswidrigkeit verantwortlich ist, nämlich unter dem Aspekt der Geschwindigkeitsüberschreitung. Er hat rechtswidrig und schuldhaft zwar nicht gegen § 2 StVO, wohl aber gegen § 9 StVO a. F. (jetzt § 3 Abs. 1 StVO n. F.) verstoßen, als er die Schleudergefahr feststellte, seine Geschwindigkeit aber nicht derart verminderte, daß beim Bremsen dieses Risiko ausgeschlossen wurde. § 9 StVO a. F. bestimmte: "Der Fahrzeugführer hat die Fahrgeschwindigkeit so einzurichten, daß er jederzeit in der Lage ist, seinen Verpflichtungen im Verkehr Genüge zu leisten und daß er das Fahrzeug nötigenfalls rechtzeitig anhalten kann". In § 3 Abs.l StVO n. F. heißt es jetzt: "Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, daß er sein Fahrzeug ständig beherrscht. Er hat seine Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie ... den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen." Daraus folgte für F nicht nur die Verpflichtung, so langsam zu fahren, daß er vor Hindernissen, Verkehrsampeln usw. überhaupt "rechtzeitig" anhalten konnte (was ihm ja an sich möglich war). Da diese Vorschriften andere Verkehrsteilnehmer vor Gefahren schützen und den reibungslosen Ablauf des Straßenverkehrs sichern sollen, mußte F die Geschwindigkeit so reduzieren, daß 445 Im Ergebnis zu Recht hat daher auch OLG Köln, VRS 56 (1979) 63, in einem anderen Fall eine fahrlässige "actio illicita in causa" abgelehnt. Ein Pkw-Fahrer hatte, als er die Autobahn verlassen wollte, versehentlich nicht die Ausfahrt benutzt, sondern war etwa zwei Wagenlängen - entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung - in eine Einfädelungsspur hineingefahren. Als er seinen Irrtum bemerkte, weil ihm Fahrzeuge entgegenkamen, setzte er auf die Autobahn zurück, um zur "richtigen" Ausfahrt weiterzufahren. Das OLG Köln erklärt dieses vorsätzliche Verhalten (§ 18 Abs.7 StVO: Rückwärtsfahren auf der Autobahn) zutreffend für gerechtfertigt: Hätte der Betroffene seine Fahrt auf der Einfädelungsspur fortgesetzt oder seinen Wagen dort stehenlassen, so hätte er im konkreten Fall eine wesentlich größere Gefahr (vor allem auch für andere Verkehrsteilnehmer) geschaffen, als sie durch das vorsichtige Zurücksetzen entstand. Auch einen fahrläSSigen Verstoß gegen § 18 Abs. 7 StVO hält das OLG Köln nicht für gegeben, obwohl der Täter die Gefahrenlage durch seine vorangegangene Unaufmerksamkeit verschuldet habe. Das ist richtig. Denn die fahrlässige Herbeiführung einer Notstandssituation, in der sich der Täter nur durch "Rückwärtsfahren" rechtmäßig verhalten kann, ist eben selbst noch kein "Rückwärtsfahren" . Das OLG Köln stellt freilich nicht auf diesen einfachen Gesichtspunkt ab. Es begründet seine Entscheidung vielmehr mit der recht zweifelhaften Erwägung, das spätere Zurücksetzen sei keine voraussehbare Folge des früheren Fehlverhaltens gewesen, da es auf einen "neuen Entschluß" zurückgehe und auch die Möglichkeit bestanden habe, "auf der falschen Fahrbahn weiterzufahren".
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
er in der Lage war, ohne Schleudergefahr zu bremsen und zu halten446 • Das OLG Ramm war daher auf die Konstruktion der "actio illicita in causa", die es mit großem gedanklich-literarischem Aufwand zu begründen versucht, gar nicht angewiesen. Die Entscheidung erhält dadurch einen etwas kuriosen Zug.
5. Der Beschluß des BayObLG vom 26. 5. 1978 ("Fäkalien-Fall"), NJW 1978, 2046447 a) Sachverhalt und Entscheidungsbegrundung
K war als Kraftfahrer bei einem Fäkalienabfuhrunternehmer (U) beschäftigt. Er hatte die bei der Entleerung von Abwasser- und Abortgruben ausgehobenen Abfälle entweder den zugelassenen Abfallbeseitigungsanlagen zuzuführen oder - nach Zustimmung der Grundstückseigentümer - als Dünger auf landwirtschaftlich genutzte Böden aufzubringen. Eines Tages belud er das Fahrzeug mit Fäkalien von 22 Tonnen Gesamtgewicht448 • Auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück befuhr er einen unbefestigten Feldweg, der höchstens 3 m breit war und neben einem Graben verlief. Der Weg war nur zum Befahren mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen, nicht aber - wie K erkannte für den Verkehr mit Lastkraftwagen geeignet. Nach etwa 25 bis 30 m "sackte das Fahrzeug mit den rechten Rädern vom Weg in den Graben ab, so daß es umzukippen drohte. Um der zu erwartenden Beschädigung des Fahrzeugs, das einen Wert von 60000 DM verkörperte, zu begegnen, entleerte der Betroffene (K) die Fäkalien auf das anliegende landwirtschaftliche Grundstück, dessen Eigentümer dazu keine Genehmigung erteilt hatte." K verteilte dann die Fäkalien mit einem Schlauch, um eventuelle Schäden möglichst gering zu halten; tatsächlich entstand nur geringer Schaden. Nach der Entleerung des Fahrzeugs war die Gefahr des Umstürzens beseitigt449 • Aufgrund dieses Sachverhalts hat das AG wegen einer vorsätzlich begangenen Ordnungswidrigkeit nach §§ 4 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr.1 AbfG (Ablagern von Abfällen außerhalb dafür zugelassener Anlagen) eine Geldbuße festgesetzt. Das BayObLG gab der Rechtsbeschwerde statt. 446 Vgl. z. B. Jagusch, Straßenverkehrsrecht, § 3 StVO Rdnr.20, mit weit. Hinweisen zum Verhalten bei "Eis- und Schneeglätte". - Nach BGH, bei Martin, DAR 1957, 59 kann der Führer eines Lastzuges bei Vereisung der Fahrbahn und dadurch bedingter Schleudergefahr nach § 9 StVO (a. F.) sogar verpflichtet sein, die Fahrt zu unterbrechen. 447 3 ObOWi 38, 78 = JR 1979, 124 mit Anmerkung von Hruschka. Die Entscheidung ist ausführlich von Dencker, JuS 1979, 779 ff. besprochen worden. Vgl. auch Geilen, Jura-Kartei 9/79 zu § 16 OWiG Nr. I, und Stein / Onusseit, JA 1980 (übungsblätter), 73 ff. 448 Also einschließlich des Gewichts, welches das Fahrzeug selbst hatte. 449 BayObLG, NJW 1978, 2046 f.
5. "Fäkalien-Fall"
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In der Begründung, die deutlich von OLG Hamm, VM 1970, 86450, beeinflußt ist und im Ergebnis zu einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit gelangt, heißt es: "Das AG geht zutreffend davon aus, daß eine Notstandslage gegeben war, die in einer gegenwärtigen Gefahr für das Fahrzeug bestand und nicht anders als durch die tatbestandsmäßige Handlung abgewendet werden konnte (§ 16 OWiG). Es handelt sich um einen Fall der sogenannten Notstandshilfe, da das gefährdete Rechtsgut nicht dem Betroffenen (K), sondern seinem Arbeitgeber (U) zustand, dessen Eigentum er vor Schaden zu bewahren suchte. In dieser nicht anders als durch die Ablagerung der Abfälle auf dem Feld abwendbaren Gefahr für das Eigentum eines anderen durfte sich der Betroffene über die Ordnungsnorm des § 4 Abs. 1 AbfG als das jedenfalls im Augenblick des HandeIns geringwertigere (!) Rechtsgut hinwegsetzen. Nach h. M. wird rechtfertigender Notstand grundsätzlich auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Nothelfer die Notstandslage verschuldet hat451 • Das bedeutet jedoch nicht, daß damit die Zuwiderhandlung gegen § 4 Abs. 1 AbfG schlechthin nicht vorwerfbar und nicht ahndbar wäre. Nach allgemeinen Grundsätzen kann nämlich sowohl eine strafrechtliche Haftung als auch eine solche nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten schon an die schuldhafte Herbeijührung der Notstandslage und damit an ein Täterverhalten anknüpfen, das der gerechtfertigten Handlung zeitlich vorausgeht452 . Das hat zur Folge, daß eine Bestrafung oder Ahndung wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Tat möglich ist, je nachdem, ob der Täter im Hinblick auf die spätere Tatbestandsverwirklichung vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Hat der Täter fahrlässig die Notstandssituation heraufbeschworen, die ihn zur vorsätzlichen Verletzung eines anderen Rechtsgutes zwingt, so kann er - bei entsprechendem Fahrlässigkeitstatbestand - jedenfalls wegen fahrlässiger Tat bestraft werden." Das BayObLG fährt dann fort: "Dies hat das AG im Grundsatz auch richtig erkannt und deshalb auf das der Notstandssituation vorausgegangene Verhalten des Betroffenen abgestellt. Es sieht das schuldhafte Verhalten ... darin, daß er das Fahrzeug auf den wegen seiner Beschaffenheit zum Befahren mit einem Lkw völlig ungeeigneten Feldweg lenkte. Es schließt daraus, daß sich der Betroffene darüber hätte im klaren sein müssen, daß er mit dem Lkw nach rechts zum Graben abrutschen und dann zur Entleerung des Fahrzeugs an einem nicht zugelassenen Ort gezwungen sein konnte. Diese Schlußfolgerung ist an sich aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, vermag indes vorsätzliches Handeln nicht zu begründen. Die schuldhafte Veranlassung der Notstandssituation kann nämlich nur dann die Ahndung wegen einer vorsätzlichen Handlung rechtfertigen, wenn der Vorsatz des Täters im Veranlassungsstadium neben der Notstandsgefahr selbst auch die (eventuelle) Erforderlichkeit eines daraus resultierenden Eingriffs in fremde Interessen umfaßt4 53 . Ein Verhalten, das lediglich das Bewußtsein einer möglichen Gefahr für das zu schützende Rechtsgut einschließt, nicht aber zugleich von der Vorstellung begleitet wird, die Gefahrenlage könne Anlaß zu einer RechtsgutsVgl. oben S. 128 f. Unter Hinweis u. a. auf BGH, VRS 36 (1969) 23 f. und OLG Düsseldorf, VRS 30 (1966) 444, 446. Vgl. zu diesen Entscheidungen bereits oben S. 90 ff., 132 Fußn. 437. 452 Unter Hinweis auf OLG Hamm, VM 1970, 86 f. 453 Hier und im folgenden übernimmt das BayObLG fast wörtlich meine Ausführungen in JZ 1976, 519. 450 451
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
verletzung geben, reicht dazu nicht aus. Erst recht vermag die Annahme, der Betroffene hätte nur mit der durch sein Verhalten bedingten Rechtsgutsverletzung rechnen müssen, Vorsatz nicht zu begründen. Sie rechtfertigt lediglich den Schuldvorwurf der Fahrlässigkeit, der allerdings für die Verwirklichung des Tatbestandes nach §§ 4 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 1 AbfG ausreicht."454 b) Die bisherige Diskussion
Der Beschluß des BayObLG hat in der Literatur zwei ausführliche kritische Stellungnahmen veranlaßt und dadurch die Diskussion um die "actio illicita in causa"455 wiederbelebt. Hruschka und Dencker haben ihm eingehende Besprechungen gewidmet, deren wichtigste Partien, zur Vorbereitung der eigenen Kritik, an dieser Stelle zunächst referiert werden sollen456 •
aa) Die Beurteilung der Notstandshandlung und das Verschuldensproblem Hruschka lehnt es kategorisch ab, die verschuldete Herbeiführung des Notstandes - "der Notstandsgefahr", wie er sagt - im Rahmen der §§ 34 StGB, 16 OWiG überhaupt zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob der Notstandstäter mit dem Träger des geschützten Interesses identisch ist oder nicht: Der "Notstandseingriff des Notstandshelfers" sei "auch dann erlaubt, wenn er selbst oder wenn der Betroffene457 für die Notstandsgefahr verantwortlich ist"458. Die Gründe für diesen Standpunkt haben wir in früherem Zusammenhang schon kennengelernt; darauf sei hier verwiesen459 . Dencker vertritt zu diesem Problem eine prinzipiell andere Auffassung, wenn er auch im konkreten Fall ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, daß die eigentliche Notstandstat - um die es vorläufig allein geht - gerechtfertigt war. Er beschäftigt sich eingehend mit dem fallbedingt-spezifischen Inhalt der Interessenabwägung und mit dem Stellenwert, der dem "Verschulden" des K dabei zukommt. Auf einer ersten Stufe der überlegungen bemüht er sich, methodisch vorbildlich, darum, "die Interessen dingfest zu machen, die in die Abwägung einzugehen haben"4(,O. "Erhaltungs454 BayObLG, NJW 1978,2047. 455 Das BayObLG gebraucht wie OLG Hamm, VM 1970, 86 - diesen Terminus nicht, greift jedoch in der Sache auf die Konstruktion der "actio illicita" zurück. 456 Vgl. Hruschka, JR 1979, 125 ff.; Dencker, JuS 1979, 779 ff. Vgl. auch Geilen, Jura-Kartei 9/79 zu § 16 OWiG Nr. 1; Stein I Onusseit, JA 1980, 73 ff. (die allerdings nicht auf die "actio illicita in causa" eingehen). 457 Gemeint ist: der von der Notstandsgefahr in seinen Interessen Betroffene. 458 Vgl. Hruschka, JR 1979, 126. 459 Vgl. oben S. 28 ff. 4(,0 Vgl., auch zum folgenden, Dencker, JuS 1979, 779; kritisch dazu aber Stein I Onusseit, JA 1980, 73 ff.
