Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts: Ein Beitrag zu einer statutsimmanenten Strukturanalyse des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs [1 ed.] 9783428529100, 9783428129102

Björn Jesse bietet eine kohärente Darstellung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts und gibt damit der Wissensch

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German Pages 328 Year 2009

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Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts: Ein Beitrag zu einer statutsimmanenten Strukturanalyse des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs [1 ed.]
 9783428529100, 9783428129102

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Schriften zum internationalen und ausländischen Strafrecht Band 2

Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts Ein Beitrag zu einer statutsimmanenten Strukturanalyse des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs

Von

Björn Jesse

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

BJÖRN JESSE

Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts

Schriften zum internationalen und ausländischen Strafrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Kai Ambos

Band 2

Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts Ein Beitrag zu einer statutsimmanenten Strukturanalyse des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs

Von

Björn Jesse

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Konstanz hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-12910-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für meine lieben Eltern, Gerlis und Fritz

Wissenschaftlich aber überholt zu werden, ist nicht nur unser aller Schicksal, sondern unser aller Zweck. Wir können nicht arbeiten, ohne zu hoffen, dass andere weiter kommen als wir. Max Weber, Wissenschaft als Beruf (1919)

Vorwort Diese Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz im Sommersemester 2008 als Dissertation angenommen. Das Rigorosum fand am 15. Mai 2008 statt. Das Erstgutachten erstellte Professor Dr. Rudolf Rengier, das Zweitgutachten Professor Dr. Jörg Eisele. Den Prüfungsvorsitz führte Professorin Dr. Astrid Stadler. Die Arbeit wurde Ende Dezember 2007 abgeschlossen. Die Literatur befindet sich auf diesem Stand. Eine gründliche Auseinandersetzung mit der seither neu oder in weiteren Auflagen erschienenen Literatur, die ich nach Möglichkeit in die Fußnoten aufgenommen habe, war nur noch vereinzelt durchführbar. Ich habe sie im Literaturverzeichnis entsprechend gekennzeichnet. Diese Arbeit strebt einen durchgehenden, zusammenhängenden Gedankengang an und will eine Monografie, nicht ein Handbuch oder gar ein Kommentar sein. Wer sie von ihren Ergebnissen her lesen möchte, kann sich zunächst mit dem kommentierten Schema des Ersten Kapitels des Vierten Teils vertraut machen (ab S. 295) und sich dann dem gesamten Text zuwenden. Ein Hinweis für den eiligen Leser, dem an einer zügigen Orientierung über die zentralen Ergebnisse dieser Arbeit gelegen ist: Es empfiehlt sich, den Vierten Teil in Gänze (ab S. 294) sowie den Abschnitt über die relative Bedeutung des Römischen Statuts (ab S. 166) zu lesen. Die verschiedenen Zwischenzusammenfassungen in Thesen ermöglichen zusätzlich einen Überblick über die Erkenntnisse. Auch wenn das Verfassen einer Dissertation eine wenngleich schöne, doch über weite Strecken einsame Angelegenheit ist, so haben verschiedene Personen zu ihrem Gelingen auf verschiedene Weise beigetragen, wofür ich sehr dankbar bin. Mein herzlicher Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater, Professor Dr. Rudolf Rengier. Sein Lehrstuhl ist mir zu meiner akademischen Heimat, seine wissenschaftliche und menschliche Haltung zum Vorbild geworden. Der mir gewährte Freiraum und das große Vertrauen haben ganz entscheidend zu dem Gelingen dieser Arbeit beigetragen und nicht zuletzt meine persönliche wie fachliche Reifung maßgeblich geprägt. Nicht ohne meinen Dank bleiben darf Frau Silvia Lehmann, die mir als Sekretärin des Lehrstuhls eine besonders wichtige Unterstützung in den großen und kleinen Dingen des universitären Alltags gewesen ist.

10

Vorwort

Großer Dank gebührt auch Professor Dr. Jörg Eisele, der das Zweitgutachten bemerkenswert zügig erstellt und mit wertvollen Beiträgen zur Diskussion versehen hat. Ebenso bedanke ich mich bei Professorin Dr. Astrid Stadler für ihre Mitwirkung an dem Prüfungsverfahren. Professor Dr. Bernd Hecker (Gießen) hat mich seit seiner Zeit in Konstanz in hervorragender Weise in meinem wissenschaftlichen Interesse bestärkt und unterstützt, wofür ich ihm auch sehr herzlich danken möchte. Das Manuskript haben meine Freunde Siu Prange und Dr. Simon Wagner Korrektur gelesen. Für diesen sehr wichtigen Beitrag möchte ich mich ganz besonders bedanken. Alle verbliebenen Fehler und Ungereimtheiten habe selbstverständlich allein ich zu verantworten. Außerdem bedanke ich mich bei meinen Freunden Ursel Alice Reich und Dr. Hans Logemann für die vielen Diskussionen und ihre persönliche Unterstützung und bei meiner Schwester Mareike für die gelegentliche Erdung ihres großen Bruders. Gewidmet ist diese Arbeit meinen Eltern Gerlis und Friedrich. Konstanz, im Mai 2008

Björn Jesse

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einführung

21

Erstes Kapitel Fragestellung: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts

21

Zweites Kapitel Untersuchungsgegenstand: Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs

24

A. Zustandekommen und Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

B. Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

C. Das Römische Statut als Teil des Völkerstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

D. Das Römische Statut als Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

Drittes Kapitel Gang der Untersuchung

35

Zweiter Teil Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

39

Erstes Kapitel Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Erklärung

39

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

B. Äußere und innere Strukturmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

C. Strukturanalyse und Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Strukturanalyse und Vorverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strukturanalyse und eine „pluralistische Konzeption des Völkerstrafrechts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Strukturanalyse und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42 42 43 44

12

Inhaltsverzeichnis Zweites Kapitel Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Begründung

A. Grundlagenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Geltung des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Geltungsgrund des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkerrecht als Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Völkerrecht als Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Völkerrecht als Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff und Legitimation von Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung und Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Legitimation von Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Untersuchungen zur Legitimation von Völkerstrafrecht . . . . . . . . . (1) Gierhake . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Neubacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Köhler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Tallgren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Legitimität durch optimale Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46 47 48 48 52 53 54 56 56 60 61 61 64 65 67 70

B. Das anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 I. Die äußere Seite: Die Erscheinungsformen des Völkerrechts . . . . . . . . . . 72 1. Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Objektives Element: Allgemeine Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 b) Subjektives Element: Rechtsüberzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 c) Die Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3. Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4. Sonstige mögliche Erscheinungsformen des Völkerrechts . . . . . . . . . . 89 5. Hilfsmittel für die Bestimmung der Rechtsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 6. Analogie im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II. Die innere Seite: Das vom Internationalen Strafgerichtshof anwendbare Recht (Art. 21 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Die erste Hierarchieebene – Art. 21 Abs. 1 lit. (a) . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Die zweite Hierarchieebene – Art. 21 Abs. 1 lit. (b) . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Die dritte Hierarchieebene – Art. 21 Abs. 1 lit. (c) . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Der erste Satzteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Der zweite Satzteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (1) Erste Variante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (2) Zweite Variante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Inhaltsverzeichnis (3) Dritte Variante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der dritte Satzteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die (unmodifizierten) Allgemeinen Rechtsgrundsätze des allgemeinen Völkerrechts im Lichte der Bedingung . . . . . . . . (2) Die modifizierten „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ im Lichte der Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Positionen aus dem Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Primat des Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirkt das weitere Recht auf den Verbrechensbegriff des Statuts ein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art. 21 Abs. 1 lit. (c) als Kandidat für eine Überprüfung nach Art. 123 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die äußere Seite: Die Auslegung der Verträge im Völkerrecht . . . . . . . . 1. Die Bedeutung des Konsensprinzips für die Auslegung . . . . . . . . . . . . 2. Artt. 31, 32 der Wiener Vertragsrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Auslegungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Treu und Glauben (good faith) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Auslegungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dynamische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Restriktive Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Billigkeit (Equity) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. „Lücke“, Analogie und Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die innere Seite: Die Auslegung des Römischen Statuts . . . . . . . . . . . . . . 1. Die allgemeine Auslegungs- und Anwendungsregel von Art. 21 Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vereinbarkeitsgebot und vollständiges Diskriminierungsverbot . . b) Weltanschauliche Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Neutralität als Strukturprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Praktische Relevanz von Neutralität – der Erdemovic-Fall . . 2. Art. 22, 23 – nullum crimen, nulla poena sine lege . . . . . . . . . . . . . . . a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorgaben für die Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 102 103 104 105 106 106 108 110 110 110 112 113 114 114 115 123 123 125 126 126 126 127 129 129 131 132 133 134 135 135 135 138 138 144 147 147 149

14

Inhaltsverzeichnis c) Bezugsrahmen von Art. 22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Verhältnis von Art. 21 und Art. 22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere auslegungsrelevante Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Artt. 50, 128 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 21 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Präambel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Art. 9 und die „Verbrechenselemente“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Art. 120 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

154 158 159 159 159 160 161 166

Drittes Kapitel Ergebnisse des Zweiten Teils: Die relative Bedeutung des Römischen Statuts I. II. III. IV. V.

Das Römische Statut als völkerstrafrechtlicher Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . Die doppelte Schutzdimension der Auslegungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung der Form für das Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Position des Römischen Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

166 166 169 171 174 177

Dritter Teil Strukturen des Verbrechensbegriffs

179

Erstes Kapitel Axiome des Verbrechensbegriffs A. Vom Geschehen zur Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überindividuelle Bedeutung und internationale Betroffenheit . . . . . . . . . . II. Grundbegriffe des strafbaren Geschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen . . . . . 2. Der zentrale Begriff der (individuellen) strafrechtlichen Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gegenständliches Verbrechenselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Begehung, Handlung und Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Umstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Teil 2 des Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teil 3 des Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die weiteren Teile des Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) „Umstände“ als Bestandteile der Verbrechensdefinitionen . . . . . . . (1) Art. 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art. 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179 179 179 183 183 184 186 187 190 191 191 191 194 195 195 195 197

Inhaltsverzeichnis (a) „Im Rahmen eines Angriffs und in Kenntnis dieses Angriffs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Sonstige Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Art. 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Art. 28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Vorsatz und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenstandsbewusstsein und inneres Verbrechenselement . . . . . . b) Bewusstsein als positives Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Widersprechen sich Art. 30 Abs. 1 und die Einleitung der Verbrechenselemente? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sogenannter „Specific Intent“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Art. 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art. 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Art. 8 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Wann ist im Sinne von Art. 30 etwas anderes bestimmt? . . . . . . . f) Strukturelle Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eine Ordnung der Verantwortlichkeitsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Kehrseite: Der Wegfall von Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anknüpfungspunkte der Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtlicher Anknüpfungspunkt: Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 31 Abs. 1 lit. (c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art. 32 – „Rechtswidrigkeit“ als Umstand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Art. 33 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitlicher Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Situationsbezogene Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Täterbezogene Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Tatsachenirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Art. 33 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Innere Erfordernisse der Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eine Ordnung der Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

197 200 201 202 203 204 204 207 209 210 210 213 218 220 223 224 224 226 227 227 229 229 229 230 231 232 234 234 234 234 235 235 235 236 238 239 239 241

16

Inhaltsverzeichnis Zweites Kapitel Topographie des Verbrechensbegriffs

241

A. Der Verbrechensbegriff: Eine erste Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schematische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtswidrigkeit als unpersönliche Bewertungskategorie . . . . . . . . . . . . . . III. Zugestandensein als Ausschlussgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Wegfall des Gegenstandsbewusstseins als Ausschlussgrund . . . . . . . . V. Der Wegfall des Bedeutungsbewusstseins als Ausschlussgrund . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutungsbewusstsein als Verantwortlichkeitsgrund . . . . . . . . . . . . . . 3. Reichweite des Bedeutungsbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fehlendes Bedeutungsbewusstsein und Gegenstandsbewusstsein . . . . 5. Aufhebung des inneren Verbrechenselementes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

242 242 243 245 247 247 247 249 250 253 254

B. Der Verbrechensbegriff: Eine zweite Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verhältnis von Verantwortlichkeitsgründen und Ausschlussgründen 1. Selbständige und nicht selbständige Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkung der Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Irrtümer über Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Irrtum über das Bestehen eines Ausschlussgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Irrtum über die Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes . . . . . . . . . 3. Irrtum über die rechtlichen Grenzen eines Ausschlussgrundes . . . . . . III. Bewusstsein als zentrales Strukturmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Binnenkategorien der Begründbarkeit und der Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255 255 255 256 259 260 261 262 263 265

C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Schematische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

Drittes Kapitel Fragen an den Verbrechensbegriff A. Zurechnungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Individuelle Verantwortlichkeit und der Gedanke der Gesamttat . . . . . . . II. Ursachenzusammenhang und Voraussehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einschränkung des Ursachenzusammenhangs auf der gegenständlichen Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einschränkung des Ursachenzusammenhangs auf der inneren Ebene 3. Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271 271 272 280 281 281 282 283 286

Inhaltsverzeichnis

17

B. Form, Gehalt und Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 I. Form und Gehalt: Materielle Verbrechen oder Jurisdiktionsbestimmungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 II. Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 C. Zwischenergebnis: Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292

Vierter Teil Ergebnis: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts

294

Erstes Kapitel Die systematisch geordnete Gesamtheit der rechtlichen Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach dem Römischen Statut

295

A. Schematische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 B. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Zweites Kapitel Gesamtbetrachtung

301

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324

Abkürzungsverzeichnis a. A. Abs. AdV AJIL Art(t). Aufl. Bd(e). BGBl. CanYIL cf. CLF ColumbiaLR ders. d.h. dies. Doc. ebd. EJCrCLCJ EJIL EMRK EPIL EuGRZ ff. Fn. FS GA GLJ GS HarvJIL HarvLR Herv. h. M. HRRS Hrsg. HuV-I

anderer Ansicht Absatz Archiv des Völkerrechts American Journal of International Law Artikel (Plural) Auflage Band (Bände) Bundesgesetzblatt Canadian Yearbook of International Law confer Criminal Law Forum Columbia Law Review derselbe das heißt dieselbe Document ebenda European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice European Journal of International Law Europäische Menschenrechtskonvention Encyclopedia of Public International Law Europäische Grundrechte Zeitschrift folgende Fußnote Festschrift General Assembly/Goldtammer’s Archiv für Strafrecht German Law Journal Gedächtnisschrift Harvard Journal of International Law Harvard Law Review Hervorhebung/hervorgehoben herrschende Meinung Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Herausgeber Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften

Abkürzungsverzeichnis ICC ICJ ICLQ ICLR ICTR ICTY i. e. IGH ILC ILM ILR IndianJIL insbes. IRRC IStGH i. S. v. IsYHR JCE jew. JHIL JICJ JuS JZ Kap. lit(t). LJIL MichJIL MPC m. w. N. NJW No./Nr. NStZ para. PCIJ Res. Rn. RS S. (s.) s. o. sog. StGB s. u.

International Criminal Court International Court of Justice International and Comparative Law Quarterly International Criminal Law Review International Criminal Tribunal for Rwanda International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia id est Internationaler Gerichtshof International Law Commission International Legal Materials International Law Reports Indian Journal of International Law insbesondere International Review of the Red Cross Internationaler Strafgerichtshof im Sinne von Israel Yearbook on Human Rights Joint Criminal Enterprise jeweils Journal of the History of International Law Journal of International Criminal Justice Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel litera (Plural) Leiden Journal of International Law Michigan Journal of International Law Model Penal Code mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Paragraph Permanent Court of International Justice Resolution Randnummer Römisches Statut Seite (siehe) siehe oben sogenannte/r/s Strafgesetzbuch siehe unten

19

20 u. a. UN UNESCO v. vgl. Vol. WVK YIHL ZaöRV ZIS ZStW

Abkürzungsverzeichnis unter anderem United Nations United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization versus vergleiche Volume Wiener Vertragsrechtskonvention Yearbook of International Humanitarian Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Erster Teil

Einführung Erstes Kapitel

Fragestellung: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs1 setzt einen Begriff des „Verbrechens“ voraus. An vielen Stellen ist die Rede von den „der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen“.2 In dieser Arbeit geht es um die Ermittlung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts. „Verbrechensbegriff“ meint dabei die systematisch geordnete Gesamtheit der rechtlichen Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach dem Römischen Statut. Bislang ist die Diskussion um die Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach dem Statut gleichzeitig so unterkomplex wie kompliziert: Unterkomplex, weil zum einen in der Regel ohne weitere Auseinandersetzung von einem zweigliedrigen Verbrechensverständnis analog einer Aufteilung in offence – defence ausgegangen wird, und zum anderen regelmäßig mit Formeln wie actus reus, mens rea, defence oder dergleichen argumentiert wird, ohne dass der Gehalt dieser Worte näher bestimmt würde. Abgesehen davon sind diese Formeln hinsichtlich ihres (Aussage-)Gehaltes auch im angloamerikanischen Rechtskreis (Common law), in dem sie vorwiegend verwendet werden, alles andere als unumstritten.3 1

Text of the Rome Statute circulated as document A/CONF.183/9 of 17 July 1998 and corrected by procès-verbaux of 10 November 1998, 12 July 1999, 30 November 1999, 8 May 2000, 17 January 2001 and 16 January 2002; abrufbar unter http://www.icc-cpi.int/about/Official_Journal.html. 2 So etwa in Art. 22 Abs. 1 (nullum crimen sine lege) des Römischen Statuts. Im Folgenden werden die Bestimmungen des Römischen Statuts ohne den Zusatz wiedergegeben. 3 Die vielzitierte Wendung actus non facit reum nisi mens sit rea ist daher kaum mehr als ein argumentatives Ornament, denn was genau actus reus oder mens rea er- bzw. umfassen, und wie sie zueinander stehen, beantwortet sie gerade nicht.

22

1. Teil: Einführung

Kompliziert, weil gerade durch die Unbestimmtheit der verwendeten Formeln das Nachvollziehen der Argumente stark erschwert ist – Unterkomplexität führt zu Komplikationen. Nicht nur die Tatsache, dass die völkerstrafrechtliche Diskussion gemeinsam von Strafrechtlern und Völkerrechtlern mit ihrem jeweils eigenen Vorverständnis geführt wird, sondern auch, dass diese aus ganz verschiedenen Rechtskreisen mit ihren verschiedenen Traditionen hinsichtlich Argumentation und Terminologie stammen, führt zu einer Verkomplizierung des gegenseitigen Verstehens. Was die Terminologie angeht, ist einerseits zu bemerken, dass die Diskussion schwerpunktmäßig auf Englisch stattfindet, andererseits viele Autoren keine Muttersprachler sind. Viele Begriffe und Konzepte, die dem englischsprachigen (oder deutschen oder französischen usw.) Strafrechtler selbstverständlich erscheinen, sind anderen unbekannt oder, ganz praktisch gesehen, schwer zu übersetzen.4 Selbst eine direkte, wörtliche Übersetzung führt oftmals nicht weiter. Zu denken ist etwa an die redundant erscheinende amtliche deutsche Übersetzung von with intent and knowledge (Art. 30) in vorsätzlich und wissentlich. Für den deutschen Strafrechtler scheint die Übersetzung auf den ersten Blick zumindest merkwürdig, denn nach allgemeinem Verständnis ist „Vorsatz“ schließlich das Wissen und Wollen um die Verwirklichung des Tatbestandes. Dieses Beispiel soll zunächst genügen;5 auf das Problem ist inhaltlich noch zurückzukommen.6 Den Verbrechensbegriff des Römischen Statuts herauszuarbeiten, trägt also nicht nur zu einer verständlicheren Diskussion über Rechtsfragen bei und hilft, terminologische Schwierigkeiten zu vermeiden; vielmehr dient dies auch der Rechtssicherheit und trägt praktischen Bedürfnissen Rechnung, da hiermit die „Richter [des Internationalen Strafgerichtshofs] den Einzelfall in die allgemeinen Merkmale der Strafbarkeit einordnen und dadurch juristisch zuverlässig erfassen“7 können.8 Schon deshalb ist auch ein 4

Vgl. Kreß, Die Kristallisation eines Allgemeinen Teils des Völkerstrafrechts: Die Allgemeinen Prinzipien des Strafrechts im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, 1 HuV-I 1999, S. 4 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 321; Fronza, A General Part of International Criminal Law, 16 CLF (2005), S. 396, geht so weit zu sagen, deutsche Rechtswissenschaftler tendierten generell dazu, nur ihre eigene Terminologie und die eigenen Kollegen zu berücksichtigen. 5 Ein weiteres Beispiel nennt Fletcher, Reasonableness im amerikanischen und im Völkerstrafrecht, in: FS-Eser, S. 739–749, nämlich den für das Common law wichtigen Begriff der reasonableness, wobei er auch die Schwierigkeiten einer direkten Übersetzung aufzeigt. 6 Unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. 7 Jescheck, Neue Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik in rechtsvergleichender Sicht, 98 ZStW (1986), S. 5; meine Einfügung. 8 Zu Strukturanalyse und Rechtssicherheit noch unten Zweiter Teil, Erstes Kapitel, C. III.

1. Kap.: Fragestellung: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts

23

pragmatisches Vorgehen angezeigt, das theoretisch befriedigt, aber in der Praxis handhabbar bleibt.9 Das Vorhaben, den Verbrechensbegriff des Römischen Statuts herauszuarbeiten, geht daher mit einer notwendigen (Selbst-)Beschränkung einher: Beschränkung, weil bereits ein Blick auf die geradezu exzessiv gründliche deutsche Literatur zur Strafrechtsdogmatik deutlich macht, dass ein solches Unternehmen schon quantitativ unmöglich sein muss, wenn Vollständigkeit oder Lückenlosigkeit, gar systematische Widerspruchsfreiheit und Geschlossenheit angestrebt werden. Wie gesagt: es geht um eine handhabbare Begriffsbestimmung. Was das Römische Statut angeht, steht die Dogmatik noch am Anfang; feinste Verästelungen anzustreben oder zu erwarten, ist daher nicht realistisch.10 Notwendig ist diese Selbstbeschränkung nicht nur aus diesen quantitativen und ebenfalls angedeuteten qualitativen Gründen, sondern auch wegen der besonderen Vorgaben des Römischen Statuts selbst: wir wollen den Verbrechensbegriff des Statuts ermitteln, und zwar aus dem Statut. Insofern geht es gerade nicht um die Entwicklung „des“ (völkerstrafrechtlichen) Verbrechensbegriffs und dessen Vereinbarkeit mit dem Statut, sondern um ein gleichsam umgekehrtes Vorgehen. Indem wir die vom Statut selbst gemachten Vorgaben herausarbeiten und systematisch ordnen, also die Strukturen des Statuts ermitteln, zeigen wir den Verbrechensbegriff des Statuts auf. Dabei können wir implizit auch überprüfen, ob und inwiefern die bislang in der Literatur (Urteile des Internationalen Strafgerichtshofs sind noch nicht ergangen) verwendeten Begriffe wie etwa mens rea oder defences den Gehalt des Römischen Statuts zutreffend wiedergeben, oder ob es sich hierbei um (bloße) Sammelbegriffe oder gar um fehlleitende Formulierungen handelt.11 Die Methode des Vorgehens ist die der statutsimmanenten Strukturanalyse, die zu Beginn des Zweiten Teils erläutert wird. Die für die Ermittlung des Verbrechensbegriffs zentralen „Allgemeinen Grundsätze des Strafrechts“ liegen mit dem Römischen Statut als Teil des Völkerstrafrechts erstmals ausführlich formuliert mit seinem Dritten Teil 9 Triffterer schlägt im Zusammenhang mit der Auslegung des schwierigen Art. 28 „einen mehr pragmatischen als theoretischen Ansatz“ vor, der von allen Rechtskreisen akzeptiert werden könne, Command Responsibility, in: FS-Lüderssen, S. 459. 10 Daher sprechen wir auch weiterhin vom „Verbrechensbegriff des Römischen Statuts“, denn eine vollständige Straftatlehre auszuarbeiten, ist nicht unser Ziel. 11 Ambos, Current Issues in International Criminal Law, 14 CLF (2003), S. 238, weist darauf hin, dass sich Begriff und Gemeintes entsprechen müssen. und ein mehr an Klarheit über das Gemeinte auch eine genauere Feststellung von Verantwortlichkeit ermögliche, wenn er den (für das Völkerstrafrecht nicht ungewöhnlichen) Ansatz Bassiounis kritisiert, der die Begriffe mens rea sowie intent verwende, ohne präzise die verschiedenen Bedeutungsebenen abzugrenzen; s. auch dort S. 247–248.

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1. Teil: Einführung

und damit gleichsam nach die Klammer gezogen – die Definitionen der Verbrechen sind im Zweiten Teil vorangestellt – vor.12 Diese Innovation hat ebenfalls eine intensive Diskussion ausgelöst.13 Die „Allgemeinen Grundsätze“ sind in ihrem Verständnis jedoch weiterhin von den seit Jahrzehnten überkommenen Formulierungen, Denkmustern und Akteuren wie Foren geprägt.14 Bereits mit einem kursorischen Blick auf das Römische Statut lässt sich aber auch das Bemühen um terminologische Eigenständigkeit feststellen, so dass sich daran auch das Bemühen um die Überwindung des so oft angeführten Gegensatzes – und sei es nur ein vermeintlicher – von Common law und Civil law abzeichnet. Insofern hat sich das Römische Statut vom nationalen Strafrecht bereits emanzipiert.15

Zweites Kapitel

Untersuchungsgegenstand: Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs A. Zustandekommen und Rechtsnatur Gegenstand unserer Untersuchung ist das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs.16 Dieses ist gemäß Art. 2 Abs. 1 der – insofern auch gewohnheitsrechtlich geltenden – Wiener Vertragsrechtskonvention ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag.17 Das Statut haben 139 Staaten unterzeichnet und bis heute 106 Staaten ratifiziert.18 Der Text des Statuts wurde am 17. Juli 1998 nach einigen Jahren der Vorbereitung mit verschiedenen Entwürfen19 und fünfwöchigen Verhandlun12 Kreß, Zur Methode der Rechtsfindung im Allgemeinen Teil des Völkerstrafrechts, 111 ZStW (1999), S. 599, weist in Fn. 10 zutreffend darauf hin, dass mit der Verwendung des deutschen Begriffes „Allgemeiner Teil“ im völkerstrafrechtlichen Kontext noch keine inhaltliche Festlegung verbunden sein dürfe. 13 Man braucht nur einen Blick in die Inhaltsverzeichnisse von Criminal Law Forum; European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice, International Criminal Law Review oder des Journal of International Criminal Justice zu werfen. 14 s. auch Fn. 28. 15 Vgl. Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 196. 16 Vgl. Fn. 1. 17 I. S. v. Artt. 40, 41 WVK. 18 Stand: 31. Dezember 2007, vgl. http://www.icc-cpi.int/asp/statesparties.html. 19 Ein Überblick findet sich bei Lee (Hrsg.), The International Criminal Court. The Making of the Rome Statute, S. xxv–xxvii.

2. Kap.: Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs

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gen auf der Bevollmächtigtenkonferenz in Rom angenommen.20 An den Verhandlungen hatten 160 Staaten teilgenommen. Bei der Schlussabstimmung über den gesamten Text stimmten 120 Staaten für das Statut; 21 enthielten sich, und 7 stimmten dagegen. Unter den Staaten, die gegen das Statut stimmten, sind erklärtermaßen die Volksrepublik China, die Vereinigten Staaten von Amerika und Israel.21 Nach der 60. Ratifizierung des Statuts ist dieses am 1. Juli 2002 in Kraft getreten. Das Römische Statut ist in die Rechtsordnung des Völkerrechts eingebettet.22 Der Sache nach handelt es sich (auch23) um Strafrecht, da es um die Feststellung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit geht.24 Somit lässt sich das Römische Statut zwanglos dem „Völkerstrafrecht“ zuordnen, einer Unterkategorie des Völkerrechts,25 die spätestens seit den Urteilen des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals allgemein Anerkennung gefunden und seit der Errichtung der ad hoc-Tribunale für das frühere Jugoslawien und für Ruanda Mitte der 1990er Jahre eine wenige Jahre zuvor noch kaum vorstellbare Akzeptanz erreicht hat.26 20 Aus den vielen zwischenzeitlich erschienenen Darstellungen vgl. Lee (Hrsg.), The International Criminal Court. The Making of the Rome Statute, S. 13 ff. 21 Pressemitteilung L/ROM/22 vom 17. Juli 1998, http://www.un.org/icc/press rel/lrom22.htm. 22 Dazu noch Zweiter Teil, Drittes Kapitel, I. 23 Das Römische Statut errichtet den Internationalen Strafgerichtshof (Art. 1 S. 1); es enthält daher nicht nur Bestimmungen, die der Sache nach Strafrecht sind, sondern weitere überwiegend organisatorische Bestimmungen. Vgl. Fn. 60. 24 Vgl. insbes. Artt. 22–25. 25 Vgl. im Einzelnen unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. II. 1. 26 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, S. 123–124 haben noch im Jahr 1996 Zweifel, ob „Völkerstrafrecht“ überhaupt (noch) existiert. Die klassische Fußnote verweist an dieser Stelle stets auf Schwarzenberger, The Problem of an International Criminal Law (Nachdruck in: Mueller/Wise, International Criminal Law, S. 3 ff.). Schwarzenberger warnt schon 1950 vor zu großen Enthusiasmus, wenn sich ein neuer „dernier cri“ abzeichne und mahnt die Reflexion über die neue Materie an. Auf ihn geht auch die Begriffsbestimmung International Criminal Law in the material sense of the word zurück, die sich größtenteils mit der heutigen Bestimmung von „Völkerstrafrecht“, wie sie auch hier vertreten wird, deckt. Jedenfalls sagt Schwarzenberger kurz nach Beendigung der Nürnberger und Tokioter Prozesse, gegenwärtig, d.h. 1950, existiere gar kein Völkerstrafrecht im eigentlichen Sinne (S. 35). Das entscheidende Kriterium Schwarzenbergers, nämlich eine genuine Verfolgungszuständigkeit der Weltgemeinschaft, die sich auch gegenüber den „world powers“ durchsetzen könne (S. 35–36), wird auch heute vom Römischen Statut nur teilweise erfüllt, führt man sich die ablehnende Haltung etwa der USA und Chinas gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof vor Augen. Dazu auch Malekian, The Monopolization of International Criminal Law in the United Nations, der in der Einleitung gar von Zensur jener Ansichten spricht, die den Interessen bestimmter Kreise entgegenliefen. Er benennt „die starken Staaten“ als Monopolisten der Durchsetzung von Völkerstrafrecht.

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1. Teil: Einführung

Seither hat die Fülle der Rechtsprechung beider ad hoc-Tribunale und insbesondere der Literatur ein Ausmaß angenommen, das nur noch schwer überschaubar ist. Gerade nach der Verabschiedung des Römischen Statuts im Jahr 1998 gab es eine große Menge an Publikationen, in denen der jahrelange Prozess sowie die mehrwöchigen Verhandlungen der Bevollmächtigtenkonferenz in Rom, die schließlich zu der Unterzeichung des Römischen Statuts geführt haben, aufgearbeitet wurden.27 Ein Großteil der Bearbeiter konnte dabei auf die persönlichen Eindrücke zurückgreifen und diese somit auch den an den Verhandlungen Unbeteiligten vermitteln.28 Die Konferenz war in besonders starkem Maße geprägt von dem Streit über das Ausmaß der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes und damit über sein Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten und zu den Nichtmitgliedsstaaten.29 Zwar ist es ein erklärtes Ziel des Römischen Statuts, dass die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes bedrohen, nicht ungesühnt bleiben dürfen30, und alle Staaten werden an ihre Pflicht erinnert, ihre Strafgerichtsbarkeit über die für internationale Verbrechen Verantwortlichen auszuüben31. Trotz aller Absichten hat sich in dem genannten Streit das Verlangen einiger einflussreicher Staaten ausgedrückt, im Zweifelsfall das letzte Wort über die strafrechtliche Aufarbeitung des Verhaltens ihrer Staatsbürger nicht zu verlieren. Der Satz von der Überwindung des Souveränitätsdogmas32 gilt daher nicht uneingeschränkt. Insofern verwundert es kaum, dass die neue Rolle des Gerichtshofs im völkerrechtlichen Gefüge besonders intensiv diskutiert wird.33 27 Auf einen detaillierten Nachweis kann daher getrost verzichtet werden. Die Literatur lässt sich leicht über die im Literaturverzeichnis näher ausgewiesenen Lehrbücher etwa von Werle, Cassese, Bantekas/Nash sowie Ambos und die von Triffterer sowie Cassese et al. herausgegebenen Kommentare erschließen. 28 Vgl. insbesondere Lee (Hrsg.), The International Criminal Court. The Making of the Rome Statute – Issues, Negotiations, Results. Auch die beiden Kommentare von Cassese und Triffterer sind im Wesentlichen von Autoren verantwortet, die an der Bevollmächtigenkonferenz teilgenommen haben. Ein Großteil der Literatur stellt den Gerichtshof daher „from the perspective of its founding fathers“ (so Paulus, Legalist Groundwork fort he International Criminal Court: Commentaries on the Statute of the International Criminal Court, 14 EJIL (2003), S. 844) dar. Paulus bemerkt, gerade in Hinblick auf das von Lee herausgegebene Buch, einen gelegentlich „defensiven Ton“, der statt einer kritischen Analyse eingeschlagen werde (S. 844, 849, 859). 29 Dazu verschiedene Beiträge in Lee (Hrsg.), ebd. 30 Präambel, 4. Abs. 31 Präambel, 6. Abs. 32 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 88, spricht davon, dass die „Normen den ‚Panzer der Souveränität‘ [Jescheck]“ durchbrechen; sowie: Menschenrechtsschutz durch Völkerstrafrecht, 109 ZStW (1997), S. 820. 33 Pointiert etwa Mégret, Epilogue to an Endless Debate: The International Criminal Courts’s Third Party Jurisdiction and the Looming Revolution of International

2. Kap.: Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs

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In der – zwar auf das Gewohnheitsrecht gemünzten, aber dennoch auf das ganze Völkerrecht anwendbaren – Terminologie von Verdross und Simma handelt es sich bei dem Statut wegen der fehlenden Beteiligung vieler Staaten nicht um universelles Völkerrecht.34 Ob es sich bei dem Statut immerhin um allgemeines Völkerrecht handelt, ist wegen der Nichtbeteiligung vieler Staaten, die mehr als bloß vereinzelte persistent objectors darstellen, auch zweifelhaft. Andererseits ist die Gruppe der Vertragsstaaten mit heute 105 zu groß, um von einem bloß partikulären Völkerrecht zu sprechen. Dieser Versuch einer Kategorisierung hilft allerdings zu verstehen, dass das Römische Statut seinen allgemeinen oder gar universellen Anspruch35 zumindest noch nicht eingelöst hat.

B. Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs Durch das Statut wird der Internationale Strafgerichtshof errichtet36; dieser findet im Römischen Statut seinen Entstehungs- und Geltungsgrund und stellt einen „neuen Typus von Gericht“37 dar. Der Gerichtshof hat Völkerrechtspersönlichkeit und ist zur Wahrung seiner Aufgaben und zur Verwirklichung seiner Ziele rechts- und geschäftsfähig.38 Er ist befugt, seine Gerichtsbarkeit über Personen wegen der in dem Römischen Statut genannten Law, 12 EJIL (2001), S. 247–268 sowie Schabas, United States Hostility to the International Criminal Court: It’s All About the Security Council, 15 EJIL (2004), S. 701–720; ders., The International Criminal Court: The Secret of Its Success, 12 CLF (2001), S. 415–428; Joyner/Posteraro, The United States and the International Criminal Court: Rethinking the Struggle between National Interests and International Justice, 10 CLF (1999), S. 359–385; Leigh, The United States and the Statute of Rome, 95 AJIL (2001), S. 124–131; Conso, The Basic Reasons for US Hostility to the ICC in Light of the Negotiating History of the Rome Statute, 3 JICJ (2005), S. 314–322. Einen grundsätzlichen Trend amerikanischer Politik sieht Vagts, Taking Treaties Less Seriously, 92 AJIL (1998), S. 458–462. Die Entwicklungen der amerikanischen Haltung gegenüber der internationalen Strafgerichtsbarkeit zeichnet Cerone, Dynamic Equilibrium: The Evolution of US Attitudes toward International Criminal Courts and Tribunals, 18 EJIL (2007), S. 277–315, nach. Letztlich seien die entscheidenden Faktoren das Maß an Kontrolle über den jeweiligen Gerichtshof sowie die Wahrscheinlichkeit, dass eigene Staatsangehörige nicht strafrechtlich verfolgt werden. Ohne einzelne Staaten zu nennen, aber dennoch mit bemerkenswert deutlicher Kritik Bantekas/Nash, International Criminal Law, S. 19. 34 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 359–360 (§ 567). 35 In der Präambel und Art. 1 kommt zum Ausdruck, dass es um schwere Verbrechen geht, die die internationale Gemeinschaft als Ganze betreffen. 36 Präambel, Abs. 10; Art. 1. 37 Kaul, Developments at the International Criminal Court, 99 AJIL (2005), S. 371. 38 Art. 4.

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1. Teil: Einführung

„schwersten Verbrechen von internationalem Belang“ auszuüben, wobei er die innerstaatliche Strafgerichtsbarkeit ergänzt.39 Zu betonen ist, dass der Gerichtshof nicht Träger des Statuts (dies sind die Mitgliedsstaaten), sondern auf Grund des Statuts errichtet ist. Der Gerichtshof ist daher den Staaten nicht formell gleichgeordnet und befindet sich folglich nicht in einem horizontal geordneten Verhältnis zu diesen. Vielmehr zeigt sich eine eher vertikale Struktur. Der Gerichtshof wird von den Mitgliedsstaaten des Römischen Statuts getragen. Er ist von den Vereinten Nationen unabhängig, mit diesen aber durch Abkommen verbunden.40 Der Sicherheitsrat genießt gemäß Artt. 13 lit. (b) und 16 eine herausgehobene Stellung, da er zum einen „Situationen“ dem Ankläger unterbreiten und zum anderen einen Aufschub der Ermittlungen oder der Strafverfolgung verlangen kann.41 Der Internationale Strafgerichtshof hat inzwischen seine Arbeit aufgenommen; die Richter sowie der Ankläger und Kanzler sind ernannt worden. Ermittlungen zu „Situationen“ in der Demokratischen Republik Kongo, in Uganda, der Zentralafrikanischen Republik und in Darfur (Sudan) dauern an.42 Am 17. März 2006 ist die erste Person festgenommen worden und am 20. März 2006 vor dem Gerichtshof erschienen.43

C. Das Römische Statut als Teil des Völkerstrafrechts Wird das Römische Statut gelegentlich als Meilenstein einer rasanten Entwicklung des Völkerstrafrechts bezeichnet44, so trifft dies insofern zu, als mit dem Statut erstmals ein permanenter Strafgerichtshof errichtet wird 39

Art. 1 S. 2. Art. 2; vgl. das „Negotiated Relationship Agreement between the International Criminal Court and the United Nations“ vom 4. Oktober 2004. 41 Fletcher/Ohlin, The ICC – Two Courts in One?, 4 JICJ (2006), S. 428–433, sehen gar auf Grund der unterschiedlichen Mechanismen der Zuständigkeit des Gerichtshofs „zwei Gerichtshöfe in einem“ am Werk. Der eine sei ein echter, unabhängiger Strafgerichtshof, der sich in erster Linie mit individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit beschäftige, und für den das gesamte Zulässigkeitsregime einschließlich des Komplementaritätsprinzips nach dem Statut gelte. Der andere sei ein vom Sicherheitsrat und dessen Auftrag, Frieden und Sicherheit zu gewährleisten, abhängiger Gerichtshof. s. auch Fn. 157. 42 Einen Überblick verschaffen die jährlich erscheinenden Berichte des Gerichtshofs an die Vollversammlung der Vereinten Nationen. Vgl. zuletzt Report of the International Criminal Court, UN Doc. GA/A/62/314 vom 31. August 2007. 43 Http://www.icc-cpi.int/library/about/newsletter/10/en01.html (31. Dezember 2007). 44 Werle, Völkerstrafrecht, S. VII (Vorwort zur 1. Aufl.) und Rn. 55; Satzger, Das neue Völkerstrafgesetzbuch – eine kritische Würdigung, NStZ 2002, S. 125: „Quantensprung“. 40

2. Kap.: Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs

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und diesem eine umfassende schriftlich niedergelegte Arbeitsgrundlage gegeben wird. Die Gerichtshöfe für das frühere Jugoslawien und für Ruanda waren vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ad hoc eingerichtet worden und mussten sich das von ihnen anwendbare Recht aus verschiedenen Rechtsquellen und vielen Dokumenten zusammensuchen. Gleichzeitig jedoch kann die Bezeichnung des Römischen Statuts als Meilenstein der Entwicklung des Völkerstrafrechts zu einem Missverständnis führen:45 „Völkerstrafrecht“ kann stets nur ein Sammelbegriff sein, der die Gesamtheit der völkerrechtlichen Normen, welche eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit nach Völkerrecht bestimmen, beschreibt.46 Gerade wegen der aus verschiedenen Gründen ablehnenden Haltung großer Staaten, die einen Großteil der Menschheit repräsentieren, kann das Römische Statut nicht als Ausweis des Völkerstrafrechts herangezogen werden. Vielmehr ist das Römische Statut ein Teil des Rechtsgebietes des Völkerstrafrechts; ein Gedanke, der in Art. 10 des Statuts zum Ausdruck kommt. Als völkerrechtlicher Vertrag ist das Römische Statut primär Ausdruck von Völkerrecht. Da das allgemeine Vertragsvölkerrecht vom Ausgangspunkt her die völkerrechtlichen Verträge nicht nach ihrem Inhalt unterscheidet, sondern vielmehr mit der Wiener Vertragsrechtskonvention allgemeine Regeln über deren Inkrafttreten, Änderung, Anwendung und Auslegung bereit hält, nimmt das Römische Statut vertragsvölkerrechtlich gesehen zunächst keine Sonderrolle ein. Daher wird zu untersuchen sein, inwiefern die allgemeinen vertragsvölkerrechtlichen Regelungen in Bezug auf die Auslegung des Römischen Statuts Anwendung finden, beziehungsweise, inwiefern das Römische Statut eigene Bestimmungen über die Auslegung enthält, die den allgemeinen Regeln vorgehen. Dabei gilt als eine fundamentale Regel des allgemeinen Vertragsvölkerrechts, dass der Vertrag selbst Ausdruck des von den Vertragsstaaten Gewollten ist. Dies bedeutet, dass grundsätzlich der Vertrag der Ausgangsort jeder Auslegung ist. Das zuvor angedeutete Missverständnis bestünde also darin, bei dem Verstehen des Römischen Statuts nicht zunächst von dem Text auszugehen, sondern ein aus der Beschäftigung mit dem sonstigen 45 Aus Werles Vorwort ergibt sich, dass er diesem Missverständnis nicht erliegt. Jedoch behandelt er in seinem Lehrbuch zum Völkerstrafrecht das Statutsstrafrecht und das sonstige Völkerstrafrecht gemeinsam, so dass sich die Unterscheidbarkeit nicht immer deutlich ergibt. Bei seinem Zweiten Teil zum „Allgemeinen Teil“ (Rn. 317 ff.) geht er wie selbstverständlich von den „Konturen einer völkerrechtlichen Straftatlehre“ aus (kursiv von mir); vgl. insbesondere Rn. 323 ff. Deutlich differenziert in: Individual Criminal Responsibility in Article 25 ICC Statute, 5 JICJ (2007), S. 961. Im Einzelnen zur Straftatlehre (Verbrechensbegriff) des Römischen Statuts im Dritten Teil dieser Arbeit. 46 Zur Begriffsbestimmung unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. II. 1.

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1. Teil: Einführung

Völker(gewohnheits)strafrecht gewonnenes Vorverständnis zum Ausgangsort zu machen und das Römische Statut im Lichte dieses Vorverständnisses auszulegen. Bantekas sieht den wesentlichen Grund für eine methodisch angreifbare Rechtsfindung in einer „overfamiliarity“ mit dem Völkerstrafrecht.47 Fundamental wäre ein solches Missverständnis, weil es der Rechtsquellen- und Auslegungslehre des Völkerrechts widerspricht.48 Außerdem gibt das Römische Statut mit Art. 21 den Rahmen des vom Gerichtshof anwendbaren Rechts vor,49 und an erster Stelle steht das Statut selbst. Bemerkenswert ist Art. 21 noch aus zwei weiteren Gründen: Erstens spricht sich Art. 21 für eine klare Hierarchie des anwendbaren Rechts aus. Dem allgemeinen Völkerrecht ist eine solche strenge Hierarchie dagegen grundsätzlich fremd. Zweitens findet sich eine ähnliche Bestimmung weder in dem Statut des Internationalen Gerichtshofs, noch in der den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte betreffenden Europäischen Menschenrechtskonvention oder anderen Gerichten50. Nach allgemeiner Ansicht soll es sich bei dem Römischen Statut um eine das gewohnheitsrechtlich geltende Völkerstrafrecht bestätigende und präzi47 Bantekas, Reflections on some Sources and Methods of International Criminal and Humanitarian Law, 6 ICLR (2006), S. 136. 48 Zur Rechtsquellenlehre und der dafür wesentlichen Bestimmung des Geltungsgrund des Völkerrechts unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. sowie Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. I. 1.; zur Auslegung unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. 49 Die Bestimmung des Regelungsgehaltes von Art. 21 ist unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. vorbehalten. Bevor wir uns damit auseinandersetzen können, müssen wir das Römische Statut zunächst im Völkerrecht verorten und die für das Verstehen des Statuts im Allgemeinen und Art. 21 im Besonderen wesentlichen Parameter klären. Im Fortgang dieser vorbereitenden Erörterungen werden schließlich auch einige wichtige Aspekte für die Auslegung und die Bedeutung von Art. 21 herausgearbeitet werden können, so dass wir uns später auf sicherem Grund bewegen. 50 Das Statut des Internationalen Gerichtshofs enthält mit Art. 38 eine für das Völkerrecht eminent wichtige Bestimmung, die allgemein als Ausdruck der im Völkerrecht üblichen Rechtsquellen angesehen wird. Nach allgemeiner Ansicht stellt sie keine den Internationalen Gerichtshof bindende Hierarchie auf (Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I.). Dieser muss somit die Rangfolge des in dem von ihm zu entscheidenden Fall anwendbaren Rechts aus dem Völkerrecht selbst ermitteln. Die Europäische Menschenrechtskonvention sagt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Einhaltung der Verpflichtungen aus der Konvention sicherstelle (Art. 19 EMRK) und er dazu die Konvention und die Protokolle auslege und anwende (Art. 32 Abs. 1; 47 Abs. 1 EMRK); eine Bestimmung, nach der sich der Gerichtshof auch mit der Auslegung oder Anwendung anderen Rechts außerhalb der Konvention beschäftigen könne, findet sich nicht. Art. 53 EMRK (Wahrung anerkannter Menschenrechte) bestimmt dabei nur, dass keine Bestimmung der EMRK als Beschränkung oder Minderung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten ausgelegt werden dürfe, die in anderen Instrumenten niedergelegt ist.

2. Kap.: Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs

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sierende Kodifikation handeln.51 Das so geschaffene vertragliche Völkerrecht hat sich daher von dem Völkergewohnheitsrecht emanzipiert. Die Normen treten in einer eigenen Erscheinungsform, dem Vertrag, auf, für die nach allgemeinem Völkerrecht besondere Regeln gelten. Aus dem Umstand der Kodifikation folgt auch, dass der Ausgangsort aller Überlegungen, die das Römische Statut betreffen, das Statut selbst sein muss und alle Ergebnisse an das Statut rückgekoppelt werden müssen. Dies bedeutet auch, dass die (gewohnheitsrechtlichen) Normen, die im Anwendungsbereich des Römischen Statuts vor dessen In-Kraft-treten galten, insofern Rechtsgeschichte sind,52 als dort nunmehr die Normen des Römischen Statuts das geltende Recht repräsentieren.53 Gleichzeitig jedoch öffnet Art. 21 Abs. 1 litt. (b), (c) das Römische Statut nach außen, indem es den Rekurs auf andere Rechtsquellen zulässt, sofern dies erforderlich ist. Den Vorrang des Statuts bei Auslegung und Anwendung vermag dies aber nicht grundsätzlich einzuschränken.54

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Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 4, 137, 152, 154; zu Begriff und Wirkungen von Kodifikation unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. 2. c). Zu der von Werle abweichenden Schlussfolgerung dieser Arbeit zusammenfassend unten Zweiter Teil, Drittes Kapitel, V. 52 Das gewohnheitsrechtliche Völkerstrafrecht ist durch das Inkrafttreten des Römischen Statuts nicht bedeutungslos geworden. Dies zeigt sich bereits daran, dass dieses selbst kein Völkergewohnheitsrecht darstellt: es fehlen schließlich einige große Staaten als Vertragsmitglieder; andere lehnen das Statut gar vehement ab, während weitere vertragsbrüchig werden, indem sie mit Nicht-Signaturstaaten Verträge abschließen, die zur Folge haben sollen, dass deren Staatsangehörigen nicht der Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofes unterstellt werden. Hieraus ergibt sich, dass das vorliegende Statut nicht als letzte Stufe der Entwicklung angesehen werden kann, sondern vielmehr die wichtigste Stufe der letzten Zeit darstellt. 53 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 154, meint hingegen, soweit sich die Regeln des Römischen Statuts auf bereits zuvor bestehendes Völkergewohnheitsrecht zurückführen ließen, sei von einer deklaratorischen Feststellung auszugehen, und dies entspreche dem Willen der Vertragsstaaten. Werle belegt diese Ansicht nicht. Im Fortgang dieser Arbeit wird sich zeigen, dass hier einem differenzierteren Verständnis der Vorzug zu geben ist. Vgl. unten Zweiter Teil, Drittes Kapitel. In diesem Zusammenhang ist auch Triffterers Ansicht (in: Der ständige internationale Strafgerichtshof, GS-Zipf, S. 532–534; Preliminary Remarks, Rn. 61 ff., in: ders., Commentary on the Rome Statute; Kriminalpolitische und dogmatische Überlegungen zum Entwurf gleichlautender „Elements of Crimes“ für alle Tatbestände des Völkermordes, FS-Roxin, S. 1420, 1427), das Statut schaffe kein materielles Völkerstrafrecht, sondern solle geltendes Völkerstrafrecht durchsetzen und dies allenfalls konkretisieren, zu nennen. Dazu sogleich und unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, B. I. 54 Dazu im Einzelnen unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 4. a).

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1. Teil: Einführung

D. Das Römische Statut als Strafrecht Jede Rechtsordnung nimmt für sich in Anspruch, allgemeinverbindliche Normen aufzustellen und zu gewährleisten. In den nationalen Rechtsordnungen ist es das Strafrecht, welches den Geltungsanspruch dieser Normen durch die von ihm vorgesehenen Sanktionen flankiert.55 Diese Sicherungsfunktion erreicht das Strafrecht nicht nur durch Repression, sondern eben auch durch Prävention.56 Strafrecht ist Ausdruck der Staatsgewalt par excellence.57 Mit dem Römischen Statut haben die Mitgliedsstaaten eine strafrechtliche Flankierung der von ihnen als für die internationale Staatengemeinschaft als Ganze elementar erachteten Grundinteressen schaffen wollen.58 Neben strafrechtlichen Bestimmungen, also jenen, welche für die Feststellung einer individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit entscheidend sind,59 enthält das Römische Statut auch organisatorische Bestimmungen,60 die uns im Rahmen dieser Arbeit jedoch allenfalls am Rande interessieren. Die strafrechtlichen Bestimmungen, um die es uns hier geht, finden sich insbesondere in Teil 2, Teil 3 und Teil 7 des Römischen Statuts; auf Grund von Art. 9 sind auch die so genannten Verbrechenselemente dazu zu zählen. 55 Vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, S. 2; Weigend, Einführung, Strafgesetzbuch, Beck-Texte im dtv; Wessels/Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, Rn. 9. 56 Vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 4–5. 57 Vgl. Köhler, Zum Begriff des Völkerstrafrechts, S. 438–439, 447–448 (Kernaussage: Strafrecht als Ausdruck der Selbstbestimmung der Völker, vgl. S. 467); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, S. 11. Die klassische Sicht (von 1885) findet sich bei Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 370. Dabei unterliegt der Staat auch hier völkerrechtlichen Bindungen; er ist also nicht völlig unbeschränkt. Siehe auch König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 149–157. 58 Präambel, insbesondere dritter, vierter, neunter, elfter Satz, Art. 1, Art. 5 Abs. 1. 59 Wenn hier von „Regeln“ oder „Bestimmungen“ die Rede ist, dann gründet dies in dem Bemühen, eine vorzeitige Festlegung auf möglicherweise bereits prädisponierte Begriffe (z. B. „Tatbestand“ oder „Strafbestimmung“) zu vermeiden und auch die wichtigen prozessual relevanten Regeln nicht von vornherein auszuschließen. 60 Beispielsweise haben Art. 37 (Frei gewordene Sitze) oder Art. 49 (Gehälter, Zulagen und Aufwandsentschädigung) keine Relevanz für die Feststellung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit, so wichtig sie für die Arbeit des Gerichtshofs auch sein mögen. Vgl. auch Gil Gil, Die Tatbestände der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Völkermordes im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, 112 ZStW (2000), S. 381: das Statut enthalte einen materiellen Teil und verfahrensrechtliche Regelungen. Im Römischen Statut seien Völkerstrafgesetzbuch und Statut für den Internationalen Strafgerichtshof zusammengefasst.

2. Kap.: Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs

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Funktional beinhaltet das Römische Statut Strafrecht, da es Sanktionen für schwere Brüche von besonders elementaren und jedenfalls im Anwendungsbereich des Statuts verbindlichen Bestimmungen vorsieht.61 Dadurch sollen solche Brüche repressiv durch Bestrafung geahndet62 und präventiv durch die Androhung einer konsequenten Verfolgung unterbunden63 werden. Formell beinhaltet das Römische Statut Strafrecht, da es vertypte gegenständliche Erfolgs- bzw. Verhaltensbeschreibungen64 enthält65 und Rechtsfolgen, nämlich Freiheitsstrafe66 und daneben Geldstrafe und Einziehung von aus dem Verbrechen stammenden Vermögenswerten67 androht68. Ob das Römische Statut auch materiell Strafrecht beinhaltet, also selbst den rechtlichen Grund für die Bestrafung eines Verhaltens darstellt, ist eine noch offene Frage. Triffterer vertritt die Ansicht, bei den Bestimmungen der Artt. 5–8 handele es sich um bloße Jurisdiktionszuweisungen, das Römische Statut sei sozusagen ein „Gerichtsverfassungsgesetz“, und das Strafgesetz als solches sei im Völkergewohnheitsrecht zu verorten.69 Anders gewendet, es ist noch klärungsbedürftig, ob das Römische Statut überhaupt selbständige Verbotsnormen (Unrechtstatbestände) enthält, oder ob es über Jurisdiktionsbestimmungen lediglich Bezug auf außerhalb des Statuts existierende Verbotsnormen nimmt.70 Dass die Unterscheidung von Form und Gehalt und auch die Frage nach den Adressaten des Strafgesetzes wichtig ist, merkt (sich auf das deutsche 61

Teil 7 des Römischen Statuts. Präambel, vierter und fünfter Satz. 63 Präambel, fünfter Satz. 64 Vertypt sind die gemäß Art. 5 „der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen“ (so auch die Überschrift zu Teil 2): Völkermord (Art. 6), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7) und Kriegsverbrechen (Art. 8); sie sind gegenständlich, da sie ein bestimmtes Verhalten oder einen bestimmten Erfolg oder beides beschreiben. 65 Teil 2 und 3 des Statuts. 66 Art. 77 Abs. 1. 67 Art. 77 Abs. 2. 68 Vgl. Wessels/Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, Rn. 10. 69 Triffterer, Der ständige Internationale Strafgerichtshof, in: GS-Zipf, S. 532. Vgl. Fn. 53. 70 Ganz auf der Hand zu liegen scheint die Antwort nicht, ordnen doch Grant/ Barker, International Criminal Law Deskbook, nach „considerable thought“ (Vorwort) das Römische Statut, die „Verbrechenselemente“ sowie die Verfahrens- und Beweisordnung nicht im ersten Teil ihrer Zusammenstellung (substantive international criminal law) ein, sondern im zweiten Teil, der mit procedural (sic) international criminal law überschrieben ist. Unsere Überlegungen folgen unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, B. 62

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1. Teil: Einführung

Strafrecht beziehend) Schmidhäuser an.71 Er ist von Hoerster stark kritisiert worden.72 Auch wenn die Kritik Hoersters in Begründung wie im Ergebnis überzeugt, so verdient der Ansatz Schmidhäusers dennoch Beachtung, gerade in unserem Zusammenhang: Bereits ein kursorischer Blick auf die zu großen Teilen auf Völkergewohnheitsrecht sowie teilweise materielle Gerechtigkeitserwägungen gestützten Urteile des Nürnberger Tribunals sowie der ad hoc-Tribunale für Jugoslawien und Ruanda zeigt, dass der Schwerpunkt regelmäßig auf dem Gehalt des geltenden Rechts und nicht auf dessen Form lag. Mit Schmidhäusers Worten: der Schwerpunkt lag auf der materialen Erfassung des Tatunwerts.73 Gerade solches Vorgehen hat, oft auf aus dem nullum crimen-Grundsatz hervorgehende Erwägungen gestützt, Kritik erfahren. Bemängelt wurde gelegentlich ein Mangel an Vorhersehbarkeit und damit an Form. Man muss nicht gleich, wie Schmidhäuser es für das deutsche Strafrecht tut, soweit gehen, aus alledem die Folgerung abzuleiten, dass sich die Strafbestimmungen nur an die Strafverfolgungsbehörden richten. Dennoch lässt sich diese Überlegung nicht leichterhand abtun, formuliert doch sogar das Römische Statut in Art. 5: „Der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen“. Jedenfalls für das deutsche Strafrecht trifft die überwiegende und von Hoerster nochmals formulierte Ansicht zu, dass die Strafrechtsnormen zweiteilig sind, also der primäre Normteil dem Bürger ein bestimmtes Verhalten gebietet, und erst der sekundäre Normteil dem Verfolgungsorgan die Bestrafung des den primären Normteil verletzenden Bürgers gebietet.74 Ob das hinsichtlich des Römischen Statuts zutrifft, wird zu klären sein.75 Nach alledem wollen wir aber an dieser Stelle den Befund, das Römische Statut enthalte zumindest in funktionaler und formeller Hinsicht Strafrecht, genügen lassen, ist doch die Androhung einer Strafe für ein in dieser oder jenen Weise beschriebenes Verhalten charakteristisch für Strafrecht.

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Schmidhäuser, Form und Gehalt der Strafgesetze. Hoerster, Das Adressatenproblem im Strafrecht und die Sozialmoral, JZ 1989, S. 10–12; Replik Schmidhäusers und Duplik Hoersters in JZ 1989, S. 419–427. 73 Schmidhäuser, Form und Gehalt der Strafgesetze, S. 10. 74 Hoerster, Das Adressatenproblem im Strafrecht und die Sozialmoral, JZ 1989, S. 10. 75 Unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, B. 72

3. Kap.: Gang der Untersuchung

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Drittes Kapitel

Gang der Untersuchung Diese Arbeit dient der Ermittlung und Formulierung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts. Bevor wir uns im Dritten Teil den strafrechtlichen Bestimmungen des Statuts zuwenden, stellen wir im Zweiten Teil die gewählte Untersuchungsmethode der statutsimmanenten Strukturanalyse dar. Während jener Teil seinen inhaltlichen Schwerpunkt im Strafrecht hat, liegt der Schwerpunkt in diesem Teil auf dem Völkerrecht: Im Ersten Kapitel, Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Erklärung, wird es darum gehen, das methodische Vorgehen auf die Ermittlung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts zu beziehen sowie die Bedeutung der äußeren und inneren Strukturmerkmale des Römischen Statuts herauszustellen. An dieser Stelle legen wir die Grundlagen für unsere Untersuchung im Dritten Teil. In dem darauf folgenden Zweiten Kapitel, Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Begründung, werden wir eine Reihe von äußeren und inneren Strukturmerkmalen herausarbeiten und so begründen, warum eine Strukturanalyse nicht nur geeignet, sondern vielmehr geboten ist. Dieses Kapitel enthält drei Abschnitte: Zunächst werden wir die Grundlagenfragen behandeln (A.) und Begriff wie Geltungsgrund des modernen Völkerrechts als das rechtliche Umfeld des Römischen Statuts sowie Begriff und Legitimation von Völkerstrafrecht besprechen. Es geht also auch um die auf das Statut von außen einwirkenden Strukturen. Danach wenden wir uns dem anwendbaren Recht (B.) zu. Dabei ist erst die äußere Seite, nämlich die Erscheinungsformen des Völkerrechts, darzustellen, bevor wir uns der inneren Seite, insbesondere Art. 21 des Römischen Statuts, der das vom Gerichtshof anzuwendende Recht benennt, zuwenden. Im Dritten Abschnitt (C.) geht es um Fragen der Auslegung. Auch hier befassen wir uns zunächst mit den Auslegungsregeln des allgemeinen Völkerrechts, der äußeren Seite, und dann mit den Vorgaben des Römischen Statuts, der inneren Seite, selbst. Zudem kommen wir wieder auf Art. 21 zurück, der eine allgemeine Auslegungs- und Anwendungsregel enthält. Ebenso gehen wir auf den im Statut verfassten Grundsatz des nullum crimen nulla poena sine lege ein. Im Dritten Kapitel geht es um die Ergebnisse des Zweiten Teils: Im Ersten Abschnitt über die relative Bedeutung des Römischen Statuts führen wir einige der zuvor getroffenen Aussagen zusammen und stellen sie in ihrer strukturellen Bedeutung für das Römische Statut als völkerstrafrechtlichen

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1. Teil: Einführung

Vertrag bzw. als völkerrechtlichen Vertrag im Völkerstrafrecht dar. Im Zweiten Abschnitt folgt eine Zusammenfassung in Thesen. Auf der Grundlage der Ergebnisse des Dritten Teils über die Strukturen des Verbrechensbegriffs formulieren wir den Verbrechensbegriff des Römischen Statuts. Der Weg dorthin wird uns über die Methode der im Zweiten Teil erklärten und begründeten statutsimmanenten Strukturanalyse führen. Wir werden uns dabei gewissermaßen auf den Grundfall beschränken, nämlich das positive Tun eines Einzelnen. Dementsprechend werden wir uns nicht mit Mittäterschafts- oder Teilnahmekonstellationen beschäftigen. Die Frage, ob das Statut einem differenzierten Modell oder einem Einheitstätermodell anhängt, stellen wir uns daher nicht.76 Ebenso wenig gehen wir auf die Versuchs- oder Anstiftungsstrafbarkeit ein. Auch das Unterlassen wird nur am Rande besprochen. Ein Einwand liegt nahe: „Realitätsnah ist das nicht.“ Ein solcher Einwand ginge gleichzeitig fehl, wie er seine Berechtigung hätte. Berechtigt wäre er, weil der ein Verbrechen allein verwirklichende Einzelne in den realen Zusammenhängen, die das Römische Statut adressiert, praktisch nicht vorkommt. Typischerweise tragen ganz komplexe Wirkzusammenhänge zu der Begehung der Verbrechen bei, und nicht immer ist ganz klar, wer was wann warum getan und was wann weshalb wozu geführt hat. Es geht um das, was Marxen prägnant das „völkerstrafrechtliche Strukturproblem“ nennt,77 und was auf das Problem der Zurechnung von individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit für in komplexen Zusammenhängen begangene Verbrechen hinausläuft. Die anhaltende Diskussion um die gleich76 Ein differenziertes Modell erkennt Werle, Individual Criminal Responsibility in Article 25 ICC Statute, 5 JICJ (2007), S. 956 ff., während Militello, The Personal Nature of Individual Criminal Responsibility and the ICC Statute, 5 JICJ (2007), S. 948, ein Einheitstätermodell ausmacht. Nach Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 13 soll es sich um ein „funktionales Einheitstätermodell“ handeln; ähnlich wie hier Kreß, Vorbemerkung zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Rn. 63. Erhellend ist der Hinweis von di Martino, Täterschaft und Teilnahme im Statut des IStGH und Anpassungsbedarf der italienischen Regelung, 119 ZStW (2007), S. 437, wonach „im Völkerstrafrecht eher die Frage nach der Außengrenze bedeutsam ist (wann ist Beteiligung überhaupt Grundlage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit?) als die Frage nach der inneren Differenzierung der Beteiligungsformen“. 77 Marxen, Beteiligung an schwerem systematischem Unrecht, S. 226, 234. Nach Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, S. 111, lasse sich das Strukturproblem auf das Problem völkerstrafrechtlicher Beteiligung reduzieren. Leichter auflösen lässt sich das Problem durch die Verlagerung einer strukturellen Beobachtung (Marxen) in eine Vorgabe des Statuts (Art. 25 Abs. 3 lit. (c), Meseke) aber nicht, so dass mit der Reduktion nichts gewonnen ist.

3. Kap.: Gang der Untersuchung

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zeitig simplifizierende wie verwirrend komplizierte Zurechnungsfigur des „Joint Criminal Enterprise“ zeigt deutlich Bedarf und Bedürfnis nach einer Klärung auf. Fehl ginge der Einwand jedoch, weil eine Diskussion über ein mehrdimensionales System erst dann geführt werden kann, wenn seine bestimmenden Strukturen erkannt sind. Mit anderen Worten: die Anzahl der Dimensionen in der Diskussion über ein mehrdimensionales System soll zunächst soweit reduziert werden, dass die Strukturmerkmale in ihren Zusammenhängen erkannt und diese Zusammenhänge formuliert werden können. Weniger abstrakt heißt das, bevor man sich die Verantwortlichkeit der Beteiligten im verbrecherischen System vornimmt, sollte man wissen, auf Grund welcher Parameter des Statuts sich Verantwortlichkeit des Einzelnen begründet. Die so zusammengetragenen Erkenntnisse über die Einzeltat ermöglichen Erkenntnisse über die Gesamttat78, die wiederum die Erkenntnisse über die Einzeltat verfeinern und so weiter. So kommt die hermeneutische Spirale in Gang, schrauben sich die Erkenntnisse immer weiter nach oben und nehmen an verstandener und in Begriffe umsetzbarer Komplexität zu. Unserem ganz zu Anfang beschriebenen Anliegen, Kompliziertheit zu reduzieren, werden wir insbesondere dadurch gerecht, dass wir uns eine pragmatisch motivierte, aber eben auch systematisch begründbare Zurückhaltung auferlegen: Wir versuchen ausdrücklich nicht, jede denkbare Verbrechensverwirklichung anzusprechen, sondern wählen mit dem „Grundfall“ bewusst einen Ausschnitt daraus. Im Ersten Kapitel stellen wir die Axiome des Verbrechensbegriffs dar. Der erste Abschnitt (A.) beschäftigt sich mit den Verantwortlichkeitsgründen, also solchen, die die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit eröffnen. Der zweite Abschnitt (B.) wiederum beschäftigt sich mit den Ausschlussgründen, also solchen, die diese Begründung hindern. Dabei werden wir im Ersten Kapitel die durch das Statut abstrakt formulierten Voraussetzungen für das Feststellen oder Ablehnen individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit für ein Geschehen gewissermaßen linear aneinanderreihen. Dieses Kapitel sammelt diese Axiome lediglich und bringt eine zunächst noch recht schlichte Ordnung hervor. In ihrer Zusammenschau ergibt eine solche Ordnung aber einen ersten Eindruck von den den Verbrechensbegriff prägenden Strukturen des Römischen Statuts. Damit wird auf einer Ebene der offensichtliche Gehalt des Statuts dargestellt sein. Das Zweite Kapitel, Topographie des Verbrechensbegriffs, setzt die zuvor gefundenen Axiome in zwei Abschnitten zueinander in Beziehung. Wir ent78

Vgl. unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, A. I.

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1. Teil: Einführung

wickeln somit die statutsimmanenten Strukturen: Im ersten Abschnitt (A.) stellen wir die zentralen Parameter des Verbrechensbegriffs dar und erarbeiten eine insoweit erste Ordnung des Verbrechensbegriffes. Im zweiten Abschnitt (B.) beschäftigen wir uns mit den inneren Beziehungen der zuvor gefundenen Parameter und mit dem Verhältnis von Verantwortlichkeits- zu Ausschlussgründen; es kommt zu einer verfeinerten zweiten Ordnung. Das Zweite Kapitel schließt mit einem zusammenfassenden dritten Abschnitt (C.), der als Zwischenergebnis unsere Erkenntnisse in Thesen ausdrückt sowie eine schematische Übersicht über den Verbrechensbegriff auf der Grundlage der bisherigen Ergebnisse bietet. Die zunächst noch lineare Ordnung ist gewissermaßen mehrdimensional geworden. Die Strukturen sind klarer hervorgetreten, und es hat sich bereits die Basis für die Formulierung des Verbrechensbegriffs herauskristallisiert. Im Dritten Kapitel, Fragen an den Verbrechensbegriff, wenden wir uns den Problemfeldern zu, die wir soweit noch unerörtert gelassen haben. Im ersten Abschnitt (A.) geht es um das Zurechnungssystem des Statuts, und im zweiten Abschnitt (B.) wenden wir uns Form, Gehalt und Adressaten des Statuts zu. Auch dieses Kapitel endet mit einer Zusammenfassung in Thesen im dritten Abschnitt (C.). Das Ergebnis dieser Arbeit stellt der Vierte Teil über den Verbrechensbegriff des Römischen Statuts dar: Im Ersten Kapitel findet sich im ersten Abschnitt (A.) die abschließende schematische Übersicht über die Gesamtheit der rechtlichen Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach dem Römischen Statut. Im zweiten Abschnitt (B.) greifen wir diese Schemapunkte auf und versehen sie mit Erläuterungen in Form kommentierender Thesen. Das Zweite Kapitel bietet eine abschließende Gesamtbetrachtung.

Zweiter Teil

Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse Erstes Kapitel

Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Erklärung A. Einleitung Nach Fletcher ist das Rechtsdenken des Common law „flach“ im Sinne von ganzheitlich.1 Das Rechtsdenken des Civil law sei demgegenüber „strukturiert“.2 Der – direkt gar nicht ins Deutsche übersetzbare – Begriff reasonableness3 sei zentral für das Common law und der Begriff des right – Recht – zentral für das Civil law.4 Insofern ist der deutsche Titel von Fletchers Aufsatz „The Right and the Reasonable“ aufschlussreich, denn er lautet: „Absolutheit oder Relativität im Recht“.5 Nach Fletcher besteht ein „Konflikt zwischen ‚Struktur‘ und ‚Ganzheitlichkeit‘ “, der bei der Unterscheidung von Rechtswidrigkeit und Schuld 1 Fletcher, Reasonableness im amerikanischen und im Völkerstrafrecht, in: FSEser, S. 739–740 und bereits 1985 in: The Right and the Reasonable, 98 HarvLR (1985), S. 949 ff.; mit deutscher Einleitung nachgedruckt in: Eser/Fletcher, Rechtfertigung und Entschuldigung, S. 67 ff. 2 Ähnlich Schünemann, Strafrechtssystem und Kriminalpolitik, FS-Schmitt, S. 117–138. Auch für das allgemeine Völkerrecht macht Verdirame, ‚The Divided West‘: International Lawyers in Europe and America, 18 EJIL (2007), S. 553–580, maßgebliche Unterschiede aus. 3 Der Begriff findet sich auch knapp zwei Dutzend Mal im Römischen Statut, und zwar „für den deutschen Leser gut getarnt“, so Fletcher, Reasonableness im amerikanischen und im Völkerstrafrecht, in: FS-Eser, S. 746. Zur reasonableness auch unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 4 Ob man überhaupt von „dem“ Rechtsdenken „des“ civil law sprechen kann, ist eine andere Frage. Garçon (zit. nach Jescheck, Neue Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik in rechtsvergleichender Sicht, 98 ZStW (1986), S. 4) sagt 1911 in seinem Vorwort zur französischen Übersetzung von von Liszts Strafrechtslehrbuch, die deutsche Strafrechtswissenschaft erscheine „profund, aber obskur“ und die französische „klar, aber oberflächlich“, wobei diese beiden „Mentalitäten“ in Wahrheit große Schwierigkeiten hätten, einander vollständig zu verstehen. 5 Vgl. Fletcher, The Right and the Reasonable, in: Eser/Fletcher, Rechtfertigung und Entschuldigung, S. 67.

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

deutlich zu Tage trete. Im deutschen Rechtsdenken finde die Struktur „keinen deutlicheren Ausdruck als in dem felsenfesten Bekenntnis zu der Ansicht, dass die Frage nach der Rechtswidrigkeit schon begrifflich vor der Frage nach der Schuld gestellt werden müsse“.6 Bei einem Blick auf den Untertitel dieser Arbeit scheint sie sich zwanglos in diese Kategorisierung einordnen zu lassen und der Tradition des Civil law zu folgen. Diese Arbeit verfolgt jedoch gerade durch die Wahl der Methode7 der statutsimmanenten Strukturanalyse einen dezidiert anderen Ansatz: Gerade weil in der völkerstrafrechtlichen Literatur immer wieder Vergleiche von Civil law und Common law gezogen werden und diese Ergebnisse gleichsam auf das Völkerstrafrecht projiziert werden, wollen wir in dieser Arbeit das Römische Statut zunächst so nehmen, wie es ist. Es geht also darum, die Begriffe des Statuts nicht vor dem Hintergrund eines geschulten Vorverständnisses zu verstehen, sondern das Statut soweit als möglich aus sich heraus auszulegen. Die Beschränkung, die mit diesem Ansatz verbunden ist, wurde in der Einführung bereits angedeutet. Zugleich besteht die Erwartung, den „Konflikt von Struktur und Ganzheitlichkeit“ (Fletcher) mit unserem Ansatz auflösen zu können. Auch ein „ganzheitliches“ Rechtsverständnis operiert ja nicht haltlos im Raum; der entscheidende Parameter ist schließlich reasonableness. Was ist also gemeint, wenn von „Strukturanalyse“ die Rede ist? Bleckmann versteht Struktur zunächst als „typische Eigenart“.8 Aufgabe der Strukturanalyse sei es, Erklärungsmodelle aufzustellen. Sie decke die Grundlagen der positiven Rechtsordnung auf. Das so aus dem positiven Recht entwickelte System habe daher selbst an der Qualität des positiven Rechts teil. Daher könnten aus ihm Rechtsfolgen entwickelt werden.9 Insbesondere dienen die Strukturen, so Bleckmann, der Ergänzung im Falle von Lücken. Außerdem bilden sie „eine Schranke für die Übernahme des durch Rechtsvergleichung ermittelten gemeinsamen nationalen Rechts im Rahmen der allgemeinen Rechtsprinzipien des Völkerrechts“.10 6 Fletcher, Reasonableness im amerikanischen und im Völkerstrafrecht, in: FSEser, S. 741. Beispielhaft für die Ablehnung einer solchen Sequenzierung im traditionelles Common law-Rechtsdenken ist die Argumentation von Husak, The Serial View of Criminal Law Defences, 3 CLF (1992), S. 369–400. 7 Methode sei hier verstanden als planmäßiges Verfahren; als System von Regeln, das dazu geeignet ist, planmäßig wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen oder darzustellen. Vgl. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jh., „Methode“, http://www.dwds. de. 8 Bleckmann, Die Aufgabe einer Methodenlehre des Völkerrechts, S. 45. 9 Bleckmann, Die Aufgabe einer Methodenlehre des Völkerrechts, S. 49–50. Die Strukturanalyse sei der Begriffsjurisprudenz insofern ähnlich, gehe aber anders vor (S. 50).

1. Kap.: Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Erklärung

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B. Äußere und innere Strukturmerkmale Es gilt also, jene typischen Eigenarten herauszuarbeiten, die die Ermittlung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts bestimmen. Dabei lassen sich zwei Dimensionen von Strukturmerkmalen unterscheiden. Wir bezeichnen sie hier als äußere und innere Strukturmerkmale11 und unterscheiden dementsprechend auch im Aufbau dieser Arbeit stets zwischen äußerer und innerer Seite des Statuts12. Zum einen ist das Römische Statut in die – aus seiner Sicht externe – Rechtsordnung des Völkerrechts eingebettet; das Völkerrecht bildet sein rechtliches Umfeld und wirkt so auf das Statut ein. Wenn es um die typischen Eigenarten des Römischen Statuts geht, so sind zunächst die typischen Eigenarten seiner rechtlichen Nachbarschaft zu bestimmen. Hierbei handelt es sich in unserer Terminologie um die äußeren Strukturmerkmale. Zum anderen gibt es Strukturmerkmale, die dem Statut immanent sind; dies sind die typischen Eigenarten, die das Statut selbst bestimmen und ausmachen. Hierbei handelt es sich um die inneren Strukturmerkmale. Aus den Bemerkungen in der Einführung erschließt sich die Bedeutung auch der äußeren Strukturmerkmale für die Bestimmung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts, denn es ist zum einen eine noch offene Frage, ob das Statut selbst materielle Unrechtstatbestände oder bloße Jurisdiktionsbestimmungen, also gleichsam Verweisungen auf materielles Recht außerhalb des Statuts, enthält.13 Zum anderen lässt sich eine Rechtsnorm nicht unter Vernachlässigung ihres Geltungsgrundes und rechtlichen Zusammenhanges auslegen, ohne ein verkürztes oder unvollständiges Verständnis in Kauf zu nehmen. Eine Verortung der auszulegenden Rechtsnormen ist daher unabdingbar und es gilt, das Zusammenwirken von innerer und äußerer Seite zu untersuchen.14 Maßgeblich für die Bestimmung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts sind die inneren Strukturmerkmale. Dies ist gemeint, wenn der Ti10 Bleckmann, Die Aufgabe einer Methodenlehre des Völkerrechts, S. 51–52; auch dürfe die Rechtsvergleichung allgemein anerkannte Rechtsprinzipien nicht vernichten (S. 32). 11 Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 269, spricht auch von „Law ‚inside‘ and law ‚outside‘ the Rome Statute“, wobei sie sich insofern nur auf das Strafrecht des Statuts und das des sonstigen Völkerrechts bezieht, während wir die Rechtsregeln insgesamt in eine innere und eine äußere Seite unterteilen. 12 Vgl. die Einleitungen zu A. und B. des Zweiten Kapitels. 13 Oben Erster Teil, Zweites Kapitel, D. 14 Schon deshalb ist die begriffliche Unterscheidung in äußere und innere Seite kein Selbstzweck.

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

tel von einer statutsimmanenten Strukturanalyse spricht: Es gilt, das Statut und seine Begriffe aus sich heraus, anhand der immanenten Vorgaben, zu verstehen.

C. Strukturanalyse und Rechtsvergleichung I. Strukturanalyse und Vorverständnis Wenn man gedanklich überall den Ausdruck „Struktur“ durch „Parameter“ ersetzt, wird klar, dass die Methode der Strukturanalyse keine Entscheidung für einen Common law-, Civil law- oder rechtsvergleichenden Ansatz fordert, sondern als weiterer Ansatz zum Erkenntnisgewinn daneben steht.15 Alle diese Ansätze orientieren sich schließlich an Parametern im Sinne von bestimmenden Faktoren, seien sie reasonableness (Common law), Struktur (Civil law, insbesondere in Gestalt des deutschen Strafrechts) oder Gemeinsamkeiten (Rechtsvergleichung). Mit dieser Methode verfolgen wir jedoch einen Zweck, nämlich die Ermittlung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts. Ob dieser Verbrechensbegriff „ganzheitlich“ oder „strukturiert“ oder von beidem geprägt ist, wird eines der Ergebnisse dieser Arbeit sein. Entscheidend ist jedoch, dass durch die Methode die typischen Eigenarten des Verbrechensbegriffs ermittelt werden können, ohne von vornherein ein von Civil law- oder Common law-Vorverständnissen bzw. Ergebnissen der Rechtsvergleichung überformtes Bild vor Augen zu haben.16 15

Durchaus bedenkenswert ist die en passant von Marxen, Beteiligung an schwerem systematischem Unrecht, in: Lüderssen, Kriminalpolitik, S. 220, geäußerte Kritik an der „Pseudo-Internationalität der Rechtsvergleichung“, deren Entsprechung er in einer „Bildungsreise in Ausland“ sieht, wobei für ihn das Grundproblem im Positivismus liegt (so plädiert er denn auch für eine Materialisierung der Straftatlehre). Dass das Römische Statut hingegen dem Positivismus besonders verpflichtet ist, wird sich noch im Laufe dieser Arbeit erweisen (vgl. zusammenfassend unten Zweiter Teil, Drittes Kapitel). Greift man die von Dubber, Criminalizing Complicity – A Comparative Analysis, 5 JICJ (2007), geäußerte Kritik am deutschen Modell der Tatherrschaft als „nebulöses Konzept, das sich nirgends im Strafgesetz findet“ (S. 978), welches „vage und zu wenig begründet“ („underjustified“) sei (S. 1001; meine Übersetzungen), auf, so wird denn auch deutlich, wie schnell Spannungen zwischen vielfach für richtig gehaltenen materiellen Überlegungen (beispielsweise dem Konzept der Tatherrschaft) und dem formulierten positiven Recht (und umgekehrt der Nicht-Formulierung bestimmter Bereiche) entstehen können. 16 Ein ähnlicher Ansatz findet sich bei Stuckenberg, Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 36. Wir orientieren uns jedoch am Römischen Statut und damit am lex lata, während Stuckenberg eine „Elementarlehre“ anstrebt und daher ausdrücklich „eine Stufe zuvor ansetzt“ (S. 1). Beachtenswert ist auch die Beobachtung von Clark, The Mental Element in International Criminal Law: The Rome Statute of the International Criminal Court and the Elements of Offences, 12 CLF

1. Kap.: Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Erklärung

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Wenn eine Strukturanalyse des Römischen Statuts für die Ermittlung des Verbrechensbegriffs nicht nur vertretbar, sondern geradezu geboten ist17, so ergibt sich daraus, dass rechtsvergleichende Untersuchungen nicht den ersten Schritt zur Erkenntnis ausmachen, sondern auf den Ergebnissen der Strukturanalyse aufbauen und sich insofern anschließen. II. Strukturanalyse und eine „pluralistische Konzeption des Völkerstrafrechts“ In diesem Zusammenhang plädiert Delmas-Marty für eine „pluralistische Konzeption des Völkerstrafrechts“18. Sie steht einem Völkerstrafrecht, das die noch immer wirksamen Strukturmerkmale des Völkerrechts – interstaatliche Beziehungen; normative Auswahl vor dem Hintergrund von Machtpolitik – in sich trage, kritisch gegenüber und schlägt als Ausweg ein „Zusammentreffen einer Methode (Rechtsvergleichung) und eines gesamten Korpus’ positiven Rechts (Völkerstrafrecht)“ vor.19 Dies trage dazu bei, dass nationales Recht zunehmend in die Prinzipien des Völkerstrafrechts aufgenommen werde, da es die Grundlagen für einen „Prozess der Hybridisierung“ und der gegenseitigen Befruchtung schaffe.20 Als Beispiel für die Umsetzung dieses Ansatzes nennt sie das Corpus Juris, das gleichsam als Prototyp für ein (zukünftiges) Europäisches Strafrecht entwickelt wurde,21 sagt aber auch, dass sich auf internationaler Ebene größere Schwierigkeiten ergeben würden.22 Die Hybridisierung beschreibt DelmasMarty als progressiven, evolutionären Prozess. Er bringe als besonderen Vorteil mit sich, die Dominanz eines Rechtsverständnisses23 oder die Konfrontation von Rechtsverständnissen – sei es Common law oder Civil law (2001), S. 302, dort Fn. 37, wonach die Diskussion auf der Römischen Konferenz über das innere Verbrechenselement zu einem „Zusammenbruch der Kommunikation“ geführt habe. Vgl. auch unten Fn. 23. 17 Oben Erster Teil, Drittes Kapitel. 18 Delmas-Marty, The Contribution of Comparative Law to a Pluralist Conception of International Criminal Law, 1 JICJ (2003), S. 13–25. Meine Übersetzung. 19 Delmas-Marty, S. 13. Meine Übersetzung. 20 Delmas-Marty, S. 16, 18. 21 Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutze der finanziellen Interessen der EU (1997) bzw. Corpus Juris Florence (2000). Vgl. Hecker, Europäisches Strafrecht, § 14, Rn. 29, 34. Zu den möglichen Kriterien einer Abgrenzung von nationalem, transnationalem und internationalem (i. S. v. Völker-)Strafrecht Boister, ‚Transnational Criminal Law‘?, 14 EJIL (2003), S. 953–976. 22 Delmas-Marty, S. 19. 23 Das gegenteilige Vorgehen, nämlich die einseitige Präferenz des common law, zeigt sich bei Dinstein, Defences, S. 371–388; vgl. die Besprechung von Kreß, Refining International Criminal Law, 13 CLF (2002), S. 124–125.

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

oder sonstiges – zu vermeiden und gleichzeitig die Rechtsvergleichung nicht bloß auf die Ermittlung des kleinsten gemeinsamen Nenners zu beschränken. Vielmehr gebe er gerade den zu ermittelnden „Leitprinzipien“ volle Wirksamkeit.24 An dieser Stelle wird auch besonders deutlich, worin sich der pluralistische Ansatz von Delmas-Marty und der hier entwickelte Ansatz unterscheiden. Während Delmas-Marty von einem Prozess spricht, geht es in dieser Arbeit vielmehr um eine systematische Bestandsaufnahme, nämlich um die Strukturanalyse des Römischen Statuts as it is. Der Ausgangspunkt der in dieser Arbeit und der von Delmas-Marty angestellten Überlegungen ist jedoch gleich, nämlich das pluralistische Verständnis von Völkerstrafrecht. Daher schließen sich beide Ansätze nicht aus. Da wir in dieser Arbeit die Strukturen des Römischen Statuts und damit dessen Verbrechensbegriff herausarbeiten, kann auf dieser Grundlage ein rechtsvergleichender Ansatz zu einem besseren Verständnis und einer zunehmenden Hybridisierung von Völkerstrafrecht in Gestalt des Römischen Statuts und nationalen Rechtsordnungen beitragen.25 Zu beachten bleibt allerdings, das ist oben bereits gesagt worden,26 dass die Strukturen des Römischen Statuts eine Schranke bilden und daher nicht alle im Wege der Rechtsvergleichung ermittelten „Leitprinzipien“ zwanglos Eingang in das Verständnis des Statuts finden können. Wenn die Rechtsvergleichung bessere, wünschenswerte(re) Ergebnisse bringt, so sind sie es eben nur de lege ferenda. Das Römische Statut ist lex lata, und von daher müssen die Ergebnisse von Rechtsvergleichung und Auslegung mit dem Statut vereinbar sein27 und können dieses nicht ändern.28 III. Strukturanalyse und Rechtssicherheit Endlich führe, so Delmas-Marty, Rechtsvergleichung zu einer Harmonisierung von Völkerstrafrecht und nationalem Recht. Bemerkenswert ist der Hinweis, dass der Rekurs auf die Rechtsvergleichung systematisiert werden 24

Delmas-Marty, S. 21. Sie weist denn auch kritisch auf Stimmen hin, die scheinbar wie selbstverständlich davon ausgehen, dass dem Common law ein vorherrschender Einfluss auf das Völkerstrafrecht zukomme (S. 20). 25 In diesen Zusammenhang fügt sich auch das Plädoyer Hirschs für eine sozusagen echte universale Strafrechtswissenschaft ein (Internationalisierung des Strafrechts und Strafrechtswissenschaft, 116 ZStW (2004), S. 835–854). 26 Zweiter Teil, Erstes Kapitel, A. 27 Vgl. Artt. 21–23. Zur Auslegung ausführlich unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 28 Änderungen des Statuts sind über das (umständliche) Verfahren der Artt. 121– 123 möglich.

1. Kap.: Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Erklärung

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sollte, um richterliche Willkür abzuwehren; Verfahrensregeln seien dazu nicht ausreichend.29 Mit anderen Worten, es geht Delmas-Marty (auch) um Rechtssicherheit und praktische Bedürfnisse. Dies ist, wie schon in der Einführung betont,30 ein zentraler Nutzen, der aus der Ermittlung des Verbrechensbegriffs erwächst. Indem durch die Strukturanalyse die typischen Eigenarten des Römischen Statuts und somit dessen Verbrechensbegriff ermittelt werden, treten die allgemeinen Voraussetzungen von Strafbarkeit deutlicher zu Tage. Dies ermöglicht dem Rechtsanwender eine genauere Arbeit mit dem Statut. Wo sich bei der Auslegung Lücken aufzutun scheinen, kann das geschriebene Recht unter Heranziehung seiner Strukturen ergänzt werden.31 Die Ergebnisse der Strukturanalyse wirken daher unmittelbar auf die weitere Auslegung des Statuts ein. Auslegung und die Ergebnisse der Strukturanalyse beeinflussen sich somit gegenseitig.32 Da die Strukturen bereits im positiven Recht angelegt sind, kann insofern auch nicht von einem engen Korsett oder dergleichen gesprochen werden, welches die Rechtsanwendung unzumutbar einenge – schließlich muss die Rechtsanwendung stets auf dem positiven Recht gründen. Dadurch, dass im Rahmen der Auslegung und Anwendung des Statuts die Strukturen immer wieder vergegenwärtigt werden müssen, tragen die Ergebnisse der Strukturanalyse zu einer besseren Nachvollziehbarkeit der Rechtsfindung und damit zu einer höheren Rechtssicherheit bei.33 29 Delmas-Marty, The Contribution of Comparative Law to a Pluralist Conception of International Criminal Law, 1 JICJ (2003), S. 25: „[T]he recourse to comparative law should also be systematized as a means of resisting judicial arbitrariness. Procedural rules are not sufficient to avoid judicial arbitrariness (. . .).“ Und auf S. 18 heißt es werbend und vor allem warnend, die Hybridisierung stelle auch einen Schutz dar gegen „law makers who give precedence to a dominant legal system and judges who attempt to legitimate a posteriori a solution that they have already chosen“. 30 Oben Erster Teil, Erstes Kapitel. 31 Zu den „Lücken im Völkerrecht“ unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 4.; zum Analogieverbot des Römischen Statuts (Art. 22) unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. 32 Dies wird besonders deutlich, wenn es um die Bestimmung der Reichweite des vom Römischen Statut in Art. 22 formulierten Grundsatz des nullum crimen sine lege geht; vgl. unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. c). 33 Den Wert der „Grundkategorien der Berechenbarkeit und Gleichheit“ als „rechtsstaatliche Legitimation von Systembildung“ betont denn auch Jung, Zum gegenwärtigen Stand einer „Dogmatik des Völkerstrafrechts“, 43 AdV (2005), S. 534. Einen Vergleich von rule of law und Rechtsstaat nimmt Rosenfeld, Rule of Law versus Rechtsstaat, FS-Fleiner, vor, der auch auf die inhärenten Paradoxien des common law bei der Rechtsfindung verweist (S. 54) sowie seine Skepsis gegenüber der Verlässlichkeit (bloß) prozessrechtlich basierter Garantien ausdrückt (S. 61), gleichzeitig aber darauf hinweist, dass auch das civil law gerade wegen der in kom-

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

Wenn am Ende dieser Arbeit als ihr Ziel und Ergebnis der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts formuliert werden kann, so ist damit die Strukturanalyse nur teilweise abgeschlossen. Vielmehr bleibt es eine kontinuierliche Aufgabe, sich im Umgang mit dem Statut stets seiner Strukturen zu vergewissern und damit das Verständnis der durch das Römische Statut errichteten Ordnung weiter zu verbessern. Diese Arbeit will dazu einen Beitrag leisten.

Zweites Kapitel

Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Begründung Jedes methodische Vorgehen bedarf der Begründung. Einen ersten Abschnitt dieser Begründung der statutsimmanenten Strukturanalyse lieferten mit grundsätzlichen Überlegungen bereits die Einführung (Erster Teil) sowie die vorangegangene Erklärung (Zweiter Teil, Erstes Kapitel) Im Folgenden begründen wir an Hand von drei thematisch geordneten Abschnitten das Vorgehen der statutsimmanenten Strukturanalyse.34 Anschließend zeigen wir im Dritten Kapitel deren Gebotenheit zum Zweck der Ermittlung des Verbrechensbegriffs auf. Teilweise werden wir uns dabei ein gutes Stück von diesem Ziel entfernt aufhalten. Dies gründet jedoch auf der Überlegung, dass eine Auslegung und Analyse des Römischen Statuts ohne die konstruktive Darstellung des rechtlichen Fundamentes, auf welches sich dieses Vorgehen stützt, unvollständig wäre. Dieses rechtliche Fundament hat, das ist bereits gesagt worden,35 eine äußere und eine innere Seite, wobei sich die äußere Seite aus dem Umstand ergibt, dass das Römische Statut plexen Fällen bestehenden Notwendigkeit der Ausnahmen von der Regel an Verlässlichkeit verliere (S. 66). Ein wortmächtiges Pladoyer für einen strengen Umgang mit dem Völkerstrafrecht führen Fletcher/Ohlin, Reclaiming Fundamental Principles of Criminal Law in the Darfur Case, 3 JICJ (2005), S. 539–561. 34 Auch Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, S. 97–110 schlägt eine „ ‚modifizierte‘ Methode der Rechtsfindung“ vor. Er geht insbesondere von der Einsicht aus, dass es „nicht mehr um eine völkerrechtlich-geschichtliche Problemlage [geht], sondern um Strafrechtsdogmatik im engeren Sinne, für die das allgemeine Völkerrecht keine Grundlage bietet“. Zunehmend nötig sei „eine wirklich völkerstrafrechtliche Vorgehensweise“. Meseke skizziert Rechtsquellen und Auslegungsvorgaben, grenzt aber nicht zwischen innerer und äußerer Seite ab und misst etwa der Rechtsprechung eine größere Rolle zu als wir (dort S. 106–108; in dieser Arbeit Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. 5. sowie Zweiter Teil, Drittes Kapitel, V.). 35 Zweiter Teil, Erstes Kapitel, B.

2. Kap.: Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Begründung

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Teil der völkerrechtlichen Rechtsordnung ist und die innere Seite aus den Vorgaben des Statuts selbst herrührt.36 Die Darstellung des rechtlichen Fundamentes kann insofern konstruktiv bleiben, als sie sich daran orientiert, welche Prämissen für die Auslegung und Analyse des Römischen Statuts mit dem Ziel der Ermittlung seines Verbrechensbegriffs notwendig sind, um nicht bloß in einem von den Vorstellungen des jeweiligen Exegeten geprägten Raum zu operieren. Mit anderen Worten, die vollständige Darstellung von Völkerrecht und Völkerstrafrecht bleibt den jeweiligen Lehrbüchern vorbehalten. Im ersten Abschnitt (A.) behandeln wir Grundlagenfragen, nämlich Begriff und Geltung des Völkerrechts37 sowie Begriff und Legitimation von Völkerstrafrecht38. Der zweite Abschnitt (B.) stellt das anwendbare Recht dar, nämlich erstens die Erscheinungsformen des Völkerrechts39 und zweitens jenes Recht, auf das sich der Internationale Strafgerichtshof gemäß seinem Statut bei seiner Rechtsprechung stützt40; bereits hier können wir die Darstellung mit Blick auf die Ermittlung des Verbrechensbegriff konstruktiv beschränken. Im dritten Abschnitt (C.) befassen wir uns mit den Auslegungsregeln des Völkerrechts41 sowie den Vorgaben des Römischen Statuts42. Im diesen Zweiten Teil bewertenden und zusammenfassenden Dritten Kapitel geht es um die relative Bedeutung des Römischen Statuts43.

A. Grundlagenfragen Für die Auslegung einer Rechtsnorm oder das Verständnis eines Rechtsbegriffes ist ein grundsätzliches Verständnis seiner Grundlagen unentbehrlich. Im Folgenden sind zunächst Begriff und Geltung des Völkerrechts darzustellen, bevor es um Begriff und Legitimation von Völkerstrafrecht geht. 36 Eine nach äußerer und innerer Seite geteilte Darstellung würde deren Unterscheidbarkeit zwar deutlicher ausdrücken und die völkerrechtliche äußere Seite sozusagen „vor die Klammer ziehen“, jedoch die entscheidenden thematisch zusammengehörenden Überlegungen auseinanderreißen, so dass wir hier nach thematisch geordneten Abschnitten vorgehen werden. 37 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. I. 38 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. II. 39 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 40 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 41 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 42 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 43 Zweiter Teil, Drittes Kapitel.

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

Während das Völkerrecht traditionell primär Staatenbeziehungen regelt, richtet sich Völkerstrafrecht primär mit Verboten und Sanktionen an den Einzelnen; das Römische Statut selbst spricht von einer individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit.44 Da das Römische Statut als völkerrechtlicher Vertrag in die Rechtsordnung des Völkerrechts eingebunden ist, bestehen daher zwei miteinander verwobene Ebenen, die jeweils einer Begriffsbestimmung und Legitimation bedürfen. I. Begriff und Geltung des Völkerrechts 1. Der Geltungsgrund des Völkerrechts Der Begriff des Völkerrechts bestimmt sich nach der jeweiligen Begründung des Völkerrechts. Daher gehen wir zunächst dem Geltungsgrund nach und schließen die Begriffsbestimmung an. Selbst die Frage nach dem Geltungsgrund des Völkerrechts ist noch immer nicht endgültig beantwortet. Ipsen schließt seine Darstellung der gängigsten Erklärungen für die Geltung des Völkerrechts45 damit ab, dass er auf die jedem sozialen System immanente Regelungsnotwendigkeit hinweist und auf die Realitätsferne des Ideals, einen Konsens, also eine Zustimmung aller Angehörigen eines Staates zu erreichen.46 Er fügt hinzu, dass dieses Ideal zumeist durch die Fiktion eines Grundkonsenses oder durch Dogmen ersetzt werde, um dann darauf hinzuweisen, dass es eben jene „Verfassung“ der Regelungsnotwendigkeit zwischen Staaten nicht gebe. Ipsen sagt nun, dass „der Konsens der beteiligten Subjekte untrennbar mit seinem Gegenstand verbunden“47 sei. Völkerrecht gelte, „weil seine Entstehung, seine Geltungskraft und die Rechtsgründe für die Beendigung seiner Rechtsverbindlichkeit auf dem Konsensprinzip beruhen“48. Man kann dies auch so zusammenfassen: Völkerrecht gilt, weil die Akteure es so wollen.49 Die wichtige Frage, wer oder was die „beteiligten Subjekte“ sind, bleibt dabei offen. Wenn es entscheidend sein soll, dass Konsens besteht, so ist es notwendig, auch zu wissen, zwischen wem Konsens bestehen muss. Bereits an dieser Stelle der Überlegungen einer Entität Völkerrechtssubjektivität zuzuschreiben, würde nur im Kreise herumführen, denn wir fragen uns ja gerade, weshalb Völkerrecht gilt, und die Antwort darauf muss der 44 45 46 47 48 49

So etwa die Überschrift von Art. 25. Ipsen, Völkerrecht, § 1, Rn 18 ff. Ipsen, Völkerrecht, § 1, Rn. 41 ff. Ipsen, Völkerrecht, § 1, Rn. 42. Ipsen, Völkerrecht, § 1, Rn. 48. Ähnlich Doehring, Völkerrecht, Rn. 16.

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anderen Antwort notwendigerweise vorausgehen: Es bliebe Spekulation, einer Entität eine Subjektseigenschaft innerhalb eines Systems zuzuweisen, ohne den Grund des Systems erklären zu können. Die beiden Hauptströmungen, die sich herausgebildet haben, um den Geltungsgrund des (Völker)Rechts zu erklären, sind der Positivismus und die Naturrechtslehre. Eine dritte Strömung erklärt das Völkerrecht mit der Souveränität der Staaten, also mit deren Rechtssetzungsautonomie.50 Berühmt ist schließlich die Reine Rechtslehre von Hans Kelsen, in der er von einer Grundnorm als „gemeinsamer Quelle für die Geltung aller zu einer und derselben Ordnung gehörigen Norm“ ausgeht, und die die „objektive Geltung einer positiven Rechtsordnung“ begründe51. Welche diese Grundnorm sein soll, beantwortet auch Kelsen nur damit, dass er auf eine „gegebene Staatengewohnheit“52 rekurriert.53 Damit macht er eine Norm, und zwar die Fundamentalnorm, von einem empirischen Befund abhängig. Wir wollen hier nicht die Grenzen der möglichen Erkenntnis postulieren; dazu ist diese überblicksartige Darstellung zu knapp und würde den vielen sehr tief schürfenden und breit angelegten Untersuchungen zum Geltungsgrund des Völkerrechts54 nicht gerecht. Vielmehr geht es darum, einige fundamentale Probleme zu beleuchten und nicht die Methodenlehre des Völkerrechts nachzuzeichnen55. Bei allen Denkanstrengungen und Bemühungen um eine genaue Bestimmung des Geltungsgrundes des Völkerrechts führt wohl kein Weg an folgender Einsicht vorbei: Die Nationalstaaten repräsentieren das vorherrschende und am sichersten zu bestimmende einzelne Strukturmerkmal unserer globalen rechtlichen und politischen Wirklichkeit. Eine letztgültige Aussage über den Geltungsgrund des Völkerrechts wollen – und können – wir hier nicht treffen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass das Verhalten der Staaten zueinander der entscheidende Faktor für die Ermittlung der Normen des Völkerrechts ist. 50

Ipsen, Völkerrecht, § 1, Rn. 18. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 197, 205. 52 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 222. 53 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 59–60 (§ 75) verwenden den Begriff des Konsens ausdrücklich nicht im Sinne einer Grundnorm, sondern gehen von einem „Gefüge originärer Normen“ aus. Sie bezeichnen schließlich den zwischenstaatlichen Konsens als „ursprüngliche Quelle“ des Völkerrechts, S. 324 (§ 519) (Herv. im Original). 54 Beispielsweise Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge (von 1880); Bos, A Methodology of International Law (1984); Koskenniemi, From Apology to Utopia (1989); weitere Nachweise etwa bei Ipsen, Völkerrecht, § 1; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, § 3; aus der Gegenperspektive, nämlich zu den Lücken, monografisch Fastenrath, Lücken im Völkerrecht. 55 Zu den Methoden mit interessanten Darstellungen verschiedener Autoren das Symposium on Method in International Law in 93 AJIL (1999), S. 291–423. 51

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Ipsen geht es darum, die „zusammenwirkenden Ursachen der Geltung zu beschreiben“ und nicht eine Theorie aufzustellen.56 Dies ist ein pragmatischer und zustimmungswürdiger Ansatz. Weil er empirisch-beschreibend orientiert ist, werden die auf seiner Grundlage gefundenen Ergebnisse nachvollziehbar; es gibt dabei keine unverrückbaren Axiome, deren Anzweifeln das Zusammenbrechen des Gedankengebäudes zur Folge hätte. Der vorausgesetzte Konsens ist nicht ein solches Axiom. Er knüpft an der sozialen oder politischen Realität an, dass als geltend das angesehen wird, was auf eine möglichst breite Zustimmung trifft beziehungsweise was sich in einem weit verbreiteten ähnlichen Verhalten zeigt.57 Verdross und Simma schließlich beschreiben den Staatenkonsens als „Verfassung der nichtorganisierten Staatengemeinschaft“, als ein „Gefüge originärer Normen, deren Geltung von den Staaten selbst als Grundlage des von ihnen einvernehmlich erzeugten [Völkerrechts] vorausgesetzt wurde“ und unterscheiden dabei „zwischen den durch zwischenstaatlichen Konsens erzeugten und den dabei vorausgesetzten Normen“58. Daher ist die einzelne staatliche Entität, die wir hier als existent voraussetzen, zumindest legitimierender Anknüpfungspunkt für die Ermittlung dessen, was Völkerrecht ist. Damit ist schließlich Ipsen zuzustimmen, wenn er das Konsensprinzip als Begründung dafür heranzieht, dass Völkerrecht gilt.59 56

Ipsen, Völkerrecht, § 1, Rn. 40; meine Hervorhebung. Vgl. auch § 1, Rn. 31, wo Ipsen zutreffend darauf hinweist, dass die Suche nach dem Geltungsgrund einer Ordnung in dieser Ordnung (diesem Normengefüge) selbst beziehungsweise in dieser Ordnung vorgegebenen und letztlich unbeweisbaren Grundannahmen nur dazu führe, dass das Ergebnis (die Theorie) „in dem unauflöslichen Gegensatz zwischen Positivismus und Naturrechtslehre“ verbleibe. 57 Darin liegt der Unterschied zu Kelsens Theorie von der Grundnorm. Hier soll jedoch nicht einer Theoriefeindlichkeit das Wort geredet werden. Das Problem besteht nur darin, dass die verschiedenen Theorien zum Geltungsgrund des Völkerrechts bislang regelmäßig nur in sich schlüssig sind, wenn man die Grundannahmen teilt. Die hier vertretene Grundannahme ist natürlich, dass es so etwas gibt wie Völkerrecht; dass dieses als Recht gilt; und eben, dass es als Recht gilt, weil diese Grundannahme Voraussetzung ist, damit unsere Erörterungen überhaupt Sinn ergeben. 58 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 59–60 (§ 75), Herv. im Original. 59 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 327 (§ 522) verdeutlichen ihre Position, in dem sie auf den Unterschied zwischen ihrer Anerkennung des Konsenses als originäre Völkerrechtsquelle und einer Anerkennung des Staatenkonsenses als eigentlichen Geltungsgrund hinweisen. Sie wenden sich ausdrücklich gegen Bleckmann, Grundprobleme, S. 127–128, 184–188. Dieser spricht sich insbesondere dafür aus, den gegenwärtigen (hypothetischen) Konsens der Staaten – und nicht einen historischen – als entscheidend für die Begründung des geltenden Völkerrechts heranzuziehen. Nach Bleckmann ist die „Grundnorm“ „der Rechtssatz, dass der heutige Konsens der Staaten binden soll“ (S. 184–185).

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Einer der Klassiker der völkerrechtlichen Literatur, Ian Brownlie, scheint all dies bereits vorauszusetzen, wenn er bereits auf Seite 4 unter der Überschrift „Sources of the Law“ schreibt, „[w]hat matters then is the variety of material sources, the all-important evidences of the existence of consensus among states concerning particular rules and practices.“60 Mithin fragt Brownlie gar nicht umständlich nach dem Geltungsgrund des Völkerrechts, sondern setzt diesen voraus, ebenso die Existenz von Staaten sowie den empirisch nachzuweisenden Konsens als das Recht und die Praxis bestimmend.61 Die Staaten (die einzelnen staatlichen Entitäten) sind also wesentlich für den Nachweis der Geltung des Völkerrechts. Für die Frage nach dem Ausmaß der Geltung des Völkerrechts, also nach dem Verhältnis von Staatsrecht und Völkerrecht, sind eine Vielzahl von Theorien entwickelt worden. Die extremen Positionen markieren der Dualismus, nachdem Völkerrecht und Staatsrecht als verschiedene Rechtsordnungen nebeneinander stehen, sich allenfalls berühren, aber niemals schneiden (Triepel 62), sowie der Monismus, nachdem beide Rechtsordnungen in irgendeiner Form gleichsam miteinander existieren. Für ein monistisches Verständnis spricht, dass das heutige Völkerrecht die Erscheinungsform der allgemeinen Grundsätze kennt und diese wiederum zumindest historisch und logisch beeinflusst sind von Regeln des staatlichen Rechts63. Daran zeigt sich deutlich die Auswirkung des staatlichen Rechts auf das Völkerrecht; beide Rechtsordnungen sind miteinander „innig verwoben“64. 60 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 4. Brownlie verlagert die Theorie mittelbar in die erste Fußnote, wo er einige Literaturstellen angibt. 61 Auch bei der Behandlung des Verhältnisses von Staats- und Völkerrecht schreibt Brownlie, dass „[a]n extended theoretical exposition would be out of place in this book, and yet theoretical questions have had a certain, though not decisive, influence on writers dealing with substantive issues and also on courts.“ (meine Hervorhebung), Principles of Public International Law, S. 31. Brownlie ist in seiner zweiten Aussage so nicht zuzustimmen. Die Grundannahmen über das Wesen und den Geltungsgrund des Völkerrechts sind außerordentlich bestimmend für die Konzeption der Argumente, da sie, noch bevor Überlegungen zu konkreten Rechtsfragen angestellt werden, bereits die Weichen der weiteren Gedankenführung stellen. Dies wird oft unbewusst ablaufen und so den Eindruck hervorrufen, die Theorie sei nicht entscheidend. Gerade um diese unbewussten Faktoren ans Licht zu bringen und so den Prozess der Argumentation transparent zu gestalten, ist es von großer Bedeutung, die theoretischen Grundfragen zumindest zu beleuchten. Schließlich kann man eben nur das einleuchtend finden, was einem bewusst ist. 62 Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 111. 63 Vgl. Brownlie, Principles of Public International Law, S. 16 m. w. N. 64 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 56 (§ 73).

