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German Pages 186 [206] Year 1985
Rainer Hegselmann Formale Dialektik Ein Beitrag zu einer Theorie des rationalen Argumentierens
Meiner · BoD
PARADEIGMATA 7
PARADEIGMATA Die Reihe Paradeigmata präsentiert historisch-systematisch fundierte Abhandlungen, Studien und Werke, die belegen, daß sich aus der strengen, geschichtsbewußten Anknüpfung an die philosophische Tradition innovative Modelle philosophischer Erkenntnis gewinnen lassen. Jede der in dieser Reihe veröffentlichten Arbeiten zeichnet sich dadurch aus, in inhaltlicher oder methodischer Hinsicht Modi philosophischen Denkens neu zu fassen, an neuen Thematiken zu erproben oder neu zu begründen.
Rainer Hegselmann, Dr. phil. habil. Dip!. rer. soc., geboren 1950. Studium der Philosophie und der Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Promotion 1977 an der Universität Essen. Habilitation 1983 an der Universität Karlsruhe (TH). Zur Zeit wissenschaftlicher Assistent an der Universität Essen.
Rainer Hegselmann
Formale Dialektik Ein Beitrag zu einer Theorie des rationalen Argumentierens
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
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Für Barbe und Karl
"Unter Dialektik verstehe ich in Übereinstimmung mit Aristoteles ... die Kunst des auf gemeinsame Erforschung der Wahrheit, namentlich der philosophischen, gerichteten Gesprächs. Ein Gespräch dieser Art geht aber notwendig mehr oder weniger in die Kontroverse übe1; daher Dialektik auch erklärt werden kann als Disputierkunst. Beispiele und Muster der Dialektik haben wir an den Platonischen Dialogen: aber für die eigentliche Theorie derselben, also für die Technik des Disputierens, die Eristik, ist bisher sehr wenig geleistet worden." Arthur Schopenhauer
INHALT
Zum Programm einer formalen Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil I: Abgrenzungen, Anknüpfungspunkte und Vorarbeiten . 1. Formale Logik und formale Dialektik . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Zum Verhältnis von formaler Dialektik und formallogischen Kalkülen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Formale Dialektik und dialogische Semantik . . . . . . . . . 1.3 Exkurs: Logikgeschichte und das Programm der aristotelischen bzw. formalen Dialektik . . . . . . . . . . 2. Anknüpfungspunkte und Voren, unterscheiden sich aber hinsichtlich ihrer argumentativen Funktion: Aporeme schließen aus vom argumentativen Gegenüber auf Anfrage hin zugestandenen Prämissen auf das kontradiktorische Gegenteil eines von ihm behaupteten Satzes, sind also unter einem pragmatischen Gesichtspunkt widerlegungsorientiert; Epichreme hingegen sind positiv stützungsorientier1. Man kann demnach festhalten, daß die Topik zunächst einen allgemeinen Folgerungsbegriff zugrunde legt, dann jedoch Schlußsorten pragmatisch, d. h. bezüglich ihrer Funktion und Stellung in bzw. zu dialektischen Kontexten klasszfiziert. ( c) Die Topik (einschließlich der Sophistischen Widerlegungen) ist keine bloße Theorie des korrekten bzw. unkorrekten dialektischen Schließens, denn Aristoteles verhandelt auch andere als schließende Züge bzw. Zugfolgen: Nach Aristoteles gilt es z.B., nicht Verstandenes zu erfragen 31 ; Unbekanntes darf nicht auf ebenfalls Unbekanntes zurliekgeführt werden 32 ; Undeutlichkeiten sind zu vermeiden. 33 Aristoteles führt aus, wann jemand zu fragen hat und stellt Forderungen an mögliche Antworten. Neben bloßen Behauptungen wird also mit Fragen und Antworten gerechnet, wobei zu beriicksichtigen ist, daß bereits die Prämissen der aporetischen Schlüsse durch Fragen an den zu widerlegenden argumentativen Gegenspieler zusammengestellt werden. Insgesamt ist die Topik demnach nicht als bloße Theorie des SchlieHens - und sei es des Schließens in dialektischen Kontexten - angelegt; sie: ist vielmehr eine Theorie, die das einzuhaltende Reglement für die ganze Vielfalt argumentativer Züge (Behaupten, Schließen, Fragen, Antworten, Zustimmen usw.) zu ihrem Gegenstand macht. Die Topik ist also als Ansat.: zu einer umfassenden Theorie des rationalen Argumentierens anzusehen, in'lerhalb derer die Theorie des dialektischen Schließens als Teiltheorie fungiert. Bei einer derartigen Sicht der aristotelischen Dialektik treten Abgrenzungsprobleme gegenüber der aristotelischen Rhetorik auf. Anders nämlich
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als in der auf Korax, Peisias und Gorgias zurückgehenden, am Paradigma der Persuasion orientierten Rhetoriktradition 34 , die bereits Platon scharf kritisiert hatte und der die aristotelische Dialektik als eine paradigmatische Alternative entgegengestellt werden kann, hat Aristoteles eine Rhetorik ausgearbeitet, die eine derartige Gegenüberstellung nicht zuläßt. In bezug auf die aristotelische Rhetorik ergibt sich sogar in mindestens drei Hinsichten eine Obereinstimmung von Dialektik und Rhetorik: Erstens ist die Disputation dialektischer Probleme Gegenstand beider Disziplinen. Zweitens sind Rhetorik und Dialektik gleichermaßen von dem Interesse geleitet, die Strukturen und das Reglement vernünftiger Argumentationen zu klären. Drittens geht es in beiden Disziplinen - diesem Interesse folgend - um die Unterscheidung von triftigen und nur scheinbar triftigen Argumentationen. -Was die Disziplinen hingegen unterscheidet, ist folgendes: Erstens untersucht die Rhetorik im Gegensatz zur Dialektik die kausalen Folgen, die sich aus dem Charakter des Redners, seinem Stil, seiner Gestik usw. für die Triftigkeit bzw. Plausibilität seiner Argumentation in bezug auf den oder die Zuhörer ergibt. Zweitens wird in der Rhetorik - wiederum im Gegensatz zur Dialektik - systematisch untersucht, wie im Hörer Stimmungen, die für das Akzeptieren von Argumentationen günstig sind, erzeugt werden können. Drittens stellt die Rhetorik im einzelnen die Topoi für die drei von Aristoteles unterschiedenen Redetypen (beratende Rede, Gerichtsrede, Lobrede) zusammen und behandelt sie nicht - wie in der Topik - lediglich formal. Viertens schließlich wird dem dialektischen Syllogismus der Topik in der Rhetorik ein Analogon zugeordnet, nämlich das Enthymem, dessen Überzeugungskraft zwar auf der Korrektheit des korrespondierenden Syllogismus beruht, sich von diesem aber zugleich zum einen dadurch unterscheidet, daß Prämissen unvollständig sein können, weil selbstverständliche Annahmen ungenannt bleiben dürfen, zum anderen dadurch, daß die rhetorischen Argumentationen unter Normalfallrestriktionen stehen, als Prämissen bzw. Konklusionen also Sätze verwandt werden, die eben nur normalerweise, also nicht ausnahmslos gelten. (Hierzu gehören insbesondere die 'Sentenzen' als sprichwörtlich gewordene Normalfall-Wahrheiten, deren Gebrauch Aristoteles allerdings dem Alter vorbehalten will. 35 ) Vor dem Hintergrund dieser Übereinstimmungen und Divergenzen könnte man sagen: Im Rahmen des von Aristoteles in der Topik vorgestellten Projekts der Dialektik wird der Versuch unternommen, die prinzipiellen Strukturen überzeugender Rede und Gegenrede zu erhellen, während die Rhetorik überzeugende Rede und Gegenrede in Abhängigkeit von bestimmten empirischen Regelmäßigkeiten zu ihrem Thema macht. Abgrenzungsprobleme treten bei einer derartigen Unterscheidung von Dialektik und Rhetorik deshalb auf, weil zum einen in der Topik praktische Argumentationsratschläge zu finden sind, die man vor dem Hintergrund der vorgenommenen Unterscheidung eher in der Rhetorik erwarten würde (a) und zum anderen