5. "Fäkalien-Fall"
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gut" sei das Eigentum des U an dem Fahrzeug. Als "Eingriffs gut" betrachtet Dencker ausschließlich das kollektive Schutz- und Ordnungsbedürfnis, das er aus der Begriffsbestimmung des "AbfcJls" in § 1 Abs.l AbfG herleitet: nämlich das Gemeinschaftsinteresse, "vor Gefahren für das ,Wohl der Allgemeinheit' bewahrt zu werden, die sich aus dem Ablagern von Abfällen entgegen § 4 Abs. 1 AbfG461 ergeben können". Das individuelle Eigentumsinteresse dürfe dagegen nicht in die Abwägung eingeführt werden. Dencker begründet dies damit, daß bei der Anwendung des § 16 OWiG nicht die Rechtfertigung einer "ganzheitlichen, natürlichen Handlung", sondern allein der Ausschluß des tatbestandsmäßigen Unrechts in Frage stehe; das Eigentum werde indes durch den Tatbestand der §§ 4 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 1 AbfG nicht geschützt. Eine solche "Spaltung des Rechtwidrigkeitsurteils" sei ein für die Rechtfertigungsgründe generell geltendes Prinzip, weil es hierbei nicht um eine unspezifisch-tatbestandsübergreifende Unrechtsbewertung gehe, sondern um die mögliche Rechtfertigung der im jeweiligen Tatbestand typisierten Interessenverletzung462 . Dieser Grundsatz werde als so selbstverständlich empfunden, daß man ihn kaum nlehr besonders hervorhebe. Auch zeige gerade der vorliegende Fall seine Berechtigung: "Für die Rechtswidrigkeit der durch das Ablagern gegebenen Umweltgefährdung spielt es keine Rolle, wer den Wagen entleerte diese Gefährdung wäre gleich, wenn es der Eigentümer des betroffenen Grundstücks getan hätte."463 Nach dieser Klarstellung stimmt Dencker dem Abwägungsergebnis des BayObLG mit dem Vorbehalt zu, daß der Gesichtspunkt des "verschuldeten Notstandes" möglicherweise zu einer abweichenden Beurteilung führt. Bei einem unabhängig von diesem Sonderproblem vorgenommenen Interessenvergleich gebe die "hohe konkrete Sachgefahr" für das Eigentum des U gegenüber der "lediglich abstrakten Umweltgefährdung" , die mit dem Risiko nur geringen Schadens verbunden gewesen sei, den Ausschlag. Die Bedeutung des Notstandsverschuldens, der sich Dencker dann zuwendet, beurteilt er im Gegensatz zu Hruschka differenzierend: Die schuldhafte Herbeiführung der Notstandslage schließe eine Rechtfertigung zwar nicht zwangsläufig aus, könne jedoch bei der Interessenabwägung grundsätzlich - zum Nachteil des Notstandstäters - mitberücksichtigt werden464 • Ein Verschulden des Not461 Diese Vorschrift regelt die Ordnung der Abfallbeseitigung. 462 Vgl. Dencker, JuS 1979, 779 f., der in diesem Zusammenhang auf die Parallele zur "Teilbarkeit des Unrechtsbewußtseins" hinweist. 463 Dencker, JuS 1979, 779. 464 Vgl. Dencker, JuS 1979, 780 f. Zur Begründung siehe oben Fußn. 68. Hruschkas abweichender Standpunkt ist offenbar von der zu einseitigen Fragestellung bestimmt, ob es möglich ist, aus der Ratio des rechtfertigenden Notstandes ein "zusätzliches Erfordernis" herzuleiten, "nach dem die Gefahr ,unverschuldet' sein muß" (JR 1979, 126; vgl. auch oben Fußn. 73). Dies ist
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
helfers müsse allerdings regelmäßig außer Betracht bleiben; denn für die Abwägung komme es auf die "konkrete Schutzwürdigkeit der jeweiligen Interessen" an, "die maßgeblich für die Rechtmäßigkeit der Rettungshandlung eines jeden sind"465. Nach Dencker gibt es aber Ausnahmefälle, in denen man das schuldhafte Vorverhalten des Nothelfers "der Erhaltungsseite zurechnen" kann. "Wenn es ein - im Rahmen der Interessenabwägung beachtlicher - Grundsatz des Vermögensrechts ist, ,daß jeder die wirtschaftlichen Auswirkungen seiner eigenen Dispositionen selbst zu tragen hat'466, dann muß das in diesem Bereich auch gelten für die übertragung der Vermögensinteressen an Hilfspersonen", gleichgültig, "ob diese Personen ,schuldhaft' schlecht ausgesucht oder angeleitet worden sind" .467 Da nun in unserem Fall U dem K den wertvollen Lkw anvertraut, den Nothelfer mit der Wahrnehmung von Vermögensfürsorgepflichten beauftragt habe, müsse U sich K's Verschulden anrechnen lassen. Im Ergebnis ändere das freilich nichts daran, daß die Kollisionslage trotzdem zugunsten des U entschieden werden müsse: "Der erhebliche Sachwert bleibt gleichwohl wesentlich schutzwürdiger als das konkret nur geringfügig bedrohte Allgemeininteresse" .468 bb) Die Stellungnahmen zur "actio illicita in causa" Zur Konstruktion der "actio illicita in causa" nehmen beide Autoren ebenfalls in recht unterschiedlicher Weise Stellung. Hruschka bietet für seine strikte Ablehnung dieser Rechtsfigur eine Reihe von Argumenten auf469 • Die Regeln, aus denen sich ergeben solle, daß die "eigentliche" Tat auf die der Notstandshandlung vorausgehende actio praecedens vorverlegt werden könne, seien bisher noch nicht schlüssig bewiesen worden. "Wenn diese Regeln besagen sollten, daß der jeweils in Rede stehende Tatbestand schon durch die actio praecedens voll verwirklicht wird, dann wären sie offenkundig falsch. So war im Fall des BayObLG der objektive Tatbestand der §§ 4 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 1 AbfG durchaus noch nicht in dem Moment erfüllt, als der Betroffene sicherlich nicht möglich, bedeutet aber noch nicht, daß für eine Berücksichtigung des Verschuldens als Moment der Interessenabwägung kein Raum mehr bleibt. Hruschkas Verständnis der Abwägung als "utilitaristisches KostenNutzen-Kalkül", bei dem nach der Genese der Güterkollision nicht mehr gefragt werden darf, schließt es freilich auch aus, das Verschulden überhaupt in die Abwägung einzubeziehen (dazu und zur Kritik oben S. 28 ff.). 465 Dencker, JuS 1979,781. Vgl. auch oben Fußn. 371. 466 Unter Hinweis auf Kienapfel, JR 1977, 28, der hier allerdings nur einen Satz aus BGH, NJW 1976, 681 in anderer Formulierung wiederholt, vgl. oben S.102. 467 468
469
Vgl. Dencker, JuS 1979, 78l. Dencker, wie Fußn. 467. Vgl. Hruschka, JR 1979, 127 f.
5. "Fäkalien-Fall"
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mit seinem Lkw in den Feldweg einbog - und zwar nicht einmal dann, wenn man annimmt, der Betroffene habe die Notstandslage vorsätzlich herbeigeführt. Ebensowenig wie die Reise zum Tatort schon ein vollendeter Totschlag ist, ist die Fahrt zum Ort der Ablagerung des Unrats schon ein vollendetes Ablagern."470 Aber auch wenn mit der "actio illicita" gemeint sein sollte, daß die notstandsbegründende Vorhandlung nur den Anfang der Tatausführung darstelle, sei die Konstruktion nicht richtig und zudem keine Grundlage für das behauptete Ergebnis. Die Fahrt zum Ablagerungsort sei ebensowenig bereits ein "Beginn" des Ablagerns wie etwa das Trinken ein "Beginn" der späteren Trunkenheitsfahrt: "Die einschlägigen Tatbestände sind schon im Ansatz nicht verwirklicht." Wer dies anders sehe, habe es dann mit einem widerrechtlichen "Beginn" zu tun, "der nie zu einer als rechtswidrig beurteilten Tatvollendung kommen könnte". Die These, "daß eine rechtswidrige Tat durch rechtmäßige Akte auch des Täters selbst vollendet werden kann", lasse sich jedoch ernsthaft nicht vertreten. Sie würde überdies ihre Prämisse: die Rechtmäßigkeit der Notstandstat, illusorisch machen. "Denn nur durch Vermeidung der vorgeblich rechtmäßigen Notstandshandlung könnte der Täter dann die Vollendung der rechtswidrigen Tat vermeiden." Freilich ist das Vorverhalten als solches (die zurechenbare Herbeiführung der rechtfertigenden Notstandslage) auch nach Hruschkas Auffassung ein materiell geeignetes Substrat für tatbestandliches Unrecht, wenn und weil es eine vermeidbare Gefahr schafft, in der die Verletzung eines fremden Interesses droht. Doch setze die Sanktionierung dieser Vorhandlung einen entsprechenden, nur auf die "actio praecedens" bezogenen und von der späteren Interessenverletzung unabhängigen Gefährdungstatbestand voraus, der indessen nicht existiere. Die actio-illicita-Konstruktion laufe deshalb auf den unzulässigen Versuch hinaus, das - rechtmäßig verwirklichte - Verletzungsdelikt in ein spezielles Gefährdungsdelikt umzudeuten und damit die Sanktion des Verletzungstatbestandes zu verknüpfen471 .
Dencker geht die Problematik der "actio illicita in causa" unter anderer Perspektive an. Er weist zunächst den aus der Notwf:hrdiskussion bekannten Einwand472 zurück, daß ein auf die Ermöglichung einer rechtmäßigen (Notstands-)Handlung gerichtetes Vorverhalten nicht selbst rechtswidrig sein könne. "Das Vorverhalten ist rechtswidrig, (wenn und) weil es pflichtwidrig die Gefahr eines tatbestandsmäßigen Erfolges setzt; daß zwischendurch eine ,rechtmäßige Phase' im Handeln des Täters liegt, hindert uns nicht, den unwerten Erfolg zuzu470 Vgl. auch die weiteren Beispiele Hruschkas, JR 1979, 127 1. Sp. 471 Vgl. Hruschka, JR 1979, 127 f. 472 Vgl. oben S. 41 f.
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
rechnen"473. Im Bereich der "reinen Erfolgsdelikte" sei daher gegen die Figur der"actio illicita" nichts einzuwenden. "Der Tatbestand dieser Delikte ist auch sprachlich so offen, daß er nicht mehr verlangt als einen tatbestandlichen Erfolg, der auf eine auslösende Handlung zurechenbar ist." Streiten lasse sich lediglich darüber, "welche Handlungen zur Zurechnung welcher Erfolge führen können"; insoweit gehe es aber um allgemeine Zurechnungsprobleme, nicht um Besonderheiten der "actio illicita in causa". - Ganz anders bei Tatbeständen, in denen die verbotene Handlung nicht "durch schlichte Bezugnahme auf den verpönten Erfolg" umschrieben werde. Hier sei die "actio illicita in causa" keine zulässige Methode der Unrechtsbegründung, weil die ursprüngliche Handlung nach dem "Sprachsinn" der gesetzlichen Verhaltensbeschreibung (regelmäßig) nicht vom Tatbestand des jeweiligen Delikts bzw. der Ordnungswidrigkeit erfaßt werde. über diese Schranke dürfe man sich angesichts des nulla-poena-Prinzips (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) nicht hinwegsetzen. Diese Überlegungen führen Dencker im konkreten Fall zu dem Resultat, daß die Entscheidung des BayObLG keine Zustimmung verdiene. Das Gericht, so meint Dencker, hätte allerdings Recht, "wenn der Tatbestand der §§ 4 Abs. 1, 18 Abs.1 Nr.1 AbfG als reiner Erfolgstatbestand zu verstehen wäre, etwa als ,Verursachen des Liegens von Abfällen auf dafür nicht zugelassenen Anlagen"'. Doch sei eine solche Interpretation nicht möglich. Der Begriff "Ablagern" umschreibe "Handlungen bestimmter Zweckrichtung, nicht Verursachung von Erfolgen". Vom Standpunkt des BayObLG aus müßte bereits das Befahren des Feldweges durch K unter den Tatbestand des "Ablagerns von Abfällen" subsumiert werden können - was jedoch nicht möglich sei. Man könne allenfalls an ein "unmittelbares Ansetzen zum Entleeren" im Sinne eines unbeendeten (bei § 4 AbfG freilich nicht ahndbaren) Versuchs denken; eine tatbestandsmäßige Handlung, der sich ein Erfolg zurechnen lasse, sei indes erst der beendete Versuch474 •
Dencker verteidigt dieses Ergebnis zum Schluß noch gegen einen möglichen Einwand: die Berufung auf die "Parallelkonstruktion der actio libera in causa". Dort werde zwar "auf vor der Tatbestandserfüllung liegende Elemente zurückgegriffen" und so "gewohnheitsrechtlich" gegen den Wortlaut des § 20 StGB ("bei Begehung der Tat") die Strafbarkeit begründet. Eine überschreitung der Wortlautgrenze, die im Schuldbereich in gewissem Umfang zulässig sein möge, verstoße jedoch im Bezirk des Tatbestandes - also bei der "actio illicita in causa" 473
134.
Vgl. Dencker, JuS 1979, 782, mit Beispielen. Vgl. auch oben Fußn. 131,
474 Vgl. Dencker, JuS 1979,783 mit Fußn. 42. Für die zuletzt genannte These zur Erforderlichkeit eines beendeten Versuchs weist Dencker auf Wolter, ZStW 89 (1977), S. 694 ff., hin. Siehe dazu schon oben Fußn. 258 a. E.
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eindeutig gegen das Gesetzlichkeitsprinzip (Art.103 Abs.2 GG, § 3 OWiG). Darüber hinaus zeige der Fall, daß letzlich sogar das Gebiet der Analogie verlassen werde, wenn man mit Hilfe der actio-illicitaKonstruktion einen Verstoß gegen die §§ 4 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr.1 AbfG begründen wolle. Der Tatbestand schütze die Allgemeinheit vor Gefahren, die typischerweise mit dem Ablagern von Abfällen verbunden seien, z. B. für die menschliche Gesundheit. "Dürfte man aber einen Analogieschluß ziehen, so müßte der vom Gesetz nicht erfaßte Fall einen gleichen Grad von genereller Gefährlichkeit für die Rechtsgüter aufweisen, die durch den (abstrakten Gefährdungs-)Tatbestand geschützt werden." Das Befahren des Feldweges mit dem Lastwagen habe aber nur die "Gefahr einer Gefahr" heraufbeschworen, lasse somit die typische Gefährlichkeit des Ablagerns vermissen475 • c) Der eigene Standpunkt
Die Darlegungen Hruschkas und Denckers sind hier deshalb in solcher Ausführlichkeit wiedergegeben worden, weil es sich um die bisher gründlichsten neue ren Stellungnahmen zum Problem des "verschuldeten" rechtfertigenden Notstandes handelt. Die Auseinandersetzung mit den Thesen beider Autoren - insbesondere mit ihren Erwägungen zur "actio illicita in causa" - bietet die Möglichkeit, die in dieser Untersuchung entwickelten Grundsätze im Blick auf eine interessante Fallkonstellation noch einmal zu überprüfen, zu verdeutlichen und eventuell zu ergänzen. Dabei muß, wie in der vorangegangenen Rechtsprechungskritik, zwangsläufig immer wieder der Zusammenhang mit früheren Partien der Arbeit hergestellt werden. Doch soll dies möglichst ohne extensive Wiederholungen geschehen.
aa) Das Material der Interessenabwägung Die dem Verschuldensproblem vorgeordnete Frage, welche Interessen im konkreten Fall überhaupt gegeneinander abzuwägen sind, hat nur Dencker genauer gestellt'76. Das BayObLG äußert sich dazu lediglich andeutungsweise mit dem Satz, daß K sich zum Schutz fremden Eigentums "über die Ordnungsnorm des § 4 Abs.1 AbfG als das jedenfalls im Augenblick des HandeIns geringwertigere Rechtsgut hinwegsetzen" durfte4T7 • HTUSchka geht darauf gar nicht ein. Wie wir gesehen haben, 475 Dencker, JuS 1979, 783. - Geilen stimmt dagegen in seiner Anmerkung, Jura-Kartei 9179, zu § 16 OWiG Nr. 1, dem BayObLG zu. Die Konstruktion der "actio illicita in causa" hält er offenbar nicht für grundsätzlich problematisch ("Rückdatierung der Zurechnung auf das initiale Entwicklungsstadium des Schadens"). 476 Stein I Onusseit, JA 1980, 73 ff., haben sie im Anschluß an Dencker dann wieder aufgegriffen.