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Einen Ausweg aus der Unvereinbarkeit beider Theorien wird versucht, indem das Völkerrecht als eine Art Koordinationsrecht bezeichnet65 und das Augenmerk auf das Verhalten der Staaten zueinander gerichtet wird, anstatt den Theorienstreit weiter zu verfolgen. So wollen wir es an dieser Stelle auch halten und uns den einzelnen Erscheinungsformen des Völkerrechts zuwenden. Alsbald wird auch deutlich werden, dass sich zur Frage nach dem Verhältnis von Staatsrecht und Völkerrecht als tatsächlicher Befund ergibt, dass beide Rechtsordnungen einem gegenseitigen Einfluss unterliegen und die Rechtsentwicklung in dem jeweiligen Bereich nicht (mehr) vorstellbar ist ohne einen entsprechenden Einfluss aus dem jeweils anderen. Ob man dies Koordination nennt oder gemäßigten Monismus66, kann dahinstehen. 2. Völkerrecht als Rechtsordnung Aus den vorangegangenen Überlegungen ergibt sich folgender, dem allgemeinen Verständnis entsprechender Begriff des Völkerrechts: Völkerrecht ist die Rechtsordnung, welche die Beziehungen zwischen Völkerrechtssubjekten regelt67. Völkerrecht gilt, weil es dem Konsens der Völkerrechtssubjekte entspricht. Das ursprüngliche Völkerrechtssubjekt und damit Völkerrechtssubjekt par excellence ist der Staat.68 In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hat die Bedeutung des Völkerrechts stark zugenommen. Über die klassische Abgrenzung der Interessen souveräner Staaten69 hinaus hat sich sein Regelungsbereich auf die rechtlich verfasste Koordination vieler Gegenstände der internationalen Beziehungen weit ausgedehnt.70 Das moderne Völkerrecht ist nunmehr zumindest für die 65 Beispielsweise Rousseau, Droit International Public, S. 10–12; mit Sympathien ebenso Brownlie, Principles of Public International Law, S. 33–34. 66 So Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 54–57 (§ 73–74). 67 Ipsen, Völkerrecht, 1. Kap., Rn. 1. 68 Jennings/Watts, Oppenheims’ International Law, Vol. I, Peace, S. 16 (§ 6); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 222 (§ 376). 69 Dies zeigt(e) sich insbesondere in der Unterscheidung von Friedensvölkerrecht und Kriegsvölkerrecht. Es ist auch nur kaum hundert Jahre her, dass der Krieg noch als legitimes Mittel für die Durchsetzung nationaler Interessen angesehen wurde. Mit dem Briand-Kellog-Pakt von 1928 wurde Krieg nur noch soweit Mittel zur Verteidigung gegen einen (damit illegalen) Angriff erlaubt. Einen Überblick bieten Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 902–903 (§ 1337). 70 Ipsen, Völkerrecht, spricht sogar vom „ ‚internationalen‘ öffentlichen Recht“, § 2, Rn. 64. Man denke insbesondere an das Recht der internationalen Wirtschaftsbeziehungen (das „WTO-Recht“). Dort existiert auch ein eigenständiger Streitschlichtungsmechanismus, durch dessen Anerkennung die Mitgliedsstaaten sich zumindest teilweise ih-

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westlichen beziehungsweise wirtschaftlich starken und technologisch hoch entwickelten Staaten in erster Linie ein Instrument internationaler Zusammenarbeit.71 3. Völkerrecht als Instrument Das Völkerrecht ist aber auch, und dies ist kein modernes Phänomen, ein Instrument zur Bewältigung von Krisen.72 Dass Krieg73 in diesem Zusammenhang als ein pathologischer Zustand angesehen wird, gehört zu den Ausprägungen des modernen Völkerrechts, war doch das traditionelle Völkerrecht geradezu imprägniert von der Vorstellung von Krieg und Frieden – Zuständen, in denen das Völkerrecht erst seine Bestätigung und Bedeutung fand. Nicht zuletzt trägt das fundamentale Werk von Grotius (1625) den Titel „De iure belli ac pacis“. Auch die Charta der Vereinten Nationen ist größtenteils noch von dieser Vorstellung geprägt. Bereits die Präambel bringt den Willen zum Ausdruck, Frieden und Sicherheit weltweit zu gewährleisten. Die Anwendung von Waffengewalt soll nur im gemeinsamen Interesse erlaubt sein.74 Damit wird ein grundsätzliches Verbot ausgesprochen, Krieg zu führen, also Waffengewalt gegen andere Staaten einzusetzen.75 Prinzipiell sollen alle Konflikte friedlich beigelegt werden.76 Das archaische Recht des Staates zur Selbstverteidigung77 wird als ihm „inhärent“ bezeichnet und stellt neben rer aus ihrer wirtschaftlichen Stärke ergebenden politischen Macht begeben und so einem rechtsförmigen Verfahren den Vorzug geben. Offenbar wird dieses für den Bereich der Wirtschaft als opportun empfunden, auch wenn gelegentlich vom „Handelskrieg“ zu lesen ist. 71 Beachtenswert sind die Untersuchungen von Onuma, der sich vom noch herrschenden Eurozentrismus löst und das Völkerrecht aus einer interkulturellen Perspektive untersucht (grundlegend beispielsweise When was the Law of International Society Born?, 2 JHIL (2000), S. 1 ff.). Ähnliche Ansätze finden sich, auf das Völkerstrafrecht bezogen, auch bei Malekian, The Concept of Islamic International Criminal Law. Vgl. auch Fn. 483. 72 Die Staatskrise aus der Perspektive des Strafrechts beleuchtet in allen Facetten Jahn, Das Strafrecht des Staatsnotstandes – Die strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe und ihr Verhältnis zu Eingriff und Intervention im Verfassungs- und Völkerrecht der Gegenwart. 73 Der moderne Sprachgebrauch bevorzugt den Begriff des bewaffneten Konflikts. Mit Krieg ist hier der Zustand gemeint, den ein jeder Betroffene eben auch als Krieg bezeichnen würde. 74 Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, S. 471, nennt die Erhaltung des Weltfriedens die „Primärfunktion der Vereinten Nationen“. 75 Art. 2 Abs. 4 UN Charta. 76 Die wichtigsten Mechanismen finden sich in Kapitel VI der UN Charta. 77 Art. 51 UN Charta.

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dem durch den Sicherheitsrat gemäß Kapitel VII autorisierten Handeln den einzigen durch die Charta ausdrücklich erlaubten Anwendungsfall von Waffengewalt dar.78 Dem Charakter der Vereinten Nationen als verfasster Weltorganisation entspricht es, dass dem Handeln des Sicherheitsrates stets Priorität zukommt; sobald der Sicherheitsrat „Maßnahmen“ ergriffen hat, tritt das Selbstverteidigungsrecht zurück.79 Die Katastrophe des zweiten Weltkriegs, nach dessen Beendigung die Vereinten Nationen gegründet wurden und das Völkerrecht die zuvor angedeutete Entwicklung nahm, ist nicht die letzte Großkrise geblieben. Seither haben unzählige innerstaatliche und interstaatliche Konflikte nicht nur weiteres unermessliches menschliches Leid verursacht, sondern auch den hehren Anspruch der Vereinten Nationen, den Weltfrieden zu verwirklichen und aufrechtzuerhalten, manchmal als nicht mehr als ein irreales Ideal erscheinen lassen. Der pathologische Zustand Krieg entsteht immer wieder. 4. Völkerrecht als Idee Gleichzeitig hat die Vorstellung universaler, unveräußerlicher Menschenrechte an Kraft gewonnen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 194880 war hierfür ein erster (allerdings rechtlich nicht bindender) Höhepunkt sowie Ausgangsort für die Bemühungen um eine universale Anerkennung der Menschenrechte als Recht durch Recht.81 Auf 78

Ein weiterer Fall ist nach einer weit verbreiteten Ansicht die sogenannte humanitäre Intervention. Dieser findet sich jedoch nicht explizit in der Charta. Dazu m. w. N. Epping, Das (absolute) Gewaltverbot – ein Anachronismus?, FS-Folz, S. 31–51. 79 Art. 51 UN Charta. Eine besondere Situation bestand während des Kalten Krieges. Während dieser Zeit war der Sicherheitsrat durch die gegenseitige Blockade seiner ständigen Mitglieder immer wieder faktisch handlungsunfähig. Die Generalversammlung nahm in der Korea-Krise 1950 das Heft in die Hand und verabschiedete die Uniting for Peace-Reolution (GA Res. 377). 80 UN GA Res. 217 (III). 81 Die beiden zentralen völkerrechtlichen Verträge sind die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen: Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (19. Dezember 1966, BGBl. 1973 II, 1953); Internationaler Pakt über wirtschaftliche und soziale Rechte (19. Dezember 1966, BGBl. 1973 II, 1569). Darüber hinaus bestehen viele weitere Konventionen, so beispielsweise das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (15. Dezember 1989, BGBl. 1992 II, 390). Vgl. aus der außerordentlich umfangreichen Literatur beispielsweise Riedel, Menschenrechte der dritten Dimension, EuGRZ 1989, S. 9–21; ders., Universeller Menschenrechtsschutz, S. 105–137; Weber, Menschenrechte – Texte und Fallpraxis; Haedrich, Von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zur internationalen Menschenrechtsordnung, JA 1999, S. 251–260; Meron, Human Rights Law-Making

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regionaler Ebene werden die Menschenrechte heute durch Verträge und flankierende Institutionen in einer beeindruckend breiten sowie intensiven Weise geschützt.82 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und dessen Vorgängerin, die Menschenrechtskommission, haben die Mitgliedsstaaten des Europarates zu einer Grundrechtegemeinschaft zusammenwachsen lassen.83 Die Entscheidungen des Gerichtshofes haben dabei nicht nur Wirkung inter partes – wie bei den Urteilen des Internationalen Gerichtshofes84 –, sondern Wirkung erga omnes,85 so dass Grundrechts- und damit Menschenrechtsschutz in Europa eine besondere Qualität aufweisen. Auch wenn noch in Einzelheiten umstritten, so wird heute zu einem großen Teil anerkannt, dass das Individuum86 (die einzelne Person87; der einzelne Mensch) wenigstens unter bestimmten Umständen Völkerrechtssubjekt ist.88 An dieser Stelle genügt der Hinweis, dass sich durch die Idee der universalen Menschenrechte, die völkerrechtlich begründete Rechte des Inin the United Nations; Eide (Hrsg.), Universal Declaration of Human Rights: A Commentary. Eine Sammlung vieler Verträge findet sich u. a. bei Brownlie, Basic Documents on Human Rights; UN Centre for Human Rights, Human Rights: A Compilation of International Instruments; United Nations Reference Guide in the Filed of Human Rights. 82 Beispielsweise für Europa: Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (4. November 1950, BGBl. 1952 II, 685, 953; 1968 II 1111, 1120; 1989 II, 546); für Amerika: American Convention on Human Rights (18. Juli 1978, ILM 1970, 673); für Afrika: African Charter on Human Rights and Peoples’ Rights (sog. „Banjul-Charter“, 26. Juni 1981, ILM 1982, 59). 83 Weber, Menschenrechte – Texte und Fallpraxis, S. 6. 84 Vgl. Art. 59 IGH-Statut. 85 Weber, Menschenrechte – Texte und Fallpraxis, S. 6 m. w. N. 86 Aus sprachlicher Sicht steht der Begriff Individuum der Vorstellung eines Objektes näher als der eines Subjektes, um das es in unserem Zusammenhang geht. Andererseits ist der Begriff auch der pragmatischen Überlegung geschuldet, dass er ohne Bedeutungsänderung in andere Sprachen konvertierbar ist; beim einzelnen Menschen ist dies schwieriger. 87 Die Überlegungen von Jakobs zum so genannten „Feindstrafrecht“ betreffen auch den Status des Menschen als Person (u. a. in: Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, HRRS 2004, S. 88–95; Norm, Person, Gesellschaft). Ohne auf Jakobs näher eingehen zu wollen, ist doch bemerkenswert, dass selbst ein so unverdächtiger Begriff wie Person mit einem eigenständigen Gehalt aufgeladen werden kann (dazu Bung, Feindstrafrecht als Theorie der Normgeltung und der Person, HRRS 2006, 63–71). 88 Brownlie, Principles of Public International Law (5. Aufl.), S. 585, 605, erkennt eine Subjektsstellung des Individuums für bestimmte Zwecke an; dies gelte wenigstens für jene Situationen, in denen das Individuum eine procedural capacity einnehme. Brownlie lehnt zutreffend eine Entscheidung zwischen den Alternativen Subjektsstellung ja/„vel non“ (S. 605) ab und stützt sich vielmehr auf den Kontext, in dem sich das Individuum befindet.

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dividuums gegenüber dem Staat sind,89 die Überwindung der nach außen hin souveränen Position des Staates als Völkerrechtssubjekt im Völkerrecht bereits abzeichnet.90 Andererseits spielt das Individuum für die Begründung bzw. Geltung von Völkerrecht keine Rolle; hier kommt es noch auf den Staatenkonsens an.91 II. Begriff und Legitimation von Völkerstrafrecht 1. Bedeutung und Begriff In dieses Bild fügt sich die Entwicklung des Völkerstrafrechts ein.92 Nicht nur die Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg93 und Tokio94 und die späteren nationalen Gerichtsverfahren zur Aburteilung von Kriegsverbrechern 89 Auch wenn Menschenrechte dem Menschen auf Grund seines Seins zukommen, so müssen sie doch als Rechte positiviert werden, um sie gegenüber staatlichen Eingriffen durchsetzen zu können, vgl. Weber, Menschenrechte – Texte und Fallpraxis, S. 1–2. 90 Ipsen, Völkerrecht, S. 795, spricht von einer weitestgehenden Relativierung der inneren Souveränität des Staates und beobachtet eine „Wechselwirkung zwischen völkerrechtlich-normativer Festlegung und der sie allmählich fördernden Lebenswirklichkeit“. 91 Auch die sog. Freiheitsbewegungen – gleichsam als Kollektiv von Individuen – werden heute als Völkerrechtssubjekte anerkannt; die Einzelheiten sind aber noch umstritten. Vgl. Ginther, Liberation Movements, in: EPIL, Bd. 3, S. 211. 92 Umfassend mit vielen weiteren Nachweisen Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert. 93 Der Internationale Militärgerichtshof wurde durch das Londoner Abkommen vom 8. August 1945 durch die USA, Großbritannien, Russland und Frankreich eingesetzt; später traten weitere 19 Staaten dem Abkommen bei. Zu dem Londoner Abkommen gehörte das Statut des Tribunals, nachdem jene 22 deutschen Hauptkriegsverbrecher, die gefasst werden konnten, zur Verantwortung gezogen wurden. Der Internationale Militärgerichtshof hatte seinen ständigen Sitz in Berlin, verhandelte jedoch in Nürnberg. Das Urteil erging nach 218 Verhandlungstagen am 30. September und 1. Oktober 1946 und endete mit drei Freisprüchen. Im Einzelnen mit vielen weiteren Nachweisen Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 59–96. 94 Der Internationale Militärgerichtshof für den Fernen Osten samt seines Statuts wurde am 19. Januar 1946 durch eine „Besondere Proklamation“ von General MacArthur, dem Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte, in Tokio eingesetzt. Angeklagt waren 28 japanische Hauptkriegsverbrecher, die am 12. November 1948 sämtlich verurteilt wurden. Dem Urteil haben drei Richter abweichende Sondervoten beigefügt, in denen sie sich grundsätzlich mit Fragen des Rückwirkungsverbotes und der Strafbarkeit des Angriffskrieges (Verbrechen gegen den Frieden) sowie der Legitimation des Gerichtshofes auseinandersetzen. Zu weiteren Einzelheiten mit vielen Nachweisen Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 103–123.

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des zweiten Weltkrieges, sondern auch die ad hoc vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unter Berufung auf seine Kompetenz nach Kapitel VII der UN Charta95 eingesetzten Straftribunale für die strafrechtliche Bewältigung der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien96 und in Ruanda97 und die existierenden oder geplanten „mixed tribunals“98 zeigen die Stellung des Individuums als ein nach Völkerrecht verantwortlichem Subjekt. Völkerrecht wird gegenüber dem einzelnen Menschen nicht (mehr) ausschließlich über den Staat vermittelt; der einzelne Mensch hat nunmehr aus dem Völkerrecht folgende anerkannte Rechte und Pflichten. Letztere zeigen sich an seiner individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit für die Verletzung besonders wichtiger völkerrechtlicher mit Sanktion flankierter Verhaltens- oder Unterlassensregeln; anders gewendet, der einzelne Mensch unterliegt völkerrechtlichen Verboten und Geboten.99 95

Dazu etwa Morris/Scharf, An Insider’s Guide to the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, S. 37 ff. 96 International Criminal Tribunal for the prosecution of persons responsible for serious violations of international humanitarian law committed in the territory of the former Yugoslavia since 1991. Der ICTY wurde 1993 durch die Resolution 808 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen beschlossen und durch Resolution 827 eingesetzt. Zum Stand der Verfahren vgl. http://www.un.org/icty. Aus der umfangreichen Literatur vgl. Jones, The Practice of the International Criminal Tribunals for the Former Yugoslavia and Rwanda; Morris/Scharf, An Insider’s Guide to the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. 97 International Criminal Tribunal for the prosecution of persons responsible for genocide and other such violations of international humanitarian law committed in the territory of Rwanda and Rwandan citizens responsible for genocide and other such violations committed in the territory of neighboring states between 1 January and 31 December 1994, Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, Resolution 955 (1994). Zum Stand der Verfahren vgl. http://www.ictr.org. Aus der umfangreichen Literatur vgl. Jones, The Practice of the International Criminal Tribunals for the Former Yugoslavia and Rwanda; Morris/Scharf, The International Criminal Tribunal for Rwanda. 98 Dabei handelt es sich um Tribunale bzw. Gerichte, die ihre Rechtsgrundlagen sowohl in dem nationalen wie in dem Völkerrecht haben. Außerdem sind dort nationale und internationale Richter und Ankläger tätig. Hier sind, trotz der unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und Entstehungsgründe, die Tribunale und Gerichte in Sierra Leone, Kambodscha, Ost Timor, Kosovo und im Irak zu nennen. Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, S. 116–119. 99 Dennoch verneint Heintschel von Heinegg, Criminal International Law and Customary International Law, S. 44, eine dadurch begründete Stellung des Individuums als Subjekt des Völkerrechts. Heintschel von Heinegg versteht eine direkte mögliche individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen nicht so, dass dies die Subjektsstellung des Individuums im Völkerrecht impliziere, sondern vielmehr diese eine Rechtfertigung eines nach Völkerrecht inkriminierten Verhaltens gemäß (primär anwendbarem) nationalem Recht ausschließe. Heintschel von Heinegg verweist dabei auf Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 70. Vgl. aber etwa Bantekas/Nash, International Criminal Law, S. 2 ff.

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Nach Werle umfasst das Völkerstrafrecht alle Normen, die eine direkte Strafbarkeit nach Völkerrecht begründen.100 Legt man die gängigen Definitionen des Völkerstrafrechts zu Grunde, so ergeben sich als Querschnitt vier Voraussetzungen: Die völkerstrafrechtliche Norm (1) muss eine Verhaltensbeschreibung enthalten, die individuell vorwerfbares Unrecht ausmacht; (2) für die Verwirklichung dieses Unrechts muss die Norm als Rechtsfolge Strafe androhen; (3) die Norm muss eine des Völkerrechts sein; und (4) die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Strafbarkeit selbst müssen sich direkt aus dem Völkerrecht ergeben.101 Der Strafgrund liegt also im Völkerrecht, nicht im staatlichen Recht. Verdross/Simma benennen als echte Verpflichtung des Einzelnen nach Völkerrecht nur den Fall, dass ein Individuum unmittelbar nach Völkerrecht zur Verantwortung gezogen werden kann; der einzige Fall sei die Befugnis eines Staates, einen Angehörigen der feindlichen Streitkräfte wegen Verletzung des völkerrechtlichen Kriegsrechts zu bestrafen. Gleichzeitig weisen sie aber darauf hin, dass es „selbst in diesem Fall“ streitig sei, „ob diese Bestrafung unmittelbar auf Grund des Völkerrechts oder nur nach den Strafgesetzen des Heimat- oder Gewahrsamsstaats erfolgen kann“, jedoch ohne diesen Streit weiter auszuführen.102 Das mag man als Indiz dafür heranziehen, dass es bei Erscheinen des Lehrbuches 1984 keineswegs gefestigte Meinung war, dass überhaupt so etwas wie echtes Völkerstrafrecht existiert. Interessanterweise zweifeln auch Jescheck/Weigend noch 1995 an der Existenz eines solchen echten Völkerstrafrechts.103 Immerhin waren zu diesem Dazu ist hier anzumerken: Auch wenn das nationale Strafrecht dem Völkerstrafrecht tatsächlich oder vertraglich geregelt in der Anwendung vorgeht (wie es das Römische Statut mit seinem Komplementaritätsprinzip, Artt. 1; 17–19, vorsieht), um etwa Kriegsverbrechen zu ahnden, so hat die Realität des Völker(straf)rechts doch gezeigt, dass Individuen durch internationale Gerichte abgeurteilt werden. Sie treten in einem Verfahren auf und werden durch die Anklageschrift und spätestens durch das Urteil direkt, das heißt unmittelbar angesprochen und, wiederum spätestens mit dem Urteil, mit einer sich auf Völkerrecht gründenden Sanktion be- oder durch Freisprechung entlastet. Zudem soll der Angeklagte im Verfahren besondere Rechte haben (so ausdrücklich Art. 67). Insofern leuchtet es nicht ein, hier eine zumindest limitierte Subjektsstellung des Individuums im Völkerrecht zu verneinen. 100 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 81–82 m. w. N. Manche sprechen anstatt vom Völkerstrafrecht auch vom materiellen internationalen Strafrecht (so Dahm/Delbrück/Wolfum, Völkerrecht, Bd. I/3, S. 993), um den Unterschied zum internationalen Strafrecht im Sinne eines Strafanwendungsrechts auszurücken. 101 Nach Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 82, sind es drei Voraussetzungen, weil er Verhaltensbeschreibung und Strafandrohung zusammenfasst. 102 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 264 (§ 439). 103 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, S. 123. Zu der Skepsis im Jahr 1993, als der Sicherheitsrat das Jugoslawientribunal einsetzte, s. auch Werle Menschenrechtsschutz durch Völkerstrafrecht, 109 ZStW (1997), S. 813.

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Zeitpunkt das Jugoslawien- und das Ruanda-Tribunal bereits beschlossen, und deren Auftrag lautete unzweideutig, (nur) solche Normen anzuwenden, die dem Völkergewohnheitsrecht angehörten.104 Die Zurückhaltung der genannten Autoren gemahnt jedenfalls zur Zurückhaltung bei der vorschnellen Annahme von gewohnheitsrechtlichen Völkerstrafrechtstatbeständen. Werle gibt 2003 in seinem Vorwort die heute wahrscheinlich ganz herrschende und zutreffende Meinung wieder, wenn er zum einen schreibt, das Völkerstrafrecht habe in den letzten zehn Jahren eine rasante Entwicklung durchlaufen, und zum anderen, es sei heute „völlig klar“, dass das Völkerstrafrecht geltendes Recht und nicht bloß Recht im Werden sei.105 Einen entscheidenden Aspekt nennt Werle denn auch: Völkerstrafrecht wird von internationalen Gerichten angewendet; insofern ist Völkerstrafrecht eine Realität. Führt man die Elemente der bisher genannten Begrifssbestimmungen zusammen, ergibt sich folgender Begriff: Völkerstrafrecht ist die Gesamtheit jener Rechtsnormen, aus denen sich eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit nach Völkerrecht und nicht aus dem staatlichen Recht ergibt.106 Daraus ergibt sich erstens, dass der Begriff des Völkerstrafrechts ein Sammelbegriff ist, aus dem sich materielle Schlussfolgerungen nicht ableiten lassen107, und zweitens, dass das Völkerstrafrecht ein Teilgebiet der Rechtsordnung des Völkerrechts ist. Im internationalen Sprachgebrauch gelten als Synonyme für den deutschen Begriff des „Völkerstrafrechts“ die üblichen Begriffe „international criminal law“ bzw. „droit international pénal“, wobei diese teilweise auch das internationale Strafrecht im Sinne eines Strafanwendungsrechts, also jener Rechtsnormen, welche die Voraussetzungen einer nationalen Gerichts104

Dazu Fn. 481. Werle, Völkerstrafrecht, S. VII (Vorwort zur 1. Aufl.). 106 Strenge Monisten würden bereits grundsätzlich Einspruch erheben. Auch Köhler rückt die Idee der staatlichen Souveränität als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der Völker ins Zentrum seines Aufsatzes „Zum Begriff des Völkerstrafrechts“. Köhler setzt sich dort kritisch mit der Vorstellung universaler Menschenrechte und schließlich mit einem universalen Geltungsanspruch des Völkerstrafrechts auseinander. 107 Hatten wir uns oben mit der Feststellung, das Römische Statut enthalte zumindest in formeller Hinsicht Strafrecht, begnügt und die materielle Frage aufgeschoben, gilt dies auch hier. Demnach ordnen wir das Römische Statut dem völkerrechtlichen Teilgebiet des Völkerstrafrechts zu und verlassen uns schließlich auf die Werle, wonach die Existenz von Völkerstrafrecht „völlig klar“ ist. Die materielle Frage schließlich beantworten wir unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, B. I. 105

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barkeit festlegen, miterfassen.108 Dieses ist jedoch nicht gemeint, wenn vom Völkerstrafrecht die Rede ist.109. 2. Die Legitimation von Völkerstrafrecht Auch wenn Strafrecht, wie oben gesagt,110 Ausdruck der Staatsgewalt par excellence ist, so schließt dies nicht aus, dass das Völkerrecht eine entsprechende eigene Abteilung aufweist. Die Legitimationsbasis eines völkerrechtlichen Strafrechts bilden schließlich wegen des völkerrechtlichen Konsensprinzips immer die Staaten. Ob die Staaten selbst einen solchen legitimierenden Akt vornehmen dürfen, ist eine Frage des jeweiligen Staatsrechts. Staatsrechtliche Beschränkungen wiederum haben grundsätzlich keinen Einfluss auf die völkerrechtliche Wirksamkeit staatlichen Handelns111. Damit ist der Möglichkeit eines „echten Völkerstrafrechts“112 grundsätzlich das Tor geöffnet. Wenn die Staaten in der Schaffung von Völkerrecht inhaltlich dem Grunde nach ungebunden sind und sich Völkerrecht auf den Konsens der beteiligten Akteure gründet113, so kann dennoch nach einer speziellen auf das Völkerstrafrecht gemünzten Begründung bzw. Legitimation gefragt werden, denn es geht nicht nur um die Schaffung von freiheitsbegrenzenden Rechtssätzen, sondern mit der Strafdrohung gegen den Einzelnen zugleich auch um die Schaffung von freiheitsentziehenden Sanktionen. Tallgren leitet ihren – wie sich schnell erweisen wird: kritischen – Aufsatz ein mit „Intolerable large-scale crimes seem to render the justification of international criminal justice self-evident. It just feels right“, um sofort 108

Vgl. die Nachweise bei Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 81 (dort Fn. 153). Für das deutsche Strafrecht finden sich diese Normen in §§ 3–7 StGB. Ambos, Internationales Strafrecht, S. 2, schlägt dafür den treffenden Begriff transnationales Strafrecht vor, um den grenzüberschreitenden Charakter des Strafanwendungsrechts deutlich zu machen. Das Strafanwendungsrecht gründet auf dem Völkerrecht, das als Grundsätze das Territorialprinzip, das aktive Personalitätsprinzip, das Schutzprinzip bzw. passives Personalitätsprinzip, den Universalitätsgrundsatz sowie den Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege kennt; hinzu kommt noch das Flaggenprinzip. Dazu jeweils m. w. N. etwa Ambos, § 3 (S. 22 ff.); Bantekas/Nash, International Criminal Law, S. 71 ff. 110 Erster Teil, Zweites Kapitel, D. 111 Art. 27 WVK. Eine Ausnahme ist nur die Offenkundigkeit staatsrechtlicher Beschränkungen, vgl. Art. 46 WVK. Vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 15, Rn. 13. 112 So die Formulierung von Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, S. 123. 113 Oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. I. 1. 109

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mit einem Kontrast anzuschließen: „But why?“114 Auch Pawlik sieht ein Defizit bei der Bestimmung des Zweckes völkerstrafrechtlicher Sanktionierung.115 a) Untersuchungen zur Legitimation von Völkerstrafrecht (1) Gierhake Gierhake unternimmt in ihrer Untersuchung den Versuch, das Völkerstrafrecht auf der Grundlage der Kant’schen Rechtslehre zu begründen.116 Dabei weist sie darauf hin, dass bislang nur scheinbare Begründungen des Völkerstrafrechts geleistet wurden und Antworten den Eindruck der Beliebigkeit vermittelt hätten.117 Insbesondere kritisiert sie am Beispiel eines Aufsatzes von Ambos/Steiner118 eine zirkuläre Bestimmung von Völkerstrafrecht und bezeichnet Formulierungen, welche den Schutz des Völkerstrafrechts für Fälle einsetzen lassen, in denen völkerrechtliche Bestrafungspflichten besonderes gerechtfertigt seien, richtigerweise als Leeraussage.119 Ebenso wie Köhler120 weist auch Gierhake darauf hin, dass „die Eigenschaft jedes einzelnen Rechtssubjekts als vernünftiger Mitkonstituent der Rechtsgemeinschaft“ als „unübergehbare Einheit“ zu berücksichtigen sei.121 Dabei stellt sie auch als Besonderheit des Völkerstrafrecht heraus, dass nunmehr eine „Verbundenheit aller im Recht nun für die Weltgemeinschaft begründet werden“ müsse, „um überhaupt von einer ‚Betroffenheit‘ der strafenden Rechtsgemeinschaft durch geschehenes Strafunrecht sprechen zu können“122. Schließlich stellt sie zwei Anforderungen für die materielle Begründbarkeit des „internationalen Strafrechts“ als Recht der Weltgemein114 Tallgren, The Sensibility and Sense of International Criminal Law, 13 EJIL (2002), S. 561. 115 Pawlik, Strafe oder Gefahrbekämpfung, ZIS 2006, S. 274–292; er nennt Möller, Mohr, Ambos/Steiner, Eser, Werle, Roxin, Prittwitz, die „ungenau argumentieren“ (S. 289–291). Selbst möchte er die einschlägigen Delikte einer „stärker präventionsorientierten Sonderdogmatik“ unterstellen, und ähnlich wie Tallgren fragt auch Pawlik nach dem „why“ (S. 291). 116 Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf der Grundlage der Kantischen Rechtslehre. 117 Gierhake, S. 20–21. 118 Ambos/Steiner, Vom Sinn des Strafens auf innerstaatlicher und supranationaler Ebene, JuS 2001, S. 9–13. 119 Gierhake, S. 24. 120 Köhler, Zum Begriff des Völkerstrafrechts, Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 11 (2003). 121 Gierhake, S. 29, 31–32. 122 Gierhake, S. 170.

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schaft: Zum einen müsse „überhaupt interpersonales, strafwürdiges Unrecht als Grund der Strafverfolgung“ vorliegen; des Weiteren müsse eine „Betroffenheit der Weltgemeinschaft durch das konkret geschehene Unrecht (eine ‚Verletzung des Rechts als Recht‘) begründet werden“ können123. Die Legitimität einer Strafmaßnahme richte sich aber nicht nur nach ihrer materiellen Begründbarkeit, sondern auch nach der Erfüllung formell-rechtlicher Anforderungen,124 so dass eine „Einheit materieller und formeller Gerechtigkeit“ notwendig sei, „wenn sich internationale Strafe als Rechtsstrafe erweisen soll“125. Dabei kommt es ihr insbesondere darauf an, dass sich (auch) das Völkerstrafrecht als „freiheits-realisierend aufweisen“ lasse und somit der „legitime Inhalt determiniert“.126 Diesen Überlegungen schließt sich die Frage an, „ob den im Romstatut kodifizierten Tatbeständen tatsächlich interpersonales, strafwürdiges Unrecht zugrunde liegt, ob sie also zu Recht bestimmtes Verhalten bei Strafe verbieten“;127 für die Beantwortung werden einige Bestimmungen des Statuts untersucht. Das zwischenzeitliche Fazit Gierhakes fällt, verglichen mit den nicht seltenen pathetischen Formulierungen im völkerstrafrechtlichen Schrifttum, klar und damit einigermaßen kühl aus: zum einen ließen sich die untersuchten „Unrechtstatbestände“ „jedenfalls im Kern auf materielles, interpersonales Unrecht“ zurückführen und hätten als Strafgesetze so inhaltlich ihre Berechtigung; allerdings dränge „sich der Verdacht auf, dass sich dieses Resultat eher einem glücklichen Zufall verdankt als einer konzentriert-bewußten und systematischen Erfassung des zugrunde liegenden Strafunrechts“.128 Die Modalitäten des Römischen Statuts bezeichnet Gierhake plastisch als Sammelsurium von Tatbestandsalternativen, denen nur gemeinsam sei, dass man sich im Rahmen einer Staatenkonferenz zügig auf sie habe einigen können. Ihrem Anliegen, eine Begründung des Völkerstrafrecht zu finden, entspricht es schließlich, wenn sie auf die „Gefahr der Willkür“ hinweist, die 123

Gierhake, S. 171. Gierhake, S. 171. 125 Gierhake, S. 172, Hervorhebung im Original. 126 Gierhake, S. 193. 127 Gierhake, S. 193–194. Hier spricht Gierhake von „Tatbeständen“. Interessant ist bei Gierhake die korrespondierende Fußnote, in der es heißt, die Artt. 6–8 des Statuts hätten die Entwicklung völkerrechtlicher Straftatbestände ausgehend vom Gewohnheits- und Vertragsrecht und die Fortentwicklung durch die ad hoc Tribunale zu einem vorläufigen Abschluss gebracht; es handele sich nunmehr um einen „umfassenden Strafkatalog im Rahmen des neuen permanenten IStGHs“. Für Gierhake folgt mithin die Strafbarkeit aus dem Statut; damit kommt den Bestimmungen des Statuts eine über ein bloßes „Gerichtsverfassungsgesetz“ hinausgehende materielle Funktion zu. Vgl. auch unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, B. I. 128 Gierhake, S. 203. 124

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die „fehlende Sorgfalt bei der Kodifizierung der Tatbestände“ berge; Strafgesetze dürften sich niemals auf Beliebigkeit gründen, sondern müssten „ihrem Grund in der menschlichen Vernunft nach gesetzt“ worden sein.129 Stimmten Gesetz und Recht bloß zufällig miteinander überein, so sei dies nicht lediglich unzureichend, sondern „vielleicht bedrohlicher als die offensichtliche Diskrepanz“, da diese „zum Widerspruch drängt“ und jene „der Wachsamkeit entzogen“ sei.130 Dem möglichen Einwand, die Unzulänglichkeiten des Statuts in Form und Inhalt seien der Entstehung in einem völkerrechtlichen Forum geschuldet und müssten zugunsten einer Machbarkeit geduldet werden, hält Gierhake entgegen, dass das Strafrecht eine Form der Positivierung erfordere, die deutlich höheren Anforderungen zu genügen habe als der Text eines (ergänze: sonstigen) völkerrechtlichen Vertrages und daher nur jenes Völkerstrafrecht Bestand habe, „welches trotz seiner immanenten Schwierigkeiten den formellen Anforderungen eines freiheitlichen Strafrechtsverständnisses“ genüge.131 Jedenfalls habe die Weltgemeinschaft eine materielle Strafbefugnis; das Völkerstrafrecht lasse sich materiell begründen. Dabei liege „völkerstrafrechtliches Unrecht in jeder substantiellen Freiheitsverletzung im Interpersonalverhältnis, durch die die Geltung allgemeinen Weltrechts negiert“ werde und „strafwürdiges Unrecht dann zum universal bedeutsamen Völkerbrechen“ werde, „wenn es sich gegen die Möglichkeit des Rechtsfriedens in der Welt“ richte.132 Nach Gierhake liegt das Legitimationsproblem also nicht im Materiellen, sondern in der formell-rechtlichen Umsetzung, da „ein konkreter Strafakt durch eine internationale Strafinstanz (. . .) auf einer formell-gesetzlichen Grundlage beruhen und eine Rechtsgarantieleistung der Gesamtheit der Weltrechtssubjekte darstellen, also auf sie zurückführbar sein“ müsse. Dies lasse der „tatsächlich erreichte Stand internationaler Rechtsverwirklichung“ derzeit nicht zu, und daher sei die „Legitimität der bestehenden internationalen Strafgerichte (. . .) anzuzweifeln“.133 Für die immer noch vorherrschende Perspektive ist demgegenüber wohl Casseses weniger strenge Ansicht repräsentativ, wenn er schreibt, „International Criminal Law is not a formalistic body of law geared to legal technicalities but aims at proscribing and punishing crimes whatever the modalities of their commission“134. 129 130 131 132 133

Gierhake, Gierhake, Gierhake, Gierhake, Gierhake,

S. S. S. S. S.

203, Hervorhebung im Original. 203–204. 205. 297. 298, meine Hervorhebung.

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Da sich für Gierhake Legitimität nur in Einheit materieller und formeller Rechtlichkeit herstellt, legt sie einen strengeren Maßstab an als das allgemeine Völkerrecht135. Während nach allgemeinem Völkerrecht die Staaten auf Grund ihres Konsenses die Rechtsnormen schaffen können, die ihnen dem Inhalt nach genehm sind, und daher der Konsens der völkerrechtlichen Akteure den Geltungsgrund, die Erzeugungsarten und die Erscheinungsformen des Völkerrechts bestimmt136, soll dies nach Gierhake für das Völkerstrafrecht gerade nicht ausreichen. Konsens könne Legitimität alleine nicht schaffen, aber dies ist – wie Gierhake auch schreibt – „dem Prinzip nach völkerrechtsfremd“.137 (2) Neubacher Neubacher begründet die Legitimation des Internationalen Strafgerichtshofs kompakt damit, dass in materieller Hinsicht die Kernverbrechen des Statuts so schwer wiegen, dass internationale Rechtsgüter der Völkergemeinschaft betroffen seien, und dass in formeller Hinsicht das Komplementaritätsprinzip eine demokratietheoretisch tragfähige Begründung liefere.138 Neubacher geht also implizit von einer Legitimität qua Konsens aus, da er für die Begründung materieller Legitimität das Statut selbst, nämlich die Aussagen der Präambel und des Art. 5 Abs. 1 heranzieht; mithin legitimitätsstiftenden Aussagen, die von dem Konsens der das Statut tragenden Staaten getragen werden. Anders als Gierhake folgt Neubacher dem bekannten und von Gierhake kritisierten Muster, die materielle Legitimation des Römischen Statuts aus den in ihm selbst formulierten Begründungen abzuleiten. Neubacher ordnet die Beseitigung eines Vollzugsdefizits auch ausdrücklich der Legitimation von Strafe auf internationaler Ebene (also des Völkerstrafrechts) zu. Er kommt zu dem Schluss, dass die Strafzwecke Prävention139 und Rechtsgüterschutz – und nicht Vergeltung oder Rache – seien.140 134 Cassese, International Criminal Law, S. 193. Dazu noch unten Zweiter Teil, Drittes Kapitel, III. 135 Gierhake, S. 205 in einer Zwischenzusammenfassung. 136 Dazu oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. I. 1. 137 Gierhake, S. 205. 138 Neubacher, Strafzwecke und Völkerstrafrecht, NJW 2006, S. 967; ders., Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 415 ff. 139 Eine weitere Frage, die jedoch über diese Arbeit weit hinausweist, ist, ob und inwiefern sich präventive Effekte des Römischen Statuts bzw. der Verfolgung der Verbrechen tatsächlich ausmachen lassen. Tallgren, The Sensibility and Sense of International Criminal Law, 13 EJIL (2002), S. 590, verneint dies rundweg („everybody knows that prevention does not work, even if we hope it might one day“); Meron, War Crimes Law Comes of Age, 92 AJIL (1998), S. 463, sieht jedoch „some

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(3) Köhler Nach Köhler formuliert das Statut selbst einen Prinzipienbezug und setzt eine vorpositive Grundlage voraus. Er nennt die Präambel, welche im ersten Absatz ein allgemeines, materiellrechtliches Kriterium einführe, das nicht als bloße Leerformel fungieren könne. Gleichzeitig schließe dieser Prinzipienbezug die Möglichkeit eines internen Widerspruchs ein.141 evidence, albeit anecdotal and uncertain“ für die abschreckende Wirkung der Tätigkeit der ad hoc-Tribunale und des Internationalen Strafgerichtshofs. Schuster, The Rome Statute and the Crime of Aggression: A Gordian Knot in Search of a Sword, 14 CLF (2003), S. 16, dagegen greift einen Gedanken von Stone, Aggression and World Order (von 1958), S. 147, auf, wonach die potentielle Bestrafung wegen eines Angriffskrieges womöglich die Anstrengungen, einen kriegerischen Sieg davonzutragen, nur noch verstärkten, um internationalen Tribunalen keine Möglichkeit zur Strafverfolgung zu eröffnen: „one should keep in mind what is possible when the lofty goals of international justice clash with the cynical exigencies of realpolitik“. Im Übrigen spricht sich Schuster überzeugend dafür aus, das Aggressionverbrechen wegen der damit verbundenen überwiegenden Schwierigkeiten aus dem Römischen Statut zu entfernen (S. 50–51). Harmon/Gaynor, Ordinary Sentences for Extraordinary Crimes, 5 JICJ (2007), S. 683–712, kritisieren die Strafzumessung des Jugoslawientribunals in grundsätzlich zustimmungswürdiger Weise als „unerklärlich nachsichtig“ und plädieren für eine stärkere Berücksichtigung des Strafzwecks der Abschreckung. Ob hohe Strafen wirklich stärker abschrecken als weniger hohe, wie die Autoren eindringlich vortragen (S. 696), kann dahingestellt bleiben. Mir erscheint demgegenüber ein reales Verfolgungsrisiko der entscheidende abschreckende Faktor zu sein, der jedoch durch das von Harmon und Gaynor – vor dem unbestreitbaren Hintergrund limitierter juristischer Ressourcen – als wichtig und hilfreich erachtete plea bargaining ebenso an Schärfe verlieren kann. Hier fügt sich auch das von den Autoren zitierte Schlusswort eines Opferzeugens des Srebrenica-Massakers ein, dem es gerade auf die Verfolgung der Organisatoren und nicht der die Verbrechen tatsächlich Ausführenden ankommt (S. 710). Das Privileg des plea bargaining können nämlich die Besitzer von Herrschaftswissen, also die Verbrechensorganisatoren, besser für sich ausnutzen als jene Personen, denen schlicht die Ausführung massenhafter Tötungen vorgeworfen wird. Damaska, Negotiated Justice in International Criminal Courts, 2 JICJ (2004), 1018–1039, schließt seine Untersuchung, in der er das plea bargaining für grundsätzlich zulässig hält – und zwar aus Gründen der praktischen Notwendigkeit –, mit der zustimmungswürdigen Bemerkung, das Motto der Wahl sei „as many trials as possible, as much bargaining as necessary“ (S. 1039). Martinez, Understanding Mens Rea in Command Responsibility, 5 JICJ (2007), S. 664, bemerkt im Übrigen auf den einfachen Soldaten bezogen an, dass nicht die internationale Strafjustiz, sondern vielmehr die militärische Hierarchie und damit die Vorgesetzten die „first line defence“ gegen Kriegsverbrechen darstellten. Vgl. auch unten Fn. 266. 140 Neubacher, Strafzwecke und Völkerstrafrecht, NJW 2006, S. 967, S. 970; ders., Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 422 ff. 141 Köhler, Zum Begriff des Völkerstrafrechts, S. 443.

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Als maßgebendes Kriterium eines (Völkerrechts-)Verbrechens nennt Köhler die „fundamentale Negation von Prinzipien des internationalen Verfassungsrechts“. Die (im vierten Absatz der Präambel des Römischen Statuts genannte) Betroffenheit der internationalen Gemeinschaft als Ganzes müsse als strikter Rechtsbegriff ernst genommen werden; „vermeintliche ‚Evidenzen‘ und Intuitionen ‚gefühlter‘ Rechtsverletzung“ genügten nicht.142 Das universale Verbrechen bestehe „in der schuldhaft tätigen Negation der Verfassungs- und zugleich Völkerrechtsfähigkeit (. . .) eines Verbandes (Volkes) bzw. Staates“.143 Zentraler Begriff bei Köhler ist daher das „Völkerrechtsverhältnis“. Nur soweit ein die staatliche Souveränität aufhebendes Völkerstrafrecht sich auf Verbrechen am Völkerrechtsverhältnis beziehe, sei dieses begründbar; umgekehrt sei dies nicht möglich, da die Zuständigkeit für innerstaatliche oder international-zwischenstaatliche Verbrechen an der Unveräußerlichkeit der Staatssouveränität144 scheitere.145 Konsequenterweise lehnt daher Köhler als „unhaltbar in sachlicher und systematischer Hinsicht“ ein Völkerstrafrecht ab, welches innerstaatliche Kriegsverbrechen (er nennt dies Bürgerkriegsverbrechen) erfasse, wie etwa durch Art. 8 Abs. 2 lit. (c) ff. Letzterem ist Folgendes entgegenzuhalten: bereits der Universalitätsanspruch der Menschenrechte hat dazu geführt, dass die Staatssouveränität, die für Köhlers Argumentation zentral ist, nicht mehr absolut verstanden wird. Im gemeinsamen, konsensualen Zusammenwirken können die Staaten daher einen Rechtsgüterschutz international vereinbaren, der auch nationale Geltung haben soll. Die Betroffenheit der internationalen Gemeinschaft besteht schließlich dann, wenn die von ihr durch vereinbarte strafrechtliche Sanktionen geschützten und als solche erkannten Rechtsgüter verletzt sind. Eine Aufgabe von Souveränität ist damit nicht verbunden, ist doch die Fähigkeit, an der konsensualen Schaffung von Rechtsnormen mitwirken zu können, vornehmster Ausdruck dieser Souveränität. Die Souveränität wird daher nicht veräußert, sondern allenfalls gebunden.146 Wenn für Köhler das Völkerrechtsverbrechen die „fundamentale Negation von Prinzipien des internationalen Verfassungsrechts“ darstellt, so ist schließlich darauf hinzuweisen, dass die UN-Charta zum obersten Ziel die Erhaltung und gegebenenfalls Wiederherstellung des Weltfriedens hat, und die Menschenrechte als Mittel zur Erreichung des Weltfriedens an erster 142

Köhler, S. 456. Köhler, S. 457. 144 An einer Stelle spricht Köhler vom „existenziellen Souveränitätsvorbehalt“ (S. 458). 145 Köhler, S. 456 ff.; 462, 466–467. 146 Ähnlich Triffterer, Dogmatische Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechts seit Nürnberg, S. 209, 212. 143

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Stelle stehen (Art. 1), und zu den Grundsätzen (auch) die souveräne Gleichheit der Staaten und das Nichteinmischungsgebot zählt (Art. 2)147. Wenn man eine Wertehierarchie des Völkerrechts aufstellt, so rangieren Frieden und Menschenrechte vor der Würde des Staates.148 Insofern entspricht es dem Köhlerschen Verständnis durchaus, wenn auch innerstaatlich verübte Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 Abs. 2, welche die Menschenrechte der Opfer verletzen, als fundamentale Negation des internationalen Verfassungsrechts aufgefasst und daher in begründeter Weise strafbewehrt werden. (4) Tallgren Skeptisch ist schließlich Tallgren, die den Zweck von Völkerstrafrecht anderswo sieht als in der Prävention oder Unterdrückung von Kriminalität.149 Vielmehr liege der eigentliche Sinn, so Tallgren, „möglicherweise“ darin, ein System von Symbolen gemeinsamen Gedenkens zu schaffen150 und so in der Debatte von den Vorbedingungen von Völkerrechtsverbrechen abzulenken151; Völkerstrafrecht wäre dann, folgte man diesem Ansatz, ein Herrschaftsinstrument des Westens bzw. Nordens.152 Deutlich kritisiert Tallgren den – auch von Neubacher im Sinne einer formellen Legitimation vertretenen – Ansatz, zur Begründung von Völkerstrafrecht in Analogie zum nationalen Strafrecht auf die Übertragung der staatlichen Strafbefugnis auf die internationale Ebene abzustellen.153 Gleichzeitig weist sie auf das Paradoxon hin, das sich daraus ergebe, einerseits Begründungen in Analogie zum nationalen Strafrecht zu suchen und zum anderen auf das unabhängige und internationale Wesen von Völkerstrafrecht abzustellen.154 Sie sagt auch, dass sich konkrete präventive Auswirkungen, die das Römische Statut auf die internationale Ordnung habe, nicht leicht feststellen 147 Dazu etwa Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 92–93, 96–97 (S. 73–77). 148 Vgl. Wirth, Immunity for Core Crimes? The ICJ’s Judgement in the Congo v. Belgium Case, 13 EJIL (2002), S. 888. 149 Tallgren, The Sense and Sensibility of International Criminal Law, 13 EJIL (2002), S. 565. 150 „International criminal justice comes close to a religious exercise of hope and perhaps deception“ (S. 561). 151 Tallgren, S. 593–595. 152 Ähnlich Chimni, International Institutions Today: An Imperial Global State in the Making, 15 EJIL (2004), S. 1, 13, nachdem internationale Strafgerichtshöfe ein „notwendiges Element eines imperialen globalen States“ seien. 153 Tallgren, S. 565–567. 154 Tallgren, S. 567.

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ließen; man könne es nicht ausschließen, aber auch nicht positiv feststellen. Daran schließt sich eine deutliche Kritik an, die auf das Argumentieren mit Wahrscheinlichkeiten, Möglichkeiten oder Überzeugungen abstellt.155 Insgesamt ist Tallgren skeptisch, ob sich die Täter, die Verbrechen als Führungsfiguren initiiert haben, abschrecken lassen. Skeptisch fragt sie auch, ob von dem „Typ Jedermann“ gerechtfertigterweise überhaupt erwartet werden könne, dass er sich innerhalb eines repressiven, totalitären Regimes an die strafbewehrten Regeln des Völkerrechts halte. In solchen Fällen bestehe die große Schwierigkeit des Völkerstrafrechts darin, Moral hervorzubringen und Normen internalisieren zu lassen, so dass der Einzelne vor der Rechtsverletzung schon deshalb zurückschrecke, weil das Verhalten als moralisch verwerflich erscheine.156 Überzeugend erörtert Tallgren, dass sich ein Verstehen und Begründen von Völkerstrafrecht von der Analogie zum nationalen Strafrecht lösen muss. Die Strafzwecktheorien und das Verständnis von Strafrecht als ultima ratio lassen sich auf Völkerstrafrecht nicht analog dem nationalen Recht übertragen.157 Was die Fähigkeit von Völkerstrafrecht zur Prävention angeht, so wird sich, wie Tallgren auch schreibt158, ein empirischer Beweis nicht letztgültig führen lassen, da gerade auf internationaler Ebene strafrechtliche Sanktionen nur ein Teil eines Bündel von präventiven und repressiven Maßnahmen darstellen. Warum dieser Befund aber dazu führen 155

Tallgren, S. 569. Tallgren, S. 572–576. 157 Ein konkretes, gleichwohl stets aktuelles Dilemma formuliert Lamony, Peace and Justice in Uganda, 33 The Monitor (2006), S. 9: Soll der Internationale Strafgerichtshof zentrale Figuren wegen der von ihnen mutmaßlich begangenen Verbrechen verfolgen, obgleich diese Figuren ebenso zentral für die aktuellen Friedensgespräche sind und die Verfolgung den Erfolg eben jener Gespräche zu untergraben vermag? Zweitens sei, so Lamony, die traditionelle ugandische Strafrechtspflege schwerpunktmäßig entweder punitiv oder versöhnend ausgerichtet, und Protagonisten eines traditionell versöhnend ausgerichteten Systems sähen Versöhnung für einen nachhaltigen Friedensprozess als geboten an, während andere darin eine Stärkung der culture of impunity sähen. Dazu auch Ssenyonjo, The International Criminal Court and the Lord’s Resistance Army Leaders: Prosecution or Amnesty? 7 ICLR (2007), 361–389. In diesem Zusammenhang spielen auch sog. Wahrheitskommissionen als alternative Maßnahmen zur Versöhnung eine Rolle; dem Verhältnis von Wahrheitskommissionen und internationaler Strafgerichtsbarkeit geht Nesbitt, Lessons from the Sam Hinga Norman Decision of the Special Court for Sierra Leone: How trials and truth commissions can co-exist, 8 GLJ (2007), S. 977–1014, nach. Fletcher/Ohlin, The ICC – Two Courts in One?, 4 JICJ (2006), S. 428–433, sehen in der Dichotomie von Rechtsprechung einerseits sowie Friedens- und Sicherheitsgewährleistung andererseits eine Kernfrage des Völkerstrafrechts betroffen und leiten aus dem Römischen Statut ab, dass es im Grunde „zwei Gerichtshöfe in einem“ gebe, vgl. Fn. 41. 158 Tallgren, S. 569, 590. 156

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sollte, Prävention und Repression aus der Begründung von Völkerstrafrecht auszuschließen, ist nicht klar. Ebenso wenig zwingend ist der Schluss von Völkerstrafrecht als einer Art kollektiven symbolischen Gedenkens auf dessen Eigenschaft als Herrschaftsinstrument. Wenn Tallgren den Vorwurf erhebt, die Reduzierung von Komplexität durch die Fokussierung des Strafrechts auf den Einzelnen verbanne die multiplen Verantwortlichkeiten für Konflikte in den Hintergrund159, so verkennt sie zum einen, dass Verbrechen von Individuen verübt werden und nicht von abstrakten Einheiten (wie schon das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal in seinem Urteil festgehalten hat160), und zum anderen, dass gerade die Erforschung tatsächlicher Gegebenheiten im Rahmen der Ermittlungen des Anklägers sowie deren Darstellung im Urteil es durchaus ermöglichen, Hintergründe und Zusammenhänge angemessen, also auch unter Berücksichtigung der historischen Vorgänge, darzustellen161. Mit Blick auf die Opfer von Völkerrechtsverbrechen ist der von Tallgren implizit geforderte weite, historisch-politische Blick ebenfalls nicht sachgerecht (sondern zynisch), da dem Opfer schließlich kein „zeitgeschichtliches Unglück“ widerfährt, sondern Unrecht angetan wurde162. Sofern Tallgren darauf abstellt, dass der Einzelne, der in einem Unrechtsregime lebt, keine reelle Chance habe, sich völkerrechtskonform zu verhalten und daher die Präventionsfähigkeit und Rechtfertigung von Völkerstrafrecht anzweifelt, ist dem entgegenzuhalten, dass die individuelle Fähigkeit, sich regelkonform zu verhalten, noch nicht die Geltung des Rechts per se beseitigen kann. Das Strafrecht setzt sich mit den individuellen Umständen im Rahmen von Schuld und Strafzumessung auseinander163. Darüber hinaus ist mit Neubacher zu sagen, dass die Chancen für Generalprävention nicht schlecht stehen, wenn ein generelles Strafverfolgungsrisiko besteht.164

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Tallgren, S. 594. „Crimes against international law are committed by men, not by abstract entities, and only by punishing individuals who commit such crimes can the provisions of international law be enforced.“, International Military Tribunal, Judgement, S. 41 bzw. 41 AJIL (1947), S. 221. 161 Vgl. Neubacher, Strafzwecke und Völkerstrafrecht, NJW 2006, S. 969. 162 Neubacher, Strafzwecke und Völkerstrafrecht, NJW 2006, S. 969 nach Fn. 23. 163 Vgl. Neubacher, Strafzwecke und Völkerstrafrecht, NJW 2006, S. 968 bei Fn. 16, der dort auch auf seine Kriminologischen Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 430 ff. hinweist. 164 Neubacher, Strafzwecke und Völkerstrafrecht, NJW 2006, S. 968–969 ab Fn. 19. s. aber auch Fn. 139. 160

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b) Legitimität durch optimale Anwendung Wir haben uns vorgenommen, in unserer Untersuchung pragmatisch vorzugehen. Dies gebietet auch die Einsicht, dass das Römische Statut nun einmal in der Welt ist und der Gerichtshof seine Arbeit in Den Haag aufgenommen hat. Das Römische Statut wird bereits angewendet. Es ist nicht zu erwarten, dass die Einsicht eines Legitimitätsdefizits des Gerichtshofes diesen veranlassen wird, seine Arbeit vorbehaltlich der Schließung der Lücken einzustellen, oder die Mitgliedsstaaten des Statuts die Notbremse ziehen werden. Beruhigend ist insofern Gierhakes Befund, dass die Weltgemeinschaft – realistischerweise muss man wohl von der Staatengesamtheit sprechen – eine materielle Strafbefugnis hat. Offenbar hapert es an dem wie. Aus der unzureichenden Umsetzung, und das schließt auch die Beschreibung der unter Strafe gestellten Verhaltensweisen im Römischen Statut ein, ergeben sich im konkreten Fall des Internationalen Strafgerichtshofes und dem ihn begründenden Römischen Statut die besagten Legitimitätszweifel. Diese können natürlich durch das Bemühen um einen besonders sorgfältigen Umgang mit dem Statut nicht ausgeräumt werden – ist schon der Grund des Handelns (das Statut) bemakelt, so kann ein noch so makelloses Handeln seinen Grund nicht bessern. Dennoch, und dies scheint nach den Ergebnissen Gierhakes ein zunächst wenig starkes Argument zu sein, führt heute165 genau daran letztlich kein anderer gangbarer Weg vorbei: Mit dem Römischen Statut ist ein völkerrechtlicher Vertrag in der Welt, auf Grund dessen der Ständige Internationale Strafgerichtshof zur Verfolgung und Aburteilung im Statut bezeichneter Verhaltensweisen berufen ist. Dieser Aufgabe kommt der Gerichtshof bereits nach. Dabei wendet er das Statut an und bezieht seine eigene Wirksamkeit daraus. Daher muss der Gerichtshof das ihn begründende völkerrechtliche Statut in völkerrechtlich optimaler Weise anwenden. Damit ist auch gesagt, dass im Rahmen des Völkerrechts, und dazu gehört schließlich auch das Völkerstrafrecht, immer noch der Konsens der Akteure das entscheidende Geltungs- und Legitimitätsmoment bereitstellt. Eine optimale Anwendung des sich auf Völkerrecht gründenden Statuts kann für eine hohe Akzeptanz der Rechtsvorgänge und der künftig stattfindenden Strafprozesse bei den Rechtsunterworfenen und den das Statut tragenden Staaten sorgen.166 Mit zunehmender Akzeptanz schließlich treten 165 D.h. bis zur Revisionskonferenz gem. Art. 123, die frühestens im Jahr 2009 (sieben Jahre nach In-Kraft-Treten des Statuts) zusammen tritt. 166 Ähnlich Bassiouni, The ICC – Quo Vadis?, 4 JICJ (2006), S. 426, andererseits S. 422. Vgl. auch van Sliedregt, Criminal Responsibility in International Law – Liability Shaped by Policy Goals and Moral Outrage, 14 EJCrCLCJ (2006), S. 99, die auf das „konstitutionelle Defizit“ des Modells internationaler Strafgerichtsbarkeit

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auch die noch deutlich begründeten Legitimitätszweifel in den Hintergrund. Insofern entspannt sich auch das von Gierhake167 beschriebene Dilemma von einer bestehenden materiellen Strafbefugnis und -notwendigkeit einerseits und andererseits dem Fehlen legitimer Umsetzungsmöglichkeiten „in der realen Welt“. Die Umsetzung einer – in der realen Welt – als notwendig erkannten Strafbefugnis muss damit mit der real möglichen Legitimität geschehen. Andernfalls bliebe das Prinzip gewahrt, aber die Tat ungesühnt. Das Recht muss seinen Geltungsanspruch auch durchsetzen können, und das geht nur in der realen Welt mit den realen Möglichkeiten.168 Dies gesagt, ist noch auf eine wichtige Beobachtung Gierhakes zurückzukommen, nämlich die von ihr beobachtete teilweise bloß zufällige Übereinstimmung von Recht und Gesetz.169 Wenn Gierhake hier die Gefahr sieht, dass diese Fälle „der Wachsamkeit entzogen“ seien, so spricht dies auch für unser Bemühen um eine optimale Anwendung des Statuts, denn nichts anderes als ein wacher – und damit wachsamer – Umgang mit den Bestimmungen des Statuts ist damit gemeint. Im Folgenden wird aber auch deutlich werden, dass wir unseren Schwerpunkt eher auf die legitimitätsstiftende Wirkung einer breiten Akzeptanz der Anwendung des Status legen denn auf eine Wachsamkeit, die konsequenterweise zu einer Nichtanwendung einzelner Bestimmungen des Statuts führen müsste. Betrachten wir das Anliegen des Römischen Statuts als legitim, so müssen wir uns auch um die Legitimität seiner Anwendung bemühen. Dabei müssen wir erkennen und stets berücksichtigen, dass im Römischen Statut die drei Felder des Strafrechts, des Völkerrechts und des Völkerstrafrechts zusammenkommen. Jedem Feld sind besondere Probleme eigen, und jedes Feld wird von seinen jeweiligen Anwendern und Exegeten in einer besonderen Weise verstanden. Die Legitimität der Anwendung des Römischen Statuts hängt mithin entscheidend davon ab, ob es gelingt, diese Felder samt deren Lösungen zusammenzuführen und daraus tragende Maßstäbe für die Anwendung zu entwickeln.

hinweist und daher die Notwendigkeit eines besonders sorgfältigen Herangehens an die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit sieht. 167 Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf der Grundlage der Kantischen Rechtslehre, S. 296. 168 Vgl. auch die Gesamtbetrachtung unten Vierter Teil, Zweites Kapitel. 169 Siehe oben im Text bei Fn. 130.

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B. Das anwendbare Recht Bereits Art. 21 Abs. 1 des Römischen Statuts lässt erkennen, dass der Rahmen des vom Gerichtshof anwendbaren Rechts eine innere und eine äußere Seite hat:170 zum einen wendet der Gerichtshof gemäß lit. (a) „an erster Stelle“ sein Statut an; zum anderen kann er aber nach litt. (b), (c) auch außerhalb des Statuts liegendes Recht anwenden. Zugleich ist das Römische Statut als völkerrechtlicher Vertrag in die Rechtsordnung des Völkerrechts, welche die Grundbedingungen für die Geltung und Anwendung bereitstellt, eingebettet. Daher sind zunächst die Erscheinungsformen des allgemeinen Völkerrechts zu erörtern (I. Die äußere Seite), bevor auf den für das Römische Statut spezielleren Art. 21 zurückzukommen ist (II. Die innere Seite). I. Die äußere Seite: Die Erscheinungsformen des Völkerrechts Wenn beschrieben werden soll, was Völkerrecht ist, kommt die Rede oft schnell auf die „Rechtsquellen“ des Völkerrechts.171 Der Begriff der Quelle suggeriert, dass dort das Recht ans Licht kommt, dort entspringt und sich sozusagen in unserer Gegenwart materialisiert.172 Wird der Begriff der „Rechtsquelle“ verwendet, so macht dies die schwierige Aufgabe, den Geltungsgrund des Völkerrechts zu benennen, nicht einfacher – wenn das Völkerrecht irgendwo „entspringt“ (wie es der Begriff der Rechtsquelle nahe legt), dann liegt doch darin bereits sein Grund: das Recht kommt als Recht in die Welt und gilt gerade deshalb. Um diese terminologischen Schwierigkeiten zu umgehen,173 wollen wir im Weiteren den zwar üblichen, aber bestenfalls ungenauen Begriff Rechts170

Zu dieser Unterscheidung oben Zweiter Teil, Erstes Kapitel, B. So lautet der erste Satz bei Brownlie, Principles of Public International Law, S. 3: „As objects of study, the sources of international law and the law of treaties (. . .) must be regarded as fundamental: between them they provide the basic principles of the legal regime“; anschließend unterscheidet er zwischen formal sources (die Regeln über die Rechtserzeugung) und material sources („the material sources provide evidence of the existence of rules which, when proved, have the statuts of legally binding rules of general application“). Im Völkerrecht sei es schwierig, den Unterschied zwischen formal sources und material sources aufrechtzuerhalten (S. 2). Vgl. auch ebenso Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 321 (§ 515) bzw. ähnlich Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 3. Kap., Rn. 1. 172 Eine genaue Auseinandersetzung mit diesem Bild findet sich bei Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 84. 173 Bos, A Methodology of International Law, S. 48 ff., wiederum geht grundsätzlich vor, in dem er die Kategorie der recognized manifestations of international law (RMIL) vorschlägt. Damit entwickelt er eine eigene Theorie des Völkerrechts. Allerdings ist er damit gar nicht so weit entfernt von der der hier vertretenen Sicht171

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quelle vermeiden, sondern vielmehr pragmatisch von den Erscheinungsformen des Völkerrechts sprechen.174 Dementsprechend vorgelagert sind deren Erzeugungsarten.175 Auch wenn Art. 59 IGH-Statut bestimmt, dass Entscheidungen des Gerichtshofs nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits Bindungskraft haben, und Art. 38 IGH-Statut im Grunde nur einen Rechtsanwendungsbefehl an den Gerichtshof für seine Entscheidung darstellt, wird in diesem im Allgemeinen eine Aufzählung der Erscheinungsformen (in der herkömmlichen Terminologie: Rechtsquellen) des Völkerrechts gesehen176. Da das Völkerrecht keinen numerus clausus der Erscheinungsformen kennt, ist diese Aufzählung jedoch nicht erschöpfend.177 Die überwiegende Meinung geht davon aus, dass Art. 38 keine Hierarchie aufstellt, sondern die Erscheinungsformen bloß ordnet. Überhaupt kennt das Völkerrecht keine strenge Normenhierarchie und keine entsprechenden Kollisionsregeln.178 Jedenfalls gibt Art. 38 die Begriffe vor, an denen sich die Darstellungen üblicherweise orientieren. 1. Gewohnheitsrecht Art. 38 Abs. 1 lit. (b) des IGH-Statuts nennt das Gewohnheitsrecht an zweiter Stelle nach den völkerrechtlichen Verträgen und bezeichnet es als „international custom, as evidence of a general practice accepted as law“179. In der Lehre wird für den subjektiven Teil dieser Formel oft der lateinische Satz „opinio iuris sive necessitatis“ verwendet.180 Das sive (im weise der Erscheinungsformen, da es ihm auch darauf ankommt, das zu beschreiben, wodurch Völkerrecht anerkanntermaßen zum Ausdruck kommt. 174 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 321 (§ 515), die ihre Darstellung der formellen Völkerrechtsquellen an den „formalisierten Erzeugungsarten und Erscheinungsformen des positiven Völkerrechts“ ausrichten (Herv. im Original). 175 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 321 (§ 515). 176 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 322 (§ 516); Brownlie, Principles of Public International Law, S. 5; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 3. Kap., Rn. 3. 177 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 323 (§ 518); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 3. Kap., Rn. 3 unter Verweis auf das Konsensprinzip. 178 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 5; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 20, Rn. 1. Zur Bedeutung von ius cogens Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 4. 179 Zur Kritik an dieser Formulierung beispielsweise Günther, Zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht. 180 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 59; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 560 (S. 353); Zemanek, Die Bedeutung der Kodifizie-

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Sinne eines disjunktiven oder181) scheint ein Indiz dafür zu sein, dass Staaten nicht nur aus Rechtsüberzeugung handeln müssen, um Gewohnheitsrecht entstehen zu lassen, sondern dieses Handeln auch durch (bloße) Notwendigkeit motiviert sein kann. Andere Autoren hingegen schreiben zutreffend „opinio iuris et necessitatis“182 und bestehen auf der Unterscheidung von gewohnheitsmäßigem Handeln aus rechtlicher Pflicht, aus Üblichkeit oder aus Höflichkeit (courtoisie), wobei nur ersteres für die Begründung eines Rechtssatzes ausreicht.183 Demnach ist zwischen der (rechtlich verbindlichen) Gewohnheit (custom) und der unverbindlichen Übung (usage) zu unterscheiden.184 Das Gewohnheitsrecht entsteht also durch eine gleichförmige Übung mit allmählich hinzutretender Rechtsüberzeugung;185 eine gewohnheitsrechtlich geltende Norm ist also eine, die ihren Ausdruck in einer als Recht anerkannten Übung findet186. Die Literatur zum Völkergewohnheitsrecht ist Legion und hat ein buntes Spektrum an Ansichten hervorgebracht, die eine sichere Handhabbarkeit des Gewohnheitsrechts zum Wunschdenken werden lassen.187 Andererseits zeigt sich am Gewohnheitsrecht der Charakter des Völkerrechts als am prinzipiell gleichwertigen souveränen Staat orientierte Rechtsordnung am deutlichsten. Am Gewohnheitsrecht zeigen sich auch die besonderen Herausforderungen, die das Völkerrecht an die Ermittlung oder Begründung seines Geltungsgrundes, seiner (Rechts-)Quellen und seiner Erscheinungsformen stellt. Daher soll in dieser kurzen Darstellung das Gewohnheitsrecht auch – in Abweichung von der Reihenfolge des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut – vor den völkerrechtlichen Verträgen besprochen werden188. rung des Völkerrechts für seine Anwendung, Internationale FS-Verdross, S. 573; diese Formulierung verwendet auch das Bundesverfassungsgericht, E 66, 39, 64 ff.; E 96, 68, 86 ff.; Heintschel von Heinegg in: Ipsen, Völkerrecht, § 16, Rn. 12; mit kritischem Einschlag aber ders., Criminal International Law and Customary International Law, S. 46. 181 Bernhardt, Customary International Law, in: EPIL, Bd. 1, S. 899, 900, schreibt gar „opinio juris vel necessitatis“ (meine Hervorhebung). Vel kennzeichnet ein alternatives oder, wobei Bernhardt dennoch beide Elemente als konstitutiv voraussetzt. 182 So beispielsweise Brownlie, Principles of Public International Law, S. 8. 183 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 8; vgl. die Entscheidung des IGH im Nordsee Festlandsockel-Fall, ICJ Reports 1969, S. 44. 184 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 6. 185 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 347 (§ 551). 186 Vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. (b) IGH-Statut. 187 Vgl. in diesem Sinne auch Heintschel von Heinegg, Criminal International Law and Customary International Law, S. 40 m. w. N. Eine übersichtliche Darstellung bieten Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 345 ff. (§§ 549 ff.). Die Literatur lässt sich leicht über die Verzeichnisse der Lehrbücher zum Völkerrecht erschließen; auf einen Nachweis wird daher an dieser Stelle verzichtet.

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a) Objektives Element: Allgemeine Übung Die allgemeine Übung stellt das objektive Element bei der Entstehung des Gewohnheitsrechts dar. Allgemein bedeutet dabei nicht universell; im Asyl-Fall spricht der IGH von einer „usage constant et uniforme“189. Hingegen lehnt er im Fischerei-Fall die allgemeine Geltung der von einer Streitpartei behaupteten Norm mit der Begründung ab, es gebe Staaten, die von der behaupteten Norm abweichende Regeln getroffen hätten190. Der IGH hat auch festgestellt, dass ein Staat durch sein beharrliches Widersetzen (sogenannter persistent objector) seine Bindung an entstehendes Gewohnheitsrecht verhindern kann – auch wenn die Entstehung der Norm als solche dadurch nicht gehindert wird, so kann der widersprechende Staat doch eine Ausnahme für sich erreichen.191 Zur Frage, ob eine in einem völkerrechtlichen Vertrag enthaltene Norm zum Gewohnheitsrecht geworden sei, hat sich der IGH im Nordsee-Festlandsockel-Fall geäußert192: Zunächst sei dies dem Grunde nach möglich; jedoch sei es dafür notwendig, dass es eine weit verbreitete und repräsentative Teilnahme der Staaten an dem Vertrag, insbesondere der besonders betroffenen Staaten, gebe. Die nachfolgende Staatenpraxis (auch von Nichtvertragsstaaten) müsse sowohl weit verbreitet wie gleichsam uniform sein, und sie müsse die generelle Anerkennung einer Rechtsnorm oder einer Rechtspflicht beinhalten, um die Vertragsrechtsnorm zu Gewohnheitsrecht werden zu lassen.193 Diese Voraussetzungen gelten im Übrigen grundsätzlich und nicht nur für die Entstehung von Gewohnheitsrecht auf Grund eines Vertrages.194 Damit ist der Bewertungshorizont in Bezug auf die Übung beschrieben. Worin diese Übung bestehen kann, ist eine andere Frage. Oft werden hier nationale Gesetze oder die Urteile der höchsten Gerichte der Einzelstaaten genannt195; im Prinzip kann zum Nachweis der Staatenpraxis jedes staatliche Verhalten, ob rechtlich oder faktisch (politisch) relevant, herangezogen 188

Ähnlich Brownlie, Principles of Public International Law, S. 6, 13. „Dauerhafte und einheitliche Übung“. ICJ Reports 1950, S. 276. 190 ICJ Reports 1951, S. 131. 191 ICJ Reports 1951, S. 131. 192 Die entscheidende Passage findet sich in ICJ Reports 1969, S. 41 ff. 193 ICJ Reports 1951, S. 43. 194 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 352 (§ 557). 195 So der IGH im Haftbefehl-Fall (Belgium v. D. R. Congo), ICJ Reports 2002, 21; zu dieser Entscheidung äußert sich O’Keefe, Universal Jurisdiction – Clarifying the Basic Concept, 2 JICJ (2004), S. 735–760, und betrachtet die Zusammenhänge von Universalitätsprinzip, nullum crimen-Prinzip, Rechtsfindung sowie der Verwendung von Rechtsbegriffen. 189

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werden.196 So hat der IGH im Nicaragua-Fall ausgeführt, eine bloße Erklärung der Anerkennung bestimmter Regeln durch die Staaten sei für den Gerichtshof nicht ausreichend, um diese Regeln als Teil des Völkergewohnheitsrechts anzuerkennen;197 stets müsse die opinio iuris durch eine entsprechende Praxis bestätigt werden.198 Verträge stellen als solche noch keine allgemeine Übung dar199; eine Übung wird regelmäßig zwischen den Vertragsstaaten entstehen, aber die Rechtsüberzeugung gründet sich dann auf den Vertrag; dazu sogleich. Wenn man – wie hier – voraussetzt, dass der allgemeinen Übung eine tatsächliche Praxis einschließlich eines temporären Elements immanent ist, so kann es ein immer wieder propagiertes spontanes Gewohnheitsrecht nicht geben.200 Insofern setzt die allgemeine, also einheitliche und verbreitete, Übung voraus, dass die Staatenpraxis eine „gewisse Dauer“ aufweist.201 Es liegt wohl so, dass eine zügig formierte und stark verbreitete Praxis dem Element der Dauerhaftigkeit genügt.202 b) Subjektives Element: Rechtsüberzeugung Das subjektive Element des Gewohnheitsrechts ist die Rechtsüberzeugung, mithin die Anerkennung der Übung als Recht (opinio iuris). Im bereits erwähnten Nordsee-Festlandsockel-Fall hat der IGH ausgeführt, entscheidend sei, dass die Staaten in der Überzeugung handelten, dies auf Grund einer rechtlichen Pflicht tun zu müssen.203 Dem Erfordernis der Rechtsüberzeugung ließe sich entgegen halten, ein solcher innerer Vorgang lasse sich bei einem Staat gar nicht ausmachen. Sehr wohl lässt sich aber aus einem bestimmten Verhalten, das sich nach außen hin zeigt, ein entsprechendes Bewusstsein ableiten204 – die Erklärung beispielsweise, ein be196 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 353 (§ 559); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16, Rn. 6. 197 ICJ Reports 1986, 97. 198 ICJ Reports 1986, 14, 97; vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 358 (§ 566); Cheng, United Nations Resolutions in Outer space: „Instant“ International Customary Law?, 5 IndianJIL (1965), S. 23 ff. 199 ICJ Reports 1969, S. 38. 200 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16, Rn. 5. 201 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16, Rn. 7; Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht, S. 361–362 (§ 571–572). 202 Ähnlich die Formulierung des IGH im Nordsee Festlandsockel-Fall, ICJ Reports 1969, S. 43: „extensive and virtually uniform“. 203 ICJ Reports 1969, S. 44. 204 In diesem Sinne die h. M., vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16, Rn. 34.

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stimmtes Verhalten gründe sich auf dem Recht, ist eine solche nach außen dargestellte Rechtsüberzeugung. Wie bereits dargestellt, können auch völkerrechtliche Verträge zum Nachweis von Völkergewohnheitsrecht herangezogen werden.205 Jedoch ist hierbei zu beachten, dass die Rechtsüberzeugung der Vertragsstaaten (zunächst bloß) auf Grund des Vertrags (opinio iuris conventionis) besteht. Andererseits können sich auch Nichtvertragsstaaten gemäß den Bestimmungen des Vertrages verhalten, und im Falle einer korrespondierenden Rechtsüberzeugung kann dies zum Entstehen einer gegebenenfalls neuen gewohnheitsrechtlichen Norm führen, so dass sich – zumindest für die Vertragsstaaten – die Geltung der Norm auf zwei Erscheinungsformen des Völkerrechts zurückführen lässt.206 Keinesfalls entbinden das Bestehen eines völkerrechtlichen Vertrages und die Behauptung, darin sei Gewohnheitsrecht abgebildet, vom Nachweis einer entsprechenden Rechtsüberzeugung und ebenso wenig vom Nachweis einer entsprechenden allgemeinen Übung.207 c) Die Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Völkergewohnheitsrecht Soweit ist der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen die Völkerrechtslehre und -praxis die Entstehung beziehungsweise den entsprechenden Nachweis von Völkergewohnheitsrecht begründet.208 Insbesondere das Verhältnis von Verträgen und Gewohnheitsrecht ist ein immer wieder fruchtbares Feld für Debatten. Auf die in diesem Zusammenhang zu nennende Kodifikation, also der Überführung von Gewohnheitsrecht in Vertragsrecht, ist im Rahmen der völkerrechtlichen Verträge einzugehen.209 205 Der umgekehrte Fall, nämlich jener der Kodifikation, wird unten dargestellt: Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. 2. c). 206 Vgl. Art. 38 WVK; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16, Rn. 22. 207 Heintschel von Heinegg, Criminal International Law and Customary International Law, S. 41–42; ders., in: Ipsen, Völkerrecht, § 16, Rn. 22. Deutlich kritisch zu das Konsensprinzip aufweichen wollenden Tendenzen Maierhöfer, Weltrechtsprinzip und Immunität: das Völkerstrafrecht vor den Haager Richtern, EuGRZ 2005, S. 549–551. Zu dem Problem im Zusammenhang mit dem Römischen Statut unten Zweiter Teil, Drittes Kapitel, III. 208 Soweit ist stets das universell oder allgemein geltende Gewohnheitsrecht gemeint; wenn eine bloß begrenzte Gruppe von Staaten eine gemeinsame Übung aus Rechtsüberzeugung besitzt, so kann man von partikulärem beziehungsweise regionalem Gewohnheitsrecht sprechen. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 359 (§ 567). 209 Unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 2. c).

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Eine Besonderheit der Beschäftigung mit dem Gewohnheitsrecht besteht darin, dass ein vorformulierter Satz (nach dem Muster: Regel X besagt Y) oder eine vorformulierte Frage (Muster: gibt es eine Regel X mit dem Inhalt Y?) am Anfang der Überlegungen stehen und durch den Nachweis der Übung und einer korrespondierenden Rechtsüberzeugung zu bestätigen sind. Demnach bestimmt eine Hypothese die Suche und damit schließlich das Ergebnis. Nicht erst die Gewichtung des gefundenen Materials, sondern bereits das Ausmaß der Suche danach hängt erheblich von dem Gericht oder der Person, die diese Aufgabe ausführt, ab.210 Die dadurch entstehenden Unschärfen liegen in der Natur der Sache begründet und überraschen insofern nicht. Die Unschärfen zu werten ist eine wesentliche juristische Aufgabe. Wenn die Hypothese beispielsweise sehr präzise ausfällt, so können die Unschärfen, die das gefundene Material aufweist, dazu führen, dass die Hypothese zunächst falsifiziert erscheint oder sie nur a grosso modo Bestätigung findet. Dann kommt es auf die Bewertung an, worauf der Akzent gesetzt wird: man gibt sich entweder mit einer Bestätigung des allgemeinen Kerns der Hypothese zufrieden – oder man lehnt sie ab, da sie sich nicht in Gänze als begründbar herausgestellt hat. Möglicherweise wachsen die Unschärfen, wenn die Suche ausgeweitet wird und weiteres abweichendes Material hinzukommt; umgekehrt ist es denkbar, dass die Hypothese eine zunehmend genauere Bestätigung erfährt, je enger die Basis des untersuchten Materials ist. Der Inhalt des Gewohnheitsrechts folgt also aus seiner Existenz. Da dieses einen qualitativen und quantitativen Nachweis verlangt, ergibt sich der Inhalt mithin aus seiner Evidenz.211 Daher muss man sich auch stets vergegenwärtigen, dass die Suchhypothese maßgeblichen Einfluss auf das später gewonnene Ergebnis hat. Dies ist ein allgemeines, der Rechtsvergleichung und dem Völkerrecht nicht fremdes Problem. Lauterpacht formulierte 1955 dazu, dass „we are driven [. . .] to the conclusion that although there is as a rule a consensus of opinion on broad principle – even this may be an overestimate in some cases – there is no semblance of agreement in relation to specific rules and problems.“212 Im Rahmen des Völkerstrafrechts und des hier untersuchten 210

Brownlie, Principles of Public International Law, S. 6–7: „Obviously the value of these sources varies and much depends on the circumstances.“; „[t]his is very much a matter of appreciation and a tribunal will have considerable freedom of determination in many cases.“ 211 Siehe auch Ipsen, Völkerrecht, § 1, Rn. 36 zum Auseinanderhalten von Sein und Sollen. 212 Lauterpacht, Codification and the Development of International Law, 49 AJIL (1955), S. 17; meine Herv.

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Römischen Statuts müssen wir uns diesen Befund der relativen Unschärfe stets vergegenwärtigen.213 Aus dem Befund eines Konsenses im Allgemeinen (beispielsweise: die Pönalisierung von Kriegsverbrechen dient dem Schutz der elementaren Werte der Menschheit) eine besondere Regel (beispielsweise: Verhalten X ist ein Kriegsverbrechen. Daher ist dieses Verhalten X strafbar) ableiten zu wollen, scheitert bereits am Fehlen des notwendigen Nachweises eines Konsenses über diese besondere Regel. Diese Ableitung hilft im Bereich des Gewohnheitsrechts nur, eine Suchhypothese zu generieren; sie kann aber nicht bereits das Ergebnis begründen. Im Rahmen des Völker(gewohnheits)strafrechts hat dies immer wieder zu Zweifeln geführt beispielsweise hinsichtlich der Frage, ob denn ein nach Völkerrecht nicht erlaubtes Verhalten dadurch gleichzeitig auch nach Völkerrecht strafbar ist. Wir sehen also, dass das Völkergewohnheitsrecht nicht immer Gewissheit über das Ob der Geltung von Rechtssätzen beziehungsweise das Ausmaß der Geltung oder die Dichte von Rechtssätzen liefern kann.214 Unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Dimension, die dem Gewohnheitsrecht zukommen kann, wird klar, dass entweder die Bestimmtheitsanforderungen des Völkerstrafrechts niedriger liegen als die des nationalen, schriftlichen Strafrechts oder – im Falle ähnlicher Anforderungen – das Gewohnheitsrecht nicht zur Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit taugt.215 Auf 213 Wenn wir untersuchen wollten, welche der in Art. 8 des Römischen Statuts aufgeführten vielen genau formulierten Modalitäten des Kriegsverbrechens auch gewohnheitsvölkerstrafrechtlich gilt (präzise Hypothese), so müssten wir uns von vornherein darauf einstellen, dass ein solcher völlig genauer Nachweis möglicherweise nicht gelingen wird. Wenn wir untersuchen wollten, ob Kriegsverbrechen ein qua Gewohnheitsvölkerstrafrecht anerkanntes Verbrechen darstellen (weite Hypothese), so könnten wir auf Grund unseres völkerrechtlichen und strafrechtlichen Vorwissens davon ausgehen, dass sich diese Fragestellung unschwer affirmativ beantworten ließe. Vgl. die Untersuchung von Heintschel von Heinegg, Criminal International Law and Customary International Law, S. 27; s. auch Weigend, The Harmonization of General Principles of Criminal Law: The Statutes and Jurisprudence of the ICTY, ICTR and ICC: An Overview, 19 Nouvelles Études Pénales (2004), S. 321. 214 Villiger, Customary International Law and Treaties, S. 60: „The main difficulty is (. . .) ascertainment.“ 215 In seinem erstinstanzlichen Urteil in der Sache Prosecutor v. Furundzija (IT-95-17/1) kam der ICTY zu dem Schluss, dass es sich bei gewaltsamer oraler Penetration nicht (bloß) um sexuellen Missbrauch, sondern um Vergewaltigung handele. Dies hat er angenommen mit der Begründung, es ergebe sich aus dem völkerrechtlichen Grundsatz der Achtung der Menschenwürde, dass ein derart herabwürdigendes Verhalten als Vergewaltigung zu bestrafen sei (Rn. 183). Einen völkergewohnheitsrechtlichen Straftatbestand hat der ICTY dabei nicht aufgefunden, sondern auf Allgemeine Rechtsgrundsätze rekurriert (Rn. 165 ff.). Diese wiederum hat er nicht direkt angewendet, sondern als begründenden Hintergrund für das genannte

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die Bestimmtheitsanforderungen des Römischen Statuts wird noch zurückzukommen sein.216 2. Verträge a) Inhalt Bei Verträgen stellt sich das Problem des Suchens einer Regel zunächst nicht, fixieren sie doch das von den Parteien Gewollte. Dabei ist ein völkerrechtlicher Vertrag jede zwischen zwei oder mehreren Staaten oder anderen vertragsfähigen Völkerrechtssubjekten getroffene, dem Völkerrecht zugehörige Vereinbarung.217 Auch das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (Wiener Vertragsrechtskonvention, WVK218) ist zwar selbst ein Vertrag, der als solcher nur für die Vertragsparteien(-staaten) gilt;219 die meisten Bestimmungen geben jedoch Völkergewohnheitsrecht wieder220. Daher können diese Bestimmungen der WVK auch auf Verträge bezogen werden, deren Parteien nicht auch Parteien der WVK sind.221 Daher ist regelmäßig von den Begewünschte Ergebnis der Einstufung als Vergewaltigung herangezogen. Dem Einwand, diese Konstruktion verstoße gegen den nullum crimen-Satz, begegnet der ICTY mit dem Argument, die Handlung sei unabhängig von der konkreten Einstufung als sexueller Missbrauch oder als Vergewaltigung strafbar, so dass es darauf nicht ankomme. Einzig der Einwand, mit der Verurteilung wegen Vergewaltigung sei ein größeres Stigma verbunden, könne erhoben werden. Jedoch handele es sich hierbei um das „Produkt einer fragwürdigen Haltung“ (Rn. 184). Zu einer auf die „Essenz“ des Verbrechens abstellenden Ansicht vgl. unten Fn. 531. Selbst wenn man das Ergebnis der Rechtsfindung des Tribunals vor dem Hintergrund der abscheulichen Handlungen für richtig hält (wie es auch beispielsweise dem deutschen Strafgesetzbuch entspricht, vgl. § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1), so ist der Begründungsgang dennoch falsch. Mit der „richtigen Haltung“ ließe sich schließlich jedes abstoßende Verhalten für strafwürdig und strafbar befinden. Der nullum crimen-Satz bliebe eine bloße Behauptung ohne wirklichen Sinn, wenn das Gericht über die „Richtigkeit“ der Haltung zu befinden hätte. Die Rechtsmittelkammer hat die Rechtsmittel jedoch sämtlich verworfen. Offenbar spielen Fletcher/Ohlin, Reclaiming Fundamental Principles of Criminal Law in the Darfur Case, 3 JICJ (2005), S. 551, auf das Furundzija-Urteil an, wenn sie die diesem Fall zugrunde liegende Konstellation als Analogie bezeichnen, welche „most clearly inconsistent with the principle of legality“ sei. 216 Zu Art. 22 („Nullum crimen sine lege“) unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. 217 Vgl. nur Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 9, Rn. 1. 218 Vom 23. Mai 1969; in Kraft seit 27. Januar 1980. BGBl. 1985 II, S. 926. 219 Zur Reichweite von Verpflichtungen völkerrechtlicher Verträge sogleich. 220 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 580. 221 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 3. Kap., Einl., Rn. 5.

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stimmungen der WVK auszugehen, wenn es um die Beschäftigung mit völkerrechtlichen Verträgen geht.222 Die WVK erfasst dabei jene Verträge, welche in Schriftform und zwischen Staaten geschlossen sind. Für die Klassifizierung als völkerrechtlicher Vertrag kommt es auf die gewählte Bezeichnung oder Form oder den Inhalt nicht an.223 Grundsätzlich besteht Formfreiheit im Völkerrecht.224 Auch findet die actus contrarius-Doktrin keine Anwendung; ein völkerrechtlicher Rechtssatz kann mithin auch durch einen anderen Rechtssatz, der in einer anderen Erscheinungsform als der ursprünglichen auftaucht, geändert werden.225 Teilweise werden völkerrechtliche Verträge dem Inhalt nach unterschieden;226 dabei wird auf so genannte traités-lois und so genannte traités-contrats abgestellt.227 Erstere sollen Normen von universeller Geltung festlegen, die von den Einzelinteressen der teilnehmenden Staaten unabhängig seien;228 letztere sollen gerade die Interessen der teilnehmenden Staaten vertragsmäßig regeln.229 Diese Unterscheidung ist jedoch abzulehnen, da die jeweilige Eingruppierung im Einzelfall nicht immer überzeugend gelingen kann und zudem vielen Verträgen Elemente beider Klassifizierungen eigen sind. Eine strenge Einordnung eines Vertrages in die eine oder andere Kategorie muss dann willkürlich erscheinen; insbesondere, wenn sich aus der schematischen Einordnung bestimmte Folgen ergeben sollen.230 222 Zu den Auslegungsregeln der WVK unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 2. 223 Art. 2 Abs. 1 lit. a) WVK. 224 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 424 (§ 660), S. 440 (§ 683). 225 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 13, Rn. 5. 226 Für eine weniger auf formale, sondern stärker auf materielle Kriterien abstellende Bestimmung völkerrechtlicher Verträge vgl. Lister, What’s in a Name? Labels and the Statute of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, 18 LJIL (2005), S. 77 ff. 227 Dazu knapp und skeptisch Brownlie, Principles of Public International Law, S. 608–609. 228 So hat der Internationale Gerichtshof in seiner Advisory Opinion zum Vorbehalte zur Genozid-Konvention-Fall ausgeführt, dass die Staaten keine eigenen Interessen hätten, sondern vielmehr ein gemeinsames Interesse, welches die raison d’être einer solchen Konvention darstellten (ICJ Reports 1951, S. 23. De Visscher, Problèmes d’Interprétation Judiciaire, S. 128, 133 sieht dies als Bestätigung seiner Definition der traités-loi. 229 Bos, A Methodology of International Law, S. 60; 165–166. 230 So soll es beispielsweise in der Praxis weniger leicht sein, die Relevanz de travaux préparatoires bei der Auslegung von traités-lois zu begründen; dazu im Einzelnen McNair, Law of Treaties, S. 412 ff. Demgegenüber ist es stets vorzugswürdig, auf den konkreten Vertrag und auf den in ihm zum Ausdruck kommenden Willen der teilnehmenden Staaten abzustellen. Zur Vertragsauslegung ausführlich Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I.

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Nach alledem handelt es sich beim Römischen Statut jedenfalls und soweit ersichtlich auch unbestritten um einen völkerrechtlichen Vertrag.231 b) Anwendungsbereich Völkerrechtliche Verträge können Verpflichtungen grundsätzlich nur inter partes oder im Wege einer ausdrücklichen Zustimmung der verpflichteten dritten Partei entstehen lassen (pacta tertii nec nocent nec prosunt).232 Dies lässt sich bereits aus dem für das Völkerrecht fundamentalen Konsensprinzip und aus der Souveränität der Staaten herleiten:233 hat ein Staat einer vertraglichen Verpflichtung nicht zugestimmt, gilt der Vertrag für ihn nicht, da es am Konsens mangelt. Andererseits wird auch behauptet, eine Ausnahme gelte für solche Verträge, die ein „objektives Regime“ mit Wirkung erga omnes schaffen wollten, und deren Legitimation sich aus einer „Zuerkennung der von den Parteien in Anspruch genommenen Kompetenz zur Regelung einer Angelegenheit des allgemeinen Interesses durch die übrigen am Vertrag nicht beteiligten Staaten“ ergebe.234 Bei solchen Verträgen müssten die Nichtvertragsstaaten von sich aus eine abwehrende Reaktion zeigen, andernfalls der Vertrag auch für sie verbindlich werde.235 Wenn sich eine solche Kompetenzübertragung nachweisen lässt, so mag eine entsprechende Ausnahme von der pacta tertiis-Regel bestehen; andererseits bewegt sich eine solche dem Vertrag vorangehende Zuerkennung noch im Rahmen des Konsensprinzips, so dass mit Verdross/Simma eine „Scheinausnahme“236 zu konstatieren ist. Allerdings ist das genannte Kriterium der Kompetenzübertragung nur bezüglich so genannter „Statusverträge“, die eine gebietsbezogene237 Regelung vorsehen, überzeugend herausgearbeitet worden.238 Die von dem uns hier interessierenden Römischen Statut errichtete Ordnung stellt jedoch 231 Ausgehend von dieser Einsicht sind dennoch zwei Perspektiven möglich, s. unten Zweiter Teil, Drittes Kapitel, I. 232 Artt. 34, 35, 37 WVK; Brownlie, Principles of Public International Law, S. 598. 233 Für das Römische Statut deutlich ebenso Cryer, International Criminal Law vs State Souvereignty: Another Round?, 16 EJIL (2005), S. 985. 234 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 345. 235 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 345. 236 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 489 (§ 770). 237 „Objektive Regime“ errichten anerkanntermaßen die gebietsbezogenen so genannten Statusverträge wie beispielsweise der Antarktisvertrag oder die Verträge über den Weltraum. 238 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 23, 45: „Die durch den Vertrag geschaffene Ordnung ist geographisch fixiert.“ (S. 45).

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keine geographisch fixierte Ordnung dar; es geht nicht um ein territoriales Sonderregime, das den „Status“ eines Gebietes festlegt, sondern um Regelungen, die die Feststellung einer individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit betreffen. Insofern ist der Regelungsbereich des Römischen Statuts bereits dem Grunde nach nicht von den die Statusverträge betreffenden Kriterien erfasst. Ohne eine entsprechende Kompetenzzuerkennung würde eine echte Ausnahme von der pacta tertiis-Regel vorliegen; eine solche ist jedoch mit dem Konsensprinzip nicht vereinbar. Erst recht gilt dies für Verträge, die die konstitutiven Elemente der Staatlichkeit (Staatsvolk; Staatsgebiet; Staatsgewalt; die Fähigkeit, Beziehungen zu anderen Staaten aufzunehmen239) betreffen. Andernfalls könnte die bloße Behauptung eines legitimen Gemeininteresses durch Vertragsstaaten nicht bloß die Souveränität eines Drittstaats tangieren, sondern sogar beschränken. Wenn Verträge damit nur inter partes gelten, so bedeutet dies gleichzeitig, dass deren räumlicher Geltungsbereich auf die Territorien der Vertragsstaaten beschränkt ist. Insofern lässt sich mit Mégret und anderen die immer wieder aufgeworfene Frage, ob das Römische Statut auch Nichtvertragsstaaten Pflichten auferlegt und somit die pacta tertii-Regel überschreitet, bündig mit nein beantworten.240 Dass Nichtvertragsstaaten einen Prozess ihrer Staatsangehörigen vor dem Internationalen Strafgerichtshof oder wegen des Komplementaritätsprinzips241 primär vor einem Gericht eines Vertragsstaates dulden müssten, ergibt sich nicht als Pflicht aus dem Römischen Statut, sondern bereits aus den allgemeinen völkerrechtlichen Regeln des internationalen Strafrechts. Daher geht das insbesondere von der amerikanischen Regierung vorgebrachte Argument, das Römische Statut unterwerfe unzulässigerweise unter Umgehung des Grundsatzes der Staatensouveränität auch Angehörige von Nichtvertragsstaaten seinen Bestimmungen,242 fehl:243 Ein jeder ist an 239 Entsprechend Art. I der Montevideo Convention on Rights and Duties of States. 240 Mégret, Epilogue to an Endless Debate: The International Criminal Courts’s Third Party Jurisdiction and the Looming Revolution of International Law, 12 EJIL (2001), S. 247–268, insbes. S. 249–254. 241 Bergsmo, The Jurisdictional Régime of the International Criminal Court (Part II, Articles 11–19), 6 EJCrCLCJ (1998), S. 362, hebt denn mit Blick auf das Komplementaritätsprinzip auch hervor, dass es schwer falle zu verstehen, wie ein Staat bona fide die Gerichtsbarkeit des Gerichthofes fürchten könne, denn sie greife schließlich nicht ein, wenn dieser Staat selbst zur Strafverfolgung willens und in der Lage sei. 242 Repräsentativ für einen solchen Begründungsgang ist etwa der Beitrag von Wedgwood, The International Criminal Court: An American View, 10 EJIL (1999),

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die (Straf-)Gesetze des Territoriums gebunden, auf dem er sich aufhält, selbst wenn sein eigener Staat solche Gesetze nicht hat oder anerkennt.244 Andererseits sind die Parteien grundsätzlich frei, was den Inhalt ihrer Verträge angeht, da das Völkerrecht grundsätzlich dispositiv ist. Davon besteht nur eine Ausnahme, soweit ius cogens betroffen ist.245 Dem Völkerrecht sind, das ist bereits gesagt worden, eine Hierarchie von Normen und entsprechende strenge Kollisionsregeln fremd.246 Allerdings finden die allgemeinen Regeln lex specialis derogat legi generali sowie lex posterior derogat legi priori Anwendung.247 Dies hat für das Verhältnis von Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht folgende Konsequenzen: Im Anwendungsbereich eines völkerrechtlichen Vertrages werden gleich- oder anderslautende Regeln des Völkergewohnheitsrechts verdrängt. Sofern gleichlautende Regeln bestehen, gelten sie gewohnheitsrechtlich jedoch außerhalb des vertraglichen Regimes weiter; diese Regeln gelten dann gleichzeitig auf Grund Vertragsrechts wie auf Grund Gewohnheitsrechts.248 Auch können neu entstandene, dem Vertragsrecht widersprechende, gewohnheitsrechtliche Regeln das Vertragsrecht verdrängen; dafür bedarf es aber des sorgfältigen Nachweises entsprechenden Gewohnheitsrechts, da der erste Anschein grundsätzlich für die Geltung einer vertraglich fixierten Regelung spricht. Zu der zumindest beschränkten Subjektsstellung des Einzelnen im Völkerrecht passt es, dass der Einzelne durch völkerrechtliche Verträge unmittelbar verpflichtet werden kann.249 Da der Einzelne durch sein Verhalten S. 93–107, insbes. S. 99 ff.; darauf anworten zutreffend Hafner/Boon/Rübesame/ Huston, A Response to the American View as Presented by Ruth Wedgwood, 10 EJIL (1999), S. 108–123, insbes. S. 115 ff. 243 Ein weiteres Beispiel für einen aus „juristischer Zweckmäßigkeit“ verwendeten, eine „objektive Untersuchung des existierenden Kriegsrechts“ vernachlässigenden Begriff, nämlich den des „ungesetzlichen feindlichen Kämpfers“ nennen in einem kritischen Artikel Maxwell/Watts, ‚Unlawful Enemy Combatant‘: Statuts, Theory of Culpability, or Neither?, 5 JICJ (2007), S. 19–25 (meine Übersetzungen). 244 Demnach kann die Anerkennung der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes ad hoc durch Nichtvertragsstaaten gemäß Artt. 12 Abs. 2, 3; 13 zu Friktionen mit dem nullum crimen-Satz, insbesondere in Form des Rückwirkungsverbotes, das das Statut in Art. 24 ausdrücklich anerkennt, führen, wenn die Zustimmungserklärung des Staates erst ex post factum erfolgt, also nachdem eine nach dem Römischen Statut strafbare Handlung stattgefunden hat. Zum Problem der rechtlichen Übertreibung noch unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, B. I. 245 Zum ius cogens unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. 4. Vgl. Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht, S. 481 (§ 755). 246 Vgl. Fn. 178. 247 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 413 (§ 640). 248 ICJ Reports 1969, S. 39, 95 (Nordsee Festlandsockel-Fall); ICJ Reports 1986, S. 93 (Nicaragua-Fall). 249 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 489 (§ 772) und S. 264 (§ 439).

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nicht zum Entstehen von Völkerrecht beitragen kann, greifen die in Bezug auf die Staaten für die Aufrechterhaltung der pacta tertiis-Regel angeführten Argumente des Konsensprinzips und der (Staaten-)Souveränität nicht. c) Kodifikation Wenn Völkergewohnheitsrecht in Völkervertragsrecht überführt wird, spricht man von Kodifikation.250 Ausgehend von Art. 15 ILC-Statut251 wird unter Kodifikation des Völkerrechts die präzisere Formulierung und Systematisierung von völkerrechtlichen Regeln aus Bereichen, in denen es bereits eine umfangreiche Staatenpraxis sowie Präzedenzfälle und Doktrin gegeben hat, verstanden; daneben steht die so genannte progressive Entwicklung des Völkerrechts, bei der es um den Entwurf von Artikeln in Bereichen geht, die noch nicht vom Völkerrecht geregelt wurden, oder in denen das Recht durch die Staatenpraxis noch nicht hinreichend entwickelt worden ist. Art. 15 des ILC-Statuts wird allgemein als wenig geglückt angesehen.252 In der Praxis lassen sich Kodifikation und fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts kaum trennscharf durchführen. Ein strenges Verständnis von Kodifikation, wie es das ILC-Statut pflegt, würde, wenn dies der Sache nach überhaupt möglich ist, auf eine Konservierung des Völkerrechts hinauslaufen. Andererseits haben wir bereits oben im Rahmen des Völkergewohnheitsrechts gesehen, dass es schon Schwierigkeiten bereitet, das Völkergewohnheitsrecht, welches kodifiziert werden soll, eindeutig zu identifizieren. Was für den einen eine präzisere Formulierung einer völkerrechtlichen Regel ist, mag für den anderen eine deutliche Weiterentwicklung darstellen. Insofern wollen wir hier einen weiten Begriff der Kodifikation zu Grunde legen, der eben auch die progressive Entwicklung mit einschließt; so verfährt auch die ILC in ihrer Praxis253. Dies führt zu der ersten Einsicht, dass jene Normen, welche schließlich in einen Vertragstext überführt worden sind, ihren Geltungsgrund eben in 250 Eine Zusammenstellung der typischen Fragestellungen findet sich bei Zemanek, Die Bedeutung der Kodifizierung des Völkerrechts für seine Anwendung, Internationale FS-Verdross, S. 565–596. 251 GA Res. 174 (II) vom 21. November 1947 und spätere Änderungen; UN Doc. A/CN. 4/4 Rev. 2. 252 Deutlich bereits 1955 Lauterpacht, Codification and Development of International Law, 49 AJIL (1955), S. 22–23; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 374 (§ 592). 253 Vgl. International Law Commission, Draft Articles on the Law of Treaties, ILC-Yearbook 1966 II, S. 177; Brownlie, Principles of Public International Law, S. 28–29; Malanczuk, Akehurst’s Modern Introduction to International Law, S. 61.

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diesem Vertrag finden und nicht mehr im Gewohnheitsrecht. Sofern die gewohnheitsrechtliche Geltung der nunmehr schriftlich fixierten Regelungen behauptet wird, bedarf es eines gesonderten Nachweises. Dieser wird insofern nicht immer gelingen können, als eine Norm, welche im Zuge ihrer normativ-schriftlichen Fixierung eine Entwicklung erfahren hat, hinsichtlich der entwickelten Aspekte gerade kein Gewohnheitsrecht mehr ist. Kodifikation schafft damit regelmäßig neues Recht.254 Wie bereits ausgeführt,255 kann eine Vertragsnorm aber selbst zum Gewohnheitsrecht werden und dadurch das vorige Gewohnheitsrecht verdrängen. In solchen Fällen besteht schließlich eine Übereinstimmung von Vertragstext und Gewohnheitsrecht.256 Die zweite Einsicht hängt hiermit und mit Lauterpachts Einsicht257 zusammen, dass eine Einigung über die gewohnheitsrechtliche Geltung einer Regel oftmals nur prinzipiell, aber nicht hinsichtlich ihrer Details erreicht werden kann. Wenn nämlich ein Vertragstext detaillierte Regeln enthält, so spricht eine Vermutung dafür, dass lediglich die diesen Regeln zu Grunde liegenden Gedanken dem Gewohnheitsrecht entstammen, deren präzise Ausformulierung hingegen eine Entwicklung darstellt. Hieran zeigt sich auch die Schwierigkeit, wenn nicht gar Unmöglichkeit einer Kodifikation im Sinne des ILC-Statuts ohne eine gleichzeitige (progressive) Entwicklung. Die dritte Einsicht in unserem Zusammenhang hängt damit zusammen, wie (nicht nur) völkerrechtliche Vertragstexte tatsächlich entstehen. Unabhängig davon, ob die Ausarbeitung von der ILC oder Staatenvertretern geleistet wird, stellt der Text letztlich jenen Kompromiss dar, der den größten Rückhalt bei den an der Ausarbeitung Beteiligten bekommen hat.258 Wenn man das bestehende (Völkergewohnheits-)Recht als objektive Ordnung begreift, so ist diese Kompromissen nicht zugänglich – das Recht gilt, wie es gilt. Eine nach einer Verhandlung gewonnene Einigung über den Regelungsgehalt einer zu formulierenden Norm bildet eine bereits bestehende 254 Siehe dazu Lauterpacht, Codification and Development of International Law, 49 AJIL (1955), S. 29: „[C]odification of international law must be substantially legislative in nature. It must consist essentially in inducing [. . .] governments to accept new law.“ Sowie Zemanek, Die Bedeutung der Kodifizierung des Völkerrechts für seine Anwendung, Internationale FS-Verdross, S. 585 ff. 255 Oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 2. a). Vgl. Art. 38 WVK sowie Brownlie, Principles of Public International Law, S. 599. 256 Eine Ausnahme von der pacta tertiis-Regel ist dies jedoch nicht, denn in diesem Fall gilt die Regel nicht vertraglich gegenüber Dritten, sondern gewohnheitsrechtlich allgemein bzw. universal für alle Staaten. 257 Oben Seite 78. 258 Mit eindrücklichen Worten gehen Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 375 (§ 593), darauf ein. Siehe auch Lauterpacht, Codification and Development of International Law, 49 AJIL (1955), S. 31–33. Für das Römische Statut s. Fn. 349.

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Norm nicht ab. Vielmehr ist sie Ausdruck einer mehrheitlichen259 oder einstimmigen Übereinstimmung der Verhandlungsteilnehmer über das, was gelten sollte, nicht über das, was gilt260. Ein Kompromiss kann wiederum in Recht überführt werden und dann selbst objektive Geltung erlangen. Diese Geltung gründet sich aber nunmehr auf dem Prozess, welcher die neuen Normen in ihrer konkreten Erscheinungsform hervorgebracht hat; ist die Erscheinungsform ein völkerrechtlicher Vertrag, so folgt die Geltung aus dem Konsens der dem Vertrag beigetretenen Staaten. Damit hat sich die vertragliche Norm von der gewohnheitsrechtlichen gleichsam emanzipiert und muss auch dementsprechend angewendet und ausgelegt werden.261 Für das Römische Statut hat dies schließlich zur Konsequenz, dass es sich aus völkerrechtlicher Perspektive um genuin neues Recht handelt, selbst wenn man das Römische Statut im Großen und Ganzen als Kodifikation bezeichnet. 3. Allgemeine Rechtsgrundsätze Die allen oder zumindest den meisten nationalen Rechtsordnungen gemeinsamen Rechtsprinzipien formen „die von den Kulturvölkern262 anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze“263. Im Völkerrecht sind sie als subsidiäre Erscheinungsform von Bedeutung. Dabei geht es jedoch nicht darum, die konkreten nationalen Rechtsregeln ins Völkerrecht gleichsam zu importieren; vielmehr ist hier entscheidend, dass das Völkerrecht auf Grundlage der Prinzipien eigene konkrete Rechtsregeln herausbildet. Wenn 259 Dazu zählt auch das viel praktizierte consensus-Verfahren. Bei diesem wird unter consensus die Abwesenheit eines formalen Widerspruchs verstanden (vgl. UN Doc. LOS/PCN/WP 17, 7. September 1983). 260 Eine solche Feststellung – was gilt – trifft nur ein Gericht. Allerdings ist der normative Wert einer solchen Feststellung dadurch eingeschränkt, dass ein Urteil nur für den Einzelfall und zudem inter partes gilt. 261 Zemanek, Die Bedeutung der Kodifizierung des Völkerrechts für seine Anwendung, Internationale FS-Verdross, S. 591 weist schließlich noch darauf hin, dass jenes Gewohnheitsrecht, welches in einen Vertrag überführt wurde, nunmehr nicht mehr als allgemein qualifiziert werden könne, sondern vielmehr (bloß) noch eine besondere Form partikulären Rechts darstelle. Damit, so ist dies weiterzuführen, „überholt“ das Vertragsrecht das Gewohnheitsrecht. 262 Dieser Begriff hat heute keine eigenständige Bedeutung mehr; nach heutigem Verständnis sind alle Staaten erfasst. 263 Art. 38 Abs. 1 lit. (c) IGH-Statut. Genau abzugrenzen sind diese von den „allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts“, welche trotz der begrifflichen Nähe zu der Erscheinungsform der „Allgemeinen Rechtsgrundsätze“ der Erscheinungsform des Völkergewohnheitsrechts zugehören. Zu Stimmen, die eine zunehmende Annäherung von Gewohnheitsrecht und Allgemeinen Rechtsgrundsätzen sehen, vgl. unten Fn. 315.

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sich also ein Rechtsprinzip derart regelmäßig in den nationalen Rechtsordnungen wieder findet, so stellt dieses Prinzip einen Allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, auf dessen Grundlage eine Entscheidung auf völkerrechtlicher Ebene getroffen werden kann. Fehlerhaft wäre es hingegen, eine nationale Norm, die Ausdruck dieses Allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist, als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen, womöglich noch unter Bezugnahme auf den Wortlaut. Ein solches Vorgehen würde nämlich vernachlässigen, dass es bei dieser Erscheinungsform des Völkerrechts um die rechtsvergleichende Ermittlung von Prinzipien geht und nicht um konkrete, in dem zu entscheidenden Fall direkt anwendbare Normen.264 Eine andere Frage ist zudem, wie abstrakt/konkret/verbreitet ein Allgemeiner Rechtsgrundsatz sein muss oder darf, um als ein solcher anerkannt zu werden.265 In den Fällen, in denen Vertrags- und Gewohnheitsrecht keine oder keine im konkreten Fall „passende“ Norm bereit halten, sollen die Allgemeinen Rechtsgrundsätze als subsidiäre Erscheinungsform (neben den bereits besprochenen Verträgen und dem Gewohnheitsrecht) verhindern, dass der Internationale Gerichtshof ex aequo et bono und damit gleichsam freihändig oder gar überhaupt nicht (non liquet)266 entscheidet. Vielmehr muss er seine Entscheidung ausdrücklich auf Prinzipien stützen, welche die Staaten allesamt verinnerlicht haben. Gleichzeitig ist dies auch das heute größte Problem, da „die Vielfalt der den nationalen Rechtsordnungen zugrunde liegenden Wertentscheidungen immer weniger Raum für die Feststellung ‚allgemeiner Rechtsgrundsätze‘, die von allen oder zumindest den meisten Staaten anerkannt sind“267, belässt. Das Problem relativiert sich insofern, als viele ehemals als Allgemeine Rechtsgrundsätze anerkannte Prinzipien nunmehr als konkrete Normen in den Erscheinungsformen des Völkergewohnheitsrechts oder des Völkervertragsrechts zum Ausdruck kommen.268 264 Ein berühmtes Zitat stammt vom IGH-Richter McNair, der sagt, „the way in which international law borrows from this source is not by means of importing private law institutions ‚lock, stock and barrel‘, ready-made and fully equipped with a set of rules. It would be difficult to reconcile such a process with the application of ‚the general principles of law‘ “. Gutachten im Südwestafrika-Fall, Sondervotum, ICJ Reports 1950, 128, 148; vgl. auch Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 208; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 384 (§ 602), S. 385 (§ 604). 265 Mit dem Hinweis auf die Gefahr subjektiver Einflüsse Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 209. 266 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 387–388 (§ 607) weisen darauf hin, dass „in aller Regel“ ein völkerrechtlicher Streit auch ohne allgemeine Rechtsgrundsätze rechtlich entschieden werden könne, da dann wegen der Vermutung für die Freiheit der Staaten all jene Ansprüche abgewiesen werden müssten, welche keine Stütze im Völkervertrags- oder Gewohnheitsrecht finden. 267 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 17, Rn. 8.