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einige der in der Rhetorik verhandelten Prinzipien unter systematischen Gesichtspunkten ihren Ort eher in der Dialektik hätten (b ). (a) Aristoteles rät in der Topik, für den Fall einer beabsichtigten Widerlegung qua aporetischen Schluß im Stadium der fragenden Zusammenstellung benötigten Prämissen im Unklaren zu lassen, was man überhaupt LUgestanden haben möchte 36 ; er fordert auf, zunächst Alternativfragen zu stellen, um insgesamt größere Überraschungseffekte erzielen zu können. Aristoteles weist darauf hin, daß es nützlich sei, sich selbst hin und wieder einen Einwurf zu machen. 37 Auch solle man möglichst keinen Eifer zeigen, weil dies die Akzeptabilität der Argumentation stark beeinträchtige. 38 - Alle diese Ratschläge basieren auf Annahmen über für die Plausibilität von Argumenten wichtige faktische Zusammenhänge. Es handelt sich daher eher um rhetorische Ratschläge. Weiterhin werden faktisch gebräuchliche Topoi nicht nur in der Rhetorik 39 untersucht und zusammengestellt, sondern bereits in der Topik verhandelt 40 , wenn auch eher rhapsodisch. Weil dadurch aber bereits inhaltliche Analysen von Argumentationen vorgenommen werdert, ist der Bereich der Dialektik verlassen. Allenfalls in der Rhetorik wäre Platz für derartige Untersuchungen. (b) Umgekehrt stellt sich die Frage, ob die Enthymeme mit ihrer charakteristischen Normalfallrestriktion bzw. Prämissenunvollständigkeit nicht in den Bereich der Dialektik gehören, denn es sind - anders als im Falle einer durch eine spezifische Sprechgestik stimulierten Hörerstimmung - keine empirischen Regelmäßigkeiten, denen sich die Triftigkeit der Enthymeme verdankt: Unter dem Gesichtspunkt eines expliziten Syllogismus sind die Enthymeme sicherlich defekt, aber dieser Defekt ist lediglich ein Oberflächendefekt, der die Überzeugungskraft des Arguments so lange nicht stört, wie dem Enthymem ein Syllogismus korrespondiert, dessen zusätzliche Prämissen allgemein akzeptiert sind, in den die Normalfallrestriktion als Prämisse eingegangen und -- soweit erforderlich - allen anderen Prärotssen als Antezedenz einer Implikation, deren Sukzedenz die entsprechende Prämisse des Enthymems zu sein hätte, berücksichtigt sind. Offenbar beruht also die Triftigkeit der Enthymeme auf angebbaren, jedoch weder kamalen noch empirischen Beziehungen zwischen einer prima facie defekten Oberflächengestalt und einem möglicherweise völlig korrekten expliziten Syllogismus. Ist der Rückgriff auf empirische Regelmäßigkeiten Abgrenwngskriterium zwischen rhetorischen und dialektischen Überlegungen, dann würden die Enthymeme also offenbar in den Bereich der Dialektik fallen. Wenn auch bereits im Titel dieser Arbeit von 'Dialektik' die Rede ist, um anzudeuten, daß jenes Projekt wieder aufgegriffen werden soll, das Aristoteles in der Topik leitete, so machen die Abgrenzungsprobleme zwischen der aristotelischen Dialektik und Rhetorik dennoch deutlich, daß die Aufgabenstellungjedenfalls der Dialektik genauer bestimmt werden muß, als es bei Anstoteies selbst geschieht. - Die folgenden beiden Demarkationsprinzipien sollen dabei die erforderliche Abgrenzung liefern: (a) Die Diail'ktik
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handelt nicht von empirischen Regelmäßigkeiten und Randbedingungen, die faktisch Einfluß auf Verlauf von Disputen oder Akzeptabilität und Tnftigkeit von Argumenten haben mögen. (b) Die Dialektik behandelt keine Probleme inhaltlicher Angemessenheit oder Korrektheit von bestimmten Zügen im Spiele von Rede und Gegenrede. Positiv ausgedruckt: 'Dialektik' soll eine solche Theorie hezßen, die unter Absehen von allen für den Verlauf faktischer Erörterungen relevanten empirischen Determinanten jenes Reglement zu entschlüsseln sucht, dem erstens ein korrektes Argumentieren, d. h. Behaupten, Schließen, Widerlegen, Fragen, Antworten, Zustimmen usw. zu genügen hat, und das zweitens unabhängig davon gilt, was im einzelnen Gegenstand dialektischer Erörterung, Inhalt einer Behauptung, Erschlossenes, Widerlegtes, Erfragtes, Geantwortetes, Zugestandenes usw. sein mag. 41 Eine so verstandene Dialektik ist zugleich extensional enger und weiter als die der aristotelischen Topik: Enger, weil in ihr z.B. für Probleme wie Eifer und seine argumentationsrelevanten Folgen kein Ort ist, weiter, weil z. B. die Enthymeme nun in die Dialektik fallen. Was die so verstandene Dialektik mit der aristotelischen hingegen verbindet, ist nicht nur der große Durchschnitt gemeinsamer Probleme, sondern insbesondere die Ubereinstimmung der theoretischen Intention: Ermittlung und Formulierung jenes Reglements, dem vernünftiges Argumentieren, Räsonnieren, Erörtern oder Disputieren (alle diese Begriffe seien hier synonym verwandt) zu genügen hat. Insgesamt kann man also sagen: Wenn wir unsangesichtsder erkenntnistheoretischen Bedeutung öffentlichen Räsonnements nach dem Reglement eben dieses Räsonnements fragen, dann ist die Dialektik jene Theorie, von der eine Antwort erwartet werdendarf. 42 Anders ausgedrückt: Die Dialektik hat zu klären, was es heißt, dem Prinzip des logischen Pluralismus zu folgen. Die aristotelische Dialektik ist aus verschiedenen Gründen noch nicht die Lösung dieser Entschlüsselungsaufgabe: (a) Die aristotelische Dialektik setzt implizit Regeln voraus, die sie nicht explizit formuliert. Dies gilt z.B. für die Regeln, daß logische Konsequenzen aus zugestandenen Prämissen ihrerseits zuzugestehen sind und daß Behauptetes und/oder Zugestandenes nicht logisch unverträglich sein darf, woraus sich dann insgesamt erst die widerlegende Kraft eines aporetischen Schlusses ergibt. (b) Die aristotelische Topik formuliert Regeln, die selber rekonstruktionsbedürftig sind. Dies betrifft z. B. die angeführten Definitionsregeln oder auch die sehr knapp ausfallenden Bemerkungen über induktives Argumentieren. ( c) Die aristotelische Topik formuliert Regeln nicht, die argumentationsrelevant sind. So wird man z.B. verpflichtet sein, aus Erörterungen in dem Sinne etwas zu lernen, daß es unzulässig wäre, widerlegte Prämissen einer Argumentation erneut zu benutzen, sofern man nicht über neue Stützungen verfügt. (d) Aristoteles hat in der Topik nur ein kleines Fragment der dialektischen Praxis vor Augen. 43 Eine solche Beschränkung ist aus heuristischen Gründen durchaus sinnvoll (und auch wirwerden später eine solche Beschränkung vomehmen 44 ), gleich-
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Zum Programm einer formalen Dialektik
wohl hat sie zur Folge, daß die aristotelische Dialektik nicht als die Di Jlektik angesprochen werden kann. (e) Schließlich wird man ganz generell sagen dürfen, daß die aristotelische Dialektik auf einem von heute aus ges~hen doch sehr niedrigem Explizitheits- und Präzisionsniveau formuliert ist. Offensichtlich ist die aristotelische Dialektik also noch nicht die Antwort auf die Frage nach dem Reglement vernünftigen Räsonnierens. Liner der Gründe dafür dürften die Schwierigkeiten sein, die sich dann ergeben, wenn man für natürliche Sprachen das in ihnen geltende Argumentat.onsreglement zu formulieren versucht_ Deren syntahtische Intransparenz führt nämlich bereits dann zu großen Schwierigkeiten, wenn man lediglich das mit Folgerungsbeziehungen zusammenhängende argumentative Reglement formulieren will, und zwar deshalb, weil Folgerungsbeziehungen in natürlichen Sprachen etwa wegen der Vorkommnisse indexikalischer Ausdrücke nur sehr schwer erfaßbar sind. Im Gegensatz zur informalen aristotelis.::hen Dialektik soll daher in dieser Arbeit eine formale Dialektik, d. h. eine 1 heorie vernünftigen Argumentierens in einer nach sehr einfachen syntaktisd1en Prinzipien generierten formalen Sprache entwickelt werden. Darüber hinaus wird die hier intendierte Dialektik auch in dem Sinne eine formale sein. daß für ihre Formulierung auf formale Hilfsmittel zurückgegriffen wird. die Aristoteles nicht zur Verfügung standen. Eine solche formale Dialektik würde für das Räsonnement in natürlichen Sprachen dann in genau dem ~laße eine positiv-orientierende bzw. negativ-kritische Funktion haben können, wie gelänge, in ihr ein formales Analogon des dem Argumentieren in natürlichen Sprachen zugrunde liegenden Reglements auszuarbeiten. Es geht also letztlich darum, mittels einer formalen Dialektik gerade das Reglement informalen Argumentierens zu entschlüsseln. Was die Durchführung der nachfolgenden Untersuchungen betrifft, so soll in einem Teil I das Programm einer formalen Dialektik im eben skizzierten Sinne zunächst von dem der formalen Logik abgegrenzt werden. Im Anschluß daran sollen bereits entwickelte Disziplinen bzw. Theorieans.itze, nämlich Sprechakttheorie, die sog. Argumentationstheorie und jene B ::mlihungen, die unter 'Theorie der Kommunikationsnormen' rubriziert werden können, unter dem Gesichtspunkt möglicher Anknüpfungspunkte durchgegangen werden. Schließlich soll eine kritische Sichtung von Forschungsprogrammen, die mit dem der formalen Dialektik verwandt sind, erfolgen. Dient Teil I der Abgrenzung und Bestandsaufnahme, so soll auf deren Bas;s im Teil 11 mit systematischen Ausarbeitungen zu einer formalen Dialektik begonnen werden. In einem abschließenden Rück- und Ausblick wird dann insbesondere der Frage nachgegangen werden, inwieweit vermutet werden darf, daß in Weiterverfolgung der systematischen Untersuchungen des Teil II schließlich eine umfassende formale Dialektik im Sinne des einleitend charakterisierten Programms ausgearbeitet werden könnte.
