Der Stand und die nächste Zukunft der Geldforschung: Festschrift für Hajo Riese zum 60. Geburtstag [1 ed.] 9783428475346, 9783428075348


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German Pages 508 Year 1993

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Der Stand und die nächste Zukunft der Geldforschung: Festschrift für Hajo Riese zum 60. Geburtstag [1 ed.]
 9783428475346, 9783428075348

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Der Stand und die nächste Zukunft der Geldforschung Festschrift für Hajo Riese zum 60. Geburtstag

Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J. Broermann t

Heft 424

Der Stand und die nächste Zukunft der Geldforschung Festschrift für Hajo Riese zum 60. Geburtstag herausgegeben von

Hans-Joachim Stadermann Otto Steiger

DUßcker & Humblot . Berliß

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der .LSS Landesbank Berlin und der ~ Universität Bremen

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Der Stand und die nächste Zukunft der Geldforschung : Festschrift für Hajo Riese zum 60. Geburtstag / hrsg von Hans-Joachim Stadermann ; Otto Steiger. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Volkswirtschaftliche Schriften; H. 424) ISBN 3-428-07534-X NE: Stadermann, Hans-Joachim [Hrsg.]; Riese, Hajo: Festschrift; GT

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme: Hermann Hagedorn GmbH & Co., Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 3-428-07534-X

Inhaltsverzeichnis Hajo Riese als Geldtheoretiker und die Aufgaben der Geldforschung Von Hans-Joachim Stadermann, Berlin, und Ouo Steiger, Bremen

A. Dimensionen des Geldes Vom "Geist" des Geldes. Religionssoziologisches Stichwort zur Kontroverse zwischen Riese und Heinsohn/Steiger Von Erik Grawert-May, Berlin

31

Das Diabolische des Geldes Von Jürgen Kaube und Waltraud Schelkle, Berlin

43

Zur Psychologie des Geldes. Die Rolle der Rentenmark bei der Überwindung der Hyperinflation in der Weimarer Republik Von Hans Peter Widmaier, Regensburg

57

Liquiditätsprämie, Zins und Geld - oder: Warum es keine universelle Wirtschaftstheorie geben kann

69

Von Gunnar Heinsohn und Ouo Steiger, Bremen

B. Geld und Neoklassik Milton Friedmans optimale Geldmenge - Eine Kritik

89

Von Gerhard IIIing, München Preisniveaustabilität durch indirekte Konvertibilität? Über einen Vorschlag zur Trennung der Geldfunktionen Von Hans-Michael Trautwein, Stuttgart-Hohenheim ......................

97

Quantitative versus qualitative (Nicht-)NeutraJität des Geldes: Anmerkungen zu einer nicht überwundenen Dichotomie Von Peter de Gijsel, Maastricht, und Franz Haslinger, Hannover

109

The Neutrality of Money: On the Decline of a NeocJassical Concept By Christo! Rühl, Los Angeles and Stuttgart-Hohenheim

.. . . . . . . . . . . . . . .. 121

Inhaltsverzeichnis

VI

Marschall - Fischer - Samuelson und Sraffa Von Bertram Sche/old, Frankfurt am Main

. . . . . .. . . . . . .. . .. . . . .. . . . . . .. 137

c. Hieks und Keynes Crisis in Keynesian Economics from a Hicksian Perspective By Jesper Jespersen, Roskilde ......................................... 151 Hicks' neo-wicksellianischer Ansatz in der Geldtheorie Von Harald Hagemann, Stuttgart-Hohenheim ........................... 165

D. Keynes' Monetäre Theorie der Produktion Erkenntnisfortschritt, Paradigmenwechsel und die Monetäre Theorie der Produktionsökonomie Von Ame Heise, Düsseldorf und Bremen

177

Keynes und die Postkeynesianer zur Produktionselastizität des Geldes - Eine Kritik Von Hansjörg Klausinger, Wien ....................................... 185 Analytische Aspekte einer Monetären Theorie des Outputs Von Walter Heering, Berlin ........................................... 199 Geld, Zins und Kapitalakkumulation: Rieses Monetäre Theorie der Produktion aus orthodoxer Sicht Von Bemd Woeckener, Tübingen ...................................... 217

E. Theorie des Monetären Keynesianismus Geld, Kredit und Zahlungsfähigkeit. Ein Interpretationsvorschlag Von Rüdiger Dragendorf, Berlin ....................................... 229 Liquiditätspräferenz und Geldangebot. Schritte zu einer keynesianischen Kreditmarkttheorie des Zinses Von Heinz-Peter Spahn, Stuttgart-Hohenheim ........................... 245 Makroökonomische Budgetbeschränkung und Kreditmarkt Von Hansjörg Herr, Berlin

257

Sparen in der Geldwirtschaft - stets ein Vorteil rur Wachstum und Beschäftigung? Von Horst Reichert, Frankfurt am Main ................................ 269

Inhaltsverzeichnis

VII

Geld und Beschäftigung Von Hans-Joachim Stadermann, Berlin ................................. 281 Geld und Allokation Von Karl Betz, Berlin

293

Money as Purchasing Power and Money as Stock of Wealth By Augusto Graziani, Rome

........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 313

F. Geld und Wähnmg: Theorie und Politik Financial Instability and Monetary Policy: Discounting versus Open Market Intervention By J. A. Kregel, Bologna ............................................. 323 Perspektiven des derzeitigen Weltwährungssystems Von Claus Thomasberger, Berlin

331

Geld in internationalen Beziehungen und im Europäischen Währungssystem Von Wi/fried Fuhrmann, Paderborn .................................... 341 Währungspolitische Paradoxien und Handlungsalternativen in der Europäischen Gemeinschaft Von Wo/fgang Schröder, Brüssel

351

Zweimal "Währungsunion". Anmerkungen zur deutschen und europäischen Währungspolitik Von Kurt Nemitz, Berlin

............................................. 361

Die Treuhandanstalt - ein spekulativer Rückblick Von Frank-Christian Hansel und Thomas Schmid-Schönbein, Berlin ......... 375

G. Geld, Entwicklungstheorie und Weltwirtschaft Akkumulation statt Kapitalimport Von Jens Hölscher, Berlin ............................................ 393 Wechselkurse und selektive Protektion Von Mathilde Lüken genannt Klaßen, Berlin

............................ 403

Weltgeld - Allokation - Entwicklung Von Andreas Hauskrecht, Berlin

...................................... 413

VIII

Inhaltsverzeichnis

Zur Relevanz der Entwicklungstheorie der "Berliner Schule" Von Karl Wohlmuth, Bremen ......................................... 423 Geld - der Entwicklungsmotor. Thesen zu einer monetären Entwicklungstheorie Von Wilhelm Hankel, Frankfurt am Main

.............................. 439

Entwicklungspolitische Anforderungen an die Politik des Internationalen Währungsfonds. Versuch einer Synthese von gesamtwirtschaftlicher Stabilisierung und armutsorientierter Entwicklungspolitik Von Michael von HaujJ, Kaiserslautern ................................. 449 Das Geld- und Finanzwesen in Lateinamerika: Skizzierung eines Forschungsprogramms Von Manfred Nitsch, Berlin

.......................................... 459

H. Auseinandersetzungen mit Rieses Theorie der Geldwirtschaft Money, Money, Money ... Einige Bemerkungen zu Hajo Rieses Theorie einer Geldwirtschaft Von Kurt W. Rothschild, Wien ........................................ 473 Zum Stellenwert von "marktlogischer Fundierung" in Rieses geldtheoretischem Forschungsprogramm Von Egon Matzner, Berlin und Wien

.................................. 481

Anhang Verzeichnis der wissenschaftlichen Schriften von Hajo Riese 1959-1993

487

Verzeichnis der Mitarbeiter

495

Verzeichnis der Tagungsbände des Arbeitskreises Politische Ökonomie ........ 498

Hajo Riese als Geldtheoretiker und die Aufgaben der Geldforschung Von Hans-Joachim Stadermann, Berlin und Otto Steiger, Bremen I. Rieses Entwicklung einer Theorie der Geldwirtschaft Hajo Riese entstammt einer norddeutschen Pastorenfamilie. Sein Vater, der in Ostfriesland aufgewachsen war, studierte Jura und Theologie in Göttingen. Mit Rieses Mutter, die aus Mitteldeutschland stammte, ging er 1931 nach Wien, wo er ein Jahr später an der dortigen Evangelischen Hochschule sein Theologiestudium abschloß. Der Bedarf an evangelischen Pastoren in den industriellen Zentren des katholischen Österreichs war damals sprunghaft angestiegen, als die sozialdemokratische Arbeiterschaft in ihren Auseinandersetzungen mit dem Austrofaschismus die Katholische Kirche in großen Scharen verlassen hatte und zum Protestantismus übergetreten war. Rieses Vater erhielt so kurz nach seinem Examen eine Pfarrstelle in Wiener Neustadt. Dort wurde Hajo Riese als das erste von fünf Kindern am 10. Januar i933 geboren. Über die Steiermark zog Rieses Familie 1935 nach Schleswig-Holstein und 1937 weiter nach Dänemark, wo Rieses Vater in einer Gemeinde der deutschen Minderheit in Nordschleswig tätig war. Nach dessen Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1947 übersiedelte die Familie nach Flensburg. Riese besuchte die Friedrich-Paulsen-Schule in Niebüll, an der er 1953 sein Abitur machte. Nach dem Abitur studierte Riese Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Wien und Kiel. In Kiel legte er 1957 das Examen für Diplom-Volkswirte ab und promovierte dort bei Erich Schneider 1959 mit einer Arbeit über Strukturprobleme des wirtschaftlichen Wachstums.1 Im Anschluß daran ging er für mehrere Jahre zur prognos ag in Basel, wo er unter anderem eine Studie über den Bedarf an Hochschulabsolventen in der Bundesrepublik Deutschland im Auftrage des Wissenschaftsrates erstellte.2 In Basel brachten ihn seine Arbeiten auch mit Edgar Salin und Gottfried Bombach zusammen. Bombach kannte er bereits seit dessen Assistententätigkeit bei Erich Schneider in Kiel. An der Universität Basel habilitierte Riese sich 1966 bei Bombach und dem Salin-Schüler Jaques Stohler mit einem bildungsökonomischen Thema 3 im Fach Volkswirtschaftslehre und 1 Hajo Riese, Strukturprobleme des wirtschaftlichen Wachstums, Basel: Basler Forschungszentrum für Wirtschafts- und Finanzfragen, Serie A, Nr. 25, 1959. 2 Hajo Riese, Der Bedarf an Hochschulabsolventen in der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden: Gabler, 1967. 3 Hajo Riese, Gleichgewicht auf dem Markt für hochqualifizierte Arbeitskräfte und Struktur des Hochschulwesens, Habilitationsschrift an der Universität Basel, 1966,

I Festschrift Riese

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Hans-Joachim Stadermann und Otto Steiger

erhielt auf Grund seiner Vorlesungen über Lineare Programmierung auf Vorschlag Bombachs die venia legendi auch für Operations Research. Im Jahre 1967 erhielt Riese eine Professur an der neu gegründeten Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz, wo er mit Kurt W. Rothschild am Aufbau des wirtschaftswissenschaftlichen Studienganges beteiligt war. 1970 wurde er als Nachfolger von earl Föhl Ordinarius an der Freien Universität Berlin und Direktor des Instituts für Theorie der Wirtschaftspolitik - eine Position, die er trotz auswärtiger Rufe bis heute ununterbrochen innegehabt hat. Die Freie Universität hatte zu jener Zeit gerade den Höhepunkt ihrer Studentenbewegung erlebt. Riese engagierte sich, unter anderem als Vizepräsident der Freien Universität, schon bald auf seiten der Kritiker der alten Ordinarienstrukturen, und sein Institut wurde zu einem Kristallisationspunkt für die Kritik der Politischen Ökonomie. Er wurde auch einer der Mitherausgeber der diese Richtung vorantreibenden Zeitschrift "Mehrwert", die seit 1970 erschienen war. Bei alle dem aber verwechselte er Sympathie mit kritischen Studenten nicht mit theoretischer Anspruchslosigkeit. So stellte er in einem Thesenpapier zu dem Aufruf marxistischer Ökonomen, der späteren Memorandum-Gruppe, das zur internen Diskussion in der Redaktion des "Mehrwert" angefertigt worden war, in aller Schärfe fest: "Offensichtlich produziert die kapitalistische Krise keine Blüte der kritischen Ökonomie, sondern ebenfalls deren Krise. Anders ist der intellektuelle Niedergang der kritischen Ökonomie, der sich in diesem ,Aufruf demonstriert, nicht zu interpretieren." 3a Bildungsökonomie und Wachstumstheorie waren die Themenbereiche, mit denen er sich bis zu seiner Berliner Zeit beschäftigt hatte. In der Auseinandersetzung mit der ersten Generation seiner Assistenten - Adelheid Biesecker, Michael Bolle, Niels Bruhn, Hans Utz Förderreuther, RolfRosebrock und Karl Wohlmuth, der ihm von Linz nach Berlin gefolgt war-, wuchs die Kritik an der neo klassischen Wachstumstheorie, an der er sich bislang selbst orientiert hatte, heran. Mit dem Aufsatz "Das Ende einer Wachstumstheorie" von 1970 wurde dieser Schritt dokumentiert. 4 Zugleich setzte er sich verstärkt mit der Theorie der Wirtschaftspolitik auseinander. Dabei lieferte er sowohl eine Kritik der interventionsfeindlichen Konzeption des Ordoliberalismus als auch der dezisionistischen Ziel-MittelTheorie der Wirtschaftspolitik, wie sie vor allem von Tinbergen entwickelt worden war. s Dennoch sind aus heutiger Sicht alle diese Kritiken nur als Manuskript, 250 S. Große Teile dieser Arbeit wurden in Rieses späteren bildungsökonomischen Beiträgen veröffentlicht. Siehe hierzu den TeilIlI seines Schriftenverzeichnisses. 3a Hajo Riese, Thesen zum Aufruf von Wirtschaftswissenschaftlern "Für eine wirksame und soziale Wirtschaftspolitik", Freie Universität Berlin, Dezember 1975, vv. Manuskript, 6 S. 4 Hajo Riese, Das Ende einer Wachstumstheorie, Kyklos 23 (4), 1970, S.756-771. Siehe insbesondere die Fußnote 2.

Hajo Riese als Geldtheoretiker

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Zwischenschritt auf dem Wege zu seiner Geldtheorie aufzufassen, die den Anlaß auch für unsere Festschrift geliefert hat. 1. Vorstudien zur Theorie der Geldwirtschaft (1975 -1981)

Das früheste uns bekannte Zeugnis der Wendung Rieses von einer Neoklassik, in der monetäre Fragen keine wesentliche Rolle spielen, zu einer Ökonomik, in der Geld im Zentrum des Interesses steht, ist ein Manuskript zur keynesianisehen Theorie der Inflation vom Januar 1975. Riese baute hier seine Argumentation auf dem durch Leijonhufvud wiederentdeckten monetären Keynes auf, insbesondere auf der von Leijonhufvud in den Vordergrund gerückten Gegenläufigkeit der Bewegung von Zinssatz und Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. 6 Ein weiterer Versuch wurde mit einer Arbeit unternommen, die auf einen Vortrag zurückgeht, den Riese am 21. Januar 1977 an der Universität Konstanz gehalten hatte. Diese Auseinandersetzung mit der "General Theory" macht erstmals eine eigene Keynesinterpretation als Prolog zu einer Theorie der Inflation deutlich, in der die Vermögensbesitzer und nicht, wie in der Neoklassik, die Haushalte den Wirtschaftsprozeß steuern. Dabei wird die logische Struktur der neo klassischen makroökonomischen Modelle von Patinkin, Brunner und Meltzer sowie der Hicks'schen Keynesinterpretation einer Kritik aus der Perspektive der Interaktion von Vermögens- und Gütermärkten unterzogen. 7 5 Hajo Riese, Ordnungsidee und Ordnungspolitik Kritik einer wirtschaftspolitischen Konzeption. Edgar Salin zum 10. Februar 1972, Kyklos 25 (1),1972, S. 24-48. Hajo Riese, Wohlfahrt und Wirtschaftspolitik, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1975. 6 Hajo Riese, Eine keynesi(ani)sche Theorie der Inflation, Freie Universität Berlin, Januar 1975, vv. Manuskript, 27 S. Vergleiche: Axel Leijonhufvud, On Keynesian Economics and the Economics ofKeynes. A Study in Monetary Theory, New York and London: Oxford University Press, 1968; deutsch: Über Keynes und den Keynesianismus. Eine Studie zur monetären Theorie, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1973. Einfluß auf die frühe Entwicklung der Geldtheorie Rieses dürften auch ausgeübt haben: (i) sein Lehrer Erich Schneider mit seiner scharfen Trennung zwischen Zentralbankgeld und Giralgeld der Geschäftsbanken, (ii) sein Assistent Thomas Schmid-Schönbein mit seinem Versuch, eine neue Werttheorie zu begründen, in der der Wert durch den Tausch unter Vermögenshaltern bestimmt wird, sowie (iii) sein Schüler Josef Schwab mit seiner an Leijonhufvud orientierten Untersuchung, die damals noch stärker als Riese selbst die Wertknappheit des Kapitals und die Deutung der Liquiditätspräferenz als Geldangebot von Vermögensbesitzern betonte. Siehe: (i) Erich Schneider, Einführung in die Wirtschaftstheorie. III. Teil: Geld, Kredit, Volkseinkommen und Beschäftigung, Tübingen: Mohr (Siebeck), 1952, Kap. 1 und 2; (ii) Thomas Schmid-Schönbein, Die Logik des Gütertausches unter Vermögenshaltern und ein Prinzip ökonomischer Evolution, Dissertation an der Freien Universität Berlin, 1977; (iii) Josef Schwab, Eine Interpretation des Beitrages von J. M. Keynes zur Krisentheorie, Mehrwert 14, 1978, S. 29-76, insbesondere S. 40-45. 7 Hajo Riese, Eine Interpretation der General Theory. Prolog zu einer Theorie der Inflation, vv. Manuskript nach einem Vortrag vom 21. Januar 1977 an der Universität Konstanz, 74 S.

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Hans-Joachim Stadermann und Otto Steiger

Ein weiteres unveröffentlichtes Dokument seiner Auseinandersetzung mit Keynes im Jahre 1977 ist unvollendet geblieben. Von der im Titel des Manuskripts angekündigten "ökonomischen Theorie nach Keynes im Lichte der General Theory" erschien nur der erste Teil, eine Neuinterpretation des Keynes'schen Hauptwerkes. 8 Diese aber ist deswegen interessant, weil hier erstmals die Marktlogik der "General Theory" als Theorie der Interaktion von Marktgleichgewichten mit der Betonung der dominierenden Rolle des Vermögensmarktes herausgearbeitet wird. Hier findet sich auch die entscheidende Wendung der Liquiditätspräferenztheorie von einer Theorie der Geldnachfrage zu einer Theorie des Geldangebotes und die Entdeckung der Notwendigkeit der Wertknappheit des Kapitals als Folge eines Wettbewerbs des über den Zins knappgehaltenen Geldes. 9 Einen vorläufigen Höhepunkt lieferte Hajo Riese in den Jahren 1979 bis 1981 mit zwei kurz aufeinander folgenden umfangreichen Manuskripten mit dem Titel "Theorie der Geldwirtschaft": einem Entwurf und einer vorläufigen Fassung, die zur Publikation vorgesehen war. Beide Manuskripte wurden über sein Institut hinaus verbreitet. 10 Das Ziel dieser Theorie der Geldwirtschaft läßt sich in den folgenden Kernsätzen zusammenfassen: (i) Eine Geldwirtschaft besteht aus einer Hierarchie von Märkten, die durch den Vermögensmarkt dominiert wird, wobei Geld für alle Märkte die Budgetrestriktion liefert und der Zins als Knappheitspreis für Geld funktioniert, indem er auf ein einzelwirtschaftlich begründetes Knapphalten des Geldangebotes zurückgeführt wird. Unter Geld wird hier allein Zentralbankgeld verstanden. 10a (ü) Geld ist kein Transaktions- oder Tauschmittel, sondern es ist das Mittel zur Aneignung von produzierten Gütern und Produktionsfaktoren sowie zur Sicherung von Vermögen. Eine Geldwirtschaft ist daher nicht als Tauschwirtschaft, sondern immer als Produktionswirtschaft zu analysieren. 8 Hajo Riese, Die ökonomische Theorie nach Keynes im Lichte der General Theory, Freie Universität Berlin, Oktober 1977, vv. Manuskript, 108 S. 9 Siehe: John Maynard Keynes, The General Theory of Employment, Interest and Money, London: Macrnillan, 1936, S. 213; deutsch: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, München und Leipzig: Duncker & Humblot, 1936, S.178f. 10 Hajo Riese, vv. Manuskript, (i) Theorie der Geldwirtschaft. Entwurf, Freie Universität Berlin, November 1979, vv. Manuskript, 728 S., sowie (ii) Theorie der Geldwirtschaft. Vorläufige Fassung, Freie Universität Berlin, vv. Manuskript, Teil A: Grundlagen einer Theorie der Geldwirtschaft, Mai 1980, 175 S.; Teil B: Theorie des Vermögens, August 1980, 212 S.; Teil C: Theorie der Produktion, Oktober 1980, 240 S.; Teil D: Theorie der Interaktion von Vermögensmarkt und Gütermarkt, April 1981, 406 S. 10. Damit trennt sich Riese von einer Position, die er 1977 noch verteidigt hatte, nach der die Definition des Geldes allein eine Frage der Zweckmäßigkeit sei und somit der Unterschied beispielsweise zwischen Zentralbankgeld und Depositen nicht über die Definition dessen, was Geld ausmacht, geklärt werden könne. Vergleiche: Hajo Riese, Die ökonomische Theorie nach Keynes im Lichte der General Theory, a. a. 0., S. 46 und 68 f.

Hajo Riese als Geldtheoretiker

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(iii) Preistheoretischer Ausdruck der Aneignungsfunktion des Geldes ist der Profit, preistheoretischer Ausdruck der Vermögenssicherung der Zins. Aneignungs- und Sicherungsfunktion des Geldes begründen die Interaktion zwischen Vermögensmarkt und Gütermarkt, wobei der Vermögensmarkt den Umfang der Investition und der Produktion steuert. (iv) Die Diskrepanz zwischen Zins und Profit bestimmt die Höhe der Investition und der Produktion, das Preisniveau und die Höhe der Beschäftigung, wobei die Gleichgewichtslösung Arbeitslosigkeit die in einer Geldwirtschaft notwendigen Trennung von Lohnhöhe und Beschäftigung impliziert. (v) Konjunktur und Krise sind Ausdruck einer Diskrepanz in den Präferenzen der Aneignungs- und der Vermögenssicherungsfunktion des Geldes, während Inflation eine Aushöhlung beider Funktionen bedeutet. 2. "Geldökonomie, Keynes und die Anderen. Kritik der monetären Grundlagen der Orthodoxie" (1983) Einen Durchbruch in der Öffentlichkeit für seine geldtheoretischen Vorstellungen brachte der Aufsatz "Geldökonomie, Keynes und die Anderen" von 1983. Riese wandte sich in diesem Beitrag gegen das "Ping-Pong-Spiel" zwischen Postkeynesianern und Neoklassikern unterschiedlicher Schulen, das lediglich der Präzisierung ihrer jeweiligen Theorien dient, in dem aber nicht Keynes' Gegenentwurf zur monetären Theorie der klassischen und neoklassischen Nationalökonomie diskutiert wird. Dieser bestand nach Riese darin, daß Keynes mit der "General Theory" lediglich "die beschäftigungstheoretischen Implikationen seiner früheren geldtheoretischen Arbeiten klären wollte. Keynes lieferte keine Beschäftigungstheorie, die Abweichungen vom Zustand der Vollbeschäftigung zuläßt, sondern eine Geldtheorie, die eine zinstheoretische Erklärung von Unterbeschäftigung erlaubt."ll Im Hauptteil dieser Arbeit entwickelt Riese die markttheoretischen Grundlagen einer Geldwirtschaft, in der die nominellen Kategorien Geld und Zins ein allgemeines Gleichgewicht als Gegenentwurf zum gütermarktorientierten allgemeinen Gleichgewicht der Neoklassik liefern. Die Bausteine dieser Theorie der Geldwirtschaft bestehen aus einer Zinstheorie, einer Kapitaltheorie, einer Allokationstheorie und einer Konjunktur- und Inflationstheorie. 11 Hajo Riese, Geldökonomie, Keynes und die Anderen. Kritik der monetären Grundlagen der Orthodoxie, Ökonomie und Gesellschaft. Jahrbuch 1: Die Neoklassik und ihre Herausforderungen, Frankfurt am Main 1983, S. 103 -160, Zitat: S. 105. Für die öffentliche Aufmerksamkeit für Rieses Geldtheorie vergleiche auch seine Kontroverse im Arbeitskreis Politische Ökonomie mit Franz Haslinger, Johannes Schneider und Thomas Schmid-Schönbein über "Keynesianismus und Theorie der Geldwirtschaft" , in: E. Hödl und G. Müller (Hrsg.), Die Neoklassik und ihre Kritik. Diskussionsband zu "Ökonomie und Gesellschaft". Jahrbuch 1, Frankfurt am Main: Campus, 1986, Teil III: S. 279-346; Rieses Beitrag: Kritik der Kritik, S. 326-346.

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Hans-Joachim Stadennann und Otto Steiger

In der Zins theorie betont Riese die Notwendigkeit einer monetären Zinsbestimmung für eine Theorie der Geldwirtschaft, in der der Zins seine Begründung aus einer Interaktion zwischen Gläubigem und Schuldnern von Geld erfährt. Dabei läßt sich der Gläubiger die Unsicherheit des Vermögensrückflusses durch den Zins vergüten. Die Entscheidung über die Aufgabe von Geld hängt von der Höhe der Liquiditätsprämie, des nicht pekuniären Ertrages der Geldhaltung, ab. Damit Geld in den Kontrakten zwischen Gläubigem und Schuldnern seine Funktion erfüllen kann, muß die Zentralbank sicherstellen, daß sie die Funktionsbedingungen des Geldsystems erfüllt. Das heißt, daß ihre Aufgabe nicht, wie in der Neoklassik, darin besteht, die Stabilität des Gütermarktes zu garantieren. Kapital ist Aufgabe von Liquidität, weil Gläubiger als Vermögensbesitzer Schuldnern als Unternehmern Geld zum Kauf von Produktionsmitteln vorschießen, das ihnen in der Gegenwart die Aneignung von Ressourcen erlaubt, sie aber in der Zukunft verpflichtet, die Schuld und die Zinsen zu refundieren, und sie derart zum Wirtschaften zwingt. Damit liefert Riese eine Kritik der Grenzproduktivitätstheorie des Kapitals, deren fundamentaler Fehler darin liegt, zu verkennen, daß die Produktivität der Produktionsmittel nicht den Profit, sondern die Güterpreise bestimmt.

Die Allokationslösung in einer Geldwirtschaft besteht darin, daß die Preise im Gleichgewicht eine gleichmäßige Verteilung des wertmäßigen Überschusses der Produktionsmenge über die Produktionsmittelmenge auf die einzelnen Einsätze von Kapital und Arbeit so sicherstellen, daß eine einheitliche Profitrate und ein einheitlicher Lohnsatz erzielt wird. Dabei ist wichtig, daß Profit und Lohn monetäre Kategorien sind. Herausgearbeitet wird auch ein Unterschied zwischen der Tauschtheorie der Neoklassik und der Verpflichtungstheorie der Geldwirtschaft. In der Neoklassik müssen die Individuen nicht tauschen, sondern können und werden dies nur tun, wenn sie in Übereinstimmung zum Paretokriterium ihre ökonomische Situation dadurch verbessern. In der Verpflichtungsökonomie dagegen müssen die Individuen tauschen, um ihre in Geld eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Gehen sie keine Verpflichtungen ein, dann sind sie nicht etwa gleich gut gestellt, sondern es wird keine Wohlfahrt produziert. Aus dieser Allokationstheorie folgt eine Theorie der Konjunktur, bei der die Vermögensbesitzer als Gläubiger durch die Aufgabe von Liquidität die Schwankungen von Beschäftigung und Einkommen bestimmen. Ein Abschwung bedeutete dann Verzicht auf die Ausnutzung von den Zins nicht aufwiegenden Profitmöglichkeiten. Damit ist die Steuerung der Produktion der Unternehmer durch die Geldangebotsentscheidungen der Vermögensbesitzer nach dem Liquiditätspräferenzkalkül gesichert. Das ist nicht nur eine Abkehr von der klassischen und neoklassischen Sicht, sondern auch die Zurückweisung der Keynes'schen Auffassung in einem wichtigen Punkt: Zwar fällt die Entscheidung der Vermögenseigentümer auch in Hinblick auf die Situation im Güter-

Hajo Riese als Geldtheoretiker

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markt, aber es sind nicht die Gütermarktbedingungen, die wie bei Keynes die Unternehmer die Konjunktur bestimmen lassen. Auch eine Inflation läßt sich wie der Abschwung durch eine Auseinanderentwickelung von Profit und Liquiditätsprärnie charakterisieren. Hier steuern allerdings nicht die Gläubiger, sondern die Schuldner den inflationären Prozeß. Dies erfolgt dadurch, daß die Gläubiger nicht wie in der Konjunktur in der Erwartung einer Vermögensvermehrung Liquidität aufgeben, sondern aus Furcht vor Vermögensverlusten Geld ausgeben. 3. "Theorie der Inflation" (1986)

Die in dem Aufsatz "Geldökonornie, Keynes und die Anderen" skizzierte Konjunktur- und Inflationstheorie erhält dann in der 1986 erschienenen Monographie "Theorie der Inflation" ihre umfassend ausgearbeitete Form. Das Vorbild für dieses Werk ist nicht so sehr der Keynes der "General Theory", sondern der der "Treatise on Money". Wie jene besteht sie aus zwei bewußt genauso benannten Teilen: der "Reinen Theorie" und der "Angewandten Theorie".12 Die "Reine Theorie" entwickelt einen allokationstheoretischen Ansatz, der einen Marktprozeß der Rückführung zum Gleichgewicht bewirkt, sowie einen konjunkturtheoretischen Ansatz, der durch marktendogene, sich selbst tragende kumulative Prozesse gekennzeichnet ist und nicht zum Gleichgewicht zurückführt. Riese unterscheidet dabei wie Keynes nach einer, auf den Lohn-Preis-Mechanismus beruhenden Einkommensinflation und einer, auf dem Investitions-Gewinn-Mechanismus beruhenden Gewinninflation. Die Inflation realisiert sich innerhalb des konditionalen Rahmens der Quantitätstheorie, in der Geld die Budgetbeschränkung des Wirtschaftsprozesses liefert. Die Einkommensinflation auf der Grundlage des Lohn-Preis-Mechanismus besteht aus drei Elementen: einer Lohnbildungshypothese, einer Preisbildungshypothese und einer Geldvolumenshypothese. Die Lohnbildungsthese besagt, daß die Steigerungsrate des Nominallohns durch die erwartete Inflationsrate und die erwartete Steigerung der Arbeitsproduktivität bestimmt wird. Die Preisbildungshypothese besteht in der Annahme, daß Unternehmer in Reaktion auf Norninallohnsteigerungen durch ein mark-up-pricing im Marktgleichgewicht den Normalprofit durchsetzen können. Die Voraussetzung dafür ist, daß die Zentralbank durch eine entsprechende Expansion des Geldvolumens das mark-up-pricing finanziert. Entgegen der monetaristischen Annahme zeigt Riese hier, daß die Geldvolumensexpansion nicht die Ursache der Einkommensinflation ist, sondern ihr nur die notwendige monetäre Grundlage liefert, und die Verweigerung der Geldvolumensexpansion eine Störung dieses Inflationsprozesses bewirkt. 12 Hajo Riese, Theorie der Inflation, Tübingen: Mohr (Siebeck), 1986. Vergleiche: John Maynard Keynes, A Treatise on Money. Vol. 1: The Pure Theory ofMoney. Vol2: The Applied Theory of Money, London: Macrnillan, 1930; deutsch: Vom Gelde, München: Duncker & Humblot, 1932.

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Hans-Joachim Stadennann und Otto Steiger

Der zentrale Punkt für Gewinninflation ist die Vervollständigung des Keynes'schen Gewinn-Investitions-Mechanismus durch eine Gewinn-Investitions-Entscheidungstheorie auf der Grundlage des Unterschiedes zwischen laufenden und erwarteten Gewinnen. Der laufende Gewinn, der aus der Investitionstätigkeit der Unternehmer folgt, ist eine Kategorie des Gütermarktes, während der von den Vermögenseigentümern erwartete Gewinn eine Kategorie des Vermögensmarktes darstellt: "Entscheidungstheoretisch gesehen ist mithin der laufende Gewinn der Reflex eines Produktionskalküls, während der erwartete Gewinn die Grundlage eines Investitionskalküls bildet." 13 Diesem Investitionskalkül des Vermögensbesitzers ist der laufende Gewinn zwar in dem Sinne vorgelagert, daß er eine Vermögensvermehrung anzeigt, bevor der Vermögensbesitzer erneut eine Entscheidung über Vermögenssicherung durch Halten dieses Gewinneinkommens oder über eine weitere Vermögensvermehrung durch Aufgabe von Liquidität trifft. Anders als in der neoklassischen Theorie und auch anders als bei Keynes in der "Treatise" bildet der laufende Gewinn bei Riese weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung für Investitionen. Die für Rieses Inflationserklärung wichtigen kumulativen Prozesse ergeben sich dadurch, daß die Liquiditätsprämie und die Profitrate sich gegenläufig entwickeln, dabei aber voneinander abhängig werden. Dabei korrespondieren gestiegene Profiterwartungen bei den Vermögensbesitzern mit einer sinkenden Liquiditätsprämie aus der Geldhaltung im Aufschwung derart, daß dadurch auch die laufende Profitrate über steigende Investitionen erhöht wird. Im Abschwung korrespondiert die Erwartung einer sinkenden Profitrate mit einer erhöhten Liquiditätsprämie, die über sinkende Investitionen auch zu einem Fall der laufenden Profitrate führt. Aus der Verknüpfung des konjunkturellen Investitions-Gewinn-Mechanismus mit der auf den Lohn-Preis-Mechanismus zurückgehenden Einkommensinflation im Aufschwung leitet Riese eine Theorie der kumulativen Inflation ab. Dabei führt der Gewinneffekt im Konjunkturprozeß zu einem Preisniveauschub, der eine Inflation als kontinuierlichen Preissteigerungsprozeß noch nicht konstituiert. Dies geschieht erst durch den Lohn-Preis-Mechanismus der Einkommensinflation. Aus der marktendogenen Bestimmung des Inflationsprozesses ergeben sich Konsequenzen für die Theorie der Wirtschaftspolitik, die er im zweiten Teil der "Theorie der Inflation", der "Angewandten Theorie" behandelt. Hier modifiziert Riese seine Kritik der Theorie aus den frühen 70er Jahren im Hinblick auf die Bedingungen einer Geldwirtschaft. Dabei wendet er sich sowohl gegen den Interventionsoptimismus des neoklassisch-keynesianischen Ziel-Mittel-Ansatzes als auch gegen die Politik der ausschließlichen Geldmengensteuerung der Monetaristen. Der wirtschaftspolitische Spielraum ist eingegrenzt durch einen Interventionszwang im Aufschwung in der Form einer Politik der Stagflation zur Brechung einer, die Funktionsfähigkeit der Geldwirtschaft aushöhlenden 13

Hajo Riese, ebenda, S. 138.

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Inflation. Diese Politik ist stets mit der Gefahr einer Depression verbunden; als Voraussetzung zur Wiederherstellung des Vertrauens, das zu einer Senkung der Liquiditätsprämie und damit zur Aufgabe von Liquidität für Investitionen führen muß, ist sie aber unverzichtbar.

4. "Geld, Kredit, Vermögen. Begriffliche Grundlagen und preistheoretische ImpUkationen der monetären keynesianischen Ökonomie" (1989) Der Aufsatz "Geld, Kredit, Vermögen" von 1989 präzisiert eine wichtige Botschaft Keynes', von der Riese betont, daß die Ökonomen sie nicht ohne Schaden für ihre Theorie vernachlässigen dürfen: "Vermögensbesitzer versuchen stets ihr Vermögen zu retten, selbst wenn sie auf einen Ertrag verzichten müssen; sie halten deshalb die Aufgabe von Geld knapp und begrenzen dadurch die Kreditproduktion."14 Während sich Riese in seiner "Theorie der Inflation" noch damit begnügte, die traditionelle Auffassung über den Zusammenhang von Geschäftsbanken und Zentralbank dahingehend umzukehren, daß die Zentralbank und nicht die Geschäftsbanken den Part der Geldschöpfung und die Geschäftsbanken und nicht die Zentralbank den Part der Geldversorgung spielen, wird jetzt das Wechselspiel zwischen Geschäftsbanken und Zentralbank darin gesehen, daß "der Zentralbank als staatlicher Einrichtung die Bereitstellung von Zahlungsmitteln obliegt, während die Geschäftsbanken die Verfügung über die Zahlungsmittel steuern. Mit diesem Ansatz wird Geld in die privatwirtschaftliche Ökonomie zurückgeholt. "15 Riese begnügt sich nun nicht mehr damit, Geld als Zentralbankgeld zu definieren, sondern analysiert es darüber hinaus in seiner, in der traditionellen Geldtheorie vernachlässigten ökonomischen Funktion als Medium für Zahlungsversprechen. Die Geldwirtschaft wird von ihm dadurch charakterisiert, daß in ihr Zahlungsfähigkeit nur über die Knapphaltung der Kreditproduktion sichergestellt werden kann. Er diskutiert in diesem Zusammenhang das Spannungsverhältnis, das sich daraus ergibt, daß Zentralbankgeld nicht nur rechtlich, sondern auch ökonomisch akzeptiert werden muß.

5. "Stand der Geldforschung -

Regression und Fortschritt" (1991)

Der Zusammenhang von Geld und Kredit als Funktionsproblem einer Geldwirtschaft und, wie hier erstmals gezeigt, einer Geldverfassung, wird in dem Vortrag "Stand der Geldforschung - Regression und Fortschritt"16 von 1991 14 Hajo Riese, Geld, Kredit, Vermögen. Begriffiiche Grundlagen und preistheoretische Implikationen der monetären keynesianischen Ökonomie, in: H. Riese und H.-P. Spahn (Hrsg.), Internationale Geldwirtschaft, Regensburg: Transfer, 1989, S. 1-59; Zitat S. 57. lS Hajo Riese, ebenda, S. 54. 16 Hajo Riese, Stand der Geldforschung Regression und Fortschritt, Vortrag anläßlich der Frühjahrstagung 1991 des Arbeitskreises Politische Ökonomie in Bad Zwischenahn, 31. Mai - 2. Juni 1991, vv. Manuskript, 10 S.

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in das Zentrum der Betrachtung gerückt. Die von Walter Bagehot 1873 in die Diskussion eingeführte Theorie des "offenen Diskontfensters" wird hier nicht, wie in der herrschenden Geldtheorie, als ein rein technisches Instrument der Geldmengenregulierung begriffen, sondern als "Anker für die Funktionsfähigkeit einer Geldwirtschaft" Y Zur Verhinderung der Zerstörung des Kreditmechanismus ist die Zentralbank verpflichtet, jederzeit reichlich, aber zu hohen Zinsen und gegen gute Banksicherheiten Zahlungsmittel auszuleihen. 1s Die zwischenzeitlich in der herrschenden Geldtheorie eingetretenen Regression läßt sich nach Riese auf vier Punkte zurückführen, deren Nichtüberwindung den Fortschritt der Geldforschung hemmt: (i) Die herrschende Geldtheorie thematisiert die Geldnachfrage. Es handelt sich dabei aber um ein Phänomen des Ungleichgewichtes, das nur in der Krise auftritt. Nicht die Geldnachfrage, sondern das Geldangebot als Beziehung zwischen Geld und Kredit bestimmt jedoch das Gleichgewicht einer Geldwirtschaft. (ii) Die Gleichgewichtsmenge für Geld und Kredit wird nicht durch das exogene Geldangebot der Zentralbank vorgegeben, sondern durch den Zinssatz gesteuert. Das bedeutet, daß wirtschaftspolitische Ziele nicht durch Geldmengenpolitik realisiert werden können. (iii) Daraus folgt, daß statt einer Politik des leichten Geldes oder der Idee einer Neutralität des Geldes, bei der die Höhe des Zinssatzes unwesentlich erscheint, die Politik des teueren Geldes das tragende Funktionselement einer Geldwirtschaft ist. (iv) Dadurch wird die Zentralbank als "lender of last resort" zum institutionellen Funktionselement einer Geldwirtschaft, statt bloß Ordnungsfaktor zur Regulierung der Geldversorgung zu sein. Die Zukunft der Geldforschung liegt nach Riese in der Entwicklung eines Forschungsprogramms, das auf den vier Punkten basiert, die durch Rückbesinnung auf Bagehot's Theorie des offenen Diskontfensters formuliert werden konnten. Es kann daher nicht überraschen, daß in Rieses lange erwarteten Neufassung seiner "Theorie der Geldwirtschaft", deren erster Teil ebenfalls seit 1991 vorliegt, Bagehot, nicht Keynes zum eigentlichen Vorläufer seines jetzt "marktkonform" statt "monetär-keynesianisch" genannten Ansatzes wird 18a. Hajo Riese, ebenda, S.4. Siehe: Walter Bagehot, Lombard Street: ADescription ofthe Money Market (1873), 14. überarb. Auflage, hrsg. von H. Withers, London: John Murray, 1915, S.56 und S.187f. lS. Siehe: Hajo Riese, Theorie der Geldwirtschaft. Neue Fassung, Freie Universität Berlin, 1991, vv. Manuskript, 323 S. Bisher liegt vor: Teil A: "Reine Theorie der Geldwirtschaft" mit den Kapiteln I: "Theorie des Geldes und des Vermögens" und II: "Monetäre Theorie der Produktion". Vergleiche auch Rieses jüngste Arbeit, Bagehot versus Goodhart: Warum eine Zentralbank Geschäftsbanken braucht, Forschungsgrup17 18

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6. Geld und Währungskonkurrenz (seit 1978) Parallel zu Rieses Theorie der Geldwirtschaft, deren Entwicklung wir bisher nachgezeichnet haben, hat sich Riese mit welt- und währungspolitischen Themen befaßt, die eine Theorie der internationalen Geldwirtschaft begründen. Sie geht von seiner Auseinandersetzung mit der theoretischen Position des Kieler Instituts für Weltwirtschaft aus dem Jahre 1978 über die währungstheoretischen Kapitel VI bis VIII in seiner "Theorie der Inflation" bis hin zu dem Aufsatz "Schuldenkrise und ökonomische Theorie" von 1989. 19 Im Kern erweitert diese Debatte das Konzept einer Hierarchie von Märkten auf die Devisenmärkte. In die Überlegungen fließt ein, daß es nicht nur ein Geld, sondern viele nationale Währungen gibt, mit deren Hilfe die Vermögensbesitzer die nationalen Zentralbanken einer Konkurrenz unterwerfen. Das Problem der Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit bezieht sich dann nicht nur auf das von der nationalen Zentralbank selbst produzierte Geld, sondern auch auf die Transforrnierung dieses Geldes in fremde Währungen. Geld wird zur Währung, soweit es eine Verpflichtung der einheimischen Zentralbank in fremdem Geld durch seine Konvertierbarkeit garantiert. Die Konvertierbarkeit ist nicht Voraussetzung einer stabilen Geldverfassung, sondern deren Konsequenz. Aus der Währungskonkurrenz folgt eine Theorie der Hierarchie von Währungen auf dem Devisenmarkt, auf dem sich eine Leitwährung herausbildet. Das Entscheidungsproblem einer Verfügung über Vermögenswerte erweitert sich bei konkurrierenden Währungen dadurch, daß als Alternative zur Haltung von Liquidität in nationaler Währung nicht nur das Halten von Sachvermögen möglich ist, sondern auch das Halten fremder Liquidität. Dabei führt das Halten einer Währung binnenwirtschaftlich zur Steigerung ihres Zinssatzes und außenwirtschaftlich zur Steigerung ihres Wechselkurses und das Aufgeben von Geld senkt den Zinssatz beziehungsweise den Wechselkurs. Aus der Hierarchie der Währungen folgt auch, daß die Autonomie von Währungen, die nicht bevorzugt werden, unterlaufen wird, weil der Anlagecharakter der Leitwährung als Dual eine Zurückweisung der schwächeren Währungen bewirkt, die nicht durch Zinsunterschiede ausgeglichen werden kann. Aus der unterschiedlichen Währungspräferenz folgen harte und weiche Währungen, die den Kern des Verschuldungsproblems der Entwicklungsländer ausmachen. Eine Entschuldung kann nicht gelingen, weil die Hartwährungsräume durch handelsmerkantilistische Strategien der Unterbewertung zugleich pe "Postkeynesianische Ökonomie": Diskussionsbeiträge zur gesamtwirtschaftlichen Theorie und Politik - N.F. Nr.22, Universität Bremen, Januar 1993, 69 S. 19 Vergleiche: Hajo Riese (i) Strukturwandel und unterbewertete Währung in der Bundesrepublik Deutschland. Bemerkungen zur theoretischen Position des Instituts für Weltwirtschaft Kiel, Konjunkturpolitik 24 (3), 1978, S. 143-169, insbesondere S. 149161; (ii) Theorie der Inflation, a.a. 0., S. 232-287; (iii) Schuldenkrise und ökonomische Theorie, in: H. Riese und H.-P. Spahn (Hrsg.), Internationale Geldwirtschaft, Regensburg: Transfer, 1989, S.187-216.

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einer Überbewertung der Weichwährungen hervorrufen. Statt daß die Weichwährungsländer durch Unterbewertung ihrer Währung die Devisen für den Schuldendienst verdienen, müssen sie eine Überbewertung akzeptieren, die ihnen Importüberschuß und Kapitalflucht aufzwingt. 7. "Geld im Sozialismus. Zur theoretischen Fundierung von Konzeptionen des Sozialismus" (1990)

Durch die Refonnbestrebungen in den damals real existierenden sozialistischen Ländern, kam Riese in der Zeit des Umbruchs in Osteuropa und der DDR dazu, seine Geldtheorie auf die Probleme von Planwirtschaften anzuwenden. 20 Er lenkt dabei die Aufmerksamkeit auf den Punkt, daß die Debatte um die Einführung von marktwirtschaftlichen Elementen im Sozialismus und später auch der Transfonnation sozialistischer Planwirtschaften in Marktwirtschaften nicht die Konstitutionsbedingungen von Geldwirtschaften berücksichtigen. Sie berücksichtigen vor allem nicht, daß die Funktionsfähigkeit eines Marktsystems nur über ein Knapphalten von Geld gewährleistet werden kann, das den Zinsanspruch von Vennögensbesitzern durchzusetzen erlaubt. Dagegen ist nach Riese die Diskussion über den Weg in eine Marktwirtschaft gegenstandslos, weil Sozialismus und Geldwirtschaft sich nicht durch die Existenz oder Nichtexistenz von Märkten unterscheiden, sondern das Kriterium durch die Existenz von Käufennärkten in der Geldwirtschaft und von Verkäufennärkten im Sozialismus geliefert wird. Geld ist in Übereinstimmung hierzu keinesfalls ein Phänomen des Überbaus der Produktion von Gütern, sondern es bedingt die Überschüssigkeit der Ressourcen ebenso notwendig, wie die Mengenplanung mit administrierten Preisen die Überschüssigkeit des Geldes hervorbringt und zu einer Ressourcen- und Güterverknappung deswegen führt, weil die fehlende Vennögensfunktion des Geldes unter Umständen, in denen die Ressourcen die Budgetbeschränkung liefern, durch Güterhortung ersetzt wird. Daraus ergibt sich, daß der Schritt von der Planwirtschaft zur Geldwirtschaft nicht zugleich und notwendig in den Wohlstand der entwickelten dominanten Geldwirtschaften führt. Es wird deutlich, daß die Konstitution der Bedingungen der Geldwirtschaft zu Aktivitätsniveaus in den Transfonnationsökonomien führen kann, die sie eher mit "rudimentären" Geldwirtschaften vergleichbar oder sie zu weniger entwickelten, "gestörten" Geldwirtschaften wie den Entwicklungsländer machen werden. 21

20 Hajo Riese, Geld im Sozialismus. Zur theoretischen Fundierung von Konzeptionen des Sozialismus, Regensburg: Transfer, 1990. 21 Vergleiche: Hajo Riese, Die Geldfunktion in der Transfonnation von Planwirtschaften in monetäre Ökonomien, Forschungsgruppe "Postkeynesianische Ökonomie": Diskussionbeiträge zur gesamtwirtschaftlichen Theorie und Politik - N.F. Nr. 19, Universität Bremen, Juli 1991, 17 S.

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11. Keynes, Riese und der Stand der Geldforschung Die Entwicklung der geldtheoretischen Vorstellungen von Hajo Riese haben sich nicht nur in den von uns behandelten und zahlreichen anderen Arbeiten, die im Anhang zu dieser Festschrift verzeichnet sind, niedergeschlagen, sondern auch zu einer besonderen geld theoretischen Richtung geführt: der sogenannten Berliner Schule des monetären Keynesianismus. In einer Bibliographie ihrer Arbeiten aus dem Jahre 1989 werden neben dem geldtheoretischen Werk Rieses bereits 48 Titel von zehn Ökonomen aufgeführt 22 : Karl Betz, Rüdiger Dragendorf, Alfred Hannig, Hansjörg Herr, Carlos Jahnsen-Gutierrez, Karl-Ernst Lohmann, Mathilde Lüken-Klaßen, Thomas Schmid-Schönbein, Heinz-Peter Spahn und Hans-Joachim Stadermann. Seit 1988 haben zudem Riese und Spahn die Schriftenreihe "Studien zur monetären Ökonomie" herausgegeben, in der in bisher 13 Bänden die Ideen der Berliner Schule vorangetrieben und kritisch analysiert worden sind: in 9 Monographien und 4 Sammelbänden.22a Rieses, an Keynes orientierte Geldforschung hat nicht nur zu einer eigenständigen Schule geführt. In vielfältiger Weise haben seine Ideen auch die Ansätze geldtheoretischer und geldpolitischer Forscher außerhalb Berlins angeregt. Die vorliegende Festschrift präsentiert eine Auswahl der Geldforschung seiner Schüler und Kollegen, die sich mit aktuellen Fragen des Geldes auseinandergesetzt haben. Die Festschrift umfaßt ein breites Spektrum von Arbeiten klassischer, neoklassischer und keynesianischer Theoretiker, aber auch solcher von Praktikern. Auch wenn der Geburtstag Rieses der Schrift den Anlaß gegeben hat, so enthält sie doch mehr als eine Würdigung seines Werkes, vielmehr gibt sie einen Überblick über den Stand und einen Ausblick auf die nächste Zukunft der Geldforschung.

1. Dimensionen des Geldes Von den für die Ökonomie entscheidenden Begriffen ist das Geld sicher eine Größe, die in den vielfältigsten Dimensionen ihren Ausdruck fand. Geld hat in so unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen wie der Religionssoziologie, der Philosophie, der Psychologie oder der Systemanalyse Anlaß zu Auseinandersetzungen gegeben. Die folgenden Beiträge zeichnen sich dadurch aus, daß sie die Rolle des Geldes unter diesen nichtökonomischen Aspekten beleuchten, ohne die ökonomische Bedeutung dabei aus den Augen zu verlieren. Religionssoziologische Betrachtungen haben auf dem Kontinent, insbesondere in Deutschland und Frankreich, im Gegensatz zu England eine große Rolle 22 Vergleiche: Bibliographie. Arbeiten zur monetären keynesianischen Ökonomie ("Berliner Schule"), in: H. Riese und H.-P. Spahn (Hrsg.), Internationale Geldwirtschaft, Regensburg: Transfer, 1989, S. 282-289. 22. Die Bände 1-10 sind im Transfer Verlag, Regensburg (1988-1991), erschienen, die Bände 11-13 bei Metropolis in Marburg (seit 1992).

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gespielt. In England setzte sich eher eine pragmatische, profane Diskussion des Geldes durch. Ausgehend von einer ausführlichen Auseinandersetzung mit Laums Untersuchung über den sakralen Ursprung des Geldes von 1924, die jüngst in einer Kontroverse zwischen Riese und HeinsohnjSteiger eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat, sowie von späteren ähnlichen Arbeiten der französischen Soziologie von Durkheim, Mauss und Bataille, versucht GrawertMay zu zeigen, daß Keynes als pragmatisch denkender Politischer Ökonom in England vom "Geist" des Geldes, das heißt von dessen ursprünglich heiligem Charakter, in seiner Wirtschaftstheorie sehr wohl zu profitieren wußte. Der Geist des Geldes steht auch im Zentrum des Beitrages von Kaube und Schelkle - hier jedoch nicht in seiner sakralen, sondern in seiner diabolischen Rolle. Die Autoren beleuchten dabei die Angriffe, denen das Geld bis in die Gegenwart, nicht nur von religiöser Seite, wie voreinst von der Katholischen Kirche, sondern auch von antireligiösen Eliten, wie insbesondere von Theoretikern des Liberalismus, bis heute ausgesetzt ist. In Auseinandersetzung mit Luhmanns soziologischer Geldtheorie zeigen sie, daß die liberale Geldkritik die Verpflichtungsseite des Geldes als Übel empfindet, das man durch Geldreform aufheben kann. Sie verfängt sich dabei in das Paradoxon, den Glauben ohne die Kirche zu wollen, das heißt die Geldwirtschaft ohne die Zentralbank. An dem historischen Beispiel der Hyperinflation in der Weimarer Republik und ihrer Überwindung durch die Rentenmark diskutiert Widmaier die Bedeutung der Psychologie des Geldes. Einfachste Stereotype, hoffnungsträchtige Symbole und gefühlsbeladene Zauberformeln brachten in einer chaotischen ökonomischen Situation, in der die allgemeine Spannung für die Individuen unerträglich geworden war, auf verblüffend klare und einfache Weise Entspannung und Erleichterung. Dies galt nicht nur für die politisch verantwortlichen Persönlichkeiten, sondern auch in unerwarteter Breite für nahezu alle Schichten der Bevölkerung. Neoklassische Wirtschaftstheorie hat den Anspruch, eine universalistische Theorie des Wirtschaftens zu formulieren, das heißt, sie soll für die gesamte Menschheitsgeschichte, unabhängig von der Gesellschaftsformation, gelten. Demgegenüber zeigen Heinsohn und Steiger, daß jede Gesellschaftsstruktur lediglich einen spezifischen Mechanismus für die Sicherstellung der ökonomisch-sozialen Form findet. Die für Privateigentumsgesellschaften wesentlichen Merkmale des Wirtschaftens wie Liquiditätsprämie, Zins und Geld finden sich dabei nur in diesen, nicht aber in Stammes- und Feudalgesellschaften. In einem Anhang zu ihrem Beitrag zeigt Heinsohn, wie das wenig fruchtbare Verhältnis von Historikern und Ökonomen dazu geführt hat, daß diese wesentlichen Merkmale bisher nicht hinreichend erklärt werden konnten.

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2. Geld und Neoklassik

Daß die neoklassische Theorie des Geldes in einer Festschrift für einen monetären Keynesianer keinen sehr bedeutenden Platz einnimmt, dürfte den Leser kaum überraschen, da Geld für Neoklassiker, wenn es nicht als Störfaktor auftritt, neutral wirkt. Dennoch bestehen auch dort interessante Berührungspunkte zu monetären keynesianischen Theorie. Der Beitrag von Illing macht am Beispiel des Friedman'schen Konzeptes der optimalen Geldmenge deutlich, welche Schwierigkeiten die neoklassische Geldtheorie hat, ihre Aussagen theoretisch hinreichend exakt zu formulieren. Bei Friedman kann eine Geldhaltung nur dann effizient sein, wenn der Nominalzins Null ist. Damit hat die Lehre im Gleichgewicht keine Erklärung für die Geldhaltung, weil ihr eine Vorstellung von der Liquiditätsprämie fehlt, die bei Keynes und Riese eine so zentrale Rolle spielt. Eine konsequent neoklassische Denkrichtung der Geldtheorie liefern die "New Monetary Economics". Sie trennen die Einheit des Geldes als Wertmaß und Zahlungsmittel. Der Staat definiert einen Warenkorb, der den Wirtschaftern eine Werteinheit "Valun" vorgibt. Es wird dann die Stabilisierung des Preisniveaus davon erwartet, daß es den Geschäftsbanken im Wettbewerb überlassen bleibt, das Publikum mit Tauschmitteln zu versorgen, die in Valuns denominiert und in Gold einlösbar sind. Wie Trautwein zeigt, erweist sich jedoch dieser Vorschlag zur Unterdrückung von Preisinstabilitäten als permanent instabile Lösung, weil Banknoten und Banknotenbesitzer immer wieder erheblichen Kurs- und Solvenzrisiken ausgesetzt sind, ohne daß es eine Institution gibt, die Konvertibilität garantiert. Ausgehend von dem neoklassischen Konzept der Neutralität des Geldes, versuchen de Gijsel und Haslinger zu begründen, daß für das Verständnis der Funktionsfähigkeit einer Geldwirtschaft ihre Kontrastierung mit einer Nichtgeldwirtschaft notwendig und dabei zwischen quantitativer und qualitativer Neutralität zu unterscheiden ist. Anhand der seit den 30er Jahren geführten Debatten über die Neutralität des Geldes zeigen sie, daß es bis heute nicht klar ist, wie die Struktur einer geldlosen Ökonomie auszusehen hat. Neue Entwicklungen in der neoklassischen Geldtheorie geben Hinweise darauf, daß nicht das Konzept einer Realtauschökonomie, sondern das einer "vertrauenslosen Ökonomie" einen vielversprechenden Ansatz für die Beschreibung einer Nichtgeldwirtschaft liefern könnte. Eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Neutralität des Geldes liefert auch Rühl, der zeigt, daß dieser Begriff sich in der ursprünglichen, von Wicksell initiierten Debatte - mit überraschenderweise starken Anklängen an die monetäre Analyse von Adam Smith - auf "Innengeld" bezog, während seine neuere Diskussion bei Lucas und Sargent "Außengeld" ins Zentrum des Interesses rückt. Ein Verständnis dieser auf Hayek zurückgehenden Verschiebung der Blickrichtung ist unabdingbar, um die Unterschiede von postkeynesia-

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nischen Theorien, die die Konjunktur auf Koordinationsfehler zurückführen, und neuklassischen Modellen, die sie als Gleichgewichtsphänomen analysieren, zu erklären. Eine Kritik der neo klassischen Geldtheorie aus klassisch-neoricardianischer Sicht liefert Sehefold. Dabei führt er aus, daß für das intertemporale neoklassische Gleichgewicht so viele Zinssätze existieren, wie numeraires definiert werden können. Daraus folgt, daß Geld in die intertemporalen neoklassischen Modelle schwieriger einzuführen ist als in die klassischen. Dies gilt, weil die Klassik das Konzept der Einheitprofitrate kennt und den Geldzins auf diese beziehen kann. 3. Hieks und Keynes

Ein Ökonom, der sich wie Riese in seiner wissenschaftlichen Laufbahn fast ausschließlich mit Keynes beschäftigt hat, ist John Hicks. Seine Zusammenfassung der "General Theory" im ISLM-Diagramm wurde lange als die richtungsweisende Interpretation der Keynes'schen Makrotheorie verstanden und hat als Neoklassische Synthese das Denken dominiert. Jespersen zeichnet in seinem Beitrag die Entwicklung der Keynes-Interpretation von Hicks von seiner ersten Besprechung der "General Theory" zu seinem postum veröffentlichten Werk "A Market Theory of Money" (1989) nach. Dabei zeigt er, wie Hicks seine ursprünglich neoklassische Auseinandersetzung mit Keynes als unzureichend empfand und immer stärker auf institutionelle Fragen verlagerte. Auch Hagemann bezieht sich auf Hicks' Spätwerk aus dem Jahre 1989. Dabei zeigt er, daß Hicks' makrotheoretische Entwicklung ein Rückgriff auf die Tradition einer geldtheoretischen Analyse bedeutet, die zuletzt Anfang der 30er Jahre eine Rolle gespielt hat. Insbesondere erfolgt bei Hicks eine eingehende Auseinandersetzung mit Keynes' "Treatise", die er zunehmend mehr schätzte als die "General Theory". Dabei werden von Hicks modeme institutionelle Entwicklungen auf den Geld- und Finanzmärkten, wie die der "overdrafteconomy", in einem neo-wicksellianischen Ansatz integriert, in dem der Zinssatz und dessen Kontrolle eine zentrale Bedeutung erhält. 4. Keynes' Monetäre Theorie der Produktion

Keynes' Forschungsprogramm einer monetären Theorie der Produktion von 1933, mit dem er ein Paradigma skizzierte, das den theoretischen Kern der Wirtschaftswissenschaften seiner Zeit, das Realtauschpardigma ablösen wollte, ist unausgeführt geblieben. Für Rieses Geldtheorie und die Entwicklung seiner Berliner Schule des monetären Keynesianismus hat es aber entscheidende Denkanstöße gegeben. Heise geht der Frage nach, warum Keynes' Paradigma, das auch von anderen Schulen, wie insbesondere den keynesianischen Fundamentalisten, aufgegriffen worden ist, bisher nicht zu einer Ablösung des Realtauschparadigmas geführt hat.

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Fundamentalistische Keynesianer wie Davidson und Kregel haben Keynes' Programm einer monetären Theorie der Produktion vor allem durch eine Auseinandersetzung mit dem 17. Kapitel der "General Theory" vorangetrieben, da hier der sie interessierende Zusammenhang zwischen Geld, wirtschaftlicher Organisation und der Höhe der Produktion am augenfälligsten zum Ausdruck kommt. Den Ansatzpunkt für Keynes' Analyse in diesem Kapitel bilden die beiden sogenannten wesentlichen Eigenschaften des Geldes, eine niedrige Produktions- und eine niedrige Substitutionselastizität. Mit ersterer und ihrer Rolle für die Begründung von Unterbeschäftigung und die Funktionsfähigkeit einer Geldwirtschaft setzt sich Klausingers Beitrag auseinander. Auch Heering stellt den entscheidenden Schritt in der Entwicklung von Keynes' monetärer Theorie, die sein Forschungsprogramm von 1933 intendierte, heraus. Dabei setzt er sich mit dessen Wiederaufnahme durch die Berliner Schule des monetären Keynesianismus auseinander. Mit seiner Arbeit möchte er zeigen, daß die Aussagen dieser Schule nicht notwendig ein neues ökonomisches Paradigma erfordern, sondern daß deren Aussagen mit dem analytischen Instrumentarium der orthodoxen Theorie dargestellt werden können. Das von Keynes initiierte geldtheoretische Forschungsprogramm, dem sich Hajo Riese verschrieben hat, bildet auch den Gegenstand von Woeckeners Beitrag, der Rieses monetäre Theorie der Pr,cduktion aus der Sicht der Neoklassischen Synthese sowie der neoklassischen Wachstumstheorie analysiert. Er charakterisiert Rieses Entwurf als eine Theorie, in der die Dichotomie von realen und monetären Variablen im Gleichgewicht fehlt. Dafür baut er in ein monetäres, rudimentäres Solow-Modell, das eine wachstumstheoretische Variante der kurzfristigen Neoklassischen Synthese darstellt, die konstitutiven Bestandteile von Rieses Theorie, insbesondere das Konzept der Liquiditätsprämie ein, um zu zeigen, daß Rieses Ansatz mit dem neoklassichen Instrumentarium durchaus auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden kann. 5. Theorie des Monetären Keynesianismus

Ein wesentlicher Baustein in der Berliner Schule ist die Diskussion darüber, wozu Geld genutzt wird, welches Medium als Geld zu betrachten ist und wie Geld in die Wirtschaft eingeführt wird. Dabei besteht ein entscheidender Unterschied zur neo klassischen Behandlung des Geldes darin, daß Geld nicht vorwiegend als Tauschmedium, das die Transaktionskosten minimiert, betrachtet wird, sondern als Medium für Zahlungsversprechen: das heißt, daß das Geld im Verhältnis zum Kredit, also zu Gläubiger-Schuldner-Verhältnissen thematisiert wird. DragendorJsetzt sich mit der von Keynes in der "Treatise" in das Spiel gebrachten dualen Funktion des Geldes als "money of account", im dem Verträge festgelegt werden, und "money proper", mit dem Verbindlichkeiten eingelöst werden, auseinander. Dabei zeigt er, daß die Verbindung von Geld und Kredit den Angelpunkt der Geldtheorie bildet. 2 Festschrift Riese

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Der Zusammenhang zwischen Geld und Kredit ist auch für die Erklärung des Zinses von grundlegender Bedeutung. Spahn zeigt, daß der Mangel von Keynes' Erklärung des Zinses in seiner generellen Ausblendung des Kreditmarktes in der "General Theory" zu finden ist. Damit hat sich Keynes den naheliegenden Weg zu einer wirklich monetären Zinstheorie verbaut, die als marktlogische Alternative zum neoklassischen Ansatzes eines intertemporalen Tausches von Ressourcen auf dem Prinzip einer intertemporalen Sicherung von Vermögenswerten beruht. Derart wird eine Interpretation geliefert, die Liquiditätspräferenz als Angebotsbeschränkung auf dem Kreditmarkt versteht, die zu einer Knapphaltung des Geldes durch Vermögensbesitzer und Zentralbank führt. Neoklassik und monetärer Keynesianismus unterscheiden sich grundlegend in ihren Konzepten der makroökonomischen Budgetbeschränkung. Während in der ersteren Schule die Ressourcen die Beschränkung liefern, übernimmt in letzterer das Geld diese Rolle. Herr stellt in seinem Beitrag die Grundstrukturen dieser heiden Budgetbeschränkungen dar und bestimmt die Budgetrestriktion des monetären Keynesianismus im Rahmen des Kreditmarktes. Dabei wird insbesondere diskutiert, inwieweit diese Budgetrestriktion durch die Zentralbank beeinflußt wird. Reichert nimmt in seinem Beitrag eine alte nationalökonomische Debatte neu auf: die Frage von Sparen und Investieren. In jüngster Zeit ist diese Debatte wie in der Zeit vor Keynes so diskutiert worden, als ob die herrschende Investitionsschwäche ohne eine Erholung der Spartätigkeit nicht behoben werden könne. Demgegenüber wird ausgeführt, daß bei einem Mangel an Investitionsbereitschaft durch vermehrtes Sparen der Haushalte, das nicht zu einer Erhöhung von Eigenkapital führt, durchaus mit negativen makroökonomischen Folgen zu rechnen ist. Die Investitionsbereitschaft, die selbst nicht anderes bedeutet als die Bereitschaft, Geld aufzugeben, entsteht keinesfalls schon durch eine verstärkte Geldkapitalbildung.

Die in der Wirtschaftstheorie herrschenden Auffassungen über den funktionalen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Höhe der Beschäftigung reichen von der Behauptung dieser Annahme bei den Merkantilisten bis zu ihrer klaren Zurückweisung durch Monetaristen und Neue Klassische Makroökonomen. Stadermann zeigt in seinem Beitrag, daß die Kritiker eines Zusammenhanges von Geld und Beschäftigungsmenge zwei Sachverhalte verwechseln, die auf eine falschen Vorstellung vom Geld als einer exogen von der Zentralbank bestimmten Kategorie beruhen. Eine solche Geldvermehrung kann zu keiner Beschäftigung führen. Eine Vermehrung des Geldes bedeutet im monetären Keynesianismus dagegen eine vermehrte Aufgabe von Liquidität durch Vermögenseigentümer, also steigende Investitionsbereitschaft. Dadurch erscheint die Beziehung der Geldmenge zur Höhe der Beschäftigung in einem neuen Licht. Ein fehlerhaftes Verständnis der Rolle des Geldes zeigt sich auch in der neoklassischen Vorstellung über die Neutralität des Geldes, die zur klassischen Dichotomie von Geld- und Gütersphäre geführt hat. Im Gegensatz dazu zeigt

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Betz, daß Geld in die ökonomische Theorie so integriert werden muß, daß Dispositionen über Geld Einfluß auf reale Größen, insbesondere auf die langfristige Existenz eines Gleichgewichts bei Unterbeschäftigung einer Geldwirtschaft haben. Allokation und Beschäftigung werden auf monetären Märkten festgelegt, so daß der Reallohn seine Allokationsfunktion auf dem Arbeitsmarkt weitgehend einbüßt und an seine Stelle ein monetär bestimmter Zins tritt.

Ausgehend von einer mit der Theorie des monetären Keynesianismus sympathisierenden Forschungsrichtung, der Theorie des Geldkreislaufs (" theory of money circuit"), skizziert Graziani die Entwicklung des Geldbegriffs von der ursprünglich intuitiven Definition des Geldes als Kaufkraft zur Keynes'schen Definition als Vermögensbestand. Dabei zeigt er, daß letztere die Rolle des Geldangebots für die Bestimmung der Höhe der ökonomischen Aktivität in einer Weise thematisiert hat, die der herrschenden neoklassisch orientierten Makroökonomie fremd geblieben ist, da sie das Geldangebot als neutral ansieht. Dagegen greift die Theorie des Geldkreislaufs eine von Wicksell, Schumpeter und Keynes begründete Tradition wieder auf, in der das Hauptaugenmerk auf die Macht derjenigen Agenten und Institutionen, insbesondere der Banken, gerichtet ist, die das Geldangebot kontrollieren. 6. Geld und Währung: Theorie und Politik

Eine wesentliche Aufgabe der Geldpolitik besteht in der Begrenzung der finanziellen Instabilität. Zu diesem Zweck kann die Zentralbank Diskontpolitik oder Geschäfte am "offenen Markt" durchführen. Kregel diskutiert Minskys Hypothese der finanzielle Instabilität, die aus endogenem Geld zwischen den Geschäftsbanken und den Unternehmern entsteht. Da die Offen-Markt-Politik als Geldmarktpolitik auf diese Instabilität nur einen geringen Einfluß hat, schlägt Minsky eine stärkere Rückkehr zur Diskontpolitik vor, bei der die Zentralbank einen direkten Einfluß auf die Aktiva der Geschäftsbanken, denen sie Kredite gewährt, ausüben kann. Der Aufsatz diskutiert die Gründe, warum die Diskontpolitik in den USA seit der Weltwirtschaftskrise zunehmend durch die Offen-Markt-Politik ersetzt wurde. Thomasberger geht der Frage nach, ob durch die Pläne für regionale Währungsräume die Politik der externen Stabilisierung sowie die bisherige Rolle der Geld- und Kapitalmärkte überholt ist. Er kritisiert, daß in der theoretischen Diskussion die Frage der Konkurrenz der Währungen, die zu einer Hierarchie der Währungen geführt hat, ausgeklammert wird. Er sieht die Entwicklung zu regionalen Währungsräumen als Konsequenz eines Mangels an einer eindeutigen Leitwährung und der Unmöglichkeit, Währungsbeziehungen zu nationalisieren.

Der Bereich der internationalen Währungskooperation wird von Fuhrmann in einer Betrachtung des Geldes im Europäischen und im Weltwährungssystem 2*

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diskutiert. Dabei legt er besonderen Wert auf spieltheoretische Ansätze, die die Möglichkeit eines evolutorischen Trends zu kooperativem Verhalten von nationalen Währungspartnern untersuchen. Insbesonders werden dabei Probleme berücksichtigt, wie mögliche Nichteindeutigkeit der Lösungen, fehlende Stabilität der Strategien sowie Dauer der Konvergenz zu einem Paretooptimum. Innerhalb des Europäischen Währungssystems ist in jüngster Zeit ein paradoxer Kapitalverkehr entstanden. Er ist die Folge der Wechselkursstabilität bei unterschiedlicher Preisniveaustabilität in den verschiedenen EG-Ländern. Schröder diskutiert die wirtschaftspolitischen Risiken, die sich dann ergeben, wenn die Kapitalströme nicht zu Investitionen und entsprechenden Exportüberschüssen in der Zukunft führen. Um die Paradoxien zu beseitigen, schlägt er folgende Optionen vor: (i) stärkere Flexibilisierung der Wechselkurse, (ii) verstärkte wirtschafts- und währungspolitische Koordinierung zur Anpassung der Inflationsraten, (iii) EntmystifIZierung des "Europas der zwei Geschwindigkeiten" durch Erhöhung des Konvergenzdrucks in der Übergangsphase. Die Duplizität der Ereignisse der Währungsunion im vereinigten Deutschland zum 1. Juli 1990 und die Festlegung auf eine Europäischen Währungsinion spätestens zum 1. Januar 1999, gibt dem ehemaligen Mitglied des Zentralbankrates, Nemitz, Anlaß über die Aufgaben einer Zentralbank angesichts dieser historisch ungewöhnlichen Vorgänge nachzudenken. Er betont, daß der Auftrag der Bundesbank allein darin liegt, die Stabilität der Währung in dem nun größeren deutschen Wirtschaftsraum zu sichern. Fehlentwicklungen, wie auf dem Arbeitsmarkt, sind der Bundesbank nicht anzulasten. Im Hinblick auf die Europäische Währungsunion propagiert er ein Zentralbanksystem, dessen Aufgabe allein darin bestehen kann, ganz Europa in eine Zone der Preisstabilität zu transformieren und nicht etwa Defizite der nationalen Wirtschaftspolitiken zu kompensieren. Die Transformation der sozialistischen Planwirtschaft der ehemaligen DDR in eine Wirtschaft mit Privateigentum obliegt hauptsächlich der Treuhandanstalt. In einem spekulativen Rückblick von Hansel und Schmid-Schönbein aus dem zweiten Quartal des Jahres 1993, in dem ihrer Ansicht nach die Treuhandanstalt ihre Arbeit beendet haben wird, beschreiben sie deren Geschichte in drei historischen Etappen: (i) die der Liquiditätssicherung, (ii) die der nachfrageorientierte Privatisierung und (iii) die der angebotsorientierten Privatisierung. Die letztere Phase wird von ihnen als die bedeutendste angesehen, da in ihr mehr als die Hälfte aller Vermögenswerte verkauft worden sein soll. Die Autoren sind sich bewußt, daß die Praxis der Privatisierung der Treuhandanstalt die theoretischen Grundlagen der Transformation im dunklen läßt. Daher entwickeln sie im Anhang ihrer Arbeit zehn Thesen zu einer Theorie der Transformationspolitik.

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7. Geld, Entwicklungstheorie und Weltwirtschaft

Die Berliner Schule des monetären Keynesianismus hat mit ihrer Analyse der Weltwirtschaftsbeziehungen eine eigenständige Entwicklungstheorie vorgelegt, die sich in den folgenden Beiträge widerspiegelt. Hölscher diskutiert den Zusammenhang zwischen Ressourcentransfer und Entwicklung. Ausgangspunkt seiner Analyse bilden die Erfahrungen Westdeutschlands in den 50er Jahren. Durch Aufgreifen der Marshall-Plan-Thematik wird eine theoretische Erörterung der Relevanz von Kapitalimporten für die ökonomische Entwicklung vorgenommen. Seine These, daß Entwicklung nicht durch ausländische Hilfe, sondern nur durch eine Politik des knappen Geldes bewirkt werden kann, wird dadurch zugespitzt, daß er zeigt, daß die Kapitalimporte nicht den Kapitalmangel beseitigen, sondern nur ein Reflex auf die Leistungsbilanzbewegungen darstellen. Die Diskussion in Entwicklungsländern zwischen orthodoxen Freihändlern und heterodoxen Schutzzöllnern wird von Lüken-Klaßen aus monetär-keynesianischer Sicht beurteilt. Sie zeigt, daß die Zollempfehlung der Heterodoxie zum Scheitern der Entwicklung führt, weil die zollpolitische Diskriminierung der Kosumgüterimporte auch eine Überbewertung stabilisiert, die die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt vermindert. Daher realisieren diese Länder Leistungsbilanzdefizite, die sie durch Kapitalimporte ausgleichen müssen. Die Kapitaleinfuhr erhöht den Konsum statt, wie erwartet, die Investitionen und untegräbt damit die Entwicklung. Ziel des Beitrages von Hauskrecht ist es, der Frage nachzugehen, ob der Zusammenbruch des Systems von Bretton-Woods einem grundsätzlichen Konstruktionsfehler, dem sogenannten Triffin-Paradoxon, geschuldet war. Der Autor zeigt, daß das Paradoxon auf einem Mißverständnis basiert und stellt stattdessen eine Allokationslösung vor, indem ein System fester Wechselkurse entwickelt wird, das nur eine Leitwährung zum internationalen Geld erklärt. Diese Lösung führt jedoch zu Entwicklungsproblemen über ein niedriges Aktivitätsniveau für die in der Hierarchie der Währungen unten angesiedelten Länder. Wohlmuth nimmt die Beiträge Rieses und seiner monetären Keynesianern zum Anlaß, die bekannten entwicklungs- und transformationstheoretischen Schulen einer grundlegenden Kritik zu unterziehen. Er führt die Fehlschläge der Entwicklungshilfe, wie auch der Hilfsprogramme für die ehemaligen Planwirtschaften, auf eine unzureichende Entwicklungstheorie zurück, die nicht sieht, daß Ressourcentransfer keinen Beitrag zur Entwicklung oder zur Transformation leistet, wenn nicht eine Politik des knappen Geldes betrieben wird. Auf der Grundlage der Entwicklungstheorie der Berliner Schule werden die Erfolgsaussichten der Programme zur Strukturanpassung in den Entwicklungsländern und zur Transformation in Osteuropa neu bewertet.

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Hans-Joachim Stadennann und atto Steiger

Auch Hankel thematisiert in seinem Beitrag das Versagen der herrschenden neoklassischen Analyse bei der Behandlung der Probleme der Entwicklungsländer und der ehemals sozialistischen Welt. Er sieht das Versagen darin begründet, daß sie für die evolutorisch-soziale Funktion der Geldwirtschaft blind ist. Diese ist nach Ansicht des Autors darin begründet, daß der Übergang von der Geldzur Kreditwirtschaft die Funktions- und Personenkreise von Sparer und Investor trennt, wobei der Wettbewerb letzterer um knappes Sparkapital (Geldvermögen) fünf nachhaltige Entwicklungseffekte auslöst: Akkumulation, Entfeudalisierung, Zivilisation, Selektion und Krise. Von diesen thematisiert die neoklassische Geldtheorie lediglich den Kriseneffekt, insbesondere das Inflationsproblem. Mit dieser Verengung aber ist sie für die Probleme in Süd und Ost nicht nur inaktuell, sondern auch kontraproduktiv, wie das Scheitern von sowohl Entwicklungs- als auch Transformationshilfe zeigt. In der Beurteilung der Stabilisierungspolitik des Internationalen Weltwährungsfonds haben sich zwei unterschiedliche Positionen herausgestellt: (i) die IWF-Stabilisierungsauflagen verschärfen des Massenelend in der Dritten Welt und wirken entwicklungspolitisch kontraproduktiv; (ii) die völlig instabilen Wirtschaften der Dritten Welt bedürfen einer strikten und kontrollierten Stabilisierung, ohne die sie wirtschaftlich ausbluten würden. In seinem Beitrag versucht von Hauffbeide Positionen zu einer Synthese von gesamtwirtschaftlicher Stabilisierung und armutsorientierter Entwicklungspolitik zu vereinen. Voraussetzung für ihre Realisierung ist, daß das sogenannte Ziel-Sechseck gleichmäßig angestrebt wird: Wachstum, Vollbeschäftigung, Umweltschutz, soziale Sicherheit, Mitbestimmung und Verringerung der außenwirtschaftlichen Abhängigkeit. Eine Analyse der IWF-Stabilisierungspolitik zeigt, daß ein Erfolg im Sinne des Ziel-Sechsecks nicht erreicht worden ist, weil die IWF-Anpassungspolitik theoretisch fragwürdig ist, zu wenig die spezifischen Erfordernisse der Entwicklungsländer berücksichtigt und in ihrer Ursachenanalyse exogene Schocks vernachlässigt.

Nitsch geht der Frage nach, warum die Nationen Lateinamerikas Entwicklungsländer geblieben sind, obwohl sie seit der Kolonialisierung auf dem Wege zu Geldwirtschaften waren. Er findet eine Antwort darin, daß in der Konkurrenz zu den entwickelten Geldwirtschaften diese Länder nicht, wie früher, ihre Souveränität verlieren, sondern wirtschaftlich unterliegen, mit der Folge, daß ihre Ressourcen ineffizient beschäftigt werden. Es ergibt sich ein internes Dilemma insofern als einerseits eine Stabilisierung harten Geldes zugunsten der Vermögenseigentümer mit sozialen Härten für die Bevölkerungsmehrheit verbunden ist und andererseits eine Politik, die die Massen begünstigt, zu Kapitalflucht und Arbeitslosigkeit führt.

Hajo Riese als Geldtheoretiker

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8. Auseinandersetzungen mit Rieses Theorie der Geldwirtschaft

Direkte Auseinandersetzungen mit Hajo Rieses Theorie der Geldwirtschaft hat es außerhalb seiner Schule 23 oder des Arbeitskreises Politische Ökonomie, in dem sie eine der drei wichtigsten theoretischen Forschungsrichtungen darstellt,24 bisher kaum gegeben. Eine Ausnahme bildet die Dissertation von Horst Reichert aus dem Jahre 1989, die auf knapp 100 Seiten "Rieses ,monetäre Begründung' dauerhafter Arbeitslosigkeit" als "eine rigorose Weiterentwicklung der Keynes'schen Theorie" analysiert. 2s Zu erwähnen sind aber auch Rieses Kontroversen mit (i) dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung über die theoretischen Grundlagen der Beschäftigungspolitik und (ii) mit Gunnar Heinsohn und Otto Steiger über Genesis und Theorie von Geld, Zins und Privateigentum.25a Die folgenden Beiträge unterstreichen die Herausforderung, die Riese für den herrschenden ökonomischen Diskurs darstellt. Rothschild würdigt Rieses Theorie als Gegenentwurf zur herrschenden Neoklassik. Gleichwohl formuliert er einige Bedenken gegen diesen Entwurf. Das für Keynes wichtige Element der Unsicherheit komme bei Riese zu kurz. Unsicherheit könne vielmehr die Klammer sein, um Güter- und Geldsphäre in ihrer gegenseitigen Bedingtheit besser zu modellieren als die von Riese 23 Die bisher umfassendste Darstellung der "Keynesianischen Ökonomik" Hajo Rieses "als quantitätstheoretischer Gegenentwurf zur monetären Neoklassik" hat innerhalb der Berliner Schule Stadermann gegeben. Vergleiche: Hans-Joachim Stadermann, Ökonomi!lche Vernunft. Wirtschaftswissenschaftliche Erfahrung und Wirtschaftspolitik in der Geschichte, Tübingen: Mohr (Siebeck), 1987, Kap. 25, S. 281-309. 24 Vergleiche die oben (Fußnote 13) erwähnte Kontroverse in dem Sammelband von Erich Hödl und Gernot Müller (1986) sowie: Erich Hödl, Ein Rückblick auf die bisherigen Aktivitäten des Arbeitskreises Politische Ökonomie, in: W. Vogt (Hrsg.), Politische Ökonomie heute. Beiträge zur Tagung des Arbeitskreises Politische Ökonomie im Herbst 1987, Regensburg: Transfer, 1988, S. 273-301, insbes. S. 275-286. 2S Vergleiche: Horst Reichert, Koordinationsprobleme in einer Geldwirtschaft. Ein Beitrag zur Stabilitätstheorie unter keynesianischen Ausgangsbedingungen, Frankfurt am Main und Bern: P. Lang, 1989, Kapitel IV, S.119-216. 2Sa Vergleiche: (i) Hajo Riese, Thesen zu: Beschäftigung und Interaktion von Geld- und Gütersphäre, in: H. Prior und H. Tomann (Hrsg.), Theoretische Grundlagen der Beschäftigungspolitik. Protokoll einer Tagung zur beschäftigungspolitischen Konzeption des Sachverständigenrates am 26.6. 1985 an der Freien Universität Berlin, Berlin: Freie Universität/Zentrale Universitätsdruckerei, 1986, S. 13-24 (Thesen) und S. 25-91 (Diskussion mit Ernst Helmstädter, Ernst-Moritz Lipp, Hans Karl Schneider, Olav Sievert und anderen). - (ii) (a) Hajo Riese, Gunnar Heinsohn und die ökonomische Theorie. Bemerkungen zu seiner Arbeit "Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft" , Leviathan, 13 (1),1985, S. 70- 87; (b) Gunnar Heinsohn, Lieber Hajo Riese!, Leviathan, 13 (1),1985, S.88-90; (c) Gunnar Heinsohn und Otto Steiger, Warum Zins? Keynes und die Grundlagen einer monetären Werttheorie, in: H. Hagemann und O. Steiger (Hrsg.), Keynes' General Theory nach fünfzig Jahren, Berlin: Duncker & Humblot, 1988, S. 315353, insbes. S. 341-349; (d) Gunnar Heinsohn und Otto Steiger, Liquiditätsprämie, Zins und Geld - oder: Warum es keine universelle Wirtschaftstheorie geben kann, in diesem Band, S. 61-86.

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postulierte Hierarchie. Der Dogmatismus der ausschließlichen Behandlung des Zentralbankgeldes als Geld verschließt den Zugang zu anderen monetärkeynesianischen Ansätzen, die auf einer Vielfalt von Geldsurrogaten aufbauen. Rieses Ehrgeiz, in seinem Gegenentwurf zur Neoklassik einige der neoklassischen Normen, wie die Bedingungen der vollständigen Konkurrenz, in den Vordergrund zu stellen, verschließt ihm den Zugang zu bedeutenden institutionellen Faktoren, wie Monopole und "Multis". Darüber hinaus unterstreicht der Autor, daß es ein heroisch-utopisches Unterfangen ist, das komplex-dynamische System unserer Wirtschaft in einem einzigen, theoretisch noch manipulierbaren Rahmen fassen zu wollen, der den Bezug zur Realität weniger erhelle als verdunkele. Auch Matzner würdigt Rieses geldtheoretisches Forschungsprogramm als alternatives Paradigma in der herrschenden ökonomischen Diskussion. Dabei setzt er sich insbesondere mit der präferenz- und markttheoretischen Fundierung der Interaktion von Geld- und Güterspäre in Rieses Theorie auseinander, die er als strenge Fassung der Gleichgewichtstheorie charakterisiert. Er bemängelt hier, daß die Nutzung gleichgewichtstheoretischer Konzepte der Immunisierung seiner wissenschaftlichen Aussagen dient und damit ideologische Qualität erhält. Er empfiehlt stattdessen einen Verzicht auf präferenz- und markttheoretische Fundierung, der es Riese ermöglichen soll, zur kritischen Theorie zurückzukehren, wie er sie als junger Ökonom in seiner Kritik der Ordnungpolitik der Freiburger Schule vertreten hat. Eine Vorbereitung unserer Festschrift bildete die Tagung "Der Stand und die nächste Zukunft der Geldforschung" , die der Arbeitskreis Politische Ökonomie vom 31. Mai bis 2. Juni 1991 in Bad Zwischenahn veranstaltete. Knapp zwei Drittel der Beiträge der Festschrift für Hajo Riese wurden auf der Bad Zwischenahner Tagung vorgetragen oder lagen dort schriftlich zur Diskussion vor. Der Titel der Tagung - und damit auch der Festschrift - erinnert an eine andere Festgabe, die im Geburtsjahr Hajo Rieses als "Der Stand und die nächste Zukunft der Konjunkturforschung" bei Duncker & Humblot erschienen war. 26 Von den Beiträgen dieser Festschrift sollte vor allem einer einen bleibenden Wert für die Richtung in der Geldforschung erhalten, die beansprucht, das Realtauschparadigma der neoklassischen monetären Theorie 27 zu überwinden und über 26 Vergleiche: Gustav Clausing (Hrsg.), Der Stand und nächste Zukunft der Konjunkturforschung. Festschrift für Arthur Spiethoff, München: Duncker & Humblot, 1933. 27 Zu Stand und Zukunft der modernen neoklassischen Geldforschung vergleiche Benjamin M. Friedman und Frank H. Hahn (Hrsg.), Handbook ofMonetary Economics. Vol. I-lI, Amsterdam u.a.O.: North-Holland, 1990 sowie - für die deutschsprachige Literatur - Rudolf Richter, Geldtheorie. Vorlesung auf Grundlage der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie und der Institutionenökonomik (1987), Berlin und Heidelberg: Springer, 2. Auflage, 1990.

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deren Stand und nächste Zukunft der vorliegende Sammelband Auskunft gibt: lohn Maynard Keynes' Forschungsskizze "A Monetary Theory of Production".28 Es muß daher vielleicht nicht besonders betont werden, daß unsere Festschrift für Hajo Riese, ganz im Sinne seiner Theorie und der aus ihr entstandenen Berliner Schule des monetären Keynesianismus, auch eine hommage an den Geldtheoretiker Keynes darstellt. Literatur Bagehot, W., Lombard Street: A Description ofthe Money Market (1873),14. überarb. Auflage, hrsg. von H. Withers, London: John Murray, 1915.

Bibliographie. Arbeiten zur monetären keynesianischen Ökonomie ("Berliner Schule"), in: H. Riese und H.-P. Spahn (Hrsg.), Internationale Geldwirtschaft, Regensburg: Transfer, 1989, S. 282-289. Clausing. G. (Hrsg.), Der Stand und nächste Zukunft der Konjunkturforschung. Festschrift für Arthur Spiethoff, München: Duncker & Humblot, 1933. Friedman. B.M. und F.H. Hahn (Hrsg.), Handbook of Monetary Economics. Vol. I-lI, Amsterdam u.a.O.: North-Holland, 1990. Heinsohn. G., Lieber Hajo Riese!, Leviathan, 13 (1), 1985, S. 88-90. Heinsohn. G. und O. Steiger. Warum Zins? Keynes und die Grundlagen einer monetären Werttheorie, in: H. Hagemann und O. Steiger (Hrsg.), Keynes' General Theory nach fünfzig Jahren, Berlin: Duncker & Humblot, 1988, S. 315-353.

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Liquiditätsprämie, Zins und Geld - oder: Warum es keine universelle Wirtschaftstheorie geben kann, in diesem Band, S. 69-86.

Hödl. E. und G. Müller (Hrsg.), Die Neoklassik und ihre Kritik. Diskussionsband zu "Ökonomie und Gesellschaft". Jahrbuch 1, Frankfurt am Main: Campus, 1986 Hödl. E., Ein Rückblick auf die bisherigen Aktivitäten des Arbeitskreises Politische Ökonomie, in: W. Vogt (Hrsg.), Politische Ökonomie heute. Beiträge zur Tagung des Arbeitskreises Politische Ökonomie im Herbst 1987, Regensburg: Transfer, 1988, S.273-301. Keynes. J.M., A Treatise on Money, Vol. 1: The Pure Theory of Money. Vol. 2: The Applied Theory of Money, London: Macmillan, 1930, deutsch: Vom Gelde, München: Duncker & Humblot, 1932.

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A Monetary Theory of Production, in: G. Clausing (Hrsg.), Der Stand und nächste Zukunft der Konjunkturforschung. Festschrift für Arthur Spiethoff, München: Duncker & Humblot, 1933, S. 123-125.

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The General Theory ofEmployment, Interest and Money, London: Macmillan, 1936; deutsch: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, München und Leipzig: Duncker & Humblot, 1936.

28 John Maynard Keynes, A Monetary Theory of Production, in: Clausing, a. a. 0., S.123-125.

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Hans-Joachim Stadennann und Otto Steiger

Leijonhufvud, A., On Keynesian Economics and the Economics of Keynes. A Study in Monetary Theory, New York und London: Oxford University Press, 1968; deutsch: Über Keynes und den Keynesianismus. Eine Studie zur monetären Theorie, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1973. Reichert, H., Koordinationsprobleme in einer Geldwirtschaft. Ein Beitrag zur Stabilitätstheorie unter keynesianischen Ausgangsbedingungen, Frankfurt am Main und Bern: P. Lang, 1989. Richter, R., Geldtheorie. Vorlesung auf der Grundlage der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie und der Institutionenökonomik (1987), Berlin und Heidelberg: Springer, 2. Auflage, 1990. Riese, H., Strukturprobleme des wirtschaftlichen Wachstums, Basel: Basler Forschungszentrum für Wirtschafts- und Finanzfragen, Serie A, Nr. 25, 1959.

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Gleichgewicht auf dem Markt für hochqualifizierte Arbeitskräfte und Struktur des Hochschulwesens, Habilitationsschrift an der Universität Basel, 1966, Manuskript, 250S.

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Der Bedarf an Hochschulabsolventen in der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden: Gabler, 1967.

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Das Ende einer Wachstumstheorie, Kyklos 23 (4) 1970, S. 756-771.

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Ordnungsidee und Ordnungspolitik - Kritik einer wirtschaftspolitischen Konzeption. Edgar Salin zum 10. Februar 1972, Kyklos 25 (1), 1972, S. 24-48.

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Eine keynesi(ani)sche Theorie der Inflation, Freie Universität Berlin, Januar 1975, vv. Manuskript, 27 S.

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Thesen zum Aufruf von Wirtschaftswissenschaftlern "Für eine wirksame und soziale Wirtschaftspolitik", Freie Universität Berlin, Dezember 1975, vv. Manuskript, 6 S.

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Wohlfahrt und Wirtschaftspolitik, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1975.

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Eine Interpretation der General Theory. Prolog zu einer Theorie der Inflation, vv. Manuskript nach einem Vortrag vom 21. Januar 1977 an der Universität Konstanz, 74 S.

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Die ökonomische Theorie nach Keynes im Lichte der General Theory, Freie Universität Berlin, Oktober 1977, vv. Manuskript, 108 S.

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Strukturwandel und unterbewertete Währung in der Bundesrepublik Deutschland. Bemerkungen zur theoretischen Position des Instituts für Weltwirtschaft Kiel, Konjunkturpolitik 24 (3), 1978, S. 143 -169.

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Theorie der Geldwirtschaft. Entwurf, Freie Universität Berlin, November 1979, vv. Manuskript, 728 S.

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Theorie der Geldwirtschaft. Vorläufige Fassung, Freie Universität Berlin, vv. Manuskript, Teil A: Grundlagen einer Theorie der Geldwirtschaft, Mai 1980, 175 S.; Teil B: Theorie des Vennögens, August 1980, 212 S.; Teil C: Theorie der Produktion, Oktober 1980,240 S.; Teil D: Theorie der Interaktion von Vennögensmarkt und Gütennarkt, April 1981, 406 S.

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Geldökonomie, Keynes und die Anderen. Kritik der monetären Grundlagen der Orthodoxie, Ökonomie und Gesellschaft. Jahrbuch 1: Die Neoklassik und ihre Herausforderungen, Frankfurt am Main: Campus, 1983, S. 103-160.

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Gunnar Heinsohn und die ökonomische Theorie. Bemerkungen zu seiner Arbeit "Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft", Leviathan, 13 (1), 1985, S. 70-87.

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Thesen zu: Beschäftigung und Interaktion von Geld- und Gütersphäre, in: H. Prior und H. Tomann (Hrsg.), Theoretische Grundlagen der Beschäftigungspolitik. Protokoll einer Tagung zur beschäftigungspolitischen Konzeption des Sachverständigenrates am 26.6.1985 an der Freien Universität Berlin, Berlin: Freie Universität/Zentrale Universitätsdruckerei, 1986, S. 13 -24 (Thesen) und S. 25 - 91 (Diskussion mit E. Helmstädter, E.-M. Lipp, H. K. Schneider, O. Sievert und anderen).

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Kritik der Kritik, in: E. Hödl und G. Müller (Hrsg.), a.a.O., 1986, S. 326-346.

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Theorie der Inflation, Tübingen: Mohr (Siebeck), 1986.