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Wenn dies der Fall ist, so müssen diese konkreten Normen auch als solche betrachtet und ausgelegt werden, da sie sich dann von der früheren Erscheinungsform emanzipiert haben und nun in einer neuen bzw. anderen Erscheinungsform als konkrete Normen (und nicht mehr als Prinzipien) bestehen.269 4. Sonstige mögliche Erscheinungsformen des Völkerrechts Ius cogens – Unter ius cogens werden die zwingenden Normen des Völkerrechts verstanden.270 Anders als das übrige Völkerrecht (ius dispositivum) sind diese Normen nicht dispositiv. Ihnen entgegenstehende Rechtssätze sind nichtig.271 Für die Auslegung bedeutet dies, dass Normen stets so auszulegen sind, dass sie dem ius cogens nicht entgegenstehen.272 Die Kategorie des ius cogens als solche ist anerkannt; streitig ist jedoch, welche Normen dazu gehören.273 Dem ius cogens kommt kein übergeordneter Rang zu, sondern eine verfestigte Geltungskraft.274 Die WVK pflegt ein 268 Vgl. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 210. Mit Bezug auf das Völkerstrafrecht Simma/Paulus, Le rôle relatif des différentes sources du droit international pénal (dont les principes géneraux de droit), S. 61. Die Unterscheidung von Regeln (als direkt anwendbare Rechtsnormen) und Prinzipien bzw. Grundsätzen (als die Rechtsfindung und -anwendung überformende, jedoch nicht unmittelbar anwendbare Leitsätze) sollte jedoch nicht aufgegeben werden, da sonst der Blick auf die unterschiedlichen Wirkweisen verloren ginge. Darüber hinaus ist der Begründungsgang auf das Gewohnheitsrecht bzw. auf die Allgemeinen Rechtsgrundsätze bezogen ein unterschiedlicher; die Unterscheidbarkeit ist demnach sowohl rechtstechnisch wie materiell gegeben. Vgl. auch unten Fn. 315. 269 Zum Völkerstrafrecht des ICTY Cassese, The contribution of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia to the ascertainment of general principles of law recognized by the community of nations, GS-Li, S. 43–55. 270 Monografisch Hannikainen, Peremptory Norms (Ius Cogens) in International Law, der jedoch den Umfang dieser Normen über den bislang als nicht streitig geltenden Bestand hinaus ausweitet. 271 So folgt eine Nichtigkeit in ihrer Gesamtheit für völkerrechtliche Verträge aus Artt. 44 Abs. 5, 53 WVK. 272 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15, Rn. 49. 273 Nach Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15, Rn. 59, sind dies das Aggressionsverbot, das Verbot des Sklavenhandels, das Verbot des Völkermordes, das Gebot der Achtung elementarer Menschen-rechte und Normen des humanitären Völkerrechts, die direkte Verbote an Staaten und Einzelpersonen enthalten. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 328–330 (§ 524–525) und Brownlie, Principles of Public International Law, S. 488–490, jeweils m. w. N. zur umfangreichen grundlegenden Literatur. 274 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15, Rn. 45. Anderer Ansicht ist Bassiouni, A functional Approach to „General Principles of International Law“, 11 MichJIL (1990), S. 801.

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positivistisches Verständnis des ius cogens;275 demnach handelt es sich um Völkerrechtsnormen276 und nicht um Programmsätze oder ähnliches, wobei ius cogens in allen Erscheinungsformen des Völkerrechts zum Ausdruck kommen kann277. Daher ist das ius cogens keine eigenständige Erscheinungsform des Völkerrechts.278 Beschlüsse der Generalversammlung der Vereinten Nationen – Teilweise wird (einstimmigen) Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Qualität als originäre Erscheinungsform des Völkerrechts zugesprochen.279 Dem ist nicht zuzustimmen. Die Generalversammlung kann nach Art. 13 der UN-Charta nur Empfehlungen aussprechen.280 Soll den Beschlüssen bindende Wirkung zugeschrieben werden, kann dies nicht auf deren Charakter als (einstimmige) Beschlüsse gegründet werden,281 sondern darauf, dass deren normativer Gehalt zu Gewohnheitsrecht geworden ist.282 „Soft law“ – Mit „soft law“ werden solche Vereinbarungen bezeichnet, denen zwar keine Bindungswirkung zukommt, die jedoch als vereinbarte oder anerkannte Regeln eine Verhaltensaufforderung beinhalten. Nach Verdross und Simma kann man sagen, dass ihnen zwar keine Rechtsverbindlichkeit, wohl aber in der Praxis eine gewisse Autorität eigen ist.283 Eine Wenn man den Normen des ius cogens einen höheren Rang einräumte, so stellte man damit eine Kollisionsregel für den Konfliktfall auf, die zu einer Verdrängung der Norm mit niedrigerem Rang führte. Dem ius cogens eigen ist aber nicht die bloße Verdrängung entgegenstehender Normen; vielmehr ist die Rechtsfolge sogar deren Nichtigkeit. Einer ius cogens-Norm kann aber vertraglich ein Vorrang zugestanden werden. Dann müssen aber Rechtsfolge Nichtigkeit und Rechtfolge Verdrängung deutlich unterschieden werden, da sie auf unterschiedlichen Gründen beruhen; International Law Commission, Draft Articles on the Law of Treaties, ILC-Yearbook 1966 II, S. 248. 275 Zum theoretischen Unterbau vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 328–329 (§ 524); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15, Rn. 37–42. 276 Dementsprechend entsteht auch ihre verfestigte Geltungskraft durch Staatenkonsens. 277 International Law Commission, Draft Articles on the Law of Treaties, ILCYearbook 1966 II, S. 248. 278 Vgl. Bassiouni, A functional approach to „General Principles of International Law“, 11 MichJIL (1990), S. 805: „One must wonder whether the debate is not really more of a methodological rather than a substantive one“. 279 Vgl. die Nachweise bei Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 114–119 und bei Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 405–412 (§§ 634–639). 280 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 94 (§ 137), kommen zu dem Ergebnis, dass die Generalversammlung verbindliche Beschlüsse nur organisationsintern fassen kann. 281 Andernfalls nähme man eine konkludente Änderung der UN-Charta an. 282 Eine Diskussion mit ähnlichem Ergebnis findet sich bei Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 114–119.

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Erscheinungsform des Völkerrechts ist das „soft law“ damit jedoch nicht; für das Völkerstrafrecht lässt sich anfügen, dass Regeln des „soft law“ auf Grund ihrer Unverbindlichkeit keinesfalls strafbewehrte Verhaltensge- oder verbote schaffen können. Ist dies gewollt, müssen solche als wünschenswert anerkannten Regeln in eine der geeigneten Erscheinungsformen des Völkerrechts überführt werden. Einseitige Rechtsgeschäfte – Da souveräne Staaten im Prinzip jegliche Art von Verpflichtungen, die mit dem Völkerrecht vereinbar sind, in jeglicher Form übernehmen können, ist dies auch durch einseitige Rechtsgeschäfte möglich. Diese beschränken sich jedoch auf die Begründung konkreter Pflichten (und gegebenenfalls korrespondierender Rechte Dritte). Daher und mangels einer die Verpflichtung begründenden Staatenvereinbarung handelt es sich bei den einseitigen Rechtsgeschäften nicht um Erscheinungsformen des Völkerrechts, sondern lediglich um den Ausdruck einer einseitig übernommenen Verpflichtung im Rahmen des Völkerrechts.284 Damit haben sie auch keine Bedeutung für die Strafbestimmungen des Völkerstrafrechts. (Formloser) Konsens – Schließlich wird auch dem (formlosen) Konsens die Qualität als Erzeugungsart des Völkerrechts zugeschrieben.285 Hier zeigt sich der Vorteil, von den Erscheinungsformen des Völkerrechts zu sprechen, wenn es darum geht, die verschiedenen Arten, in denen die völkerrechtlichen Normen zum Ausdruck kommen, zu benennen: Hatten wir oben den Staatenkonsens noch pragmatisch als Begründung für die Geltung und Erzeugung des Völkerrechts herangezogen,286 so waren wir im Folgenden stets davon ausgegangen, dass sich dieser Konsens über den bloßen Staatenwillen hinaus in irgendeiner Form auch nach außen manifestiert. Es gibt keinen numerus clausus der Erscheinungsformen im Völkerrecht, so dass über die genannten Erscheinungsformen hinaus auch andere denkbar sind.287 Diese gleichsam „neuen“ Erscheinungsformen selbst müssten dann aber auch qua Konsens allgemein akzeptiert sein; dem Konsens über den 283

Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 421 (§ 656). Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 425–426 (§§ 662–663); aber Heinschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 18, Rn. 4: „rechtsgestaltende Wirkung einseitiger staatlicher Akte im Völkerrecht unbestritten“; und in Rn. 3 die Möglichkeit der Rechtsquellenqualität der einseitigen Akte im Grundsatz bejahend. 285 Grundlegend Cheng, United Nations Resolutions in Outer space: „Instant“ International Customary Law?, 5 IndianJIL (1965), S. 23–48; D’Amato, On Consensus, 8 CanYIL (1970), S. 104 ff.; Onuf, Do Rules Say what They Do?, 26 HarvJIL (1985), S. 385 ff.; vgl. auch Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 324–326 (§§ 519–520). 286 Vgl. Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. I. 1. 287 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 323 (§ 518). 284

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Gehalt einer Norm geht also das Erfordernis eines Konsenses über deren Entstehung, Geltung und Ausdrucksform voraus. Die Diskussion um den Konsens als eigene Erzeugungsart (Völkerrechtsquelle) dauert an. Ohnehin sind inhaltliche Überschneidungen mit der Diskussion über „spontanes“ Völkergewohnheitsrecht zu verzeichnen.288 Viel stärker als bei der Ermittlung völkergewohnheitsrechtlicher Normen tritt hier das Problem der Unschärfe auf. Immerhin geht es um einen noch weniger strukturierten Rechtserzeugungs- oder Rechtsfindungsprozess als beim Gewohnheitsrecht, und ähnlich wie bei den Allgemeinen Rechtsgrundsätzen ist auch fraglich, ob in der heutigen vielfältigen Staatenwelt ein Konsens überhaupt möglich ist, selbst wenn man für diesen weniger streng ein „general agreement“289 statt Einheitlichkeit genügen lässt. Geht es um Bereiche des Völkerrechts, in denen bereits weithin akzeptierte Vertragsbestimmungen oder allgemein als gewohnheitsrechtlich geltende Normen auszumachen sind, so ist erst recht zweifelhaft, wo dann noch Raum für einen Konsens als Erzeugungsform für weitere oder abgeänderte völkerrechtliche Normen verbleiben kann: Wenn in einem bekannten Rechtsgebiet des Völkerrechts bereits Normen in den herkömmlichen Erscheinungsformen bestehen, so spricht die Vermutung dafür, dass die Staaten es bei diesen auch haben bewenden lassen; andernfalls läge es näher, im Wege der Übung oder des Abschlusses neuer oder der Ergänzung bestehender Verträge weitere oder abgeänderte Normen zu erzeugen. Gleiches gilt denn auch für die Invalidation bestehender Normen.290 Insgesamt ist daher Zurückhaltung und besondere Sorgfalt bei der Begründung völkerrechtlicher Normen auf Grund eines (formlosen) Konsenses geboten;291 in jedem Fall muss, wie eben dargelegt, ein gleichsam doppelter Konsens bestehen. 5. Hilfsmittel für die Bestimmung der Rechtsregeln An vierter Stelle nennt Art. 38 des IGH-Statuts in lit. (d) Gerichtsentscheidungen und die Lehrmeinungen besonders qualifizierter Völkerrechtslehrer als subsidiäre Mittel für die Bestimmung der Rechtsregeln. Diese stellen mithin keine Erscheinungsformen des Völkerrechts dar, sondern sind bloße Hilfsmittel (sog. Rechtserkenntnisquellen). Dies ist schon deshalb zu unterstreichen, da das klassische Völkerrecht die grundlegenden Schriften beispielsweise von Grotius beinahe wie geschriebenes Recht rezi288

Dazu oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 1. a). D’Amato, On Consensus, 8 CanYIL (1970), 121. 290 Dies ist der Fall des völkergewohnheitsrechtlichen desuetudo. Vgl. Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht, S. 362 (§ 573), S. 523 (§ 823). 291 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 19, Rn. 4. 289

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piert292 und auch in den vorigen Jahrzehnten, in denen die Beschaffung des relevanten Materials in Ermangelung elektronischer Datenbanken und dergleichen eine besondere Hürde darstellte, der Völkerrechtslehre und den Publikationen eine besondere Rolle zukam. Heute, da das durch die elektronischen Datenbanken zugängliche Material den Eindruck der Unüberschaubarkeit hervorrufen mag, hat die Lehre wiederum eine wichtige Ordnungs- und Orientierungsfunktion. Umso wichtiger ist es daher, den jeweiligen völkerrechtlichen Befund aus den jeweiligen Erscheinungsformen des Völkerrechts abzuleiten und nicht aus der Literatur.293 Sofern es zu einer Rechtsfrage wenig oder gar keine Staatenpraxis gibt, muss man daher auch bereit sein, den jeweiligen wissenschaftlichen Befund im Sinne einer lex ferenda zu verstehen, also als Verhaltensempfehlung an die Völkerrechtserzeuger.294 Selbst wenn eine Rechtsregel noch so wünschenswert ist und das dahinterstehende Prinzip noch so billigenswert sein mag, so kann dies den klassischen, den erforderlichen Staatenkonsens keinesfalls vernachlässigenden, Begründungsgang nicht ersetzen.295 Mutatis mutandis gelten die vorigen Ausführungen auch für die internationalen und nationalen Gerichtsentscheidungen, bei denen stets auch sorgfältig zu prüfen ist, welches Recht auf welcher Grundlage denn angewendet worden ist. So kann eine Entscheidung eines nationalen höchsten Gerichts, die sich beispielsweise mit der strafrechtlichen Bewältigung einer Verletzung des humanitären Völkerrechts beschäftigt, nicht als solche als Beleg für das Bestehen oder Nichtbestehen einer völkerstrafrechtlichen Regel, sei es einer Regel des „Allgemeinen Teils“ oder eines Straftatbestandes („Besonderer Teil“) herangezogen werden. Vielmehr ist eine solche Entscheidung bloßes Hilfsmittel für die Bestimmung der völkerrechtlichen Regel und nicht die Regel selbst. Diese muss stets so begründet werden, wie die entsprechende Erscheinungsform des Völkerrechts es fordert. Geht es also um das Auffinden einer Regel des Völkergewohnheitsrechts, so ist der gleichmäßige Nachweis einer Gewohnheit aus Rechtsüberzeugung notwendig. Dass dafür eine Entscheidung eines nationalen Gerichts nicht ausreichen kann, liegt auf der Hand. Schließlich kommt in einer nationalen Ent292 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 399 (§ 623); Heinschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 21, Rn. 5. 293 Kritisch zur Praxis im Bereich des Völkerstrafrechts Bantekas, Reflections on Some Sources and Methods of International Criminal and Humanitarian Law, 6 ICLR (2006), S. 121, 131–133. 294 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 400 (§ 624), nennen dies die Beteiligung der Doktrin „am soziologischen Prozess der Entstehung des Völkerrechts“ und nennen in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Arbeiten der ILC (in ihrer Fn. 22). 295 s. Fn. 207.

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scheidung, wenn sie Völkerrecht zum Gegenstand hat, nur das jeweilige nationale Verständnis des Völkerrechts zum Ausdruck296. Den Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes, die gem. Art. 59 des Statuts eigentlich nur inter partes gelten, kommt insofern die Rolle der die Regel bestätigenden Ausnahme zu, als sie regelmäßig richtungsweisende Entscheidungen297 darstellen, an denen die allgemeine Staatenpraxis wegen der Autorität des Gerichtshofes nicht vorbeikommt, und dieser regelmäßig auch seine einmal gefundene Rechtsposition in späteren Urteilen weiterführt.298 6. Analogie im Völkerrecht Die Zulässigkeit von Analogie im Völkerrecht behandeln wir unten im Rahmen der Auslegungsregeln.299 II. Die innere Seite: Das vom Internationalen Strafgerichtshof anwendbare Recht (Art. 21 Abs. 1) Art. 21 Abs. 1 legt den Rahmen des vom Gerichtshof anwendbaren Rechts fest; die Vorschrift enthält also ein Normanwendungsgebot. Im Folgenden gilt es, die dort genannten Erscheinungsformen zu identifizieren. 296

Vgl. dazu Brownlie, Principles of Public International Law, S. 22. Im Zusammenhang mit der Erdemovic-Entscheidung – zu dieser unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 1. b) (2) – weist auch Shahabuddeen auf das mit der Auswertung des case law zusammen-hängende Problem hin („interesting but not rewarding“), Duress in International Humanitarian Law, S. 570. Dies rechtfertigt es auch, sich jenen völkerstrafrechtlichen Untersuchungen, die ausführlich nationale Gerichtsentscheidungen nachweisen bzw. auswerten, insofern nicht nur unbefangen gegenüberzutreten. Als Beispiele sind zu nennen Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, § 5, oder Paust/Bassiouni et al., International Criminal Law – Cases and Materials. Bei nationalen Gerichtsentscheidungen fehlt regelmäßig ohnehin eine substantiierte Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen völkergewohnheitsrechtlicher Geltung des in Betracht gezogenen Rechtssatzes; vgl. Schabas, National Courts Finally Begin to Prosecute Genocide, the ‚Crime of Crimes‘, 1 JICL (2003), S. 61. Vgl. auch Duttwiler, Liability for Omission in International Criminal Law, 6 ICLR (2006), S. 16, 25–26; Cassese, International Criminal Law, S. 160. 297 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 397 (§ 619) weisen zudem deutlich darauf hin, dass den Entscheidungen auch als materielle Völkerrechtsquelle mit einer weiterbildenden Funktion Bedeutung zukomme. 298 Die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs sind keine precedents im Sinne des Common law, auch wenn es dem Gerichtshof um eine einheitliche Rechtsprechung geht; Brownlie, Principles of Public International Law, S. 21. 299 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 4.

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Anders als Art. 38 IGH-Statut stellt Art. 21 Abs. 1 eine Hierarchie unter den Erscheinungsformen des anwendbaren Rechts auf. Art. 21 Abs. 1 nennt neben dem Römischen Statut selbst noch weiteres anwendbares Recht. Eine statutsimmanente Strukturanalyse kann daher nicht von vornherein von dem Befund ausgehen, das Statut stehe an erster Stelle und könne daher ohne weiteres autonom ausgelegt werden. Vielmehr ist auch hierfür eine inhaltliche, aus dem Statut abzuleitende Begründung erforderlich, die an Hand von Art. 21 zu liefern ist. Die statutsimmanente Strukturanalyse, die die Ermittlung des Verbrechensbegriffs des Statuts zum Ziel hat, muss zur Kenntnis nehmen, dass es das Statut selbst ist, das sich über Art. 21 Abs. 1 litt. (b), (c) gleichsam „nach außen“ hin öffnet.300 Im Folgenden ist daher zunächst der Sinngehalt von Art. 21 zu beleuchten und zu erörtern, ob und inwiefern das weitere Recht neben dem Statut auf dessen Verbrechensbegriff einwirkt und diesen mitbestimmt.301 Auf das Verhältnis von Art. 21 und Art. 22 (nullum crimen sine lege) gehen wir unten noch ein.302 Gleichsam als „Merkposten“ sei vorab darauf hingewiesen, dass Art. 22 Abs. 1 insofern unzweideutig ist, als sich strafrechtliche Verantwortlichkeit nur auf Grund des Statuts ergeben kann. Wenn also im Zusammenhang mit Art. 21 und dem das Statut ergänzenden Recht gelegentlich von der Vermeidung eines non liquet die Rede ist,303 kann dies nicht für Lücken im strafbegründenden Bereich gelten. Wo das Statut eine Lücke aufweist, begründet es keine Strafbarkeit und hat der Gerichtshof keine Gerichtsbarkeit. 1. Die erste Hierarchieebene – Art. 21 Abs. 1 lit. (a) An erster Stelle des vom Internationalen Strafgerichtshof anwendbaren Rechts stehen das Römische Statut selbst, die „Verbrechenselemente“ und die Verfahrens- und Beweisordnung. Diese erste Hierarchieebene bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass die drei dort genannten Instrumente stets die Basis der rechtsanwendenden Tätigkeit des Gerichtshofs darstellen. 300 Eine weitere „Öffnungsklausel“ findet sich in der Vorschrift über die Gründe für den Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, Art. 31 Abs. 3. Der Gerichtshof kann demnach auch andere als die in Art. 31 genannten Gründe heranziehen, wenn sie sich aus dem Recht nach Art. 21 ergeben. Damit öffnet Art. 31 das Statut nur mittelbar über Art. 21 nach außen, so dass das hier zu Art. 21 Gesagte insoweit auch für Art. 31 gilt. 301 Zusammenfassend Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 4.; zu den einschlägigen Auslegungsregeln unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. 302 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. d). 303 Siehe Fn. 318.

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Gegenüber den „Verbrechenselementen“304 und der Verfahrens- und Beweisordnung305 hat das Statut stets Vorrang. 2. Die zweite Hierarchieebene – Art. 21 Abs. 1 lit. (b) Die zweite Hierarchieebene ist demgegenüber nicht so klar. Schon sprachlich kommen deutliche Lockerungen zum Ausdruck: Was bedeutet „soweit angebracht“? Bezieht sich dies auf die Fälle, in denen die erste Hierarchieebene keine Ergebnisse zu liefern vermag? Ist dies lediglich ein Hinweis, dass der Gerichtshof ein strenges, hierarchisch aufgebautes Prüfungsprogramm abarbeiten muss und daher die Beschäftigung mit der zweiten Hierarchieebene erst dann „angebracht“ ist, wenn die erste Ebene ausgeschöpft wurde? Das ergibt sich allerdings bereits aus der vorangehenden Formulierung, „an zweiter Stelle“.306 Oder bedeutet diese Formulierung etwas anderes, gar mehr, nämlich eine Ermessensvorschrift für den Gerichtshof?307 Es folgt die Formulierung „anwendbare Verträge“ – die Frage: welche sind denn „anwendbar“? drängt sich geradezu auf. Das Römische Statut ist nicht gemeint, ist es doch Primärrecht. Zu denken wäre also an Menschenrechtsverträge oder an die Verträge des Humanitären Völkerrechts. Das Statut nennt in dem langen Art. 8 Abs. 2 in litt. (a), (c) ausdrücklich die Genfer Abkommen vom 12. August 1949; jedenfalls diese Verträge, deren Inhalt weitestgehend auch gewohnheitsrechtliche Bedeutung hat,308 sind „anwendbar“, soweit nicht das Statut anderweitige Vorgaben macht. Bemerkenswerterweise sind die zwei Zusatzprotokolle vom 12. Dezember 1977 nicht genannt, welche allenfalls nur teilweise Völkergewohnheitsrecht geworden sind.309 Da ausdrücklich von „Verträgen“ die Rede ist, kann der „Anwendbarkeit“ insofern Sinn zukommen, als Verträge nur inter partes 304

Art. 9; dazu Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 3. d). Art. 51 Abs. 4, 5. 306 Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1068–1069, stellt die berechtigte Frage, welche die Fälle sein könnten, in denen der Gerichtshof andere Verträge als das Statut selbst anwenden sollte. (Zu Art. 8 Abs. 2 sogleich.) 307 So McAuliffe deGuzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 9; Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 177. Die englische Fassung spricht von „where appropriate“, was sich auch mit „gegebenenfalls“ übersetzen ließe; die französische Fassung nennt „selon qu’il convient“, was sinngemäß etwa „so es passt“ bedeutet. Von daher führt eine wörtliche Übersetzung nicht weiter. 308 Fenrick, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 8, Rn. 5. 309 Zu dieser Problematik Bothe, in: Cassese et al., Commentary, S. 380 ff. Vgl. auch Fenrick, der deutlich darauf hinweist, dass Art. 8 Abs. 2 lit. (b) auf das erste 305

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gelten und insofern jene Verträge eben nicht anwendbar wären, denen ein betroffener Staat nicht beigetreten ist.310 In seiner vielbeachteten Verfahrensentscheidung in der Sache gegen Thomas Lubanga Dyilo hat der Gerichtshof für die Bestimmung der Wendung vom „internationalen bewaffneten Konflikt“ in Art. 8 Abs. 2 lit. (b) ausdrücklich auf die „anwendbaren Verträge“, namentlich auf die Genfer Konventionen sowie auch auf die beiden Zusatzprotokolle abgestellt.311 Nähert man sich der Frage nach der „Anwendbarkeit“ also pragmatisch, so wären solche Verträge anwendbar, die einen vom Statut verwendeten normativen Rechtsbegriff näher bestimmen.312 Voraussetzungen sind erstens die Vereinbarkeit mit den Anforderungen des Art. 21 Abs. 3,313 zweitens die Geltung des jeweiligen Vertrages für alle betroffenen Straaten sowie drittens – und das ist im Rahmen dieser Arbeit entscheidend –, dass der Primat des Statuts gewahrt bleibt.314 Ferner gehören der zweiten Hierarchieebene „die Grundsätze und Regeln des Völkerrechts“ an. Darunter ließen sich die Allgemeinen Rechtsgrundsätze und das Völkergewohnheitsrecht verstehen. Andererseits könnte man, ausgehend von dem Wortlaut, auch nur das Völkergewohnheitsrecht hier verorten, gehören doch auch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts zum Völkergewohnheitsrecht; demnach wären die Regeln die sonstigen Normen des Völkergewohnheitsrechts315.316 Zusatzprotokoll zurückgeht, auch ohne dieses zu nennen; in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 8, Rn. 21. 310 Zur Betroffenheit vgl. Fn 319. 311 Decision on the Confirmation of Charges, The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Case No.: ICC-01/04-01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, paras. 205–206; 243–244; 259–260; 269 ff. Im Übrigen ist die Entscheidung nicht unproblematisch, da sie sich sehr stark auf die Rechtsprechung des ICTY stützt, vgl. Ochoa S., The ICC’s Pre-Trial Chamber I Confirmation of Charges Decision in the Case of Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo: Between Application and Development of International Criminal Law, 16 EJCrCLCJ (2008), S. 58. 312 Vgl. Olásolo, A Note on the Evolution of the Principle of Legality in International Criminal Law, 18 CLF (2007), S. 310. 313 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 1. 314 Dazu unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 4. b). 315 Ausgehend von der Vermutung, die Unterscheidbarkeit der Grundsätze nach lit. (b) von denen nach lit. (c) – nämlich der Allgemeinen Rechtsgrundsätze – stelle eine „Ablehnung der positivistischen Position“ dar, fragt McAuliffe deGuzman, ob sich diese Grundsätze aus dem Naturrecht ergäben. Jedenfalls sei es „sicher“, dass der Einbezug dieser Grundsätze den Glauben daran widerspiegele, es gebe Grundsätze des Völkerrechts, welche weder an anderer Stelle des Statuts auftauchten, noch sich aus einer Analyse nationalen Rechts ergäben; McAuliffe deGuzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 12, 15. In Rn. 13 und 15 wiederum unterscheidet sie selbst nicht mehr so genau zwischen den Grundsät-

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Nach allgemeinem Völkerrecht wäre dies auch insofern stimmig, als Verträgen, in unserem Fall dem Römischen Statut, gegenüber dem dispositiven nichtvertraglichen Völkerrecht wegen der lex specialis-Regel Vorrang zukommt. Art. 21 hätte dies im Sinne einer strengen Hierarchie modifiziert und den Vertrag auf die erste, das sonstige dispositive Recht auf die zweite Ebene gestellt. Wenn man unter „Regeln des Völkerrechts“ das Völkergewohnheitsrecht versteht, lässt sich auch die Formulierung „einschließlich der anerkannten Grundsätze des internationalen Rechts des bewaffneten Konflikts“ gut einordnen, da das sog. Humanitäre Völkerrecht im Wesentlichen – soweit einzelne Staaten den entsprechenden Abkommen nicht beigetreten sind – auch dem Völkergewohnheitsrecht angehört.317 Was die Allgemeinen Rechtsgrundsätze angeht, können sie wenigstens auf Grund des Wortlauts („Grundsätze“) hier verortet werden, und in systematischer Hinsicht steht das allgemeine Völkerrecht dem nicht entgegen. Nimmt man allerdings die dritte Hierarchieebene hinzu, so entstehen doch wieder Zweifel an diesem Ergebnis; dazu sogleich. 3. Die dritte Hierarchieebene – Art. 21 Abs. 1 lit. (c) Die dritte Hierarchieebene ist nicht als solche ausdrücklich gekennzeichnet; vielmehr ist Art. 21 Abs. 1 lit. (c) als Auffangvorschrift ausgestaltet: „soweit solche fehlen“. Dies bedeutet, dass der Gerichtshof zu dem Recht der dritten Ebene erst gelangt, sofern das Recht der ersten und der zweiten Ebene kein Ergebnis gebracht hat.318 Anwendbar sein sollen „allgemeine zen des Völkerrechts und den Allgemeinen Rechtsgrundsätzen (zu denen sie dann in Rn. 16 kommt). Zwingend ist McAuliffe deGuzman’s Vermutung nicht, da sich ja die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts, ausgehend von einer positivistischen Grundhaltung, im Völkergewohnheitsrecht verorten lassen. Was die Regeln angeht, so sieht sie wie hier dahinter das Völkergewohnheitsrecht (Rn. 14). Pellet geht davon aus, dass das Völkergewohnheitsrecht gemeint ist und misst dem Wortlaut keine große Bedeutung zu: „It may be that the letter of Article 21 (1)(b) of the Statute should not be accorded an unmerited importance. In reality, there is little doubt that this provision refers, exclusively, to customary international law (. . .)“, in: Cassese et al., Commentary, S. 1071. Eindeutig ist Pellet, anders als McAuliffe de Guzman, auch, was die Zugehörigkeit sowohl der Grundsätze wie der Regeln zum Völkergewohnheitsrecht angeht und liegt damit auf der hier vertretenen Linie (S. 1072). Mehrdeutig wiederum Simma/Paulus, Le rôle relatif des différentes sources du droit international pénal (dont les principes géneraux de droit), S. 56, 62. Vgl. auch S. 61, wo sie auf eine zunehmende Annäherung von Gewohnheitsrecht und Allgemeinen Rechtsgrundsätzen hinweisen. Vgl. dazu auch Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. 3. 316 Vgl. Fn. 263. 317 Ebenso Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1072. Vgl. Fn. 308.

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Rechtsgrundsätze, die der Gerichtshof aus einzelstaatlichen Rechtsvorschriften der Rechtssysteme der Welt, einschließlich, soweit angebracht, der innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Staaten, die im Regelfall Gerichtsbarkeit über das Verbrechen ausüben würden, abgeleitet hat (. . .).“319 a) Der erste Satzteil Nimmt man die erste Hälfte dieses Satzes, so ergibt sich eine ziemlich genaue Umschreibung dessen, was das allgemeine Völkerrecht unter den Allgemeinen Rechtsgrundsätzen versteht.320 Jedoch hatten wir diese schon auf der zweiten Hierarchieebene stimmig verorten können. Eine Dopplung ergäbe jedoch keinen Sinn, denn die dritte Ebene soll gerade erst zum Zuge kommen, wenn die zweite keine Ergebnisse geliefert hat. Wenn schon auf der zweiten Ebene die Allgemeinen Rechtsgrundsätze das in Frage stehende Problem nicht zu lösen vermögen, so könnten dieselben dies auch auf einer nachgeordneten Ebene nicht. 318 Vgl. McAuliffe deGuzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 2 („to avoid a situation of non liquet“), Rn. 17; ähnlich Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1076. 319 Welcher Staat würde „im Regelfall“ die Gerichtsbarkeit ausüben? Dies ließe sich unter Heranziehung der klassischen Kriterien des internationalen Strafrechts (Territorialitätsprinzip, Personalitätsprinzip, Schutzprinzip) bestimmen. Andererseits stellt das Römische Statut bereits in seiner Präambel klar, dass es die Pflicht eines jeden Staates sei, seine Gerichtsbarkeit über die besonders schweren Verbrechen, wie sie im Statut genannt sind, auszuüben (Präambel, 6. Abs.). Mit anderen Worten, das Römische Statut geht von der prinzipiellen Anwendbarkeit des Universalitätsprinzips aus und scheint so die Voraussetzungen des herkömmlichen internationalen Strafrechts zu überwinden. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 177 mit Fn. 360, bemerkt zutreffend, dass die Bestimmung „ins Leere“ liefe, wenn für die Bestimmung der Staaten, die „im Regelfall“ die Gerichtsbarkeit ausüben, das Universalitätsprinzip herangezogen würde, da dann alle Staaten gemeint wären und so eine Bestimmbarkeit gar nicht möglich ist. Für die Ausübung der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs hingegen kommen dem Territorialitätsprinzip bzw. dem Personalitätsprinzip wieder Bedeutung zu. Art. 12 Abs. 2 nennt beide Kriterien für den „Fall des Artikels 13 Buchstabe a oder c“. Der vom Statut vorgesehene „Normalfall“ ist aber ausweislich seiner Konzeption nach dem Komplementaritätsprinzip (Präambel, 10. Abs.; Art. 1; Artt. 17–19) die Ausübung der staatlichen Gerichtsbarkeit, und dafür bestehe ja, so die Präambel, sogar für jeden Staat eine Pflicht. Daher lässt sich nicht sicher feststellen, welcher Staat „im Regelfall“ Gerichtsbarkeit ausüben würde. Ausgehend von den genannten klassischen Kriterien würde sich jedoch, abhängig von der jeweiligen „Situation“ (Artt. 12, 14), eine deutliche – wenngleich nur konkret bestimmbare – Eingrenzung der betroffenen Staaten ausmachen lassen. 320 Vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. 3. Wie hier Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1073.

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Nähme man also die Allgemeinen Rechtsgrundsätze wegen dieser systematischen Erwägungen aus der zweiten Ebene heraus und verortete man sie auf der dritten, ergäbe sich im Großen und Ganzen das Bild, das auch schon Art. 38 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs zeichnet.321 b) Der zweite Satzteil Der eingangs zitierte Satz hat noch eine zweite Hälfte. Die Ermittlung der „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ soll – „soweit angebracht“ – besondere innerstaatliche Rechtsvorschriften mit einschließen. Es ist charakteristisch für die Allgemeinen Rechtsgrundsätze (des allgemeinen Völkerrechts), dass sie aus den Rechtsprinzipien, die in zumindest den meisten Staaten gelten, gewonnen werden.322 Dies schließt die rechtsvergleichende Untersuchung der großen Rechtssysteme ein. Sogar wenn einzelstaatliche Einzelvorschriften voneinander abweichen, kann dahinter dennoch ein vergleichbares gemeinsames Prinzip stehen. Dieses aufzufinden ist schließlich die Aufgabe bei der Ermittlung der Allgemeinen Rechtsgrundsätze. Klären wir zunächst die möglichen Bedeutungen des „soweit angebracht“. Auf der zweiten Hierarchieebene findet sich in der deutschen Übersetzung dieselbe Formulierung; dies gilt allerdings nicht für die englische Fassung, die für die zweite Hierarchieebene die Formulierung „where appropriate“ aufweist und für die dritte Ebene „as appropriate“. Die französische Fassung („selon qu’il convient“) und die spanische Fassung („cuando proceda“) sind in ihrem Wortlaut jeweils identisch. Insofern ist schon wegen Art. 33 Abs. 3, 4 WVK nicht davon auszugehen, dass dem in der englischen Fassung zutage tretenden Unterschied des Wortlautes auch eine inhaltliche Bedeutung zukommen soll. Andererseits hatten wir auch auf der zweiten Hierarchieebene mehrere Bedeutungen für möglich gehalten: Die Überlegung, ob das „soweit angebracht“ lediglich einen Hinweis an den Gerichtshof darstelle, er habe ein hierarchisches Prüfungsprogramm abzuarbeiten und die Beschäftigung mit dem Recht der zweiten Hierarchieebene sei erst „angebracht“, soweit die erste Ebene ausgeschöpft sei, hatten wir dadurch ausgeschlossen, dass diese Funktion bereits die vorangehende Formulierung „an zweiter Stelle“ besitzt. So liegt es auch hier. Schon der Eingangsklausel „soweit solche fehlen“ fällt eine entsprechende Bedeutung 321 Pellet hält es für nicht weiter problematisch, dass mit lit. (c) die Allgemeinen Rechtsgrundsätze gemeint sind, so dass er sich auf allgemeine Ausführungen über deren Ermittlung beschränkt. Die hier im Folgenden diskutierte Problematik, die sich aus dem besonderen Verweis auf das nationale Recht ergibt, sieht er nicht. In: Cassese et al., Commentary, S. 1075–1076. 322 Zum möglichen Vorgehen im Einzelnen sogleich.

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zu. Erst wenn der Gerichtshof in die Beschäftigung mit dem Recht der dritten Hierarchieebene tatsächlich eingestiegen ist, gelangt er überhaupt zu der Frage, was „soweit angebracht“ bedeutet. Insofern liegt es näher, hierin auch auf der dritten Hierarchieebene eine Ermessensvorschrift323 zu sehen und keinen Hinweis auf ein zwingendes Prüfprogramm. Sofern also den Rechtsvorschriften eines einzelnen Staates324 auf Grund des Ermessens des Gerichtshofes eine besondere Bedeutung zukommen soll, so ist deren Berücksichtigung in dreierlei Weise denkbar: (1) Erste Variante Eine erste Variante ist, die Rechtsvorschriften des einzelnen Staates schlicht in den Pool der zu untersuchenden Vorschriften mit aufzunehmen, ohne sie damit gleichzeitig besonders über diese bloße Berücksichtigung hinaus zu gewichten. In diesem Fall wäre weder ein besonders herauszustellender Erkenntnisfortschritt erreicht, noch würde das Ergebnis in irgendeiner Weise gegenüber dem „normalen“ Vorgehen bei der Ermittlung eines Allgemeinen Rechtsgrundsatzes (des allgemeinen Völkerrechts) verändert: Schließlich geht es dabei um die rechtsvergleichende Ermittlung eines Prinzips, untechnisch gesprochen, um einen das Gemeinsame offen legenden Querschnitt durch die Rechtssysteme der Welt – insofern kommt es auf eine staatliche Einzelposition mehr oder weniger nicht an, sondern vielmehr darauf, ob alle staatlichen Einzelpositionen insgesamt repräsentativ sind. (2) Zweite Variante Zum anderen kann auf dem herkömmlichen Wege ein Allgemeiner Rechtsgrundsatz (des allgemeinen Völkerrechts) ermittelt werden; dies wäre der erste Schritt mit einem ersten Ergebnis. Der so ermittelte Allgemeine Rechtsgrundsatz wird dann – „soweit angebracht“ – verglichen mit der einzelstaatlichen Rechtsvorschrift; dies wäre der zweite Schritt. Wenn Abweichungen festgestellt werden, könnten diese in einem dritten Schritt zu einer Modifizierung des ersten Ergebnisses führen, so dass das Endergebnis ein zweites, eigenständiges ist. Demnach kann diese zweite Variante einen Allgemeinen Rechtsgrundsatz modifizieren, wenn zwei Bedingungen gegeben sind: Der Gerichtshof muss 323 Zu der sich dadurch ergebenden Problematik vgl. Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 3. d). 324 Zu den in Frage kommenden Staaten vgl. Fn. 319.

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sein Ermessen dahingehend ausüben, dass er überhaupt eine bestimmte einzelstaatliche Rechtsvorschrift als Bewertungsmaßstab heranzieht; schließlich muss diese vom zuvor gefundenen Ergebnis abweichen. Wenn beides nicht gegeben ist,325 bleibt es beim ersten Ergebnis. Dies wäre dann ein Allgemeiner Rechtsgrundsatz. Die zweite Variante hat also zwei denkbare Endergebnisse. (3) Dritte Variante Schließlich kann – „soweit angebracht“ – der einzelstaatlichen Vorschrift schon während der Ermittlung eines „allgemeinen Rechtsgrundsatzes“ im Sinne des Statuts eine besondere Bedeutung, etwa durch eine starke Gewichtung, zukommen. Dadurch wird schon das erste Ergebnis beeinflusst; einen nachfolgenden Schritt gibt es nicht. Das Vorgehen nach der zweiten Variante trennt insofern nachvollziehbar die Ermittlung eines Allgemeinen Rechtsgrundsatzes von dessen Bewertung an Hand der einzelstaatlichen Rechtsvorschrift; das Vorgehen nach der dritten Variante bringt beides zusammen, so dass das Vorgehen nicht sequenziert und insofern weniger nachvollziehbar wird. Außerdem kann das im Wege des Vorgehens nach der dritten Variante gewonnene Ergebnis wegen der Übergewichtung einer einzelstaatlichen Rechtsvorschrift nicht für sich in Anspruch nehmen, einen Allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne des allgemeinen Völkerrechts zu repräsentieren. Zwar besteht eine Ähnlichkeit des Ergebnisses – des „allgemeinen Rechtsgrundsatzes“ im Sinne des Römischen Statuts – mit einem Allgemeinen Rechtsgrundsatz, da beide Ergebnisse im Wege der Rechtsvergleichung vieler Rechtssysteme gewonnen werden. Der Unterschied liegt allerdings in der soeben geschilderten Übergewichtung der einzelnen staatlichen Rechtsnorm. Hält der Gerichtshof jedoch die Einbeziehung der besonderen einzelstaatlichen Rechtsnorm nicht für „angebracht“, so gibt es keinen Unterschied zu der Ermittlung eines Allgemeinen Rechtsgrundsatzes, da keine Übergewichtung einzelner Rechtsnormen stattfindet. Auch die dritte Variante hat zwei denkbare Endergebnisse. 325 Eine tatsächliche, inhaltliche Modifikation durch eine einzelstaatliche Rechtsvorschrift ist ja nicht zwingend; diese kann hinsichtlich des hinter ihr stehenden Prinzips durchaus deckungsgleich mit einem Allgemeinen Rechtsgrundsatz sein. Das ist sogar wahrscheinlich, liegt es doch in der Natur der Allgemeinen Rechtsgrundsätze, da sie sich auf die Übereinstimmung jedenfalls der prinzipiellen Gedanken vieler oder der meisten Rechtssysteme gründen.

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(4) Diskussion Wenn wir den Satz, soweit wir uns mit ihm beschäftigt haben, so auslegen, als gehe er von einer Rechtsfindung im Sinne der eben dargestellten zweiten Variante aus, müssen wir differenzieren: Wenn der Gerichtshof keine besondere einzelstaatliche Rechtsvorschrift heranzieht, bleibt es im Ergebnis bei einem Allgemeinen Rechtsgrundsatz (des allgemeinen Völkerrechts). Tut er dies, findet er jedoch keine Abweichung im Prinzip, gilt dasselbe. Wenn er aber eine besondere einzelstaatliche Rechtsvorschrift heranzieht und der Abweichung im Prinzip Bedeutung zukommt, gilt, dass zwar im ersten Schritt ein Allgemeiner Rechtsgrundsatz durchaus ermittelt, dieser in einem weiteren Schritt jedoch an Hand des nationalen Rechtssatzes bewertet wurde. Das Endergebnis ist dann gegenüber dem ersten Ergebnis modifiziert, also gegenüber dem ursprünglichen Allgemeinen Rechtssatz im Sinne des allgemeinen Völkerrechts ein anderes. Daher können wir hinsichtlich der Bedeutung des Satzes insgesamt nicht entscheiden, ob er (nur) die Allgemeinen Rechtsgrundsätze des allgemeinen Völkerrechts meint oder etwas anderes. Beides ist schließlich möglich, wenn der Gerichtshof bei seiner Rechtsfindung im Wege der zweiten Variante verfährt. Sofern die dritte Variante gemeint ist, ist ebenfalls eine entsprechende Differenzierung notwendig. Bezieht der Gerichtshof keine besondere einzelstaatliche Vorschrift in seine Rechtsfindung mit ein, so ist das Ergebnis derselben ein Allgemeiner Rechtsgrundsatz. Tut er dies, tritt eine Abweichung aber bereits durch den bloßen Einbezug der besonderen einzelstaatlichen Rechtsnorm ein, da diese bei der Rechtsvergleichung übergewichtet wird. Insofern ist das Ergebnis einem Allgemeinen Rechtsgrundsatz ähnlich, aber eben doch etwas anderes. Noch immer können wir hinsichtlich der Bedeutung des Satzes insgesamt nicht entscheiden, ob er (nur) die Allgemeinen Rechtsgrundsätze des allgemeinen Völkerrechts meint oder etwas anderes. Wenn der Gerichtshof bei seiner Rechtsfindung im Wege der dritten Variante verfährt, ist beides möglich. Ist schließlich die erste Variante gemeint, so kann es bei dem Befund, der Satz meine insgesamt die Allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne des allgemeinen Völkerrechts, bleiben. Das Ergebnis der Rechtsfindung würde ja, wie eben gezeigt, nicht modifiziert. Andererseits würde das Zweifel hinsichtlich der Sinnhaftigkeit und Fragen in Bezug auf die eigentliche Bedeutung des zweiten Satzteiles provozieren: Wenn sie ohnehin keinen Einfluss hat, wieso braucht es denn

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

noch dieser Klausel, die auf eine einzelne staatliche Rechtsnorm verweist? Diese Bemerkung gilt, mutatis mutandis, auch für jene Überlegungen hinsichtlich der zweiten und dritten Variante, die zu der Ermittlung eines Allgemeinen Rechtsgrundsatzes im Sinne des allgemeinen Völkerrechts führen, ohne dass eine besondere einzelstaatliche Norm mit einbezogen worden wäre. Wir können als Zwischenergebnis festhalten, dass zum einen alle drei Varianten als mögliche Ansätze zumindest nicht ausgeschlossen werden können. Zum anderen können wir sagen, dass sich, wenigstens im Wege der ersten Variante und, gegebenenfalls, der zweiten und dritten Variante die Allgemeinen Rechtsgrundsätze durchaus auf der dritten Hierarchieebene verorten ließen. c) Der dritte Satzteil Soweit haben wir allerdings nur einen Teil der Formulierung des Statuts zur dritten Hierarchieebene betrachtet. Der Satz geht schließlich weiter und stellt das Vorherige unter eine Bedingung: „. . . sofern diese Grundsätze nicht mit diesem Statut, dem Völkerrecht und den international anerkannten Regeln und Normen unvereinbar sind.“ Ob sich das „Völkerrecht“ und die ebenfalls in der Bedingung genannten „international anerkannten Regeln und Normen“ überhaupt unterscheiden, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls besteht ein doppeltes Unvereinbarkeitsverbot der „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ der dritten Hierarchieebene erstens mit dem Völkerrecht und zweitens mit dem Statut. Zunächst: worauf bezieht sich diese Bedingung? Auf den vorausgehenden ganzen Satzteil, oder auf den Satzteil, der die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zum Gegenstand hat? In der englischen Fassung ist von „principles“ die Rede; die französische Fassung spricht von „principes“ und die spanische von „principios“. Der Satzteil, der sich mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften befasst, nennt demgegenüber nur die „national laws“, „les lois nationales“ bzw. „el derecho interno“. Insofern verfestigt sich der Eindruck, den auch die deutsche Übersetzung vermittelt, nämlich dass die Bedingung für den Satz insgesamt gilt. Andernfalls müsste hier sprachlich deutlich zum Ausdruck gebracht worden sein, dass die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften gemeint sind; beispielsweise, in dem nicht von den Grundsätzen (principles/principes/principios), sondern von den Rechtsvorschriften (national laws/lois nationales/derecho interno) die Rede wäre.

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(1) Die (unmodifizierten) Allgemeinen Rechtsgrundsätze des allgemeinen Völkerrechts im Lichte der Bedingung Wenn wir annehmen, mit den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“, die sich in der hier untersuchten Formulierung finden, wären die Allgemeinen Rechtsgrundsätze des allgemeinen Völkerrechts gemeint, so würden diese durch das Statut unter eine Bedingung gestellt, die teilweise zirkulär erscheint: schließlich sagt die Bedingung, dass eine Vereinbarkeit mit „dem Völkerrecht und den international anerkannten Regeln und Normen“ gegeben sein müsse. Da die Allgemeinen Rechtsgrundsätze Teil der Erscheinungsformen des Völkerrechts sind, können sie diesem aber gar nicht widersprechen; sie konstituieren es schließlich mit. Nicht zirkulär wäre diese Bestimmung insofern, als Allgemeine Rechtsgrundsätze des allgemeinen Völkerrechts einen vom Römischen Statut abweichenden Gehalt haben könnten; in diesem Fall griffe die Unvereinbarkeitsbedingung, und das Statut ginge vor.326 Der Vorrang des Statuts im Falle inhaltlicher Abweichungen ergibt sich aber ohnehin aus dem allgemeinen Völkerrecht, denn das Statut ist gegenüber den Allgemeinen Rechtsgrundsätzen lex specialis.327 Für den Fall, dass mit dem Recht der dritten Hierarchieebene die Allgemeinen Rechtsgrundsätze des allgemeinen Völkerrechts gemeint sein sollten (als Auslegungsergebnis der oben erörterten ersten Variante sowie der unmodifizierten Ergebnisse der zweiten und dritten Variante), erscheint die Bedingung als ein überflüssiges Anhängsel, das nur eine Selbstverständlichkeit postuliert.328

326 Sofern eine Identität eines Allgemeinen Rechtsgrundsatzes mit dem Gehalt eines Menschenrechtes bestünde, so verkomplizierte sich die Lage, da gemäß Art. 21 Abs. 3 wiederum die Anwendung und Auslegung des Statuts (als „Recht nach diesem Artikel“) unter den Vorbehalt der Vereinbarkeit mit den „international anerkannten Menschenrechten“ stellt. Zu Art. 21 Abs. 3 unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 327 Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1078–1079. 328 Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1078: „fairly redundant“. Die Auslegung setzt sich auch nicht unzulässigerweise zu Gunsten eines stimmigeren Auslegungsergebnisses über einen Teil der Rechtsvorschrift hinweg, da die Bedingung nichts an der Aussage der Vorschrift ändert; der Sinn wäre der Selbe, stünde in Art. 21 Abs. 1 lit. (c) diese Bedingung nicht. Ähnlich im Ergebnis McAuliffe deGuzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 20.

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(2) Die modifizierten „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ im Lichte der Bedingung Wie sieht es mit der zweiten Variante und der dritten Variante aus? Beide können wegen ihrer besonderen Ergebnisgewinnung etwas anderes als Allgemeine Rechtsgrundsätze zum Ergebnis haben, also ein modifiziertes Ergebnis. Der Unterschied zu den soeben erörterten unmodifizierten Allgemeinen Rechtsgrundsätzen liegt darin, dass hier mit der Bedingung nicht bloß etwas Selbstverständliches ausgedrückt wird. Wir haben oben hinsichtlich der zweiten Variante festgestellt, dass deren Ergebnis gegenüber einem Allgemeinen Rechtsgrundsatz auf Grund dessen Modifizierung durch die Bewertung mittels einer einzelstaatlichen Rechtsvorschrift ein eigenständiges sein kann.329 Auch ist das Ergebnis nicht notwendigerweise Bestandteil des Völkerrechts; der Allgemeine Rechtsgrundsatz ist dies, nicht aber die als Bewertungsmaßstab herangezogene einzelstaatliche Norm. Dann wäre die Bedingung, die das Statut am Ende von Art. 21 Abs. 1 lit. (c) setzt, nicht zirkulär. Die Bedeutung läge eher darin, eine Art Sicherheitssieb zu formen, damit besonders krass modifizierte und völkerrechtswidrige „allgemeine Rechtsgrundsätze“ nicht in den Kreis des vom Gerichtshof anwendbaren Rechts gelangen können. Ohnehin muss das Recht nach Art. 21 Abs. 1 lit. (c) auch mit dem Statut vereinbar sein. Wenn externes Recht vom Gerichtshof angewendet wird, so muss dieser stets danach fragen, ob es sich in die vom Statut vorgegebenen Strukturen einfügt oder von ihnen abweicht. Nur im ersten Fall besteht die geforderte Vereinbarkeit. Im zweiten Fall darf das modifizierte Ergebnis wegen der Unvereinbarkeit mit dem Statut nicht in den Kreis des vom Gerichtshof anwendbaren Rechts gelangen. Mutatis mutandis gilt diese Beobachtung auch für das aus der dritten Variante hervorgegangene hypothetische Ergebnis. Man muss hier jedoch sehen, dass schon der bloße Einbezug der besonderen einzelstaatlichen Rechtsvorschrift wegen der Übergewichtung eine Abweichung von einem Allgemeinen Rechtsgrundsatz zeitigt, daher stets zu einer Modifikation führt. d) Diskussion Oben hatten wir gesehen, dass das Ergebnis der zweiten und dritten Variante ein Allgemeiner Rechtsgrundsatz sein kann, wenn besondere einzelstaatliche Bestimmungen nicht in den Rechtsfindungsvorgang mit einbezo329 Für den Fall eines unmodifizierten Ergebnisses gilt das soeben – Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 3. c) (1) – Gesagte.

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gen werden oder sie keine Modifizierung bedingen. Steht hier ein unmodifizierter Allgemeiner Rechtsgrundsatz im Ergebnis, so steht dieser wiederum unter der Bedingung, mit dem allgemeinen Völkerrecht nicht unvereinbar zu sein. Dann gilt das für die erste Variante Gesagte entsprechend: übt der Gerichtshof sein Ermessen dahingehend aus, dass er den Einbezug besonderer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften für nicht „angebracht“ hält, so ist die Bedingung überflüssig. Allein wenn sich die im dritten Satzteil enthaltene Bedingung nur auf den zweiten Satzteil bezöge,330 käme ihr ein eigenständiger Sinn zu. Dann würden nur die durch den Einbezug besonderer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften gewonnenen (modifizierten) „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ im Sinne des Römischen Statuts unter den Vorbehalt der Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Völkerrecht gestellt. Bei einen solchen Verständnis ließen sich alle Ergebnisse, die durch die oben vorgestellten Vorgehensweisen der ersten, zweiten und dritten Variante ermittelt werden, bei Art. 21 Abs. 1 lit. (c) einordnen. Es bleibt aber eine Schwierigkeit zurück: Diese Vorschrift würde sowohl die Allgemeinen Rechtsgrundsätze (im Sinne des allgemeinen Völkerrechts) als auch die modifizierten Ergebnisse einschließen. Demnach wäre der Begriff der „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ im Sinne des Römischen Statuts erstens weiter als der des allgemeinen Völkerrechts. Zweitens wären die so gewonnenen Ergebnisse nicht immer dem Völkerrecht zugehörig, denn der Einbezug besonderer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften im Wege der zweiten oder dritten Variante würde zu einer Art Hybrid führen. Dazu kann es jedoch nur dann kommen, wenn der Gerichtshof sein Ermessen dahingehend ausgeübt hat, dass er eine besondere einzelstaatliche Rechtsvorschrift in seinen Rechtsfindungsvorgang mit einbezieht. Die Anwendung eines derartigen hybriden Ergebnisses hängt also von der vorausgegangenen Ermessensausübung des Gerichtshofes ab. Übt der Gerichtshof allerdings sein Ermessen dahingehend aus, dass er sich gegen die Einbeziehung einer besonderen innerstaatlichen Rechtsvorschrift entscheidet, bleibt das Ergebnis des Rechtsfindungsvorganges ein Allgemeiner Rechtsgrundsatz des allgemeinen Völkerrechts. Mithin ist es denkbar, dass der Gerichtshof eine vergleichbare Fallkonstellation aus Rechtsgründen unterschiedlich behandelt.331 Dies rührt daher, 330

Aber: oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 3. c). In der ersten Konstellation stammt der Angeklagte aus einem Rechtskreis R1, dessen Rechtsvorschriften für sein Verhalten die Rechtsfolge RF1 vorsehen und diese Rechtsvorschriften zu einem modifizierten Ergebnis im Sinne der zweiten oder dritten Variante führen, so dass der Gerichtshof die Rechtsfolge RM1 zur Anwendung gelangen lässt. In der zweiten Konstellation stammt der Angeklagte aus dem 331

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dass der Umfang des vom Gerichtshof anwendbaren Rechts in sein Ermessen gestellt würde („soweit angebracht“); in dem einen Fall ist es auf das Völkerrecht, hier also den Allgemeinen Rechtsgrundsatz, beschränkt; in dem anderen Fall gäbe es eine Öffnung hin zu einem hybriden Ergebnis. So würden die Richter zum „Teil-Gesetzgeber“ in den von ihnen zu entscheidenden Fällen. Mit der verbindlichen Einleitung des Art. 21 Abs. 1, „Der Gerichtshof wendet Folgendes an . . .“ ist dies unvereinbar. Art. 21 ist so ausgestaltet, dass dem Gerichtshof der Rahmen des von ihm anwendbaren Rechts vorgegeben werden soll. Hinge es an dem Ermessen des Gerichtshofes, ob er besondere einzelstaatliche Rechtsvorschriften in möglichenfalls modifizierender Weise in seinen Rechtsfindungsvorgang mit einbezieht oder nicht, folgte daraus die Relativierung der Vorgabe des Statuts selbst.332 Der Gerichtshof könnte dann selbst, und mangels ausdrücklicher Vorgaben für die Ausübung des Ermessens für die Rechtsunterworfenen nicht in hinreichendem Maße vorhersehbar, den Rahmen des von ihm anwendbaren Rechts bestimmen. Der Gerichtshof ist jedoch nicht Träger des Statuts, sondern geht aus ihm hervor. Er kann daher nicht rechtsbegründend tätig sein; diese Kompetenz ist den Mitgliedsstaaten des Statuts gemäß Artt. 121, 123 vorbehalten. Die Inanspruchnahme einer wie auch immer gearteten rechtsbegründenden Kompetenz würde dies konterkarieren. e) Positionen aus dem Schrifttum McAuliffe deGuzman schreibt in diesem Zusammenhang, dass Art. 21 den Richtern ein großes Maß an Ermessen gewähre, wobei sie allerdings ausschließlich Völkerrecht anzuwenden hätten.333 Dem ist nur insofern zuzustimmen, als es zutrifft, dass die Richter im Rahmen von Art. 21 Abs. 1 Rechtskreis R2, der für dasselbe Verhalten die Rechtsfolge RF2 vorsieht, woraufhin der Gerichtshof als Rechtsfolge RM2 gegeben sieht. In einer weiteren Konstellation stammt der Angeklagte aus dem Rechtskreis R3, dessen Rechtsvorschriften identisch sind mit dem vom Gerichtshof ermittelten Allgemeinen Rechtsgrundsatz; Rechtsfolge ist RA. Nur im letzten Fall wendet der Gerichtshof Völkerrecht an. Diese abstrakten Konstellationen zeigen eine aus systematischer Sicht unbefriedigende Konsequenz, da das anwendbare Recht variieren kann. 332 Schabas zeigt auf, wie eine ursprünglich zum Schutz des Angeklagten gedachte, auf nationale Rechtspraxis verweisende Bestimmung von ICTY und ICTR geradezu ins Gegenteil verkehrt wurde; in: Perverse Effects of the Nulla Poena Principle: National Practice and the Ad Hoc Tribunals, 11 EJIL (2000), S. 521–539. Schon von daher ist es angebracht, mögliche ermessensgestützte Relativierungen des Statuts mit Vorsicht zu betrachten. Schabas verweist auch auf die Diskussion zu Art. 21 und dessen Vorläufern, die zu einer Streichung eines Verweises auf die nationale Rechtspraxis geführt habe (S. 536–538).

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lit. (c) nur auf die im Wege der repräsentativen Rechtsvergleichung zu ermittelnden Allgemeinen Rechtsgrundsätze als Bestandteile des Völkerrechts zurückgreifen können. McAuliffe deGuzman sieht auch, dass ein „partikularisierter Ansatz“ die einheitliche Anwendung des Rechts auf unterschiedliche Angeklagte untergraben könnte.334 Dem entsprechen die zuvor dargestellten Bedenken. Allerdings sieht sie die Möglichkeit eines hybriden Rechtsermittlungsergebnisses bei entsprechender Auslegung des Statuts nicht. Dies ist zwar konsequent ausgehend von ihrem Standpunkt, das Statut lasse auch im Rahmen der dritten Hierarchieebene nur Völkerrecht zu, berücksichtigt aber nicht die anderen, vom Wortlaut durchaus gedeckten Auslegungsmöglichkeiten (zweite und dritte Variante), die wir zuvor erörtert haben. Pellet wiederum ist grundsätzlich skeptisch: Für ihn ist das Statut Ausdruck eines Misstrauens in die Richter. Zum einen würden sie durch übermäßig detaillierte Definitionen und die „Verbrechenselemente“ geradezu „eingemauert“. Zum anderen habe die Formulierung des Statuts dazu geführt, dass das Völkerstrafrecht in seiner gegenwärtigen Form „eingefroren“ worden und somit der strafbegründende Rekurs auf Völkergewohnheitsrecht nicht mehr möglich sei.335 Er kritisiert also die Einengung zum einen bei der Auslegung des Rechts und zum anderen bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts. Nach seiner Ansicht habe dazu die mechanische Übernahme des internen (im Sinne von nationalstaatlichen) Legalitätsprinzips in die internationale Sphäre geführt. Pellet preist den Entwurf der International Law Commission von 1996, der keine Kodifikation oder Neubegründung von Völkerstrafrechtsnormen angestrebt hat, sondern lediglich Verweisungen auf Völkergewohnheitsrecht und Vertragsvölkerrecht enthielt.336 Auf die grundsätzliche Kritik soll hier nicht eingegangen werden, denn mit dem Römischen Statut liegt ein völkerrechtlicher Vertrag vor, der andere Entscheidungen getroffen hat.337 Im Rahmen dieser Strukturanalyse ist von den Vorgaben des Statuts auszugehen. Was die hier in der Sache ent333 McAuliffe deGuzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 7, 18–19. 334 McAuliffe deGuzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 19. 335 Auch Arsanjani/Reisman, The Law-in-Action of the International Criminal Court, 99 AJIL (2005), S. 389–390, ziehen aus Länge und Detailliertheit des Statuts den Schluss, damit sei intendiert, der richterlichen Auslegung so wenig Gelegenheit wie möglich zu geben. Anders als Pellet sehen sie dies jedoch eher positiv. 336 Hier sind einige Hauptkritikpunkte zusammengefasst, die bei Pellet den ganzen Beitrag prägen, vgl. in: Cassese et al., Commentary, S. 1051–1084. 337 Diese sind entgegen Pellet auch richtig, wie das Problem der präzisen Ermittlung von (strafbegründendem) Gewohnheitsrecht zeigt.

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

scheidende Einzelfrage nach dem stark beschränkten Ermessen der Richter bei der Ermittlung der Allgemeinen Rechtsgrundsätze angeht, entspricht Pellets Ansicht allerdings im Wesentlichen der hiesigen.338 f) Ergebnis Im Ergebnis ist Art. 21 Abs. 1 lit. (c) so auszulegen, dass mit der dritten Hierarchiebene des vom Gerichtshof anwendbaren Rechts nur die Allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne des allgemeinen Völkerrechts gemeint sind. Daher ist der Einbezug nationalen Rechts in den Kreis der bei der Ermittlung eines Allgemeinen Rechtsgrundsatzes heranzuziehenden Rechts grundsätzlich nur in der Form der oben beschriebenen ersten Variante möglich, also ohne eine besondere Übergewichtung oder ohne eine besondere modifizierende Wirkung. Die im dritten Satzteil formulierte Bedingung ist daher ein nicht notwendiges Anhängsel (siehe schon oben). Das den Richtern durch das Statut zugestandene Ermessen bei der Rechtsfindung ist daher im Grunde nicht bemerkenswert: Das Ermessen beschränkt sich erstens darauf, ob die Richter sich überhaupt den Allgemeinen Rechtsgrundsätzen zuwenden und zweitens (bloß) darauf, welche nationalen Rechtsvorschriften sie in den Pool der zu vergleichenden Rechtskreise zum Zwecke der Ermittlung der Allgemeinen Rechtsgrundsätze mit aufnehmen (entsprechend der ersten Variante). Der zweitgenannte Ermessensteil entspricht ohnehin jenem (Auswahl-)Ermessen, das jeder Ermittlung Allgemeiner Rechtsgrundsätze innewohnt, da dabei stets eine repräsentative Auswahl getroffen werden muss. 4. Konsequenzen a) Primat des Statuts Unsere Untersuchung von Art. 21 Abs. 1 zeigt, dass viel dafür spricht, das Römische Statut und damit das vom Gerichtshof an erster Stelle anzuwendende Recht soweit wie möglich zu durchdringen. Es gilt der Primat des Statuts339. Was das Statut selbst hergibt, muss und darf nicht woanders 338

Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1073–1075. McAuliffe deGuzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 8, 20 sagt dazu, der Vorrang des Statuts habe auch nie in Frage gestanden. Die Bedeutung dieser Aussage für die Auslegung sieht sie jedoch nicht. Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1079: „(. . .) the Court cannot ‚depart from the terms of the Statute‘ “ (mit einem Zitat aus dem Free Zones-Fall des Ständigen Internationalen Gerichtshofs von 1929, Series A, No. 22, S. 12). Kreß, The Procedural Texts of the International Criminal Court, 5 JICJ (2007), S. 543, sagt richtigerweise, man 339

2. Kap.: Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Begründung

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aufgefunden werden.340 Das Statut genießt als lex specialis Vorrang vor dem anderen in Art. 21 Abs. 1 litt. (b), (c) genannten Recht; dies wird durch die in lit. (c) enthaltene Bedingung noch besonders unterstrichen. Das Statut muss daher in erster Linie aus sich heraus verstanden werden können, bevor ein Rückgriff auf das Recht der zweiten und dritten Ebene in Frage kommt. Wie sonst sollte sichergestellt werden, dass das Recht der zweiten und dritten Ebene mit dem Statut vereinbar ist, wenn nicht dadurch, dass primär die strukturellen Vorgaben des Statuts selbst herauszuarbeiten sind, an denen das sonstige Recht zu messen ist.341 Die inneren Strukturen des Statuts müssen verstanden sein, bevor Einsichten von außen auf dessen Anwendung und Auslegung einwirken. Hierin liegt die Bedeutung von Art. 21 Abs. 1 für die Auslegung des Statuts und damit für die Ermittlung des Verbrechensbegriffs. Erinnern wir uns an unseren Ausgangspunkt: In der Einleitung zu diesem Kapitel haben wir gesagt, dass das Statut dem Gerichtshof mit Art. 21 Abs. 1 den Rahmen dessen, was der Gerichtshof als Recht anwendet, vorgibt (Normanwendungsgebot). Auch ist Art. 21 Abs. 1 in Satz 1 und in lit. (a) in seinem Wortlaut klar: An erster Stelle wendet der Gerichtshof das Statut, die „Verbrechenselemente“ und die Verfahrens- und Beweisordnung an.342 Damit stellt Art. 21 den Ausgangsort für alle rechtsanwendenden Tätigkeiten des Gerichtshofs dar.343 solle sich vor einer übereilten Übernahme des bisherigen „acquis“ der beiden ad hoc-Tribunale hüten; er verweist diesbezüglich auch auf eine Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs in der Sache Situation in Uganda, ICC-02/04-01/05, vom 28. Oktober 2005, para. 19. Fletcher/Ohlin, Reclaiming Fundamental Principles of Criminal Law in the Darfur Case, 3 JICJ (2005), S. 549, beispielsweise zerpflücken unter diesem Gesichtspunkt den Report of the International Commission of Inquiry on Darfur to the United Nations Secretary-General, Pursuant to Security Council Resolution 1564 of 18 September 2004 vom 25. Januar 2005. 340 Nochmals: das Statut muss die Einsichten begründbar machen; ein „Hineinlesen“ ist damit nicht zulässig. 341 Fletcher/Ohlin, Reclaiming Fundamental Principles of Criminal Law in the Darfur Case, 3 JICJ (2005), S. 558, sind noch deutlicher: „The Rome Statute must be applied as it is written, without additional constraints that supposedly emanate from customary international law“; vgl. dort S. 556 zur Ablehnung des Gewohnheitsrechts zur Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit. 342 Zur Bedeutung der „Verbrechenselemente“ in Bezug auf den Verbrechensbegriffs des Statuts siehe Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 3. d). 343 Umso bemerkenswerter, dass der Gerichtshof Artikel 21 in seiner LubangaEntscheidung gar nicht erwähnt, vgl. Ochoa S., The ICC’s Pre-Trial Chamber I Confirmation of Charges Decision in the Case of Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo: Between Application and Development of International Criminal Law, 16 EJCrCLCJ (2008), S. 58.

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

Für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Statut bedeutet dies, dass wir gleichsam an die Stelle des Gerichtshofes rücken. Vor diesem Hintergrund ebnet sich auch eine denkbare Unterscheidung von „Auslegung“ und „Anwendung“ ein344: Schließlich ist Rechtsanwendung ohne Rechtsauslegung nicht denkbar, und Rechtsauslegung, die die Rechtsanwendung nicht mit im Blick hat, ist unvollständig. Wollen wir also das Römische Statut verstehen, müssen wir zunächst die von ihm selbst vorgegebene Perspektive einnehmen. Dazu gehört auch, dass wir uns an erster Stelle – um dies zu betonen, ist man geneigt, an allererster Stelle zu schreiben – mit dem Statut selbst auseinandersetzen.345 Daher ist es auch nicht richtig, von vornherein einer „gewohnheitsrechtskonformen Auslegung“ den Vorzug einzuräumen.346 Zu den Schlussfolgerungen vgl. unten Drittes Kapitel, III. – Die Bedeutung der Form für das Verständnis. b) Wirkt das weitere Recht auf den Verbrechensbegriff des Statuts ein? Anfangs haben wir die nun zu beantwortende Frage aufgeworfen, ob und inwiefern das weitere Recht der zweiten und dritten Hierarchieebene neben dem Statut auf dessen Verbrechensbegriff einwirkt und ihn mitbestimmt. Das Recht der dritten Hierarchieebene muss mit dem Statut vereinbar sein; so sagt es bereits der dritte Satzteil von Art. 21 Abs. 1 lit. (c). Es besteht der vorher dargestellte Primat des Statuts. Daraus ergibt sich zwingend, dass das Recht der dritten Hierarchiebene den Verbrechensbegriff des Römischen Statuts allenfalls ergänzen, aber nicht bestimmen kann. Nur soweit der Verbrechensbegriff des Statuts Lücken aufweist, können diese durch den Rekurs auf die Allgemeinen Rechtsgrundsätze im Wege der Rechtsvergleichung geschlossen werden.347 Dabei können die Ergebnisse der Rechtsvergleichung die Vorgaben des Statuts nicht außer Kraft setzen; soweit sie dem Statut entgegenstehen, geht dieses vor. Da das Statut, soweit es seinen Verbrechensbegriff spezifiziert, lex specialis ist, gilt dies entsprechend auch für das Recht der zweiten Hierarchieebene. Die Formulierung „soweit angebracht“ in Art. 21 Abs. 1 lit. (b) bedeutet daher, dass die 344

Nur letztere nennt Art. 21 Abs. 1; Abs. 3 nennt beide. Vgl. zudem Fn. 341. Anderer Ansicht ist Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 173 im Anschluss an die Rechtsprechung des ICTY. Damit begründet er seine Position aber nicht mit dem Römischen Statut, sondern mit einem äußeren Faktor, dem das Römische Statut jedoch vorgeht. 346 Vgl. beispielsweise Fn. 510 und soeben Fn. 343. 347 Zu Art. 22 (nullum crimen sine lege) unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. 345

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Bezugnahme auf das Recht der zweiten Hierarchieebene nur dann „angebracht“ ist, wenn dies der notwendigen Ergänzung – und damit nicht der Veränderung oder dergleichen – des Rechts der ersten Ebene, also des Statuts selbst, dient. Mithin kann das sonstige Recht neben dem Statut auf den Verbrechensbegriff des Statuts einwirken. Es kann den Verbrechensbegriff aber nur insofern mitbestimmen, als das Statut nicht selbst Aussagen trifft. Diese Aussagen herauszuarbeiten, ist Aufgabe der vorliegenden statutsimmanenten Strukturanalyse, die so die Grundlagen für die weitere Beschäftigung mit dem Statut auch unter Einbezug des Rechts der zweiten und dritten Hierarchieebene legt. Damit unterstützt das Römische Statut die bereits zu Anfang des Zweiten Teils dargestellten Überlegungen der Gebotenheit einer statutsimmanenten Strukturanalyse.348 c) Art. 21 Abs. 1 lit. (c) als Kandidat für eine Überprüfung nach Art. 123 Die Untersuchung zeigt, dass ein hehres Motiv nicht unbedingt ein gutes Gesetz macht.349 Bei allen Schwierigkeiten, die die Vertragsrechtsschöpfung im Völkerrecht begleiten, sollte nicht vergessen werden, dass eine Überfrachtung einer Bestimmung mit dem Ziel, alle Unwägbarkeiten auszuschließen, gerade deren Auftauchen provozieren kann: was immer die an der Bevollmächtigtenkonferenz in Rom beteiligten Staaten mit Art. 21 Abs. 1 lit. (c) haben ausdrücken wollen, lässt sich, wie wir gesehen haben, aus dem Wortlaut in seinem Kontext auf systematische Weise nur schwer ermitteln. Dies birgt die Gefahr einer subjektiven Auslegung in sich. An den Verhandlungen Beteiligte werden sich möglicherweise in unterschiedlicher Weise an das dort Besprochene erinnern und diese notwendig subjektiven Eindrücke in ihre Stellungnahmen zur Auslegung einfließen lassen. Eine autoritative Auslegung der Bestimmung gibt es nicht; angesichts des Wortlauts erschiene sie hilfreich. Andererseits würde dies zu noch mehr Worten und möglicherweise weiteren Unklarheiten führen. Vermeidbar wären diese, wenn der Wortlaut klarer und auch knapper wäre. 348

Oben Zweiter Teil, Erstes Kapitel, C. Vgl. Gierhake (oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. II. 2. a) (1) und Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 179 in Fn. 358, der auf den Kompromisscharakter des Statuts und die sich daraus auch ergebenden Defizite hinsichtlich logischer und systematischer Stringenz hinweist. Schärfer als Werle äußert sich Ambos, Der neue Internationale Strafgerichtshof – ein Überblick, NJW 1998, S. 3746. Etwas zu freundlich Arsanjani/Reisman, The Law-in-Action of the International Criminal Court, 99 AJIL (2005), S. 385: „a carefully negotiated document“. Vgl. dazu auch den Text bei Fn. 258. 349

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

Art. 21 Abs. 1 lit. (c) ist daher ein Kandidat für eine Überprüfung nach Art. 123 des Statuts. Dabei sollten der zweite und dritte Satzteil, die keine Klarheit bringen, sondern nur Verwirrung stiften, gestrichen werden. Dann ließen sich die Allgemeinen Rechtsgrundsätze des allgemeinen Völkerrechts auf der dritten Hierarchieebene verorten, ohne dass es zu Widersprüchen oder Unklarheiten käme. Anstelle der gestrichenen Satzteile ließe sich gleichsam „zur Sicherheit“ in Art. 21 ein Absatz 2 bis anfügen, der seinem Gehalt nach Art. 9 Abs. 3 bzw. Art. 51 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 entspricht. Damit wäre der Primat des Statuts für dessen Auslegung und Anwendung umfänglich klargestellt. Er könnte lauten: „Die Anwendung und Auslegung des Rechts nach diesem Artikel müssen mit diesem Statut vereinbar sein. Im Falle eines Widerspruchs zwischen diesem Statut und dem sonstigen Recht nach diesem Artikel hat dieses Statut Vorrang. Absatz 3 bleibt unberührt.“

C. Auslegung So wie das vom Internationalen Strafgerichtshof anwendbare Recht eine „äußere“ und eine „innere Seite“ hat, die sich jeweils mit „Völkerrecht“ und „Recht nach dem Römischen Statut“ übersetzen lassen, so ist im Folgenden zu untersuchen, welche Regeln die Auslegung dieses anwendbaren Rechts bestimmen. Auch hier spielt die Unterscheidung von äußeren und inneren Auslegungsregeln eine Rolle: das Römische Statut ist in die Rechtsordnung des Völkerrechts eingebettet. Das Völkerrecht selbst kennt eigene Regeln der Vertragsauslegung. Daher ist zunächst die äußere Seite zu beleuchten. Anschließend wenden wir uns der inneren Seite zu, nämlich den Vorgaben des Römischen Statuts über seine Auslegung selbst. Diese Vorgaben können jene des allgemeinen Völkerrechts modifizieren oder ergänzen. Dabei haben wir stets jene Regeln im Blick, die für die Ermittlung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts relevant sind bzw. sein können.

I. Die äußere Seite: Die Auslegung der Verträge im Völkerrecht Bevor wir die Auslegungsregeln der Wiener Vertragsrechtskonvention darstellen, wenden wir uns der Bedeutung des Konsensprinzips für die Auslegung im Völkerrecht zu, denn so können wir die entscheidenden Parameter der Auslegung an den Geltungsgrund des Völkerrechts – den Konsens

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der Völkerrechtssubjekte –350 rückkoppeln. Schließlich wäre jedes Auslegungsergebnis, das nicht auf den Konsens rückführbar ist, bereits dem Grunde nach nicht richtig. Während der akademische Interpret in diesem Falle lediglich ein unzutreffendes Ergebnis hervorbrächte, handelte der Gerichtshof sogar ultra vires, wenn er sich in einer derart rechtsschöpferischen Weise vom Vertrag entfernte. Gerade eine Auslegung, die die Ermittlung grundlegender Begriffe wie den des Verbrechens zum Ziel hat, muss sich ihrer Grenzen stets bewusst sein. 1. Die Bedeutung des Konsensprinzips für die Auslegung Wenn sich die Geltung des Völkerrechts aus dem Konsens der Staaten ableitet, lässt sich umgekehrt formulieren, dass das geltende Völkerrecht auf den Konsens der Staaten zurückführbar sein muss. Oben351 haben wir uns mit den Erscheinungsformen des Völkerrechts beschäftigt und dabei implizit vorausgesetzt, dass ihnen ein Bedeutungsgehalt innewohnt, der auch jenen „Dritten“ zugänglich ist, die nicht als Völkerrechtssubjekte an der Schaffung des Konsenses beteiligt waren. Wir haben schließlich Gerichtsentscheidungen zitiert, die sich mit der Geltung und dem Bedeutungsgehalt der das Gericht beschäftigenden Rechtssätze auseinandergesetzt haben. Gerichte können zwar Völkerrechtssubjektivität besitzen352; zwingend ist dies nicht. Jedenfalls sind sie keine Staaten und insofern nicht unmittelbar an der Schaffung eines Konsenses, der zur Entstehung eines völkerrechtlichen Rechtssatzes führt, beteiligt. Damit sind Gerichte „Dritte“ im oben angesprochenen Sinn. Auch die an den Gerichtsverfahren Beteiligten sowie die Wissenschaft, noch genereller, sämtliche an der konsensualen Entstehung des Völkerrechtssatzes nicht beteiligten Akteure – natürliche und juristische Personen wie NGOs, internationale Organisationen sowie andere Staaten – sind demnach „Dritte“. All jene „Dritten“ können sich mit dem Bedeutungsgehalt des Rechtssatzes des Völkerrechts auseinandersetzen. Dabei setzt die Ermittlung des Bedeutungsgehaltes eines Rechtssatzes stets dessen Auslegung voraus.353 Auch 350

Zu diesem oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. I. 1. Vgl. Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 352 Nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 Römisches Statut und Art. 2 des Agreement on the Privileges and Immunities of the International Criminal Court (ICC/ASP/1/3, vom 3. September 2002) besitzt der Internationale Strafgerichtshof Völkerrechtspersönlichkeit. 353 Immer wenn es um das Verstehen eines Erklärungszeichens geht, findet Auslegung statt. Der Erklärungsempfänger muss schließlich aus dem geäußerten Zei351

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auf Seiten der an der Schaffung des Rechtssatzes qua Konsens beteiligten Staaten wird der Rechtssatz ausgelegt, denn Staaten als abstrakte Einheiten werden von Menschen repräsentiert. In ihrer Eigenschaft als Repräsentanten des Staates sind diese Menschen funktional betrachtet keine „Dritten“. Tatsächlich ist dies aber auch der einzige Unterschied zu den „Dritten“ – das Ergebnis des Prozesses der Erkenntnisgewinnung wird eben dem Staat als Mit-Rechtssetzer zugerechnet und nicht der natürlichen Person. Natürlich stehen auch Menschen hinter den Gerichten und Internationalen Organisationen usw. Deren Verständnis des Bedeutungsgehaltes eines Rechtssatzes beruht schließlich auch auf dem Verständnis, das ein Mensch für die juristische Person geäußert hat. Nur ist diese juristische Person – erst recht der für sie handelnde Mensch – „Dritte“. Dass Auslegung stattfindet, dass also dem Rechtssatz als Erklärung dessen Bedeutung zunächst einmal abgewonnen werden muss, ist nicht weiter bemerkenswert. Wir haben aber bereits mit der Unterscheidung von rechtsetzenden Staaten und „Dritten“ angedeutet, dass das Verständnis des Rechtssatzes, also das Vorgehen bei der Ermittlung des Bedeutungsgehaltes eines Rechtssatzes und das Ergebnis dieses Vorgehens von unterschiedlicher Qualität sein kann.354 Mit Qualität ist hier nicht die „Güte“ im Sinne eines regelgerechten Vorgehens gemeint, sondern das Ausmaß an Verbindlichkeit oder Autorität des Auslegungsaktes und -ergebnisses. Wenn wir also sagen können, dass sich das geltende Völkerrecht auf den Konsens der beteiligten Staaten rückführen lassen muss, und sehen, dass das Erkennen des Bedeutungsgehaltes des Rechtssatzes stets dessen Auslegung (Interpretation) voraussetzt, können wir diese beiden Einsichten auch verbinden: Demnach kann nur jenes Verständnis des Bedeutungsgehaltes eines Völkerrechtssatzes eine mit „Geltung“ zu beschreibende Verbindlichkeit für sich in Anspruch nehmen, welches sich auf den Konsens der beteiligten Staaten zurückführen lässt. Wiederum anders gewendet heißt dies, die Befugnis, einen Rechtssatz des Völkerrechts mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit des Ergebnisses auszulegen, hängt von der Zustimmung (dem Konsens) jener Staaten ab, die den Rechtssatz geschaffen haben. Die Völkerrechtslehre schreibt dazu regelmäßig, befugt zur Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen seien in erster Linie die Vertragsstaaten und zwar – wegen des Konsensprinzips – gemeinsam.355 Eine solche Auschen eine Bedeutung gewinnen, es also interpretieren. Zur Notwendigkeit von Auslegung vgl. den Exkurs bei Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 167–176 m. w. N. 354 Dazu Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 194–199; Bernhardt, Interpretation in International Law, EPIL, Bd. 2, S. 1417. 355 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 1–2. Brownlie, Principles of Public International Law, S. 602; Bernhardt, Die Auslegung völkerrecht-

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legung wird authentische Auslegung genannt.356 Ob sich eine authentische Auslegung in der bloßen gemeinsamen Praxis, in gemeinsamen Erklärungen oder in sonstiger Form zeigt, ist unerheblich. Die beteiligten Staaten können die Befugnis zur Auslegung auch Institutionen oder Personen zugestehen oder auf diese übertragen.357 Kommt einer der beteiligten Staaten allein zu einem bestimmten Auslegungsergebnis, ist dieses für die anderen Staaten selbstredend zunächst unverbindlich, denn diese haben schließlich nicht zugestimmt.358 Das Auslegungsergebnis beispielsweise eines Gerichtes, das in Form eines Urteils ergeht, ist dann verbindlich, wenn die Staaten der Gerichtsbarkeit des Gerichtes zugestimmt und ihm die Entscheidung des Streites über den Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden Norm oder die Entscheidung des streitigen Sachverhaltes mittels von ihnen qua Konsens getragener völkerrechtlicher Normen übertragen haben. Eine andere Frage ist es, ob sich die Verbindlichkeit nur auf die tatsächlich streitenden Staaten oder auf alle Mitgliedsstaaten erstreckt.359 Dies hängt von der Weite der dem Gericht übertragenen Befugnis ab. Auch wenn völkerrechtliche Verträge grundsätzlich keine Drittwirkung haben, also nur inter partes wirken360, so hat der im Wege der – verbindlichen – Auslegung ermittelte Bedeutungsgehalt des Rechtssatzes eine Ausstrahlungswirkung über die Vertragsstaaten hinaus. Wenn „Dritte“ den Vertrag auslegen, werden sie nicht umhin kommen, das vom unmittelbaren licher Verträge, S. 44–46; ders., Interpretation in International Law, EPIL, Bd. 2, S. 1417; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 490–491 (§ 775). 356 In der allgemeinen Terminologie werden authentische, judizielle und individuelle Auslegung unterschieden, vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 490 (§ 774). 357 Der Internationale Gerichtshof ist zwar ein Hauptorgan der Vereinten Nationen (Art. 92 UN-Charta); dennoch hat er nur dann Gerichtsbarkeit über Streitigkeiten von Staaten, wenn diese sich gem. Art. 36 des Statuts des Internationalen Gerichtshof (sog. Fakultativklausel) oder ad hoc seiner Gerichtsbarkeit unterwerfen. Staaten können auch in einem sog. compromis oder bereits in dem ursprünglichen Vertrag vereinbaren, dass der Streit von einem von ihnen bestellten Schiedsrichter oder -gericht entschieden wird. Hieran zeigt sich, dass die Befugnis zur Streitentscheidung und damit auch Normauslegung wegen der prinzipiellen Gleichrangigkeit der Staaten nur auf Grund deren – generellen oder konkreten – Einverständnisses besteht. Zum Ganzen Doehring, Völkerrecht, Rn. 1063–1083 m. w. N. Vgl. auch Brownlie, Principles of Public International Law, S. 602; Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 46–57. Zu Art. 9 sowie die sich auf ihn gründenden „Verbrechenselemente“ unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 3. d). 358 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 2. 359 Der zweite Fall wäre einer der sog. autoritativen Auslegung. 360 Oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 2. b) .

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oder mittelbaren Konsens der Vertragsstaaten getragene Auslegungsergebnis als „geltendes“ Verständnis des Rechtssatzes zur Kenntnis zu nehmen.361 Die Norm „gilt“ schließlich qua unmittelbarem oder mittelbarem Konsens der Vertragsstaaten mit dem Bedeutungsgehalt, wie er ermittelt wurde. Legt eine Institution, die von einem völkerrechtlichen Vertrag geschaffen wurde, diesen Vertrag aus, so hat das Ergebnis für die Vertragsstaaten keine Verbindlichkeit, so lange sie der Institution eine entsprechende Befugnis nicht zugestanden362 oder das Auslegungsergebnis nicht einmütig als verbindlich anerkannt haben.363 Die Qualität der Auslegung eines Rechtssatzes im Sinne einer Verbindlichkeit oder Autorität des Auslegungsergebnisses hängt also entscheidend am Konsens der beteiligten gleich souveränen Staaten. Dem entspricht es schließlich, wenn das Völkerrecht als Koordinationsrechtsordnung charakterisiert wird, bei der sich die beteiligten Subjekte (die Staaten) gleichrangig begegnen und ihre rechtlichen Beziehungen vor diesem Hintergrund regeln. Ein Über- und Unterordnungsverhältnis gibt es im Völkerrecht de iure nicht;364 anders sieht es aus, wenn man die internationalen Beziehungen und das ihnen zu Grunde liegende politische, ökonomische und militärische Kräfteverhältnis aus einer sozio-politischen Sichtweise heraus betrachtet.365 An dieser Stelle geht es aber um die rechtlichen Rahmenbedingungen, die noch immer entscheidend vom Prinzip der souveränen Gleichheit geprägt sind.366 Nehmen wir also die zentrale Bedeutung des Konsenses der Staaten zur Kenntnis, folgt darauf die ebenso zentrale Frage, was denn diesen Konsens ausmacht. Anders gewendet, „Konsens“ kann nicht abstrakt definiert, sondern muss stets für den Einzelfall konkret festgestellt werden. Es geht letztlich um nichts anderes als um die Feststellung einer inhaltlichen Übereinstimmung der Staaten. Konsens ist zudem in mehreren Dimensionen (auf mehreren Ebenen) erforderlich. Konsens ist erforderlich, um eine Rechtsnorm zur Entstehung zu bringen. Konsens ist erforderlich, um eine authentische Auslegung vorneh361

Vgl. Brownlie, Principles of Public International Law, S. 664. Die Lehre von den implied powers leitet aus vertraglichen Pflichten oder Aufgaben auch eine entsprechende Befugnis ab („necessary implication“, Reparations for Injuries-Fall, ICJ Reports 1949, 174, 182); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 6, Rn. 8 und Heintschel von Heinegg, ebd., § 11, Rn. 3, 16. Siehe auch unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 3. c) zum „effet utile“. 363 Vitzthum, Völkerrecht, S. 264, Rn. 41; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 3; Brownlie, Principles of Public International Law, S. 658. 364 Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26, Rn. 7. 365 Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26, Rn. 13 und die Bemerkung in § 5, Rn. 27 am Ende. 366 Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 26, Rn. 7. 362

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men zu können, und Konsens ist erforderlich, um das Ergebnis der authentischen Auslegung zu tragen. Ebenso ist Konsens erforderlich, um einem Gericht oder einer anderen streitschlichtenden Institution die Befugnis zur Streitschlichtung zu übertragen. Dazu zählt auch die Frage nach dem Gegenstand des Streits sowie schließlich die Auslegung und Anwendung367 der in Frage kommenden Norm(en). Im Rahmen dieser Arbeit soll nicht versucht werden, alle Dimensionen des Konsenses auszuloten. Vielmehr führen die hier angerissenen Dimensionen alle („um zu“) auch zu der Frage nach dem Zweck, genereller gesprochen, dem Inhalt und damit auch dem Ausmaß des Konsenses. Daher ist es Aufgabe eines jeden Auslegenden – ob auf Seiten der Vertragsstaaten, seitens eines zur Streitschlichtung befugten Gerichts oder auch eines „Dritten“ –, sich mit dem Inhalt, Ausmaß und Zweck des Konsenses der (Vertrags-)Staaten auseinanderzusetzen, denn hierin liegt der Geltungsgrund für den Bedeutungsgehalt der jeweils auszulegenden Rechtsnorm sowie der Schlüssel zum richtigen Verständnis. „Konsens“ meint eine inhaltliche Übereinstimmung. Damit ist noch nicht viel gesagt. Eine Übereinstimmung setzt mehrere Beteiligte voraus; in unserem Fall also Staaten, die sich auf „eins“ geeinigt haben. Äußern die Staaten unabhängig voneinander den von ihnen vertretenen Inhalt, müssen die jeweiligen Äußerungen miteinander verglichen werden, um die Gemeinsamkeiten und schließlich die Übereinstimmung im Ganzen feststellen zu können. Äußern sich die Staaten gemeinsam in dem Sinne, dass es eine einzige Erklärung der Substanz gibt, an die sich die identischen Erklärungen der beteiligten Staaten anschließen, an die einzige Erklärung gebunden zu sein, erübrigt sich der Vergleich. Ein völkerrechtlicher Vertrag hat regelmäßig die zweite Form368: Es gibt ein schriftliches Dokument, und es gibt die zustimmenden Erklärungen der Staaten. Daher liegt es nahe zu sagen, dass sich die inhaltliche Übereinstimmung der Staaten, also deren Konsens, in dem schriftlichen Dokument ausdrückt. In dem von den Staaten getragenen Dokument manifestiert sich deren Konsens. Inhaltlich gewollt ist, was in dem Dokument erklärt ist. Damit haben wir zunächst nur festgestellt, dass der Vertrag gilt. Eine Auslegung des Vertrages, also eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Ziel, den Bedeutungsgehalt des Dokumentes für die aktuelle Frage erschöpfend zu ermitteln, ist dies jedoch noch nicht. Der problematische Fall ist ja gerade der, in dem ein ursprünglicher, den Vertrag zur Geltung bringender 367 Die richtige Anwendung einer Rechtsnorm setzt stets ein richtiges Verständnis von ihrem Aussagegehalt voraus. Dieser ist durch Auslegung zu ermitteln. In der Anwendung ist stets die Auslegung enthalten. Daher spielt die denkbare Unterscheidung von Auslegung und Anwendung keine Rolle. 368 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. (a) WVK, wobei dies nicht zwingend ist, s. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. 2. a).

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Erklärungskonsens festgestellt werden kann, später jedoch Uneinigkeit oder zumindest Unsicherheit über das eigentlich Gesagte, also den „richtigen“ Bedeutungsgehalt, entsteht oder auftaucht. Dann hilft die Einsicht, dass gewollt ist, was erklärt ist, scheinbar nicht weiter – was erklärt ist, steht ja gerade in Zweifel. Insofern liegt es nahe, sich mit den Vorgängen, die zu dem einen Dokument geführt haben, zu beschäftigen, so die Entstehung des Konsenses nachzuvollziehen und dadurch den Bedeutungsgehalt der streitigen Rechtsnorm zu erschließen. Bevor aber vorschnell jegliche Unsicherheit über den Bedeutungsgehalt einer Rechtsnorm dazu führt, sich mit deren Genealogie auseinanderzusetzen, muss versucht werden, die Rechtsnorm innerhalb des rechtlichen Gefüges, in dem sie sich befindet, zu verstehen. Andernfalls würde die jeweilige Rechtsnorm aus ihrem Kontext, dem Vertrag, gerissen. Dies würde dem Konsensprinzip zuwiderlaufen, da der (Erklärungs)konsens gerade nicht in Bezug auf eine einzelne Vorschrift, sondern in Bezug auf den gesamten Vertrag besteht. Man könnte also versuchen, den historischen Vorgang der Konsensbildung nachzuvollziehen und damit den Schwerpunkt auf den historischen Willen der Staaten zu legen oder jenes Dokument in den Mittelpunkt zu stellen, auf welches sich ein Staatenkonsens jedenfalls bezieht, nämlich den Vertragstext. Wie so oft im Recht spiegelt sich auch hier das Paar „subjektiv“ und „objektiv“ wider: Nach dem Ansatz der (mehr oder weniger) „subjektiven“ Lehre über die Auslegung völkerrechtlicher Verträge steht der Parteiwille im Vordergrund; dessen Ermittlung ist das Ziel der Auslegung. Der Vertragstext ist dann neben dem vorbereitenden Material (sog. travaux préparatoires) nur eines der Mittel, um den Parteilwillen bestimmen zu können. Nach dem Ansatz der (mehr oder weniger) „objektiven“ Auslegungslehre ist Ausgangsort aller Überlegungen der Vertragstext, dessen Bedeutung zu ermitteln ist.369 Eine systemimmanente Schwäche des subjektiven Ansatzes liegt darin, dass er zwar sehr betont auf den Parteiwillen abstellt, sich jedoch selbst verraten muss, wenn die Ermittlung eines Staatswillens bzw. die Ermittlung eines übereinstimmenden Staatswillens nicht zweifelsfrei möglich ist. Dann nämlich hat der subjektive Ansatz nur die Möglichkeiten, entweder das Nichtvorliegen eines Konsenses mangels Übereinstimmung der beteiligten Staatswillen – und damit konsequenterweise die Ungültigkeit der in Frage 369

Zu den Ansätzen vgl. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 187–188; Heinschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 4–5; überblicksartig Bernhardt, Interpretation in International Law, EPIL, Bd. 2, S. 1419.

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stehenden Rechtsnorm – festzustellen oder diese Leerstelle mit Mutmaßungen oder Unterstellungen370 auszufüllen. Im ersten Fall liegt der Verrat des Dogmas vom Parteiwillen darin, dass trotz des Befundes eines von den Parteien im Großen und Ganzen gewollten Vertrages dieser in Teilen oder gar in Gänze verworfen werden müsste. Im zweiten Fall zeigt sich die Schwäche noch deutlicher, denn hier würde den Staaten etwas unterstellt, was sie möglicherweise nicht gewollt haben371. Der objektive Ansatz konstruiert sich selbst keine solche Schwäche. Der Vertrag, der schließlich vom (Erklärungs)konsens372 der beteiligten Staaten getragen wird, ist Manifestation und Ausdruck des von den Staaten Gewollten. Insofern kann der objektive Ansatz dem Vertrag – mit anderen Worten: dem von den beteiligten Staaten übereinstimmend gewollten Text – als solchem seinen Bedeutungsgehalt abgewinnen und braucht erst dann, wenn der Text als solcher keinen weiteren Erkenntnisgewinn mehr ermöglicht, zur Erhellung seiner Bedeutung auf historische Vorgänge – etwa die bereits genannten travaux préparatoires – zurückzugreifen. Insofern erlegt sich der objektive Ansatz die Pflicht auf, sein Vorgehen immer wieder an den Vertragstext – als Ausdruck des Konsenses der Staaten – rückzukoppeln.373 Dies bedeutet auch, dass es nicht möglich ist, einen von den Staaten angeblich gewollten Bedeutungsgehalt zu behaupten, der gegen den Vertragstext spricht. 370

So die Formulierung bei Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 4. 371 Vgl. dazu auch Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 271. 372 Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 188. 373 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 15. Vitzthum, Völkerrecht, S. 60, formuliert kategorisch, dass „unabhängig vom Parteiwillen (nur noch) auf den Text, auf den authentischen Wortlaut der Vertragsbestimmungen abgestellt“ werde (Herv. im Original). Etwas anders liest es sich bei Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, wonach das Auslegungsziel die Ermittlung des Parteiwillens sei (S. 379), aber die Auslegung das „Endziel“ des (völkerstrafrechtlichen) Vertrages „nicht aus den Augen verlieren“ dürfe und so gegebenenfalls auf „effet utile“ und „dynamische Vertragsauslegung“ zurückgegriffen werden könne (S. 382). Hier zeigt sich, dass „Parteiwille“ und „(Auslegungs- oder End)ziel“ nicht immer mit übereinstimmenden Bedeutungen verwendet werden. Insofern genauer Köck, Vertragsinterpretation, S. 82, den auch Ambos zitiert (S. 379, Fn. 7). Dem „teleologischen“ Ansatz begegnet die Lehre regelmäßig mit Skepsis, vgl. hier nur Brownlie, Principles of Public International Law, S. 607. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 188–189, kritisiert, dass ein rein textueller Ansatz juristische Streitfälle nicht zu lösen vermöge, wenn diese im Bereich semantischer Spielräume angesiedelt seien, hier keine Entscheidungskriterien liefern könne und so das Recht der Willkür öffne. Eine funktionale Konzeption könne dem weitgehend abhelfen, da sie das Recht zielgerichtet sehe und nicht auf eine „sprachliche Objektivation“ reduziere. In aller Regel könne der Rechtsanwender dennoch nur semantische Sprachräume nutzen.

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Der objektive Ansatz ist nunmehr wohl herrschende Lehrmeinung, spiegelt sich in der Praxis der Gerichte wider und ergibt sich auch aus der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK; zu dieser im Einzelnen sogleich).374 Im Rahmen des Völkervertragsrechts sind die der Struktur des Völkerrechts inhärenten Merkmale Staatensouveränität, Gleichheit der Staaten sowie schließlich deren Konsens weiterhin bestimmende Parameter für die Auslegung.375 Vor diesem Hintergrund haben sich Auslegungsgrundsätze des Völker(vertrags)rechts entwickelt. Deren Aufnahme in die WVK zeigt auch, dass es sich bei ihnen nicht um bloße Methoden handelt, sondern sie vielmehr Rechtsqualität aufweisen. Insofern ist das so berühmte wie suggestive Diktum von Waldock nicht sehr hilfreich, wonach „interpretation is an art, not an exact science“376.377 Wenn man dem ein Bild hinzufügen möchte, so handelt es sich bei der Auslegung eher um sports, also um einen Wettkampf (um den Bedeutungsgehalt der Norm) nach Regeln. Das allgemein anerkannte Regelwerk gilt es im Folgenden darzustellen.

374 Kompakt dazu Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 11; Brownlie, Principles of Public International Law, S. 602, 606. 375 Vgl. Bernhardt, Interpretation in International Law, EPIL, Bd. 2, S. 1416. McNair, The Law of Treaties, S. 765, sagt hingegen, „sovereignty plays no part in the interpretation of treaties“. Zwar stellt Staatensouveränität keinen eigentlichen Auslegungsgrundsatz dar. Andererseits ist der Grundsatz der Staatensouveränität und davon abgeleitet das Konsensprinzip durchaus ein bestimmendes Element für die Entwicklung der völkerrechtsspezifischen Auslegungsregeln. 376 Im seinem Kontext erschließt sich das meistens verkürzt wiedergegebene Zitat besser: „They are, for the most part, principles of logic and good sense valuable only as guides to assist in appreciating the meaning which the parties may have intended to attach to the expressions that they employed in a document. Their suitability for use in any given case hinges on a variety of considerations which have first to be appreciated by the interpreter of the document; the particular arrangement of the words and sentences, their relation to each other and to other parts of the document, the general nature and subject-matter of the document, the circumstances in which it was drawn up, etc. Even when a possible occasion for their application may appear to exist, their application is not automatic but depends on the conviction of the interpreter that it is appropriate in the particular circumstances of the case. In other words, recourse to many of these principles is discretionary rather than obligatory and the interpretation of documents is to some extent an art, not an exact science“, Special Rapporteur Waldock, Yearbook of the International Law Commission, 1966, Vol. II, S. 218, para. 4. 377 Zu Recht ebenso kritisch Bernhardt, Interpretation in International Law, EPIL, Bd. 2, S. 1418.

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2. Artt. 31, 32 der Wiener Vertragsrechtskonvention a) Allgemeine Auslegungsregel Die Wiener Vertragsrechtskonvention378 stellt eine umfassende, wenngleich nicht erschöpfende Kodifikation379 der Regeln über den Abschluss, das In-Kraft-Treten, die Beachtung, Anwendung, Änderung, Beendigung und schließlich Auslegung völkerrechtlicher Verträge dar. Im Wesentlichen sind in ihr Regeln aufgenommen worden, die bereits gewohnheitsrechtliche Geltung hatten; die Regeln über die Auslegung völkerrechtlicher Verträge geben Gewohnheitsrecht wieder, so dass sie auch in Bezug auf Staaten, die der Konvention nicht beigetreten sind, Beachtung finden.380 Bei den Bestimmungen der WVK über die Auslegung völkerrechtlicher Verträge handelt es sich um bindende Rechtsnormen.381 Damit ist nicht gesagt, dass diese Rechtsregeln ein starres Schema vorgeben, das jegliches Auslegungsermessen unmöglich machen oder dem Auslegenden ein unerträglich enges Korsett vorgeben würde. Damit ist zunächst nur eine Aussage hinsichtlich der rechtlichen Beachtlichkeit der Auslegungsgrundsätze getroffen; bei ihnen handelt es sich um Rechtsnormen des Völkerrechts. Soweit die Auslegungsgrundsätze Vorgaben machen, ist der Auslegende an diese gebunden.382 Als dispositives Recht sind die Regeln der WVK allerdings abdingbar, sofern die Parteien eines völkerrechtlichen Vertrages dies festlegen. Art. 31 WVK fungiert als „allgemeine Auslegungsregel“. Der Singular war beabsichtigt: Die Auslegungsmethoden, die Art. 31 mit seinen vier Ab378 Vienna Convention on the Law of Treaties, vom 22. Mai 1969, in Kraft seit 27. Januar 1980, UN Treaty Series Vol. 1155, S. 331; als „Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge“ BGBl. 1985 II, S. 926. 379 Zur Kodifikation oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 2. c). 380 Vgl. nur Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 11, der auch darauf hinweist, dass die Regeln nur für die Auslegung und nicht für die authentische Interpretation (oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 1.) gelten. Ausführlich zur Kodifikation der gewohnheitsrechtlichen Regeln Sinclair, The Vienna Conventiion on the Law of Treaties, S. 1–24, S. 153. 381 Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 3–5; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 11; Bernhardt, Interpretation in International Law, EPIL, Bd. 2, S. 1418, 1419; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 491 (§ 775); Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 164 (Fn. 637), S. 201; zurückhaltend Brownlie, Principles of Public International Law, S. 602; Köck, Vertragsinterpretation, S. 20, S. 69–70; Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 382. 382 Vgl. dazu nur Bernhardt, Interpretation in International Law, EPIL, Bd. 2, S. 1418.

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sätzen zum Ausdruck bringt, sollen in einer „single combined operation“ angewendet werden.383 Daran wird – in der Form einer verbindlichen Rechtsnorm – auch deutlich, dass Auslegung im Sinne der WVK kein schematisches, unflexibles Vorgehen ist, das sich an klar abgestufte und definierte Methoden klammert. Das Auslegungsergebnis wird vielmehr aus einer Vielzahl interagierender Aspekte384 gewonnen. Insofern trägt die WVK gerade zu einem mehr an Rechtssicherheit bei, wenn sie in verbindlicher Weise eine Bewertung der Relevanz der in Betracht zu ziehenden Informationen und Methoden vornimmt. In diesem Sinne klärt Art. 32 eine wichtige Frage bereits mit dem Titel: die bereits erwähnten travaux préparatoires sind (bloß) „Ergänzende Auslegungsmittel“. Artt. 31 und 32 werden bei der Auslegung gemeinsam herangezogen;385 auf die ergänzenden Auslegungsmittel kann jedoch nur unter den von Art. 32 beschriebenen Umständen zurückgegriffen werden. Nach allgemeiner Ansicht kommt in der WVK die Entscheidung für den objektiven Ansatz bei der Auslegung zum Ausdruck. In den Worten Brownlies, „what matters is the intention of the parties as expressed in the text“386. Bei unseren Vorüberlegungen387 waren wir ja zu der Einsicht gelangt, dass ausgehend vom Konsensprinzip eben jener Konsens seinen Ausdruck in dem Vertragstext finde und daher gewollt sei, was erklärt sei.388 Insofern findet die Maxime Vattels („ein klarer Wortlaut bedarf keiner Auslegung“)389 auch eine Rechtfertigung vor dem Hintergrund der Geltung des Völkerrechts: Ist der Wortlaut klar, haben die Staaten genau das Gesagte gewollt. In diesem Sinne äußert sich auch der Internationale Gerichtshof.390 Andererseits rührt Uneinigkeit über den Bedeutungsgehalt einer Norm gerade aus einem dann offensichtlich nicht klaren Wortlaut.391 Gemäß Art. 31 Abs. 1 WVK ist ein Vertrag auszulegen „nach Treu und Glauben (good faith) in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Be383 Waldock, Yearbook of the International Law Commission, 1966, Vol. II, S. 219, para. 8. 384 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 603. 385 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 603. 386 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 602 (Herv. im Original). 387 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 1. 388 Gast, Juristische Rhetorik, Rn. 146, schreibt denn auch, der „ ‚Wille‘ des Urhebers aber, der im Gesetz ‚objektiviert‘ sei: er ist nichts anderes als der Inhalt des Gesetzes“; s. auch unten bei Fn. 414. 389 Vattel, Le droit des gens ou Principes de la loi naturelle, 2. Buch, § 263 (von 1758). 390 Competence of the General Assembly for the admission of a State to the United Nations-Fall, ICJ Reports 1950, S. 8. 391 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 8.

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stimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung (in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context) und im Lichte seines Zieles und Zweckes (in the light of its object and purpose)“. In diesem Satz sind die klassischen Methoden der Wortlautauslegung, der systematischen Auslegung und der teleologischen Auslegung enthalten; das Vorgehen nach der Methode der historischen Auslegung findet sich als Ergänzung erst in Art. 32. Stets zu vergegenwärtigen ist, dass Artt. 31 und 32 und damit die in ihnen enthaltenen Auslegungsmethoden dem Ziel dienen, den Bedeutungsgehalt des Textes (des Vertrages) zu ermitteln. Ausgangsort aller Überlegungen der Auslegung ist daher stets der Vertragstext. b) Treu und Glauben (good faith) Treu und Glauben ist nach der WVK nicht nur für die Auslegung der Verträge wichtig, sondern für deren Einhaltung und Anwendung von zentraler Bedeutung; unter der Bezeichnung bona fides ist der Grundsatz von Treu und Glauben als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Völkerrechts anerkannt392. Nach Art. 26 WVK („pacta sunt servanda“) ist ein Vertrag von den Vertragsparteien „nach Treu und Glauben“ zu erfüllen. Die Erfüllung eines Vertrages hängt an dessen Auslegung, und insofern sind beide Ebenen eng miteinander verwoben.393 Wenn Dritte oder zur Auslegung berufene Gerichte einen Vertrag auslegen, findet auf sie Art. 26 WVK zwar keine direkte Anwendung; jedoch ist es ihre Aufgabe, sich bei der Auslegung von dem Gedanken von Treu und Glauben lenken zu lassen.394 Der Gedanke von Treu und Glauben lässt sich nicht trennscharf von dem Gedanken der Billigkeit (equity395) unterscheiden. Eine Auslegung nach Treu und Glauben fordert jedenfalls, dass keine sinnwidrigen, unvernünftigen oder rechtsmissbräuchlichen Ergebnisse angestrebt werden sollen.396

392 Die UN-Charta nennt ihn als Grundsatz in Art. 2 an zweiter Stelle. Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 46–48 (§§ 60–63), S. 280 (§ 459), S. 365 (§ 578), S. 383 (§ 601). 393 Yasseen, L’Interprétation des traités d’après le Convention de Vienne sur le Droit des Traités, 151 Récueil des Cours (1976-III), S. 20. 394 Yasseen, L’Interprétation des traités d’après le Convention de Vienne sur le Droit des Traités, 151 Récueil des Cours (1976-III), S. 22. 395 Unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 3. d). 396 Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 120; Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht, S. 281 (§ 461).