Teil I ABGRENZUNGEN, ANKNÜPFUNGSPUNKTE UND VORARBEITEN
1. Formale Logik und formale Dialektik Aristoteles hat seine Dialektik in der Topik vorgestellt, eine Schrift, deren eigentlicher Wert heute weithin in ihrer Vorläuferfunktion für die Entwicklung der modernen Logik gesehen wird. Es liegt daher nahe, der Frage nachzugehen, inwieweit in der formalen Logik der Gegenwart die exakte und formale Durchführung dessen gesehen werden kann, was Aristoteles in der Topik intendierte (so unzulänglich die Topik selbst auch sein mag). Zu fragen ist also, ob und inwiefern die heutige formale Logik als entwickelte Theorie in der Tradition der aristotelischen Dialektik gelten kann. 1.1 Zum Verhältnis von formaler Dialektik und formallogischen Kalkülen Nimmt man Lehrbücher der formalen Logik zur Hand, dann zeigt sich eine weitgehende Obereinstimmung bezüglich des zentralen Untersuchungsgegenstandes der formalen Logik. So stimmen die Arbeiten von Ajdukiewicz, Asser, Bochenski/Menne, Carnap, Church, Copi, Essler, Hackstaff, Hasenjaeger, Hermes, Hilbert/Ackermann, Hilbert/Bemays, Klaus, Kreisel/Krivine, Kutschera, Quine, Reichenbach, Robin, Rogers, Scholz/Hasenjaeger, Shoenfield, Strawson, Suppes, Stegmüller, Tarski und Ziembinski bei unterschiedlicher Akzentuierung und Motivierung durchweg darin überein, daß zentrales Ziel der Logik die kalkülmäßige Repräsentation der gültigen Folgerungsbeziehungen ist. 1 Bezüglich der Repräsentationsweise können dabei vier Hauptvarianten von Kalkültypen unterschieden werden: Axiomatische Kalküle (a), Kalküle des natürlichen Schließens (b), Tableau- ( c) und Sequenzenkalküle (d). (a) Unter einem axiomatischen Kalkül sei im folgenden ein geordnetes Paar (g.o.P.) aus Axiomen 2 und Regeln, die denübergangvon bestimmten Sätzen zu bestimmten anderen erlauben, verstanden. Unter Rückgriff auf die Axiome bzw. Axiomenschemata läßt sich dann ein Ableitbarkeits- bzw. Beweisbarkeitsbegriff definieren. Eine erste derartige Kalkülisierung der Aussagenlogik wurde von Frege in seiner Begrzffsschrzft im Jahre 1879 vorgelegt. In der Folgezeit wurden zahlreiche Varianten axiomatischer Kalküle vorgeschlagen, die teils äquivalent in dem Sinne sind, daß sie trotz verschiedener Axiome zu gleichen Klassen beweisbarer Sätze führen, teils nicht äquivalent sind. So konnte durch Russell/Whitehead die klassische Aussagenlogik durch fünf Axiome kalkülisiert werden 3 ; Bemays erreichte ihre Axiomatisierung mit vier und Lukasiewicz mit drei Axiomen 4 ; Nicod, Wajsberg und
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Abgrenzungen, Anknüpfungspunkte und Vorarbeiten
Leimiewski gelangen Axiomatisierungen mit nur einem Axiom (die ällerdings sehr unhandlich sind) 5 • Auch die intuitionistische Aussagenlogik wurde in verschiedener Weise von Heyting und Schröter axiomatisiert. 6 :\'eben den nicht äquivalenten Kalkülen der klassischen und intuitionistischen L lgik existieren noch weitere Kalküle, die weder mit Kalkülen der klassischen noch der intuitionistischen Logik äquivalent sind: der .'11inimalkalkül von Johansson, 7 der als positive Logik bekannte, negationsfreie Kalkül von Hilbert/Bemays oder der - ebenfalls negationsfreie - positive Implibtionenkalkül von Church. 8 Unter dem Gesichtspunkt systematischer Repräsentanz gültiger Schlusse oder Folgerungsbeziehungen sind axiomatische Kalküle deshalb brauchnre Darstellungsformen, weil sich ein sehr einfacher Zusammenhang zwis1 hen Ableitbarkeitsbeziehungen in den axiomatischen Kalkülen und Folgerungsbeziehungen ergibt: Ist nämlich B aus A (im Kalkül K) ableitbar bzv.. ist A :::> B (im Kalkül K) beweisbar, dann ist der Schluß von A auf B gültig, wobei sich wegen der Kalkülrelativität von Ableitbarkeitsbedingungen und Beweisbarkeiten im Falle nicht äquivalenter Kalküle auch nicht äquival:nte Klassen gültiger Schlüsse ergeben. Im Falle der klassischen Logik kann d ~ ci> ist. Man kann im Sequenzenkalkül eine bloß mittelbare, aber auch eine unmittelbare Kalkülisierung von Folgerungsbeziehungen sehen. 18 GenTzen selbst hat für eine Beweise einer Äquivalenz zwischen den klassischen bzw. intuitionistischen Varianten des Sequenzkalküls und den entsprechenden Kalkülen des natürlichen Schließens bzw. klassischen und intuitionistischen Varianten axiomatischer Kalküle zum Zwecke sprachlicher Angleichung den Sequenzoperator durch die Implikation ersetzt. Bei dieser Lesart des Sequenzoperators sind die Varianten des Sequenzenkalküls keine Metakalküle entsprechender (klassicher oder intuitionistischer) Kalküle des natürlichen Schließens bzw. axiomatischer Kalküle. Andererseits legt schon die Terminologie Gentzens ("Schlußweisenkalkül") nahe, den Sequenzenkalkül von vornherein als die Kalkülisierung von Folgerungsbeziehungen anzusehen.
Formale Dialektik und formallogische Kalküle
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Die Folgerungsbeziehungen werden so bereits innerhalb des Kalküls ausdrückbar, und die herleitbaren Sequenzen sind dann genau die Folgerungsbeziehungen, die axiomatische Kalküle bzw. Kalküle des natürlichen Schließens mittelbar kalkülisieren. Welcher Kalkültypus also auch immer zugrunde gelegt werden mag, als Resultat kann jedenfalls festgehalten werden, daß sie alle gleichermaßen als Systematisierungen logischer Folgerungsbeziehungen angesehen werden können. Im Sinne der in bezug auf die formale Logik leitenden Ausgangsfrage ist daher zu klären, inwiefern oder inwieweit eine präzise ausgearbeitete Theorie der logischen Folgerungsbeziehung als eine Theorie des Reglements dialektischer Erörterungen angesprochen werden kann. - Wir wollen diese Frage in mehreren Schritten zu beantworten suchen. (a) Wie auch immer eine formale Dialektik als Theorie rationaler Erörterungen schließlich aussehen mag, man wird jedenfalls davon ausgehen dürfen, daß ihr z.B. zu entnehmen sein muß, welche lingualen Handlungen (Behauptungen, Zustimmungen, Bestreitungen, Fragen usw.) in Abhängigkeit von einer gegebenen argumentativen Lage (zu der der bisherige Verlauf der Erörterung, sicher aber auch epistemische Einstellungen der Beteiligten gehören) zulässig sind. Solche lingualen Handlungen haben normalerweise bestimmte propositionale Gehalte, eben jene Sätze, die behauptet, denen zugestimmt, die bestritten werden usw. Bereits der intuitive Blick auf die dialektische Praxis zeigt, daß das Bestehen bestimmter Folgerungsverhältnisse häufig eine notwendige Bedingung für die Zulässigkeit bestimmter lingualer Operationen im dialektischen Wechselspiel ist: So wird man erwarten dürfen, daß jemand, der im Verlaufe einer Erörterung die Sätze Ab ... , An behauptete, gegebenenfalls auch einem Satz B zustimmt, sofern der Schluß von A1, ... ,An auf B eine gültige Folgerungsbeziehung ist. Von jemandem, der die Sätze Ab ... ,An bestritt, wird hingegen erwartet werden dürfen, daß er nicht im weiteren Verlauf den Satz B, wobei -,B logische Konsequenz aus -,Ab ... ,-,An sei, behauptet. Es ist also offenbar so, daß das Bestehen von Folgerungsbeziehungen zwischen bestimmten Sätzen notwendige Bedingung für die Zulässigkeit einer weiteren lingualen Handlung bestimmten Typs und mit bestimmtem propositionalen Gehalt sein kann. Gleichwohl ist festzuhalten, daß allein deshalb das durch die formale Logik systematisierte Folgerungsreglement nicht identisch dem Reglement dialektischer Erörterungen ist: Zunächst gilt, daß die formale Logik lediglich von propositionalen Gehalten handelt, die im Rahmen dialektischer Erörterungen jedoch explizit oder implizit in bestimmte linguale Handlungen eingebettet sind. Die formale Logik kann also bereits deshalb nicht die intendierte formale Dialektik sein, weil sie von jenen Handlungen systematisch absieht, innerhalb derer Sätze im dialektischen Wechselspiel als propositionale Gehalte fungieren. (b) Würde man angesichts dieses Faktums der formalen Dialektik die Aufgabe zuschreiben, die Folgerungsbeziehungen der formalen Logik da-
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Abgrenzungen, Anknüpfungspunkte und Vorarbeiten