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
will Dencker das - auch - auf der "Eingriffsseite" betroffene Eigentumsinteresse ausklammern, weil es im Tatbestand der maßgeblichen Ordnungswidrigkeit nicht mitgeschützt sei. Für ihn folgt aus prinzipiellen Erwägungen zur Struktur der Rechtfertigung ("Spaltung des Rechtswidrigkeitsurteils"), daß die Verletzung des Eigentums dann die Interessenabwägung nicht mitbestimmen dürfe: Das i. S. des § 16 OWiG für die Abwägung relevante "Eingriffsinteresse" (beeinträchtigte Interesse) sieht er allein in der "abstrakten Umwelt gefährdung" , verbunden mit dem Risiko nur "geringen Schadens"478. Damit ist zunächst die Frage nach dem "Rechtsgut" der §§ 4 Abs. 1, 18 Abs.1 Nr.1 AbfG angesprochen; aufgeworfen sind, darüber hinaus, aber auch weitreichende Probleme der "Interessenabwägung" und ihres zulässigen Materials. Freilich hätte Dencker bei Einbeziehung des Eigentums in den Interessenkomplex der "Eingriffsseite" - angesichts des geringen Schadens offenbar nicht anders entschieden, und wie sich noch zeigen wird, bleibt es auch unter diesem Aspekt dabei, daß K mit der Notstandshandlung "wesentlich überwiegende" Interessen schützte479 . Deshalb sind Denckers überlegungen zum Rechtsgut und zur "Teilbarkeit des Rechtswidrigkeitsurteils" für die Fallentscheidung letztlich unerheblich. Wegen ihres grundsätzlichen Anspruchs soll gleichwohl auf einige kritische Bemerkungen nicht verzichtet werden. (1) Die verletzten Rechtsgüter Man kann mit guten Gründen schon Denckers Ausgangspunkt480 , daß
§ 4 Abs. 1 AbfG nicht auch das Eigentum des von einer gesetzwidrigen
Abfallbeseitigung Betroffenen schütze, als zu einseitig anzweifeln. Sicher will die Vorschrift in erster Linie das "Wohl der Allgemeinheit" gewährleisten: Durch eine geordnete Abfallbeseitigung - regelmäßig in dafür zugelassenen Anlagen - soll den Gefahren für die "Umwelt" vorgebeugt werden, die durch willkürliches Ablagern von Unrat entstehen können481 . Hinter diesem übergreifenden Schutzzweck, der sich wesentlich auf die Garantie erträglicher ("humaner") äußerer Lebensbedingungen richtet, steht aber zugleich der Schutz wichtiger individueller Rechtsgüter482, ohne daß sich freilich das "Wohl der Allgemeinheit" in ein Bündel von Individualinteressen auflösen läßt. Doch ist 477 Vgl. oben S.137. Die Formulierung entstammt dem Beschluß des OLG Ramm, VM 1970, 87 (oben S. 128). 478 Vgl. oben S. 139. Dabei bleibt allerdings unklar, welcher Schaden gemeint ist. 479 Vgl. unten S. 149 f. 480 Ihn teilen anscheinend auch Stein / Onusseit, JA 1980, 75 f. 481 Vgl. dazu den Katalog der "Umweltelemente" in § 2 Abs. 1 AbfG. 482 § 2 Abs. 1 Nr. 1 AbfG nennt ausdrücklich die "Gesundheit der Menschen" und ihr "Wohlbefinden".
5. "Fäkalien-Fall"
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"Umweltschutz" - durch geordnete Abfallbeseitigung - substantiell immer auch Schutz der Umwelt in ihrer Funktion für den einzelnen Menschen483 • Zu den damit indirekt geschützten Rechtsgütern gehören jedoch nicht allein Leben und Gesundheit - die in diesem Zusammenhang meist genannt werden -; mittelbares "Umweltrechtsgut" ist auch das Interesse des einzelnen daran, daß andere sein Eigentum nicht durch Abladen von Unrat beeinträchtigen. Denn auch die Intaktheit von Sachwerten, ihr Schutz vor willkürlicher Inanspruchnahme zur Abfallbeseitigung, ist Bestandteil der Lebensbedingungen, welche die Qualität der "Umwelt" ausmachen434 • Gegen dieses Verständnis spricht nur scheinbar die von Dencker an sich mit Recht hervorgehobene Tatsache48s , daß der Grundstückseigentümer selbst tauglicher Täter einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 4 Abs. I, 18 Abs.1 Nr.1 AbfG ist und daß seine Einwilligung in die Ablagerung an dem entsprechenden Verstoß eines Dritten grundsätzlich nichts ändert486 • Dies liegt daran, daß sich die Zweckrichtung der Vorschriften - selbstverständlich - nicht im individuellen Eigentumsschutz erschöpft (wie ja überhaupt Individualgüter nicht verletzt oder gefährdet sein müssen), besagt indessen nichts gegen eine Deutung, die diesen Schutzzweck als Element des umfassenderen "Umweltschutzes" miteinbezieht487 • So betrachtet, kann man das Grundstückseigentum ebenfalls als mittelbar geschütztes Rechtsgut des hier in Frage stehenden Umwelt-"delikts" ansehen, mit der Folge, daß seine Beeinträchtigung bei der Interessenabwägung nicht unberücksichtigt bleiben darf488 •
483 Zur Rechtsgutsproblematik der Umweltdelikte, in deren Zusammenhang diese Andeutungen gehören, vgl. etwa Horn, SK, Bd.2, vor § 324 Rdnr.2; Lackner, vor § 324 Anm. 3; Rogall, JZ-Gesetzgebungsdienst 1980, 104; Tiedemann, Die Neuordnung des Umweltstrafrechts, S. 28 ff.; Trijjterer, Umweltstrafrecht, S. 33 ff., 70 f .. 434 In § 2 Abs. 1 Nr. 6 AbfG kommt dies dadurch zum Ausdruck, daß in das "Wohl der Allgemeinheit" die "öffentliche Sicherheit" einbezogen wird, wozu auch die Respektierung fremden Eigentums gehört. 48S Vgl. oben bei Fußn. 463. 486 Zum letzteren Fall vgl. z. B. OLG Hamm, NJW 1975, 1042 f.; siehe auch Stein / Onusseit, JA 1980, 74. 487 Nach dem mitgeteilten Sachverhalt wäre übrigens im vorliegenden Fall eine Abfallbeseitigung auf landwirtschaftlich genutztem Boden mit Zustimmung des Grundeigentümers zulässig gewesen. Offenbar lag eine entsprechende Ausnahmebewilligung nach § 4 Abs. 2, 4 AbfG vor. 488 Eine tatbestandsmäßige Sachbeschädigung i. S. des § 303 Abs. 1 StGB war im übrigen ebenfalls gegeben. Doch fehlte der zur Strafverfolgung insoweit notwendige Antrag des Eigentümers. Deshalb kam hier lediglich die Ahndung der Ordnungswidrigkeit in Betracht (§ 21 Abs.2 OWiG). Dazu Geilen, Jura-Kartei 9179, zu § 16 OWiG Nr. 1.
10 Küper
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V. Der ..verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung (2) Tatbestandsbezogene "Spaltung des Rechtswidrigkeitsurteils"
bei der Interessenabwägung?
Doch selbst wenn man Denckers abweichenden Ausgangspunkt teilt, ist damit noch keineswegs ausgemacht, daß die Eigentumsverletzung bei der Abwägung der kollidierenden Interessen auszuscheiden hat489 . Dürfen auf dieser Ebene wirklich nur solche Interessen als "beeinträchtigt" i. S. der §§ 34 StGB, 16 OWiG anerkannt werden, die im Tatbestand der jeweiligen Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit geschützt sind? Wenn Dencker meint, daß dies ein nachgerade als selbstverständlich empfundener Grundsatz der Rechtfertigung sei490 , so irrt er zunächst in diesem Punkt. Denn es ist in der Literatur verschiedentlich betont worden, daß sich die Interessenabwägung nicht auf eine "modifizierte Güterabwägung unter dem Gesichtspunkt der geringeren oder größeren Schutzwürdigkeit der kollidierenden Güter" beschränke, sondern daß z. B. auch die "Mißachtung fremder Autonomie" mitzureflektieren und die Notstandstat überhaupt "in ihrer Bedeutung für die Rechtsordnung im ganzen" zu sehen sei491 . Es liegt in der Konsequenz solcher komplexen Gesamtbeurteilung, daß die für die Abwägung maßgebliche "Eingriffsseite" der Notstandshandlung über das tatbestandlich geschützte Interesse hinaus erweitert wird. So kommt es nach Blei darauf an, neben der "primären Rechtsgutsverletzung" auch die "begleitende" Beeinträchtigung eines anderen Interesses zu erfassen, wozu er bemerkt, daß diese "bei der gebotenen Abwägung aller Umstände geradezu die Führung übernehmen kann"492. Und bei Lendmer heißt es, noch deutlicher, ausdrücklich: "Unrichtig wäre es auch, würde man nur auf die unmittelbar an dem Konflikt beteiligten Güter abstellen. Die Güterwelt des einzelnen ist vielfach so beschaffen, daß durch die Beeinträchtigung des einen Gutes mittelbar auch andere rechtlich geschützte Interessen in Mitleidenschaft gezogen werden. Vom ungestörten Besitz eines billigen Medikaments kann die Gesundheit, von der Wahrung des Briefgeheimnisses der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens abhängen ... Bei dieser Art der Interessenverknüpfung, die je nach den individuellen Verhältnissen verschieden sein kann, ist es selbstverständlich 0), daß die drohende Gefahr und der erforderliche 489 Gähler, OWiG, § 16 Rdnr. 7, scheint im vorliegenden Fall den "geringen Schaden" für den ..Eigentümer des Grundstücks" sogar als letztlich entscheidenden Abwägungsfaktor anzusehen. 490 Vgl. oben S. 138 f. 491 Vgl. Schänke / Schräder / Lenckner, § 34 Rdnr. 36 ff., mit weit. Hinweisen. - Daß diese Aspekte z. T. der Angemessenheitsklausel zugeordnet werden, interessiert in diesem Zusammenhang nicht. Auch wenn man so verfährt, handelt es sich um Faktoren der ..Eingriffsseite" , die für die Bejahung oder Verneinung des Unrechts ausschlusses entscheidend ins Gewicht fallen. 492 Vgl. Blei, Strafrecht, Allg. Teil, S. 151.
5. "Fäkalien-Fall"
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Eingriff auch in ihren ,Fernwirkungen' gesehen werden. Je bedeutsamer die sonstigen Interessen sind, die von der Integrität des unmittelbar betroffenen Guts abhängen, um so schutzwürdiger ist auch dieses selbst."493 Für ebenso selbstverständlich hält es Lenckner, bei Fällen, in denen "mit der Beeinträchtigung von Gütern der Allgemeinheit oder des Staates mittelbar zugleich Individualinteressen berührt werden, auch diese zu berücksichtigen"494. Eine solche "tatbestandsübergreifende" Interessenbewertung verdient gegenüber dem engeren Ansatz Denckers aus mehreren Gründen den Vorzug. Für sie spricht bereits die Grundstruktur der Kollisionslage, die den "Notstand" ausmacht. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß auf der "Erhaltungsseite" kein Rechtsgut vorzuliegen braucht, dessen Integrität in einem Strajtatbestand495 garantiert wird: "Es genügt vielmehr jedes rechtlich geschützte Interesse, gleichgültig, von welchem Teil der Rechtsordnung es diesen Schutz erfährt."496 Kommt es jedoch in dieser Hinsicht auf die "Vertatbestandlichung" überhaupt nicht an, so ist schwer einzusehen, daß sich das substantielle Gewicht des Eingriffs ausschließlich nach dem Schutzgut des jeweiligen Tatbestandes richten so1l497. Daß eine solche Beschränkung nicht sachgerecht wäre, sondern auch die "Verknüpfung" der primären Rechtsgutsverletzung mit der Beeinträchtigung anderer Interessen in die Abwägung einzubeziehen ist, mag ein Beispiel verdeutlichen. Es ist heute anerkannt, daß das Interesse an der Erhaltung der in einem Betrieb vorhandenen 493 Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 100. Schänke / Schräder / Lenckner, § 34 Rdnr.25 (in Rdnr.23 stimmt Lenckner neuerdings Dencker zu). - Die Entscheidung BGH, GA 1955, 178, ist ein instruktives Beispiel für eine solche tatbestandsübergreifende "Interessenverknüpfung". Der Täter hatte vor einem sowjetzonalen Gericht einen Meineid zu Lasten einer politisch mißliebigen Person geleistet, die dadurch in Leibes- oder Lebensgefahr geraten war; er berief sich darauf, daß eine wahrheitsgemäße Aussage für ihn selbst eine gleichartige Gefahrenlage geschaffen hätte. Der BGH bezieht in die Abwägung zwischen den "Erhaltungsgütern" (Körperintegrität, Leben) und dem "Eingriffsgut" (Rechtspflege) auch die konkreten Auswirkungen ein, die der Meineid für den im Strafverfahren Belasteten hatte. Auf diese Weise gelangt der BGH zur Gleichwertigkeit richtiger wohl: Höherwertigkeit - der verletzten Interessen. Vgl. auch BGH, MDR 1979, 1039. 495 Bzw. Bußgeldtatbestand. 496 Vgl. Schänke / Schräder / Lenckner, § 34 Rdnr.9. Vgl. auch Hirsch, LK, 9. Aufl. 1974, vor § 51 Rdnr. 55; Küper, JZ 1976, 516. Zum früheren, heute bedeutungslosen Streit darüber, ob im Notstand nur bestimmte Rechtsgüter geschützt werden dürfen, vgl. etwa Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 98 ff.; Maurach, Kritik der Notstandslehre, S. 104 ff., jeweils mit weit. Hinweisen. 497 Nach dem es sich freilich auch (und in erster Linie) richtet. Zur Konkretisierung und Schwerebestimmung tatbestandsmäßiger Rechtsgutsverletzungen, die vor allem in der Strafzumessung eine Rolle spielt, vgl. neuerdings Hettinger, Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen, S. 88 ff., 111 ff. 494
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