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c) Wortlautauslegung Zunächst sollen alle Worte in ihrer gewöhnlichen Bedeutung verstanden werden; diese „gewöhnliche Bedeutung“ des Wortes ist jene, welche zu der Zeit des Vertragsschlusses vorherrschte397, wobei die jeweilige (völkerrechtliche) Fachsprache die „gewöhnliche Bedeutung“ (mit)bestimmt398. Dabei ist Art. 31 Abs. 4 WVK zu beachten, wonach ein Wort eine besondere Bedeutung hat, wenn festgestellt werden kann (auch dies setzt einen Vorgang der Auslegung voraus), dass die Vertragsstaaten dies beabsichtigt haben;399 in Frage kommen insofern insbesondere Definitionen. d) Systematische Auslegung Die Bedeutung der Worte folgt (auch) aus ihrem Zusammenhang (context). Demnach sind die Worte oder Bestimmungen nicht isoliert auszulegen, sondern „integriert“400 unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie stehen.401 Was zu dem Zusammenhang zählt und welche Voraussetzungen für Dokumente gelten, die anlässlich des Vertragsschlusses eingebracht wurden, nennt die WVK in Art. 31 Abs. 2. Abs. 3 nennt weitere Aspekte, die neben dem Zusammenhang zu berücksichtigen sind. Dazu gehört auch (Art. 31 Abs. 3 lit. (c) WVK) das sonstige Völkerrecht, das zwischen den Vertragsstaaten in Bezug auf den auszulegenden Vertrag Anwendung findet.402 e) Teleologische Auslegung Die Auslegung des Vertragstextes erfolgt schließlich „im Lichte seines Zieles und Zweckes“ (Art. 31 Abs. 1 am Ende WVK), also gemäß teleolo397 Zur sog. „dynamischen Interpretation“ unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 3. a). 398 Vgl. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 175–183 m. w. N. 399 Bedeutung soll dem Abs. 4 zukommen, weil er die Beweislast der Partei auferlege, die eine besondere Bedeutung des Wortes behaupte, vgl. Yearbook of the International Law Commission, 1966, Vol. II, S. 222, para. 17; Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 126. 400 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 604. 401 Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 121, 127–130, jew. m. w. N. 402 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 8: „Auffangbestimmung“. Zur Bedeutung der Absätze 2 und 3 für eine sog. „dynamische“ Auslegung siehe unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 3. a). Zu einem gewohnheitsrechtskonformen Verständnis des Römischen Statuts unten Zweiter Teil, Drittes Kapitel, III.

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gischer Auslegung. Dieser Begriff trifft in der Völkerrechtslehre auf Zurückhaltung und wird gelegentlich von Warnungen begleitet, dem Richter würde es so möglich, Zwecke in den Vertrag gleichsam hineinzuinterpretieren, die so von den Vertragsstaaten tatsächlich nicht gewollt seien.403 Diese Zurückhaltung ist, wie in unseren Vorüberlegungen bereits angedeutet404, dem Grunde nach gerechtfertigt. Löst man sich aber von einer isolierten Bewertung „des“ teleologischen Ansatzes und setzt sich mit der WVK auseinander, so wird deutlich, dass Ziel und Zweck des Vertrages aus diesem selbst sowie seinem Zusammenhang (s. o.) zu erfragen sind.405 Insofern setzt eine Auslegung einer in einem völkerrechtlichen Vertrag enthaltenen Rechtsnorm „im Lichte seines [des Vertrages] Zieles und Zweckes“ eine Ermittlung eben jener Ziele und Zwecke voraus. Da es mit dem Konsensprinzip und dem auf ihrer Grundlage stehenden objektiven Auslegungsansatz, wie er in der WVK seinen Ausdruck findet, nicht vereinbar ist, mit Unterstellungen oder Mutmaßungen zu operieren, müssen Ziel und Zweck im Vertrag(swortlaut) zum Ausdruck kommen. Andernfalls wäre es nicht mehr möglich, nachvollziehbar zwischen dem Vertrag als Ausdruck des Konsenses der Vertragsstaaten und einem in sonstiger Weise ausgedrückten Staatenwillen406 zu unterscheiden. Mit anderen Worten, objektiver und subjektiver Ansatz würden vermischt und die Aussage des Vertrags diffus.407 Sofern sich die Vertragsparteien uneinig sind über Ziel und Zweck des von ihnen abgeschlossenen Vertrages, so kann es ohnehin keine feststellbaren gemeinsamen Absichten geben außer jener, welche in dem Vertrag Ausdruck finden.408 f) Historische Auslegung Die Umstände des Vertragsschlusses409 sowie die vorbereitenden Arbeiten (travaux préparatoires) können als ergänzende Auslegungsmittel gemäß 403 So etwa Brownlie, Principles of Public International Law, S. 607; Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 131. 404 Oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 1. 405 Dazu Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 118, 127, 130–135. 406 Heintschel von Heinegg weist zutreffend darauf hin, dass es unerheblich ist, ob der „anderweitig ergründete Parteiwillen“ „tatsächlich“ bestehe oder nur unterstellt oder gemutmaßt werde. In: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 15. 407 Ähnlich Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 10, 15. 408 Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 131. 409 Dazu zählt unter anderem der (weitere) geschichtliche Hintergrund des Vertragsschlusses, vgl. Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 141.

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Art. 32 WVK herangezogen werden. Die Berücksichtigung der travaux préparatoires scheint für die Lehre teilweise auch so etwas wie der Lackmustest für die konsistente Umsetzung des objektiven Ansatzes zu sein;410 die WVK stellt hier klar, dass der Ausgangsort der Überlegungen jedenfalls nicht die travaux sein können, denn sie werden als (bloß) ergänzende Auslegungsmittel beschrieben. Art. 32 WVK formuliert auch die Bedingungen, unter denen historische Gegebenheiten Berücksichtigung finden können („recourse may be had . . .“). Zum einen können die ergänzenden Auslegungsmittel zur Bestätigung des Auslegungsergebnisses herangezogen werden; zum anderen zur Bestimmung der Bedeutung, wenn die Auslegung im Sinne von Art. 31 WVK Unklarheiten übrig gelassen hat oder zu einem „offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt“. Daraus ergibt sich auch, dass der Auslegungsvorgang im Sinne von Art. 31 WVK abgeschlossen sein muss, bevor die ergänzenden Auslegungsmittel herangezogen werden können.411 Wenn schon eine Auseinandersetzung mit dem Vertrag selbst keinen Erkenntnisfortschritt hinsichtlich des von den Staaten Gewollten bringt, wäre es ohnehin zweifelhaft, ob die travaux diesen erreichen können.412 Wie Verdross und Simma schließlich deutlich formulieren, erlaubt eine „bloß wenig befriedigende Auslegung des Vertragstextes nicht[,] von ihm abzugehen“.413 Ähnlich wie zur teleologischen Auslegung finden sich auch zur historischen Auslegung Äußerungen in der Lehre, die zur Zurückhaltung mahnen und darauf hinweisen, dass der Gebrauch der travaux vom textuellen Ansatz ablenken könne und schließlich das vorbereitenden Material nicht unbedingt vollständig sei.414 Schließlich müsse das vorbereitende Material von allen Vertragsstaaten verfasst beziehungsweise – das gelte auch für später beitretende Staaten, denen das Material zugänglich gemacht worden sei – angenommen worden sein.415 Letzteres auch hinsichtlich der „Umstände 410 Vgl. Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 116: „touchstone“. 411 So Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 18. 412 Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 116, 142. 413 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 493 (§ 779). 414 Vgl. Brownlie, Principles of Public International Law, S. 606; Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 142; vgl. auch Gast, Juristische Rhetorik, Rn. 231, wonach das sytematische Argument dem entstehungsgeschichtlichen vorgehe, wenn der gesetzliche Kontext jünger sei als der historische Stoff. 415 Hieran zeigt sich wieder die Bedeutung des Konsenses der Vertragsstaaten. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 18 mit Verweis auf den Ständigen Internationalen Gerichtshof im Europäische-Donau-Kommission-Fall, PCIJ Series B, No. 14 (1927), S. 32; Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 144 mit Verweis auf die Young Loan-Schlichtung, 59 ILR (1980), S. 544; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 493–494 (Fn. 8).

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des Vertragsabschlusses“ (Art. 32 WVK) vorauszusetzen, bedürfte einer Abwandlung dahingehend, dass in die Auslegung nur allgemein bekannte Umstände miteinbezogen werden können; dies entspricht dem Erfordernis der Zugänglichkeit des vorbereitenden Materials. Nach alledem verhält sich auch die internationale Rechtsprechung gegenüber den „ergänzenden Auslegungsmitteln“, namentlich insbesondere den travaux préparatoires, eher zurückhaltend.416 Was das Römische Statut angeht, gibt es zwar eine große Menge an Material zu den Entwürfen sowie eine Sammlung vieler der in die Verhandlungen eingebrachten Dokumente,417 jedoch keine offiziellen Protokolle über die Verhandlungen in Rom,418 so dass der Rückgriff auf vorbereitendes Material sowie die Umstände des Vertragsschlusses nur mit großer Zurückhaltung erfolgen kann. 3. Weitere Auslegungsregeln Neben den von der WVK kodifizierten Auslegungsregeln sind weitere denkbar, die sich in der Praxis gezeigt haben, oder die aus Erwägungen der Logik folgen.419 Sie haben nur Geltung, sofern dies von den Vertragsparteien qua Konsens angestrebt wurde,420 oder sofern sie als Hilfsmittel notwendig werden, „um zu einer vernünftigen Auslegung zu gelangen“, haben „also keine eigenständige Bedeutung“421. a) Dynamische Auslegung Art. 31 Abs. 3 WVK öffnet die Auslegung über den Vertragstext und den weiteren Zusammenhang (gemäß Abs. 2) hinaus für die Berücksichtigung „in gleicher Weise“ von späteren Übereinkünften und Übungen der Parteien sowie der anwendbaren einschlägigen Völkerrechtssätze. Dadurch wird es jedenfalls dem Grunde nach möglich, das Verständnis der Bestimmungen 416

Vgl. m. w. N. Brownlie, Principles of Public International Law, S. 606. Nunmehr über die enorme Datenbank des Gerichtshofs, genannt Legal Tools, online zugänglich: http://www.icc-cpi.int/legaltools. 418 Vgl. Lee, The International Criminal Court – The Making of the Rome Statute, S. vii. 419 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 19–20. 420 Vgl. Vitzthum, Völkerrecht, S. 61, Rn. 124; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 495–496 (§ 781). Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 16 hingegen hält einige „auslegungsrechtliche Grundsätze“ für „zu völkergewohnheitsrechtlichen Grundsätzen verfestigt“. 421 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 495–496 (§ 781). 417

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eines Vertrages harmonischer an den aktuellen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten auszurichten.422 Vor dem Hintergrund der Überlegung, dass die „gewöhnliche Bedeutung“ der auszulegenden Bestimmungen auch von dem jeweiligen zeitlichen Kontext abhängen kann und so selbst bei der an und für sich wenig komplizierten Methode der Wortlautauslegung die Frage der (zeitlichen) Perspektive der Betrachtung beantwortet werden muss, hat sich eine Ansicht herausgebildet, die für eine dynamische Vertragsauslegung plädiert. Voraussetzung für eine „dynamische“ Auslegung eines Begriffes ist stets, dass dieser einem wandelbaren Verständnis überhaupt zugänglich ist.423 Bereits dafür bedarf es der Auslegung, wobei insbesondere Ziel und Zweck des Vertrages eine wesentliche Rolle spielen können.424 Da sich der Konsens der Vertragsstaaten in dem Vertragstext ausdrückt, spricht viel dafür, dass die „übliche Bedeutung“ eines Begriffes regelmäßig jene ist, die den Staaten zur Zeit des Vertragsschlusses geläufig war.425 Als Grundüberlegung gilt dies entsprechend auch für das anwendbare einschlägige Völkerrecht; eine Vertragsbestimmung ist auch vor dem Hintergrund des zur Zeit des Vertragsschlusses geltenden Rechts auszulegen.426 Andererseits kann sich das zwischen den Parteien anwendbare Recht im Laufe der Zeit ändern; neue Regeln des Gewohnheitsrechts können entstanden sein oder ältere modifiziert haben. Insofern hängt es auch hier insbesondere von Ziel und Zweck des Vertrages sowie der auszulegenden Bestimmung selbst ab, inwieweit das Recht außerhalb des Vertrages die Auslegung desselben beeinflussen kann. Sofern sich neue rechtliche Konzepte entwickelt haben, die die Vertragsstaaten beim Abschluss des Vertrages noch nicht haben voraussehen können,427 ist es zweifelhaft, ob sie zur Aufklärung des Bedeutungsgehaltes der auszulegenden Rechtsnorm beitragen können, ohne diese im Sinne des neuen Konzeptes zu ändern. Eine Änderung des Vertrages bzw. seines Bedeutungsgehaltes bleibt stets den Vertragsstaaten vorbehalten,428 wobei eine 422 Eine andere, teilweise verwandte Frage ist die nach dem sog. intertemporalen Recht. Dazu etwa Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 416 (§ 649). 423 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 21; Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht, S. 497–498 (§ 782). 424 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 498–499 (§ 782) nennen hier ausdrücklich Verträge zum Schutz der Menschenrechte. 425 Im Ergebnis auch Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 6. 426 Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 139–140. Zum Römischen Statut unten Zweiter Teil, Drittes Kapitel, III. 427 So Richter Carneiro in seinem (dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs im Ergebnis zustimmenden) Sondervotum im Minquiers and Ecrehos-Fall (ICJ Reports 1953, S. 91).

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Modifikation des Vertrages auch durch eine entsprechende einvernehmliche Praxis geschehen kann. Dies wäre dann aber streng genommen kein Fall für eine Auslegung unter Berücksichtigung des zwischen den Staaten anwendbaren Rechts (Art. 31 Abs. 3 lit. (c) WVK), sondern einer der Berücksichtigung einer späteren Übung [lit. (b)] oder Übereinkunft [lit. (a)]. Insgesamt ist dem Ansatz einer „dynamischen“ Auslegung mit Zurückhaltung zu begegnen,429 wenn nicht der Vertrag selbst entsprechende Hinweise gibt. b) Restriktive Auslegung Vor dem Hintergrund der Souveränität der Staaten und dem daraus folgenden Erfordernis der Zustimmung zu vertragsvölkerrechtlichen Bindungen könnte man die Ansicht vertreten, Verträge seien grundsätzlich restriktiv auszulegen, sog. in dubio mitius.430 In der WVK findet sich keine korrespondierende Vorschrift,431 und auch die Lehre räumt diesem Ansatz nur geringen Raum ein. Auf den ersten Blick erscheint der Ansatz einer restriktiven Auslegung gerade wegen des Konsensprinzips geboten: Wenn nicht sicher ist, in welchem Ausmaß sich ein Staat Bindungen hat unterwerfen wollen, müsste man konsequenterweise von dem geringsten Ausmaß, das sich feststellen lasse, ausgehen. Entscheidend spricht dagegen jedoch der Gedanke, dass ein völkerrechtlicher Vertrag stets von zwei oder mehr Partnern abgeschlossen wird; würde aus Unsicherheit über das Ausmaß der Pflichten des einen Staates das Ausmaß der Vorteile eines anderen Staates beschnitten, liefe dies an entscheidender Stelle dem Konsensprinzip zuwider. Immerhin kann sich auch der andere Staat in Erwartung von Vorteilen selbst Pflichten unterworfen haben. Diese blieben ohne Gegenleistung, sofern die erwarteten Vorteile wegen einer restriktiven Auslegung entfielen. Der Konsens der Staaten bezieht sich schließlich auf den gesamten Vertrag432, so dass alle Pflichten und Vorteile 428

Siehe Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 140. Vitzthum, Völkerrecht, S. 60, Fn. 295: grundsätzlich Auslegung nach der Bedeutung der Bestimmungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. 430 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 288, relativiert die Bedeutung von Souveränität, wenn er schreibt, „everything depends on the context, the intention of the parties, and the relevance of other, countervailing principles, such as effectiveness“. 431 Die allein ist für Bernhardt, Interpretation in International Law, EPIL, S. 1419, Grund genug, die allgemeine Geltung dieses Ansatzes abzulehnen. 432 Jedoch können Staaten Vorbehalte zu einem Vertrag erklären und so die Geltung einer oder mehrerer Bestimmungen für sich einseitig, also ohne dass es prinzipiell der Zustimmung der anderen Vertragsstaaten bedarf (h. M. und die WVK) ausschließen oder ändern, vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. (d) WVK. Es kommt auf die mit der Erklärung beabsichtigte Wirkung an; sofern keine Änderung beabsichtigt ist, liegt 429

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miteinander zusammenhängen.433 Der Ansatz einer restriktiven Auslegung von Verträgen ist insofern nicht geeignet, als Prinzip Bestandteil des stets zu beachtenden Kanons von Auslegungsregeln des Völkerrechts zu sein.434 Im Zusammenhang mit dem Erfordernis einer Auslegung nach Treu und Glauben hat der Gedanke jedoch insofern seine Berechtigung, als er hier zur Mäßigung bei der Auslegung aufruft, denn nicht jedes Auslegungsergebnis, das sich irgendwie im Wortlaut verankern ließe, entspricht auch dem Ziel und Zweck des Vertrages und dem Prinzip von Treu und Glauben.435 c) Effet utile Als weiterer Auslegungsgrundsatz wird oft der Effektivitätsgrundsatz (effet utile, effective interpretation, ut res magis valeat quam pereat) genannt. Demnach solle bei der Auslegung angestrebt werden, Gestaltungsziel und Regelungszweck des Vertrages bestmöglich in der Anwendung zum Ausdruck kommen zu lassen436 bzw. den Vertrag nicht seiner vollen Wirksamkeit zu berauben437. Über die allgemeine Gültigkeit dieses Grundsatzes besteht keine Einigkeit.438 Der Gedanke, dass den Bestimmungen eines Vertrages auch eine praktische Wirksamkeit zukommen müsse, lässt sich jedenfalls auch innerhalb des (anerkannten) Grundsatzes der Auslegung nach Treu und Glauben verankern.439 Andererseits gibt es auch in völkerrechtlichen Verträgen genug Beispiele für sog. „dilatorische Formelkompromisse“440, bei denen der diplomatische Ansatz, Streitfragen durch weite Formulierungen aufzuschieben,441 durchaus Anlass dafür gibt, daran zu zweifeln, ob überhaupt eine praktische Wirksamkeit eines solchen Formelkein rechtlich wirksamer Vorbehalt vor. Vgl. dazu Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 14. Zu Art. 120 des Römischen Statuts unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 3. e). 433 Dazu McNair, The Law of Treaties, S. 754, 765; zum Gedanken der Reziprozität Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 48–51 (§§ 64–67), S. 478–480 (§§ 753–754). 434 Bernhardt, Interpretation in International Law, EPIL, S. 1421. 435 Ähnlich Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 20 am Ende. 436 So Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 16: „völkergewohnheitsrechtlicher Grundsatz“. 437 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 494–495 (§§ 780, 781): „keine allgemeine Gültigkeit“. 438 Vgl. Fn. 436, 437. 439 So auch die International Law Commission, Yearbook 1966, Vol. II, S. 219, para 6. 440 Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 32. 441 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 481–482 (§ 756).

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kompromisses angestrebt wurde.442 Insofern hängt es auch hier wieder von dem jeweils auszulegenden Vertrag und dessen Bestimmungen ab, inwieweit bei der Auslegung der Gedanke des effet utile zum Tragen kommen soll. Eine Auslegung, die unter Hinweis auf den Effektivitätsgrundsatz den Bedeutungsgehalt des Vertrags verändert, verbietet sich ohnehin;443 dies steht nur den Vertragsstaaten selbst zu, wenn sie einvernehmlich handeln. d) Billigkeit (Equity) Die Völkerrechtslehre unterscheidet drei Ebenen, auf denen das Prinzip der Billigkeit zum Ausdruck kommen kann: intra legem, praeter legem, contra legem.444 Sofern Billigkeit als Allgemeiner Rechtsgrundsatz des Völkerrechts anerkannt wird, entspricht er der Billigkeit intra legem.445 Letztlich drückt sich der Gedanke der Billigkeit intra legem bei der Auslegung von Verträgen darin aus, dass jene Auslegung zu wählen ist, die unter Berücksichtigung aller Umstände die gerechteste446 Lösung ergibt. Auf die sozio-politische Ebene überführt, kommt in dem Gedanken der Billigkeit der Charakter des Völkerrechts als Koordinations(rechts)ordnung zum Ausdruck.

442 Zum dilatorischen Formelkompromiss und der Frage nach dem Bedeutungsgehalt Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 161, 227, 260–270. Anhand Fastenraths Formulierung, die Funktion von Lücken liege darin, der Politik Raum zu geben, wird auch deutlich, dass dies gerade nicht die Domäne der Rechtsauslegenden, insbesondere der Gerichte ist. Dem Verhalten der Vertragsstaaten nach Vertragsabschluß wird eine wesentliche Bedeutung zukommen, wenn es darum geht, den Bedeutungsgehalt eines solchen Kompromisses zu entschlüsseln; vgl. Verdross/ Simma, Universelles Völkerrecht, S. 482 (§ 756). 443 Schabas, Perverse Effects of the Nulla Poena Principle, 11 EJIL (2000), S. 529, verneint im Ergebnis, dass eine am effet utile orientierte Auslegung die „kontextuellen und teleologischen Herangehensweisen“ sowie die Regel der strict construction von Strafrecht überwiegen könne. Er sieht hier zutreffend das „gefährliche Abenteuer“ richterlichen Erfindungsgeistes. Als Beispiel führt er die erstinstanzliche Entscheidung in der Sache Erdemovic – zu der Rechtsmittelentscheidung unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 1. b) (2) – an, bei der er einen durch effet utile hervorgerufenen „offenkundigen Widerspruch“ von ICTY-Statut und Rechtsprechung ausmacht (S. 530). 444 Janis, Equity in International Law, EPIL, Bd. 2, S. 109. 445 Janis, Equity in International Law, EPIL, Bd. 2, S. 110; s. auch Fn. 451. 446 Bei Brownlie, Principles of Public International Law, S. 25, drückt sich die Schwierigkeit, dem Begriff equity einen genauer erfassbaren Gehalt zu geben, darin aus, dass er einleitet mit „ ‚Equity‘ is used here in the sense of consideration of fairness, reasonableness, and policy often necessary for the sensible application of the more settled rules of the law“.

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4. „Lücke“447, Analogie und Konkretisierung Erkennen wir innerhalb des Gefüges eines völkerrechtlichen Vertrages eine Konstellation, die nicht von dem Regelungsbereich des Vertrages erfasst ist, also einen vertraglich ungeregelten Tatbestand, so können wir versuchen, diesen mittels einer gewohnheitsrechtlich geltenden Norm zu erfassen.448 Voraussetzung dafür ist, dass es eine entsprechende Norm des Gewohnheitsrechts überhaupt gibt. Sofern eine solche Norm nicht auffindbar ist, also ein insgesamt ungeregelter Tatbestand auftaucht, liegt der Gedanke nahe, eine solche „Lücke“ mittels Analogie zu schließen. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass diese „Lücke“ nicht beabsichtigt war,449 denn dann würde das Schließen der „Lücke“ dem von den Staaten konsentierten Recht jedenfalls zuwiderlaufen. Halten wir jedoch den Konsens der Staaten für das entscheidende Moment bei der Feststellung des geltenden Völkerrechts, so bedarf auch ein im Wege der Analogie gefundenes Ergebnis eines dieses tragenden Konsenses. Lässt sich ein solcher nicht nachweisen, besteht ein non liquet, denn die Analogie fragt danach, was die Parteien vereinbart hätten: eine Hypothese spiegelt jedoch keinen tatsächlichen Konsens wider – und ohne Konsens kein Völkerrecht.450 Ein derartiger, unbefriedigender Befund ist letztlich hinzunehmen, wenn nicht der Auslegende das von den Staaten konsentierte rechtliche Gefüge verändern will (was er nicht darf, es sei denn, er ist hierzu berufen451).452 Von der Analogie zu unterscheiden ist die Konkretisierung einer Rechtsnorm im Wege der Auslegung, bei der die Norm „zu Ende zu denken“ ist (auch wenn dieses Vorgehen teilweise als Analogie bezeichnet wird453).454 447

Monografisch Fastenrath, Lücken im Völkerrecht. Teilweise enthalten völkerrechtliche Verträge aber auch Bestimmungen, die die Analogie ausdrücklich anordnen. Beispiele sind Art. 12 der UNESCO-Satzung und Art. 68 des IGH-Statuts. Das Römische Statut enthält keine entsprechende Bestimmung. Art. 22 Abs. 2 enthält ein Analogieverbot; dazu unten Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. 449 Dazu Delbrück, in: Dahm, Völkerrecht, S. 80. 450 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 19, Rn. 5–8; a. A. Delbrück, in: Dahm, Völkerrecht, S. 82: ein internationales Gericht sei immer zu einer positiven oder negativen Entscheidung imstande. Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 271 ff., insbesondere S. 283, schreibt hierzu zutreffend, dass an sich ein non liquet auszusprechen sei, sich dies aber „formal durch eine Klagabweisung als unbegründet kaschieren“ ließe. 451 Art. 38 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes gibt diesem die Möglichkeit, ex aequo et bono zu entscheiden, sofern die streitenden Parteien dem zustimmen; dies ist ein Fall für die Billigkeit contra bzw. praeter legem. 452 „It is the duty of the Court to interpret the Treaties, not to revise them“, so der Internationale Gerichtshof im Interpretation of Peace Treaties with Bulgaria, Hungary, and Romania (Second Phase)-Fall, ICJ Reports 1950, S. 229. 448

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Entscheidend ist hierbei, dass es – bildlich gesprochen – um die Weite des Anwendungsbereichs einer Norm geht und nicht um eine „Lücke“ zwischen Normen. Erst wenn die Konkretisierung kein Ergebnis bringt, kann eine „Lücke“ festgestellt werden. II. Die innere Seite: Die Auslegung des Römischen Statuts Die Auslegungsregeln des Völkerrechts sind grundsätzlich dispositiv. Im Folgenden nachzugehen ist daher der Frage, ob und inwiefern sie durch die Regeln des Römischen Statuts modifiziert oder ergänzt werden. Dabei ist der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege eines der meistgenannten strafrechtlichen Prinzipien. Eine ausdrückliche Auslegungsbestimmung findet sich im Römischen Statut in Art. 22, der mit „Nullum crimen sine lege“ überschrieben ist. Art. 23 wiederum, der den Titel „Nulla poena sine lege“ trägt, nennt die Auslegung nicht ausdrücklich. Nachdem wir die allgemeine Auslegungs- und Anwendungsregel des Art. 21 Abs. 3 besprochen haben, wenden wir uns den Artt. 22, 23 zu. Abschließend behandeln wir weitere Vorschriften, die für eine Auslegung, die die Ermittlung des Verbrechensbegriffs zum Ziel hat, relevant sein können. 1. Die allgemeine Auslegungs- und Anwendungsregel von Art. 21 Abs. 3 a) Vereinbarkeitsgebot und vollständiges Diskriminierungsverbot Art. 21 Abs. 3455 ist als „allgemeiner Vereinbarkeitstest“ mit dem „Verbot benachteiligender Unterscheidung“456 oder als „allgemeine Auslegungs- und Anwendungsregel“457 bezeichnet worden.458 Demnach müssen Anwendung und Auslegung des vom Gerichtshof anwendbaren Rechts „mit den international anerkannten Menschenrechten vereinbar“ sein, und es darf sich keine „benachteiligende Unterscheidung“ aufgrund einzelner Merkmale ergeben.459 453

Delbrück, in: Dahm, Völkerrecht, S. 81. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 5. 455 Zu Art. 21 Abs. 1 vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 456 Saland, in: Lee, The Making of the Rome Statute, S. 214, S. 215: „general consistency test“; „prohibition on adverse distinction“. 457 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 178. 458 Zum Kontext des umstrittenen Merkmals „gender“ (Artt. 7 Abs. 1 lit. (h), 3; 21 Abs. 3) vgl. Askin, Crimes within the Jurisdiction of the International Criminal Court, 10 CLF (1999), S. 47 ff. 459 Art. 21 Abs. 3. 454

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Gegenstand von Art. 21 Abs. 3 ist zum einen die Vereinbarkeit mit den Menschenrechten und zum anderen das Verbot der benachteiligenden Unterscheidung.460 Beabsichtigt war, den Gerichtshof zu einer „skrupulösen“ Einhaltung der Menschenrechte anzuhalten.461 Was die Aufzählung der einzelnen Merkmale angeht, ist bemerkt worden, diese wären im Grunde unnötig, weil die Diskriminierungsverbote ohnehin Teil der Menschenrechte seien.462 Woraus sich die vom Gerichtshof zu beachtenden Menschenrechte ergeben, und welchen Inhalt sie über die genannten Diskriminierungsverbote hinaus haben, sagt das Statut nicht.463 Auf der Konferenz in Rom war der Artikel als solcher nicht umstritten; streitig war hingegen, ob dem ersten Satzteil die Aufzählung der einzelnen Merkmale nachfolgen sollte.464 Auch wenn der zweite Satzteil eine größere Menge an Merkmalen nennt, so ist die Aufzählung nicht erschöpfend oder unzweifelhaft; so weist Pellet auf das Fehlen des Merkmals der sexuellen Präferenz hin sowie auf die mögliche Problematik, die durch die Nennung der „politischen oder sonstigen Anschauung“ entstehen kann.465 Andererseits spricht Abs. 3 im zweiten Satzteil nur von einer verbotenen „benachteiligenden Unterscheidung etwa aufgrund des Geschlechts (. . .) oder des sonstigen Status“466. Demnach ließe sich von einer beispielhaften Aufzählung der Nichtdiskriminierungsgründe ausgehen. Insbesondere die französische Fassung des Statuts bringt zum Ausdruck („de tout qualité“), dass es darum geht, jegliche benachteiligende Unterscheidung, ungeachtet des eigentlichen Grundes, von dem Bereich der Anwendung und Auslegung des Statuts fernzuhalten.467 Die im zweiten Satzteil genannten Merkmale 460

Bei letzterem handelt es sich sachlich um nichts anderes als ein Diskriminierungsverbot. 461 McAuliffe de Guzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 23. 462 McAuliffe de Guzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 24. 463 Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1080. 464 McAuliffe de Guzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 24; Saland, in: Lee, The Making of the Rome Statute, S. 215–216. 465 Vgl. Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1081. Denkbar sei, dass ein Hinweis auf den Nichtdiskriminierungsgrund der politischen Anschauung als Ausrede für revisionistische Praktiken dienen könne. 466 In der englischen Fassung heißt es „without any adverse distinction founded on grounds such as gender (. . .) or other status“. Die französische Fassung lautet „exeptes de toute discrimination fondée sur des considérations telles que l’appartenance à l’un ou l’autre sexe (. . .) ou toute autre qualité“. In der spanischen Fassung heißt es „sin distincioìn alguna basada en motivos como el género (. . .) u otra condición“. Meine Hervorhebungen.

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sind daher nicht abschließend. Mit anderen Worten, Art. 21 Abs. 3 enthält ein vollständiges Diskriminierungsverbot.468 Pellet stellt schließlich die Frage, ob durch Art. 21 Abs. 3 eine Art „internationale Super-Legalität“ geschaffen werden sollte: Danach gehen alle international anerkannten Menschenrechte in jedem Fall dem sonstigen in Art. 21 Abs. 1 genannten Recht – unabhängig von deren Verortung auf einer der drei Hierarchiestufen – vor und machen dies im Konfliktfall unanwendbar, wenngleich nicht ungültig.469 Deren „intrinsische Übermacht“ ergebe sich nicht (formal) aus einer Rechtsquelle, sondern (materiell) aus deren Gegenstand.470 Zudem wirft er die Frage nach der Bedeutung von ius cogens auf,471 denn diese Normen stellen nicht-dispositives Völkerrecht dar, haben also auch eine Art von Super-Legalität.472 Dem ius cogens werden nach allgemeiner Ansicht aber nicht alle, sondern nur die grundlegendsten Menschenrechte zugerechnet; das Römische Statut hingegen weist allen Menschenrechten einen super-legalen Statut zu.473 Art. 21 Abs. 3 hat durch den Einbezug der Menschenrechte einen öffnenden Effekt auf das Statut, da dieses als Text vorliegt und nur in dem in den Artt. 121 bis 123 beschriebenen Verfahren geändert werden kann, die Menschenrechte als Völkerrecht außerhalb des Statuts aber einer fortschreitenden Entwicklung unterworfen sind474. Andererseits gehören die Menschen467 Dies wird durch die Entstehungsgeschichte des Absatzes unterstrichen. Ein Entwurf weist auf die Unterstützung der folgenden Formulierung hin: „The application and interpretation of the general sources of law must be consistent with international human rights standards and the progressive development thereof, which encompasses the prohibition on adverse discrimination of any kind, including discrimination based on gender.“ Demnach ging es ursprünglich um das Verbot jeglicher Diskriminierung unter Nennung eines Beispieles. Aus einem Beispiel wurde eine Vielzahl, wie sie sich nun im Statut finden. Vgl. Preparatory Committee, Report from the Inter-Sessional Meeting from 19 to 30 January in Zutphen, The Netherlands, A/AC.249/1998/L.13 (E), S. 63, Fn. 117. 468 Im Ergebnis („[T]he requirement for the complete respect of human rights in nevertheless extremely important“) ebenso Caracciolo, Applicable Law, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute of the International Criminal Court, vol. I, S. 229. 469 Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1079, S. 1081. 470 „[I]ntrinsic superiority“, Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1079. 471 Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1080–1082. 472 Zum ius cogens oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 4. 473 Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1080–1081. 474 Daran hatte die Preparatory Commission gedacht (oben Fn. 467). Dass die entsprechende Formulierung im Statut nicht erscheint, ändert an dem dynamischen Element der Menschenrechte nichts, da diese vom Gerichtshof in ihrem jeweils geltenden Umfang heranzuziehen sind, soweit sie „international anerkannt“ sind.

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rechte bereits zu dem bei der Auslegung nach allgemeinen Regeln zu beachtenden Kontext des Statuts, da sie über den ersten Absatz der Präambel, welcher auf das gemeinsame Erbe der Kulturen der Völker hinweist, mit einbezogen sind. Insofern wäre es dem Gerichtshof auch ohne Art. 21 Abs. 3 des Statuts auferlegt, die Bestimmungen des Statuts im Lichte ihrer Vereinbarkeit mit den Menschenrechten anzuwenden und auszulegen. Gleiches gilt auch für das Verbot der benachteiligenden Unterscheidung, jedenfalls soweit es die Merkmale betrifft, die vom Statut aufgezählt sind, denn dieses Verbot ist jedenfalls dem Grunde nach Bestandteil des Kataloges der „international anerkannten Menschenrechte“475. Da das Römische Statut aber eine benachteiligende Unterscheidung wegen jeglicher Eigenschaft untersagt, kann es im Einzelfall über diesen Katalog hinausgehen. Insofern ist der, wenngleich etwas umständliche, Ausspruch eines allgemeinen Verbotes benachteiligender Unterscheidung bei der Anwendung und Auslegung des vom Gerichtshof anwendbaren Rechts doch nicht „unnötig“476. Daher ist es auch gerechtfertigt, innerhalb von Art. 21 Abs. 3 in dem Vereinbarkeitsgebot und in dem vollständigen Diskriminierungsverbot (Verbot der benachteiligenden Unterscheidung) jeweils selbständige Anwendungs- und Auslegungsregeln zu sehen. b) Weltanschauliche Neutralität (1) Neutralität als Strukturprinzip Da es im Rahmen unserer Untersuchung um die Strukturprinzipien geht, erschiene es dem Grunde nach ausreichend, festzustellen, dass das Römische Statut ein Vereinbarkeitsgebot und ein vollständiges Diskriminierungsverbot für Auslegung und Anwendung enthält. Bemerkenswert ist jedoch, dass das Statut unter den Beispielen für das Verbot der benachteiligenden Unterscheidung auch „Religion oder Weltanschauung“ nennt. Wenn es um die Auslegung und Anwendung von wertungsausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen wie „angemessen“ oder „verhältnismäßig“477 geht, wird ein 475

McAuliffe de Guzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 24. 476 So McAuliffe de Guzman, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 24. 477 Wertausfüllungsbedürftige Begriffe finden sich im Statut etwa in Art. 28 lit. a) ii), lit. b) iii) (reasonable/angemessen/raisonnable); Art. 31 Abs. 1 lit. c) (reasonably/angemessen/raisonnablement; sowie proportionate/angemessen/proportionnée), lit. d) (reasonably/angemessen/raisonnable); Art. 66 Abs. 3 (reasonable/vernünftig/raisonnable); Art. 76 Abs. 1 (appropriate/angemessen/keine (!) Entsprechung in der französischen Fassung); Art. 81 Abs. 2 lit. a) (disproportion/Unver-

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wertbestimmter Bezugspunkt benötigt, an Hand dessen die Angemessenheit des konkreten Verhaltens zu bestimmen ist; gleiches gilt für die hinter den Begriffen der Rechtfertigung und Entschuldigung stehende Abwägung von Schutzgütern und innerhalb der Abwägungsdiskussion auch für die vieldiskutierte und sicher auch künftig sehr praxisrelevante Frage, ob eine Abwägung „Leben gegen Leben“ überhaupt zulässig sei, in welchen Fällen (wann), und wie eine solche Situation rechtlich zu bewerten sei. Geht es bei der Auslegung und Anwendung von wertungsausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen um die Ermittlung eines wertungsbestimmten Bezugspunktes, so ist primär das Römische Statut selbst – und damit die von ihm postulierten Werte478 – gemäß den allgemeinen Auslegungsregeln als Kontext des Begriffes heranzuziehen. Außerdem gibt das Römische Statut dem Gerichtshof mit Art. 21 den Rahmen des anwendbaren Rechts vor.479 Wie noch beispielhaft zu zeigen sein wird,480 hat sich hingegen das Jugoslawientribunal trotz der Vorgabe des Sicherheitsrates, nur die Regeln des humanitären Völkerrechts, die ohne jeden Zweifel Teil des Völkergewohnheitsrechts sind, anzuwenden,481 auch auf extralegale und politische hältnismäßigkeit/disproportion); Art. 83 Abs. 3 (disproportionate/kein Verhältnis/ disproportionnée). 478 Vgl. neben dem hier besprochenen Art. 21 Abs. 3 die Präambel sowie die in den Allgemeinen Grundsätzen (Teil 3 des Statuts) enthaltenen Wertentscheidungen. 479 Dazu im Einzelnen oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 480 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 1. b) (2). 481 „[T]he application of the principle nullum crimen sine lege requires that the international tribunal should apply rules of international humanitarian law which are beyond any doubt part of customary law (. . .)“, Report of the Secretary-General Pursuant to Paragraph 2 of Security Council Resolution 808 (1993) (vom 3. Mai 1993, S/25704), Rn. 34; diesen Report hat sich der Sicherheitsrat in Resolution 827 (1993) (vom 25. Mai 1993), die das Jugoslawientribunal einrichtet, zu eigen gemacht. Als Beobachtung ist hinzuzufügen, dass strenggenommen die Allgemeinen Rechtsgrundsätze nicht von dem Rechtsanwendungsauftrag des Sicherheitsrates erfasst sind. Vgl. auch die Synopse von Geiß/Bulinckx, International and internationalized criminal tribunals: a synopsis, 88 IRRC (2006), S. 54. Wenn Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 173 in Fn. 347 sagt, die Verfasser des ICTYStatuts hätten beabsichtigt, sich im Rahmen des Völkergewohnheitsrechts zu bewegen, sofern sie nicht ausdrücklich davon abwichen, misst er dem (verbindlichen) Auftrag des Sicherheitsrates nicht die angemessene Bedeutung zu. Diese Kritik trifft auch das grundlegende Tadic-Rechtsmittelurteil des ICTY (IT-94-1), Rn. 287 ff., auf das Werle sich bezieht. Sehr kritisch und zutreffend Bogdan, Individual Criminal Responsibility in the Execution of a „Joint Criminal Enterprise“ in the Jurisprudence of the ad hoc International Tribunal for the Former Yugoslavia, 6 ICLR (2006), S. 79 ff., S. 109 ff., S. 115 ff. zur Methode der Rechtsfindung im Tadic-Urteil.

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Argumente gestützt. Von daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass, sofern die von Art. 21 geforderten rechtsvergleichenden Untersuchungen zur Ermittlung des wertbestimmten Bezugspunktes an Hand weiterer internationaler und nationaler Rechtsnormen tatsächlich oder scheinbar nicht ausreichen, aus Sicht des Rechtsanwenders der Rückgriff auf moralische (extralegale) Kriterien nicht fern liegt.482 Nur: auf welche?483 Olásolo, A Note on the Evolution of the Principle of Legality in International Criminal Law, 18 CLF (2007), S. 312 ff., hingegen kritisiert den neueren Trend der Berufungskammer der beiden ad hoc-Tribunale, „den exklusiven Charakter des Völkergewohnheitsrechts als die für die beiden Tribunale einzige anwendbare Quelle des Völkerstrafrechts zu bekräftigen“ (meine Übersetzung). Zu Recht sieht Olásolo das geschriebene (Vertragsvölker-)Recht als geeigneter an, dem nullum crimen-Satz gerecht zu werden, und ebenso zu Recht weist er auf die Schwierigkeiten der Bestimmung des genauen Gehaltes gewohnheitsrechtlichen Völkerstrafrechts hin. Nichtdestoweniger führt an dem soweit eindeutigen Auftrag des Sicherheitsrates an die ad hoc-Tribunale, nur das Recht anzuwenden, das zweifelsfrei Gewohnheitsrecht ist, kein Weg vorbei. Schließlich zeigt Olásolo auch den von der Berufungskammer des ICTY in der Galic-Entscheidung (IT-98-29-A, vom 30. November 2006, para. 85) gewählten Ausweg auf, nämlich Vertragsvölkerrecht heranzuziehen und deren deklaratorischen Charakter als Ausdruck ohnehin gewohnheitsrechtlich geltender Normen festzustellen (S. 318–319). Zu der Frage, ob die Statuten der beiden ad hoc-Tribunale völkerrechtliche Verträge darstellen, vgl. Lister, What’s in a Name? Labels and the Statute of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, 18 LJIL (2005), S. 77 ff. Er bejaht die Frage auf Grundlage der WVK in formaler, verneint sie hingegen in materieller Hinsicht. Dabei kann man aber, anders als Lister (S. 84 ff.), schon das formale Kriterium des zwischen Staaten geschlossenen Abkommens verneinen und erspart sich einigen Begründungsaufwand. 482 (Nicht nur) Dworkin weist deutlich darauf hin, dass das Recht nicht völlig unabhängig von Moral sei; bereits die Entscheidung, wie die „ausgefransten Ränder und Lücken“ des positiven Rechts zu füllen seien, sei „im Kern moralisch“, The Judge’s New Role: Should Personal Convictions Count?, 1 JICL (2003), S. 5. Wie selbstverständlich sagt auch Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 197, grundsätzliche Prämisse des Römischen Statuts sei, dass strafrechtliche Verantwortlichkeit auf „persönlicher moralischer Strafbarkeit“ („personal moral culpability“) basiere. Van Sliedregt, Criminal Responsibility in International Law – Liability Shaped by Policy Goals and Moral Outrage, 14 EJCrCLCJ (2006), S. 103 ff., 113–114, wiederum ist sehr deutlich, wenn sie das Verbinden rechtlicher und moralischer Verantwortlichkeit „riskant“ nennt und die Gefahr irrationaler Rechtsurteile sieht. Zudem seien moralische Bewertungen noch stärker als rechtliche dem Wandel unterworfen. 483 Bereits in sprachlicher Hinsicht ist es hilfreich, zwischen politischer Moral und persönlicher Moral zu unterscheiden (vgl. etwa Dworkin, The Judge’s New Role: Should Personal Convictions Count?, 1 JICL (2003), S. 8, 11). Bei der persönlichen Moral handelt es sich um die individuellen Überzeugungen des Richters als Person; bei der politischen Moral handelt es sich um die Überzeugungen des Richters als Richter, welcher seine Entscheidungen nachvollziehbar begründen und allgemein akzeptierbar machen muss, sich also an den allgemein vorherrschenden Standards ausrichtet. Diese Unterscheidung ist insofern von großem Vorteil, um den

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Die Ermittlung des wertbestimmten Bezugspunktes wird dann regelmäßig durch den – bewussten oder unbewussten – Rückgriff auf Ethik oder Moral geschehen.484 So ist im Zusammenhang mit der rechtlichen Bewertung von (Nötigungs-)Notstandssituationen immer wieder vom „moral choice“ die Rede.485 Bereits die Frage, ob Moral, also die Lehre von den Pflichten des Blick weg von der Person des Entscheiders als vielmehr auf die wichtige Frage zu richten, welcher der allgemein vorherrschende Standard ist. Die Maßstäbe für die Gewinnung einer Antwort werden in diesem Abschnitt skizziert. Zur Rolle des Richters etwa Meron, Judicial Independence and Impartiality in International Criminal Tribunals, 99 AJIL (2005), S. 359–369; Kaufmann, Richterpersönlichkeit und richterliche Unabhängigkeit, FS-Peters, S. 295–309. Grundsätzlich auch Mastronardi, Recht und Kultur: Kulturelle Bedingtheit und universaler Anspruch des juristischen Denkens, 61 ZaöRV (2001), S. 61–83, der auf die „kulturelle Relativität des Rechts“ (S. 65) eingeht und sich mit den Dimensionen von Sollen und Sein auf die Geltung und den Inhalt der Menschenrechte bezogen auseinandersetzt. Im Ergebnis sagt er, Universalität sei nicht „gegeben“, sondern Universalisierung „aufgegeben“. Daraus folgt für unsere Fragestellung jedenfalls, dass einer behaupteten Universalität eines moralischen bzw. extralegalen Standpunktes mit Skepsis gegennüberzutreten ist. Malekian, The Concept of Islamic International Criminal Law, geht auch von dem Grundgedanken aus, dass es keine Diskriminierung auf Grund ethnischer, politischer oder religiöser Eigenschaften geben dürfe und stellt in seiner Untersuchung fest, dass sich die Grundzüge des Völkerstrafrechts und die Rechtsethik der islamischen Konzepion von Völkerstrafrecht in der Mehrheit konform seien und ähnliche Zielsetzungen besäßen (S. 2, 179). Die islamische Konzeption sei Ausdruck eines göttlichen Auftrags, während des Völkerstrafrecht Ausdruck menschlichen Willens sei (S. 36). Trennt man jedoch bereits im Ausgangspunkt der Untersuchung „das Völkerstrafrecht“ und „die islamische Konzeption von Völkerstrafrecht“, so negiert man damit jeglichen Universalitätsanspruch von Völkerstrafrecht per se. Dies führt gleichzeitig zu einer Parallelität der Rechtsordnungen, die sich allenfalls überlappen, aber nicht schneiden. Ebenso hebt dies beide Konzepte auf die gleiche Höhe und rechtfertigt so, dass ein partikulares Konzept, nämlich das islamische, nicht in dem universalen aufgehen kann. 484 Exemplarisch für dieses Begründungsmuster etwa Dinstein, Defences, in: McDonald/Swaak-Goldman, Substantive and Procedural Aspects of International Criminal Law, Vol. I, S. 375–376, dessen Argumentation zur Bewertung eines Nötigungsnotstandes, in dem der zu der Tötung Genötigte für den Fall der standhaften Weigerung seine eigene Tötung befürchten muss, damit endet, dass „[a]t that critical moment, the accused is not allowed to play God“. Bemerkenswerterweise wird hier entscheidend auf eine extralegale Größe Bezug genommen. Für das Völkerrecht vgl. etwa Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 127 ff., insbes. S. 133 und S. 282. 485 Im Urteil des Internationalen Militärtribunals heißt es, „the true test (. . .) [is] whether moral choice was in fact possible“ (Proceedings of the International Military Tribunal, Sitting at Nuremberg, Germany 1947, Teil 22, S. 466). Das moral choice-Krterium geht auf die Frage nach der rechtlichen Behandlung des Handelns auf Befehl zurück: Die in diesem Zusammenhang ursprünglich vertretenen (Extrem-)Positionen waren einerseits, dass das Handeln auf Befehl stets eine full defence darstelle und andererseits, dass stets absolute liability bestehe. Ab Mitte des

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Menschen, von objektiver Geltung oder etwas Subjektives sei, ist nicht geklärt. Bereits diese Entscheidung hängt von dem jeweiligen theologischen bzw. philosophischen Standpunkt ab, mit anderen Worten, von der Religion oder Weltanschauung. Erst recht gilt dies für den Gehalt von Moral. Greift der Anwender bzw. Interpret der Norm auf die von ihm für „richtig“ gehaltene Moral zurück, und bestimmen die Wertungen dieser Moral den Gehalt des wertungsausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffes und damit letztlich das Ergebnis der Frage, ob ein Verhalten völkerstrafrechtlich sanktioniert wird oder nicht, so könnte der Angeklagte den Einwand unzulässiger Diskriminierung erheben, sofern er auf Grund seiner Weltanschauung oder Religion zu anderen Wertungen und einem anderen Begründungsgang, möglicherweise also zu einem Strafmilderungsgrund oder einem Freispruch gekommen wäre.486 Die (unzulässige) benachteiligende Unterscheidung auf Grund von Religion oder Weltanschauung läge in der einseitigen Präferenz einer Werteordnung (Moral) über einer anderen.487 Daraus folgt: Wo das Römische Statut nicht selbst Wertungen präferiert – beispielsweise durch den Einbezug der Menschenrechte – ist es weltanschaulich neutral.488 19. Jahrhunderts stand das moral choice-Kriterium gleichsam in der Mitte zwischen beiden Extremen. Vgl. Bantekas/Nash, International Criminal Law, S. 56 ff., 58. In der heutigen Diskussion werden Nötigungsnotstand und Handeln auf Befehl getrennt und in rechtlich unterschiedlicher Weise behandelt, auch wenn der Nötigungsnotstand typischerweise in Form des Befehlsnotstandes auftritt. Hingegen schlägt Mezzetti in seinem Kommentar zum Entwurf des Römischen Statuts ausdrücklich „moral duty“ als Strafmilderungsgrund im Zusammenhang mit dem Handeln auf Befehl vor (in: Lattanzi, The International Criminal Court – Comments on the Draft Statute, S. 156) und verwischt so die Unterscheidung. Das Statut selbst trennt beide Situationen. Vgl. auch Dinstein, Defences, in: McDonald/Swaak-Goldman, Substantive and Procedural Aspects of International Criminal Law, Vol. I, S. 373; ders., The Defence of Obedience to Superior Orders, S., 152 („the expression ‚moral choice‘ itself is not conspicuous for absolute lucidity“); UN ICTY, Prosecutor v. Erdemovic, IT-96-22-A, Appeals Judgement, 7. Oktober 1997, Separate and Dissenting Opinion of Judge Stephen, Rn. 54 ff. 486 Wenn man die Frage nach dem Gehalt von Moral von der metaphysischen Ebene auf eine praktische Ebene holt, so kann man auch sagen, dass „the strength of our moral norms touching concrete conduct is an elaboration of what we judge, within our culture, with our history and experience, to be proportionate or disproportionate“ (McCormick, Ambiguity in Moral Choice, in: ders./Ramsey, Doing Evil to Achieve Good, S. 44), mit anderen Worten, was für „richtig“ gehalten wird, geht nicht unbedingt auf ein abstraktes Konzept zurück, sondern ist durch die kulturelle und soziale Wirklichkeit des Einzelnen bzw. seiner Gruppe bedingt. Insofern darf das Moment des konkret menschenmöglichen nicht außer Acht gelassen werden. 487 Eine „überzeugende“ moralische Position ist schließlich nur für den überzeugend, der sie teilt. Diese rhetorische Verstärkung hilft nicht über den Einwand hinweg, dass eine andere moralische Position einen anderen ebenso „überzeugt“ hat.

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Wie lässt sich ein Verstoß gegen diese Neutralität vermeiden, ohne ein nicht praktikables wertemäßiges non liquet zuzulassen?489 Die Lösung muss insbesondere auf den Universalitätsanspruch des Römischen Statuts490 Rücksicht nehmen. In Zusammenschau mit dem vorher besprochenen Diskriminierungsverbot lässt sich als Lösung folgendes skizzieren: Wenn es darum geht, für die Auslegung und Anwendung eines wertungsausfüllungs-bedürftigen Rechtsbegriffs einen wertmäßigen Bezugspunkt zu bestimmen, der sowohl Universalitätsanspruch, Diskriminierungsverbot sowie Praktikabilität berücksichtigt, so ist dieser im Rahmen einer vergleichenden Zusammenschau der subjektiven Wertungen einer repräsentativen Mehrzahl von Religionen und Weltanschauungen zu ermitteln. Zu vermeiden ist dabei ein Ergebnis, das sich als grundlegend inkompatibel mit den Wertungen einer oder mehrerer dieser Religionen oder Weltanschauungen erweist. Das Ergebnis muss sich daran messen lassen, ob es vor dem Hintergrund der Religionen und Weltanschauungen verallgemeinerungsfähig, das heißt, allgemein akzeptabel ist.491 Erst wenn sich aus der Zusammenschau der Mehrzahl der dargestellten Positionen eine gleichsam universale Wertung ergibt,492 kann von einer benachteiligenden Unterscheidung nicht mehr die Rede sein.493 Diese Neutralität tritt daher neben das Vereinbarkeitsgebot und das Diskriminierungsverbot. 488

Insofern kann Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 197, in ihrer – zumindest missverständlichen – Beobachtung nicht zugestimmt werden, es handele sich um eine grundsätzliche Prämisse des Statuts, dass strafrechtliche Verantwortlichkeit auf „personal moral culpability“ gründe. 489 Eine Lösung, die in den Fällen unterschiedlicher Wertmaßstäbe auf das Offenlassen der jeweiligen Frage hinausliefe, würde Grenzfragen der Auslegung schließlich nicht beantworten helfen. Damit könnte in dem zugrunde liegenden Fall nicht über die Strafbarkeit des Verhaltens des Angeklagten entschieden werden; es entstünde eine Art non liquet, welches konsequenterweise – auch um das Verfahren beenden zu können – zu einem Freispruch führen müsste. Nicht praktikabel wäre dies schon deshalb, weil ein solches Ergebnis nicht aus einer Rechts- oder Sachentscheidung entstünde, sondern gerade aus einer (selbstauferlegten) Nichtentscheidung. Dem Ziel des Statuts, „der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen und so zur Verhütung solcher Verbrechen beizutragen“ (Präambel, 5. Abs., vgl. auch 11. Abs.: dauerhafte Gewährleistung der Rechtspflege) würde dies keinesfalls gerecht. 490 Der Universalitätsanspruch kommt in der Präambel und in Artt. 1; 5 Abs. 1; 13 lit. b) zum Ausdruck. 491 Prägnant zu Position und Einfluss der betont neutralen Haltung Grotius’ vor dem Hintergrund der großen religiös motivierten Konflikte Weeramantry, in: Janis/ Evans, Religion in International Law, S. ix-x. 492 Zur parallelen und, wie bereits gesagt, vorgeordneten, Vorgehensweise bei der Rechtsfindung im Rahmen von Art. 21 siehe Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 493 Im Zusammenhang mit der Bestimmung des Gehalts von Völkergewohnheitsrecht versteht Roberts „Moral“ als „allgemein vertretene subjektive Werte über Ta-

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(2) Praktische Relevanz von Neutralität – der Erdemovic-Fall Ein Beispiel für die Bedeutung, die dem Umgang mit „Moral“ bei der Auslegung und Anwendung von Völkerstrafrecht zukommt,494 ist die berühmte Rechtsmittelentscheidung des Jugoslawientribunals im Fall Erdemovic.495 Erdemovic, einem Soldat der bosnischen serbischen Armee, wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder, als alternativer Anklagepunkt, Kriegsverbrechen zu Last gelegt. Er hatte nach eigener Aussage auf Grund Befehls etwa siebzig muslimische Männer und Jungen erschossen. Ursprünglich habe er sich geweigert, den Befehl auszuführen, sei jedoch mit seinem sofortigen Tod bedroht worden. Die Opfer wären in jedem Fall getötet worden; hätte er sich geweigert, wären andere Soldaten bereitgestanden. Die Rechtsmittelkammer war gespalten über die Frage, wie sich eine solche (Nötigungs-)Notstandssituation (duress) bei der rechtlichen Bewertung auswirke.496 Dabei ging es im Wesentlichen darum, ob duress eine „full defence“ sei und daher zu einem Freispruch führe, oder (bloß) „mitigating circumstance“, also ein Strafmilderungsgrund. Die Kammermehrheit war nach einer Untersuchung verschiedener nationaler Strafgesetze des Civil Law und des Common Law zu dem Schluss gekommen, es gebe keinen einheitlichen Umgang mit der Situation des Nötigungsnotstandes im Falle der Tötung unschuldiger Menschen497, war dann ten als richtig oder falsch, welche eine repräsentative Mehrheit von Staaten in Verträgen und Erklärungen anerkannt hat“ (Traditional and Modern Approaches to Customary International Law: A Reconciliation, 95 AJIL (2001), S. 762, 789; m. w. N.). Sie beabsichtigt mit dieser Definition, zum einen der Vorfrage zu entgehen, ob Moral objektiv oder subjektiv sei, und zum anderen, einen Satz an bereits anerkannten Werten zu erfassen, anstatt an der Diskussion über die mutmaßlichen Ziele oder Werte des Völkerrechts teilzunehmen (S. 789). Der hier skizzierte Ansatz entspricht Roberts insofern, als es auch um eine vergleichende Zusammenschau der Positionen einer repräsentativen Mehrzahl von Akteuren geht, wobei der Schwerpunkt in unserem Zusammenhang bei der Entscheidung von Grenzfragen der Anwendung und Auslegung des Römischen Statuts liegt und daher nicht bei der Ermittlung des Rechts. Vgl. auch Bassiouni, A functional approach to „General Principles of International Law“, 11 MichJIL (1990), S. 774, der den Allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Völkerrecht eine lückenfüllende Rolle auf einer objektiveren Basis als der „wertebeladenen“ Naturrechtslehre zuweist. 494 Siehe bei und in Fn. 481. 495 UN ICTY, Prosecutor v. Erdemovic, IT-96-22-A, Appeals Judgement, 7. Oktober 1997. 496 UN ICTY, Prosecutor v. Erdemovic, IT-96-22-A, Appeals Judgement, 7. Oktober 1997, III. Reasons (Rn. 17 ff.); IV. Disposition (4). Dabei ist bemerkenswert, dass auch hinsichtlich der Urteilsbegründung auf die gesonderten Meinungen verwiesen wird (Rn. 19), nämlich auf die Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah.

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dazu übergegangen, diese Frage nach policy considerations zu beantworten498 und hat ausführlich Schrifttum des Common Law zitiert.499 Bereits die Art und Weise, wie die Kammermehrheit seine Rechtsfindung betrieben hat, ist zeitgleich mit dem Urteil in den abweichenden Meinungen (Dissenting Opinions) der Richter Cassese und Stephen auf deutliche Kritik gestoßen.500 Dabei wurde insbesondere bemängelt, dass die Kammermehrheit zu einseitig auf nationales Recht und dessen Begriffverständnis zurückgegriffen habe und den Besonderheiten des Völkerrechts nicht ausreichend Beachtung geschenkt wurde;501 außerdem sei das case law in nicht zutreffender Weise ausgewertet worden.502 Ebenso deutlich kritisiert wurde der Rückgriff seitens der Kammermehrheit auf einen extralegalen Begründungsgang: „(. . .) to uphold in this area of criminal law the recourse of policy-directed choice is tantamount to running foul of the customary principle nullum crimen sine lege. An international court must apply lex lata (. . .). If it has instead recourse to policy considerations or moral principles, it acts ultra vires“.503 Die Kammer habe sich nämlich nicht auf die Situation des Nötigungsnotstandes im Falle der Tötung unschuldiger Menschen beschränken dürfen und hätte sich, nachdem sie Uneinheitlichkeit festgestellt hat, dem allgemeinen Notstand (ohne die Tötung) zuwenden müssen.504 497

Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, Rn. 72. Die Kammermehrheit legt großes Gewicht auf das teleologische Argument des Schutzes unschuldigen Lebens in bewaffneten Konflikten (Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, Rn. 75, 78, 88; ähnlich Separate and Dissenting Opinion of Judge Li, Rn. 8); Stephen wendet jedoch ein, dass dieses anerkennenswerte Ziel nicht dadurch erreicht werde, dass man jemandem, der zum erreichen dieses Zieles nichts hätte beitragen können, eine gerechte defence vorenthalte (Separate and Dissenting Opinion of Judge Stephen, Rn. 65). 499 Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, Rn. 72 ff. 500 In bemerkenswerter Weise auf den Punkt bringt die Kritik Shahabuddeen, Duress in International Humanitarian Law, GS-Ruda, S. 563 ff., besonders S. 565. Kritisch und mit individuellem Ansatz Wall, Duress, International Criminal Law and Literature, 4 JICJ (2006), S. 724–744 sowie Fichtelberg, Liberal Values in International Criminal Law – A Critique of Erdemovic, 6 JICJ (2008), S. 3 ff. Vgl. auch den grundsätzlich angelegten Aufsatz von Kreß, Zur Methode der Rechtsfindung im Allgemeinen Teil des Völkerstrafrecht, 111 ZStW (1999), S. 597–623. Eher positiv hingegen Swaak-Goldman, 92 AJIL (1998), S. 282–287. 501 Separate and Dissenting Opinion of Judge Cassese, Rn. 1–6. 502 Separate and Dissenting Opinion of Judge Cassese, Rn. 21 ff.; Separate and Dissenting Opinion of Judge Stephen, Rn. 29 ff. mit einer skrupulösen Analyse des Common Law, vgl. auch Rn. 63. 503 Separate and Dissenting Opinion of Judge Cassese, Rn. 11, 49 (Zitat). 504 Separate and Dissenting Opinion of Judge Cassese, Rn. 41; Separate and Dissenting Opinion of Judge Stephen, Rn. 64. 498

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Der Kern der Argumentation der Kammermehrheit zeigt sich dadurch, dass sie sich folgenden Befund zu eigen macht: „Practical policy considerations compel the legislatures of most common law jurisdictions to withhold the defence of duress not only from murder but from a vast array of defences without engaging in a complex and tortuous investigation into the relationship between law and morality.“505 Auch wenn es auf den ersten Blick scheint, als löse sich die Kammermehrheit von einem bestimmten Moralbegriff und blicke auf die praktischen Auswirkungen der rechtlichen Behandlung von duress, so zeigt das folgende Zitat doch den Einfluss des Aspektes der Tötung unschuldiger Menschen: „Thus, our rejection of duress as a defence to the killing of innocent human beings does not depend upon what the reasonable person is expected to do. We would assert an absolute moral postulate which is clear and unmistakable for the implementation of international humanitarian law.“506 Die Kammermehrheit wendet sich gegen den von ihr als utilitaristische Logik bezeichneten Ansatz, nachdem eine Person, welche auf Grund der Drohung mit dem Tod unschuldige Personen getötet hat, welche in jedem Fall – also auch dann, sollte sich die Person geweigert haben und selbst getötet worden sein – getötet worden wären, nicht moralisch schuldig sei, da das Recht von niemandem erwarten könne, für nichts zu sterben.507 Die Kammermehrheit lehnt es im Ergebnis ab, duress als full defence zuzulassen, gesteht jedoch die Möglichkeit der Strafmilderung zu.508 Was „moralisch“ ist, kann in dem Fall des Nötigungsnotstandes also auf zweierlei Weise beurteilt werden: zum einen kann man ein absolutes moralisches Postulat aufstellen (wie es die Kammermehrheit tut), und zum anderen kann man nach der Sinnhaftigkeit dieses moralischen Postulates fragen und eine relative Position vertreten. Welcher Ansatz moralisch „richtig“ ist, kann nicht endgültig beantwortet werden.509 505

Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, Rn. 77–78. Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, Rn. 83; vgl. dazu die (im Wesentlichen identische) Position des englischen Rechts, wie in Rn. 71 dargestellt. 507 Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, Rn. 80, 83. Li nennt das für-nichts-Argument sogar „absurd“ (Separate and Dissenting Opinion of Judge Li, Rn. 11). Im kritisierten Sinne aber die Separate and Dissenting Opinion of Judge Stephen, Rn. 19, 21. 508 Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, Rn. 82 ff. 509 Wir beschränken uns bewusst auf die Positionen, die im Fall Erdemovic dargestellt und diskutiert wurden, da es hier nur um ein Beispiel der Relevanz des Strukturmerkmales der Neutralität des Römischen Statuts geht; daher ist eine vertiefende Wertediskussion und eine Auswertung der großen Fülle von Literatur, die das Dilemma des „Böses tun, um Gutes zu erreichen“ hervorgebracht hat, im Rahmen dieser Arbeit entbehrlich. 506

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Vom Standpunkt des Römischen Statuts aus würde es sich bei der Entscheidung der Kammermehrheit ausweislich seiner Begründung um die Verletzung der weltanschaulichen Neutralität wegen einer benachteiligenden Unterscheidung auf Grund der einseitigen Bevorzugung einer Werteordnung (Weltanschauung) über eine andere handeln. Um dies zu vermeiden, hätte gerade nicht von dem Ergebnis her und daher gerade nicht von einem „wo kämen wir denn dahin“-Ansatz (etwas anderes sind die policy considerations nicht) begründet werden dürfen. Vielmehr hätten weitere religiöse oder weltanschauliche Positionen beschrieben und miteinander verglichen werden müssen, um auf dieser Grundlage eine universell akzeptable Lösung zu finden. Offenbar hat die Kammermehrheit verkannt, dass auch die ihr entgegenstehende Position – duress als full defence – unter den Staaten mehrheitlich Akzeptanz finden kann, denn diese Sicht nimmt das Römische Statut in Art. 31 Abs. 1 lit. (d) ein, wonach eine Nötigungsnotstandssituation ein Grund für den Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ist.510 An dieser Bestimmung – die man als bewusste Abwendung der Römischen Bevollmächtigtenkonferenz von 1998 von den tragenden Überlegungen der seit 1997 bekannten Erdemovic-Rechtsmittelentscheidung verstehen muss – ist auch erkennbar, dass die Neutralität des Römischen Statuts als Strukturprinzip nur dann zum Tragen kommt, wenn nicht das Statut selbst (wie hier) eine Wertentscheidung trifft.511 2. Art. 22, 23 – nullum crimen, nulla poena sine lege a) Einleitung Der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege gehört zu den wohl meistbemühten im Bereich des Strafrechts.512 Allerdings ist gerade dem 510 Janssen, Mental condition defences in supranational criminal law, 4 ICLR (2004), S. 88, 97–98, wirft allerdings die Frage auf, ob die Gerichtspraxis im Anschluss an die Rechtsprechung des Jugoslawientribunals und konsequent einem common law-Verständnis folgend den Nötigungsnotstand nicht doch bloß als „ground for mitigating punishment“ behandeln wird. Ein derartiges Verständnis ließe sich – unzutreffend – als „gewohnheitsrechtskonforme Auslegung“ camouflieren, würde aber schon den strukturellen und inhaltlichen Vorgaben (vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 4. a) sowie unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, III.) nicht gerecht. 511 Siehe schon oben bei Fn. 478. 512 Einführend zum nullum crimen, nulla poena-Satz im Völkerstrafrecht Lamb, in: Cassese et al., Commentary, S. 733 ff.; Krivec, Von Versailles nach Rom – Der lange Weg von Nullum Crimen, nulla poena sine lege; Gehalt und Funktionen beleuchtet Boot, Genocide, Crimes Against Humanity, War Crimes: Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, in Part 2 (S. 75 ff.). Entwicklungen in der Rechtsprechung zeichnet Olásolo, A

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Völkerstrafrecht wiederholt entgegengehalten worden, es habe diesen Grundsatz nicht immer in dem gebotenen Maße berücksichtigt.513 Das Römische Statut hingegen verpflichtet sich und damit die Rechtsanwender diesem Prinzip;514 Art. 22 ist mit nullum crimen sine lege überschrieben, und Art. 23 bestimmt zudem nulla poena sine lege.515 Nullum crimen, nulla poena sine lege ist in seinen Kernaussagen (lex praevia, lex scripta, lex certa, lex stricta) ein Allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. (c) bzw. Art. 38 Abs. 1 lit. (c) IGH-Statut und Bestandteil der „international anerkannten Menschenrechte“ gemäß Art. 21 Abs. 3.516 Wenn der Internationale Strafgerichtshof nach einer allgemeinen Auslegungsregel für das Statut fragt, müsste er daher auch in Abwesenheit von Artt. 22, 23 diesen Grundsatz berücksichtigen.517 Der Note on the Evolution of the Principle of Legality in International Criminal Law, 18 CLF (2007), S. 301–319, nach. 513 Zum Nürnberger Tribunal vgl. aus der enormen Fülle von Stellungnahmen einerseits das Gutachten von Carl Schmitt (Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen nulla poena sine lege“) und andererseits Hans Kelsen, wonach der nullum crimen-Satz ein Grundsatz der Gerechtigkeit sei, und Gerechtigkeit fordere die Bestrafung der Naziverbrecher (Will the Judgement in the Nuremberg Trial Constitute a Precedet in International Law? 1 ICLQ (1947), S. 153). Die Ambivalenz in der Beurteilung ist auch bei Krivec, Von Versailles nach Rom – Der lange Weg von Nullum Crimen, nulla poena sine lege, S. 62 spürbar („kein ehrenhafter Jurist kann die Richtigkeit der Urteile bestreiten“ einerseits und „Aber nicht das Ergebnis ist zu kritisieren, sondern die Begründung“ andererseits). Kritisch ist Krivec jedoch in Bezug auf die Rechtsprechung von ICTY und ICTR (S. 134, 142–144 und 217). 514 Catenacci, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute, S. 87, weist denn auch richtig darauf hin, dass das nullum crimen-Prinzip auch und gerade für die schwerwiegendsten Verbrechen, wie sie im Römischen Statut beschrieben sind, gilt und damit die durch solche Verbrechen verletzte Menschlichkeit bestätigt. 515 In einem bereits kurz nach der Beendigung der Konferenz von Rom erschienenen weitsichtigen Aufsatz zeigt Cassese einerseits die Fortschritte auf, die das Römische Statut in Bezug auf den nullum crimen-Satz im Vergleich mit dem sonstigen Völkerstrafrecht gemacht hat, weist dann aber deutlich auf die sich genau daraus ergebenden Schwierigkeiten bei der Auslegung hin, da das Statut keineswegs durchgängig klare und einleuchtende Formulierungen verwendet und somit selbst dem von ihm hochgehaltenen Bestimmtheitsgrundsatz nicht immer durchhält (The Statute of the International Criminal Court: Some Preliminary Reflections, 10 EJIL (1999), S. 144–171, insbes. S. 149–153). 516 Vgl. Boot, Genocide, Crimes Against Humanity, War Crimes: Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, S. 366–368, 395; grds. ebenso Krivec, Von Versailles nach Rom – Der lange Weg von Nullum Crimen, nulla poena sine lege, S. 32, 101–102, 216. 517 Wobei Artt. 22, 23 über das allgemeine Völkerstrafrecht hinausgehen, Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 186.

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Kernbestand der Aussagen von nullum crimen, nulla poena sine lege (als Allgemeinem Rechtsgrundsatz) ist auch in Artt. 22, 23 enthalten; Artt. 22, 23 sind daher zum einen gegenüber dem Allgemeinen Rechtsgrundsatz legi speciali und zum anderen für den Gerichtshof als Teil des Statuts Primärrecht. Bemerkenswert ist, dass im Zusammenhang mit dem nullum crimen-Satz nicht nur von dessen individualschützender Bedeutung die Rede ist, sondern ebenso von dem Schutz der Mitgliedsstaaten des Römischen Statuts,518 selbst wenn letztere in Art. 22 keine ausdrückliche Erwähnung finden.519 Insgesamt sind die Artt. 22 und 23 in ihren Aussagen recht eingängig formuliert. Wirklich fraglich ist dabei aber erstens, wann ein „Zweifelsfall“ (ambiguity) vorliegt, und zweitens, wie weit der Bezugsrahmen von Art. 22 geht, das heißt, ob er sich nur auf die Artt. 6 bis 8 oder auch auf die Allgemeinen Grundsätze des Strafrechts (Teil 3 des Statuts) bezieht. Diesen Fragen ist im Folgenden nachzugehen. b) Vorgaben für die Auslegung Wenn Art. 22 Abs. 1 den Kerngehalt des nullum crimen-Satzes formuliert, so folgt daraus allein keine Auslegungsregel. Die Entscheidung, ob ein bestimmtes Verhalten „den Tatbestand eines der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechens erfüllt“, setzt schließlich die Auslegung des Statuts voraus. Art. 22 Abs. 2 macht drei Vorgaben für die Auslegung des Strafrechts520 des Statuts: Erstens muss die „definition of a crime“ eng ausgelegt werden. Damit ist bereits vorgegeben, dass nicht erst der mögliche Wortsinn die äußerste Grenze der Auslegung sein kann. Vielmehr gibt das Römische Statut der Auslegung den Vorzug, die ohne Rechtfertigungsdruck bezüglich des überhaupt möglichen Wortsinns auskommt. Zweitens gibt es ein Analogieverbot als Verbot der rechtschöpferischen521 Analogie.522 Drittens gilt in dubio 518 Vgl. zusammenfassend Boot, Genocide, Crimes Against Humanity, War Crimes: Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, S. 362–363. Differenzierend Catenacci, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute, S. 93. 519 Vgl. unten Zweiter Teil, Drittes Kapitel, II. 520 Art. 22 geht es um strafrechtliche Verantwortlichkeit (vgl. Abs. 1 und 3); für die Auslegung der organisatorischen Bestimmungen des Statuts ist Art. 22 nicht einschlägig. 521 Eine vom Statut „erlaubte“ Analogiebildung ergibt sich jedoch beispielsweise aus Art. 7 Abs. 1 litt. (g), (k). Zurecht kritisch unter dem Gesichtspunkt des Legalitätsdefinzits Fletcher/Ohlin, Reclaiming Fundamental Principles of Criminal Law in the Darfur Case, 3 JICJ (2005), S. 551–553.

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mitius: im Falle mangelnder Eindeutigkeit ist die dem Beschuldigten523 günstigste Auslegung zu wählen. Mit dieser Vorgabe weicht das Römische Statut vom deutschen Kanon des nullum crimen sine lege ab,524 während sie dem englischen principle of strict construction ähnelt.525 In der Literatur 522

Das Römische Statut widerspricht damit Bassiouni, Crimes against Humanity in International Criminal Law, S. 112, der meint, im Völkerstrafrecht sei auch eine rechtschöpferische Analogie zulässig. Broomhall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 22, Rn. 41–43 weist zutreffend darauf hin, dass hinsichtlich des Analogieverbots zu unterscheiden ist zwischen einer gleichsam rechtschöpferischen Analogie – die das Statut verbiete – und der zulässigen Analogie als Methode des Auslegung. Dennoch kann die Verwendung desselben Begriffes zu Verwirrungen führen. So ließe sich Broomhalls Aussage in Rn. 43 (Lücken dürften per Analogie über den Verweis auf andere Artikel oder andere Absätze des auszulegenden Artikels gefüllt werden) auch derart verstehen, als sei gleichsam „ein bisschen Analogie“ doch zulässig. Dies wäre jedenfalls insofern unzutreffend, als es sich bei der von Broomhall als Beispiel genannten Ergänzung einer nicht erschöpfenden Aufzählung (non-exhaustive list) um rechtschöpferische und damit unzulässige strafbegründende Analogie handeln würde, wenn nicht diese etwa vergleichbar mit der aber auch nicht unumstrittenen deutschen Regelbeispielstechnik bloß schuldsteigernd oder strafschärfend wirkten. Letzteres kann für das Römische Statut ausgeschlossen werden, weil die strafschärfenden Gründe in Artt. 77, 78 ausgeschöpft sind und darüber hinaus keine benannten Strafschärfungsgründe wie Regelbeispiele bestehen. Lamb, in: Cassese et al., Commentary, S. 753 und Fn. 78–79 schließt sich Broomhall ohne weitere Vertiefung an. In der Sache handelt es sich bei der „Analogie als Auslegungsmethode“ um eine Beschreibung des Vorganges, der sonst mit der Konkretisierung im Wege systematischer und teleologischer Auslegung gemeint ist. Bei diesen Auslegungsmethoden werden schließlich vergleichende Betrachtungen über Aussagen und Wertungen eines Rechtstextes angestellt, um den Bedeutungsgehalt der Vorschrift zu ermitteln. Vgl. zum allgemeinen Völkerrecht oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 6. 523 Genannt ist die „Person (. . .), gegen die sich die Ermittlungen, die Strafverfolgung oder das Urteil richten“. Im Folgenden ist der Einfachheit halber nur vom Beschuldigten die Rede. 524 So nennen etwa Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, den in dubio mitius-Satz in ihrem § 15 nicht als Bestandteil des klassischen Kanons. 525 Zu diesem principle s. Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 80, wobei er auch sagt, es sei „nicht klar, wie und wann die Gerichte diesen Grundsatz anwendeten“ (ebd.). Ein ähnlicher Ansatz, principle of lenity, besteht in den USA. Nach Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 184, handelt es sich zudem um eine „direkte Ablehnung der Praxis des Common law (und des islamischen Rechts)“. M. w. N. zum englischen und amerikanischen Recht Boot, Genocide, Crimes Against Humanity, War Crimes – Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, S. 122 ff. Eine in diesem Zusammenhang methodisch interessante Volte zeichnet sich im Gotovina-Fall des ICTY ab, vgl. Akhavan, Reconciling Crimes Against Humanity with the Laws of War, 6 JICJ (2008), S. 21 ff., wonach die „Reklassifikation“ eines

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zum Römischen Statut werden diese drei Vorgaben meist zusammen behandelt, wobei der „Zweifelsfall“ kaum eine besondere Rolle spielt.526 Beachtung verdient die Erwähnung des „Zweifelsfalles“ aus zwei Gründen. Zweifelhaft ist erstens die deutsche Übersetzung: Die englische Fassung des Statuts spricht von ambiguity, was sich mit Zweideutigkeit, Doppeldeutigkeit, Unklarheit übersetzen lässt.527 Die französische Fassung spricht von ambiguïté; die Übersetzungen lauten entsprechend.528 Bereits an diesen möglichen Bedeutungen zeigt sich, dass die deutsche Übersetzung offenbar nicht genau den von den verbindlichen Sprachen gewollten Sinn trifft. „Zweifelsfall“ ließe sich im englischen wohl deutlicher mit „in the case of doubt“ bzw. im französischen mit „en cas de doute“ ausdrücken.529 Offenbar ist aber etwas anderes als der Fall des Zweifelns gemeint, sondern vielmehr überhaupt das Vorliegen mehrerer möglicher Auslegungsergebnisse im Sinne mangelnder Eindeutigkeit. Daher sollte eher von Fällen der Uneindeutigkeit die Rede sein. Zweitens und damit in der Sache ist diese Auslegungsregel bemerkenswert, weil der Mangel an Eindeutigkeit jedenfalls auf den ersten Blick geradezu typisch für den Vorgang der Auslegung einer Rechtsnorm ist. Mehrdeutigkeiten werden dann oft durch wertende Gesichtspunkte entschieden. Bei der in dubio mitius-Regel des Statuts handelt es sich denn auch um eine inhaltliche (materielle) Vorgabe,530 nämlich die der Wahl der dem Beschuldigten günstigsten Bedeutung. Wann also liegt ein Fall der Uneindeutigkeit (ein „Zweifelsfall“) vor und kommt in dubio mitius zur Anwendung? nach humanitärem Völkerrecht zulässigen Verhaltens als Verbrechen gegen die Menschlichkeit doch zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit führt. Vgl. auch Orakhelashvili, The Interaction between Human Rights and Humanitarian Law, 19 EJIL (2008), S. 161 ff. 526 Vgl. Lamb, in: Cassese et al., Commentary, S. 752–753; Broomhall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 22, Rn. 45–47; Boot, Genocide, Crimes Against Humanity, War Crimes: Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, S. 388 beispielsweise zitiert aus dem Oxford Dictionary dessen Definition von ambigous, ohne aber auf das inhaltliche Problem einzugehen. Vielmehr ist die Besprechung der ungenau mit in dubio pro reo bezeichneten Auslegungsregel redundant. Krivec, Von Versailles nach Rom – Der lange Weg von Nullum Crimen, nulla poena sine lege wiederum geht in seiner Monographie auf diese Auslegungsvorgabe gar nicht ein, sondern beschreibt Art. 22 bloß kursorisch (S. 203–204). 527 Pons Handwörterbuch für die berufliche Praxis Englisch-Deutsch/DeutschEnglisch. 528 Pons Wörterbuch für die berufliche Praxis Französisch-Deutsch/Deutsch-Französisch: Zweideutigkeit, Mehrdeutigkeit, Widersprüchlichkeit. 529 Entsprechendes gilt auch für das Spanische: en caso de duda, wohingegen es im Statut en caso de ambiguëdad heißt. 530 Das Gebot der engen Auslegung hingegen ist eines der Methode.

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Käme in dubio mitius bereits dann zur Anwendung, wenn der Interpret auf die Möglichkeit mehrerer Auslegungsvarianten stößt – das wird regelmäßig bereits im Rahmen der Erforschung des Wortsinnes der Vorschrift geschehen, denn jeder Begriff ist potentiell mehrdeutig –, würde dies ihm aufgeben, schon dann eine Entscheidung zu treffen und die dem Beschuldigten günstigste Variante auszuwählen. Dies hieße aber auch, dass systematische und teleologische Erwägungen vorzeitig abgeschnitten würden. Faktisch und schließlich würde dies dazu führen, dass dem Rechtsanwender nicht mehr eine Rechtsauslegung im Sinne der Ermittlung der „richtigen“ Bedeutung aufgegeben wäre, sondern die Suche nach dem für den Beschuldigten günstigsten Rechtsverständnis. Mit dem Sinn von Art. 22 insgesamt wäre dies nicht zu vereinbaren; Art. 22 geht erkennbar davon aus, dass überhaupt ein Auslegungsvorgang stattfindet. Hat der Interpret jedoch Wortlaut, Systematik und den Sinn und Zweck der auszulegenden Vorschrift erforscht und ergeben sich dennoch mehrere vertretbare Auslegungsvarianten, so könnte an dieser Stelle in dubio mitius eingreifen. Versteht man die Vorgabe des in dubio mitius als eine materielle, also wertende, so wäre die Verortung an dieser Stelle des Auslegungsvorganges konsequent: Hier kommt ein genuin juristisches (und damit „mehr“ als ein geisteswissenschaftlich-hermeneutisches) Moment hinzu, nämlich das normativ-wertende, ein die Lösungsmöglichkeiten abwägendes und dabei materiell argumentierendes Vorgehen.531 531 Unter Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie des Jugoslawientribunals beantwortet Shahabududdeen die Frage, ob der nullum crimen-Satz einer „progressiven Entwicklung des Rechts“ entgegenstehe, mit nein (Does the Principle of Legality Stand in the Way of Progressive Development of Law?, 2 JICJ (2004), S. 1007–1017). Dabei stellt er zentral darauf ab, dass die Auslegung bzw. die Entwicklung des Rechts die „Essenz“ des originären Verbrechens bewahre, selbst wenn sie nicht in jedem Detail übereinstimme. Jedoch ist demgegenüber Skepsis angezeigt. Es macht einen Unterschied, ob der Richter vorhandenes Recht auslegt oder Analogien bildet (vgl. ebd. einerseits S. 1014, andererseits S. 1015, wiederum relativierend S. 1016). Was die Auslegung angeht, ist die Orientierung an der „Essenz“ des Verbrechens sicher geboten, um nicht zu unvorhersehbaren strafbarkeitserweiternden Ergebnissen zu kommen; andererseits darf die Orientierung an eben jener „Essenz“ gerade nicht zu Analogiebildungen führen. Im Übrigen stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, wonach diese „Verbrechensessenz“ zu bestimmen sein soll. Schließlich ließen sich alle Verbrechen essentiell auf irgendeine Form von Sozialschädlichkeit zurückführen; im Falle des Römischen Statuts könnte man sich immerhin noch materiell an der überindividuellen, internationalen Betroffenheit orientieren (dazu noch unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. I.). Das Ergebnis wäre daher abhängig von der angestrebten Abstraktionshöhe und damit wiederum von einer nicht sicher bestimmbaren Variable, so dass das ohnehin recht offene Konzept der „Verbrechensessenz“ noch weiter relativiert wird. Andererseits lässt sich dieser Einwand auch fast gegen den gesamten Auslegungskanon rich-

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Dies sei nochmals mit anderen Worten verdeutlicht: Jede Auslegung einer Rechtsnorm setzt die grundsätzliche Bereitschaft voraus, die Möglichkeit mehrerer Bedeutungen der auszulegenden Aussage nicht von vornherein auszuschließen. Eine regelgerechte Auslegung kann mehrere mögliche Auslegungsvarianten hervorbringen. Der Richter, der einen bestimmten Fall zu entscheiden hat, kann aber, wenn es auf die Bedeutung einer konkreten Rechtsnorm ankommt, seiner Entscheidung nur einen bestimmten Aussagegehalt dieser Rechtsnorm zugrunde legen, und dieser muss der materiell „richtige“ sein. Sofern die Auslegung der Rechtsnorm ihm mehrere Möglichkeiten des Verstehens aufgezeigt hat, wird er durch weitere genuin juristische, da wertende Überlegungen die „richtige“ Variante ermitteln. Damit hat der Richter ein Ergebnis und kann seinen Fall entscheiden. Ein streitiges Verfahren kommt regelmäßig aber auch deshalb zustande, weil sich die Beteiligten über die entscheidenden Wertungsmaßstäbe532 uneinig und von daher nicht darüber einig sind, welche der möglichen Auslegungsvarianten die „richtige“ ist. An dieser Stelle wird dem Richter bzw. dem Rechtsausleger vom Statut die Wertungsvorgabe gemacht, dass aus allen prinzipiell noch möglichen vorher ermittelten Auslegungsvarianten die sich zugunsten des Beschuldigten auswirkende Variante zu wählen ist. Dieses Ergebnis harmoniert auch mit der an anderer Stelle festgestellten weltanschaulichen Neutralität des Römischen Statuts.533 Wo das Römische Statut sich nicht in eine bestimmte Tradition von Weltanschauung und damit von Wertezusammenhängen stellt, ist es nur konsequent, Mehrdeutigten. In einer Passage seiner Partly Dissenting Opinion zur Stakic-Berufungsentscheidung des ICTY (IT-97-24-A, vom 22. März 2006) heißt es, wenn es darum gehe, die „Essenz“ zu bestimmen, sei die Frage nicht so sehr, ob ganz bestimmte Umstände jemals konkret von dem existierenden Recht anerkannt gewesen sei, sondern vielmehr, ob diese Umstände „reasonably“ im Rahmen des exisitierenden Rechts blieben (para. 39). Mit anderen Worten, die Variable hieße „reasonableness“. Im Prinzip gilt der gleiche Einwand, wie wir ihn schon gegen die vom Jugoslawientribunal in der Sache Prosecutor v. Furundzija bemühte „richtige Haltung“ vorgebracht haben (oben Fn. 215). Jedoch stellt auch Shahabuddeen klar: „interpretation cannot camouflage expansion“ (para. 34). Zuzugeben ist, dass Shahabuddeen einem Bereich des genuin juristischen Teils der Auslegung, nämlich der Suche nach Sinn und Zweck der Vorschrift, einen konkreten Namen gibt, so dass es wiederum davon abhängt, was der Rechtsanwender damit macht: Im Rahmen des Römischen Statuts und im Lichte des in dubio mitiusSatzes (oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. b)) spricht insofern alles dafür, den Gedanken der „Verbrechensessenz“ nicht strafbarkeitserweiternd, sondern nur beschuldigtenfreundlich fruchtbar zu machen. 532 Hier geht es nur um Mehrdeutigkeiten bzw. Zweifel am Recht; der Streit um die dem Fall zugrunde liegenden Tatsachen ist an dieser Stelle nicht relevant [zu Unschuldsvermutung und Beweislastverteilung Artt. 66; 67 Abs. 1 lit. i)]. 533 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 1. b) (1).

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keiten, die nicht wertungsmäßig aufgelöst werden können, explizit zugunsten des Beschuldigten zu entscheiden. Zusammenfassend lässt sich die oben gestellte Frage damit beantworten, dass die Anwendung der den am Ende der Auslegung stehenden Wertungsvorgang überformenden in dubio mitius-Regel nur dann ausgelöst wird, wenn das Vorgehen nach dem klassischen Auslegungskanon noch nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, sondern zu mehreren möglichen Ergebnissen geführt hat. Außerdem muss die Auflösung dieser Uneindeutigkeit eine wenigstens abstrakt fallentscheidende – da sich für den Beschuldigten nachoder vorteilhaft auswirkende – Bedeutung haben.534 c) Bezugsrahmen von Art. 22 Offen ist noch die Frage nach dem Bezugsrahmen von Art. 22: Sind nur die Artt. 6 bis 8, also die „Verbrechen“ erfasst, oder bezieht sich Art. 22 auch auf die „Allgemeinen Grundsätze des Strafrechts“, also auf Teil 3 des Statuts, an dessen Anfang er steht?535 Während Abs. 1 keine expliziten Auslegungsregeln enthält, finden sich solche in Abs. 2. Entscheidend ist die Beantwortung der Ausgangsfrage daher insbesondere wegen der in dubio mitius-Regel des Abs. 2, die für Fälle mangelnder Eindeutigkeit eine Auslegung zugunsten des Beschuldigten fordert. Nach Broomhall sollen, dem Wortlaut des Abs. 2 folgend („definition of a crime“ – „Begriffsbestimmung eines Verbrechens“) nur die „Verbrechen“ dem Art. 22 Abs. 2 unterliegen. Gleichzeitig wird aber auch anerkannt, dass auch die „Allgemeinen Grundsätze“ des Strafrechts nicht zügellos ausgelegt werden dürften.536 534 Im Ergebnis (Auflösung von Uneindeutigkeit durch in dubio mitius als letztes Mittel der Auslegung) ebenso Broomhall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 22, Rn. 46; vgl. auch Fronza/Malarino, Die Auslegung von multilingualen strafrechtlichen Texten am Beispiel des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, 118 ZStW (2006), S. 946, dort Fn. 39 und S. 948 ff. 535 Zu dieser Frage auch Triffterer, Command Responsibility, Article 28 Rome Statute, an Extension of Individual Criminal Responsibility for Crimes within the Jurisdiction if the Court – Compatible with Article 22, nullum crimen sine lege?, in: GS-Vogler, S. 216 ff.; demgegenüber unklar Boot, Genocide, Crimes Against Humanity, War Crimes: Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, S. 375–376. 536 Vgl. Broomhall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 37, 44, 47; Lamb, in: Cassese et al., Commentary, S. 746 ff. hingegen geht auf die Frage in Bezug auf das Römische Statut nicht ein. Boot, Genocide, Crimes Against Humanity, War Crimes: Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, S. 395 analysiert die Frage kaum.

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Abs. 1 jedoch erfasse trotz des (englischen) Wortlautes – „a crime within the jurisdiction of the court “ –, der die Formulierung der Überschrift von Art. 5 verwendet, auch jene Vorschriften, die der Gerichtshof heranzuziehen habe, um eine Entscheidung über die Gerichtsbarkeit gemäß Art. 19 zu treffen.537 Obwohl Broomhall ausweislich der Erwähnung der „Allgemeinen Grundsätze“ an anderen Stellen die hier interessierende Fragestellung erkennt,538 trifft er bezüglich Abs. 1 nur die auf die Gerichtsbarkeitsentscheidung beschränkte Aussage. Das Wortlautargument ist jedoch nicht erschöpfend. Immerhin beginnt Art. 22 Abs. 1 mit den Voraussetzungen strafrechtlicher Verantwortlichkeit: eine strafrechtliche Verantwortlichkeit bestehe nicht, wenn nicht das Verhalten ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen darstelle. Die Formulierung „der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen“ entspricht zwar der Überschrift von Art. 5 und könnte daher als Ausweis eines engen Bezugsrahmens von Art. 22 herangezogen werden. Dies würde aber eine isolierte Betrachtung dieser Formulierung voraussetzen. In Zusammenschau mit dem Ausgangspunkt der Vorschrift, der „strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach diesem Statut“, ließe sich auch dahingehend argumentieren, dass es sich bei Art. 22 tatsächlich um eine Vorschrift handelt, die alle eine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründenden Normen des Statuts betrifft. Wenn man den Sinn und Zweck einer mit nullum crimen sine lege überschriebenen Vorschrift (zumindest auch) darin sieht, die Rechtsunterworfenen vor willkürlicher oder nicht voraussehbarer Bestrafung in Grund und Ausmaß zu schützen, ist es nicht nur systematisch (vor-die-Klammer-Argument), sondern daraus folgend auch teleologisch konsequent, ebenfalls die die strafrechtliche Verantwortlichkeit begründenden Vorschriften der „Allgemeinen Grundsätze“ mit in den Anwendungsbereich von Art. 22 einzubeziehen.539 Betrachtet man Abs. 2 isoliert von Abs. 1, könnte man dessen Bezugsrahmen streng an die „Verbrechen“ (Artt. 6–8) koppeln. Immerhin ist nur die 537

Broomhall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 31. Anderer Ansicht Boot, Genocide, Crimes Against Humanity, War Crimes: Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, S. 378–379, inkonsequent demgegenüber S. 388. 538 Broomhall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 24 (mit Fn. 32); 37, 44, 47. 539 Bogdan, Individual Criminal Responsibility in the Execution of a „Joint Criminal Enterprise“ in the Jurisprudence of the ad hoc International Tribunal for the Former Yugoslavia, 6 ICLR (2006), S. 63–120 zeigt zudem die hohe Bedeutung der Beachtung des nullum crimen-Satzes im Bereich der Allgemeinen Grundsätze auf, wenn er dem Konzept der „Joint Criminal Enterprise“ des Jugoslawientribunals den Verstoß gegen das geltende Recht nachweist.

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Rede von der definition of a crime bzw. definition („Begriffsbestimmung“). Denkbar wäre also ein unterschiedlicher Bezugsrahmen von Abs. 1 und Abs. 2. Darüber hinaus ließe sich einwenden, dass es keinen Sinn mache, die dem Beschuldigten zu Gute kommenden „Gründe für den Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit“, insbesondere Art. 31, eng auszulegen und keine Analogien zu bilden, zumal Art. 31 Abs. 3 auch vom Statut unbenannte Ausschlussgründe ausdrücklich zulässt. Das bloße Wortlautargument ist jedoch nicht überzeugend; der Wortlaut von Art. 22 Abs. 2 steht einer Erstreckung auch auf die „Allgemeinen Grundsätze“ nicht zwingend entgegen. Außer in Abs. 2 ist nur noch an einer Stelle [Art. 7 Abs. 2 lit. (f)] von einer definition die Rede; ansonsten heißt es stets crime oder crime within the jurisdiction of the court. Auch gilt das Analogieverbot nach allgemeinem Verständnis nur für die eine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründenden bzw. schärfenden Analogien, was schließlich auch seinem Sinn und Zweck entspricht; gleiches gilt für das Gebot der engen Auslegung. Es ist nicht ersichtlich, warum das Römische Statut dies anders sehen sollte. Analogie zugunsten des Beschuldigten (in favorem rei) ist daher prinzipiell zulässig.540 Wenngleich schließlich die „Gründe für den Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit“ im Bereich der „Allgemeinen Grundsätze“ eine besonders prominente Rolle einnehmen, erschöpfen sie diese nicht. Immerhin enthalten die „Allgemeinen Grundsätze“ Bestimmungen wie Art. 25, welche für die Feststellung strafrechtlicher Verantwortlichkeit – so die Überschrift von Art. 25 – unabdingbar sind. Dies ergibt sich zwanglos aus dem Statut, ohne dass hiermit bereits den Ergebnissen des Dritten Teils dieser Arbeit über den Verbrechensbegriff vorgegriffen würde. Enthalten die Artt. 5–8 gegenständliche Verhaltensbeschreibungen, sind diese bloß notwendige, ausweislich Artt. 25 und 30 aber nicht hinreichende Bedingung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit.541 540

Vgl. auch Catenacci sowie Mezzetti, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute, S. 96 bzw. S. 150. 541 Dies ergibt sich schon daraus, wenn man Artt. 22, 23 gleichsam „von hinten denkt“: Art. 23 spricht von einer „für schuldig erklärten Person“ (a person convicted by the court). Zu fragen ist daher, welche Voraussetzungen für einen solchen Schuldspruch bestehen. Offenbar ist dies „strafrechtliche Verantwortlichkeit“ (criminal responsibility), so Art. 22 Abs. 1. Für diese wiederum ist offenbar Voraussetzung wenigstens „Verhalten“ (conduct), und dieses Verhalten muss „den Tatbestand eines der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechens“ erfüllen (constitutes a crime within the jurisdiction of the court), Art. 21 Abs. 1. Was (individuelle) strafrechtliche Verantwortlichkeit ausmacht, sagt ausweislich seiner Überschrift Art. 25. Nur verantwortlich ist, wer die subjektiven Voraussetzungen des Art. 30 erfüllt (Art. 30 Abs. 1); ausgeschlossen kann diese Verantwortlichkeit bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Art. 31 sein. Im Einzelnen zu den Voraussetzungen individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit im Dritten Teil.

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Auch Broomhall erkennt die mögliche Bedeutung von Abs. 2 für bestimmte Gründe für den Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit an, da es auch bei diesen um die Vorhersehbarkeit der Bestrafung gehen könne, wobei er den Fall der von ihm als justification bezeichneten Notwehr als Hauptgrund nennt.542 Die sachliche Unterscheidung in Rechtfertigungsgründe und Entschuldigungsgründe ist als solche vor dem Hintergrund der Motivierbarkeit von Entscheidungen sinnvoll,543 da der Gedanke der Vorhersehbarkeit und damit der Verhaltenssteuerung dem nullum crimen-Satz vorausgeht. Sie setzt aber gleichzeitig voraus, dass sie auch vor dem Hintergrund des Verbrechensbegriffs des Statuts tragfähig bleibt. Dies hier zu entscheiden hieße, dem Dritten Teil vorzugreifen.544 Aber auch so stützt Art. 22 die Unterscheidung nicht. In Abs. 1 geht es um die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit nach dem Statut schlechthin. Auch wenn sich etwa die Ausschlussgründe des Art. 31 in Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe unterscheiden ließen, so bleibt es dennoch dabei, dass diese ausweislich ihrer nicht differenzierenden Bezeichnung diese Verantwortlichkeit auf die individuelle Person bezogen in Gänze ausschließen. Gleichzeitig erschöpft sich die Bedeutung des nullum crimen-Satzes nicht in der Sicherung der Motivierbarkeit des Einzelnen in einer individuellen Situation; die Vorhersehbarkeit muss darüber hinaus auch abstrakt sichergestellt sein. Entscheidend ist die folgende Überlegung: Die Vorgaben für die Auslegung des Abs. 2 sind sachlich nichts anders als ein funktionales Äquivalent für die materielle Grundentscheidung des Abs. 1 – strafrechtliche Verantwortlichkeit nur auf Grund des Statuts (ergänze: insgesamt545) – und vervollständigt diese damit anwendungsbezogen. Daraus ergibt sich, dass die Vorgaben prinzipiell auch auf die „Allgemeinen Grundsätze des Strafrechts“ (Teil 3 des Römischen Statuts) anzuwenden sind.546 Eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit darf daher nicht auf eine extensive Vgl. außerdem Triffterer, Command Responsibility, Article 28 Rome Statute, an Extension of Individual Criminal Responsibility for Crimes within the Jurisdiction of the Court – Compatible with Article 22, nullum crimen sine lege?, in: GS-Vogler, S. 217–219, 223–225. 542 In: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 21, Rn. 38. 543 Die Entschuldigungsgründe finden ihren Grund ja regelmäßig darin, dass es um die Unzumutmarkeit oder Unfähigkeit normgemäßen Verhaltens geht und damit die Person nicht im Sinne solchen normgemäßen Verhaltens motivierbar erscheint. 544 Vgl. im Einzelnen Dritter Teil, Zweites Kapitel. 545 Art. 25 Abs. 3 bekräftigt dies, da es dort heißt, eine strafrechtliche Verantwortlichkeit und Strafbarkeit ergebe sich „in Übereinstimmung mit diesem Statut“. 546 Damit korrespondieren Artt. 22, 23 mit den Art. 66 Abs. 2 und Art. 67 Abs. 1 lit. (i), welche zum einen die Beweislast für die Schuld des Angeklagten dem Ankläger auferlegen und zum anderen ein Verbot aussprechen, dem Angeklagten eine

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

oder analoge Auslegung der Vorschriften aus den „Allgemeinen Grundsätzen“ gestützt werden,547 und auch für diese gilt, dass in den Fällen mangelnder Eindeutigkeit die sich zugunsten des Beschuldigten auswirkende Auslegungsvariante zu wählen ist. d) Das Verhältnis von Art. 21 und Art. 22 Art. 21 stellt zum einen ein Normanwendungsgebot auf und zum anderen den Primat des Statuts im Verhältnis zu dem sonstigen von Art. 21 Abs. 1 genannten Recht klar. Art. 22 Abs. 1 und Abs. 2 wiederum stellen gemeinsam ein Analogieverbot548 und ein Gebot der engen Auslegung auf. Beide Vorschriften sind miteinander insofern verwandt, als beiden derselbe Gedanke innewohnt, nämlich der des Vorranges des Römischen Statuts gegenüber allem anderen Recht oder Rechtserkenntnisquellen.549 Für Art. 21 haben wir dies bereits gesagt und nachgewiesen.550 Auch aus unserer Untersuchung von Art. 22 ging die Einsicht hervor, dass dieser als materielle Grundentscheidung individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit nur auf Grund des Statuts selbst vorsieht.551 Mit anderen Worten, Strafbarkeit muss immer unmittelbar an das Statut rückkoppelbar sein. Das weitere in Art. 21 Abs. 1 genannte Recht kann daher stets nur mittelbar auf die Strafbarkeit einwirken: Sofern bei der – von Analogiebildung freien – Auslegung des Statuts eine „Lücke“ auftritt, ist diese im Wege des Zugriffs auf das von Art. 21 Abs. 1 litt. (b) und (c) genannte Recht zu schließen.552 Bringt die Untersuchung dieses Rechts kein Ergebnis, besteht eine „echte“ Lücke, die auch nicht durch Analogie zu schließen ist. Die Vorschriften stehen daher in einem materiell komplementären Verhältnis zueinander. In funktionaler Hinsicht lassen sie sich insofern unterscheiden, als Art. 21 den Rahmen des anwendbaren Rechts vorgibt und Art. 22 bestimmt, was innerhalb dieses Rahmens mit dem Recht geschehen darf.553

Beweislastumkehr oder Widerlegungspflicht aufzuerlegen und komplettieren so den vom Römischen Statut gewollten weitestgehenden Beschuldigtenschutz. 547 Implizit ebenso Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 197. 548 Im Sinne eines Verbotes der rechtschöpferischen, strafbegründenden Analogie. s. auch Fn. 522. 549 Vgl. auch Triffterer, in: ders., Commentary on the Rome Statute, article 10, Rn. 17–18. 550 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 4. und 5. 551 Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. c) am Ende. 552 Vgl. dazu auch oben Zweiter Teil, Erstes Kapitel, C. II.

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3. Weitere auslegungsrelevante Vorschriften a) Artt. 50, 128 Die in Art. 50 genannten Amtssprachen haben nach Art. 128 gleiche Authentizität. Der Sprachenvergleich ist daher nicht Ausnahme, sondern Methode.554 b) Art. 21 Abs. 2 Noch ist kein Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs ergangen, wohl aber einige Verfahrensentscheidungen.555 Den Urteilen und Entscheidungen kommt keine Bindungswirkung zu, soweit sie die Auslegung des Statuts über den konkreten Fall hinaus betreffen.556 Ein stare decisis besteht daher in rechtlicher Hinsicht nicht;557 ob sich die Kammern des Gerichtshofs faktisch durch die Rechtsauslegung in früheren Fällen gebunden fühlen werden, kann noch nicht beurteilt werden. Ohnehin kommt Entscheidungen des Gerichtshofs für die Bestimmung des Verbrechensbegriffs des Statuts lediglich Evidenzcharakter zu. Gerichtsentscheidungen müssen schließlich stets den vom Statut vorausgesetzten Verbrechensbegriff zugrunde legen. Daher spielt Art. 21 Abs. 2 im Rahmen dieser Strukturanalyse keine Rolle.558 553 Kritisch zum Vorgehen in der Lubanga-Entscheidung (oben Fn. 311) Ochoa, The ICC’s Pre-Trial Chamber I Confirmation of Charges Decision in the Case of Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo: Between Application and Development of International Criminal Law, 16 EJCrCLCJ (2008), S. 39 ff., insbesondere S. 58: Auffällig an der Entscheidung sei das Fehlen jedweder Bezugnahme auf Artikel 21 des Statuts. 554 So zutreffend Fronza/Malarino, Die Auslegung von multilingualen strafrechtlichen Texten am Beispiel des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, 118 ZStW (2006), S. 950; vgl. auch unten Vierter Teil, Zweites Kapitel. 555 Die Entscheidungen sind über http://www.icc-cpi.int/cases.html unter dem jeweiligen Namen des Falles abrufbar. 556 Art. 21 Abs. 2 ist fakultativ formuliert: „may apply“; „peut appliquer“; „kann (. . .) auslegen“ (meine Hervorhebungen). Für eine Ermessensbindung beispielsweise dergestalt, dass Berufungsurteilen grundsätzliche, über den zu entscheidenden Fall hinausgehende Bindungswirkungen entfalten würden, gibt es im Statut keine Anhaltspunkte. Ebenso Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1066; Simma/Paulus, Le rôle relatif des différentes sources du droit international pénal (dont les principes géneraux de droit), S. 57. 557 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 180. 558 Vgl. auch unsere Gesamtbetrachtung, unten Vierter Teil, Zweites Kapitel am Ende.

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

c) Präambel In der Präambel wie auch in den Artt. 1 und 5 wird deutlich betont, dass der Gerichtshof sich der „schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“, anzunehmen habe.559 Dass es sich hierbei nicht um einen bloßen Programmsatz handelt, verdeutlicht Art. 5 Abs. 1 Satz 1, denn hier wird die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs auf die schwersten Verbrechen beschränkt. Andererseits zeigt die Auflistung der vier „Kernverbrechen“ in Satz 2 desselben Artikels, dass Satz 1 letztlich keine eigenständige Bedeutung zukommt. „In Übereinstimmung mit diesem Statut“ – also insbesondere in Übereinstimmung mit seinem Zweck, wie er in der Präambel zum Ausdruck kommt – erstreckt sich die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs auf eben jene vier Verbrechen, die damit implizit als „schwerste“ anerkannt sind.560 Ziel des Statuts ist es insbesondere, „der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen und so zur Verhütung solcher Verbrechen beizutragen“.561 Aus dem Statut sollen also Sühne und Prävention folgen562, die dem Schutz des gemeinsamen kulturellen Erbes der Völker und des Friedens, der Sicherheit und des Wohles der Welt der heutigen und der künftigen Generationen zu dienen bestimmt sind.563 Außerdem weist die Präambel „nachdrücklich“ darauf hin, dass das Statut nicht so auszulegen sei, als ermächtige es einen Vertragsstaat, in die inneren Angelegenheiten oder in einen bewaffneten Konflikt eines anderen Staates einzugreifen.564 Dass solche „inneren Angelegenheiten“ jedoch nicht die uneingeschränkt autonome Entscheidung über die strafrechtliche Verfolgung mutmaßlicher Täter von Verbrechen, wie sie das Römische Statut zum Gegenstand hat, darstellen, macht die Präambel ebenso klar: Sie verweist auf die Verfolgungspflicht „eines jeden Staates“ und auf die – insofern nur – ergänzende Funktion des Gerichtshofes gegenüber der innerstaatlichen 559 Präambel, 4., 9. Abs. Die authentischen Vertragssprachen English und Französisch machen es noch deutlicher, dass es sich nicht um schwere, sondern und die schwersten Verbrechen handelt: „the most serious crimes“ bzw. „les crimes les plus graves“, Triffterer, in: ders., Commentary on the Rome Statute, preamble, Rn. 12. 560 Auch andere Verbrechen, die vom Statut nicht genannt werden, ließen sich als „schwerste Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“ bezeichnen, was das Statut mit Art. 10 auch anerkennt. Für die „Zwecke“ des Statuts (Art. 10) hingegen bleibt es bei den Verbrechen, die in Art. 5 genannt und in den Artt. 6–8 ausformuliert werden. 561 Präambel, 4. und 5. (Zitat) Abs. 562 Vgl. Triffterer, in: ders., Commentary on the Rome Statute, preamble, Rn. 15. 563 Präambel, 1., 3. 9. Abs. 564 Präambel, 8. Abs.