durch zu einem Reglement der dialektischen Praxis zu machen, daß d e in den Folgerungsbeziehungen vorkommenden Sätze zu propositionalen Gehalten explizit angegebener Handlungen gemacht und die Folgerungsb··ziehungen derart zu einer Art 'dialektischer Regeln' umformt!liert werden, Ciann erhielte man eine formale Dialektik, die die ihr zugeschriebene Entschliissclungsaufgabe nicht oder nur sehr unzulänglich löst; bestenfalls liefertt: sie 'dialektische Faustregeln', Daß dies so ist, sei an dem ersten Beispiel gez ~igt, das oben zu dem Nachweis, daß das Bestehen bestimmter Folgerungsverhältnisse notwendige Bedingung für die Zulässigkeit bestimmter lingualer Or.erationen ist, herangezogen wurde: Würde man im Sinne dieses Beispiels eine entsprechende dialektische Regel explizit formulieren, dann wäre dieser nicht zu entnehmen, daß jedenfalls nur solche Sätze überhaupt behauptet werden dürfen, von denen derjenige, der sie behauptet, jedenfalls überz•:ugt ist. Diesem Umstand kann man zunächst entnehmen, daß durch Regeln die dialektische Analoga logischer Folgerungsbeziehungen sind, jedenfalls .1ene epistemischen Anforderungen, die an eine dialektische Praxis auch zu stt IIen sind, nicht abgedeckt werden. Im Interesse möglichst expliziter AufkläJUng der dialektischen Praxis wäre also jedenfalls ein weiterer Typus dialektis·:her Regeln, der dann epistemische Anforderungen beträfe, in Betracht zu ziehen. Weiterhin ist es unangemessen, die Zustimmung zu einem Satz, der logische Konsequenz anderer bereits behaupteter Sätze ist, auszusprechen, wenn nicht zuvor durch einen Mitdisputanten eine entsprechende F·-age aufgeworfen wurde. Offenbar bedarf es also wiederum Regeln eines weitnen Typus, die hier Sukzessionsprobleme beträfen. Ähnliche Probleme lassen sich natürlich auchangesichtsanderer Regeln aufwerfen, die, in der skizzierten Weise zu dialektischen Analoga logischer Folgerungsbeziehungen umformuliert, prima facie als Lösung der Fragestellung einer formalen Dialektik angesehen werden könnten. (c) Man wird davon ausgehen können, daß eine ausgearbeitete formale Dialektik das Reglement auch solcher dialektischer Erörterungen angibt, in denen nicht nur schlicht Sätze behauptet, bestritten werden usw., sonc:ern auch 'Argumente' vorgelegt werden. Ein Argument wäre dabei eine k Jmplexere Entität als ein Satz es ist. Es dürfte naheliegend sein, davon auszugehen, daß ein Argument jedenfalls aus zwei Teilen besteht: Zum einen nämlich demjenigen Satz, für den das Argument ein Argument sein soll, l'Um anderen die Menge der Gründe für eben diesen Satz. Sieht man von Problemen induktiver wie auch von den durch Toulmin favorisierten sog. 'subs·antiellen Argumenten' ab (letztere werden wir später diskutieren), dann wird jedenfalls für einen Teil von Argumenttypen gelten, daß die Existenz e; 'ler Folgerungsbeziehung zwischen den angegebenen Gründen und dem zu begründenden Satz notwendige Bedingung der 'Tnftigkeit' des Arguments ist. Nicht hinreichend ist diese Bedingung dabei zum einen deshalb, weil nan Folgerungsbeziehungen bestimmter Form wohl prinzipiell nicht als Fornen zulässiger Argumente gelten lassen wird, so z.B. {Al~ A oder lA. --,Al--B;
formale Dialektik und dialogische Semantik
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zum anderen werden zusätzlich auch bestimmte epistemische Anforderungen z.B. an die als Gründe fungierenden Sätze zu stellen sein, wie etwa die, daß derjenige, der sie als Gründe zu verwenden gedenkt, von ihrer Wahrheit überzeugt zu sein hat und/oder vermuten muß, daß der Adressat des Arguments seinerseits die Gründe glaubt. Je nach Art und Stärke solcher epistemischer Anforderungen werden verschiedene Argumenttypen unterschieden werden können. Gleichwohl, es gibt jedenfalls eine Klasse von Argumenten, für die die Existenz einer Folgerungsbeziehung als notwendige Bedingung fungiert. Nennt man eben diese Argumente 'deduktive', dann wäre also die formale Logik als Theorie der Folgerungsbeziehung gerade jene Theorie, mit deren Hilfe über die Folgerichtigkeit deduktiver Argumente und damit über eine conditio sine qua non ihrer Triftigkeit entschieden werden kann. Damit wird aber zugleich deutlich, daß durch die formale Logik die Aufgabe einer formalen Dialektik noch nicht gelöst ist: Im Interesse der Aufklärung des der dialektischen Praxis zugrundeliegenden Reglements ist eine Aufgabe die, die Struktur 'triftiger' Argumente zu klären. Da an solche offenbar nicht nur die Forderung nach Folgerichtigkeit zu stellen ist, wird die formale Dialektik zwar auf die formale Logik zurückgreifen müssen, ohne daß aber allein durch diesen Rückgriff die in bezugauf die Struktur von Argumenten aufzuwerfenden Fragen allesamt beantwortet werden könnten. Darüber hinaus ist aufzuklären, wie in dialektischen Erörterungen Argumente ausgetauscht werden. In dieser Hinsicht gilt es, Fragen danach zu beantworten, was zulässige 'Gegenargumente' sind, wann sie vorgebracht werden können, wie eine Verteidigung gegen sie aussehen könnte usw., Fragen, die durch die formale Logik offensichtlich nicht beantwortet werden. Als Resümee ist diesen Überlegungen zu entnehmen, daß in Durchführung des Programms einer formalen Dialektik mit Sicherheit auf die formale Logik zurückgegriffen werden muß, sei es deshalb, weil im Sinne der Ausführungen unter (a) die Existenz bestimmter Folgerungsbeziehungen in bestimmten dialektischen Kontexten notwendige Bedingung für die Zulässigkeit bestimmter lingualer Handlungen ist, sei es deshalb, weil im Sinne der Überlegungen unter (c) mit Argumenten als komplexen propositionalen Gehalten, für deren 'Triftigkeit' die Existenz von Folgerungsbeziehungen eine conditio sine qua non ist, gerechnet werden muß. Andererseits zeigt sich, daß allein durch eine Theorie der Folgerungsbeziehung nicht auch schon jene Frage beantwortet ist, die für eine formale Dialektik leitend ist. Die formale Logik ist also nicht bereits die hier intendierte formale Dialektik, wohl aber eine Hilfstheorie, auf die zurückgegriffen werden muß. 1.2 Formale Dialektik und dialogische Semantik Bereits dem Namen nach verspricht die von Lorenzen und Lorenz ausgearbeitete dialogische Logik eine Einlösung des einer formalen Logik zugrunde
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Abgrenzungen, Anknüpfungspunkte und Vorarbeiten
liegenden Programms zu sein. Die Ausarbeitung der dialogischen Logik in ihrer spezifisch konstruktiven Variante läßt sich dabei als der Versuch verstehen, eine Konzeption von Logik vorzulegen, die den Einwänden, die von konstruktivistischer Seite gegen die der klassischen Logik üblicherweise zugrunde liegenden Konzeption vorgebracht werden, Rechnung trägt. 19 Die konstruktivistische Kritik läßt sich dabei in fünf Einzeleinwänden zusammenfassen: (a) Von konstruktivistischer Seite werden, der Kritik Brouwers an den epistemischen Grundlagen der klassischen Logik folgend, Einwände gegen die Anwendung des Zweiwertigkeitsprinzips bei Aussagen über abzählbar unendliche Gegenstandbereiche erhoben. 20 Diese Kritik führt zur Frage der Allgemeingültigkeit des Tertium-non-datur und des Gesetzes der doppelten Negation. Mit der Ablehnung dieser Theoreme steht die konstruktive Lgik in der Tradition der intuitionistischen Logik. 21 (Generell gilt, daß die im Rahmen der konstruktiven Logik wahren Sätze genau diejenigen Sätze s•nd, die sich bei der den Intentionen Brouwers folgenden Axiomatisierung der intuitionistischen Logik durch Heyting ergeben. 22 ) (b) Die semantische Charakterisierung der klassischen Quantoren wird von konstruktivistischer Seite als zirkulär zurückgewiesen. Die Zirkularität besteht nach konstruktivistischer Auffassung im Falle des Allquantors genauer darin, daß im Rahmen der Interpretation des objektsprachlichen Quantors auf metasprachlicher Ebene das umgangssprachliche 'alle' benutzt wird, ohne daß dessen Sinn klarer wäre als der des zu interpretierenden Ausdrucks. 23 Entgegengestellt wird diesem Vorgehen ein Grundsatz methodischen Sprachaufbaus, demgemäß, ausgehend von einem exemplarisch eingeführten sprachlichen Fundament von Nominatoren und Prädikatoren, der Aufbau der Sprache schrittweise und zirkelfrei zu erfolgen hat. (c) Einwände werden von konstruktivistischer Seite erhoben gegen die in der Logik weit verbreiteten referentiellen Bedeutungstheorien, nach denen sprachlichen Ausdrücken durch Funktionen konkrete oder abstrakte Entitäten als deren Bedeutungen zugeordnet werden. Operatoren werden gemäß dieser Auffassung charakterisiert durch Funktionen, die - im Falle zweistelliger Junktoren - g.o.P.en von Wahrheitswerten Wahrheitswerte zu•Jrdnen. Dem wird eine am späten Wittgenstein orientierte semantische Konzeption gegenübergestellt, nach der sprachliche Ausdrücke nicht ihre Referentialität in bezug auf Objekte, sondern durch die Regularität in bezug auf ihren Gebrauch charakterisiert werden. 24 (d) Existenzannahmen bezüglich solcher abstrakter Entitäten, die nicht gemäß einem Konstruktivitätskriterium konstruierbar sind, werden von konstruktiver Seite zurückgewiesen. Positiv gewendet wird damit für eine lwnzeptualistische Ontologie plädiert, mit der aber im prädikative Begriffsbildungen unvereinbar sind. Folgerichtig verfällt die von platonistischen Voraussetzungen ausgehende Cantorsche Mengenlehre einem Verdikt. An die Stelle