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Geld, Kredit, Vermögen. Begriffiiche Grundlagen und preistheoretische Implikationen der monetären keynesianischen Ökonomie, in: H. Riese und H.-P. Spahn (Hrsg.), Internationale Geldwirtschaft, Regensburg: Transfer, 1989, S.1-59.

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Schuldenkrise und ökonomische Theorie, in: H. Riese und H.-P. Spahn (Hrsg.), Internationale Geldwirtschaft, Regensburg: Transfer, 1989, S.187-216.

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Geld im Sozialismus. Zur theoretischen Fundierung von Konzeptionen des Sozialismus, Regensburg: Transfer, 1990.

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Die Geldfunktion in der Transformation von Planwirtschaften in monetäre Ökonomien, Forschungsgruppe "Postkeynesianische Ökonomie": Diskussionsbeiträge zur gesamtwirtschaftlichen Theorie und Politik - N.F. Nr. 19, Universität Bremen, Juli 1991, 17 S.

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Stand der Geldforschung - Regression und Fortschritt, Vortrag anläßlich der FTÜhjahrstagung 1991 des Arbeitskreises Politische Ökonomie in Bad Zwischenahn, 31. Mai - 2. Juni 1991, vv. Manuskript, 10 S.

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Theorie der Geldwirtschaft. Neue Fassung, Freie Universität Berlin, 1991, vv. Manuskript, 323 S.

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Bagehot versus Goodhart: Warum eine Zentralbank Geschäftsbanken braucht, Forschungsgruppe "Postkeynesianische Ökonomie": Diskussionsbeiträge zur gesamtwirtschaftlichen Theorie und Politik - N.F. N r. 22, Universität Bremen, Januar 1993, 69S.

Schneider, E., Einführung in die Wirtschaftstheorie. III. Teil: Geld, Kredit, Volkseinkommen und Beschäftigung, Tübingen: Mohr (Siebeck), 1952. Schmid-Schönbein, Th., Die Logik des Gütertausches unter Vermögenshaltern und ein Prinzip ökonomischer Evolution, Dissertation an der Freien Universität Berlin, 1977. Schwab, J., Eine Interpretation des Beitrages von J. M. Keynes zur Krisentheorie, Mehrwert 14, 1978, S. 29-76. Stadermann, H.-J., Ökonomische Vernunft. Wirtschaftswissenschaftliche Erfahrung und Wirtschaftspolitik in der Geschichte. Tübingen: Mohr (Siebeck), 1987.

A. Dimensionen des Geldes

Vom "Geist" des Geldes Religionssoziologisches Stichwort zur Kontroverse zwischen Riese und Heinsohn I Steiger Von Erik Grawert-May, Berlin Laum, Bernhard Laum, ist der Stein des Anstoßes. Seine 1924 erschienene Untersuchung über den sakralen Ursprung unseres Zahlungsmittels fand - in einem Artikel von 1985 - die fast ungeteilte Zustimmung des Jubilars, während die beiden Hochschullehrer aus Bremen bis heute auf ihrer eigenen Theorie beharren, nach der nicht die sakrale Sphäre, sondern das Privateigentum für die Entstehung des Geldes verantwortlich sei. Die Parteinahme Rieses für Laum resultiert nicht aus einem Interesse für religionsgeschichtliche Fragen, vielmehr sucht der Begründer der Berliner Schule das eigene Terrain zu arrondieren bzw. gegen fremde Eindringlinge abzusichern. So attestiert er Heinsohn und Steiger, vor allem ersterem, durchaus, einen wertvollen Beitrag zur Umkehrung des Tauschparadigmas geleistet zu haben: nicht der Gütertausch ist, wie klassische und neoklassische Theorie behaupten, für Entstehung und Funktion des Geldes verantwortlich, sondern Schuldverpflichtungen sind es, deren Erfüllung dann den Tausch erzwinge (Riese 1985:70). In diesem Punkt herrscht kein Dissens zwischen den Kontrahenten. Er beginnt da, wo die Bremer dem Berliner vorwerfen, insgeheim oder sogar offen einer universellen Wirtschaftstheorie anzuhängen (Heinsohn/Steiger 1993:70f.). Eine solche Theorie aber sei unmöglich, denn Geld habe es weder in der Stammes-, noch in der Feudalgesellschaft gegeben; erst die auf das Privateigentum gegründeten Gesellschaften hätten es in Umlauf gebracht. Nur der (patriarchale) Privateigentümer sei auf das Geld als Motor einer Produktionsökonomie angewiesen, weil er auf keine Stammesloyalitäten, auch auf keine feudalen Sklavendienste mehr zurückgreifen könne. Lassen wir den feministischen Touch, den besonders die Analyse Heinsohns aufweist, hier beiseite und konzentrieren uns auf seine Interpretation des Ansatzes von Laum. Zwar sei dessen Ansicht von der Entstehung des Geldes aus antikem griechischen Tempelvermögen niemals strittig gewesen, so der Bremer (1984: 125 ff.), nur frage sich, ob sein Ursprung wirklich, wie behauptet, auf das religiöse Opfer zurückgehe. Wenn ja, müßte er, Heinsohn, seine sozialgeschichtlich orientierte Theorie des Privateigentums als Begründer der Geldfunktionen aufgeben, wozu er nicht bereit ist. Soll also die Ausgangsthese von den Tempeln als ursprünglichen Promotoren des Geldes weiter gültigbleiben, dann sind die

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Erik Grawert-May

Tempel Griechenlands als Banken und die Priester als private Eigentümer zu begreifen. Bevor wir den Leser näher an das antike Heiligtum heranführen, um ihm die Kontroverse verständlicher zu machen, wollen wir noch erwähnen, daß es Riese ein Leichtes zu sein scheint, die Schwachstellen in Heinsohns Argumentation zu unterstreichen. Nicht nur, so Riese, daß die Ableitung des Tempelpriesters als eines Privateigentümers nicht überzeugend gelinge; dadurch, daß der Bremer den religiösen Ursprung leugne, gerate ihm der von Laum betonte Zusammenhang zwischen Sakralsphäre und staatlicher Setzung des Geldes aus dem Blick; er sei gezwungen, den Staat, der sich als Veranstalter der Opfer verstanden habe, in seine Theorie des Privateigentums nachträglich einzubauen, was insgesamt auf ein etwas sorgloses Vorgehen schließen lasse. Im übrigen sei das Institut des Privateigentums für Heinsohns Theoreme schlicht entbehrlich, weil er zurecht die Entstehung der Geldfunktionen auf Gläubiger-Schuldner-Beziehungen zurückführe; da Laum nichts anderes behaupte, könne man dessen aufs Sakrale bauenden Erklärungsansatz unbedenklich zustimmen. So weit möchte man, ohne zu zögern, Riese beipflichten. Wenn sich im folgenden erweist, daß Heinsohn/Steiger dennoch manchen Punkt für sich verbuchen können, so ist das keinerlei Kritik am Jubilar. Wir sind festlich gestimmt, wir jubilieren sozusagen. Da hat der Geehrte apriori die richtige Meinung für sich, zumal wir sowieso schon seinem Zauber zu erliegen drohen; um so mehr in einem Augenblick, da wir uns mit Laums Untersuchung über das heilige Geld in den Kreis soziologischer Betrachtungen begeben müssen, die mit den Forschungen Max Webers verbunden sind und die Entzauberung modernen Lebens zum Gegenstand haben. Nicht nur einmal, des öfteren taucht sein Name in der Laumschen Arbeit auf, man kann sogar sagen, daß der Bezug zu Weber die Arbeit einrahmt. In Einleitung und abschließender Zusammenfassung, also an hervorgehobener Stelle, wird er erwähnt (1924:4,161). Er ist, wenigstens was die Methode betrifft, eines der Leitbilder, an denen sich die Analyse des sakralen Ursprungs des Geldes ausrichtet. Weber steht dabei als Religionssoziologe im Vordergrund; besonders mit seiner Schrift "Die Protestantische Ethik und der > Geist< des Kapitalismus" vom Anfang des Jahrhunderts. Das ist nicht weiter verwunderlich, handelt es sich doch bei Laum um jemanden, der auf der Ebene des Geldes in gewisser Hinsicht das wiederholte, was das große Vorbild zwanzig Jahre früher auf der Ebene der Gesinnung vorexerziert hatte. Der Witz der Texte Webers über den Protestantismus besteht darin, daß er am Beispiel des calvinistischen Glaubens an die Auserwähltheit zeigt, wie sich die religiöse Ethik des gläubigen Calvinisten, der alles, was er auf Erden unternimmt, eigentlich zum größeren Ruhme Gottes tut, langsam und ohne sein Wissen in eine den modernen Kapitalismus systematisch fördernde Arbeitsethik verwandelt. Unfähig, das Zeichen für seine Erwähltheit an etwas anderem abzulesen als am beruflichen Erfolg, schliddert der Calvinist quasi in eine Sphäre hinein, der er gerade zu

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entfliehen sucht; anstatt Gott näherzukommen, nimmt er, seines Glaubens beraubt, immer mehr den Habitus und die Gesinnung eines höchst nützlichen Mitglieds der kapitalistischen Wirtschaftsordnung an. Dieser verlorengegangene Glaube geistert nun, fast wie ein böser Spuk, in dem System umher und verleiht ihm seine mechanische Dynamik. Die Aufsätze über den Protestantismus haben Weber berühmt gemacht, wohl auch wegen der genialen Einseitigkeit der Argumentation. In der nicht enden wollenden Debatte, die sich an die Veröffentlichung anschloß, hat Weber seine Kritiker zwar jeweils darauf hingewiesen, daß der spiritualistische Aspekt nur die eine Seite der Medaille sei, der materialistische müsse notwendig hinzutreten, um eine halbwegs vollständige Analyse der Entwicklung des modernen Kapitalismus zu gewährleisten. Doch die Kritik wollte nicht verstummen. Daß sie es zu Recht nicht tat, erkennt man nicht zuletzt an Webers späteren Schriften, wenigstens den religionssoziologischen, die den materialistischen Erklärungsmomenten mehr und mehr Gewicht verleihen. Es ist, als ob er, im Bestreben, den Mangel auszugleichen, nach und nach zur entgegengesetzten Einseitigkeit Zuflucht genommen hätte, wodurch allerdings der Witz der früheren Texte etwas in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ephraim Fischoff hat die Debatte wiedergegeben und festgestellt, daß unter den Befürwortern von Webers Protestantismusaufsätzen vorwiegend Theologen zu finden waren, die Historiker sich dagegen weitgehend ablehnend verhalten haben (1944:347). Hans Blumenberg nimmt u. a. diese Feststellung zum Anlaß, seine These von der Selbstbehauptung der Neuzeit zu untermauern. Die Moderne sei nicht als die säkularisierte Gestalt einer vormals auf den christlichen Glauben gegründeten Welt zu verstehen, sondern habe sich ihre eigene Legitimität gebildet, mit einer nur ihr zugehörigen Autonomie. Die Tatsache, daß gerade Theologen Weber zugestimmt hätten, bringe ein der Säkularisierungsthese immanentes theologisches Element zum Vorschein, und das müsse bedenklich stimmen (1974:17,137 f.). Gesetzt, Blumenberg träfe den richtigen Punkt, wo hielte sich dieses Element bei Weber dann verborgen? Möglicherweise bereits im methodischen Vorgehen. Sollte der Idealtypus, den Weber aufstellte, um einen von ihm ausgewählten Gegenstandsbereich wissenschaftlich zu erforschen, nach eigenem Bekunden nur als heuristisches Moment verstanden werden, das den ideellen Abstand zum untersuchten Objekt nur um so deutlicher hervortreten lassen würde, so könnte sich dieser Typus im Fortschreiten der Arbeit langsam verselbständigt und den erforschten Gegenstand gegen den Willen des Autors idealisiert haben. Weber wäre demzufolge selber etwas unterlaufen, was er in so atemberaubender Weise an den calvinistischen Gläubigen nachgewiesen hatte: eine unbewußte Verkehrung der lauteren Absichten. Statt das Himmelreich zu erwerben, ernteten sie weltlichen Erfolg; statt die Entstehung des modernen Kapitalismus nachzuzeichnen, beschrieb er ein latent theologisches System. Damit dürfte auch die peinliche Beachtung der Wertneutralität, die er vom Wissenschaftler erwartet und die er 3 Festschrift Riese

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Erik Grawert-May

selbst, zumindest in den hier einschlägigen Aufsätzen, als erster verletzt hat, zusammenhängen (1904/05:204 ff.). Die Abwertung des Kapitalisten zu einem mechanisch versteinerten Menschentyp, der an die "Charaktermaske" des von ihm verehrten Marx erinnert, ginge demnach, wenigstens zum Teil, auf die methodische Verwendung von Idealtypen zurück. Auch die Untersuchung Laums schreibt sich in diesen Kontext ein. Während er als Historiker im Methodenstreit der Nationalökonomie wie Weber zwischen Deduktionisten und Induktionisten eine Mittelposition anstrebt, sucht er insofern über sein Vorbild hinauszugehen, als er nicht beim Idealtypus stehenbleibt, sondern zum Urtypus vordringt. Laum tut sich schwer mit der Erklärung dessen, was dieser Typus zu bedeuten hat; er soll zwar nicht der zeitgenössischen Ethnologie entliehen sein, an deren Analyse unentwickelter Gesellschaften er doch von vornherein erinnert, sich aber dennoch dem Prozeß eines rückwärts in die Geschichte weisenden Vergleichs von Spezialtheorien verdanken, aus dem schließlich ein nur aus allgemeinen Merkmalen bestehender Begriff, eben der Urtyp oder die Urform, gewonnen wird. "Für diesen embryonalen Begriff", so Laum selbst bewußt, "sucht der Historiker in den geschichtlichen Erscheinungen den äquivalenten Inhalt; damit ist der Anfang der Entwicklung gefunden" (1924:4 f.). Was ein Embryo ist, werden viele, was ein embryonaler Begriff, nur wenige definieren können. Auf jeden Fall handelt es sich um einen Ausflug in die Biologie, der nahelegt, daß wir uns bei Laum auf evolutionstheoretische Versatzstücke gefaßt machen müssen. Nicht, daß er die Eigengesetzlichkeit der unterschiedlichen Kulturen unbeachtet ließe; gerade der antiken griechischen gilt sein Hauptaugenmerk, da in ihr das Geld entstanden ist (6 f.), doch schwankt er zwischen dieser und archaischen Kulturen mehrmals hin und her. Seine Abgrenzung gegen die Ethnologen mit ihren Analogieschlüssen von unentwickelten Gesellschaften auf die heutige Zeit (5 f.) kann nicht gelingen, weil schon sein methodisches Rüstzeug, der Urtypus, ihn daran hindert. Um den Leser nicht im vorhinein zu sehr gegen Laum einzunehmen, wollen wir zunächst so tun, als ob ihm diese Abgrenzung gelinge. Die homerischen Epen stehen für ihn im Vordergrund. Da nämlich die Münze zuerst um 650 vor Christus im griechischen Raum entstanden ist und sie "einen Normaltypus des Geldes dar(stellt), der für alle Folgezeit als solcher in Geltung bleibt" (7), fallen die prämonetären Erscheinungen des Geldes in die Zeit davor, also in die Zeit Homers. In Homers Epen ist nun verschiedentlich vom Rindsopfer die Rede. Wir können Laum über die Schulter schauen, wie er von der Münze als Normaltypus des Geldes zu dessen Urtypus zurückgeht und ihn in der Hekatombe findet. Das Wort "Hekatombe" bedeutet 100 Rinder. Das Rind galt als kostbarstes Gut der Griechen; deshalb war es für den Opferaltar im Tempel vorgesehen - auch für Gastmähler, die als Opfer verstanden wurden. Es gibt in den homerischen Epen das Hauptopfer von 100 Rindern, dann das von 20, 12, 9, 4 und 2 Rindern. Alle diese Zahlen sind heilige Zahlen und, was für das

Vom "Geist" des Geldes

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Vorhaben von Laum das Wichtigste ist, sie treten gleichzeitig in einem anderen Bereich auf: "Sowohl die Einheit (Rind) wie die Anzahl der Einheiten (100,12,9) finden sich beim Opfer wie bei den Wertmaßen. Der Schluß", so heißt es wörtlich, "daß zwischen den Wertmaßen und den Opfern eine innere Beziehung besteht, ist bindend" (18 f.). Für Laum steht daher fest, daß die Wertmessung nicht aus dem Tauschhandel, sondern aus der sakralen Sphäre stammt. Mit dem Rind als dem kostbarsten Gut, das man hat, handelt man nicht. Auch die Griechen taten es nicht (14). Der tiefere Grund dafür aber lag in einer anderen Qualität des Tieres: es wurde für göttlich gehalten. Man denke nur an die "kuhäugige Hera" oder an Zeus, der als Stier in Erscheinung trat. Opferten die Griechen also ihre eigenen Götter, wenn sie 9,12,100 Rinder schlachteten? Wer erwartet, daß Laum solche oder ähnliche Fragen aufwirft und in diesem Zusammenhang Querbezüge etwa zum Christentum herstellt, der wird enttäuscht. Nicht die Tötung Gottes wird zum Thema, sondern etwas anderes: "Im Opfer findet das Verhältnis des Menschen zur Gottheit seinen sichtbaren Ausdruck. Dieses Verhältnis ist auf früher Stufe wesentlich durch wirtschaftliche Motive bestimmt; es ist durchaus materiell. Der Mensch will seine Existenz erhalten; zunächst rein physisch. Ihn beherrscht der Trieb zu essen und zu trinken, sich zu schützen vor Krankheit und äußerer Gefahr. Moralische Erwägungen fehlen noch vollständig." Und weiter: "Dem primitiven Menschen fehlt die Einsicht in die ihn umgebende Natur; er erkennt die kausale Verknüpfung ihrer Kräfte noch nicht. Er sieht nur die Wirkungen, und von den Wirkungen machen die den stärksten Eindruck auf ihn, welche seine Existenz bedrohen." Es folgt der Hagelschlag, der die Saaten vernichtet, die Krankheit, die die Herden schlägt, kurz: der Mensch "lebt in dauernder Furcht, und diese Furcht ist > Anfang und Grund aller Gottesverehrung Geist< des Kapitalismus. In: Ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd.1, Tübingen 1920, S. 1- 206.

Das Diabolische des Geldes Von Jürgen Kaube und Waltraud Schelkle, Berlin I. Mephisto "Faust was redeemed, a redemption I never could understand, however. But this may be the crux of every redemption. Still redemption applies to an individual person and his soul. We cannot rely on the hope that the socio-political process will somehow encounter a redeeming redeemer. Such redeemers without fail are servants of the Leviathan."

Kar! Brunner

Es gibt einen anti-monetären Affekt im Liberalismus. Der Kampf der Katholischen Kirche gegen das aufstrebende Bürgertum hat bisher allzuoft als Beispiel geldfeindlicher Einstellungen herhalten müssen, von denen sich aufgeklärt-liberales Denken freigemacht habe. Leicht war es dann, die gesellschaftstheoretischen Blindheiten solcher Geldkritik zu betonen. Übersehen wurde dabei freilich der Unterschied zwischen einer theologischen Kritik am geldverwendenden Menschen und einem politökonomischen Affekt, der die Institution des Geldes selbst betrifft. Inmitten der kapitalistischen Wirtschaft und gerade bei ihren Verteidigern entspringt letzterer einem tiefen Mißtrauen gegen das Geld als einem fremden Gast im freien Spiel der Interessen, als Wiedergänger überwunden geglaubter, illiberaler Mächte. Die Dokumente dieser liberalen Geldskepsis sind zahlreich. Sie reichen von der Sympathie der neoklassischen Ingenieure für Welten reinen Tausches hin zu den Schwierigkeiten ihrer gegenwärtigen Nachfolger, Geld in die reine Physik der Ökonomie zu integrieren. Nirgendwo aber hat dieses eigentümliche Mißtrauen eine stärker mythisierende Wendung genommen, als in den Varianten der Zentralbankkritik des sogenannten Monetarismus. "Where is all that money coming from ?"1, so fragt sich etwa Karl Brunner in einer Vorlesung über die Ursachen der Inflation und weiß als Antwort: vom Teufel! Goethe hält mit seinem "Faust" dafür her, den Zusammenhang von Illiberalität und monetärer Sphäre deutlich zu machen: die mephistophelische Papiergeldschöpfung aus dem realwirtschaftlichen Nichts wird mit dem faustischen Streben nach politischer Herrschaft und den Budgetbedürfnissen am Hofe des Kaisers zusammengeschlossen. 2 Der Friedman'sche Hubschrauber, das 1 2

Kar! Brunner "Mephistopheles and Inflation", in: Kredit und Kapital 4 / 1990, S. 429. Faust II.Teil, l.Akt: "Lustgarten".

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Jürgen Kaube und Waltraud Schellde

technisch-mythologische Sinnbild der Monetaristen für das Geldangebot, fliege auf Mephistos Geheiß. "Money is power" und wird dadurch dem liberalen Kritiker zum - seinem Ursprung nach - nur noch mythologisch zu beschreibenden Gegenstand. Und doch war es eben der Liberalismus, der die bürgerliche Gesellschaft, den Kapitalismus, die Geldwirtschaft als jene historische Chance des alten Europa begriff, eine säkulare Ordnung herzustellen, nachdem der von Kirche und mittelalterlichem Reich gestiftete Ordo zerfallen war. Gesucht war eine Form der politischen Ordnung, welche die religiösen Fragen, die verheerenden Bürgerkriegen zum Anlaß gedient hatten, unentschieden lassen konnte. Sie wurden der Glaubensfreiheit der einzelnen überantwortet und eine neue vergesellschaftende Kraft trat an ihre Stelle. Es entstand der säkulare Nationalstaat der Neuzeit. Die mit ihm einhergehende Massierung politischer Macht wurde durch die Konstruktion eines Gesellschaftsvertrages legitimiert, der "protection" - und das hieß nicht zuletzt die des Eigentums - an "obedience" gegenüber dieser Macht band. Die herrschaftstechnische Neuerung bestand darin, eine Konzentration der Gewalt mit einer zuvor nie gekannten Freiheit wirtschaftlicher Betätigung zu verbinden. Von der aufs Jenseits gerichteten und sozial destruktiven religiösen Passion sollten sich die Kräfte der Bürger auf die diesseitig orientierte und sozial harmonisierende Verfolgung ökonomischer Interessen richten. Das religiös neutrale "Interesse" als Gegenspieler der "Leidenschaften" zunächst, dann das besondere "Interesse am Gelderwerb" gegenüber allen anderen Interessen, wurden Zentralbegriffe der politischen Anthropologie im 18. Jahrhundert. Den liberalen Eliten erschien es dabei als Bedingung der Möglichkeit der neuen Ordnung, daß dieses neutralisierte Interesse zur Triebfeder des individuellen Verhaltens werde. Was ihnen noch keineswegs selbstverständlich schien, ein Interesse am Interesse, erwies sich im nachhinein als ungeheuer geschichtsmächtiges und gleichwohl paradoxes Streben: Interessiert und beteiligt an der Entfesselung des "kapitalistischen Geistes" zeigten sich die einzelnen weniger, um sich bei ihren Gewinnen zu beruhigen und dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist - die ersten interessegeleiteten Bürger trieb vielmehr die Sorge um individuelle Erlösung. 3 Paradox darf daran genannt werden, daß jene religiösen Passionen nicht sowohl gebannt wurden als ins wirtschaftliche Handeln eindrangen und die liberale Ökonomie von "illiberalen" Energien getragen wurde. So läßt sich der antimonetäre Affekt im Liberalismus als Reaktion auf zwei Elemente von Heteronomie, die mit dem Geld verbunden sind, beschreiben. Sowohl das politische Interesse "von oben" wie das religiöse "von unten" heften sich an das dann nur noch scheinbar neutrale Medium. Nur zu verständlich ist 3 Vgl. Albert O. Hirschman, Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg, Frankfurt a. M. 1987, S. 137 ff. unter Hinweis auf Max Weber.

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vor diesem Hintergrund das Interesse der liberalen Ökonomie an einer "Neutralität des Geldes"; gelingt es ihr nicht, diese Neutralität zu erweisen, wird Geld dämonisiert, lebt im Geld das vermeintlich durch die liberale Ökonomie Verdrängte wieder auf. Dieses Verdrängte hat entsprechend einen mythologischen Namen: der Leviathan. Sein Bild führt alte liberale Ängste herauf. Waren es doch politische Begründungen, die dem Kapitalismus zu seinem Sieg verhelfen sollten; und waren es doch solche, die dahin gingen, den Leviathan als die integrative Instanz einer gesellschaftlichen Ordnung durch eine unsichtbar koordinierende Hand zu ersetzen. Damit setzten die Vertreter liberaler Ökonomie die Tendenz der europäischen Gesellschaftstheorie fort, im Verlauf ihrer Geschichte nach immer neutraleren und konfliktfreieren Sphären zu suchen, in denen die Kohärenz der Gesellschaft begründet werden sollte. 4 Trat bei Hobbes der Leviathan als "sterblicher Gott" an die Stelle der Religion und des lebendigen als Integrationsmacht, so ereilte ihn, befördert durch Hobbes' zweideutiges mythologisches Bild, in den Darstellungen der Liberalen das ironische Schicksal der Dämonisierung - war er als Gegenspieler der religiösen Bürgerkriegsparteien angetreten, so erkannten die Apologeten der ökonomischen Vernunft später in ihm ein Werk des Teufels. Jenseits der Sphäre spontaner Interaktion, als die sie die Ökonomie verstanden, ersteht in allen Zentralgewalten und so zuletzt auch in Zentralbanken, wovon die Liberalen dieses Typs Gesellschaft frei wähnen: sichtbare Einheit. Die Brunner'sche Verbindung von Geld, Leviathan und Mephisto legt es nahe, sich an einer "Ökonomischen Theologie" zu versuchen, die der Dämonologie der Anti-Theologen antwortet, indem sie die Diabolik des Geldes näher zu bestimmen sucht. Im Folgenden wird dieser Versuchung in zwei Schritten nachgegeben: beiden gemeinsam ist, daß es um geld theoretische Positionen eines über sich aufgeklärten Liberalismus geht, der - wie immer auch implizit - die Diabolik des Geldes anerkennt. Diesseits aller Dämonisierung bestimmen solche Liberale Diabolik als eine Funktionsbedingung des Geldes. Unterschieden sind sie nach der spezifischen Art ihrer "Theologie des Geldes", wenn man so will: nach dem Grad an Diabolik, den sie dem Gelde zuerkennen - und in welchem sie es doch bejahen. 11. Der Geist, der stets verneint? " ... comme un objet de culte terrestre et une amulette contre la maladie epidemique d'inhumanite" Mirabeau an Karl Friedrich von Baden: er solle die Gesetze der wirtschaftlichen Ordnung in allen Schulen, Rathäusern und Sakristeien anschlagen lassen. 4 So earl Schmitt "Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen", in : ders., Der BegrifT des Politischen, Berlin 1979, S. 79fT.

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Die traditionellen Angriffe gegen das Geld handeln von seinem allesdurchdringenden, allesverwandelnden Wesen. Selbst Georg Simmel konnte es durch positive Besetzung dieser Kraft noch zum Repräsentanten der Gesellschaft, ja des Lebens selbst werden. Von solchen Vorstellungen hat sich die zeitgenössische Soziologie gelöst. Repräsentiert findet sich ihr Gesellschaft nurmehr in ihren einzelnen Funktionsbereichen, als deren permanentem Kommunikationsprozeß. Geld ist ihr darum, wie Liebe, Macht oder Glaube, nurmehr eines der zahlreichen Medien, in denen Gesellschaft kommuniziert; umgekehrt wird so das Geld zum Medium der Vergesellschaftung qua Wirtschaft. Einer der wenigen systematischen Versuche zur soziologischen Geldtheories entfernt sich deshalb auch vom Gedanken, zur Reflexion und Kritik des Geldes sei moralisch oder politisch zu gelangen. Ihm ist der Glaube daran vergangen, Moral und Politik repräsentierten noch jene umfassenden Einheiten, in die Ökonomie eingebettet sei. Eine Zentralperspektive, die die Einheit von Differentem in der Gesellschaft herstellt, so wie es die Ökonomie den Klassikern oder Neoliberalen vom Schlage Brunners bedeutete, versagt sie sich. Luhmanns Thema "Symbolik und Diabolik des Geldes" ist darum der Versuch zu ermitteln, welche Motive der Geldkritik vor der Tatsache einer funktional differenzierten Gesellschaft überhaupt noch Bestand haben können. Seine These ist dabei, daß die vergesellschaftenden (symbolischen) und differenzierenden (diabolischen) Eigenschaften des Geldes eine Einheit bilden - eine Einheit von Einheit und Differenz, wie man sie sonst gern in Theodizeen antrifft. Das Programm ist also kein geringeres als das einer "kapitalistischen Kosmologie" (266), die von drei Prinzipien bestimmt wird: der sachlichen, der sozialen und der zeitlichen Differenzierungsfunktion des Geldes. Geld differenziert Wirtschaft aus, löst sie sachlich von anderen Bereichen gesellschaftlicher Kommunikation. Es tut dies, indem es erlaubt, "eine bestimmte Art von kommunikativen Handlungen (zu) systematisieren" (14), nämlich Zahlungen. Nach vollzogener Ausdifferenzierung repräsentiert Geld nichts anderes mehr als abstrakte Zahlungsfähigkeit. Die Überlegenheit des Grundbegriffes "Zahlung" vor dem des Tausches ergibt sich für Luhmann aus der Fähigkeit der Geldzahlung, wirtschaftliche Kommunikation autonom zu setzen und einen ökonomischen Vorgang eindeutiger als solchen zu qualifizieren, als dies Gabe und Gegengabe gelingt. 6 Die Geldverwendung weist zugleich in ihrem Resultat, der Übertragung von Zahlungsfahigkeit, anders als der in Konsum endende Tausch, die Beteiligten stets erneut in die Wirtschaft hinein. Geld "erschöpft seinen Sinn in der Verweisung auf das System, das die Geldverwen5 Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1988. Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. 6 Die Schwierigkeiten, bei Geschenken in der Geldwirtschaft davon zu abstrahieren, daß sie etwas gekostet haben, sind bekannt. Leicht bekommen Geschenke oder ihre Verwehrung deshalb einen diabolischen Charakter! Auch Festgaben sind davon nicht ausgenommen.

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dung ermöglicht ... "(16) und entlastet damit dessen Kommunikationen. Was bezahlbar ist, steht nicht mehr unter dem Zwang, sich moralisch, religiös oder ästhetisch rechtfertigen zu müssen und kann sich an den immanent ökonomischen Kriterien für Zahlungen, an Preisen, orientieren. Die Rückseite dieses Prozesses geldinduzierter Ausdifferenzierung von Wirtschaft bezeichnet Luhmann als die Diabolik des Geldes. Schließt nämlich Geld (symbolisch) alle Vorgänge innerhalb der Ökonomie eng aneinander, und nur aneinander, so neutralisiert und entwertet es zugleich (diabolisch) die Verwendung anderer Kriterien im Bereich der Ökonomie. Auf Totalität hin angelegte Kriterien aber, wie gut und böse (Zinsnahme!), gerecht und ungerecht (Preise!), frei und unfrei (Lohnarbeit!), werden durch ihre Außerkraftsetzung, genauer: dadurch, daß sie "in den inferioren Status der Gründe für Zahlungen und Nichtzahlungen" (245) abgeschoben werden, in ihrem Anspruch auf Geltung versehrt. Möglicherweise - und Luhmann gibt darauf ungewollt einen Hinweis liegt das Skandalon dieser Diabolik aber gar nicht so sehr darin, daß die Geldwirtschaft anderen als ökonomischen Kriterien ihren Totalitätsanspruch verweigert, sondern darin, daß sie selbst Übergriffsabsichten hegt. In dem auch von Luhmann geziehenen Phänomen der "Überpekuniarisierung" (239) deutet sich an, was bereits Simmel konstatierte: Die Qualitätslosigkeit des Geldes stattet es mit der Fähigkeit aus, sich jede andere als die im engeren Sinne ökonomische Sphäre anzuverwandeln. Als sozialer Katalysator von Prozessen der Ausdifferenzierung dominiert es diese zugleich und setzt sich souverän an die Stelle der "entthronten" Totalitätsbegriffe. Läßt man dagegen den Teufel keinen Dialektiker sein, so bleibt der Akzent auf der Differenzierung bestehen. Der Vorgang der Grenzziehung zwischen Kommunikationen wird dann nicht nur von der Ökonomie aus als Entlastung begriffen und trägt nicht nur zur Steigerung ihrer eigenen Möglichkeiten bei. Er stellt sich durchaus auch von Seiten anderer gesellschaftlicher Funktionen als Befreiung von unmittelbar ökonomischen Aufgabenstellungen dar. Das Werben um Liebe, die Suche der Wahrheit, das Streben nach Macht werden zu sich selbst tragenden Intentionen. Dies ermöglicht umgekehrt die Lösung des Geldgebrauches von anderen als wirtschaftlichen Legitimationen. "Die Beschränkung von Käuflichkeit ist die Bedingung ihrer moralischen Freisetzung als einer rein wirtschaftlichen Angelegenheit" (245). Geld bewahrt vor Übergriffen der Kommunikation in beide Richtungen. 7 7 Ein erhabenes Beispiel für solche gegenseitige "Entlastung": "An dem Tage, als ich ihm die Summe brachte, die mich von ihm freimachte, fragte ich ihn nach einigen Umschweifen, was ihn veranlaßt habe, sich so ungeheure Zinsen zahlen zu lassen und aus welchem Grunde er nicht mir, seinem Freunde, eine ganze Wohltat erwiesen habe. ,Mein Sohn, ich habe dir die Dankbarkeit erspart, indem ich dich in dem Glauben ließ, daß du mir nichts schuldig bliebst, daher sind wir jetzt die besten Freunde von der Welt'." Honore de Balzac, Gobseck, in: ders., Das Bankhaus Nucingen, Zürich 1977, S. 149.

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Der historisch bedeutsamste Fall des Versuchs einer solchen gegenseitigen Entlastung von Systemen ist der von Politik und Wirtschaft. Im Kontext einer soziologischen Betrachtung reflektiert sich diese "Beziehung durch Differenzierung" zwischen Macht / Gewalt und Geld in einer besonderen Geldfunktion. Luhmann zufolge bietet nämlich die Geldverwendung im Tausch nicht nur die Rationalisierungschance rein ökonomischer Kalküle, sondern auch die "Garantie" des Stillhaltens all derjenigen, die gerade nicht auf Güter zugreifen. An die Stelle von geldlos gedachtem Tausch als Grundlage der Wirtschaft und Interaktion als Grundlage der Politik und an die Stelle von deren gemeinsamer Grundlage - geteilter problemloser Moral, Geselligkeit und Tauschtrieb - tritt im über sich aufgeklärten Liberalismus Luhmanns die Orientierung an nichtmoralischen Integrationsmechanismen. "Geld ist der Triumph der Knappheit über die Gewalt" (253), weil die Zahlung (für die anderen) die Knappheitszunahme bei den Waren durch die Knappheitsabnahme beim Geld ausgleicht. Wer gerade nicht zahlt, wird darüber beruhigt, daß es den Zahlungskreislauf gibt und außerdem der, der zahlte, es sich wegen der Knappheit des Geldes schon überlegt haben wird, wieviel und wofür er gezahlt hat - er wird jedenfalls nicht immer weiter zugreifen können. Dadurch entpolitisiert Geld Besitz und verhindert permanente "Nahme". Doch auch hier will es der Teufel anders: Die Inklusion durch Zahlung verlangt systemzwanghaft, daß exkludiert ist, wer nicht zahlen kann. Inklusion wird offenkundig vom Wirtschafts system nicht nur geleistet, sondern auch verhindert. Der Satz von Anatole France - "Sie verbieten es Armen und Reichen gleichermaßen unter Brückenbogen zu nächtigen" - läßt sich somit von der Inklusion des Rechts auch auf die der Ökonomie übertragen. Die Exklusion, in Form von Arbeitslosigkeit etwa, wird vom Wirtschafts system selbst produziert und dann nur notdürftig von Politik nachbehandelt. Dieses Zusammen von Inklusion und Exklusion induziert wiederum satanisch inspirierte Beschreibungen der Trennung von arm und reich. 8 Ihnen geht es - in Konfrontation mit dem altliberalen Versprechen einer ökonomischen Symbiose von Starken und Schwachen - um den Klassengegensatz in der Einheit der Ökonomie. Gemeinsam ist beiden Positionen aber, nicht Symbolik und Diabolik, sondern jeweils nur eines in die Bilanz der Geldwirtschaft einzustellen. Stattdessen gelte, daß es "die unauflösliche Einheit von Symbolik und Diabolik [ist], die die Inklusion in die Gesellschaft strukturiert" (265) Erstaunlich allerdings bleibt, daß es sich bei dieser Unauflöslichkeit um eine Wahrheit "schon aus rein logischen Gründen" (263) handeln soll und logisch dabei "tautologisch" heißt. Diabolische Exklusion erscheint hierdurch als bloße "Beobachterperspektive" von Beteiligten und Marxisten, nicht als unharmoni8 "Pere adoptif de eeux qu'en sa noire eolere/Du paradis terrestre a ehasses Dieu le Pere", Charles Baudelaire, Les Litanies de Satan.

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sehe Grundlage der liberalen Ökonomie. Entsprechend wird das Luhmann'schen Argument bezüglich der Inklusionsfunktion des Geldes nicht nur dadurch geschwächt, daß es einen Inklusionswillen der Teilnehmer an Wirtschaft voraussetzt, eine Art natürlich-gesellschaftliche Tendenz zu einer Teilnahme, die als solche positiv besetzt wird (und also doch: Geselligkeit ?). Es stellt auch Exklusion als der Wirtschaft zwar immanenten, nicht von außen her produzierten, ihr als solcher jedoch nicht notwendigen Sachverhalt dar. Die Einheit von Gott und Teufel in der sozialen Differenzierungsfunktion des Geldes bestünde danach als Ergebnis eines Zufalls oder - schon aus Logik - einer theorietechnischen Platzanweisung im Großen Welttheater und wäre nur so unvermeidlich wie diese? Nach den eher befremdlichen Geldfunktionen "Ausdifferenzierung" und "Inklusion" wird der Ökonom zuletzt aufatmen, wenn er von Luhmann endlich vertrautere Klänge hört: "Von seiner Funktion her gesehen dient das Geld, wie Wirtschaft schlechthin, der Zukunftsvorsorge ... Geld haben heißt Zukunft haben, und Geldverwendung ist ,trading in futures' "(268). Heimatklänge aber darum auch schon richtige? Ganz im Einklang mit der herrschenden Theorie dient Geld der intertemporalen Allokation des Konsums, beruhigt zukünftigen Hunger durch gegenwärtig aufgespeicherte Kaufkraft. Von der Zeit her betrachtet besteht dann die Diabolik des Geldes darin, daß es die Verbindung von Gegenwart und Zukunft nicht nur gewährleistet. Vielmehr transformiert es diese Verbindung von einer unsicheren, der mit Hasard oder Vertrauen geantwortet wird, in eine riskierte, die Versicherungsmathematik und Kalkulationen hervorruft, bei Schadenseintritt dann aber doch den Kalkulator äfft. Die zeitliche Diabolik bleibt so freilich auf die Ebene des individuell verantworteten Fallierens beschränkt. Dem Auseinanderfallen von Gegenwart und Zukunft entspricht keine in der Zeit vergesellschaftende Funktion des Geldes. "Dem Goldstück und der Geldnote sieht man nicht an, woher sie kommen. Pecunia non olet: nichts ist gedächtnisloser als das Geld. "9 Wenn man damit sagen wollte, die Geldwirtschaft trage ein antitraditionales Gepräge, oder das Wissen um den Vorbesitz des Geldes sei für seine Annahme nicht wichtig, hätte man aber geschickter formulieren sollen. Denn ein Blick auf die linke untere Ecke des hierzulande kurrenten Geldes zeigt doch gleich, woher es kommt nicht von oben. lO Mag man diese Ablenkung des Blickes auch für läßlich halten, in der Beschreibung der temporalen Eigenschaften des Geldes treten Glanz und Elend der systemtheoretischen Geldtheorie am deutlichsten zu Tage. 9 Dirk Baecker, "Das Gedächtnis der Wirtschaft", in: ders. (Hrsg.), Theorie als Passion, Frankfurt a.M. 1987, S. 526; vgl. Luhmann 1988, S.247. 10 Sondern aus Frankfurt! Insofern ist Luhmanns Blick vielleicht auch etwas einseitig auf Lehrstühle fixiert, wenn er in einem Diskussionsbeitrag zur Gegenwart der Kritischen Theorie auf die Frage, wo heutzutage Gesellschaftstheorie sich schulen könne, rundheraus behauptet "Nicht in Frankfurt!".

4 Festschrift Riese

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Der vermeintlichen Gedächtnislosigkeit des Geldes korrespondiert die Ereignishaftigkeit der "Zahlung", die ein bloß punktuelles Vorher / Nachher markiert, aber damit noch nicht Vergangenheit und Zukunft als ökonomische Kategorien konstituiert. Anders gefaßt: die Weiterverwendung des durch Zahlung erhaltenen Geldes, die fabulöse Autopoiesis l l des Wirtschaftssystems, erfolgt ohne wirtschaftlichen Anlaß. Profiterzielung oder Konsumpräferenzen als Motive sind in der ausdifferenzierten Welt Luhmanns nämlich systemfremde Elemente, stammen aus der Umwelt der Wirtschaft. Somit müßte sich die Wirtschaft auf Akkumulationstriebtäter oder die Unersättlichen, also auf Psychologie verlassen. Wodurch Geld aber in der Zeit vergesellschaftet, ist nicht die Gewißheit, die anderen würden es vernünftigerweise schon wieder ausgeben, oder ein außerökonomischer Zwang, es nach der Zahlung regenerieren zu müssen. Es liegt überhaupt nicht in der Zukunft, in die der Systemtheoretiker die Wirtschaftenden schauen sieht. Es sitzt dem homo oeconomicus vielmehr - und wer denkt jetzt nicht schon wieder an den Teufel? - im Nacken. Die zeitliche Diabolik des Geldes liegt nicht in einer Trennung der Gegenwart von der Zukunft, sondern in ihrer Verstrickung mit der Vergangenheit - und nur weil es eine Verstrickung ist, entspricht sie auch seiner Symbolik. Nicht mißlingende Kontingenzbewältigung durch Geld läßt es teuflisch erscheinen, weil das Mißlingen nun dem Zahlenden selbst zugerechnet wird, sondern daß das Maß der Verschuldung durch Geld nur kontingent bewältigt werden kann - stets aber welche dran glauben müssen. Die ältere Geldkritik, die der Katholischen Kirche, hatte Anstoß daran genommen, daß in der Geldwirtschaft die Zeit selbst - kein Eigentum der Menschen! - qua Zins verkauft wird und in der SchuldnersteIlung die Menschen in eine "uneigentliehe" Zeit hineingeraten, eine, die sie von Gott trennt. So war es hier nur zu sehr die Vergangenheit, die den temporalen Charakter des Geldes bestimmte, und man sah es ihm sehr wohl an, woher es kam und wohin es führte. Nicht die Knappheit oder der Mangel "rufen jenen Schmerz hervor und halten ihn wach, ohne den, nach der Einsicht Nietzsches, sich nichts in das Gedächtnis des Menschen einprägt" 12. Kein Verhältnis zwischen Menschen und Dingen ist es, sondern die Schuld als Verhältnis zwischen Menschen. An sie erinnert das Geld, indem es verspricht, aus ihr lösen zu können. Der "Sozialisierung des Schmerzes" entspricht deshalb in der Tat die Institution des Eigentums, aber nicht als rechtliches Sediment von Haben und Nicht-Haben, sondern als solches von Soll und Haben - sonst hätten ja nur die Nicht-Eigentümer ein Gedächtnis. Von dieser Einsicht aus, daß am Anfang 11 "Man zahlt, wenn man Anschlußzahlungen erwartet", vgl. Dirk Baecker, "Die Unwahrscheinlichkeit der Marktwirtschaft", in: Freibeuter 35/1988, S. 63, oder "Zahlungen ... haben im rekursiven Zusammenhang der Autopoiesis keinen anderen Sinn, als Zahlungen zu ermöglichen", ebd., S. 52. 12 Baecker, a.a.O., S. 524.

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nicht die Zahlung, sondern die Verschuldung war, läßt sich die Genealogie 13 der Geldwirtschaft darum diabolischer entwickeln. III. Advocatus diaboli "Welch Tempel !" Hegel beim Anblick der neuerbauten Pariser Börse, 1827.

Es gibt Schlimmeres als den Teufel. Hält man sich an einen, der seine Erfahrungen mit ihm gemacht hat, so ist es die Sorge, die den Menschen hier bereits und noch im Reichtum elend sein läßt, ihn "bereitet zur Hölle" 14. Dagegen trägt der Teufel nahezu versöhnliche Züge. So auch Luhmann. Sein kosmologisches Interesse läßt ihn nur zu einer gottvertrauenden Diabolik des Geldes gelangen. Die Feststellung einer kleinen Differenz führt auf den Unterschied zwischen einem, der stets Mephisto, ein in den Heilsplan inkludierter Teufel bleibt, und einem Geldtheoretiker, der um die anstößige Theologie seiner politischen Ökonomie weiß. Diese Differenz besteht darin, Geld nicht als ein Zahlungsmedium im Luhmann'schen Sinne zu verstehen, sondern als ein "Medium für Zahlungsversprechen (medium of deferred payment)"15 . Dieser Unterschied birgt in sich - theologisch gesprochen -, daß uns hienieden eine Frist gesetzt ist: Zeit als Frist, irdisches Leben ein "deferred payment". Doch nicht die Absolution des Priesters, sondern die Emission der Zentral bank ist es, die Aufschub bis zur endgültigen Abrechnung gewährt. Und schlimmer noch: Aus Rieses staatlicher Theorie des Geldes folgt nicht weniger, als daß der Religion ihr Monopol auf endgültige Erlösung und damit die Notwendigkeit eines Jüngsten Gerichtes bestritten wird - durch das Notenausgabemonopol. Daß Geld als öffentliches Gut erlöst, macht es diabolisch. Diese teuflische Tendenz hatte seine Verwendung schon, bevor es die Geldwirtschaft gab, d. h. in der nur geldverwendenden primitiven Ökonomie. Drei hinkende Schritte führen von dieser zur Errichtung der vollkommen diabolischen Ordnung monetär verfaßter Ökonomie: von der Verpflichtungsgesellschaft über den absolutistischen Steuerstaat zur Verpflichtungsökonomie der modernen Geldwirtschaft. 16 13 Und eben nicht: Kosmologie! Der Teufel kommt mit dem Menschen, nicht mit der Welt ins Spiel! 14 Faust 11, 5.Akt, Vers 11486. IS Hajo Riese, "Geld, Kredit, Vermögen", in: H.Riese/H.-P. Spahn (Hrsg.), Internationale Geldwirtschaft, Regensburg 1989, S. 1. 16 Diese Unterscheidung dreier epochaler Einschnitte wendet sich sowohl gegen den Evolutionismus der neoklassischen Wirtschaftsgeschichtsschreibung, wie gegen den "meteorologischen" Keynesianismus Heinsohns, der mit der Auskunft "Im Anfang war die Klimakatastrophe" die Abfolge von Wirtschaftsformationen naturgeschichtlich und insbesondere die Geldwirtschaft durch Reduktion auf einen ihr zugrundeliegenden

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Das Primat der Zahlungsmittel- über die Tauschmittelfunktion läßt sich sozialhistorisch begründen. Ökonomische Beziehungen einfacher Gesellschaften wurden durch Loyalitäts- oder unmittelbare Herrschaftsmechanismen vermittelt. Es kann von einer Verpflichtungsgesellschaft gesprochen werden: Die Bezahlung mit Geld diente der Erfüllung außerökonomischer Verpflichtungen, in der die Gläubigerseite nicht durch eine Vertragspartei, sondern durch statusbezogene soziale Ansprüche vertreten wurde. Dieser Ursprung des Geldes aus der Schulden tilgung ist, Polanyi zufolge, aus dem historischen Gedächtnis verdrängt worden, nachdem Geld auch im Tausch verwandt wurde - wohl, weil dieser Ursprung an das Skandalon aller Geldverwendung gemahnt, nämlich sich freikaufen, Ansprüchen entziehen zu können. 17 Riese hat dieses Primat theoretisch begründet: "Zahlungsmittel erhalten als Ausdruck der Erfüllung monetärer Kontrakte ihre marktlogische Fundierung dadurch, daß sie einer Geldwirtschaft die fundamentale Angebotskategorie liefern. Zahlungsmittel ... konstituieren dadurch eine Ökonomie, die man als Geldwirtschaft bezeichnet - als Gegenentwurf zu einer Tauschökonomie, in der, wie in ihrer neoklassischen Version, ein Vektor an Ressourcen oder, wie in ihrer klassischen Version, Arbeit als Budgetrestriktion des Marktsystems fungiert." 18 Der Vorrang der Zahlung gegenüber dem Tausch beruht - anders als bei Luhmann - auf der entscheidenden Eigenschaft der modernen monetären Wirtschaft, Verpflichtungsökonomie zu sein. Geld entsteht auf kreditärer Basis, und das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis, das an seinem Ursprung zwischen Zentralbank und Geschäftsbank herrscht, pflanzt sich in allem weiteren (abgeleiteten) Wirtschaften fort. Zugleich löst Geld aber - im Unterschied zu Tauschmitteln wie Depositen- oder Wechselforderungen Verträge definitiv und verschiebt nicht nur das Schuldverhältnis auf andere: gleich dem Speer, der die Wunde heilt, die er schlug. 19

anthropologischen Typus, ihren Gründungsmythos - Romulus! - zu erklären sucht. Vgl. G. Heinsohn, Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft, Frankfurt a. M. 1984. 17 Karl Polanyi, Ökonomie und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1979, S. 325: "Früher mußte ein Mann Steuern, Pachtzins, Strafgebühren oder Blutgeld bezahlen. Nun bezahlt er für die von ihm erworbenen Güter. Geld wird nun deshalb zum Zahlungsmittel, weil es ein Tauschmittel ist. Der Gedanke eines unabhängigen Ursprungs der Bezahlung tritt in den Hintergrund, und die Jahrtausende, in denen sie nicht aufgrund ökonomischer Transaktionen, sondern direkt aufgrund religiöser, gesellschaftlicher oder politischer Verpflichtungen erfolgten, fallen der Vergessenheit anheim." Vgl. auch B. Laum, Heiliges Geld, Tübingen 1924, S. 158. 18 Riese, a.a.O., S. 20f. 19 Um dies mit einem etymologischen Seitenstück zu verdeutlichen: Bei Luhmann liegt der Akzent in der Bestimmung des Zahlungsbegriffes auf "numeratio" und nicht, wie bei Riese, auf "solutio". Freilich zählt auch der Teufel die Seelen, die sich ihm verschrieben haben - aber er lockt sie, indem er ihnen Lösung von allerlei Plagen verspricht. Daher er dann als Blender, Luzifer, viel gefährlicher ist, denn als Seelenbuchhalter und Vermesser dessen, was nicht zu vermessen ist. Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch Bd. 31, Sp. 78.

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Man könnte die primitive Schuldentilgung eine heidnische Verwendung des Geldes als Zahlungsmittel nennen - heidnisch deshalb, weil der ideelle Gesamtgläubiger nicht ein Gott, sondern die zu Göttern verklärten gesellschaftlichen Gewalten sind. 20 Renaissance und Transformation dieser Verklärung gesellschaftlicher Gewalten zu einem "sterblichen Gott" vollziehen sich, wie gesehen, mit der Entstehung des säkularen Nationalstaates. Die Erbschaft aus mythischer Zeit aber entging dem liberalen Glauben an den Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Der Leviathan beanspruchte die Herrschaft, um die von Religions- und Bürgerkriegen erschöpften Gemeinwesen nach innen zu befrieden, nach außen zu formieren. "Protection" aber erforderte nicht lediglich "obedience", sondern vielmehr noch "indebtedness" der Untertanen. Als nicht mehr nur ideeller Gesamtgläubiger präsentiert er seine Forderungen nun in monetärer Form: "Der Fürst als Amtmann Gottes"21 läßt den absolutistischen Steuerstaat errichten, um ein stehendes Heer und eine dauerhafte Bürokratie unterhalten zu können. Die ständespezifische Naturalsteuer, die private Steuerpächter eintrieben, wird zu einer allgemeinen, hoheitlich erhobenen Geldsteuer. Im Rückblick scheint es jedoch, als sei die Inkarnation des Schuldzusammenhangs der Gesellschaft in einer politischen Instanz zu sehr noch repräsentativem Denken verpflichtet gewesen. Die einmal ans Tageslicht getretene GläubigerSchuldner-Gemeinschaft, die das Geld konstituiert, durchdrang alle gesellschaftlichen Beziehungen und totalisierte sich in dem Maße, wie die abstrakte Entgegensetzung von Staat als Gläubiger und Gesellschaft als Schuldner aufgehoben wurde. Es mußte der Leviathan zuallererst entmachtet werden, bevor Verschuldung die Kategorie der Vergesellschaftung werden konnte. Dies geschieht in dem Land, das als erste Industrienation in die Geschichte eingehen sollte, in England. Im Anfang war nicht die Industrielle, sondern die Finanzielle Revolution 22 . Sie begann damit, die private Verschuldung des Hofes in eine Verschuldung des Staates zu verwandeln, indem sie parlamentarisch abgesegnet werden mußte. Insbesondere das Geld, das durch Monetisierung von Staatsdefiziten in den Umlauf gelangte, erhielt damit den Status einer öffentlichen Schuld. Wohlgemerkt nicht einer Schuld der Emissionsbank - die gewählte Legislative autorisierte das Geld vielmehr als Verpflichtung der

20 Vgl. Emile Durkheim, Die elementaren Fonnen des religiösen Lebens, Frankfurt a. M. 1981, S. 560, der aus der Untersuchung primitiver Religionen den Schluß zieht, daß die "Wirklichkeit, die sich die Mythologien unter so verschiedenen Fonnen vorgestellt haben, ... die Gesellschaft ist." 21 M. Stünner, "Hungriger Fiskus schwacher Staat. Das europäische Ancien Regime", in: U. Schultz (Hrsg.), Mit dem Zehnten fing es an, München 1986, S. 179. 22 Vgl. D. Rothennund, Europa und Asien im Zeitalter des Merkantilismus, Dannstadt 1978, S. 145.

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Gesellschaft gegen sich selbst. 23 Die Finanzielle Revolution fand ihren Abschluß mit der Peel'schen Bankakte (1844), mit der der Bank von England das Notenausgabemonopol eingeräumt, die GeldschafTung von der Kreditschaffung durch die Banken getrennt wurde. Die Trennung des Gewaltmonopols vom Notenausgabemonopol glich der Guillotinierung des absoluten Herrschers, um an seine Stelle die anonym vergesellschaftende Gewalt der Verschuldung zu setzen. Sie ist nun kein Verhältnis mehr zwischen, sondern innerhalb von "Subjekten". Die geldemittierende Instanz wurde nämlich keineswegs als omnipotente Herrscherin inthronisiert, sondern ihre Selbsterhaltung davon abhängig, das nationale Geld als Grundlage finanzieller Forderungen gegen andere Währungen behaupten, die nicht-produktive Sachverrnögensbildung durch nominelle Forderungen ersetzen zu können. Geld kann eine nationale Ökonomie nur konstituieren, wenn es akzeptiert wird, was auf der Seite der Individuen bedeutet, mit jeder Geldverwendung den Glauben an den Schuldzusammenhang des Gesellschaftlichen zu bekunden. Darin gleicht die monetäre Ökonomie jeder Zivilreligion: Die Akteure wissen, daß (der gefallene) Gott, damit er ein solcher sei, auch darauf angewiesen ist, daß an ihn geglaubt werde. Mit der Einziehung der transzendenten Gewalten - des Tempels, des SteuerLeviathans - in die Ökonomie langt die moderne Geldwirtschaft schließlich bei der Zentralbank an. Sie repräsentiert die ideelle Gesamtgläubigerin, die als solche freilich nur die Macht hat, eine Depression zu erzeugen, nicht aber, eine Konjunktur zu stimulieren. Sie ist eine strafende Macht. 24 Das bei ihr bilanzierte Passivum Geld verkörpert die Verschuldung der Ges"eilschaft bei sich selbst. Zugleich erlaubt das Geld, Schulden definitiv zu tilgen. Das gesellschaftlich verschuldende, schuldhaft vergesellschaftende Medium gewährt individuell ErLösung. Der bürgerliche Rechts- und Nationalstaat mit der ihm entsprechenden Wirtschaftsweise, dem Kapitalismus, bedurfte eines irdisch erlösenden Geldes. Es bildet das Telos von Vertragsbeziehungen, dem Gläubiger gewährleistend, daß der Schuldner sich an der Erwirtschaftung des Zahlungsmittels orientiert. Dem Schuldner gewährt dies die - in der Feudalgesellschaft nicht selbstverständliche - Sicherheit, eine Forderung gegen sich immer in Geld ablösen zu können und nicht beispielsweise persönlichen Herrschaftsverhältnissen unterworfen zu werden. Ausdruck dieser anonymen Vergesellschaftung von Schuldnern und Gläubigern in der Zeit ist der Geldzins. 2S Der Zins ist zugleich entscheidend dafür, daß 23 Vgl. P.G.M. Dickson, The Financial Revolution in England: A Study in the Development of Public Credit 1688-1756, London 1967, S. 9-14. 24 Wie Riese nie müde wird, dem IS-LM-Keynesianismus vorzuhalten. 25 Der Bedeutungswandel des Zinsphänomens liefert einen Hinweis mehr darauf, daß G. Heinsohns Existentialismus des Privateigentümers, der als ewig geängstigtes und in die Geldwirtschaft hinausgehaltenes Wesen nach Zins für Verleihung verlangt, sozialhistorisch fehlgeht. "Zins" stammt von "census", den Abgaben, die den römischen Provinzen

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die Zentralbank nicht nur ideelle, sondern höchst materielle Forderungen an die Gesellschaft geltend machen kann. Ihre Zinsforderung in Gestalt der Diskontund Lombardrate ist eine der Voraussetzungen dafür, daß sie die Ökonomie ins Obligo zu nehmen, ihr Strafgericht auszuüben vermag. Worin besteht nach alledem das Diabolische des Geldes? "Simul justus et peccator" - so liest der Lutheraner auf der Stirn jedes Menschen. "Zugleich verschuldet und erlöst" - so wird man jene Zentralgestalt einer Theorie der Geldwirtschaft, den Vermögenden, charakterisieren dürfen. Vermöge seines Vermögens ist er Angehöriger eines Wirtschaftssystems, das nur qua Verschuldung prozediert: Er wird gut daran tun, es als Verbindlichkeit gegenüber sich selbst aufzufassen. 26 Vermöge seines Vermögens vermag er sich aber auch selbst von Gesellschaft als jenem Verschuldungszusammenhang zu lösen. Jenes Zugleich äußert sich im Gefühl der Sorge. Die Attraktivität der Verpflichtungsökonomie besteht gerade darin, daß sie die Fiktion aufrecht zu erhalten erlaubt, individuell sei Exklusion möglich. Insofern sie intertemporale Ökonomie ist und das Medium ihrer Vertragserfüllung die Verschuldung der Gesellschaft bei sich selbst verkörpert, zwingt sie jedoch mit jeder Geldverwendung zur Inklusion, zur Vergesellschaftung in Schuldner-Gläubiger-Verhältnissen. Das Interesse der einzelnen an dieser Wirtschaft, und in eins damit die Schwäche moralischer Geldkritik, wird auf diese Weise deutlich. Geld verspricht Exkludierfähigkeit, Erlösung von Verpflichtungen - die Omnipotenz dessen, der seine Seele dem Teufel verschrieben hat. Dieser Schein von Freiheit ist es, was der Teufel gewährt - Freiheit in der Deszendenz aus der Gesellschaft, der guten wie der schlechten. Daß dieses Versprechen imaginär ist und der Teufel der Meister der Phantasmagorien, spürt die liberale Geldkritik. In ihrer Vorstellung von einer Geldwirtschaft ohne Zentralbank, vom Glauben ohne Kirche, scheint sie sich von allen Götzen frei zu machen - und will doch nur den Tempel stürmen, um dem Glauben individuell desto inniger zu frönen.

Literatur Baecker, D., "Das Gedächtnis der Wirtschaft", in: ders. (Hrsg.), Theorie als Passion, Frankfurt am Main 1987

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"Die Unwahrscheinlichkeit der Marktwirtschaft", in: Freibeuter 35/1988

von ihren Statthaltern auferlegt waren. Auch alttestamentarisch stand "Zins entrichten" zunächst für ein Verhältnis - modern ausgedrückt - des öffentlichen Rechts, nicht für eine Beziehung unter "Privaten", bedeutete es "Steuer zahlen". Die Weiterentwicklung der Bedeutung des Zinsbegriffes zu "Geldzahlung für eine geliehene Summe" erfolgte spät und wurde von den romanischen Sprachen nicht nachvollzogen. Im Französischen und Englischen wird gewissermaßen durch "interet" und "interest" die Perspektive des Schuldners, der für sein Interesse zahlt, eingenommen, während im Wort "Zins" die Gläubigersicht nachwirkt. Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch Bd. 31, Sp. 1475ff. 26 Vgl. Riese, a.a.O., S. 7, Fn.19.

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Ba/zac, H. de, Gobseck, in: ders., Das Bankhaus Nucingen, Zürich 1977 Brunner, K., "Mephistopheles and Inflation", in: Kredit und Kapital 4/1990 Dickson, P.G.M., The Financial Revolution in England: A Study in the Development of Public Credit 1688-1756, London 1967 Durkheim, E., Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt am Main 1981 Heinsohn, G., Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft, Frankfurt am Main 1984 Hirschman, A.O., Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg, Frankfurt am Main 1987 Laum, B., Heiliges Geld, Tübingen 1924 Luhmann, N., Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1988 Polanyi, K., Ökonomie und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1979 Riese, H., "Geld, Kredit, Vermögen", in: H. Riese/H.-P. Spahn (Hrsg.), Internationale Geldwirtschaft, Regensburg 1989 Rothermund, D., Europa und Asien im Zeitalter des Merkantilismus, Darmstadt 1978 Schmitt, c., "Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen", in: ders., Der Begriff des Politischen, Berlin 1979 Stürmer, M., "Hungriger Fiskus - schwacher Staat. Das europäische Ancien Regime", in: U. Schultz (Hrsg.), Mit delI} Zehnten fing es an, München 1986

Zur Psychologie des Geldes Die Rolle der Rentenmark bei der Überwinddllg der Hyperinflation in der Weimarer Republik* Von Hans Peter Widmaier, Regensburg "Psychology is really the basis from which any social science must start and in terms of which all fundamental explanation must run." Joseph Schumpeter l

In der Diskussion um die Rentenmark ist sehr viel von ihren psychologischen Wirkungen gesprochen worden. Überall bleiben aber diese Stimmen in_ einer stereotypen, schlagwortartigen Phrase wie zum Beispiel "Rätsel der Massenpsychologie" (Rudolf Stucken) stecken, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Ich bin nun dieser Frage mit Hilfe der Psychologie und Sozialpsychologie nachgegangen und habe anhand eines "Erklärungseinfalls" (Spiethofl) versucht, die psychologisch wirksamen Faktoren zu analysieren und zu interpretieren.

I. Theoretische Vorbemerkungen: Krisen-Analyse, Symbol und Stereotyp Um zu den psychologischen Wirkungen der Rentenmark vorzudringen, möchte ich als Ausgangspunkt die Krisentheorie der Selbachs 2 heranziehen 3 •

* Diese Skizze stammt aus der gemeinsamen Zeit mit Hajo Riese an der Universität Basel. Wir haben seitdem verschiedene Wege begangen - unsere Freundschaft ist geblieben, hat sich in Jahrzehnten entfaltet. Aus diesem Grunde, aber auch wegen der Aktualität des Themas habe ich mich noch so spät zu einer Veröffentlichung entschlossen. Hajo Riese hat selbst wichtiges zu diesem Thema zu schreiben gehabt ("Theorie der Inflation", Tübingen 1986). 1 Joseph Schumpeter, "History of Economic Analysis", New York 1954, S.27. 2 C. und H. Selbach, "Krisen-Analyse", in: Studium Generale, Jg. 9, H. 7, 1956, S.394ff. Um den typischen Verlauf einer Krise zu verfolgen, baue ich auf der Krisen-Analyse der Sei bachs auf, die sowohl Individual- als auch Kollektivkrisen umfaßt. Die Autoren gehen vom Drei-Phasen-Prinzip aus. Die Krise läuft in folgenden drei Phasen ab: (1) die präkritische Vorbereitungsphase, (2) die kritische Hauptphase und (3) die postkritische Phase. Die präkritische Phase ist durch eine zunehmende innere Spannung (Spannungsrnoment), verbunden mit einer allgemeinen Labilität (Labilitätsmoment) gekennzeichnet. Die

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Das ganze gesellschaftliche und staatliche Gefüge der Weimarer Republik drohte zu zerfallen, wenn nicht mittels eines spontanen Anstoßes eine Gegenbewegung eingeleitet würde. Ein derartiger Anstoß kam in der Währungskrise des November 1923 von einigen Elementen der Rentenmarkkonstruktion und ihren psychologischen Wirkungen. Mit der Propagierung der Rentenmark wurden der Bevölkerung Symbole und Formeln angetragen, die teilweise einen Rückgriff auf archaische Formen bedeuten, teilweise in geschickter Form stereotypisierte Antworten auf offene Fragen vermittelten. 1. Das Symbol Symbole sind tradierte oder willkürlich geschaffene Zeichen; sie stehen zunächst für etwas, an der Stelle eines Objektes, mit dem sie assoziativ verbunden sind. Sie sind handliche und bewegliche Mittel des Ausdrucks und der Darstellung. Ganz allgemein kann man sagen, daß die Symbolik ähnlich der Sprache einen wesentlichen Ausgangspunkt darstellt, um Beziehungen zur Umwelt zu knüpfen. Der große Basler Gelehrte Johann Jacob Bachofen nennt die Symbole "Zeichen des Unsagbaren ... , die alle Saiten des menschlichen Geistes zugleich anschlagen und bis in die geheimsten Tiefen der Seele ihre Wurzeln treiben "4. Die Interpretation der Psychologen reicht von der Deutung der Symbolik als "unbewußtem Niederschlag primitiver Anpassungsmittel an die Realität, welche mit weiterer Entwicklung überflüssig und hinderlich werde, eine Art Rumpelkammer der Zivilisation" 5 , über die Darstellung der Symbolisation Folge dieses Labilitätsmoment zeigt sich in einer Richtungsungewißheit, die von innerer Unruhe begleitet ist. Bei ständigem Hinausschieben der Entscheidung wird eine Grenzspannung erreicht. In diesem Stadium muß die Entscheidung fallen (Anstoß-Moment). Es kommt zum Umschlag (Kipp-Moment). Der Anstoß läßt das System umkippen. In dieser Situation besteht die Möglichkeit der Katastrophe wie der "Hilfe im letzten Augenblick". "Es entsteht eine plötzliche und in ihren Phänomenen oft paradox wirkende Reaktion; sie verläuft unter Verzicht auf feinere psychische Differenzierung unter Ausschaltung der Kritikfähigkeit, der Selbstkontrolle und schließlich auch des Bewußtseins". "Dieser Vorgang entspricht stets einem Rückgriff auf archaische Mechanismen unter Verlust der individua1en Selbstverfügbarkeit mit dem Stigma der Radikalisierung und Primitivierung". Entweder verläuft die Krise in Richtung der Aggression oder der Regression. Dieses "Anfallsgeschehen" löst so oder so eine entspannende Wirkung aus. Mit beginnender Rückkehr zur Norm ist die kritische Phase beendet. Die anschließende postkritische Phase ist gekennzeichnet durch die Rückkehr zum Ausgangsniveau oder den Übergang zu einem neuen Leistungsniveau. Es ist noch zu betonen, daß die kritische Phase zeitlich begrenzt und kürzer ist als die Vor- und Nachphase. 3 Vgl. auch Arthur Spiethoff, "Die Krise" (Krisenartikel), in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. VI, Jena 1925, S. 8ff. 4 J ohann Jacob Bachofen, Gesammelte Werke, Bd. 4: "Versuch über die Gräbersymbolik der Alten", Neuausgabe Basel 1954, S. 62f. 5 Otto Rank/Hanns Sachs, "Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Geisteswissenschaften", in: Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens, Bd. 93, Wiesbaden 1913.

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durch c.G. Jung als einer archaischen Denkform - die Archetypen sind potentielle Symbole, die nur zu neuem Leben erweckt werden müssen -, bis hin zur weitgefaßten Theorie Frederick J. Hackers 6 , die wir im weiteren zugrunde legen. Hacker spricht von einem "symbolischen Universum", welches die ganze Breite menschlicher Darstellungs- und Ausdrucksmöglichkeit umspannt, angefangen bei archaischen Symbolformen bis hin zu den ausgeklügelten mathematischen Symbolen. Hacker hebt drei typische, strukturelle Aspekte des Symbols hervor: die Autonomie, die Instrumentalität und den symbolischen Rahmen. Autonomie heißt in diesem Zusammenhang, daß sich das Symbol von seinem Ursprung freimachen, unabhängig von ihm operieren und möglicherweise auch manipuliert werden kann. Die entscheidende Grundeigenschaft der Symbole, autonom zu werden, ermöglicht "das Fühlen und Handeln des Menschen in Vergangenheit und Zukunft, sowie das abstrakte Denken" (S. 650). Die Autonomie der Symbole ist keine endgültige; die verschiedenen Symbolformen sind vielmehr auswechselbar. Dies verweist auf den zweiten Aspekt, die Instrumentalität. Die Symbole erscheinen als spezifisch menschliche Darstellungs- und Erkenntnisfähigkeit; sie sind nach Hacker "das wichtigste Instrument zur Erkenntnis der Realität" (S. 650). Erfüllt das Symbol seinen instrumentalen Zweck nicht mehr, wird es unbrauchbar und leer. Für unsere Darstellung ist besonders der dritte Aspekt Hackers interessant, der symbolische Rahmen. Im symbolischen Universum sind bestimmte permanente und semi-permanente Symbolstrukturen vorhanden, in denen sich die beweglichen Symbole zu relativ stabilen und unveränderlichen Formen verfestigt haben. Diese strukturierten Symbolformen sind unabhängig von individuellen Bedingungen und besitzen eine relativ konstante Bedeutung. Solche "universellen" Symbole sind nationale, religiöse, kulturelle und Familien-Symbole. Diese tradierten Symbolformen haben den Erlebnischarakter des "absolut Gültigen" und erscheinen als der gegebene Rahmen, als die "relativ unwandelbare symbolische Ausdrucksform" . Der feste Rahmen ist zugleich Antrieb und notwendige Stütze für sinnvolles menschliches Handeln. Typischerweise sind Symbole von einer starken emotionalen Wirksamkeit; sie erzeugen schwer kontrollierbare Gefühlsbewegungen, im Sinne von Ahnungen, hinter denen die rationalen Überlegungen zurücktreten. Hacker spricht von der Gefahr, daß die Welt des 20. Jahrhunderts immer symbolärmer wird; der daraus resultierende Symbolhunger bereitet den Boden für jede Art der Symbolmanipulation. Die modernen Massenkommunikationsmittel werden von Politik und Wirtschaft rücksichtslos dazu benutzt, alte und neu erfundene Symbole zu verbreiten, einzurichten und zu manipulieren. Die geschickte Manipulation symbolischer Strukturen bestimmt das Gesellschaftsleben, bestimmt die Ansichten und Urteile wesentlich. Die Manipulation von Symbolen kann zu 6

Frederick J. Hacker, "Symbole und Psychoanalyse", in: Psyche, Jg. XI., H. 11, 1958.

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irrationalen, inhumanen und destruktiven Zwecken benutzt werden. Die Symbolik hat nämlich weder einen positiven noch negativen Wertakzent, sie ist wertneutral. Ihr fehlt ein "immanentes Korrektiv"; dies mahnt uns zu größter Vorsicht und Wachsamkeit gegenüber modernen Praktiken der Neuschöpfung und Manipulierung von Symbolen. Unsere Hoffnung liegt "in der durchaus möglichen Verbindung und Verquickung von rationalen Zwecken und Zielen mit dem zu schöpferischer Tat drängenden, als bedeutungsvoll erlebten Symbolreichtum" (Hacker, S. 670). 2. Das Stereotyp

Mehr an der Oberfläche bleibt dagegen der in der Sozialpsychologie gebrauchte Ausdruck der Stereotypie, des Stereotyps, für typische, vorgeprägte, formelhafte Antworten auf Fragen der Tagespolitik, des zu treffenden Meinungsentscheids, der damit in selbsttrügerischer Form umgangen wird. Die Bezeichnung selbst kommt aus der an originellen und treffenden Ausdrücken reichen Buchdruckersprache 7 und bedeutet dort eine Abteilung einer Zeitungsdruckerei, in der beispielsweise von der Zeitungsseite, die zunächst in beweglichem Schriftsatz erstellt wurde, eine Mater (Mutter) geprägt wird; diese Mater wird dann in halbzylindrischer Form in Blei ausgegossen und ermöglicht so erst - auf Zylinder aufgespannt - den Druck der Zeitungsseite in der hohen Geschwindigkeit des Rotationsdruckes. Vervielfältigkeit, Transponierung in eine andere Form und dadurch Steigerung der Auflage und Geschwindigkeit der Mitteilung sind somit die vordergründigen Aufgaben der Stereotypie. Was lag näher, die ja oft von der Sensationspresse forcierten Schlagworte, Patentlösungen und Vorurteile mit dem Ausdruck "Stereotyp" zu belegen?8 Vervielfältigt, umgegossen in die Form, die man braucht, dadurch rasch verbreitbar , geprägt, ja vor-geprägt bietet sie statt dem. ehrlichen Eingeständis des "Ich weiß nicht!" den rettenden Bleimantel des Stereotyps. Hofstätter 9 hält es für erwiesen, daß mit dem "Schwebezustand des erlebten ,Ich weiß nicht!' innere Spannungen verknüpft sind, die sich nach der Anerkennung irgendeiner Patentlösung sofort sehr verringern". Angst und Ungewißheit sind zu flüchten und "die vorgeprägten Formeln bieten sich als rettende Asyle an". Um sich aber später das "Ich weiß nicht!" nicht doch noch eingestehen zu müssen, wird die Übernahme des Schlagwortes, der vorgebildeten Meinung, als Faktum nach Möglichkeit aus dem Bewußtsein verbannt. Sehr rasch formt sich das Gefühl, einen ganz persönlichen Standpunkt zu beziehen. 7 Auch die Bezeichnungen "Klischee" und "Facette" haben in übertragender Anwendung den Weg in die Öffentlichkeit angetreten. 8 Der Ausdruck wurde zum ersten Mal von dem amerikanischen Publizisten Walter Lippmann ("Public Opinion", New York 1922) übernommen. 9 Peter R. Hofstätter, "Psychologie der öffentlichen Meinung", Wien 1949, S. 3.

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Schmölders 10 betont "die häufig zu beobachtende Intoleranz und Affektbetontheit der ungeprüft übernommenen stereotypen Urteile, Schlagworte und Stellungnahmen". Er hält "die an solchen vorgeprägten Formeln orientierte und solche ihrerseits immer erneut produzierende öffentliche Meinung" für "unkritisch und leicht zu vorschnellen Werturteilen bereit, die von den jeweiligen eigenen Wünschen und Interessen subjektiv beeinflußt zu werden pflegen". Schmölders hat diese hier allgemein gefaßten kritischen Bemerkungen konkret für den parlamentarischen Raum der Bundesrepublik Deutschland durch eine demoskopische Untersuchung der Meinungsbildung in Finanz- und Währungsfragen nachgewiesen. Die Ergebnisse der Befragung sind in dem Buch "Die Politiker und die Währung"ll.zusammengefaßt und kommentiert: "Ausdrücke wie ,Wohlfahrsstaat', ,heilsame Atempause', ,guter Hausvater' und ,Wirtschaftswunder' wirken wie abgestempelte Passierscheine für die entsprechend normierten Gedanken und Gefühle; mehrfach konnte durch Kontrollfragen ein deutlicher prozentualer Unterschied zwischen der konformistischen und der reflektierten Aussage zum gleichen Gegenstand festgestellt werden (vgl. S. 17 f., 37ff.). Auch Begriffe wie ,Wirtschaftskrise', ,Vollbeschäftigung', ,Währungsstabilität' und ,Inflation' sind eine Art Glaubensartikel; die Stellungnahme dazu ist in einer Gruppennorm vorgeschrieben, die meist getreulich befolgt wird. Vollends auf dem Gebiet des Geld- und Währungswesens, dessen Zusammenhänge weitgehend undurchschaubar und schwer verständlich, wo nicht gänzlich unbekannt sind, hält sich das Denken an stereotype Formulierungen und überkommene Vorstellungen. Daß es seit der Abschaffung der Goldwährung für die Gesundheit der Währung nicht mehr in erster Linie auf ihre Deckung ankommt, ist den Abgeordneten weitgehend unbekannt; die Idee einer absichtlichen Geldvernichtung aus währungspolitischen Gründen ist für die meisten von ihnen schlechthin absurd (vgl. S. 54f.)." Nach diesen Vorbemerkungen möchte ich direkt auf die bei der Rentenmark praktisch wirksam gewordenen Formeln und Symbole eingehen.

11. Die Formel "Grund und Boden" Grund und Boden sind Urformen des Besitzes. Eigentlich ist die Formel ein Pleonasmus, beide Wörter können einander vertreten, doch erscheinen sie vielfach formelhaft verknüpft, und die ganze Phrase wird oft benützt mit emphatischem Beiklang und besonderem Gefühlsgehalt: Frisch uf, mir wendt ihn fröhlich strelen: hie es gut Schwytz Grund und Boden! ir Eygenosse, nun londs uns wogen. (Schweizer Schauspiel des 16. Jahrhunderts) 10 Günter Schmölders, "Das Irrationale in der öffentlichen Finanzwirtschaft", Rowohlts Deutsche Enzyklopädie (rde) Bd. 100, Hamburg 1960, S. 35. 11 Günter Schmölders, "Die Politiker und die Währung", Frankfurt 1959, S. 136f.

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Grundbesitz stand für Sicherheit, Grundbesitz gewährleistete Ertrag und soziales Ansehen; er stand gleichsam als Symbol für die ihm zugeschriebenen Eigenschaften: Grundbesitz als "Symbol der allumfassenden Absolutheit und der Ewigkeit des Prinzips, auf dem (beispielsweise) die Kirche sich gründete" 12, nachdem die Kirche mit ihren ausgedehnten Ländereien und Besitztümern den Grundbesitz in eine entsprechende Gedankenverbindung gebracht hatte. In der rückschauenden Betrachtung betonte Georg Simmel 13 in einer Gegenüberstellung der Epochen: "Der immobile Besitz war, cum grano salis, etwas unvergleichliches, der Wert schlechthin, der unbewegte Grund, über dem sich die eigentliche ökonomische Bewegung erst vollzog, und der an sich jenseits dieser stand". An anderer Stelle: "Vergleicht man etwa die Zirkulationsfahigkeit von Grund und Boden mit der des Geldes, so erhellt unmittelbar der Unterschied des Lebenstempos zwischen Zeiten, wo jener und wo dieses den Angelpunkt der ökonomischen Bewegung ausmacht." Die bedeutungsgeladene Formel "Grund und Boden", die im Sprachgebrauch 14 schon frühzeitig für Fundament, Basis oder Grundlage gebraucht wurde, hat man bei der Währungsreform 1923 durch geschickte Propagierung in die Waagschale geworfen. Sie sollte helfen, dem neuen Geld Stütze und Halt zu sein. In ihrer Verknüpfung von Symbolhaftem, stereotyper Aussage und Bildhaftem bot sie dem Unkundigen die Hand, sich in der beschriebenen Weise von Angst und Ungewißheit zu befreien. Die assoziative Verknüpfung des neuen Geldes zur Urform menschlichen Besitzes, Grund und Boden, schuf die Atmosphäre, in der neuer Glauben in Verbindung mit alter Symbolik erwachsen konnte. Symbolhaft tritt an die Stelle des "Vater Staat" durch.den Bezug auf Grund und Boden der Mutter-Archetypus; denn Erde, Land, Boden sind Symbole des Mütterlichen. Ein sehr eindrückliches Beispiel zur Stützung meiner These bietet die Geschichte des berühmten Mariatheresientalers. Die Silbermünze, 1751 zum ersten Mal geschlagen, hat bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wichtige Münzfunktionen erfüllt. Durch die Österreicher zunächst nach dem Orient gebracht, erfreute sich die Münze bald allgemeiner Beliebtheit auch bei den Ägyptern, Syrern bis hin zu den Persern und Indem. Im Kaiserreich Äthiopien zirkulierte der österreichische Taler als Hauptmünze und wurde auch nach dem 2. Weltkrieg noch als Zahlungsmittel verwandt. Mussolini machte sich die Vorliebe der Äthiopier zunutze und überschwemmte das Land als psychologische Kriegsvorbereitung mit Neuprägungen der Münze, nachdem er 1935 in Wien alte Druckstöcke und Pressen gekauft hatte.

Georg Simmel, "Philosophie des Geldes", München und Leipzig 1900, S. 229. Georg Simmel, ebenda, S. 228 und 548. 14 Bildlich ist die Mutter gleich der Ursache, dem Ursprung, der Quelle, dem Grund einer Sache: mater, ut ita dicam, rerum omnium natura. 12

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Soweit einige Tatsachen. Doch worauf beruhte die eigentümliche Vorliebe der Orientalen und Afrikaner für den Mariatheresienthaler; welche Motive waren hier wirksam? Der Taler trug ein wohlgelungenes Porträt der Kaiserin Maria Theresia. Es ist wahrscheinlich, daß die Münze durch ihren Symbolgehaltls in den matriarchalisch orientierten Völkergruppen eine besondere emotionale Wirkung gezeigt hat. Daß ein solcher Zusammenhang besteht, erhellt folgende Beobachtungen: Das Porträt der Kaiserin wurde, nach dem Tode ihres Gatten, mit einem Witwenschleier versehen, und die Münze mit diesem neuen Bild ausgeprägt. Die neue Münze wurde jedoch von den Orientalen zurückgewiesen, so daß man sehr rasch wieder die alten Druckstöcke benutzte. Nach der Rückkehr zum alten Motiv blieben die Taler lange Zeit hindurch ein sehr wichtiges Exportprodukt der Österreicher, auch lange nach dem Tode der Kaiserin Maria Theresia 16. ßI. Die "Renten-Mark"

Darüber hinaus führte eine direkte gedankliche Brücke von der "Fundierung" des neuen Geldes zu seinem Namen: Rentenmark. Der Begriff der Rente ist ursprünglich verknüpft mit dem Besitz von Grund und Boden. Zunächst sind es die regelmäßigen Einkünfte des Landesherren, der Kirche, der Grundbesitzer aus ihrem Besitz an Grund und Boden. Die Ricardosche Rente ist eine Bodenrente als Differentialrente, und in der politischen Diskussion des 19. Jahrhunderts steht die Rente für alle "arbeitslosen" Einkommen. Der Rentner wird einerseits zum Repräsentanten einer prosperierenden Schicht, die, ohne Land, Häuser oder Fabriken zu besitzen, ein "arbeitsloses" Einkommen aus Beteiligungen bezieht; die Rente verschafft wirtschaftliche Unabhängigkeit und ist durch eine entsprechende Rechts- und Eigentumsordnung gesichert. Andererseits sind die Rentenpapiere die sicherste und begehrteste Anlagemöglichkeit für die Ersparnisse des Mittelstandes. Der erste Weltkrieg ließ dieses Gebäude in Europa - besonders radikal in Deutschland - zusammenbrechen: Nachdem die Ersparnisse im Schmelztiegel der Kriegsanleihen zusammengeströmt waren, wurden sie in der Hoffnung auf einen siegreichen Verlauf des Krieges aufs Spiel gesetzt und gingen dann verloren. Der Zusammenbruch war so ungeheuerlich und kam so unerwartet, daß niemand in Deutschland daran glauben mochte. So vermitteln beispielsweise die Diskussionen und Spekulationen um eine Aufwertung in den zwanziger Jahren ein anschauliches Bild, wie Mutterfigur (Maria Theresia) und Silber als Symbole des Matriarchats. In jüngster Zeit nutzte die Regierung Israels das Prestige von Grund und Boden bei der Modifizierung des ersten Währungsgesetzes durch die "Land Bonds Ordinance" vom 19. Juni 1949. Die ausgegebenen "Land Bonds" (Bodenpfandbriefe) wurden zur "Deckung" des Notenumlaufs herangezogen, und de facto standen hinter durchschnittlich 70% des Umlaufs an Banknoten "Land Bonds". (Vgl. Ernst Goldberger, "Preisbewegungen in Israel 1949-1953", Dissertation, Basel 1956, S.40ff.). 15

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falsche Hoffnungen zu einer trügerischen Einschätzung der wahren Situation führten. Rufen wir nur ins Gedächtnis, wie reiche Nahrung die sogenannte "Dolchstoßlegende" finden konnte, um einen Eindruck zu bekommen, wie sehr der Boden bereitet war zur Aufnahme von hoffnungsträchtigen Symbolen und Zauberformeln aus der "guten alten Zeit". In dieser Atmosphäre wurde die neue Geldschöpfung, die aus dem Währungschaos herausführen sollte, mit eben diesem Begriff symbolhaft vebunden, der soeben in den tiefsten Abgrund gestürzt war: der Rente. Was liegt näher, als eine Interpretation, daß gerade diese Wiederbelebung eines alten Symbols - das wie ein Phönix aus der Asche aufstieg - dazu beitrug, der neuen Mark Glauben und neue Hoffnung, Vertrauen und Wohlwollen entgegenzubringen. Hier wurde eine weitere Gedankenverbindung 1? geschaffen durch ein Zeichen aus einer "besseren Zeit"; es war eine zusätzliche rettende Formel, zu der man - Wenn auch unbewußt - aus der Ratlosigkeit des Chaos flüchten konnte. IV. Auch ein Symbol: das Gold Die Propagierung einer Goldwährung, die parallel zu den Währungsrnaßnahmen vom November 1923 lief, zerstörte in ihrer Auswirkung die fruchtbaren Ansätze einer möglichen, den veränderten Umständen angepaßten Währungspolitik. Indem nämlich von Schacht die Formel von der Goldwährung immer wieder in die Diskussion geworfen wurde, rührte dieser an einen besonders empfindlichen seelischen Bereich. Das Gold wurde wohl zuerst von den Ägyptern besonders hervorgehoben, die ihm gleich der Sonne lebensspendende Kraft zusprachen und in fremden Ländern nach dem Metall suchen ließen. Seit dieser Zeit habe das Gold, so betonte Keynes l8 , "die magischen Eigenschaften, mit denen ägyptische Pfaffenlist in alten Zeiten das gelbe Metall durchtränkte, ... niemals ganz verloren". Sagenumwoben tauchte es in den Dichtungen der Völker auf als Midas- und Nibelungensage, wurde zum "deus terrenus", und man glaubte, selbst Gott im Golde wiedererkennen zu können. Bei M. Mayer in "De Circulo Physico quadrato" (Oppenheimii 1616)19 findet sich der Gedanke, daß das Gold durch die millionenfache Rotation der Sonne um die Erde in der Erde gesponnen worden sei, daß die Sonne allmählich ihr Bild der Erde in Form des Goldes eingedrückt habe. Das Gold wurde zum Maßstab für Reichtum, Erfolg und Aufstieg. Andererseits kann man auch dem Golde gegenüber die beim Geld zu beobachtende eigentümliche Ambivalenz des Menschen in seinem Verhalten feststellen: Einmal ist Gold Symbol für das Erstrebenswerte, den höchsten Wert: 17 Auf den Rentenmark-Münzen und Rentenmark-Scheinen finden sich landwirtschaftliche Zeichen wie Garben, Ähren, Bauer und Bäuerin als Gedankenverbindung zur Fundierung auf Grund und Boden. 18 I.M. Keynes, "Vom Gelde", München 1932, S. 531f. 19 Zitiert nach C.G. Jung, "Psychologie und Alchemie", Zürich 1944, S.457.

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"Nach Gold drängt, am Golde hängt doch alles" (Goethe, Faust I) - zugleich ist es verknüpft mit dem moralischen Makel der sündhaften Gier: "Auri sacra farnes!" (Vergil, Aeneis III, 57). Das funkelnde, teuflisch-göttliche Metall hat über Jahrhunderte hinweg seine hervorragende Stellung behalten, so daß es durchaus berechtigt erscheint, wenn Freud 20 behauptete, "daß es sonderbare, tief in unserem Unterbewußtsein wurzelnde Gründe gibt, weshalb das Gold starke Instinkte befriedigt und als ein Symbol dient". Diese irrationalen Faktoren konnte Schacht mit einbeziehen, wenn er Pläne propagierte, die auf eine Wiederherstellung der Goldwährung hinausliefen. Wenn der Reichsbankpräsident auch hier wieder dem Automatismus vertraute und auf die Gutgläubigkeit der Bevölkerung baute, statt eine aktive Währungspolitik zu betreiben, konnte die Reaktion nicht ausbleiben. Trotz der Propagierung der zauberhaften Gold-Formel führte die praktizierte Währungspolitik auf direktem Weg in die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre, in welcher der Show-Charakter der angesammelten Gold-Währungsreserven einmal mehr unter Beweis gestellt wurde. Die Gold- und Devisen-"Deckung" der Reichsmark 21 verflüchtigte sich in dem Moment, als das Ausland zahlreiche kurzfristige Kredite kündigte. In kurzer Zeit (von Mai 1931 bis Dezember 1932) flossen 2 Milliarden in Gold und Devisen ins Ausland (von insgesamt 3 Milliarden der "Deckungsgrundlage"). Obwohl die "Deckung" der Reichsmark von 64% auf 28% sank, verringerte sich der Umlauf an Reichsbanknoten nur um 14%. Trotzdem erwuchsen daraus die bekannten Folgen der Deflationspolitik der dreißiger Jahre: sinkende Einkommen und Preise, steigende Arbeitslosigkeit, politische Unruhen und schließlich Zusammenbruch des demokratischen Staates: "Was hilft es, wenn man einen goldenen Galgen hat und muß daran hängen?" (Sprichwörtlich in der Schweiz)

V. Psychologie als Mittel der Währungspolitik? Die Konstruktion und Wirkung der Rentenmark ist ein geradezu klassischer Fall, wie Stereotype, Formeln und Symbole aus einer chaotischen Situation als Hilfe im letzten Augenblick den Weg in eine ruhigere Zeitspanne weisen können; ihre Wirkung erscheint am Beispiel der Rentenmark dargestellt verblüffend klar und einfach. Die Formeln überzeugten nicht nur die Politiker von der Richtigkeit ihres Tuns, sondern wirkten darüber hinaus in nicht erwarteter Breite im deutschen Volk. Die Kombination von Stereotyp und Symbol brachte Entlastung und Erleichterung in einem Moment, in dem die allgemeine Spannung unerträglich geworden war. Indirekt zitiert nach J.M. Keynes, "Vom Gelde", München 1932, S. 531. § 28 des Bankgesetzes vom 30. August 1924 bestimmte, daß die Reichsmark zu 30% durch Gold und zu 10% durch Devisen "gedeckt" sein müsse; der Rest sollte durch erstklassige Warenwechsel gedeckt sein. 20 21

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Hans Peter Widmaier

Die Benutzung einer solchen Formelverbindung erscheint uns in der Rückschau für die damals gegebene Notsituation vertretbar. Ich habe versucht, das Besondere der gegebenen Situation und die damit verbundene Rechtfertigung besonderer Wege und Mittel darzustellen. Voraussetzung für den durchschlagenden Erfolg war einmal das Vorhandensein eines durch die Krisensituation hochempflindlichen seelischen ,Resonanzbodens' (Schmölders), zum anderen das Gelingen der Verständigung mit der öffentlichen Meinung, das heißt das Durchdringen der propagierten Gedanken und Ideen zu breiten Schichten der Bevölkerung. Hier sei aber für die Zukunft gewarnt, allzu rasch allgemeine Schlüsse zu ziehen 22 • Nicht nur erfordert jede neue Konstellation von Faktoren eine neue, ihr adäquate Behandlung, sondern die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie, die aus dem Wunsch heraus gesucht werden, dem Menschen in seelischer Not zu helfen, sollten nicht Material liefern für eine Propagandamaschinerie, wie sie Aldous Huxley in seinem Buch "Brave New World" so erschütternd und mahnend für eine zukünftige Welt ausgemalt hat.

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22 In bezug auf die psychologisch wirksam gewesenen Faktoren der Rentenmarkkonstruktion schrieb Bernhard Harms: "Der Kundige aber zittert um diese Psychologie, die verdunstet wie der Tau vor der Sonne. Mit der bloßen Einstellung auf das Psychische im Menschen eine Währung schaffen zu wollen, ist nicht einmal dem Hazardspiel vergleichbar, denn dieses kann im Endeffekt günstig auslaufen, während das Rentenmarkexperiment unter allen Umständen nur innerhalb zeitlicher Grenzen glücken konnte, wie das wesensgleiche Geld John Laws auch" (Hamburger Wirtschaftsdienst, 1924, S. 879).

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Liquiditätsprämie, Zins und Geld - oder: Warum es keine universelle Wirtschaftstheorie geben kann Von Gunnar Heinsohn und·Otto Steiger, Bremen I.