Arbeitsplätze ein "notstandsfähiges" Rechtsgut darstellt498 . Nimmt man nun z. B. an, daß ein Unternehmer zum Schutz dieses Interesses einen Konkurrenten betrügerisch derart schädigt, daß dieser zur Entlassung von Arbeitnehmern gezwungen ist, so wäre es ein höchst unbefriedigendes Abwägungsverfahren, wenn man dem "Erhaltungsgut" auf der "Eingriffsseite" lediglich das Ausmaß des Vermögensschadens, nicht aber auch dessen Auswirkungen auf den - in § 263 StGB nicht geschützten - Bestand an Arbeitsplätzen gegenüberstellen würde. Die Kritik an Denckers Verständnis der Interessenabwägung kann sich jedoch nicht nur auf derartige Überlegungen zur "Ausgewogenheit" der Beurteilungskriterien stützen; sie hat einen weiteren, grundsätzlichen Aspekt. Die (aggressive) Notstandstat verletzt nicht bloß ein tatbestandlich geschütztes Gut des einzelnen oder der Allgemeinheit; als eigenmächtige Inanspruchnahme fremder Solidarität - durch "Abwälzung" drohenden Schadens in eine unbeteiligte, rechtlich garantierte Schutzsphäre - stört sie zugleich die reguläre Ordnung der Verhältnisse: den "Rechtsfrieden"499. Der Täter maßt sich, um eine Gefahr für ein Rechtsgut abzuwenden, die er selbst oder der jeweilige Rechtsgutsinhaber normalerweise ertragen müßte SOO , gleichsam einen partikulären Sonderstatus "außerhalb" dieser Ordnung an, der (zur generellen Handlungsmaxime verallgemeinert) ihre Geltung in Frage stellt. Diese im punktuellen Konflikt der "Güter" allein nicht faßbare Dimension des Notstandes bestimmt nicht nur den Maßstab für das "wesentlich überwiegende" Interesse - wovon an früherer Stelle schon die Rede warSOl - , sondern auch die Basis und das Material der Abwägungsentscheidung: Weil die Notstandshandlung über die Verletzung strafrechtlich geschützter "Güter" hinaus die Ordnungs- und Friedensfunktion des Rechts überhaupt berührt, ist eine Rechtfertigung nur vertretbar, wenn die Erhaltung des gefährdeten Gutes den "Gesamtschaden" aufwiegt, der mit der Verletzung eines fremden Rechtsguts unmittelbar oder mittelbar verbunden ist. Auch aus diesem Grund ist es geboten, die Abwägung auf alle schutzwürdigen Interessen zu erstrecken, in die der Notstandstäter eingreiftS02 • - Hinzu kommt schließlich, daß sich 498 Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1975, 723; OLG Hamm, NJW 1952, 838; OLG Köln, NJW 1953, 1844; BayObLG, NJW 1956, 1602; StA Mannheim, NJW 1976, 586 mit Anmerkung von Wernicke, NJW 1956, 1233; Schönke / Schröder / Lenckner, § 34 Rdnr. 9. 499 Dazu schon oben Fußn. 357 sowie die Hinweise bei Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, S. 93 Fußn. 221. Vgl. auch Noll, ZStW 77 (1965), S. 9 f. 500 Vgl. dazu oben Fußn. 66. SOl Vgl. oben bei Fußn. 354,355. S02 In der Sache übereinstimmend Stein / Onusseit, die dieser Frage unter einem anderen Aspekt scharfsinnige Bemerkungen gewidmet haben (JAübungsblätter 1980, 73 ff.): Nehme der Täter eine Notstandshandlung vor, die
5. "Fäkalien-Fall"
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gerade bei der Beeinträchtigung von Universal gütern - wie z. B. der Rechtspflege - eine Abwägung sinnvoll oft nur vornehmen läßt, wenn auch die Interessen der konkret Betroffenen mitberücksichtigt werden503 • (3) Zwischenergebnis Gegen die von Dencker vorgeschlagene "Spaltung der Rechtswidrigkeitsbeurteilung" ist daher Widerspruch zu erheben504 • Dabei ist seine Feststellung, daß es beim Notstand (wie bei den Rechtfertigungsgründen allgemein) stets um den Ausschluß des tatbestandsmä[Jigen Unrechts und nicht um die Rechtfertigung einer "ganzheitlich-natürlichen" Handlung geht, an sich durchaus zutreffend; sie trägt jedoch die Folgerungen nicht, die er daraus ableitet. In jener Alternative, wie Dencker sie versteht, steckt die Verwechslung von Abwägungsanlaß (bzw. Abwägungsziel) und Abwägungsmaterial: Die Frage der Notstandsrechtfertigung kann - im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht - nur auftauchen, wenn der Täter ein Rechtsgut verletzt, das in einem Tatbestand geschützt ist (Abwägungsanlaß); Abwägungsziel ist mehrere tatbestandlich geschützte Güter beeinträchtige, so sei es nicht akzep-
tabel, dem Erhaltungsinteresse die jeweilige Verletzung isoliert gegenüberzustellen. Denn eine solche Spaltung des Schadens führe unter Umständen dazu, "daß alle Tatbestandsverwirklichungen gerechtfertigt sind, obwohl diese in ihrer Summe von dem geschützten Interesse nicht mehr wesentlich überwogen werden", der Täter also insgesamt mehr Schaden als Nutzen stifte. Das ist zutreffend, läßt sich aber mit dieser formalen überlegung noch nicht hinreichend begründen. - Die Autoren wollen im übrigen auf der "Eingriffsseite" nur diejenigen Interessen berücksichtigen, die "durch die insgesamt mildeste Handlung beeinträchtigt würden". D. h.: Aus dem für die Abwägung maßgeblichen "Gesamtschaden" soll eine mit der Notstandstat verbundene, aber zur Gefahrabwendung nicht erforderliche, "zusätzliche" Verletzung ausgeklammert werden, so daß sie die Rechtfertigung der erforderlichen Tat nicht hindern kann. Diese Sonderfrage ist hier nicht zu entscheiden. 503 Vgl. dazu BGH, GA 1955, 178 (oben S. 147 Fußn.494). S04 Die unter diesem Stichwort sonst erörterte, auch von Dencker indirekt in Bezug genommene (JuS 1979, 780 Fußn. 2) Frage, ob die Notwehr eine mit der Verteidigung verbundene Verletzung von Rechtsgütern unbeteiligter Dritter rechtfertigen kann, liegt auf einer anderen Ebene und ist mit unserem Problem nicht vergleichbar. Dort ist die "gespaltene" Bewertung eines einheitlichen Verhaltens, nämlich teils nach Notwehr-, teils nach Notstandsprinzipien, deswegen geboten, weil für den zulässigen Eingriff in den Interessenkreis eines Unbeteiligten strengere Anforderungen gelten müssen als für die "erforderliche Verteidigung" gegen den Angreifer: eben die Anforderungen des § 34 StGB, für deren Inhalt sich aus solcher "Spaltung" indessen nichts ergibt. Zu diesem Fragenkreis eingehend Widmaier, JuS 1970, 611 ff. Auch die "Teilbarkeit" (Tatbestandsbezogenheit) des Unrechtsbewußtseins, auf die Dencker anspielt, gehört in einen anderen Kontext: Daß das in § 17 StGB gemeinte Unrechtsbewußtsein nicht unspezifisch-tatbestandsindifferent verstanden werden darf, folgt aus der Begrenzung des Schuldvorwurfs auf die jeweilige tatbestandsmäßig-widerrechtliche Handlung, besagt aber nichts gegen die im Text erörterte "Erweiterung" des für die Rechtfertigung maßgeblichen Abwägungsmaterials.
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
die positive oder negative Antwort darauf, ob die Rechtsordnung dieses
tatbestandliche Unrecht ausnahmsweise, um der Erhaltung eines ande-
ren Gutes willen, tolerieren kann; zum Abwägungsmaterial gehören dann aber - aus den dargelegten Gründen - alle rechtlich schutzwürdigen Interessen, die auf der "Eingriffs-" (und "Erhaltungs"-)seite im Spiel sind (was mit "ganzheitlich-natürlicher" Betrachtung nichts zu tun hat, sondern aus normativen Erwägungen folgt). Anders gesagt: Die Interessenabwägung ist nicht nur in den Grenzen der Güterkollision zulässig, die als "strafrechtlicher Notstand" Anlaß dazu gibt, die kollidierenden Interessen mit dem Ziel der Ermittlung des "wesentlich überwiegenden Wertes" gegeneinander abzuwägen! (4) Konsequenzen für die Fallbeurteilung Für unseren Fall sind alle diese grundsätzlichen Betrachtungen freilich nicht von praktischer Bedeutung, weil auch die Einbeziehung des verletzten Eigentums die Beurteilung letztlich nicht ändert50s • Denn ob man nun dem von K mit der Notstandshandlung geschützten Sachwert lediglich die Umweltbeeinträchtigung - einschließlich der Schädigung des "Bodens" (§ 2 Abs. 1 Nr.3 AbfG) - oder zusätzlich die Verletzung des Grundeigentums gegenüberstellt: stets ergibt sich auf der Eingriffsseite ein nur minimaler Schaden, der im Vergleich mit der drohenden Beeinträchtigung des wertvollen Fahrzeugs als "unverhältnismäßig gering" eingeschätzt werden kann506 • Bei "Gegenwärtigkeit" der Gefahr und "Erforderlichkeit" des Eingriffs (§ 16 OWiG) muß außerdem vorausgesetzt werden, daß der Lkw kurze Zeit später umgestürzt wäre, sich also ohnehin "von selbst" entladen und das Grundstück mit Fäkalien verschmutzt hätte. Das Verhalten des K hat damit den Eintritt eines im Tatzeitpunkt bereits unvermeidlichen Schadens lediglich beschleunigt. Auch dieser Umstand fällt zu Lasten des "Eingriffsinteresses" ins Gewicht507 • Anders anscheinend Stein I Onusseit, JA 1980, 76. Bei dem betroffenen Grundstück handelte es sich ja um landwirtschaftlich genutzten Boden, dem eine sozusagen "oktroyierte Düngung" offenbar nicht erheblich schaden konnte. Dabei wird man auch das erfolgreiche Bemühen des K um Schadensminderung, das unmittelbar nach dem Abladen einsetzte (vgl. oben S. 136 f.) und noch als Bestandteil der Notstandshandlung angesehen werden kann, in die Beurteilung einbeziehen müssen; dies jedenfalls dann, wenn K schon beim Entleeren der Fäkalien mit dieser Intention handelte. - Zur "Unverhältnismäßigkeit" vgl. schon oben S. 106. 507 Vgl. zu dieser Variante der "Gefahrengemeinschaft" bei Kollision materieller Güter schon Henkel, Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht, S. 93; ferner Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 101: "Befinden sich die kollidierenden Güter in einer Gefahrengemeinschaft derart, daß das eine ohnehin endgültig verloren ist, während das andere auf Kosten des ersteren noch gerettet werden könnte, so wirkt sich dies gleichfalls in ihrer unterschiedlichen Schutzwürdigkeit aus." - Dazu, daß dieser Grundsatz aller505 506
5. "Fäkalien-Fall"
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bb) Die Bedeutung des Nothelfer-Verschuldens für die Interessenabwägung (1) Der Ausgangspunkt
Daß in der weiteren Frage, ob sich auch das Vorverhalten des Notstandstäters auf die Interessenabwägung auswirken kann, Denckers Auffassung508 grundsätzlich zugestimmt werden muß, hat sich im Verlauf dieser Untersuchung bereits gezeigt. Die Gründe dafür sind an früherer Stelle - in Auseinandersetzung mit Hruschka - eingehend dargelegt worden und brauchen hier nicht wiederholt zu werden509 • Wäre K selbst Eigentümer des Fahrzeugs gewesen, das er vor Schaden bewahrt hat, so bedürfte es daher sicherlich genauerer Prüfung, welche Bedeutung der Tatsache, daß er die Notstandssituation hätte erkennen und vermeiden können (vielleicht die Gefahr sogar erkannte)510, für die Schutzwürdigkeit seiner Interessen zukommt511 . Nun war K allerdings Nothelfer, der "altruistisch" zugunsten des Lkw-Eigentümers U handelte. Für solche Konstellationen ist in dieser Arbeit bisher die Auffassung vertreten worden, daß das Verschulden des Täters bei der Abwägung außer Betracht zu bleiben hat512 - eine Maxime, die auch Dencker als Prinzip anerkennt513 . Doch meint er, daß unser Sachverhalt zu einer Gruppe von Ausnahmefällen gehöre, in denen man auch die schuldhafte Vorhandlung eines Nothelfers dem Träger des gefahrbedrohten Interesses "zurechnen" könne. Dencker begründet diese Abweichung vom Grundsatz damit, daß U dem K als seiner Hilfsperson "Vermögensinteressen übertragen"514 - ihm den wertvollen Lkw anvertraut - habe und deshalb mit den "wirtschaftlichen Auswirkungen" dieser Disposition belastet werden müsse, wenn der Beauftragte das Vermögensobjekt schuldhaft in Notstandsgefahr bringe. Im konkreten Fall soll dieser Umstand freilich das Ergebnis, die Rechtfertigung der nur geringfügig schädlichen Gefahrenabwehr, nicht beeinflussen können.
dings für Tötungshandlungen nicht gilt, zuletzt eingehend Küper, JuS 1981, 785 ff. 508 Vgl. oben bei Fußn. 464. 509 Vgl. oben S. 18 ff., 32 ff. - Vgl. auch oben S. 96 f., 119 ff. Zu Denckers eigener Argumentation siehe schon oben Fußn. 68. 510 Vgl. oben S. 137. S11 Vgl. oben S. 25 ff., 32 f. 512 Vgl. oben S. 108 ff. 513 Vgl. oben bei Fußn. 464 sowie Fußn. 371. 514 In diesem Zusammenhang spricht Dencker auch von der Beauftragung "mit der Wahrnehmung von Vermögensfürsorgepflichten" .
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung (2) Perspektiven des Problems
Dencker ist gewiß zuzugeben, daß man auch im Problemkreis des Nothelfer-Verschuldens über die Frage der "Haftung" für fremde Vorhandlungen nachdenken muß. Denn es gibt offenbar Fälle, in denen der Nothelfer bei der Abwägung nicht - wie normalerweise - als "neutraler Dritter" behandelt werden kann, dessen notstandsbegründendes Vorverhalten den Träger des geschützten Rechtsgutes "nichts angeht" und auf die Wertigkeit des Erhaltungsinteresses keinen Einfluß hat: Situationen also, die unabhängig von der rechtlichen Zuordnung des gefahrbedrohten Gutes eine Zurechnung fremden Verschuldens "zur Erhaltungsseite" nahelegen. Das Problem stellt sich vor allem dann, wenn der (spätere) Nothelfer bei der Veranlassung der Kollisionslage als Hilfsperson im Interessenkreis des Rechtsgutsinhabers handelt, gleichsam in dessen "Lager" steht. Der Fragenkomplex ist gänzlich ungeklärt und muß mit aller Vorsicht sondiert werden, die voreilige Schlußfolgerungen vermeidet.