Formale Dialektik und dialogische Semantik
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uneingeschränkter Zulässigkeit abstrakter Entitäten tritt deren Erzeugung durch Abstraktion. 25 (e) Gemäß dem der klassischen Logik üblicherweise zugrunde liegenden Logikverständnis, wird ein für eine formale Sprache formulierter Kalkül unter Rückgriff auf Funktionen, die den Sätzen dieser Sprache Wahrheitswerte zuordnen, interpretiert und im Anschluß daran unter den Gesichtspunkten von Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit bezüglich dieser Interpretation untersucht, wobei der Kalkül insgesamt als eine formale Repräsentation semantisch verstandener Folgerungsbeziehungen verstanden werden kann. Gegen ein solches Logikverständnis wird von konstruktivistischer Seite eingewandt, daß es die zentrale Aufgabe der Logik nicht löst, nämlich die Formulierungen der Regeln des vernünftig geführten Meinungsstreits. Mit dem letzten Einwand wird einer verbreiteten Logikkonzeption als Defekt attestiert, was im letzten Abschnitt als Differenz zwischen formaler Logik und formaler Dialektik identifiziert wurde. Eine gesonderte Betrachtung der dialogischen Logik ist daher von besonderem Interesse, soll doch durch sie offenbar eine formale Logik vorgelegt werden, die der Intention nach zugleich eine formale Dialektz'k ist. Man kann dabei nicht sagen, daß die dialogische Logik keine Theorie der Folgerungsbeziehung liefert. Die entscheidende Differenz zwischen herkömmlichen Logikkonzeptionen und der im Rahmen der dialogischen Logik favorisierten betrifft vielmehr die jeweils zugrunde gelegte semantische Basis. Im Sinne der Einwände (b ), (c) und (e) wurde von konstruktivistischer Seite für den Gebrauch logischer Operatoren ein Reglement ausgearbeitet, das diese Operatoren durch Angriffs- und Verteidigungsregeln im Rahmen eines Dialogs zwischen dem Proponenten und dem Opponenten einer These charakterisiert. 26 Diese Charakterisierung gilt dabei, dem Grundgedanken einer gebrauchstheoretischen Semantik folgend, als die semantische Charakterisierung der Operatoren, und eben dies steht in Gegensatz zu deren realistischer, nämlich wahrheitsfunktionaler Charakterisierung. Auf diese Weise werden dann Dialogspiele zur semantischen Grundlage von Logikkalkülen, 27 wobei diese Kalküle nach wie vor als Instrumente zur Repräsentation von Folgerungsbeziehungen verstanden werden können. Wahrheit und Falschheit sind bei einem solchen Ansatz dann nicht mehr jene abstrakten Gegenstände, die als Denotate von Sätzen fungieren, sondern werden mit Gewinn und Verlust in solchen Dialogen identifiziert, die entsprechend dem durch Angriffs- und Verteidigungsregeln und einer zusätzlich erforderlichen Rahmen-, Anfangs- und Gewinnregel gegebenen Dialogreglement geführt werden. 28 Zwanglos läßt sich dann der Begriff der logischen Wahrheit einführen: Logisch wahr sind Sätze genau dann, wenn ein Dialog über sie bei beliebiger Opponentenstrategie gewonnen werden kann. Im Hinblick auf die Dialogspiele als die semantische Basis der Logikkalküle stellen die Vertreter der dialogischen Logik diese in die Tradition der
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aristotelischen Dialektik. Explizit will Lorenzen seine Bemühungen als Beiträge zur Lösung desjenigen Problems verstanden wissen, das schon bei Aristoteles Ausgangspunkt der logischen Untersuchungen war: "Es is1 bekannt, daß eines der wesentlichen Motive, die in der Antike zur Entdeckung der Logik führten, die Suche nach einer Methode war, den rhetorischen Künsten der Sophisten, die sich erboten, aus Schwarz Weiß zu mac!1en, widerstehen zu können. Es galt, das ungeregelte Spiel des Sichgegenst itigWiderlegens in Regeln zu bringen, es zu einem echten 'Agon' auszubilder. " 29 Eben dieses dialektische Moment, das die dialogische Logik zufolge ihrer semantischen Basis besitzt, entbehren- so Lorenzen- die weit verbreitden Logikkonzeptionen der Gegenwart: "Vergleicht man mit diesem agonalen Ursprung der Logik die modernen Auffassungen ... , so sieht man nur zu deutlich, daß aus dem griechischen Agon ein frommes Solospiel gewoc·den ist. " 30 Diese Diagnose wird auch von Kambartel geteilt, wenn er schreibt: "Die Abkehr vom logischen Platonismus, der Wahrheiten oder Falschht iten an sich in Ansatz brachte, führt uns zugleich zum Sokratischen Eierneilt in Platons Philosophie zurück und bezieht die Logik auf jene antike Dialektik, die zuerst 'Logik' heißt." 31 Lenk hat darauf hingewiesen, daß durch den Rückgriff auf Dialogspiele als die semantische Basis von Logikkalkülen nicht per se schon jene S~itze als logisch wahr ausgezeichnet werden, die intuitionistisch beweisbar ~ind, denn bei geeignet gewählter Rahmenregel sind gerade die Dialoge um klassisch wahre Sätze gegen jeden Opponenten gewinnbar. 32 Die Wahl rien läuft dabei auf eine Ausweitung des Ideals axiomatischer Theoriebildung auf empirische Wissenschaften insgesamt hinaus, da die logische Analyse der einzelwissenschaftlichen Theorien als ein wichtiges Rekonstruktionszid gerade die axiomatische Darstellung der zu rekonstruierenden Theorien verfolgt. Für diesen Zweck ist jedoch lediglich ein solches formales Instrumentarium erforderlich, das Folgerungsbeziehungen systematisiert. Zusätzliche erkenntnistheoretische Grundannahmen sorgen dabei zugleich dafür, daß weitergehende und bereits in Richtung einer formalen Dialektik weisende Probleme sich gar nicht erst stellen: Wenn entsprechend dem Sinnthe•)rem des Logischen Empirismus neben den Fakten konstatierenden allenfalls analytische Sätze sinnvoll sind und entsprechend dem Basistheorem über \\'ahrheit und Falschheit synthetischer Sätze durch unmittelbare Erfahrung entschieden werden kann, dann hat Diskursivität und Räsonnement keinen systematischen Ort im Erkenntnisprozeß; der kognitive Fortschritt ;vird, wenngleich arbeitsteilig, im Prinzip solipsistisch erbracht. Unser historischer Exkurs diente der Klärung zweier Fragen: Er-;tens sollte geklärt werden, wie es dazu kam, daß sich die Logik von dem entfernte, was man ihren 'dialektischen Ursprung' nennen könnte, und zweitens wllte der Frage nachgegangen werden, wie eine Theorie der Folgerungsbeziehungen mit einer Theorie des rationalen Argumentierens verwechselt werden konnte. In Beantwortung dieser Fragen läßt sich nun festhalten, daß die Logik ihre Entstehung offenbar dem Interesse verdankt, die Regeln des Miteinander-Redens zu formulieren. Die Entwicklung der Logik ist hingegen ein Prozeß, in dem ein Teilproblem aus dieser umfassenden ProblemstelluiLg zu dem die weitere Forschung leitenden Problem wurde. Das nicht meh1 nur auf die Mathematik beschränkte, sondern auf die empirischen Wissens.:haften ausgeweitete Ideal axiomatischer Theoriebildung machte die Ausarbeitung einer über die aristotelische Syllogistik hinausgehenden systematischen Theorie der Folgerungsbeziehung zu einem drängenden Desiderat. Ar1ders aber als bei Aristoteles, der neben dem axiomatischen Theorieideal und dem diesem korrespondierenden apodiktischen Wissen ein durch dialektische Erörterungen zu bildendes, nichtapodiktisches Wissen kannte, lassen die erkenntnistheoretischen Grundannahmen des Logischen Empirismus, in dessen Umkreis sich die moderne Logik im wesentlichen entwickelte, keinen Raum für eine Diskursivität, der eine systematische Bedeutung zukäme. Auf Basis
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des in axiomatisierten Theorien repräsentierten theoretischen Wissens heißt Argumentieren dann Deduzieren, während die Probleme theoretischer Wissensbildung durch eine induktive Logik zu lösen sind. Sieht man von Problemen induktiven Schließens ab, dann können im Rahmen einer solchen Konzeption die Probleme des Argumentierens als durch die formale Logik im Prinzip gelöst gelten: Die formale Logik ist die formale Dialektik. Diese Auffassung steuert dann ihrerseits die Rezeption der logikgeschichtlichen Anfänge und läßt dort in der Regel die umfassendere dialektische Intention übersehen.