2. Kap.: Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Begründung

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Strafgerichtsbarkeit.565 Mit „jedem“ Staat können wegen der pacta tertiiRegel nur die Vertragsstaaten des Römischen Statuts gemeint sein, sofern die Präambel eine Verfolgungspflicht auf Grund des Statuts statuiert. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich aus der Präambel über die Bestimmung von Ziel und Zweck des Statuts hinaus keine besondere Modifikation der allgemeinen Auslegungsgrundsätze des Vertragsvölkerrechts ergibt, sie aber zum für die Auslegung von Bestimmungen des Statuts relevanten Kontext zählt.566 d) Art. 9 und die „Verbrechenselemente“ Art. 9 ist in das Statut eingefügt worden, um dem nullum crimen-Prinzip Rechnung zu tragen und mit den „Verbrechenselementen“ genaue Definitionen der Tatbestände auszuarbeiten.567 Die Einfügung war umstritten.568 Zutreffend wurde festgestellt, dass ein Mehr an Text die Genauigkeit der Aussagen des Statuts nicht unbedingt erhöhe, sondern auch verringern könne.569 Dasselbe lässt sich über die dem Statut hinzugefügten Erläuterung – nichts anderes sind die „Verbrechenselemente“ schließlich – sagen, welche selbst der Auslegung bedürftig ist.570 Die „Verbrechenselemente“ (elements of crimes/éléments des crimes) sind ein eigenständiger Text,571 welcher dem Gerichtshof bei der Auslegung und Anwendung der Artt. 6 bis 8 „hilft“ (shall assist/aident)572 und 565

Präambel, 6. und 8. Abs. Vgl. Triffterer, in: ders., Commentary on the Rome Statute, preamble, Rn. 4. 567 Pellet, selbst Völkerrechtler, schreibt dazu, vorangegangen sei eine „veritable brainwashing operation led by criminal lawyers“, in: Cassese et al., Commentary, S. 1057. 568 UN Doc. A/CONF.183/C.1/L.53, S. 10. Zu den Vorarbeiten Report of the Preparatory Committee on the Establishment of the International Criminal Court, UN Doc. A/51/22 (1996), Vol. I, S. 17, Abs. 54 ff. und S. 41, Abs. 180. Zu einer ausführlicheren Darstellung der Gründe für die Einfügung Gadirov, in: Triffterer, Commentary of the Rome Statute, article 9, Rn. 1 ff. Vgl. auch Politi, in: Cassese et al., Commentary, S. 446 sowie von Hebel, in: Lee, Elements of Crimes, S. 3 ff. 569 Gadirov, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 9, Rn. 1 ff., Rn. 32–33. 570 Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1053 ff. zeigt sich bereits dem umfassenden Text des Statuts selbst eher kritisch eingestellt, da das Völkergewohnheitsrecht sehr wohl dem nullum crimen-Prinzip genüge und ergänzt, dass die „Verbrechenselemente“ die Nachteile des umfassenden Texte noch verschlechterten (S. 1059). 571 Nummer ICC-ASP/1/3 (part II-B), in Kraft seit 9. September 2002. 572 Art. 9 Abs. 1. 566

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

zu dem vom Gerichtshof anwendbaren Recht gehört573; Art. 21 Abs. 1 des Statuts sortiert sie gleich nach dem Statut innerhalb der Stufenfolge des anwendbaren Rechts in die erste Hierarchieebene ein.574 Die deutsche Übersetzung des Römischen Statuts setzt die „Verbrechenselemente“ in Anführungszeichen und weicht insofern von den authentischen Texten ab, bei denen solche Zeichen fehlen. Wenn im englischen Sprachraum von elements of (a) crime die Rede ist, so sind im Allgemeinen die Tatbestandsmerkmale gemeint.575 Das Statut weist in den Artt. 6 bis 8 eine Reihe von Merkmalen auf, die selbst als Tatbestandsmerkmale charakterisiert werden können. Verstünde man die „Verbrechenselemente“ als Tatbestandsmerkmale im eigentlichen Sinne, so ergäbe sich eine widersprüchliche Situation, denn Tatbestandsmerkmale können nicht bei der Auslegung von durch sie in Bezug genommenen Tatbestandsmerkmalen helfen. Handelte es sich bei den „Verbrechenselementen“ tatsächlich um Tatbestandsmerkmale im eigentlichen Sinne, so bedeutete dies eine Änderung des Statuts, da die Formulierungen, die sich in den „Verbrechenselementen“ finden, von denen des Statuts schon stilistisch und von ihrer Konstruktion her deutlich abweichen. Das Statut sieht aber nur eine Strafbarkeit nach dem Statut selbst vor (Art. 22 Abs. 1), und die „Verbrechenselemente“ müssen mit dem Statut vereinbar sein (Art. 9 Abs. 3). Daraus und aus der Aufgabe der „Verbrechenselemente“, dem Gerichtshof bei der Auslegung und Anwendung zu „helfen“, folgt, dass es sich bei diesen nicht um Tatbestandsmerkmale im eigentlichen Sinn handeln kann. Missverständlich ist daher die Formulierung von Gadirov: „Artikel 9 des Römischen Statuts bezieht sich nur auf die elements of crimes innerhalb der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs, ohne sie zu identifizieren“.576 Art. 9 des Statuts bezieht sich nämlich allenfalls insofern auf Tatbestandsmerkmale im eigentlichen Sinne, als sie mittelbar durch den Verweis auf die 573

Art. 21 Abs. 1. Zutreffend weist Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1077 f. darauf hin, dass es sich bei dem Verhältnis von Statut und „Verbrechenselementen“ im Grunde um keines einer Hierarchie von Rechtsquellen, sondern vielmehr um eines der Auslegung handele, da die „Verbrechenselemente“ dazu bestimmt seien, dem Gerichtshof bei der Auslegung und Anwendung zu helfen. 575 Der MPC beispielsweise spricht in § 2.02 von einzelnen „material elements of the offense“. 576 „Article 9 of the Rome Statute only refers to the elements of crimes within the jurisdiction of the ICC without identifying them“, Gadirov, in: Triffterer, Commentary of the Rome Statute, article 9, Rn. 11. Meine Übersetzung. von Hebel, in: Lee, Elements of Crimes, S. 3, nimmt die Begriffsgleicheit zum Anlass für eine klarstellende Fußnote (dort Fn. 1). 574

2. Kap.: Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Begründung

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Artt. 6 bis 8 in Bezug genommen werden. Die in Art. 9 genannten elements of crimes sind die Bezeichnung des so benannten gesonderten Textes, der „Verbrechenselemente“. Auf eine „Identifizierung“ der elements of crimes durch Art. 9 kommt es insofern nicht an. Art. 9 ist nur Bezugsnorm und Grundlage für die in einem gesonderten Text formulierten „Verbrechenselemente“ und stellt daher noch keine Entscheidung über materielle Fragen dar.577 Nicht in das Römische Statut mit aufgenommen wurde der Zusatz, dass die „Verbrechenselemente“ von dem Gerichtshof bei der Entscheidung über die Schuldigkeit des Angeklagten angewandt werden sollen.578 Etwas anders klingt es bei Politi,579 wonach die „Verbrechenselemente“ einen deutlichen Einfluss auf die Feststellungen des Gerichtshofes über die Strafbarkeit haben werden, und dass es sich bei ihnen um ein grundlegendes Werkzeug des Gerichtshofs für die Identifizierung der Umstände, welche bewiesen sein müssen, um Schuld festzustellen, handele. Dem kann nur insofern zugestimmt werden, als die Bedeutung der „Verbrechenselemente“ auf eine „Hilfe“ des Gerichtshofs beschränkt bleibt und dieser die Aussagen des Hilfsmittels stets an das Statut rückkoppelt. Dies deutet auch Politi an,580 wobei letztlich offen bleibt, inwiefern den Aussagen der „Verbrechenselemente“ eine für die Anwendung des Römischen Statuts durch den Gerichtshof mehr oder weniger verbindliche Bedeutung zukommt. Insofern schwer verständlich ist der Hinweis, von dem Gerichtshof werde erwartet, sich auf die erklärenden Hinweise der „Verbrechenselemente“ in dem Prozess der Feststellung von Schuld in dem selben Ausmaß zu stützen wie auf die Elemente selbst.581 Hieran zeigt sich die insgesamt vorherrschende Unsicherheit im Umgang mit den „Verbrechenselementen“; einerseits sind sie nun einmal in der Welt, können schon deshalb nicht ignoriert und mussten mit Sorgfalt formuliert werden; andererseits bleibt es gemäß Art. 9 des Statuts dabei, dass sie dem 577

Gadirov deutet dies ebenfalls an. Er unterscheidet zwischen den statutory definitions, also gleichsam den im Statut enthaltenen Definitionen der Verbrechen, und den annexed elements, also den „Verbrechenselementen“, deren bindende Wirkung „hardly the same“ sei. In: Triffterer, Commentary of the Rome Statute, article 9, Rn. 30. 578 So ein Vorschlag der amerikanischen Delegation, UN Doc. A/CONF. 183/C.1/L.69 (14 July 1998): „They shall be applied by the court in reaching determinations as to guilt.“ 579 In: Cassese et al., Commentary, S. 473. 580 Politi, S. 473. 581 Politi, S. 451; vgl. Fn. 587. Ähnlich Triffterer, Kriminalpolitische und dogmatische Überlegungen zum Entwurf gleichlautender „Elements of Crimes“ für alle Tatbestände des Völkermordes, FS-Roxin, S. 1430.

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

Gerichtshof lediglich „helfen“. Wie sehr der Gerichtshof sich auf diese „Hilfe“ angewiesen zu sein fühlen wird, bleibt abzuwarten.582 Pellet stellt dementsprechend die Frage, welchen Sinn die dem Gerichtshof gemäß Art. 9 Abs. 2 „helfenden“ „Verbrechenselemente“ denn haben könnten wenn nicht den, die Richter des Gerichtshofes „zu dominieren“.583 Auf Grund ihrer gemäß Art. 40 des Statuts unabhängigen Stellung584 liegt es bei den Richtern, sich „helfen“ zu lassen oder nicht. Auf eine Dominanz durch die „Verbrechenselemente“ müssen sich die Richter daher nicht einlassen. Gadirov deutet zudem an, dass der Gerichtshof gerade wegen Art. 9 Abs. 3 (wohl) die Kompetenz zur judicial review der „Verbrechenselemente“ habe.585 Insofern kann der Gerichtshof einer Dominanz durch die „Verbrechenselemente“ mit Selbstbewusstsein begegnen. Für die Anwendung und Auslegung des Statuts sind die „Verbrechenselemente“ hingegen (nur) von Bedeutung, sofern sie dem Gerichtshof hierbei „helfen“. Aus den bereits im Zusammenhang mit der Frage, ob die „Verbrechenselemente“ Tatbestandselemente im eigentlichen Sinne darstellen können, genannten Gründen haben die „Verbrechenselemente“ aber keine das Statut ändernde Wirkung. Bereits sprachlich kommt außerdem zum Ausdruck, dass die „Verbrechenselemente“ eine lediglich unterstützende und insofern im Verhältnis zum Statut nur sekundäre Funktion einnehmen.586 Art. 9 Abs. 3 fordert eine Vereinbarkeit der „Verbrechenselemente“ mit dem Statut selbst. Daraus folgt, dass die „Verbrechenselemente“ auch in der von ihnen vorausgesetzten inneren Struktur des Verbrechens nach dem Römischen Statut eben jenem folgen, also mit ihm vereinbar sein müssen.587 Aus dieser Abhängigkeit der „Verbrechenselemente“ vom Statut folgt auch, dass diese gerade nicht in „gleicher Weise“ im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. 582 Koch, Über den Wert der Verbrechenselemente („Elements of Crimes“) gem. Art. 9 IStGH-Statut, ZIS 2007, S. 154, nennt die „Verbrechenselemente“ denn auch eine „Übergangslösung“. 583 Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1062. 584 Vgl. auch Art. 36 Abs. 3. 585 Gadirov, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 9, Rn. 40. Ähnlich McKay, Characterising the System of the International Criminal Court: An Exploration of the Role of the Court Through the Elements of Crimes and the Crime of Genocide, 6 ICLR (2006), S. 269. 586 Pellet, in: Cassese et al., Commentary, S. 1079; Gadirov, in: Triffterer, Commentary of the Rome Statute, article 9, Rn. 40. Daher wäre dem Grunde nach eine Vorschrift ähnlich des sich auf die Verfahrens- und Beweisordnung beziehenden Art. 51 Abs. 5 überflüssig. 587 Vgl. Politi, in: Cassese et al., Commentary, S. 447 und S. 458 mit dem Hinweis, darauf, dass die „Verbrechenselemente“ stellenweise die Bedenken über deren Vereinbarkeit mit dem Statut eher erhöhten als zerstreuten.

2. Kap.: Statutsimmanente Strukturanalyse: Eine Begründung

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(a) WVK bei der Auslegung zu berücksichtigen sind; Art. 9 Abs. 3 des Statuts geht der dispositiven WVK insofern vor. Da es uns in dieser Arbeit um den Verbrechensbegriff des Römischen Statuts und damit um die innere Struktur des Verbrechens geht, und wir festgestellt haben, dass die „Verbrechenselemente“ keine die Struktur des Statuts ändernde oder antastende Wirkung besitzen, nehmen die „Verbrechenselemente“ auch im Rahmen dieser Arbeit nur eine sekundäre Rolle ein. Bei der statutsimmanenten Strukturanalyse, die wir im Dritten Teil unternehmen, werden wir auf die „Verbrechenselemente“ daher nur insoweit zurückkommen, als diese uns tatsächlich „helfen“ können, den Verbrechensbegriff des Statuts zu verstehen. Das bedeutet auch, dass die „Verbrechenselemente“ in solchen Fällen zurücktreten müssen, in denen sie die Position des Statuts eher verdunkeln als erhellen.588 Insofern kann auch zumindest im Rahmen dieser Arbeit die Frage offen bleiben,589 ob es sich bei den „Verbrechenselementen“ um verbindliche Vorgaben590 (rules) oder um bloße Leitlinien (guidelines591) handelt592, wobei, wie sich aus dem Vorangegangenen ergibt, letztlich wenig für eine Verbindlichkeit und vieles für eine bloße und unverbindliche Auslegungshilfe spricht.593

588 Oft werden Art. 30 Abs. 1 („Subjektiven Tatbestandsmerkmale“), der Vorsatz (intent) und Wissen (knowledge) fordert, sowie die General Introduction der „Verbrechenselemente“, die in Abs. 2 Satz 2 von „intent, knowledge or both“ spricht, während in Satz 1 von „intent and knowledge“ die Rede ist, genannt. Vgl. Politi, in: Cassese et al., Commentary, S. 460. Tatsächlich sind die „Verbrechenselemente“ hier korrekt und insofern erhellend, vgl. noch unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. c). 589 Die noch vor der Verabschiedung der „Verbrechenselemente“ aktuelle Frage, ob der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit auch ohne das Vorhandensein jener „Verbrechenselemente“ ausüben dürfe, ist nun auch überholt und kann offen bleiben. Dazu etwa Gadirov, in: Triffterer, Commentary of the Rome Statute, article 9, Rn. 35. 590 So klang es bei Bantekas/Nash, International Criminal Law (2. Aufl.), S. 390. 591 So überzeugend Gadirov, in: Triffterer, Commentary of the Rome Statute, article 9, Rn. 33 a. E. sowie Rn. 36 (zweiter Absatz); ebenso Politi, in: Cassese et al., Commentary, S. 447. 592 Cassese, in: ders. et al., Commentary, S. 348: „cannot be equated with binding rules, but rather have the value of auxiliary means of interpretation“. Nach Kelt/von Hebel, in: Lee, Elements of Crimes, S. 13, bestand diese Unsicherheit bereits während der Konferenz in Rom auch unter den Delegationen. 593 Dazu auch Pellet, oben Fn. 574. Vgl. auch von Hebel, in: Lee, Elements of Crimes, S. 8.

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

e) Art. 120 Art. 120 schließt Vorbehalte594 zum Statut ausdrücklich und unmissverständlich aus.595 Das hat viele Staaten nicht daran gehindert, bei unterschiedlichen Gelegenheiten (Auslegungs-)Erklärungen abzugeben, deren Inhalt einem Vorbehalt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. (d) WVK und Art. 120 entspricht.596 Solche Erklärungen sind wegen Art. 120 für die uns hier interessierende Geltung und Auslegung des Statuts sowie dessen Verbrechensbegriff unbeachtlich.597

Drittes Kapitel

Ergebnisse des Zweiten Teils: Die relative Bedeutung des Römischen Statuts Im Folgenden ist auf die ganz zu Anfang aufgeworfene Frage nach der methodischen und rechtlichen Begründetheit und Gebotenheit einer statutsimmanenten Strukturanalyse zurückzukommen. Es gilt daher, dazu die in den vorherigen drei Abschnitten gewonnenen Erkenntnisse zusammenzuführen. Schließlich folgt eine Schlussbetrachtung, die das Ergebnis des Zweiten Teils dieser Arbeit darstellt. I. Das Römische Statut als völkerstrafrechtlicher Vertrag Bei dem Römischen Statut handelt es sich je nach Blickwinkel um einen (völkerrechtlichen) Vertrag im Völkerstrafrecht oder um einen völkerstrafrechtlichen Vertrag im Völkerrecht. Diese Formulierungen sind, anders als es der erste Anschein vermitteln mag, nicht beliebig austauschbar. Vielmehr ist die erste Formulierung die engere, denn anerkanntermaßen handelt es sich beim Völkerstrafrecht um ein Teilgebiet des Völkerrechts, und innerhalb dieses Teilgebietes lassen sich verschiedene Erscheinungsformen des 594

Vgl. Art. 21 Abs. 1 lit. (d) WVK. Gemäß Art. 124 können beitretende Staaten erklären, dass sie die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs über Kriegsverbrechen (Art. 8) für sieben Jahre nicht anerkennen. Ein solcher Vorbehalt ist sachlich und zeitlich begrenzt und ändert nichts an Inhalt und Struktur des Statuts. Entsprechende Erklärungen sind im Rahmen dieser Arbeit daher nicht von Belang. 596 Schabas, United States Hostility to the International Criminal Court: It’s All About the Security Council, 15 EJIL (2004), S. 711. 597 Nicht nachzugehen ist in dieser Arbeit daher Fragen, die sich mit der Gültigkeit einer bedingten bzw. beschränkten Ratifikation des Statuts beschäftigen. 595

3. Kap.: Ergebnisse des Zweiten Teils

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Rechts ausmachen; dazu gehört auch die Erscheinungsform des Vertrages. Dieser ist zwingend einer der Völkerrechtsordnung. Bei der ersten Formulierung geht der Blick vom Gebiet des Völkerstrafrechts auf das Römische Statut als völkerrechtlichem Vertrag. Bei der zweiten Formulierung geht der Blick vom Völkerrecht auf das Römische Statut, welches seiner Form nach Vertrag und seinem Inhalt nach Völkerstrafrecht ist. Diese beiden möglichen Blickwinkel lassen sich auch an Hand der jeweiligen primären Adressaten verdeutlichen: Völkerstrafrecht hat als primären Adressaten und primären Rechtsunterworfenen per definitionem das Individuum, hatten wir doch oben die allgemeine Auffassung so zusammengefasst, dass das Völkerstrafrecht die Gesamtheit jener Rechtsnormen ist, aus denen sich eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit nach Völkerrecht und nicht aus dem staatlichen Recht ergibt.598 Wählt man diesen Blickwinkel, so tritt die formal bestimmbare Eigenart des Römischen Statuts als völkerrechtlicher Vertrag hinter seine inhaltlich bestimmbare Eigenart als Teil des Völkerstrafrechts zurück. Das Völkerrecht wiederum hat als primären Adressaten und primären, wenn nicht sogar ausschließlichen Rechtsschöpfer den Staat bzw. die Staaten in ihrer Gesamtheit. Wählt man also den Blickwinkel des Völkerrechts, so tritt die Eigenart des Römischen Statuts als völkerrechtlicher Vertrag vor dessen Eigenart als Teil des Völkerstrafrechts. Beide Blickwinkel bewirken also eine gedankliche Prädisposition.599 Welcher Blickwinkel ist daher einzunehmen, wenn es darum geht, das Römische Statut mit dem geringsten Maß an verzeichnendem Vorverständnis zu betrachten? Selbst wenn das Völkerrecht seiner Natur nach als ein auch von machtpolitischen Interessen überformtes Rechtsgebiet nicht mit letzter Genauigkeit zu beschreiben ist, so haben sich doch ungeachtet der Differenzen im Grundsätzlichen600 seine funktionalen Regeln601 über die letzten Jahrzehnte 598

Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. II. 1. Simpson, On the Magic Mountain: Teaching Public International Law, 10 EJIL (1999), S. 72, sieht zwei „Pole“ in der Lehre des Völkerrechts die sich „feindselig“ gegenüberstünden: legalism und realism. Auf „das“ Völkerstrafrecht übertragen bedeutet dies, dass es sich zum einen phänomenologisch („realistisch“) als Maßnahme gegen Makrokriminalität und Menschenrechtsverletzungen betrachten ließe und zum anderen individualistisch („legalistisch“) als an der Feststellung und Sanktionierung von Verantwortlichkeit interessiertes Rechtsgebiet. Dass eine „realistische“ Perspektive mit Auslegung des Römischen Statuts weniger streng umginge als eine „legalistische“, liegt auf der Hand, und damit erschließt sich auch die Bedeutung gedanklicher Prädisposition. Vgl. auch die Kritik von Bantekas, vgl. Fn. 47 u. 293. 600 Vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. I. 599

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

konsolidiert und sind allgemein anerkannt. Dazu beigetragen hat insbesondere das aus seiner Charta hervorgehende System der Vereinten Nationen, wozu nicht zuletzt auch der Internationale Gerichtshof zählt. Das Völkerrecht ist daher ein im Großen und Ganzen verlässliches Rechtsgebiet geworden. Das völkerrechtliche Teilrechtsgebiet des Völkerstrafrechts hingegen hat während der letzten anderthalb Jahrzehnte eine erstaunliche Dynamisierung erfahren. Noch zu Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts war die Existenz dieses Teilrechtsgebietes nicht unumstritten, und für dessen Legitimität gilt dies noch immer.602 Auch wenn durch die Judikatur insbesondere des Jugoslawien- und des Ruanda-Tribunals viele rechtliche Fragestellungen in für die Betroffenen verbindlicher Weise auf der teils mehr, teils weniger sicheren Grundlage von Völkergewohnheitsrecht sowie unter Heranziehung Allgemeiner Rechtsgrundsätze603 gelöst wurden, so kann dennoch von einer grundsätzlichen Konsolidierung der funktionalen Regeln604 nicht die Rede sein. Insbesondere sind alle mit dem Vorgehen bei der Rechtsfindung zusammenhängenden Fragen weiterhin aktuell. Die von der International Law Commission jahrzehntelang betriebenen Kodifikationsbemühungen bereiteten den Weg zur Römischen Bevollmächtigtenkonferenz, an dessen Ende als Ergebnis der Verhandlungen im Sommer 1998 das Römische Statut stand. Eine erste greifbare und recht umfassende Konsolidierung der zum Völkerstrafrecht zählenden Regelungsmaterie ist mit diesem Statut eingetreten. Es wäre hingegen paradox, das Konsolidierungssubjekt (Römisches Statut) in eine unkonsolidierte Materie (Völkerstrafrecht) einzubetten, welche wiederum das Verständnis des Subjekts überformt. Dies führt uns geradewegs zur Antwort auf die Frage nach dem Blickwinkel: auszugehen ist vom Völkerrecht, womit wir das Römische Statut als völkerstrafrechtlichen Vertrag im Völkerrecht bezeichnen. Da das allgemeine Völkerrecht die Verträge grundsätzlich nicht nach ihren Inhalten unterscheidet,605 gelten auch für das Römische Statut die – dispositiven – völkerrechtlichen Regeln. Dies haben wir unserer Untersuchung auch stets 601

Dazu gehören beispielsweise das Vertragsrecht, das Recht der Staatensukzession, das Recht der (maritimen) Grenzen, grundsätzlich auch das Recht der (kollektiven) Selbstverteidigung und das Diplomatenrecht. 602 Vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. II. 2. 603 Vgl. Fn. 481. 604 Umstritten sind insbesondere die Fragen, die mit der Zuständigkeit bzw. Gerichtsbarkeit zur Verfolgung von völkerstrafrechtlichen Verbrechen zusammenhängen; ebenso das Sanktionenrecht. 605 Vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. 2. a).

3. Kap.: Ergebnisse des Zweiten Teils

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zugrunde gelegt, indem wir zwischen äußerer und innerer Seite unterschieden haben. II. Die doppelte Schutzdimension der Auslegungsregeln Gleichzeitig zeigt sich parallel zu den beiden Blickwinkeln die doppelte Schutzdimension der Auslegungsregeln, die das Römische Statut betreffen. Die erste Schutzdimension ist eine klassisch völkerrechtliche. Sie dient dem Schutz der Staaten.606 Auf Grund des völkerrechtlichen Konsensprinzips können Staaten nur jenen Verpflichtungen unterworfen sein, denen sie zuvor zugestimmt haben. Wie bereits dargestellt,607 ergibt sich ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit hierbei gerade nicht aus einer subjektiven, den (vermeintlichen) Staatenwillen zum Maßstab nehmenden Auslegung. Vielmehr bietet dies der völkerrechtlich allgemein anerkannte Ansatz, den Text selbst – und zunächst auch nur diesen – als Ausdruck des Erklärungskonsenses der beteiligten Staaten zu nehmen und somit die Auslegung zu verobjektivieren. Den Staaten auferlegt das Römische Statut eine Reihe von Kooperations-, Verfolgungs- und Duldungspflichten,608 so dass sie ein grundlegendes Interesse an einer zuverlässigen Auslegung besitzen.609 Die zweite Schutzdimension dient dem Schutz des Individuums. Ihr vornehmster und bekanntester Ausdruck ist das Prinzip des nullum crimen sine lege.610 Während sich die Notwendigkeit der ersten Schutzdimension bereits aus dem für das Völkerrecht grundlegenden Konsensprinzip ableiten lässt, besteht für die zweite Schutzdimension ein solcher Zwang nicht. Vielmehr ergibt sie sich aus dem aus den Menschenrechten hervorgehenden Gedanken, dass niemand der willkürlichen611 Bestrafung – und damit der willkürlichen Freiheitsbeschränkung – soll ausgesetzt sein dürfen. Die Aus606 Anderer Ansicht ist, allerdings nur vor dem Hintergrund des nullum crimenPrinzips, Catenacci, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute, S. 93. 607 Vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 1. 608 Vgl. Artt. 4 Abs. 2; 12 Abs. 1; 27; 48; 86 ff.; 115; 119 Abs. 2, wobei die Artt. 48; 115; 119 keine unmittelbar strafrechtlich relevanten Regelungen treffen. 609 Dies gilt schließlich umso mehr, als die für die Staaten Handelnden dem Römischen Statut unterworfen sind und so mittelbar jeder Prozess gegen Individuen auch den Staat betrifft. Vgl. Broomhall, International Justice and the International Criminal Court: Between Sovereignty and the Rule of Law, S. 31; ebenso in: Triffterer, Commentary on the Rome Stattue, article 22, Rn. 12. Für Nesereko, The International Criminal Court: Jurisdictional and Related Issues, 10 CLF (1999), S. 104, ist es gar ein „truism“, dass ein Prozess gegen ein Individuum in Wirklichkeit ein Prozess gegen seinen Staat sei. Vgl. auch die Bemerkung Bergsmos, in Fn. 241. 610 Dazu oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. zu Art. 22 des Statuts. 611 Dazu gehört auch die Bestrafung von Verhalten, welches in der konkreten Situation alternativlos war.

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

legung muss daher auch berücksichtigen, ob und inwiefern der Aussagegehalt der auszulegenden Vorschrift für den individuellen Adressaten erkennbar und verständlich ist, mit anderen Worten, ob aus Sicht des Rechtsunterworfenen die Vorschrift hinreichend bestimmt ist. Von den Bestimmungen des Römischen Statuts ebenso betroffen ist der Gerichtshof. Daraus ergibt sich jedoch keine dritte Schutzdimension. Zwar ist der Gerichtshof Völkerrechtssubjekt612. Jedoch beruht er auf einem völkerrechtlichen Vertrag und ist von diesem abhängig. Nur innerhalb des Rahmens der Bestimmungen des Römischen Statuts kann er selbstständig tätig werden. Zu einer eigenständigen Rechtsschöpfung bzw. Abänderung des Statuts ist er nicht in der Lage.613 Ebenso wenig betreffen ihn die strafrechtlichen Bestimmungen des Statuts in einer die individuelle Freiheit einschränkenden Weise.614 Die erste Schutzdimension drückt sich vornehmlich in der äußeren Seite, also in den allgemeinen völkerrechtlichen Regeln aus, während die zweite Schutzdimension vorwiegend615 von der inneren Seite bestimmt wird. Da das Römische Statut primär ein völkerrechtlicher Vertrag ist, kommt die zweite Schutzdimension erst durch den ausdrücklichen Individuenbezug des Statuts616 zum Tragen. Daraus ergibt sich, dass die Auslegung des Römischen Statuts stets beide Schutzdimensionen berücksichtigen muss.617 Dabei hängt es von der zu untersuchenden Bestimmung des Statuts ab, ob der Schwerpunkt auf der ersten oder auf der zweiten Schutzdimension liegt.618 612

Artt. 1, 4. Dies gilt auch für die Urteile, die keine über den konkreten Fall hinausgehende Bindungswirkung entfalten, Art. 21 Abs. 2 und oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 3. a). 614 Was die für den Gerichtshof tätig werdenden Personen angeht, greift bereits die zweite Schutzdimension. 615 Die Begründung der zweiten Schutzdimension geht auf die Menschenrechte zurück; diese wiederum gehören der äußeren Seite, also dem unabhängig vom Römischen Statut geltenden Völkerrecht, an. Daher wirkt auch die äußere Seite auf die zweite Schutzdimension ein. Jedoch bewirken die das Statut nach außen öffnenden Klauseln des Art. 21 Abs. 1 einen direkten Einbezug der Menschenrechte in den Rahmen des vom Gerichtshof anwendbaren Rechts. 616 Präambel, 5. Abs.; Artt. 1; 22 Abs. 1; 24; insbesondere Artt. 25 ff.; Artt. 55 ff.; 63 ff. 617 Vgl. auch Arsanjani/Reisman, The Law-in-Action of the International Criminal Court, 99 AJIL (2005), S. 389, die einerseits auf die unveränderte Gültigkeit und Anwendbarkeit des textuellen (also objektiven) Ansatz von Art. 31 WVK hinweisen und gleichzeitig eine „innovative Auslegung“ als retroaktiv und als Verletzung des „Legalitätsprinzips“ des Art. 22 ansehen. Vgl. auch Fn. 335. 618 Broomhall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 22, Rn. 12 und Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for the New Millenium, S. 182, mit Verweis auf Broomhall. 613

3. Kap.: Ergebnisse des Zweiten Teils

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Was für die erste Schutzdimension das Konsensprinzip ist, sind für diese zweite Schutzdimension Menschenrecht und Gerechtigkeit. III. Die Bedeutung der Form für das Verständnis Das Römische Statut als Ausdruck dessen, was die Vertragsstaaten als Völkerstrafrecht im Anwendungsbereich des Statuts ansehen und gelten lassen wollen, macht es zum Ausgangsort aller Überlegungen, die sein Verständnis betreffen. Anders gewendet, wenn es um das Verstehen des Statuts geht, muss dieses selbst zur größtmöglichen Geltung gebracht werden. Das Ziel der Auslegung des Römischen Statuts ist daher nicht, eine größtmögliche Kongruenz mit der Materie herzustellen, die als Völkergewohnheitsstrafrecht außerhalb des Anwendungsbereiches des Statuts besteht;619 die „Denkrichtung“ ist eine andere: das Römische Statut schließt eine gewohnheitsrechtskonforme Auslegung nicht aus. Das Gewohnheitsrecht kann das Verständnis des Römischen Statuts jedoch nicht überformen, sondern lediglich bestätigen. Eine Auslegung des Römischen Statuts, die ein vom Gewohnheitsrecht abweichendes Ergebnis bringt, ist daher nicht zu vermeiden, sondern dann vom Römischen Statut gewollt.620 Demgegenüber vertritt beispielsweise Kreß die folgende Ansicht: Eine überwältigende und beständig wachsende Mehrheit von Staaten habe mit der Unterzeichnung des Römischen Statuts ihre Ansicht zum Ausdruck gebracht, dass die Liste der Kriegsverbrechen in Art. 8 Abs. 2 lit. (c) und (e) auf Gewohnheitsrecht basiere, obwohl der Nachweis über das Vorliegen einer allgemeinen Übung im Jahre 1998 schwierig zu führen gewesen sei. Daher sei dieser ganze Prozess wichtigster Beweis dafür, dass die Staaten Ausnahmen von diesen Erfordernissen zulassen wollten im Falle von Regeln, die sie für den Schutz der fundamentalen Werte der Menschheit als essentiell betrachten.621 Heintschel von Heinegg wendet hiergegen zutreffend ein, dass opinio iuris als konstitutives Element des Gewohnheitsrechts streng von opinio iuris conventionis zu unterscheiden sei.622 Noch grundsätzlicher wendet er ein, 619

Anderer Ansicht wohl Werle, oben Fn. 53. Art. 31 Abs. 3 lit. (c) WVK steht dem nicht entgegen. 621 Kreß, War Crimes Committed in Non-International Armed Conflict and the Emerging System of International Criminal Justice, 30 IsYHR (2001), S. 109. 622 Heintschel von Heinegg, Criminal International Law and Customary International Law, S. 42. Darüber hinaus klingt eine Mahnung zur Genauigkeit durch, wenn er darauf hinweist, dass es nicht erlaubt sei, von einer möglicherweise gegebenen gewohnheitsrechtlichen Geltung bestimmter Normen in internen bewaffneten Konflikten auf deren Sanktionierung mit individueller strafrechtlicher Verantwort620

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

es sei gar nicht belegt, dass die Staaten zumindest im Bereich des eigentlichen Gewohnheitsvölkerrechts darauf vorbereitet wären, Ausnahmen von den Voraussetzungen der Einheitlichkeit und Verbreitung zu machen. Solche Ausnahmen seien nicht mit der dogmatischen Basis des modernen Positivismus vereinbar.623 Wenn man also eine Ausnahme anerkennen will, so muss man sie zunächst erkennen und auch nachweisen. Dass eine hohe Zahl von Staaten ein Statut unterzeichnet hat, spricht zunächst nur dafür, dass diese Staaten eine entsprechende opinio iuris conventionis besitzen. Die Position, eine vertragliche Bestimmung sei Ausdruck von Gewohnheitsrecht (welches selbst schwer nachzuweisen sei), lässt sich insofern als opinio iuris bezeichnen, die allein, wie oben dargestellt, noch nicht ausreichend ist für die Begründung von (neuem) Gewohnheitsrecht. Die Anerkennung einer Ausnahme beruht insofern auf einer Wertung des Staatenverhaltens. Diese Wertung schließlich ist motiviert durch ein Ergebnis, nämlich dem Schutz der essentiellen Werte der Menschlichkeit. Dabei fehlt es aber an dem entscheidenden Beleg dafür, dass dieses Ergebnis tatsächlich bei den Staaten den Willen hervorgerufen hat, von den Grundvoraussetzungen des Entstehens von Gewohnheitsrecht abzuweichen.624 Ist man demgegenüber bereit, die vertragsrechtliche Geltung der Normen genügen zu lassen und vertraut darauf, dass diese in einem fortschreitenden Prozess von den Staaten allgemein rezipiert, als Recht anerkannt und damit zum Gewohnheitsrecht werden, so trägt dies zu einer wesentlich entspannteren rechtlichen Begründung ohne eine voreilige625 Anerkennung von Ausnahmen bei. lichkeit (nach Völkerrecht) zu schließen. Vgl. auch oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 2. c) . 623 Heintschel von Heinegg, Criminal International Law and Customary International Law, S. 42. 624 Siehe auch oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 1. c). Das Argument von Kreß bleibt so nur eine Behauptung. 625 Heintschel von Heinegg, Criminal International Law and Customary International Law, S. 46–47, weist auf eine wachsende Ungeduld der Öffentlichkeit und auch der Völkerrechtler hin. Der Wunsch nach einer Überwindung der Zurückhaltung der Staaten bei der Verabschiedung oder Ratifikation von bindenden Verträgen führe zu einer (voreiligen) Qualifizierung solcher Regeln als Ausdruck von Völkergewohnheitsrecht. Heintschel von Heinegg kritisiert dies zutreffend mit dem Argument, dass Völkerrechtler stets unterscheiden sollten zwischen dem existierenden Recht und jenem, welches sie für politisch wünschenswert halten. Auch Meron, War Crimes Law Comes of Age, 92 AJIL (1998), S. 467, sieht den Einfluß der Öffentlichkeit auf die Bildung von Völkergewohnheitsrecht. Zutreffend kritisch Maierhöfer, Weltrechtsprinzip und Immunität: das Völkerstrafrecht vor den Haager Richtern, EuGRZ 2005, S. 549–551.

3. Kap.: Ergebnisse des Zweiten Teils

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Nicht vollständig zuzustimmen ist auch Cassese, wenn er pauschal sagt, das Völkerstrafrecht sei „kein formalistisches, an rechtlichen Formalia ausgerichtetes Rechtsgebiet, sondern richtet sich auf das Verbieten und Verfolgen von Verbrechen, ganz gleich, auf welche Weise sie verübt wurden“.626 Gerade die Beachtung der von Cassese angeführten „Formalia“ kann aber vor einer willkürlichen, von individuellen Wertmaßstäben geprägten Rechtsauslegung schützen. Dies ist umso wichtiger, als es sich bei dem gesamten Regelungskomplex des Völkerstrafrechts noch immer um eine stark von machtpolitischen Interessenlagen und historisch komplexen Wirkzusammenhängen beeinflusste Materie handelt – dies gilt sowohl für die Frage nach Inhalt und Geltungsbereich der Normen wie auch für deren Wirksamkeit in realen Zusammenhängen. Davon ist die Beurteilung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu unterscheiden. Was sich als „zeitgeschichtliches Unglück“627 darstellt, ist das eine. Das andere ist es, ein Individuum für das von ihm verübte Unrecht verantwortlich zu machen. Hält man also die historisch erfassbare und die juristisch erfassbare Ebene auseinander, wird deutlich, dass sich die von Cassese benannte Ausrichtung des Völkerstrafrechts eher auf die historische Ebene bezieht. Was die juristische Ebene angeht, hat Cassese nämlich an anderer Stelle gerade die für das Individuum freiheitssichernde Wirkung methodischen und damit formalen Vorgehens betont.628 Zuzustimmen ist Cassese aber insofern, als er sagt, das Völkerstrafrecht richte sich auf das Verbieten und Verfolgen von Verbrechen. Das jedoch ist Ziel eines jeden Strafrechts, so dass sich daraus keine besonderen Schlussfolgerungen ableiten lassen können. Wenn er schließlich anfügt, „ganz gleich, auf welche Weise [die Verbrechen] verübt wurden“, so kann dies nur unter der Einschränkung einer strikten Beachtung des nullum crimenSatzes gelten. Mit anderen Worten gesagt, es muss stets das Verhalten unter das Verbrechen subsumiert werden können. Nicht zulässig ist es, das Verbrechen unter das Verhalten zu subsumieren und so eine als gerecht und nur von „Formalia“ gehinderte Bestrafung zu erreichen.629 Ebensowenig zulässig ist es, Vgl. auch Cryer, International Criminal Law vs State Souvereignty: Another Round?, 16 EJIL (2005), S. 983. 626 Cassese, International Criminal Law, S. 193: „International Criminal Law is not a formalistic body of law geared to legal technicalities but aims at proscribing and punishing crimes whatever the modalities of their commission.“ Vgl. auch oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. II. 2. a) (1) am Ende. 627 Neubacher, oben in Fn. 161. 628 Nämlich in seiner abweichenden Meinung in der Rechtssache Erdemovic. Dazu ausführlich oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 1. b) (2). 629 Mahnend auch Schabas, The International Criminal Court: The Secret of Its Success, 12 CLF (2001), S. 427: „The temptation to stretch the definitions of the

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

anerkannte völkerrechtliche Regelungen durch die Überhöhung teleologischer Argumente zu überwinden. Tatsächlich und schließlich besteht gar kein Konflikt zwischen der Verwirklichung der mit dem Römischen Statut angestrebten Ziele630 und einem an den Vorgaben des allgemeinen geltenden Völkerrechts orientieren Verständnisses des Statuts.631 IV. Die Position des Römischen Statuts Von Art. 10 wird eine Auslegung des Zweiten Teils des Statuts für insofern unzulässig erklärt, als dadurch Regeln des Völkerrechts „für andere Zwecke als diejenigen des Statuts“ beschränkt oder „berührt“ (besser: beeinflusst632) würden. Dass sich eine solche Regel im Statut überhaupt findet, überrascht vor dem Hintergrund der allgemeinen völkerrechtlichen Regel, wonach Verträge nur inter partes gelten.633 Verträge können zwar Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts werden;634 dies wäre dann aber keine Auswirkung von Auslegung, sondern einer gemeinsamen Übung aus Rechtsüberzeugung der Staaten, der opinio iuris conventionis. Das Römische Statut ist jedenfalls Rome Statute is a dangerous one, and it may imperil the Court in the future.“ Siehe auch unten S. 289, Fn. 347. 630 Diese benennt die Präambel, vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 3. c). 631 Maierhöfer, Weltrechtsprinzip und Immunität: das Völkerstrafrecht vor den Haager Richtern, EuGRZ 2005, S. 554 beschließt seine Besprechung des Urteils des Internationalen Gerichtshofes im Haftbefehl-Fall damit, zum einen das Verdienst des Urteils in der Besinnung auf die „klassische“ Konzeption des Völkerrechts – nämlich der Legitimation qua Staatenkonsens – zu sehen und zum anderen darauf hinzuweisen, dass eben auch dieses Völkerrechtsverständnis einen effektiven Menschenrechtsschutz ermögliche. 632 Die amtliche deutsche Übersetzung gibt mit „berührt“ den Sinn der Vorschrift nicht genau wieder. In der englischen Fassung heißt es „as limiting or prejudicing“, wobei „(to) prejudice“ eine stärkere Bedeutung als ein bloßes „berühren“ hat und vielmehr im Sinne von beeinflussen, Voreingenommenheit, Befangenheit oder Beeinträchtigung zu verstehen ist. In der französischen Fassung heißt es „comme limitant ou affectant“. „Affecter“ kann im Sinne eines bloßen „berührens“ wie auch in einem stärkeren Sinne als belasten, vorgeben oder (an)weisen verstanden werden. Die spanische Fassung lautet „limite o menoscabe“, wobei die Übersetzung von „menoscabar“ schädigen oder vermindern lautet; auch dies hat eine deutlich stärkere Bedeutung als bloßes „berühren“. Daher wird hier als Übersetzung das Wort „beeinflusst“ vorgeschlagen. 633 Oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 2. b). 634 Oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 2. a).

3. Kap.: Ergebnisse des Zweiten Teils

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Ausdruck der Rechtsüberzeugung der es tragenden Staaten,635 wobei sich der Gerichtshof auf das Statut als seine primäre Rechtsgrundlage beruft.636 Nicht zuletzt wird häufig gesagt, das Römische Statut sei auf Grund mehrerer package deals zustande gekommen, bei denen auf der Bevollmächtigtenkonferenz über ganze Blöcke des entstehenden Statuts verhandelt wurde, welche schließlich aneinandergefügt wurden. Mit anderen Worten, das Römische Statut ist das Ergebnis eines diplomatischen Prozesses.637 Selbst wenn man ungeachtet dessen das Römische Statut als „Kodifikation“ des zuvor geltenden Völker(straf)rechts auffasst und annimmt, das Statut bilde bloß geltendes Völkerrecht ab,638 ohne es zu verändern, so bliebe es doch bei der inter partes-Wirkung, die gerade verhindert, dass der Gehalt der Re635 Das viel zitierte Urteil des ICTY im Fall Furundzija (Prosecutor v. Anto Furundzija, Judgement, Trial Chamber, IT-95-17/1-T, 10. Dezember 1998) bezog sich bereits wenige Monate nach der Verabschiedung des Römischen Statuts, aber noch vor dessen Inkrafttreten auf dieses: „(. . .) Neither instrument [cf. 1996 Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind und das Römische Statut] is legally binding. (. . .) In many areas the Statute may be regarded as indicative of the legal views, i. e. opinio juris of a great number of States. Notwithstanding article 10 of the Statute, the purpose of which is to ensure that existing or developing law is not ‚limited‘ or ‚prejudiced‘ by the Statute’s provisions, resort may be had cum grano salis to these provisions to help to elucidate customary international law. Depending on the matter at issue, the Rome Statute may be taken to restate, reflect or clarify customary rules or crystallise them, whereas in some areas, it creates new law or modifies existing law. At any event, the Rome Statute by and large may be taken as constituting an authoritative expression of the legal views of a great number of States.“ Der ICTY unterscheidet hier aber nicht hinreichend genau opinio juris als Element des Gewohnheitsrechts und opinio juris conventionis als Voraussetzung für die Geltung des völkerrechtlichen Vertrages, so dass er im Grunde keine andere Aussage macht als die, dass das Römische Statut Ausdruck der Rechtsauffassung der Vertragsstaaten ist. Um den Gehalt des außerhalb des Statuts geltenden Gewohnheitsrechts auszumachen, genügt dies jedoch nicht. 636 Art. 21 Abs. 1 lit. (a); s. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 4. a). 637 Bogdan, Individual Criminal Responsibility in the Execution of a „Joint Criminal Enterprise“ in the Jurisprudence of the ad hoc International Tribunal for the Former Yugoslavia, 6 ICLR (2006), S. 68 (vgl. auch S. 77) nennt das Römische Statut in Anschluss an Bassiouni das „Ergebnis politischer Verhandlungen“ und schließt daraus zutreffend, dass es sich bei dem Statut nicht um eine „Kodifikation allgemeiner Grundsätze des Strafrechts“ handele bzw. der Dritte Teil des Statuts Teil des Völkergewohnheitsrechts sei (s. auch Fn. 481). Mit Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 267, läßt sich auch sagen, dass die Römische Konferenz mit den Verbrechensdefinitionen den kleinsten gemeinsamen Nenner hervorgebracht habe – ein Grund mehr, skeptisch zu bleiben hinsichtlich der Wiedergabe von Gewohnheitsrecht durch das Statut. 638 Zu der Skepsis auf der Konferenz in Rom über diese Frage und den Zusammenhang mit Art. 10 Bennouna, in: Cassese et al., Commentary, S. 1101–1104.

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

geln des Römischen Statuts, wie er durch Auslegung ermittelt wurde, das sonstige Völkerrecht einschränken oder beeinflussen639 würde.640 Insofern kommt dem einschränkenden „dieser Teil ist nicht so auszulegen“641 keine weitere Bedeutung zu, da ohnehin nur das zum Ausdruck gebracht wird, was nach dem allgemeinen Völkerrecht für das ganze Statut gilt.642 Unmittelbar einleuchtender als Art. 10 wäre allerdings eine Regel gewesen, die gleichsam umgekehrt bestimmen würde, dass das Römische Statut im Lichte der sonstigen Regeln des Völkerrechts auszulegen sei. Genau das sagt Art. 10 jedoch nicht.643 Selbst die zentralen Artt. 6 bis 8, die die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen benennen, leiten stets ein mit „[i]m Sinne dieses Statuts bedeutet . . .“.644 Ebenso unterstreicht Art. 5 Abs. 1 Satz 2 mit der Wendung, die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes erstrecke sich in Übereinstimmung mit diesem Statut auf die vier im weiteren genannten Verbrechen den stets zu berücksichtigenden Primat des Statuts gegenüber dem sonstigen Recht. Auch Art. 22 Abs. 3 beschränkt die Aussagen des Römischen Statuts, wonach Art. 22, der mit nullum crimen sine lege überschrieben ist, nicht bedeute, dass ein Verhalten nicht unabhängig von diesem Statut als nach dem Völkerrecht strafbar beurteilt werden könne. Durch diese Artikel ergibt sich als Position des Statuts selbst, dass es eine relative Bedeutung besitzt. In dem deutlichen Hinweis hierauf liegt 639

Oben Fn. 632. Broomhall, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 22, Rn. 50: „mutual independence of the Statute and the general international law“. Im Ergebnis wie hier auch Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 138 ff. 641 Englische Fassung: nothing in this part shall be interpreted . . .; französische Fassung: aucune disposition de présent chapitre ne doit être interprétée . . . Meine Hervorhebungen. 642 Vgl. Triffterer, in: ders., Commentary on the Rome Statute, article 10, Rn. 7 (am Ende), 12, 18. 643 Askin, Crimes within the Jurisdiction of the International Criminal Court, 10 CLF (1999), S. 57–58 kommt zu einem ähnlichen Schluß. Gaeta, The Defence of Superior Orders: The Statute of the International Criminal Court versus Customary International Law, 10 EJIL (1999), S. 174 und dort in Fn. 3, hingegen vernachlässigt, dass die Aussage von Art. 10 ohnehin auf das ganze Statut zutrifft, wenn sie a contrario argumentiert, die anderen Teile des Statuts zielten auf eine Kodifizierung des Gewohnheitsrechts ab. Sie fügt aber auch relativierend und daher eher verdunkelnd an, dass die Möglichkeit nicht ausgeschlossen sei, dass das Römische Recht dennoch vom Gewohnheitsrecht abweichen könne. Anderer Ansicht als hier Neubacher, Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 407. Vgl. auch oben Fn. 341. 644 Vgl. Askin, Crimes within the Jurisdiction of the International Criminal Court, 10 CLF (1999), S. 59. 640

3. Kap.: Ergebnisse des Zweiten Teils

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auch der Wert insbesondere von Art. 10, der gelegentlich als bedeutungslos gekennzeichnet wird645. V. Schlussfolgerungen Das Römische Statut errichtet eine völkerrechtliche Vertragsrechtsordnung. Seine Bestimmungen besitzen daher nur auf den Territorien der Vertragsstaaten Geltung. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Bestimmungen sukzessive allgemeine völkergewohnheitsrechtliche Geltung erlangen. Daraus ergibt sich die relative Bedeutung des Römischen Statuts: Das Römische Statut hat grundsätzlich nur Bedeutung in Bezug auf die Vertragsstaaten und deren Staatsangehörige. Das Römische Statut ist primär aus sich heraus auszulegen und stellt insofern ein self contained regime646 dar. Die strafrechtlichen Bestimmungen des Römischen Statuts sind nicht von einem parallelen Völkerstrafgewohnheitsrecht oder von parallelen Bestimmungen des nationalen Rechts abhängig, sondern grundsätzlich eigenständig.647 Das Römische Statut ist in das allgemeine Völkerrecht eingebettet. Soweit es eigene Regelungen trifft und diese von dispositivem Völkerrecht abweichen, gehen sie vor.648 645 Mit deutlichen Worten („of no real scope“; „an arrangement designed to dispel the concerns of the political decision-makers but to which legal experts do not expect to attach great importance“) Bennouna, in: Cassese et al., Commentary, S. 1106; s. auch Triffterer, in: ders., Commentary on the Rome Statute, article 10, Rn. 6–7. Hingegen Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 262: „more than meets the eye“, s. auch S. 269 ff. 646 So auch Cassese, The Statute of the International Criminal Court: Some Preliminary Reflections, 10 EJIL (1999), S. 151–152. Prinzipiell eher skeptisch gegenüber dem Konzept des self-contained regime zeigen sich hingegen Simma/Pulkowski, Of Planets and the Universe: Self-Contained Regimes in International Law, 17 EJIL (2006), S. 483 ff., 529, wobei sie nicht eine Einordnung des Römischen Statuts bzw. des Völkerstrafrechts vornehmen, sondern eine Untersuchung der „Subsysteme“ (S. 483) des Diplomatenrechts, des Europäischen Gemeinschaftsrechts, des der Welthandelsorganisation sowie den Bereich des Menschenrechtsschutzes. 647 Anderer Ansicht insofern Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 154, 173. Den Kompromisscharakter des Statuts sieht Werle aber auch, vgl. Rn. 179 und dort in Fn. 358. Ungenau ebenfalls Butler, A Selective and Annotated Bibliography of the International Criminal Court, 10 CLF (1999), S. 124. Die völkerrechtstheoretische Begründung für unsere Ansicht hat diese Arbeit in den vorangegangenen Ab-schnitten des Zweiten Teils geliefert; vgl. insbes. Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 2. c): Das Römische Statut als Produkt von Verhandlungen. Vgl. auch Gierhake, bei Fn. 128 und Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 261–263. Sadat betont, es sei „unvermeidlich“, dass sich das Recht „innerhalb des Statuts von dem Recht außerhalb des Statuts“ unterscheide.

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2. Teil: Die Methode der statutsimmanenten Strukturanalyse

Der große Vorteil des Römischen Statuts besteht darin, dass Erwägungen der Art „modernes Völkerrecht“/„traditionelles Völkerrecht“649 wegen der verbindlich festgelegten Strafbestimmungen des Zweiten Teils sowie der Allgemeinen Grundsätze des Dritten Teil des Statuts keine primär signifikante Rolle spielen. Dadurch ist das Römische Statut auch in der Lage, sich dem Vorwurf zu entziehen, hier werde das Recht des Stärkeren im Sinne des Rechts, welches vom Stärkeren – eines oder mehrerer Staaten oder auch Richter – für Recht gehalten wird, angewendet. Der Rechtsanwender besitzt nur noch eine Auslegungsmacht, die gegenüber dem Recht des Stärkeren jedoch verlässlicher gebunden ist. Das Römische Statut ist die Grundlage, der Maßstab und die Grenze der – idealiter optimalen – Rechtsanwendung durch den Gerichtshof.650 Die Bestimmung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts ist daher weitestgehend selbständig aus dem Statut vorzunehmen. Nur soweit das Römische Statut sich nach außen gegenüber weiterem Recht öffnet, können diese das Verständnis des Verbrechensbegriffs ergänzen. Die statutsimmanente Strukturanalyse mit dem Ziel der Ermittlung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts ist daher nicht nur begründbar, sondern vielmehr geboten.

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Ähnlich Cassese, The Statute of the International Criminal Court: Some Preliminary Reflections, 10 EJIL (1999), S. 157; Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 270; Askin, Crimes within the Jurisdiction of the International Criminal Court, 10 CLF (1999), S. 58, spricht von „a limited scope and purpose“. 649 Dazu vgl. Roberts, Traditional and Modern Approaches to Customary International Law: A Reconciliation, 95 AJIL (2001), S. 760. 650 Vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. II. 2. b).

Dritter Teil

Strukturen des Verbrechensbegriffs Erstes Kapitel

Axiome des Verbrechensbegriffs A. Vom Geschehen zur Strafbarkeit Im Folgenden lassen wir uns von der plastischen Vorstellung leiten, dass es stets irgendein Geschehen ist, welches den Beginn der Beschäftigung mit einem Verbrechen markiert, und dass am Ende eine Aussage über die Strafbarkeit dieses Geschehens getroffen werden kann. Wir werden die aufgefundenen Axiome in diesem Abschnitt zunächst linear ordnen, das heißt, entsprechend den Vorgaben des Statuts je nach ihrer relativen Nähe zum anfänglichen Geschehen bzw. zum finalen Strafausspruch.1 Damit vermeiden wir auch ein Vorsortieren der Merkmale auf Grund bekannter Verbrechensbegriffe und gründen so die nachfolgenden Überlegungen auf eine von möglichen Vorverständnissen weitestgehend freie Basis. Im sich anschließenden Zweiten Abschnitt – Der Wegfall von Strafbarkeit – geht es gleichsam um die Kehrseite, also um die besonderen Voraussetzungen für einen Freispruch. I. Überindividuelle Bedeutung und internationale Betroffenheit Das Statut weist dem Gerichtshof die Gerichtsbarkeit über die in ihm genannten Verbrechen zu, bei denen es sich um die „schwersten Verbrechen von internationalem Belang“2 handele. Gleichzeitig verdeutlicht das Statut, dass sich die Beschränkung der Gerichtsbarkeit nicht nur formell aus der gemäß Art. 22 Abs. 1 abschließenden Aufzählung von Verbrechen ergibt, sondern auch materiell aus deren Bedeutung: Nach Art. 5 Abs. 1 ist die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs auf die schwersten Verbrechen beschränkt, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren. 1 2

Vgl. bereits Fn. 541. Art. 1.

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Die Bedeutsamkeit dieser Verbrechen wird bereits von der Präambel hervorgehoben. In Abs. 4, ebenso wie in Abs. 9, findet sich die gleiche Formulierung wie in Art. 5 Abs. 1. Die Vertragsstaaten des Statuts bekräftigen, dass diese Verbrechen nicht ungestraft bleiben dürfen. Ebenso formulieren die Vertragsstaaten in Abs. 3 die „Erkenntnis“, dass diese „schweren Verbrechen den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt bedrohen“. Abs. 1 leitet ein mit der Betonung der gemeinsamen Bande der Völker und dem gemeinsamen Erbe der Kulturen. Demnach dienen die von Art. 5 genannten Verbrechen insbesondere dem Schutz überindividueller Interessen. Die Verwirklichung eines Verbrechens des Statuts verletzt daher nicht nur ein oder mehrere Individuen, sondern betrifft zugleich die internationale Gemeinschaft als Ganzes. Wenn – ausweislich Art. 5 Abs. 1 aber auch nur wenn – eine solche überindividuelle, internationale Betroffenheit besteht, hat der Gerichtshof Gerichtsbarkeit. Dies ist ein den Verbrechensbegriff von vornherein maßgeblich prägendes materielles Strukturmerkmal.3 Stellt man beispielsweise die Frage, ob ein Opfer einer von einem Verbrechen des Statuts erfassten Handlung zugunsten des Täters in diese einwilligen bzw. mit einer solchen Handlung einverstanden sein kann,4 muss 3 Davon unterscheidbar, aber ähnlich gelagert ist das prozessuale Zulässigkeitserfordernis nach Art. 17 Abs. 1 lit. (d); dazu El Zeidy, The Gravity Threshold under the Statute of the International Criminal Court, 19 CLF (2008), S. 35 ff., der auch die Behandlung dieser Vorschrift in der Lubanga-Entscheidung (oben Fn. 311) untersucht; besonders auf die das Auswahlermessen des Anklägers leitenden Aspekte stellt Murphy, Gravity Issues and the International Criminal Court, 17 CLF (2006), S. 281–315, ab. 4 Denkbar wäre etwa, dass ein nach dem III. Genfer Abkommen (1949) geschützter Kriegsgefangener in seine Erschießung – die nach Art. 8 Abs. 2 lit. (a) (i) des Römischen Statuts grundsätzlich strafbar ist – einwilligt, um der von ihm nicht mehr ertragenen Lage ein Ende zu setzen. Praktisch wichtig ist auch die Verbrechensmodalität der Vergewaltigung (Artt. 7 Abs. 1 lit. (g); 8 Abs. 2 lit. (b) xxii), lit. (e) vi), die schließlich eine sexuelle Handlung gegen den Willen der oder des Vergewaltigten darstellt. Sofern die sexuelle Handlung mit dem Willen der anderen Person vorgenommen wird, liegt ein Einverständnis vor und damit von vornherein gar kein Verbrechen. Dieser Fall ist daher anders gelagert als der erstgenannte der Erschießung. Schon deshalb sollten an den Willen der anderen Person höhere Anforderungen gestellt werden; ein bloßes übersich-ergehen-lassen kann für ein verbrechensausschließendes Einverständnis nicht ausreichen. Zu Recht stellen die Verbrechenselemente gemäß Art. 9 des Statuts zu den jeweiligen Verbrechensmodalitäten hohe Anforderungen an die Beachtlichkeit des Willens. Strukturell ist damit ein Gleichlauf zu der Unbeachtlichkeit von Einwilligungen gewahrt; insofern „helfen“ (Art. 9 Abs. 1) die Verbrechenselemente. Zum Gegenstandsbewusstsein auf Täterseite vgl. die Überlegungen zum Zweifel unten, Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. III. Schomburg/Peterson, Genuine Consent to Sexual Violence unter International Criminal Law, 101 AJIL (2007), S. 121–140, wiederum halten es – entgegen der

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man erkennen, dass durch eine solche – individuelle – Einwilligung die überindividuelle Ebene der internationalen Betroffenheit nicht berührt wird und damit nicht ausgeschlossen werden kann.5 Die drei vom Statut in den Artt. 6 bis 8 formulierten Verbrechensbestimmungen kennen jeweils überindividuelle Merkmale bzw. beziehen sich auf die Betroffenheit der internationalen Gemeinschaft: In Art. 6 ist dies die Absicht, eine Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. In Art. 7 wird die erforderliche Handlung6 eingebettet in den „Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung“. Nicht zuletzt ergibt sich aus der Bezeichnung des Verbrechens selbst – Verbrechen gegen die Menschlichkeit7 (ergänze: schlechthin) – dessen überindividuelle Bedeutung. Art. 8 nennt in Abs. 1 noch keine eigentlichen Tatbestandsmodalitäten, sondern bezieht sich auf die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes, welche „insbesondere“ dann gegeben sei, wenn das in Frage stehende Kriegsverbrechen von ihnen ausgewerteten Rechtsprechung der beiden ad hoc-Tribunale – für unrichtig, in der Nichteinwilligung zum sexuellen Verkehr ein Merkmal der Vergewaltigung als Modalität des Genozids, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder der Kriegsverbrechen zu sehen. Vielmehr träten diese Verbrechen per se unter Umständen des Zwanges auf, die eine echte Einwilligung unmöglich machten. Dieser Beobachtung ist zuzustimmen. Jedoch kann aus ihr nicht abgeleitet werden, dass eine Einwilligung nicht Bestandteil der Verbrechensmodalität wäre, sondern nur, dass sie regelmäßig – wenn nicht sogar fast, aber eben auch nur fast immer – unbeachtlich ist. Erst die Abwesenheit einer beachtlichen Einwilligung macht aus sexuellem Verkehr ein Verbrechen, und erst dann ist die überindividuelle Ebene der internationalen Betroffenheit berührt. Daher ist jeweils für den Einzelfall das die Abwesenheit einer beachtlichen Einwilligung festzustellen und dementsprechend die automatische Annahme, dass unter dem Umständen die Unbeachtlichkeit ohnehin feststehe, nicht richtig. Nach unserer Ansicht handelt es sich bei der Abwesenheit der Einwilligung um einen Bestandteil der Verbrechensmodalität der Vergewaltigung; nach der Ansicht von Schomburg/Peterson jedoch „at most“ um eine sogenannte „affirmative defence“ (S. 139). 5 Ähnlich Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, S. 118 sowie Mantovani, The General Principles of International Criminal Law: The Viewpoint of a National Criminal Lawyer, 1 JICJ (2003), S. 35–36, der aber, anders als wir, nicht schlussfolgert, dass das Statut Rechtfertigungsgründe von vornherein nicht zulasse (vgl. unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. II. ). 6 Zur Handlung unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 4. 7 Der Streit um die richtige Übersetzung von crimes against humanity soll hier nicht geführt werden. Ob von Menschheit oder Menschlichkeit oder Humanität oder dergleichen die Rede ist, spielt keine Rolle, da regelmäßig dasselbe gemeint ist; vgl. auch Präambel, 2. Abs., wo es in der amtlichen deutschen Übersetzung „Menschheit“ für „humanity“ heißt.

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als „Teil eines Planes oder einer Politik oder als Teil der Begehung solcher Verbrechen in großem Umfang verübt“ wird. Art. 8 Abs. 2 lit. (a) definiert Kriegsverbrechen mit Bezug auf „schwere Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949“ und stellt die Handlungen damit in den Geltungskontext der Genfer Abkommen.8 Auch Abs. 2 lit. (b), welcher bei Kriegsverbrechen in internationalen bewaffneten Konflikten Anwendung findet, nennt die Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht „schwer“. Abs. 2 lit. (c) wiederum kennt diesen internationalen Kontext nicht, da er bei bewaffneten Konflikten von nicht-internationalem Charakter eingreift. Aber auch hier geht es um schwere Verstöße gegen die Genfer Abkommen (gemeinsamer Artikel 3). Abs. 2 lit. (e) schließlich stellt „andere schwere Verstöße“ gegen das humanitäre Völkerrecht im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt als Kriegsverbrechen unter Strafe. Dabei sticht die Bestimmung von Art. 8 Abs. 1 aus zwei Gründen besonders hervor. Zum einen beginnen die anderen beiden Bestimmungen, Artt. 6 und 7, in ihren jeweiligen ersten Absätzen gleich mit einer Definition („im Sinne dieses Statuts bedeutet . . .“), während Art. 8 dazu erst in Abs. 2 kommt. Zum anderen beziehen sich die anderen Betroffenheits- bzw. überindividuellen Merkmale jeweils auf eine Handlung oder deren Ausmaß oder ein Schutzgut (etwa die „Gruppe“ in Art. 6), und dieser Bezug ist vorbehaltlos ausgestaltet. In Art. 8 Abs. 1 jedoch findet sich die weniger greifbare Formulierung „insbesondere“9, die sich zudem auf die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes bezieht. Auch ist Abs. 1 redundant; zunächst wiederholt er sinngemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. (c) und fügt dann den mit „insbesondere“ beginnenden Halbsatz an. Damit bezieht sich dieser, anders als die sonstigen Betroffenheits- oder überindividuellen Merkmale, nicht auf die Verbrechensbestimmung als solche, sondern auf die Ausübung der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes. Auch wenn Kriegsverbrechen bereits per se „schwerste Verbrechen von internationalem Belang“ sind, was bereits aus Artt. 1, 5 folgt, so deutet die „insbesondere“-Klausel darauf hin, dass der Gerichtshof nicht primär dazu berufen ist, vereinzelte Kriegsverbrechen zu verfolgen, sondern vielmehr solche, die in einem weiteren Zusammenhang stehen. Damit geht es nicht um die materielle Frage, ob ein vereinzeltes Kriegsverbrechen überhaupt von der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes erfasst ist (was zu bejahen ist), sondern um die prozedurale Frage, ob sich der Gerichtshof damit 8 Vgl. Art. 2 Genfer Abkommen I-IV (1949), nachdem ein „erklärter Krieg oder ein anderer bewaffneter Konflikt zwischen zwei oder mehreren“ Staaten die Konventionen anwendbar macht. 9 In der englischen Fassung heißt es „in particular“ und in der französischen „en particulier“.

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überhaupt befassen soll.10 Richtigerweise ist die „insbesondere“-Klausel daher nicht als Bestandteil der Definition von Kriegsverbrechen im Sinne des Statuts zu verstehen, sondern gleichsam als Anweisung an den Gerichtshof, die dringliche Verfolgung von Kriegsverbrechen, die in einem bestimmten Zusammenhang begangen wurden, von der weniger dringlichen Verfolgung vereinzelter Kriegsverbrechen zu unterscheiden.11 II. Grundbegriffe des strafbaren Geschehens 1. Der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen Teil 2 des Statuts, der mit „Gerichtsbarkeit, Zulässigkeit und anwendbares Recht“12 überschrieben ist, wird durch Art. 5 eingeleitet, der die Überschrift „Der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen“13 trägt und in Abs. 1 litt. (a)–(d) diese Verbrechen aufzählt, welche wiederum in den sich anschließenden Artt. 6 bis 8 ausführlich definiert14 werden15. Nach dem üblichen völkerrechtlichen Begriffsverständnis ist Gerichtsbarkeit „the legal power, established by the governing instrument, of courts or tribunals within their scope of competence to take cognizance of and to deal with matters actually brought before them“16. Das Römische Statut als „governing instrument“ ist es, welches dem Internationalen Strafgerichtshof sein „scope of competence“ vorgibt und seine „legal power“ begründet.17 10

Zur praktisch gleichlautenden, jedoch eine materielle Funktion besitzenden Formulierung des Art. 7 Abs. 1 unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 6. e) (2) (a). 11 Das typische Stichwort in der Literatur dazu lautet „threshold“. Vgl. Askin, Crimes within the Jurisdiction of the International Criminal Court, 10 CLF (1999), S. 50. 12 In der englischen Fassung heißt es „Jurisdiction, Admissibility and Applicable Law“. 13 „Crimes within the jurisdiction of the Court“. 14 Dass diese Bestimmungen die Verbrechen „definieren“, ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 sowie aus Art. 22 Abs. 2 der authentischen englischen, französischen und spanischen Sprachfassungen, während die deutsche Übersetzung insoweit von der „Begriffsbestimmung eines Verbrechens“ spricht. 15 Eine Ausnahme ist das Verbrechen der Aggression nach Art. 5 Abs. 1 lit. (d), welches in keinem eigenen Artikel näher bestimmt wird. Dies wiederum erklärt sich aus Art. 5 Abs. 2. 16 Steinberger, Judicial Settlement of International Disputes, EPIL, Bd. 3, S. 49. Bei Sadat The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, 5. Kapitel (S. 103 ff.), findet sich eine detaillierte Erörterung dieser Thematik; vgl. auch Fn. 109.

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Betrachtet man die Vielzahl der Vorschriften des Statuts, die sich auf das oder die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegende(n) Verbrechen beziehen,18 so fällt auf, dass sie die Wendung regelmäßig gewissermaßen als Sammelbegriff verwenden, anstatt sich auf die einzelnen Verbrechen zu beziehen. 2. Der zentrale Begriff der (individuellen) strafrechtlichen Verantwortlichkeit Art. 1, der erste operative Artikel des Statuts, rückt die Person in den Vordergrund, über die der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit ausübt. Die das Statut einleitende Präambel betont demgegenüber deutlich die besondere Schwere der Verbrechen und deren mannigfachen Auswirkungen und nennt den Täter (nur) einmal, nämlich in Abs. 5. Während Teil 2 des Statuts über Gerichtsbarkeit, Zulässigkeit und anwendbares Recht befindet und streckenweise in den Passagen über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zulässigkeit einer „Sache“ einen technischen Charakter aufweist, taucht wiederum in Teil 3 (Allgemeine Grundsätze des Strafrechts) in beinahe jedem Artikel die Wendung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf. Art. 25 Abs. 1 greift den Gedanken des Art. 1 auf und bestimmt, dass der Internationale Strafgerichtshof Gerichtsbarkeit über natürliche19 Per17 Dazu bereits oben Erster Teil, Zweites Kapitel, B. Der in der Einleitung aufgeworfenen Frage, ob es sich bei den „der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen“ um selbstständige Verbotsnormen oder um bloße Jurisdiktionsbestimmungen, also gewissermaßen Verweisungsregeln, handelt, wenden wir uns unten, Dritter Teil, Drittes Kapitel. B. I., zu. 18 Dies sind Artt. 5; 7 Abs. 1 lit. (h); 14 Abs. 1; 15 Abs. 1; 17 Abs. 2 lit. (a); 20 Abs. 3 lit. (a); 22 Abs. 1; 25 Abs. 2, 3; 28 bzw. 28 litt. (a), (b); 29; 30 Abs. 1; 31 Abs. 1 litt. (b), (d); 32 Abs. 2; 33 Abs. 1; 42 Abs. 1; 53 Abs. 1 lit. (a); 54 Abs. i lit. (b); 56 Abs. 2, 2 lit. (a); 58 Abs. 1 lit. (a), 2 lit. (b), 3 lit. (b), 7 lit. (c); 61 Abs. 7 lit. (c) (ii); 75 Abs. 4; 79 Abs. 1; 86; 93 Abs. 1 lit. (l), 10 lit. (a). 19 Damit fallen juristische Personen, mithin alle von ihren natürlichen Konstituenten abstrakten Organisationen, aus der Gerichtsbarkeit heraus; ein anderslautender, insbesondere von Frankreich befürworteter Entwurf hat sich auf der Konferenz in Rom nicht durchsetzen können; vgl. UN Doc. A/CONF.183/C.1/L.3 (1998) zum (damaligen) Artikel 23, Nrn. 5, 6. Eine Strafbarkeit von Organisationen als solche gibt es also nicht, sondern nur eine Strafbarkeit der in ihnen organisierten Personen. Dass die Frage der Zurechnung von strafbarem Verhalten, welches einer Organisation zugehörige Personen zeigen, auf sonstige organisierte Personen heftig umstritten ist, zeigt gerade die Diskussion um die Figur des joint criminal enterprise (JCE). Vgl. unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, A. I. Ausgehend vom Urteil des Internationalen Gerichtshofes vom 26. Februar 2007 in der Sache Application of the Convention on the Prevention and Punishment of

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sonen hat. Abs. 2 verfeinert diese Aussage dahingehend, dass die Begehung eines Verbrechens des Statuts die Person „individuell verantwortlich und strafbar“ werden lasse. Abs. 3 wiederum differenziert weiter, in dem dort verschiedene Modi aufgezählt werden, die eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit20 und Strafbarkeit21 begründen. Das Statut unterscheidet zudem zwischen strafrechtlicher Verantwortlichkeit und Bestrafung. Dies ergibt sich bereits sprachlich aus Artt. 25 Abs. 2, 3 und 30 Abs. 1. Art. 22 (nullum crimen sine lege) bezieht sich auch nur auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit, während Art. 23 (nulla poena sine lege) sich auf die Bestrafung einer „für schuldig erklärten[n]“22 Person bezieht. Ebenso unterscheiden Artt. 76 Abs. 1; 77 Abs. 1; 78 Abs. 3 die beiden Ebenen der Verurteilung wegen eines Verbrechens23 und die sich anschließende Ebene der Strafe in Art und Ausmaß. Dies spiegelt sich schließlich in der Unterscheidung einer „Berufung gegen [einen] Frei- oder Schuldspruch oder gegen den Strafspruch“24 gemäß Art. 81 wider. Der Begriff der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit beschreibt schließlich die persönliche Konsequenz der Begehung eines Verbrechens nach dem Statut und ist damit Voraussetzung für Strafbarkeit und Strafe (Art. 25 Abs. 2). Wenn wir daher im Folgenden die Voraussetzungen, die das Statut für die Feststellung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit aufstellt, zusammentragen, ist damit bereits ein maßgeblicher the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro) erörtert Meyer, Die Verantwortlichkeit von Vertragsstaaten nach der Völkermordkonvention, HRRS 2007, S. 218 ff., auch die Frage nach der (strafrechtlichen) Verantwortlichkeit souveräner Staaten, wobei er die ablehnende Haltung des IGH eher kritisch würdigt (bes. S. 229); zur selben Fragestellung auch Gaeta, On What Conditions Can a State Be Held Responnsible for Genocide?, 18 EJIL (2007), S. 631–648, die deutlich auf den Unterschied von individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit und Staatenverantwortlichkeit abhebt. 20 „[C]riminally responsible“. 21 „[L]iable for punishment“. 22 „A person convicted“/„Une personne qui a été condamnée“. Besser wäre eine neutrale deutsche Übersetzung, die lauten könnte: „Eine vom Gerichtshof verurteile Person . . .“. 23 Art. 76 Abs. 1: „in the event of a conviction“/„en cas de verdict de culpabilité“; Art. 77 Abs. 1: „a person convicted of a crime“/„une personne déclarée coupable d’un crime“. 24 „Appeal against decision of acquittal or conviction or against sentence“/„Appel d’une décision sur la culpabilité ou la peine“. Bemerkenswerterweise nennt die (gleichermaßen authentische) französische Fassung den Freispruch in der Überschrift zu Art. 81 nicht ausdrücklich; in Art. 81 Abs. 3 lit. (c) heißt es aber vollständig „en cas d’acquittement“. In der (authentischen) spanischen Fassung heißt es „Apelación del fallo condenatorio o absolutorio o de la pena“; hier ist der Freispruch mitgenannt.

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Schritt auf dem Weg zur Formulierung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts getan, hatten wir doch bereits in der Einführung gesagt, Verbrechensbegriff meine die systematisch geordnete Gesamtheit der rechtlichen Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach dem Römischen Statut25. Eine sprachliche Besonderheit bedarf noch der Erwähnung: während die deutsche Übersetzung des Statuts an einigen Stellen vom „Täter“ spricht,26 so nennen die authentische englische bzw. französische Fassung den „perpetrator“ bzw. den „auteur“ lediglich in der Präambel27 und in einer Nebenbestimmung28. An den anderen Stellen wählen sie hingegen mit „person“ bzw. „elle“ oder „(la) personne“ neutralere Ausdrucksweisen.29 Demnach ist „Täter“ kein Begriff, der in den Allgemeinen Grundsätzen des Statuts eine besondere Bedeutung hat. Die Person, die im deutschen Sprachgebrauch als Täter beschrieben würde, ist demnach jene, welche individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit trägt. Insofern verwenden wir in dieser Arbeit den neutralen Ausdruck „Handelnder“. 3. Gegenständliches Verbrechenselement Art. 30 Abs. 1 bestimmt, dass sich individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit nur ergebe, wenn „die objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich und wissentlich verwirklicht werden“. Den Wendungen „verwirklicht werden“30 sowie „vorsätzlich und wissentlich“31 wenden wir uns später zu; die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit haben wir eben besprochen. Es bleiben also die „objektiven Tatbestandsmerkmale“, die in den authentischen Fassungen mit „material elements“, „l’élément matériel“ bzw. „los elementos materiales“ bezeichnet werden. Die englische und spanische Fassung sowie die deutsche Übersetzung benennen diese Elemente im Plural, während die französische Fassung den Singular verwendet. In engerer Anlehnung an die authentischen Sprachversionen sollte im Deutschen nicht von den „objektiven Tatbestandsmerkmalen“ gesprochen werden, sondern besser vom „materiellen“ oder „gegenständlichen Verbre25

Vgl. oben Erster Teil, Erstes Kapitel. Präambel, 5. Abs.; Art. 25 Abs. 3 lit. (f); Art. 33 Abs. 1 sowie Abs. 1 litt. (a), (b); Art. 53 Abs. 2 lit. (c). 27 Präambel, 5. Abs. 28 Art. 53 Abs. 2 lit. (c). 29 Entsprechend verhält es sich mit der ebenfalls authentischen spanischen Fassung. 30 Besser müsste die Übersetzung lauten: „. . . begangen werden“. Vgl. unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 4. 31 Unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. a). 26

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chenselement“, denn nur so lässt sich eine von der deutschen Verbrechensdogmatik ausgehende gedankliche Prädisposition vermeiden.32 Interessanterweise verwendet das Statut die Wendung vom material element nur ein einziges Mal, nämlich in Art. 30 Abs. 1. Eine nähere ausdrückliche Bedeutungsklärung gibt es nicht.33 Immerhin klärt Art. 30 die Begriffe „Vorsatz“ und „Wissen“, mit welchen die gegenständlichen Verbrechenselemente verwirklich werden müssen. Dazu zählen nach Abs. 2 („im Hinblick auf“) zumindest Verhalten und Folgen sowie nach Abs. 3 Umstand und Folge.34 Fasst man diese drei Elemente – Verhalten, Folge(n), Umstand – als Mindestbestand der gegenständlichen Verbrechenselemente auf, so entspannt sich auch die Frage nach der Bedeutung der abweichenden Sprachfassungen dahingehend, als man einerseits im Singular von „dem“ gegenständlichen Verbrechenselement als Oberbegriff sprechen kann und andererseits im Plural von „den“ gegenständlichen Verbrechenselementen, wenn man sich auf einzelne Elemente bezieht. Aus Art. 30 Abs. 1 ergibt sich, dass die Verwirklichung des gegenständlichen Verbrechenselements Voraussetzung für die strafrechtliche Verantwortlichkeit „für ein (. . .) Verbrechen“ ist. Mit anderen Worten, die gegenständlichen Verbrechenselemente konstituieren die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegenden Verbrechen (mit). 4. Begehung, Handlung und Verhalten Strafrechtliche Verantwortlichkeit kann sich nach Art. 25 Abs. 3 auf Grund von Begehung, lit. (a), versuchter Begehung, lit. (f), Anordnung, Aufforderung oder Anstiftung zur (versuchten) Begehung, lit. (b), sowie Erleichterung der Begehung auf irgendeine Weise, litt. (c), (d), ergeben. Hinzu tritt die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Aufstachelung zur Begehung von Völkermord nach Art. 25 Abs. 3 lit. (e). Im Rahmen dieser Arbeit gehen wir von dem Standardfall (vgl. Art. 25 Abs. 2) der Begehung eines Ver32 Clark, Subjektive Merkmale im Völkerstrafrecht, 114 ZStW (2002), S. 376, weist denn auch auf die Schwierigkeiten eines einheitlichen Begriffsverständnisses bei den Verhandlungen in Rom hin. 33 Die englische Fassung erwähnt zwar in Artt. 82 Abs. 1 lit. (d); 83 Abs. 2; 103 Abs. 2 lit. (a) das Wort „materially“, wobei sich aber aus dem jeweiligen Kontext ergibt, dass es im Sinne von „erheblich“ verwendet wird; vgl. die französische Fassung und die insofern treffende deutsche Übersetzung. 34 Auf das im Zusammenhang mit den „Folgen“ stehenden Element des „gewöhnlichen Verlauf[es] der Ereignisse“ wird noch zurückzukommen sein (vgl. unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. a) sowie eingehend Dritter Teil, Drittes Kapitel, A. II.).

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brechens („commission of a crime“) aus; dies haben wir bereits in der Einleitung zum Dritten Teil erläutert.35 Zu bemerken ist auch, dass Abs. 2 und Abs. 3 des Art. 25 abgesehen von den in Abs. 3 genannten Modi weitestgehend wortgleich und damit redundant sind. Alle Verbrechensbestimmungen des Statuts gemäß Art. 5 setzen ausdrücklich „Handlungen“ („acts“) voraus36 und nennen die Modalitäten, in denen sich diese „Handlungen“ ausdrücken können. In Artt. 6 und 7 Abs. 1 heißt es, „jede der folgenden Handlung, die (. . .) begangen wird“37; in Art. 8 Abs. 2 lit. (a) „jede der folgenden Handlungen gegen (. . .) geschützte Personen (. . .)“38, in lit. (b) „jede der folgenden Handlungen“39, in lit. (c) „die Verübung40 jeder der folgenden Handlungen gegen Personen (. . .)“41, in lit. (e) „jede der folgenden Handlungen“42. Dabei zeigt sich das aus Art. 25 bekannte Merkmal der Begehung regelmäßig in Artt. 6 und 7 („begangen wird“). In Art. 8 taucht es neben Abs. 1 – den wir bereits besprochen haben43 – lediglich in Abs. 2 lit. (c) auf, wobei die deutsche Übersetzung dort nicht ganz genau von „Verübung“44 spricht. Der Begriff der Begehung ist dem Begriff der Handlung übergeordnet: Das jeweilige Verbrechen selbst wird in den Artt. 6 bis 8 definiert, und Bestandteil der Definition ist die Handlung. Die Verwirklichung dieser Handlung – als gegenständlichem Verbrechenselement45 – heißt Begehung, und da erst die Begehung eines Verbrechens strafrechtliche Verantwortlichkeit auslöst, schließt die Begehung eines Verbrechens eine entsprechende Handlung mit ein bzw. setzt diese voraus. Nach Art. 30 Abs. 2 lit. (a) muss sich der „Vorsatz“46 der Person auf ihr Verhalten („conduct“) erstrecken. Unter anderem nennen auch Artt. 31 35

Vgl. oben zu Beginn des Dritten Teils. Artt. 6 (Völkermord); 7 Abs. 1 (Verbrechen gegen die Menschlichkeit); 8 Abs. 2 litt. (a), (b), (c), (e) (Kriegsverbrechen). 37 Art. 6: „any of the following acts committed“; Art. 7: „any of the following acts when committed“. 38 „(. . .) any of the following acts against persons (. . .) protected (. . .)“. 39 „(. . .) any of the following acts“. 40 Zu dieser Übersetzung vgl. Fn. 44. 41 „(. . .) any of the following acts committed against persons (. . .)“. 42 „(. . .) any of the following acts (. . .)“. 43 Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. I. 44 Die englische Fassung nennt das Verb „committed“, während die deutsche Übersetzung substantivisch von „Verübung“ spricht. Besser wäre es, auch hier von „Begehung“ anstatt „Verübung“ zu sprechen, um einen einheitlichen Begriffsgebrauch zu erreichen; noch besser wäre die Verwendung von „begangen wird“. 45 Zu diesen vgl. Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 3. 46 Zum Vorsatz in Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. 36

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Abs. 1 und litt. (a), (b), (d) sowie 22 den Begriff des Verhaltens, wobei zudem die Artt. 20 Abs. 3; 22 Abs. 3; 32 Abs. 2 hervorzuheben sind,47 denn letztgenannte Artikel tragen zu einer Erhellung dieses Begriffes besonders bei. Art. 20 Abs. 3 spricht von einem „auch nach Artikel 6, 7 oder 8 verbotenen Verhalten“; Art. 22 Abs. 348 sagt, „dass ein Verhalten“ – ergänze: auch – „unabhängig von diesem Statut als nach dem Völkerrecht strafbar beurteilt werden kann“, und Art. 32 Abs. 2 regelt den Rechtsirrtum über die Frage, „ob ein bestimmtes Verhalten den Tatbestand eines (. . .) Verbrechens“ nach dem Römischen Statut erfüllt. In Zusammenschau mit den Nennungen in Art. 31 ergibt sich aus der Verwendung des Begriffes „Verhalten“, dass dieser vom Statut wertungsfrei ausgestaltet ist. Mit anderen Worten, die (Be-)Wertung des Verhaltens schließt sich an die Feststellung, dass es Verhalten gab, erst an. Damit geht der Begriff des Verhaltens dem der Handlung voraus, denn Handlung bezeichnet nach dem Römischen Statut bereits eine Modalität eines Verbrechens. Wenn man dies in die Formulierung von Art. 32 Abs. 2 übersetzt, ergibt sich, dass die Frage dahingeht, ob ein Verhalten die Verbrechenshandlung konstituiert. Ebenso geht der Begriff des Verhaltens dem der Begehung voraus, denn bei dem letzteren handelt es sich um den engeren Begriff, da sich die Begehung immer auf eine Handlungsmodalität gemäß einer Verbrechensbestimmung bezieht. Es gibt damit drei auf die Person bezogene Aktivitätsbegriffe, nämlich Begehung, Handlung und Verhalten: Der Begriff des Verhaltens („conduct“) erfasst die der Begehung zugrunde liegende menschliche Äußerung, die sich objektiv erfassen lässt und noch nicht bewertet wurde. Der Begriff der Handlung („act“) ist die Abstraktion einer Verbrechensmodalität, beispielsweise Tötung49, Verhängung bestimmter Maßnahmen50, Apartheid51. Der Begriff der Begehung („commission“)52 benennt die Verbrechensverwirklichung als solche. Sofern die Verbrechensmodalitäten auch ein inneres Moment formulieren, setzt die Verbrechensverwirklichung dieses mit voraus. Ohne das Vorliegen einer spezifischen Zerstörungsabsicht und das 47 Die weiteren Artikel sind 12 Abs. 2, 3; 17 Abs. 1 lit. (c); 20 Abs. 1; 24 Abs. 1; 78 Abs. 2; 90 Abs. 1, 7 und lit (b); 93 Abs. 10 lit. (a); 101 Abs. 1; 108 Abs. 1. An anderen Stellen ist ebenfalls die Rede von „conduct“, wobei sie sich jedoch nicht auf ein Verhalten eines möglichen Täters beziehen. 48 Zu diesem Artikel bereits ausführlich oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. 49 Vgl. etwa Artt. 6 lit. (a); 7 Abs. 1 lit. (a); 8 Abs. 2 lit. (a) (i). 50 Vgl. etwa Art. 6 lit. (d). 51 Vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. (j) i. V. m. Abs. 2 lit. (h). 52 Die entsprechenden Verben drücken dasselbe aus.

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Wissen darum würden etwa die in Art. 6 genannten Handlungen allein noch kein Verbrechen des Völkermordes ausmachen.53 Das Zweckbewusstsein54 ist dort, wo es gefordert wird, konstitutives Element der Verbrechensbegehung. Somit schließt der Begriff der Begehung nicht nur die Verwirklichung der gegenständlichen Verbrechenselemente, sondern auch die Verwirklichung bestimmter innerer Verbrechenselemente – namentlich das Zweckbewusstsein – mit ein. Der Begriff der Begehung ist schließlich Oberbegriff insofern, als er Verhalten und Handlung insgesamt erfasst und beide Begriffe somit verklammert; in eine lineare Ordnung gebracht bedeutet dies: Verhalten – Handlung – Begehung. 5. Folgen Nach Art. 30 Abs. 2 lit. (b), Abs. 3 müssen Folgen (consequence) von „Vorsatz“ und „Wissen“ der betreffenden Person umfasst sein. Dabei sind die Folgen über die Merkmale des „Herbeiführens“ (to cause) oder des Eintretens „im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse“ (occur in the ordinary couse of events) an den „Vorsatz“ der betreffenden Person angebunden.55 Nicht leicht ist auf den ersten Blick festzustellen, ob sich die „Handlungen“ (s. o.) der Artt. 6 bis 8 in einer schlichten Tätigkeit erschöpfen können, oder ob stets ein Erfolg im Sinne einer Auswirkung oder „Folge“ dieser Tätigkeit erforderlich ist. Während die Antwort für die allen Verbrechensbestimmungen gemeinsamen Modalität der „Tötung“56 insofern leicht fällt, als hier als Erfolg der Tod eines Menschen erforderlich ist, ist beispielsweise bei Art. 6 lit. (d) – „Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind“ – fraglich, ob tatsächlich ein Erfolg (Wirksamkeit der Maßnahmen) erforderlich ist oder die schlichte Tätigkeit (Verhängen) ausreicht. Ähnliches gilt für Art. 8 Abs. 2 lit. (b) xiv), wobei fraglich ist, ob die erklärte Aussetzung usw. von „Rechte[n] und Forderungen von Angehörigen der Gegenpartei“ nicht bereits in sich eine „Folge“ darstellt. Jedoch spricht ein Blick auf Art. 8 Abs. 2 lit. (b) xii); lit. (d) x) dafür, dass nicht jede Handlung auch eine Folge beinhalten muss, da dort lediglich „Erklärungen“ erforderlich sind. Ob tatsächlich (später) kein Pardon gegeben wird oder nicht oder ob die erklärende Person 53 Im Einzelnen zum erforderlichen Zweckbewusstsein bei Art. 6 vgl. Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. d) (2). 54 Zu diesem unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. d). 55 Vgl. unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, A. II. 56 Art. 6 lit. (a); Art. 7 Abs. 1 lit. (a); Art. 8 Abs. 2 lit. (a) (i), lit. (b) (vi), (xi), lit. (c) (i), lit. (d) (ix).

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ihre Erklärung bloß zum Schein, etwa zum Zweck der Einschüchterung, abgibt oder sie ernst meint, ist kein Merkmal des Wortlautes der Verbrechensdefinition. Für die Verwirklichung des Verbrechens genügt deshalb die bloße Handlung. Das Erfordernis des Eintretens einer Folge ist daher für jede Verbrechensmodalität gesondert festzustellen. 6. Umstand Nach Art. 30 Abs. 3 muss die Person das Bewusstsein des Vorliegens eines Umstandes („circumstance“) haben. Was ein solcher Umstand ist, definiert das Statut nicht ausdrücklich. Auch die Verbrechensdefinitionen (Artt. 5–8) erwähnen an keiner Stelle eigens „Umstände“, wobei es gerade wegen Art. 30 nahe liegt, dass sie solche enthalten: dort geht es um die Verwirklichung der gegenständlichen Elemente eines Verbrechens mit „Vorsatz“ und „Wissen“. Da Abs. 3 im Rahmen der Bedeutungsklärung von „Wissen“ die „Umstände“ nennt, heißt dies im Umkehrschluss, dass solche gerade Bestandteile des gegenständlichen Verbrechenselementes sind. Zunächst sind jedoch die Bestimmungen des Statuts zu betrachten, die eine ausdrückliche Nennung von „Umständen“ enthalten, um so den Begriff eingrenzen und besser fassen zu können, bevor wir uns den Verbrechensdefinitionen zuwenden. a) Teil 2 des Statuts Zwar taucht der Begriff in Teil 2 des Statuts einige Male auf, jedoch nicht im Rahmen der Verbrechensdefinitionen, sondern lediglich im Rahmen der Vorschriften über die Zulässigkeit einer Sache. Artt. 17 Abs. 2 lit. (b), (c); 18 Abs. 3, 7; 19 Abs. 4; 20 Abs. 3 lit. (b) nennen Umstände bzw. circumstances, wobei die deutsche Übersetzung teilweise „Sachlage“ lautet. Hierbei handelt es sich nicht um Merkmale, die für die Bestimmung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit relevant sind, sondern Fragen der Zulässigkeit betreffen. Auch Art. 14 Abs. 2 bestimmt, dass bei der Unterbreitung einer Situation durch einen Vertragsstaat „die maßgeblichen Umstände anzugeben“ sind. Hier kann nicht bereits prima facie entschieden werden, welche Art von „Umständen“ gemeint sind. b) Teil 3 des Statuts Umstände werden in Teil 3 des Statuts neben Art. 30 Abs. 3 in Artt. 25 Abs. 3 lit. (f); 28 lit. (a) i); 31 Abs. 1 litt. (b), (d) ii) genannt.

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Art. 25 Abs. 3 lit. (f) Satz 1 nennt „Umstände, die vom Willen des Handelnden unabhängig sind“. Es ist jedoch zweifelhaft, dass hiermit die gleichen „Umstände“ gemeint sind wie die des Art. 30 Abs. 3, bei dem sich das „Bewusstsein“ auf deren Vorliegen beziehen muss. Art. 25 Abs. 3 lit. (f) Satz 1 regelt den Versuch eines Verbrechens. Wäre der Handelnde sich des Vorliegens von Umständen, die ihn tatsächlich und von seinem Willen unabhängig an der Tatausführung hindern, bewusst, so würde er die nach Art. 25 Abs. 3 erforderliche Versuchshandlung erst gar nicht unternehmen. Setzte man die in beiden Artikeln genannten Umstände gleich, so würde dies zu der eben beschriebenen absurden Situation führen. Art. 28 lit. (a) i), der Voraussetzungen einer Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber für die Verbrechen ihrer Untergebenen nennt, rückt die „Umstände“ in den Zusammenhang des Wissenmüssens des Vorgesetzten.57 Nach Alt. 1 „wusste“ der Befehlshaber von den Verbrechen seiner Untergebenen. Für diese Alternative spielen „Umstände“ keine Rolle. Nach Alt. 2 „hätte [er von den Verbrechen] wissen müssen“58 – hier ergibt sich das Wissenmüssen aus den „zu der Zeit gegebenen Umstände[n]“. Zwar ist die Frage, ob Art. 28 ein eigenständiges Delikt dar- oder (bloß) eine von vorangegangenen Verbrechen akzessorische strafrechtliche Verantwortlichkeit aufstellt, noch immer nicht geklärt.59 Davon unabhängig lässt 57 Dass die betreffende Person Befehlshaber ist, könnte ebenfalls einen Umstand darstellen; vgl. Eser, in: Cassese et al., Commentary, S. 919 und unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 6. e). 58 Vgl. bei und in Fn. 271. 59 Differenziert zu der Frage nach dem Grund strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Vorgesetzten Nerlich, Superior Responsibility under Article 28 ICC Statute – For What Exactly is the Superior Held Responsible?, 5 JICJ (2007), S. 665–682. Er macht vier Formen der Vorgesetztenverantwortlichkeit aus. Die erste gleiche strukturell einer Strafbarkeit wegen Beihilfe durch Unterlassen (zur Kritik vgl. unten Fn. 326), so dass sich die Verantwortlichkeit aus eigenem Fehlverhalten und dem durch den Untergebenen begangenem Verbrechen ergebe; daher erscheine eine Strafbarkeitsmindung nicht gerechtfertigt. Die weiteren drei Formen beziehen sich nur auf eigenes Fehlverhalten des Vorgesetzten. s. auch Weigend, Bemerkungen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit im Völkerstrafrecht, 116 ZStW (2004), S. 1005 ff. Triffterer, „Command Responsibility“ – crimen sui generis or participation as „otherwise provided“ in Article 28 Rome Statute?, FS-Eser, S. 901 ff., 903 m. w. N., versteht Art. 28 als besondere Beteiligungsform, die Art. 25 Abs. 3 litt. (a) bis (e) erweitere und ergänze (S. 921 ff.). Vgl. auch Cryer, General Principles of Liability in International Criminal Law, in: McGoldrick et al., The International Criminal Court: Legal and Policy Issues, S. 258 und Bantekas, The Contemporary Law of Superior Responsibility, 93 AJIL (1999), S. 573–595, jew. m. w. N.; Meloni, Command Responsibility – Mode of Liability for the Crimes of Subordinates or Separate Offence of the Superior, 5 JICJ (2007), S. 619–637, die ähnlich wie Nerlich auf die unterschiedlichen Form abstellen will (S. 633), diese jedoch nicht deutlich herausarbeitet.

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sich aber sagen, dass in diesem Rahmen die „Umstände“ nicht eigenständige Verbrechensmerkmale und damit nicht unmittelbare Bestandteile der Definition des Deliktes bzw. des Haftungsmaßstabes sind, sondern vielmehr mittelbar tatsächlicher Maßstab für den Umfang der erforderlichen Informiertheit des Vorgesetzten. Es geht also um Gegebenheiten, die grundsätzlich unabhängig von der Anwendbarkeit des Art. 28 zur Zeit des entscheidenden Geschehens vorliegen. Insofern ergibt sich auch eine harmonische Beziehung der von Art. 30 Abs. 3 und der in Art. 28 genannten Umstände. Art. 30 Abs. 3 fordert das Bewusstsein, dass Umstände vorliegen. Wäre sich der Befehlshaber der nach Art. 28 erforderlichen Umstände gar nicht bewusst, so könnte er gar nicht wissen. Ein Wissenmüssen setzt ein Wissenkönnen voraus.60 Die §§ 4 Abs. 1 Satz 1; 13; 14 des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs machen aus der Vorgesetztenverantwortlichkeit eigene Delikte. Zum Unterlassen allgemein vgl. unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, A. III. Im Übrigen ist mit Weigend, Bemerkungen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit im Völkerstrafrecht, 116 ZStW (2004), S. 1003, zu sagen, dass die Vorgesetztenverantwortlichkeit gerade kein „Rettungsanker“ (so aber Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 452) ist, um anderweitige Beweisprobleme zu überwinden. 60 Dies ergibt sich zum einen aus der Logik und zum anderen aus dem Statut: ein Verständnis des Statuts, das zur Folge hat, eine Person für real Unmögliches zu bestrafen, wäre gemäß Art. 21 Abs. 3 wegen Unvereinbarkeit mit den Menschenrechten nicht zulässig, da es den Menschen desindividualisiert und bloß zum Objekt von Strafe macht. Schabas, General Principles of Criminal Law in the International Criminal Court Statute (Part III), 6 EJCrCLCJ (1998), S. 417, bemerkt, es sei logisch unmöglich, eine Vorsatztat („crime of intent“) durch Fahrlässigkeit („negligence“) zu begehen: Das fahrlässige Verhalten in Bezug auf die Nichtausführung der militärischen Vorgesetztenpflichten sei schwer mit solchen Straftaten vereinbar, die ein höchstes Maß an Vorsatz („highest level of intent“) voraussetzten. In der Sache geht es also in erster Linie um solche Verbrechen, die wie Art. 6 ein Zweckbewusstsein (zu diesem unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. f) voraussetzen. Wenn dieses Zweckbewusstsein bei den Untergebenen vorhanden ist, begehen diese das entsprechende Verbrechen. Sofern der – militärische, Abs. 1 – Vorgesetzte davon nicht wusste, aber „hätte wissen müssen“, ließe sich seine Verantwortlichkeit genau wegen dieses Versagens begründen. Eines eigenen Zweckbewusstseins bedürfte es dann nicht mehr. Im Grunde ginge es dann nicht um die Begehung einer Vorsatztat durch Fahrlässigkeit (so Schabas’ Ansatz), sondern nur noch um die Begehung einer Fahrlässigkeitstat. Während Ambos, General Principles of Criminal Law in the Rome Statute, 10 CLF (1999), S. 19, der Bemerkung Schabas’ zustimmt, weist er auf den etwas abweichenden Maßstab in Art. 28 Abs. 2 – bewusstes außer acht lassen; ähnlich lautet Art. 31 Abs. 1 lit. (b) – hin, der für zivile Vorgesetzte gilt, und der einen „Ausweg aus der logischen Sackgasse“ aufzeige. Auch wenn es sich, wie gezeigt, nicht unbedingt um eine logische Sackgasse handeln muss, so harmoniert der Standard für zivile Vorgesetzte dennoch besser mit dem allgemeinen Standard des Statuts; vgl. Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. b) sowie Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. III.

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Ähnliches lässt sich zu Art. 31 Abs. 1 lit. (b) sagen. Auch hier geht es um einen mittelbaren tatsächlichen Maßstab für die Bestimmung des Wissens oder In-Kauf-Nehmens des wahrscheinlichen Eintritts eines zu einem Verbrechen führenden Verhaltens. Art. 31 Abs. 1 lit. (d) ii) erinnert insofern an Art. 25 Abs. 3 lit. f) Satz 1, als es auch hier wieder um vom Handelnden unabhängige „Umstände“ geht. Jedoch bedingen die Umstände in dieser Vorschrift keinen Hinderungsgrund, sondern eine Gefahr, um deren Abwendung es dem Handelnden geht. Auch hier handelt es sich um Gegebenheiten, die zur Zeit des entscheidenden Geschehens vorliegen, wobei ihnen anders als bei Art. 28 und Art. 31 Abs. 1 lit. (b) nicht lediglich mittelbare, sondern vielmehr unmittelbare Bedeutung zukommt, ist doch das Bestehen dieser „Umstände“ bereits Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 31 Abs. 1 lit. (d). Was das Verhältnis zu dem Ausgangsartikel 30 Abs. 3 angeht, greift anders als noch bei Art. 25 Abs. 3 lit. (f) Satz 1 nicht der Einwand, es ergäbe sich eine absurde Situation. Vielmehr fordert Art. 31 Abs. 1 lit. (d) ii) selbst, dass die Person handelt, „um“ die Gefahr abzuwenden;61 ein Handeln zwecks Gefahrabwendung setzt Kenntnis von der Gefahr voraus, und daraus ergibt sich eine harmonische Beziehung zu Art. 30 Abs. 3, denn dieser fordert gerade das Bewusstsein vom Vorliegen des Umstandes, mithin der Gefahr.62 c) Die weiteren Teile des Statuts „Umstände“ finden in den weiteren Teilen des Statuts mehrfach Erwähnung; ganz überwiegend besteht jedoch kein Zusammenhang mit der Bestimmung strafbaren Verhaltens. Unter anderem sind es die folgenden Bestimmungen, die „Umstände“ nennen, wobei es sich nicht um solche handelt, die von Art. 30 Abs. 3 gemeint sind, da sich die Bestimmungen nicht auf die Verbrechen beziehen, sondern an den Ankläger oder den Gerichtshof richten: Art. 54 Abs. 1 lit. (a) erlegt dem Ankläger die Pflicht auf, belastende und entlastende Umstände gleichermaßen aufzuklären. Diese UmAuch Schabas sieht in Art. 28 Abs. 2 keine Fahrlässigkeitstat, sondern eine mit einem „full knowledge requirement“ (S. 419). Zur Frage nach den Erfordernissen an das innere Verbrechenselement vgl. Martinez, Understandung Mens Rea in Command Responsibility, 5 JICJ (2007), S. 638–664, die auch auf das Problem divergierender Begriffswelten und Übersetzungen hinweist (S. 640). Interessanterweise stützt sie sich selbst ausdrücklich auf die Begriffswelt des amerikanischen Model Penal Code (dort Fn. 15). 61 „[T]o avoid this threat“/„pour écarter cette menace“ (meine Hervorhebungen). 62 Auf das Element des zweckgerichteten Handelns bei Art. 31 Abs. 1 lit. (d) ist noch zurückzukommen (unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. III.).

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stände können also unterschiedliche rechtliche Bedeutung haben. Art. 74 Abs. 2 Satz 2 wiederum bestimmt, dass das Urteil „nicht über die in der Anklage dargestellten Tatsachen und Umstände (. . .) hinausgehen“ darf. Offenbar soll ein Unterschied von Tatsachen und Umständen bestehen. Dies ließe sich erklären, indem man im Rahmen von Art. 74 unter „Tatsachen“ jene tatsächlichen Gegebenheiten versteht, die sich auf den Beweis des Vorliegens einzelner (Handlungs-)Merkmale eines Verbrechens beziehen und unter „Umständen“ jene Gegebenheiten, die gewissermaßen den historischen Kontext ausmachen und als solche nicht von einer Person strafrechtlich zu verantworten sind. d) Zwischenergebnis In der Zusammenschau des bisher Dargestellten ergibt sich als Beschreibung dessen, was „Umstände“ sind, folgender Bestimmungssatz, dessen Tragfähigkeit im Folgenden zu testen sein wird: „Umstände“ sind Gegebenheiten, die grundsätzlich unabhängig von der Anwendbarkeit der jeweiligen Norm in der jeweiligen Situation vorliegen. Sie sind als solche nicht von einer Person strafrechtlich zu verantworten. Ihre jeweilige Bedeutung ergibt sich erst in dem Zusammenhang mit einer Bestimmung des Statuts. Als Bestandteil des gegenständlichen Verbrechenselementes muss ein Umstand gemäß Art. 30 Abs. 3 vom Bewusstsein des Handelnden hinsichtlich seines Vorliegens erfasst sein. e) „Umstände“ als Bestandteile der Verbrechensdefinitionen Im Folgenden sind die Verbrechensdefinitionen des Statuts daraufhin zu untersuchen, ob sie „Umstände“ enthalten, und inwiefern die soeben formulierte Beschreibung zutrifft und handhabbar ist, oder ob sie zu modifizieren ist. (1) Art. 6 Eser nennt als Beispiel für einen „Umstand“ die gewaltsame Überführung von Kindern [Art. 6 lit. (e)].63 Art. 6 bezeichnet dies als „Handlung“ („act“); bereits sprachlich liegt es daher näher, im Rahmen von Art. 30 von einem „Verhalten“ („conduct“) und nicht von einem „Umstand“ („circumstance“) auszugehen. Andererseits ließe sich mit „Umstand“ auch jedes qualifizierende Merkmal (nicht bloße Überführung, sondern „gewaltsame“ 63

Eser, in: Cassese et al., Commentary, S. 919.

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

Überführung) bezeichnen, das über die Aktivitätsbeschreibung hinausgeht. Dies läge auf der Linie Esers und ergäbe auch im Zusammenhang mit dem zuvor besprochenen Art. 54 Sinn, wonach Umstände eine be- oder entlastende Wirkung haben und insofern in strafrechtlicher Hinsicht (dis-)qualifizierend wirken können. Andererseits bedeutete die Einordnung des Merkmals „gewaltsam“ als Umstand, dass in Folge von Art. 30 Abs. 3 die Überführung nicht willentlich gewaltsam erfolgen müsste, es vielmehr ausreichte, dass der Handelnde ein entsprechendes Bedeutungsbewusstsein dafür mitbrächte.64 Mit anderen Worten, dies bedeutete eine deutliche Absenkung der Schwelle des erforderlichen inneren Verbrechenselementes, und deshalb ist die Einordnung eines Merkmals der Verbrechensdefinition nicht bloß von theoretischem Wert. Was Art. 6 angeht, so spricht vom Ergebnis her Art. 22 Abs. 265 dafür, das Merkmal „gewaltsam“ nicht als Umstand im Sinne von Art. 30 Abs. 3, sondern im Verbund mit „Überführung“ als Verhalten einzuordnen, da diese Auslegung für den Handelnden günstiger ist. Dies ist auch in systematischer Hinsicht überzeugend, risse doch die Einordnung von „gewaltsam“ als Umstand das Merkmal sozusagen gewaltsam vom anderen Merkmal „Überführung“ – welches ein von Art. 30 Abs. 2 erfasstes Merkmal ist66 – auseinander. Versteht man schließlich die „Überführung“ als tragendes Merkmal der Verbrechenshandlung, so erscheint demgegenüber das Merkmal „gewaltsam“ erstens als qualifizierend und zweitens als unselbständig. Verstünde man die „gewaltsame Überführung“ insgesamt als „Umstand“, so bedeutete dies, die Handlung des Verbrechens als ihren eigenen Umstand aufzufassen. Ausgehend vom obigen Erkenntnissatz lässt sich jedoch sagen, dass ein Umstand allenfalls erwünscht, aber nicht gewillkürt sein kann, also grundsätzlich der Disposition des Handelnden enthoben ist. Gäbe man diese Unterscheidung auf, so würden „Verhalten“ und „Umstand“ ununterscheidbar, was schon wegen des unterschiedlichen Erfordernisses an das innere Verbrechenselement keine vom Statut gedeckte Lösung sein kann. Es zeigt sich also auch an Hand von Art. 6, dass der zuvor formulierte Bestimmungssatz eine handhabbare Beschreibung dessen, was das Statut als „Umstand“ auffasst, darstellt und zu sachgerechten Ergebnissen führt. 64

Zum inneren Verbrechenselement vgl. unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A.

II. 7. 65

Zu diesem oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. Ob es sich bei der Überführung um „Verhalten“ – Art. 30 Abs. 2 lit. (a) – oder um „Folge“ – lit. (b) – handelt, kann hier dahinstehen, weil jedenfalls eine der beiden Ordnungen greift und insofern der erforderliche „Vorsatz“ gem. Abs. 2 gleich ist. „Umstand“ ist die Überführung auf Grundlage unseres Bestimmungssatzes nicht, weil es sich hierbei um ein vom Täter zu verwirklichendes Verhalten handelt. 66

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(2) Art. 7 (a) „Im Rahmen eines Angriffs und in Kenntnis dieses Angriffs“ Art. 7 nennt in der Verbrechensdefinition einerseits besondere „Handlungen“ und andererseits deren Begehung „im Rahmen eines (. . .) Angriffs gegen die Zivilbevölkerung“. Der „Angriff“ erfährt eine Legaldefinition in Abs. 2 lit. (a). Wird ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, und ergeht darüber ein Urteil, so muss erstens das Vorliegen der als Handlungen beschriebenen Merkmale des Art. 7 Abs. 1 durch einen genauen Tatsachenvortrag bewiesen sein, wobei eine genaue Rückkoppelung von zu beweisender Handlung und einzelner Tatsache erforderlich ist. Zweitens muss das Bestehen eines Angriffs gegen die Zivilbevölkerung vorgetragen werden. Angriff stellt ausweislich der Legaldefinition des Art. 7 Abs. 2 lit. (a) eine „Verhaltensweise“67 dar, welche eine Politik ausführt oder unterstützt, die einen „solchen Angriff zum Ziel hat“, wobei die „Verhaltensweise“ mit der „mehrfachen Begehung einer in Absatz 1 genannten Handlungen verbunden ist“. Dies gilt es zunächst zu entwirren: Bestehen muss jedenfalls eine Politik, welche einen Angriff zum Ziel hat. Die Verhaltensweise führt diese Politik aus, wobei diese Verhaltensweise68 – zumindest auch – das mehrfache Auftreten jenes in Abs. 1 genannten Verhaltens zeitigt. Die „Politik“ lässt sich als eine tatsächliche Gegebenheit, welche unabhängig von der Anwendbarkeit des Art. 7 in der jeweiligen Situation vorliegt, verstehen; auch enthält das Statut in Art. 7 keine Bestimmung, die die „Politik“ als solche für strafbar erklärt. Vielmehr ergibt sich eine Strafbarkeit erst aus der Verantwortlichkeit (Art. 25) für eine der in Abs. 1 genannten Handlungen. Die „Politik“ ist daher – als Element des „Rahmens“ der Handlung – nur mittelbar strafbar. Wenn es sich hierbei im Einklang mit unserem Erkenntnissatz um einen Umstand69 und nicht um eine von einer Person individuell verantwortete Handlung handelt, genügt also die Beschreibung eines historischen bzw. politischen Phänomens. 67

„[C]ourse of conduct“ bzw. „comportement“. „[C]ourse of conduct involving the (. . .) commission“ bzw. „comportement qui consiste en la commission“. 69 Anders Meseke, Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, S. 140, 144, der das Politik-Element nicht als „tatbestandliche Einschränkung, sondern lediglich [als] eine Beschränkung der gerichtlichen Zuständigkeit“ des Gerichtshofs ansieht. Unklar demgegenüber die Einordnung der erforderlichen Kenntnis des Angriffs auf S. 165 ff. Vgl. auch unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 6. f). 68

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Bei der „Verhaltensweise“ fällt die Einordnung weniger leicht, entsprechen sich doch Art. 7 Abs. 2 lit. (a) und Art. 30 Abs. 2 zumindest der französischen Fassung (es heißt jeweils comportement). Folgte aus der sprachlichen Entsprechung eine sachliche Entsprechung, bedeutete dies, dass die „Verhaltensweise“ von dem Willen der Person getragen sein müsste, welcher Handlungen nach Abs. 1 vorgeworfen werden. Dies ergäbe keinen Widerspruch zu Art. 7 Abs. 1, wonach die Person lediglich „Kenntnis“ des Angriffs, deren Bestandteil die „Verhaltensweise“ ist, haben muss, da Art. 7 insofern eine „andere Bestimmung“ im Sinne von Art. 30 Abs. 1 wäre. Sieht man die Funktion des Merkmals „Verhaltensweise“ nach Art. 7 Abs. 2 lit. (a) jedoch darin, den „Angriff“ näher zu bestimmen, so ergibt sich daraus, dass es bei diesem um ein Verhaltensmuster geht und nicht um das Verhalten eines Einzelnen im Sinne von Art. 30 Abs. 2.70 Auch wenn es in sprachlicher Hinsicht Überschneidungen mit Art. 30 gibt, so sind diese in sachlicher Hinsicht nicht entscheidend. Insofern ist die „Verhaltensweise“ im Einklang mit unserem Erkenntnissatz Umstand. Die Feststellung des Bestehens eines „Angriff[s] gegen die Zivilbevölkerung“ ist der Feststellung einer individuellen Strafbarkeit nach Art. 7 vorgelagert. Dies gründet sich auf zwei Überlegungen: Zum einen reicht eine (isolierte) Handlung nach Art. 7 Abs. 1 für die Strafbarkeit noch nicht aus. Zwar können die einem Individuum vorgeworfenen Handlungen insgesamt „Angriff“ sein und diesen damit gleichzeitig konstituieren; zwingend ist dies aber nicht. So reicht für die Strafbarkeit nämlich grundsätzlich eine Handlung nach Art. 7 Abs. 1 aus, während der „Angriff“ die „mehrfache Begehung“ solcher Handlungen voraussetzt. Insofern kann sich der Angriff auch aus der Vielzahl von Handlungen einer Vielzahl von Personen ergeben. Ob die Person, der eine konkrete „Handlung“ nach Abs. 1 vorgeworfen wird, auch an der „Politik“ oder den anderen Handlungen, die mit der „Verhaltensweise“ verbunden sind, beteiligt ist, spielt keine Rolle. 70 In diesem Sinne auch die Entscheidung UN ICTY, Prosecutor v. Tadic, IT-94-1-T, Decision on the Defence Motion on the Form of Indictment (14. November 1995), para. 11. Hilfreich erscheint ein Blick auf die Verwendung des Begriffes course of conduct im amerikanischen Stalking-Recht: Dort wird course of conduct regelmäßig im Sinne eines Verhaltensmusters (pattern of conduct) aufgefasst, welche eines Reihe von Handlungen über einen gewissen Zeitraum aufweise und vom Fortbestehen eines Zwecks zeuge. Vgl. Kansas Statute, Chapter 21, Article 34, § 38 (21–3438) lit. (d) Nr. (1); Penal Code of California, Section 646.9 lit. (f); People v. Payton, 612 N. Y. S. 2d 815 (Criminal Court, Kings County 1994.) Hier liegt die Funktion des Merkmals course of conduct darin, Einzelhandlungen von der Strafbarkeit auszuscheiden und nur mehrere, miteinander inhaltlich verbundene Handlungen als relevant zuzulassen.