Zu weit dürfte es jedenfalls gehen, eine Zurechnung des "Personalrisikos" mit Dencker bereits darauf zu stützen, daß der Inhaber eines Betriebes seinem Untergebenen ein Vermögensobjekt anvertraut und dieser das Objekt dann - bei seiner Tätigkeit für den Unternehmerin Gefahr gebracht hat. Die überantwortung des Vermögensgegenstandes begründet lediglich Pflichten im Innenverhältnis zwischen Hilfsperson und Geschäftsherrn, die sich auf die Integrität des anvertrauten Objekts richten. Verletzt der Untergebene diese Pflichten, indem er das fremde Eigentum einer vermeidbaren Gefahr aussetzt, so ergibt sich daraus noch keine - für die Abwägung relevante - besondere Verantwortung des Unternehmers im Außenverhältnis: gegenüber Rechtsgütern Dritter, die zur Erhaltung des gefährdeten Vermögensobjekts beeinträchtigt werden müssen. Der von Dencker ferner erwähnte, vom BGH in einem speziellen Zusammenhang ausgesprochene Grundsatz, daß jedermann die wirtschaftlichen Auswirkungen seiner eigenen Dispositionen selbst tragen müsse 515 , bezieht sich allerdings auf das "Außenverhältnis" . Doch meint er nach seinem Kontext nicht die unternehmerische "Dispositon", die in dem Einsatz von Hilfspersonen für betriebliche Zwecke besteht; er hat vielmehr einen ganz anderen, für unsere Fragestellung unergiebigen Sinn: Wer sich selbst in finanzielle Schwierigkeiten gebracht habe, müsse grundsätzlich dieses Risiko allein tragen und dürfe es nicht auf Unbeteiligte abwälzen516 • Vgl. oben S. 140. Vgl. oben S. 102. - Das ist in anderer Fassung der schon von Graf zu Dohna formulierte Satz von der prinzipiellen "Eigenverantwortlichkeit" des in Not Geratenen; vgl. oben Fußn. 66, mit weit. Hinweisen. 515 516
5. "Fäkalien-Fall"
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Auch das zivil rechtliche Modell der Haftung für das Verschulden von "Erfüllungsgehilfen" (§ 278 BGB), das Dencker anscheinend vorschwebt, ist als Zurechnungs grundlage schwerlich geeignet. Der "Geschäftsherr" des Erfüllungsgehilfen steht als "Schuldner" in einem rechtlichen Sonderverhältnis zum Betroffenen, seinem "Gläubiger". Bei einem von der Hilfsperson verschuldeten Notstand schafft indessen erst die Kollisionslage eine konkrete Beziehung zu der in Anspruch genommenen Gütersphäre, einen Konnex, der zudem mit einem "Schuldverhältnis" nicht vergleichbar ist, weil er nur die "allgemeine Rechtspflicht" (neminem laede) und ihre aktuelle Verbindlichkeit betrifffi l7 . Von hier aus könnte man eher an das Haftungsmodell des § 831 BGB denken, das freilich wegen der sehr weitgehenden - auch im Zivilrecht als problematisch empfundenen - Entlastungsmöglichkeiten, die es dem Geschäftsherrn einräumt, ebenfalls nicht befriedigt. Beide Modelle sind außerdem auf Situationen zugeschnitten, in denen der Verrichtung!" oder Erfüllungsgehilfe Dritten gegenüber pflichtwidrig handelt. In un· serem Zusammenhang geht es jedoch darum, ob das Handeln der Hilfsperson als "negative Vorzugstendenz" zum Material der Interessenabwägung gehört, die über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Notstandstat allererst entscheidet. Die "Gehilfenhaftung" im Notstandsbereich enthält ersichtlich spezielle und eigenartige Probleme, denen mit zivilrechtlichen Analogien nicht beizukommen ist. (3) Der Lösungsansatz Ansatzpunkt der überlegungen wird daher die Frage sein müssen, wann das Vorverhalten der Hilfsperson ("Gefahr-" oder "Notstandsverschulden"518) zugleich für den Träger des Erhaltungsinteresses eine erhöhte soziale Verantwortung 519 gegenüber dem Eingriffsgut begründet, die es gestattet, fremdes Verschulden dem eigenen derart gleichzustellen, daß der Betriebsinhaber (Eigentümer) das Handeln des Untergebenen gegen sich gelten lassen muß. Dies dürfte nur möglich sein, wenn man den Nothelfer gerade unter dem Aspekt jener besonderen Verantwortung, die durch die schuldhafte Herbeiführung der Gefahr oder des Notstandes ausgelöst wird, als "Repräsentanten" und "Pflichtenvertreter" (Alter Ego) des Unternehmers ansehen kann. Das bedeutet aber, daß dieser der Hilfsperson nicht nur das gefährdete Vermögensobjekt, sondern auch die Kompetenz anvertraut haben muß, es bei der betrieblichen Tätigkeit eventuell in (Notstands-)Gefahr zu brin517 Zivil rechtlich entsteht denn auch ein "Schuldverhältnis", auf dessen Grundlage nach § 278 BGB gehaftet wird, erst durch die Verletzung der allgemeinen Rechtspflicht. 518 Vgl. oben S. 20, 25 ff., 32 f. 519 Vgl. oben S. 26 f., 32 f.
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
gen. Verhält es sich so, dann kann sich der Unternehmer gerechterweise nicht damit entlasten, daß er selbst die Gefahr (bzw. den Notstand) nicht schuldhaft herbeigeführt hat. Da das Vorverhalten des Untergebenen in den ihm übertragenen Aufgabenkreis fällt, trägt der Unternehmer dafür ebenso die Verantwortung, wie wenn er in eigener Person gehandelt hätte. Eine solche Delegation der "Gefährdungskompetenz" wird freilich in der Regel schon deshalb nicht angenommen werden können, weil ihr im allgemeinen die Pflicht der Hilfsperson zum sorgfältigen Umgang mit dem anvertrauten Objekt entgegensteht. Anders ist die Lage jedoch, wenn die Eingehung von Risiken für den Vermögensgegenstand zum typischen Inhalt der Aufgaben gehört, die der Untergebene im Interesse des Betriebes wahrnimmt. Denkbar ist auch, daß der Unternehmer der Hilfsperson ausdrücklich oder stillschweigend - etwa durch Duldung - eine derart riskante Tätigkeit überträgt. Im vorliegenden Fall haben wir indessen keine Anhaltspunkte dafür, daß es noch zum Aufgabenkreis des K gehörte, mit dem beladenen Lkw auch unbefestigte Feldwege zu befahren, die dafür erkennbar ungeeignet waren. Deshalb wird man dem U dieses Verhalten seiner Hilfsperson nicht zurechnen können.
cc) Zur Frage der "actio illicita in causa" War die eigentliche Notstandstat damit gerechtfertigt, so gewinnt die Frage entscheidende Bedeutung, ob man an ein rechtswidrig-schuldhaftes Vorverhalten des K anknüpfen und daraus eine Zuwiderhandlung gegen die §§ 4 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 1 AbfG herleiten kann ("actio illicita in causa"). Nach dem Sachverhalt, den das BayObLG seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat, steht nicht einmal fest, daß K die Gefahr, in die er das Fahrzeug durch die Benutzung des ungeeigneten Feldweges brachte, als möglich erkannte52o. Außerdem ist nicht erwiesen, daß K bewußt auf das Risiko hin handelte, zur Gefahrabwendung das Fahrzeug eventuell entleeren und dadurch fremde Interessen - Umwelt und Grundeigentum - beeinträchtigen zu müssen. Mit Recht hat deshalb das BayObLG eine vorsätzliche Zuwiderhandlung abgelehnt und lediglich einen fahrlässigen Verstoß gegen § 18 Abs.1 Nr.l AbfG in Betracht gezogen. Die Fahrlässigkeit wird in der Entscheidung auf der Grundlage der vorangegangenen Darlegungen zur "actio illicita in causa" und im Anschluß an die amtsrichterlichen Feststellungen mit der Begründung bejaht, K habe sich beim Befahren des Weges "darüber im klaren sein müssen, daß er mit dem Lkw nach rechts zum Graben abrutschen und dann zur Entleerung des Fahrzeugs an einem nicht zugelassenen Ort gezwungen sein konnte"521. Mit diesem an sich 520 Vgl. oben S. 136 f. 521 Vgl. oben S. 137 f.
5. "Fäkalien-Fall"
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zutreffenden Befund steht man jedoch, wie die Kritik Hruschkas und Denckers gezeigt hat, erst am Anfang der actio-illicita-Probleme, die der Fall aufwirft. Verschiedene Fragen müssen insoweit auseinandergehalten werden. (1) Die fahrlässige "actio illicita" als Tatbestandsproblem Es versteht sich zunächst, daß die Vorhandlung als solche - das Befahren des Feldweges - den Tatbestand des § 18 Abs. 1 AbfG noch nicht "erfüllt" (voll verwirklicht). Dies gilt sogar unter der hypothetischen Voraussetzung, daß es möglich ist, jenes Vorverhalten dem Begriff des "Ablagerns" zu subsumieren. Denn selbst wenn man so verfährt, also bereits den Transport der Fäkalien mit dem Ziel der Beseitigung als "Ablagerungs"-handlung betrachtet, fehlt in diesem Stadium des Geschehens der für die volle Tatbestandsverwirklichung notwendige Erfolg, der im "Ablagern" ebenfalls beschrieben ist; § 18 Abs. 1 Nr.1 AbfG ist in dieser Beziehung ein Erfolgsdelikt522. Hruschka hat daher ganz Recht, wenn er sagt, daß die Fahrt zur Ablagerungsstelle ebenso wenig ein "vollendetes Ablagern" sei, wie die Reise zum Tatort ein "vollendeter Totschlag"523. Nun ist allerdings der Ablagerungs-Erfolg später eingetreten: unmittelbar bewirkt durch die rechtmäßige Notstandshandlung, verursacht aber auch durch das Befahren des Feldweges. Das Problem besteht deshalb darin, ob dieser Erfolg auf ein fahrlässig-tatbestandsmäßiges Vorverhalten des K zurückgeführt (zugerechnet) und so eine - vollendete - Fahrlässigkeitstat begründet werden kann524. Dabei bereitet der materiale Aspekt der "vorverlegten" Fahrlässigkeit, die Verletzung der Sorgfaltspflicht durch Herbeiführung des Notstandes525 , offenbar keine nennenswerten Schwierigkeiten; in diesem Punkt sind denn auch die Ausführungen des BayObLG nicht zu beanstanden. Es leuchtet ein, daß sich K in bezug auf den Erfolgseintritt fahrlässig verhielt, als er den Feldw€g befuhr, obwohl er erkennen konnte, daß er in der Folge zur ordnungswidrigen Abfallbeseitigung gezwungen sein werde. Die dogmatischen Friktionen entstehen erst beim "Einbau" dieser sachlichen Sorgfaltswidrigkeit in das Tatbestandsgefüge des fahrlässigen Vollendungsdelikts überhaupt und der Ordnungswidrigkeit des § 18 Abs. 1 Nr. 1 AbfG insbesondere.
Hruschka und Dencker stimmen aus unterschiedlichen Gründen darin überein, daß diese Einfügung in den Tatbestand nicht möglich sei. Ihre Bedenken richten sich allerdings z. T. gegen die Annahme einer 522 Vgl. Sack, Umweltschutz-Strafrecht, § 16 AbfG Rdnr. 21; Horn, SK, Bd. 2, Dencker, JuS 1979,783. 523 Vgl. oben bei Fußn. 470. 524 Vgl. dazu schon oben S. 47 ff. 525 Vgl. oben S. 55 ff.
§ 326 Rdnr. 10. Vgl. auch
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
- hier nicht in Betracht kommenden - vorsätzlichen "actio illicita in causa"; insoweit treffen sie die Fahrlässigkeitsvariante dieser Konstruktion nicht. Dies gilt einmal für Hruschkas überlegung, daß die notstandsbegründende Vorhandlung noch kein "Anfang der Tatausführung" , die Fahrt zum Ablagerungsort noch kein "Beginn" des Ablagerns sei526 • Es gilt aber ebenso für Denckers im Ausgangspunkt entgegengesetzte Erwägung, daß das Befahren des Feldweges allenfalls einen unbeendeten (straflosen) Ablagerungsversuch darstelle, der als Basis tatbestandlicher Erfolgszurechnung nicht geeignet seiS27• Wie früher schon gezeigt wurde, ist die Herbeiführung der Notstandslage in der Tat noch keine vorsätzliche Tatbestandshandlung, nicht einmal bei den reinen Erfolgsdelikten, sondern tatbestandslose Vorbereitung der späteren "Begehung": Erst das "unmittelbare Ansetzen" - das in unserem Fall vor Eintritt der Notstandssituation nicht vorlag - markiert den "Beginn" des tatbestandsmäßigen Verhaltens528 • Da aber die Fahrlässigkeitsdelikte diese Tatbestandsschranke nicht kennen529 (und bei ihnen auch das Problem nicht auftritt, ob man den unbeendeten Versuch mit dem zurechenbaren Erfolg zur vollendeten Tat kombinieren kann), gehen alle "versuchsbezogenen" Einwände an der Problematik der fahrlässigen "actio illicita" vorbei. (2) "Actio illicita in causa" und Struktur des Fahrlässigkeitstatbestandes
Hruschkas und Denckers überlegungen zum "Beginn des Ablagerns" enthalten freilich einen Hinweis, der auch für die fahrlässige "actio illicita in causa" von Bedeutung ist. Er wird von Dencker mit der Bemerkung verdeutlicht, daß sich das Befahren des Feldweges nicht unter das Merkmal "Ablagern von Abfällen" subsumieren lasse, weil für das "Ablagern" eine Handlung "bestimmter Zweckrichtung" erforderlich sei und die bloße Verursachung eines Erfolges nicht genüge530 • Damit ist die Frage angesprochen, ob der Fahrlässigkeitstatbestand der §§ 4 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 1 AbfG - über die Erfolgszurechnung hinaus im Begriff des "Ablagerns" zugleich eine spezifische Begehungsmodalität umschreibt, die durch das Vorverhalten (Fahrt zum Ablagerungsort) noch nicht verwirklicht wird, sondern nur auf die unmittelbare Beseitigungshandlung (Entladen des Fahrzeugs) zutrifft531 ; insofern besteht eine Parallele zum Problem des Ausführungsbeginns bei der vor526
511 528 529
530 531
Vgl. oben S. 14l. Vgl. oben bei Fußn. 474. Vgl. oben S. 70 ff. und passim. Vgl. oben S. 50 ff., 66 ff. Vgl. oben S. 141 f. Zum grundsätzlichen Problem vgl. schon oben S. 50 ff.