2. Anknüpfungspunkte und Vorarbeiten Wenngleich die formale Logik nach den bisher erzielten Resultaten nicht als formale Dialektik im intendierten Sinne gelten kann, so muß in Ausarbeitung des eingangs herausgestellten Programms dennoch nicht an einem kognitiven 'Nullpunkt' begonnen werden. Erstens nämlich haben theoretische Bemühungen, die von anderen Fragestellungen geleitet wurden, zu Erkenntnissen geführt, an die angeknüpft werden kann (2.1). Zweitens liegen, wenn auch unter anderem Namen und auf einem lediglich rudimentären Ausarbeitungsniveau, Arbeiten vor, die der Sache nach als theoretische Bemühungen im Sinne des Projektes 'formale Dialektik' gelten können (2.2). 2.1 Theoretische Anknüpfungspunkte Wendet man sich zunächst solchen Bemühungen zu, von denen erwartet werden darf, daß an sie im Rahmen der Ausarbeitung einer formalen Dialektik in gewisser Weise angeknüpft werden kann, dann lassen sich jedenfalls drei solcher Anknüpfungspunkte, von denen das hier verfolgte Projekt zugleich allerdings auch abgegrenzt werden kann, nennen: die Theorie der Sprechakte (a); Arbeiten, die gewöhnlich unter dem Stichwort 'Argumentationstheorie' verhandelt werden (b); schließlich solche Beiträge, die fundamentale Normen der Kommunikation zu systematisieren versuchen (c). Diese letzteren Theorien sollen unter dem Namen 'Theorien der Kommunikationsnormen' zusammengefaßt werden. (a) Die auf Austin zurückgehende Sprechakttheorie ist in unserem Rahmen deshalb von systematischer Bedeutung, weil die aufzuklärende dialektische Praxis offenbar von sprachlichen Handlungen 'durchsetzt' ist. Das in Durchführung einer formalen Dialektik aufzuklärende Reglement wird also in selber noch zu klärender Weise auch jene Einheiten betreffen, die der Untersuchungsgegenstand der von Austin vorgelegten und dann insbesondere von Searle weiterentwickelten Theorie sind. Austins über mehrere Jahre hin entwickelte und schließlich als postume
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Bearbeitung unter dem Titel "How to do things with words" 1 veröffemlichten Vorlesungen konzentrieren sich zunächst auf performative Äußerun5en, 2 also solche Äußerungen, die qua Äußerung Vollzug derjenigen Hannlung sind, die gerade mittels der vorkommenden sog. performativen Verben beschrieben werden können; Austin stellt diese Art von Äußerungen dabt·i zunächst noch jenen gegenüber, die traditionellerweise philosophisches Interesse erregten, nämlich die konstativen Äußerungen. Schwierigkeiten, ein grammatisches Kriterium für die Abgrenzung der performativen Äußerungen zu finden, 3 veranlassen Austin zu einem Neuansatz unter Rückgriff auf drei verschiedene Akte, die mit einer Äußerung vollzogen werden 4 : Der lokutionäre Akt ist die gesamte Handlung des Äußems, die ihrerseits zerfällt in einen phonetischen Akt, durch den bestimmte Geräusche hervorgehlacht werden, einen phatischen Akt, der grammatische Konstruktionen unter Rückgriff auf ein bestimmtes Vokabular generiert und schließlich den rhetischen Akt als Akt des Äußerns von etwas über etwas. Der illokutionäre Akt ist im Unterschied zu dem Akt, daß etwas gesagt wird, derjenige, der vollzogen wird, indem etwas gesagt wird. Perlokutionäre Akte schließlich nennt Austin die nicht an Konventionen gebundenen, intendierten oder nichtintendierten Folgen von Äußerungen (z.B. also, daß x den y von z überzeugt). - Unter dem Gesichtspunkt verschiedener illokutionärer Rollen unterscheidet Austin verdiktive, exerzitive, kommissive, konduktive und expositive Äußerungen. 5 Unter Rückgriff auf die illokutionäre Rolle t~iner Äußerung lassen sich dann die performativen Äußerungen, um deren Abgrenzung es Austin zunächst erfolglos ging, als solche Äußerungen cho ist, liegt an einer eigentümlichen Schwierigkeit in den Ausführungen Kopperschmidts: Kopperschmidt formuliert sein Reglement als Reglement für den Vollzug des persuasiven Sprechaktes, den er dahingehend charaktensiert, daß durch ihn ein überzeugungsversuch unternommen wird. Da es Kopperschmidt eingestandenermaßen nicht gelingt, für diesen Sprechakttypus explizit-performative Vollzüge anzugeben, 108 meldet er Zweifel bezüglich Searles Prinzip der Ausdrückbarkeit an 109 und dies, obwohl gerade jene Sprechakttypen, auf die im Rahmen von Geltungsdiskursen zurückgegriffen wird, nämlich Behauptungen, Einwendungen, Fragen, Antworten, Zvstim-
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mungen, Widerrufe usw., zu denjenigen gehören, die sehr einfach explizit gemacht werden können. Kopperschmidt scheint zu übersehen, daß in persuasiven Kommunikationen nicht nur Sprechakte eines Typus geäußert werden. Gegen Kopperschmidt wäre daher einzuwenden, daß seine Regeln nicht als Regeln für den Vollzug des persuasiven Sprechaktes, sondern eher schon als Rahmenregeln für den Vollzug verschiedenster Typen von Sprechakten im Kontext persuasiver Kommunikation zu verstehen sind. Bei einer derartigen Interpretation werden die Regeln Kopperschmidts aber offenbar im wesentlichen identisch mit den von Habermas angegebenen Symmetriebedingungen bzw. mit einigen der nach Habermas im Vollzug eines jeden Sprechaktes erhobenen Geltungsansprüchen. Welche Bedeutung aber, so ist dann zu fragen, hat das universalpragmatische Reglement für eine formale Dialektik? In Beantwortung dieser Frage kann zunächst festgehalten werden, daß die in der dritten und vierten Symmetriebedingung formulierten Zulassungskriterien, nach denen für Diskursteilnahme außerdiskursive Chancengleichheiten verlangt werden, im Rahmen unserer Bemühung um die Explikation des innerdiskursiven Reglements unberücksichtigt bleiben können (was nicht heißt, daß diese Bedingungen auch irrelevant für die Bestimmung der idealen Sprechsituation seien). Die erste und zweite Symmetriebedingung hingegen können als fundamentale Rahmenregeln für ein Diskursreglement gelten, das 'rational' genannt werden können soll, denn ein Diskursreglement, das bestimmten Disputanten die Problematisierung von Geltungsansprüchen verbietet oder bestimmte Meinungen prinzipiell tabuisiert, widerspräche dem Zweck, der Diskursen unterstellt werden kann: Wissensbildung aufdem Wege von Rede und Gegenrede. Ob diese Unterstellung ihrerseits denjenigen transzendentalen Status hat, den Apel ihr zuschreibt, am ehesten noch einem "transzendentalen Schein" 110 vergleichbar ist, wie Habermas erwägt, oder aber schlicht ein Definiens des Diskursbegriffs ist, kann dabei hier unentschieden bleiben. Wichtig ist aber, daß durch als Rahmenregeln fungierende Symmetriebedingungen noch nicht das Diskurse bzw. dialektische Erörterungen leitende Reglement schlechthin gegeben ist: Die Symmetriebedingungen geben keine Auskunft darüber, was Einwand gegen eine Behauptung ist, wann solche Einwendungen gemacht werden dürfen oder sogar müssen; sie sagen nicht, wann Fragen gestellt werden können und welche Antworten erwartet werden dürfen; durch sie wird nicht festgelegt, unter welchen Bedingungen welchen Behauptungen zugestimmt werden muß oder darf oder Behauptungen zurückgezogen werden müssen usw. Fragen dieser Art sind zu klären im Rahmen jener Unternehmung, die Habermas unter dem Namen "Logik des Diskurses" gefordert hat. 111 Eben sie soll in dieser Arbeit (allerdings unter einem anderen Namen) jedenfalls in Ansätzen ausgearbeitet werden. Auch den Griceschen Kommunikationsmaximen können Hinweise auf einzelne Elemente, die zu einem dialektischen Reglement gehören müssen, entnommen werden: So ist z.B. sicher eine Relevanzforderung Teil jenes