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Zum anderen setzt Art. 7 Abs. 1 die „Kenntnis“ des Angriffs seitens der handelnden Person voraus,71 und eine solche Kenntnis lässt sich erst begründen, wenn bereits das Bestehen des Angriffs begründet worden ist. Was das innere Verbrechenselement angeht, stehen Art. 7 Abs. 1 und Art. 30 Abs. 3 in harmonischem Einklang.72 Insofern stellt das Merkmal „Angriff gegen die Zivilbevölkerung“ eine tatsächliche Gegebenheit dar, welche grundsätzlich unabhängig davon besteht, ob Art. 7 auf die konkrete Handlung einer konkreten Person Anwendung findet oder nicht, wobei die einzelne Person nicht den Angriff als solchen zu verantworten hat, sondern eine Handlung „im Rahmen“ dieses Angriffs. Ähnlich wie bereits zur „Politik“ gesagt gilt an dieser Stelle ebenso, dass die „Verhaltensweise“ als Element des Rahmens der Handlung nur mittelbar strafbar ist. Insofern führt unser Bestimmungssatz auch hier zu einem handhabbaren Ergebnis: Der „Angriff gegen die Zivilbevölkerung“ ist als „Umstand“ gemäß Art. 30 Abs. 3 aufzufassen und damit gegenständliches Verbrechenselement. Drittens muss bewiesen werden, dass die Handlung „im Rahmen“ des Angriffs stattfand. Einerseits ließe sich darauf abstellen, dass sich die in Frage stehende Handlung in das Muster des „Angriffs“ einfügen muss und, wenn dies der Fall ist, in dessen „Rahmen“ begangen wird. Dann wäre die Begehung im Rahmen des Angriffs „Umstand“. Andererseits ließe sich gerade mit Blick auf die englische Fassung, „committed as part of“, die als zweckgerichtet verstanden werden kann, darauf abstellen, dass das Begehen „im Rahmen“ des Angriffs Teil des Verhaltens im Sinne von Art. 30 Abs. 2 ist und deshalb gerade nicht von der Anwendbarkeit von Art. 7 in der konkreten Situation abstrahierbar ist. Die spanische Fassung („cuando se cometa como parte de“) würde dies stützen, wohingegen die Formulierung der französischen Fassung („commis dans le cadre de“) eher von der deutschen Fassung getroffen wird und nicht zweckgerichtet erscheint. Insofern spricht auch die Auslegungsregel des Art. 22 Abs. 2 Satz 2 für die Auslegung, die die Begehung im Rahmen des Angriffs als Verhalten auffasst, weil dies wegen des strengeren Erfordernisses hinsichtlich des inneren Verbrechenselementes eine Auslegung zugunsten des Beschuldigten ist. Demnach müsste der Beschuldigte entsprechend Art. 30 Abs. 2 lit. (a) seine Handlung willentlich in den Rahmen des Angriffs einpassen. In systematischer Hinsicht ist dieses Ergebnis auch stimmig: Art. 7 setzt „Kenntnis“ 71 Askin, Crimes within the Jurisdiction of the International Criminal Court, 10 CLF (1999), S. 43, bemerkt, dass dieses Erfordernis keine Grundlage in der Geschichte der Verbrechen gegen die Menschlichkeit habe und die Strafverfolgung noch weiter erschwere. 72 Ebenso Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 774.

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(„knowledge“) des Angriffs voraus. Nach Art. 30 Abs. 1 lit. (a) muss der Handelnde mit Verwirklichungsbewusstsein73, also willentlich, handeln; dieses Erfordernis bezieht sich jedenfalls auf eine der Handlungen des Art. 7 Abs. 1. Diese – willentlich ausgeführte – Handlung passt der Handelnde nun willentlich in den Rahmen des ihm bekannten Angriffs ein. Wenden wir den bislang bewährten Bestimmungssatz auf das Merkmal „im Rahmen“ an, so kommen wir ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es nicht um einen Umstand handelt: Fragen wir danach, ob es grundsätzlich unabhängig von der Anwendbarkeit des Art. 7 in der jeweiligen Situation stehen kann, so kommen wir zu einer verneinenden Antwort, denn das Merkmal „im Rahmen“ ist schier sinnlos ohne eine entsprechende Handlung des Handelnden. Insofern ist das Merkmal vom Handelnden abhängig. Auch hier bewährt sich unser Bestimmungssatz. Das Merkmal „im Rahmen“ ist Teil des Verhaltens des Handelnden. (b) Sonstige Merkmale Drei weitere Merkmale der Verbrechensbestimmung nach Art. 7 Abs. 1 kommen möglicherweise noch als „Umstand“ in Frage: In lit. (e) geht es neben Freiheitsentzug um „sonstige schwer wiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts“. Versteht man die Beraubung als Verhalten, so interessiert insbesondere das Merkmal „schwer wiegend“. Aber auch hier handelt es sich um ein die Handlung – Beraubung – qualifizierendes, insofern nicht selbständiges Merkmal und demnach nicht um einen Umstand. Interessanter ist das Merkmal „Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts“. Einschließlich des Merkmals „Verstoß“ wird man sagen können, dass es sich hierbei um ein nicht selbständiges Merkmal handelt, da der Verstoß selbst erst aus der Handlung des Handelnden folgt. Der Verstoß gegen die Grundregeln ist jedoch eine Folge – und damit über Art. 30 Abs. 2 lit. (b), Abs. 3 auch vom inneren Verbrechenselement zu erfassen. Wenn es jedoch nur um den Teil „Grundregeln des Völkerrechts“ geht, so lässt sich dieser unter Anwendung unseres Bestimmungssatzes als „Umstand“ verstehen, da die Grundregeln des Völkerrechts unabhängig von dem konkreten Geschehen bestehen, als solche nicht strafrechtliche Verantwortlichkeit nach sich ziehen und sich ihre Bedeutung im Rahmen des Statuts erst durch den Verstoß gegen sie ergibt. Bemerkenswert ist an dem Merkmal „Grundregeln des Völkerrechts“, dass es sich hierbei um einen Normbestand, damit um 73

Vgl. Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. a).

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einen „geistigen Gegenstand“ und gerade nicht um etwas Körperliches handelt. Daraus folgt, dass das Statut auch Normbestände – und damit auch grundsätzlich Rechtsbegriffe – als Bestandteile des gegenständlichen Verbrechenselementes ansieht. Folge (Verstoß) und Umstand (Grundregeln des Völkerrechts) sind als gegenständliche Verbrechenselemente miteinander verknüpft. Was das innere Verbrechenselement angeht, so ergibt sich eine Art Stufenverhältnis: Das Begebnisbewusstsein74 bezüglich des Umstandes ist Voraussetzung für ein sich daran anschließendes Verwirklichungs- bzw. Begebnisbewusstsein bezüglich der Folge. In Lit. (i) geht es um „zwangsweises Verschwindenlassen von Personen“. In der Struktur ist dieses Merkmal gleich dem der „gewaltsamen Überführung“ nach Art. 6 lit. (e); es gilt also das bereits Gesagte, nämlich dass es sich bei dem Wort „zwangsweise“ nicht um einen „Umstand“, sondern vielmehr um ein qualifizierendes und unselbständiges, vom „Verschwindenlassen“ abhängiges Merkmal handelt. Es handelt sich insgesamt um „Verhalten“ im Sinne von Art. 30. Gegen eine getrennte Betrachtung beider Bestandteile spricht schließlich die Legaldefinition in Abs. 2 lit. (i). Sie setzt die Anführungszeichen um alle Worte, behandelt also den Zwang und das Verschwindenlassen als eine Einheit. In Lit. (k) geht es um unmenschliche Handlungen, die „große Leiden“ oder „eine schwere Beeinträchtigung“ der Gesundheit verursachen. Hier liegt es schon sprachlich fern, „Umstände“ anzunehmen; vielmehr geht es um von Art. 25 Abs. 2 lit. (b) genannte „Folgen“. (3) Art. 8 Art. 8 Abs. 2 differenziert die Kriegsverbrechen nach zwei Merkmalen, wobei generell das Bestehen eines bewaffneten Konfliktes Voraussetzung ist:75 personal hinsichtlich der nach den Genfer Abkommen von 1949 geschützten Personen [lit. (a)] sowie räumlich, nämlich danach, ob ein internationaler [lit. (b)] bzw. nicht internationaler bewaffneter Konflikt [litt. (c), (d), (e), (f)] vorliegt. Diese räumliche Unterscheidung kennen auch die Genfer Abkommen76. 74

Zu den das innere Verbrechenselement beschreibenden Begriffen vgl. unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. a). 75 Zwar nennt Abs. 2 lit. (a) diesen nicht ausdrücklich; dies ergibt sich jedoch mittelbar daraus, dass die dort genannten Genfer Abkommen (1949) den bewaffneten Konflikt zur Voraussetzung haben. Allgemein wird die Verbindung von Verbrechen und bewaffnetem Konflikt „Nexus“ genannt; vgl. beispielhaft die Judikatur des Jugoslawientribunals in Fn. 79. 76 Jeweils Artt. 2 und 3 Genfer Abkommen I-IV (1949).

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Sowohl „bewaffneter Konflikt“ als auch die ihn qualifizierenden Merkmale „international“ bzw. „nicht-international“77 lassen sich als Beschreibungen tatsächlicher Gegebenheiten oder als subsumtionsfähige Rechtsbegriffe auffassen,78 wobei auch hinter letzteren wiederum tatsächliche Gegebenheiten stehen. Wenden wir unseren bewährten Bestimmungssatz auf die Merkmale an, kommen wir zu dem Ergebnis, dass sich sowohl „bewaffneter Konflikt“ sowie „international“ und „nicht-international“ zwanglos als „Umstand“ im Sinne von Art. 30 Abs. 3 verstehen lassen.79 Der Handelnde muss daher keine korrekte juristische Subsumtion vornehmen; vielmehr reicht es aus, wenn er sich des Vorliegens der tatsächlichen Umstände, die den internationalen oder nicht-internationalen bewaffneten Konflikt konstituieren, „bewusst“ ist. Gleiches gilt für die Eigenschaft einer betroffenen Person als von einem Genfer Abkommen von 1949 „geschützte Person“ in Abs. 2 lit. (a). (4) Art. 28 Art. 28 bestimmt die Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter. Grundsätzliche Voraussetzung für das Eingreifen dieser Vorschrift ist, dass die betreffende Person überhaupt Befehlshaber oder Vorgesetzter ist. Wenden wir unseren Bestimmungssatz auf dieses Merkmal an, so können wir dieses stimmig als Umstand im Sinne von Art. 30 Abs. 3 einordnen, denn Befehlshaber oder Vorgesetzter zu sein ist eine tatsächliche Gegebenheit; diese Eigenschaft besteht auch unabhängig davon, ob Art. 28 eingreift oder nicht; allein aus der Eigenschaft ergibt sich keine strafrechtliche Verantwortlichkeit, sondern erst im Zusammenhang mit einer fehlerhaften Ausübung von Kontrolle.80

77 Im Statut kennzeichnet dies die Wendung vom bewaffneten Konflikt, der keinen internationalen Charakter hat. 78 Dazu Decision on the Confirmation of Charges, The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Case No.: ICC-01/04-01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, paras. 205 ff. Vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 2. 79 Die insofern entgegenstehende Rechtsprechung des Jugoslawientribunals ist damit überwunden. Zur Ansicht des UN ICTY vgl. nur Prosecutor v. Tadic, IT-94-1-T, Trial Judgement, Rn. 572 ff. sowie Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction (2. Oktober 1995), Rn. 137 sowie die folgenden Urteile Prosecutor v. Delalic, IT-96-21-T, Rn. 193 ff.; Prosecutor v. Furundzija, IT-95-17/1-T. 80 Zu Art. 28 vgl. oben Fn. 59 ff.

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f) Ergebnis Stellt man den einer einzelnen Person vorgeworfenen Handlungen des Art. 7 Abs. 1 litt. (a)–(k) die Tatsachen des Art. 74 sowie dem „Angriff“ des Art. 7 wiederum die Umstände des Art. 74 gegenüber, so ergibt sich insgesamt ein harmonisches Bild. Unser Bestimmungssatz hat sich auch hier für die Ermittlung eines „Umstands“ als handhabbar und zutreffend erwiesen. Der Bestimmungssatz, der sich als Zwischenergebnis aus einer Zusammenschau jener Bestimmungen, die Umstände ausdrücklich nennen, ergab, hat sich auch bei der Analyse der Verbrechensdefinitionen als zuverlässig für die Ermittlung von „Umständen“ im Sinne des Art. 30 Abs. 3 erwiesen und steht daher unverändert auch im Ergebnis: „Umstände“ sind Gegebenheiten, die grundsätzlich unabhängig von der Anwendbarkeit der jeweiligen Norm in der jeweiligen Situation vorliegen. Sie sind als solche nicht von einer Person strafrechtlich zu verantworten. Ihre jeweilige Bedeutung ergibt sich erst in dem Zusammenhang mit einer Bestimmung des Statuts. Als Bestandteil des gegenständlichen Verbrechenselementes muss ein Umstand gemäß Art. 30 Abs. 3 vom Bewusstsein des Handelnden hinsichtlich seines Vorliegens erfasst sein. Während etwa Sadat beklagt, dass das Statut nicht zwischen „jurisdictional elements“ und „material elements of offences“ unterscheide,81 ergibt sich nach unserer Auffassung gar kein Problem. Alle82 Elemente der Verbrechensdefinitionen lassen sich in eine der gegenständlichen Kategorien einordnen, und ausweislich Art. 30 führt daran auch kein Weg vorbei. Das Statut selbst muss klarstellen, dass es auch „jurisdictional elements“ kennt, für die die Erfordernisse des Art. 30 nicht gelten. Ein Beispiel für eine derartige Entscheidung stellt Art. 8 Abs. 1 dar.83 Das von Sadat angeführte Effizienzargument reicht nicht aus, eine Kategorie nicht-gegenständlicher Gerichtsbarkeitselemente zu begründen. Vielmehr stellen die meisten angeblichen „jurisdictional (oder: contextual) elements“ schlichtweg Umstände dar, und auf diese muss sich schließlich das innere Verbrechenselement nach Art. 30 beziehen.84 81 Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 146 ff. sowie 151 ff. 82 Sofern es sich um ein Merkmal des inneren Verbrechenselementes (namentlich das Zweckbewusstsein, vgl. unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. f) handelt, gilt dies natürlich nicht. 83 Vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. I. am Ende. 84 Genauer: das Begebnisbewusstsein; dazu unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. a). Das „more difficult problem“, das Sadat (S. 148, Fn. 91) sieht, besteht bei

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7. Vorsatz und Wissen a) Gegenstandsbewusstsein und inneres Verbrechenselement Art. 30 Abs. 185 stellt als Voraussetzung strafrechtlicher Verantwortlichkeit die „vorsätzlich[e] und wissentlich[e]“ Verwirklichung der „objektiven Tatbestandsmerkmale“ auf. Bereits in der Einleitung haben wir darauf hingewiesen, dass diese Aussage dem deutschen Strafrechtler redundant erscheinen wird, gilt doch nach allgemeinem Verständnis, dass „Vorsatz“ sich in dem „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“ zeige.86 Ein genauerer Blick auf Art. 30 zeigt jedoch, dass die Vorschrift hinsichtlich der vom „Vorsatz“ und vom „Wissen“ erfassten „objektiven Tatbestandsmerkmale“ differenziert: Nach Abs. 2 müssen „Verhalten“ sowie „Folgen“ vom „Vorsatz“ erfasst sein, und nach Abs. 3 bezieht sich das „Wissen“ auf „Umstand“ und „Folge“. Anders als nach deutscher Diktion lässt sich „Vorsatz“ daher nicht zwanglos als Oberbegriff für voluntative und kognitive Elemente verstehen. Lichte betrachtet also gar nicht. Vgl. auch Werle/Jessberger, ‚Unless Otherwise Provided‘ – Article 30 of the ICC Statute and the Mental Element of Crimes under International Criminal Law, 3 JICJ (2005), S. 49–50. 85 Art. 30 ist die erste Vorschrift über das innere Verbrechenselement in einem völkerstrafrechtlichen Text überhaupt. Monographisch Roßkopf, Die innere Tatseite des Völkerrechtsverbrechens. 86 Genauer muss es heißen, Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatumstände, vgl. nur Wessels/ Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, Rn. 203. Roßkopf, Die innere Tatseite des Völkerrechtsverbrechens, S. 191, 51 ff., 55, hält diese Formel sogar für „falsch“. Die Bedenken, die etwa Ambos, General Principles of International Criminal Law, 10 CLF (1999), S. 22, ob der angeblichen Vermischung von Wissen und Wollen hegte, werden im Folgenden zu zerstreuen sein. Dazu auch Werle/Jessberger, in Fn. 103 und bereits unsere Einleitung, oben Erster Teil, Erstes Kapitel. Ohnehin ist mit Clark, The Mental Element in International Criminal Law: The Rome Statute of the International Criminal Court and the Elements of Offences, 12 CLF (2001), S. 302, zu sagen, dass intent für einen Common law lawyer etwas anderes meint als für einen Civil law lawyer, und es sei weiterhin an unsere Bemühungen um ein statutsimmanentes Begriffsverständnis erinnert. Zu den verschiedenen Ebenen von mens rea vgl. etwa Kadish, Act and Omission, Mens Rea, and Complicity: Approaches to Codification, 1 CLF (1989), S. 72 ff. Dezidiert anders geht Mantovani, The General Principles of International Criminal Law: The Viewpoint of a National Criminal Lawyer, 1 JICJ (2003), S. 32, vor, der die Begriffswelt des Römischen Statuts an der Begriffswelt an der Sprache der „meisten europäischen Strafgesetzbücher“ misst. Indem er etwa recklessness mit dolus eventualis gleichsetzt, trägt er bereits zu einem verschwommenen Bild bei – es ist schließlich nicht so sicher, dass bedingter Vorstz und recklessness wirklich das gleiche meinen, oder ob sie nur ähnlich sind; abgesehen davon sind beide keine Begriffe des Statuts.

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„Vorsatz“ umfasst nach Abs. 2 Wollen von Verhalten und Folge – litt. (a), (b) – sowie das Bewusstsein des Eintretenwerdens einer Folge im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse – lit. (b). „Wissen“ umfasst nach Abs. 3 Bewusstsein des Vorliegens eines Umstandes sowie das Bewusstsein des Eintretenwerdens einer Folge im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse. Zwischen „Vorsatz“ und „Wissen“ ergeben sich Überschneidungen insofern, als beide Begriffe jeweils das Bewusstsein des Eintretenwerdens einer Folge erfassen.87 Umgekehrt formuliert könnte man sagen, dass Folgen sowohl vom Vorsatz als auch vom Wissen des Handelnden erfasst sein müssen. Das wäre jedoch etwas ungenau: Vielmehr müssen Folgen mindestens vom Bewusstsein des Handelnden erfasst sein, wobei deren Eintreten auch gewollt sein kann. Fraglich ist nun, ob der in allen hier untersuchten Sprachfassungen des Statuts auftauchende kleine Unterschied in den Formulierungen der Abs. 2 und 3 hinsichtlich der Folgen Signifikanz besitzt: In Abs. 2 heißt es, Vorsatz liege vor, wenn der Person im Hinblick auf die Folge bewusst ist, dass diese eintreten werde.88 In Abs. 3 heißt es, Wissen bedeute das Bewusstsein, dass eine Folge eintreten werde.89 Das sich auf Folgen beziehende Bewusstsein des Handelnden, soweit es um Bewusstsein als Vorsatzelement geht, scheint daher spezifischer ausgerichtet zu sein als das Bewusstsein, soweit es um Bewusstsein als Wissenselement geht. Das erscheint insofern konsequent, als man unter „Vorsatz“ eine voluntative Komponente der „subjektiven Tatbestandsmerkmale“ verstehen kann.90 Gewillkürt kann dann aber nur etwas Bestimmbares, etwas mehr oder weniger Spezifisches sein. Im systematischen Zusammenhang von Art. 30 Abs. 2 sticht lit. (b) 2. Alt. ohnehin etwas heraus, denn 87 Eingehender zu dem Merkmal „gewöhnliche[r] Verlauf der Ereignisse“ unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, A. II. 88 Interessanterweise nennt die deutsche Übersetzung die Folgen im Plural, während die englischen, französischen und spanischen Fassungen den Singular verwenden. Sofern es darauf ankommen sollte, muss sich die Auslegung an den authentischen Fassungen orientieren und „Folge“ als Singular verstehen. 89 Die englische Fassung bestimmt in Abs. 2: „A person has intent in relation where in relation to a consequence that person is aware that it will occur.“ In Abs. 3 heißt es: „Knowledge means awareness that a consequence will occur.“ Die französische Fassung bestimmt in Abs. 2: „Il y a intention lorque relativement à une consequence, une personne entend causer cette consequence ou est consciente que celle-ci aviendra.“ In Abs. 3 heißt es: „Il y a conaissance lorsqu’une personne est consciente qu’une conséquence aviendra“. Die spanische Fassung weist diesen sprachlichen Unterschied ebenfalls auf. Meine Hervorhebungen. 90 Vgl. auch Decision on the Confirmation of Charges, The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Case No.: ICC-01/04-01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, para. 351.

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während es zunächst zweimal um „Wollen“ geht, reicht schließlich auch „Bewusstsein“ aus. Die erste Alternative setzt ein zielgerichtetes Verursachenwollen einer Folge voraus („diese Folgen herbeiführen will“91).92 Sind im Rahmen des „Vorsatzes“ die beiden Alternativen der lit. (b) einigermaßen äquivalent, so kann es bei der zweiten Alternative auch nicht um die Verursachung irgendeiner Folge gehen, sondern nur gerade um jene, welche „im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse eintreten“ werde – mit anderen Worten, um eine spezifische Folge, derer sich „die betreffende Person“ bewusst sein muss. Man kann auch sagen: in der Wendung des Bewusstseins des Eintretenwerdens der Folge im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse liegt der Schwerpunkt auf dem Eintretenwerden der Folge. Im Rahmen des „Wissens“ (Abs. 3) geht es durchgängig (nur) um Bewusstsein, so dass sich Äquivalenzerwägungen nicht aufdrängen. Wie schon der sprachliche Unterschied zu Abs. 2 nahe legt, kann es daher hier auch um irgendeine Folge gehen, sofern sie in das Bewusstsein der „betreffende[n] Person“ Eingang gefunden hat. Hier liegt der Schwerpunkt innerhalb der genannten Wendung auf dem gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse. Diese Überlegungen führen uns zu einer weiteren Einsicht. Auch wenn wir „Vorsatz“ als voluntative Komponente verstehen, so können wir darunter nicht von vornherein „Absicht“ (im Sinne direkten, final determinierten Vorsatzes) verstehen. Daran hindert uns bereits Art. 30 Abs. 2 lit. (b) 2. Alt., nämlich das soeben besprochene „Bewusstsein“.93 Im „Vorsatz“ im Sinne des Römischen Statuts sind mithin voluntative und kognitive Elemente vermengt, wobei der Schwerpunkt auf dem ersten Element liegt, weil es um die Verwirklichung von Verhalten oder Folgen geht. Besser als von „Absicht“ oder „Vorsatz“ sprechen wir hier also vom „Verwirklichungsbewusstsein“. Ist wiederum das „Wissen“ gemeint, so dominiert ein kognitives Element, weil es hier lediglich um den Einbezug von Begebnissen wie Umstand oder Folgen in das Bewusstsein geht, ohne dass deren konkrete Ver91

„[M]eans to cause that consequence“. s. auch Fn. 93. 93 Eine – tatsächlich eingetretene – Folge kann auch beabsichtigt sein, also angestrebt werden. Beispiels-weise im Fall des Völkermordes (Art. 6) überschneiden sich dann Verwirklichungs- und Zweckbewusstsein; zu diesem unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. d) (2) sowie Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. f). Der Unterschied zwischen (zielgerichtetem) Verwirklichungs- und (zielgerichtetem) Zweckbewusstsein liegt darin, dass ersteres ein gegenständliches Verbrechenselement, nämlich eine Folge, spiegelt, und letzteres gerade nicht, sondern insofern „bloße Absicht“ ist. 92

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wirklichung – anders als beim „Vorsatz“ – eine Rolle spielte. Insofern können wir vom „Begebnisbewusstsein“ sprechen. Als Oberbegriff von Verwirklichungsbewusstsein („Vorsatz“) und Begebnisbewusstsein („Wissen“) schlagen wir hier „Gegenstandsbewusstsein“ vor. Darin kommt zum Ausdruck, dass das Element des „Bewusstseins“ gewissermaßen die Grundlage für die „subjektiven Tatbestandsmerkmale“ – so die Bezeichnung der amtlichen deutschen Übersetzung für Art. 30 – bildet. Das Gegenstandsbewusstsein muss nach Art. 30 die gegenständlichen Verbrechenselemente94 vollständig spiegeln. Die authentischen Sprachen wählen für Art. 30 die Bezeichnung „mental element“, „élement psychologique“ bzw. „elemento de intencionalidad“. Daran sollte sich auch die deutsche Fassung des Statuts anlehnen. Insofern ist es besser, im Rahmen des Römischen Statuts von dem inneren Verbrechenselement zu sprechen und nicht von „subjektiven Tatbestandsmerkmalen“.95 b) Bewusstsein als positives Wissen Die Frage nach dem Gehalt von Bewusstsein ist geeignet, die gesamte Breite der geistes-, sozial- und naturwissenschaftlichen Fächer zu beschäftigen. Bewusstsein als Begriff hat das Potential, uferlose Erkenntnisanstrengungen auszulösen. Im Rahmen dieser statutsimmanenten Strukturanalyse können und müssen wir uns auf die Begriffswelt des Statuts beschränken. Dabei sehen wir einerseits, dass unsere Ordnungsbegriffe des Verwirklichungs- und des Begebnisbewusstseins nur Ableitungen sind, stellen andererseits aber auch fest, dass das Bewusstsein gerade jener Begriff ist, der „Vorsatz“ und „Wissen“ gleichermaßen verbindet. Eine inhaltliche Bestimmung kann daher nicht ganz unterbleiben. Suchen wir also nach Näherungswerten über die Bedeutung von Bewusstsein nach dem Statut, so fällt zunächst der negative Fall des Art. 33 Abs. 1 lit. (b) auf.96 Hier weiß der Handelnde nicht, dass eine Anordnung rechtswidrig ist. Es geht also um Nichtbewusstsein. Einen weiteren Maßstab für das Nichtwissen gibt uns lit. (c) desselben Artikels vor, nämlich den der Offensichtlichkeit. Der Ausschlussgrund des Art. 33 hat kumulative Voraussetzungen, und so reicht bloßes Nichtwissen nicht aus; vielmehr muss die Abwesenheit offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Anordnung hinzutre94 95 96

Zu diesen oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 2. Vgl. auch die Bemerkung von Clark, Fn. 32. Zu Art. 33 noch unten, Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. III. 5. b) (3).

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ten.97 Damit differenziert das Statut hinsichtlich der Perspektive des Handelnden – lit. (b) – und einer objektiven Perspektive – lit. (c). Es erkennt daher die Möglichkeit an, dass ein Handelnder trotz Offensichtlichkeit nicht wusste. Mit anderen Worten, Wissenkönnen (Offensichtlichkeit) und tatsächliches (Nicht-)Wissen lassen sich unterscheiden. Ein Schluss von der Offensichtlichkeit auf ein – zumindest ungefähres – Wissen ist daher auf Grund der Struktur des Art. 33 Abs. 1 nicht möglich. Das Maß an Bewusstsein ist für den Handelnden individuell festzustellen. Art. 31 Abs. 1 lit. (b) wiederum nennt Wissen oder In-Kauf-Nehmen wahrscheinlichen Verhaltens.98 In den authentischen Fassungen heißt es „knew, or disregarded the risk“ bzw. „elle savait (. . .), ou elle n’ait tenu aucun compte de ce risque“. In sprachlicher Hinsicht geht die deutsche Übersetzung mit dem In-Kauf-Nehmen etwas weiter als die authentischen Fassungen. Diese lassen sich eher mit ignorieren, missachten oder (überhaupt) nicht berücksichtigen übersetzen. Dem Handelnden ist es also schlichtweg „egal“, was passieren kann, und er macht sich keine weiteren Gedanken. Dennoch setzt dies das Erkennen der Möglichkeit eines Verhaltens, das „den Tatbestand eines der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegenden Verbrechens erfüllt“ voraus. Diese Indifferenz bedingt insofern ein Mindestmaß an Bewusstsein.99 Aus der Unterscheidung des Statuts von Wissen und In-Kauf-Nehmen (im Sinne der amtlichen deutschen Übersetzung) ergeben sich zwei Erkenntnisse. Erstens setzen sowohl das In-Kauf-Nehmen wie auch das Wissen ein Bewusstsein für Folge oder Umstand voraus. Zweitens muss Wissen mehr sein als das bloße In-Kauf-Nehmen;100 insofern ist Bewusstsein graduell unterscheidbar.101 97 Tatsächlich geht es hier nur um Kriegsverbrechen, da Anordnungen zur Begehung eines der anderen beiden Verbrechen nach dem Statut gemäß Art. 33 Abs. 2 stets offensichtlich rechtswidrig sind. 98 Vgl. auch Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. III. 99 In gesteigerter Form – aber noch immer abgegrenzt zum Wissen – findet sich eine bewusste Indifferenz auch in Art. 28 lit. (b) Var. (i); vgl. auch bei und in Fn. 60. 100 Nur in diesem Sinne ist dem Gerichtshof in Decision on the Confirmation of Charges, The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Case No.: ICC-01/04-01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, para. 352, 354, zuzustimmen. Der Gerichtshof spricht davon, dass der Beschuldigte „accepted the idea that such objective elements may result from his actions or omissions“ (meine Hervorhebung). Der Gerichtshof setzt sich verhältnismäßig ausführlich mit der Frage nach dem Gehalt von „dolus eventualis“ auseinander, wobei in der Literatur umstritten ist, ob das Statut diese Vorsatzform überhaupt erfasst (übersichtliche Darstellung mit weiteren Nachweisen bei Werle/Jessberger, ‚Unless Otherwise Provided‘ – Article 30 of the ICC Statute and the Mental Element of Crimes under International Criminal Law, 3 JICJ

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Als Wissenselement meint Bewusstsein damit ein positives Wissen im Sinne geistiger Präsenz eines Umstandes oder einer Folge. c) Widersprechen sich Art. 30 Abs. 1 und die Einleitung der Verbrechenselemente? Art. 30 Abs. 1 setzt die vorsätzliche und wissentliche Verwirklichung der „objektiven Tatbestandsmerkmale“ voraus. Abs. 2 der General Introduction der „Verbrechenselemente“ gem. Art. 9 hingegen gibt einerseits diesen Wortlaut wieder; andererseits ist dort auch von dem „relevanten inneren Verbrechenselement, nämlich Vorsatz, Wissen oder beides“102 die Rede. Prima facie steht diese zweite Wendung in einem Widerspruch zu Art. 30 Abs. 1. Wie sich bereits aus den vorangegangenen Überlegungen ergibt, verhält es sich tatsächlich anders, da Abs. 2 und 3 den Abs. 1 jeweils konkretisieren und sich daraus jeweils der entsprechende Bezugsrahmen von „Vorsatz“ und „Wissen“ ergibt.103 Da alle Verbrechen des Statuts irgendein Verhalten voraussetzen, ist dementsprechend gemäß Art. 30 Abs. 2 „Vorsatz“ erforderlich. Sofern Umstände oder Folgen ebenfalls „objektive Tatbestandsmerkmale“ sind, so ist auch ein entsprechendes „Wissen“ notwendig. Daraus ergibt sich, dass gleichzeitig gilt: Vorsatz und Wissen (die kumulativ bezüglich aller gegenständlichen Verbrechenselemente vorliegen) sowie Vorsatz oder Wissen (weil beide Bestandteile des inneren Verbrechenselementes jeweils unterschiedliche Bezüge aufweisen). Daher sind die „Verbrechenselemente“ für die Auslegung des Art. 30 Abs. 1 zwar nicht unabdingbar, aber in der Tat hilfreich – und erfüllen so ihren Auftrag gemäß Art. 9 Abs. 3.

(2005), S. 51 ff.). Auch hier zeigt sich, dass die Orientierung an einer Formel, nämlich dolus eventualis, eher den Blick auf die im Statut angelegten Strukturen verstellt. Nach dem Statut ist geistige Präsenz erforderlich; wie man das nennt, ist demgegenüber zweitrangig. Vgl. auch unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, A. II. zu Ursachenzusammenhang und Voraussehen. 101 Ähnlich äußert sich der Gerichtshof in der eben genannten Entscheidung in para. 355. 102 Meine Übersetzung und Hervorhebung. 103 Grundsätzlich ebenso Werle/Jessberger, ‚Unless Otherwise Provided‘ – Article 30 of the ICC Statute and the Mental Element of Crimes under International Criminal Law, 3 JICJ (2005), S. 35–55, bei S. 38 ff. m. w. N. zur Entstehung dieser umstrittenen „und“-Wendung in Fn. 15. Zu diesem Aufsatz noch unten: Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. e).

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d) Sogenannter „Specific Intent“ In der Literatur ist gerade in Zusammenhang mit den Verbrechensbestimmungen des Völkermordes sowie des Verbrechens gegen die Menschlichkeit regelmäßig von einem specific intent bzw. special intent die Rede. Diese Wendungen finden sich im Statut jedoch nicht. Unter dem Begriff des specific intent wird zumeist einerseits die „Absicht [. . .], eine [. . .] Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören“ (Art. 6) und andererseits die „Kenntnis des Angriffs“ (Art. 7 Abs. 1) diskutiert. Auch lassen sich in diesem Zusammenhang die in Art. 8 Abs. 2 besonders genannten inneren Verbrechensmerkmale anführen. Das für Art. 7 relevante Merkmal der Kenntnis des Angriffs haben wir bereits besprochen104 und sind insoweit zu dem Ergebnis gekommen, dass sich Art. 7 insbesondere dann sinnvoll auslegen lässt, wenn das innere Verbrechenselement des Art. 7 Abs. 1 und das des Art. 30 Abs. 3 in harmonischem Einklang verstanden werden: Der Handelnde passt seine willentlich ausgeführte Handlung willentlich in den Rahmen des ihm bekannten – darauf kommt es hier an – Angriffs ein. Was Art. 6 angeht, ließe sich die „Absicht“ im Sinne final determinierten Handelns verstehen; im Folgenden ist dieses Verständnis auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Damit ergibt sich die Frage, ob das Statut neben einem die gegenständlichen Merkmale Verhalten, Folge oder Umstand105 in subjektiver Weise spiegelnden inneren Verbrechenselement – dem Gegenstandsbewusstsein – in der Form von „Vorsatz“ und „Wissen“ nach Art. 30 auch innere Verbrechenselemente kennt, die einen solchen objektiven Gegenpart nicht haben. Dies trägt auch zur Erhellung der weiteren Frage, wann im Sinne von Art. 30 Abs. 1 etwas „anderes bestimmt“ ist, bei.106 (1) Art. 7 Wir haben Art. 7 so ausgelegt, dass wir die erforderliche Kenntnis („knowledge“) entsprechend Art. 30 Abs. 3 – wo es in der deutschen Übersetzung „Wissen“ heißt“ – verstehen, wonach „Kenntnis“ das „Bewusstsein“ („awareness“) des Angriffs ist. Der Handelnde muss sich also bewusst sein, dass (überhaupt) ein Angriff vorliegt (Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Art. 30 Abs. 3). Ambos nennt eine andere, von der internationalen Strafrechtsprechung vertretene Auslegungsmöglichkeit, die auf einen so genannten „risikoorien104 105 106

Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 6. e) (2) (a). Vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. Dazu noch unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. e).

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tierten Ansatz“ hinauslaufe. Hier geht es um einen Maßstab des „hätte wissen müssen“.107 Diesen Ansatz kritisiert Ambos deutlich und zu Recht als Verstoß gegen das Schuldprinzip.108 Im Zusammenhang mit der Erklärung der „kognitiven Theorie“109 nennt Ambos die „wissensbasierte Auslegung“,110 die beim Völkermord die Anforderungen des besonderen subjektiven Elements absenke und letztlich auf ein „wusste oder wissen sollte“ hinauslaufe.111 Worin im letzteren – dem „wissen sollte“ – der Unterschied zu dem richtigerweise kritisierten Maßstab des „hätte wissen müssen“ liegt, ist nicht ganz klar: Schließlich geht es bei beiden entweder um eine Fiktion, also Zuschreibung bzw. objektive Zurechnung, oder um einen Fahrlässigkeitsmaßstab,112 welcher wiederum mit dem Wortlaut („intent“ – unstreitig eine Vorsatzform – bei Völkermord bzw. „knowledge“ – unstreitig wenigstens eine Form von Bewusstsein, also positiver Kenntnis – bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit) nicht vereinbar ist. Nach Ambos scheint es nun darauf anzukommen, ob die Bestimmung über die Kenntnis des Angriffs in Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Art. 30 Abs. 3 „Ausdruck eines allgemeinen Vorsatzerfordernisses“ sei, oder ob „Kenntnis“ ein „besonderes subjektives Tatbestandsmerkmal“ ist, „das unabhängig von Art. 30 Abs. 3 völkergewohnheitsrechtlich definiert werden muss“. Tatsächlich bedingt die Einordnung unter den Titel „besonderes subjektives Tatbestandsmerkmal“ allein noch nichts. Vielmehr kommt es insbesondere auf die Funktion des auszulegenden Merkmals und damit seine Bedeutung für den Tatbestand an. Zieht man die Parallele zu den „besonderen subjektiven Tatbestandsmerkmalen“113 bzw. zur „überschießenden Innentendenz“114, so lohnt in der Tat ein Blick auf die entsprechenden Überlegungen der deutschen Dogmatik: Wenn man diese schematisch nachzeichnet, so fällt auf, dass es einerseits Tatbestände gibt, bei denen es um die Vorverlagerung von Strafbarkeit geht, also Tatbestände, bei denen noch keine aktuelle Rechtsgutsverletzung stattgefunden hat, so dass dem besonderen subjektiven Tatbestandsmerkmal insofern die Funktion zukommt, den Handelnden in Beziehung zur Rechtsgutsverletzung zu setzen; allgemein genügt dann auch einfacher Vorsatz, also bloßes „Wissen“ im Sinne direkten Vorsatzes zwei107 Nachweise bei Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, in Rn. 198 und Fn. 778 ff. 108 Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 198 sowie Rn. 9. 109 Für die er auf Frisch, Vorsatz und Risiko, verweist (bei Rn. 151 in Fn. 585). 110 Dazu sogleich zu Art. 6. 111 Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 151. 112 Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 198, nennt dies nur in Bezug auf den Maßstab des „hätte wissen müssen“. 113 Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 196. 114 Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 151.

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ten Grades.115 Andererseits gibt es Tatbestände, bei denen erst das Vorhandensein des besonderen subjektiven Tatbestandsmerkmals das Verhalten des Handelnden charakterisiert; erst in der Gemeinsamkeit von Rechtsgutsverletzung und besonderer subjektiver Seite zeigt sich die besondere Strafwürdigkeit des Verhaltens. In diesem Fall ist der Bezugsrahmen der besonderen subjektiven Seite nicht die Rechtsgutsverletzung bzw. der objektive Tatbestand als solcher,116 sondern vielmehr die besondere Binnenmotivation des Täters, also die überschießende Innentendenz. Mit anderen Worten, es geht um Absicht im Sinne direkten Vorsatzes ersten Grades, weil erst die innere Zielgerichtetheit des Täters die (vom Vorsatz umfasste) äußere Rechtsgutsverletzung strafbar werden lässt.117 Gleicht man diese Grundlinien mit Art. 7 Abs. 1 ab, so zeigt sich, dass die Figur der „überschießenden Innentendenz“ nicht passt: weder handelt es sich bei Art. 7 um ein Verbrechen, das die Strafbarkeit bereits vor der Rechtsgutverletzung eingreifen lässt, noch kann das Element der erforderlichen „Kenntnis“ als überschießend bezeichnend werden, da es unstreitig einen Bezugspunkt in der Verbrechensbestimmung, nämlich den „Angriff“ (als Umstand) hat. Ob es sich bei dem Erfordernis nach Art. 7 Abs. 1 a. E. um ein „besonderes“ subjektives Tatbestandsmerkmal handelt, ist somit zweifelhaft. Vielmehr verhalten sich die beiden Elemente „im Rahmen eines (. . .) Angriffs“ sowie „in Kenntnis des Angriffs“ als funktional komplementär.118 Dass die Einzeltat Teil eines Angriffs ist, hebt sie erst auf das internationale Level; insofern stellt der „Kenntnis“ fordernde Zusatz des Abs. 1 (nur) klar, dass eben keine „Absicht“, sondern bloß, aber auch zumindest, „Kenntnis“ erforderlich ist.119 Daher gibt es bei Art. 7 keinen Grund, „Kenntnis“ von Art. 30 Abs. 3 abweichend auszulegen.120 Wenn Ambos nun Überlegungen anstellt,121 Art. 30 Abs. 3 vor dem Hintergrund der „kognitiven Theorie“ neu zu definieren, so ist dies ein Vorschlag de lege ferenda und beinhaltet ein eigenes – und von den bisher herausgearbeiteten Strukturmerkmalen abweichendes – Bedeutungskonzept 115

Beispiele: §§ 267 Abs. 1; 274 Abs. 1; 288 Abs. 1 StGB. In den Begriffen dieser Arbeit: Das besondere innere Element hat keinen Gegenpart in den gegenständlichen Verbrechenselementen. 117 Beispiele: §§ 259 Abs. 1; 263 Abs. 1 StGB. 118 Dazu bereits oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 6. e) (2) (a). 119 Vgl. auch Vest, Humanitätsverbrechen – Herausforderung an das Individualstrafrecht?, 113 ZStW (2001), S. 475: „Aus individualstrafrechtlicher Sicht realisiert sich der kollektive Aktionszusammenhang demnach letztlich im subjektiven (und nicht im objektiven) Tatbestand“ (Herv. im Original). 120 Die authentische englische Fassung verwendet denn auch stets das Wort „knowledge“. 121 Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 197. 116

1. Kap.: Axiome des Verbrechensbegriffs

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von Vorsatz (bzw. des inneren Verbrechenselementes). Zudem ist die Perspektive eine andere: Bei Art. 7 geht es um dessen Auslegung; bei den vorigen Überlegungen geht es um die Konzeption von Art. 30. Diesen zu ändern würde sich schließlich nicht nur auf Art. 7 auswirken, sondern auf alle drei Verbrechensbestimmungen des Römischen Statuts. Als Ergebnis ergibt sich, dass das subjektive Element des Art. 7 Abs. 1 – „Kenntnis“ – ein solches ist, wie es in Art. 30 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 beschrieben ist, und dass für die Auslegung des subjektiven Elementes „Kenntnis“ der primäre Rekurs auf das Römische Statut ausreicht. Art. 30 Abs. 3 schließlich sagt gerade nicht „Bewusstsein des Risikos“122, sondern „Bewusstsein, dass ein Umstand vorliegt“. Daher hat Ambos de lege lata Recht, wenn er sagt, dass Vorsatz i. S. v. Art. 30 Abs. 3 und risikoorientierter Ansatz nicht miteinander vereinbar sind.123 (2) Art. 6 Art. 6 nennt neben einigen Handlungen – die als gegenständliche Verbrechenselemente von den inneren Verbrechenselementen nach Art. 30 erfasst werden müssen – ein weiteres Element: Die Handlungen müssen in der „Absicht begangen“ werden, eine „Gruppe (. . .) ganz oder teilweise zu zerstören“. Ein entsprechender Erfolg ist nicht erforderlich. Damit handelt es sich nicht um ein gegenständliches, sondern um ein inneres Verbrechenselement. Die Besonderheit besteht darin, dass dieses innere Verbrechenselement keinen gegenständlichen Gegenpart hat.124 Bestünde dieses innere 122

Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 197. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 197. 124 Terminologisch anders, aber in der Sache ebenso Triffterer, Genocide, its Particular Intent to Destroy in Whole or in Part the Group as Such, 14 LJIL (2001), S. 399–408, der dem besonderen inneren Erfordernis des Völkermordes keinen gegenständlichen Gegenpart zuordnet und es – insofern begrifflich konsequent – damit außerhalb des mens rea verortet. Er unterstreicht, dass deutlich hinsichtlich des allgemeinen inneren Erfordernisses – also dem Gegenstandsbewusstsein – und dem besonderen inneren Erfordernis – dem „Absicht“-Kriterium – zu unterscheiden ist (S. 401). Arnold, The Mens Rea of Genocide under the Statute of the International Criminal Court, 14 CLF (2003), S. 127–151, wiederum sieht – im Anschluss an das Urteil des ICTR vom 6. Dezember 1999 in Prosecutor vs. Rutaganda, ICTR-96-3-T, Rn. 61 – in dem psychologischen Zusammenhang von physischen (Handlungs-)Ergebnis und mentalem Stadium des Handelnden einen Ausweis des Erfordernisses einer objektiven Manifestation eben jenes besonderen inneren Erfordernisses (S. 135). Sie folgert daraus, dass dieses doch dem mens rea zugehören könne und entsprechend einen gegenständlichen Gegenpart habe (S. 135). Im Grunde geht sie die Frage aus der anderen Richtung an als Triffterer, in dem sie die Relevanz der Ein123

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Verbrechenselement nicht, wären die in Art. 6 aufgeführten Handlungen prinzipiell auch unter die anderen beiden Verbrechensbestimmungen des Statuts subsumierbar, wenn deren weitere gegenständliche Voraussetzungen vorliegen. Insofern macht erst das „Absicht“-Kriterium die Handlungen zu einem von Art. 6 erfassten Völkermord; es handelt sich also um das zentrale ausdrückliche Charakteristikum des Tatbestandes. Daher lässt sich bei Art. 6, anders noch als soeben bei Art. 7, eine Parallele zu der Figur der überschießenden Innentendenz ziehen. In sprachlicher Hinsicht vorab klarzustellen ist, dass die authentische englische bzw. französische Sprachfassung von „intent“ bzw. „intention“ spricht und damit die gleichen Worte verwendet wie in Art. 30 Abs. 1, 2 auch, währen die amtliche deutsche Übersetzung in Art. 6 von „Absicht“ und in Art. 30 von „Vorsatz“ spricht. Soweit wir im Folgenden von „Absicht“ sprechen, greifen wir nur die Übersetzung auf, ohne aber uns inhaltlich festzulegen. Ist Absicht im Sinne direkten Vorsatz ersten Grades, also Zielgerichtetheit, gemeint, sprechen wir von Absicht strictu sensu. Die überwiegende Ansicht in der Literatur sowie die Rechtsprechung der ad hoc-Tribunale versteht das „Absicht“-Kriterium im Sinne einer Absicht strictu sensu. Dem Handelnden müsse es auf die Zerstörung der Gruppe gerade ankommen.125 Diese Auslegung ist auch als „purpose-based approach“ bekannt. In der Literatur finden sich jedoch gewichtige Stimmen, die darauf hinweisen, dass sich der Streit grundlegend erst durch eine systematische und teleologische Auslegung des Tatbestandes insgesamt entscheide. Mit Vest, der eine „genuin völkerstrafrechtliche Perspektive“ fordert, kann man danach fragen, ob besser ein semantischer oder ein konzeptueller Ansatz zu wählen ist.126 Es zeichnet sich eine insbesondere auf Greenawalt zurückordnung inner- oder außerhalb von mens rea darin sieht, ob das besondere innere Erfordernis einen korrespondierenden actus reus erfordere (S. 137). Schließlich kommt sie aber zu dem Ergebnis, dass die Frage an Bedeutung verliere, weil Art. 6 jedenfalls und wenigstens ein Opfer voraussetze und damit ein minimales quantitatives Erfordernis aufstelle. Das ist in der Tat richtig, wenngleich nur ein rhetorischer Ausweg, weil die Sachfrage selbst offen bleibt. Insofern ist Triffterer zuzustimmen, der klarstellt, dass sich der „Kontext“ bzw. Zusammenhang von besonderem inneren Element und Begehung darin erschöpfe, dass letzteres nur eine Manifestation des ersteren sei (S. 401). Mit anderen Worten ist dieser Kontext kein notwendiges korrespondierendes, sondern ein bloß koinzidentes gegenständliches Element. Vgl. auch Vest, A StructureBased Concept of Genocidal Intent, 5 JICJ (2007), S. 783–784. 125 Vgl. nur Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 712 f. m.w.N. 126 Vest, A Structure-Based Concept of Genocidal Intent, 5 JICJ (2007), S. 782, 794.

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gehende Tendenz ab, auf die systemische Natur des Völkermordes abzustellen:127 ein Einzelner könne einen Völkermord nicht verwirklichen; vielmehr handele es sich um ein kollektives Unternehmen.128 Diese „Gesamttat“ sei ein weiteres Charakteristikum des Völkermordes, das die Auslegung des „Absicht“-Kriteriums mitbestimme.129 Bei der Auslegung müsse man differenzieren. Der Völkermord sei durch die Zerstörungsabsicht strictu sensu gekennzeichnet, und diese müsse der „genozidalen Kampagne“130 insgesamt zu Grunde liegen.131 Der einzelne in diesem Rahmen Handelnde wiederum müsse die kollektive Unternehmung und deren Absicht bloß kennen.132 Nicht erforderlich sei es aber, dass er sie selbst teile. Außerdem sei erforderlich, dass er das Eintreten der zumindest teilweisen Vernichtung einer Gruppe infolge seiner Handlungen voraussehe. Insofern unterscheiden viele Stimmen, die diese als „knowledge-based approach“ bekannte Ansicht vertreten, die systemische oder kollektive Ebene,133 auf der die Zerstörungsabsicht strictu sensu bestehen müsse, und die individuelle Ebene, auf der Kenntnis ausreiche. Insgesamt ergebe sich ein struktureller Gleichlauf von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.134 Letzteres sei auch durch ein systemisches Element gekennzeichnet, nämlich den systema127 Greenawalt, ‚Rethinking‘ Genocidal Intent: The Case for a Knowledge-Based Interpretation, 99 ColumbiaLR (1999), S. 2259 ff.; insbes. S. 2288. Vgl. – jew. mit weiteren Nachweisen zum „knowledge-based approach“ – Vest, A Structure-Based Concept of Genocidal Intent, 5 JICJ (2007), S. 781 ff. sowie ders., Genozid durch organisatorische Machtapparate, S. 104 ff.; Kreß, The Darfur Report and Genocidal Intent, 3 JICJ (2005), S. 562 ff. 128 Die „Verbrechenselemente“ zu Art. 6 fordern sogar eine derartige Gesamttat; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 145, sieht darin aber zu Recht einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3. 129 Vest, A Structure-Based Concept of Genocidal Intent, 5 JICJ (2007), S. 790; zur „Gesamttat“ vgl. auch unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, A. I. Nach Kreß, The International Court of Justice and the Elements of the Crime of Genocide, 18 EJIL (2007), S. 627, hat dies der Internationale Gerichtshof in seinem Urteil vom 26. Februar 2007 in der Sache Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro) verkannt. 130 Kreß, The Darfur Report and Genocidal Intent, 3 JICJ (2005), S. 573. 131 Vest, A Structure-Based Concept of Genocidal Intent, 5 JICJ (2007), S. 784; Kreß, The Darfur Report and Genocidal Intent, 3 JICJ (2005), S. 576. 132 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 660, unterstreicht, dass die Zerstörungsabsicht das systematische Element des Völkermordtatbestandes verkörpere, das dem Verbrechen seine internationale Dimension verleihe, zieht jedoch daraus nicht die selben Schlüsse wie die Vertreter eines „knowledge-based approach“, sondern wendet sich ausdrücklich gegen diesen (Rn. 713). 133 Vest, A Structure-Based Concept of Genocidal Intent, 5 JICJ (2007), S. 785, nennt das „a mixed individual-collective point of reference“. 134 Vgl. Kreß, The Darfur Report and Genocidal Intent, 3 JICJ (2005), S. 575.

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tischen Angriff, und von diesem müsse der Handelnde Kenntnis haben. Dass der Handelnde die mit dem Angriff verfolgte Politik135 teilt, ist nicht erforderlich. Der „knowledge-based approach“ kann aber weder auf das Vorliegen einer Zerstörungsabsicht strictu sensu auf der kollektiven Ebene noch auf das Wissen darum auf der individuellen Ebene verzichten: Wenn nämlich aus dem „Absicht“-Kriterium statt eines subjektiven Elements der Zielgerichtetheit ein allein an der Wirksamkeit des Handelns orientiertes Wissenselement – wonach der Handelnde wusste oder wissen sollte, dass sein Verhalten eine Gruppe vernichten würde – konstruiert würde, hätte diese zur Folge, dass sich die Aussage des Völkermordtatbestandes änderte: Im Zentrum stünde das Verhalten, aus dessen Potential, eine Gruppe zu vernichten, auf die Zerstörungsabsicht geschlossen würde – der Handelnde hätte Absicht, wenn er um das Potential hätte wissen sollen oder können. Aus einem Vorsatzproblem würde ein Zurechnungsproblem mit der Frage, wann ein Handelnder um das Vernichtungspotential seines Verhaltens hätte wissen sollen oder können. Damit würde aber das für den Genozidtatbestand charakteristische Merkmal des Absehens auf die Vernichtung einer Gruppe letztlich in eine Art Gefährdungsmoment umgedeutet. Etwas schärfer ausgedrückt: aus einem Absichtsmerkmal würde ein Zurechnungsmerkmal. Die Doppelstruktur des Art. 6 (einerseits Begehung von Handlungen, und dies andererseits in der Absicht, zu zerstören) würde damit überfordert.136 Insofern löst sich das „Hauptproblem des Genozidtatbestandes“, nämlich der „Nachweis der Vernichtungsabsicht“ (Ambos) nicht materiellrechtlich auf.137 Zu Recht hält es Ambos für kritikwürdig, Beweisprobleme durch die „Absenkung der subjektiven Zurechnungsvoraussetzungen“ zu überwinden und plädiert für „eine prozessuale Lösung, die die Möglichkeiten des Indizienbeweises nutzt“.138 Man muss dem „knowledge-based approach“ aber zugute halten, dass sein Ausgangspunkt vielmehr in der Struktur des Tat135

Vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. (a). Vgl. etwa Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 790 ff.; Internationales Strafrecht, § 21, Rn. 151. Nach Pisani, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute, S. 126, schließt das „Absicht“-Kriterium implizit die Verantwortlichkeit solcher Personen aus, die das mehr oder weniger wahrscheinliche Risiko, dass ihr Verhalten die „strafbaren Konsequenzen“ hervorbringe, lediglich akzeptierten. Zwar bezieht Pisani sich hier nur auf das Erfordernis in Art. 6 lit. (c) („Deliberately inflicting on the group conditions of life calculated to bring about its physical destruction in whole or in part“ – die deutsche Übersetzung erscheint hier etwas ungenau; meine Hervorhebungen), stützt seine Ansicht aber gerade durch den Verweis auf das in Art. 6 ganz zu Anfang genannte generelle innere Erfordernis. 137 Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 153. Das Hauptproblem benennt deutlich auch Greenawalt, ‚Rethinking‘ Genocidal Intent: The Case for a Knowledge-Based Interpretation, 99 ColumbiaLR (1999), S. 2281. 136

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bestandes als in den Beweisproblemen liegt. Vest vertritt die Ansicht, dass sich in Hinblick auf diese Beweismittel „purpose-based“ und „knowledgebased approach“ ohnehin nicht unterscheiden, da im Regelfall der Abwesenheit eines Geständnisses die Zerstörungsabsicht unabhängig von der geforderten Intensität durch äußere Beweismittel nachgewiesen werden müsse.139 Er hält dem „knowledge-based approach“ zu Gute, der Rechtsprechung eine größere Konsistenz in ihrem case law zu ermöglichen.140 In sprachlicher sowie struktureller Hinsicht ist, berücksichtigt man die vorigen Überlegungen zum Erfordernis einer Zerstörungsabsicht strictu sensu auf der kollektiven Ebene, nicht ausgeschlossen, unter „Absicht“ das „Wissen“ im Sinne des „knowledge-based approach“ zu verstehen.141 In der Sache ergäbe sich ein struktureller Gleichlauf mit dem Verwirklichungsbewusstsein des Art. 30. Der Unterschied läge darin, dass das Verwirklichungsbewusstsein einen gegenständlichen Anknüpfungspunkt voraussetzt, während die „Absicht“ des Art. 6 dies nicht tut. Auf der individuellen Ebene besteht aber ein Anknüpfungspunkt für die „Absicht“ insofern, als die Zerstörungsabsicht im Rahmen einer „genozidalen Kampagne“ erforderlich ist. Jedoch schließt sich die Frage an, was eine derartige Kampagne ausmacht. Nach herkömmlicher Ansicht ist der Völkermord, anders etwa als das im Statut nicht definierte Aggressionsverbrechen, kein „leadership crime“.142 Fordert man als Substitut für das Vorliegen einer Zerstörungsabsicht strictu sensu die Kenntnis einer solchen im Rahmen einer kollektiven Unternehmens, der Kampagne, so muss man dieses aber irgendwo, das heißt: bei irgendwem verorten können.143 Die Zerstörungsabsicht lässt sich nicht bestimmen, in dem man sich auf eine Haltung im Sinne eines „I recognize it when I see it“ verläßt. Ansonsten gäbe man das Absichtskriterium ganz auf mit der Folge, dass es schlichtes Zurechnungsmerkmal würde. Faktisch führt der „knowledge-based approach“ also dazu, auch aus dem Völkermord ein „leadership crime“ zu machen, da die Zerstörungsabsicht strictu sensu insbesondere auf dieser Ebene zu suchen und finden sein wird.144 138 Kreß, The Darfur Report and Genocidal Intent, 3 JICJ (2005), S. 572, hält in der Sache dagegen: „noticeable temptation to introduce the knowledge-based approach through the evedentiary backdoor“. 139 A Structure-Based Concept of Genocidal Intent, 5 JICJ (2007), S. 795. 140 Vest, A Structure-Based Concept of Genocidal Intent, 5 JICJ (2007), S. 797. 141 Kreß, The Darfur Report and Genocidal Intent, 3 JICJ (2005), S. 572. 142 Vgl. Kreß, The Darfur Report and Genocidal Intent, 3 JICJ (2005), S. 574. 143 Nicht ganz eindeutig hingegen Vest, A Structure-Based Concept of Genocidal Intent, 5 JICJ (2007), S. 796. 144 Vgl. Kreß, The Darfur Report and Genocidal Intent, 3 JICJ (2005), S. 575. Bei seiner Kritik des Darfur-Reports stellt Kreß auf die sudanesische Regierung und

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Aus dem strukturellen Gleichlauf der „Absicht“ in Art. 6 und dem Verwirklichungsbewusstsein gemäß Art. 30 folgt auch, dass auch für das „Absicht“-Kriterium Bewusstsein im Sinne geistiger Präsenz erforderlich ist und ein Eventualvorsatz nicht ausreichen kann.145 Bestimmt man das „Absicht“-Kriterium entsprechend dem Verwirklichungsbewusstsein, bedeutet das auch, dass im Statut für das innere Verbrechenselement keine Finalität angelegt ist. Die Auflösung des Streites zwischen „purpose-based approach“ und „knowledge-based approach“ würde über eine Strukturanalyse weit hinausweisen und kann allein auf der Grundlage statutsimmanenter Kriterien nicht gelingen.146 Immerhin sind beide Ansichten mit den Vorgaben des Statuts prinzipiell vereinbar. Auch zeigen beide a grosso modo eine Gemeinsamkeit, auf die es im Rahmen dieser Arbeit ankommt:147 Beide fassen das „Absicht“-Kriterium als inneres Verbrechensmerkmal, das keine Entsprechung in den gegenständlichen Verbrechenselementen hat, auf. Ebenso halten beide das innere Verbrechensmerkmal der Zerstörungsabsicht strictu sensu für die Charakterisierung des Völkermordes für entscheidend, wenngleich sie es unterschiedlich verorten. (3) Art. 8 Abs. 2 Auch Art. 8 enthält in seinem Abs. 2 einige Hinweise auf die erforderliche innere Haltung des Handelnden. Dabei verwendet die authentische englische Fassung regelmäßig die Begriffe „wilful(ly)“ sowie „intentionally“, während die deutsche Fassung hier beides mit „vorsätzlich“ übersetzt, die Milizen – und damit auf die Spitzen einer Hierarchie – ab, um eine kollektive genozidale Absicht festzustellen (S. 577–578). Vest, Humanitätsverbrechen, Herausforderung für das Individualstrafrecht?, 113 ZStW (2001), S. 486 hält es für möglich, dass keiner der an der Ausführung einer genozidalen Kampagne Beteiligten mit Zerstörungsabsicht handele. Nichtdestoweniger ist auch bei ihnen das Wissen um eine derartige Zerstörungsabsicht strictu sensu, die also bei den Planern – dem leadership level – bestehen muss, erforderlich. 145 Vgl. Vest, A Structure-Based Concept of Genocidal Intent, 5 JICJ (2007), S. 789; anderer Ansicht Kreß, The Darfur Report and Genocidal Intent, 3 JICJ (2005), S. 576–577; beide jeweils mit weiteren Nachweisen. Gegen dolus eventualis sind auch Fletcher/Ohlin, Reclaiming Fundamental Principles of Criminal Law in the Darfur Case, 3 JICJ (2005), S. 554; dafür ist Triffterer, Genocide, its Particular Intent to Destroy in Whole or in Part the Group as Such, 14 LJIL (2001), S. 399. Vgl. auch Fn. 136. 146 Der in dubio mitius-Satz (Art. 22 Abs. 2), der zu einem für den Beschuldigten günstigeren strengen Verständnis des „Absicht“-Kriteriums führen würde, kann auch erst eingreifen, wenn sich die Auslegung erschöpft hat, was noch nicht der Fall ist; vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. b). 147 Zu den strukturellen Aussagen unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. f).

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was wiederum nah an der authentischen französischen Version liegt, die gleichmäßig „intentionelle(ment)“ sagt. Insofern ließen sich die Bedeutungen von „vorsätzlich“ bzw. „intentionellement“ aus den jeweiligen Substantiven des Art. 30 – Vorsatz und intention – ableiten. Gleiches gilt für „intentionally“, nicht hingegen für „wilful“, da dieser Begriff gerade nicht von Art. 30 bestimmt wird. Ein Blick auf die spanische Fassung hilft dem ebenfalls nicht ab, da hier sogar innerhalb von Abs. 2 lit. (a), wo die englische Fassung stets „wilful“ sagt, die beiden Begriffe „intencional“ sowie „deliberadamente“ verwendet werden; Art. 30 bestimmt wiederum nur, was „intención“ ist. Gleichzeitig verweist Art. 8 Abs. 2 immer wieder auf die Genfer Abkommen von 1949 – litt. (a), (c) – und die anwendbaren Gesetze und Gebräuche innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts im bewaffneten Konflikt – litt. (b), (e), wobei die vom Statut konkretisierten Verletzungen dieser Regelwerke eigenständig als Kriegsverbrechen nach dem Römischen Statut strafbar sind. Soweit also eine genaue Bestimmung der Bedeutung der jeweiligen inneren Merkmale allein mittels Art. 30 keinen Erfolg hat, ist der Rekurs auf die vom Statut genannten Regelwerke für die Konkretisierung der Auslegungsergebnisse zulässig.148 Insoweit wäre im Sinne von Art. 30 Abs. 1 etwas „anderes bestimmt“ (dazu sogleich). Es ist jedoch das Statut selbst, das diese abweichende Regelung ausdrücklich trifft. Diesen wichtigen Aspekt verkennen Werle und Jessberger,149 die lediglich darauf abstellen, dass das Humanitäre Völkerrecht im Rahmen von Art. 8 eine zentrale Rolle bei der Bestimmung des inneren Verbrechenselementes spiele. Dies ist auch richtig, stützt aber gerade nicht die zu weitgehende, von Werle und Jessberger vertretene Ansicht, dass regelmäßig etwas „anderes bestimmt“ sei. Vielmehr liegt hier einer der Fälle vor, in denen eine von Art. 30 abweichende oder diesen ergänzende Regelung durch das Statut selbst – und damit eine ausdrückliche Ausnahme vom Regelfall des Art. 30 – getroffen wird. 148 Vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 2. Es liegt jedoch näher, in der Nennung von „intentionally“ bzw. „wilfully“ nichts anderes als eine Redundanz zu sehen, so dass letztlich nur das gesagt wird, was wegen Art. 30 ohnehin gilt. So auch Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 162, 21; Piragoff, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 30, Rn. 12; ihm zustimmend Weigend, Zur Frage eines „internationalen“ Allgemeinen Teils, FS-Roxin, S. 1389, Fn. 57. Für eine differenzierte Auslegung sprechen sich dagegen Werle/Jessberger, ‚Unless Otherwise Provided‘ – Article 30 of the ICC Statute and the Mental Element of Crimes under International Criminal Law, 3 JICJ (2005), S. 44, dort Fn. 52, aus. 149 Werle/Jessberger, ‚Unless Otherwise Provided‘ – Article 30 of the ICC Statute and the Mental Element of Crimes under International Criminal Law, 3 JICJ (2005), S. 46.

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In jedem Fall finden die genannten inneren Merkmale jeweils einen Gegenpart in einem gegenständlichen Verbrechenselement, so dass sich damit die im Rahmen von Artt. 6 und 7 aufgeworfene Frage nach einer überschießenden Innentendenz nicht stellt. e) Wann ist im Sinne von Art. 30 etwas anderes bestimmt? Art. 30 über das innere Verbrechenselement leitet ein mit der Wendung „Sofern nichts anderes bestimmt ist“. Unproblematisch ist der Fall, dass das Statut selbst an anderen für die Feststellung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit relevanten Stellen – sei es in Teil 2 oder 3 – Bestimmungen enthält, die von Art. 30 abweichende oder über ihn hinausgehende Aussagen treffen.150 Gerade mit Blick auf Art. 9 ist jedoch fraglich, ob die „Verbrechenselemente“ – als gemäß Art. 21 Abs. 1 lit. (a) vom Gerichtshof primär anwendbares Recht – in Abweichung von Art. 30 „anderes bestimm[en]“ können. Wir hatten dies im Zweiten Teil bereits mit grundsätzlichen Überlegungen verneint.151 Die Bedeutung der „Verbrechenselemente“ ergibt sich aus Art. 9 Abs. 3, und aus diesem ergibt sich eine lediglich helfende Funktion bei der Auslegung des Statuts. Demnach können die „Verbrechenselemente“ nichts bestimmen. Soweit sie hinsichtlich des inneren Verbrechenselementes Aussagen treffen, sind diese Auslegungshilfen und müssen ihrerseits mit dem Statut vereinbar sein. Sofern sie „anderes bestimmt[en]“, stehen sie in Widerspruch mit dem Statut und dürfen daher vom Gerichtshof nicht angewendet oder zur Auslegung des Statuts herangezogen werden.152 Für das Recht der zweiten und dritten Hierarchieebene gemäß Art. 21 Abs. 1 litt. (b), (c)153 gilt im Grunde nichts anderes: Soweit das Statut 150 Ausdrücklich Decision on the Confirmation of Charges, The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Case No.: ICC-01/04-01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, para 356 sowie in paras. 357 ff. zum Maßstab des „should have known“ – welcher mit „negligence“ übersetzt wird – des Art. 8 Abs. 2 litt. (b) xxvi), (e) vii): „an exception to the ‚intent an knowledge‘ requirement embodied in article 30 of the Statute“ (para. 359). Vgl. auch Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 789; Weigend, The Harmonization of General Principles of Criminal Law: The Statutes and Jurisprudence of the ICTY, ICTR and ICC: An Overview, 19 Nouvelles Études Pénales (2004), S. 327, die jeweils streng hinzufügen, Abweichungen ergäben sich nur aus dem Statut. Wie zu zeigen sein wird, haben sie damit Recht. Nicht so streng sind sind Werle/Jessberger (mit weiteren Nachweisen zur Diskussion in Fn. 59); vgl. auch Fn. 152. Zu den abweichenden Bestimmungen des Statuts dies., S. 43–45. 151 Oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 3. d). 152 Explizit ander Ansicht ist Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 377. 153 Zu diesem oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II.

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selbst Aussagen trifft, geht es vor. Das Statut wird durch das weitere Recht nur ergänzt, aber nicht geändert.154 Nur soweit das Statut hinsichtlich des inneren Verbrechenselementes Lücken aufweist, können diese durch einen Rekurs auf das weitere Recht geschlossen werden. Was die von Art. 30 im Grundsatz vorgegebenen Strukturen angeht, müssen sich mögliche Ergänzungen in deren Rahmen bewegen. Andernfalls handelte es sich nicht um Ergänzungen, sondern um Änderungen. Werle und Jessberger hingegen kommen in ihrer Untersuchung der Wendung „Sofern nichts anderes bestimmt ist“ zu dem Schluss, dass es sich bei Art. 30 insgesamt nur um eine Art Auffangvorschrift handele, da regelmäßig etwas anderes bestimmt sei.155 Letztlich bedeutet dieses Ergebnis nichts anderes als die Umkehrung eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses.156 Wir müssen zunächst von der relativen Bedeutung des Römischen Statuts ausgehen.157 Bereits vor diesem Hintergrund wäre es erstens ungewöhnlich, wenn das Statut sich nun eines realen Einflusses auf einen für die Feststellung strafrechtlicher Verantwortlichkeit so zentralen Bereich wie den des inneren Verbrechenselementes begäbe. Zweitens würde dies zu einer Entwertung der Bedeutung des Statuts gegenüber dem nicht kodifizierten Völkerstrafrecht sowie den so genannten Verbrechenselementen – die an und für sich ihrerseits vom Statut abhängig sind – führen. Dies scheinen auch Werle und Jessberger so zu sehen, kommen sie doch in ihrer Zusammenfassung zu dem Schluss, dass das Statut so ausgelegt werden könne, dass es übereinstimme mit den Regeln über das mental element in den Verbrechenselementen sowie dem Völkergewohnheitsrecht,158 wobei sie dieses Ergebnis als positiv darstellen. Damit kehren sie aber die Perspektive der Auslegung um. Über die bloße Möglichkeit, wie in ihrem Artikel dargestellt zu verfahren, hinaus hätte es aber auch drittens einer Begründung durch das Statut selbst bedurft, eine offen ausgestaltete, zentrale Vorschrift ihrem Sinn nach umzukehren. Viertens ist es höchst fraglich, ob durch das interpretatorische Ergebnis tatsächlich eine größere Konsistenz im Verständnis des inneren Verbrechenselementes erreicht werden kann, wie die Autoren behaupten. Dabei überspannen Werle und Jessberger bereits im Ausgangspunkt ihre Anforderungen an das Statut: es ist zu lesen, das Statut setze „a standard for the mental element of crimes under international law which is applic154

Ausführlich dazu bereits oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. II. 4. b). Werle/Jessberger, insbesondere S. 43 ff. Auf dieser Linie liegt auch Roßkopf, Die innere Tatseite des Völkerrechtsverbrechens, S. 105 ff. 156 So auch Werle/Jessberger, S. 55. 157 Dazu zusammenfassend oben Zweiter Teil, Drittes Kapitel. 158 Werle/Jessberger, S. 55. 155

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able in all cases where there are no rules specifically regulating the mens rea“.159 Abgesehen davon, dass mens rea kein Begriff des Statuts ist,160 ist es ausgehend von der relativen Bedeutung des Römischen Statuts nicht richtig, pauschal zu behaupten, dessen Standards gälten für völkerrechtliche Verbrechen. Vielmehr ist es Grundbedingung für ein richtiges Verständnis des Statuts, den Anwendungsbereich seiner Bestimmungen auf den Anwendungsbereich des Statuts selbst zu beschränken.161 Mit anderen Worten, der Ausgangspunkt hätte lauten müssen, das Statut setze einen Standard für seine inneren Verbrechenselemente.162 An zentraler Stelle argumentieren Werle und Jessberger rechtspolitisch, wo das Statut an sich keinen Raum für ein derartiges Vorbringen lässt. Wie bereits im Zweiten Teil dargestellt, findet Art. 22 auch Anwendung auf die Bestimmungen von Teil 3 des Statuts, mithin auch auf Art. 30.163 Nichtsdestoweniger solle nun, so die Autoren, das Völkergewohnheitsrecht gegenüber dem Statut doch eine stärkere Rolle einnehmen. Es solle eine uniforme Auslegung und Anwendung von Statut und Gewohnheitsrecht stattfinden und so das von Werle und Jessberger auch genannte „principle of legality“ zu einer weniger strengen Anwendung bringen. Im Grunde ist diese Schlacht aber schon geschlagen: Mit der Verabschiedung des Statuts haben die Staaten lex specialis geschaffen, und bereits rechtstheoretisch und in Folge von Art. 21 spielt das Gewohnheitsrecht eine gegenüber dem Statut nur sekundäre und ergänzende, somit keineswegs dominierende Rolle.164 Die von den Autoren vorgebrachten mit „should“ oder „should not“ eingeleiteten Argumente sind daher de lege lata seit der Verabschiedung des Statuts im Jahre 1998 und dessen Inkrafttreten im Jahre 2001 überholt.165 159

Werle/Jessberger, S. 40. Ursprünglich fand sich dieser Ausruck in den Entwürfen, wurde dann aber durch die Wendung vom mental element ersetzt, vgl. UN Doc. A/AC 249/1997/L. 5, S. 27–28. 161 Dazu zusammenfassend oben Zweiter Teil, Drittes Kapitel, IV. 162 Damit würde sich auch ein weiterer Kritikpunkt erübrigen: Werle/Jessberger, S. 53, betrachten die Rechtsprechung der ad hoc-Tribunale als Rechtsquellen; richtigerweise handelt es sich bloß um Rechtserkenntnisquellen (dazu bereits oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 5.), und auch diese geben keine Garantie für die Richtigkeit ihrer Aussagen; vgl. dort S. 54. 163 Vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. c). 164 Das ist im Zweiten Teil dieser Arbeit bereits ausführlich begründet worden. Zu dem weiteren, auf Art. 8 Abs. 2 lit. (a) (i) – wilful killing – verweisenden Argument (Werle/Jessberger, S. 46) noch unten, Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. d) (3). 165 Damit beantwortet sich auch die von Werle und Jessberger aufgeworfene Frage nach dem Grund, weshalb das Völkergewohnheitsrecht in Bezug auf das innere Verbrechenselement des Römischen Statuts keine Bedeutung haben solle (S. 46). 160

1. Kap.: Axiome des Verbrechensbegriffs

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Wenn Werle und Jessberger die Ansicht vertreten, von Art. 30 ausgehend stellten auch die „Verbrechenselemente“ andere Bestimmungen im Sinne von Art. 30 Abs. 1 dar, und deshalb sei das Kompatibilitätserfordernis des Art. 9 nicht einschlägig,166 so ist daran zunächst richtig, dass jedenfalls der Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 diese Lösung durchaus zuließe. Jedoch würde die Bestimmung der „Verbrechenselemente“, dem Gerichtshof bei der Auslegung und Anwendung der Artikel 6 bis 8 zu „helfen“, verkannt. Helfen heißt nicht bestimmen oder ändern, und es geht bei den „Verbrechenselementen“ nicht um selbständige Aussagen, sondern lediglich um solche, die der Auslegung und Anwendung des Statuts, genauer: der Artikel 6 bis 8 dienen. Insofern stehen der Wortlaut der Artt. 9 Abs. 1, 30 Abs. 1 sowie systematische und teleologische Erwägungen der vorgeschlagenen Lösung entgegen. Der von Werle und Jessberger vertretenen Ansicht zur Auslegung der Wendung „Sofern nichts anderes bestimmt ist“ kann daher nicht gefolgt werden. Es bleibt bei den einleitend begründeten Ergebnissen zum Anwendungsbereich des Art. 30. f) Strukturelle Aussagen In struktureller Hinsicht lassen sich nun und soweit drei Aussagen treffen: Erstens kennt das Statut innere Verbrechenselemente (in Art. 30 sog. „subjektive Tatbestandsmerkmale“ bzw. „mental elements“), welche die gegenständlichen Verbrechenselemente spiegeln. Hierbei handelt es sich um das Gegenstandsbewusstsein, welches von Art. 30 erfasst ist. Das Gegenstandsbewusstsein beinhaltet die hinsichtlich ihrer voluntativen und kognitiven Schwerpunkte unterscheidbaren Formen des Verwirklichungsbewusstseins (in Art. 30 sog. „Vorsatz“ bzw. „intent“) sowie des Begebnisbewusstseins (in Art. 30 sog. „Wissen“ bzw. „knowledge“). Zweitens kennt das Statut innere Verbrechenselemente, die sich nicht auf gegenständliche Verbrechenselemente beziehen. Vielmehr handelt es sich um das Bewusstsein eines Zweckes oder Zieles. Das gegenständliche Geschehen, das die gegenständlichen Verbrechenselemente verwirklicht, und auf welches sich das Gegenstandsbewusstsein gemäß Art. 30 bezieht, wird vom Handelnden durch ein weiteres inneres Element ergänzt. In Anlehnung an die vorher gefundene Terminologie lässt sich daher von einem Zweckbewusstsein sprechen. Darin kommt zum Ausdruck, dass der Handelnde subjektiv und bewusst sein Handeln in den Kontext eines Zwe166

Werle/Jessberger, S. 46.

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

ckes oder Zieles einpasst; Zweck oder Ziel gehen der über das Bewusstsein der Verwirklichung gegenständlicher Verbrechenselemente (Verwirklichungsbewusstsein) sowie das Bewusstsein des Vorliegens weiterer Begebenheiten als Bestandteile gegenständlicher Verbrechenselemente (Begebnisbewusstsein) hinaus und haben daher gerade keinen materiellen, gegenständlichen Bezugspunkt. Soweit eine Verbrechensdefinition ein Zweckbewusstsein voraussetzt, ist dessen Vorliegen Voraussetzung für die Verbrechensverwirklichung und damit Bestandteil der Begehung des Verbrechens, da in diesen Fällen erst die Kombination von gegenständlichen Verbrechenselementen und Zweckbewusstsein „das“ Verbrechen charakterisiert. Ob für das Zweckbewusstsein Absicht strictu sensu, also finale Determiniertheit, oder Bewusstsein, also Wissentlichkeit, erforderlich ist, ergibt sich erst aus der Auslegung der jeweiligen Verbrechensbestimmung. Mit der Annahme einer von Art. 30 abweichenden „anderen“ Bestimmung ist Zurückhaltung geboten; eine solche Abweichung muss immer von dem Statut selbst vorgesehen sein. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn es sich um das innere Verbrechenselement des Zweckbewusstseins handelt. Das liegt schon darin begründet, dass das innere Verbrechenselement gemäß Art. 30 nur das Gegenstandsbewusstsein erfasst und insofern immer ein gegenständliches Verbrechenselement spiegelt, was das Zweckbewusstsein gerade nicht tut. Damit lassen sich drittens und schließlich begrifflich zwei Formen innerer Verbrechenselemente unterscheiden: Zum einen das Gegenstandsbewusstsein, welches Verwirklichungs- und Begebnisbewusstsein zusammenfasst, und zum anderen das Zweckbewusstsein, welches den subjektiven Kontext für das Handeln darstellt. III. Zwischenergebnis 1. Zusammenfassung in Thesen 1. Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs ist durch das Statut nicht nur formell, sondern auch materiell beschränkt. Erforderlich ist eine überindividuelle, internationale Betroffenheit. 2. Daher sind die Verbrechen nicht einwilligungsfähig, denn eine Einwilligung würde nur die individuelle Betroffenheit berühren. 3. Der Zentralbegriff des Statuts ist die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit. Nur individuelle natürliche Personen können nach dem Statut strafrechtlich verantwortlich sein.

1. Kap.: Axiome des Verbrechensbegriffs

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4. Der Begriff der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit beschreibt die persönliche Konsequenz der Begehung eines Verbrechens nach dem Statut und ist damit Voraussetzung für Strafbarkeit und Strafe. 5. Das Statut unterscheidet die Ebenen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit und der Bestrafung. Strafrechtliche Verantwortlichkeit ist die Voraussetzung von Strafbarkeit und Strafe. 6. Gegenständliche Verbrechenselemente sind Verhalten, Folge und Umstand. Diese konstituieren die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegenden Verbrechen (mit – vgl. Nr. 19). 7. Das gegenständliche Verbrechenselement muss vollständig durch das Gegenstandsbewusstsein als inneres Verbrechenselement gespiegelt werden. 8. Umstand sind solche Gegebenheiten, die grundsätzlich unabhängig von der Anwendbarkeit der jeweiligen Norm in der jeweiligen Situation vorliegen. Sie sind als solche nicht von einer Person strafrechtlich zu verantworten. Ihre jeweilige Bedeutung ergibt sich erst in dem Zusammenhang mit einer Bestimmung des Statuts. 9. Alle Elemente der Verbrechensdefinitionen, die nicht innere Elemente sind, lassen sich in eine der gegenständlichen Kategorien der Statuts einordnen; weitere Unterscheidungen, etwa nach „jurisdictional elements“ oder „material elements“, kennt das Statut daher nur ausnahmsweise. 10. Auch Normbestände (wozu Rechtsbegriffe zählen) können Umstand und damit Bestandteil des gegenständlichen Verbrechenselementes sein. 11. Begehung ist Oberbegriff für Verhalten und Handlung: Verhalten ist wertfreier Begriff für eine menschliche Äußerung. Handlung ist die Abstraktion einer Verbrechensmodalität. Begehung benennt die Verbrechensverwirklichung als solche. 12. Ob ein Verbrechen eine Folge voraussetzt oder die schlichte Handlung ausreicht, ist für jede Verbrechensmodalität gesondert festzustellen. 13. Bewusstsein ist der zentrale Begriff des inneren Verbrechenselementes. 14. Bewusstsein als Wissenselement meint positives Wissen im Sinne geistiger Präsenz. 15. Das innere Verbrechenselement umfasst Gegenstands- und Zweckbewusstsein. 16. Das Gegenstandsbewusstsein umfasst das Verwirklichungs- und das Begebnisbewusstsein. Diese Begriffe erfassen den Gehalt der von Art. 30 genannten Elemente des Vorsatzes und des Wissens genauer. 17. Beim Verwirklichungsbewusstsein, das sich auf Verhalten und Folge bezieht, dominiert die voluntative Ebene. Beim Begebnisbewusstsein, das

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

sich auf Folgen und Umstand bezieht, steht die kognitive Ebene im Vordergrund. 18. Im Zweckbewusstsein, das keinen Gegenpart im gegenständlichen Verbrechenselement hat, kommt der subjektive Kontext für das Handeln zum Ausdruck. 19. Sofern eine Verbrechensbestimmung ein Zweckbewusstsein voraussetzt, ist dieses Bestandteil der Begehung. 20. Art. 30 setzt den Standard für das erforderliche innere Verbrechenselement und ist daher keine bloße Auffangvorschrift; etwas „anderes bestimmt“ ist immer nur dann, wenn das Statut selbst von Art. 30 abweichende Aussagen trifft. 2. Eine Ordnung der Verantwortlichkeitsgründe Individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit nach dem Römischen Statut ergibt sich aus der von dem inneren Verbrechenselement vollständig erfassten Begehung des gegenständlichen Verbrechenselementes eines der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegenden Verbrechens einschließlich, sofern vorausgesetzt, des Vorliegens von Umständen und der Herbeiführung von Folgen. Insofern kann man von den Verantwortlichkeitsgründen als Oberbegriff für die Gründe, die zu der Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit führen, sprechen. In eine erste Ordnung gebracht ergibt sich daraus folgendes Schema:167 1. Es gibt ein Verhalten als menschliche Äußerung. 2. Die Handlung entspricht den gegenständlichen Verbrechenselementen. 3. Es kommt, soweit erforderlich, zu Folgen. 4. Die erforderlichen Umstände liegen vor. 5. Soweit erforderlich besteht Zweckbewusstsein. 6. Daraus ergibt sich die Begehung des Verbrechens. 7. Es besteht Gegenstandsbewusstsein: Das Verwirklichungsbewusstsein bezieht sich vollständig auf Verhalten und Folgen. Das Begebnisbewusstsein bezieht sich vollständig auf Folgen und Umstände. 8. Damit ist der Handelnde strafrechtlich verantwortlich. 167

Zu den Ausschlussgründen vgl. unten Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. IV.

1. Kap.: Axiome des Verbrechensbegriffs

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B. Die Kehrseite: Der Wegfall von Strafbarkeit I. Vorbemerkung Individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit auf Grund des Statuts kann durch die Artikel 31 bis 33 ausgeschlossen sein. Da die Feststellung eben dieser individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit Voraussetzung für Strafbarkeit und Strafe ist,168 bilden die Gründe nach den Artikeln 31 bis 33 gleichsam die Kehrseite der Verantwortlichkeitsgründe, die wir im vorigen Abschnitt I. – Vom Geschehen zur Strafbarkeit – untersucht haben. Diese Aufteilung in Strafbarkeitsausschluss- und Verantwortlichkeitsgründe basiert weder auf der offence/defence-Dichotomie des common law, noch auf einer linearen Prüfungsstruktur Tatbestandsmäßigkeit-Rechtswidrigkeit-Schuld, wie sie insbesondere die deutsche Dogmatik zur Perfektion getrieben hat. Vielmehr folgt sie aus der einfachen Überlegung, dass, wenn etwas ausgeschlossen sein kann, dieses zunächst auch begründet sein muss. Insofern lassen wir uns zunächst von den Wirkungen dieser Gründe leiten. Wir werden die Gründe nach den Artikeln 31 bis 33 als Strafbarkeitsausschlussgründe – oder kurz Ausschlussgründe – bezeichnen, denn nicht lediglich Strafe, sondern die Strafbarkeit schlechthin, nämlich mit der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Grund für Strafe überhaupt, wird ausgeschlossen.169 Diese Bezeichnung ist insofern neutral, als sie nicht mehr sagt als die entsprechenden Artikel selbst. Die Beschäftigung mit den Ausschlussgründen gehört, was sich ohne Übertreibung sagen lässt, zu den kompliziertesten Bereichen der juristischen Dogmatik. Diese Aussage dürfte auf alle entwickelten Rechtskreise zutreffen. Im Rahmen einer statutsimmanenten Strukturanalyse mahnt sie zur besonderen Vorsicht, zugunsten eines zügigen harmonischen Verständnisses des Statuts nicht voreilig von bestimmten vertrauten Annahmen auszugehen.170 168

Vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 2. Dazu noch unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 2. Auch wenn die englische authentische Sprachfassung mit „grounds for excluding criminal responsibility“ recht lang und unhandlich ist, sollte dennoch vor der Bequemlichkeit, einfach von defences zu reden, gewarnt werden, denn dies mag den Blick auf die eigentlichen Sachfragen verstellen. Als Kurzfassung bieten sich die exclusionary grounds an. 170 Es ist stets verlockend, nach Bekanntem zu suchen und im Hinterkopf bereits eine Einteilung in „Entschuldigungsgründe“ oder „Rechtfertigungsgründe“ vorzunehmen oder an das Verhältnis von defences und mens rea zu denken, wovon ohne weitere Differenzierung etwa Bantekas/Nash, International Criminal Law, S. 53, ausgehen. 169

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

Einerseits nämlich führt jeder Ausschlussgrund seiner Funktion nach zu der Negation – in der Diktion des Statuts: dem Ausschluss – strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Seine Erforschung setzt schon deshalb ein gewisses Maß an Klarheit über den der Verantwortlichkeit zu Grunde liegenden Verbrechensbegriff voraus, soll diese Erforschung über die besagte rein funktionelle Ebene („defence“) hinausgehen. Andererseits lassen sich gerade aus dieser Wirkungsweise besondere Erkenntnisse und Aufschlüsse über den Verbrechensbegriff selbst gewinnen. Um sich daher nicht zum Gefangenen zirkulärer Überlegungen zu machen, folgt aus der erforderlichen Vorsicht die praktische Erkenntnis, dass sich Erforschung des Verbrechensbegriffs und Erforschung der Ausschlussgründe wechselseitig bedingen. Ein wenigstens rudimentärer Verbrechensbegriff ist Voraussetzung für ein sinnvolles Verständnis der einzelnen Ausschlussgründe bzw. dem Konzept der Ausschlussgründe schlechthin. Dieses erste Konzept von den Ausschlussgründen ist mittels eines vorerst noch rudimentären Verbrechensbegriffs zu ermitteln. Das so gefundene Konzept von den Ausschlussgründen wiederum ist gleichsam „Test“ des rudimentären Verbrechensbegriffs und wirkt so auf dessen sukzessive Verfeinerung hin. Dies führt in einer nächsten Gedankenoperation zu einer Verbesserung des Konzeptes von den Ausschlussgründen, und so weiter; es ergibt sich der Erkenntnisgang einer hermeneutischen Spirale. Dies werden wir im Zweiten Kapitel – Topographie des Verbrechensbegriffs – umsetzen. In diesem Abschnitt hingegen werden wir in bewährter Manier eher deskriptiv vorgehen. Wenn es also darum geht, den Verbrechensbegriff des Römischen Statuts im Wege einer statutsimmanenten Strukturanalyse zu ermitteln, so führt dies zu der Notwendigkeit, sich bei der Analyse der Ausschlussgründe, mithin bei deren Auslegung, noch stärker zurückzuhalten als bei der Darstellung der Verantwortlichkeitsgründe. Das ist nicht bloß dem hier bevorzugten pragmatischen Ansatz geschuldet, sondern vielmehr der für die Auslegung gebotenen Methode selbst: An vielen Stellen wird die statutsimmanente Strukturanalyse ihre inhärenten und konzeptionell eigenen Grenzen erreichen. Gerade hier öffnet sich die Strukturanalyse der eingangs skizzierten pluralistischen Konzeption des Völkerstrafrechts, wie sie Delmas-Marty vorgeschlagen hat, um Grenzfragen aufzulösen und damit den Weg frei zu machen zu einer Verfeinerung des Verständnisses des Verbrechensbegriffs. Dass aber auch hier die pluralistische Konzeption gegenüber der statutsimmanenten Strukturanalyse eine dezidiert dienende Funktion besitzt, hatten wir bereits gesagt. Sich dies nochmals zu vergegenwärtigen ist wichtig, da sich die Rechtsvergleichung sonst leicht von ihrem eigentlichen Auftrag, nämlich strukturelle Grenzfragen auflösen zu helfen, entfernen kann und

1. Kap.: Axiome des Verbrechensbegriffs

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damit zu einer Entfernung von den Strukturen des Statuts führt. Im Folgenden wird es daher darum gehen, die im Statut angelegten Strukturen aufzufinden und hierbei auch aufzuzeigen, welche Grenzfragen zukünftig aufzulösen sein werden. II. Anknüpfungspunkte der Ausschlussgründe 1. Rechtlicher Anknüpfungspunkt: Rechtswidrigkeit Es fällt auf, dass Artt. 31 Abs. 1 litt. (a), (b), (c); 33 Abs. 1 litt. (b), (c), Abs. 2 den Begriff der „Rechtswidrigkeit“ nennen bzw. ein bestimmtes Verhalten oder bestimmte Anordnungen als „rechtswidrig“ charakterisieren. Die entsprechenden Formulierungen der authentischen englischen Fassung lauten „unlawfulness“ bzw. „unlawful“. Daran ist bemerkenswert, dass der Begriff der „Rechtswidrigkeit“ gerade im Zusammenhang mit den beiden zentralen Vorschriften über den Ausschluss strafrechtlicher Verantwortlichkeit auftaucht171 – und eben nicht im Zusammenhang mit den im vorigen Abschnitt besprochenen Verantwortlichkeitsgründen. a) Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) Betrachten wir die ersten beiden Gründe des Art. 31 – Abs. 1 litt. (a), (b) –, so erkennen wir unschwer, dass es hier um ein Verhalten geht, das „eigentlich“ rechtswidrig ist, für das der Handelnde aus bestimmten Gründen jedoch nicht strafrechtlich verantwortlich ist. Offenbar lassen sich individuelles Verhalten (als rechtswidrig) und dessen individuelle Würdigung (Rechtsfolge: keine strafrechtliche Verantwortlichkeit) jedenfalls der Formulierung nach auch unter dem Römischen Statut in unterschiedlicher Weise rechtlich charakterisieren. Da sich strafrechtliche Verantwortlichkeit im Rahmen des Statuts stets nur auf Grund des Statuts ergeben kann,172 ist der rechtliche Anknüpfungspunkt die Begehung eines Verbrechens nach den Artikeln 6 bis 8. Mit anderen Worten, das „fragliche Verhalten“ (Art. 31 Abs. 1) ist nur dann von Relevanz, wenn es ohne das Hinzutreten von Ausschlussgründen individuelle Verantwortlichkeit mit begründen könnte. Wir formulieren dies deshalb so vorsichtig, weil wir der Frage nach dem Verhältnis der Gründe für die Begründung und den Ausschluss von strafrechtlicher Verantwortlichkeit erst später nachgehen werden; ihr Zusammen171

Art. 32 – Tat- oder Rechtsirrtum – nennt ihn nicht. Zu Art. 32 sogleich. Art. 22 Abs. 1; vgl. vertiefend die Diskussion unten Dritter Teil, Drittes Kapitel, B. I. 172

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

spiel wird im Rahmen der Bestimmung der Topographie des Verbrechensbegriffs zu untersuchen sein.173 Sicher ist aber schon jetzt, und das ist nichts als eine logische Schlussfolgerung, dass die Begehung174 eines Verbrechens nach dem Statut für die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit wenigstens notwendige Bedingung ist. Hinreichende Bedingung kann sie allenfalls dann sein, wenn gleichzeitig das innere Verbrechenselement mit verwirklicht wurde. Noch offen bleibt insoweit auch die Frage, ob „rechtswidrig“ im Sinne des Statuts auch die Begehung sein kann, bei der die gegenständlichen Verbrechenselemente nicht von einem vorliegenden inneren Verbrechenselement gespiegelt werden.175 Bei dem von Art. 31 Abs. 1 erfassten Verhalten kann es also nur um solches gehen, welches sich in der Begehung eines der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechens äußert – andernfalls stellte sich die Frage überhaupt nicht, weshalb denn von strafrechtlicher Verantwortlichkeit oder deren Ausschluss nach dem Römischen Statut die Rede sein sollte.176 So können wir den Anwendungsbereich des Begriffes „Rechtswidrigkeit“ dem Bereich der Begehung eines Verbrechens zuweisen. Offenbar handelt es sich um einen objektiven Maßstab, weil es für die Charakterisierung eines Verhaltens als „rechtswidrig“ gerade nicht auf ein individuelles Können des Handelnden ankommt177. Gleichzeitig sehen wir, dass die Frage nach den Ausschlussgründen der litt. (a), (b) erst im Anschluss an die Frage nach der Rechtswidrigkeit eines Verhaltens gestellt und beantwortet werden kann: Nur dann, wenn das Verhalten als rechtswidrig charakterisiert worden ist, stellt sich die Frage, ob der Handelnde dies zu erkennen in der Lage war. Nicht nur lassen sich daher unterschiedliche rechtliche Bewertungen des Verhaltens ausmachen, sondern auch ein rudimentäres Stufenverhältnis dieser Bewertungen. b) Art. 31 Abs. 1 lit. (c) Beim Ausschlussgrund nach lit. (c) geht es der Sache nach um eine Notwehrsituation, mithin um die Verteidigung gegen die unmittelbar drohende Anwendung von Gewalt gegen Personen oder gegebenenfalls Eigentum, 173

Unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. I. Oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 4. 175 Dazu unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. IV. 176 Dem steht auch Art. 31 Abs. 1 lit. (d) nicht entgegen, der insofern in bloß redundanter Weise formuliert, dass das Verhalten „angeblich den Tatbestand eines der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegenden Verbrechens erfüllt“. 177 Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b). 174

1. Kap.: Axiome des Verbrechensbegriffs

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wobei diese drohende Gewaltanwendung selbst rechtswidrig sein muss. Was das Merkmal „rechtswidrig“ angeht, unterscheidet sich der Ausschlussgrund nach lit. (c) insofern von den beiden vorher besprochenen, als hier nicht das Verhalten des Handelnden als „rechtswidrig“ gekennzeichnet wird, sondern ein fremdes Verhalten, nämlich der Angriff.178 Gleichzeitig bestätigt lit. (c), dass es sich bei dem jeweils in Frage kommenden Verhalten des Handelnden nur um ein solches handeln kann, das im Prinzip die Begehung eines Verbrechens nach dem Statut bedeutet, denn in der Formulierung der Voraussetzungen für den Ausschlussgrund als Sonderfall der Verteidigung von Eigentum wird ausdrücklich Verhalten, das ein Kriegsverbrechen – Art. 8 – darstellt, genannt. Dies bedeutet, dass für sonstiges, nicht als Kriegsverbrechen zu charakterisierendes Verhalten die Notwehr als Ausschlussgrund zur Verteidigung von Eigentum vom Statut nicht anerkannt ist. Insofern wird die Begehung von Kriegsverbrechen im Rahmen der Notwehr gegenüber anderen Begehungsweisen privilegiert. Das Verhalten muss daher – noch bevor der Ausschlussgrund nach lit. (c) geprüft werden kann – einem der drei Verbrechen des Statuts zugeordnet werden können. c) Art. 32 – „Rechtswidrigkeit“ als Umstand? Art. 32 – diese Vorschrift über den „Tat- oder Rechtsirrtum“ ist neben Art. 31 eine weitere Vorschrift über den „Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit“ – nennt den Begriff der „Rechtswidrigkeit“ aber nicht. In Art. 32 geht es nur um die „subjektiven Tatbestandsmerkmale“, welche in Gestalt des Gegenstandsbewusstseins von Art. 30 behandelt werden. Auch dieser Artikel nennt das Merkmal der „Rechtswidrigkeit“ nicht, sondern bezieht das innere Verbrechenselement (nur) auf die gegenständlichen Verbrechenselemente. Insofern ist die Frage angebracht, ob nicht das Merk178 Für die Bestimmung der Rechtswidrigkeit dieses Angriffs gilt nichts anderes als für die unmittelbare Bestimmung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit auch. Mit anderen Worten, das dem Gerichtshof durch Art. 21 vorgegebene Recht findet Anwendung – ein anderes Recht darf der Gerichtshof schließlich nicht anwenden. Dies bedeutet, dass der Gerichtshof gegebenenfalls auch ein Verhalten einer gar nicht angeklagten Person – des Angreifers – nach den Maßstäben des Statuts zu beurteilen hat, wenn es um die Rechtswidrigkeit dieses Angriffes geht. Ein Widerspruch zu Art. 22 Abs. 3 ist dies nicht, denn eine derartige Beurteilung ginge von der relativen Bedeutung des Statuts aus. Sofern der Angreifer selbst später wegen des Verhaltens zum Angeklagten würde, darf die vorige Rechtswidrigkeitsbeurteilung keine Bindungswirkung haben, denn erstens handelt es sich nicht um einen Fall des Art. 21 Abs. 2, da es nicht um Rechtsauslegung geht, und zweitens widerspräche dies unter anderem den Angeklagtenrechten nach Artt. 55; 63 Abs. 1; 66; 67 und 74.

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

mal der „Rechtswidrigkeit“ auch zu den „Umständen“ im Sine von Art. 30 Abs. 3 gehört. Dem stehen jedoch drei Überlegungen entgegen: Zum einen geht es bei Art. 30 um „material elements“ bzw. „élement[s] matériel du crime“, und das „Wissen“ des Handelnden muss sich auf entsprechende „Umstände“ beziehen. Nun umfassen diese gegenständlichen Verbrechenselemente bereits nach allgemeinem Sprachgebrauch jedoch nicht die ein Verhalten insgesamt bewertenden Schlussfolgerungen, aber eine solche stellt der Begriff der Rechtswidrigkeit bzw. „unlawfulness“ dar. Schon deshalb handelt es sich bei dem Begriff der Rechtswidrigkeit nicht um eine Gegebenheit und damit nicht um einen Umstand. Zweitens muss nach dem Bestimmungssatz der Umstand grundsätzlich unabhängig von der Anwendbarkeit der jeweiligen Norm in der jeweiligen Situation vorliegen.179 Das ist zwar in Bezug auf die genannten Ausschlussgründe des Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) der Fall, da es hier um die Bewertung des Verhaltens des Handelnden geht und diese unabhängig ist von dessen Unfähigkeit, diese Bewertung nachzuvollziehen. Bezieht man jedoch das Gesamtgeschehen in die Betrachtung mit ein, so ist die Bewertung eines Verhaltens als „rechtswidrig“ abhängig von dem Verhalten als solchem. Das Merkmal „rechtswidrig“ kann nicht ohne ein ihm zu Grunde liegendes entsprechendes Verhalten bestehen. Dies führt zu der dritten Überlegung. Unser Bestimmungssatz beinhaltete als weitere Komponente die Aussage, dass „Umstände“ als solche von einer Person strafrechtlich nicht zu verantworten sind. Bei der Aussage, ein Verhalten sei rechtswidrig, handelt es sich um eine Beurteilung dieses Verhaltens; das ergibt sich zwanglos ebenfalls aus Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b). An diese Bewertung schließt sich die Frage nach der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit für dieses – rechtswidrige – Verhalten an. Das Merkmal der Rechtswidrigkeit ist also als Voraussetzung von Verantwortlichkeit strafrechtlich zu verantworten. Da unser Bestimmungssatz als „Umstände“ aber nur solche Gegebenheiten erfasst, die von dem Handelnden nicht zu verantworten sind, erfasst er das Merkmal der Rechtswidrigkeit nicht. Daher bleibt es bei dem unveränderten Bestimmungssatz, und die „Rechtswidrigkeit“ ist schließlich kein „Umstand“ im Sinne von Art. 30. d) Art. 33 Das Merkmal „rechtswidrig“ bezieht sich bei Art. 33 auf die Anordnung und damit auf die rechtliche Bewertung derselben. In diesem engeren Zu179

Vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 6. f).

1. Kap.: Axiome des Verbrechensbegriffs

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sammenhang geht es daher nicht um die Bewertung des Verhaltens des Handelnden selbst. Die Anordnung als solche hat die Begehung eines Verbrechens nach dem Statut zum Gegenstand. Die sich anschließende Frage ist, ob bereits hieraus die Eigenschaft der Anordnung als rechtswidrig folgt, oder ob möglicherweise weitere Aspekte eine Rolle spielen, um die Anordnung abschließend als rechtswidrig bewerten zu können. Sofern nämlich die Anordnung beispielsweise die Verwirklichung der gegenständlichen Verbrechenselemente eines Kriegsverbrechens zum Zweck der Verteidigung militärisch unverzichtbaren Eigentums zum Gegenstand hat, stellt sich die Frage, ob das Eingreifen des Ausschlussgrundes nach Art. 31 Abs. 1 lit. (c) nur zu Gunsten des individuellen Handelnden180 zu berücksichtigen ist, oder ob der Ausschlussgrund bereits auf die Anordnung selbst zurückwirkt. Mit anderen Worten: Handelt es sich in einem solchen Fall überhaupt um die Anordnung eines „Verbrechens“ (mit der Folge, dass die Anordnung per se rechtswidrig ist)? Oder handelt es sich lediglich um die Anordnung eines bestimmten Verhaltens, das die gegenständlichen Verbrechenselemente erfüllt, ohne Verbrechen zu sein (mit der Folge, dass Art. 33 mangels Anordnung eines Verbrechens erst gar nicht eingreift,181 so dass sich die Frage nach der Rechtswidrigkeit von vornherein nicht stellt)? Aus der Perspektive des Untergebenen wiederum kann es zu folgender Konstellation kommen: Der Handelnde erkennt zutreffend, dass die Anordnung die Erfüllung der Verbrechenselemente eines Kriegsverbrechens enthält. Er stellt sich aber – entweder aus eigenem Antrieb oder weil die Anordnung entsprechend begründet wird – eine Lage vor, die, wenn sie tatsächlich bestünde, einen Ausschlussgrund nach Art. 31 Abs. 1 lit. (c) darstellen würde. Tatsächlich greift kein Ausschlussgrund. Die Anordnung ist daher jedenfalls rechtswidrig. Sofern der Ausschlussgrund auf die Rechtswidrigkeit einwirkt (und nicht nur ein persönlicher Ausschlussgrund ist), würde der Handelnde nicht wissen, dass die Anordnung rechtswidrig ist, und daher könnte ihm Art. 33 zugute kommen. Mit anderen Worten, der Handelnde würde über die Rechtswidrigkeit der Anordnung irren, weil er denkt, ein Ausschlussgrund greife ein. Sofern der Ausschlussgrund jedoch nur persönlich wirkt, also keinen Einfluss auf die Rechtswidrigkeit der Anordnung hat, so spielt dieser Irrtum des Handelnden im Rahmen des Art. 33 keine Rolle. Entscheidend ist daher die Wirkweise der Ausschlussgründe und die Auswirkung auf die Kategorie der Rechtswidrigkeit; dieser Frage wird später 180 Gegebenenfalls auch zu Gunsten des anordnenden Vorgesetzen selbst (vgl. Art. 28). 181 Art. 33 spielt wegen Abs. 1 lit. (c) i. V. m. Abs. 2 ohnehin nur im Fall der Anordnung von Kriegsverbrechen eine Rolle. Die Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit ist dennoch von der Rechtswidrigkeit als solcher streng getrennt zu halten, da sich beide Aspekte unterschiedlich begründen.

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im Rahmen der Topographie des Verbrechensbegriffs nachzugehen sein.182 Sofern allerdings in einem konkreten Fall gar kein Ausschlussgrund eingreift, folgt aus der Anordnung eines Verbrechens selbst bereits die Rechtswidrigkeit dieser Anordnung. 3. Zeitlicher Anknüpfungspunkt Art. 31 Abs. 1 nennt mehrere Ausschlussgründe, deren tatsächlicher Anknüpfungspunkt die „Zeit des fraglichen Verhaltens“ ist (tempus regit actum).183 Da der tatsächliche, zeitliche Anknüpfungspunkt durch das Statut vorgegeben ist, können (nachzeitiges) Rache- oder (vorzeitiges) Präventivverhalten von den Ausschlussgründen nicht erfasst werden. Art. 31 Abs. 1 lit. (c) relativiert letzteres aber insofern etwas, als hier von einer „unmittelbar drohenden“ Gewaltanwendung184 die Rede ist, die zur Zeit des fraglichen Verhaltens bestehen müsse. 4. Situationsbezogene Anknüpfungspunkte Bei den Gründen nach Art. 31 Abs. 1 litt. (c) und (d) handelt es sich der Sache nach um Notwehr und Notstand, wobei im letzteren Fall die Notstandslage von Menschen – Var. i) – oder „andere[n] Umstände[n]“ – Var. ii) – ausgehen kann. Art. 33 wiederum setzt eine verpflichtende Anordnung eines Vorgesetzten voraus. Hier liegt es so, dass sich der Handelnde in einer Situation befindet, die unabhängig von ihm selbst auf ihn einwirkt. Mithin lassen sich diese Ausschlussgründe als situationsbezogen charakterisieren. 5. Täterbezogene Anknüpfungspunkte a) Unvermögen Bereits im Rahmen der „Rechtswidrigkeit“185 hatten wir den Gedanken formuliert, dass das Eingreifen der Ausschlussgründe nach Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) von dem Unvermögen (dem Nichtkönnen) des Handelnden abhängt und somit dessen individuellen Fähigkeiten Rechnung trägt. Anders gewendet handelt es sich hierbei um täterbezogene Ausschlussgründe. 182 183 184 185

Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 2. Mezzetti, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute, S. 147. „[I]mminent use of force“ bzw. „recours imminent à la force“. Oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. II. 1.