5. "Fäkalien-Fall"
157
sätzlichen "actio illicita in causa". Entscheidet man sich mit Dencker für diese Interpretation des "Ablagerns", auf die noch zurückzukommen sein wird, dann ist das Ergebnis evident: Selbst wenn der Ablagerungserfolg an sich zur fahrlässigen Vorhandlung zugerechnet werden kann, fehlt für die Anwendung des gesetzlichen Fahrlässigkeitstatbestandes die notwendige modale Verhaltenskomponente; sie ist erst bei der vorsätzlichen - gerechtfertigten - "Ablagerung" am Ort der Abfallbeseitigung gegeben, nicht aber schon bei der Veranlassung der Notstandslage durch Befahren des Feldweges. Dieses Tatbestandsmanko kann, wie Dencker zutreffend dargelegt hat und an früherer Stelle dieser Untersuchung näher begründet worden isP32, auch durch eine "Analogie" zur fahrlässigen "actio libera in causa" nicht überbrückt werden; sonst gerät man in Widerspruch zum nullum-crimen-Prinzip (Art. 103 Abs.2 GG, § 3 OWiG). Die von Dencker verneinte Frage, ob sich eine solche Analogie, wäre sie rechtsstaatlich zulässig, methodisch überhaupt begründen ließe533 , stellt sich daher gar nicht534 . Die Beurteilung ändert sich, wenn man davon ausgeht, daß § 18 Abs.1 Nr.1 AbfG jedenfalls in der Variante des "Ablagerns" ein schlichtes Erfolgsdelikt darstellt. Für die Verwirklichung des Fahrlässigkeitstatbestandes reicht es dann aus, daß der Täter durch irgendeine - beliebige - sorgfaltswidrige Handlung den (Ablagerungs-) Erfolg zurechenbar herbeiführt, also bewirkt, daß Abfälle außerhalb einer zugelassenen Beseitigungsanlage "liegen"535. Bei diesem Verständnis des Tatbestandes haben wir es dann in unserem Fall mit einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit zu tun. Der Einwand Hruschkas, es könne keinen rechtswidrigen "Beginn" einer Tat geben, die bei ihrer Vollendung - als gerechtfertigte Notstandshandlung rechtmäßig sei536, ändert daran nichts; er setzt die Akzente nicht richtig: Die erlaubte Endphase der Tätigkeit (rechtmäßige Gefahrenabwehr) ist kein Hindernis für eine Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolges zur rechtswidrigen Vorhandlung (Begründung der NotstandssituaVgl. oben S. 52 ff. 533 Vgl. oben S. 143. 534 Mit seiner negativen Antwort auf diese Frage gerät Dencker freilich in Konflikt zu seiner eigenen Ausgangsthese, daß bei den reinen Erfolgsdelikten gegen die Konstruktion der "actio iIlicita in causa" nichts einzuwenden sei. Denn auch bei ihnen schafft das Vorverhalten (Begründung des Notstandes) stets nur die "Gefahr einer Gefahr" (mittelbare Gefahr), enthält also noch nicht denselben Gefährdungsgrad wie die spätere Notstandshandlung. Dencker müßte daher, wenn er jene mittelbare Gefährdung nicht für ausreichend hält, konsequenterweise die "actio iIlicita in causa" als Haftungsgrundlage generell ablehnen. 535 Vgl. auch Dencker (oben S. 141 f.). 536 Vgl. obenS. 141. 532
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V. Der "verschuldete" Notstand in der Rechtsprechung
tion); das ist in anderem Zusammenhang schon gezeigt worden537 . Auch Hruschkas weiterer Einwand, daß die actio-illicita-Konstruktion widersprüchlich sei, weil der Täter danach nur durch Vermeidung der angeblich rechtmäßigen Notstandstat die Vollendung der rechtswidrigen actio praecedens vermeiden könne, trifft die Sache nicht. Es ist durchaus kein Widerspruch, wenn das Recht die Abwehr der Notstandsgefahr zur Erhaltung eines überwiegenden Interesses zuläßt, die "Vermeidung" dieser Handlung also nicht fordert, andererseits aber verlangt, schon die Entstehung von Konfliktslagen zu "vermeiden", in denen der Schutz des Eingriffsgutes wegen der Kollision mit einem höherwertigen Interesse rechtlich nicht mehr garantiert werden kann538 . Um dieses Unrecht erfassen und den Enderfolg darauf zurückführen zu können, bedarf es keines besonderen Gefährdungstatbestandes, wie ihn Hruschka - und offenbar auch Dencker539 - vermißt54O • (3) Abschließende Erwägungen
Damit sind für die Entscheidung unseres Falles die Weichen gestellt. Es kommt darauf an, ob man den Fahrlässigkeitstatbestand des § 18 Abs. 1 Nr. 1 AbfG in seiner hier interessierenden Alternative als reines Erfolgsdelikt versteht oder ihn so interpretiert, daß er zugleich eine modale Komponente enthält, die es ausschließt, das Vorverhalten des KaIs "Ablagerungs"-handlung zu begreifen. Die Frage ist nicht leicht zu beantworten541 . Gegen die Klassifizierung als bloßes Erfolgsdelikt spricht zunächst die übliche Definition des "Ablagerns", auf die sich auch Dencker beruft. "Ablagern" ist danach ebenso wie "Lagern" eine durch spezifische Finalität gekennzeichnete Tätigkeit, nämlich "Niederlegen und Liegenlassen mit dem Ziel, sich der Abfälle auf Dauer zu entledigen"542. Diese Zweckrichtung unterscheidet das "Ablagern" vom nur vorübergehenden "Lagern"543. Folgt man dieser finalen Begriffsbestimmung, so ist die Ablagerungshandlung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 AbfG, 537 Vgl. oben S. 40 ff. Siehe auch oben Fußn. 258. 538 Dazu oben S. 42 ff., 45 ff. 539 Vgl. oben bei Fußn. 475 und in Fußn. 534. 540 Dazu schon oben S. 56 f. 541 Für ein reines Erfolgsdelikt beiläufig Schänke / Schräder / Lenckner, § 34 Rdnr. 42; wohl auch Steindorf in: Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 1, § 18 AbfG Anm. 14. 542 Vgl. z. B. Sack, Umweltschutz-Strafrecht, § 16 AbfG Rdnr. 21, mit weit. Nachweisen; Sander, Umweltstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, S.196; Steindorf in: Erbs / Kohlhaas, Bd. 1, § 1 AbfG Anm. 6; vgl. auch Schänke / Schräder / Lenckner, § 326 Rdnr. 11. 543 Sack, Umweltschutz-Strafrecht, § 16 AbfG Rdnr.20, definiert "Lagern" als "jedes vorübergehende Niederlegen und Liegenlassen, Aufbewahren (vorübergehende Lagerung oder Zwischenlagerung) mit dem Ziel späterer Verwendung oder anderweitiger Beseitigung".
5. "Fäkalien-Fall"
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also das "Ablagern" als solches, fahrlässig gar nicht begehbar, obwohl die Norm ausdrücklich auch Fahrlässigkeit sanktioniert. Der Fahrlässigkeitstatbestand bezieht sich dann lediglich auf anderweitiges sorgfalts widriges Verhalten im Zusammenhang mit einer zweckgerichteten Beseitigung, z. B. darauf, daß der Täter die Abfalleigenschaft der abgelagerten Objekte fahrlässig verkennt oder daß er irrtümlich von einer "dafür zugelassenen Abfallbeseitigungsanlage" ausgeht. Eine solche Interpretation ist freilich deshalb nicht recht befriedigend, weil nach dem normativen Sinn der Bestimmung die ungeordnete Abfallbeseitigung möglichst in jeder Form erfaßt werden soll. Daher ist es ja auch gleichgültig, ob mit der Handlung das Ziel einer vorübergehenden "Lagerung" oder einer endgültigen "Ablagerung" verfolgt wird. Außerdem bietet sich die Erwägung an, daß die typischen Umweltgefahren, die der Tatbestand treffen will, vom Beseitigungserfolg ausgehen, während der Begehungsmodus insoweit unerheblich ist. Dies spricht dafür, beim Fahrlässigkeitstatbestand des § 18 Abs.1 Nr.1 AbfG von der jeweiligen Handlungsmodalität ganz abzusehen und ihn als schlichtes Verursachungsdelikt (Erfolgsdelikt) zu deuten. Mit dem möglichen Wortsinn des - sprachlich im Grunde farblosen - Begriffs "Ablagern" (oder "Lagern") dürfte diese Deutung noch vereinbar sein. Sieht man die Dinge so, dann verdient die Entscheidung des BayObLG im Ergebnis Zustimmung: K hat fahrlässig gegen § 18 Abs. 1 Nr. 1 AbfG verstoßen.
VI. Ergebnisse der Untersuchung Zum Abschluß seien die wichtigsten Ergebnisse und gedanklichen Schritte der Arbeit, die durch recht verschiedenartige Problemgebiete führte, kurz zusammengefaßt. Das Resume hält sich aus Gründen der übersichtlichkeit und des Sachzusammenhanges nicht streng an den chronologisch-analytischen Gang der Untersuchung; es nimmt auch Resultate auf, die den Fragenkomplex des "verschuldeten Notstandes" nicht unmittelbar berühren. Die angestrebte Kürze macht eine gewisse Vergröberung diffiziler Strukturen unvermeidlich. 1. Hat der Täter eine Notstandslage, in der die Rechtfertigung seiner Tat nach § 34 StGB in Betracht kommt, selbst zurechenbar herbeigeführt ("verschuldet")544, so gibt es für die Beurteilung derartiger Sachverhalte zwei - mögliche - Lösungsebenen. Nach der "Lösung auf der Notstandsebene"545 gehört das "schuldhafte" Vorverhalten zum Material der konfliktregulierenden Entscheidung, die im Rahmen des § 34 StGB über die spätere (vorsätzliche) Notstandshandlung - und für diesen Zeitpunkt - zu treffen ist. Der zweite Lösungsweg ("Lösung auf der Veranlassungsebene" , "actio illicita in causa")546 beruht auf dem Gedanken, daß sich bereits die Vorhandlung als Grundlage ("Anknüpfungspunkt") eines Rechtswidrigkeitsurteils eignet; von hier aus wird die Möglichkeit postuliert, im Rückgang auf die Phase der Konfliktbegründung und die dort anzutreffende "Verschuldensform"547 das Verhalten des Notstandstäters auch dann als "letzten Endes" (in causa) rechtswidrig zu bewerten, wenn es nach den Kriterien des rechtfertigenden Notstandes erlaubt ist. - Beide Lösungsansätze sind miteinander vereinbar; sie schließen sich nicht etwa derart aus, daß allein der eine oder der andere richtig sein kann. Weil die Konstruktion der "actio illicita in causa" allerdings nur Bedeutung gewinnt, sofern das "Verschulden" die Rechtmäßigkeit der Notstandstat unberührt läßt, hat die "Lösung auf der Notstandsebene" methodischen und praktischen Vorrang548. 544 545 546 547 548
S. 19. S. 20 f., 24 ff. S. 21, 36 ff. S. 20, 37 f. S. 39 f.
Ergebnisse der Untersuchung
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2. Der "verschuldete Notstand" ist in erster Linie ein Problem der Interessenabwägung. Es tritt zunächst in der Grundkonstellation auf, daß der Notstandstäter mit dem Träger des "Erhaltungsgutes" identisch ist. a) Das "schuldhafte" Vorverhalten führt nicht zu einer "Pflicht" des Täters, die Notstandslage zu bestehen ("Gefahrtragungspflicht", "Verwirkung" des Notstandes)549. Die Annahme einer solchen Pflicht scheitert insbesondere an grundsätzlichen, mit der Struktur des Interessenabwägungsprinzips zusammenhängenden Einwänden: Die zurechenbare Veranlassung des Notstandes verändert die aus der Kollisionslage ableitbaren Konfliktlösungsmaßstäbe nicht zwangsläufig in der Weise zum Nachteil des Täters, daß eine Rechtfertigung der Notstandstat ausscheidet. Das "Unverschuldetsein" ist keine generelle (negative) Voraussetzung der in § 34 StGB normierten Erlaubnis. b) Andererseits bestehen gegen die Einbeziehung des "schuldhaften" Vorverhaltens in den Kreis der Interessenabwägungsfaktoren keine prinzipiellen Bedenken550 • Bereits unter dem Aspekt seines primären Bezugsobjekts55 ! - der zurechenbaren Gefahrbegründung - ist das "Verschulden" für die Abwägung von Bedeutung: Die schuldhafte Selbst gefährdung erhöht im Rechtsgüterkonflikt die soziale Verantwortung des Täters, mindert seinen Solidaritätsanspruch gegenüber dem "Eingriffsgut" und reduziert infolgedessen die konkret-situative Schutzwürdigkeit des "Erhaltungsgutes"552. Dies gilt in besonderem Maße, wenn der Täter sogar für den Konflikt mit fremden Interessen deswegen verantwortlich ist, weil er auch die Notwendigkeit einer Rechtsgutsverletzung zumindest voraussehen konnte (sekundäres "Verschuldensobjekt"): Die bereits aus verschuldeter Selbstgefährdung resultierende erhöhte Verantwortung wird erheblich gesteigert, sobald der Urheber des Notstandes von vornherein in der Lage war, sich auf die Interessenkollision einzustellen, oder dies - in bewußter Antizipation des Konflikts - tatsächlich getan hat553 . - Dagegen ist es zu eng und nicht sachgerecht, die Interessenabwägung als "utilitaristische Verrechnung" zu verstehen, bei der lediglich für den Kollisionszeitpunkt eine Art "Kosten-Nutzen-Kalkül" aufgestellt wird, ohne daß es auf die Verantwortlichkeit für die Entstehung der Gefahren- oder Konfliktslage ankommt. Auch aus dem Verhältnis von § 34 StGB zu § 323 c StGB 549 S. 16,21 ff.
S. 24 ff. S. 20, 37. 552 S. 25 ff. 553 S. 32 ff. 550 55!
11 Küper
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VI. Ergebnisse der Untersuchung
- der Beziehung zwischen "Rettungsduldungs-" und "Rettungshandlungspflicht" - ergibt sich nicht, daß ein "Notstandsverschulden" bei der Abwägung außer Betracht bleiben muß554. c) Die Zurechenbarkeit der Gefahr- bzw. Notstandsbegründung ist Voraussetzung dafür, daß das "Verschulden" als schutzwürdigkeitsmindernde Tendenz in die Interessenabwägung eingehen kann; dabei bildet die jeweilige Verschuldens"form" ein Differenzierungskriterium für den Grad reduzierter Schutzwürdigkeit. Doch wird die Abwägung darüber hinaus durch die - positive oder negative - Qualität des Zwecks mitbestimmt, der dem schuldhaften Vorverhalten zugrunde liegt555 . - Die "Absichtsprovokation" , bei der die notstandsbedingte Verletzung fremder Interessen ausschließliches oder dominierendes Ziel der Vorhandlung ist, mindert die konkrete Schutzwürdigkeit des Erhaltungsgutes gleichsam "absolut": es verdient im Konflikt mit dem kollidierenden Eingriffsgut keinen Schutz556 . Dasselbe Ergebnis ist aber auch möglich, wenn jemand die - ohne derart dominanten Verletzungszweck herbeigeführte Notstandssituation lediglich vorausgesehen (eingeplant) hat oder vorhersehen konnte. Verläßt der Täter z. B. vorzeitig den Unfallort, um der Gefahr einer Mißhandlung zu entgehen, so ist seine Unfallflucht nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt, wenn er den Verkehrsunfall vorsätzlich, im Bewußtsein der bevorstehenden Notstandslage und mit dem Willen verursacht hat, sich den Feststellungen zu entziehen5S1• d) Die Eingliederung des Verschuldensproblems in die "Interessenabwägungsformel" (§ 34 Satz 1 StGB) verdient gegenüber der Zuordnung zur "Angemessenheitsklausel" (§ 34 Satz 2 StGB) den Vorzug558. Die "Abwägungslösung" ermöglicht eine gen aue re Differenzierung und Systematisierung des Problemkomplexes. Außerdem ist die Angemessenheitsklausel wegen ihrer einseitig-rechtfertigungs einschränkenden Funktion kein geeignetes Instrument, um alle Varianten des "verschuldeten Notstandes" sachgemäß zu erfassen. - Im praktischen Fall sollte darauf geachtet werden, daß die Verschuldensfrage nicht zu früh ins Spiel gebracht wird. Häufig kommt es auf diesen Gesichtspunkt nicht an, weil die Notstandshandlung z. B. nicht "erforderlich" ist oder das mit ihr geschützte Interesse ohnehin nicht "wesentlich überwiegt"559.