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Reglements, wobei aber gerade zu klären ist, was das eigentlich heißen kann. Eben solche Klärungsaufgaben sind bezüglich der Griceschen Quan1 itätsmaximen zu lösen. Ist die erste Untermaxime der Qualität noch in einem vergleichsweise hohen Ausmaße explizit, so dürfte die zweite Untermaxime bereits nicht mehr operabel sein. Während von den unter dem Gesichtspunkt der Modalität angeführten Untermaximen sich im Rahmen unseres formalsprachlichen Ansatzes die Forderung nach Vermeidung von Dunkelheiten und Mehrdeutigkeiten durch syntaktisch-semantische Idealisierungen erledigen lassen, stellt sich bezüglich der Forderungen nach Kürze und Einhaltung einer Reihenfolge wiederum die Aufgabe einer Klärung dieser sicher sinnvollen Forderungen. Das allgemeine Kooperationsprinzip von Grice schließlich formuliert ein Prinzip, in dessen Ausarbeitung man jene Aufgabe ~;ehen kann, die im Rahmen einer formalen Dialektik überhaupt zu lösen ist: Das Kooperationsprinzip verlangt, daß jenem Regelsystem gefolgt werden soll, das unserem Reden eben unterliegt und uns zugleich sagt, was in einer gegebenen argumentativen Lage zu tun oder zu lassen ist. Insofern kann man auch sagen, daß die nähere Ausarbeitung dieses Prinzips das hier leitende Programm ist. Kaum anders als die Griceschen Kommunikationsmaximen sind auch die von Naess angegebenen Sachlichkeitsnormen zu beurteilen: Einerseits fraglos vernünftig, sind sie dennoch nicht mehr als 'dialektische Faustre,~eln', die ihrerseits klärungsbedürftig 112 und selbst nach präziser Ausarbeitung nicht identisch mit jenem umfassenden Reglement sind, dem dialektische Erörterung folgen oder jedenfalls folgen sollten. Blickt man nun auf die hier durchgegangenen Anknüpfungspunkte für eine formale Dialektik zurück, dann kann unter der uns leitenden Rezeptionsperspektive festgehalten werden: Die Sprechakttheorie konzentriert ihre Aufmerksamkeit lediglich auf jene Sorte von in dialektischen Zusammenhängen relevanten Handlungen, mit denen sich Disputanten im dialektischen Spiel von Rede und Gegenrede aufeinander beziehen, wobei die Sprechakte dann auch noch aus ihrem dialektischen Kontext herausgenommen und isoliert untersucht werden. Bei den unter dem Namen 'Argumentationstheon·e' zusammengefaßten Arbeiten handelt es sich streng genommen nicht um Theorien des Argumentierens, sondern allenfalls um Beiträge zu einer Theorie des Arguments. Durch die sog. Theorien der Kommunikationsnormen schließlich werden zum einen Normen zusammengestell~. die den allgemeinen Rahmen dialektischer Erörterungen betreffen, dadurch aber nicht deren inneres Reglement aufklären; zum anderen sind diejenigen Normen, die sich auf die innere Struktur dialektischer Erörterungen beziehen, zwar nicht ohne jede orientierende Kraft, geben aber allenfalls 'Groborientierungen', sind präzisierungsbedürftig und müßten ihrerseits in ein umfassendes dialektisches Reglement eingebettet werden. -Jeder der behandelten Theorien können dabei verwertbare Einsichten entnommen werden, ohne
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daß allerdings auch nur eine dieser Theorien bereits die als Desiderat herausgestellte formale Dialektik wäre.
2.2 Verwandte Programme Die Ausarbeitung einer Theorie, die ihrer Aufgabenstellung nach jene Probleme zu lösen hat, die hier der formalen Dialektik zugeordnet wurden, ist in der Vergangenheit bereits häufiger als Desiderat herausgestellt worden. So fordert Habermas eine "Logik des Diskurses", 113 die - sowohl von der üblichen formalen Logik wie auch von einer transzendentalen Logik unterschieden - als eine pragmatische Logik die "formalen Eigenschaften von Argumentationszusammenhängen" 114 zu untersuchen hätte. Dasselbe theoretische Programm wird von Öhlschläger angeregt, wenn er eine Theorie fordert, die jene Regeln analysiert und modellhaft beschreibt, die im Argurnentieren befolgt werden. 115 Eben diese Aufgabe zu lösen, wird von Buddemeier als die spezifische Aufgabe einer gleichermaßen empirisch wie normativ verfahrenden Kommunikationswissenschaft angegeben. 116 In Konsequenz seiner sprechakttheoretischen Untersuchungen fordert Wunderlich die Durchführung sogenannter Diskursanalysen, die unter Rückgriff auf Begriffe "wie turn (Redebeitrag), move (Zug), Sprechakt-Sequenzmuster, komplexe Sprecheinheit und Diskursart" 117 entweder, konstruktiv vorgehend, immer kompliziertere Diskursmodelle schaffen, oder aber faktische Diskurse untersuchen.118 Im Jahre 19 7 3 stellte Habermas fest, daß es für eine Logik des Diskurses "erst wenige Vorarbeiten" 119 gebe. Drei Jahre später betonte Wunderlich, daß gerade die modellhaft-idealtypische Rekonstruktion "gegenwärtig wohl erhebliche Schwierigkeiten" 120 bereite, und noch 19 78 heißt es bei Stelzner, es sei "vermessen, von der Existenz einer 'Logik der Diskussion' als Wissenschaftsdisziplin zu sprechen". - 121 Die Urteile aller drei Autoren über den Ausarbeitungsstand einer Theorie des rationalen Räsonnierens fallen damit im Prinzip nicht anders aus als ein im gleichen Zusammenhang geäußertes Urteil Schopenhauers aus den Jahre 1844: Für Schopenhauer sollten Logik, Dialektik und Rhetorik das Insgesamt einer" Technik der Vemunft" 122 ausmachen, wobei ihm die Logik als Technik des eigenen Denkens bzw. des Monologs, die Dialektik als Technik der Disputation bzw. des Dialogs und die Rhetorik als Technik des Redens zu vielen bzw. des Panegyrikus gilt. 123 Bezüglich der Dialektik stellt Schopenhauer dann fest, daß man mit den platonischen Dialogen zwar über Muster und Beispiele der Dialektik verfüge, hingegen sei "für die eigentliche Theorie derselben, also für die Technik des Disputierens, die Eristik, ... bisher sehr wenig geleistet worden." 124 In den letzten zwei Jahrzehnten und verstärkt in den letzten fünf Jahren sind allerdings auch bereits eine Reihe von Arbeiten erschienen, die nicht mehr nur programmatisch die Aufklärung des Reglements dialektischer Er-
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örterungen fordern, sondern, wenn auch in sehr unterschiedlicher \\'eise, jedenfalls Schritte in Richtung auf Einlösung des als Desiderat Herausgestellten tun. Arbeiten, die sich als erste Beiträge zur Lösung der gestellten Aufgabe verstehen lassen, stammen von (a) Harrah, (b) Hamblin, ( c) Günther/ Lutz-Hensel, (d) Stelzner, (e) Rescher, (f) Peschel, (g) Jason und (h) Hintikka. (a) In seiner 1963 erschienenen Arbeit "Communication - A lcgical model" versucht Rarrah unter Zugrundelegung des der Informatik entlehnten Sender-Empfänger-Schemas ein Modell für das Verhalten eines rationalen Empfängers zu konstruieren. Es wird modelliert, wie ein rationaler Empfänger Fragen stellt, Botschaften empfängt und überprüft. 125 Zum te=hnischen Instrumentarium der Modellkonstruktion gehören dabei u. a die Prädikatenlogik erster Stufe (mit Identität), die Mengenlehre (Zermelo/ Fraenkel) und die finite Induktion. 126 Die wichtigsten Größen des Modells sind neben SenderS und Empfänger R deren (gemeinsame) Sprache L, eine Botschaft m, eine Fragenmenge Q (des Empfängers), ein Empfängerwis;_en k (das als konsistent unterstellt wird und das R für wahr halten muß) und schließlich eine Informationsfunktion I (die nicht im Sinne des Shannonschen Informationsbegriffs, sondern im Sinne von Carnap, Kemeny und Bar-Hillel entwickelten Informationsbegriffs verstanden und partiell charakterisiert wird). 127 Mit Hilfe dieser Grundbegriffe wird der Begriff "Kommunikationsereignis für R zur Zeit t" als ein 6-Tupel(m,L,k,Q,I,i)definiert, wobei i eine positive ganze Zahl ist, durch die Kommunikationsereignis-;e in Reihenfolgen gebracht werden können. 128 Die so definierten Kommunikationsereignisse fungieren dann als die elementaren Einheiten des Modells, unter Rückgriff auf die Begriffe wie Interview, Kontroverse oder auch Autorität definiert werden. 129 Unter dem Gesichtspunkt 'Aufklärung des Reglements dialektischer Erörterungen' weist das Modell Harrahs allerdings größere Defizite auf: Zunächst einmal ist auf fundamentale Kommunikationsgrenzen im Modell hinzuweisen, die darin bestehen, daß der mit der Menge seiner Botschaften identifizierte Sender selber keine Fragen oder Gegenfragen stellen kt 91 über die behauptete Nichtgültigkeit der genannten Theoreme hinaus nicht charakterisiert. 192 (f) 1979 veröffentlichte Pesehel eine Arbeit unter dem Titel "Möglichkeiten einer formallogischen Darstellung kommunikativer Situationen" mit dem Ziel, "logische Modelle zu schaffen, die bei der Einschätzung faktischer