Während des Golfkrieges wurde in der US-Armee eine Praxis wiederbelebt, die man fast vergessen hatte: das "horse trading" (Morello 1991, S. 1A). Die Armee ist eine intern geldfrei operierende Institution, deren Güter von einer Planungsbehörde (BeschafTungsamt des Verteidigungsministeriums) aus einem Geld-Budget bezahlt wird, das sie selbst nicht in ökonomisierender Weise verwenden kann. Sie hantiert mit den für dieses Budget gekauften Gütern. Sie muß also sicherstellen, daß sie ihrer Funktion gerecht werden kann, ohne dafür auf Geldoperationen noch zurückgreifen zu können. Scheitert sie bei der Erfüllung ihres Auftrages, als Kampfeinheit zu funktionieren, so stehen schmerzliche Niederlagen und selbst dort, wo überlebt wird, Degradierungen und Nichtbeförderungen ins Haus. Wird nun das BeschafTungsamt auch alles in seinen Kräften stehende unternehmen, um den Funktionsauftrag durch Voraussicht denkbarer Unwägbarkeiten sicherzustellen, so hat die Erfahrung den in der Armee Dienenden gezeigt, daß doch immer irgend etwas Lebenswichtiges fehlen und im Einsatzgebiet auch nicht organisiert werden kann. Besonders einfallsreiche Zahlmeister sehen so etwas voraus, d. h. rechnen auf Mängel der zentralen Planung, die ihre Einheit teuer zu stehen kommen können. In einem "halblegalen" (Morello 1991, S. 9A) Vorgang fordern sie deshalb mehr Güter an, als sie voraussichtlich brauchen werden. Sie horten dabei eine Gütervariante, die auch andere Einheiten benötigen könnten, um sie im Notfall gegen für ihr eigenes Überleben brauchbare Leistungen oder Dinge zu tauschen: Im "baumlosen Saudiarabien wurde Bauholz gesetzliches Zahlungsmittel für Zelte, Uniformen, Medikamente und sogar Maschinengewehre" (Morello 1991, S. 9A - unsere Hervorhebung). Wir haben den Ausdruck "gesetzliches Zahlungsmittel" ("legal tender") hervorgehoben, weil die 10urnalistin Carol Morello hier mit einer Schwierigkeit kämpfte, die auch an Wirtschaftstheoretikern zu beobachten ist, die sich zum Sozialismus äußern. Sie will Bürgern einer Geldwirtschaft, die horse trading selbst niemals erlebt haben, Vorgänge beschreiben, die nicht zu einer Geldwirtschaft gehören und sucht dafür nach Formulierungen, die ihre Leser kennen. Sie weiß jedoch, daß sie lediglich eine Analogie verwendet und in Wirklichkeit über horse trading schreibt. Sie ist damit vorsichtiger als Ökonomen, die das bloß Analogiehafte solcher BegrifTsbildung nicht mehr erkennen und bei ihrer Suche

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nach universellen, also immer gültigen Prinzipien des WirtschaJtens unser Bauholz als "Vermögen" bezeichnen würden, das als "Geld" funktionieren kann (etwa Lohmann 1986). Was wird am Vermögens begriff preisgegeben, wenn er auch auf das überzählige Bauholz eines Pionierbataillons oder auf ein paar Rollen gehorteten Bandstahls in einem Karosseriewerk des Realen Sozialismus angewendet wird? Bei einer solchen Verwendung des Terminus Vermögen passiert dasselbe, als wenn der Buchhalter eines geldwirtschaftlichen Betriebes das Geld, mit dem vielleicht bald, vielleicht aber auch nie benötigte Ersatzteile gekauft wurden, als noch einmal ausgebbares Vermögen ausweisen würde. Jeder Betriebswirt weiß jedoch, daß die Mittel für Ersatzteile zum Absichern einer Produktion die entscheidenden Merkmale des Vermögens verloren haben. Sie werfen kaum noch eine Liquiditätspämie ab, können nicht gegen Zins verliehen und auch kein weiteres Mal investiert werden. Der Ersatzteilhort leistet lediglich etwas für die Flexibilisierung eines aus welchen Gründen auch immer gestarteten Prozesses. Wer nach universellen Komponenten sucht, wird also gerade bei den Ersatzteilen fündig. Selbst der Neanderthaler - mit seinem 1500 ccm-Gehirn ein echter Homo sapiens - dürfte sich schon ein paar Extrafaustkeile hingelegt haben. Reserven stellen unstrittig eine in allen Gesellschaftsformen anzutreffende Komponente der Produktion dar und sind deshalb so trivial wie die ja ebenfalls unverzichtbare Luft zum Atmen. Das bedeutungsvolle Hervorheben der Wichtigkeit von Ersatzteilen findet im nicht minder beschwörenden Betonen der Tatsache, daß Nichtproduziertes erst noch hergestellt werden muß und deshalb knapp sei, seine kongeniale ökonomische Formel. Zu dieser paßt dann die Obsession für Märkte, die überall am Werk gesehen werden, weil Produkte - wie wahr! - auch zum Konsumenten gelangen. Zu all diesem paßt schließlich die große Theorierede von einem dynamisch-evolutionären Wirtschaftsprozeß, der einer immerwährenden Verfeinerung des Realtausches Ausdruck gebe. Und es ist ja auch ganz unstrittig, daß seit Entstehung des Jetztmenschen eine Aktivität im Gange ist, die man als Verkehr oder Austausch bezeichnen kann (White 1982) und doch für das Begreifen von Delikatessen wie Zins und Geldvon der Liquiditätsprämie ganz zu schweigen - nichts hergibt. Auf die Spur dieser Spezialitäten führt erst der Mechanismus for die Sicherstellung der ökonomisch-sozialen Form selbst. Da jede Gesellschaftsstruktur einen solchen Mechanismus findet, kann auch hier von einer ewigen Komponente gesprochen werden. Ihre ganz spezifischen und eben nicht immer und überall anzutreffenden Ausprägungen aber liefern die eigentliche Pointe. Es ist bezeichnend, daß nach diesen je spezifischen Mechanismen in den dominierenden Wirtschaftstheorien nicht gefragt wird. Wie weit wird man also beim Verständnis von Wirtschaft gelangen, wenn etwa die gehorteten Produktionsreserven eines sozialistischen Betriebes als eine wenn auch vom System unbeabsichtigte - Variante von Vermögen aus der quasi-ewigen ökonomischen "Trinitas von Produktion, Konsum und Vermö-

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gen" (Hajo Riese 1990, S.37) angesehen werden? Steckt in einem solchen Insistieren nicht lediglich das evolutionistische Ideal der Neoklassik, die sich nicht damit abfinden kann, daß eine Wirtschaftstheorie auf eine bestimmte Wirtschaftsform passen muß und deshalb nicht als ein natürliches Prinzip für alle bekannten oder gar denkbaren Formen formuliert werden kann? Wird hier nicht immer noch Darwins Traum von einem allgemeinen Entwicklungsgesetz geteilt, über den naturwissenschaftliche Lehrbücher für US-Colleges längst ihren Spott ausschütten (etwa Feder /Park 1989, S. 41 ff.)? Feiert da nicht doch wieder eine dem Menschen angeblich inhärente Sequenz Barter-Geld-Kredit fröhliche U rständ, deren Schritte als verschiedene Einkleidungen ewig gleicher Grundmerkmale wie Produktionstechnologie, Transaktionskosten und Konsumentenpräferenzen zu gelten hätten (so die Frank-Hahn-Schüler Anderlini und Sabourian 1988, S. 14f.)? 11.

Die uns interessierenden drei wirtschaftlichen Merkmale (i) Geld, (ii) Zins und (iii) Liquiditäsprämie können gerade nicht überzeugend für die gesamte Menschheitsgeschichte behauptet werden und bleiben deshalb nicht zufällig in der herrschenden Wirtschaftstheorie höchst umstritten, soweit sie nicht von vornherein nachrangig behandelt oder auch ganz ausgeklammert werden: (i) Unabhängig von der Frage, was Geld überhaupt ist, konstatiert etwa Frank Hahn seine Unverdaulichkeit für die allgemeine Gleichgewichtstheorie: "Monetary theory cannot simply be grafted on to Walrasian Theory with minor modifications. Money is an outward sign that the economy is not adequately described by the pristine construction of Arrow and Debreu" (Hahn 1988, S. 972). (ii) Zum Zins streiten sich reale und monetäre Theorien und es wird Klage geführt über die "Eigenheit der Zinstheorie, daß in ihr die Frage, warum es überhaupt einen Zins gibt, einen breiten Raum einnimmt. In der Lohntheorie wird die entsprechende Frage in der Regel nicht gestellt, weil die Antwort selbstverständlich erscheint" (Lutz 1980, S. 541). (iii) Die Liquiditätsprämie - wiewohl von Keynes in die Welt gesetzt - muß sich in den gängigen Diskussionen seiner Geldtheorie gefallen lassen, als zentrale Kategorie unerkannt zu bleiben, wenn nicht gar ausgeschlossen zu werden. Exemplarisch dafür steht kein geringeres Werk als der New Palgrave (Panico 1987a und 1987b). Archäologisch gesprochen bilden dagegen Hajo Riese und seine Berliner Schule des monetären Keynesianismus eine neue Schicht in der Stratigraphie ökonomischer Theoriebildung. Die drei genannten Begriffe erhalten allerhöchste Aufmerksamkeit und die Liquiditätsprämie avanciert zur zentralen Kategorie des Wirtschaftens - allerdings einmal mehr für alle Gesellschaftsformationen. Insofern müßte von einer archäologischen Zwischenschicht gesprochen

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werden, in der sich das alte Knappheits- und Ersatzteilgeraune immer noch wichtig nimmt, das monetäre Neue aber doch mit nicht geringer Betörung nach vorne drängt. Wir wollen deshalb Hajo Riese durch eine rücksichtslose Bevorzugung des Neuen ehren und nehmen uns dabei die Freiheit, das fortgeschleppte Alte als theoretisch nichtssagend beiseite zu lassen. Die Wirklichkeit erleichtert uns dieses Vorhaben ungemein, da sie ohne Rücksicht auf angeblich ewig wirkende ökonomische Kräfte von heute auf morgen z. B. den Sozialismus hervorbringt und ihn übermorgen auch wieder beseitigt. Im realen Leben spielen also sogenannte ökonomische Gesetzmäßigkeiten für das Wechseln von Wirtschaftsformen keine Rolle. Es fordert gebieterisch, die uns gerade bestimmende Wirtschaftsform richtig zu verstehen oder in ihr auf die Nase zu fallen. Gehorteten Bandstahl für universelles Vermögen zu halten, erlaubt die jetzige postsozialistische Wirklichkeit nur um den Preis des Untergangs. Lebendige Menschen - wie etwa der Oberbürgermeister von Budapest oder der ehemalige Oberstadtdirektor von Hannover und jetzige Oberbürgermeister von Leipzig - , die gestern noch im Alten walteten und heute ebenfalls bestehen wollen, haben gelegentlich aber durchaus erkannt, daß es die Eigentumsverhältnisse sind, die für die allgemeine osteuropäische Misere verantwortlich sind: "Hier in der Stadt gab es überhaupt kein Eigentum, es herrschten feudale Verhältnisse, es wurden Lehensgüter vergeben" (Koenen 1991, S.98). "Schon der Begriff ,Volkseigentum' war und ist für westliches Denken irreführend. Alles Wesentliche am Eigentumsbegriffwar in ihm bewußt ausgemerzt: ein vermessenes und dadurch bestimmbares Stück Land, an dem eine natürliche oder juristische Person umfassende Nutzungs- und Verfügungsrechte hat. Das Volkseigentum hatte nichts davon. Es war so etwas wie die germanische Allmende, niemandem und allen gehörig, zur bloßen Verwaltung und Nutzung zugeteilt an einzelne oder Wirtschaftseinheiten, bei Bedarf umverteilt. Damit nun Volkseigentum übertragbar und beleihbar wird, damit es Fundament sein kannfiir alles . .. Wirtschaften im neuen System, muß es in neues, echtes Eigentum ungewandelt werden" (Lehmann-Grube 1991, S. 36f. -unsere Hervorhebung).

III. Keynes' schlichte, aber bahnbrechende Beobachtung, daß Geld nicht jederzeit real investiert wird, Kapital also knapp ist, weil für Geld auch Zins angeboten wird (1936, S. 213), kann getrost als die Revolution im wirtschaftstheoretischen Denken angesehen werden, die Hajo Rieses Berliner Schule den entscheidenden Impuls gegeben hat (Riese 1986). Wir haben aus derselben Beobachtung den Schluß gezogen (HeinsohnjSteiger 1988a), daß die erste Frage der Wirtschaftstheorie lauten muß: Warum Zins? In Keynes' Worten: "Die Frage, warum Kapital knapp ist, läßt sich ebensogut in die Frage kleiden, warum der Zinssatz größer ist als Null" (1934, S. 456 - unsere Übersetzung). Da schon Keynes gesehen hat, daß sich im Zins etwas materialisiert, was er "Liquiditätsprämie" (1936, S.226) getauft hat, läßt sich die Aufgabe der

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Wirtschaftswissenschaft auf die Frage zuspitzen: Warum gibt es eine Liquiditätsprämie? Da die Liquiditätsprämie, wie ebenfalls Keynes bereits wußte, auf Geld am höchsten ist, sollte die Beantwortung unserer Frage beiläufig auch eine Erklärung des Geldes abwerfen, das in etlichen Beiträgen der Berliner Schule bedauerlicherweise einfach vorausgesetzt wird und prompt auch unerhellt bleibt. In solchem Dunkel kann dann eine portfoliotheoretische Variante dieser Schule glauben, daß jemand, der zur optimalen Erlangung von Sicherheit all sein Vermögen in Geld hält, eine Liquiditätsprämie von Null erziele (Heering 1991, S. 86), obwohl sie gerade dann ihr Maximum erreicht. Für Unklarheiten bei der Lösung unserer Frage "Warum Zins?" ist ein Stück weit bereits Keynes selbst in Verantwortung zu nehmen. Er rutscht in zirkuläres Denken ab, wenn er behauptet, daß "in einer statischen Gesellschaft oder in einer Gesellschaft, in der aus irgendeinem anderen Grund niemand irgendwelche Unsicherheit über die zukünftigen Zinssätze hegt", die Präferenz für Liquidität und - so ließe sich folgern - die Liquiditätsprämie selbst "im Gleichgewicht immer Null sein" wird (Keynes 1936, S. 208). Wenn Unsicherheit über die zukünftige Zinshöhe von Schwankungen der Liquiditätspräferenz bestimmt wird, bleibt unerfindlich, warum es die Liquiditätspräferenz überhaupt gibt. Fundamentalkeynesianer haben aus dieser und ähnlich dunklen Passagen den Schluß gezogen, daß Geld nichts anderes sei als ein kostengünstiges Mittel zur Überbrückung der Unsicherheit zwischen Gegenwart und Zukunft. In der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie wird ganz entsprechend der Vermutung gefrönt, daß die Liquiditätsprämie auf Geld aus der Transaktionskosten verursachenden Unsicherheit beim Verkaufnichtliquiden Vermögens zu erklären sei und - so muß man schließen - die Liquiditätsprämie auf Geld entfalle, wo vollkommene Zukunftsvoraussicht walte (Hahn 1990, S. 77). Auch Keynes' Verwirrung hatte damit zu tun, daß er dem wissenschaftsfremden Evolutionismus getreulich anhing und deshalb nach ökonomischen Prinzipien suchte, die schon immer wirkten. Selbst das Geld schien ihm ewig: "Seine Ursprünge verlieren sich in den Nebelzeiten des schmelzenden Eises; sie mögen sich wohl zurückerstrecken bis in jene paradiesischen Perioden zwischen den Eiszeiten, als das Wetter schön war und der unbeschwerte Geist der Menschen empfänglich für neue Ideen - zu den Inseln der Hesperiden oder Atlantis oder zu einem Eden Zentralasiens" (Keynes 1930, Bd. 1, S. 11f. - unsere Übersetzung). Keynes' Ewigkeitssehnen steht für ein Unvermögen der gesamten ökonomischen Wissenschaft, zwischen den drei uns bekannten eigenständigen Wirtschaftssystemen - (i) Stamm, (ii) Feudalismus, (iii) Privateigentum - deutlich zu differenzieren. Den Blick verstellt ihr die Fiktion von einem alle Gesellschaftsformen verbindenden Weg vom Selbstversorger zum hochspezialisierten Tauscher. Liquiditätsprämie, Zins und Geld fehlen aber gerade in den weitgehend statischen (i) Stammes- und (ii) Befehls- oder Feudalgesellschaften (einschließlich der staatssozialistischen Planwirtschaften). Ressourcen - wie

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Grund und Boden, Arbeit, Werkzeuge, Ausrüstung oder Gebäude - stehen dort nicht zur freien wirtschaftlichen Verfiigung. Die Angehörigen von Stammesund Befehlsgesellschaften werden daher innerhalb ihrer Welten bei geschäftlichen Operationen nicht angetroffen. Das heißt nichts anderes, als daß sie - wie noch zu zeigen - keine Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse eingehen. Ressourcen können sie durchaus individuell nutzen und sie wie einen Besitz handhaben. Sie sind aber niemals ihr Eigentum, sondern werden nach Sitte, Befehl oder Plan angewiesen. Entsprechend verfügt auch die zuweisende Instanz - heiße sie König, Inka oder Politbüro - über kein Privateigentum. Ihre Herausgehobenheit und Machtfülle ist eine innerhalb des Kollektivs. Das hat die ehemalige DDRFührung mit dem Hinweis auf das Volkseigentum ihrer Wandlitzer Luxusvillen besser verstanden als die neoklassische Ökonomie, die den sozialistischen Staat wie einen zinsberechtigten Gläubiger agieren sieht (so unter der Überschrift "Der Zins im Sozialistenstaat" schon Böhm-Bawerk 1888, S. 431 ff. und - fast wortidentisch - noch immer z. B. SamuelsonjNordhaus 1985, S.669). Hier rächt sich die ganz liquiditätsprämienfreie Vorstellung vom Zins als einer Prämie für - im Vergleich mit Zukunftsgütern - wertvollere Gegenwartsgüter. Solchen Denkern erscheint denn auch die Differenz zwischen einer Vielzahl von Privateigentümern und der Überführung all derer "Produktivmittel in die Hand der Gesamtheit" (Böhm-Bawerk 1888, S. 431) als bloßer Größen-, nicht aber als essentieller Unterschied. Nur in (iii) Privateigentumsgesellschaften kann frei über Eigentum verfügt werden. Das gilt nicht nur für Individuen, sondern auch für jede Art öffentlicher Körperschaft. Der Staat der Bundesrepublik verfügt im Unterschied zum alten DDR-Staat also sehr wohl über Eigentum und agiert in dieser Funktion auch wie jeder andere Privateigentümer. Deshalb mußte die KOKO (Komerzielle Koordinierung) der SED unter Schalck-Golodkowski, die das ebenfalls tat, vor dem DDR-Kollektiv wie eine Geheimgesellschaft verborgen werden. Gleichwohl darf man der SED zubilligen, daß sie nur wegen des Umgangs mit außerhalb des sozialistischen Machtbereichs fortexistierenden Privateigentumsgesellschaften - zu diesen Geschäften animiert wurde, also keine sozialismusspezifische kriminelle Energie an den Tag legte.

IV. Kehren wir zum Mechanismus für die Sicherstellung der ökonomischsozialen Form zurück. Seine je spezifische Ausprägung soll uns ja - an der Privateigentumsgesellschaft - Liquiditätsprämie, Zins und Geld durchsichtig machen. Die Sicherstellung der (i) Stammeswirtschaft, der diese Elemente fremd sind, wird zur Aufgabe der Blutsverwandten. Ihre Solidarpflicht endet erst dort, wo sie ihrerseits ohne alle Mittel dastehen. Über die Außenverheiratung der Töchter

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läßt sich diese hilfreiche Verwandtschaft vergößern. Durch Exogamie also steigern die Stammesgesellschaften ihre wirtschaftliche Sicherheit ohne zusätzliche eigene Produktion. Der über Exogamie erfolgende Zugewinn von Solidarpflichtigen vermehrt zwar die Überlebensmöglichkeiten, ändert insgesamt aber nur wenig an der weitgehend statischen Wirtschaft einer aus Stämmen aufgebauten Gesellschaft. Der Behauptung, daß in Stämmen Zins und Geld nicht existieren, ist mit ihrem regen Geschenketausch entgegengetreten worden, auf den sich evolutionistische Ökonomen gerne beziehen. Geschenke ziehen häufig reichlichere Gegengeschenke nach sich. Das Maß, mit dem diese Geschenke verglichen werden, ist von Völkerkundlern als Geld-Analogon bezeichnet worden. Im größeren Wert des Gegengeschenkes wird sogar die Urform des Zinses verortet (Mauss 1923/24, S. 63f., unter Hinweis auf eine Untersuchung von Franz Boas aus dem Jahre 1898). Andere - in der Ökonomie meist nicht rezipierte Völkerkundler haben aber längst gezeigt, daß diese Transaktionen zur Festigung und Ausdehnung von Loyalitätsbeziehungen dienen, die an Geburtstagen und Weihnachten ja auch in Privateigentumsgesellschaften auf dieselbe Weise gepflegt werden und hier wie dort die Wirtschaftsstruktur keineswegs bestimmen. Nicht einmal ein jenseits des Geschenketausches ablaufender Realtausch, den Ökonomen Stammesgesellschaften gerne als geldlose Marktstufe zutrauen, hat sich verifizieren lassen. Einmal mehr ist aus der Geldwirtschaft auf andere Gesellschaftsformen bloß evolutionistisch rückgeschlossen worden (vgl. insgesamt Heinsohn/Steiger 1989). Die (ii) Befehls- oder Planwirtschaft hat ihre Entsprechung zur blutsverwandtschaftlichen, also durch Sitte bestimmten Solidarpflicht in der durch Strafmaßnahmen durchgesetzten Arbeits- und Abgabepflicht der Leibeigenen bzw. der Werktätigen mit ihren gegenüber der Zentrale hörigen, volkseigenen' Betrieben. Ohne zusätzliche eigene Produktion steigern die Befehlsherren die Sicherheit ihrer Wirtschaftsform durch Aneignung zusätzlicher Höriger. Wiewohl diese auf geplante Vorgaben angewiesene Zwangsarbeits- und Abgabenwirtschaft zur Bildung gewaltiger Territorialherrschaften (oder Kombinate) führen kann, übersteigt ihre ökonomische Dynamik nicht entscheidend diejenige der Stammesgesellschaft. Der Realsozialismus schaut lediglich deshalb entwickelter aus, weil er den Technischen Fortschritt der Privateigentumswirtschaft beerbte, ohne ihn eigenständig weiterentwickeln zu können. Nach seinem Beginn eingeführte Innovationen sind fast durchweg Imitationen aus der andernorts weiterarbeitenden Privateigentumswirtschaft. In Anlehnung an diese wird sogar etwas fortgesetzt, was Geld genannt wird, aber nur ein unspezijizierter Zuteilungsschein ist, der fast ausschließlich im Individualkonsum zum Zuge kommt, über diesen aber nicht die Produktion beeinflussen kann. Mit dem - wie noch zu zeigen über Gläubiger-Schuldner-Kontrakte generierten Geld der Privateigentumsgesellschaft hat es nur den offiziellen Namen gemein. Der für solche Kontrakte konstitutive Zins hat denn auch in dieser Ökonomie keine Entsprechung. Was

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dort als Zins firmiert, bleibt der Befehlswirtschaft äußerlich. Daß ihrem ,Geld' keine Liquiditätsprämie anhaftet, konzedieren sogar Ökonomen, die nach dieser Spezifität im Sozialismus ernsthaft fahnden (etwa Lohmann 1986; vgl. insgesamt Heinsohn/Steiger 1988b).

v. Der (iü) Privateigentümer befindet sich im Unterschied zum Stammesgenossen und zum Befehlsökonomen immer in der Lage, sein wirtschaftliches Überleben im wesentlichen aus seinem Privateigentum bewerkstelligen zu müssen. Dieses Nichtrechnenkönnen auf Gewalt über Hörige oder Solidarpflichten von Blutsverwandten nötigt permanent zur Einschätzung der Sicherheit, die das Privateigentum abwirft. Bei dieser Sicherheit handelt sich um einen immateriellen Ertrag - eben die berühmte Keynes'sche Liquiditätsprämie. So sehr nun alle ernsthaften ökonomischen Theoretiker - einschließlich Keynesauf das Privateigentum als zentrales Strukturmerkmal der hiesigen Wirtschaft abheben, so wenig haben sie danach gefragt, ob nicht auch die Existenz dieser alles bestimmenden Größe aus dem Privateigentum erklärt werden muß. Bei diesem Übersehen des Entscheidenden verhalten sich die Ökonomen ganz ähnlich wie ein Fisch, der die Notwendigkeit des Wassers erst erfaßt, wenn er es verlassen hat. Die Liquiditätsprämie ist der Ausdruck dafür, daß der Privateigentümer in jedem Moment einer zeitweiligen Trennung von Privateigentum - also als Gläubiger - sein Risiko noch steigert, als Privateigentümer überleben zu müssen. Allen eventuell während dieser zeitweiligen Trennung an ihn ergehenden - und ihn so in einen Schuldner verwandelnden - Forderungen kann er nicht mehr mit diesem weggegebenen Privateigentum begegnen. Wenn er Kredit gibt, ist es also der mit dieser Trennung von Privateigentum zeitweilig ausbleibende Sicherheitsertrag, den er sich mit einer materiellen Forderung dem Zins - vergüten läßt. Die eigentümliche Situation des Privateigentümers besteht darin, daß er anders als Stammesgenosse und Befehlsökonom - jenseits eigener Produktion eine erhöhte wirtschaftliche Sicherheit nur durch zeitweilige Aufgabe von Sicherheit erlangen kann. Diese Zwangslage ist es auch, die ihn unausweichlich an einer Form von Privateigentum interessiert sein läßt, die geringste Durchhaltekosten erfordert. Diese Vermögensform wird in zinsbelasteten GläubigerSchuldner-Kontrakten vereinbart. Sie ist Liquidität oder Geld, d. h. diej1üssigste Form von Privateigentum. In der Geschichte hat längerfristig gegen den Gebrauch von Geldformen so geringer Durchhaltekosten wie Getreide oder Edelmetallen deshalb immer nur gesprochen, daß sie nicht ohne weiteres unterscheidbar waren von Gütern gleicher Art, die über Mehrproduktion in die Wirklichkeit gelangen konnten.

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Ein zusätzliches Gerstenfeld in Altmesopotamien wirkte sich deshalb auf ein Gerstengeld ebenso entwertend aus wie zusätzliche Goldquellen im Peru der Inka auf die spanische Währung im 16. Jahrhundert oder nicht mehr gegen realisierbare Zinsversprechen herausgegebene, also nur noch gedruckte Reichsbanknoten auf die reichsdeutsche Mark in und nach dem 1. Weltkrieg. Jedes Geld, das die Bindung der Geldschöpfung an Zins unterlaufen kann, führt zur Suche nach dagegen besser geschützten Mitteln. Privateigentümer achten mithin immer darauf, daß die Generierung neuen Geldes ausschließlich an glaubhaften Zinsversprechen ihre Grenze findet. Für das Funktionieren einer Geldwirtschaft muß also keinerlei als Geldmedium brauchbares Material historisch vorausgesetzt oder gar vorher ausgedacht werden. Das Privateigentum als solches - wie immer die historische Analyse sein Zustandekommen erweist - sorgt unausweichlich für die immaterielle Liquiditätsprämie, die bei seinem Verleihen den materiellen Zins nach sich zieht. Der nur über einen befristeten Zeitraum und gegen Zins an fremdes Privateigentum herankommende Schuldner hat (sofern er Geld nicht raubt, selber herstellt oder fürs Spekulieren einsetzt) zur Sicherung seines Überlebens - und dafür will er ja das Privateigentum des Gläubigers - nur über Produktion die Möglichkeit, seine Schulden zu tilgen. Diese Produktion muß er ausschließlich und immer als eine monetäre organisieren, da sie für ihn nur dann von Wert ist, wenn er sie in Geld für Schuldentilgung verwandeln kann. Diese Schuldendeckung ist wiederum nichts anderes als die Rückerstattung des geliehenen (flüssigsten) Privateigentums plus dem als Zins vereinbarten zusätzlichen Privateigentum in derselben Form. Dem verschuldeten Privateigentümer ist also eine Geldsumme aufgegeben, die er erwirtschaften muß, indem er mit seiner produzierten Gütermenge einen Preis erzielt, der per definitionem immer ein absoluter, d. h. Geldpreis ist. Seine Produktion bleibt ohne Wert unabhängig davon, welchen Aufwand er geleistet hat oder wie nützlich ein anderer sie einschätzen mag - , wenn er sie nicht als Ware gegen Geld losschlagen kann. Dieser Verkauf erst führt zur Entstehung von Markt, der den notwendigen Abschluß einer Operation bildet, die in der Liquiditätsprämie auf Privateigentum - und der erst durch sie möglich werdenden Zinsforderung des Gläubigers - ihren Ausgangspunkt hat. Der Warenmarkt ist also kein Tauschplatz, auf dem Güter, wie die klassische oder neoklassische Werttheorien behaupten, nach bestimmten Mengenrelationen (= relativen Preisen) zum gegenseitigen Vorteil -erhöht noch durch eine transaktionskostenmindernde Verwendung von Geld als Tauschmittel - ihren Besitzer wechseln. Der Warenmarkt ist vielmehr eine Instanz zur Erlangung von Schuldendeckungsmitteln, die dem Kreditverhältnis nachgeordnet ist. Die populäre Rede von einem Tausch von Gütern gegen Geld auf diesem Markt, mit der die Rolle des Geldes als Tauschmittel gerettet werden soll, ist grundlos. Auch Kauf- und Verkaufsakte sind nichts anderes als Gläubiger-Schuldner-Kontrakte, bei denen - wie im Falle der Barzahlung-

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der Zins lediglich nicht erscheint, weil das Privateigentum sofort übertragen wird, also keiner auf Zeit von ihm getrennt wird. An einer Ware, die man nicht sofort bezahlt, erwirbt man nach bürgerlichem Schuldrecht denn auch kein Eigentum, sondern nur Besitz, für den wie bei einer Schuld Zinsen zu zahlen sind. Einmal mehr erweist sich die immaterielle, aber strukturell immer gegebene Liquiditätsprämie auf Privateigentum als Generator für wirtschaftlichen Wert, und der Zins wird als materialisierte Liquiditätsprämie zum Erzwinger eines Preises. Liquiditätsprämie und Zins, die in Stammes- und Befehlswirtschaft fehlen, bilden also die von den Wirtschaftstheorien im dunkeln belassenen Mächte hinter Wert und Preis, die in jenen Systemen keineswegs zufallig ebenfalls unbekannt sind. Die Privateigentumswirtschaft ist notwendig Geldwirtschaft, weil um den Erhalt ihres Privateigentums kämpfende Subjekte immer die auf Privateigentum liegende Liquiditätsprämie, die auf dem Geld als seiner flüssigsten Form am höchsten ist, zu erwirtschaften haben und daher alle Preise in dieser Form von Privateigentum ausgedrückte, also Geldpreise sein müssen. Die allherrschende Rede von der ,Marktwirtschaft' steht lediglich für das Unbegriffensein der zu analysierenden Wirtschaftsform, da der Markt eine abgeleitete Größe darstellt, die ohne Privateigentum und dem aus ihm erwachsenden Zins nicht zustande kommt. Gelegentlich wird diese Ratlosigkeit auch einmal souverän eingestanden. Im Scientific American (1989/ Nr. 11) sollte den naturwissenschaftlichen Lesern in Kürze deutlich gemacht werden, was die realsozialistischen Länder eigentlich anstellen müßten, um Marktwirtschaften zu werden. Paul Wallich konnte ihnen aber nur mitteilen: "Die typische Einschätzung des Begriffes Marktwirtschaft durch Ökonomen gleicht dem vergeblichen Definitionsversuch von Pornographie durch den verstorbenen Obersten Richter Potter Stewart: Sie erkennen eine freie Marktwirtschaft erst, wenn sie eine vor sich haben". Will man die Quintessenz der hier gemeinten Wirtschaft tatsächlich offenlegen, so hat man von einer unausweichlich zinsgetriebenen Privateigentumswirtschaft, kurz: der ZinswirtschaJt, und nichts sonst zu sprechen. Die eine Zinswirtschaft kennzeichnende Konkurrenz entsteht, weil alle verschuldeten Produzenten ihre existenzentscheidenden Aussichten, an die Schuldendeckungsmittel heranzukommen, verbessern müssen. Auch der ,Wettbewerb' steht also nur für eine abgeleitete Größe dieser Wirtschaft und bezeichnet nicht das ihr Wesentliche. Der Versuch, weniger Schulden aufnehmen zu müssen oder solche sicherer bezahlen zu können, führt zu permanent weitergetriebenem Technischen Fortschritt. Dieser wird in der neoklassischen Wirtschaftstheorie ja als immer verfügbare und nicht weiter ableitbare Größe vorausgesetzt. Man braucht ihn für das Plausibelmachen der eigenen Theorie vom Zins, der deshalb immer

Liquiditätsprämie, Zins und Geld

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größer als Null sei, weil er nur durch Technischen Fortschritt davon abgehalten werde, seiner - von der abnehmenden Grenzproduktivität des Kapitals bestimmten - Tendenz gegen Null auch nachzugeben. In Wirklichkeit ist es aber gerade die zu Zinsforderungen materialisierbare Liquiditätsprämie, die eine Suche der verschuldeten bzw. die Verschuldung antizipierenden Produzenten nach Technischem Fortschritt unausweichlich macht. Solange die immateriellen Sicherheitserträge auf Privateigentum durch den Kreditgeber geringer eingeschätzt werden als die erwarteten Profite des verschuldeten Produzenten, findet in dieser Wirtschaft die ihr eigentümliche Akkumulation durch die zinsgenerierende zeitweilige Trennung von Privateigentum statt. Nicht der neoklassische Verzicht auf Gegenwartskonsum zugunsten eines höheren Zukunftskonsums führt mithin zur Akkumulation, sondern der zeitweilige Verzicht auf den immateriellen Sicherheitsertrag auf Privateigentum, das auch bei Haltung keineswegs konsumiert würde. Wird hingegen der Sicherheitsertrag vom Gläubiger höher eingeschätzt als die vom Schuldner erwarteten Profite, tritt eine Krise (mit dem besonderen Phänomen der Arbeitslosigkeit) ein, in der Privateigentum vernichtet wird, weil die Bereitschaft zur Trennung von Privateigentum zurückgeht. Es kann nicht überraschen, daß die verschiedenen Richtungen der ökonomischen Theorie die Krise nicht aus dem gewöhnlichen Funktionieren des Wirtschaftssystems selbst erklären können, sondern sie ,schlechten Verhaltensweisen' (Friktionen), falschen Politiken oder außerökonomischen Ereignissen (Schocks) zuschlagen. Allein die strukturell inhärente Liquiditätsprämie auf Privateigentum erweist sich als genuin ökonomische Voraussetzung für die Jahrhunderte währende Dynamik wie auch für die von ihr bisher unabtrennbaren Einbrüche dieser Wirtschaftsform.

Anhang Gunnar Heinsohn:

Vom Glauben der Nationalökonomie, daß sie Theorie treibe - Eine metatheoretische Polemik*

A. Bisher gab es keine ökonomische Theorie, die diesen Namen verdient, die also Zins, Geld, Preis, Ware, Markt und Profit erklären kann, weil die Ökonomen nicht - wie sie selber glaubten - theoretisch, sondern nur historisch argumentierten. In dieser historischen Argumentation haben sie überdies nicht

* Alle Hervorhebungen in und Übersetzungen von Zitaten vom Autor

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Gunnar Heinsohn und Otto Steiger

etwa auf die wirkliche Vergangenheit geschaut, sondern sich gläubig, wenn nicht gar begierig das evolutionistische Zerrbild von Geschichte angeeignet. Es geht dabei um die Sicht eines von Beginn an mit Tausch befaßten ökonomischen Subjekts, das im Laufe der letzten 30.000 Jahre diese Transaktion zwar immer feiner ausdifferenziert, ihr aber niemals Wesentliches hinzugefügt habe. Dem Vorhalt, bloß schlechte Geschichtsschreibung zu treiben, entkommen selbstredend auch jene Nationalökonomen nicht, denen der Tausch in der Vergangenheit schlicht gleichgültig ist und die nur auf den Tausch hier und heute blicken. Da es diesen als ökonomische Aktivität jedoch auch nicht gibt, sind sie eben schlechte Zeitgeschichtsschreiber. Den am wissenschaftlichen Denken Beteiligten ist meist nicht einmal bekannt, ob nun die Ökonomen diese Tauschgeschichte von den Historikern oder die Historiker sie von den Ökonomen haben. Sie zitieren sich gerne wechselseitig. Sicher ist jedoch, daß beide Seiten einer haltlosen Geschichtsschreibung verfallen sind, die immer noch von etlichen Historikern sehr erfolgreich als historische Wissenschaft und von den meisten Ökonomen nicht minder massenwirksam als Theorie der Wirtschaft ausgegeben wird. Die Ökonomie kann mit der eigentlichen Denkarbeit erst beginnen, wenn sie sich eine historisch zureichende Sicht der Entwicklung der jeweils nach Theoriebildung verlangenden Strukturen angeeignet hat. Können die Historiker eine solche Arbeit nicht liefern, muß der Ökonom sich eben höchstpersönlich auf diesem Gebiet tummeln. Die Empirie muß stimmen, damit die Rätsel richtig beschreibbar werden, als deren Lösung die Theorie dann vor uns steht. Wer sich am Feststellungsverfahren der richtigen Empirie nicht beteiligt, enthält sich mithin nicht nur - und das häufig genug noch voller Stolz - der Historiographie, sondern eben auch der Theoriearbeit selbst.

B. Bei Ausnahme-Historikern findet man immerhin hier und da einen Mosaikstein für die Fertigstellung der ökonomischen Rätselfrage. 'So räumt einer ein: "Die Umstände, unter denen Kredite eine so mächtige Triebkraft wurden, sind mysteriös geblieben" (Starr 1977, S. 183). Ein anderer verwundert sich über einen kaum weniger interessanten Sachverhalt: "Zins kommt bei von Hochkulturen unbeeinflußten Naturvölkern auch heute nur als Ausnahmeentwicklung (Angelhaken)" vor (Heichelheim, 1938, S. 62). Einem dritten Autor ist wiederum etwas anderes aufgefallen: "Wesensmäßig für die griechisch-römische Welt war ganz eindeutig das Privateigentum" (Finley 1973, S. 29). Komplettieren soll das Terzett ein über Mesopotamien arbeitender Keilschriftforscher: "Piotr Steinkeller hebt hervor, daß praktisch alle Schuldkontrakte von der Mitte bis zum Ende des dritten Jahrtausends v. u. Z. < also die frühesten überhaupt> Kredite dokumentieren, die von Privatpersonen gegeben wurden" (Silver 1985, S. 84).

Liquiditätsprämie, Zins und Geld

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Zur wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung haben solche Ratlosigkeitseingeständnisse und Denkaufforderungen der jeweils ersten Namen ihres Faches erstaunlicherweise nicht provozieren können. Selbst ihre Zusammenstellung in der hier vorgenommenen simplen Form ist ausgeblieben. Die potentiellen ökonomischen Denker verköstigten sich nämlich längst auf den sanften Weiden der Tausch-Historie und fühlten von daher keinerlei Bedürfnis, ihre Augen auch einmal über ihr Gehege hinwegschweifen zu lassen. Manchmal entrang sich jedoch selbst dieser - alles in allem ganz zufrieden wirkenden Herde der fast schon trotzig klingende Seufzer: "Niemand weiß, wie das Geld zum erstenmal in der Menschheitsgeschichte entstanden ist" (Röpke 1937, S.78). Das erste ernsthafte theoretische Wort der Wirtschaftswissenschaft wurde vor bald sechzig Jahren von John Maynard Keynes geschrieben und lautet "Liquiditätsprämie" (Keynes 1936, S.226). Auch hier aber wird über ein gewissermaßen postnatales Gestammel noch kaum hinausgelangt. Der endlich gefundene Begriff verrät keine blasse Ahnung davon, wo er eigentlich zuhause ist und will sich dann auch gleich auf jedem beliebigen "durable asset" (Keynes) niederlassen - sogar dann, wenn das erst einmal nur ein Faustkeil in der archaischen Stammesgesellschaft ist. Obwohl Keynes wahrscheinlich intensiver als jeder andere Ökonom die fürs Theoretisieren unverzichtbare historische Vorarbeit selbst in die Hand genommen hat, ist er den Ewigkeitsannahmen niemals entkommen, die vom allgemeine Gesetzmäßigkeiten versprechenden - Evolutionismus in die Welt gebracht worden sind. Wo sich einem alles nur sanft und in kleinsten Schritten ändert, darf das Neue (Zins und Geld) getrost auch schon im Alten am Werke gesehen werden. Es ist denn auch Keynes als Darwinist, der uns das aberwitzigste Stückchen Geschichtsschreibung überhaupt zu unterschieben versucht. Von der Entstehung des Geldes, das er für seine noch ganz embryonale Sicht der Liquiditätsprämie einfach als irgendwie immer schon daseiendes voraussetzt, schwärmt er geradezu lyrisch: "Seine Urpsrünge ... mögen sich wohl zurückerstrecken bis in jene paradiesischen Perioden zwischen den Eiszeiten, als das Wetter schön war und der unbeschwerte Geist des Menschen empfänglich war für neue Ideen" (Keynes 1930, S. 11). Bis heute konnten sich selbst die besten Keynesianer und Post-Keynesianer nicht davon freimachen, zentrale Kategorien - wie Preis, Markt, Ware oder was auch immer - einfach vorauszusetzen. Was ich jedoch nicht selbst entwickle, sondern einfach als schon gegeben konstatiere, verweise ich zwangsläufig in die Geschichte. Wenn es dort dann nicht auffind bar ist, bin ich aber nicht nur als schlechter Historiker überführt, sondern habe auch in der Theorie versagt, die ja gebieterisch verlangt, daß jede Kategorie auch überzeugend hergeleitet werden kann. Weil Keynes sich als Evolutionist gebärdet, kann er die theoriegebärende ökonomische Frage nicht stellen, wie denn das historisch neue Privateigentum 6 Festschrift Riese

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Gunnar Heinsohn und Otto Steiger

(für dessen Herausbildung es immer auch einen Romulus oder Wat Tyler, Politik also braucht) mit den wirtschaftlichen Novitäten Zins·· und Geld zusammen-

* * Zum Zins gibt es gerade jetzt Originelles in der Fußnote 25 des Beitrages von Jürgen Kaube und Waltraud Schelkle (in diesem Band, S. 54f.). Als Quelle - und fürsorgliche Aufklärung des Autors in Fortsetzung einer Zwischenahner Kontroverse - dient dabei das wunderschöne Deutsche Wörterbuch der Gebriider Grimm. Nicht mehr aus dem Konsumverzicht heute, nicht aus produktiven Umwegen des Kapitals, nicht aus dem Diskont der Zentralbank und - man staune - auch nicht aus Unsicherheit über den Vermögensriickfluß soll der Zins fürderhin erklärt werden. Hut ab, möchte man denken, hier werden kurzer Hand vier mächtige Lehrgebäude einfach abgeschlachtet. Fast könnte das ein hübsches Stück gemeinsamen Weges ankündigen. Dann aber die kalte Abfuhr: Der Zins entsteht den heiden nämlich aus der staatlichen Steuer, weil er ja von "Census" komme. Und da naturale Steuern auch schon feudalistisch bekannt sind, könne er schließlich mit dem Privateigentum nicht verbunden werden. Eine formidable Wirtschaftsfiktion ist da entstanden. Aus einem ganz unprivaten Tempel komme das Geld und aus den nicht weniger unprivaten Steuern desselben Priesterfeudalismus stamme der Zins. Fix und fertig wären beide zu einer Geldwirtschaft amalgamiert, bevor noch irgend jemand vom Privateigentum auch nur gehört hatte. Es versteht sich, daß diese philologische Wirtschaftslehre keineswegs schon an ihr Ende gekommen ist. So könnte doch das zinsbelastete Darlehen aus dem feudalen Lehen erklärt und auch manches andere Rätsel unter bloßer Beiziehung eines Wörterbuches gelöst werden. Verschmäht wurde, daß der Autor nicht nur im 1984er Buch, sondern in einer Korrespondenz mit dem Geehrten auch 1985 (im Leviathan) noch einmal aus der Forschung in Erinnerung rief, daß die in mesopotamischen Tempeln gefundenen Gläubiger-Schuldner-Kontrakte - als diskontierte Wechsel oder mit explizit ausgewiesenem Zinssatz - von Beginn an zwischen Privatpersonen geschlossen wurden. Für die Abwicklung eben dieser Kontrakte entstehen die Banken. Sie können unter der Leitung weltlicher Privatpersonen stehen, wie an den Häusern Egibi und Muraschi in Mesopotamien ersichtlich ist. Sie können aber auch bei Tempeln angesiedelt sein und dann von Priestern betrieben werden. Aus solchen Priestern die Bank hervorgehen lassen zu wollen, käme dem Versuch gleich, die heutige Bank aus ihrem Schalterpersonal zu erklären. Die Priester in den Banken der neuen Privateigentums-Gesellschaften gehören nämlich gerade nicht mehr zum Typus des sakralen Basileus bzw. Fürsten aus der mykenischen Feudalzeit. In der Polis werden sie "den anderen Bürgern gleichgestellt" (Plutarch, Theseus: 25). Selbst sie sind jetzt Privatpersonen. Einmal mehr rächt sich mithin auch an KaubejScheikle der bei Ökonomen häufig anzutreffende Glaube, daß sie die Struktur einer Wirtschaft nicht zu verstehen bräuchten, wenn sie sich theoretisch zu ihr äußern möchten. Nur aus dieser Gewißheit kann doch Tempeln etwas zugesprochen werden, was die Wirklichkeit nun mal nicht hergibt. Im Ergebnis stehen die beiden liebenswerten Kombattanten vor einem zweifachen Scherbenhaufen. Nicht nur die tempelzentrierte Ökonomie des friihen Feudalismus, sondern eben auch das sie hier und da ablösende Privateigentum der Polis bleibt unverstanden. Und erst in letzterer wirdwas die Forschung lediglich nicht versteht, aber sehr wohl weiß - das Wirtschaften umgehend von "sale, loan and credit" bestimmt (Humphreys 1978, S. 73). Diese Prozeduren aber sind es, die nach Theorien schreien. Kaum weniger Einsicht verschenken KaubejSchelkle mit ihrer "Klimakatastrophe" (Fn. 16). Die in der Bronzezeit periodisch niedergehenden Megazerstörungen können auf ihren ätiologischen Zusammenhang mit der - ihnen doch zentral wichtigen Tempelökonomie gar nicht mehr untersucht werden, wenn sie neckisch einem "meteorologischen Keynesianismus" zugeschlagen und nicht fürs Verstehen der Zivilisationsentwicklung ausgelotet werden. Dennoch ist die Wissenslage eindeutig: "Archäologische Forschungen bringen Katastrophen ans Licht, können uns aber nicht sagen, was dazu geführt hatte oder wer beteiligt war. In regelmäßigen Abständen ereigneten sich Katastrophen,

Liquiditätsprämie, Zins und Geld

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hängt. In seiner Liquiditätsprämie kann er deshalb das so lange gesuchte theoretische Bindeglied zwischen Privateigentum hier sowie Zins und dann Geld dort nicht in sein wissenschaftliches Recht setzen. Eine Privateigentumstheorie des Zinses kommt nicht zustande. Die Dechiffrierung von Geld als flüssigster Form kreditierten Privateigentums bleibt aus (dazu mehr in meinem obigen Beitrag mit OUo Steiger). Der historische Evolutionismus, der nichts prinzipiell Neues unter der Sonne anerkennen will und im akademischen Bereich neben den Soziologen die Ökonomen besonders erbarmungslos im Griff hält, erweist sich als Hauptverantwortlicher für das Ausbleiben von Wirtschaftstheorie oder - was dasselbe ist - für den ahnungslosen Glauben der Ökonomen, daß sie Theorie treiben, obwohl sie doch bloß historische Irrtümer in mal diese und mal jene Formeln kleiden. Die darwinisierende Vision der Geschichte und ihre Sub-Variante der Tauschevolution erledigt sich nun aber nicht schon dadurch, daß sie als irrig erwiesen wird. Sie lebt ja nicht so sehr von der intellektuellen Unfähigkeit, zwei und zwei zu addieren, sondern vom emotionalen Grauen davor, daß in der Wirklichkeit Sprünge und nicht Stetigkeiten die großen Konstituierer sind. Es ist also ein nur allzugern gehörter Schmachtfetzen über den Gang der Menschheit, der sich jahrhundertelang als Wirtschaftstheorie spreizen konnte und dafür jahrzehntelang noch jeden Nobelpreis bekommen hat. Wer dramatische Sprünge verdrängt, hat sie allerdings noch lange nicht beseitigt, aber doch recht gut dafür gesorgt, daß er ihre Konsequenzen nicht verstehen und somit alle Hoffnung auf Theorie fahren lassen kann. Der Evolutionismus vermag immerhin etwas. Er kann unser Denken betäuben. Damit gewinnt er jedoch über die Wirklichkeit keine Macht. Das lernt nach dem Fallen der Berliner Mauer allmählich immer besser die Treuhand: Im Nachhinein - also nach einer tauschideologisch begründeten Umwechslung von wertlosen Rationierungsscheinen (DDR-Mark) in echtes Privateigentum flüssigster DM-Form - mußte diese Bürokratie ganz schnell ein Romulus werden, daher die fünf Schichten, die sich deutlich von einander abgrenzen" (Finley 1982, S. 24/73). Ganz entsprechend können unsere Diabolismusforscher dann auch den Abschluß der kataklysmischen Zeit in einer letzten Katastrophe nicht auf seinen Zusammenhang mit der Revolution zum Privateigentum bzw. gegen den Priesterfeudalismus untersuchen. Die Überlieferungen zu Theseus und Romulus, die Adelsgesellschaften zerschlagen und das Land aufteilen, seien substanzlose Phantasiegebilde. Und doch wissen die Historiker - um wieder nur einen ihrer Besten zu zitieren -, daß an dieser Schwelle zwischen Bronze- und Eisenzeit die "Burgen und Palastanlagen vernichtet" wurden: "Die mykenische Gesellschaft hatte ihre führende Schicht verloren. Die Übriggebliebenen gingen mit den Neuankömmlingen an den Aufbau einer neuen Gesellschaft" (Finley 1982, S.71, 79). Wenn nur endlich daran gegangen wird, die ökonomische Theorie für diese - zu wirtschaftlicher Dominanz der Erde aufsteigende abendländische Zivilisation zu erarbeiten, will der Autor sich gerne sogar gekonnteren Spott gefallen lassen. 6*

Gunnar Heinsohn und Otto Steiger

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also nachschieben, was der gerade an den Anfang stellte: Die Umwandlung der DDR in eine Roma quadrata, in ein privateigentumsstrukturiertes Gebiet mit sich selbst gehörenden Privatpersonen, die daraufhin - ob sie wollen oder nicht - von der Überschuldungsschwelle, d. h. dem Verlust des Privateigentums wegzustreben haben und dabei Zinswirtschaftsbedingungen erfüllen. Die Wirtschaftstheorie kommt dort voran, wo der Glaube an den Evolutionismus nicht mehr aufrechterhalten wird. Wo hingegen bloß nach einer mathematisch eleganteren Variante dessen gesucht wird, was sich allemal schon für gültige Wirtschaftstheorie hält, wird lediglich der gefühlige Schmarren vom treuen Tauscher in einer moderneren Inszenierung aufgeführt.

c. Hajo Riese, über dessen 60. Geburtstag wir uns mit dieser Festschrift freuen, hat sich aus der Sicht des Autors schon vor einem Jahrzehnt für jede denkbare Ehrung qualifiziert, als er ihn mit einer geringfügig längeren Fassung dieser Polemik promoviert (Heinsohn 1984) und so vor nichtswürdigen Angriffen mächtiger Tauschtheoretiker in Schutz genommen hat. Für diesen Schritt, der unverstanden bliebe, wenn man ihn als kühnen oder gar gefälligen statt als theoretisch zwingenden auffaßte, mußte er auf seine Weise längst dort angekommen sein, wo sein damaliger Promovend erst übermütig hinstrebte.

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B. Geld und Neoklassik

Milton Friedmans optimale Geldmenge -

Eine Kritik

Von Gerhard Illing, München Milton Friedmans Idee einer optimalen Geldmenge spielt in der modernen Geldtheorie eine zentrale Rolle. Dies liegt wohl kaum daran, daß die Frage von großer praktischer Relevanz wäre. Die Wohlfahrtsgewinne der Friedmanschen Geldpolitik fallen den meisten Schätzungen zufolge relativ gering aus. Die Faszination seines Ansatzes besteht wohl vielmehr in der Herausforderung, die Friedmans Vorschlag für jede geldtheoretische Analyse bedeutet: Seine These scheint einer der seltenen Fälle zu sein, in denen die Wohlfahrt aller Wirtschaftssubjekte durch eine - zugegebenermaßen etwas unkonventionelle - Politik verbessert werden könnte, ohne daß damit irgendwelche Kosten verbunden wären. Mit der Frage, weshalb eine derartige Geldpolitik Wohlfahrtsgewinne hervorrufen sollte, ist untrennbar die Frage verbunden, durch welchen theoretischen Ansatz das Phänomen Geld adäquat modelliert werden kann. Eine Theorie, die die Frage nach der optimalen Geldmenge überzeugend beantworten könnte, verspricht damit gleichzeitig, ein besseres Verständnis für die Analyse von Geld zu liefern. So schreibt Clower (1970): "Perhaps we shall never have a definitive answer to the optimality problem, but we shall certainly have many attempts at it. And in the process we shall get what is most urgently needed: An improved theoretical understanding of the actual working of the economy in wh ich we live" (meine Hervorhebung). Die vorliegende Arbeit vergleicht verschiedene Theorien, die versuchen, Friedmans Argumentation modelltheoretisch zu fundieren (das SidrauskiBrock-Modell mit Geld in der Nutzenfunktion, das "cash-in-advance"-Modell sowie das Bewley-Modell mit Geld als Versicherungssubstitut). Auf den ersten Blick scheinen die Modellaussagen die Friedmanschen Überlegungen zu bestätigen. Es wird jedoch gezeigt, daß dies nur daran liegt, daß in den diskutierten Ansätzen die institutionellen Bedingungen, die eine ökonomische Funktion für Geldhaltung begründen könnten, theoretisch nicht exakt formuliert sind. Friedman beschreibt seine Vorstellungen am klarsten in dem Aufsatz "Die optimale Geldmenge" (Friedman 1969). Dort untersucht er zunächst die Wohlfahrtswirkungen einer Inflation, die dadurch hervorgerufen wird, daß ein Helikopter Geld in einem stetigen Strom vom Himmel herabwirft. Die Inflation verursacht Wohlfahrtsverluste, weil sie die Wirtschaftssubjekte dazu zwingt, ihre Geldhaltung unnötigerweise einzuschränken. Dies führt dazu, daß die Suche nach geeigneten Gütern längere Zeit in Anspruch nimmt; darüber hinaus

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Gerhard Illing

werden häufigere Botengänge zur Bank notwendig. Weil solche Botengänge die Schuhsohlen stärker abnützen, werden die beschriebenen Inflationskosten als Schuhsohleneffekt bezeichnet. Milton Friedman argumentiert, daß aus demselben Grund eine Politik der Deflation Wohlfahrtsgewinne verspricht. Auf dieser Überlegung aufbauend, fonnuliert er seine Vorstellung der optimalen Geldmenge. Man sollte sie präziser wohl als die Vorstellung eines optimalen Ertrags auf Geldhaltung bezeichnen. Solange der Nominalzins alternativer sicherer Anlagefonnen positiv ist, ergeben sich Ineffizienzen, weil die Wirtschaftssubjekte gezwungen werden, ihre Geldhaltung zu beschränken. Die Versorgung mit Realgeldmenge ist jedoch kein knappes Gut: Sie kann (kostenlos) beliebig erhöht werden, indem einfach die nominalen Preise entsprechend niedrig gesetzt werden. Wenn ein Gut aber kostenlos produziert werden kann, wäre es ineffizient, die Wirtschaftssubjekte nicht bis zu ihrer Sättigungsgrenze damit zu versorgen. Friedman schlägt vor, allen Wirtschaftssubjekten Kopfsteuern aufzuerlegen, deren Einnahmen in einem Geldofen verbrannt werden, um so eine Deflation zu erzeugen. Die optimale Politik besteht in einer Deflation, die den Nominalzins auf Null reduziert. (Die gleiche Wirkung würde erzielt, wenn die Steuereinnahmen zur Verzinsung der Geldhaltung verwendet würden. Dagegen wäre eine Finanzierung der Verzinsung mit Hilfe einer Steigerung der Geldmenge neutral und damit wirkungslos). Friedmans Argumentation ist weitgehend verbal. Er postuliert Wohlfahrtseffekte, ohne sie modelltheoretisch zu begründen. Eine exakte Wohlfahrtsanalyse müßte untersuchen, wie sich unterschiedliche Politikmaßnahmen auf die Allokation auswirken und dabei die Wohlfahrt einzelner Wirtschaftssubjekte beeinflussen. Dazu ist es notwendig, die Grunddaten der Ökonomie (Präferenzen, Technologie und die institutionellen Strukturen) präzise zu beschreiben, die es erforderlich machen, Geld zu halten. Friedman bezieht sich auf eine stationäre Wirtschaft. Das einfachste Modell einer stationären Wirtschaft ist das Solow-Wachstumsmodell eines repräsentativen Wirtschaftssubjektes, das den abdiskontierten Nutzen aus einem Konsumstrom über einen unendlich langen Zeithorizont optimiert. Es läßt sich als Spezialfall des Arrow-DebreuModells mit unbeschränkten intertemporalen Vennögenstransfers interpretieren. Im Rahmen dieses Realmodells spielt Geld keine Rolle. Im folgenden werden verschiedene Modellansätze diskutiert, die Geld in dieses Modell einbeziehen. Es wird gezeigt, daß die Spezifizierung der institutionellen Bedingungen, die das Halten von Geld in einer solchen stationären Wirtschaft zu begründen versuchen, die Ergebnisse entscheidend determinieren. Sidrauski und Brock führen Geld in das Solow-Modell in der simpelstenfreilich auch der am wenigsten überzeugenden - Weise ein: Sie unterstellen, daß nicht nur Güter- und Freizeitkonsum, sondern auch Realgeldhaltung einen Nutzen bringt (vgl. Brock [1975]). Im Modell von Sidrauski und Brock läßt sich

Milton Friedmans optimale Geldmenge

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unmittelbar ableiten, daß die Wohlfahrt eines repräsentativen Wirtschaftssubjektes in einem stationären Gleichgewicht dann maximal ist, wenn der Nominalzins gleich Null ist. Dies gilt selbst dann, wenn Geld nicht "superneutral" ist, d. h. wenn die Inflationsrate die Höhe des Kapitalstocks beeinflußt. Eine Realverzinsung von Geldhaltung durch Deflation wird im SidrauskiBrock-Modell ermöglicht, indem die Einnahmen von Kopfsteuern in Friedmanschen Geldöfen verbrannt werden. In der stationären Ökonomie sinkt das Preisniveau mit der Rate, mit der die Nominalgeldmenge reduziert wird. Im Optimum entspricht der Realertrag von Geldhaltung der Realverzinsung von Kapital (der Summe aus Diskontrate und Wachstumsrate der Ökonomie). Die Effizienzbedingungen dieses mathematischen Ansatzes können als Neuformulierung der Friedmanschen Überlegungen betrachtet werden. Das Modell liefert aber keine ökonomische Begründung dafür, weshalb die Deflationspolitik Wohlfahrtsgewinne hervorrufen kann - ganz einfach deshalb, weil nicht modelliert wird, woraus sich der Nutzen aus Geldhaltung ableitet. Das Problem, das hinter einem solchen Vorgehen steht, läßt sich am deutlichsten am Beispiel des "cash-in-advance"-Ansatzes illustrieren. Diesem Ansatz zufolge können die Käufe bestimmter Güter nur mit Hilfe von Geld getätigt werden, das bereits in der Vorperiode erworben wurde. Auch in "cash-inadvance"-Modellen läßt sich die Optimalität der Friedmanschen Geldpolitik ableiten. Die Struktur von "cash-in-advance"-Modellen ist unter bestimmten Bedingungen formal äquivalent zu der des Sidrauski-Modells. (Geld in die Nutzenfunktion einzubeziehen, kann somit als eine reduzierte Form einer komplexeren institutionellen Struktur interpretiert werden). Als Beispiel sei das Modell von LucasjStokey (1983) betrachtet. Dort gibt es zwei Arten von Gütern: "cash goods" und "credit goods". Während der Kauf von "credit goods" mit Hilfe von Krediten finanziert werden kann, lassen sich "cash goods" nur mit Hilfe von am Anfang der Periode verfügbarem Geld erwerben. Falls die "cash-in-advance"-Beschränkung bindend wird, übersteigt die Grenzrate der Substitution zwischen "cash goods" und "credit goods" die Grenzrate der Transformation; die Wirtschaftssubjekte sind dann aufgrund der Beschränkung gezwungen, weniger "cash goods" zu konsumieren als effizient wäre. Nur wenn der Nominalzins (der Zins, der für "credit goods" berechnet wird) gleich Null ist, verschwindet die Ineffizienz: In diesem Fall ist die Beschränkung nicht mehr bindend; die Wirtschaftssubjekte sind dann mit Geldhaltung gesättigt. Das Lucas-Stokey-Modell verdeutlicht den Wirkungsmechanismus, der auch anderen Ansätzen mit "cash-in-advance"-Modellen zugrundeliegt: In einer "cash-in- advance"-Ökonomie verursachen die Liquiditätsbeschränkungen Verzerrungen; die individuellen Grenzraten der Substitution sind zwischen verschiedenen Wirtschaftssubjekten nicht gleich oder sie entsprechen nicht den Grenzraten der Transformation in der Produktion. Diejenigen Wirtschaftssubjekte, für die die Finanzierungsbeschränkung bindend ist, wären bereit, verzinsliche Ansprüche an andere auszustellen (privates

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Innengeld zu schaffen), um heute mehr Geld zum Kauf von "cash goods" zur Verfügung zu haben. Oberflächlich betrachtet bestätigt sich wieder die Friedmansche Regel: Einzig eine Politik der Nominalverzinsung von Null kann eine effiziente Allokation garantieren. Doch bei näherer Überlegung wird deutlich, daß das Modell als Grundlage wohlfahrtstheoretischer Analyse bestenfalls unzureichend, wenn nicht gar irreführend ist. Ausgangspunkt der Überlegungen ist eine Ökonomie ohne Geld, in der die intertemporalen Transaktionen nur durch eine intertemporale Vermögensbeschränkung eingeschränkt sind. Die Einführung von Liquiditätsbeschränkungen für "cash goods" muß in einer solchen Welt zwangsläufig die Wohlfahrt reduzieren, sofern die Beschränkungen bindend werden. Es ist trivial, daß eine Politik, die diese künstlichen Beschränkungen wieder aufhebt, die Wohlfahrt steigert. Schließlich dürfte nicht verwundern, daß in einer Ökonomie, in der die Einführung von Geld wohlfahrtsreduzierend wirkt, eine Beseitigung der Beschränkungen, die sich aufgrund von Geld ergeben, die Wohlfahrt erhöhen kann. Es ist offenkundig, daß ein solches Gedankenexperiment wenig Sinn macht. Die Liquiditätsbeschränkungen (die Unmöglichkeit, "cash goods" gegen Kreditversprechen zu erwerben) müssen einen ökonomischen Grund haben (etwa mangelnde Kreditwürdigkeit aufgrund von Vetrauensproblemen); solange dieser nicht modelliert wird, bleibt unerfindlich, wieso bestimmte geldpolitische Maßnahmen die Beschränkungen plötzlich aufheben können (vgl. auch Kohn [1989]). Es ist eine charakteristische Eigenschaft von Ökonomien mit Geld, daß die Marginalbedingungen der Arrow-Debreu-Ökonomie verletzt sind - ganz einfach deshalb, weil Liquiditätsbeschränkungen vorliegen, die Geldhaltung notwendig machen. Um untersuchen zu können, ob eine entsprechend konzipierte Geldpolitik diese Liquiditätsbeschränkungen reduzieren oder gar aufheben kann, ist es jedoch unumgänglich, die institutionellen Bedingungen exakt zu charakterisieren, die für diese Beschränkungen verantwortlich sind. Sofern keine perfekten intertemporalen Substitutionsmöglichkeiten bestehen, verschafft das Halten von Geld den Wirtschaftssubjekten Liquiditätsvorteile: Der Geldbestand kann jederzeit aufgebraucht werden, um Kaufkraft zur Verfügung zu haben. Das bedeutet freilich, daß die Geldbestände verschiedener Wirtschaftssubjekte sich im Zeitablauf verändern: Ein einzelnes Wirtschaftssubjekt kann seinen Geldbestand nur dann reduzieren, wenn gleichzeitig der Geldbestand eines anderen steigt. Modelle mit einem repräsentativen Wirtschaftssubjekt sind offensichtlich zur Analyse dieser Prozesse nicht geeignet. Heterogenität der Wirtschaftssubjekte ist ein wesentliches Merkmal einer Ökonomie mit Geld. Eine Änderung der Geldpolitik impliziert damit .zwangsläufig immer auch eine Umverteilung von Kaufkraft zwischen verschiedenen Wirtschaftssubjekten. Bewley (1980) entwickelt ein Modell, das diese Überlegungen formalisiert. Es läßt sich formal als die Darstellung einer Ökonomie interpretieren, in der "cash-in-advance"-Beschränkungen exakt fundiert werden. Im folgenden soll

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die Grundidee anhand eines Beispiels kurz skizziert werden. Betrachtet wird eine Ökonomie mit einer (großen) endlichen Zahl von unendlich lang lebenden Wirtschaftssubjekten, die ihren Konsumstrom über den gesamten Zeitraum optimieren. Sie maximieren die Summe aus dem erwarteten abdiskontierten Nutzen des Konsums je Periode. Die Nutzenfunktion je Periode sei streng konkav. Jeder einzelne erhält in jeder Periode mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit p ein Einkommen (eine Anfangsausstattung) in Höhe von eins in Form eines (nicht lagerfahigen) Gutes; mit der Gegenwahrscheinlichkeit l-p beträgt sein Einkommen Null. Die durchschnittliche Anfangsausstattung je Periode (über alle Wirtschaftssubjekte aggregiert) sei konstant. Wegen der konvexen Präferenzen ist jeder bestrebt, das stochastische Periodeneinkommen intertemporal zu glätten. Inwieweit dies möglich ist, hängt von der institutionellen Organisationsform der Ökonomie ab. Wäre etwa überhaupt kein intertemporaler Tausch möglich, könnte jeder einzelne nichts Besseres tun, als das jeweils verfügbare Periodeneinkommen zu konsumieren (Autarkie). Bestünde dagegen eine vollständige Menge von kontingenten Zukunftsmärkten, so wäre eine perfekte Absicherung gegen das individuelle Einkommensrisiko möglich: Jeder könnte je Periode die konstante Menge p konsumieren. (Dies ist auch die Lösung, die sich als Marktgleichgewicht in einer Arrow-Debreu-Ökonomie ergeben würde.) Bewley geht jedoch davon aus, daß zukünftiges Einkommen nicht durch Kredite beliehen werden kann. Aus in der Vorperiode angesparter Geldhaltung kann jedoch Konsum finanziert werden, der das laufende Einkommen übersteigt. Er zeigt, daß ein stationäres Gleichgewicht mit Geldhaltung auf aggregiertem Niveau existiert, sofern der Grenznutzen bei niedrigem Konsum hinreichend groß ist (d. h. falls es entsprechend unattraktiv ist, in einer Periode nur wenig zu konsumieren) und sofern Geldhaltung zur Finanzierung eines ausgeglicheneren Konsumstroms nicht zu kostspielig ist (d.h., die Summe aus Diskontrate und Inflationsrate [als Kosten der Geldhaltung] darf nicht hoch sein). Bewley weist nach, daß eine Deflation in Höhe der Diskontrate Voraussetzung für ein Pareto-Optimum ist. Andernfalls sind die intertemporalen Grenzraten der Substitution zwischen verschiedenen Wirtschaftssubjekten unterschiedlich hoch, weil für manche die Liquiditätsbeschränkung bindend wird. Ursprünglich sah Bewley darin eine Bestätigung der Friedmanschen Theorie: Nur eine Deflation in Höhe der Diskontrate ermöglicht ein Pareto-Optimum. Die Deflation wird wieder durch das Verbrennen der Einnahmen aus Kopfsteuern erzeugt. Bewley (1980) leitet zwar ab, daß bei einer solchen Politik die Geldnachfrage unendlich hoch wird, doch argumentiert er, daß eine beliebige Annäherung an das Pareto-Optimum erreicht werden kann. Hellwig (1982) und auch Bewley (1983) weisen jedoch nach, daß die Argumentation von Bewley (1980) im allgemeinen nicht korrekt ist: Das Auferlegen von Kopfsteuern führt bei entsprechender stochastischer Variation des Einkommens dazu, daß Geld

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ausschließlich zu dem Zweck gehalten werden muß, die geforderten Kopfsteuern zu finanzieren. Jedes Wirtschaftssubjekt muß ja damit rechnen, daß es für eine (beliebig lange) Zeitdauer kein Einkommen erzielen wird. Andererseits aber muß es in jeder Periode die Kopfsteuer zahlen. Deshalb wird es immer (mindestens) soviel Geld halten, daß sich aus dessen Ertrag jeweils die Kopfsteuern finanzieren lassen. Über alle Wirtschaftssubjekte aggregiert bedeutet das aber: Geld kann einzig zu dem Zweck gehalten werden, die Kopfsteuern zu finanzieren; jeder Betrag, der darüberhinaus gehalten würde, könnte ja keinen Realertrag abwerfen - es sei denn, die Zinsen darauf würden auf andere Art als durch Kopfsteuern finanziert. Anders formuliert: das Erheben von Kopfsteuern im traditionellen Sinn ist in dieser Ökonomie nicht möglich. Daraus folgt, daß die Wirtschaftssubjekte bei einer Politik a la Friedman nicht besser gestellt sind als in der Autarkie-Situation ohne Geld; ohne die Friedmansche Deflationspolitik mit der entsprechenden Steuerbelastung wäre die Wohlfahrt höher, weil Geld zum Ausgleich des Konsumstroms verwendet werden könnte. Die wohlfahrtsreduzierende Wirkung der Friedmansehen Politik hängt mit den Verteilungswirkungen der Kopfsteuer zusammen: Sie verschärfen das Liquiditätsproblem der Wirtschaftssubjekte gerade in dem Fall, in dem sie Liquidität am dringendsten benötigen würden. Das Problem entstünde nicht, wenn es möglich wäre, jeweils nur Wirtschaftssubjekte mit hohem Einkommen zu besteuern. Eine solche differenzierte Politik könnte eine Pareto-optimale Allokation gewährleisten, weil sie Kaufkraft zugunsten derjenigen umverteilt, die ihrer am dringendsten bedürfen. Die Besteuerung nur von hohem Einkommen wäre äquivalent mit einem perfekten Versicherungsmarkt (dem Marktgleichgewicht einer Arrow-Debreu-Ökonomie). Dieselben Ursachen, die das Zustandekommen privater Versicherungskontrakte verhindern, lassen es jedoch als unwahrscheinlich erscheinen, daß der Staat solche Umverteilungsinstrumente einsetzen kann. Ist die Einkommenshöhe private Information der einzelnen Wirtschaftssubjekte, so werden Versicherungskontrakte wegen "moral-hazard"-Gefahren unmöglich: Um möglichst hohe Zahlungen zu erhalten, hätte jeder einen Anreiz, sein Einkommen so niedrig wie möglich anzugeben (vgl. dazu Illing [1985]). Die Friktionen aufgrund asymmetrischer Information verhindern, daß Marktstrukturen einer Arrow-Debreu-Ökonomie zustandekommen. Deshalb wäre in einer Ökonomie ohne Geld nur der Autarkiezustand erreichbar. Geldhaltung ermöglicht es, Liquidität zur Vorsorge in Zeiten niedrigen Einkommens zu halten; sie führt damit zu einer Wohlfahrtsverbesserung. Diese institutionelle Struktur ist freilich nur ein unvollkommenes Substitut zu einer Ökonomie mit vollständigen Märkten. Friedmans Argumentation zufolge könnte diese Institution bei entsprechender Deflationspolitik jedoch sogar ein vollständiges Substitut liefern. Eine exakte Definition der Beschränkungen, die Geldhaltung erst notwendig machen, zeigt freilich, daß hier ein Trugschluß vorliegt. Bei privater Information

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kann auch eine Steuerbehörde die Einkommenshöhe nicht beobachten. Sie ist folglich nicht in der Lage, differenzierte Steuern zu erheben: Jeder hätte wiederum einen Anreiz zu "moral-hazard"-Verhalten. Er wird behaupten, er könne mangels Einkommen keine Steuern abführen. (Ein Modell, in dem Verifikationskosten berücksichtigt werden, ist in Illing [1985] entwickelt.) Ist wegen der Informationsbeschränkungen eine Erhebung differenzierter Steuern unmöglich, so kann - ganz im Gegensatz zu Friedmans Überlegungen - durchaus ein positives Wachstum der Geldmenge eine Pareto-Verbesserung (über die daraus finanzierten "Kopf'-Transfers) bewirken. Levine (1986) zeigt, daß im Rahmen des Bewley-Modells eine positive Inflationsrate unter bestimmten Bedingungen sogar eine Pareto-optimale Allokation ermöglichen kann. Der Grund liegt darin, daß die Transfers, die durch die "Inflationssteuer" finanzierbar werden, gerade auch diejenigen Wirtschaftssubjekte mit Liquidität versorgen, die sie am dringendsten benötigen (vgl. dazu auch Woodford [1990]). Bewleys Modell verdeutlicht, daß die Friedmansche Politik voraussetzt, eine Kombination von Geldpolitik und anderen Umverteilungsinstrumenten könne reale Friktionen vollständig überwinden, die durch private Arrangements nicht zu beseitigen sind und die deshalb überhaupt erst zu Liquiditätsproblemen Anlaß geben. Die explizite Modellierung der Friktionen zeigt jedoch, daß diese realen Friktionen auch die Friedmansche Politik undurchführbar machen, während unter solchen Umständen eine entgegengerichtete Politik sogar wohlfahrtsverbessernd wirken kann. Das Modell mag in mancher Hinsicht als extrem speziell erscheinen, und - um Clowers Eingangszitat wieder aufzugreifen - es mag nur wenig zum Verständnis realer Ökonomien beitragen. Bewleys Modell gibt jedoch einen Hinweis darauf, in welche Richtung Geldtheorie weiterentwickelt werden sollte: Sie müßte institutionelle Strukturen formalisieren, die Finanzrestriktionen begründen und damit der Geldhaltung eine Liquiditätsprämie verschaffen. Der Ansatz müßte etwa durch die Einbeziehung anderer, weniger liquider Anlageformen erweitert werden. Damit wird die zentrale Kritik von Hajo Riese (1986) an der Friedmanschen Theorie bestätigt: Eine entscheidende Schwäche des Friedmanschen Ansatzes liegt nach Riese in der mangelnden entscheidungstheoretischen Fundierung der Kreditvergabe und damit der Nichtberücksichtigung der Liquiditätsprämie. Literatur Bewley, T. (1980), The Optimum Quantity ofMoney, in: Kareken/Wallace (eds.), Models of Monetary Economies, Minneapolis, 169-210. Bewley, T. (1983), A Difficulty with the Optimum Quantity of Money, Econometrica 51, 1485-1504. Brack, W. (1975) A Simple Perfeet Foresight Monetary Model, Journal of Monetary Economics 1, 133-150.

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Clower, R. (1970), Is there an Optimum Money Supply?, Journal ofFinance 25,425-433. Friedman, M. (1969), The Optimum Quantity of Money and other Essays, Chicago. Hellwig, M. (1982), Precautionary Money Holding and the Payment oflnterest on Money, Bonn Discussion Paper. [/ling, G. (1985), Geld und asymmetrische Information, Heidelberg. Kohn, M. (1989), The Finance Constraint Theory of Money: A Progress Report, in: Tsiang, S. C., Finance Contraints and the Theory of Money, Collected Essays, New York. Levine, D. (1986), Borrowing Constraints and Expansionary Policy, Los Angeles. Lucas, R. j Stokey, N. (1983), Optimal Fiscal and Monetary Policy in an Economy without Capital, Journal of Monetary Economics 12, 55-93. Riese, H. (1986), Theorie der Inflation, Tübingen. Woodford, M. (1990), The Optimum Quantity of Money, in: Friedman, B.jHahn, F. (eds.), Handbook of Monetary Economics I, Amsterdam, 1067 -1152.

Preisniveaustabilität durch indirekte Konvertibilität? Über einen Vorschlag zur Trennung der Geldfunktionen Von Hans-Michael Trautwein, Stuttgart-Hohenheim *

I. Indirekte Konvertibilität war eine Besonderheit der Nachkriegs-Währungsordnung von Bretton Woods: Im Gold-Dollar-Standard bestand nur noch für den US-Dollar unmittelbare Einlösbarkeit in Gold, alle übrigen Währungen waren somit indirekt konvertibel. Die Auflösung des Bretton-Woods-Systems bedeutete erstmals eine dauerhafte Aufhebung jeglicher Einlösbarkeit nationaler "Papierwährungen" in eine stoffliche Geldbasis. Die Leitwährungsinflation der 60er Jahre hatte zum Zusammenbruch des Goldparitätenregimes fixer Wechselkurse geführt und den Boden für die globale Stagflation der 70er Jahre bereitet. Steigende Inflationsraten und schwankende Wechselkurse erzeugten ihrerseits im Wechselspiel mit neuen Informationstechnologien und alten Bankenregulierungen eine Welle von Finanzinnovationen, die zur Globalisierung und Deregulierung von Finanzmärkten in den 80er Jahren beitrugen. Damit einhergehende Strukturbrüche in verschiedenen nationalen Bankensystemen untergruben nicht nur einige Fundamente monetaristischer Geldmengensteuerung. Sie förderten auch eine Radikalisierung des Nachdenkens über Geld, bei dem die geldpolitisch mittlerweile führenden Monetaristen gewissermaßen von "rechts" - "under the banner of free-market economics" (Hall 1982A:1552) - überholt wurden. In zwei (vor allem methodologisch) verschiedenen Denkrichtungen ist die Notwendigkeit und Vorteilhaftigkeit der Existenz von Zentralbanken, ja der Existenz von Geld überhaupt in Frage gestellt worden. In Free BankingTheorien "modem-österreichischer" Provenienz werden monetäre Stabilitätsprobleme auf Notenausgabemonopole und Zentralbankpolitik zurückgeführt und Forderungen nach Laissez-faire im Geld- und Kreditwesen erhoben (z. B. Selgin 1988, Dowd 1989). In einer konsequent neoklassischen Denkrichtung, die auch als New Monetary Economics bezeichnet worden ist (Hall 1982A, Cowenj Kroszner 1987, Hoover 1988, chap. 5), wird Geldtheorie mit Hilfe von

* Für wertvolle Hinweise danke ich Christof Rühl, Stephan Seiter und Leland B. Yeager. Die übliche Produzentenhaftung bleibt dadurch unberührt. 7 Festschrift Riese

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Äquivalenztheoremen und Legal Restrictions-Ansätzen weitgehend in Finanztheorie aufgelöst (Black 1970, Fama 1980, Wallace 1983). An der Schnittstelle dieser beiden Denkrichtungen ist unter der Bezeichnung BFH-System ein spektakulärer Vorschlag zur Abschaffung jeglichen Basisgeldes entwickelt worden, der monetär bedingte Stabilitätsprobleme mit Hilfe indirekter Konvertibilität durch Laissez-faire beseitigen soll (Greenfield / Yeager 1983, Yeager/Greenfield 1989)1. Im Unterschied zum Bretton-Woods-System, in dem die Goldkonvertibilität des Dollars im Grunde nur dessen Stellung als internationales Wertmaß und Zahlungsmittel bekräftigte, hat die indirekte Konvertibilität im BFH-System auf der Grundlage einer strikten Trennung von Wertmaß und Zahlungsmitteln zentrale Bedeutung als Stabilisierungsmechanismus. Diese Grundkonstruktion einer Laissez-faire-Welt ohne (Basis-)Geld - völlig undenkbar im "monetären Keynesianismus" von Hajo Riese und seiner "Berliner Schule" (vgl. etwa Riese 1989 sowie kritisch dazu Trautwein 1992) - erscheint auf den ersten Blick so verblüffend einfach und schwer angreifbar, daß sich trotz (oder wegen?) ihres utopischen Charakters eine nähere Prüfung lohnt. Dabei muß sich die folgende Diskussion aus Platzgründen auf die Frage beschränken, ob indirekte Konvertibilität im BFH-System in der Tat Preisniveaustabilität zu garantieren vermag 2 •

u. Die Konstrukteure des BFH-Systems, Leland Yeager und Robert Greenfield (im folgenden: Y&G), gründen ihren Vorschlag auf eine fundamentale Kritik an der inhärenten Instabilität aller monetären Systeme, deren Kern in irgendeiner Art von Geld besteht, das die Funktionen der Recheneinheit und des definitiven Zahlungsmittels in sich vereint. Ausgangspunkt der "monetären Ungleichgewichtshypothese" (Yeager 1986) ist der Gedanke, daß Geld in seiner Funktion als allgemeines Tauschmittel dann zum allgemeinen Tauschhindernis wird, wenn Geldangebot und Geldnachfrage nicht übereinstimmen. Beispielsweise kann nach Y&G ein Geldnachfrageüberschuß vermittels des Realkasseneffekts (nach Wicksell'schem Muster) zu kumulativen Nachfrageausfällen auf Gütermärkten führen - also zu Mengenrationierungen der Angebotsseite, die sich bis zu einem monetären "QuasiGleichgewicht" auf niedrigerem Beschäftigungs- und Produktionsniveau fortsetzen, bevor der Preismechanismus für eine Tendenzwende zum Vollbeschäfti1 Die Bezeichnung BFH-System ist auf Vorarbeiten von Black (1970), Fama (1980) und Hall (1982B) zurückzuführen, die von Yeager und Greenfield kombiniert und erheblich modifiziert worden sind. Einen dem BFH-System ähnlichen Vorschlag macht Dowd (1989, chap. 4). 2 Für verschiedene kritische Auseinandersetzungen mit der BFH-Idee siehe z. B. White (1984), McCallum (1985), Meltzer (1989), Trautwein (1992).

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gungsgleichgewicht sorgen kann. Die Mengeneffekte beruhen dabei auf der Trägheit (stickiness) von Preisanpassungen, die vollständig als rationales Verhalten dezentral entscheidender Akteure erklärt werden kann, sobald man die Fiktion des walrasianischen Auktionators aufgibt 3 . Y &G diskutieren die Trägheit der Preise als stilisiertes Faktum, machen aber deutlich, daß auch vollständige Preisflexibilität monetär bedingte Koordinationsstörungen nicht unschädlich machen könnte, weil Erwartungen im allgemeinen und Kreditverhältnisse im besonderen destabilisiert würden: "An economy beset by monetary disturbances faces a Catch-22: It is damned whether or not it exhibits great flexibility of wages and prices" (Yeager JGreenfield 1989:407). Das Dilemma besteht nach Ansicht von Y&G schlicht darin, daß Geld in seiner Universalität als Tauschmittel keinen eigenen Markt hat, auf dem sich Angebot und Nachfrage über den Preismechanismus regulieren. Schwankungen des Geldangebots und der Geldnachfrage erzeugen vielmehr Myriaden von wechselwirkenden Preisanpassungen auf allen Märkten. Damit sind ständige Wechselbäder zwischen inflationärer Expansion, deflationärer Rezession und Stagflation vorprogrammiert. Der tiefere Grund für dieses Dilemma liegt nach Y&G in der Einheit der Geldfunktionen: Da das Wertmaß als eine Einheit des jeweiligen nationalen Zahlungsmittels definiert ist, schwankt die Wertgröße der Recheneinheit mit der (positiven oder negativen) Überschußnachfrage nach dem Zahlungsmittel. Durch den "Zwangsverbund" mit dem Zahlungsmittel wird die funktionale Neutralität des Wertmasses beeinträchtigt - im Unterschied zu physikalischen Maßen wie etwa dem Meter, dessen Länge keinesfalls von der Menge der vorhandenen Zollstöcke und anderen Metermaße abhängt. III.

Die Diagnose der schädlichen Einheit führt zum Therapievorschlag einer definitiven Trennung der Recheneinheit von den Zahlungsmitteln, der im BFHSystem folgende Gestalt annehmen soll (vgl. GreenfieldJYeager 1983, Yeager J Greenfield 1989, Yeager 1989): -

Der Staat beschränkt sich in puncto Geld- und Kreditwesen auf die Definition des gültigen Wertmaßes (medium of account) und auf die Durchsetzung von Verträgen in dessen Basiseinheit als allgemeiner Recheneinheit. Das Wertmaß besteht aus einem Warenkorb, der in Umfang und

3 Die Argumentation Yeagers und Greenfields ähnelt in mancherlei Hinsicht der Keynes-Interpretation von Robert Clower, Axel Leijonhufvud u.a. Yeager (1986:371 ff) betrachtet sie hingegen als frühe quantitätstheoretische Einsichten - namentlich von David Hume, Pehr Niclas Christiemin und Clark Warburton. In der folgenden Kontroverse mit Yeager kritisiert Leijonhufvud (1986,1988) die entsprechende monetaristische Verengung der Konjunkturtheorie auf monetäre Impulse bei exogenem Geldangebot.

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Zusammensetzung für Stabilität des Preisniveaus garantiert, ohne direkt als Geldbasis fungieren zu können 4 . Die von der Basiseinheit des Warenkorbes abgeleitete Recheneinheit wird zur Veranschaulichung im folgenden Valun - für value unit - genannt (vgl. Yeager 1989:371). -

Das Angebot an Tauschmitteln (media of exchange) für den allgemeinen Zahlungsverkehr wird dem freien Wettbewerb der Banken und anderer Finanzintermediäre überlassen. Diese emittieren eigene Banknoten und wickeln den Giroverkehr zwischen den Einlagen oder Fondsanlagen ihrer Kunden über elektronische Medien, Schecks und andere Verfügungsformen ab. Die Akzeptanz der privat produzierten Tauschmittel bzw. Guthaben wird darüber hergestellt, daß sie in Valuns denominiert sind und jederzeitige Einlösbarkeit in voller Höhe garantiert wird. Eine Banknote oder Münze mit dem Nennwert,,1 Valun" stellt folglich eine einlösbare Verbindlichkeit der emittierenden Bank in Höhe r:" genau dann gelten, wenn d~ < d~; d. h., daß die klassische Profitrate im Prozeß k jene im Prozeß m so lange übertrifft, wie die undiskontierten Preise der im Prozeß k hergestellten Güter schwächer steigen als im Prozeß m. Dieses Resultat wirkt zunächst verwirrend: Weshalb ist die Profitrate höher im Prozeß k, dessen Produkte im Preis relativ zu m fallen? Erwarten wir nicht eine Assoziation von hohen Profitraten mit hohen Produktpreisen? Das Rätsel löst sich, wenn wir die Datierung genauer beachten und uns vergegenwärtigen, daß fallende Preise nicht niedrige Preise bedeuten. Um 2 Es kann auch sinnvoll sein, eine ex-post Profitrate zu betrachten. Dividiert man (2) durch ak,t Pt+ 1, ergibt sich:

i

+ (hk.t+1 - ak.t )p-t+1 ak,tPt+ 1

Die Profitrate, die den Produktionserfolg am Ende des Produktionsprozesses zu WiederbeschafTungspreisen mißt, ist also gleich dem Eigenzins des numeraires,· geteilt durch die Preissteigerungsrate der Inputs.

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anschaulich zu bleiben, betrachten wir die Anfangsperiode (t = 0) und die erste danach. Die Prozesse sollen Industrien mit Einzelproduktion entsprechen. Die Nachfrage sei durch lineare Engelkurven beschrieben. Sie seien stationär (in jeder Periode dieselben). Die Tumpike-Eigenschaft bedeutet, daß nach ,vielen' Perioden sich die Preise normalen Preisen oder Produktionspreisen annähern: Die bei den normalen Preisen gemäß stationären Präferenzen nachgefragten Konsumgütermengen sollen dann ebenfalls ,normal' heißen. In ihrer relativen Zusammensetzung hängen sie nur von den relativen Konsumgüterpreisen, nicht von den Einkommen ab. Daraus abgeleitet sind in jeder ,späten' Periode auch die normalen relativen Bruttomengen definiert, die den normalen Konsum und die zugehörigen Investitionen im gleichschrittigen Wachstumsprozeß (oder einem stationären Zustand) alimentieren. Damit macht es Sinn, von relativer Knappheit von Anfangsausstattungen zu sprechen. Im Prozeß k werde Kom produziert, das anfangs, relativ zu später benötigten Bruttomengen, knapp sei. Also wird die für den Kornpreis stehende Komponente von Po hoch sein, diese Knappheit ausdrückend. Daraus folgt mathematisch, wenn die übrigen Preise normalen Preisen näher sind und wir eine genügend große - jedenfalls positive - Reproduktionsrate des Korns vorfinden, daß auch ~ = bk , I Po / a k , 0 Po - 1 hoch ist. Das erwarten wir auch im Hinblick auf die Anreizfunktion der klassischen Profitrate, denn zum Anfangspreis kalkuliert muß der Ertrag der Kornproduktion hoch sein, damit diese anläuft und die relative Knappheit reduziert. Es folgt, daß der Kompreis fällt, also d~ = bk , I PI/bk, I Po - 1 negativ ist. Der hohe Kornpreis am Anfang mindert zunächst dessen Konsum und seine produktive Verwendung, bis die Produktion anschließend, dem normalen Niveau des Verbrauchs entgegen, ansteigt und die Versorgungslücken eliminiert. Wir betrachten also gegenläufige Bewegungen von Preisen und Mengen. So erkennen wir, daß die nach dem klassischen Verfahren zu konstanten Preisen berechnete Profitrate den dem intertemporalen ,Gleichtgewicht' innewohnenden Anpassungsprozeß ans langfristige Gleichgewicht widerspiegelt, ja ihn sogar steuert. Der Eigenzinssatz des numeraires sollte dagegen, trotz Formel (2), nicht als Profitrate verstanden werden. Im Gegenteil wird man, wenn die relativen Preise sich genügend ändern, s für eine Betrachtung wie die hier vorgeführte am besten so wählen, daß s ~ 0 orthogonal auf der dann positive und negative Komponenten enthaltenden Differenz von Po und PI sein kann, so daß spo = SPI und i ö verschwindet. Dann verbindet sich unmittelbar ein hohes positives ~ mit stark fallendem Preis bzw. negativem d~. Es ist wohl der merkwürdigste Aspekt des intertemporalen Modells, daß die Anfangsbestände willkürlich vorgegeben werden, die doch mit bestimmten Erwartungen einmal bereitgestellt worden sein müssen, und daß nun eine Anpassung an die stationären Bedürfnisse erfolgt, ohne daß eine Enttäuschung der Erwartungen eintritt, die sich in keynesianischen Reaktionsmustern zeigte. Die Erwartungen, das wichtigste Element kurzfristiger Betrachtungen, werden

Marshall - Fisher - Samuelson und Sraffa

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in dieser Analyse intertemporal verknüpfter temporärer Gleichgewichte gar nicht thematisiert. Vielmehr wird angenommen, daß - im Fall einer Überausstattung am Anfang - nicht etwa die Produktion eingeschränkt wird bis Arbeitslosigkeit entsteht, sondern die Preise unter das normale Niveau fallen bis durch Substitution die Überschüsse konsumtiv und produktiv verzehrt worden sind. Obwohl wir gestern in der Hoffnung auf normale Zustände Ausstattungen vorbereiteten, sind wir heute nicht im Gleichgewicht. Und obwohl nicht im normalen Gleichgewicht, sind wir nicht enttäuscht. So werden wir morgen dahin gelangen. Nun läßt sich die Kontroverse zwischen Hayek und Sraffa besser verstehen. Als Hayek datierte Preise in intertemporaler Betrachtung einführte, interpretierte er sein Modell - wie dies heute üblich ist - als Gleichgewicht. Sraffa widersprach, indem er den temporären Charakter der Konstruktion hervorhob und eine schließliehe Angleichung der datierten Preise als Marktpreise an ein langfristiges Gleichgewicht postulierte. 3 Erst im langfristigen Gleichgewicht existiert eine eindeutige Profitrate, an der ein monetärer Zins gemessen werden kann. Auf die Relation zwischen beiden kann hier nicht eingegangen werden4, denn dies würde, um nur eine Schwierigkeit zu nennen, einen Vergleich zwischen den langfristigen Gleichgewichten der Neoklassik, die gleichschrittiges Wachstum (oder Stationarität) und Vollbeschäftigung voraussetzen, mit den klassischen langfristige Positionen erfordern, die auch mit Strukturwandel (etwa in den verschiedenen Szenarien von fallenden Profitraten) und Arbeitslosigkeit zusammengedacht worden sind. Die paradigmatische Bedeutung der intertemporalen Theorie wird heute stark überschätzt. Marshall gehörte zu den frühen Autoren der Neoklassik, die - wie Böhm-Bawerk s und Wicksell - von Systemen mit normalen Preisen ausgingen, deren Analyse der Bestimmung der uniformen Profitrate aber an den bekannten kapitaltheoretischen Schwierigkeiten scheiterte. Es zeichnet Samuelson aus, daß er, obwohl die intertemporalen Modelle vom Malinvaud-ArrowDebreu-Typ seit einer Generation en vogue sind, die Konzepte des langfristigen Gleichgewichts nie ganz fallen ließ: daher sein Interesse und sein Respekt für Sraffa.

3 Vgl. die Rezension SrafTas (1932) und die im Economic Journal anschließende Debatte. 4 Eine erste Annäherung an eine Verbindung von monetärer Verteilungstheorie (der Zins bestimmt die Profitrate) und nachfrageinduzierter (die Cambridge-Theorie, an Kaldor anschließend), habe ich in Schefold (1990a) versucht. 5 Im Kommentarband zum Reprint von Böhm-Bawerks "Positive Theorie des Kapitals" im Rahmen der jetzt von mir herausgegebenen "Klassiker der Nationalökonomie" und im Folgeband zu I. Fisher wollte ich zeigen, wie nahe Böhm-Bawerk dem klassischen Gleichgewicht steht und wie Fisher dessen Auflösung vorbereitet.

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DI.

Fruchtbarer und folgenreicher als seine Variante der Verteilungstheorie waren Marshalls Erweiterung der Millschen Überlegungen zu den Ertragsverläufen in Landwirtschaft und Industrie bis zur Analyse der Kostenkurven und der Entwicklung der Angebotskurve, die trotz der Skalenertragsdebatte der 20er Jahre noch immer als Eckstein des ökonomischen Lehrgebäudes dient. Wenden wir uns daher noch dem Verhältnis von Partialanalyse und allgemeinem Gleichgewicht zu. Schon in Marshalls "Reine Theorie der inländischen Werte" (1879) (übersetzt in Schefold 1986, S. 35ff.) wird deutlich, daß die Angebotskurve beim Vorliegen von Größenvorteilen in der langen Periode fallen muß. Wie Sraffa (1925) in seinem Aufsatz "Über die Beziehungen zwischen Kosten und produzierter Menge" (teilweise übersetzt in Schefold 1986, S. 137ff.) bemerkte, wurde sich Marshall im Gang seiner Untersuchungen bis hin zu den "Principles" und in sukzessiven Ausgaben derselben jedoch zunehmend bewußt, daß sich industrieinterne fallende Kosten mit seiner Definition der vollkommenen Konkurrenz nicht vereinen lassen, so daß er die Gründe für fallende Kosten zunehmend externen Effekten zuschrieb, die mit Konkurrenz eher verträglich schienen. Die Betonung der externen Effekte war ein glücklicher Gedanke, insofern sie die Standorttheorie wesentlich befruchtet hat. Beccattini hat für die Toscana und andere norditalienische Regionen in direkter Anlehnung an Marshall gezeigt, wie diese Synenergieeffekte vernetzt produzierender mittelständischer und kleiner Unternehmungen etwa im Textilsektor die Produktionsformen eines ganzen Wirtschaftsraumes prägen können. Umgekehrt sind die negativen externen Effekte ein Leitbegriff in der umweltpolitischen Diskussion geworden. Wie Richard Kahn (1984, S. 25) berichtet, wurde die Cambridge Faculty of Economics, die vorher viele Jahre ruhig gearbeitet hatte, durch Sraffas Artikel von 1926 und seine in Vorlesungen vorgetragene Kritik an Marshall in Aufruhr gebracht: "The occasion was comparable with the effect a few years later ofthe publication of Keynes' Treatise on Money." Und nicht nur Cambridge! Samuelson (1990, S.268) schreibt von einem "fatal 1926 error". In Sraffas berühmtem Aufsatz in Economic Journal von 1926, gegenüber 1925 sehr verkürzt in seiner Kritik an Marshall und erweitert um den Vorschlag zur Konstruktion einer Theorie der unvollkommenen Konkurrenz, fand sich nicht nur das klare Verdikt, daß steigende Erträge mit vollkommener Konkurrenz unvereinbar sind - ein Einwand, mit dem Samuelson und jeder moderne Ökonom übereinstimmen muß. Es wurde hier darüber hinaus behauptet, daß fallende Erträge in der Regel zu den Prämissen einer streng marshallianischen Analyse im Widerspruch stehen, so daß von Claphams "Drei Schachteln" - die Schachteln, in die die Industrien mit steigenden, fallenden und konstanten Skalenerträgen einzuordnen sind - jeweils nur die letzte angemessen gefüllt bleibt und der klassische Standpunkt kostenbestimmter Preise sich zu bestätigen scheint.