554 S. 28 ff. 555 S. 31 f.
S. 32 ff., 119. S. 96 ff. 558 S. 21, 34 f. 559 S. 102 ff., 108. 556
557
Ergebnisse der Untersuchung
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3. Ist der Notstandstäter mit dem Träger des "Erhaltungsgutes" nicht identisch (Nothilfe), so gelten für die Beurteilung des Verschuldensproblems - im Rahmen der Interessenabwägung - besondere Regeln560• Das gefahr- oder notstandsbezogene "Verschulden" des Nothelfers selbst bleibt grundsätzlich außer Ansatz. Denn die Schutzwürdigkeit des fremden Rechtsgutes, das er in Gefahr gebracht hat, mindert sich allein infolge seines eigenen Vorverhaltens nicht. Dagegen ist das "Verschulden" des Rechtsgutsinhabers, dessen Interessen der Nothelfer mit der Notstandstat wahrnimmt, bei der Abwägung ebenso zu berücksichtigen wie die zurechenbare Herbeiführung der Notstandssituation durch einen mit dem Träger des Erhaltungsgutes identischen Täter: Die Minderung des Solidaritätsanspruchs, die aus der schuldhaften Begründung von Gefahr oder Güterkollision resultiert, wird nicht dadurch aufgehoben, daß ein Dritter - als Nothelfer - für das gefahrbedrohte Interesse die Solidarität des "Eingriffsgutes" in Anspruch nimmt. - In besonders gelagerten Ausnahmefällen beeinflußt auch das Vorverhalten des Nothelfers die Abwägung der Interessen, weil es dem Inhaber des "Erhaltungsgutes" zugerechnet werden kann561 • Solche Ausnahmen kommen in Frage, wenn der - spätere - Nothelfer bereits bei der Begründung der Notstandslage als Hilfsperson im Interessenkreis des Rechtsgutsinhabers handelt. Für die Zurechnung genügt es jedoch nicht, daß ein Betriebsinhaber (Rechtsgutsträger) einem Untergebenen (Nothelfer) ein Vermögensobjekt anvertraut hat, das dieser bei seiner Tätigkeit für den Betrieb schuldhaft in (Notstands-)Gefahr bringt. Vielmehr muß der Unternehmer seiner Hilfsperson auch die "Kompetenz" zur Eingehung dieses Risikos übertragen haben562•
4. Die "schuldhafte" Begründung der Gefahr- oder Kollisionslage beeinflußt die Entscheidung der Rechtfertigungsfrage nicht allein bei der Anwendung von Notstandsnormen, die explizit auf das Prinzip der individualisierenden Interessenabwägung verweisen (§ 34 StGB, § 16 OWiG). Eine Berücksichtigung des "Verschuldens" ist vielmehr auch bei anders gefaßten Spezialregelungen des rechtfertigenden Notstandes möglich, die - wie z. B. §§ 228, 904 BGB - als "Konkretisierungen" des Interessenabwägungsprinzips in dem Sinn verstanden werden können, daß der Unrechtsausschluß stets den materiellen Anforderungen dieser Abwägungsmaxime entspricht563 • § 218 a Abs. 1 StGB ist insoweit 560 561 562 563
S. 108 ff., 151 ff. S. 151 ff. S. 153 f. S. 88 mit Fußn. 290, S. 124 Fußn. 414.
164
VI. Ergebnisse der Untersuchung
nur eine scheinbare Ausnahme564 ; Die Vorschrift enthält zwar verbal eine "vollständige" gesetzgeberische Antizipation der Vorzugsentscheidung, schließt jedoch inhaltlich eine konkret-fallbezogene Bestimmung des "überwiegenden Interesses" nicht aus. Auch die schuldhafte Begründung der Notstandslage durch die Schwangere gehört daher zu den Abwägungsfaktoren. Dies führt unter Umständen - vor allem bei vorsätzlicher Verursachung der Gefahr zum Zweck des Schwangerschaftsabbruchs - zu dem Ergebnis, daß die Interessenabwägung zugunsten des ungeborenen Lebens ausfällt565 .
5. Nach der Lehre von der "actio illicita in causa" stellt sich die Problematik des verschuldeten Notstandes aus anderer Perspektive als bei einer "Lösung auf der Notstandsebene"S66; Bereits die konfliktbegründende Vorhandlung ("actio praecedens") kann danach ein - vorsätzliches oder fahrlässiges - rechtswidriges Verhalten sein, welches die Zurechnung der notstandsbedingten Rechtsgutsverletzung ermöglicht und so eine widerrechtliche Tatbestandsverwirklichung auch dann konstituiert, wenn die eigentliche Notstandstat rechtmäßig ist. Als "Verschuldensobjekt" genügt aus dieser Sicht weder die bloße (Notstands-) Gefahr noch der Notstand als Interessenkollision; vielmehr muß sich das schuldhafte Vorverhalten auch auf die Merkmale des Tatbestandes beziehen, den die spätere Gefahrenabwehr realisiert567 . Über die Einordnung als rechtswidrige Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstat entscheidet allein die im Stadium der NotstandsbegTÜndung vorliegende "Verschuldensform".
6.
a) Eine kritische Prüfung der actio-illicita-Konstruktion - unter Ausklammerung notwehrspezifischer BesonderheitenS68 - ergibt zunächst (negativ), daß die Rechtfertigung der Gefahrenabwehr (Notstandstat) gleichwohl die Möglichkeit nicht ausschließt, das zur Güterkollision mit nachfolgender Rechtsgutsverletzung führende Vorverhalten als rechtswidrig zu qualifizieren und auf dieser Grundlage den tatbestandlichen Erfolg zuzurechnen569. Diese Möglichkeit ist sowohl mit der Rechtmäßigkeit der Notstandshandlung (Handlungsbefugnis)570 als auch mit dem Befund vereinbar, daß der Täter in der Kollisionslage 564 S. 119 ff., 123 ff. 565 S. 125 ff. S66 S. 20 f., 36 ff. 567 Vgl. auch S. 50. S68 S. 40 f. mit Fußn.121, S.33 Fußn.95, S.48 Fußn.144, S. 56 f. Fußn.174, S. 70 Fußn. 220. 569 S.42 ff., 45 ff. 570 S.42 ff.
Ergebnisse der Untersuchung
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den rechtsgutsverletzenden Erfolg herbeiführen darf (Eingriffserlaubnis)571. Die potentiell unterschiedliche Bewertung von Vor- und Folgetat ist unter beiden Gesichtspunkten - Handlungs- und Erfolgsaspekt wesentlich darin begründet, daß allein die "Zweithandlung" der Gefahrenabwehr und Konfliktlösung dient, während diese Qualität dem Vorverhalten, das die Güterkollision erst schafft, nicht zukommt: Wenn das Recht im Fall des Interessenkonflikts die Abwehr der Notstandsgefahr auf Kosten des Eingriffsgutes toleriert und deshalb diese Tat und ihr Ergebnis gestattet, so besagt dies weder, daß auch die Veranlassung der Notstandslage rechtmäßig sein muß, noch läßt sich daraus ableiten, daß der Erfolg als taugliches Zurechnungsobjekt der (rechtswidrigen) Vorhandlung ausscheidet. b) Freilich kann die Vortat Unrechtsbasis der Strafbarkeit nur sein, sofern sie - in Verbindung mit dem Erfolg - auch "positiv" alle Bedingungen einer widerrechtlichen Tatbestandsverwirklichung erfüllt572 . Hierbei ist der Zurechnungszusammenhang zwischen "schuldhaftem" Vorverhalten und Enderfolg, trotz der "rechtmäßigen Schlußphase" des Geschehens, nicht substantiell problematisch. Das gilt sowohl für den Kausalkonnex als auch für die sonstigen, generellen Kriterien objektiver Zurechenbarkeit (Adäquanz des Kausalverlaufs): Die Beurteilung folgt durchweg den "allgemeinen" Zurechnungsregeln. Die Zu rechenbarkeit des Erfolges zur "actio praecedens" scheitert auch nicht an der Maxime, daß die Haftung für die Rechtsgutsverletzung stets durch die Haftung für die Gefahr vermittelt wird, auf der die Verletzung beruht. - Außerhalb des Zurechnungskomplexes erfordert die Tatbestandsproblematik der "actio illicita in causa" eine zweispurige, fahrlässiges und vorsätzliches (Vor-)Verhalten trennende Analyse 573, die sich in beiden Bezirken wiederum an der Eigenart der gesetzlichen Verhaltensbeschreibung und an der materialen Struktur des Deliktstypus orientiert; die fahrlässige "actio illicita" erweist sich dabei als vergleichsweise leicht zugängliches Phänomen.
7. a) Soweit Fahrlässigkeitstatbestände als "reine Erfolgsdelikte" den Handlungstypus nicht speziell kennzeichnen, sondern lediglich die sorgfaltswidrige - zurechenbare - Herbeiführung eines bestimmten Erfolges voraussetzen, läßt sich das notstandsbegründende Vorverhalten ohne Schwierigkeiten in die gesetzliche Deliktsbeschreibung einbeziehen; deren Grenzen sind gleichsam "zur Vergangenheit hin offen"574. 571 572 573 574
S. 45 ff. S. 47 ff. S. 50 ff., 59 ff.
S.50.
166
VI. Ergebnisse der Untersuchung
Für die inhaltliche Qualifizierung der Vortat als fahrlässig-unsorgfältiges, rechtsgutswidriges Handeln ist es kein prinzipielles Hindernis, daß die "actio praecedens" das Schutzobjekt des Tatbestandes in spezifischer Weise erst "mittelbar" gefährdet, nämlich durch Verursachung einer "verletzungsträchtigen" Konfliktsituation, die den aktuellen Eingriff rechtfertigt. Das dem Fahrlässigkeitstatbestand zugrundeliegende Verbot sorgfaltswidrigen Verhaltens erstreckt sich grundsätzlich auch auf solche "indirekten" Gefährdungshandlungen; eines besonderen Gefährdungstatbestandes (der im geltenden Recht fehlt) bedarf es dafür nicht575 . Andererseits sind Fälle denkbar, in denen die "mittelbare Gefährdung" des Eingriffsgutes wegen positiver Qualitäten des Vorverhaltens von der Rechtsordnung hingenommen wird (Rechtfertigung, "erlaubtes Risiko")576. b) Bei Fahrlässigkeitsdelikten, die bestimmte Begehungsmodalitäten sorgfaltswidrigen HandeIns - einschließlich spezieller "Umstände" und "Situationen" - typisieren, setzt hingegen die Tatbestandsbeschreibung dem Rückgriff auf die "actio illicita in causa" Schranken577 ; Die Vortat wird vom Deliktstypus nicht erfaßt, wenn ihr solche "modalen" Merkmale fehlen, mögen sie auch im Zeitpunkt der Folgehandlung vorliegen. Daß für die Haftung wegen fahrlässiger "actio libera in causa" möglicherweise abweichende Prinzipien gelten, ändert an dieser Einschränkung nichts578 . Über den Anwendungsbereich der actio-illicita-Konstruktion entscheidet damit von Fall zu Fall die Interpretation des jeweiligen Fahrlässigkeitsdelikts und seiner Tatbestandsvoraussetzungen. So ist z. B. bei einer als Notstandstat gerechtfertigten Straßenverkehrsgefährdung nach § 315 c Abs. 1 Nr.2 i. V. m. Abs. 3 StGB eine fahrlässig-tatbestandsmäßige "actio illicita" ebensowenig möglich579 wie bei einer zur Gefahrabwendung erlaubten Zuwiderhandlung gegen die Lichtzeichenregelung des § 37 Abs. 1 Nr. 1 StV0580. Dagegen läßt sich etwa der Fahrlässigkeitstatbestand der §§ 4 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 1 AbfG (nicht ordnungsgemäßes Ablagern von Abfällen) als "reines Erfolgsdelikt" interpretieren, sodaß auch sorgfaltswidriges Vorverhalten einbezogen werden kann581 •
575 S. 55 ff., 155 ff. 576 S. 57 f. 577 S. 51 f., 134 f. mit Fußn.445, S. 155 ff. 578 S. 52 ff. 579 S. 51 f. 580 S. 133 ff. 581 S. 156 ff., 159.
Ergebnisse der Untersuchung
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8. a) Für die vorsätzliche "actio illicita in causa" geIten zunächst ebenfalls die Einschränkungen, die sich aus "modalen" Besonderheiten der gesetzlichen Deliktstypisierung ergeben582• Deshalb ist z. B. eine Bestrafung wegen Unfallflucht nicht möglich, obwohl der Täter die Notstandslage, die ihn zum (berechtigten) Verlassen des Unfall ortes zwingt, vorher planmäßig herbeigeführt hatS83 • Ganz unabhängig von speziellen Handlungsbeschreibungen setzt jedoch eine Haftung wegen vorsätzlicher "actio illicita in causa" - auch bei "reinen" Erfolgsdelikten - stets voraus, daß sich bereits die notstandsbegründende Vortat als "Anfang der Ausführung" (unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung) qualifizieren läßt584 • Diese elementare Mindestvoraussetzung folgt aus einer Reihe grundsätzlicher überlegungen zur Struktur, insbesondere zur "Verhaltensseite" , des vorsätzlichen (vollendeten) Erfolgsdelikts. Sie führen zu dem Ergebnis, daß erst die überschreitung der Versuchsschwelle den Beginn der "vorsätzlichen Begehung" i. S. des jeweiligen Deliktstatbestandes bezeichnet; eine nur "vorbereitende" actio praecedens ist (insoweit) ein noch tatbestandsirrelevantes Verhalten, das sich im Bezirk der Vorsatzdelikte nicht als Grundlage der - an sich möglichen - Erfolgszurechnung eignet. Die Gegenposition, daß der Unrechtstatbestand des vollendeten (vorsätzlichen) Erfolgsdelikts im Hinblick auf das "Anfangsstadium des Tatgeschehens" offen sei, kann nicht anerkannt werden585 • Die infolgedessen unterschiedliche Reichweite der tatbestandlichen "Verbotszonen" bei vorsätzlicher und fahrlässiger Notstandsbegründung ist einer befriedigenden Erklärung zugänglich586• Der bloß "vorbereitende" Charakter einer vorsätzlichen "actio illicita" schließt außerdem eine Bestrafung wegen fahrlässigen VorverhaItens nicht zwingend ausS87• b) Auf der Basis dieser Zwischenbilanz zur vorsätzlichen "actio illicita in causa" ergibt sich weiterhin, daß der notstandsbegründenden Vorhandlung, von der Struktur des Geschehensablaufs her betrachtet, gerade die "Unmittelbarkeit" fehlt, die den Beginn der tatbestandsmäßigen Begehung eines Vorsatzdelikts ausmach~. Der Täter erreicht grundsätzlich (strukturell) weder mit dem Vorverhalten noch mit dessen "Primärerfolg" - dem Eintritt der Gefahr, die den "praktischen 582 583 584
585 586
S87 588
S. 59 i. V. m. S. 51 ff., S. 100 f., 134 f. S. 100 f. S. 59 ff. S. 64 ff. S. 66 ff. S. 68 f. S. 70 ff.
VI. Ergebnisse der Untersuchung
168
Zwang" zur Rechtsgutsverletzung aktualisiert - bereits das Stadium des Versuchs. Dies bestätigt sich im Vergleich mit der Problematik des Versuchsbeginns bei der "actio libe1"a in causa" und der mittelbaren Täterschaft589 • In Fällen "zeitlicher Unmittelbarkeit" kann freilich schon die vorsätzliche Notstandsveranlassung ausnahmsweise als Anfang der eigentlichen Ausführung gewertet werden. Die Rechtsfigur der "actio illicita in causa" hat bei diesem Sachverhalt jedoch keine praktische Bedeutung, weil auch die Notstandshandlung - als Fortführung einer nunmehr notwehrbegründenden widerrechtlichen Vortat - zwangsläufig selbst rechtswidrig ist 59o • - Eine abschließende überprüfung des Fragenkomplexes unter dem Blickwinkel möglicher Analogien zur "actio libera in causa" gibt keinen Anlaß zu einer Rehabilitierung der actio-illicita-Konstruktion im Bereich des Vorsatzdelikts59!. Die verschiedenen dogmatischen Modelle, die sich zur Begründung der actiolibera-in-causa-Verantwortlichkeit anbieten, sind einerseits, soweit sie auf die "actio illicita in causa" übertragen werden können, schon im Ansatz grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt; soweit - andererseits derartige Bedenken nicht bestehen, lassen sich jene Modelle wegen gravierender Unterschiede der jeweiligen Regelungsmaterie auf die actioillicita-Fälle nicht übertragen. Von der Rechtsfigur der vorsätzlichen "actio illicita in causa" muß daher beim rechtfertigenden Notstand Abschied genommen werden. Eine angemessene Problemlösung ist auf der Interessenabwägungsebene, unter Umständen auch im Bezirk der fahrlässigen "actio illicita", zu suchen592•
9. Aus den Partien der Untersuchung, in denen allgemeine Fragen der Notstandsrechtfertigung erörtert wurden, seien - unter Ausklammerung zahlreicher Einzelheiten zur Konkretisierung der Interessenabwägungsformel593 - noch folgende Punkte hervorgehoben: a) In den Anwendungsbereich des rechtfertigenden Notstandes gehört auch der Fall, daß die Verwirklichung der formal normgemäßen Handlungsalternative die Wahrscheinlichkeit eines Rechtsgutsschadens erst begründen würde, während beim Verstoß gegen das gesetzliche Verbot ein solches Risiko nicht entsteht594 • Diese Situation ist der in § 34 StGB (§ 16 OWiG) umschriebenen Ausgangslage - Handeln "in Gefahr" 589 S. 72
ff.