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Kommunikationsprozesse zuhilfe genommen werden können" . 193 Grundprädikate sind: W(x,p) für .,x weiß, daß p"; B(x,p) für .,x besitzt (vtrfügt über) p"; V(x,p) für .,x versteht p"; Al(x,p) für .,x akzeptiert innerlich, daß p"; A2(x,p) für .,es gibt mindestens einen Sprecher, demgegenübn x p anerkennt"; I(x,y,p) für .,x informiert y über p". Unter Rückgriff auf diese Grundbegriffe (zwischen denen einige Beziehungen gelten sollen) läß1 sich dann noch ein Prädikat I' (x,y,q,p) definieren, das sinngemäß bedeutet: x argumentiert für y zu dem Satz q mit dem Satz p. 194 Pesehel entwirft drei unterschiedlich starke Kalküle jeweils mit bzw. ohne das Prädikat I'(x,y,q,p). 195 In diesen Kalkülen sind dann z.B. folgende Theoremschemata bewe,sbar: A 1 (x,H) :::> V(x,--,H) oder auch I(x,y,H) A A 1 (x,--,H) :::> A 2 (x,H). 196 Die grundlegende Schwierigkeit der Arbeit Peschels besteht untn der hier leitenden Perspektive darin, daß sie trotz des Einsatzes formaler Klärungsinstrumente nicht hinreichend explizit ist, um als Beschreibun~ des dialektischen Reglements gelten zu können. Dies liegt genauer daran, daß mit den Prädikaten A 2(x,p ), I(x,y,p) bzw. I' (x,y,q,p) jene dialektische Praxis, um deren Analyse es geht, allenfalls angedeutet, nicht aber aufgeschlüsselt wird. So bleibt z.B. unanalysiert, was es überhaupt heißt, für etwas zu argumentieren. Pesehel sieht richtig, daß zu kommunikativen Situationen ein epistemischer Kontext gehört und versucht, durch Konstruktion geeigneter 'kommunikationslogischer Kalküle' Theoreme beweisbar zu machen, die u. a. im engeren Sinne linguale Handlungen an einen bestimmten epi~temi schen Kontext binden. Dennoch bleibt diese Art des theoretischen Zugangs in gewisser Weise statisch: Es gibt keine Abfolge von Rede und Gegenrede, durch die sich die Kommunikationsteilnehmer aufeinander beziehen, was wiederum nach sich zieht, daß auch durch sie bedingt Änderungen im epistemischen Kontext nicht mehr in den Blick geraten. So mag auf Linie des Ansatzes von Pesehel schließlich die befriedigende Beschreibung einer kommunikativen Situation möglich sein, es ist aber schwer zu sehen, wie dabei zugleich auch eine Beschreibung des kommunikativen (dialektischen) Pro.zesses gelingen soll. (g) In seiner 1980 erschienenen Arbeit "Notes toward a Formal Conversation Theory" fordert J ason Theorien, "which allow us to demonstrate when a given dialogue has an acceptable form". 197 Dabei gilt es, in Einlösung dieser Forderung Modelle zu entwickeln, die beschreiben, wie rationall' Teilnehmer von Konversationen, deren Ziel der Gewinn von Wissen über die Welt ist, sich verhalten würden. 198 Grundbegriff für die formale Repräsentation von Konversationen ist der Begriff der Runde, mittels dessen dann ein Dialogbegriff skizziert wird: beinBeteiligten besteht eine Runde aus ,~inem Satz und n-1 Reaktionen, die selber entweder Deklarativsätze oder aber Fragen sind. Dialoge lassen sich dann auffassen als Folgen von rn-Runden bzw. m-Tupeln von n-Tupeln von Sätzen, die in Matrizen darstellbar sind. 199 J ason unterscheidet drei Klassen von Dialogregeln: die "narrow ntles of response", 200 die für jede Runde gelten; "rules of strategy" 201 und schließ-
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lieh die "broad rules of response", 202 worunter Regeln für die Beziehungen zwischen früheren und späteren Zügen fallen und die jedenfalls zum Teil so J ason - die Zulässigkeit von Zügen von einem epistemischen Kontext, d.h. gemeinsam geteilten Oberzeugungen von Konversationsteilnehmern, abhängig machen. An Hand von einigen einfachen Konversationsspielen, die weit hinter dem Kompliziertheits- und auch Explizitheitsgrad der von Hamblin vorgelegten Spiele zurückbleiben, versucht J ason seine terminologischen Untersuchungen zu exemplifizieren. 203 Ein Problem bei der Beurteilung des Ansatzes vonJ ason ist dessen sehr niedriger Ausarbeitungsgrad, auf dem - wie es scheint - nicht möglich ist, z.B. die Fruchtbarkeit der gemachten Unterscheidung von Regeltypen zu überprüfen. Eine Merkwürdigkeit im Ansatz von Jason besteht darüber hinaus darin, daß er explizit die formale Konversationstheorie zu einer nichtpragmatischen, sondern syntaktisch-semantischen Theorie erklärt. 204 Dies soll dabei insbesondere heißen, daß ein Bezug auf Sprecher innerhalb der Theorie nicht erforderlich sei. In Konsequenz dieser Konzeption eliminiert Jason daher auch die zunächst zwecks Formulierung von Konversationsregeln eingeführten epistemischen Gemeinschaften, die ihrerseits über gemeinsam akzeptierte Aussagen identifiziert wurden, indem er diese Gemeinschaften als eine Menge von Sätzen konstruiert. 205 Dieses Vorgehen führt insgesamt zu Ungereimtheiten im Verhältnis von Ziel und Durchführung der formalen Konversationstheorie: Sie ist auszuarbeiten in Verfolgung des Ziels, das Konversationsverhalten rationaler Konversationsteilnehmer zu analysieren, um damit über Beurteilungskriterien für faktische Konversation zu verfügen; zugleich sollen innerhalb der Theorie eben diese Teilnehmer nicht vorkommen, was bei konsequenter Durchführung eine anschließende pragmatische Reinterpretation der Theorie erforderlich machen würde, wollte man sie zu dem Zweck einsetzen, der' ihre Ausarbeitung leitete. (h) Unter dem Titel "The Logic of Information-Seeking Dialogues: A Model" veröffentlichte Hintikka 1981 eine Arbeit, in der das Ziel verfolgt wird, eine rationale Rekonstruktion der dialektischen Methode in den Begriffen der formalen Logik zu liefern. 206 Als die dialektische Methode gilt Hintikka dabei "the art of asking questions". 207 Durchgeführt wird dieses Programm im Rahmen einer dialektischen Reinterpretation Bethscher Tableau-Kalküle: 208 Dialogspiele werden als Zwei-Personen-Spiele aufgefaßt, wobei die beiden Spieler mit Ausnahme des Anfangszugs jeweils abwechselnd am Zuge sind. Jeder der beiden Spieler legt ein semantisches Tableau an, in dem in bestimmter Weise Eintragungen vorgenommen werden. 209 Im Anfangszug stellt jeder der Spieler eine These auf, wobei die eigene These im eigenen Tableau jeweils in der rechten, die des Gegenübers in der linken Spalte eingetragen wird. Die nachfolgenden Züge zerfallen dann in deduktive und interrogative Züge. Deduktive Züge bestehen in einer endlichen Anzahl von Anwendungen von Entwicklungsregeln für Tableau-Kalküle (wobei Hintikka eine Restriktion, die die Einführung von Gegenstandskonstanten
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betrifft, einführt). Interrogative Züge zerfallen wiederum in zwei Arter:. Ein erster Typus besteht darin, daß eine Frage gestellt und eine entsprechende Antwort gegeben wird. In diesem Fall wird die Antwort vom Fragenden in die linke Spalte seines Tableaus, vom Antwortenden hingegen in die r·~chte Spalte seines Tableaus eingetragen. Präsuppositionen von Fragen werden dabei wie eine These des Fragestellers behandelt. Ein zweiter Typus von mterrogativem Zug entsteht dann, wenn der Adressat einer Frage sich zu ant· worten weigert. In diesem Fall wird die Negation der mit der Frage verbun· denen Präsupposition in der rechten Spalte von dessen Tableau notien. Gewinner ist, wer als erster sein Tableau schließen kann. Wer auf eine Frage keine volle, d. h. für weitere Fragen keine Raum lassende Antwort geben kann, der ist Verlierer; in diesem Fall ist sein Gegenüber der Gewinner. 210 Schon auf definitorischem Wege hat Hintikka die Dialektik zu ein