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b) Unkenntnis (1) Tatsachenirrtum Kennt der Handelnde einen Sachverhalt – in Frage kommen Verhalten, Folge und bestimmte Umstände –, der von einem gegenständlichen Verbrechenselement erfasst wird, nicht,186 kann er kein entsprechendes Gegenstandsbewusstsein bilden. Demnach kann er das innere Verbrechenselement von vornherein nicht erfüllen und ist deshalb nicht strafrechtlich verantwortlich. Dies ist der Fall des Tatsachenirrtums nach Art. 32 Abs. 1. Im Grunde wäre Art. 32 Abs. 1 entbehrlich, da der Tatsachenirrtum allein Relevanz für das Gegenstandsbewusstsein als inneres Verbrechenselement nach Art. 30 hat.187 Der Tatsachenirrtum ist täterbezogen, da er sich auf das innere Verbrechenselement des Handelnden bezieht. Im Übrigen erscheint die amtliche deutsche Übersetzung gegenüber den authentischen Fassungen etwas ungenau. Während sie vom „Tatirrtum“ spricht, heißt es in der englischen Fassung „mistake of fact“ und in der französischen Fassung „erreur de fait“. Insofern ist es präziser, vom Tatsachenirrtum zu sprechen.188 (2) Rechtsirrtum Art. 32 Abs. 2 unterscheidet in Satz 1 und 2 zwei Formen des Rechtsirrtums. Kein Ausschlussgrund liegt gemäß Satz 1 vor, wenn der Handelnde darüber irrt, ob ein Verhalten ein Verbrechen nach dem Statut darstellt. Der Irrtum bezieht sich mithin weder auf das Verhalten selbst, noch auf die Bedeutung des Verhaltens, sondern ganz grundsätzlich auf dessen Erfassung durch das Statut. Es geht also um einen Irrtum über die Reichweite des Statuts bzw. die Weite jenes Rahmens, welcher Verhalten als strafrechtlich relevant erfasst. Der – bloß unbeachtliche – Rechtsirrtum ist damit die Unkenntnis der einschlägigen Verbrechensbestimmung des Statuts: one ought to know the law. Mit anderen Worten, der Handelnde muss das Verbot des 186

Zur Gleichbehandlung von Unkenntnis und Irrtum siehe Fn. 225. Dies wurde auch während der Vorbereitungen zur Römischen Konferenz verschiedentlich angemerkt, vgl. Report from the Intersessional Meeting from 19 to 30 January in Zutphen, The Netherlands („Zutphen Draft“), UN Doc. A/AC.249/1998/L.13, Article 24[K], Fn. 103. Vgl. auch Schabas, General Principles of Criminal Law in the International Criminal Court Statute (Part III), 6 EJCrCLCJ (1998), S. 426. 188 Die spanische Fassung nennt diesen Irrtum „error de hecho“, was sich gleichermaßen mit Tat- wie mit Tatsachenirrtum übersetzen ließe. Die englische und französische Fassung sind demgegenüber aber eindeutig. 187

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

Verhaltens durch das Statut nicht kennen, damit er deswegen strafrechtlich verantwortlich sein kann.189 Beachtlich ist ein Rechtsirrtum nach Satz 2 jedoch dann, wenn er das innere Verbrechenselement aufhebt190 oder in dem Fall des Art. 33, auf den sogleich einzugehen sein wird. Da der Irrtum über die grundsätzliche Strafbarkeit des Verhaltens unbeachtlich ist, kann es bei dem beachtlichen Rechtsirrtum nur um einen Irrtum gehen, der sich auf rechtliche Fragen bezieht, welche sich aus Sicht des Irrenden innerhalb des Rahmens der jeweiligen Verbrechensbestimmung befinden. Gleichzeitig müssen diese rechtlichen Aspekte Relevanz für das innere Verbrechenselement besitzen. Gehen wir vom Gegenstandsbewusstsein des Art. 30 aus, so könnte es sich bei diesen rechtlichen Aspekten um Folgen oder Umstände,191 also um Merkmale des gegenständlichen Verbrechenselementes, handeln. Sofern es weitere innere Verbrechenselemente, die über das Gegenstandsbewusstsein des Art. 30 hinausgehen, gibt, können auch diese wegen des Rechtsirrtums aufgehoben sein. Da die Fragen aufeinander aufbauen, gehen wir ihnen im folgenden Kapitel im Rahmen der Topographie des Verbrechensbegriffs nach. Auch der beachtliche Rechtsirrtum ist täterbezogen, da er sich auf das innere Verbrechenselement des Handelnden bezieht. (3) Art. 33 Art. 33 Abs. 1 zeigt eine Kumulation von täter- und situationsbezogenen Anknüpfungspunkten, denn er setzt einerseits eine Situation voraus – nämlich einen bindenden Befehl, lit. (a)192 – und bezieht sich andererseits auf ein Nichtwissen des Handelnden, lit. (b). Diese Unkenntnis bezieht sich auf die Eigenschaft der Anordnung als rechtswidrig. Wie wir gesehen haben, resultiert die Rechtswidrigkeit der Anordnung daraus, dass sie die Begehung eines Verbrechens nach dem Statut zum Gegenstand hat.193 Die Un189 Entsprechend der Begriffswelt der deutschen Strafrechtsdogmatik bedeutet dies, dass das Statut den Verbotsirrtum nicht anerkennt. Ebenso Weigend, Zur Frage eines „internationalen“ Allgemeinen Teils, FS-Roxin, S. 1392; ähnlich Ambos, General Principles of Criminal Law in the Rome Statute, 10 CLF (1999), S. 29. 190 Zu dieser „Aufhebung“ vgl. unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. V. 5. 191 Das dritte Merkmal, Verhalten, kommt als rein tatsächliches Merkmal für den Rechtsirrtum nicht in Frage. 192 Dazu bereits oben, Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. II. 3. 193 Diese Aussage lässt sich unabhängig von unseren späteren Erkenntnissen jedenfalls für den Fall treffen, dass keine auf die Anordnung bezogenen Ausschlussgründe in Frage kommen. Zum Merkmal „rechtswidrig“ im Rahmen von Art. 33 vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. II. 1. d).

1. Kap.: Axiome des Verbrechensbegriffs

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kenntnis des Handelnden im Rahmen des Art. 33 Abs. 1 lit. (b) bezieht sich insofern nicht darauf, ob sein Verhalten überhaupt nach dem Statut strafrechtlich relevant ist. Dies wäre ohnehin nur ein Fall des unbeachtlichen Rechtsirrtums nach Art. 32 Abs. 2 Satz 1. Vielmehr vermag der Handelnde die Verhaltensanordnung selbst nicht richtig einzuordnen. Damit bewegt sich seine Unkenntnis innerhalb des Rahmens der jeweiligen Verbrechensbestimmung.194 Dies erscheint auch in praktischer Hinsicht konsequent, denn als einschlägige Verbrechen kommen ohnehin nur Kriegsverbrechen nach Art. 8 in Betracht, denn wegen des Offensichtlichkeitskriteriums nach Art. 33 Abs. 1 lit. (c), 2 ist der Ausschlussgrund nach Art. 33 für die anderen beiden Verbrechen ausgeschlossen.195 Bei den Kriegsverbrechen handelt es sich teilweise um sehr „technische“ Bestimmungen, bei denen die Abgrenzung von strafrechtlich sanktioniertem und nicht sanktioniertem Verhalten nicht immer leicht ist. Dies gilt erst Recht für angespannte Situationen, die bei bewaffneten Konflikten schnelle Entscheidungen und eine rigorose Befehlshierarchie erfordern.196 Es geht bei Art. 33 Abs. 1 also darum, dass der Handelnde die strafrechtliche Bedeutung der Anordnung nicht zutreffend erfasst.

194 Das ist auch schon deshalb konsequent, weil der gleiche Bezugsrahmen beim Rechtsirrtum nach Art. 32 (s. den vorigen Abschnitt) gilt und Art. 32 auf Art. 33 verweist. 195 Bantekas/Nash, International Criminal Law, S. 61, plädieren dennoch dafür, die Offensichtlichkeit auch beim Völkermord und bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht per se anzunehmen, da der einzelne Täter nicht immer den Überblick über das Gesamtgeschehen habe. 196 Zwingend ist dieses Argument nicht, da die von Art. 33 Abs. 1 ebenfalls erfasste „Anordnung einer Regierung“ durchaus auch in verhältnismäßig „ruhigen“ Situationen außerhalb der direkten bewaffneten Auseinandersetzung ergehen kann, so dass sich der Entscheidungs- und Befolgungsdruck als nicht so deutlich darstellt, wie es etwa im Häuserkampf der Fall wäre. Insofern erscheint die grundsätzliche Kritik Gaetas, The Defence of Superior Orders: The Statute of the International Criminal Court versus Customary International Law, 10 EJIL (1999), S. 190–191, nicht vollständig berechtigt; anders als Gaeta vorschlägt, sollte der Gerichtshof für jeden Einzelfall die Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit der Anordnung von Kriegsverbrechen prüfen. Zu dem Schwereverhältnis von Kriegsverbrechen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit vgl. Frulli, Are Crimes against Humanity more Serious than War Crimes?, 12 EJIL (2001), S. 329–350, die sich dabei auch mit der Offensichtlichkeitsregel des Art. 33 auseinandersetzt (S. 339–340).

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

III. Innere Erfordernisse der Ausschlussgründe Auch bei den Ausschlussgründen lassen sich gegenständliche und innere Elemente ausmachen. Während aber bei den Verbrechensbeschreibungen gemäß Art. 30 alle gegenständlichen Elemente – Verhalten, Folge und Umstand als die drei expliziten Kategorien – von den inneren Verbrechenselementen vollständig gespiegelt sein müssen, um strafrechtliche Verantwortlichkeit überhaupt entstehen zu lassen, findet sich ein entsprechendes Erfordernis, das sich auf die Ausschlussgründe bezieht, nicht. Allerdings setzen Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d) – die Notwehr bzw. Notstand regeln – jeweils ein Handeln voraus, „um“ sich gegen Gewalt zu verteidigen197 bzw. eine Gefahr abzuwenden198. Der Handelnde agiert zielgerichtet und muss demnach ein entsprechendes, final determiniertes Zweckbewusstsein besitzen.199 Da diese Ausschlussgründe neben den situationsbezogenen Anknüpfungspunkten auch innere Erfordernisse formulieren, kann es allein auf Grund des Bestehens einer Notwehr- oder Notstandslage nicht zu einem Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit kommen. Ein Mangel an Zweckbewusstsein führt demnach gewissermaßen zum Ausschluss des Ausschlussgrundes. Art. 31 Abs. 1 lit. (d) führt noch ein weiteres inneres Merkmal an, das eine etwas komplizierte Struktur aufweist. Das Zweckbewusstsein allein genügt für lit. (d) noch nicht; vielmehr muss der Handelnde beabsichtigen, durch sein die Gefahr abwendendes Handeln keinen größeren Schaden zu verursachen. Welche die Maßstäbe für den Schadensvergleich sein sollen, ist nicht klar. Bemerkenswert ist dabei aber, dass dieser Verhältnismäßigkeitsmaßstab subjektiviert ist. Dies zeigt sich bereits an den Formulierungen „beabsichtigt“ und „abzuwenden trachtet“200. Da lit. (d) bereits mit den Merkmalen „notwendig“ und „angemessen“ eine nicht-subjektive Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetzt, kann der subjektive Teil im Grunde nur ein zusätzliches Korrektiv sein, um ein Handeln mala fide auszuschließen. Insofern handelt es sich in lit. (d) um ein qualifiziertes Zweckbewusstsein. Lit. (c) kennt ein solches zusätzliches Merkmal nicht. Die genannten Ausschlussgründe begünstigen den Handelnden nicht allein wegen der ihn besonders belastenden Situation, sondern auch wegen seiner entsprechend gelagerten Handlungsmotivation; erst das kumulative 197

„[T]o defend“ bzw. „pour se défendre“. „[T]o avoid“ bzw. „pour écarter“. 199 Zu diesem Terminus oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. f). 200 „[D]oes not intend to cause . . . one sought to be avoided“ bzw. „elle n’ait pas l’intention de causer . . . que cherchait à éviter“. 198

1. Kap.: Axiome des Verbrechensbegriffs

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Eingreifen situationsbezogener Anknüpfungspunkte und innerer Gegebenheiten führt zu dem Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) haben, wie wir gesehen haben, das Unvermögen zum inneren Anknüpfungspunkt.201 Darüber hinaus weist jedoch nur lit. (b) einen weiteren inneren Gesichtspunkt auf, der strukturell zu einem Ausschluss des Ausschlussgrundes führen kann, wenn sich nämlich der Handelnde unter Umständen berauscht hat, unter denen er „wusste oder in Kauf nahm“,202 dass er infolge des Rausches wahrscheinlich ein Verbrechen begehen würde. Anders gewendet ist es nur das Nichtwissen, das den Ausschlussgrund greifen lässt. Dies entspricht auch der Struktur, die sich bei Art. 33 Abs. 1 lit. (b) findet, denn auch hier würde das Wissen um die Rechtswidrigkeit der Anordnung dazu führen, dass der Ausschlussgrund nicht mehr eingreift. Bis auf das bei Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d) erforderliche Zweckbewusstsein haben die Ausschlussgründe des Statuts keine weiteren inneren Erfordernisse für ihr Eingreifen. Sehr wohl aber können bestimmte innere Gegebenheiten einen Ausschlussgrund ausschließen. IV. Zwischenergebnis 1. Zusammenfassung in Thesen 1. Das Statut kennt die Kategorie der Rechtswidrigkeit. 2. Die Kategorie der Rechtswidrigkeit charakterisiert die Begehung eines vom Statut erfassten Verbrechens. 3. Es handelt sich um einen objektiven, nicht vom Handelnden abhängigen Maßstab. Hierin liegt der Unterschied zu der zweiten Bewertungskategorie der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit. 4. Rechtswidrigkeit ist kein Umstand im Sinne von Art. 30. 5. Das individuelle Erkennenkönnen der Rechtswidrigkeit des Verhaltens kann erst im Anschluss an die Bejahung dieser Rechtswidrigkeit erörtert werden. 6. Die Begehung eines Verbrechens kann rechtswidrig sein, ohne dass daraus strafrechtliche Verantwortlichkeit folgt. 7. Die Rechtswidrigkeit der Begehung eines Verbrechens ist Voraussetzung für strafrechtliche Verantwortlichkeit. 201 202

Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. II. 4. a). Dazu oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. b).

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

8. Die Ausschlussgründe des Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) können wegen des Erfordernisses, an die Rechtswidrigkeit des Verhaltens anzuknüpfen, erst im Anschluss an die Feststellung, dass ein Verbrechen begangen wurde, erörtert werden. 9. Der Ausschlussgrund des Art. 31 Abs. 1 lit. (c) kann im Falle der Verteidigung von Eigentum nur erörtert werden, nachdem festgestellt wurde, dass das Verteidigungsverhalten die Begehung eines Kriegsverbrechens darstellt. 10. Die Ausschlussgründe knüpfen in zeitlicher Hinsicht an die Begehung des Verbrechens an. 11. Es lassen sich situations- und täterbezogene Ausschlussgründe unterscheiden. 12. Bei situationsbezogenen Ausschlussgründen wirkt eine äußere Situation unabhängig vom Handelnden auf diesen ein. 13. Die täterbezogenen Ausschlussgründe gehen auf Unvermögen oder Unkenntnis zurück. 14. Das Unvermögen stellt auf die individuelle (Un-)Fähigkeit des Handelnden, etwas zu erkennen oder sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, ab. 15. Die Unkenntnis bezieht sich nur auf Aspekte, die sich innerhalb des Rahmens der jeweiligen Verbrechensbestimmung befinden und wirkt sich auf das Gegenstandsbewusstsein oder weitere, noch genauer zu bestimmende innere Verbrechenselemente aus. 16. Der Tatsachenirrtum ist nur für das Gegenstandsbewusstsein relevant. Wegen Art. 30 wäre die Bestimmung des Art. 32 Abs. 1 entbehrlich. 17. Der Irrtum über die Reichweite der Strafbestimmungen des Statuts ist nach Art. 32 Abs. 1 Satz 1 unbeachtlicher Rechtsirrtum. 18. Die Unkenntnis bei Art. 33 Abs. 1 geht darauf zurück, dass der Handelnde die strafrechtliche Bedeutung der Anordnung nicht oder nicht zutreffend erfasst. 19. Ein ausdrückliches Erfordernis, dass die gegenständlichen Elemente der Ausschlussgründe von komplementären inneren Elementen erfasst sein müssten, besteht nicht. 20. Jedoch erfordern Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d) ein Zweckbewusstsein. Lit. (d) erfordert dies in qualifizierter Form, um ein Handeln mala fide auszuschließen.

2. Kap.: Topographie des Verbrechensbegriffs

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21. Erst die Kumulation von äußerer Situation und innerer Handlungsmotivation (Zweckbewusstsein) führt bei Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d) zum Ausschluss des strafrechtlichen Verantwortlichkeit. 22. Nur soweit bestimmtes Nichtwissen vorliegt, wirken Artt. 31 Abs. 1 lit. (b); 33 als Ausschlussgründe. 2. Eine Ordnung der Ausschlussgründe Soweit einige Ausschlussgründe an die Rechtswidrigkeit anknüpfen, können diese erst zur Sprache kommen, nachdem eine solche Rechtswidrigkeit festgestellt wurde. Da die Kategorie der Rechtswidrigkeit wiederum an die Begehung eines Verbrechens anknüpft, ist die Erörterung dieser Ausschlussgründe der Erörterung der Begehung eines Verbrechens nachgelagert. Soweit sich einige Ausschlussgründe auf das innere Verbrechenselement auswirken, können sie in diesem Zusammenhang erörtert werden. Der zuvor formulierten ersten Ordnung der Verantwortlichkeitsgründe als Voraussetzungen von Strafbarkeit entsprechend ist dies folgerichtig, denn der darauf folgende Schritt ist die Feststellung des Vorliegens bzw. des Ausschlusses strafrechtlicher Verantwortlichkeit.203 Da sich aber andeutet,204 dass es noch weitere Kategorien innerer Verbrechenselemente neben dem Gegenstands- und dem Zweckbewusstsein gibt,205 ist diese Aussage zunächst auf das Gegenstandsbewusstsein beschränkt. Das Zweckbewusstsein ist von den Ausschlussgründen ohnehin nicht betroffen.

Zweites Kapitel

Topographie des Verbrechensbegriffs In diesem Kapitel geht es darum, die zuvor im ersten Kapitel herausgearbeiteten Axiome des Verbrechensbegriffs und unsere bisherigen Erkenntnisse zueinander in Beziehung zu setzen und mögliche Friktionen aufzulösen. Die zunächst noch lineare Ordnung wird dann gewissermaßen mehrdimensional. Die Strukturen treten so klarer hervor. Die Topographie des Verbrechensbegriffs wird erkennbar. Im ersten Abschnitt entwerfen wir eine erste Ordnung des Verbrechensbegriffs. Im Mittelpunkt stehen die Begriffe der Rechtswidrigkeit, des Zu203 204 205

Vgl. Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. III. 2. Vgl. Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. II. 4. b) (2). Nämlich das Bedeutungsbewusstsein; vgl. Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. V.

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

gestandenseins, des Gegenstands- sowie des Bedeutungsbewusstseins, die jeweils, wenngleich in unterschiedlicher Weise, zentrale Parameter innerhalb des Verbrechensbegriffs darstellen. Im sich anschließenden Abschnitt entfalten wir eine zweite Ordnung des Verbrechensbegriffs, in dem wir die genannten Parameter miteinander vernetzen und insbesondere das Verhältnis von Verantwortlichkeits- zu Ausschlussgründen klären. Dieses Kapitel zur Topographie des Verbrechensbegriffs beginnt und schließt jeweils mit einer schematischen Übersicht, die die Grundlagen für die Bedingungen strafrechtlicher Verantwortlichkeit nach dem Statut darstellt und somit innerhalb des Verbrechensbegriffs verortet.

A. Der Verbrechensbegriff: Eine erste Ordnung I. Schematische Übersicht Betrachten wir das folgende Schema mit zugekniffenen Augen, um eine gewisse Unschärfe zu erreichen, zeigt sich eine allgemeine Ähnlichkeit mit der aus dem Common law bekannten Dichotomie von actus reus und mens rea. Die erste Hälfte der Schemapunkte handelt im Wesentlichen gegenständliche Elemente bzw. deren Bewertung als rechtswidrig ab, während die zweite Hälfte im Wesentlichen innere Elemente sowie die Schlussfolgerung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit erfasst. Dabei ist dieser Eindruck bloß vorläufig, da wir uns noch näher mit dem Verhältnis von Verantwortlichkeits- und Ausschlussgründen sowie der Rechtswidrigkeit beschäftigen müssen.206 Schematisch dargestellt ergibt sich diese Ordnung als Grundlage eines rudimentären Verbrechensbegriffs:207 1. Es gibt ein Verhalten als menschliche Äußerung. 2. Die Handlung entspricht den gegenständlichen Verbrechenselementen. 3. Es kommt, soweit erforderlich, zu Folgen. 4. Die erforderlichen Umstände liegen vor. 5. Soweit erforderlich besteht Zweckbewusstsein. 206 Bereits 1999 weist Kreß zurecht darauf hin, dass es verfehlt sei, die „äußerliche Ausrichtung am Grundmodell des ‚common law‘ ohne weiteres ins Inhaltliche zu wenden“; Die Kristallisation eines Allgemeinen Teils des Völkerstrafrechts: Die Allgemeinen Prinzipien des Strafrechts im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, HuV-I 1999, S. 5, 7. 207 Zu den weiteren Verfeinerungen dieser – insofern ersten – Ordnung vgl. unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, C. II. sowie abschließend Vierter Teil, Erstes Kapitel, A.

2. Kap.: Topographie des Verbrechensbegriffs

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6. Daraus ergibt sich die Begehung des Verbrechens. 7. Rechtswidrigkeit der Begehung des Verbrechens. 8. Fähigkeit, die Rechtswidrigkeit zu erkennen [Unfähigkeit: Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b)]. 9. Fähigkeit, sich entsprechend zu verhalten [Unfähigkeit: Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b)]. 10. Nichtwissen der Möglichkeit einer Rauschtat [bei Art. 31 Abs. 1 lit. (b)]. 11. Die gegenständlichen Voraussetzungen der Ausschlussgründe nach Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) liegen vor. 12. Es besteht Gegenstandsbewusstsein: Das Verwirklichungsbewusstsein bezieht sich vollständig auf Verhalten und Folgen. Ein Tatsachenirrtum (Art. 32 Abs. 1) ist hier zu berücksichtigen. Das Begebnisbewusstsein bezieht sich vollständig auf Folgen und Umstände. Zum Tatsachenirrtum dito. 13. Nichtwissen um die Rechtswidrigkeit der Anordnung (bei Art. 33). 14. Ausschlussgründe, die sich auf das innere Verbrechenselement auswirken (insbesondere der Rechtsirrtum nach Art. 32 Abs. 2 Satz 2). 15. Die gegenständlichen Voraussetzungen der Ausschlussgründe nach Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d) liegen vor. 17. Das für die Ausschlussgründe nach Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d) erforderliche Zweckbewusstsein liegt vor; bei lit. (d) ist es qualifiziert. 18. Damit ist der Handelnde strafrechtlich verantwortlich bzw. strafrechtlich nicht verantwortlich.

II. Rechtswidrigkeit als unpersönliche Bewertungskategorie Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes ergibt sich nicht allein formell aus der Aufzählung von Verbrechen. Vielmehr tritt daneben das materielle Erfordernis der überindividuellen, internationalen Betroffenheit. Dies war bereits zu Anfang dieses Dritten Teiles hervorzuheben. Gleiches galt für die Schlussfolgerung, dass diese Gerichtsbarkeit beschränkt ist auf jene Verbrechen, die eine derartige Betroffenheit zur Folge haben – nur in diesen Fällen kann sich der Gerichtshof mit den entsprechenden Verbrechen beschäftigen. Ebenso haben wir gesehen, dass die Verbrechen des Statuts nicht indi-

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

viduell einwilligungsfähig sind, weil dadurch die überindividuelle Betroffenheit nicht aufgehoben wird.208 Konsequenterweise stellt sich nun die Frage, ob die Begehung von Verbrechen nach dem Statut zu rechtfertigen ist.209 Mit anderen Worten, ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Begehung eines Verbrechens ausnahmslos ipso iure, oder können Rechtfertigungsgründe eine derartige Geschehensbewertung hindern? Denkt man die Möglichkeit der Rechtfertigung einer Verbrechensbegehung hinzu, so muss man gleichzeitig anerkennen, dass dadurch die überindividuelle, internationale Betroffenheit nicht aufgehoben wird – andernfalls nämlich entfiele bereits dem Grunde nach das materielle Erfordernis für die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs. Daraus folgte, dass sich der Gerichtshof mit einem derartigen Geschehen nicht beschäftigen dürfte, denn hierbei würde es sich nicht mehr um ein überindividuelle Betroffenheit auslösendes Verbrechen handeln.210 Es verbliebe also die Variante der Rechtfertigung der Verbrechensbegehung bei gleichzeitiger überindividueller, internationaler Betroffenheit. Dies mutet jedoch paradox an, denn ein Verhalten, das die internationale Gemeinschaft als Ganze betrifft, kann nicht gleichzeitig nicht rechtswidrig, also rechtmäßig und damit ein Neutrum sein. Vielmehr kommt in dem materiellen Element der überindividuellen, internationalen Betroffenheit zum Ausdruck, dass die Begehung der von dem Statut erfassten Verbrechen ipso iure rechtswidrig ist und das Römische Statut daher Rechtfertigungsgründe nicht zulässt. Die Betroffenheit stellt ein Unrecht sui generis dar; jede Verbrechensbegehung ist dem Grunde nach rechtswidrig. Individuelle Besonderheiten bei der Begehung vermögen die überindividuelle, internationale Betroffenheit nicht aufzuheben und sind insoweit für die Rechtswidrigkeit nicht von Belang. Bei der Rechtswidrigkeit handelt es sich daher um eine unpersönliche Kategorie, die eine abschließende Bewertung der Verbrechensbegehung darstellt.211 Damit ist gleichzeitig gesagt, dass sich die Bewertung (nur) auf das Geschehen innerhalb des vom Statut gezogenen strafrecht208

Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. I. Zum Begriff der Begehung vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 4. und zu ersten Überlegungen zur Rechtswidrigkeit vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. II. 1. 210 Zur überindividuellen, internationalen Betroffenheit als Legitimitätsmoment des Römischen Statuts bzw. von Völkerstrafrecht insgesamt vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, A. II. 2. 211 Als persönliche Kategorie wirkt die individuelle, strafrechtliche Verantwortlichkeit; dazu auch unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. IV. 209

2. Kap.: Topographie des Verbrechensbegriffs

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lichen Rahmens bezieht, denn nur dann ist das Geschehen Begehung im Sinne des Statuts212 und wird von diesem erfasst und bewertet.213 III. Zugestandensein als Ausschlussgrund Der Grund für den Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit liegt bei den Ausschlussgründen nach Artt. 31 Abs. 1 litt. (a), (b); 32 Abs. 1, 2 Satz 2; 33 Abs. 1 in dem Wegfall des Gegenstands- bzw. Bedeutungsbewusstseins, also in der Unvollständigkeit des inneren Verbrechenselementes. Darauf werden wir noch einzugehen haben.214 Aus dem Katalog der ausdrücklichen Ausschlussgründe verbleiben Notwehr und Notstand gemäß Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d), bei denen das innere Verbrechenselement vollständig vorliegt, und für die es daher einen anderen Grund für ihr Eingreifen geben muss. Das Statut antizipiert mit den Ausschlussgründen des Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d) bestimmte von ihm in abstrakter Weise beschriebene individuelle215 Notlagen216, in denen der Handelnde ein Verbrechen nach dem Statut begeht, um217 einen Schaden abzuwenden. Trotz der Rechtswidrigkeit der Verbrechensbegehung218 ergibt sich in Folge des Eingreifens eines Ausschlussgrundes nicht lediglich eine Freistellung von Strafe, sondern vielmehr grundsätzlich ein Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit.219 Der Sache nach geht es um bestimmte Situationen des nicht-anders-handeln-Könnens – Art. 31 Abs. 1 lit. (d) – oder des Schutzes eines überwiegenden erhaltenswerten Gutes – Art. 31 Abs. 1 lit. (c) – und insofern um Situationen, in denen die Verbrechensbegehung für den Handelnden eine persönliche Richtigkeit besitzt. Aus der Anerkennung solcher Situationen ergibt sich, dass das Statut das Handeln in derartigen Notlagen respektiert. Damit wird dem jeweiligen Handelnden auf der individuellen Ebene zugestanden, so zu handeln,220 wenngleich auf der überindividuellen Ebene die Verbrechensbegehung selbst Unrecht verwirklicht und rechtswidrig ist. 212

Vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 4. Vgl dazu auch unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. V. 1. 214 Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. IV. und V. 215 Vgl. den letzten Satz in Art. 31 Abs. 1 lit. (c). 216 Zu den Gründen vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. II. 3. 217 Zu dem erforderlichen Zweckbewusstsein vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. III. 218 Zuvor Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. II. 219 Vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. I. und unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 220 Das klingt auch bei Fletcher, The Right and the Reasonable, 98 HarvLR (1985), S. 977, an („Justification as Permissble Conduct“), wobei er sich jedoch 213

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

Wegen der konkreten Alternativlosigkeit des Handelns besteht kein Bedürfnis, dem Handelnden die Verbrechensbegehung persönlich vorzuwerfen. Diese konkrete Alternativlosigkeit steht immer dann, aber auch nur dann fest, wenn die Voraussetzungen der Ausschlussgründe nach Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d) vollständig vorliegen.221 Besonderes Augenmerk ist insofern auf die Angemessenheitserfordernisse zu richten. Hierin liegt der entscheidende Hebel für die Erweiterung oder Verringerung der Anwendbarkeit dieser Ausschlussgründe.222 Insofern dürften diese Ausschlussgründe auch besonders irrtumsträchtig sein.223 Weil sich das Zugestandensein allein auf die konkrete Situation des individuellen Handelnden bezieht, ist es auch kein gleichsam „negatives Tatbestandsmerkmal“, sondern ein selbständiger und persönlicher Ausschlussgrund. In dem Begriff des Zugestandenseins kommt zum Ausdruck, dass es weder um ein von vornherein erlaubtes noch um ein nachträglich gerechtfertigtes Verhalten geht, sondern um ein wertendes Zugeständnis des Statuts mit Blick auf die dramatische Lage des Handelnden. Bei dem Zugestandensein handelt es sich daher um eine statutsimmanente Wertung, auf Grund derer die – stets rechtswidrige – Verbrechensbegehung dem aus einer individuellen Notlage der konkreten Alternativlosigkeit heraus Handelnden nicht persönlich vorgeworfen wird und auch kein Strafbedürfnis besteht. Das Zugestandensein führt damit zu einer Unterbrechung des Zusammenhanges von Begehung und Verantwortlichkeit.

gegen ein derartiges Verständnis des „bloßen“ Zugestandenseins wendet. Er argumentiert damit, dass das Strafrecht als selbstregulierendes System von Verhaltensregeln eine Lösung ex ante für jeden Fall bereitstellen müsse, wohingegen der Ansatz des „permissible“ seinen Ursprung in der Skepsis gegenüber einer einzigen Lösung habe. Diese Kritik trifft unser Verständnis des Ausschlussgrundes des Zugestandenseins nicht, denn wir halten diesen ja gerade für alle Situationen konkreter Alternativlosigkeit bereit. 221 Insofern muss auch das entsprechende – bei lit. (d) zudem qualifizierte – Zweckbewusstsein vorliegen; vgl. Fn 217. 222 Zu den Unterschieden von Römischem Statut (Proportionalität) und deutschem Völkerstrafgesetzbuch (Disproportionalität) vgl. Merkel, Gründe für den Ausschluß der Strafbarkeit im Völkerstrafrecht, ZStW 2002 (114), S. 445 ff. sowie insbesondere Fn. 20. 223 Dazu unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. II.

2. Kap.: Topographie des Verbrechensbegriffs

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IV. Der Wegfall des Gegenstandsbewusstseins als Ausschlussgrund Hat der Handelnde in Bezug auf das Vorliegen eines gegenständlichen Verbrechenselementes kein Verwirklichungs- oder Begebnisbewusstsein, so ist er nicht strafrechtlich verantwortlich. Ist das Gegenstandsbewusstsein des Handelnden lückenhaft, so besteht das erforderliche innere Verbrechenselement nicht. Einen Fall benennt das Statut ausdrücklich, nämlich den Tatsachenirrtum (Art. 32 Abs. 1), was, wie wir bereits gesagt haben,224 an sich überflüssig ist.225 Die Vorschrift bestätigt aber immerhin, dass das Statut auch den Irrtum über gegenständliche Verbrechenselemente als relevant ansieht. Mit anderen Worten, das Bewusstsein muss nicht nur als positives Wissen im Sinne geistiger Präsenz vorliegen, sondern auch richtig sein. Das Nichtvorliegen des Gegenstandsbewusstseins bzw. dessen Wegfall ist demnach (unselbständiger226) Ausschlussgrund nach dem Statut. V. Der Wegfall des Bedeutungsbewusstseins als Ausschlussgrund 1. Begriff Das Merkmal „unfähig zu erkennen“ in Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b), sowie das Nichtwissen aus Art. 33 Abs. 1 lit. (b) stellen jeweils Voraussetzungen für das Eingreifen der Ausschlussgründe dar, die sich auf die Rechtswidrigkeit des Verhaltens beziehungsweise auf die Rechtswidrigkeit der Anordnung beziehen.227 Nun handelt es sich bei der Rechtswidrigkeit gerade nicht um ein Merkmal, das von Art. 30 erfasst ist, denn hierfür fehlt das charakteristische Moment des auf Verhalten, Folge oder Umstand bezogenen Bewusstseins.228 Der Anknüpfungspunkt ist nicht ein gegenständliches 224

Vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. II. 4. b) (1). Da Bewusstsein ein positives Wissen voraussetzt, ergibt sich die Gleichbehandlung von fehlendem Wissen (Unwissen) und fehlerhaftem Wissen (Irrtum). In der Literatur werden diese Fälle ohnehin regelmäßig zusammen besprochen, vgl. nur Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 216 m. w. N. Zur „Aufhebung“ des inneren Verbrechenselementes s. unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. V. 5. 226 Dazu noch unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 227 Zu Artt. 31 Abs. 1 litt. (a), (b); 33 vgl. Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. II. 228 Oben hatten wir bereits geklärt, dass es sich bei der „Rechtswidrigkeit“ auch nicht um einen Umstand handelt, vgl. Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. II. 1. c). 225

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

Moment, sondern eine Bedeutung; nämlich die, dass ein Verhalten oder eine Anordnung im Sinne des Statuts rechtswidrig ist. Damit geht es nicht um die Strafbarkeit eines Verhaltens nach dem Statut schlechthin, sondern um dessen zutreffende Einordnung als rechtswidrig. Mit anderen Worten, es kann nur um solche Bedeutungen gehen, die sich innerhalb des vom Statut strafrechtlich gezogenen Rahmens befinden. Wir haben gesehen, dass alle Handlungen, die die Elemente eines Verbrechens erfüllen, ipso iure rechtswidrig sind, so dass das Römische Statut Rechtfertigungsgründe nicht zulässt.229 Daraus ergibt sich die Frage, welchen Unterschied es denn machen solle, ob der Handelnde erkennt, dass ein Verhalten nach dem Statut überhaupt strafbar ist, oder ob es rechtswidrig ist. Ein Irrtum über ersteres wäre wegen Art. 32 Abs. 2 Satz 1 unbeachtlich. Wendet man allerdings den Blick von dem Effekt der Rechtswidrigkeit ipso iure ab hin zu der Handlung selbst, so wird deutlich, dass es dort um eine generelle Frage von Strafbarkeit geht und hier um die konkrete Frage der Rechtswidrigkeit einer konkreten Handlung. Die Rechtswidrigkeit folgt schließlich nicht aus einer abstrakten Strafbarkeit, sondern daraus, dass ein konkretes Geschehen von einer Verbrechensbestimmung erfasst ist. Der Anknüpfungspunkt ist für die Ausschlussgründe der Artt. 31 Abs. 1 litt. (a), (b); 33 gleich; bei beiden geht es um Bedeutungen, die sich innerhalb des vom Statut strafrechtlich gezogenen Rahmens befinden. Zwar nennt Art. 32 Abs. 2 Satz 2, anders als die anderen beiden Ausschlussgründe, keinen Anknüpfungspunkt ausdrücklich. Wir haben jedoch bereits gesehen, dass es sich bei dem beachtlichen Rechtsirrtum um einen Irrtum handelt, welcher sich ebenfalls – wie die Ausschlussgründe der Artt. 31 Abs. 1 litt. (a), (b); 33 – auf rechtliche Fragen innerhalb des strafrechtlichen Rahmens des Statuts bezieht. Alle Ausschlussgründe haben damit den prinzipiell gleichen Bezugsrahmen. Der Rechtsirrtum nach Art. 32 Abs. 2 Satz 2 ist aus zwei Gründen beachtlich: zum einen, wenn ein erforderliches inneres Verbrechenselement aufgehoben wird, und zum anderen unter den Umständen des Art. 33, der damit im Grunde zum Spezialfall des Rechtsirrtums erklärt wird. Parallel zu den Artt. 31 Abs. 1 litt. (a), (b); 33 zeigt sich, dass bei allen hier besprochenen Ausschlussgründen ein inneres Moment betroffen ist. Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) und Art. 33 unterscheiden sich zwar auf den ersten Blick hinsichtlich des inneren Momentes, denn auf der einen Seite geht es um die Unfähigkeit zum Erkennen, und auf der anderen Seite geht es um ein Nichtwissen. Ins Positive gewendet setzt aber auch das Wissen die Fähigkeit zum Erkennen voraus. Beide, wenngleich unterschiedlichen Ausschlussgründe führen 229

Oben Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. II.

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schließlich zu dem gleichen Ergebnis, nämlich dazu, dass das Bewusstsein um die Bedeutung fehlt. Lehnen wir uns an unsere für das innere Verbrechenselement bewährte Terminologie an, so können wir insofern von dem Bedeutungsbewusstsein sprechen. Wie beim Gegenstands- und beim Zweckbewusstsein handelt es sich bei dem Bedeutungsbewusstsein um ein inneres Moment des Handelnden; betroffen ist dessen Innenwelt und nicht die (gegenständliche) Außenwelt. Daher lässt sich das Bedeutungsbewusstsein zwanglos dem inneren Verbrechenselement zuordnen und tritt so als deren dritte Ausprägung neben die bereits besprochenen zwei anderen Formen. 2. Bedeutungsbewusstsein als Verantwortlichkeitsgrund Befindet sich jemand in einem Zustand, der die Fähigkeit zur Bildung von Bedeutungsbewusstsein ausschließt, handelt es sich dabei um einen Ausschlussgrund. Anders gewendet, die Fähigkeit, das Bedeutungsbewusstsein bilden zu können, ist bereits Voraussetzung für individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit nach dem Statut. Die entsprechenden Ausschlussgründe sind insofern unselbständig.230 Die Voraussetzungen von Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) dienen dazu, klarzustellen, dass ein gewillkürtes Unvermögen gerade nicht ausreicht, denn insofern wird dem Handelnden seine ursprüngliche, von ihm selbst gleichsam ausgeschaltete Fähigkeit weiterhin zugerechnet.231 Befindet sich jemand in einem Irrtum über die Bedeutung seines Handelns, fehlt ihm zwar nicht die Fähigkeit zur Bildung von Bedeutungsbewusstsein; vielmehr fehlt ihm das – richtige – Bedeutungsbewusstsein selbst. Es lassen sich daher hinsichtlich des Bedeutungsbewusstseins zwei Ebenen unterscheiden: erstens die Ebene der Fähigkeit, Bedeutungsbewusstsein zu bilden, und zweitens die Ebene seiner konkreten Bildung. Es bleibt also die Frage, ob auch ein zutreffendes Bedeutungsbewusstsein – also die richtige Ausübung der Fähigkeit – nach dem Statut Voraussetzung für strafrechtliche Verantwortlichkeit ist. Das Bedeutungsbewusstsein gehört zum inneren Verbrechenselement232 und wird somit vom beachtlichen Rechtsirrtum nach Art. 32 Abs. 2 Satz 2 230

Dazu noch unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 1. Vgl. Ambos, General Principles of International Criminal Law, 10 CLF (1999), S. 25: „The fundamental idea of this [actio libera in causa] principle is to prevent mala fide intoxication“. 232 Stellt man sich auf den Standpunkt, der beachtliche Rechtsirrtum erfasse nur die von Art. 30 beschriebenen inneren Verbrechenselemente, kann man das Eingreifen des Rechtsirrtums nicht erklären, denn das Gegenstandsbewusstsein hat mit den 231

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erfasst.233 Aus der unzutreffenden Bildung von Bedeutungsbewusstsein ergibt sich ein Ausschlussgrund, weil es dann an dem (richtigen) Bedeutungsbewusstsein fehlt.234 Schließlich kann auch die zutreffende Bildung des Bedeutungsbewusstseins einen Ausschlussgrund ausschließen, wie Art. 33 Abs. 1 lit. (b) zeigt. Umgekehrt formuliert: Greift der Ausschlussgrund ein, dann liegt es auch235 daran, dass es an dem (richtigen) Bedeutungsbewusstsein fehlt. Insofern können wir sagen, dass zumindest die unrichtige Ausübung der Fähigkeit, Bedeutungsbewusstsein bilden zu können – also fehlerhaftes Bedeutungsbewusstsein – zu dem Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit führt. Ins Positive gewendet folgt aus unseren Überlegungen, dass die Bildung des richtigen Bedeutungsbewusstseins Voraussetzung für individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit ist – kurzum, das Bedeutungsbewusstsein ist ein Verantwortlichkeitsgrund nach dem Statut. 3. Reichweite des Bedeutungsbewusstseins Das Grunddilemma besteht nun aber darin, das erforderliche Ausmaß an „Richtigkeit“ zu bestimmen. Besteht nämlich der Fehler des Handelnden in einer rechtlich nicht zutreffenden Auslegung eines Verbrechensmerkmales, unterliegt er schließlich einem Subsumtionsirrtum, und schlussfolgert er daraus, dass sein Verhalten nicht strafbar und er deshalb strafrechtlich nicht verantwortlich sei, so müsste dies im Grunde geradewegs zum Ausschluss der Verantwortlichkeit führen. Es kommt also insbesondere auf die Reichweite des erforderlichen Bedeutungsbewusstseins an: Liegt der Schwerpunkt auf der Schlussfolgerung, auf Grund des Verhaltens ergebe sich eine strafrechtliche Verantwortlichkeit? Oder liegt der Schwerpunkt bereits auf einer gegenständlichen Verbrechenselementen einen Bezugsrahmen, der den Gehalt von Art. 32 Abs. 2 Satz 2 nicht zu erfassen vermag. Darüber hinaus spricht auch der Bezug zu Art. 33, der wiederum auch nur unter Heranziehung des Bedeutungsbewusstseins erklärbar ist, gegen eine Beschränkung auf das Gegenstandsbewusstsein. 233 Insofern ist die Unbeachtlichkeit des ersten Rechtsirrtums nach Art. 32 Abs. 2 Satz 1 auch konsequent, weil das Bedeutungsbewusstsein von diesem Irrtum gar nicht betroffen ist, denn es geht dabei gerade nicht um die enttäuschte Erwartung einer korrekten Einschätzung über die Strafbarkeit des konkreten Handelns innerhalb des vom Statut gezogenen Rahmens, sondern um diesen strafrechtlichen Rahmen selbst. 234 Darin liegt auch die Bedeutung des Wortes „kann“ in Art. 32 Abs. 2 Satz 2, so dass sich die Uneinigkeit über dessen Bedeutung auflösen lässt. Dazu etwa Clark, Subjektive Merkmale im Völkerstrafrecht, ZStW 2002 (114), S. 386, der sich gegen Triffterer (in: ders., Commentary on the Rome Statute, Article 32, S. 570) wendet; unzutreffend insofern auch Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 218. 235 Neben den weiteren in Art. 33 Abs. 1 genannten Voraussetzungen.

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zutreffenden Auslegung der einzelnen Verbrechensmerkmale und ihrer Anwendbarkeit auf die konkrete Situation und damit auf einer richtigen Subsumtion? Wir haben bereits gesehen, dass eine Form positiven Wissens im Sinne geistiger Präsenz für das Bewusstsein erforderlich ist.236 Setzte man nun für die richtige Bildung des Bedeutungsbewusstseins voraus, dass der Handelnde eine vollständige und korrekte Auslegung sowie Subsumtion vornimmt, so ergäbe sich daraus ein sehr hoher Anspruch an das für die Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit erforderliche positive Wissen. Faktisch könnte sich jeder Handelnde mit Verweis auf seine Unsicherheit in Bezug auf die Bedeutung bestimmter Verbrechensmerkmale der Verantwortlichkeit begeben, denn die geistige Präsenz der zutreffenden Bedeutung ließe sich kaum oder nicht mehr nachweisen. Mit dem Ziel des Statuts, der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen und eine dauerhafte sowie wirksame Strafverfolgung sicherzustellen,237 wäre ein solches Verständnis schwer vereinbar.238 Allerdings wird vom Rechtsunterworfenen erwartet, die abstrakte Strafbarkeit zu kennen,239 denn eingangs hatten wir zwischen der Strafbarkeit als solcher und der konkreten Rechtswidrigkeit unterschieden und gesehen, dass ein Irrtum über die abstrakte Strafbarkeit eines Verhaltens vom Statut nicht als Ausschlussgrund anerkannt ist. Irrt der Rechtsunterworfene wiederum über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens, fehlt ihm ein entsprechendes konkretes Bedeutungsbewusstsein. Der Handelnde versteht nicht, was sein Verhalten bedeutet. Umso mehr gilt dies, wenn der Handelnde darüber irrt, dass sich aus seinem Verhalten die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit ergibt. Ziehen wir den Maßstab des Verstehens heran, um uns dem erforderlichen Ausmaß an „Richtigkeit“ des Bedeutungsbewusstseins anzunähern, so deutet dies auf Folgendes hin: Es kommt viel mehr darauf an, dass der Handelnde ein Verständnis für die Bedeutung seines Verhaltens insgesamt entwickelt, als darauf, diese Bedeutung auch korrekt begründen zu können. Demnach liegt der Schwerpunkt auf der Schlussfolgerung, ein Verhalten sei 236

Vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. b). Präambel, 4., 5. und 11. Abs. 238 Beim Gegenstandsbewusstsein hingegen hatten wir einen strengen positiven Maßstab begründen können (vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. b). Die Überlegungen zum Maßstab des Bedeutungsbewusstseins lassen sich auch nicht als Einwand dagegen heranziehen. Beim Gegenstandsbewusstsein geht es nicht um streitbare Bedeutungen oder die Auslegung, sondern um das reale Erfassen von gegenständlichen Elementen, so dass hier der engere Maßstab sachgerecht ist. 239 Insofern ist kein spezifisches Bedeutungsbewusstsein erforderlich. 237

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strafbar und könne Verantwortlichkeit begründen. Um ein zutreffendes Bedeutungsbewusstsein zu entwickeln, muss der Handelnde demnach nicht alle Verbrechensmerkmale genau auslegen und genau subsumieren und sich daraus eine reflektierte rechtliche Ableitung erschließen. Er muss lediglich – aber auch zumindest – aus den von ihm mit Gegenstandsbewusstsein verwirklichten Verbrechensmerkmalen insgesamt schließen können, dass sich aus ihr die Begründbarkeit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ergibt.240 Dem auf eine wirksame Strafverfolgung gerichteten Ziel des Statuts besser gerecht wird dieses Verständnis ebenfalls, denn hier reicht es aus, wenn sich dem Handelnden der rechtliche Sinngehalt seines Verhaltens – die konkrete Strafbarkeit als Ausfluss individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit – erschließt und ihm geistig präsent ist.241 Wollen wir das Bedeutungsbewusstsein innerhalb des Verbrechensbegriffs verorten, so müssten wir einerseits berücksichtigen, dass vom Handelnden einerseits erwartet wird, die Begründbarkeit seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit sinngemäß zu erfassen und damit geistig präsent zu halten, dass andererseits erst mit dem Vorliegen des Bedeutungsbewusstseins eben jene Verantwortlichkeit überhaupt begründet ist. Unterscheiden wir hierbei die Bereiche der Begründbarkeit und der Begründung von Verantwortlichkeit,242 so lässt sich das Bedeutungsbewusstsein genau dazwischen ausmachen. Schematisch sieht das dann so aus: Erstens müssen die gegenständlichen Verbrechensmerkmale sowie, soweit erforderlich, das Zweckbewusstsein als inneres Verbrechensmerkmal vollständig vorliegen. Diese Verbrechensbegehung ist ipso iure rechtswidrig. Liegt das Gegenstandsbewusstsein vor, besteht neben dem gegenständlichen Zusammenhang auch eine innere Beziehung zwischen Handlung und Handelndem. Daraus ergibt sich zweitens die Begründbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Drittens muss das entsprechende Bedeutungsbewusstsein vorliegen: Dem Handelnden ist geistig präsent, dass seine Verantwortlichkeit für die Verbrechensbegehung begründbar ist.243 240 Auf die beiden Fälle des Rechtsirrtums nach Art. 32 Abs. 2 bezogen heißt das in aller Kürze: Hinsichtlich der abstrakten Strafbarkeit eines Verhaltens wird bei dem Rechtsunterworfenen Kenntnis vorausgesetzt. Hinsichtlich der Begründbarkeit von Verantwortlichkeit für sein Verhalten wird bei dem Rechtsunterworfenen Verständnis erwartet. 241 Vgl. unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. III. 242 Zu dieser Unterscheidung vgl. unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. IV. 243 Dass die Ausschlussgründe nach Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) als einen ausdrücklichen Anknüpfungspunkt für das Bedeutungsbewusstsein die Rechtswidrigkeit des Verhaltens nennen, ist konsequent, wenn man erstens bedenkt, dass hier die Fä-

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Viertens und schließlich ergibt sich dann die Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Nichtdestoweniger gelangen wir hier an eine Stelle, an der die statutsimmanente Strukturanalyse an ihre Grenzen stößt, so dass für die Aufklärung des beschriebenen Grunddilemmas weitere Untersuchungen notwendig sein werden. Allein mit dem Statut lässt sich diese wichtige Frage nicht auflösen. Die in dubio mitius-Regel des Art. 22 Abs. 2 hilft an dieser Stelle der Klärung ebenfalls noch nicht, denn hier geht es zum einen nicht um die Auslegung einer konkreten Bestimmung, sondern vielmehr um das richtige Verständnis eines Strukturmerkmales, und zum anderen hat sich der Auslegungsvorgang in unseren Überlegungen noch nicht erschöpft.244 Die herausgearbeiteten Strukturmerkmale können wir jedoch als Ergebnis unserer Überlegungen und damit als Leuchtfeuer für weitere Untersuchungen wie folgt zusammenfassen: Die zutreffende Bildung von Bedeutungsbewusstsein ist Voraussetzung für die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit nach dem Statut. Sie setzt die psychologische Fähigkeit des Handelnden, die strafrechtliche Bedeutung seines Verhaltens erkennen zu können und damit wenigstens245die geistig präsente Schlussfolgerung, dass sein Verhalten zu der Begründbarkeit individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit führt, voraus. Kurzum: Das Bedeutungsbewusstsein bezieht sich auf die Begründbarkeit von Verantwortlichkeit als Bedingung für Strafbarkeit. 4. Fehlendes Bedeutungsbewusstsein und Gegenstandsbewusstsein An die vorstehenden Überlegungen schließt sich die Frage an, ob jemand, der sich in einem von Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) erfassten Zustand der Unfähigkeit befindet – und dementsprechend kein Bedeutungsbewusstsein bilden kann –, denn fähig ist, ein von Art. 30 gefordertes Gegenstandsbewusstsein überhaupt zu besitzen. Wenn dies bereits dem Grunde nach nicht so sein sollte, bedeutete dies, dass der eigentliche Grund für das Einhigkeit zur Bildung von Bedeutungsbewusstsein angesprochen ist, und dass es sich zweitens bei der Rechtswidrigkeit um eine unpersönliche Bewertungskategorie handelt und damit um einen vom individuellen Handelnden abgekoppelten Maßstab. Die Ebene der richtigen Ausübung der Fähigkeit ist damit noch nicht erreicht, und daher kann es zunächst auch nur darum gehen, dass der Handelnde überhaupt in der Lage ist, mit der Rechtswidrigkeit die strafrechtliche Relevanz seines Verhaltens zu begreifen. 244 Zu der Auslegungsregel vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. b). 245 Wäre auch eine korrekte Auslegung und Subsumtion erforderlich, ginge dies über die – zumindest erforderliche – Schlussfolgerung über die Rechtswidrigkeit hinaus.

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greifen dieser beiden Ausschlussgründe in der grundsätzlichen Negation des inneren Verbrechenselementes läge. So ergäbe sich eine Ähnlichkeit zu den beiden Irrtümern des Art. 32, deren Eingreifen als Ausschlussgründe sich daraus ergibt, dass die „erforderlichen subjektiven Tatbestandsmerkmale“ aufgehoben sind. Nimmt man nun einerseits fehlendes Bedeutungsbewusstsein als die Unfähigkeit, die Rechtswidrigkeit des Verhaltens bzw. der Anordnung zu erkennen, und stellt dies den Anforderungen an das an gegenständliche Elemente anknüpfende innere Verbrechenselement gegenüber, so fällt auf, dass es auf der einen Seite um eine in erster Linie kognitive Leistung und auf der anderen Seite um eine in erster Linie voluntative Leistung geht. Ein nahe liegender – psychologischer – Einwand gegen diese Unterscheidung besteht darin, dass sowohl der für Art. 30 erforderliche „Wille“ als auch das „Bewusstsein“ gewisse kognitive Leistungen voraussetzen. Kann das innere Verbrechenselement unter den Umständen des Art. 30 Abs. 1 litt. (a), (b) also grundsätzlich doch nicht verwirklicht werden? Dem lässt sich entgegnen, dass ein Handelnder, der zu überhaupt keiner kognitiven Leistung fähig ist, so auch zu gar keinem gewillkürten, also voluntativen, Verhalten in der Lage ist, das innere Verbrechenselement nicht realisieren kann. Ein Mindestmaß an kognitiver Leistung ist also auch für das Gegenstandsbewusstsein erforderlich. Andernfalls läge das innere Verbrechenselement des Art. 30 von vornherein nicht vor, und der Umweg über das fehlende Bedeutungsbewusstsein wäre gar nicht notwendig.246 Im Vordergrund steht aber folgende Überlegung: Aus der fehlenden kognitiven Leistung des Verstehens der Bedeutung von Verhalten oder Anordnung folgt konsequenterweise, dass der Handelnde sich nicht auf ein bedeutungsgemäßes Handeln – nämlich das Nichthandeln oder das nicht rechtswidrige Handeln – einstellen kann, wobei die Handlungsfähigkeit als solche dadurch aber noch nicht beschränkt ist. Der Handelnde kann daher trotz fehlenden Bedeutungsbewusstseins ein Gegenstandsbewusstsein bilden 5. Aufhebung des inneren Verbrechenselementes Auf eine Merkwürdigkeit ist noch einzugehen. Die deutsche Übersetzung von Art. 32 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 spricht davon, dass das innere Verbrechensmerkmal „aufgehoben“ sei; die englische Fassung spricht von „negate“, die französische Fassung von „fait disparaître“. Wenn etwas „aufgehoben“ wird, dann muss es vorher bestanden haben. Dies mutet eigenartig an, denn wenn ein inneres Verbrechenselement im Moment des Verhaltens 246 Strukturell ginge es um den Wegfall des Gegenstandsbewusstseins als Ausschlussgrund. Dazu oben Dritter Teil, Zweites Kapitel, IV.

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bestanden hat, kann es nicht später auf Grund eines Irrtums aufgehoben sein, da der Irrtum schließlich ebenfalls im Moment des Verhaltens bestanden haben muss. Jedoch erlauben die authentischen Sprachfassungen auch ein Verständnis dahingehend, dass das innere Verbrechenselement „verneint“ wird oder „erlischt“. Das behebt zwar nicht die Paradoxie der Formulierung, schwächt sie aber insofern ab, als wir nun sagen können, dass das Gegenstandsbewusstsein wegen des Tatsachenirrtums oder das Bedeutungsbewusstsein wegen des Rechtsirrtums nur unvollkommen vorliegt – und ein unvollkommenes inneres Verbrechenselement stellt keine hinreichende Bedingung für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit dar. Insofern führt die Unvollständigkeit eben zu einer „Aufhebung“ der restlichen inneren Elemente in Gänze.

B. Der Verbrechensbegriff: Eine zweite Ordnung I. Das Verhältnis von Verantwortlichkeitsgründen und Ausschlussgründen 1. Selbständige und nicht selbständige Merkmale Aus dem Verhältnis von Verantwortlichkeitsgründen und Ausschlussgründen ergeben sich grundlegende Erkenntnisse über den Verbrechensbegriff des Statuts. Geht es darum, die verschiedenen Ausschlussgründe in die erste Ordnung des Verbrechensbegriffs, die den Begründungsgang vom Verhalten zur Feststellung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit nachzeichnet, zu integrieren, fällt folgendes auf: einige der Ausschlussgründe schließen gerade deshalb die strafrechtliche Verantwortlichkeit aus, weil bestimmte Aspekte in lediglich negativer Form vorhanden – mit anderen Worten, nicht vorhanden – sind. Besonders deutlich wird das am Tatsachenirrtum nach Art. 32 Abs. 1, einer im Grunde überflüssigen Bestimmung, denn nach Art. 30 muss sich das Gegenstandsbewusstsein auf die gegenständlichen Verbrechenselemente, auf die sich wiederum der Irrtum des Art. 32 Abs. 1 bezieht, erstrecken.247 Die Unkenntnis oder fehlerhafte Kenntnis eines gegenständlichen Verbrechenselementes ist daher nicht erst wegen der Bestimmung über den Tatsachenirrtum relevant, sondern bereits wegen des Fehlens des Gegenstandsbewusstseins, welches bereits ein Verantwortlichkeitsgrund ist, wie sich aus Art. 30 ausdrücklich ergibt. 247 Zum Gegenstandsbewusstsein oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. a) und zum Tatsachenirrtum oben Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. IV.

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Ebenso folgt die die Verantwortlichkeit ausschließende Wirkung der Gründe nach Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) aus dem Wegfall des Bedeutungsbewusstseins, welches selbst wiederum ein Verantwortlichkeitsgrund ist.248 Gleiches gilt für den anerkannten Rechtsirrtum nach Art. 32 Abs. 2 Satz 2, der sich ebenfalls auf das Bedeutungsbewusstsein auswirkt, sowie Art. 33. Greifen die in diesen Ausschlussgründen genannten Voraussetzungen ein, ist schon deshalb – wegen eines Mangels im Rahmen der Verantwortlichkeitsgründe – die Begründbarkeit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ausgeschlossen, so dass es prinzipiell keines weiteren Nachweises bedürfte. Ihre Beachtlichkeit folgt daher aus der Beachtlichkeit der Verantwortlichkeitsgründe. Bei den genannten Ausschlussgründen handelt es sich damit nicht um selbständige Ausschlussgründe, sondern um ausdrückliche Umkehrungen eines generellen Erfordernisses, also gewissermaßen um einen umgekehrten Verantwortlichkeitsgrund. Insofern können wir von unselbständigen Ausschlussgründen sprechen. Dementsprechend sind selbständige Ausschlussgründe solche, deren Beachtlichkeit sich aus einem zusätzlichen, gewissermaßen außerordentlichen Grund ergibt, den das Statut besonders anerkennt. Als solchen Grund haben wir (nur) das Zugestandensein ausgemacht, aus dem die Ausschlussgründe nach Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d) ihre Wirksamkeit beziehen.249 2. Wirkung der Ausschlussgründe Gemeinsam ist allen Ausschlussgründen, dass sie streng persönlich wirken, denn ihr Eingreifen hängt (nur) von der individuellen Lage des Handelnden ab.250 Insofern sind bei der Begründung individueller Verantwortlichkeit nicht nur die Verantwortlichkeitsgründe auf jeden einzelnen Handelnden bezogen besonders zu untersuchen, sondern auch die Ausschlussgründe. 248

Anders Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 527, der den Irrtum offenbar als – in unserer Terminologie: selbständigen – Straffreistellungsgrund versteht. 249 Janssen, Mental condition defences in supranational criminal law, 4 ICLR (2004), S. 83 ff. fasst die Ausschlussgründe nach Art. 31 Abs. 1 lit. (a) und lit. (d) unter der Überschrift „mental condition defences“ zusammen, denn lit. (a) betreffe geistiges Unvermögen und lit. (d) psychologischen Druck. Wir schlagen jedoch vor, die Ausschlussgründe nach ihren Wirkweisen zu kategorisieren, und demgemäß betrifft lit. (a) den Wegfall des Bedeutungsbewusstseins und lit. (d) das Eingreifen des Zugestandenseins. 250 Mittelbar, für die mittelbare Täterschaft nach Art. 25 Abs. 3 lit. (a), auch Werle, Individual Criminal Responsibility in Article 25 ICC Statute, 5 JICJ (2007), S. 964.

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Da sich die Rechtswidrigkeit bereits aus der Begehung ergibt und Ausschlussgründe nur persönlich wirken, spielt ein Irrtum in Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Anordnung im Rahmen von Art. 33 keine Rolle.251 Auch die Vorgesetztenverantwortlichkeit nach Art. 28 Abs. 1 bzw. Abs. 2 ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass dem mangelhaft beaufsichtigen Untergebenen selbst ein Ausschlussgrund zu Gute kommt.252 Wie sich abzeichnet, lassen sich Verantwortlichkeits- und Ausschlussgründe innerhalb des Verbrechensbegriffs nicht einfach gegenüberstellen.253 Dies ergibt sich bereits daraus, dass die unselbständigen Ausschlussgründe jeweils Verantwortlichkeitsgründe betreffen und letztere so gar nicht erst entstehen. Die unselbständigen Ausschlussgründe sind damit in den auf die Verantwortlichkeit zulaufenden Begründungsgang integriert und lassen sich, 251

Vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. II. 1. d). Vgl. auch Triffterer, „Command Responsibility“ – crimen sui generis or participation as „otherwise provided“ in Article 28 Rome Statute?, FS-Eser, S. 913. 253 Eser, Defences in War Crimes Trials, in: Dinstein/Tabory, War Crimes in International Law, S. 273, geht offenbar davon aus, dass erst das Wissen um die Wirkung der Ausschlussgründe als rechtfertigend, entschuldigend oder sonst irgendwie entlastend ein adäquates Verstehen und Kategorisieren möglich macht. Damit setzt er aber voraus, dass sich diese Wirkkategorien auch im Römischen Statut wiederfinden. Indem wir unseren Schwerpunkt auf das Verstehen der Wirkweise der Ausschlussgründe gelegt haben und gerade nicht von einem bestimmten dogmatischen System oder einem bestimmten Verbrechensbegriff ausgegangen sind, können wir eine eigene, statutsimmanent begründete Einordnung der Ausschlussgründe vornehmen. So wird das sich abzeichnende Fehlen einer Unterscheidung von Rechtfertigungs- (die das Statut ohnehin nicht zuließe) und Entschuldigungsgründen im Verbrechensbegriff des Römischen Statuts doch nicht zu dem Problem, zu dem es gelegentlich gemacht wird. Scaliotti, Defences before the international criminal court: Substantive grounds for excluding criminal responsibility – Part I, 1 ICLR (2001), S. 118, hält die Unterscheidung, selbst wenn sie theoretisch wichtig sei, in der Praxis für nicht relevant. Dass aber ein differenziertes theoretisches Verständnis – auch wenn es sich nicht an den überkommenen Kategorien orientiert – zu einer differenzierteren Rechtsfindung beiträgt und daher höchst praxisrelevant ist, zeigt etwa Janssen, Mental condition defences in supranational criminal law, 4 ICLR (2004), S. 83 ff. auf. Aber auch Scaliotti scheint dies schließlich doch anzuerkennen, wenn er den zweiten Teil seines Aufsatzes mit einem entsprechenden Aufruf beschließt (Defences before the international criminal court: Substantive grounds for excluding criminal responsibility – Part II, 2 ICLR (2002), S. 46). Aufschlussreich ist der Ansatz Neuners, General Principles of International Criminal Law in Germany, in: ders., National Legislation Incorporating International Crimes, S. 105 ff., der in seiner Untersuchung über die Implementierung von Völkerstrafrecht in die nationalen Rechtsordnungen die Ausschlussgründe des Statuts in die Kategorien des deutschen Strafrechts einordnet. Dass die Einordnung aus Sicht dieser nationalen Rechtsordnung durchführbar ist, bedeutet aber noch lange nicht, dass sie die Struktur des Römischen Statuts auch zutreffend wiedergibt. 252

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anders als die selbständigen Ausschlussgründe, nicht trennscharf von den Verantwortlichkeitsgründen abgrenzen. Eine strikte offence/defence-Dichotomie des Verbrechensbegriffs ist nicht haltbar. Ohnehin müssen wenigstens die gegenständlichen Verbrechenselemente vorliegen, damit ein Ausschlussgrund überhaupt an ein „fragliches Verhalten“254 anknüpfen kann. Die Ausschlussgründe schließen im Ergebnis die Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit aus. Tatsächlich handelt es sich nicht nur um den „Ausschluss“ von etwas bereits Dagewesenem, sondern um die Negation von Verantwortlichkeit dem Grunde nach.255 Für die unselbständigen Ausschlussgründe gilt dies, weil Verantwortlichkeitsgründe nicht entstehen.256 Für die selbständigen Ausschlussgründe gilt dies, weil über das Zugestandensein der Zusammenhang von Begehung und Verantwortlichkeit unterbrochen wird.257 Es schließt sich die Frage an, ob das Zugestandensein in Gestalt eines selbständigen Ausschlussgrundes bereits die Begründbarkeit oder erst die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit betrifft.258 Dabei ist entscheidend, dass es sich bei dem Zugestandensein als Ausschlussgrund um die besondere Anerkennung der Beachtlichkeit individueller Notlagen durch das Statut und damit um eine personale Sonderbewertung einer rechtswidrigen Verbrechensbegehung handelt. Somit hindert das Zugestandensein nicht bereits die Begründbarkeit, sondern erst die Begründung von Verantwortlichkeit. Daher ist unabhängig von dem Eingreifen selbständiger Ausschlussgründe von der Begründbarkeit der Verantwortlichkeit auszugehen. Das Zugestandensein vermag die Begründbarkeit der Verantwortlichkeit nicht aufzuheben, sondern als persönlicher Ausnahmefall die Begründung von individueller Verantwortlichkeit zu hindern. Greift ein selbständiger Ausschlussgrund ein, ist die Begründung von individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die Verbrechensbegehung prinzipiell ausgeschlossen. 254

Art. 31 Abs. 1. Überraschend die Frage bei Bantekas/Nash, International Criminal Law, S. 70, ob Art. 31 Abs. 1 lit. (a) als „complete or partial defence“ diene. Diese Unterscheidung ist in Art. 31 nicht angelegt. Greift ein dort genannter Ausschlussgrund, so hat er umfassende Wirkung. Sind die Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes nicht vollständig einschlägig, ist an eine Strafmilderung gemäß Art. 78 Abs. 1 des Statuts i. V. m. Regel 145 Abs. 2 lit. (a) (i) der Verfahrens- und Beweisordnung zu denken. Das berührt aber nicht die Ebene der Strafbarkeit als solche, sondern die der Strafzumessung. 256 Daher sind die unselbständigen Ausschlussgründe auch kein eigener „Prüfungspunkt“ im Verbrechensaufbau, sondern erscheinen sozusagen als Kehrseite (im Sinne eines Nichtvorliegens) des jeweils zu prüfenden Verantwortlichkeitsgrundes. 257 Vgl. oben Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. III. 258 Zu diesen Begriffen nochmals unten Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. IV. 255

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Handelt es sich bei den „eigentlichen“ Gründen für die Wirkung der Ausschlussgründe gleichsam um deren unterschiedlichen Genotyp – auf der einen Seite geht es um den Wegfall eines Bewusstseinserfordernisses und auf der anderen Seite um das Zugestandensein –, so gleichen sie sich hinsichtlich ihres Phänotyps: Stets steht am Ende das Ergebnis, dass der Handelnde nicht verantwortlich ist. Insofern ist der summarische Begriff der Ausschlussgründe gerechtfertigt.259 Innerhalb des Verbrechensbegriffs kommt er aber nur in Bezug auf die selbständigen Ausschlussgründe zum Tragen. Der Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, den die Artt. 31, 32 sowie 33 jeweils ausdrücklich anführen, ist letztlich nur Ausdruck eines Phänomens und nicht Ausdruck einer eigenen Kategorie des Verbrechensbegriffs, denn die „eigentlichen“ Ausschlussgründe liegen im Nichtvorhandensein eines Verantwortlichkeitsgrundes bzw. im Zugestandensein. II. Irrtümer über Ausschlussgründe Es ist sicher keine Übertreibung zu sagen, dass die Irrtumsdogmatik zu den komplexesten Bereichen im Rahmen der allgemeinen Strafrechtslehre gehört. Da wir uns ein pragmatisches Vorgehen vorgenommen haben und selbst die Untersuchung Stuckenbergs zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht ihrem großen Umfang zum Trotz dennoch bloß mit „Vorstudien“ betitelt ist sowie deren Untertitel zurückhaltend von einer „Elementarlehre“ spricht,260 kann eine ausgefeilte Darstellung im Folgenden nicht zu leisten sein. Dem Anliegen, eine vollständige und geschlossene Irrtumsdogmatik entwickeln zu wollen, entspricht schließlich die Suche nach einer strafrechtlichen Weltformel. Besinnen wir uns daher auf unser Anliegen, eine Strukturanalyse des Statuts vorzunehmen, so ist insbesondere eine Frage vordringlich, nämlich die nach der Behandlung von Irrtümern über Ausschlussgründe. Hieran nämlich 259 Eser, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 31, Rn. 1 hält die Überschrift des Art. 31 hingegen ausdrücklich für irreführend. Wahrscheinlich vor dem Hintergrund des Report of the Ad Hoc Committee on the Establishment of an International Criminal Court, General Assembly Official Records, Fiftieth Session, Supplement No. 22, UN Doc. A/50/22, Annex II (Guidelines for consideration of the question of general principles of criminal law), S. 59–60, ordnet Ambos, General Principles of International Criminal Law, 10 CLF (1999), S. 22, die materiellen Ausschlussgründe in „allgemeine Ausschlussgründe“ – zu denen er Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) zählt – und in „Rechtfertigungsgründe“ und „Entschuldigungsgründe“ – Artt. 31 Abs. 1 litt. (c), (d); 32; 33, ein. Dass diese Kategorisierung zumindest potentiell irreführend ist, ergibt sich aus unseren vorangegangenen Überlegungen. Im Übrigen gilt unser Einwand aus Fn. 253 auch hier. 260 Stuckenberg, Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht – Versuch einer Elementarlehre für eine übernationale Vorsatzdogmatik (2007).

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

zeigt sich das Zusammenspiel der Bedingungen, die zu der Begründung oder zu dem Ausschluss strafrechtlicher Verantwortlichkeit führen. Insbesondere drei Irrtumskonstellationen kommen in Betracht: der Irrtum über das Bestehen eines Ausschlussgrundes, der Irrtum über die Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes und der Irrtum über die Grenzen eines Ausschlussgrundes. 1. Irrtum über das Bestehen eines Ausschlussgrundes In dieser Konstellation nimmt der Handelnde an, sein Verhalten sei von einem Ausschlussgrund erfasst, obwohl ein solcher vom Statut nicht anerkannt ist. Dabei kann es nur um selbständige Ausschlussgründe gehen, denn bei den unselbständigen Ausschlussgründen handelt es sich, wie wir gesehen haben, letztlich um nichts anderes als um gleichsam umgekehrte Verantwortlichkeitsgründe. Die selbständigen Ausschlussgründe des Statuts sind Notwehr und Notstand nach Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d); ihren Wirkungsgrund finden sie im Zugestandensein. Der Sache handelt es sich also um einen Irrtum über das Zugestandensein. Die inneren Verbrechenselemente des Gegenstands- und des Zweckbewusstseins sind nicht betroffen, weil es sich bei ihnen um innere Merkmale handelt, die sich auf die Verbrechensbegehung selbst beziehen und damit nicht auf die Frage nach deren strafrechtlicher Bedeutung. Der Irrtum über das Zugestandensein kann daher nur das Bedeutungsbewusstsein betreffen, und bei diesem geht es darum, ob dem Handelnden geistig präsent ist, dass seine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründbar ist.261 Weiter verknappt und zugespitzt: Hat ein Handelnder, der von einem – tatsächlich nicht anerkannten – Zugestandensein ausgeht, das erforderliche Bedeutungsbewusstsein (und ist daher die strafrechtliche Verantwortlichkeit begründet), oder hat er es nicht (und ist damit auf Grund des Wegfalls des Bedeutungsbewusstseins ein Ausschlussgrund gegeben)? Als Leitlinie für die Beantwortung der Frage ergibt sich Folgendes: Bei dem Zugestandensein als Ausschlussgrund handelt es sich um die besondere Anerkennung der Beachtlichkeit individueller Notlagen durch das Statut und damit um eine Sonderbewertung einer rechtswidrigen Verbrechensbegehung. So hindert das Zugestandensein nicht bereits die Begründbarkeit von Verantwortlichkeit, sondern erst die Begründung von Verantwortlichkeit. Daher ist unabhängig von dem Eingreifen selbständiger Ausschlussgründe von der Begründbarkeit der Verantwortlichkeit auszugehen, und genau darin liegt der Maßstab, an dem die Beachtlichkeit des Irrtums zu messen ist. 261

Vgl. oben Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. V. 3.

2. Kap.: Topographie des Verbrechensbegriffs

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Das Zugestandensein vermag die Begründbarkeit der Verantwortlichkeit nicht aufzuheben, sondern als persönlicher Ausnahmefall die Begründung von individueller Verantwortlichkeit zu hindern. Die geistige Präsenz der – grundsätzlichen – Begründbarkeit von Verantwortlichkeit ist daher nicht dadurch aufgehoben, dass der Handelnde sich einen nichtexistenten Ausschlussgrund vorstellt. Der Irrtum über das Bestehen eines Ausschlussgrundes berührt das Bedeutungsbewusstsein und damit die Begründung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht, stellt also keinen Ausschlussgrund dar.

2. Irrtum über die Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes Hier besteht der Irrtum nicht darin, dass der Handelnde einen anderen Maßstab als das Statut hinsichtlich der Beachtlichkeit einer Notlage anlegt, sondern darin, dass der Handelnde sich vorstellt, die Voraussetzungen eines anerkannten Ausschlussgrundes wären gegeben, während sie tatsächlich nicht bestehen. Der Irrtum bewegt sich damit innerhalb des Rahmens des anerkannten Ausschlussgrundes.262 Da es um die Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes geht, liegt es auf den ersten Blick nicht fern, diese Irrtumskonstellation beim Gegenstandsbewusstsein zu verorten. Immerhin knüpft dieses an die gegenständlichen Voraussetzungen einer Verbrechensbestimmung an, und daher ließe sich auch eine Parallele zu den gegenständlichen Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes ziehen. Jedoch überschritte dies in struktureller Hinsicht unsere Überlegungen zum Gegenstandsbewusstsein selbst. Ausgehend von Art. 30 haben wir in diesem inneren Verbrechenselement einen gleichsam inneren Spiegel der gegenständlichen Verbrechenselemente gesehen. Wäre das Gegenstandsbewusstsein durch einen Irrtum über die Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes betroffen, so ergäbe sich daraus bereits, dass die Begründbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit von vornherein nicht möglich wäre, denn es fehlte bereits an einem unverzichtbaren inneren Verbrechenselement. Da die Beurteilung des Zugestandenseins seinem Grunde nach von der Verbrechensbegehung selbst abgekoppelt ist und dieser insofern gedanklich nachfolgt, besteht zwischen beiden Bereichen kein wertungsmäßiger Zusammenhang. Es verbleibt wiederum das Bedeutungsbewusstsein. Greifen wir daher den zuvor tragenden Gedanken auf, dass im Anschluss an eine Verbrechensbegehung bei Vorliegen des Gegenstandsbewusstseins in der Abwesenheit selbständiger Ausschlussgründe grundsätzlich von der Begründbarkeit der 262 Es geht also um einen – in den Worten der deutschen Dogmatik – Erlaubnistatbestandsirrtum.

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

Verantwortlichkeit auszugehen ist, so ergibt sich daraus auch für den Irrtum über die Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes die Leitlinie. Stellt sich der Handelnde die Voraussetzungen nur vor, so fehlt der Ausschlussgrund tatsächlich. Wie zuvor ist die geistige Präsenz der – grundsätzlichen – Begründbarkeit von Verantwortlichkeit daher nicht aufgehoben, so dass auch hier das Bedeutungsbewusstsein nicht beschränkt und damit auf Grund des Irrtums kein Ausschlussgrund gegeben ist.263 Unterstellen wir bei dem Handelnden einen Irrtum bona fide, so mag dieses Ergebnis hart erscheinen. Dennoch ist es sachgerecht. Erstens lassen sich krasse Situationen, in denen der Handelnde mental kollabiert, als seelische Störung („mental defect“) gemäß Art. 31 Abs. 1 lit. (a) erfassen, und daraus ergibt sich dann der Wegfall des Bedeutungsbewusstseins.264 Zweitens geht es bei der Verbrechensbegehung nicht um gewöhnliche Kriminalität, sondern um schwerste, stets rechtswidrige Verbrechen, bei denen der Zusammenhang von Begehung und Verantwortlichkeit nur in besonders anerkannten Fällen unterbrochen ist.265 Drittens ließe sich einem Irrtum bona fide auf der Strafmaßebene Rechnung tragen, in dem er gemäß Art. 78 Abs. 1 die Schwere des Verbrechens mindert.266 3. Irrtum über die rechtlichen Grenzen eines Ausschlussgrundes Die dritte Irrtumskonstellation ist gewissermaßen zwischen den beiden anderen Konstellationen gelagert, denn einerseits liegen die (sonstigen) Voraussetzungen des Ausschlussgrundes vor, andererseits bewegt sich der Handelnde außerhalb des vom Statut anerkannten Bereichs. In praktischer Hinsicht dürfte es zumeist um die Frage nach der „Angemessenheit“ des durch Notwehr oder Notstand ausgelösten Verhaltens gehen.267 Welcher Maßstab der Beurteilung der „Angemessenheit“ zu Grunde zu legen ist, kann im Rahmen dieser Strukturanalyse offen bleiben, auch 263 Für eine Beachtlichkeit des unvermeidbaren Irrtums über die Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes spricht sich Triffterer, in: ders., Commentary on the Rome Statute, article 32, Rn. 14, 28, aus; dagegen argumentiert mit Recht Scaliotti, Defences before the international criminal court: Substantive grounds for excluding criminal responsibility – Part II, 2 ICLR (2002), S. 13 ff., ausdrücklich S. 14, 16. 264 Oben Dritter Teil, Zweites Kapitel, V. 1. 265 Oben Dritter Teil, Zweites Kapitel, III. 266 Zu Strafzwecken und Strafzumessung vgl. Nemitz, Strafzumessung im Völkerstrafrecht, insbes. S. 268 ff., 273 ff. Vgl. auch Bagaric/Morss, International Sentencing Law: In Search of a Justification and Coherent Framework, 6 ICLR (2006), S. 191–255 sowie oben Fn. 139. 267 Vgl. schon oben Dritter Teil, Zweites Kapitel, III.

2. Kap.: Topographie des Verbrechensbegriffs

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wenn es sich um eine ansonsten besonders wichtige und dringende Frage handelt. Letztlich kann für diesen Irrtum aus dem bereits erörterten Grund nichts anderes gelten, als in den beiden anderen Konstellationen auch. Das Bedeutungsbewusstsein ist grundsätzlich nicht betroffen, und ein Irrtum bona fide268 kann auf der Strafmaßebene Berücksichtigung finden.269 III. Bewusstsein als zentrales Strukturmerkmal Das Bewusstsein haben wir in drei Bereiche auffächern können: Erstens in das Gegenstandsbewusstsein, welches wiederum Verwirklichungs- und Begebnisbewusstsein umfasst und direkt an die gegenständlichen Verbrechenselemente ankoppelt. Zweitens in das Zweckbewusstsein, welches keinen gegenständlichen Bezugspunkt hat, sondern in dem sich der subjektive Kontext des Handelns ausdrückt.270 Drittens in das Bedeutungsbewusstsein, das wenigstens die geistig präsente Schlussfolgerung, dass sein Verhalten zu der Begründbarkeit individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit führt, umfasst. Ganz allgemein haben wir gesehen, dass sich Bewusstsein als positives Wissen im Sinne geistiger Präsenz charakterisieren lässt und je nach betroffenem Bereich die kognitive oder die voluntative Ebene stärker betont. Wichtig ist hier, dass ein – hypothetischer – Maßstab des „hätte wissen können“ oder des „hätte wissen müssen“271 grundsätzlich nicht ausreicht, um Bewusstsein zu begründen.272 Vielmehr kann allein ein positiver Maß268 Disproportionales Verhalten mala fide ist von Art. 31 Abs. 1 lit. (d) ohnehin nicht erfasst, vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, B. III. 269 Gaeta, May Necessity Be Available as a Defence for Torture in the Interrogation of Suspected Terrorists?, 2 JICJ (2004), S. 793, findet eine ähnliche Lösung für dramatische (Einzel-)Fälle, in denen Folter gegenüber einer Person, die mutmaßlich Informationen über einen unmittelbar bevorstehenden, viele Leben gefährdenden Anschlag besitzt, um diese Information zu erhalten und den Anschlag abzuwenden, verübt wird. Vollkommen zutreffend lehnt sie das Eingreifen eines Ausschlussgrundes – in Frage käme Art. 31 Abs. 1 lit. (d) – ab, nachdem sie mögliche Begründungen auf ihre philosophische und tatsächliche Stichhaltigkeit untersucht und schließlich verworfen hat. 270 Sofern die Verbrechensbestimmung wie etwa Art. 6 selbst ein Zweckbewusstsein fordert, gehört dieses bereits zu den Voraussetzungen der Verbrechensbegehung, vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 4. 271 Eine Ausnahme (vgl. Art. 30 Abs. 1) stellt der hätte-wissen-müssen-Maßstab des Art. 28 lit. (a) i) dar. 272 Ebenso wenig reicht es aus, das Bewusstsein bloß aus dem Vorliegen von Begleitumständen der Verbrechensbegehung zu folgern – dies wäre schließlich nichts anderes als ein „hätte wissen müssen“. Im Prinzip ebenso Sadat, The International

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

stab eine solche Begründung erbringen. Damit ist aber nicht gesagt, dass jegliche Zweifel eines Handelnden bereits zum Ausschluss des entsprechenden Bewusstseins führten. Sobald eine positive Wissens- oder Wollensebene erreicht ist, ist das entsprechende gegenständliche Element geistig präsent, und hierzu reichen Zweifel durchaus aus, da die geistige Bewältigung von Unsicherheiten jene erforderliche geistige Präsenz eines gegenständlichen Elementes ausmacht. Dies gilt entsprechend für das Bedeutungsbewusstsein und die erforderliche geistige Präsenz der Begründbarkeit von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für das konkrete Handeln. In praktischer Hinsicht führt dies dazu, dass erst dann, wenn der Handelnde für sich beschließt, er könne nicht wegen seines konkreten Handelns strafrechtlich verantwortlich sein, das Bedeutungsbewusstsein nicht vorliegt. Eine zu hohe Hürde ist der Straffreiheit des Zweifelnden damit nicht errichtet. Die auf dem Zugestandensein aufbauenden Ausschlussgründe erfordern stets eine bestimmte Zweckgerichtetheit und damit (qualifiziertes) Zweckbewusstsein; liegen die gegenständlichen Voraussetzungen dieser selbständigen Ausschlussgründe vor, ist auch der Handelnde, der sich über ihr Eingreifen unsicher ist, bereits dem Grunde nach strafrechtlich nicht verantwortlich. Gleichzeitig wird auch der besonders rücksichtslose, von jedem Zweifel freie und an die absolute Richtigkeit seines Tuns glaubende Handelnde nicht privilegiert. Zum einen spielt der Glaube an die abstrakte Nicht-Strafbarkeit eines Verhaltens gemäß Art. 32 Abs. 2 Satz 1 ausdrücklich keine Rolle. Zum anderen bezieht sich das Bedeutungsbewusstsein nur auf Bedeutungen innerhalb des vom Statut gezogenen Rahmens. Besitzt der Handelnde Gegenstands- und erforderlichenfalls Zweckbewusstsein, so kann ein fehlerhaftes Verständnis über die Strafbarkeit nur im Bereich des Zugestandenseins zum Tragen kommen. Die Fälle, in denen der Handelnde aus einer (vermeintlichen) Notstandslage heraus mala fide subjektiv disproportionale Maßnahmen ergreift, werden von Art. 31 Abs. 1 lit. (d) nicht erfasst. Die Fälle, in denen der Handelnde von einem vom Statut rechtlich nicht anerkannten Ausschlussgrund ausgeht; oder annimmt, die gegenständlichen Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes lägen vor, wenn sie tatsächlich nicht gegeben sind; oder einen abweichenden Angemessenheitsmaßstab anlegt, schließen das Bedeutungsbewusstsein ebenfalls nicht aus.273 Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 154 ff. 273 Dazu soeben Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. II.

2. Kap.: Topographie des Verbrechensbegriffs

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Insgesamt ist „Bewusstsein“ ein zentrales Strukturmerkmal, das die innere Verbindung zwischen dem Handelnden und der Begehung des Verbrechens ausmacht und damit als ein Element personaler Zurechnung das innere Verbrechenselement charakterisiert.274

IV. Die Binnenkategorien der Begründbarkeit und der Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit Wir haben gesehen, dass der Begriff der Begehung die Verbrechensverwirklichung als solche bezeichnet und damit das Vorliegen der gegenständlichen Verbrechenselemente sowie des Zweckbewusstseins, soweit dieses von der Verbrechensbestimmung gefordert wird,275 umfasst. Außerdem haben wir gesehen, dass der Begriff der Rechtswidrigkeit an den Begriff der Begehung anschließt und ipso iure als unpersönliche Kategorie deren abschließende Bewertung darstellt.276 Wir haben schließlich das Gegenstandsbewusstsein als an die gegenständlichen Verbrechenselemente anknüpfendes 274

Eine Gleichsetzung von innerem Verbrechenselement und „culpability“ überzeugt nicht (so jedoch beispielsweise Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 208 ff. oder auch Pisani, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute, S. 123). Erstens handelt es sich bei culpability nicht um einen Begriff des Statuts. Zweitens schwingt darin ein Verständnis mit, wonach sich die Begründung von Verantwortlichkeit gerade aus dem inneren Verbrechenselement ergibt und somit eine gewisse Nähe zu dem Konzept von mens rea. Drittens besteht die Gefahr, das innere Verbrechenselement im Sinne einer moralisch verwerflichen Gesinnung aufzuladen (Sadat spricht insofern von „moral culpability on the part of the accused“, S. 208), anstatt darin „nur“ ein subjektives Zurechnungselement zu sehen, das die – noch nicht bewertete – Beziehung von Handelndem und Verbrechensbegehung herstellt. Dass sich das Statut ohnehin prinzipiell der weltanschaulichen Neutralität verpflichtet, hatten wir bereits begründet: oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 1. b). Sehr knapp und sehr klar zum Unterschied von intent und responsibility auch Shahabuddeen, Duress in International Humanitarian Law, GS-Ruda, S. 569. Deutlich ebenfalls Ambos, Current Issues in International Criminal Law, 14 CLF (2003), S. 247, in seiner Rezension der zweiten Auflage von Bassiounis Crimes against Humanity in International Criminal Law (1999). Kaum differenzierend und daher nicht überzeugend Cryer, General Principles of Liability in International Criminal Law, in: McGoldrick et al., The International Criminal Court: Legal and Policy Issues, S. 256: „The culpability of the state of mind (. . .)“ sowie Bantekas/Nash, International Criminal Law, S. 53: „[D]omestic legal systems distinguish between two types of defence in which the accused claims to lack the requisite mens rea to commit the underlying crime: justification and excuses“; ebenso Bantekas, Defences in International Criminal Law, in: McGoldrick et al., The International Criminal Court: Legal and Policy Issues, S. 266. 275 Vgl. Fn. 270. 276 Vgl. oben Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. II.

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

inneres Verbrechenselement außerhalb des vom Begriff der Begehung gezogenen Rahmens verortet. Gleiches gilt für das Bedeutungsbewusstsein. Daraus folgt, dass die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens – der Verbrechensbegehung – nicht davon abhängt, ob dieses von einem inneren Verbrechenselement gespiegelt wird.277 Rechtswidrig ist die Verbrechensbegehung per se, selbst wenn der Handelnde gar kein Gegenstands- oder Bedeutungsbewusstsein haben sollte.278 Insofern repräsentiert der Begriff der Begehung die gegenständliche Beziehung zwischen Handlung und Handelndem. Das Gegenstandsbewusstsein als auf die gegenständlichen Verbrechenselemente bezogenes inneres Verbrechenselement stellt insofern die innere Beziehung zwischen Handlung und Handelndem her. Rechtswidrige Verbrechensbegehung und Gegenstandsbewusstsein zusammen führen zu der Begründbarkeit von Verantwortlichkeit. Daher bedeutet der Begriff der Begründbarkeit individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit, dass eine gegenständliche und innere Beziehung zwischen Handlung und Handelndem besteht, wobei in ihm aber noch kein individueller Vorwurf enthalten ist. Aus der Perspektive des Handelnden geht es somit um „seine“ Handlung. Aus der Perspektive des Statuts geht es um die Beziehung von Unrecht und Person. Die Begründbarkeit beschreibt daher eine Unrechtsbeziehung. Des Weiteren ist Bedeutungsbewusstsein erforderlich, welches beim Handelnden die geistig präsente Schlussfolgerung, dass sein Verhalten zu der Begründbarkeit individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit führt, voraussetzt. Erst wenn der Handelnde versteht, was seine Handlung bedeutet, kann sie ihm vorgeworfen werden und ergibt sich die Begründung von Verantwortlichkeit. Daher meint der Begriff der Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit, dass über die Beziehung von Handlung und Handelndem hinaus die Begehung dem Handelnden vom Statut auch persönlich vorgeworfen werden kann und die Person in der Begründbarkeit die Grundlagen ihrer Verantwortlichkeit erkennt. Aus der Perspektive des Handelnden geht es somit um „sein“ Verbrechen. Aus der Perspektive des Statuts geht es um die Beziehung von Unrecht und abschließendem personalem Vorwurf.279 Die Begründung beschreibt daher eine Verantwortlichkeitsbeziehung. 277 Das gegebenenfalls erforderliche Zweckbewusstsein ist davon ausgenommen. Das kommt auch in unserer Formulierung zum Ausdruck, denn das Zweckbewusstsein spiegelt schließlich kein gegenständliches Verbrechenselement. Dazu oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. f). 278 Die praktische Relevanz ergibt sich aus den Formulierungen der Artt. 31 Abs. 1 lit. (c) sowie 33 Abs. 1 lit. (b) i. V. m. lit. (c), Abs. 2.

2. Kap.: Topographie des Verbrechensbegriffs

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Sofern jedoch das Zugestandensein in Gestalt eines selbständigen Ausschlussgrundes hinzutritt, unterbricht dies den Zusammenhang von Begehung und Verantwortlichkeit, denn das Statut macht der Person, die sich in einer Notlage konkreter Alternativlosigkeit befindet, wegen der Verbrechensbegehung keinen Vorwurf. Aus dem Charakter des Zugestandenseins als vom Statut besonders anerkannter Sonderbewertung der an sich bereits rechtswidrigen Verbrechensbegehung ergibt sich, dass das Zugestandensein nicht bereits die Begründbarkeit von Verantwortlichkeit hindert, sondern erst die Begründung von Verantwortlichkeit. In dem Gesagten deutet sich wiederum an, dass es zwei Dimensionen des Verbrechensbegriffs gibt: Erstens die unpersönliche Dimension, die in der Rechtswidrigkeit auf Grund des Unrechts überindividueller, internationaler Betroffenheit zum Ausdruck kommt. Zweitens die persönliche Dimension, die in der Begründbarkeit sowie in der abschließenden Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit des jeweiligen Handelnden ihre Bedeutung findet und somit das Unrecht personalisiert. Den Unterschied von Verbrechensbegehung sowie Rechtswidrigkeit auf der einen und Verantwortlichkeit auf der anderen Seite einschließlich der jeweils unterschiedlichen Dimensionen stets präsent zu haben, wird für den Gerichtshof bei der Anwendung des Statuts den großen Vorteil mit sich bringen, gerade in besonders schwierigen Dilemma-Fällen – die ErdemovicSituation schwebt dafür als Beispiel par excellence über allem – zu kühlen und rationalen Ergebnissen kommen zu können, ohne sich in angreifbaren metajuristischen Überlegungen zu verlieren.280 Dass durch die Verbrechensbegehung ein Unrecht entstanden ist, das es zu untersuchen, auszusprechen und festzustellen gilt, betrifft die erste Dimension. Ob und weshalb deshalb eine Person strafrechtlich verantwortlich ist, betrifft die zweite Dimension. So können das Erschrecken über begangene Grausamkeiten sowie das Interesse, diesem Erschrecken Ausdruck zu verleihen, unterschieden werden von der Beurteilung individuell fehlerhaften Handelns und damit der Begründung und schließlich gerichtlichen Feststellung strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Als Binnenkategorien der zweiten, persönlichen Dimension des Verbrechensbegriffs dienen die Kategorie der Begründbarkeit und der Begründung der Unterscheidung von Unrechtsbeziehung und Verantwortlichkeitsbeziehung. Sie ermöglichen es, alle Verantwortlichkeits- und Ausschlussgründe in ihren wirksamen Verbindungen zueinander schlüssig innerhalb des Verbrechensbegriffs zu verorten. 279 280

Eine Form von Erfolgshaftung ist nach dem Statut daher nicht zulässig. Zum Erdemovic-Urteil oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 1. b) (2).

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

C. Zwischenergebnis I. Zusammenfassung in Thesen 1. Die Kategorie der Rechtswidrigkeit ist eine unpersönliche Bewertungskategorie, die jede Verbrechensbegehung ausnahmslos ipso iure charakterisiert. 2. Die Kategorie der Rechtswidrigkeit bezieht sich nur auf das Geschehen innerhalb des vom Statut gezogenen strafrechtlichen Rahmens. 3. Das Statut lässt keine Rechtfertigungsgründe zu. 4. Alle Ausschlussgründe des Statuts wirken streng persönlich, da ihr Eingreifen nur von der individuellen Lage des Handelnden abhängt. 5. Eine dichotome Gegenüberstellung von Verantwortlichkeits- und Ausschlussgründen ist vom Statut nicht gedeckt. 6. Die Ausschlussgründe führen zu einer Negation von Verantwortlichkeit dem Grunde nach. 7. Der summarische Begriff „Ausschlussgrund“ ist insofern gerechtfertigt, auch wenn sich die Ausschlussgründe auf Grund ihrer Wirkweise unterscheiden lassen. 8. Es lassen sich selbständige und unselbständige Ausschlussgründe unterscheiden. 9. Bei den unselbständigen Ausschlussgründen handelt es sich um Umkehrungen eines generellen Erfordernisses, also gewissermaßen um einen umgekehrten Verantwortlichkeitsgrund. 10. Liegt ein unselbständiger Ausschlussgrund vor, so entsteht ein erforderlicher Verantwortlichkeitsgrund nicht. 11. Bei den selbständigen Ausschlussgründen handelt es sich um solche, deren Beachtlichkeit sich aus einem zusätzlichen, vom Statut besonders anerkannten und insofern außerordentlichen Grund ergibt. 12. Das Zugestandensein stellt einen und soweit einzigen selbständigen Ausschlussgrund dar. 13. Beim Zugestandensein handelt es sich um eine statutsimmanente Wertung, in Folge derer dem in einer individuellen Notlage konkreter Alternativlosigkeit Handelnden die Verbrechensbegehung nicht persönlich vorgeworfen wird und auch kein Strafbedürfnis besteht. 14. Das Zugestandensein unterbricht den Zusammenhang von Begehung und Verantwortlichkeit und betrifft nicht (bereits) die Begründbarkeit,

2. Kap.: Topographie des Verbrechensbegriffs

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sondern (erst) die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit (dazu Nrn. 23–28). 15. Das Bedeutungsbewusstsein ist ein Verantwortlichkeitsgrund. 16. Es setzt die psychologische Fähigkeit, die strafrechtliche Bedeutung seines Handelns erkennen zu können und wenigstens die – richtige – geistig präsente Schlussfolgerung, dass sein Verhalten zu der Begründbarkeit individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit führt, voraus. 17. Durch den Mangel der Fähigkeit, Bedeutungsbewusstsein zu bilden, ist die Fähigkeit zur Bildung von Gegenstandsbewusstsein nicht ausgeschlossen. 18. Irrtümer über Ausschlussgründe sind unbeachtlich. 19. Irrtümer über Ausschlussgründe bona fide können auf der Strafmaßebene Berücksichtigung finden. 20. Das Bewusstsein ist ein zentrales Strukturmerkmal des Verbrechensbegriffs. 21. Es macht die innere Verbindung zwischen Handelndem und Verbrechensbegehung aus und charakterisiert als Element personaler Zurechnung das innere Verbrechenselement. 22. Dementsprechend repräsentiert der Begriff der Begehung die gegenständliche Beziehung zwischen Handlung und Handelndem. 23. Die Binnenkategorien der Begründbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit und der Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit strukturieren den Verbrechensbegriff und ermöglichen die schlüssige Verortung aller Verantwortlichkeits- und Ausschlussgründe. 24. Begründbarkeit meint, dass eine gegenständliche und innere Beziehung zwischen Handlung und Handelndem besteht, wobei darin noch kein individueller Vorwurf gegenüber dem Handelnden enthalten ist. Es geht um die Beziehung von Unrecht und Person. 25. Die Begründbarkeit stellt insofern eine Unrechtsbeziehung her. 26. Begründung meint, dass über die Beziehung von Handlung und Handelndem hinaus die Begehung dem Handelnden vom Statut auch persönlich vorgeworfen werden kann und die Person die Grundlagen ihrer Verantwortlichkeit erkennt. Es geht um die Beziehung von Unrecht und personalem Vorwurf. 27. Die Begründung stellt insofern eine Verantwortlichkeitsbeziehung her. 28. Der Verbrechensbegriff weist zwei Dimensionen auf: Die unpersönliche Dimension kommt in der Rechtswidrigkeit auf Grund des Unrechts

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

überindividueller internationaler Betroffenheit zum Ausdruck. Die persönliche Dimension kommt in der Begründbarkeit und schließlich Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit zum Ausdruck, die das Unrecht personalisiert. II. Schematische Übersicht281 Unrechtsbeziehung (Begründbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit): 1. Es gibt ein Verhalten als menschliche Äußerung. 2. Die Handlung entspricht den gegenständlichen Verbrechenselementen. 3. Es kommt, soweit erforderlich, zu Folgen. 4. Die erforderlichen Umstände liegen vor. 5. Soweit erforderlich besteht Zweckbewusstsein. 6. Daraus ergibt sich die Begehung des Verbrechens. 7. Diese Verbrechensbegehung ist rechtswidrig. 8. Es besteht Gegenstandsbewusstsein: a) Das Verwirklichungsbewusstsein bezieht sich vollständig auf Verhalten und Folgen. b) Das Begebnisbewusstsein bezieht sich vollständig auf Folgen und Umstände. c) Ein Tatsachenirrtum (Art. 32 Abs. 1) ist – als unselbständiger Ausschlussgrund – hier zu berücksichtigen. 9. Liegen alle Verantwortlichkeitsgründe vollständig vor, ergibt sich die Begründbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Verantwortlichkeitsbeziehung (Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit): 1. Zugestandensein: Gegebenfalls Eingreifen eines selbständigen Ausschlussgrundes. a) Die gegenständlichen Voraussetzungen des Ausschlussgrundes liegen vor (Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d). b) Das für den Ausschlussgrund erforderliche Zweckbewusstsein liegt vor (Art. 31 Abs. 1 lit. (c); bei lit. (d) ist es qualifiziert). 281 Hierbei handelt es sich um die Fortentwicklung der Übersicht von oben Dritter Teil, Zweites Kapitel, A. I.

3. Kap.: Fragen an den Verbrechensbegriff

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2. Bedeutungsbewusstsein a) Fähigkeit zur Bildung von Bedeutungsbewusstsein. b) Die – unselbständigen – Ausschlussgründe und ihre genaueren Voraussetzungen nach Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) sind hier zu berücksichtigen. c) Zutreffendes Bedeutungsbewusstsein. d) Die – unselbständigen – Ausschlussgründe und ihre genaueren Voraussetzungen nach Art. 32 Abs. 2 Satz 2 und Art. 33 Abs. 1 sind hier zu berücksichtigen. 3. Liegen alle Verantwortlichkeitsgründe vor und greift kein selbständiger Ausschlussgrund ein, ergibt sich die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Ergebnis Der Handelnde ist strafrechtlich verantwortlich bzw. strafrechtlich nicht verantwortlich.

Drittes Kapitel

Fragen an den Verbrechensbegriff A. Zurechnungssystem Ist die persönliche Vorwerfbarkeit als Folge objektiver und subjektiver Zurechnung von Unrecht so selbstverständlich, so dass dieser Aspekt nicht eigens als Element der Strafbarkeit und nur bei den Ausschlussgründen angeführt wird? Triffterer macht diese Bemerkung im Zusammenhang mit der Reichweite des nullum crimen-Satzes.282 Allerdings hängt das, was „selbstverständlich“ erscheint, oftmals nur von der Perspektive oder dem Vorverständnis ab, so dass auch „Selbstverständliches“ prinzipiell einer rationalen und nachvollziehbaren Begründung bedarf.283 Immerhin, so Clark, „überlebte [der Entwurf eines Absatzes über Kausalität und Zurechnung] nicht 282 Triffterer, Der lange Weg zu einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, 114 ZStW (2002), S. 340. 283 Weigend, Zur Frage eines „internationalen“ Allgemeinen Teils, FS-Roxin, S. 1378, sagt denn auch, dass die Berufung auf die „Sachlogik“ nicht weiterhelfe, schließlich müsse „die Logik, die in den Sachen steckt, eben erst in mühevoller Kleinarbeit aus diesen herausgelesen (bzw. in sie hineingelesen) werden“.

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

einmal bis zur Konferenz von Rom“284 – und dies offenbar auf Grund eines unterschiedlichen Verständnisses des „Selbstverständlichen“. Wendet man den Blick allein auf die deutsche Dogmatik von Kausalität und objektiver Zurechnung, so kann man ob der schieren Menge und Komplexität den Eindruck bekommen, hier handele es sich um einen Bereich, über den das Statut nicht reden könne, sondern darüber schweigen müsse. So bemerkt auch Ambos das Fehlen eines ausgefeilten Zurechnungssystems im Völkerstrafrecht. Dessen Voraussetzung sei insbesondere Konsens über das grundlegende Zurechnungsmodell, den Verbrechensbegriff und die fundamentalen Prinzipien des Strafrechts.285 Während wir uns letzteren bereits im Zweiten Teil dieser Arbeit zugewandt haben, uns die Struktur des Verbrechensbegriffs diesen ganzen Dritten Teil über beschäftigt und wir sie am Ende werden darstellen können, bleibt schließlich die Frage nach dem Zurechnungsmodell offen. Ausgehend von der relativen Bedeutung des Römischen Statuts betrachten wir jedoch nicht „das“ Zurechungsmodell „des“ Völkerstrafrechts – und schon gar nicht „den“ Verbrechensbegriff –, sondern nur jene des Statuts. Insofern bleiben wir weiterhin im Rahmen unserer statutsimmanenten Strukturanalyse. Ambos beschreibt die Möglichkeit eines systemischen Modells („systemic model“) und eines Modells doppelter Zurechnung („double attribution“). Letzteres bedeute, dass individuelle und kollektive bzw. systemische Komponenten nicht in parallelen Sphären existierten, sondern miteinander verwoben seien.286 Im Folgenden sind daher einige Grundlinien zu skizzieren, die zu der Entwicklung eines umfassenden Zurechnungssystems beitragen können. I. Individuelle Verantwortlichkeit und der Gedanke der Gesamttat Die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit prägt als Zentralbegriff und Strukturmerkmal das Römische Statut.287 Daraus ergibt sich eine weitere Einsicht: Das Römische Statut geht gerade nicht von einer kollektiven strafrechtlichen Verantwortlichkeit aus. Im Mittelpunkt steht das Individuum, das als solches für seine individuell verantworteten Taten verurteilt wird.288 284

Clark, Subjektive Merkmale im Völkerstrafrecht, 114 ZStW (2002), S. 381. Ambos, Remarks on the General Part of International Criminal Law, 4 JICJ (2006), S. 660 ff., 673; General Principles of Criminal Law in the Rome Statute, 10 CLF (1999), S. 32. 286 Ambos, Remarks on the General Part of International Criminal Law, 4 JICJ (2006), S. 663 und Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 11 ff. 287 Bereits oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 2. 285

3. Kap.: Fragen an den Verbrechensbegriff

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In Zusammenschau mit dem ebenso wichtigen Strukturmerkmal der überindividuellen Bedeutung und internationalen Betroffenheit289 sowie den „Umständen“290 ließe sich jedoch auch auf das – tatsächliche – Phänomen abstellen, dass die vom Römischen Statut genannten Verbrechen regelmäßig in größeren Begehungszusammenhängen bzw. von Gruppen oder Kollektiven verübt, geplant usw. werden und daher einen „kollektiven Charakter“291 aufweisen.292 Mit Werle kann man daher je nach Fokus treffend auch von „Gesamttat“ und „Einzeltat“ sprechen.293 Marxen betont, die Besonderheit der völkerrechtlichen Straftat bestehe in der Verwirklichung systematischen Unrechts.294 Der Titel der Monografie von Vest bringt das Problem deutlich zum Ausdruck: „Genozid durch organisatorische Machtapparate – An der Grenze von individueller und kollektiver Verantwortlichkeit“.295 Auch van Sliedregt merkt an, dass das Phänomen der „Systemkriminalität“ gewissermaßen „Systemverantwortlichkeit“ hervorbringe, was durch das kollektive Element wiederum Druck auf das Prinzip der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit ausübe.296 Die Bedeutung einer systemischen Betrach288 Deutlich ebenso Werle, Individual Criminal Responsibility in Article 25 ICC Statute, 5 JICJ (2007), S. 953. Militello, The Personal Nature of Individual Criminal Responsibility and the ICC Statute, 5 JICJ (2007), S. 944–945, spricht insofern von persönlicher Verantwortlichkeit, als die Rede von individueller Verantwortlichkeit den Blick auf die Verbrechensbegehung durch Gruppen verstellen könnte. 289 Bereits oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. I. 290 Bereits oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 6. 291 Vgl. Vest, Humanitätsverbrechen, Herausforderung für das Individualstrafrecht?, 113 ZStW (2001), S. 497; Meyer, Die Verantwortlichkeit von Vertragsstaaten nach der Völkermordkonvention, HRRS 2007, S. 229–230 und Fn. 110–111, m. w. N., der auch ein Theoriedefizit sieht vor dem Hintergrund des „Auseinanderfallens von Standard kollektiver Verantwortlichkeit und der strafrechtlichen Verantwortlichkeit Einzelner“. 292 Knapp und übersichtlich auch Vogel, Individuelle Verantwortlichkeit im Völkerstrafrecht, 114 ZStW (2002), S. 420 ff. 293 Werle, Völkerstrafrecht und geltendes deutsches Strafrecht, JZ 2000, S. 757. 294 Marxen, Beteiligung an schwerem systematischen Unrecht – Bemerkungen zu einer völkerstrafrechtlichen Straftatlehre, in: Lüderssen, Kriminalpolitik, S. 228. 295 Zum Begriff des organisatorischen Machtapparates S. 360 ff.; instruktiv zum „Individualstrafrecht“ und zur kollektiven Verantwortlichkeit S. 301 ff. Zurückhaltende Schlussüberlegungen S. 397 ff.: Das „Individualstrafrecht [bleibe] für vorsätzliche Gewaltdelikte des Völkerstrafrechts sicher unentbehrlich [. . .]. Immerhin scheint es sachlich nicht von vornherein ausgeschlossen, ein kumulatives Organisationsstrafrecht zu schaffen“. Hervorhebung im Original. Dort heißt es auch in einer im Satz eingefügten Fußnote, „[e]ine exklusive kollektive Zurechnung wäre sicher nicht sinnvoll“. Andererseits betont Vest, Humanitätsverbrechen, Herausforderung für das Individualstrafrecht?, 113 ZStW (2001), S. 498, auch, dass es „der organisatorische Machtapparat selbst [ist], der im Völkerstrafrecht zur ‚Zentralgestalt des Tatgeschehens erhoben werden muss“.

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tungsweise zeigt sich besonders deutlich am Beispiel der Auslegung des „Absicht“-Kriteriums des Völkermordes nach Art. 6.297 In strafrechtssystematischer Hinsicht dürfte es dagegen hilfreich, wenn nicht sogar erforderlich sein, dezidiert zwischen Verurteilungsebene und Zurechnungsebene zu unterscheiden. Auf der Verurteilungsebene anzusiedeln ist der ein Verfahren abschließende Ausspruch der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit einschließlich der sich auch im Schuldspruch niederschlagenden Äußerung über das Ausmaß dieser Verantwortlichkeit. Zur Zurechnungsebene gehören die Faktoren über die Feststellung von Verantwortlichkeit. Während stets nur ein Individuum wegen individuell verantworteter Verbrechen verurteilt wird, kann sich diese Verantwortlichkeit durchaus (auch) aus der – zurechenbaren – Beteiligung an einem Geschehenskomplex ergeben. Die „Gesamttat“ ist einerseits Ausdruck des (völkerstrafrechts-)spezifischen Unrechts eines Verbrechens298 und andererseits tatsächliches Phänomen, nämlich Geschehenskomplex. Der Begriff besitzt daher eine doppelte Bedeutung. Beide Facetten sollten auch dogmatisch unterschieden werden. Auf der einen Seite geht es um die Verortung eines – auch abstrakt beschreibbaren – Verbrechens. Auf der anderen Seite geht es um die Beschreibung eines konkreten oder möglichen Geschehens. So ergeben sich Parallelen zur Unterscheidung von Verurteilungs- und Zurechnungsebene. Dabei besteht die Gefahr, dass das Erkennen des kollektiven Moments – welches beiden Facetten eigen ist – dazu führt, dass das bloße Involviertsein in ein historisches, insgesamt völkerstrafrechtsrelevantes Geschehen bereits als entscheidendes Zurechnungsmoment ausreichend erscheint.299 Dies sei kurz illustriert: 296 van Sliedregt, Criminal Responsibility in International Law – Liability Shaped by Policy Goals and Moral Outrage, 14 EJCrCLCJ (2006), S. 82. Sie zeichnet die Entwicklung der nationalen Lehren von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach und stellt demgegenüber auf das Völkerstrafrecht bezogen fest, dieses sei noch nicht aus seinen „kollektiven Ursprüngen“ herausgewachsen (S. 85). Während also Vest, Marxen und andere für eine Entwicklung hin zu einer stärkeren Betonung des systemischen Elements plädieren, sieht es van Sliedregt gerade umgekehrt und hält die „kollektiven Ursprünge“ gegenüber einem auf das Individuum abstellenden Völkerstrafrecht für offenbar juvenil und nicht ausgereift. 297 Vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. d) (2). 298 Dies haben wir bereits unter der Überschrift der überindividuellen Bedeutung und internationalen Betroffenheit besprochen; vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. I. 299 Aus diesem Grunde ist bei Art. 6 das positive Wissen des Handelnden um das Bestehen einer Zerstörungsabsicht strictu sensu unverzichbar; ein bloßes Fürmöglichhalten reicht nicht aus; vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. d) (2).