S. 78 ff. 59! S. 80 ff. 592 S. 88 i. V. m. S. 68 f. 593 S. 96 ff., 105 ff., 131 ff., 150. 594 S. 130 f. 590
Ergebnisse der Untersuchung
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zumindest gleichzustellen, wenn nicht gar in den Gefahrbegriff des Rechtfertigungsgrundes normativ aufzunehmen. b) Der Horizont des Problems, welche Interessen beim rechtfertigenden Notstand in die Abwägung eingehen dürfen, wird durch die Unterscheidung von "Abwägungsanlaß" , "Abwägungsziel" und "Abwägungsmaterial" bestimmt. Abwägungsanlaß ist die Verletzung (Gefährdung) eines tatbestandlich geschützten Rechtsgutes in einer Interessenkollision, Abwägungsziel die Antwort darauf, ob die Rechtsordnung diese Beeinträchtigung ausnahmsweise toleriert. Zum Abwägungsmaterial gehören dagegen auf der "Eingriffsseite" nicht nur diejenigen Interessen, die im Tatbestand der jeweiligen Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit geschützt werden (tatbestandsbezogene "Spaltung" der Interessenbewertung); vielmehr erstreckt sich die Abwägung auf alle schutzwürdigen Interessen, die der Notstandstäter im konkreten Fall - unmittelbar oder mittelbar - beeinträchtigt (tatbestandsübergreifende Interessenbewertung)595. Dies folgt u. a. daraus, daß die (aggressive) Notstandshandlung nicht nur ein tatbestandlich geschütztes "Gut" verletzt, sondern als Anmaßung eines partikulären Sonderstatus "außerhalb" der regulären Ordnung auch den allgemeinen "Rechtsfrieden" stört. e) Für die Interessenabwägung nach § 34 StGB (§ 16 OWiG) gewinnt im übrigen der Gegensatz von "aggressiver" und "defensiver" Notstandst at erhebliche Bedeutung596. Die bürgerlich-rechtliche Regelung des "Aggressivnotstandes" (§ 904 BGB) enthält einen Proportionalitätsmaßstab, der nicht an die Konstellation einer Eigentumsverletzung gebunden ist, sondern z. B. auch gilt, wenn sonstige Vermögensinteressen eines "Unbeteiligten" zur Gefahrabwendung in Anspruch genommen werden. Bei "defensivem" Notstandseingriff ist die Abwägung an dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 228 BGB zu orientieren. d) Die Rechtfertigung einer Notstandstat ist - auch im Spezialfall des § 218 a Abs. 1 StGB - nicht davon abhängig, daß der Täter die Situation "pflichtgemäß" daraufhin geprüft hat, ob sein Handeln die objektiven Erlaubnismerkmale erfüllt597. Das Erfordernis einer "gewissenhaften Prüfung" ist unvereinbar mit der Struktur des rechtfertigenden Notstandes und blockiert eine sachgemäße Lösung der Irrtumsprobleme: Liegen die materiellen Rechtfertigungsvoraussetzungen vollständig vor, so kann ihre Erlaubniswirkung durch den bloßen "Sorglosigkeitsunwert" einer Verletzung der "Prüfungspflicht" nicht suspendiert werden598 ; liegen sie hingegen nicht vor, dann ersetzt der Rückgriff 595 596
597 598
S. 138 f., 143 ff., 146 ff., 149 f. S. 15, 105 ff. S. 112 ff., 115 ff. S.116.
170
VI. Ergebnisse der Untersuchung
auf jene "Pflichtverletzung" einerseits nicht die Feststellung, daß der (eventuelle) Rechtfertigungsirrtum in concreto vermeidbar war, und andererseits nicht die Begründung dafür, daß bei Vermeidbarkeit eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat angezeigt isP99.
10. Für die Strafbarkeit der vorsätzlichen "actio libera in causa" gibt es drei mögliche Begründungsmodelle: die "Versuchslösung" , den Gedanken der "Tatbestands- und Unrechtsvorverlegung" sowie die "Theorie der Schuldvorverlagerung"600. Das zweite Modell hält der Kritik am wenigsten stand; die Entscheidung sollte sich daher auf die Konkurrenz zwischen "Versuchslösung" und "Theorie der Schuldvorverlegung" konzentrieren60l • Hierbei kommt es zunächst darauf an, ob der "actio praecedens" die Qualität eines (beendeten) Versuchs zuerkannt werden kann602 • Versagt dieser Lösungsweg, so bietet die Idee der "Schuldvorverlagerung" eine immerhin akzeptable Strafbarkeitsgrundlage, die mit dem Schuldprinzip ebenso vereinbar sein dürfte wie mit dem (Wort-) Sinn des § 20 StGB603.
599
S. 116 f., 118.
600 S. 82 ff. i. V. m. S. 52 ff. 601 602 603
S. 84 ff. S.73 f., 82. S. 85 ff.
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Stichwortverzeichnis Abfallbeseitigung 136 ff., 144 ff., 155 ff., 158 ff., 166 Absichtsprovokation - beim Notstand 32 ff., 96 f., 119, 162 - bei der Notwehr 33 Abtreibung - s. Schwangerschaftsabbruch Abwägung
-
s. Interessenabwägung
Actio illicita in causa 21, 36 ff., 40 ff., 47 ff., 50 ff., 59 ff., 66 ff., 72 ff., 80 ff., 99 f., 112, 126 f., 133 ff., 138, 140 ff., 143, 154 ff., 156 ff., 160, 164 ff., 167 f. - als Tatbestandsproblem 20 f., 37 f., 47 ff., 50 ff., 52 ff., 59 ff., 60 ff., 80 ff., 87, 126 f., 133 ff., 140 f., 143, 155 ff., 158 f., 165 ff. - als Rechtswidrigkeitsproblem 21, 36 ff., 39 ff., 42 ff., 55 ff., 154 f., 158, 160, 164 f., 166 - beim Fahrlässigkeitsdelikt 20 f., 36 ff., 43 ff., 50 ff., 54 ff., 57 f., 59, 66 ff., 69, 89, 128 ff., 133 ff., 137 ff., 140 ff., 154 ff., 156 ff., 164, 165 f. - beim Vorsatzdelikt 20 f., 36 ff., 50, 59 ff., 64 ff., 70 ff., 78 ff., 80 ff., 99 ff., 112, 126 f., 140 f., 154, 165, 167 f. - und actio libera in causa 50 f., 52 ff., 59 f., 64, 72 ff., 80 ff., 133 f., 142 f., 157, 166, 168 - und Interessenabwägung 20 f., 36 ff., 39 f., 41 ff., 45 ff., 51, 57 ff., 88 f., 112, 119, 126 f., 154, 160, 164 - und mittelbare Täterschaft 43 ff., 46, 72 ff., 74 ff., 77, 168 - und Notwehr 40 f., 48 f., 56 f., 70, 79, 164 - Versuch bei 61 ff., 66 ff., 70 ff., 77 ff., 82, 88, 99 f., 126 f., 156 f., 167 f. - Zurechnungsproblematik der 19, 36 ff., 41, 45 ff., 47 ff., 59 f., 67, 141 f., 157, 164 f.
Actio libera in causa 50 f., 52 ff., 59 f., 64, 72 ff., 80 ff., 133 f., 142 f., 157, 166, 168, 170 - und Versuch 73 f., 78, 82 f., 85, 88, 168 Adäquanz 48 f., 58, 59 f., 165 Affekt 67 f., 85 ff. Aggressivnotstand 15, 26 f., 106, 169 Aktunwert 31 f., 41 ff., 45 f., 50, 58, 63 f., 94, 98, 102, 116 Angemessenheitsklausel 13, 21, 35 f., 38 f., 102, 104, 162 Ausführungshandlung 51 ff., 59 ff., 61 ff., 68 ff., 101 f., 126 f., 140 ff., 155 ff., 165 f., 167 f. - s. a. Versuch, Vorbereitungshandlung
Blutrausch 61 Defensivnotstand 15,27,48,169 Differenzierungstheorie 18 f., 109 f. Dolus generalis 59 f. Eignung - s. Erforderlichkeit Eingriffsbefugnis 45 ff., 47, 109, 164 ff. Einheitstheorie 18 f., 109 f. Entschuldigung 14 f., 16 f., 19, 30, 98 f., 117 Erfolgszurechnung - s. Zurechnung Erforderlichkeit 15, 91 ff., 97, 104 f., 149, 162 Erlaubtes Risiko 44, 57 f., 166 Fahrlässigkeit 20, 34, 36, 37 f., 43, 50 ff., 52 ff., 55 ff., 66 ff., 69, 89, 116, 129, 137, 154 ff., 158 f., 162, 164, 165 f. - als Tatbestandsproblem 50 ff., 52 ff., 56 f., 67 f., 133 ff., 140 ff., 154 ff., 156 ff., 165 f. - und Sorgfaltswidrigkeit 50, 55 ff., 68, 69, 116, 129, 154, 155, 158 f., 166
Stichwortverzeichnis -
s. a. Actio illicita in causa
Geeignetheit
-
s. Erforderlichkeit
-
s. Interessenabwägung
-
s. Rechtsgüterschutz
Gefährdungstatbestand 56 f., 131, 138 f., 141, 143, 144 f., 158 f., 166 Gefahrtragungspflicht 14 ff., 21 ff., 35, 98, 120 f., 161 Güterabwägung Güterschutz
Handlungserlaubnis 42 ff., 46 f., 164 f. Handlungsunwert
-
s. Aktunwert
-
s. Rettungspflicht
Hilfeleistungspflicht
Interessenabwägung - Grundsätzliches 15 f., 23, 28 ff., 33 f., 105 ff., 123 ff., 138 f., 143 ff., 146 ff., 168 f. - und verschuldeter Notstand 20 f., 23, 24 ff., 28 ff., 32 ff., 39 f., 57 f., 88 f., 96 f., 98, 108 ff., 115, 119 ff., 126, 132, 139 f., 151 ff., 160 ff., 163 ff. - sonstige Einzelfragen der 51, 96, 97 f., 105, 107 f., 123 ff., 125 ff., 131 ff., 150 - s. a. Actio illicita in causa (und Interessenabwägung)
Irrtum 85 f., 117 f., 169 f.
Kausalität 48, 50, 60 f., 75 f., 78, 85, 101, 134 f., 142, 156, 165 f. Kausalverlauf
-
s. Kausalität
Koinzidenzprinzip 53 ff., 61 f., 82 ff., 85 ff., 142 t, 170
Mittäterschaft 63, 76 f., 127 Mittelbare Täterschaft 43, 45 f., 72 f., 74 ff., 77 f., 127, 168 - und Versuch 74 ff., 168 - s. a. Actio illicita in causa (und mittelbare Täterschaft)
Nothilfe 103, 105, 108 ff., 155, 132, 137, 139 f., 151 ff., 163
-
s. a. Zurechnung
Notpflichten
183
-
s. Gefahrtragungspflicht
-
s. Entschuldigung
Notstand, entschuldigender
Notwehr 28, 33, 40 f., 48, 56 f., 70, 79, 98, 164 - s. a. Absichtsprovokation, Actio illicita in causa (und Notwehr) Ordnungswidrigkeiten 135 f., 136 ff., 156 ff.
17,
127 ff.,
Pflicht(en)
-
s. Fahrlässigkeit (und Sorgfaltswidrigkeit), Gefahrtragungspflicht, Rettungspflicht, PTÜfungspflicht
Pflichtgemäße Prüfung beim Notstand
-
s. PTÜfungspflicht
Prüfungspflicht beim Notstand 112 ff., 115 ff., 169 f. Rechtsfrieden 106, 148, 169 Rechtsgüterschutz 47, 56 f., 58, 68 f., 94 f., 120 ff., 141, 143, 144 f., 148 ff., 158, 166 Rechtsmißbrauch 22, 33 f., 81, 119 Regreßverbot 59 f. Rettungspflicht 29 f., 162 Risiko, erlaubtes
-
s. Erlaubtes Risiko
Schuld(fähigkeit) 52 ff., 60, 73 ff., 83 f., 85 ff., 113 f., 118, 142 f., 170 - s. a. Entschuldigung, Koinzidenzprinzip, Schuldprinzip
Schuldprinzip 53 f., 82 ff., 85 ff., 142, 170
-
s. a. Koinzidenzprinzip
-
s. Schwangerschaftsabbruch (wegen Suizidgefahr)
Schwangerschaftsabbruch 112 ff., 119 ff., 125 ff., 163 ff. - Interessenabwägung beim 119 ff., 123 ff., 125 f. beim 112 ff., - Prüfungspflicht 115 ff., 118, 169 - und actio illicita in causa 126 f. - verschuldeter Notstand beim 119 ff., 126 f., 164 - wegen Gesundheitsgefahr 122 f. - wegen Suizidgefahr 112 ff., 119 ff. Selbstmord
184
Stichwortverzeichnis
Sorgfaltspflicht - s. Fahrlässigkeit (und Sorgfaltswidrigkeit), PTÜfungspflicht
Sozialadäquanz - s. Erlaubtes Risiko Täterschaft
-
s. Mittäterschaft, mittelbare Täterschaft
Tatherrschaft 72 f., 74, 78
-
s. a. Mittelbare Täterschaft, Mittäterschaft
Unfallflucht 90 ff., 95 ff., 99 ff., 162 - und verschuldeter Notstand 96 ff., 99 ff., 162 Umweltschutz 136 ff., 139, 144 f. Unterlassen 132 f. Untreue 101 ff. Unrechtsbewußtsein - s. Irrtum Unverhältnismäßigkeit
-
s. Verhältnismäßigkeit
-
s. Kausalität
Unzumutbarkeit 30 f., 98 f. U rsächlichkei t
Verbotsirrtum - s. Irrtum Verhältnismäßigkeit 15, 165 ff., 124 Verkehrsdelikte 51 f., 53, 90 ff., 127 ff., 162, 166 Verursachung
-
s. Kausalität
Versuch 61 ff., 66 ff., 70 ff., 74 ff., 78 ff., 82 ff., 99 f., 127, 141, 156 f., 167 f. - s. a. Actio illicita in causa, actio libera in causa, Ausführungshandlung, mittelbare Täterschaft, Vorbereitungshandlung
Verwirkung 21 ff., 161 Vorbereitungshandlung 61 f., 64 ff., 66, 68 ff., 72, 78, 80, 84 f., 100, 127, 156, 167 Zumutbarkeit
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s. Unzumutbarkeit
Zurechnung - der Notstandsbegründung 19, 109, 140, 151 ff., 154, 160, 162 f. - des Erfolges 36, 45 ff., 47 ff., 49 ff., 51, 59, 61, 64, 67, 69, 141 f., 156 ff., 164 f. - fremden Verschuldens bei Nothilfe 109, 140, 151 ff., 163
31, 48, 81, der