Marshall - Fisher - Samuelson und Sraffa

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Aber während die Schachtel, in die jene Industrien einzuordnen sind, die unter Konkurrenzbedingungen bei steigenden Erträgen arbeiten, tatsächlich im wesentlichen leer bleiben muß, sei es "pure rhetoric", schreibt Samuelson (1990), durch die Sraffa ihn und eine Generation von Studenten überzeugt habe, daß ähnliches für die Schachtel mit den fallenden Erträgen gelte. Und um zu zeigen, wie sich Marshalls Schachtel mit den fallenden Erträgen füllen läßt, stellt er ein "impeccable Marshallian model" vor. In diesem wird (a) jedes von n Gütern von mobiler Arbeit und einem spezialisierten Land produziert, das spezifisch für dieses Gut ist, hat (b)jede Person eine Nachfragefunktion für jedes der n Güter, die von den Preisen für andere Güter unabhängig ist, ist (c) für jede Person das Grenzleid der Arbeit konstant. Dieses Beispiel widerspreche eindeutig Sraffas Konstanz der Kosten, erfülle alle Erfordernisse an ein Partialgleichgewicht und sei doch auch zugleich ein allgemeines Gleichgewicht - eine Übereinstimmung, die Marshall selbst nie ganz erreicht habe. Aber es läßt sich leicht zeigen, daß Samuelson hier offene Türen einrennt. Wie Eatwell, Garegnani und ich ihm je unabhängig erwidern konnten (BharadwajJSchefold 1990, S.280ff., S.284ff., S.311ff.), hat Sraffa genau diese Ausnahme zu seiner Kritik selbst beschrieben, und es ist eben die Enge dieses Spezialfalls, auf der seine Kritik an Marshall beruht. Denn, um Sraffas Einwand zu rekapitulieren: Wenn beispielsweise eine Ausdehnung des Getreideanbaus in Betracht gezogen wird, ohne daß das Land spezifisch für Getreide wäre, so daß auch andere Industrien dasselbe Land nutzen, so werden die Landrenten entweder nicht wesentlich von der Intensivierung des Anbaus in allen diesen Industrien verändert (dies ist der Fall konstanter Kosten - plausibel, wenn die anderen Industrien zahlreich sind) oder die Renten steigen. In diesem letzteren Fall wird die so verursachte Änderung der Einkommensverteilung die Nachfragekurven verschieben, und auch die Angebotskurven werden durch die Rentenerhöhung verändert (Sraffa 1925, S. 186192). Die Nachfrageerhöhung wird hier also - außer im Fall konstanter Kosten - die ceteris pari bus Klausel verletzen, die fordert, daß sich Angebots- und Nachfragekurve je unabhängig voneinander konstruieren lassen, d. h., daß auch in gewissem Abstand vom Gleichgewicht sich zu jeder gegebenen Menge separat ein Angebots- und ein Nachfragepreis angeben lassen. Im betrachteten Beispiel führt dagegen, außer im Fall konstanter Kosten, die betrachtete Produktionserhöhung entlang der Angebotskurve zu einer die Nachfragekurve und andere Angebotskurven verschiebenden Verteilungsänderung. Sraffa war sich bewußt, daß die Annahme steigender Kosten sich auf die Angebotskurve anwenden läßt, jedoch nur unter der selten erfüllten Bedingung, daß die Gesamtmenge des begrenzt vorhandenen Faktors in der Produktion einer einzelnen Ware verwendet wird. Dies bedeutet, daß im Fall des Vorhandenseins mehrerer verschiedener Landtypenjedem ein besonderes Gut zugeordnet sein muß, gerade wie bei Samuelson. 10 Festschrift Riese

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Bertram Schefold

So ist dessen halbherziger Versuch, nach über 60 Jahren Marshall gegen Sraffa in Schutz zu nehmen, gescheitert. Die Interdependenz der Märkte kann nur in einer Theorie des allgemeinen Gleichgewichts berücksichtigt werden. Sraffa, der die walrasianische Form der allgemeinen Gleichgewichtstheorie wegen der Subjektivität der Nachfragebestimmung und der logischen Probleme der neoklassischen Verteilungstheorie ablehnte, wandte sich im folgenden bekanntlich einer Rekonstruktion der klassischen Formulierung der Interdependenz zu. Wenn seine Gründe für diese Wahl unverändert ihre Relevanz behalten haben, werden wir als Dogmenhistoriker gut tun, uns auch weiterhin mit jener Epoche zu beschäftigen, die Samuelson mit seiner Schlagfertigkeit so drastisch ins Zwielicht stellte. Jedenfalls wurde das kapitaltheoretische Grundproblem nur modifiziert; verschwunden ist es nur, wenn man darüber hinwegsieht. Literaturverweise Bharadwaj. K., B. Schefold (Hrsg.): Essays on Piero SrafTa. Critical Perspectives on the Revival of Classical Theory, London 1990. Caspari. V.: Gleichgewicht und Kapitalzins: Eine Untersuchung über den Wandel des GleichgewichtsbegrifTs in der Kapital- und Gleichgewichtstheorie, Frankfurt a. M. 1991, mimeo. Fisher. 1.: Appreciation and Interest, Investigations ... , New York 1965.

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Marshali - Fisher - Samuelson und Sraffa -

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Production ofCommodities by Means ofCommodities (1960); übersetzt als ,Warenproduktion mittels Waren', mit Nachworten von B. Schefold, Frankfurt a.M. 1976.

10*

C. Hieks und Keynes

Crisis in Keynesian Economics from a Hicksian Perspective 1 By Jesper Jespersen, Roskilde

I. Hicks and Keynes - a Life-Iong Story For more than two generations of students the concept of "Keynesian macroeconomics" has been unbreakably linked to the "ISLM-diagram". It is hardly possible to find any textbook without that diagram. Hence, Hicks's name has been related to Keynesian Economics from the late 1930's onwards. The development in Hicks's interpretation ofKeynesian Economics is one long story ofthe possibilities but also the limitations ofthe ISLM-diagram. It has become the story of growing doubt concerning the usefulness of this conventional interpretation of what the macroeconomics of Keynes really is about. 1. It all began in 1935 Ever since the publication of the General Theory in 1936 Hicks has related hirnself to Keynesian Economics. Not in the sense that he uncritically surrendered. He rather took an independent, although positive, attitude towards the new deve10pment in macroeconomics. This is especially remarkable when it is taken into consideration that Hicks spend the first 10 years of his academic life teaching at the London School of Economics. Here, Lionel Robbins and Friedrich Hayek ruled the roost. They were very antagonistic towards any writings of Keynes. Even the Treatise on Money did get a harsh review by Hayek. It seems that Hicks liberated hirnself intellectually from the Austrian / Neoc1assical dominance through the 1920's. At least Keynes's response to Hicks's monetary writings in the middle ofthe 1930's revealed consent. We have a short note from Keynes in reaction to Hicks's "Suggestion for Simplifying the Theory ofMoney" from 1935: "That our minds seems to move more and more in the same direction" (Hicks, 1982b, p. 8). Keynes was at that time, of course, referring to the portfolio se1ection theory which Hicks initiated in that paper. He suggested that other variables than savings and investments determine the rate of interest. In all other fields than monetary theory Hicks still worked in the 1 This paper is based on my contribution to the International Round Table Conference in memory of Sir John Hicks sponsored by the Instituto di Studi Economici, Facoltli di Scienze Politiche, Universita di Perugia, 5-6 December 1989. I want to thank all the participants, and in particular professor K. Velupillai, for many valuable comments without committing anyone to the viewpoint expressed.

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Jesper Jespersen

middle ofthe 1930's within the traditional neoc1assical framework of potential full employment. Anyhow, Hicks was given the honour to review the General Theory for the Economic Journal by the editor (Keynes). AIthough Hicks at that time had physically moved to Cambridge, he was still intellectually much more related to Dennis Robertson than to Keynes 2 • That put hirn in an awkward position due to the increasing jalouxy between Keynes and Robertson. Looked upon in retrospect Hicks was not quite satisfied with his review of the General Theory, because he had to balance on a razor's edge - between Keynes and Robertson .. Contrary to that, he feIt hirnself - which is well documented by W. Young (1987) - much more satisfied with his ISLM-artic1e given as a paper to the Econometric Society in September 1936. In fact, this paper was an immense success which may have made Hicks more positively devoted to Keynesian Economics than he initially feIt hirnself inc1ined to. In some peculiar way Keynesian Economics has never since really been off the Hicksian agenda. 2. A never ending story

The theme of this paper is Keynesian Economics looked upon through the glasses of Hicks. There are at least three steps to be made. First, we have the original Hicksian interpretation, the "Review ofthe General Theory" published in Economic Journal, June 1936, then "Mr. Keynes and the Classics" (1937), and "the Classics again" (1957). Second, there is The Crisis in Keynesian Economics from 1974 based upon the Yrjö Jahnsson Lectures from 1973 - before the oilprice rise and the appearance ofmass unemployment. Third, one may say that Hicks's last book, A Market Theory 0/ Money (1989), without any exaggeration could as well have been given the title "Further Crisis in Keynesian Economics"3. I shall terminate the paper by contemplating how far Hicks has moved from the original rather neoc1assical interpretation towards a much more institutionalistic view-point. It is, of course, fallacious to relate Hicks to any particular school at all, but the emphasis within his reasoning did change quite dramatically. For instance, in his last book he is praising Kaldor's c1assic paper from 1939 "Speculation and Income Stability" (1989, p. 17).

2 This was partly due to age, Keynes being more than 20 years older (Robertson only 10 years), partly due to differences in character. On top ofthat, it was Pigou who initiated the invitation to Hicks for coming to Cambridge. 3 Coddington (1983) writes very correctly, that "Hicks reviewed Keynes's General Theory when it appeared and, in a way, he has gone on reviewing it throught his career" (p. 66). His last contribution to economic theory is no exception.

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11. Hicks's Reception of the "General Theory" 1. The first impression (1936)

As mentioned above Hicks was given the "honour" of reviewing the General Theory for the Economic Journal. That was a somewhat exposed position - to be handled with care. Hicks dwelled upon what he found positive and usefull and bypassed more critical points. Contrary to the major part of the Cambridge economists at that time, Hicks had a wide knowledge in the writings of Continental economists (inc1uding the Swedes4 ). That made it easier for him to put the General Theory into a wider perspective than many of Keynes's Cambridge colleagues. That may explain why Hicks could take the middle road. The new ideas were not that new outside Cambridge. Hence, Hicks quite easily detected that part of the "Keynesian" message, that market economies do not necessarily and automatically adjust to Juli employment equilibrium. "Mr. Keynes's theory about employment is a theory about Shifting Equilibrium vis-a-vis the static or stationary theories of general equilibrium, such as those of Ricardo, Böhm-Bawerk or Pareto" (1982a, p. 85). Therefore, Hicks makes the conc1usion: "But ifthere is no norm which we have understood, it is useless to discuss deviation from it. The changing, progressing, fluctuating economy has to be studied on its own, and cannot usefully be referred to the norm of a static state" (ibid.). Hicks points at Keynes's method oJ expectations as creating the theoretical backing for this important methodological development. "Short term expectations" related to the production decisions in consumer good industry determines short ron equilibrium. "Long ron expectations" together with the rate of interest determine the output in capital good industries (besides normal replacements) and by that the shift (movement) of equilibrium. Hicks gives full support to Keynes's conc1usion, that there is no automatie force within the market economy securing that "long term expectations" are in accordance with "full employment equilibrium". It might happen by chance, but it is not very likely for a number of reasons. Anyhow, the argument is, according to Keynes, that the rate of interest is not determined by equalising savings and investments, because "the rate of interest is conceived as money rate" (1982a, p. 91). In the General Theory the rate of interest is the price of a financial stock. That was one of the new and to the establishment perplexing postulates by Keynes. Having just written "the Simplifying" paper the idea of "liquidity preference" was not that strange to Hicks.

a

4 Hicks read German which was at that time the first foreign language for the Swedish economists. In addition, Hicks's wife Ursula Webb (they married in 1935) prepared an English translation of E. Lindahl's work; cf. Petersson (1989), p. 566.

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On the other hand he made an attempt to reconcile the stock approach (liquidity preference) and flow approach (loanable funds) to the theory of the rate ofinterest by an implicit reference to Walras's Law: "Ifwe allot to the rate of interest the equation for demand and supply ofmoney, the equation for loans becomes otiose, automatically following from the rest. 'Savings' and 'Investment' are therefore automatically equal" (1982a, p.92). It must have been peculiar (to say the least) to Keynes that Hicks made a reference to Hayek's Prices and Production of 1931 when claiming that Keynes's theory ofthe rate of interest was not in any substantial way different from the 'orthodoxy'. The differenee was only a matter ofwhether the 'speculative' or the 'income' motive were dominant in the demand for money. To me this shows how Hicks was tiptoeing on a knifeedge. The determination of the rate of interest is a theme which Hicks returns to again and again in his subsequent writings. The third part of the review is about economic fluctuations caused by 'the marginal efficienty of capital'. Within this section of the review the distinction between economic fluctuations related to short term movements around a given equilibrium and those (longer ron) related to shift ofthe equilibrium is unclear. In fact, Hicks blames Keynes for this lack of clarity: "It would seem very desirable indeed that the theory of long-period unemployment should have some independent support" (1982a, p. 97). Hicks concludes the review as follows: "It is the technique of Marshall, but it is applied to problems never tackled by Marshall and his contemporaries. In all this region they were content to take over the conclusions of the Ricardians, and never thoroughly tested these conclusions by means of their own technique. That testing has now been done, and the Ricardian conclusions found badly wanting" (1982a, p. 99). 2. The second impression (1937) Reading "Mr. Keynes and the Classics" is an extraordinary experience. Onee again we find Hicks in the role of intermediation. Hicks's aim is to demonstrate that both "schools" can be derived from an even more "general theory". Hicks finds Keynes's contributions important, but presented in an exaggerated language. His preferred model is a simultaneous one where the different conclusions merely are a matter ofthe size of specific parameters. Put 'income' and 'the rate of interest' into all equations, then Hicks can reduce the disagreement to a discussion about the magnitude of the coefficients! One school contrary to the other is a matter of approximating one coefficient or the other to zero. By this interpretation it becomes more clear that Hicks basicly can be referred to the "nothing new" interpretation of the General Theory 5. S In the preface to the "General Theory" Keynes rather prophetical said that his fellow economists would divide into two opinions. One expressing the view that nothing new was to be found in the book, the other expressing that the book was "quite wrong" (1936, p. v).

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Within his famous SILL-diagram (which later became the ISLM-diagram) Hicks presents the classical theory and adds the assumption of a given money wage. This would, of course, within a market clearing model create unemployment, which was an established part ofthe (neo )classical theory. The reasons for this assumption is not discussed in the paper. To Hicks the main difference between Mr. Keynes and the "classics" is to be found in the consumption (savings) function and in the demand for money. Here the "classics" are, according to Hicks, the most extreme, because they claim that savings are only dependent on the rate of interest, and the demand for money only on income. Keynes has no difficulties of specifying the demand of money as a function of income (for transaction purposes) andthe rate ofinterest. He would probably be somewhat more hesitant towards savings being related directly to the rate of interest; but why be stubborn? If the propensity to consume out of income is related to wealth (the Keynes effect), then one should not object to see the rate of interest as one (perhaps minor) argument in the savings function. If only the "classics" could be a bit co-operative and accept the rate of interest as an argument for the demand for money, then Hicks is able to reconcile the two combatting schools in one diagram. The ISLM-diagram became a seductive device showing in a persuasive way that unemployment could be an equilibrium position - without any automatie forces pushing the economy towards fuH employment. For that sake Keynes found the diagram useful, and Hicks had once again demonstrated his pedagogical abilities by offering a simultaneous determination of income and rate of interest: the "SILL" -diagram.

3. The third impression (1957) "Everything can be demonstrated in the ISLM-diagram". That is still the message in 1957, when Hicks made a review of Patinkin's monumental work Money, Interest and Prices. Anyhow, he had to admit that employing the assumption of 'a given money wage-rate' left something unexplained. This uneasiness also creeps into the discussion of the determination of the rate of interest: "But he (Keynes) is maintaining that the LL curve becomes horizontal (over certain ranges) not because the banking system is choosing to make it horizontal, but because it is unable to act in any other way. It is not merely that the interest-mechanism may be prevented from operating; there are also circumstances in which it cannot be made to work" (Hicks, 1967, p. 153). Here, however, Hicks stops short of any further discussion of what might then in addition determine the rate ofinterest! Hicks is still in the late 1950's an expressed conciliator: "It is true that when the two theories are properly understood, and fuHy worked out, they largely overlap" (1967, p. 154 - my italics).6

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4. Conc/uding the reception

0/ the "General Theory"

To me it seems without doubt that Hicks grasped the main flavour ofKeynes's 'message' of the General Theory: that the market economy does not possess an inherent ability of generating full employment (equilibrium). On the other hand he was not able in a really convincing way to express Keynes's arguments. Hicks was caught by his own success - the ISLM-diagram. It gives, which is wellknown, an apparent visual (and arithmetric if one prefers) argument for the Keynesian conclusion. But going behind the model one can only (in a closed economy) pinpoint at the assumption of 'rigid wages' to explain why the economy get stuck in a position of underemployment. In some way the more refined arguments from the "Review" of 1936 have gone lost in the ISLM-diagram. Especially the dynamic features ofthe persistent underemployment equilibria have to be surpressed in such a simplistic exposition 7 • ill. "Tbe Crisis in Keynesian Economics" (1974)

The General Theory was a product of the specific historical situation in the interwar period with high unemployment and low inflation. In the postwar period it became more and more evident, that the quantitative response to changes in real demand became less predictable. Although unemployment rates in Western Europe were still below 3% of the labour force, the term "stagflation" became increasingly frequent in the economic debate. That was partly due to a slowdown in growth rates and partly to higher wage and price inflation. A development that had been under its way since the late 1960's in the wake of the 1968-uproar and the intensified Vietnam War. Hicks gives three arguments (chapters) in his book from 1974 why the theory of quantitative adjusting markets for real goods has to be modified. All three chapters have one common denominator: the impact of a diminishing degree of confidence, an increased degree ofuncertainty concerning stability and properly functioning markets as an important part of the explanation of the changed performance of the Western market economies. 1. The multiplier and "rigid wages" First he analyses the quantitative magnitude of the multiplier which had decreased through time partly due to a changed inventory adjustment process6 Perhaps I ought to finish the sentence: "But they do not overlap all the way, and when they faH to do so, Keynes's theory has the wider coverage"; cf. also Hieks (1980). 7 On the other hand one should never forget, that the ISLM-diagram was and still is a wonderfull c1assroom device. It gives the unie possibility of demonstrating how two endogenous maeroeconomic variables are simultanously determined.

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Hicks goes in fact back to the arguments of his book on the Trade Cycle from 1950. When quantitative signals become (more) noisy and equivocal, finns adjust their inventories instead of output and take a wait-and-see position. This attitude was re-enforced by the development in the labour market. Lack of confidence made finns more responsive to general wage claims. In an inflationary environment all finns expect increased labour cost which then more easily can be passed on to the customers, but it also makes the finns more vulnerable to unforeseeable events and hence support the defensive attitude. One may claim that apart of the original Keynesian theory was an argument for not reducing wage costs in the 1930's. That rnight lead to an uncontrolled process of deflation. In a perfectly competitive labour and goods market any general reduced wage costs would imply falling good prices. All finns are expected by each other to react sirnilarly. Hence, a general wage cut/ rise may start the deflationary / inflationary process, because there is no incentive for the single (smalI) finn to resist it as long as the competitors are expected to have an equal change in wage costs. Therefore, when finns and trade unions lost confidence in wage-price stability in the late 1960's the road was cleared for an 'inverse Keynes process' of uncontrolled inflations. 2. The rate

0/ interest

In 1974 Hicks could look back on more than twenty years where Keynesian econornic policy had been identified by fiscal policy - because 'money did not matter' in Keynesian Econornics 9 • How could Keynes have written a book called The General Theory 0/ Employment, In te res t and Mon e y , if money did not matter? Anyhow, the actual development in England with rates of interest in the twofold digit zone and still rising could not avoid directing the attention towards monetary matters. The second crisis in Keynesian econornics is the lack of convincing explanation of the development in the rate 0/ interest within the traditional theoretical framework. Inflation and the ISLM-diagram do not go well together. Hicks takes up the concept of "liquidity" in relation to the variety of assets within the financial sector. He repeats from the "Review" that the convential presentation with just two assets - one liquid (money) and one illiquid (bonds) - is much too narrow for a satisfactory description of a modem financial sector. From a market point of view bonds are absolutely not illiquid.

8 Hicks is referring to Keynes's letters to the Times in late 1936 where "he was expressing apprehension about the economy becoming over-heated, when there was still 10 per cent unemployment (among the insured workers)"; Hicks, 1982a, p. 84. The crucial point seems to be whether price changes up- or downwards is spilling over to wages or not. 9 Hicks points to Axel Leijonhufvuds book "On Keynesian Economics and the Economics of Keynes" (1968) as an outstanding exception from this general trend.

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In the (bastard) Keynesian context the rate of interest is the relative price between money and bonds. Both are financial assets. Rence, increasing inflation should not form an integral part of the rate of interest. Something is missing. One may, of course, claim that the real stock of money is falling pari passu the rising prices and hence driving up the rate of interest. Ricks mentions another complication, that in a modem financial sector one has to separate between the auto- and overdraft facilities. Within an overdraft economy there can be no such thing as a fixed nominal stock of money. Even within a closed society the nominal stock of money has become an endogenous variable. This development gives a much more prominent role to the working ofbanks within the analysis of the rate of interest lO • 3. The dimension of time

Ricks writes about "liquidity" all through his academic life. Re attributes the concept to Keynes's Treatise on Money (1930, Vol. 11, p.67). In addition, liquidity has more than just the quality of immediate purchasing power. One should also add the degree of certainty of which the information of possible yields is kept. Ricks introduces time as a third dimension. The longer one keeps ones wealth in a liquid form the more information he can gather and by that a specific asset becomes more liquid 11. The concept of liquidity is broadened out in an attempt to capture the working conditions of the financial sector. Ricks does not get far into this area at this time. Re only hints that something has to be worked at to get a more acceptable explanation of how the rate of interest is determined under inflation. In some way one can say that Ricks realizes that the portfolio selection theory, much praised in Critical Essays (1967), has not come out as usefull as originally thought because changes in the state of uncertainty and information gathering through time is difficult (not to say impossible) to handle within that approach 12.

10 Without referring to the Post-Keynesian economic theory, Hicks is moving elose to the analysis ofthe "finance motive" and the supply ofmoney from private banks which is inspired from Keynes's 1937 artiele ("The Ex-ante Theory of the Rate ofInterest") and much referred to by, e.g., P. Davidson. 11 This is probably only correct from a micro point ofview. At the macro level financial assets do not become more safe just because time elapses: New events and possibilities substitutes old ones in a continuous row. 12 "We must evidently refrain from supposing that the expectations ... were precise expectations, single-valued expectations; for in a model with single-valued expectations, there can be no question of liquidity. And we must also refrain from the conventional representation ofuncertain expectations in terms ofmeans and variance, since that makes them different in kind form the experiences which are to replace them" (Hicks, 1979, p.85). "A definition of equilibrium over time: that implies consistency between expectations and realisations within the period. It is only expectations ofthe further future thatare arbitrary (exogenous) as they must be" (Hicks, 1965, pp. 92f.). "There is no sense in liquidity, unless expectations are uncertain" (Hicks, 1982a, p. 330).

Crisis in Keynesian Econornics frorn a Hicksian Perspective

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One may summarize The Crisis in Keynesian Economics the following way: "I must say that the old ISLM-diagram is now much less popular with me than I think it still is with many other people. It reduces the General Theory to equilibrium economics (my italics); it is not really in time" (Hicks, 1974, pp. 289f.). It is the "traverse" which is becorning increasingly important: the movement from one short run equilibrium to another or the interdependence of the real . sector (lS-curve) and the financial sector (LM -curve) - the interelation of flows (equilibrium) and stocks (equilibrium). That requires a social accounting system and a firm understanding of how the sectors are functioning - the marketstructure 13 • Hicks seems to realize that especially the functioning ofthe financial sector is of crucial importance: "I sometimes feellooking back, that it ought to have been my duty, after writing 'Simplifying' [published in 1935], to have abandoned all other interests, and to have devoted myself entirely to pushing forward along the road on which I had taken first steps" (1982b, p. 9).

IV. Tbe Crisis in "Keynesian Economics" (1989) The persistent stagnation in the real sector and the erratic development of the financial sector through the 1980's made Hicks (re)rethink once again "The Econornic of Keynes". There were, to say the least, still a number of macroeconomic puzzles to be discussed. The outcome of this rethinking we find in his last book A Market Theory 0/ Money from 1989 (my emphasis).

The analysis 0/ the transaction structure is underdeveloped in the conventional (Keynesian) macroeconomics. Hicks emphasizes more than previously that it is the "pattern of reaction" of each single market, not of individuals, that adds up to the macroeconomic development - a true Marshallian approach. Hence, the division of the book in the following three parts becomes obvious: "The Working of Markets" (I), "Money and Finance" (11) and "Problems and Politics" (111). Part land 11 go together in their analysis ofthe market structure within the real sector (part I) and the financial sector (part 11). This forms the theoretical background for part 111, which is the least developed part of the book. At a well-organized market there is one ruling price for the ordinary customer. When you, at a certain point in time, know one price you know all prices. That facilitates trading and reduces seaching costs. But some markets are organized as jlex-price, others as jix-price markets 14 . Hicks argues that, among other I will corne back on this issue in a paper on Hicks's rnethod. In a flex-price rnarket (with perfect cornpetition) the ordinary custorner thinks that he can buy or seil as rnuch as he likes at the quoted rnarket price. The rnarket-rnakers organize the dealing and they know that they have to rnake the price adjustrnents to secure a proper functioning of the rnarket. In a fix-price rnarket it is usually the seiler (producer) that sets the price. He knows that the 13

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things, it is the relation between stocks and flows (i.e., the elasticity ofthe supply curve) which determines the "optimal degree of price flexibility". The more stocks dominate (e.g. corn) the smaller the supply elasticity and the more flexible the price has to be to equilibrate demand and supply. In practice, the degree of flexibility will, of course, be influenced by a number of additional factors: uncertainly, institutions, financing, etc. 1S • The first two parts of the book are about the importance of the market structure of production and of the financial sector for the macroeconomic analysis. It may, in fact, be "rational" that markets are organized quite differently. 1. Marke ts for real goods and services

Markets for real goods and services are increasingly becoming ofthe fix-price type, because (i) many manufactured goods and services are less standardized than 'corn' , (ii) there are fewer producers and (iii) flows are continuously larger than stocks (especially in the consumption goods industries). These three differences give support to the institutional arrangement of much more administratively fixed prices in the manufacturing industries 16. It is the manufacturer who sets the price with due respect to what potential competitors are expected to do. On these markets for manufactured goods, where prices are (partly) fixed, there will be (short run) quantitative changes in inventories and in employment. To make the econol;ily work smoothly, these changes have to be financed, which requires flexible :credit facilities l7 • Before moving into the discussion of the financial sector Hicks offers some observations on the wage-setting. If anything, the labour market is domina ted by flows calling, according to his analysis, for administratively fixed prices. Labour is a perishable good - gone by the day. market is not a perfect competitive one, and that he has to decide upon the best combination of price and expected demand, as well as to keep the necessary inventory to make the market function. 15 In fact Hicks does not discuss "the optimal degree of price flexibility" as a functional relationship to the elasticity of supply. If so he would also had reflected upon the consequences of the elasticity of demand. I have not yet gone through the analysis, but my intuition tells me that the less e1asticity of demand the less flexible the price ought to be to make the market function in an "optimal" way. When both supply and demand elasticities are smalI, what is then optimal? The "conventional" argument is that speculation should be expected to make the demand elasticity of a reasonable size and hence iron out some of the price fluctuations in a flex-price market. 16 This made Bob Clower conc1ude in Perugia that today approximate 98% ofthe real goods markets are of the fix-price type! 17 I really think it is a disadvantage that the structure of the book is separated into part I: real markets and part 11: financial markets. That causes the risk of giving the impression of some kind of separability, which, of course, is a profound mistake.

Crisis in Keynesian Economics from a Hicksian Perspective

161

2. The financial markets

Hicks applies the same analysis to the financial sector. In those markets where flows are of a considerable size compared to stocks there is a case for fix-prices. Banks do facilitate the payments (and short term credit) related to real sector activities. Bank rates related to these activities are in fact relatively sticky. The central bank is the market leader ofthe rather oligopolisticly organized market. It is signalling changes ofthe prime rate ofprivate banks through changes in the discount rate (or treasury bill rate). Contrary to the bank market, stocks dominate the trading in the markets for bonds and shares. Hence, these markets are organized as true flex-price markets. The daily turnover may exceed manyfold the transaction volume in the real sector which is due to portfolio reshuffiing or pure speculation. Hicks is discussing to some extent whether this flex-price organization of capital marketsare 'efficient' from a social point of view. On the one hand it makes financial investments liquid for individuals, at a price of making the long term rate of interest (and share prices) rather unstable and unpredictable. In these liquid markets with fluid agents it is expectations about the price 'tomorrow' which increasingly determines the price today. Henre the questions ought to be: What determines the expectations? Is there a 'sheet-anchor' in the price formation at all? Is the rate of interest after all hanging by its bootstrap?18 Hicks has, of course, a lot more to say about monetary policy. What is new and challenging is the discussion of how the financial system - even the international financial system - is functioning and even more important how it ought to function to be macroeconomically efficient. That leads among other things to a very stimulating discussion of the British membership of the EMS and the EMU. Unfortunately, he does not give any conclusive answer.

V. Concluding Remarks There are of course many unsettled problems within the discussion of "Keynesian Economics". Hicks had made a life long review ofthese questions. When he made his final comments on this topic, he highlighted more than anything the importance of the transaction structure of the economy. That he did for two reasons. Firstly, because he feIt that Keynes himselfhad underestimated the significance of this phenomenon in understanding the market economy. Secondly, because many recent macroeconomists seem to neglect this 18 I have difficulties in seeing how Coddington (1983) can find Hicks's original "bootstrap critique" from Value and Capital (1939, p. 164) convincing. "Hicks being hard on Keynes" sounds as an exaggeration unless you stay stricdy on neoc1assical terms. Hicks seems to be increasingly in doubt. These questions are more thoroughly discussed in my "The Development in Hicks's Monetary Thinking".

11 Festschrift Riese

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aspect entirely. Without understanding the functioning of the financial markets one is not able to give an adequate theory of how modem economies function. That leaves a key position to financial institutions, not necessarily banks, but any institution which can extend credit by descretion. The role of overdraft facilities and credit rationing is underdeveloped in macroeconomics. On the other hand that seems to me to leave Hicks's discussion ofthe theory of the rate ofinterest in a mess. That all the way, from the very first review ofthe General Theory to his latest book, his aim within this area has been to reconcile Keynes and the "c1assics" (in casu Robertson), which to the best of my mind has left his theory not only bootstrapped but leading into a cul-de-sac. Anyhow, in his last book Hicks seems to be c10ser to a surrender to Keynes than any time before. "Thus the only equilibrium which survives in his [Keynes's] theory is a short-term equilibrium, with no sheet-anchor to hold it" (1989, p. 1), and further: " ... even if we abstain from thinking in terms of longrun equilibrium" (1989, p. 3). To Hicks the main analytical questions were all way through related to dynamic phenomena rather than static ones. He developed not only adynamie method for understanding economic processes. It was always the "traverse" which had his main interest. Especially his way of thinking became a true dynamic process which seems in the end to have brought him more and more in accordance with the Economics of Keynes.

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11*

Hieks' neo-wieksellianischer Ansatz in der Geldtheorie * Von Harald Hagemann, Stuttgart-Hohenheim "One is driven back, in the end .... from Keynes to Wicksell." (Hicks 1982c, S. 237)

I.

Bekanntermaßen hat Hicks seit Mitte der dreißiger Jahre immer wieder die Keynes'sche Allgemeine Theorie "besprochen", mit der ausdrücklichen Intention, sie vor dem Hintergrund der modemen Theorieentwicklung einer erneuten 'Betrachtung zu unterziehen. Hierin tritt eine Ambivalenz gegenüber der Keynes'schen Theorie zutage. Auf der einen Seite stehen Hinweise auf Unvollkommenheiten, kritische Kommentierungen bis hin zur Konstatierung einer "Krise" in der keynesianischen Ökonomik (vgl. Hicks 1974), andererseits sind seine "Rezensionen" Ausdruck der tiefen Wertschätzung, die Hicks über mehr als fünfzig Jahre hinweg dem Keynes'schen Werk entgegengebracht hat. Die Offenheit von Hieks, sein ständiges kritisches Überdenken eigener Positionen, wird insbesondere auch durch die Debatte verdeutlicht, die Hicks zu Beginn der achtziger Jahre durch die modifizierende Interpretation seines eigenen ISLM-Modells ausgelöst hat. 1 Neben der Keynes'schen Theorie ist es vor allem die Geldtheorie, die Hicks zu einer ständigen Überprüfung der eigenen Position veranlaßt hat, wobei naturgemäß zwischen beiden Bereichen eine enge Verbindung besteht.:Z Weniger bekannt ist, daß Hicks bereits vor Erscheinen der Allgemeinen Theorie einen bedeutenden geld theoretischen Aufsatz ("A Suggestion for Simplifying the Theory of Money") vorgelegt hat, der wichtige Elemente der modemen makro ökonomischen Portfoliotheorie ä la Tobin vorwegnimmt. Wie Keynes befaßte sich Hicks mit kurzfristigen Veränderungen in der Geldnachfragefunktion und daraus resultierenden Instabilitäten. Im Gegensatz zu Keynes berücksichtigte Hicks gleichermaßen die Unsicherheit bezüglich künftiger, Transak• Für anregende Diskussionen danke ich Hans-Michael Trautwein. Vgl. "IS-LM - an Explanation" (Hicks 1982b, S. 318-331) sowie die sich anschließende Debatte im Journal of Post Keynesian Economics 1982. 2 ,,1 believe that the monetary side of Keynes's teaching deserves much attention" (Hicks 1974, S. 33). 1

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tionserfordernisse; vor allem aber wandte er die Marginalanalyse auf die monetäre Theorie an. Hicks war als Ökonom an der London School of Economics, an der er zwischen 1926 und 1935 tätig war, sozialisiert worden, bevor er nach Cambridge ging und sich mit den Keynes'schen Problemstellungen auseinandersetzte. 3 Diese Zeit war durch ein überwiegend autodidaktisches Studium der in fremden Sprachen abgefaßten Werke von Walras, Pareto und den Vertretern der Stockholmer Schule geprägt. Hayeks berühmte Vorlesungsserie Preise und Produktion (1931) gab den entscheidenden Anstoß zur Auseinandersetzung mit der Wicksellschen Geldtheorie und der österreichischen Kapitaltheorie Böhm-Bawerks. Es ist aber vor allem der "ältere Hicks", der sich nicht nur ausdrücklich von Vereinnahmungsversuchen im Rahmen der neoklassischen Synthese distanziert hat, deren Vertreter sich sicher nicht zu Unrecht auf die Arbeiten des ,jüngeren Hicks" aus den dreißiger Jahren berufen, sondern der in einer Vielzahl von Arbeiten zugleich betont, daß eine fruchtbare modeme Geldtheorie nicht auf (neo-)walrasianischen Fundamenten errichtet werden könne. Vielmehr stellt sich Hicks, dessen Arbeiten zur Geldtheorie in seinem letzten Werk A Market Theory 0/ Money (1989) kulminieren4, zunehmend in die Tradition einer geldtheoretischen Analyse, die seit den dreißiger Jahren ausgestorben zu sein schien. Die theoretische Reflexion moderner institutioneller Entwicklungen auf den Geld- und Finanzmärkten, wie der "overdraft economy", führt Hicks zur Begründung eines neo-wicksellianischen Ansatzes, in dem der Zinssatz und dessen Kontrolle eine zentrale Rolle spielt. Wie stets erfolgt bei Hicks eine eingehende kritische Auseinandersetzung mit den Werken von Keynes, von dem Hicks die Treatise zunehmend mehr schätzte als die General Theory. Im Gegensatz zu Keynes rückt dabei die Struktur der Zinssätze stärker in den Brennpunkt. Für ein besseres Verständnis der Entwicklung der Hicks'schen geldtheoretischen Ideen ist eine kurze Erörterung seiner methodologischen Position erforderlich. Unter modemen Ökonomen war es insbesondere Hicks, der immer wieder die Beziehung zwischen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte als eine von fundamentaler methodologischer Bedeutung hervorgehoben hat. So diskutiert er z. B. in A Theory 0/ Economic History eine Sequenz ökonomischer Stadien der Gesellschaft und analysiert die Gründe dafür, warum eine 3 Vgl. Hicks (1982a, S. 3-10) und Hicks (1991). "Value and Capital isin essencean LSE book, not at all a Cambridge book" (Hicks 1991, S. 371). 4 Es ist hier weder der Ort noch der Raum, um einen umfassenden entwicklungsgeschichtlichen Abriß der Hicks'schen geldtheoretischen Arbeiten zu leisten. Entscheidende Stufen stellen seine Präsidentschaftsadresse über "Liquidität" an die Royal Economic Society (Hicks 1962) sowie die Werke aus den Jahren 1967, 1974, 1977 und 1982 dar. Für eine kritische, z. T. kontroverse Diskussion der Hicks'schen Position vgl. u. a. Chick (1991), Chiodi (1991, Kap. 7), Ford (1991), Hamouda (1985), Leijonhufvud (1981, S. 203-226) und Smithin (1989).

Hicks' neo-wicksellianischer Ansatz in der Geldtheorie

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bestimmte Stufe durch eine andere abgelöst wird. 5 Dieser Ansatz ist für die Geldtheorie von besonderer Bedeutung, denn er hat zur Konsequenz, daß die Grundzüge des der geldtheoretischen Analyse zugrundegelegten Modells an entscheidende Veränderungen der institutionellen Rahmenbedingungen auf modemen Geld- und Finanzmärkten anzupassen sind. Dies betreffe gerade auch die geldtheoretische Analyse von Keynes, dessen Ausdruck der Liquiditätspräferenz als einer einfachen Wahl zwischen Geld und Wertpapieren für die Wirtschaft der dreißiger Jahre adäquat gewesen sei, mit dem seit den fünfziger Jahren deutlich gestiegenen Niveau gerade auch der kurzfristigen Zinssätze jedoch nicht mehr zutreffe. 6 Obwohl Hicks nicht anders als Keynes das Konzept der Liquiditätspräferenz als bedeutsam erachtet1, ist er zugleich der Ansicht, daß es sich nicht als einfache Nachfrage nach Geld im engeren Sinne formulieren läßt. Vielmehr drücke sich darin die Portfoliostruktur einer breiten Vielfalt finanzieller Aktiva aus, die nach dem Grade der Konvertibilität in das definitive Zahlungsmittel der Ökonomie klassifiziert werden könnten. Darüber hinaus habe sich das modeme Finanzsystem in eine komplexe Form der Wicksellschen Kreditwirtschaft entwickelt, in der der Zinssatz das einzige Instrument der Geldpolitik sei und die Liquiditätspräferenz finanzieller Intermediäre Prämien hervorrufe, die den Zinssatz der geldpolitischen Instanzen von denjenigen Zinssätzen trenne, die die Ausgabenentscheidungen der Schuldner unmittelbar beeinflussen. Die Existenz dieser Prämien, die zudem variabel und schwer zu prognostizieren seien, gefährde die Effizienz des intertemporalen Allokationsmechanismus und mache die Geldpolitik unzuverlässig und schwer zu implementieren. 5 Hicks grenzt sich zugleich von Marx und der Historischen Schule als weniger deterministisch und evolutorisch ab (vgl. Hicks 1969, S. 6). Für eine eingehende Diskussion der Hicks'schen methodologischen Position vgl. Scazzieri (1993), der zugleich hervorhebt, daß "the whole of Hicks's contribution could be considered as providing the building blocks of a theory of economic his tory , in which a selective utilization of economic models allows for the analytical reconstruction of historically relevant practices under institutionally specific set-ups". 6 "From 1933-8 themarket rate ofdiscountinLondon was very sticky, and verylow, at approximately two-thirds of one per cent. So short rates of interest were nearly negligible. It mattered little whether one interpreted money narrowly, as cash that does not bear interest, or widely, to incJude ,shorts'. What did matter was the gap between this negligible yield ... and the rate on long government bonds ... Keynes was much concerned that this gap should not widen; so it is this gap which figures in his theory as the rate of interest. Hut all that is very past history ... When short rates of interest are in the range of 10 - 20 per cent, as we have learned them to be, no prudent operator will hold his reserve in the form of cash, if he can find any way of avoiding doing so" (Hicks 1982, S. 263). "At modern rates of interest, to hold barren money even as a running asset has become costly; so it must be expected that means for economizing in it will be looked for and will be found - as surely they have! We are on the way to a credit economy, in which any money that does not bear interest has become no more than small change, or petty cash" (Hicks 1989, S. 103 f.). 7 ,,[W]e need something more than a portfolio selection theory; we need a theory of liquidity" (Hicks 1974, S. 37).

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11. Zu den von Keynes unterschiedenen drei Motiven der Geldhaltung (Transaktionsmotiv, Vorsichtsmotiv und Spekulationsmotiv) fügt Hicks ein viertes hinzu: das Investitionsmotiv. Die Einführung des Investitionsmotives ist die unmittelbare Folge des deutlichen Anstiegs der kurzfristigen Zinssätze in den vergangenen Jahrzehnten, der zur Entwicklung neuer Finanzpraktiken geführt habe, die wiederum eine erneute Betrachtung der Liquiditätspräferenz erforderlich machen. Die hohen Zinssätze haben Firmen (wie privaten Haushalten), die potentiell hohen Finanzierungskosten gewahr werden lassen und angesichts der unsicheren Zukunft zur Schaffung von Liquiditätsreserven geführt, auch wenn dies gegenüber weniger liquidenAIilageformen mit einem finanziellen Verlust verbunden ist. Andererseits haben sie zugleich bewirkt, daß es ökonomisch immer weniger rational ist, Geld zu halten, das keine Zinsen trägt. 8 Die Folge ist, daß wir uns am Rande einer kassenlosen Gesellschaft befinden, in der Geld im wesentlichen nur noch die Rolle eines Rechenmaßstabes spiele, da Kontrakte eines gemeinsamen Nenners bedürften. Schecks und Kreditkarten übernehmen immer mehr die Funktion des Zahlungsmittels. Ein wichtiges Charakteristikum dieser Entwicklung ist die zunehmende Praxis von Firmen (z. T. auch von Haushalten), Überziehungsmöglichkeiten (overdraft facilities) bei Banken und Finanzintermediären zu haben, die als Zahlungsmittel genutzt werden können. Diese Überziehungsmöglichkeiten ersetzen zunehmend die running und reserve assets privater Wirtschaftssubjekte. 9 Allerdings setzt dieser Wandel voraus, daß wettbewerbsfähige Zinssätze auf die finanziellen Aktiva gezahlt werden, die als Depositen gehalten werden, da auch umgekehrt gilt: "Interest is saved on the part of the overdraft that is not used" (Hicks 1982c, S. 265). Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, die private Wirtschaftssubjekte von der Notwendigkeit entlastet, Geld für Transaktions- und Vorsichtszwecke zu halten, gewinnt der erwartete Ertrag finanzieller Anlagen gegenüber dem Liquiditätsaspekt an Gewicht. Aus individueller Sicht ist das Halten spezifischer finanzieller Aktiva eine kurzfristige Investition. Die Folge davon ist eine zunehmende "Fluidität" (statt "Solidität") von Finanzanlageinvestitionen und eine daraus resultierende Fragilität der Finanzmärkte. Diese wird dadurch verstärkt, daß das Overdraft-System die Finanzierung einer spekulativen Hausse-Position wesentlich erleichtert und die Einnahme einer Baisse-Spekulation weniger kostspielig gemacht habe. 10 8 "Any rational operator will get out ofholding cash, as areserve, as completely as he can. A gulfhas opened between that circulating money and the most liquid ofhis reserves" (Hicks 1989, S. 103). 9 "If the firm knows that it can get funds when it needs them, it need keep no liquid assets as reserves" (Hieks 1974, S. 50). 10 Die Entwicklung innerhalb des Finanzsektors hat zu einer weiteren Schwierigkeit für die Keynes'sche Liquiditätspräferenztheorie geführt, nämlich die Problematik der Integration eines endogenen Geldangebots. Dieser Aspekt wird jedoch nicht von Hieks,

Hicks' neo-wicksellianischer Ansatz in der Geldtheorie

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Wie Keynes geht Hicks von einer Nicht-Neutralität des Geldes .sowie der inhärenten Instabilität einer Geldwirtschaft aus, die Kontrollen erforderlich machen. l l Allerdings plädiert Hicks nicht für einen diskretionären geldpolitischen Interventionismus, sondern für ein entwickeltes System von "checks and balances". Zum besseren Verständnis möchte ich kurz das von Hicks entwickelte monozentrische Modell einer Kreditwirtschaft darstellen. 12 Hicks erweitert das Modell von Wicksell um Finanzintermediäre, welche "make use of specialized knowledge about the prospects of particular kinds of real investment, so that it can make advances to firms, or investments in the securities of firms, which the bank would not know were sound investments" (Hicks 1989, S.108). Mit anderen Worten: die spezifische Funktion der Finanzintermediäre besteht in ihrem Beitrag zur Lösung des Informationsproblems. Das Zentrum oder die Bank benötigt die Assistenz besonderer Finanzinstitutionen (die Hicks auch als "listening points" bezeichnet), um Informationen über spezifische Investitionsprojekte und die daraus resultierenden Liquiditätserfordernisse zu sammeln. 13 Das Sammeln der entsprechenden Informationen ist zeit- und kostenaufwendig, so daß sich Firmen auf diese Aufgabe spezialisiert und dadurch eine größere EffIzienz entwickelt haben. Innerhalb eines Landes besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der geldpolitischen Zentralinstanz, den Finanzintermediären und dem "Rest" der Ökonomie. Es ist gerade dieses Spannungsverhältnis, daß das Geld- und Finanzsystem ausbalanciert. Dabei nehmen die Finanzintermediäre eine Schlüsselstellung ein, indem sie direkt auf die Liquiditätserfordernisse der Firmen (und Haushalte) reagieren und zugleich die geldpolitische Zentralinstanz bewegen, im Einklang mit dieser Nachfrage zu bleiben. Eine enge Kooperation zwischen den sondern z. B. von Chick (1991, S. 313) betont: ,,[T]here is a difficulty with Keynes's theory, namely that changes in the stock ofbonds, or indeed ofmoney, are not weil accounted for except where the change takes place by means of open market operations, thus leaving the overall total of bonds and money unchanged. It has been recognized for some time that liquidity preference theory does not give clear results when stocks of money and bonds change markedly." 11 "Control must have power ifit is to be efTective. Whatever we think about monopoly and competition, in the rest of the economic system, there are good reasons, in this monetary sphere, for not being afraid of some concentration" (Hicks 1982c, S. 273). 1Z Darüber hinaus entwickelt er ein polyzentrisches Modell der internationalen Wirtschaft, in dessen Rahmen u. a. die zum Zeitpunkt seines Todes im Mai 1989 noch nicht entschiedene Frage eines britischen Beitritts zum Europäischen Währungssystem diskutiertwird. Der Kern der (indirekten) Antwort von Hicks basiert auf seiner Analyse der Rolle der Zentralbank sowie der Disziplin- und Vertrauenserforderrusse der Währung des zentralen Landes. Vgl. hierzu genauer Hicks (1989, Kap. 14) sowie Hagemann und Hamouda (1991). 13 Dieser Aspekt hat Hicks (1969, S.78ff.) zufolge ebenfalls eine entscheidende historische Rolle beim Aufkommen des Bankensystems und der Entwicklung des modernen Kreditwesens gespielt. Verbesserte Informationen sowie eine bessere Risikoverteilung aufgrund des "Gesetzes der großen Zahl" haben den Kapitalmarkt beträchtlich erweitert.

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spezialisierten Finanzintermediären und der Zentralbank kann angesichts exogener Schocks zu relativer Stabilität wirtschaftlicher Aktivitäten führen. Die Errichtung gut funktionierender Geldmärkte mit der Zentralbank als aktivem Teilnehmer und lender of last resort hat die kurzfristigen Liquiditätsrisiken der einzelnen Banken beträchtlich reduziert. In seinem Modell geht Hicks nun von einem vollintegrierten Bankensystem aus, in dem die Bank sowohl die Zentralbank als auch die Geschäftsbanken einschließt. Das von dieser Bank bereitgestellte Kreditgeld ist das einzige in der Ökonomie existierende Geld. Ersparnisse können nur in Form von Depositen bei dieser Bank gehalten werden. Im Gegensatz zum Wicksellschen Modell müssen nun verschiedene Geldzinssätze unterschieden werden. Insgesamt muß die folgende Konstellation gelten (vgl. Hicks 1989, S. 110): Darin bezeichnen

'0 '1 '2

R

den Zinssatz, den die Sparer auf ihre Einlagen erhalten; den Zinssatz, den die Bank für ihre Darlehen verlangt; den Zinssatz, den die Finanzintermediäre für ihre Kredite erhalten und die von den Firmen erwartete Ertragsrate auf ihre marginalen Investitionen.

Hicks zufolge übersteigt der Zinssatz r1 den Zinssatz ro um die administrativen Kosten der Bank, während der Zinssatz r2 den Zinssatz r1 übertreffen muß, um sowohl die administrativen Kosten der Finanzintermediäre abzudecken als auch eine Liquiditätsprämie zu ermöglichen. R ist größer als r2 aufgrund einer weiteren "Liquiditätsprämie" . Wie im Wicksellschen System (in dem keine Finanzintermediäre existieren) befindet sich für Hicks die Ökonomie im Gleichgewicht, wenn die Erwartungsgröße R im Gleichgewicht gehalten wird. (Dieser "natürliche Zinssatz" - oder Kapitalzins - stellt in der Wicksellschen Konstruktion eine eigene analytische Variable dar, die nur im Gleichgewicht mit dem Geldzinssatz zusammenfällt), Das Gleichgewicht jedoch ist fragil. Bei unsicherer Zukunft, unvollständigen Informationen und risikobehafteten Tauschprozessen neigt die Kreditwirtschaft zu Fluktuationen. In einem monozentrischen System mit Überziehungsmöglichkeiten wird der von der Zentralbank gesetzte Zinssatz zum ruler of the roost. 14 Die Kontrollmöglichkeiten des Zentrums sind dabei umso effektiver, je geringer die Differenz zwischen Rund r1 ist. Auf der anderen Seite ist zu betonen, daß die in den achtziger Jahren in vielen Ländern erfolgte Deregulierung des Finanzsystems in dem Maße zu einer größeren Instabilität geführt hat, als diese Entwicklung den monozentrischen Charakter durch Befreiung der Zentralbank von der Verantwortung des lender of last resort reduziert hat. 14 In einem polyzentrischen System mit festen Wechselkursen ist es dementsprechend die Zentralbank des Landes mit der stärksten Währung (Bundesbank im Falle des EWS), die die Zinsuntergrenze setzt.

Hicks' neo-wicksellianischer Ansatz in der Geldtheorie

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III. Die Existenz von Kredit, Geschäftsbanken und Finanzintennediären ist eindeutig das Ergebnis von Marktprozessen. Hicks zeigt auf, daß dies gleichermaßen für die Übernahme staatlicher Verantwortung für das Geldwesen sowie die Genesis der Zentralbank gilt, ebenso wie für internationale Währungsabkommen. Ein gewisses Maß monetärer Kontrolle, nicht im Sinne eines kurzfristigen Interventionismus, sondern durch ein System von checks and balances mit den entscheidenden Kategorien Disziplin und Vertrauen, wirkt stabilisierend. Hicks steht hiennit in der klassischen Tradition eines Thornton (1802) oder Bagehot (1873). Dies wird auch verdeutlicht durch die von ihm gezogene Parallele zwischen der Thorntonschen Regel und dem von Bagehot empfohlenen Heilmittel im Fall einer Finanzkrise. Die Thorntonsche Regel besteht aus den beiden folgenden Komponenten: "The first necessity, when the crisis has arisen, is for the centre ofthe system ... to ensure its own security; for that purpose it must maintain high rates of interest, so as to draw funds to itself, to replenish its reserves. However, when that has been done, it should turn over decisively to the other tack, with the aim of spreading security from itself to the rest ofthe banking system, and then outside. The two belong together" (Hicks 1989, S.97).

Gu t siebzig Jahre später - nach den Finanzkrisen von 1847, 1857 und 1866heißt es bei Bagehot (1873, S. 209): "The best palliative to a panic is a confidence in the adequate amount of the bank reserve, and in the efficient use of that reserve." Entscheidendes Mittel, um das Entstehen größerer Finanzkrisen in einer Geld- und Kreditwirtschaft zu venneiden, ist für Hicks wie für Bagehot die Steuerung des Geldangebots durch die Zinspolitik der Zentralbank. Dies beinhaltet nicht nur einen klaren Gegensatz zur Position der Currencyschule und der von ihr betonten Steuerung durch eine exogene Regulierung der Geldmenge, sondern zugleich auch eine deutliche Abgrenzung vom keynesianischen Flügel der KreditschuleIs , soweit dieser einen monetären Sozialismus bzw. eine Politik des leichten Geldes propagiert. Hicks betont explizit, daß er der Geldmenge eine geringere Bedeutung zumißt. Unter diesem Gesichtspunkt gilt: "Keynes, for us, is tao monetarist" (Hicks 1982, S. 264). Die Parallelen zu dem von Riese 1991 in Bad Zwischenahn skizzierten geldtheoretischen Forschungsprogramm einschließlich des Plädoyers für Bagehots Theorie des offenen Diskontfensters sind offenkundig. Letztere ist u. a. durch die beiden folgenden Regeln gekennzeichnet (vg1. Riese 1991, S. 3): 1. "Es darf bloß gegen hohe Zinsen ausgeliehen werden. 2. Gegen diese hohen Zinsen muß auf alle guten Banksicherheiten ganz nach den Ansprüchen des Publikums reichlich ausgeliehen werden." 15 Bereits im Vorwort seines Buches von 1967 hat Hicks verdeutlicht, daß er diesen Ausdruck dem üblicherweise verwendeten Tenninus Bankingschule vorzieht.

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Die zweite Regel verweist auf das bedeutsame Thema der Kreditrationierung. Allerdings stellt die Erfüllung beider Regeln allein kein für alle Zeiten gültiges Patentrezept gegen Finanzkrisen dar, wie u. a. das britische, japanische und amerikanische Beispiel des vergangenen Jahrzehnts zeigen. Wenn steigende Immobilienpreise, die ihrerseits in stärkerem Maße Folge deregulierter Finanzmärkte sind, hohen Zinsen vorauseilen, kann das Kriterium "guter" Banksicherheiten nach klassischen Formeln erfüllt sein. Bekanntermaßen immunisiert dies nicht gegen Finanzkrisen. Natürlich mag man einwenden, daß alles eine Frage der Definition "guter Banksicherheiten" ist. Entscheidend bleibt, daß im System von Hicks die Geldpolitik durch ein Monozentrum ausgeübt wird, das Marktmacht über die Zinssätze hat, da seine Zahlungsversprechen von den Marktteilnehmern gegenüber denen aller anderen finanziellen Institutionen als überlegen angesehen werden. Obwohl die Zentralbank darüber hinaus auch über ein größeres Potential von Kontrollmiiglichkciten verfügt, hat dieses jedoch bei Hicks einen geringeren Stellenwert als ihre Möglichkeiten zur Steuerung der Geldmenge im monetaristischen Modell. Es verbleiben einige offene Fragen. So gibt Hicks keine völlig befriedigende Erklärung dafür, warum die Bank(en) die Kredite nicht direkt an die Investoren vergibt (vergeben) und damit für die Genesis der Finanzintermediäre. Eine Erklärung dafür, warum letztere die Bonität der Investoren besser beurteilen können, d. h. Informationsvorteile gegenüber Banken haben, wird nicht gegeben. Bei Existenz von Finanzintermediären wiederum ist nicht einzusehen, warum die Sparer ihre Einlagen nicht direkt bei den Finanzintermediären tätigen können, die das Sparkapital dadurch attrahieren, daß sie unter Fortfall einer Stufe administrativer Kosten höhere Zinssätze bieten. Im Gegensatz zu Wicksell, bei dem der Geldzins um den "natürlichen Kapitalzins"16 ( der sich seinerseits ändern kann) gravitiert, bleibt Hicks eine Antwort auf die wichtige Frage schuldig, welche dieser beiden Größen sich an die andere anzupassen hat. Dies weckt ebenso Assoziationen an Sraffas "ominösen" Satz 17 bezüglich einer "Zentralbanktheorie der Profitrate" wienoch stärker - an manche Ausführungen von Riese und anderen Vertretern der "Berliner Schule" des "monetären Keynesianismus", die eine "Geldvermögensbesitzertheorie der Profitrate" zu implizieren scheinen. Leijonhufvud (1981) lehnt in seiner WiekseIl Connection die Liquiditätspräferenztheorie entschieden ab, da mit der Keynes'schen Abkehr von der Theorie der ausleihbaren Fonds das Konzept des natürlichen Zinssatzes und damit ein zentrales Wicksellsches Thema verlorengehe. Stattdessen propagiert er die "Z16 Von der Diskussion der kapitaltheoretischen Problematik dieser Größe muß an dieser Stelle abgesehen werden. 17 "The rate ofprofits, as a ratio, has a significance which is independent of any prices, and can well be 'given' before the prices are fixed. It is accordingly susceptible of being determined from outside the system of production, in particular by the level of the money rates 0/ interest" (Sraffa 1960, S. 33; meine Hervorhebung).

Hicks' neo-wicksellianischer Ansatz in der Geldtheorie

173

Theorie" als Treatise plus Mengenanpassung bzw. General Theory minus Liquiditätspräferenztheorie des Zinses. Im Gegensatz dazu nimmt Hicks eher eine versöhnliche Position ein und versucht eine Synthese der beiden Zinstheorien. 18 Skepsis gegenüber den Erfolgschancen einer derartigen Synthese sind nicht nur von fundamentalkeynesianischer Seite vorzubringen (vgl. z. B. Chick 1991). Es muß auf die Problematik hingewiesen werden, das Konzept der Liquiditätspräferenz in ein wicksellianisches Modell zu integrieren. Die von Wicksell betonte vollkommene Elastizität des Kreditangebots ist mit der Einbeziehung der Liquiditätspräferenz nur schwer vereinbar. Dogmengeschichtlich muß man den Hicks'schen geldtheoretischen Ansatz daher wohl eher als einen keynesianisch-wicksellianischen Bastard bezeichnen. Aber Bastarde, wiewohl von Fundamentalisten der verschiedenen Schulen nicht geliebt, können bekanntlich wissenschaftlich durchaus produktiv sein. Auf die Geldtheorie von Hicks trifft dies m.E. trotz aller noch bestehenden Unvollkommenheiten (wozu auch eine nicht hinreichend in das Modell integrierte Unterscheidung von nominalen und realen Zinssätzen gehört) in besonderer Weise zu. 19 Wie schon in anderen Bereichen hat Hicks in seiner Geldtheorie Kemelemente eines Forschungsprogramms identiftziert, zugleich aber auf Grund seiner umfassenden Vision und der inhärenten Komplexität der Probleme auch eine große theoretische Herausforderung hinterlassen. Angesichts Hicks' fundamentaler methodologiseher Einsicht, Geldtheorie und Geldpolitik vor dem Hintergrund institutioneller Innovationen auf den Geld- und Finanzmärkten zu reflektieren, wird dies zu einer permanenten Aufgabe. Literatur Bagehot, W. (1873), Lombard Street. A Description of the Money Market, London. Chick, V. (1991), Hicks and Keynes on Liquidity Preference: a Methodological Approach, Review ofPolitical Economy, 3, S. 309-319. Chiodi, G. (1991), Wicksell's Monetary Theory, London. Ford, J. L. (1991), Uncertainty, Liquidity Preference and Portfolio Choice: Aspects ofthe Hicksian Approach, Review of Political Economy, 3, S. 320-348. Hagemann, H. und Hamouda, O. F. (1991), Hicks on the European Monetary System, Kyklos, 44, S. 411-429. Hahn, F. (1990), John Hicks the Theorist, Economic Journal, 100, S. 539-549. Hamouda, O. F. (1985), The Evolution ofHicks' Theory ofMoney, Bulletin ofEconomic Research, 37, S.131-151. 18 Vgl. z. B. auch Hicks (1986). Adäquaterweise hat Hicks eine große Vorliebe rur John Stuart Mill entwickelt. Prädikate wie das, der "John Stuart Mill ofKeynesian Economics" zu sein, wären von Hicks wohl eher als Kompliment denn als Vorwurfaufgefaßt worden. 19 Vgl. ähnlich Smithin, der hervorhebt, "that Hicks's more recent monetary theory, with its 'neo-Wicksellian' or 'Radcliffian' overtones has a great deal to otTer" (1989, S.192).

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D. Keynes' Monetäre Theorie der Produktion

Erkenntnisfortschritt, Paradigmenwechsel und die Monetäre Theorie der ProduktioDSÖkonomie Von Arne Heise, Düsseldorf und Bremen I.

Seit Thomas S. Kuhns "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" ist klar, daß Wissenschaft nicht kontinuierlich fortschreitet und lediglich weiße Flecken auf unserer Landkarte der Erkenntnis zu füllen in der Lage ist. Vielmehr geht die Entwicklung diskretionär vor sich: Revolutionäre Veränderungen bedeuten die Aufgabe der herrschenden Forschungsstrategie zugunsten einer alternativen Darlegung. Wie Gaston Bache1ard erkannte, bedeutet Erkenntnisfortschritt also nicht die Schaffung von Wissen, wo vormals keines war, sondern die Durchsetzung neuer Urteile gegen bestehende (Vor-) Urteile - Kuhn nennt dies "Paradigmenwechsel" , Lakatos sieht darin einen Wandel des Forschungsprogrammes ("scientific research programme"). Dieser Vorgang läßt sich mit umseitiger Abbildung etwa folgendermaßen darstellen. Unter Verwendung einiger a-priori-Annahmen - Axiome, die nach Lakatos den Kern ("core") darstellen - und einiger weiterer Hypothesen - der schützende Gürtel ("protective belt") in Lakatos' Terminologie - wird ein Forschungsprogramm oder eben Paradigma von lediglich synthetischem Erkenntniswert entworfen, aus dem sich dann unter Einsatz deduktiver Methoden die "normale Wissenschaft" herauskristallisieren läßt. Das gemeinsame Paradigma und die verbindende Methode versetzen nun die Wissenschaftler in die Lage, immer weitere Bereiche ihrer Wissenschaft zu erkunden und somit, scheinbar kontinuierlich, das Laub der Erkenntnis dichter und umfassender zu machen. Gleichzeitig läßt sich jeder Abweichler vom tradierten Paradigmal als solcher leicht identifizieren und schnell als pseudowissenschaftlicher .,crank" diskriminieren oder doch zumindest belächeln2. In unserer ökonomischen Wissenschaft läßt sich ganz deutlich ein tauschtheoretischer Kern (mit einer Reihe von unabdingbaren Axiomen, vgl. Davidson 1984; Reise 1991) erkennen, den ein schützender preis-, produktions- und nutzen theoretischer Gürtel umgibt. Die resultierende neowalrasianische Real1 Dieser Kuhn'sche Begriff sei im folgenden verwendet, auch wenn mir Lakatos Vorstellung eines "Kerns" und eines "schützenden Gürtels" sinnvoller erscheint. 2 Dies mag sich in der inquisitorischen Verfolgung eines Galileo Galilei ebenso äußern wie in der Unmöglichkeit vieler "Häretiker", in orthodoxen Zeitschriften zu publizieren.

12 Festschrift Riese

Ame Heise

178

wissenschaftlIche

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Der Geldangebotsprozess

t 6 Festschrift Riese

242

Rüdiger Dragendorf

(14) Wie läßt sich der Geldangebotsprozeß interpretieren? Wenn ein Vermögensbesitzer (VM B) Geld aufgibt, dann kreditiert er ZBG; gibt die GB Geld auf, dann kreditiert sie ebenfalls den ZBG. Jeder Kredit ist also eine Geldaufgabe, aber nicht jede Geldaufgabe schon ein Kredit. Das unterscheidet den VMB (Vermögenshaltung = Geldaufgabe) von der Reinen Bank als Finanzintermediär, die Kredit geben (Geldaufgabe = Geldangebot) oder nicht geben kann (Verzicht auf Geldaufgabe = Verzicht auf Geldangebot). Gibt der VMB der Bank das Geld, d. h. hält er Sichteinlagen, dann kreditiert er zunächst nur ihr ZBG. Ob diese Form der Geldaufgabe zu einem Geldangebot der GB führt, muß aber diese entscheiden. Sie besorgt also das Geschäft des VMB und ist analytisch damit ebenfalls ein VMB, kann also insbesondere mit dem Verzicht auf Geldaufgabe auch auf Kreditvergabe verzichten (Aktivgeschäfte). Solange die Depositen die Zahlungsmittelfunktion erfüllen und stets monetisiert werden können, hält kein VMB Bargeld! Damit ist - wie Riese [1989:28] fordert - der Grenzfall der bargeldlosen Geldwirtschaft erreicht, wo ZBG zum "Reservemedium im Interbftnkenverkehr" wird, die Transaktionsfunktion allerdings bargeldlos erfolgt. Da die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit das zentrale Problem der VMB ist und diese das Problem an die GB delegieren, muß die GB mit der Aufrechterhaltung ihrer Zahlungsfähigkeit auch die der VMB aufrechterhalten. Ist die Zahlungsfähigkeit der GB gefährdet bzw. schwindet das Vertrauen in ihre Zahlungsfähigkeit, dann ist damit auch die der VMB gefährdet und es kommt zum gefürchteten "run" auf die Bank. Ob immer man geneigt ist, die vorgetragene Interpretation der Liquiditätspräferenztheorie als Geldangebotstheorie zu akzeptieren, sie hat den liebenswerten Charme, mit dem Erfahrungssachverhalt in Übereinstimmung zu stehen, demzufolge die Gattung der privaten Vermögensbesitzer, die unverzinstes Geld halten, "der sanfte Tod des Rentners" (Keynes [1936: 376]) ereilt und somit ausstirbt. Literatur Baltensperger, E./ Milde, H. [1987], Theorie des Bankverhaltens, Berlin: Springer. Bofinger, P. [1985], Währungsweubewerb - Eine systematische Darstellung und kritische Würdigung von Hayeks Plänen zu einer Neugestaltung unserer Währungsordnung, Köln: Heymanns. Brunner, K./ Meltzer, A.H. [1988], Money and Credit in the Monetary Transmission Process, American Economic Review - Papers & Proceedings 78: 446-451. Friedman, B.J./ Hahn, F.H. (Eds.) [1990], Handbook of Monetary Economics - Two Volumes, Handbooks in Economics - Volume 8, Amsterdam u. a. 0.: North Holland. Ger/off, W. [1940], Die Entstehung des Geldes und die Anfänge des Geldwesens, Frankfurt a.M.: Klostermann.

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Liquiditätspräferenz und Geldangebot Schritte zu einer keynesianischen Kreditmarkttheorie des Zinses Von Heinz-Peter Spahn, Stuttgart-Hohenheim " ... und doch ist der Zins eine Zahlung für das Borgen von Geld." J. M. Keynes (1936: 156 n.1)

I. Die Geldmarkttheorie des Zinses Die zeitgenössische neoklassische Kreditmarkttheorie, in der sowohl Ersparnisse als auch Geldmengenänderungen als Quelle des Kreditangebots fungierten, erschien Keynes (1936: 154f.) methodisch als so verfahren, daß er zur Zinsbestimmung auf eine modifIzierte Form der MarshalIschen Kassenhaltungstheorie zurückgriff. An die Stelle der Stromgrößen von Kreditangebot und -nachfrage als zinsbestimmende Faktoren trat die Disposition über Geld und fInanzielle Vermögensbestände; der "Geldmarkt" verdrängte den Kreditmarkt aus der makroökonomischen Diskussion. Jedoch ist Keynes' Versuch, eine Alternative zur "klassischen Theorie des Zinsfußes" zu entwickeln, letztlich gescheitert. Trotz vielfältiger Verteidigungsversuche der "bootstrap"-Zinstheorie 1 wurde diesem Ansatz weithin doch nur der Status einer Ungleichgewichtsvariante der herrschenden Zinstheorie zugesprochen. Von keynesianischer Seite wurde diese Kritik insoweit auch bestätigt, als man lange Zeit in der Abweichung vom "klassischen" Vollbeschäftigungsgleichgewicht die eigentliche Rechtfertigung und Botschaft der Keynes'schen Theorie sah (obgleich der Auslastungsgrad auf dem Arbeitsmarkt natürlich kein Kriterium für die marktlogische Beurteilung einer Zinstheorie sein kann). So ist es bezeichnend, daß Leijonhufvud - in seiner Verteidigung und Weiterentwicklung der preistheoretischen Fundamente der Keynes'schen Theorie - die Liquiditätspräferenztheorie des Zinses zunächst als Beschreibung eines von "rigiden" Erwartungen geprägten Vermögensmarktungleichgewichts interpretierte, dabei jedoch stets an den "grundlegenden" zinsbestimmenden Faktoren Produktivität und Sparsamkeit festhielt (1973: 140, 167,277). Später hat er sich dann nachdrücklich vom Konzept der Liquiditätspräferenz distanziert und 1 "The price today of any long-lived object with low carrying costs is strongly influenced by expectations about what its price will be in the future. lethe rate of interest is hanging by its bootstraps, so is the price ofPicasso's paintings" (Robinson 1979: 152f.).

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Heinz-Peter Spahn

Keynes' Botschaften wieder anhand der "loanable-funds"-Theorie zu vermitteln versucht (1981). Eine Zeitlang galt zwar das kapitaltheoretisch orientierte 17. Kapitel der "General Theory" als die eigentliche Quelle der Keynes'schen Zinstheorie. Es enthält auch die theoretisch weitreichende Innovation, dem Geld mit der Liquiditätsprämie eine eigene direkte Ertragsrate zuzuordnen; aber im Zentrum der Analyse steht hier eher ein (fragwürdiger) Versuch einer "Ableitung" des Geldes aus der Güterwelt sowie die Herausarbeitung der retardierenden Momente der Liquiditätspräferenz in bezug auf Produktion und Beschäftigung. Es fehlt hingegen eine Analyse der Zinsbestimmung als Marktpreis, d.h. als Resultat des Zusammenspiels von Angebots- und Nachfragekonfigurationen. Auch im Postkeynesianismus wurde die Zinstheorie eher stiefmütterlich behandelt; insbesondere der Fundamentalkeynesianismus fand keinen Weg zu einer markt-, d. h. preistheoretischen Analyse der zentralen Kategorien Unsicherheit und Liquiditätspräferenz und endete nicht zuletzt deshalb in einer wissenschaftstheoretischen Heterodoxie, weil er zu dem Fehlschluß verleitet wurde, Phänomene der "historischen Zeit" gegen die Methode der Gleichgewichtstheorie ausspielen zu müssen (vgl. Herr 1988). Die ungelösten Probleme des von Keynes gewählten Geldmarktansatzes zeigten sich auch in der Debatte um das "finance motive" - ein Aspekt der Geldhaltung, der von keynesianischer Seite als ein innovatives Theorieelement dargestellt wurde. Zwar trifft es auch zu, daß damit das IS-LM-Modell in wichtiger Weise weiterentwickelt wird. Aber dabei bleibt im Hintergrund, daß mit der Einführung des "finance motive" nur ein Defekt der Geldmarkttheorie korrigiert wird, weil ansonsten ein temporärer Zinseffekt von Änderungen der Kreditnachfrage nicht erfaßt wird 2 • Die generelle Ausblendung des Kreditmarktes in der "General Theory" hat zur Folge, daß die Frage nach der Investitionsfinanzierung ungeklärt bleibt (vgl. Chick 1983: 174ff.). Dies führt zu der - für Keynes kontraintentionalen Konsequenz, daß monetäre Angebotsbeschränkungen für die Investitionstätigkeit nicht aus Marktprozessen resultieren, sondern nur noch in einem geldpolitisch regulierbaren Zinssatz zu bestehen scheinen. Hier kann die "Liquiditätsfalle" eine Untergrenze des Zinses markieren; aber die Notenbank sollte stets in der Lage sein, einer Unterbeschäftigung als Folge einer steigenden Geldhaltung zu begegnen, indem sie mit einem für sie kostenlosen Geldangebot ein Steigen des Zinssatzes verhindert. Keynes erwähnt zwar, daß "der Zinsfuß die Bedingungen beherrscht, zu denen Geldmittel laufend angeboten werden" (1936: 139), unternimmt jedoch 2 Keynes (1973b: 218) gestand denn auch in der Debatte mit Ohlin um die "loanablefunds"-Theorie zu, daß er diesen Aspekt "übersehen" habe. Hahn (1955: 58ff.) hat schon früh darauf hingewiesen, daß die Geldmarkttheorie des Zinses nur mit dieser Korrektur logisch konsistent ist.

Liquiditätspräferenz und Geldangebot

247

keinen Versuch, umgekehrt diese "Bedingungen" als mikroökonomische Determinanten für Existenz und Höhe des Zinses zu analysieren. Das Gläubigerrisiko wird eher heruntergespielt (1936: 121 f.) und überraschenderweise nicht mit dem Bedürfnis nach Sicherheit in Verbindung gebracht, das an vielen Stellen als letzter Grund für die Geldhaltung erscheint. Damit hat sich Keynes selbst den naheliegenden Weg zu einer genuinen monetären Zinstheorie verbaut, die als marktlogische Alternative zum neoklassischen Ansatz eines intertemporalen Tauschs von Ressourcen auf dem Prinzip einer intertemporalen Wertsicherung finanzieller Vermögenswerte beruht. 11. Zeitpräferenz in der Tauschökonomie und in der Geldwirtschaft Die letztlich entscheidenden Fragen der Zinstheorie beziehen sich methodisch auf den "stock-flow"-Aspekt und inhaltlich darauf, ob monetäre oder güterwirtschaftliche Größen Gegenstand des Kreditvertrages sind. Damit ist zugleich gesagt, daß naturgemäß der Kreditmarkt - und nicht der Geldmarkt - als Ort der Bestimmung des Zinses anzusehen ist. Daß sich der Kreditvertrag schlicht auf die nominale Quantität Geld beziehen soll, ist von der herrschenden Ökonomie zumeist mit Rekurs auf das Argument der Geldillusion zurückgewiesen worden. Schon Smith (1923: 109) wendete sich gegen den angeblich falschen Schein einer Geldleihe: "Was der Entleiher aber wirklich braucht, und was der Darleiher ihm in der Tat verschafft, ist nicht das Geld, sondern des Geldes Wert, oder die Güter, die er damit kaufen kann. (... ) Mitte1st des Darlehens überweist der Darleiher sozusagen dem Entleiher sein Recht auf einen gewissen Anteil am jährlichen Boden- und Arbeitsprodukte des Landes." Schumpeter (1934) hat später mit Nachdruck herausgearbeitet, daß mit dem W örtchen "sozusagen" die für die Geldwirtschaft zentrale Liquiditätsproblematik des Unternehmers als Schuldner unterschlagen wird. Aber das neoklassische Vorurteil, Ökonomie als primär güterwirtschaftlichen Prozeß analysieren zu müssen, war stärker. Clowers (1963) Kritik der Realillusion, Güter seien mit Gütern zu bezahlen, kam auch in der Geschichte der Zinstheorien zu spät. Analytische Komponenten kreditmarkttheoretischer Ansätze der Zinsbestimmung

Güter

Geld

"Flow"

Konsumverzicht

"Loanable Funds"

"Stock"

Umwegproduktion Realkapitalknappheit

Merkantilismus Portfoliotheorie

Der Verzicht auf die Formulierung einer eigenständigen keynesianischen Zinstheorie hatte zur dogmengeschichtlichen Konsequenz, daß das Begriffspaar von Sparsamkeit und (intertemporaler) Produktivität weiterhin das güterwirt-

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Heinz-Peter Spahn

schaftliche, "langfristige" Fundament des Zinses bezeichnet. Dies ist für sich genommen merkwürdig, da beide Faktoren keineswegs unumstritten sind. Die "stock"-Variante der güterwirtschaftlichen Zinstheorie, Böhm-Bawerks Idee einer "Mehrergiebigkeit der Produktionsumwege", ist unhaltbar, weil sie letztlich auf jener Verwechslung von Güter- und Wertproduktivität beruht, die Böhm-Bawerk selbst den klassischen Ökonomen zurecht vorgeworfen hatte 3 • Die Theorie der Umwegproduktivität kann nur eine Quasirente ableiten, nicht jedoch den Zins. Sie setzt eine physische Knappheit eines produzierbaren Sachkapitalbestandes voraus, obwohl diese Kapitalknappheit gerade umgekehrt mit Hilfe des Zinses zu erklären wäre 4 • Damit bleibt eine sich im Konsumverzicht ausdrückende Zeitpräferenz letztlich die einzige güterwirtschaftliche Erklärung eines positiven Zinssatzes. Die auf den ersten Blick "vernünftige" Präferenz eines Akteurs, heutigen Konsum dem morgigen vorzuziehen, erscheint jedoch bei mehr als zwei Perioden nicht unbedingt schlüssig, weil er dabei "später stets bereuen müßte, was er früher entschieden hat". Lutz und Niehans sehen die Gegenwartsvorliebe deshalb letztlich eher "als Stellvertreterin für eine mit wachsender Entfernung zunehmende Ungewißheit der Zukunft" (1980: 532f.). Dieses Argument wirkt im Rahmen einer neo klassischen Argumentation befremdlich, da hier im Regelfall von der Existenz von Zukunftsmärkten ausgegangen wird, die eine derartige Unsicherheit ökonomisch bewältigen. Im Kern ist die neoklassische Zinstheorie eine intertemporale Preistheorie, in der sich das Verhältnis von Zukunfts- und Gegenwartspreis eines Gutes als Zins definieren läßt. Sieht man von dem Problem ab, daß es dann wegen der Vielzahl von Gütern und Perioden praktisch unendlich viele Zinssätze gibt, so hat eine Präferenzverschiebung zwischen Gegenwarts- und Zukunftsgütern eine Änderung relativer Preise und damit (definitionsgemäß) eine Zinsänderung zur Folge. Das Einkommen der Volkswirtschaft wird sich dabei nur indirekt ändern, wenn nämlich die neue Nachfragestruktur eine effizientere Allokation nach sich zieht. Insoweit ist die neoklassische Zeitpräferenztheorie des Zinses in einem System von intertemporalem Tausch völlig korrekt. Im System einer Geldwirtschaft jedoch kehrt sich die Beeinflussung von relativen Preisen und gesamtwirtschaftlichem Einkommen bei Änderungen der Zeitpräferenz um. Da die Aneignung von Gütern ausschließlich über Geld und die Option auf zukünftigen Konsum durch das Halten von Geldvermögen 3 Die klassische Ökonomie mußte eine Knappheit zentraler Produktionsfaktoren wie Boden und Arbeit ausschließen, um den Zins aus einer physisch determinierten Profitrate ableiten zu können. 4 "The question why capital is scarce is (... ) best regarded as being, in the long run, the same question as why the rate of interest exceeds zero" (Keynes 1973a: 456; vgl. Weizsäcker 1962: 31). In einem Resümee zum Stand der Zinstheorie heißt es: "In der Begründung der Mehrergiebigkeit der Umwegproduktion hat die Wirtschaftswissenschaft im letzten Jahrhundert wenig Fortschritte gemacht" (LutzjNiehans 1980: 535).

Liquiditätspräferenz und Geldangebot

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erfolgt, muß eine Abwendung vom Gegenwartskonsum für sich genommen zwangsläufig über einen Nachfrageausfall das Einkommen reduzieren. Infolge fehlender Zukunftsgütermärkte ist "der" Zinssatz gar nicht definiert; wenn aufgrund der gesunkenen Nachfrage fallende Preise erwartet würden, so ließe sich allenfalls die (in diesem Fall negative) Inflationsrate als "Zins" interpretieren. Damit zeigt sich aber, daß die in der "reinen" neoklassischen Theorie betrachtete Tauschökonomie im Grunde gar keinen Zins, sondern nur ein System intertemporaler Preise kennt. In der "flow"-Variante der güterwirtschaftlichen Zinstheorie, der Theorie des Konsumverzichts, werden relative Güterpreise als Zins mißgedeutet. Der Zins ist jedoch ausschließlich eine Kategorie einer Geldwirtschaft (und der Begriff "monetäre Zinstheorie" insoweit ein Pleonasmus). Eine Erklärung des Zinses, der in einer Geldwirtschaft für die zeitweilige Kreditierung von Geld gezahlt wird, ist deshalb mit dem tauschtheoretischen Instrumentarium nicht möglich, weil Geld im neoklassischen System nicht vorkommt bzw. seine kreditäre Überlassung nicht "wesentlich" ist. Zeitpräferenztheoretische Aussagen zum Ge/dzinssatz sind aus diesem Grund nicht nur unangebracht, sondern oftmals schlicht falsch: Eine steigende Bereitschaft zum Konsumverzicht auf Seiten der Haushalte wird den Zins direkt nicht senken. Der zusätzlichen Geldvermögensbildung der Haushalte steht dabei saldenmechanisch zwingend ein Verlust der Unternehmen (oder ein unfreiwilliger Lageraufbau) gegenüber, so daß - unterstellt man eine konstante Neigung zur Kassenhaltung - das zusätzliche Kreditangebot der Haushalte auf eine erhöhte Kreditnachfrage der Unternehmen (zur Finanzierung geplanter Ausgaben) trifft. Zwar ist dann eine Produktionseinschränkung möglich und sogar wahrscheinlich; aber die damit (bei konstanter Geldmenge) verbundene Zinssenkung ist eine "keynesianische" Folge des gesunkenen Einkommens, nicht jedoch der "neoklassisch" postulierte Effekt einer geringeren Zeitpräferenz~

Umgekehrt wird eine steigende Konsumneigung den Zins direkt nicht erhöhen, weil die Unternehmen die Mittel, die sie ansonsten auf dem Kreditwege erhalten hätten, nun als zusätzlichen Gewinn erhalten; das geringere Kreditangebot der Haushalte steht einer ebenfalls verringerten Kreditnachfrage der Unternehmen gegenüber. Analog zum obigen Fall kann die gesunkene Haushaltsersparnis über ihren Kreislaufeffekt auf die Gewinne eine steigende Investition motivieren, so daß dann (bei konstanter Geldmenge) der Zins wegen des Einkommenseffekts steigt; aber dies hat wiederum nichts mit der gewachsenen Gegenwartsvorliebe zu tun 5 • S "Das Sparen erzeugt gerade erst Kreditbedarf bei verringertem Umsatz, umgekehrt wird, wenn Sparer frühere Ersparnisse aufzehren, die Liquidität der Banken wie der Unternehmungen gesteigert und zugleich das Unternehmereinkommen" (Lautenbach 1952: 62; vgl. Terzi 1986/87).

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Zusammenfassend ist festzuhalten, daß explizite oder implizite Rekurse auf Sparfondsthesen 6 nahezu sechzig Jahre nach dem Aufkommen des Keynesianismus analytisch zwar ärgerlich - aber theoriegeschichtlich durchaus erklärbar sind. Denn die Widerlegung der Theorie einer zeitpräferenztheoretisch bestimmten Beschränkung der Investition durch die Ersparnis (aus laufendem Einkommen) hinterließ ein Vakuum: Die Liquiditätspräferenz konnte zwar als Substitut der Zeitpräferenz interpretiert werden, "wirkte" jedoch auf dem "Geldmarkt" und hatte insoweit scheinbar nichts direkt mit der Finanzierung der Investition zu tun. Zugleich propagierten andere Begründer des Postkeynesianismus - in einem gefährlichen Mißverständnis der Erkenntnis einer einkommenstheoretischen Bestimmung der Ersparnis durch die Investition - die These einer "Selbstfinanzierung der Investition" und maßen daher dem Zins keine wesentliche Bedeutung mehr bei (z. B. Kalecki 1966)1. Der professionelle Instinkt des Ökonomen, Positionen zu mißtrauen, die mit einer Verneinung einschlägiger Angebotsbeschränkungen zugleich das konstituierende Prinzip der Knappheit in der ökonomischen Theorie zu diskreditieren schienen, führte dann nahezu zwangsläufig wieder zu einer Rehabilitation der These einer Beschränkung der Investition durch die Ersparnis oder zumindest zu einer Anerkennung der direkten Zinseffekte des Konsumverzichts.

m.

Liquiditätspräferenz als Angebotsbeschränkung auf dem Kreditmarkt

Der "loanable-funds"-Ansatz erfüllt insoweit den Anspruch einer angemessenen Zinstheorie, als er offenkundig Transaktionen von Finanzmitteln thematisiert; seine Schwäche besteht jedoch zum einen darin, daß er das Kreditangebot letztlich doch wieder an einen Konsumverzicht koppelt (oder zumindest eine derartige Interpretation erlaubt), obwohl das Sparen, wie erwähnt, im Hinblick auf die Liquidität der Märkte gesamtwirtschaftlich neutral ist. Zum anderen bleibt die Verankerung des Kreditangebots im Portfoliokalkül des Vermögensbesitzers unberücksichtigt, das sich stets auf die optimale Allokation eines Vermögensbestandes richtet. Dieser wird zwar durch die laufende Ersparnis 6 Sie finden sich in Ausdrücken, wie "Absorption von Ersparnissen" oder "Investitions"bzw. "Sparlücken", in dem anhaltenden Streit um die Zinseffekte staatlicher Budgetdefizite (Finanzierungsdefizite privater Investoren werden in diesem Zusammenhang bezeichnenderweise nicht thematisiert) sowie beispielsweise in der These, die amerikanischen Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite der 80er Jahren hätten ausländisches Sparkapital "verbraucht" und daher die Zinsen in der Welt hochgetrieben. Zu einer Kontroverse um eine "Sparmangelthese" im entwicklungsökonomischen Kontext siehe Spahn (1991). 7 Keynes hat dagegen das Problem der Investitionsfinanzierung in deutlicher Abgrenzung zum Konsumverzicht klar gesehen: "If there is no change in the liquidity position, the public can save ex ante and ex post and ex anything else until they are blue in the face, without alleviating the problem in the least - unless, indeed the result of their efforts is to lower the scale ofactivity to what is was before. ( ... ) The fact that savings ex post increase by the same amount as investments ex post does not help the situation in the least" (1973b: 222, 221).

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verändert; aber erstens sind Spar- und Kreditangebotsentscheidungen unabhängig voneinander (und können sich auch in ihrem Vorzeichen widersprechen), und zweitens kann man den Spareffekt auf das Gesamtvermögen (analog zur Behandlung von Investition und Kapitalbestand) aus VereinfachungsgfÜnden ohnehin ausblenden. Die Kreditangebotsentscheidung ist im Kern eine Entscheidung über die Struktur eines einzelwirtschaftlichen Vermögensbestandes. Dabei nimmt Geld im Kreis der potentiell gehaltenen Aktiva eine Sonderrolle ein: Da jenes Aktivum als Geld fungiert, in dessen Einheiten der Wert aller übrigen Güter und Forderungen gemessen wird, gewährleistet das Halten von Geld definitionsgemäß bei Konstanz des Preisniveaus eine perfekte Wertsicherung des Vermögens. Geld ist zugleich das Medium, das den Liquiditätsgrad aller übrigen Aktiva mißt, und stellt eine - aufgrund der unterstellten allgemeinen Akzeptanz nicht abweisbare Forderung gegen die Wirtschaft als ganze dar, während der Wert anderer Forderungen von der Bonität bestimmter Schuldner abhängt. Diese Eigenschaften des Geldes lassen sich preistheoretisch in der Konstruktion einer Liquiditätsprämie erfassen, die einerseits den nicht-pekuniären Ertrag der Geldhaltung anzeigt und andererseits die markttheoretische Ursache des Zinses als Ertragsrate von Geldforderungen darstellt 8 . Im Gleichgewicht müssen die Ertragsraten aller gehaltenen Aktiva übereinstimmen. Damit ist der Zinssatz auf Kreditforderungen kein intertemporaler Preis eines neoklassischen Tauschgleichgewichts, sondern eine Steuergröße für die Haltung von Vermögensbeständen, "wobei es gegen zusätzliche Geldhaltung letztlich keine dominanten nutzentheoretisch faßbaren Widerstände gibt, weil der Zins nicht in dem Überschuß bei der Verwertung von Vermögen wurzelt, sondern in dessen Unsicherheit" (Sievert 1979: 813 n.). Nach Maßgabe dieser Überlegungen läßt sich mittels elementarer Mikroökonomie eine mit dem Zinssatz ansteigende einzelwirtschaftliche Kreditangebotsfunktion ableiten. Ihr Verlauf folgt aus einer graduellen nutzentheoretischen Umbewertung, wenn Geld als einzig sicheres Aktivum im Portefeuille fortlaufend durch Kreditforderungen substituiert wird; die Funktion selbst verschiebt sich mit dem Grad der Unsicherheit (vgl. Spahn 1988: 42ff.). Allerdings ist die Implikation dieses Modells, nach der im Gleichgewicht neben Aktiva mit pekuniären Erträgen auch Geld zinslos als Vermögen gehalten wird, von der institutionellen Ausgestaltung der betrachteten Ökonomie abhängig (vgl. Abschnitt IV). Wenn etwa Finanzintermediäre (Banken) verzinsliche Geldvermögenstitel mit hohem Grad an Wertsicherheit anbieten, wird der Anteil der effektiven Geldhaltung aus dem Vermögensmotiv eher bei Nullliegen 9 • 8 "Liquidity preference is the reason why ready money commands a premium over bills or bonds - is the cause, therefore, of the existence of a rate of interest" (Hicks 1982: 240). 9 "Die Vermögenshaltung repräsentiert stets Formen der Aufgabe von Geld, als die sie sowohl einen Ertrag erzielen als auch einen Liquiditätsgrad erhalten" (Riese 1989: 12).

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Für die Entscheidung des Kreditanbieters ist zwar das Preisniveau irrelevant (eben weil er keine Güter verleiht), nicht jedoch die Rate seiner Veränderung, d. h. die Inflation. Sie zerstört die Fähigkeit des Geldes, eine perfekte (wenn auch pekuniär nicht rentable) Wertsicherung des Vermögens zu gewährleisten, und vermindert entsprechend den Realwert des Geldforderungsbestandes, selbst wenn der Zins auf neue Schuldverträge erhöht wird. Die Vermögensbesitzer waren in der Wirtschaftsgeschichte von diesem Problem gerade deshalb immer wieder betroffen, weil die Geldeigenschaft natürlicher Ressourcen (wie Gold) den Anreiz gab, private Investitionen zur Angebotsvermehrung zu unternehmen. Zudem wurden Banken vor allem aus dem (wirtschafts-) politischen Bedürfnis geschaffen, die für Industrie und Obrigkeit hinderliche Geldknappheit zu überwinden. Der einzelwirtschaftlich rationale Versuch der Geldvermögensbesitzer, sich über eine Flucht in die Sachwerte vor Kapitalverlusten zu schützen, mußte dann gesamtwirtschaftlich die Inflation weiter anheizen. IV. Kreditmarkt und Geldpolitik Der Merkantilismus war wohl die erste und zugleich (mit Ausnahme von Keynes) die letzte Schule der Nationalökonomie, die den Kredit ganz unbefangen als Geldverleih betrachtete (vgl. Binswanger 1982; Stadermann 1987: 47 ff.). Diese Sichtweise resultierte ganz und gar nicht aus einer Geldillusion angesichts der offenkundigen Bedeutung des Angebots an Finanzmitteln in einer sich entwickelnden Geldwirtschaft, in der alle Akteure eine Zahlung in Geld und nicht in Gütern verlangten. Den Merkantilisten war auch klar, daß eine Zunahme des Kredits gegenläufige Effekte auf den Zinssatz auslöst: Die direkte Zinssenkung wird möglicherweise durch den (Fisher-)Effekt einer steigenden Inflationsrate kompensiert, die ihrerseits die Folge einer durch die Kreditvermehrung angetriebenen Wirtschaftsaktivität ist. Sie versuchten deshalb, ihre Zahlungsbilanzpolitik (die in Ermangelung einer nationalen Währungsbehörde als Geldpolitik fungieren mußte) so zu führen, daß mittels Handelsbilanzüberschuß und Kapitalexport - modem formuliert - eine stabilitäts- und wachstumsgerechte Geldmenge im Lande zirkulierte. Klassik und Neoklassik sahen später den Zins nicht mehr von der Geldmenge, sondern nur noch vom Kreditmarkt bestimmt. Aber die entsprechende Kritik am Merkantilismus übersah, daß dieser Geld- und Kreditmarkt noch nicht getrennt hatte; eine Kreditausweitung konnte nur auf der Grundlage einer gestiegenen Geld- (d.h. Gold-) Menge in den Beständen der Kaufleute und Bankiers stattfinden. Geld gelangte nicht ..per Hubschrauber", sondern nur auf dem Wege des (privaten) Kredits in den KreislauPo. 10 Die Konsequenzen einer begrifflichen Trennung bzw. Verschmelzung von Geld und Kredit für die vieldiskutierte Frage der (Nicht-) Neutralität des Geldes können hier nur angedeutet werden: Wenn die monetäre keynesianische Ökonomie das postkeynesianische Geldmarktmodell verläßt und eine Kreditmarkttheorie des Zinses liefert (Riese 1989: 54),

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Die Kunst der Notenbankpolitik besteht heute wie im merkantilistischen Zeitalter darin, diese Art des einzelwirtschaftlichen Geldangebots so zu simulieren, daß die Liquiditätsversorgung der Volkswirtschaft nach Möglichkeit erleichtert wird, ohne dabei den Verdacht aufkommen zu lassen, man setze sich über private Vermögenssicherungsinteressen hinweg. Die Berücksichtigung dieser Interessen ist nicht in erster Linie ein soziologisches, einflußtheoretisch zu analysierendes Phänomen - sie ist Konsequenz einer Arbeitsteilung, durch die sich eine primitive von einer entwickelten Geldwirtschaft unterscheidet: Während das in Abschnitt III skizzierte grundlegende Kreditangebotskalkül noch auf einer direkten Knapphaltung des Geldes durch die Vermögensbesitzer aufbaute, ist die Funktion der Knapphaltung von Geld spätestens seit dem weltweiten System des Goldstandards auf die Notenbanken übergegangen. Dies bedeutete für das ökonomische System einen Wohlfahrts- und Stabilitätsgewinn, indem die Geldfunktion von einem für sich genommen kostenlosen Medium - den Zentralbanknoten - übernommen und sein gesamtwirtschaftliches Angebot von den Zufälligkeiten eines "naturalistischen" Produktionsprozesses befreit wurde. Dieser volkswirtschaftliche Gewinn wird z. T. von den Geldvermögenshaltern abgeschöpft, da nun auch ihre liquidesten und (im Vergleich zu anderen Geldvermögensformen) sichersten Portefeuilletitel (Bankguthaben) einen pekuniären Ertrag abwerfen. Entscheidend ist jedoch, daß den nationalen Zentralbanknoten die Geldfunktion stets nur "auf Widerruf' verliehen wird. Solange eine Volkswirtschaft überhaupt Außenwirtschaftsbeziehungen unterhält 11, wird es den Geldvermögensbesitzern möglich, die Emissionshäuser der verschiedenen nationalen Währungen gegeneinander auszuspielen (vgl. Stadermann 1987: 342fT.). Inflationserwartungen im Hinblick auf die einheimische Währung führen zu einer Bevorzugung fremder Währungen mit höher eingeschätzter Vermögenssicherungsqualität. Internationale Kapitalbewegungen setzen dann zusätzlich den Außenwert der nationalen Währung unter Druck. Schon die Befürchtung einer Abwertungs-Inflations-Spirale wird die Notenbank dann zu einer restriktiven Politik, d. h. zu einem Schutz der Geldvermögensinteressen bewegen. Solange die Notenbank die Wechselkurs- und InflationsefTekte einer Abwendung von der heimischen Währung zu fürchten hat, muß sie als Ausweis der Stabilitätssicherung die Bereitschaft zur Geldvermögenshaltung in der nationalen Währung pflegen. Das Wechselspiel zwischen Geldvermögensgläubigern und Zentralbank begründet "ein Spannungsverhältnis, bei dem die Gläubiger die Zentralbank ins Obligo nemnen, auf die Kontraktfähigkeit ihrer Währung zu achten" so bedeutet Endogenität des (einzelwirtschaftlichen) Geldangebots nun nichts anderes als ein endogenes Kreditangebot. Eine Neutralität des Kredits ist aber von keiner Theorieschule behauptet worden. 11 Wie die Erfahrungen gezeigt haben, sind auch Kapitalverkehrs- und Devisenmarktkontrollen nur unvollkommene Mittel zur Abschottung einer nationalen Ökonomie von den monetären Weltwirtschaftsbeziehungen.