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Ist ein Soldat in einem Konzentrationslager, in dem, was allgemein bekannt ist, systematisch und häufig Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 7 begangen werden, als Mitglied einer an den eigentlichen die gegenständlichen Verbrechenselemente verwirklichenden Handlungen nicht beteiligten Nachschubeinheit beschäftigt, so ließe sich daraus eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Erleichterung eines Verbrechens300 oder sogar eine gemeinschaftliche Begehung301 konstruieren, wenn man konkrete verbrecherische Geschehnisse allen an der Unterhaltung des Konzentrationslagers Beteiligten und damit einem Kollektiv zurechnet. Eine Strafbarkeit wegen Beihilfe ergäbe sich nach Art. 25 Abs. 3 lit. (c), wobei der Auslegung des Merkmals „zur“ („for the purpose of“) eine wesentliche Bedeutung zukommt. Es liegt nahe, hierin das Erfordernis eines final determinierten Handelns, also eines qualifizierten Zweckbewusstseins, zu sehen und damit die bloße Kenntnis des Erleichterns eines Verbrechens nicht ausreichen zu lassen. Der Schwerpunkt dieser Auslegung läge auf der Kombination von zur und Verbrechen. Der Soldat müsste also das Zweckbewusstsein haben, durch die Versorgung des Konzentrationslagers die Begehung von Verbrechen nach Art. 7 zu erleichtern. Nicht ausreichend wäre die schlichte Kenntnis von den Verbrechen. Ein Soldat, der „nur seine Pflicht tut“ und Versorgungsgüter heranschafft, wäre demnach nicht wegen Beihilfe strafbar. Ohne den Wortlaut zu sehr zu strapazieren, ließe sich die Vorschrift aber auch dahingehend auslegen, dass Kenntnis des Verbrechens genügte und in diesem Bewusstsein ein konkretes Verwirklichungsbewusstsein – damit ist zufällig hilfreiches Tun ausgeschlossen – auf die Ausübung einer hilfreichen Tätigkeit erstreckt, wenn man den Schwerpunkt auf zur und Erleichterung legt. Hat der Soldat, der „nur seine Pflicht tut“, das Bewusstsein, dass Verbrechen nach Art. 7 begangen werden, und erkennt er, dass ohne die Nachschubversorgung die Begehung dieser Verbrechen erschwert wäre – mit anderen Worten, erkennt er, dass er durch die Vorsorgung die Begehung der Verbrechen erleichtert –, so ergäbe sich eine Beihilfestrafbarkeit. Ebenso gelingt hingegen die Subsumtion unter Art. 25 Abs. 3 lit. (d):302 In gegenständlicher Hinsicht ist nur ein Beitrag „in sonstiger Weise“ erfor300

Art. 25 Abs. 3 lit. (c). Art. 25 Abs. 3 lit. (a). 302 Nach Ambos, General Principles of Criminal Law in the Rome Statute, 10 CLF (1999), S. 13, ist diese Vorschrift „überflüssig“, da lit. (c) bereits eine sehr breite Grundlage für Strafbarkeit schaffe. Ähnlich auch Militello, The Personal Nature of Individual Criminal Responsibility and the ICC Statute, 5 JICJ (2007), S. 950. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Anders wiederum di Martino, Täterschaft und Teilnahme im Statut des IStGH und Anpassungsbedarf der italienischen Regelung, 119 ZStW (2007), S. 444. 301

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derlich. Dies ist durch die logistische Unterstützung gegeben. Außerdem bedarf es einer Gruppe von Personen, die die Verbrechen auf Grund eines „gemeinsamen Zieles“ begeht, was ebenso gegeben ist, wenn die im Konzentrationslager agierenden Personen die Verbrechen in systematischer Weise verwirklichen. Die weiteren Erfordernisse liegen allein beim inneren Verbrechenselement: Die Leistung des Beitrages muss „vorsätzlich“ geschehen. Wenn der Soldat kein Zweckbewusstsein im Sinne von Art. 25 Abs. 3 lit. (d) i) hat, so hängt seine Strafbarkeit an der „Kenntnis des Vorsatzes der Gruppe, das Verbrechen zu begehen“ (Art. 25 Abs. 3 lit. (d) ii). In der authentischen englischen Fassung heißt es knowledge, so dass der Maßstab der des „Wissens“ gemäß Art. 30 ist, also Begebnisbewusstsein erforderlich ist. Dem Soldaten muss geistig präsent sein, dass im Konzentrationslager zweckgerichtet Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden. Doch wie spezifisch muss die Vorstellung sein? Reicht eine allgemeine Kenntnis aus? Oder muss der Soldat eine genaue(re) Vorstellung von den Verbrechen haben? Wir haben gesehen, dass Bewusstsein ein positives Wissen erfordert. Dementsprechend gilt an und für sich, dass das tatsächliche Maß an Bewusstsein für den Handelnden individuell festzustellen ist, und dafür allein ein Wissenkönnen nicht ausreicht. Dennoch erscheint es verlockend, Beweisprobleme über das entscheidende innere Verbrechenselement durch die Präsentation von vielen Belegen zu überwinden, die die Offensichtlichkeit der Verbrechen und des Gruppenvorsatzes nahe legen. Dies wäre möglicherweise sogar hinzunehmen, wenn in gegenständlicher Hinsicht mehr als bloße Beiträge in „sonstiger Weise“ – man kann auch sagen: Involviertsein in irgendeiner Weise – erforderlich wäre und so ausgewogene Anforderungen an das gegenständliche und das innere Verbrechenselement gestellt würden. Indem aber das gegenständliche Element wenig ausgeprägt ist, hängt die Begründbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit in entscheidender Weise an dem inneren Element, und insofern muss dessen Bedeutung derart berücksichtigt werden, dass hinsichtlich des erforderlichen Nachweises positiven Wissens keine Abstriche gemacht werden. Andernfalls begründete sich Verantwortlichkeit leicht aus einem Programm, das sich mit „mitgegangen, mitgehangen“ zusammenfassen ließe.303 Allerdings hat sich der ICTY in der Tadic-Entscheidung (s. Fn. 308) zur Begründung der Figur des joint criminal enterprise auch und gerade auf lit. (d) gestützt (dort Rn. 222–223). Dieses Vorgehen kritisiert wiederum Ambos, Joint Criminal Enterprise and Command Responsibility, 5 JICJ (2007), S. 172. Nach van Sliedregt, Criminal Responsibility in International Law – Liability Shaped by Policy Goals and Moral Outrage, 14 EJCrCLCJ (2006), S. 96, stützt Art. 25 Abs. 3 lit. (d) das Konzept der sogenannen Dritten Kategorie (im Sinne der Tadic-Entscheidung Rn. 204) des JCE gerade nicht.

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Daher kann es auch nicht ausreichen, nur allgemeine Kenntnis von irgendeiner Verbrechensbegehung zu fordern. Vielmehr ist Kenntnis über „das“ Verbrechen erforderlich: Wer von dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit des Freiheitsentzugs304 Kenntnis hat, hat noch lange nicht Kenntnis von dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Folter305, und wer von diesem weiß, hat auch nicht zwangsläufig Kenntnis von dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Tötung306, selbst wenn alle Modalitäten die gleiche Überschrift – Verbrechen gegen die Menschlichkeit – tragen.307 Weil die beispielhaft genannten Modalitäten eine jeweils ganz unterschiedliche Angriffsrichtung haben, trüge hier auch eine Argumentation, die auf eine unwesentliche Abweichung im Kausalverlauf abstellte, nicht. So kommt der grundlegenden Haltung des Statuts eine entscheidende Bedeutung auch für die die Auslegung prägenden Strukturmerkmale zu: Liegt der Schwerpunkt auf dem Kollektiv oder auf dem Individuum? Liegt der Schwerpunkt auf „der“ (Einzel-)Tat oder auf „dem“ (verbrecherischen) System? 303 Dass sich ein solches Verständnis weder auf common law noch auf civil law berufen könnte, zeigt Dubber, Criminalizing Complicity – A Comparative Analysis, 5 JICJ (2007), S. 978, auf, der das deutsche und das amerikanische Modell der Mittäterschaft bzw. Beteiligung untersucht. Er verortet das Römische Statut näher am amerikanischen Modell. Das deutsche Modell von der Tatherrschaft bietet für ihn auch keine besseren Lösungen, so dass er schließlich für ein eigenständiges völkerstrafrechtliches Modell plädiert (S. 1000–1001). 304 Art. 7 Abs. 1 lit. (e). 305 Art. 7 Abs. 1 lit. (f). 306 Art. 7 Abs. 1 lit. (a). 307 Marxen, Beteiligung an schwerem systematischen Unrecht – Bemerkungen zu einer völkerstrafrechtlichen Straftatlehre, in: Lüderssen, Kriminalpolitik, S. 231 ff., skizziert ein prinzipiell überzeugendes Zurechnungsmodell aus „drei Elementen und zwei Verbindungsgliedern“, bei dem die Gesamttat im Vordergrund steht. Zum inneren Erfordernis sagt Marxen – in einer Abgrenzung zur conspiracy-Strafbarkeit nach dem Common law – nur, dass Kenntnis von den Verbrechenserfolgen zu fordern sei, nämlich das „Wissen darum, dass sich der verbrecherische Charakter des Gesamtzusammenhanges in Verbrechenserfolgen niedergeschlagen hat“, so dass „keine Detailkenntnis von den einzelnen Fällen gefordert“ sei (S. 233). Da die gegenständlichen Erfordernisse, die Marxen vorschlägt, wenig einschränkende Wirkung besitzen, müsste diese über innere Erfordernisse gewährleistet werden. Daher ist die Rede vom verbrecherischen „Charakter“ des „Gesamtzusammenhanges“, welcher „Erfolge“ zeige, zu unspezifisch. Marxen schließt sich di Martino, Täterschaft und Teilnahme im Statut des IStGH und Anpassungsbedarf der italienischen Regelung, 119 ZStW (2007), S. 434, an. Vgl. auch S. 431: „Nicht ‚Beteiligung‘, sondern individuelle Verantwortlichkeit ist der maßgebliche völkerstrafrechtliche Begriff, und dies nicht nur terminologisch, sondern auch der Sache nach“.

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Die ad hoc-Gerichtshöfe für Jugoslawien und für Ruanda haben dazu – bemerkenswerterweise gerade mit Blick auf das Römische Statut – die Figur des joint criminal enterprise (JCE) erarbeitet und angewendet.308 Hierbei handelt es sich um eine „systemische“ und nicht um eine „normative“ Zurechnungsfigur.309 Dass die Figur des JCE auch unter „just convict everybody“ bekannt ist,310 zeigt ihr Potential als irrationales Zurechnungsinstrument deutlich auf.311 Sie kann daher weder als ausgefeiltes Vorbild, noch als Blaupause für die Beantwortung der hier aufgeworfenen Fragen dienen.312 Der Internationale Strafgerichtshof hat sich in seiner Entscheidung über die Bestätigung der Anklage gegen Thomas Lubanga Dyilo jedenfalls für den Bereich der mittäterschaftlichen Begehung von der Figur der JCE distanziert. Das entscheidende Abgrenzungs-kriterium zwischen Täterschaft und Teilnahme liege im „control over the crime“.313 Sprachlich wie sachlich liegt es nahe, dies mit „Tatherrschaft“ zu übersetzen.314 308 Zum ersten Mal tauchte diese Figur in der Tadic-Rechtsmittelentscheidung des ICTY auf: Prosecutor v. Dusko Tadic, Case No.: IT-94-1-A, Appeals Chamber, 15. Juli 1999, Rn. 185 ff., 227 ff. Die weitere Rechtsprechung hat sich daran orientiert, vgl. Ambos, Joint Criminal Enteprise and Command Responsibility, 5 JICJ (2007), S. 161, und dort Nachweise in Fn. 6 sowie mit einer Kritik im Einzelnen van Sliedregt, Joint Criminal Enterprise as a Pathway to Convicting Individuals for Genocide, 5 JICJ (2007), S. 185 ff. und Criminal Responsibility in International Law – Liability Shaped by Policy Goals and Moral Outrage, 14 EJCrCLCJ (2006), S. 91: „judge-created JCE“. 309 Dazu Ambos, Remarks on the General Part of International Criminal Law, 4 JICJ (2006), S. 664 und die verschiedenen Beiträge von Ambos, van Sliedregt, Hamdorf, van der Wilt, Ohlin, Cassese sowie Gustafson zum Symposium „Guilty by Association: Joint Criminal Enterprise on Trial“ in 5 JICJ (2007), S. 67 ff. 310 Hier schöpfe ich auch aus meinen Erfahrungen als Legal Intern bei den beiden ad hoc-Gerichtshöfen der UN. In der Literatur vgl. nur das Vorwort von Sluiter zu dem genannten Symposium (Fn. 309) und Badar, „Just convict everyone!“ – Joint perpetration: From Tadic to Stakic and back again, 6 ICLR (2006), S. 293–302. Bogdan, Individual Criminal Responsibility in the Execution of a „Joint Criminal Enterprise“ in the Jurisprudence of the ad hoc International Tribunal for the Former Yugoslavia, 6 CLF (2006), S. 63–120, weist überzeugend nach, dass die Figur des JCE das nullum crimen-Prinzip verletzt und zeigt in seinem Aufsatz auf, wie wichtig eine methodisch fundierte und nicht bloß fleißige Rechtsfindung ist. Er nennt JCE eine Schöpfung der Richter des Jugoslawientribunals, die den Auftrag des UN-Generalsekretärs (noch genauer muss es heißen: den Auftrag des UN-Sicherheitsrates; dazu oben Fn. 481) verletze (S. 118). 311 Fichtelberg, Conspiracy and International Criminal Justice, 17 CLF (2006), insbes. S. 150–151, 173, äußert ähnliche Bedenken in Bezug auf die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit wegen conspiracy. 312 Ausgewogene, aber deutliche Kritik äußert auch van Sliedregt, Criminal Responsibility in International Law – Liability Shaped by Policy Goals and Moral Outrage, 14 EJCrCLCJ (2006), S. 89 ff., 112.

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Dass die Verbrechen des Statuts teilweise eine systemische bzw. systematische Begehung voraussetzen, bietet noch kein abschließendes Argument für die Beantwortung der Frage nach einem kollektiven oder einem individuellem Schwerpunkt. Hierbei handelt es sich ohnehin um unabdingbare gegenständliche Verbrechenselemente und nicht um ein selbständiges Zurechnungserfordernis, das individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit zu begründen vermag. Gleiches gilt für den Charakter der Verbrechen als schwerste Verbrechen von überindividueller, internationaler Bedeutung, denn dieser ist als materielles Gerichtsbarkeitserfordernis für eine Strafbarkeit nach dem Statut schlechthin Voraussetzung. Auf der anderen Seite steht die wichtige Wendung von der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit, die sich auch damit übersetzen lässt, dass ein jeder (nur) nach seinem Beitrag zu einem Verbrechen zu be- und verurteilen ist. Vor diesem dogmatischen Hintergrund stehen praktische und rechtspolitische Erwägungen:315 Wie sonst, wenn nicht durch die sorgfältige Unterscheidung von Einzeltat und Gesamttat sollte die Grundentscheidung des Statuts für personale, individuelle Verantwortlichkeit konsequent umgesetzt werden?316 313 Decision on the Confirmation of Charges, The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Case No.: ICC-01/04-01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, insbesondere Rn. 323 ff., 338, 340, sowie 330 ff. Die einzelnen Erfordernisse mittäterschaftlicher Begehung stellt der Gerichtshof ab Rn. 342 dar. 314 Vgl. auch Werle, Individual Criminal Responsibility in Article 25 ICC Statute, 5 JICJ (2007), S. 962. 315 Meyer, Die Verantwortlichkeit von Vertragsstaaten nach der Völkermordkonvention, HRRS 2007, S. 229–230, fordert hingegen ein „grundsätzliches Nachdenken über die Überzeugungskraft einer völkerrechtlichen Strafrechtsdogmatik, die den Einzeltäter trotz des kollektiven Charakters der meisten Delikte des Kernvölkerstrafrechts entsprechend der Maßstäbe der liberalen Konstruktion der dominierenden nationalen Strafrechtssysteme in das Zentrum der Zurechnungslehre stellt“. Wenige Sätze später kritisiert Meyer den „politischen Missbrauch“ des „besonderen Stigma[s] des Genozids“. Bereits dies zeigt doch, dass an einer sorgfältigen Begründung der Verantwortlichkeit des Einzelnen kein Weg vorbei führt, soll die Gefahr der potentiell uferlosen Attribution von Verantwortlichkeit auf Grund des kollektiven Charakters von Verbrechen gebannt werden. Andernfalls könnte die bloße Nähe zum im moralischen Sinne infektiösen Stigma des Genozids zur Veranwortlichkeitsbegründung führen und damit eine rationale Rechtsfindung erschweren. Die hier schon mehrfach kritisierte Doktrin des joint criminal enterprise ist dafür ein Beispiel. Kritisch gegenüber kollektivierenden Bestrebungen zu Recht Fletcher/Ohlin, Reclaiming Fundamental Principles of Criminal Law in the Darfur Case, 3 JICJ (2005), S. 539–561. 316 Das Erschrecken über die Schwere der Verbrechen kann einen Grund für die Schaffung von Verbrechen darstellen, aber allein kein Grund sein, individuelle Verantwortlichkeit zu begründen. Da ersteres mit dem Statut bereits geschehen ist, gilt es, zweiteres mit der größten Sorgfalt zu tun.

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Hilfreich für die notwendigen weiteren Untersuchungen dürfte es sein, dezidiert zu trennen zwischen erstens dem (historisch begründeten) Phänomen, dass die Verbrechen nach dem Statut regelmäßig, wenn nicht sogar stets in größeren Zusammenhängen auftreten und zweitens der (strafrechtlich begründeten) Verantwortlichkeit, wonach Verbrechen nach dem Statut von individuellen Tätern begangen werden und insofern die Individualität des Täters auf die Individualität des abzuurteilenden Verbrechens zurückwirkt. Greifen wir an dieser Stelle die Begriffswelt von Ambos auf,317 so bewegen wir uns im Bereich eines doppelten Zurechnungsmodells. Kurzum: geht es um ein Phänomen, ist die Gesamttat zu betrachten; geht es um Verantwortlichkeit, ist die Einzeltat zu betrachten.318 Dabei kann die Beteiligung an der Gesamttat für die Herstellung einer Unrechtsbeziehung319 ausreichend sein, wenn sich die Einzeltat ohne Kompromisse bei dem Nachweis des erforderlichen inneren Verbrechenselementes belegen lässt. Auf der Zurechnungsebene steht die Einzeltat im Vordergrund, und auf der Verurteilungsebene das Individuum.

II. Ursachenzusammenhang und Voraussehen In unserer schematischen Übersicht über Verantwortlichkeits- und Ausschlussgründe nennen wir als dritten Punkt die „Folgen“. Welcher Gestalt die Folge als gegenständliches Verbrechenselement zu sein hat, richtet sich nach der Verbrechensbestimmung. Das Statut gibt jedoch über den Zusammenhang von Verhalten und Folge nur in Art. 30, der Bestimmung über das innere Verbrechenselement, ausdrückliche Hinweise: In Abs. 2 lit. (b) geht es darum, dass der Handelnde „Folgen herbeiführen will“, und dort ist, ebenso wie in Abs. 3, vom „gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse“ die Rede. Die Beziehung von Handelndem und Folgen wird durch Art. 30 über das Gegenstandsbewusstsein hergestellt. Das Strukturmerkmal des Bewusstseins ist, das haben wir bereits gesagt, ein Merkmal personaler Zurechnung. Mit dem Begriff der Begehung wiederum ist die gegenständliche Beziehung zwischen Handlung und Handelndem gemeint. Innerhalb dieses Geflechts blieb bislang aber ein 317

Oben Fn. 286. Vgl. auch unsere einleitenden Überlegungen oben Erster Teil, Drittes Kapitel. Nach van Sliedregt, Criminal Responsibility in International Law – Liability Shaped by Policy Goals and Moral Outrage, 14 EJCrCLCJ (2006), S. 99 ff., ergibt sich die „Gefahr der Kollektivierung von Schuld im Völkerstrafrecht großenteils aus der instrumentellen Rolle des Völkerstrafrechts“ (S. 99; meine Übersetzung). 319 Oben Dritter Teil, Zweites Kapitel, B. IV. 318

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Aspekt noch unerörtert, nämlich der genaue Zusammenhang von Verhalten und Folge. Für die Auslegung bieten sich zwei unterschiedliche Ansatzpunkte an: 1. Einschränkung des Ursachenzusammenhangs auf der gegenständlichen Ebene Zum einen ließe sich darauf abstellen, dass Art. 30 nur das wiederhole, was strukturell im Statut ohnehin angelegt ist, nämlich dass das innere Verbrechenselement, genauer das Gegenstandsbewusstsein, alle gegenständlichen Verbrechenselemente vollständig spiegeln muss. Die Wiederholung läge darin, dass Art. 30 neben den – abstrakt beschriebenen und in den Verbrechensbestimmungen konkretisierten – gegenständlichen Elementen Verhalten, Folge und Umstand auch die gegenständlichen Elemente der Herbeiführung von Folgen und des Eintretenwerdens von Folgen im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse anführt. Damit wäre gesagt, dass zwischen Verhalten und Folge ein gegenständlich beschreibbarer Ursachenzusammenhang bestehen muss, welchen der Handelnde wiederum in sein Gegenstandsbewusstsein mit aufzunehmen hat. Weiterhin wäre der „gewöhnliche Verlauf der Ereignisse“ objektiv zu bestimmen. Das bedeutet, dass Folgen, die während eines ungewöhnlichen Geschehensablaufs auftreten, nicht zur Begründbarkeit von Verantwortlichkeit herangezogen werden können und damit von vornherein keine Unrechtsbeziehung besteht.320 Die praktische Schwierigkeit läge dann auch darin, handhabbare Kriterien für die Bestimmung dessen, was (noch) als „gewöhnlich“ zu gelten hat, aufzufinden. Dies gilt umso mehr, als die konfliktgeladenen realen Zusammenhänge, die das Römische Statut adressiert, bereits per se ungewöhnlich sind und sich die aus dem Alltag bekannten Maßstäbe womöglich als wenig tauglich erweisen. Zweitens müsste der „gewöhnliche Verlauf der Ereignisse“ durch das Gegenstandsbewusstsein des Handelnden gespiegelt werden; dies folgt direkt aus Art. 30. Besteht diese Kongruenz nicht, ergibt sich daraus ein – unselbständiger – Ausschlussgrund. 2. Einschränkung des Ursachenzusammenhangs auf der inneren Ebene Zum anderen ließe sich darauf abstellen, dass bereits in dem gegenständlichen Begriff der Folge (consequence) ein Element der Verursachung ange320

Ähnlich Kreß, Vorbemerkung zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, Rn. 51, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen.

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legt ist: Verhalten und Folge sind durch einen Ursachenzusammenhang verbunden, und insofern ist dieser Zusammenhang von dem Gegenstandsbewusstsein hinsichtlich der Folge „als Folge“ des Verhaltens miterfasst. In gegenständlicher Hinsicht würden dann nur Zufälle ausgeschieden, so dass grundsätzlich alle durch das Verhalten gesetzten Bedingungen für das Eintreten der Folge gleichwertig sind. Daher hätte das gegenständliche Merkmal des Ursachenzusammenhangs praktisch keine Bedeutung. Weiterhin gälte:321 Liegt beim Handelnden Verwirklichungsbewusstsein vor, bezieht sich dieses auf eine spezifische Folge. Entweder wird diese Folge „gewollt“, oder es ist genau die Folge, die sich aus dem vom Handelnden antizipierten gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse ergibt. Damit nimmt der Handelnde den von ihm als gewöhnlich angesehen Geschehensablauf in sein Verwirklichungsbewusstsein mit auf. Liegt beim Handelnden Begebnisbewusstsein vor, bezieht sich dieses auf irgendeine Folge. Eine Einschränkung ergibt sich daraus, dass diese Folge Resultat des vom Handelnden in sein Begebnisbewusstsein aufgenommenen und daher von ihm dafür gehaltenen gewöhnlichen Verlaufes der Ereignisse sein muss. Die Blickrichtung geht damit vom Handelnden aus hin zu der von ihm erwarteten Folge; der Maßstab ist damit ein subjektiver, der davon abhängt, was der Handelnde für gewöhnlich hält. Ursachenzusammenhänge, die sich für den Handelnden als ungewöhnlich darstellen, sind daher nicht vom Gegenstandsbewusstsein erfasst,322 und so ergibt sich auf Grund des unvollständigen Gegenstandsbewusstseins ein – unselbständiger – Ausschlussgrund. Die Unrechtsbeziehung wird also allein auf der Ebene des inneren Verbrechenselementes verhindert. 3. Diskussion Durch die Entscheidung für eine der beiden skizzierten Grundlinien ergibt sich, welches Zurechnungsmodell das Statut vertritt: In der zweiten Variante besteht in gegenständlicher Hinsicht nur ein einfaches Kausalitätserfordernis; es ergäbe sich ein kausaler Verbrechensbegriff, während in der ersten Variante das Kausalitätserfordernis um ein gegebenenfalls einschränkendes Element gegenständlicher Zurechnung ergänzt würde. 321 Zur Inbezugnahme von Folgen durch Verwirklichungs- und Begebnisbewusstsein vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 7. a). 322 Vgl. auch die Überlegungen des Gerichtshofs zum „dolus eventualis“ in: Decision on the Confirmation of Charges, The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, Case No.: ICC-01/04-01/06, Pre-Trial Chamber I, 29. Januar 2007, Rn. 355 sowie oben unsere Kritik in Fn. 100.

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Die Begründung der ersten Variante bedarf eines größeren methodischen Aufwandes (Induktion), da hier ein gegenständliches Erfordernis, das nicht – anders als die in Art. 30 ebenfalls genannten Erfordernisse Verhalten, Folge und Umstand – in den Verbrechensbestimmungen konkretisiert wird, im Umkehrschluss aus einem inneren Erfordernis konstruiert würde. Die zweite Variante hingegen nimmt Art. 30 zunächst so, wie er ist, in dem das einschränkende Element des gewöhnlichen Verlaufes der Ereignisse nur an das Bewusstsein des Handelnden angekoppelt ist und somit kein gegenständliches Erfordernis darstellt. Ein methodischer Aufwand entsteht nicht. Die zweite Variante wird der besonderen Bedeutung des „Bewusstseins“ gerade dadurch gerecht, dass sie an die subjektive Vorhersehbarkeit der Folge anknüpft. Im Ergebnis heißt das, dass das Römische Statut in gegenständlicher Hinsicht alle kausal auf ein Verhalten zurückgehenden Folgen erfasst, und dass eine Einschränkung des Ursachenzusammenhanges nur auf der inneren Ebene stattfindet, wobei der vom Handelnden vorausgesehene, für ihn gewöhnliche Verlauf der Ereignisse im Mittelpunkt steht.323 III. Unterlassen Das Statut kennt einige – in der Terminologie der deutschen Dogmatik – „echte“ Unterlassungsdelikte.324 Außerdem postuliert Art. 28 eine Unterlassensverantwortlichkeit.325 Dabei stellt sich die Frage, ob das Statut über diese Fälle hinaus die Begründbarkeit individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit auf Grund Unterlassens überhaupt anerkennt.326 323 Pisani, in: Lattanzi/Schabas, Essays on the Rome Statute, S. 130, wiederum unterscheidet die Bereiche des subjektiven Voraussehens sowie der objektiven Zurechnung nicht hinreichend klar; im Ergebnis liegt er aber auch auf unserer Linie (S. 131). Vgl. auch di Martino, Täterschaft und Teilnahme im Statut des IStGH und Anpassungsbedarf der italienischen Regelung, 119 ZStW (2007), S. 430 ff. 324 Duttwiler, Liability for Omission in International Criminal Law, 6 ICLR (2006), S. 7–13: Art. 8 Abs. 2 litt. (a) (vi), (b) (xxiii), (b) (xxv), wobei er hinzufügt, dass selbst diese wenigen Bestimmungen bei einer sehr strengen (ergänze: die Regel des in dubio mitius – oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. b) – sehr ernst nehmenden) Auslegung als ausschließlich aktives Verhalten erfassend verstanden werden könnten (S. 13). Vgl. auch Weltz, Die Unterlassungshaftung im Völkerstrafrecht, S. 273 ff., die – teilweise mit Einschränkungen – Artt. 6 lit. (b); 7 Abs. 2 litt. (b), (f); 8 Abs. 2 litt. (a) (vii), (b) (xxv) anführt. 325 Zur Verantwortlichkeitsform des Art. 28 vgl. oben Fn. 59. 326 Alle Facetten beleuchtet Weltz, Die Unterlassungshaftung im Völkerstrafrecht, S. 272 ff. Sie weist auch darauf hin, dass die Vorgesetztenverantwortlichkeit auch nur solche Fälle erfasst, in denen ein anderer ein Verbrechen nach dem Statut begeht; gleiches gelte auch für Teilnahmekonstellationen. Insofern geht es im Grunde

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

Aus unseren Überlegungen zum Begriff der Handlung folgt noch nicht, dass das Unterlassen per se ausgeschlossen wäre, denn Handlung im Sinne des Statuts ist lediglich die Abstraktion einer Verbrechensmodalität.327 Immerhin kennen die Verbrechensbestimmungen selbst, die sämtlich mit dem Wort „Handlung“ einleiten, auch durch ein Unterlassen zu verwirklichende Modalitäten. Duttwiler erkennt zwar einerseits an, dass das Statut außerhalb der Verbrechensbestimmungen keine weitere allgemeine Bestimmung neben Art. 28 enthalte, die das Unterlassen regle, fügt aber hinzu, dass dieses Ergebnis nicht beabsichtigt gewesen sei.328 Wenn er mit Blick auf die Verhandlungen anmerkt, dass eine Bestimmung über das Unterlassen wegen der andauernden Uneinigkeiten fallengelassen wurde,329 so zeigt dies erst recht, dass ein nachträgliches „Hineinlesen“ über den erreichbaren Konsens von Rom hinausginge und damit die strukturellen Vorgaben des Statuts unzulässigerweise überschritte. Insofern kann auch das weitere anwendbare Recht nach Art. 21 diese „Lücke“ nicht ergänzen. Tatsächlich handelt es sich auch nicht um eine bloße Lücke, sondern um ein bewusstes Nicht-Aufnehmen eines Verantwortlichkeitsgrundes.330 Werle331 und Cryer,332 die sich für um solches Unterlassen, das nicht im Zusammenhang mit der Begehungstat eines anderen steht, S. 274. Nerlich, Superior Responsibility under Article 28 ICC Statute – For What Exactly is the Superior Held Responsible?, 5 JICJ (2007), S. 673, 682, identifiziert vier Formen der Vorgesetztenverantwortlichkeit (vgl. oben Fn. 59) und zieht eine Parallele zwischen Vorgesetztenverantwortlichkeit und Beihilfe zur Verbrechensbegehung durch Unterlassen nach Art. 25 Abs. 3 lit. (c). Diese Parallele ist nicht von der Hand zu weisen. Sie ist allerdings nur theoretisch haltbar, wenn man zwecks Strukturvergleichs eine Unterlassensstrafbarkeit unterstellt. Tatsächlich besteht eine Beihilfestrafbarkeit wegen Unterlassens nach dem Statut (noch) nicht. 327 Vgl. oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 4. 328 Duttwiler, Liability for Omission in International Criminal Law, 6 ICLR (2006), S. 56. 329 Duttwiler, Liability for Omission in International Criminal Law, 6 ICLR (2006), S. 57–58. 330 Die Ansicht Piragoffs (in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, article 30, Rn. 17), die Konferenz in Rom habe die Entscheidung dem Gerichtshof überlassen wollen, findet ebenso keine Stütze im Statut. Abgesehen davon: Auf welcher rechtlichen Grundlage sollte der Gerichtshof denn dann entscheiden? Zur Rechtschöpfung ist er nicht befugt. Das weitere Recht nach Art. 21 Abs. 1 litt. (b), (c) hält ebensowenig die erforderlichen Rechtssätze bereit. 331 Völkerstrafrecht (1. Aufl.), Rn. 444, und Individual Criminal Responsibility in Article 25 ICC Statute, 5 JICJ (2007), S. 964 ff. Werle fügt an, die genauen Erfordernisse für eine derartige generelle Unterlassensverantwortlichkeit seien noch nicht bestimmt und müssten klargestellt werden (S. 966). Genau das ist doch das Problem. Friktionen mit dem nullum crimen-Satz (Art. 22) sind unausweichlich. Etwas zurückhaltender, aber mit beibehaltenem Ergebnis äußert sich Werle nun in der 2. Auflage seines Lehrbuchs (Rn. 596 ff.).

3. Kap.: Fragen an den Verbrechensbegriff

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eine gewohnheitsrechtliche Begründung aussprechen, vernachlässigen so bereits im Ansatz die relative Bedeutung des Statuts. Weltz weist zudem nach, dass eine gewohnheitsrechtliche Begründung – die sie, anders als wir, nicht von vornherein für unzulässig hält – gar nicht gelingen würde, weil es sowohl an einer einheitlichen Übung wie an der Rechtsüberzeugung fehle; auch fehlten entsprechende allgemeine Rechtsgrundsätze.333 All dies bedeutet nicht, dass sich das Statut der Unterlassensstrafbarkeit vollständig verschlösse und nicht noch – nachträglich – eine entsprechende Bestimmung aufgenommen werden könnte, sondern nur, dass es heute nicht möglich ist, strafrechtliche Verantwortlichkeit auf Grund („unechten“) Unterlassens auf der Grundlage des Statuts zu begründen.334 Insofern erfasst das Zurechungssystem gegenwärtig allein positives Verhalten, also Handeln. Aus völkerstrafrechtspolitischen Erwägungen erscheint eine Ergänzung des Statuts sinnvoll und geboten.335 Allerdings sollte dabei die Frage nach den Maßstäben einer Garantenstellung, die die Unterlassensstrafbarkeit auslöst, nicht vernachlässigt werden. Das gilt übrigens auch dann, wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht das Unterlassen schon heute für miterfasst ansieht. Weigend bemerkt zutreffend, dass aus einem faktischen Können noch kein normatives (und strafbewehrtes) Müssen folgt.336 Dieser Hinweis ist zwar auf die Unterlassensstrafbarkeit des Vorgesetzten gemäß Art. 28 bezogen und wendet sich gegen die Begründung einer Handlungspflicht allein aus dem Kriterium der effective control. Für eine allgemeine Unterlassensstrafbarkeit gilt dies aber umso mehr.

332 General Principles of Liability in International Criminal Law, in: McGoldrick et al., The International Criminal Court: Legal and Policy Issues, S. 236 ff., 240. 333 Weltz, Die Unterlassungshaftung im Völkerstrafrecht, S. 272, 284 ff., 290; ähnlich wie hier Kreß, Vorbemerkung zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, Rn. 67, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen. Anders geht Cassese, International Criminal Law, S. 201, vor, der aus der Verfolgungspflicht der Vertragsstaaten der beiden Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen eine Kristallisation eines generellen Prinzips strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Unterlassen auf individueller Ebene deduziert. Dieser Begründungsgang geht zu großzügig mit der Methodologie des Völker(straf)rechts um; immerhin bezieht Cassese sich nicht auf das Römische Statut. 334 Auf dieser Linie liegen auch, wie Duttwiler anerkennt, Eser, Ambos und Schabas (S. 58 m. w. N.). 335 Ebenso Weltz, Die Unterlassungshaftung im Völkerstrafrecht, S. 272, 290 ff., die bereits einen Vorschlag für eine allgemeine Unterlassungsbestimmung formuliert hat (S. 295 ff., 301). Zutreffend nennt sie die Aufnahme einer solchen Bestimmung auch nicht Änderung, sondern Ergänzung (S. 295). 336 Bemerkungen zur Vorgesetztenverantwortlichkeit im Völkerstrafrecht, 116 ZStW (2004), S. 1003–1004.

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

IV. Zwischenergebnis Das Statut kennt nur individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit. Diese Verantwortlichkeit ergibt sich nur aus dem Beitrag des Einzelnen zur Verbrechensbegehung. Für das gegenständliche Verbrechenselement gilt: Grundsätzlich sind alle Verhaltensbedingungen für die Herbeiführung von Folgen – den Ursachenzusammenhang – gleichwertig. Eine Einschränkung des Ursachenzusammenhanges findet im Rahmen des Gegenstandsbewusstseins statt, in dem auf das subjektive Voraussehen der Folge abgestellt wird. Damit ist die Basis des Zurechnungsmodells entworfen. Das Römische Statut schließt jedoch strukturell nicht aus, dass strengere gegenständliche Kriterien auf die Zurechenbarkeit von Folgen Anwendung finden, wie sich aus der oben genannten ersten Möglichkeit der Einschränkung des Ursachenzusammenhangs auf gegenständlicher Ebene ergibt. Gerade weil der methodische Begründungsaufwand für diese Variante größer ist als für die Variante, die sich allein auf die innere Ebene bezieht, muss auch an dieser Stelle wieder auf den Bedarf nach weiteren Untersuchungen hingewiesen werden. Bis auf weiteres gilt daher: Allein durch die strikte Beachtung des Bewusstseinselementes als positivem Wissen kann die durch das allgemeine Kausalitätskriterium begründete große Weite der Zurechenbarkeit von Folgen ausgeglichen werden. Gleiches gilt für die Zurechenbarkeit einer in systemischen Zusammenhängen stattfindenden Verbrechensbegehung: Nur bei einer strikten Beachtung der inneren Erfordernisse bleibt das Gleichgewicht von „systemischer“ und „individueller“ Zurechung gewahrt.

B. Form, Gehalt und Adressaten I. Form und Gehalt: Materielle Verbrechen oder Jurisdiktionsbestimmungen? Zu Beginn dieser Arbeit hatten wir die Frage aufgeworfen, ob es sich bei den „der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen“ um selbstständige Verbotsnormen oder (bloß) um Jurisdiktionsbestimmungen, also gewissermaßen um Verweisungsregeln handelt. Dahinter steht die grundlegende Frage, ob das Römische Statut materielles Völkerstrafrecht schafft oder solches nur in Bezug nimmt. Die Ansicht, das Statut nehme über seine Bestimmungen allgemeines Völkerstrafrecht lediglich in Bezug und schaffe daher kein materielles Völkerstrafrecht, findet ihre maßgebliche Stütze in der Überlegung, Völker-

3. Kap.: Fragen an den Verbrechensbegriff

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strafrecht nach dem Statut und allgemeines Völkerstrafrecht stets in harmonischem Einklang zu halten.337 Wenden wir uns der allgemein anerkannten Definition von Völkerstrafrecht zu: Völkerstrafrecht ist die Gesamtheit jener Rechtsnormen, aus denen sich eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit nach Völkerrecht und nicht aus dem staatlichen Recht ergibt338. Aus ihr ließe sich die spitzfindige Schlussfolgerung ableiten, die Normen des Römischen Statuts gehörten nur dem Völkerstrafrecht an, wenn sie selbst eine Strafbarkeit begründeten. Wenn man dabei von der allgemein unbestrittenen und richtigen339 Prämisse ausgeht, dass das Römische Statut überhaupt dem Völkerstrafrecht angehört, würde die Definition eine bündige Antwort auf die Frage, welchen Charakter die Bestimmungen haben, geradezu erzwingen, nämlich die, dass das Römische Statut materielle Tatbestände enthält und eben nicht bloße Jurisdiktionsbestimmungen (weil sich in diesem Fall die die Strafbarkeit begründende Verbrechensbestimmung – der materielle Tatbestand – außerhalb des Statuts befände). Spitzfindig wäre eine solche Schlussfolgerung, da man genauso gut darauf abstellen könnte, dass die Strafbarkeit eben durch das Römische Statut, Teil 7, begründet würde und die Normen außerhalb des Statuts insofern nichts anderes als Verhaltensbeschreibungen ohne Wertung darstellten. Weitere Argumentationsmuster lassen sich denken. Die Definition selbst, die sich schließlich auch variieren ließe, führt uns also nicht auf sicherem Wege zu der Beantwortung unserer Frage weiter. Es 337 Zwar wird diese Ansicht durch die von der International Law Commission bis 1994 betriebenen Bemühungen um die Schaffung eines primär kompetenzbegründenden Instruments gestützt, vgl. das Yearbook of the International Law Commission, 1994, Band II, zweiter Teil, Draft Statute for an International Criminal Court with commentaries (1994), Article 20, Absatz 4. Der Römischen Konferenz von 1998 wurde diese Beschränkung hingegen von vornherein nicht auferlegt. Siehe den Report of the Ad Hoc Committee on the Establishment of an International Criminal Court, General Assembly Official Records, Fiftieth Session, Supplement No. 22, UN Doc. A/50/22, Absatz 57: „As regards the specification of crimes, the view was expressed that a procedural instrument enumerating rather than defining the crimes would not meet the requirements of the principle of legality (nullum crimen sine lege and nulla poena sine lege) and that the constituent elements of each crime should be specified to avoid any ambiguity and to ensure full respect for the rights of the accused.“ (Hervorhebungen im Original.) Gil Gil, Die Tatbestände der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Völkermordes im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, 112 ZStW (2000), S. 381, 397, wiederum erkennt im Römischen Statut Harmonisierung und Schaffung eines materiellen Teils. 338 Im Text bei Fn 106. 339 Vgl. oben Erster Teil, Zweites Kapitel, C. sowie Zweiter Teil, Drittes Kapitel, I.

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

bleibt also dabei, dass die Antwort mittels substanzieller Kriterien – und nicht formaler wie etwa einer Definition – zu begründen ist. Dabei geht von der relativen Bedeutung des Römischen Statuts eine große Gravitationskraft aus, denn bei ihr handelt es sich um das zentrale Strukturprinzip des Römischen Statuts als völkerstrafrechtlichem Vertrag im Völkerrecht. Ein Verständnis, bei den Verbrechensbestimmungen handele es sich um bloße Verweisungsregeln auf das Recht der äußeren Seite, ist mit der relativen Bedeutung des Statuts nicht vereinbar.340 Wenden wir uns den Formulierungen von Art. 5 zu, die nicht so deutlich sind, dass sich lediglich eine mögliche Antwort aus ihnen ergäbe. Zieht man den systematischen Kontext von Art. 5, nämlich Teil 2 des Statuts, hinzu, so fällt zunächst die Überschrift auf, die einerseits Gerichtsbarkeit und Zulässigkeit und andererseits das anwendbare Recht nennt. Da aber Art. 21 Abs. 1 lit. (a) seinerseits das Statut an erster Stelle des anwendbaren Rechts nennt, lässt sich bereits kein Gegensatz von „Gerichtsbarkeit“ und „anwendbarem Recht“ konstruieren, denn insofern geht Art. 21 dem Art. 5 logisch vor. Außerdem heißt es in Art. 5, die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes erstrecke sich „in Übereinstimmung mit diesem Statut“ auf die genannten Verbrechen.341 Daran zeigt sich, dass die legal power342 des Gerichtshofs nicht weiter geht, als es sich aus dem Statut selbst ergibt; es ist also (nur) das Statut, das dem Gerichtshof für die Rechtsanwendung Vorgaben macht.343 Sollte es sich bei den Verbrechensdefinitionen um bloße Verweisungsregeln handeln, die den Gerichtshof hinsichtlich der materiellen strafrechtlichen Fragen auf das allgemeine Völkerstrafrecht verweisen, so könnte sich daraus eine rechtlich paradoxe Situation ergeben: Wenn nämlich eine Verbrechensdefinition nicht vollständig durch das allgemeine Völkerstrafrecht, auf das sie ja mit ihrem Inhalt verweisen müsste, gespiegelt würde, so wäre dem Gerichtshof ein Mehr an Gerichtsbarkeit zugewiesen, als er in materieller Hinsicht überhaupt haben könnte. Das Paradoxon läge darin, dass das Statut einerseits detaillierte Verweisungsregeln aufstellte, den damit angestrebten Zweck genauer Verweisungen jedoch nicht einlösen könnte. Insofern entstünde eine rechtliche Übertreibung durch das Statut. 340 Vgl. oben Zweiter Teil, Drittes Kapitel. Vgl. auch Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 6. f). 341 „[I]n accordance with this Statute“ bzw. „En vertu du présent Statut“. 342 Vgl. die Definition von „Gerichtsbarkeit“: oben Dritter Teil, Erstes Kapitel, A. II. 1. 343 Dass sich dies schon aus dem allgemeinen Völkerrecht ergibt, haben wir bereits gezeigt. An dieser Stelle können wir dies zusätzlich aus dem Statut heraus begründen.

3. Kap.: Fragen an den Verbrechensbegriff

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Auch ist bereits auf die Schwierigkeiten hingewiesen worden, die das Auffinden konkreter allgemeiner völkerstrafrechtlicher Verbrechenstatbestände begleiten,344 so dass der Vorgang der Rechtsauffindung latent mit einer Unsicherheit belastet wäre. Dem Zweck des Statuts, der Straflosigkeit der Täter der vom Statut genannten Verbrechen ein Ende zu setzen,345 würde dies entgegenstehen. Wenngleich im Völkerrecht teleologische Erwägungen nur zurückhaltend angestellt werden sollten,346 so spricht die Gefahr des Entstehens rechtlicher Paradoxien erheblich gegen ein Verständnis des Statuts, das in den Verbrechensbestimmungen in Verbindung mit Art. 5 bloße Verweisungsregeln sähe. Hinzu tritt die Überlegung, dass das Statut als geschriebenes Vertragsrecht statisch ist, während sich das allgemeine Völker(straf)recht im zwar langsamen, doch stetigen Fluss befindet.347 So entstünde mit der Zeit das weitere Problem des zumindest partiellen „Leerlaufens“ von Verweisungen, welches nur durch eine extensive Auslegung – die ihrerseits wegen Art. 22 nicht zulässig ist,348 und vor der auch Schabas warnt349 – gelöst werden könnte. Alles in allem ist die Wendung von den „der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen“ im Grunde nur ein Sammelbegriff,350 der ausdrückt, was ohnehin gälte, nämlich die Verfolgungs- und Urteilskompetenz des Gerichtshofs nach dem Statut und auf Grundlage des Statuts. So kann die Ansicht, das Römische Statut enthalte nur Verweisungsnormen, sei also gleichsam „Gerichtsverfassungsgesetz“,351 keine Unterstüt344

Oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 1. c). Präambel, 4., 5., 11. Abs. 346 Oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. I. 2. e). 347 Schabas, General Principles of Criminal Law in the International Criminal Court Statute (Part III), 6 EJCrCLCJ (1998), S. 408, sieht in Art. 22 eine Anregung an die Richter, sich einer dynamischen Auslegung der Verbrechensbestimmungen des Statuts zu widersetzen; vgl. ders., oben S. 173 in Fn. 629. Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 273, spricht insofern davon, dass das Statut „provides a floor, but not a ceiling for criminalizing offences against the laws of war and humanity“. 348 Vgl. oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, C. II. 2. 349 Vgl. oben S. 173, Fn. 629. 350 Dazu bereits oben Dritter Teil, Drittes Kapitel B. I. (Fn. 18). 351 So Triffterer, Kriminalpolitische und dogmatische Überlegungen zum Entwurf gleichlautender „Elements of Crimes“ für alle Tatbestände des Völkermordes, FSRoxin, S. 1427: „Die Strafbarkeit ergibt sich also nicht in erster Linie aus dem Statut selbst“; vgl. Fn. 53. Auf dieser Linie liegt auch Boot, Genocide, Crimes Against Humanity, War Crimes: Nullum Crimen Sine Lege and the Subject Matter Jurisdiction of the International Criminal Court, S. 369, wobei hier das Fehlen einer überzeugenden Begründung zu bemerken ist. 345

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

zung finden. Vielmehr spricht alles dafür, in dem Römischen Statut ein „Strafgesetzbuch“ zu sehen,352 das mit selbständigen Verbotsnormen materielles Strafrecht schafft und daher den rechtlichen Grund für Strafbarkeit und Strafe bereitstellt. Damit beinhaltet das Römische Statut funktional, formell und materiell Strafrecht.353 II. Adressaten Nachdem wir die Frage nach Form und Gehalt des Römischen Statuts beantwortet haben, verbleibt noch die Frage nach seinen Adressaten. Mit Adressat meinen wir solche Personen oder Verbände, an die sich das Statut richtet, und denen es ein bestimmtes Verhalten gebietet. In Frage kommen drei Adressatenkreise: Erstens der Gerichtshof selbst, womit seine Organe mitgemeint sind, zweitens alle natürlichen Personen und drittens die Vertragsstaaten. Nicht in Frage kommt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, weil dieser durch das Statut nur berechtigt, ihm aber kein Verhalten auferlegt wird.354 352 Vgl. Meron, Crimes under the Jurisdiction of the International Criminal Court, FS-Bos, S. 48: „Articles 6 to 8 (. . .) will take on a life of their own as an authoritative and largely [sic] customary statement of international humanitarian and criminal law (. . .).“ (meine Hervorhebungen), der die rechtliche Abkopplung des Statuts, die wir in dieser Arbeit die relative Bedeutung nennen, auf den Punkt bringt. Überzeugend Olásolo, Reflections on the International Criminal Court’s Jurisdictional Reach, 16 CLF (2005), S. 291–292 und A Note on the Evolution of the Principle of Legality in International Criminal Law, 18 CLF (2007), S. 303: Das Statut enthalte materielle Strafbestimmungen, und dies sei ein Merkmal, in dem es sich von den Statuten der ad hoc-Tribunale unterscheide, die nur Bestimmungen enthielten, die den Tribunalen die Gerichtsbarkeit zur Verfolgung bereits existierender Verbrechen zuwiesen. Sadat, The International Criminal Court and the Transformation of International Law – Justice for a New Millennium, S. 108 f., schließlich sieht es ganz richtig, wenn sie erstens von „substantive criminal law“ und daher von einem „international criminal code as part of the Rome Treaty“ und zweitens von der Römischen Konferenz als „quasi-legislative process“ spricht. Sie fügt hinzu, dass sich die politische Legitimität dieser Normen nicht nur theoretisch aus dem Vertragsvölkerrecht ergebe, sondern eben auch aus diesem „Constitutional Moment“ (S. 109 m. w. N.). Interessanterweise versteht Sadat das Statut nicht als Kodifikation, selbst wenn die Definitionen großenteils bestehendes Recht wiederspiegeln (S. 138). Auch dies entspricht unserem Verständnis von der relativen Bedeutung des Statuts. 353 Vgl. einleitend oben Erster Teil, Zweites Kapitel, D. 354 Vgl. Artt. 13 lit. (b); 16; 53 Abs. 2 am Ende, 3 lit. (a); 87 Abs. 5 lit. (b), 7; 115 lit. (b). Die Präambel, 7. Abs., bezieht sich zwar auf die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, verpflichtet damit aber nicht den Sicherheitsrat. Vielmehr handelt es sich um eine „Bekräftigung“ der Vertragsstaaten. Auch Art. 2

3. Kap.: Fragen an den Verbrechensbegriff

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Unproblematisch sind der Gerichtshof und seine Organe355 Adressaten des Statuts, denn erst auf Grund des Statuts bestehen sie, und nur das Statut stellt ihre Arbeitsgrundlage dar. Der Gerichtshof ist dazu berufen, die Verletzung der Verbotsnormen des Statuts zu untersuchen und zu ahnden.356 Alle natürlichen Personen stellen einen möglichen Adressatenkreis dar: Das Römische Statut enthält Bestimmungen, die das von ihnen beschriebene Verhalten strafrechtlich sanktionieren, also Verbotsnormen.357 Solche Personen, die das vom Statut genannte Verhalten verwirklichen, verpflichtet das Statut dahingehend, dass es ihnen strafrechtliche Verantwortlichkeit zuschreibt und sie mit Strafe belegt.358 Auch solche Personen, die im Verdacht stehen, ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegendes Verbrechen begangen zu haben,359 werden dazu verpflichtet, sich dem Verfahren vor dem Gerichtshof zu stellen.360 Ebenso unterliegen Zeugen besonderen Pflichten.361 Eine Verpflichtung ergibt sich ebenso für alle anderen natürlichen Personen, denn die durch das Statut sanktionieren Verbote sind nichts anderes als Gebote des Nichtverhaltens. Das Statut macht im Übrigen von vornherein keinen Unterschied hinsichtlich der Staatsangehörigkeit natürlicher Personen. Eine Beschränkung des Adressatenkreises ergibt sich insofern nur mittelbar darüber, dass sich der Geltungsbereich des Römischen Statuts nur auf die Territorien der Vertragsstaaten und, unter bestimmten Umständen, weiterer Staaten, die sich der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterwerfen, erstreckt. Damit sind prinzipiell – nur bedingt durch ihren Aufenthaltsort – alle natürlichen Personen Adressaten des Statuts.362 Auch die Vertragsstaaten sind Adressaten des Statuts. Insofern adressieren sie sich als Rechtsschöpfer mit dem Statut selbst. Dies findet Ausdruck bereits in der Präambel, in der sie insbesondere im sechsten Absatz an „die Pflicht eines jeden Staates“ erinnern, „seine Strafgerichtsbarkeit über die für internationale Verbrechen Verantwortlichen auszuüben“. Im letzten Absatz bringen sie ihre Entschlossenheit zum Ausdruck, „die Achtung und die spricht nur von einer „Beziehung“ des Gerichtshofes mit den Vereinten Nationen, ohne damit eine Verpflichtung zu verbinden. 355 Nämlich Präsidium; Berufungs-, Hauptverfahrens- und Vorverfahrensabteilung; Anklagebehörde sowie Kanzlei, vgl. Art. 34. 356 Artt. 1; 5 Abs. 1; 12; 13; 15; 21. 357 Dazu der vorherige Abschnitt. 358 Art. 25 Abs. 2. 359 Vgl. Art. 58 Abs. 1 lit. (a). 360 Insbesondere Art. 63 Abs. 1; ferner Artt. 58 ff. 361 Art. 69: Wahrheitspflicht (Abs. 1), die durch die Strafbestimmung des Art. 70 Abs. 1 lit. (a) flankiert ist; Pflicht zum persönlichen Erscheinen (Abs. 2). 362 Vgl. auch in und bei Fn. 240.

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3. Teil: Strukturen des Verbrechensbegriffs

Durchsetzung der internationalen Rechtspflege dauerhaft zu gewährleisten“. Aus dem Recht des Gerichtshofes aus Art. 4 Abs. 2, „seine Aufgaben und Befugnisse, wie in diesem Statut vorgesehen, im Hoheitsgebiet eines jeden Vertragsstaats und nach Maßgabe einer besonderen Übereinkunft im Hoheitsgebiet eines jeden anderen Staates wahr[zu]nehmen“ folgt ebenso, dass sich die Vertragsstaaten dem Statut und insofern auch dem Gerichtshof selbst unterwerfen.363 Dass die Nichtvertragsstaaten nicht Adressaten des Statuts sind, hatten wir bereits ausgeführt.364 Die „Erinnerung“ in der Präambel hat insofern keine verpflichtende Wirkung. Art. 4 Abs. 2 bekräftigt dies, denn für die anderen Staaten ist eine „besondere Übereinkunft“ erforderlich; das gleiche Prinzip kommt in Art. 12 Abs. 3 zum Ausdruck. Damit können wir sagen, dass das Statut drei bestimmbare Adressatenkreise kennt. Seine Verbotsnormen wiederum lassen sich in Verhaltensgebote – die alle natürlichen Personen betreffen – und in Verfolgungsgebote – die den Gerichtshof selbst sowie die Vertragsstaaten betreffen – aufteilen. Parallele Überlegungen haben wir bereits angestellt, als wir uns mit der doppelten Schutzdimension der Auslegungsregeln beschäftigten.365

C. Zwischenergebnis: Zusammenfassung in Thesen 1. Das Statut enthält Verbotsnormen in Gestalt materieller Verbrechensbestimmungen. 2. Adressaten des Statuts sind alle natürlichen Personen, der Gerichtshof sowie alle Vertragsstaaten. 3. Die Verbotsnormen lassen sich zugleich in Verhaltens- sowie Verfolgungsgebote übersetzen. 4. Das Statut geht nicht von einer kollektiven, sondern einer individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit aus. 5. In systematischer Hinsicht sind Verurteilungs- und Zurechnungsebene zu unterscheiden. 6. Nur durch die Unterscheidung von Einzeltat und Gesamttat lässt sich der Entscheidung des Statuts für individuelle Verantwortlichkeit Rechnung tragen. 363 364 365

Vgl. des Weiteren Teil 9 des Statuts. Oben Zweiter Teil, Zweites Kapitel, B. I. 2. b). Oben Zweiter Teil, Drittes Kapitel, II.

3. Kap.: Fragen an den Verbrechensbegriff

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7. Der Begriff der „Gesamttat“ hat eine doppelte Bedeutung. Er ist einerseits Ausdruck eines völkerstrafrechtsspezifischen Unrechts, welches sich auch in dem Kriterium der überindividuellen Bedeutung und internationalen Betroffenheit ausdrückt, und andererseits Ausdruck für das tatsächliche Phänomen der Begehung in Geschehenskomplexen. 8. Auf der Zurechungsebene steht die Einzeltat im Vordergrund. 9. Auf der Verurteilungsebene steht das Individuum im Vordergrund. 10. In gegenständlicher Hinsicht genügt jedenfalls prinzipiell das Involviertsein in irgendeiner Weise für die Zurechenbarkeit einer Verbrechensbegehung. 11. In gegenständlicher Hinsicht stellt das Statut nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nur ein einfaches Kausalitätserfordernis auf. 12. Eine Einschränkung findet nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nur auf der Ebene des inneren Verbrechenselementes – genauer: des Gegenstandsbewusstseins – statt. 13. Weder Beweisschwierigkeiten noch vermeintliche Offensichtlichkeit entbinden bei der Feststellung von Bewusstsein von dem Nachweis positiven Wissens. 14. Nur strenge Anforderungen an das innere Verbrechenselement können die weite gegenständliche Zurechenbarkeit ausgleichen. 15. Eine Folge wird dem Handelnden dann zugerechnet, wenn sie in dem von ihm als gewöhnlich vorausgesehenen Verlauf der Ereignisse eingetreten ist. Andernfalls fehlt dem Handelnden in Bezug auf die Folge das Gegenstandsbewusstsein, womit ein unselbständiger Ausschlussgrund vorliegt. 16. Die Figur des joint criminal enterprise ist untauglich, für die Auslegung des Römischen Statuts als Vorbild zu dienen. 17. Das Statut erfasst in seiner heutigen Form nur positives Verhalten und kein Unterlassen. 18. Das Statut schließt eine Strafbarkeit für unechtes Unterlassen jedoch nicht grundsätzlich aus und ist daher für eine Ergänzung offen.

Vierter Teil

Ergebnis: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts Da wir die Ergebnisse der einzelnen Abschnitte immer wieder in Zwischenzusammenfassungen aufgearbeitet haben und dieser Vierte Teil gewissermaßen die Essenz unserer Arbeit darstellt, können wir auf ein eigenes Kapitel, das die bisherigen Ergebnisse nur rekapituliert, getrost verzichten. Im Vorwort haben wir einige Hinweise für den eiligen Leser, der sich rasch einen Überblick über die wesentlichen Ergebnisse verschaffen möchte, gegeben. Die folgende schematische Übersicht (Erstes Kapitel, A.) fasst die Voraussetzungen für die Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit zusammen. Sie bringt unsere Untersuchung der Verantwortlichkeitsund Ausschlussgründe zum Abschluss und repräsentiert damit in anschaulicher Weise den Verbrechensbegriff des Römischen Statuts.1 Anschließend greifen wir die in der Übersicht aufgeführten Punkte wieder auf und versehen sie mit Erläuterungen (B.). Mit dem Zweiten Kapitel, in der wir eine Gesamtbetrachtung vornehmen, schließt diese Arbeit ab.

1 Vgl. auch unsere Bemerkungen in der Gesamtbetrachtung unten Vierter Teil, Zweites Kapitel.

1. Kap.: Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach dem Römischen Statut

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Erstes Kapitel

Die systematisch geordnete Gesamtheit der rechtlichen Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach dem Römischen Statut A. Schematische Übersicht I. Unrechtsbeziehung (Begründbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit) 1. Es gibt ein positives Verhalten als menschliche Äußerung. 2. Die Handlung entspricht den gegenständlichen Verbrechenselementen. 3. Es kommt, soweit erforderlich, zu Folgen. 4. Die Folgen beruhen kausal auf dem Verhalten. 5. Die erforderlichen Umstände liegen vor. 6. Soweit erforderlich besteht Zweckbewusstsein. 7. Daraus ergibt sich die Begehung des Verbrechens. 8. Diese Verbrechensbegehung ist rechtswidrig. 9. Es besteht Gegenstandsbewusstsein: a) Das Verwirklichungsbewusstsein bezieht sich vollständig auf Verhalten und Folgen. b) Das Begebnisbewusstsein bezieht sich vollständig auf Folgen und Umstände. c) Das Gegenstandsbewusstsein umfasst den zu Folgen führenden gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse. d) Ein Tatsachenirrtum (Art. 32 Abs. 1) ist – als unselbständiger Ausschlussgrund – hier zu berücksichtigen. 10. Liegen alle Verantwortlichkeitsgründe vollständig vor, ergibt sich die Begründbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit. II. Verantwortlichkeitsbeziehung (Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit) 1. Zugestandensein: Gegebenfalls Eingreifen eines selbständigen Ausschlussgrundes. a) Die gegenständlichen Voraussetzungen des Ausschlussgrundes liegen vor (Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d)).

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4. Teil: Ergebnis: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts

b) Das für den Ausschlussgrund erforderliche Zweckbewusstsein liegt vor (Art. 31 Abs. 1 lit. (c); bei lit. (d) ist es qualifiziert). 2. Bedeutungsbewusstsein a) Fähigkeit zur Bildung von Bedeutungsbewusstsein. b) Die – unselbständigen – Ausschlussgründe und ihre genaueren Voraussetzungen nach Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) sind hier zu berücksichtigen. c) Zutreffendes Bedeutungsbewusstsein. d) Die – unselbständigen – Ausschlussgründe und ihre genaueren Voraussetzungen nach Art. 32 Abs. 2 Satz 2 und Art. 33 Abs. 1 sind hier zu berücksichtigen. 3. Liegen alle Verantwortlichkeitsgründe vor und greift kein selbständiger Ausschlussgrund ein, ergibt sich die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit. III. Ergebnis Der Handelnde ist strafrechtlich verantwortlich und daher strafbar bzw. strafrechtlich nicht verantwortlich.

B. Erläuterungen I. Unrechtsbeziehung (Begründbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit) Rechtswidrige Verbrechensbegehung und Gegenstandsbewusstsein zusammen führen zu der Begründbarkeit von Verantwortlichkeit. Daher bedeutet der Begriff der Begründbarkeit individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit, dass eine gegenständliche und innere Beziehung zwischen Handlung und Handelndem besteht, wobei in ihm aber noch kein individueller Vorwurf enthalten ist. Aus der Perspektive des Handelnden geht es somit um „seine“ Handlung. Aus der Perspektive des Statuts geht es um die Beziehung von Unrecht und Person. Die Begründbarkeit beschreibt daher eine Unrechtsbeziehung. 1. Es gibt ein positives Verhalten als menschliche Äußerung: Der Begriff des Verhaltens erfasst die der Verbrechensbegehung zugrunde liegende menschliche Äußerung, die sich objektiv erfassen lässt und noch nicht bewertet wurde. Da das Statut keine allgemeine Unterlassenstrafbarkeit kennt, muss es sich um positives Verhalten handeln.

1. Kap.: Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach dem Römischen Statut

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2. Die Handlung entspricht den gegenständlichen Verbrechenselementen: Der Begriff der Handlung ist die Abstraktion einer Verbrechensmodalität. 3. Es kommt, soweit erforderlich, zu Folgen: Das Erfordernis des Eintretens einer Folge ist für jede Verbrechensmodalität gesondert festzustellen. 4. Die Folgen beruhen kausal auf dem Verhalten: In gegenständlicher Hinsicht besteht nur ein einfaches Kausalitätserfordernis. 5. Die erforderlichen Umstände liegen vor: „Umstände“ sind Gegebenheiten, die grundsätzlich unabhängig von der Anwendbarkeit der jeweiligen Norm in der jeweiligen Situation vorliegen. Sie sind als solche nicht von einer Person strafrechtlich zu verantworten. Ihre jeweilige Bedeutung ergibt sich erst in dem Zusammenhang mit einer Bestimmung des Statuts. Als Bestandteil des gegenständlichen Verbrechenselementes muss ein Umstand gemäß Art. 30 Abs. 3 vom Bewusstsein des Handelnden hinsichtlich seines Vorliegens erfasst sein. 6. Soweit erforderlich besteht Zweckbewusstsein: Das Zweckbewusstsein ist ein inneres Verbrechenselement, das keinen materiellen, gegenständlichen Bezugspunkt hat und den subjektiven Kontext des Handelns ausmacht. 7. Daraus ergibt sich die Begehung des Verbrechens: Der Begriff der Begehung benennt die Verbrechensverwirklichung als solche. Er repräsentiert die gegenständliche Beziehung zwischen Handlung und Handelndem. Der Begriff der Begehung ist Oberbegriff insofern, als er Verhalten und Handlung insgesamt erfasst und beide Begriffe somit verklammert. Sofern die Verbrechensmodalitäten auch ein inneres Moment (Zweckbewusstsein) formulieren, setzt die Verbrechensverwirklichung dieses mit voraus. Das Zweckbewusstsein ist dort, wo es gefordert wird, konstitutives Element der Verbrechensbegehung. Somit erfasst der Begriff der Begehung die Verwirklichung der gegenständlichen Verbrechenselemente und das Zweckbewusstsein. 8. Diese Verbrechensbegehung ist rechtswidrig: Jede vom Statut erfasste Verbrechensbegehung ist ipso iure rechtswidrig. Bei der Rechtswidrigkeit handelt es sich daher um eine unpersönliche Kategorie, die eine abschließende Bewertung der Verbrechensbegehung darstellt. Diese Bewertung bezieht sich (nur) auf das Geschehen innerhalb des vom Statut gezogenen strafrechtlichen Rahmens, denn nur dann ist das Geschehen Begehung im Sinne des Statuts und wird von diesem erfasst und bewertet. 9. Es besteht Gegenstandsbewusstsein: Das von Art. 30 beschriebene Gegenstandsbewusstsein fasst die inneren Verbrechenselemente zusammen, welche die gegenständlichen Verbrechenselemente spiegeln. Das Gegenstandsbewusstsein beinhaltet die hinsichtlich ihrer voluntativen und kogniti-

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4. Teil: Ergebnis: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts

ven Schwerpunkte unterscheidbaren Formen des Verwirklichungsbewusstseins (in Art. 30 sog. „Vorsatz“) sowie des Begebnisbewusstseins (in Art. 30 sog. „Wissen“). Es stellt die innere Beziehung zwischen Handlung und Handelndem her. Bewusstsein bedeutet positives Wissen im Sinne geistiger Präsenz, so dass ein – hypothetischer – Maßstab des „hätte wissen können“ oder des „hätte wissen müssen“ grundsätzlich nicht ausreicht, um Bewusstsein zu begründen. Das Bewusstsein ist ein zentrales Strukturmerkmal, das die innere Verbindung zwischen dem Handelndem und der Begehung des Verbrechens ausmacht und damit als ein Element personaler Zurechnung das innere Verbrechenselement charakterisiert. Es lässt sich in drei Bereiche auffächern: Erstens in das Gegenstandsbewusstsein, welches wiederum Verwirklichungs- und Begebnisbewusstsein umfasst und direkt an die gegenständlichen Verbrechenselemente ankoppelt. Zweitens in das Zweckbewusstsein (s. o. im Schema), welches keinen gegenständlichen Bezugspunkt hat, sondern in dem sich der subjektive Kontext des Handelns ausdrückt. Drittens in das Bedeutungsbewusstsein (s. u. im Schema), das wenigstens die geistig präsente Schlussfolgerung, dass das Verhalten zu der Begründbarkeit individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit führt, umfasst. a) Das Verwirklichungsbewusstsein bezieht sich vollständig auf Verhalten und Folgen: Das Verwirklichungsbewusstsein beschreibt das innere Verbrechenselement, bei dem der Schwerpunkt auf den voluntativen Elementen liegt, weil es um die Verwirklichung von Verhalten oder spezifischen Folgen geht. b) Das Begebnisbewusstsein bezieht sich vollständig auf Folgen und Umstände: Das Begebnisbewusstsein beschreibt das innere Verbrechenselement, bei dem der Schwerpunkt auf dem kognitiven Element liegt, denn hier geht es um den Einbezug von Faktoren wie Umstand oder irgendwelchen Folgen in das Bewusstsein, ohne dass deren konkrete Verwirklichung im Vordergrund steht. c) Das Gegenstandsbewusstsein umfasst den zu Folgen führenden gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse: Eine Folge wird dem Handelnden dann zugerechnet, wenn sie in dem von ihm als gewöhnlich vorausgesehenen Verlauf der Ereignisse eingetreten ist. Andernfalls fehlt dem Handelnden in Bezug auf die Folge das Gegenstandsbewusstsein, womit ein unselbständiger Ausschlussgrund vorliegt. Eine Einschränkung des zwischen Verhalten und Folgen bestehenden kausalen (gegenständlichen Ursachen-)Zusammenhanges findet insoweit nur auf der inneren Ebene statt. d) Ein Tatsachenirrtum (Art. 32 Abs. 1) ist – als unselbständiger Ausschlussgrund – hier zu berücksichtigen: Ist auf Grund eines Tatsachenirr-

1. Kap.: Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach dem Römischen Statut

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tums das Gegenstandsbewusstsein unvollständig oder unrichtig, fehlt es an einem Verantwortlichkeitsgrund. Es lassen sich innerhalb des Statuts selbständige und unselbständige Ausschlussgründe unterscheiden: selbständige Ausschlussgründe sind solche, deren Beachtlichkeit sich aus einem zusätzlichen, gewissermaßen außerordentlichen Grund ergibt, den das Statut besonders anerkennt. Als solchen Grund haben wir (nur) das Zugestandensein ausgemacht (s. u. im Schema). Die Beachtlichkeit der unselbständigen Ausschlussgründe folgt aus der Beachtlichkeit der Verantwortlichkeitsgründe, denn liegen diese mangelhaft oder nicht vollständig vor, ist strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht begründbar. Insofern sind im Statut genannte unselbständige Ausschlussgründe nur ausdrückliche Umkehrungen eines generellen Erfordernisses und damit gewissermaßen umgekehrte Verantwortlichkeitsgründe. 10. Liegen alle Verantwortlichkeitsgründe vollständig vor, ergibt sich die Begründbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit. (Vgl. die Erläuterungen zur Unrechtsbeziehung oben.) II. Verantwortlichkeitsbeziehung (Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit) Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit heißt, dass über die Beziehung von Handlung und Handelndem hinaus die Begehung dem Handelnden vom Statut auch persönlich vorgeworfen werden kann und die Person in der Begründbarkeit die Grundlagen ihrer Verantwortlichkeit erkennt, also Bedeutungsbewusstsein besitzt. Aus der Perspektive des Handelnden geht es somit um „sein“ Verbrechen. Aus der Perspektive des Statuts geht es um die Beziehung von Unrecht und abschließendem personalem Vorwurf. Die Begründung beschreibt daher eine Verantwortlichkeitsbeziehung. 1. Zugestandensein: Gegebenfalls Eingreifen eines selbständigen Ausschlussgrundes: Bei dem Zugestandensein handelt es sich daher um eine statutsimmanente Wertung, auf Grund derer die – stets rechtwidrige – Verbrechensbegehung dem aus einer individuellen Notlage der konkreten Alternativlosigkeit heraus Handelnden nicht persönlich vorgeworfen wird und auch kein Strafbedürfnis besteht. Das Zugestandensein führt damit zu einer Unterbrechung des Zusammenhanges von Begehung und Verantwortlichkeit. Aus dem Charakter des Zugestandenseins als vom Statut besonders anerkannter Sonderbewertung der an sich bereits rechtswidrigen Verbrechensbegehung ergibt sich, dass das Zugestandensein nicht bereits die Begründbarkeit von Verantwortlichkeit hindert, sondern erst die Begründung von Verantwortlichkeit. Weil sich das Zugestandensein allein auf die konkrete

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4. Teil: Ergebnis: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts

Situation des individuellen Handelnden bezieht, ist es kein „negatives Tatbestandsmerkmal“, sondern selbständiger und persönlicher Ausschlussgrund. a) Die gegenständlichen Voraussetzungen des Ausschlussgrundes liegen vor (Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d): Die konkrete Alternativlosigkeit, die Voraussetzung für das Zugestandensein ist, steht immer dann, aber auch nur dann fest, wenn die Voraussetzungen der Ausschlussgründe nach Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d) vollständig vorliegen. Besonderes Augenmerk ist insofern auf die Angemessenheitserfordernisse zu richten. b) Das für den Ausschlussgrund erforderliche Zweckbewusstsein liegt vor (Art. 31 Abs. 1 lit. (c); bei lit. (d) ist es qualifiziert): Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d) setzen ein Handeln voraus, „um“ sich gegen Gewalt zu verteidigen bzw. eine Gefahr abzuwenden, also qualifiziertes Zweckbewusstsein. Die genannten Ausschlussgründe begünstigen den Handelnden nicht allein wegen der Lage konkreter Alternativlosigkeit, sondern auch wegen seiner entsprechend gelagerten Handlungsmotivation, so dass erst das kumulative Eingreifen situationsbezogener Anknüpfungspunkte und innerer Gegebenheiten zum Zugestandensein führt. Bei lit. (d) muss der Handelnde zusätzlich beabsichtigen, durch sein die Gefahr abwendendes Handeln keinen größeren Schaden zu verursachen; daher ist sein Zweckbewusstsein qualifiziert. Hierbei handelt es sich um ein Korrektiv, das ein Handeln mala fide ausschließt. 2. Bedeutungsbewusstsein: Die zutreffende Bildung von Bedeutungsbewusstsein ist Voraussetzung für die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit nach dem Statut. Sie setzt die psychologische Fähigkeit des Handelnden, die strafrechtliche Bedeutung seines Verhaltens erkennen zu können und damit wenigstens die geistig präsente Schlussfolgerung, dass sein Verhalten zu der Begründbarkeit individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit führt, voraus. Das Bedeutungsbewusstsein bezieht sich nur auf Bedeutungen innerhalb des vom Statut gezogenen strafrechtlichen Rahmens. a) Fähigkeit zur Bildung von Bedeutungsbewusstsein: Die Fähigkeit zur Bildung von Bedeutungsbewusstsein ist Verantwortlichkeitsgrund. b) Die – unselbständigen – Ausschlussgründe und ihre genaueren Voraussetzungen nach Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) sind hier zu berücksichtigen: Die Voraussetzungen von Art. 31 Abs. 1 litt. (a), (b) dienen dazu, klarzustellen, dass ein gewillkürtes Unvermögen gerade nicht ausreicht, denn insofern wird dem Handelnden seine ursprüngliche, von ihm selbst gleichsam ausgeschaltete Fähigkeit weiterhin zugerechnet. c) Zutreffendes Bedeutungsbewusstsein: Das Bedeutungsbewusstsein bezieht sich auf die Begründbarkeit von Verantwortlichkeit als Bedingung für

2. Kap.: Gesamtbetrachtung

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Strafbarkeit. Erst wenn der Handelnde versteht, was seine Handlung bedeutet, kann sie ihm vorgeworfen werden und ergibt sich die Begründung von Verantwortlichkeit; die Bildung zutreffenden Bedeutungsbewusstseins ist Verantwortlichkeitsgrund. d) Die – unselbständigen – Ausschlussgründe und ihre genaueren Voraussetzungen nach Art. 32 Abs. 2 Satz 2 und Art. 33 Abs. 1 sind hier zu berücksichtigen: Als inneres Verbrechenselement wird das Bedeutungsbewusstsein vom beachtlichen Rechtsirrtum nach Art. 32 Abs. 2 Satz 2 erfasst. Aus seiner unzutreffenden Bildung ergibt sich ein Ausschlussgrund, weil es dann an dem (richtigen) Bedeutungsbewusstsein fehlt. Nach Art. 33 Abs. 1 lit. (b) kann die zutreffende Bildung des Bedeutungsbewusstseins diesen Ausschlussgrund ausschließen. 3. Liegen alle Verantwortlichkeitsgründe vor und greift kein selbständiger Ausschlussgrund ein, ergibt sich die Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit: Vgl. oben die Erläuterungen zur Verantwortlichkeitsbeziehung. III. Ergebnis Der Handelnde ist strafrechtlich verantwortlich und daher strafbar bzw. strafrechtlich nicht verantwortlich: Strafbarkeit setzt individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit nach dem Römischen Statut voraus. Diese ergibt sich aus dem Beitrag des Einzelnen zur Verbrechensbegehung und verlangt eine Unrechtsbeziehung sowie eine Verantwortlichkeitsbeziehung, die insgesamt das vollständige Vorliegen der Verantwortlichkeitsgründe sowie die Abwesenheit selbständiger Ausschlussgründe erfordern.

Zweites Kapitel

Gesamtbetrachtung Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts ist täterorientiert-pragmatisch. Er ist täterorientiert, weil er auf die Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit ausgerichtet ist. Er ist pragmatisch, weil das Statut nicht auf der Grundlage einer bestimmten Lehrmeinung wissenschaftlich konzipiert wurde, sondern abschnittsweise die besonderen Erscheinungsformen des strafbaren Geschehens – nämlich, um nur einige zu nennen, Verbrechensmodalitäten, Vorsatzfragen, Ausschlussgründe – behandelt, ohne diese ausdrücklich zueinander in Beziehung zu setzen. Im Dritten Teil dieser Arbeit konnten wir die Axiome des Verbrechensbegriffs feststellen

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4. Teil: Ergebnis: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts

und seine Topographie herausarbeiten, indem wir die Beziehungen der Verantwortlichkeits- und der Ausschlussgründe zueinander untersucht und damit den Pragmatismus des Statuts in ein wissenschaftlich begründetes Verständnis übergeführt haben. In Folge dieser Erkenntnisse im Rahmen der statutsimmanenten Strukturanalyse ließ sich ein Verbrechensbegriff formulieren, der es dem Gerichtshof in der Praxis ermöglichen kann, auf seiner Grundlage zu systematisch schlüssigeren und tragfähigeren Urteilen zu gelangen: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts ist zweigliedrig.2 Das erste Glied dient der Begründbarkeit individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit und zeigt damit die Unrechtsbeziehung auf, also die Beziehung von Unrecht und Person. Das zweite Glied, das auf dem ersten aufbaut, dient der Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit und zeigt die Verantwortlichkeitsbeziehung auf, nämlich die Beziehung von Unrecht und personalem Vorwurf. Nach dem Römischen Statut ist die Rechtswidrigkeit eine stets objektive Kategorie, wohingegen die Verantwortlichkeit eine persönliche Kategorie darstellt; die – selbständigen wie unselbständigen – Ausschlussgründe sind und wirken daher streng persönlich. Ist der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts nun „ganzheitlich“, oder ist er „strukturiert“?3 Greifen wir diese von Fletcher geprägte Charakterisierung des Rechtsdenkens von Common Law und Civil Law auf, stellt sich die Frage nach der Nähe des Statuts zu einem Rechtskreis. Lassen wir ein nur oberflächlich tragfähiges Verständnis, das sich an einer offence/defence-Dichotomie ausrichtet, beiseite, und stützen wir uns auf unsere eigenen Erkenntnisse, so folgt daraus, dass der Verbrechensbegriff mehr ist als die bloße Kumulation von Verantwortlichkeits- und Ausschlussgründen. Vielmehr sind sie auf verschiedene Weise miteinander verbunden, so dass sich mehrdimensionale Beziehungen zeigen. Schließlich lassen sich die meisten Strukturmerkmale in eine lineare Abfolge bringen. Insofern ist der Verbrechensbegriff in der Tat „strukturiert“. Aber dieser Eindruck ist, wie wir bereits zu Beginn des Zweiten Teils gesagt haben, bereits durch unser methodisches Vorgehen motiviert, so dass sich allein daraus keine zwingenden Schlüsse ergeben. In der Sache lohnender ist es daher, die von Fletcher außerdem genannten Begriffe des „reasonable“ und des „right“ heranzuziehen, um die Nähebeziehung zu ergründen. Zwar haben wir den selbständigen Ausschlussgrund des Zugestandenseins als statutsimmanente Wertung bezeichnet und insofern eher in der Nähe des 2 Nicht zu verwechseln ist damit aber die herkömmliche Zweigliedrigkeit, die aus einer offence/defence-Dichotomie herrührt; dazu sogleich. 3 Vgl. oben Zweiter Teil, Erstes Kapitel, A.

2. Kap.: Gesamtbetrachtung

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„right“ verortet. Ein näherer Blick auf die Gründe nach Art. 31 Abs. 1 litt. (c), (d) zeigt jedoch die besondere Bedeutung wertungsausfüllungsbedürftiger Begriffe für das Eingreifen des Zugestandenseins auf. Insofern lässt sich das Zugestandensein in seiner jeweils konkreten Ausgestaltung eher bei der „reasonableness“ ansiedeln. Damit lassen sich für die Verortung an beiden Polen Gründe finden, so dass die beste Antwort auf die soeben gestellte Frage „weder noch“ lautet. Umso mehr spricht dafür, den Verbrechensbegriff des Römischen Statuts nicht mit dem einem bestimmten Rechtskreis zu Grunde liegenden Raster oder Vorverständnis erfassen und kategorisieren zu wollen, sondern ihn als selbständig zu begreifen. Das schließt die Orientierung an parallelen Fragestellungen der nationalen Strafrechtslehren nicht aus.4 Zurückhaltung ist jedoch bei der Orientierung an den Antworten geboten. Geht es um die schematische Darstellung des Verbrechensbegriffs des Römischen Statuts, so skizziert Ambos ein Modell, das von einer offence/ defence-Dichotomie ausgeht.5 Es weist damit zwar den Vorteil der leichten Verständlichkeit auf, gleichzeitig aber auch den entscheidenden Nachteil der bereits in unserer Einführung kritisierten Unterkomplexität, weil sich aus ihm keine Zusammenhänge erschließen. Die Vorstellung, dass der Verbrechensbegriff sich an der offence/defence-Dichotomie des Common Law orientiere, ließe sich allenfalls dann noch halten, wenn man darauf verzichtet, den Beziehungen zwischen diesen Bereichen eine Bedeutung zu geben und sich mit einer Kategorisierung nach den Wirkungen der einzelnen Aspekte prima vista zufrieden gibt. Wissenschaftlichen Anforderungen, die auf das „Warum“ von Wirkungen gerichtet sind, kann dies jedoch nicht mehr genügen.6 Ebenso begäbe sich die Praxis, bliebe sie auf ein derartig unterkomplexes Modell beschränkt, weiterführenden Erkenntnismöglichkeiten. Gerade für ein pluralistisches Verständnis des Römischen Statuts als Teil des Völkerstrafrechts ist es schlechthin unentbehrlich, eine neutrale Grundlage für die Verortung der im Wege der Rechtsvergleichung ermittelten nationalrechtlichen Ansätze, die über Art. 21 Abs. 1 lit. (c) Eingang in das vom Gerichtshof anwendbare Recht finden, bereitzustellen. So ist es auch und gerade Ambos ein Anliegen, ein tragfähiges Gerüst für das Ver4 Beispielsweise wird sich die Untersuchung anbieten, inwiefern (auch) das Römische Statut unterschiedliche Deliktstypen – Erfolgsdelikte, Verursachungsdelikte, usw. – kennt. 5 Remarks on the General Part of International Criminal Law, 4 JICJ (2006), S. 665; 100 Jahre Belings „Lehre vom Verbrechen“: Renaissance des kausalen Verbrechensbegriffs auf internationaler Ebene?, ZIS 2006, S. 471; Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 2, vor Rn. 4; ähnlich auch Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 334–337. 6 Vgl. auch Hirsch, Internationalisierung des Strafrechts und der Strafrechtswissenschaft, 116 ZStW (2004), S. 848.

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4. Teil: Ergebnis: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts

ständnis des Verbrechensbegriffs zu entwickeln.7 Unsere schematische Übersicht möge daher zum Fortschritt auf diesem Weg beitragen. Der besonders mit dem Common Law vertraute Strafrechtler wird den von uns herausgearbeiteten Verbrechensbegriff als nicht vertraut empfinden. Gleichzeitig wird auch der deutsche Strafrechtler seine gewohnte Dreiteilung in Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld in unserer schematischen Übersicht nicht wieder erkennen. Denn die „Rechtswidrigkeit“ einer Verbrechensbegehung nach dem Statut geht der Erörterung des inneren Verbrechenselementes voraus. Auf der Ebene des Zugestandenseins versammeln sich beispielsweise Notwehr und Nötigungsnotstand, und diese Ausschlussgründe würden, jedenfalls nach überwiegender Ansicht,8 nach der deutschen Strafrechtsdogmatik an unterschiedlichen Stellen des Verbrechensaufbaus angesiedelt. Auch wenn wir den deutschen Strafrechtler hier als Repräsentanten des Civil Law anführen, so sei doch hinzugefügt, dass auch dieser Rechtskreis keineswegs einen einheitlichen strafrechtlichen Verbrechensbegriff kennt.9 Ebenso wenig wird der deutsche Enthusiasmus, der der steten Verfeinerung des Verbrechensbegriffs gilt, auch nicht immer geteilt.10 So sagt Jareborg, „[i]m übrigen ist die juristische Bedeutung der Frage, wie der Begriff des Verbrechens konstruiert wird, nicht sonderlich groß. Sowohl aus pädagogischen wie heuristischen Gründen ist es jedoch wichtig, mit einem strukturierten Begriff zu arbeiten.“ Die Struktur des schwedischen Verbrechens7 Remarks on the General Part of International Criminal Law, 4 JICJ (2006), S. 665; vgl. auch Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 2, 104. Kreß, Vorbemerkung zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, Rn. 48, in: Grützner/ Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, differenziert denn auch hinsichtlich einer „äußerlichen“ Zusammensetzung und inhaltlicher Entscheidungen. 8 Die hM. sieht im Nötigungsnotstand einen Entschuldigungsgrund nach § 35 StGB; vgl. Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 34, Rn. 41b; § 35, Rn. 11; die Notwehr ist Rechtfertigungsgrund nach § 32 StGB. 9 Vgl. nur Jareborg, Der schwedische Verbrechensbegriff, in: FS-Roxin, S. 1447. 10 Anzustreben ist eine Ausgewogenheit, wie sie sich in einer Bemerkung von Hirsch, Internationalisierung des Strafrechts und der Strafrechtswissenschaft, 116 ZStW (2004), S. 849 (dort in Fn. 32) wiederspiegelt: „Für eine um Rechtssicherheit und Gleichheit der Rechtsanwendung bemühte Strafrechtsordnung ist eine gute Dogmatik ein unschätzbarer Gewinn, der zudem eine fruchtbare Zusammenarbeit von Theorie und Praxis begünstigt. Bedenklich sind erst Überzüchtungen, bei denen nicht mehr gefragt wird, wofür Erörterungen eigentlich Bedeutung haben sollen, und solche abstrakten Konstruktionen, bei denen man nicht mehr auf die sachliche Angemessenheit blickt.“ Auch Lagodny, Legitimation und Bedeutung des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofes, 113 ZStW (2001), S. 826, warnt davor, das Römische Statut als „rechtshistorischen Kompromiß der Weltrechtssysteme (. . .) zu zerreden“. Vgl. zudem oben Fn. 4.

2. Kap.: Gesamtbetrachtung

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begriffs, die er entwirft, nennt Jareborg eine „Checkliste“, die „jeglicher ontologischer Implikationen entbehren soll“. Was die juristische Bedeutung der Struktur des Verbrechensbegriffs angeht, können wir Jareborg nicht zustimmen. Zum einen aus dem schon genannten Grund, dass es notwendig erscheint, der Rechtsvergleichung eine neutrale Grundlage zur Verfügung zu stellen. Zum anderen, weil sich jede „juristische Bedeutung“ erst aus dem Zusammenspiel normativer Gegebenheiten und der Auslegung ergibt. Außerdem führt Klarheit über die Struktur des Verbrechensbegriffs in praktischer Hinsicht zu einem größeren Maß an Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Argumenten und Urteilen. Mit anderen Worten, die Klarheit führt zu einem Mehr an Rechtssicherheit, und dies sollte als universales Anliegen des Rechts bereits Grund genug sein, die juristische Bedeutung nicht zu niedrig anzusetzen. Mit Blick auf das Römische Statut zustimmen ist Jareborg aber, wenn er ontologische Implikationen verneint. Mit dem konzeptionellen Pragmatismus des Statuts wären Schlussfolgerungen hinsichtlich der Natur der Dinge kaum vereinbar.11 Aber selbst wenn man weder juristische Bedeutung noch pädagogischen oder heuristischen Wert der von uns formulierten Struktur des Verbrechensbegriffs bejaht, verbleibt immer noch ein wesentlicher Nutzen, den man in der Tat mit „Checkliste“ beschreiben könnte. Der Rechtssicherheit ist in jedem Fall gedient. Ob man den auf Unrechtsbeziehung und Verantwortlichkeitsbeziehung beruhenden Verbrechensbegriff des Römischen Statuts als Amalgam der strafrechtlichen Konzepte des Civil Law und des Common Law bezeichnet oder – wie wir – als einen Verbrechensbegriff sui generis, erscheint uns weniger wichtig als die Schlussfolgerung, dass weder das Civil Law noch das Common Law sowohl strukturell wie terminologisch den Weg für die Beschäftigung mit dem Römischen Statut vorgeben. Vielmehr hat sich im Laufe unserer Untersuchung gezeigt, dass die statutsimmanente Strukturanalyse nicht nur theoretisch begründbar und geboten ist, sondern auch zu eigenständigen und belastbaren Ergebnissen führt. Nach unseren Ergebnissen lässt sich sagen: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statut ist selbständig. 11 Eindrücklich liest sich die Bemerkung von Merkel, Gründe für den Ausschluß der Strafbarkeit im Völkerstrafrecht, 114 ZStW (2002), S. 439 und S. 454, über die Bedeutung „bestimmte[r[ prinzipelle[r] Unterscheidungen innerhalb der Straftatlehre“, die „Gebote der Gerechtigkeit im Normensystem selbst“ objektivierten und so ein „Gewinn an Legitimität, nicht bloß an Transparenz“ seien. Er nennt etwa die Unterscheidung von Unrecht und Schuld. Außerdem handele es sich nicht um bloße „technische Hilfsmittel“, sondern um eine Inbezugnahme „fundamentaler Rechtsprinzipien“. Jedoch weist Merkel auch auf den Zusammenhang mit der „Natur der Sache“ hin (dort Fn. 4), wobei wir in dieser Hinsicht mit Blick auf das Statut für Zurückhaltung eintreten.

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4. Teil: Ergebnis: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts

Es ist zu erwarten, dass die Schwierigkeiten bei der Rechtsfindung, die die beiden ad hoc-Tribunale seit ihrem Bestehen begleiten, aus der Sicht des modernen Völkerstrafrechts nunmehr nur noch eine Zwischenphase darstellen.12 Der Internationale Strafgerichtshof gründet sich auf ein schriftlich niedergelegtes, vertragsvölkerrechtlich geltendes Statut mit relativer Bedeutung. Die prinzipiellen Legitimitätszweifel, die beim Rekurs auf gewohnheitsrechtlich begründetes Völkerstrafrecht entstehen, sind damit überwunden. Ein in mehreren gleichermaßen authentischen Sprachen verfasstes völkerstrafrechtliches Statut stellt an die Rechtsfindung jedoch Herausforderungen ganz anderer Art, wie sich auch in unserer Arbeit gezeigt hat. Die Untersuchung mutete teilweise wie ein linguistisches Unterfangen an. Umso drängender ist daher der Appell an die Rechts- und Sprachwissenschaft, eine konsistente und handhabbare Methodik für die Auslegung fremd- bzw. mehrsprachiger strafrechtlicher Texte zu entwickeln.13 Hier dürfte es sich um ein wichtiges interdisziplinäres Forschungsfeld handeln, das auch über das Völkerstrafrecht hinaus Bedeutung im internationalen Recht hat. Dies gilt umso mehr für ein denkbares zukünftiges genuin europäisches Strafrecht. In jüngster Zeit haben sich Fronza und Malarino der Thematik angenommen und einige Methoden und die damit verbundenen Probleme skizziert.14 Sie stellen insbesondere die Frage, ob der Vergleich der unterschiedlichen Sprachfassungen Methode oder Ausnahme sei und plädieren deutlich und vor dem Hintergrund der Artt. 50, 128 zutreffend für den Vergleich als Methode. Außerdem weisen sie darauf hin, wie sehr die herangezogene Sprache das juristische Verstehen beeinflusst.15 Im Übrigen wird der einzelne Interpret kaum in der Lage sein, einen vollständigen Sprachenvergleich durchzuführen; ihm ist daher das Bemühen um den Vergleich möglichst vieler authentischer Fassungen aufgegeben. Allerdings stehen seine Ergebnisse damit unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit den weiteren Sprachfassungen. Viel spricht daher dafür, „traditionelle Arbeitsfor12

Vgl. oben Fn. 481. Soweit ersichtlich, gibt es im deutschen völkerrechtlichen Schrifttum nur eine Monographie zu diesem Thema, nämlich Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge (1973). Im Wesentlichen sind dort jedoch Rechtsregeln dargestellt. Zudem werden die besonderen Schwierigkeiten, die im Bereich des Strafrechts auftauchen, naturgemäß – das Buch erschien zu einer Zeit, als verfasstes Völkerstrafrecht undenkbar erschien – nicht angesprochen. 14 Fronza/Malarino, Die Auslegung von multilingualen strafrechtlichen Texten am Beispiel des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, 118 ZStW (2006), S. 927–952, mit vielen Nachweisen zur weiteren Literatur. Vgl. auch Martinez, Understanding Mens Rea in Command Responsibility, 5 JICJ (2007), S. 640. 15 Fronza/Malarino, S. 934 ff., 936. Die dort ins Feld geführten Argumente lassen sich weitestgehend auch für die dieser Arbeit zugrunde liegende statutsimmanente Strukturanalyse anführen. 13

2. Kap.: Gesamtbetrachtung

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men und Forschungsweisen“ zu überdenken und auch „der Team-Forschung einen wichtigeren Platz ein[zu]räumen“, wie es Fronza und Malarino skizzieren.16 Der über ein internationales Personal verfügende Gerichtshof hingegen ist stets in der Lage, alle Sprachfassungen zu berücksichtigen; tut er dies nicht, riskiert er eine fehlerhafte Rechtsanwendung.17 Durch unser Bemühen um eine aus den Strukturen des Statuts abgeleitete eigenständige Begriffsbildung ist schließlich die überkommene, aber alles andere als einheitlich verstandene Terminologie, die mit Formeln wie actus reus oder mens rea operiert, entbehrlich geworden. Vielmehr erscheint es uns notwendig, im Interesse eines wirklich internationalen sowie interkulturellen Völkerstrafrechts ein universal anwendbares und übersetzbares Begriffsportfolio zu entwickeln.18 Letztlich wird es um nichts Geringeres gehen als die Emanzipation des Begriffes vom Wort. Auf dem Weg dorthin sollte sich die Völkerstrafrechtswissenschaft zudem eines Ballasts entledigen: Pathos. Dieser war während der Jahre oder Jahrzehnte des Stillstandes des Völkerstrafrechts mit ein Quell der Motivation, trotz aller Hindernisse unermüdlich auf die Schaffung eines funktionierenden Völkerstrafrechts hinzuarbeiten. Heute ist Völkerstrafrecht Realität, und das gilt erst Recht seit dem Inkrafttreten des Römischen Statuts sowie dem Beginn der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofes. Daher kann jegliche Form von Pathos die wissenschaftliche Erkenntnis sowie die zuverlässige Rechtsanwendung nur trüben. In einem in einer Fußnote versteckten Seitenhieb auf die „Verknüpfung von Strafrechtslegitimation mit der Menschenrechtsfrage“ merkt Bohnert an, „man hat überhaupt den Eindruck, als stehe die deutsche Dogmatik vor der Begründung des Menschenrechts auf Bestrafung“.19 Auf dieser Linie liegen auch Fletcher und Ohlin, die eine Strafbarkeitserweiterung im Wege 16

Fronza/Malarino, S. 951–952. Vgl. Fronza/Malarino, S. 935 ff. 18 Eine rasche Verständigung wäre wünschenswert, ist aber nicht unbedingt zu erwarten, folgt man Schlesinger, Research on the General Principles of Law Recognized by Civilized Nations, 51 AJIL (1957), S. 751: Für Juristen, die in verschiedenen Systemen ausgebildet wurden, sei es typisch, über unterschiedliche Dinge zu sprechen und nicht die Gemeinsamkeiten zu sehen. „Aber nach einer Weile werden die Missverständnisse entdeckt und ein gemeinsamer Nenner gefunden. Im Seminarraum ist das eine Sache von Minuten oder Stunden. Aber zwischen Gelehrten, die in ihren Bibliotheken sitzen und Bücher und Artikel schreiben, tausende Meilen voneinander entfernt, mag der gleiche Vorgang Jahrzehnte dauern“ (meine Übersetzung). Immerhin haben Internet, Videokonferenzen und Email Distanzen weithin irrelevant gemacht. Da aber der persönliche, unmittelbare Austausch für eine echte Meinungsbildung keineswegs zu unterschätzen ist, ist die Einschätzung Schlesingers auch heute noch aktuell. 19 Bohnert, Kant in Jugoslawien, GS-Schlüchter, S. 770 in Fn. 40. 17

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4. Teil: Ergebnis: Der Verbrechensbegriff des Römischen Statuts

der Berufung auf den Menschenrechtsschutz als Verstoß gegen Art. 22 Abs. 2 des Statuts auffassen und sehr deutlich die Notwendigkeit einer Unterscheidung von kollektiver und individueller Verantwortlichkeit anmahnen. Insbesondere nehmen sie dem Völkerstrafrecht seine Dramatik, wenn sie lakonisch konstatieren, dass die Völkerstrafgerichtsbarkeit nicht existiere, weil sie eine höhere Form der Gerechtigkeit darstelle, sondern nur, um individuelle Täter zu verfolgen, die unter dem Zustand örtlicher Straflosigkeit handelten.20 Dies redet das Völkerstrafrecht nicht klein. Ganz im Gegenteil, ist doch der geforderte rationale Umgang mit ihm gerade Frucht einer hervorragenden Kulturleistung, nämlich der Schaffung einer funktionierenden, Recht und Gerechtigkeit verpflichteten internationalen Strafrechtspflege. Andererseits besitzt das im Römischen Statut verfasste Völkerstrafrecht einen strategischen Nachteil: Es wird nie „genug“ Urteile geben, um eine vollständig rationale, flexible, produktive und bescheidene Rechtsentwicklung voranzutreiben. In gewisser Weise wird jedes Urteil ein „großer Wurf“ werden müssen und versuchen, alle in ihm behandelten Rechtsfragen umfassend und abschließend zu beantworten. Das Völkerstrafrecht kennt keine Routine, wie sie der Anwendung des nationalen Strafrechts eigen ist. Umso mehr ist es an der Wissenschaft, die Voraussetzungen für ein modernes und aufgeklärtes Rechtsgebiet zu schaffen und den Internationalen Strafgerichtshof von der Bürde des „großen Wurfes“ zu entlasten. Das größte Glück für die Bedeutung und Entwicklung des Römischen Statuts läge jedoch darin, wenn die verhältnismäßig wenigen Urteile nicht auf die trotz allem knappen Verfolgungsressourcen zurückgingen, sondern auf eine geringe Zahl von Völkermorden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Angriffskriegen in unserer Welt.

20 Fletcher/Ohlin, Reclaiming Fundamental Principles of Criminal Law in the Darfur Case, 3 JICJ (2005), S. 543–544.

Du mußt nicht zuviel auf Meinungen achten. Die Schrift ist unveränderlich und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber. Franz Kafka, Der Proceß (1925)

Literaturverzeichnis Beiträge zu Sammelbänden sind unter dem Namen des jeweiligen Autors aufgeführt. Beiträge zu Gesetzeskommentaren (beispielsweise jene von Triffterer oder Cassese et al. zum Römischen Statut) und Nachschlagewerken (beispielsweise die Encyclopedia of Public International Law) werden hingegen nicht gesondert ausgewiesen. Die mit einem  versehene Literatur war erst nach Fertigstellung der Arbeit verfügbar. Eine gründliche Auseinandersetzung war daher leider nur vereinzelt möglich. Die zweite Auflage des von Triffterer herausgegebenen Commentary war erst verfügbar, als bereits die Druckfahnen vorlagen; sie konnte daher nicht mehr berücksichtigt werden. Ahlbrecht, Heiko: Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, Baden-Baden, 1999 Akhavan, Payam:  Reconciling Crimes Against Humanity with the Laws of War, 6 JICJ (2008), S. 21–37 Ambos, Kai: Joint Criminal Enterprise and Command Responsibility, 5 JICJ (2007), S. 159–183 – Internationales Strafrecht, München, 2006 – Remarks on the General Part of International Criminal Law, 4 JICJ (2006), S. 660–673 – 100 Jahre Belings „Lehre vom Verbrechen“: Renaissance des kausalen Verbrechensbegriffs auf internationaler Ebene?, ZIS 2006, 464–471 – Current Issues in International Criminal Law, 14 CLF (2003), S. 225–260 – Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts – Ansätze einer Dogmatisierung, Berlin, 2002 – General Principles of Criminal Law in the Rome Statute, 10 CLF (1999), S. 1–32 – Der neue Internationale Strafgerichtshof – ein Überblick, NJW 1998, S. 3743–3746 Ambos, Kai/Steiner, Christian: Vom Sinn des Strafens auf innerstaatlicher und supranationaler Ebene, JuS 2001, 9 Arnold, Roberta: The Mens Rea of Genocide under the Statute of the International Criminal Court, 14 CLF (2003), S. 127–151 Arsanjani, Mahnoush H./Reisman, W. Michael: The Law-in-Action of the International Criminal Court, 99 AJIL (2005), S. 385–403

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Stichwortverzeichnis Die kursiv gedruckten Seitenzahlen beziehen sich auf die Hauptfundstelle. Absicht siehe Zweckbewusstsein actus reus 21, 242, 307 Adressaten siehe Römisches Statut Allgemeine Grundsätze des Strafrechts 23 f., 154 Alternativlosigkeit, konkrete 246, 267, 300 Angemessenheit 138 f., 238, 246, 262, 300 Angriff 197 ff. Anordnung 232 ff., 236 Auslegung siehe Völkerrecht, siehe Römisches Statut Ausschlussgrund 227 ff. – Anknüpfungspunkte 229 ff. – gegenständliche Erfordernisse 238, 295, 300 – innere Erfordernisse 238 ff., 296, 300 – selbständiger 256 ff., 299, siehe auch Zugestandensein – unselbständiger 256 ff., 296, 299 f. – Verhältnis zu Verantwortlichkeitsgründen 255 ff., 299 – Wirkung 256 ff. Bedeutungsbewusstsein siehe Bewusstsein Begebnisbewusstsein siehe Bewusstsein Begehung 187 ff., 295, 297 Bestrafung 185, 227 Bewusstsein 207 ff., 298 – als zentrales Strukturmerkmal 263 ff. – Bedeutungsbewusstsein 249 ff., 261, 266, 296, 300 f.

– Begebnisbewusstsein 206 f., 224, 247 ff., 295, 298 – Gegenstandsbewusstsein 207, 224, 247, 253 f., 266, 295, 297 f. – inneres Verbrechenselement 204 ff., 223 f., 249, 254 f. – Verwirklichungsbewusstsein 206 f., 218, 223, 295, 298 – Vorsatz 204 ff. – Wissen 193, 204 ff., 208 – Zweckbewusstsein siehe dort Defence siehe offence Einverständnis 180 f., 243 f. Einwilligung siehe Einverständnis Erlaubnistatbestandsirrtum siehe Irrtum über Ausschlussgründe Folgen 190 ff., 205 f., 280 ff., 295, 297 gegenständliches Verbrechenselement 186 f. Gegenstandsbewusstsein siehe Bewusstsein Gerichtsbarkeit siehe Internationaler Strafgerichtshof Gerichtshof siehe Internationaler Strafgerichtshof Gesamttat siehe Zurechnung Handelnder 186, 266 Handlung 187 ff., 266, 295, 297 in dubio mitius siehe Römisches Statut, Analogieverbot

Stichwortverzeichnis individuelle Verantwortlichkeit siehe Verantwortlichkeit Innentendenz, überschießende siehe Zweckbewusstsein inneres Verbrechenselement siehe Bewusstsein internationale Betroffenheit 179 ff. Internationaler Strafgerichtshof – Entscheidungen: Bindungswirkung 159 – Errichtung 27 – Gerichtsbarkeit 160, 179 ff., 183 ff., 286 ff. Irrtum – Rechtsirrtum 231 f., 235 f., 248 ff. – Tatsachenirrtum 231 f., 235, 247, 295, 298 f. – über Ausschlussgründe 259 ff. Joint Criminal Enterprise 36, 278 ff. juristische Personen 184 knowledge-based-approach 215 ff. Konflikt 201 f. Kontext 203 mens rea 21, 23, 204, 222, 227, 307 Moral siehe Römisches Statut, Neutralität Normanwendungsgebot siehe Römisches Statut Notstand 234, 238, 245, 262 Notwehr 230 ff., 234, 238, 245, 262 nulla poena sine lege siehe nullum crimen sine lege nullum crimen sine lege 135, 147, 154 objektive Tatbestandsmerkmale siehe Verbrechenselement, gegenständliches offence 227 ff., 258, 302 f. purpose-based approach 214 ff.

325

Rechtfertigungsgrund 244 und siehe Rechtswidrigkeit Rechtsirrtum siehe Irrtum Rechtsquellen siehe Völkerrecht Rechtssicherheit 22, 44, 63, 71, 108, 178 Rechtsvergleichung siehe Strukturanalyse Rechtswidrigkeit 180 f., 229 ff., 241, 243 ff., 245, 248, 266, 295, 297 Relative Bedeutung siehe Römisches Statut Religion siehe Römisches Statut, Neutralität Römisches Statut – Adressaten 33, 83, 167, 286, 290 ff. – allgemeine Rechtsgrundsätze 99, 108 – als lex specialis 98, 105, 111 f., 149, 222 – als Strafrecht 32 ff. – als völkerstrafrechtlicher Vertrag 166 – Analogie(-verbot) 95, 143, 149, 158 – anwendbare Verträge 96 – anwendbares Recht 72, 94 – Auslegung 110, 112, 114, 135 – Diskriminierungsverbot 135 – Kodifikation 31, 87, 175 – Lücken 112, 158 – Neutralität 138 ff., 144 ff., 153 – non liquet 88, 95, 134, 143, siehe Analogieverbot – Normanwendungsgebot 94, 158 – Primat 31, 95, 110, 114, 158, 177 – relative Bedeutung 110, 166 ff., 176, 288 – Schutz der Staaten 169 – Schutz des Individuums 169 – Teil des Völkerrechts 29, 82, 171, 177 – Teil des Völkerstrafrechts 28, 166, 171, 177 – Universalität 27

326

Stichwortverzeichnis

– Vereinbarkeitsgebot 135 – Vorrang siehe Primat – Ziel 26, 160 Souveränität siehe Völkerrecht Specific Intent siehe Zweckbewusstsein Sprache 159, 306 f. strafrechtliche Verantwortlichkeit siehe Verantwortlichkeit Strukturanalyse 35, 39, – Rechtssicherheit 44 – Rechtsvergleichung 42 ff., 100, 112 – Vorverständnis 42, 68 Strukturmerkmale – äußere 41, 72, 114, 170 – innere 41, 94, 135, 170 subjektive Tatbestandesmerkmale siehe Bewusstsein Täter siehe Handelnder Tatirrtum siehe Irrtum Terminologie – Begriff und Wort 307 – Eigenständigkeit 24 überindividuelle Betroffenheit siehe internationale Betroffenheit Umstand 187, 191 ff., 203, 231 f., 295, 297 Unrechtsbeziehung 266, 295, 296, 301 f. Unterlassen 283 ff. Ursachenzusammenhang siehe Zurechnung Verantwortlichkeit – Begründbarkeit 252, 258, 265 ff., 295 f. – Begründung 252 f., 258, 265 ff., 295, 299, 301 – individuelle Verantwortlichkeit 184 ff. – Strafbarkeit 227

– strafrechtliche Verantwortlichkeit 185, 227, 230, 301 – und Zurechnung 272 ff., 280 Verantwortlichkeitsbeziehung 266, 295, 299, 301 f. Verantwortlichkeitsgrund – Begriff 226 – Verhältnis zu Ausschlussgründen 255 ff., 299 Verbrechensbegriff – Begriff und Wort 306 f. – Definition 21, 179 ff. – Emanzipation 24 – Inhaltsbestimmung 301 ff. – Selbständigkeit 305 – Zweigliedrigkeit 302 Verbrechenselement 95, 161, 209 ff., 220 ff. – gegenständliches 186 ff., 223 f. – inneres siehe Bewusstsein Verfahrens- und Beweisordnung 95 Verhalten 187 ff., 229, 295 ff. Verwirklichungsbewusstsein siehe Bewusstsein Völkerrecht – Allgemeine Rechtsgrundsätze 87, 98, 99 – als Idee 54 – als Instrument 53 – als Rechtsordnung 25, 52 – Analogie 134 – Auslegung 114 ff. – Erscheinungsformen 72 – Geltungsgrund 48 – Gerichtsentscheidungen, nationale und internationale 93 – Gewohnheitsrecht 73 ff. – Kodifikation 31, 77, 85 – Konsens 50, 52, 79, 115 – Lücke siehe Analogie – Normenhierarchie 30, 73 – Rechtserkenntnisquellen 92 – Rechtsquellen 72

Stichwortverzeichnis – – – – – –

sonstige Erscheinungsformen 89 Staatensouveränität 66, 118 Subjekte 84 travaux préparatoires 120 f., 127 ff. Treu und Glauben 125 Vertragsrechtskonvention, Wiener 24, 80, 123 – Vertragsvölkerrecht 29, 80, 96 Völkerstrafrecht – als Sammelbegriff 59, 29 – Bedeutung 56 – Begriff 59 – Legitimation 60 ff., 70 – pluralistisches Verständnis 43 f., 303 – und Römisches Statut 166, 171, 177 – Unterkategorie des Völkerrechts 25, 59

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Vorgesetztenverantwortlichkeit 192 ff., 202 Vorsatz siehe Bewusstsein Vorverständnis siehe Strukturanalyse Wissen siehe Bewusstsein Zugestandensein 245 ff., 258 ff., 267, 295, 299 f. Zurechnung – und Gesamttat 272 ff., 280 – von Folgen 280 ff. – Zurechnungssystem 271 ff. Zweckbewusstsein 210 ff., 224, 238, 295, 297, 300 Zweifelsfall siehe Römisches Statut, Analogieverbot