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(Riese 1989: 55). Die Lehrbuchweisheit, daß Notenbanken kein Liquiditätsproblem haben, erweist sich dann rasch als Illusion. Unter diesen Bedingungen einer internationalen Geldwirtschaft stehen mit der Notenbank und den privaten Vermögensbesitzern zwei "Spieler" mit verschiedenen Interessen auf der Angebotsseite des Kreditmarktes, die indirekt über den Vermittler des Bankensystems das Geschäft der Geldversorgung betreiben. Die Fähigkeit des ersten Spielers zu einer für ihn kostenlosen Geldproduktion prägt bei der zweiten Gruppe ein grundsätzliches Mißtrauen, weil sie ihren Geldbestand nur via Ersparnis vermehren kann und Inflationsverluste bei einem zu reichlichen staatlichen Geldangebot befürchten muß. Die Geschäftsbanken wiederum versuchen, beide Anbieter gegeneinander auszuspielen, indem sie sich bei dem Akteur mit den günstigsten Konditionen refinanzieren. Die Zentralbank ist zwar jederzeit technisch in der Lage, die kurzfristigen Zinsen zu steuern; aber wenn sie die Geschäftsbanken nicht "am kurzen Zügel" hält, sehen die privaten Akteure ihre Zinsansprüche sowie die Realwertsicherung ihres Vermögens gefährdet. Sie sind zwar prinzipiell gleichgültig gegenüber einer beschäftigungspolitischen Zielsetzung der Geldbehörde, jedoch ist ein Ansteigen der Inflation für sie das Zeichen, daß die Geschäftsgrundlage des "fair play" entfallen ist. Finanz- und Devisenmärkte registrieren dann die Abwertung des nationalen Geldes. Kreditmarkt und Geldpolitik stehen somit in einem direkten Zusammenhang. Dadurch daß die Notenbank in einer Reihe mit den übrigen Kreditanbietern steht, hat sie die auf Vermögenssicherung orientierte Logik dieses Marktes zu respektieren. Die Verankerung der Notenbank im Kreditmarkt begrenzt eine Ausrichtung der Geldpolitik an allgemeinen wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Zielen. Literatur Binswanger, H. c., 1982: Geld und Wirtschaft im Verständnis des Merkantilismus. In: Neumark, F. (Hg.): Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie 11. Schriften des Vereins für Socialpolitik, 115/11, Berlin, 93-129. Chick, V., 1983: Macroeconomics after Keynes. Oxford. Clower, R. W., 1963: Die keynesianische Gegenrevolution - Eine theoretische Kritik. Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 99, 8-31. Hahn, F., 1955: The Rate of Interest and General Equilibrium Analysis. Economic Journal, 65, 52-66. Herr, H., 1988: Wege zur Theorie einer monetären Produktionswirtschaft - Der keynesianische Fundamentalismus. In: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 6: Die Aktualität keynesianischer Analysen. Frankfurt/New York, 66-98. Hicks, J., 1982: The Foundations of Monetary Theory. In: Ders.: Money, Interest and Wages. Collected Essays on Economic Theory, Bd.2, Oxford, 236-275.

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Makroökonomische Budgetbeschränkung und Kreditmarkt Von Hansjörg Herr, Berlin In der ökonomischen Theorie stehen sich gänzlich unvereinbare Konzepte der makroökonomischen Budgetbeschränkung und damit auch von Knappheit gegenüber. Die Besonderheit der makroökonomischen Budgetrestriktion macht den Kern eines Paradigmas aus und hängt unmittelbar mit der Begründung arbeitslosen Einkommens zusammen. Nach der kurzen Darstellung der Grundstrukturen der wichtigsten ökonomischen Paradigmen im ersten Teil des Aufsatzes wird im zweiten die Bestimmung der keynesianischen Budgetrestriktion im Rahmen der Analyse des Kreditmarktes diskutiert, während im letzten Teil auf die besondere Rolle der Zentralbank eingegangen wird. I. Budgetbeschränkung und Profiterklärung

Die Neoklassik geht von der "Rolle knapper Ressourcen bzw. einer Budgetrestriktion" (Barro 1988:9) aus. Eine solche Budgetrestriktion impliziert einen überhistorischen stomichen Knappheitsbegriff: Physische Ressourcen beschränken die Produktion und fallen in der Form einer Erstausstattung wie Manna vom Himmel (vgl. Patinkin 1965:4). Eine Erhöhung der Produktion kann nur durch eine Zunahme der Arbeitskräfte und/ oder der Produktionsmittel und/ oder der Verbesserung der physischen Effizienz der Produktionsfaktoren erreicht werden. Wird die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials und des technologischen Fortschritts exogenisiert, so bleibt als endogener ökonomischer Faktor nur die Erhöhung der physischen Produktionsmittel. Letztere können erhöht werden, wenn eine Bereitschaft der ökonomischen Agenten existiert, nicht die gesamte Neuwertschöpfung einer Periode zu konsumieren. Konsumverzicht wird somit zum Credo ökonomischen Wachstums und zukünftig höherer Konsumtion. Der Zinssatz bringt die Ersparnisse der Haushalte entsprechend ihrer Zeitpräferenz zwischen heutigem und zukünftigem Konsum und die Investitionsnachfrage der Unternehmen ensprechend der Grenzproduktivität der Produktionsmittel zum Ausgleich. Die Entlohnung der volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren erfolgt über deren relative Knappheit, so daß alle Einkommen den Charakter einer (Knappheits-) Rente erhalten. Die Klassik hat ebenfalls einen physischen Knappheitsbegriff. Da Produktionsmittel- sieht man von Boden ab, der in der Klassik einen Sonderfall bildet - jedoch als beliebig reproduzierbar angesehen werden, beschränkt sich die Budgetrestriktion nur auf das Arbeitsangebot bzw. die Bevölkerung, so daß 17 Festschrift Riese

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ohne die Berücksichtigung von technologischem Fortschritt das Wachstum des Sozialproduktes durch das Bevölkerungswachstum begrenzt ist. Die Einkommensverteilung zwischen Arbeit und Kapital erfolgt in der Klassik somit auch nicht über die relative Knappheit der Produktionsfaktoren, sondern hat einen Freiheitsgrad, der im klassischen Produktionspreismodells durch die exogene Setzung des Reallohnes geschlossen wird (vgl. Sraffa 1976). Ist der Lohnsatz niedriger als die Neuwertschöpfung, entsteht ein Profit als Überschuß. Da Profit die Quelle der Akkumulation bildet, resultiert bei konstantem Produktivitätsfortschritt eine gleichgewichtige Arbeitslosenquote, der ein gleichgewichtiger Profit und ein gleichgewichtiges Wachstum entspricht (vgl. Vosgerau 1978:496). Der monetäre Keynesianismus geht davon aus, daß physische Ressourcen nicht die relevante makroökonomische Budgetrestriktion darstellen, sondern daß in Geldwirtschaften eine systemspezifische Knappheit in der Form der Knapphaltung von Geldvorschüssen für Produktionsprozesse vorliegt. l Setzen Neoklassik und Klassik "scarcity" voraus, so postuliert der monetäre Keynesianismus eine "contrived scarcity" (Riese 1986:65). Geldvorschüsse werden marktendogen knappgehalten, wenn Vermögensbesitzer 2 die Unsicherheit des zwingend in der Zukunft liegenden Vermögensrückflusses berücksichtigen und Geldvorschüsse verweigern. Steigt die Bereitschaft zu Geldvorschüssen, so kommt der Einkommensbildungsprozeß in Gang, der seinen Impuls aus der Investitionstätigkeit erhält und sich selbst die erforderlichen Ersparnisse schafft (vgl. Keynes 1932; 1936). Nimmt der Geldvorschuß ab, so sinkt der Auslastungsgrad von Ressourcen - vor allem der Auslastungsgrad des Arbeitskräftepotentials, da sich der physische Kapitalstock im Gleichgewicht dem gesellschaftlichen Niveau des Geldvorschusses anpaßt. Dispositionen auf dem Vermögensmarkt bewirken, daß physische Ressourcen in einer Geldwirtschaft überschüssig sind und nur in außergewöhnlichen und instabilen Situationen eine Rolle als Budgetrestriktion spielen. Insbesondere leitet der monetäre Keynesiansimus im Gleichgewicht einen Sockel von Arbeitslosigkeit ab (vgl. Riese 1986:162). Arbeitslosigkeit hat allerdings nicht - wie in der Klassik - die Funktion, einen Überschuß durch die Niedrighaltung der Reallöhne zu bewirken. Sie ist vielmehr notwendig, um eine Lohn-Preis-Spirale zu unterbinden, die die Vermögenssicherungsqualität des Geldes aushöhlen und früher oder später in eine destabilisierende Inflation führen müßte. Keynes (1936:186ff.) hat die Liquiditätsprämie als preistheoretischen Ausdruck des Vorteils der Geldhaltung bei Existenz von Unsicherheit eingeführt. 1 Diese monetäre Budgetrestriktion hat Riese wie folgt fonnuliert: .. Eine monetäre Ökonomie konstituiert sich somit dadurch, daß das Knapphalten des Geldangebots das Marktsystem reguliert und Geld dadurch Einfluß auf den Vennögensmarkt, Gütermarkt und Arbeitsmarkt ausübt" (Riese 1986:65. vgl. auch Riese 1987 und 1989). 2 Typische Vermögensbesitzer sind die Geschäftsbanken. Sie disponieren über Vermögen, haben aber - anders als Vennögenseigentümer - kein Reinvennögen. Der typische Vennögenseigentümer ist der Vennögenshaushalt.

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Das Entscheidungsproblem für Vermögenseigentümer besteht in der Logik des 17. Kapitels der "Allgemeinen Theorie" darin, zwischen der Sicherheit und Annehmlichkeit der Geldhaltung - ausgedrückt in der Liquiditätsprämie und einem prinzipiell unsicheren Geldvorschuß zu wählen. 3 Gleichgewicht ist erreicht, wenn die pekuniären Verwertungsraten der Liquiditätsprämie als "Hahn im Korb" aller Verwertungsraten entsprechen. Wird in einer extrem vereinfachten Fassung des Portfoliomodelles nur zwischen Geld und Produktivkapital unterschieden, so steht der Liquiditätsprämie unmittelbar die Profitrate gegenüber (vgl. Riese 1988:285), die ihrerseits nur aufgrund der Liquiditätsprämie existieren kann. 4 Eine Geldwirtschaft ist durch Kreditbeziehungen gekennzeichnet und wird dadurch zur Verpflichtungsökonomie. Wird zwischen Gläubigern und Schuldnern unterschieden, so ergibt sich die Sukzession von der Liquiditätsprämie zum Zinssatz und vom Zinssatz zur Profitrate (vgl. Keynes 1936:178f.). Mit dem Zinssatz wird ein "neues Kostenelement" (Keynes 1936:181) der Produktion eingeführt, das wie eine Steuer auf Produktionsprozesse wirkt und in die Preisbildung eingeht (vgl. Spahn 1986:155ff.). Die Verteilung im monetären Keynesianismus hat - wie in der Klassik - einen Freiheitsgrad, da im Gleichgewicht jeder Zinssatz als Kostenfaktor auf die Preise überwälzt wird. 5 Verteilung und Produktionsniveau (bzw. Kapitalstock) sind langfristig voneinander unabhängig, so daß eine Geldwirtschaft bei unterschiedlichsten "Verteilungsregimen" prosperieren oder stagnieren kann. 6 Veränderungen des Zinsniveaus führen bei existierendem Gleichgewicht über Neubewertungen des Vermögenswertes von Produktivkapital zwar zu konjunkturellen Störungen, langfristig können sich Vermögenswert und Produktionskosten von Produktionsmittelnjedoch bei jedem Zinssatz anpassen. Aus der Argumentation ergibt 3 HeinsohnjSteiger (1988) erklären die Liquiditätsprämie aus der Notwendigkeit der individuellen ökonomischen Reproduktion in einer Geldwirtschaft, die keine unmittelbaren Solidarverbände wie Stamm oder Großfamilie mehr kennt und somit zur individuellen Schatzaufhäufung zum Zweck der Produktion von individueller Sicherheit zwingt. Die Argumentation über die Unsicherheit des Vermögensrückflusses (vgL Riese 1986:52ff.) erscheint plausibler, da sie auch noch bei Vermögensanhäufungen gilt, die nicht mehr aus dem individuellen Sicherungsgedanken erklärbar sind. Die Berücksichtigung der Unsicherheit des Vermögensrückflusses ist ein Element der optimalen Portfoliowahl und damit der Verwertung von Vermögen untergeordnet. 4 Somit ist auch die implizite Vorstellung des keynesianischen Fundamentalismus (vgL Davidson 1978:218ff., Minsky 1990:126f.) falsch, daß Produktionsprozesse durch eine Dienstleistungsfunktion des Kapitals einen Profit abwerfen und die Liquiditätsprämie als "Hahn im Korb" aller Verwertungsraten dann nur den gleichgewichtigen Kapitalbestand determiniert, bei dem die unabhängig von der Liquiditätsprämie gegebene Profitrate der Liquiditätsprämie entspricht (vgL Riese 1987a). 5 Der Freiheitsgrad des Produktionspreissystems kann damit im keynesillnischen Paradigma über die Profitrate, die von der Zinsrate bestimmt wird, geschlossen werden. 6 Die Vision des "sanfte(n) Tod(es) des Rentners" (Keynes 1936:317) paßt bei dieser Vorstellung durchaus ins Bild.

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sich, daß langfristig kein gleichgewichtiger Kapitalstock ableitbar ist (vgl. Spahn 1988:358ff.), so daß im monetären Keynesianismus Verteilung und Wachstum letztlich unbestimmt sind. Beide Größen entwickeln sich dann auch nicht entsprechend vorgegebenen Trends - wie in Teilen der Wachstumstheorie nahegelegt wird -, sondern entsprechend kurz- bis mittelfristiger Phasen, die von spezifischen historischen Bedingungen geprägt sind und als Resultat erst einen Trend erzeugen. Die Ableitung einer monetären Budgetrestriktion ist allerdings kurzfristig zu jedem gegebenen historischen Zeitpunkt möglich. Kurzfristig lassen sich spezifische Kreditangebots- und Kreditnachfragekurven sowie ein sich daraus ergebender gesellschaftlicher monetärer Vorschuß in Produktivkapital ableiten. Somit ist die makroökonomische Budgetrestriktion zu jedem Zeitpunkt ein Ausdruck spezifischer historischer Bedingungen.

u. Der Kreditmarkt und die Bestimmungsgründe der keynesianischen Budgetrestriktion

Kann Keynes bei der Begründung der Existenz pekuniärer Verwertungsraten prinzipiell zugestimmt werden, so kann seine Fassung der monetären Budgetrestriktion nicht überze!lgen. Betrachtet er in der "Allgemeinen Theorie" das Bankensystem überhaupt nicht und geht von einer exogenen Setzung der Geldmenge aus (vgl. Keynes 1936: Kap.13 und 15), so wird in der "Treatise" zwar das Geschäftsbankensystem analysiert, jedoch bleibt die "Zentralbank der Dirigent des Orchesters (der Geschäftsbanken, d.V.) und gibt den Takt an" (Keynes 1932:23). Es ist Keynes nicht nur vorzuwerfen, daß er die Geschäftsbanken als Marionetten der Zentral bank faßt, sondern vor allem, daß er über die (instabile) Geldnachfrage die Nichtneutralität des Geldes ableitet. Dabei bleibt es sekundär, ob er über das periodische Wechseln des Publikums zwischen Bankdepositen und Effekten (Keynes 1932) oder über eine schwankende Spekulationskasse (Keynes 1936) argumentiert. Weitaus wichtiger als die Geldhaltung, die auch bei Instabilität der Geldnachfrage immer nur ein zweitrangiger Störfaktor sein kann, ist das Geldangebot. 7 Letzteres kann jedoch nicht schlicht als exogen durch die Zentralbank gesetzt angesehen werden, sondern ist Resultat der Interaktion zwischen Zentralbank, Geschäftsbanken und Publikum. 8 7 Dogmenhistorisch fiel Keynes an diesem Punkt hinter die damalige monetäre Diskussion zurück. So haben etwa Wicksell (1898), Schumpeter (1926) oder Hahn (1930) das Bankensystem und den Geldangebotsprozeß ins Zentrum der Analyse gestellt. Allerdings gelang diesen Autoren nicht - im Unterschied zu Keynes -, den Kern eines monetären Paradigmas zu formulieren. 8 Riese gebührt das Verdienst, den Geldangebotsprozeß in origineller Weise thematisiert zu haben. Allerdings bleibt seine Argumentation 1986 noch stark der Denkstruktur von Keynes verhaftet, wenn die "Spekulationskasse nicht als Geldnachfrage, sondern als Verzicht auf ein Geldangebot interpretiert" (Riese 1986:59) wird, dem die Geldnachfrage

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Das Kreditangebot wird bei gegebener Geldpolitik wesentlich durch das Bankensystem bestimmt, da Banken in modemen Geldsystemen als Vermittler zwischen der Zentralbank und dem Publikum agieren (vgl. Herr 1986). Die Zentralbank besitzt zwar das Monopol der Geldschöpfung, jedoch übernimmt das Bankensystem die Funktion der Versorgung des Publikums mit Geld (vgl. Riese 1986:64).9 Verschuldet sich das Bankensystem entsprechend den Portfoliokalkülen der Einzelbanken bei der Zentralbank, so entsteht Geld; bei einer Entschuldung des Bankensystems gegenüber der Zentral bank wird Geld vernichtet. Die Zentral bank bestimmt zwar die Refinanzierungskosten der Banken, jedoch bleibt die Entstehung des Geldes dem Kalkül der Banken überlassen. Dies ergibt sich schon daraus, daß die Zentral bank immer ihr "Diskontfenster" für das Bankensystem geöffnet halten muß.lO Verletzt die Zentralbank dieses Gebot, so destabilisiert sie das Banken- und damit das gesamte Geldsystem. Die unmittelbare Verfolgung einer Geldmengenregel etwa durch den jährlichen Abwurf einer bestimmten Menge an Geld - ist somit Fiktion, da die Zentralbank die Geldmenge immer nur indirekt durch die Setzung der Refinanzierungsbedingungen der Banken steuern kann. Das dominierende Kalkül der Bank ist die Kreditaufnahme zum Zweck der eigenen Kreditvergabe und nicht die Disposition über Nettovermögen. Sie strebt nach Gewinnmaximierung unter der Nebenbedingung der Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit. Solange das Publikum Zentralbankgeld hält, muß die einzelne Bank immer damit rechnen, daß Depositen in Geld umgewandelt werden. Sind Bankdepositen in der Einschätzung des Publikums durch Einlagenversicherungen oder staatliche Garantien absolut sicher, kann im Extremfall eine Geldhaltung des Publikums von Null unterstellt werden (vgl. Riese 1989). Jedoch auch in diesem Fall steht die einzelne Bank vor einem Liquiditätsproblem, da sie jederzeit mit dem Abfluß von Depositen an andere Banken rechnen muß. Schließlich muß sie aufgrund der Verschuldung gegenüber der Zentralbank ihr "cash-flow"-Management so einrichten, daß sie zahlungsfähig bleibt. Trotz des Zwanges zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit halten Banken keine riesigen Liquiditätsreserven. Die Einzelbank kann vielmehr davon als Transaktionskasse aufgrund der Dienstleistungsfunktion des Geldes gegenübersteht. Geldhaltung bei Vermögenseigentümern wird somit bei gegebenem gesellschaftlichem Geldbestand "als (versteckte) Kategorie des Geldangebots" (Riese 1986:53) gefaßt. Bei dieser Argumentation gerät der tatsächliche Geldangebotsprozeß über das Bankensystem aus dem Blickfeld. Später hat Riese allerdings das Bankensystem durchaus ins Zentrum seiner Analyse gerückt (vgl. insbesondere Riese 1989). 9 Als Geld wird nur Zentralbankgeld verstanden. Sichtdepositen können zwar Geldfunktionen übernehmen, sind jedoch als Forderungstitel aufGeld in dessen Funktion als Wertstandard von Schuldverträgen bezogen. Zudem fungiert nur Zentralbankgeid als gesetzliches Zahlungsmittel. 10 Über Offenmarktpolitik zwischen Zentralbank und Geschäftsbanken können ebenfalls Geldentstehung und Geldvernichtung abgewickelt werden. Auch das "Diskontfenster" kann durch die Bereitschaft der Zentralbank zum Kauf von Wertpapieren offengehalten werden.

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ausgehen, daß sie sich - verliert sie nicht ihre Bonität, was nur durch eine überdurchschnittlich risikofreudige Geschäftspolitik möglich ist - auf dem Geldmarkt gegebenenfalls refinanzieren kann. Die Zentralbank ist wiederum gezwungen, als "lender of last resort" die Zahlungsfähigkeit des gesamten Bankensystems aufrechtzuerhalten und das "Diskontfenster" nie zu schließen. Eine Bank wird somit zur Bestimmung ihrer Liquiditätshaltung primär die zukünftig erwarteten Refinanzierungskosten mit den derzeitigen vergleichen und darüber eine optimale Kassenhaltung bestimmen. 11 Banken sind nur zu einer Kreditvergabe bereit, wenn ihr Verleihzinssatz mindestens den Kosten der Kreditbeschaffung plus einer als notwendig erachteten Zinsspanne entspricht. Nun ist die Zinsspanne der Banken keineswegs nur durch die Kosten des Bankbetriebs charakterisiert. Entscheidend ist, daß in die Zinsspanne eine Unsicherheitsprämie eingeht, die die enge Koppelung zwischen dem Leih- und Verleihzinssatz der Banken aufhebt l2 und den Mindestzinssatz mitbestimmt, zu der eine Bank überhaupt erst zu einer Kreditvergabe bereit ist. 13 Die Unsicherheitsprämie ist nicht mit der Liquiditätsprämie zu verwechseln. Letztere ist auf einen gehaltenen Geldbestand bezogen, erstere ein Teil der von Banken geforderten Mindestzinsspanne; sie stellt eine Entlohnung der mit der Kreditvergabe verbundenen Unsicherheit des Vermögens rückflusses dar. 14 Aus dem Individualkalkül der Geschäftsbanken ergibt sich, daß die typische Kreditangebotsfunktion bei gegebenen Erwartungen bei einem Mindestzinssatz beginnt, dann mit dem Zinssatz positiv ansteigt und ab einem bestimmten Kreditvolumen zinsunelastisch wird. Selbst wenn unterstellt wird, daß eine Geschäftsbank sich zu einem gegebenen Zinssatz unbegrenzt refinanzieren kann, ist ein mit dem Kreditvolumen ansteigender Zinssatz durch die Kalküle der Einzelbanken ableitbar. Dies liegt wesentlich daran, daß Banken bei ihrer Kreditvergabe zur Kalkulation der Sicherheit des Vermögensrückflusses die Reputation bzw. Bonität ihrer Schuldner einschätzen müssen. Zur allgemeinen 11 Gesetzliche Mindestreserven und eventuelle Strafzinsen bei ihrer Nichterfüllung erhöhen das Halten von Zentralbankgeld seitens der Banken. 12 "There is bound to be a gap (depending on liquidity preference, in a broad sense, and on transaction costs) between anything that can be directly controlled by an interest rate policy ... If the gap is narrow, and can be relied upon to be narrow, interest policy can be quite effective; but if the gap is wide, and undependable, there is a formidable obstacle in its way" (Hicks 1982:272). 13 Stadermann (1986a:137) trennt Liquiditätspräferenz und "Einkommensanspruch" des Vermögensbesitzers: "Inhalt eines Kreditgeschäfts ist aber auch die Erzielung eines Einkommens für den Darieiher, der Zins muß also über die Liquiditätspräferenz hinaus den Einkommensanspruch des Vermögensbesitzers befriedigen." Was der Einkommensanspruch sein soll, wird aber nicht näher geklärt. 14 Riese geht davon aus, "daß die Liquiditätspräferenz des Geschäftsbankensystems das Geldangebot steuert" (Riese 1989:9 Fn. 23). Damit wird jedoch das Kalkül der Bank .zerschnitten, das primär die Entscheidung der eigenen Kreditaufnahme zum Zweck der Kreditvergabe umfaßt.

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Unsicherheit des Gelingens von Produktionsprozessen kommt hinzu, daß risikofreudige Schuldner, die mit fremdem Geld Risiken eingehen, durch exzessive Kreditaufnahmen die Unsicherheit des Vermögensrückflusses drastisch erhöhen können. Es ist davon auszugehen, daß zu jedem Zeitpunkt eine endliche Anzahl von Schuldnern unterschiedlicher Bonität existiert. 15 Jede Bank bedient nur die besten Schuldner zum Mindestzinssatz; soll das Kreditvolumen weiter ausgedehnt werden, so müssen Schuldner mit geringerer Reputation einen höheren Zinssatz akzeptieren. 16 Das Kreditangebot wird marktendogen zinsunelastisch, wenn es keine kreditwürdigen Schuldner mehr gibt bzw. wenn die geringe Reputation der Schuldner nicht mehr durch höhere Zinssätze ausgeglichen werden kann. 17 Ein ab einem bestimmten Kreditvolumen zinsunelastisches Kreditangebot entspricht vollständig der Logik eines Vermögensmarktes bei Unsicherheit, da auch eine hohe und steigende pekuniäre Verwertungsrate ein erwartetes Mißlingen des Vermögensrückflusses nicht kompensieren kann. IB IS Bei Gütermärkten wird bei einer allgemeinen Theorie vollständige Konkurrenz unterstellt,.wobei sich Unternehmen als reine Mengenanpasser verhalten. Bei konstanten und steigenden Skalenerträgen dehnen Unternehmen ihr Angebot dann ab einem gewissen Preis unendlich aus, was zu Widersprüchen mit der Unterstellung vollständiger Konkurrenz führt. Bei Geldvorschüssen von Banken widerspricht die Annahme einer unendlichen Kreditvergabe der einzelnen Bank ab einem bestimmten Zinssatz nicht nur der Annahme vollständiger Konkurrenz, sondern vor allem der Logik von Vermögensmärkten, auf denen die Sicherheit des Geldrückflusses eine zentrale Rolle spielt. Ein ähnliches Argument gilt auch bei Geldvorschüssen für Produktionsprozesse (vgl. unten). 16 Zwei andere Begründungen für den mit dem Kreditvolumen steigenden Verleihzinssatz sollen erwähnt werden. Spahn (1986:160) argumentiert in der Tradition von Tobin (1957), "daß mit wachsendem Kreditangebot Teile des Geldvermögens durch prinzipiell unsichere Forderungsrechte substituiert werden, mithin der verbleibende sichere Rest des Geldbestandes knapper und aus der Sicht des Vermögensbesitzers wertvoller wird." Meines Erachtens gilt diese Argumentation nur für einen Vermögenshaushalt, der über einen gegebenen Geldbestand verfügt. Tobin (1974) leitet simultan steigende Verleih- und Einlagenzinssätze der Banken im Rahmen des Wettbewerbs der "Bankenindustrie" um Einlagen des Publikums ab. Eine solche Vorstellung rückt die Stellung der Banken als Vermittler zwischen dem Publikum in den Vordergrund. Können sich die Banken bei der Zentralbank refinanzieren, so wirkt der von Tobin postulierte Zinssteigerungseffekt nicht. 17 "Die Unvorhersehbarkeit der Zukunft zwingt die Vermögensbesitzer dazu, das Geschäft der Aufgabe von Liquidität mit Vorsicht zu betreiben, um der Gefahr eines Vermögensverlustes zu entgehen. Dies aber gibt der unelastischen Geldangebotsfunktion die präferenztheoretische Grundlage" (Riese 1986:55f.). 18 Bei der Berücksichtigung von Fremd- und Eigenkapital bei Unternehmen ergibt sich ein weiteres Argument für den beschriebenen Verlauf der Kreditangebotskurve. Wenn Unternehmen im Rahmen einer Kreditexpansion ihre Fremdkapitalquote erhöhen, nimmt für Gläubiger das Haftungskapital in der Form des Eigenkapitals des Schuldners relativ ab. Ein solcher Prozeß führt zu steigenden Zinssätzen und kann schließlich zu einem zinsunelastischen Verlauf der Kreditangebotskurve führen (vgl. Minsky 1990). Allerdings ist ein Anstieg der Fremdkapitalquote nicht zwingend, da Selbstfinanzierungseffekte sowie Methoden der Eigenkapitalerhöhung - etwa durch Ausgabe neuer Aktien - einen Anstieg der Fremdkapitalquote verhindern können.

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Könnte und würde sich eine Bank auf dem bankeninternen Geldmarkt beliebig refinanzieren und hätte sie den niedrigsten Mindestzinssatz und bezüglich der Schuldner die größte Risikobereitschaft, so würde die individuelle Kreditangebotskurve dieser Bank die gesamtgesellschaftliche Kreditangebotskurve des Bankensystems determinieren. Eine solche Annahme ist jedoch nicht aufrechtzuerhalten. Weniger risikofreudige Banken werden einer isoliert expandierenden Bank ab einem gewissen Zeitpunkt nur zu erhöhten Zinssätzen Kredite geben und eine weitere Kreditvergabe schließlich gänzlich verweigern, da vermittelt über die relativ schlechte Bonität der Schuldner der expandierenden Bank auch deren eigene Bonität leiden müßte. 19 Dies bedeutet, daß bei fehlendem Gleichschritt der Kreditexpansion der Banken die Kreditangebotsfunktion relativ schnell zinsunelastisch wird. Vermögenshaushalte können auf die Form der Kreditangebotsfunktion nur modifizierend einwirken, da das Geschäftsbankensystem im Zusammenspiel mit der Zentralbank das Kreditangebot dominiert. Dies ist bei dessen Ausweitung unmittelbar einsichtig, da das Kreditangebot der Geschäftsbanken nicht durch einen Bestand an Reinvermögen begrenzt ist und die Geschäftsbanken bei entsprechenden Refinanzierungsmöglicheiten bei der Zentral bank das aggregierte Kreditvolumen beliebig ausweiten können. Auch bei der Reduktion des Kreditangebots dominiert das Bankensystem, wobei die Dominanz mit dem Anteil der Kreditvergabe der Banken am Kreditvolumen an den Unternehmenssektor zunimmt. Die Kreditnachfrage des Unternehmenssektors kann vereinfacht dem gewünschten Bestand an Produktivkapital gleichgesetzt werden. 20 Eine mit fallendem Zinssatz zunehmende Kreditnachfrage läßt sich ableiten, wenn es zu jedem gegebenen Zeitpunkt für jeden Unternehmer eine endliche Anzahl von Investitionsprojekten gibt und jedem dieser Investitionsprojekte in der subjektiven Erwartung der Unternehmer eine spezifische erwartete Profitrate - etwa aufgrund individuell erwarteter Quasirenten - zugeordnet wird. Die Endlichkeit ergibt sich daraus, daß Investitionen in historischer Zeit stattfinden und innerhalb einer Zeitperiode nicht unendlich viele Projekte duchgeführt werden können. Unterschiedliche erwartete Verwertungsraten von Investitionen ergeben sich aus der Erwartungsbildung und der Vielzahl von objektiven und subjektiven Faktoren, die beim Erwartungsbildungsprozeß berücksichtigt und bewertet werden müssen. 21 19 Eine unbegrenzte Refinanzierung einer einzelnen Bank durch die Zentral bank ist ebenfalls nicht denkbar. Die Zentral bank beschränkt vielmehr durch die Definition refinanzierungsfahiger Vermögenstitel ihre Kreditvergabe gegenüber einer Einzelbank. Die institutionelle Bindung der Geldschöpfung an refinanzierungsfahige Papiere hat somit den tieferen Sinn, eine spezifische Allokation des von der Zentral bank zusätzlich geschaffenen Geldes zu bewirken. 20 In die Kreditnachfrage der Unternehmen geht auch die gewünschte Kassenhaltung ein. Von diesem Faktor, der für die Argumentation bei dem hier betrachteten Problem sekundär ist, wird abgesehen.

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Aber auch andere Argumente zur Ableitung einer mit steigendem Zinssatz fallenden Investitionsnachfrage sind diskutiert worden: Anknüpfend an Ausführungen von Keynes (1936, Kapitel 8 und 9) können Sättigungstendenzen als Folge steigender Einkommen oder einer für die Konsumtion ungünstigen Einkommensverteilung abgeleitet werden. Ein genereller Nachfragemangel, den ein Investor bei Berücksichtigung makroökonomischer Prozesse in seine Kalküle einbezieht, kann zur Begrenzung der Kreditnachfrage jedoch kaum als allgemeingültig herangezogen werden, da der keynesianische InvestitionsEinkommens-Prozeß potentiell immer eine ausreichende Nachfrage schaffen kann und andere Annahmen an Verhaltenshypothesen gebunden sind, die keine Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Von Spahn (1988) wird der "Cournotsche Investor" eingeführt, der die Begrenzung des Absatzmarktes für sein angebotenes Produkt berücksichtigt. Aber auch in diesem Fall wird nicht erklärt, warum es nicht beliebig viele andere und immer wieder neu entstehende Absatzmärkte gibt, so daß die Nachfrageerwartungen makroökonomisch selbst bei Sättigungstendenzen für einzelne Güter nicht getrübt werden müssen. Ein weiteres Argument bringt Minsky (1990). Er postuliert bei einer steigenden Fremdkapitalquote der Unternehmen nicht nur ein steigendes Gläubiger-, sondern auch ein steigendes Schuldnerrisiko als Folge des ungünstiger werdenden Verhältnisses zwischen fixiertem Schuldendienst und unsicheren Erlösen. Falls die Fremdkapitalquote tatsächlich ansteigt, so kann bei einem risikoscheuen Unternehmer durch eine steigende Fremdkapitalquote die Kreditnachfrage gebremst werden. Bei einem risikofreudigen Unternehmer kann allerdings das Gegenteil eintreten, so daß das Argument keinen eindeutigen Schluß auf die Kreditnachfrage zuläßt. Bei gegebenen Refinanzierungskosten des Bankensystems ergibt sich die makroökonomische Budgetrestriktion marktendogen durch den Schnittpunkt der Kreditangebots- mit der Kreditnachfragefunktion. Das aggregierte Kreditangebot wird unabhängig von der Kreditnachfrage zur makroökonomischen Budgetrestriktion, wenn die Kreditangebotsfunktion zinsunelastisch wird. Potentiell kann das Kreditangebot oder die Kreditnachfrage zum dominierenden Element der makroökonomischen Budgetrestriktion werden. Wird die Interaktion zwischen Gläubiger und Schuldner berücksichtigt, so wird in aller Regel das Kreditangebot die entscheidende Budgetrestriktion sein. Dies zeigt sich auch daran, daß durch den abgeleiteten Verlauf der Kreditangebotsfunk21 ,Keynes (1936:115) leitet ebenfalls eine mit der Zunahme der Investitionstätigkeit fallende erwartete Profitrate ab, "da sich das voraussichtliche Erträgnis mit der Zunahme jener Art Kapital verringern wird". Eine Erklärung für diesen Sachverhalt wird nicht geliefert, allerdings wird die Argumentation der Grenzproduktivitätstheorie verworfen (vgl. Keynes 1936:178f.). Riese (1986:61 Fn.119) postuliert, daß "mit steigendem Geldangebot die Sicherheit des VermögensTÜckflusses sinkt." Eine Erklärung gibt es auch hier nicht. Keynes (1936: 115) hat den Anstieg des Angebotspreises von Investitionsgütern aufgrund von Kapazitätsgrenzen in der Kapitalgüterindustrie als weiteren Grund zur Reduzierung der erwarteten Profitrate bei zunehmender Investitionsnachfrage herangezogen. Dieses Argument hat durchaus eine gewisse Plausibilität.

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tion selbst bei Abwesenheit einer üblich unterstellten Kreditnachfragefunktion eine makroökonomische Budgetrestriktion auf dem Kreditmarkt existiert. 22 III. Die Eingebundenheit der Zentralbank in den Marktprozeß

Eine bei gegebener Geldpolitik aus dem Zusammenspiel von Kreditangebot und Kreditnachfrage resultierende makroökonomische Budgetrestriktion kann die Knappheit des Geldes, die eine Funktionsbedingung einer stabilen Geldwirtschaft ist, durchaus verletzen. Setzt der Kreditmarkt bei gegebenen Refinanzierungsbedingungen des Bankensystems durch die Zentral bank keine ausreichend harte makroökonomische Budgetrestriktion, ist die Zentral bank früher oder später gezwungen, zur Aufrechterhaltung der Akzeptanz ihres Geldes ihrerseits eine harte monetäre Budgetrestriktion herzustellen. Eine solche Maßnahme erfolgt über die Verteuerung des Geldmarktzinssatzes und deren Einfluß auf die aggregierte Kreditangebotsfunktion. Letztlich gelingt es einer Zentralbank über diesen Mechanismus immer, das Kreditvolumen an den Unternehmenssektor einzuschränken. 23 Bestimmend für die Geldpolitik der Zentralbank sind zwei Ziele: die Sicherung der Stabilität von Preisniveau und Wechselkurs, wobei die Entwicklung des Wechselkurses als Effizienzkriterium interner Preisstabilität gelten muß (vgl. Riese 1986:247). Insbesondere durch die Existenz ausländischer Gelder sind Zentralbanken der "unerbittlichen Konkurrenz bei der Bereitstellung kreditmarkttauglicher Zentralbanknoten" (Stadermann 1986:199) unterworfen und zwingen sie, das "Primat der Politik einer externen Stabilisierung" (Riese 1986:249) zu verfolgen. Entscheidend bei der Unterwerfung der Zentralbank unter Marktzwänge sind die Portfolioentscheidungen der Vermögenseigentümer, die bei der direkten Steuerung des Kredit- und Produktionsvolumens eine 22 Widersprochen wird der Position von Kaldor, der in der Tradition der BankingSchule eine horizontale, vollständig zinselastische Kredit- und damit auch Geldangebotskurve ableitet, deren Niveau von der Zentralbank bestimmt wird. "The money stock will be deterrnined by demand, and the rate of interest determined by the Central Bank" (Kaldor 1985:24). Bei Kaldor wird der Zinssatz ausschließlich institutionell bestimmt; bei von der Zentralbank gesetztem Zinssatz ergeben sich dann Kreditvolumen und Geldmenge durch die Kreditnachfrage. Eine solche Position kann nicht überzeugen, da es keine marktmäßige Beschränkung des Kreditangebots gibt und die Geschäftsbanken als reine Ausführungsorgane der Zentralbank interpretiert werden. 23 Zur Durchführung ihrer Geldpolitik bedarf die Zentralbank der Zinskontrolle auf dem bankenintemen Geldmarkt. Diese kann sie nur erlangen, wenn die Geldversorgung des Publikums über das Bankensystem erfolgt und die Geschäftsbanken bei der Zentralbank kurzfristig verschuldet sind. Eine Steuerung der Geldmenge etwa über den öffentlichen Budgetsaldo widerspricht somit fundamental den Anforderungen an ein Geldsystem, da eine solche Geldentstehung diskretionäre Geldpolitik verunmöglichen würde. Geldpolitik setzt an den marginalen Veränderungen des Geldvolumens an. Damit kann auch in einer funktionsfähigen Geldwirtschaft durchaus ein Geldbestand existieren, der über verschiedenste Quellen entstanden ist und als "revolvierender Fonds" vom Publikum gehalten wird.

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untergeordnete Rolle spielen, jedoch national durch eine Flucht in Sachwerte und international durch eine Flucht in andere Währungen die inländische Ökonomie destabilisieren und die Zentralbank - will sie sich nicht selbst eliminieren bzw. durch ein Parallelwährungssystem die Kohärenz der inländischen Ökonomie zerstören - zur Setzung einer monetären Budgetrestriktion zwingen (vgl. HerrjSpahn 1989; Herr 1992). Die formal exogene Setzung der monetären Budgetrestriktion, die von einer Zentral bank bei der Gefahr der Erosion des Geldsystems vorgenommen wird, ist materiell in den Marktprozeß eingebunden, da sich auch die Zentralbank Marktzwängen unterwerfen muß. Damit wird die Zentralbank - ob sie will oder nicht - bei einer unzureichenden marktendogenen Budgetrestriktion zum Garanten eines positiven realen Zinssatzes bei Preisstabilität oder niedrigen Inflationsraten. Der Vorwurf eine "Zentralbanktheorie der Profitrate" (Schefold 1976:204), d.h. einer institutionellen Profittheorie, geht ins Leere. Die Zentralbank unterliegt -----.: bei allen ihr zur Verfügung stehenden Spielräumen national und international Marktzwängen, die eine Mindestqualität ihres Geldes sowie positive reale Zinssätze erzwingen.

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Sparen in der Geldwirtschaft - stets ein Vorteil rUr Wachstum und Beschäftigung ? Von Horst Reichert, Frankfurt am Main I. Einleitung Für viele Ökonomen drohen die neunziger Jahre ein Jahrzehnt zu werden, in dem die Weltwirtschaft unter eklatantem Kapitalmangelleidet. Denn im Verlauf der beiden letzten Dekaden ist die Sparquote in vielen westlichen Industrieländern deutlich gesunken. Insbesondere in den Vereinigten Staaten, der führenden Wirtschaftsmacht, lag sie 1990/91 weit unter dem Durchschnitt der fünfziger und sechziger Jahre. Ohne eine Erholung der Spartätigkeit prognostizieren viele Experten eine Investitionsschwäche, die das gesamtwirtschaftliche Wachstum' hemmt. Erschwerend kommt hinzu, daß die ehemaligen RGW-Staaten für ihren fundamentalen Umstrukturierungsprozeß Kapital in einer noch nicht dagewesenen Größenordnung benötigen. Eine globale Wirtschaftskrise könnte nur vermieden werden, so die These, wenn wieder mehr gespart wird. Mit dieser möglichen Gefahr für die Weltwirtschaft lebt eine alte nationalökonomische Debatte neu auf, nämlich die Frage nach dem Zusammenhang von Sparen und Investieren. Dabei ist weitgehend unstreitig, daß laxes öffentliches Ausgabegebaren zu der Klage über einen weltweiten Kapitalmangel wesentlich beigetragen hat. Ebenso unstreitig würde eine Verminderung des Staatsverbrauchs helfen, die vermutete Kapitallücke zu verkleinern. Die theoretische Debatte dreht sich folglich darum, ob mehr privates Sparen das Problem lösen kann, wie es die neoklassische Theorie postuliert. Die Kritik an der neoklassischen Spar- und Investitionstheorie richtete sich üblicherweise gegen die Vorstellung einer kurzfristig stabilen Gesamtnachfragei. Aber dieser Streitpunkt ist mittlerweile geklärt. Nicht nur keynesianische Ökonomen sehen heutzutage in einer erhöhten Geldvermögensbildung zunächst ein insgesamt konjunkturdämpfendes Element 2 • Allerdings läd gerade die 1 Vgl. Manfred Teschner: Sparen, Investieren und Wirtschaftswachstum, Konjunkturpolitik, 30. Jahrgang (1984), S. 233-258. 2 Beispielsweise haben jüngst Harris und Steindei in einem ökonometrischen Modell für die Vereinigten Staaten den Fall einer wieder gestiegenen Sparquote simuliert. In ihrem Modell, das sie als eindeutig neoklassisch kennzeichnen, ist in den ersten Jahren verstärkter Spartätigkeit mit einem deutlich geringeren Sozialprodukt zu rechnen als bei unveränderter Sparquote. Vgl. Etham S. Harris und Charles Steindei: The Decline in V.S. Saving and its Implications for Economic Growth, Federal Reserve Bank ofNew York, Quarterly Review, Vol. 15 (1991), S. 1-19.

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Arbeit von Hajo Riese dazu ein, die Frage nach der gesamtwirtschaftlichen Wirkung verstärkten privaten Sparens aus einem anderen Blickwinkel zu stellen: der Kern der neoklassischen Position ist zu überprüfen, also die Vorstellung, vermehrtes Sparen würde längerfristig stets stärkeres Wirtschaftswachstum bei unveränderter Arbeitsnachfrage bewirken. Schon die wachstumstheoretische Diskussion der vierziger und fünfziger Jahre, in deren Mittelpunkt das kritische Nebeneinander von Kapazitätseffekt und Einkommenseffekt der Sachkapitalbildung stand, behandelte dieses Thema. Allerdings weiß man mittlerweile, daß das problematische Bild eines "Wachstums auf des Messers Schneide" nicht zutrifft, sobald man die restriktive Annahme eines konstanten Kapitalkoeffizienten aufhebt 3 . Die Kritik an der neoklassischen Spar- und Investitionstheorie muß anders geführt werden. In Rieses neu entwickelter Theorie einer Geldwirtschaft beruht die entschiedene Ablehnung der neoklassischen Position letztlich auf der Vorstellung einer Hierarchie von Märkten, in der die Bedingungen des Vermögensmarktes dem gesamten Wirtschaftsprozeß den Rahmen setzen 4 . Mehr oder weniger zu sparen kann nach seiner Ansicht als Entscheidung, die dem Gütermarkt zuzuordnen ist und den übergeordneten Vermögensmarkt handlungstheoretisch nicht berührt, keinen Einfluß auf das Gleichgewicht der Wirtschaft haben. Wer diesen paradigmatischen Kern von Rieses radikaler keynesianischer Theorie nicht akzeptiert, kann zwar dem so begründeten Verdikt über die neo klassische Sparund Investitionstheorie nicht zustimmen. Aber auch im üblichen Rahmen gleichrangiger Märkte j Markttypen kommt man längerfristig zu einer zum Teil ungünstigen Beurteilung zusätzlicher Ersparnisbildung, wenn man von der realitätsnahen Prämisse des Wirtschaftens bei Unsicherheit ausgeht. Im folgenden werden die dauerhaften makroökonornischen Konsequenzen veränderter Sparpläne im Rahmen einer inhärent unsicheren Wirtschaft untersucht, in der die Unternehmer j Eigenkapitalgeber weitgehend die Produktionsrisiken tragen. Dabei sollen zunächst wesentliche risikotheoretische Aspekte einer verstärkten Geldvermögensbildung bei den privaten Haushalten herausgearbeitet werden. Die Diskussion bleibt auf eine geschlossene Wirtschaft beschränkt, da sich so die grundlegenden wirkungsanalytischen Unterschiede zur neoklassischen Modellwelt, in der gleichartige Wirtschaftobjekte ohne Marktrisiken agieren, besser kennzeichnen lassen.

3 Vgl. hierzu Wilhelm Krelle (unter Mitarbeit von D. Coenen): Theorie des wirtschaftlichen Wachstums. Unter Berücksichtigung von erschöpfbaren Ressourcen, Geld und Außenhandel, BerlinjHeidelbergjNew YorkjTokio, 1985, S. 61 ff. 4 Vgl. Hajo Riese: Geldökonomie, Keynes und die Anderen. Kritik der monetären Grundlagen der Orthodoxie, in: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 1: Die Neoklassik und ihre Herausforderung, hrsg. von P. de Gijsel u.a., FrankfurtjNew York 1983, insbesondere S.106ff. und S. 117 ff.

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11. Risikotheoretische Aspekte der Spartätigkeit

Um den Einfluß von Unsicherheit auf die intertemporale Abstimmung von Nachfrageplänen und Produktionsplänen zu verdeutlichen, ist es zweckmäßig, mit einer knappen Kennzeichnung der Fälle zu beginnen, in denen es keine Koordinationsschwierigkeiten gibt. Hierzu zählt zunächst das Modell einer einfachen Wirtschaft ohne arbeitsteiliges Produzieren, wenn man so will: die Robinson-Wirtschaft. Dort muß derjenige, der ein Kapitalgut fertigen will, das erst in der nächsten Periode zur Produktion von (Konsum-) Gütern beitragen kann, einen Teil seiner laufenden Produktion an Konsumgütern auf Vorrat genommen haben. Er muß sparen, um die Herstellung des Kapitalgutes "realwirtschaftlich" zu alimentieren. Konsum und Produktion sind präferenztheoretisch unmittelbar miteinander verknüpft. Mit der Entscheidung zu investieren, die eine bindende Festlegung für die Produktionstätigkeit in späteren Perioden beinhaltet, wird uno actu gewählt zwischen Konsumieren und Sparen, zwischen heutigem und späterem Konsum. In einer komplexen arbeitsteiligen Wirtschaft muß nicht unmittelbar vom Investor gespart werden. Die Entscheidungen, Konsum zu vertagen und dafür Produktion in Form von Kapitalgütern gleichsam auf Vorrat zu legen, werden durchweg von unterschiedlichen Wirtschaftssubjekten getroffen. Die Sparentscheidungen und die Entscheidungen zur güterwirtschaftlichen Produktionsvorbereitung, die im ganzen mehr Konsum ermöglichen sollen, müssen erst koordiniert werden. In der walrasianischen Welt stimmt der allwissende Auktionator alle Konsum- und Produktionspläne, die zu einem Zeitpunkt bestehen, vollständig aufeinander ab; er garantiert zudem, daß alle diese Pläne realisiert werden. Nachfrage nach Konsumgütern zu einem späteren Zeitpunkt ersetzt so im kooperativen Produktionsprozeß vollwertig aktuelle Verbrauchsnachfrage. Ohne den walrasianischen Auktionator lassen sich die Pläne der verschiedenen Wirtschaftssubjekte intertemporal perfekt abstimmen, falls ein alle künftigen Aktivitäten umfassendes System von Kontrakten besteht. Dies gilt auch dann, wenn Geld als Wertspeicher fungiert, was sich anhand der Sequenz- und Generationenmodelle zeigen läßt, die aus dem Arrow-DebreuAnsatz entwickelt wurden. Zum einen werden für die Wirtschaftssubjekte, die die Produktion von Kapitalgütern in Angriff nehmen, Konsumgüter gerade im Wert ihres Einkommens, das sie verbrauchen wollen, bereit gestellt. Zum anderen sichern die Terminverträge, daß die Produkte, die später mit den einzelnen Investitionsgiitern gefertigt werden, zu genau dem Marktpreis, auf dem die Investitionspläne aufbauen, abgesetzt werden. Dadurch wird die Entscheidung, vermehrt zu sparen, d. h. die Entscheidung mehr Einkommen in späteren Perioden zu konsumieren, wieder unmittelbar mit der konkreten Produktionsvorbereitung für diese Nachfrage wie in einer Robinson-Wirtschaft verbunden. Mit dem gesamtwirtschaftlichen Sparvolumen variiert zwar in einzelnen Unternehmen der Beschäftigungsstand, aber die insgesamt rentabel einzusetzende Arbeitsmenge bleibt konstant. Zugleich steigt das gesamtwirt-

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schaftliche Produktionsvolumen nach Maßgabe der Mehrergiebigkeit der zusätzlich beschrittenen Produktionsumwege. In der Realität gibt es allerdings weder den walrasianischen Auktionator noch das vollständige System von Terminverträgen. Nicht zuletzt weil die Menschen allenthalben bestehende Bedürfnisse abwählen und an deren Stelle neue Wünsche setzen, werden insbesondere nicht alle langfristigen Investitionen den erwarteten Ertrag erbringen. Diese Risiken des Produzierens steigen im Falle zusätzlicher Geldvermögensbildung der Haushalte. Denn Sparen der Haushalte heißt zwar zugleich künftige Nachfrage, aber ihre Struktur, auf die es für den jeweiligen Produktionserfolg ankommt, kann in kaum prognostizierbarer Weise von der aktuellen Nachfragestruktur abweichen. Aus Sicht der einzelnen Produzenten steigt damit die Absatzunsicherheit, und einen direkten Gegenposten in Form einer Übernahme dieser Investitionsrisiken durch die Sparer gibt es nichts. Dabei ist in diesem realitätsnahen analytischen Rahmen sicherlich an den Einfluß von Geld als "store of value" zu denken, das traditionelle keynesianische Störelement im gesamtwirtschaftlichen Koordinationsprozeß. Aber auch ohne Geld als Wertspeicher, also ohne zinslose Geldhaltung, können die Sparer in einer modernen Wirtschaft eine Beteiligung an den Produktionsrisiken weitgehend vermeiden. Ihnen steht nämlich eine Vielzahl zinsbringender Finanzanlagen zur Verfügung, die weitgehend risikofrei sind. Vor allem darauf - und weniger auf die vielfach herausgestellte Wertspeicherfunktion des Geldes - ist die Keynes'sche Feststellung zu beziehen, daß Sparen nicht einfach bedeutet, aktuelle Nachfrage werde gleichwertig durch künftige Nachfrage substituiert 6 • Je mehr gespart wird, um so höher muß für ein konstantes Beschäftigungsniveau der Umfang riskanter Festlegungen der Güterproduzenten sein, denen von Seiten der Nachfrager in späteren Perioden keine entsprechende vertragliche Bindung gegenübersteht. Gelten im kooperativen Produktionsprozeß für die Arbeitskräfte und die übrigen eingesetzten Faktoren Verträge, die deren Entgelt weitgehend von Marktlagenveränderungen lösen, so verbleibt das Investitionsrisiko zum weitaus überwiegenden Anteil beim Eigenkapitalgeber /Unternehmer 7 • Als Aus5 Ausgehend von den Ausführungen Knights und Keynes halten einige Ökonomen den Ausgang eines Investitionsprojektes für nicht exakt bestimmbar im Sinne der Wahrscheinlichkeitstheorie. Hier wird jedoch die Auffassung vertreten, daß man auch im Falle der Shackleschen "crucial experiments" das Feld kalkulierbarer Wahrscheinlichkeiten nicht verläßt. Der Investor kann jeweils sein Investitionsrisiko im Prinzip mathematisch exakt kalkulieren, selbst wenn die zugrunde liegende Wahrscheinlichkeitsverteilung der potentiellen Ergebnisse eine große Streuung haben oder sich sogar von Zeit zu Zeit beträchtlich verändern mag. 6 Vgl. John Maynard Keynes: The General Theory of Employment, Interest, and Money (1936), wiederabgedruckt als: The Collected Writings of John Maynard Keynes, Vol. VII, LondonfBasingstoke 1973, S. 210. 7 In dieser Risikoallokation zeigt sich eine von Riese betonte Besonderheit der Verwendung von Geld, nämlich Tauschakte zu durchschneiden. Insbesondere durch das

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gleich für diese Asymmetrie in den Handlungsräumen gibt es für diejenigen, die die Investitionsrisiken tragen, grundsätzlich die Erwartung eines unternehmerischen Gewinns, in Rieses Terminologie: den erwarteten Güterzins. Für den Fall vermehrten Sparens der Haushalte bedeutet dies, daß eine gestiegene Bereitschaft, auf den Gebrauch von Einkommen für den aktuellen Konsum zu verzichten und es anderen gleichsam mit Rückzahlungsgarantie zeitweise zu überlassen, allein nicht genügt, um über eine regere Investitionstätigkeit mehr Wachstum bei gegebenem Beschäftigungsniveau zu erreichen; es muß auch die Bereitschaft in der Wirtschaft vorhanden sein, die zusätzlichen Produktionsrisiken zu übernehmen. Wären die Güter- und Faktorpreise voll flexibel, so könnte allerdings bei jeder Sparquote stets die Güterzinserwartung entstehen, die bei gegebener Risikopräferenz ausreicht, ein vollbeschäftigungskonformes Investitionsvolumen hervorzubringen. Diese risikotheoretischen Überlegungen dürfen jedoch nicht dazu verleiten, Sparen in seiner Funktion als Grundlage des Investierens zu verkennen. Während die schon angesprochene realwirtschaftliche Bedeutung kaum streitig ist, wird eine grundlegende vermögenstheoretische Rolle von einigen Ökonomen verneint. Mit Berufung auf Keynes gehen sie davon aus, in einer modernen Wirtschaft würden Banken Produktionsvorhaben finanzieren, und mit den Zinszahlungen sowie der Rückerstattung des geliehenen Geldes durch die Unternehmen würde, so die weiterführende These, die Finanzierungsseite geschlossen, ohne daß Sparen in irgendeiner Form in Erscheinung tritts. Aber diese Vorstellung trifft nur vordergründig zu. Letzten Endes sind Ersparnisse notwendig, wenn Produktion unter Unsicherheit in bezug auf den späteren Marktwert in Angriff genommen werden soll und vor allem die Arbeitskräfte Einkommensansprüche geltend machen, die unabhängig vom künftigen Produktionswert vereinbart wurden. Der Investor muß im Falle einer für ihn ungünstigen Marktentwicklung auf Reinvermögen, also auf nicht konsumierte Einkommen aus einer vergangenen Periode oder auf (nicht konsumiertes) Einkommen aus anderen aktuellen Projekten, zurückgreifen können, um seine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Selbst im Falle eines "market portfolios" müßte so immerhin noch das unvermeidbare systematische Risiko abgedeckt werden. "institutionelle Arrangement" vertraglich fixierter, in Geld auszuzahlender Löhne, das heutzutage in Geldwirtschaften üblich ist, übernimmt derjenige, der Kapital bereitstellt, weitgehend die Unsicherheit hinsichtlich des Marktwertes der gemeinsamen Produktion. Vgl. Horst Reichert: Koordinationsprobleme in einer Geldwirtschaft. Ein Beitrag zur Stabilitätstheorie unter keynesianischen Ausgangsbedingungen, Frankfurt a. M. j Bem 1989, S.164f. 8 Keynes schreibt: "Finance covering the interregnum is, to use a phrase employed by bankers in an more limited context, necessarily 'self-liquidating' for the community taken as a whole at the end of the interim period". lohn Maynard Keynes: The "Ex Ante" Theory of the Rate of Interest (1937), wiederabgedruckt in : The Collected Writings of lohn Maynard Keynes, Vol. XIV: The General Theory and After, Part II: Defence and Development, hrsg. von D. Moggridge, LondonjBasingstoke 1973, S. 219. 18 Festschrift Riese

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111. Die Wirkungsanalyse für das makroökonomische Gleichgewicht Der Umstand, daß Unternehmen für die Eigenkapitalgeber im Normalfall eine Risikoprämie erwirtschaften, bedeutet im hier relevanten Zusammenhang, daß es gegenüber der neoklassischen Welt eine zusätzliche Einkommensquelle gibt, die zur Vermögensbildung genutzt werden kann. Risikotheoretische Überlegungen sprechen dafür, bei der detaillierten gesamtwirtschaftlichen Wirkungsanalyse das Sparen aus Gewinnen gesondert zur behandeln. Denn bei solchen Ersparnissen ist mit einer erneuten Anlage als unternehmerisches Wagniskapital zu rechnen. Für Ersparnisse aus Zinseinkommen und Löhnen, den traditionellen Faktoreinkommen, ist diese hochriskante Anlageform dagegen in der Regel nicht relevant. Im folgenden ist zunächst ein makroökonomisches Gleichgewicht im Sinne Rieses unterstellt 9 • Dabei handelt es sich um eine lediglich gesamtwirtschaftlich stabile Situation, in der der Arbeitsmarkt nicht geräumt ist 10.

1. Sparen aus Zinseinkommen und Arbeitseinkommen Die Entscheidung, aus Zins- und Arbeitseinkommen vermehrt zu sparen, bedeutet auch in einer unsicheren Welt, daß sich die Haushalte künftig mit einem genngeren Anlageertrag begnügen wollen. Schließt man den Extremfall einer bloßen Geldhaltung der zusätzlichen Ersparnis aus, dann sinkt der Kapitalmarktzins auf ein niedrigeres Niveau. Sicher ist, daß dadurch eine kapitalintensivere Produktionsstruktur bewirkt wird; ein größerer Anteil der Beschäftigten arbeitet im Bereich der Investitionsgüterherstellung. Offen ist jedoch, ob für die Wirtschaft als Ganzes das Produktions niveau steigt und vor allem, ob unter den skizzierten Rahmenbedingungen der Beschäftigungsstand längerfristig unverändert bleibt, wie es die neoklassische Theorie postuliert. Denn im Konsumgüterbereich, wo zunächst Nachfrage ausfällt und mit mehr Sachkapitaleinsatz produziert wird, gehen dauerhaft Arbeitsplätze verloren. Ein zweckmäßiger Ausgangspunkt, um diese Frage weiter zu untersuchen, ist die Entscheidungssituation der (potentiellen) Produzenten, deren Vorstellung 9 Diesen Begriff hat Riese allerdings erst in einer jüngeren Veröffentlichung gebraucht. Vgl. Hajo Riese: Geldpolitik als Grundlage der ökonomischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, in: Währungsreform und soziale Marktwirtschaft, Schriften des Vereins rur Socialpolitik, N.F. Bd. 190, hrsg. von W. Fischer, Berlin 1989, S. 445. 10 Bei Wirtschaften unter Unsicherheit erhält die wohlbekannte Aussage, im gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht würden geplantes Sparen und geplantes Investieren einander entsprechen, eine etwas andere Bedeutung. Zwar sehen auch neoklassische Ökonomen darin keine Gleichung rur einen einzelnen Markt, auf dem "Nicht-Konsum" getauscht werden könnte, sondern eine Denkfigur zur Veranschaulichung kreislauftheoretischer Zusammenhänge. Aber in einer unsicheren Welt kann sich die Übereinstimmung nur auf die aggregierten Sparpläne und die aggregierten Investitionspläne beziehen; die Erwartungen einzelner Wirtschaftssubjekte, insbesondere Investoren, können in der .. Ruhelage" einer solchen Wirtschaft enttäuscht werden.

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von der zumindest erforderlichen Ertrags-Risiko-Relation für ein beabsichtigtes Projekt durch die erhöhte Sparneigung der Haushalte nicht berührt wird. Aus postkeynesianischer Sicht wäre dabei zu unterstellen, daß so gut wie ausschließlich die effektive Konsumnachfrage bei gegebenen Preisen die Investitionsentscheidungen bestimmt. Diese Position lehnen jedoch mittlerweile auch die meisten "Keynesianer" ab. Stattdessen wird davon ausgegangen, daß die Unternehmen ihre Absatzerwartungen immer mit Blick auf die künftigen Absatzpreise bilden. Im makroökonomischen Gleichgewicht einer Geldwirtschaft entsprechen diese Preise den gesamten Produktionskosten und der normalen unternehmerischen Risikoprämie pro Outputeinheit. Im konkreten Fall heißt dies, daß die einzelnen Unternehmen beim Abschätzen ihrer Marktchancen neben der geringeren aktuellen Nachfrage den Einfluß zinsbedingt niedrigerer Angebotspreise auf die künftige Nachfrage berücksichtigen. An dieser Stelle der Argumentation sind die oben erläuterten risikotheoretischen Zusammenhänge einzubeziehen. Für die einzelnen Produzenten geht es darum, daß sich die Struktur der Nachfrage während der nächsten Perioden in kaum prognostizierbarer Weise verändern kann. Denn Terminmärkte für Verbrauchsgüter gibt es kaum in einer Welt, in der sich nicht zuletzt die Konsumenten Handlungsräume offen halten wollen. Die Produktionsvorbereitung auf die Nachfrage auszurichten ist um so riskanter, je weiter diese in die Zukunft reicht. Damit steigt bei einer zeitlichen Verschiebung von Konsum, gleichbedeutend mit vermehrtem Sparen der Haushalte, für die Wirtschaft als Ganzes der Bedarf an unternehmerischer Risikoübernahme. Soll die gesamtwirtschaftliche Arbeitsnachfrage nicht zurückgehen, dann müßte die sparinduzierte Zinssenkung den Verlust an aktueller Nachfrage auffangen und darüber hinaus die zusätzlichen Risiken der Produzenten kompensieren; sie müßte also stärker ausfallen als in der sicheren neoklassischen Modellwelt. Tatsächlich dürfte aber der Zinseffekt, der ja für sich genommen über niedrigere Angebotspreise die künftige Nachfrage erhöht, geringer sein als im neoklassischen Szenario. Da Sparen bei den privaten Haushalten keine sogenannte offene Position schafft, die durch langfristige Anlagen geschlossen werden müßte, können sie sich mit Anlagefristen, die hinter der geplanten Spardauer zurückbleiben, Handlungsmöglichkeiten bewahren, nicht zuletzt für den Fall unerwarteter Inflation. Insoweit ein solches Verhalten auf einen vergleichsweise starken Rückgang der kurzfristigen Zinsen hinausläuft, wird das unternehmerische Kalkül nicht so stark entlastet wie bei einer langfristigen Anlage der Ersparnis. Die für spätere Perioden zu kalkulierenden Angebotspreise gehen vergleichsweise wenig zurück, und entsprechend wenig verbessert sich die Perspektive für die Nachfrage. Damit gibt es in einer geschlossenen Volkswirtschaft von der Zinsseite her keinen vollständigen Ausgleich im unternehmerischen Kalkül für den Verlust an unmittelbaren Absatzchancen, der aus der verstärkten Spartätigkeit der Haushalte folgt l l . Dies gilt nicht nur auf kurze Sicht, für die der negative 18*

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Einkommenseffekt aufgrund des aktuellen Konsumrückgangs besonderes Gewicht hat, sondern auch längerfristig. In der unterstellten Ausgangssituation wirkt die zusätzliche Geldvermögensbildung der privaten Haushalte als nachhaltige Belastung im Prozeß kooperativen Produzierens bei Unsicherheit. Bleiben die übrigen Angebotsbedingungen konstant, so wird die Arbeitsnachfrage dauerhaft niedriger sein als ohne den Anstieg der Sparquote. Offen ist freilich, wie sich die Entwicklung des Sozialprodukts verändert. Immerhin könnten kapitalintensivere Produktionsverfahren, die bei niedrigeren Zinsen zum Zuge kommen, trotz der verminderten Arheitsnachfrage einen Zuwachs beim gesamtwirtschaftlichen Einkommen bewirken. Nur insofern wäre bei der beschriebenen Ausgangssituation die neoklassische Zuversicht bezüglich der gesamtwirtschaftlichen Vorteile dieser Form zusätzlichen Sparens berechtigt. 2. Sparen aus Unternehmereinkommen

Geht man von den realitätsnahen Bedingungen eines makroökonomischen Gleichgewichts im Sinne Rieses aus, so ist vermehrtes Sparen beschäftigungspolitisch und wachstumspolitisch vorteilhafter, wenn es sich um Sparen der Unternehmer handelt, etwas vereinfacht: wenn der einbehaltene Gewinn steigt 12 • Denn eine so entstandene Ersparnis ist ganz anders mit der Entscheidung zur Sachkapitalbildung und damit dem Prozeß der gesamtwirtschaftlichen Wert~chöpfung verknüpft. Das gilt in bezug auf heide Ausgangspunkte für höhere einbehaltene Gewinne. Der erste Fall besteht darin, daß die Unternehmer-Haushalte die Entnahmen aus dem Betriebsergebnis, mit denen sie ihren Konsum bestreiten, vermindern. In der Regel werden diese zusätzlichen Ersparnisse wieder als haftendes (Eigen-) Kapital in den Produktionsprozeß eingebracht. Damit geht eine solche Ersparnisbildung Hand in Hand mit einem Zuwachs an Bereitschaft, Produktionsrisiken zu übernehmen. Für die unternehmerische Unsicherheit, die aus einem Wechsel von aktueller zu Nachfrage späterer Perioden folgt, gibt es aus 11 Ansatzpunkte einer solchen Position finden sich schon in der Keynes'schen "Treatise on Money". Bei verstärktem Sparen der Haushalte fällt der Kapitalmarktzins nicht auf sein "natürliches" Niveau, das die Räumung aller Märkte beinhaltet. Vgl. John Maynard Keynes: A Treatise on Money, Vol. I: The Pure Theory of Money (1930), wiederabgedruckt als: The Collected Writings of John Maynard Keynes, Vol V, London / Basingstoke 1971, S.176f. und S. 183 ff. Im analytischen Rahmen der "Treatise", in der Unsicherheit noch nicht mehr als eine marginale Rolle spielt, bleibt diese Abweichung von der traditionellen Vorstellung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts jedoch handlungstheoretisch unfundiert. Zudem ist sie als kurzfristige konjunkturelle Bewegung angelegt. 12 Die verteilungspolitischen Aspekte dieser Vermögensbildung werden hier nicht weiter behandelt. Sie standen insbesondere im Mittelpunkt der Diskussion um den Pasinetti- und den Anti-Pasinetti-Fall. Vgl. hierzu: Ulrich Schlieper: Kapitalbildung und volkswirtschaftlicher Entwicklungsprozeß, in: Wemer Ehrlicher und Diethard B. Simmert (Hrsg.): Der volkswirtschaftliche Sparprozeß, Beihefte zu Kredit und Kapital, 1985, S.55ff.

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gesamtwirtschaftlicher Sicht risikotheoretisch einen direkten Gegenposten. Im zweiten Fall steigt das Betriebsergebnis bei konstanten Entnahmen. Obwohl keine Verbrauchseinschränkung der Unternehmer-Haushalte stattfindet, kann mehr unternehmerisches Wagniskapital (bei gegebenen Ertragserwartungen) im Wirtschaftsprozeß eingesetzt werden. Zugleich vergrößert sich die Anlagebereitschaft potentieller Fremdkapitalgeber, insbesondere der Banken. Hinzu kommt, daß verbesserte Betriebsergebnisse, Auslöser dieser Variante zusätzlichen "Unternehmer-Sparens", die langfristigen Ertragserwartungen für Realkapital erhöhen. All dies spricht für eine deutlich regere Investitionstätigkeit. Die risikotheoretische Belastung für die Wirtschaft, wie sie beim Sparen aus Arbeitseinkommen und Zinseinkommen unter dem Strich bleibt, wird also bei einer Zunahme der einbehaltenen Gewinne kompensiert. Durch die Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Angebotsbedingungen, die mit dieser Form des Sparens einhergeht, steigen Investitionen, Produktionsvolumen und gesamtwirtschaftliches Einkommen. Die Wirtschaft weist ein neues makroökonomisches Gleichgewicht auf, in dem die Arbeitsnachfrage höher ausfällt als vorher. IV. Sparen im gesamtwirtschaftlichen Entwicklungsprozeß

Damit läßt sich die Frage beantworten, welche Rolle die Spartätigkeit im Entwicklungsprozeß einer modemen Wirtschaft hat. Dabei sind grundsätzlich zwei Situationen zu unterscheiden: 1. Der Fall einer Arbeitsplatzlücke

Besteht bei Vollauslastung der Sachkapazität mehr als friktionelle Arbeitslosigkeit, so spricht man von einer Arbeitsplatzlücke. Investitionen, die über den beschleunigten Ausbau des Kapitalstockes zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, werden bei einer solchen Ausgangssituation jedoch allein durch eine verstärkte Geldvermögensbildung der Haushalte nicht stimuliert. Hierfür muß eine eigenständige Verbesserung der Investitionsbedingungen erfolgen. Anders sieht das Bild bei vermehrtem "Sparen" der Unternehmer aus, weil so uno actu eine vergrößerte Bereitschaft zur Sachkapitalbildung entsteh!. Die Sorge, bei der ergänzenden Finanzierung am Kapitalmarkt könnte es dann aber zu einem schwerwiegenden Engpaß kommen, ist unbegründet. Es ist nämlich zu beachten, daß durch die regere Kapitalgüternachfrage die Erträge im Unternehmenssektor steigen und damit den Betrieben wiederum zusätzliche Mittel zur Selbstfinanzierung ihrer Produktionsvorhaben zufließen. In bezug auf eine solche Situation hat Keynes vom unerschöpflichen Krug der Witwe gesprochen 13. Keineswegs weniger bedeutsam dürfte sein, daß das Geldvermögen im 13 Vgl. John Maynard Keynes: A Treatise on Money, Vol. I.: The Pure Theory of Money, a.a.O., S.125. Als eindrucksvolles empirisches Beispiel für einen Entwicklungsprozeß, in dem die Kapitalmarktfinanzierung vergleichsweise unbedeutend blieb, kann

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Zuge einer gesamtwirtschaftlichen Expansion bei gegebener Sparquote zunimmt - ein Zusammenhang, der wohl schon in Says wohlbekanntem Gesetz angelegt ist 14. Das Geldvermögen, das eine Anlage sucht, wächst kontinuierlich mit dem Produktionsvolumen, und die Finanzierungsbedingungen bleiben von daher während einer gesamtwirtschaftlichen Wachstumsphase nahezu unverändert. Aber auch dann, wenn zyklische Investitionsschübe auftreten, wird die Finanzierungsseite den Expansionsprozeß kaum hemmen. Denn selbst bei einem nicht-akkomodierenden, sondern eher knapp bemessenen Geldangebot der Notenbank dürfte die Elastizität im monetären System einer modernen Wirtschaft ausreichen, die Zunahme im gesamtwirtschaftlichen Investitionsvolumen vorzufinanzieren. Hierbei spielen Geschäftsbanken und Finanzintermediäre eine besondere Rolle 15 . Aber auch die Nicht-Banken haben eigenständige Möglichkeiten, die Kassenhaltung zu rationalisieren und damit das Kreditvolumen zu vergrößern 16. 2. Konjunkturaufschwung bei hohem Beschäftigungsniveau

Die Einschätzung der verschiedenen Formen des Sparens ändert sich, wenn die Wirtschaft bei starker konjunktureller Dynamik zu Vollbeschäftigung tendiert. Steigende einbehaltene Gewinne, die dann aus beiden Varianten des Unternehmer-Sparens resultieren mögen, würden die Bereitschaft zum Investieren und Produzieren ständig neu stimulieren. Die immer schärfer werdende man die Bundesrepublik Deutschland nach dem 2. Weltkrieg anführen. Ende der vierziger Jahre wies sie eine enorme Arbeitsplatzlücke auf. Der folgende rapide Aufbauprozeß, oft als deutsches Wirtschaftswunder bezeichnet, ging mit umfangreichen "UnternehmerSparen" einher. Im Durchschnitt der fünfziger Jahre finanzierten die Betriebe das schnell wachsende Investitionsvolumen zu mehr als 50% aus eigenen Mitteln. 14 In der konjunkturtheoretischen Diskussion hat dieser schlichte Wirkungszusammenhang in Verbund mit Multiplikatorprozessen für keynesianische Ökonomen eine besondere Bedeutung. Vor allem Patinkin betont immer wieder die gleichgewichtsbildende Kraft des Sparens. Vgl. Don Patinkin: Die Geldlehre von John M[aynard] Keynes (1976), München 1979, S. 12, S.27 und S.74ff. Gemäß seiner klassischen Wurzel ist dieses gleichgewichts bildende Moment jedoch auf den Gütermarkt beschränkt. IS Schon Keynes betonte, daß die Banken bei günstigen Ertragserwartungen in der Wirtschaft ihre freiwillige Reservehaltung, einschließlich nicht genutzter Refinanzierungsmöglichkeiten bei der Zentralbank, abbauen können. Vgl. John Maynard Keynes: The "Ex-ante" Theory of the Rate of Interest, a.a.O., insbesondere S. 222; The Process of Capital Formation (1939), wiederabgedruckt in: The Collected Writings of John Maynard Keynes, Vol. XIV, a.a.O., insbesondere S. 284f. In Tobins "New View" ist besonders relevant, daß Finanzinstitutionen die Haushalte veranlassen können, ihre Liquiditätsposition zugunsten längerfristiger Anlagen zu reduzieren. Vgl. James Tobin: Commercial Banks as Creators of"Money" (1963), in: Essays in Economics, Vol. 1: Macroeconomics, hrsg. von J. Tobin, Chicago 1971, S.272ff. 16 Stützel stellt heraus, daß im Unternehmenssektor mit besseren Ertragschancen Zahlungsziele verlängert und vermehrt (Lieferanten-)Kredite eingeräumt werden; er spricht von einem positiven Spreizeffekt. Vgl. Wolfgang Stützei: Volkswirtschaftliche Saldenmechanik. Ein Beitrag zur Geldtheorie (1958), 2. Auflage, Tübingen 1978, S. 239ff.

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Konkurrenz um Ressourcen, letzten Endes durchweg um knappe Arbeitskräfte, würde auf breiter Front Preissteigerungen auslösen, die eine eigene inflationäre Dynamik entfalten könnten. Die Kosten einer rigorosen Stabilisierungspolitik wären jedoch zu vermeiden und der starke konjunkturelle Aufschwung könnte in eine Phase soliden gesamtwirtschaftlichen Wachstums übergeleitet werden, wenn die Haushalte aus Arbeitseinkommen und Zinseinkommen vermehrt sparen. Denn dadurch wird die überbordende unternehmerische Anlageneigung gedämpft, und der Inflationsdruck schwächt sich ab. Gegenüber jedem geldpolitischen Abbremsen der inflationsträchtigen Entwicklung hat zusätzliches Sparen dieser Art auch mittelfristig den Vorteil niedrigerer Fremdkapitalzinsen. Dadurch kommen kapitalintensivere Produktionsverfahren zur Anwendung, die bei geräumtem Arbeitsmarkt zu einer höheren, das gesamtwirtschaftliche Einkommen steigernden Produktivität führen. V. Zusammenfassung

Mit der realitätsnahen Annahme des Wirtschaftens bei Unsicherheit weichen also die längerfristigen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen verstärkten Sparens zum Teil gravierend von den Ergebnissen im Rahmen der einfachen neoklassischen Modellwelt ab. Wenn bei Vollbeschäftigung eine hohe Investitionsdynamik besteht, so hat die zusätzliche Ersparnis, die am Kapitalmarkt angelegt wird, zwar die stabilitätspolitisch wohltuenden Konsequenzen, auf die neoklassisch orientierte Ökonomen setzen. Gibt es aber keine "Reserven" an Investitionsbereitschaft und sind die Produktionskosten - abgesehen von den Zinsen - konstant, so ist bei vermehrtem Sparen der Haushalte, für die durchweg eine Anlage in Form von Eigenkapital nicht in Frage kommt, mit negativen gesamtwirtschaftlichen Folgen zu rechnen. Die Arbeitsnachfrage, möglicherweise auch das Produktionsvolumen, wird bei einer solchen Ausgangssituation nicht nur kurzfristig, sondern auch längerfristig niedriger sein als bei einer unveränderten Sparquote der Haushalte. Die Investitionsbereitschaft, die für eine nachhaltig hohe Arbeitsnachfrage erforderlich ist, entsteht keineswegs schon durch eine verstärkte Geldkapitalbildung. Gibt es diese Bereitschaft nicht, dann trifft das Keynes'sche Urteil zu: "Ifthere is no change in the liquidity position (d.h. in der Anlageneigung; H.R.), the public can save ex ante and ex post and ex anything else until they are blue in the face, without alleviating the problem in the least - unless, indeed, the result of their efforts is to lower the scale of activity to what it was before" 17.

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John Maynard Keynes: The "Ex Ante" Theory ofthe Rate ofInterest, a. a. 0., S. 222.

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Literatur Harris, Etham S. und Charles Steindei: The Decline in U.S. Saving and its Implications for Economic Growth, Federal Reserve Bank of New York, Quarterly Review, Vol. 15 (1991), S.1-19. Keynes, John Maynard: The "Ex Ante" Theory of the Rate of Interest (1937), wiederabgedruckt in: The Collected Writings of John Maynard Keynes, Vol. XIV: The General Theory and After, Part 11: Defence and Development, hrsg. von D. Moggridge, LondonjBasingstoke 1973, S.215-223.

-

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-

The Process of Capital Formation (1939), wiederabgedruckt in: The Collected Writings of John Maynard Keynes, Vol. XIV: The General Theory and After, Part 11. Defence and Development, hrsg. von D. Moggridge, LondonjBasingstoke 1973, S.278-285.

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Krelle, Wilhelm (unter Mitarbeit von D. Coenen): Theorie des wirtschaftlichen Wachstums. Unter Berücksichtigung von erschöpfbaren Ressourcen, Geld und Außenhandel, BerlinjHeidelbergjNew YorkjTokio 1985. Patinkin, Don: Die Geldlehre von John M[aynard] Keynes (1976), München 1979. Reichert, Horst: Koordinationsprobleme in einer Geldwirtschaft. Ein Beitrag zur Stabilitätstheorie unter keynesianischen Ausgangsbedingungen, Frankfurt a. M. j Bem 1989. Riese, Hajo: Geldökonomie, Keynes und die Anderen. Kritik der monetären Grundlagen der Orthodoxie, in: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 1: Die Neoklassik und ihre Herausforderung, hrsg. von P. de Gijsel u. a., Frankfurt a. M. jNew York, S. 103 -160.

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Geldpolitik als Grundlage der ökonomischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, in: Währungsreform und soziale Marktwirtschaft, Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F. Bd. 190, hrsg. von W. Fischer, Berlin 1989, S. 435-447.

Schlieper, Ulrich: Kapitalbildung und volkswirtschaftlicher Entwicklungsprozeß, in: Wemer Ehrlicher und Diethard B. Simmert (Hrsg.): Der volkswirtschaftliche Sparprozeß, Beihefte zu Kredit und Kapital, 1985, S. 53-65. Stützei, Wolfgang: Volkswirtschaftliche Saldenmechanik. Ein Beitrag zur Geldtheorie (1958), 2. Auflage, Tübingen 1978. Teschner, Manfred: Sparen, Investieren und Wirtschaftswachstum, Konjunkturpolitik, 30. Jahrgang (1984), S. 233-258. Tobin, James: Commercial Banks as Creators of "Money" (1963), in: Essays in Economics, Vol. 1: Macroeconomics, hrsg. von J. Tobin, Chicago 1971, S. 272-282.

Geld und Beschäftigung Von Hans-Joachim Stadermann, Berlin I. Geld und Beschäftigung in der Theoriegeschichte

Die in der ökonomischen Theorie bestehenden Auffassungen darüber, ob zwischen der Menge des Geldes und der Menge der Beschäftigung ein funktionaler Zusammenhang vorhanden sei, reichen von der Behauptung einer festen und eindeutigen Verknüpfung, wie sie erstmals in der Theorie der Merkantilisten aufgezeigt wurde, bis zu einer Zurückweisung der Annahme selbst mittel- und kurzfristiger Beeinflussungen, wie sie von der klassisch liberalen Theorie und extrem in der zweiten Generation der Chicago-Schule zum Ausdruck kam. Dazwischen finden sich alle "denkbaren Schattierungen eines mehr oder minder, kurz- oder langfristig stabilen Einflusses zumeist in der Art, daß von einer Vermehrung des Geldes eine positive Steigerung der Beschäftigungsmenge erwartet wird. Hier werden die markantesten Positionen kurz beleuchtet, um dann zu zeigen, daß die Theorie des monetären Keynesianismus ganz einzigartig unter den anderen in einem wichtigen Punkte ist. Für sie ist Geld das institutionelle Instrument, mit dem die Produktionsprozesse knapp und die Ressourcen, auf den Zeitpunkt bezogen, überschüssig gehalten werden können. Das bedeutet, daß die populäre Formel, mehr Geld, mehr Beschäftigung, nicht in dieser einfachen Form von den monetären Keynesianern übernommen wird, weil "mehr Geld" in einen Konflikt zur Knapphaltbarkeit der Produktionsprozesse führen kann. Die Knapphaltbarkeit von Produktionsprozessen aber ist die Voraussetzung für die die Realisierung von Überschußproduktionen und damit für die Überwindung der natürlichen Seltenheit der konsumierbaren Güter. Eine die Arbeitsmarktnachfrage belebende Wirkung wurde, von der Frühzeit der Merkantilisten an, zumeist nicht direkt aus der veränderten Quantität des Geldes gefolgert, sondern indirekt von einer Senkung des Zinssatzes infolge der relativen Geldvermehrung auf dem Vermögensmarkt und einer damit verbunden gedachten Verbesserung der Bedingungen für Investitionen der unmittelbar Beschäftigung schaffenden Unternehmer erwartet. Es war also immer dann, wenn eine positive Verknüpfung von Geldmenge und Beschäftigung gedacht wurde, die Annahme der Nichtneutralität des Geldes unterstellt. Man erwartete entweder, daß die Einkommen der Vermögenseigentümer infolge des sinkenden Zinssatzes im Verhältnis zu anderen Einkommen sinken, oder man war der Auffassung, daß die Löhne in ihrer Steigerung hinter der Steigerung der Preise im Zusammenhang mit einer Geldmengenveränderung zurückblieben.

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Die Klassiker hatten in der Nachfolge Adam Smith's ganz rigoros die Neutralität des Geldes als wesentliches Element in ihr Lehrgebäude aufgenommen. 1 Zusätzliches Geld diffundierte seinen Preiseffekt über die Umsätze auf den Märkten unmittelbar durch die ganze Wirtschaft und ließ nach der klassischen Quantitätstheorie alle Preise und alle Geldeinkommen - aufgrund der höheren Nachfrage der Geldbesitzer - proportional zur Veränderung der Geldmenge steigen. Eine Beschäftigungswirkung konnte damit nicht verbunden sem. Die klassische Theorie war verliebt in ihre neue Gleichgewichtsidee. Alle ihre Gedanken kreisten um den Punkt, was die mit diesem Gleichgewicht kompatiblen Preise, Löhne und Renten sind. Dies hat für 200 Jahre bewirkt, daß sich die Ökonomen fast nur mit den Kräften beschäftigten, die zu diesem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht hinführen. Die Neutralität des Geldes war die Bedingung dafür, daß die Reproduktion des Ausgangsgleichgewichtes gelingen konnte. Die aufregendere Fragestellung besteht aber darin, wie eine Wirtschaft jene, sie an ein gegebenes Niveau der Wohlfahrt fesselnden Beharrungstendenzen überwinden kann, um sich zu höherer Wohlfahrt empor zu entwickeln. Die der Klassik nachfolgende neoklassische Theorie erweckt den Eindruck einer gleichermaßen naturgegebenen Determinierung der Beschäftigungsmenge. Die Menge der Ressourcenbeschäftigung ist hier durch das Grenzprodukt der eingesetzten Produktionsfaktoren bestimmt. 2 Für die Arbeit also wäre nach dieser Auffassung die Beschäftigung eine Funktion des Grenzproduktes der Arbeit einerseits und der Lohnhöhe andererseits. Da sowohl die Produkte der Arbeit als auch die Arbeitsleistung in Geld nur gemessen werden, war es wieder abwegig, von einer Vermehrung des Geldes eine Beschäftigungsänderung zu erwarten. Unter den angenommenen Bedingungen der vollständigen Information und des funktionsfähigen Wettbewerbes muß es zu einer proportionalen Erhöhung von Preis und Lohn in der Folge einer relativen Geldvermehrung über die Neubestimmung der Geldpreise durch die Ressourcen- und Güterbesitzer -kommen. Überraschenderweise sind hier die Dinge weniger eindeutig, als es die formale Darstellung des Modells erwarten ließe. Die neoklassische Theorie der Wirtschaft läßt Klarheit an einer entscheidender Stelle bei der Untersuchung der Grenzproduktivität vermissen. Nur nach einer verbreiteten Auffassung handelt es sich bei der Nachfragekurve für Arbeitsleistungen um den absteigenden Ast der Grenzertragskurve für steigende Arbeitseinsätze auf einer gegebenen Produktionsanlage. Stattdessen zeigt die Ertragskurve, welcher funktionale 1 Neutralität bedeutete hier, daß die Werte der Waren durch Arbeitsmengen bestimmt waren und die Menge des verfügbaren Geldes die Wertrelationen nicht veränderte. Ganz umgekehrt war es die veränderliche Arbeitsmenge, die jeweils für die Edelmetallproduktion aufzuwenden war, die den Wert des Edelmetallgeldes Schwankungen unterwarf. Siehe: A. Smith, Der Wohlstand der Nationen (1776), München 1974, S. 30f. 2 Siehe: L. von Mises, Nationalökonomie, Genf 1940, S. 554f.

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Zusammenhang zwischen steigenden Einsatzmengen eines in seiner Zusammensetzung unveränderten Ressourcenbündels auf einer gegebenen technischen Anlage und der "output"-Menge besteht. Abgebildet wird somit die Nachfragekurve auf dem Ressourcenmarkt und nicht isoliert die darin enthaltene Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Die neoklassische Theorie zeigt jenseits rein heuristisch interessanter ZweiFaktoren-Modelle an keiner Stelle, was das Grenzprodukt der Arbeit ist. Sie zeigt das Grenzprodukt des Ressourcenbündels aufund lehrt, daß die Einkommen der Ressourcenanbieter, die Beiträge zu dem Bündel geliefert haben, insgesamt nicht den Wert ihres Produktes überschreiten können. Über die Verteilung des Produktes auf Lohn, Unternehmerlohn und Rente ist damit nichts gesagt. Das wird dadurch besonders deutlich, daß nur der Wert des Produktes der aggregierten Ressourcenleistungen eine Marktbewertung erfährt, während die Verteilung innerhalb der Unternehmung marktgesteuerte Lösungen nicht kennt. Die definitive Verteilungslehre, die die Neoklassik liefert, ist eine andere. Sie kommt in der Unterscheidung der Kosten in fixe und variable Kosten zum Ausdruck. Als fixe Kosten werden die von der Ausbringungsmenge nicht abhängenden Kosten der Produktionsausrüstungen in Ansatz gebracht. Variable Kosten stehen dagegen in einem unmittelbaren mengenmäßigen Zusammenhang mit der hervorgebrachten Menge der Produkte. Das interessante daran ist, daß die Kosten zugleich Einkommen sind. Variable Kosten der Unternehmung sind Einkommen für die Besitzer unterschiedlichster Ressourcen. Die Fixkosten sind aber ebenso Einkommen. Es sind Einkommen für die Finanzierung der Ausrüstungen der Unternehmung, das sind, in Stromgrößen ausgedrückt, Zins und Tilgung. Das Verhältnis zwischen Fixkosten und variablen Kosten teilt entsprechend die Wertschöpfung der Produktion in Vermögensmarkteinkommen und Ressourcenmarkteinkommen. Damit wird deutlich, daß im neoklassischen Modell nur die Gesamtheit der Ressourcenmarkteinkommen funktional vom Grenzprodukt der Einsätze abhängt, während das Vermögensmarkteinkommen, ganz analog zur Klassik, vorab und ertragsunabhängig bestimmt ist. 3 Hätte die Neoklassik richtig nach Einkommen aus dem Vermögensmarkt und Einkommen aus dem Ressourcenmarkt getrennt, wie es ihrer Grenzproduktivitätsanalyse entsprochen hätte, wäre ihr nicht entgangen, daß die von ihr behandelte Frage nach den Realeinkommen zweitrangig ist. Sie führt nur immer wieder zurück auf die Bedingungen der Reproduktion der einmal erreichten Wohlfahrt. Die wirklich ökonomische Frage richtet sich auf die relativen Einkommen aus dem Vermögensmarkt und aus dem Ressourcenmarkt. Es ist ein monetäres Einkommen. Die Menge der Ressourcenbeschäftigung und damit 3

Siehe hierzu meine "Ökonomische Vernunft", Tübingen 1987, S. 214ff.

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auch der Arbeit ist mit der Menge des auf dem Vermögensmarkt wirksam angebotenen Geldes verbunden, weil dessen Angebotspreis das komplemetäre Vermögensmarkteinkommen und damit das Motiv des Geldangebotes ist. Es war Phillips empirische Untersuchung, die eine neue Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der realen und der monetären Theorie hat aufkommen lassen. Phillips hatte beobachtet, daß eine Gleichzeitigkeit von hoher Rate der Inflation und niedriger Rate der Unterbeschäftigung ebenso auftritt, wie eine hohe Rate der Unterbeschäftigung mit geringer Inflation, also mit einem hohen Maß an Preisstabilität zeitlich zusammenfällt. 4 Die Nachfrage-Keynesianer haben diese Simultanität zu einer Kausalität umgedeutet. Sie sahen darin eine Bestätigung ihrer Lehre, daß bei steigendem Volkseinkommen die sinkende Grenzneigung zum Konsum für säkulare stagnative Tendenzen auf dem Gütermarkt verantwortlich sei. Ihre Auffassung war implizit, daß die bei gleichbleibenden Geldlöhnen mit der Tendenz zu sinkenden Preisen verbundene Reallohnsteigerung Arbeitsmarktprobleme hervorrufen mußte. Sie lief auf eine Steigerung der Reallöhne über die Grenzproduktivität der ArbeitS hinaus und zwang so zu einer Reduktion der Beschäftigungsmenge bis auf jenen Grenzanbieter, der das auf den Lohn zu steigernde Grenzprodukt gerade noch erbrachte. Eine Aufrechterhaltung der bisherigen Beschäftigungsmenge war auch aus dieser Sicht an eine Reallohnsenkung gebunden. Diese war am einfachsten durch eine Geldmengenerhöhung zu bewirken, weil sich die Gewerkschaften als Anbieter von Arbeitsleistungen wohl einer Geldlohnsenkung, nicht aber einer inflationären Entwertung ihrer Geldlöhne widersetzen würden. 6 Der Mangel jener Wendung der Phillips-Kurve besteht darin, daß sie eine schräge Informationsverteilung und Bedingungen unterstellen muß, die in funktionierenden Geldwirtschaften nicht bestehen. Die Unternehmer haben im Modell der Nachfrage-Keynesianer die besten Informationen. Sie erkennen sofort, daß die Steigerung der Preise infolge einer staatlichen nicht über den Vermögensmarkt finanzierten Nachfrageexpansion 7 eine Abwertung ihrer Schulden aus der Vergangenheit, ebenso wie auch aus der Gegenwart, und zugleich ein zukünftiges Zurückbleiben der Geldlöhne hinter der Preisentwick4 A. W. Phillips, The Relation between Unemployment and the Rate of Change of Money Wage Rates in the United Kingdom 1861-1957; Economica, Nov. 1958, S. 283299. S Auch hier gilt natürlich, daß das Grenzprodukt der Arbeitsleistungen nicht isoliert auf dem Markt bewertet wird und daher in seiner genauen Höhe unbestimmt bleibt. 6 J. M. Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung des Zinses und des Geldes, München/Leipzig 1936, S. 13. 7 Wobei zu beachten gewesen wäre, daß in funktionsfähigen Geldwirtschaften die Möglichkeiten der öffentlichen Haushalte, sich am Vennögensmarkt vorbei durch Kassenkredite der Zentralbank oder ähnliche Maßnahmen zu finanzieren, sehr stark begrenzt oder unzulässig sind.

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lung bedeutet. Sie verschulden sich daher stärker am Vermögensmarkt und lassen sich in der Hoffnung auf relative Schuldenerleichterungen weitere Produktionsprozesse am Vermögensmarkt finanzieren. Sie fragen deswegen weitere Arbeitsleistungen auf dem Arbeitsmarkt nach. Auf dem Vermögensmarkt haben die Vertragspartner offenbar nicht so gute Informationen, sonst könnte die steigende Unternehmernachfrage nicht zum laufenden, die Inflationserwartung der Unternehmer nicht kompensierenden Zinssatz befriedigt werden. Auf dem Arbeitsmarkt sind die Anbieter der Arbeitskraft - unabhängig von ihrer Information, unter den Umständen, die zu einer solchen Geldpolitik führen - durch den hohen Angebotsdruck nicht in der Lage, steigende Nachfrage in steigende Löhne umzusetzen. Der alte Büsch hat sich schon um dieses Dilemma erfolgreicher bemüht. Er hat im 18. Jahrhundert zur Steigerung der Beschäftigung "in einem isolierten Volke" gefordert, nur die kleinen Münzen, die zur Entlohnung der Arbeiter in Betracht kamen, durch Münzverschlechterung zu vermehren. Leicht ist einsichtig, daß die erwartete Wirkung eintrat, weil sich die Arbeiter nicht der relativen Lohnsenkung entziehen konnten, der sie derart angesichts gesetzlicher Lohntaxen und ohne Gewerkschaftsvertretung ausgesetzt waren. Sie wurden mehr beschäftigt, wenn die Produkte, die sie erzeugten, nicht zu reglementierten Preisen abgesetzt werden mußten. Genau diese relative Senkung der Einkommen aus dem Arbeitsmarkt war zu jener Zeit gewiß. Bei umfangreicheren Handelstransaktionen und Vermögensmarktumsätzen sah Büsch vollkommen zu Recht keine Wirkung der Münzverschlechterung, weil sich die Akteure dort durch Beurteilung der Münze (wie er glaubte) nach ihrem Gewicht und ihrer Feinheit, in Wahrheit aber durch Abschätzung ihrer Häufigkeit, vor Münzbetrug stets schützen konnten und auch tatsächlich schützten. 8 Nach den Verirrungen der Nachfrage-Keynesianer über den Zusammenhang zwischen Geld und Beschäftigungsmenge ist nur ein weiteres Kapitel der Dogmengeschichte geschrieben worden. Dies gelang Milton Friedman und in noch verschärfter Form seinen monetaristischen Nachfolgern .. Sie haben, nachdem die Phillips-Kurve gewendet worden war, die Rolle der Anbieter im Arbeitsmarkt zusätzlich verändert. Nicht ein relativ träges Angebot wird nach ihrer Auffassung dort einer wechselnd unzureichenden Nachfrage ausgesetzt, sondern eine natürliche, vom Grenzprodukt der Arbeit funktional abhängige Nachfrage wird mit einer von den Realeinkommensansprüchen der Anbieter regierten Angebotsmenge mehr oder minder reichlich versorgt. Deutlich gemacht hat Friedman das dadurch, daß er die Nachfragefunktion nach Arbeitsleistungen nicht mehr in alle seine graphischen Darstellungen aufgenommen hat 9 • Die Unterbeschäftigung hört damit auf, ein öffentlich interessierendes 8 J. G. Büsch, Abhandlung von dem Geldumlauf, 2. Auflage, Buch 6; in: J. G. Büsch's sämmtliche Schriften, Elfter Band, Wien 1817, S. 94fT. 9 M. Friedman, Theorie der Preise, deutsch nach der zweiten Auflage von 1976, München 1977, S. 268.

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Thema zu sein. Haushalte entscheiden privat, bestimmte Anteile der ihnen verfügbaren Arbeitsleistungsmenge nicht auf dem Markt anzubieten, weil der Reallohn nicht den Wohlfahrtsverlust aufwiegt, den der Haushalt dadurch hinnehmen muß, daß er seine Ressourcenerstausstattung nicht im Haushalt selbst einer Verwendung zuführt. Im Grenzfall ist das Haushaltsangebot Null. Es ist dann die gesamte dem Haushalt verfügbare Arbeitsleistungsmenge innerhalb des Haushaltes einer besseren, größere Wohlfahrt schaffenden Verwendung zuführbar als dies durch einen Einsatz über den Arbeitsmarkt möglich wäre. 10 Dieser Grenzfall wird aber, wenn damit ein Anspruch auf Unterstützungsleistungen gegenüber einer Arbeitslosenversicherung erhoben wird, als Arbeitslosigkeit öffentlich registriert. Der Versuch, die Haushalte allein durch steigende Geldlöhne zurück auf den Arbeitsmarkt zu holen, scheitert für die Monetaristen, weil Arbeitsleistungsanbieter keiner Geldillusion unterliegen. Es gelingt dem Haushalt das Beurteilen der gebotenen Löhne auf der Grundlage rationaler Erwartungen. Rational heißt in diesem Zusammenhang, daß die Haushalte das langfristig Mögliche der Wirtschaftsentwicklung aufgrund ihrer Erfahrung hinreichend sicher einschätzen können. Abweichungen von den natürlichen Wachstumsbedingungen beurteilen sie immer als rein monetäre Vorgänge und messen ihnen keine Wohlfahrtsbedeutung zu. Eine solche Sicherheit vorausgesetzt, bewirkt die rationale Erwartung, daß eine Steigerung der Löhne keineswegs zu einer proportionalen Angebotssteigerung auf dem Arbeitsmarkt führt, soweit sie oberhalb der Reallohnsteigerung liegt. Jeder Versuch, durch Geldpolitik Beschäftigung zu vermehren, muß hier scheitern. Die Punkte des zu einem konstanten Reallohn wirksamen Angebots für alternative Inflationsraten liegen in Friedmans Arbeitsmarktdiagramm auf Angebotskurven, die sich mit der steigenden Inflation gleichschrittlich nach rechts verschieben - und zwar senkrecht über dem Punkt auf der die Arbeitslosigkeit anzeigenden Achse, in dem die natürliche Rate der Arbeitslosigkeit dieses Reallohnsatzes gemessen wirdY

11. Geld und Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt Das monetaristische Konzept vermengt zwei mit Gewinn für die Analyse zu trennende Sachverhalte. Es betrachtet die Geldangebotssteigerung allein als eine Aktivität, die durch die Politik öffentlicher Haushalte im Zusammenwirken mit der Zentralbank verwirklicht wird. Hier kann es wenig Zweifel geben. Die staatliche Geldvermehrung kann nicht zu Mehrbeschäftigung unter den Bedin10 Diese Option setzt voraus, daß Arbeitsleistungen ihre Produktivität nicht wesentlich durch die Produktionsmittel gewinnen, an denen sie in den Unternehmungen beschäftigt werden. Sie ist eine Vorstellung aus der neoklassischen Welt, in der die Produktion als Tausch von Ressourcen gedacht wird. 11 M. Friedman, Theorie der Preise, deutsch nach der zweiten Auflage von 1976, München 1977, S. 277.

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gungen des freien Marktes führen. Dies Ergebnis tritt aber nicht ein, weil die Haushalte in der Lage sind, ihre Arbeitsleistungsangebote nach der Höhe der Reallöhne zu bestimmen. Es tritt vielmehr ein, weil in funktionierenden Geldwirtschaften die Eigentümer von Vermögen im Vermögensmarkt durch die Forderung erhöhter Zinssätze für ihr Angebot die Inflationswirkung einer solchen Maßnahme vorwegnehmen. Die Erwartung steigender Preise im Gütermarkt führt nicht, wie die Nachfrage-Keynesianer hofften, zu einer steigenden Arbeitskraftnachfrage der Unternehmer, sondern dazu, daß die Unternehmer, infolge überproportional zur Preissteigerungserwartung steigender Zinsen, unter sonst gleichen Bedingungen die laufende Beschäftigungsmenge nicht mehr aufrechterhalten. 12 Es sind nicht die Anbieter von Arbeitsleistungen, die in der Inflation ihre Realeinkommen durch Angebotsverknappung sichern, sondern die Vermögenseigentümer finanzieren weitere Produktion bei Inflation, solange die Zinsen schneller als die Preiserhöhungserwartungen steigen. So wie es der alte Büsch sehr genau beobachtet hatte, wie es auch die Beobachtung in den Entwicklungsländern gegenwärtig vor Augen führt, können sich Anbieter von Arbeitsleistungen der relativen Senkung ihrer Einkommen durch eine inflationäre Geldvermehrung in der kurz~n Frist nicht entziehen. Selbst wo sie durch leistungsstarke Gewerkschaften vertreten werden, ist dies nicht möglich. Immer werden Geldlöhne ausgehandelt, die für mittlere Fristen gelten. Stets kann eine danach unvorhersehbar eintretende Geldmengenveränderung die relative Bedeutung dieser Geldlöhne verändern. Es ist, wie Riese mehrfach betont hat, für Gewerkschaften unmöglich, Reallöhne auszuhandeln. 13 Es kann jedoch nicht gelingen, Vermögenseigentümer einer staatlichen Politik mit gleichen Zwängen zu unterwerfen, ohne den Steuerungsmechanismus der Geldwirtschaft vollständig zu zerstören. 14 Die Nichtneutralität der Inflation ist eine Funktionsbedingung der Geldwirtschaft. Die institutionelle Unterbindung dieser Nichtneutralität, beispielsweise durch Warenzertifikate, würde unmittelbar dazu führen, daß das Vermögensmarktangebot vermehrt in einer konkurrierenden Währung gemacht wird. Wenn es den öffentlichen Haushalten unmöglich ist, durch Geldverschlechterung Beschäftigung zu vermehren, so bedeutet das noch nicht, daß es keinen Zusammenhang zwischen der Geldmenge und der Beschäftigung gäbe. In funktionierenden Geldwirtschaften setzen die Vermögenseigentümer in der Konkurrenz der Anbieter und der Nachfrager des Vermögensmarktes nicht nur 12 Die Nichtneutralität der Inflation findet gerade in der unterschiedlichen Steigerungsrate des Vermögens- und des Ressourcenmarkteinkommens ihren Ausdruck. 13 Beispielsweise: H. Riese, Theorie der Inflation, Tübingen 1986, S. 34f. 14 Das Dritte Reich liefert ein Beispiel dafür, wie ein Staat die Wirtschaft in Verkennung dieses Sachverhaltes steuerungslos über Jahre in Stagnation fallen ließ. Die Staatswirtschaftsländer liefern Beispiele dafür, daß die bürokratische Alternative zur monetären Steuerung der Güterproduktion nur geringe Attraktivität besitzt.

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das Volumen der Beschäftigung durch die Steuerung der Geldversorgung der Wirtschaft fest IS, sondern auch die Verteilung auf Ressourcen- und Vermögensmarkteinkommen simultan durch die Finanzierung der Produktionsprozesse, da die Finanzierung zu einem, oder mit Bezug auf einen, Marktzinssatz erfolgt. Im Unterschied zum klassischen Modell, in dem die Unternehmerkapitalisten ihren Profit unbewußt durch ihre Konsumgüternachfrage bestimmen, wird die Verteilungslösung in der Theorie der Geldwirtschaft dadurch herbeigeführt, daß das Vermögensmarktangebot bewußt determinierend auf die Verteilung wirkt. Das Vermögensmarktangebot ist, anders als die Tarifverträge im Arbeitsmarkt, in seiner Fristengewährung variabel und kann an die Erwartungen der Vermögenseigentümer harmonisch angepaßt werden. Es sind Ausleihungen "über Nacht" ebenso üblich, wie handelbare, aber unkündbare Beteiligungen. Es werden somit die residualen Unternehmereinkommen durch Angebotsveränderungen im Vermögensmarkt der Möglichkeit nach Schwankungen ausgesetzt, die nur dadurch abgewehrt werden können, daß die Bedingungen der Ressourcenbeschäftigung an die sich ändernde Situation im Vermögensmarkt angepaßt werden. Dies kann einerseits dadurch erfolgen, daß durch Tarifverhandlungen in der Zukunft Preisveränderungs- und Produktivitätsveränderungsspielräume kompensierend zu Andersverteilungen genutzt werden. Für die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften bleibt dies der einzige Weg, für den Fall relativ sinkender Zinssätze an den verbesserten Ertragsbedingungen der Unternehmen teilzuhaben. In der kurzen, hier als Zeitraum innerhalb der Laufzeit der Tarifverträge zu interpretierenden, Frist kann die Anpassung andererseits auch in einer organisatorischen oder technischen Veränderung des Produktionsprozesses bestehen, die zu einer intensiveren Nutzung sowohl der Ressourcen als auch der Arbeitskraft führt. Diese aus dem Vermögensmarkt heraus erzwingbare Innovation, die hier am Beispiel eines für die Volkswirtschaft repräsentativen Lohnsatzes illustriert wird, ist der Ursprung der Wohlfahrtssteigerungen in Geldwirtschaften. Sie stellt sich gesamtwirtschaftlich in einem Angebots-Nachfrage-Diagramm für den Arbeitsmarkt als Verschiebung der Nachfragekurve nach links dar. Einzelwirtschaftlich wird das nicht immer deutlich. Jede einzelne Unternehmung muß in dieser Situation versuchen, ihre Produktion mittels neuer Verfahren zu halten oder zu erhöhen und den Ressourcenverbrauch spezifisch zu senken. In den erfolgreichsten Unternehmungen wird es auf der Grundlage der gesteigerten Produktivität von Arbeits- und Vorleistungseinsätzen sogar zu 15 Natürlich steht es einer Zentralbank auch in Geldwirtschaften frei, die absolute Höhe des Zentralbankangebotes zu bestimmen. Es sind aber die Vennögenseigentümer, die durch ihre Transaktionen den Wechselkurs, die Zinssätze und damit das Preisniveau marktmäßig im Zusammenspiel mit der Zentralbank zustandekommen lassen. Die Gewalt der Zentralbank ist damit deutlich eingeschränkt, denn das bedeutet, daß sie keine Kompetenz über die deflationierte Geldmenge und vor allem über die relativen Einkommen hat.

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einer erhöhten Ressourcenbeschäftigung kommen. Die gesamtwirtschaftlich resultierende Linksverschiebung der Nachfragekurve folgt überwiegend aus der Einschränkung der Produktion in den Unternehmen, die in der Konkurrenz die Produktivität ihrer Einsätze nicht erfolgreich genug steigern. In der Abbildung stellt sich die Folge einer zinserhöhenden Geldangebotsverminderung als Verschiebung der Nachfragekurve nach Arbeitsleistungen (NA) von (NA) nach (NA') dar. Das verfügbare Angebot auf dem Arbeitsmarkt wird durch die Angebotskurve für Arbeitsleistungen (AA) abgebildet.

Arbeitsmarkt

Angebot und Nachfrage Lohn

AA

I

A· : I I

Be8chäftlg~ng8menge .Ine elllplr110hen Wert.

In der Arbeitsmarkttheorie, die nur die Ressourceneinsätze einer Grenzwertbetrachtung unterwirft, verlangt die Aufrechterhaltung der bisherigen Beschäftigungsmenge (A *) eine Rechtsverschiebung der Angebotskurve im Arbeitsmarkt derart, daß der Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage senkrecht unter dem bisherigen Schnittpunkt liegt. In der Abbildung wäre dies zum Lohnsatz (L) möglich. Die steigenden Kosten der Finanzierung der Produktionsanlagen werden als Verminderung des Ertrages im Verhältnis zu den Erträgen der vorherigen Periode interpretiert. Der Lohnverzicht stellt sich dann als produktivitätsneutral dar, da das, was der Grenzproduktbetrachtung unterliegt, dem Werte nach abnimmt. Diese Gleichgewichtslösung auf der Grundlage eines absoluten Lohnverzichts und eines technischen Rückschritts, der mindere Ansprüche an die Qualifikation der Arbeitskraft stellt, ist als Reaktion auf steigende Zinsen denkbar; aber sie ist nicht die in erfolgreichen Wirtschaften übliche. Einleuchtend oder gar konsequent ist sie nur aus der fehlerhaften Sicht der neoklassischen Naturlehre der Wirtschaft, die sich an der Reproduktion der bereits erreichten Wohlfahrt als Gleichgewicht orientiert. Fehlerhaft ist diese 19 Festschrift Riese

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Gleichgewichtslösung darüber hinaus, weil sie den Beziehern der gesunkenen Geldlöhne eine unveränderte Reallohnposition vorgaukelt. Die unveränderte Einkommensposition besteht jedoch nur innerhalb der Gruppe der Ressourcenmarktanbieter. Die als steigende Fixkosten verschleierten erhöhten Vermögensmarkteinkommen sind der Ausdruck eines Sinkens der relativen Einkommen aus dem Ressourcenmarkt. Davon betroffen sind auch die Einkommen der Unternehmer. In einer monetär gesteuerten Wirtschaft reagiert die Unternehmung daher anders als in der klassischen und neoklassischen Theorie. Sie sichert ihr Einkommen durch sofortige organisatorische Änderungen 16 und durch die Einrichtung einer Technik, die an die Arbeitskräfte höhere Ansprüche hinsichtlich deren Qualifikation stellt. Das bedeutet nicht nur, daß eine gleiche Gütermenge mit unmittelbar geringeren Arbeitseinsatzmengen hervorgebracht werden wird. Es bedeutet vor allem auch, daß nicht mehr alle bisher beschäftigten Arbeitskräfte mit ihren Fähigkeiten dem Anforderungsprofil der Unternehmungen gerecht werden. Das totale Angebot auf dem Arbeitsmarkt unterscheidet sich dadurch kurz- bis mittelfristig in jene Anbieter, die den geänderten Ansprüchen unverzüglich gerecht werden, dem effektiven Angebot. und jenem Teil der Arbeitnehmer, für die das nicht gilt, dem unangepaßten Angebot. Das unangepaßte und unbeschäftigbar gewordene Angebot kann erst durch Nachschulungen oder ähnliche Lernprozesse die zur Beschäftigung erforderlich gewordene höhere Leistung erbringen und dann wieder in die Gruppe der effektiv anbietenden Arbeitskräfte auf dem Markt sukzessiv mit dem Wachstum der Wirtschaft vordringen. In der Abbildung führt die Änderungen in den Produktionsprozessen dazu, daß die Arbeitsangebotskurve von (AA) auf (AA') zurückgeht. Das jetzt geringere effektive Angebot hat in (A') einen Schnittpunkt mit der Nachfragekurve (NA') - und zwar bei einem Lohnsatz, der oberhalb des ursprünglich im Markt gleichgewichtigen Lohnsatzes (L *) liegt. Darin kommt die gesteigerte Qualifikation des Angebots im Arbeitsmarkt zum Ausdruck. Es entsteht aber auch eine Differenz zwischen (AA) und (AA') als Arbeitslosigkeit für die kurze und mittlere Frist. Daran könnte die Bereitschaft, jenen Lohnsatz zu akzeptieren, der im Schnittpunkt einer Angebots- und Nachfragekurve senkrecht unter dem bisherigen Beschäftigungspunkt scheinbar in einem Gleichgewicht liegt, nichts ändern. Die Nachfragekurve ist dort, als Folge der in den Unternehmen eingeführten organisatorischen und technischen Änderungen, nicht definiert. Dieser "Vollbeschäftigungspunkt" ergibt sich nur aus der falschen Vision, daß Wirtschaften darin bestehe, ein bisheriges Wohlfahrtsniveau mit einer wandelbaren, substitutiv zu anderen Ressourceneinsätzen einsetzbaren Technik zu 16 Diese Anderseinsätze der Arbeitsleistungen sind in der Konkurrenz des Arbeitsmarktes nicht durchsetzbar, solange dort die Nachfrage expandiert.

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verteidigen. Es ist eine falsche Idee vom wirtschaftlichen Gleichgewicht, die die Neoklassik in ihrem Irrtum gefangen hält. Literatur Büsch, J. G. Abhandlung von dem Geldumlauf, 2. Auflage, in: J. G. Büsch's sämmtliche Schriften, Elfter Band, Wien 1817. Friedman, M. Theorie der Preise, deutsch nach der zweiten Auflage von 1976, München 1977. Keynes, J. M. Allgemeine Theorie der Beschäftigung des Zinses und des Geldes (1936), München/Leipzig 1936. Mises, L. von. Nationalökonomie. Theorie des Handeins und Wirtschaftens, Genf 1940. Phi/lips, A. W. The Relation between Unemployment and the Rate of Change of Money Wage Rates in the United Kingdom 1861-1957; Econornica, Nov. 1958, S. 283-299. Riese, H. Theorie der Inflation, Tübingen 1986. Smith, A. Der Wohlstand der Nationen (1776), München 1974. Stadermann, H.-J. Ökonomische Vernunft. Wirtschaftswissenschaftliche Erfahrung und Wirtschaftspolitik in der Geschichte, Tübingen 1987.

19*

Geld und Allokation 1 Von Karl Betz, Berlin I. Die alte und die neue Orthodoxie

Im Unterschied zur klassischen Dichotomie von Geld- und Gütersphäre vertritt der monetäre Keynesianismus das Postulat einer Interaktion mit der Dominanz der monetären über die reale Sphäre. Dieses Verhältnis verbietet die isolierte Ableitung eines realwirtschaftlichen Gleichgewichts und widerspricht damit dem Postulat der Neutralität des Geldes, das der klassischen Dichotomie als heuristisches Apriori die Grundlage liefert. Der Begriff der Neutralität hat zwei Bedeutungen. Zum einen bezeichnet er das Fehlen des Einflusses einer Geldmengenvariation auf die (langfristige) Gleichgewichtsposition des Systems, zum anderen besagt er, daß Dispositionen über Geld - wenn man von Transaktionskosten absieht - keinen Einfluß auf die (langfristige) Gleichgewichtskonstellation haben, daß Geld nur ein "monetary veil in which most business transactions are shrouded" ist (Robertson, S. 1). Es ist diese zweite Bedeutung, die Keynes angriff, wenn er seine Vision einer monetary production economy der orthodoxen Sicht einer real wage economy entgegensetzte (Keynes, Band 29, S. 76ff.), während nur die erste Bedeutung angesprochen wird, wenn dem Keynesianismus der Vorwurf gemacht wird, er nehme Geldillusion an. Nichtneutralität in der zweiten Bedeutung steht im Mittelpunkt dieses Aufsatzes. Es soll gezeigt werden, daß es möglich ist, ein makroökonomisches Modell für eine Geldwirtschaft zu formulieren, das die Existenz eines Gleichgewichts bei Unterbeschäftigung ausweist. In diesem Gleichgewicht können die Akteure auf allen Märkten außer auf dem Arbeitsmarkt ihre Pläne realisierenihre Erwartungen werden also nicht enttäuscht, so daß für sie kein Anlaß zur Planrevision vorliegt - wohingegen es auf dem Arbeitsmarkt keine Handlungsoption gibt, die eine Verschiebung der Gleichgewichtslösung in Richtung auf eine Markträumung erlauben würde. Die Dominanz der monetären über die reale Sphäre drückt sich also darin aus, daß der Arbeitsmarkt zu einem residualen Markt wird, dessen fehlende Markträumung passiver Reflex der 1 Für die kritische Diskussion früherer Versionen dieses Aufsatzes bin ich den Mitgliedern des Arbeitskreises monetärer Keynesianismus in Berlin, den Professoren Horst Tomann und Elmar Wolfstetter sowie Dr. Walter Heering zu Dank verpflichtet. Wie üblich versteht es sich, daß, wiewohl ihre Kritik half, eine ganze Reihe von Schwächen und Fehlern zu vermeiden, die verbliebenen Fehler allein mein Verdienst sind.

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Dispositionen auf den übrigen Märkten ist. Es wird dabei nicht von rigiden Nominallöhnen ausgegangen, sondern es wird gezeigt, daß Nominallohnvariationen keine Erhöhung der Beschäftigung erlauben. Da Nominallohnsenkungen aber andererseits, angesichts der Existenz nominalfixierter Kontrakte, zu Anpassungspfaden "stewn with bancruptcies" führen würden, erweist sich eine exogene Nominallohnsetzung als eine Stabilitätsbedingung einer "monetary production economy". Rigide Geldlöhne sind daher eine Folge, nicht aber - als Verstoß gegen die Funktionsbedingungen einer Marktökonomie - eine Ursache der Unterbeschäftigungslösung. 1. Der Modellrahmen

Das Modell kennt fünf Märkte: Geldmarkt, Kreditmarkt, Vermögensmarkt, Gütermarkt und Arbeitsmarkt. Auf dem Geldmarkt können sich die Banken (die Vermögensbesitzer)2 bei der Zentralbank verschulden, um Kredite vergeben zu können. Zentralbankgeld wird daher nur geschaffen, wenn die Banken bereit sind, ihr Kreditvolumen auszuweiten. Mit der Kreditvergabe entstehen zugleich Depositen. Depositen und Sachvermögen stellen die beiden einzigen Anlageformen des Vermögensmarktes dar. Auf dem Vermögensmarkt stehen die Vermögenseigentümer daher vor der Wahl, ihr Vermögen entweder in Sachvermögen oder in Nominalvermögen, also Depositen, zu halten. Zentralbankgeld wird nur von Banken gehalten 3 • Soweit die VermögenseigentÜffier sich für die Haltung von Sachvermögen entscheiden, kann dieses nicht von den Unternehmern als Produktionsinput angeeignet werden. Da auf eine Modellierung der Wertpapierhaltung verzichtet wird, sind die Banken die einzigen Anbieter auf dem Kreditmarkt . Kreditnachfrage erfolgt nur zu Investitionszwecken und jede Investition erfordert eine Kreditaufnahme der Unternehmer in Höhe der investiven Vorschüsse. Zugleich werden nur investive Kredite zugelassen. Das Kreditvolumen ist daher gleich dem Investitionsvolumen 4 • 2 Vermögensbesitzer unterscheiden sich von Vermögenseigentümern (typisch: Vermögenshaushalte) darin, daß ihren Forderungen Verbindlichkeiten gegenüberstehen. Sie fungieren also als Finanzintermediäre. Banken wiederum sind Vermögensbesitzer, die die Möglichkeit haben, sich bei der Zentralbank zu verschulden, um Kredite vergeben zu können. Da sie die einzigen Finanzintermediäre des Modells sind, werden die Begriffe Vermögensbesitzer und Bank synonym verwandt. 3 Letzteres ist keine gesonderte Modellannahme, sondern folgt aus der Abstraktion von Transaktionskosten und dem unterstellten Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit des Bankensystems (vgl. Riese 1989). 4 Kredite werden nicht nur zu investiven Zwecken nachgefragt. Von einigen dieser Kreditnachfragen, wie Konsumentenkrediten oder staatlicher Kreditaufnahme, abstrahiere ich hier, während eine andere wichtige Kategorie, die Kreditnachfrage zu Zahlungszwecken. ein Phänomen des Ungleichgewichts ist. Letztere kann für eine Gleichgewichtsbestimmung keine Rolle spielen, da Gleichgewicht dadurch gekennzeichnet ist, daß von

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Diese Annahmen entspringen einer funktionalen Trennung der Akteure, die es erlaubt, jeweils für einen Akteur ein Wahlproblern gesondert zu thematisieren. Daher stehen die Vermögenseigentfuner für das Kalkül der Akzeptanz von Geldvermögen, die Banken für das der Unsicherheit des Vermögensrückflusses und die Unternehmer für die Einschätzung der Profitabilität eines Geldvorschusses. Die Frage nach der Nichtneutralität in der langen Frist erlaubt den Bezug auf das Modell einer stationären Ökonomie (also Konstanz des Vektors der relativen Preise in der Zeit, gegebene Erwartungen und Präferenzen sowie konstante Technologie, Abwesenheit von Bevölkerungswachstum und Nettoinvestitionen von Null). Somit ist sichergestellt, daß das System zu einem simultanen "stock-flow"-Gleichgewicht führt. Es werden konstante Skalenerträge (also linearhomogene Produktionsfunktionen) angenommen. Ferner kennt das Modell nur zirkulierendes Kapital. Die Löhne werden vorschüssig gezahlt, es wird homogene Arbeit unterstellt. Somit kann das langfristige Gleichgewicht als Produktionspreismodell dargestellt werden. Dieses weist den Vorzug auf, einen von allen bestehenden Paradigmen handhabbaren Referenzrahmen abzugeben (vgl. Hahn 1982). Zur Bestimmung der Technikwahl und des Vektors der relativen Preise (und daher sowohl der Arbeitsproduktivität als der Kapitalintensität) genügt in einem Produktionspreismodell die Bestimmung entweder des Reallohnes (w') oder der Profitrate (r bzw., wegen der Gleichgewichtsbedingung r = i, des [Real-] Zinssatzes), während auf dem Gütermarkt die Nachfrage zwar einen Einfluß auf die Angebotsstruktur - und, wie zu zeigen sein wird, das Volumen -, nicht aber auf die relativen Preise hat. Dieser Sachverhalt wird allgemein als Freiheitsgrad des Produktionspreissystems angesprochen. Sollen absolute Preise bestimmt werden, so liegen zwei Freiheitsgrade vor. Üblicherweise wird der zweite Freiheitsgrad geschlossen, indem dem System eine Normierung des Preisvektors vorgegeben wird. Hier wird, in Anbetracht der Tatsache, daß die Unternehmer mit den Arbeitern am Arbeitsmarkt Geldlöhne aushandeln, der Nominallohnsatz als numeraire gewählt. Der Vektor der absoluten Preise ist damit linearhomogen im Nominallohnsatz. Im folgenden soll gezeigt werden, (a) daß ein derartiges Marktsystem ein Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung aufweisen kann; (b) daß in einer Geldwirtschaftjedenfalls - im Unterschied zu einer neoklassischen Ökonomie - sowohl in der Bestimmung des Reallohnniveaus (und daher von Technikwahl und Preissystem) als auch der Beschäftigungshöhe der Arbeitsmarkt keine Rolle den Märkten keine Anreize zur Veränderung der Dispositionen ausgehen, daß also insbesondere die tatsächlichen Erlöse gleich den erwarteten sind. Die Kreditnachfrage zu Zahlungszwecken ist aber (zusammen mit der staatlichen Defizitfinanzierung) ein wichtiges Argument dafür, warum etwa in einer Krise zwar ein Rückgang der Investitionen, nicht jedoch ein Rückgang des Kreditvolumens stattfindet.

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spielt; (c) daß daher ein Gleichgewicht auf dem Geld-, Kredit-, Vermögens- und Gütermarkt mit einer Situation der Unterbeschäftigung am Arbeitsmarkt kompatibel ist bzw., außer unter sehr speziellen Annahmen, ein Gleichgewicht dieser Märkte Arbeitslosigkeit impliziert. 2. Dogmenhistorischer Exkurs: die neoklassische Lösung

Den ersten Freiheitsgrad schließt die Klassik durch die Vorgabe des relativen Lohnsatzes (Subsistenztheorie [Ricardo] oder Gewerkschaftstheorie des Lohnes). Die Neoklassik hingegen läßt sich am besten dadurch charakterisieren, daß dem Gütermarktsystem sowohl der relative Lohn als auch die Profitrate vorgegeben sind. Damit hat sie dann natürlich einen Freiheitsgrad zu wenig, das System scheint überbestimmt. In Wirklichkeit jedoch determiniert es noch eine weitere Größe, die Beschäftigung. Hier einigen sich Arbeiter und Kapitalisten über ihren Anteil am Nettoprodukt, wobei bei steigendem Lohn das Arbeitsangebot ~1:"), bei sinkendem Lohn die Arbeitsnachfrage (L d) steigt.

Neoklassik: Interaktion der MArkte wr

Lohn-ProfitRelation

r

L

L Abbildung 1

Gleichgewicht liegt dann vor, wenn der Arbeitsmarkt geräumt ist, also eine Lohn-Profit (= Zins)-Relation herrscht, bei der alle Arbeiter beschäftigt sind, die zum herrschenden Lohn Arbeit (w*) anbieten,S wie Abbildung 1 zeigt.

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Daß sich dabei - unter Ausschluß perverser Fälle - ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht ergibt, hängt nicht von der Möglichkeit der Faktorsubstitution ab. Vielmehr ergibt sich der Verlauf der Arbeitsnachfragefunktion aus dem Verlauf der Zeitpräferenzfunktion, die einem höheren Kapitalstock einen höheren Zinssatz zuordnet. Man sieht also, daß unter den für den Gütermarkt gewählten Annahmen die Neoklassik eine Vollbeschäftigungslösung herleitet. Eine abweichende keynesianische Lösung kann mithin nicht der Annahme eines Produktionspreismodelis geschuldet sein. D. Geld entsteht aus dem Nichts Vermögen entsteht durch Kredit 6

Eine zentrale Kategorie monetär-keynesianischer Arbeiten ist Rieses Begriff der selbst erzeugten Knappheit ("self-contrived scarcity"). Knappheit wird in Geldwirtschaften durch das ökonomische Handeln konstituiert, sie ist nicht (im Sinne gegebener Bedürfnisse und seltener Ressourcen) eine anthropologische Konstante 7 • Diese Leitperspektive verbietet die exogene Vorgabe der Geldmenge. An ihre Stelle tritt das "offene Diskontfenster" , d. h. Rieses Bedingung, daß die Banken sich stets zum herrschenden Diskontsatz bei der Zentralbank refinanzieren und so Zentralbankgeld entstehen lassen können. Umgekehrt ist die Ökonomie nicht zum Halten eines vorgegebenen Geldbestandes gezwungen, da die Banken sich bei der Zentralbank entschulden und so Geldvernichtung betreiben können. Mithin kehrt sich der Geldangebotsmultiplikator um. Nicht eine gegebene Zentralbankgeldmenge läßt, vermittelt über Kassen- und Reservehaltungskalkül, ein bestimmtes Kreditvolumen zu, sondern Kassen- und Reservehaltung S In der kurzen Frist entsprechen die Güterpreise nicht den Produktionspreisen. Die Güter erzielen Knappheitspreise, da eine Erstausstattung an Ressourcen vorgegeben wird, die von den Einsatzverhältnissen in den Produktionsprozessen abweichen kann. In dem Maße, in dem die Güter durch die Produktion entknappt werden, ergeben sich Technikwechsel. In der langen Frist, die hier nur thematisiert wird, wächst der Kapitalstock durch Ersparnis und paßt sich die Struktur des Angebots durch Produktion der Struktur der Nachfrage an, so daß schließlich die gleiche Technik wie in der klassischen Lösung implementiert ist und die Preise den Produktionspreisen entsprechen (langfristiger Angebotspreis). 6 Die Argumentation in diesem Abschnitt ist ausführlicher dargestellt in: Betz/ Westphal1991. 7 Dies impliziert nicht das Postulat eines Schlaraffenlandes jenseits der Geldwirtschaft, sondern ist nur Ausfluß der forschungsleitenden Idee, Wirtschaften historisch, d. h. eben als geldvermitteltes Wirtschaften, zu fassen. Unter dieser Bedingung ist es möglich bzw. wahrscheinlich, daß eine Ökonomie die - fiktional immer formulierbaren - Bedingungen der Paretooptimalität systematisch verfehlt und so selbstgesetzte Knappheiten an die Stelle quasi objektiver setzt - was offensichtlich der Inhalt des Begriffes eines Gleichgewichts bei Unterbeschäftigung ist.

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bestimmen, wie hoch bei einem bestimmten Kreditvolumen der Refinanzierungsbedarf der Banken bei der Zentral bank und damit die Zentralbankgeldmenge ist, die geschaffen wird.

Für eine Kreditvergabe fordert eine Bank einen Zinssatz (iD), der bestimmt ist durch ihre Refinanzierungskosten bei der Zentralbank (den Diskontsatz i zD) und durch die Unsicherheit des Vermögensrückflusses, die Einschätzung der Gefahr, im Falle eines Kreditausfalls gegenüber dem Publikum oder der Zentral bank aus dem Eigenkapital haften zu müssen. Letztere konstituiert die Liquiditätspräferenz der Bank (lD). Die Bank, wie jede andere Unternehmung, unterliegt keiner Budgetrestriktion. Wegen der Endogenisierung der Geldentstehung durch das offene Diskontfenster gilt dies auch für das gesamte Bankensystem. Es gibt daher wenig Argumente, die einen steigenden Verlauf der Kreditangebotsfunktion herzuleiten erlauben 8 • Somit ist die Kreditangebotsfunktion vollständig zinselastisch bei einem Zinssatz von: (1)

Es existiert jedoch eine andere Beschränkung. Eine höheres Kreditvolumen impliziert als saldenmechanischen Reflex höhere Einlagen, mithin ein höheres Volumen des Nominalvermögen der Vermögenseigentümer (unter den hier getroffenen Annahmen eines Kassenhaltungskoeffizienten von Null und der ausschließlichen Kreditvergabe durch das Bankensystem ist das Depositenvolumen gleich dem Kreditvolumen). Am Vermögensmarkt besteht nun die Alternative, Vermögen entweder als Sachvermögen oder als Geldvermögen zu halten 9 • Sachvermögen, das zu Zwecken der Vermögensaufbewahrung gehalten wird, ist aber produktiven Verwendungen entzogen. Diese Unterscheidung zwischen Sach- und Produktivvermögen ist deshalb wesentlich, weil andernfalls, bei der üblichen Annahme beliebiger Teilbarkeit der Prozesse, die Flucht in Sachvermögen eine "Produktion in der Waschküche" nahelegen würde, mit dem Effekt, daß jede Sachvermögensnachfrage expansive Effekte hätte - ein Effekt, der aber eben der für diese Frage inadäquaten Modellierung geschuldet wäre. Soll ein höheres Kreditvolumen eine höhere Produktion ermöglichen, so ist es bei einem gegebenen Anfangsvermögensbestand erforderlich, daß die Vermö8 Das einzige Argument, das ich sehe, wäre den Eigenschaften der Normalverteilung geschuldet: Wenn (und insofern) mit steigendem Kreditvolumen nicht nur eine größere Anzahl von Kreditkontrakten, sondern ein höheres Volumen der einzelnen Kontrakte einherginge, so stiege, wegen der Definition der Varianz, die individuelle Risikoperzeption und daher IB • Jedoch scheint mir dieses Ergebnis zu sehr der speziellen Form der Modellierung der Verarbeitung von Unsicherheit geschuldet, um ihm einen besonderen ökonomischen Gehalt zuzuschreiben. Es scheint daher ratsam, es nicht als Argument zu verwenden, was umso leichter fällt, als ein qualitativ gleiches Ergebnis sich über das Kalkül des Vermögenseigentümers herleiten läßt. 9 In dem Modell einer offenen Volkswirtschaft wird die Funktion der Sachvermögenshaltung, eine Sicherung gegen die Entwertung des Geldvermögens zu bilden, weitgehend von Devisen übernommen werden.

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genseigentümer bereit sind, den Anteil von Nominalvermögen (also hier: Einlagen) an ihrem Portfolio zu erhöhen. Bei gegebenen Präferenzen und Erwartungen erfordert dies aber eine höhere Verzinsung der Einlagen (iD). Aus der Sicht einer Bank stellen Depositen eine Alternative zur Refinanzierung bei der Zentralbank dar - mit dem Unterschied, daß sie auf Depositen Reserven halten muß. Folglich wird sie, wenn von den Kosten des Bankbetriebs abgesehen wird, einen Depositenzinssatz in Höhe von izB · (1 - res) zahlen oder, bezogen auf i B : (2)

mit res als Reservesatz der Bank. Mit diesem Argument wird die Zentralbank in die Marktbeziehungen hereingeholt, erhält somit das Geldangebot eine entscheidungstheoretische Fundierung: Erlaubt die Zentral bank ein höheres Kreditvolumen bei gegebenen Präferenzen und gegebenem Diskontsatz (und damit gegebenem Einlagenzins), so findet keine Ausweitung des Portfolioanteils von Nominalvermögen statt. Folglich stimmt mit dem höheren Kreditvolumen eine geringere Bewertung des Nominalvermögens überein. Eine Kreditausweitung induziert somit einen Preisniveauschub, der seinerseits die Gefahr beinhaltet, einen Inflationsprozeß anzustoßen und eine Erosion des Geldsystems auszulösen (vgl. Riese 1986). Will die Zentralbank also Zentralbank bleiben, so muß sie den Vermögenswert des von ihr angebotenen Geldes verteidigen, was wiederum heißt, daß sie, bei gegebenen Präferenzen, im Falle einer Kreditexpansion den Diskontsatz erhöhen muß, um so den Vermögenszins zu erhöhen. Abbildung 2 verdeutlicht diesen Zusammenhang. Im rechten oberen Quadranten sind die Kreditangebotsfunktionen (Kr") für verschiedene Diskontsätze abgetragen. iD(iB) ist der funktionale Zusammenhang von Kreditzinssatz und Depositenzinssatz. Im dritten Quadranten ist die Nachfrage der Vermögenseigentümer nach Depositen (also der gewünschte Anteil der Depositen am Gesamtvermögen multipliziert mit der Höhe des Gesamtvermögens) dargestellt, während der rechte untere Quadrant die Gleichgewichtsbedingung Depositennachfrage (D d ) gleich Depositenangebot (D') wiedergibt. Unterhalb der Gleichgewichtskurve (D d = D übersteigt die Depositennachfrage das Depositenangebot, die Überschußnachfrage nach Geldvermögen wirkt deflationär. Oberhalb dieser Kurve wird das zu hohe Depositenvolumen durch Höherbewertung des Sachvermögens entwertet. Ein simultanes Gleichgewicht von Kreditangebotsplänen und Vermögensmarkt besteht daher entlang der im rechten oberen Quadranten abgetragenen KD-Kurve, die den Zusammenhang von (realem) Kreditvolumen (Kr") und Zinssatz (iB) beschreibt 10. S)

10 Somit ist der Zins und damit die KD-Kurve - eine Funktion des realen Kreditvolumens, da der Wert des Geldvennögens hier auf den Wert des Sachvennögens bezogen ist.

300

Karl Betz

KD

iB

Kurve Kr S 2 Kr s 1 Kr ~ D

infla-

S

deßationAr Dd

d

D

S

Abbildung 2

ill. Durch die Produktion entstehen nur Güter Gewinn entsteht durch den Verkauf Mit der KD-Kurve sind die Zinssatz-Kreditvolumen-Kombinationen bestimmt, bei denen die Kreditangebotspläne und der Vermögensmarkt im Gleichgewicht sind. Um das Modell zu schließen, bleibt die Kreditnachfrage zu erklären. Unter den Modellannahmen (nur zirkulierendes Kapital, Kreditnachfrage nur zu investiven Vorschüssen und vollständige Kreditfinanzierung der Investitionen) entspricht das Kreditvolumen dem Kapitalstock. Der Kreditnachfrage liegt daher der Vergleich von (erwarteter) Profitrate (re) und Kreditzinssatz i B zu Grunde. Im Gleichgewicht müssen beide Größen mit der realisierten Profitrate (r) übereinstimmen. Es muß also gelten: (3)

r=r'=i

Auf Grund von Keynes' Grenzneigung zum Konsum ergibt sich nun ein inverser Zusammenhang von Profitrate und Kapitalstock. Unter der Voraussetzung eines gegebenen Vermögenbestandes besteht zwar (aus der Annahme der unendlichen Anpassungsgeschwindigkeit an Bestandsmärkten) dieGarantie, daß dieser die optimale (Portfolio-) Struktur aufweist; keineswegs sichergestellt ist jedoch, daß er dem gewünschten Vermögensbestand

301

Geld und Allokation

entspricht. Zu hoch kann der Bestand zwar nicht sein (denn abbauen läßt er sich immer und sei es über die Annahme von "free disposal"), aber er kann zu niedrig sein. In diesem Fall effordert der Aufbau von Vermögen das Erzielen von Einnahmeüberschüssen seitens der Haushalte (die so entweder zu Vermögenseigentümern werden oder ihre Position als Vermögenseigentümer verbessern). Indem das Einkommen in die Budgetrestriktion für die Nachfrage nach zusätzlichem Vermögen eingeht, diese Nachfrage aber bei gegebener Portfoliostruktur geplante Einnahmeüberschüsse darstellt, steigt mit steigendem Einkommen die Differenz von Einkommen und Konsumnachfrage am Gütermarkt [J (Y - C) / J Y > 0]. Die Kehrseite von Einnahmeüberschüssen seitens der Haushalte sind aber Ausgabenüberschüsse der Unternehmen.

GQ-Gewinne im Gütermarkt-Diagramm Ausgaben der HH

Abbildung 3

Ausgaben der Unternehmen

Soweit diese Ausgabenüberschüsse geplant sind, also Nettoinvestitionen entspringen, sind sie mit Gleichgewicht vereinbar. Sie erlauben eine Ausweitung der Produktion und des Vermögens der Haushalte. Im stationären Zustand hingegen müssen die Nettoinvestitionen Null sein. Folglich können Ausgabenüberschüsse des Unternehmenssektors nur ungeplante sein, stellen also Verluste dar. Interpretiert man nun im Gütermarkt-Diagramm - Abbildung 3 - die yd-Achse als geplante Ausgaben der Haushalte in Abhängigkeit vom Haushaltseinkommen und die YS-Achse als Ausgaben des Unternehmenssektors und daher Einnahmen des Haushaltssektors, so gibt die 45°-Kurve den geometrischen Ort aller Kombinationen von Ausgaben des Unternehmenssektors (für

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Löhne und Zinsen) und Ausgaben des Haushaltssektors an, bei dem der Unternehmenssektor keine Verluste und keine Gewinne macht. Gegeben die Einkommenselastizität der Haushaltsnachfrage, die den Verlauf der Nachfragekurve bestimmt, gibt es unter den üblichen Annahmen genau ein Einkommensniveau (Y*), bei dem die Unternehmen weder Gewinne noch Verluste machen. Unterhalb dieses Einkommensniveaus macht der Unternehmenssektor Reingewinne, GQ-Gewinne im Sinne von Keynes' Treatise (Band 5), oberhalb dieses Niveaus macht er GQ-Verluste.

Rate des pure profit bei gegebenem Zins TT

o ____________________ yd

J_ _ _ _

y

yB= Abbildung 4

Diese Beziehung gilt auch und gerade dann, wenn man dem GütermarktDiagramm keine Annahme über einen variierenden Auslastungsgrad der Produktion unterlegt, sondern wie in Abbildung 4 voraussetzt, daß dem jeweiligen Produktionsniveau der Kapitalstock (K) zugeordnet ist, der einer optimalen Auslastung der Kapazitäten entspricht. Interpretiert man das Standard-Gütermarkt-Diagramm in diesem Sinne, so läßt sich die Rate des "pure profit" (1t) für alternative Vorschußvolumina bestimmen. Es gilt dann (mit Ca als autonomem Konsum und c als marginaler Konsumneigung): Ca + C· y s

(4)

Yd

(5)

K= (K/ Y S ) . y s

=

Geld und Allokation

303

sowie (6)

n=

yd_y.

K

C

Y'

K

K

=~+(c-l)·-

Mithin variiert die Rate des "pure profit" mit dem Vorschußvolumen. Sie ist Null for K = K*, strebt gegen unendlich für K gegen Null und konvergiert gegen - s· (Y / K) für K gegen unendlich (s = marginale Sparneigung).

Legt man die üblichen Annahmen über die Konsumquoten zu Grunde, so bedeutet ein höherer Zins eine geringere Konsumquote, mithin kann jedem Zinssatz eine andere Ausgabenfunktion zugeordnet werden und daher sind für die Realisierung unterschiedlicher Zinssätze jeweils andere Vorschußvolumina erforderlich. In diesem Sinne läßt sich eine Kurve konstruieren, die unterschiedlichen Vorschußvolumina unterschiedliche Ertragsraten zuordnet - die irKurve in Abbildung 5. Zwar ist es richtig, daß in y d das Vermögen als Lageparameter eingeht, daß also unterschiedlichen Vermögensbeständen unterschiedliche Ausgabenfunktionen und somit unterschiedliche ir-Kurven zugeordnet sind. Jedoch ist in der Ausgangssituation das Vermögen gegeben. Seine Erhöhung setzt eine Kreditexpansion voraus. Diese wiederum würde aber, so in der Ausgangssituation ein Gleichgewicht vorgelegen hat, eine vorgängige Verschiebung der ir-Kurve erfordern. Um steigen zu können, müßte das Vermögen also bereits gestiegen sein. Wie man leicht sieht, ist diese Interpretation nicht von der in diesem Aufsatz unterstellten Technik-Annahme abhängig. Die einzige Bedingung für die Herleitung des Ergebnisses ist die Eindeutigkeit der Funktion K = K(YS), nicht aber die eines bestimmten Funktionsverlaufs. Eine solche Lesart verbindet Keynes' General Theory (Band 7) mit seiner Treatise. da nun das Verhältnis von Ausgabenfunktion und 45°-Linie die Höhe der GQ-Gewinne der Treatise bestimmt und zeigt, daß dem Konzept der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals keine bestimmten Annahmen über Grenzproduktivitäten der Faktoren (oder über variierende Auslastungsgrade) zu Grunde liegen müssen - wenn auch zuzugeben ist, daß sich, wie die Vorarbeiten zur General Theory ausweisen, in diesem Konzept bei Keynes durchaus langund kurzfristige Motive vermischt haben. Vielmehr gilt die Beziehung auch und gerade bei mit dem Output variierendem Kapitalstock. Wie das 16. Kapitel der General Theory nahelegt, ist es eben der Kapitalstock (und nicht dessen Auslastungsgrad oder die Technik), der variiert wird, um die Profitrate durchzusetzen. Dies ist möglich, wie schon die Treatise herausgearbeitet hat (Kapitel 12.11), weil die Ausgaben im Verhältnis zum Einkommen (also die Ausgaben- bzw. Einnahmeüberschüsse der Haushalte) eine Funktion des Einkommensniveaus sind, so daß eben die Haushalte so arm gehalten werden müssen, daß sie nicht mehr als das geplante Investitionsvolumen sparen können, was wiederum die Realisierung des Gleichgewichtsprofits erlaubt.

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304

ir

Kurve

i. r

ir (K)

yd

K. Kr d

--- -- ---a--- -----------------------

Yi~

y i3

Y

K (y S)

S

Abbildung 5

Algebraisch läßt sich der optimale Kapitalstock wie folgt bestimmen. Es gilt, wenn Q für die Normalgewinne, W für die Lohnsumme, C für die Konsumnachfrage und IN für die Nettoinvestitionen steht: (7)

Q + GQ + W = C + IN oder Q + GQ = C - W

+ IN

Nun ist aber der Konsum gleich dem Konsum aus Löhnen und dem Konsum aus Gewinnen: C = CQ + Cw, und die Lohnsumme W ist gleich Sw + Cw . Daher gilt: Q + GQ = C - C w - Sw + IN oder (8)

Damit habe ich die Elemente vorliegen, die es erlauben, die Mengenlösung anzugehen. Es gilt: (9)

r= Q/K,

d. h. die Profitrate ist gleich den auf den Kapitalstock bezogenen Gewinnen. Die Annahme des "stationary state" bedingt Nettoinvestitionen und Extragewinne von Null, so daß gelten muß: (10)

Geld und Allokation

305

Aus (10) in (9) folgt: (11)

Umgefonnt läßt sich Gleichung (11) als Bestimmungsgleichung für den gleichgewichtigen Kapitalstock K* interpretieren: (11')

K*=

C - S Q

r

w

11

Es zeigt sich, daß eine Variation der Profitrate über eine Variation des Aktivitätsniveaus am Markt durchgesetzt werden kann. Die Bedingung erwartete Profitrate re = i( = r) besagt, daß die Unternehmer bei dem Aktivitätsniveau, das die Realisierung von r erlaubt, erwarten, für zusätzliche Investitionen den Gleichgewichtsprofit nicht mehr realisieren zu können (und für die bestehenden nur den Gleichgewichtsprofit realisieren). Sollten sie anderer Meinung sein, so wird ihre lahresbilanz sie schließlich eines besseren belehren. Umgekehrt: Sollte sich der Zinssatz ändern, so führen Variationen des Aktivitätsniveaus auf eine Konstellation, in der der neue Gleichgewichtsprofit erwirtschaftet werden kann. Wegen GQ = 0 für die Gleichgewichtsbedingung, ist sichergestellt, daß in den Gleichgewichtslagen die makroökonomische Bedingung der Realisierung des Gleichgewichtspreisniveaus erfüllt ist. In der Terminologie der Treatise: die Gewinnkomponente des Preisniveaus ist Null. Wegen der Gleichgewichtsbedingung i = r und der Identität von K* und der Kreditnachfrage (Krd ) kann die ir-Kurve als Kreditnachfragekurve interpretiert werden. Das Gleichgewicht einer Geldwirtschaft läßt sich somit, wie in Abbildung 6, als Schnittpunkt der KD- mit der ir-Kurve beschreiben, in dem die Interaktion von Kreditangebot und Vennögensmarkt sowie die Verwertungsbedingungen des Kapitals auf dem Gütennarkt den optimalen Kapitalstock bestimmen. Somit begrenzen Liquiditätspräferenz als Konstituum des Zinssatzes und Verwertungsbedingungen des Kapitals, also Ertragserwartungen (bzw., im Gleichgewicht, die Konsumnachfragepläne), das Vorschußvolumen und damit das Einkommen.

11 Unter Einschluß des Staates, des Auslandes sowie positiver Investitionen lautet diese Beziehung:

(11")

K* = _C....oQ_-_S_w_+_I_N_+_(_E_x_-_l_m_)_+_(_G_-_T_) r

mit G = Staatsausgaben, T = Steuern, Ex = Exporte, und Im = Importe. 20 Festschrift Riese

306

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Gleichgewichtiges Vorschußvolumen i,r

ir KD

i

• •

Kr, K, D

K

Abbildung 6

IV. Löhne werden in Geld kontrahiert Zinssatz, Profitrate und Vorschußvolumen sind somit bestimmt. Mit der Profitrate ist aber zugleich die Technikwahl und daher K / Yund der Arbeitseinsatz pro Outputeinheit, L / Y, festgelegt 12. Ist K* das Vorschußvolumen, bei dem die Unternehmer ihren Gleichgewichtsprofit erzielen können, so ist die Arbeitsnachfrage L d : (12)

L d = [(*·(Y/K)-(L/ Y)

Das Arbeitsangebot sei, den üblichen Präferenzannahmen folgend, eine Funktion im Reallohn: (13)

v

= V(w r )

Nun ist aber der Zinssatz und damit (wegen r = i) die Gleichgewichtsprofitrate bereits unabhängig von der Arbeitsmarktlösung bestimmt. Unter der Voraussetzung, daß die Umhüllende der Reallohn-Profit-Relationen der einzel12 Diese Beziehung kann nur näherungsweise gelten, da die Arbeitsintensität zwischen den Produkten variiert, so daß die Struktur der Endnachfrage einen Einfluß auf die Beschäftigung hat.

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307

nen technischen Alternativen gegeben ist, ist simultan der Reallohn festgelegt. Bei Abwesenheit von Geldillusion seitens der Arbeiter liegt daher das Arbeitsangebot ebenso fest wie die Arbeitsnachfrage. Ersteres ist somit für den durch Nominaßohn (WO) und Arbeitsmenge (L) gekennzeichneten Arbeitsmarkt ebenso exogen vorgegeben wie letztere, was Abbildung 7 näher zeigt. Die Möglichkeit der Faktorsubstitution beeinflußt hier lediglich den Verlauf der Arbeitsnachfragekurve Ld(K) im K-L-Diagramm, nicht aber am Arbeitsmarkt, dem wO-L-Diagramm, da die Kapitalintensität durch den Zinssatz (die Profitrate) eindeutig bestimmt ist. Erneut ist für dieses Ergebnis weder eine bestimmte Technik- noch eine Präferenzannahme erforderlich; es ist lediglich notwendig, daß sowohl L d (K) als auch LS(wr ) Funktionen sind.

Der Arbeitsmarkt im System der Märkte ir

,K

ir

L

f

I

r

i :; r

I.

f

L

Abbildung 7 20'

308

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In diesem Gleichgewicht sind Geld-, Kredit-, Vermögens- und Gütermarkt geräumt, während am Arbeitsmarkt Unterbeschäftigung herrschen kann. Somit ist L d :$; L" lediglich "feasibility" -Bedingung, nicht aber L d = L" Gleichgewichtsbedingung für das Gesamtsystem. Letztere ist eine mögliche (wiewohl extrem zufällige) Lösung, die bei ganz speziellen Präferenzannahmen oder einer bestimmten Vermögenserstausstattung erzeugt werden kann. Es bleibt aber zu prüfen, ob es Prozesse am Arbeitsmarkt geben kann, die es erlauben, eine Unterbeschäftigungssituation zu überwinden. Jedenfalls bewirkt dies keine einfache Variation des Nominallohnes, denn wenn man dem Produktionspreismodell Geldlohn und Profitrate (Zinssatz) vorgibt, so ist das Gleichgewichtspreisniveau linearhomogen im Geldlohnsatz. Somit sinken bei sinkendem Geldlohnsatz alle Nominalpreise des Gleichgewichts um die Rate der Lohnsenkung. Da die Geldmenge mit der Kreditvergabe entsteht, ist sie bei niedrigerem Preisniveau ebenfalls geringer. Also können, bei Abwesenheit von Geldillusion, von dem niedrigeren Preisniveau stimulierende Effekte weder auf den Vermögens- noch auf den Kreditmarkt ausgehen. Angesichts nominalfixierter Verbindlichkeiten des Unternehmenssektors könnten Nominallohnsenkungen in einem solchen Kontext lediglich eine Überschuldung der Unternehmen herbeiführen und mithin eine Deflationsspirale auslösen. Bliebe die Ausgabenbereitschaft. Unterstellen wir keine Geldillusion, so müssen in diesem Falle auch die Ausgaben (CQ und Cw ) und Vorschüsse um dieselbe Rate zurückgehen l3 . Damit ist die Arbeitsnachfrage zwar eine Funktion des Zinssatzes, nicht aber eine des Nominallohnes; das Arbeitsangebot wiederum kann sinnvoll zwar als eine Funktion des Real-, nicht aber des Nominallohnes gefaßt werden. Unter der Voraussetzung eines gegebenen Zinssatzes erhalten wir aber sowohl den Reallohn - und somit das Arbeitsangebot - als auch, über die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, die Arbeitsnachfrage. Der Arbeitsmarkt müßte das Kunststück fertig bringen, über eine Variation des Nominallohnes den Zinssatz gleichzeitig sowohl sinken als auch steigen zu lassen. Der Zinssatz müßte sinken, weil dies die Voraussetzung wäre, um auf der ir-Kurve einen Punkt zu realisieren, auf dem die Verzinsung eines höheren Vorschußvolumens ermöglicht werden kann. Und er müßte zugleich steigen, weil das Gleichgewicht von Geld-, Kredit- und Vermögensmarkt einem höheren Vorschußvolumen einen höheren Zinssatz zuordnet. Da nun Geldlohnsenkungen das langfristige gleichgewichtige Beschäftigungsniveau nicht erhöhen können und zugleich zu Anpassungspfaden führen, in deren Verlauf die Beschäftigung zunächst sinken muß, ist es für die 13 Dies ist deshalb zu betonen, weil der übliche neoklassisehe Vorwurf an keynesianisehe Modelle lautet, diese kämen nur durch die Annahme von Geldillusion zustande, während hier das Ergebnis unter der Bedingung von deren Abwesenheit gewonnen wurde.

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Arbeitsanbieter rational, einen solchen Prozeß durch die Bildung von Koalitionen (Gewerkschaften) zu unterbinden. Damit sind aber auch die Arbeitsanbieter, trotz fehlender Markträumung, in dem Sinne in einem Gleichgewicht, daß es für sie keinen Anlaß gibt, ihre Angebotspolitik zu revidieren. Arbeitsangebot wie Arbeitsnachfrage sind daher bei Abwesenheit von Geldillusion vollständig unelastisch im Hinblick auf den Nominallohn, so daß für L d < L' eine institutionelle Nominallohnsetzung erforderlich ist, für L d = L' der Lohnsatz unbestimmt ist und für L d > L' es keinen Nominallohnsatz gibt (und er ist der einzige, der am Arbeitsmarkt ausgehandelt werden kann), der Angebot von und Nachfrage nach Arbeit zur Deckung bringen könnte. V. Resümee: Die Nichtneutralität des Geldes Der Vergleich zum neoklassischen Modell der "real-wage-economy" zeigt, daß es dem monetären Keynesianismus möglich ist, Geld als wesentlich in die ökonomische Theoriebildung zu integrieren. Nicht nur, daß das Marktergebnis - in der Regel ein Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung - ein anderes als in der Neoklassik ist, vor allem verändert sich die Interaktion der Partialmärkte, indem der Arbeitsmarkt seinen Einfluß auf die Allokationslösung verliert. Verteilung wie Beschäftigung werden auf den monetären Märkten festgelegt, so daß der Reallohn seine allokative Funktion weitgehend (abgesehen von der "feasibility"-Bedingung) einbüßt. An seine ~telle tritt ein monetär bestimmter Zins. Dies zeigt, daß, obwohl die Vollbe:schäftigungslösung eine Teilmenge der möglichen Gleichgewichtskonstellationen bildet, die neoklassische Lösung nicht als Spezialfall der monetär-keynesianischen angesehen werden kann. Denn wichtiger als die zufällig mögliche numerische Übereinstimmung ist der Unterschied im Interaktionszusammenhang der Märkte, der eine Geldwirtschaft als eine von den Funktionsprinzipien einer Realtauschwirtschaft prinzipiell verschiedene Form ökonomischer Vergesellschaftung ausweist. Zugleich zeigt sich, daß die Kritik der Neoklassik am Keynesianismus äußerlich bleibt und daher wirkungslos verpufft. Weder unterstellt der Keynesianismus Geldillusion noch starre (Real-)Löhne, denn letztere sind auf dem Arbeitsmarkt nur insofern starr, als sie als Marktresultat die Gleichgewichtsbedingungen der übrigen Märkte reflektieren. Denn Geldillusion wurde nur durch einen Defekt der Theoriebildung als Realkasseneffekt (bzw. Pigou-Effekt) zum Argument gegen den Keynesianismus. Es war dies der gemeinsame Defekt der Kontrahenten, die Bestimmung der Zentralbankgeldmenge durch exogene Vorgabe aus dem Marktprozeß zu werfen und damit den Geldmarkt entgegen der Logik der Allokationstheorie zu modellieren, die verlangt, einen Markt als ein System der interdependenten Bestimmung von Preisen und Mengen zu fassen.

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So wurde es der neo klassischen Kritik möglich, den Arbeitsmarkt mit der wundersamen Fähigkeit zu versehen, kostenlos Vermögen zu produzieren. Da Geldlohnsenkungen zu sinkendem Preisniveau führen und daher, bei exogener nominaler Geldmenge, den realen Vermögenswert des Geldbestandes erhöhen, konnten die Arbeiter das Realvermögen der Ökonomie durch ihre Lohnkontrakte bestimmen. Und da das Vermögen Lageparameter der ir-Kurve ist, konnten sie, ohne jede Investition, ohne jede Produktion und ohne jeden Lohnverlust, die Vermögenseigentümer so lange bereichern, bis diese bereit waren, eine Konsumnachfrage zu äußern, die Vollbeschäftigung erlaubte. Sobald jedoch der Geldmarkt als Markt gefaßt wird, zeigt sich eben, daß dieses Wunderland seine Existenz nur dem Verstoß gegen und nicht etwa der Wirkungsweise von Marktbeziehungen verdankt. Diesem Defekt wurde seitens des Keynesianismus dadurch Vorschub geleistet, daß Keynes' Angriff auf die Quantitätstheorie einseitig über die Betonung der GeldnacJifrage erfolgte und er es deshalb unterließ, eine Theorie des Geldangebotes zu entwerfen. Sobald dies geschieht, geht in einer Geldwirtschaft im Gleichgewicht mit einem niedrigeren Preisniveau eine geringere nominale Zentralbankgeldmenge einher und daher löst sich der Realkasseneffekt für die Gleichgewichtsbestimmung in Wohlgefallen auf, wiewohl er als Phänomen des Ungleichgewichts natürlich weiter seine Berechtigung hat. Jedoch begründet dieser methodische Defekt der Diskussion keine Kritik an der Neoklassik. Diese ist selbstverständlich logisch konsistent. In ihrem Paradigma kommt lediglich ein anderes Weltbild zum Ausdruck, das sie eine andere Form des Wirtschaftens modellieren läßt, eine Form ökonomischer Vergesellschaftung, in der Geld unwesentlich bleibt und die in vielerlei Hinsicht sympathischer als die tatsächlich existierende Form des Wirtschaftens ist. Die Neoklassik ist keineswegs falsch; sie ist lediglich unzutreffend.

Literatur Betz/ Westphal 1991: Karl Betz und Andreas Westphal. Inflation in a Monetary Production Economy. In: Economies et Societes. Serie Monnaie et Production (Band 8). Hahn 1982: Frank H. Hahn. The neo-Ricardians. In: Cambridge Journal of Economics. Heering 1991: Walter Heering. Geld, Liquiditätsprämie und Kapitalgüternachfrage. Studien zur entscheidungstheoretischen Fundierung einer monetären Theorie der Produktion (Studien zur monetären Ökonomie Band 10). Regensburg. Keynes: The Collected Writings of John Maynard Keynes. London und Basingstoke. Bände 5, 7 und 29 (1971 [1930], 1973 [1936] bzw. 1979 [1933]). Pasinetti 1988: Luigi L. Pasinetti. Vorlesungen zur Theorie der Produktion (1975). Marburg.

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Riese 1986: Hajo Riese. Theorie der Inflation. Tübingen. ~

1989: Hajo Riese. Geld, Kredit, Vermögen. Begriffiiche Grundlagen und preistheoretisehe Implikationen der monetären keynesianischen Ökonomie. In: Hajo Riese und Heinz-Peter Spahn (Hrsg.). Internationale Geldwirtschaft (Studien zur monetären Ökonomie, Band 2). Regensburg.

Robertson 1948: Denis H. Robertson. Money (1922). Cambridge, 4. Aufl.

MODey as PurchasiDg Power aDd MODey as Stock of Wealth By Augusto Graziani, Rome I. IDtroductioD: ComplicatioDS of the CODcept of MODey In the course of history, the concept of money has gone through a double order of complications which have appeared both on the supply and on the demand side. On the supply side, it has taken a long time to move from a more primitive conception of money as a commodity to a more refined insight which shows that, whatever its material appearance, the very nature of money is of being an instrument of credit. On the demand side, it has taken almost as long to move from the original intuitive idea that the demand for money can only originate from the intention of spending it for purchasing material commodities to the more recent conception of money being demanded as a stock of wealth and a reserve of purchasing power. N owadays, the problems appearing on the supply side can be viewed as having been finally solved. A commodity money can only be present in a barter economy. A true monetary economy can only make use of credit money. Even a metal coin, as John Maynard Keynes would say of the Indian rupee, is "a banknote printed on silver" (Keynes, 1913, chapt. 11). Still, even if true money is in the nature of credit money, the kind of credit that leads to the creation of money is not a direct credit between the two negotiating agents, but a more complicated triangular transaction, involving a buyer, a seIler and a third party supplying banking services. The moment a monetary payment is made, the buyer becomes the debitor of the bank, and the seIler becomes a creditor of the bank for the same amount. From that moment on, the transaction between buyer and seIler is settled and no debt is pending between the two negotiating parties. If a direct credit were granted by the seIler to the buyer, we would be in a credit economy and not in a monetary economy (for a detailed account of this point, see Graziani, 1990). The present paper will be devoted to abrief account of the second aspect, namely the controversy appearing on the demand side, between money conceived as a means of exchange and money defined as a stock of wealth. In contrast to the debates concerning the supply, the definition of money viewed from the demand side is by no means a settled point. The Keynesian revolution, by defining money as a stock ofwealth and llsing the demand for money as a basic

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Augusto Graziani

tool for the explanation of the level and fluctuations of aggregate demand, has apparently obtained general acceptance. Recently however, the emergence of the post-Keynesian theory of income distribution and the stress placed by it on the endogenous nature of the money stock on one side, and the so-called Theory of the Money Circuit on the other, have raised new interest in money as purchasing power. In the present paper it will be contended that both concepts are needed. The definition ofmoney as a stock ofwealth, wrule supplying a most efficient tool for the explanation of fluctuations in aggregate demand, leaves unexplained the role performed by money in income distribution. On the other hand, a mere adherence to the concept of money as purchasing power raises serious analytical problems in that, under rigorous assumptions of perfect competition, money ceases to be an observable magnitude. The solution lies in accepting both concepts, wruch means that the theory of money should cover the whole process starting with the creation ofmoney, going through the circulation ofmoney in the market and the formation of the money stock, and ending with its final destruction.

u.

The Emergence of Money as a Stock of WeaIth

The first intuitive concept of money, and the one adopted at the beginnings of economic theory, was that of money as purchasing power. Adam Smith explained how money is the direct consequence of the division of labour and ofthe obstacles produced by barter. After having told the long story of primitive money, he concluded: "It is in this manner that money has become ... the universal instrument of commerce, by the intervention ofwruch goods of all kind are bought and sold, or exchanged for one another" (Smith, 1776, p. 28). Similarly, money in John Stuart Mill's words "is the medium through wruch incomes of different members of the community are distributed to them, and the measure by wruch they estimate their pos sessions" (Mill, 1848, p. 487). Alfred Marshall's definition is not very different: "For immediate (current) business, money needs only to be a clearly defined, easily handled, and generally acceptable medium of exchange" (Marshall, 1923, p. 15). Two orders of considerations gradually led to drop the immediate and intuitive conception in favour ofthe more refined definition of money as a stock ofwealth. The first one was the well-known controversy on the utility of money. Marginal utility theory applied to money led to define the utility of money as an indirect utility supplied by the goods that money can buy. As Ludwig von Mises put it: "Nun ist ... der subjektive Gebrauchswert des Geldes, der mit seinem subjektiven Tauschwert zusammenfällt, nichts anderes als der antizipierte Gebrauchswert der für das Geld einzutauschenden Güter" (von Mises, 1912, p.

Money as Purchasing Power and Money as Stock of Wealth

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108). This definition, which had already been anticipated by von Wieser and Böhm-Bawerk, gave rise to the famous circularity charge. Karl Helfferich was one of the most convineed supporters of the charge. He contended that if the value of money depends on the utility of the goods money can buy, a circular reasoning is involved. In fact, the marginal utility of goods depends on the amount of goods that any stock of money can buy; it depends, therefore, on the value of money. Consequently, it seems as though the value of money were determined by the value of money itself (Helfferich, 1903, pp. 544 - 546). Von Mises tried to explain that, when the behaviour of a single agent is considered, the fact of assuming the value of money as given is perfectly legitimate (von Mises, 1912, pp. 126-131). Unfortunately, the demonstration supplied by von Mises was cumbersome and obscure. In order to make the point, simple in itself, that in perfect competition the priee system is given for any single agent, von Mises went through a devious way and assumed single agents to take the priee level as given in the sense that they would consider the level of current prices as being equal to the one prevailing one period before. By regression, he implied that the value of money could be deduced from the value of gold in a time in which it was not used as a means of exchange: "Wenn wir in dieser Weise immer weiter zurückgehen, gelangen wir notwendigerweise an einen Punkt ... , wo der Geldwert nichts anderes ist als der Wert eines unmittelbar nützlichen Objekts" (von Mises, 1912, p. 128). Owing to his unhappy demonstration, von Mises was accused of being a victim of the circular way of reasoning (Patinkin, 1956, Appendix D). The way out was provided by Karl Schlesinger in the pioneering book published in 1914, in which he demonstrated that the demand for money is the demand for a liquid reserve to be held as such against future contingencies: "Liegt .... keine Möglichkeit kreditmäßiger Bedeckung solcher zufälligen Passivelemente des Budgets vor, so kann ihnen nur ... aus für solche Zwecke vorbereiteten Kassenbeständen begegnet werden. ... Mit je größeren Preisschwankungsmöglichkeiten eine Volkswirtschaft arbeitet, ... um so eher wird es sich lohnen, dieser Gefahr durch Kassenreserven zu entgehen" (Schlesinger, 1914, pp. 96-97). Schlesinger's book remained almost unknown and the merit of having solved the controversy on the utility of money went instead to J. R. Hicks who, in his famous article of 1933, made onee more clear that the real utility provided by money is of being a protection against uncertainty and that the demand for money depends on the utility of holding it, not on the utility of spending it. The utility of money therefore does not originate from using it as purchasing power but from keeping it as a cash balance. Money only provides utility when kept as a reserve and the demand for money is the demand for a stock of wealth. The second order of considerations which led to replace the definition of money as purchasing power by the definition of money as a stock of wealth originates from two distinct lines ofthought, the one more strictly connected to

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the theoretical formulation of General Economic Equilibrium, the other emerging as an analytical consequence of the money circuit. A rigorous definition of General Economic Equilibrium roles out the presence of money. If negotiations precede exchanges, and if exchanges take place simultaneously and only at equilibrium prices, the whole market process turns into a big general barter in which money is not needed, since each agent simultaneously sells his own goods and services and buys an equivalent amount of services and commodities. If the model is extended to a number of periods, forward markets provide an equilibrium solution for all periods to come, and money is no more needed in a multi-period economy than it is in the simpler oneperiod model. The beauty of General Economic Equilibrium is that preliminary negotiations, by providing equilibrium solutions for all possible periods, role out uncertainty and therefore the role of money as a stock of wealth. Money, if defined as a stock of wealth has no role to perform in any full equilibrium solution. The very existence ofmoney, as Benetti and Cartelier have emphasized, is confined to situations of disequilibrium (Benetti and Cartelier, 1990). The more recent research concerning the so-called money circuit provides, if needed, a further proof of the fact that the existence of money is inconsistent with full equilibrium. Let us consider a banking system granting credit in order to provide means of payments to agents in the market. The fact of granting credit implies the emergence of a debt of an agent towards the bank and the simultaneous creation of a money stock owned by some other agent. Whenever the debt is repaid, money is destroyed. In a full equilibrium position, when all agents have repaid their debts and no credit position is pending, by definition all money has also been destroyed and disappears from the market. If all agents are rational and no uncertainty is present, any agent will try to spend his income as so on as he gets it and to repay his debt as so on as he can. This means that, in a rational frictionless world, all successive steps, leading from the creation of money by means of bank credit to the circulation of money and to the final repayment ofthe debt, take place instantaneously. As a consequence, money is destroyed the very moment it is created and, in spite of its being a necessary ingredient of any exchange, it is no longer an observable magnitude. The conclusion emerges that, under a strictly analytical viewpoint, when Keynes in the General Theory defined the demand for money as a demand for liquid balances and money as a stock of wealth, he was clearly choosing the correct solution in that he was considering money in the only form in which it cauld appear as an observable magnitude. It is no wander that the Keynesian way of dealing with money appeared for a long time to have happily sealed the end of the controversy.

Money as Purchasing Power and Money as Stock of Wealth

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ill. The New Emergence of Money as Purchasing Power Still, in the Keynesian solution, something had gone lost. If monetary theory is limited to the theory of money as a stock of wealth and if the money stock is defined as a given magnitude (as it happens at least in some parts of the General Theory and certainly in aH subsequent macroeconomic theory), the distribution of purchasing power among single agents or among groups of agents remains unexplained. A fundamental point in modern macroeconomics is that aggregate demand is divided between autonomous components (investment, government expenditure, exports) on one side, and components depending on earned income (consumption, imports) on the other. This very definition raises the question about how the nature of an autonomous component should be defined. One possible definition is to consider as autonomous any forward-looking component of aggregate demand, namely those components the level of which is determined by looking at the future rather than at the past. Investment, for instance, should be considered autonomous because investors are moved by the perspective of earning profits in the future and investment decisions are determined by expectations rather than by past results (even if some degree of interdepence among the two is unavoidable). A second possible definition is of considering autonomous aH components of aggregate demand which are financed by bank credit rather than by past income. A similar definition is surely in line with the Keynesian model, since investment in the Keynesian model performs the typical function of creating new income and cannot be financed by past income. In the end, investment can weH generate an equal amount of profits and turn out to be self-financed. But this will only appear in the end, when the whole process of income creation through the multiplier has been worked out, income has reached its new equilibrium level, and at the same time a distribution of income prevails which is consistent with the savings investment equality. I/ the production 0/ investment goods is not financed out 0/earned income, it can only by financed by bank credit. What is true ofinvestment must also be true ofproduction in general. As so on as investment has been carried out, income, and consequently demand for consumption goods, rise. The output of consumption goods must also increase, and for that to be possible producers must be granted a corresponding bank credit. Since the payment of consumption goods is not made in advance, the increase in income can only be said to finance the new output in that it allows producers to repay their bank debt - certainly not because it grants producers a preliminary coverage of production costs. The conclusion is that any output, be it of investment goods or of consumption goods, requires a supply 0/ initial finance. Money clearly appears here in its capacity of purchasing power rather than in its function of being a stock of liquidity. Since the availability of money is an essential ingredient of any process

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of production, the conclusion cannot be avoided that the supply of money as purchasing power determines the level and quality of output. Ifwe admit, as it seems sensible to admit, that control ofthe quality of output implies control of the distribution of income, we cannot escape the conclusion that control of the money supply implies the control of profits. Consideration of money as purchasing power opens therefore new dimensions of analysis which go far beyond the determination of aggregate output or the problem of demand failures. A condition for being able to follow a similar line of thought is of dropping the assumption of a given money stock (an assumption which has become nearly a must of any macroeconomic model), in favour of the assumption of an endogeneous money supply. An endogeneous money supply implies the integration of the model with a richer range of economic agents. The traditional triad households, firms, and government has to be integrated with a fourth agent, namely banks as suppliers of credit money. These are no new ideas. Knut Wicksell in 1898 had already seen the possibility of "lengthening the average period of production" by means of an agreement between capitalists and bankers aimed at reducing the nominal rate of interest below the natural rate, thus imposing on wage earners a certain amount of "forced saving" (the term was going to be introduced later on by von Mises) and creating profits to be shared between capitalists and bankers: "Daß die Kapitalisten und Unternehmer. .. durch ökonomisches Zusammenhalten den Anteil der Arbeiter und der Eigner der sonstigen Produktivkräfte fast beliebig herabdrucken und ihren Anteil an der Produktion entsprechend vergrößern könnten, erleidet kaum einen Zweifel" (Wicksell, 1898, p. 142). Joseph Schumpeter (1911), when suggesting the image ofthe banker as the agent entitled to take decisions about technological change, was basically moving along similar lines. In a different context, Keynes in the Treatise had explained how an excess ofinvestment over profits (possibly induced by a reduction in the rate of interest) could give rise to a profit inflation with the consequent formation of extra profits. Keynes himself, in a later article, regretting his neglect of an analysis of the money supply in the General Theory, recognized that, while speculators and rentiers were responsible for demand failures and prolonged unemployment, banks, by regulating the creation of means of payment, could exerce an even greater power on the working of the economy (Keynes, 1937). Present-day macroeconomics, by its emphasis on individual choices, rational expectations and continuous market clearing, tends to_ give a picture of an economy in which money is absent or totally neutral. In a similar theoretical setting, the influence exerced by money as a store of wealth (the fundamental analysis of the General Theory) is exorcised by making appeal to the Pigou effect; at the same time, the influence exerced by money as a means ofpayment on the distribution of wealth (the fundamental analysis of the Treatise) is similary exorcised by blindly applying to a monetary economy the marginal theory of distribution of a barter economy. The result is that the controlers of the money

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supply are seen as deprived of any relevance, and the economy is considered to be working as a fully democratic Walrasian system. Still, two lines of research move in an opposite direction. The one is the socalled Theory of the Money Circuit. By giving equal attention to the demand for money as a stock ofwealth and to the process ofmoney creation, this theory tries to revive a more balanced analysis of the working of a monetary economy: an analysis aimed at investigating not only the problem of aggregate demand, but also the respective powers of the various social groups in deterrnining the level of activity and the distribution of income. In the same view, Hajo Riese and the Berlin School of Monetary Keynesianism - the German research group in post-Keynesian economics - emphasize the need for basing the analysis ofmonetary economies on the role performed by money as a means 0/ payment. Riese's position on this point is absolutely clear. In his view, the analysis of a monetary economy should start with the recognition of money as a "medium of deferred payment" (Riese, 1989, p. 1) and deduce from it the existence of uncertainty (in a monetary exchange, no buyer can be sure of being able to sell and to re-convert commodities into money). The presence ofuncertainty is at the root of the supply of money as credit, as it explains the existence of interest out of the uncertainty ofthe "reflux" ofborrowed money (Riese, 1986, pp. 61 fT.). This is why, in expounding the basic principles of monetary theory, Riese insists on the fact that a weak point in the dominant formulation is of assuming the existence of money first and then to deduee from it the functions of money on a purely phaenomenic ground. It seems much better to proceed as Keynes did in the Treatise, namely to start by adefinition of money as a means of payment and deduce from it the properties ofmoney as a stock ofwealth (Riese, 1989, pp. 13 and 15). Similar conclusions are reached by the same group in the analysis of international debt. A fundamental point in foreign debt is whether it is issued in national currency (as it is the case with foreign debt ofthe V.S.) or in a foreign currency (as it happens with most debtor countries). In the first case, an increase in foreign debt might cause a devaluation ofthe national currency, thus making the position of the debtor easier both because exports of goods would be stimulated and because the very burden of past debt would be reduced. In the second case, the devaluation of the national currency would increase the burden ofpast debt and might generate a perverse result (Herr and Spahn, 1989, p. 19). In this approach, the role of money as means of payment clearly appears as the dominant one. Both lines of thought, by focussing the attention on the connections between money creation and income distribution and by analysing what Keynes onee called "the power ofthe banks" (Keynes, 1937, p. 248; 1973, p. 210-11), provide a refreshing alternative to the dominant theoretical stream.

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F. Geld und Währung: Theorie und Politik

21 Festschrift Riese

Financial Instability and Monetary Poliey: Discounting versus Open Market Intervention By J.A. Kregel, Bologna* I. Introduction Over the last ten years there has been a growing recognition within Post Keynesian circles that one ofthe major drawbacks in the traditional exposition of Keynes' theory by means of the textbook IS-LM analysis is reliance on an exogenously given money supplyl. When this analysis is extended to the analysis of aggregate supply and demand in terms of an aggregate price index and a measure of real output the incoherence becomes instantly obvious; in order for the "real money supply" to be changed by a change in the price level, the nominal supply of money must be assumed to be independent of the hypothesised changes in the price level. But, if the money supply is defined as the note liabilities of the monetary authority plus the deposit liabilities of private commercial banks, this implies that firms and banks will have negotiated and entered into loan agreements on the basis of expected future prices and profits which cannot be realised given the new prices. Either all prices must change, including the nominal value of outstanding loan agreements, or there will be unanticipated losses or profits; iffirms cannot repay loans then the liability side ofbanks balance sheets must change, and it is unlikely that their deposits will not also adjust. In short, the assumption that the supply of money is composed of both notes and deposits is incompatible with a constant money supply when there are changes in the price level. The only way out ofthis impasse is to assume that there is only outside money, i.e., there are no fractional reserve banks and thus no deposits, or direcdy to introduce the endogeneity of money, which is incompatible with the assumptions on which IS-LM is based. But, this is not the only point at which the traditional analysis of monetary relations is inconsistent. Even after having recognised that the money supply cannot be modelled as being exogenous, it is normal to continue to present the

* Financial support from a MURST (40%) research project ·on "Noncompetitive Market Forms and Economic Dynamics" is gratefully acknowledged. 1 The rejection of the notion of an exogenous supply of money is also at the root of Hajo Riese's theory of "Monetary Keynesianism" which treats the money supply as endogenously determined, without assuming, however, as Post Keynesians in the tradition of Kaldor, that it is perfectly elastic at a given institutionally determined interest rate. See Riese, 1989, pp. 47-51. 21*

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operation of monetary policy by means of open market operations in which the Central Bank changes the holdings of money and bonds in households' balance sheets, thereby acting to fix the rate of interest in the system. Yet, the logical corollary of the endogenous money approach, indeed in modem discussion it preceded it, was thefinancial instability hypothesis. Economics does not seem to have perceived the full implications ofthis approach for monetary policy. Yet, the modem prophet offinancial instability, Hyman Minsky, has been very clear in pointing out that open market policy may be useless as a policy instrument in conditions of endogenous money and, thus, of endogenously generated financial instability. F or Minsky, the endogeneity of both the creation of money and the creation of instability resides in the act ofloan negotiations between bankers and businessmen. The detennination of interest rates by open market policy is an indirect and highly inefficient method of influencing this relation. The basic reason is that open market policy works through the market mechanism, while the creation of money via the granting of loans to businessmen is a negotiation that is basically independent of conditions in the general money market. It is "internaI" to the bank, and thus independent of market relations. What does occur in the money market is the generation of reserves that are necessary to allow the bank to support the independently decided decisions of its loan officers. Any attempt to use the market mechanism to control them will simply generate financial innovation which allows the banks to generate the reserves required to support their lending. In this sense, money endogeneity takes the creation of money out of the market and into the offices of the banks' loan officers. Instead, what is genera ted in the money market is the degree of financial innovation necessary to produce the reserves required to support lending. U. Open Market Policy or Discount Policy? It is because ofits indirect impact on asset prices that Minsky has criticised the excessive reliance ofthe Federal Reserve on open market purchases and sales of government securities to control unborrowed reserves. He also criticises the fact that it separates the day to day operations of controlling bank reserves from the Central Bank's responsibility as lender of last resort. Indeed, it creates a direct conflict between the two, for open market policy attempts to influence the volume of bank lending by influencing banks' holdings of non-business sector assets by changing the price of these assets and thus the liquidity of the banks' balance sheets, while action as lender of last resort requires "the fixing of a minimum price of some financial instrument or real asset" by the Central Bank (1986, p. 49) in order to support the liquidity of the banks' balance sheets.

Minsky's policy goal is thus to try to find a mechanism which eliminates this conflict by providing a more direct method of influencing the value of banks' business sector assets. Minsky thus advocates a more extended use ofthe Fed's discount mechanism, not only in order to provide support for asset prices, but also to join the discount function more directly to the supervisory function

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through the reintroduction of areserve creation "relationship" between the banks and the Federal Reserve. This would, of course, require an extension of the range of assets which would be eligible for discount. The crux 0/ the idea is that instead 0/ being driven to the market /or additional reserves, and as a consequense to additional innovation in liability management, the banks should be driven to the discount window where the Central Bank could exercise direct control and evaluation of the assets against which the bank extends credit. lli. Whatever Happened to Discount Policy?

Just as we all continue to teach the importance of open market policy, there is usually a nod to the two other policy tools, changes in reserve ratios and the discount window, both of which have generally fallen out of fashion. The question naturally arises as to how this state of affairs developed. Minsky suggests that it was due to the increased role of government in the 1930's, increasing the supplies of government debt which replaced the "non-specie reserves" of the banks (1986, p. 48). However, investigation of the historical record suggests that the demise of the use of the discount mechanism was not simply caused by govemment debt "crowding out" discounts as the major source of bank reserves (cf. Anderson, 1979 [1949]; Anderson, 1965). The Federal Reserve was created with the aim of providing an "elastic currency", to be achieved by discounting "eligible" commercial paper which was to be "self-liquidating", against Federal Reserve Notes issued by the Government through the Federal Reserve Banks. Already in the early 1920's, the Federal Reserve Distriet Banks had discovered that they could affect bank reserves via purehases and sales of bank acceptances and Treasury certificates, since these were the assets in which the larger reserve city banks invested excess reserves. According to Kemmerer (1951), the Federal Reserve believed that this discovery was akin to alchemy and gave them the power to prevent depressions, and that their experience during the 1920's supported this belief. Open market policy was used both as a means to control domestic economic conditions, but also in the effort to aid Britain's return to the Gold Standard. But, even in this period, the record suggests that the Fed was strictly constrained in its use of open market policy and that the operation of open market policy itself was rather different than in the post-war period. As a means of achieving the already mentioned flexibility of the currency, the Federal Reserve Note issue was legally backed by 40% in gold and 60% in discounts of business commercial paper. Govemment paper was explicitly excluded as backing for the note issue. In 1917 the 40% gold backing was officially interpreted as a minimum rather than a maximum limit. By the beginning ofthe 1930's, business conditions had so deteriorated that there was not enough eligible business paper for discount and the backing for the currency was in actual fact over 100% in gold.

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This extreme condition was also the result ofthe way the Federal Reserve used open market purchases of Treasury certificates to try to increase bank reserves and thus bank lending. But, the banks who sold Treasury certificates to the Fed did not use the proceeds to increase lending; instead, they promptly repaid their prior discount borrowing from the Fed, thus reducing the discount backing of the note issue and forcing an increase in the gold backing ofthe note issue. Thus, when Britain went ofTthe Gold Standard in September of 1931, and the market presumed that the US would follow suit, there was a run on the US gold supply at the same time as the US banking crisis was breaking. The Federal Reserve found itself virtually helpless between two diverse currents; in order to create Federal Reserve Notes necessary to support commercial banks' reserves, the Fed had to increase its holdings of either gold or bank rediscounts. But, there was aforeign run on the US gold supply. The onlyway thatitcouldmaintain the supply of Reserve N otes and free gold to meet the rising foreign demand was to substitute purchase of govemment securities for discounts, i.e., seIl govemment securities to the banks, who would then finance these purchases of govemment securities by discounting eligible assets. But since the banks lacked sufficient eligible assets, and the govemment securities they were buying were not eligible for discounting, the result of the continued sale of government securities was to put pressure on interest rates and tighten money market conditions in the face of the banks' continuing reserve losses due to the domestic run on deposits. The Federal Reserve thus could not use its new found magic of open market policy since it could neither buy, nor seIl, govemment securities to achieve an increase in bank reserves. The solution, which gave the Federal Reserve efTective freedom to deal in govemment securities and opened the way to today's emphasis on open market policy, was the Glass-Steagall Act of 1932 2 , which permitted govemment securities to be used as backing for the issue of Federal Reserve Notes for an emergency period of one year. This allowed the Federal Reserve Banks to buy, rather than seIl, government securities and reduce interest rates as it increased reserves and the supply of gold available to meet foreign demand. Thus, the primary use of govemment securities in open market policy was the result ofthe 1932 Glass-Steagall Act and only became institutionalised with the creation of the Open Market Committee in Marriner Eccles' Banking Act of 1935. The Glass-Steagall provisions became permanent in 1945 and this, as weIl as the policy of interest-rate stabilisation adopted in order to provide cheap finance for the second world war, provided the post-war conditions in which govemment securities became the principle position-making asset for banks when the Fed once again started to use active monetary policy after the 1951 Fed-Treasury "Accord" . 2 Not the Glass Banking Act of 1933 of which we hear so much today and which legislated the separation of commercial and investment activities of banks.

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It was thus neither the growth of the size of govemment, and the associated rise in the quantity of outstanding govemment debt, nor a policy decision based on theoretical principles that led to the abandonment ofthe original principle of discounting of eligible business commercial paper as the primary source ofbank reserves being replaced by open market dealings in govemment securities. Nevertheless, the result was "that Federal Reserve operations undertaken to affect bank reserves no longer use the same markets and instruments as lender of last resort operations" (Minsky, 1986, p. 48). But, paradoxically, this result was due to the fact that the discounting mechanism had failed to provide an efficient means of supporting the prices of assets on the balance sheets of the banks, mainly because Reserve Banks could not lend against real estate mortgages, installment finance paper or loans secured by stocks or bonds. Any attempt to restore discount policy to importance as a source of bank reserves should thus take seriously the necessity of extending the eligibility of the types of assets to be discounted 3 • The implications of this separation between reserve policy and the lender of last resort function was not immediately recognised, for the US central bank was not required to use the latter in the first two decades of the post-war period. However, after the 1951 Fed-Treasury "Accord" which released the Fed from supporting the price of Treasury securities, the Fed launched a policy of "bills only" open market intervention, which was intended to create a "free market" determination of the prices oflong-term Treasury issues (cf. Weintraub, 1956). It was only in late 1953 that the decision was taken to use open market policy exclusively to affect bank reserves (Anderson, 1965, p. 125). Both ofthese policy changes increased the price variability and thus decreased the liquidity of Treasury securities as position making assets for the banking system. This provides an explanation for the sharp declines in the ratio of protected assets to liabilities in both 1950/51 and 1954/55 noted by Minsky (cf. chart V ofMinsky, 1982, p. 53). Between 1950 and 1955 the ratio of govemment securities to total assets fell from 42.9% to 34.5%, the largest proportionate decline of the postwar period (cf. Cooper and Fraser, 1986, p. 13). Thus both the action ofthe Fed, as weIl as the banks' changing perception ofrisk, led to the long-term decline in the ratio of "protected assets", and in particular of govemment securities, to long-term liabilities, which continued as banks worked off the securities accumulated during the interest rate stabilisation policy of the war and increased their lending activities, leading to increased reliance on "market based" reserves via the Federal Funds market. This Treasury impulse towards increased "free market" determination of long-term interest rates thus also produced the shift from asset adjustment (changes in holdings of Treasury securities) to liability adjustment (borrowed reserves in the Fed funds markets) by banks to changes in monetary policy. It 3 It appears that the Federal Reserve is once again considering such action in response to the current crisis in the US banking system.

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also changed the efliciency of open m;!rket sales and purehases which no longer had direct effect on the proportions of the asset side of the balance sheet, but led first to adjustments on the liability side. Greater changes in interest rates were thus required to produce a given impact on bank reserves and thus on bank lending. This increased volatility of interest rate movements accentuated the push towards liability management as the banks sought to maintain profitability by adjusting their liabilities in response to reserve deficiencies. The Fed maintained its "bills only" policy until December 1961 when it was again forced by international conditions to pursue policy for internal and external goals simultaneously, intervening in foreign exchange markets from 1962 and trying to supply reserves by buying longer term while it supported short-term interest rates in "operation twist" in 1965. This briefhistory of open market policy might be described as an endogenous mechanism whereby the Fed's increasing reliance on free market determination of long-term interest rates led to increased volatility and decreased liquidity of Treasury securities which were substituted by commercial banks as they moved to position-making assets which had deeper markets and minimum variation in capital value. If changes in interest rates have an impact on asset holdings because they change capital values, this movement towards shorter-term assets and then to overnight Fed funds means that interestrates now have diminished impact on bank behavior and ever larger changes in rates are required to produce a desired change in lending. This mechanism has produced the perverse result that "interest rate movements are not the key influence on the profits of major financial institutions; rather the primary factor is the volume ofloans and investments in their portfolios. Insulated from the impact ofinterest-rate swings, institutions try to maximize profits by growth of assets and liabilities - and therefore growth of debt" (Kaufman, 1986, p. 44). In short, open market policy now no longer has any appreciable affect on the values of banks' assets, nor of their liabilities. It thus has only minimal impact on banks' decisiotls over the magnitude of their lending. By 1966 this change in liability structure of commercial banks had goneJar enough to require changes in interest rates sufliciently large to produce an impact on other financial institutions. The credit crunch of 1966 initiated the retail certificate of deposit (CD) which started the run of deposits from the Savings and Loan Banks4 , as weIl as the extension of US banks into the Eurocurrency markets. The scenario was repeated in 1969, with the collapse of the commercial paper market. But Penn Central was not the most important victim; the movements of funds from the London Eurodollar market which were unwound when rates went down in 1970 and 1971 are cited by many experts as the "smoking gun" indicating the culprit behind the collapse of the Bretton 4

A process whose implications for the S&L's are only being fully recognised today.

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Woods System. In both of these episodes the open market poliey required to produce a response in bank lending was so severe as to depress eapital asset priees direetly, so that it had to be abandoned in favour oflender oflast resort intervention to support the banks' own liabilities. IV. CODclusions: Back to the Future This system inereasingly eame to resemble the bind in whieh the Fed had found itselfin 1931 when it wanted to buy government seeurities, but the only way it eould inerease reserves was to seIl them and inerease interest rates and depress asset priees. To stop an expansion required selling government seeurities and pushing down asset priees, but this only produced liability innovation by the banks, whieh to be stopped required additional open market sales and interest rates so high that the value ofbank liabilities was reduced suffieiently to damage bank solveney, and the Fed was then foreed to intervene to support asset prices direetly - preeisely the reverse of the initial thrust of poliey. The suggestion that the reason for the banks' resistanee to open market poliey is to be found in the self-reinforeing impact of lending on eapital values then leads to a poliey reeommendation similar to that of the original Glass-Steagall Aet. Ifthe Fed were to return to ereating reserves by diseounting against banks' eommereiallending it would be "eofinancing business" and be "participating in and encouraging hedge finaneing" (Minsky, 1986, p. 322). Indeed, such a poliey would find the Central Bank situating itself at the interface between firms' anticipations of future profits and banks' anticipations of ability to pay interest, the point at whieh the price of eapital assets is determined. It would thus be direetly influeneing the process of determination of asset priees and thereby investment expenditures. Minsky's approach then joins the role of large government expenditures as the sustainer of the overall level of investment and the role of the Central Bank in supporting investment via the effect of its diseounting poliey on the priee of eapital assets, in a way whieh also supports the value of bank liabilities and whieh discourages the generation of instability and thus makes lender of last resort action less necessary. This is, of course, just the reverse of the change in Fed poliey initiated in the 1950's to allow free market determination oflong-term interest rates and thus eapital asset prices. A process whieh it is here argued led to response by the banking system to offset such variability. It is clear that, first of all, inereased use of discount poliey would involve making a wider range of assets eligible for discount. Indeed, Minsky suggests that asset eligibility be part of poliey diseretion s. It would also imply a move away from relianee on the money market as the efficient alloeator of finaneial 5 Recall that a too restricted ranged of eligible discounts was the main reason for its demise in 1931.

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resources and evaluator of capital values. For those who object to this policy as interfering with the emcient operation of the market, Marriner Eccles' observation on the Fed's change ofpolicy in the 1950's may be appropriate: "If the Federal Reserve System discharges its responsibility, there is no such thing as a free market ... That concept was meant to be discarded when the Federal Reserve System was established in 1913. It is the function ofthe Federal Reserve System to maintain economic stability so far as that is possible within the scope of monetary and credit management" (quoted in Weintraub, 1953, p. 308). References Anderson, B.M., Economics and the Public Welfare: A Financial and Economic History of the United States, 1914-1946 (1949), Indianapolis: Liberty Press, 1979. Anderson, Clay J., A Half-Century of Federal Reserve Policy Making, 1914-1964, Philadelphia: Federal Reserve Bank, 1965. Cooper, K. and Fraser, D.R., Banking Regulation and the New Competition in Financial Services, Cambridge, Mass.: Ballinger, 1986. Kau/man, H., Interest Rates, the Markets, and the New Financial World, New York: Times Books, 1986. Kemmerer, D.M., "The Federal Reserve System", in Prochnow, H.V. (ed.), American Financial Institutions, New York: Prentice Hall, 1951. Minsky, H.P., John Maynard Keynes, New York: University of Columbia Press, 1975.

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Riese, H., "Geld, Kredit, Vermögen: Begriffiiche Grundlagen und preistheoretische Implikationen der monetären keynesianischen Ökonomie", in: H. Riese and H.-P. Spahn (eds.), Internationale Geldwirtschaft, Regensburg: Transfer Verlag, 1989, pp. 1 59. Weintraub, S., "The New Monetary Policy", Social Research, Vol. 20, Jan. 1953.

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"Postscript on Monetary Policy", Review of Economics and Statistics, 1956, pp. 228229.

Perspektiven des derzeitigen Weltwährungssystems Von Claus Thomasberger, Berlin 1. " ... I suggest a radical altcrnativc schcl11c tor the ncxt century: fhC' creation vI a common currency for all of the industrial democracies, with a common monetary policy and ajoint Bank of Issue to determine that monetary policy."" ... Let us go forward 25 years, to the year 2010. That is far enough ahead so that developments that are completely unrealistic in the next five or ten years can be "tontemplated .... we will need a system of credibly fixed exchange rates by that time if we are to preserve an open trading and financial system. Exchange rates can be most credibly fixed if they are eliminated altogether, that is, if international transactions take place with a single currency". 1 Wird das Weltwährungssystem des 21. Jahrhunderts aussehen wie ein globaler Binnenmarkt mit einer weltweit anerkannten Superwährung an der Spitze? Ist die externe Stabilisierung oder die Politik der Konvertibilität, die - wie Bloomfield so überzeugend herausgearbeitet hat 2 - nicht nur die Stabilität des internationalen Goldstandards über ein halbes Jahrhundert, sondern auch die Offenheit der Geld- und Kapitalmärkte vor dem Ersten Weltkrieg garantierte, endgültig überholt? Und spielen die internationalen Geld- und Kapitalmärkte für die Modelle zukünftiger Währungssysteme keine Rolle mehr? Die Mehrzahl der Kollegen geht nicht so weit wie Cooper: Obwohl das Thema nach Perspektive fragt, lassen sich nur die wenigsten dazu verleiten, das glatte Parkett unsicherer Prognosen zu betreten. Die Beiträge beschränken sich darauf, Vorschläge zu präsentieren, wie das ideale Weltwährungssystem aussehen sollte. Aber damit wird die Frage der Perspektiven der derzeitigen Weltwährungsordnung nicht gegenstandslos. Die Vision eines einheitlichen weltweiten Währungssystems scheint am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts an Attraktivität zu gewinnen - und nicht nur wegen der erhofften Effizienzgewinne, sondern vor allen Dingen, um die Offenheit der Märkte abzusichern. Zwar sind jene, die - wie z. B. Laffer, Lehrmann /Paul oder Hall- den internationalen Goldstandard des 19. Jahrhunderts in Termini einer globalen Währung interpretieren und die Restauration eines auf Gold basierenden Währungssystems fordern, eine kleine, an Einfluß schon längst wieder verlierende Minderheit. Im Grunde aber basieren so unterschiedliche Vorschläge wie Hankels ,internationaler Monetarismus'3 oder McKinnons ,internationaler Goldstan1

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Cooper 1984, S. 259 und S. 269-270 (Hervorhebungen im Original). Blomfield 1959, S. 23. Hankel 1984.

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dard ohne Gold'4 nicht weniger auf der Vision eines einheitlichen globalen Währungsraums. 2. Die Anerkennung des Primats der externen Stabilisierung war für die Funktionsweise aller bisherigen internationalen Währungssysteme fundamental. 5 Wie Bloomfield betonte: ,,'Convertibility' ... as an objective of monetary policy before 1914 meant, not as it does today, the avoidance of exchange and direct trade controls ... , but rather the avoidance of fluctuating exchange rates". 6 Der internationale Goldstandard hatte sein Zentrum in der Londoner City bzw. der Bank von England. Das Pfund Sterling war die Leitwährung. Da der ungehinderte Zugang zu den Devisenmärkten, d. h. die Abwesenheit von Beschränkungen des die Währungsgrenzen überschreitenden Geld- und Kapitalverkehrs, nie in Frage gestellt war, bedeutete Konvertibilität nichts anderes als die Aufrechterhaltung der Austauschbarkeit der jeweiligen Währung zu festen Wechselkursen gegenüber der damaligen Leitwährung, dem Pfund Sterling. 7 Für das System von Bretton Woods war externe Stabilisierung in nicht geringerem Maße konstitutiv. Mehr noch: die Stärke wie die Schwäche des letzteren können als Ausdruck dessen interpretiert werden, daß interne und externe Stabilisierung in eigentümlicher Weise verteilt waren. Der US-Dollar bildete die Leitwährung und die USA den Anker des Systems. Die USA hatten (neben dem Goldpreis) den Wert des Dollar intern zu stabilisieren. Die Aufgabe der Währungspolitik aller anderen Länder bestand darin, die Wechselkurse extern, d. h. gegenüber dem Dollar, zu fixieren. Die externe Disziplin allein konstituiert kein Weltwährungssystem.Wenn jedes Land sich auf die Stabilität anderer Währungen verläßt, sind alle verlassen. Jedes einheitliche System bedarf, wie Kindelberger betont, eines Ankers. Schließlich zerbrach das ganze System daran, daß sich sowohl die USA als auch einige andere Länder der Aufgabenteilung entzogen: Der Dollar verlor seine Stabilität und andere, unter ihnen die Bundesrepublik Deutschland, stellten die interne Stabilisierung in den Vordergrund. 3. Anders in den Perioden, in denen keine Leitwährung und keine stabile Hierarchie der Währungen existierte: "Stability 0/ prices versus stability 0/ exchange" überschrieb Keynes ein Kapitel in seinem 1923 publizierten Tract on McKinnon 1984. Riese 1986, S. 245fT.. 6 Bloomfield 1959, S. 23. 7 In der Tat zielte das BegrifTspaar Konvertibilität Inkonvertibilität in seiner ursprünglichen Bedeutung direkt auf die Frage der Wechselkursstabilität. "As long as convertibility was in operation in an gold standard country, it would ensure exchange rate stability with respect to all other gold standard countries .... The original meaning of the term 'inconvertibility' ... had nothing to do with true inconvertibility, in the modern sense ofthe word. It would be called today 'exchange rate flexibility'" (Triffin 1959, S. 8f. und ders. 1961, S. 22). 4

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Monetary Reform. 8 Vor dem Ersten Weltkrieg sei die Stabilität der Wechselkurse das primäre geldpolitische Ziel gewesen. Unter den nach dem Krieg veränderten Bedingungen spricht er sich - aus der Sicht Großbritanniens dafür aus, im Falle eines Konflikts der Stabilisierung des Preisniveaus das größere Gewicht beizumessen. Auf jeden Fall macht er durch die Betonung des Dilemmas deutlich, daß er sich der Relevanz der externen Stabilisierung auch unter den Bedingungen der zwanziger Jahre sicher war. Fünf Jahrzehnte später, diesmal aus der Perspektive der Bundesrepublik Deutschland, spricht Emminger von der deutschen "Geld- und Währungspolitik im Spannungsfeld zwischen innerem und äußerem Gleichgewicht".9 Auch wenn Emmigers Versuch, die gesamten Nachkriegsentwicklung - im Hinblick auf die beiden Ziele - als konfliktuell zu charakterisieren, nicht unbedingt überzeugen kann,IO so bleibt die Relevanz des Dilemmas von interner und externer Stabilisierung für die bundesdeutsche Geldpolitik in den siebziger Jahren unbestritten. Die These der Unverzichtbarkeit externer Stabilisierung auch unter der Bedingung flexibler Wechselkurse verdient schon deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil sie der Verabsolutierung der internen Stabilisierung, die den Vorschlägen der Fortentwicklung der internationalen Währungsbeziehungen von Seiten der neoklassischen Geldforschung unterliegt, direkt entgegensteht. Beide Analysen unterstreichen, daß die externe Stabilisierung unabhängig von besonderen institutionellen Regelungen der internationalen Währungsbeziehungen eine unverzichtbare Dimension der Geldpolitik darstellt, wobei dem Konflikt zwischen den beiden Dimensionen nicht zufälligerweise in den zwanziger wie in den siebziger Jahren, also in Perioden, in denen keine stabilen Währungshierarchien bestanden, eine besondere Bedeutung zukommt. Beide Untersuchungen zeigen, daß mit dem Zusammenbruch der Systeme fester Wechselkurse die Notwendigkeit der externen Stabilisierung nicht verschwindet. Externe Stabilisierung wird sichtbar als Ausdruck der Funktionslogik der Währungsmärkte. International agierende Vermögensbesitzer können in einer offenen Geldwirtschaft nicht nur zwischen Geldhaltung und Geldaufgabe wählen, sie können ebenso das nationale Geld aufgeben und fremde Währungen (bzw. entsprechender Aktiva) halten, d. h. sie können wählen, in welcher Währung sie ihr Vermögen zu halten gedenken. Was für sie als Alternative, als Wahl oder als Entscheidung zwischen verschiedenen Währungen erscheint, stellt sich aus der Perspektive der Währungen - bzw. der Länder und der jeweiligen Währungsbehörden - als Verhältnis der Konkurrenz dar. Wenn (unter der Voraussetzung offener Währungsmärkte) der Wettbewerb der Währungen die Basis der internationalen Währungsbeziehungen darstellt, so konkurrieren die

Keynes 1923. Emminger 1976. 10 Vgl. Riese 1989.

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verschiedenen Währungen miteinander um die Gunst der Vermögensbesitzer. Die Währungskonkurrenz ist die Grundlage, auf der sich eine Hierarchie der Währungen herausbildet. Systeme fester Wechselkurse sind das Ergebnis der Währungskonkurrenz bei einer eindeutigen Rangfolge der Währungen. Flexible Wechselkurse indizieren die Instabilität der Hierachie. 4. Die Analysen von Keynes einerseits und von Emminger andererseits entziehen der neoklassischen Vorstellung geldpolitischer Autonomie im weltwirtschaftlichen Kontext den Boden. Sie machen den illusionären Charakter der theoretischen Vorstellungen deutlich, die von der ,Freigabe' der Wechselkurse eine ,Befreiung' der Geldpolitik von den externen Abhängigkeiten erwarteten. Sie erklären außerdem, warum flexible Paritäten und die Verfolgung nationaler Geldmengenregeln, wie sie - schon frühzeitig von monetaristischer Seite vorgeschlagen ll - in den siebziger Jahren als Schlüssel für eine grundlegende Reform der Währungsbeziehungen propagiert wurden, nie die versprochene geldpolitische Autonomie bringen konnten - und das ganz unabhängig von der konkreten Regel: Friedmans Vorschlag zielte auf ein konstantes Wachstum der Gesamtgeldmenge, wobei sich die gewünschte Wachstumsrate aus dem langfristigen Trend der Umlaufgeschwindigkeit und dem realen Wachstum der Volkswirtschaft zusammensetzen sollte. Später wurden von Mead, Gorden u. a. alternative Bezugsgrößen vorgeschlagen: Einkommensziele, BIP-Regeln usw. In jüngerer Zeit rückten die von Meltzer, McCallum u. a. propagierten ,feedbackRegeln', die Variationen der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes oder Veränderungen des ,Zustands der Wirtschaft' automatisch berücksichtigen, ins Zentrum des Interesses. Aber allen Vorschlägen ist gemein, daß ihnen die Berücksichtigung der außenwirtschaftlichen Dimension fehlt12 und daß damit die internationalen Währungsbeziehungen faktisch aus der Agenda der geldtheoretischen Forschung gestrichen werden. 5. Damit kommt der Unterscheidung von fixen und flexiblen Wechselkursen überhaupt nicht die Bedeutung zu, die ihr in der gegewärtigen Diskussion zugemessen wird. Der Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods zu Beginn der siebziger Jahre ist unter einem anderen Aspekt wesentlich: Die Funktion der Leitwährung fällt nicht mehr alleine dem US-Dollar zu. Das ist der Kern von Emmingers Analyse. Unter den Bedingungen flexibler Kurse in den siebziger Jahren hatte die Deutsche Bundesbank neben der externen auch die interne Stabilisierung im Auge zu behalten. Interne und externe Stabilisierung gehören für alle Länder, deren Währungen um die Leitwährungsfunktion konkurrieren, untrennbar zusammen. Und gerade deswegen bewegt sich die Geldpolitik in dem Dilemma, Prioritäten setzen zu müssen. Friedman 1953 und Johnson 1969. Es wirft ein bezeichnendes Licht, daß de facto kein Land und keine Notenbank bisher auch nur den Versuch gemacht haben, eine konkrete Regel der vorgeschlagenen Art gesetzlich zu verankern. 11

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Die Schwäche der Ansätze einer weltweiten Superwährung besteht darin, die Gestaltung der Währungsverhältnisse lediglich als Problem der internen Stabilisierung abzuhandeln. Da die globalen Beziehungen unmittelbar als Binnenmarktstruktur gefaßt werden, fehlt ihnen eine Vorstellung, wie das System insgesamt stabilisiert werden soll. McKinnon träumt davon, daß die USA, Japan und die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam die aggregierte Geldmenge regulieren. In Hankels Vorschlag ist es eine zu gründende Weltzentralbank, die das Wachstums der Weltgeldmenge und die Aufteilung derselben unter die einzelnen Staaten bestimmt. Und auch Cooper geht von einer Weltzentralbank aus, die funktioniert ,just as national central banks do today".13 Aber woher nehmen sie die Gewißheit, daß eine Weltzentralbank zu etwas fähig ist - der Stabilisierung des Preisniveaus -, wozu sich nationale Institutionen immer wieder als unfähig erweisen? 6. Nicht die ,mangelnde Verdichtung' ist die Ursache der immer wieder beklagten ,Praxis-Lücke'. 14 Die gegenwärtige theoretische Geldforschung kommt ihrer Orientierungsfunktion deshalb nicht nach, weil sie die Entwicklung der internationalen Währungsmärkte aus dem Blickfeld verloren hat und die Wirkungen der Währungskonkurrenz auf die Struktur der Währungssysteme ausklammert. Übrig bleibt dann ein nur noch instrumentelles Verhältnis gegenüber den Währungsbeziehungen: die Vorteilhaftigkeit bestimmter institutioneller Regelungen, die - je nach Position - unter den Aspekten der Efftzienz oder der Preisniveaustabilisierung betrachtet werden. Das Weltwährungssystem wird auf ein Instrument der Förderung der internationalen Arbeitsteilung reduziert, der Entwicklung bzw. Aufrechterhaltung offener Handels- und Finanzbeziehungen oder der Verringerung der Transaktionskosten. 1s Die Konsequenz ist, daß die Frage der Entwicklung der Währungsbeziehungen nur noch als institutionelles Problem diskutiert wird. Die unter analytischem Gesichtspunkt zentrale Frage, warum und unter welchen Währungsmarktkonstellationen sich Systeme fixer Wechselkurse herausbilden, weshalb sie zusammenbrechen und welche geldpolitischen Möglichkeiten der Einflußnahme existieren, wird überhaupt nicht mehr gestellt. Cooper 1984, S. 211. "Versagt die Wissenschaft vor der Aufgabe, ihr immer differenzierteres Durchdringen komplexer Zusammenhänge in überzeugende, einigermaßen verläßliche und operationale Anleitungen umzusetzen, quasi zu ,verdichten', dann überläßt sie das Feld letztlich doch den Geld-,Politikern', erweitert deren Spielraum zu diskretionärem Handeln" (Issing, 1991). Zwar könne es nicht die Intention der theoretischen Diskussion über die Regelbildung sein, den diskretionären Spielraum der Geldpolitik zu erweitern, aber paradoxerweise geschehe genau dies, solange die Wissenschaft ihrer Orientierungsfunktion nicht nachkomme. Aber die These der ,fehlenden Verdichtung' ist keine überzeugende Erklärung für die Tatsache, daß bisher keine Notenbank die Verantwortung für die Anwendung einer Geldmengenregel übernehmen will. Die ,Praxis-Lücke' ergibt sich in erster Linie dadurch, daß die Notenbankpraxis - im Gegensatz zur neoklassischen Theorie - von der externen Stabilisierung nicht abstrahieren kann. 15 Vgl. z. B. Cooper 1984, S. 270. 13

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7. "Es ist außergewöhnlich, aber wahr, daß konkurrierende Währungen bis vor kurzem nie ernsthaft untersucht worden sind". 16 In den siebziger Jahren hat Hayek auf die Bedeutung der Währungskonkurrenz aufmerksam gemacht. Um so erstaunlicher ist es, daß er selbst die Bedingungen für die Einführung konkurrierender Währungen erst noch hergestellt sehen will und dabei vollständig übersieht, daß die Grundfigur der Währungskonkurrenz - und ihre disziplinierende Wirkung auf die einzelnen Emissionsbanken - aufgrund der Existenz der Währungsmärkte schon lange existiert. Hayeks VorschlagI? der Etablierung des Wettbewerbs der Währungen geht unter zwei Gesichtspunkten über die obige Ansätze hinaus: Erstens unterstreicht er, daß die verschiedenen Währungen nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, sondern auf den Währungsmärkten in ein Konkurrenzverhältnis zueinander treten, sobald die Vermögensbesitzer die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Währungen der Geldhaltung zu wählen. Zweitens arbeitet er heraus, daß sich durch den Wettbewerb der Währungen eine Hierarchie der Währungen herausbildet, bei der die Währungen mit dem höchsten Liquiditätsgrad an der Spitze der Rangfolge stehen. Allerdings bleiben seine Vorstöße in einer eigentümlichen Weise widersprüchlich. Sein Festhalten an der Vorstellung, Währungskonkurrenz könne ihre Kraft nur unter bestimmten institutionellen Voraussetzungen (flexible Wechselkurse, "free banking" usw.) entfalten, macht es ihm unmöglich, den analytischen Gehalt der Kategorie der Währungskonkurrenz zu erkennen. 18 Schließlich wurde auch dieser Vorschlag (der ja im Kern nie weniger auf institutionelle Reformen zielte als die seiner Kritiker) durch die faktische Evolution überholt: Die Währungskonkurrenz hat erstens nicht in Richtung einer Entnationalisierung geführt. Und sie hat zweitens - was die Wirkungen des Wettbewerbs auf die nationalen Währungen angeht - nicht nur zur Stabilisierung der Währungen beigetragen, sondern auch (in einer weit größeren Zahl von Ländern) zu einem Abgleiten in Richtung dreistelliger Inflationsraten und/ oder - als währungspolitische Antwort - zur Rückkehr zum Primat externer Stabilisierung geführt, d. h. zur Regulierung von Wechselkursen. Hayek 1977, S. 6. In den siebziger Jahren beschäftigte sich nicht nur Hayek mit der Frage konkurrierender Währungen. Ein vergleichbarer Beitrag, der unabhängig von und zeitlich vor Hayeks Vorschlag publiziert wurde, stellt der Aufsatz von Klein dar (Klein 1974). Für weitere Arbeiten vgl. Vaubel 1976 und 1978. 18 Außerdem verengt das Ziel-Mittel-Denken (d. h. die Instrumentalisierung für das Ziel der Wertstabilisierung des Geldes) den Blick dafür, daß die Präferenzen der Vermögensbesitzer für bestimmte Währungen - und damit die Kategorie der Liquiditätsprämie - nicht auf die Wertstabilität derselben reduziert werden können. Der weitergehende Vorschlag der Privatisierung der Währungen verliert jede Basis, wenn die unzulässige Verengung der Perspektive auf das Ziel der Wertstabilität einer Währung in Frage gestellt wird. Wertstabilität einer Währung ist nicht mehr als eine Voraussetzung für eine hohe internationale Wertschätzung einer Währung. 16

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8. Ein mit dem internationalen Goldstandard oder dem System von Bretton Woods vergleichbares Währungssystem unterstellt eine stabile Hierarchie der Währungen und die Existenz einer eindeutigen Leitwährung. Auf globaler Ebene ist diese Voraussetzung heute - und in absehbarer Zeit - nicht gegeben. Solange sich zwischen US-Dollar, Yen und den europäischen Währungen keine Hierachie herausbildet - und eine solche Perspektive erscheint unter den derzeitigen Bedingungen weder realistisch noch erstrebenswert -, ist die Rekonstruktion eines globalen Leitwährungssystems ausgeschlossen. Aber das bedeutet weder, daß die Politik der externen Stabilisierung an Bedeutung verloren hätte, noch daß auf regionaler Ebene keine Hierarchien existieren würden. Daher greift auch Tobins einfache Entgegensetzung von Nationalisierungs- und Globalisierungstendenzen zu kurz. 19 Die Fixierung der Wechselkurse - wie z. B. innerhalb des EWS - ist kein Schritt auf dem Weg zur internationalen Superwährung, sondern schlicht Ausdruck der Tatsache, daß Länder auf die ,externe Disziplin' angewiesen sind. 20 9. Die Bildung regionaler Wirtschafts- und Währungsräume, die die aktuelle Entwicklungsdynarnik des Weltwährungssystem charakterisiert, ist die Konsequenz. Aufgrund der regional existierenden Hierarchien der Währungen etablierten sich in den achtziger Jahren einige Ländern mit international liquiden Währungen als regionale Leitwährungsländer. Die gegenüber dem globalen Zusammenhang regional größere Stabilität der Marktkonstellationen und der Hierarchie der Währungen hatte zur Konsequenz, daß neben dem Dollar der Yen und die D-Mark zum Bezugspunkt der externen Stabilisierung anderer Länder wurden. 19 .. There are two ways to go. One is toward a common currency, common monetary and fiscal policy, and economic integration. The other is toward greater financial segmentation between nations or currency areas, permitting their central banks and governments greater autonomy in policies tailored to their specific economic institutions and objectives" (Tobin, J. 1978, S. 154). Tobins Vorschlag der Einführung einer Steuer von 1% auf Devisentransaktionen, um eine stärkere Segmentierung verschiedener Währungszonen zu erreichen - genauso wie Dornbuschs Idee der Separierung der Warentransaktionen von den Launen der Finanzmärkte - träfen den Punkt nur, wenn das Problem der derzeitigen Weltwährungsordnung auf den kurzfristigen Horizont der Spekulation reduziert werden könnte. 20 Das beste Beispiel lieferte Großbritannien: Im Oktober 1990 ist Großbritannien dem Wechselkursverbund des EWS beigetreten. Gegen alle Verlautbarungen erfolgte der Beitritt nicht in dem Moment, in dem das Pfund Sterling stabilisiert war, sondern dann, als die Inflationsrate in Großbritannien zweistellige Werte erreichte. Und der Notenbankpräsident begründete den Schritt folgendermaßen: ..The decision last October to join the Exchange Rate Mechanism ... reinforces our anti-inflationary policy ... It provides an external discipline on policy-makers" (Leigh-Pemberton, R. 1991). Warum bedarf die englische Geldpolitik ,externer Disziplin'? Warum regulierte Mr. Leigh-Pemberton nicht schlicht die umlaufende Geldmenge? Oder die Frage verallgemeinert: Wenn es noch nicht einmal der Zentralbank Großbritanniens gelingt, durch eine angemessene Geldmengenpolitik das Pfund Sterling zu stabilisieren, wie kann dann ernsthaft erwartet werden, daß die Notenbanken Argentiniens oder des Sudan dazu in der Lage sind?

22 Festschrift Riese

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Am sichtbarsten ist die Herausbildung eines einheitlichen Wirtschafts- und Währungsraums in Europa, wo das EWS mit der D-Mark als Leitwährung zu einem Kristallisationspunkt geworden ist, um den herum sich immer mehr europäische Währungen gruppieren. Aber auch auf dem amerikanischen Kontinent zeigen sich - wenn auch in ganz anderer Form - deutliche Tendenzen in Richtung der Herausbildung eines Wirtschafts- und Währungsraums. Nicht nur der Abbau der Zoll- und Handelsbeschränkungen zwischen den USA, Kanada und Mexiko, sondern auch der Einbezug weiterer lateinamerikanischer Länder deuten in diese Richtung. In einer Reihe von Ländern ist der Dollar schon längst neben den nationalen Währungen zur Parallelwährung geworden. Im pazifischen Raum steht die Tendenz der Bildung eines Wirtschafts- und Währungsraums noch am Anfang, was unter anderem damit zusammenhängt, daß die Wirtschaftsbeziehungen der meisten Länder des fernen Ostens noch direkt auf die USA konzentriert sind.

10. Die Bildung regionaler Währungsräume könnte theoretisch von zwei Seiten in Frage gestellt werden. Sie käme zu einem Abschluß, wenn die . Hierarchie der Währungen auch auf regionaler Ebene in Frage gestellt würde: Die Teilung bzw. Aufspaltung bestehender Räume - mit dem Extrem ihrer vollständigen Auflösung und der Herausbildung eines Multiwährungsstandards - wäre das Resultat. Eine solche Entwicklung wäre nur denkbar, wenn sie mit der Ausschaltung der Währungmärkte - wie in den dreißiger Jahren -, d.h. der Aufhebung der Konvertibilität der Währungen, einherginge. Sie käme genauso zu einem Ende, wenn sich zwischen den derzeitigen regionalen Leitwährungen eine neue Hierarchie herausbilden würde. Aber unter den gegenwärtigen Bedingungen ist nicht abzusehen, daß - wie in der unmittelbaren Nachkriegsentwicklung der US-Dollar - eine Währung auf globaler Ebene die Funktion der Leitwährung wiedererlangen könnte. Änderungen der bestehenden Währungszonen, sowohl der Wandel ihres Charakters als auch ihrer regionalen Ausdehnung, sind nicht identisch mit dem Ende der Tendenz in Richtung Regionalisierung. Selbst wenn man berechtigte Zweifel an der Stabilität der derzeitigen Währungsräume haben kann, gibt es in absehbarer Zeit keine wirkliche Alternative. Die Entwicklung der Weltwährungsbeziehungen am Ende des 20.Jahrhunderts ist weder durch eine Dynamik in Richtung eines einheitlichen globalen Währungssystems noch durch die Nationalisierung der Währungs beziehungen charakterisiert, sondern durch die Herausbildung regionaler Währungsräume. Literatur Bloomfield, A.I. 1959: Monetary Policy under the International Gold Standard, Reprint, New York. Cooper, N.P. 1984: "A Monetary System for the Future". In: ders. 1987: The International Monetary System. Essays in World Economics, Cambridge (Mass.)/London (urspr. in: Foreign AtTairs 63, no. 1).

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Emminger, O. 1976: "Deutsche Geld- und Währungspolitik im Spannungsfeld zwischen innerem und äußerem Gleichgewicht". In: Deutsche Bundesbank (Hg.): Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876-1975, Frankfurt a. M. Friedman, M. 1953: "The Case for Flexible Exchange Rates", In: ders.: Essays in Positive Economics, Chicago. Hankel, W. 1984: Gegenkurs: Von der Schuldenkrise zur Vollbeschäftigung, Berlin. Hayek, F.A. 1977: Entnationalisierung des Geldes, Tübingen. Issing, O. 1991: "Geldpolitik im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft". In: Deutsche Bundesbank/ Auszüge aus Presseberichten, Nr.19. Johnson, H.G. 1969: "The Case for Flexible Rates". In: Federal Reserve Bank ofSt. Louis Review, VoI. 51, No. 6. Keynes, J.M. 1923: A Tract on Monetary Reform, London. Klein, B. 1974: "The Competitive Supply of Money". In: Journal of Money, Credit and Banking, VoI. VI. Leigh-Pemberton, R. 1991: "The Economy and ERM Membership". In: Deutsche Bundesbank/ Auszüge aus Presseberichten, Nr.4. McKinnon, R. I. 1984: "An International Standard for Monetary Stabilization". Policy Analyses in International Economics, No. 8, Washington D.C. Riese, H. 1986: Theorie der Inflation, Tübingen.

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1989: "Geldpolitik bei Preisniveaustabilität. Anmerkungen zur Politik der Deutschen Bundesbank". In: Ramser, H.-J./H. Riese (Hg.): Beiträge zur angewandten Wirtschaftsforschung, Berlin und Heidelberg.

Tobin, J. 1978: "A Proposal for International Monetary Reform". In: Eastern Economic Journal, VoI. 4. Triffin, R. 1959: "The Return to Convertibility: 1926-1931 and 1958-? or Convertibility and the Morning After". In: Banca Nazionale deI Lavoro Quarterly Review, No. 48, March.

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1961: Gold and the Dollar Crises, New Haven and London.

Vaubel, R. 1976: "Freier Wettbewerb zwischen Währungen?". In: Wirtschaftsdienst, Nr.8.

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1978: Strategies for Currency Unification (Kieler Studien 156), Tübingen.

Geld in internationalen Beziehungen und im Europäischen Währungssystem*) Von Wilfried Fuhrmann, Paderborn Unser ehrender Anlaß sowie die Möglichkeit, sich Gedanken über ein "altes" Thema neu machen zu dürfen, haben mich unmittelbar zu diesem Beitrag bewogen. Der Titel wird zu hoffnungsvoll interpretiert, wenn die Darstellung vorhandener geschlossener Ansätze erwartet wird. Er ist auch nicht ökonomistisch im Sinne primär preistheoretischer Ansätze oder einer Art von "ranking" unserer alten Schlachtrösser, vom Keynesianismus bis hin zum Monetarismus (gleich welcher Differenzierung), gemeint. Die Betonung der "internationalen" Beziehungen soll den Kontakt zum gegenwärtigen Weltwährungssystem halten und ein "Ausweichen" in Referenzsysterne einer finalen Integrationsstufe, so wie in Europa zur Zeit romantisiert, verhindern. In einem derartigen Raum wären die Transaktionskosten angeglichen und reduziert, so daß nur ein Geld als Recheneinheit und Tausch- sowie Zahlungsmittel existiert und damit eine wirklich internationale bzw. transnationale Geldwirtschaft besteht.

I. Zum Grundverständnis 1. Transaktions- und Wertsicherungskosten

Vernachlässigt man die Darstellung von Grundprinzipien, wie beispielsweise das des Eigennutz und der Vertragsfreiheit, so lassen sich Geld und eine Geldwirtschaft primär auf die Existenz von Transaktionskosten im weitesten Sinne zurückführen. Dabei gibt es derartige Kosten auch in einer Wirtschaft des direkten Tausches, so daß das übliche Modell der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie ohne die Berücksichtigung zumindest von Handelsfunktionen bzw. Händlern keine Referenzerklärung sein kann. Geld ist gerade dahingehend zu verstehen, daß seine Annahme, Verwendung und Haltung sowie "Vertragsgestaltungskraft" derartige Koordinations- und Transaktions- sowie Wertaufbewahrungskosten reduziert; die Kosten sind weder konstant noch zufallsverteilt. Im Rahmen von Marktprozessen - unternehmens- und bürokratieinterne Prozesse vernachlässigt - handelt es sich um die auf die Geschäftspartner und die Geschäftsobjekte bezogenen Kosten der Beschaffung und Abgabe von *) Abgeschlossen am 31. 1. 1992.

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Wilfried Fuhrmann

Informationen (u. a. J. Hirshleifer, J. G. Riley 1979) sowie der Geschäftsanbahnung und -durchführung. Diese Kosten lassen sich güter- und titel spezifisch verstehen und einzelwirtschaftlich zurechnen, so daß sie in einem mikroökonomischen Nutzenmaximierungsansatz über die Vermögensrestriktion den Anreiz abgeben, ein optimales Tauschmedium aus dem Bereich der vorhandenen Güter zu entwickeln und wie Produktinnovationen ständig zu verändern bzw. den Möglichkeiten anzupassen (vgl. K.Brunner, A.H.Meltzer 1971; J.Niehans 1971 sowie u.a. N.Wallace 1980; J.-M.Grandmont 1983letztere berücksichtigen die für eine Geld- bzw. Tauschwirtschaft charakteristische Intertemporalität). Bleiben derartige Kosten in den Modellen auch statisch und "exogen", so daß der soziale Prozeß von Entwicklung und Diffusion eines neuen Tauschmittels wenig erhellt wird, so zeigen diese Ansätze dennoch die wesentlichsten Charakteristika eines allgemeinen Tauschmittels auf: instrumentale, d. h. unendliche Teilbarkeit, intertemporale Homogenität, hoher Informationswert und relative Knappheit, sowie gesellschaJtsspezijische, d.h. Reputation und "credibility" des Emittenten. Im instrumentalspezifischen Kontext spielen die Transaktionskosten, im sozialen die Wertaufbewahrungskosten die entscheidende Rolle. Der soziale Bereich beinhaltet den Komplex der Unsicherheit, der eng verknüpft ist mit der Ausgestaltung der Wirtschaft (Ordnungsrahmen; Marktorganisation und -sicherung; Rechts- und Eigentumsfragen usw.) sowie der Gesamtgesellschaft (Verfassung; Grundkonsel,ls; Staatsfunktionen; Steu~rn usw.). Entsprechend sind weiterhin stabile gesellschaftliche Tauschgewohnheiten sowie die Akzeptanz (Vertrauen) des Emittenten entscheidend. 2. Zur Entwicklung einer WährungsgemeinschaJt

Bezüglich des Innovations- und Diffusionsprozesses ist zu unterstellen, daß mit der Dauer einer Geschäftsverbindung die Informationskosten sinken und daß eher markt- als produktions bezogene "economies of scale" im Sinne von sinkenden Transaktions- und Wertsicherungskosten mit der steigenden "Breite" der Verwendung eines Geldes auftreten ("natürliches Monopol"). Die Entwicklung von Währungsgemeinschaften läßt sich dann beispielsweise als ein sich spontan bzw. organisch entwickelnder Prozeß (F. A. Hayek 1976) erklären. Mit Mitteln des staatlichen Zwanges in Form eines Währungsmonopols, zumindest für bestimmte Verträge und die Rechnungslegung (Recheneinheit), sowie für bestimmte Zahlungen und Berechnungen, wie Ermittlung und Zahlung von Steuern, lassen sich ebenfalls Währungsgemeinschaften bilden (C. Menger 1909), wobei Politiker der ökonomischen Lösung vorgreifen - oder langfristig scheitern. Im ersteren Falle bestimmen aktuelle ökonomische Kosten die Grenzen der Geldverwendung ("Währungsraum"). Diese Grenze ist endogen, sie muß weder geographisch eindeutig (nicht-überlappend) sein, noch der eines Staates oder Staatenbundes entsprechen.

Geld im internationalen und im Europäischen Währungssystem

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Beispiele für eine internationale ökonomische Diffusion des Geldes sind die Ablösung der "moutons d'or", der "ecus" durch sogenannte Rechnungsmünzen, wie den italienischen "scutus marcharum" oder später die hamburgische Bankwährung ebenso wie die in Norditalien und Südfrankreich im 12. Jahrhundert entwickelten kaufmännischen Anweisungen im grenzüberschreitenden Verkehr (die Wechsel) oder die heutigen Finanzinnovationen. Im politischen Falle bestimmt die Reichweite des Machtmonopols des Herrschers bzw. der Zentralgewalt, d. h. die beherrschbare maximale geographische Ausdehnung, die Grenzen des Währungsraumes (innerhalb dessen keine ökonomischen Währungsgemeinschaften entstehen dürfen). Ökonomische Abgrenzungskriterien setzen sich langfristig durch, wenn der politische Machtbereich sich nicht ökonomisch vollständig integriert (i. d. R. bei hegemonialen Nationalismen in Kultur und Sprache; "taste for nationalism" [G. Becker 1957]).

3. Politische und ökonomische Koordination

Das staatliche Machtmonopol kann ökonomische Diffusionen nicht nur effizienz- und stabilitäts orientiert kanalisieren oder fördern ("Funktion der staatlichen Institutionalisierung und Regulierung"), sondern auch durch gesetzlich prohibitiv hohe Transaktionskosten (i.w.S.) verhindern. Entscheidend sind letztlich die gesetzliche sowie gemeinsam gelebte Ausgestaltung der Verfassung, des Ordnungsrahmens und der Marktorganisation, d. h. die Dynamik aus Entstehung, Sicherung (Akzeptanz) und Veränderung (Flexibilität) von Ordnungen und Institutionen. Entsprechend wird "Geld" im Rahmen der Institutionenökonomik behandelt, d. h. im Rahmen von "Property Rights", "Public Choice" oder sogenannter "New Institutional Economics" (einschließlich der "Law and Economics Theory") analysiert. Dabei stellt eine Institution eine von allen Mitgliedern einer Gemeinschaft getragene Regelmäßigkeit des Verhaltens bei wiederkehrenden Situationen dar, deren Garantie durch die Gruppe insgesamt oder eine gesonderte staatliche Autorität erfolgen kann (A. Schotter 1981).

Die steigende Internationalisierung ökonomischer Aktivitäten mit steigender Heterogenität und Verbriefung ("securitization") erfordert eine ständige Evolution der einzelstaatlichen Institutionen bei gleichzeitig steigendem internationalen Harmonisierungs- und Kooperationsbedarf. Ohne einen internationalen Ordnungsrahmen mit allgemein akzeptierten Spielregeln kann das für eine zukunftsoffene Entwicklung notwendige Maß unternehmerischer Gestaltungsfreiheit zu groß sein und damit Unsicherheiten sowie zusätzlichen Ressourcenverzehr im internationalen Kapital-, Dienstleistungs- und Güterverkehr bedingen. Neu-Institutionalisierungen sind Reflex auf die entwickelte Wirtschaftspraxis und den "vorgehaltenen" Freiraum. Sie erfolgen in der Regel in Erwartung einer allgemeinen Kostenreduktion und Verbesserung der Pareto-Effizienz, können aber auch eine "nationale" Strategie zur Reduktion der Kapitalkosten

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elDlger Spieler bzw. "Partner"-Länder bei gleichzeitiger Erhöhung dieser Kosten für die anderen und damit zur Umverteilung sein (Spiele mit endlicher Anzahl von Zügen, wobei die Spieler die Anzahl beeinflussen). Kosten einer staatlich-politischen Institutionalisierung (neue Bürokratien, Ausarbeitung, Durchsetzung und Überwachung neuer Bestimmungen und Normen, neue Abstimmungsmodi; Anpassungen der Privaten, einschließlich Firmen- und Standortschließungen) fallen immer dann an, wenn eine Institution, Bürokratie oder Gruppe in Wahrung oder Ausbau ihrer politischen Macht auf Unterstützung, Duldung oder Verzicht auf "Retorsions" -Maßnahmen einer anderen angewiesen ist. Ein umfassender Vergleich der spontanen und der staatlichen Institutionalisierung mit dem Ziel der Ökonomisierung ist kaum möglich, so daß wohl nach der "inneren Stimme" bzw. Grundüberzeugung entschieden wird. Eine postulierte Dominanz staatlicher Koordination über eine Marktlösung setzt voraus, daß die Politiker und Bürokratien über vergleichbare politische Macht (keine politische Asymmetrien) und Nationalismen sowie höhere Informationswerte über zukünftige Schocks, bessere Verarbeitungs-, Beurteilungs-, Entscheidungsund Durchsetzungsfähigkeiten verfügen müßten. Weiterhin hätten sie Aktionsräume, Auszahlungsfunktionen, Kooperationsfähigkeiten und alle in der Vergangenheit getätigten Züge (Zuordnungsfähigkeit) ihrer "Mit"-Spieler zu kennen. Eine Pareto-efflziente politische Kooperation ist die österreichische Hartwährungspolitik mit der Bindung des Schillings an die D-Mark. Der jederzeit widerrufbare staatliche Verzicht auf eine autonome diskretionäre Geld(mengen-)politik bedeutet im Rahmen der Sozialpartnerschaft: eine Reduktion der Anzahl der Spieler (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Regierung und Zentralbank) bzw. der Anzahl freier Parameter (Lohnsatz) verbunden mit -

einer "Garantie" über international relativ niedrige Kosten der Wertaufbewahrung und für die Tarifparteien tendenziell

-

eine Erhöhung ihres Einflusses auf (bei einer ihnen anlastbaren bzw. zurechenbaren Verantwortung für) die Determination des Reallohnes und damit der Arbeitslosenquote bei

-

einer gleichzeitig reduzierten Unsicherheit bezüglich der möglichen Spielstrategien der Mitspieler.

Diese politische Kooperation hat in der Vergangenheit unmittelbar das endogene Entstehen stabilisierter kooperativer Strategien bei strategischer Interdependenz bewirkt und eine Übertragung der internationalen Reputation und "credibility" der Deutschen Bundesbank bzw. der D-Mark auf die Österreichische Nationalbank bzw. den Schilling ermöglicht.

Geld im internationalen und im Europäischen Währungssystem

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Die Nutzung des D-Mark-Stabilitätsankers ist nur bei einem hohen nationalen Konsens möglich. Eine sich integrierende Gruppe von Ländern kann Stabilität nur durch aufeinander abgestimmte Mentalitäten erreichen sowie durch die Erhebung des Stabilitätszieles in den Verfassungs- und Gesetzesrang. Dabei steigen die Kosten wahrscheinlich mit der Größe und Heterogenität der sich integrierenden Länder / Spieler (M.Olson 1965; entgegengesetzt M. Fratianni und J. Pattison 1982). Betrachtet man das Geld nicht in einem walrasianischen Gleichgewichtsmodell, sondern makro ökonomisch, d. h. als eine soziale Institution und seine Dienste als öffentliches Gut, so ist das evolutorische "design" der monetären Institutionen ein politischer Prozeß, was nicht zwangsweise die Bereitstellung, Überwachung und Veränderung des gesamten monetären Systems durch den öffentlichen Sektor bedeutet (vgl. u. a. D. Laidler 1989). Die Ausgestaltung des internationalen öffentlichen Gutes hängt u.a. von der Bedeutung der Nationalismen bzw. der Kooperation der nationalen Politiker sowie der artikulierten Nachfrage nach diesem öffentlichen Gut seitens gesellschaftlicher Gruppen oder Vereinigungen ab. Das internationale öffentliche Gut kann sein (C.P. Kindleberger 1986): die Koordination nationaler Geld- und Währungspolitiken, ein System fester (bzw. stufenflexibler) Wechselkurse oder ein internationales Geld. 11. Zur Entwicklung der internationalen Währungsordnung j.

Das Ende des Systems von Bretton Woods

Die Bedeutung dieser Vorüberlegungen verdeutlichen die mit dem Jahr 1971 verbundenen Veränderungen. Seit 1971 ist keine Währung mehr an ein Gut im Sinne eines Warengeldsystems gebunden. Die bis dahin erreichte internationale Integration insbesondere der Güter-, aber auch der Kapitalmärkte einiger Volkswirtschaften, wie jener Frankreichs, Italiens oder Spaniens, wurde von den ständig verschlechterten Diensten der Wechselkursftxierung entlastet bzw. von diesem politischen Koordinationsmechanismus befreit und die "Wertsicherung über die Zeit" durch den Wettbewerb der Währungen bzw. Währungsräume wieder ermöglicht. Diesen Systemwechsel erklären insbesondere zwei spieltheoretische Ansätze: Angesichts der "Schlange im Tunnel" läßt sich der Wandel als Folge kumulierter politischer (Koordinations-) und ökonomischer (Transaktions-. und Wertaufbewahrungs-) Kosten im Sinne einer Neu-Optimierung internationaler Institutionen (Flex-Kurse zwischen der Triade, Fest-Kurse innerhalb der zentralen politischen Regionen) erklären. Die Veränderung ist ein kooperatives Spiel bei strategischer Interdependenz.

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Weniger überzeugend ist eine Interpretation im Sinne eines allseitigen nichtkooperativen Spieles. Den Hintergrund bilden nicht-erwartete Wechselkursschwankungen sowie Präferenzen für diskretionäre Politiken mit dem Ziel reduzierter Schwankungen durch Fixierung und Intervention. Die Betrachtung des Systems flexibler Wechselkurse als ein Nicht- oder Unsystem folgt aus einer rein gütermarktorientierten geschlossenen Kreislaufbetrachtung mit dem Wechselkurs als ein von "fundamentals" (Gütertransaktionen) determinierter Preis und der normativen Interpretation eines Leistungsbilanzsaldos als Ungleichgewicht. Derartige spieltheoretische Ansätze gehen in der Regel vom sogenannten "prisoner's dilemma" aus und suchen (iterativ) die Möglichkeit eines evolutorisehen Trends zu kooperativem Verhalten (u.a. R. Axe1rod 1984). Insbesondere eine mögliche Nichteindeutigkeit der Lösungen oder eine fehlende Stabilität der Strategien oder die Dauer der Konvergenz zu einem Pareto-Optimum ("robustness, stability and initial viability") begründen eine vorgreifende Wechselkursfixierung. Probleme der Informationen, Machtverteilung usw. werden bei dieser politischen Lösung weder bewertet noch relativiert. 2. Die Entwicklung in Europa

Im argumentativen Vordergrund der öffentlichen Diskussion zum Europäischen Währungssystem (EWS) und zur Neuordnung der innereuropäischen monetären Beziehungen standen zunächst die einzelwirtschaftlichen Kosten als Folge von Wechselkurs- und Preisveränderungen, deren Prognostizierbarkeit als nicht länger hinreichend sicher erachtet werden konnte. Die Ursachen für diese Unsicherheiten lagen u.a. in: dem durch das politisierte Bretton-Woods-System mit hohem US-DollarÜberhang aufgestauten Anpassungsbedarf, einer mit der internationalen Kapitalmobilität liberalisierter Kapitalströme steigenden Determination des Wechselkurses durch Kapital- bzw. Vermögensdispositionen (zur Dominanz letzterer vgl. u.a. H. Riese 1989), der ungenügenden Marktgröße und verhinderten Entwicklung eines Devisenmarktsystems der europäischen Währungen. Analog dem Verständnis des nationalen Goldstandards als Garant eines zukünftigen Preises und der Wertsicherung über die Zeit stellte die einzelwirtschaftliche Forderung der Außenhändler nach einer Wechselkursfixierung die Suche nach Wert- bzw. Kaufkraftsicherung über die Zeit sowie nach einem verbundenen System nationaler Recheneinheiten im Sinne der Kalkulationssicherung dar. Versucht wurde, die mit der Zukunftsunsicherheit verbundenen Kosten auf den Staat zu überwälzen. Mit dem politisch forciert steigenden intraeuropäischen Handel sowie der Konzentration und der Europäisierung von Konzernen in Staatseigentum stieg die relative Bedeutung dieser Gruppe in jedem Land ebenso wie die Inflexibilität des (über die Bandbreite hinaus) stufenflexibel konzipierten EWS.

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Die Wechselkursfixierung beinhaltet in einem Nicht-Warengeldsystem u. a. Gefahren der Systeminkonsistenz, Allokationsbeeinflussung und Übernahme derartiger Wertsicherungskosten durch die Gesellschaft bzw. den Steuerzahler statt durch den Verursacher oder Nutznießer. a) Das EWS als Wechselkurssystem Gemäß der allgemeinen Diskussion über flexible und feste Wechselkurse verstanden viele Mitglieder der Europäischen Gemeinschaften (EG) das EWS primär nur als ein Wechselkurssystem (ein sog. "crawling peg") und traten in diesem Verständnis bei (vgl. J. M. Artis 1987, R. Dornbusch 1989). Durch die Festlegung von ECU-Paritäten, d. h. bezogen auf einen Währungskorb waren Auf- und Abwertungen nicht (wie im System von Bretton Woods) eigenstaatlich autonom, sondern "symmetrisch" mit politischer Konsultation und Kooperation möglich. Diese teilweise unbemerkt oder in Erwartung häufiger EWS-"realignments" eingegangene Abhängigkeit bzw. die Wirkung dieses Wechselkurssystems läßt sich spieltheoretisch als ein diesen Ländern durch (Spielregeln bzw.) Verpflichtung ("comrnitment") und nicht Verhandlung ("negotiations") auferlegter Stabilisierungsdruck ("disinflationary device") interpretieren. Als wichtiges dynamisches Element bleibt hier offen, wer (planend vorausnehmend) die Regeln des Spieles festgelegt hat. b) Das EWS als Kapitalpakt Das EWS reduzierte für Länder mit einem steigend hohen Finanzbedarf der Regierung, der via Steuern und preisinduziertem Zwangsparen nicht weiter zu decken war, die realen Kapitalkosten bei verbreiterter Finanzierungsbasis. Die europäischen LeistungsbilanzsaIden reflektieren die entsprechenden Salden in den Devisen- und Kapitalverkehrsbilanzen. Das EWS wirkte nicht primär als eine Art von Stabilisierungspakt, sondern bei kaum liberalisierten Direktinvestitionen über Portfolioinvestitionen (primär Staatsanleihen) als ein europäischer Kapitalpakt mit einer (nur bedingt an die Güterströme gebundenen) Lenkung der deutschen Kapitalexporte in EG-Länder. Nationalismen waren initiierend. Das EWS folgt dann nicht national schwachen Regierungen, die den notwendigen Strukturwandel wünschen, ihn aber aus eigener Kraft nicht durchsetzen können und das EWS als innenpolitisch nicht zu verantwortendes Druckmittel schaffen. Aus der obigen Überlegung folgt das Gegenteil: Die Regierungen schaffen bzw. akzeptieren das EWS in der Erwartung, ihre ineffiziente Politik kurzfristig nur graduell ändern zu müssen. Entsprechend stark ist der europäische Gemeinschaftsdruck auf die Bundesbank zur Aufrechterhaltung des fixierten DM-Kurses (und zu intramarginalen Devisenmarktinterventionen). Auf eine deutsche zinspolitische Maßnahme folgt eine nachvollziehende "europäische" zinspolitische Maßnahme. Die Bundesbank kann Wechselkursänderung erzwingende Kapitalströme in Europa

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nicht mehr initiieren. Hieraus wird häufig auf ein kooperatives Spielverhalten Frankreichs und die Verfolgung unkooperativer Strategien Deutschlands im Kapitalpakt-Spiel geschlossen. Der partialanalytische und statische Charakter dieser Interpretation wird deutlich, wenn die von Deutschland (bei asymmetrischer politischer Vertretung der Spieler) erwartete Integration (verstärkt mit EG-Europa, reduziert mit den USA, Entwicklungsländern usw.) in einem die Weltgemeinschaft umfassenden Spiel ein unkooperatives Verhalten darstellt. c) Das EWS als dynamisches Spiel Im Spiel der Kapitallenkung wird die Funktion der DM als Stabilitätsanker im Sinne einer Asymmetrie, d. h. als Ausdruck unkooperativer Strategie interpretiert, obwohl diese Asymmetrie Ursache sowie Notwendigkeit für die Entwicklung des EWS zu einem stabilen monetären System ist und die besondere Bedeutung der D-Mark im EWS nur Ausdruck einer geldwertorientierten sowie weltmarktintegrierten Zentralbankpolitik ist. Die AnkerFunktion der D-Mark wird entsprechend durch eine effizientere Geldpolitik anderer EWS-Länder nicht geschwächt. Die Last wird erleichtert. Da Integrationsprozesse endogene Veränderungen der Spielregeln bedingen, stellen die Politik der Bundesbank und die Asymmetrie der DM im EWS ein langfristig kooperatives Verhalten dar. Da die Staaten aber unterschiedliche Integrationsziele und unterschiedliche Spielregeln vor Augen haben (Wechselkurssystem, Kapitalpakt, Stabilitätsgemeinschaft, Währungsunion usw.), ist das EWS seit der Gründung ein Integrationssystem mit vielen (bzw. zwei) Geschwindigkeiten.

3. Zur Eigendynamik des EWS Die EWS-Mitgliedschaft sogenannter Weichwährungsländer wurde hier primär über ihren damit ermöglichten Zugang zum europäischen Kapitalmarkt erklärt - bei "importierter" bzw. "geswapter" Kreditwürdigkeit sowie reduzierten Realzinsen in heimischer Währung. Sie ermöglicht, einen nationalen Kapitalmarkt mit effIZienterer Kapitalakkumulation zu ent~ickeln. Eine Erklärung der EWS-Mitgliedschaft als reine innenpolitische Stabilisierungspolitik greift ebenso zu kurz wie Erklärungen, die nicht antizipierbare Wechselkursanpassungen als instrumentelle Initialzündung für Lucas'sche Outputsteigerungen betonen (vgl. J. Melitz 1988). Die Hartwährungsländer versprachen sich zweierlei: (i) Exportförderung durch anhaltende tendenzielle "Unterbewertung" ihrer Währungen infolge einer durch Kapitalexporte bewirkten "Überbewertung" der Weichwährungen; (ii) Möglichkeiten von an Faktorkosten orientierten, strategischen Direktinvestitionen bis hinzu regionalen Monopolisierungen. Die von ihnen finanzierten Strukturfonds zugunsten der Weichwährungsländer schaffen teilweise erst die Infrastruktur für die Exporte und Direktinvestitionen. Die durch Beitritte erweiterten Spielregeln spiegeln die veränderten Vorstellungen des internationalen öffentlichen Gutes wider. Die monetäre Integrationsdynamik folgt der Kapitalmarktdynamik. Die heutige schrittweise Libera-

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lisierung des Kapitalverkehrs erfolgt nicht mehr zur "Finanzierung" gewünschter Netto-Importe, sondern wegen der gewünschten Stärkung der nationalen Kapitalmärkte in Konkurrenz um internationale Kapital-Disponenten. Sie erfolgen im Sinne nationaler dynamischer Spielstrategien bei steigender Interdependenz mit dem Ziel, möglichst wenig "Autonomie" aufzugeben. Ein Land bzw. Standort "verliert" relative Standortvorteile, wenn die sie begünstigenden Asymmetrien durch nachvollziehende Liberalisierungen anderer Länder abgebaut und keine neuen durch weiterführende Liberalisierungen oder Systeminnovationen (integrierte elektronische Informations-, Kassa- und Terminbörsensysteme usw.) aufgebaut werden. So geht die Entwicklung und Integration der nationalen Kapitalmärkte der "geplanten" Entwicklung einer Europäischen Zentralbank ebenso voran, wie die internationale Kapitalmarktentwicklung die Liberalisierungs- und Stabilitätsrolitik seitens der Netto-Kapitalimportländer "erzwingt". Der "spread" zwischen den nationalen Zinssätzen im EWS wird, das illustriert das Beispiel Österreichs, nicht vollständig abgebaut werden. Die Ursache für einen derartigen "spread" zum deutschen Zins liegt nicht allein in einer - wegen des fehlenden Verfassungs- und Gesetzesranges der Unabhängigkeit der Zentralbank und des Stabilitätsgebotes - politisch kurzfristig möglichen Änderung der Stabilitätspolitik. Sie liegt u.a., angesichts unterschiedlicher "regionaler" Politiken, auch in der Zeitabhängigkeit des Vertrauens, der Erwartungssicherheit usw. begründet. Reputation und "credibility" sind auch in einem internationalen Währungssystem stark "vergangenheitsdeterminiert". (Entsprechend ist Londons dominierende Rolle im internationalen Goldstandard zu erklären). Sie können durch eine Zentralbank nur "langsam" gewonnen, aber schnell durch Politiker und Regierungen zerstört werden. Der vollständige Abbau von Kapitalkostendifferenzen bzw. Ausgleich der nationalen realen Kapitalkosten - als neue Zielsetzung des EWS bzw. der Beschlüsse von Maastricht - erfordert mehr als den Import der Reputation und "credibility" der Bundesbank. Er erfordert mehr als zentralisierte NeuInstitutionalisierungen, wie eine Europäische Zentralbank, eine Währung usw., verbunden mit einer Angleichung der Einkommen oder Lebensverhältnisse durch einen europa- oder weltweiten Finanzausgleich. Spiegelt eine Kapitalkostendifferenz die unterschiedliche Einschätzung der wirtschaftlichen und politischen Entwicklungspotentiale zweier Emittenten, Regionen, Länder oder Ländergruppen wider, dann bleibt auch der Ausgleich der realen Kapitalkosten bzw. die Reduktion der realen Zinssätze die ständige Aufgabe der "Standortpolitik" der dann in der EG eventuell nicht mehr durchgängig nationalstaatlich abgegrenzten Wirtschaftsräume. Jede einzelne Harmonisierung und Neu-Institutionalisierung ist also als Ergebnis eines einzelnen Spieles zu interpretieren und in eine Ordnung zu bringen. Dieses möglicherweise im Wege eines systematischen "piecemeal engeneerings" bzw. dynamischen Mega-Spieles entstehende Ordnungssystem

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ergibt dann das gesamte Geflecht der die internationalen monetären Beziehungen bildenden Kapitalmärkte. Literatur Artis, J. M. (1987): The European Monetary System: An Evaluation; in: Journal ofPolicy Modelling, 175-198. Axelrod, R. (1984): The Evolution ofCooperation; New York u.a.O. Becker, G. S. (1957): The Economics ofDiscrimination; Chicago u.a.O. Brunner, K. und A. H. Meltzer (1971): The Uses of Money: Money in the Theory of an Exchange Economy; in: American Economic Review, 784-805. Dornbusch, R. (1989): Ireland's Disinflation: Credibility, Debt and Unemployment: Ireland's Failed Stabilization; in: Economic Policy, 173-209. Fratianni, M. und J. Pattison (1982): The Economics oflnternational Organisations; in: Kyklos, 244-262. Grandmont, J. M. (1983): Money and Value: A Reconsideration of Classical and Neoclassical Monetary Theories; Cambridge u.a.O. Hayek, F.A. (1976): Denationalization ofMoney: An Analysis ofthe Theory and Practice of Concurrent Currencies; London. Hirshleifer, J. und J. G. Riley (1979): The Analytics ofUncertainty and Information - An Expository Survey; in: Journal of Economic Literature, 1375-1421. Kindleberger, C. P. (1986): International Public Goods without International Government; in: American Economic Review, 1-13. Laidler, D. (1989): Monetarism, Microfoundations and the Theory of Monetary Policy; in: S. F. Frowen (Hrsg.), Monetary Theory and Monetary Policy: New Tracks for the 1990s; London u.a.O. Melitz, J. (1988): Monetary Discipline, Germany and the European Monetary System; in: Kredit und Kapital, 481- 511. Menger, C. (1909): Geld; in: J. Conrad u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Aufl., 4. Bd., Jena, 555-610. Niehans, J. (1971): Money and Barterin General Equilibrium with Transactions Costs; in: American Economic Review, 773 - 783. Olson, M. (1965): The Logic of Collective Action: Public Goods and the Theory of Groups; Cambridge (MA) u.a.O. Riese, H. (1989): Schuldenkrise und ökonomische Theorie; in H. Riese und H.-P. Spahn (Hrsg.), Internationale Geldwirtschaft, Regensburg, 187-216. Schotter, A. (1981): The Economic Theory of Institutions; Cambridge. Wal/ace, N. (1980): The Overlapping-Generations Model of Fiat Money; in: J. H. Kareken und N. Wallace (Hrsg.), Models of Monetary Economies, Federal Bank of Minneapolis, 49 -82.

Währungspolitische Paradoxien und Handlungsalternativen in der Europäischen Gemeinschaft*) Von Wolfgang Schröder, Brüssel Seit das Europäische Währungssystem (EWS) 1979 gegründet wurde, haben sich die wirtschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen es funktioniert, stark verändert. Die Implikationen dieser Veränderungen werden im folgenden analysiert und währungspolitische Handlungsalternativen betrachtet, die sich daraus ergeben. I. Dominanz der D-Mark im EWS gemildert Die dominierende Rolle der D-Mark im EWS wurde in der letzten Zeit vor allem durch Entwicklungen in der Bundesrepublik etwas gemildert. Dazu haben die geld- und finanzpolitischen Folgen der deutschen Einheit sowie die lohnpolitische Entwicklung beigetragen: Die Einführung der D-Mark in der damaligen DDR ist aus einer engeren geldpolitischen Sicht ohne gesamtwirtschaftliche Störungen bewältigt worden. Dabei sollte der Geldmengenzuwachs dem Zuwachs an Produktionspotential im vergrößerten Währungsraum der D-Mark entsprechen. Die von manchen befürchtete Inflationsbeschleunigung durch den Nachfrageschub aus den neuen Bundesländern war im ersten Jahr nach Einführung der D-Mark nicht zu beobachten. Das Risiko von Preissteigerungen hat dennoch zugenommen: Zum einen ist die Diskrepanz zwischen der zusätzlichen Bereitstellung von D-Mark und dem zusätzlichen Produktionspotential in den neuen Bundesländern größer geworden, weil sich bedeutend weniger Produkte und Betriebe aus dem Beitrittsgebiet am Markt halten konnten als vorausgeschätzt. Diese Schrumpfung des Produktionspotentials in den neuen Bundesländern ist jedoch bisher durch die große Elastizität des westdeutschen Angebots und durch Importsteigerungen ausgeglichen worden. Eine stärkere stabilitätspolitische Belastung resultiert aus den finanzpolitischen Konsequenzen der Vereinigung. Vor allem bedingt durch die hohen Transfers in die neuen Bundesländer ist das sta~tliche Defizit (ohne die Kreditaufnahme der Sondervermögen) 1991 auf etwa 3% des Bruttosozialprodukts gestiegen, nachdem 1989 noch ein geringer Überschuß erzielt worden war. *) Der Verfasser vertritt hier seine persönliche Meinung. Stand: 1. 7. 1992.

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Dadurch wird die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in einer konjunkturellen Boomphase beträchtlich erhöht. So sehr die dahinter stehende Ausweitung der staatlichen Ausgaben aus wirtschafts-, sozial- und vor allem staatspolitischer Sicht auch gerechtfertigt ist, so belastet sie doch die Stabilitätspolitik. Auch von Seiten der Lohnpolitik steht die Stabilität unter Druck. Die Tariflöhne und -gehälter steigen in den alten Bundesländern seit 1990 beschleunigt an. Daraus wird ein beschleunigter Anstieg der Lohnstückkosten . resultieren, weil die gesamtwirtschaftliche Produktivitätssteigerung, die Abnahme der Lohndrift und eine - eher unwahrscheinliche - Verbesserung der "terms of trade" nicht ausreichen werden, um den Anstieg der Löhne aufzufangen. Auf diese Veränderungen kann die Wirtschaft nur mit einer Kombination aus der Überwälzung der Kostensteigerung auf die Preise und einer Gewinnkompression reagieren. Auf der einen Seite tragen diese besonderen nationalen Entwicklungen in Deutschland dazu bei, die Dominanz der D-Mark gegenüber anderen europäischen Währungen zu mildem. Auf der anderen Seite haben die Partnerwährungen große Stabilitätsfortschritte realisiert. Damit ist die abgeschwächte Dominanz der D-Mark auch ein Erfolg der auf Konvergenz ausgerichteten Politik der Staaten der Europäischen Gemeinschaften (EG). Dies signalisiert, ins Positive gewendet, daß eine Reihe von Ländern schon jetzt die Bedingungen erfüllen, um erfolgreich eine Währungsunion zu bilden. . D. Währungspolitiscb relevante Veränderungen in Europa 1. Intensivere währungspolitische Bindungen zwischen einem größeren Kreis europäischer Länder

Neben diesen sehr aktuellen Umwälzungen im Land der Ankerwährung, haben sich im EWS längerfristige Veränderungen ergeben, die sich auf seine Funktionsweise auswirken. So ist das EWS - zumindest in seinem Kernbereich - zur angestrebten Stabilitätsgemeinschaft herangereift. Die nominalen Wechselkurse sind stabiler geworden - die letzte generelle Anpassung der Leitkurse am 12. Januar 1987 liegt beinahe 5% Jahre zurück. In den sieben Ländern, die seit der Gründung des EWS dem engen Band angehören (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Irland, Luxemburg und die Niederlande), haben sich die Inflationsraten auf niedrigem Niveau angenähert. Italien verzichtet seit dem 8. Januar 1990 auf die erweiterte Bandbreite. Spanien gehört dem Wechselkursverbund mit einer erweiterten Bandbreite seit dem 19. Juni 1989 an, Großbritannien seit dem 8. Oktober 1990, Portugal seit dem 6. April 1992 und Griechenland ist dabei, durch einen rigorosen wirtschaftspolitischen Kurswechsel unter anderem auch die Voraussetzungen für eine Teilnahme zu schaffen. Über den Kreis der EG-Mitgliedstaaten hinaus binden einen Reihe von Ländern ihre Währungen mehr oder weniger formell an die EeU oder an die D-Mark. Durch

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all diese Veränderungen ist die währungspolitische Zusammenarbeit im Rahmen des EWS sowohl breiter als auch intensiver geworden. 2. Liberalisierung des grenzüberschreitenden Geld- und Kapitalverkehrs

Der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der EG beschloß am 13. Juni 1988, den grenzüberschreitenden Geld- und Kapitalverkehr zu liberalisieren, um in diesem Bereich die Vorgaben der "Einheitlichen Europäischen Akte" praktisch umzusetzen. Daraufhin hoben Frankreich und Italien die noch bestehenden administrativen Beschränkungen auf und Belgien die Spaltung seines Devisenmarktes. Spanien und Irland werden ihre Liberalisierungsschritte bis Ende 1992 vollziehen und Portugal sowie Griechenland bis spätestens 1995. Die Liberalisierung hat nicht etwa eine Kapitalflucht aus Schwachwährungsländern und damit eine Destabilisierung des EWS bewirkt, sondern dazu beigetragen, Qualitätsunterschiede zwischen den europäischen Währungen abzubauen. Sie hat sowohl die Mobilität des Kapitals erhöht, als auch die Substituierbarkeit der Währungen untereinander. Die Einschätzung von Währungen durch international operierende Akteure spiegelt sich unter anderem in der Zinsdifferenz wider (für Aktiva mit gleicher Laufzeit und etwa gleichem Risiko - bis auf das Wechsel,kursrisiko). Die seit der Liberalisierung der internationalen Finanztransaktionen vorhandenen Zinsdifferenzen reichten aus, um (unerwünschte) Kapitalbewegungen zu verhindern, die nachhaltige Spannungen am Devisenmarkt ausgelöst hätten. Allerdings haben sich die Differenzen zwischen den D-Mark-Zinsen und den Zinsen anderer europäischer Währungen seit Anfang 1990 am Geldmarkt, und noch ausgeprägter bei Anleihen der öffentlichen Hand, stark verringert. Dies ist auch Ausdruck der erhöhten Substituierbarkeit und Mobilität des Kapitals sowie der erwarteten Stabilität der Wechselkurse. 3. Paradoxe Wechselkursbewegungen

Die EWS-Länder mit den höchsten Inflationsraten bieten auch die höchsten nominalen Zinsen. Dadurch ziehen sie das Kapital aus dem Ausland an und induzieren paradoxe Wechselkursreaktionen. Paradox deshalb, weil diese Länder bei den festen Wechselkursen im EWS ihre internationale Wettbewerbsrahigkeit nach und nach einbüßen und ihre Währungen folglich besonders dem Risiko von Abwertungen ausgesetzt sind. Umgekehrt weisen diejenigen Währungen im EWS niedrige Zinsen auf, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Abwertung gering eingeschätzt wird. Die Beziehung zwischen Preissteigerungsrate und Zins entspricht dem Fisher-Effekt einer Kompensation höherer Inflationsraten durch höhere Nominalzinsen. Demnach führt eine höhere Inflationsrate sowohl zu höheren Nominalzinsen als auch zu einer höheren Abwertungswahrscheinlichkeit. Das Gleichgewicht im Verhältnis zu niedrige23 Festschrift Riese

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ren nominalen Zinsen im Ausland wird durch das Wechselkursrisiko hergestellt. Insoweit können die beschriebenen Preisrelationen auf den Geld-, Kredit- und Devisenmärkten mit einem kurzfristigen Gleichgewicht kompatibel sein. Dies steht in einem wesentlichen Aspekt im Widerstreit zum Ziel und zur Funktionsweise des EWS: Es ist gegründet worden, um für stabile Wechselkurse zu sorgen. Diesem Stabilitätsziel ist es im Laufe seines Bestehens näher gekommen. Der günstige Einfluß, den das EWS auf den Handel und die wirtschaftliche Entwicklung in der EG ausübt, beruht auf seiner Glaubwürdigkeit. Die besteht darin, für längere Zeiträume stabile Wechselkurse zu garantieren. Das bedeutet eine klare und beabsichtigte Einschränkung des Wechselkursrisikos, die auf die Geld- und Kapitalmärkte zurückwirkt und dort zeitweise für paradoxe Wirkungen sorgt. Die international operierenden Kapitalanleger beziehen die weitgehende Wechselkursgarantie des EWS und das dahinter stehende Bestreben der EG-Partner, die Wechselkurse ihrer Währungen unverändert zu lassen, in ihre Anlageentscheidungen mit ein. Solange die Wechselkurse unverändert bleiben, sind die Zinsunterschiede mit Renditedifferenzen identisch. Dies erzeugt einen Anreiz, Kapital in Hochzinsländern anzulegen. Die Gleichung Hochzinsland = Schwachwährungsland wird folglich durch das EWS zumindest zeitweise außer Kraft gesetzt. Im EWS stehen die Währungen mit hohen Zinsen häufig unter Aufivertungsdruck. Sie erscheinen so als starke Währungen, während sich andere mit niedrigeren Inflationsraten und demzufolge niedrigeren Zinsen gegen einen korrespondierenden Abwertungsdruck wehren müssen. Beobachtungen zeigen, wie häufig die italienische Lira und die spanische Peseta gegen den oberen Rand des Interventionsbandes tendieren, obwohl beide Länder relativ hohe Inflationsraten aufweisen. Der Zustrom von Kapital innerhalb des EWS zu Hochzinsländern alimentiert einen zweiten Kreislauf, der ebenfalls ein kurzfristiges Gleichgewicht in dem Sinne darstellt, daß endogene Kräfte fehlen, die zu einer Änderung des Zustandes führen würden. Dieser Zusammenhang soll modellhaft erläutert werden: Als Ausgangspunkt wird ein Gleichgewicht im Wechselkursverbund der Einfachheit halber mit ausgeglichenen Leistungsbilanzen - unterstellt. Wenn dieses Ausgangsgleichgewicht durch auseinanderdriftende Inflationsraten gestört wird, nimmt die internationale Wettbewerbsfahigkeit der Länder mit höheren Inflationsraten ab und deren Leistungsbilanzen passivieren sich. Da gleichzeitig ihre Zinsen inflationsbedingt zunehmen, wird - dank der weitgehenden Wechselkursgarantie des EWS - ein Zustrom von Kapital induziert. Dieser Zustand kann andauern, weil er sowohl von den Preisrelationen als auch von den gesamtwirtschaftlichen Kreisläufen her kohärent ist. Der kurzfristigen Kohärenz wird jedoch spätestens dann ein Ende gesetzt, wenn eine Abwertung erwartet wird und es sich zeigt, daß die Stärke der Hochzinswährungen nur eine scheinbare ist.

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4. Verringerte Asymmetrie des EWS Im Laufe seiner Entwicklung hat sich die anfängliche Asymmetrie des EWS, die für Druck in Richtung auf Preisstabilität sorgte, verringert. Durch den Verzicht auf Leitkursanpassungen und durch die fortschreitende Liberalisierung des Kapitalverkehrs wurde der Anpassungsdruck und mit ihm der "Biß" der außenwirtschaftlichen Restriktion geschwächt, weil der Zustrom von Kapital aus dem Ausland erheblich erleichtert wurde. Obwohl diese erleichterte Beweglichkeit des Kapitals die Allokation verbessert und zur Steigerung von Produktion und Beschäftigung beiträgt, birgt sie Risiken. International operierende Finanzakteure betrachten die Länder der EG offenbar schon jetzt, vor der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion, mehr und mehr als einen einheitlichen Währungsraum. Innerhalb eines solchen Währungsraums fließt das Kapital gleichsam automatisch von einer Region zur anderen. Hier zählt nur die Bonität der einzelnen Wirtschaftseinheit und nicht die der Region, die nur indirekt die einzelwirtschaftliche Bonität beeinflußt. Ein entscheidender Unterschied zwischen der EG, die erst auf dem Wege zu einer Wirtschafts- und Währungsunion ist, und einem einheitlichen Währungsraum besteht in den individuellen wirtschaftspolitischen Strategien, die in den einzelnen Mitgliedstaaten der EG verfolgt werden können und auch verfolgt werden. DafÜberhinaus unterscheidet sich zwischen den Mitgliedsländern der EG das Gefüge aus wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Verhaltensweisen, Normen und Institutionen. Folglich ist die nominale Konvergenz zwischen den EG-Staaten geringer als etwa zwischen den Staaten der USA. Nur die sieben ursprünglichen Mitglieder im engen Band des EWS haben eine relativ niedrige Inflationsrate von gegenwärtig um 3% und eine beachtliche nominale Konvergenz erreicht - die durchschnittliche Abweichung vom niedrigsten Wert betrug 1990 lediglich 0,4 Prozentpunkte. Die anderen 5 EG-Mitgliedstaaten weisen deutlich höhere Inflationsraten auf. Aufgrund der Marktzusammenhänge resultieren Spannungen aus der unterschiedlichen Ausrichtung der Wirtschaftspolitiken, die durch eine Weiterentwicklung der Zusammenarbeit vermieden werden sollten. III. Wirtschaftspolitische Risiken

Trotz seines großen positiven Beitrags zu einer harmonischen wirtschaftlichen Entwicklung in der EG erzeugt das EWS in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung und Funktionsweise auch Signale, die einer solchen Entwicklung entgegenwirken können.

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1. Stabilitäts- und konjunkturpolitische Risiken

Die unterschiedliche Entwicklung des allgemeinen Preisniveaus in den einzelnen EG-Ländern führt bei stabil gehaltenen nominalen Wechselkursen zu realen Auf- bzw. Abwertungen. Daraus folgt eine Veränderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die eine Verlagerung der Nachfrage zu den preisstabileren Ländern induziert. Falls dort Hochkonjunktur herrscht, wird die konjunkturelle Anspannung noch verschärft; gleichzeitig schwächt sich die Konjunktur im weniger preisstabilen Partnerland ab. Automatische Stabilisatoren oder auch eine bewußte konjunkturpolitische Einflußnahme werden daraufbin im preisstabileren Land auf eine Dämpfung hinwirken und im Inflationsland auf Expansion. Damit werden Reaktionen ausgelöst, die dem Ziel der Konvergenz entgegenwirken. Die Verlagerung der Nachfrage in das preisstabilere Land erzeugt mit der Konjunkturanregung gleichzeitig ein Stabilitätsproblem. Das Land mit der ohnehin größeren Preisstabilität erhält das Signal, seine Politik zu straffen, um den Kapitalabfluß zu drosseln, der den Wechselkurs unter Abwertungsdruck setzt, während dem Partnerland signalisiert wird, den Zufluß von Kapital und den damit einhergehenden Aufwertungsdruck durch eine Senkung seiner Zinsen zu bremsen. Die Ankerfunktion der preisstabileren Währungen und speziell der D-Mark wird aufgrund der ersten Reaktion zwar kurzfristig gestärkt, auf längere Sicht durch die anhaltenden inflationären Impulse jedoch geschwächt. Der in den Anfangsjahren des EWS wirksame Anpassungsdruck in Richtung auf Preisstabilität wird nun zum Teil durch den Zufluß von Kapital in die inflationierenden Hochzinsländern aufgehoben. 2. Strukturpolitische Risiken und Chancen

Neben den genannten Problemen, die relativ kurzfristig auftreten, ergeben sich auch strukturelle Impulse. Die beschriebene Funktionsweise des EWS läßt in den Hochzinsländern simultan außenwirtschaftliche Defizite und zu deren Finanzierung einen Zufluß von Kapital aus den Niedrigzinsländer entstehen. Dabei bleibt die Verwendung dieses Zustroms von Ressourcen apriori offen. Sie können im Hochzinsland nicht nur für Investitionen verwendet werden, sondern auch in den Konsum fließen bzw. in eine Kombination von beiden. Im folgenden werden die beiden extremen Fälle einer Verwendung des Nettozuflusses an Ressourcen betrachtet: die vollständige Investition auf der einen Seite und den völligen Konsum auf der anderen Seite. Sofern der Kapitalimport in die Investitionen fließt, wird das Produktionspotential im Hochzinsland vergrößert. Wenn das Arbeitsangebot ausreicht, können Produktion, Einkommen und Beschäftigung in diesem Land stärker steigen als es allein mit Hilfe heimischer Ressourcen möglich wäre. Da es sich bei den Hochzinsländern in der Regel auch um diejenigen handelt, die aufholen müssen, wird deren

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Aufholprozeß durch diesen Mechanismus unterstützt. Er setzt allerdings voraus, daß dieses Land von sich aus günstige Bedingungen für das Wirtschaftswachstum schafft. Das heißt, die Zinsen dürfen nicht nur inflationsbedingt höher sein als in den EG-Partnerländern, sondern sie müssen es auch sein, weil die erwartete Rendite der Investitionen höher ist. Die bei einer ausschließlich investiven Verwendung des Nettoressourcentransfers entstehenden außenwirtschaftlichen Beziehungsmuster dienen folglich dem wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der Gemeinschaft, d. h. sowohl der allgemeinen Verbesserung der Lebensverhältnisse als auch dem Abbau der regionalen Unterschiede. Dies ist nicht der Fall, wenn die außenwirtschaftlichen Defizite der Ausdehnung des Konsums dienen. Die vom EWS begünstigte Bildung und Finanzierung von außenwirtschaftlichen Defiziten in Hochzinsländern kann von einer inflationsfördernden Geld-, Finanz- und / oder Lohnpolitik ausgelöst werden, die für höhere nominale Zinsen sorgt, ohne daß die erwartete Rendite von Investitionen höher wäre. Davon wird vor allem ein Anstieg des staatlichen oder privaten Konsums verursacht. Auf Kosten eines steigenden außenwirtschaftlichen Defizits kann der Konsum freilich nur kurzfristig erhöht werden. Da das Kapital aus dem Ausland unter dieser Annahme nicht in erhöhte Investitionen geflossen ist, die für höheres Einkommen gesorgt hätten, führt die Bedienung der Auslandskredite auflängere Sicht zwangsläufig zu einem Nettoabfluß an Ressourcen und damit zu verminderten Konsumchancen. Im preisstabileren und im Regelfall reicheren Land wird das Wachstum durch die zusätzliche Nachfrage angeregt. An Stelle eines Aufholprozesses resultiert eine fortschreite!1de Peripherisierung der Länder mit Nachholbedarf und eine verstärkte Industrialisierung der begünstigten Staaten, wie jüngst Hajo Riese (1990) gezeigt hat. Dies wirkt der angestrebten Konvergenz und Kohäsion entgegen. Überdies wird die regionale Verteilung der wirtschaftlichen Aktivitäten in der Gemeinschaft negativ beeinflußt. Die Verdichtung der Aktivitäten in den Zentren verstärkt sich, und die damit einhergehenden Probleme verschärfen sich, während andere Räume vor einem wirtschaftlichen Niedergang geschützt werden müssen. IV. Wirtschaftspolitische Optionen 1. Flexibilisierung der Wechselkurse

Um die zu beobachtenden Paradoxien zu beseitigen, sind verschiedene wirtschafts- und währungspolitische Antworten denkbar. Dazu zählt grundsätzlich die Rückkehr zu einer häufigeren Anpassung der Leitkurse im EWS, das heißt zu einer wieder stärkeren Flexibilisierung der Wechselkurse. Dies bedeutete freilich auch einen Rückschritt gegenüber dem bereits erreichten hohen Grad an Integration. Dazu haben feste Wechselkurse beigetragen. Sie bieten eine sichere Kalkulationsgrundlage für wirtschaftliche Entscheidungen, fördern den

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wirtschaftlichen Austausch und die effiziente Ressourcenallokation. Deshalb passen zu einem derart integrierten Wirtschaftsraum feste Wechselkurse oder eine einheitliche Währung besser als flexible Wechselkurse. Im Grenzfall völlig flexibler Wechselkurse könnten nominale Divergenzen von den marktgesteuerten Wechselkursanpassungen aufgefangen werden. Trotz der intellektuellen Attraktivität dieses Ansatzes ist er durch die Ergebnisse seiner faktischen Anwendung als ungeeignet zur Lösung außenwirtschaftlicher Probleme diskreditiert worden. Für die Wechselkurse zwischen der EG und anderen Währungsräumen wird es wohl beim Floaten bleiben müssen, weil die Voraussetzungen für eine festere Bindung nicht gegeben sind. Solange die Wirtschaftspolitiken zwischen den Währungsräumen nicht wirksam koordiniert werden, ist eine Stabilität der Wechselkurse, wie sie innerhalb des EWS verwirklicht ist, nicht zu erreichen. Aber selbst bei einer wirksamen internationalen Koordination, wäre nicht garantiert, daß auch die auf den Devisenmärkten wirkenden Marktkräfte stabile Wechselkurse zuließen. 2. Verstärkte wirtschafts- und währungspolitische Koordinierung

Paradoxe Reaktionen entstehen im EWS im wesentlichen durch Unterschiede zwischen den nominalen Zinsen, die wiederum auf die unzureichende nominale Konvergenz zurückzuführen sind. Um diese zu erhöhen, liegt der bereits praktizierte Versuch nahe, die Wirtschaftspolitiken besser darauf abzustimmen. In erster Linie müssen die Inflationsraten in ein schmaleres Band gedrückt werden. Im Bereich der Wirtschaftspolitik existieren noch keine Mechanismen, mit denen ein gemeinschaftskonformes Verhalten definiert und durchgesetzt werden könnte. Es besteht folglich das Risiko, daß einzelne Länder den durch die stärkere Symmetrie gewonnenen außenwirtschaftlichen Spielraum nutzen, um außenwirtschaftliche Defizite durchzuhalten (statt sie zu dämpfen) oder sogar mit Hilfe einer überdurchschnittlich expansiv angelegten Wirtschaftspolitik Ressourcen an sich zu ziehen und im ungünstigen Fall den heimischen Konsum (kurzfristig) auszudehnen. Um angesichts der gezeigten latenten Schwächen des EWS keine Desintegration mit nachteiligen realwirtschaftlichen Folgen zu riskieren, müssen wirksamere Mechanismen der wirtschaftspolitischen Abstimmung institutionalisiert werden. Mit dem Eintritt in die erste Stufe des DelorPlans befinden sich die Mitgliedsländer der EG bereits am Anfang dieses Weges. Festere Wechselkurse und schließlich die Währungsunion erfordern zumindest den Gleichlauf der Preise in den beteiligten Ländern. Um dies zu erreichen, ist nicht nur eine abgestimmte Geldpolitik nötig, sondern es müssen alle Politikbereiche mit diesem Ziel kompatibel sein. Das heißt, auch die Fiskal- und die Lohnpolitik dürfen nicht diesem Ziel entgegenarbeiten. Der Übergang zu einer Union mit endgültig fixierten Wechselkursen oder einer einheitlichen

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Währung erfordert die Vereinbarkeit der makroökonomischen Entwicklung mit diesen Bedingungen. Während die Fiskalpolitik weitgehend von der Regierung und dem Parlament gesteuert werden können und deshalb leichter an die gemeinschaftlichen Erfordernisse anzupassen sind, ist dies bei der Lohnpolitik nicht der Fall. Die Lohnpolitik in der EG wird in recht unterschiedlichen Verfahren von den Tarifparteien mit mehr oder weniger großer Einflußnahme des Staates gestaltet. Die Entwicklung der Löhne spielt eine wichtige Rolle für die der Kosten und Preise in den einzelnen Mitgliedsländern. Ihre Anpassung an die Verhältnisse der Währungsunion erfordert in einigen Ländern nicht nur den politischen Willen, die Gemeinschaft zu einer Union weiterzuentwickeln, sondern darüber hinaus die Änderung von eingeübten Verhaltensweisen. Dieser Prozeß verlangt unter anderem Zeit. 3. Entmystijizierung des Europas der zwei Geschwindigkeiten

Der Vorschlag, auf dem Weg zur Währungsunion zunächst mit den Staaten voranzugehen, die bereits eine weitgehende Konvergenz erzielt haben, ist von Seiten der EG-Kommission "entmystifIziert" worden. Beim Treffen des Rates der Europäischen Finanzminister (ECOFIN) im Mai 1991 in Luxemburg, benutzte der Präsident der EG-Kommission, Jacques Delors, diesen Begriff, um darzulegen, wie dem unterschiedlichen Grad an Konvergenz beim Übergang zur Wirtschafts- und Währungsunion Rechnung getragen werden sollte. Wie bereits bei anderen Integrationsschritten zuvor, sollte auch bei diesem Übergang mit ausreichenden Fristen gearbeitet werden, damit einerseits alle Mitgliedsländer diesen Schritt gemeinsam unternehmen können, andererseits aber Anpassungsschocks vermieden werden. Anpassungsschocks an die künftige Währungsunion könnten beispielsweise entstehen, wenn die Lohnbildung traditionellen Prinzipien folgte und in einzelnen Ländern Lohnsteigerungen vereinbart würden, die nur mit einer höheren Inflationsrate kompatibel wären, als sie in der Union zugelassen wird. Dann nimmt die Wettbewerbsfähigkeit der betreffenden Region ab und die Marktkräfte sorgen für eine Anpassung an den makroökonomischen Rahmen der Union durch einen Rückgang des Absatzes, der Produktion und letztlich der Beschäftigung in dieser Region. Die Nachfrage verlagerte sich dann - wie erwähnt - zu preisstabileren Regionen. Wegen der damit verbundenen negativen Wirkungen sollte der Anpassungsprozeß vor dem Eintritt in die Union weit fortgeschritten sein, wenn auch die Konvergenz der Preise noch nicht vollkommen sein muß. In der Übergangsphase muß der Konvergenzdruck so stark sein, daß in den Ländern, die gegenwärtig noch erhebliche Inflationsprobleme haben, nicht nur die Geld- und Fiskalpolitik an die gemeinschaftlichen Ziele angepaßt, sondern auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lernprozesse abgeschlossen sind, die eine stabilitätskonforme Lohnpolitik erlauben.

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literatur Riese, Hajo (1990). Das Projekt "EG 1992". In: H.-P. Spahn (Hrsg.), Wirtschaftspolitische Strategien. Probleme ökonomischer Stabilität und Entwicklung in Industrieländem und der Europäischen Gemeinschaft (Studien' zur monetären Ökonomie, Band 7), Regensburg: Transfer, 1990, S.305-312.

Zweimal "Währungsunion" Anmerkungen zur deutschen und europäischen Währungspolitik*)

Von Kurt Nemitz, Bremen Die Analyse der Währungspolitik in der Bundesrepublik und in Europa kann zu Beginn der 90er Jahre von einem gemeinsamen Nenner ausgehen, der allerdings ein breites Spektrum verschiedener Fragestellungen berührt. Der vieldeutige Begriff Währungsunion liefert hierfür das oft gebrauchte Stichwort. I.

Wendet man sich zunächst der zur Jahresmitte 1990 hergestellten Währungsunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der damaligen Deutschen Demokratischen Republik zu, so wird deutlich, daß es sich hierbei um einen Vorgang von historischer Einmaligkeit handelte. Sie war vor allem ein wesentlicher Schritt zur schnellen politischen Vereinigung, die unter den zu dieser Zeit gegebenen weltpolitischen Konstellationen und angesichts der revolutionären Vorgänge sowie der herbeigesehnten Öffnung der vermauerten Grenzen kurzfristige Entscheidungen erforderlich machte. So verbietet sich eigentlich ein eingeengter partialanalytischer Ansatz. Nicht nur die Ökonomen sind gefragt, sondern vor allem auch die Politikwissenschaftler. Auch insoweit besteht dringender interdisziplinärer Diskussionsbedarf. Die bisherigen Erfahrungen mit der Währungsunion sollten es möglich machen, einige Ansatzpunkte für eine Bewertung der Entwicklungen im Prozeß der Systemumwandlung in den ostdeutschen Ländern herauszuarbeiten. Die auch mehr als zwei Jahre nach der Währungsreform noch dramatisch zu nennende Wirtschaftslage in dieser Region bildet den Hintergrund zu der Frage nach Leistungsfahigkeit und Relevanz der wirtschaftswissenschaftlichen Beratung. In welchem Licht steht die Wirtschaftswissenschaft da? Entsteht hier etwa, wie z. B. Hans Willgerodt befürchtet 1 , eine neue "Dolchstoßlegende"? Nun ergibt sich für eine angemessene Analyse und Bewertung des bisherigen deutschen Einigungsprozesses die Schwierigkeit, daß eine "Transformationstheorie" für den Übergang von einer sozialistischen Planwirtschaft zu einer nach *) Abgeschlossen am 10.1.1992 Willgerodt (1991)

1

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den Kriterien der sozialen Marktwirtschaft strukturierten Wirtschaft allenfalls in Ansätzen zur Verfügung steht. Angestoßen wurde die wissenschaftliche Behandlung des Themas vor allem von Institutionen, die im Schnittpunkt von Wissenschaft und Politik stehen, so z.B. vom Internationalen Währungsfonds 2 • Aber naturgemäß waren auch ausländische Notenbanken interessiert 3 . Was die Wirtschaftswissenschaft im engeren Sinne angeht, so beklagte demgegenüber die "Neue Zürcher Zeitung" in einem Bericht im Januar 1991, daß auf der Jahresveranstaltung der "Allied Social Science Association" noch selten so wenig Bezug auf aktuelle Entwicklungen genommen wurde, z. B. auf die wirtschaftspolitische Neuorientierung in Osteuropa. So hätten sich "die 7000 Ökonomen an den zweieinhalb Sitzungstagen wohl mehr mit innerdisziplinären Auseinandersetzungen als mit der Erklärung realwirtschaftlicher Vorgänge beschäftigt"4. Immerhin zeigt ein zusammenfassender Bericht über diese Tagung in dem Anfang Februar 1991 erschienenen "IMF Survey"S, daß diejenigen Seminare, die sich mit dem Transformationsproblem befaßt haben, durchaus einige Ergebnisse zutage brachten, die auch für eine währungspolitische Bewertung des deutschen Einigungsprozesses herangezogen werden können. Hierzu wäre z. B. der salomonische Grundsatz zu rechnen, daß zwar einerseits die Durchsetzung sozialer und politisch schwieriger Maßnahmen nicht im Sinne eines Gradualismus aufgeschoben werden sollte, daß die Maßnahmen aber andererseits auch nicht so schnell durchgeführt werden dürfen, daß sie den notwendigen institutionellen Veränderungen vorauseilen. Die Schwierigkeit liegt natürlich darin, diesen vernünftigen Grundsatz so zu operationalisieren, daß er in der praktischen Wirtschaftspolitik auch zur Anwendung kommen kann. Hier dürften, je mehr man darüber nachdenkt, allerdings die größten Probleme liegen. Auch bei einer auf die im engeren Sinne ökonomischen Aspekte begrenzten Betrachtungsweise lassen sich die möglichen Alternativen nur schwer abschließend bewerten. Dem zusammenfassenden Bericht ist z. B. zu entnehmen, daß Ronald I. McKinnon von der Stanford-Universität den ersten Schritt zu einer erfolgreichen Transformation darin sieht, zunächst ein Steuersystem und eine Steuerverwaltung vor einer umfassenden Privatisierung zu etablieren, die dem Staat die im Planwirtschaftssystem zufließenden Transfers der Staatsunternehmen entzieht. Im Gegensatz hierzu argumentiert Rüdiger Dornbusch vom MIT, die Regierung solle zuerst die Marktkräfte voll wirken lassen und dann entscheiden, ob und wo Beschränkungen anzubringen seien. Wenn die Reform nur zögerlich vorankomme, wäre mit Sicherheit ein Wirtschaftskollaps zu 2 3

4 5

LipschitzjMcDonald (1990) SargentjVelde (1990), S. 33ff. Neue Zürcher Zeitung vom 11.1.1991 DombuschjMcKinnon 1991 - vgl. auch McKinnon 1991

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erwarten, der das Marktwirtschaftsexperiment schon vor seinem Start diskreditieren würde. Allerdings kann man atlch umgekehrt argumentieren. Wie die bisherige Entwicklung gezeigt hat, ist die radikale Durchsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien, zumindest in kurzfristiger Betrachtung, keinesfalls eine Versicherung gegen schwerwiegende realwirtschaftliche Einbrüche. Der Hinweis auf das Ausmaß von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit in den ostdeutschen Ländern macht deutlich, welche Folgen auch hier zu beachten sind. An diese Folgen knüpft die Diskussion an, von der Hans Willgerodt befürchtet, sie könne sich zu einer Dolchstoßlegende entwickeln, "wonach eine ökonomisch unvernünftige, aber wahltaktisch ergiebige Politik den Bürgern in Ost und West vermeidbare Opfer zugemutet hätte .... War hier ökonomische Unvernunft ein Mittel rationaler Politik?" Etwas unklar bleibt in diesem Zusammenhang, wer hier gegen wen den Dolch führt. Wird der Dolchstoß von der Wissenschaft gegen die Politik geführt, "wenn die Ökonomen auch heute noch zu dem stehen, was sie vor einem Jahr für ökonomische Rationalität gehalten haben", wie das z.B. Lutz Hoffmann in einer Erwiderung zu dem Artikel von Willgerodt deutet?6 Oder ist es vielmehr umgekehrt, daß die Politik mit ihrem als irrational unterstellten ökonomischen Handeln und dessen Folgen eine Situation geschaffen hat, die der Wissenschaft als Niederlage zugerechnet wird? Wenn Willgerodt in diesem Zusammenhang argwöhnt, daß "volkswirtschaftlicher Sachverstand künftig als politisch wertlos beiseitegeschoben" werden könnte, Hoffmann demgegenüber den wirtschaftspolitischen Berater ermuntert, sich nicht vor diesem Beiseiteschieben zu fürchten, um nicht in die Rolle von Claqueuren schlüpfen zu müssen, dann zeigt sich ein wahrscheinlich vor allem in der Bundesrepublik zu registrierendes Problem der wirtschaftspolitischen Beratungstätigkeit. Mangels eines theoretischen Gesamtkonzepts für die Transformation - ein Sachverhalt, auf den Norbert Kloten verschiedentlich hingewiesen hae - wird das vorhandene Vakuum kurzerhand durch ideologisch geprägte theoretische und ordnungspolitische Idealvorstellungen aufgefüllt. Fügt man hinzu, daß eine Vielzahl von ökonomischen Modellen, zumal die puristischen, eine unendlich hohe Anpassungsgeschwindigkeit unterstellen, dann erklärt es sich auch aus dieser Sicht, daß die Intensität und Dauer des Anpassungsprozesses in den ostdeutschen Ländern von Anfang an tendenziell unterschätzt worden sind. In diesem Zusammenhang wird häufig auf den Erfolg der 1948er Währungsreform in der Bundesrepublik verwiesen. Dabei sind allerdings oft auch Fehleinschätzungen zu konstatieren, die sich bei einer verklärenden Rückschau allzu leicht einstellen. In einigen Punkten bestehen gravierende Unterschiede zu 6

7

Hoffmann (1991) Kloten (1991)

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damals. So gab es trotz aller Entflechtungsmaßnahmen etc. in vieler Hinsicht eine Kontinuität in der Eigentumsordnung. Dies gilt auch im Hinblick auf das Weiterbestehen der öffentlichen Administration. Zum anderen wurde 1948 der Wechsel auch keinesfalls mit solch umfassender Konsequenz vollzogen, wie sich das vielleicht im Rückblick bei oberflächlicher Betrachtungsweise darstellen mag. Bei genauem Hinsehen entdeckt z. B. Horst Friedrich Wünsche" verlorene Maßstäbe in der Ordnungspolitik" 8 • Er verweist in diesem Zusamml;1Jlhang darauf, daß Erhards Politik in einer "wohldosierten Liberalisierung zum Zeitpunkt der Währungsreform und mannigfachen, daran anschließenden Maßnahmen, die den vorherrschenden wirtschaftlichen Gegebenheiten exakt Rechnung trugen", bestand. Vor diesem Hintergrund erscheint die damalige Wirtschafts- und Währungsreform eher dem zu entsprechen, was unter Gradualismus des Transformationsprozesses verstanden wird. Für die jetzt eingetretene Lage in den östlichen Bundesländern folgt hieraus, daß - wollte man dieser These folgen - eine bewußt wirtschaftspolitisch gestaltende Transformation der aktuellen Aufgabenstellung eher angemessen wäre. Der Schock über den Zusammenbruch von Präferenz- und Produktionsstrukturen hat inzwischen folgerichtig zu einer Überprüfung der einzuschlagenden Strategien geführt. Am deutlichsten sichtbar wird dies an der Diskussion über die Aufgaben und Vorgehensweise der Treuhandanstalt. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, kann aus meiner Sicht gesagt werden, daß es hier nicht um Ausschließlichkeitslösungen - nur Privatisieren, nur Sanieren oder nur Schließen - gehen kann. Worum es gehen muß, ergibt sich aus einem vielfaltigen Spektrum ökonomischer, sozialer und politischer Gesichtspunkte. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß z. B. die Bewertung von Beschäftigungsgesellschaften und ähnlichen Einrichtungen sich mehr und mehr in Richtung auf eine pragmatische Einschätzung verändert. Die im engeren Sinne geld- und kreditpolitischen Aspekte des Transformationsprozesses ergeben sich aus den unmittelbaren und mittelbaren Folgen der Währungsunion selbst. Die technische Seite der Währungsumstellung, die sich nach Übernahme der Notenbanksouveränität in der ehemaligen DDR vollzog, ist - von einigen im Zahlungsverkehr aufgetretenen Problemen einmal abgesehen - erfolgreich absolviert worden. Die mittelbaren Folgen der Währungsunion für die Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank wirken sich vor allem auf die Geldmengensteuerung und die Zinsentwicklung aus. Die Umstellung der Bankguthaben in der DDR hatte naturgemäß unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe der Geldmenge im nun größeren Wirtschaftsgebiet. Von dem im Durchschnitt sich ergebenden Umstellungssatz wurden unter Berücksichtigung des zuwachsenden Produktionspotentials alles in allem keine zusätzlichen Inflationsprobleme erwartet. Allerdings wird die geldpolitische Würdigung des Aggregats M 3 gegenwärtig durch die 8

Wünsche (1990), S. 53ff.

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sich in den ostdeutschen Ländern vollziehenden Neustrukturierungen des Geldvermögens erschwert. Die Anpassung der Geldvermögensstruktur zeigt sich in einer starken Verlagerung zu längerfristigen Anlageformen, die nicht mehr in die Abgrenzung der Geldmenge M 3 fallen. Insoweit wird das aus der Umstellung der Geldvermögen sich ergebende Nachfragepotential allmählich abgebaut. Die Ungewissheit über die Beschäftigung und die zukünftigen Kosten des Wohnens dürften die Verbraucher in Ostdeutschland trotz des vorhandenen Nachholbedarfs tendenziell zu einem vorsichtigeren Konsumverhalten bewegen. Was die auch international wieder einmal im Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Debatte stehende Höhe des Zinsniveaus in der Bundesrepublik angeht, so liegt der Zusammenhang mit dem Einigungsprozeß, vermittelt über die Höhe der staatlichen Verschuldung, auf der Hand. Die hohe Neuverschuldung kennzeichnet im übrigen einen Tatbestand, der im Grunde genommen ein klassisches "deficit spending" darstellt. Anders als bei Keynes ist der Auslöser für diese Entwicklung allerdings nicht in endogenen Kräften zu sehen, sondern in dem plötzlichen Zusammenbruch der zuvor planwirtschaftlich gesteuerten Angebots- und Nachfragekonstellation. Im Ergebnis läuft dies jedoch auf das gleiche hinaus, womit die Relevanz des "deficit spending"-Konzepts insoweit dokumentiert wird - wenn auch in einem unter wirtschaftstheoretischen Gesichtspunkten eher ungewöhnlichen Zusammenhang. Ohne hier an die Debatte über Grenzen der Staatsverschuldung anknüpfen zu wollen, liegt aus der Sicht einer an der Stabilität orientierten Notenbank das Urteil nahe, daß - wie von der Bundesbank schon im Monatsbericht für Februar 1991 betont wird - "unter stabilitätspolitischen Gesichtspunkten ... solche Defizite nicht unproblematisch" sind. Die inzwischen eingebrachten Vorschläge zur Defizitbegrenzung umfassen ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die zeigen, daß diesem Gesichtspunkt ernsthaft Rechnung getragen werden soll. Vieles an - auch wirtschaftspolitischem - Vertrauensverlust wäre m. E. zu vermeiden gewesen, hätte die Regierung sich diesen Fragen frühzeitiger und mit mehr Betonung der Risiken gestellt. Vermutlich wäre, so z. B. Erhard Kantzenbach, "in der Begeisterung der sich abzeichnenden Wiedervereinigungsmöglichkeit vor einem Jahr ein solcher Solidaritätsbeitrag auf breite Zustimmung gestoßen". Er wäre auch konjunkturpolitisch unschädlich gewesen, "denn die Prognosen über die Wirtschaftsentwicklung in Ost- und Westdeutschland waren optimistisch und die Gewinne nicht zuletzt aufgrund des Nachfrageimpulses aus dem Osten mehr als befriedigend. Heute, bei deutlich schlechteren Weltkonjunkturaussichten, wirkt ein Steuerzuschlag möglicherweise dämpfend auf die Investitionsneigung 9 .

9

Kantzenbach (1991), S. 55

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Je länger im Zusammenhang mit der deutschen Einheit hohe Finanzierungsdefizite der öffentlichen Haushalte hinzunehmen sind, um so mehr müssen wir uns möglicherweise auf eine längere Periode relativ hoher Zinssätze in Europa einrichten. Dieser Zusammenhang zwischen dem deutschen Einigungsprozeß und der Entwicklung einer Wirtschafts- und Währungsunion in Europa scheint nicht an Bedeutung verloren zu haben. Soweit dieser Zusammenhang trägt, läge es auch im Interesse des europäischen Eirrigungsprozesses, das im Zinsniveau zum Ausdruck kommende "burden sharing" in Europa durch eine zielstrebige Defizitreduzierung soweit wie möglich zu minimieren. Die Debatte über das Zinsniveau weist auch auf die Grenzen einer monetären Politik zur Gestaltung des realen Wirtschaftsablaufs hin. Geht es aus der internationalen Sicht eher um ein Konjunkturphänomen - die schwache Investitionstätigkeit, z. B. in den angelsächsischen Ländern, ist ein Indiz hierfür -, so dürfte es sich in der Bundesrepublik eher um ein fundamentaleres Problem handeln. Immerhin: das hohe Zinsniveau bringt auch hier die Tatsache eines hohen Kapitalbedarfs zum Ausdruck. Wenn in diesem Punkt kritisiert wird, die in den Osten transferierten Beträge würden überwiegend konsumtiv verwendet, so ist darauf zu verweisen, daß sich bei den gegebenen Umständen die Sicherung der sozialen Stabilität auf die Dauer als wichtiger Produktionsfaktor erweist. Der Auftrag der Bundesbank liegt naturgemäß vor allen Dingen darin, die Stabilität der Währung auch in dem größeren Wirtschaftsraum der Bundesrepublik zu sichern. Sofern sich in den ostdeutschen Ländern aus der notwendigen Strukturanpassung der relativen Preise per saldo ein stärker steigendes Preisniveau als in Westdeutschland ergibt, so ist dies allerdings geldpolitisch differenziert zu bewerten. Auch hier käme es, wie zuvor bei der Frage der Strukturanpassung, auf eine bewußte Ausgestaltung der Neustrukturierung bei den relativen Preisen an, z. B. in der Frage der Miethöhe und der Mietnebenkosten. Überblickt man die Debatte über den Anpassungsprozeß seit dem Beginn der deutschen Währungsunion, so ist u. a. ein Ergebnis darin zu sehen, daß die bisherige Entwicklung selbst einen Lernprozeß ausgelöst hat: Hohe und weitgesteckte Erwartungen mußten nach und nach revidiert werden. Inzwischen ist man auf dem Wege zu einer realistischeren Beurteilungsbasis. 11.

Die deutsche Vereinigung ist eingebettet in einen parallelen Integrationsprozeß auf europäischer Ebene. Dies führt naturgemäß zu der Frage nach etwaigen Gemeinsamkeiten, aber auch den Unterschieden beider Entwicklungen. Was können wir aus der im Zuge des deutschen Einigungsprozesses gemachten Erfahrung im Hinblick auf die Errichtung einer Europäischen Währungsunion lernen? Betrachtet man diese Frage zunächst aus einem politischen Blickwinkel, so werden auch hier gravierende Unterschiede deutlich. Über die Einführung der

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D-Mark in der DDR mußte unter einem hohen Zeitdruck, ausgelöst durch die Öffnung der Grenzen, entschieden werden, ohne daß eine sorgfältige, die verschiedenen Aspekte abwägende Analyse von Kosten und Nutzen eventueller Alternativen vorlag. Exemplarisch zeigt sich dies am Sondergutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Januar 1990, das noch nicht einmal die Möglichkeit einer Währungsunion in Betracht zog. 9. Insofern ist die Ausgangssituation auf der europäischen Ebene sicherlich günstiger, da noch einige Zeit zur Verfügung steht, um die Übergangphasen zweckmäßig zu strukturieren. Daraus folgt aber auch, daß der rein ökonomischen, effizienzorientierten Betrachtungsweise eine größere Bedeutung zuwächst, da beispielsweise die Bereitschaft, größere Kosten zu tragen, auf internationaler Ebene doch eher begrenzt sein dürfte. Die anders geartete zeitliche Komponente ist auch für den Anpassungsprozeß von entscheidender Bedeutung. Der Weg hin zum europäischen Binnenmarkt ist zeitlich gestreckt und vorhersehbar und ermöglicht es daher den Unternehmen, vorbereitende Maßnahmen durchzuführen. Wie der sogenannte Cecchini-Bericht der EG-Kommission lO ausführt, wird dies in den mehr industrialisierten Ländern der EG zu verstärkten Kooperationsbemühungen, Übernahmen etc. führen, die eine stärkere Europäisierung der Unternehmen bewirken. Dies erscheint unverzichtbar, um den Herausforderungen des größeren, einheitlichen Marktes gerecht zu werden. Demgegenüber dürfte es schwieriger sein, die Entwicklungsrichtung für die weniger industrialisierten, meist südlicher gelegenen Länder zu bestimmen. Deren Alternative besteht in einer stärkeren Spezialisierung (ganz im Sinne des Ausnutzens komparartiver Kostenvorteile) oder aber darin, Anstrengungen zu unternehmen, um die industrielle Struktur an die der höher technisierten Länder anzupassen. Der Erfolg des europäischen Einigungsprozesses wird wesentlich davon abhängen, ob für eine "gerechte soziale und regionale Streuung der Erträge der Marktintegration" 11 gesorgt wird. Ohnehin muß sich erst erweisen, ob allein die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes - wie in dem Cecchini-Bericht ausgeführt - zu einem Niveauanstieg des europäischen Brutto-Inlandsprodukt um 4-7% führt. Der Realismus dieser Zahlen hängt sicherlich vom Verlauf des Umstellungsprozesses ab. Aus der deutschen Währungsunion läßt sich jedenfalls lernen, daß solche Entwicklungen sich über längere Zeiträume erstrecken und auch eine erhebliche finanzielle Absicherung erfordern. Dabei muß nicht nur auf die kurzfristige soziale Verträglichkeit geachtet, sondern auch verhindert werden, daß es neben der unvermeidlicherweise auftretenden friktionellen Unterbeschäftigung nicht zu einem dauerhaften Anstieg der Arbeitslosenrate kommt. 9. 10 11

Sachverständigenrat (1990), S. 276-305. Cecchini (1988) Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1990a)

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Diesbezügliche Bedenken, in den stärker industrialisierten Ländern der EG mit dem Reizwort "Sozialdumping" bedacht und in den änneren Regionen unter dem Begriff "Peripherisierung" subsumiert, erscheinen angesichts der aus dem deutschen Einigungsprozeß gewonnenen Erfahrungen nicht abwegig zu sein. Dabei dürfte es aus der Sicht der sogenannten peripheren, d. h. weniger industrialisierten Länder darum gehen, wie bei Abbau der Mobilitätsschranken eine durch Lohndifferentiale induzierte Abwanderung der Arbeitskräfte in die Ballungsräume zu verhindern ist. Angesichts der voraussehbaren Schwierigkeiten, ausreichende Mittel für die europäischen Strukturfonds aufzubringen, sollten allerdings die Möglichkeiten regionaler Strukturpolitik nicht überschätzt . werden. Dieses Problem kann sich verschärfen, worauf Hajo Riese und· Waltraud Schelkle 12 hinweisen, da zwar Freizügigkeit hinsichtlich der Abwan~ derung ennöglicht wird, gleichzeitig aber damit eine Garantie auf Arbeit in den· "Metropolen" nicht gegeben werden kann. Diese, in den rein efflZienzorientierten Diskussionen nur am Rande erörterten Problemfelder bedürfen sicherlich einer sorgfältigen Analyse und machen deutlich, daß eine institutionelle Einbindung der Regionen in den europäischen Einigungsprozeß notwendig ist. Den aus notenbankpolitischer Sicht entscheidenden Schritt der europäischen Integration stellt die angestrebte Europäische Währungsunion (EWU) dar. Die Bundesbank ist in dieser Diskussion aufgrund ihrer Unabhängigkeit und des Erfolgs ihrer Politik in besonderem Maße Betroffene. Schließlich geht es in der Endstufe darum, die ihr für Deutschland übertragenden Pflichten und Aufgaben durch eine europäische Instanz wahrnehmen zu lassen, so daß eine eigenständige nationale Geldpolitik nicht mehr möglich sein wird. Der Zentralbankrat hat deshalb Wert darauf gelegt, seine Auffassungen in zwei Stellungnahmen zu veröffentlichen. Die erste ist im Monatsbericht vom Oktober 1990 abgdruckt. Die Bundesbank hat darin erläutert, welche Ansprüche ein europäisches Zentralbanksystem ihres Erachtens erfüllen muß, damit eine einheitliche und verbindliche Geldpolitik in der EG betrieben werden kann, und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, ehe die Währungsunion in ihre Endstufe eintreten kann. Eine europäische Währungsbehörde sollte vorrangig dem Ziel der Geldwertstabilität verpflichtet und vor allem von Weisungen anderer Stellen unabhängig sein. Eine weitere Stellungnahme hat der Zentralbankrat am 7. November 1991, im Vorfeld des EG-Gipfels, beschlossen und der Bundesregierung übennittelt. Darin hat er sich mit dem seinerzeit vorliegenden Entwurf der EG-Präsidentschaft für einen Vertrag über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) befaßt. In den ersten vorliegenden öffentlichen Würdigungen der Ergebnisse von Maastricht ist unterstrichen worden, daß sich die Beschlüsse - gemessen an ursprünglichen Intentionen - zwar in einigen Punkten substantiell an die zu 12

Riese (1990) und Schelkle (1990)

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stellenden Anforderungen angenähert hätten. Dies gilt zum Beispiel für die Verpflichtung der Europäischen Notenbank auf die Zielvorgabe der Preisstabilität und das Erfordernis der Unabhängigkeit von Weisungen der Regierungen. Gleichwohl wird auf einige noch nicht geklärte Punkte hingewiesen. Zum einen geht es um die Ausgestaltung des für die zweite Stufe vorgesehenen Europäischen Währungsinstituts (EWI). Durch dessen Aktivitäten dürfen keine "Grauzonen" bei der Zuständigkeit für die Geldpolitik entstehen. Weiterhin stehen eine Präzisierung der Konvergenzkriterien und die Beschlußverfahren für den Übergang in die dritte Stufe zur Debatte. Auch die Festlegung fester Termine für den Übergang in die dritte Stufe zum 1.1.1997, spätestens zum 1.1.1999, läßt - was die zwingenden ökonomischen Voraussetzungen für das Funktionieren des Währungssystems anbetrifft erhebliche Befürchtungen aufkommen. Mit diesem Terminplan, der vor allem die Irreversibilität des Prozesses dokumentieren soll, stellt sich in den kommenden Jahren mehr denn je die Aufgabe, die Wirtschaftspolitik, die Fiskalpolitik und die wirtschaftliche Entwicklung in den Staaten der EG in ausreichendem Maße einander anzunähern. Ob und inwieweit dies tatsächlich gelingt, ist eine offene Frage. Die Risiken dürfen nicht unterschätzt werden. Entscheidend ist es vor allem, den wirtschaftlichen und politischen Zusammenschluß als Einheit zu sehen. Eine Währungsunion in Europa kann nur dann erfolgversprechend verwirklicht werden, wenn zugleich der Wille zu einem engeren politischen Zusammenschluß besteht. Dieser müßte sich u. a. darin zeigen, daß dem europäischen Parlament wesentlich mehr Kompetenzen als bisher eingeräumt werden. Eine Währungsunion stellt nun einmal die Verlagerung von Souveränitätsrechten auf Gemeinschaftsorgane dar. Man kann sich aber schwer vorstellen, wie sie gut funktionieren soll, ohne daß auch in anderen Bereichen der Politik Gemeinschaftsinteressen Vorrang vor nationalen Interessen erhalten. Ein europäisches Zentralbanksystem, das ständig versuchen müßte, z. B. eine unkoordinierte Haushaltspolitik der Mitgliedsländer durch geldpolitische Maßnahmen zu kompensieren, wäre sicherlich ü~rfordert. Deshalb ist es entscheidend, daß die in Maastricht definierten Kriterien für eine solide Haushaltspolitik, die übermäßige Defizite vermeidet, auch entsprechend effektiv werden. Leider lassen die Beschlüsse zur Politischen Union viele Wünsche offen. Das vorher betonte Junktim zwischen Politischer Union einerseits und Wirtschafts- und Währungsunion andererseits scheint bis zur Unkenntlichkeit gelockert worden zu sein. Hier muß die Politik in den kommenden Jahren "Nachbesserungen" anvisieren. Wesentlich für eine erfolgreiche gemeinsame Geldpolitik in der EG ist vor allem auch die Akzeptanz dieser Politik in der Bevölkerung. Der Bundesbank wurde ihre Stabilitätspolitik in den vergangenen Jahrzehnten nicht zuletzt dadurch erleichtert, daß die durch historische Erfahrungen bei zwei fast vollständigen Geldentwertungen neuralgisch reagierende Bevölkerung auf 24 Festschrift Riese

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stabiles Geld besonders großen Wert legt. Diese Tatsache ist natürlich allen politischen Kräften sehr bewußt. In diesem Zusammenhang sind Überlegungen interessant, die der frühere Vorsitzende des "Federal Reserve Board", Paul Volcker, vor einiger Zeit im "Wall Street Journal" veröffentlicht hat. Er spricht sich dezidiert dafür aus, in den Statuten der Zentralbanken - wie bei der Bundesbank - als vordringliche Aufgabe der Geldpolitik die Währungsstabilität festzulegen. Und er macht vor allem darauf aufmerksam, daß eine Zentralbank in einer offenen, demokratischen Gesellschaft ihre Politik in einem breiten Rahmen einer allgemeinen öffentlichen Akzeptanz entwickeln sollte. Dieses Konzept hat angesichts der bisher unterschiedlichen Auffassungen zur Geldwertstabilität in den europäischen Ländern für ein künftiges europäisches Zentralbanksystem besondere Bedeutung. Will man ein solches Klima einer allgemeinen Akzeptanz für eine europäische Währungsunion fördern, bedarf es allerdings in weit größerem Umfang als bisher vor allem einer sorgfältigen Abwägung des damit verbundenen Nutzens, aber auch der möglicherweise entstehenden Risiken bzw. Kosten. Verfolgt man die aktuelle Diskussion zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU), so ist es einigermaßen verwunderlich, wie selten die Vor- und Nachteile des zu etablierenden einheitlichen Währungsraumes im einzelnen thematisiert werden. Der RatiflZierungsprozeß in den jeweiligen nationalen Parlamenten wird in diesen Fragen vermutlich beträchtlichen Nachholbedarf an öffentlicher Erörterung aufdecken. Über die Problematik solcher Diskussionen muß man sich allerdings im klaren sein. Denn eine quantitative Abwägung von Nutzen und Kosten der EWWU steht vor der besonderen Schwierigkeit, daß es nicht genügt, die unmittelbaren Effekte, z. B. des Wegfalls von Umrechnungen und Umtausch der Währungen, abzuschätzen. Besondere Berücksichtigung müssen auch die aus dem Verlust an Souveränität, aber auch dem Zugewinn an Solidarität, resultierenden Einflüsse auf die "performance" der nationalen Politiken und deren Rückwirkung auf die Gesamtwirtschaft finden. Geht man von den Primäreffekten aus, so ergibt sich als direkte Konsequenz aus einer Währungsunion naturgemäß der Wegfall von Wechselkursen. Dies hat zwei unmittelbare Auswirkungen. Wechselkursschwankungen, die derzeit innerhalb des EWS 0,7% im Monatsdurchschnitt ausmachen, werden vollständig eliminiert. Damit werden Kurssicherungsgeschäfte überflüssig, und bei ausländischen Investitionen entfällt die geforderte Risikoprämie auf die Verzinsung. Wie aus einer neueren Studie der EG-Kommission 13 hervorgeht, soll eine Reduktion der erforderlichen Mindestverzinsung für Investitionen um 0,5%Punkte eine langfristige Erhöhung des Bruttosozialprodukts von 5% erbringen.

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Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1990b)

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Mit dem Wegfall von Wechselkursen entfällt auch die Notwendigkeit des Umtauschs nationaler Währungen. Diese sowohl für kleinere Transaktionen im Reiseverkehr als auch beim Überweisungsverkehr nicht unbedeutenden Kosten addieren sich zu immerhin 0,5% des BSP, d. h. zwischen 30 und 40 Mrd. pro Jahr. Sollte es gelingen, ganz Europa - so z. B. ein anderes Modell- in eine Zone der Preisniveaustabilität zu transformieren, brächte dies z. B. eine Effizienzsteigerung für die jetzigen Weichwährungsländer aufgrund der verbesserten Allokation von Ressourcen mit sich. Einen wesentlichen Garanten dafür stellt die Etablierung einer unabhängigen europäischen Zentralbank dar, der eine direkte Finanzierung staatlicher Defizite explizit untersagt sein müßte. Dies allein genügt jedoch nicht. Die seit Jahrzehnten diskutierte wirtschaftpolitische Problematik liegt auch für Europa darin, daß das Ziel der Preisstabilität nicht mit unerträglich hohen sozialen Kosten infolge von überhöhter Arbeitslosigkeit verbunden sein sollte. Neben einer stabilitätsorientierten Geldpolitik werden also auch in Zukunft Fragen der Fiskal- und Lohnpolitik im Mittelpunkt wirtschaftspolitischer Diskussionen stehen. So zeigt es sich, daß - alles in allem - mit der Etablierung der EWWU durchaus beachtliche Einkommensgewinne verbunden sein können. Allerdings dürften diese Gewinne erst dann wirklich realisiert werden, wenn die Umsetzung einer europäischen Wirtschaftspolitik gewährleistet ist. Insofern scheint ein gesamteuropäischer Konsens über die grundsätzliche Ausrichtung der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik unerläßliche Voraussetzung zu sein, um die Integrationsgewinne tatsächlich zu realisieren. Durch den Wegfall des Wechselkurses als Anpassungsinstrument stellt sich allerdings auch die Frage nach alternativen Mechanismen, die eine Ausgleichsfunktion übernehmen. Damit verbunden ist die Frage eines optimalen europäischen Währungsraumes, wie sie allgemein analytisch schon in den 60er Jahren von Robert Mundell 14 behandelt wurde. Folgt man diesem Ansatz, dann würde sich ein optimales Währungsgebiet durch eine hohe Mobilität der Produktionsfaktoren auszeichnen, welche im Falle asymmetrischer Nachfrageverschiebungen für die notwendige Produktionsanpassung unter Vermeidung von Arbeitslosigkeit sorgen würde. Ob in Europa diese Voraussetzungen schon jetzt gegeben sind, muß sich erweisen. Als alternatives Anpassungsinstrument wäre, worauf Martin Feldstein 15 im Hinblick auf die USA hingewiesen hat, eine möglichst rasche Etablierung eines zentralen Steuersystems anzuvisieren, was im Falle divergierender Konjunkturen einen automatischen Ausgleich schaffen könnte. Ob auf absehbare Zeit so 14

15

24*

Mundell (1961), S. 657 -665 Feldstein (1991), S. 11-17

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Kurt Nemitz

weitgehende Souveränitätsverzichte akzeptiert werden, ist noch völlig offen. All dies läßt naturgemäß die Frage aufkommen, wie auch P. Lukas Menkhoffund Friedrich L. Sell 16 ausführen, ob anstelle großer Lösungen nicht eher ein Übergang in mehreren Stufen vorzuziehen sei. Die Ernsthaftigkeit des Willens aller Beteiligten, sich den Pflichten einer Währungsunion zu unterwerfen, muß sich dann erweisen, wenn es um die Realisierung der inzwischen gefaßten Beschlüsse geht. Man muß sich darüber völlig klar sein, daß eine einheitliche europäische Währung eine Situation schafft, die sich nicht wieder rückgänggig machen läßt. Feste Wechselkurse, die man sich in einer Vorstufe vorstellen könnte, bleiben immer noch revidierbar, selbst wenn man sie noch so "endgültig" beschließen würde. Tragen aber erst einmal alle Europäer die gleichen Banknoten in ihren Brieftaschen, dann kann sich kein Mitgliedsland mehr den zwangsläufigen Auswirkungen entziehen~ die von örtlichen oder regionalen Fehlentwicklungen ausgehen. Die politische Tragweite eines solchen Scenarios liegt auf der Hand. Ob und inwieweit die dritte Phase der Währungsunion mit allen ihren Konsequenzen auch im Bewußtsein der Bevölkerung aller beteiligten Länder ausreichend verankert und akzeptiert werden kann, wird die Zukunft erweisen. Hier liegt in den nächsten Jahren eine große Aufgabe der Politik. Literatur Cecchini, D. (1988), Europa '92: Der Vorteil des Binnenmarkts, Brüssel.

Deutsche Bundesbank (1990,1991), Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Oktober (Jg. 42, Nr. 10) und Februar (Jg. 43, Nr. 2). Dornbusch, R. und McKinnon, R. I. (1991), Zum Transformationsproblem in Osteuropa. Zusammenfassung in: IMF Survey vom 4. 2. (Jg.20, Nr. 3). Feldstein, M. (1991) "Wirtschaftliche und politische Aspekte der EWWU", in: Deutsche Bundesbankj Auszüge aus Presseartikeln, Nr.6 vom 23.1. Hoffmann, L. (1991), Erwiderung auf H. Willgerodt, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. 4 .. Kantzenbach, E. (1991), "Für eine konzertierte Aktion", in: Wirtschaftsdienst, Jg. 71. Kloten N. (1991), "Transformation einer zentralverwalteten Wirtschaft in eine Marktwirt schaft. Die Erfahrungen mit der DDR", in: Deutsche Bundesbankj Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 1 vom 4.1.

Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1990a), Soziales Europa, Sondernummer, Brüssel. Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1990b), Ein Markt - eine Währung, Brüssel.

16

MenkhofTjSeli (1991), S. 577-580

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Lipschifz, L. und D. McDonald (1990), (Hrsg.), German Unification: Economic Issues, IMF-Occasional Paper Nr. 75, Washington, D.C. McKinnon, R.I. (1991), "Financial Control in the Transition from Classical Socialism to a Market Economy", in:J~Urnal of Economic Perspectives, Jg. 5, Nr.4. Menkhoff, L. und F.L. Seil (1991), "Optimaler Währungsraum", Wirtschaftswissenschaftliches Studium. Mundell, R.A. (1961), "A Theory of Optimum Currency Areas", American Economic Review, J g. 51. Riese, H. (1990), "Das Projekt ,EG 1992"', in: Spahn, H.-P. (Hrsg.), Wirtschaftspolitische Strategien, Regensburg. Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung (1990), Sondergutachten vom 20. Januar 1990: "Zur Unterstützung der Wirtschaftsreform in der DDR: Voraussetzungen und Möglichkeiten", in: ders., Jahresgutachten 1990/91, Bundestags-Drucksache 11 18472 vom 13. 11. 1990 Sargent, T.J. und F .R. Velde (1990) "The Analytics of German Monetary U nification" , in: Economic Review 1Federal Reserve Bank of San Francisco, Herbst, Nr.4. Schelkle, W. (1990), "Peripherisierung in Binnen- und Weltmarkt", in: Spahn, H.-P. (Hrsg.), Wirtschaftspolitische Strategien, Regensburg. Willgerodt, H. (1991), "Gegen eine Dolchstoßlegende", Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.4. Wünsche, H. F. (1990), Verlorene Maßstäbe in der Ordnungspolitik, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Jg. 35.

Die Treuhandanstalt - ein spekulativer Rückblick Von Frank-Christian Hansel und Thomas Schmid-Schönbein, Berlin Nach der Eingliederung der mit dem Vertragscontrolling beauftragten Kaufmännischen Direktorate der Treuhandanstalt in die Bundesvermögensverwaltung einerseits und der Übergabe ihrer Liegenschaften an die jeweiligen Finanzverwaltungen der Neuen Länder andererseits konnte die Treuhandanstalt ihre Aufgabe zum zweiten Quartal 1993 für beendet erklären. Bis auf einen Restbestand von etwa 50 größeren Unternehmen mit etwa 150000 Arbeitnehmern und einer Fülle von Vorgängen, die aus Gründen ungeklärter Rechtsverhältnisse nicht abgeschlossen werden konnten, wurden alle Unternehmen und Betriebsteile verkauft. Eine erste kurze Bewertung ihrer nicht einmal dreijährigen Geschichte wurde im Herbst 1991 versucht. Die Geschichte der Treuhandanstalt (THA) läßt sich nach folgenden Etappen überschreiben: Liquiditätssicherung, nachfrageorientierte Privatisierung und angebotsorientierte Privatisierung. Während die erste Phase mit der Einführung harten Geldes im Zuge der Währungsunion und der Wahrnehmung ihrer Folgen im Herbst 1990 endete, dauerte die nachfrageorientierte Etappe der Privatisierung etwa 1 1 /4 Jahre. Die angebotsorientierte Privatisierung war die bedeutendste, insoweit in ihr tatsächlich mehr als die Hälfte aller "assets" der THA in etwa 1 1/2 Jahren freigesetzt wurden. Der Perspektivenwechsel der Treuhandanstalt im Rahmen der Privatisierungsarbeit in Richtung auf eine Angebotsorientierung vollzog sich allmählich, ohne zunächst als klare Änderung der Strategie explizit gemacht worden zu sein. I. Zur Vorgeschichte der Treuhandanstalt

Die Geschichte der Treuhandanstalt begann ursächlich mit dem Zusammenbruch der SED-Staatsherrschaft in Folge der Öffnung der Grenzen Ungarns für die Bürger des deutschen ,Arbeiter- und Bauernstaates' . Mit der Öffnung brach jener implizite Gesellschaftsvertrag zusammen, durch den die Bürger der DDR ein gesichertes und darum bescheidenes Einkommen gegen ihre Entmündigung eintauschten. Ein solcher Vertrag konnte nur solange halten, wie diejenigen, die außerhalb der Mitarbeit in der Partei- und Staatsführung ihr Leben bewegend gestalten wollten, dem Staat nicht einfach den Rücken kehren konnten. Der Kollektivvertrag schien gegen individuelles ,unternehmerisches' Handeln immun und brach

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zusammen, als er sich für immer mehr Leute immer weniger lohnte und der Weg zum Ausstieg nicht länger blockiert war. Der Vertrag lohnte sich nicht mehr, weil die Dividenden aus ihm spätestens seit 1982 nicht mehr verdient wurden und massiv zu Lasten des Maschinen-, Boden- und Humankapitals gingen. Die Abschreibungen wurden nicht mehr verdient. Der Staat DDR war pleite, die Flüchtlinge erzwangen die Anmeldung zum Konkurs - oder anders: der Sozialismus als Versuch, die Kontingenzen eines Marktes mit individuell agierenden Teilnehmern zu überwinden, und existentielle Sicherheit mit der Durchplanung allen Lebens erreichen zu wollen, implodierte. Doch den Preis der individuellen Freiheit, die existentielle Unsicherheit zu zahlen, waren noch immer viele Menschen nicht bereit. Daß existentielle Sicherheit und gesellschaftliche Stagnation in einem weiten Bereich zusammengehören, war die bittere Erkenntnis, mit der sich diejenigen schwer taten, die nicht einsehen konnten, daß die Kontingenzen einer unsicheren Welt nicht gegen Geld und Markt, sondern nur mit ihnen zu bewältigen sind 1. Die real existierende Alternative zum kollektiven Sicherheitsvertrag eines sozialistischen Feudalismus wurde trotz allem schnell geschichtsmächtig: die bürgerliche (Privat-) Eigentumsordnung. Sie ist im Grunde nicht nur gegen individuelles Handeln immun, sondern fördert die soziale Wohlfabit - wie mindestens seit dem 18. Jahrhundert bekannt war. Mit dem Fall der Mauer wuchs das Ahnen - auch bei den Mitgliedern der Kaderkaste -, daß das, was ,Volkseigentum' genannt wurde, in eine bürgerliche Eigentumsordnung überführt werden mußte. Der erste Schritt bestand in der Übertragung der Leerstelle ,Volkseigentum' in zu bewertendes Staatseigentum. Die Kombinate und Betriebe wurden in selbständige Kapitalgesellschaften (GmbH's und AG's) umgewandelt und Eigentumsrechte geschaffen, die der treuhänderischen Verwaltung der Zentrale überantwortet wurden 2. Damit waren die Minimalia einer Eigentumsordnung etabliert. Offen blieb, wie die Eigentumsrechte wahrgenommen und / oder in private Hände überführt werden sollten. 11. Liquiditätssicherung

Mit der Währungsunion wurde auf einen Schlag sichtbar, daß die LeistungsHihigkeit der DDR-Wirtschaft weit unter den Erwartungen lag. Unzweideutig wurde erkennbar, daß Vgl. Gunnar Heinsohn/Otto Steiger (1981). Verordnung vom 1. März 1990 zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften (GBI. 1990 I Nr. 14, S. 107) und Beschluß des Ministerrats vom 1. März 1990 zur Gründung der Anstalt zur treuhänderisehen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt), ebda. 1

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die meisten Produkte schlicht unverkäuflich waren (Konsumelektrik und -elektronik), auch solche Produkte, die auf dem Weltmarkt verkauft werden konnten, ein völlig neues Produktdesign benötigten (Maschinenbau), in keinem Unternehmen weder Vertriebsorganisation noch Vertriebswege vorhanden waren - von einem marktorientierten Finanz- und Rechnungswesen ganz abgesehen - und bei Anwendung einer Vollkostenkalkulation die Produkte im Durchschnitt drei- bis viermal teurer waren als der Preisspiegel des Weltmarktes 3 • Die Einführung der Deutschen Mark mußte unter den Bedingungen der Umstellung der weichen Budgetrestriktion auf eine ,hard budget constraint'4 in eine Liquiditätskrise führen. Sie wäre auch dann nicht zu verhindern gewesen,. wenn die in Kapitalgesellschaften umgewandelten Betriebe über ihre wertvollen': Vermögensteile (Grund und Boden) zum Zwecke einer Kreditsicherung hätten·' verfügen können und sie nicht auf Grund der per Gesetz erzwungenen Übernahme der Altkredite so oder so überschuldet gewesen wären. Die Liquiditätskrise war unausweichlich Ausdruck des Zusammenbruchs der Verkäufermärkte der Unternehmen, die den Übergang der Ökonomie auf Käufermärkte im Rahmen einer monetär zu organisierenden Produktion eigenständig nicht bewältigen konnten. Die Treuhandanstalt mußte als treuhänderischer Eigentümer die Unternehmen vor den Folgen einer über Nacht erzwungenen harten Budgetrestriktion mit einer ad -hoc-Hilfe von etwa 15 Mrd. DM globaler Liquiditätsbürgschaften retten und fungierte in diesem Sinne als ,lender of last resort' der ostdeutschen Wirtschafts. III. Die nacbfrageorientierte Privatisierung Mit der Notwendigkeit der Liquiditätssicherung, die flächendeckende Firmenzusammenbrüche verhinderte, wurde auch offenbar, daß die Sanierungsaufgabe von der Treuhandanstalt nicht unmittelbar und aus eigener Kraft wahrgenommen werden konnte. Ihre originäre Aufgabe konnte nur sein, bei Strafe des Untergangs der Unternehmen diesen Märkte zu beschaffen. Diesem Auftrag kam die Treuhandanstalt in der Regel über den Kauf von Märkten für ihre Unternehmen nach. Das Einkaufen der Märkte bedeutete den Verkauf der Unternehmen. Diese Transformationspolitik der Treuhandanstalt wurde offiziell mit dem Motto ,Privatisierung der Sanierung' überschrieben. Dieses Ziel bestimmte ab September 1990 das Handeln der THA nach innen und nach außen. Siehe Thomas Schmid-Schönbein (1991). Siehe die Diskussion um J. Komais Konzept bei Bemd Hofman / Michael J. Koop (1991); vgl. Hans-Jörg Herr / Andreas Westphal (1991). S Siehe Frank-C. Hansel/Thomas Schmid-Schönbein (1991), S.463. 3

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In einem Kraftakt sondergleichen wurde(n): die Belegschaft der THA auf etwa 3.000 Mitarbeiter (Ende 1991) aufgestockt und die Führung im wesentlichen einem westdeutschen Management übertragen, die Organisationstruktur hierarchisiert und eine Branchengliederung (U nternehmensbereiche) mit den üblichen Funktionalabteilungen (Recht, Controlling, Finanzen usw.) durchgesetzt 6 , tausende Unternehmenskonzepte geprüft und DM-Eröffnungsbilanzen festgestellt 7 , auf deren Grundlage die Entscheidungen zur Sanierungsfähigkeit getroffen wurden, die Privatisierungsbemühungen durch alle nur denkbaren Hilfsmittel zu verstärken und zu intensivieren versucht - Investorenmessen, Verkaufsaufträge an (Investment-)Banken, Management-Buy-Out-Initiativen u. a. m. Unter dem ungeheuren Zeitdruck und der zunächst mehr als mangelhaften Kenntnis der Marktchancen der THA-Unternehmen blieb der THA nichts anderes übrig, als auf eine hinreichende Nachfrage zu setzen. Die Hoffnung potentieller Investoren stützte sich auf die mit der Währungsunion und der staatlichen Einheit verbundenen Erwartung einer absehbar guten Qualität des Standorts Ostdeutschland. All diese Bemühungen gelangten um die Jahreswende 1990/91 zu einem kritischen Punkt, als die ,offenen Vermögensfragen' die Privatisierung im Ansatz zum Erliegen zu bringen drohten. Die mit dem Einigungsvertrag mit Vorrang versehenen Restitutionsansprüche der Alteigentümer belegten die Treuhandanstalt mit einer Verfügungssperre. In Ermangelung einer Entschädigungsregelung blieb den, entgegen jeder ökonomischen Vernunft, zur Restitution verholfenen Alteigentümern nichts anderes übrig, als sich gegen Verfügungen zu sperren. Hier konnte das Enthemmungsgesetz 8 erste Abhilfe schaffen, das die Restitutionsberechtigten einer Verwendungskonkurrenz unterwarf. Die Treuhandanstalt durfte verfügen, wenn gesichert war, daß der von ihr ausge6 Die ursprünglich erwogene Organisation der Treuhandanstalt als zentraler Dienstleister für vier ihr unmittelbar nachgeordnete regional verankerte THA-BranchenAktiengesellschaften wurde Ende August 1990 verworfen. Dabei hat eine Rolle gespielt, daß das deutsche AG-Recht den Vorständen unter Kontrolle der Aufsichtsräte die ganze Macht der Unternehmenspolitik einräumt und die Treuhandanstalt somit die direkte politische Richtlinienkompetenz mit dem eindeutigen Privatisierungsprimat eingebüßt hätte; vgl. Frank-C. Hansel (1993). 7 Gemäß dem Gesetz über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung (D-Markbilanzgesetz) (BGB!. 1991 I, S. 1169). 8 Gesetz zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 13. März 1991 (Enthemmungsgesetz) (BGB!. 1991 I, S. 766); vg!. Bernd Scheifele (1991).

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wählte Bewerber mehr Arbeitsplätze schaffte und höhere Investitionssummen aufzuwenden bereit war. Die Verkaufspolitik der Treuhandanstalt konzentrierte sich nach völlig unkoordinierten Aktivitäten zu Beginn auf die Weitergabe des Sanierungsauftrages. Im Sinne dieser Zielsetzung bekam die Vorlage eines glaubhaften Sanierungskonzeptes, die Übernahme der Firma oder ganzer Firmengruppen sowie Verpflichtungen zu Arbeitsplätzen und Investitionssummen Vorrang bei der Auswahl der Kaufinteressenten. Der Kaufpreis - selbstverständlich riicht der Nettoerlös - spielte aus mehreren Gründen eine nur untergeordnete Rolle. Zum einen war der Kaufpreis kein Indikator für den Nettoerlös. Da in der Regel mangels' Ertragswerten über Bilanzpositionen - und zwar über jede einzeln - verhandelt werden mußte (also nach Substanzwerten gerechnet wurde), waren die Verkäufe im Grunde "asset deals". Bestenfalls am Ende von Verhandlungen stand fest, was außer der Firma Gegenstand des Verkaufs war bzw. war definiert, worin die verkaufte Firma als Neugründung eigentlich bestand. Eigentliche "asset deals" wurden allerdings, wo immer möglich, vermieden, um nicht auf unüberschaubaren Restverpflichtungen sitzenzubleiben. Da die meisten Unternehmen einen negativen Substanzwert aufwiesen, wurde häufig - und zu Recht - zum Preis von 1 DM verkauft. Die THA trat dann in die Altschulden ihres zu privatisierenden Unternehmens bis zur Höhe eines ausgeglichenen Substanzwertes ein. Zum anderen schmälerten die Verpflichtungen zur Übernahme des Sanierungsauftrages naturgemäß die Erlöse. In Anbetracht der Unwägbarkeit einer Sanierung mußten die Käufer für die Übernahme des Auftrags in Form von mehr oder weniger bescheidenen Stillen Reserven (zu hohe Rückstellungen, zu niedrige Bodenwerte usw.) bezahlt werden. Nachbewertungs- und Mehrerlösklauseln betrafen Aktiva, vor allem die Immobilien, aber auch Passiva (Rückstellungen) und führten zu einer nachträglichen Auskehrung allzu großzügig bemessener Stiller Reserven. Zugleich diente die Abgabe der Verpflichtungserklärung über Konzept, Arbeitskräfte und Investitionen als Signal der Ernsthaftigkeit des Erwerbers. Es war klar, daß diese Verpflichtungserklärungen allein bei seriösen Erwerbern, die einen Ruf zu verlieren hatten, Sinn machte. Nur bei ihnen löste der Druck von Verpflichtungen ausreichende Kosten aus 9 . Schließlich wurden im Kaufpreis (meist kaufpreissenkende) Umstände wie Altlasten, Gewährleistungsverpflichtungen und Rückfallklauseln ausgedrückt. Die Risiken der Altlasten wurden in einem bestimmten Zeitraum (5 bis 10 Jahre) nach Abzug eines vom Erwerber selbst zu deckenden Sockelbetrages zwischen 9

Siehe HanseljSchmid-Schönbein (1991), S.466.

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dem Erwerber und der THA bis zu einer bestimmten Höhe geteilt. Rückfallklauseln waren als Sanktionsmechanismen und häufig auch zur Sicherung noch nicht spezifizierter Restitutionsansprüche erforderlich. In Anbetracht dieser komplexen Materie war nicht verwunderlich, daß innerund außerhalb der THA erhebliche Mißverständnisse über die Preispolitik die öffentliche Meinung beherrschten. Der ungerechtfertigte Vorwurf, etwas ,verscherbelt' zu haben, war genauso schnell zur Hand wie der Vorwurf, die Unternehmen seien zu Tode verhandelt worden. Um tatsächlich berechtigten Vorwürfen nachgehen und begegnen zu können, wurde eine detaillierte begleitende Prüfung mit der Institutionalisierung des Controllings in den Kaufmännischen Direktoraten und der Revisionsabteilung sichergestellt. Gegen Ende des Jahres 1991 waren diese Kontrollmechanismen voll funktionsfähig. IV. Die angebotsorientierte Privatisierung Die angebotsorientierte Privatisierung ist durch das Bemühen gekennzeichnet, die Menge der Ressourcen aus ihrer ererbten Struktur zu lösen und Angebote zu formulieren, von denen erwartet werden kann, in dieser Formoder nur in dieser - einen Käufer zu finden. Gegen Ende des Jahres 1991 war diese Strategie möglich und notwendig geworden. Sie löste die Praxis ab, die Selektion eines zum Zeitpunkt der Währungsunion entstandenen vorgegebenen Angebots an Unternehmen - oder Teilen davon - allein oder doch überwiegend der Nachfrage zu überlassen. Die bis zu diesem Zeitpunkt verkauften Unternehmen und Betriebe waren überwiegend solche, die sich ,leichter' verkaufen ließen. Dazu gehörten zum einen alle, die unabhängig vom langfristig erreichbaren Wohlstandsniveau des ostdeutschen Raumes einen regionalen Markt bedienen (Energieunternehmen, Bauhaupt- und -nebengewerbe, Handelsbetriebe, Nahrungs- und Genußmittel der ersten Verarbeitungsstufe u. ä.). Zum anderen sind dazu auch die Unternehmen zu rechnen, die ein klassisches Produktprogramm im Bereich der Elektround Maschinenbauindustrie aufweisen oder zumindest von der Produktionstechnik und Qualifikation der Mitarbeiter her in der Lage sind, sich einem neuen Produktprogramm anzupassen. Übrig waren zu diesem Zeitpunkt eine Menge ,anverhandelter' Unternehmen, deren effektive Betriebsgröße in der Regel weit über einem den Nachfrageinteressen entsprechenden Optimum lag. In vielen Fällen hatten die Geschäftsführer der Unternehmen in Folge ihres Umsatzbeinbruches zwar einen erheblichen Teil ihrer nicht benötigten Arbeitskräfte entlassen, es aber versäumt, ihre Betriebsstruktur an den sinkenden Marktanteil anzupassen. Insoweit betraf die Überdimensionierung in erster Linie die Kombination der noch marktfähigen Produktlinien sowie Zuschnitt und Größe der Verwaltungseinheiten lO • Insbe-

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sondere waren die schon zu DDR-Zeiten völlig überdimensionierten Flächen für die sanierungsfähigen Betriebsteile erst recht zu groß. Es gab aber auch vereinzelte Fälle, deren optimale Betriebsgröße die Interessen existierender Nachfrager überstieg. Es handelte sich um Unternehmen, die auch international wettbewerbsfähige Güter speziell für den riesigen Markt der Sowjetunion herstellten. Unter der Voraussetzung der Kontinuität dieser Märkte (z. B. Waggonbau) können diese Skalenerträge ausgenutzt werden; ein Verkauf wird unter diesen Umständen allerdings schwierig, weil alle potentiellen Erwerber eine kleinere Betriebsgröße haben. Mit der Notwendigkeit einer angebotsorientierten Strategie waren auch die Mittel dafür herangereift. Das Wissen der THA um die Nachfrage nach Unternehmen und die Kenntnis der THA und der Nachfrager um die zu verkaufenden Unternehmen hat seit der Währungsunion beständig zugenommen. Die Treuhandanstalt oder von ihr Beauftragte haben in nicht wenigen Fällen sämtliche potentielle Nachfrager, also alle Konkurrenten des Weltmarktes, angesprochen und für THA-Beteiligungsunternehmen Interesse zu wecken versucht. Sämtliche THA-Unternehmen wurden mittels fast aller denkbaren Medien über Messebesuche, Repräsentanten, Ausschreibungen, Makler und vieles mehr potentiellen Nachfragern bekannt gemacht. Beinahe alle THA-Unternehmen wurden von bis zu 10 Erwerbsinteressenten durchleuchtet und bewertet. Aus dieser für das einzelne THA-Unternehmen sicherlich nicht ungefährlichen Breite der Informationsstreuung gewann die THA eine ungeheure Fülle an Informationen über die Märkte und Chancen ihrer Unternehmen. Das im April 1991 verabschiedete ,Spaltungsgesetz'll ermöglichte der Treuhandanstalt, mit der aktiven Entflechtung der bisherigen Strukturen zu beginnen. Mit dem Instrument der Auf- und Abspaltung von Unternehmensteilen aus den bisherigen Kombinats- und Betriebsstrukturen war nicht nur eine käuferorientierte Stückelung möglich, sondern auch das Zusammenschnüren neuer Unternehmenseinheiten. Diese Politik war dann gerechtfertigt, wenn es starke Hinweise auf eine Nachfrage für solche neu zu bildenden Unternehmenskomplexe gab. Mit der Ausstattung der als sanierungswürdig empfohlenen Unternehmen mit ausreichendem Eigenkapital im Zuge der Feststellung der DM-Eröffnungsbilanz der Unternehmen wurden diese in die Lage versetzt, eigene Umstrukturierungsleistungen zu erbringen. Die Eigenkapitalausstattung und die Zurechnung der vorhandenen Vermögenswerte erlaubte den Unternehmen zunehmend, sich eigenständig auf dem Kapitalmarkt Mittel zu besorgen - anders als in der Vgl. auch Hans-Hagen Härtel/Reinald Krüger (1991). Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (Spaltungsgesetz) (BGBl. 1991 I, S. 854). 10 11

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Anfangsphase, in der die Besicherung aufgrund der offenen Vermögensfragen nicht gewährleistet war. Somit wurde das Zeitproblem entschärft. Die Unternehmen konnten durch Investitionen den Kampf um eigene Märkte eigenständig angehen und Verlustquellen schließen. Die Branchendirektorate mußten sich im Zuge dieser Entwicklung jeweils gesondert Klarheit darüber verschaffen, welche "assets" wie zu kombinieren waren, um überlebensfähige und darum für Investoren interessante Unternehmen zu bilden. Damit wurde gleichzeitig darüber entschieden, welche Vermögensteile sinnvollerweise freizusetzen waren. Die angebotsorientierte Privatisierung löste die Ressourcen aus ihrer Bindung in den Unternehmen und setzte das Betriebs-, Immobilien- und Humankapital freil 2 • Damit konnte die Nachfrage nach Unternehmen und Immobilien insbesondere in Ballungsräumen gesondert untersucht werden, die in der Preisentwicklung gegenläufig waren. Anders als in der nachfrageorientierten Phase wurden Betriebe nicht mehr nur als Immobiliengeschäfte mit anhängendem, den Kaufpreis meist senkenden Geschäftsbetrieb verkauft. Vielmehr hatten die Privatisierer nunmehr jeweils zu begründen, warum welche Betriebsflächen als betriebsnotwendig anzusehen und im Rahmen des Unternehmenskonzeptes mitverkauft werden sollten. Alle anderen Betriebsflächen wurden zur Vermarktung an die Liegenschaftsgesellschaft der Treuhandanstalt abgegeben. Das bedeutete für die weitere angebotsorientierte Privatisierung als Freisetzungstätigkeit die Eröffnung bisher ungenutzter Optionen. Die mit der Herauslösung von nicht betriebsnotwendigen Flächen verbundene Möglichkeit, im großen Umfange alte, erkennbar nicht mehr haltbare Industriestandorte umzuwidmen und zu Gewerbeflächen zu entwickeln, ließ sich als Offensive der Treuhandanstalt werten, gemeinsam mit den Ländern und Kommunen den "Aufschwung Ost" zu forcieren. Mit Unterstützung einer konsequenten Ansiedlungspolitik der öffentlichen Hand konnten die zuvor freigesetzten Arbeitskräfte in neue Beschäftigungen gebracht werden. Die von der Treuhandanstalt angestoßene Gewerbeflächenentwicklung schuf die Voraussetzungen von Gestaltungsmöglichkeiten Dritter und war Grundlage für ein den Strukturen der Bundesrepublik entsprechendes Zusammenspiel von Politik (Gebietskörperschaft) und Treuhandanstalt.

12 Mit dem Konzept der Freisetzung läßt sich begriffiich fassen, daß die Treuhandanstalt letztlich die Institution ist, die der Logik der Mediatisierung und Säkularisierung der Adels- bzs. Kirchengüter im Ausgang des 18. Jahrhunderts entspricht. Auch weiland ging mit dem Prozeß der Neuordnung bzw. Konstituierung von bürgerlichen Eigentumsrechten die Freisetzung der hörigen Bauern von den Schollen einher.

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V. Strukturpolitik und 'freuhandanstalt

Die Sanierung der ostdeutschen Wirtschaft bedeutete gegen Ende des Jahres 1991 zunehmend eine Sanierung im Sinne von freisetzender, angebotsorientierter Privatisierung. Im Zusammenhang mit dem Auslaufen der Kurzarbeiterregelung im Januar 1992 wurde daher der entscheidende Beschäftigungseinschnitt manifest. Die Treuhandanstalt sah sich dann auch zunehmend mit der Forderung nach Übernahme industrie- und strukturpolitischer Verantwortung konfrontiert. Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik weist die Aufgaben, die mit Industrie-, Regional- und Strukturpolitik verbunden sind, eindeutig in die Gestaltungskompetenz der Länder und Kommunen. Die Länder und Kommunen in Ostdeutschland gab es aber zum Zeitpunkt der Entstehung der THA noch nicht. Die Treuhandanstalt operierte daher mehr oder weniger im freien Raum. Mit der Zunahme der Funktionsfähigkeit der Verwaltung wuchsen die Gebietskörperschaften jeden weiteren Tag ihrer Existenz in ihre von der Marktverfassung der Bundesrepublik vorgesehene Rolle hinein und bestanden darauf, die ihnen zugewiesenen Aufgaben auch wahrzunehmen 13 • Dazu zählten - angefangen von der Genehmigung von Betrieben und der Weiterführbarkeit bestehender Produktionslinien - alle infrastrukturellen Vorgaben und Planungen: Der Verkauf eines Unternehmens und schon gar der von Immoblilien bedurfte immer stärker der verbindlichen Klärung von Genehmigungsvoraussetzungen, Baurechten und infrastrukturellen Bedingungen. Zudem traten die Kommunen mit den ihnen zugewiesenen oder restituierten eigenen Flächen und mit der Ausweisung von Flächen, über die nicht die Treuhandanstalt verfügte, in Ansiedlungskonkurrenz zu den angebotenen THA-Unternehmen. Für viele interessierte Investoren war die Abwägung zwischen dem Kauf eines Unternehmens oder einer unbelasteten Fläche zu einer reale(re)n Möglichkeit geworden. Die THA-Unternehmen standen mehr und mehr nicht nur in Standortkonkurrenz zu Portugal und Taiwan, sondern zu benachbarten Immobilien, die nach Kapitalimport nur noch mit Arbeitskräften aus dem THA-Unternehmen zu besetzen waren. Das Erstarken der Kommunal- und Landesverwaltungen und das Auslaufen der Tätigkeit der THA bedingten sich gegenseitig. Der konstituierende Beitrag der Treuhandanstalt zur Systemtransformation, der sich auf die genuin staatliche Entstaatlichungsaufgabe zu beschränken hatte, konnte von den - im Rahmen des von der Bundesregierung aufgelegten finanziellen Hilfs- bzw. Infrastrukturprogramms "Aufschwung Ost" erstarkten - Gebietskörperschaf13 Zur Problematik des Aufbaus der Verwaltungsstrukturen in den Neuen Ländern siehe Christoph Hauschild (1991).

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ten eingelöst werden. Sie wurden die eigentlichen Träger der weiteren, nun unter normalen Bedingungen stattfindenden Entwicklung der Wohlfahrt in Ostdeutschland. Anhang 10 Thesen zu einer Theorie der Transformationspolitik

Die Praxis der Privatisierung in Ostdeutschland verdunkelt die Grundlagen der Transformation einer Planwirtschaft in eine monetär organisierte Marktwirtschaft. Zu selbstverständlich war im Falle Deutschlands über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion der gesamte staatliche und gesellschaftliche Steuerungsapparat vorhanden, um augenscheinliche Hinweise zu liefern, welche Bedingungen für eine erfolgreiche Transformation vorliegen müssen was pragmatisch zuerst, was später zu geschehen hat. Erst im Kontext und in Kontrast zu einer Theorie der bundesdeutschen Treuhandanstalt fällt auf, wie schnell die mittel- und osteuropäischen Staaten und die Staaten der GUS im Begriffe sind, den Übergang zu einer Privateigentumswirtschaft mittels einer unmittelbaren Privatisierung der Betriebe zu organisieren. Bei dem Systemwechsel qua Privatisierung ,aus dem Stand' wird übersehen, daß der ,Sieg' des Privateigentums als Konstituens marktwirtschaftlicher Ökonomien ein nur relativer ist und zu viele Ökonomien aufprivatwirtschaftlicher Grundlage wenig erfolgreich sind. Wie Rieses Theorie der Geldwirtschaft zeigt, hängt dies insbesondere mit der jeweiligen Stellung im Rahmen der Währungskonkurrenz und damit mit dem Status als Gläubiger und Schuldner zusammen. Als erfolgreich erweist sich eine Ökonomie, wenn ihre Währung Vertrauen genießt und Verträge attrahieren kann l4 . Nun haben Heinsohn und Steiger in ihrer Theorie der Zinswirtschaft paradigmatisch herausgearbeitet, daß das Privateigentum eine Vergesellschaftung via zinsbelastete Gläubiger-Schuldner-Beziehungen nicht nur empirisch, sondern auch logisch zur Folge hat und damit im Rahmen einer bürgerlichen Privateigentumsordnung ausnahmslos alle Wirtschaftsteilnehmer, also auch die der öffentlichen Hand, gezwungen sind, bei privater Verschuldung den Zins und damit als Reflex den Profit zu erwirtschaften 15 • Vgl. Hajo Riese (1990). Siehe etwa Gunnar Heinsohn und Otto Steiger (1981). Nicht auf Grund der Übereinstimmung dieses Ergebnisses mit dem 1. Hauptsatz der ökonomischen Theorie wird Heinsohn / Steigers Ansatz hier hervorgehoben oder weil ihm die Voraussetzungen der Installation einer Privateigentumsordnung in historischer Zeit mitbedacht werden, sondern weil der Ansatz insbesondere die Wirkung der Privateigentumsordnung auf Motivation und Verhalten der Individuen - die Wirkung auf die Individualisierung der Subjekte - betont. 14

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Die Praxis der Transformation inner- und außerhalb Deutschlands schärft nun ihrerseits den Blick dahingehend, daß der schwierige Weg hin zu einer Privateigentumsordnung ergänzende theoretische Erkenntnisse über Wirtschaften liefert, die in der Diskussion bisher wenig beachtet wurden. Wenn es richtig ist, daß Privateigentum und damit Privatisierung über das System als solches und die Härte der Währung über dessen Erfolg entscheidet, muß eine Transformationstheorie die Bedingungen, unter denen Privatisierung stattfindet, in ihr Zentrum rücken. 1. Gesamtwirtschaftliche Zustände zu erreichen, bei denen sich unter gegebenen Produktionsmöglichkeiten und Wünschen aller Mitglieder einer Region kein einzelnes Mitglied besser stellen kann, ohne einem anderen zu schaden, erfordert zum einen Zuteilungen von Rechten für Privatpersonen, Betriebe, gesellschaftlichen Institutionen und den Staat sowie zum anderen unterschiedliche Mechanismen der Interaktion der nach diesen Rechten entstehenden Einheiten. In diesem Sinne gehören Staatshandeln und Privathandein auch in einer Geld- bzw. Marktwirtschaft zusammen. Die Evidenz des Unterschieds von Plan- und Marktwirtschaft, hie Privateigentum, Geld und Käufermarkt, hie ununterscheidbares ,Volkseigentum' und Aufhebung von Angebot und Nachfrage über zentrale Zuteilung und Verkäufermarkt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Übergang von einer Plan- zu einer Marktwirtschaft die Sinnhaftigkeit der Institution Staat nicht aufhebt. Der Staat hört nicht auf zu existieren, sondern verändert - dies allerdings radikal - die Form seiner steuernden Eingriffe. Indem seine Rechte, das unmittelbare Ergebnis individuelles Handeln zu bewirken, zurückgenommen und durch Rechte mittelbaren Einflusses ersetzt werden, wird die Wohlfahrt erhöht 16. 2. Der Übergang zur Privateigentumswirtschaft erfordert zuallererst die Konstitution des Staates als zivilen Rechtsstaat. Das in dieser Wirtschaftsform etablierte Recht und die damit verbundene Pflicht, mit den je eigenen Ressourcen lebenslang auszukommen und auskommen zu müssen, kann seine wohlfahrtssteigernde Wirkung nur entfalten, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: a) Legalität: ein Rechtssystem, das mit Sanktionskraft ausgestattet ist, das den Privaten den Schutz gibt, weitreichende Vertragsbeziehungen in Raum und Zeit einzugehen. Private und staatliche Mittel zur Sicherung von Verpflichtungs16 Diese Aussage muß sich angesichts des Zustands der ökonomischen Theorie auf Plausibilitäten stützen. Zu wenig sind zentrale Elemente staatlichen Handelns in Modellen allgemeinen Gleichgewichts integriert. Vgl. zur Integration des Geldes Peter de Gijssel/ Franz Haslinger (1993) oder Peter MureIl (1991), wenn letzterer u. a. auf die nicht begriffene Wirkung der Verteilung auf die Effizienz verweist. Geld- wie Verteilungstheorie decken Bereiche ab, die dem Augenschein nach für die Transformation von eminenter Bedeutung sind.

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geschäften ergänzen sich gegenseitig. Ohne staatliche, die private Sanktionsgewalt transzendierende Mittel wären die Anreize zum Vertragsbruch so hoch, daß entweder nur Zug um Zug Geschäfte oder nur Geschäfte unter Mitgliedern wohldefinierter Interessengruppen zustände kämen 17. b) Infrastruktur: eine materielle Grundausstattung an Infrastruktur, die den Waren- und Dienstleistungsverkehr physisch ermöglicht, aber die privat zu erstellen nicht effizient wäre und folglich unterbliebe. Die immaterielle und materielle Ausstattung für eine Privatwirtschaft bereitzustellen kostet nach Erfahrungen moderner Industriegesellschaften etwa 30 bis 40% des Bruttosozialproduktes eines Landes. 3. Zu den fundamentalen Rechten eines Staates gehört die Emission eines eigenen Geldes oder die Zuordnung zu einem Währungsgebiet. Die Staatlichkeit des Geldes hat den Sinn - jenseits der Effizienz des Geldes an sich -, die mit den oben genannnten Kosten verbundenen Erträge für die zu reservieren, die diese Kosten getragen haben. Die eigene Währung sorgt dafür, daß staatliche und ökonomische Grenzen in etwa zusammenfallen. Nimmt man den Grad der Liefer- und Leistungsbeziehungen zum Maßstab ökonomischer Grenzen, sollte die Verflechtung einer Region eines Währungsgebietes mit dem staatlich definierten Ausland nicht lohnender sein als die mit dem Inland 18. Die Währungseinheit zwingt die Mitglieder einer Region in eine finanzwirtschaftliche Gesamt-Budgetrestriktion, von der wiederum hinreichender Druck auf den Staat ausgeht, mit seinen sonstigen Rechten (Staatshaushalt, Rechtswesen, Öffentliche Ordnung usw.) so umzugehen, daß der Geldwert durch die Handlungen jeder Einheit der Region stabilisiert wird. Gleichzeitig bleibt es jedoch jeder privaten Einheit überlassen, die Erfüllung ihrer Budgetrestriktionen mit welchen güter- und finanzwirtschaftlichen Mitteln auch immer zu betreiben. So wird jene Marktfreiheit gesichert, die die notwendige Voraussetzung einer harten Währung liefert l9 . 4. Der Übergang von der Plan- zur Privateigentumswirtschaft ist ein Gewaltakt und kein vorsichtiges Heranschleichen an neue Lösungen, weil die Umstellung von einer güterwirtschaftlichen auf eine monetäre Qesamtsteuerung nur uno actu der folgenden Maßnahmen vollzogen werden kann: ZweistuJiges Geldwesen mit Zentralbank und privaten Geschäftsbanken. Die Unabhängigkeit der Zentralbank hindert den Staat, sich kurzfristig über 17 Dieses Element ist nach der nun zwanzig Jahre währenden Diskussion um Insuffizienzen der Märkte f'ür Information und der Schwierigkeit, Vertragstreue zu sichern, als wesentlich f'ür die Transformation akzeptiert; vgl. etwa Litwack (1991), der mit Nachdruck darauf verweist, wie der Mangel an Rechtsförmigkeit der Verfahren die Planwirtschaft ruiniert hat und wie notwendig Legalität f'ür eine Marktwirtschaft ist. 18 Welche Variablen in eine solche Rechnung wesentlich miteingehen, soll hier nicht näher erläutert werden. 19 Zur Bedeutung und Schwierigkeit der Geldsteuerung vgl. McKinnon (1991).

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die Notenpresse Ressourcen seiner Bürger zu verschaffen. Letztlich ist das Geld nur dort etwas wert, wo die politische Führung glaubt, mit einem harten Geld besser zu fahren als mit einer Inflation; Umwandlung der Kombinate und Betriebe in Kapitalgesellschaften mitsamt entsprechend bürgerlichen Rechtsformen, die den Eintritt, die Existenz und den Austritt von juristischen und natürlichen Personen aus dem Marktverkehr verbindlich regeln; Etablierung eines Finanzwesens des Staates zur Sicherung der Einnahmeseite und damit Ablösung der Abschöpfung qua Planungshoheit über die Betriebe (vom Feudal- zum Steuerstaat); Staatsaujbau, der die Erwartung stabilisiert, daß die materielle Infrastruktur (Verkehr, Logistik), die den Zusammenhalt des Währungsgebietes ermöglicht, geschaffen werden kann.

Insgesamt muß demnach die Trennung der eigentlich güterwirtschaftlichen von den finanzwirtschaftlichen Aufgaben des Staates wenigstens dem Prinzip nach vor der Privatisierung vollzogen sein. In Anschluß daran können die Preise freigegeben und die Privatisierung der nun in Staatseigentum nach bürgerlichem Recht befindlichen Betriebe in Angriff genommen werden. 5. Im Gegensatz zur Strategie der Treuhandanstalt, die darauf abstellt, die Umstellung auf die harte Budgetrestriktion und damit die innerbetriebliche Umstrukturierung staatlich kontrolliert vor der Privatisierung zu organisieren, versuchen die mittel- und osteuropäischen Staaten, die Staatsbetriebe unmittelbar über Auktionierung und Ausschreibung der Anteile an die Belegschaften und die Gesamtbevölkerung zu verkaufen. Dabei verkennt die Strategie eines börsenmäßigen Verkaufs vollständig, daß mit dem Verkauf der Anteile überhaupt nichts geregelt ist - außer eben der Eigentumsüberführung. 6. Die Unternehmen benötigen unabhängig vom Grad der aktuellen Marktöffnung große Mengen Kapital, um sich mittel- und langfristig nach Maßstäben des Weltmarktes konkurrenzfähig zu machen. Die Gläubiger benötigen abergleichgültig ob als Fremd- oder Eigenkapital - die Sicherheit, daß die Neuausrichtung der Produktion ertragreich organisiert wird. Diese Sicherheit liefert ihnen letztlich keine Hypothek und keine Sicherheitsübereignung, sondern allein ein Management, also Individuen, denen sie glauben vertrauen zu können. Erst wenn die geeigneten Personen bekannt sind und ein geeigneter Handlungsrahmen für die Personen existiert, wird aus inländischen und ausländischen Quellen genügend Kapital acquiriert werden können 20 • 7. Die Treuhandstrategie eines Verkaufs von Hand sorgt nicht nur dafür, daß die Wahrscheinlichkeit steigt, mit dem Verkauf ein fähiges Management zu 20 "Auctions operate efficiently where the agents that attach the highest value to control can make their notional demand efTective", Wendy Carlin/Colin Meyer (1992), S.1.

25"

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erhalten, sondern auch dafür, daß mit dem Verkauf eine Konzeption für die Zukunft des Unternehmens erarbeitet wird. Die Verkaufsverhandlungen zeigen, was die Wettbewerber, die ja in der Regel die Kaufinteressenten stellen, unternehmen oder mit dem zu verkaufenden Unternehmen zu unternehmen gedenken. Dies liefert ungleich mehr Informationen über die Chancen und Risiken eines Unternehmens als eine Versteigerung, der ein seiner Natur nach dubios bleibendes Bewertungsgutachten zugrundeliegen muß. In diesem Sinne findet auch bei der Privatisierung eine Sanierung des Unternehmens durch den Verkäufer selbst statt, der über die Verkaufsaktivitäten und den Vertrag an der Zukunft des Unternehmens qua Moderation der Interessenten mitgestaltet. Diese Leistung kann trotz der Eile beim Verkauf nicht hoch genug eingeschätzt werden, da die Seriösität des neuen Eigentümers und seines Konzeptes das Kapital attrahiert, das Banken im Gefolge einer bloßen Auktion wohl kaum bewilligen würden. 8. Die jetzt durch Verkauf der Anteile eingeworbenen Mittel reichen im übrigen mit Sicherheit nicht aus, den Eigenkapitalbedarf der Unternehmen in Osteuropa zu decken. In Anbetracht der Risiken des Marktes (hohe Varianz der Erträge) und dem Mangel einer Neustrukturierung des Unternehmens beim Verkauf werden die Eigenkapitalanteile weit höher sein müssen als beispielsweise in ostdeutschen Unternehmen. Es dürfte generell aussichtlos sein, außerhalb des Staatshaushaltes - allein über den Kapitalmarkt - genügend Eigenkapital zur Sanierung der Betriebe aufzutreiben. Das deutsche Beispiel zeigt nur allzu deutlich, daß nur der Staat in der Lage ist, sowohl das Sanierungskapital als auch die Infrastruktur bereitzustellen. Daher sind auch die Effiziensverluste, die sicherlich durch die vorübergehende Fortexistenz des Staatseigentums entstehen, wenn sie nicht 100% betragen, zunächst einmal belanglos. Geradezu abstrus und lebensgefährlich wird die Angelegenheit, wenn einzelne Staaten glauben, durch den Verkauf der Unternehmen ihre Staatskassen aufbessern zu können - wie offenbar zum Teil in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion erwogen. Nur allzu deutlich ist damit erkennbar, daß der Privatisierung die Rekonstruktion der Staatlichkeit vorausgehen muß. 9. Der Verkauf der Unternehmen an Betriebsangehörige ist das allerungeeignetste Mittel der Problemlösung. Zwar ist nicht zu bestreiten, daß die Betriebsangehörigen in der Regel ganz gut wissen, wie fähig ihre Führung ist. Andererseits dürfte nichts schwieriger sein, als dieses Wissen in einem Unternehmen zu bündeln und verantwortungsvoll umzusetzen. In jedem Fall bürden solche Verkäufe den Betriebsangehörigen ein doppeltes Risiko auf: das ihres Arbeitsplatzes und das ihrer bescheidenen Finanzmittel. Sie setzen wirklich alles auf eine Karte und sind deshalb als Eigenkapitalgeber nur sehr beschränkt geeignet. Ungarn, die CSFR und Polen haben inzwischen die Anteile zurückgefahren, die jeweils für die Belegschaften reserviert werden. Die Staaten der GUS hingegen verlassen sich noch beinahe ausschließlich auf diesen Weg eines Mitarbeitermodells 21 •

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10. Die in Ostdeutschland angedachte und in einem Fall realisierte Verbindung von Mitarbeitermodell und Gehaltsverzicht erweitert die Möglichkeit der Privatisierung über "Management-Buy-Outs" oder "Management-Buy-Ins". In Form einer stillen Beteiligung kann so der notorische Eigenkapitalmangel dieser Form der Privatisierung gemildert werden, ohne zugleich das Verantwortungsgefüge der Unternehmen auf den Kopf zu stellen. Als generelles Heilmittel zur Stärkung endogener Kräfte der Region Ostdeutschlands eignet sich diese Privatisierungsform nicht, da sie die weitere Einwerbung von Eigen- und Fremdkapital eher behindert denn fördert 22 •

Literatur I.

Beschluß des Ministerrats vom 1. März 1990 zur Gründung der Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt) (GBI. [der DDR] 1990 I Nr. 14, S. 107). Gesetz über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung (DMarkbilanzgesetz) (BGBI. 1991 I, S. 1169). Gesetz zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 13. März 1991 (Enthemmungsgesetz) (BGBI. 1991 I, S.766). Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (Spaltungsgesetz) (BGBI. 1991 I, S. 854). Verordnung vom 1. März 1990 zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften (GBI. [der DDR] 1990 I Nr. 14, S.107). II.

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Gijsel, P. de 1F. Haslinger (1993), "Quantitative versus qualitative (Nicht-)Neutralität des Geldes", in diesem Band, S. 109 -120. HanseI, F.-C. (1993), "Die Transformation der ostdeutschen Wirtschaft durch die Treuhandanstalt", in: Gert-Joachim Glaeßner 1RolfReißig (Hrsg.), Der lange Weg zur Einheit, Berlin (im Erscheinen). HanseI, F.-C./Th. Schmid-Schönbein (1991), "Die Transformationspolitik der Treuhandanstalt", in: Wirtschaftsdienst, Nr. 9/1991, Hamburg, S.462-469. HärteI, H.-H./R. Krüger (1991), "Aktuelle Entwicklungen von Marktstrukturen in den neuen Bundesländern" (gekürzte und aktualisierte Fassung des HWWA-Reports Nr. 86), in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 29/91, Bonn, S.13-25. Hauschi/d, Chr. (1991), "DDR: Vom sozialistischen Einheitsgrad in die föderale und kommunale Demokratie", in: Bernhard Blanke (Hrsg.) (1991), Staat und Stadt Systematische und vergleichende Analyse "lokaler Politik", PVS-Sonderheft, Opladen. Heinsohn G.IO. Steiger (1981), "Geld, Produktivität und Unsicherheit in Kapitalismus und Sozialismus", in: Leviathan, Nr. 2/1981, Opladen, S.164-194. Herr, H.-J.I A. Westphal (1991), "Die Inkohärenzen der Planwirtschaft und der Transformationsprozeß zur Geldwirtschaft", in: Jürgen Backhaus (Hrsg.), Systemwandel und Reform in östlichen Wirtschaften, Marburg, S. 139 -168. Ho/man, B./MJ. Koop (1991), "Makroökonomische Aspekte der Reformen in Osteuropa", in: Die Weltwirtschaft, Heft 1, Kiel, S.161-172. Litwack, J.M. (1991), "Legality and Market Reform in Soviet-Type Economies", in: Journal of Economic Perspectives, Vol 5, Nr. 4, S. 55 -76. M cKinnon, R.G. (1991), "Financial Control in the Transition from Classical Socialism to a Market Economy", in: Journal ofEconomic Perspectives, Vol. 5, Nr. 4, S. 107-122. Murell, P. (1991), "Can Neoclassical Economics Underpin the Reform of Centrally Planned Economies", in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 5, Nr. 4, S. 59-76. Riese, H. (1990), Geld im Sozialismus, Regensburg. Schei/ele, B. (1991), "Zur Anwendung des § 3a Vermögensgesetz durch die Treuhandanstalt", in: Betriebs-Berater, Heft 20, Heidelberg, S. 1350-1356. Schmid-Schönbein, Th. (1991), "Anpassung der verarbeitenden Industrie in Ostdeutschland", in: Andreas Westphal u.a. (Hrsg.) (1991), S. 236-246. Sinn, G./H.-W. Sinn (1991), Kaltstart. Volkswirtschaftliche Aspekte der deutschen Vereinigung, Tübingen. Westphal, A. u.a. (Hrsg.) (1991), Wirtschaftspolitische Konsequenzen der deutschen Vereinigung, Frankfurt a. M.

G. Geld, Entwicklungstheorie und Weltwirtschaft

Akkumulation statt Kapitalimport Von Jens Hölscher, Berlin Wirtschaftliche Entwicklung als ein Prozeß des Nachholens gegenüber den modernen westlichen Industrienationen ist spätestens seit der Weltschuldenkrise ein Thema der ökonomischen Theoriebildung. Angesichts des Transformationsprozesses in Osteuropa hat die Frage nach den Bedingungen wirtschaftlicher Entwicklung an Brisanz gewonnen. Dem Konzept einer exogenen Anschubfinanzierung für die Phase des "take-off' werden die Anforderungen eines die Autonomie der Entwicklungsökonomie wahrenden Akkumulationsmodells gegenübergestellt. Damit ist die Problemstellung einer theoretischen Fundierung von Wirtschaftspolitik durch die Frage nach Möglichkeitsbedingungen wirtschaftlicher Entwicklung definiert. Die Erfahrungen Westdeutschlands in den fünfziger Jahren bilden den methodischen Ausgangspunkt der Analyse, da sie zum einen für eine erfolgreiche Strategie stehen und zum anderen durch Forderungen nach einem Marshallplan für Osteuropa an der Spitze der wirtschaftspolitischen Aktualität stehen. Nach dem Aufgreifen der Marshallplanthematik wird eine theoretische Erörterung der Relevanz von Kapitalimporten für ökonomische Evolution vorgenommen. Die Arbeit schließt mit der Angabe grundsätzlicher Bedingungen für Akkumulation in der Geldwirtschaft. I. Der Mythos des Marshallplans Der Marshallplan bezeichnet einen Kapitalimport Westeuropas aus den USA nach dem zweiten Weltkrieg, der als "European Recovery Program" (ERP) abgewickelt wurde. Der Kapitalimport stellte eine politische Maßnahme dar und entsprang nicht einer Marktkonstellation, sondern vollzog sich auf administrativer Basis. Ein Importüberschuß war für Westdeutschland aufgrund seines Devisenmangels nur durch externe Verschuldung möglich. Es ist daher unstatthaft, die Relevanz des Marshallplans für die Wirtschaftsentwicklung Westdeutschlands zu begründen, indem argumentiert wird, "tatsächlich ist die Marshallplanhilfe angesichts der Passivität der deutschen Handelsbeziehungen mit dem Dollar-Raum in diesen Jahren von großem Wert gewesen ... " (Abelshauser 1983, S. 57), da es ohne Marshallplan eine solche Passivität gar nicht hätte geben können. Vielmehr ermöglichte umgekehrt der administrierte Kapitalimport eine passive Handelsbilanz.

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Jens Hölscher

Im Rahmen des ERP flossen der Bundesrepublik von Kriegsende bis 1952 Importe im Wert von 3,2 Mrd. US-Dollar zu (vgl. Poh11973, S. 187). Darin enthalten sind Lieferungen aus dem GARIOA-Programm ("Govemment and Relief in Occupied Areas") in Höhe von 1,6 Mrd. US-Dollar, die in erster Linie der Abwendung von Seuchen und Hungersnöten dienten. Die Verwendung der Marshallplangelder veranschaulicht die nachstehende Tabelle in Millionen US-Dollar (vgl. Bundesminister für den Marshallplan 1953, S.23): Nahrungs- u. Futtermittel Saaten

industr. Rohstoffe

Maschinen Fahrzeuge

Frachten

1948/49 1949/50 1950/51 1951/52 1952/53

213 175 196 76 24

135 212 240 100 38

8 9 13 8 2

32 29 31 26 4

Summe

684

725

40

122

Die Warenzusammensetzung entsprach in ihrer Struktur prinzipiell der des kommerziellen Imports, so daß überwiegend Nahrungsmittel und Rohstoffe eingeführt wurden. Der Import industrieller Rohstoffe bestand hauptsächlich aus Steinkohle, dem jedoch deutsche Kohlelieferungsverpflichtungen an die Besatzungsmächte gegenüberstanden. Ein Technologietransfer fand nicht statt, was sich in der relativen Bedeutungslosigkeit der Kapitalgüter mit einem Anteil von 2 Prozent niederschlug. Die stomiche Zusammensetzung der Importe liefert daher kein Argument für die Relevanz des Marshallplans im Hinblick auf die ökonomische Entwicklung Westdeutschlands. Sein Volumen entsprach dann auch lediglich 2,8 Prozent des BSP im Planjahr 1948/49 bzw. 1,9 Prozent 1949/50. Diese Einschätzung teilte schon die Bundesregierung, indem sie 1952 formulierte: "Die politische und psychologische Seite des Marshallplans war für Deutschland (... ) nicht weniger bedeutsam als die materielle Seite" (Bericht über die Durchführung des Marshallplans 1949-1951, S. 19). Um so erstaunlicher muß die nachträgliche Mystifizierung im Rahmen ökonomischer Theoriebildung sein. Neben Politologie und Psychologie kann die Ökonomie allenfalls vermerken, daß der Marshallplan einer Verknappung des Faktors Arbeit durch Seuchen und Hungersnöte entgegenwirkte. Generell bedeuten ausländische Hilfelieferungen jedoch immer eine Reduktion der Binnennachfrage , die prinzipiell die Gefahr einer Erosion der inländischen Produktion nach sich zieht. Eine Würdigung des Marshallplans muß demzufolge seine Bedeutung als humanitären Akt unterstreichen und von einer Glorifizierung als "one of the great economic success stories of modem time" (Wexler 1983, S. 255) absehen.

Akkumulation statt KapitaIimport

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Damit sind aber auch Leistungen caritativer Verbände unter dem Begriff der Auslandshilfen zu thematisieren. Angesichts der westdeutschen Erfolgsstory nimmt es nicht Wunder, daß diese Hilfeleistungen aus dem allgemeinen Bewußtsein verschwunden sind, wenngleich ihr Volumen von mindestens 1,2 Mrd. D-Mark durchaus in den Kategorien des Marshallplans liegt (vgl. Wollasch 1976, S. 30). Eine Subsumtion unter die Ideologie des Wirtschaftswunders verbat sich aufgrund des offensichtlich caritativen Charakters der Leistungen: "Angerührt durch die schreiende Not eines geschlagenen Volkes ( ... ) bekannten sich Menschen in Ländern aller Erdteile zu christlich-humanitärer Solidarität, sichtbar gemacht in aktiver Hilfe für den Nächsten in Not" (Wollasch 1976, S. 30). Den Marshallplan als begründend für die wirtschaftliche Entwicklung Westdeutschlands anzusehen, entspringt jedoch nicht rein ideologischer Natur beziehungsweise der Freiheit der Historiker im Hinblick auf ökonomische Theorie, sondern ist Ausfluß neoklassischen Denkens und damit orthodoxer ökonomischer Theoriebildung. Die realwirtschaftliche Orientierung der Neoklassik dokumentiert sich in der Thematisierung des Marshallplans unter Begriffen wie "technologische Lücke" (Henning 1981, S. 94) oder "Problem der Kapitalknappheit" (BorchardtjBuchheim 1987, S.320), als deren monetärer Ausdruck ein Phänomen der "Dollar-Lücke" (Buchheim 1990, S. 81) diagnostiziert wird. Nachdem die stoffliche Zusammensetzung der Importe einen Verweis auf Kapital und Technik fragwürdig erscheinen läßt und vielmehr den Begriff der "Hilfe" nahelegt, bleibt aber noch nach der theoretischen Validität eines derartigen Entwicklungskonzepts zu fragen. Die faktische Irrelevanz des Marshallplans für den westdeutschen Akkumulationsprozeß liefert noch keine theoretische Fundierung eines Entwicklungsmodells ohne externe Verschuldung. Der feinsinnigen Unterscheidung von Kredit und Hilfe folgend wird im nächsten Abschnitt der Begriff Kapitalimport als Synonym for ausländischen Kredit benutzt. 11. Die Relevanz von Kapitalimporten für ökonomische Evolution

Kapitalimporte stellen ceteris paribus einen Wohlfahrtsimport dar und sind demnach partialanalytisch eine wünschenswerte Erscheinung. Allerdings erfolgt diese Allokation zwischen Ökonomien auf der Basis des status quo, dessen Veränderung nun gerade Zielrichtung der entwicklungsstrategischen Forschung ist. In einem evolutorischen Konzept des Wirtschaftens ist ein Verweis auf den wohlfahrtsinduzierten Charakter von Kapitalimporten nichtssagend, da sich die Frage nach einer Initiierung ökonomischer Dynamik durch die Gleichgewichtsreferenz nicht formulieren läßt. Wirtschaftliche Entwicklung in einer Ökonomie benötigt als Referenzpunkt den Entwicklungsstand einer anderen Ökonomie, deren Relation sich im Saldo

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der Leistungsbilanz ausdrückt. In diesem Sinne setzt der terminus von einer nachholenden Entwicklung schon ein Ungleichgewicht voraus, so daß die Theorie optimaler internationaler Arbeitsteilung keine Anwendung finden kann 1. Im entwicklungsstrategischen Kontext ist daher ein Kapitalimport als Überschuß zu thematisieren, was eine Netto-Schuldnerposition der Entwicklungsökonomie impliziert, die die Wohlfahrtstheorie nicht erfassen kann. Das Plädoyer für Kapitalimporte folgt der traditionellen Vorstellung von einem "Aufbringungsproblem", die auch die Position der Bank deutscher Länder in den 50er Jahren prägt: "Westdeutschland wird immer ein kapitalarmes Land bleiben" (Vocke zitiert nach Emminger 1986, S. 69). Die Kapitalmangelthese leitet aus einer strukturell begründeten Sparlücke die Notwendigkeit ab, ausländisches Kapital zu importieren. Ziel ist die Finanzierung von Investitionen zur Förderung der Einkommensbildung in der zu entwickelnden Ökonomie, so daß das Hauptargument auf einer nichtkonsumtiven Verwendung der Importe liegt. Die Praxis der westdeutschen Notenbank nach der Währungsreform zeigte jedoch, daß für die Investitionsfinanzierung nicht Ersparnis, sondern ein Geldvorschuß die Voraussetzung ist. Damit geht die Betonung einer nichtkonsumtiven Verwendung von Kapitalimporten am Kern der Fragestellung vorbei. Evolutionäre Akkumulationstheorie setzt keine Ressourcen oder Ersparnisse in irgendeiner Form voraus. Die neoklassische Vorstellung einer temporären Kaufkraftübertragung mittels Kredit hat mit ökonomischer Entwicklung nichts zu tun: "Immer handelt es sich nicht um Transformation von Kaufkraft, die bei irgendwem schon vorher existiert hätte, sondern um die Schaffung von neuer aus Nichts" (Schumpeter 1911, S. 109). Indem die Notenbank als Geldangebotsinstanz das Vorschußvolumen der Investitionsfinanzierung steuert, fallt die diffuse Vorstellung einer Kapitalarmut in sich zusammen und rückt die Geldpolitik einer Ökonomie in den Mittelpunkt eines Entwicklungskonzepts. Entsprechend bildet für eine monetäre Theorie wirtschaftlicher Entwicklung die Existenz verschiedener Währungen das Unterscheidungskriterium für die Existenz unterschiedlicher nationaler Ökonomien. Unterschiedliche Gelder, deren qualitatives Verhältnis zueinander sich im Wechselkurs ausdrückt, begründen die Notwendigkeit der Nationalökonomie in Abgrenzung zu einer Raumwirtschaftslehre. Der Wechselkurs als ein rein monetäres Phänomen stellt eine entwicklungsstrategische Variable dar, die im Hinblick auf das AngebotsNachfrageverhältnis für die inländische Währung eine tendenzielle Unterbewertung verlangt.

1 Die neoklassische Theorie macht Faktorimmobilitäten zur Norm internationalen Handeins, obwohl erst deren Aufhebung den Faktorpreisausgleich sicherstellt. Wird diese Annahme aufgegeben, geht jegliches ökonomische Kriterium zur Unterscheidung von Regionen und Nationen verloren (vgl. Schelkle 1990, S. 286f.).

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Ein Kapitalimportüberschuß indiziert nun aber gerade das Gegenteil. Die Nachfrage nach Auslandswährung übersteigt die nach Inlandswährung, so daß letztere überbewertet ist. Auf dem Vermögensmarkt generiert ein Kapitalimportüberschuß Abwertungserwartungen, die mit der Gefahr einer kumulativen Kapitalflucht verbunden sind. Der Effekt einer überbewerteten Währung auf die Leistungsbilanz ist eine Verbilligung der Importe und eine Verteuerung der Exporte, was ein Defizit festschreibt. Ein Kapitalimportüberschuß ist mit einer Entwicklungsstrategie nicht vereinbar, da sich die angestrebte Einkommensexpansion über einen Exportüberschuß vollziehen muß. Für internationale Gläubiger-Schuldner-Beziehungen wird über die Verschuldung die Konstellation von Abhängigkeitsverhältnissen vermittelt (vgl. Betz/ Lüken-Klaßen 1989, S. 241 ff.). Augenfällig wird dies im Falle einer restriktiven Geldpolitik der Gläubigernation, deren Zinsanstieg sich multiplikativ auf die Schuld auswirkt und damit das asymmetrische Verhältnis dokumentiert. Erst eine Netto-Gläubiger-Position stützt eine monetäre Argumentation für Kapitalimporte zur Wahrnehmung von Wohlfahrtseffekten. Der Adressat ist dann allerdings nicht die zu entwickelnde Ökonomie, der vielmehr die interne Akkumulation erst ermöglicht werden muß. Für das sich in der Ersparnis (S) niederschlagende Akkumulationsniveau bedeutet dies eine Steigerung des Exports (Ex) über den Import (Im), d. h. einen positiven Saldo der Leistungsbilanz. Bei gegebenem Investitionsvolumen (I) gilt dann: (1)

S = I + (Ex - Im)

Dieser Saldenmechanik entzieht sich auch ein Plädoyer für Kapitalimporte als Technologietransfer nicht. In der Tradition Schumpeters müssen Nationen nachholender Entwicklung sich zunächst mit der Rolle der Imitatoren zufriedengeben, um einer kapitalimportvermittelten Verschuldungsproblematik auszuweichen. Das Argument der Technik macht allein saldenneutral ökonomischen Sinn. Völlig sinnleer wird es, wenn der Begriff des Kapitals im Sinne seiner organischen Zusammensetzung verstanden wird, anstatt Kapital als Wertgröße zu thematisieren. Die Produktivität entspringt nicht einer bestimmten Physis der Produktion, sondern unterliegt der Bewertung durch Preise, die aus einer spezifischen Marktkonstellation resultieren. Der wertmäßige Ausdruck eines Technologieimports ist gerade die Überbewertung der Währung. Allgemein lassen sich für die Frage eines Technologieimports die Ergebnisse der im Rahmen der Kapitaltheorie geführten "reswitching"-Debatte auf ein außenwirtschaftliches Modell übertragen. Demnach ist mit der Wahl der Technik keineswegs die Produktivität determiniert, so daß der Saldo der Leistungsbilanz unabhängig von den technischen Produktionsgegebenheiten einer Ökonomie ist. Die traditionelle Vorstellung von Faktorausstattungen, die den internationalen Handel begründen sollen, wird nicht dadurch besser, daß die Technologie in den Vordergrund gestellt wird, denn "die Wahl der Technik stellt überhaupt keine Wahl von Proportionen (... ) dar" (Pasinetti 1988, S. 187).

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Nachstehende Graphik verdeutlicht die Zusammenhanglosigkeit der Wahl der Technik mit den Faktorproportionen: w

w

I I I

I

__ L _____ _ I I

I

r R

Die Kurven TA und TB repräsentieren unterschiedliche Technologien in den Nationen A und B, die durch die Strukturen von Input-Output-Matrizen vorgegeben sind. Das Rentabilitätskriterium bewirkt, daß die Wahl auf die Technik fällt, die für jede gegebene Profitrate (r) den höchsten Lohn ergibt, oder - was dasselbe ist - auf die Technik, die für jeden gegebenen Lohn (w) die höchste Profitrealisierung zuläßt. Unter der Annahme vollständiger Kapitalmobilität sind die Profitraten in den Ländern A und B identisch (rA = r B). Die maximalen Profitraten (R) werden bei w = 0 erzielt, wenn also Arbeitnehmer im ökonomischen Sinn den Maschinen gleichzusetzen sind, während der maximale Lohn (W) den Fall einer kapitallosen Wirtschaft demonstriert. Der Saldo der Leistungsbilanz der Nation A, LBA, ist hingegen eine Funktion des Wechselkurses: (2)

Der reale Wechselkurs (E) als das Maß der Wettbewerbsfahigkeit einer Ökonomie ist mit jedem Niveau der Profitrate vereinbar, da er ein rein monetäres Phänomen darstellt. Der Begriff "real" bezeichnet lediglich die Multiplikation des nominalen Wechselkurses (e) mit dem reziproken Preisniveauverhältnis (PB I PA) der Nationen, so daß sich eine dimensionslose Größe ergibt. Beim Wert von 100 ist die Leistungsbilanz ausgeglichen, der Wechselkurs sozusagen "neutral" in bezug auf die Güterströme. Für E > 100 ist die Währung des Landes A unterbewertet, womit ein Exportüb~schuß korrespondiert, während E< 100 eine Überbewertung mit einem entsprechenden Importüberschuß indiziert. Bei einem Devisenbestand von Null kann ein Importüberschuß allein durch Kredite (Kapitalimporte) finanziert werden.

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Da die Wahl der Technik unabhängig von Unter- oder Überbewertung der Währung ist, hat der Saldo der Leistungsbilanz nichts mit der Wahl der Technik zu tun. In den Intervallen 0